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German Pages 274 Year 2014
Josch Hoenes Nicht Frosch – nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild
Studien | zur | visuellen | Kultur Herausgegeben von Sigrid Schade und Silke Wenk | Band 22
Josch Hoenes (Dr. phil.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Helene-LangeKolleg »Queer Studies und Intermedialität« der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Er lehrt und forscht im Bereich von trans*/queer studies sowie der Kultur- und Medienwissenschaften.
Josch Hoenes
Nicht Frosch – nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild Eine kunst- und kulturwissenschaftliche Analyse visueller Politiken
Die vorliegende Publikation wurde vom Promotionsausschuss der kulturwissenschaftlichen Fächer in der FK III der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg am 26.11.2012 als Dissertation angenommen. Gutachter_innen: Prof. Dr. Silke Wenk, Prof. Dr. Sabine Hark
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung (Detail): Tomka Weiß, Berlin, 2013, © Tomka Weiß Lektorat: Ulrike Schuff Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2524-0 PDF-ISBN 978-3-8394-2524-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
I. Einführung: Von Fröschen, Laborratten und Märchenprinzen | 11
1. Trans* in der Akademia | 15 Epistemische Figuren | 15 Was oder wer bist Du? – Wahrheitsforderungen an die Identität | 20 Der sprechende Sex – Verwicklungen zwischen Geschlecht und Sexualität | 23 2. Evidenz-Produktion als Abhebung der Vorurteile | 29 3. Von Menschen, Singularität und den Grenzen der Wissenschaftlichkeit | 38 4. Transmännlichkeiten im Bild: Zum Aufbau des Buches | 47 II. Positionierung zwischen TS und TG | 49
1. Das Spannungsfeld von Gesetz, Medizin und (Sub-)Kultur | 49 Skizze der gesetzlichen Regelungen der Transsexualität durch das TSG | 50 Die Standards zur Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen | 52 Kritiken der Transgender-/Transsexuellenbewegung | 55 Der Zwang, ein Geschlecht zu sein: juristisch, medizinisch, kulturell | 62 2. Genealogien | 65 Konzept und Begriff der Transsexualität | 66 Transgender und Transgeschlechtlichkeit | 73 III. Perspektivierung: Transmännlichkeit | 81
1. Transmännlichkeit | 81 Eine Realität der Transgression: Männlichkeit | 83 Männlichkeit = Geschlecht: theoriepolitischer Einsatz | 87 Männlichkeiten zwischen Ideal, Stereotyp, kultureller Praxis und Körper | 90 2. Kulturelle Repräsentationen von Transmännlichkeiten | 101 »Im falschen Körper«: Ambivalenzen einer Metapher | 101 Die Last des Geheimnisses | 109
Visuelle Politiken | 113 (Sub-)Kulturell-künstlerische Sichtbarkeiten: Die Konstruktion des Materialkorpus | 117 Loren Cameron: Body Alchemy | 118 Del LaGrace Volcano: Sublime Mutations | 120 Boys Don’t Cry | 121 IV.Objektivierung: visuelle Repräsentationen lesen – aber wie? | 123
1. Lesarten zwischen Identifikation, Repräsentationskritik und Autobiografie | 124 Identifikatorische Lektüre | 124 Autobiografische Lektüre | 131 Repräsentationskritische Lesart | 140 2. Teilnehmende Lektüre | 146 V. Transmännlichkeiten im Bild | 157
1. Von der Kunst, Tatsachen ins Werk zu setzen: Pathologisierung zwischen Psychiatrie, Kunst und Alltag | 158 Distortions – ͩim falschen Körperͨ | 158 Wie, was sehen? Zerrbilder/Verwirrungen eines Porträts | 161 »Du bist das Beste von beiden Welten« – »Du gehörst hier nicht her« | 162 Männlichkeit im/als Widerspruch | 167 Die Kunst, Tatsachen ins Werk zu setzen | 171 Die Kunst des Ausstellens: Transsexualität im/als Widerspruch | 173 2. Und wenn sie ͩeine feste Form angenommen habenͨ – Die Tranz Portraits Del LaGrace Volcanos | 176 Das Problem mit der Evidenz | 181 Von Transsexualität zu Tranz | 184 Hans & Selfportrait, London 1996 | 188 Und die feste Form? | 194 3. God’s Will – Selbstermächtigung und Ironie der Männlichkeit | 195 Nackt? Oder Akt! | 198 Reformulierung der Transsexualität | 202 Reformulierung der Männlichkeit | 205
4. Boys don’t Cry – Queer/Trans: Geschlecht und Sexualität im Spannungsfeld urbaner Zentren und Peripherien | 207 Boys Don’t Cry | 209 Von der Identität zum Begehren | 211 Die staatliche Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit | 213 Peripherien und familiäre Ordnungen | 216 Konstruierte Sichtbarkeiten | 220 5. Das kulturelle Gewicht der Genitalien – Streifzüge durch die TransGenital Landscapes von Del LaGrace Volcano | 221 Wieso über Genitalien sprechen? | 223 TransGenital Landscapes | 226 Prince Albert’s Kiss | 227 Thru the Looking Glass | 233 Fingerfood – Crevice – Stalactite – La Coeur | 235 VI.Schluss | 241 Bibliografie | 247
Bildnachweise | 267
Dank | 269
Was aber die angeht, die meinen, es müsse einer abgedankt haben, der sich Mühe gibt, anfängt und wieder anfängt, versucht, sich täuscht, alles von neuem aufrollt und noch immer auf Schritt und Tritt zaudert, zurückgezogen und unruhig arbeitet: was also die angeht, nun wohl, wir sind ganz offenkundig nicht vom selben Planeten! MICHEL FOUCAULT
I.
E INFÜHRUNG : V ON F RÖSCHEN , L ABORRATTEN UND M ÄRCHENPRINZEN
Nicht im Besitz der eigenen Worte zu sein ist jedoch von Anfang an gegeben, denn das Sprechen ist in manchen Hinsichten stets das Sprechen eines Fremden/einer Fremden durch sich selbst und als sie selbst, die melancholische, andauernde Wiederholung einer Sprache, die man niemals gewählt hat, die man nicht als ein Instrument, das nur verwendet zu werden braucht, vorfindet, von der man aber gewissermaßen verwendet wird, in der man enteignet wird als die instabile und fortdauernde Bedingtheit des »man« und des »wir«, die ambivalente Bindung der Macht, die bindet. JUDITH BUTLER
»Nicht im Besitz der eigenen Worte zu sein«, wie Butler es formuliert, ist das grundlegende Axiom dieser Arbeit, in deren Verlauf ich vielmals um Worte gerungen, keine Sprache gefunden, falsche Wörter oder vielleicht besser: richtige Worte, die sich selbst verfälschten, verwendet habe.1 Wenn Butler das Schrei1
Axiomatisch ist dies für meine Dissertation besonders vor dem Hintergrund meines grundständigen Studiums der Völkerkunde und Afrikanistik sowie meiner Verwicklung in lesbisch-feministische Kontexte der 1990er Jahre. Hatte doch postkoloniale Kritik und die »Krise der Repräsentation« in der Ethnologie verdeutlicht, dass die wissenschaftliche Autorität des Ethnologen durch Modi des Schreibens produziert wird. Mit der Einsicht der Unmöglichkeit einer transparenten Repräsentation und den machtvollen Effekten jeder Repräsentation wurden zudem die Grenzen und Möglichkeitsbedingungen des Verstehens des Fremden zu einem grundlegenden und ernst zu nehmenden Problem (grundlegend zur Krise der Repräsentation vgl. Clifford/Marcus (Hg.) (2001). Auf einer ganz anderen Ebene machte die Kritik von Andersfähigen, SM-Lesben, Schwarzen Lesben und Lesben of color an dominanten lesbischen Identitätspolitiken nicht nur deren Grenzen, sondern deren Verstrickung in und Mitwirkung an Macht- und Herrschaftsverhältnissen deutlich. Zum Paradox lesbischer Identitätspolitik vgl. Hark (1996). Beide Bewegungen verunsicherten Vorstellungen und Erkenntnismöglichkeiten von Geschlechtern und Sexualitäten auf einer sehr grundsätzlichen Ebene – eine Verunsicherung, die im weitesten Sinne, den Anstoß für die Arbeit an dem vorliegenden Projekt bildete.
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ben, das notwendig und unvermeidlich zu einem Ort der Enteignung wird, aus einer philosophischen Perspektive als eine der »zwiespältigsten Implikationen der Dezentrierung des Subjekts« (1997: 331) beschreibt, konkretisiert sich dieses Dilemma auf spezifische Weise, wenn das Schreiben den Versuch beinhaltet, sich an der Konstruktion von Subjektpositionen zu beteiligen, die in den Bereich des Verworfenen gehör(t)en, die in weitgehende Unsichtbarkeiten oder höchst determinierte Sichtbarkeitsformen gesperrt sind, wie dies in der vorliegenden Dissertation der Fall ist. Denn die Signifizierfähigkeit von Äußerungen, die »ungeachtet ihrer Autoren mit der Signifikation fort[fahren] und manchmal entgegen den wertvollen Absichten ihrer Autoren« (Butler 1997: 331), sind in ihrer Bedeutungsproduktion nicht vollständig arbiträr, sondern produzieren und reproduzieren sich im machtvollen Feld der Sprache, in dem verschiedene Positionen, Wahrheiten und Vorstellungen um Hegemonie kämpfen. Die Repräsentationen transgeschlechtlicher Männlichkeiten, die Gegenstand dieser Studie sind, entstanden in subkulturellen, Trans*-Kontexten, innerhalb derer Codierungen und Bedeutungen von Geschlecht und Sexualität angeeignet und umgearbeitet werden.2 Die Umarbeitungen und Bedeutungsverschiebungen, die Codierungen von Männlichkeit hier erfahren, sind jedoch nicht aus sich selbst heraus verständlich. Als Ergebnis kollektiver Praxen sind sie an spezifische Orte und Gemeinschaften sowie die hier geteilten Praktiken und Wissensformationen gebunden.3 Jenseits dieser Kontexte – und in gewisser Weise ist das Feld der Akademia ein solches Jenseits – können solche Artikulationen von Transmännlichkeiten miss- oder unverstanden, teilweise ungesehen, bleiben und/oder andere, verschobene oder gar entgegengesetzte Bedeutungen produzieren. Vor dem Hintergrund meiner eigenen doppelten Positionierung in subkulturellen queeren Trans*-Kontexten einerseits und im akademischen Kontext kulturwissenschaftlicher Geschlechterstudien andererseits lösten diese Bedeutungsverschiebungen und daraus resultierende Dissonanzen und Widersprüche bei mir ein gewisses Unbehagen aus, das 2
Die Schreibweise Trans* etablierte sich Mitte der 1990er Jahre mit der zunehmend kritischen Hinterfragung des Konzepts der Transsexualität und dem Entstehen zahlreicher Bezeichnungen, wie z.B. Transgender, Transidentität. Mit der Trunkierung wird bewusst auf eine enger definierende Bezeichnung wie transsexuell oder transgender verzichtet. Zudem verweist sie – aus dem Computerbereich übernommen – auf die zunehmende Bedeutung, die das Internet während dieser Zeit für Trans*menschen bekam (vgl. Regh 2002: 192f.).
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Dass Umarbeitungen hegemonialer Geschlechterentwürfe nur als kollektive Praxen möglich und somit an spezifische Räume und Subkulturen gebunden sind, hat jüngst Uta Schirmer in ihrer Dissertation (2010) am Beispiel der deutschen Drag-King-Szene gezeigt.
E INFÜHRUNG
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den entscheidenden Anstoß für die Arbeit an der vorliegenden Dissertation bildete. Denn mit diesen Bedeutungsverschiebungen schienen mir Repräsentationen von Transmännlichkeiten auf eine Art und Weise in hegemoniale Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität integriert zu werden, die sich an der hartnäckigen Unsichtbarmachung und Pathologisierung der Subjektivitäten und Existenzweisen von transgeschlechtlichen Personen beteiligte. Die Stimmen von Transpersonen sowie die in konkreten subkulturellen Kontexten und durch spezifische Existenzweisen artikulierten Einsprüche in die Denk- und Ordnungsmuster hegemonialer Zweigeschlechtlichkeit wurden und werden darin beständig ignoriert. Die vorliegende Studie verfolgt das Ziel, diesen Einsprüchen anhand der exemplarischen Analyse visueller Repräsentationen von Transmännlichkeiten auf die Spur zu kommen, sie innerhalb akademisch-wissenschaftlicher Diskurse verständlich zu machen. Abschließend werden Fragen- und Problemstellungen, die sich aus diesen Einsprüchen für Felder der kunst- und kulturwissenschaftlichen Geschlechterforschung ergeben, skizziert. Wenn allerdings geschlechtliche und sexuierte Codierungen innerhalb hegemonialer wissenschaftlich-akademischer Diskurse dermaßen überdeterminiert sind, dass jede Aussage zu Transmännlichkeit Gefahr läuft, sich quasi automatisch zu verfälschen oder gar mit Bezug auf das hegemonial anerkannte Wissen gewissermaßen ›zu Recht‹ als falsch abgetan, psychologisiert oder pathologisiert zu werden, stellt sich für die vorliegende Studie die Frage, wie die Einsprüche, die Artikulationen von Transmännlichkeiten produzieren, überhaupt innerhalb des akademisch-wissenschaftlichen Diskurses zur Geltung gebracht werden können. Anders ausgedrückt ist die vorliegende Dissertation selbst als ein Projekt der Sichtbarmachung von Transmännlichkeiten innerhalb der Akademia zu begreifen, das sich der Frage stellen muss, welche Worte und welche Formen der Sichtbarmachung sich für ein solches Projekt finden lassen. Eng verbunden mit dieser Frage nach Möglichkeiten und Formen der Sichtbarmachung ist die Frage danach, was (d.h. welche Aspekte von Transmännlichkeiten) überhaupt sichtbar und verständlich gemacht werden soll und wieso dies sinnvoll oder notwendig sein sollte. Beide Fragen und die damit verknüpften Problemkreise werden im Folgenden anhand einer Erzählung Jamsion Greens über die Sichtbarmachung von Transmännern konkretisiert, um in das Problemfeld, in dem sich die vorliegende Studie situiert, einzuführen und gleichzeitig die konkrete Problemstellung, mit der sie sich auseinandersetzt, zu skizzieren. Wenn ich die vielleicht etwas gewagte, ganz sicher sehr zugespitzte These aufgestellt habe, dass die Akademia in gewisser Weise ein Jenseits der Kontexte
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ist, innerhalb derer Transmännlichkeiten sichtbar und verständlich sind, möchte ich damit ganz gewiss nicht behaupten, es gäbe hier kein Wissen über und keine Formen der Sichtbarkeit für Transmänner. Ganz im Gegenteil haben die akademischen Wissensproduktionen zahlreicher Disziplinen – von der Sexualwissenschaft, der Medizin, der Psychologie über die Ethnologie und Soziologie bis hin zu neueren Ansätzen der Geschlechterforschung, transgender studies und queer theory in erheblichem Maße zur Sichtbarmachung und auch zur Konstituierung der Phänomene Transsexualität und Transgender auf unterschiedliche Weise beigetragen. Worum es mir mit dieser These geht, ist vielmehr eine Problematisierung der Art und Weise, wie und mit welchen Effekten dominanterweise Wissen über Transsexualität, Transgender und Transmänner innerhalb der Akademia produziert wird. Denn dieses Wie impliziert die Fokussierung bestimmter Aspekte bei gleichzeitiger Ausblendung anderer sowie sich darin produzierende Ein- und Ausschlüsse. Dies mag zunächst noch keine Begründung für die Notwendigkeit einer Problematisierung sein, verweist diese Feststellung in ihrer Allgemeinheit letztlich zunächst nur auf die notwendige Begrenzung eines jeden Wissens. Allerdings artikulieren sich seit Mitte der 1990er Jahre in subkulturellen, politischen und künstlerischen Trans*-Kontexten wie auch in den marginalisierten Bereichen akademischer transgender studies zunehmend Vorstellungen von Männlichkeit, Geschlecht und Sexualität, die hegemoniale wissenschaftliche Perspektiven auf und Vorstellungen von Transsexualität und Transgender als hochgradig problematisch, wenn nicht gar unerträglich erscheinen lassen.4 Dies macht eine kritische Hinterfragung des Wie akademischer Wissensproduktion notwendig, der sich auch die vorliegende Studie nicht entziehen kann. Inwiefern also sind die innerhalb der Akademia gegebenen Sichtbarkeitsund Wissensformationen für Transmännlichkeiten problematisch und nahezu unerträglich? Ich greife an dieser Stelle auf eine Erzählung des Künstlers und Transaktivisten Jamison Green zurück, die dies auf geradezu paradigmatische Weise verdeutlicht und zugleich aufzeigt, wie sich Brüche und Risse innerhalb dieses Settings produzieren lassen, die andere Formen der Wissensproduktion ermöglichen.
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Für eine kritische Auseinandersetzung mit Transsexualität aus solchen Perspektiven vgl. bspw. ag polymorph (2002), Bauer (2007, 2009), de Silva (2005, 2007,2013), Franzen (2007), Franzen/Sauer (2010), Mittag/Sauer (2012), Schirmer (2010).
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1. Trans* in der Akademia Epistemische Figuren Ausgehend davon, dass viele Transmänner unsichtbar sein wollen und gleichzeitig ein dringendes Bedürfnis nach Anerkennung haben, diskutiert Green in seinem Text »Look! No, don’t! The Visibility Dilemma for Transsexual men« (2006b) die Potenziale und Probleme, die mit Sichtbarkeitsprojekten von Transmännern verbunden sind. Dieser Text enthält eine Passage, in der Green seine Aufklärungsarbeit in Bezug auf Transsexualität schildert, die er in Schulen und Universitäten leistet. Die Passage bietet sich als Aufhänger für ein Nachdenken über Wissensproduktionen zu Transsexualität innerhalb der Akademia aus zwei Gründen in besonderer Weise an. Zum einen verweist bereits der Umstand, dass Green und andere Transmänner in zunehmenden Maße als Gastreferenten eingeladen werden, darauf, dass diese ein spezifisches Wissen besitzen, dass innerhalb dieser Institutionen nicht ohnehin schon vorhanden ist und an dem zudem ganz offensichtlich ein gewisses Interesse besteht. Zum anderen – und vielleicht mehr noch – bietet sie sich an, weil Green in seiner Erzählung ein Bild der Situation innerhalb der Akademia zeichnet, das die dort vorgefundenen Macht- und Sichtbarkeitsverhältnisse auf komplexe Weise reflektiert. Green schreibt: »Stepping in front of the class we become laboratory rats, frogs in the dissection tray, interactive multimedia learning experiences: ›How old were you when you first realized you were a frog, Mr. Green?‹ ›How did your parents react when you told them you were a frog?‹ ›Do you date? Do you tell your partners you’re a frog?‹ ›So, how does it work? I mean, uh, can you, like, do it?‹ No one has really ever suggested that I am an actual frog – but these are essentially the questions that are most frequently asked« (Green 2006b: 500).
Wenn Green die Transformation in ein Forschungsobjekt, die sich beim Vor-dieKlasse-Treten vollzieht, in die Metaphern von Laborratte, Frosch auf dem Seziertisch und interaktive multimediale Lernerfahrung fasst, zeichnet er ein Bild der Akademia als einen Raum des Wissens, innerhalb dessen der Transsexuelle – zumindest zunächst – ausschließlich als Objekt der Wissbegierde von Forschenden und Studierenden fungiert und einer fundamental entmenschlichenden Gewalt ausgesetzt ist: vollständig objektiviert, bleibt kein Raum für das Subjektund Menschsein des Transsexuellen, mutiert er zum Tier oder zur fortschrittlichen Lerntechnologie, kurz: zu einem Objekt des Wissens.
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Indem Green diese entmenschlichende Gewalt im Moment des Vor-dieKlasse-Tretens situiert, beschreibt er diese weniger als eine von einzelnen Personen und deren direkten Handlungen ausgehende Gewalt, sondern vielmehr als Effekt hegemonialer Macht- und Sichtbarkeitsverhältnisse. Wenn sich diese Passage nicht als eine direkte oder wörtliche Schilderung der Situation, in der Green sich um ein Verständnis Transsexueller bemüht, lesen lässt – er also nicht den tatsächlichen Raum und die tatsächlich aktualisierten Praktiken des Sehens oder Wissens problematisiert –, so kann sie doch als eine Skizze der hermeneutischen Situation gelesen werden. Die Wirkmächtigkeiten eines spezifischen MachtWissen-Nexus, hegemoniale Wissensformationen und Diskursivierungen der Transsexualität sowie grundsätzliche epistemologische Strukturen moderner Wissenschaften, die diese Situation strukturieren, sperren »den Transsexuellen« in verschiedene epistemologische Figuren ein.5 Die hermeneutische Situation kann mit Gadamer als »Standpunkt, der die Möglichkeit des Sehens beschränkt« (1993e: 286) begriffen werden, in der »[…] wir immer schon den Wirkungen der Wirkungsgeschichte [unterliegen]: Sie bestimmt im Voraus, was sich uns als fragwürdig und als Gegenstand der Erforschung zeigt […]« (Gadamer, 1993e: 284). Insofern eine Forschung, die die Macht ihrer Wirkungsgeschichte nicht reflektiert, Gefahr läuft, »die unwillkürlichen und nicht beliebigen, sondern alles tragenden Voraussetzungen, die [das] eigene Verstehen leiten, zu verleugnen« (Gadamer 1993e: 284), ist es notwendig, sich dieser so weit als möglich bewusst zu werden: »Wirkungsgeschichtliches Bewußtsein ist zunächst Bewußtsein der hermeneutischen Situation« (Gadamer 1993e: 285). Inwiefern aber kann Greens Bezug auf den Frosch auf dem Seziertisch, die Laborratte und die interaktive multimediale Lernerfahrung als eine Beschreibung der hermeneutischen Situation gelesen werden? Welche das Verstehen leitenden 5
Mit dem Nexus von Macht-Wissen beschreibt Foucault das zwangsläufige Zusammenwirken von Wissen und Macht: »Denn nichts kann als Wissenselement auftreten, wenn es nicht mit einem spezifischen System spezifischer Zwänge und Regeln konform geht – etwa mit dem System eines bestimmten wissenschaftlichen Diskurses in einer Epoche, und wenn es nicht andererseits, gerade weil es wissenschaftlich oder rational oder einfach plausibel ist, zu Nötigungen und Anreizungen fähig ist. Umgekehrt kann nichts als Machtmechanismus funktionieren, wenn es sich nicht in Prozeduren und Mittel-Zweck-Beziehungen entfaltet, welche in Wissenssystemen fundiert sind. Es geht also nicht darum, zu beschreiben, was Wissen ist und was Macht ist und wie das eine das andere unterdrückt oder mißbraucht, sondern es geht darum, einen Nexus von Macht-Wissen zu charakterisieren, mit dem sich die Akzeptabilität eines Systems – sei es das System der Geisteskrankheit, der Strafjustiz, der Delinquenz, der Sexualität usw. erfassen lässt« (Foucault 1992: 33).
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Voraussetzungen werden thematisiert? Oder konkreter: Was haben diese Figuren mit einem Verständnis von Transsexualität bzw. »dem Transsexuellen« zu tun? Zunächst fungieren der Frosch auf dem Seziertisch, die Laborratte und die interaktive multimediale Lernerfahrung als bedeutsame Symbole der modernen Wissenschaften, die die – wenngleich in ihrer methodisch-theoretischen Ausrichtung unterschiedlichen – Grundprinzipien wissenschaftlicher Forschung versinnbildlichen.6 Als eines der wohl mit am stärksten popularisierten Untersuchungsobjekte – gehört(e) doch das Sezieren von Fröschen zum Standard des schulischen Biologieunterrichts7 – fungiert der Frosch als bekanntes Beispiel für die Wissensproduktion der Anatomie, einer Wissenschaft, die im Zerteilen der Körper deren funktionales System zu verstehen sucht und »Ähnlichkeiten hervortreten lässt, die ansonsten unsichtbar geblieben wären« (Foucault 1974: 330). Die Erkenntnisproduktion der Anatomie ist dabei auf mehrfache Weise mit Technologien und Ästhetiken des Visuellen verwoben. Denn erstens spielen die Zeichnungen von Präparaten eine zentrale Rolle in der Wissens- und Theorieproduktion, wobei die frühen Konflikte zwischen Naturforschern und Zeichnern die Unmöglichkeit eines objektiven Blickes auf die Natur oder einer rein abbildenden Zeichnung ausstellen.8 Zweitens sind die Zeichnungen, die zur Konstruk6
Ich verwende den Begriff »Symbol« an dieser Stelle in seiner ethnologischen Bedeutung, nach der Symbole »[…] faßbare Formen von Vorstellungen sind […] aus der Erfahrung abgeleitete, in wahrnehmbare Formen geronnene Abstraktionen, konkrete Verkörperungen von Ideen, Verhaltensweisen und Meinungen, Sehnsüchten und Glaubensanschauungen« (Geertz zit. nach Wiechens 2000: 44).
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Auch wenn heute das Sezieren von Fröschen nicht mehr unbedingt in Schulen praktiziert wird, ist es nach wie vor so zentral, dass eigens eine Lernsoftware zum virtuellen Sezieren von Fröschen entwickelt wurde, um so den »Verbrauch« von lebenden Fröschen zu minimieren (vgl. www.sciencegarden.de/content/2002-11/frösche-virtuellsezieren [24.06.2010]).
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So zeigt Michael Hagner, dass Samuel Thomas Soemmering mit seinen Abbildungen und Beschreibungen einiger Missgeburten (1791) statt der barocken Inszenierungen des Körpers die Abbildung »charakteristischer Merkmale der missgebildeten Körper« (Hagner 2005b: 99) anstrebt, die sich über eine mathematische und geometrische Genauigkeit erreichen lässt (Hagner 2005b: 101). In diesem Zusammenhang problematisiert Soemmering die Zeichner: »Die mehrsten [Zeichner] wenden auf Nebensachen, auf eine unnatürlich, durch’s Zusammenschrumpfen, vom Weingeiste verursachte Falte,..., eine Genauigkeit, die den Hauptstellen schadet. Man kann manchen Künstler schlechterdings nicht gewöhnen, blos das zu sehen, was eigentlich ausgedrückt werden soll, und Kleinigkeiten, die nicht zur Sache gehören, oder wohl gar bloße Zufälligkeiten wegzulassen« (Hagner 2005b: 101).
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tion und zur Naturalisierung der Geschlechterunterschiede beitragen, stark durch ästhetische Kriterien geprägt. So zeigt Anthea Callen (2002) am Beispiel der Zeichnungen männlicher Skelette des Zeichners Albinus (um 1750), wie diese durch spezifische stilistische Mittel (Posen, Proportion, Setting, Accessoires) ikonografische Referenzen zum klassizistischen Männlichkeitsideal des Apollo von Belvedere produzieren und die Naturalisierung der Geschlechterdifferenz damit gleichzeitig mit spezifischen Werten und Bedeutungen aufladen. In ähnlicher Weise symbolisiert die Laborratte die naturwissenschaftliche Forschung in Genetik, Medizin und Endokrinologie, die mit ihren Experimenten danach strebt, das »Geheimnis des Lebens« zu entschlüsseln. Das Labor ist einer der zentralen Repräsentationsräume der Konfiguration modernen wissenschaftlichen Wissens, innerhalb dessen Lebewesen zu epistemischen Objekten werden.9 Sowohl Frosch als auch Laborratte verweisen auf eine Ordnung des Wissens, wie sie sich im Zuge der Aufklärung etablierte. Diese basiert, wie Foucault (1981) in der Archäologie des Wissens zeigt, auf einem grundlegenden epistemologischen Wandel. Die klassische Episteme, für die sich das Wesen der Dinge an deren Oberfläche zeigt und Erkenntnis auf der Entzifferung von »Ähnlichkeiten« beruht, wird durch die Episteme moderner Wissenschaften abgelöst (vgl. Foucault 1974: 328ff.). Das Wesen der Dinge ist nicht länger an deren Oberfläche zu erkennen, sondern muss durch die Entdeckung der inneren Gesetze und Funktionszusammenhänge erkannt werden.10 Wenn es dieser fundamentale epistemische Wandel ist, mit dem der Mensch sich überhaupt erst sowohl als erkennendes Subjekt als auch als Gegenstand der Humanwissenschaften erfindet, verfängt er sich damit zugleich in einem grundlegenden Paradox: »Die Konfiguration, die ihre Positivität [die der Humanwissenschaften] definiert und sie in der modernen Episteme verwurzelt, setzt sie gleichzeitig außerstand, Wissenschaften zu sein. Und wenn man dann fragt, warum sie diesen Namen angenommen haben, genügt es, daran zu erinnern, dass es zu der archäologischen Definition ihrer Verwurzelung gehört, dass sie die Übertragung von Wissenschaften entnommenen Modellen hervorrufen und annehmen. Es ist also nicht die Irreduzibilität des Menschen, das, was man als unüberwindliche Transzendenz bezeichnet, noch seine zu große Komplexität, die ihn daran hindert, zum Gegenstand der Wissenschaft zu werden. Die abendländische Kultur hat unter dem Namen des Menschen ein Wesen konstituiert, das durch ein und dasselbe Spiel von
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Zum epistemischen Wandel der Repräsentationsräume von Wunderkammer und Naturalienkabinett zu dem des Labors und der damit verknüpften Etablierung einer epigenetischen Theorie des Lebens vgl. Hagner (2005b: 74 ff.).
10 Vgl. Foucault (1974: 328ff.).
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Gründen positives Gebiet des Wissens sein muss und nicht Gegenstand der Wissenschaft sein kann« (Foucault 1974: 439).
Vor diesem Hintergrund erweist sich Greens Verwendung der Begriffe »Laborratte« und »Frosch« nicht als rein metaphorische. Sie ist keine Übertragung, die er erfunden oder originär zum ersten Mal praktiziert hätte. Vielmehr erscheint sie im Lichte der Reflexion der Wissenschaftsgeschichte als performative Wiederholung einer Bewegung, die der Konstituierung der Humanwissenschaften zu Grunde liegt. Mit dieser Wiederholung gelingt Green eine Problematisierung der epistemischen Strukturen und epistemologischen Fundamente der modernen Wissenschaften, die eine intrinsische Verknüpfung von Innerlichkeit, Wesenhaftigkeit und Wahrheit produzieren. Diese lassen sich auf spezifische Weise mit der Wissenschaftsgeschichte der Konstruktion des Phänomens der Transsexualität verknüpfen. Denn wenn die Anatomie des 18. Jahrhunderts in erheblichem Ausmaß dazu beiträgt, ein spezifisches Wissen über den menschlichen Körper zu produzieren, der zunehmend geschlechtlich differenziert wird, tragen die Tierversuche Eugen Steinachs Anfang des 19. Jahrhunderts entscheidend zur Konstituierung des modernen Geschlechtsdispositivs in der Medizin bei, in der nun Keimdrüsen und Hormone zu den entscheidenden geschlechtsdeterminierenden Faktoren werden.11 Beide Entwicklungen sind konstitutiv für das Phänomen der Transsexualität, das, wenngleich es als psychische Identitätsstörung definiert ist, über operative und endokrinologische Angleichungen des Geschlechtskörpers an die Normen behandelt wird. Erst die Erkenntnisse dieser Disziplinen ermöglichen überhaupt erst die medizinischen Behandlungen. Zugleich wird hier noch immer im biologischen Körper nach der Ursache von Transsexualität gesucht. So konstatiert Volker Weiß in seiner Analyse der Veränderungen und Kontinuitäten des medizinischen Diskurses: »Die Hypothese der neuroendokrinologischen Prägung als einer Ursache von Transsexualität gilt noch nicht als falsifiziert. In den 1990er Jahren wurden Hirnsektionen an verstorbenen Transsexuellen durchgeführt und als ihre Bestätigung interpretiert« (2009: 362). Insofern kann Greens Schilderung als eine Problematisierung der Geschichte der Wissensproduktion zu Geschlecht und Transsexualität gesehen werden, in der Disziplinen wie Biologie, Medizin und Sexualwissenschaften eine dominante Rolle spielen. Wenn die biologischen, psychologischen und sexualwissenschaftlichen Ontologien von Geschlecht und Sexualität oft auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften unhinterfragt übernommen werden, kann die interaktive multimedi11 Vgl. Volker Weiß, der die Konstituierung des medizinischen Geschlechtsdispositivs, in dem männliche Homosexualität und Transsexualität zu einem Problem werden, rekonstruiert (2009: 356ff.).
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ale Lernerfahrung als Verweis auf soziologische Forschungen zu Transsexualität gelesen werden. Bedeutsam ist hier insbesondere die erste wichtige ethnomethodologische Forschung Harold Garfinkels (1984). Dieser macht gegen biologische Ontologien von Geschlecht und Sexualität die These stark, dass die Normalität von Geschlecht und Sexualität auf einem moralisch begründeten CommonSense-Wissen basiert und in gesellschaftlichen Codes und interaktiven Verhaltensweisen beständig hergestellt und aufrechterhalten wird. Insofern diese jedoch so weit selbstverständlicht sind, als sie nicht mehr ohne Weiteres erkannt werden (können), scheinen Transsexuelle, als Ausnahme von der Regel, geeignete Forschungsobjekte zu sein, um die ungesehenen gesellschaftlichen Funktionszusammenhänge von Geschlecht aufzudecken. Gleichwohl solche Forschungen das Potenzial besitzen, zu einer Entpathologisierung Transsexueller beizutragen, indem sie gesellschaftliche Zusammenhänge fokussieren, sind sie insofern problematisch, als sie Transsexuelle zu einem Forschungsobjekt machen, durch das sich die Funktionsweisen gesellschaftlicher Normalität wie auch der diesem Funktionieren zu Grunde liegende Common Sense erkennen lassen. Übersehen werden dabei sowohl die Brüchigkeiten und Instabilitäten heteronormativer Normalität als auch die Handlungsfähigkeit transgeschlechtlicher Subjekte sowie deren Arbeit an Umdeutungs- und Umcodierungsprozessen.12 Was oder wer bist Du? – Wahrheitsforderungen an die Identität Insgesamt referiert Greens Metaphorik also auf genau jene Diskurse, die in erheblichem Umfang an der Wissensproduktion zu Geschlecht und Sexualität beteiligt waren und zu einem Wissen über Transsexualität beigetragen haben. Insofern kann seine Schilderung als Funktionsweise der Hegemonie innerhalb der Akademia gelesen werden, die ihn als Transsexuellen in dem Moment, in dem er das Feld der Akademia mit ihren spezifischen Diskursen und Machtstrukturen betritt, als Forschungs- und Lehrobjekt konstituiert. Diese Problematisierung zielt jedoch nicht auf eine Kritik der konkreten wissenschaftlichen Disziplinen der Anatomie, der Medizin und Endokrinologie oder Ansätze der ethnomethodologischen Forschung; er liegt weder tatsächlich auf einem Seziertisch, noch ist er in die Apparaturen eines Labors eingespannt. Vielmehr kritisiert sie die Wirkmächtigkeit dieses Wissens in seiner Form als popularisiertes Allgemeinwissen, das die an ihn gerichteten Fragen in/formiert: 12 Gesa Lindemann hat die konstruktivistische Sicht der Ethnomethodologie als Auflösung der Wirklichkeit beschrieben, die zwar »die Struktur des Tuns [beschreibt], vermittels dessen die Beteiligten Wirklichkeit hervorbringen, [die] aber die dieses Tun fundierende Form der Umweltbeziehung [übergeht]« (Lindemann 1993: 27).
E INFÜHRUNG
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»›How old were you when you first realized you were a frog, Mr. Green?‹ ›How did your parents react when you told them you were a frog?‹ ›Do you date? Do you tell your partners you’re a frog?‹ ›So, how does it work? I mean, uh, can you, like, do it?‹« (Green 2006b: 500)
Mit diesen Fragen, die sich auf ein Wissen darüber beziehen, »was« Green »ist«, kommt neben dem Wissen um die Anatomie des Körpers, das in der Figur des Frosches präsent gehalten wird, die Identität als zweite bedeutsame Wissensformation von Geschlecht ins Spiel. Indem Green diese beiden »Wahrheiten des Geschlechts« – die der Anatomie und die der Identität – in der Figur des »Frosch-Seins« miteinander verknüpft, ruft er sowohl die hegemoniale und alltagsweltliche Vorstellung des Geschlechts auf, nach der aus dem anatomischen Körper »männlich« oder »weiblich« die Geschlechtsidentitäten »Mann« oder »Frau« scheinbar selbstverständlich und auf eindeutige Weise hervorgehen, als auch das in hegemonialen Diskursen dominante Bild der Transsexualität als einer »im falschen Körper gefangenen« Person. In der Überblendung dieser beiden fundamental widersprüchlichen Vorstellungen von Geschlecht – scheint im Falle der Transsexualität doch gerade nicht der anatomische Körper, sondern die Identität ausschlaggebend für das Geschlecht zu sein – problematisiert Green genau jene heteronormative Kohärenznorm des Geschlechts, vor deren Hintergrund das Phänomen der Transsexualität überhaupt erst Sinn ergibt. Denn »die kulturelle Matrix, durch die geschlechtlich bestimmte Identität intelligible wird, schließt«, so Butler, »die ›Existenz‹ bestimmter ›Identitäten‹ aus, nämlich genau all jene, in denen sich die Geschlechtsidentität (gender) nicht vom anatomischen Geschlecht (sex) herleitet und in denen die Praktiken des Begehrens weder aus dem Geschlecht noch aus der Geschlechtsidentität ›folgen‹. […] Ihr Bestehen und ihr Verbreiten bieten allerdings die kritische Möglichkeit, die Schranken und regulierenden Zielsetzungen dieses Gebiets aufzuweisen und dadurch gerade innerhalb der Matrix der Intelligibilität rivalisierende, subversive Matrixen der Geschlechter-Unordnung (gender disorder) zu eröffnen« (Butler 1991: 38f.).
In der Verknüpfung des »Frosches« mit der Attribution »Sein« (are) zitiert Green genau jene innerhalb der kulturellen Matrix selbstverständliche Behauptung »Ich bin ein Mann«/»Ich bin eine Frau«. Zugleich unterzieht er sie durch die Figur des Frosches einer kritischen Umarbeitung. Denn die »unreflektierte Behauptung […] eine Frau zu sein«, kann, wie Butler zeigt, als »symptomatisch für die Metaphysik der Substanz« begriffen werden, insofern sie sich auf den
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Glauben stützt, dass die grammatische Subjekt-Prädikat-Formel (Ich – Frausein) eine vorgängige ontologische Realität von Substanz und Attribut widerspiegele.13 Dabei produziert der Glaube an dieses Widerspiegelungsverhältnis und damit an die Wahrheit grammatischer Kategorien, der alle medialen und produktiven Aspekte der Sprache ausblendet, die Illusion einer substantiellen Identität: »Bei Männern wie Frauen tendiert die Behauptung dazu, den Begriff der Geschlechtsidentität dem der Identität unterzuordnen, und verleitet so zu der Schlußfolgerung, dass eine Person eine Geschlechtsidentität – Mann oder Frau – ist, […]« (Butler 1991: 44). Damit kann sich die Geschlechtsidentität als vereinheitlichendes Prinzip des leiblichen Selbst etablieren – eine Wendung, die nicht nur darauf beruht, den performativen Akt der Sprache zu verschleiern, sondern darüber hinaus in den Worten Butlers »eher naiv als kritisch« die Geschlechtsidentität mit dem anatomischen Geschlecht verwechselt (Butler 1991: 44f.). Green ironisiert diese Verwechslung mit der Figur des Frosches und stellt zugleich den verschleiernden Effekt des performativen Akts der Sprache aus: Die Vorstellung, das Geschlecht einer Person lasse sich über deren anatomischen Körper bestimmen, entpuppt sich als märchenhafte Fiktion und als Effekt spezifischer – märchenhafter, aber auch psychologischer und psychoanalytischer – Diskurse. Denn in der Verknüpfung mit Fragen nach Greens familiären und intimen Beziehungen und Partnerschaften im zweiten Teil des Zitats lädt sich die Figur des Frosches mit Konnotationen des Froschkönigs auf – jener prominenten Märchenfigur, die sich, nachdem sie von der Prinzessin verschmäht und voll Abscheu gegen die Wand geworfen wurde, in einen Prinzen verwandelt. Die – zumindest in der psychoanalytischen Deutung des Märchens – sexuelle Konnotation des Froschkönigs bringt, neben dem Wissen um die Anatomie des Körpers, den Sex als zweites zentrales Wahrheitsregime in Bezug auf Identität ins Spiel.
13 Butler bezieht sich an dieser Stelle auf den Nietzsche-Kommentar von Michael Haar, der die Ansicht vertritt, »daß eine Reihe philosophischer Ontologien bestimmten Scheinbegriffen wie ›Sein‹ und ›Substanz‹ aufgesessen sind. Diese Illusionen werden durch den Glauben gefördert, daß die grammatische Subjekt-Prädikat-Formel eine vorgängige ontologische Realität von Substanz und Attribut widerspiegele. Haar zufolge bilden diese Konstrukte das künstliche, philosophische Mittel, die Prinzipien Einfachheit, Ordnung und Identität wirkungsvoll zu instituieren; auf keinen Fall enthüllen oder repräsentieren sie eine wahre Ordnung der Dinge« (Butler 1991: 43).
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Der sprechende Sex – Verwicklungen zwischen Geschlecht und Sexualität Der Sex kann mit Michel Foucault als eine zentrale Idee und Technologie der Macht betrachtet werden, die sich innerhalb der westlichen Gesellschaften seit dem 19. Jahrhundert etablierte: »In der Reihe ihrer Embleme führt unsere Gesellschaft das des sprechenden Sexes. Des Sexes, den man überrascht, den man verhört und der, gezwungen und redselig zugleich, unablässig antwortet. Ein bestimmter Mechanismus, der so märchenhaft ist, dass er sich selber unsichtbar macht, hat ihn eines Tages eingefangen. In einem Spiel, in dem die Lust mit dem Unfreiwilligen, das Einverständnis mit der Inquisition sich mischt, lässt er ihn die Wahrheit über sich und andere sagen. […] So als sei es wesentlich für uns, aus diesem kleinen Bruchstück unserer Selbst nicht nur Lust, sondern auch Wissen zu ziehen und ein subtiles Spiel, das von einem zum anderen geht: Wissen von der Lust, Lust, die Lust zu wissen, Lust-Wissen; und als habe dieses wunderliche Tier, das wir beherbergen, seinerseits ein genügend neugieriges Ohr, genügend wachsame Augen, eine so flinke Zunge und einen so gewandten Geist, daß es viel davon weiß und auch im Stande zu sagen ist, reizt man es nur mit ein wenig Geschick. Zwischen einen jeden von uns und unseren Sex hat das Abendland eine unaufhörliche Wahrheitsanforderung gespannt: wir müssen ihm seine Wahrheit entreißen, weil sie ihm entgeht, er muß uns die unsere sagen, weil er es ist, der sie im Schatten zurückhält« (Foucault 1983: 79).
Indem Green die Figur des Frosches aufruft, weist er nicht nur darauf hin, dass die Vorstellung, das Geschlecht lasse sich über den anatomischen Körper bestimmen, in den Diskursen der Transsexualität an ihre Grenzen stößt, sondern auch darauf, dass die Frage der geschlechtlichen Identität aufs engste mit dem Dispositiv der Sexualität verschränkt und in dieses eingebettet ist:14 »How did your parents react when you told them you were a frog?«, »Do you date? Do you tell your partners you’re a frog?« Mit ihrer Fokussierung des Sagens (do you tell) und Reagierens (did react) können die Fragen als Praktiken der Selbsterkennung, des Geständnisses und der Kontrolle begriffen und als Formen jener »unaufhörliche[n] Wahrheitsforderungen« gelesen werden, die das Abendland mit der Etablierung des Sexualitätsdispositivs »zwischen jeden von uns und unserem Sex gespannt [hat]« (Foucault, 1983:79). Der Sex fungiert dabei sowohl als »imaginärer Punkt«, durch den »[j]eder Mensch […] Zugang zu seiner Selbsterkennung haben [soll]« (Foucault 1983: 150), als auch »als das spekulativste, das idealste, das innerlichste Element in einem Sexualitätsdispositiv, das die Macht in ihren Zugriffen auf die Körper, auf ihre Materialität, ihre Kräfte, ihre Ener14 Zur Diskursivierung des »wahren Geschlechts« vgl. Foucault (1998).
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gien, ihre Empfindungen, ihre Lüste organisiert« (Foucault, 1983: 149). Ähnlich wie Anatomie, Medizin und Genetik folgt auch die Produktion einer »Wahrheit des Sex« – die sich maßgeblich innerhalb der sich im 19. Jahrhundert etablierenden scienta sexualis vollzieht – dem modernen Epistem, das auf die Entdeckung der inneren Funktionszusammenhänge abzielt; Funktionszusammenhänge allerdings, die sich nicht – oder zumindest nicht allein – durch die wissenschaftlichen Methoden des Beobachtens und des Experiments erkennen lassen, sondern die durch das Erzwingen, Anhören, Sammeln und Kategorisieren von Geständnissen und »Bekenntnissen individueller Lüste« (Foucault 1983: 67) produziert werden.15 In der Produktion und der gleichzeitigen Transformation vorhergehender christlich-moralischer Geständnisrituale und deren Einbettung in wissenschaftliche Regelhaftigkeiten konstituiert sich die Wahrheit des Sex in einer »Überblendung zwischen beiden Modalitäten der Wahrheitsproduktion: den Prozeduren des Geständnisses und der wissenschaftlichen Diskursivität« (Foucault 1983: 68).16 Transsexualität als medizinisch-sexualwissenschaftliche Kategorie muss als ein Element betrachtet werden, das sich innerhalb dieser Diskursivierungen des Sexes herausbildet. Vor diesem Hintergrund entpuppt sich die Frage, »How old were you when you first realized you were a frog, Mr. Green?«, als Teil genau jener Geständniszwänge und Prüfungen, denen sich Transsexuelle im Zuge medizinisch-psychologischer Begutachtungsprozesse unterziehen müssen. Hier gehört sie zu den Standard-Fragen mittels derer Gutachter zu überprüfen suchen, ob »eine tiefgreifende und dauerhafte gegengeschlechtliche Identifikation« (Be15 Zur grundlegenden Differenz der Wissenschaften von der Natur und der Wissenschaften vom Menschen vgl. Foucault (1994). Mit Bezug auf Bacons Entwicklung einer Methodologie der Untersuchung für die empirischen Wissenschaften argumentiert Foucault: »Während sich nämlich die Untersuchung aus ihrer historischen Verwurzelung im Inquisitionsverfahren gelöst hat, um eine Technik der empirischen Wissenschaften zu werden, ist die Überprüfung der Disziplinarmacht, in der sie sich ausgebildet hat, ganz nahe geblieben« (Foucault 1994: 290). 16 Die Formation dieser Äußerungsmodalitäten denkt Foucault als »das In-BeziehungSetzen (innerhalb eines ärztlichen Diskurses) einer bestimmten Zahl von unterschiedenen Elementen, von denen die einen den Status der Mediziner, andere den institutionellen und technischen Ort, von dem aus sie sprachen, andere ihre Position als wahrnehmende, beobachtende, beschreibende, unterrichtende Subjekte betrafen. Man kann sagen, dass das In-Beziehung-Setzen von verschiedenen Elementen, von denen bestimmte neu, andere schon vorher existent sind, durch den klinischen Diskurs bewirkt wird: Er als Praxis stellt zwischen ihnen ein Beziehungssystem her, das nicht »wirklich« gegeben noch im Vorhinein konstituiert ist« (Foucault 1981: 80).
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cker/Bosinski/Clement 1997: 3) – das erste von drei definierenden Kriterien für die Diagnose der Transsexualität (F64.0) – vorliegt. Frage und Überprüfung basieren und reproduzieren dabei die Vorstellung einer wesenhaften, essentiellen Identität. Denn als Kriterium für die Echtheit und Glaubwürdigkeit für Transsexualität fungiert die Narration einer möglichst frühen und dauerhaften gegengeschlechtlichen Identifizierung. Dass es sich bei diesen Narrationen jedoch keineswegs um essentielle oder irgendwie natürlich gegebene »Wahrheiten« handelt, verdeutlichen nicht nur die Prozeduren des Gestehens und Kontrollierens, die diese Wahrheiten erst produzieren, sondern auch die vielfältigen Narrationen Transsexueller, die in zum Teil durchaus kritischer Auseinandersetzung mit den geforderten Wahrheiten ihre Erzählungen produzieren.17 Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern die Wahrheitsanforderungen, die an Transsexuelle gerichtet werden, tatsächlich als Funktionen des Sexualitätsdispositivs betrachtet werden können. Scheinen sie sich doch auf den ersten Blick weniger auf den Sex, sondern vielmehr auf die geschlechtliche Identität zu beziehen. Um die hier wirksam werdenden Verschränkungen zwischen Sex und Geschlecht in den Blick zu bekommen, ist es von entscheidender Bedeutung, die Regeln und Funktionsweisen des Sexualitätsdispositivs einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Denn es wäre verkürzt, das Sexualitätsdipositiv lediglich als eine Anreizung der Diskurse, ein gleichsam regelloses Sprechen über den Sex und alle seine Formen und Ausformulierungen zu begreifen. Vielmehr geht die Diskursivierung des Sexes mit der Produktion neuer Regeln des Anstands und Kontrollen der Äußerungen einher: »Zweifellos haben neue Regeln des Anstands die Worte gefiltert: Polizei der Aussagen. Und es gab auch eine Kontrolle der Äußerungen: man hat in sehr viel strengerer Weise festgelegt, wo und wann, in welcher Situation, zwischen welchen Gesprächspartnern und innerhalb welcher gesellschaftlichen Beziehungen es möglich war, vom Sex zu sprechen; auf diese Weise hat man Bereiche geschaffen, in denen zwar kein absolutes Schweigen, wohl aber Takt und Diskretion herrschten: zwischen Eltern und Kindern zum Beispiel oder zwischen Herren und Bediensteten« (Foucault, 1983: 23).
In diesem Regelsystem etabliert das Sexualitätsdispositiv nicht nur die Figuren des Anormalen und Perversen – über deren Sex unablässig gesprochen, der vermessen, beobachtet und analysiert werden muss –, sondern auch jene Gegenstände, über die nicht gesprochen werden muss und die sich somit als 17 Die Anforderungen und Standardisierungen, die diese autobiografischen Narrationen innerhalb eines medizinischen Diskurses produzieren, hat Prosser (1998: 106ff.) überzeugend herausgearbeitet.
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unmarkierte Norm konstituieren können. Den privilegierten Ort dieser Diskretion bildet, wie Foucault zeigt, die heterosexuelle Einehe: »[Es] kam […] zu einer zentrifugalen Bewegung gegenüber der heterosexuellen Einehe. Sicherlich bleibt sie eine interne Regel für das Feld der Praktiken und Lüste. Doch spricht man immer weniger und mit wachsender Nüchternheit von ihr. Man verzichtet darauf, ihren Geheimnissen nachzujagen, man verlangt nicht mehr von ihr, sich Tag um Tag zu äußern. Das Ehepaar mit seiner ordentlichen Sexualität besitzt einen Anspruch auf mehr Diskretion. Es geht allmählich dazu über, wie eine Norm zu funktionieren, strenger vielleicht, aber auch verschwiegener. Umgekehrt wird nun die Sexualität der Kinder, der Irren und Kriminellen verhört, die Lust derer, die nicht das andere Geschlecht lieben, die Träumereien und Zwangsvorstellungen, die kleinen Manien und die großen Leidenschaften. All diese ehedem kaum wahrgenommenen Gestalten müssen nun vortreten, um das Wort zu ergreifen und zu gestehen, wer sie sind« (Foucault 1983: 43).
Diese verschwiegene und doch so wirksame Norm der heterosexuellen Einehe strukturiert die Geständnisse, die Transsexuelle in Begutachtungsverfahren, aber auch gegenüber großen Teilen ihrer Umwelt ablegen müssen – auch wenn Sexualität hier nicht als Abweichung von der Norm fungiert, wie im Falle der Homosexualität. Denn die Fragen nach Eltern und Partner_innen zielen auf genau jene Beziehungen, die mit der sich im Übergang vom Allianz- zum Sexualitätsdispositiv vollziehenden Aufwertung der »Familienzelle« zu den zentralen, subjektkonstituierenden Beziehungsformen werden: die Eltern-Kind- und die MannFrau-Beziehungen (Foucault, 1983: 107f.).18 Diese fungieren zugleich als formierendes Prinzip der Sexualität: »Aber wie sehr die Psychoanalyse mit ihren technischen Verfahren das Eingeständnis der Sexualität von der Familiensouveränität unabhängig zu machen schien – was sie im Herzen dieser Sexualität als Prinzip ihrer Formierung und Chiffre ihrer Intelligibilität wiederfand, war das Gesetz der Allianz, waren die Spiele von Hochzeit und Blutsverwandtschaft, der Inzest. Die Garantie, dass man am Grunde der Sexualität eines jeden das Verhältnis Eltern-Kinder wiederfinden würde, ließ in dem Augenblick, wo alles auf den entgegenge-
18 Ich verwende die Schreibweise _, einem Vorschlag Steffen Kitty Herrmanns folgend, um »all jene Subjekte wieder in die Sprache ein[zuschreiben], die gewaltsam von ihr verleugnet werden« (Steffen Kitty Herrmann, Performing the Gap, in: http: //arranca.nadir.org/arranca/article.do?id=245 (o.A.) zuletzt gesehen: 17.03.2008. An Stellen, an denen ich explizit nur von den hegemonialen Geschlechtern Mann und Frau spreche, verwende ich das Binnen-I.
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setzten Prozess zu verweisen schien, die Verhäkelung zwischen dem Sexualitätsdispositiv und dem Allianzsystem weiterbestehen« (Foucault, 1983: 112).
Dass es eben jene Beziehungen sind, die hier bedeutsam werden, verweist darauf, dass sich die produktiven Aspekte der Macht keinesfalls nur im Sprechen über den Sex, sondern auch – und vielleicht gerade – in den Praktiken der Diskretion und der Formierung jener Gegenstände, über die nicht gesprochen wird, entfalten. Dies sind neben der Sexualität in der Ehe auch die körperlichen Aspekte der Sexualität – insbesondere die Genitalien: »Von den ›genitalen Ursachen‹ spricht man nicht: das war der nur leise ausgesprochene Satz, dem das berühmteste Ohr unserer Epoche eines Tages im Jahre 1886 aus dem Munde Charcots auffing« (Foucault 1983: 111). Dass Genitalien gleichwohl Vorstellungen und Praktiken der Sexualität fundamental in/formieren, verdeutlicht die letzte der von Green zitierten Fragen: »So, how does it work? I mean, uh, can you, like, do it?«. In der Inszenierung des Anstands, der eine konkrete Benennung von Sexualität und Genitalien verbietet, entfaltet gerade eine Mischung aus Diskretion, Nicht-Wissen und Neugier ihre Produktivität: Das Wissen um das Nicht-Wissen, in die wundersame Anatomie des Frosches gekleidet, lässt soziale Beziehungen und Sexualität fragwürdig – im buchstäblichen Sinne als des Fragens würdig – werden und zeigt damit auf, in welch hohem Ausmaß körperliche Anatomien üblicherweise soziale und sexuelle Beziehungen, Verwandtschaft, Sexualität und Fantasie strukturieren. Mit der Markierung einer – auch und vielleicht gerade in der Akademia – wirksamen unmarkierten Norm gelingt es Green, unhinterfragte Vorurteile über Geschlecht, Körper und Sexualität ins Spiel zu bringen, die in dominanter und häufig ungesehener Weise Wissensproduktionen strukturieren und ihre Gegenstände formieren. Die Markierung dieser Norm ist – wenngleich sie hier lediglich exemplarisch herausgearbeitet ist – für das Vorhaben, das ich im Weiteren verfolge, in doppelter Weise von Bedeutung. Erstens formiert diese Norm Transsexualität als einen Gegenstand spezifischer Disziplinen: Zunächst und zuallererst als einen Gegenstand der Sexualwissenschaft, Psychologie und Psychiatrie. Später wird Transsexualität in Bezug auf gesellschaftliche Institutionen und Funktionsweisen allenfalls noch im Bereich der Soziologie behandelt. Im Bereich der kunst- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen ist Transsexualität ein eher marginalisiertes Thema. Dies erschwert nicht nur ein Schreiben und Denken über Transsexualität aus kunst- und kulturwissenschaftlicher Perspektive, sondern wirft grundsätzlich die Frage auf, inwiefern es überhaupt möglich und sinnvoll ist, Transsexualität aus einer solchen Perspektive zu untersuchen. Denn letztlich impliziert dies eine
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Perspektivverschiebung, die die Axiome, auf denen die Definition der Transsexualität beruht, grundsätzlich infrage stellt. So ließe sich berechtigterweise argumentieren, dass der Gegenstand der vorliegenden Dissertation zwar vielleicht in irgendeinem Verhältnis zu Transsexualität stehen mag, aber gewiss nicht mehr Transsexualität »ist«.19 Gleichzeitig jedoch – und dies ist der zweite Aspekt, unter dem Greens Schilderung eine grundlegende Bedeutung für meine Dissertation erlangt – verdeutlicht die zitierte Passage nicht nur die objektivierenden und funktionalisierenden Effekte dieser Diskurse. Vielmehr wird der Umstand, dass »der Transsexuelle« in diesen Diskursen nicht anders als in der Figur des »im falschen Körper« bzw. als »Lernobjekt« gesellschaftlicher Zusammenhänge zu denken und zu sehen ist, als Effekt und Ergebnis spezifischer Normen sowie kultureller Regulierungs- und Bezeichnungsverfahren ausgestellt. Dieser Verweis auf die Bedeutung kultureller Mechanismen für Un/Möglichkeiten, als Transsexueller sichtbar und gesehen zu werden, macht eine Auseinandersetzung mit Transsexualität aus kunst- und kulturwissenschaftlicher Perspektive dringend notwendig. Denn vor diesem Hintergrund wird die Frage, wie ich mich erzählen kann, wie ich lesbar und verstehbar werde, zu einer zentralen Frage der Existenz. Die zentrale Bedeutung von Narrationen für Transsexuelle hat zuerst Jay Prosser unterstrichen. Gleichwohl er darauf besteht, dass der Ausgangspunkt dieser Narrationen ein Unwohlsein mit dem eigenen Körper ist, betont er: »In transsexual autobiography the trajectories of transsexuality and autobiography are entwined in complex ways, narrative and bodily form conducting each other. To begin with, the narrative transitions of autobiography allow the somatic transition of transsexuality in an immediate and material sense. The autobiographical act for the transsexual begins even before the published autobiography – namely in the clinician’s office where, in order to be diagnosed as transsexual, s/he must recount a transsexual autobiography. The story of a strong, clearly, and persistent transgendered identification is required by the clinical authorities. The psychiatrists, psychologists, and psychotherapists who traditionally function as the gatekeepers to the means of transsexual ›conversion‹« (Prosser 1998: 101).
19 Butlers Kritik an der Metaphysik der Substanz (1991: 43f.) impliziert in diesem Sinne nicht nur eine Kritik an essentialistischen Vorstellungen von Identität, sondern verweist darüber hinaus darauf, dass auch Forschungsgegenstände keine gegebenen Entitäten sind, sondern sich innerhalb spezifischer Forschungen und Perspektiven konstituieren und konstituiert werden. Für eine Kritik an einem Konzept der visuellen Kultur, die ihre Objekte als gegeben betrachtet, vgl. Bal (2003).
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Die Möglichkeiten, sich zu erzählen, werden jedoch nicht allein durch die Gatekeeper der Psychiater, Psychologen und Psychotherapeuten determiniert und sie sind auch nicht – oder zumindest nicht ausschließlich und überwiegend – eine Frage individuellen Könnens. Vielmehr sind sie von den existierenden kulturellen Mustern, Symbolen, Bildern und Vorbildern abhängig und durch diese determiniert. Insofern besitzen Kunst- und Kulturproduktionen das Potenzial, bestehende Sprach- und Bilderwelten zu reformulieren und umzuarbeiten. Kunst- und kulturwissenschaftliche Analysen können diese Umarbeitungen, Reformulierungen und Transformationen in Worte und Begriffe fassen und in die wissenschaftlichen Debatten um Geschlecht und Sexualität einbringen. In der geschilderten Passage gelingt es Green durch den geschickten Einsatz von Metaphern und dem gekonnten Zitieren der an ihn gerichteten Fragen, die Funktionsweisen des Sexualitätsdipositivs auszustellen – ohne dabei sich selbst auszustellen. Dies impliziert eine Entnaturalisierung von Vorstellungen scheinbar natürlicher heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit, die zugleich die Formen der Sichtbarkeit, die für Transsexuelle dominanterweise innerhalb der Akademia gegeben sind, zu kritisieren vermag. Zeigt sich darin eine Notwendigkeit, angemessenere Formen der Sichtbarkeit innerhalb der Akademia zu finden, bleibt die Frage, wie solche Formen der Sichtbarkeit aussehen können und was genau sichtbar werden soll. 2. Evidenz-Produktion als Abhebung der Vorurteile Eine mögliche Strategie der Sichtbarwerdung schildert Green im weiteren Verlauf seines Textes. Den Ausgangspunkt seines Handelns bildet das Vorurteil – und ich verwende den Begriff des Vorurteils an dieser Stelle nicht in einem moralisch verwerflichen Sinne, sondern im Sinne Gadamers als ein dem Prozess des Fragens und Verstehens zu Grunde liegenden vorgängiges Urteil20 –, dass das 20 Für Gadamer ist die Abhebung des Vorurteils notwendiger Beginn eines Verstehensprozesses: »Ein Vorurteil zur Abhebung bringen verlangt es in seiner Geltung zu suspendieren; denn solange das Vorurteil uns bestimmt, wissen und bedenken wir es nicht als Urteil. Ein Vorurteil so gleichsam vor mich zu bringen, kann nicht gelingen, solange dieses Vorurteil beständig und unbemerkt im Spiele ist, sondern nur dann, wenn es sozusagen gereizt wird. […] Wir wissen jetzt, was damit gefordert ist: eine grundsätzliche Suspension der eigenen Vorurteile. Alle Suspension von Urteilen aber, mithin und erst recht die von Vorurteilen, hat, logisch gesehen, die Struktur der Frage. Das Wesen der Frage ist das Offenlegen von Möglichkeiten. Wird das Vorurteil fraglich – angesichts dessen, was ein anderer oder ein Text sagt – so heißt das mithin nicht, daß es einfach beiseite gesetzt wird und der andere oder das Andere sich un-
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Geschlecht eines Menschen an dessen Körper sichtbar und ablesbar sei. Implizit ist darin ein weiteres Vorurteil enthalten, nämlich, dass auch die Anomalien, wie Homosexualität oder Transsexualität, am Körper erkennbar seien. Dieses Vorurteil macht sich Green zunutze, um einen Bruch innerhalb der hegemonialen Macht- und Sichtbarkeitsverhältnisse zu produzieren: »I often sit in the audience as if I were a student until the professor announces that apparently the guest speaker will be later or has forgotten (…). Than I rise up from within their midst, students gasping and murmuring around me: ›It was sitting next to me and I didn’t know‹, ›Oh, my God‹. ›I never would have guessed‹. ›He looks so normal!‹ It’s fun to fool them, at first. It’s validating, reassuring. It’s educational. I get to show them that they never know who might be transsexual, that transsexual people are just like anyone, just like them. I am an object lesson« (Green 2006b: 500).
Mit dieser Verschiebung der Auftrittssituation, in der Green nicht »als Transsexueller« vor die Klasse tritt, sondern zunächst als »normaler Student« passt, um sich auf eine Anrufung hin zu erheben, produziert Green einen Moment der Überraschung, in der er seine Unsichtbarkeit als Transsexueller ausstellt und zugleich das hegemoniale Vorurteil, geschlechtliche und sexuelle Identität ließen sich ohne Weiteres auf unmittelbare oder gar natürliche Art und Weise am Körper einer Person ablesen, suspendiert.21 Mit Foucault kann diese Unterbrechung auch als rupture d’évidence begriffen werden, in deren Lücke es möglich wird, neue Arten des Sehen und Denkens zu entwickeln. Eine solche Durchbrechung der Selbstverständlichkeiten unserer Kenntnisse, Übereinkünfte und Praktiken des Sehens, Denkens und Identifizierens muss dabei gerade nicht auf einer verwirrenden, irritierenden oder extrem andersartigen Repräsentation des Selbst beruhen (vgl. Rajchmann 2000: 43ff.). Vielmehr gelingt dieser Bruch gerade in der Verknüpfung der (Selbst)Bezeichnung als Transsexueller mit einer evidenten – mittelbar zur Geltung bringt. […] In Wahrheit wird das eigene Vorurteil dadurch recht eigentlich ins Spiel gebracht, dass es selber auf dem Spiele steht. Nur indem es sich ausspielt, vermag es den Wahrheitsanspruch des anderen überhaupt zu erfahren und ermöglicht ihm, dass er sich auch ausspielen kannͨ (Gadamer 1993d: 64). 21 Der Begriff des »Passings« bezeichnet das Durchgehen als etwas, was nicht der (vollständigen) Identität der Person entspricht. Mit dem Durchgehen als männlich, weiß, heterosexuell etc. verbinden sich damit immer Fragen nach dem, was gezeigt werden kann, darf oder will und was verborgen und versteckt bleiben kann. Zu einer ausführlichen Auseinandersetzung aus lesbisch-queerer Perspektive und den moralischen, politischen und erotischen Aspekten des Passings vgl. Butlers Analyse von Nella Larsens Passing (Butler 1997: 233ff.).
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d.h. selbstverständlich und augenscheinlich nicht auffälligen – Erscheinung Greens als »Mensch wie Du und ich«.22 Mit dieser Intervention deckt Green drei Aspekte der Funktionsweisen des Sexualitätsdispositivs auf, die mir als forschungsleitende Prämissen dienen. Erstens zeigt er auf, dass es zu kurz greift, die Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit als eine wirkmächtige homogene Ordnung zu verstehen, die auf der Ausschließung der Abweichungen und einer einfachen binären Entgegensetzung von Norm vs. Abweichung basiert, wobei alles innerhalb der Ordnung als Heteronormativität stabilisierend und alles im Bereich der Verworfenen als destabilisierend, transformativ und/oder widerständig bewertet wird. Denn indem Green gerade durch den Effekt evidenter Männlichkeit – der sich in gewisser Weise an der Stabilisierung der Kategorien Männlichkeit/Weiblichkeit beteiligt – eine Verunsicherung der Grenzen von Norm/Abweichung produziert, die letztlich auch eine Verunsicherung der Differenz von homo/hetero23 impliziert, stellt er eine Gleichzeitigkeit von stabilisierenden und destabilisierenden Momenten aus. Diese situiert sich gerade nicht in einem Außerhalb der diskursiven Ordnung der Geschlechter, sondern verweist auf eine inhärente Instabilität der Macht-Wissens-Regime– »I rise up from within their midst« –, innerhalb derer heterogene und auch sich widersprechende Technologien, Taktiken und Intentionen gebündelt und aufeinander bezogen werden.24 Zweitens und eng damit verbunden rückt Greens Schilderung ins Blickfeld, dass die Produktion von Evidenz keinesfalls immer herrschaftsstabilisierende Effekte besitzt, wie dies in Teilen der feministischen und queeren Forschung zuweilen implizit unterstellt wird.25 In diesem Punkt lässt sich Greens Erzählung mit der Problematisierung 22 Foucault verwendet den Begriff der Evidenz im Sinne des englischen »self-evidence«: »das, was als gesichert gilt oder fraglos akzeptiert wird«, wobei in der deutschen Übersetzung der etymologische Zusammenhang zum »Sehen« verloren geht und mitgedacht werden muss (Rajchmann 2000: 44). 23 Die Verunsicherung der Dichotomie von homo/hetero deutet sich hier in der Frage nach der Sexualität an, die durch die Verknüpfung einer evidenten Männlichkeit mit dem Wissen um die Transsexualität ausgelöst wird, das sich wiederum mit einem Wissen um nicht »biologisch-normal-männliche« Genitalien verknüpft. 24 Vgl. hierzu auch den knappen Überblick über gegenwärtige Perspektiven der sozialund geisteswissenschaftlichen Perspektiven in Geschlechterforschung und queerer Theorie aus medizinhistorischer Sicht von Ulrike Klöppel (2010: 36ff.). 25 So bspw. wenn Engel (2002) gerade in Strategien der Uneindeutigkeit widerständige Potentiale sieht oder Halberstam (2005) für eine »Ästhetik der Turbulenz« plädiert. Damit soll hier nicht gesagt sein, dass diese Strategien aus queerer Perspektive keine widerständigen Momente besitzen. Vielmehr geht es mir darum, eine einseitige und
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der Evidenz verbinden, wie sie Tom Holert (2002) in Bezug auf die Fotografie formuliert hat. Angesichts der gegenwärtig zunehmenden Fähigkeit von Fotografien, Evidenzen zu produzieren und damit beispielsweise in Gerichtsverhandlungen Tatsachen zu schaffen, plädiert Holert dafür, die Evidenz der Fotografie selbst als einen Topos der Moderne zu untersuchen, der dem kulturellen und historischen Wandel unterliegt. In der neuen Fähigkeit von Fotografien, Fakten zu schaffen, sieht er dabei die Notwendigkeit, unterschiedliche Formen der Evidenz zu unterscheiden: »Die Evidenz-Effekte, auf die das Publikum gelassen reagiert, gerade weil sich das ihnen gebotene visuelle Evidente in den Horizont der Erwartungen, der Vorannahmen und des Wissens einfügen lässt, sind offenbar anderer Qualität als Barthes ͥEvidenz der PHOTOGRAPHIEͤ […] Von dem ͥErstaunenͤ oder der ͥFaszinationͤ, die komplexe Kommunikation gerade herausfordert, ist der – übliche und machtvolle – Einsatz von Evidenz als arret sur l’image oder Stoppsignal weit entfernt« (Holert 2002: 222ff.).
Wenngleich Greens Evidenzproduktion nicht mittels des Mediums der Fotografie, sondern der Performance agiert, lässt sie sich hinsichtlich zweier zentraler Aspekte mit Holerts Überlegungen verbinden. Erstens kann sie als eine Problematisierung der visuellen Sichtbarkeit und der Praktiken des Sehens begriffen werden, denen in hohem Ausmaß der Anschein einer Unmittelbarkeit anhaftet. Dieser muss als ein Topos der Moderne begriffen werden, der sich auch in den »Glauben an die Wahrheit der Fotografie« einschreibt. Zweitens ist die von Holert beschriebene Differenz der Evidenzeffekte in hohem Ausmaß von dem VorWissen und den Erwartungen der Betrachter_innen abhängig, die auch für die Intervention Greens von zentraler Bedeutung sind. Denn gerade indem er mit den Erwartungen der Studierenden bricht, gelingt es ihm, eine Form der Evidenz zu produzieren, die die Gültigkeit heteronormativer Vorannahmen und Stereotype wirkmächtig unterläuft und eine komplexe Kommunikation herausfordert. Greens Evidenzproduktion funktioniert damit gerade nicht als Schließung des Diskurses und Stoppsignal, sondern öffnet den Raum für einen Dialog mit den Studierenden. Darüber hinaus verdeutlicht die Situationsbeschreibung von Green, dass sich die Generierung von Wissen über Geschlecht nicht auf scheinbar wissenschaftlich-theoretisches Wissen reduzieren lässt, sondern grundsätzlich durchzogen ist von einem praktischen Alltagswissen und popularisierten Bildern. Denn der Überraschungseffekt, den Green hervorzurufen vermag, beruht darauf, dass die Studierenden ihre theoretischen Konzepte von Geschlecht, verallgemeinernde Bewertung und Beurteilung spezifischer Strategien einer kritischen Hinterfragung zu unterziehen. Vgl. hierzu auch Kap. V.2.
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Sexualität und Transsexualität mit einem spezifischen Alltagswissen und popularisierten Bildern und Stereotypen verknüpfen, die er zu irritieren vermag. Das Potenzial, das Wissen über Geschlecht zu irritieren, das sich in Greens Performance zeigt, verweist auf die fundierende Wirkung des Alltagswissens auch innerhalb wissenschaftlicher Diskurse und Kontexte, die Stefan Hirschauer beschrieben hat. Hirschauer unterscheidet vier Dimensionen innerhalb derer und durch die sich das Wissenssystem der Zweigeschlechtlichkeit konstituiert: Alltagswissen, wissenschaftliches Wissen, normative Annahmen und intellektuelle Schutzvorkehrungen. Diese Wissenssysteme lassen sich zwar unterscheiden, jedoch nicht vollständig voneinander trennen, denn das wissenschaftliche Wissen basiert »wesentlich auf dem Alltagswissen, da alle Forschung über Geschlechtsunterschiede die alltägliche Unterscheidung von zwei Geschlechtern schon voraussetzt« (Hirschauer 1996: 244).26 In diesem Zusammenhang betont er, dass in jede Wahrnehmung des Körpers immer schon eine große Interpretativität eingeht, die kulturell differenziert ist (1996: 242ff.). Um einer solchen Fundierung wissenschaftlichen Wissens auf Alltagswissen entgegenzuwirken, plädiert Hirschauer dafür, den auf kognitive Funktionen und die Sprache konzentrierten Wissensbegriff in zweierlei Hinsicht zu erweitern: Einerseits um die Bildförmigkeit sozialer Wirklichkeit, insofern »mächtige Visualisierungen […] für eine ständige Augenfälligkeit der Realität [sorgen]«, und zum anderen um die im Alltag wirksamen Geschlechtsdarstellungen, die insbesondere auch ein körperliches Wissen beinhalten (Hirschauer 1996: 247f.). Vor diesem Hintergrund können visuelle Repräsentationen von Geschlecht und Sexualität nicht nur als ein zentraler Modus der Aufrechterhaltung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit begriffen werden. Sie scheinen zudem auch spezifische Potenziale zu bieten, heteronormative Wahrnehmungs- und Darstellungskonventionen zu irritieren und alternative Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität zu artikulieren. In dieser Wirkmächtigkeit des Visuellen gründet sich die Fragestellung des vorliegenden Buches: Inwiefern formulieren visuelle Repräsentationen von Transmännlichkeiten Einsprüche in hegemoniale Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität und reartikulieren diese damit zugleich? Damit knüpfe ich an die Überlegungen Hirschauers an, insofern ich visuelle Repräsentationen als wirkmächtiges Medium der Produktion und Reproduktion von Wirklichkeit und als zentralen Bestandteil unserer Wissensformationen zu Geschlecht und Sexualität begreife. Gleichzeitig gilt es, seine Überlegungen in 26 Das Alltagswissen wird dabei »mit Hilfe eines axiomatischen Wissens erzeugt, das über drei Basisannahmen verfügt: dass alle Menschen unverlierbar (Konstanzannahme) und aus körperlichen Gründen (Naturhaftigkeit) entweder das eine oder das andere Geschlecht sind (Dichotomizität)« (Hirschauer 1996: 243).
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einem Punkt entscheidend zu verschieben. Denn Hirschauer produziert mit seiner Forderung nach einer kritischen Hinterfragung von Evidenzen eine simplifizierende Gleichsetzung von Evidenz, Geschlechterwirklichkeit und Visualisierungen: »Mächtige Visualisierungen sorgen für eine ständige Augenfälligkeit der Realität. Und über das, was sich zeigt, braucht man nicht zu sprechen. Gerade die Geschlechterwirklichkeit, die aus unzähligen ›spontanen Evidenzen‹ besteht, ist ohne eine Kritik der ›Offensichtlichkeit‹ nicht zu sezieren« (Hirschauer 1996: 247). Indem Hirschauer hier jene von Holert thematisierten unterschiedlichen Formen von Evidenz übergeht, erscheint Evidenz als ausschließlich problematisch und lässt sich der kritischen Analyse entgegensetzen. Zudem begreift Hirschauer in einem weiteren Argumentationsschritt die Evidenzen »auf dem Hintergrund eines praktischen Wissens« (1996: 248), das in Form des Habitus und geschulter Blicke auch ein körperliches Wissen ist. Daher erfordert eine kritische Hinterfragung der Evidenzen aus seiner Perspektive eine kritische Analyse jener sozialen Praktiken, mittels derer die Wirklichkeit heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit beständig reproduziert wird (Hirschauer 1996: 248ff.). Zwar besitzt auch eine solche Perspektive wichtiges kritisches Potenzial, insofern sie es vermag, die biologisch fundierte Natürlichkeit heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit infrage zu stellen und stattdessen in den sozialen Praktiken zu verorten; aus transsexueller wie aus kunstwissenschaftlich-ethnologischer Perspektive ist sie allerdings mit drei zentralen Problemen behaftet. Erstens verknüpft Hirschauer hier die Geschlechtsdarstellungen auf direkte Weise mit einem praktischen – letztlich körperlichen – Wissen. Damit suggeriert er, dass sich dieses mehr oder weniger unmittelbar in Darstellungen transportiert und dort sichtbar wird. Abgesehen von der nicht unproblematischen Differenzierung von praktischem und theoretischen Wissen, die ausblendet, dass auch Theorieproduktion eine Praxis ist und von dieser in erheblichem Umfang formiert und determiniert wird, werden damit das Körperwissen und soziale Praktiken als Realität definiert.27 Die mächtigen Wirkungen des visuellen Repräsentationssystems, wie sie insbesondere im Rahmen der feministischen Kunstwissenschaft ausgearbeitet wurden, bleiben damit unhinterfragt.28 Solchen Wirkungen des Repräsentationssystems gehe ich in diesem Buch aus einer kunstwissenschaftlich27 In dieser Gegenüberstellung blendet Hirschauer die Frage nach dem Ethos wissenschaftlicher Wissensproduktion aus. Diese entscheidenden Fragen hat Sabine Hark (2009) in Bezug auf Grenzen und Möglichkeiten feministischer Kritik angesichts der gegenwärtigen Institutionalisierung der Geschlechterforschung formuliert. 28 Zu feministischen Perspektiven der Kunstwissenschaft, die herrschaftskritische Analysen visueller Repräsentationen konzeptionalisieren und ermöglichen, vgl. u.a. Schade/Wenk (2005), Schade/Wenk (2011), Wenk (1996, 2005).
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ethnologischen Perspektive nach. Anders als Hirschauer geht es mir dabei gerade nicht um die kritische Hinterfragung der Evidenzen, sondern ich interessiere mich für jene andere Form von Evidenz-Effekten, die ein Erstaunen hervorrufen und damit zu einer komplexen Diskussion auffordern. Das macht es erforderlich, die von Hirschauers Argumentation postulierte Entgegensetzung einer »unkritischen« Offensichtlichkeit mit der »kritischen« Analyse infrage zu stellen. Denn wie das Beispiel Greens verdeutlicht, ist die Art der erzeugten Effekte nicht nur von den Vorerwartungen der Betrachter_innen abhängig, sondern auch von der Verknüpfung der visuellen Ereignisse mit weiteren sprachlichen und außersprachlichen Äußerungen. So beruht der Effekt der Abhebung der Vorurteile, den Green in der geschilderten Situation produziert, gerade auf der Verknüpfung des Wissens darum, dass er transsexuell ist, mit seinem visuellen und habituellen Passing.29 Da in der Produktion von Evidenz-Effekten also immer schon verschiedene Formen des Wissens und der Wissensproduktion zusammenwirken, greift eine einfache Bewertung oder Beurteilung im Sinne Evidenz/Offensichtlichkeit = heteronormativ zu kurz. Vielmehr erfordert eine Beurteilung der Evidenz-Effekte eine Reflexion, mit welchem Wissen sich visuelle Repräsentationen jeweils verknüpfen. Hier liegt das zweite Problem in Hirschauers Argumentation. Denn indem er »die alltägliche Differenzierung in zwei Geschlechter« als Alltagswissen beschreibt und zudem lediglich jene Visualisierungen thematisiert, die für eine »Augenfälligkeit der Realität« sorgen – und ganz offensichtlich ist hier die dominante Realität heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit gemeint –, übergeht er nicht nur all jene Formen des Alltagswissen, die ein Wissen darum beinhalten, dass mehr als nur zwei Geschlechter existieren, sondern auch all jene Formen visueller Repräsentationen, die die hegemoniale Differenzierung in zwei Geschlechter unterlaufen und infrage stellen. Gerade die Formationen von Geschlecht und Sexualität, die sich in den letzten Jahren innerhalb von Trans*Kontexten artikulieren, verdeutlichen, dass viele Trans*personen Geschlechtsformationen leben, verkörpern und wissen, die sich nicht umstandslos in das dominante Wissen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit einpassen lassen.30 29 Für eine Analyse visueller Repräsentationen erfordert dies eine Reflexion der Rezeptionskontexte wie auch der spezifischen Positionierung der Betrachter_innen, vgl. zum methodischen Vorgehen in dieser Studie Kap IV. Die zentrale Bedeutung, die der Kontextualisierung für die Bildanalyse zukommt, haben jüngst Schade/Wenk (2011) herausgearbeitet. 30 So finden sich immer wieder Beschreibungen, die verdeutlichen, dass Transsexuelle nicht nur – und vielleicht nicht einmal in erster Linie – ein »hartes Training« absolvieren, um ihre Geschlechtszugehörigkeit zu erreichen, wie Hirschauer es beschreibt
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Dies wirft die grundsätzliche Frage auf, inwiefern tatsächlich von einer Wirklichkeit gesprochen werden kann. Immerhin wäre es doch möglich, dass sich die Geschlechterwirklichkeit von Transsexuellen in entscheidenden Punkten von Zissexuellen unterscheidet.31 So ist es für viele Trans*personen eine Selbstverständlichkeit, in einem teilweise den dominanten Geschlechternormen angepassten Körper zu leben, der die Spuren der Transition trägt, sowie mit einer Biografie, in der die Geschlechtszugehörigkeit wechselt und/oder nicht zwangsläufig eineindeutig ist und bleibt. Hierin kann sich möglicherweise eine Wirklichkeit konstituieren, die sich in zentralen Aspekten von der Wirklichkeit heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit unterscheidet – wenngleich sie innerhalb der gegenwärtigen Macht- und Herrschaftsverhältnisse immer in einer engen und verwickelten Beziehung zu dieser steht. Vor diesem Hintergrund gilt es drittens, die Forschungsperspektive Hirschauers zu problematisieren. Denn dieser zielt darauf ab, die »Geschlechterwirklichkeit« zu »sezieren«, wobei sich allerdings die Frage stellt, welche Wirklichkeit hier auf dem Seziertisch landet. Hirschauer fokussiert in seinen Studien insbesondere die Diskursivierungen und Institutionen von Transsexualität und Homosexualität (vgl. Hirschauer 1999, 1996). Auch wenn er hierbei deutlich die Macht- und Herrschaftsstrukturen ins Visier nimmt, sind es damit vor allem Transsexuelle und Homosexuelle, die der Beforschung unterworfen werden. Dabei interessieren ihn weniger deren spezifischen Existenzweisen und Formen von Körperwissen, vielmehr fungieren sie als Personen, die jenes Wissen, das für Zis- und Heterosexuelle so weit selbstverständlicht ist, dass es nicht mehr wahrgenommen wird, erst erlernen müssen und es damit explizierbar machen (Hirschauer 1996: 248). Insofern Transsexuelle jedoch nicht lediglich eine dominante Geschlechtsdarstellung erlernen und ungebrochen wiederholen, sondern durchaus eigensinnige und widerständige Formationen von Geschlechtern und Sexualitäten artikulieren, erscheint es zu kurz gegriffen, Transsexuelle als Personen zu betrachten, anhand derer sich die Herstellung der Geschlechterwirklichkeit rekonstruieren lässt. Vielmehr gälte es, genauer zu hinterfragen, in welcher Weise sich aus Studien zu Trans- und Homosexualität gewonnene Erkenntnisse (1996: 248), sondern eben auch in Praktiken der Bedeutungsproduktion investieren, die Binaritäten von weiblich/männlich und homo/hetero inrrage stellten, vgl. bspw. Bauer (2007), Brauckmann (2002), Gendernauts (USA/D, 1999, Monika Treut), Schirmer (2010). In ähnlicher, wenngleich in Punkten auch unterschiedlicher Weise trifft dies auch für Inter* zu, vgl. insbesondere die Texte und Arbeiten in NGBK (HG.) (2005). 31 Mit dem Begriff »zissexuell« (cis=diesseits) bezeichnet Sigusch (1992:38) Männer und Frauen, die den Normen der hegemonialen Zweigeschlechtlichkeit entsprechen.
