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German Pages 279 Year 2014
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1273
Neuere Entwicklungen im Kompetenzrecht Zur Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern nach der Föderalismusreform
Herausgegeben von Markus Heintzen und Arnd Uhle
Duncker & Humblot · Berlin
MARKUS HEINTZEN / ARND UHLE (Hrsg.)
Neuere Entwicklungen im Kompetenzrecht
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1273
Neuere Entwicklungen im Kompetenzrecht Zur Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern nach der Föderalismusreform
Herausgegeben von Markus Heintzen und Arnd Uhle
Duncker & Humblot · Berlin
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Vorwort In den Verfassungsreformen, die seit der Wiedervereinigung Deutschlands verwirklicht worden sind, hat die Stärkung des Föderalismus im Allgemeinen und die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern im Besonderen eine herausragende Rolle gespielt. Das belegen sowohl die 1994 auf der Grundlage des Einigungsvertrages vorgenommenen als auch die 2006 im Rahmen der Föderalismusreform ins Werk gesetzten Änderungen des Grundgesetzes. Gerade die Föderalismusreform von 2006 ist aufgrund der durch sie vorgenommenen Neujustierung des Kompetenzrechts zur umfassendsten Verfassungsreform in der Geschichte des Grundgesetzes und zur wohl bedeutendsten Reform der Gesetzgebungszuständigkeiten geworden. Nachdem die durch sie realisierten Änderungen der bundesstaatlichen Ordnung zwischenzeitlich seit mehr als einem halben Jahrzehnt in Geltung sind, drängt sich die Frage nach dem gegenwärtigen Stand des Kompetenzrechts auf, werfen doch nicht wenige der im Rahmen der Föderalismusreform I verabschiedeten kompetenzrechtlichen Einzeländerungen nach wie vor vielfältige Probleme auf. Das gilt sowohl für eher detailbezogene kompetenzrechtliche Modifikationen als auch für strukturelle Änderungen. Für Erstere mögen exemplarisch Abgrenzungsfragen stehen, die durch die Zuweisung von Teilen bislang einheitlicher Kompetenzmaterien an die Länder entstehen, für Letztere jene Unklarheiten, die nach wie vor mit der Abweichungsgesetzgebung des Art. 72 Abs. 3 GG verbunden sind. Bestehende Unklarheiten zu erörtern und Lösungswege für ungeklärte Fragen vorzustellen, ist Anliegen der Beiträge des vorliegenden Sammelbandes. Sie sind hervorgegangen aus Vorträgen, die am 28. und 29. Juni 2012 in Dresden im Rahmen einer kompetenzrechtlichen Fachtagung gehalten und diskutiert wurden. Inhaltlich spannte diese Tagung den Bogen von den gegenwärtigen Rahmenbedingungen der grundgesetzlichen Kompetenzordnung bis zu deren Charakteristika und von den durch die Föderalismusreform veränderten Kompetenzmaterien bis zu den kompetenzrechtlichen Übergangsbestimmungen. Durchgeführt wurde sie als Teil der Veranstaltungsreihe der „Dresdner Symposien zum Staatsrecht“ von dem an der TU Dresden beheimateten Stiftungslehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere für Staatsrecht und Staatswissenschaften und dem an der FU Berlin bestehenden Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere für Staats-, Verwaltungs- und Steuerrecht. Gefördert wurde sie von der Landeshauptstadt
6 Vorwort
Dresden, die Publikation des vorliegenden Tagungsbandes ergänzend auch durch das Bundesministerium des Inneren. Für die großzügige finanzielle Unterstützung danken wir Frau Helma Orosz, Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Dresden, und Herrn Hans Heinrich von Knobloch, Abteilungsleiter im Bundesministerium des Innern. Vielfältigen Dank für die Unterstützung bei der Durchführung des Symposiums wie auch bei der redaktionellen Bearbeitung des hier vorgelegten Sammelbandes schulden wir ferner den Mitarbeitern des Dresdner Lehrstuhls, namentlich Frau Katrin Börner, Frau Alexandra Brückner, Frau Sophie Schurowski (LL. M.), Herrn Ass. iur. Thomas Wolf und Herrn Markus Kohlmann (LL. M.). Dem Geschäftsführer des Verlages Duncker & Humblot, Herrn Dr. Florian Simon (LL. M.), danken wir für die freundliche Aufnahme des Bandes in die Reihe der „Schriften zum Öffentlichen Recht“ sowie für die hervorragende verlegerische Betreuung. Berlin und Dresden, im Dezember 2013 Markus Heintzen und Arnd Uhle
Inhaltsverzeichnis Teil A Zwischen Entflechtung und Europäisierung – Zu den gegenwärtigen Rahmenbedingungen für die Fortentwicklung der grundgesetzlichen Kompetenzordnung Hintergründe, Motive und Ziele der Föderalismusreform von 2006 Von Jochen Rozek, Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Auswirkungen der Europäisierung der Rechtsetzung auf die nationalen Gesetzgebungskompetenzen Von Rupert Stettner, München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Teil B Die Charakteristika der grundgesetzlichen Kompetenzordnung nach der Föderalismusreform von 2006 Die Charakteristika der Ländergesetzgebung und der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes nach der Föderalismusreform Von Markus Heintzen, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Die Charakteristika der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes nach der Föderalismusreform Von Christoph Degenhart, Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Teil C Die grundgesetzlichen Kompetenzzuweisungen nach der Föderalismusreform von 2006 im Detail Die Sachbereiche der Landesgesetzgebung nach der Föderalismusreform. Anmerkungen zur Verfassungsreform von 2006 und zu neueren Entwicklungen im Recht der Gesetzgebungsbefugnisse der Länder Von Peter M. Huber, München / Karlsruhe, und Arnd Uhle, Dresden . . . . . . 83 Die von der Föderalismusreform tangierten Sachbereiche der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz im Einzelnen Von Stefan Oeter, Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
8 Inhaltsverzeichnis Die Sachbereiche der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach der Föderalismusreform. Anmerkungen zur Verfassungsreform von 2006 und zu neueren Entwicklungen im Recht der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes Von Arnd Uhle, Dresden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Teil D Die Regelungen des Kompetenzübergangs Die Freigabe von Bundesrecht zur landesrechtlichen Ersetzung Von Christian Seiler, Tübingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Die kompetenzrechtlichen Übergangsbestimmungen Von Heinrich A. Wolff, Bayreuth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
Teil A
Zwischen Entflechtung und Europäisierung – Zu den gegenwärtigen Rahmenbedingungen für die Fortentwicklung der grundgesetzlichen Kompetenzordnung
Hintergründe, Motive und Ziele der Föderalismusreform von 2006 Von Jochen Rozek I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 II. Der Hintergrund: Das bundesstaatliche Prinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 III. Reformstau und „Föderalismusfalle“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 IV. Reformmotive und Reformziele im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. Partielle Zurückdrängung des Verbundföderalismus. . . . . . . . . . . . . . . . . 18 a) Erosion der Landeszuständigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 b) Verbundföderalismus als Kompensation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 c) Verbundföderalismus vs. Europäisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Interessengegensätze zwischen Bund und Ländern. . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3. Kompromisslinien bei der Neujustierung der Gesetzgebungskompetenzen. 21 a) Abschaffung der Rahmengesetzgebung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 b) Innovationen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. . . . . . . 22 aa) Vorranggesetzgebung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 bb) Abweichungsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 V. Fazit und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
I. Einführung Die Föderalismusreform 2006 hat gegenüber der ebenfalls primär bundesstaatlich inspirierten Grundgesetz-Novelle von 1994 einen bemerkenswerten Paradigmenwechsel vollzogen. Erstes Anschauungsmaterial hierfür bietet – gewissermaßen pars pro toto – ein prima facie eher unscheinbarer Kompetenztitel, der sich jedoch im Laufe der Jahrzehnte als veritable „kompetenzielle Wanderdüne“ erwiesen hat. Es geht um die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum „Schutz des deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland“. Die Kompetenzmaterie stand von Anfang an im Grundgesetz – allerdings sind nicht uninteressante Wanderungsbewegungen zu verzeichnen: Von 1949 bis 1994 firmierte sie als konkurrierende Kompetenz (Art. 74 Nr. 5 GG a. F.), von 1994 bis 2006 dann als Rahmenkompetenz (Art. 75
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Abs. 1 Nr. 6 GG a. F.) und seit dem Jahr 2006 nunmehr als ausschließliche Bundeszuständigkeit (Art. 73 Abs. 1 Nr. 5a GG). Der Kompetenztitel „Schutz des deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland“ hat somit sämtliche Kategorien einer Bundesgesetzgebungszuständigkeit durchlaufen. Auf das auf die Kompetenzmaterie gestützte einschlägige Bundesgesetz hatten diese Wanderungsbewegungen übrigens keine berichtenswerten Auswirkungen.1 Dennoch werfen besagte Wanderungsbewegungen die interessante Frage auf, ob die wechselhafte Kompetenzzuordnung schlicht dem Prinzip von „trial and error“, anderen Rationalitäten oder womöglich gar keiner tieferen Rationalität folgte. Hierauf wird im Folgenden noch zurückzukommen sein. II. Der Hintergrund: Das bundesstaatliche Prinzip Ein zentraler verfassungsrechtlicher Hintergrund auch der Föderalismusreform 2006 ist naturgemäß – nomen est omen – das bundesstaatliche Prinzip des Grundgesetzes. Nach Art. 20 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik Deutschland ein Bundesstaat. Der grundgesetzliche Bundesstaat weist mehrere grundlegende Bauprinzipien auf: Das erste dieser Bauprinzipien ist die Zweistufigkeit des Aufbaus;2 es gibt die beiden Ebenen des Bundes und der Länder. Bund und Länder haben Staatsqualität, letztere freilich nur in Form einer vom Bund abgeleiteten qualifizierten Gliedstaatlichkeit.3 Die Gemeinden sind Teil der Länder. Das zweite grundlegende Bauprinzip ist die vertikale Gewaltenteilung (vgl. Art. 30 GG).4 Innerhalb der Staatsfunktionen der Legislative, Exekutive und Judikative erfolgt jeweils eine Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern. Ein drittes zentrales Bauprinzip besteht darin, dass die Finanzverfassung im Verhältnis zur materiellen bundesstaatlichen Ordnung insgesamt Folgeverfassung ist (zwingende Reihenfolge von Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen; vgl. Art. 104a Abs. 1 GG sowie Art. 105 ff. GG).5 1 Vgl. nur Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 55 mit Fn. 159. 2 Grundlegend BVerfGE 13, 54 (77 f.) – Hessische Neugliederung. 3 BVerfGE 36, 342 (360 f.) – Inhaltsgleiches Landes- und Bundesverfassungsrecht; 72, 330 (388) – Länderfinanzausgleich I; 103, 332 (350 f.) – Landesnaturschutzgesetz Schleswig-Holstein. 4 Vgl. nur BVerfGE 95, 1 (18) – Südumfahrung Stendal; 104, 249 (279) – Biblis A; Karl-Peter Sommermann, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Rn. 21 m. w. N.
Hintergründe, Motive und Ziele der Föderalismusreform von 200613
Im zweigliedrigen Bundesstaat des Grundgesetzes ist die Verteilung der staatlichen Aufgaben und Befugnisse zwischen dem Gesamtstaat (Bund) und den Gliedstaaten (Ländern) mithin eine der zentralen Aufgaben der Verfassung – eine „grande affaire“ des bundesdeutschen Föderalismus.6 Die Trennung der Kompetenzsphären von Bund und Ländern,7 die Ausschließlichkeit und Alternativität der Kompetenzzuweisungen8 sowie der Anspruch des grundgesetzlichen Kompetenzregimes, eine Kompetenzordnung zu ergeben,9 sind verfassungsrechtliche Teilelemente, die alle auf das engste mit dem Bundesstaatsprinzip verwoben sind.10 5
Für das bundesstaatliche Prinzip lassen sich wiederum staatsorganisatorische und freiheitsschützende Legitimationsgründe anführen:11 Dezentralisation schafft überschaubare Lebens- und Funktionsbereiche; vertikale Gewaltenteilung stärkt Freiheit, eröffnet vermehrte Mitwirkungsmöglichkeiten an der politischen Willensbildung, gewährleistet nicht nur Wettbewerb, sondern auch ein Wechselspiel von Mehrheit und Minderheit in der politischen Verantwortung sowie die Eindämmung von Machtmissbrauch. Unübersehbar sind aber auch einige negative Seiten einer bundesstaat lichen Ordnung; zu nennen sind:12 verringerte Handlungsfähigkeit, Schwerfälligkeit und Langsamkeit der politischen Willensbildung, Verschleierung der Verantwortlichkeiten als Faktoren, die in einer Lähmung und Blockade der Politik kulminieren können. 5 Vgl. BVerfGE 105, 185 (194) – UMTS-Erlöse; 108, 1 (15) – Rückmeldegebühr; Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 104a Rn. 1. 6 Christian Pestalozza, Thesen zur kompetenzrechtlichen Qualifikation von Gesetzen im Bundesstaat, DÖV 1972, S. 181 (181); Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 1. 7 Dazu instruktiv Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders. / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 126 Rn. 88 ff., 170 f., § 133 Rn. 95 ff.; vgl. auch dens., Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, in: Badura / Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, 2001, S. 719 ff., 739 ff. 8 Josef Isensee, Die bundesstaatliche Kompetenz, in: ders. / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 133 Rn. 95 ff. 9 Markus Heintzen, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 70 Rn. 33 ff.; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 1. 10 Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 Rn. 1. 11 Klaus Stern, Revitalisierung der deutschen bundesstaatlichen Ordnung im europäischen Kontext, NdsVBl. 2004, S. 321 (322). 12 So die Auflistung bei Klaus Stern, Revitalisierung der deutschen bundesstaatlichen Ordnung im europäischen Kontext, NdsVBl. 2004, S. 321 (322).
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Hemmnisse des föderativen Systems für die Steuerungs- und Reformfähigkeit des Staates müssen deshalb immer wieder aufs Neue mit den Vorzügen der Bundesstaatlichkeit austariert werden. Weit stärker noch als etwa Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit steht die Bundesstaatlichkeit daher gewissermaßen permanent unter politischem Legitimationsdruck. Anders gewendet: Nach der Bundesstaatsreform ist vor der Bundesstaatsreform. Die Wanderungsbewegungen des Kompetenztitels „Schutz des deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland“ fallen von daher nicht von ungefähr zusammen mit den zwei umfänglichsten bundesstaatszentrierten Verfassungsänderungen der letzten Jahrzehnte. Insoweit führt – nicht nur, was diesen Kompetenztitel anbetrifft, sondern auch in anderen Beziehungen – eine direkte (Entwicklungs-)Linie vom 42. Änderungsgesetz zum Grundgesetz vom 27. Oktober 199413 zum 52. Änderungsgesetz zum Grundgesetz vom 28. August 2006.14 III. Reformstau und „Föderalismusfalle“ Das 52. Änderungsgesetz zum Grundgesetz vom 28. August 2006 hat dabei eine durchaus komplexe Vorgeschichte:15 Nachdem sich die Ministerpräsidenten der Länder schon seit 1998 erneut mit einer Reform der bundesstaatlichen Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmenverteilung beschäftigt hatten, geriet nach der Jahrtausendwende die Reform des föderativen Staatsaufbaus einmal mehr zu einem ganz zentralen Thema der politischen Debatte in der Bundesrepublik. Als eine der mutmaßlichen Hauptursachen des damals beklagten „Reformstaus“ war die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes ins Visier geraten. Die Bundesrepublik – so hieß es vielstimmig16 – befände sich in 13 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 3, 20a, 28, 29, 72, 74, 75, 76, 77, 80, 87, 93, 118a und 125a) vom 27. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3146). Der in Art. 5 des Einigungsvertrages enthaltene Auftrag, u. a. in Bezug auf das BundLänder-Verhältnis über Verfassungsänderungen nachzudenken, führte zur Einsetzung der Gemeinsamen Verfassungskommission, die im Zeitraum von Januar 1992 bis Juli 1993 beraten und Empfehlungen beschlossen hat, die schließlich dann in das 42. ÄndG von 1994 mündeten. 14 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034). 15 Dazu eingehend Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006 – Konzeption, Kommentar, Kritik, 2008, S. 19 ff. m. w. N.; siehe auch Christian Starck, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 4 ff. m. w. N. 16 Vgl. statt vieler Peter M. Huber, Deutschland in der Föderalismusfalle?, 2003, S. 3 ff. und passim; ders., Klarere Verantwortungsteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen?, in: Verhandlungen des 65. DJT, Bd. 1, 2004, S. D 11 ff. m. w. N.
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einer „Föderalismusfalle“, in der noch jede politische Initiative zuverlässig zu Feinstaub zermahlen werde. Die mit dem Trend zum Verbund- und Exe kutivföderalismus einhergehenden Kompetenzverflechtungen, so wurde vor allem beklagt, hätten die Verantwortlichkeiten unklar und intransparent werden lassen. Der Bürger wisse nicht mehr, wer für welche Entscheidung verantwortlich sei. Eine „Föderalismusreform“ sollte der föderativen Malaise abhelfen. Als Ergebnis der Beratungen der Ministerpräsidenten wurden am 27. März 2003 Leitlinien für die Verhandlungen mit dem Bund über die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung verabschiedet.17 Praktisch parallel dazu kam es zur Lübecker Erklärung der deutschen Landesparlamente – Titel: „Bekenntnis zum Föderalismus und zur Subsidiarität – Landesparlamente stärken“.18 Die Bundesregierung wiederum formulierte ihre Position in einer Stellungnahme vom 9. April 2003 („Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“).19 Der danach allseits ausgemachte Modernisierungsbedarf veranlasste Bundestag und Bundesrat im Oktober 2003 schließlich zur Einsetzung einer gemeinsamen Kommission – der „Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“ (im Folgenden kurz: Föderalismuskommission).20 Die Föderalismuskommission unter gemeinsamem Vorsitz von Franz Müntefering (damals: SPD-Fraktionsvorsitzender) und Edmund Stoiber (damals: bayerischer Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender) trat im Herbst 2003 mit dem erklärten Ziel an, auch vor dem Hintergrund der Weiterentwicklung der Europäischen Union „die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern zu verbessern, die politischen Verantwortlichkeiten deutlicher zuzuordnen sowie die Zweckmäßigkeit und Effizienz der Aufgabenerfüllung zu steigern“.21 Insbesondere die Zuordnung von Gesetzgebungskompetenzen an Bund und Länder, die Zuständigkeiten und Mitwirkungsrechte der Länder an der Bundesgesetzgebung und die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern (namentlich: Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungen) hatte die Föderalismuskommission zu prüfen. Dagegen scheiterte es am Widerstand 17 Abgedruckt bei Rudolf Hrbek, in: ders. / Eppler (Hrsg.), 2003: Deutschland vor der Föderalismusreform – Eine Dokumentation, 2003, Dokument 1, S. 26. 18 Abgedruckt bei Rudolf Hrbek, in: ders. / Eppler (Hrsg.), 2003: Deutschland vor der Föderalismusreform – Eine Dokumentation, 2003, Dokument 3, S. 36. 19 Abgedruckt bei Rudolf Hrbek, in: ders. / Eppler (Hrsg.), 2003: Deutschland vor der Föderalismusreform – Eine Dokumentation, 2003, Dokument 2, S. 32. 20 Vgl. Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006 – Konzeption, Kommentar, Kritik, 2008, S. 22 ff. 21 So die inhaltsgleichen Einsetzungsbeschlüsse von Bundestag (BT-Drs. 15 / 1685) und Bundesrat (BR-Drs. 750 / 03).
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der Länder, das Thema „Europatauglichkeit“ explizit in den Einsetzungsauftrag aufzunehmen. Und es wurde insbesondere ein weiteres Tabu aufgestellt: Eine Länderneugliederung stand nicht auf der Agenda der Föderalismuskommission. Die Frage einer Neugliederung des Bundesgebiets wurde ausdrücklich und a priori exkludiert. Man darf dies als Ausdruck von Realismus angesichts eines übergreifend fehlenden politischen Willens zu einer Länderneugliede rung ansehen; andererseits ließe sich die Gegenposition formulieren, dass die Ausklammerung dieser zentralen Reformfrage eine Föderalismusreform verhindert hat, die diesen Namen wirklich verdient hat. Ist die Latte also von Anfang an zu tief gelegt worden? Das Grundgesetz gibt den derzeit vorhandenen sechzehn Bundesländern keine Existenzgarantie.22 Es hat Länder im Blick, die „nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können“ (Art. 29 Abs. 1 Satz 1 GG). Das trifft für eine ganze Reihe von Bundesländern nicht (bzw. nicht mehr) zu. Die sechzehn Bundesländer sind hinsichtlich ihrer Gebietsgröße, ihrer Einwohnerzahl, ihrer Wirtschaftskraft und ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit in höchstem Maße inhomogen. Bildlich gesprochen: Neben schmucken Villen, gepflegten Reihenhäusern und sanierten Plattenbauten befindet sich in ihrem Kreis auch eine nicht geringe Zahl maroder Schuldenbaracken. Es hat eine gewisse Sachlogik für sich, dass eine Neugliederung des Bundesgebiets mit dem Ziel deutlich weniger, aber dafür vergleichbar großer und leistungsfähiger Länder auch für eine Kompetenzentflechtung, sprich: Rückübertragung von Kompetenzen vom Bund auf die Länder, günstigere Bedingungen bieten würde, als dies bei der gegenwärtigen Länderstruktur der Fall ist.23 Gleichwohl: Neben einem adäquaten verfassungsrechtlichen Rahmen24 setzt das Gelingen einer Neugliederung nicht nur eine kompetente Leitung und Organisation des Neugliederungsverfahrens, sondern auch die Einsicht der parteipolitischen Akteure wie der Bevölkerung in die Notwendigkeit der Neuordnung voraus. Daran fehlt es bis heute verbreitet noch. 22 Vgl. BVerfGE 13, 54 (74) – Hessische Neugliederung; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 29 Rn. 13. 23 So – im Vorfeld der Föderalismusreform 2006 – treffend Klaus Stern, Revitalisierung der deutschen bundesstaatlichen Ordnung im europäischen Kontext, Nds VBl. 2004, S. 321 (324). 24 Zur „Veruntauglichung“ der Neugliederungsbestimmung des Art. 29 GG qua Verfassungsänderung vgl. Susanne Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S. 34 ff., 54 ff., 92 ff.; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 29 Rn. 2 ff., 57 ff. m. w. N.
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Ungeachtet der Tabuisierung der Neugliederungsfrage und obwohl nach intensiven Beratungen während des Jahres 2004 über einen Großteil der wichtigsten Punkte innerhalb der Kommission Einigkeit herrschte, ist die Föderalismuskommission am 17. Dezember 2004 gescheitert.25 Sie scheiterte vordergründig am Streit über Kompetenzfragen der Bildungspolitik, letztlich aber wohl eher am damaligen allgemeinpolitischen Kräfteparallelogramm zwischen Regierung und Opposition im Bundestag auf der einen, sowie Bund und Ländern auf der anderen Seite.26 Ein wenig zugespitzt: Die jeweils eine Seite mochte zum damaligen Zeitpunkt der jeweils anderen Seite schlicht einen Reformerfolg nicht gönnen. Im Jahr 2005 geschah dann Überraschendes: Im Anschluss an die NRWLandtagswahl trat die damalige rot-grüne Bundesregierung die Flucht aus der Regierungsverantwortung an und führte über eine „auflösungsgerichtete Vertrauensfrage“27 (Art. 68 Abs. 1 GG) Neuwahlen herbei. Mittelbare Folge: Die bereits klinisch tote Föderalismusreform wurde nach der vorgezogenen Bundestagswahl 2005, in deren Anschluss es zur Bildung der zweiten großen Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik kam, erfolgreich reanimiert. In den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU / CSU und SPD wurde der in der Föderalismuskommission vorbereiteten Reform neues Leben eingehaucht. Die Koalitionäre entwickelten den Ehrgeiz, die Bundesstaatsreform als erstes gemeinsames Projekt der Großen Koalition zu ver wirklichen;28 der Koalitionsvertrag übernahm weitgehend die Ergebnisse der Föderalismuskommission.29 Der im März 2006 eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes wurde vom Deutschen Bundestag am 30. Juni 2006 als 52. Änderungsgesetz zum Grundgesetz mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit verabschiedet. Der Bundesrat stimmte am 7. Juli 2006 zu. Das Gesetz ist am 1. September 2006 in Kraft getreten. Soweit zu den historischen Abläufen.
25 Christian Starck, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 5 a. E. 26 Vgl. die Einschätzung von Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006 – Konzeption, Kommentar, Kritik, 2008, S. 34 f. 27 Dazu BVerfGE 114, 121 (152 ff.) – Vertrauensfrage II. 28 Vgl. Hans-Jörg Dietsche / Sven Hinterseh, Die Ergebnisse der Bundesstaatskommission als Basis für die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Große Koalition, in: Vogel / Hrbek / Fischer (Hrsg.), Halbzeitbilanz – Die Arbeits ergebnisse der deutschen Bundesstaatskommission im europäischen Vergleich, 2006, S. 12. 29 Ausführlich Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006 – Konzeption, Kommentar, Kritik, 2008, S. 37 ff.
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IV. Reformmotive und Reformziele im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern Leitthema der Föderalismusreform 2006 ist die Kompetenzentflechtung, ihr Grundmotiv ein spezifisch bundesstaatliches quid pro quo:30 Stärkung der Landeslegislativen durch Vermehrung der Landesgesetzgebungskompetenz gegen Verringerung des Einflusses des Bundesrates auf die Bundesgesetzgebung, konkret: gegen Reduktion der Fälle, in denen die Gesetzgebung des Bundes der Zustimmung des Bundesrates bedarf, also der sog. Zustimmungsgesetze. 1. Partielle Zurückdrängung des Verbundföderalismus Die partielle Zurückdrängung des Verbundföderalismus, des unitarischen und verflochtenen Bundesstaates durch Kompetenzentflechtung und klarere Verantwortungszuweisung galt bei den Reformbefürwortern aus verschiedenen Gründen als Gebot der Stunde: a) Erosion der Landeszuständigkeiten Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes habe im Wege von Verfassungsänderungen eine kontinuierliche Erosion vor allem der Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder stattgefunden.31 Zudem habe der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit meist abschließend Gebrauch gemacht. Die Europäisierung der nationalen Rechtsordnung habe die Gestaltungsspielräume des Landesgesetzgebers zusätzlich beschränkt, da praktisch alle Gegenstände der Landesgesetzgebung zunehmend unionsrechtlichen Überlagerungen ausgesetzt seien.32 Beide Thesen sind nicht ganz falsch, eignen sich aber nur bedingt für eine zuspitzende Pauschalisierung. Das Schwergewicht der Gesetzgebung lag nämlich schon 1949, zur Zeit des Erlasses des Grundgesetzes, nach Zahl und Gewicht der ihm zugewiesenen Sachbereiche beim Bund, nicht bei den Ländern.33 Die regelungstechnische Residualkompetenz der Länder nach 30 Christian
Starck, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 7. statt vieler Peter M. Huber, Klarere Verantwortungsteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen?, in: Verhandlungen des 65. DJT, Bd. 1, 2004, S. D 15 f. m. w. N. 32 Vgl. Peter M. Huber, Klarere Verantwortungsteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen?, in: Verhandlungen des 65. DJT, Bd. 1, 2004, S. D 16 m. w. N. 33 Vgl. etwa die Befundnahmen bei Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 5 m. w. N.; Markus Heintzen, in: 31 Vgl.
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Art. 70 Abs. 1 GG war schon im Ausgangspunkt substantiell eher eine Restkompetenz. Das Grundgesetz selbst hatte von Anfang an „die Regel des Art. 70 GG praktisch zur Ausnahme“ gemacht.34 Die unionsrechtlichen Überlagerungen schließlich (be-)treffen Bund wie Länder; die grundgesetzliche Kompetenzverteilung steht insgesamt unter dem Vorbehalt einer Übertragung von Normierungszuständigkeiten auf die Europäische Union (vgl. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 GG).35 b) Verbundföderalismus als Kompensation Gleichsam als Kompensation für die erlittenen Einbußen an Primärkompetenzen hätten sich die Länder im Laufe der Jahre immer weitergehende Mitwirkungsrechte bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes sowie in Angelegenheiten des Bundes verschafft.36 Erschwerend komme hinzu, dass das Wahlvolk dazu tendiere, seiner Kritik an der jeweils amtierenden Bundesregierung (und der sie tragenden Parlamentsmehrheit) durch ein zur Bundesebene gegenläufiges Stimmverhalten in den Ländern Ausdruck zu verleihen. Der Bundesrat habe sich dadurch von einem Organ zur Wahrnehmung spezifischer Länderinteressen zu einem Blockadeinstrument der Opposition auf Bundesebene gewandelt. c) Verbundföderalismus vs. Europäisierung Schließlich: Gerade die Europäisierung bereite dem deutschen Verbundföderalismus angesichts seiner Schwerfälligkeit und Entscheidungsschwäche zusätzliche Schwierigkeiten, insbesondere bei der Implementierung des Unionsrechts. Das Grundgesetz sei als Verfassung eines sich selbst genügenden Nationalstaats konzipiert.37 Letztere Annahme wurde und wird gern mit deskriptiven Topoi untermauert, die indes nur allzu leicht zu Sein-SolKahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 70 Rn. 3; Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders. / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 126 Rn. 200. 34 So frühzeitig schon Dietrich Katzenstein, Rechtliche Erscheinungsformen der Machtverschiebung zwischen Bund und Ländern seit 1949, DÖV 1958, S. 593 (594). 35 Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 Rn. 4 ff. m. w. N. 36 Peter M. Huber, Klarere Verantwortungsteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen?, in: Verhandlungen des 65. DJT, Bd. 1, 2004, S. D 17 f. m. w. N. 37 Peter M. Huber, Klarere Verantwortungsteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen?, in: Verhandlungen des 65. DJT, Bd. 1, 2004, S. D 31.
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len-Fehlschlüssen verleiten können: Europäische und nationale Verfassungen seien auf gegenseitige Ergänzung angelegte Teile eines „Mehr-Ebenen-Verfassungsverbundes“, in dem die einzelne Verfassung auf die Rolle einer Teilverfassung reduziert sei.38 Dem habe die Kompetenzordnung des Grundgesetzes Rechnung zu tragen. 2. Interessengegensätze zwischen Bund und Ländern Die im Rahmen des Reformprozesses konkret zu Tage getretenen Interessengegensätze zwischen Bund und Ländern im hier vor allem interessierenden Bereich der Gesetzgebungszuständigkeiten lassen sich vor diesem Hintergrund wie folgt beschreiben:39 Aus der Sicht der Länder hatte der Bund seine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit übermäßig ausgenutzt, die Rahmengesetzgebung im Laufe der Zeit zur Quasi-Vollgesetzgebung ausgebaut und in der Vergangenheit wiederholt mit Erfolg eine Übertragung von Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder auf den Bund durchgesetzt. Aus der Sicht des Bundes war akut zum einen die kompetenzielle Unmöglichkeit beklagenswert, ein Bundesumweltgesetzbuch schaffen zu können. Zum anderen reute den Bund mittlerweile die 1994 normierte Verschärfung der Bedingungen für die Ausübung der konkurrierenden Gesetzgebung durch den Bund in Art. 72 Abs. 2 GG (Ersetzung der früheren Bedürfnisklausel durch eine Erforderlichkeitsklausel). Nachdem das Bundesverfassungsgericht – beginnend mit dem Urteil zum Altenpflegegesetz im Jahr 200240 und durchaus im Einklang mit der Intention der Verfassungsänderung von 1994 (vgl. namentlich Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG) – die Erforderlichkeitsklausel „scharf gemacht“ hatte,41 galt für den Bund das Motto: „Das haben wir uns so nicht vorgestellt!“ Denn der Bund musste schmerzlich erkennen, dass eine ganze Reihe der im Katalog des Art. 74 GG enthaltenen Kompetenzmaterien 38 Vgl. statt vieler Peter M. Huber, Klarere Verantwortungsteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen?, in: Verhandlungen des 65. DJT, Bd. 1, 2004, S. D 32 m. w. N. 39 Vgl. Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006 – Konzeption, Kommentar, Kritik, 2008, S. 73 f. 40 Grundlegend BVerfGE 106, 62 (135 ff.) – Altenpflege. 41 Siehe sodann namentlich BVerfGE 110, 141 (175) – Kampfhunde; 111, 226 (253 ff.) – Juniorprofessor; 112, 226 (242 ff.) – Studiengebühren; 113, 167 (197 f.) – Risikostrukturausgleich; 114, 196 (222 f.) – Beitragssicherungsgesetz; 125, 141 (153 ff.) – Gewerbesteuer Mindesthebesatz; 126, 331 (357) – Miterben-Entschädigungsfonds; 126, 369 (389 f.) – Fremdrentengesetz; 128, 1 (34) – Gentechnikgesetz; vgl. auch Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 15 ff.
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unter den Bedingungen der Erforderlichkeitsklausel künftig entweder gar nicht mehr oder nur noch partiell genutzt werden konnte. 3. Kompromisslinien bei der Neujustierung der Gesetzgebungskompetenzen Von diesen hier nur grob skizzierten Ausgangspositionen her galt es, bei der Neujustierung der Gesetzgebungskompetenzen Kompromisslinien zu finden. a) Abschaffung der Rahmengesetzgebung Relativ rasch, nämlich schon in der Föderalismuskommission, konnte man sich auf eine Abschaffung der Rahmengesetzgebung verständigen. Der verfassungsändernde Gesetzgeber von 2006 hat daran festgehalten und sich zur vollständigen Abschaffung der Rahmengesetzgebung entschlossen,42 nachdem das auf Kooperation zwischen Bund und Ländern angelegte zweistufige Modell der Rahmengesetzgebung schon zuvor massiver rechtspolitischer Kritik ausgesetzt war: Dieses Rechtssetzungsmodell sei zu kompliziert, zu zeitraubend und vor allem – hinsichtlich der fristgerechten Umsetzung von EU-Richtlinien – nicht „europatauglich“.43 Im Bestreben, die Ebenen des Bundes und der Länder, auch im Verhältnis zur Europäischen Union, deutlicher in ihren Zuständigkeiten abzugrenzen, hat sich der verfassungsändernde Gesetzgeber diese Kritik ausdrücklich zu Eigen gemacht:44 Die Kategorie der Rahmengesetzgebung mit der Notwendigkeit von zwei nacheinander geschalteten Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene und in den Ländern habe sich insbesondere bei der Umsetzung europäischen Rechts als ineffektiv erwiesen und sich auch im Übrigen nicht bewährt. Die „Verteilung der Beute“, d. h. die Entscheidung, wohin die Materien der Rahmengesetzgebung wandern sollten, ist dagegen noch nicht in der Föderalismuskommission,45 sondern im Wesentlichen erst nach erfolgter Wiederbelebung der Föderalismusreform durch die große Koalition gefallen: 42 Vgl.
BT-Drs. 16 / 813, S. 8. nur Eckard Rehbinder / Rainer Wahl, Kompetenzprobleme bei der Umsetzung von europäischen Richtlinien, NVwZ 2002, S. 21 (23); Volker Haug, Die Föderalismusreform – Zum Ringen von Bund und Ländern um die Macht im Staat, DÖV 2004, S. 190 (193); Peter M. Huber, Klarere Verantwortungsteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen?, in: Verhandlungen des 65. DJT, Bd. 1, 2004, S. D 60 f. 44 BT-Drs. 16 / 813, S. 8. 45 Vgl. Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006 – Konzeption, Kommentar, Kritik, 2008, S. 159. 43 Vgl.
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In die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes sind das Melde- und Ausweiswesen (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GG a. F., nunmehr Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG) und – als eingangs exemplarisch angeführte „kompetenzielle Wanderdüne“ – der Schutz deutschen Kulturgutes gegen die Abwanderung ins Ausland (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 GG a. F., nunmehr Art. 73 Abs. 1 Nr. 5a GG) überführt worden. Durch die ersatzlose Streichung des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG a. F. („allgemeine Rechtsverhältnisse der Presse“) fällt das Presserecht nunmehr uneingeschränkt in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Die übrigen Materien der bisherigen Rahmengesetzgebung sind – bei teilweiser Umformulierung und Änderung des Zuschnitts – in die konkurrierende Gesetzgebung (Art. 72 GG) überführt worden,46 die zugleich eine Ausdifferenzierung in die Varianten der Vorrang-, Erforderlichkeits- und Abweichungsgesetzgebung erfahren hat. Eine Vorranggesetzgebung des Bundes besteht nach Art. 72 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG für die Regelung der Statusrechte und -pflichten der Beamten und Richter auf Landesebene (vgl. zuvor Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GG a. F., Art. 98 Abs. 3 Satz 2 GG a. F.). Der Abweichungsgesetzgebung (Art. 72 Abs. 3 i. V. m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 28 bis 33) unterfallen das Jagdwesen (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GG a. F., nunmehr Art. 74 Abs. 1 Nr. 28 GG), Naturschutz und Landschaftspflege (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GG a. F., nunmehr Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG), Bodenverteilung, Raumordnung und Wasserhaushalt (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GG a. F., nunmehr Art. 74 Abs. 1 Nr. 30 bis 32 GG) sowie Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse (zuvor Teilbereiche des Hochschulwesens i. S. v. Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG a. F., nunmehr Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG). b) Innovationen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung Damit sind bereits die beiden zentralen Innovationen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung benannt – die neuen Kategorien einer für den Bund voraussetzungslosen konkurrierenden Gesetzgebung (kurz: Vorranggesetzgebung) und der Abweichungsgesetzgebung. aa) Vorranggesetzgebung Die vor der Reform für sämtliche Kompetenztitel der konkurrierenden Gesetzgebung geltende Beschränkung durch Art. 72 Abs. 2 GG ist im Zuge 46 Eingehend Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 38 ff.
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der Reform auf nur noch zehn Kompetenznummern des Art. 74 Abs. 1 GG beschränkt worden. Die übrigen Nummern des Kompetenzkataloges können vom Bund nunmehr voraussetzungslos in Anspruch genommen werden. Zwar hatte man sich schon in der Föderalismuskommission darauf verständigt, dass für bestimmte Bereiche die Erforderlichkeitsklausel nicht mehr gelten sollte. Seine gegenwärtige Fassung verdankt Art. 72 Abs. 2 GG allerdings erst der Koalitionsarbeitsgruppe.47 Die Neufassung ist ersichtlich eine Reaktion – manche sprechen auch von einer „Notwehrreaktion“48 – auf die 1994 erfolgte Schärfung des Art. 72 Abs. 2 GG. Vor allem die – zuvor verschiedentlich angemahnte49 – Aktivierung der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht ab 200250 hat den verfassungsändernden Gesetzgeber der Föderalismusreform 2006 dazu veranlasst, das Anwendungsfeld der Erforderlichkeitsklausel erheblich zurückzuschneiden (Beschränkung auf die in Art. 72 Abs. 2 GG n. F. enumerativ genannten Kompetenztitel).51 Zur Erinnerung: Die Erforderlichkeitsklausel des 1994 neu gefassten Art. 72 Abs. 2 GG sollte – ganz anders als die vormalige kaum justiziable „Bedürfnisklausel“52 – die Inanspruchnahme der – zu dieser Zeit noch ein47 Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006 – Konzeption, Kommentar, Kritik, 2008, S. 161 spricht kritisch von „Geheimverhandlungen“. 48 Vgl. Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006 – Konzeption, Kommentar, Kritik, 2008, S. 161 („Notwehrlage“) sowie dessen scharfe Kritik an der Grundgesetz-Novelle von 1994 sowie an der darauf fußenden Rechtsprechung des BVerfG, a. a. O., S. 79 ff. 49 Vgl. etwa Josef Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, in: Ba dura / Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, 2001, S. 729 (744 f.). 50 Grundlegend BVerfGE 106, 62 (135 ff.) – Altenpflege; daran anknüpfend BVerfGE 110, 141 (175) – Kampfhunde; 111, 10 (28 f.) – Ladenschluss; 111, 226 (253 ff.) – Juniorprofessor; 112, 226 (242 ff.) – Studiengebühren; 113, 167 (197 f.) – Risikostrukturausgleich; 114, 196 (222 f.) – Beitragssicherungsgesetz; 119, 59 (82 f.) – Hufbeschlaggesetz; 122, 1 (21 f.) – Agrarmarktbeihilfe; 125, 141 (153 ff.) – Gewerbesteuer Mindesthebesatz; 126, 331 (357) – Miterben-Entschädigungsfonds; 126, 369 (389 f.) – Fremdrentengesetz; 128, 1 (34) – Gentechnikgesetz; vgl. dazu auch Wolfgang Rüfner, in: Depenheuer / Heintzen / Jestaedt (Hrsg.), Staat im Wort. Festschrift für Josef Isensee, 2007, S. 389 ff.; Otto Depenheuer, Verfassungsgerichtliche Föderalismusreform, ZG 2005, S. 83 (83 ff.). 51 Dazu Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 21 ff.; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 70 Rn. 7, 61, Art. 72 Rn. 30 ff. 52 Vgl. zur früheren „Bedürfnisklausel“ noch BVerfGE 2, 213 (224 f.) – Straffreiheitsgesetz; 4, 115 (127 f.) – Nordrhein-Westfälisches Besoldungsgesetz; 10, 234 (245 f.) – Platow-Amnestie; 13, 230 (233 f.) – Ladenschlussgesetz; 33, 224 (229) – Nordrhein-Westfälische Bauordnung; 34, 9 (39) – Hessisches Besoldungsanpas-
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heitlichen – konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz sowie der Rahmengesetzgebungskompetenz (Art. 75 GG a. F.) des Bundes wirksam einschränken. Mit der Präzisierung und Verschärfung der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG sollte einer „Auszehrung der Länderkompetenzen“, einem „Verlust originärer Gesetzgebungskompetenzen der Länder“ entgegengewirkt werden.53 Dieses Ziel des verfassungsändernden Gesetzgebers ist zunächst erreicht worden: In einer Reihe von abstrakten Normenkontrollverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht die Justiziabilität der Erforderlichkeitsklausel bestätigt, die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG restriktiv bestimmt und einen Beurteilungsspielraum des Bundesgesetzgebers abgelehnt;54 lediglich ein begrenzter Prognosespielraum steht dem Bundesgesetzgeber noch zu.55 Die starke Beschneidung des Anwendungsbereichs des Art. 72 Abs. 2 GG als Ergebnis der Föderalismusreform 2006 bedeutet gegenüber der Grundgesetz-Novelle von 1994 nicht nur einen Paradigmenwechsel, sondern – jedenfalls aus der Länderperspektive – allemal auch einen signifikanten Rückschritt.56 Diese Innovation begünstigt eindeutig und massiv den Bund.
sungsgesetz; 65, 1 (63) – Volkszählung; 67, 299 (327) – Laternengarage; 78, 249 (270) – Fehlbelegungsabgabe. 53 BT-Drs. 12 / 6000, S. 32 f. 54 Grundlegend BVerfGE 106, 62 (135 ff.) – Altenpflege; siehe sodann BVerfGE 110, 141 (175) – Kampfhunde; 111, 226 (253 ff.) – Juniorprofessor; 112, 226 (242 ff.) – Studiengebühren; 113, 167 (197 f) – Risikostrukturausgleich; 114, 196 (222 f.) – Beitragssicherungsgesetz; 125, 141 (153 ff.) – Gewerbesteuer Mindesthebesatz; 126, 331 (357) – Miterben-Entschädigungsfonds; 126, 369 (389 f.) – Fremdrentengesetz; 128, 1 (34) – Gentechnikgesetz. 55 Vgl. BVerfGE 106, 62 (152 f.) – Altenpflege; 111, 226 (255) – Juniorprofessor; 125, 141 (154) – Gewerbesteuer Mindesthebesatz; 128, 1 (34) – Gentechnikgesetz; Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 23 m. w. N. 56 Kritisch dementsprechend etwa Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 70 Rn. 7, Art. 72 Rn. 31 f.; Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders. / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 126 Rn. 200; Hans-Peter Schneider, Die Berliner Republik. Ein Bundesstaat ohne Föderalisten?, in: Herdegen / Klein / Papier / Scholz (Hrsg.), Staatsrecht und Politik. Festschrift für Roman Herzog zum 75. Geburtstag, 2009, S. 460 f.; Hans-Jürgen Papier, Aktuelle Fragen der bundesstaatlichen Ordnung, NJW 2007, S. 2145 (2146); Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1210); Ulrich Häde, Zur Föderalismusreform in Deutschland, JZ 2006, S. 930 (932); ders., Entflechtung und Verflechtung – Eine Zwischenbilanz der ersten Stufe der Föderalismusreform, ZG 2009, S. 1 (16); Michael Nierhaus / Sonja Rademacher, Die große Staatsreform als Ausweg aus der Föderalismusfalle?, LKV 2006, S. 385 (391 f.).
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bb) Abweichungsgesetzgebung Die ebenfalls eingeführte Abweichungsgesetzgebung (Art. 72 Abs. 3 GG; siehe ferner auch Art. 84 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 GG) ist die wohl umstrittenste Innovation der Föderalismusreform 2006. Sie ist im Grundgesetz ohne Vorbild; ihre Etablierung war der politische Preis, der vom Bund für die Überführung der Gegenstände der entfallenen Rahmengesetzgebung (vgl. Art. 75 GG a. F.) in den Bereich der ausschließlichen Bundesgesetzgebung (vgl. Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 [Melde- und Ausweiswesen] und Nr. 5a GG) bzw. der konkurrierenden Gesetzgebung (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 bis 33 GG) zu zahlen war,57 nachdem länderseitig schon ganz zu Beginn der Beratungen in der Föderalismuskommission ein allgemeineres „Zugriffsrecht“ der Länder auf bundesgesetzliche Regelungen gefordert worden war.58 Insofern liegt der gefundene Kompromiss in der Beschränkung des Abweichungsrechts auf ehemalige Materien der Rahmengesetzgebung, bei denen die Länder auch zuvor, wenn und soweit sich der Bund an den Rahmencharakter seiner Gesetzgebung gehalten hatte, über eigene Gestaltungsmöglichkeiten verfügten. Freilich: In den von der Abweichungsgesetzgebung erfassten Bereichen (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 6 GG – mit Ausnahme der dort genannten „abweichungsfesten Kerne“) besteht anders als zuvor eine parallele Vollkompetenz von Bund und Ländern, bei der – in Durchbrechung der Kollisionsnorm des Art. 31 GG – nach der lex-posterior-Regel das jeweils zeitlich letzte Gesetz Anwendungsvorrang genießt (Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG).59 Dies konterkariert nicht nur den Ordnungsanspruch des grundgesetzlichen Kompetenzregimes und setzt einen ausgesprochenen Kontrapunkt zum Leitmotiv der Kompetenzentflechtung, d. h. der eigentlich angestrebten Entflechtung der Gesetzgebungsbefugnisse. Um einer unübersichtlichen Rechtszersplitterung entgegen zu wirken, wurde in der Föderalismuskommission gefordert, dass die Länder bei erfolgtem „Zugriff“ das betreffende Bundes57 Vgl. Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 27; Entflechtung und Verflechtung – Eine Zwischenbilanz der ersten Stufe der Föderalismusreform, ZG 2009, S. 1 (5); Peter Selmer, Folgen der neuen Abweichungsgesetzgebung der Länder – Abschied vom Leitbild „gleichwertiger Lebensverhältnisse“?, ZG 2009, S. 33 (35). 58 Vgl. Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006 – Konzeption, Kommentar, Kritik, 2008, S. 164. 59 Vgl. nur Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 29, 32; Hans-Jürgen Papier, Aktuelle Fragen der bundesstaatlichen Ordnung, NJW 2007, S. 2145 (2147).
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gesetz vollständig durch ein Landesgesetz ersetzen müssten.60 Diese Ansicht konnte sich – wie Art. 72 Abs. 3 GG zeigt – nicht durchsetzen. Bei nur genügender legislatorischer Unvernunft droht die durch Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG ermöglichte „Ping-Pong“- und – bei nur teilweisem Abweichen – „Patchwork“-Gesetzgebung in eine rechtsstaatlich bedenkliche Rechtsunsicherheit zu münden.61 Der intendierte „regulatorische Wettbewerb“ zwischen Bund und Ländern wird nicht zuletzt auf Kosten von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit geführt.62 Der alte römisch-rechtliche Grundsatz des „ius est vigilantibus“ erhält in den Bereichen der Abwei60 Hans-Jörg Dietsche / Sven Hinterseh, Die Ergebnisse der Bundesstaatskommission als Basis für die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Große Koalition, in: Vogel / Hrbek / Fischer (Hrsg.), Halbzeitbilanz – Die Arbeitsergebnisse der deutschen Bundesstaatskommission im europäischen Vergleich, 2006, S. 16. 61 Die Abweichungsgesetzgebung wird daher überwiegend kritisch betrachtet; vgl. etwa Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1213); Michael Nierhaus / Sonja Rademacher, Die große Staatsreform als Ausweg aus der Föderalismusfalle?, LKV 2006, S. 385 (389 f.); Peter Selmer, Die Föderalismusreform – Eine Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung?, JuS 2006, S. 1052 (1056); ders., Folgen der neuen Abweichungsgesetzgebung der Länder – Abschied vom Leitbild „gleichwertiger Lebensverhältnisse“?, ZG 2009, S. 33 (36 f., 43 f.); Hans-Jürgen Papier, Aktuelle Fragen der bundesstaatlichen Ordnung, NJW 2007, S. 2145 (2147 f.); Rüdiger Breuer, Bundesstaatliche Kompetenzordnung im europäischen Staatenverbund, in: Grote / Härtel / Hain / Schmidt / Schmitz / Schuppert / Winterhoff (Hrsg.), Die Ordnung der Freiheit. Festschrift für Christian Starck zum 70. Geburtstag, 2007, S. 165 (179 f.); Arnd Uhle, in Kluth (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 Rn. 53; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 72 Rn. 51 ff.; pointiert Hans-Peter Schneider, Die Berliner Republik. Ein Bundesstaat ohne Föderalisten?, in: Herdegen / Klein / Papier / Scholz (Hrsg.), Staatsrecht und Politik. Festschrift für Roman Herzog zum 75. Geburtstag, 2009, S. 451 (460): „fragwürdige Konstruktion, die sich wohl nur Politiker einfallen lassen können, denen auch ein schlechter Kompromiss willkommener ist als gar keiner“; anders dagegen etwa Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 32: „Vereinfachung“ und „Gewinn an Transparenz“; Claudio Franzius, Die Abweichungsgesetzgebung, NVwZ 2008, S. 492 (499): „lernender Föderalismus“; Ulrich Häde, Entflechtung und Verflechtung – Eine Zwischenbilanz der ersten Stufe der Föderalismusreform, ZG 2009, S. 1 (6): „innovative Lösung“. 62 Hans-Jürgen Papier, Aktuelle Fragen der bundesstaatlichen Ordnung, NJW 2007, S. 2145 (2147 f.); vgl. ferner Rüdiger Breuer, Bundesstaatliche Kompetenzordnung im europäischen Staatenverbund, in: Grote / Härtel / Hain / Schmidt / Schmitz / Schuppert / Winterhoff (Hrsg.), Die Ordnung der Freiheit. Festschrift für Christian Starck zum 70. Geburtstag, 2007, S. 165 (180 f.) – auch zur zweifelhaften „Europatauglichkeit“ der Abweichungsgesetzgebung. Zu praktischem Anschauungsmaterial auf dem Gebiet des Wasserrechts siehe Peter Kothe, Ping-Pong oder „Wasserspiele“ zwischen Bund und Land – Bemerkungen zur Abweichungsgesetzgebung am Beispiel des Gewässerrandstreifens, VBlBW 2012, S. 58 (58 ff.).
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chungsgesetzgebung eine ganz eigene Aktualität.63 Die Abweichungsgesetzgebung birgt mithin erhebliches Konfliktpotenzial. Mehr noch: Eine Kompetenzordnung, die solches zulässt, gibt ihre eigene Ordnungsfunktion zumindest in Teilen preis.64 Will man der Abweichungsgesetzgebung etwas Positives abgewinnen, so ließe sich nach einigem Nachdenken anführen, dass ihr ein verklausuliertes Anerkenntnis der Inhomogenität der Länder, ihrer höchst unterschiedlichen Kapazität zur Gesetzgebung, immanent ist: Die potenten Bundesländer sind in der Lage, sich ihre Haute Couture zurecht zu schneidern, während die weniger potenten sich mit dem bundesrechtlichen Prêt-à-porter begnügen müssen. V. Fazit und Ausblick Nicht nur in puncto Kompetenzentflechtung, sondern auch in puncto Stärkung der Landesgesetzgebungszuständigkeit stellt sich ein differenziertes Bild ein: Zwar haben die Länder die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für eine Reihe von Materien gewonnen, die zuvor der konkurrierenden Gesetzgebung unterfielen (u. a. Strafvollzug, Versammlungsrecht, Ladenschlussrecht, Gaststättenrecht, Heimrecht, Besoldung und Versorgung der Landesbeamten).65 Im Bereich der Abweichungsgesetzgebung verfügen sie darüber hinaus – außerhalb der abweichungsfesten Kerne – über eine parallele Vollkompetenz im Verhältnis zum Bund. Diesem unbestreitbaren Terraingewinn stehen allerdings nicht unerhebliche Einbußen in Gestalt einer Erweiterung sowohl der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes (Art. 73 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 5a, Nr. 9a, Nr. 12, Nr. 13 und Nr. 14 GG)66 als auch konkurrierender Gesetzgebungsbefugnisse (u. a. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19, Nr. 20 und Nr. 24 GG) sowie der erfolgte massive Abbau der Erforderlichkeitsprüfung (Art. 72 Abs. 2 GG) gegenüber. Insgesamt ist gegenüber der Reform von 1994 ein höchst bemerkenswerter Paradigmenwechsel zu verzeichnen: Die damalige Einschränkung der Bundesgesetzgebungskompetenz nach der Intensität ihrer Ausübung (vgl. Art. 72 Abs. 2 GG a. F., Art. 75 63 Vgl. Bernd Becker, Das Recht der Länder zur Abweichungsgesetzgebung (Art. 72 Abs. 3 GG) und das neue WHG und BNatSchG, DVBl 2010, S. 754 (758). 64 Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 Rn. 3. 65 Vgl. auch Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 62; Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 17 ff. 66 Vgl. auch Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 63.
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Jochen Rozek
Abs. 2 GG a. F.) ist just, als sie sich signifikant für die Länder auszuwirken begann, zugunsten eines Modells abgeschwächt bzw. abgelöst worden, das – neben ausschließlichen Zuständigkeitszuweisungen (Stichwort: Kompetenz entflechtung) – mit der Abweichungsgesetzgebung erstmals auf eine parallele Gesetzgebungszuständigkeit von Bund und Ländern setzt. Die Föderalismusreform 2006 ist mitunter die „Mutter aller Reformen“ genannt worden. Sie ist – gemessen an der Zahl der geänderten Grundgesetzbestimmungen – fraglos die umfangreichste Verfassungsänderung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Ob sie auch den Titel der bedeutendsten Verfassungsänderung in der bundesdeutschen Geschichte für sich reklamieren darf, wird sich – im Lichte weiterer Erfahrungen mit den Früchten dieser Reform in der Verfassungspraxis – erst noch erweisen müssen.
Auswirkungen der Europäisierung der Rechtsetzung auf die nationalen Gesetzgebungskompetenzen Von Rupert Stettner I. Ein kompetenzieller Riese erwacht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Der Grenzbereich zwischen EU-Kompetenzen und mitgliedstaatlichem Zuständigkeitsbereich – eine konfliktbeladene Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. EU-Kompetenzkategorisierung durch den Vertrag von Lissabon. . . . . . . 32 2. Disparität der kompetenziellen Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3. Verdeckung von Kompetenzverlusten durch legale Verfassungstextdurchbrechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4. Einzelprobleme im Grenzbereich der unionalen und grundgesetzlichen Kompetenzsituation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
I. Ein kompetenzieller Riese erwacht Kompetenz ist nicht nur eine staatliche Grundkategorie, sie ist auch ein Zentralbegriff des Rechts der Europäischen Union (im folgenden EU). Nach Nettesheim1 sind die Kompetenzlehren des EU-Rechts „der Königsweg zu einem adäquaten Verständnis der europäischen Integration. Mit keiner anderen Kategorie lassen sich Gestalt und Wirken der EU besser erfassen als mit jener der EU-Kompetenz. In den Kompetenzen der EU drücken sich ihr Sein und ihr Auftrag, ihr Antrieb und ihre Finalität aus.“ Trotzdem ist die Beschäftigung mit den Kompetenzen der EU eher eine Erscheinung der neueren Zeit. Der Grund hierfür ist wohl darin zu sehen, dass in Zeiten, in denen im Rat der seinerzeitigen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bzw. der Europäischen Gemeinschaft das Einstimmigkeitsprinzip herrschte, Streitigkeiten über die Kompetenz der supranationalen Organisation zum Erlass eines Rechtsakts kaum aufbrechen konnten, brachte doch schon das Veto eines Mitgliedstaats einen geplanten Beschluss im Rat zum Fall. Erst als man 1987 im Rahmen der Einheitlichen Europäischen Akte zum Mehrheitsprinzip überging, konnte ein Feld von Konflikten eröffnet werden, die sich schnell steigerten und gerade im Zusam1 Martin Nettesheim, in: von Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht. Theoretische und dogmatische Grundzüge, 2. Aufl. 2009, S. 389.
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menhang mit dem Vorhaben eines europäischen Verfassungsvertrags den Wunsch entstehen ließen, die Verteilung der Zuständigkeit zwischen Union und Mitgliedstaaten zu verbessern.2 Ein großes Erwachen vor allem der Länder der Bundesrepublik Deutschland über die Kompetenzfülle der EU setzte im Jahre 1989 mit dem Erlass der Fernsehrichtlinie ein,3 die 1997 umfassend überarbeitet4 und im Dezember 2007 zur Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste weiter entwickelt wurde5. In der Fernsehrichtlinie waren Vorschriften über das grenzüberschreitende Fernsehen (Sendestaatsprinzip und Grundsatz der freien Weiterverbreitung), eine Quotenregelung zu europäischen Werken, eine Listenregelung für Großereignisse, Vorschriften über den Jugendschutz sowie Bestimmungen über Werbung und Sponsoring enthalten. Die Länder, die den Rundfunk ausschließlich als kulturelles Phänomen betrachteten, sahen im Erlass der Fernsehrichtlinie einen massiven Eingriff in ihre Kulturfreiheit, während die Kommission Rundfunk zumindest auch als wirtschaftliche Erscheinung betrachtete und die Richtlinie auf die Kompetenz der Gemeinschaft zur Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs stützte.6 2 Europäischer Rat, Erklärung von Laeken zur Zukunft der Europäischen Union, Anlage I zu den Schlussfolgerungen des Vorsitzes vom 14. / 15. Dezember 2001, Bulletin EU 12 / 2001 I S. 27. Siehe dazu auch Peter-Christian Müller-Graff, in: Weidenfeld (Hrsg.), Europa-Handbuch. Die Europäische Union – Politisches System und Politikbereiche, Bd. 1, 2006, S. 161; Beate Braams, in: Pernice (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon: Reform der EU ohne Verfassung?, 2008, S. 115. Die Art. 2 bis 6 AEUV werden in Rechtsprechung und Literatur als Fortschritt in Transparenz und Klarheit der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten eingeschätzt; siehe dazu BVerfGE 123, 267 (382) – Lissabon-Vertrag; vgl. dazu auch die Denkschrift der Bundesregierung, BT-Drs. 50 / 4900, S. 257, wonach mit der Einführung der Kompetenzkategorien ein wesentlicher Auftrag der Erklärungen von Nizza und Laeken zur Zukunft der Europäischen Union erfüllt worden sei. 3 Richtlinie 89 / 552 / EWG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (ABl. EG L 298 vom 17.10.1989, S. 23 ff.); zur Entstehungsgeschichte siehe Reinhard Hartstein / Wolf-Dieter Ring / Johannes Kreile / Dieter Dörr / Rupert Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, 2. Aufl. 1995, S. 250 Rn. 61 ff. 4 Richtlinie 97 / 36 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 zur Änderung der Richtlinie 89 / 552 / EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl. EG L 202 vom 30.7.1997, S. 60 ff.). 5 Neukodifikation der Richtlinie aus Anlass des Inkrafttretens des Lissaboner Vertrages, Richtlinie 2010 / 13 / EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (ABl. L 95 vom 15.4.2010, S. 1 ff.). 6 Siehe hierzu EuGH, Slg. 1988, 2085 – Bond van Adverterders . / . Niederlande.
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In Opposition zum Vorgehen der europäischen Organe versuchten die Länder zur Deckung des nicht zu bestreitenden Bedarfs an grenzüberschreitenden Regelungen für den Rundfunk das „Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen“7 vom 5. Mai 1989 in den Vordergrund zu schieben. Es wurde im Rahmen des Europarats abgeschlossen, hatte also eine völkerrechtliche Basis, stimmte aber textuell in weiten Teilen mit der Fernsehrichtlinie überein. Die Länder mussten aber erleben, dass die Fernsehrichtlinie sehr bald im innerstaatlichen Bereich der Bundesrepublik Deutschland als wirksam angesehen wurde und damit die Europaratskonvention, die sich selbst gemäß ihrem Art. 27 Subsidiarität nach der Fernsehrichtlinie zumisst, praktisch verdrängte, nicht zuletzt, weil die Bundesregierung der Richtlinie im Rat zugestimmt und ihr damit innerstaatliche Geltung verschafft hatte. (Wir befinden uns noch in den Zeiten der Geltung von Art. 24 GG als Integrationshebel). Zwar wurde seitens der Länder unter Führung des Freistaates Bayern ein Bund-Länder-Streit vor dem Bundesverfassungsgericht angestrengt.8 Das Gericht stellte dabei die Verantwortlichkeit der Bundesregierung als Sachwalterin der Länderrechte im Rat fest und konstatierte weiterhin, dass die Art, in der der Bund die Mitgliedschaftsrechte der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere im Zusammenhang mit der Quotenregelung in Kapitel III der Fernsehrichtlinie, wahrgenommen hatte, den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens verletzt hatte.9 Der Geltung der Fernsehrichtlinie tat dies jedoch keinen Abbruch; die wohl fast einhellige Rechtsmeinung in der Bundesrepublik Deutschland geht inzwischen dahin, dass Rundfunk nicht nur ein kulturelles, sondern auch ein ökonomisches Phänomen ist, für das eine Regelungskompetenz der EU besteht. Das seinerzeitige Entsetzen, dass nicht einmal der Kulturbereich als „Hausgut der Länder“ vor dem Zugriff der EU sicher ist, hat sich inzwischen gelegt, nicht aber die allgemeine Unsicherheit, wie weit die Rechtsetzungskompetenzen der Union reichen und welche Auswirkungen die Europäisierung der Rechtsetzung für die nationalen Gesetzgebungskompetenzen der Bundesrepublik Deutschland (des Bundes und der Länder) hat. Dem soll im Weiteren nachgegangen werden.
7 Vgl. dazu Europäisches Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 5. Mai 1989 (BGBl. 1994 II S. 639 ff.); vgl. dazu Reinhard Hartstein / Wolf-Dieter Ring / Johannes Kreile / Dieter Dörr / Rupert Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, 2. Aufl. 1995, S. 250 Rn. 87 ff. 8 Siehe dazu BVerfGE 92, 203 (210 ff.) – EWG-Fernsehrichtlinie. 9 BVerfGE 92, 203 (230) – EWG-Fernsehrichtlinie.
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II. Der Grenzbereich zwischen EU-Kompetenzen und mitgliedstaatlichem Zuständigkeitsbereich – eine konfliktbeladene Zone 1. EU-Kompetenzkategorisierung durch den Vertrag von Lissabon Die EU ist Rechtsgemeinschaft und durchgängig vom Mittel des Rechts strukturiert. Jede ihrer Handlungen muss sich auf eine gültige rechtliche Grundlage zurückführen lassen, so dass Kompetenz, wie bereits erwähnt, eine zentrale Grundkategorie unionaler Aktivität ist. Dies gilt umso mehr, als bekanntlich das Prinzip der begrenzten Ermächtigung (vgl. dazu Art. 1 Abs. 1, Art. 7 AEUV, Art. 5 Abs. 1 und 2 EUV) ein Ausgreifen der Union auf ihr nicht übertragene Aufgabenfelder ausschließt. Das Fehlen der Kompetenz-Kompetenz macht es für die EU besonders wichtig, ihr Handeln auf ausreichende rechtliche Grundlagen zurückführen zu können, um der Gefahr von Willkür oder Gewalt zu entgehen und legale und legitime Hoheitsmacht zu üben.10 Der Vertrag von Lissabon, in den die entsprechenden Vorschriften des nicht in Kraft getretenen Europäischen Verfassungsvertrags übernommen wurden, ist vom Bestreben gekennzeichnet, in die Kompetenzen der EU, gerade auch im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten, Klarheit und Übersichtlichkeit zu bringen. Dem dienen die Art. 2 bis 6 AEUV, die sich um eine Kategorisierung der Kompetenzbereiche der Union bemühen, und, dabei in gewisser Weise dem Vorbild des Grundgesetzes folgend, ausschließliche Zuständigkeiten der Union, mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeiten und Befugnisse zur Unterstützung, Koordinierung und Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten unterscheiden. Weitere Untergliederungen, die vornehmlich die Wissenschaft bildet, mögen einmal beiseite gelassen werden.11 Wie in Art. 30, 70 GG für die Verteilung der Gesetzgebungszustän10 Die Wahl der richtigen Rechtsgrundlage für sekundäre Rechtsetzungsakte der Union ist Voraussetzung für den Fortbestand des betreffenden Rechtsakts, auch wenn der EuGH kompetenzwidriges Unionsrecht bis zu einer Nichtigerklärung im Verfahren nach Art. 263, 267, 275 AEUV in Kraft lässt; siehe dazu auch Edgar Lensky, in: Lenz / Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge. Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 2 AEUV Rn. 50; weiterhin Martin Nettesheim, in: von Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht. Theoretische und dogmatische Grundzüge, 2. Aufl. 2009, S. 408 f. 11 So begegnet gelegentlich auch die Kategorie der „parallelen Zuständigkeiten“; siehe dazu etwa BVerfGE 123, 267 (382) – Lissabon-Vertrag; vgl. auch Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 70 Rn. 16; Michael Moestl, EU: Kompetenzabgrenzung zwischen Gemeinschafts- und Unionspolitiken, 2004, S. 70 ff.; Christoph Vedder, in: ders. /
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digkeiten zwischen Bund und Ländern vorgesehen, existiert auch eine Art von „Residual“-kompetenz der Mitgliedstaaten (mag dies diesen auch noch gar nicht bewusst sein, weil sie sich noch im Besitz von plein pouvoir fühlen), bei denen alle der Union nicht durch die Verträge übertragenen Zuständigkeiten verbleiben (vgl. Art. 4 Abs. 1 EUV).12 Damit ist die Parallelisierung von unionaler und grundgesetzlicher Kompetenzsystematik aber auch schon zu Ende. Welche Materien im Einzelnen nach dem Grundsatz des Art. 4 Abs. 1 EUV im Verhältnis zur Union der ausschließlichen Kompetenz von Bund und Ländern verblieben sind, bei welchen sie sich die Regelungsbefugnis mit der Union teilen und welche Materien in die ausschließliche Gesetzgebung der Union abgewandert sind, ist trotz Schaffung der Art. 2 bis 6 AEUV aus diesen Vorschriften nicht zu ermitteln. Diese Artikel bilden nur Kompetenzkategorien, an die allerdings bestimmte Rechtsfolgen geknüpft werden (so etwa das Verbot mitgliedsstaatlicher Normierung auf den Gebieten der ausschließlichen Unionskompetenz, verbunden mit der Unanwendbarkeit von Subsidiaritäts- und Verhält nismäßigkeitsgrundsatz).13 Die Einzelkompetenzen, die unter die genannten Artikel zu subsumieren sind, müssen von den Rechtsanwendern aus über 350 Artikeln des Vertragswerkes ermittelt und richtig zugeordnet werden (dies besagt auch Art. 2 Abs. 6 AEUV). Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 2012, Art. 2 AEUV Rn. 18; weiterhin Markus Kotzur, in: Geiger / Khan / ders. (Hrsg.), EUV / AEUV. Vertrag über die Europäische Union und Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, 5. Aufl. 2010, Art. 2 AEUV Rn. 6. Darunter werden Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungskompetenzen entsprechend Art. 2 Abs. 5, Art. 6 AEUV verstanden, bei denen die Regelungskompetenz grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten liegt und die Union nur akzessorisch die europäischen Zielsetzungen verwirklicht. Der AEUV verwendet diese Begriffsbildung nicht mehr. Sie soll zum Ausdruck bringen, dass nach Art. 2 Abs. 5 AEUV die Zuständigkeit der Union für die einschlägigen Bereiche nicht an die Stelle der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten tritt. Den Begriff „parallele Gesetzgebungskompetenzen“ führt nunmehr Marcus Hahn-Lorber in seiner gleichnamigen Schrift, Parallele Gesetzgebungskompetenzen. Nichthierarchische Kompetenzverteilung im deutsch-schottischen Verfassungsvergleich, 2012, für die von der Föderalismusreform 2006 geschaffenen Zugriffskompetenzen der Länder nach Art. 72 Abs. 3 GG und Art. 84 Abs. 1 Satz 2 bis 4 GG ein, eine Begriffsbildung, die für das deutsche Verfassungsrecht inzwischen geeigneter erscheint als die Fortführung der im Grunde durch Art. 2 bis 6 AEUV überholten gleichartigen europäischen Terminologie. 12 Es handelt sich ausschließlich um Rechtsetzungskompetenzen; für die Ausführung des EU-Rechts sind grundsätzlich die Mitgliedstaaten zuständig (vgl. hierzu Art. 197, 291 AEUV), soweit nicht auf einigen wenigen Politikbereichen die EU selbst die Ausführung (durch die Kommission als Verwaltungsbehörde) übernimmt. 13 Zu den Folgen einer ausschließlichen Rechtsetzungszuständigkeit der Europäischen Union gegenüber den Mitgliedstaaten vgl. auch Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 71 Rn. 64.