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wirklich zu Aussagen über »die Geschlechterwirklichkeit« verallgemeinern lassen. Denn auch wenn die biologisch fundierte Naturalisierung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit als Ergebnis und Effekt historischer sozio-kultureller Diskursivierungen betrachtet werden muss, scheint sie mir doch ein konstituierendes Merkmal der Wirklichkeit Zissexueller zu sein, die von Transpersonen nicht oder nur bedingt geteilt wird. Wenn es einmal mehr Transsexuelle und Homosexuelle sind, die auf dem Seziertisch landen, die zum Objekt gemacht werden und an denen die Gesellschaft ihre Widersprüche untersucht, setzt sich eine solche Forschung der Gefahr aus, sich an Prozessen des Othering zu beteiligen und dominante Problemverschiebungen und Projektionsleistungen auf Phänomene wie Homosexualität und Transsexualität aus dem Blick zu verlieren.32 Hier drängt sich eine Notwendigkeit der Umkehrung eines Blickes auf, die Volkmar Sigusch mit dem Begriff der Zissexualität bereits anvisiert hat: »Ich gestatte mir hier einmal, die Ausdrücke ͥZissexualismusͤ und ͥZissexuelleͤ, ganz sachlogisch und sprachlich korrekt, einzuführen, um die geschlechtseuphorische Mehrheit, bei der Körpergeschlecht und Geschlechtsidentität fraglos und scheinbar neutral zusammenfallen, in jenes fahle Licht zu setzen, in dem nosomorpher Blick und klinischer Jargon die geschlechtsdysphorische Minderheit, namentlich die Transsexuellen, erkennen zu können glaubt. Das lateinische cis- bedeutet als Vorsilbe ›diesseits‹ [...]« (1992: 38).
Es könnte beispielsweise einmal die zwanghafte Fixierung der geschlechtlichen und sexuellen Identität von Zissexuellen auf ihren Genitalien in ihrer Wahnhaftigkeit problematisiert oder die Frage aufgeworfen werden, inwiefern der unerschütterliche Glaube an die Einehe – eine Institution, die wie kaum eine andere tagtäglich unter Beweis stellt, dass sie nicht funktioniert und nur mittels eines immensen Aufwands an Mythen- und Märchenproduktion aufrechterhalten werden kann – einem pathologischen Realitätsverlust gleichkommt. Ziel der vorliegenden Studie ist es jedoch weder, Zissexualität zu pathologisieren, noch die Geschlechterwirklichkeit von Zissexuellen zu untersuchen. Vielmehr geht es mir um eine Verkehrung des Blickes auf Transsexualität und 32 Vgl. Hirschauer, der konstatiert, dass die »Kultur, so scheint es, sich durch Problemverschiebungen in Ordnung [hält]. Widersprüche ihrer Bedeutungsstrukturen können in Individuen zwischengelagert und zwischengelöst werden, durch sie und mittels ihrer zu öffentlicher Existenz gebracht […] Die Sonderlinge, an denen eine Kultur ihre Widersprüche untersucht, sind innergesellschaftliche Repräsentationen der Gesellschaftsgrenze« (1999: 347). Dies wirft jedoch die Frage auf, ob eine kritische Forschung nicht genau jene Prozesse der Verschiebung und die Relationen zwischen Normalität und »Sonderling« in den Blick nehmen müsste.
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Transmännlichkeiten. Denn es ist sicherlich auch keine Option, nicht mehr über Transsexualität und Homosexualität zu sprechen. Allerdings stellt sich – gerade vor dem Hintergrund der von Green geschilderten Situation, in der Transsexuelle innerhalb der Akademia in Frösche, Laborratten und multimediale Lernerfahrungen transformiert werden –, nicht nur die Frage, wie Transsexualität thematisiert werden kann, ohne die beständig ablaufenden Prozesse des Othering zu wiederholen, sondern vor allem auch, was für ein Wissen hier eigentlich produziert werden soll. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal der Erzählung Jamison Greens folgen: Wie und wofür nutzt er die Irritation und die damit verbundene Abhebung der Vorurteile in seiner Aufklärungsarbeit? 3. Von Menschen, Singularität und den Grenzen der Wissenschaftlichkeit Nach der Schilderung seines Auftritts und des damit produzierten Erstaunens fährt Jamison Green in seinem Bericht fort: »Over the years I learned the most effective way to tell my story quickly, whetting the students appetites, planting certain concepts in their minds and leaving more time to respond to their questions rather than lecturing. I do this because when they see me thinking on my feet, when I can use spontanous humor, when I am vulnerable to them, then they see me most completely as a human being. They come to trust me. […] When I am successful, it is because they let go of their preconceptions and their prejudices, they realize that they can exist without those crutches of belief, that they can move through the world without fear and without certainty and still the world goes on […]« (Green 2006b: 501).
Diese Passage verdeutlicht, dass es Green nicht in erster Linie darum geht, neue Konzepte oder Figuren transgeschlechtlicher Personen zu entwerfen oder durchzusetzen, sondern vielmehr darum, im direkten Gespräch – exemplarisch für andere transgeschlechtliche Personen – als Mensch anerkannt zu werden; eine Anerkennung, die in erster Linie über Humor, das Zeigen der eigenen Verletzlichkeit und der Schaffung von Vertrauen möglich wird.33 Damit verschiebt sich die Ebene der Wissensproduktion von einer Ebene wissenschaftlichen objektivierten Wissens auf eine stärker persönliche Ebene, auf der nicht zuletzt die Singularität von Green ins Spiel kommt. Fungierte Greens Erzählung bislang als Aufhänger für ein Nachdenken über die Wissens-
33 Zu einer ausführlicheren Schilderung der Infragestellung verschiedener Theorien und Erklärungsmodelle von Geschlecht vgl. Green (2006a).
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produktion zum Themenfeld Trans* innerhalb der Akademia, gerät dieses Unternehmen mit der Verschiebung auf die persönliche Ebene an seine Grenzen. Denn insofern die vorliegende Studie Wissenschaftlichkeit beansprucht, ist sie der Produktion objektivierten Wissens verpflichtet. Zudem lässt eine solche Perspektive, die die Singularität einer Person ins Spiel bringt, schnell den Verdacht entstehen, dass hier humanistische Vorstellungen einer authentischen Eigentlichkeit auf- und angerufen werden, die insofern problematisch sind, als sie, wie von verschiedener Seite gezeigt wurde, wirkmächtige Konstruktionen zur Stabilisierung weißer, patriarchaler und heterosexistischer Herrschaftsverhältnisse sind. Es wäre allerdings verkürzt, Greens Erzählung als eine einfache Affirmation humanistischer Vorstellungen des Menschen zu kritisieren oder sie als ausschließlich singulär und persönlich – und damit als für eine Reflexion wissenschaftlicher Wissensproduktion überflüssig – zu betrachten. Vielmehr ermöglicht es seine Erzählung gerade indem sie die Grenzen der Wissenschaftlichkeit berührt, die Arten und Weisen wissenschaftlicher Wissensproduktion im Rahmen dieser Dissertation wie auch ihre Bedingungen und Grenzen zu reflektieren. Zur Disposition steht dabei das komplexe Wechselverhältnis von Wissen, Macht und der Kategorie des Menschen bzw. des Menschlichen. Greens metaphorischer Bezug auf die Figuren des Froschs, der Laborratte und der multimedialen Lernerfahrung kann als Kritik an den Normen des Menschlichen gelesen werden, die darauf hinweist, dass die Kategorie des Menschlichen auf fundamentale Art und Weise von Geschlechternormen und idealen durchzogen ist.34 Zugleich verweist er mit der Reklamation seiner Zugehörigkeit zur Kategorie des Menschlichen auf die Veränderbarkeit und Geschichtlichkeit dieser Kategorie, wie sie Butler in Bezug auf die rassistische Strukturierung des Menschlichen anhand von Franz Fanons Äußerung »Der Schwarze ist kein Mensch« (2009: 27) aufzeigt: »Die Kategorie des Menschlichen hat die Wirkungsweise des Machtgefälles zwischen den Rassen als Teil ihrer eigenen Geschichtlichkeit behalten. Doch die Geschichte der Kategorie ist nicht abgeschlossen, und ›das Menschliche‹ ist nicht ein für alle mal erfasst. Dass die Kategorie im Laufe der Zeit gebildet wurde und dass sie mit dem Ausschluss eines breiten Spektrums von Minderheiten arbeitet, bedeutet, dass ihre Reartikulation genau an
34 Vgl. hierzu auch Butler: »Das Kriterium, nach dem wir beurteilen, ob eine Person ein Geschlechtswesen ist – womit ein kohärentes Geschlecht dem Mensch-Sein bereits vorausgesetzt ist – bestimmt […] (zu Recht oder zu Unrecht) die Erkennbarkeit des Menschlichen« (Butler 2009: 98f.)
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dem Punkt beginnen wird, an dem die Ausgeschlossenen zu einer und aus einer solchen Kategorie sprechen« (Butler 2009: 28).
Solche Verhandlungen der Kategorie des Menschlichen sind mit Butler als »Auseinandersetzung[en] um die Macht […], die in solchen und durch solche Normen wirksam ist« (2009: 29), zu begreifen. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann Greens Auftreten innerhalb der Akademia als eines gewertet werden, das der transformierenden Macht wissenschaftlichen Wissens Grenzen setzt und sie mit Aspekten konfrontiert, die sich nicht mittels strenger wissenschaftlicher Methodik erfassen und in universalisierende Modelle und Regelsysteme übersetzen lassen – »when they see me thinking on my feet, when I can use spontanous humor, when I am vulnerable to them, then they see me most completely as a human being« (Green 2006b: 501). Wenn Hirschauer argumentiert, dass wissenschaftliches Wissen auf einem Alltagswissen von Geschlecht und dessen spontanen Evidenzen beruht, verweist die Intervention Greens mittels eines Trans*-Alltagswissens und seiner evidenten Erscheinung auf die Grenzen und Instabilitäten dieses wissenschaftlichen Wissens. In der von Green ausgestellten Differenz zwischen seiner habituellen und visuellen Erscheinung und seiner Person/seinem Leben in der direkten Begegnung mit den Studierenden wird die Notwendigkeit, auf einer Differenz zwischen der Ebene der Repräsentationen und derjenigen des Lebens zu bestehen, deutlich. Ein solches Bestehen auf der Kluft zwischen Leben und Repräsentation ist insbesondere vor dem Hintergrund gegenwärtiger Geschlechterdiskurse bedeutsam, innerhalb derer Transsexualität und die damit verbundenen körperlichen Transformationen immer wieder als Beweis der Unhintergehbarkeit des Körpers verhandelt werden; ja, der Körper letztlich doch immer wieder als »greifbarer Referent« erscheint, an dem sich das wirkliche Leben von Transsexuellen fassen, verstehen und erkennen lässt.35 Noch dringlicher erscheint das 35 Vgl. Kap. 4, vgl. auch Evelyn Kilian, die feststellt: »Die Hormonbehandlung und die chirurgische Transformation eliminieren den ursprünglichen Körper mit der dazugehörigen leiblich-affektiven Wahrnehmung und konstruieren den Körper des Zielgeschlechts, der schließlich in der leiblichen Erfahrung in Besitz genommen wird. Gerade dieser letzte Schritt verbürgt die Authentizität der neuen Identität, denn an diesem Empfinden verifiziert sich die ›Echtheit‹ des neuen Geschlechtskörpers, gerade weil er als der eigene Leib erlebt wird« (2004: 213). An dieser Stelle gälte es nicht nur, die Totalität, in der der Körper »eliminiert« wird, kritisch zu hinterfragen, sondern auch, inwiefern der ›neue‹ Körper eben auch nie ganz der »eigene Besitz« ist, sondern immer schon in ein Außen eingebunden und damit zwangsläufig in ein Netz von Normen und Beziehungen zu anderen verwoben ist.
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Bestehen auf dieser Kluft, insofern sich diese Studie mit Fotografien auseinandersetzt. Hier scheint die Illusion, in der Fotografie der dargestellten Menschen habhaft werden zu können, häufig besonders verführerisch zu sein. Green vermeidet in seiner Narration eine solche Endgültigkeit oder Schließung, die die Illusion aufruft, einem Referenten habhaft zu werden. Indem er nicht auf die Etablierung spezifischer Wahrheiten oder Wissensformen abzielt, sondern auf sein Tun/Denken, seinen Humor und seine Verletzlichkeit verweist, rückt er den Umstand ins Blickfeld, dass es nicht allein körperliche und sexuelle Normen sind, die in ihrem unpersönlichen Funktionieren bestimmte Personen anerkennbar machen und anderen Anerkennung verunmöglichen. Vielmehr thematisiert er, dass »wir mit solchen Normen [der Anerkennung, jh] vor allem im unmittelbaren und lebendigen Austausch in Berührung kommen – durch die Art und Weise, wie wir jeweils angesprochen und aufgefordert werden, uns der Frage zu stellen, wer wir sind und wie unser Verhältnis zum Anderen aussehen sollte« (Butler 2007: 45). Damit verschiebt sich die von Foucault auf epistemologischer Ebene aufgeworfene Frage, »Was kann ich angesichts der gegenwärtigen Ordnung des Seins werden?«, auf eine ethische Ebene der direkten Frage »Wer bist Du?«: »[…] die Frage, die wir stellen müssen, lautet gar nicht, ͥwasͤ wir sind, als ob es bloß darum ginge, einen Inhalt unserer Person zu liefern. […] Die Frage der Anerkennung ist eine ganz direkte, und sie richtet sich an den Anderen: ͥWer bist Du?ͤ Diese Frage geht davon aus, dass wir einen Anderen vor uns haben, jemanden, den wir nicht kennen, den wir nicht ganz erfassen können, jemanden, dessen Einzigartigkeit und Unsubstituierbarkeit dem Modell der wechselseitigen Anerkennung nach Hegels Schema und auch allgemein der Möglichkeit, jemand anderen zu kennen, Grenzen setzt« (Butler 2007: 45).
Mit der Verschiebung des Problems der Anerkennung auf eine ethische Ebene kommt neben den Normen, die regulieren, wer anerkennbar ist und wer nicht, das Ausgesetztsein als zweite Bedingung der Möglichkeit der Anerkennung ins Spiel: »[D]as ͥIchͤ [begegnet] nicht nur diesem oder jenem Attribut des Anderen, sondern der Tatsache dieses Anderen als eines von Grund auf exponierten, sichtbaren, gesehenen, körperlich existierenden und notwendig in einer Sphäre der Erscheinung angesiedelten Wesens. Ich bin gleichsam dieses Ausgesetztsein, in dem meine Singularität liegt. Ich kann dieses Ausgesetztsein nicht willentlich ausschalten, denn es ist ein Zug meiner Körperlichkeit selbst und in diesem Sinne ist es mein Leben und doch ist es nichts, was ich unter Kontrolle haben könnte« (Butler 2007: 47).
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In seiner Begegnung mit den Studierenden und seinen Verweisen auf spontanen Humor und seine Verletzlichkeit bringt Green diese Aspekte des Ausgesetztseins ins Spiel, um als Mensch anerkannt zu werden; Aspekte, die, wie Butler betont, nicht vollständig der eigenen Kontrolle unterliegen und die den Bereich der Sprache und des rationalen Denkens übersteigen, auf die im Text verwiesen, die in diesem aber niemals gefasst werden können: »Hier ist ein körperlicher Referent im Spiel, ein Zustand von mir, auf den ich verweisen, den ich aber nicht genau erzählen kann, auch wenn es ganz zweifellos Geschichten darüber gibt, wohin mein Körper gegangen ist und was er getan und nicht getan hat. Die Geschichten erfassen den Körper nicht, auf den sie verweisen. Nicht einmal die Geschichte dieses Körpers lässt sich ganz erzählen« (Butler 2007: 55).
In Bezug auf die körperlichen Aspekte des Ausgesetztseins und der darin begründeten teilweisen Undurchsichtigkeit eines jeden für sich selbst und die Anderen schlägt Butler eine nach-hegelianische Auslegung der Anerkennungsszene vor. Denn in Hegels Konzept der Anerkennung »fehlt der implizite Spiegel nie«, »der Hegel’sche Raum enthält viel Licht, und die Spiegel sind in der Regel glücklicherweise auch Fenster; [n]ichts Undurchschaubares verschattet diese Fenster oder dämpft jenes Licht« (Butler 2007: 58). Dagegen, so Butler, kann in der eigenen Undurchsichtigkeit für sich selbst eine Fähigkeit gesehen werden, dem Anderen eine gewisse Art von Anerkennung zu verleihen, was »vielleicht eine Ethik [wäre], die auf unserer gemeinsamen und unabänderlichen Teilblindheit in Bezug auf uns selbst gründet. Die Einsicht, dass man nicht jederzeit ganz der ist, als der man sich im Diskurs gibt, könnte umgekehrt zu einer gewissen Geduld gegenüber anderen führen, so dass wir zunächst einmal von der Forderung ablassen, dass der Andere jederzeit mit sich selbst identisch zu sein hat« (Butler 2007: 58f.).
Eine solche Anerkennung der eingeschränkten Transparenz des Subjekts sich selbst und anderen gegenüber und die Aussetzung der Forderung nach Selbstidentität erscheint gerade für all jene Subjekte drängend, die den Normen des westlichen, weißen, bürgerlichen Subjekts nicht oder nur unzureichend entsprechen und als solche beständig problematisiert und mit der Forderung, sich zu zeigen, konfrontiert werden: »Die Aussetzung der Forderung nach Selbstidentität und insbesondere nach vollständiger Kohärenz stellt sich, so scheint mir, einer gewissen ethischen Gewalt entgegen, die ver-
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langt, dass wir jederzeit unsere Selbstidentität vorführen und aufrechterhalten und von anderen dasselbe verlangen« (Butler 2007: 59).
An dieser Stelle stellt sich die Frage, inwiefern eine »Ethik der Teilblindheit« für die Debatte um die Entpathologisierung der Transsexualität produktiv gemacht werden könnte, insofern sie zu einer Reduktion des »Zwangs ein Geschlecht zu sein« (vgl. Kap. II.1) beitragen kann. 36 Darüber hinaus muss eine solche Anerkennung der eingeschränkten Transparenz auch als eine Erfahrung der Grenzen des Wissens selbst begriffen werden: »Um die Grenzen der Anerkennung zu wissen, heißt, selbst dies nur begrenzt zu wissen, und ist damit eine Erfahrung der Grenzen des Wissens selbst« (Butler 2007: 60). Angesichts dieser Grenzen des Wissens kann es in dieser Studie erstens nicht darum gehen, eine persönliche Transformation oder gar transsexuelle Transformationen allgemein zu erklären, zu begründen oder nachvollziehbar zu machen. Zweitens kann es auch nicht das Ziel sein, eine Auseinandersetzung mit den Lebens- und Existenzweisen von Transmännern zu führen. Dies wäre die Aufgabe einer ethnologischen Studie. Mein Vorhaben ist es vielmehr, visuelle Repräsentationen daraufhin zu untersuchen, inwiefern sie kulturelle Normen von Geschlecht und Sexualität verschieben und reformulieren. Das impliziert zunächst eine repräsentationskritische Analyse von Bedeutungsproduktionen und Machteffekten innerhalb von Repräsentationssystemen. Gleichzeitig gilt es jedoch, nicht aus dem Blick zu verlieren, dass wir von kulturellen Normen auf einer sehr persönlichen Ebene getroffen werden. Was aber bedeutet das konkret für die Produktion von Wissen und für die damit verbundenen Formen von Nichtwissen und Unmöglichkeiten des Wissens? Wenn wir auf einer sehr persönlichen Ebene von kulturellen Normen getroffen werden – und visuelle Repräsentationen sind ein Medium, durch und mit dem Normen operieren – , impliziert dies, dass es nicht völlig bedeutungslos ist, dass ich diese Studie aus transgeschlechtlicher Perspektive schreibe. Es bedeutet 36 So muss bspw. die Frage, »wieso jemand Mann/Frau sein will/zu sein glaubt«, mit der viele Transsexuelle durch ihr Umfeld konfrontiert werden, in Bezug auf die darin enthaltene Aufforderung, das eigene Sein zu erklären und/oder zu legitimieren, als tendenziell transphob betrachtet werden. So gut wie keine Person dürfte in der Lage sein, zu erklären, wieso sie oder er eine Frau oder ein Mann ist – zumindest nicht ohne Rückgriff auf die ein oder andere reduktionistische Ideologie (für gewöhnlich wird meiner Erfahrung nach, sofern eine Antwort gegeben wird, auf die Biologie oder die Sozialisation verwiesen). Wer sich damit jedoch auf kritische, zuweilen ironische Weise mit dieser Frage auseinandersetzen will – eine Auseinandersetzung, die ohne Zweifel lohnt, dem sei Kate Bornsteins my gender workbook (1998) empfohlen.
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jedoch auch nicht, dass sich überhaupt kein Wissen produzieren ließe oder dass dieses Wissen nur persönlich und singulär wäre. Vielmehr artikuliert sich hier ein Spannungsfeld zwischen »Objektivität« und »Subjektivität«, das dazu auffordert, zu reflektieren, was für ein Wissen produziert werden kann und wie dies möglich ist. Um dies zu verdeutlichen, komme ich nochmals auf die Erzählung Greens zurück. Diese erweist sich bei genauerer Betrachtung nur in Teilen persönlich und singulär, insofern er auch stellvertretend für andere Transsexuelle agiert und sich bestimmte Aspekte seiner Erzählung verallgemeinern lassen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Objektivierung von Transsexuellen auf kulturell-gesellschaftlichen Normen in Bezug auf Körper und Geschlecht basiert, beruht Greens Erfolg, sich dieser Objektivierung zu entziehen und als menschliches Wesen anerkannt zu werden, darauf, die in diesen Normen begründeten Vorurteile zu überwinden: »When I am successful, it is because they let go their preconceptions and their prejudices, they realize that they can exist without those crutches of belief […]« (Green 2006b: 501). Wenngleich also Greens Einsatz in bestimmten Aspekten ein sehr persönlicher ist, der seine Singularität ins Spiel bringt, schafft er es damit, ein prinzipielles Bewusstsein für die Begrenztheit normativer Vorstellungen zu schaffen, das potenziell auch eine Anerkennung anderer transgeschlechtlicher Personen ermöglicht: »Nothing really changes when they acknowledge the existence of transpeople (transsexual and transgender people) and realize that we are not inherently monsters or perverts. Nothing really changes except that their compassion quotient expands exponentially. Nothing really changes except each of them goes away with a little piece of me that they can own and mould and reinterpret as they wish. I lose a bit more control of the use of my own story every time I tell it. Every time I lecture a class of 200 students, 200 more people in the world know – or think they know – something about my genital organs, even I never talked about them« (Green 2006b: 501).
Dieses Ende der hier diskutierten Passage von Greens Erzählung verdeutlicht, dass jede Erzählung immer schon eine Veräußerung ist, in der jede_r nicht nur ein Stück weit substituierbar wird, sondern die eine Geschichte streng genommen nicht mehr die »eigene« sein lässt, sie von der Person abtrennt und sie ihrer Kontrolle entzieht. Im Aufrufen dieser Grenzen der Möglichkeit von Anerkennung und dem Verweis darauf, dass jeder Akt des Erzählens der eigenen Geschichte gleichzeitig immer schon eine Veräußerung ist – each of the students goes away with a little piece of me that they can own and mould and reinterpret as they wish –, referiert Green gerade nicht auf eine klassisch humanistische Subjektvorstellung und vermeidet die Illusion eines autonomen aufgeklärten
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Subjekts. Stattdessen formuliert er ein Subjektverständnis, in dem das Subjekt unausweichlich an die Sprache und seine Beziehungen zu Anderen gebunden ist, ja sich in diesen erst konstituiert. Damit enthält Greens Schilderung wichtige Hinweise in Bezug auf die Frage, was für Wissen produziert werden kann und wo die Grenzen dieses Wissens liegen, die für dieses Buch bedeutsam sind. Zunächst geht es in diesem Buch, ähnlich wie bei Green, nicht darum, ein absolutes oder positivistisches Wissen über Transmännlichkeiten zu behaupten, sondern um eine Infragestellung der hegemonialen Normen von Geschlecht und Sexualität, die transgeschlechtliche Existenzweisen so undenkbar erscheinen lassen. Indem aufgezeigt wird, wie diese Normen Transsexualität zu regulieren versuchen, und durch die Hinterfragung von normativen Vorstellungen von Geschlecht öffnen sich zugleich Möglichkeitsfelder, innerhalb derer vielfältigere Formationen von Geschlecht, Sexualität und Begehren denkbar werden. Was dies für Leser_innen jeweils bedeutet, wie es sie betrifft und welche neuen Perspektiven sich daraus ergeben, ist und bleibt jedoch ein gutes Stück weit diesen überlassen und wird nicht zuletzt von deren Vorwissen sowie Standpunkten und Perspektiven abhängig sein. In ähnlicher Weise sind auch die Konzeption und der Aufbau dieses Buches sowie die darin entwickelten Lesarten künstlerischer Arbeiten auf vielfältige Weise von meinem Standpunkt, den akademischen und subkulturellen Kontexten, in denen ich mich bewege, meinen Erfahrungen als Transmann und meinem Vorwissen geprägt; sie sind motiviert von der Art und Weise, wie ich von kulturellen und gesellschaftlichen Normen ge- und betroffen wurde, und nicht zuletzt werden sie auch andere Transmänner treffen können. D.h., auch wenn dieses Buch weder von meinem Leben noch von dem Leben anderer Transmänner handelt, wäre es naiv zu denken, Repräsentationen und Theorien hätten nichts mit Körpern und Leben zu tun. Denn sie sind wirkmächtige Formationen, die unsere Leben auf vielfältige und komplexe Weise betreffen. Die Möglichkeiten der Anerkennung werden in entscheidender Weise in und durch Normen reguliert, Bilder, Sätze und Theorien können auf einer sehr persönlichen und körperlichen Ebene treffen und betreffen. Und so scheint auch der Begriff der Transmännlichkeiten, den ich zu Beginn dieses Arbeitsvorhabens unter anderem entwickelt habe, um eine begriffliche Unterscheidung zwischen der Ebene der Repräsentation und jener des Lebens einzuführen, diese Differenzierung bereits zu unterlaufen. Zumindest konstatieren Jannik Franzen und Arn Sauer in ihrer Schilderung transgeschlechtlicher Existenzweisen: »Je nach eigener Perspektive und/oder Verortung im Spektrum von transsexuell, transgender, trans* etc. verstehen sich Transmänner z. T. auch
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als Transmännlichkeiten […]« (2010: 10).37 Es wäre interessant, hier genauer zu hinterfragen, was Personen, die sich selbst als Transmännlichkeiten verstehen, damit meinen. Mir scheint in einer solchen Identifikation mit dem Begriff der Transmännlichkeit eben jener Aspekt anzuklingen, dass wir mit den Normen, die die Möglichkeiten der Anerkennung regulieren, vor allem im unmittelbaren lebendigen Austausch in Berührung kommen und sie uns daher immer auch sehr direkt und persönlich treffen (können). Insofern ist es ein Ding der Unmöglichkeit, über Repräsentationen von Transmännlichkeiten zu schreiben, ohne nicht auch über das Leben von Transmännern zu schreiben. Jacob Hale hat angesichts der Art und Weise, wie innerhalb der Akademia teilweise Wissen über Transsexualität und Transsexuelle produziert wird, Regeln für ein Schreiben über Transsexuelle aus nicht-transsexuellen Perspektiven formuliert, denen sich m.E. jedoch jede Wissensproduktion zu Transsexualität stellen muss. Dort heisst es unter anderem: »Don’t imagine that you can write about the trope of transsexuality, the figure of the transsexual, transsexual discourse/s, or transsexual subject positions without writing about transsexual subjectivities, lives, experiences, embodiements. Ask yourself: what relations hold between these categorical constructions, thus what implications hold between you write about one and what you don’t write about another« (Hale 2004).
Die Herausforderung, die sich vor diesem Hintergrund für die vorliegende Dissertation stellt, ist es daher, die visuellen Repräsentationen von Transmännlichkeiten auf eine Art und Weise zu analysieren, die ihre Operationen innerhalb des Repräsentationssystems herausarbeitet. Sie muss darüber hinaus der Tatsache Rechnung tragen, dass diese Repräsentationen, wie auch ihre Analysen, etwas mit dem Leben von Transmännern, ihren Subjektpositionen und Verkörperungen zu tun haben. Ich habe versucht, dem durch die Konzeption des Buches, das methodische Vorgehen und die Auswahl der künstlerischen Arbeiten Rechnung zu tragen. Sollten sich hierbei Fehler eingeschlichen habe, bleibt mir nur zu hoffen, dass andere diese als Anstoß und Motivation nehmen, ihre Lesarten, Argumente und Theorien zu entwickeln.
37 Zur Herleitung und inhaltlichen Bestimmung des Begriffs der Transmännlichkeiten vgl. Kap. III.
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4. Transmännlichkeiten im Bild: Zum Aufbau des Buches Bilder gewinnen ihre Bedeutungen immer nur in ihren jeweiligen spezifischen Kontexten und in der Verknüpfung mit anderen Bildern, Worten und Wissenselementen. Dies stellt die wissenschaftlichen Betrachtungsweisen von Bildern vor die Herausforderung, die jeweiligen Kontexte und Wissenskonfigurationen, innerhalb derer Bilder jeweils gelesen und betrachtet werden, mitzudenken. Vor diesem Hintergrund liefert die Einleitung einen grundlegenden Problemaufriss, der die Macht- und Sichtbarkeitsverhältnisse für Transmännlichkeiten innerhalb der Akademia thematisiert. Das zweite Kapitel skizziert das soziokulturelle Spannungsfeld zwischen juristischen, medizinischen und (sub-)kulturellen Diskursen, innerhalb dessen sich die Studie bewegt. Die ersten Unterkapitel legen die wichtigsten Aspekte der gesetzlichen Regelung der Transsexualität durch das Transsexuellen-Gesetz (TSG), der Regulierung der medizinischen Behandlung durch die Standards zur Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen sowie die daran aus (sub-)kulturellen Positionen formulierten Kritiken dar. Die verschiedenen Diskursfragmente und Wissensformationen, die sich hier abzeichnen, produzieren Spannungen und Konflikte, die sich nicht zuletzt auch in der Verwendung verschiedener Begrifflichkeiten artikulieren. Anhand einer Analyse der Begriffe Transsexualität und Transgender konkretisiert das letzte Unterkapitel die Problemlagen, innerhalb derer die untersuchten visuellen Repräsentationen von Transmännlichkeiten ihre Bedeutung produzieren. Hier werden die problematischen Aspekte der innerhalb der Geschlechterforschung dominanten Differenzierung zwischen sex und gender deutlich, die nicht zuletzt in den gegenwärtigen Trans*-Bewegungen infrage gestellt wird. Von dieser Situation ausgehend entwickelt das dritte Kapitel mit dem Begriff der Transmännlichkeit eine Forschungsperspektive, die diese Differenzierung zu vermeiden sucht und stattdessen die kulturellen Bedeutungsproduktionen, innerhalb derer sich Konstruktionsverfahren von sex, gender und Sexualität überschneiden, in den Blick nimmt. Den zentralen Bezugspunkt dieser Perspektive bildet die hegemoniale Repräsentation der Transsexualität durch die Figur des Transsexuellen als »im falschen Körper gefangen«. Diese Figur muss als problematisch erachtet werden, insofern sie hegemoniale Codierungen von Körpern naturalisiert und gleichzeitig durch die Ausblendung der politischen und mächtigen Effekte von Bezeichnungsverfahren die geschlechtliche Identität essentialisiert. Wurzelt die Pathologisierung von Transsexuellen in solchen naturalisierten Körper- und essentialisierten Identitätsvorstellungen, ermöglicht es der von Silke Wenk konzipierte Begriff der visuellen Politiken, jene Bezeichnungsverfahren, mittels derer spezifische Körper- und Geschlechterbilder überhaupt erst hergestellt wer-
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den, zu analysieren. Anknüpfend an Wenks Begriff der visuellen Politiken entwickelt das vierte Kapitel die Methode der teilnehmenden Lektüre, um jenen Bedeutungsproduktionen und politischen Effekten/Implikationen visueller Repräsentationen auf die Spur zu kommen, wie sie sich in subkulturellen Artikulationen von Transmännlichkeit formulieren. Wie visuelle Politiken konkret funktionieren und in welcher Weise sie hegemoniale Vorstellungen von Männlichkeit und Transsexualität reartikulieren, untersucht das fünfte Kapitel anhand einer detaillierten Interpretation von fünf kulturell-künstlerischen Arbeiten. Anhand von ausgewählten Arbeiten der Künstler und Trans*aktivisten Loren Cameron und Del LaGrace Volcano wird gezeigt, wie es diesen mittels verschiedener ästhetischer Strategien gelingt, heteronormative Darstellungs- und Wahrnehmungsgewohnheiten herauszufordern und einen unhinterfragten Glauben an Sichtbarkeiten, insbesondere in Bezug auf das Medium der Fotografie, und an die Unhintergehbarkeit des Geschlechts zu problematisieren. Mit der Problematisierung des modernen Wahrnehmungsdispositivs, innerhalb dessen das »Äußere als Spiegel des Innen« (vgl. Mosse 1997) fungiert, geben die Arbeiten wichtige Anstöße, die eigenen Praktiken des Sehens und Identifizierens sowie hegemoniale Konstruktionen von Männlichkeit und Transsexualität kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig eröffnen sie Fantasie- und Begehrensszenarien, die dazu einladen, auf lustvolle und manchmal vielleicht auch schmerzvolle Art und Weise an Geschlechterentwürfen jenseits heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit zu arbeiten. Das abschließende sechste Kapitel fasst die verschiedenen ästhetischen Umgangsweisen mit dem Medium Fotografie noch einmal zusammen und plädiert dafür, das transformative Potenzial von Kunst und Kultur auch in seinen politischen Aspekten ernst zu nehmen.
II. P OSITIONIERUNG
ZWISCHEN
TS
UND
TG
Seit Beginn der 1990er Jahre lässt sich eine Vervielfältigung von Begriffen zur Selbstbezeichnung und Kategorisierung innerhalb von Trans*-Diskursen und -Kontexten beobachten, die als ein Indiz für das Entstehen verschiedener Positionierungen und die Artikulation unterschiedlicher Interessen begriffen werden können. Dies macht eine Positionierung innerhalb des heterogenen und von Konflikten durchzogenen Feldes erforderlich. Das folgende Kapitel skizziert zunächst dieses Spannungsfeld, das sich zwischen juristischen, medizinischen und (sub)kulturellen Diskursivierungen der Transsexualität aufspannt.1 Hier deutet sich eine Verschiebung der lange Zeit dominanten und für selbstverständlich gehaltenen Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität und Transsexualität an, die sich in besonderer Weise in den Auseinandersetzungen um die Begriffe »Transsexualität« und »Transgender« zeigt. Insofern widmet sich der zweite Teil des Kapitels einer Genealogie der beiden Begriffe. Mit der Beschreibung der Diskursivierungen und Problematisierungen, innerhalb derer sich Phänomene wie »Transsexualität« und »Transgender« konstituieren, wird zugleich die Grundlage für eine Positionierung zwischen Transgender/Transsexualität geschaffen. 1. Das Spannungsfeld von Gesetz, Medizin und (Sub-)Kultur Das Spannungsfeld zwischen gesetzlichen Regelungen, medizinischen Verfahrens- und Umgangsweisen sowie (sub)kulturellen Artikulationen und Interventionen, innerhalb dessen sich Debatten um Trans* aktuell entfalten, ist in zent-
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Ich verwende die Schreibweise (sub)kulturell um das Spannungsfeld zwischen dominanter Kultur und Subkultur, innerhalb dessen sich diese Diskurse herausbilden, zu benennen. Der Begriff der Subkultur wurde in den Cultural Studies als theoretisches Konzept entwickelt, um die kulturellen und symbolischen Praktiken zu beschreiben, mit denen spezifische kulturelle Gruppen Bedeutungen und Identitäten erschaffen und kulturellen Raum einnehmen. Anders als die von den Cultural Studies beschriebenen Subkulturen der Arbeiterklasse oder der Punks sind die subkulturellen Diskurse und Praxen Transsexueller durch die medizinischen und rechtlichen Regulierungsverfahren sehr viel stärker und direkter der dominanten Kultur verbunden. Um dieses starke Eingebundensein mitzudenken, verwende ich die Schreibweise (Sub)Kultur. Zum Begriff der Subkultur der Cultural Studies in Bezug auf lesbische und schwule Subkulturen vgl. Sinfield (2005).
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raler Weise durch drei Kodifizierungen strukturiert: Das bundesdeutsche Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellen-Gesetz – TSG) von 1981, die internationalen Diagnosehandbücher Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) und Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) sowie die Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen aus dem Jahr 1997.2 Alle diese Kodifizierungen der Transsexualität haben in gewisser Weise einen ambivalenten Status. Einerseits ermöglichen sie Transsexuellen überhaupt erst eine grundlegende rechtliche Anerkennung ihrer Existenz und die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Maßnahmen durch die Krankenkassen. Andererseits regulieren sie diese Möglichkeit in einem sehr eng gesetzten Rahmen und formulieren zum Teil Anforderungen, die – wie jüngere Urteile des Bundesverfassungsgerichts bestätigen – grundlegende Menschenrechte von Transsexuellen verletzen und eine kritische Auseinandersetzung dringend erforderlich machen. 3 Skizze der gesetzlichen Regelungen der Transsexualität durch das TSG »Auch Transsexuelle seien entweder w oder m. Das Transsexuellen-Gesetz ist also ein Zweigeschlechtlichkeitswiederherstellungsgesetz, genauer: ein Zissexuellengesetz« (Sigusch 2005:84) – mit diesem ironischen Kommentar fasst Volkmar Sigusch die Ergebnisse des Vermittlungssauschusses zusammen, in dem über die Einführung des Transsexuellen-Gesetzes (TSG) beraten wurde. Denn mit dem Inkrafttreten des TSG am 1. Januar 1981 in der Bundesrepublik Deutschland ist zwar erstmals eine rechtliche Grundlage geschaffen, die Transsexuellen in der BRD die staatliche Anerkennung ihres Geschlechts ermöglicht; allerdings nur als entweder weiblich oder männlich, da die Einführung eines weiteren Personenstandes abgelehnt wurde. 2
Ich konzentriere mich hier auf jene Positionen, die zu Beginn der 2000er Jahre dominant gültig waren, und darauf, die strukturell bedeutsamsten Aspekte herauszuarbeiten. Die juristischen und medizinischen Regelungen unterliegen derzeit einem massiven Wandel. So wurde bspw. am 19. Mai 2009 eine Begutachtungsanleitung auf Empfehlung des Vorstandes des MDS vom GKV-Spitzenverband (Spitzenverband Bund der Krankenkassen) als Richtlinie nach § 282 Abs. 2 Satz 3 SGB V erlassen, die die Begutachtungsverfahren, z.B. durch die Festschreibung von Fristen, zum Teil erheblich verschärfen, ohne sie jedoch strukturell zu verändern. Eine detaillierte Analyse dieser Diskurse würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
3
Für kritische Analyse des TSG aus juristischer Perspektive, die hier nicht mehr berücksichtigt werden konnte, vgl. Laura Adamietz (2011).
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Den Geschlechtswechsel regelt das TSG in einem zweistufigen Verfahren. Der erste Schritt beinhaltet die Vornamensänderung durch ein Amtsgericht. Voraussetzungen für die Antragstellung sind in der ursprünglichen Fassung des TSG von 1980, dass die Person »sich dem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet«, »seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steh[t], ihren Vorstellungen entsprechend zu leben« (§ 1 Abs. 1 TSG) und »mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird« (§ 1 Abs. 2 TSG). Zudem muss sie »Deutscher im Sinne des Grundgesetzes [sein] oder […] als Staatenloser oder heimatloser Ausländer ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder als Asylberechtigter oder ausländischer Flüchtling ihren Wohnsitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes [haben]« (§ 1 Abs. 3 TSG).4 Neben einer richterlichen Anhörung sind für die Vornamensänderung zwei Gutachten von Sachverständigen notwendig, die insbesondere dazu Stellung nehmen, »ob sich nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft das Zugehörigkeitsempfinden des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird« (§ 4 Abs. 3 TSG). Damit sieht das Gesetz streng genommen keine Diagnose oder Indikation für medizinische Maßnahmen vor. Allerdings stellen zwei weitere Regelungen sicher, dass die um Ehe und Familie zentrierte Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit nicht irritiert wird: Die Vornamensänderung wird unwirksam, sofern die betreffende Person nach Ablauf einer Frist von 300 Tagen ein Kind gebiert, ein in dieser Zeit geborenes Kind rechtlich als ihres anerkannt wird oder sie eine Ehe schließt (§ 7 TSG). Den zweiten Schritt bildet die Personenstandsänderung. Voraussetzung hierfür ist, dass der/die Antragsteller/in nicht verheiratet ist, dass er/sie dauerhaft fortpflanzungsunfähig ist und sich den die äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden, operativen Eingriffen unterzogen hat, durch die eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist (§ 8 TSG).5 4
Diese Fassung wurde durch verschiedene Urteile und Gesetzesänderungen mittlerweile in Teilen neu formuliert oder außer Kraft gesetzt. Ich referiere hier auf die Version von 1980, da diese zum Beginn der Arbeit an diesem Buch die gültige Fassung war und gehe im Folgenden lediglich auf die hier wichtigsten Änderungen ein. Eine detaillierte Analyse der juristischen Diskurse würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Vgl. hierzu insbesondere die Arbeiten von Adrian de Silva (2005, 2007, 2013). Für die verschiedenen Versionen des TSG vgl. auch: http://www.buzer.de/gesetz/ 6253/a86921.htm [4.5.2013].
5
Die gesetzliche Regelung dieser Voraussetzungen in § 8 TSG Abs. Nr. 3 und 4 wurde in einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.2011 außer Kraft ge-
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Das zweistufige Verfahren soll eine Erprobung des Geschlechtswechsels ermöglichen (vgl. Alter 2000) und impliziert die Möglichkeit, nur bestimmte Aspekte des Geschlechts zu wechseln. Dennoch schreiben die Regelungen des TSG die Grundannahmen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit, nach denen es nur zwei Geschlechter gibt und jeder Mensch einem dieser Geschlechter eindeutig angehören muss, fest und verknüpfen sie durch Zwangssterilisation und Eheverbot aufs Engste sowohl mit einer auf die Reproduktion der Bevölkerung ausgerichteten Biopolitik als auch mit einem christlich-moralischem Schutz der heterosexuellen Ehe.6 Durch das Kriterium »eine[r] deutliche[n] Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts« verleiht das Gesetz zudem einer visuellen Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit rechtlichen Status: Es etabliert entscheidende Normen, die körperliche Geschlechtsmerkmale und Erscheinung als objektives Kriterium der Geschlechtszugehörigkeit kodifizieren, während es gleichzeitig die Disziplinierungen und Überwachungen transsexueller Körper durch die geforderten Gutachten an die Medizin und Sexualwissenschaft delegiert. Die Standards zur Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen Mit der Einführung des TSG ist eine Situation geschaffen, in der Sexualwissenschaftler_innen, Psycholog_innen und Ärzt_innen zunehmend öfter mit der Aufgabe konfrontiert werden, entsprechende Gutachten zu erstellen, ohne dass es hierfür verbindliche Richtlinien gibt. Daher formuliert eine Fachkommission der Deutschen Gesellschaft für Sexualwissenschaft 1997 die Standards zur Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen, um Richtlinien für die erforderlichen Gutachten wie auch für die Behandlung Transsexueller zu schaffen.7 Diese beugen sich in ihrer Konzeption in weiten Teilen den gesetzlichen Vorgaben, denen zufolge auch Transsexuelle eindeutig männlich oder weiblich zu sein setzt, da sie nicht mit dem im Grundgesetz garantierten Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) vereinbar sind. Wie eine gesetzliche Neuregelung aussehen wird, bleibt abzuwarten (vgl. Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 3295/07). 6
Foucault hat die Verschränkung von Justiz und Medizin, Psychologie etc. als eine Entwicklung zu Beginn des 19. Jahrhunderts beschrieben, durch die die Justiz sich in ein »körperloses« Strafsystem transformiert, das nicht mehr direkt die Körper foltert, sondern ein »höheres« Ziel vor Augen hat (vgl. Foucault 1994:18ff.).
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Zu den bis dahin angewandten Behandlungsprogrammen, die sich stark an den USamerikanischen Standards of Care orientierten vgl. Sigusch (1992:23ff.).
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haben, sowie der Definition der Transsexualität nach ICD 10, die sich folgendermaßen zusammenfassen lässt8: »Die ICD-10 ordnet den Transsexualismus der Gruppe der ›Störungen der Geschlechtsidentitätsstörung‹ (F64) zu und definiert den Transsexualismus als den ›Wunsch, als Angehöriger des anderen anatomischen Geschlechts zu leben und anerkannt zu werden. Dieser geht meist mit dem Gefühl des Unbehagens oder der Nichtzugehörigkeit zum eigenen Geschlecht einher. Es besteht der Wunsch nach hormoneller und chirurgischer Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugtem Geschlecht soweit wie möglich anzuglei9
chen‹ (F64.0)« (Rauchfleisch 2006: 13).
Entsprechend dieser Definition müssen gemäß den Standards zur Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen folgende Kriterien für eine Diagnose erfüllt sein: »[…] eine tiefgreifende und dauerhafte gegengeschlechtliche Identifikation; ein anhaltendes Unbehagen hinsichtlich der biologischen Geschlechtszugehörigkeit bzw. ein Gefühl der Inadäquatheit in der entsprechenden Geschlechtsrolle; ein klinisch relevanter Leidensdruck und/oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionen […]« (Becker u.a. 1997).
Diese Kriterien gilt es durch eine umfassende Diagnostik, die eine biografische Anamnese, eine körperliche Untersuchung und eine medizinisch-psychiatrische/psychologische Diagnostik umfasst, sowie durch eine breit angelegte Differentialdiagnostik zu validieren (vgl. Becker u.a. 1997). Zentraler Bestandteil der Diagnostik ist darüber hinaus der einjährige Alltagstest, der therapeutisch begleitet werden muss und in dessen Verlauf folgende psychotherapeutischen Kriterien erfüllt werden müssen: »die innere Stimmigkeit und Konstanz des Identi8
Die Kriterien und Definitionen des Transsexualismus nach DSM-IV und ICD-10 unterscheiden sich insofern als das DSM-IV den Begriff des Transsexualismus durch den der Geschlechtsidentitätsstörung ersetzt, ihn als »sexuelle und Geschlechtsidentitätsstörung« klassifiziert und damit weniger eng an die Operationsindikation koppelt als die ICD-10 (vgl. Sigusch 2005:14). Aufgrund der räumlichen Begrenzung der vorliegenden Studie auf Deutschland beschränke ich mich im Folgenden auf die Definition nach ICD-10, dem hier dominant angewendeten Diagnosekatalog. Für eine ausführliche Auseinandersetzung der Zusammenhänge psychoanalytischer Theorien und Transsexualität vgl. Runte (1996), zu einem Überblick gegenwärtiger Konzepte vgl. Rauchfleisch (2006:11ff.).
9
F64.0 ist der Diagnoseschlüssel für Transsexualismus nach ICD 10.
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tätsgeschlechts und seiner individuellen Ausgestaltung, die Lebbarkeit der gewünschten Geschlechtsrolle und die realistische Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen somatischer Behandlungen« (Becker u.a. 1997). Ist der Alltagstest erfolgreich absolviert, können die Diagnose der Transsexualität, die Indikation zur Hormonbehandlung sowie das für die Vornamensänderung notwendige Gutachten nach §1 TSG erstellt werden. Ein halbes Jahr später kann die Indikation für geschlechtsangleichende Operationen erfolgen. Im Falle der Frau-zu-MannTranssexualität umfassen diese die Brustplastik (Mastektomie) sowie die Hysterektomie mit Exstirpation der Adnexe. Da Penisrekonstruktionen und Implantation von Surrogat-Hoden noch im Erprobungsstadium sind, wird für Operationen am äußeren Genital bei Transmännern eine individuelle Lösung indiziert.10 Sind diese vom Gesetz erforderlichen operativen Maßnahmen erfolgt, kann das Gutachten nach § 8 TSG (Personenstandsänderung) erstellt werden (Becker u.a. 1997). Indem die Standards hier die Diagnose – und damit den einjährigen Alltagstest als Voraussetzung für die Erstellung des Gutachtens nach TSG §1 – festschreiben, wird eine Erprobung des Geschlechtswechsels unter offiziell geändertem Vornamen, wie sie das gesetzliche zweistufige Verfahren vorsieht, de facto abgeschafft. Stattdessen muss der Alltagstest nun ohne offizielle Vornamensänderung und ohne den Körper durch Hormone oder Operationen zu transformieren absolviert werden.11 Indem die Standards in der konkreten Ausgestal10 Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu Mann-zu-Frau-Transsexuellen, bei denen die Bildung einer Neovagina empfohlen wird. Adrian de Silva weist auf die Mysogynie hin, die in der geschlechtsspezifischen Differenzierung der Anforderungen enthalten ist: »Auffällig ist hierbei, dass Genitaloperationen bei MzF-Transsexualität, nicht aber bei FzM-Transsexualität empfohlen werden. Ebenso wenig wie meines Erachtens ein radialer Vorderarmlappen mit Erektionsprothese derzeit einem Penis in seiner Funktionalität gleichkommt, kann eine invertierte Penishaut die Funktionalität einer Vagina in Bezug auf Kontraktions- und Lubrikationsfähigkeit oder eine versenkte Glans penis die Sensibilität einer Klitoris haben. Daher liegt der Schluss nahe, dass die Bagatellisierung weiblicher Genitalchirurgie eine Geringschätzung weiblicher Genitalien widerspiegelt« (de Silva 2005:261). Ergänzen ließe sich, dass sich hier vermutlich auch eine Geringschätzung weiblicher Sexualität und Lust artikuliert, ebenso wie sich darüber spekulieren lässt, inwiefern die postulierten Schwierigkeiten einer Penisrekonstruktion auch der Aufrechterhaltung von Vorstellungen naturalisierter Männlichkeit, die eben nicht chirgurgisch-technologisch produzierbar ist/sein soll, begründen. 11 Vgl. Alter (2000), die zu Recht darauf hinweist, dass eine solche Praxis auch von vielen Transsexuellen forciert wird, die, wenn sie die Gutachten zur Vornamensänderung haben, auf die Indikation für geschlechtsangleichende medizinische Maßnahmen drängen.
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tung der gesetzlichen Regelungen an den Kriterien der Eindeutigkeit, Dauerhaftigkeit und Kohärenz strikt festhalten, schreiben sie Grundannahmen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit in Bezug auf Vorstellungen von Geschlecht weiter fort, obwohl der Geschlechtswechsel bereits durch sein Vorkommen diesen zentral zuwider läuft. Um den Glauben an die heteronormative Zweigeschlechtlichkeit aufrechterhalten zu können, hat die »Veränderung [von Transsexuellen, jh] so zu erfolgen, dass sie am Ende nicht stattgefunden haben wird« (Lindemann 1994). Auch wenn die in den 1970er Jahren formulierten Leitsymptome der Transsexualität von Volkmar Sigusch Mitte der 1990er Jahre überarbeitet wurden und in einigen Punkten nicht mehr ganz so starr sind,12 gilt es nach wie vor, die »Echtheit« des eigenen Geschlechts unter Beweis zu stellen. Diese Formen des Alltagstests sowie die daran geknüpfte Therapie bzw. therapeutische Begleitung können mit Michel Foucault (1994:41f.) als Disziplinierung begriffen werden, die mittels Methoden der Überwachung, des Trainings und der Wiederholung transsexuelle Subjekte als normgerecht vergeschlechtlichte Subjekte produziert – insbesondere dann, wenn die therapeutische Begleitung von der gleichen Person durchgeführt wird, die auch die Gutachten erstellt.13 Kritiken der Transgender-/Transsexuellenbewegung »Trans*-Identitäten sind keine Krankheit« – mit diesem Slogan ruft die deutschsprachige Seite der Kampagne Stop Trans Pathologization 2012 zum Internationalen Aktionstag für die Entpathologisierung der Trans*-Identitäten am 23.10.2010 auf.14 Die Kampagne kämpft für eine Streichung der Diagnose der Geschlechtsidentitätsstörung aus den internationalen Diagnostik-Handbüchern (DSM-IV-TR und ICD-10) im Jahr 2012 und wird von einem breiten internatio-
12 Veränderte Auffassungen der Leitsymptome bei Sigusch beziehen sich v.a. auf das Alter (Transsexualität kann der neuen Auffassung zufolge in jedem Alter auftreten), auf die gelebte Geschlechtsrolle (früher galten starre und klischeehafte Übernahmen der Ideale von Männlichkeit und Weiblichkeit als Leitsymptom, nun werden – wenngleich noch immer in einem sehr engen Rahmen – vielfältigere Möglichkeiten, die eigene geschlechtliche Identität zu leben, anerkannt) sowie auf die gelebte Sexualität: Galten Transsexuelle früher als asexuell aufgrund ihrer Identitätsproblematik, wird jetzt anerkannt, dass viele Transsexuelle ihre Sexualität leben (Sigusch 1994). 13 Vgl. hierzu insbesondere auch Spade (2006), der die US-amerikanische Behandlung Transsexueller mit Foucaults Konzepten der Gouvernementalität und Disziplinierung als Regime der Normalisierung diskutiert. 14 Vgl. http://www.stp2012.info/old/de [letzter Zugriff 19.10.2010]
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nalen Bündnis getragen.15 Bei allen Differenzen, die zwischen verschiedenen Transsexuellen, deren Verbänden und Interessensvertretungen bestehen, und trotz der zum Teil erheblichen nationalen Unterschiede, die es in Bezug auf die konkreten rechtlichen und medizinischen Verfahrensweisen im Umgang mit Transsexualität gibt, zeugt die Kampagne von einer relativ großen Einigkeit in Bezug auf die Kritik an der gegenwärtig hegemonialen Definition der Transsexualität in der internationalen Diagnostik und kann als vorläufiger Höhepunkt der kritischen Infragestellung der medizinisch-rechtlichen Verfahren betrachtet werden, wie sie seit Beginn der 1990er Jahre zunehmend formuliert wird.16 Hatte »die erste Generation« von Transsexuellen in Deutschland die offizielle Aufnahme der Transsexualität in die internationalen Diagnostikhandbücher sowie die Einführung des Transsexuellen-Gesetzes (TSG) zunächst begrüßt, insofern damit die Kostenübernahme geschlechtsangleichender Maßnahmen durch die Krankenkassen gesichert und die Existenz Transsexueller erstmals von staatlicher Seite offiziell anerkannt und legitimiert wurde (Alter 2000), zeichneten sich Mitte/Ende der 1990er Jahre grundlegende Veränderungen ab.17 Erste Erfahrungen mit der neuen Praxis führen zu einer kritischen Hinterfragung und Distanznahme gegenüber der hegemonialen Konstruktion der Transsexualität. Diese Distanz drückt sich nicht zuletzt durch die Prägung neuer Selbstbezeichnungen wie Transidentität, Transgeschlechtlichkeit oder Transgender aus. Diese Abgrenzung zur medizinisch-psychologischen Bezeichnung der Transsexualität wird durch eine seit Ende der 1990er Jahre zunehmende Kulturproduktion, von 15 Bislang haben sich zahlreiche internationale und nationale Netzwerke, wie GATE – Global Action for Trans* Equality, ILGA Europe, Mulabi, el Espacio Latinoamericano de Sexualidades y Derechos (Argentina, Chile, Paraguay, Costa Rica y Colombia) und Transgender Europe (TGEU), der Kampagne angeschlossen. Die Hauptziele der Kampagne umfassen fünf Punkte: »1. Die Streichung der Geschlechtsidentitätsstörungen (GIS) aus den internationalen Diagnostik-Handbüchern (DSM-IV-TR und ICD-10). 2. Die Abschaffung von Behandlungen binärer Normalisierung an intersexuellen Personen. 3. Der freie Zugang zu Hormonbehandlung und Chirurgie (ohne psychiatrische Vormundschaft). 4. Die öffentliche Kostendeckung geschlechtsangleichender Maȕnahmen. 5. Die Prävention der Transphobie: Förderung der Erziehung und sozialer und beruflicher Einschluss der Trans*personen sowie die Visibilisierung und Anklage jeglicher Art institutioneller oder sozialer Transphobie.« (vgl. http:// www.stp2012.info/old/en) 16 Einen Einblick in die Berliner Diskussionen bietet die Sammlung aktivistischer Texte, die Anne Allex (2011) herausgegeben hat. Eine fundierte Zusammenfassung der Kritik an den Standards von Becker et.al. (1997) liefern Hamm/Sauer (2013). 17 Zur Situation Transsexueller vor Einführung des TSG vgl. de Silva (2013).
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und über Menschen, die alternative Geschlechterentwürfe leben, unterstützt und vorangetrieben.18 Im Zusammenspiel mit einem gesellschaftlichen Wandel, innerhalb dessen Homosexualität zunehmend mehr Anerkennung erfährt – was sich nicht zuletzt auch auf gesetzlicher Ebene durch die ersatzlose Streichung des § 175 StGB (Schwulenparagraph) und die Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare zeigt – und der Gründung von Selbsthilfegruppen und Organisationen von Transsexuellen und Transgender, die für die Anerkennung ihrer Existenzweisen eintreten, entfaltet sich eine nachhaltige Debatte um das TSG und Möglichkeiten alternativer Neuregelungen sowie um Wege und Möglichkeiten der Entpathologisierung. Im Zentrum der Kritik stehen zum einen die Verquickung rechtlicher und medizinischer Verfahren sowie der Missbrauch durch Gutachter, zum anderen die Regelung, die Geschlechtsbestimmung von operativen Eingriffen und der dauerhaften Fortpflanzungsunfähigkeit abhängig machen. Der Zwang zu Operationen und Ehelosigkeit steht im Widerspruch zu den Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit und reduziert Transsexuelle de facto auf »einen Blick zwischen die Beine« (Alter 2000: 14-15). Bemühungen um rechtliche Neuregelungen drängen auf die Anerkennung intersexuell geborener Kinder, eine Erleichterung der Vornamensänderung, die von Standesämtern und nicht länger den Amtsgerichten vorgenommen werden soll, auf eine Abschaffung der erforderlichen Gutachten bzw. zum Mindesten eine fundamentale Überarbeitung der Voraussetzungen für die Gutachten sowie die Abschaffung des de facto bestehenden Operationszwangs.19 Bestrebungen, das TSG zu reformieren bzw. durch das Transgender-Gesetz (TrGG) zu ersetzen, werden durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts unterstützt.20 Ein Urteil 18 Vgl. bspw. Leslie Feinberg (2008 [1996]): Stone Butch Blues, Judith Jack Halberstam und Del La Grace Volcano (1999): The Drag King Book sowie Filme wie Gendernauts (Monika Treut, D, 1999), Boys Don’t Cry (Kimberly Pierce, USA, 2000) oder Venus Boyz (Gabrielle Baur, D, 2002). 19 Vgl.
http://pgg.trans-info.de/,
zum
TrGG
vgl.
http://www.dgti.org/trggtx.htm
[12.11.2007]. 20 Insgesamt gibt es bislang 7 Urteile, die Teile des TSG außer Kraft setzen: 1982 Aufhebung der Altersgrenze § 8 TSG, 1983 Aufhebung der Altersgrenze § 1 TSG, 1996 Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung, 2005 Aufhebung der Unwirksamkeit der Namensänderung bei Eheschließung nach § 7 TSG, 2006 Erweiterung der Anwendbarkeit von § 1 und § 8 TSG für in Deutschland lebende Ausländer, 2008 Aufhebung des Gebots der Ehelosigkeit nach § 8 TSG, 2011 Aufhebung des Zwangs zur genitalangleichenden Operation und zur Kastration nach § 8 TSG (vgl. dgti 2011, hier finden sich auch die Aktenzeichen der Urteile).
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von 1996 lässt eines der grundsätzlichen Probleme, das sich in Bezug auf die Anerkennung von Transsexuellen ergibt, besonders deutlich werden. Mit Bezug auf das im deutschen Grundgesetz (GG) verankerte Persönlichkeitsrecht wird argumentiert, »dass die Frage über das Geschlecht eines Menschen ausdrücklich dem Sexualbereich zuzuordnen ist, auch dem Genitalbereich, welcher der Privatsphäre zuzuordnen ist, die unter dem besonderen Schutz des GG steht. […] Das schließt die Pflicht ein, die individuelle Entscheidung eines Menschen über seine Geschlechtszugehörigkeit zu respektieren« (Alter 2007: 4).
Aufgrund dieser Argumentation, die das Geschlecht der Privatsphäre zuordnet, räumt das Urteil Transsexuellen das Recht auf korrekte Anrede und Selbstbestimmung ein. Diese Rechtsprechung unterstreicht, dass die Anrede mit falschem Namen oder Pronomen massive Angriffe auf die Persönlichkeit von Transsexuellen darstellen, auch wenn es bislang nicht gelungen ist, ein breiteres Bewusstsein für solche Diskriminierungsformen zu schaffen.21 Und auch die deutsche Bundesregierung hält – trotz wiederholter Kritiken am TSG und trotz dieses Urteils, das fordert, die individuelle Entscheidung eines Menschen über seine Geschlechtszugehörigkeit zu respektieren – nach wie vor die Regelungen des TSG für legitim, die Operationen und dauerhafte Unfruchtbarkeit zur Voraussetzung für eine Personenstandsänderung machen. Auf eine Anfrage der damaligen Bundestagsabgeordneten Christina Schenk (PDS) antwortet sie, dass weder ein Operationszwang noch ein Fortpflanzungsverbot bestehe, da die Zustimmung zu diesen Maßnahmen freiwillig erfolge. Sie hält »[...] eine Regelung für sinnvoll, nach der sichergestellt ist, dass ein personenstandsrechtlicher Mann nicht Mutter und eine personenstandsrechtliche Frau nicht Vater werden kann. § 8 Abs. 1 TSG zielt darauf ab, ein Auseinanderfallen von Geschlecht und Geschlechtsfunktion zu vermeiden« (Deutscher Bundestag 2002).
Wenngleich der Operationszwang durch einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.2011, der § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG außer Kraft setzt, zwischenzeitlich aufgehoben ist, bleibt die grundsätzliche Problematik bestehen. Denn die Urteilsbegründung betont explizit: 21 Mit der Änderung des geschlechtlich codierten Vornamens verband sich bis zu diesem Urteil nicht das Recht, entsprechend des Vornamens als »Frau/Herr« bzw. »sie/er« angesprochen zu werden. Auch wenn das Urteil von 1996 dieses Recht eindeutig einräumt, ändert sich die Praxis nur langsam (vgl. Alter 2007a).
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»Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass der Gesetzgeber […] die personenstandsrechtliche Geschlechtsbestimmung von objektivierbaren Voraussetzungen abhängig macht, um dem Personenstand Dauerhaftigkeit und Eindeutigkeit zu verleihen und ein Auseinanderfallen von biologischer und rechtlicher Geschlechtszugehörigkeit zu vermeiden« (Bundesverfassungsgericht 2011, 1 BvR 3295/07).
Wie eine Neuregelung der derzeit außer Kraft gesetzten Paragraphen aussehen wird, bleibt abzuwarten. Angesichts der aufrechterhaltenen Forderungen nach Dauerhaftigkeit, Eindeutigkeit und Objektivierbarkeit, scheint mir eine gewisse Skepsis angebracht, ob und wie hier Regelungen gefunden werden, die Operations- und Therapiezwänge nachhaltig entschärfen. Neben einer kritischen Revision der rechtlichen Regelungen ist es von zentraler Bedeutung, kritisch danach zu fragen, wie, d.h. mittels welcher Technologien, Geschlechtsidentitäten und -zugehörigkeiten reguliert werden. Hier werden in den letzten Jahren insbesondere die medizinischen Behandlungs- und Begutachtungsverfahren sowie die sich verschärfenden Praktiken der Kostenübernahme für geschlechtsangleichende Maßnahmen durch die Krankenkassen einer kritischen Betrachtung unterzogen.22 Insbesondere der einjährige Alltagstest sowie die zwangsweise verordnete psychotherapeutische Begleitung werden zu Recht als Verfahrensweisen kritisiert, die stärker den Charakter eines »Härtetests« besitzen, als dass sie Transsexuelle in ihrer Transformation unterstützen. Ebenso sind die Kriterien, nach denen die Geschlechtsidentität von Personen beurteilt wird, problematisch, insofern hier häufig extreme Geschlechtsrollenklischees reproduziert werden müssen – oder aus Angst, die dringend erforderlichen Gutachten nicht zu bekommen, präventiv reproduziert werden. Nicht nachvollziehbar ist zudem, dass Intersexualität und Behinderung als Ausschlusskriterien für die Diagnose der Transsexualität gelten. (Vgl. Hamm/Sauer 2013: o.S.) Insbesondere der Alltagstest und die zwangsverordnete therapeutische Begleitung, bei der der Gutachter- und Therapeutenfunktion häufig von derselben Person wahrgenommen werden, werden seit vielen Jahren kritisiert (vgl. bspw. Hirschauer 1999, Lindemann 1994). Dennoch hat sich in der Praxis daran bislang kaum etwas geändert. Und nach wie vor fordern viele GutacherInnen eine eindeutig männliche oder weibliche Performance der Geschlechtsidentität von Transsexuellen, obwohl Studien im Rahmen queerer und trans*-Geschlechterforschung mittlerweile gezeigt haben, dass sich die gelebten geschlechtlichen 22 Die Richtlinien des Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) orientieren sich an den Standards, führen, indem sie die Kriterien der Kostenübernahme verschärfen, jedoch häufig zu absurd anmutenden Ablehnungen, vgl. Hamm/Sauer (2013).
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Existenzweisen sowie existierende Geschlechter- und Begehrensformationen nicht einfach in eine binäre Logik von weiblich vs. männlich einpassen lassen (vgl. Bauer 2007, 2009, Franzen/Sauer 2010, Schirmer 2010). Diese Einstellung zeigt sich nicht zuletzt in Formulierungen wie »Der Gutachter muß wissen, daß die Begutachtung zur Vornamensänderung (§ 1) bei weitem konsequenzenreicher ist (Mißbrauch zur Operationserlangung) […]«. Mit solchen Formulierungen wird suggeriert, dass diese Operationen nur bestimmten Personen zustehen, nämlich jenen, die sich als »echt« transsexuell qualifizieren, während alle transgeschlechtlichen Personen, die operative Maßnahmen benötigen, jedoch nicht in die Vorstellungen und Klischees von GutachterInnen passen, des »Missbrauchs« verdächtigt werden. Sowohl das (sub-)kulturelle als auch das soziologische und kulturwissenschaftliche Wissen um die Komplexität und Vielfältigkeit von Geschlechterformationen bleiben hier ausgeblendet.23 Vor dem Hintergrund der extremen Standardisierung des Behandlungs- und Begutachtungsverfahren sowie der hier noch immer vorherrschenden stereotypen Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität, ist es aus Trans*-Perspektive sinnvoll und dringend notwendig, auf mehr Selbstbestimmung sowie auf Verfahrensweisen zu bestehen, die die jeweils spezifischen Lebenslagen und Bedürfnisse von Trans*personen berücksichtigen. Gleichzeitig ist dieser Bezug auf das Selbst jedoch in hohem Ausmaß ambivalent. Denn wenn er einerseits die Forderung auf ein Recht auf Selbstbestimmung ermöglicht, läuft er andererseits Gefahr, kulturelle und soziale Zwänge sowie Machtverhältnisse, die Identitäten formieren, ermöglichen und verunmöglichen, aus dem Blick zu verlieren. Dies kann sich für Trans*politiken dann als problematisch erweisen, wenn mit dem Bezug auf das Selbst alle politischen, kulturellen und sozialen Bezüge verloren gehen und die Fragen des Geschlechts und der Geschlechtsidentität zu einer rein privaten Angelegenheit erklärt werden. Exemplarisch lässt sich diese Problematik an der Antwort des Deutschen Bundestages (2002) auf die Anfrage der PDS in Bezug auf das TSG verdeutlichen. Die Antwort des Deutschen Bundestages, dass »weder ein Operationszwang noch ein Fortpflanzungsverbot bestehe, da die Zustimmung zu diesen Maßnahmen freiwillig erfolge«24, muss als ein typisches Beispiel solcher Ausblendungen kultureller und sozialer Machtverhältnisse begriffen werden. Denn inwiefern lässt sich von einer »freiwilligen Zustimmung« zu den Operationen sprechen, wenn diese für Personenstandsänderung erforder23 So wurden die Standards zur Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen bezeichnenderweise ohne Beteiligung von Trans*personen oder Vertreter_innen ihrer Organisationen wie auch ohne eine Beteiligung der Kulturwissenschaft formuliert (Hamm/Sauer 2013). 24 Deutscher Bundestag (2002), http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/14/056/1405627.pdf
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lich sind? Zumal das Gesetz im Zusammenspiel mit den Standards zur Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen ein Leiden, das ein lebenswertes Leben in dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht verunmöglicht, als Voraussetzung festschreibt. Mit dem Verweis auf Freiwilligkeit weicht der Gesetzgeber der grundlegenden Problematik aus und verschleiert den Widerspruch konfligierender Auffassungen von Geschlecht. Einerseits wird Geschlecht der Privatsphäre zugeordnet und der Selbstverantwortung der Einzelnen übertragen. Andererseits wird Geschlecht in Bezug auf die Fortpflanzungsfähigkeit zum Gegenstand einer Biopolitik, die massive körperliche Eingriffe gesetzlich legitimiert.25 Damit entsteht die paradoxe Situation, dass das TSG die Anerkennung und Legitimierung Transsexueller suggeriert, gleichzeitig jedoch auf einer Definition von Geschlecht besteht, die der transsexuellen Erfahrung, dass sich das Geschlecht gerade nicht in erster Linie an den Genitalien fixieren lässt, widerspricht.26 Auf diese Weise wird eine wirkliche Anerkennung transgeschlechtlicher Existenzweisen verweigert. Dieses Paradox verdeutlicht die Grenzen und die Problematik, die mit der Verschiebung des Geschlechts und der Sexualität in die Privatsphäre verbunden sind. Denn wenngleich diese eine wichtige Grundlage für den dringend notwendigen Schutz von Persönlichkeitsrechten und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit bildet, lässt sie gleichzeitig die kulturellgesellschaftliche und öffentliche Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit unangetastet. Die darin implizierte liberale Vorstellung, der zufolge das Individuum eine fixe Identität besitzt, die sich scheinbar unabhängig von ihrem kulturellen Umfeld entwickelt, rückt die machtvollen und wirkmächtigen kulturellen Zwänge und Funktionsweisen, mittels deren Identitäten und Subjektivitäten produziert, erzwungen und reguliert werden, aus dem Blickfeld.27 Mit der Argumentation der »Freiwilligkeit« des Geschlechtswechsels (Deutscher Bun25 Zur Biopolitik und der Kategorie des Sex als Scharnier zwischen den Technologien des Lebens und der Sexualität vgl. Foucault (1983: 140f.). 26 Vgl. im Gegensatz dazu die britischen Debatten um den Gender Recognition Act, in denen auf den Zwang zu medizinischen Behandlungen verzichtet und gefragt wurde, inwiefern die Anerkennung von Transsexuellen die Rechte anderer Personengruppen berührt (vgl. de Silva 2007). Kritisch ließe sich fragen, inwiefern sich in Deutschland das Festhalten an der Voraussetzung der Fortpflanzungsunfähigkeit auch in der Regelung der Staatsbürgerschaft begründet, die noch immer auch über Elternschaft und Reproduktion vergeben wird (http://www.gesetze-im-internet.de/rustag/BJNR00583 0913.html [05.05.2013]). 27 Chantal Mouffe hat die Vorstellung, Individuen besäßen bereits eine voll entwickelte Identität, bevor sie in Felder kultureller Praktiken eintreten, als »Hauptproblem des traditionellen, liberalen, essentialistischen Erklärungsmusters« (2001:14) kritisiert.
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destag 2002) werden unter dem Deckmantel der Selbstbestimmung und eines ideologisch schöngefärbten Freiheitsbegriffs die konstitutive Verstrickung von Macht- und Identitätsverhältnissen sowie deren inhärenten Widersprüche geleugnet. Statt einer solchen Ideologie von Freiheit und Selbst aufzusitzen, gilt es, genauer zu hinterfragen, wo und wie Zwänge produziert und Geschlechtsformationen erzwungen werden. Der Zwang, ein Geschlecht zu sein: juristisch, medizinisch, kulturell Entgegen der von der Bundesregierung 2002 proklamierten »Freiwilligkeit« der Zustimmung zu Operationen, definiert das TSG einen Zwang, den eigenen Vorstellungen entsprechend zu leben (§4 TSG), als grundlegende Voraussetzung, die überhaupt erst ein juristisches Verfahren des Geschlechtswechsels ermöglicht. Indem juristisch zugleich eine Zuordnung zu einer der zwei einzig anerkannten geschlechtlichen Kategorien »männlich« oder »weiblich« erfolgen muss und diese an operative Veränderungen des Körpers gekoppelt sind, beteiligt sich das Gesetz an der Produktion des Zwangs, ein Geschlecht zu sein – eindeutig und dauerhaft. Darüber hinaus erzwingt das Gesetz durch die geforderten ExpertenGutachten eine Wahrheitsproduktion, die innerhalb der psychiatrisch-medizinischen Begutachtungsverfahren erfolgt. Im Übergang vom TSG zu den Standards zur Behandlung und Begutachtung verschiebt sich der »Zwang« zu der Formulierung einer »dauerhafte[n] innere[n] Gewißheit, sich dem anderen Geschlecht zugehörig zu fühlen« (Becker u.a. 1997). Dies impliziert, dass der Nachweis der eigenen Geschlechtsidentität in zentraler Weise über eine Repräsentation des eigenen Selbst zu erfolgen hat, die soziale und kulturelle Faktoren weitgehend ausblendet – gleichwohl diese innerhalb des Begutachtungsverfahrens wirksam werden. Neben den zentralen Kriterien der Ablehnung körperlicher Merkmale und der »mit dem biologischen Geschlecht verbundenen Rollenerwartung« (Becker u.a. 1997) erfordert dies erstens eine überzeugende Performance des angestrebten Geschlechts und zweitens die Narration einer möglichst weit in die eigene Vergangenheit zurückreichenden und dauerhaften Identifizierung mit dem gefühlten Geschlecht, die durch weitgehend starre Narrationsmuster in medizinisch-psychologischen Behandlungen unter Beweis zu stellen ist. Deutlich wird dies insbesondere an jenen Kritiken aus Trans*-Zusammenhängen, die die normativen Narrationsmuster, die innerhalb des Begutachtungsverfahrens gefordert werden, kritisieren. Die eigene Identität in der erlebten Komplexität zu schildern, bedeutet, wie die Schilderung Dean Spades exemplarisch zeigt, das Risiko einzugehen, den Zugang zu gewünschten Maßnahmen zu verspielen:
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»›When did you first know you were different?‹ the counselor at the L.A. Free Clinic asked. ›Well, I said‹, ›I knew I was poor and on welfare, and that was different from lots of kids at school, and I had a single mom, which was really uncommon there, and we weren’t Christian, which is terrible noticeable in the South. Then later I knew I was a foster child, and in high school, I knew I was a feminist and that caused me all kind of trouble, so I guess I always knew I was different.‹ His facial expression tells me this isn’t what he wanted to hear, but why should I engage in this idea that my gender performance has been my most important difference in my life? It hasn’t, and I can’t separate it from the class race, and patronage variables through which it was mediated. Does this mean I’m not real enough for surgery?«(Spade 2006:319).
Die von Spade aufgeworfenen Fragen verweisen auf eine Begutachtungspraxis, innerhalb derer der Nachweis der »Echtheit« eine weitgehend stereotype »Schon-immer«-Erzählung sowie die Erzählung »echter, authentischer« Gefühle erfordert. Dass sich die eigene Männlichkeit bzw. Weiblichkeit immer mit den jeweiligen kulturellen Normen verschränken und nicht von diesen losgelöst betrachtet oder erfahren werden kann, muss dabei weitestgehend ausgeblendet bleiben. Zugespitzt formuliert verlangt der Nachweis der Transsexualität einen Glauben an die eigene essentielle Identität, die sich durch nichts anderes als durch den Bezug auf das eigene Gefühl legitimieren lässt. Denn wie Butler zu Recht feststellt, wird es »[…] nicht ausreichen, in eine Klinik zu gehen und zu erzählen, erst durch die Lektüre eines Buches von Kate Bornstein sei dir klar geworden, was du eigentlich immer tun wolltest, es sei dir bis zu diesem Zeitpunkt nur nicht richtig bewusst gewesen. Es kann eben nicht sein, dass sich das kulturelle Leben geändert hat, dass Worte geschrieben und Worte gewechselt wurden, dass du zu Veranstaltungen und Clubs gegangen bist und gesehen hast, dass bestimmte Lebensweisen möglich und erstrebenswert sind, und dass dir im Hinblick auf deine eigenen Möglichkeiten etwas klargeworden ist, was zuvor nicht erkennbar gewesen war. Du wärst schlecht beraten, ihnen zu sagen, du seiest der Ansicht, dass die Normen, die bestimmen, was ein anerkennungswürdiges und lebenswertes Leben ist, veränderbar sind und dass in deiner Lebenszeit neue kulturelle Anstrengungen unternommen wurden, um diese Normen auszuweiten, so dass Menschen wie du in unterstützenden Gemeinschaften durchaus als Transsexuelle leben könnten, und dass es gerade dieser Wandel der öffentlichen Normen und das Vorhandensein einer Unterstützungsgemeinschaft sei, was dir das Gefühl gebe, dass der Geschlechtswechsel möglich und erstrebenswert sei. In diesem Sinne kannst du dich einer Auffassung, wonach Veränderungen der Erfahrungen mit Gender auf Veränderungen sozialer Normen folgen, ausdrücklich nicht anschließen,
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denn das würde nicht ausreichen, um die von Harry Benjamin formulierten Standardregeln zu Behandlung einer gestörten Geschlechtsidentität zu erfüllen« (Butler 2009: 133).
Eine solche Praxis, die die kulturellen Kontexte und sozialen Normen, innerhalb derer die jeweiligen Personen ihr Leben leben und organisieren, ausblendet, muss als hochgradig problematisch erachtet werden. Sie negiert nicht nur zentrale Aspekte der Existenzweisen transgeschlechtlicher Personen, sondern produziert auch recht zweifelhafte Wahrheiten des Geschlechts. So bilden sich gleichzeitig mit dem Phänomen der Transsexualität Selbsthilfegruppen heraus, in denen sich Transsexuelle über die geforderten Narrationen austauschen, diese einüben und strategisch nutzen (Spade 2006:325ff.). Es wäre jedoch verkürzt, die Verantwortung der disziplinierenden und normalisierenden Regulierungsverfahren allein sexualwissenschaftlichen, juristischen oder gar jenen von Selbsthilfegruppen produzierten Diskursen zuzuschreiben. Denn die Vorstellung einer binären Zweigeschlechtlichkeit durchzieht nahezu alle gesellschaftlichen und kulturellen Bereiche. Der Zwang, ein Geschlecht zu sein, wird durch eine Vielzahl kultureller und sozialer Praktiken in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen produziert. Erst vor dem Hintergrund dieses Zwangs, ein Geschlecht zu sein, sein zu sollen und zu müssen, kann ein Gefühl, dieses Geschlecht nicht zu sein, nicht sein zu können und/oder zu wollen, überhaupt erst entstehen. Insofern gilt es, gerade auch jene kulturellen Regulierungsverfahren, die sich an der Aufrechterhaltung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit beteiligen, einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. An dieser Stelle kommt (sub-)kulturellen und künstlerischen Artikulationen von Geschlecht und Sexualität eine zentrale Bedeutung zu, insofern diese das Potenzial besitzen, kulturelle Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten kritisch zu reflektieren und zu transformieren. Gleichzeitig geraten mit einer solchen Perspektivverschiebung auch transgeschlechtliche – häufig mit dem Begriff »Transgender« bezeichnete – Existenzweisen mit ins Blickfeld, die von der gegenwärtigen Konstruktion der Transsexualität als nicht »echt« ausgeschlossen werden. Da zudem deutlich wird, wie bedeutsam kulturelle Repräsentations- und Bezeichnungsverfahren auch für sogenannte »echte« Transsexuelle sind, impliziert dies ein Fragwürdigwerden der dominanten Differenzierung zwischen Transgender und Transsexualität. Um eine solche Perspektive historisch und theoretisch zu konzipieren, führe ich im Folgenden den Begriff der »Transmännlichkeit« ein.
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2. Genealogien Der Begriff »Transmännlichkeit« ist vom Begriff »Transmann«, der sich innerhalb subkultureller Zusammenhänge seit den 1990er Jahren als Selbstbezeichnung etablierte, abgeleitet. Er wurzelt damit in jenen Trans*-Zusammenhängen, die sich seit Beginn der 1990er Jahre etablieren und eine kritische Haltung gegenüber der hegemonialen Konstruktion der Transsexualität einnehmen. Dies wird bereits in der unterschiedlichen Definition der Begriffe deutlich. Während das TSG für Transsexuelle eine Identifikation mit dem »anderen Geschlecht« voraussetzt, adressiert bspw. Transmann e.V. »alle […], die sich mit ihrem ursprünglichen Geschlechtseintrag ›weiblich‹ nicht oder nicht ausreichend beschrieben fühlen«.28 Mit dieser Formulierung wird eine Gruppe angesprochen, die sich nicht über gemeinsame Identitätsmerkmale auszeichnet und die eine Differenzierung zwischen »Transsexualität« und »Transgender« verweigert. Entgegen essentialistischen oder biologistischen Auffassungen von Geschlecht begreife ich Gegenstände des Wissens und Subjektivitäten mit Foucault als Effekte von spezifischen Problematisierungen und Diskursivierungen, die sich in komplexen Macht-Wissens-Konfigurationen konstituieren. Insofern ist »Transmännlichkeit« keine Entität und nichts, was unabhängig von spezifischen kulturellen und historischen Kontexten existiert oder sich unabhängig von diesen beschreiben ließe. Um den Begriff der »Transmännlichkeit« konzeptionell und inhaltlich zu fassen, gilt es daher, jene Diskursfragmente und Wissensformationen, die die Bildung des Begriffs wie auch das Auftreten des Phänomens der »Transmännlichkeit« überhaupt erst möglich machen, einer genealogischen Betrachtung zu unterziehen. Mit Foucault kann Genealogie als eine Form der Geschichtsschreibung begriffen werden, die nicht darauf abzielt, eine »Wahrheit« dessen, was gewesen ist, zu behaupten oder zu rekonstruieren. Statt dessen zeichnet sie, ausgehend von der Verschränkung von Wissen und Macht, eben jene Problematisierungen und Diskursivierungen nach, die bestimmte Gegenstände und Erfahrungen überhaupt erst ermöglichen und konstituieren. Ausgehend von der jeweils gegenwärtigen Situation dessen, »was wir sind«, sucht die Genealogie die Geschichte als kontingente und nicht vorhersehbare Ereignisse zu beschreiben, innerhalb derer spezifische Formierungen von Diskursen und Technologien der Macht spezifische Subjekte ermöglichen, konstituieren und zugleich unterwerfen: »Statt die Einheit eines Gegenstandes mit seinem Ursprung zu unterstellen, [beschreibt die Genealogie, jh] die heterogenen Anfänge und Abbrüche, die Metamorphosen, Kontinuitäten und Wendepunkte, die einen Gegenstand konstituiert haben« (Foucault zit. nach Hirschauer 1999: 67). Inso28 http://www.transmann.de/verein/index.php [7.05.2011].
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fern der Begriff Transmännlichkeit in gegenwärtigen politischen, (sub-)kulturellen und wissenschaftlichen Diskursen um Transgender und Transsexualität wurzelt, wird im Folgenden eine knappe Genealogie dieser beiden Begriffe entwickelt, die einen Möglichkeitsraum zu eröffnen sucht, in dem transgeschlechtliche Existenzweisen auf andere Weise denkbar werden, als sie dies in den pathologisierenden Begriffen der Medizin und des Rechts sind. Konzept und Begriff der Transsexualität Der Begriff der »Transsexualität« tritt zum ersten Mal in Form des »seelischen Transsexualismus« bei Magnus Hirschfeld in den 1920er Jahren auf. Hier wird er synonym mit dem Begriff des Transvestismus verwendet. Mit der Kategorie des Transvestismus schafft Hirschfeld zum ersten Mal eine medizinische Diagnose, die sich nicht nur auf das Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts, sondern zumeist auf die soziale Identität und den Lebensentwurf der Transvestiten bezieht.29 Wenn Hirschfeld Transvestiten den Drang bescheinigt, »in der Kleidung desjenigen Geschlechts zu leben, dem die Betreffenden ihrem Körperbau nach nicht angehören«, und diesen weiter als »Ausdrucksform der inneren Persönlichkeit, als Zeichen ihrer Sinnesart« (Hirschfeld zit. nach Herrn 2005:54, H.i.O.) interpretiert, formuliert er nicht nur ein Krankheitsbild, das heutigen Definitionen der Transsexualität ähnelt, sondern arbeitet zudem an einer Differenzierung der Codierung gegengeschlechtlichen Verhaltens, das sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts dominant als Zeichen für Homosexualität etabliert. Die Verknüpfung von gegengeschlechtlichem Verhalten mit Homosexualität basiert wesentlich auf den Schriften des Juristen Karl Heinrich Ulrichs. Dieser entwirft die Figur des Urnings als »weibliche[r] Seele im männlichen Körper« erstmals in seiner unter dem Pseudonym Numa Numantius publizierten Schrift Vindex: Sozial-juristische Studien über mannmännliche Geschlechtsliebe (1869), mit der er für eine Entkriminalisierung »mann-männlicher Liebe« plädiert. Den Hintergrund von Ulrichs Schriften bildet das preußische StGB von 1851, das die bis dahin allgemeine und für beide Geschlechter gültige Verfolgung von »unkeuschem Treiben wider die Natur« konkretisiert und nun die »widernatürliche Unzucht« zwischen Männern und Mensch und Tier unter Strafe stellt, eine Regelung, die 1871 fast unverändert als § 175 StGB in das deutsche Reichsgesetzbuch übernommen wird.30 Da die gesetzliche Regelung nur »widernatürliche« Handlungen unter Strafe stellt, argumentiert Ulrichs, dass Fälle mann-männli-
29 Für eine ausführliche Analyse der Arbeiten Magnus Hirschfelds siehe Herrn (2005). 30 Die ersatzlose Streichung des § 175 erfolgt in der DDR 1988, in der BRD erst 1994 im Zuge der Rechtsangleichung an die ehemalige DDR (vgl. Schulz 1994).