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Führt die Kategorisierung einer Zuständigkeit als ausschließlicher Unionskompetenz aber dann wenigstens zu eindeutigen Konsequenzen hinsichtlich der Normierungsbefugnis, so ist dies mitnichten bei den viel zahlreicheren geteilten Konsequenzen der Fall (die zudem noch sehr unterschiedliche Wahrnehmungsbedingungen aufweisen). Bei diesen ist eine Normierungstätigkeit der Mitgliedstaaten nicht schon eo ipso ausgeschlossen, sondern davon abhängig, ob und wie weit die Union ihre Zuständigkeit ausgeübt hat (siehe Art. 2 Abs. 2 Satz 2 AEUV). Dass für die geteilten Kompetenzen seitens der Union das Subsidiaritäts- und das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten sind (Art. 5 Abs. 3 bis 5 AEUV), dürfte die Abgrenzung kaum klarer machen, weil hier Rechtsprinzipien zur Anwendung kommen, die selbst permanenter Interpretation und wertgebundener Realisierung bedürfen. Dies ist alles umso dramatischer, wenn man berücksichtigt, dass nach der Regelung des Art. 4 Abs. 1 AEUV die geteilten Kompetenzen den Regelfall für die der Union durch die Verträge übertragenen Zuständigkeiten darstellen. Die Klarheit wird auch nicht dadurch gesteigert, dass zu den geteilten Kompetenzen nach der Systematik von Art. 4 Abs. 1, 3 und 6 AEUV auch Regelungen gehören sollen, nach denen die Mitgliedstaaten ihre Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik koordinieren (Art. 2 Abs. 3; Art. 5 AEUV) und der Union die Zuständigkeit zugewiesen wird, nach Maßgabe des EUV eine gemeinsame Außen- und Sicherheits politik einschließlich der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik zu erarbeiten und zu verwirklichen (Art. 2 Abs. 4 AEUV). Für die Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungskompetenzen der Union nach Art. 6 AEUV gelten zwar auch Schranken (die Einzelkompetenzen sind wieder aus dem dritten Teil des AEUV zu ermitteln, Subsi diarität und Verhältnismäßigkeit sind zu beachten, auch besteht das Verbot, mitgliedstaatliche Zuständigkeiten zu verdrängen oder durch verbindliche Rechtsakte eine Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften zu bewirken), aber allein schon die Breite der aufgezählten Materien (Gesundheit, Industrie, Kultur, Tourismus, allgemeine und berufliche Bildung, Jugend, Sport, Katastrophenschutz, Verwaltungszusammenarbeit) lässt den Schluss auf eine äußerst verzahnte kompetenzielle Lage zu, wobei nur eine Frage unter anderen darin besteht, ob zuvor ein mitgliedstaatlicher Gesetzgebungsakt vorliegen muss, damit die Union unterstützend, koordinierend und ergänzend eingreifen kann oder ob ersteres gar nicht notwendig ist. Aus der grundgesetzlichen Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern darf auch keineswegs darauf geschlossen werden, dass die Materien, die Gegenstand der ausschließlichen Landes- und Bundesgesetzgebung sind, diesen Status auch gegenüber der EU bewahren würden. Das Erschrecken der Bundesländer, dass auch ihre Kulturkompetenz in die Sogwirkung der Gemeinschafts- / Unionsrechtsetzung geraten
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kann, hat deutlich genug aufscheinen lassen, dass das „Hausgut der Länder“ zwar dem Bund gegenüber weitgehend abgesichert ist (Institutionen wie Bundespolizei oder Bundesbeauftragter für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt mögen da auch schon gewisse Zweifel erwecken), dass es im Verhältnis zur Union aber schlicht und einfach darauf ankommt, welche Zuständigkeiten durch die Gründungsverträge und die zahlreichen Folgeakte an die Union übergegangen sind, und dabei sind weder die Materien der ausschließlichen Bundesgesetzgebung noch die der Landesgesetzgebung von vornherein privilegiert, wie man nicht zuletzt am Rundfunk sieht. 2. Disparität der kompetenziellen Anknüpfung Das Feld der Unionskompetenzen in Abgrenzung zu denen der Mitgliedstaaten erschließt sich aber nicht nur erst nach langwieriger Einarbeitung in die Vertragsbestimmungen. Die von den Verträgen verwendete Methode kompetenzieller Abgrenzung liegt auch quasi „quer“ zum deutschen Kompetenzverständnis, das im Wesentlichen an Sachmaterien anknüpft, während bei den EU-Kompetenzen eine finale Ausrichtung vorherrscht. Es soll zwar nicht behauptet werden, dass den EU-Kompetenzen die Verwendung von Sachbezügen als Anknüpfungspunkt völlig fremd ist, viele von ihnen sind jedoch zumindest final aufgeladen, einige und gerade die wichtigsten umfassend final (d. h. also von der angestrebten Zielsetzung her) bestimmt. Dem deutschen Kompetenzverständnis sind sowohl implied powers als auch eine Auslegung von Vertragsvorschriften nach dem effet utile nicht fremd, sogar die Flexibilitätsklausel (Abrundungskompetenz) nach Art. 352 AEUV, die trotz der Forderung nach ihrer Abschaffung weiterlebt, ist dem deutschen Kompetenzverständnis noch zumutbar. Finale Kompetenzzuweisungen sind uns dagegen im Grund fremd; wir halten sie für nicht präzise genug und sehen die Gefahr einer Konturlosigkeit, die der deutsche Ansatz, nach Sachkriterien abzugrenzen, nicht mit sich bringt.14 Bei der Schaffung der Verträge und des Folgerechts hat man von deutscher Seite nicht auf diesen Ansatz geachtet, Binnenmarktkompetenz, Kompetenz zur Harmonisierung von Rechtsvorschriften und zur Beseitigung von Hindernissen für die Grundfreiheiten des Gemeinsamen Marktes, sie alle gehen in eine finale Richtung und dieser hat das deutsche Kompetenzverständnis nur wenig 14 Siehe hierzu näher Hans D. Jarass, Die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, AöR 121 (1996), S. 173 (178 ff.); Markus Heintzen, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 70 Rn. 151; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 28; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 70 Rn. 12.
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entgegen zu setzen. Zu Zeiten, in denen für den Erlass europäischer Rechtsnorm Einstimmigkeit verlangt wurde, war dies kein Problem, umso mehr ist es eines, wenn die Bundesrepublik Deutschland bei Ratsentscheidungen überstimmt werden kann. Wie enorm der Kompetenzbestand der EU ist, lässt sich nur erahnen. Weil er einerseits klugerweise durch die europäischen Organe nur peu á peu wahrgenommen wird, andererseits das Rechtsetzungsverfahren auf europäischer Ebene nur sehr schwerfällig abläuft, dürfte er noch eine Reihe von Überraschungen in sich bergen. 3. Verdeckung von Kompetenzverlusten durch legale Verfassungstextdurchbrechung Es kommt hinzu, dass auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland über den Kompetenzbestand, der der Bundesrepublik im Verhältnis zur EU verblieben ist, keine substantielle Auskunft gibt. Man würde erwarten, dass zumindest die Begründung ausschließlicher Kompetenzen für die Union, die ja gleichzeitig die definitive Verdrängung der Mitgliedstaaten aus diesen Materien bedeutet, für unseren Staat seinen Niederschlag im Grundgesetz gefunden hat, steht doch im Zweifel eine Verfassungsänderung enormen Ausmaßes dahinter. Dies ist jedoch nicht der Fall, das Grundgesetz nimmt diese Kompetenzabwanderung gar nicht zur Kenntnis. Aber auch im Bereich der geteilten Kompetenzen ist von bedeutenden Zuständigkeitsrisiken für die Bundesrepublik Deutschland auszugehen, auch wenn die praktische Einbuße erst mit der Normsetzung durch die Union (in den Grenzen von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit) eintritt oder eingetreten ist. Die Aufzählung der geteilten Kompetenzen in Art. 4 Abs. 2 AEUV darf auch nicht als abschließend gedeutet werden. Vielmehr ist hier nur von Hauptbereichen die Rede; der Vertrag überlässt es dem Gesetzesinterpreten, weitere geteilte Kompetenzen unter Art. 4 einzuordnen, die im dritten Teil des AEUV aufgefunden werden mögen. Kompetenzielle Verluste der Mitgliedstaaten dürften auch die Folge der Ausnützung der unionalen Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungskompetenzen nach Art. 2 Abs. 5, Art. 6 AEUV sein, eines Sonderfalls der geteilten Kompetenzen, auch wenn für diese Kompetenzbestände ausdrücklich normiert wird, sie dürften nicht an die Stelle der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten treten. Dies schließt aber ein unionales Eindringen in Randbereiche nicht aus. Man könnte meinen, zumindest, soweit der Kompetenzverlust schon 1958 bei Gründung der seinerzeitigen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaftsgemeinschaft eingetreten ist, sei dies im Text des Grundgesetzes zum Ausdruck gebracht worden. Auch für spätere Kompetenzerweiterungen vertraglicher Art wäre das vorstellbar. Aber weder das eine noch das andere ist der Fall. So finden sich im Katalog der ausschließlichen Kompetenzen des
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Bundes gemäß Art. 73 GG nach wie vor Materien wie Freizügigkeit, Währungs-, Geld- und Münzwesen, Einheit des Zoll- und Handelsgebiets, Freizügigkeit des Warenverkehrs und Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Ausland einschließlich des Zoll- und Grenzschutzes, die zumindest teilweise längst EU-Kompetenzen sind. Nach Art. 74 Abs. 1 GG zählen nach wie vor auch das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer und das Recht der Wirtschaft zum Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung ohne Rücksicht auf den Übergang von Hoheitsrechten aus diesen Bereichen an die Union. Grund für den Zwiespalt zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit ist, dass für Verfassungsänderungen, die im Zuge der europäischen Integration bewirkt werden, das Verbot der (formellen = Verfassungstext-) Durchbrechung nach Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG nicht gilt.15 Nach dieser Vorschrift kann das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Der ursprüngliche Integrationshebel des Art. 24 Abs. 1 GG gestattete es aber dem Bund, durch (einfaches) Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen, ohne dies im Text des Grundgesetzes zum Ausdruck bringen zu müssen. Die Gründung der Europäischen Gemeinschaften folgte diesem Mechanismus, so dass die seither erfolgten Kompetenzverzichte der Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz keinen Niederschlag finden und das Schema der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern zwar nach wie vor existiert, aber stillschweigend voraussetzt, dass die betreffende (Sach-)Kompetenz überhaupt noch zwischen Bund und Ländern zu verteilen ist. Im Jahr 1992 wurde zwar Art. 23 GG als Integrationsartikel neu geschaffen. Dieser bestimmt in Abs. 1 Satz 3, dass für die Begründung der EU sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert und ergänzt wird oder solche Änderungen und Ergänzungen ermöglicht werden, Art. 79 Abs. 2 und 3 GG gilt. Von Art. 79 Abs. 1 GG mit seinem Gebot textueller Aufnahme von Verfassungsänderungen ist nicht die Rede. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass das bisherige System stillschweigenden Verzichts auf Zuständigkeiten unter Durchbrechung des Textes des Grundgesetzes verfassungsrechtlich ausdrücklich bestätigt wird.16 Dies heißt aber weiterhin, dass auch aus dem Grundgesetz eine schnelle Information über 15 Horst Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 79 I Rn. 17 ff., 21 ff., 26. 16 Siehe hierzu Matthias Herdegen, Die Belastbarkeit des Verfassungsgefüges auf dem Weg zur Europäischen Union, EuGRZ 1992, S. 589 (591 f.); Rupert Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 23 Rn. 114 f.
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die Kompetenzlage der Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zur EU nicht zu entnehmen ist. Dies ist für einen Bürger der Gegenwart möglicherweise kaum verständlich, nicht aber, wenn man die Genese der EU bis in ihre Anfänge zurückverfolgt. Abgesehen davon, dass das Einstimmigkeitsprinzip vor unwillkommenen Integrationsschritten schützte, war jenes ängstliche Gefühl, die europäische Integration würde die eigene Identität gefährden, das heute jeden größeren Integrationsschritt begleitet und das Bundesverfassungsgericht seit Maastricht immer wieder zu „Ja, aber …“-Sentenzen motiviert, seinerzeit noch nicht vorhanden. Man freute sich über die Chancen der europäischen Integration und die Aussicht, durch einen Zusammenschluss mit den erst vor kurzem bekriegten Nachbarstaaten frei zu werden von den Gefahren von Krieg und Rassismus. Das ist heute weitgehend verloren gegangen. Die europäische Integration ähnelt heute eher einem Vorgang, der dem Grundsatz „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ folgt. Die europäischen Enthusiasten sind weniger geworden, auch in der Bundesrepublik Deutschland und ihrem Verfassungsgericht, die Euro skeptiker besetzen lautstark die Medien und die öffentliche Diskussion. 4. Einzelprobleme im Grenzbereich der unionalen und grundgesetzlichen Kompetenzsituation Die Folgen der Kategorienbildung im AEUV sollen im Hinblick auf die tangierte Gesetzgebung der Mitgliedstaaten kurz noch in Details skizziert werden. Die Kategorie ausschließlicher Zuständigkeit der Union ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung, wie bereits erwähnt, nicht stattfinden und dass die Normsetzung durch die Mitgliedstaaten unzulässig ist, soweit die Mitgliedstaaten nicht von der Union gesondert ermächtigt wurden oder Rechtsakte der Union durchführen. Werden Mitgliedstaaten gleichwohl auf Gebieten der ausschließlichen Zuständigkeit der Union tätig, so wird damit ein vertragliches Verbot übertreten. Der Verstoß gegen das Vertragsrecht hat aber nur obligatorische Wirkung; d. h. der mitgliedstaatliche Rechtsakt tritt nicht automatisch außer Kraft, wird aber durch den Anwendungsvorrang entgegenstehender unionsrechtlicher Normen praktisch bedeutungslos. Gleichwohl kann schon aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ein solcher Vertragsverstoß nicht geduldet werden. Hier ist äußerstenfalls die Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 ff. AEUV einzusetzen, um die Aufhebung der unionsrechtswidrigen mitgliedstaatlichen Vorschrift zu erreichen. Dies wird noch deutlicher, wenn die Union auf einem Gebiet ihrer ausschließlichen Zuständigkeit noch keine Regelung getroffen hat oder sich aus dem Regelungsbereich zurückzieht. Hier kommt ein Vorrang unionsrechtlicher Normen nicht (mehr) in Frage, die mitgliedstaatliche Norm muss daher auf jeden Fall aus der
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Welt geschafft werden. Für die Zeit ihres Bestehens darf die Norm von den mitgliedstaatlichen Organen, insbesondere den Gerichten, nicht angewendet werden. Für den umgekehrten Fall, Normierungstätigkeiten der Union mit fragwürdiger Kompetenzgrundlage, die dem Gerichtshof über Art. 263 AEUV oder über ein Vorabentscheidungsverlangen nach Art. 267 AEUV zur Prüfung vorgelegt werden, ist dem Gerichtshof allerdings vorgeworfen worden, dass er kein besonderes Interesse zeige, die Funktion des Hüters der Kompetenzordnung wahrzunehmen.17 Nun zu der geteilten Zuständigkeit. Nach der Regelung des AEUV (Art. 4 Abs. 1) soll die geteilte Zuständigkeit der Regelfall unionaler Kompetenz sein, es sei denn, es gehe um ausschließliche Kompetenzen der Union oder um ihre Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungsbefugnisse.18 Die von der Union mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit erstreckt sich immerhin auf so wichtige Bereiche wie Binnenmarkt, Landwirtschaft und Fischerei, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts u. a. Nach Art. 2 Abs. 2 AEUV besteht die Wirkung geteilter Kompetenz darin, dass Union und Mitgliedstaaten gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlassen können, die Mitgliedstaaten aber ihre Zuständigkeit nur insoweit wahrnehmen, als und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat. Ob die Union Gebiete auch kodifikatorisch besetzen kann, wie dies nach bundesdeutscher Auffassung von Art. 72 Abs. 1 GG zugelassen wird (Ausschluss der Länder von Gesetzgebungsmaterien, weil der Bund Kodifika tionsabsichten hatte, selbst wenn er Teilbereiche im Ergebnis nicht geregelt hat),19 ist offen, kann aber wegen des gleichlautenden Wortlauts in Art. 4 Abs. 2 Satz 2 AEUV („… sofern und soweit …“) nicht a priori ausgeschlossen werden.20 Zieht sich die Union aus einem Regelungsbereich zurück, der 17 Siehe hierzu Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 28 unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH zur Tabakwerberichtlinie vom 5. Oktober 2000 (EuGH, Slg. 2000, I-8419 [8522] – Tabakwerbung); vgl. hierzu auch Martin Nettesheim, in: Oppermann / Classen / ders. (Hrsg.), Europarecht, 5. Aufl. 2011 Rn. 3. 18 Das Bundesverfassungsgericht hält diese Kategorisierung für einen „formal ansetzenden Schutzmechanismus“ (BVerfGE 123, 267 [381 ff.] – Lissabon-Vertrag), obwohl es gleichzeitig beanstandet, dass die von Mitgliedstaaten beanspruchten parallelen Zuständigkeiten nicht eindeutig einer Kategorie zugeordnet werden (vgl. Art. 2 Abs. 5 Unterabsatz 1 und Art. 4 Abs. 2 und 4 AEUV), dass die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik außerhalb der Zuständigkeitskategorien stehen und die Methode der offenen Koordinierung unerwähnt bleibt. 19 Vgl. dazu Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 72 Rn. 42 m. w. N. 20 Siehe dazu auch Christian Callies, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 189: „Die Mitgliedstaaten sind jedoch nur insoweit
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zu ihrer geteilten Zuständigkeit gehört, so rücken die Nationalstaaten nicht automatisch in diesen Kompetenzbereich ein; vielmehr verlangt Art. 2 Abs. 2 Satz 3 AEUV, dass zuvor die Union entschieden hat, ihre Zuständigkeiten nicht mehr auszuüben. Wie diese Entscheidung auszusehen hat und ob sie nicht normalerweise automatisch mit der Aufhebung der entsprechenden Rechtshandlung verbunden ist, bedarf noch der Klärung. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist aber ein formaler Akt der Freigabe vorzuziehen. Auf den ersten Anblick erscheint hiermit eine trennscharfe Abgrenzung der unionalen und der mitgliedstaatlichen Normierungskompetenzen getroffen worden zu sein. Ein nicht von Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip verbotenes Vorrücken der Union auf einem Gebiet der geteilten Zuständigkeit dürfte kraft des Anwendungsvorrangs des unionalen Rechts (der übrigens durch den Lissabon-Vertrag erneut nicht positiviert wurde) kollisionsrechtlich kein besonderes Problem aufwerfen; die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, ihre entgegenstehenden Rechtsakte formell aufzuheben. Die Funktion des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts besteht gerade darin, entgegenstehendes Recht nicht zu „brechen“, wie dies Art. 31 GG vorsieht, sondern nur seine Nichtanwendung herbeizuführen, so dass es wieder in Wirksamkeit erwachsen kann, wenn die entgegenstehende unionale Rechtsnorm außer Kraft getreten ist und die Union entscheidet, ihre Zuständigkeit nicht mehr auszuüben. Wird dagegen die Union in einem Bereich geteilter Zuständigkeit tätig, der bislang noch ungeregelt ist, so entfaltet sich die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 AEUV normierte Sperrwirkung gegenüber nationalen Regelungsabsichten aber wiederum nur mit obligatorischer Wirkung; das heißt, die Mitgliedstaaten sind gehindert, auf diesem Feld zu normieren, ohne dass aber bei Verstößen automatisch Nichtigkeit einträte. Zwar sorgt auch hier der Anwendungsvorrang des europäischen Rechts dafür, dass das kompetenzlos erlassene nationale Recht nicht zur Entfaltung gelangt, der betreffende Mitgliedstaat verhält sich aber vertragswidrig und kann sich nicht damit begnügen, auf den Anwendungsvorrang des europäischen Rechts zu verweisen, sondern muss die kompetenzwidrige Norm beseitigen. Diese würde sonst nach Rückzug der Union aus diesem Kompetenzbereich in Wirksamkeit erwachsen, obwohl sie kompetenzwidrig erlassen wurde. In der Theorie klingt dies alles verhältnismäßig klar, in der Praxis werden aber häufig Zweifel darüber bestehen, wie weit eine europäische Normierung auf einem Gebiet der geteilten Zuständigkeiten reicht, ob sie abschließend oder offen ist und ob einschlägige mitgliedstaatliche Regelungen gegen unionales Recht verstoßen oder dieses nur ergänzen. zur Rechtsetzung befugt, als die Union von ihrer Kompetenz keinen oder keinen erschöpfenden Gebrauch gemacht hat.“
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Die geteilten Kompetenzen sollten im Übrigen nicht als konkurrierende Kompetenzen bezeichnet werden, weil dies die (falsche) Assoziation an einen Brechungsvorrang der übergeordneten Norm erweckt.21 Der Anwendungsvorrang lässt demgegenüber das nationale Recht bestehen, selbst wenn es kompetenzwidrig gesetzt wurde. Es muss jedoch aufgehoben werden, damit die Vertragstreue wieder hergestellt wird. Zu den geteilten Kompetenzen wird man nach der Systematik des AEUV (Art. 4 Abs. 1; Art. 5) auch die Zuständigkeiten zur Koordinierung der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik der Mitgliedstaaten rechnen müssen, auch wenn sie sich diesen nicht bruchlos unterordnen lassen. Es liegt bei ihnen keine variable Teilung der Normsetzung im Sinn von Art. 2 Abs. 2 AEUV vor, vielmehr sind die Mitgliedstaaten fix auf die Inhalte, die Union auf die Abstimmung (Koordinierung) gesetzt; die konkreten Befugnisse ergeben sich wiederum aus den Vorschriften des dritten Teils des AEUV. Nicht mit den geteilten Zuständigkeiten zu verwechseln ist das Handeln der Union durch Richtliniengebung. Der Erlass von Richtlinien ist eine Wahrnehmungsbedingung, die sich aus der einzelnen Zuständigkeit ergibt, nicht Fall einer geteilten Kompetenz. Zwar bestimmt Art. 288 Abs. 3 AEUV, dass die Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaat lichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt. Aber abgesehen davon, dass die Richtlinien inzwischen durch die Praxis der Vollnormierung der Verordnung weitgehend angeglichen worden sind, hebt die Vorschrift über die Richtlinie auf die Unterscheidung von Ziel einerseits, Form und Mittel andererseits ab, während bei den geteilten Zuständigkeiten durchaus eine Verfügungsmöglichkeit der Mitgliedstaaten auch über die kompetenziellen Ziele bestehen kann, unter der Voraussetzung, dass Subsidiaritätsund Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ihnen die Normierungszuständigkeit zuerkennen. Andererseits kann bei den parallelen Zuständigkeiten die Union auch Form und Mittel des Vorgehens bestimmen, wenn Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit dem nicht im Weg stehen. Bei der Inanspruchnahme geteilter Zuständigkeiten unterliegt die Union Beschränkungen, deren Wirksamkeit nicht unzweifelhaft ist. Wie bei der Wahrnehmung jeder Kompetenz durch die Union ist der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung Ausgangspunkt. Für die geteilten Kompeten21 So aber gelegentlich auch der Europäische Gerichtshof; siehe hierzu etwa EuGH, Slg. 1971, 263 (276) – AETR, Rn. 30; EuGH, Gutachten 2 / 91, ABl. C 109 vom 19.4.1993, S. 7, Rn. 8. Vgl. hierzu Christian Callies, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 189; Christoph Ritzer, Europäische Kompetenzordnung, 2006, S. 165 f.
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zen sind aber zusätzlich das Subsidiaritätsprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Art. 5 Abs. 3 EUV definiert die Voraussetzungen des Subsidiaritätsprinzips bekanntlich nicht ganz widerspruchsfrei; Abs. 4 derselben Vorschrift setzt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit dem der Erforderlichkeit gleich. Immerhin verweisen Art. 5 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 2 AEUV auf das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit; den nationalen Parlamenten wird die Aufgabe übertragen, auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips nach dem in jenem Protokoll vorgesehenen Verfahren zu achten und gegebenenfalls eine Subsidiaritätsrüge zu erheben. Dabei ist die Einschaltung der nationalen Parlamente wohl ein deutliches Zeichen dafür, dass die Kompetenzausübungsschranke „Subsidiaritätsprinzip“ bisher nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat.22 Immerhin enthält das genannte Protokoll jetzt auch die Möglichkeit einer Klage nach Art. 263 AEUV wegen Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip. Was das Prinzip der Verhältnismäßigkeit anlangt, so soll darauf hingewiesen werden, dass nach dem EU-Vertrag nicht nur die Geeignetheit (wahrscheinlich wegen Selbstverständlichkeit) nicht erwähnt wird, sondern auch die nach deutscher Sicht wesentliche dritte Stufe (Proportionalität oder Angemessenheit) wegbleibt, wodurch der Wirkungsbereich des Verhältnismäßigkeitsprinzips um eine höchst bedeutsame Zone beschnitten wird.23 Wenn man bedenkt, dass das Ausgreifen der Union auf den Gebieten der geteilten Zuständigkeit im Wesentlichen nur von zwei weitgehend unbestimmten Rechtsprinzipien (Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit) gesteuert und begrenzt wird, so dürfte die geschilderte verfahrensmäßige Kontrolle der unionalen Gesetzgebung stärkere Chancen besitzen, den Erfolg zu si22 Siehe dazu Martin Nettesheim, Die Kompetenzordnung im Vertrag über eine Verfassung für Europa, EuR 2004, S. 511 (533). 23 Ein Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts macht deutlich, dass dieses das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Kompetenzgefüge von Bund und Ländern ursprünglich für nicht anwendbar hielt; dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit komme nur eine individuelle rechts- und freiheitssichernde Funktion zu (siehe BVerfGE 79, 311 [341] – Staatsverschuldung; 81, 310 [338] – Kalkar). Seit der Änderung von Art. 72 GG im Jahr 1984 und der Einfügung des Kriteriums der Erforderlichkeit für ein Tätigwerden des Bundesgesetzgebers auf den Gebieten der konkurrierenden Gesetzgebung hat das Gericht die Verhältnismäßigkeitsprüfung zwar aufgenommen, aber sie aber ähnlich dem europäischem Recht beschränkt auf Geeignetheit und Erforderlichkeit, ohne Einbeziehung der Angemessenheit (Proportionalität, Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn). Mit der erneuten Änderung von Art. 72 Abs. 2 GG im Zuge der Föderalismusreform des Jahres 2006 wurde das Erforderlichkeitskriterium nach Art. 72 Abs. 2 GG drastisch auf einige wenige Kompetenztitel von Art. 74 Abs. 1 GG (zehn von insgesamt 33) reduziert. Die wichtigste hier in Frage kommende Sachmaterie findet sich in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft).
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chern, als das bloße materielle Recht. Dies gilt auch dann, wenn noch andere Schranken berücksichtigt werden; so der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EU und die Grenze der mitgliedstaatlichen Eigentumsordnungen (Art. 345 AEUV). Im Grunde wird noch intensiv an der Abgrenzung der wechselseitigen Kompetenzsphären gearbeitet werden müssen. So lautet ein kurzes Resümee zum Problemkomplex „Reform der unionalen Zuständigkeiten durch Lissabon“: Das Ziel ist zwar erkannt, der Weg ist aber noch weit!
Teil B
Die Charakteristika der grundgesetzlichen Kompetenzordnung nach der Föderalismusreform von 2006
Die Charakteristika der Ländergesetzgebung und der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes nach der Föderalismusreform Von Markus Heintzen I. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 II. Die Ländergesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Residualkompetenz . / . ausschließliche Kompetenzen. . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Grammatikalische und systematische Interpretation von Art. 70 Abs. 2 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Der Beitrag der Föderalismusreform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 c) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Eigenschaften von ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen der Bun desländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Gefahren einer Bürokratisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 III. Die ausschließliche Bundesgesetzgebung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Die Stetigkeit von Kompetenzrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Bloßes Desinteresse der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3. Zustimmungsvorbehalt des Bundesrats. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4. Hypothetischer Charakter von Kompetenzrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 IV. Schlussbetrachtung: Die Charakteristika heutiger Verfassungsänderung und die Föderalismusreform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
I. Einleitung Die Föderalismusreform des Jahres 2006, im Weiteren auch Föderalismusreform I1, hat die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten auf Bund und Länder in zahlreichen Einzelpositionen verändert. Fraglich ist, ob die Reform damit auch an die dogmatischen Grundlagen geht und Charak1 52. Änderungsgesetz zum Grundgesetz vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034). Spätere Grundgesetzänderungen betreffen nur Randaspekte der Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeit. So wird die Anknüpfung einer Finanzierungskompetenz des Bundes an seine Gesetzgebungskompetenz in Art. 104a Abs. 1 Satz 2 GG nachträglich wieder gelockert und begründet Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG eine normhierarchisch nicht spezifizierte Normierungspflicht der Länder.
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teristika der Länder- und der Bundesgesetzgebung berührt. Mit Charakteristika sind im Weiteren nicht formale Strukturen jeder föderalen oder sonstigen Kompetenzordnung und Kompetenzzuweisung, wie Ausschließlichkeit, Starrheit oder Unverfügbarkeit, auch nicht Grundsätze zur Auslegung von föderalen Kompetenztiteln und zur kompetenzrechtlichen Qualifikation2 gemeint3, sondern, bei allem Zusammenhang4, primär die Merkmale von drei in Art. 70 GG verwendeten verfassungsrechtlichen Begriffen: Gesetzgebung der Länder, ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebung. Dem widmen sich der Beitrag von Christoph Degenhart und dieser Beitrag. Die Aufteilung verläuft entlang der Grenze von ausschließlicher und konkurrierender Gesetzgebung; auf die frühere Rahmengesetzgebung des Bundes ist in diesem Beitrag nicht einzugehen. Hier geht es um die ausschließliche Bundesgesetzgebung und um die Ländergesetzgebung, also die Bereiche, in denen spiegelbildlich die Länder bzw. der Bund verfassungskräftig von Gesetzgebung ausgeschlossen sind.5 Die Bezeichnung „ausschließliche Landesgesetzgebung“ wird im Titel noch gemieden; diese Bezeichnung ist nicht unproblematisch, weil das Grundgesetz in seinem VII. Abschnitt nur von ausschließlichen Bundeszuständigkeiten, nicht aber auch von ausschließlichen Landeszuständigkeiten spricht. Die hier gewählte Reihenfolge – erst Länder, dann Bund – lässt sich dagegen leicht damit erklären, dass die ausschließliche Bundesgesetzgebung eher ein Randthema der Föderalismusreform war6, dass aber die Stärkung der Ländergesetzgebung im Fokus der Föderalismusreform liegt, weil zu ihren Zielen ausdrücklich eine deutlichere Zuordnung der politischen Verantwortlichkeiten gehörte.7 2 Jüngst hierzu Tobias Herbst, Gesetzgebungskompetenzen im Bundesstaat. Eine Rekonstruktion der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2014. 3 Hierzu Josef Isensee, Die bundesstaatliche Kompetenz, in: ders. / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 133; Michael Kloepfer, Verfassungsrecht, Bd. 1, 2011, § 21 Rn. 53 ff.; Hans-Werner Rengeling, Kompetenzen, in: Kube / Mellinghoff / Morgenthaler / Palm / Puhl / Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, Bd. I, 2013, § 8 Rn. 6 f. 4 Zu den Zusammenhängen und Unterschieden zwischen allgemeiner Kompetenzlehre, föderaler Kompetenzlehre und der Lehre von den Gesetzgebungskompetenzen u. a. Rupert Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, 1983, schon S. 6 mit Fn. 34; Markus Heintzen, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 70 Rn. 50. 5 Mit der praktisch zu vernachlässigenden Möglichkeit einer bundesgesetzlichen Ermächtigung der Länder zur Gesetzgebung gemäß Art. 71 GG. Die Möglichkeit einer landesgesetzlichen Ermächtigung des Bundes gibt es im Bereich der Gesetzgebung nicht. 6 So zutreffend Katrin Gerstenberg, Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform, 2009, S. 177 unten.
Länder- und Bundesgesetzgebung nach der Föderalismusreform49
II. Die Ländergesetzgebung In Bezug auf die Ländergesetzgebung darf man der Föderalismusreform in zwei Punkten grundsätzliche, bis in den Bereich von Charakteristika vordringende Bedeutung beimessen. Dies betrifft die Frage, ob es im Rahmen von Art. 70 Abs. 1 GG ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen der Länder überhaupt gibt oder nicht stattdessen nur eine gegenständlich unkonturierte Residualkompetenz existiert.8 Dies betrifft weiter die Kompaktheit von Kompetenztiteln, die im Bereich ausschließlicher Gesetzgebung größer sein sollte als im Bereich konkurrierender Gesetzgebung; mit Kompaktheit sind hier ein Mindestumfang und inhaltliche Kohärenz gemeint, dies als Bedingung eigenverantwortlicher, politisch gestaltender Kompetenzausübung.9 7
1. Residualkompetenz . / . ausschließliche Kompetenzen Gemäß Art. 70 Abs. 2 GG bemisst die Abgrenzung der Zuständigkeit, also Singular, nicht der Zuständigkeiten, zwischen Bund und Ländern sich nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes über die ausschließliche und über die konkurrierende Gesetzgebung. Art. 70 Abs. 2 GG ist bisher, soweit ersichtlich, so verstanden worden, als beziehe er sich auf die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes im Sinne der nachfolgenden Art. 71 und 72 GG, also auf zwei Kompetenzbereiche.10 Im Unterschied 7 Vgl. den Wortlaut des Eröffnungsbeschlusses, Deutscher Bundestag / Bundesrat (Hrsg.), Dokumentation der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, Zur Sache 1 / 2005, 2005, S. 17. Vgl. weiter Katrin Gerstenberg, Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform, 2009, S. 162 ff.; Marcus Hahn-Lorber, Parallele Gesetzgebungskompetenzen. Nichthierarchische Kompetenzverteilung im deutsch-schottischen Verfassungsvergleich, 2012, S. 1, 45 f., 150. 8 In diesem Sinne Richard Grau, Vom Vorrang der Bundeskompetenzen im Bundesstaat, in: Rechtsanwälte des Kammergerichtsbezirks (Hrsg.), Festschrift für Ernst Heinitz, 1926, S. 358 ff. Aus der neueren Literatur Josef Isensee, Die bundesstaat liche Kompetenz, in: ders. / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 133 Rn. 25; Jost Pietzcker, Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht im Bundesstaat, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 98 Rn. 22. Zu der hier vertretenen Position: Markus Heintzen, Die Beidseitigkeit des Kompetenzverhältnisses im Bundesstaat, DVBl. 1997, S. 689 (689 ff.). 9 Insoweit zu Kompetenztiteln, die auf „-wesen“ lauten: Peter Pernthaler, Kompetenzverteilung in der Krise, 1989, S. 84 ff. 10 Siehe Friedrich Klein, in: von Mangoldt / Klein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 2. Aufl. 1964, Art. 70 Anm. IV 1; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 28 f.; von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 70 Rn. 139 mit Fn. 184; Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kom-
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zu den Art. 71 und 72 GG werden die Tatbestandsmerkmale ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebung hier aber sowohl auf den Bund als auch auf die Länder bezogen, so dass sich drei gegenständliche Kompetenzbereiche ergeben: die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes, die konkurrierende Gesetzgebung von Bund und Ländern und die ausschließliche Gesetzgebung der Bundesländer. Dies impliziert, dass das Grundgesetz „Vorschriften“ zur ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer enthält. Wäre dies richtig, so wäre die These von der bloßen Residualkompetenz der Länder widerlegt; denn eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz muss inhaltlich konturierter sein als eine Residualkompetenz, der Umfang des Ausschlusses lässt sich nur durch ihre Auflösung in einzelne Kompetenztitel bestimmen. Die vorgestellte These soll auf zwei Argumentationsebenen begründet werden. Die erste Ebene ist eine Interpretation von Art. 70 Abs. 2 GG, einer Vorschrift, die seit 1949 ungeändert im Grundgesetz steht; diese Interpretation wäre auch ohne die Föderalismusreform I möglich. Auf der zweiten Ebene werden die Neuerungen dieser Föderalismusreform einbezogen. Es wird sich zeigen, dass die Neuerungen insgesamt zu einem seit 1949 in Art. 70 Abs. 2 GG angelegten Grundgedanken der föderalen Kompetenzverteilung passen. a) Grammatikalische und systematische Interpretation von Art. 70 Abs. 2 GG Der gelegentlich für überflüssig gehaltene Art. 70 Abs. 2 GG11 will seinem Wortlaut nach die Gesetzgebungszuständigkeit zwischen Bund und Ländern abgrenzen. Es wäre deshalb befremdlich, wenn die Norm sich zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder überhaupt nicht oder nur mittelbar und Art. 70 Abs. 1 GG repetierend äußerte. Eine Auslegung, dass es der Norm um ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeiten sowohl des Bundes wie auch der Länder gehe, liegt näher. Passend zur systematischen Stellung als Grundsatznorm würde damit von Art. 70 Abs. 2 GG das Gesamtspektrum möglicher Kompetenzgegenstände erfasst und in drei Blöcken auf Bund und Länder verteilt und wäre mit „die ausschließ mentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 Rn. 59; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 25, 156; ebenso Markus Heintzen, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 70 Rn. 100. 11 Vgl. Michael Bothe, in: Denninger / Hoffmann-Riem / Schneider / Stein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. 2001, Art. 70 Rn. 1, dieses Verdikt auf Art. 70 insgesamt beziehend.