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cher Liebe existieren, die nicht widernatürlich sind und folglich auch nicht strafrechtlich zu verfolgen seien: »Die Natur der Dioninge kann nicht für Urninge gelten, weder aufgrund der Mehrzahl noch aufgrund dessen, dass ›der Weg der Befriedigung des geschlechtlichen Naturbedürfnisses‹ nicht der Fortpflanzung dient: … Dass unsere Liebesacte zur Fortpflanzung nicht tauglich sind, sowie dass eine innere unsichtbare Naturgewalt gerade zu solchen unfruchtbaren Liebesacten uns antreibt und nicht zu fruchtbaren: für beides sind nicht wir verantwortlich, sondern die Natur. Der uns obliegenden Verantwortlichkeit genügen wir vollkommen, wenn wir dem Zuge, den eine höhere Hand – Gott oder die Natur – in unsere Brust gepflanzt hat, nicht widerstreben, sondern folgen. … Geschlechtliche Berührungen des Körpers blühender junger Männer sind einmal das, was der innere Naturtrieb uns lehrt. Darum sind diese unsere Liebesacte, trotz ihrer absoluten Unfruchtbarkeit, uns naturge31
mäß« (Ulrichs 1898: 8).
Ulrichs Bezug auf eine »innere unsichtbare Naturgewalt« dient vor dem Hintergrund der juristischen Verfolgung homosexueller Handlungen deren Legitimation und Entkriminalisierung. Diese Argumentation erfordert notwendig, die »Natur« des Menschen, der eine Handlung begeht, zu bestimmen, um darüber urteilen zu können, ob diese widernatürlich ist oder nicht. In diesem Zusammenhang entwickelt Ulrichs einen Kriterienkatalog, der es Richtern ermöglicht, den Urning zu erkennen. Neben der Richtung der geschlechtlichen Liebe seit der Pubertät – und infolge ihrer Naturhaftigkeit gilt Ulrichs diese als unveränderbar – ist der Urning »an dem weiblichen Habitus, der erkennbaren äußeren Erscheinung des in uns wohnenden weiblichen Elements« (Ulrichs 1898: 21) zu erkennen. Damit kann Ulrichs Schrift, wie auch die späteren Arbeiten Magnus Hirschfelds, als Teil eines Gegendiskurses begriffen werden, innerhalb dessen sich männerbündische Kollektive etablieren und gegen die juristische und zunehmend sexualwissenschaftliche Kriminalisierung und Pathologisierung Homosexueller Einspruch erheben. Diese Einsprüche sind von einem emanzipatorischen Ideal getragen. Gleichzeitig beteiligen sie sich jedoch an jenem Macht/WissenNexus, der eine spezifische Verknüpfung zwischen Sex, Wissen und Macht etabliert und den Homosexuellen als eine spezifische Spezies konstituiert. Foucault beschreibt diese Biopolitiken als Formen der Macht, die den Körper zu ihrer Zielscheibe machen, und die in einer Verdoppelung nicht nur die politisierten Körper, sondern zugleich die Seele des modernen Menschen produzieren:
31 Mit dem Begriff des Doinings bezeichnet Ulrichs Männer, die sich zu Frauen hingezogen fühlen.
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»Die ›Mikrophysik‹ der Strafgewalt wäre also eine Genealogie […] der modernen ›Seele‹. In dieser Seele wäre also nicht ein wiederbelebtes Relikt der Ideologie zu erblicken, sondern der aktuelle Bezugspunkt einer bestimmten Technologie der Macht über den Körper. Man sage nicht, die Seele sei eine Illusion oder ein ideologischer Begriff. Sie existiert, sie hat Wirklichkeit, sie wird ständig produziert – um den Körper, am Körper, im Körper – durch Machtausübung an jenen, die man bestraft, und in einem allgemeineren Sinne an jenen, die man überwacht, dressiert und korrigiert, […], an denen, die man an einen Produktionsapparat bindet und ein Leben lang kontrolliert« (Foucault 1994:41).
Diese Technologien der Macht, die auf die Körper zugreifen und die Seelen produzieren, sind jedoch geschlechtsspezifisch differenziert. So wie das Gesetz kein »unkeusches Treiben wider die Natur« von Frauen kennt, scheint es eine »männliche Seele im weiblichen Körper« kaum gegeben zu haben (vgl. Runte 1996) und die wenigen Beschreibungen von Sexualitäten zwischen Frauen verwenden bezeichnenderweise nicht den Begriff der »Homosexualität«.32 Zu den wenigen, die sich mit der Behandlung und Diagnose devianter Formen von Geschlecht und Sexualität bei Frauen beschäftigten, gehört Carl Westphal, der diese mit dem Begriff der »conträren Sexualempfindung« beschreibt. Westphal orientiert sich in seiner Kasuistik an sexualwissenschaftlichen Beschreibungen männlicher Homosexualität, insbesondere der damit verknüpften Figur der »weiblichen Seele im männlichen Körper«. So beinhaltet seine Beschreibung der Patientin Fräulein N., einer der wenigen Fälle, der Eingang in die sexualwissenschaftliche Literatur findet, Ausführungen über deren sexuelle Aktivität und ihr sexuelles Begehren nach Frauen, die in späteren Forschungen zentraler Bestandteil von Genealogien lesbischer Sexualität werden (Hacker 1987, Hark 1996), wie auch Schilderungen ihrer geschlechtlichen Identifizierung. Laut Westphal sagt Fräulein N. von sich selbst: »[…] ich fühle mich überhaupt als Mann und möchte gern ein Mann sein; weibliche Beschäftigungen waren mir eigentlich stets zuwider, ich möchte gern eine männliche Beschäftigung haben, so habe ich mich z.B. immer für Maschinenbau interessiert« (Fräulein N. zit. nach Westphal 1892: 80). 32 Zu einer Genealogie lesbischer Sexualität vgl. Hanna Hacker (1987), Sabine Hark (1996). Beide zeigen, wie sich die Homosexualität gleichzeitig mit der Geschlechterdifferenz, die Heterosexualität privilegiert, herausbildet, und betonen die zwar analog gebildeten, aber geschlechtsspezifisch differenzierten Konstruktionen männlicher und weiblicher Homosexualität: Denn erstens wurde weibliche Homosexualität nicht in gleicher Weise strafrechtlich verfolgt wie männliche und zweitens war der sexualwissenschaftliche Diskurs, der sich u.a. für die Emanzipation Homosexueller engagiert, ein mann-männlicher Diskurs, an dem Lesben nicht beteiligt waren (Hark 1996:68ff., Hacker 1987).
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Entsprechend betont Westphal, dass sich der Begriff der »conträren Sexualempfindung« nicht allein auf die Sexualität bezieht: »Die Bezeichnung ›conträre Sexualempfindung‹ habe ich von dem Vorschlage eines verehrten, auf dem Gebiete der Philologie und Alterthumswissenschaften ausgezeichneten Collegen gewählt, als uns die Bildung kürzerer und zutreffender Beziehungen nicht gelingen wollte. Es soll darin ausgedrückt sein, dass es sich nicht immer gleichzeitig um den Geschlechtstrieb als solchen handle, sondern auch bloss um die Empfindung, dem ganz inneren Wesen nach dem eigenen Geschlecht entfremdet zu sein, gleichsam eine unentwickelte Stufe des pathologischen Phänomens« (Westphal 1892:107).
Westphals Begriffsbildung der »conträren Sexualempfindung« kann als eine Relativierung, wenn nicht gar Dethematisierung weiblicher Sexualität gelesen werden, die sich mit der zeitgenössischen Diskursivierung der Geschlechtscharaktere deckt, innerhalb derer die Frau nicht als sexuelles Wesen gedacht wird bzw. ihr keine eigenständige Sexualität zugesprochen wird.33 Die hier sichtbar werdende enge Verschränkung der Konstruktionen von moderner Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität macht es nicht nur notwendig, wie die lesbische und feministische Forschung zu Recht betont hat, die geschlechtsspezifisch differenten Konstruktionen und Funktionsweisen der Sexualität zu untersuchen, sondern darüber hinaus auch die Differenzen zwischen lesbischen und heterosexuellen Weiblichkeiten in den Blick zu nehmen. Denn, wie preciado feststellt: »Foucault hat niemals eine vollständige Genealogie der auf die Frauenkörper wirkenden Sexualitäts-Dispositive entwickelt, und offenkundig hat er sich nicht die Zeit genommen, Hypothesen aufzustellen, die die divergenten Entwicklungen der Dispositive aufzeigen könnten, wie sie an den Körpern heterosexueller und lesbischer Frauen wirken« (preciado 2003:70).
So haben z.B. erste Genealogien lesbischer Identitäten die Verschränkungen von Geschlechts- und Sexualitätsdiskursen insbesondere in Bezug auf die Diskursivierung männlich codierter Merkmale und Verhaltensweisen als Zeichen lesbischer Identität, die im homophoben Stereotyp des Mannweibes kulminieren, untersucht. Inwiefern sich solche Codierungen jedoch mit spezifischen Formationen von Sexualität und Begehren verknüpfen, bleibt hierin marginal. Ebenso wenig thematisiert wurden Fragen danach, wie durch Entnennung oder Patholo33 Zur Undenkbarkeit sexueller Beziehungen zwischen Frauen aufgrund der diesen unterstellten Leidenschaftslosigkeit vgl. bspw. Dekker/v. de Pol (1990).
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gisierung weiblicher Sexualität lesbische und heterosexuelle Identitäten und Körper produziert wurden.34 Für die vorliegende Studie ist dies insofern bedeutsam, als die geschlechtsspezifisch differenten Konstruktionen von Sexualität und die politischen Stoßrichtungen der Gegendiskurse »Transsexualität« zunächst dominant in Form der »Mann-zu-Frau-Transsexualität« konstituieren. Hirschauer vermutet, dass hier nicht zuletzt die feministische Bewegung einen starken Einfluss hatte, insofern Frauen im Kampf um Gleichberechtigung eine Vielzahl von männlich codierten Verhaltensweisen – wie bspw. das Tragen von Hosen – politisieren und im Laufe der Zeit normalisieren (1999:111). Liefert er damit einen wichtigen Hinweis auf Verschränkungen des Phänomens der Transsexualität mit gesellschaftlichen und politischen Ordnungsverhältnissen, blendet er gleichzeitig die Existenz männlich codierter Verhaltensweisen im Rahmen lesbischer Subkulturen aus. Diese Ausblendung lässt sich, wie Rainer Herrn zeigt, bereits in den um männliche (Homo-)Sexualität fokussierten sexualwissenschaftlichen Diskursen feststellen, innerhalb derer Frauen, die Männerkleidung tragen, zunächst nur marginal vorkommen. So beschränkt Magnus Hirschfeld seine Kategorie der »Transvestiten« auf männliche heterosexuelle Transvestiten. Die Gründe hierfür liegen zum einen in der geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Verfolgung, zum anderen in Hirschfelds Interesse an der Untermauerung seiner Theorie sexueller Zwischenstufen: Nicht zuletzt auf Wunsch vieler Transvestiten konstruiert Hirschfeld den Transvestismus als heterosexuell. Vor allem männliche Transvestiten wandten sich an Hirschfeld, da sie – auch wenn das Tragen gegengeschlechtlicher Kleidung nicht verboten war – häufig mit Anklagen aufgrund »groben Unfugs« und »Erregung öffentlichen Ärgernisses« konfrontiert waren. Mit dem ärztlichen Gutachten, das ihre Neigung bescheinigte, konnten sie bei der Polizei ein Schreiben erhalten, dass ihre Neigung bestätigte und sie somit vor der Anklage, »groben Unfug« zu treiben, schützte (Herrn 2005: 65ff.). Frauen wandten sich weit seltener mit der Bitte um Hilfe an die Sexualwissenschaft. Dass Hirschfeld aber auch die wenigen Fälle von Transvestitinnen – die alle auch als homosexuell bezeichnet werden – wie auch diejenigen Fälle homosexueller Transvestiten nicht in seine Beschreibung des Phänomens des Transvestismus inkludiert – sie werden erst in seine späteren Schriften zur Sexualpathologie aufgenommen – begründet sich in seinem Interesse, den Transvestismus als heterosexuell zu konstruieren. Dies, so konstatiert Rainer Herrn, war wichtig, weil ihm damit »[…] der so dringend benötigte Nachweis [gelang], dass die sexuellen Zwischenstufen mehr Gruppen umfassen als Hermaphroditen und Ho34 Erste Ansatzpunkte für mögliche Analysen bietet preciado (2003:78ff.), die der historischen Verschränkung von Konstruktionen und Behandlungsweisen der Hysterie mit Technologien des Sex nachgeht.
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mosexuelle, also auch Formen der Heterosexualität. Das hatte er bis dahin theoretisch zwar behauptet, aber nicht hinreichend empirisch belegen können« (Herrn 2005:60). Diese Positionen verdeutlichen, dass sich die Konstruktion einer dominant als heterosexuell konstruierten Kategorie des »Transvestismus« im Kontext sozialer und politischer Diskurse und Interessen vollzieht, innerhalb derer es Ende der 1940er Jahre zu einer klaren Differenzierung (männlicher) Transvestiten und Transsexueller kommt. Zunächst verwendet Cauldwell, Angehöriger der transvestitischen Subkultur, den Begriff der »psychopathia transsexualis«, um sich von Operationswünschen einiger Transvestiten abzugrenzen. In den 1950er Jahren entwickelt dann der Sexualwissenschaftler Harry Benjamin, dessen Forschungen zu Transsexualität insbesondere in den Anfangsjahren zu den wichtigsten gehören, erste Modelle der deskriptiven Unterscheidung zwischen »Transsexuellen« und »Transvestiten«. Beide Kategorien werden zunächst als Pole eines Kontinuums gedacht, in dem Transsexualität als extreme Form des Transvestismus oder umgekehrt »[…] Transvestismus als die mildeste Form der Transsexualität« (Hirschauer 1999: 97) aufgefasst wird. Eine kategoriale Differenzierung zwischen Transsexualität und Transvestismus vollzieht sich Mitte der 1960er Jahre: Die Entwicklung chirurgischer und endokrinologischer Technologien – insbesondere der Genitaloperationen – sowie vor allem auch die erste öffentlichkeitswirksame Publikation der Geschlechtsumwandlung von Christine Jorgensen 1953 sind für die Ausarbeitung des Konzepts der Transsexualität bedeutsam. Denn durch sie werden MedizinerInnen zu einer Stellungnahme aufgefordert und mit vermehrten Anfragen von Personen, die eine Geschlechtsumwandlung wünschen, konfrontiert (vgl. Hirschauer 1999: 94ff.). »Transsexualität« etabliert sich in der Folge als Begriff für ein subjektives Geschlechtsempfinden, während »Transvestismus« stärker als fetischistisches Sexualverhalten begriffen wird. Die in dieser Differenzierung implizierte Vorstellung, Transsexualität habe mit Geschlecht, Transvestismus mit Sexualität zu tun, ruft in der US-amerikanischen Transvestiten-Subkultur Widerstand hervor. Virginia Prince, eine der prominenten Vertreterinnen dieser Bewegung, prägt den Begriff des »transgenderism«, um sich vom pathologisierenden und diskriminierenden Begriff des Transvestismus abzugrenzen (Hirschauer 1999:97). Mit der Gründung des Stanford Gender Dysphoria Programs in den USA 1968 beginnt die sexualwissenschaftliche Ausarbeitung und zunehmende Definition des Phänomens des »Transsexualismus«. Durch die Aufnahme in das American Psychiatric Association Diagnostic and Statistical Manual (DSM) 1980 bekommt der »Transsexualismus« den Status einer offiziellen Krankheit (vgl. Stone 2006: 222), für die ein Kriterienkatalog sowie Standardisierung von Diagnose- und Behandlungsverfahren entwickelt werden. In diesem Zuge verfestigt sich eine
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Vorstellung des Transsexualismus als ein Problem, das sich als Spannungsverhältnis von Identität und anatomischem Geschlecht formuliert. Diese Vorstellung impliziert nicht nur eine Pathologisierung der Transsexualität, sondern letztlich auch eine Naturalisierung der als angeboren und nicht veränderbar gedachten Geschlechtsidentität. Eine solche Naturalisierung der Geschlechtsidentität kann als erfolgreiche politische Strategie betrachtet werden, wie sie auch von Magnus Hirschfeld betrieben wurde, insofern sie den Wunsch nach geschlechtsangleichenden Operationen legitimiert und Transsexuellen ein Recht auf ihre Existenzweise einräumt. Als medizinisch-diagnostische Kategorie entwickelt sich Transsexualität jedoch gleichzeitig zu einer Institution der Normalisierung, in der Transsexuelle sich bemühen, den für die Gutachten verlangten Geschlechtsrollenklischees zu entsprechen. Mitgetragen wird diese Normalisierung nicht zuletzt auch durch die Ausgrenzung von Transsexuellen aus schwul-lesbischen und feministischen politischen Bewegungen, die Transsexuelle zunächst von den politischen Diskussionen um Geschlechterrollen abschneiden.35 So wird Transsexualität, die zunächst dominant ein Phänomen der Mann-zu-Frau-Transsexualität ist, zur Zielscheibe feministischer Kritik. Weibliche Geschlechtsrollenklischees, wie sie von Transsexuellen zuweilen befördert werden, und die Vorstellung einer angeborenen Geschlechtsidentität stehen im Widerspruch zur feministischen Theorienbildung der 1970er Jahre, die gerade naturalisierende Vorstellungen von Geschlecht, den hegemonialen medizinischen Blick auf Frauenkörper und dessen Instrumentalisierung kritisiert. Dieser Widerspruch von transsexuellen und feministischen Politiken wird in Teilen des Feminismus radikalisiert. Die wohl einflussreichste Position, die sich Ende der 1970er Jahre dem Thema Transsexualität zuwendet, ist Janice Raymonds Buch The Transsexual Empire (1994[1979]). Raymond kritisiert Transsexualität als eine Erfindung des Patriachats, die Frauen auf ein Kunstwerk reduziert, ihre Körper aneignet, vergewaltigt und letztlich darauf ziele, Frauen mittels medizinischer Technologien ganz überflüssig zu machen und abzuschaffen (vgl. Whittle 2006: 195ff.).36 Die Etablierung der Transsexualität als Institution der Normalisierung ruft aber vor allem auch unter Transsexuellen selbst relativ schnell Widerspruch hervor. Mit der Gründung von Selbsthilfe-Gruppen und einer zunehmenden Diskursivierung werden die Abgrenzungen zu schwul-lesbischen Subkulturen zunehmend aufgeweicht und seit 35 Zu einer persönlichen Reflexion dieser Ausgrenzung aus lesbisch-feministischen Kontexten, die sich v.a. auch infolge der Publikation von Raymonds The Transsexual Empire vollzog, vgl. Whittle (2006). Zu einer Schilderung der Politik und Arbeit von Selbsthilfegruppen von Transsexuellen in Deutschland und deren Auseinandersetzungen um Geschlechterrollen vgl. Regh (2002). 36 Für eine ausführliche Kritik vgl. Prosser (1998).
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Ende der 1980er Jahre werden auch Frau-zu-Mann-Transsexuelle zunehmend sichtbar.37 Mit dieser Veränderung des Phänomens der Transsexualität gewinnt die Differenzierung zwischen »Transgender« und »Transsexualität« erneut Bedeutung und wird zugleich zunehmend fragwürdig. Transgender und Transgeschlechtlichkeit Zu Beginn der 1990er Jahre erfährt die pathologisierende und entpolitisierende Konzeption der Transsexualität zunächst in den USA, später auch in Europa und Deutschland eine entscheidende Verschiebung. Erste Publikationen von Kate Bornstein, Susan Stryker und Sandy Stone kritisieren die Vorstellung natürlicher Zweigeschlechtlichkeit und einheitlicher Identität. Sie fordern und formulieren komplexere Verständnisse von gender, sex und Sexualität und arbeiten an einer Entpathologisierung der Transsexualität.38 Gleichzeitig entstehen Trans*-Zusammenhänge, die transphobe Diskriminierungen und Gewalt bekämpfen. Mit der Artikulation einer Vielzahl transgeschlechtlicher Existenzweisen, die sich nicht unbedingt oder nur teilweise dem normativen Rahmen transsexueller Diagnoseund Behandlungsverfahren unterwerfen, wird auch der dominante Begriff der Transsexualität und die mit ihm verbundenen Ausgrenzungsmechanismen kritisiert. So besteht Jacob Hale (1998) auf der Notwendigkeit, die Randbereiche und Grenzgebiete in den Blick zu nehmen, in denen sich transgeschlechtliche Existenzweisen situieren, die normative Vorstellungen von »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« infrage stellen und die hormonelle und chirurgische Maßnahmen nicht oder nur teilweise in Anspruch nehmen.39 Zugleich weist er auf die differenten Logiken und Mechanismen des Geschlechtswechsels bei Mann-zu-Frauund Frau-zu-Mann-Transsexuellen hin, die der dominant in Bezug auf Mann-zuFrau-Transsexuelle entwickelte Begriff der »Transsexualität« nicht zu fassen vermag. Neben den von Hale (1998) vorgeschlagenen Strategien, den Begriff der »Transsexualität« umzuarbeiten und mit neuen Bedeutungen aufzuladen, erfährt in diesem Zusammenhang vor allem der Begriff »Transgender« eine neue Konjunktur. Diente dieser Virginia Prince als ein Begriff zur Abgrenzung von »Transsexuellen«, tragen insbesondere Leslie Feinbergs Schriften zu einer Poli37 So gründete sich erst 1987 die erste weltweite Organisation von Transmännern in San Francisco (vgl. Green 2005), in Deutschland gründeten sich erste Transmann-Stammtische und Vereine zu Beginn der 1990er Jahre (vgl. Regh 2002). 38 Für eine Sammlung grundlegender Texte siehe insbesondere Stryker/Whittle (Hg.) (2006). 39 Zu den Auseinandersetzungen um verschiedene Begriffsdefinitionen, Strategien der Umarbeitung und der damit verbundenen Grenzkämpfe v.a. zwischen Butches und Transmännern vgl. Hale (1998), Halberstam (1998), Franzen (2002).
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tisierung des Begriffs bei. Feinberg dient »Transgender« in erster Linie als ein Begriff, der Bündnisse von verschiedenen innerhalb eines Systems heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit minorisierten Gruppen ermöglicht. Eine Bündnispolitik, wie Feinberg sie skizziert und praktiziert, richtet sich gegen die Gewalt heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit, die er explizit in ihrer Verknüpfung mit der Geschichte des westlichen Kapitalismus und Sexismus kritisiert (vgl. Feinberg 1996, 1998). Im Kontext queerer und poststrukturalistischer Theoriebildung findet der Begriff schnell auch innerhalb eines akademischen Sprachgebrauchs weite Verbreitung – wobei seine kapitalismuskritischen Implikationen weitestgehend ausgeblendet bleiben. »Transgender« vermeidet nicht nur die pathologisierenden Konnotationen des Begriffs der »Transsexualität«, sondern sucht auch der Überbewertung des sex als nach wie vor stark naturalisierte Kategorie für die Geschlechtszuschreibung in medizinischen Diskursen durch eine stärkere Betonung von gender entgegenzutreten. In jüngster Zeit lassen sich solche Verschiebungen der Perspektive zum Teil auch innerhalb der therapeutischen und medizinischen Diskurse feststellen.40 So situiert Udo Rauchfleisch in seinem Resümee die Gründe für körperliche Veränderungen von transidenten Menschen stärker in gesellschaftlichen Normen und Zwängen als in deren Psyche oder Persönlichkeit: »Ich bin während der Jahre meiner Beschäftigung mit dem Phänomen Transsexualität und Transidentität mehr und mehr zu der Ansicht gelangt, dass in einer […] nicht unbedingt auf der Geschlechterdichotomie beharrenden Gesellschaft vermutlich die Wünsche Transidenter nach Ausmerzung aller Merkmale des biologischen Geschlechts längst nicht so ausgeprägt wären, wie sie heute zum Teil geäußert werden. In letzter Konsequenz weiter-
40 Eine ähnliche Abgrenzungsbewegung intendiert der im Deutschsprachigen verwendete Begriff der Transidentität. So verwendet bspw. Rauchfleisch diesen Begriff in einer expliziten Abgrenzung von pathologisierenden Konzepten des Transsexualismus: »Da mir beim Abrücken vom Pathologiekonzept der Begriff der Transidentität zutreffender zu sein scheint (obwohl ich auch hier Probleme mit der Vorsilbe ›trans‹ = ›jenseits‹ habe), werde ich ihn im Verlauf meiner Darstellung verwenden. […] Während das Postulat einer Pathologie vor allem zur Frage nach der Ätiologie des Transsexualismus geführt hat – mit der mehr oder weniger explizit genannten Hoffnung auf seine Veränderung oder ›Beseitigung‹ – und damit eine Barriere zwischen dem transidenten und dem »normalen« Menschen aufgerichtet hat, erlaubt die Annahme, es handele sich um eine Normvariante, die in keinem ursächlichen Zusammenhang mit Gesundheit oder Krankheit steht, einen wesentlich direkteren, unverstellten Zugang zu transidenten Frauen und Männern« (Rauchfleisch 2006: 23).
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gedacht, müßte man sich sogar fragen, ob es im Fall einer die Androgynie akzeptierenden Gesellschaft überhaupt ›Transsexuelle‹ in unserem heutigen Sinn gäbe […]« (2006:45).
Während Rauchfleisch mit dem Begriff der »Transidentität« jedoch nach wie vor – und aus seiner Perspektive als Begleiter, Berater und Gutachter von Transpersonen zwangsläufig – seinen Blick auf die jeweiligen Identitäten richtet, dient der Begriff »Transgender« v.a. politischen Aktivist_innen und kulturwissenschaftlichen Autor_innen als Oberbegriff für Personen mit nicht-heteronormativer Geschlechtsidentität. Mit diesem Begriff soll die Festschreibung von fixen Identitäten und Kategorien vermieden und stattdessen eine kritische Haltung gegenüber heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit als vergemeinschaftendes Kriterium etabliert werden. Die Kritik an Vorstellungen von fixen Identitäten und die Artikulation flexiblerer und komplexerer Verständnisse von Geschlecht impliziert auch die Suche nach Formen der Politisierung, die nicht identitätslogisch operieren: »I think that if we’re going to put some kind of community together (one that I’d like to be a member of anyway) it’s going to have to be based less on some notions of identity, and more on the idea of transgender value. What that agreed-upon ›transgender value‹ might be is a matter to be hashed out by all of us. Who’s ›all of us‹? The community that I’d like to belong to would include anyone who wants to overcome gender oppression in any shape or form. […] Membership in this community would be dependent not only on the common struggle to dismantle the oppressive system, but also every member’s willingness to acknowledge each other’s unique gender oppression« (Bornstein 1998: 257f.).
In ähnlicher Weise greift Transmann e.V. das politische Potenzial des Begriffs »Transgender« auf, wenn dieser nicht länger als Identität, sondern als Bewusstsein, nicht über eine Identifizierung als Mann, sondern über die Nicht-Zugehörigkeit zum zugewiesenen Geschlecht definiert wird: »Transgender ist das Bewußtsein, in einer anderen Geschlechtsrolle als der zugewiesenen oder momentan gelebten besser leben zu können – oder überhaupt überleben zu können. Medizinische und juristische Maßnahmen können dies zwar ermöglichen oder erleichtern, sind aber nicht der Kern der Sache. Kern der Sache ist für jeden Transgender, eine Geschlechtsrolle zu finden, in der er leben will und kann« (Transmann e.V.).41
Solche und ähnliche Definitionen finden sich bei vielen Transgender-Aktivist_innen. Trotz dieser Umarbeitungen wird der Begriff »Transgender« jedoch 41 Vgl. http://www.transmann.de/verein/index.php [21.06.2010].
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häufig noch immer in Abgrenzung zu dem der »Transsexualität« verwendet. Dabei basiert das Verständnis von »Transgender« letztlich auf einer kategorialen Unterscheidung zwischen Transsexuellen, die als Personen definiert werden, die die Angleichung an das andere Geschlecht durch hormonelle und operative Eingriffe und/oder juristische Verfahren anstreben und Transgender-Personen, die darüber definiert werden, dass sie nicht in der ihnen zugewiesenen Geschlechtsrolle leben, aber medizinische Behandlungen und juristische Verfahren ablehnen, nicht in Anspruch nehmen (können) und/oder wollen. Eine solche kategoriale Trennung zwischen »Transsexualität« und »Transgender« ist erstens insofern problematisch, als sie eine Hierarchie aufbaut, die auf medizinischen Behandlungsmethoden beruht. Zweitens reproduziert sie tendenziell die sex/genderTrennung, indem sie suggeriert, operative Eingriffe in den Körper seien von einer grundsätzlich anderen Qualität und Bedeutung als andere Körpermodifikationen bspw. mittels Kleidungspraktiken. Transgender gelten dabei häufig als die politisch bewussteren, denen es um eine Auflösung von Geschlechterkategorien ginge, während Transsexuelle »nur« das Geschlecht wechseln und somit doch wieder Zweigeschlechtlichkeit re-produzieren. Diese häufige Verwendungsweise der Begriffe »Transgender« und »Transsexualität« problematisiert Corinna Genschel, wenn sie schreibt: »Transgender steht ganz häufig für die Transgression an sich, für das Nicht-Identische, Bewegliche – schon fast für den Beweis der Nicht-Natürlichkeit von Geschlecht, die die Theoriebildung herausgearbeitet hat. Manchmal bekommt man den Eindruck, dass Transgender fast schon in einigen Theorieansätzen funktionalisiert wird. Darin findet sich leider oft unausgesprochen (aber häufig auch sehr ausgesprochen) eine Abgrenzungsbewegung; eben nicht primär zu Transsexualität als Regime, das Unterschiede einebnet, unsichtbar macht, und Menschen identitätslogisch reguliert, sondern eben zu Transsexuellen als Individuen, die bestimmte Entscheidungen treffen und treffen müssen. Theoriepolitisch bedeutet dies oft eine gewisse Personalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse […]: Transsexuelle stehen auf einmal qua bestimmter Entscheidungen für ›Vereindeutigung‹ und bedingungslose Unterwerfung unter geschlechtliche Normalisierungsanforderungen« (Beger/Franzen/Genschel 2002:210f.).
Genschels Problematisierung der kategorialen Differenzierung zwischen »Transsexualität« und »Transgender« verdeutlicht die Notwendigkeit, genau zu analysieren, mittels welcher Praktiken Körper modifiziert und Geschlechter verkörpert werden, innerhalb welcher Geschlechterregime und gesellschaftlichen Kontexte sich diese Praktiken situieren und wie deren politischen Effekte zu bewerten sind. Eine einfache Verurteilung der Transsexualität als Institution der Normali-
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sierung greift hier sicherlich zu kurz und schreibt Transsexuelle als Opfer eines medizinischen Systems fest. Eine ähnliche Argumentation unter verkehrten Vorzeichen findet sich innerhalb der Trans*-Bewegung. Hier wird zuweilen affirmativ auf die hegemoniale Vorstellung »echter« Transsexualität Bezug genommen, wobei transgeschlechtliche Praktiken als bloßes »Spiel« abgewertet werden. Auf die politisch problematischen Effekte, die eine solche Argumentation produziert, weist Jannik Franzen hin: »Die Polarisierung Spaß – Ernst bedeutet Individualisierung und Entpolitisierung von Drag-King-Inszenierungen und -Erscheinungen: Was nur zum Spaß geschieht ist ist als Gesellschaftskritik harmlos und als Lebensweise nicht vorstellbar. Und diejenigen, die es ›ernst‹ meinen und ihr Geschlecht wechseln, gelten als Einzelfälle; soziale und politische Dimensionen von Geschlecht bleiben außen vor. Das ›Spaß-Ernst‹-Modell reproduziert medizinisch-psychologische Kategorien der gestörten Geschlechtsidentität. […] Dabei gilt nur solche Transgeschlechtlichkeit, die den möglichst weitreichenden Wechsel in das ›andere‹ Geschlecht anstrebt, als echte Transsexualität und berechtigt zur Änderung des Vornamens, des Körpers und des Personenstands […]. Transgeschlechtlichkeit wird aus medizinisch-psychologischer Sicht mit Leiden verknüpft und damit pathologisiert, und zwar mit dem Leiden an sich selbst, nicht etwa an gesellschaftlichen bzw. sozialen Geschlechternormen, Diskriminierungen geschlechtlicher Uneindeutigkeit oder mangelnder Sichtund Lebbarkeit alternativer Geschlechtlichkeiten« (Franzen 2007:145).
Beide Kommentare weisen auf die Notwendigkeit hin, Phänomene der Transgeschlechtlichkeit in ihren gesellschaftlich-kulturellen Kontexten zu betrachten, und problematisieren vorschnelle Gleichsetzungen von Transgender = subversiv und Transsexualiät = affirmativ in Bezug auf heteronormative Zweigeschlechtlichkeit. Dabei verliert der Begriff »Transgender« gerade im deutschen Kontext zuweilen seine politische Stoßkraft, insofern der Begriff hier übernommen wurde, ohne auf eine ähnliche Geschichte der Politisierung zurückgreifen zu können wie im US-Amerikanischen.42 Folglich gilt es zum einen, die jeweils konkreten 42 So haben viele Organisationen und Vereine zwar ihre Bezeichnung LGBT um das T erweitert, häufig jedoch ohne eine genauere Reflexion, welche inhaltlichen Verschiebungen ein Mitdenken von Transgender bedeuten würde. Gleichwohl gibt es selbstverständlich Gruppen und Kontexte, wie bspw. das Wigstöckl-Festival oder Transmann e.V., die die politischen Anstöße und Konzepte, die sich im US-Amerikanischen mit dem Begriff Transgender verbinden, übernehmen. Eine Analyse und Begriffsgeschichte von Transgender in Bezug auf seine Übernahme in deutschsprachigen Diskursen und der Bedeutungsverschiebung, die er hier erfährt, steht bislang noch aus. Zudem ließe sich vor dem Hintergrund gegenwärtiger neoliberaler Politiken, die Fle-
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politischen und kulturellen Kontexte, innerhalb derer Begriffe verwendet werden, und die damit jeweils implizierten Ein- und Ausschlussverfahren zu reflektieren (vgl. Beger 2002:212f.). Zum anderen erfordert eine breite Bündnispolitik, deren Gemeinsamkeit nicht auf Identität, sondern auf einem Kampf gegen Herrschafts- und Gewaltformen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit beruht, eine Diskussion der jeweiligen politischen Strategien sowie verschiedener Verhaltens-, Handlungs- und Wahrnehmungsweisen. Ein- und Ausschlussverfahren werden damit komplexer und Grenzen schwieriger zu ziehen. Genau in diesen Schwierigkeiten und Debatten um Grenzen jedoch liegt ein politisches und demokratisches Potenzial, das Aushandlungsprozesse ermöglicht, statt feste Grenzen und Identitäten vorauszusetzen. Aufgrund der mit den Begriffen »Transgender« und »Transsexualität« verbundenen Probleme verwende ich den Begriff der »Transsexualität« nur dort, wo sich die Studie auf die gesellschaftliche medizinisch-rechtliche Konstruktion der Transsexualität und deren Diskursivierung bezieht oder von Personen spricht, die sich als transsexuell identifizieren. Ansonsten führe ich als zentralen Begriff und Analysekategorie den Begriff der »Transmännlichkeit« ein (vgl. Kap. III). Der Begriff »Transgender« wird nur dort verwendet, wo auf Debatten um diesen Begriff Bezug genommen oder auf Zusammenhänge, Gruppen und Personen referiert wird, die Transgender als Selbstbezeichnung verwenden. Ansonsten verwende ich die eingedeutschte Version Transgeschlechtlichkeit bzw. transgeschlechtlich. Mit der Einführung dieses Begriffs soll einerseits die Notwendigkeit einer konzeptuellen inhaltlichen Fassung des Begriffs Transgeschlechtlichkeit, wie sie in US-amerikanischen Kontexten für den Begriff Transgender bereits stattgefunden hat, für spezifische deutsche Kontexte angezeigt werden. Andererseits und wichtiger noch soll damit der unterschiedlichen Verwendung der Begriffe sex, gender und Transgender im Englisch- und Deutschsprachigen Rechnung getragen werden. Denn anders als im Englischsprachigen ist die Verwendung der Begriffe Transgender, sex und gender im Deutschsprachigen sehr stark durch theoretische Diskurse der Geschlechterforschung bestimmt. Dies erscheint insbesondere insofern als problematisch, als sich queere Forschung hier nicht annährend so etablieren konnte wie innerhalb der USA. Mit diesem Ausschluss bleiben jedoch die spezifischen Verwendungsweisen solcher und ähnlicher Begriffe in nicht-akademischen Subkulturen und Diskursen innerhalb der
xibilisierung und Beweglichkeit gerade zu einem Imperativ des Erfolgs erheben, kritisch hinterfragen, inwiefern geschlechtliche Beweglichkeiten tatsächlich kritisches Potential entfalten oder ob sie nicht vielmehr herrschaftsstabilisierend wirken.
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Akademia ausgeblendet.43 Innerhalb juristischer, medizinischer und Alltagsdiskurse dominiert im Deutschen nach wie vor der Begriff des »Geschlechts«. Während im Englischsprachigen Transsexualität bspw. einen »sex change« erfordert, ist es im deutschsprachigen der »Geschlechtswechsel«. Das impliziert, dass Grenzüberschreitungen, Irritationen, Konfrontationen und Konflikte hier in Bezug auf die dominante Kategorie »Geschlecht« stattfinden und analysiert werden müssen, was eine Verwendung von »Transgeschlechtlichkeit« als Oberbegriff für verschiedene Formen der Infragestellung und Überschreitung von Geschlechterkategorien und Grenzen sinnvoll erscheinen lässt. Darüber hinaus besitzt der Begriff »Transgeschlechtlichkeit« den Vorteil, die in den Begriffen »Transsexualität« und »Transgender« implizierte Differenzierung zwischen sex und gender zu vermeiden. Konnte die Differenzierung zwischen sex und gender zu Beginn der 1970er Jahre innerhalb feministischer Forschung für die Entnaturalisierung der Kategorie gender produktiv gemacht werden, ist seit Beginn der 1990er Jahre zunehmend problematisiert worden, dass die Kategorie des sex innerhalb dieser Forschung weiter naturalisiert wird. Zwar wurde in Anschluss an Foucault die Vorstellung eines natürlichen Sex sowie die damit verbundene hegemoniale normative Stellung der Heterosexualität aus der Perspektive schwullesbischer und queerer Forschung kritisiert; aus dem Blick geriet jedoch dabei zuweilen die Dimension von gender. Zudem bleibt die kritische Hinterfragung und Dekonstruktion der Kategorie des sex, verstanden als anatomisches Geschlecht und als biopolitische Technologie des Lebens (vgl. Foucault 1983:140), weitestgehend der Biologie überlassen.44 Daher zielt der Begriff der »Transgeschlechtlichkeit« darauf, die spezifischen Logiken, Normalisierungs- und Disziplinierungsverfahren zu erfassen, die Formen der Grenzübertritte, -verschiebungen und Infragestellungen der heteronormativ organisierten Geschlechterkategorien hervorrufen, regulieren und determinieren. Sein Potenzial besteht insbesondere darin, die hegemoniale Klassifizierung, die zwischen Formen nicht-normativer Geschlechter, die medizinische und juristische Verfahren des Geschlechtswechsels in Anspruch nehmen, und Formen nicht-normativer Ge43 Es ließe sich auch fragen, inwiefern der zuweilen vorgebrachte Vorwurf, queere Theorie sei abgehoben und habe nichts mit dem »wirklichen Leben« zu tun, weniger mit theoretischer Abgehobenheit zu tun hat als mit äußerst wirkmächtigen Ausschlusskriterien des deutschen Bildungssystem, das alles tut, um diese wirklichen Leben nicht sehen zu müssen. 44 Zu einer Problematisierung der Ausblendung von Fragen nach Körper, Reproduktion und Verwandtschaft in Forschungen zu Sexualität vgl. bspw. Yanagisako (1997). Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Kategorie sex aus biologischer Perspektive vgl. insbes. Anne Fausto-Sterling (1988).
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schlechter, die auf einer »nur« kulturellen Ebene Geschlechternormen überschreiten, infrage zu stellen. Damit wird es nicht nur möglich, die kulturellen Praktiken und Bezeichnungsverfahren als wirksame und produktive Konstrukteure des Geschlechts – auch von Transsexuellen – ernst zunehmen, sondern auch die sich hartnäckig haltende Vorstellung, dass letztlich doch das biologischanatomische Geschlecht das »wahre« sei, kritisch zu hinterfragen. Darüber hinaus vermeidet »Transgeschlechtlichkeit« eine analytische Unterscheidung von sex und gender. Dies ist insofern notwendig, als die Konstitution transgeschlechtlicher Männlichkeiten eine Aushandlung, Umarbeitung und Reformulierung von Geschlecht und Männlichkeit an den Schnittstellen und Verknüpfungen beider Kategorien – sex und gender – erfordert. Der Bezug auf den Begriff Geschlecht ermöglicht eine Perspektivierung, die das Zusammen- und Gegeneinanderwirken der Konstruktionen von sex, Sexualität und gender in den Blick bekommt. Dies erfordert gleichzeitig zwangsläufig, eine transdisziplinäre Perspektive einzunehmen, die die differenten Darstellungskonventionen und Visualisierungen von Geschlecht in sexualwissenschaftlichen, medizinischen, subkulturellen und künstlerischen Diskursen in ihren Verschränkungen, Hierarchisierungen und Überblendungen zu erfassen versucht und Aufmerksamkeit für die kulturell und historisch je spezifischen Artikulationen dieser Verknüpfungen entwickelt. Für eine solche Perspektivierung bietet sich der Begriff Geschlecht nicht nur deshalb an, weil er im Deutschsprachigen der Begriff ist, unter dem solche Problematisierungen und Artikulationen dominant verhandelt werden, sondern auch, weil er in der deutschsprachigen feministischen Forschung der 1970er und 1980er Jahre einer dekonstruktiven Kritik unterzogen wurde, die so mit aufgerufen und benannt werden kann.45
45 Aus einer wissenschaftshistorischen Perspektive wäre es an dieser Stelle zudem lohnenswert zu untersuchen, inwiefern sich Parallelen, Korrespondenzen und Ähnlichkeiten in der Problematisierung von Geschlecht in den feministischen deutschen Diskursen der 1970er Jahre und den von Feinberg geprägten US-amerikanischen Transgender-Diskursen der 1990er Jahre finden lassen. So weisen bspw. sowohl Barbara Duden (1987) als auch Feinberg (1996,1998) auf die enge Verknüpfung kapitalistischer Verhältnisse und Konzeptionen des vergeschlechtlichten Körpers hin.
III. P ERSPEKTIVIERUNG : T RANSMÄNNLICHKEIT
Ich verwende, wie im vorigen Kapitel dargelegt, die Begriffe »transsexuell«, »transgender« und »transgeschlechtlich«, um die kritischen Potenziale von alternativen Existenzweisen, Praxen und Repräsentationen von Geschlecht zu fassen. Zur Bezeichnung und Kategorisierung des Gegenstandes und als zentralen forschungsleitenden Begriff führe ich den Terminus »Transmännlichkeiten« ein. Damit soll eine doppelte Bewegung beschrieben werden, die in der Lektüre des visuellen Materials vollzogen wird: In einem ersten Schritt geht es darum, den dominant von medizinischen und juristischen Definitionen geprägten Begriff der »Transsexualität« mit kulturellen Männlichkeits-Diskursen zu verschränken. Dies impliziert eine Verschiebung der Perspektive, die Transsexualität nicht allein als pathologisch-diagnostische Kategorie und damit tendenziell als das Andere der Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit begreift. In einem zweiten Schritt gilt es, eine ähnliche Bewegung in Bezug auf den Begriff »Transgender« zu unternehmen, der häufig in Abgrenzung zum Begriff der »Transsexualität« die kulturellen und sozialen Aspekte der Transgression von Geschlechtergrenzen betont, in dieser Fokussierung auf Fragen des Überschreitens und Infragestellens von Grenzen jedoch Gefahr läuft, aus dem Blick zu verlieren, in welcher Weise hier hegemoniale Konstruktionen von Männlichkeiten und Weiblichkeiten kritisiert und umgearbeitet werden. Drittens sucht die Verwendung des Begriffs der Transmännlichkeit eine Äquivalenz zwischen Männlichkeit und Transmännlichkeit zu etablieren und gleichzeitig eine differenzierende Bewegung innerhalb der Kategorie der Männlichkeiten zu produzieren, die die spezifischen Dimensionen transsexueller und transgeschlechtlicher Männlichkeiten und die sich daraus ergebende Differenz zu anderen Formen der Männlichkeit sichtbar hält. 1. Transmännlichkeit Was aber ist Transmännlichkeit oder was soll das sein? Wie lassen sich die theoretische Konzeptualisierung sowie die damit eingenommene Perspektivierung beschreiben? Und worin liegen die Gewinne einer solchen Begriffsbildung? Die Bildung von Neologismen ist grundsätzlich kritisch zu hinterfragen, insofern häufig die Auseinandersetzung und Umarbeitung bestehender Begriffe weiterführender erscheint als die Bildung immer neuer Begriffe, die mit alten Inhalten gefüllt bleiben. Die Einführung des Begriffs der »Transmännlichkeit« bedarf dabei in besonderer Weise einer Erläuterung. Denn innerhalb der gegen-
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wärtigen theoriepolitischen Debatten der Geschlechterforschung (Gender vs. Geschlechterdifferenz) kann die Verwendung des Begriffs der Männlichkeit leicht als eine Positionierung auf Seiten der Differenztheorie verstanden werden. Eine solche Analyseperspektive würde im Widerspruch zu den Perspektiven einer kritischen queeren Geschlechterforschung stehen, insofern sie Gefahr läuft, hegemoniale normative Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit zu affirmieren. Zudem droht sie, zuweilen in Widerspruch zu den analysierten Materialen zu geraten – zumindest dort, wo diese für sich beanspruchen, die hartnäckige Binarität von Männlichkeit und Weiblichkeit zu unterlaufen und infrage zu stellen. Dies macht die Verwendung des Begriffs der Transmännlichkeit in besonderer Weise erklärungsbedürftig. Denn intendiert ist damit keineswegs eine Referenz auf oder gar Positionierung im Feld differenztheoretischer Geschlechterforschung. Im Gegenteil wird gerade auch deshalb auf eine Verwendung und Umarbeitung des Begriffs Männlichkeit verzichtet, weil er eine nicht gegebene Nähe zu differenztheoretischen Ansätzen implizieren würde. Insofern verweist das Präfix »Trans« auf die theoretisch-methodische Fundierung der Studie im Bereich queerer/trans* Geschlechterstudien, die gleichzeitig die Perspektivierung dieser Studie in/formiert: Transmännlichkeiten werden als Konfigurationen von Geschlecht zu fassen versucht, die nicht einfach in normativen Konzepten und Schemata der Männlichkeit aufgehen, sondern das Potenzial besitzen, diese einer kritischen Umarbeitung zu unterziehen. Wenn ich dabei dennoch auch den Begriff der Männlichkeit verwende, beabsichtige ich damit, jene kulturellen Normierungsverfahren in den Blick zu bekommen, die in zentraler Weise an der Produktion geschlechtlicher Zwänge und Gewaltverhältnisse beteiligt und denen Trans*personen unterworfen sind.1 Drei Gründe lassen einen solchen Ansatz, der aus einer queer/trans*theoretischen Perspektive Männlichkeit in den Blick nimmt, in besonderer Weise als notwendig erscheinen. Ausgehend davon, dass sich die Transgressionen, wie auch die Disziplinierungs- und Regulierungsverfahren, denen Trans*personen unterliegen, immer auf die normativen Kategorien der Männlichkeit und Weiblichkeit beziehen, wird es so erstens möglich, einen zentralen Aspekt der Erfahrungen und Realitäten von Transmännern anzuerkennen. Denn diese beziehen sich keineswegs nur auf den Umgang mit juristischen und medizinischen Verfahrensweisen, sondern sind in erheblichem Maße von alltäglichen Anrufungen und Auseinandersetzungen mit visuellen Normen und Idealen geprägt.2 Zweitens beruhen die Kriterien dafür, welche Geschlechter als »echt« anerkannt werden, noch immer in hohem Maße auf körperlichen Normen 1
Zur Bedeutung kultureller Normierungs- und Regulierungsverfahren vgl. Kap. II.1 Der Zwang, ein Geschlecht zu sein.
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Vgl. Kapitel V.1.
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und morphologischen Idealen, die die Anerkennung von transgeschlechtlichen Existenzweisen als »echte« Geschlechter verunmöglichen.3 Insofern ist die Verwendung des Begriffs der Männlichkeit auch ein theoriepolitischer wie persönlicher Einsatz, der darauf abzielt, Transmännlichkeiten als »echte« Männlichkeiten anzuerkennen und diejenigen Diskurse, die dies verunmöglichen, einer kritischen Hinterfragung zu unterziehen. Drittens, und eng damit verbunden, eröffnet eine solche Perspektive einen Blick auf die kritischen politischen Potenziale der hier untersuchten Repräsentationen von Transmännlichkeiten, die darin bestehen, hegemoniale Vorstellungen von Männlichkeit und Transsexualität umzuarbeiten, und die in den derzeit dominanten queeren Diskursen allzu oft übersehen werden.4 Eine Realität der Transgression: Männlichkeit Männlichkeit bildet einen wichtigen Bezugspunkt vieler Erfahrungen und Kämpfe von Transmännern, die innerhalb queerer Forschung häufig übersehen werden. Denn diese fokussiert zumeist Regulierungsverfahren der Sexualität, wobei sie nicht selten die subversiven Potenziale transgressiver Geschlechterpraxen betont, ohne den sozialen und institutionellen Zwängen, Regulierungsverfahren und Gewaltförmigkeiten, denen solche Existenzweisen in ihren jeweiligen kulturellen Kontexten unterworfen sind, ausreichend Aufmerksamkeit zu schenken. So problematisiert Vivian K. Namaste den Hype um die Figur Transgender, wie er sich in vielen queeren Subkulturen und Theoriebildungen findet, am Beispiel einer Aktion des TAC (Transsexual Activiste Collective). Dieses Kollektiv transsexueller Aktivisten kritisierte 1993 die Ankündigung des Inside Out Gay and Lesbian Film und Video Festivals in Toronto, in der Cross-Dressing, Transsexuelle und Transvestiten als sexuelle Anomalien beschrieben werden. Das TAC kommentiert diese Ankündigung auf einem Flyer mit dem Satz: »NO TO THE GERALDO APPROACH! TRANSSEXUALS ARE NOT YOUR ENTER3
Vgl. bspw. Loren Camerons Arbeit Distortions (Kapitel IV.1).
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Kritisch hinterfragen ließe sich an dieser Stelle auch der häufig vorgebrachte Vorwurf einer theoretischen »Abgehobenheit« queerer Theorie. Insofern viele subkulturelle Praxen und Kontexte queere Theorie rezipieren und hier sowohl zutreffende Analysen ihrer Existenzweisen als auch Denkmodelle für ihre Existenzweisen finden, könnte es sein, dass es sich dabei keineswegs um abgehobene Theorieschlösser handelt, sondern sich die Sache viel eher umgekehrt verhält: dass nämlich das bundesdeutsche Hochschulsystem seine Universitäten in Form von Theoriehochburgen gestaltet, die denjenigen, die im alltäglichen Schmutz von Sexualitäten, Geschlechtern und sich transformierenden und modifizierenden Körpern wühlen, nur sehr selten – und wenn, dann nur zeitlich sehr beschränkten – Aufenthalt gewähren.
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TAINMENT!« (Namaste 2000: 13).5 Kritisiert wird damit eine Perspektive auf und Repräsentation von Anderen, die stärker der eigenen Unterhaltung und Selbstversicherung dient als einer Kritik bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Die Tendenz zu einer solchen Perspektive sieht Namaste auch in Teilen queerer Theoriebildung: »Butler’s presentation of drag queens, like the descritption of ›gender-bending‹ in the Inside Out Film Festival program, ignores the specifity of the milieu in which drag practices are situated. Given the overwhelmingly gendered nature of such a setting, it is problematic to merely cite drag practices as an exposition of the constructed nature of all gender. While Butler reads drag as means of exposing the contingent nature of gender and identity, I suggest that we point to essential paradox of drag within gay male communities: at the precise moment that it underlines the constructed nature of gendered performances, drag is contained as a performance itself. Gay male identity, in contrast, establishes itself as something prior to performance« (Namaste 2000: 13).
Betrachtungen, die Transgenderfiguren ungeachtet der konkreten Kontexte zu den Figuren von Widerständigkeit per se überhöhen, laufen Gefahr, sich an der Fiktionalisierung von transgeschlechtlichen Lebensentwürfen zu beteiligen und sich damit letztlich implizit an der Aufrechterhaltung normativer Vorstellungen von Geschlecht zu beteiligen. Vor diesem Hintergrund kann gerade ein In-denBlick-Nehmen von Transgendern als Formationen von Männlichkeiten oder Weiblichkeiten, die keineswegs nur »künstlich« oder »unnatürlich« sind, die nicht nur irritieren, sondern vielleicht auch überzeugend eindeutig sind, kritisches Potenzial entfalten. So weist Holly Devor mit Nachdruck auf die drängende Notwendigkeit hin, anzuerkennen, dass es ein ernstes und berechtigtes Anliegen vieler Transpersonen ist, eine der beiden Geschlechterpositionen annehmen zu können: »She [Devor] is pointing out that social validation of gender identity is important for people who may have been gender blending at some time in their lives but who found that landing firmly on one side of the fence rather than on the other (in this case the masculine side), […], is important and meaningful for some people and that the task of doing so is neither trivial nor disordered nor unnatural, and it is a mistake of society not to recognize this« (Green 2005: 292).
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Mit Geraldo Approach wird auf den US-amerikanischen Reporter, Moderator und investigativen Journalisten Geraldo Rivera angespielt.
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Solche Formationen von eindeutiger Weiblichkeit und Männlichkeit werden in queerer Forschung, der es um eine kritische Hinterfragung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit geht, häufig als nicht transgressiv und damit als affirmativ in Bezug auf herrschende Machtverhältnisse beurteilt.6 Aus queer-feministischer Perspektive erscheint dabei gerade das Annehmen einer eindeutigen Männlichkeit nicht selten als unkritische Teilhabe an heterosexistischen Machtverhältnissen. Dabei wird jedoch übersehen, dass vor dem Hintergrund kultureller und sozialer Disziplinierungs- und Regulierungsverfahren Auseinandersetzungen mit normativen Vorstellungen von Männlichkeit einen zentralen Bezugspunkt der Kämpfe und Erfahrungen von Transmännern bilden, ohne dass diese damit zwangsläufig eine Position hegemonialer Männlichkeit anstreben oder gar erreichen. Auch wenn dies in der Forschung bislang noch nicht ausreichend explizit thematisiert wird, schreiben sich Auseinandersetzungen mit Männlichkeit, wie Green feststellt, sehr wohl in die Literatur ein:7 »Hegemonic masculinity is not a universal goal for transmen, contrary to the opinion of several medical professionals and Janice Raymond. While Cromwell does not directly discuss the concept and meaning of masculinity or the nature of assumptions of masculinity among FTM-identified people, he does present the first insider’s attempt at a comprehensive view of FTM experience within the context of North American culture, and he frequently refers to masculinity and maleness as markers of this experience« (Green 2005: 293).
Ausgehend von der Bedeutung, die Männlichkeit für Identitätskonstruktionen und Existenzweisen von Transmännern besitzt, einerseits und deren fehlender Thematisierung andererseits, unternimmt Green eine erste Umfrage in seinem 6
Dies geschieht oft implizit, indem die Forschung vor allem Irritierendes und Uneindeutiges als subversiv und widerständig beurteilt (vgl. bspw. Engels Plädoyer Wider die Eindeutigkeit (2002) oder Halberstams Überlegungen zu einer Ästhetik der Turbulenz (2005).
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Zur fehlenden Berücksichtigung dieser Aspekte in der gegenwärtigen Forschung vgl. insbesondere den Forschungsüberblick von Green (2005) sowie Erharts (2005) Forschungsstand zu Männlichkeiten, in dem Transmännlichkeiten so gut wie gar nicht vorkommen, einzige Ausnahme bildet Halberstams Untersuchung Female Masculinities (1998). Es ließe sich an dieser Stelle auch kritisch hinterfragen, welche Politik von Wissensproduktion sich hinter einer Praxis verbirgt, die Existenzweisen und Erfahrungen von Transmännern fast ausschließlich unter dem Begriff »gender« verhandelt. Allgemein zur fehlenden Auseinandersetzung mit Lebensrealitäten von Transsexuellen vgl. auch Franzen/Sauer (2010).
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Freundeskreis. Seine Fragen an Transmänner und Männer, was »Mannsein« und »Männlichkeit« für sie bedeutet, führen zu zwei wichtigen Ergebnissen. Erstens wird Männlichkeit in zentraler Weise über die Fähigkeit einer Person definiert, ihr Verhalten und Handeln an das anzupassen, was von Menschen mit einem männlichen Körper erwartet wird (Green 2005: 296). Zweitens tritt die größte Differenz zwischen Männern und Transmännern in Bezug auf die Frage auf, was es für die Befragten bedeutet, männlich zu sein. Transmänner reflektieren hier ihre Erfahrungen, wie Männlichkeiten von der Umwelt interpretiert werden, was es bedeutet, sozial lesbar zu werden, und sie thematisieren die Risiken, Gewalt zu erfahren. Für Männer dagegen stellt Männlichkeit vielmehr eine psychische Disposition dar. Ausgehend von einem Gefühl, von Anderen – insbesondere von Frauen – getrennt zu sein, beschreiben sie Männlichkeit stärker als einen Prozess der Suche nach einer glücklichen Vereinigung, symbolisiert in einer Lebenspartnerschaft (Green 2005: 297). Auch wenn Greens Umfrage in einem kleinen Sample sicherlich nicht den Anforderungen einer wissenschaftlichen Erhebung entspricht, verweisen die Antworten, die er versammelt, auf die zentrale Bedeutung, die Fragen der sozialen Lesbarkeit für Transmänner haben. Insofern bildet die Auseinandersetzung mit Normen und Idealen von Männlichkeit, die die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Lesbarkeiten regulieren, einen zentralen Bezugspunkt der Existenzweisen und Erfahrungen von Transmännern. Wenn die Forschung zu Transmännern Fragen nach Bedeutungen und Normen der Männlichkeit bislang weitestgehend ausblendet, verfehlt sie damit jene kulturellen Disziplinierungs- und Regulierungsverfahren, die zentraler Bestandteil der Erfahrungen von Transmännern und die nach wie vor in erheblichem Ausmaß an der Pathologisierung und dem Othering von Transgenderpersonen beteiligt sind.8 Um eine solche Perspektive auf Transmänner grundlegend zu verschieben, führe ich Transmännlichkeit als forschungsleitende Kategorie ein. Dies impliziert, dass die Frage nach politischen Potenzialen visueller Repräsentationen von Transmännlichkeiten nicht in erster Linie nach transgressiven, irritierenden und/oder verwirrenden Aspekten sucht. Statt Repräsentationen von Geschlecht zu untersuchen, die auf den ersten Blick irritieren und gender trouble produzieren, interessiere ich mich in diesem Buch für Repräsentationen von Transmännlichkeiten, deren Männlichkeit evident ist. Damit sollen sowohl die Auseinandersetzungen mit visuellen Bildern und Normen von Männlichkeit als zentraler Aspekt der Realität und der Erfahrungen von Transmännern als auch die wirklichkeitserzeugende determinierende wie ermöglichende Macht von Bildern ernst genommen 8
Die wohl erste ausführliche Untersuchung zu alternativen Geschlechtern aus einer Perspektive, die sich kritisch mit Männlichkeit auseinandersetzt, hat Halberstam mit Female Masculinities (1998) vorgelegt.
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werden. Dies macht gleichzeitig notwendig, ein Verständnis von Männlichkeit kritisch zu hinterfragen, in dem der Körper immer wieder als determinierendes, beharrungsmächtiges und quasi unveränderliches Element betrachtet wird, während Elemente, die sich auf Ebenen der Zeichenhaftigkeit, kulturellen Konventionen und Bedeutungsproduktionen beziehen, als konstruiert und damit als veränderbar gelten.9 Die Beharrungskraft, die nicht im Körper, sondern in kulturellen Bildern und Fantasien verhaftet ist und sich zugleich auch nicht von diesen Körpern trennen lässt, bringt Volkmar Sigusch im Zusammenhang der Diskussionen um das TSG auf den Punkt, wenn er in seiner Skizze über die Diskussionen des TSG resümiert: »[u]nsere Fantasie [ist] wie alles Andere wm […] bis auf die Knochen« (Sigusch 2005: 86). Männlichkeit = Geschlecht: theoriepolitischer Einsatz Aber ist unsere Fantasie wirklich so wm, wie es das Zitat Siguschs nahelegt? In Bezug auf die Einführung des Transsexuellen-Gesetzes, das keine anderen Kategorien als w und m zulässt, ist dies sicherlich korrekt. In Bezug auf kulturelle und künstlerische Artikulationen von Geschlecht und Sexualität ist jedoch Vorsicht geboten. Denn hier läuft eine solche Perspektive Gefahr, all jene transgeschlechtlichen Existenzweisen und Fantasien, die die Kategorien von männlich/weiblich überschreiten, zu übersehen oder in das binäre Schema rückzubinden und damit selbst eine machtvolle Bewegung zu vollziehen, die der Aufrechterhaltung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit dient. Innerhalb der gegenwärtigen Geschlechterforschung besteht diesbezüglich ein hartnäckiger theoriepolitischer Streit, der mit den Begriffen »Geschlechterdifferenz« und »Gender« verknüpft ist. Kurz gesagt berufen sich Theoretikerinnen, im Anschluss insbesondere an Luce Irigaray, auf eine Unhintergehbarkeit der Geschlechterdifferenz und betrachten insofern Positionen, die die Binarität der Geschlechter infrage stellen, tendenziell als phallogozentrisch und misogyn.10 Demgegenüber ver9
Solche Auffassungen finden sich nicht nur in essentialistischen oder biologistischen Konzepten von Geschlecht, sondern bspw. auch bei Bourdieu (2005), wenn er den Habitus und die körperliche Hexis – gleichwohl sie kulturell bedingt ist – als für das Beharrungsvermögen patriachaler Herrschaftsverhältnisse verantwortlich beschreibt. Angesichts der Tatsache, dass sich auch Körper nicht nur durch Alter, Krankheit, Training und Lebensgewohnheiten verändern und zugleich Ideale und Stereotype der Männlichkeit, wie u.a. Mosse (1997) zeigt, eine außerordentliche Beharrungskraft an den Tag legen, erscheint eine einfache Gegenüberstellung von körperlich = Beharrungskraft vs. Bedeutung = veränderlich zumindest fragwürdig.
10 Vgl. bspw. Butlers kritisch kommentierende Fragen an Rose Braidottis Metamorphoses. Statt die Geschlechterdifferenz abzulehnen, was nach Braidotti angeblich viele
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knüpft sich mit dem Begriff »gender« eine sozialkonstruktivistische Perspektive auf Geschlecht, die gerade die wiederholte und ausschließliche Begrenzung von gender auf Formen von Männlichkeit und Weiblichkeit kritisiert. Mit der kritischen Infragestellung und Dekonstruktion heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit nehmen diese Forschungen in den Blick, wie Körper, Sexualitäten und Geschlechter produziert werden und bestehen auf der Anerkennung von Geschlechtern und Existenzweisen, die sich nicht in die heteronormative Binarität von männlich/weiblich einpassen lassen: »Indem man den Begriff ›Gender‹ sowohl von Männlichkeit als auch von Weiblichkeit trennt, stützt man eine theoretische Perspektive, die eine Erklärung dafür anbietet, wie es dazu kommt, dass sich das semantische Feld von Gender in der Binarität des Männlichen und des Weiblichen erschöpft. Ob man sich auf gender trouble, gender blending, transgender oder crossgender bezieht, man legt damit immer nahe, dass Gender die Möglichkeit hat, die naturalisierte Binarität zu überschreiten. Folglich führt die Gleichsetzung von Gender mit männlich/weiblich, Mann/Frau ebenjene Naturalisierung durch, der das Konzept Gender zuvorkommen will. Daher führt ein restriktiver Diskurs über Gender, der darauf beharrt, dass ausschließlich die Binarität von ›Mann‹ und ›Frau‹ das Feld von Gender für das Verständnis erschließt, eine regulatorische Operation von Macht durch. Er naturalisiert die hegemoniale Vorlage und verhindert so, dass ihre Veränderung gedacht werden kann« (Butler 2009: 74f.).
Butlers Kritik an differenztheoretisch argumentierenden Theoriebildungen ist ernst zu nehmen, insofern als diese sich an der hartnäckigen Aufrechterhaltung hegemonialer Zweigeschlechtlichkeit beteiligen. Damit tragen sie zwangsläufig zu einer Exotisierung, Pathologisierung und zwangsweisen Vereindeutigung all Theoretikerinnen tun, »weil Weiblichkeit an sich mit einem pejorativen Bedeutungsverständnis verbunden ist« (Butler 2009: 315), gälte es, so Braidotti, den Begriff der Weiblichkeit umzuarbeiten und anders zu besetzen. Die in einer solchen Argumentation inhärente Problematik zeigt Butler am Beispiel des Butch-Begehrens auf. So wird der Butch, wenn das »Weibliche als Instrument des Phallogozentrismus allzu eng definiert ist«, schnell eine psychologische Disposition zum Selbsthass und zur Mysogonie zugeschrieben. Die von Braidotti postulierte Erweiterung des Weiblichen stellt einen möglichen Bezugsrahmen dar, das Butch-Begehren als weibliches Begehren zu beschreiben. Allerdings fragt Butler zu Recht, warum man, falls Männlichkeit in diesem Begehren eine Rolle spielt, »[…] dann von der Tatsache zurückscheuen [sollte], dass es Formen geben könnte, in denen Männlichkeit bei Frauen auftritt, und dass feminin und maskulin nicht zu verschieden sexuierten Körpern gehörten?« (Butler 2009: 317).
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jener Existenzweisen bei, die sich nicht in die normativen Schemata von Männlichkeit und Weiblichkeit einpassen lassen. Für die vorliegende Studie ist die Kritik an solchen Forschungsansätzen umso dringlicher, als die hier untersuchten visuellen Repräsentationen zum Teil aus transgeschlechtlichen Positionen produziert wurden, die die normativen Kategorien von männlich und weiblich kritisieren, wie Del LaGrace Volcanos Positionierung in der Einleitung von Sublime Mutations verdeutlicht: »Ich widersetze mich dem pathologisierten Status, der jenen von uns zugeteilt wird, die sich dem binären Geschlechtersystem nicht anpassen können oder wollen, also der bald veralteten Vorstellung, dass es nur zwei Geschlechter gibt: nämlich männlich und weiblich« (Volcano 2000: 5).
Insofern verwende ich in der vorliegenden Studie das Präfix »Trans«, um der Vorstellung natürlich gegebener Männlichkeiten und Weiblichkeiten entgegenzuwirken und den vielfältigeren Möglichkeiten, in denen Geschlecht sich artikulieren und gelebt werden kann, Rechnung zu tragen. Wenn ich, statt Begriffe wie Transgender, Transsexuell, cross-gender o.ä. aufzugreifen, den Begriff der Transmännlichkeit verwende, ist damit intendiert, die nach wie vor wirkmächtige Unterscheidung zwischen naturalisierter Männlichkeit/Weiblichkeit einerseits und Trans* andererseits, als Überschreitung der naturalisierten Binarität, infrage zu stellen. Es gilt, die Repräsentationen der Transmännlichkeiten, die Gegenstand der Studie sind, als Formen echter Männlichkeit anzuerkennen, die in keiner Weise weniger konstruiert oder natürlich sind als jene Formationen der Männlichkeit, die weithin als natürlich und unhinterfragbar gelten. Notwendig erscheint dies, da die fortgesetzte Differenzierung zwischen Männlichkeit/ Weiblichkeit und verschiedenen Formen der Transgeschlechtlichkeit nicht nur zu einer tendenziellen Naturalisierung von Männlichkeit/Weiblichkeit beiträgt, sondern auch der Pathologisierung der Transgeschlechtlichkeit zuspielt. Denn nach wie vor scheint sich – trotz aller Dekonstruktion und dem Sichtbarwerden von Trans* und Inter*personen – hartnäckig der Glaube zu halten, dass es letztlich doch nur zwei »echte« Geschlechter, Mann und Frau, gibt. Fast genauso hartnäckig hält sich der Glaube, dass Männlichkeiten und Weiblichkeiten eigentlich eindeutig und kausal mit diesen beiden Geschlechtern Mann und Frau verknüpft sind. Abweichungen gelten als »Fehler der Natur«, pathologisch, »ein bisschen verrückt« oder als Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Die darin implizierte Gewaltförmigkeit betont Butler, wenn sie in Bezug auf spielerische und spaßvolle Geschlechterformationen, wie Drag und Transgender, feststellt, dass »man für das Vergnügen, das man sucht, die Fantasie, die man verkörpert, das
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Gender, das man darstellt, ernste Entrechtung und physische Gewalt riskieren kann« (Butler 2009: 339f.). Dabei muss die Differenzierung zwischen »Spiel« und »Echtheit« als eine Frage von Wissen und Macht begriffen werden: »Die Frage, wer als wirklich und echt angesehen wird, ist augenscheinlich eine Frage des Wissens. Sie ist aber auch, wie Foucault deutlich macht, eine Frage der Macht. ›Wahrheit‹ und ›Wirklichkeit‹ zu haben oder aufzuweisen ist ein enorm starkes Vorrecht in der sozialen Welt, eine Form, wie sich Macht als Ontologie verstellt« (Butler 2009: 340f.).
Vor diesem Hintergrund geht es mir darum, Formen der Transmännlichkeit als Formen »echter« Männlichkeit anzuerkennen, die das Potenzial besitzen, die hegemoniale Kategorie der Männlichkeit als kulturell konstruierte zu sehen und sie zugleich einer grundlegenden Reartikulation zu unterziehen. Insofern ist die Verwendung des Begriffs der Transmännlichkeit auch ein theoriepolitischer Einsatz im Spannungsfeld von wirkmächtiger Geschlechterdifferenz und transformatorischen Geschlechterpraktiken, der darauf abzielt, Männlichkeit als einen umkämpften und keinesfalls irgendwie gegebenen, eindeutigen oder natürlichen Signifikanten zu etablieren. Dies ist nicht zuletzt aufgrund der engen Verflechtung von Männlichkeit mit Echtheit eine notwendige Kritik. Denn innerhalb heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit ist Weiblichkeit traditionell mit Künstlichkeit und Maskerade verknüpft, während »Maskeraden von Männlichkeit immer […] auch Aufführungen von Authentizität [sind]« (Benthien/Stephan 2003: 56). Es geht also darum, die vielfältigen und komplexen Verwicklungen zwischen »Echtheit« und Geschlecht in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. Männlichkeiten zwischen Ideal, Stereotyp, kultureller Praxis und Körper Um die Konzeption und Perspektive, die ich mit dem Begriff der Transmännlichkeit verbinde, zu entwickeln, ist es daher notwendig, einen Begriff der Männlichkeit zu gewinnen, der weder die nach wie vor stark naturalisierte Verknüpfung von Männlichkeit mit Männern fortschreibt, noch Männlichkeit als lediglich kulturelles, imaginäres Konstrukt begreift, das beliebig veränderbar wäre. Was also ist Männlichkeit und wie lässt sich der Begriff definieren? Eine grobe Durchsicht der seit Beginn der 1990er Jahre stark angewachsenen Literatur zum Thema Männlichkeit(en)11 lässt zwei dominante Ausgangspunkte 11 Einen ausführlichen Forschungsüberblick, der jedoch nur sehr am Rande auf queere Forschungen eingeht, liefert Erhardt (2005), für einen Überblick mit Bezug zur Relevanz der Männlichkeitsforschung angesichts gegenwärtiger Globalisierungsprozesse vgl. Conell (2000).
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für eine Definition des Begriffs erkennen: Der erste Zugang besteht darin, den Begriff durch das Zitieren eines der hegemonialen Stereotypen und Klischees à la »Männlichkeit bedeutet dem Mann angemessen, tapfer, mutig« (Duden zit. nach Kroll 2002:252) zu fassen. Eine dieser Definitionen, die zugleich eine der fundiertesten ist, insofern die Studie sich gerade der Analyse dieses Stereotyps widmet, stammt von George Mosse: »Klare und eindeutige Bilder der Maskulinität – der Art und Weise, wie Männer ihre Männlichkeit definieren – finden sich in der gesamten westlichen Kultur. Das Ideal der Maskulinität wurde von allen Seiten als Symbol einer individuellen und nationalen Erneuerung ausgerufen, auf ihm baute jedoch auch die Selbstdefinition der modernen Gesellschaft auf. […] Das Bild der modernen Maskulinität stand für eine ganz eindeutige Sicht der menschlichen Natur und der menschlichen Handlungen, die einer Vielzahl von Zwecken dienen konnten und die kaum eine moderne Ideologie unberührt ließ. Trotzdem war sie als Theorie des menschlichen Wesens konkret genug, um ein kohärentes System zu bilden, das ohne weiteres untersucht werden kann. Das gilt umso mehr, als sich das männliche Ideal während seiner relativ kurzen Lebensdauer – von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an – kaum verändert hat und stets dieselben sogenannten männlichen Tugenden wie Willenskraft, Ehre und Mut transportierte. Diese und andere sogenannte Attribute der Männlichkeit […] sind bis zum heutigen Tag fester Bestandteil unserer Sprache« (Mosse 1997: 9).
Von entscheidender Bedeutung für die Herausbildung des modernen Ideals der Männlichkeit war das Naturideal der Aufklärung, in dem der Verbindung und Einheit von Körper und Geist eine zentrale Rolle zukommt. Innerhalb der vielfältigen Theoretisierungen des menschlichen Wesens und der Natur durch Philosophen und Anthropologen während des 18. Jahrhunderts kommt dem Visuellen, wie George Mosse am Beispiel Johann Kaspar Lavater zeigt, eine relativ große Bedeutung zu (1997: 37ff.). Mit seinen Beiträgen zur Physiognomie entwickelte Lavater eine Theorie, die es angeblich ermöglicht, am Äußeren des Menschen dessen Charakter abzulesen, wobei die Ästhetik J. J. Winkelmanns die Norm liefert, an der die Erscheinungen gemessen werden können (Mosse 1997: 38). Auch wenn sich durch die Jugendkulturen der 1960er Jahre, die Homosexuellen- und die Frauenbewegung ein kultureller Wandel anzudeuten scheint (Mosse 1997: 235ff.), bildet sich hier ein bis heute wirksames Ideal moderner Männlichkeit heraus, an dessen Konstitution die Physiognomie entscheidend beteiligt ist. Dieses Ideal ist aber darüber hinaus in zentraler Weise von Wahrnehmungs- und Darstellungskonventionen geprägt: »Die Form des männlichen Körpers und die Norm, an der er gemessen wurde, stehen miteinander in enger Verbindung, denn
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die Art und Weise, wie sich diese Normen schärften, hing von einer bestimmten Wahrnehmungsdisposition ab: das Äußere als Spiegel des Inneren« (Mosse 1997: 42). Damit wird die Norm gesetzt, an der Männlichkeit gemessen werden kann, und es entwickeln sich eine Vielzahl kultureller Praktiken des Trainings und der Erziehung, mittels derer nach den jeweiligen Idealen gestrebt werden kann, die die kulturell und historisch jeweils spezifischen Ausformungen der sozialistischen, faschistischen, militaristischen und nationalistischen Männlichkeit hervorrufen: etwa das »deutsche Turnen« unter Turnvater Jahn (Mosse 1997: 62) oder die Erziehung zu Männlichkeit im deutschen Schulsystem mit Lektüren, die »stets vom guten Kampf, von noblen Abenteuern [handelten und] gleichzeitig aber auch einen gesunden Gemeinschaftsgeist einflössen [sollten]« (Mosse 1997: 181). Eingebettet in den kulturellen und gesellschaftlichen Wandel, innerhalb dessen sich demokratische Nationalstaaten herausbilden, können Norm und Ideal der Männlichkeit jedoch nicht allein durch die Ausformulierung ihrer eigenen Formen gewonnen werden. Vielmehr sind sie fundamental von jenen Formen des Geschlechts abhängig, von denen sie sich abzugrenzen suchen. Konstitutiv für die Konstruktion moderner Männlichkeit ist dabei zunächst die Konstruktion moderner Weiblichkeit, die sich in der Artikulation weiblicher Nationalsymbole und einer gleichzeitigen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die Frauen in den Bereich des Privaten verbannt und aus der Öffentlichkeit ausschließt, formiert.12 In dieser strukturellen Differenz situiert sich zwangsläufig eine Geschlechterhierarchie, die zu Recht Gegenstand feministischer Kritik wird, ohne dass diese Differenz jedoch zwangsläufig eine Abwertung der Weiblichkeit impliziert. Denn insofern weibliche Nationalsymbole auf die Tradition und Geschichte der Nation verweisen und ebenfalls normative gesellschaftliche Werte veranschaulichen, bedeutet die geschlechtsspezifische »[…] Arbeitsteilung […] nicht unbedingt, dass Frauen weniger wert waren als Männer, aber sie hatten andere Funktionen: man ging davon aus, dass Männer und Frauen einander ergänzten« (Mosse 1997: 18). Insofern ergibt sich, wie Mosse zeigt, ein Feld komplexer, untereinander differenzierter und hierarchisierter Männlichkeiten und Weiblichkeiten, die nicht in einer einfachen Relation von Über- und Unterordnung gedacht werden können. Innerhalb eines heteronormativ strukturierten Begehrensszenarios sind Formen von Weiblichkeit und Männlichkeit aufeinander bezogen. Heterosexuelle Weiblichkeit ist damit Teil eines nationalen heteronor12 Zur weiblichen Allegorie als Repräsentation moderner Demokratien, die auf einer grundsätzlichen Konstruktion »reiner Weiblichkeit« sowie dem Ausschluss von Frauen aus dem Bereich der Politik und des öffentlichen Lebens beruht, vgl. Wenk (1996).
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mativen Begehrensszenarios und unterscheidet sich grundlegend von den AntiTypen13: »Trotzdem hatten Frauen einen anderen Status als die Anti-Typen, die das genaue Gegenteil der normativen Maskulinität darstellten und denen angeblich all die Eigenschaften fehlten, die Angehörige der etablierten Gesellschaft – ob Männer oder Frauen – vermeintlich besaßen. Frauen, die ihre vorbestimmte Rolle verließen, wurden allerdings diesen Anti-Typen zugerechnet; sie wurden zu Feinden, gegen die sich das Bild der Männlichkeit scharf abgrenzte. […] So wie moderne Maskulinität die Ideale und Hoffnungen der Gesellschaft widerspiegelte, so waren ihre Feinde auch die Feinde der Gesellschaft« (Mosse 1997: 20).
Mosses grundlegende Skizze des normativen Stereotyps und des Ideals moderner Männlichkeit sowie seine Analyse einiger der zentralen kulturellen Praktiken und Institutionen, die sich im Feld dieser »wirkmächtigen mentalen Bilder« (Mosse 1997: 249) konstituieren, kann in gewisser Weise als Hintergrundfolie dienen, vor der die unterschiedlichen Forschungen zu Männlichkeit und die sich damit verbindenden Vorstellungen dessen, was Männlichkeit ist, ihre spezifischen Potenziale entfalten. So sind insbesondere in Bezug auf Werbebilder – in den letzten Jahren zunehmend auch im Feld der Kunst – Arbeiten entstanden, die sich mit Männlichkeitsbildern und den darin eingelagerten Werten, Normen, Mythen und Phantasmen auseinandersetzen – und Männlichkeit damit letztlich als »wirkmächtige mentale Bilder« begreifen.14 Insbesondere die feministische Kunstwissenschaft hat die geschlechtsspezifische Strukturierung des Kunstfeldes herausgearbeitet und gezeigt, in welcher Weise spezifische Erzählungen von Künstlertum, männlich-moderne Künstlermythen und Autorschaftskonzepte sowie Arten und Weisen des Zu-sehen-Gebens als Nachweis »männlicher Genialität« fungieren, die der Konstitution und Stabilisierung männlicher Subjektposi-
13 Mit Connells Konzept hegemonialer Männlichkeit hat die Geschlechterforschung in den letzten Jahren diese Differenzen unterschiedlicher Männlichkeiten mit den darin impliziten Hierarchisierungen zunehmend diskutiert, wogegen von Weiblichkeit noch immer zuallermeist im Singular gesprochen wird. Mosses m.E. wichtige Beobachtung legt es nahe, innerhalb der Geschlechterforschung nicht nur über die Differenzen zwischen Frauen nachzudenken, sondern auch über Formen hegemonialer Weiblichkeit und den davon unterschiedenen Formen marginalisierter Weiblichkeiten. 14 Vgl. Gutwald/Zons (2007), Fend/Koos (Hg.) 2004, Breward (2007), Glawion/ Haschemi Yekani/Husmann-Kastein (Hg.) (2007).
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tionen dienen.15 Männlichkeit wird aus diesen Perspektiven als zwangsläufig unerreichbares Ideal gefasst, das mittels differenter kultureller Praktiken – und Praktiken der Visualisierung spielen dabei eine zentrale Rolle – zu erreichen gesucht wird und darin zwangsläufig immer krisenhaft ist. Ein zweiter Ausgangspunkt, sich der Frage, was Männlichkeit ist, zu nähern, besteht darin, die Nichterreichbarkeit dieses Ideals zu problematisieren. Ansätze, die einer solchen Perspektive folgen, betonen die Vielfalt existierender Männlichkeiten und problematisieren deren zwangsläufig prothetischen Charakter. Neben immer wieder auftretenden Wendungen wie »What is ›masculinity‹? […] I do not claim to have any definitiv answer to this question« (Halberstam 1998: 1), bringt Homi Bhabha das Problem auf den Punkt: »To speak of masculinity in general, sui generis, must be avoided at all costs. It is a discourse of self-gerneration, reproduced over the generations in patrilineal perpetuity, that masculinity seeks to make a name for itself. ͥHeͤ, that ubiquitous male member, is the masculinist signature writ large – the pronoun of the invisible man; this subject of the surveillant, sexual order; the object of humanity personified. It must be our aim not to deny or disavow masculinity, but to disturb its manifest destiny – to draw attention to it as a prosthetic reality – a ›prefixing‹ of the rules of gender and sexuality, an appendix or addition, that willy-nilly, supplements and suspends a ›lack-in-being‹« (Bhabha 1996: 57).
Mit diesen Problematisierung eröffnen sich zwei miteinander verschränkte Problemfelder, innerhalb derer sich Auseinandersetzungen mit Männlichkeiten bewegen. Erstens ist Männlichkeit aufs Engste mit gegenwärtigen Machtverhältnissen verwoben und konstituiert sich in diesen als prothetische Realität. Zweitens kann dieses Feld der Macht als eines begriffen werden, innerhalb dessen Männlichkeit als unmarkierte und ungesehene Norm fungiert, die sich nicht nur in einer grundlegenden Differenzierung von Weiblichkeit, sondern auch durch die Abgrenzung von Stereotypen, wie insbesondere dem Juden, dem Schwarzen und dem Homosexuellen, die Mosse als Anti-Typen bezeichnet, konstituiert (Vgl. Mosse 1997). Ein Verständnis von Männlichkeit als »lack in being« ist insbesondere auch von der psychoanalytisch orientierten feministischen Forschung für eine Kritik heteronormativer Machtverhältnisse produktiv gemacht worden. So zeigt Teresa de Lauretis (1987), wie Technologien des Geschlechts als Konstruktionsverfahren dienen, mit denen der grundlegende Mangel verdeckt bzw. fetischisiert werden kann. Damit beteiligen sich diese Technologien an einer Stabilisierung von 15 Vgl. bspw. Lindner/Schade/Wenk u.a. (Hg.) (1989), Wenk (1987), Hoffmann-Curtius/ Wenk (Hg.) (1997).
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Identitäten und an der Konstitution von Männlichkeit als prothetischer Realität.16 Die prothetische Realität basiert dabei auf einer Leugnung des Mangels, der auf die Frau bzw. das Bild der Frau – wie auch andere Stereotypen/Anti-Typen – projiziert wird.17 Insofern kann Männlichkeit mit Kaja Silverman (1992) als eine dominante Fiktion begriffen werden, die in zentraler Weise durch die Fantasie und imaginäre Effekte funktioniert.18 Die dominante Fiktion, deren zentralstes Moment der Ödipus-Komplex bildet, näht Subjekte über ihr unbewusstes Begehren und Identifikationen in die ideologische Realität ein. Insofern jedoch jedes Begehren immer auch einen Überschuss produziert, kann diese imaginäre Ordnung der dominanten Fiktion durch visuelle Repräsentationen devianter Sexualitäten und Geschlechter erschüttert und verunsichert werden. Vor diesem Hintergrund arbeitet Kaja Silverman das kritische politische Potenzial von literarischen und filmischen Repräsentationen devianter Männlichkeit heraus, die die von der dominanten Fiktion vorgenommene Gleichsetzung von Phallus und Penis durchbrechen und damit den kollektiven Glauben an die dominante Fiktion unterlaufen. Allerdings ist Silvermans Fokussierung psychischer und imaginärer Aspekte problematisiert und relativiert worden. So argumentiert bspw. Abigail Solomon-Godeau (1996) aus Perspektive der feministischen Kunstwissenschaft, dass Repräsentationen feminisierter Männlichkeit keineswegs zwangsläufig zu einer Verunsicherung sozialer Macht- und Herrschaftsverhältnisse beitragen, sondern gerade auch in Krisenzeiten der Befriedung und Überwindung dienen und damit zu einer Stabilisierung der Machtverhältnisse beitragen können. Dies wirft die grundsätzliche Frage auf, wie die politischen Effekte und Wirkungsweisen erfasst und reflektiert werden können. 16 Aus Perspektive feministischer Kunstwissenschaft hat insbesondere Teresa de Lauretis in Technologies of Gender am Beispiel des Kinos einen solchen Begriff von gender theoretisiert. Im Anschluss an Michel Foucaults »Technologien des Sex« begreift sie gender als Produkt einer Vielfalt sozialer Technologien, institutioneller Diskurse, Epistemologien und kritischer Praxen – worunter sie nicht nur akademische Kritik, sondern sehr viel breiter auch soziale und kulturelle Alltagspraktiken fasst (1987: 2). Die fetischisierenden Aspekte wurden von Laura Mulvey (1980) in Bezug auf das Kino und von Christian Metz (2000) in Bezug auf die Fotografie herausgearbeitet. 17 Zu einer Auseinandersetzung mit fetischisierenden Betrachtungsweisen in Bezug auf Schwarze Männlichkeiten vgl. bspw. Mercer (1991), auch Hall (1997). 18 Silverman reformuliert Jacques Rancières Begriff der dominanten Fiktion mit Bezug auf Jacque Lacans Subjekttheorie. Fasst Rancière unter der dominanten Fiktion jenen »privilegierte[n] Modus einer Repräsentation, der das Bild des sozialen Konsens vermittelt« (Tillner/Kaltenecker 1995: 120), theoretisiert Silverman (1992) diesen Modus als einen, der immer schon heterosexuell differenziert ist.
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Entscheidend ist es, an dieser Stelle Männlichkeit nicht mehr im Singular, sondern im Plural zu denken. So entwickelt Connell (2000) das Konzept hegemonialer Männlichkeit, das es ermöglicht, die komplexen Relationen und Differenzierungen zwischen verschiedenen Männlichkeiten und ihre Verwicklung in Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu analysieren. Entgegen soziologischer Rollentheorien und Forschungen, die Männlichkeiten allein auf diskursiver Ebene untersuchen, begreift Connell Männlichkeiten als Produkt eines Geschlechterregimes, das von drei Dimensionen – Machtbeziehungen, Produktionsbeziehungen und emotionalen Bindungen – bestimmt wird: »Männlichkeiten sind durch das Geschlechterverhältnis strukturierte Konfigurationen von Praxis. Sie sind von Grund auf historisch; und ihre Entstehung und Wiederherstellung ist ein politischer Prozess, der das Interessengleichgewicht in der Gesellschaft und die Richtung sozialen Wandels beeinflußt« (Connell 2000: 64).
Indem er das komplexe Zusammenspiel von kulturell-gesellschaftlichen Praxen und Strukturen in den Blick nimmt, formuliert er eine zentrale Grundlage für kritische Perspektiven der Männlichkeitsforschung. Ausgehend davon, dass Männlichkeit immer auch ein politisches und umkämpftes Feld darstellt, bezeichnet Connell hegemoniale Männlichkeit als jene Form von Männlichkeit, die die Macht besitzt, ihre Definition durchzusetzen und anderen aufzuzwingen. Männlichkeit kann damit nicht länger als Essenz oder Eigenschaft eines biologischen Körpers gedacht werden, sondern artikuliert sich als eine explizit politische Frage: »Hegemonic masculinity is far more complex than the accounts of essences in the masculinity books would suggest. It is not a ›syndrome‹ of the kind produced when sexologists like Money reify human behavior into a ›condition‹ or when clinicians reify homosexuality into a pathology. It is, rather, a question of how particular groups of men inhabit positions of power and wealth and how they legitimate and reproduce the social relations that generate their dominance. […] The construction of hegemony is not a matter of pushing and pulling between ready-formed groupings, but is partly a matter of formation of those groupings. To understand the different kinds of masculinity demands, […], an examination of the practices in which hegemony is constituted and contested – in short the political techniques of the patriarchal social order« (Carrigan/Connell/Lee 1985: 579ff., Herv. im Original).
Dies bedeutet jedoch nicht, dass Körpern keine Bedeutung zukommen würde. Vielmehr betont Connell die Notwendigkeit, Männlichkeit als auch körperrefle-
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xive Praxis zu begreifen, die nicht auf eine diskursive Ebene reduziert werden kann. In ähnlicher Weise sieht Pierre Bourdieu (2005) einen Grund für das Beharrungsvermögen des Geschlechterverhältnisses im Habitus, der als Speicher von vergeschlechtlichten Wahrnehmungs- und Bewertungsmustern fungiert, die so auf den biologischen Körper zurückwirken. Eine Betonung der körperlichen Dimensionen von Männlichkeit ist nicht zuletzt insofern wichtig, als die Differenzierung von mit Körperlichkeit assoziierter Weiblichkeit und mit Geistigkeit und Entkörperung assoziierter Männlichkeit selbst als grundlegende Struktur moderner Geschlechterhierarchien betrachtet werden muss. Gleichzeitig gilt es jedoch, die fortgesetzte Gleichsetzung von Männlichkeit mit Männern und spezifischen biologisch-anatomisch männlich klassifizierten Körpern zu problematisieren. Dies betont Eve Kosofsky Sedgwick, wenn sie als erstes Axiom einer kritischen Auseinandersetzung mit Männlichkeit formuliert: »Sometimes Masculinity has Nothing to do with it. Nothing to do, that is with men. And when something is about masculinity, it is not always ›about men‹« (Sedgwick 1996: 12). Insbesondere Judith Jack Halberstam (1998) hat diesen Gedanken aufgegriffen und mit ihrer ethnografischen Studie über female Masculinities jene Männlichkeiten von Butches, Drag Kings und genderambivalenten Personen beschrieben, die innerhalb einer heteronormativ zweigeschlechtlich strukturierten Gesellschaft immer wieder für unmöglich erklärt werden: »The continued refusal in Western society to admit ambiguously gendered bodies into functional social relations (evidenced, for example, by our continued use of either/or bathrooms, either women or men) is, I will claim, sustained by a conservative and protectionist attitude by men in general toward masculinity. Such an attitude has been bolstered by a more general disbelief in female masculinity. I can only describe such disbelief in terms of a failure in a collective imagination« (Halberstam 1998: 15).
Halberstams Beschreibung ist vor dem Hintergrund einer hartnäckig zweigeschlechtlich strukturierten Gesellschaft sowie vor dem Hintergrund homophober Gewalt gegen Butches und Drag Kings wichtig. Sie verdeutlicht erstens, dass Männlichkeit nicht naturalisiert an spezifische biologische Körper geknüpft ist, und zweitens zeigt sie, dass nicht jede Form von Männlichkeit zwangsläufig mit einer männlichen Identität zusammenfällt, sondern bspw. auch Ausdruck einer lesbischen Identität und lesbischer Begehrensstrukturen sein kann oder auch – gerade im Falle der Bühnenperformances von Drag Kings – ironisch-parodierende Kritik heteronormativer Machtverhältnisse ist, die nicht zwangsläufig mit der männlichen Identifikation der Performer_innen oder des Publikums zu tun hat (Vgl. Halberstam 1997). Allerdings verwickelt sich Halberstams Argumen-
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tation tendenziell selbst in zweigeschlechtliche Betrachtungsweisen, wenn sie – worauf bereits der Begriff female Masculinity hinweist – die naturalisierte Klassifizierung von Körpern in die Kategorien männlich/weiblich weiter fortschreibt.19 Denn letztlich scheint es doch der weibliche Körper zu sein, der – wenngleich er vielleicht nicht zu einer stabilen Geschlechtsidentität Frau führt – so doch die Grundlage für die Differenzierung weiblicher Männlichkeiten bildet. Deutlich wird dies beispielsweise, wenn Halberstam argumentiert: »When gender-ambiguous children are constantly challenged about their gender-identity, the chain of misrecognitions can actually produce a new recognition: in other words, to be constantly mistaken for a boy, for many tomboys, can contribute to the production of a masculine identity« (Halberstam 1998: 19).
Ohne die massiven Stigmatisierungen und Verkennungen infrage zu stellen, denen tomboys ausgesetzt sind, basiert Halberstams Argumentation an dieser Stelle auf einer »misrecognition« und suggeriert mit der Formulierung »mistaken for a boy« letztlich, dass tomboys nicht als die Person anerkannt werden, die sie »wirklich« sind. Aus transsexueller Perspektive ließe sich fragen, ob das Problem hier nicht vielmehr die normative Vorgabe ist, dass ein Kind aufgrund der Geschlechtszuweisung bei der Geburt mit den Anforderungen konfrontiert wird, »in Wirklichkeit« ein Mädchen zu sein. Oder anders gesagt: Muss es unbedingt eine Verkennung/Nicht-Anerkennung sein, die zu einer sich transformierenden Identität führt? Könnte es nicht auch sein, dass gerade die männliche Identifikation erkannt, wenngleich vielleicht nicht anerkannt wird? Halberstams Argumentation, nach der diese Formen der Nichtanerkennung zu der Produktion einer männlichen Identität beitragen können, mag vielleicht für einige oder viele Personen zutreffen. Problematisch erscheint mir hier jedoch die Perspektive, die die Bildung einer männlichen Identität zu erklären versucht und damit genau jenem Erklärungszwang und Geständnisimperativ unterwirft, den Foucault (1983) als eine Technologie der Macht kritisiert. Um an dieser Stelle das von Halberstam zu Recht kritisierte Fehlen kollektiver Imaginationen alternativer Geschlechter und die diskriminierenden Wirkungsweisen heteronormativer Repräsentationsregime nicht aus dem Blick zu verlieren und zugleich der Gefahr zu entgehen, die Identitäten solcher Menschen zu einfachen Erklärungsmustern zu unterwerfen, erscheint es hilfreich, Männlichkeiten und Weiblichkeiten mit Sedgwick als Pro-
19 Wichtige Fragen an Halberstams Argumentation in Bezug auf die subversiven und affirmativen politischen Effekte verschiedener Männlichkeiten hat insbesondere Jannik Franzen (2002: 72ff.) formuliert.
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zesse komplizierter Feedbackmechanismen zu beschreiben.20 Um geschlechtliche und körperliche Transformationen beschreib- und respektierbar zu machen, ohne in essentialistische Perspektiven oder voluntaristische Perspektiven eines anything goes zu verfallen, schlägt Sedgwick vor, Männlichkeit und Weiblichkeit als etwas zu begreifen, in dem eine Dynamik der Selbst(an)erkennung21 zwischen Essentialismus und freiem Spiel vermittelt22: »I want mark here a space in which there might be broached some description at a psychological level of how such changes may actually occur: rather through a slow and rather 20 Die Notwendigkeit, eine solche Perspektive zu vermeiden, betont Butler explizit, wenn sie schreibt: »Die kritische Frage ist nicht, wie diese Identität verinnerlicht wird, als ob diese Verinnerlichung ein Prozess oder Mechanismus wäre, der sich deskriptiv rekonstruieren ließe. Vielmehr stellt sich die Frage, von welcher strategischen Position im öffentlichen Diskurs her und aus welchen Gründen die Trope der Innerlichkeit und die disjunktive Binarität von Innen/Außen aufrechterhalten wurden? In welcher Sprache wird der ›Innenraum‹ figuriert? Um welche Art von Figuration handelt es sich, und durch welche Figur des Körpers wird sie bezeichnet? Wie kann ein Körper auf seiner Oberfläche gerade die Unsichtbarkeit seiner Tiefe figurativ zum Vorschein treten lassen?« (Butler 1991: 197f.). 21 Sedgwick verwendet hier den Begriff »self-recognition«. Insofern der englische Begriff »recognition« sowohl Anerkennung als auch Erkennen/Erkennung bedeuten kann, übersetze ich ihn mit Selbst(an)erkennung, um darauf hinzuweisen, dass diese Prozesse sich auf ein eigenes »sich Erkennen« beziehen, das jedoch immer auch an die (An)Erkennung durch andere gebunden ist. Mit der Formulierung der (An)Erkennung geht es mir zudem darum, die zuweilen ambivalenten Aspekte von Prozessen des Erkennens und Anerkennens zu betonen, insofern gerade das Erkennen der Homosexualität oder Transsexualität zu einem Akt werden kann, der darin lediglich Monströses oder Idealisiertes erkennt und eine Anerkennung des Menschlichen verunmöglicht. 22 Sedgwick formuliert diesen Vorschlag anknüpfend an die komplexen und keinesfalls einfachen oder geradlinigen Transformationen ihres Körpers (durch eine von der Chemotheratpie verursachte Glatzköpfigkeit gerät sie in ein Feld der Sichtbarkeit lesbischer Erotik, wobei sie die Schwelle zu Butchness überschreiten musste, um als Femme lesbar zu werden): »[The] Proposition is about […] trying to find, not a middle ground, but a ground for describing and respecting the inertia, the slowness, the process that mediates between, on the one hand, the biological absolutes of what we always are (more or less) and, on the other hand, the notional free play that we constructivists are always imagined to be attributing to our own and other people’s sexand-gender selfpresentation« (1996: 18).
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complicated feedback-mechanism that I would summarize in the phrase ›Will I be able to recognize myself, if I…?‹ This proposition interests me especially because I would want to argue that, while to some degree it is probably true of everybody, it seems likeliest to be truest of people who experience their bodies in the first place as not just problematic, but precisely stigmatic. I am sure, that not every visible handicapped person, or transgendered person, or person of color, or fat person, or visibly sick person, or person with gender ›inappropriate‹ voice or demeanor in fact experiences his or her body as stigmatic most or necessarily any of the time. But it is a very plain fact that many of us do so. And I would like with this proposition to open something like a door into the mix of paralysis or transfixion, with extraordinary daring and often outrageousness, with strange sites of stylistic conservatism, with an almost uncanny discursive productiveness, that many of us experience as we struggle to continue the adventure of recognizing ourselves and being recognized in these problematic femininities and masculinities that constitute us and that we, in turn, constitute« (Sedgwick 1996: 18f.).
Mit diesem Vorschlag verschiebt Sedgwick die Argumentation Halberstams entscheidend. Denn statt zu versuchen, die Identitätsbildungen und/oder Transformationen des Körpers in einer einfachen Ursache-Wirkung-Relation zu erklären, öffnet ihre Frage, »Werde ich mich selbst erkennen können, wenn ich …?«, einen spannungsreichen Raum zwischen den sozialen und kulturellen Normen, die das Feld dessen, was/wer anerkannt werden kann, determinieren, und den Praktiken der Selbstgestaltung, innerhalb dessen Kämpfe um Selbstrepräsentationen und Anerkennung stattfinden. Damit gelingt es, die – auch schmerzvollen – Kämpfe und Auseinandersetzungen von Personen mit stigmatisierten Körpern zu thematisieren, ohne deren Identitäten problematisieren, psychologisieren oder erklären zu wollen. Diese Konzeption von Männlichkeit verbindet sich mit Connells Konzept hegemonialer Männlichkeit, das es ermöglicht, visuelle Repräsentationen als »Einsätze im Feld der Macht« (Hark 1996) zu begreifen, die an der Anfechtung und Durchsetzung dessen, was als »echte Männlichkeit« gilt, beteiligt sind.23 Indem Sedgwick Körper und Körperrepräsentationen als einen komplizierten Feedback-Prozess konzeptualisiert, ermöglicht es ihr Vorschlag, Körper und körperreflexive Praxen mitzudenken, ohne diesen dabei eine determinierende Rolle zuzuschreiben.24 In den letzten Jahren sind, so meine grundle-
23 Unter dem Titel »Einsätze im Feld der Macht« diskutiert Sabine Hark die Debatten innerhalb lesbischer Identitätspolitiken um das Zeichen »Lesbe«, in denen um Fragen gestritten wird, wer dazugehört und wer nicht (1996: 87ff.). 24 So schildert bspw. Brauckmann (2002) körperreflexive Praxen und Umdeutungsprozesse, mittels derer Körper und Körperzonen umcodiert werden, Ähnliches arbeitet
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gende These, verstärkt Repräsentationen entstanden, die Anspruch auf Männlichkeit erheben und gleichzeitig trans*spezifische Aspekte ihrer Geschlechterentwürfe nicht unsichtbar machen und damit das Feld der Möglichkeiten, sich selbst zu erkennen, entscheidend erweitern. Diese Formationen von Männlichkeit sucht die vorliegende Studie mit dem Begriff der Transmännlichkeit zu beschreiben. Die kulturellen Zeichen-, Bild- und Bedeutungsproduktionen dieser Männlichkeiten sind insofern spezifisch, als sie sich in der Auseinandersetzung mit und Umarbeitung von hegemonialen Bildern sowohl der Transsexualität wie auch der Männlichkeit herausbilden. Kulturelle hegemoniale Repräsentationen der Transsexualität bilden damit einen zentralen Bezugspunkt, in dem visuelle Repräsentationen von Transmännlichkeiten ihre Bedeutung erhalten. Daher gilt es, diese im Folgenden zu beschreiben und zu reflektieren. 2. Kulturelle Repräsentationen von Transmännlichkeiten »Im falschen Körper«: Ambivalenzen einer Metapher Die dominante Formel, mittels derer Transsexualität beschrieben und begriffen wird, lautet: »Transsexuelle Menschen sind im falschen Körper gefangen«. Sie scheint die Existenzweise Transsexueller auf eine einfache Weise zu erklären. Nicht nur in massenmedialen Diskursen findet die Metapher »im falschen Körper« eine fast inflationäre Verwendung, sondern auch in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen um Transsexualität und in Äußerungen von Transsexuellen selbst.25 Jay Prosser konstatiert in seiner Analyse transsexueller Narrationen: »My contention is that transsexuals continue to deploy the image of wrong embodiment because being trapped in the wrong body is simply what transsexuality feels like« (1998: 69). Dieser verbreiteten Verwendung steht eine zunehmende Kritik der Metapher gegenüber. Britta Madeleine Woitschig zeigt anhand der Analyse fiktionaler Erzählungen des Geschlechtswechsels Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts, dass der Körper/Seele-Tausch kulturell mit problematischen Mythen wie Omnipotenz und Unsterblichkeit verknüpft und »im falschen Körper daher keine unschuldige Metapher ist« (2001: 25). Und Jason Cromwell verweist darauf, dass die Rede »im falschen Körper« in die dominante sex/gender-Ideologie eingebettet ist: »The idea [of the wrong body, jh] has been imposed upon transpeople by those who control access to medical technologies Bauer (2007) heraus. Zur Umarbeitung hegemonialer Männlichkeiten durch queere Praktiken und Subkulturen vgl. auch Bauer/Hoenes/Woltersdorff (Hg.) (2007). 25 Zur Verwendung innerhalb massenmedialer Diskurse vgl. bspw. die Dokumentationen Jugendliche im falschen Körper, Ulf Eberle, ZDF, 27.04.2004; Wahres Ich im falschen Körper, Michael Verhoevens, ARD, 12.3.2006.
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and have controlled discourses about transpeople« (1999: 104). Ausgehend von dieser Ambivalenz der Formel »im falschen Körper gefangen«, die sowohl als treffende Beschreibung transsexuellen Lebens als auch als ideologisch problematische erscheint, fragt das folgende Unterkapitel danach, welche Implikationen dieser Sprachgebrauch mit sich bringt und wie sich eine Sicht auf Transsexualität entwickeln lässt, die den mit dieser Formel verbundenen Problematiken entgeht. Den Hintergrund, vor dem die Rede »im falschen Körper gefangen« überhaupt erst Sinn ergibt, bildet die Konkordanznorm heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit. Diese fordert, dass jeder Mensch ein Geschlecht ist – eindeutig und lebenslänglich – sowie dass Geschlechtsidentität und Körper übereinstimmen. Im Falle Transsexueller, die im »falschen Körper gefangen« sind, steht das »gefühlte Geschlecht« im Widerspruch zu der Geschlechtszuschreibung, die diese aufgrund ihres Körpers erfahren. Es handelt sich hierbei folglich um einen Widerspruch, der sich nicht unabhängig von Körper- und Geschlechter-Normen denken lässt. Dies gerät jedoch durch die Formulierung »im falschen Körper gefangen« aus dem Blick. Stattdessen wird Transsexualität tendenziell naturalisiert und zu einem individuellen Problem erklärt. Dabei basiert die Vorstellung von Transsexualität auf einem spezifisch modernen Bild des Menschen, nach dem dieser ein »Inneres« besitzt, das von einem Körper umschlossen wird. Dieses »Innere« ist seit den philosophischen Diskursen der Aufklärung in besonderer Weise mit Assoziationen von Authentizität und »Wahrheit« verknüpft26, während der Körper als Raum vorgestellt wird, der dieses Innere vor den Einflüssen der äußeren Umwelt schützt.27 Körperhistorische Studien zeigen, dass die Vorstellung des Körpers als Raum eng mit der Etablierung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit verbunden und keinesfalls ahistorisch ist.28 Räume sind in unserer Alltagsvorstellung stabil und sie beherbergen oder umschließen etwas Inneres, das sich klar von der Materialität des Raumes differenzieren lässt. In dieser Stabilität konnotieren sie Gegebenheit und Natürlichkeit. In Bezug auf Körper dient die Verwendung räumlicher Metaphorik dessen Naturalisierung und vermittelt so unter der Hand Ideologie. 29 26 Zur Verinnerlichung des Selbst vor allem durch und seit Descartes vgl. Taylor (1996). 27 Zum Topos des Innen sowie der Grenzziehung zwischen Innen und Außen vgl. Butler (1991: 199ff.) 28 »Während Frauen in erster Linie auf die Fähigkeit des Gebärenkönnens festgelegt werden und ihr Körper als Gefäß für das potentielle oder reale Kind entworfen wird, wird der Männerkörper zum geschlossenen und gedrillten Panzer« (Löw 2001: 119), vgl. auch Duden (1987). 29 Vgl. Duden (1987).
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Die häufige und unproblematisierte Verwendung räumlicher Metaphorik ist in sozial- und kulturwissenschaftlichen Diskursen der letzten Jahre verstärkt kritisiert worden. Smith und Katz (1993) weisen auf die naturalisierenden Effekte und politischen Implikationen räumlicher Metaphern hin. Als problematisch erweisen sich diese, da sie sich auf die spezifisch moderne Vorstellung des absoluten Raums beziehen. Diese setzt sich historisch im Kontext der europäischen Moderne, des Kolonialismus und Kapitalismus als hegemoniale Raumvorstellung durch. »In the first place, an absolute conception [of space, jh] began to dominate the philosophical and scientific discussion of space […] with the work of Newton, Descartes and Kant. Space was infinite and a priori; […] The emergence of capitalist social relations in Europe brought a very specific set of social and political shifts that established absolute space as the premise of hegemonic social practices« (Smith/Katz 1993: 75).
In diesem Prozess entsteht auch die Vorstellung des individuellen Körpers als grundlegender sozialer Einheit, der als Panzer bzw. Gefäß ein »authentisches Innen« umschließt. Problematisch erweist sich eine solche räumliche Metaphorik insbesondere dann, wenn sie nicht mehr als Metapher reflektiert, sondern als natürliche Gegebenheit und buchstäbliche Rede verstanden wird. Alltäglichen Konzepte, in denen wir denken, wahrnehmen und nach denen wir unser Handeln strukturieren, sind, wie Lakoff und Johnsen (2003) zeigen, sehr oft metaphorisch. Damit jedoch kommt eine metaphorische Macht von Begriffen ins Spiel, die in der Philosophie auf einer epistemologischen Ebene kritisch hinterfragt wird (Brown 2000: 12) und damit zu wichtigen Erkenntnissen über den Bereich der Kultur und des Alltagslebens kommt. Aber wie verdichten sich spezifische Machtverhältnisse zu dem Bild einer »im falschen Körper gefangenen« Person? Welche Erfahrungen des Alltagslebens schreiben sich in dieses Bild ein und in welcher Weise ermöglicht eine Analyse dieses Bildes einen anderen Blick auf das Phänomen der Transsexualität? Diesen Fragen gehe ich im Folgenden anhand der Autobiografie Sein oder Nichtsein (2001) von Felix Fink nach. Autobiografische Narrationen sind ein zentrales Mittel der Identitätskonstruktion, der Sinngebung und Stiftung von Kontinuität und Kohärenz. Im Falle der Transsexualität ist das Muster, in dem das eigene Erleben gegenüber medizinischen Gutachtern erzählt werden muss, vorgegeben und zentriert sich um das »Gefühl, im falschen Köper« zu sein. Die Schlüsselstelle solcher Narrationen bildet die Entscheidung, körperliche Modifikationen in Anspruch zu nehmen (Vgl. Kilian 2004). Auch die Autobiografie des von Frau-zu-Mann-Transsexuellen Felix Fink (2001) folgt diesem Narrations-
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muster und verdeutlicht dabei den ambivalenten Gehalt der Metapher »im falschen Körper«. Sie schildert ausführlich Finks Erfahrungen bis zu dem Zeitpunkt, zu dem er alle Operationen hinter sich gebracht hat und das »normale Leben eines Mannes« (2001: 399) lebt. Nachdem Felix einige Zeit beschlossen hat, seine Männlichkeit zu leben, schildert er die Erlebnisse einer Chorwoche, auf die er jährlich mit seinen Eltern fährt. Mit 15 Jahren wagt er sich, Tenor zu singen und erzählt: »Hier fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben als anerkanntes Mitglied einer männlichen Gemeinschaft. Das war ein tolles Gefühl! … Ich konnte so sein, wie ich mich fühlte, und alle sahen es als selbstverständlich an. Ich war kein Außenseiter mehr!« (Fink 2001: 109). Gleichzeitig ist Finks Passing davon abhängig, nicht von seinen Eltern entdeckt zu werden: »Meine Eltern durften nichts davon merken! Also setzte ich mich … an die Grenze zwischen Alt und Tenor.« (Fink 2001: 108). Die Grenzplatzierung verweist bereits auf die Prekarität von Felix Zugehörigkeit zur männlichen Gemeinschaft. Und so ereignet sich im folgenden Jahr eine Situation, die ihn wieder aus der Gruppe der Männer ausgrenzt: Seine Mutter unterhält sich mit einem Tischnachbarn: »Der Mann … [bezeichnet] mich natürlich als ›er‹. Das kann meine Mutter nicht im Raum stehen lassen: ›Das ist eine ›sie‹!‹ Ich erstarre. […] Nach vielen Beteuerungen haben meine Eltern es endlich geschafft, ihn zu überzeugen. Nur seine Höflichkeit hindert ihn daran, mich anzustarren, mich im Geiste auszuziehen, um versteckte weibliche Merkmale zu finden. Noch schlimmer: alle in der Umgegend scheinen es gehört zu haben. Ein paar lachen schallend. Alles ist im Eimer« (Fink 2001: 117). Fink schildert hier die Gefühle der Unsicherheit und Scham, die bei ihm entstehen, sowie die Konsequenzen dieser Situation für ihn: »Hiermit bin ich aus der Männergemeinschaft ausgeschlossen, …! Nur weg hier! […] In dieser Nacht schwöre ich mir, erst wieder diese Singwoche zu besuchen, wenn mit mir alles in Ordnung ist. Ich muß ihnen durch eindeutige Merkmale beweisen können, dass ich ein Junge bin. Wie kann ich das erreichen? Operation. Ja. Das ist die einzige Möglichkeit. […] Ich entschied mich zur Operation« (Fink 2001: 118).
Die Passage problematisiert weniger den Körper als vielmehr die soziale Zugehörigkeit. Solange ihm das Passing und damit die Zugehörigkeit zur männlichen Gemeinschaft gelingen, erscheint auch der Körper nicht als Problem. Dies wird er erst in dem Moment, in dem die »Wahrheit« des Körpers von den Eltern offengelegt wird. Diese »Wahrheit« ist so dominant und allumfassend in ihrem Anspruch, dass Felix keine Möglichkeit hat, seine Identität und Selbstrepräsentation zu verteidigen. Indem die Eltern die Definitionsmacht über sein Geschlecht gewinnen, verliert er seine soziale Zugehörigkeit und ist blamiert. Die
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daraus resultierende soziale Isolation und der absolute Wahrheitsanspruch, der sich an die Kategorie des anatomischen Geschlechts knüpft, sind es, die eine Frage sozialer Zugehörigkeiten in eine Frage individueller Abnormität verdrehen. Obwohl Felix mit einem weiblichen Körper anerkanntes Mitglied der männlichen Gemeinschaft sein konnte, wird dies durch dessen Entlarvung zu einer Unmöglichkeit. Die Passage kann als eine Schilderung dessen gelesen werden, wie sich der Körper als Raum, in dem das Selbst von Felix gefangen ist, konstituiert: Als Ergebnis heteronormativer Anrufungen und normierender Blicke, die Felix isolieren und als »nicht normal« markieren. Er besitzt keine Sprache, die die Wirkmächtigkeit und den Wahrheitsanspruch der Fremdzuschreibungen infrage stellen und sein Erleben den anderen verständlich machen könnte. Der einzige sich bietende Ausweg scheint, durch eindeutige körperliche Merkmale den Beweis für sein Geschlecht zu erbringen. Bezeichnenderweise verwendet Fink die Formulierung »im falschen Körper« in seiner Autobiografie auch erst ab dem Punkt, an dem er sich für die Operation entschieden und in psychologische Behandlung begeben hat. Die Wirkmächtigkeit der Fremdzuschreibungen speist sich dabei nicht allein aus performativen Akten der Eltern, sondern auch aus dem hier repräsentierten Kontext. Die Chorwoche wird als ein heteronormativ strukturierter Ort repräsentiert. Deutlich wird dies nicht nur an der offensichtlich von allen geteilten Auffassung, Felix sei »in Wirklichkeit« ein Mädchen, sondern auch in der Anordnung der Personen im Raum. Um zur männlichen Gemeinschaft des Tenors gehören zu können und gleichzeitig nicht von seinen Eltern entdeckt zu werden, muss sich Felix entsprechend platzieren: Diese Grenzpositionierung zwischen Alt und Tenor, die Felix Passing ermöglicht, verweist damit auf eine stark geschlechtsspezifisch organisierte Raumaufteilung, in der Positionierungen Geschlechtszugehörigkeiten zu stabilisieren und abzusichern vermögen. Mit der Metapher »im falschen Körper« werden diese geschlechtsspezifisch organisierten und heteronormativ strukturierten Machtverhältnisse, innerhalb derer sich transsexuelle Subjekte konstituieren, unsichtbar gemacht. Es ist auffällig, dass in Trans*biografien, die die Formulierung »im falschen Körper« explizit für sich ablehnen, häufig ein nicht dermaßen heteronormativ strukturiertes Lebensumfeld geschildert wird.30 30 So lehnt Jess, die_der Hauptprotagonist_in in Leslie Feinbergs Roman (2008), die Vorstellung »im falschen Körper« für sich explizit ab. Jess hatte über viele Jahre eine stabile Zugehörigkeit zur US-amerikanischen Butch/Femme-Szene. Erst gesellschaftliche und politische Veränderungen lassen medizinische Körpermodifikationen für sie_ihn notwendig werden, ohne dass er sich deshalb als transsexuell identifiziert: »Grant pfiff leise. ›Woher willst Du wissen, dass du kein Transsexueller bist?‹ Ich
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Zugleich besitzt sie jedoch das Potenzial, das Selbsterleben transsexueller Personen zu beschreiben. Innerhalb einer heteronormativ zweigeschlechtlichen Gesellschaft vermag sie die Spezifität einer Erfahrung, die darauf beruht, den sich überschneidenden Normen von gender und Sex nicht zu entsprechen, einfach auszudrücken. Sie ermöglicht und erzwingt es über das Leiden, das aus dem Unsichtbarsein des eigenen Geschlechts resultiert, zu sprechen, zumal dann, wenn keine andere Sprache zur Verfügung steht, um das eigene Empfinden in Worte zu fassen. Damit verweist sie auf die Unmöglichkeit sozialer Existenz: Solange eine Person »im falschen Körper« steckt, kann sie nicht als reale/fassbare Person in ihrer Umwelt existieren. Insofern kann die Metapher »im falschen Körper« als eine Repräsentation der Wirkmächtigkeit heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit aufgefasst und als solche als angemessen betrachtet werden. Gleichzeitig wäre es jedoch verkürzt, Transsexuelle als »Opfer« einer heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit darzustellen. Vielmehr existieren verschiedene Strategien, sich innerhalb dieser Machtverhältnisse als Subjekt zu konstituieren. Wie groß dabei die individuelle Handlungsfähigkeit ist und welche Entscheidungen Einzelne treffen, ist immer abhängig von einem komplexen Feld sich überschneidender Machtrelationen. Kritisiert werden muss nicht die Verwendung der Metapher, zumindest nicht aus jeder Position. Sie kann als Erfahrung Transsexueller angemessen erscheinen. Dennoch ist ihre dominante, fast ausschließliche Verwendung in hegemonialen Diskursen, die andere Formen der Repräsentation transsexueller Existenz verunmöglicht, zu kritisieren. Die Art und Weise, in der Felix Fink nicht gegen Geschlechternormen rebelliert, die klare Geschlechterdifferenz eines heteronormativen Umfeldes für sein Passing nutzt, um sich – sobald dieses scheitert – für einen Geschlechtswechsel zu entscheiden, der auch als Normalisierung gelesen werden kann, bringt seine Repräsentation der Transsexualität tendenziell in Konflikt mit queeren Theorien und Praktiken, die auf eine Dekonstruktion von Geschlecht und Sexualität abzielen. Die Tendenz dekonstruktiver Ansätze der Geschlechterforschung, innerhalb derer die Figuren des Transsexuellen und des Transgender zu zwei zentralen Eckpunkten werden, bringt Vivian K. Namaste auf den Punkt: »Drag Queens expose compulsory sex/gender-relations, while transsexuals can only offer ›an uncritical miming of the hegemonic [sex/gender-System]‹ « (Namaste 2000: 14). schüttelte den Kopf. ›Ich hab im Fernsehen was darüber gesehen. Ich fühl mich nicht wie ein Mann, der im Körper einer Frau eingesperrt ist. Ich fühl mich nur eingesperrt‹« (Feinberg 2008: 242).Vgl. hierzu insbesondere Prosser (1998), der zeigt, dass transsexuellen Autobiografien, die um die Narration »im falschen Körper« organisiert sind, auf das Erreichen eines »Zuhauses« zielen, während in Autobiografien von Transgender-Personen das Erreichen eines »Zuhauses« nur imaginär möglich ist.
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Diese in Butlers Theorie implizit vorgenommene Trennung zwischen Travestie und Transsexualität kritisiert Vivian K. Namaste als »tragic misreading«, das die Entwicklung breiter Bündnispolitiken von Trangendern verhindere.31 Innerhalb der Geschlechterforschung zeitigt dieses Missverständnis den Effekt, dass in zahlreichen Forschungen, die Performativität von Geschlechtsidentitäten untersuchen, die Figur des Transgender zum paradigmatischen Zeichen der Subversion von Zweigeschlechtlichkeit avanciert. Forschungen zu Transsexualität und zu den alltäglichen, zumeist extrem prekären alltäglichen Existenzbedingungen transgeschlechtlicher Personen dagegen bleiben genauso marginalisiert wie Untersuchungen der Konstruktionsweisen des anatomischen Geschlechts – zumindest aus geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive32: »[…] die Unterscheidung Sex/Geschlecht [verweist] auf die […] zentrale Unterscheidung von Essentialismus und Konstruktivismus. Als wäre der Sex und die Geschlechterdifferenz […] in einem essentialistischen Rahmen verständlicher, wohingegen das Geschlecht, die soziale Konstruktion der Geschlechterdifferenz […], besser in konstruktivistischen Modellen erfaßt werden könnte« (preciado 2003: 117f.).
Eine solche Differenzierung der Forschung entlang theoretischer und disziplinärer Grenzen erscheint insbesondere insofern problematisch, als sich trotz queerer Kritiken an heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit die alltagsweltliche Auffassung, dass es doch so etwas wie eine »letzte Wahrheit« des Körpers, dass jeder Mensch letztendlich doch entweder »Frau« oder »Mann« ist, auch in wissenschaftlichen Diskursen hartnäckig zu halten scheint. Insofern die Naturalisierung des anatomischen Geschlechts eine der wirksamsten Strategien ist, herrschende Ordnungsmuster und Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten – Machtverhältnisse innerhalb derer Personen, die den Geschlechternormen nicht entsprechen, pathologisiert, diskriminiert, unsichtbar gemacht und/oder mit Gewalt eingepasst werden –, ist eine Infragestellung der Naturbasis von Geschlecht dringend notwendig. Statt hier den häufig postulierten Gegensatz zwischen Essentialismus und Konstruktivismus aufzumachen, schlage ich vor, die Wirksamkeit heteronormativer Machtverhältnisse ernst zu nehmen. Betrachtet man die Metapher »im falschen Körper« als angemessen, um spezifische Erfahrungen innerhalb konkreter Machtverhältnisse auszudrücken, dann ist die Unhintergehbarkeit des materiellen Körpers keine naturgegebene Tatsache mehr. Vielmehr wird und 31 Vgl. auch Prosser (1998), preciado (2003). 32 Aus feministischer biologischer Perspektive wurde die Konstruktion des sex verschiedentlich dekonstruiert, vgl. insbesondere Fausto-Sterling (1988) sowie Klöppels historische Untersuchung zum medizinischen Umgang mit Intersexualität (2010).
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bleibt der materielle Körper sowohl als eine Wirkmacht, die Überschüsse über Prozesse kultureller Konstruktion und Bedeutungsproduktion hinaus produziert, als auch als Figuration, die sich innerhalb soziokultureller Prozesse und Machtverhältnisse materialisiert. Er ist damit nicht vollständig unwichtig für die Konstruktion von Geschlecht, er ist aber auch nicht nur natürlich und unveränderbar. Statt sex für unbedeutend oder unveränderbar zu erklären, gilt es zu fragen, mittels welcher Strategien und Technologien dieser produziert wird und welche Möglichkeiten kritischer Intervention sich bieten. Hierfür können Forschungen zu Transsexualität wichtige Anstöße geben.33 Die Abhängigkeit der Selbstrepräsentationen von Transpersonen von den gesellschaftlichen Kontexten, in denen sie sich positionieren, legt es zudem nahe, die kategoriale Trennung von Transgender und Transsexualität zu hinterfragen. Statt sie als wesenhafte Eigenschaften von differenten Personengruppen zu definieren, gilt es, diese vielleicht eher in Begriffen einer veränderbaren Positionierung, die sich aus einem jeweils konkreten Zusammenspiel von Subjekt und Kultur ergibt, zu beschreiben. In diesem Prozess spielen kulturelle Normen, Narrationen, Bilder und Bedeutungsstrukturen eine zentrale Rolle. So kann in der Autobiografie Felix Finks die Situation, in der sein Passing auffliegt und er keine Möglichkeit hat, seine geschlechtliche Wahrheit gegen die Geschlechtszuschreibung durch die Eltern aufgrund seines Körpers zu verteidigen, als eine Schlüsselszene gelesen werden, in der es für ihn nur einen Ausweg gibt: den klassischen transsexuellen Weg der Geschlechtsumwandlung. Verweist die Erzählung Felix Finks hier auf die dringende Notwendigkeit, die körperliche Modifikationen für ein Überleben und das Führen eines lebenswerten Lebens von Transsexuellen besitzen können, weist sie gleichzeitig auf eine Machtlosigkeit, sich selbst verständlich zu machen, hin, die nicht zuletzt in einer Sprachlosigkeit und der Bedeutungsmächtigkeit hegemonialer Codierungen des materiellen Körpers wurzelt. An dieser Stelle ist es notwendig, zwei Dinge gleichzeitig anzuerkennen, die in den Debatten zwischen Essentialismus und Konstruktivismus, zwischen Transgender und Transsexualität, Dekonstruktion und Rekonstruktion immer und immer wieder in Widerspruch zueinander gebracht und gegeneinander ausgespielt werden: Erstens gibt es innerhalb spezifischer Kontexte für bestimmte Personen – aus welchen Gründen auch immer – eine Notwendigkeit und zuweilen auch nur den Wunsch, ihre Körper zu modifizieren. Diese Praktiken und Modifikationen gilt es als Kulturationen des Körpers anzuerkennen, die an sich weder problematisch noch patho33 In ähnlicher Weise gälte es aber auch, andere Formen der Körpermodifikation, wie etwa Schönheitsoperationen, aus feministischer Perspektive nicht einfach als normativitätsaffirmierend zu verwerfen, sondern als Ausdruck der Wirksamkeit von Normen kritisch zu hinterfragen.
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logisch sind. Zweitens ist es gleichermaßen wichtig, die scheinbar unmittelbare, selbstverständliche und natürliche Sprache des Körpers einer kritischen Revision zu unterziehen und einen Raum zu öffnen, innerhalb dessen jene Körper und Personen, die innerhalb hegemonialer Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität stumm, unverständlich, irritierend sind, Sprachen finden und Möglichkeiten des Sich-verständlich-Machens entwickeln können. Denn die gegenwärtigen Funktionsweisen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit beruhen nach wie vor darauf, alles, was sich nicht in die Ordnung der zwei Geschlechter einfügen lässt, hartnäckig unsichtbar zu machen und/oder zumindest in einen Raum des Fiktionalen, Monströsen und/oder Fantastischen zu verbannen. Die Last des Geheimnisses Der Künstler und Transaktivist Jamison Green bringt in seinem Text »Look! No, don’t! The Visibility Dilemma for Transsexual Men« das grundsätzliche Paradox der Repräsentation, in das heteronormative Zweigeschlechtlichkeit Transmänner zwingt, auf den Punkt: »Transsexual experience becomes invisible, […], in direct proportion to the success of appearing to others as a member of one’s subjectively experienced gender; conversely to the extent that one reveals a transsexual life course to others, one risks undermining the achieved gender status.« (Green 2006b:499)34
Der juristische und medizinische Umgang mit Transsexualität löst dieses Paradox nur scheinbar, wenn er darauf abzielt, Transmänner zu »normalen« Männern zu machen und den Zugang zu geschlechtsverändernden juristischen und/oder medizinischen Technologien in hohem Ausmaß davon abhängig macht, als »normaler Mann« zu passen. Indem die Institutionen, die die Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen organisieren, mögliche Entscheidungen über die eigene geschlechtliche Existenzweisen solchermaßen reglementieren, legitimieren sie tendenziell transphobe Diskriminierungen.35 Auch wenn – oder vielleicht gerade weil – viele Transsexuelle sich selbst für das Unsichtbarhalten ihrer Transsexualität entscheiden und dazu aufgrund der Bedrohung durch transphobe Gewalt innerhalb vieler gesellschaftlicher Kontexte gezwungen sind, sind solche 34 In ähnlicher Weise artikuliert dies Prosser (1998: 209). 35 Denn wenn von offizieller Seite das Passing und »normal« sein vorgeschrieben ist und ansonsten z.T. medizinische Behandlungen oder die Änderung des Geschlechts in offiziellen Papieren verweigert werden, dann erscheint jedes Sichtbarwerden als transsexuell gegen juristische und medizinische Vorgaben zu verstoßen, was wiederum soziale Sanktionen angemessen erscheinen lassen kann.
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Unsichtbarkeiten, wie Green überzeugend argumentiert, mit erheblichen Problemen behaftet: »In short, in order to be a good – or successful – transsexual person, one is supposed not to be a transsexual person at all. This puts a massive burden of secrecy on the transsexual individuum: the most intimate and human aspects of our lives are constantly at risk of disclosure. Every time a transsexual man goes into a public (or even private) toilet he is aware of his history; every time he makes love with a partner; every time he seeks medical care; whenever he is at the mercy of a governmental body or social service agency, he is aware of his history – or aware of any anomalies of his body – and must consciously be on guard against discovery. And this is supposed to be the optimal ground of being for a successful person? I think not« (Green 2006b: 501).
Die »Last des Geheimnisses« (Green), die sich mit der Forderung nach einem unsichtbaren Leben verknüpft, zeigt sowohl die Grenzen der Normalisierung auf als auch die Individualisierung von Problemlagen transgeschlechtlicher Existenzweisen. Daher plädiert Jamison Green dafür, den Kampf um Anerkennung innerhalb der Logik heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit aufzugeben: »Seeking acceptance within the system of ›normal‹ and denying our transsexual status is an acquaintance to the prevailing binary gender paradigm that will never let us fit in, and will never accept us as equal members of society. […] By using our own bodies and experience as reference for our standards, rather than the bodies and experience of non-transsexual (and non-transgendered people), we can grant our own legitimacy, as have all other groups that have been oppressed because of personal characteristics« (Green 2006b: 503, Hervorhebung jh).
Vor dem Hintergrund der gegebenen politischen, juristischen und medizinischen Situation von Transsexuellen ist Greens Argumentation, die sich klar gegen eine Affirmation heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit wendet, überzeugend. Dennoch scheint sie aus einer queeren Perspektive kritikwürdig. Sein Bezug auf eigene Körper und Erfahrungen als Grundlage einer Politik der Sichtbarkeit erinnert an Strategien der feministischen Identitätspolitik, die Judith Butler einer fundamentalen Kritik unterzogen hat. Ganz offenbar werden die Widersprüche zu queerer Theorie, wenn Green Transmänner eine »natural masculinity« (2006b: 499) zuspricht oder den Anspruch erhebt, ein »authentic man« (2006b: 506) zu sein. Innerhalb queer-feministischer Forschung, die Butlers These folgt, es gäbe kein natürliches oder wahres Geschlecht, fungieren solche Begriffe als
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Schlüsselwörter, die umgehend Widerspruch hervorzurufen vermögen. Einen Widerspruch, den Green dann auch selbst thematisiert: »Academics are afraid of being called essentialists, but I am not afraid of saying that as an artist and as a human being I am motivated to express both the core and essence of my being-ness and I will stand by the truth of my experience and the logic of my analysis« (Green 2006b: 506).
Auf den ersten Blick erscheint der Widerspruch, den Green hier formuliert, evident. Sind doch Vorstellungen von Authentizität, Wesenhaftigkeit und »natürlicher« Männlichkeit innerhalb feministischer Forschung als patriarchale Konstruktionen, die sexistische Machtverhältnisse verschleiern und naturalisieren, kritisiert worden.36 Insbesondere im Zuge dekonstruktivistischer und poststrukturalistischer Theoriebildung, die die Kategorienbildung feministischer Wissenschaft selbst kritisch hinterfragte, wurde Essentialismus zu einem zentralen und wichtigen Gegenstand von Kritik. Denn die sich auf einen Wesenskern berufenden identitätslogisch operierenden Politiken beteiligen sich schnell, wie Butler in Gender Trouble (1991) argumentiert, an der Aufrechterhaltung jener Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die sie eigentlich zu kritisieren und zu bekämpfen suchen.37 Aber trifft eine solche Kritik an essentialistisch argumentierenden Identitätspolitiken tatsächlich auf Greens Argumentation zu? Und wenn dies der Fall ist, wie lässt sich dann mit dem Paradox umgehen, das sich aus einer drängenden Notwendigkeit zu Sichtbarkeit, wie sie Green darlegt, und der Problematik essentialisierender Identitätspolitiken ergibt? An dieser Stelle ist es von entscheidender Bedeutung, zu reflektieren, wie Green seine Identität formuliert und in welchem Verhältnis diese zu juristischen und medizinischen Regulierungen der Geschlechtsidentität steht. Denn indem Green das Paradox der Repräsentation selbst problematisiert, erliegt er weder der Illusion einer einfach gegebenen oder abbildenden Sichtbarkeit, noch beansprucht er, in einer universalisierenden Perspektive für alle Transmänner immer und überall zu sprechen. Dies wird in seinen sehr persönlichen Formulierungen (»my being-ness«, »my experience«, »my analysis«) deutlich. Zudem schränkt er sowohl seine Perspektive des Sprechens (»als Künstler und Mensch«) als auch den Erfolg seiner Repräsentation ein. In der Formulierung »I am motivated to express both the core and essence of my being-ness« (Green 2006b:506) öffnet 36 Für Überblickswerke feministischer Kritik vgl. bspw. Bußmann/Hof (Hg.) (2005) sowie Braun/Stephan (Hg.) (2005). 37 Zum Paradoxon von Identitätspolitiken vgl. insbesondere auch Hark (1996).
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er einen Raum für eine Sicht auf Repräsentationen, die diese nicht als natürlich oder abbildend, sondern in hohem Ausmaß hergestellt und als einen Prozess des Sich-verständlich-Machens begreift. Indem Green hier sowohl seine Analyse als auch seine Motivation, etwas auszudrücken, betont, folgt er dabei weder einer einfachen Identitätslogik noch einem Glauben an eine unmittelbare Erfahrung. Es ist daher an dieser Stelle entscheidend, darauf zu bestehen, dass nicht jede Form von Identität an sich als problematisch erachtet werden kann. Butler betont dies in Bezug auf die häufigen Differenzen und Spannungen zwischen Queer Theory und Intersex- sowie Transsexuellen-Aktivismus explizit: »Wenn Queer Theory per definitionem so verstanden wird, dass sie jeden Identitätsanspruch einschließlich fester Geschlechtsidentitäten ablehnt, dann ist die Spannung [zwischen Queer Theorie und Intersex- und Transsexuellen-Aktivismus, jh] tatsächlich stark. Allerdings würde ich behaupten, dass der Anspruch der Queer-Theory, gegen die unerwünschte gesetzliche Regelung zu sein, wichtiger ist als irgendeine Vorannahme zur Formbarkeit der Identität oder sogar über deren rückschrittlichen Status. […] Genauso wie sich Queer-Theory gegen alle richtet, die Identitäten regulieren möchten oder eine epistemologisch begründete Vorrangstellung für diejenigen etablieren wollen, die bestimmte Arten von Identitäten für sich beanspruchen, […] pocht [sie] auch darauf, dass sich Sexualität nicht einfach durch Kategorisierung auf einen Nenner bringen lässt. Daraus folgt allerdings nicht, dass die Queer-Theory jedwede Geschlechtszuordnung bekämpfen würde oder die Wünsche derer fragwürdig machen wollte, die zum Beispiel bei Intersex-Kindern solche Zuordnungen sicherstellen möchten, weil Kinder sie durchaus brauchen können, um sozial zu funktionieren, selbst wenn sie später im Leben – um die Risiken wissend – zum Entschluss gelangen, ihre Geschlechtszugehörigkeit zu ändern. Dahinter steht die vollkommen berechtigte Annahme, dass Kinder nicht die Last auf sich nehmen müssen, Helden einer Bewegung zu sein, ohne zu einer solchen Rolle ihre Zustimmung als Mündige geben zu können. In diesem Sinne ist die Kategorisierung angebracht und kann nicht auf Formen eines anatomischen Essentialismus reduziert werden« (Butler 2009: 18f.).
In ähnlicher Weise wie Butler hier bestimmte Kritiken an der Geschlechtszuordnung intersexueller Kinder mit dem Argument zurückweist, diese ließen sich nicht auf einen anatomischen Essentialismus reduzieren, lässt sich argumentieren, dass Greens Bestehen auf Identität und Sichtbarkeit nicht einfach auf Formen eines psychischen Essentialismus reduziert werden kann. Denn erstens richtet sich sein Bestehen auf seiner Identität gerade gegen jene medizinischen und juristischen Regulierungen transsexueller Identitäten, die ein Unsichtbarhalten transsexueller Vergangenheiten und Körper einfordern und zu erzwingen versuchen. Zweitens kann das Zurückweisen der Standards normativer Geschlechter-
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ideale und das Bestehen auf den eigenen Artikulationen von Geschlecht, die in konkreten soziohistorischen Kontexten verortet und auf eine partikulare Position beschränkt sind, als Form jener kultureller Praxen betrachtet werden, die Chantal Mouffe (2001) als ein wichtiges Feld politischer Kämpfe beschreibt. Ausgehend von der Notwendigkeit der Essentialismuskritik für politische Kritik, wendet sich Mouffe gegen extreme Formen des Dekonstruktivismus und betont, dass »die Kritik des Essentialismus […] von sich aus nicht ausreicht, um eine fortschrittliche Alternative zu entwickeln« (Mouffe 2001: 12). Wie aber lassen sich aus anti-essentialistischer Sicht Identitäten formulieren? Und wie lassen sich die politischen Effekte und visuellen Politiken beschreiben, die sich in Identitätsformationen artikulieren? In Bezug auf diese Fragen knüpft die vorliegende Studie an Silke Wenks Begriff der »visuellen Politiken« an, der auf Mouffes diskursivem Verständnis von Politik aufbauend ein Denkmodell entwickelt, das es ermöglicht, die politischen Effekte und Politiken von visuellen Repräsentationen zu untersuchen. Visuelle Politiken Mit ihrem Konzept einer radikalen Demokratie entwirft Chantal Mouffe ein grundlegend diskursives Verständnis von Politik, das die Grundlage für ein Nachdenken über visuelle Politiken bildet. Anknüpfend an Gramscis Hegemonie-Theorie, die Macht nicht als äußere Beziehung zwischen Personen, Institutionen oder Dingen begreift, sondern als inhärentes Moment, das gesellschaftliche Objektivität überhaupt erst konstituiert, wendet sich Mouffe explizit gegen liberale Vorstellungen von Politik, nach denen Politik in der Aushandlung rationaler Interessen bereits vorgefertigter Identitäten besteht, sowie gegen ein politisch Imaginäres, das sich um den »Traum von einer um einen homogenen Kollektivwillen herum ethisch versöhnten Gesellschaft« (Laclau/Mouffe 1991: 26) zentriert. Stattdessen stellt sie das Wesen der Macht und die Unvermeidbarkeit des Antagonismus ins Zentrum ihrer Konzeption des Politischen (Mouffe 2001: 12). Insofern Macht nicht als äußerliche Beziehung zwischen Identitäten gedacht werden kann, sondern diese selbst erst konstituiert, »besteht […] politische Praxis in einer demokratischen Gesellschaft nicht in der Verteidigung vorgefertigter Identitäten, sondern vielmehr in der Bildung von Identitäten selbst auf einem prekären und leicht verletzlichen Gebiet« (Mouffe 2001: 14). In diesen Prozessen der Identitätsbildungen spielen kulturelle Praxen eine zentrale Rolle: »Wenn man die wahre Natur der durch die Differenzen konkretisierten Grenzen und Ausschließungen anerkennt, anstatt sie als von der ›freien Ausübung öffentlicher Vernunft‹ erforderlich darzustellen, dann schließt dieser agonistische Pluralismus jeden Versuch der
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Einengung des demokratischen Raums durch Rationalitäts- oder Moralansprüche aus. Anstatt zu versuchen, Leidenschaften auszuschalten oder sie in die Privatsphäre abzuschieben, um einen vermeintlich vernünftigen Konsens in der öffentlichen Sphäre zu erzielen, behauptet sie, dass eine demokratische Politik darauf abzielen sollte, jene Leidenschaften für demokratische Entwürfe zu mobilisieren. Bei einem solchen Bemühen haben kulturelle Praxisformen eine bedeutende Rolle zu spielen, weil die Kunst gerade die mit der ›Leidenschaft‹ verbundene Dimension der menschlichen Existenz anspricht. Es ist außerdem ein wirkungsvoller Weg, private Themen zu mobilisieren, sie öffentlich zu machen und dabei bereits fest eingerichtete Identitäten herauszufordern« (Mouffe 2001: 18).
Vor diesem Hintergrund wird eine Analyse kultureller und künstlerischer Praktiken nicht nur notwendig, »um die politische Dimension von kulturellen und künstlerischen Praxisformen zu erfassen, sondern auch, um die Besonderheit sowohl des feministischen Kampfs als auch anderer gegenwärtiger Auseinandersetzungen zu erfassen, in denen kulturelles Handeln eine zentrale Rolle spielt« (Mouffe 2001: 19). Obwohl Mouffe hier die politische Dimension von Kunst und Kultur betont, bleibt sie in der Analyse verschiedener ästhetischer Strategien einem radikalen Pluralismus verhaftet, der die Vielfältigkeit verschiedener künstlerischer Praktiken anerkennt (Mouffe 2001: 21f.), ohne dass sie sich mit den verschiedenen Wirkmächtigkeiten dieser Strategien detaillierter auseinandersetzt. Das Eintreten für einen solchen Pluralismus, der einer Kanonbildung entgegenzuwirken sucht, ist gerade vor dem Hintergrund gegenwärtiger Tendenzen, spezifische Ästhetiken eng mit Vorstellungen politischer Widerständigkeit oder Konformität zu verknüpfen, notwendig und verständlich. Gleichzeitig bleibt er problematisch, insofern er Gefahr läuft, einem radikalen Kulturrelativismus zu verfallen. Um dieser Gefahr zu entgehen, ist Silke Wenks Begriff der »visuellen Politiken« hilfreich. Wenk (2005) knüpft aus einer kunstwissenschaftlichen Perspektive an Mouffes Überlegungen an, um jene visuellen Politiken, die sich mit dem Einsatz und dem Auftauchen spezifischer Bilder verbinden, analysierbar zu machen. Bilder, so Wenk, sind mit ihrem Vermögen, »Ängste der Auflösung ebenso zu mobilisieren wie Formen der Beruhigung«, immer auch an der Produktion und Aufrechterhaltung von Identitäten und Gefühlen der Zugehörigkeit beteiligt (Wenk 2005: 122). Aus dieser Perspektive können visuelle Repräsentationen von Transmännlichkeit als visuelle Politiken begriffen werden, die sowohl Identitäten als auch Zugehörigkeitsgefühle produzieren. Allerdings handelt es sich dabei keineswegs um Politiken, die in einem strategischen und intentionalen Handeln aufgehen. Denn Bilder operieren immer auch im Feld des Politischen. Das Politische ist jedoch im Gegensatz zu Politik, die Chantal Mouffe »als Set verschiedener Handlungsweisen und Institutionen, um Ordnung zu
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schaffen, die menschliches Miteinander organisieren soll« definiert, eine Dimension vor bzw. unterhalb der sozialen Ordnung, die von einem grundlegenden Antagonismus durchzogen ist. Im Anschluss an Freud und Lacan beschreibt Mouffe das Politische als etwas, das »immer mit Konflikt und Antagonismus zu tun hat« und das immer wieder in Politiken und soziale Ordnungen einbrechen und dort neue Artikulationen, Identitätsbildungen und Differenzziehungen auslösen kann, ohne dass es durch einen liberalen Rationalismus zu erfassen wäre (Mouffe 2002: 56).38 An diese Bestimmung des Politischen anknüpfend betont Wenk, dass »Bilderpolitik […] keineswegs immer nur systematisch geplant [ist], manche Auswahl […] geschieht eher, weil sie ›passend‹ erscheint, wobei vieles unausgesprochen bleibt« (Wenk 2005: 123). Um jene Prozesse der Produktion und Zirkulation von Bildern zu beschreiben, verknüpft Wenk Mouffes Konzept des Politischen mit dem kulturellen Bildrepertoire Kaja Silvermans, das all die Darstellungsparameter und Bilder umfasst, die sich als »Vor-Gesehenes« fast zwangsläufig aufdrängen (Silverman 1997: 58, zit. nach Wenk 2005: 122). Im Zusammenbringen beider Konzepte beschreibt Wenk jene visuellen Politiken, die sich im Kontext der neuen Kriege entfalten: Hält »das Problem, eine heile, nicht-antagonistische Gesellschaft zu repräsentieren«, um das in der Dimension des Politischen stets gekämpft wird, »die Produktion des Visuellen in Gang«, dann bieten sich »gerade in Situationen, die als Katastrophe wahrgenommen bzw. medial vermittelt werden, […] Rückgriffe auf tradierte Zeichen/Bilder an, die im kollektiven Gedächtnis abrufbar und zur Aktualisierung bereit liegen« (Wenk 2005: 123). Da sich die spezifischen Bedeutungen jedoch immer nur in der Verknüpfung mit anderen Bildern und Texten herstellen, können in solchen Prozessen tradierte Bilder mit neuen Bedeutungen aufgeladen werden und eine »aktuelle Wirkungskraft entfalten, die keineswegs auf ihren überkommenen Entstehungskontext beschränkt bleiben muss« (Wenk 2005: 123). Diese Überlegungen zu visuellen Politiken machen es möglich und erforderlich, jene Bedeutungen und Bedeutungsstrukturen, die in Bildproduktionen und -zirkulationen in ihren jeweiligen Verknüpfungen mit anderen Bildern und Texten entstehen, zu analysieren und sie auf ihre Effekte innerhalb herrschender Machtverhältnisse hin zu befragen.39 Insofern auch visuelle Repräsentationen von Transmännlichkeit auf das »VorGesehene« zurückgreifen und dieses umarbeiten, lässt sich fragen: In welcher Weise beteiligen sie sich an der Konstruktion und Reproduktion von Kategorien 38 Zur Beschreibung des Politischen als etwas jenseits der sozialen Ordnung, das immer nur in Bezug auf diese und in Momenten des Einbruchs fassbar wird, vgl. auch Stavrakakis (1998). 39 Zur Analyse visueller Politiken im vgl. auch Wenk/Krebs (2011).
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und Vorstellungen von Männlichkeit und Transsexualität? An welchen Punkten reartikulieren sie hegemoniale Vorstellungen in entscheidender Weise? Und wie tragen sie dazu bei, Gefühle der Sicherheit und Zugehörigkeit zu vermitteln oder zu unterlaufen und zu verunsichern? Die Analyse visueller Repräsentationen von Transmännlichkeiten zielt darauf ab, die politischen Effekte und Wirkmächtigkeiten der darin implizierten Politiken zu erfassen. Damit besitzt sie entscheidende Differenzen zur Position Jamison Greens. Während dieser aus künstlerischer und transaktivistischer Perspektive legitimer Weise darauf besteht, seine Erfahrungen und seine Wesenheit auszudrücken, kann es einer wissenschaftlichen Analyse weder darum gehen, die eigenen Erfahrungen zu artikulieren, noch darum, die Intentionen des Künstlers zu erfassen und möglichst treffend wiederzugeben. Dies ist schon deshalb unmöglich, weil auch für diese visuellen Politiken gilt, dass sie niemals vollständig in einem bewussten und/oder intentionalen Handeln aufgehen. Vielmehr stellt sich auch hier vieles eher zufällig ein und/oder erscheint passend, ohne dass dies vollständig rational zu erfassen wäre (Wenk 2005). Zudem würde eine solche Perspektive einzunehmen auch schnell in eine (Pseudo-)Analyse der Persönlichkeit des Künstlers verfallen, eine Form der Wissensproduktion, die in keinster Weise angemessen wäre. Insofern nichts sicherstellen kann, dass Bedeutungen in derselben Form produziert und rezipiert werden, in der ihr_e Autor_in dies intendiert, muss es die Aufgabe einer wissenschaftlichen Analyse sein, nicht die intendierten, sondern die in spezifischen sozio-kulturellen Kontexten aktualisierten – und zumindest teilweise objektivierbaren – Bedeutungen zu erfassen. Statt also Intentionen zu entschlüsseln oder die repräsentierten Identitäten von Transmännern zu analysieren, geht es der vorliegenden Studie darum, jene Einsprüche in die hegemoniale Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit zu formulieren, die sich in visuellen Repräsentationen von Transmännlichkeiten artikulieren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die konkreten Leben und Lebensweisen für eine solche Analyse völlig bedeutungslos wären. Denn die innerhalb dieser Studie untersuchten Repräsentationen sind innerhalb spezifischer (sub)kultureller Kontexte entstanden und zirkulieren in diesen. Innerhalb dieser Kontexte können sie spezifische Bedeutungen produzieren, die nicht einfach außer Acht gelassen werden können. Gleichzeitig bedeutet die Analyse im Rahmen dieser Dissertation eine gewisse Neukontextualisierung, da die Arbeiten zwangsläufig mit Theorien und Diskursen, wie sie sich innerhalb der Akademia herausbilden, konfrontiert werden. Wie also lassen sich die künstlerischen Arbeiten innerhalb des Kontexts einer Dissertation lesen, ohne jene spezifischen Lebenskontexte, innerhalb derer sie entstehen und zirkulieren, aus dem Blick zu verlieren? Bevor ich im folgenden Kapitel das methodisch-theoretische Vorge-
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hen entwickle, mit dem diese Studie versucht, dieses Problem zu handhaben, gilt es zunächst, die künstlerischen Arbeiten und ihre Positionierung an der Schnittstelle von Kunst und (Sub-)Kultur zu skizzieren. (Sub-)Kulturell-künstlerische Sichtbarkeiten: Die Konstruktion des Materialkorpus Den Anstoß für die Arbeit an diesem Buch bildete ein gewisses Unbehagen mit der Art und Weise, wie über die Phänomene Transsexualität/Transgender in großen Teilen der wissenschaftlichen Forschung gesprochen wird. Die Auswahl derjenigen künstlerisch-kulturellen Arbeiten, die im Folgenden detaillierter besprochen werden, geht von diesem Unbehagen aus. Sie basiert damit nicht auf einem bereits gegebenen Materialkorpus, sondern ist Ergebnis eines Forschungsprozesses, in dessen Verlauf bestimmte Arbeiten ausgewählt und andere verworfen werden. Am Beginn des Konstruktionsprozesses stand die axiomatische Entscheidung, auf der das gesamte weitere Vorgehen und die Auswahl der Materialien beruhen: die Artikulationen von Männlichkeiten aus einer lesbischen, queeren und trans* Perspektive als Äußerungen ernst zu nehmen, die etwas über Männlichkeiten, deren Normen und Konstruktionsweisen zu sagen haben. Aus dieser Entscheidung resultiert eine erste zeitliche und räumliche Eingrenzung des Materialkorpus. Sie orientiert sich an den Debatten, die das Sichtbarwerden von Drag Kings und Transmännern innerhalb deutschsprachiger Kontexte Mitte der 1990er Jahre in feministischen und queeren Diskursen auslösen. Entsprechend dem forschungsleitenden Interesse ergeben sich zwei Kriterien für die Zusammenstellung eines ersten Materialkorpus. Berücksichtigt werden Materialien, die aus einer Selbstpositionierung innerhalb von Trans*-Kontexten heraus produziert und die zweitens innerhalb dieser Kontexte zirkulieren und rezipiert werden. Mit dem Kriterium der Selbstpositionierung soll keine direkte Verbindung von Positionierung – Intention – Wirkung/Effekte behauptet werden. Allerdings gehe ich davon aus, dass innerhalb subkultureller Trans*Kontexte spezifische Erfahrungen im Umgang mit und im Erleben von Geschlecht und Sexualität gemacht werden, die ein spezifisches Wissen und eine spezifische Perspektive entwickeln können. Vor dem Hintergrund von Othering und Pathologisierung durch das System heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit besitzen sie grundsätzlich das Potenzial, Probleme heteronormativer Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität zu thematisieren und kritisieren. Dass es sich bei den analysierten Repräsentationen zudem um Artikulationen handelt, die relevanter Teil solcher Wissensproduktionen sind, wird durch das Kriterium der Zirkulation und Rezeption der Materialien gewährleistet.
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Im weiteren Verlauf des Forschungsprozesses hat sich ein relativ kohärenter Materialkorpus herausgebildet. Der überwiegende Teil der analysierten Materialien umfasst fotografische Arbeiten der Trans*-Künstler und -Aktivisten Loren Cameron und Del La Grace Volcano. Beide Künstler arbeiten mit dem Medium der Fotografie an der Dokumentation und Repräsentation der Existenzweisen von Transmännlichkeiten und haben mit Body Alchemy (Cameron 1996) und Sublime Mutations (Volcano 2000) Bildbände publiziert, die sowohl innerhalb subkultureller als auch innerhalb akademischer queerer und transgeschlechtlicher Diskurse breit rezipiert werden. Gleichzeitig nehmen beide Künstler in Bezug auf ihre ästhetischen Strategien wie auch in Bezug auf ihre Positionierungen innerhalb von queeren/trans* Subkulturen sehr differente Positionen ein. Ergänzt wird dieses Material um den Spielfilm Boys Don’t Cry (USA, 2000). Loren Cameron: Body Alchemy Der 1996 erschienene Bildband Body Alchemy. Transsexual Portraits des USamerikanischen Künstlers und Fotografen Loren Cameron ist einer der ersten Bildbände, der transsexuelle Männer aus der Perspektive eines Transmannes porträtiert. Camerons Arbeiten wurden bereits in Ausstellungen in San Francisco, Los Angeles und Minneapolis gezeigt und in zahlreichen Büchern publiziert. Die Rezeption verstärkt sich durch die Publikation des Bildbandes, der 1996 den Lambda Literary Arward gewinnt und Eingang in das Bildrepertoire auch der bundesdeutschen Trans*-Öffentlichkeit findet.40 Body Alchemy enthält eine Reihe von Schwarz-Weiß-Fotografien und Texten, die die Transformation Loren Camerons dokumentieren, sowie Porträts von Transmännern aus seinem Bekanntenkreis. Damit situiert sich der Bildband in gewisser Weise im Rahmen klassischer Sichtbarkeitspolitiken, die sich des Mediums der Fotografie bedienen, um die eigene Existenz- und Lebensweise zu affirmieren. Eine solche Situierung des Bildbands unterstreicht Camerons Einleitung, in der er sein Anliegen, Nicht-Transsexuellen seine Erfahrungen und seine Existenzweise zu vermitteln, beschreibt. Dieses ist von der Hoffnung getragen, dass ein besseres Verständnis zu Formen der Anerkennung führt. Erste Schnappschüsse entstehen während seiner transsexuellen Transition, die er Freunden und seiner Familie schickt: 40 Vgl.
http://en.wikipedia.org/wiki/Loren_Cameron#cite_note-0
[20.10.2010],
der
Lambda Literary Arward ist ein US-amerikanischer Preis, der die besten Publikationen zu LGBT-Themen auszeichnet. Zur Rezeption des Bandes vgl. bspw. Literaturlisten auf einschlägigen Websites (wie www.transmann.de [20.10.2010]) sowie verschiedene Veranstaltungen, wie bspw. der Queer Salon Hamburg, die Camerons Arbeiten zeigen und diskutieren.
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»I wanted them to get used to the idea of my body being different. If they could see my new beard and chest sans breasts, perhaps it would be easier for them to accept my new identity. You know, so they would stop calling me ›she‹« (Cameron 1996: 10).
Aus dieser fotografischen Praxis, die zunächst auf individueller Ebene situiert ist, entwickelt sich das Projekt einer politischen Bildproduktion: »What was initially a crude documentation of my own personal journey gradually evolved into an impassioned mission. Impulsively, I began to photograph other transsexuals that I knew, feeling compelled to make images of their emotional and physical triumphs. I was fuelled by my need to be validated and wanted, in turn, to validate them. I wanted the world to see us, I mean, really see us« (Cameron 1996: 11).
Thematisch gliedert sich der Bildband in neun Kapitel, die auf unterschiedliche Weise zentrale Themen wie soziale Zugehörigkeit, Ängste, Diskriminierungen, Körper, Arbeitsleben und Beziehungen thematisieren. Mit persönlichen Texten kommentiert und in einer Ästhetik aufgenommen, die an dokumentarische Arbeiten Walker Evans erinnert, ist Body Alchemy ein Projekt der Sichtbarmachung von Transmännern: »For the longest time, transsexuals and especially transsexual men (female-to-males) have been virtually invisible to the dominant culture. Marginalized even within the gay and lesbian subculture, transsexuals have occupied no real space of our own. In the last decade or so, more and more transsexual people have been speaking about our experiences. We are beginning to represent ourselves for the first time and develop our own voice. Body Alchemy is the first photodocumentation of transsexual men from within our community« (Cameron 1996: 11f.).
Gleichzeitig setzen sich Camerons Fotografien auf komplexe Weise mit heteronormativen Blick- und Sichtbarkeitsverhältnissen sowie mit Konventionen von Körper- und Persönlichkeitsdarstellungen auseinander. In der Verschiebung dieser Konventionen artikulieren sie ein spezifisches Verständnis von Transmännlichkeit, das hegemoniale Vorstellungen sowohl von Männlichkeit als auch von Transsexualität verschiebt. In der Art und Weise, in der die Arbeiten Camerons Formen evidenter Männlichkeit produzieren und Fragen der sozialer Zugehörigkeit und Identität zum zentralen Thema machen, unterscheiden sie sich von jenen Arbeiten Del La Grace Volcanos, die weitaus stärker Grenzpositionierungen und -übertritte sowie Sexualität und Begehren thematisieren.
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Del LaGrace Volcano: Sublime Mutations Ähnlich wie Loren Cameron arbeitet Del LaGrace Volcano als Künstler und Transaktivist an der Schnittstelle von Kunst und Subkultur. Der Bildband Sublime Mutations stellt eine Retrospektive seiner Arbeiten aus der Zeit von Beginn der 1990er Jahre bis zum Jahr 2000 dar und umfasst überwiegend Farbfotografien sowie einige wenige Schwarz-Weiß-Fotografien. Thematisch befassen sie sich auf unterschiedliche Weise mit De- und Rekonstruktionen von Körpern: »Sublime Mutations sind die Transformationen, die durch Alter, Unfall, Krankheit oder Gestaltung entstanden sind und entstehen. Das Motto lautet: Verwandle Dich oder stirb« (Volcano 2000: 5). Dieses Motto seiner Arbeit verknüpft Volcano mit seinem eigenen Leben: »Ich habe und wurde in meinen paar-und-vierzig Jahren von einer Vielzahl von Namen, Körpern und Identitäten besessen. Veränderung, Verwandlung und Bewegung sind so natürlich für mich wie es vielleicht Identisch-Bleiben für Sie ist« (Volcano 2000: 5).
Die Position, aus der heraus Del LaGrace Volcano arbeitet, ist derjenigen von Loren Cameron ähnlich, insofern er Teil einer queer/trans* Szene ist, in der sich auch seine Modells verorten. Allerdings wird bereits in den ersten Formulierungen des Bildbandes eine kleine entscheidende Differenz deutlich. Anders als Loren Cameron, der sich eindeutig als transsexueller Mann definiert und Transmänner durch seine Fotografien sichtbar machen und einen Ort innerhalb der Gesellschaft für sie schaffen will, ist das zentrale Thema Del LaGraces Verwandlung, Mutation, Transformation (nicht Transition). Aus der veränderten Schwerpunksetzung ergibt sich auch eine breitere Thematik des Bildbandes, als dies in Body Alchemy der Fall ist. Unter Titeln wie Lesbian Boyz & Other Inverts, Ars Peotica, Hermaphrodyké oder Tranz Portraits versammelt der Band eine Vielzahl verschiedener Grenzüberschreitungen und Transformationen, die zugleich auch die sich verändernden Themen queerer Subkulturen dokumentieren (vgl. Prosser 2000: 13). In einer Verweigerung ästhetischer Ideale des ganzen, heilen und schönen Körpers setzt Del LaGrace Volcano Körper mittels idealisierender Ästhetiken ins Bild, die Anerkennung verleihen und pathologisierende Bild- und Wahrnehmungskonventionen stören. »[…] ich verweigere das Konzept des ›schönen‹ Körpers, das Konzept, dass es nur einen oder wenige akzeptable Körpertypen gibt. Verwandlungen passieren in vielen verschiedenen Formen. […] In Sublime Mutations gibt es keine Opfer, nur Helden und Stars. Gewöhnliche Leute, die ungewöhnliche Leben führen ohne die Sicherheitsnetze, die die meisten Menschen als selbstverständlich ansehen. Jedes Gesicht und jeder Körper ist ein
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Teil von Sublime Mutations, weil sie mich dadurch beeindruckt und inspiriert haben, dass sie genau so waren, wie sie waren. Es gibt viele Wege, um zum gleichen Ort zu kommen und keine Hierarchie der Transgressionen. Wir müssen alle unsere eigenen Strategien entwickeln, um in einer Welt zu überleben, die unsere Existenz kaum wahrnimmt und noch weniger zu schützen weiß. Ich glaube daran, Grenzen zu überschreiten, nicht nur einmal, sondern so oft es notwendig ist, um ein Netz zu weben, auf dem wir alle laufen können« (Volcano 2000: 5).
Die Arbeiten Del LaGrace Volcanos können, wie Prosser (2000: 13) feststellt, als eine Art Ethnografie gelesen werden, die die Subkulturen und Existenzweisen seiner queeren, perversen und transgeschlechtlichen Modelle dokumentiert, Identifikationspotenziale bietet und damit nicht zuletzt deren Wirklichkeit und Realität bestätigt. Gleichzeitig können sie aus einer kunst/kulturwissenschaftlichen Perspektive als ästhetische Auseinandersetzungen mit Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen gelesen werden, die insbesondere pornografische und pathologisierende medizinische Blickregime kritisieren und umarbeiten. Sowohl die Arbeiten Del LaGrace Volcanos als auch diejenigen Loren Cameron situieren sich an der Schnittstelle zwischen Subkultur und Kunst und verwenden das Medium der Fotografie, um transgeschlechtliche Lebens-, Existenz- und Begehrensformen sichtbar zu machen und ihnen Realität zu verleihen. Boys Don’t Cry Der Films Boys Don’t Cry von Kimberly Pierce (USA, 2000) nimmt in gewisser Weise eine Sonderstellung innerhalb der diskutierten Materialien ein. Als Film, der durch einen Oskar prämiert wurde und einem breiteren Publikum bekannt ist, beruht er weniger auf einem spezifisch (sub-)kulturellen Wissen und basiert stattdessen weit mehr auf einer Sprache, die allgemein verständlich ist. Die Analyse dieses Films bietet sich im Rahmen dieses Buches jedoch aus zwei Gründen an: Erstens erzählt er eine jener Geschichten, die innerhalb von trans* Subkulturen zahlreiche Diskussionen ausgelöst haben, womit er zu einer zentralen Schlüsselerzählung avanciert ist. Zweitens ermöglicht der Film, indem er eine jener Geschichten erzählt, die sich gerade nicht in den Subkulturen westlichmoderner Großstädte situiert, noch einmal eine andere Perspektive auf Transmännlichkeiten, die gleichsam einen Resonanzraum bildet, in dem die kulturelle Notwendigkeit und Brisanz der künstlerischen Arbeiten von Loren Cameron und Del LaGrace Volcano noch einmal deutlicher werden. Die exemplarische Auswahl der Arbeiten erhebt damit keinen Anspruch, repräsentativ zu sein. Vielmehr ist es das Anliegen, anhand einzelner Arbeiten zu zeigen, dass Repräsentationen von Transmännlichkeiten hegemoniale Vorstel-
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lungen von Geschlecht und Sexualität umarbeiten, darin wichtige Denkanstöße geben und zu Perspektivverschiebungen innerhalb der Geschlechterforschung beitragen können. Insofern habe ich Arbeiten ausgewählt, die mir in den jeweiligen Kontexten meiner Wissensproduktion einen wichtigen Beitrag zu liefern schienen.
IV. O BJEKTIVIERUNG : VISUELLE R EPRÄSENTATIONEN LESEN – ABER WIE ?
Die Positionierung des Materialkorpus an der Schnittstelle von Kunst und Subkultur wirft spezifische methodisch-theoretische Probleme auf. Denn als Produkte einer Subkultur erheben die Arbeiten den Anspruch, spezifische Existenzweisen und Erfahrungen von Transmännern ins Bild zu setzen und ›auszudrücken‹. Der Begriff des ›Ausdrucks‹ ist eng verknüpft mit der Vorstellung, es gäbe eine ›innere Wahrheit‹, Wahrnehmung oder Erfahrung, die ausgedrückt werden kann, eine Vorstellung, die innerhalb queerer und dekonstruktivistischer Theoriebildung kritisiert worden ist. Denn erstens erweist sich die Vorstellung eines einfachen Ausdrucks bereits vor dem Hintergrund (post)strukturalistischer Zeichentheorien als unmöglich. Sprachen (und auch Bildsprachen) sind hier als Zeichensysteme zu begreifen, innerhalb derer Bedeutung sich immer nur innerhalb von Verweisungszusammenhängen und Referenzen konstituiert, wobei die Verbindung zwischen Zeichen und Referent als arbiträr betrachtet werden muss.1 Zweitens ist mit der Vorstellung des ›Ausdrucks‹ ein Konzept von Autorschaft verknüpft, das aus dekonstruktivistischer Perspektive problematisiert wurde und das, wie die Kunstwissenschaft gezeigt hat, in hohem Ausmaß mit männlichen Mythen von Genie und Künstlertum beladen ist.2 Wie aber lassen sich dann visuelle Repräsentationen von Transmännlichkeiten analysieren, die den Anspruch erheben, spezifische Lebens- und Existenzweisen zu repräsentieren, ohne sie entweder als einfachen Ausdruck oder Abbild einer Wirklichkeit zu lesen und damit die produktiven und politischen Effekte von Repräsentationsprozessen selbst auszublenden oder aus einer anderen Perspektive als Repräsentationen zu begreifen, die erst herstellen, was sie abzubilden nur vorgeben und damit den Wirklichkeitsbezug der Arbeiten, ihre Verwurzelung in spezifischen Existenz- und Lebensweisen, aus dem Blick zu verlieren? Um die methodisch-theoretischen Grundlagen einer solchen Lektüre zu entwickeln, sollen im Folgenden die Arbeiten von Jay Prosser (1998, 2005) und Johanna Schaffer (2008) diskutiert werden. Beide analysieren aus unterschiedli-
1
Einen guten einführenden Überblick zur strukturalistischen Zeichentheorie de Saussures sowie dem semiotischen Ansatz bietet Hall (1997).
2
Vgl. insbesondere die Kritik Foucaults (1974) am Konzept der Autorschaft sowie aus feministischer Perspektive zur Kritik der damit verbundenen männlichen Mythen von Genialität und Kreativität Schade/Wenk (2005: 156f.).
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chen Perspektiven Arbeiten von Loren Cameron und Del LaGrace Volcano. Während Prosser die Fotografien einmal identifikatorisch und einmal autobiografisch liest und damit stärker als Dokumentation und Ausdruck transmännlicher Existenzweisen begreift, analysiert Schaffer die Fotografien vor dem Hintergrund der Geschichte der Fotografie aus einer repräsentationskritischen Perspektive und betont darin stärker die wirklichkeitserzeugenden Effekte der Fotografie. Aus der Diskussion der Potenziale und Probleme der verschiedenen Lesarten wird in diesem Kapitel abschließend die Methode der teilnehmenden Lektüre entwickelt. 1. Lesarten zwischen Identifikation, Repräsentationskritik und Autobiografie Identifikatorische Lektüre Eine erste Lektüre von Arbeiten Loren Camerons und Del LaGrace Volcanos unternimmt Jay Prosser in seiner Studie Second Skins (1998), in der er sich aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive mit autobiografischen Narrationen von Transsexuellen auseinandersetzt. Dabei wendet er sich explizit gegen Ansätze queerer Theorie, die geschlechtliche Transgressionen allein aus dekonstruktivistischer Perspektive untersuchen: »If, for queer theory, transition is to be explored in terms of its deconstructive effects on the body and identity […], I read transsexual narratives to consider how transition may be the very route to identity and bodily integrity« (Prosser 1998: 6).