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liche Gesetzgebung“ zweierlei gemeint: ausschließliche Bundesgesetzgebung und ausschließliche Landesgesetzgebung. Dafür spricht auch der systematische Zusammenhang mit den Art. 71 bis 74 GG. Die Art. 71 und 73 GG sind in einer bezeichnenden Weise anders formuliert als die Art. 72 und 74 GG. In den Art. 71 und 73 GG ist von einer ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes die Rede, während die ausschließliche Gesetzgebung in Art. 70 Abs. 2 GG nicht speziell dem Bund zugewiesen wird. Die Art. 72 und 74 GG sprechen vom Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung bzw. von der konkurrierenden Gesetzgebung, ohne textliche Zuschreibung an den Bund oder die Länder; sie unterscheiden sich insoweit nicht von Art. 70 Abs. 2 GG. Diese Diskrepanz führt in der Tat zu der Frage, ob als dritte Größe, neben der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes und der konkurrierenden Gesetzgebung von Bund und Ländern, eine ausschließliche Gesetzgebung der Bundesländer anzuerkennen sei, ob Art. 70 Abs. 2 GG also das Gesamtspektrum möglicher Gegenstände staatlicher Gesetzgebung dem Bund und den Ländern in drei Blöcken zuordnet und ob die Länder, letztlich wie der Bund, über gegenständliche umschriebene oder umschreibbare Kompetenztitel verfügen. Für eine solche Sicht hat schon vor der Föderalismusreform die Verfassungssystematik gesprochen. Benannte Gesetzgebungszuständigkeiten der Bundesländer begründeten die Art. 98 Abs. 3, 105a Abs. 2, 106 Abs. 3 Satz 3 sowie 140 GG, Letzterer in Verbindung mit Art. 137 Abs. 8 WRV. Hier geht es um das Richterdienstrecht, die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern sowie die Realsteuerhebesätze, schließlich die Beziehungen zwischen Staat und Kirchen, also spezielle, miteinander in keinem Zusammenhang stehende Gesetzgebungsagenden. Keine Kompetenzzuweisungen, wohl aber grundsätzlich-genereller Ausdruck eines Verständnisses von Ländergesetzgebungskompetenzen als benannte Zuständigkeiten waren vor der Reform schon Art. 23 Abs. 6 Satz 1 und Art. 115c Abs. 1 Satz 1 GG, wo auf ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder bzw. auf Sachgebiete, die zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gehören, Bezug genommen wird. Hinzuweisen ist schließlich auf die zu Art. 79 Abs. 3 GG vom Bundesverfassungsgericht entwickelte These, dass den Ländern ein Kern eigener Aufgaben als Hausgut unentziehbar verbleiben müsse; es fällt schwer sich vorzustellen, dass zu diesem Aufgabenkern keine Gesetzgebungsbefugnisse gehören.12
12 Siehe Markus Heintzen, Die Beidseitigkeit des Kompetenzverhältnisses im Bundesstaat, DVBl. 1997, S. 692 (692 f.); ebenso Marcus Hahn-Lorber, Parallele Gesetzgebungskompetenzen. Nichthierarchische Kompetenzverteilung im deutschschottischen Verfassungsvergleich, 2012, S. 204 m. w. N.
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b) Der Beitrag der Föderalismusreform Die Zahl der Verfassungsbestimmungen, die gegen die These von der bloßen Residualzuständigkeit und dafür sprechen, dass die Länder, ebenso wie der Bund, über gegenständlich umschriebene Kompetenztitel verfügen, hat sich durch die Föderalismusreform erhöht. Drei Ebenen sind nun zu unterscheiden. Zu den ausdrücklichen Zuweisungen konkreter Gesetzgebungsmaterien an die Länder ist Art. 105 Abs. 2a Satz 2 GG hinzugekommen; hier werden die Länder ermächtigt, im Rahmen der bundesgesetzlich geregelten Grunderwerbsteuer den Steuersatz zu bestimmen.13 Diesem Regelungsmodell könnten im Rahmen einer Föderalismusreform III weitere Anwendungsmöglichkeiten erschlossen werden, wobei abzuwarten bleibt, ob dies im Rahmen der konkurrierenden Bundesgesetzgebung oder durch Zuweisung eines ausschließlichen Gesetzgebungsrechts an die Länder geschieht; im Gespräch sind etwa Hebesatz-, Zuschlags- oder Abschlagsrechte der Bundesländer beim Einkommensteuertarif, die im Rahmen des im Übrigen bundesgesetzlich geregelten Einkommensteuerrechts von den Bundesländern durch Gesetz auszuüben wären.14 13 Grunderwerbsteuer und Grundsteuer sind bevorzugte Reföderalisierungsobjekte im Steuerrecht, weil Steuerpflichtige lokalen oder regionalen Belastungsunterschieden bei ihnen nicht ausweichen können. Für die Grundsteuer hat sich durch die Föderalismusreform II nichts geändert. Eine Gesetzgebungsbefugnis des Bundes besteht mangels Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung seit 1994 nicht mehr, und im Rahmen seiner Fortschreibungskompetenz gemäß Art. 125a Abs. 2 GG sind dem Bund für eine aus steuerpolitischen Gründen diskutierte Grundsteuerreform Grenzen gezogen. Dazu Dieter Hantzsch, Reform der Grundsteuer durch den Bundesgesetzgeber?, DStZ 2012, S. 758 (760 mit Fn. 24, 761 ff.). Bei der Grunderwerbsteuer hat die Beschränkung der Länder auf das Hebesatzrecht den Sinn, ihrem Ertragsinteresse Rechnung zu tragen, die Möglichkeit einer Rechtszersplitterung und eines Sichhochschaukelns von Steuertarif und Ausnahme- und Befreiungsvorschriften auszuschließen; hierzu Wolfram Reiß, in: Tipke / Lang (Hrsg.), Steuerrecht, 21. Aufl. 2012, § 15 Rn. 1. Da die Grunderwerbsteuer eine der wenigen von den Ländern beeinflussbaren Steuerquellen ist und hier erzielte Mehreinnahmen im Länderfinanzausgleich nicht abgeschöpft werden, ist sie seit Einführung des Hebesatzrechts der Länder erheblich angestiegen (dazu kritisch ein von der Immobilienwirtschaft beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Auftrag gegebenes Gutachten „Probleme der Grunderwerbsteuer und ihrer Anhebung durch die Länder. Endbericht“, 2012). 14 Vgl. Norbert Berthold / Holger Fricke, Die Bundesländer im Standortwettbewerb, in: Härtel (Hrsg.), Handbuch Föderalismus, Bd. II, 2012, § 30 Rn. 55, 105; Daniel Buscher, Der Bundesstaat in Zeiten der Finanzkrise, 2010, S. 250; Lars Feld / Hanno Kube / Jan Schnellenbach, Optionen für eine Reform des bundesdeutschen Finanzausgleichs, 2013, S. 30 f., 81 f.; Clemens Fuest / Michael Thoene, Reform des Finanzföderalismus in Deutschland, 2009, S. 91 f.; Wolfgang Kitterer /
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Derzeit wichtiger sind zwei Vorschriften, die zwar keine Kompetenz verleihen, eine solche aber voraussetzen und qualifizieren.15 Art. 23 Abs. 6 Satz 1 GG hebt nunmehr ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur und des Rundfunks hervor16, und die neue Regelung zur Abweichungskompetenz in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG weist den Ländern ebenfalls, in sechs Ziffern und mit zwei Rückausnahmen, konkrete Materien zu.17 Im Ergebnis Gleiches bewirken Normen, die aus einer Kompetenzzuweisung an den Bund einzelne Bestandteile explizit herauslösen, z. B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, wo die Zuweisung des gerichtlichen Verfahrens an den Bund sich ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs versteht.18 Diese „ohne …“-Regelungstechnik erfreute sich bei der Föderalismusreform einiger Beliebtheit. Sie wird eingesetzt in den Nummern 1, 7, 11, 17, 18, 23, 24 und 27 von Art. 74 Abs. 1 GG19 und – in umgekehrter, den Bund begünstigender Richtung – bei Art. 72 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GG. Bei GegenRobert Plachta, Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs als Kernelement einer Modernisierung des deutschen Föderalismus, 2008, S. 80 f.; Ekkehart Reimer, Die künftige Ausgestaltung der bundesstaatlichen Finanzordnung, VVDStRL 73 (2014), S. 153 (172 f.). 15 So auch Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 82. 16 Hierzu Claus D. Classen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 23 Rn. 98; Wolff Heintschel von Heinegg, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 23 Rn. 49 ff.; Christian Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu / Hoffmann / Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 47; Frank Schorkopf, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 23 Rn. 192; Rudolf Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 128; Robert Uerpmann-Wittzack, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 103. 17 Marcus Hahn-Lorber, Parallele Gesetzgebungskompetenzen. Nichthierarchische Kompetenzverteilung im deutsch-schottischen Verfassungsvergleich, 2012, S. 51 f. Aus der Kommentarliteratur: Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 40 f., 43; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 29; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 122; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hoffmann / Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 80j; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 72 Rn. 46. 18 Hierzu Astrid Hermann, Die Reform der bundesstaatlichen Ordnung Deutschlands, 2012, S. 127 ff. 19 Zu dieser Regelungstechnik auch Ines Härtel, Die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder im Sinne des wohlgeordneten Rechts, in: dies. (Hrsg.), Handbuch Föderalismus, Bd. 1, 2012, § 19 Rn. 41.
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ständen, die der ausschließlichen Bundesgesetzgebung unterliegen, kommt sie dagegen nicht vor. Letzteres mag damit zu erklären sein, dass es dort um kompakte und schwer parzellierbare Materien geht, die den Ländern insgesamt fernliegen. Von ausdrücklichen Kompetenzzuweisungen an die Länder und von Regelungen, die Materien aus einer Kompetenzzuweisung an den Bund ausdrücklich ausnehmen, sind schließlich Regelungen zu unterscheiden, die nur Teile einer Materie ausdrücklich thematisieren und in die Hände des Bundes geben und die damit implizit, im Umkehrschluss, den Ländern den Rest zukommen lassen. Traditionelles Beispiel ist Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG hinsichtlich des Bauordnungsrechts; ein Beispiel aus dem Jahr 2006 ist Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG hinsichtlich des Dienstrechts der Landesbeamten. Solche Kompetenzteilungen sollen den Ländern in einem für den Bund erträglicheren, begrenzten Umfang politische Gestaltungsmöglichkeiten erhalten und eröffnen. Eine notwendige Folge ist dies allerdings nicht. Vorausgesetzt ist, dass der verbleibende Teilbereich eine Mindestgröße hat, ohne die politische Gestaltungskraft sich nicht sinnvoll entfalten kann. Die neue Kompetenz für das Beamtenbesoldungsrecht läuft für die nächsten Jahre politisch im Kern darauf hinaus, dass die Länder, je nach Finanzkraft, ihren Beamten Einschränkung und Zurückhaltung vermitteln müssen. Angesichts einer Schuldenbremse und des Ziels, spätestens 2020 materiell ausgeglichene Landeshaushalte zu haben, kann dies nicht anders sein. Die Besoldung eines Berliner Landesbeamten z. B. bleibt derzeit ca. 10 % hinter der Besoldung eines in jeder Hinsicht vergleichbaren Bundesbeamten mit Dienstsitz Berlin zurück.20 Auf das Verhältnis von föderalen Gesetzgebungs- und Finanzierungskompetenzen wird zum Schluss dieses Beitrags noch weiter einzugehen sein. c) Zwischenergebnis Die bisherigen Ausführungen laufen darauf hinaus, dass nach der Föderalismusreform die These, Art. 70 Abs. 1 GG gebe den Ländern im Bereich der Gesetzgebung nur eine bloße Residualkompetenz, nur noch schwer zu halten ist. Besser zu begründen ist demgegenüber, dass die Länder ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen und einen Anteil an dem haben, was das Grundgesetz den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nennt. Insoweit hat die Reform grundsätzliche Bedeutung. 20 Vgl. Anett Albrecht, Das Land Berlin zwischen amtsangemessener Alimentation seiner Beamten und Schuldenbremse, LKV 2012, S. 61 (61 ff.). Ferner Michael Deja, Die Besoldung und Versorgung der Beamten nach den Maßstäben des Alimentationsprinzips als Landeskompetenz, 2012, S. 42 ff.
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2. Eigenschaften von ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen der Bundesländer Es ist Aufgabe der Rechtswissenschaft, die Materien, auf denen die Länder ausschließlich gesetzgebungsbefugt sind, zu Kompetenztiteln zusammenzufassen. Eine solche Verdichtung ist in der Regel möglich.21 Die sich so ergebenden Kompetenztitel unterliegen den auch für den Bund geltenden spezifischen Regeln der Kompetenzinterpretation und der kompetenziellen Qualifikation. Bundes- und Landestitel sind gleichwertig und gleichrangig. Dieser Punkt ist wichtig. Die These von der bloßen Residualkompetenz hat die Bundesländer benachteiligt. Bei einer Kollision mit einer gegenständlich bestimmten Bundeskompetenz, etwa für Telekommunikation, stehen die Länder besser da, wenn sie der Bundeskompetenz eine ebenfalls gegenständlich bestimmte Rundfunkkompetenz entgegenhalten können, nicht eine amorphe Residualkompetenz. Verfassungshistorisch ist die These von der bloßen Residualkompetenz ein Kind der Weimarer Republik und wie diese unitarisch. Rechtsgrundlage des Ganzen sind die Absätze 1 und 2 von Art. 70 GG, der sich damit als eine generalklauselartige echte Kompetenznorm erweist. Den Einzeltiteln der Ländergesetzgebung ist bei mangelnder Positivierung eine gewisse Unschärfe zu Eigen. Das ist nicht notwendig ein Nachteil. Es sorgt für Flexibilität in einem Kompetenzregime, das ansonsten von Grundsätzen wie Starrheit und strikter Interpretation geprägt ist. Von besonderem Interesse ist das für neuartige Materien der Gesetzgebung, die gemäß Art. 30 GG zunächst grundsätzlich bei den Ländern ankommen, die sich dort zu Kompetenztiteln verdichten können, um dann ggfs. durch Verfassungsänderung an den Bund weitergereicht zu werden.22 Die föderale Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten im Allgemeinen unterscheidet sich in diesem Punkt (neuartige Materien) von der föderalen Verteilung der Steuergesetzgebungs- und Steuerertragszuständigkeiten. Da Art. 106 GG die Steuererträge in komplizierten Verfahrensschritten auf den Bund, die Länder und die Kommunen verteilt, haben es neuartige Steuern, die in diesem Verteilungssystem nicht vorgesehen sind, schwer. Gegenwärtig wird deshalb über die Verfassungsmäßigkeit einer Kernbrennstoffsteuer23 21 Zu Problemfällen Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 11. 22 Zu diesem Prozess aus Schweizer Sicht Werner Bußmann, Mythos und Wirklichkeit der Zusammenarbeit im Bundesstaat, 1986, S. 23 f., 96 f. 23 Dazu BFHE 236, 206 – Kernbrennstoffsteuer; BFH / NV 2012, 999; FG Baden-Württemberg, DStRE 2012, 296; BB 2012, 222; FG Hamburg, DStRE 2012, 53; FG München, DStRE 2012, 48; ferner Mario Martini, Die Kernbrennstoffsteuer –
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oder einer Luftverkehrsteuer24 gestritten. Aus dem Zusammenwirken von föderalen Gesetzgebungs- und föderalen Ertragskompetenzen25 können sich Weder-noch-Lagen ergeben; d. h. weder der Bund noch die Länder sind gesetzgebungsbefugt; ihr Steuerfindungsrecht ist beschränkt.26 Die allgemeinen Regeln über Gesetzgebungskompetenzen sind insoweit flexibler. Bei ihnen können sich Weder-noch-Lagen nur ergeben, wenn die Ausübung einer zugewiesenen Kompetenz durch anderes Verfassungsrecht, insbesondere Grundrechte, beschränkt ist. 3. Gefahren einer Bürokratisierung Flexibilität ist ein Attribut, das in einem Spannungsverhältnis zu den durchschnittlichen Eigenschaften der neueren verfassungsändernden Gesetzgebung steht. Diese geriert sich nicht selten wortreich, bürokratisch und ausführungsgesetzbezogen. So hat die Föderalismusreform II den Umfang des grundgesetzlichen Staatsschuldenrechts von ca. 90 auf ca. 650 Wörter anschwellen lassen. Das Übel ist hinlänglich bekannt.27 Da Bundesstaatsrecht unter Verfassungsvorbehalt steht, zeigt es sich hier in besonderer Intensität. Ein Vorzug des Regelungsthemas Ländergesetzgebung liegt, jedenfalls lag darin, dass es in der Ursprungsfassung des Grundgesetzes kein explizites, sondern ein stillschweigend vorausgesetztes und umkehrschlüssig zu erschließendes Thema ist. Dies immunisiert ein Stück weit gegen Bürokratismus. Mit Sorge erfüllt die Häufung konkreter grundgesetzlicher Regelungsaufträge auch an die Länder, die zugleich Kompetenzzuweisungen sind. Ein Beispiel ist Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG, der zu Ausführungs-(Verfassungs-) ein steuerrechtlicher Störfall? Offene verfassungs- und unionsrechtliche Fragen, ZUR 2012, S. 219 (219 ff.); Roman Seer, Vorläufiger Rechtsschutz bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Steuergesetzes – Aussetzung der Vollziehung der Kernbrennstoffsteuerfestsetzung wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Bundes, DStR 2012, S. 325 (325 ff.); Rainer Wernsmann, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Kernbrennstoffsteuer, NVwZ 2011, S. 1367 (1367 ff.). 24 Zu ihr Johanna Hey / Stephan Eilers, Haushaltskonsolidierung ohne Kompetenzgrundlage. Finanzverfassungsrechtliche Würdigung des neuen Luftverkehrsgesetzes, DStR 2011, S. 97 (97 ff.). 25 Der heute Art. 106 GG zugeschriebene Versteinerungseffekt ergab sich bis 1969 entsprechend aus Art. 105 GG. 26 Vgl. Markus Heintzen, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 105 Rn. 46 f. 27 Sehr deutlich Bundestagspräsident Norbert Lammert, BT-Plenarprotokoll 16 / 225 (Plenarberatung der 225. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages am 29. Mai 2009), S. 24947 Rz. D f.; weiter Dieter Grimm, Ist das Verfahren der Verfassungsänderung selbst änderungsbedürftig?, Humboldt-Forum des Rechts 2007, S. 214 ff.
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gesetzgebung zur Schuldenbremse anhält. Dies hat Normkaskaden auf Landes- wie auf Bundesebene in Gang gesetzt, bei denen auf einer grundsätzlichen Ebene Gesetzgebungsrecht und Gesetzgebungspflicht, Verfassungsgebung und einfache Gesetzgebung im Hinblick auf finanzpolitische Ziele verwischt werden.28 Weiterhin stellt sich die Frage, ob von der „ohne“-Technik, die Regelungsmaterien grundsätzlich dem Bund zuweist, „ohne“ bestimmte Regelungsteile, die den Ländern vorbehalten bleiben, nicht inzwischen zu viel Gebrauch gemacht wird. Ein Nachteil dieser Technik besteht nämlich darin, Detailstrukturen von Regelungsmaterien verfassungsrechtlich zu versteinern. Ein Weg, um eleganter zu möglicherweise identischen Kompetenzrechtsfolgen zu kommen, ist schlichtes Stillschweigen des Grundgesetzes. So ist durch die Streichung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Versammlungswesen die Integrität der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Polizeirecht ein Stück weit wiederhergestellt worden.29 Die Kleinteiligkeit von Kompetenzen und ihre Einbindung in einen bundesrechtlichen Kontext ziehen Vorwürfe wie Bürokratie und Inflexibilität 28 Zum Stand der Umsetzungsgesetzgebung, mit tabellarischer Übersicht, Ulrich Steinbach / Mandy Rönicke, Umsetzung der Schuldenbremse in Rheinland-Pfalz – Vorreiter und Vorbild?, Jahrbuch für öffentliche Finanzen 2013, S. 339 (342 bis 345). 29 Inzwischen gibt es vier Versammlungsgesetze auf Landesebene, das Bayerische Versammlungsgesetz vom 22. Juli 2008 (GVBl. S. 421; dazu BVerfGE 122, 342 – Bayerisches Versammlungsgesetz), das zuletzt durch § 1 Nr. 16 des Gesetzes zur Bereinigung von Landesrecht vom 8. April 2013 (GVBl. S. 174) geändert worden ist, das Niedersächsische Versammlungsgesetz vom 7. Oktober 2010 (GVBl. S. 465, 532), das Gesetz über Versammlungen und Aufzüge im Freistaat Sachsen (Sächsisches Versammlungsgesetz – SächsVersG) vom 25. Januar 2012 (SächsGVBl. S. 54), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 17. Dezember 2013 (SächsGVBl. S. 890, 891) und das Landesversammlungsgesetz von Sachsen-Anhalt vom 3. Dezember 2009 (GVBl. S. 558); Brandenburg hat ein Gesetz über Versammlungen und Aufzüge an und auf Gräberstätten vom 26. Oktober 2006 erlassen (GVBl. I S. 114); dazu VG Cottbus, Beschluss vom 1. März 2007 – 2 L 52 / 07, das § 16 VersG ersetzt. Berlin, die „Hauptstadt der Demonstrationen“ (dazu Markus Heintzen, Das alte Versammlungsgesetz in der neuen Hauptstadt, in: Depenheuer / ders. / Jestaedt / Axer [Hrsg.], Nomos und Ethos. Hommage an Josef Isensee zum 65. Geburtstag von seinen Schülern, 2002, S. 103 ff.), hat kein eigenes Versammlungsgesetz und will ein solches Gesetz ausweislich der Koalitionsvereinbarung der derzeitigen Landesregierung auf absehbare Zeit auch nicht erlassen. Allerdings weicht Berlin nun von § 19a des Versammlungsgesetzes des Bundes ab; vgl. das Gesetz über Aufnahmen und Aufzeichnungen von Bild und Ton bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen vom 23. April 2013 (GVBl. S. 103). Dieser Befund könnte Anlass zu der Vermutung geben, dass der Aufwand eigener Gesetzgebung (einschließlich der damit verbundenen verfassungsprozessualen Risiken) eher von den größeren Bundesländern betrieben wird, die über eine leistungsfähigere Ministerialverwaltung verfügen.
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jedoch nicht notwendig auf sich. Ein Gegenbeispiel sind die bereits erwähnten Hebesatz-, Zuschlags- oder Abschlagsrechte der Bundesländer bei bundesgesetzlich geregelten Steuern. Hier wird eines von vier Elementen eines Steuertatbestandes, der Steuertarif, den Ländern zugewiesen, entweder verfassungsrechtlich als ausschließliche Kompetenz oder im Rahmen konkurrierender Kompetenz durch die teilweise Nichtausübung der Bundeskompetenz; die drei anderen Elemente, Steuersubjekt, Steuerobjekt und Bemessungsgrundlage, bleiben in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Diese Aufspaltung ist eine juristisch schwierige Operation. Ihr ist es geschuldet, dass die Grunderwerbsteuer, mit einem jährlichen Aufkommen von 7,4 Milliarden Euro (201230) wahrlich keine der ertragsstarken Steuern, nun an drei Stellen im Grundgesetz vorkommt (Art. 105 Abs. 2a Satz 2, Art. 107 Abs. 1 Satz 4, letzter Halbsatz, Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG). Im finanz politischen Ergebnis entsteht damit die derzeit faktisch einzige Steuer, auf deren Ertrag alle Bundesländer Einfluss haben, und damit ein Stück Finanzautonomie. III. Die ausschließliche Bundesgesetzgebung Nach der Ländergesetzgebung gilt der zweite Teil des Beitrags der ausschließlichen Bundesgesetzgebung. Zu den sie im Rahmen der Föderalismusreform I betreffenden Änderungen kann auf einer grundsätzlichen, nach Charakteristika fragenden Ebene wenig gesagt werden, obwohl das Textvolumen 2006 um ca. 110 Wörter angeschwollen ist. Bis auf die neue Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Abwehr von Gefahren des internatio nalen Terrorismus (Nr. 9a)31 verändern die einzelnen Punkte im Verhältnis von Bund und Ländern letztlich nichts: das betrifft das Melde- und Ausweiswesen, den Schutz deutschen Kulturgutes, das Waffen- und Sprengstoffrecht, die Kriegsopfer und die friedliche Nutzung der Kernenergie. Auch die Gefahr einer Konkurrenz von Gesetzgebungskompetenzen wird nicht erhöht, dies jedenfalls, soweit nur schon bekannte und vermessene Kompetenztitel verschoben werden.32 Es bleibt richtig, was der Historiker Heinrich von Sybel schon im Kaiserreich zur ausschließlichen Reichsge30 Dies entspricht einem Anteil von 1,3 % am Gesamtsteueraufkommen, das in diesem Jahr in Deutschland erzielt worden ist. 31 Zu ihr Arnd Uhle, Die Sachbereiche der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach der Föderalismusreform. Anmerkungen zur Verfassungsreform von 2006 und zu neueren Entwicklungen im Recht der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, in diesem Band, S. 189 ff.; weiter Matthias Bäcker, Terrorismusabwehr durch das Bundeskriminalamt, 2009. 32 Zu diesem Aspekt des Kompetenzthemas Roland Wagner, Die Konkurrenzen der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern, 2012.
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setzgebung angemerkt hatte: „Im Allgemeinen kam hier nichts Unerwartetes zu Tage.“33 Der ausschließlichen Bundesgesetzgebung sollte nur zugewiesen sein, was der Ländergesetzgebung der Natur der Sache nach entrückt ist, und der Kreis dieser Gegenstände ist eben begrenzt.34 Wenn in einer als ruhig zu beschreibenden Materie gleichwohl, quantitativ besehen, 2006 einiges geändert, ergänzt und umgeschichtet worden ist, stellt sich die Frage nach Charakteristika – zu unterscheiden von der Frage nach dem Gegenstand einzelner Kompetenzzuweisungen35 – etwas anders. Es geht nicht darum, ob die Reform auf Charakteristika inhaltlich ändernd eingewirkt hat, sondern darum, ob sie, weil zu oberflächlich gedacht, Charakteristika verkannt hat. Diese Fragestellung führt auf vier Punkte: 1. Die Stetigkeit von Kompetenzrecht Ohne auf die Problematik der Versteinerungstheorie oder entwicklungs offener Kompetenzbegriffe hier eingehen zu können, kann man sagen, dass Kompetenzzuweisungen, insbesondere die Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen, stetig und stabil sein und nicht ohne Grund geändert werden sollen.36 Diesem Idealbild werden einige der neuen Kompetenztitel nicht gerecht. Der Kulturgüterschutz unterlag zunächst der konkurrierenden, dann der Rahmengesetzgebung des Bundes, bevor er nun der ausschließlichen Bundesgesetzgebung zugeschlagen wurde; das einfache Recht blieb hiervon unbeeindruckt. Ähnlich kompliziert war der Weg des Waffen- und Sprengstoffrechts. Zunächst Ländergesetzgebung, mit der Folge großer Rechtszersplitterung, dann infolge zweier Verfassungsänderungen konkurrierende 33 Heinrich von Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I., Bd. 1, 1930, S. 151. 34 Thomas Ellwein, Der Einfluss des nordamerikanischen Bundesverfassungsrechts auf die Verhandlungen der Frankfurter Nationalversammlung 1848 / 49, 1950, S. 290 f. weist demgemäß auf Parallelen zwischen US-Verfassung und deutschen Verfassungen hin. – Die zwei Änderungen von Nr. 1 und eine Änderung der Nr. 10 haben nur nachgeholt, was aufgrund der Beschränkungen der deutschen Souveränität nicht schon 1949 dort hineingeschrieben werden konnte. 35 Dazu Peter M. Huber / Arnd Uhle, Die Sachbereiche der Landesgesetzgebung nach der Föderalismusreform. Anmerkungen zur Verfassungsreform von 2006 und zu neueren Entwicklungen im Recht der ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, in diesem Band, S. 83 ff. und Arnd Uhle, Die Sachbereiche der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach der Föderalismusreform. Anmerkungen zur Verfassungsreform von 2006 und zu neueren Entwicklungen im Recht der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, in diesem Band, S. 189 ff. 36 Vgl. nur Josef Isensee, Die bundesstaatliche Kompetenz, in: ders. / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 133 Rn. 64 bis 69.
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Bundesgesetzgebung, mit der Folge einer Rechtsvereinheitlichung, nun ausschließliche Bundesgesetzgebung, mit keinen weiteren Folgen für das einfache Recht. Man sollte hoffen, dass diese Materien bei der ausschließlichen Bundesgesetzgebung nun ihre „final parking position“ gefunden haben. Beim Kriegsfolgenrecht schließlich kann man fragen, warum es im Grundgesetz für einschlägige Gesetzgebung immer noch drei Kompetenztitel gibt, deren systematische Zusammengehörigkeit überdies 2006 aufgelöst worden ist, indem Versorgung und Fürsorge von Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und ehemaligen Kriegsgefangenen aus dem Kontext der Nr. 9 und 10 in Art. 74 Abs. 1 GG herausgelöst und Art. 73 Abs. 1 GG zugeschlagen wurden.37 2. Bloßes Desinteresse der Länder Man kann dies auch so ausdrücken: Bis auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a und Abs. 2 GG sind die Änderungen des Art. 73 GG verzichtbar. Auf der Ebene des Gesetzesrechts ändern sie nichts. Die Verfassungsänderungen beruhen auf einem Desinteresse der Bundesländer an den jeweiligen Kompetenzgegenständen und dem gemeinsamen Interesse von Bund und Ländern, bei der Föderalismusreform Erfolge vorweisen zu können. Es scheint, dass Letzteres hier den Ausschlag gegeben hat. Bloßes Desinteresse des föderalen Gegenübers sollte aber kein Kriterium für eine Zuordnung zur ausschließ lichen Gesetzgebung sein; solches Desinteresse lässt sich auch im Rahmen konkurrierender Gesetzgebung gut artikulieren. Eigengesetzlichkeiten einer politisch und medial inszenierten Reform haben hier das Bewusstsein in den Hintergrund gedrängt, dass ein wirklicher Reformbedarf fehlt. Zu den Charakteristika einer ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes gehört, dass der Kompetenzgegenstand, ähnlich wie bei ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen kraft Natur der Sache, den Ländern „entrückt“ ist.38 Für die hier in Rede stehenden Materien kann man das nicht sagen.
37 Hierzu ebenfalls kritisch Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 10; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 311. Es kommt hinzu, dass die Trias die Materie nicht erschöpft. So fehlt das Veteranenwesen, das in anderen europäischen Staaten Gegenstand von Gesetzgebung und hoheitlicher Betätigung ist, während die Pflege von Kriegsgräbern im Ausland von Deutschland einem privatrechtlichen Verein, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, anvertraut worden ist. Zu Letzterem Geert Demarest, Die Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, 1977. 38 So das Verb in der klassischen Definition von Kompetenzen kraft Natur der Sache bei Gerhard Anschütz, § 32. Die Reichsaufsicht, in: ders. / Thoma (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 1, S. 363 (367).
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3. Zustimmungsvorbehalt des Bundesrats Auf den ersten Blick befremdlich wirkt Art. 73 Abs. 2 GG. Ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Bundesrates wirkt in einer Liste mit Gegenständen ausschließlicher Bundesgesetzgebung deplatziert39, weil solche Gegenstände der Landesgesetzgebung entrückt sind; zudem war es eines der Ziele der Föderalismusreform, Politikverflechtung durch Zustimmungsvorbehalte des Bundesrates abzubauen. Gegen den Vorwurf einer Systemwidrigkeit könnte der verfassungsändernde Gesetzgeber sich aber mit guten Gründen verteidigen. Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG weicht ebenso wie die dortige Nr. 10 vom Leitbild einer ausschließlichen Bundeskompetenz ab. Hinter ihm steht eine Verzahnung von Gesetzgebung und Verwaltung, und zwar Verwaltung des Bundes und der Länder. Es handelt sich um eine verwaltungsgeprägte Gesetzgebungskompetenz. Hinter ihm steht das Zentralstellenkonzept des Art. 87 Abs. 1 GG, das die Sicherheitsorgane der Länder ausdrücklich einbezieht. Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG begründet eine Kooperationskompetenz, was in einem Spannungsverhältnis zu Ausschließlichkeit steht, aber gut zum Auftrag des Bundesrates gemäß Art. 50 GG passt. Gewiss lässt Kooperation sich so weit in Beiträge und Rollen aufteilen, dass diese Beiträge und Rollen zu ausschließlicher Gesetzgebung zugewiesen werden können. Aufteilung reibt sich aber mit der Vorstellung von einem Kompetenztitel.40 Auf ein ähn liches Problem wurde oben im Zusammenhang mit der dort sog. „ohne“Technik schon einmal hingewiesen. Bei Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG kommt als weiteres Problem hinzu, dass sich die Verknüpfung einer Gesetzgebungskompetenz mit einer Verwaltungskompetenz (Art. 87 Abs. 1 GG) in der politischen Agenda einer Verfassungsreform schlecht abbilden lässt. Zum Verhältnis der Zuweisung von Gesetzgebungszuständigkeiten und der Zuweisung von Verwaltungszuständigkeiten im Grundgesetz fehlt bisher schließlich eine systematische, nicht auf die ausschließliche Bundesgesetzgebung zu beschränkende Analyse.41
39 Nachweis, dass dieser Zustimmungsvorbehalt in der ausschließlichen Bundesgesetzgebung kein Unikat ist, bei Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 313. 40 Kritisch zur Verwendung der Kompetenzkategorie bei Mitwirkungshandlungen Hartmut Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 287. 41 Zum Verhältnis der Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a und 10 GG zu 87 Abs. 1 Satz 2 GG: Martin Burgi, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 87 Rn. 44 bis 47. Zum Verhältnis von Art. 105 und Art. 108 GG: Markus Heintzen, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 105 Rn. 45.