Aus dieser Perspektive plädiert er dafür, das Gewicht der Körper stärker zu beachten: »[…] Transsexuality reveals the extent to which embodiment forms an essential base to subjectivity; but it also reveals that embodiment as such is as much about feeling one inhabits material flesh as the flesh itself« (Prosser 1998: 7).
Ein zentrales Argument seiner Forschung besteht darin, autobiografische Narrationen und Fotografien Transsexueller als mediale Repräsentationsformen zu analysieren, die Rekonstruktionen von Identität und körperlicher Integrität überhaupt erst ermöglichen. Dies erfordert eine Abgrenzung von bestimmten Positionen innerhalb eines breiten Spektrums von queerer Theorie und Politik:
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»There is much about transsexuality that must remain irreconcilable to queer: the specifity of transsexual experience; the importance of the flesh to self; the difference between sex and gender identity; the desire to pass as ›really-gendered‹ in the world without trouble; perhaps above all, […], the experience of the body that can’t simply transcend (or transubstantiate) the literal« (Prosser 1998: 59).
Das Medium der Fotografie scheint in besonderer Weise geeignet zu sein, diese Bedeutung des Körpers zu untermauern. Zumindest legt Prosser dies nahe, wenn er sich unter dem bezeichnenden Titel Transsexuality in Photography – Fielding the Referent im letzten Kapitel seiner Untersuchung autobiografischer Narrationen der Analyse von Fotografien zuwendet. Mit Bezug auf Roland Barthes sieht Prosser im Medium der Fotografie eine Möglichkeit der unmittelbaren Wiedergabe von Realität, die es ermöglicht, den Referenten einzufangen: »According to Camera Lucida the photograph doesn’t simply authenticate the referent in the most immediate fashion; the photograph is in fact ›never distinguished from its referent […], or at least it is not immediately or generally distinguished from its referent.‹ […] In photography the medium becomes invisible, and only ›the referent adheres‹« (Prosser 1998: 210).
Über wiederholte Formulierungen, wie »In the photographic ›field‹ of the subject, we might say, the referent (what the camera seeks to evidence) is the body«, »The effect of photographs in any autobiography, transsexual autobiographies included, is immediately referential« (1998: 209, Herv. jh) oder »[…] the photograph functions as an incarnation […]« (Prosser 1998: 211), suggeriert seine Argumentation eine Gleichsetzung von Körper und Subjekt sowie eine Unmittelbarkeit der Fotografie. Hierdurch scheint sich das Paradox der Sichtbarkeit, das Prosser für Transmänner einleitend konstatiert, zunehmend aufzulösen. Denn wenn ein grundlegendes Problem transsexueller Fotografie darin liegt, dass die Sichtbarmachung der Transsexualität zwangsläufig Gefahr läuft, die geschlechtliche Subjektposition der transsexuellen Person in Zweifel zu ziehen bzw. zu unterlaufen, bietet das Medium der Fotografie aus den gleichen Gründen, die es so problematisch machen, spezifische Potenziale, die geschlechtliche Subjektposition zu affirmieren. Dies wird insbesondere an der letzten der von Prosser diskutierten Fotografien, Transcock I von Del LaGrace Volcano (Abb. 1), deutlich. Die Fotografie zeigt die Genitalien von Nataf, einem Transmann, dessen Transformation Del LaGrace Volcano dokumentierte (Prosser 1998: 232), wobei eine Repräsentation zu gelingen scheint, die keine Zweifel an der Geschlechtszugehörigkeit und/oder
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Abbildung 1: Transcock I, Del LaGrace Volcano
der ›Echtheit‹ von Nataf aufkommen lässt. Prosser schreibt über diese Fotografie: »Nataf’s genitals reveal him as no longer female, (there is no reading) but neither as a genetic male (there is no passing): rather they represent him as a transsexual man in the process of becoming. Capturing this flesh as the referent of his narrative, La Grace’s photographic field overturns the transubstantiation and, indeed, the very otherness of the transsexual body« (Prosser 1998: 234, Herv. jh).
Behalten die zuvor verwendeten Formulierungen Prossers eine gewisse Ambivalenz, indem sie von Effekten, Versprechen und Funktionen der Fotografie sprechen, identifiziert Prosser hier das Fleisch als Referenten der Narration und übergeht endgültig die Differenz zwischen den Genitalien selbst und der Fotografie der Genitalien. Hat Prosser zuvor gerade auf der Referentialität der Sprache bestanden, untergräbt er mit dieser Wendung letztlich seine eigene Argumentation. Denn die Annahme einer Identität von Sprache und Materialität unterläuft die referentielle Funktion der Sprache ebenso wie die Annahme einer ontologischen Differenz zwischen Sprache und Materialität: »Eine außerhalb der Sprache befindliche Materialität zu postulieren, wobei jene Materialität als von der Sprache in ontologischer Hinsicht unterschieden angesehen wird, unterminiert die Möglichkeit, dass die Sprache imstande sein könnte, diesen Bereich radikaler Alterität anzugehen oder ihm zu korrespondieren. Deshalb untergräbt die absolute Unterscheidung zwischen Sprache und Materialität, die die referentielle Funktion der Sprache sicher stellen sollte, diese Funktion radikal. […] Wenn aber die Sprache der Materialität nicht entgegengesetzt ist, kann auch die Materialität nicht pauschal auf eine Identität mit der Sprache zusammengezogen werden. […] Zeichen wirken, indem sie erscheinen (sichtbar, hörbar), und zwar erscheinen sie mit materiellen Mitteln, obschon das, was zur Erscheinung kommt, nur aufgrund der nicht-phänomenalen Relationen signifiziert […]. Relationen […] benötigen Relata, Begriffe, phänomenale Signifikanten. Was allerdings dem Signifikanten zu signifizieren erlaubt, wird niemals dessen Materialität allein sein, jene Materialität wird zugleich die Instrumentalität und der effektive Einsatz einer Anzahl umfassender linguistischer Relationen sein« (Butler 1997: 103f.).
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Die Bedeutung des medialen Aspekts, den Butler hier hervorhebt, wird in Prossers Argumentation ausgeblendet. Indem er darüber hinaus die Fotografie mit der Materialität des Körpers und dem Referenten identifiziert, verschließt er genau jene Stelle, an der Kämpfe und Auseinandersetzungen um Bedeutungen geführt werden. Denn wie Butler argumentiert, ist diese »grundlegende Differenz zwischen dem Referenten [der immer verfehlt wird, jh] und dem Signifikat die Stelle, an der die Materialität der Sprache und die Materialität der Welt, die die Sprache zu signifizieren trachtet, andauernd vermittelt werden« (1997: 105). Das Verschließen dieser Stelle suggeriert eine Fixierung/Stillstellung von Prozessen der Bedeutungsproduktion, die Prosser in einer selbstkritischen Palinodie3 seines früheren Texts selbst thematisiert: »I contained the sexed referent that could anchor the free-floating gender signifier. […] In really changing sex I argued, transsexuals concluded a body narrative. With transsexual narratives I hoped to have wrapped up the plot of sex. […] It was in my epilogue that I finally turned to photographs: […] The photographs presented visibly, really the evidence of sex as referent. The apparent referentiality of photography, its distinctive feature for showing its referent unmediated, seemed to me to correspond perfectly to the referentiality of sex at the end of transsexual narratives« (Prosser 2005: 164).
Problematisch ist diese Position Prossers nicht deshalb, weil sie in Widerspruch zu Butlers Argumentation – wie auch zu fototheoretischen und Ansätzen der feministischen Kunstwissenschaft, die die Macht und Wirkmächtigkeit von Zeichensystemen aufzudecken suchen – gerät (immerhin ist es möglich, dass diese Forschungsstränge falsch liegen), sondern weil sie zentrale Aspekte transsexueller Existenzweisen und Sichtbarkeitspolitiken unsichtbar macht. So folgt Prossers Argumentation, die die Materialität der Genitalien als Referenten begreift, 3
Prosser bezeichnet seinen Text von 2005 als Palinodie, um sich von anderen Texten der Richtigstellung abzugrenzen: »The palinode is a doubling back, a return to the ode. Yet in recovering what the ode let out the palinode makes its subject what should have been in the first. Indeed it goes back before the original. The palinode is to take two but more authentic than take one. And as a return the palinode creates a new kind of text. The palinode is not among the customary modes for responding to one’s errors. It is not a defensive turn against the reader in which the author accuses you of misreading and goes on to restate imperiously or painstakingly the argument (most common). Nor is it a full-scale retraction, an exercise in self-abnegation (I take it all back: for obvious reasons rarer). The palinode is rather a return that realizes that realization could only come with loss from the original. It may be a model of learning without deliberate self-advancement« (Prosser 2005: 163).
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letztlich einer Logik heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit, die insofern nicht für Transsexuelle zutrifft, als diese ja gerade keinen geschlechternormgerechten Körper besitzen. Vielmehr muss der Körper erst in kulturellen Prozessen transformiert werden und die geschlechtliche Identität Transsexueller lässt sich (zumindest zunächst) gerade nicht an einem Penis fixieren. Zudem blendet eine solche Perspektive die machtvollen Wirkungsweisen des Mediums Fotografie aus, mittels derer die Arbeit Del LaGrace Volcanos operiert und darin hegemoniale Darstellungs- und Wahrnehmungsweisen kritisiert und umarbeitet. Bevor es diese Probleme ausführlicher zu beleuchten gilt, ist es jedoch lohnenswert, die Lesart Prossers noch einmal genauer zu reflektieren. Denn weit davon entfernt, nur problematisch zu sein, expliziert sie spezifische alltagsweltliche Wahrnehmungskonventionen, mittels derer Geschlechter und Sexualitäten (re)produziert werden und die üblicherweise unbemerkt bleiben. In der Explikation dieser Seh-Akte situiert sich nicht nur ein kritisches Potenzial von Prossers Lesart, sondern auch ein wichtiges Potenzial von Del LaGrace Volcanos Fotografie, transmännliche Subjektpositionen zu affirmieren. Denn obwohl Prosser wiederholt die Unmittelbarkeit fotografischer Repräsentationen und deren indexikalischen Charakter betont, arbeitet er selbst heraus, dass die von ihm analysierten Fotografien die Betrachter_innen mit der Frage »Wie schaust Du?« konfrontieren (Prosser 1998: 229, 230, 234). Widerspricht bereits diese Frage der Illusion eines unmittelbaren Sehens, verdeutlicht Prossers Schilderung seiner Bildbetrachtung von Transcock I, dass sich die Bedeutungsproduktion der Fotografie nicht in einem Akt des unmittelbaren Sehens, sondern vielmehr in einem komplexen Prozess der Bedeutungsproduktion vollzieht: »Looking so closely at the photograph of this bodily difference, you cannot help but wonder first, surely, what you are looking at. You’re looking at a body part, that much is clear. Yet what body part? Failing to recognize it, you must search for a reference point in the flesh you know best (your own), quickly envisioning how you look: how you look alongside next to Nataf’s body, alongside his body. In this way, in its very representation of the adamantine difference of this flesh, the photograph draws you inexorably into its picture« (Prosser 1998: 234).
In dieser Schilderung der Betrachtung wird deutlich, dass die Fotografie Transcock I für Prosser durch einen Vergleich des fotografischen Bildes mit dem Bild vom eigenen Körper lesbar und verständlich wird.4 Damit werden zwei ent-
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Auch der Titel der Fotografie trägt hier zu einer Lesbarkeit und einem Verständnis bei. Da die Fotografie jedoch zum Zeitpunkt von Prossers Lektüre noch keinen Titel
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scheidende Punkte explizit: Erstens stellt sich Bedeutung nicht allein in linguistischen Relationen und Verweissystemen her, sondern auch in Bezug zur wahrnehmbaren Umwelt, materiellen Objekten und Körpern. Zweitens unterstreicht die Selbstverständlichkeit, mit der Prosser die Fotografie in Relation zu seinem Körper setzt, das Ausmaß, in dem wir es gewohnt sind, fotografierte Körper in Bezug zu real-materiellen Körpern zu setzen. Wenngleich sich diese Gewohnheit sicherlich nicht auf die technologische Verfasstheit der Fotografie und ihren indexikalischen Charakter allein oder ein irgendwie unmittelbares oder natürliches Sehen zurückführen lässt, sondern das Ergebnis einer westlich-modernen Geschichte der Fotografie, ihrer Verwendungs- und Gebrauchsweise ist, ist sie doch nach wie vor eine durchgesetzte, dominante und wirksame kulturelle Praxis des Sehens. Ihr ist jener Glaube an die Wahrheit der Fotografie eingeschrieben, die historisch eng mit rassistischen, kriminalistischen und eugenischen Körperfotografien verknüpft ist, in denen insbesondere die Körper der Anderen fixiert, objektiviert, klassifiziert und vor allem auch erfunden werden.5 Gleichzeitig entfaltet Transcock I jedoch eine geradezu entgegengesetzte Wirkung. Statt eines objektivierenden Blicks auf die Körper des Anderen produziert die Fotografie für Prosser einen Blick, der ihn in das Bild hineinzieht. Mit der Produktion einer visuellen Ähnlichkeit zwischen Penis und TransGenital, die sich gleichzeitig entscheidend von weiblichen Genitalien unterscheidet (»no longer female (there is no reading)«, Prosser 1998: 234), gelingt es der Fotografie, eine Äquivalenz von Transmännlichkeit und Männlichkeit zu artikulieren, mit der sich Prosser identifizieren kann. Ihre Brisanz und Wirkmächtigkeit gewinnt die Fotografie dabei vor dem Hintergrund der Logik heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit, die echte Männlichkeit intrinsisch mit dem Besitz eines Penis verknüpft und den Penis zugleich zu einem neuralgischen Punkt für Transmänner werden lässt. In der fast ausschließlichen Problematisierung des Penis als nicht vorhanden und nur sehr unzulänglich medizinisch rekonstruierbar, werden die Genitalien zu einer Körperzone, die ganz offensichtlich den Normen »echter hatte und erst nachträglich als Transcock I benannt wurde (vgl. Prosser 2005: 165), ist dies an dieser Stelle nicht relevant. 5
Vgl. Allan Sekula, der am Beispiel der Kriminalfotografie herausarbeitet, wie die Fotografie begann, »das Terrain des anderen zu konstituieren und abzustecken und sowohl das verallgemeinerte Aussehen – die Typologie – als auch den kontingenten Einzelfall der Abweichung und des sozial Pathologischen zu definieren« (Sekula 2003: 273). Dass die Fotografie auch in der Sexualwissenschaft als Medium fungiert, das Theorien von Geschlecht und Sexualität bestätigen und belegen soll – und darin jedoch letztlich scheitert –, zeigt Katharina Sykora (2005) am Beispiel der Fotografien Magnus Hirschfelds.
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Männlichkeit« nicht genügen kann und die geschlechtliche und sexuelle Integrität von Transmännern einer beständigen Bedrohung aussetzt. Die Krise des transsexuellen Subjekts, die jedes Sichtbarwerden der Genitalien heraufbeschwören kann, wird hier durch die Fotografie eines schwanzähnlichen Genitals beruhigt und die Männlichkeit des porträtierten Subjekts gesichert. Damit kann Transcock I als eine Form jener visuellen Politiken begriffen werden, in denen tradierte und sicherheitsversprechende Bilder aufgerufen werden, um sich der eigenen Identität und der Zugehörigkeit zur Gruppe der Männer zu versichern. Insofern besitzt sie ohne Zweifel affirmative Potenziale für transmännliche Subjektpositionen. Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern es sich hier um eine Form visueller Politik handelt, die in Bezug auf heteronormative Zweigeschlechtlichkeit kritisch operiert. Denn erstens wird ein stark normativer Code, der spezifische genitale Formationen mit dem Signifikant Penis und dem Konzept Männlichkeit verknüpft, aktiviert. Damit greift die Fotografie – mindestens in Prossers Lesart – genaue jene kulturellen Codierungen auf, über die die Ideologie der Zweigeschlechtlichkeit hegemonial naturalisiert wird. Und zweitens handelt es sich noch immer um eine Fotografie, was die Frage aufwirft, ob der Glaube an die sicherheitsversprechende Fotografie nicht letztlich darauf hinausläuft, einem Idealismus oder Illusionismus zu verfallen, der der gelebten geschlechtlichen Realität in keinster Weise standhalten kann. Um diesen Fragen genauer nachzugehen, gälte es zunächst, die fotografischen und visuellen Strategien, mittels derer Transcock I seine Wirkung erzielt, einer genaueren Analyse zu unterziehen. Denn diese beruht in zentraler Weise auf dem Zitieren und Umarbeiten westlich-moderner Codes und Darstellungskonventionen des Geschlechts, die von der Fotografie – insbesondere durch Maßband und Vergrößerung – explizit thematisiert werden. So konstatiert Prosser mit Bezug auf Roland Barthes einige Jahre später selbst: »[…] [C]aptions along with layout and photographic composition are a crucial way in which photographs direct their reading or studium: the study of that which is most obvious about a photograph. These features constitute the ›connotation procedures‹ through which the photograph connotes its message. […] Even the most referential photograph for me, ›Transcock‹, relied on the code of measuring tape for my reading, as many in my audience tripped over each other in the eagerness to point out once they had recovered from the initial shock of the image. To think now that I thought I could recover the referent even through that photograph! Without the brilliant enlarging techniques of La Grace’s photography and the juxtaposition of the tape measure that encodes the image with size as a penis, the genital would not, I must admit, be seen as a penis. In attempting to represent the
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referent, to symbolize it, I made it something else – part of the symbolic – and hence the referent qua referent escaped me« (Prosser 2005: 168).
Um die politischen Effekte aus einer repräsentationskritischen Perspektive genauer zu fassen, gälte es an dieser Stelle, die spezifische Konfiguration der verschiedenen Codes und Signifikanten in Bezug auf die hegemoniale Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit zu analysieren: An welchen Stellen werden in der spezifischen Verknüpfung und Überblendung verschiedener Zeichen und Bilder hegemoniale Artikulationen von Männlichkeit reartikuliert und darin vielleicht weitaus kritischere Effekte produziert, als dies auf den ersten Blick der Fall zu sein scheint? Gleichzeitig dürfte dabei jedoch nicht vergessen werden, dass es sich bei der Fotografie auch um eine Dokumentation spezifischer Lebensweisen und Subkulturen handelt. Insofern besteht Prosser (2005) auch in seiner Relektüre, in gewisser Weise zu Recht, auf einer unauflöslichen Verbindung zwischen der Fotografie und den realen Existenzweisen von Transmännern. In einer Wendung seiner ersten Argumentation sucht er diese Verbindung nun in der Autobiografie des transsexuellen Subjekts zu begründen. Autobiografische Lektüre Den Ausgangspunkt seiner wiederholten Beschäftigung mit den Fotografien Del LaGrace Volcanos bildet eine Problematisierung seiner ersten Lektüre mittels Barthes Begriffen des studiums und punktum: »[…] I didn’t notice how Barthe’s photograph stops narrative. In lieu of presence, the absence of Barthe’s photographs interrupts his quest for his mother and sends him into palinodic decline – and silence: ›nothing to say about the death of one whom I love most, nothing to say about her photograph‹ (93). I however, bustling onward and upward, had everything to say: about photography, about transsexuality. I read the linguistic-like codes in the photographs, the studium never the punctum, responding to where the photographer, or the textual context, would have me look in my haste to close out anything accidental, anything that might stop my narrative« (2005: 167).
Aber produziert Prosser wirklich eine Lesart der Fotografien, die sich als studium bezeichnen lässt? In seinen Formulierungen deutet sich eine Geschwindigkeit und ein Drängen an, das sich allem, was seine Narration stoppen könnte, widersetzt und eine Affizierung Prossers durch die Fotografien aufscheinen lässt. Hier klingt nicht das studium »vernünftiger Interessen« (Barthes 1989) an, das den Konnotationen und Verweisungsketten der Fotografie folgt. Vielmehr schei-
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nen die Fotografien Prosser zu betreffen, einen Affekt/Effekt hervorzurufen, der ihm als Anstoß und Ausgangspunkt seiner Narration dient. Mit Bezug auf Roland Barthes Feststellung, dass man beim Lesen der Fotografie leicht in ein Lesen der konnotativen Ebene verfällt, ohne die Konnotationen als solche zu erkennen, stellt Prosser fest: »You can see why I might have embraced the ›passing of‹ of connotation procedures in transsexual photographs as the real (sexed) thing: read the clothing for the naked skin, the signifier for the referent. For if I read the studium, whose studium did I read for whom? If I read the image according of how the photographer or the subject represented wanted me to see it, this had everything to do with where I was reading from« (Prosser 2005: 168).
Mit der Frage, welches Studium er von welcher Position aus und für wen liest, unterstreicht Prosser, dass es nicht nur ein allgemein gültiges Studium gibt. Vielmehr kann das studium je nach eigener Positionierung, Adressatenkreis und kulturellen Wissenskonfigurationen sehr unterschiedlich ausfallen. Damit wirft er eine der zentralen Fragen auf, der sich jede Bildanalyse zu stellen hat. Denn letztlich stellt eine Lesart von Körpern, die kulturellen Konnotationen folgt, eine weitverbreitete Praxis dar, die im Falle normgerechter Körper zumeist nicht weiter hinterfragt wird. Wie aber lässt sich eine solche Ebene der Konnotation kritisch hinterfragen, ohne gleichzeitig die affirmativen Effekte, die Fotografien wie Transcock I für Transmänner besitzen, zu unterlaufen? Entgegen postmoderner Ansätze, die sich auf die Bedeutung der Text- und Zeichenebene allein konzentrieren, sucht Prosser eine Position, die seine – auch körperliche – Positionierung als Transmann mitzudenken vermag: »[…] this is surely where I was writing from: as a transsexual; from and for a violated body, from that ›as a‹ position Nancy Miller has called ›representativity‹ – through she urges that we seek to avoid it in part by forgrounding our own bodies« (2005: 168).
Mit dem Begriff der Repräsentativität schlägt Nancy K. Miller ein Konzept des Schreibens vor, das dieses einerseits politisch – in ihrem Fall innerhalb des Feminismus – verortet und damit den Feminismus repräsentiert und das andererseits gleichzeitig die Differenz zwischen dem eigenen Selbst und dem Feminismus bewahrt. Dabei geht es ihr um einen selbst-bewussten und selbst-kritischen Feminismus, der sich dem Problem, das jedem Schreiben aus einer spezifischen Position inhärent ist, stellt: dass das Geschriebene zwangsläufig eine Position repräsentiert, die in Teilen persönlich fundiert ist. Miller plädiert daher dafür, diesen Aspekten des Schreibens mittels der Strategie des getting personal gerecht
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zu werden. Darüber hinaus ist das Schreiben der jeweils spezifischen Position und damit verknüpften Überzeugungen, Axiomen, Theorien, Diskursen sowie konkreten Ereignissen (Konferenzen etc.) geschuldet, die es zu reflektieren gilt (vgl. Miller 1991: ix ff.). In der Aufschlüsselung verschiedener an der eigenen Wissens- und Textproduktion beteiligten Elemente kann das Konzept der Repräsentativität deren Reflexion einfordern – und in dieser Hinsicht beinhaltet ihre Position wichtige Denkanstöße. Allerdings erscheint ihre Position zugleich kritikwürdig, wenn sie dafür plädiert, Repräsentativität durch einen Bezug auf den eigenen Körper zu vermeiden. Das Persönliche und damit nicht Repräsentative durch den Bezug auf den Körper einzufordern erscheint doppelt problematisch. Denn erstens stellt sich die Frage, inwiefern nicht auch bestimmte Ereignisse und Erlebnisse, wie die Teilnahme an Konferenzen, hochgradig persönlich sein können. Zweitens erscheint es insbesondere vor dem Hintergrund der erheblichen Politisierung von Körpern durch Biopolitiken als zweifelhaft, inwiefern Körper und Bezüge auf den Körper als ausschließlich persönlich betrachtet werden können. Hier stößt das Konzept der Repräsentativität an seine Grenzen. Dass Körper nie nur persönlich sind, verdeutlichen Prossers Schwierigkeiten, eine Differenz zwischen dem eigenen und dem repräsentierten Körper zu bestimmen: »But how to avoid representativity when there is no (authentic) representation of one self, in the combined imagistic and democratic sense of the word? Or more to the point, how to avoid reading oneself into the other when what one sees represented is oneself, when there is no real identity difference between who’s represented and who’s reading?« (Prosser 2005: 168).
Die von Prosser angesprochene Problematik verweist darauf, in welcher Weise Körperfigurationen als Repräsentationen vergeschlechtlichter und sexuierter Identitäten fungieren und damit nie nur Ausdruck eines persönlichen Selbst sind. Statt an dieser Stelle jedoch nach den politischen Aspekten der Fotografien transgeschlechtlicher Körper zu fragen, verfolgt Prosser einen anderen Weg. An den Akt des Sich-hinein-Lesens anknüpfend reflektiert er seine erste Lektüre von Transcock I retrospektiv als autobiografische Lektüre. Dabei bezieht er sich auf Rubin Suleiman, die ihr Konzept autobiografischer Lektüre aus ihren Erfahrungen beim Lesen der Erinnerungen von KZ-Überlebenden entwickelt. Suleiman beschreibt damit einen Akt des Lesens, der Geschichten als eigene annimmt, einen Akt, der unbeeindruckt bleibt vom Stil des Autors oder dessen Tiefe einer Vision, ein Lesen, das schamlos, naiv und referentiell ist (Prosser 2005: 168f.). Eine solche autobiografische Lektüre ist sinnvoll und notwendig, wenn sie dazu beiträgt, eine unwiderrufliche Absenz, etwas, was ansonsten nicht im Bereich
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des Sagbaren liegt, aufzudecken: »the only kind of autobiography I find truly essential to read or write … is the kind that tries to recover, through writing, an irrevocable absence« (Suleiman zit. n. Prosser 2005: 169). Es ist dieser Kampf, der Prosser in seiner Lektüre leitete: »Reading and writing for transsexuality’s absence, reading in the struggle to make it present, not suprisingly I got caught up in the connotation codes of transsexual photographs. Reading only with and for transsexuals, I read for my life« (Prosser 2005: 169).
Den Kampf und die drängende Notwendigkeit, etwas sagbar zu machen, in die sich Prosser verwickelt, gilt es genauso ernst zu nehmen wie die affirmativen Effekte der Fotografien, die Prosser sein Schreiben ermöglichen. Es stellt sich allerdings die Frage, was dies für ein Schreiben ist und was eigentlich sagbar wird. In welchen Zwängen und Gewalten situiert sich die Schwierigkeit des Sprechens? Und produziert Prosser tatsächlich eine naive, referentielle oder gar selbstreferentielle Selbstrepräsentation, die damit dann aber letztlich auch keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit mehr erheben könnte? Zunächst zumindest bleibt unklar, inwiefern Prossers Lesart autobiografisch ist, insofern diese auf einer Identifikation mit seinem Körper, nicht mit seiner Autobiografie, beruht (vgl. Prosser 1998: 234). In der Palinodie dieses Textes reflektiert er nun diesen Akt der Identifikation mit Bezug auf Roland Barthes fotografietheoretische Überlegungen zum studium und punctum, wobei autobiografische Aspekte wirksam werden – ohne jedoch damit naiv oder referentiell zu werden und/oder gar den Anspruch von Wissenschaftlichkeit aufzugeben. Ausgehend von Barthes Konzeption des punctum als das verletzende Moment der Fotografie, die Wunde, der Stachel, das die Essenz bildet, interpretiert Prosser seine erste Lesart als studium, die das punctum verdeckt6, und fragt: »But how to expose that wound, how to hold off the compulsion to re-dress it: a redressing that may cover but doesn’t necessarily heal the wound?« (2005: 169). Um dieser Frage nachzugehen, knüpft Prosser an Barthes Überlegung an, dass eine Möglichkeit der puren Denotation, wenn überhaupt, nur auf der Ebene absolut traumatischer Bilder, die Sprache aussetzen und Bedeutung blockieren, existiert. Diesen Gedanken verbindet er mit Lacans Überlegungen der Rückkehr 6
Eine Interpretation, die es zu hinterfragen gilt, insofern als Prossers eigene Schilderung seiner ersten Lesart auf einen Drang, das Unaussprechliche zu artikulieren, verweist. Darin erinnert sie an die Schilderung der Anziehung, die Barthes als Leitfaden seiner Auseinandersetzung dient: »was sie [die Fotografie, die ich von anderen unterscheide und die ich liebe] in mir erzeugt, ist […] eine innere Erregung, ein Fest, auch eine Arbeit, der Druck des Unsagbaren, das gesagt werden will« (1989: 26).
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des Realen, nach der das Reale nur durch ein Getroffen-Werden (Encounter)/eine Verletzung berührt, aber nicht behalten werden kann. Das Begehren, das Reale zu spüren, verdichtet sich im Bild des Schnittes durch das Fleisch (Prosser 2005: 171). Prossers (1998) erste buchstäbliche Lesart von Transcock I, die scheinbar des Referenten habhaft wird, reartikuliert er nun aus einer Perspektive, die Operationen Transsexueller mit der Fotografie analog setzt7: »Perhaps transsexuality resonates for the moment, and I could equate it with the presence of the referent in Second Skins, because the process of surgical reassignment seems to offer a literalization of the traumatic loss of the referent and our attempt to regain it through trauma. […] The hope is that surgery will provide us with immediate access to the referent – like photography« (Prosser 2005: 171).
In der Reflektion der Buchstäblichkeit seiner ersten Lektüre problematisiert Prosser in seiner Palinodie das unerfüllbare Begehren »to touch the real« als zentrales Moment sowohl der Transsexualität als auch der Postmoderne. Mit Bezug auf Foster sieht er nun gerade im Verlust des Referenten eine Wiederkehr des Realen – und zwar sowohl in der Fotografie wie auch in der Unzulänglichkeit geschlechtsangleichender Operationen: »What’s painful about photography and gender reassignment surgery both is that, in spite of how close they are to reproducing the referent, to making it present (and I emphasize they are our best means of approximation), they ultimately fail. […] Now in a unbidden encounter I turn to see the lost referent return as real. Gender reassignment surgery fails most obviously in the case of female-to-male transsexual reassignment, which has found no way, half a century after its invention, of reproducing a functioning penis« (Prosser 2005: 171f.).
Indem Prosser nun das unerfüllbare Begehren »to touch the real« mit den Unzulänglichkeiten von Operationsergebnissen identifiziert, transformieren sich die sehr unzureichenden Penisrekonstruktionen zur Erzählung eines fortgesetzen Traumas: »And then – sorry; but the trauma goes on – years after the surgery, the penis (often misshapen and ugly and looking nothing like a penis) can still fall off […]«, und kommt zu dem Schluss: »The failure to be real is the transsexual real« (Prosser 2005: 172). Bezeichnenderweise wechselt Prosser an dieser Stelle von der Analyse der Fotografie Transcock I zu einem fotografischen Selbstporträt Loren Camerons (Abb. 2). Hier entdeckt er im fehlenden Penis und 7
In der Analogiebildung von Operation und Fotografie bezieht Prosser sich auf Walter Benjamin und Roland Barthes (vg. Prosser 2005: 171).
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den Narben der geschlechtsangleichenden Operation, die die Konstruktion der Transsexualität evident machen, das Reale: »The transsexual real is there in some of the photographs I showed in my book […]. The punctum in transsexual image is literally traumatic: the wounds of transsexuality, the scars from surgery or the physical traces that sustain this body as differently sexed. […] In Loren Camerons Self Portrait the real is the scar that runs across the wall of the chest. […] What the scars make evident is the contractedness of transsexuality, the splitting of gendered sign from the sexed referent« (Prosser 2005: 172).
Mit dieser Wendung verknüpft Prosser erneut den sex mit dem Referenten, negiert die Differenz zwischen Fotografie des Körpers und Körper und blendet mit dem Imaginären einen zentralen Bestandteil der Lacan’schen Trias von RealemSymbolischen-Imaginären aus. Versuchte er in Del La Graces Fotografie Transcock I den Referenten zu finden, scheint er nun in der Abwesenheit des Penis den Verlust des Referenten zu finden. Damit verdreht er die Identität von Referent und Penis in eine bestimmte Negation, bleibt jedoch innerhalb der heteronormativen Logik der symbolischen Ordnung gefangen, die den Phallus mit dem Penis verknüpft. Prossers Argumentation verschleiert damit den grundsätzlich phantasmatischen Status des Geschlechts (sex, vgl. Butler 1997: 23) und suggeriert letztlich, der Besitz eines Penis und ein narbenloser Körper würden diesen Mangel beseitigen.8 Nur so gelingt es ihm, den Mangel, der in der Theorie Lacans an der Wurzel eines jeden Subjekts liegt, als spezifisch transsexuell auszuweisen. Abbildung 2: Self-Portrait, Allerdings offenbart Prosser, indem er den Loren Cameron neuralgischen Punkt markiert, implizit, dass sich dieser Mangel nicht in spezifischen morphologischen Formationen erschöpft, sondern eng verknüpft ist mit der dominanten Ideologie des sex/gender-Systems und den darin produzierten Tabus, ihren Sagbarkeiten und Unsagbarkeiten. In einer Fußnote, die aus seiner Dissertation (Prosser 1998) herausgeflogen ist, schreibt er: »Many of Cameron’s shots are nudes. When the inscription of transsexuality on his body is occulted, 8
In gewisser Weise kann Prossers Argumentation hier als Exemplifizierung von Butlers Kritik an Lacan gelesen werden (vgl. Butler 1997: 110ff.).
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that is, when he passes (i.e. as not transsexual), he appears as an integrally gendered subject. But when he represents his transsexuality, when he makes it visible, a splitting of subject […] seems to occur as a matter of course. The look/my look is drawn and fixed to what might thought of as the transsexual markings of his body, as it tries to reconcile these markings with the remainder of the body. The splitting in viewed and viewer takes place precisely of a (my?) failure at reconciliation of that part/past. Cameron’s stylized (passing) masculinity – his muscular chest and shoulders and the beautiful tattoos spread across them – make visible what is excessive or absent from the picture: what doesn’t pass. My girlfriend’s immediate reaction to these photographs voiced what I thought but couldn’t say: ›But he has no penis!‹ While Cameron’s photographs are brave and brilliant testimony to the fact, that transsexuality is certainly not unrepresentable, they do suggest, that transsexuality exceeds the limits of (gendered) representation and, for me (at least for now), remains profoundly unreadable, irreconcilable within these limits« (Prosser 2005: 175).
Der Bruch, den Prosser in dieser Passage zwischen der evidenten Männlichkeit von Camerons Körper und dem Fehlen des Penis erblickt, verweist auf die Wirkmächtigkeit hegemonialer Vorstellungen von Geschlecht, die echte Männlichkeit intrinsisch mit dem Besitz eines Penis verknüpfen und Männlichkeiten ohne Penis unlesbar werden lassen und/oder zumindest in den Bereich des NichtEchten verweisen. Insofern Transsexuelle von dieser Wirkmächtigkeit auf spezifische Weise getroffen werden und in spezifischer Weise die Differenzen zwischen ihren Körpern und hegemonialen Vorstellungen aushandeln bzw. ihre Körper den Geschlechternormen operativ anpassen (müssen), beinhaltet Prossers Lesart auch autobiografische Aspekte, die jedoch gleichzeitig Repräsentativität beanspruchen können. Insofern weist Prosser seine Lesart der Fotografien zu Recht als eine »für Transsexuelle« aus. In einer solchen Argumentation liegt jedoch die Gefahr, nach identitätslogischen Kriterien eine Gruppe zu konstruieren, die sich in erster Linie über gemeinsame körperliche Merkmale definiert und die sich zugleich kaum von hegemonialen Narrationen der Transsexualität unterscheidet. Problematisch ist eine solche Argumentation aufgrund ihrer homogenisierenden Effekte für die angesprochene Gruppe Transsexueller, denn es ist keineswegs gesagt, dass sich alle Transmänner in ähnlicher Weise mit der Fotografie Transcock I identifizieren und ihre Körper in ähnlicher Weise wahrnehmen und betrachten – zumindest gälte es, an dieser Stelle zwischen Transfrauen und Transmännern zu differenzieren.9 Darüber hinaus können auch nicht 9
Dass innerhalb des Spektrums von Transmännlichkeiten eine Vielzahl differenzierender Sichtweisen auf transmännliche Genitalien existieren, wird nicht zuletzt in den fotografischen Serien our bodies von Loren Cameron sowie Del La Grace Volcanos Se-
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Trans*personen von solchen Unsagbarkeiten getroffen werden, wie Prosser selbst ausführt. So berichtet er in seiner Palinodie retrospektiv, wie auch seine Freundin von dieser Nicht-Sprechbarkeit getroffen wurde: »And in retrospect as my girlfriend found my transsexuality increasingly unspeakable (literally: she couldn’t speak about it for three years after we spilt, and is only starting to be able to discuss it and its role in our split now that she is with a genetic male, a man with penis), I am certain that the division [wer sprechen kann und wer nicht, jh] is not so correspondently neat. […] perhaps something about transsexuality remains unspeakable not only for me but for us […], irreconcilable – […] – within gendered representation« (Prosser 2005: 176).
Statt an dieser Stelle jedoch auf die Macht und Gewaltförmigkeit des Repräsentationsregimes einzugehen, das transsexuelle Subjektpositionen in den Bereich des Verworfenen, des Nicht-Echten und Nicht-Menschlichen verbannt, schlägt Prosser in einer weiteren Wendung eine Verallgemeinerung des Unaussprechlichen vor: »What is unspeakability is I am trying to suggest (…) is the failure of us all, transsexuals and non-transsexuals alike, to achieve the real however much we desire to; indeed our failure to achieve it perhaps in proportion to our desire« (2005: 176).
Damit läutet Prosser eine Wende ein, in der er nicht mehr nach dem Realen fragt, sondern die nachträglichen Realisierungen des Begehrens thematisiert und mit dem Satz endet: »I may never recover my first skin. But the realization of that loss is my second skin« (Prosser 2005: 181). Diese Wendung impliziert jedoch eine wichtige Verschiebung. Bezieht man Prossers Formulierung »The failure to be real is the transsexual real« nicht, wie er dies tut, auf das Reale, sondern – wie er es am Ende seines Textes tut – auf die Realität, kommt man zu der Feststellung: Nicht real zu sein, ist die transsexuelle Realität. Diese Aussage vermag eine wichtige Gewaltförmigkeit der herrschenden symbolischen Ordnung gegenüber Transsexuellen herauszustreichen. Denn insofern die symbolische Ordnung nur zwei Geschlechter als echte anerkennt, sind die Möglichkeiten der Realisierung für Transsexuelle nicht die gleichen wie für Zismänner und -frauen. An dieser Stelle ist es jedoch wichtig, zwischen transsexuellen und anderen Subjektpositionen zu differenzieren, wenngleich selbstverständlich – wie rie TransGenital Landscape deutlich. Dass der »fehlende« Penis zudem nicht zwangsläufig als Mangel empfunden werden muss, verdeutlichen zudem bspw. Pornos von Buck Angel eindrücklich.
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Prosser mit Bezug auf seine Ex-Freundin argumentiert – nicht nur Transsexuelle von der Gewaltförmigkeit heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit getroffen werden können. Entscheidend ist es an dieser Stelle, die Medien der Repräsentation sowie die strukturellen und epistemischen Gewaltförmigkeiten des Repräsentationssystems, die zur Aufrechterhaltung der symbolischen Ordnung beitragen, zu problematisieren und zu kritisieren. Eine Kritik, die jedoch weder die Realität mit dem Realen identifizieren noch – wie es Lacan tut – das Reale als immer zwangsläufig außerhalb der Realität verorten darf. Denn wie Butler zeigt: »Das Reale als das unmögliche ›Außen‹ zum Diskurs einzufrieren ist gleichbedeutend damit, einen auf Dauer nicht befriedigbaren Wunsch nach einem stets ausweichenden Referenten zu instituieren: das sublime Objekt der Ideologie. Die Festgelegtheit und Universalität dieses Verhältnisses zwischen der Sprache und dem Realen erzeugt jedoch ein vorpolitisches Pathos, das die Art von Analyse ausschließt, die die Unterscheidung Reales/Realität als Instrument und Wirkung kontingenter Machtbeziehungen auffassen würde« (Butler 1997: 284f.).
Insofern erscheint es notwendig, Prossers wichtige und hilfreiche Ausführungen und seine Überlegungen zur Fotografie zu erweitern. Das Bild der Fotografie als Haut mag geeignet erscheinen, die wirkungsvolle Mächtigkeit der Fotografie, Realität zu produzieren, zu unterstreichen. Sie mag auch geeignet sein, zu zeigen, wie wichtig und hilfreich das Medium der Fotografie sein kann, um Transmännern eine Realität zu verschaffen. Sie jedoch in einem gleichsam naturalisierenden Zug als »neutrales Medium« zu begreifen, verschenkt die Möglichkeit, jene Technologien, Macht- und Herrschaftseffekte zu kritisieren, die sich hartnäckig an der Produktion einer Ideologie natürlicher Zweigeschlechtlichkeit beteiligen. Für eine Lesart der Bilder, die diese Aspekte in den Blick bekommt, können insbesondere die theoretisch-methodischen Erkenntnisse der feministischen Kunstwissenschaft produktiv gemacht werden. Eine solche dekonstruktiv perspektivierte Analyse vermag offenzulegen, wie Strategien des Zu-sehen-Gebens wie auch Technologien und Gewohnheiten des Sehens als kulturelle Praktiken an der Produktion von Geschlechter- und Machtverhältnissen beteiligt sind. Notwendig ist dies insbesondere deshalb, weil gerade dem Medium der Fotografie eine wichtige Rolle in der Produktion von Wissen und Bildarchiven heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit zukommt, durch die die Abweichungen der Norm pathologisiert, kriminalisiert und/oder in Stereotypen eingefroren werden.
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Repräsentationskritische Lesart Johanna Schaffer (2008) formuliert eine der wenigen kunst- und kulturwissenschaftlich ausgerichteten Positionen, die sich mit den herrschaftskritischen und affirmierenden Effekten fotografischer Repräsentationen Del LaGrace Volcanos auseinandersetzen und damit jene Effekte und Wirkungen der Fotografie in den Blick bekommen, die bei Prosser (1998) ausgeblendet bleiben. Grundlage hierfür bildet ein Begriff der Repräsentation, wie er in den Cultural Studies entwickelt wurde. Gegen eine Vorstellung, Repräsentationen würden Wirklichkeit abbildenden oder reflektieren, formulieren die Cultural Studies ein semiotisches Verständnis von Repräsentation: »Representation is the production of the meaning of the concepts in our minds through language« (Hall 1997: 17). Repräsentation wird hier als jener Prozess der Bedeutungsproduktion durch Sprache verstanden, der Dinge, Konzepte und Zeichen miteinander verbindet und zugleich eine wichtige Grundlage der Kultur bildet: »That is indeed what it means when we say we ›belong to the same culture‹. Because we interpret the world in roughly similar ways, we are able to build up a shared culture of meanings and thus construct a social world which we inhabit together. That is why ›culture‹ is sometimes defined in terms of ›shared meanings or shared conceptual maps‹« (Hall 1997: 18).
Ausgehend von einem solchen Verständnis, in dem die Beziehungen und Verknüpfungen zwischen Konzepten, Dingen und Zeichen zwar in Bildern verdichtet und durch kulturelle Codes stabilisiert sind, sich jedoch nicht in einer irgendwie gearteten Natur (der Dinge) fundieren lassen, untersuchen semiotische Analysen, wie Bedeutungen innerhalb von Referenz- und Verweisungssystemen produziert, fixiert und/oder verschoben und unterlaufen werden (vgl. Hall 1997: 24ff.). Solche Prozesse der Bedeutungsproduktion spielen sich jedoch nicht allein auf einer Ebene von Texten und Zeichen ab. Vielmehr gilt es auch die Bedeutung von Kontexten, die jeweiligen Gebrauchsweisen von Bildern und Worten sowie die Medien und Apparate, mittels derer Worte und Bilder produziert werden, zu berücksichtigen.10 Repräsentationen sind dabei, wie Schaffer betont, ein wichtiger Aspekt von Realitätskonstruktionen, wobei es keine endgültige Fixierung oder Setzung dieser Realitätskonstruktionen, die grundsätzlich veränderbar und umstritten sind, geben kann (Schaffer 2008: 81f.). Vor diesem Hintergrund werden das Feld des Politischen und die Frage, wie solche Kämpfe um 10 Einen grundlegenden Überblick über semiotische und diskurshistorische Ansätze liefert Hall (1997), zu Strategien des »Zu-sehen-Gebens« vgl. insbesondere Schade/ Wenk (2005) sowie Schade/Wenk (2011).
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Bedeutungen und Vorstellungen geführt werden, wichtig. Ausgehend von feministischen und poststrukturalistischen Kritiken, die Verschränkungen von Wissen, Repräsentationen und Macht herausgearbeitet haben, geht Schaffer davon aus, dass »Hegemonie sich grundlegend über das Durchsetzen bestimmter Formen und Strukturen des Bedeutens herstellt« (Schaffer 2008: 123). Insofern plädiert sie dafür, die ästhetischen Dimensionen in Politiken und Analysen von Repräsentationen und Repräsentationspolitiken stärker zu berücksichtigen. Ihre Untersuchung Ambivalenzen der Sichtbarkeit (2008) setzt sich anhand exemplarischer Analysen mit der Frage auseinander, wie es visuellen Repräsentationen gelingen kann, Einsprüche in das hegemoniale Feld der Sichtbarkeit zu formulieren. Dies zeigt sie u.a. anhand einer Analyse der TranzPotraits von Del LaGrace Volcano (Abb. 3). Diesen gelingt es, so Schaffer, Personen in transmännlichen Subjektpositionen Anerkennung zu verleihen, »[…] indem sie innerhalb einer herrschenden Repräsentationsgrammatik gegen [das] herrschende Wissen agieren, – mit den Formen und dem Vokabular dieses herrschenden Wissens. Dabei nutzen die fotografischen Arbeiten dieses Vokabular für ganz andere als die vorgesehenen Zwecke der dominanten Fiktionen« (2008: 123).11 Abbildung 3: TranzPortraits, Del LaGrace Volcano
Die Fotografien zeigen Porträts im »Passfoto Format« (Schaffer 2008: 131), am unteren Bildrand jeweils mit einem männlichen Vornamen und einer Jahreszahl versehen. Je vier Porträts sind zu einer Fotografie montiert. Mit dieser Form des 11 Schaffer bezieht sich hier auf Silvermans Begriff der dominanten Fiktion. Mit dem Begriff der dominanten Fiktion beschreibt Silverman hegemoniale Herrschaftsverhältnisse, innerhalb derer ein Konsens dadurch hergestellt wird, dass »ein spezifisches Repräsentationssystem als wahrhaftig und die Realität widerspiegelnd kollektiv geglaubt und als Identifikationsrahmen anerkannt wird« (Schaffer 2008: 114).
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fotografischen Porträts greifen die Bilder auf traditionelle Darstellungsgrammatiken und Verwendungsweisen der Fotografie zurück und verwickeln sich damit gleichzeitig in ein grundlegendes Dilemma. Denn die Fotografie fungiert hier einerseits als Medium, das eine anerkennende Repräsentation und eine Affirmation der Identitäten von Transmännern ermöglicht, und ist andererseits gleichzeitig eine der wichtigen Technologien der Disziplinarmacht, die in zentraler Weise an der Herstellung und Kontrolle von Identitäten beteiligt ist. So sind die TranzPotraits Del LaGrace Volcanos, wie Schaffer argumentiert, »[a]n der Reproduktion sexueller Identität als Körperidentität und Identitätskörper […] beteiligt« (2008: 132) und verwickeln sich zwangsläufig in jenes Paradox der Identitätspolitik, das Sabine Hark (1996) herausgearbeitet hat: Insofern die Produktion und Kontrolle von Identitäten eines jener zentralen Mittel ist, mit denen die Macht operiert, stützen sich Identitätspolitiken auf gerade jene Technologien der Macht, deren Strukturen und Effekte sie angreifen und zu verändern suchen. In Bezug auf die Tranz Portraits reformuliert Schaffer dieses Paradox als »Repräsentationsdilemma […] typologisierend argumentierender Bilder« (2008: 133). Dieses entsteht, »[…] da sie über die Typologisierung als Repräsentationslogik teilhaben an der Reartikulation einer normalisierenden Darstellungsgrammatik und an der Affirmation einer Verbindung zwischen sichtbarer Körperevidenz und Naturalisierung gesellschaftlich produzierter Bedeutungen/Differenzen. Gleichzeitig arbeiten Del LaGrace Volcanos Reinszenierungen und visuelle Affirmationen transmännlicher Subjektpositionen diese dominanten Repräsentationstechniken aber auch um« (Schaffer 2008: 133). Um innerhalb dieses Repräsentationsdilemmas die herrschaftskritischen Effekte der Fotografien herauszuarbeiten, skizziert Schaffer mit Bezug auf Allen Sekula das Spannungsfeld, das sich im 19. Jahrhundert zwischen zwei Gebrauchsweisen der Fotografie herausbildet: der typologisierenden bzw. stereotypisierenden Fotografie, mittels derer Repräsentationen der Anderen produziert werden, einerseits und anerkennenden Formen der Porträtfotografien, die insbesondere dem männlich bürgerlichen Subjekt vorbehalten sind, andererseits (Schaffer 2008: 126f.). Indem sie die ästhetischen Strategien Del LaGrace Volcanos jenen der stereotypisierenden Fotografie des Eugenikers Francis Galtons gegenüberstellt, gelingt es ihr zu zeigen, in welcher Weise sich beide ästhetischen Strategien grundsätzlich voneinander unterscheiden: »Für dessen [Galtons, jh] Ende des 19. Jahrhunderts erstellten Composit-Photographien, mit denen er den Typus ›des Kriminellen‹ und ebenso ›des Juden‹ oder auch ›des Homosexuellen‹ zu erzeugen suchte, überblendete Galton diverse Porträtaufnahmen, um daraus den absoluten Typ zu ›destillieren‹. Galton war also um Kondensierung, Konzentration
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und damit Reduktion bemüht. […] Die Bewegung Del LaGrace Volcanos ist genau gegenteilig. Sie geht aus von einem Typus, dem des ›Transmann‹, um von dort aus Vielfalt und Verschiedenheit aufzufächern. […] [d]ie Arbeit Del LaGrace Volcanos [verwendet] den Raster und faltet darin Möglichkeiten auf, um damit auf Überfülle, Vielfalt und Unendlichkeit zu verweisen« (Schaffer 2008: 133f.).
In dieser ästhetischen Strategie des Auffaltens (Schaffer) situiert sich ein kritisches Potenzial der Tranz Portraits, die sich stereotypisierenden und pathologisierenden Repräsentationsweisen verweigern und stattdessen auf Formen der Repräsentation zurückgreifen, die für transmännliche Subjektpositionen eigentlich nicht vorgesehen sind (Schaffer 2008: 127, 132).12 Mit der Analyse der medialen und ästhetischen Formen der Tranz Portraits vor dem Hintergrund der Gebrauchsweisen der Fotografie, ihrer Geschichte und dem Vorgesehenen bekommt Schaffer jene wirkmächtigen und kritischen Aspekte der Fotografien in den Blick, die Prosser (1998) im Akt einer direkten Identifikation der Fotografie mit dem Körper verschließt. Eine solche Perspektive ist wichtig, insofern sie die Möglichkeiten einer kritischen Umarbeitung hegemonialer Repräsentationsweisen und damit auch die politischen Potenziale von Fotografien, wie jenen Del LaGrace Volcanos, aufzuzeigen vermag. Gleichzeitig ist sie jedoch insofern zu problematisieren, als sie die Fotografien nur in Bezug zur Geschichte der Fotografie analysiert und dabei die Frage vernachlässigt, in welcher Weise diese Fotografien verschiedene Personen und Personengruppen (be)treffen und wie diese in spezifischen kulturellen und subkulturellen Kontexten wirksam werden. So kann sowohl Prossers erste Lesart (1998), in der er die Fotografie mit dem Körper identifiziert, als auch seine Palinodie (2005), in der er die Fotografie im Kontext der Erfahrung der transsexuellen Transformation von Körpern liest, als alltagsweltliche Gebrauchsweise der Fotografie begriffen werden. In der wissenschaftlichen Analyse und Reflektion dieser Gebrauchsweisen liefern Prossers Lektüren wichtige Einsichten über die Funktionen und Wirkungsweisen der Fotografie, die aus Schaffers (2008) Analyse ausgeblendet bleiben. Zwar betont Schaffer zu Beginn ihrer Analyse die Notwendigkeit des Kampfs um ein »simples Recht auf affirmative Existenz« (2008: 124) und beendet ihre Analyse mit einem Plädoyer für die Anerkennung und das Feiern eines queeren Begehren
12 Mit dem Vorgesehenen bezieht sich Schaffer auf Silvermans Konzept des given-to-beseen, mit dem diese einen Teil des Feldes der Sichtbarkeit beschreibt, »nämlich jene Parameter der Sinnherstellung und jener Bilder, die sich nachdrücklich und unvermeidlich aufdrängen, weil sie durch häufige und empathische Wiederholungen enorm präsent sind« (Schaffer 2008: 114).
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nach Trans*, in das sie sich selbst einschreibt (2008: 135) – ohne diese Gedanken jedoch mit der Analyse selbst zu verbinden. Stattdessen folgt die Analyse tendenziell einer Logik, in der Sichtbarkeit mit Evidenz, Identität und Naturalisierung gleichgesetzt und als affirmativ in Bezug auf heteronormative Zweigeschlechtlichkeit bewertet wird, während Strategien der Vervielfältigung, »der Trans-Überfülle und der unendlichen Trans-Vielfalt« (Schaffer 2008: 135) – also Strategien, die Typisierungen und Identifizierungen tendenziell verunmöglichen – als widerständig bewertet werden. In dieser Argumentation verbergen sich zwei Probleme: Erstens übergeht sie wichtige ästhetische Aspekte, die einer Naturalisierung entgegenwirken. So thematisieren etwa die starken und sehr unterschiedlich gehaltenen Ausleuchtungen die Technik der Fotografie explizit. Zudem setzen ästhetische Gestaltungsweisen kulturelle Codes und Accessoires, über die Identität hergestellt wird, wie Brillen, Piercings oder Bärte, zentral ins Bild. Insofern ließe sich hier kritisch hinterfragen, inwiefern die Bilder tatsächlich in ein Repräsentationsdilemma verwickelt sind, das sich aus einem Modus der Typologisierung und damit verbundenen Formen der Evidenzproduktion und Naturalisierung gesellschaftlicher Differenzen ergibt. Zweitens und vielleicht noch wichtiger ist aber, dass Schaffer in ihrer Argumentation die Differenzen übergeht, die in den Arten und Weisen bestehen, wie unterschiedliche Identitäten – auch mittels des Mediums der Fotografie – unterschiedlich reguliert werden. Denn während Sexismus ohne Zweifel sowohl über eine Sichtbarmachung des weiblichen Körpers als auch über dessen Naturalisierung operiert, bezieht sich die Pathologisierung der Transsexualität gerade nicht auf den Körper, sondern auf die Geschlechtsidentität. Ebenso zielen hegemoniale Technologien der Regulierung transsexueller Identitäten weniger auf eine Sichtbarmachung Transsexueller als auf eine weitgehende Unsichtbarkeit transsexueller Körper und Biografien ab.13 Insofern gilt es, an dieser Stelle kritisch zu hinterfragen, wie die Fotografie als eine der Technologien der Macht, mit denen Identitäten reguliert und beherrscht werden, jeweils spezifisch operiert: Wie genau werden Identitäten reguliert und beherrscht? Inwiefern verbinden oder widersprechen sich dabei verschiedene (fotografische, juristische, medizinische) Technologien der Macht? Und wie lässt sich entsprechend in diese Herrschaftsformen intervenieren? Da Identitäten von Frauen, Männern, Schwulen, Lesben, Transsexuellen etc. auf zuweilen sehr verschiedene Arten und Weisen produziert und reguliert werden, impliziert dies, dass auch Differenzen hinsichtlich der Frage bestehen, welche Strategien von Sichtbarkeiten widerständig, subversiv oder affirmativ wirksam werden können. Hier liefern die Studien Prossers (1998, 2005) wichtige Einsichten, die es mit der repräsentationskritischen Analyse 13 Vgl. Kapitel II.
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Schaffers zu verbinden gälte. Dies bedeutet nicht, dass Schaffer mit ihrem Befund falsch liegt. Ohne Zweifel nehmen die Tranz Portraits Del LaGrace Volcanos, wie Schaffer herausarbeitet, innerhalb des Feldes der Fotografie und ihrer Geschichte eine kritische Position ein und erheben Einspruch gegen Formen der Stereotypisierung und Kriminalisierung, wie sie sich bspw. bei Galton finden. Es bleibt nur die Frage, was dies für Trans*-Existenzweisen und -politiken bedeutet. Die Diskussion der Analysen von Prosser (1998, 2005) und Schaffer (2008) wirft grundsätzliche Fragen in Bezug auf die Analyse von Fotografien im Kontext meiner Studie auf: Was sind die entscheidenden kritischen Potenziale und Bedeutungen, die eine wissenschaftliche Analyse von Fotografien herausarbeiten will? Wie und wo positioniert sie sich selbst? Und welches sind die Bezugsrahmen und Verweissysteme, innerhalb derer Fotografien analysiert, gelesen und interpretiert werden sollen? Ziel meiner Studie ist es, Vorstellungen von Geschlecht, Transsexualität und Sexualität, wie sie sich in Repräsentationen von Transmännlichkeiten innerhalb spezifischer (sub-)kultureller Kontexte artikulieren, herauszuarbeiten sowie die damit verbundenen Einsprüche in hegemoniale Wissensformationen zur Geltung zu bringen. Insofern sich solche Bedeutungen immer in zentraler Weise durch und in Beziehungen zu anderen Texten und Bildern sowie vor dem Hintergrund kultureller Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen herstellen – und insoweit knüpft die Studie an Schaffer (2008) an –, ist eine semiologische Analyse unerlässlich. Gleichzeitig würde es zu kurz greifen, die Fotografien allein in Bezug auf andere Fotografien und auf ihre medienimmanenten Spannungen hin zu analysieren. Eine solche Perspektive hätte das Problem, das Geertz aus ethnologischer Perspektive an Forschungsansätzen aufzeigt, die Kulturen als rein symbolische Systeme verstehen und sich nicht mehr für das Verhalten von Menschen zu interessieren scheinen: Sie würde Gefahr laufen, »[…] die Erforschung von Kultur von ihrem eigentlichen Gegenstand, der informellen Logik des tatsächlichen Lebens, abzuschneiden. Es führt nicht viel weiter, einen Begriff von den Mängeln des Psychologismus zu befreien, wenn man ihn sofort darauf mit den Mängeln des Schematismus behaftet« (Geertz 2008: 470). Um diesem Problem zu entgehen und die Bedeutungsproduktionen innerhalb von Trans*-Kontexten erfassen zu können, entwickelt das folgende Unterkapitel die Methode der »teilnehmenden Lektüre«.
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2. Teilnehmende Lektüre Die Lektüre visueller Repräsentationen von Transmännlichkeiten knüpft methodisch an spezifische Aspekte der identifikatorischen/autobiografischen Perspektive Jay Prossers (1998, 2005) und der repräsentationskritischen Perspektive Johanna Schaffers (2008) an, um eine Lesart zu entwickeln, die die heteronormativitätskritischen und politischen Potenziale der untersuchten Arbeiten zu erfassen vermag. Diese als teilnehmende Lektüre bezeichnete Methode kombiniert semiologische Methoden der Bild- und Textanalyse mit ethnologischen Methoden der teilnehmenden Beobachtung und der »dichten Beschreibung« (Geertz). »Lesen/Lektüre« bezeichnet nach dem Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie »eine bewusst-intentionale und primär innere, d.h. geistige Handlung eines Individuums, in der komplexe Prozesse der visuellen Aufnahme und Wahrnehmung vor allem von Sprache in der Form schriftlicher Zeichen […] und des geistigen Verstehens zur Bedeutungsgenerierung zusammenwirken«. Während der Begriff des Lesens stärker im Kontext des Verstehensbegriffs steht und damit »zum Inbegriff des hermeneutischen Prinzips« wird, bezeichnet Lektüre den Lesevorgang und Lesestoff. (Prechtl/Burkard 2008: 364) Mit dem Verweis auf den Lesevorgang ist die Lektüre zudem mit Konnotationen von Bildung und Ausbildung verknüpft, innerhalb derer Lesevorgänge erlernt und eingeübt werden. Insofern verwende ich den Begriff der Lektüre zur Bezeichnung meiner Methode, um jene Aspekte der Analyse zu beschreiben, die der Bedeutungsproduktion nach den Regeln der Semiologie folgen. Die Semiologie basiert auf einem zeichentheoretischen Verständnis, das von der grundlegenden kulturellen Verfasstheit von Bedeutung ausgeht und die Beziehungen zwischen Signifikat und Signifikant als arbiträr begreift.14 Dies ermöglicht es, zu analysieren, wie sich Bedeutungen innerhalb von Zeichen- und Verweisungssystemen herstellen, ohne dabei der Illusion einer direkten Abbildung oder einem Glauben an die Natürlichkeit von Zeichen aufzusitzen. Innerhalb der feministischen Kunstwissenschaft wurde dieser Ansatz insbesondere für eine kritische Hinterfragung von naturalisierten Vorstellungen von Weiblichkeit produktiv gemacht. So entwickelt Silke Wenk (1996) mit Bezug auf semiologische Ansätze ein methodisches Instrumentarium, um die selbstverständlich gewordenen stillschweigenden Bedeutungen der Weiblichkeit, wie sie in die skulpturalen Allegorien der Moderne eingeschrieben sind, zu analysieren. Lässt sich im Aufzeigen der Arten und Weisen, wie innerhalb sprachlicher und künstlerischer Verweissysteme Bedeutungen produziert werden, herausarbeiten, wie 14 Grundlegend zu Ansätzen der Semiologie, die an die strukturale Linguistik de Saussures anknüpfen und erweitern vgl. Hall (1997), Barthes (1990).
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scheinbare Selbstverständlichkeiten produziert werden, ermöglicht ein solches Vorgehen darüber hinaus, die Effekte und Wirkungsweisen von Repräsentationen in spezifischen gesellschaftlichen Kontexten zu thematisieren. In dieser tendenziellen Öffnung der Kunstwissenschaft zu einem breiteren Feld der visuellen Kultur geraten die Grenzen, Ein- und Ausschlüsse der Kunstwissenschaft und der Kunst genauso ins Blickfeld wie die Überlagerungen und Abgrenzungsbewegungen verschiedener Diskurse. Entsprechend orientiert sich Wenk bei der Kontextualisierung ihres Materials an den Diskursen um Denkmäler, innerhalb derer die Allegorien ihre Wirkungen entfalten, um dann deren historisches Gewordensein sowie deren gegenwärtige Effekte vor dem Hintergrund der Wirkmächtigkeit eines kulturellen Gedächtnis zu analysieren: »Wichtig sind mir das Zusammenspiel der künstlerischen Aussagen, das sich eher unplanmäßig und unbewußt herstellt, und die Weisen, in denen sich die künstlerischen Aussagen mit anderen Bedeutungspraxen verbinden. Der Text der Denkmäler ist kein geschlossener und auch kein abgeschlossener Text; er verbindet sich auf vielfältige Weise mit anderen Texten; vergleichbar einem Stück aus einem größeren Gewebe – seine lose heraushängenden Fäden könnten mit denen anderer Gewebe zusammengefügt werden.« (Wenk 1996: 74)
Damit besitzt eine semiologische Analyse zwei zentrale Potenziale, aufgrund derer sie sich für das Vorgehen in der vorliegenden Studie in besonderer Weise eignet. Erstens ermöglicht sie es, die fotografisch-künstlerischen Arbeiten in ihren (sub-)kulturellen Verweis- und Bedeutungszusammenhängen zu analysieren und damit grundsätzlich jene Bedeutungsproduktionen in den Blick zu bekommen, die sich auch außerhalb von Kunst- und Wissenschaftsdiskursen vollziehen. Dies erscheint im Rahmen dieser Studie insbesondere auch deshalb notwendig, weil sich die hier analysierten Fotografien explizit an den Schnittstellen von Kunst und Subkultur positionieren. Zweitens ermöglicht die Hinterfragung der Selbstverständlichkeiten eine Kritik jener naturalisierten Vorstellungen von Geschlecht, die die Grundlage einer hartnäckigen Pathologisierung von Transsexuellen bilden. So konnten innerhalb der feministischen Kunstwissenschaft semiologische Ansätze für die Kritik naturalisierter Vorstellungen von Weiblichkeit und insbesondere in Bezug auf die Kritik von weiblichen Körperbildern und deren Funktionen sowohl innerhalb gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse als auch innerhalb des Repräsentationssystems selbst produktiv gemacht werden. Körperbilder müssen in diesem Zusammenhang, wie Sigrid Schade mit Bezug auf Lacans das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion zeigt, als wirkmächtige Imaginationen begriffen werden, die sich nicht auf ihren
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Abbildcharakter reduzieren lassen. So kritisiert Schade explizit feministische Positionen, die im Sprechen über weibliche Körperbilder »über scheinbar reale Körper reden und nicht über das was vorliegt: Vorstellungsbilder, die der Einbildungskraft zwischen Wünschen und Ängsten und deren vorsymbolischen und symbolischen Einkleidungen entspringen, die die imaginierte Konstitution des Subjekts begleiten« (2006: 154). Indem Schade auf dem Zeichencharakter von Körperbildern besteht, kann sie zeigen, dass gerade fragmentierte Körperbilder in der Kunst des Surrealismus nicht als Gewalt am Körper verstanden werden sollten. Vielmehr besitzen sie kritische Potenziale, indem sie den Konstruktionscharakter des ganzen Körpers offenlegen und den Mythos eines heilen und ganzen Körpers dekonstruieren.15 Diese Kritik an selbstverständlichten Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität ist für die vorliegende Studie grundlegend, da diese eine zentrale Grundlage für pathologisierende Perspektiven auf Transsexuelle bilden. Gleichzeitig erfordern die spezifischen künstlerischen Arbeiten, die ich untersuche, eine Modifizierung des methodischen Vorgehens. Denn erstens nehmen semiologische Analysen häufig tendenziell eine Haltung ein, in der sie aus einer dekonstruktivistischen Perspektive die politisch und ideologisch problematischen Bedeutungsproduktionen hegemonialer Diskurse herausarbeiten. Ganz explizit wird dies bspw., wenn Roland Barthes schreibt: »Ich versuchte damals [zwischen 1954 und 1956] regelmäßig über einige Mythen des französischen Alltagslebens nachzudenken. […] Der Anlaß für eine solche Reflexion war meistens ein Gefühl der Ungeduld angesichts der ›Natürlichkeit‹, die der Wirklichkeit von der Presse oder der Kunst unaufhörlich verliehen wurde, einer Wirklichkeit, die, wenn sie auch die von uns gelebte ist, doch nicht minder geschichtlich ist. Ich litt also darunter, sehen zu müssen, wie ›Natur‹ und ›Geschichte‹ ständig miteinander verwechselt werden, und ich wollte in der dekorativen Darlegung dessen, ›was sich von selbst versteht‹, den ideologischen Mißbrauch aufspüren, der sich meiner Meinung nach darin verbirgt« (Barthes 1964: 7).
Die vorliegende Studie nimmt grundsätzlich eine ähnlich kritische Haltung zu hegemonialen Formationen der Männlichkeit und der Transsexualität ein. Allerdings sucht sie die hegemonialen Selbstverständlichkeiten und Wirklichkeiten gerade nicht an oder in ihrem Material zu analysieren, sondern mit ihm. D.h., es 15 Schade bezieht sich in ihrer Kritik insbesondere auf einen Text Renate Bergers, der fragmentierte weibliche Körperbilder mit Gewalt gegen Frauen identifiziert (vgl. Berger 1985). Zu einer zusammenfassenden Perspektive dieser Debatte um den Mythos des ganzen Körpers vgl. Wenk (2006).
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geht mir nicht darum, die von mir untersuchten Bilder oder die von ihnen verliehene Wirklichkeit zu kritisieren oder auch nur zu hinterfragen. Vielmehr geht es mir darum, mit einer affirmativen Lesart des Materials die Wirklichkeit, die von diesem verliehen wird, zu bestärken und die darin implizite Kritik an hegemonialen Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität und Transsexualität herauszuarbeiten. Damit soll nicht gesagt sein, dass eine konstruktivistische Perspektive aufgegeben oder gar eine naturalisierende Perspektive eingenommen wird. Sondern es geht mir darum, mit dem Material kritische Einsprüche in die Ideologie heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit zu formulieren. Diese Perspektive basiert auf einer spezifischen Problematik, die sich bei der Interpretation visueller Repräsentationen von Transmännlichkeiten stellt und eine zweite Modifizierung semiologischer Verfahren erforderlich macht. Denn während sich semiologische Kritiken an ideologischen Konzepten häufig auf die Ebene der konnotativen Bedeutungsproduktion beziehen, implizieren visuelle Repräsentationen von Transmännlichkeiten eine Infragestellung der denotativen Ebene der Bedeutungsproduktion. Die Differenzierung zwischen diesen zwei Ebenen der Bedeutungsproduktion geht auf Roland Barthes zurück. Dieser bezeichnet mit Denotation eine erste Ebene der Bedeutungsproduktion, auf der Zeichen mit kulturellen Konzepten verbunden werden, die über ein von nahezu allen Mitgliedern einer Kultur geteiltes Wissen decodiert werden können (Barthes 1990: 34). Auf der zweiten Ebene der Konnotation wird das Zeichen der denotativen Ebene in ein weiteres kulturelles Zeichensystem eingebunden, wobei es zum Signifikanten eines zweiten Prozesses der Bedeutungsproduktion wird. Hier wird die Bedeutung grundsätzlich polysemisch und gleichzeitig ist das Wissen, das zur Erfassung der Bedeutung benötigt wird, spezifischer.16 Im Gegensatz zur »buchstäblichen Bedeutung« auf Ebene der Denotation umfasst die »symbolische Bedeutung« auf Ebene der Konnotation auch ideologische Konzepte und kann nur über eine Interpretation des Bildes erfasst werden (Barthes 1990: 134ff.). Eine solche Differenzierung zwischen denotativer und konnotativer Ebene erweist sich jedoch in Bezug auf visuelle Repräsentationen von Transmännlichkeiten als schwierig. Denn diese teilen eine bestimmte denotative Bedeutungsproduktion von Körpern, Männlichkeit und Weiblichkeit nicht, die Barthes als jene Ebene von Bedeutungen beschreibt, die von nahezu allen Teilnehmer_innen einer Kultur geteilt werden. Auch wenn dies nicht bedeutet, dass 16 Barthes führt hier als Beispiel eine Panzanini-Werbung an, in der durch Tomate, Paprikaschote und Dreifarbigkeit (gelb, grün, rot) Italianität das Signifikat ist, das ein spezifisch französisches Wissen über nationale Stereotype mobilisiert. Darüber hinaus enthält es auch das ästhetische Signifikat des Stilllebens, was auf ein zusätzliches und anderes (hoch)kulturelles Wissen referiert (Barthes 1990: 30).
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nicht weite Teile der Bedeutungsproduktion geteilt werden, impliziert es doch, dass Aspekte der buchstäblichen Ebene von Bedeutung, die kulturell und auch innerhalb der Akademia dominant sind, nicht geteilt werden. Daraus ergibt sich ein komplexes Gefüge, in dem Bestimmtes geteilt und anderes nicht geteilt wird. Dies verkompliziert nicht nur Vorstellungen homogener Kulturen oder Subkulturen, sondern auch die Frage, mittels welchen Wissens und welcher Wissensformen sich Bedeutungen der denotativen Ebene decodieren lassen. Denn indem bestimmte buchstäbliche Bedeutungen in Bezug auf Körper und Sexualität nicht geteilt werden, verdeutlichen solche (Sub-)Kulturen, dass auch scheinbar selbstverständlichste Bedeutungen nicht allein auf sprachlichen Relationen und Strukturen oder gar auf einer irgendwie natürlich gedachten Grundlage basieren, sondern sich im Zusammenspiel mit einer pragmatischen Dimension der Sprache herausbilden. Dies erfordert es, Sprache auch als eine »soziale Einrichtung« zu verstehen, die sich auch nach praktischen Kriterien richtet und als Werkzeug bestimmte gesellschaftliche Funktionen übernimmt (vgl. Gombrich 1986: 199ff.). Um jene Bedeutungen und Codierungen von Körper und Sexualität, wie sie sich in kollektiven Praxen innerhalb von Trans*-Kontexten herausbilden, lesen, decodieren und angemessen interpretieren zu können, ist ein Wissen über Praxen und Umgangsweisen innerhalb dieser Kontexte notwendig. Insofern greift ein Kulturbegriff, der Kultur ausschließlich als ein symbolisches oder linguistisches Phänomen begreift, genauso zu kurz (Vgl. Geertz 2008) wie eine rein semiologische Analyse. An dieser Stelle kommt der Aspekt der Teilnahme als Teil meines methodischen Vorgehens ins Spiel. Teilnahme ist insbesondere im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung zu einem zentralen Bestandteil ethnologischer Forschung avanciert. Hier bezeichnet sie im Kontext der verstehenden Erforschung fremder Kulturen das Zusammenleben von Ethnolog_innen mit den Menschen der von ihnen untersuchten Kultur. Ziel der Teilnahme ist es, die Regeln und Verhaltensweisen einer Kultur ausreichend gut zu erlernen, um »als einer dieser Kultur« am Zusammenleben teilnehmen zu können. In diesem Prozess schärft sie die Aufmerksamkeit für all jene Regeln, Verhaltensweisen und Dinge, die aufgrund ihrer großen Selbstverständlichkeit gewöhnlich gar nicht mehr bewusst wahrgenommen werden. Insofern erfordert die teilnehmende Beobachtung immer auch wieder jene Distanz des_r Anderen, der_die gleichsam von außen Dinge wahrnimmt, die ansonsten ungesehen passieren. Für die Interpretation und das Verständnis dieses so Wahrgenommenen ist jedoch die Teilnahme erforderlich, die – abgesehen von Fällen des going native – zwar immer ihre Grenzen haben wird, aber dennoch wesentlich auf einer physischen und sozialen Nähe be-
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ruht.17 Diese Nähe impliziert ein alle Sinne, auch das körperliche und seelische Fühlen – umfassendes Erleben: »Teilnahme bedeutet deshalb – […] – immer auch Empathie, Einfühlen und Mitfühlen. Und diese Fähigkeit oder die Bereitschaft, sich auch innerlich auf die Menschen einzulassen, untersteht nicht einfach dem Willen« (Hauser-Schäublin 2008: 42). Notwendig ist diese Form des sich »innerlich Einlassens« oder, wie es Geertz formuliert, des sich »in sie Findens« nicht, um selbst zum Anderen zu werden, sondern um mit ihm ins Gespräch zu kommen und die hier untersuchten Symbolsysteme aus Sicht der Handelnden darzustellen (vgl. Geertz 2008). Beide wichtigen Aspekte der teilnehmenden Beobachtung – sowohl die Distanznahme, die eine Wahrnehmung von Dingen ermöglicht, die aus einer Innenperspektive häufig ungesehen passieren, als auch die Nähe der Teilnahme, die eine Interpretation aus Sicht der Handelnden ermöglicht – haben meine Lektüre maßgeblich in/formiert, auch wenn mein methodisches Vorgehen entscheidende Differenzen zu klassischen Formen der teilnehmenden Beobachtung in der Ethnologie aufweist. Denn ich habe weder eine fremde Kultur untersucht noch eine teilnehmende Beobachtung unter Transmännern in der eigenen Gesellschaft durchgeführt. Vielmehr habe ich – worauf der Begriff der Lektüre verweist – die Bedeutungen visueller Repräsentationen von Transmännlichkeiten herausgearbeitet und daher dominant mit einer Methode des Lesens, Decodierens und Interpretierens gearbeitet, die einsam vor Bildern und am Computer vor sich geht und insofern nur sehr wenig mit jenen Formen der physischen und sozialen Nähe einer ethnologischen Teilnahme zu tun hat. Gleichzeitig habe ich jedoch meinen eigenen Transformationsprozess durchlaufen, die ein oder andere Trans*-Tagung besucht und mit anderen Trans* und queeren Leuten zusammengelebt und -gearbeitet. Insofern besaß und besitze ich eine Nähe zu jenen Menschen und kulturellen Kontexten, innerhalb derer die von mir interpretierten Bilder entstanden und bedeutsam sind. Ermöglichte es die Teilnahme an akademischen und universitären Kontexten und Diskursen, eigene Trans*-Kontexte und -Erfahrungen aus einer gewissen notwendigen Distanz zu betrachten und zu reflektieren, verknüpft sich mit der Nähe zu diesen Kontexten ein spezifisches lebenspraktisches Wissen, das meine Lektüre der visuellen Arbeiten in/formiert hat. 18 17 Vgl. Hauser-Schäublin (2008), die eine ausführlichere Diskussion der teilnehmenden Beobachtung liefert. 18 Letztlich ließe sich hier die Repräsentation meiner Methode noch erheblich verkomplizieren. Denn genau genommen basiert sie auf einer (mindestens) doppelten Teilnahme an (sub-)kulturellen Kontexten einerseits und an den spezifischen akademischen (sub-)kulturellen Kontexten des Promotionsstudiengangs ›Kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien‹ der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, des
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Um zu verdeutlichen, welche Rolle der Aspekt der Teilnahme in meiner Lektüre spielt, ist es hilfreich, auf eine grundlegende Erkenntnis der Semiologie zurückzukommen. Die Semiologie zeigt, dass sich Bedeutungen immer nur innerhalb von Differenzsystemen und Verweissystemen herstellen, was impliziert, dass Texte und Bilder in verschiedenen Zusammenhängen und Kontexten sehr verschiedene Bedeutungen produzieren können. Das bedeutet zunächst auch, dass politische Effekte von Bildern nur in Bezug auf konkrete hegemoniale Ordnungen bestimmt werden können. Insofern lese ich die Bilder als Teile eines Bildrepertoires, das in bundesdeutschen Trans*-Kontexten zirkuliert und konsumiert wird.19 Allerdings sind auch Kontexte nicht einfach gegeben und können nicht objektiv oder auf einfache Weise gesetzt werden. Denn letztlich stellt sich die Kontextualisierung im Prozess der Lektüre selbst mit her – zwar können einige Eckpunkte solcher Kontexte fragmentarisch skizziert werden (vgl. Kap. II), in hohem Ausmaß ist und bleibt die Lektüre jedoch von dem von Leser_innen an Bilder und Texte herangetragenen Wissen abhängig. Gerade für Bilder, deren symbolische, kulturelle oder konnotierte Botschaft sich aus diskontinuierlichen und erratischen Zeichen zusammensetzt, heißt dies, dass sie verschiedene – wenngleich nicht beliebige – Lektüren ermöglichen: »Die Originalität dieses Systems liegt darin, dass die Zahl der Lektüren ein und derselben Lexie (ein und desselben Bildes) für jeden einzelnen verschieden ist: […] Die Variation der Lektüren ist nicht anarchisch, sie hängt von den unterschiedlichen, auf das Bild angewendeten Wissensarten ab (einem praktischen, nationalen, kulturellen, ästhetischen Wissen), und diese Wissensarten lassen sich einteilen, einer Typologie zuordnen; es sieht ganz so aus, als ob sich das Bild mehreren Menschen zur Lektüre anböte, und diese Menschen können durchaus in einem einzigen Individuum koexistieren; ein und dieselbe Lexie mobilisiert verschiedene Lexiken« (Barthes 1990: 41).
Die hier von Barthes angesprochene Variabilität der Lektüren verweist darauf, dass die Bedeutungen nicht nur von spezifischen kulturellen und historischen Kontexten, innerhalb derer sie entstehen, abhängig sind, sondern auch von dem jeweiligen Wissen, das an sie herangetragen wird. Dies wirft – insbesondere, da Instituts für Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik der Universität Bremen und der Hochschule für Künste Bremen andererseits. Sodass sich der Arbeitsprozess letztlich als ein Prozess wechselseitiger und zeitweiser Teilnahmen und Distanzierungen gestaltete. 19 Inwiefern die Fotografien hier leicht andere Konnotationen und Bedeutungen aufrufen als im US-amerikanischen Kontext, in dem sie produziert wurden, lasse ich hier außer Betracht.
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Bilder auch innerhalb ein_er Betrachter_in mehrere Lektüren zu aktivieren vermögen – die Frage auf, welches Wissen herangetragen und welcher Lektüre der Vorrang gegeben wird. Im Zuge der Arbeit an und mit den Fotografien gerieten nicht selten auch in mir verschiedene Lektüren zueinander in Konflikt. Statt an diesen Punkten jedoch der strengen Logik einer medien- oder kunstwissenschaftlichen Lesart zu folgen, habe ich meine eigene Involviertheit in trans*queer subkulturelle Kontexte und Lebensweisen bedeutsam werden lassen. Vorrang hatten für mich die Bedeutungen und Affekte/Effekte, die diese Bilder in Bezug auf meine eigene Verortung und mein Leben als Trans* für mich produzierten. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass andere semiologische Lektüren nicht weiter von – sogar sehr eminenter – Bedeutung für die vorgenommene Lektüre sind. Vielmehr stellen semiologische Lektüren wichtiges Wissen über die eigene/n hegemonistische und gegenhegemonistischen Kulturen zu Verfügung, das in die untersuchten Arbeiten eingeschrieben und dort wirksam ist. Mittels dieses Wissens ließen sich die Bedeutungen, die Fotografien aus einer Trans*-Perspektive und in Trans*-Kontexten für mich entfalteten, analysieren und objektivieren. Der Aspekt der Teilnahme ist dabei insbesondere in Bezug auf den Kontext, innerhalb dessen die Bilder interpretiert werden, sowie in Bezug auf die Frage, wie Verknüpfung mit welchen anderen Bildern und Texten rekonstruiert werden, entscheidend. Denn die vorliegende Studie interpretiert ihre Materialien nicht im Kontext spezifischer Diskurse der Kunst, der Männlichkeit oder der Transsexualität, sondern im spezifischen Kontext der Kultur. Hierfür referiert sie auf den semiotischen Kulturbegriff von Geertz, der Kultur wie folgt definiert: »Als ineinandergreifende Systeme auslegbarer Zeichen (wie ich unter Nichtbeachtung landläufiger Verwendungen Symbole bezeichnen würde) ist Kultur keine Instanz, der gesellschaftlichen Ereignisse, Verhaltensweisen, Institutionen oder Prozesse kausal zugeordnet werden könnten. Sie ist ein Kontext, ein Rahmen, in dem sie verständlich – nämlich dicht – beschreibbar sind« (Geertz 2008: 466).
Kultur als Rahmen der Interpretation des Materials zu setzen bedeutet daher, dichte Beschreibungen anzufertigen, die die Perspektive der sozialen Akteure einnimmt. Dabei geht es in erster Linie nicht um die Beschreibung eines Diskurses oder die Interpretation innerhalb eines Diskurses, sondern vielmehr darum, die komplexe – oder mit Geertz – dichte Beschreibung der Verknüpfungen, Überlappungen und Überblendungen unterschiedlicher Diskurse in den Blick zu bekommen, wie sie sich im Alltagsleben vollziehen. Aus feministischer Perspektive hat Sylvia Yunko Yanagisako auf die Notwendigkeit, diese Über-
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schneidungen in den Blick zu nehmen, hingewiesen. Gegen eine Tendenz, Analysen zunehmend in Rahmen von Diskursen statt in Kulturen durchzuführen, argumentiert sie: »Das Katalogisieren und Erläutern dieser Diskurse allein wird uns nicht erklären, wie diese Diskurse im täglichen sozialen Handeln der Menschen artikuliert werden. Ein solches Verständnis erfordert Wissen um die Art und Weise, wie Menschen Diskurse verbinden und diese Verbindungen umsetzen. […] Kultur lässt die Grenzen der Bereiche natürlich wirken und lässt doch ihre Verbindungen unvermeidbar erscheinen. Sie lässt Hegemonien nahtlos aussehen und erlaubt uns doch, zwingenden Anspruch auf alternative Verbindungen zwischen Diskursen zu erheben. Sie ist sowohl das, was einen Scherz lustig macht, als auch das, was subversives Lesen – auf verbotenen Pfaden – quer durch die Domänen ermöglicht. Wenn wir verstehen wollen, wie Menschen manchmal konform zu etablierten Weisen des Zusammenführens von Ideen handeln, wie sie sich manchmal dagegen auflehnen und wie sie manchmal neue Orthodoxien der Verbindung schaffen, dann täten wir gut daran, unsere feministische Kulturanalyse in ihrer historisch-spezifischen Praxis zu verwurzeln« (Yanagisako 1997: 63).
Mit der teilnehmenden Lektüre versuche ich, eine mögliche Methode zu entwickeln, die ihre Analyse in der historisch-spezifischen Praxis verwurzelt. Zwar analysiere ich nicht die konkrete Praxis von Transmännern, sondern kulturelle Objektivationen dieser Lebensweisen. Dennoch bleibt dieser Aspekt zentral für die vorgenommene Lektüre. Denn die verschiedenen Diskurse, an denen sich das Leben von Transmännern abspielt, schreiben sich in die untersuchten visuellen Repräsentationen ein, in denen sie sich überlappen, Widersprüche produzieren sowie in spezifischen Verknüpfungen neue und verschobene Bedeutungen von Männlichkeit und Transsexualität produzieren. Um solchen Bedeutungsstrukturen auf die Spur zu kommen, gilt es, wie Geertz mit seiner Methode der dichten Beschreibung betont, mikroskopische Untersuchungen zu unternehmen, die an besonderen Praktiken oder Ereignissen ansetzen und die darin eingeschriebenen vielschichtigen Bedeutungsstrukturen sichtbar machen (Mörth/Fröhlich 1998: 18). Für die teilnehmende Lektüre meines Materials nehme ich diese Praktiken von Geertz auf, insofern ich einige wenige Fotografien mikroskopisch untersuche und mich darum bemühe, die vielschichtigen Bedeutungsstrukturen in ihrer Komplexität zu erfassen. Hierfür greife ich jedoch neben einem semiologischen Wissen auf ein (sub-)kulturelles, praktisches Wissen über spezifische Weisen des Zusammenführens und Verknüpfens mit und gegen spezifische Orthodoxien zurück. Anders als Geertz, dem es darum geht, dadurch das Ganze einer Kultur sichtbar zu machen, erhebt diese Studie nicht den Anspruch, eine Kultur zu be-
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schreiben. Vielmehr konzentriert sie ihre Aufmerksamkeit auf die Frage, wie in und mit diesen Arbeiten visuelle Politik gemacht wird – eine Politik jedoch die in kulturell und historisch spezifischen Lebensweisen und Problematiken fundiert ist: Wie werden gerade in der Verbindung und Verknüpfung verschiedener Diskurse, Symbole und Zeichen gegenhegemonistische Vorstellungen von Männlichkeit und Transsexualität artikuliert, die Brüche und Irritationen innerhalb der Kultur produzieren?
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Die visuellen Repräsentationen von Transmännlichkeit, die im folgenden Kapitel einer teilnehmenden Lektüre unterzogen werden, zirkulieren alle in verschiedenen Trans*-Kontexten und besitzen Potenziale, Identitäten von Transmännern zu affirmieren. Der Titel »Transmännlichkeit im ›Bild‹« unterstreicht diese »formative Funktion bei der Bildung individueller und kollektiver Formen von Männlichkeit« (Fend/Koos 2004: 3). Auch wenn im Folgenden der Schwerpunkt meiner Bildlektüren nicht darauf liegt, diese formative Funktion offenzulegen, in/formiert diese Funktion meine Lektüren in zwei Punkten entscheidend. Zunächst orientierte sich erstens die Auswahl, welche Bilder analysiert werden, an Differenzen zwischen kollektiven Formen von Männlichkeit innerhalb von Trans*-Kontexten und der Diskursivierung von Geschlecht und Sexualität innerhalb der Akademia. Und zweitens kommt der Aspekt der formativen Funktion im Prozess der teilnehmenden Lektüre selbst zum Tragen. Denn diese ist in Teilen von Affekten, Verbindungen, Zusammenstößen und/oder Identifikationen geleitet, die sich im Prozess der Arbeit mit den Bildern ergaben. Hierzu war es nicht nur notwendig zu versuchen, eine bestimmte Wirkung der Fotografien auf mich zu rekonstruieren, ein Prozess, der sich im Nachdenken über und »In-mirWirken-lassen« der Fotografien abspielte und vielleicht in Punkten Ähnlichkeit mit Barthes Feststellung in Bezug auf das punctum hat: »Ich hatte nun begriffen, daß man dem punctum, so unmittelbar und einschneidend es auch sein mochte, nach einer gewißen Latenz (nie jedoch mit Hilfe irgendeiner genauen Untersuchung) auf die Spur kommen konnte« (1989: 62).
Anders als das punctum jedoch, das Barthes auf einen absolut persönliches Getroffen-Werden bezieht, orientiert sich die teilnehmende Lektüre an Affizierungen, die nicht rein persönlich sind, sondern die sich aus einem geteilten Wissen um Codierungen und Bedeutungen in Trans*-Kontexten ergeben und die sich mittels des Nachdenkens und in der Auseinandersetzung mit kunst- und kulturwissenschaftlichem Wissen über Repräsentationen und Bildrepertoires bis zu einem gewissen Grad objektivieren lassen. Zweifelsohne enthalten die künstlerischen Arbeiten wichtige Aspekte und Potenziale in der Bildung von Identitäten und der Affirmation transgeschlechtlicher Lebensweisen, die über die hier herausgearbeitete Kritik an hegemonialen Repräsentationen von Geschlecht hinaus-
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gehen. Diese werden hier jedoch nicht behandelt, insofern sie sich einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise entziehen. 1. Von der Kunst, Tatsachen ins Werk zu setzen: Pathologisierung zwischen Psychiatrie, Kunst und Alltag Die künstlerische Arbeit Distortions von Loren Cameron kann, wie im Folgenden gezeigt wird, als eine Kritik der Metapher, »im falschen Körper gefangen zu sein«, gelesen werden.1 Diese fungiert auf einer sprachlichen Ebene als dominante Metapher zur Beschreibung der Transsexualität, die pathologisierende Effekte besitzt, indem sie die Inkohärenz zwischen Körper und Gefühl des Transsexuellen zum Problem macht. Gleichzeitig verweisen die mit der Metapher »im falschen Körper« verbundenen Narrationen von Transsexuellen auf die zentrale Bedeutung, die Blicken, Sichtbarkeiten und Wahrnehmungskonventionen in der Konstitution des Gefühls, »im falschen Körper gefangen zu sein«, zukommen (vgl. Kap II.1). Dies wirft die Frage auf, in welcher Weise sich visuelle Repräsentationssysteme, Blicke und Blickstrukturen an der Reproduktion einer Vorstellung von Transsexualität als einer Figur des »im falschen Körper« beteiligen und in welcher Weise sich mittels visueller Repräsentationen in genau jene Figuration der Transsexualität intervenieren lässt. Distortions problematisiert Darstellungs- und Wahrnehmungsgewohnheiten, mittels derer Geschlechterstereotype allzu oft und allzu leicht reproduziert werden, und stellt gleichzeitig die Funktionsweise einer visuellen Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit als komplexes und widersprüchliches Gefüge aus. Hierdurch treten Brüche und Widersprüche der Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit zutage, die wichtige Anstöße für ein kritisches Nachdenken über hegemoniale Konstruktionen von Männlichkeit und Transsexualität liefern. Distortions – ͩim falschen Körperͨ Die Reihe Distortions (1996) besteht aus drei Bildern, die strukturell ähnlich aufgebaut sind (Abb. 4-6). Je eine Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt den Künstler im Brustporträt. Hinzu kommt eine schwarze, fettgedruckte Schrift, die das Bild zweireihig umfängt. Durch starke Hell-Dunkel-Kontraste lenken die Fotografien die Aufmerksamkeit auf den unbekleideten, muskulösen und tätowierten Oberkörper sowie auf Kopf und Gesicht. Dies evoziert einen Eindruck evidenter Männlichkeit, der im direkten Gegensatz zu den Bedeutungen der rahmenden Sätze steht. Sie alle formulieren Anrufungen wie Du bist bloß eine Lesbe mit ei-
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Für eine frühere Version dieser Bildlektüre vgl. Hoenes (2009).
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nem Bart oder Du bist kein Mann: Du wirst nie Sperma spritzen, die der repräsentierten Person ihre Männlichkeit absprechen. 2 Abbildung 4: Distortions, Loren Cameron
Dieser Widerspruch legt es nahe, das Bild als Selbstporträt und den Text als eine Repräsentation des Blicks auf Transmänner zu interpretieren (vgl. Prosser 1998: 229). So schreibt Prosser über die Arbeit:
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Übersetzungen jh. Der komplette Text lautet: »Men are jerks, why would you want to be one? You’re just a Dyke with a beard. Are you Misogynist? I just can’t get used to calling you ›he‹. You want to cut off your tits? Maybe you’re just homophobic. Your voice doesn’t sound very masculine. Why can’t you just be a butch dyke? Does this mean you’re heterosexual? You still look female to me« (Abb. 4). »You’re so exotic! May I take your photograph? I’ve always been attracted to hairy women. You’re the third sex! You intrigue me. My attraction to you doesn’t mean I’m gay: You’re really a woman. I think transsexuals are sexy. I like very butch women. You’re the best of both worlds. Do you have a penis?« (Abb. 5). »This is womyn-only space. Where’s your dick? Sorry, but I don’t like men. You’re not a man: you’ll never shoot sperm. You must be some kind of freak. I can’t be with you: I’m not a lesbian. Do you have what it takes to be a real man? You’re kind of short, aren’t you? You piss like a woman. You don’t belong here« (Abb. 6).
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»In his self-portraits in the ›Distortions‹ series near the beginning of the book, Cameron's inscriptions of address to the viewer (›You´re so exotic! May I take your photograph… Do you have a penis?‹) Literally frame the viewer’s gaze, reflecting back, here, that look of fascination, objectification and desire s/he may cast. We can only look at the transsexual, then, if we look at how we look« (Prosser 1998: 230).
Mit dieser Lektüre arbeitet Prosser zwei zentrale Aspekte der Arbeit heraus. Erstens unterstreicht er, indem er die Rahmung als Adressierung des Betrachterblicks interpretiert, die macht- und gewaltvollen Blicke, denen Transsexuelle ausgesetzt sind. Insofern kann Distortions als eine Reflexion der Erfahrungen Transsexueller innerhalb heteronormativer Machtverhältnisse gelesen werden, die in zentraler Weise über Sichtbarkeiten und Blicke funktionieren.3 Zweitens resultiert aus dem Widerspruch zwischen Rahmung und Fotografie, wie Prosser konstatiert, eine Aufforderung, das eigene Sehen zu reflektieren. Trifft Prossers Lektüre damit zentrale Aspekte der Arbeit Distortions, greift sie zugleich zu kurz, wenn sie es bei dieser Frage bewenden lässt, statt ihr weiter nachzugehen. Denn mit der Interpretation der Fotografien als Selbstporträts und der Rahmung als BetrachterInnenblick wird der Widerspruch zwischen Bild- und Textebene letztlich als einer zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung interpretiert. Unterbleibt an dieser Stelle eine Reflexion der machtvollen Wirkungsweisen von Wahrnehmungskonventionen sowie des hierarchisierten Text-Bild-Verhältnisses, läuft eine solche Lektüre tendenziell Gefahr, Transsexualität auf die Formel des »im falschen Körpers gefangen zu sein« zu verkürzen.4 Dagegen weist bereits der Titel Distortions die Arbeiten als Zerrbilder oder Verwirrungen – nicht als Selbstporträts – aus und legt es nahe, Bild und Text als ein widersprüchliches, sich wechselseitig formierendes Gefüge zu analysieren. Im Aufrufen und Zitie3
Vgl. zur Bedeutung von Blicken und Betrachtung als Alltagspraxis, mittels derer Geschlechtszugehörigkeiten produziert, gesichert und infrage gestellt werden, Hirschauer (1999: 38ff.).
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Vgl. bspw. die Analyse Röttger-Rösslers (2005), die zwar anfangs die Produktion ͩfalscher Körperͨ durch Blick- und Wahrnehmungskonventionen betont, letztlich jedoch zu dem Schluss kommt, dass – sofern nicht medizinische Technologien eine annährend perfekte Anpassung der Körper an die Normen ermöglichen – Transsexuelle jenen Widerspruch zwischen Körper und Körperbild aushalten müssen. Die Tatsache, dass alle Menschen den Idealbildern von Männlichkeit und Weiblichkeit immer nur bedingt entsprechen – alle also jenen Widerspruch aushalten und verhandeln müssen –, bleibt bei ihr genauso unreflektiert, wie die Möglichkeit einer Veränderung von Praktiken des Blickens, Sehens und Wahrnehmens unausgesprochen – und damit vielleicht undenkbar – erscheint.
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ren verschiedener, sich widersprechender Wahrnehmungskonventionen von Männlichkeit und Transsexualität entfaltet Distortions – wie eine Analyse der Bilder zeigen kann – ein komplexes semiotisches Verweisungsgefüge, das Vorstellungen einer Unmittelbarkeit von Erfahrung, Wissen und Sehen kritisiert und Transsexualität stattdessen als einen Effekt spezifischer Verfahren der Bedeutungs- und Wissensproduktion ausstellt. Wie, was sehen? Zerrbilder/Verwirrungen eines Porträts Ich nehme an dieser Stelle Prossers Lektüre von Distortions zum Ausgangspunkt, um der Frage, »wie wir sehen«, genauer nachzugehen und dabei zugleich die Frage aufzuwerfen, was wir hier überhaupt sehen können. Prossers Lesart der Fotografien als Selbstporträts und Blicke der Betrachtenden beruht erstens auf sehr weitgehend selbstverständlichten Wahrnehmungskonventionen, nach denen wir es gewohnt sind, die Fotografie eines Kopfes und Oberkörpers als Porträt zu lesen und mit der fotografierten Person zu identifizieren. Mit der Interpretation der Fotografie als Selbstporträt und der Rahmung als Reflexion des betrachtenden Blicks referiert die Lesart zudem auf eine scheinbar klare Differenz zwischen dem Transsexuellen als dem, was betrachtet wird, und betrachtenden Blicken, die tendenziell transphob strukturiert sind. Diese Lesart repräsentiert mit Sicherheit dominante Blickverhältnisse, schließt aber andere Arten und Weisen des Sehens aus. Dabei übersieht diese Lesart zentrale Elemente der Bilder, die als Kritik genau dieser Selbstverständlichkeiten gelesen werden können und die zweitens hegemoniale Vorstellungen von Transsexualität und Männlichkeit in entscheidender Weise reformulieren. Neben dem Übersehen des Titels übergeht eine solche Lesart, dass die Sätze als Rahmung der Fotografie positioniert sind. Da die Sätze zudem in einer direkten Anrede alltagsweltliche, tendenziell transphobe Reaktionen zitieren, denen Transsexuelle ausgesetzt sind, scheinen sie v.a. die Fotografien zu adressieren, ob und inwiefern sie damit einen Betrachter_innenblick reflektieren, ist damit jedoch noch nicht entschieden. Denn gerade aus einer Trans*position heraus können die Sätze auch als Reflexion der Erfahrung, angeblickt zu werden, gelesen werden. Aus einer solchen Perspektive bilden Bild und Rahmung eine Einheit, die dem betrachtenden Blick gegenübersteht. Aus einer gleichsam distanzierten Position werden sowohl Fotografie als auch Text dem Blick dargeboten, wobei durch die Bildkomposition ein Eindruck von Stabilität und Fixierung erweckt wird: Klar abgegrenzte Fotografien werden von einer in dickem Blocksatz gedruckten Schrift gerahmt. Ermöglicht dieses Ensemble einen scheinbar direkten Blick auf die Fotografien, wird der Blick beim Lesen der Rahmung, die das Bild gleich einer Spirale umfängt, in Bewegung gesetzt. In der im wahrsten Sinne des
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Wortes umkreisenden Bewegung des Blickes beim Lesen aktualisiert sich die Funktion des Rahmens als bedeutsames Mittel, durch das Grenzen gesetzt und Bedeutung/Inhalt organisiert werden. Insofern können die Sätze in ihrer rahmenden Anordnung als Elemente begriffen werden, die die Fotografien in/- oder auch de/formieren – und auch andersherum in/de/formiert die Fotografien die Rahmungen. Dies legt es nahe, Bild und Rahmung als ein sich wechselseitig formierendes Gefüge zu analysieren, das gerade in seinem Zusammen- und Gegeneinanderspiel einen Prozess der Bedeutungsproduktion antreibt. Die massive Setzung der Rahmung stellt eher verschiedene Blickweisen, Anrufungen und Reaktionen auf Transmänner aus, als dass sie den betrachtenden Blick reflektiert. Dies lenkt die Bedeutungsproduktion von Distortions jedoch in eine entschieden andere Richtung, als es eine Interpretation der Arbeiten als Selbstporträts nahe legt. »Du bist das Beste von beiden Welten« – »Du gehörst hier nicht her« Der zentrale Widerspruch, der die Bedeutungsproduktion antreibt, entsteht zwischen der evidenten Männlichkeit der Fotografien und deren Negation durch den Text. Beide Positionen operieren mittels verschiedener Äußerungsmodalitäten und referieren auf verschiedene Vorstellungen bzw. Definitionskriterien dessen, was Geschlecht ist. Die in dicken schwarzen Lettern gesetzte zweireihige Schrift umläuft die Fotografien und grenzt sie damit deutlich ein und von der Umgebung ab. Der stabile und Ordnung produzierende Eindruck der Rahmung wird durch die Verwendung des Mediums Schriftsprache verstärkt: Schriftsprache ist im Kontext der westlichen Moderne eng mit Vorstellungen von Aufklärung, Vernunft und Rationalität verbunden und fungiert zugleich als ein entscheidendes Mittel von Gesetz und Herrschaft.5 Dies legt es nahe, die Rahmung als Repräsentation gesellschaftlicher Ordnung und abstrakter allgemeingültiger Gesetze zu begreifen, die das Feld des Sichtbaren determinieren. Die Verwendung der grammatikalischen Form des Vokativs innerhalb der Sätze verstärkt diesen Eindruck noch und produziert zugleich ein grundlegendes Paradox. Die formale Einschließung des Bildes durch die Schrift wird von der inhaltlichen Artikulation von Ausschlüssen – You’re not a man – und projektiven Faszinationen – you’re so exotic – konterkariert und ruft damit Assoziationen zu gesellschaftlichen Räumen wie dem
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Für eine Kritik an der Hierarchisierung der Sprache vgl. aus ethnologischer Perspektive Lévi-Strauss (1968) sowie aus philosophischer Perspektive insbesondere Derrida (1992), vgl. auch Kimmerle (2000).
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Gfängnis oder verschiedenen Formen von Heimen auf, die mittels Einschlüssen Ausschlüsse aus der Gesellschaft produzieren. Abbildung 5: Distortions, Loren Cameron
Gleich der erste Satz der Rahmung stellt die Zugehörigkeit zur Kategorie Mann infrage und etabliert damit Geschlechtervorstellungen, über die Ein- und Ausschlüsse formuliert werden, als Sujet der Arbeit: Men are Jerks, why would you want to be one? Mit dieser Formulierung wird sowohl der Begründungszwang, mit dem Transsexuelle immer wieder konfrontiert werden, thematisiert als auch eine stereotypisierende Abwertung von Männern, wie sie innerhalb (queer-)feministischer Diskurse gerade auch in Diskussionen um Transmänner zuweilen artikuliert wird. Die weiteren Sätze der umlaufenden Rahmung rufen ein Spektrum von Stereotypisierungen, Idealisierungen und Objektivierungen auf, die ein Spannungsfeld zwischen drei Positionen produzieren: You still look female to me – You’re the best of both worlds und You don’t belong here. Alle drei Zitate aus der Rahmung der Bilder artikulieren unterschiedliche – gleichermaßen problematische – Sichtweisen auf Transsexuelle: die ignorante, die schlicht die eigene Wahrnehmung setzt, die idealisierende Überhöhung, in der Transsexuelle zu den Figuren werden, die die Grenzen der beiden Geschlechter überwinden und das jeweils Beste daraus in sich vereinen, sowie den klar formulierten Ausschluss. In allen Fällen scheint die Zugehörigkeit zu einer der beiden existierenden Welten, jener der Männer und jener der Frauen, unmöglich. Diese Unmöglichkeit, als das Geschlecht anerkannt zu werden, dem man sich zugehörig fühlt und in dem man
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leben möchte/kann, ist für Transsexuelle lange Zeit Realität gewesen und ist es in großen Teilen bis heute geblieben. In der Form monologer Anrufungen, die die Rahmung repräsentiert, erinnert sie an Formen der Stereotypisierung, die Isaac Julien und Kobena Mercer am Beispiel des Stereotyps »des Schwarzen« beschrieben haben: »[…] where minority subjects are framed and contained by the monologic terms of ›majority discourse‹, the fixity of boundary relations between center and margin, universal and particular, returns the speaking subject to the ideologically appointed place of the stereotype – that all black people are the same« (Julien/Mercer 1996: 456).
Zu den Merkmalen des Stereotyps gehört es, Personen auf wenige Charakteristika zu reduzieren und dadurch eine homogene Gruppe Minorisierter zu produzieren. Wenn die Rahmung dieser Strategie einerseits folgt, verschiebt sie sie zugleich entscheidend. Denn genau genommen operiert die Rahmung weniger mit der Produktion eines Stereotyps »des Transsexuellen«.6 Vielmehr ruft sie die heteronormativen Geschlechterstereotypen »Mann« und »Frau« auf und problematisiert Abweichungen von diesen: Your voice doesn’t sound very masculine – Do you have a penis? – Where’s your dick? – You’ll never shoot sperm – You’re of short, aren’t you? – You piss like a woman. In der kommentierenden Aneinanderreihung stereotyper Merkmale scheinen normative Vorstellungen zweigeschlechtlicher Körper auf, die spezifische Geschlechtsmerkmale nur an weiblichen oder männlichen Körpern angemessen erscheinen lassen, während alle anderen Formationen – sei es die bärtige Lesbe oder der Mann ohne Penis – es erlauben, die Geschlechtsidentität fundamental infrage zu stellen oder gar abzusprechen: You still look female to me – You’re really a woman – You’re not a man. In den Anrufungen sowie im Fragwürdigwerden des Geschlechts zeigt sich, in welchem Ausmaß Vorstellungen des »echten« oder »wirklichen« Geschlechts von stereotypen Geschlechterbildern regiert werden.7 Dabei sind es die primären Geschlechtsorgane bzw. genauer: eigentlich der Penis, der zum scheinbar einzigen Merkmal wird, an dem sich die Zugehörigkeit zum Geschlecht entscheidet und der gleichsam als »es6
Es sind eher vereinzelte Anrufungen als »Freak« oder »Frau mit Bart«, die auf eine Stereotypisierung des Anderen abzielen, die zudem insofern ins Leere zu laufen scheinen, als sie die visuelle Ebene verfehlen.
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Als zentrales Wissenselement fungieren die bei der Geburt identifizierten primären Geschlechtsorgane, die, wie preciado argumentiert, nicht nur als Fortpflanzungsorgane fungieren, sondern auch als »Produktionsorgane eines kohärent sexualisierten Körpers« (2003: 95).
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sentielles Zeichen« fungiert.8 Damit referiert die Rahmung auf die Kategorie des Sex, die wie Foucault zeigt, zu jener fiktiven Einheit wurde, die die Wahrheit über uns und andere verspricht. Indem die Genitalien auf visueller Ebene der Fotografien unsichtbar bleiben und gleichzeitig in der Rahmung angerufen und abgefragt werden, stellt Distortions die Funktionsweise dieser Kategorie, die gleichzeitig mit Formen von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit arbeitet, aus. Denn in der Logik alltagsweltlicher Diskurse müssen/dürfen die Genitalien gerade nicht gezeigt werden – gleichwohl die Kohärenznorm des sexuierten Körpers so weitgehend durchgesetzt ist, dass von anderen geschlechtlich codierten Körperzonen wie Bart oder Brust auf das Vorhandensein spezifischer Genitalien geschlossen werden kann. Wird das Funktionieren dieser Logik durch die evidente Männlichkeit der Fotografien eines Transmannes infrage gestellt und verunsichert, versucht die Rahmung, indem sie die Genitalien und damit zugleich eine Differenz sichtbar macht, die Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit zu sichern. Hierfür setzt sie auf die ordnungsstiftende Funktion von Stereotypen: »The role of stereotypes is to make visible the invisible, so that there is no danger of it creeping up on us, unawares; and to make fast, firm and separate what is in reality fluid and much closer to the norm than the dominant value system cares to admit. […] All societies need to have relatively stable boundaries and categories, but this stability can be achieved within a context that recognizes the relativity and uncertainty of concepts. Such a stability is, however, achieved only in a situation of real, as opposed to imposed, consensus. The degree of rigidity and shrillness of a stereotype indicates the degree to which it is an enforced representation that points to a reality whose invisibility and/or fluidity threatens the received definitions of society promoted by those with the biggest sticks« (Dyer 2002: 16).
Gerade in der starren Fixiertheit auf körperliche Geschlechtsmerkmale der Rahmung scheint die massive Rigidität der Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit wie auch deren Instabilität auf. Denn ganz offensichtlich gelingt 8
Zu Funktion der Genitalien als essentiellen Zeichen vgl. Harold Garfinkel: »Certain insignia are regarded by normals as essential in their identifying function, whereas other qualities, actions, relationships, and the like are treated as transient, temporary, accidental, circumstantial, and the rest. For normals the possession of a penis by a male and a vagina by a female are essential insignia. Appropriate feelings, activities, membership obligations, and the like are attributed to persons who possess penises and vaginas. (However the possession of a penis or a vagina as a biological event is to be distinguished from the possession of one or the other or both as cultural event) […]« (1984: 22f.).
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es der Fotografie, indem sie die Genitalien unsichtbar hält, eine Form evidenter Männlichkeit zu produzieren, die eine vehemente und wiederholte Anrufung körperlicher Geschlechtsmerkmale notwendig macht, um die Bedrohung der Ordnung zu verhindern. Offensichtlich wird diese Bedrohung vor allem auch in der Artikulation von Abwehr, Begehren und sexueller Identität, die eine Anerkennung9 von Transsexuellen für eine heterosexuelle Identität produziert: My attraction to you doesn’t mean I’m gay: You’re really a woman – I can’t be with you: I’m not a lesbian.10 Die sehr subjektiven und teilweise emotionalen Formulierungen unterlaufen zudem den Anspruch von Objektivität und Rationalität und weisen die Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit als hochgradig emotional aufgeladen aus. Dort wo die Formulierungen scheinbar sachliche Tatsachen auf den Punkt bringen, verwickeln sie sich bei genauer Lektüre in Widersprüche: Dieser Raum ist nur für Frauen. […] Du bist kein Mann […] Du gehörst hier nicht hin (Abb. 6). Visuell markiert sind diese Widersprüche nicht auf den ersten Blick erkennbar. Sie fallen erst beim Lesen und Denken auf, wodurch eine pseudo-rationalisierende Distanz einer in sich widersprüchlichen Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit ausgestellt wird.11 Diese Abwehr und das Gefühl von Bedrohung müssen ernst genommen werden. Denn für viele Menschen knüpft sich die eigene geschlechtliche Identifikation wie auch die sexuelle Orientierung an spezifische körperliche Geschlechtsmerkmale. Da dies ihre Lebensrealität ist, können sie diese nicht einfach aufgeben. Um überhaupt eine Situation zu schaffen, in der ein Aushandeln der entste9
Johanna Schaffer hat für die ambivalente Form der Anerkennung durch stereotypisierende Darstellungsweisen den weiterführenden Begriff der »Anerkennung im Konditional« geprägt, die nur so lange verliehen wird, wie das Souveränitätsgefühl der majoritären Position unangetastet bleibt (2008: 60). Distortions kann als eine Produktion gelesen werden, die diese bedingte Anerkennung sichtbar macht und zugleich ein Stück verschiebt, insofern sie nicht in erster Linie Anerkennung einfordert, sondern Verunsicherungen majoritärer Positionen mit ausstellt.
10 Verknüpfungen und Wörter für körperliche Geschlechtsmerkmale variieren. Abb. 4 ist die einzige, in der sich der Text nicht in Widersprüche verstrickt und eher ein Begehren nach Homosexualität artikuliert als Abwehr, wie Abb. 5 und 6. Insgesamt reduziert Abb. 4 damit das Konfliktpotential, was sich visuell im gesenkten Blick, textuell in Frageformulierungen sowie in der Einbeziehung der eigenen Perspektive zeigt. 11 Adrian Piper zeigt, dass Diskriminierungen in hohem Maße von kognitiven Fehlleistungen und Pseudorationalisierungen, von Stereotypenbildungen und/oder Verleugnungen abhängen, durch die einheitliche Subjekte auf Destabilisierung reagieren (Piper nach Kravagna 2000: 24f.).
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henden Konflikte möglich wird, ist es meines Erachtens notwendig, in den Blick zu nehmen, dass die wirkliche Anerkennung Transsexueller von einer heteronormativen Identitätsposition ohne eine Infragestellung und/oder Reartikulation der eigenen Identität eine Unmöglichkeit darstellt.12 Der grundlegende Konflikt in diesem Ringen um Anerkennung ergibt sich gerade aus dem Widerspruch zwischen Rahmung und Fotografien, die eine evidente Männlichkeit ins Bild setzen und damit letztlich auf Anerkennung bestehen. Männlichkeit im/als Widerspruch Camerons Arbeit greift mit den Medien der Fotografie und der Schriftsprache zwei zentrale Modalitäten sowohl der Produktion von Identität als auch von Wissen auf, wie sie sich in der westlichen Moderne herausgebildet haben. Indem die Arbeit Distortions beide Äußerungsmodalitäten miteinander in Konkurrenz bringt, fordert sie dazu auf, zu reflektieren, was wir sehend wissen (aus dem Bild ziehen wir das Wissen, das ist ein Mann) und wissend sehen (aufgrund des Wissens, das ist ein Mann, sehen wir die Genitalien) bzw. zu sehen und zu wissen glauben. Damit produziert Camerons künstlerische Argumentation eine kritische Distanz zu Annahmen von Objektivität und gesichertem Wissen.13 Zugleich widersetzt sie sich Fantasien eines anything goes, indem sie die Diskussion um 12 Innerhalb queerer Kontexte ist in diesem Zusammenhang zuweilen auch der Begriff der Homonormativität gebräuchlich, um zu markieren, dass auch schwule und lesbische Identitäten häufig auf den körperlichen Normen von Mann und Frau aufbauen. Ich verwende an dieser Stelle lediglich den Begriff der Heteronormativität und meine damit jedoch explizit auch lesbische und schwule Identitäten, sofern diese heteronormativen Vorstellungen verhaftet bleiben. Abgesehen davon gibt es selbstredend auch heterosexuelle Identitäten, die nicht zwangsläufig ausschließlich heteronormativ sind. Von dem Gebrauch des Begriffs der Homonormativität sehe ich ab, da es sich (zumindest in dem hier angesprochen Fall) um heteronormative Strukturen und Ordnungsmuster handelt. 13 Dabei liegt die Vermutung nahe, dass die Verteilung auf Text und Fotografie nicht zufällig so gewählt ist, sondern, was eine genauere Forschung zeigen müsste, sich vermutlich aus einer historisch differenten Verwendung dieser Medien in den verschiedenen Disziplinen der Wissensproduktion herleiten lässt. Denn während die Fotografie eine zentrale Rolle in der Produktion von Wissen über den anatomisch-biologischen Körper innehatte, dominierte in der Herausbildung eines Wissens über Sex/Sexualität die Psychoanalyse, die in erster Linie auf sprachlich-textliche Quellen referiert. Bezeichnenderweise nimmt die Sexualwissenschaft, die diese Grenzen wohl am stärksten verwischt, nach wie vor eine marginalisierte Position in den Disziplinen der Wissensproduktion ein.
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Männlichkeit durch den Bezug auf spezifische Darstellungstraditionen kulturell verortet. Auf visueller Ebene wird Männlichkeit hier primär über das Brustporträt produziert. Im Dreiviertel-Porträt aufgenommen, blickt die Person direkt in die Kamera. Damit greifen die Bilder auf ein Format der Repräsentation weißer, bürgerlicher Männlichkeit zurück, das mit Konnotationen des vernunftbegabten Subjekts verbunden ist und »traditionell als die bildliche Verarbeitung biografischer Erfahrung und als Visualisierung ›psychologischer Einsichten‹« (Rogoff 1989: 22) dient. Männlichkeit wird visuell somit über die Figur des »Gesichts als Spiegel der Seele« produziert und ein Bezug auf die Kategorie Sex (Foucault 1983), die den Fokus queerer Debatten bildet, vermieden.14 Auf visueller Ebene fungiert damit nicht Sex, sondern das Gesicht als Produktionsmaschine des ganzen Körpers (Deleuze 2002) und als Signifikant der inneren Wahrheit einer Person. Allerdings produzieren Camerons Bilder entscheidende Verschiebungen gegenüber dem Format des klassischen Brustporträts. Die deutlichen Hell-DunkelKontraste transferieren die erwarteten »psychologischen Einsichten« vom Inneren des Körpers auf dessen Oberfläche. Die Art der Inszenierung verweist auf Traditionen der Fotografie, denen es weniger um die Produktion von Individualität als vielmehr um spezifische »Charaktertypen« geht. Durch die Dramatisierung der Gesichtszüge und die Reihung variierender Posen rücken die Aufnahmen in die Nähe von Darstellungskonventionen physiognomischer und psychiatrischer Fotografie, wie sie seit den 1860er Jahren geprägt wurden.15 Unterstützt wird diese Assoziation durch den dunklen Hintergrund, der keinen spezifischen Raum bezeichnet. Diese »Neutralisierung« hebt den Körper als das Wesentliche hervor und sie begünstigt eine Konnotation tendenzieller Allgemeingültigkeit, die den repräsentierten Körper als Typus lesbar macht. Zudem produziert sie eine Differenz zu sozialpolitisch motivierter Dokumentarfotografie, die die soziale und kulturelle Umgebung mit ins Bild setzt.
14 Foucault zeigt, wie der Begriff des Sex es möglich gemacht hat, »anatomische Elemente, biologische Funktionen, Verhaltensweisen, Empfindungen und Lüste in einer künstlichen Einheit zusammenzufassen und diese fiktive Einheit als ursächliches Prinzip, als allgegenwärtigen Sinn und allerorts zu entschlüsselndes Geheimnis funktionieren zu lassen: der Sex als einziger Signifikant und als universales Signifikat« (Foucault 1983: 148f). Mit der Problematisierung einer zweiten Produktionsmaschine wird diese künstliche Einheit tendenziell wieder aufgebrochen. 15 Siehe z.B. die Studien des französischen Neurologen Guillaume Benjamin Amand Duchenne de Boulogne Mitte des 19. Jahrhunderts, dazu vgl. Didi-Huberman (1997).
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Gleichzeitig vermeidet die Repräsentation jedoch eine einfache Reproduktion von Psychiatrisierung und Pathologisierung, indem sie Gemütszustände von Melancholie (Abb. 4), Skepsis (Abb. 5) und Nachdenklichkeit (Abb. 6) evoziert. Diese zählen zu den wenigen traditionell auch mit Figuren der Männlichkeit verknüpften Emotionen und sind nicht unbedingt mit Vorstellungen von Krankheit verbunden. Die Kombination von Darstellungsweisen bürgerlicher Männlichkeit und psychiatrischer Fotografie, die ähnlich einem Vexierbild mal mehr oder weniger Kontur annehmen, problematisiert die kategorische Differenz zwischen hegemonialer und transsexueller Männlichkeit, indem sie beide intrinsisch miteinander verbindet. Die Nacktheit des Oberkörpers produziert schließlich einen Bruch mit Darstellungskonventionen sowohl des bürgerlichen Brustporträts als auch der psychiatrischen Fotografie. Indem die Fotografie den Kopf und das Gesicht mit dem Oberkörper verbindet, stellt sie die Singularität des Gesichts als »Spiegel der Seele« in Frage.16 Ruft der unbekleidete Oberkörper Assoziationen von Körperlichkeit und Sexualität hervor, trägt er mit den Tattoos und letztlich auch den trainierten Muskeln sichtlich Zeichen der Kulturation, die dem Mythos eines ganzen und unversehrten Körpers widersprechen.17 Indem die Arbeit unterschiedliche, sich widersprechende Spuren von Darstellungstraditionen der Männlichkeit aufgreift, stellt sie die Produktion von Männlichkeit durch Codes und Bedeutungszuschreibungen innerhalb kultureller und ideologisch aufgeladener Bedeutungsgefüge aus und widersetzt sich damit einer Fixierung durch dominante Ordnungsmuster ebenso wie Vorstellungen essentialistischer Identität. Damit werden jedoch letztlich jene »inneren Wahrheiten«, die verschiedene innerhalb der Moderne relevant gewordene Figurationen zu verbürgen scheinen, problematisiert. Hat Foucault gezeigt, wie Sex/Sexualität zur einzigen Wahrheit des Subjekts wurde, mit den Genitalien als »Produktionsmaschine des ganzen Körpers« (preciado 2003), beschreibt Deleuze das Gesicht als ein »System Weiße Wand-Schwarzes Loch« (Deleuze 2002), das sowohl Signifikation als auch Subjektivität erst ermöglicht und nicht nur den Kopf vom Körper trennt, sondern den gesamten Körper übercodiert:
16 Bürgerliche Männlichkeit repräsentiert sich oftmals im Anzug, der eine deutliche Trennung von Kopf und Körper produziert und bürgerlich-vernünftige Männlichkeit damit entkörpert und vergeistigt (vgl. Ellwanger 2002). Zudem repräsentieren solche Porträts häufig eine männliche Handlungsfähigkeit durch über den Rahmen, bspw. eine Ballustrade, hinausreichende Arme, die mitunter durch einen zentralperspektivischen Tiefenraum, in dem sich eine Narration entfalten kann, unterstützt wird (vgl. Calabrese 2006: 158ff.). 17 Zur Kritik an diesem Mythos vgl. Schade (2006).
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»Ein Gesicht kommt nur zustande, wenn der Kopf nicht mehr Teil des Körpers ist, wenn er nicht mehr vom Körper codiert wird, und selber keinen polyvoken, mehrdimensionalen Körpercode mehr hat – wenn der Körper, inklusive Kopf, von etwas, das man als Gesicht bezeichnet, decodiert und übercodiert werden muss. […] der Kopf und seine Elemente können nur zum Gesicht gemacht werden, wenn der ganze Körper dazu wird, wenn der ganze Körper in einem unvermeidlichen Prozeß zum Gesicht wird. Mund und Nase, vor allem aber die Augen können nur zu einer durchlöcherten Fläche werden, wenn sie alle anderen Volumen und Aushöhlungen des Körpers einbeziehen. Eine Operation, die eines Doktor Moreau würdig ist: schrecklich und großartig. Hand, Brust, Bauch, Penis und Vagina, Schenkel, Bein und Fuß bekommen ein Gesicht. Fetischismus, Erotomanie etc. sind von diesen Prozessen der Schaffung eines Gesichts nicht zu trennen« (Deleuze 2002: 233).
Während Deleuze hier aus kritischer Perspektive die Organisation des Körpers und der Subjektivität durch das System des Gesichts zu beschreiben versucht, um diesem durch Strategien des »Tier-Werdens« zu entkommen, haben sowohl die Sexualwissenschaften als auch die Phänomenologie daran gearbeitet, das Gesicht zu einem codierten und fixierten Signifikanten einer »inneren Wahrheit« zu machen.18 Gesicht und Genitalien werden so zu fixierten Signifikanten einer inneren Wahrheit (dem Sex bzw. dem Geist/der Seele), die nur im nicht erreichbaren Idealkonstrukt hegemonialer heterosexueller Männlichkeit nicht in Widerspruch zueinander geraten und durch verschiedene Darstellungstraditionen aufrechterhalten werden.19 Indem Cameron mittels der Fotografien das Gesicht als Produktionsmaschine von Männlichkeit in Gang setzt und mittels der textuellen Rahmung diejenige des Sex/der Sexualität, legt er nicht nur einen Widerspruch offen, sondern eröffnet Möglichkeiten des Denkens, Redens und Fantasieren
18 Vgl. Davidson (1998), der die Bedeutung von Gesichtsausdrücken für die frühe Sexualwissenschaft und -pathologie aufzeigt, sowie grundlegende Beiträge zum Gesicht in Gläser (Hg.) (2001). 19 So erfordert die (moralische) Hierarchisierung des Geistes/der Vernunft über die Sexualität, dass der erigierte Penis hegemonialer Männlichkeit unsichtbar gehalten werden muss, während die Sichtbarmachung desselben in Bildern des Anderen – marginalisierter, insbesondere schwuler und Schwarzer Männlichkeiten – und Bildern sexualisierter Weiblichkeiten (der Prostituierten) fixiert wird. In ähnlicher Weise scheinen körperliche Aspekte reproduktiver (moralisch guter) Sexualität und der Bereich der Emotionen, der nicht sexualisiert und moralisch angesehen ist, in Bildern der Mutter, der Heiligen, Kinder etc. fixiert zu werden.
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über Männlichkeit, die sich nicht mehr eindeutig und letztendlich am Penis fixieren lässt.20 Die Kunst, Tatsachen ins Werk zu setzen In der Referenz auf jene problematische Rolle der Fotografie in der Geschichte der Psychiatrie verweist Distortions auch darauf, dass diese die Symptome von Geisteskranken weniger dokumentiert als vielmehr überhaupt erst produziert. So zeigt Didi-Huberman (1997) anhand der Fotografien aus der Salpêtrière, wie Charcot im Versuch, die Hysterie zu verstehen, eine »epistemologische Strategie« entwickelt, die nicht zwischen Doktrin, Wissen und Praxis unterscheidet und deren dialektischer Knoten der Begriff des »Werks« bildet. Charcot bedient sich dabei der von Claude Bernard entwickelten »experimentellen Methode«, die zentral auf zwei Künsten beruht: »Die experimentale Methode, […], ist nicht Beobachtung, sondern ›provozierte‹ Beobachtung: das heißt zum einen, die Kunst Tatsachen zu erheben, zum anderen, die Kunst sie ins Werk zu setzen. Die Beobachtung, insofern sie eine ›Ins-Werk-Setzung‹ ist, das ist die Erfahrung. Und man müßte, schreibt Bernard, aufhören, an etwas anderes zu glauben, weil sie außerhalb aller Doktrinen liege« (Didi-Huberman 1997: 29).
Diese Methode und der Glaube an die Erfahrung scheitern jedoch kläglich, wie Didi-Huberman in seiner Untersuchung der Klinik, Therapeutik, Hypnose und Pädagogik der Salpêtrière nachweist, und zeitigen zugleich grausame Effekte für die Patient_innen. Denn insofern diese Erfahrungen zunächst »ins Werk gesetzt« werden müssen, erweist sich das »Experiment […] bei Charcot vor allem [als] eine Arbeit an den Formen, eine Arbeit (an) der Form in gewisser Hinsicht sogar eine Arbeit am Schönen, [als] (ästhetische) Invention an und für sich« (Didi-Huberman 1989: 281). In diesem Prozess wird die Medizin letztlich »von der Anleihe, die sie bei der Kunst macht, besessen« (Didi-Huberman 1989: 282).21 In20 Insofern sich die Darstellungstraditionen und Wissensproduktionen über den vergeschlechtlichten sexuierten Körper wie auch über Sexualität und Begehren für Weiblichkeiten und Männlichkeiten fundamental unterscheiden, funktioniert diese Art der Problematisierung von Transsexualität für Männlichkeit auf eine spezifische Weise, die sich nicht auf die Transsexualität von Frauen übertragen lässt. 21 So zeigt Didi-Huberman (1989), wie Charcot Célinas Körper mit der Skizze Rubens vergleicht und die aporetische Darstellung des hysterischen Körpers ästhetisch löst. Diese Lösung ist ein Sophismus, der über einen Paralogismus, die ästhetische Anleihe, eine Ähnlichkeit nachweist und damit eine kanonische Form für die Krise des Körpers geschaffen hat.
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dem die Fähigkeit, die Symptome klinisch (durch Hypnose) und figurativ (als Schema, Formgebung, Fotografie) zu reproduzieren, zum Beweis wird, wird Kunst gleichzeitig Methode und theoretische Grundlage: »Der epistemologische Gewaltstreich Charcots beruhte nun gewissermaßen darauf, diese Nachahmung zu initiieren oder, genauer gesagt, durch die Beherrschung der ›klinischen Reproduktion‹ ein Wissen über die ›hysterische Reproduktion‹ zu begründen. Tatsächlich ist für Charcot Wissen gleichbedeutend mit Wissen um die Reproduktion. […] [D]ie Wunder (oder wunderbaren Rätsel) [gehorchen] einem Gesetz, und der Beweis dafür, dass es sich um ein Gesetz handelt, ist der, daß ich es experimentell reproduzieren kann – und zwar klinisch (durch Hypnose) und figurativ (als Schema, durch Formgebung, als Fotografie). Ich kann das hysterische Symptom reproduzieren, also kenne ich das Gesetz des Symptoms« (Didi-Huberman 1989: 282).
Dieses Vorgehen ist mit dem grundlegenden Problem behaftet, dass die Effizienz einer Praxis nicht als epistemologische Legitimation dienen kann, und es scheitert, wie Didi-Huberman zeigt, in dreifacher Weise: Erstens zeigt die Patientin nicht die Form des hysterischen Körpers, die sie beweisen soll, weshalb sie in eine Zwangsjacke gesteckt werden muss. Zweitens weisen die wütenden Laute des Widerstands keine Ähnlichkeit mit Symptomen auf, sodass sie unter den Begriff der Hässlichkeit subsumiert werden. Dieser kann dann mit der Lüsternheit verbunden werden, die wiederum mit der Lasterhaftigkeit in der Kindheit verknüpft und zur Ursache des Tohuwabohu des Körpers erklärt wird (Didi-Huberman 1989: 295). Drittens geht das Experiment, Buchstaben auf den Körper zu ritzen, auf Kosten der Patientin: »Was bei einem solchen Experiment ins Spiel kommt, ist in erster Linie wohl die Suche nach einem Einschreibe-Effekt und der Versuch, die Reproduzierbarkeit zu beherrschen. Darüber hinaus kommt es einem Urteil gleich, Einschreiben von Namen und Satan. […] Die ›demographische Célina‹ bestätigt aber selbst ihre dämonische Existenz – auch gegen ihren Willen. Sie wird dies nicht überleben. Eines Tages stirbt sie, ohne Grund, ohne andere Krankheit als die ihrer Verweigerung der Bilder« (Didi-Huberman 1989: 295).
Mit seiner Untersuchung zeigt Didi-Huberman auf, in welcher Weise das Medium der Fotografie zu einem Einfallstor der bildenden Kunst in die medizinisch-psychiatrische Wissenschaft wurde und hier mehr als problematische Effekte zeitigte. Hierin wird nicht nur deutlich, welche Gefahren in der Produktion dialektischer Knoten, die nicht zwischen Doktrin, Wissen und Praxis unterschei-
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det, liegen, sondern auch zu welchen Irrungen der Glauben an die Möglichkeit einer »unmittelbaren« demografischen Fotografie führen kann. Abbildung 6: Distortions, Loren Cameron
Die Kunst des Ausstellens: Transsexualität im/als Widerspruch Distortions spielt in der ästhetischen Gestaltung auf die problematische und pathologisierende Geschichte des Mediums der Fotografie an. Gleichzeitig nimmt die Arbeit Camerons eine fundamentale Verschiebung vor, in dem sie im Bereich der Kunst und Kultur operiert. Mit Bezug auf Didi-Hubermans Kritik an der psychiatrischen Fotografie des 19. Jahrhunderts kann Distortions als eine Kritik des Phänomens der Transsexualität als medizinisch-psychiatrische Erfindung gelesen werden, das auf zwei Künsten basiert: auf der »Kunst, Tatsachen zu erheben« und auf der »Kunst, sie ins Werk zu setzen« (Didi-Huberman 1997: 29). Ähnlich wie für die Hysterie gilt vielleicht auch für Transsexualität, dass sie »[...] das Gepräge einer fixen Idee hat und vielleicht von einer verzweifelten Debatte zeugt: einer Debatte des Wissens von Körpern, Handlungen und ›Beobachtungen‹, die, obschon ›ins Werk gesetzt‹, von Widersprüchen gepresst und geschnürt bleiben« (Huberman 1997: 29).22 Allerdings wäre es verkürzt, die Ver22 An dieser Stelle könnte eine weitere Untersuchung ansetzen und die ›Wissensproduktion‹ über Transsexuelle in Begutachtungs- und Behandlungsverfahren einer kritischen Analyse unterziehen. Denn letztlich stellt sich die Frage, ob die Diagnose nicht
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antwortung hier jenen Ärzten, Sexualwissenschaftlern oder den medizinischpsychiatrischen Wissenschaften zuzuschieben. Denn anders als im Falle der psychiatrischen Fotografie, wird in Distortions gerade keine Repräsentationssituation ins Bild gesetzt, in der die Ärzte ihre jeweiligen ideologischen Positionierungen in den Patienten einschreiben und/oder in der die ›Ins-Werk-Setzung‹ der Produktion wissenschaftlicher Wahrheiten und Theorien dient. Vielmehr geht es um eine Darstellung, die ganz alltägliche Reaktionen und Emotionen in Bezug auf Transsexualität, die Selbstverständlichkeit heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit und die Abwehr von Homosexualität verhandelt. Einschreibungen in den und Einengungen des Körpers durch alltägliche Blicke und Anrufungen pressen dem Körper seine Geständnisse ab und halten ihn in der starren Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit und ihrem Ordnungsgefüge gefangen. Darin verweist Distortions nicht zuletzt darauf, dass es zu kurz greifen würde, die Psychologie oder Psychiatrie, die Sexualwissenschaft oder Medizin in erster Linie für die Konstruktionen und Diskriminierungen von Transsexuellen verantwortlich zu machen oder zu kritisieren. Vielmehr stellt sich die Frage, inwiefern die Widersprüche, mit denen Transsexuelle alltäglich konfrontiert sind, es schaffen könn(t)en, einen im wahrsten Sinne des Wortes in den Wahnsinn zu treiben. Hier wird eine weitere entscheidende Differenz zwischen der fotografischen Praxis Charcots und Camerons sichtbar: statt eine Ästhetik der Kunst zur Grundlage eines Wissens über Andere zu machen und deren Körpern die Symptome abzuringen, verbleibt Loren Cameron im Feld der kulturellen und künstlerischen Strategien. Statt ein scheinbar gesichertes Wissen über inszenierte Fotografien zu postulieren, nutzt er seine Fähigkeiten der Reproduktion, um das sicher geglaubte Faktenwissen über Männlichkeit und Weiblichkeit/Mann-Sein und FrauSein infrage zu stellen und die kulturellen Zwänge, die Geschlechterstereotypen sowie Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen produzieren, auszustellen. Verschiebt sich Transsexualität hierin von einer individualisierten Pathologie hin zu einem kulturellen Phänomen, das sich im Rahmen kultureller Zwänge formiert, wird jedoch zugleich deutlich, dass es keine unmittelbare Möglichkeit des Erkennens gibt. Was wir hier zu sehen bekommen, ist kein Selbst und kein Selbstporträt, sondern immer nur ein Bild der Transsexualität: artikuliert, formiert und sedimentiert in Bruchstücken und Schichten des Vor-Gesehenen, die gleichwohl Bedeutungsverschiebungen und kritische Einsprüche in hegemoniale Sichtweisen ermöglichen.
einfach genau davon abhängt, das Bild von sich ins Werk zu setzen oder vorzuspielen, das Gutachter von Transsexuellen haben.
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Distortions kann, so lässt sich zusammenfassen, als eine Arbeit gelesen werden, die ähnliche Widersprüche zwischen Individualität und Kultur, entpathologisierender Anerlennung von Transsexualität und Aufrechterhaltung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit sowie zwischen Freiheit und Zwang artikuliert, wie sie in den Debatten um das TSG auftreten. Zugleich produziert sie jedoch entscheidende Verschiebungen, in denen sich ihr kritisches Potenzial situiert. Erstens stellt die Arbeit die Unmöglichkeit einer nicht pathologisierenden Anerkennung von Transsexuellen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von Vorstellungen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit sichtbar aus. Dies eröffnet eine politische Dimension in der Relation zwischen Kunstwerk und Rezipierenden: Denn Diskriminierungen hängen in hohem Maße von kognitiven Fehlleistungen und Pseudorationalisierungen, von Stereotypenbildungen und/oder Verleugnungen ab, mit denen einheitliche Subjekte auf Destabilisierung reagieren (Piper zit. nach Kravagna 2000: 24f.). Indem die Arbeit diese Abwehrbewegungen sichtbar macht, ermöglicht sie eine Reflexion der in der Betrachtung erfahrenen Affekte und Gefühle. Zweitens macht Distortions die sehr grundlegende und nach wie vor hochgradig naturalisierte Frage, was ein Mann ist, radikal diskutierbar. In der Art und Weise, wie Widersprüche artikuliert werden, reflektiert sie drittens die konstitutive Funktion von Bild und Text für die intrinsisch miteinander verknüpften Phänomene von Transsexualität und Zweigeschlechtlichkeit und verweigert eine einfache oder abschließende Antwort auf die Frage, was Männlichkeit bzw. Mann-Sein ist. Damit könnte Distortions einen wichtigen Impuls für realpolitische Debatten um die Reform des TSG liefern. Statt von einer Definierbarkeit von Geschlecht auszugehen, regt die Arbeit dazu an, die Unmöglichkeit, Geschlecht dauerhaft zu fixieren, endlich zu akzeptieren. Distortions fordert zudem ein, nicht Geschlechter zu definieren, sondern verschiedene, auch widersprüchliche Erscheinungsformen und Konzeptionen von Geschlecht zu diskutieren. Da sich dabei keine Position auf das Argument der Natürlichkeit/Naturgegebenheit stützen kann, ist auch zu hinterfragen, wieso der Gesetzgeber das Auseinanderfallen von Geschlecht und Geschlechtsfunktion zu verhindern sucht. Darüber hinaus wirft die Arbeit die sehr grundsätzliche Frage auf, was das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und körperliche Unversehrtheit eigentlich bedeuten soll, wenn Machtverhältnisse durch und über Körper operieren. Letztendlich werden diese Probleme jedoch nicht allein auf einer realpolitischen Ebene zu lösen sein. Vielmehr ist eine Auseinandersetzung mit den Ängsten, Wünschen und Begehrensformen notwendig, die uns bewegen. Von daher kann es hilfreich sein, diese auch in realpolitischen Kontexten stärker zu artikulieren. Eine Politik jedoch, die Ängste, Wünsche und Begehren ernst nimmt und verhandelt, benötigt vielleicht
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auch andere Bilder ihrer Repräsentanten als die weithin üblichen Brustporträts der vernunftbegabten, männlich-emotionalen Anzugträger gegenwärtiger »echter« Politik. 2. Und wenn sie ͩeine feste Form angenommen habenͨ – Die Tranz Portraits Del LaGrace Volcanos Die Kritik an der hegemonialen Formation der Transsexualität, wie sie sich in Loren Camerons Arbeit Distortions artikuliert, lässt bereits die Bedeutung von Wahrnehmungs- und Darstellungskonventionen sowohl für die Aufrechterhaltung als auch die Kritik heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit erkennen. Das folgende Kapitel setzt sich anhand der Tranz Portraits von Del LaGrace Volcano mit der Frage auseinander, wie visuelle Politiken vor diesem Hintergrund zu einer Stabilisierung transgeschlechtlicher Subjektpositionen beitragen können und darin gleichzeitig heteronormative Seh- und Wahrnehmungskonventionen irritieren und kritisieren. Die Tranz Portraits bestehen aus einer Reihe sehr unterschiedlicher Fotografien: Leslie Feinberg ist in Schwarz-Weiß vor dem Hintergrund einer Landschaft aufgenommen: mit Hose und T-Shirt bekleidet, die Unterarme auf dem angewinkelten rechten Bein abgestützt, blickt er direkt in die Kamera (Abb. 7). Teddyboy kniet auf einem Bett, trägt eine Jeans, über dem nackten Oberkörper einen Harnes, in den Händen eine Peitsche. Hinter ihm an der Wand ein bedrucktes Tuch, auf und neben dem Bett Teddybären (Abb. 8). Hans, in Farbe vor schwarzem Hintergrund aufgenommen, mit weißer Unterwäsche und schwarzen Stiefeln bekleidet, beansprucht nur die Hälfte des Bildes, während sich in der anderen Bildhälfte ein mannshohes gezeichnetes Selbstporträt erhebt. So unterschiedlich die einzelnen Fotografien hinsichtlich der formalen Gestaltung, der Settings und der porträtierten Personen sind, folgen sie alle der Konvention, Personen über das Zu-sehen-Geben ihrer Körper zu porträtieren. Während sie durch Vornamen, Kleidung und Posen männlich codiert sind, werden Spuren einer Transition oder eines weiblich codierten Körpers unsichtbar gehalten. Name, Ortsangabe und Jahreszahl am unteren Bildrand liefern dokumentarisch anmutende Informationen, mittels derer Betrachter_innen die porträtierten Subjekte scheinbar in der Welt situieren können. Auf den ersten Blick scheint Jay Prossers Feststellung, die Tranz Portraits »wirken in ihrer Männlichkeit so echt wie ein genetischer Mann« (Prosser 2000: 12), plausibel. Er beschreibt sie als »transsexuelle Männlichkeiten, in denen die Transformationen der Transsexualität eine feste Form angenommen haben« (Prosser 2000: 12). Und Volcano selbst sagt, die Tranz Portraits seien »ein Schritt weg vom Bedeutungsträger hin zum Fleisch« (Prosser 2000: 12). Was
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aber bedeutet dieser »Schritt weg vom Bedeutungsträger hin zum Fleisch«, die »feste Form«, die hier angenommen wurde? Und in welchem Verhältnis stehen diese Repräsentationen zu queeren Diskursen um Bedeutungen und Repräsentationspolitiken von Körpern? Abbildung 7: Leslie Feinberg, Berlin 1998, Del La Grace Volcano
Abbildung 8: Teddy Boy, Berlin 1998, Del LaGrace Volcano
Es liegt nahe, diese Kommentare dahingehend zu interpretieren, dass sich die Männlichkeit der Porträts in den materiellen fleischlichen Körpern, die fotografiert wurden, begründet und durch sie fixiert wird. Allerdings hätten sie dann mit dem, was in gegenwärtigen Diskursen unter »queer« verstanden wird, nicht mehr viel gemein. »Queer« – so vielfältig und widersprüchlich dieser Begriff verwendet wird – lässt sich in folgender Definition Annemarie Jagoses auf den Punkt bringen: »Sicher gibt es keine allgemein akzeptierte Definition von queer. Tatsächlich bestehen zwischen einzelnen Auffassungen des Begriffs unauflösbare Widersprüche. Dennoch erweisen sich für bisherige Vorstellungen von Identität, Community und Politik die Veränderungen durch queer dort als am beunruhigendsten, wo der normative Zusammenschluß von anatomischem Geschlecht, sozialem Geschlecht und Sexualität kritisiert wurde. Das ist genau für diejenigen Versionen von Identität, Community und Politik von zentraler Bedeutung, die scheinbar ›natürlich‹ aus diesem Zusammenschluß hervorgehen. Indem es sich weigert, eine feste Form anzunehmen, hält queer eine Beziehung aufrecht zum Widerstand gegen alles, was das Normale auszeichnet« (Jagose 2001: 127f.).23 23 Ich beziehe mich hier auf die Definition von Jagose, weil in dem Call for Paper, das für mich den Anstoß bildete, eine erste Version dieses Textes zu produzieren (Vgl.
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Gerade die in dieser Definition eingeschriebene Offenheit und Flexibilität, die Weigerung, »eine feste Form anzunehmen«, scheint zuweilen den Effekt zu haben, dass nur all das als »queer« bewertet wird, das möglichst verwirrend und irritierend ist – auch und gerade in Bezug auf visuelle Repräsentationen von Körpern. Hier dominieren drei Betrachtungsweisen: Erstens wird das Zu-sehen-Geben nackter Haut – und insbesondere der Genitalien – als eine geschlechtliche Vereindeutigung gelesen, die im Widerspruch zu queeren Politiken steht.24 In der Folge gelten zweitens Körper, die sich durch eine »Ästhetik der Turbulenz« (Halberstam 2005) dieser Vereindeutigung widersetzen, also möglichst irritierende Repräsentationen des Körpers, sowie solche, die sichtbare Spuren von Transformationen tragen, als die subversiven und queeren Körper par excellence.25 Körper, die sich einer solchen Ästhetik verweigern,
Hoenes 2008), Bezug auf sie genommen wurde (vgl. Brandes/Adorf 2008). Darüber hinaus beziehe ich mich auf diese Definition, weil sie recht allgemein und abstrakt ist. Damit wird der Begriff über US-amerikanische Kontexte hinaus, innerhalb derer er als pejorativer Begriff fungierte und dann angeeignet wurde (vgl. Butler 1997: 307f.), als ein grundlegender Begriff queerer Theorie bestimmt. Diese breite und stark theoretisch orientierte Verwendung scheint mir in vielen Punkten auch die Art und Weise zu treffen, in der »queer« im Deutschsprachigen verwendet wird. Dies ist jedoch zugleich keine unproblematische Verwendung, da auch »queer« nicht ohne Grenzziehungen und Ausschlüsse auskommt. Eine totale Offenheit birgt die Gefahr, einem Liberalismus zu verfallen (vgl. Genschel u.a. 2001: 173). Zudem ist zu bedenken, inwiefern durch die Verwendung des Begriffs »queer« politische Auseinandersetzungen um Aneignungen und Umwertungen pejorativer Begriffe im Deutschen umgangen werden. So werden Begriffe wie »Perverse«, »Homos« oder »Transen« nach wie vor nur marginal verwendet und umgearbeitet. 24 So kommt etwa Halberstam in ihrer Analyse von Boys Don’t Cry (USA, 2000) zu dem Schluss, dass der Film in einer Szene gegen Ende, in der Brandon u.a. sein T-Shirt auszieht, zur Frau gemacht werde: »[…] the scene ties Brandon’s humanity to a particular form of naked embodiement that in the end requires him to be a woman« (Halberstam 2005: 90). Auf visueller Ebene wird jedoch lediglich eine unbekleidete Schulter Brandons sichtbar. Hier scheint mir eher die Analyse als der Film selbst zu vereindeutigen. 25 Halberstam führt in ihrer Diskussion des trangendered body den Begriff der »Ästhetik der Turbulenz« ein, um eine Ästhetik zu beschreiben, »that inscribes abrupt shifts in time and space directly onto the gender-ambiguous body, and than offers that body to the gaze as a site of critical reinvention« (2005: 107).
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gelten als affirmativ in Bezug auf Heteronormativität.26 Damit wird dem innerhalb heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit ohnehin schon stigmatisierten trans/queeren Körper zusätzlich aufgetragen, Widerständigkeit zu repräsentieren und Unruhe zu stiften. Die dritte Perspektive auf den Körper lässt sich als Konsequenz aus dieser Differenzierung in widerständige und nicht widerständige Körper interpretieren: Judith Halberstam plädiert seit Neuestem dafür, den queeren Körper überhaupt von der Last der Repräsentation zu befreien und stattdessen z.B. in Formen der Abstraktion Wege der Politisierung von Geschlecht und Sexualität zu suchen, die nicht länger an Subjekten fixiert sind.27 Eröffnet sich hier ohne Zweifel ein spannendes Feld für queere Politiken und Wissensproduktionen, bleibt eine Arbeit an und mit Körperbildern zugleich dringend notwendig, insofern Vorstellungen des sexuierten Körpers nach wie vor sowohl hochgradig naturalisiert als auch Zielscheibe von Biopolitiken sind.28 Eine Politisierung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit erfordert damit meines Erachtens auch eine kritische Analyse derjenigen Verfahren, mittels derer die so selbstverständlich männlich und weiblich erscheinenden Körper und die damit verknüpften Vorstellungen »echter« Männlichkeit und Weiblichkeit beständig reproduziert und alle anderen Entwürfe von Geschlecht in den Bereich des Fiktionalen oder Pathologischen verworfen werden. Zumindest implizit scheint innerhalb queerer Diskurse häufig eine Logik vorzuherrschen, in der das als »queer« – und damit kritisch – begriffen wird, was augenscheinlich Verwirrung stiftet und Kategorien offensichtlich infrage stellt. Als kritisch gilt, was möglichst schrill und offensichtlich künstlich ist, sichtbar 26 Vgl. bspw. Halberstams Differenzierung zwischen transsexuellen und transgendered Körpern (2005: 97ff.). 27 Solche Möglichkeiten sieht Halberstam bspw. in den Arbeiten Eva Hesses (Halberstam 2005: 119; 2008) oder der Fotografie eines leeren Swimmingpools von Cabello/Carceller (Halberstam 2008: 292). 28 Vgl. hierzu auch Katharina Sykora (1993), die kulturelle und künstlerische Arbeiten zu weiblichen Körperbildern aus feministischer Perspektive diskutiert. Sie legt dar, dass sowohl die Arbeit am Körper unter der Perspektive von Erlöserfantasien als auch der ikonoklastische Angriff auf Körperbilder tödlich enden, wenn diese radikal zu Ende geführt werden. Stattdessen plädiert sie für eine Strategie der Maskerade und des Umschreibens, wie sie bspw. Cindy Sherman mit ihren Untiteld Film Stills verfolgt. Greift Sykora in Bezug auf die Möglichkeit der Umschreibung und Aneignung von Schönheitsvorstellungen der Männlichkeit noch auf das kulturell und geografisch entfernte Beispiel der Ainu zurück, hat sich diese Strategie mittlerweile auch in westlichen Kulturen etabliert, insbesondere innerhalb von Drag-King-Szenen (vgl. Halberstam/Volcano 1999, Schirmer 2010).
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konstruiert und damit scheinbar entnaturalisiert. In Bezug auf ästhetische Strategien und visuelle Repräsentationen bedeutete dies, dass zunächst evidente und eindeutige Formationen von Männlichkeit und Weiblichkeit eher nicht als »queer« und widerständig eingeschätzt werden.29 Um solche m.E. vorschnelle Verengungen queerer Praktiken zu vermeiden, gilt es, auf einem Begriff von »queer« zu bestehen, der sich über eine Kritik an hegemonialen heteronormativen Machtverhältnissen definiert. So schlagen Genschel u.a. vor, »queer« vor allem »als Verbform – als queering oder verqueeren – [zu] verstehen«: »Als Verb verweist es auf eine Methode, die die Gegenstände und Anordnungen der normativen Heterosexualität und der binären Geschlechterordnung in Bewegung bringt und deren stillschweigenden Voraussetzungen und Hierarchien anficht« (Genschel u.a. 2001: 173).
Ich schließe mich dieser Definition an, insofern ich eine Kritik, eine Destabilisierung und/oder Verunsicherung der Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit für das entscheidende Kriterium dafür halte, dass etwas »queer« ist. Gleichzeitig verwende ich »queer« nicht nur in der Verbform, insofern ich beispielsweise von »queeren Repräsentationen« spreche. Mir scheint es an dieser Stelle von entscheidender Bedeutung zu sein, anzuerkennen, dass »queer« in unterschiedlichen Situationen sehr unterschiedliche Formen annehmen kann, dass die Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit gleichzeitig jedoch in Punkten so stabil und fixiert sein kann, dass für einen wirksamen Widerstand kristallisierte und verfestigte Formen von »queer« notwendig sind. Dabei bezeichne ich solche Repräsentationen als »queer«, die in ihren Reartikulationen von Geschlecht und Sexualität heteronormative Vorstellungen infrage stellen 29 Dies soll nicht bedeuten, dass schrille und irritierende Repräsentationen innerhalb spezifischer Kontexte nicht auch widerständig sein können – nur kann dies nicht quasi selbstverständlich vorausgesetzt werden. Eine der fundierten Analysen visuellen Materials, die die Widerständigkeit schriller Inszenierungen der Drag Queen in ihrem konkreten historischen Kontext der USA der 1940er Jahre herausarbeitet, liefert Meyer (2002). Er setzt die Fotografie einer Drag Queen, die aus einem Polizeiauto steigt, in Bezug zu den beschämenden Dokumentarfotografien, die der Sozialfotograf Weegee von solchen Verhaftungsszenen anfertigte und die das damalige mediale Bild Schwuler in der Gesellschaft dominierten. So gelingt es ihm, die Widerständigkeit dieser Strategie in Bezug auf die Techniken der Macht (Fotografie und Verhaftung) konkret herauszuarbeiten. Vgl. auch Meyers Analyse (2006) zur historischen Veränderung von Sichtbarkeitspolitiken nach den Stone Wall Riots.
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und kritisieren. Und dies, so meine These, tun die Tranz Portraits von Del LaGrace Volcano. Inwiefern aber stellen die Tranz Portraits Del LaGrace Volcanos heteronormative Ordnungsmuster in Frage, wenn sie doch scheinbar evidente und nicht hinterfragbare Formationen von Männlichkeit ins Bild setzen? Entscheidend ist an dieser Stelle eine konkretere Auseinandersetzung mit der Frage der Evidenz. Denn eine Sichtweise, die die Tranz Portraits aufgrund ihrer evidenten Männlichkeit als Heteronormativität affirmierend und nicht von anderen Männlichkeiten zu unterscheidende begreift, ist davon abhängig, dass die Männlichkeit am repräsentierten Körper identifiziert und dabei wichtige Differenzen zwischen den Fotografien und Normen hegemonialer Männlichkeit übersehen werden. Ein solches Übersehen lässt sich zwar in gegenwärtigen Sehgewohnheiten begründen, doch müssen diese selbst als Teil heteronormativer Alltagspraktiken und eines heteronormativen Alltagswissens kritisiert werden, die genau das auch mitproduzieren, was sie nur zu sehen vorgeben. In diesem Akt des Sehens/Lesens bleiben zwei wichtige – miteinander verschränkte – Technologien der Evidenzproduktion der westlichen Moderne unhinterfragt: erstens die Vorstellung, das Geschlecht einer Person könne an deren Körper abgelesen werden, und zweitens die Vorstellung, Fotografie könne Wirklichkeit abbilden oder unmittelbar produzieren. Eine Nichthinterfragung dieser Evidenzen erscheint insbesondere deshalb problematisch, weil darin die spezifischen Erfahrungen von Transmännern, die eigene Männlichkeit nicht einfach am gegebenen Körper ablesen zu können und diese für andere mittels kultureller Technologien sichtbar machen zu müssen, übersehen werden.30 Zweitens wird mit dem Glauben an den Abbildcharakter der Fotografie die künstlerische Arbeit Del LaGrace Volcanos tendenziell negiert. Denn der Erfolg und das Funktionieren der Bilder beruhen wesentlich auf der Art und Weise, wie Volcano die Körper ins Bild setzt. Das Problem mit der Evidenz Innerhalb der westlichen Philosophie bezeichnet der Begriff der Evidenz eine gesicherte und nicht hinterfragbare Einsicht, die die Grundlage der Wahrheitsproduktion ist. So definiert das Metzler Lexikon Philosophie:
30 Da der Begriff »Transmänner« ein breites Spektrum unterschiedlichster Positionen umfasst, können diese Erfahrungen und die Bedeutungen, die ihnen zugeschrieben werden, stark variieren. Dennoch kann die grundlegende Erfahrung, das eigene Geschlecht sichtbar machen zu müssen, als für Transsexuelle konstitutives Moment beschrieben werden (vgl. Prosser, 1998: 68).
182 | NICHT F ROSCH – NICHT L ABORRATTE: T RANSMÄNNLICHKEITEN IM B ILD ͩEvidenz, Einsichtigkeit von etwas, das aus der Sache heraus einleuchtet und sich uns entweder unmittelbar, schlagartig, intuitiv und als Gewiss in seiner Gegebenheit zeigt […]. Die erkenntnistheoretische Bedeutung von Evidenz besteht darin, dass Evidenz ein nicht bezweifelbares und eindeutiges Grunddatum menschlicher Erkenntnis ist (Descartes), das rationaler Erkenntnis vorausliegt, nicht hinterfragbar ist, weder eines Beweises fähig noch bedürftig ist und als solches zur Fundierung sicheren Wissens und zur Zurückweisung skeptischer Einwände herangezogen werden kann. […] In diesem Sinne kann konstatiert werden, dass die Evidenz die Bedingung (ͥWahrmacherͤ) von Wahrheit bzw. wahren Sätzen (ͥWahrheitsträgerͤ) ist. Es zeigt sich eine einseitige Abhängigkeit der Wahrheit von ihrer Evidenz, d.h. Evidenz ist nicht als separate Bedingung von Wahrheit aufzufassen, sondern als deren inhärentes und fundierendes Moment im Sinne eines TeilGanzen-Verhältnissesͨ (Prechtl/Burkard 2008: 171).
Ein solches Verständnis von Evidenz, die aus der Sache heraus, unmittelbar einleuchtet, unterzieht Foucault einer grundlegenden Kritik, indem er genau jene unhinterfragten Selbstverständlichkeiten zum Ausgangspunkt nimmt und danach fragt, wie diese Evidenzen aufgekommen sind. In Überwachen und Strafen (1994) sowie in Die Geburt der Klinik (1988) zeigt er, wie sich in der Moderne spezifische ärztliche/überwachende Blicke konstituieren, unter denen der Körper des Kriminellen und der Körper des Menschen bzw. der Körper einer Krankheit und der Körper eines Menschen deckungsgleich werden.31 Das, was heute so selbstverständlich erscheint, ist keineswegs immer und überall selbstverständlich gewesen. Vielmehr ist es erst durch spezifische Räume des Zu-sehen-Gebens, Technologien des Visualisierens, Arten und Weisen des Betrachtens und Beobachtens sowie mit der Herstellung bestimmter Verknüpfungen in Prozessen der Bedeutungsproduktion aufgekommen. In diesem Zusammenhang betont Foucault, dass das Sehen immer auch ein Tun ist. Durchbrechungen der Selbstverständlichkeiten – ruptures d’evidence – besitzen insofern das Potenzial, in der entstehenden Lücke die Unerträglichkeit der Selbstverständlichkeiten und ihrer Machttechnologien erkennbar werden zu lassen und darin Wege für neue Arten des Sehens und Denkens zu erschließen (vgl. Rajchmann 2000). Damit haben die Werke Michel Foucaults, wie John Rajchmann zeigt, das Sehen einem kulturellen Wandel geöffnet: »Wir beteiligen uns, wir leisten unseren Anteil an den Praktiken, die jene Sehweise für uns selbstverständlich machen – eine Beteiligung oder Akzeptanz, die wir verweigern 31 Diese Blick- und Sehweisen wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts popularisiert und in Form von Blickschulungen im Zuge der deutschen Nacktkulturbewegung auch von Laien erlernt (vgl. Möhring 2002).
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können. Daher ist Foucaults Idiom évidence mit der Akzeptabilität einer Praktik verknüpft. Sie ist Teil dessen, was eine Machtstrategie erträglich macht, trotz ihrer Schwierigkeiten. Die Ereignisse zu sehen, durch welche die Dinge selbstverständlich werden, heißt deshalb zu sehen fähig sein, in welcher Weise diese möglicherweise unerträglich oder unakzeptabel sind« (Rajchmann 2000: 44).
Vor diesem Hintergrund scheint es zunächst einleuchtend, evidente Bilder als herrschaftsaffirmierend zu beurteilen. Und doch folgt auch die Art und Weise, mit der wir bestimmte Bilder als evident, andere als irritierend betrachten, eingeübten Sehweisen. Insofern ist es trügerisch, wie Rajchmann feststellt, bestimmte Sehweisen als gegeben zu übernehmen: »Sichtbarkeit ist nicht gegeben, sondern gemacht. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir bestimmte Sehweisen als gegeben übernehmen, ist trügerisch. Hier geht die Kritik der Essentialismen über in eine Kritik der Machtstrategien – eine Kritik, wie sie mit und nach Michel Foucault als eine ›Kunst des Sehens‹ definiert werden kann, die auch die ungesehenen Evidenzen belichtet, ›welche uns das, was wir tatsächlich tun, akzeptabel oder erträglich machen‹« (Rajchmann 1988: 45, zit. nach Holert 2002: 233).
Eine Sehweise, die in den Tranz Portraits lediglich evidente Formen der Männlichkeit erblickt, kann damit auch als eine begriffen werden, die jener Selbstverständlichkeit, Geschlecht, Männlichkeit und Weiblichkeit am Körper zu identifizieren, unhinterfragt folgt und sich nicht weiter für die konkreten Formationen von Männlichkeiten, ihre Differenzen und Spezifika interessiert. Damit jedoch beteiligt sie sich – mindestens implizit – an einer Aufrechterhaltung der naturalisierten Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit. Um an dieser Stelle nicht in alte Sehgewohnheiten zu verfallen und stattdessen die komplexen Funktionsweisen von Bedeutungsproduktionen in Bezug auf Körper, Sexualitäten und Geschlechter in den Blick zu bekommen, ist es notwendig, die verschiedenen Formen von Evidenz, auf die Tom Holert angesichts der gegenwärtigen Debatten um die Evidenz der Fotografie hingewiesen hat, zu unterscheiden: »Die Evidenz-Effekte, auf die das Publikum gelassen reagiert, gerade weil sich das ihnen gebotene visuelle Evidente in den Horizont der Erwartungen, der Vorannahmen und des Wissens einfügen lässt, sind offenbar anderer Qualität als Barthes’ ›Evidenz der PHOTOGRAPHIE‹ […]. Von dem ›Erstaunen‹ oder der ›Faszination‹, die komplexe Kommunikation gerade herausfordert, ist der – übliche und machtvolle – Einsatz von Evidenz als arret sur l’image oder Stoppsignal weit entfernt« (Holert 2002: 222f.).
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Die Abhängigkeit der Evidenz-Effekte vom Vor-Wissen und den Erwartungen der Betrachter_innen impliziert, dass diese variieren können. So produzieren die Tranz Porträts vermutlich für die meisten Betrachter_innen eine Evidenz von Männlichkeit, die eine Diskussion über deren geschlechtliche Zuordnung beenden kann – ob diese Evidenz jedoch als machtvolles Stoppsignal funktioniert oder weitere Diskussionen herausfordert, ist damit nicht entschieden. Sie kann in eine heteronormative Logik (und ein machtvolles Stoppsignal) überführt werden, indem die Bilder als Repräsentationen von Männlichkeit gelesen werden, die Ordnungsmuster von Zweigeschlechtlichkeit bestärken und insofern nicht weiter interessant erscheinen. Aus der Perspektive von Transmännern, zu deren alltäglichen Erfahrungen es gehört, dass die eigene Geschlechtsidentität infrage gestellt wird, kann dieses Stopp jedoch als Moment der Selbstermächtigung fungieren, insofern als es von Erklärungen und Legitimationen freispricht. In einer gesellschaftlichen Situation, in der der eigene Körper hegemonial als falsch definiert wird – und »echte Männlichkeit« an den Besitz spezifischer Körper geknüpft ist –, besitzen die Fotografien zudem das Potenzial, ein anzustrebendes Ideal zu visualisieren und damit jenes Moment des Erstaunens und der Faszination in Gang zu setzen, das dazu einlädt, weiter über Transgeschlechtlichkeit und Männlichkeit sowie ihre Produktionsweisen nachzudenken und zu diskutieren. Eine Einladung, die sich sicherlich nicht an alle und nicht nur an Transmänner richtet, sondern an all diejenigen, die sich für kulturelle Konstruktionen von Transgeschlechtlichkeiten und Männlichkeiten interessieren. An dieser Stelle, an der Transsexualität sich nicht länger in der Figur des »im falschen Körper« fixieren lässt und Männlichkeit nicht mehr selbstverständlich hingenommen, sondern zum Gegenstand von Auseinandersetzungen und Reflexionen wird, liegt das queere Potenzial der Tranz Portraits. Von Transsexualität zu Tranz Den Hintergrund, vor dem die Tranz Portraits jenen Evidenz-Effekt der Fotografie entfalten können, der eine komplexe Kommunikation herausfordert, bildet die hegemoniale Konstruktion der Transsexualität. Diese fungiert(e) in großen Teilen auch als eine Institution der Normalisierung, die Personen einer der beiden gesellschaftlichen Ordnungskategorien von weiblich oder männlich eindeutig und dauerhaft zuweist. Der Normalisierungseffekt der Transsexualität basiert dabei wesentlich auf einer Schweigepflicht bzw. einem schamhaften Schweigen der Individuen. Sowohl ihre geschlechtlichen Vergangenheiten als auch ihre Körper, die die Spuren der Transition tragen, gilt es im Verborgenen zu halten, um erfolgreich zu passen (Hirschauer 1999: 287). Im Zuge von Trans*-Bewegungen seit Beginn der 1990er Jahre erfährt diese Auffassung der Transsexuali-
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tät eine entscheidende Verschiebung, in deren Verlauf Ansprüche des Passing aufgegeben und Trans*-Sein nicht länger als Phase der Transition, sondern als Existenzweise begriffen wird. Das Projekt der Tranz Portraits ist bereits von seinem Ansatz her an dieser Verschiebung beteiligt, die im Titel expliziert wird: Volcano verzichtet darauf, transsexuell auszubuchstabieren und referiert stattdessen auf die Trunkierung von Trans*, deren explizite Intention die Infragestellung der hegemonialen Kategorie Transsexualität ist. Referiert Trans* auf ein breites Spektrum unterschiedlichster Selbstdefinitionen und Existenzweisen, die sich außerhalb hegemonialer Vorstellungen von Frau oder Mann positionieren, fokussiert Volcano einen spezifischen Ausschnitt dieses Spektrums. Das »z« produziert eine Analogie zum Begriff der Boyz. Waren es lesbische Jungs und schwule Mädchen, die mit diesem Begriff die Aneignung jugendlich-männlicher Verhaltensweisen, Identitäten und Positionen proklamierten und zugleich eine Differenz zu hegemonialer jugendlicher Männlichkeit sichtbar hielten, setzt Tranz Portraits ein ähnliches Spiel des »Gleich-aber-unterschiedlich« in Bezug auf Trans/Tranz in Gang.32 Das Gemeinsame dieses Spektrums kann dabei als eine Bewegung beschrieben werden, die von einer lesbisch-queeren Position ausgeht, eine hegemoniale Grenzziehung von weiblich zu männlich überschreitet und darin eigene Formationen von Geschlecht, Körpern und Begehren artikuliert. Visuell lässt sich die Breite dieses Spektrums durch die differenten Darstellungsformate assoziieren: Rechts im Bild, auf der Buchseite mittig platziert, kniet Teddyboy (Abb. 8), mit Jeans und Ganzkörper-Harnes bekleidet, breitbeinig auf einem Bett. Kurze Haare, eine breite Armbanduhr und Piercings, den nackten Oberkörper aufrecht haltend, eine Peitsche zwischen den auf die Oberschenkel gestützten Händen, blickt er die Betrachter_innen direkt an. David (Abb. 10) in Camouflage-Hosen und ein offenes kurzes Hemd gekleidet, posiert cool vor einer graffitybesprühten Wand. Jordan (Abb. 9), vor einer Holzwand aufgenommen, Jeans und Cowboyhut, seine nackte Brust stolz vorgestreckt, erinnert an die Figur des modernen Cowboys. In ihren Inszenierungen produzieren die Bilder im Aufgreifen von kulturellen Codes und typisch männlichen Posen und Accessoires alle den Eindruck evidenter Männlichkeit. Die verschiedenen Figuren, auf die die Porträts referieren – vom Teddy Boy über den Cowboy bis zum älteren Herrn –, produzieren Äquivalenzen zu den verschiedenen Typen von Männlichkeit. Gleichzeitig haben die Vielfältigkeit der Figuren und die unterschiedlichen Formate der Porträts individualisierende Effekte. Repräsentiert 32 Einen solchen Bezug auf den Begriff des »Boyz« nimmt beispielsweise die queere Bremer Boyband Sissy Boyz vor. Vgl. hierzu insbesondere Reiche/Sick/Katz u.a. (Hg.) (2011).
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werden eher einzelne Personen, die sich unterschiedlichen Typen von Männlichkeit zuordnen lassen, als dass ein erkennbares gemeinsames Merkmal oder ein Typus der Transsexualität etabliert wird. Darin produzieren die Tranz Portraits eine Äquivalenz von Transmännlichkeiten und Männlichkeiten, innerhalb derer Trans* nicht länger im Status des Anderen festgeschrieben bleibt. Abbildung 9: Jordon, Olympia Washington 1996, Del LaGrace Volcano
Abbildung 10: David, Berlin 1997, Del LaGrace Volcano
Damit reproduzieren die Tranz Portraits zwar zwangsläufig die Geschlechterdichotomie von Männlichkeit/Weiblichkeit. Gleichzeitig verweisen sie jedoch darauf, dass Konstruktionen und Funktionsweisen von Körperbildern und Stereotypenbildung geschlechterdifferent organisiert sind. Denn wenn die feministische Forschung eine Kritik am Bildstatus der Frau sowie der Darstellungskonventionen von Körpern der Anderen, ihrer Fetischisierung und Stereotypisierung fokussiert33, fungiert das »Ins-Bild-Setzen« im Falle der Tranz Portraits als eine Form der Selbstermächtigung, die sich nicht umstandslos in den Rahmen femi-
33 Vgl. hierzu insbesondere Eiblmayr, die den weiblichen Status als Bild als symptomatische Funktion eines Repräsentationssystems innerhalb der phallischen Ordnung beschreibt: »Die negative Definition der Frau in der phallischen Ordnung bestimmt sie als mangelhaft und errichtet eine Hierarchie nach männlicher Norm, da die Frau durch das bestimmt ist, was ihr fehlt. Ihr Körperbild garantiert dem Mann seine Vollkommenheit gerade durch den darin implizierten Mangel und symbolisiert innerhalb dieser Logik zugleich die Bedrohung seiner narzißtischen Vollkommenheit […]« (1989: 339).