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4. Hypothetischer Charakter von Kompetenzrecht Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG wirkt noch in einer anderen Hinsicht ungewöhnlich. Die Vorschrift ist auf unmittelbaren Vollzug angelegt. Das unterscheidet sie von allen anderen Grundgesetzänderungen im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes, welche die Föderalismusreform I hervorgebracht hat. Der Bund hat von seiner neuen Kompetenz sogleich mit den sog. Anti-Terror-Paketen I und II Gebrauch gemacht. Dies steht einerseits in einem Spannungsverhältnis zu dem hypothetischen Charakter von Kompetenznormen.42 Diese ermächtigen, verpflichten aber nicht. Sie sind eine dauerhafte Grundlage für gesetzgeberische Tätigkeit auf einem bestimmten Gebiet, verpflichten aber nicht zur Erreichung bestimmter Ziele. Andererseits liegt es bei Kompetenznormen, die neuartige Staatsaufgaben zum Gegenstand haben und entgegen Art. 30 GG in eine Bundeskompetenz überführen, nahe, dass sie auf rasche Realisierung angelegt sind. Dies trifft auf die Bekämpfung des sich seit dem 11. September 2001 in neuer Gestalt präsentierenden Terrorismus zu. Das Beispiel verallgemeinernd und auf die Ebene von kompetenzrechtlichen Charakteristika hebend, kann man feststellen: Bei einer Kompetenzordnung, die, wie die Art. 70 bis 75 GG, in einem Akt verfassungsgebender Gewalt neu etabliert wird, fällt es leichter, einen hypothetischen Charakter der einzelnen Kompetenzzuweisungen zu konstatieren; auch wenn eine neue Kompetenzordnung an eine schon vorhandene Rechtsordnung anknüpft, hat sie keinen Bewirkungsvorsatz zu einzelnen Punkten. Bei nachträglichen Änderungen solch einzelner Punkte kann dies, je nach Anlass und Motiv für die Änderung, anders sein. Damit ist eine Frage angeschnitten, die den Horizont dieses Beitrags in Richtung allgemeine Lehren föderaler Gesetzgebungszuständigkeiten überschreitet: Werden deren Charakteristika durch die Häufigkeit und das Ausmaß nachfolgender Änderungen einer einmal erlassenen Kompetenzverteilung unterschwellig beeinflusst? Die Antwort scheint ein Ja zu sein. Bei einem Vergleich der Ursprungsfassung des Grundgesetzes mit dem aktuell geltenden Verfassungstext fallen insgesamt gesteigerte Kleinteiligkeit, zeitliche Verknüpfung von verfassungsrechtlicher Kompetenzbegründung und einfachgesetzlicher Kompetenzausübung und eine gestärkte Stellung des Bundesrates auf. 1949 hatten weder Art. 73 noch Art. 74 GG einen Absatz 2, der jeweils dem Bundesrat ein Zustimmungsrecht gibt.
42 Dazu Josef Isensee, Die bundesstaatliche Kompetenz, in: ders. / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 133 Rn. 56 bis 58.
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IV. Schlussbetrachtung: Die Charakteristika heutiger Verfassungsänderung und die Föderalismusreform In einer Schlussbetrachtung sei darauf hingewiesen, dass die Frage, ob die Föderalismusreform Charakteristika der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern berührt, nicht losgelöst von den politischen Gesetzmäßigkeiten deutscher Föderalismusreform betrachtet werden kann. Klarheit über diesen Zusammenhang erspart Enttäuschungen. Die Föderalismusreform II wäre um ein Haar gescheitert.43 Die Schuldenbremse steht heute in erster Linie deshalb im Grundgesetz, weil die Politiker ein Zeichen setzen wollten, nachdem infolge Lehman-Pleite und Bankenrettung die Staatsverschuldung 2009 und 2010 auf nie dagewesene Rekordwerte geklettert war. Einnahmen- und Ausgabenautonomie der Bundesländer und Finanzausgleich wurden aus der Reformagenda ausgeklammert. Dies sind Punkte, die mittelbar-faktisch zu Grundlagen der Ländergesetzgebung gehören und die auf die Bewertung der Ergebnisse der Föderalismusreform I zurückwirken. Staatsausgaben knüpfen gemäß Art. 104a Abs. 1 GG an Staatsaufgaben an, und mit Staatsaufgaben sind hier im Schwerpunkt Verwaltungsaufgaben gemeint.44 Allerdings werden Verwaltungsaufgaben gesetzlich begründet. Da Landesgesetze notwendig von der Landesverwaltung ausgeführt werden, besteht insoweit ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Gesetzgebungs- und Finanzierungszuständigkeit. Eine vergleichbare Korrelation von ausschließlicher Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes sowie Verwaltungs- und Finanzierungskompetenz des Bundes existiert nicht.45 Verschiebungen einer Gesetzgebungskompetenz zwischen dem Bund und den Ländern können gesamtstaatlich kostenneutral sein, ändern aber in jedem Fall die Zuständigkeit für Kosten verursachende Gesetze bzw. Gesetzesänderungen. Eine Föderalismusreform, die sich den Gesetzgebungsbefugnissen widmet, die eine aufgabengerechte Verteilung von Einnahmen, mit denen der Gesetzesvollzug zu finanzieren 43 Zu ihr Peter Selmer, Die Föderalismusreform II – Ein verfassungsrechtliches monstrum simile, NVwZ 2009, S. 1255 (1255 ff.). 44 Siehe nur Markus Heintzen, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 104a Rn. 13 bis 17. 45 Hier reicht die Palette von Ausführung von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheit der Länder (z. B. Melde- und Ausweiswesen), Bundesauftragsverwaltung (Atomenergie, mit der im Hinblick auf die Unwägbarkeiten der nuklearen Endlagerung wichtigen Kostenfolge in Art. 104a Abs. 2 GG, die gewährleistet, dass die Verschiebung dieser Materie von der konkurrierenden in die ausschließliche Bundesgesetzgebung für die Länder kostenneutral ist) bis hin zu Mischverwaltung (Terrorbekämpfung); Bundeseigenverwaltung ist bei den von der Föderalismusreform I im Bereich ausschließlicher Gesetzgebung betroffenen Materien nicht im Spiel.
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ist, aber ausblendet, ist darum konzeptionell unvollständig. Das betrifft auch die ausschließliche Gesetzgebung von Bund und Ländern, mögen auch die in diesem Beitrag zu betrachtenden Materien für sich genommen keine haushaltspolitischen „Schwergewichte“ sein. Auf das Beispiel der neuen Ländergesetzgebungskompetenz für die Beamtenbesoldung wurde schon hingewiesen. Es gibt gute Gründe46 für die Annahme, dass nach den Wahlen zum 18. Deutschen Bundestag eine Föderalismusreform III aufgelegt wird, bei der ein erneuter Anlauf zu einer Neuregelung von Einnahmen- und Ausgabenverteilung und Finanzausgleich unternommen wird. Jedenfalls bis dahin kann eine Beurteilung der Föderalismusreform I nur vorläufig sein. Für die Bereiche Ländergesetzgebung und ausschließliche Bundesgesetzgebung ist an Grundsätzlich-Charakteristischem Folgendes festzuhalten: – Bei der ausschließlichen Bundesgesetzgebung: Fehlanzeige. – Bei der ausschließlichen Landesgesetzgebung: eine allmähliche Etablierung dieser mit konkreten Kompetenztiteln gefüllten Kategorie, in Abgrenzung zu einer bloß residualen Auffangzuständigkeit. – Damit einhergehend eine Tendenz zu einer zunehmenden Aufspaltung einzelner Kompetenztitel, die ein bürokratisches Gefahrenpotential birgt.
46 Insbesondere das volle Inkrafttreten der Schuldenbremse ab dem 1. Januar 2020 und das Auslaufen von Finanzausgleich und Förderung der neuen Bundesländer (Solidarpakt) am 31. Dezember 2019. Vgl. jetzt den Koalitionsvertrag von CDU / CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode, S. 67.
Die Charakteristika der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes nach der Föderalismusreform Von Christoph Degenhart I. Konkurrierende Gesetzgebung und bundesstaatliche Ordnung des Grund gesetzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 II. Art. 72 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Konkurrierende Gesetzgebung als Vorranggesetzgebung. . . . . . . . . . . . . . 68 a) Annäherung an die ausschließliche Gesetzgebung. . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Abweichungsgesetzgebung als Unterfall der konkurrierenden Gesetzgebung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 c) Vorranggesetzgebung als tiefgreifender Einschnitt in die bundesstaatliche Ordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Erforderlichkeitsprüfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 III. Abweichungsgesetzgebung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Abweichungsgesetzgebung und abweichungsfeste Kerne. . . . . . . . . . . . . 72 2. Abweichungsgesetzgebung als konkurrierende Gesetzgebung . . . . . . . . . 73 a) Gleichberechtigtes Nebeneinander – Konkurrenzverhältnis in zeitlicher Hinsicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Korrektur durch Bundestreue?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 c) Abweichungsgesetzgebung und bundesstaatliche Balance: keine „enge“ Auslegung des Abweichungsrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3. Einzelfragen der Abweichungsgesetzgebung in ihrem Bezug zur föderalen Ordnung des Grundgesetzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Negativgesetzgebung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Formulierungsidentische / inhaltsgleiche Übernahme. . . . . . . . . . . . . . . 77 c) Abweichungsgesetzgebung als minus, maius oder aliud. . . . . . . . . . . 78 IV. Bilanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
I. Konkurrierende Gesetzgebung und bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes Wenn wir über die Charakteristika der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 70, 72 und 74 GG sprechen, so sprechen wir gleichzeitig über Charakteristika der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes.1 Sie werden erkennbar in der Ausgestaltung der konkurrierenden Gesetzgebung durch die
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Verfassung, in ihrer Konkretisierung und näheren Ausformung durch die Verfassungsrechtsprechung und in ihrer Realisation durch den kompetenzausfüllenden Gesetzgeber. Entwicklungsstand und Entwicklungstendenzen, aber auch offene Fragen und Konflikte im deutschen Bundesstaat, in der grundgesetzlichen Ausprägung des Föderalismus treten in ihnen zutage.2 Die Feststellung insbesondere, dass der den Kompetenztypus bestimmenden Norm des Art. 72 GG im Rahmen der „Balance zwischen Bund und Ländern“ besondere Bedeutung zukommt,3 gilt unverändert für dessen Neufassung im Zuge der Föderalismusreform 2006. 1
Zu den wesentlichen Charakteristika der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes zählt die vielfältige Verflochtenheit von Bund und Ländern, die vielfältige wechselseitige Überlagerung der Kompetenzräume, und nicht deren klare Trennung – die konkurrierende Gesetzgebung als der praktisch bei weitem bedeutendste Kompetenztypus war seit jeher Ausdruck dieser Verflochtenheit und ist es auch und – wie zu zeigen sein wird, verstärkt – nach der Föderalismusreform. Vor allem aber bringen die unterschiedlichen Fassungen des Art. 72 GG, mehr noch deren Handhabung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die Art und Weise der Inanspruchnahme der konkurrierenden Zuständigkeiten durch den Bundesgesetzgeber, das andauernde Spannungsverhältnis von bundesstaatlicher Vielfalt und unitarischem Föderalismus zum Ausdruck, lassen deutlich werden, wie sich hier die unterschiedlichen Sehweisen, Modeströmungen vergleichbar, ablösen. Vor allem in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts begann ein sozial- und leistungsstaatlich orientierter unitarischer Föderalismus eine tradierte Sehweise abzulösen, die den Focus vor allem auf eine Deutung des Föderalismus als Ausdruck historisch gewachsener Vielfalt legte, aber auch als Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Subsidiaritätsprinzips. Der Tendenz zum unitarischen Bundesstaat entsprach zweifellos eine Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG, die das Ausmaß bundesstaatlicher Unitarisierung in der Gesetzgebung weitestgehend dem Gestaltungsermessen des kompetenz ausfüllenden Bundesgesetzgebers unterstellte. Ihre Neufassung 1994 war auch Ausdruck eines erneut den Gesichtspunkt bundesstaatlicher Vielfalt betonenden Verständnisses des bundesdeutschen Föderalismus, nunmehr aber weniger sich orientierend an historisch gewachsener Vielfalt, als vielmehr am Gedanken des föderalen Wettbewerbs – kompetitiver Föderalis1 Vgl. Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 1. 2 Vgl. Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 Rn. 1 ff. 3 BVerfGE 106, 62 (135) – Altenpflege.
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mus vs. solidarischem Föderalismus.4 Mittlerweile scheint die Erkenntnis Platz zu greifen, dass sich Ordnungsprinzipien des Wirtschaftslebens nicht ohne weiteres auf die staatliche Sphäre übertragen lassen. Die Neufassung des Art. 72 GG mit der Föderalismusreform 1994 jedenfalls wurde als grundlegende Verschiebung der Gewichte im Kompetenzgefüge des Grundgesetzes gewertet, als entscheidende Stärkung der Länder5 – bis dann die Föderalismusreform 2006 die Entwicklung hinter den Stand von 2006 zurückführte.6 Deutlich wird an der Entwicklung der konkurrierenden Gesetzgebung und insbesondere am wechselhaften Schicksal der Bedürfnis- bzw. der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG auch eine kennzeichnende Unentschiedenheit in der Einstellung zum Föderalismus und zur bundesstaatlichen Ordnung – man ist sich nicht sicher, will man den solidarischen oder den kompetitiven Föderalismus, will man überhaupt eine echte föderale Ordnung mit den Ländern als eigenverantwortlicher Ebene von Staatlichkeit,7 eine insbesondere auch dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtete Ordnung, oder den doch vorrangig unitarisch ausgerichteten Staat mit gewissen folkloristischen Elementen? Auch wenn sich partikularstaatliches Eigenbewusstsein durchaus gehalten hat, wird doch andererseits am Anspruch auf gleichwertige, wenn nicht gleichartige8 Lebensverhältnisse festgehalten. Und wenn auch die Ausgliederung so bedeutender Kompetenzmaterien wie der des Gaststättenrechts aus der konkurrierenden Gesetzgebung und ihre Rückverlagerung auf die Länder – Oeter spricht hier von Spielwiesen für die Landesgesetzgebung9 – als Beitrag zur Stärkung des Föderalismus der Bundesrepublik begrüßt wurde, so stieß es doch weitgehend auf Unverständnis, dass man erstaunt feststellen musste, dass dies tatsächlich zu unterschiedlichen Regelungen in den Ländern führte. 4 Zu Geschichte und Praxis des Art. 72 GG vgl. Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 6 ff. 5 Kennzeichnend etwa Otto Depenheuer, Verfassungsgerichtliche Föderalismusreform. Chance und Bewährungsprobe für den deutschen Föderalismus, ZG 2005, S. 83 (83 ff.). 6 Vgl. z. B. Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 3; Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 Rn. 3; Hans-Jürgen Papier, Aktuelle Fragen der bundesstaatlichen Ordnung, NJW 2007, S. 2145 (2145 f.). 7 Vgl. Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 18. 8 Vgl. Katrin Gerstenberg, Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform, 2009, S. 101. 9 Vgl. Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 66.
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Nicht zuletzt manifestiert sich gerade in Konfliktfeldern der konkurrierenden Gesetzgebung als weiteres prägendes Charakteristikum des deutschen Föderalismus dessen dezidiert justizielle Absicherung durch die Verfassungsgerichtsbarkeit und werden Funktion und Bedeutung der Verfassungsgerichtsbarkeit und ihr Selbstverständnis als Garant der föderalen Ordnung deutlich. Ich sage ausdrücklich: Verfassungsgerichtsbarkeit und meine damit die des Bundes und der Länder. II. Art. 72 Abs. 2 GG 1. Konkurrierende Gesetzgebung als Vorranggesetzgebung a) Annäherung an die ausschließliche Gesetzgebung Für die Charakteristika der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz ist zu vergegenwärtigen, dass es „die“ konkurrierende Gesetzgebung nach der Föderalismusreform 2006 nicht mehr gibt. Art. 72 Abs. 2 GG trennt scharf zwischen den Kompetenzmaterien, für die der Bund ohne weiteres im Wege der Gesetzgebung tätig werden kann, und Kompetenzmaterien, für die die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung festzustellen ist. Ob nun im ersteren Fall von einer Vorranggesetzgebung des Bundes, einer voraussetzungslosen oder unkonditionierten Gesetzgebung oder einer Kerngesetzgebung des Bundes gesprochen wird, ist eine eher terminologische Frage.10 In jedem Fall aber handelt es sich um einen Kompetenztypus, der dem der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes deutlich angenähert ist.11 Denn in beiden Konstellationen kann der Bundesgesetzgeber ohne weiteres tätig werden, ist er keiner Darlegungslast für die Legitimation einer bundesgesetzlichen Regelung unterworfen, wie sie bei echter konkurrierender Gesetzgebung bis dahin stets bestand, wenn auch bis zur Verfassungsreform 1994 in geringerem Maße und nur begrenzt justiziabel. Die Stellung des Landesgesetzgebers ist in beiden Konstellationen, der der ausschließlichen Gesetzgebung und der der konkurrierenden Gesetzgebung als Vorranggesetzgebung, insofern vergleichbar, als er auf den Spielraum verwiesen ist, den ihm der Bundesgesetzgeber belässt. Im Fall der 10 Kritisch zur Verwendung des Begriffs Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 1; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 3; für Vorranggesetzgebung Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 60. 11 Ebenso Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 72 Rn. 12.
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ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes besteht eigener Handlungsspielraum des Landesgesetzgebers jedoch nur auf Grund expliziter Ermächtigung, im Fall der konkurrierenden Zuständigkeit nach Maßgabe der Nichtausschöpfung der Bundeszuständigkeit – sofern es sich nicht um jenen „bewussten Regelungsverzicht“ des Bundesverfassungsgerichts handelt, der ja gleichermaßen Sperrwirkung erzeugen soll. b) Abweichungsgesetzgebung als Unterfall der konkurrierenden Gesetzgebung Dies gilt allerdings nicht für den mit der Föderalismusreform als weiteren Unterfall der konkurrierenden Gesetzgebung neu eingeführten Kompetenztypus der Abweichungsgesetzgebung. An die Stelle des bisherigen, geregelten tritt hier ein unkonditioniertes Nebeneinander von Bundes- und Landesgesetzgebung. Einerseits sind die einzelnen Fallgruppen des Art. 72 Abs. 3 GG durchweg dem Bereich der Vorranggesetzgebung des Bundes zugeordnet, darf also in allen Fällen der Abweichungsgesetzgebung der Bund ohne weiteres gesetzgeberisch tätig werden. Andererseits unterliegt auch die Gesetzgebung der Länder, soweit die Abweichungsbefugnis reicht, keinen weiteren sachlichen, sondern lediglich gewissen temporären Einschränkungen.12 Sowohl von der Position der Länder her gesehen, als auch von der des Bundes fügt sich die Abweichungsgesetzgebung damit nicht mehr in das tradierte Bild einer konkurrierenden Gesetzgebung. c) Vorranggesetzgebung als tiefgreifender Einschnitt in die bundesstaatliche Ordnung Die tiefgreifenden Einschnitte in die Ordnung der konkurrierenden Gesetzgebung durch die Föderalismusreform 2006 erscheinen umso prägender für die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes, als die konkurrierende Gesetzgebung den praktisch relevantesten Kompetenztypus darstellt. Die Kompetenzmaterien des Art. 74 GG decken den größten Teil der Gesetzgebungstätigkeit des Bundes und der Länder ab. Konkurrierende Gesetzgebung als Vorranggesetzgebung des Bundes besteht für die Mehrzahl und überwiegend für die praktisch relevantesten Kompetenztitel des Art. 74 GG. Unter Einbeziehung der gleichermaßen weitgespannten Kompetenzmaterien des Art. 73 GG, die zudem im Zuge der Föderalismusreform 2006 gleichfalls Weiterungen erfahren haben, bedeutet dies für die Balance zwischen Bund und Ländern im Bereich der Gesetzgebung: der Bund hat ganz überwiegend 12 Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 29.
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die ausschließliche Gesetzgebung oder aber ein Recht zur konkurrierenden Gesetzgebung, das weitestgehend dem der ausschließlichen Gesetzgebung entspricht. Die Bund-Länder-Balance ist damit deutlich verschoben. Als das Bundesverfassungsgericht in seiner Altenpflegeentscheidung die Intentionen der Erforderlichkeitsklausel von 1994 entschieden umsetzte, war u. a. von einer „Renaissance des Bundesstaates“ die Rede.13 Die Föderalismusreform 2004 beendete jedenfalls diese Epoche der Renaissance – wobei nicht eindeutig zu beantworten ist, ob durch Rückkehr ins Mittelalter oder Aufbruch in eine föderale Neuzeit. Die Verschiebung in der Bund-Länder-Balance ist auch nicht deshalb von geringerem Gewicht, weil bei den nicht mehr der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG unterworfenen Materien die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung im gesamtstaatlichen Interesse typisierend vorausgesetzt werden konnte, es sich um Rechtsgebiete handelt, für die die Rechtseinheit von besonderem Interesse ist. Dies mag bei den in Frage stehenden Materien in der Tat regelmäßig der Fall sein – andererseits besagt dies nichts über das einzelne Gesetzesvorhaben. In jedem Fall aber bewirkt die erneute Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG, dass der Bundesgesetzgeber in den relevantesten Kompetenzbereichen des Art. 74 GG tätig werden kann, ohne sich des gesamtstaatlichen Interesses zu vergewissern.14 Auch anderweitige einschränkende Aspekte, die etwa dem Bund beim Gebrauchmachen von seiner Befugnis zur Vorranggesetzgebung Zurückhaltung auferlegen würden, sind nicht zu erkennen. Dass der „historische“ (verfassungsändernde) Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung davon ausging, bei den nicht in Art. 72 Abs. 2 GG aufgezählten Materien sei Erforderlichkeit stets gegeben, kann schwerlich bedeuten, dass etwa das Verhältnismäßigkeitsprinzip oder auch ein allgemeinerer Subsidiaritätsgedanke künftig gleichwohl in der einen oder anderen Weise Bedeutung behalten sollten, wie dies etwa Stettner in seiner Kommentierung vorschwebt.15 Denn maßgeblich kann hier nur der erklärte Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers sein, wie er in Wortlaut und Systematik des Art. 72 GG zum Ausdruck kommt. Hier aber ist die Unterscheidung zwischen den Materien der Vorranggesetzgebung des Bundes und der im engeren Sinn konkurrierenden Gesetzgebung für die in Abs. 2 enumerativ aufgezählten Kompetenz13 Wolfram Backert, Renaissance des Bundesstaats durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – die neue legislative Macht der Länder illustriert am Beispiel des modernen Stiftungsrechts im BGB, BayVBl 2006, S. 129 (129). 14 Hierzu kritisch Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 27. 15 Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 72 Rn. 24.
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titel zu eindeutig – weshalb auch Gesichtspunkte der Bundestreue oder andere allgemeinere Verfassungsgrundsätze die explizite Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers nicht konterkarieren können. Art. 72 Abs. 2 GG kann also, gerade nach der Föderalismusreform, nicht als Ausdruck eines allgemeineren Subsidiaritätsprinzips gedeutet werden. Vielmehr betont die Neufassung der Erforderlichkeitsklausel und der breite Raum, der dort den Kernkompetenzen des Bundes eingeräumt wird, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtseinheit im Bundesstaat des Grundgesetzes. 2. Erforderlichkeitsprüfung Andererseits lässt die Föderalismusreform 2006 für die in echter konkurrierender Zuständigkeit verbleibenden Kompetenzmaterien die Grundsätze für die Erforderlichkeitsprüfung nach Art. 72 Abs. 2 GG unberührt. Das Bundesverfassungsgericht hält denn auch an seiner Rechtsprechung zur Bedeutung und zur Justiziabilität der Erforderlichkeitsklausel fest, überträgt sie in seiner Entscheidung zum Gewerbesteuer-Hebesatz auf die konkurrierende Zuständigkeit nach Art. 105 Abs. 2 GG. Die Entscheidung lässt auch keinen Zweifel daran, dass die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG im Sinn einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung zu verstehen ist.16 Erforderlich im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG ist eine bundesgesetzliche Regelung nur insoweit, als ohne sie die dort genannten und vom Gesetzgeber für sein Tätigwerden im konkret zu regelnden Bereich in Anspruch genommenen Zielvorgaben nicht oder nicht hinlänglich verwirklicht werden. Der Bund hat kein Recht zur Gesetzgebung, wenn landesrechtliche Regelungen zum Schutz der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten gesamtstaatlichen Rechtsgüter ausreichen. Damit werden Teilelemente des Verhältnismäßigkeits prinzips,17 das auf die Staat-Bürger-Beziehungen zugeschnitten ist,18 auf die staatliche Kompetenzordnung übertragen.19 16 BVerfGE 125, 141 (153 ff.) – Gewerbesteuer Mindesthebesatz, u. a.: Mindesthebesatz von 200 % für Gewerbesteuer verfassungsgemäß. 17 Vgl. Fritz Ossenbühl, Maßhalten mit dem Übermaßverbot; in: Badura / Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, Festschrift für Peter Lerche, 1993, S. 151. 18 BVerfGE 81, 310 (338) – Kalkar; anders Arndt Schmehl, Die neue Erforderlichkeitsklausel in Art. 72 Abs. 2 GG, DÖV 1996, S. 724 (726) im Hinblick auf Art. 72 Abs. 2 GG als spezielle Regelung; s. auch für das Gemeinschaftsrecht Volkmar Götz, Zur Regelungskompetenz der Gemeinschaft im Bereich der Rechtsangleichung, JZ 2001, S. 34 (35). 19 Vgl. dazu Christian Calliess, Kontrolle zentraler Kompetenzausübung in Deutschland und Europa: Ein Lehrstück für die Europäische Verfassung. Zugleich eine Besprechung des Altenpflegegesetz-Urteils des BVerfG, EuGRZ 2003, S. 181 (183 f.); Markus Kenntner, Der Föderalismus ist (doch) justiziabel! – Anmerkungen
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In der Frage der Zielvorgaben für ein Tätigwerden des Bundesgesetzgebers nach Art. 72 Abs. 2 GG hat die Föderalismusreform für diejenigen Materien, die nicht auf die Ebene der Vorranggesetzgebung oder auch der ausschließlichen Gesetzgebung nach Art. 73 GG hochgezont wurden, keine Veränderungen gebracht. Auch die Rechtsprechung hält für diesen Bereichen an dem durch die Altenpflegeentscheidung eingeleiteten strikten Kurs in der Anwendung der Erforderlichkeitsklausel unverändert fest, betont insbesondere – im Gewerbesteuer-Hebesatzurteil noch verstärkt die Notwendigkeit einer Rechtfertigung für das Tätigwerden des Bundesgesetzgebers im Sinn einer eingriffsmäßigen Verhältnismäßigkeitsprüfung, dergestalt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf das Bund-Länder-Verhältnis übertragend. Andererseits bleibt das Element der politischen Gestaltung nicht ausgeklammert, das den Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG innewohnt. Ein Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, eine Prärogative in der Bestimmung der gesamtstaatlichen Zielvorgaben wird dem Bundesgesetzgeber auch unter der Geltung der Erforderlichkeitsklausel zuerkannt, zumal Kriterien der Eingriffsbegrenzung im grundrechtlich geprägten Staat-BürgerVerhältnis nicht unbesehen auf die staatsorganisatorisch geprägten BundLänder-Beziehungen übertragen werden dürfen.20 Zudem enthält die Feststellung der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung in hohem Maße Elemente einer Prognose; dem Gesetzgeber sind Prognosespielräume zu konzedieren.21 III. Abweichungsgesetzgebung 1. Abweichungsgesetzgebung und abweichungsfeste Kerne Um eine neuartige Spielart der konkurrierenden Gesetzgebung handelt es sich demgegenüber bei der mit der Föderalismusreform 2006 neu eingeführten Abweichungsgesetzgebung. Sie weist Charakteristika der gleichzeitig abgeschafften Rahmengesetzgebung auf, insofern, als sie darauf angelegt ist, den Ländern Spielraum für die Berücksichtigung landesspezifischer zum „Altenpflegegesetz-Urteil“ des BVerfG, NVwZ 2003, S. 821 (823) und – nach wie vor kritisch zur Neufassung – Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 88, 108, 116. 20 So auch Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 27; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 116. 21 Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 28.
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Gegebenheiten zu eröffnen; tatsächlich handelt es sich bei den Materien der Abweichungsgesetzgebung um Materien der früheren Rahmengesetzgebung.22 Positiven Niederschlag hat dies im Verfassungstext dort gefunden, wo das Grundgesetz ausdrücklich abweichungsfeste Kerne benennt, so etwa für Naturschutz und Landschaftspflege. Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG. Sie benennt diese abweichungsfesten Bereiche in unterschiedlicher Weise: sie benennt sie zum einen gegenständlich, wenn Artenschutz und Meeresnaturschutz der Abweichungsgesetzgebung entzogen werden; diese Teilausschnitte aus der Kompetenzmaterie des Naturschutzes werden damit generell der Abweichungsgesetzgebung entzogen. Von abweichungsfesten Kernen zu sprechen, erscheint demgegenüber dort gerechtfertigt, wo, wie für die Kompetenzmaterie des Naturschutzes im Übrigen, die allgemeinen Grundsätze dieses Rechtsgebiets für abweichungsfest erklärt werden. Die Verfassungsnorm unterscheidet innerhalb des Kompetenztitels also zwischen abweichungsfesten allgemeinen Grundsätzen einerseits, abweichungsfestem Recht ohne diese Beschränkung andererseits. Hier zeigt sich die Ableitung aus der früheren Rahmengesetzgebung am deutlichsten. Sektoral werden einzelne Materien von der Abweichungsbefugnis auch im Jagdrecht und im Wasserhaushaltsrecht ausgenommen. 2. Abweichungsgesetzgebung als konkurrierende Gesetzgebung a) Gleichberechtigtes Nebeneinander – Konkurrenzverhältnis in zeitlicher Hinsicht Die Abweichungsgesetzgebung des Art. 72 Abs. 3 GG weist typische Charakteristika der konkurrierenden Gesetzgebung auf, im geregelten Nebeneinander von Bundes- und Landesgesetzgebung. Anders als sonst im Bereich der konkurrierenden und der ausschließlichen Gesetzgebung, handelt es sich um ein prinzipiell gleichberechtigtes Nebeneinander der Kompetenzträger und besteht kein grundsätzlicher Vorrang des Bundes. Das Bundesrecht insbesondere entfaltet keine generelle Sperrwirkung. Eben dies trägt auch über den sich aufdrängenden Wertungswiderspruch hinweg, dass für die Materien der Abweichungsgesetzgebung, für die die Länder zu länderspezifischen Regelungen befugt sein sollen, die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG nicht gilt, es sich also bei der Abweichungsgesetzgebung stets auch um Fälle der Vorranggesetzgebung des Bundes handelt. Wenn die Länder ohnehin zur Gesetzgebung berufen sind und die bundesgesetzliche Regelung ihnen gegenüber keine Sperrwirkung entfaltet, bedarf 22 Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 121 f.
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es keiner weiteren Sicherungen zugunsten der Länder in Gestalt einer eingriffsorientierten Erforderlichkeitsprüfung. Art. 72 Abs. 3 GG erfasst das Konkurrenz- und Kollisionsverhältnis in der Gesetzgebung allein unter dem zeitlichen Aspekt: die zeitlich nachgehende Regelung genießt Anwendungsvorrang unabhängig von der jeweiligen Normebene; auch insoweit sind Bund und Länder in der Gesetzgebung gleichberechtigt. Dies kann allerdings einerseits der Rechtssicherheit eher abträglich sein, dürfte zudem zu einer weiteren Verschränkung als zu einer Entflechtung der Gesetzgebungsbefugnisse beitragen. Denn für die Materien der Abweichungsgesetzgebung gilt nicht die insoweit doch einigermaßen klare Kollisionsregel des Art. 31 GG. Es gilt der zeitliche Vorrang, und es gilt nur ein Anwendungsvorrang; es können Teilrechtsordnungen im Bundesstaat zur Entstehung kommen, die unter dem Vorbehalt steter Abänderbarkeit durch den jeweils anderen Beteiligten im Bundesstaat stehen. b) Korrektur durch Bundestreue? Es ist dies eine Konstellation, die an sich nach der Korrektivfunktion allgemeiner Verfassungsgrundsätze wie insbesondere der Bundestreue, des bundes- bzw. länderfreundlichen Verhaltens fragen lässt. Andererseits sehe ich hier kaum Anhaltspunkte, die Gesetzgebungsbefugnisse von Bund und Ländern aus derartigen allgemeinen Verfassungsgrundsätzen einzuschränken. Dem Einsatz des Grundsatzes der Bundestreue in seiner kompetenzbegrenzenden Funktion23 allerdings sollte mit Zurückhaltung begegnet werden. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat die in ihrer Tragweite noch zu klärenden Abweichungen der Länder von bundeseinheitlichen Regelungen im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege durchaus bewusst in Kauf genommen – hieraus etwa resultierende Komplikationen im BundLänder-Verhältnis sind daher zunächst hinzunehmen.24 Dies gilt übrigens auch unter dem Aspekt der Europatauglichkeit – einer der maßgeblichen Zielsetzungen der Föderalismusreform im Bereich der Gesetzgebung. Auch ist im Zuge der Umsetzung europäischer Richtlinien innerhalb eines durch sie eröffneten Umsetzungsspielraums kein erhöhtes 23 Vgl. Helmuth Schulze-Fielitz, Umweltschutz im Föderalismus – Europa, Bund und Länder, NVwZ 2007, S. 249 (254); Lars Mammen, Der neue Typus der konkurrierenden Gesetzgebung mit Abweichungsrecht, DÖV 2007, S. 376 (378). 24 S. aber Peter Selmer, Folgen der neuen Abweichungsgesetzgebung der Länder – Abschied vom Leitbild „gleichwertiger Lebensverhältnisse“?, ZG 2009, S. 33 (40 ff.) zur Verpflichtung auf ein Gebot gleichwertiger Lebensverhältnisse.