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nistischer Theoriebildung einfügen lässt. Stattdessen liegt es nahe, sie als Arbeiten zu lesen, die mit den Stereotypisierungen des männlichen Idealkörpers arbeiten, die George Mosse (1997) herausgearbeitet hat. Im Gegensatz zu den Körpern der Anderen, denen Vorstellungen von Mangelhaftigkeit und Naturnähe eingeschrieben werden, symbolisiert das positive Stereotyp des männlichen Idealkörpers die Werte westlich moderner Kulturen, insbesondere Harmonie und Selbstkontrolle (Mosse 1997: 249). Entsprechend erscheint der männliche Körper weit weniger natürlich als vielmehr als Ergebnis von Training und Disziplin. Diesem Stereotyp und Ideal der Männlichkeit werden seit den 1960er Jahren insbesondere durch die Jugendbewegungen und im Bereich der Populärkultur andere Männlichkeitsideale entgegengestellt, die dem hegemonialen Ideal moderner Männlichkeit in ihrer Betonung von Sexualität und Emotionalität diametral entgegengesetzt sind. Allerdings signifizieren auch sie eher bestimmte Wertvorstellungen und Lebensentwürfe als eine körperliche Determiniertheit und hängen vom selben Wahrnehmungsdispositiv der Moderne ab, das Mosse als fundamentale Grundlage für die Herausbildung des Stereotyps moderner Männlichkeit beschrieben hat: »das Äußere als Spiegel des Inneren« (1997: 42). In ihrer Referenz auf die verschiedenen Typen der Männlichkeit entkommen die Tranz Portraits den festschreibenden, stereotypisierenden und pathologisierenden Körperbildern, die hegemonial für die Repräsentation Transsexueller gebräuchlich sind. Statt über den »falschen Körper« definiert zu werden, dient der Körper hier der Repräsentation des transmännlichen Selbst und folgt damit ein Stück dem Wahrnehmungsdispositiv »des Äußeren als Spiegel des Inneren«. Mit solchen Darstellungskonventionen des Selbst sind immer – und gerade in der Verbindung mit Männlichkeit – nicht unproblematische Mythen von Authentizität und Autorität verknüpft (vgl. Rogoff 1989). Allerdings wirken die Fotografien solchen Mythenbildungen gleichzeitig entgegen. So wird durch deutlich sichtbare Inszenierungen und ästhetische Strategien, wie beispielsweise stark geblitzte Aufnahmen, die den Akt des Fotografierens sichtbar halten, die Repräsentation als kulturell-technologische Oberflächenarbeit sichtbar gehalten. Darüber hinaus wirkt auch die Betonung der Körperlichkeit der fotografierten Personen solchen Mythenbildungen entgegen. Denn wenn Del LaGrace Volcanos Kommentar, die Portraits seien »ein Schritt hin zum Fleisch« aus einer feministischen Perspektive als ein naturalisierender und essentialisierender Bezug auf die Materialität des Körpers erscheinen mag, gewinnt er vor dem Hintergrund der Konstruktions- und Funktionsweisen von Männlichkeiten eine neue Bedeutungsebene. Hier kann der Bezug auf das Fleisch gerade einen kritischen Einspruch gegen männliche Allmachts- und Transzendenzfantasien genauso artikulieren wie gegen Vorstellungen eines essentialistischen Selbst oder die Ideologie einer
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vollständigen Verfüg- und Kontrollierbarkeit von Körpern. Denn die Formationen der Transmännlichkeit stellen sich gerade in der Kulturation des Körpers her, einer Arbeit, in deren Zuge sich Kultur in das Fleisch einschreibt und zugleich von diesem determiniert ist. Zwischen der Idealisierung von Männlichkeit und der körperlichen Materialität des Fleisches formuliert sich jenes grundlegende Spannungsverhältnis zwischen Natur und Kultur, das immer wieder Schauplatz der Debatten um Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität und ihren Bedeutungen ist und das sich doch niemals endgültig fixieren oder auf Bedeutungssysteme reduzieren lässt (vgl. Butler 2009). Im Thematisieren dieses Spannungsfeldes scheinen zugleich sowohl die Grenzen eines identifizierenden Sehens auf, das Geschlecht am Körper zu fixieren sucht, als auch die Grenzen eines Sehens und Theoretisierens, innerhalb dessen der Körper scheinbar gänzlich ausgeblendet wird. Stattdessen fordern die Fotografien ein Sehen heraus, das jene Normen und Sehgewohnheiten infrage stellt und reflektiert und darin neue Blickweisen auf die Körper ermöglicht. Was für ein Sehen aber ermöglichen die Fotografien? Wie erfolgt die im Titel produzierte Verschiebung von Transsexuell zu Tranz auf einer visuellen Ebene und in welcher Weise werden hierin hegemoniale Vorstellungen von Männlichkeit und Transsexualität reartikuliert? Diesen Fragen gehe ich im Folgenden anhand der exemplarischen Analyse der Fotografie Hans & Selfportrait, London 1996 nach. Hans & Selfportrait, London 1996 Als erstes Bild der Tranz Portraits nimmt Hans & Selfportrait, London 1996 (Abb. 11) eine besondere Position ein. Gegenüber einer weißen, mit dem Titel versehenen Seite füllt die Farbfotografie die gesamte Buchseite aus und kann als Titelblatt der Reihe gelesen werden. Die fotografierte Person ist frontal aufgenommen, nur mit einem weißen durchscheinenden Leibchen, das auf Bauchhöhe abgeschnitten ist, einer locker sitzenden weißen Unterhose und schwarzen Stiefeln bekleidet, gibt sie viel nackte Haut zu sehen. Neben dem Eindruck evidenter Männlichkeit wird so die Erwartung geweckt, die »nackte Wahrheit« der Person zu sehen zu bekommen. Beides wird jedoch umgehend eingeschränkt. Der auf den ersten Blick ganze, in sich geschlossene Körper löst sich nach oben und unten auf. Die dunklen Haare gehen nahtlos in den schwarzen Hintergrund über, die Oberkante der schwarzen Stiefel schneidet die nackten Beine unterhalb der Knie gerade ab. Die Stiefel scheinen eher dem Hintergrund als dem Körper zugehörig. In dieser spezifischen Weise des Ins-Bild-Gesetztseins erscheint der Körper geradezu als ein Torso, merkwürdig still gestellt und ohne feste Verortung im Bildraum. Der so zugleich zerstörte und idealisierte Körper produziert Differenzen zur normativen Vorstellung von Männlichkeit, die sich durch siche-
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ren Stand, Mobilität im und Kontrolle des Raums auszeichnet. Ähnlich löst die Fotografie das Versprechen, die »Wahrheit« einer Person zu zeigen, nicht ein. Abbildung 11: Hans & Self Portrait, London 1996, Del LaGrace Volcano
Die leicht nach vorne gezogenen Schultern, die verschränkten Arme und die Hände, die sich an den eigenen Oberarmen festzuhalten scheinen, rufen Assoziationen von Verschlossenheit oder Schüchternheit auf. Darüber hinaus – und wichtiger noch – verweigert die Fotografie jede einfache Klassifizierung, die es erlauben würde, sich der Illusion hinzugeben, erkennen zu können/wissen zu können, wer diese Person ist. Stattdessen entfaltet sich auf unterschiedlichen Ebenen ein Spiel mit Darstellungskonventionen und Codes, die Klassifikationsund Ordnungsmuster aufrufen, nur um sie im nächsten Moment zu brechen und zu irritieren. Und genau in diesem Spiel mit Brüchen und Irritationen, die Betrachter_innen mit den Grenzen ihrer Sehgewohnheiten und mit ihrer Unwissenheit konfrontieren, entsteht eine spezifische Narration von Männlichkeit. Die nackte Haut, der offene Blick in die Kamera und die weiße Unterwäsche wirken sexualisierend und lassen die Figur des weißen Boy – eine zentrale Figur schwu-
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len Begehrens – assoziieren.34 Diese Assoziation wird jedoch unterbrochen, sobald der Blick den Körper hinabwandert. Aus dem Eingriff der Unterhose lugt ein grün-gelbes Etwas hervor. Damit wird ein bewegendes Spiel in genau jener Körperzone in Gang gesetzt, die üblicherweise hoch determiniert ist: Die Genitalien sind nicht nur der Bereich, an dem bei der Geburt das Geschlecht fixiert wird, sondern auch derjenige, der danach nur noch in sehr begrenzten Öffentlichkeiten und zu ganz bestimmten Zwecken – wie in der medizinischen und pornografischen Fotografie – gezeigt wird. Kann gewöhnlich aufgrund der Kohärenznorm von anderen sichtbaren, geschlechtlich codierten Körpermerkmalen, wie Brüsten oder Bartwuchs, auf die Existenz spezifischer Genitalien geschlossen werden, verunsichert die Fotografie diese Selbstverständlichkeit durch ein Spiel von Zeigen und Nicht-Zeigen: Die Unterhose fungiert als Zeichen, das den Blick auf die Genitalien verdeckt und zugleich durch ihren Faltenwurf sowie das dildoähnliche Accessoire eine Zone der Unruhe produziert, die sowohl die selbstverständliche Annahme der Existenz eines Penis unterbricht als auch das Versprechen auf etwas zu Entdeckendes formuliert. Das Accessoire verweist auf Penetrationsfähigkeit, auf einen Penis, der vielleicht nicht da ist, aber vielleicht ja doch, denn es ist auch nicht der klassisch lesbische Dildo, der – wenn auch heteronormativ verwirrend – auf die Existenz einer Vagina schließen ließe. Dieses Spiel mit verschiedenen geschlechtlichen und sexuellen Codes mag bei Betrachter_innen Nichtverstehen produzieren, vielleicht aber auch Neugier und Lust auf spielerisches Experimentieren, eine Erotik und ein Begehren, das sich zwar eine schwule Ikone aneignet, jedoch nicht unbedingt im engen/herkömmlichen Sinne schwul ist. In jedem Fall definiert es weniger das Geschlecht oder die Sexualität, sondern verweist vielmehr auf humorvolle Art und Weise darauf, dass hier irgendetwas anders ist. Die Frage bleibt nur, wie? Eine Frage, die offen bleibt, da sich die Zeichen einer eindeutigen Zuschreibung und einer direkten Anknüpfbarkeit an das dominante kulturelle Bildrepertoire verweigern. Eine Verweigerung, die gleichzeitig neue Möglichkeitsräume für Begehrens- und SexualitätsSzenarien öffnet. Statt die »Wahrheit« der Person zu zeigen, macht die Fotografie Hans & Selfportrait zu einem Subjekt/Sujet der Fantasie, das sich eindeutig heterosexuellen Begehrensszenarien widersetzt. Darin artikuliert sich jedoch zugleich ein Verständnis von Subjekt und Identität, die auf der Fantasie und der Inszenierung des Begehrens – und nicht auf einer scheinbar natürlichen Morphologie – beruhen.35 34 Zur Zentralität und Ambivalenz der Figur des weißen Boys in visuellen Fantasien Schwuler vgl. Muñoz (1998). 35 Die zweifache Bedeutung des englischsprachigen Begriffs »subject«, von Subjekt und Sujet, verwendet Teresa de Lauretis, um »[...] die eine Bedeutung von Phantasie –
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Dem fotografierten Körper steht das skizzenhaft gezeichnete Porträt zur Seite. Auf rötlich-braun changierendem Hintergrund ist eine offensichtlich männliche Person zu sehen, die im Gegensatz zum fotografierten Körper vollständig bekleidet ist. Die Stiefel bilden nach rechts und links zur Seite gedreht eine breite Standfläche. Den rechten Arm in die Hüfte gestützt, Kopf und Blick leicht erhoben nach rechts gewandt, den linken Arm zur Seite ausgestreckt, weckt das Bild die Assoziation eines entschlossenen, handlungsfähigen Mannes. Die mit schwarzen Strichen skizzierten Stiefel und Hosen wirken flächig und unterscheiden sich in der Farbgebung kaum von ihrem Hintergrund. Sie können als Dethematisierung dieser Körperzone gelesen werden, während der durch starke Hell-Dunkel-Kontraste zugleich plastisch und dramatisiert wirkende Kopf und der farbig gestaltete Oberkörper die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die locker gebundene rote Krawatte mit weißen Punkten, das blau-rosa Hemd und die roten Hosenträger, die unter dem grün-braunen Janker verschwinden, betonen diesen Körperteil in besonderer Weise.36 Pose, der markante Kopf, Brille und Blick entsprechen den Insignien und Darstellungskonventionen von Männlichkeit. Zugleich erinnert der skizzenhafte Charakter an Proportionsstudien des menschlichen Körpers aus der Zeit der Renaissance oder des frühen Humanismus.37 Damit verweist die Zeichnung auf die Historizität und die Konstruktionsverfahren eines – uns heute selbstverständlich erscheinenden – Menschenbildes und arbeitet es in der Artikulation vielfältiger Widersprüche zugleich um. Der Vorstellung rationaler Männlichkeit steht der farbig gehaltene Oberkörper entgegen: die vielen Lagen der Kleidung und die Farbigkeit produzieren eine Zone der Bewegtheit, die ein Assoziationsfeld von Kreativität, Lebendigkeit und Gefühl aufruft und Konnotationen von kontrollierter, rationaler Männlichkeit entgegensteht, ohne diese Assoziationen jedoch zu einer konkreten Figur der Männlichkeit, wie dem Zirkusdirektor oder dem Künstler, zu verdichten. Auf die Frage »Wer ist Hans?« scheinen beide Porträts unterschiedlich zu antworten: Die skizzenhafte Zeichnung formuliert Männlichkeit als eine Vorstellung des Selbst, das auf der eigenen soziale Rolle, dem Denken und Handeln beruht; im Gegensatz dazu referiert der fotografierte Körper durch das Zeigen Thematik oder Sujet im Gegensatz zu Realität – in die andere – Phantasie als psychischer Prozess, als Inszenierung des Begehrens oder Grundlage für die Identitätsbildung des Subjekts – zu verkehren« (1997: 99). 36 Die männliche Brust wird im späten 18. Jahrhundert zu einer symbolischen Form, die Stellung und Aufgaben des Mannes in der Gesellschaft repräsentiert, während die weibliche Brust zum Zeichen der Natur wird (vgl. Spickernagel 1987). 37 Vgl. bspw. zu Proportionsstudien Albrecht Dürers und deren Bedeutung für seine Kunsttheorie Panofsky (1977).
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nackter Haut und die Thematisierung des Genitalbereichs auf Ideologien biologisch männlicher Körper und reformuliert diese zugleich als körperlich-materielle Begehrensformationen. Der Bildtitel verspricht scheinbar Klärung: Hans & Selfportrait, London 1996 gibt mit Namen, Orts- und Zeitangabe eine Bestimmung dessen, was zu sehen gegeben wird, die in ihrer Anlehnung an Dokumentations- und Inventarisierungsdaten Objektivität und Exaktheit suggeriert. Eine versuchte Zuordnung der im Titel bezeichneten Gegenstände führt jedoch zu erneuten Verunsicherungen. Legt eine zentralperspektivische Lesart von vorne nach hinten nahe, dass der fotografierte Körper Hans und die Skizze das Selbstporträt ist (und bestätigt damit westliche Sehgewohnheit, einen fotografierten Körper für das Wichtige einer Fotografie zu halten), weist der Bildraum gleichzeitig eine ausgeprägte Links-rechts-Teilung auf. Mag die untere Bildhälfte noch den Eindruck eines einheitlichen Raumes erwecken, wird er nach oben hin gebrochen: Links – zwei Drittel des Bildraumes einnehmend – die Skizze, rechts der schwarze Hintergrund, vor dem Hans posiert. Indem sich das Schwarz im unteren rechten Bild wiederholt, entsteht eine Flächigkeit des rechten Bildraums, die den linken zentralperspektivischen Raum bricht. In dieser Spaltung evoziert das Bild eine Links-rechts-Lesart (Selfportrait – Hans), die der Reihenfolge des Titels entgegenläuft und die Zuordnung verunsichert: Wer oder was ist Hans und wer oder was das Selbstportrait, oder sind sowohl Skizze als auch fotografierter Körper eben beides, Hans und ein Selbstporträt? Und ist es das Selbstporträt von Hans? Oder das Del LaGrace Volcanos? In der Verdoppelung und Verkreuzung von Hans und Selbstporträt wird eine Verunsicherung produziert, die den selbstverständlichen Glauben an das körperliche Geschlecht und den Abbildcharakter der Fotografie problematisiert. Stattdessen wird die Frage aufgeworfen, was eine Person ausmacht, der Körper oder das Selbst –, verstanden als imaginäres Bild von sich. Mit diesen Fragen formuliert das Bild zentrale Erfahrungen der Transsexualität: die Erfahrung, dass das eigene Geschlecht eben nicht auf einfache Weise am Körper ablesbar ist. Statt dies jedoch – wie dies hegemoniale Diskurse tun – in einer einfachen Differenz von Selbst- und Fremdwahrnehmung zu artikulieren, formuliert Hans & Selfportrait ein komplexes, vielschichtiges Gefüge von Bedeutungs- und Begehrensproduktionen, die sich sowohl medial als auch inhaltlich herstellen, teilweise entziffern lassen und teilweise mystisch bleiben. Auf der Suche nach einer endgültigen Wahrheit wird letztlich deutlich, dass alles, was wir zu sehen bekommen, zwei Bilder einer Person sind, die diese repräsentieren, während der Zugang zur Person selbst nicht möglich ist. Unterstrichen wird diese Unmöglichkeit des Erkennens durch zwei Zeichen über der lin-
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ken Schulter der Skizze, die eine erklärende Bezeichnung assoziieren lassen, letztlich jedoch kryptisch bleiben. Am ehesten ist die Person vielleicht im Schatten anwesend, den der Körper auf die Skizze wirft. Dieser produziert – im Fluchtpunkt des Bildes gelegen – nicht nur eine Leerstelle an zentraler Position, sondern kann zudem als Verbindung beider Vorstellungen von Männlichkeit gelesen werden, die einer idealistischen Vorstellung von Männlichkeit und männlichen Allmachts- und Transzendenzfantasien widerspricht, ohne dabei jedoch die Männlichkeit im materiellen Körper zu naturalisieren.38 Zusammengehalten werden die unterschiedlichen Narrationen über Hans zudem durch den schwarzen Hintergrund des fotografierten Körpers, der sich in einem schmalen Streifen auf der linken Bildseite wiederholt. Statt sie jedoch in konkreten Kontexten zu situieren und in der Welt zu verorten, verweist er eher auf ein Irgendwo, lässt mehr die Schwärze eines Abgrundes oder des Begehrens assoziieren als einen begrenzten überschaubaren Raum. Haltgebender ist der Boden, auf dem sich die Porträts erheben. Mit Stroh bedeckt, liegen einige alte Bücher darauf herum. Stiefel und Stroh lassen an einen Stall oder eine Zirkusarena denken, nicht an das im Titel benannte London. Zugleich produzieren die Bücher mit ihrer Codierung von Wissen und Bildung eine Spannung zwischen Bauern- und Bürgertum, Materialität und Geistigkeit. Eines der Bücher ist aufgeschlagen, auf beiden Seiten zeichnet sich deutlich eine kreisrunde Beschädigung ab und deutet eine mögliche Penetrierbarkeit an. In der Narration des Bildes wird das Buch zur Metapher für das Herkunftsgeschlecht. Diese metaphorische Visualisierung der Vagina verknüpft die hochgradig als natürlich vorgestellte Penetrierbarkeit des weiblichen Körpers mit einem der mächtigsten Zeichen für westliche Kultur und Leistung des menschlich-männlichen Geistes, dem Buch. In der Zusammenstellung von hoch codierten Zeichen, die Widersprüche und Spannungen produzieren, fordert das Bild dazu heraus, Assoziationen aufzunehmen und zu verfolgen, diese wieder fallen zu lassen und von vorne zu beginnen. Dieses Verwirrspiel verunmöglicht eine einfache Identifizierung des Geschlechts an einem scheinbar unmittelbar gegebenen Körper. Männlichkeit verschiebt sich hier hin zu einem komplexen und komplizierten 38 Damit bestehen sie letztlich auf einer Verbindung zwischen Idee und Körper, wie sie von Jane Gallop (1988) gefordert wurde. Gallop besteht auf der Notwendigkeit, die Nähe zwischen Penis und Phallus aufrechtzuerhalten, da nur so die männliche Körperlichkeit anerkannt werden könne, die eine Kritik an phallozentrischen Allmachtsund Transzendenzfantasien ermöglicht. Mit den Bildern von Del LaGrace Volcano ließe sich jedoch fragen, inwiefern und ob es tatsächlich der Penis sein muss oder ob es nicht vielmehr darum gehen muss, Körperlichkeiten – seien sie männlich oder weiblich oder ganz anders codiert – anzuerkennen.
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Gefüge von Codes und Bedeutungszu- und -einschreibungen, Materialitäten, Naturalitäten und Kulturalitäten, die innerhalb kultureller und ideologisch aufgeladener Bedeutungsgefüge zeitweise fixiert werden können, zugleich jedoch Widersprüche produzieren und sich damit einer Stillstellung dominanter Ordnungsmuster widersetzen. Und die feste Form? Wenn sich die Tranz Portraits jedoch durch die Produktion von Widersprüchlichkeiten und Verwirrspielen auszeichnen, worin besteht dann die »feste Form der Transsexualität« und »der Schritt hin zum Fleisch«? Und wodurch unterscheiden sie sich von einer Ästhetik der Turbulenz, die Halberstam für Transgender-Körper reklamiert? Die Antwort auf diese Fragen liegt in der entscheidenden Verschiebung, die die Bilder produzieren. Nicht der vergeschlechtlichte Körper, der durch Narben, Verrenkungen oder andere Turbulenzen markiert ist, irritiert. Verunsicherungen und Turbulenzen entstehen vielmehr zum einen beim Versuch, die – in sich recht geschlossen und ganz wirkenden – Körper in mentale Ordnungsmuster von Geschlecht und Begehren einzuordnen, und zum anderen im Bildraum, der die Körper umgibt und in den sie gesetzt sind. Die Effekte evidenter Männlichkeit, die die Bilder mittels des Einsatzes visueller Strategien erzielen, beenden eine Diskussion über die Geschlechtszugehörigkeit der repräsentierten Personen. Die so stabilisierte Männlichkeit – auf die sich die Kommentare Prossers und Volcanos beziehen – artikuliert sich als eine erfolgreiche Repräsentation gemäß dominanter Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen. Gleichzeitig verweisen die Fotografien durch Ausleuchtung, Rahmung und Verweise auf spezifische Bildtraditionen auf den inszenierten und kulturell produzierten Charakter der Repräsentation und widersetzen sich damit Vorstellungen essentialistischer Männlichkeit. Verweigert die Vielfalt verschiedener Männlichkeitsentwürfe der Porträts die Produktion einer Kategorie »Transsexueller«, weisen sie Gemeinsamkeiten auf, die sie als spezifische Tranz-Männlichkeiten von hegemonialen unterscheidet: Tranz artikuliert sich einerseits in der Problematisierung einer angenommenen Kohärenz und »Natürlichkeit« von Selbst und Körper und der damit einhergehenden Produktion von Männlichkeit mittels kultureller Technologien und Fantasie-/Begehrensszenarien sowie andererseits in einer prekären bzw. peripheren Positionierung im Bildraum. Mit der Verschiebung der Spannungen und Turbulenzen in den Bildraum löst sich der zentralperspektivisch einheitliche Raum, der durch das souveräne männliche Subjekt der Moderne kontrolliert und beherrscht wird, auf.39 39 Zum Zusammenhang von zentralperspektivischem Tiefenraum und westlich-modernen Konstruktionen des souveränen männlichen Subjekts vgl. Hentschel (2001).
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Stattdessen muss sich die repräsentierte Männlichkeit innerhalb der Bedeutungswidersprüche und Dynamiken positionieren, wobei das Einnehmen der Positionierung eher moment- als dauerhaft möglich scheint. Es ist diese stabilisierte und doch prekäre Positionierung der in sich geschlossenen – wenn auch fragmentierten – Männlichkeit, in der sich das Tranz des Portraits formuliert. Hans & Selfportrait, London 1996 kann somit sowohl als eine Fotografie gelesen werden, die moderne Konstruktionen und Proportionen von Männlichkeit untersucht als auch als Repräsentation eines In-der-Welt-Seins, das männlich konnotiert, jedoch von einer dauerhaft stabilen Verortung in der Welt distanziert ist. Wenn Hirschauer feststellt, dass die Kultur »[…] Widersprüche ihrer Bedeutungsstrukturen in Individuen zwischenlagert […], durch sie und mittels ihrer zu öffentlicher Existenz [bringt] und dann an die Anpassungsbehandlungen und Diskurse einer Normalisierungswissenschaft delegiert […]« (Hirschauer 1999: 347), dann verschieben die Fotografien Del LaGrace Volcanos diese Widersprüche wieder auf die Ebene der Bedeutungsstrukturen zurück. 3. God’s Will – Selbstermächtigung und Ironie der Männlichkeit Den Tranz Portraits von Del LaGrace Volcano gelingt es, im gekonnten Spiel mit Darstellungstraditionen und Codes hegemoniale Klassifikations- und Ordnungsmuster zu irritieren und gleichzeitig Transmännlichkeiten als Formen nicht hinterfragbarer Männlichkeit zu repräsentieren, die sich weder einfach auf einen biologischen Körper noch auf eine essentielle Identität zurückführen lassen. Damit werden hegemoniale Vorstellungen von Männlichkeit in entscheidender Weise reformuliert. Gleichzeitig bleiben die Tranz Portraits in Technologien des Selbst verwickelt, die Michel Foucault als Teil der Subjektivierungsformen beschrieben hat, in denen sich das Selbst seine Seinsweise fixiert und aus denen es kein Entkommen gibt (vgl. Foucault 1989: 38ff.). Gerade in Bezug auf Männlichkeiten innerhalb der westlichen Moderne sind solche Technologien des Selbst jedoch eng verschränkt mit Mythen von Selbstkontrolle, Macht und Autorschaft. Loren Camerons Arbeit God’s Will greift die eigenen Verwicklung in solche Technologien des Selbst und Mythen von Männlichkeit in ironischer Weise auf und arbeitet sie dabei zugleich in entscheidender Weise um. 40
40 Eine erste Version dieser Bildlektüre ist publiziert in Bauer/Hoenes/Woltersdorff (Hg.) (2007).
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Abbildung 12: God’s Will, Loren Cameron
Der Bilderzyklus God’s Will umfasst drei Schwarz-Weiß-Aktfotografien, die Camerons durchtrainierten Körper zeigen (Abb. 12-14). Ausleuchtung und Kontrast setzen den Körper vom einfarbig dunkelgrauen Hintergrund ab und lassen die einzelnen Muskelpartien des trainierten Körpers deutlich hervortreten. Der scharfe Kontrast zwischen hellem Körper und dunklem Hintergrund repräsentiert den Körper als geschlossene autonome Einheit. In Kombination mit der Kurzhaarfrisur, der eindeutig männlich codierten Brust, dem Bartwuchs und der Körperbehaarung vermitteln die Bilder den Eindruck evidenter Männlichkeit. Die Narration, die sich über die drei Fotografien entspannt, thematisiert die Gestaltung des Körpers mittels Skalpell (Abb. 12), Hantel (Abb. 13) und Spritze (Abb. 14). Die Narben von Mastektomie und Hysterektomie, die Utensilien von Skalpell und Spritze sowie die erkennbare Abwesenheit eines Penis markieren den Körper als transsexuell.41 Und obwohl der trainierte muskulöse Körper, Tattoos, Narben, Skalpell, Hantel und Spritze die bewusste Gestaltung des Körpers sichtbar machen und die Inszenierung der Fotografie durch die S/W-Aufnahme, die Ausleuchtung, die Positionierung des Körpers im Raum und den sichtbaren Selbstauslöser explizit thematisiert wird, vermögen diese Verweise den Eindruck evidenter Männlichkeit nicht zu mindern.
41 Der Begriff Mastektomie bezeichnet das operative Entfernen der Brustdrüse und des Fettgewebes, sodass eine männlich codierte Brust entsteht, der Begriff der Hysterektomie bezeichnet die Entfernung der Gebärmutter.
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Die Fotografien können damit als ein Projekt der Sichtbarmachung von Transsexualität aufgefasst werden, das vor dem Hintergrund der nach wie vor wirkmächtigen Unsichtbarmachung, Pathologisierung und Marginalisierung Transsexueller wichtige politische Potenziale besitzt, indem es einen selbstermächtigenden Blick auf Transsexualität produziert. Allerdings setzt sich eine solche Repräsentation sehr körperlicher, muskulöser und eindeutiger Männlichkeit leicht dem Verdacht aus, Geschlechterdifferenzen eher zu bestärken denn zu unterlaufen und sich damit letztlich an der Herstellung und Aufrechterhaltung heteronormativer Machtverhältnisse zu beteiligen. So liest beispielsweise Melanie Taylor die Arbeit als Selbstporträts und betont: »Indeed, one of the main purposes and, I would argue, outcomes of the portraits is an unambiguous statement of Cameron’s identity as a man« (2004: 4). Obwohl sie selbst von Schockreaktionen bei Betrachter_innen, denen sie die Bilder zeigt, berichtet, grenzt Taylor Camerons Arbeit von offensichtlich queeren Arbeiten, wie jenen Del LaGrace Volcanos, ab: »For Cameron, that is his point: he wants to uphold the rights of transsexual men to have an unambiguous gender identity. […] Judged alongside other contemporary artist-photographers working in similar areas it is simply to lose sight of the profound impact of Cameron’s contribution. Certainly his work does not have the immediate gender queerness of Del LaGrace’s work, nor does it elicit the same kind of spectator responses. LaGrace’s photographs are controversial; they are designed to break taboos, excite, and shock« (2004: 15).
Die Widerständigkeit von Camerons Fotografien, so Taylors zentrales Argument, situiert sich darin, dass es ihnen gelinge, eine evidente Männlichkeit zu repräsentieren, die ganz offensichtlich keinen Penis besitzt. Damit besäßen sie das Potenzial, essentialistische Identitäten von Transmännern zu affirmieren. Gegen die Kritik queerer Theorie an essentialistischen Identitätskonzepten betont sie: »[…] there are many people from the trans community for whom queer theory has little practical relevance or meaning; for them essentialist models of identity are the only livable option, and recognized gender binaries are the only place from which to be heard. In this respect Cameron’s work may have fewer immediately evident transgressive effects, but it constructs a distinct visual space for his subjects« (Taylor 2004: 16).
Dieser Einschätzung Taylors ist zuzustimmen, insofern viele Transsexuelle eine eindeutige geschlechtliche Identität leben und benötigen. Die Fotografien Loren Camerons bestärken solche Positionen und produzieren sicherlich nochmals ei-
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nen anderen visuellen Raum als die Arbeiten Del LaGrace Volcanos. Grundsätzlich gilt es jedoch, eine vorschnelle Gleichsetzung von Eindeutigkeit mit Essentialismus zu kritisieren. Denn gleichwohl es ohne Zweifel sein mag, dass unter Transsexuellen ebenso wie unter allen anderen einige essentialistischen Identitätsmodellen anhängen, ist es an dieser Stelle wichtig zu bedenken, dass nicht jede Notwendigkeit einer stabilen und eindeutigen Geschlechtsidentität zwangsläufig essentialistisch ist.42 Zudem läuft Taylor mit ihrer Argumentation Gefahr zu verkennen, dass die Notwendigkeit, Identitäten anzunehmen, für alle – und keineswegs nur für transsexuelle – Personen zutrifft. Die eindeutige Abgrenzung von queer und die Argumentation der Affirmation essentialistischer Identitäten greift hier zu kurz – auch und gerade in Bezug auf die von Taylor ausführlich diskutierte Arbeit God’s Will. Denn diese bezieht sich weit weniger auf den nackten – mit essentialistischen Identitätsvorstellungen verknüpften – Körper als vielmehr auf Darstellungstraditionen des Aktes, in denen es immer schon um idealisierte Formen der Männlichkeit geht. God’s Will unterläuft auf ironische Weise die dominante Fiktion idealisierter Männlichkeit und ermöglicht zugleich eine grundlegend entpathologisierende Narration der Transsexualität. Nackt? Oder Akt! Der Eindruck evidenter Männlichkeit, den die Fotografien Loren Camerons hervorrufen, hängt in entscheidender Weise von dem Rückgriff auf die Darstellungskonventionen des klassischen Aktes und der Figur des Bodybuilders ab. Als klassischen Akt definiert Walters (1979: 33) den antiken griechischen Akt. Der klassische Akt gilt – bei allem Bedeutungswandel, dem er unterworfen war – in euro-amerikanischen kulturellen Kontexten als Kunstform, die die Werte und Tugenden einer Kultur auszudrücken vermag (vgl. Walters 1979: 224). In der europäischen Kunst seit der Renaissance wurde der Akt zu einem Vollkommenheitsideal, das im Klassizismus des 18. Jahrhunderts erneut auflebte. Hier 42 Vor allem darf hier nicht vergessen werden, dass eindeutige geschlechtliche Identitäten noch immer auch kulturell und gesellschaftlich erzwungen werden. Außerhalb der Kunst und kleiner subkultureller Kontexte sind Existenzweisen zwischen oder jenseits der Kategorien »Mann« und »Frau« in alltäglichen Lebenszusammenhängen noch immer weitgehend unmöglich – auch für queere Personen. Darüber hinaus gilt es zu reflektieren, inwiefern die Lebbarkeit nicht eindeutiger Geschlechtlichkeit auch vom Besitz sozialer Privilegien abhängig ist. Dass uneindeutige Existenzweisen in einigen sozialen Räumen möglich sind, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Räume keineswegs für alle gleichermaßen zugänglich sind und Positionierungen von Transpersonen innerhalb dieser Kontexte noch immer in starkem Ausmaß marginalisiert und prekär sein können.
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etablierten sich Rekonstruktionen des klassischen Akts als modernes männliches Schönheitsideal, auf das die Bilder Camerons referieren. Der hell ausgeleuchtete muskulöse, aus einer leichten Untersicht vor dunklem Hintergrund aufgenommene Körper ruft Assoziationen antiker männlicher Aktstatuen auf. Unterstützt wird dieser Eindruck durch das Fehlen jeglichen Gegenstandes, der als Bezugsgröße zur Körpergröße dienen könnte. Wird der nackte Körper als natürliche Materialität aufgefasst, die korrigiert, behandelt und klassifiziert werden kann, ist der Akt der idealisierte, »gesunde, sich selbst vertrauende: der re-formierte Körper« (Walters 1979: 12). Anders als der Körper medizinischer und anthropologischer Darstellungen, an dem angeblich natürliche unveränderliche Zeichen abgelesen werden, fungiert der Körper im Akt als Signifikant immaterieller innerer Werte, die durch diesen gleichsam naturalisiert werden. Indem Cameron sich auf Darstellungskonventionen des Aktes bezieht, schreibt er nicht nur sich selbst als Künstler, sondern auch den transsexuellen Körper bzw. transsexuelle Subjekte in eines der am höchsten bewerteten Genres der Kunst ein, das lange Zeit der Ausbildung männlicher Künstler vorbehalten war und als Beweis ihrer Genialität galt. Die Abwesenheit eines Penis in den Fotografien Camerons produziert dabei – zumindest auf den ersten Blick – keinen Bruch mit den hegemonialen Darstellungskonventionen heterosexueller weißer Männlichkeit, denn mit der zunehmenden Verknüpfung von Nacktheit mit Sexualität zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschwand der Penis üblicherweise aus Aktdarstellungen.43 Für die Einordnung des Aktes als männlich ist weniger die Anwesenheit des Penis als vielmehr die einer männlich codierten Brust sowie die Einnahme spezifischer Posen bedeutsam. Hiermit wird anschaulich, dass unsere Vorstellungen vom vergeschlechtlichten Körper keineswegs allein von medizinisch-biologischen Bildern geprägt sind, in denen dominant der Besitz eines Penis über die Zuschreibung von Männlichkeit oder Nicht-Männlichkeit entscheidet. Vielmehr werden Körperbilder durch unterschiedliche Darstellungskonventionen konstruiert, die sich mitunter stark von medizinischen und biologischen unterscheiden und die Fotografien Camerons mit spezifischen Bedeutungen aufladen. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich die Wissenschaften um die Beschreibung und Klassifizierung von Körpern bemühten, erfuhr der klassische männliche Akt einen entscheidenden Bedeutungswandel. Während er in der Kunst durch den weiblichen Akt abgelöst wurde, diente er in alltagsweltlichen 43 So wurden die Penisse von männlichen Aktstatuen häufig abgeschlagen oder in christlicher Tradition mit einem Feigenblatt bedeckt. Wenn der Penis gezeigt und/oder thematisiert wird, verbindet sich dies ab diesem Zeitraum sehr schnell mit der Assoziation von Homosexualität (Walters 1979: 220). Vgl. in diesem Zusammenhang zur Geschichte des Feigenblatts insbesondere Prange/Wünsche (2000).
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Diskursen der Popularisierung des medizinischen und anthropologischen Wissens über Körper. Durch die Produktion und Zirkulation von Akten bemühte man sich um eine Blickschulung von Laien. Die Bevölkerung sollte lernen, Körper mittels eines medizinisch-hygienischen, ästhetisierenden und normierenden Blickes zu beurteilen und zu klassifizieren. So wurde ein Bild »idealer Nacktheit« entworfen, das sowohl der Körperdisziplinierung und -normalisierung diente als auch als rassistisches und heterosexistisches Distinktionszeichen fungierte (Möhring 2002). God’s Will vermag ästhetisierende Blicke und Assoziationen solcher Körperdisziplinierungen aufzurufen. In der ästhetischen Gestaltung, den eingenommenen Posen und Accessoires verweisen sie jedoch vor allem auf die Figur des Bodybuilders, wie sie in Spielfilmen und Zeitschriften – man denke bspw. an Sylvester Stallone – popularisiert wurden und werden. Mit der ikonografischen Referenz auf die Figur des Bodybuilders greift Cameron auf eine der häufigsten Darstellungsweisen nackter weißer Männlichkeit innerhalb westlicher Populärkultur zurück (Dyer 1997: 147). Trai ning, Konzentration, Leiden und Durchhaltevermögen, die notwendig sind, um einen solchen Körper zu produzieren, machen ihn, wie Richard Dyer (1997) zeigt, zur geeigneten Repräsentation von weißer Männlichkeit.44 Nicht nur wird dadurch eine Differenz zu Weiblichkeit und Nicht-Weißheit hergestellt, sondern auch die Kontrolle und Macht über den Körper unter Beweis gestellt: »The built body is an achieved body worked at, planned, suffered for. A massive, sculpet physique requires forethought and long-term organization; regimes of graduated exercise, diet and scheduled rest need to be worked out and strictly adhered to; in short, building bodies is the most literal triumph of mind over matter, imagination over flesh« (Dyer 1997: 153).
All diese Konnotationen schwingen in den Fotografien Loren Camerons mit und produzieren die Bedeutung Männlichkeit. Die visualisierte Männlichkeit bezieht sich dabei nicht auf einen naturgegebenen Körper, sondern auf die Fähigkeit, den materiellen Körper zu formen, zu kontrollieren und zu inszenieren. Sie kann als ein Effekt der Gestaltung des Körpers mittels kultureller visueller und körpermodifizierender Technologien durch Wiederholung und Zitieren kultureller Werte und Normen verstanden werden. Damit greifen die Bilder Camerons auf den Mythos der Aufklärung zurück, in dem der weiße Mann sich als Beherrscher über die Natur imaginiert, und rufen Konnotationen von Macht, Kontrolle und 44 Dyer konstatiert dabei eine Differenz zwischen der empirischen Praxis, in der sehr viele Schwarze Bodybuilding betreiben, und den visuellen Medien, in denen Repräsentationen des weißen Bodybuilders dominieren.
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Gesundheit auf, die eng mit kolonialistischen und heterosexistischen Bildtraditionen verknüpft sind. Indem God’s Will diese Bilder jedoch in den Kontext der Transsexualität setzt und zugleich Brüche mit den hegemonialen Bildern weißer Männlichkeit produziert, erfahren sie entscheidende Bedeutungsverschiebungen.45 Abbildung13: God’s Will, Loren Cameron
Bereits die ausgeprägte Behaarung und die Tattoos bilden einen Widerspruch zur »idealen weißen Nacktheit«, die Dyer als sonnengebräunt und glatt rasiert beschreibt. Innerhalb hegemonialer Konventionen fungieren Behaarung und Tattoos als Markierungen ethnisierter und kriminalisierter Subjekte und rufen Assoziationen von fehlender Körperkontrolle und Nichtkonformität auf. Als gängige Körpermarkierungen innerhalb translesbischwuler Subkulturen können sie auch als Verweis auf deviante Sexualität und Geschlechtlichkeit gelesen werden. Eine Lesart, die nicht zuletzt auch von Darstellungstraditionen schwuler Männlichkeit der 1950er und 1960er Jahre unterstützt wird. In Zeiten der Repression und Zensur homosexueller pornografischer Materialien fungierte der männliche Akt in gegenkulturellen Kontexten als homoerotische Ikone schwulen Begehrens (Meyer 2002: 159ff.). Insofern schreiben sich homoerotische Konnotationen in die 45 Richard Dyer stellt in seiner Analyse von Repräsentationen des Bodybuilders heraus, dass diese auch Konnotationen des faschistischen Helden aufrufen (1997: 151f.), die vor dem Hintergrund deutscher NS-Geschichte und -Propaganda nochmals eine spezifische Problematik erhalten.
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Arbeit Camerons ein, die sich jedoch gleichzeitig deutlich von schwulen Ikonografien nach den Stone Wall Riots unterscheiden und damit aus heutiger Perspektive nicht eindeutig als schwul lesbar sind.46 Vielmehr artikulieren die Fotografien – nicht zuletzt durch die sichtbaren Narben, Skalpell und Spritze – Formen einer Transmännlichkeit, die erotisiert und idealisiert wird und darin hegemoniale Vorstellungen von Transsexualität grundlegend verschiebt. Reformulierung der Transsexualität Die spezifische Bedeutung und die politischen Effekte von God’s Will ergeben sich vor dem Hintergrund eines hegemonialen Bildarchivs, das einer heteronormativen Logik folgt. Innerhalb populärer Medien, wie Autobiografien, Fernsehbeiträgen und Magazinen, wird die hegemoniale Figur der Transsexualität »im falschen Körper« visuell durch eine Bildtradition von Transsexuellen, die mit leeren Augen traurig in die Welt blicken, dargestellt.47 Eine solche Rhetorik des Blickes, die allgemein für die Repräsentation psychischer Leiden eingesetzt wurde und wird, ist historisch mit der Herausbildung des psychiatrischen Denkstils verbunden, der im Gesicht und im Blick die Psychologie der Sexualität zu erkennen glaubt (vgl. Davidson 1998: 118). Zudem operieren medizinische Darstellungen häufig mit der ausschnitthaften Repräsentation des Penis bzw. des Genitalbereichs, der eine der zentralen Problemzonen der Transsexualität bildet.48 46 Die Stone Wall Riots 1968 in New York können als Beginn einer schwul-lesbischen Emanzipationsbewegung betrachtet werden, in deren Verlauf sich nicht nur Politikformen, sondern auch Sichtbarkeitspolitiken grundlegend veränderten. Nicht zuletzt bekommen nach Stone Wall die Sichtbarkeit von Sexualität und das Visualisieren von Geschlechtsorganen in der schwulen Bewegung eine zunehmende Bedeutung, vgl. Meyer (2004), zur Bedeutung von – insbesondere Zeichnungen – von Vaginas in der feministisch-lesbischen Bewegung Thompson (2006) sowie zur Ikonografie queeren Begehrens vor Stone Wall Katz/Ward/Sichel (2010). 47 Innerhalb aktueller populärkultureller Berichterstattung zu Transsexualität scheint sich hier durch Personen wie bspw. Balian Buschbaum eine grundlegende Verschiebung zu vollziehen, deren Bedeutungen und Auswirkungen in dieser Studie jedoch nicht mehr berücksichtigt werden können. Vgl. die Auftritte Buschbaums in der RTLShow Let’s Dance http://www.rtl.de/cms/sendungen/lets-dance/kandidaten/balianbuschbaum.html [20.10.2013]. 48 Werden Genitalien von Transsexuellen oft problematisiert und als »Operationsobjekte« repräsentiert, unternimmt Cameron im gleichen Bildband eine Umarbeitung dieser Darstellungstradition unter dem Titel Our Bodies. Zu Strategien solcher Umarbeitungen vgl. auch Del LaGrace Volcanos Serie Transgenital Landscapes (Kap. V.5)
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Abbildung 14: God’s Will, Loren Cameron
Die Bilder Loren Camerons brechen mit dieser Darstellungskonvention, indem sie weder Bezüge zu Bildtraditionen des leidenden Transsexuellen setzen, noch sich an den medizinischen Darstellungskonventionen des Sex abarbeiten. Stattdessen referieren sie auf die mächtigen Bildtraditionen des Männeraktes. Während gewöhnlich Körperrepräsentationen von Anderen und auch Transsexuellen als Versicherung der Norm heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit fungieren, produzieren Camerons Fotografien eine Ähnlichkeit zwischen Männlichkeit und transsexueller Männlichkeit, die es schwierig macht, letztere noch als das ganz Andere wahrzunehmen. Im Gegensatz zur Ausarbeitung und Perfektionierung einer als natürlich vorgestellten Männlichkeit, wie sie in der Figur des Bodybuilders thematisiert wird, verweisen Skalpell und Spritze jedoch auf Formen der Körpermodifikation mittels Technologien des Schneidens und Unter-die-HautSpritzens, die dem Bereich medizinischer Behandlung zugeordnet und gesellschaftlich pathologisiert sind.49 Da jedoch jeglicher sonstige Hinweis auf den Bereich der Medizin fehlt und es kein Arzt, sondern die repräsentierte Person selbst ist, die Spritze und Skalpell in der Hand hält, erfahren sie eine entscheidende Bedeutungsverschiebung. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass 49 Anzumerken ist hier, dass ohne Zweifel auch Bodybuilder Aufbaumittel spritzen und die Spritze somit noch nicht notwendigerweise auf medizinische Behandlung verweist. Im Gegensatz zum körperlichen Training ist diese Form des Muskelaufbaus jedoch keineswegs anerkannt und durchaus ambivalent bewertet, darauf verweisen nicht zuletzt die fortgesetzten Debatten um das Doping.
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der Zugang zu bestimmten Formen der Körpermodifikation medizinisch und rechtlich reguliert und das Recht zur Vornahme medizinischer Eingriffe Ärzten vorbehalten ist, ist diese Geste zuallererst eine der Selbstermächtigung. Gleichzeitig wird die hegemoniale Unterscheidung von Körpertechnologien in anerkannte und gesundheitsfördernde wie das sportliche Training einerseits und pathologisierte und/oder nicht anerkannte Technologien wie die Veränderung des Körpers durch Operationen andererseits infrage gestellt. Durch die Abbildung der Hantel im mittleren Bild der Reihe werden sie in den alltagsweltlichen Kontext von Fitness-Training eingereiht und suggerieren eine Gleichwertigkeit hegemonial sehr unterschiedlich bewerteter Technologien. Damit verschiebt sich auch die hegemoniale Erzählung der Transsexualität, nach der die geschlechtsangleichenden Operationen Höhepunkt und Ende eines transsexuellen Prozesses markieren. Zwar wiederholen die Fotografien strukturell die Dreiteilung hegemonialer Narrationen (prä-OP – OP – post-OP), überführen diese aber in einen fortdauernden Prozess, der zwar mit der Operation begonnen worden sein mag, der jedoch – darauf verweisen Hantel wie Spritze – eine beständige Weiterarbeit am Körper erfordert. Transsexuelle Männlichkeit scheint sich in erster Linie durch und als Gestaltung des Körpers entsprechend kulturell dominanter Körperbilder sowie als eine spezifische Haltung des Subjekts gegenüber dem Körper herzustellen. Überschneidet sich diese Narration von Männlichkeit mit der hegemonialen, kann sie zugleich als Forderung nach einem Recht auf Selbstbestimmung gelesen werden, wie sie zunehmend von Transsexuellen gestellt wird. Damit verschiebt sich das Phänomen der Transsexualität von einem Krankheitsbild hin zu einer geschlechtlichen Existenzweise.50 Diese Verschiebung vollzieht sich insbesondere dadurch, dass God’s Will nicht auf Darstellungstraditionen eines psychiatrischen Denkstils und auf die damit verknüpften Vorstellungen einer »Wahrheit des Sex« referiert. Stattdessen wird hier auf eine »Wahrheit des Geschlechts« verwiesen, die sich mit einem anatomischen Denkstil verknüpft und in zentraler Weise über Technologien des Selbst und der Disziplinierung operiert.51 Insofern solche Technologien des Selbst in spezifischer Weise mit religiösen Ideologien und Moralvorstellungen verbunden sind bzw. in einer säkularisierten Form schnell Vorstellungen eines autonomen Selbst assoziieren lassen, werden in den Fotografien auch andere als medizinisch-juristische Insti50 Diesen Weg aus pathologisierenden Repräsentationen der Transsexualität heraus hin zu queeren Geschlechterentwürfen, der wesentlich über die Schaffung neuer Selbstrepräsentationen möglich wird, hat Sandy Stone (2006) in ihrem bahnbrechendem Text The Empire Strikes Back – A Posttranssexual Manifesto skizziert. Vgl. auch Kap. II.1. 51 Zum anatomischen Denkstil als zentralem Mittel, durch das Geschlecht und seine »Wahrheit« produziert wird, vgl. Davidson (1998: 99ff.).
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tutionen und Regulierungsverfahren von Geschlecht thematisiert.52 Sowohl der Titel God’s Will als auch die sakral anmutende Ausleuchtung der Fotografien und die Konnotationen von Transzendenz und Selbstkontrolle vermögen christliche Moralvorstellungen aufzurufen, die jedoch gleich wieder unterlaufen werden. Im Zitieren des paradoxen Geseztes von Thelema, »Do what thou wilt shall be the whole of the law. Love is the law, love under will. – Law of Thelema« (Cameron 1996: 24), wird ein Wahrheitsanspruch, wie ihn die christliche Religion glaubt formulieren zu können, unmöglich bzw. durch eine Vielzahl individueller Wahrheiten ersetzt.53 In der assoziativen Nähe der Begriffe »Will« und »Willie« als einer Slang-Bezeichnung für den Penis produziert God’s Will(ie) eine ironische Distanz zu christlichen Moralvorstellungen und persifliert Vorstellungen westlich-weißer christlicher Männlichkeit. Denn hier hat der nicht vorhandene Penis nichts mit christlicher Zensur, wie sie an antiken Statuen vorgenommen wurde, zu tun. Vielmehr ist er Teil einer Transmännlichkeit, die in ihren Referenzen auf schwule und queere Codes auch eine erotische und sexuelle ist. Reformulierung der Männlichkeit Die Doppeldeutigkeit des Titels God’s Will spielt auf ironische Weise nicht nur mit christlich-religiosen Vorstellungen des Moralsubjekts, sondern kann auch als eine Ironisierung des säkularisierten Glaubens an die Wahrheit der Biologie und die »Götter in Weiß« gelesen werden. Indem es den Fotografien Loren Camerons gelingt, einen nackten Körper mit abwesendem Penis als evident männlich zu repräsentieren, entlarven sie die weitverbreitete Vorstellung, Männlichkeit beruhe auf dem Besitz eines Penis, als einen Irrglauben. Männlichkeit ist hier in 52 Vgl. hierzu insbesondere Butlers Kritik an Foucaults Ausführungen zu Herculine Barbin: Während Foucault die Sexualität Herculines vor der ärztlichen Begutachtung und Regulierung als unregulierte Lüste idealisiert, betont Butler, dass diese Sexualität lediglich in einem anderen Feld und durch andere Regulierungsverfahren – insbesondere innerhalb der Konventionen des christlichen Klosters wie auch der klassischen Romantik des 19. Jahrhunderts in Frankreich – produziert wird (Butler 1991: 148f.). 53 Die deutsche Übersetzung dieses Gesetzes lautet: »Tu was Du willst sei das ganze Gesetz / Liebe ist das Gesetz / Liebe unter Willen« (Eschner 1985: 88). Das Glaubenssystem von Thelema umfasst eine Vielzahl von Gruppen und Individuen, die ihr Leben nach dem Liber AL vel Legis ausrichten, wobei sich viele sehr unterschiedliche Organisationsformen und individuelle Auslegungen finden lassen. Zentraler Gedanke ist die Überwindung monotheistischer Religionen durch Entwicklung der Netzwerke und seiner Individuen. Zur deutschen Organisationsform von Thelemiten und einer deutschen Fassung des Liber AL vel Legis vgl. Eschner (1985).
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keinster Weise an einen Penis gebunden, womit ein fundamentaler Bruch innerhalb der Kategorie des Sex sichtbar wird. Der Sex hat es, wie Foucault konstatiert, möglich gemacht, »anatomische Elemente, biologische Funktionen, Verhaltensweisen, Empfindungen und Lüste in einer künstlichen Einheit zusammenzufassen und diese fiktive Einheit als ursächliches Prinzip, als allgegenwärtigen Sinn und allerorts zu entschlüsselndes Geheimnis funktionieren zu lassen« (Foucault 1983: 148f.).
Indem die Fotografien einen nackten Körper ohne optisch erkennbaren Penis durch sekundäre Geschlechtsmerkmale als männlich repräsentieren, stören sie die gewohnte Kohärenz von primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen (Penis – Bartwuchs – Muskulatur). Damit reformulieren sie nicht nur die dominante Verweiskette, innerhalb derer aus den primären die sekundären Geschlechtsmerkmale hervorgehen, sondern weisen auch darauf hin, dass die ästhetisch-visuelle Ordnung weitaus komplexer strukturiert ist, als es uns eine einfache alltagsweltlich-biologische Ordnung suggeriert. Denn wenn preciado argumentiert, dass der Sex in erster Linie als eine ästhetisch-visuelle Ordnung begriffen werden muss, innerhalb derer der Penis als privilegierter Signifikant von Männlichkeit fungiert und alle Körper ohne optisch erkennbaren Penis als feminin identifiziert werden (2003: 100f.), dann mag dies vor allem für biologischmedizinische Diskurse, die nach wie vor eine weitgehende Definitionsmacht über die geschlechtliche Kategorisierung von Körpern besitzen, gelten sowie auch für bestimmte Formen der Repräsentation von Sexualität und Pornografie. God’s Will aber verdeutlicht, dass sich außerhalb des medizinischen Diskurses andere Darstellungsmodalitäten und Zeichen für Geschlecht etabliert haben, die nicht weniger wirksam und glaubwürdig sind. Nicht zuletzt wird dadurch die Hierarchisierung der Disziplinen, die der Medizin und Biologie in Bezug auf Geschlechtsdefinitionen einen größeren Wahrheitsanspruch als anderen Disziplinen zuspricht, infrage gestellt. Männlichkeit, so könnte die Aussage der Bilder zusammengefasst werden, ist nicht zwangsläufig an den Besitz eines Penis gebunden, sondern vielmehr an den Besitz eines spezifisch codierten Körpers sowie an dessen Repräsentation mittels spezifischer Darstellungsparameter. Damit jedoch durchbrechen die Fotografien Loren Camerons die Gleichsetzung von Phallus (als der Signifikant für Privilegien und Werte einer Kultur) und Penis, die von Kaja Silverman (1992: 42ff.) als dominante Fiktion kritisiert worden ist, und stellen das Verhältnis von Penis/Phallus zur Diskussion. In der Gleichsetzung von Penis und Phallus wird die Beziehung zwischen beiden als natürlich und biologisch gedacht und die ideologische Aufladung dieser Gleich-
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setzung verschleiert. Die Infragestellung der Beziehung besitzt damit jedoch nicht nur kritische Effekte in Bezug auf heterosexistische Machtrelationen, sondern wirft auch Fragen danach auf, wie sich diese dominante Fiktion im Zusammenspiel mit anderen Ideologien konstituiert, aufrechterhält und anfechten lässt. Denn, so Silverman: »Although the famliy and the phallus constitute the core elements of our dominant fiction, they exist in closest possible intimacy with many other signifying and representational elements, […]. Some of these elements, like Christianity, contribute importantly to the definition of the dominant fiction’s central terms. Others derive from the ideologies of class, race, ethnicity, gender, and nation, but have come for a time to share ›reality-effect‹ of sexual difference and the family« (Silverman 1992: 47).
Im Zusammenspiel verschiedener christlich-moralischer, weißer, westlicher und queerer Bildtraditionen und Codierungen gelingt God’s Will eine Repräsentation von Transmännlichkeit, die die dominante Fiktion auf ironische Art und Weise thematisiert, ohne die eigene Verwicklung in dieses Zusammenspiel zu negieren. Damit situiert sie sich jedoch zugleich innerhalb ganz spezifischer kultureller Kontexte. Insofern repräsentiert sie auch nur eine spezifische Formation der Transsexualität, die nicht ohne Weiteres verallgemeinert oder mit anderen Formen des Geschlechtswechsels gleichgesetzt werden kann. 4. Boys don’t Cry – Queer/Trans: Geschlecht und Sexualität im Spannungsfeld urbaner Zentren und Peripherien Der Film Boys Don’t Cry (Kimberly Pierce, USA 2000) verfilmt die Ermordung Brandon Teenas.54 Um die Ermordung Brandon Teenas entwickelten sich schnell zahlreiche Debatten und Diskussionen, innerhalb derer immer wieder verhandelt wurde, ob Brando Teena eine Lesbe oder ein Transmann war, wobei wiederholt die Verbindungen schwuler und lesbischer Identitäten mit den städtischen Metropolen des Westens thematisiert werden. Denn seit ihrem Entstehen verknüpfen sich schwul/lesbisches Leben und die Vorstellung homosexueller Identitäten eng mit den Großstädten der westlichen Moderne. Eingebettet in eine weitere nationale Geografie, in der die ländliche Umgebung mit Vorstellungen von Rückständigkeit und heteronormativen Geschlechtsrollenklischees – mit Figuren mütterlicher Weiblichkeit und heldenhafter Männlichkeit – verknüpft werden, erschei-
54 Dieses Kapitel ist die überarbeitete Version eines bereits publizierten Aufsatzes, vgl. Hoenes (2008).
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nen urbane Zentren als liberale, progressive Orte, an denen schwule und lesbische Kulturen entstehen und aufblühen können.55 Das dominante schwul/lesbische Narrativ verbindet die Entdeckung einer »wahren schwulen oder lesbischen Identität« durch das Coming-out fast durchgängig mit einer Bewegung vom Land in die Stadt oder von heterosexuellen in queere urbane Kontexte sowie mit Vorstellungen essentialistischer Subjektivität: »Nach diesem Narrativ schlummert schwule oder lesbische Subjektivität in einem Körper und wartet nur auf die richtigen Umstände, um zum Vorschein zu kommen« (Halberstam 2005a: 271). In den letzten Jahren ist jedoch zunehmend deutlich geworden, dass diese Perspektive auf die Großstadt von Entwürfen und Perspektiven weißer schwuler Identitäten geprägt ist, deren Dichotomien so einfach nicht aufrechtzuerhalten sind.56 In diesem Zusammenhang wurde unter dem Begriff der Metronormativität »die Konstruiertheit schwul/lesbischer Identitäten in großstädtischen Kontexten und die Konstruktion queerer Identität als etwas Großstädtisches« (Halberstam 2005a: 271) problematisiert. Der Mord an der Transperson Brandon Teena 1993 in Falls City, einer ländlichen Kleinstadt im US-amerikanischen Nebraska, entfachte Debatten um queere Politiken und das Verhältnis von Metropole und ländlicher Kleinstadt, die diese Vorstellung in besonderer Weise infrage stellten. Denn die Erzählungen über Brandon Teenas Leben und Ermordung brechen mit der dominanten Vorstellung queerer Identität und entwerfen, wie Halberstam konstatiert, eine Gegenerzählung: »Seine Migration war genau das Gegenteil der üblichen Bewegung vom Land in die Stadt; er zog in der Tat von einer großen Stadt, Lincoln, in die kleine isolierte Stadt Falls City« (2005a: 276). Das umfangreiche Archiv unterschiedlicher Text- und Bildproduktionen über das Leben und die Ermordung des mittlerweile zum Mythos aufgestiegenen Brandon kann dabei nicht nur als ein Diskurs über Transgender und transsexuelle Personen gelesen werden. Vielmehr legt die zentrale Bedeutung, die die ländliche Gegend Nebraskas und ihre Repräsentation in vielen Narrationen einnimmt, es nahe, danach zu fragen, in welcher Weise die Artikulation von Trans*-Positionen auch dominante Vorstellungen und Artikulationen von Männlichkeit und Subjektivität, von ländlicher Kleinstadt und Großstadt verschieben. Dabei gilt es auch zu fragen, wie Vorstellungen von Raum und Geschlecht sowohl zusammen- als auch gegeneinander wirken und sich miteinander und mit 55 Zu einer Kritik der stereotypen Reproduktion von nationaler Männlichkeit und Weiblichkeit und deren Verknüpfung mit der Dichotomie von Stadt und Land in Bezug auf Transsexuelle vgl. Namastes (2000: 99ff.) Analyse des Spielfilms The Adventures of Priscilla, Queen of the Desert (AUS, 1994). 56 Vgl. bspw. Ingram u.a. (Hg. 1997), Bell u.a. (Hg. 2001), Halberstam (2005a).
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anderen Machtrelationen, wie z.B. Rasse und Klasse, überschneiden (vgl. Halberstam 2005a). Boys Don’t Cry Der Oskar-prämierte Spielfilm Boys Don’t Cry (USA, 2000) von Kimberly Pierce kann als eines der bekanntesten Stücke aus dem Archiv der Narrationen über Brandon Teena betrachtet werden.57 Er erzählt die Geschichte Brandons in Form einer romantisch-dramatischen Liebesgeschichte: Zu Beginn des Films lebt Brandon im Trailer seines Cousins Lonny in Lincoln. Nachdem sein Passing bei einem Date mit einer Freundin auffliegt, wird er von deren Verwandten attackiert und verliert – da er nicht bereit ist einzusehen, dass er kein Junge ist – seine Unterkunft bei Lonny. Die zufällige Bekanntschaft mit Candace, John und Tom in einer Bar Lincolns verschlägt Brandon in die ländliche Kleinstadt Falls City, wo der Großteil der Filmhandlung spielt. Er wird in die Clique seiner neuen Freunde aufgenommen und beginnt eine Liebesbeziehung mit Lana. Um sich einem gegen ihn anhängigen Gerichtsverfahren wegen Autodiebstahls zu stellen, kehrt er noch einmal nach Lincoln zurück. Die Angst vor einer Haftstrafe und dem damit eventuell verbundenen Verlust von Lana lässt ihn jedoch im letzten Moment umkehren. Statt sich einem Urteil zu stellen, fährt er zu Lana nach Falls City zurück. Hier bahnt sich zunächst eine glückliche Liebesgeschichte an. Als er einen Strafzettel für eine Geschwindigkeitsüberschreitung erhält, macht er sich ein zweites Mal auf den Weg, seine Konflikte mit der Justiz zu bereinigen. Im Justizgebäude von Falls City wird er jedoch wegen der früheren Autodiebstähle in Lincoln verhaftet. Als Lana ihn aus dem Gefängnis holt und sich durch die Tatsache, dass er im Frauentrakt einsitzt und so offensichtlich nicht vollständig den Normen eines Mannes entspricht, nicht verunsichern lässt, scheint sich noch einmal alles zum Guten zu wenden. Allerdings wird mit der Veröffentlichung des Vergehens in der Zeitung sein offiziell weiblicher Vorname in Falls City bekannt. Diese Information schürt bei dem ohnehin tendenziell eifersüchtigen John Hass sowie bei Brandons anderen Bezugspersonen in Falls City Misstrauen. War er bis dahin als Mann gepasst, bildet das Bekanntwerden seines »wahren Geschlechts« den Ausgangspunkt für die Vergewaltigung und Ermordung Brandons. Bisherige Analysen haben den Film für die authentische Darstellung von Brandons Männlichkeit gelobt. Gleichzeitig wurden die Romantisierung der Ge-
57 Grundlage der Analyse bildet die deutschsprachige DVD-Fassung (Twentieth Century Fox Home Entertainment, 2003).
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schichte und die Repräsentation der Gewalt gegen Brandon kritisiert.58 Die Kritiken fixieren sowohl die repräsentierte Männlichkeit Brandons als auch die Repräsentation der Gewalt an seinem Körper und vernachlässigen die Frage, inwiefern die Repräsentation seiner Männlichkeit gerade dadurch gelingt, dass die Figur in spezifische Bildräume situiert wird, die als Begehrensszenarien fungieren und diese männlich kodieren. So leitet Halberstam ihre Analyse von Boys Don’t Cry mit der Feststellung ein, dass es dem Film gelinge, einen transgender Charakter als attraktiv, anziehend und vergeschlechtlicht darzustellen, während er gleichzeitig ein Geschlecht (gender) repräsentiert, das mit dem sex in Konflikt steht (2005: 76). Mit dieser Interpretation folgt sie einer dominanten Vorstellung von Transsexualität und Transgeschlechtlichkeit, nach der der Grundkonflikt als Widerspruch zwischen sex und gender im Subjekt situiert sowie an dessen Körper fixiert und ausgetragen wird, ohne genauer zu hinterfragen, in welchen Bildern und durch welche Arten und Weisen des Zu-sehen-Gebens der Film Widersprüche und Konflikte formuliert. Ebenso unhinterfragt bleibt, mittels welcher Strategien der Film die Männlichkeit Brandons (re)produziert und woran diese fixiert wird. Dies ist nicht nur deshalb problematisch, weil dadurch wichtige Verschiebungen, die der Film vornimmt, übersehen werden, sondern insbesondere deshalb, weil es in dieser Perspektive fast zwangsläufig der anatomische Körper Brandons ist, der das Problem werden muss.59 In dieser Perspektive scheint mir ein zentraler Grund dafür zu liegen, dass sich die Debatten um Boys Don’t Cry fast ausschließlich auf eine Kritik der Gewaltszenen beziehen, in denen Teile von Brandons anatomischem Körper gezeigt werden. Wenn argumentiert wird, der Film reproduziere in diesen Bildern die Gewalt, indem er Brandon zu einer Frau mache, gälte es an dieser Stelle meines Erachtens genauer zu prü-
58 Insofern die Tat, die den Anstoß für die Erzählungen um Brandon gab, ein Dreifachmord war, bei dem nicht nur Brandon, sondern auch Philippe de Vine, ein behinderter Schwarzer, und dessen Freundin Lisa Lambert ermordet wurden, wird zudem wiederholt kritisiert, dass der Film Philippe de Vine und damit Fragen des Rassismus vollständig ausblende (bspw. Halberstam 2005, Jahn-Sudman 2004). Da es mir hier nicht in erster Linie um die Frage einer angemessenen Repräsentation des »tatsächlich« Geschehenen geht, werde ich mich auf eine Analyse des im Film Zu-sehen-Gegebenen konzentrieren und diesen Aspekt hier nicht weiter diskutieren. Zu einer ersten Diskussion der verschiedenen Filmkritiken und einer Analyse der semantischen Bezüge zu White Trash Horror- und Slasher-Filmen vgl. Jahn-Sudmann (2004). 59 Halberstam (2005) ist nicht die einzige, wenngleich wohl die prominenteste Vertreterin einer solchen Lesart des Films.
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fen, ob es tatsächlich die Bilder sind oder ob es nicht vielmehr eine spezifische dominante heteronormative Lesart ist, die hier vereindeutigt.60 Eine Analyse des Films, die auf solche Vorannahmen über Transsexualität verzichtet und stattdessen danach fragt, wie die Figur Brandon und ihre Männlichkeit konstruiert wird, verdeutlicht eine Verschiebung sowohl der Konfliktfelder als auch dominanter Vorstellungen von Geschlecht, die meines Erachtens von zentraler Bedeutung sind. Denn das kritische Potenzial des Films, so meine These, liegt gerade darin, dass er den Grundkonflikt nicht als einen zwischen sex und gender formuliert, sondern als einen Konflikt zwischen Brandons Selbstwahrnehmung und Begehren, ein Mann zu werden, einerseits und der Fremdwahrnehmung sowie gesellschaftlichen Normen und Idealen andererseits. Artikuliert wird der Konflikt durch komplexe Konfigurationen, in denen die Figuren, ihre Weiblichkeiten und Männlichkeiten sowie die Räume von Lincoln und Falls City sich wechselseitig konstituieren und untrennbar verwoben sind. In dieser Lesart kann der Film, dessen zentrales Thema ein Ausschnitt aus Brandons Biografie ist, als Urbanografie gelesen werden, die die Figur Brandons produziert, und zugleich als eine urbanografische Beschreibung der Städte Falls City und Lincoln, die sich aus der Positionierung von Brandon als Protagonist ergibt. Von der Identität zum Begehren Der Film ist wiederholt für die authentische Darstellung von Brandons Männlichkeit, in der er nicht auf das Genre der Crossdressing-Komödie referiert, gelobt worden. Solche Lesarten suggerieren die Repräsentation eines fixierbaren und authentischen Selbst.61 Allerdings skizziert bereits der Vorspann in groben Zügen das Sujet sowie Handlungs- und Konfliktfelder des Films, die einer Vorstellung authentischer Identität entgegenstehen. Im Innenraum eines Trailors bekommt Brandon die Haare geschnitten, er richtet seine Kleidung und korrigiert sein Packing.62 Fertig gestylt, betrachtet er sich zufrieden im Spiegel. Die Einstellung zeigt ihn von der Seite und stark angeschnitten vor einem großen Spiegel stehend. Im Spiegelbild wird seine Figur, frontal und aus leichter Untersicht aufgenommen, in amerikanischer Einstellung sichtbar. Mit Jeans, Gürtel und Hemd bekleidet, ist der Körper kurz über den Knien angeschnitten. Durch Einstellung, Pose und Kleidung verweist das Spie60 Zu einer ersten Analyse, die solche Lesarten kritisch hinterfragt und das heteronormativitätskritische Potenzial des Films betont, vgl. Cooper (2002). 61 Zur Differenz zum Genre der Crossdressing-Komödien vgl. Jahn-Sudmannn (2004: 252f.). 62 Der Begriff »Packing« bezeichnet die Imitation eines Penis mittels kultureller Objekte, wie in diesem Fall durch Socken.
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gelbild auf die Figur des Cowboys und klassische Hollywooddarstellungen junger, US-amerikanischer Western-Männlichkeit. In dieser Szene wird sowohl die Herstellung der Männlichkeit mittels kultureller Praktiken des Frisierens und Sich-Kleidens explizit gezeigt als auch – durch das Packing sowie auf verbaler Ebene durch die Kommentare Lonnys – auf die Existenz einer nicht den Normvorstellungen von Männlichkeit entsprechenden Anatomie verwiesen – ohne damit jedoch Brandons Männlichkeit zu beschädigen.63 Mit dieser Einführung der Figur Brandons nimmt der Film bereits eine wichtige Verschiebung vor. Indem die Anatomie Brandons unsichtbar bleibt, wird der Bruch zwischen sex und gender, der das zentrale Merkmal dominanter Vorstellungen von transsexueller Subjektivität ist, dethematisiert. Stattdessen wird ein Bruch zwischen dem idealisierten Spiegelbild und der Figur Brandons vor dem Spiegel inszeniert. Damit referiert die Szene auf eine dominant westliche psychoanalytische Vorstellung von Subjektivität, die prominent von Jacques Lacan (1966) formuliert wurde. Die konstitutive Spaltung zwischen dem idealisierten Ich (moi), das auf einer fiktiven Linie situiert ist, und dem Ich, das in der Realität soziale Beziehungen zu anderen aufbauen muss, bildet einen grundlegenden Mangel an der Wurzel jedes Subjekts, aus der narzisstisches Begehren, Sprache und Handeln des Subjekts hervorgeht. Mit der Anspielung auf diese Subjektvorstellung der psychoanalytischen Theorie bekommt die Figur Brandon die Form einer als allgemein gedachten menschlichen Subjektivität, in die das Potenzial des Scheiterns/Verfehlens unlöschbar eingeschrieben ist – eine Möglichkeit des Verfehlens, die sich jedoch zunächst weniger auf die Socke in der Hose als vielmehr auf den grundlegenden Mangel an der Wurzel jedes Subjekts, auf die inhärente Unmöglichkeit, Ideale zu erreichen, bezieht. Vermeidet der Film somit gerade, auf pathologisierende Figuren eines Selbst, das im falschen Körper gefangen ist, zu referieren, bedeutet dies nicht, dass Brandons Anatomie und sein Status als Trans grundsätzlich nicht thematisiert werden – zum Problem werden diese jedoch erst in dem Moment, in dem Brandon mit normativen Ordnungen und deren Hüter(inne)n in Konflikt gerät. So gelingt es Brandon, im geschützten Innenraum des Trailors in der alleinigen Interaktion mit Lonny als Junge anerkannt zu werden. Bereits in der nächsten Szene verknüpft der Film Brandons Begehren, einem männlich codierten Ideal zu entsprechen, mit seinem emotionalen und sexuellen Begehren. Als er Lonny auf einem Parkplatz eröffnet, auf der Rollschuhbahn ein Date mit einem Mädchen zu haben, scheint ein erstes Mal ein zentrales Konfliktpotenzial des Films auf und es kündigt sich an, dass er die Solidarität Lonnys verlieren wird. Die Inszenie63 In dieser Lesart sind sich alle mir bekannten Kritiken einig. Vgl. insbesondere Cooper (2002).
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rung des Dates wiederholt dann die Spaltung in reale und idealisierte Welten auf anderer Ebene: Von einer Aufnahme des Rollschuh laufenden Pärchens schwenkt die Kamera auf das Bild einer Diskokugel, in dem durch Überblendung die sich küssenden Köpfe der beiden sichtbar werden, und stellt mit der fiktionalisierenden und fetischisierenden Repräsentation die Idealisierung von Vorstellungen romantischer Liebe aus. Diese Spaltung zwischen Idealisierung und Realität artikuliert das doppelte, miteinander verbundene Begehren Brandons nach Männlichkeit und einer romantischen Liebesbeziehung, das die Narration vorantreibt und in dem die dem Film inhärente Melodramatik bereits angelegt ist. Die explizite Gegenüberstellung von idealisiertem Spiegelbild und Glücksmomenten auf der einen und Repräsentationen der Arbeit und des Strebens der Figur Brandons, diese zu erreichen, auf der anderen Seite, verweist implizit auf eine Brüchigkeit zwischen idealer Norm und Realität und produziert sowohl Möglichkeiten von Fehlschlägen und Scheitern als auch Konfliktpotenziale, die sich im Verlauf des Films zuspitzen. Zwar folgt der Filmverlauf dabei der dominanten Narration über Brandons Bewegung von der Großstadt Lincoln in die ländliche Kleinstadt Falls City. In der Art und Weise, wie die unterschiedlichen Städte ins Bild gesetzt und Differenzen artikuliert werden, produziert der Film jedoch keine einfache Verkehrung ins Gegenteil queerer Lebenswege. Stattdessen stellt er die scheinbar selbstverständliche Trennung von Raum und Subjekt infrage und artikuliert komplexe Konfigurationen von Räumen, Figuren und Strategien der Sichtbarmachung, aus denen sich verschiedene, teilweise konfligierende Ordnungen und daran geknüpfte Kontroll- und Disziplinierungsstrategien ergeben. Die grundlegende Differenz situiert sich zwischen Räumen staatlicher Justiz und Exekutive, die Assoziationen von Zentren der Macht und der Stadt aufrufen, einerseits und Räumen familienähnlicher Zusammenhänge, die Assoziationen von Natur, Landschaft und kleinstädtischem Leben produzieren, andererseits. Damit rückt Boys Don’t Cry die Frage, wie bestimmte Orte und die dort dominierenden Ordnungsmuster Prozesse der Artikulation von Subjektivität ermöglichen und/oder verunmöglichen, in den Vordergrund. Die staatliche Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit Bilder der Stadt scheinen auf den ersten Blick in Boys Don’t Cry keine zentrale Rolle zu spielen. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass städtische Zentren in Form von Justizgebäuden sowie von Gerichts- und Verhörsälen den entscheidenden Motor und Bezugspunkt für die Narration bilden. Die erste Szene innerhalb der Ordnung staatlicher Autorität spielt in Lincoln. Nachdem Brandon sich in Falls City in Lana verliebt hat, kehrt er dorthin zurück, um sich einem Gerichtsverfahren wegen Autodiebstahls zu stellen. Die
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Bilder des Abschieds von Falls City zeigen die in Totale und Halbtotale aufgenommene Figur Brandons noch als begehrendes und handlungsfähiges Subjekt. Dies ändert sich mit dem Moment, in dem Brandon, in Lincoln angekommen, seinem Cousin Lonny an der geöffneten Tür des Trailors erzählt, Lana heiraten zu wollen. Während Lonny mit dem resignierenden Kommentar »Ich hoffe, sie sperren dich morgen ein« in den Trailor verschwindet, bleibt Brandon starr an der Tür stehen. Aus dem Off ist die Stimme eines Richters zu hören, der einen Fall von Jugendkriminalität verhandelt. Ein Schnitt versetzt die Narration des Films in das Innere eines Gerichtssaals. Zwischen den Rückenansichten zweier Figuren hindurch ist der vorsitzende Richter zu sehen. Der Gegenschuss zeigt Brandon in einer Bank des Gerichtssaals sitzend, von der Wand und den Rändern des Filmbilds begrenzt. Während ihn eine Stimme aus dem Off hartnäckig mit seinem weiblichen Namen Teena Brandon aufruft, senkt er seinen Kopf immer tiefer. In der Gegenüberstellung dieser Bilder wird nicht nur die Autorität des Richters unterstrichen, sondern Brandon in eine Position gesetzt, die wenig Handlungsspielraum lässt. Eine Reihe hintereinander geschnittener fotografischer Aufnahmen betont die Fixierung und Stillstellung von Brandons Identität innerhalb dieses Raumes staatlicher Autorität (Abb. 15). Das Bild eines Fingerabdrucks und mehrere Ausschnitte von Polizeiakten und Täterfotografien Brandons – in klassischer Manier sind Oberkörper und Gesicht vor einer Messlatte aufgenommen, um den Hals trägt er ein Schild mit seinem Namen und einer Nummer – reduzieren seine Figur nicht nur auf ausgewählte fixierte und gerahmte Aspekte, sondern verknüpfen seine Identität zudem unausweichlich mit den Spuren seines Körpers. Die Bilder suggerieren die Möglichkeit, einer Person habhaft werden und diese eindeutig bestimmen zu können. Zugleich verweisen sie auf stark normierende Verfahren kriminalistischer Kartografien von Körpern, mittels derer der Staat seine Ordnung aufrechterhält. Eine kurze Filmsequenz, die zeigt, wie Brandon sich im Setting der Polizeifotografie aus einer Profilansicht frontal zur Kamera dreht, führt in die Bewegung des Films zurück. Nach einer kurzen Sequenz, die zeigt, wie Brandon in einem gestohlenen Auto davonfährt, ist zu sehen, wie er sich aus dem Gerichtssaal stiehlt. Eine kurze Filmsequenz, die zeigt, wie Brandon sich im Setting der Polizeifotografie aus einer Profilansicht frontal zur Kamera dreht, führt in die Bewegung des Films zurück. Nach einer kurzen Sequenz, die zeigt, wie Brandon in einem gestohlenen Auto davonfährt, ist zu sehen, wie er sich aus dem Gerichtssaal stiehlt. Die Aufnahme einer Akte, auf die wiederholt der Stempel »Failure to appear« niedergeht, wiederholt die fixierende, definierende und urteilende Macht des Staates. Kann mit Louis Althusser (1977) argumentiert werden, dass es die Reaktion auf die Anrufung des Anderen ist, die Subjekte über-
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haupt erst produziert und ihnen einen Platz innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung zuweist, so verweigert Brandon, der doppelten Anrufung als Teena und als Krimineller Folge zu leisten. Brandons Flucht aus dem Gerichtssaal lässt sich damit zugleich mit einen Ausschluss/einem Sich-Entziehen aus der Gemeinschaft der Bürger Lincolns assoziieren. Das Bild der Stadt ist hier eng verknüpft mit Vorstellungen von staatlicher Ordnung und Autorität, in der Subjektivität durch Rahmungen, Fixierungen und Identifizierungspraxen, dem Benennen und Bezeichnen des Körpers definiert ist – einer Ordnung, die Brandon als Subjekt anruft, das er nicht ist, und innerhalb der es für ihn keinen angemessenen Platz gibt. Abbildung 15: Brandon Teena im Gerichtssaal, Film Stills Boys Don’t Cry
Ein zweites Mal sucht Brandon die Räume der staatlichen Justiz auf – dieses Mal in der Kleinstadt Falls City, um den Strafzettel für eine Geschwindigkeitsüberschreitung zu begleichen. Anders als im Gerichtssaal von Lincoln arbeitet der Film hier nicht mit der absoluten Stillstellung und Fixierung durch Kriminalfotografien, dennoch wird die Figur Brandons durch enge Räume in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeengt und kann sich weder der Anrufung des direkt neben ihm stehenden Polizisten als Miss Teena Brandon noch der Inhaftierung im Frauentrakt entziehen. Die Unmöglichkeit Brandons, sich innerhalb der staatlich-juristischen Ordnung verständlich zu machen, wird gegen Ende des Films besonders explizit. In einer Befragung durch die Polizei, in der Brandon seine Vergewaltigung schildern muss, wird seine Stimme – im Gegensatz zu den Stimmen der Polizisten – über Tonband wiedergegeben. Seine Aussage wirkt
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damit der Realität entrückt und zeigt die Unmöglichkeit eines klaren Sprechens an.64 Peripherien und familiäre Ordnungen Im Gegensatz zu den Bildern der Stadt, die sich auf Bilder staatlicher Justizgebäude konzentrieren, innerhalb derer männliche Richter und Polizeibeamte Autorität repräsentieren und in denen Vorstellungen einer definier- und fixierbaren Identität vorherrschen, eröffnen sich in den Peripherien von Lincoln und Falls City unterschiedliche Spielräume für Brandons Begehren nach Männlichkeit, romantischer Liebe und Sexualität (Abb. 16). Abbildung 16: Brandon in Falls City, Film Stills Boys Don’t Cry
Für die Inszenierung dieses Begehrens setzt Boys Don’t Cry eine Vielzahl klischeehafter Landschafts- und Raumbilder auf verschiedene Arten und Weisen ein. Bereits der Filmtitel verweist thematisch auf eine Auseinandersetzung mit Vorstellungen und Normen männlicher Emotionalität.65 Diese Schwerpunktsetzung wird in der Perspektive auf Männlichkeit durch Bilder stark fiktionalisierter industrieller und ländlicher Landschaften verstärkt, die die Narration des Films strukturieren und als Allegorien des psychischen Befindens Brandons gelesen werden können. Damit produziert der Film eine Verschiebung, in der Männlichkeit in erster Linie als emotionale/psychische und nicht als körperliche artikuliert wird. Gleichzeitig stellt die fiktionalisierende Ästhetik der Raumbilder deren
64 Halberstam beschreibt dies als Strategie des Ghostings (2005: 78). Eine detailliertere Analyse vermag hier vermutlich einen weiteren Bruch zwischen den gezeigten Bildern der Vergewaltigung und der Aussage aufzuzeigen. Denn während die Bilder sehr stark auch mit Konnotationen einer analen Vergewaltigung und homosozialer Gewalt aufgeladen sind, fokussieren die Fragen der Polizisten das stereotype Bild einer vaginalen Vergewaltigung. Dieser Widerspruch wurde in bisherigen Analysen m.E. zu wenig beachtet. 65 »Boys Don’t Cry«/»Jungen weinen nicht« ist wohl eines der wirkmächtigsten Stereotype hegemonialer Männlichkeit.
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kulturelle Verfasstheit aus und arbeitet ansonsten hochgradig naturalisierten Vorstellungen von Emotionen und/oder Psychischem entgegen.66 Besonders explizit wird die Verknüpfung solcher Raumbilder mit der Narration über Brandon, wenn seine Unwissenheit und sein Begehren, das unbekannte Innere des Hauses von Lanas Mutter kennenzulernen, durch ein fiktionales Bild inszeniert wird: Die Einstellung, in der Lana und Brandon über eine Wiese gehen, verwandelt sich durch Überblendung in eine grün-pixelige Landschaft, in der mit weiß-bläulichen Mondanzügen bekleidete Personen in gleicher Richtung laufen. Vor der Haustüre wendet sich eine Person der Kamera zu, durch das Visier des Schutzhelms wird kurz ein Gesicht erkennbar. Ein Schnitt beendet die Szene und führt auf die Ebene der Realität des Films zurück. Durch den Rückgriff auf die Figur des Astronauten wird Brandons Begehren in Bildern US-amerikanischer Fortschritts- und Entdeckerfantasien artikuliert. Ist die Szene, insofern Brandon Lana das erste Mal abends nach Hause begleitet, zudem mit sexuellen Konnotationen aufgeladen, werden hier Heterosexualität und die Räume, in denen sie situiert ist, zum unbekannten Anderen, das es zu untersuchen und zu entdecken gilt. So wie das Begehren Brandons ein zentraler Gegenstand der Narration ist, sind auch die Raumbilder und Ordnungen der Peripherien von Falls City als Szenarien lesbar, deren Ordnungen den Regeln und Normen heterosexuellen Begehrens folgen. Die Sorge und Kontrolle der hier dominierenden familiären bzw. (wahl-)verwandtschaftlichen Ordnungen richtet sich vor allem auf die emotionalen und sexuellen Beziehungen der Figuren. Entsprechend sind es nun nicht mehr Richter und Polizisten, die als Autoritätsfiguren fungieren, sondern männliche Verwandte sowie die jeweiligen »Familienvorstände«, in Lincoln Brandons Cousin Lonny und in Falls City die Mutter von Lana, Brandons Geliebter. Deren »Zuhause« bildet zugleich den Mittelpunkt der Ordnungen und zentralen Bezugspunkt der Handlung. Die Raumbilder wiederholen dabei die Spaltung zwischen Fantasie und Realität, die v.a. in der Spiegelszene anhand der Figur Brandons auf der Ebene des Subjekts thematisiert wurde, nun auf der Ebene der Repräsentation von Falls City. Romantisierende Bilder Brandons in homosozialen Beziehungen, bspw. mit Tom am Lagerfeuer – oder in hetero-erotischen und -sexuellen Beziehungen mit Lana – produzieren und stabilisieren nicht nur dessen Männlichkeit, sondern scheinen zudem seinen Traum von einer Liebesbeziehung und einem Zuhause zu artikulieren.67 Die überzeichneten klischeehaften 66 Zur Verschränkung des Mediums der Landschaft mit Ideologien und Machtverhältnissen der Moderne vgl. Mitchell (1994). 67 Dabei inszeniert der Film die heterosexuelle Romanze in einer Art und Weise, die nicht nur Brandons Männlichkeit in eine intrinsische Abhängigkeit zu Weiblichkeiten
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Repräsentationen dieser Idyllen stellen die künstlichen und idealisierten Aspekte dieser Wünsche aus und verweisen damit auf die Unerreichbarkeit dieser sonst häufig naturalisierten Ideale. Zugleich wird der Mythos autonomer Männlichkeit dekonstruiert. Abbildung 17: Brandons Abschied von Lana, Film Stills Boys Don’t Cry
So zeigt eine Totale Brandon, wie er nach einem Abschied von Lana mit Seesack bepackt durch die Wiese davongeht. Erinnert dies an Figuren des einsamen Wanderers und romantisierende Bilder des männlichen autonomen Subjekts, binden die dazwischen geschnittenen Gegenschüsse, die eine fetischisierende Großaufnahme von Lanas Gesicht zeigen, die Männlichkeit in die Abhängigkeit eines heterosexuellen Begehrensszenarios ein (Abb. 17). Zugleich stellt die Szene die Erkenntnisse feministischer Filmkritik über die Produktion von Weiblichkeit, Männlichkeit und Heterosexualität durch das Hollywood-Kino fast lehrbuchmäßig aus.68 Solchen idealisierenden Bildern werden Aufnahmen dunkler und beengter Räume entgegengestellt, die an die Tristesse urbaner Randgebiete erinnern und mit Assoziationen von Armut, Homophobie und Gewalt verknüpft sind. Diese stellt und in ein von Sedgwick (1985) als heterosexuell markiertes Begehrensszenario einbettet, sondern er setzt über die Begehrensdreiecke von Brandon – Lana – John und von Lana – Brandon – Candace zwei Ketten substituierenden Begehrens und ein Zusammenspiel von Identifikation und Begehren in Gang, die die Singularität von Geschlecht und Subjektivität wie auch Vorstellungen männlicher Authentizität durchbrechen. Wie genau diese Begehrenskonstellationen die von Sedgwick beschriebene Dreieckskonstellation heteronormativer Romanzen reformulieren, müsste eine detailliertere Analyse des Films zeigen. 68 Vgl. insbesondere Mulvey (1980), die die phallozentrische Struktur der symbolischen Ordnung herausarbeitet, auf der die Konventionen des Kinos beruhen und innerhalb derer die Frau im Bild gefesselt ist, auf das der männliche Blick sein Begehren und seine Ängste projiziert.
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Aufnahmen durchbrechen regelmäßig die idealisierte Welt Brandons und destabilisieren seine Männlichkeit wie auch die Gemeinschaft und Räume der Narration. Die Verdoppelung in idealisierende und pathologisierende Bilder produziert eine Uneindeutigkeit, die fixierenden Zuschreibungen an Identitäten und Orte entgegensteht und in ihrer Spaltung zugleich auf die Unmöglichkeit verweist, eine heile, in sich geschlossene Ganzheit (sowohl auf Ebene der individuellen wie kollektiven Identität) dauerhaft zu erreichen. So kann auch die familiäre Ordnung, deren Strukturen letztlich psychologischen Modellen folgen, nicht ungebrochen bleiben. Die Einbrüche anderer Ordnungen, repräsentiert in Bildern von Brandon, der seine Menstruation bekommt, Schreiben des Gerichts oder der Polizei sowie einer Broschüre über Geschlechtsidentitätsstörung, verweisen nicht nur auf die Ordnungen und die darin gültigen Wahrheiten, sondern produzieren Krisen der Männlichkeit, die Brandons Streben im Bereich des Begehrens belassen, das Erreichen einer vollständigen Identität und ein romantisches Happy End mit Lana jedoch verunmöglichen. Und so ist es konsequenterweise auch das Zusammentreffen beider Ordnungen, womit das dramatische Ende einleitet wird. Im Zusammenhang mit seiner Geschwindigkeitsüberschreitung wird Brandons offizieller weiblicher Vorname in der Zeitung veröffentlicht. Als John davon erfährt, durchsucht er dessen Besitz. Die Entdeckung von Brandons Dildo und insbesondere der Broschüre über Geschlechtsidentitätsstörung mit monströs anmutenden Großaufnahmen von Genitalien lässt nicht nur Johns Hass und Ekel aufflammen, sondern kann auch Lanas Mutter von Brandons Perversion überzeugen. Damit verliert Brandon die Solidarität der Mutter und wird zum Opfer einer nicht mehr aufzuhaltenden Gewaltspirale. Ein Bruch, der sich auch auf das Bild von Falls City auswirkt. Von den sonnendurchfluteten Räumen und weiten Landschaften zu Beginn des Films ist nichts mehr zu sehen. Stattdessen wird die Gewalt in dunklen, engen, zuweilen fast klaustrophobischen Bildern inszeniert, die zugleich eine Äquivalenz zu Repräsentationen des Trailorparks in Lincoln, wo Brandon zu Beginn des Films seine Unterkunft verlor, produzieren. Die eigentliche Dramatik, die dann letztlich die Ermordung Brandons ermöglicht, bildet ein Zusammenspiel oder auch ein Zusammenbrechen staatlicher und familiärer Ordnungen, die sich nicht mehr klar unterscheiden lassen, innerhalb derer es jedoch keinen sicheren Ort für Brandon Teena mehr gibt: Nach der Vergewaltigung sucht Brandon bei Lana und deren Mutter Zuflucht. Statt diese zu gewähren, bringt Lanas Mutter Brandon trotz dessen Widerspruch ins Krankenhaus und die Vergewaltigung zur Anzeige. Hierin gewinnt Brandon zwar wieder ein Mindestmaß an Solidarität von Lanas Mutter, die Sorge um Brandon sowie die Strafverfolgung der Vergewaltiger sind damit jedoch der staatlichen Autorität übergeben. Noch auf dem Polizeirevier verlässt die Mutter Brandon, für den es
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nun keinen sicheren Aufenthaltsort mehr gibt. Die Polizei sieht keinen Grund, die Täter zu verhaften, und Brandon versteckt sich, während er auf Lana wartet, mit der er Falls City verlassen will, in der Hütte von Candace. Als John und Tom für den nächsten Tag von der Polizei vorgeladen werden und zudem Lanas Mutter sie – zumindest zunächst – nicht mehr sehen will, verschärft sich die Situation. Wutentbrannt machen sie sich auf die Suche nach Brandon, eine Suche, die mit der Ermordung von Candace und Brandon Teena endet. Konstruierte Sichtbarkeiten Mit der Verschiebung des zentralen Konflikts weg vom Körper Brandons hin zu seinem Begehren und in die Konfliktfelder unterschiedlicher Räume werden urbane Zentren nahezu ausschließlich durch die Gebäude und Räume staatlicher Justiz repräsentiert. Diese sind nicht nur mit Assoziationen von Vernunft, Rationalität und männlicher Autorität verknüpft, sondern zudem mit Vorstellungen eindeutig definier- und fixierbarer Identität. Demgegenüber repräsentiert der Film die Peripherien in einer Vielzahl unterschiedlicher und zum Teil sich widersprechender Raumbilder. Diese stark mit Assoziationen von Emotionalität, Begehren, Sexualität und der Autorität der Mutterfigur verbundenen Bilder verknüpfen sich mit Konfigurationen des Begehrens und Vorstellungen von Subjektivität, die sich durch performative Akte sowie innerhalb unterschiedlicher Begehrensrelationen zu anderen beständig verhandeln und herstellen muss. Mit der Nebeneinanderstellung dieser unterschiedlichen Ordnungen von Geschlecht und Subjektivität – repräsentiert in Bildern urbaner Zentren und Peripherien – setzt der Film letztlich ein Spiel unterschiedlicher Wahrheiten in Gang, die Vorstellungen von Authentizität verunsichern und eher Fragen aufwerfen, wie Evidenzen und Wahrheiten produziert werden, als neue Wahrheiten zu formulieren. Wenn Foucault gezeigt hat, dass Subjekte immer in den Formen ihrer Sichtbarkeit gegeben sind und das, was Sichtbarkeiten intelligibel macht, ein namenloser Körper von Praktiken ist, die selbst ungesehen bleiben, dann kann Boys Don’t Cry als eine Auseinandersetzung mit Technologien und Praktiken gelesen werden, die Sichtbarkeiten produzieren. Denn nach Foucault wurzeln die Sehmodalitäten, der namenlose Körper von Praktiken, der Sichtbarkeiten produziert, »[…] in einer spezifischen Art der ›materiellen Existenz‹ – den Räumen, in denen es [das Sehen, jh] ausgeübt wird …, und den Techniken, durch die seine Bilder reproduziert und in Umlauf gebracht werden« (Rajchmann 2000: 43). Insofern können die unterschiedlichen Formen, in denen der Film die Figur Brandon in unterschiedlichen Räumen als »Kriminellen« und als »begehrendes Sub-
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jekt« sichtbar macht, als eine Problematisierung der Produktion von Evidenzen und Wahrheiten durch spezifische Sehmodalitäten gelesen werden.69 5. Das kulturelle Gewicht der Genitalien – Streifzüge durch die TransGenital Landscapes von Del LaGrace Volcano Die Analyse von Boys Don’t Cry hat grundlegende Fragen nach der Produktion von Evidenzen und Wahrheiten aufgeworfen, die sich jedoch nicht nur auf die im Spielfilm verhandelten Räume von Stadt und Land oder unterschiedliche staatliche und familiäre Ordnungen stellen, sondern auch in Bezug auf die Akademia und die Ordnungen des Wissens, die mit strukturieren, was denkbar ist und was im Bereich des Undenkbaren bleibt. Transgeschlechtliche Körper, die sich einer Einordnung in die Logik heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit widersetzen, gehören immer noch in einen Bereich, der innerhalb wissenschaftlicher Wissensproduktion weitgehend undenkbar ist. Gleichzeitig ermöglichen kulturelle und künstlerische Arbeiten neue Blicke und Sehweisen auf solche Körperformationen. Das folgende Kapitel geht anhand einer Lektüre der Transgenital Landscapes von Del LaGrace Volcano der Frage nach, inwiefern spezifische kulturelle Codierungen von Körpern zu einer Undenkbarkeit transgeschlechtlicher Körper beitragen und wie sich hier vielleicht Verschiebungen produzieren lassen. Abbildung 18: Transexual Menace T-Shirt »In October 1996 I flew to Boston to participate in the first-ever demonstration by a group called Hermaphrodites with Attitude (HWA) (cosponsored by the transgender activist group Transexual Menace), an activist group that draws its members from the Intersex Society of North America (ISNA). […] At Logan Airport, I was met by Max, Morgan, and Riki Anne, and from there we made our way via subway to the demon-
69 Ich vermute, eine kritische Analyse, die fragt, wie genau der Film Effekte evidenter Männlichkeit produziert, könnte zeigen, dass mit der Ausblendung des Mordes an Philippe de Vine das Thema »Rasse« noch keineswegs ausgeblendet bleibt. Vielmehr legen die eingesetzten Raumbilder die Vermutung nahe, dass die Evidenz von Brandons Männlichkeit in hohem Ausmaß vom Einsatz spezifischer als männlich und weiß codierter Bilder abhängig und damit implizit rassistisch strukturiert ist. Hier könnte eine detailliertere Analyse der Raumbilder vielleicht weitere Erkenntnisse über die Konstruktion von Weiß-Sein zutage fördern.
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stration site in downtown Boston. On the subway platform I put on my Transexual Menace T-shirt, so that all four of us were displaying the Menace logo: ›Transexual‹ in modern type with ›Menace‹ in Rocky Horror blood-dripping letters. Not surprisingly, we were drawing some attention from early morning commuters. Even as we talked about the upcoming demonstration, I began to feel some rising anxiety, the source of which I couldn’t quite name. […] After we disembarked from the subway car and made our way through the busy streets of downtown Boston to meet our fellow demonstrators, I was suddenly struck by an understanding of the fear I was experiencing. It was not just a fear of potenzial violence, or that my sexuality or gender identity was under query by passersby who did a double take when they saw my T-shirt. Rather, I was fearful that they were making assumptions about my genitals. When I wear this T-shirt it is not simply my gender and sexual preferences that are suddenly in question, but more precisely, the appearance of my genitals, the status of my body, and what my plans for it might be. My genitals are, so to speak, up for grabs, and my body is suddenly in doubt« (Valentine/Wilchins 1997: 216ff.).
Mit dieser Erzählung schildert der Anthropologe David Valentine ein Erlebnis, das er im Zusammenhang mit seiner Studie zu Transgender und Intersexuellen hatte. Das Unbehagen und die Angst, die ein öffentliches Auftreten in einem Transexual Menace T-Shirt (Abb. 18) sowie ein öffentliches Sprechen über Genitaloperationen bei ihm auslösen, verweisen darauf, in welch hohem Ausmaß Genitalien üblicherweise als sicherheitsversprechender unsichtbarer Knotenpunkt unserer geschlechtlichen und sexuellen Identität fungieren. Dabei ist die Existenz spezifischer Genitalien so weit selbstverständlicht, dass diese – abgesehen von wenigen eng und klar abgegrenzten Bereichen, wie der Sexualität und Medizin – nicht mehr thematisiert werden müssen. Umgekehrt vermag die Existenz »falscher« oder nicht normgerechter Genitalien massive Ängste auszulösen, die Genitaloperationen häufig als legitim und notwendig erscheinen lassen (vgl. Valentine/Wilchins 1997: 218). Unter Zwang und/oder ohne Zustimmung der betroffenen Person vorgenommene Operationen, die oft schwere physische und psychische Verletzungen produzieren, werden von Intersexuellen und Transgender-Aktivist_innen verstärkt kritisiert.70 Die Geschlechterforschung allerdings tut sich nach wie vor schwer, Identitäten, Lebensweisen von Personen, die genitale Gewissheiten infrage stellen, verunsichern und/oder neu codieren, zu denken und begrifflich zu fassen. So konstatieren Valentine und Wilchins: »[…] [t]he genital area accounts for only 1 percent of the surface area of the body. But – 1 percent or not – genitals carry an enormous amount of cultural weight in the meanings that are attached to them, and I would argue that they constitute nearly 100 percent of what we, 70 Vgl. beispielsweise http://www.intersexualite.de vom 27. August 2011.
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as both cultural members and as producers of cultural knowledge, come to understand and assume about the body’s sex and gender« (Valentine/Wilchins 1997: 215).
Wie aber sehen die kulturellen Gewichte aus, die die Identitäten von Personen mit Dicklits, Transcocks, Mikropenissen oder ganz anderen genitalen Formationen, von Männern mit Klitorissen und Frauen mit Penissen, von Dykes, Transfags … scheinbar so undenkbar machen? Und gibt es Möglichkeiten, diese Gewichte zu verschieben? Valentine, der sein Erlebnis zum Ausgangspunkt nimmt, um über die kulturelle Konstruktion von Körpern nachzudenken, kommt zum Ergebnis, dass es problematisch ist, diese Konstruktion einmal mehr anhand der Körper der Anderen zu thematisieren. Denn gerade die Genitalien derer, die nicht in die heterosexistische Norm hineinpassen, werden ohnehin immer und immer wieder vermessen, fotografiert, gefilmt, dokumentiert, zurechtgeschnitten und passend gemacht. Eine solche Perspektive läuft nicht nur Gefahr, sich an Prozessen des Othering zu beteiligen, sondern sie trägt auch schnell dazu bei, die hegemoniale Vorstellung, dass normgerechte Körper nicht konstruiert, sondern eben echt und natürlich seien, weiter fortzuschreiben. Dennoch werde ich im Folgenden der Frage nach dem kulturellen Gewicht der Genitalien und den Möglichkeiten seiner Erleichterung und/oder Verschiebung anhand einer Analyse der TransGenital Landscapes von Del LaGrace Volcano nachgehen.71 Denn erstens gibt es hierfür aus einer transsexuellen Perspektive schwerwiegende Gründe, und zweitens nehmen die Arbeiten Del LaGrace Volcanos eine entscheidende Perspektivverschiebung vor, die es ermöglicht, weniger die Genitalien der Anderen als vielmehr eben jene kulturellen Gewichte, mit denen alle Genitalien (auch die der sogenannten Normalen) beladen sind, zu problematisieren. Wieso über Genitalien sprechen? Der wichtigste Grund für ein Sprechen über Genitalien situiert sich in der objektivierenden Funktion der Genitalien. Ihre Form und Größe fungiert bei der Geburt als jenes Kriterium, an dem die Geschlechtszugehörigkeit eindeutig be-
71 Diese Lektüre der Transgenital Landscapes wird auch in Paul, Barbara/Tietz, Lüder (Hg.) erscheinen. Dabei lese ich die Arbeiten hier im Kontext subkultureller und politisch-aktivistischer Bewegungen. Eine Perspektive auf die Fotografien, die mit Jacques Rancière stärker politische Potenziale in Bezug auf Fragen der Ästhetik thematisiert, findet sich in Hoenes (2013).
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stimmt werden muss.72 Dieser Zwang legitimiert sowohl die operativen Eingriffe an intersexuellen Kindern als auch die Zwangsoperationen, denen sich Transsexuelle bis vor Kurzem für die Änderung ihres Personenstandes unterziehen mussten.73 Gleichwohl das Bundesverfassungsgericht die entsprechende Bestimmung des Transsexuellengesetzes (TSG) in einem Beschluss vom 11. Januar 2011 außer Kraft gesetzt hat, bleibt die grundsätzliche Problematik bestehen. Denn nach wie vor finden Intersexuelle keine rechtliche Anerkennung ihrer Existenz und die Urteilsbegründung, die den Sterilisationszwang in dieser Form für verfassungswidrig erklärt, betont: »Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass der Gesetzgeber […] die personenstandsrechtliche Geschlechtsbestimmung von objektivierbaren Voraussetzungen abhängig macht, um dem Personenstand Dauerhaftigkeit und Eindeutigkeit zu verleihen und ein Auseinanderfallen von biologischer und rechtlicher Geschlechtszugehörigkeit zu vermeiden« (Bundesverfassungsgericht 1 BvR 3295/07).74
Es bleibt abzuwarten, wie eine gesetzliche Neuregelung aussehen wird. Zunächst scheint sich jedoch die enge Verbindung von biologischem und rechtlichem Geschlecht fortzuschreiben, und es bleibt zweifelhaft, ob unter dieser Prämisse eine Vielfältigkeit von Genitalien und geschlechtlichen Existenzweisen rechtlichen Schutz und Anerkennung erfahren wird. Des Weiteren resultiert aus der engen Verknüpfung zwischen Genitalien und Geschlecht eine heteronormative Vorstellung von Männlichkeit, vor deren Hintergrund die Stabilität und Anerkennung transgeschlechtlicher Männlichkeiten als Formationen echter Männlichkeiten immer wieder am nicht vorhandenen Penis zu scheitern droht – eine tendenzielle Dramatik, die Jay Prosser als eine Erzählung des fortgesetzten Traumas formuliert: »Gender reassignement surgery fails most obviously in the case of female-to-male transsexual reassignement, which has found no way, half a century after its invention, of repro72 Das Personenstandsgesetz schreibt die Eintragung des Geschlechts nach der Geburt des Kindes vor, wobei es hier nur zwei Möglichkeiten der Eintragung, männlich und weiblich, gibt. 73 So forderte das Transsexuellen-Gesetz (TSG) für die Personenstandsänderung genitalangleichende Operationen sowie die dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit (TSG § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4), vgl. http://www.gesetze-im-internet.de/tsg/index.html vom 11. September 2011. 74 http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20110111_1bvr329507.html vom 11. September 2011.
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ducing a functioning penis […] And then – sorry: but the trauma goes on – years after the surgery, the penis (often misshapen and ugly and looking nothing like a penis) can still fall off […] The failure to be real is the transsexual real« (Prosser 2005: 172).
Ohne die Dramatik, die die begrenzten Möglichkeiten von Penisrekonstruktionen für viele Transmänner bedeutet, in irgendeiner Weise zu relativieren, gilt es, eine solche Erzählung insofern zu problematisieren, als sie auf der Illusion beruht, realness könne durch den Besitz eines Penis erreicht werden. So verlockend eine solche Illusion sein mag – und angesichts herrschender Macht- und Herrschaftsverhältnisse wohnt ihr wahrscheinlich ein Fünkchen Wahrheit inne –, bezweifle ich doch sehr, dass perfekte Penisrekonstruktionen wirklich die ersehnte Stabilität und echte Männlichkeit sichern könnten. Selbst wenn sie für einige eine spürbare Verbesserung ihres Lebens bieten würden, bleibt eine solche Perspektive letztlich der Logik heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit verhaftet, in der echte Männlichkeit zwangsweise und eindeutig an den Besitz eines Penis gebunden ist. Damit folgt sie einer Logik, innerhalb derer transgeschlechtliche Lebensund Existenzweisen auf die immer wieder gleichen Probleme reduziert werden und die Vielfalt gelebter Leben und Sexualitäten übersehen und für nicht real erklärt wird. Innerhalb dieser Logik ist die Anerkennung von Transmännern als Männer zwangsläufig vom Scheitern bedroht. Insofern ist es notwendig, jene kulturellen Gewichte, mit denen Genitalien beladen sind, einer kritischen Hinterfragung zu unterziehen und an Gegendiskursen zu arbeiten, die andere Sichtweisen auf und Geschichten über Genitalien ermöglichen. Allerdings bleibt die kritische Frage, wie sich über Genitalien sprechen lässt, ohne sich an Prozessen des Othering zu beteiligen. In einer E-Mail-Kommunikation, die Valentine zitiert, formuliert Riki Wilchins die zentrale Herausforderung, der sich ein solches Sprechen und Schreiben zu stellen hat: »We are right back into gender as performativity, but also as something which is performed on your body by the audience as well as an ›identity‹ performed by you. I think this is something you might want to draw out further: the politics. How do our bodies point out that these [anthropological] discourses are not about identity, even genitals, but about political operations. Operations, I might add, you encounter when you put on the Transexual Menace t-shirt« (Valentine/Wilchins 1997:220).
Um solche politischen Operationen in den Blick zu bekommen, bietet die Kunst spezifische Potenziale, wie im Folgenden anhand der Lektüre der TransGenital Landscapes von Del LaGrace Volcano gezeigt werden soll. Del LaGrace Volcanos Arbeiten können aus kunstwissenschaftlicher Perspektive als ästhetische
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Auseinandersetzung mit Darstellungskonventionen gelesen werden, die heteronormative Blickregime kritisieren und umarbeiten. Zugleich können die Fotografien jedoch auch als Ethnografie gelesen werden, die queere und transgeschlechtliche Subkulturen und Existenzweisen dokumentieren: »Diese Bilder sind nicht einfach der Fantasie eines auteur entsprungen, sondern beziehen sich auf Mutationen – ja, sie dokumentieren sogar soziale Veränderungen – innerhalb der queeren und mittlerweile schon eher transgender-orientierten Gruppierungen« (Prosser 2000: 13). Durch diese Positionierung an der Schnittstelle von Kunst und Subkultur bieten sich die Arbeiten von Del LaGrace Volcano in besonderer Weise für eine Reflexion des Verhältnisses von (Alltags-)Wissen und kunstwissenschaftlicher Bilderanalysen an. TransGenital Landscapes Die Arbeit TransGenital Landscapes von Del La Grace Volcano (London 19961998) besteht aus einer Serie von neun Fotografien, die – zumeist mit Weitwinkel-Objektiv aufgenommen – vielfältige genitale Formationen zu sehen geben. Bereits der Titel nimmt eine entscheidende Perspektivverschiebung vor, die eine Reflexion heteronormativer Bedeutungszuschreibungen an Genitalien ermöglicht. Denn genau genommen sind es nicht TransGenitalien, die hier zu sehen gegeben werden, sondern TransGenitale Landschaften. Das im hegemonialen Diskurs zum Substantiv verfestigte Genital wird in einen adjektivischen Gebrauch überführt, ohne dabei jedoch gleich auf ein Adjektiv und damit tendenziell auf eine Eigenschaft reduziert zu werden. TransGenital trägt mit den großen Initialen TG die Spuren substantivierter Sedimentierungen des queeren Wissensund Subjektbegriffs Transgender, genauso wie der psychiatrisch-medizinischen Kategorie der Transsexualität und des medizinisch-sexualwissenschaftlichen und sexuellen Objekts der Genitalien. Gegenstand der Betrachtung sind jedoch, wie der Titel expliziert, die Landschaften, ein klassisches Sujet der europäischen Kunst seit dem 17. Jahrhundert, nicht die transgeschlechtlichen Subjekte oder die innerhalb medizinischer, sexualwissenschaftlicher und anderer Diskurse objektivierten Genitalien. In der Überblendung von einem objektivierenden Blick auf Genitalien mit dem ästhetisch aufgeladenen Genre der Landschaft bildet sich ein Vexierbild heraus, dessen Subjekt/Sujet die TransGenital Landscapes sind. Die zweifache Bedeutung des englischsprachigen Begriffs subject, Subjekt und Sujet, verwendet Teresa de Lauretis, um »[…] die eine Bedeutung von Phantasie – Thematik oder Sujet im Gegensatz zu Realität – in die andere – Phantasie als psychischer Prozess, als Inszenierung des Begehrens oder Grundlage für die Identitätsbildung des Subjekts – zu verkehren« (Lauretis 1997: 99). Die Infragestellung sowohl
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der Gleichsetzung von Fantasie mit Illusion als auch der Entgegensetzung von wirklichem Leben/Alltag und Fantasie/Illusion bildet die Grundlage, auf der sie einen fundamental gesellschaftlichen Subjektbegriff entwickelt. Dabei sind Fantasien von zentraler Bedeutung für die Subjektbildung und gleichzeitig Gegenstand öffentlicher und historisch wie kulturell spezifischer Artikulationen. Insofern sind Repräsentationssysteme, innerhalb derer Fantasien sich artikulieren und artikuliert werden, und Subjektivität eng miteinander verschränkt: »[…] Subjektivität und psychische Struktur [lassen] sich in entscheidender Weise aus gesellschaftlichen Technologien, Repräsentationssystemen und Praktiken ableiten […]. Diese formen und verändern das Subjekt; sie können es behindern und sogar zerstören« (Lauretis 1997: 99). Heteronormative objektivierende Sichtweisen auf Genitalien gehören zu jenen Teilen des Repräsentationssystems, die äußerst zerstörerische Potenziale für Subjektbildungsprozesse entfalten können. Demgegenüber entwerfen die TransGenital Landscapes Fantasieszenarien des Subjekts/Sujets, die affirmative Potenziale für Transpersonen artikulieren und zugleich heteronormative fixierte Fantasien in Bezug auf Sexualität und Subjektbildung in ihrer Verwicklung mit anderen Machtverhältnissen problematisieren. Prince Albert’s Kiss Die erste Fotografie der Serie trägt den Titel Prince Albert’s Kiss, 1992 (Abb. 19): »Im Einleitungsbild wieder der dunkle Hintergrund, […] der dem ›dunklen Kontinent‹ des Begehrens [entspricht]. Aber jetzt taucht etwas Tierisches auf, Körperfortsetzungen, die über diese ›Schlucht‹ zueinanderstreben. […] Es ist, als ob wir uns in einer Urlandschaft bewegen. ›Dino‹-Gestaltungen erscheinen, von denen zwar gewusst ist, dass es Schwänze sind, aber es könnten auch tierische Formen des Aufeinanderzustrebens sein, Rüssel, Nasen, Arme, die noch nicht zu Händen ausgeformt sind, ein Zueinanderkommen durch Körperfortsetzungen, die sich nicht berühren, und die doch wie ein Geschenk zusammengebunden sind: mit einer Schleife, einer Liebesschleife […]« (Treusch-Dieter 2000: 186).
Mit dieser Bildbeschreibung ruft Gerburg Treusch-Dieter das Bild einer urwüchsigen Landschaft, in der Dinosaurier lange vor der Entstehung des Homo Sapiens um ihr Überleben kämpften, auf. Aber handelt es sich wirklich um eine Urlandschaft mit Dino-Gestalten?
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Abbildung 19: Prince Alberts Kiss, 1992, Del LaGrace Volcano
Mit Dinosauriern bevölkerte Urlandschaften fungieren innerhalb von Naturkundemuseen häufig als Ausgangspunkt einer universalen Geschichte des Planeten Erde mit der Entwicklung unterschiedlicher Klimazonen und -perioden sowie der Entstehung zunehmend komplexerer Lebewesen bis hin zum Homo Sapiens.75 Dagegen ist die »Urlandschaft« Del LaGrace Volcanos sehr viel bescheidener. Sujet der Fotografie ist nicht die in der Natur fundierte Urlandschaft, aus der die biologisch-geologische Entwicklung der Erde und ihrer Lebewesen hervorgeht. Sie ist keinesfalls eine ursprüngliche Landschaft, die durch einen gewaltigen Urknall aus dem Nichts entsteht. Vielmehr entsteht sie im Zusammenbringen und in der Anordnung von spezifischen westlich-modernen Zeichen, Symbolen, Geschichten sowie Seh- und Wahrnehmungskonventionen in Bezug auf Geschlecht, Sexualität und Begehren. Bereits der Titel verortet die Fotografie in dem konkreten Szenario des westlich-europäischen sex/gender-Systems, wie es sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat. So war Prinz Albert (1819-1861) nicht nur der Ehemann der berühmten Königin Viktoria, sondern wird allgemein auch als die Figur gezeichnet, die dem sexuell freizügigen Leben des englischen Adels ein Ende setzte und sich stark für die viktoria-
75 Zu einer Kritik dieser Ausstellungspraxis und ihrer »epistemologischen Verführungen« vgl. Bal (2002: 72ff.).
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nischen sittlichen und moralischen Vorstellungen engagierte. Den Mythos der gestrengen moralischen Vorschriften und gar der Unterdrückung der Sexualität, der sich mit dem viktorianischen Zeitalter verknüpft, schildert Foucault: »Dem lichten Tag sollte eine rasche Dämmerung folgen, endend in den monotonen Nächten des viktorianischen Bürgertums. Die Sexualität wird sorgfältig eingeschlossen. Sie richtet sich neu ein, wird von der Kleinfamilie konfisziert und geht ganz im Ernst der Fortpflanzung auf. Um den Sex breitet sich Schweigen. Das legitime sich fortpflanzende Paar macht das Gesetz. Es setzt sich als Modell durch, es stellt die Norm auf und verfügt über die Wahrheit, es bewahrt das Recht zu sprechen, indem es sich das Prinzip des Geheimnisses vorbehält« (Foucault 1983: 11).
Diese Verschwiegenheit beschränkt sich jedoch nur auf jene Norm der heterosexuellen Einehe, alle anderen Formen des Begehrens und der Sexualität dagegen werden einer zunehmenden Diskursivierung unterworfen. Insofern zeigt Foucault, dass Sexualität nicht unterdrückt, sondern gerade dadurch, dass sie verhört, sichtbar gemacht und über sie gesprochen wird, überhaupt erst produziert wird (vgl. Foucault 1983). Prince Albert’s Kiss bezieht sich bereits in der Titelgebung auf diese verschiedenen Formen der Diskursivierung von Sexualität. Die zentral ins Bild gesetzten Prinz-Albert-Piercings erhielten ihren Namen in den USA der 1970er Jahre im Zusammenhang mit dem damaligen Kampf, der Praxis des Bodypiercings zu gesellschaftlicher Anerkennung zu verhelfen. Die dazu verbreitete Geschichte erzählt, Prinz Albert habe einen solchen Ring getragen, um die Vorhaut von der Eichel zurückhalten und so zu verhindern, dass sich Smegma darunter bilden konnte. Eine andere Variante berichtet, Prinz Albert habe sich beim Tragen von Reithosen durch seinen Penis gestört gefühlt und ihn so in eine weniger unangenehme Position gebracht.76 Beide Geschichten verknüpfen die Praxis des Bodypiercings nicht nur mit westlich modernen Vorstellungen von Hygiene und »kultivierter Männlichkeit«, sondern durch die Referenz auf Prinz Albert zudem mit europäisch-westlichen Vorstellungen von Moral und restriktiver Sexualität. Die ironische Aneignung dieses Mythos von der Unterdrückung der Sexualität in den 1970er Jahren verbindet sich mit Vorstellungen von alternativen Lebensentwürfen und sexueller Befreiung. Aus der Perspektive der 1990er Jahre reartikuliert die Fotografie Del LaGrace Volcanos die Geschichte in entscheidender Weise. Thema der Fotografie ist weder eine unterdrückte noch eine befreite Sexualität. Vielmehr verschmelzen beide Vorstellungen von Sexualität im Bild zweier Schwänze, die durch eine um die Piercing76 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Prinz-Albert-Piercing und http://body-biercing-folk lore.html, beide vom 26. April 2011.
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Ringe gebundene weiße Schleife miteinander verbunden sind. In diesem Bild transformieren sich die psychoanalytischen Ursprungsfantasien (vom Ursprung des Individuums, vom Ursprung der Sexualität und vom Ursprung der Geschlechterdifferenz) in eine Ur-FantasieLandschaft, deren zentrales Sujet weniger die Frage sexueller Triebe ist als vielmehr eine Frage von Bindungen, Beziehungen, Bondings. Damit akzentuiert die Fotografie Aspekte des westlichen sex/gender-Systems, die heteronormative Vorstellungen von Sexualität und Geschlechterdifferenz durch eine ästhetische Inversion grundlegend verschieben.
Abbildung 20: Die Felsengotte an der Loue, um 1864, Gustav Courbet (oben); Der Ursprung der Welt, 1866, Gustav Courbet (unten)
Eine Bildbeschreibung Günter Metkens von Gustave Courbets Die Felsengrotte der Loue (um 1864, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie; Abb. 20 oben) kann als Beispiel jener Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen gelesen werden, innerhalb derer sich in der Kunst der frühen Neuzeit, wie Linda Hentschel zeigt, Körper-, Sexualitäts- und Geschlechterkonzepte miteinander verschränken: »Man wird von einer geöffneten, oben vorspringenden Felsstirn empfangen; die Flanken sind moosig bewachsen. Zentral die dunkle Öffnung, aus der Wasser wie von weither und aus einem unerschöpflichen Reservoir strömt: Entstehen der Welt im Feuchten« (Günter Metken zit. nach Hentschel 2001: 37).
Mit der Etablierung des Ideals des zentralperspektivischen Tiefenraums vollzieht sich eine Feminisierung des Bildraums, der den Akt des Sehens in eine sexuelle Technik transformiert und den Blick zugleich männlich codiert: Der entkörperte männliche Blick penetriert den verkörperten feminisierten Bildraum. In der Sexualisierung der Grotte artikuliert sich eine Aufteilung der Bild-BetrachterPosition, die der Stabilisierung des männlichen Subjekts über das Andere/Weibliche dient:
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»Wohlweislich findet die Reflexion über das Rätsel der männlichen Oberfläche an einem anderen Ort statt: Am ganz Anderen, dem weiblichen Körper, werden als anderem Ganzen, dem weiblichen Raum, Fragen des Penetrierens, der Vereinigung, Unterwerfung und Eroberung diskutiert« (Hentschel 2001: 36).
Diese heteronormative, um Vorstellungen der weiblichen Körperöffnung und Penetration zentrierte Inversion von Körper und Raum wird in Prince Albert’s Kiss einer erneuten Inversion unterworfen: Von den zentral gesetzten, mit einer weißen Schleife verbundenen Piercing-Ringen angezogen, gleitet der Blick den Windungen der Schleife folgend über Schwänze, Falten und Tattoos hinweg oder an ihnen entlang. Hier wird keine Öffnung des illusionistischen Tiefenraums gezeigt, die auf einen Fluchtpunkt zuläuft und einen penetrierenden Blick produziert, der gerichtet ist und das Versprechen auf die Lüftung eines Geheimnisses enthält. Stattdessen setzt die TransGenitale Landschaft den Blick in Bewegung, lässt ihn tastend, suchend über männliche Oberflächen streifen. Und auch der schwarze Hintergrund bildet keine Öffnung, die mit der Möglichkeit eines Eindringens die Entdeckung einer Wahrheit verspräche. Viel eher erscheint er als Abgrund, in dem es keinen sicheren Halt mehr gibt, oder vielleicht auch einfach nur als Projektionsfläche, auf der Betrachter_innen ihre (sexuellen/erotischen) Fantasien entfalten können. Und auch das Verhältnis von entkörpertem männlichen Blick und verkörpertem visuellen Raum verkehrt sich. Von rechts und links ragen zwei Schwänze ins Bild, die durch Rundungen, Faltenbildungen und Farbgebung sehr körperlich und fleischlich-materiell wirken. Der körperlich-materiell symbolisierten Männlichkeit steht eine fast entgegenständlichte und abstrahierte Symbolisierung von Weiblichkeit im schwarzen Hintergrund und der weißen Schleife gegenüber. In dieser Inversion der westlich-modernen Dualität von Männlichkeit, Geist versus Weiblichkeit, Körper, Materialität legt Prince Albert’s Kiss die ansonsten verborgenen Geschlechterungleichheiten des westlich-modernen sex/gender-Systems offen. Die weiße Geschenkschleife symbolisiert jene Weiblichkeit, die im klassischen Begehrensdreieck Männer durch Rivalität und Liebe miteinander verbindet (vgl. Sedgwick 1985). Das heteronormative Begehrensdreieck, in dem sich über die Beziehungen zu einer Frau das homosoziale Band zwischen Männern festigt, beruht auf einem Tabu der Homosexualität, das diese klar von der Homosozialität scheidet. Diese strikte Trennung wird von der Fotografie tendenziell unterlaufen, indem Schwänze und Piercing-Ringe die Bindung sexualisieren. Und doch bildet Sexualität nicht das zentrale Thema der Fotografie. Die fleischlich-materiell wirkenden Schwänze, die Geschenkschleife, Eheringe und der wandernde, die verschiedenen Elemente verbindende Blick lassen vielmehr Assoziationen von
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Tausch, Beziehungen und letztlich Fragen der Produktion aufkommen. Statt der psychoanalytischen Urfantasien setzt Prince Albert’s Kiss (erotische) Austauschfantasien in Gang, die mit Claude Lévi-Strauss auch als symbolischer Ursprung von Gesellschaft gelesen werden können: In den Elementaren Strukturen der Verwandtschaft (1949) beschreibt dieser kulturelle Tausch- und Heiratsregeln, durch die Frauen von einer Gruppe in die andere wechseln, mit dem etwas unglücklichen Terminus des Frauentauschs.77 Indem Lévi-Strauss diese Verwandtschaftssysteme als den Übergang von einer Ordnung der Natur zur Ordnung einer Kultur beschreibt, begründet er Gesellschaft und das mit den Heiratsregeln verwobene Inzesttabu weder moralisch noch in irgendeiner Weise biologisch, sondern in der Notwendigkeit von Gruppenbildung und dem Prinzip der Gegenseitigkeit (vgl. Hénaff 2008). Das Inzesttabu hat also eine und nur eine einzige Bestimmung: abzusichern, dass die Gruppe der Konsanguine exogam bleibt, und diese aus dem Bereich der Naturgesetze zu entfernen, um es der sozialen Gruppe zu ermöglichen, als solche zu bestehen, und um ihre Autorität gegenüber der konsanguinen Gruppe zu bestätigen. Nur durch diesen Zwang des Austauschs, der aus der gegenseitigen Anerkennung geboren wird, durch die gegenseitige Abhängigkeit, die durch das Moment des Nehmens und Erwiderns geschaffen wird, holt das wirklich soziale Band der Allianz die natürlichen Bande sexueller Kooperation ein und transformiert sie (Hénaff 2008: 256). Indem die Fotografie Del LaGrace Volcanos diese Assoziationen aufruft, lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die komplexen »Verhäkelungen« von Sexualitäts- und Allianzdispositiv (vgl. Foucault 1983). Aus einer kritischen Perspektive kann sie als eine Problematisierung der Verstrickungen der kapitalistisch-bürgerlichen Ordnung mit Vorstellungen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit und Sexualität gelesen werden. In der konkreten historischkulturellen Verortung werden Vorstellungen von Geschlecht, Genitalien und Sexualität entnaturalisiert und entuniversalisiert. Die Zusammensetzung der verschiedenen Zitate lädt das Szenario mit Bedeutungsebenen von Liebe, Romantik, Ehe und Begehren auf. Damit verschiebt sich eine naturalisierte und letztlich auf Reproduk77 Lévi-Strauss wurde von Feministinnen zuweilen dafür kritisiert, exogame Heiraten als einen Tausch von Frauen als Zeichen beschrieben zu haben. Diese Kritik greift jedoch insofern zu kurz, als es ihm um die Erfassung einer grundlegenden Struktur von Verwandtschaftssystemen ging: »Der Streit ist sinnlos, ebenso gut könnte man sagen, dass die Frauen die Männer tauschen […] die Struktur des Systems würde dadurch nicht verändert. Wenn ich die andere Formel gebraucht habe, so deshalb, weil sie dem entspricht, was nahezu die Gesamtheit der menschlichen Gesellschaften denkt und sagt« (Lévi-Strauss/Eribon 1989: 154). Die darin implizierte Problematik von Machtund Herrschaftsverhältnissen wird, darauf weist er explizit hin, durch die von ihm analysierten Mythen dekonstruier- und kritisierbar (vgl. ebd.: 154f.).
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tion ausgerichtete Vorstellung von Sexualität hin zu einer kulturellen Formation, in der es nicht in erster Linie um die Produktion von Bevölkerung geht, sondern um Formen des sozialen Bonding, von Beziehungen bzw. Formen, sich zu anderen in Beziehungen zu setzen. Das sind kulturelle und extrem gewichtige Bedeutungen, mit denen Genitalien beladen sind, die jedoch innerhalb des Diskurses um Penisrekonstruktionen und Dramen der Transsexualität häufig übersehen oder marginalisiert werden. Hier vermögen Erfindungen und ein kreativer Umgang mit Sexualitäten und Beziehungsformen mehr Spaß und Lebensfreude zu schaffen, als es eine noch so perfekte Penisrekonstruktion könnte; Erfindungen und Umgangsweisen, die jedoch nicht individuell, sondern nur kollektiv gefunden werden können und insofern eine Infragestellung der Selbstverständlichkeiten der Genitalien nicht nur in transgeschlechtlichen Kontexten erfordern. Thru the Looking Glass Standen bei der Betrachtung der ersten Fotografie eindeutig kulturelle und kunstwissenschaftliche Symbole im Fokus der Betrachtung, wendet sich die Fotografie Thru the Looking Glass (Abb. 21) der Tradition sexualwissenschaftlicher Fotografie und damit der anderen Seite der Geschichte von Geschlecht, Sexualität, Genitalien und deren Visualisierungen zu. Die Fotografie gibt einen klassischen Blick zwischen die gespreizten Beine zu sehen. Der nackte Körper wird von den Bildrändern oben am Unterleib, rechts und links an den Schenkelansätzen abgeschnitten, der Blick durch die zentral platzierte Lupe im Bild auf das Genital fokussiert. Die starke Ausleuchtung der Fotografie produziert ein Licht- und Schattenspiel auf der Haut, die einen Streifen links neben der Lupe extrem hell ausleuchtet, den Körper nach oben im Dunkeln verschwinden lässt und im Genitalbereich einen deutlichen Schattenfleck erzeugt. Im Blickfeld der Lupe entfalten Mikro-Penis, Klitoris oder wie auch immer dieser Körperteil bezeichnet werden will, Hautfalten, Schamlippen und Poren eine bewegte Bildzone. Der Blick kann in detaillierter Betrachtung über sie entlanggleiten, sie vielleicht auch absuchen. Allerdings bietet die extreme Nahaufnahme der Genitalien keineswegs den »Durchblick« oder die »Einsicht«, die sich auf den ersten Blick mit dem Diskurs der Sexualwissenschaften verbindet. Die Unmöglichkeit eines »eindringenden« Blicks wird durch die geschlossene Hautoberfläche, die keine Körperöffnung erkennen lässt, und durch den Blick durch die Lupe verstärkt. Statt eines feminisierten Bildraums, der von einem penetrierenden Blick durchbohrt werden könnte, entfaltet sich eine vielgestaltige Oberfläche, die den Blick eher suchend wandern lässt, als dass er eine eindeutige Identifizierung der geschlechtlichen Wahrheit erlaubt.
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Abbildung 21: Thru the Looking Glass, Del LaGrace Volcano
Thru the Looking Glass referiert auf Darstellungskonventionen der Sexualwissenschaft und invertiert gleichzeitig den »eindringenden Blick« in einen suchend-tastenden, dem etwas jener Erfolglosigkeit anhaftet, die Katharina Sykora anhand der Genital-Fotografien von Magnus Hirschfeld analysiert hat: »Es ist Tatsache, dass diese Fotos keine hinreichende Einsicht gewähren, dem Körper nicht sukzessive in sein Inneres folgen und ihm in einer kontinuierlichen Bewegung auf den Grund gehen können. Die fetischistische Obsession der Genitalaufnahmen zeugt so indirekt von der Lückenhaftigkeit ihres wissenschaftlichen Werts« (Sykora 2005: 50).
Durch die Wahl des Ausschnitts, die gespreizten Schenkel und die zentrale Positionierung der Genitalien verweist Del LaGrace Volcanos Fotografie jedoch auch auf Gustave Courbets Gemälde Der Ursprung der Welt (Abb. 20 unten). In dieser Verschmelzung kunst- und sexualwissenschaftlicher Blick- und Bildkonventionen wird die ansonsten klare Differenzierung zwischen Wissenschaft und Kunst infrage gestellt und sowohl die wirklichkeitskonstituierende Konvention des Ästhetischen (das männliche Betrachtersubjekt vor Courbets Gemälde) als auch die ästhetische Dimension des angeblich objektiven wissenschaftlichen Blicks thematisiert.
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Die mangelnde Einsicht und die Beschränkungen der sexualwissenschaftlichen Fotografie produzieren, wie Sykora zeigt, eine Aufforderung zum MehrSagen und -Sehen, die sich in einer beständigen Wiederholung des Ähnlichen, der unendlichen Reihung von Genitalfotografien manifestiert und die Kategorie des Hermaphroditismus im Sinne Hirschfelds erst hervorbringt (Sykora 2005: 50f.). Vor diesem Hintergrund lässt sich Del LaGrace Volcanos Reihung von genitalen Landschaften als eine Reartikulation der sexualwissenschaftlichen Narration Magnus Hirschfelds lesen. Denn wenn auch Del La Grace Volcano eine Reihung von Fotografien produziert, verzichtet er auf die ständige Wiederholung des Ähnlichen und schließt in seiner Reihe gleich als nächstes Bild den Hermaphrodite Torso an – die einzige Fotografie der Reihe, die den Torso und damit »mehr vom Körper« zu sehen gibt als nur die Genitalien.78 Die Forderung nach einem Mehr-Sehen und Mehr-Sagen resultiert also zunächst nicht in einer Produktion immer weiterer ähnlicher Fotografien, sondern in der Ausweitung des zu sehen gegebenen Ausschnitts. Und doch resultiert auch dieses Mehr des Körpers in einer Formation, die sich nicht in die hegemonialen Ordnungskategorien weiblicher und männlicher Körper einreihen lässt. Fingerfood – Crevice – Stalactite – La Coeur Die Reihe Del La Grace Volcanos setzt sich mit einer weiteren Wendung fort: In noch größerer Nahaufnahme als Thru the Looking Glass aufgenommen, gibt die Fotografie Fingerfood (Abb. 22) eine TransGenitale Landschaft zu sehen, in die von oben Finger hineinverpflanzt wurden. Zwischen diesen erhebt sich in der Mitte des Bildes ein TransGenitaler Finger, der zugleich der hervorstehendste und größte ist. Haben wir es hier mit einer Inversion der Hand von Magnus Hirschfeld (die die Genitalien auffaltet) zu tun? Hier ist es nicht, wie Sykora es für die Sexualwissenschaften beschreibt, der »gottgleiche, autoritative Zeigegestus des Wissenschaftlers«, der zum »Missing link« wird und zur »eindeutigen Diagnose« (Sykora 2005: 51f.) führt. Vielmehr wird der Blick an die TransGenitalen Landschaften zurückgegeben, die sich in einen Finger oder Zeigestock transformieren, der in Richtung Betrachter_in weist. Statt Untersuchungsobjekt der Geschlechtsbestimmung zu werden, scheinen die Fotografien in gewisser Weise ihre Betrachter_innen mit ihrem Blick, ihren Wünschen und Begehren zu konfrontieren. Die extreme Nahaufnahme sowie Licht- und Farbverläufe transformieren den distanzierten, objektivierenden Blick und das sexuelle, penetrierende Sehen heteronormativer Blickregime in einen wandernden, tastend suchenden Blick der Nähe. Der ästhetisch-genussvolle Blick auf die Betrachtung von Genitalien wird von Bildtiteln wie Fingerfood, Crevice, Stalactite und La 78 Vgl. Abb. in Volcano (2000: 145).
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Coeur (Abb. 22) unterstützt, die auf – über die rein visuelle Wahrnehmung hinaus gehende – Sinneswahrnehmungen verweisen: das Schmecken, Tasten, Fühlen. Transformationen von Genitalien in Finger, Erdspalten, Stalaktiten und Herzen adressieren die Fantasie und Imagination von Betrachter_innen. Abbildung 22: v.r.o.n.l.u. Fingerfood, Crevice, Stlactite, La Coeur, Del LaGrace Volcano
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Hierin entfalten die Bilder eine Produktivität, die sie einer heteronormativen Logik reproduktiver Sexualität entzieht. Die Genitalien werden in sensible, mit Gefühlen und Empfindungen ausgestattete Organe verwandelt, die für verschiedene und vielleicht diffuse Formen des Genießens, Begehrens und sexuellen Empfindens offen sind. In dieser Lesart besitzen die Fotografien das Potenzial, sehr reale körperliche Erlebens- und Empfindungsweisen von Transmännern zu repräsentieren und zu affirmieren, die in den hegemonialen Diskursen, in denen ein messender Blick die mangelhaften Ergebnisse von Operationen und das Fehlen des Penis sieht, ausgeblendet werden. Damit lassen sich die Fotografien von Del LaGrace Volcano auch als Organe im Sinne eines organlosen Körpers begreifen, wie ihn Gilles Deleuze und Felix Guattari in Anschluss an Antonin Artaud konzipiert haben. Mit dem legendär gewordenen Satz »Es gibt nichts Sinnloseres als ein Organ!« wehrte sich Artaud gegen die Ordnung der organischen und sexuellen Totalität des Körpers und damit gegen die Ordnung von Empfindungen und Sinneswahrnehmungen, die von der Gesellschaft vorgeschrieben, geprägt und normiert werden (Wagner 2003). Artauds Kampf galt nicht dem Organ, sondern dem Organismus. Er hat sich, wie Simon Wagner in seinen Ansätzen einer Organphilosophie feststellt, »[…] zum Körper ohne Organe für den herrschenden Organismus gemacht. Er hat dem Organismus seine Organe genommen, das ist richtig. Aber: er hat ihm auch neue Organe eingepflanzt, Organe, die diesen Organismus bekämpfen und mit konspirativen Netzwerken durchziehen, welche ihn von innen her auflösen (oder auflösen sollen). Wir müssen diese Organe freilich als solche erkennen und benennen: die technische, mediale Intervention des Kinos ist ein solches Organ, und das Ritualhafte des Theaters wird es ebenfalls sein« (Wagner 2003: 225; Hervorhebung im Original). Die Organe Artauds sind nicht mehr diejenigen der Biologie oder Medizin, sondern sie sind Werkzeuge, die »[…] sozusagen in die Wirklichkeit projizierte Verlängerungen oder Ausschwitzungen von Fakultäten und Funktionen des menschlichen Körpers […] sind« (Wagner 2003: 229). In dieser Perspektive können die Fotografien Del LaGrace Volcanos als mediale Interventionen gelesen werden, die die Genitalien aus ihrer hegemonial dominanten Funktion als Reproduktions- und Produktionsorgane eines ganzen vergeschlechtlichten Körpers befreien. TransGenitale Landschaften, wie Stalactite oder La Coeur, verweigern die Produktion eines ganzen Körpers, genauso wie sie sich nicht mehr einfügen lassen in eine biopolitisch organisierte Logik von heteronormativer Penetrationssexualität und Reproduktion. In hellbraunen, beige-rosa Farbtönen oder ästhetisierten Schwarzweiß-Kontrasten gehalten, projizieren Fingerfood, Crevice, Stalactite und La Coeur ästhetisch-genussvolle Blicke auf die Betrachtung von Genitalien. Ein Wechselspiel
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von Farben, Licht, Schatten, Formen, Formationen, Grenzen, Übergängen und Verläufen produziert weniger Bedeutungen als vielmehr Stimmungen und Intensitäten, die Betrachter_innen einladen, zu genießen und die Gedanken schweifen zu lassen. Hierin können die Bilder eine physio-invasive Kraft entfalten, die in ihrer Produktivität die hegemoniale Reduktion der Genitalien auf Funktion und Finalität überschreitet. Die mediumistischen und subjektüberschreitenden Aspekte, die die Fotografie entfaltet, unterlaufen heteronormative Begehrens- und Beziehungsstrukturen und lassen andere Formen von Lust, Begehren, Genießen und Begegnung möglich werden. Abbildung 23: v.l.n.r. Snow Queen, Trancock I, Del LaGrace Volcano
Dass mit einer solchen tendenziellen Auflösung der binären Geschlechterdifferenz jedoch keineswegs ein Ende von Macht- und Herrschaftsstrategien in Sicht ist, verdeutlichen die letzten beiden Fotografien der Serie: Nebeneinander abgebildet akzentuieren die Bilder Snow Queen und TransCock 1 (Abb. 23) eine deutliche Weiß-Schwarz-Differenz. Dass auch diese Differenz nicht jenseits von Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten zu erkennen und zu denken ist, verdeutlichen Blitzlicht und Beleuchtung der Aufnahme genauso wie das Maßband. Hier eröffnet sich ein weiteres komplexes Gefüge, das dazu auffordert, über die Verkreuzungen und Verflechtungen von Heterosexismen und Rassismen nachzudenken. Um in diesem Nachdenken jedoch nicht in den immer gleichen Strukturen gefangen zu bleiben, kann es hilfreich, wenn nicht gar erforderlich sein, jene mythologischen und märchenhaften, ästhetischen und kulturellen Gewichte in den Blick zu nehmen, mit denen unsere Wahrnehmungen und Empfindungen
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imprägniert sind. Kunst kann hier, insofern sie nicht in gleicher Weise wie andere Aussageformationen in rationale Logiken und Funktionsweisen eingebunden ist, besondere Denkanstöße geben; Denkanstöße allerdings, die es notwendig machen, ein Stück weit »wildes Denken« zu wagen. Ohne Zweifel hatte LéviStrauss Recht, wenn er feststellte, dass Blumen »gut zu denken« sind (LéviStrauss 1965: 116). Aber vielleicht muss man auch manchmal nur den Mut aufbringen, ein anderes T-Shirt anzuziehen.
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Trotz der theoretischen Dekonstruktion heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit durch queere Theorie und trotz eines zunehmenden queer/trans*Aktivismus, der auf nicht heteronormativ-zweigeschlechtlichen Lebens- und Existenzweisen besteht, ist die Vorstellung, dass es in Wirklichkeit nur zwei Geschlechter – Mann und Frau – gibt, nach wie vor hegemonial. Dies bedeutet für Transmännlichkeiten, dass sie, sofern sie das Passing aufgeben und als solche sichtbar werden, fast zwangsläufig für nicht »echt« oder nicht »wirklich« gehalten werden. Diese Nicht-Anerkennung als »echt« oder »wirklich« kann mit Butler als eine Form der entmenschlichenden Gewalt angesehen werden, die aufs Engste mit Fragen des Wissens und der Macht verknüpft ist (Butler 2009). So laufen auch Transmänner, die innerhalb der Akademia Aufklärungsarbeit leisten, Gefahr, sich unter den Blicken der ZuhörerInnen in Frösche, Laborratten und multimediale Lernerfahrungen (Green 2006) zu transformieren. Ziel der vorliegenden Studie war es, Einsprüche in hegemoniale Formationen von Geschlecht und Sexualität, die sich innerhalb (sub-)kultureller visueller Repräsentationen von Transmännlichkeiten artikulieren, zur Geltung zu bringen. Dabei beruhen die in dieser Studie durchgeführten teilnehmenden Lektüren darauf, das hegemoniale axiomatische Wissen über heteronormative Zweigeschlechtlichkeit grundlegend infrage zu stellen und die repräsentierten Transmännlichkeiten als Formationen »echter« Männlichkeit ernst zu nehmen. Die Frage aber, was es genau heißt, »echt« oder »wirklich« zu sein, wurde dabei grundlegend mit dem Konzept der Evidenz verbunden. Statt Evidenzen jedoch als unhinterfragte, unmittelbar einleuchtende Selbstverständlichkeiten zu begreifen, fragt die Studie nach den Darstellungsund Wahrnehmungskonventionen mittels derer Evidenzen produziert werden. Damit zielt sie darauf ab, Evidenzen und Fragen des ͩechtenͨ Geschlechts anknüpfend an Butler und Foucault als Probleme zu formulieren, die in zentraler Weise mit Wissen und Macht verknüpft sind. Denn »wer oder was als wirklich oder echt angesehen wird, ist«, wie Butler konstatiert, »augenscheinlich eine Frage des Wissens. Sie ist aber auch, wie Foucault deutlich macht, eine Frage der Macht« (Butler 2009: 340). Dabei sind Wissen und Macht in einem Nexus dermaßen miteinander verschränkt, dass sie nicht getrennt voneinander betrachtet werden können: »Denn nichts kann als Wissenselement auftreten, wenn es nicht mit einem System spezifischer Regeln und Zwänge konform geht – etwa mit dem System eines bestimmten wissen-
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schaftlichen Diskurses in einer bestimmten Epoche, und wenn es nicht andererseits, gerade weil es wissenschaftlich oder rational oder einfach plausibel ist, zu Nötigungen oder zu Anreizungen fähig ist. Umgekehrt kann nichts als Machtmechanismus funktionieren, wenn es sich nicht in Prozeduren und Mittel-Zweck-Beziehungen entfaltet, welche in Wissenssystemen fundiert sind« (Foucault 1992:33).
Dieser Nexus von Wissen und Macht impliziert, dass es einer sich als kritisch verstehenden Wissenschaft nicht darum gehen kann, in einem positivistischen Sinne zu bestimmen, was echt oder wirklich ist. Vielmehr stellt sich die Herausforderung, Positivitäten als »Ensembles« zu begreifen, »die sich nicht von selbst verstehen« (Foucault 1992: 34), und jene Ereignisse, Praktiken und Systeme der Akzeptabilität zu untersuchen, die sie akzeptabel gemacht haben« (Foucault 1992: 34). Aus einer solchen Perspektive kann auch »Transsexualität« als ein Ensemble verstanden werden, das sich durch spezifische Praktiken, Technologien und Systeme der Akzeptabilität herausgebildet hat. Dabei spielen Praktiken des Sehens und Zu-sehen-Gebens eine wichtige Rolle. Meine Studie zeigt, dass visuelle Repräsentationen – und insbesondere das Medium der Fotografie – in entscheidender Weise an der Produktion von Vorstellungen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit und ihrer Abweichungen beteiligt sind, dass sie aber genau deshalb auch wirksame Mittel sind, diese Vorstellungen zu kritisieren, umzuarbeiten und neue Sicht- und Sehweisen zu entwerfen. Die Figur »im falschen Körper gefangen«, in der Transsexualität hegemonial repräsentiert wird, kann, wie anhand der teilnehmenden Lektüre von Distortions gezeigt wurde, als Effekt sowohl spezifischer Formen des psychiatrischen Denkstils als auch alltagsweltlicher Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen verstanden werden, die in zentraler Weise mit Körperbildern und dem Medium der Fotografie operieren. Damit wird Transsexualität nicht als Gefangenschaft »im falschen Körper« problematisiert, sondern die »Innerlichkeit« des Geschlechts als eine Oberflächenpolitik des Körpers artikuliert (Butler 1991: 199f.), die sich gleichwohl in diesen einschreibt und von diesem einverleibt wird. Mit der Thematisierung der kulturellen Normen, Anrufungen, Blick-, Bild- und Wahrnehmungskonventionen, innerhalb derer Geschlechter und Subjekte konstituiert und erzwungen werden, werden Brüche und Widersprüche innerhalb der Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit erkennbar, die für selbstverständlich gehaltene Sicherheiten des Wissens, Sehens und Denkens destabilisieren und gleichzeitig einen Raum öffnen, in dem Reformulierungen von Geschlecht und Sexualität möglich werden. Obgleich die verschiedenen in dieser
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Studie gelesenen Repräsentationen mit sehr unterschiedlichen ästhetischen Strategien operieren, lassen sich abschließend zwei zentrale Themenkomplexe herauskristallisieren, die wiederholt verhandelt werden. Erstens stellen die Arbeiten auf unterschiedliche Weise die Verhältnisse und Hierarchien zwischen verschiedenen Formen der Wissensproduktion zur Disposition. In der Konfrontation oder Überblendung von scheinbar »objektiven« Wahrnehmungs- und Darstellungskonventionen der Medizin, Sexualwissenschaft oder Psychiatrie mit scheinbar »subjektiven« der Kunst und Kultur machen sie Fragen danach, was Männlichkeit, Mann-Sein, Geschlecht und Transsexualität eigentlich ist oder bedeutet, radikal diskutierbar. Letztlich impliziert dies auch eine Infragestellung der Differenz zwischen Natur und Kultur, durch die jene essentiellen Zeichen des Geschlechts – wie insbesondere die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale – als hegemoniale Knotenpunkte verhandelbar werden.1 Indem der biologische Körper nicht mehr als letzter Fixpunkt des »echten« Geschlechts fungiert, bekommen kulturelle und künstlerische Produktionen mehr Gewicht und lassen die Grenzen zwischen Objektivität und Subjektivität unscharf werden. In kulturell und historisch spezifischen Artikulationen erscheinen Geschlechter und Subjekte als Ergebnis von Formierungs- und Bildungsprozessen, in denen sich Subjekt und Sujet überlagern, Fantasie nicht mehr reine Illusion ist, sondern Teil der alltäglichen Wirklichkeit wird, und das rationale scheinbar gesicherte Wissen an seine Grenzen stößt. Im Erreichen dieser Grenze verweisen die Bilder jedoch auch auf die Grenzen einer Kunst/Kulturwissenschaft, die sich allein einem rationalen Denken verschreibt. Eng verbunden mit dieser Verunsicherung hegemonialer Wissensformationen ist die Problematisierung eines zweiten Themenkomplexes, der sich auf Fragen nach dem Verhältnis von Bildern und Wirklichkeit sowie den Status von Kunst bezieht. Denn in dem Maße, in dem es kulturellen und künstlerischen Arbeiten gelingt, Fantasien als Teil einer Wirklichkeit zu etablieren, entfalten sie 1
Als Knotenpunkte bezeichnen Chantal Mouffe und Ernesto Laclau jene Fixierungen innerhalb des Diskurses, die das Fließen der Differenz aufzuhalten suchen: »Die Unmöglichkeit einer endgültigen Fixiertheit von Bedeutung impliziert, daß es partielle Fixierungen geben muss – ansonsten wäre das Fließen der Differenzen selbst unmöglich. Gerade um sich zu unterscheiden, um Bedeutungen zu untergraben, muss es eine Bedeutung geben. Auch wenn das Soziale sich nicht in den intelligiblen und instituierten Formen einer Gesellschaft zu fixieren vermag, so existiert es doch nur als Anstrengung, dieses unmögliche Objekt zu konstituieren. Jedweder Diskurs konstituiert sich als Versuch, das Feld der Diskursivität zu beherrschen, das Fließen der Differenz aufzuhalten, ein Zentrum zu konstituieren. Wir werden die privilegierten diskursiven Punkte dieser partiellen Fixierung Knotenpunkte nennen« (Lauclau/Mouffe 1991: 164).
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eine doppelte Wirksamkeit: Sie verunsichern hegemoniale Ordnungsmuster der Zweigeschlechtlichkeit und artikulieren gleichzeitig Fantasie- und Begehrensszenarien, die die Artikulation transgeschlechtlicher Subjektpositionen und transgeschlechtliche Identitätsbildungsprozesse ermöglichen und affirmieren. Diese Gleichzeitigkeit verschiedener Effekte und Wirkungsweisen erfordert es, das Verhältnis von visuellen Politiken und Identitätspolitiken erneut zu durchdenken. Denn weder ist es möglich, visuelen Politiken und Identitätspolitiken auf einfache Weise gleichzusetzen noch lässt sich eine einfache Gleichsetzung spezifischer Ästhetiken mit politischen Effekten formulieren. Dies verdeutlicht nicht zuletzt die Vielfältigkeit ästhetischer Strategien, auf die die verschiedenen Arbeiten zurückgreifen: Die Arbeiten Loren Camerons referieren in einer SchwarzWeiß-Ästhetik auf hegemoniale Darstellungskonventionen der psychiatrischen Fotografie oder des klassischen Akts in der Kunst und produzieren tendenziell einen distanzierteren Betrachter_innenbilck, der die Stereotype und Selbstverständlichkeiten, auf denen heteronormative Zweigeschlechtlichkeit beruht, problematisiert und zugleich politische und entpathologisierende Blicke auf Transsexualität ermöglicht. Dagegen arbeiten die Fotografien Del La Grace Volcanos mit einer stark inszeniert wirkenden farbintensiven Ästhetik, die einen suchenden, tastenden Blick der Nähe produziert, der dazu einlädt, sich mit positiven Stereotypen und verkörperten Idealen zu identifizieren, der sich jedoch gleichwohl einer Einordnung in die kulturellen Muster heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit widersetzt. Der Spielfilm Boys Don’t Cry wiederum arbeitet in weiten Teilen mit einer klassischen Hollywood-Ästhetik, wobei er durch Übertreibungen und Brüche die Funktionsweisen von Identifikationsprozessen ausstellt und durch einen kritischen Einsatz von Raumbildern und -metaphern die Verschränkungen von Identitätsbildungen, Praktiken des Sehens und gesellschaftlichen Räumen thematisiert. Mit diesen verschiedenen ästhetischen Strategien rücken jeweils andere Kontexte und verschiedene Funktionsweisen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit in den Blick und vermögen gleichzeitig verschiedene Formen trangeschlechtlicher Identitätsbildungsprozesse zu unterstützen. Die komplexen gleichzeitigen Wirkungsweisen ästhetischer Strategien legen es nahe, genauer zu hinterfragen, in welcher Weise Identitäten reguliert und normiert werden und welche Rolle visuelle Repräsentationen und spezifische Ästhetiken darin jeweils spielen. Denn Identitäten müssen, wie Chantal Mouffe zeigt, als eines jener zentralen Felder begriffen werden, auf denen politische Kämpfe ausgetragen werden:
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»Die sogenannte kulturelle Identität einer Gruppe ist eines der wichtigsten Gebiete, auf denen Hegemonie ausgeübt wird. Die Definition der kulturellen Identität einer Gruppe, im Bezug zu einem spezifischen System von kontingenten und partikularen gesellschaftlichen Beziehungen, spielt eine entscheidende Rolle in der Bildung von hegemonialen ›Knotenpunkten‹. Diese definieren teilweise die Bedeutung einer Signifikantenkette und erlauben uns, den Strom der Signifikanten zu kontrollieren. Sie fixieren zeitweise das diskursive Feld und bilden dabei gewisse Ordnungsformen, was eine spezifische Definition der Realität mit dem ihr entsprechenden ›common sense‹ bestimmt« (Mouffe 2001: 16).
Die Konsequenz einer solch anti-essentialistischen Auffassung von Identität besteht zum einen darin, »dass politische Praxis in einer demokratischen Gesellschaft nicht in der Verteidigung von vorgefertigten Identitäten, sondern vielmehr in der Bildung der Identitäten selbst auf einem prekären und leicht verletzlichen Gebiet bestehen kann« (Mouffe 2001: 14). Zum anderen verschiebt sich damit zugleich die zentrale Frage, wie sich Identitäten und deren Interessen bestimmen lassen, hin zu der Frage, wie Identitäten in Diskursen gebildet werden, »wie sexuelle Differenz zur durchgängigen Unterscheidung in allen gesellschaftlichen Beziehungen gemacht« wird, wie sich darin Unterordnungsverhältnisse konstituieren und »welche hegemonistischen Gliederungsprozesse […] in der Fixierung von solchen Unterordnungsverhältnissen zentral sind?« (Mouffe 2001: 19). Fotografien und insbesondere Fotografien menschlicher Körper sind, wie die vorliegende Studie zeigt, eine jener Modalitäten, mittels derer Identitäten gebildet werden, mittels derer sich die Ordnung heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit aufrechterhält, mittels derer sie aber auch immer wieder verunsichert, herausgefordert und unterlaufen werden kann. Dabei zeigen die Lektüren visueller Repräsentationen von Transmännlichkeiten, dass herrschaftskritische Momente insbesondere an jenen Punkten auftreten, an denen die Arbeiten die Grenzen der Kunst überschreiten und Verbindungen, Brüche und Konflikte mit anderen alltagsweltlichen, juristischen, medizinischen, sexualwissenschaftlichen und/ oder aktivistischen Diskursen und Praktiken ins Blickfeld rücken. An diesen Punkten gelingt es ihnen nicht nur, hegemoniale Knotenpunkte des Geschlechts zu lockern, sondern auch grundlegende Hierarchisierungen verschiedener Wissensformen, wie jene zwischen Biologie, Medizin, Sexualwissenschaft und Kultur- und Kunstwissenschaft, infrage zu stellen. Indem kulturell dominante und allzu oft für selbstverständlich gehaltene Dichotomien und Hierarchisierungen zur Disposition gestellt werden, eröffnen die Arbeiten einen Raum, der es ermöglicht, die Wirkmächtigkeit der kulturellen Konstruktion von Geschlecht durch Idealisierungen, Symbolisierungs- und Repräsentationsprozesse zu diskutieren, ohne in Illusionen eines anything goes oder einen totalen Determinismus,
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sei er biologisch oder kulturell, zu verfallen. Damit können die Arbeiten auch als »Szenen des Dissens« (Rancière 2009) gelesen werden, die nicht nach einer letzten »inneren Wahrheit« suchen: »Dieser Dissens bedeutet eine Ordnung des Sinnlichen, in der es weder eine unter den Erscheinungen verdeckte Wirklichkeit gibt noch eine einzige Ordnung der Darstellung und der Interpretation des Gegebenen, die jedem ihre Offensichtlichkeit aufzwingt. Denn jede Situation kann in ihrem Inneren gespalten werden und unter einer anderen Wahrnehmungs- und Bedeutungsanordnung neu gestaltet werden. Der Dissens stellt zugleich die Offensichtlichkeit dessen in Frage, was wahrgenommen wird, denkbar und machbar ist, wie die Aufteilung derer, die fähig sind zu erkennen, zu denken und die Koordinaten der gemeinsamen Welt zu verändern« (Rancière 2009: 60).
Dies bedeutet, dass sich mit der Infragestellung des scheinbar Gegebenen und Offensichtlichen und der Produktion von Szenen des Dissenses wichtige politische – und nicht zuletzt demokratische – Potenziale verknüpfen. Es bleibt die Herausforderung, diese Potenziale auf verschiedenen Ebenen produktiv zu machen. Denn letztlich können die hier untersuchten Arbeiten sowohl als eine Aufforderung gelesen werden, jene Gegebenheiten und Offensichtlichkeiten, auf denen wissenschaftliche Wissensproduktion beruht, kritisch zu hinterfragen, als auch als eine Aufforderung, alltäglich gelebte Normalitäten und Selbstverständlichkeiten infrage zu stellen und sich verunsichern zu lassen. Dies erfordert nicht nur ein erhöhtes Maß an Unsicherheitstoleranz, sondern auch, die Hierarchisierungen und Aufteilungen von Wissen und Unwissen fundamental infrage zu stellen, um zu einer Erweiterung der »Topologie des Möglichen« (Rancière 2009) beizutragen.
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B ILDNACHWEISE
Abb. 1: Transcock I, Del LaGrace Volcano, aus: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations, S. 151. Abb. 2: Self-Portrait, 1993, Loren Cameron, aus: Prosser, Jay (2005): Light in the Darkroom, S. 174. Abb. 3: Aus dem Kapitel Tranz Portraits, Del LaGrace Volcano, aus: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations, S. 118f. Abb. 4-6: Distortions, Loren Cameron, aus: Cameron, Loren (1996): Body Alchemy. Transsexual Portraits, San Francisco: Cleiss Press, S. 28-30. Abb. 7: Leslie Feinberg, Berlin 1998, Del La Grace Volcano Abb. 8: Teddyboy, Berlin 1998, Del LaGrace Volcano, aus: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations, S. 124. Abb. 9: Jordon, Olympia Washington 1996, Del LaGrace Volcano, aus: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations, S. 112. Abb. 10: David, Berlin 1997, Del LaGrace Volcano, aus: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations, S. 114. Abb. 11: Hans & Self-Portrait, London 1996, Del LaGrace Volcano, aus: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations, S. 109. Abb. 12-14: God’s Will, Loren Cameron, aus: Cameron, Loren (1996): Body Alchemy. Transsexual Portraits, San Francisco: Cleiss Press, S.25-27. Abb. 15-17: Film Stills aus Boys Don’t Cry (Kimberly Pierce, USA, 1999), deutschsprachige DVD-Fassung (Twentieth Century Fox Home Entertainment, 2003) [SW-Reproduktionen von Farbbildern]. Abb. 18: Transexual Menace T-Shirt, http://www.cafepress.com/transexual menace vom 31.1.2012. Abb. 19: Prince Albert’s Kiss, Del LaGrace Volcano, aus: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations, S. 143. Abb. 20: oben: Die Felsengrotte der Loue, um 1864, Gustave Courbet, unten: Der Ursprung der Welt, 1866, Gustave Courbet, aus: Günther Metken (1997): Gustave Courbet – Der Ursprung der Welt. Ein Lust-Stück, München und New York: Prestel, S. 49. Abb. 21: Thru the Looking Glass, Del LaGrace Volcano, aus: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations, S. 144. Abb. 22: Fingerfood, Crevice, Stalaktite, La Coeur, Del LaGrace Volcano, aus: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations, S. 146ff. Abb. 23: Snow Queen, Trans Cock I, Del LaGrace Volcano, aus: Volcano, Del LaGrace (2000): Sublime Mutations, S. 150f.
D ANK
Der Promotionsstudiengang ͩKulturwissenschaftliche Geschlechterstudienͨ der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg bot einen Ort, an dem Diskussionen zu Fragen von Geschlecht und Sexualität auf eine Art und Weise geführt werden konnten, die es erlaubte, hegemoniale Vorstellungen radikal infrage zu stellen, ohne dabei die Bezüge zu queeren Existenzweisen und heteronormativen Alltäglichkeiten aus dem Blick zu verlieren. Diese Studie hätte ohne diesen Ort und die Unterstützung zahlreicher Personen nicht geschrieben werden können. Ich danke Silke Wenk herzlich, die meine Arbeit über so viele Jahre betreut, wichtige Denkanstöße gegeben und mich – trotz aller Krisen – beständig ermutigt hat, diese Studie zu Ende zu bringen. Sabine Hark hat das zweite Gutachten übernommen sowie mein Denken mit inspirierenden Kommentaren bereichert und an seine Grenzen getrieben – auch dafür bedanke ich mich herzlich. Die Diskussionen, Kritik und Zusammenarbeit im Kolleg ͩkulturwissenschaftliche Geschlechterstudienͨ waren für mich von unschätzbarem Wert. Hierfür danke ich allen Beteiligten sehr, insbesondere Karen Ellwanger, Kea Wienand, Patricia Mühr, Lüder Tietz, J. Seipl, Johanna Schaffer, Nanna Lüth, Stefan Fürstenberg, Romina Kochius, Marco Atlas und Barbara Paul. Das Kolloquium ͩMethoden kunst- und kulturwissenschaftlicher Geschlechterforschungͨ der Universitäten Bremen und Oldenburg stellte einen weiteren wichtigen Diskussionszusammenhang dar, für den ich mich bedanke, insbesondere bei Irene Nierhaus, Sigrid Schade und Silke Wenk. Für wichtige Diskussionen bei Tagungen, Workshops und in wissenschaftlichen Projekten danke ich darüber hinaus Robin Bauer, Volker Woltersdorff, Uta Schirmer, Angelika Bartls, Kerstin Brandes, Claudia Reiche, Antke Engel, Adrian de Silva und den Teilnehmer_innen des Doktorand_innen-Kollegs von Sabine Hark. Herzlich bedanken möchte ich mich zudem bei den Studierenden meiner Seminare an den Universitäten Oldenburg und Bremen sowie der HfK Bremen, deren Interesse und oft herausfordernde Fragen mich immer wieder inspiriert und zum Weiterarbeiten motiviert haben – insbesondere Rena Onat, Ruvel Kovalevski, Z Schmidt, Daniela Wüstenberg. Unmöglich bleibt queeres Denken und queere Wissenschaft jedoch ohne all jene, die in und an queeren politischen Kontexten und subkulturellen Orten arbeiten und mit ihren Gedanken, Praktiken und Widerständigkeiten Möglichkeiten queeren Lebens schaffen, verteidigen und zu erweitern versuchen. Daher ein ganz herzlicher Dank an die Bremer Aktivist_innen, mit denen ich verbunden bin oder war: die Sissy Boyz, die Crew vom Queer Scum Calendar (insbesondere
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Anna Matz), Elianna Renner, das thealit.Frauen.Kultur.Labor (insbesondere Andrea Sick und Claudia Reiche), Pump – body politics liked out of my dancing shoes, Thomas Böker, Thomas Prechter, Isabell Kogge, Petra Heine, Micha Fenge, Thomas Dören, Noah Munier und Adrian de Silva. Ohne euch hätte ich diese Studie niemals schreiben können. Mindestens genauso wichtig waren die Unterstützung von zahlreichen Freund_innen und Gefährt_innen, die mich ermutigt, mit mir diskutiert und mich zuweilen gehalten haben. Hierfür danke ich insbesondere: Friederike v. Thomsen, Frauke Ahrlich, Tomka Weiß, Sandra Ortmann, Marcus Kühn, Anni Behling, Lisa Bokemeyer, Birga Meyer, Kriz Sahm, Angie Oettingshausen, Elif Gökpinar, Annette Steichen, Roberta Menendez, Spunk Gröpel und Tomke Trimborn. Ein herzlicher Dank gilt auch meinen Eltern, Sebastian Hoenes und Ute Hoenes, meiner Schwester Sabine Hoenes sowie meiner Großmutter Ursula Hoenes für Verständnis, Vertrauen und finanzielle Unterstützung in Notsituationen. Für die Hilfe bei der Fertigstellung dieser Publikation möchte ich mich sehr herzlich bei Ulrike Schuff für das sorgfältige Lektorat, Tomka Weiß für die Umschlaggestaltung und die Hilfe bei der Bearbeitung der Abbildungen sowie Birgit Klöpfer vom transcript Verlag für die Betreuung des Publikationsprozesses bedanken.
Studien zur visuellen Kultur Angelika Bartl Andere Subjekte Dokumentarische Medienkunst und die Politik der Rezeption 2012, 244 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-2039-9
Heike Derwanz Street Art-Karrieren Neue Wege in den Kunst- und Designmarkt 2013, 340 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2423-6
Antke Engel Bilder von Sexualität und Ökonomie Queere kulturelle Politiken im Neoliberalismus 2009, 258 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-915-2
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Studien zur visuellen Kultur Claudia Mareis Design als Wissenskultur Interferenzen zwischen Design- und Wissensdiskursen seit 1960 2011, 450 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1588-3
Sigrid Schade, Silke Wenk Studien zur visuellen Kultur Einführung in ein transdisziplinäres Forschungsfeld 2011, 232 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb. , 22,80 €, ISBN 978-3-89942-990-9
Anja Zimmermann Ästhetik der Objektivität Genese und Funktion eines wissenschaftlichen und künstlerischen Stils im 19. Jahrhundert 2009, 254 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-860-5
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Studien zur visuellen Kultur Angelika Bartl, Josch Hoenes, Patricia Mühr, Kea Wienand (Hg.) Sehen – Macht – Wissen ReSaVoir. Bilder im Spannungsfeld von Kultur, Politik und Erinnerung
Jennifer John, Sigrid Schade (Hg.) Grenzgänge zwischen den Künsten Interventionen in Gattungshierarchien und Geschlechterkonstruktionen
2011, 216 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1467-1
2008, 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-967-1
Kerstin Brandes Fotografie und »Identität« Visuelle Repräsentationspolitiken in künstlerischen Arbeiten der 1980er und 1990er Jahre
Tanja Maier Gender und Fernsehen Perspektiven einer kritischen Medienwissenschaft
2010, 288 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1586-9
2007, 280 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-689-2
Silke Büttner Die Körper verweben Sinnproduktion in der französischen Bildhauerei des 12. Jahrhunderts
Barbara Paul, Johanna Schaffer (Hg.) Mehr(wert) queer – Queer Added (Value) Visuelle Kultur, Kunst und Gender-Politiken – Visual Culture, Art, and Gender Politics
2010, 374 Seiten, kart., zahlr. Abb., 36,80 €, ISBN 978-3-8376-1544-9
2009, 248 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1057-4
Kathrin Heinz Heldische Konstruktionen Von Wassily Kandinskys Reitern, Rittern und heiligem Georg
Johanna Schaffer Ambivalenzen der Sichtbarkeit Über die visuellen Strukturen der Anerkennung
Juni 2014, ca. 340 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1944-7
2008, 200 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-993-0
Marion Hövelmeyer Pandoras Büchse Konfigurationen von Körper und Kreativität. Dekonstruktionsanalysen zur Art-Brut-Künstlerin Ursula Schultze-Bluhm
Corinna Tomberger Das Gegendenkmal Avantgardekunst, Geschichtspolitik und Geschlecht in der bundesdeutschen Erinnerungskultur
2007, 284 Seiten, kart., zahlr. Abb., 30,80 €, ISBN 978-3-89942-633-5
2007, 362 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-89942-774-5
Philipp Weiss Körper in Form Bildwelten moderner Körperkunst 2010, 274 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1550-0
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Kathrin Audehm, Iris Clemens (Hg.)
GemeinSinn Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2013
2013, 136 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2322-2 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort.
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