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Maß an Gleichförmigkeit der Gesetzgebung gefordert,25 wie es ja generell keinen spezifischen Kompetenztypus der Umsetzungsgesetzgebung gibt.26 Deshalb bestehen auch Bedenken gegenüber einem Ansatz, abweichungsfeste Kerne auf Grund von Gemeinschaftsrecht extensiv zu bestimmen. Dass die Länder im Recht z. B. des Naturschutzes in vielfacher Hinsicht durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben gebunden sind,27 so z. B. i. F. d. FFHRichtlinie, dies ist kein spezifisches Problem der Abweichungsgesetzgebung, mag es auch deren Bedeutung relativieren. c) Abweichungsgesetzgebung und bundesstaatliche Balance: keine „enge“ Auslegung des Abweichungsrechts Ein allgemeiner Auslegungsgrundsatz dahingehend, dass die Abweichungsbefugnisse der Länder auf Grund ihres Ausnahmecharakters gegenüber der prinzipiell unbedingten und uneingeschränkten Vorrangkompetenz28 des Bundes für die Materien des Art. 72 Abs. 3 GG eng auszulegen sind,29 kann 25 So aber Walter Frenz, Föderalismusreform im Umweltschutz, NVwZ 2006, S. 742 (745). 26 Anders sieht dies offenbar Walter Frenz, Föderalismusreform im Umweltschutz, NVwZ 2006, S. 742 (745): teleologische Reduktion des Art. 72 Abs. 2 GG. 27 Helmuth Schulze-Fielitz, Umweltschutz im Föderalismus – Europa, Bund und Länder, NVwZ 2007, S. 249 (257); Wolfgang Köck / Rainer Wolf, Grenzen der Abweichungsgesetzgebung im Naturschutz – Sind Eingriffsregelung und Landschaftsplanung allgemeine Grundsätze des Naturschutzes?, NVwZ 2008, S. 353 (357). 28 Gegen die Verwendung des Begriffs Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006 – Konzeption, Kommentar, Kritik, 2008, S. 160, dem die Verwendung des Begriffs „unerfindlich“ ist; wie hier z. B. Wolfgang Köck / Rainer Wolf, Grenzen der Abweichungsgesetzgebung im Naturschutz – Sind Eingriffsregelung und Landschaftsplanung allgemeine Grundsätze des Naturschutzes?, NVwZ 2008, S. 353 (355); es handelt sich hierbei in der Tat um einen verfassungsgesetzlichen Rückschritt im Sinn eines Zurückbleibens hinter der Rechtsprechung des Bundesver fassungsgerichts zur Erforderlichkeitsklausel des Art. 71 Abs. 2 GG (1994), vgl. Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1210); dagegen Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006 – Konzeption, Kommentar, Kritik, 2008, S. 162, mit dem unbegründeten Vorhalt, die Rechtsprechung des BVerfG werde insoweit nicht zur Kenntnis genommen. 29 Dafür Helmuth Schulze-Fielitz, Umweltschutz im Föderalismus – Europa, Bund und Länder, NVwZ 2007, S. 249 (256); Wolfgang Köck / Rainer Wolf, Grenzen der Abweichungsgesetzgebung im Naturschutz – Sind Eingriffsregelung und Landschaftsplanung allgemeine Grundsätze des Naturschutzes?, NVwZ 2008, S. 353 (356); Walter Frenz, Föderalismusreform im Umweltschutz, NVwZ 2006, S. 742 (746) im Blick auf die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes auch Michael Kloepfer, Föderalismusreform und Umweltgesetzgebungskompetenzen, ZG 2006, S. 250 (264).
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der Regelung der Abweichungskompetenz nicht entnommen werden. Auch wenn man einen allgemeinen Auslegungsgrundsatz diesen Inhalts für das Grundgesetz annehmen wollte: die Abweichungsbefugnisse nach Art. 72 Abs. 3 GG sind nicht als Ausnahmebestimmungen konzipiert. Sie zielen auf die Ausgestaltung des Bund-Länder-Verhältnisses durch wechselseitige Verschränkung der Gesetzgebungsbefugnisse in den Bereichen der früheren Rahmengesetzgebung. Dass die bisherigen Rahmenkompetenzen des Bundes zu Vollkompetenzen erstarkt sind, besagt nichts über deren Reichweite – dies umso mehr, als Bund und Länder sich nunmehr, anders als nach der bisherigen Rahmengesetzgebung, gleichberechtigt gegenüberstehen. Die Abweichungskompetenzen des Art. 72 Abs. 3 GG eng auszulegen, ist also nicht veranlasst. Daher kann das Abweichungsrecht auch nicht beschränkt werden, etwa auf einzelne Bestimmungen im Bundesgesetz, kann sich vielmehr auch auf umfassendere Normenkomplexe beziehen. 3. Einzelfragen der Abweichungsgesetzgebung in ihrem Bezug zur föderalen Ordnung des Grundgesetzes Der neue Gesetzgebungstypus der Abweichungsgesetzgebung wirft eine Reihe offener Fragen auf, deren Relevanz sich freilich erst durch die Praxis erweisen kann und die dann erst die Rechtsprechung wird beantworten können. Die in diesem Zusammenhang gern beschworene Gefahr einer Ping-Pong-Gesetzgebung30 sollte im Vertrauen auf ein gewisses Maß an Rationalität in der Gesetzgebung nicht dramatisiert werden. Weitere kontrovers erörterte Abweichungskonstellationen31 liegen zwischen den Polen der formulierungsidentischen Übernahme von Bundesrecht durch Landesrecht einerseits, der bloßen Negativgesetzgebung andererseits. Dass dies möglichen Fallgestaltungen sich in der Praxis der Gesetzgebung wiederfinden werden, kann zumindest nicht ausgeschlossen werden. a) Negativgesetzgebung? Negativgesetzgebung würde bedeuten:32 der Landesgesetzgeber ordnet die Nichtgeltung der bundesgesetzlichen Norm an. Dies kann ausdrücklich oder 30 Vgl. Peter Fischer-Hüftle, Zur Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet Naturschutz und Landschaftspflege nach der Föderalismusreform, NuR 2007, S. 78 (79). 31 Dazu näher insbesondere Peter Fischer-Hüftle, Zur Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet Naturschutz und Landschaftspflege nach der Föderalismusreform, NuR 2007, S. 78 (80 f.). 32 Vgl. Peter Fischer-Hüftle, Zur Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet Naturschutz und Landschaftspflege nach der Föderalismusreform, NuR 2007, S. 78 (80 f.).
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konkludent geschehen. Letzteres kann etwa dann der Fall sein, wenn ein in sich geschlossener Normenkomplex des Bundesrechts landesgesetzlich abweichend geregelt wird und sich aus der Auslegung der landesgesetzlichen Regelung die Nichtgeltung bestimmter bundesgesetzlicher Vorschriften für eben diesen Regelungszusammenhang ergibt. Schon aus Gründen der Rechtsklarheit dürften hier freilich enge Grenzen gesetzt sein. Negativgesetzgebung in diesem Sinn erscheint als die intensivste Form der Abweichung – von einer Norm kann schwerlich weitergehend als durch Anordnung ihrer Nichtgeltung abgewichen werden. Gerade jene formale Betrachtungsweise, die allein auf die Anordnung einer abweichenden Rechtsfolge – irgendeiner abweichenden Rechtsfolge – abstellt,33 müsste problemlos zur Annahme einer Abweichung gelangen, wenn das Landesrecht anordnet, dass die Rechtsfolgen aus der bundesgesetzlichen Regelung nicht eintreten sollen. Gleichwohl wird eine „Negativgesetzgebung“ in diesem Sinn, die also die bundesgesetzliche Regelung zur Gänze oder in relevanten Teilabschnitten außer Kraft setzt, überwiegend als unzulässig erachtet.34 Keine derartige Negativgesetzgebung ist jedoch dann anzunehmen, wenn die landesgesetzliche Regelung auf einzelne Elemente der bundesgesetzlichen Regelung verzichtet. b) Formulierungsidentische / inhaltsgleiche Übernahme Formulierungsidentische Übernahme der bundesgesetzlichen Regelung in einem Landesgesetz würde dann nur sinnvoll erscheinen, wenn es dem Land gerade auf die Geltung des übernommenen Rechts als nicht revisibles Landesrecht ankommt. Mit dem Begriff der Abweichung lässt sich dies wohl nur in extensiver Auslegung des Wortlauts der Verfassungsnorm vereinbaren.35 Gleiches gilt für inhaltsgleiche Übernahme, wenn also der Landesgesetzgeber die Regelungen des Bundesrechts in der Sache unverändert übernehmen würde – zwischen diesen Varianten der formulierungsidentischen und der inhaltsgleichen Übernahme kann im Blick auf Art. 72 Abs. 3 33 Vgl. Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 30. 34 So Wolfgang Köck / Rainer Wolf, Grenzen der Abweichungsgesetzgebung im Naturschutz – Sind Eingriffsregelung und Landschaftsplanung allgemeine Grundsätze des Naturschutzes?, NVwZ 2008, S. 353 (356); für den Fall der Ersetzung nach Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG auch Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 125a Rn. 31 – obschon dort wegen des Fehlens einer Sachkompetenz des Bundes die Befugnisse der Länder weiter reichen müssen als bei Art. 72 Abs. 3 GG; anders Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 29. 35 Dafür wohl Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 103.1.
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GG schwerlich differenziert werden. In beiden Fällen kann nicht unbesehen von einer Abweichung, von abweichenden Regelungen gesprochen werden. Auch die Kollisionsregel des Art. 72 Abs. 3 GG scheint hier ins Leere zu greifen. Der Anwendungsvorrang des jeweils neueren Gesetzes ist für den Fall der Normenkollision angeordnet – von einer Normenkollision kann dann nicht ohne weiteres gesprochen werden, wenn identische Rechtsfolgen angeordnet werden. Dagegen könnte allerdings eingewandt werden, bereits die Anordnung der Geltung als Landesrecht, die Änderung der Normqualität stelle eine Abweichung dar. Denn bereits hierin liege die Anordnung abweichender Rechtsfolgen. Weitere Folgeprobleme seien nur angedeutet. Wird etwa das Bundesgesetz geändert, mit der Folge des Anwendungsvorrangs der geänderten Bestimmungen im Kollisionsfall, so entsteht ein schwer durchschaubares und erhebliche Differenzierungserfordernisse begründendes Normengeflecht. So wird denn die inhaltsgleiche Übernahme des Bundesgesetzes ganz überwiegend als unzulässig gesehen.36 c) Abweichungsgesetzgebung als minus, maius oder aliud Zwischen den Polen der unveränderten Übernahme und der Negativgesetzgebung sind im Verhältnis von Bundes- und Landesnorm unterschied liche Varianten einer Abweichungsgesetzgebung denkbar. Die landesgesetzliche Norm kann im Verhältnis zur bundesgesetzlichen Norm ein minus, ein maius oder ein aliud darstellen. Die abweichende Norm kann die Intention des Bundesgesetzes zurücknehmen, sie kann sie im tatbestandlichen Anwendungsbereich verkürzen oder in den Rechtsfolgen abschwächen. Die abweichende Regelung kann die Intention des Bundesgesetzgebers intensivieren, die bundesgesetzliche Regelung in ihrem Anwendungsbereich ausweiten, die Rechtsfolgen verschärfen. Der Landesgesetzgeber kann die bundesgesetzliche Regelung auch lediglich konkretisieren und instrumentalisieren. Die abweichende Regelung kann aber auch Änderungen vornehmen, ohne dass diese eindeutig als „Verschärfung“ oder „Abmilde36 Hans-Werner Rengeling, Föderalismusreform und Gesetzgebungskompetenzen, DVBl 2006, S. 1537 (1542); Arnd Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 Rn. 51; Thomas Mayen, Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern, DRiZ 2007, S. 51 (54); Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 80i; Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006 – Konzeption, Kommentar, Kritik, 2008, S. 170; a. A. Jörn Ipsen, Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Föderalismusnovelle, NJW 2006, S. 2801 (2804).
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rung“ der bundesgesetzlichen Regelung einzustufen sind.37 Trifft das Landesgesetz Regelungen für einen Sachbereich, in dem der Bundesgesetzgeber keine Regelungen getroffen hat, so ist der Anwendungsbereich des Art. 72 Abs. 3 GG gegenüber dem des Abs. 1 abzugrenzen, wenn es bereits an der Sperrwirkung des Bundesgesetzes fehlt. IV. Bilanz Die Bilanz der Föderalismusreform ist zwiespältig, soweit der Kompetenztypus der konkurrierenden Zuständigkeit in Frage steht.38 Einerseits bedeuten die den Ländern eingeräumten zusätzlichen Möglichkeiten föderaler Entfaltung breiteren Raum für bundesstaatliche Vielfalt. Hiervon behutsam Gebrauch zu machen, ist schon im Interesse der Rechtssicherheit für den Bürger geboten. Andererseits bedeutet der für wesentliche Bereiche der konkurrierenden Gesetzgebung nun maßgebliche Typus der unkonditionierten oder Vorranggesetzgebung eine deutliche Präferenz für die Rechtseinheit im Bundesstaat. Die bundesstaatliche Verflechtung jedenfalls hat mit der Föderalismusreform im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung an Dichte und Komplexität weiter zugenommen, dem Sog des unitarischen Bundesstaats werden die Länder sich noch weniger entziehen können – wenn sie dies denn überhaupt wollen.
37 Vgl. Peter Fischer-Hüftle, Zur Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet aturschutz und Landschaftspflege nach der Föderalismusreform, NuR 2007, S. 78 N (80): „Änderungsabweichung“. 38 S. auch Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 38.
Teil C
Die grundgesetzlichen Kompetenzzuweisungen nach der Föderalismusreform von 2006 im Detail
Die Sachbereiche der Landesgesetzgebung nach der Föderalismusreform Anmerkungen zur Verfassungsreform von 2006 und zu neueren Entwicklungen im Recht der Gesetzgebungsbefugnisse der Länder Von Peter Michael Huber und Arnd Uhle I. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 II. Die den Ländern explizit zugewiesenen Gesetzgebungskompetenzen. . . . . . 86 III. Die 1. 2. 3. 4. 5.
Residualkompetenz der Länder gem. Art. 70 Abs. 1 GG. . . . . . . . . . . . 89 Die Kompetenz zur partiellen Regelung des Landesbeamtenrechts. . . . 91 Die Kompetenz zur Regelung des Versammlungsrechts. . . . . . . . . . . . . 96 Die Kompetenz für den Strafvollzug und den Untersuchungshaftvollzug. 100 Die Kompetenz für das Heimrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Die Kompetenz für das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, Ausstellungen und Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Die Kompetenz für das Recht des Ladenschlusses . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Die Kompetenz für das Recht der Gaststätten. . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Die Kompetenz für das Recht der Spielhallen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 d) Die Kompetenz für das Recht der Schaustellung von Personen. . . . 123 e) Die Kompetenz für das Recht der Messen, Ausstellungen und Märkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 6. Die Kompetenz für die Flurbereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 7. Die Kompetenz für den landwirtschaftlichen Grundstücksverkehr, für das landwirtschaftliche Pachtwesen, für das Heimstätten- und Siedlungswesen sowie für Teile des Wohnungswesens . . . . . . . . . . . . . 126 8. Die Kompetenz für den Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm. . . . . . 132 9. Die Kompetenz für das Recht der Presse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 10. Die Kompetenz für Teile des Hochschulwesens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
IV. Neuere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Recht der Gesetzgebungskompetenz der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Die Senatsentscheidung zum Rauchverbot in Gaststätten. . . . . . . . . . . . 147 2. Die Kammerentscheidung zur Daseinsvorsorge auf dem Gebiet der Pflege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
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Peter Michael Huber und Arnd Uhle 3. Die Kammerentscheidung zu bauordnungsrechtlich vorgesehenen Ausgleichsbeträgen für Stellplätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 4. Die Kammerentscheidung zur Rundfunkgebühr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
V. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
I. Einleitung Für die der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterstellten Sachbereiche bedeutet die Föderalismusreform von 2006 in dreifacher Hinsicht eine Zäsur. So hat sie zunächst eine Trendumkehr erbracht: Unterlagen die den Ländern zugewiesenen Gesetzgebungskompetenzen seit Inkrafttreten des Grundgesetzes einem kontinuierlichen Erosionsprozess,1 dem lediglich die Verfassungsreform von 1994 mit einigen Einzeländerungen entgegenzuwirken versucht hatte,2 hat die Föderalismusreform I eine grundsätzlich angelegte Stärkung dieser Legislativzuständigkeiten herbeizuführen gesucht. 1 Bis zur Föderalismusreform von 2006 wurden insgesamt 19 Verfassungsänderungen ins Werk gesetzt, mit denen die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zu Lasten der Legislativbefugnisse der Länder erweitert wurde; wie hier auch die Zählung bei Peter M. Huber, Deutschland nach der Föderalismusreform – in besserer Verfassung!, in: Pitschas / Uhle (Hrsg.), Wege gelebter Verfassung in Recht und Politik. Festschrift für Rupert Scholz zum 70. Geburtstag, 2007, S. 595 (596); zuvor bereits ders., Reform der Kompetenzen (Gesetzgebungskompetenzen, Organe, Bundesrat), in: Bitburger Gespräche 2005 / I, S. 27 (29); ders., Die Föderalismusreform von 2006, in: Nolte / Schliesky (Hrsg.), Verwaltungsmodernisierung durch Funktional- und Strukturreform, Entbürokratisierung und E-Government, 2007, S. 1 (8); Peter Müller, Der Sinn des Föderalismus, in: Bitburger Gespräche 2005 / I, S. 7 (11); vgl. dazu auch Klaus-Dieter Schnapauff, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 70 Rn. 2. Auch im Zuge der umfassenden Reform von 2006 wurden die Kataloge der Art. 73 und 74 GG teilweise erweitert. Siehe hierzu den Überblick bei Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 73 Rn. 1 ff. und 3 ff. einerseits sowie Art. 74 Rn. 1 ff. und 35 ff. andererseits. 2 Das gilt etwa für die im Rahmen der Verfassungsreform von 1994 (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes [Artikel 3, 20a, 28, 29, 72, 74, 75, 76, 77, 80, 87, 93, 118a und 125a] vom 27. Oktober 1994 [BGBl. I S. 3146]) erfolgte Aufhebung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 8 GG, durch die die Staatsangehörigkeit in den Ländern der alleinigen Legislativkompetenz der Länder unterstellt worden ist, vor allem aber für die (politisch bedeutendere) Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG, durch die das Recht der Erschließungsbeiträge ausdrücklich aus der konkurrierenden Zuständigkeit des Bundes ausgeklammert und in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder überführt worden ist. Auch die Kompetenz für Fragen, die zur Materie „Film“ zählen, wurde 1994 durch Herausnahme aus der seinerzeit in Art. 75 Abs. 1 Nr. 2 GG a. F. lozierten Rahmengesetzgebungskompetenz der Regelungskompetenz der Länder zugeordnet. Vgl. zu alledem auch den diese Verfassungsänderung vorbereitenden Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat (BT-Drs. 12 / 6000, S. 34 ff.), auch abgedruckt in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Zur Sache 5 / 93, 1993.
Die Sachbereiche der Landesgesetzgebung nach der Föderalismusreform85
Als Folge des Bemühens um eine zuständigkeitsentflechtende Zuordnung der Kompetenzmaterien ist die Gesetzgebung der Länder zudem zum ersten Mal seit 1949 in eine rationale Kompetenzkonzeption eingebettet worden, von der sie nun, trotz mancher Einschränkung im Detail, ihrerseits geprägt wird:3 Nach dieser Konzeption umfassen die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes die zur Selbstorganisation der Bundesrepublik Deutschland im weitesten Sinne notwendigen Gegenstände, ihre Außenvertretung sowie all jene Angelegenheiten, die entweder ihrer Natur nach überregional sind oder regionale Verschiedenheiten grundsätzlich nicht erlauben. Die übrigen Kompetenzgegenstände – insbesondere jene, die zu den regionalen Angelegenheiten zählen (sog. Regionalprinzip) oder für die Eigenstaatlichkeit der Länder essenziell sind – unterfallen hingegen der Landesgesetzgebung.4 Schließlich zeitigen die 2006 ins Werk gesetzten Grundgesetzänderungen auch Auswirkungen auf die Systematik der Gesetzgebungskompetenzen der Länder. So lassen sich diese nunmehr zwei Kompetenzgruppen zuordnen: den benannten Zuständigkeiten, die das Grundgesetz den Ländern explizit zuweist (hierzu nachfolgend sub II.), und den unbenannten Gesetzgebungskompetenzen, die den Ländern durch Art. 70 Abs. 1 GG als Residualkompetenz zugeordnet sind (hierzu unten sub III.).5 Die dreifache Zäsur erhellt die verfassungspolitische Bedeutung der durch die Föderalismusreform I bewirkten Verfassungsänderungen. Diese stehen 3 Vgl. zum Ziel der Zuständigkeitsentflechtung die Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c), BT-Drs. 16 / 813, S. 1, 7 ff. – Die durch die Föderalismusreform von 2006 vorgenommenen Änderungen des Art. 73 GG deutet als Ausdruck des Leitbildes des Trennföderalismus Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 73 Rn. 2; wie hier Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 91. 4 Peter M. Huber, Deutschland nach der Föderalismusreform – in besserer Verfassung!, in: Pitschas / Uhle (Hrsg.), Wege gelebter Verfassung in Recht und Politik. Festschrift für Rupert Scholz zum 70. Geburtstag, 2007, S. 595 (609 f.); siehe auch ders., Die Föderalismusreform von 2006, in: Nolte / Schliesky (Hrsg.), Verwaltungsmodernisierung durch Funktional- und Strukturreform, Entbürokratisierung und E-Government, 2007, S. 1 (8); ders., „Vom Kindergarten zur Habilitation“? – Der Bund als Gewinner der Föderalismusreform im Bildungswesen, RdJB 2007, S. 4 (5); ders., Die Föderalismusreform I – Versuch einer Bewertung, in: Durner / Peine (Hrsg.), Reform an Haupt und Gliedern. Verfassungsreform in Deutschland und Europa. Symposium aus Anlass des 65. Geburtstages von Hans-Jürgen Papier, 2009, S. 25 (36 f.). Vgl. im Hinblick auf die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes ähnlich früh auch bereits BVerfGE 18, 407 (414 f.) – Verordnung als Landesrecht; dazu Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 37. 5 Hierzu Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 80 ff.
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daher auch im Zentrum der vorliegenden Darstellung der neueren Entwicklungen im Recht der Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder. Indessen zählen zu diesen Entwicklungen auch die einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen dieses seit dem Inkrafttreten der Föderalismusreform I zur inhaltlichen Reichweite einzelner Landeskompetenzen Stellung bezogen hat (hierzu sub IV.). Werden auch sie berücksichtigt, entsteht in der Zusammenschau ein realistisches Gesamtbild jener Entwicklungen, die seit 2006 im Recht der Gesetzgebungsbefugnisse der Länder eingetreten sind (hierzu sub V.). II. Die den Ländern explizit zugewiesenen Gesetzgebungskompetenzen Bereits vor der Föderalismusreform von 2006 gab das Grundgesetz vereinzelt die explizite Zuordnung von Gesetzgebungszuständigkeiten an die Länder zu erkennen, ohne dass diese Einzelfälle freilich hinreichende Grundlage für eine systematisch eigenständige Kompetenzkategorisierung gewesen wären. Es handelt sich hierbei vor allem um Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 8 WRV,6 die die aus Art. 70 Abs. 1 GG folgende grundsätzliche Kompetenzverteilung zugunsten der Länder im Bereich des Staatskirchenrechts bestätigen,7 und um den 1969 in das Grundgesetz aufgenommenen Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG,8 der bestimmt, dass den Ländern die Gesetzgebungszuständigkeit über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern zusteht, solange und soweit diese nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind. 6 Zu Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 8 WRV Gernot Schiller, Kompetenzrechtliche Aspekte eines Verbots von Religionsgemeinschaften, ZevKR 48 (2003), S. 257 (282 f.); Dirk Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV Rn. 38; Axel von Campenhausen / Peter Unruh, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 137 WRV Rn. 281. 7 Zur Zuständigkeit der Länder für das Staatskirchenrecht Markus Heintzen, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 70 Rn. 92; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 119. 8 Art. 105 Abs. 2a Satz 1 wurde durch Art. I Nr. 3 lit. b) des Einundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Finanzreformgesetz) vom 12. Mai 1969 (BGBl. I S. 359, 360) als „Abs. 2a“ in die Vorschrift des Art. 105 GG eingefügt. Durch Art. 1 Nr. 18 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034, 2037) wurde der Norm ein Satz 2 angefügt; der bisherige alleinige Normtext wurde somit zu Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG.
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Die Föderalismusreform von 2006 hat diesen, bislang vereinzelten Bestimmungen weitere Vorschriften zur Seite gestellt, in denen Gesetzgebungskompetenzen der Länder sachbereichsspezifisch benannt werden. Das gilt zunächst und vor allem für Art. 23 Abs. 6 Satz 1 GG, der mit Blick auf die Vertretung Deutschlands im Rat der Europäischen Union davon ausgeht, dass es sich bei den Gegenständen „der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks“ nach der Vorstellung des verfassungsändernden Gesetzgebers um „ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder“ handelt.9 Freilich sind die damit ausdrücklich benannten Legislativkompetenzen nicht erst im Zuge der Verfassungsreform von 2006 in das Grundgesetz aufgenommen worden. Vielmehr bilden sie in der Konsequenz des Art. 70 Abs. 1 GG seit Langem Kernbereiche der den Ländern zustehenden Gesetzgebungskompetenzen und gehören gleichsam zu deren kompetenziellem Hausgut. Das gilt für alle in Art. 23 Abs. 6 Satz 1 GG aufgeführten Kompetenzbereiche – von der Zuständigkeit für das Schulwesen,10 die auch das Privatschulwesen umfasst11 und vom Bundesverfassungsgericht bereits früh zum „Kernstück der Eigenstaatlichkeit der Länder“ gerechnet worden ist,12 über die Kompetenz für die Kultur, zu der nicht nur Archive, Museen, Theater und entsprechende kulturelle Einrichtungen, sondern auch Denkmalschutz und Denkmalpflege, Sonn- und Feiertagsschutz sowie weitere Einzelmaterien gehören,13 bis hin zur Zuständigkeit für den Rundfunk, die dessen programminhaltliche Dimension einschließlich der inneren Organisation der Veranstalter von Rundfunksendungen und der Rundfunkfinanzierung umgreift.14 Angesichts dessen 9 Näher hierzu Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 82 ff. 10 BVerfGE 6, 309 (354) – Reichskonkordat; 34, 165 (181) – Förderstufe; 53, 185 (195 f.) – Gymnasiale Oberstufe; 59, 360 (377) – Schülerberater; 75, 40 (66 f.) – Privatschulfinanzierung; 98, 218 (248) – Rechtschreibreform; Arnd Uhle, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 70 Rn. 2; ders., in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 115; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 20b; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 8; Markus Heintzen, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 70 Rn. 89. 11 BVerfGE 27, 195 (200) – Anerkannte Privatschulen. 12 BVerfGE 6, 309 (346 f.) – Reichskonkordat. 13 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 106; Markus Heintzen, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 70 Rn. 85. Das freilich negiert nicht, dass auch der Bund über kulturelle Kompetenzen verfügt. Siehe dazu zuletzt BVerfG, EuGRZ 2014, 98 (110, Rn. 104 f.); aus dem Schrifttum Uhle, a. a. O. 14 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 113 und Art. 73 Rn. 169 ff., v. a. 171.
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kann keine Rede davon sein, dass Art. 26 Abs. 6 Satz 1 GG erstmalig eine Gesetzgebungsbefugnis der Länder für Fragen der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks begründen würde. Erst recht folgt aus der Bestimmung keine abschließende Aufzählung der den Ländern zugeordneten Legislativkompetenzen. Letzteres hat der verfassungsändernde Gesetzgeber von 2006 nicht nur durch die Formulierung des Art. 23 Abs. 6 Satz 1 GG („ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur und des Rundfunks“) zu verdeutlichen gesucht, sondern auch durch die Begründung der Verfassungsergänzung.15 Gleichwohl kommt der Benennung dieser Gesetzgebungsbefugnisse nicht nur systematische Bedeutung zu. Vielmehr erleichtern die nunmehr normativ verdichteten Kompetenzbereiche unter den Gesichtspunkten von Sachzusammenhang und Annex auch die Anknüpfung stillschweigend mitgeschriebener („impliziter“) Gesetzgebungszuständigkeiten, die dem Grundgesetz nicht nur zugunsten des Bundes, sondern auch zugunsten der Länder entnommen werden können.16 Benannte Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder haben indessen im Zuge der Föderalismusreform I nicht nur Einzug in Art. 23 Abs. 6 Satz 1 GG gehalten, sondern auch in andere Vorschriften der Verfassung. Hinzuweisen ist hier zunächst auf Art. 98 Abs. 3 GG. Die dort behandelte Legislativkompetenz weist den Ländern zwar bereits seit Inkrafttreten des Grundgesetzes die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung der Rechtsstellung der Richter in den Ländern zu, war jedoch bis 2006 gem. Art. 98 Abs. 3 Satz 2 GG a. F. mit einer Rahmengesetzgebungsbefugnis des Bundes verbunden und daher auf Detailregelungen beschränkt. Erst im Zuge der Föderalismusreform ist sie zu einer nun nur noch von Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG umgrenzten Vollkompetenz erstarkt. Darüber hinaus ist 2006 auch Art. 105 Abs. 2a Satz 2 GG neu in das Grundgesetz eingefügt worden, der den Ländern eine benannte Gesetzgebungskompetenz für die Bestimmung des Steuersatzes bei der Grunderwerbssteuer zuweist.
15 Siehe hierzu BT-Drs. 16 / 813, S. 10. Dort wird ausdrücklich auf die Koalitionsvereinbarung der die seinerzeitige Bundesregierung tragenden Parteien vom 18. November 2005 verwiesen, deren diesbezügliche Passage in der Begründung eigens abgedruckt wird. Diese lautet: „Im EUZLBG und in der Bund-Länder-Vereinbarung werden die Information und die Beteiligung der Länder bei den Vorhaben, die nicht im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks, jedoch ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betreffen (z. B. Innere Sicherheit) geregelt.“ (Hervorhebung von den Verf.). 16 Zu derartigen, stillschweigend mitgeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen der Länder m. w. N. Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 142 f.
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III. Die Residualkompetenz der Länder gem. Art. 70 Abs. 1 GG Auch die durch die Föderalismusreform von 2006 ins Werk gesetzte explizite Benennung ausschließlicher Legislativkompetenzen ändert nichts an dem Umstand, dass den Ländern der ganz überwiegende Teil ihrer Gesetzgebungsbefugnisse nach wie vor als Residualkompetenz zugeordnet wird. Das liegt in der Konsequenz des Art. 70 Abs. 1 GG, dessen Qualität als Kompetenznorm prima facie zwar gerade unter Berufung auf das Fehlen einer ausdrücklichen und katalogmäßigen Benennung der Länderkompetenzen in Zweifel gezogen werde könnte, indessen schon deshalb zu bejahen ist, weil die Vorschrift trotz ihrer generalklauselartigen Fassung einen positiven Kompetenzzuordnungsgehalt aufweist, der den Ländern auch verfassungsprozessual durchsetzbare Zuständigkeiten zuordnet.17 Im Übrigen sind einzelne Kompetenzgegenstände dieser Residualkompetenz vor dem Hintergrund der grundgesetzlich enumerativ umschriebenen Bundeszuständigkeiten konkretisierbar.18 Diese Konkretisierbarkeit der Länderkompetenzen zeigt sich in vielfältiger Hinsicht, vor allem und mit besonderer Deutlichkeit aber dort, wo das Grundgesetz die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder durch sog. Kompetenzausschlüsse sichtbar macht, also dadurch, dass es sie sachgegenständlich fixiert und ausdrücklich von den enumerativ benannten 17 Vgl. Markus Heintzen, Die Beidseitigkeit der Kompetenzverteilung im Bundesstaat, DVBl. 1997, S. 689 (689); ders., in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 70 Rn. 73 ff.; zustimmend Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 5 (a. E.). – Zu Art. 70 Abs. 1 GG als Kompetenzgeneralklausel Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 Rn. 12. 18 Vgl. hierzu den Überblick über die Gesetzgebungskompetenzen der Länder bei Martin Bullinger, Die Zuständigkeit der Länder zur Gesetzgebung I., DÖV 1970, S. 761 (763 ff.); Christian Tomerius, Die Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder, 1964, S. 4 ff.; Elisabeth Lichtenstern, Die Gesetzgebung im Spannungsverhältnis zwischen Bund und Ländern, 1979, S. 50 ff.; Thomas F. W. Schodder, Föderative Gewaltenteilung in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, Anhang S. XI ff.; aus der Kommentarliteratur Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 18 ff.; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 20, 21 und 21a; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 8 und 8a; Markus Heintzen, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 70 Rn. 77 ff.; vgl. auch von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 70 Rn. 132 ff. Siehe auch den Überblick über die Länderkompetenzen bei Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 87 ff.
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Zuständigkeiten des Bundes ausnimmt.19 Denn hier wird evident, dass die Materien, die durch solche Kompetenzausschlüsse gegenständlich bestimmt werden, aufgrund der in Art. 70 Abs. 1 GG getroffenen Regelung in die Kompetenz der Länder fallen. Letzteres ist nicht unbestritten. So wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass für Länderzuständigkeiten, die aus Kompetenzausschlüssen folgen, originär kompetenzbegründend diejenige Kompetenznorm wirke, die den Kompetenzausschluss enthält. In der Folge soll hiernach eine entsprechende Vorschrift als lex specialis Art. 70 Abs. 1 GG vorgehen. In der Konsequenz würden etwa die Materien des Ladenschluss- und des Gaststättenrechts sowie die Teile des Gewerberechts, die der verfassungsändernde Gesetzgeber des Jahres 2006 von der konkurrierenden Gesetzgebung für das Recht der Wirtschaft ausgeklammert hat, originär und vorrangig durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG der Gesetzgebungsbefugnis der Länder zugeordnet.20 Das indessen vermag nicht zu überzeugen. Denn die Ausklammerung einer Kompetenzmaterie aus dem Kompetenzkatalog des Art. 74 Abs. 1 GG bedeutet zunächst nur, dass der fragliche Sachbereich nicht Teil des hier aufgeführten Katalogs konkurrierender Gesetzgebungszuständigkeiten ist und dass insoweit die allgemeinen Regeln gelten. Damit aber ist noch nicht entschieden, ob die betreffende Materie der ausschließlichen Bundes- oder aber der Landesgesetzgebung unterfällt. Letzteres folgt – bei Verneinung einer ausschließlichen Bundeszuständigkeit – erst und in konstitutiver Weise aus Art. 70 Abs. 1 GG. Von der hier behandelten Technik des Kompetenzausschlusses hat der verfassungsändernde Gesetzgeber des Jahres 2006 umfangreichen Gebrauch gemacht. Das lag deshalb nahe, weil er vor der Aufgabe stand, die durch die Föderalismusreform I auf die Länder zurückzuverlagernden Gesetzgebungskompetenzen im Verfassungstext kenntlich zu machen, um die intendierten Kompetenzverlagerungen mit der erforderlichen Eindeutigkeit in positives Verfassungsrecht zu überführen. Gleichwohl ist die Technik des Kompetenz19 Beispiele für derartige Kompetenzausschlüsse bilden seit der Föderalismusreform des Jahres 2006 etwa Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Recht des Untersuchungshaftvollzugs), Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (Heimrecht), Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Gaststätten, des Ladenschlusses, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte, der Schaustellung von Personen, der Spielhallen), Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG (Recht der Flurbereinigung), Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG (Recht der Erschließungsbeiträge), Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 (Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm), Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 (Laufbahnen, Besoldung und Versorgung der Beamten und Richter im Landesdienst). 20 So ausdrücklich Hans-Werner Rengeling / Peter Szczekalla, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Rn. 16.
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ausschlusses kein verfassungsrechtliches Novum. Das belegt exemplarisch bereits Art. 74 Abs. 1 Nr. 23 GG, der seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes die Kompetenz für die Bergbahnen von der konkurrierenden Gesetzgebung ausnimmt. Allerdings hat sich der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Föderalismusreform von 2006 für die Rückführung bisheriger Bundeskompetenzen nicht nur derartiger Kompetenzausschlüsse, sondern auch einer alternativen Vorgehensweise bedient. Diese zeichnet sich durch die schlichte Streichung ganzer Gegenstandsbereiche aus dem Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG aus (Kompetenzstreichung). Während die Kompetenzausschlüsse im Kompetenzkatalog durch (Klammer-)Zusätze sichtbar und durch einleitende Signalbezeichnungen (wie etwa „ohne …“ oder „mit Ausnahme …“) kenntlich gemacht werden, ist die Kompetenzstreichung als solche dem Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG nicht unmittelbar zu entnehmen. Sie wird erst durch einen Vergleich der vor 2006 normierten Kompetenzzuweisungen mit den nunmehr geltenden verfassungsrechtlichen Vorgaben sichtbar. Das trifft etwa zu auf die Überführung der Zuständigkeit für das Versammlungsrecht, das bis zur Reform von 2006 in Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG a. F. aufgeführt war, nunmehr dort gestrichen ist und in der Folge gem. Art. 70 Abs. 1 GG der Kompetenz der Länder unterfällt.21 1. Die Kompetenz zur partiellen Regelung des Landesbeamtenrechts Die Technik des Kompetenzausschlusses hat der verfassungsändernde Gesetzgeber im Rahmen der Föderalismusreform I bei seiner langfristig wohl folgenreichsten Maßnahme zur Stärkung der Gesetzgebungsbefugnisse der Länder gewählt, durch die er bedeutende Teile des Beamtenrechts von der konkurrierenden Gesetzgebung ausgenommen hat. In der Folge erstreckt sich die Gesetzgebungskompetenz der Länder seit 2006 auch auf Laufbahnen, Besoldung und Versorgung der Beamten der Länder, Gemeinden und anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie der Richter in den Ländern. Deutlich wird dies anhand des neu in das Grundgesetz eingefügten Art. 74 Abs. 1 Nr. 27, der zwar die Statusrechte und -pflichten dieser Beamten vor dem Hintergrund ihrer weitgehenden Vorprägung durch Art. 33 GG der konkurrierenden Zuständigkeit des Bundes unterstellt,22 unter Rückgriff 21 Zu Kompetenzausschlüssen und -streichungen als Varianten einer Rückverlagerung bisheriger Bundeszuständigkeiten auf die Länder in der Sache, wenngleich nicht dem Terminus nach, auch Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 59. 22 Zur weitgehenden Determination durch Art. 33 bereits Peter M. Huber in der gemeinsamen öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates zur Födera-
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auf das Instrument des Kompetenzausschlusses hiervon indessen explizit die (Teil-)Materien der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung ausnimmt.23 Damit hat die Föderalismusreform I in bedeutendem Umfang Einzelkompetenzen, die zur Organisations- und Personalhoheit der Länder i. w. S. gezählt werden können, auf diese zurückverlagert.24 Zu Recht ist diese Kompetenzrückführung als Wiedergewinnung der länderseitigen Gestaltungshoheit über Struktur und Kosten ihres öffentlichen Dienstes bewertet worden und damit als Rückgewinnung einer ureigenen Kompetenz, die den Ländern seit 1971, lismusreform, Stenographischer Bericht der 14. Sitzung am 17. Mai 2006, S. 47 f.; ders., Die Föderalismusreform I – Versuch einer Bewertung, in: Durner / Peine (Hrsg.), Reform an Haupt und Gliedern. Verfassungsreform in Deutschland und Europa. Symposium aus Anlass des 65. Geburtstages von Hans-Jürgen Papier, 2009, S. 25 (37). – Nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers von 2006 zählen zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für die „Statusrechte und -pflichten“ Wesen, Voraussetzungen, Rechtsform der Begründung, Arten, Dauer sowie Nichtigkeits- und Rücknahmegründe von Dienstverhältnissen, ferner Abordnungen und Versetzungen der Beamten zwischen den Ländern und zwischen Bund und Ländern oder entsprechende Veränderungen des Richterdienstverhältnisses, Voraussetzungen und Form der Beendigung des Dienstverhältnisses (vor allem Tod, Entlassung, Verlust der Beamten- und Richterrechte, Entfernung aus dem Dienst nach dem Disziplinarrecht), statusprägende Pflichten und Folgen ihrer Nichterfüllung, wesentliche Rechte, Bestimmung der Dienstherrenfähigkeit, Spannungs- und Verteidigungsfall sowie Verwendungen im Ausland (BT-Drs. 16 / 813, S. 14). Siehe hierzu aus dem Schrifttum Günter Bochmann, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Reföderalisierung des öffentlichen Dienstrechts und der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG), ZBR 2007, S. 1 (3 ff.); Helmut Lecheler, Die Auswirkungen der Föderalismusreform auf die Statusrechte der Beamten, ZBR 2007, S. 18 (21 f.); Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 39 ff. 23 Näher dazu und zu daraus resultierenden Fragestellungen Lothar Knopp, Föderalismusreform – zurück zur Kleinstaaterei? An den Beispielen des Hochschul-, Bildungs- und Beamtenrechts, NVwZ 2006, S. 1216 (1219 f.); Matthias Pechstein, Wie können die Länder ihre neuen beamtenrechtlichen Kompetenzen nutzen?, ZBR 2006, S. 285 (285 ff.); Katrin Stein, Reform des öffentlichen Dienstes, DVBl 2006, S. 420 (420 ff.); Herbert Landau / Martin Steinkühler, Zur Zukunft des Berufsbeamtentums in Deutschland, DVBl 2007, S. 133 (133 ff.); Jürgen Staupe, Beamtenrecht, Innere Sicherheit und Katastrophenschutz, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 161 (161 ff.); Dieter Wiefelspütz, Innenpolitische Themen, ebd., S. 157 (157 ff.); Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 64; aus der Kommentarliteratur Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 89. 24 Peter M. Huber, Die Föderalismusreform I – Versuch einer Bewertung, in: Durner / Peine (Hrsg.), Reform an Haupt und Gliedern. Verfassungsreform in Deutschland und Europa. Symposium aus Anlass des 65. Geburtstages von HansJürgen Papier, 2009, S. 25 (37); Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 133.
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seit der Einführung des Art. 74a GG a. F., abhanden gekommen war.25 Das erklärt auch, warum diese Zuständigkeitsverlagerung als Befreiungsschlag zu Gunsten der Länder bewertet worden ist.26 Sachlich wird sie ergänzt durch die bereits erwähnte Kompetenzzuweisung des Art. 98 Abs. 3 GG für die Regelung der Rechtsstellung der Richter in den Ländern, die seit 2006 aus ihrer bis dahin bestehenden Beschränkung durch die diesbezügliche Rahmengesetzgebungsbefugnis des Bundes gelöst worden ist.27 Analysiert man die den Ländern mit der Verfassungsänderung von 2006 übertragenen Einzelkompetenzen, zählen zur Befugnis für die Regelung des Laufbahnrechts zunächst die Festlegung und Ausgestaltung der einzelnen Laufbahngruppen, die Ordnung des Verhältnisses der Laufbahngruppen zueinander sowie die Zuordnung von Beamtenkategorien und Ämtergruppen zu den einzelnen Laufbahngruppen.28 Zur Zuständigkeit für die Normierung der beamtenrechtlichen Besoldung gehört hingegen die Regelung sämtlicher in Erfüllung der Alimentationspflicht gewährten geldwerten Leistungen, unabhängig davon, ob es sich hierbei um Geld- oder Sachleistungen handelt.29 Daher zählen hierher die Dienstbezüge wie etwa das Grundgehalt, 25 Stefan
Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 64. Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 64; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 133. Wegen der zukünftig zu erwartenden Ungleichheiten in Besoldung und Laufbahnstruktur hingegen kritisch Lothar Knopp, Föderalismusreform – zurück zur Kleinstaaterei? An den Beispielen des Hochschul-, Bildungs- und Beamtenrechts, NVwZ 2006, S. 1216 (1219 f.); Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1214); Helmut Lecheler, Die Auswirkungen der Föderalismusreform auf die Statusrechte der Beamten, ZBR 2007, 18 (23); ebenfalls kritisch – noch im Vorfeld der Föderalismusreform von 2006 – Rudolf Summer, Reföderalisierung in der Besoldung – ein Schreiten in den Nebel, ZBR 2003, S. 28 (28 ff.). 27 Hierzu oben sub II. 28 Eingehend dazu Matthias Pechstein, Das Laufbahnrecht in der Gesetzgebungskompetenz der Länder, in: Magiera / Sommermann / Ziller (Hrsg.), Verwaltungswissenschaft und Verwaltungspraxis in nationaler und transnationaler Perspektive. Festschrift für Heinrich Siedentopf zum 70. Geburtstag, 2008, S. 671 (671 ff.). 29 Zu Art. 74a GG a. F. so BVerfGE 62, 354 (368) – Fürsorgeansprüche der Soldaten; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 4. / 5. Aufl. 2003, Art. 74a Rn. 7; für einen eigenständigen kompetenzrechtlichen Besoldungsbegriff Walter Schick, Beamtenbesoldung im Bundesstaat. Überlegungen zur Kompetenzverteilung und zum „Besoldungsmoratorium“, in: Lerche / Zacher / Badura (Hrsg.), Festschrift für Theodor Maunz zum 80. Geburtstag am 1. September 1981, 1981, S. 281 (287 f.). – Zu der Besoldungskompetenz gehören im Einzelnen die Dienstbezüge, also Grundgehalt, Zulagen, Orts- und Familienzuschläge, Auslandsdienstbezüge sowie die sonstigen Bezüge, mithin Anwärterbezüge, jährliche Sonderzuwendungen, Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen. Hierzu zählt auch – unabhängig von der früher umstrittenen Frage, ob sie zur Besoldung gehört – 26 Stefan
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Zuschüsse und Zulagen, aber auch Anwärterbezüge, jährliche Sonderzuwendungen, vermögenswirksame Leistungen und das Urlaubsgeld.30 Die Gesetzgebungskompetenz für die Versorgung schließlich hat die Fortsetzung dieser Alimentation über den aktiven Dienst hinaus zum Gegenstand und umfasst insbesondere die Regelung von Ruhegehältern bzw. Unterhaltsbeiträgen, die Hinterbliebenenversorgung, die Unfallfürsorge, das Übergangsgeld und den Ausgleich bei besonderen Altersgrenzen.31 Vor diesem Hintergrund entspricht die in Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG ausgeklammerte Besoldungs- und Versorgungszuständigkeit der Länder inhaltlich im Kern der Kompetenz, die bis zur Reform von 2006 durch Art. 74a GG a. F. der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet war.32 In personeller Hinsicht erfasst sie die Beamten der Länder, Gemeinden und anderer öffentlichrechtlicher Dienstherren sowie die im Dienst der Länder stehenden Richter.33 Zu den Beamten in diesem, an Art. 33 Abs. 4 GG angelehnten Sinne die Beihilfe, da sie ebenso wie die Reise- und Umzugskosten, Aufwandsentschädigungen oder Jubiläumszuwendungen nicht zu den Statusrechten gehört, für die Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG eine konkurrierende Bundeskompetenz vorsieht (wie hier auch Christoph Degenhart, in: Sachs [Hrsg.], Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 117; zur Regelung des Art. 74a GG a. F. ebenso Philip Kunig, in: von Münch / ders. [Hrsg.], Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 4. / 5. Aufl. 2003, Art. 74a Rn. 8). Hierzu gehören ferner der Aufbau und die Bemessung der Besoldung, namentlich die Entwicklung entsprechender Maßstäbe und Strukturprinzipien, die Schaffung von Besoldungsgruppen und -stufen sowie die Festlegung ihrer jeweiligen Höhe einschließlich der Berücksichtigung von Dienstalter und Familienstand (für Art. 74a GG a. F. so auch Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck [Hrsg.], Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74a Rn. 11). 30 Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 136 m. w. N.; Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 Rn. 18. 31 Wie hier Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 137; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 89; für Art. 74a GG a. F. so auch Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74a Rn. 12. 32 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 116; zu den dadurch eröffneten Gestaltungsoptionen der Länder Matthias Pechstein, Wie können die Länder ihre neuen beamtenrechtlichen Kompetenzen nutzen?, ZBR 2006, S. 285 (285 ff.); vgl. auch Helmut Lecheler, Der öffentliche Dienst, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 110 Rn. 32. 33 So auch Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 18 i. V. m. Art. 74 Rn. 77; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 113; vgl. auch Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 174 und 176; Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: F riauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand:
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zählen nicht sämtliche Träger öffentlicher Ämter, sondern ausschließlich die eigens in das traditionelle beamtenrechtliche Dienst- und Treueverhältnis berufenen Amtsträger.34 Von ihrer neuen Gesetzgebungskompetenz haben die Bundesländer zwischenzeitlich vielfältigen Gebrauch gemacht. Das gilt gleichermaßen hinsichtlich des Laufbahn-,35 Besoldungs-36 und Versorgungsrechts.37 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 Rn. 5 f. i. V. m. 16 a. E.; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grund gesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 325 i. V. m. 328; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 132 a. E. 34 Für Art. 74a GG a. F. so zu Recht Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74a Rn. 13. – Zu den Beamten in diesem Sinne zählen daher nicht: Beliehene, Abgeordnete, freiberufliche sowie ehrenamtliche Inhaber öffentlicher Ämter, Kirchenbeamte, Landesverfassungsrichter sowie Minister und Parlamentarische Staatssekretäre. Siehe dazu Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 134, Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 Rn. 5; vgl. auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 113. 35 Vgl. hierzu für Baden-Württemberg §§ 14 ff. des Landesbeamtengesetzes (LBG) vom 9. November 2010 (GBl. S. 793, 794), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 12. November 2013 (GBl. S. 304, 308); das Gesetz über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen (Leistungslaufbahngesetz – LlbG) vom 5. August 2010 (GVBl. S. 410, 571), zuletzt geändert durch § 4 des Gesetzes vom 24. Juli 2013 (GVBl. S. 450, 452); für Berlin das Gesetz über die Laufbahn der Beamtinnen und Beamten (Laufbahngesetz – LfbG) vom 21. Juni 2011 (GVBl. S. 266); §§ 9 ff. des Beamtengesetzes für das Land Brandenburg (Landesbeamtengesetz – LBG) vom 3. April 2009 (GVBl. I S. 26), zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes vom 13. März 2012 (GVBl. I Nr. 16 S. 1, 5); § 13 ff. des Hamburgischen Beamtengesetzes (HmbBG) vom 15. Dezember 2009 (HmbGVBl. S. 405), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 17. September 2013 (HmbGVBl. S. 389, 397); §§ 17 ff. des Hessischen Beamtengesetzes (HBG) vom 11. Januar 1989 (GVBl. I S. 26), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 13. Dezember 2012 (GVBl. S. 622, 623), m. W. v. 1. März 2014 abgelöst durch §§ 13 ff. des Hessischen Beamtengesetz (HBG) vom 27. Mai 2013 (GVBl. S. 218), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 20. November 2013 (GVBl. S. 578, 583); §§ 12 ff. des Beamtengesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Landesbeamtengesetz – LBG M-V) vom 17. Dezember 2009 (GVOBl. M-V S. 687), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 10. Dezember 2012 (GVOBl. M-V S. 537, 542); §§ 13 ff. des Niedersächsischen Beamtengesetzes (NBG) vom 25. März 2009 (Nds. GVBl. S. 72), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 12. Dezember 2012 (Nds. GVBl. S. 591, 595); §§ 9 ff. des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfahlen (Landesbeamtengesetz – LBG NRW) vom 21. April 2009 (GV. NRW. S. 224), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 1. Oktober 2013 (GV. NRW. S. 566); für Rheinland-Pfalz §§ 14 ff. des Landesbeamtengesetzes (LBG) vom 20. Oktober 2010 (GVBl. S. 319), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes
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2. Die Kompetenz zur Regelung des Versammlungsrechts Während der verfassungsändernde Gesetzgeber des Jahres 2006 für die Rückübertragung der Kompetenz für Laufbahnen, Besoldung und Versor36
vom 8. Oktober 2013 (GVBl. S. 359, 364); §§ 9 ff. des Saarländischen Beamtengesetzes (SBG) vom 11. März 2009 (Amtsbl. S. 514), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 16. Oktober 2012 (Amtsbl. I S. 437, 444); §§ 18 ff. des Beamtengesetzes für den Freistaat Sachsen (Sächsisches Beamtengesetz – SächsBG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Mai 2009 (SächsGVBl. S. 194), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 27. Januar 2012 (SächsGVBl. S. 130, 140); §§ 13 ff. des Beamtengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (Landesbeamtengesetz – LBG LSA) vom 15. Dezember 2009 (GVBl. LSA S. 648), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 30. Juli 2013 (GVBl. LSA S. 400, 401); für SchleswigHolstein §§ 13 ff. des Landesbeamtengesetzes (LBG) vom 26. März 2009 (GVOBl. Schl.-H. S. 93, 94), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 25. Juni 2013 (GVOBl. Schl.-H. S. 275, 293); §§ 13 ff. des Thüringer Beamtengesetzes (ThürBG) vom 20. März 2009 (GVBl. S. 238), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 25. Oktober 2011 (GVBl. S. 268, 272). 36 Vgl. hierzu das Landesbesoldungsgesetz Baden-Württemberg (LBesGBW) vom 9. November 2010 (GBl. S. 793, 826), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 12. November 2013 (GBl. S. 304); das Bayerische Besoldungsgesetz (BayBesG) vom 5. August 2010 (GVBl. S. 410, 764), zuletzt geändert durch §§ 1, 2 des Gesetzes vom 7. Juli 2013 (GVBl. S. 405); für Berlin das Landesbesoldungsgesetz (LBesG) vom 9. April 1996 (GVBl. S. 160, 2005 S. 463), wobei insoweit durch Art. III des Gesetzes vom 21. Juni 2011 (GVBl. S. 266, 280) wesentliche Teile des Bundesbesoldungsgesetz samt der auf Grundlage desselben ergangenen Verordnungen in Landesrecht übergeleitet und angepasst wurden, zuletzt geändert durch Art. IV des Gesetzes vom 5. November 2012 (GVBl. S. 354, 356); das Hamburgische Besoldungsgesetz (HbgBesG) vom 26. Januar 2010 (HmbGVBl. S. 23), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 17. September 2013 (HmbGVBl. S. 389, 398); für Rheinland-Pfalz das Landesbesoldungsgesetz (LBesG) vom 18. Juni 2013 (GVBl. S. 157, 158), zuletzt geändert m. W. v. 1. Januar 2014 bzw. 1. Juli 2014 durch Bekanntmachung vom 11. Oktober 2013 (GVBl. S. 384); das Niedersächsische Besoldungsgesetz (NBesG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. November 2008 (Nds. GVBl. S. 334), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 3. Juni 2013 (Nds. GVBl. S. 124); das Besoldungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (Landesbesoldungsgesetz – LBesG LSA) vom 8. Februar 2011 (GVBl. LSA S. 68), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 30. Juli 2013 (GVBl. LSA S. 400); das Gesetz des Landes Schleswig-Holstein über die Besoldung der Beamtinnen und Beamten sowie Richterinnen und Richter (Besoldungsgesetz Schleswig-Holstein – SHBesG) vom 26. Januar 2012 (GVOBl. Schl.-H. S. 153, 154), zuletzt geändert durch Art. 6 der Verordnung vom 23. Oktober 2013 (GVOBl. Schl.-H. S. 424, 425); das Thüringer Besoldungsgesetz (ThürBesG) vom 24. Juni 2008 (GVBl. S. 134), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 19. September 2013 (GVBl. S. 266). Mit Inkrafttreten zum 1. Januar 2014 das Besoldungsgesetz für das Land Brandenburg (Brandenburgisches Besoldungsgesetz – BbgBesG) vom 20. November 2013 (GVBl. I Nr. 32 S. 1, 2). Mit Inkrafttreten zum 1. März 2014 das Hessische Besoldungsgesetz (HBesG) vom 27. Mai 2013 (GVBl. S. 218, 256), zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 20. November 2013 (GVBl. S. 578, 581). Für das
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gung der Beamten der Länder auf das Instrument des Kompetenzausschlusses zurückgegriffen hat, hat er sich zur Überführung der Gesetzgebungs37
Saarland wurde mit Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 1. Oktober 2008 (Amtsbl. S. 1755) die landesrechtliche Fortgeltung der besoldungsrechtlichen Vorschriften des Bundes, vorbehaltlich besonderer landesrechtlicher Regelungen, angeordnet und das Landesrecht entsprechend ergänzt, vgl. dazu § 1 Abs. 2 des Saarländischen Besoldungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Januar 1989 (Amtsbl. S. 301), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 20. Juni 2012 (Amtsbl. I S. 210, 211). Eine weitgehende Überleitung der bundesrechtlichen Vorschriften zur Beamtenbesoldung erfolgte im Freistaat Sachsen durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 17. Januar 2008 (SächsGVBl. S. 3), vgl. dazu auch § 17 Abs. 1 des Sächsischen Besoldungsgesetzes (SächsBesG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Januar 1998 (SächsGVBl. S. 50), zuletzt geändert durch Art. 16 des Gesetzes vom 13. Dezember 2012 (SächsGVBl. S. 725, 734). 37 Vgl. hierzu das Landesbeamtenversorgungsgesetz Baden-Württemberg (LBeamtVGBW) vom 9. November 2010 (GBl. S. 793, 911), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 12. November 2013 (GBl. S. 304, 306); das Bayerische Beamtenversorgungsgesetz (BayBeamtVG) vom 5. August 2010 (GVBl. S. 410, 528, 764), zuletzt geändert durch §§ 3, 4 des Gesetzes vom 7. Juli 2013 (GVBl. S. 405, 425); das Gesetz über die Versorgung der Beamtinnen und Beamten sowie Richterinnen und Richter der Freien und Hansestadt Hamburg (Hamburgisches Beamtenversorgungsgesetz – HmbBeamtVG) vom 26. Januar 2010 (HmbGVBl. S. 23, 72), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 3. September 2013 (HmbGVBl. S. 369, 372); das Beamtenversorgungsüberleitungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (BeamtVÜG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. März 2012 (GVOBl. M-V S. 26); das Niedersächsische Beamtenversorgungsgesetz (NBeamtVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. April 2013 (Nds. GVBl. S. 73), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 3. Juni 2013 (Nds. GVBl. S. 124, 129); das Gesetz des Landes Schleswig-Holstein über die Versorgung der Beamtinnen und Beamten sowie Richterinnen und Richter (Beamtenversorgungsgesetz SchleswigHolstein – SHBeamtVG) vom 26. Januar 2012 (GVOBl. Schl.-H. S. 153, 219), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 25. Juni 2013 (GVOBl. Schl.-H. S. 275, 292); für Rheinland-Pfalz das Landesbeamtenversorgungsgesetz (LBeamtVG) vom 18. Juni 2013 (GVBl. S. 157, 208); das Thüringer Beamtenversorgungsgesetz (ThürBeamtVG) vom 22. Juni 2011 (GVBl. S. 99), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 19. September 2013 (GVBl. S. 266, 283); das Hessische Beamtenversorgungsgesetz (HBeamtVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Januar 2011 (GVBl. I S. 98). m. W. v. 1. März 2014 abgelöst durch das Hessische Beamtenversorgungsgesetz (HBeamtVG) vom 27. Mai 2013 (GVBl. S. 218, 312), zuletzt geändert durch Art. 14 des Gesetzes vom 20. November 2013 (GVBl. S. 578, 583). Mit Inkrafttreten zum 1. Januar 2014 das Beamtenversorgungsgesetz für das Land Brandenburg (Brandenburgisches Beamtenversorgungsgesetz – BbgBeamtVG) vom 20. November 2013 (GVBl. I Nr. 32 S. 1, 77). Im Wesentlichen das Beamtenversorgungsgesetz des Bundes in der zu einem bestimmten Stichtag geltenden Fassung, teils nebst der auf Grundlage desselben ergangenen Verordnungen, adaptiert, lediglich punktuell geändert und in Landesrecht überführt bzw. die Fortgeltung als Landesrecht angeordnet haben: Berlin mit dem Gesetz über die Versorgung der Beamtinnen und Beamten sowie der Richterinnen und Richter des Landes Berlin (Landesbeamtenversorgungsgesetz – LBeamtVG) vom 21. Juni 2011 (GVBl. S. 266, 282),
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kompetenz für das Versammlungsrecht der Kompetenzstreichung bedient; die bis zur Föderalismusreform in Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG enthaltene Zuordnung zur konkurrierenden Gesetzgebung wurde aufgehoben. Seither unterfällt das Versammlungsrecht gem. Art. 70 Abs. 1 GG der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder.38 Bestimmendes Motiv dieser Kompetenzverlagerung war die Zugehörigkeit der Materie zum Recht der besonderen Gefahrenabwehr, ihre enge sachliche Verbindung mit dem Polizeirecht der Länder39 sowie der Umstand, auf diese Weise dem bereits erwähnten Regionalprinzip Rechnung tragen zu können.40 Inhaltlich umfasst die neu gewonnene Länderzuständigkeit die öffentlichrechtliche Regelung des Versammlungswesens. Angesichts der mit ihr bewirkten Kompetenzverlagerung dürfte heute – anders als vor der Föderaliszuletzt geändert durch Art. IV des Gesetzes vom 29. Juni 2011 (GVBl. S. 306, 310); Nordrhein-Westfalen mit dem Beamtenversorgungsgesetz für das Land NordrheinWestfalen (Landesbeamtenversorgungsgesetz – LBeamtVG NRW) vom 16. Mai 2013 (GV. NRW. S. 234, 238), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 16. Mai 2013 (GV. NRW. S. 234, 239); das Saarland mit § 2 des Saarländischen Beamtenversorgungsgesetzes (SBeamtVG) vom 14. Mai 2008 (Amtsbl. S. 1062), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 1. Juli 2009 (Amtsbl. S. 1138, 1139); der Freistaat Sachsen mit dem Gesetz über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern (Beamtenversorgungsgesetz – BeamtVG), übergeleitet in Landesrecht mit Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 17. Januar 2008 (SächsGVBl. S. 3), vgl. dazu auch § 17 Abs. 2 des Sächsischen Besoldungsgesetzes (SächsBesG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Januar 1998 (SächsGVBl. S. 50), zuletzt geändert durch Art. 16 des Gesetzes vom 13. Dezember 2012 (SächsGVBl. S. 725, 734); Sachsen-Anhalt mit § 7 des Besoldungs- und Versorgungsrechtsergänzungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (BesVersEG LSA) vom 8. Februar 2011 (GVBl. LSA S. 68, 101), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 30. Juli 2013 (GVBl. LSA S. 400). 38 BT-Drs. 16 / 813, S. 12. Hierzu näher Ernst Burgbacher, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 281 ff. (285 f.); André Schmitz, Weitere Kompetenzmaterien im Bereich der Artikel 74 und 72 Abs. 3 neu GG (Art. 75 a. F. GG), ebd., S. 288 ff. (289); Rudolf Böhmler, Kompetenzen mit Regionalbezug, ebd., S. 271 ff. (277); Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 61; Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 37. 39 Zum allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht als Bestandteil der Gesetzgebungskompetenz der Länder näher Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 25. 40 Zum Regionalprinzip bereits oben sub I.; wegen der mit dieser Kompetenzverlagerung verbundenen Stärkung der Rücksichtnahme auf regionale Eigenheiten zustimmend etwa Michael Nierhaus / Sonja Rademacher, Die große Staatsreform als Ausweg aus der Föderalismusfalle?, LKV 2006, S. 385 (390). Insgesamt wie hier Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 37.
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musreform I41 – weithin unstrittig sein, dass der kompetenzrechtliche Versammlungsbegriff dem des Art. 8 Abs. 1 GG grundsätzlich entspricht; die gegenteilige Auffassung, die sich auf das bis 2006 bestehende, nunmehr aber weitgehend aufgelöste kompetenzrechtliche Spannungsfeld von Bund und Ländern stützen konnte, lässt sich nicht mehr aufrechterhalten.42 Durch die Überführung der Materie in die Zuständigkeit der Länder ist auch die bisherige Kompetenzgrundlage für die Gesetzgebung über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes entfallen.43 Gleichwohl bleibt die diesbezügliche Gesetzgebungszuständigkeit als Kompetenz kraft der Natur der Sache beim Bund.44 Das hebt nicht zuletzt die Begründung des verfassungsändernden Gesetzgebers für diesen Aspekt der Föderalismusreform von 2006 ausdrücklich hervor.45 41 Gegen eine Identität des Versammlungsbegriffs in den kompetenzrechtlichen Bestimmungen und Art. 8 Abs. 1 GG im Lichte der damaligen Verfassungsrechtslage seinerzeit etwa Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 74 Rn. 42; Gegenposition seinerzeit bei Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Aufl. 2006, Art. 74 Rn. 26; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 4. / 5. Aufl. 2003, Art. 74 Rn. 26. 42 Konnte aufgrund des bis 2006 bestehenden kompetenzrechtlichen Spannungsfeldes, das aus der für weite Teile des Versammlungsrechts geltenden Zugehörigkeit zum Polizei- und Ordnungsrecht resultierte, noch in Betracht gezogen werden, den grundrechtlichen Versammlungsbegriff weit auszulegen und diesem einem engeren Kompetenzrechtsbegriff entgegenzusetzen (so seinerzeit etwa Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck [Hrsg.], Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 74 Rn. 42), hat sich der im Schrifttum diesbezüglich ausgetragene Meinungsstreit durch die Föderalismusreform im Wesentlichen erledigt. Wie hier auch HansWerner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 333. 43 Vgl. dazu das Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes vom 8. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2366); vorgehend das Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes (BefBezG) vom 11. August 1999 (BGBl. I S. 1818), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 20. Juni 2003 (BGBl. I S. 864), außer Kraft seit 11. Dezember 2008 (dazu Art. 3 des Gesetzes vom 8. Dezember 2008 [BGBl. I S. 2366, 2367]). 44 Ebenso Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 14; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 70 Rn. 67 a. E. und Art. 74 Rn. 39; Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 Rn. 42; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 24; von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 74 Rn. 216 mit Anm. 378; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 20a; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 123. 45 BT-Drs. 16 / 813, S. 12; zustimmend Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135
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Vor dem hier skizzierten Hintergrund scheint der durch die Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG bewirkte Kompetenzzuwachs der Länder nicht unerheblich. Allerdings ist dieser Zuwachs – wie zuvor auch der Gestaltungsspielraum des Bundes – aufgrund der intensiven grundrechtlichen Durchdringung der Materie und der umfangreichen bundesverfassungs- und bundesverwaltungsgerichtlichen Judikatur zu Art. 8 GG erheblich eingeschränkt.46 Dies haben die Länder bei der gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG möglichen Ersetzung des zunächst fortgeltenden Versammlungsgesetzes des Bundes zu beachten.47 Eine entsprechende landesgesetzliche Ersetzung ist bislang in Bayern,48 Niedersachsen,49 Sachsen-Anhalt50 und Sachsen51 erfolgt. 3. Die Kompetenz für den Strafvollzug und den Untersuchungshaftvollzug Im Falle der rechtspolitisch lebhaft umstrittenen Überführung des Strafvollzugs und des Untersuchungshaftvollzugs in die Kompetenz der Länder hat die Föderalismusreform I die Zuständigkeiten des Bundes teils gestrichen, teils ausdrücklich ausgeschlossen:52 War die Materie des StrafvollRn. 334. Dies ist auch im Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages nochmals bekräftigt worden, vgl. BT-Drs. 16 / 2069, S. 31 f. Wie hier auch André Schmitz, Weitere Kompetenzmaterien im Bereich der Artikel 74 und 72 Abs. 3 neu GG (Art. 75 a. F. GG), in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 288 (289); vgl. ferner Ernst Burgbacher, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen, ebd., S. 281 (286). 46 Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 37 m. w. N.; vgl. auch Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 61. 47 Wie hier Alfred Scheidler, Änderung der Gesetzgebungskompetenz im Versammlungsrecht – Erste Aktivitäten der Länder, ZRP 2008, S. 151 (152). 48 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) vom 22. Juli 2008 (GVBl. S. 421), zuletzt geändert durch § 1 Nr. 16 des Gesetzes vom 8. April 2013 (GVBl. S. 174). 49 Niedersächsisches Versammlungsgesetz (NVersG) vom 7. Oktober 2010 (Nds. GVBl. S. 465, 532). 50 Gesetz des Landes Sachsen-Anhalt über Versammlungen und Aufzüge (Landesversammlungsgesetz – VersammlG LSA) vom 3. Dezember 2009 (GVBl. LSA S. 558). 51 Gesetz über Versammlungen und Aufzüge im Freistaat Sachsen (Sächsisches Versammlungsgesetz – SächsVersG) vom 25. Januar 2012 (SächsGVBl. S. 54), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 17. Dezember 2013 (SächsGVBl. S. 890, 891). 52 Ablehnend hierzu Heinz Müller-Dietz, Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug, ZRP 2005, S. 156 (157); Stefan Caspari, Unterschiedliches Strafvoll-
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zugs bis zum Jahre 2006 in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ausdrücklich enthalten, wurde der betreffende Gegenstand durch den verfassungsändernden Gesetzgeber gestrichen, während für den ebenfalls in diesem Kompetenztitel enthaltenen Sachbereich des gerichtlichen Verfahrens ein ausdrücklicher Ausschluss des Rechts des Untersuchungshaftvollzugs in das Grundgesetz aufgenommen wurde.53 Auf diese Weise sind beide Materien in die Gesetz gebungszuständigkeit der Länder überführt worden.54 Da indessen die Kompetenz für das Strafrecht und das Strafverfahren, das seinerseits Teil des gerichtlichen Verfahrens ist, weiterhin der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet bleibt, sind die verschiedenen Kompetenzgegenstände voneinander abzugrenzen.55 Vor allem stellt sich die Frage einer Abgrenzung des Strafvollzugs von der Strafvollstreckung, die sich vom Strafvollzug bereits begrifflich unterscheidet und nicht diesem zugerechnet, sondern als Teil des Strafverfahrens zur Zuständigkeit für das gerichtliche Verfahren i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gezählt wird.56 Angesichts dessen wird der Strafvollstreckung die Anordnung und Überwachung des Strafvollzugs zugsrecht belastet Justiz, DRiZ 2006, S. 142; Hans-Ullrich Paeffgen, Das Niedersächsische Justizvollzugsgesetz vom 14.12.2007, StV 2009, S. 46 (46 – „Sumpfblüte der Föderalismusreform“); vgl. auch Reinhard Wiesner, Zurück in die Kleinstaaterei? Ein historischer Streifzug durch die Gesetzgebung der Kinder- und Jugendhilfe, in: Kreft / Mielenz / Trauernicht / Jordan (Hrsg.), Fortschritt durch Recht. Festschrift für Johannes Münder, 2004, S. 117 (136 f.); kritisch auch Michael Köhne, Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug, ZRP 2006, S. 195 (195 f.); affirmativ hingegen Michael Nierhaus / Sonja Rademacher, Die große Staatsreform als Ausweg aus der Föderalismusfalle?, LKV 2006, S. 385 (390: „sinnvoll“); Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 36; differenzierend Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 60; tendenziell zustimmend Ulrike Brune / Simon Müller, Wohin geht der Untersuchungshaftvollzug? Ein Vergleich der (beabsichtigten) landesrechtlichen Regelungen, ZRP 2009, S. 143 (144). 53 Zur konkurrierenden Kompetenz des Bundes für den Strafvollzug vor der Föderalismusreform Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IV, 2. Aufl. 1999, § 100 Rn. 134; von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 74 Rn. 95 ff. 54 BT-Drs. 16 / 813, S. 12; vgl. auch Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 20a. 55 Wie hier Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 21. 56 Siehe dazu Theodor Maunz, in: ders. / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.Lfg. (Mai 2013), Art. 74 Rn. 70; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 21; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 25; anders von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 74 Rn. 101 ff.
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durch die Vollstreckungsbehörden, also die Tätigkeit der Strafvollstreckungsbehörden i. S. v. § 451 StPO, zugeordnet.57 Demgegenüber umfasst der nunmehr den Ländern übertragene Bereich des Strafvollzugs die Ausführung dieser Anordnungen durch die Strafvollzugsbehörden.58 Zur Kompetenz für den Strafvollzug gehören demgemäß vor allem der Vollzug der Freiheitsstrafe in Justizvollzugsanstalten sowie freiheitsentziehende Maßregeln der Besserung und Sicherung.59 Auch die Normierung der „Nacheile“ für entwichene Strafgefangene60 und die Regelung der Kosten des Vollzugs61 zählen hierher.62 Fraglich geworden ist in der Konsequenz der 2006 vorgenommenen Kompetenzverlagerung für den Strafvollzug, ob die Länder nunmehr auch über die Befugnis zur gesetzlichen Gewährung von Straffreiheit, also zum Erlass von Amnestiegesetzen verfügen. Das Bundesverfassungsgericht hat bezüglich der kompetenziellen Grundlage derartiger Gesetze in seiner frühen Rechtsprechung danach differenziert, ob durch derartige Amnestiegesetze in laufende gerichtliche Strafverfahren eingegriffen wird oder ob rechtskräftig verhängte Strafen erlassen werden; im erstgenannten Fall soll die Kompetenzmaterie des gerichtlichen Verfahrens einschlägig sein, im zweitgenannten Fall hingegen der Sachbereich des Strafvollzugs.63 In 57 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 20; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 25; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 121. 58 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 20; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 121; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 332. 59 BVerfGE 85, 134 (142) – Maßregelvollzugsgesetz Bremen; vgl. zur Kompetenzlage vor der Föderalismusreform von 2006 zuletzt BVerfGE 109, 190 (211 ff.) – Sicherungsverwahrung. 60 Hierzu Reinhard Riegel, Zur polizeilichen Festnahmebefugnis gegenüber entwichenen Häftlingen, DÖV 1979, S. 201 (204); Manfred Seebode, Das Recht zur Festnahme entwichener Strafgefangener, in: Frisch / Schmid (Hrsg.), Festschrift für Hans-Jürgen Bruns zum 70. Geburtstag, 1978, S. 487 (493 f.); Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 4. / 5. Aufl. 2003, Art. 74 Rn. 15; von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 74 Rn. 104 mit Anm. 185: Maßnahmen gegen entwichene Strafgefangene als Mittel zur Wiederaufnahme der Vollstreckung, deshalb Zuordnung zum Strafvollzug. 61 BVerfGE 85, 134 (144 ff.) – Maßregelvollzugsgesetz Bremen. 62 Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 25. 63 BVerfGE 2, 213 (221 f.) – Straffreiheitsgesetz; 10, 234 (238) – Platow-Amnestie.
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der Konsequenz der durch die Föderalismusreform vorgenommenen Kompetenzänderung würde diese Judikatur bedeuten, dass der Bund auch weiterhin über die Kompetenz für Amnestiegesetze verfügen würde, soweit durch diese anhängige Strafverfahren niedergeschlagen werden, während die Länder nunmehr für Amnestiegesetze zuständig wären, die den Erlass rechtskräftig verhängter Strafen betreffen. Diese Zuständigkeitsaufspaltung freilich vermag kaum zu überzeugen, weil in beiden Fällen im Zentrum entsprechender gesetzlicher Regelungen letztlich der Verzicht auf die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs steht.64 Angesichts dessen dürfte es plausibler sein, derartige Gesetze, ihren Regelungsschwerpunkten entsprechend, entweder der Strafvollstreckung zuzuordnen oder sie – ebenso wie materielle Straffreiheitsgesetze – als Teil des Strafrechts zu begreifen, das unverändert der konkurrierenden Gesetzgebung unterfällt.65 Amnestiegesetze der Länder sind daher auch weiterhin ausgeschlossen.66 Damit wird nicht zuletzt die sonst bestehende Gefahr einer Aushöhlung des dem Bundesrecht unterstellten Strafanspruchs vermieden.67 Vom Strafvollzug zu unterscheiden ist der Untersuchungshaftvollzug, der 2006 ausdrücklich von den Gegenständen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ausgenommen worden ist. Hintergrund dieser Kompetenzverlagerung ist die Parallele zur Verlagerung des Strafvollzugs in den Bereich der Landesgesetzgebung. Gleichwohl zählt der Untersuchungshaftvollzug sachlich zum Strafverfahren, nicht zum Strafvollzug. Inhaltlich umfasst er den Erlass je64 Wie hier auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 21; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 21; wohl auch Matthias Niedobitek, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 60. 65 Ebenso Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 15; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 25; a. A. die – allerdings aus der Zeit vor der Föderalismusreform stammenden – Kommentierungen von Theodor Maunz, in: ders. / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 74 Rn. 71 und von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 74 Rn. 75. 66 I. E. wie hier Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 21; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 15; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 25; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 21. 67 Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 21; ausschließlich auf den Aspekt der Aushöhlung bundesgesetzlich geregelter Straftatbestände abstellend Theodor Maunz, in: ders. / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 74 Rn. 71.
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ner strafverfahrensrechtlichen Regelungen, die die Durchführung der Untersuchungshaft zum Gegenstand haben.68 Vor dem vorstehend skizzierten Hintergrund ist der durch die Überführung des Strafvollzugs und des Untersuchungshaftvollzugs insgesamt herbeigeführte Kompetenzzuwachs der Länder nicht unerheblich. Ähnlich wie im Falle der Verlagerung der Gesetzgebungsbefugnis für das Versammlungsrecht gilt allerdings auch hier, dass der durch die Kompetenzüberführung gewonnene Gestaltungsspielraum aufgrund der grundrechtlichen Prägung des Gegenstandes erheblich eingeschränkt ist.69 Dies haben die Länder bei der landesrechtlichen Ersetzung des zunächst gem. Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG fortgeltenden Bundesrechts, insbesondere des Strafvollzugsgesetzes des Bundes vom 16. März 1976,70 zu beachten. Von ihrer Ersetzungsbefugnis haben sie zwischenzeitlich vor allem in den Bereichen des (allgemeinen) Strafvollzugs,71 68 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 20; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 21 a. E.; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 332. 69 Siehe hierzu aus der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur stellvertretend BVerfGE 33, 1 – Strafgefangene. Wie hier auch Heribert Ostendorf, Gesetzliche Grundlage für den Jugendstrafvollzug – verfassungsrechtlich geboten!, NJW 2006, S. 2073 (2074); Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 60. Vgl. zu den prägenden menschenrechtlichen Standards der EMRK Evelyn Gräfenstein, Art. 3 EMRK und die Behandlung von Strafgefangenen, ZfStrVo 2003, S. 10 (10 ff.); Heike Jung, Die Rechte von Gefangenen im Lichte der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eine strategische Betrachtung, in: Donatsch / Forster / Schwarzenegger (Hrsg.), Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte. Festschrift für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag, 2002, S. 861 (863 ff.); Heinz Müller-Dietz, Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug, ZRP 2005, S. 156 (159); Christine Morgenstern, Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben für den Untersuchungshaftvollzug, StV 2013, S. 529 (531 f.). 70 Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (Strafvollzugsgesetz – StVollzG) vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 581), zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 25. April 2013 (BGBl. I S. 935, 936). 71 Siehe hierzu das Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg (Justizvollzugsgesetzbuch – JVollzGB), Buch 3: Strafvollzug (JVollzGB III) vom 10. November 2009 (GBl. S. 545, 578), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 20. November 2012 (GBl. S. 581, 602); Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Jugendstrafe (Bayerisches Strafvollzugsgesetz – BayStVollzG) vom 10. Dezember 2007 (GVBl. S. 866), zuletzt geändert durch Art. 99 Abs. 1 des Gesetzes vom 22. Mai 2013 (GVBl. S. 275, 295); Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Untersuchungshaft im Land Brandenburg (Brandenburgisches Justizvollzugsgesetz – BbgJVollzG) vom 24. April 2013 (GVBl. I Nr. 14 S. 1); Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe (Hamburgisches Strafvollzugsgesetz – HmbStVollzG) vom 14. Juli 2009 (HmbGVBl. S. 257), zuletzt geändert
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des Jugendstrafvollzugs,72 des Untersuchungshaftvollzugs73 und des Vollzugs der Sicherungsverwahrung74 intensiven Gebrauch gemacht.75 Wie die Erfahdurch Art. 2 des Gesetzes vom 21. Mai 2013 (HmbGVBl. S. 211, 233); Hessisches Strafvollzugsgesetz (HStVollzG) vom 28. Juni 2010 (GVBl. I S. 185), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 5. März 2013 (GVBl. S. 46, 68); Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Mecklenburg-Vorpommern (Strafvollzugsgesetz Mecklenburg-Vorpommern – StVollzG M-V) vom 7. Mai 2013 (GVOBl. M-V S. 322); Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz (NJVollzG) vom 14. Dezember 2007 (Nds. GVBl. S. 720), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 12. Dezember 2012 (Nds. GVBl. S. 566, 585); für Rheinland-Pfalz das Landesjustizvollzugsgesetz (LJVollzG) vom 8. Mai 2013 (GVBl. S. 79); Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe im Saarland (Saarländisches Strafvollzugsgesetz – SLStVollzG) vom 24. April 2013 (Amtsbl. I S. 116); Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und des Strafarrests im Freistaat Sachsen (Sächsisches Strafvollzugsgesetz – SächsStVollzG) vom 16. Mai 2013 (SächsGVBl. S. 250). – Ausgeklammert werden in der Regel Vorgaben über den Pfändungsschutz und das gerichtliche Verfahren, teils aber auch weitere Materien. Beispielhaft sei diesbezüglich auf die Klauseln in Art. 208 BayStVollzG, Art. 98 BaySvVollzG; § 132 BremSiVVzG; § 130 HbgStVollzG, § 78 HSVVollzG, § 112 SVVollzG NRW, für Rheinland-Pfalz Art. 4 des Landesgesetzes zur Weiterentwicklung von Justizvollzug, Sicherungsverwahrung und Datenschutz vom 8. Mai 2013 (GVBl. S. 79, 131), § 118 SLStVollzG, § 120 SächsStVollzG, § 119 SächsSVVollzG, § 131 SVVollzG LSA und § 72 ThürSVVollzG hingewiesen. 72 Siehe hierzu das Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg (Justizvollzugsgesetzbuch – JVollzGB), Buch 4: Jugendstrafvollzug (JVollzGB IV) vom 10. November 2009 (GBl. S. 545, 597), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 20. November 2012 (GBl. S. 581, 604); §§ 121 ff. des Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Jugendstrafe (Bayerisches Strafvollzugsgesetz – BayStVollzG) vom 10. Dezember 2007 (GVBl. S. 866), zuletzt geändert durch Art. 99 Abs. 1 des Gesetzes vom 22. Mai 2013 (GVBl. S. 275, 295); Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe in Berlin (Berliner Jugendstrafvollzugsgesetz – JStVollzG Bln) vom 15. Dezember 2007 (GVBl. S. 653), zuletzt geändert durch § 80 des Gesetzes vom 21. Juni 2011 (GVBl. S. 287, 302); Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Untersuchungshaft im Land Brandenburg (Brandenburgisches Justizvollzugsgesetz – BbgJVollzG) vom 24. April 2013 (GVBl. I Nr. 14 S. 1); Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe im Land Bremen (Bremisches Jugendstrafvollzugsgesetz – BremJStVollzG) vom 27. März 2007 (Brem.GBl. S. 233); Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe (Hamburgisches Jugendstrafvollzugsgesetz – HmbJStVollzG) vom 14. Juli 2009 (HmbGVBl. S. 257, 280), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 21. Mai 2013 (HmbGVBl. S. 211, 233); Hessisches Jugendstrafvollzugsgesetz (HessJStVollzG) vom 19. November 2007 (GVBl. I S. 758), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 5. März 2013 (GVBl. S. 46, 73); Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe (Jugendstrafvollzugsgesetz Mecklenburg-Vorpommern – JStVollzG M-V) vom 14. Dezember 2007 (GVOBl. M-V S. 427); §§ 113 ff. des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes (NJVollzG) vom 14. Dezember 2007 (Nds. GVBl. S. 720), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 12. Dezember 2012 (Nds. GVBl. S. 566, 585); Gesetz zur Regelung des Jugendstrafvollzuges in Nordrhein-Westfalen (Jugendstrafvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen – JStVollzG NRW) vom 20. November 2007 (GV. NRW. S. 539), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 8. Dezember 2009,
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Peter Michael Huber und Arnd Uhle 73
(GV. NRW. S. 762); für Rheinland-Pfalz vgl. §§ 8 f. des Landesjustizvollzugsgesetzes (LJVollzG) vom 8. Mai 2013 (GVBl. S. 79); Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe (Saarländisches Jugendstrafvollzugsgesetz – SJStVollzG) vom 30. Oktober 2007 (Amtsbl. S. 2370), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 24. April 2013 (Amtsbl. I S. 116, 141); Sächsisches Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe (Sächsisches Jugendstrafvollzugsgesetz – SächsJStVollzG) vom 12. Dezember 2007 (SächsGVBl. S. 558), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 16. Mai 2013 (SächsGVBl. S. 250, 274); Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe in SachsenAnhalt (Jugendstrafvollzugsgesetz Sachsen-Anhalt – JStVollzG LSA) vom 7. Dezember 2007 (GVBl. LSA S. 368); Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe in Schleswig-Holstein – Jugendstrafvollzugsgesetz – (JStVollzG) vom 19. Dezember 2007 (GVOBl. Schl.-H. S. 563), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 15. Mai 2013 (GVOBl. Schl.-H. S. 169, 199); Thüringer Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe (Thüringer Jugendstrafvollzugsgesetz – ThürJStVollzG –) vom 20. Dezember 2007 (GVBl. S. 221) sowie das Thüringer Strafvollzugs- und Jugendstrafvollzugsergänzungsgesetz (ThürErgVollzG) vom 23. Mai 2013 (GVBl. S. 121). 73 Siehe hierzu das Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg (Justizvollzugsgesetzbuch – JVollzGB), Buch 2: Untersuchungshaftvollzug (JVollz GB II) vom 10. November 2009 (GBl. S. 545, 563), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 20. November 2012 (GBl. S. 581, 602); Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft (Bayerisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz – BayUVollzG) vom 20. Dezember 2011 (GVBl. S. 678), zuletzt geändert durch Art. 99 Abs. 2 des Gesetzes vom 22. Mai 2013 (GVBl. S. 275, 298); Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft in Berlin (Berliner Untersuchungshaftvollzugsgesetz – UVollzG Bln) vom 3. Dezember 2009 (GVBl. S. 686), zuletzt geändert durch § 79 des Gesetzes vom 21. Juni 2011 (GVBl. S. 287, 302); Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Untersuchungshaft im Land Brandenburg (Brandenburgisches Justizvollzugsgesetz – BbgJVollzG) vom 24. April 2013 (GVBl. I Nr. 14 S. 1); Bremisches Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft (Bremisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz – BremUVollzG) vom 2. März 2010 (Brem.GBl. S. 191); Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft (Hamburgisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz – HmbUVollzG) vom 15. Dezember 2009 (HmbGVBl. S. 473); Hessisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz (HUVollzG) vom 28. Juni 2010 (GVBl. I S. 185, 208), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 5. März 2013 (GVBl. S. 46, 76); Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft in Mecklenburg-Vorpommern (Untersuchungshaftvollzugsgesetz Mecklenburg-Vorpommern – UVollzG M-V) vom 17. Dezember 2009 (GVOBl. M-V S. 763); §§ 133 ff. des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes (NJVollzG) vom 14. Dezember 2007 (Nds. GVBl. S. 720), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 12. Dezember 2012 (Nds. GVBl. S. 566, 585); Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen (Untersuchungshaftvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen – UVollzG NRW) vom 27. Oktober 2009 (GV. NRW. S. 540); für Rheinland-Pfalz vgl. §§ 3, 5, 10, 64 des Landesjustizvollzugsgesetzes (LJVollzG) vom 8. Mai 2013 (GVBl. S. 79); Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft im Saarland (Untersuchungshaftvollzugsgesetz – SUVollzG) vom 1. Juli 2009 (Amtsbl. S. 1219), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 24. April 2013 (Amtsbl. I S. 116, 144); Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft im Freistaat Sachsen (Sächsisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz – SächsUHaftVollzG) vom 14. Dezember 2010 (SächsGVBl. S. 414), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 16. Mai 2013
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(SächsGVBl. S. 250, 286); Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft in Sachsen-Anhalt (Untersuchungshaftvollzugsgesetz Sachsen-Anhalt – UVollzG LSA) vom 22. März 2010 (GVBl. LSA S. 157), zuletzt geändert durch § 45 des Gesetzes vom 21. Oktober 2010 (GVBl. LSA S. 510, 522); Gesetz über den Vollzug der Un tersuchungshaft in Schleswig-Holstein – Untersuchungshaftvollzugsgesetz (UVollzG) – vom 16. Dezember 2011 (GVOBl. Schl.-H. S. 322); Thüringer Untersuchungshaftvollzugsgesetz (ThürUVollzG) vom 8. Juli 2009 (GVBl. S. 553). – Trotz der umfangreichen Regelungen der Bundesländer zum Vollzug der Untersuchungshaft dürften in kompetenzieller Hinsicht problematische Restbereiche verbleiben, hinzuweisen ist insoweit etwa auf § 119 StPO; vgl. dazu Matthias Krauß, in: Graf (Hrsg.), BeckOK Strafprozessordnung, Ed. 17 (Stand: September 2013), § 119 StPO Rn. 1 ff.; Ullrich Schultheis, in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2013, § 119 StPO Rn. 1 ff. – jeweils m. w. N.; vgl. zu diesem Problemkreis auch Stefan König, Zur Neuregelung der haftrichterlichen Zuständigkeiten in § 119 StPO, NStZ 2010, S. 185 (186 f.). 74 Siehe hierzu das Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg (Justizvollzugsgesetzbuch – JVollzGB), Buch 5: Vollzug der Sicherungsverwahrung (JVollzGB V) vom 20. November 2012 (GBl. S. 581); Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung (Bayerisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz – Bay SvVollzG) vom 22. Mai 2013 (GVBl. S. 275); Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Berlin (Berliner Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz – SVVollzG Bln) vom 27. März 2013 (GVBl. S. 71); Gesetz über den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Land Brandenburg (Brandenburgisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz – BbgSVVollzG) vom 16. Mai 2013 (GVBl. I Nr. 17 S. 1); Bremisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz vom 21. Mai 2013 (Brem.GBl. S. 172); Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung (Ham burgisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz – HmbSVVollzG) vom 21. Mai 2013 (HmbGVBl. S. 211); Hessisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz (HSV- VollzG) vom 5. März 2013 (GVBl. S. 46); Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Mecklenburg-Vorpommern (Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz Mecklenburg-Vorpommern – SVVollzG M-V) vom 7. Mai 2013 (GVOBl. M-V S. 348, 430); Niedersächsisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz (Nds. SVVollzG) vom 12. Dezember 2012 (Nds. GVBl. S. 566); Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Sicherungsverwahrung in Nordrhein-Westfalen (Sicherungsver wahrungsvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen – SVVollzG NRW) vom 30. April 2013 (GV. NRW. S. 212); für Rheinland-Pfalz das Landessicherungsverwahrungsvollzugsgesetz (LSVVollzG) vom 8. Mai 2013 (GVBl. S. 79, 102); Gesetz zum Vollzug der Sicherungsverwahrung im Saarland (Saarländisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz – SLSVVollzG) vom 15. Mai 2013 (Amtsbl. I S. 146); Gesetz über den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Freistaat Sachsen (Sächsisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz – SächsSVVollzG) vom 16. Mai 2013 (SächsGVBl. S. 294); Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Sachsen-Anhalt (Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz Sachsen-Anhalt – SVVollzG LSA) vom 13. Mai 2013 (GVBl. LSA S. 206); Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Schleswig-Holstein (SVVollzG SH) vom 15. Mai 2013 (GVOBl. Schl.-H. S. 169) sowie das Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe bei Gefangenen mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung in Schleswig-Holstein (SVStVollzG SH) vom 15. Mai 2013 (GVOBl. Schl.-H. S. 169, 196); Thüringer Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz (ThürSVVollzG) vom 23. Mai 2013 (GVBl. S. 121, 122).
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rung insbesondere im Bereich des Polizeirechts lehrt,76 bedeutet dies freilich nicht automatisch auch eine inhaltliche Diversifizierung des Rechtsgebietes. Das zeigt sich namentlich an der Inanspruchnahme der neuen Länderkompetenz für den Strafvollzug. So haben sich zehn der sechzehn Länder mit Datum vom 23. August 2011 auf einen Musterentwurf für ein Landesstrafvollzugsgesetz verständigt.77 4. Die Kompetenz für das Heimrecht Zu den 2006 in die Länderzuständigkeit übertragenen Materien gehört auch das Heimrecht, das als Teil des Kompetenztitels der „öffentlichen Fürsorge“ bis dahin der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet war.78 Auch hier hat der verfassungsändernde Gesetzgeber in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG einen expliziten Ausschluss vorgesehen. Wesentlicher Hintergrund der Kompetenzverlagerung dürfte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Altenpflege vom 24. Oktober 2002 sein,79 die zu einer spezifischen Konstellation des Heimgesetzes erging und auf der Seite des Bundes zu einer starken Verunsicherung geführt hat, in welchem Umfang in diesem Bereich zukünftig überhaupt noch eine Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 75767778
75 Die Kompetenzverlagerung charakterisieren als Grundlage „einer bislang beispiellosen gesetzgeberischen Aktivität auf dem Gebiet des Justizvollzugs“ Ulrike Brune / Simon Müller, Wohin geht der Untersuchungshaftvollzug? Ein Vergleich der (beabsichtigten) landesrechtlichen Regelungen, ZRP 2009, S. 143 (144). 76 Vgl. hierzu den Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes vom 25. November 1977, dem viele Landespolizeigesetze inhaltlich gefolgt sind. Siehe hierzu Gerd Heise / Reinhard Riegel, Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes, mit Begründung und Anmerkungen, 2. Aufl. 1978; Ernst Rasch, Der Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes und seine Verwirklichung, DVBl. 1982, S. 126 (126 ff.); Heinz Wagner, Kommentar zum Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen und zum Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder, 1987, S. 55 ff.; Wolfgang Müllensiefen, Gefahrenabwehr und Gefahrenerforschung durch den Grundeigentümer, 1997, S. 25 ff. 77 Musterentwurf zum Landesstrafvollzugsgesetz vom 23. August 2011 (Umdruck). Siehe hierzu auch die gemeinsame Pressemitteilung der Senatorin für Justiz des Landes Berlin, des Senators für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen und der Justizministerinnen und Justizminister der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen vom 6. September 2011. 78 Zu dieser Änderung Rudolf Böhmler, Kompetenzen mit Regionalbezug, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 271 (274); Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 38; Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 62. 79 BVerfGE 106, 62 – Altenpflegegesetz.
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Abs. 2 GG zu bejahen sein könnte. In der Folge zeigte sich der Bund bereit, die Kompetenz für die Regelung des Heimrechts in die Gesetzgebungsbefugnis der Länder zu überführen.80 Der Kompetenzausschluss in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG benennt die von ihm erfasste Kompetenzmaterie normativ-rezeptiv. In einem derartigen Fall, in dem „der Verfassungsgeber eine normativ ausgeformte Materie vorgefunden und sie als solche gleichsam nachvollziehend benannt hat“, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davon auszugehen, „dass die einfachgesetzliche Ausformung in der Regel den Zuweisungsgehalt auch der Kompetenznorm bestimmt“,81 obgleich es grundsätzlich natürlich (umgekehrt) die Verfassung ist, die die Auslegung des einfachen Rechts determiniert.82 Eine solche verfassungsrechtliche Rezeption des einfachen Rechts kann freilich nur hinsichtlich der Grundstrukturen des gesetzlichen Regelungsbereiches angenommen werden. Daher ist der Gesetzgeber nicht an einer Fortentwicklung der betreffenden Materie gehindert.83 Das Heimrecht als Gegenstand des Kompetenzrechts lässt sich somit im Wesentlichen in Anlehnung an jene Rechtsmaterie definieren, die einfach-gesetzlich im Heimgesetz vom 5. November 2001 geregelt ist.84 Der Kompetenztitel umfasst daher insbesondere den Erlass solcher Vorschriften, die die entgeltliche Aufnahme sowie die Betreuung und Pflege in entsprechenden Einrichtungen, namentlich in Einrichtungen der Altenpflege, zum Gegenstand haben 80 Wie hier auch Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 62; Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 38. 81 BVerfGE 109, 190 (218) – Sicherungsverwahrung; SächsVerfGH, NVwZ-RR 2012, 873 (874 f.) – Ladenschluss an Sonn- und Feiertagen. Näher zu normativ-rezeptiv formulierten Kompetenzbereichen Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 51 ff., v. a. Rn. 54. 82 Zu dem damit aufgeworfenen Problem der „Verfassung nach Gesetz“ Walter Leisner, Die Gesetzmäßigkeit der Verfassung, JZ 1964, S. 201 (202 ff.); ders., Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, 1964, S. 26 ff. 83 Rupert Scholz, Ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebungskompetenz von Bund und Ländern in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz. Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, Bd. II, 1976, S. 252 (265 f.); Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 54. 84 Heimgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. November 2001 (BGBl. I S. 2970), zuletzt geändert durch Art. 3 Satz 2 des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2319, 2325). Vgl. hierzu auch Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 19; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 37; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 28.
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und den Schutz älterer, pflegebedürftiger oder behinderter Menschen vor Beeinträchtigungen bezwecken, die sich typischerweise aus ihrer Lebenssituation infolge des Heimaufenthaltes und den daraus folgenden Abhängigkeiten ergeben können.85 Die Kompetenzmaterie ist, was für ihre zukünftige landesrechtliche Fortentwicklung maßgeblich sein dürfte, wesentlich von der Zielsetzung geprägt, der besonderen Schutzbedürftigkeit von Heimbewohnern Rechnung zu tragen.86 Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG ermöglicht den Ländern die landesgesetzliche Ersetzung des aufgrund von Satz 1 fortgeltenden Heimgesetzes des Bundes. Von dieser Ersetzungsbefugnis haben zwischenzeitlich mit Ausnahme des Freistaats Thüringen, in dem das Heimgesetz des Bundes noch fortgilt, alle Länder Gebrauch gemacht.87 85 Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 HeimG; vgl. auch BVerfGE 106, 62 (134 f.) – Altenpflegegesetz. Wie hier bereits Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 101. 86 Vgl. auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 37. 87 Hinzuweisen ist auf die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen: BadenWürttemberg: Heimgesetz für Baden-Württemberg (Landesheimgesetz – LHeimG) vom 10. Juni 2008 (GBl. S. 169), zuletzt geändert durch Art. 46 der Verordnung vom 25. Januar 2012 (GBl. S. 65, 70); Bayern: Gesetz zur Regelung der Pflege-, Betreuungs- und Wohnqualität im Alter und bei Behinderung (Pflege- und Wohnqualitätsgesetz – PfleWoqG) vom 8. Juli 2008 (GVBl. S. 346), zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 22. Mai 2013 (GVBl. S. 308); Berlin: Gesetz über Selbstbestimmung und Teilhabe in betreuten gemeinschaftlichen Wohnformen (Wohnteilhabegesetz – WTG) vom 3. Juni 2010 (GVBl. S. 285); Brandenburg: Gesetz über das Wohnen mit Pflege und Betreuung des Landes Brandenburg (Brandenburgisches Pflege- und Betreuungswohngesetz – BbgPBWoG) vom 8. Juli 2009 (GVBl. I S. 298); Bremen: Gesetz zur Sicherstellung der Rechte von Menschen mit Unterstützungs-, Pflege- und Betreuungsbedarf in unterstützenden Wohnformen (Bremisches Wohn- und Betreuungsgesetz – BremWoBeG) vom 5. Oktober 2010 (Brem.GBl. S. 509), zuletzt geändert durch Nr. 2.2 i. V. m. Anl. 2 der Bekanntmachung vom 24. Januar 2012 (Brem.GBl. S. 24, 53); Hamburg: Hamburgisches Gesetz zur Förderung der Wohn- und Betreuungsqualität älterer, behinderter und auf Betreuung angewiesener Menschen (Hamburgisches Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz – HmbWBG) vom 15. Dezember 2009 (HmbGVBl. S. 494); Hessen: Hessisches Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen (HGBP) vom 7. März 2012 (GVBl. S. 34); Mecklenburg-Vorpommern: Gesetz zur Förderung der Qualität in Einrichtungen für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung sowie zur Stärkung ihrer Selbstbestimmung und Teilhabe (Einrichtungenqualitätsgesetz – EQG M-V) vom 17. Mai 2010 (GVOBl. M-V S. 241), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 10. Dezember 2012 (GVOBl. M-V S. 532, 533); Niedersachsen: Niedersächsisches Heimgesetz (NHeimG) vom 29. Juni 2011 (Nds. GVBl. S. 196); Nordrhein-Westfalen: Gesetz über das Wohnen mit Assistenz und Pflege in Einrichtungen (Wohn- und Teilhabegesetz – WTG) vom 18. November 2008 (GV. NRW. S. 738), zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 14. Februar 2012 (GV. NRW. S. 97, 101); Rheinland-Pfalz: Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe (LWTG) vom
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5. Die Kompetenz für das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, Ausstellungen und Märkte Einer ausführlichen Aufzählung von Kompetenzausschlüssen bedient hat sich der verfassungsändernde Gesetzgeber des Jahres 2006 bei der Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, durch die Kompetenzen für den Ladenschluss, das Gaststättenrecht und Teile des Gewerberechts in die Gesetzgebungskompetenz der Länder überführt worden sind. Motiv auch dieser – angesichts ihres Gesamtumfangs nicht unbedeutenden – Kompetenzverlagerung ist die Orientierung der Föderalismusreform an dem bereits erwähnten Regionalprinzip.88 a) Die Kompetenz für das Recht des Ladenschlusses Im Einzelnen ist im Zuge der Föderalismusreform I zunächst die Materie des Ladenschlusses der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder unterstellt worden.89 Diese rechnete bis dahin als Bestandteil der Teilkompetenz für 22. Dezember 2009 (GVBl. S. 399); Saarland: Saarländisches Gesetz zur Sicherung der Wohn-, Betreuungs- und Pflegequalität für ältere Menschen sowie pflegebedürftige und behinderte Volljährige (Landesheimgesetz Saarland – LHeimGS) vom 6. Mai 2009 (Amtsbl. S. 906); Sachsen: Gesetz zur Regelung der Betreuungs- und Wohnqualität im Alter, bei Behinderung und Pflegebedürftigkeit im Freistaat Sachsen (Sächsisches Betreuungs- und Wohnqualitätsgesetz – SächsBeWoG) vom 12. Juli 2012 (SächsGVBl. S. 397); Sachsen-Anhalt: Gesetz über Wohnformen und Teilhabe des Landes Sachsen-Anhalt (Wohn- und Teilhabegesetz – WTG LSA) vom 17. Februar 2011 (GVBl. LSA S. 136); Schleswig-Holstein: Gesetz zur Stärkung von Selbstbestimmung und Schutz von Menschen mit Pflegebedarf oder Behinderung (Selbstbestimmungsstärkungsgesetz – SbStG) vom 17. Juli 2009 (GVOBl. Schl.-H. S. 402), zuletzt geändert durch Art. 25 des Gesetzes vom 17. Dezember 2010 (GVOBl. Schl.-H. S. 789, 811). Zur Bewertung einzelner landesrechtlicher Entwicklungen vgl. die Darstellungen bei Bettina Karl, Auswirkungen der Länderregelungen zum Heimrecht in der erbrechtlichen Praxis, ZEV 2009, S. 544 (544 ff.). 88 Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 63; Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 39. 89 Hierzu André Schmitz, Recht der Wirtschaft und regionale Arbeitsmarktpolitik, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 247 (249); Hendrik Horstmann, Neue Gesetzgebungskompetenzen bei Ladenschluss und Arbeitszeit, NZA 2006, S. 1246 (1248); Thorsten Kingreen / Bodo Pieroth, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Aufhebung der Ladenschlusszeiten, NVwZ 2006, S. 1221 (1221 ff.); Jörn A. Kämmerer / Gregor Thüsing, Ladenschluss und Arbeitsrecht. Zur Gesetzgebungshoheit für die Materien des Ladenschlussgesetzes nach der Föderalis-
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die Regelung des Handels zum „Recht der Wirtschaft“ i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG a. F., wurde aber hinsichtlich der arbeitszeitrechtlichen Implikationen zugleich auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG und die dort u. a. enthaltene Zuständigkeit für den Arbeitsschutz gestützt.90 Im Hintergrund der Verlagerung dieser Gesetzgebungskompetenz auf die Länder steht die jüngere Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zum Ladenschlussrecht. Spätestens dessen Entscheidung vom 9. Juni 2004 hatte aus Sicht des verfassungs ändernden Gesetzgebers deutlich gemacht, dass die Erforderlichkeit einer bundeseinheitlichen Regelung i. S. d. Art. 72 Abs. 2 GG nicht mehr zu begründen und damit die verfassungsrechtliche Voraussetzung für eine Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis durch den Bund zukünftig nicht mehr zu erfüllen war.91 Die daraus folgende Länderkompetenz für eine Neukonzeption des Ladenschlussrechts allerdings hing gem. Art. 125 Abs. 2 Satz 2 GG von einer vorherigen bundesgesetzlichen Freigabe ab, die grundsätzlich im politischen Ermessen des Bundes steht.92 Angesichts dessen bestand die Gefahr einer Versteinerung der Gesetzeslage,93 so dass es nur konsequent war, das Ladenschlussrecht in dieser Situation aus der konkurrierenden Gesetzgebung herauszunehmen.94 Der im Kompetenzausschluss des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG verwendete Begriff des Ladenschlusses ist weit gefasst.95 Ihn entgegen seines Wortlauts „als Ausnahme von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz“ gleichmusreform, GewArch 2006, S. 266 (266 ff.); Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 19 und Art. 74 Rn. 31; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 107. 90 BVerfGE 111, 10 (28) – Ladenschlussgesetz. 91 Vgl. BVerfGE 111, 10 (28 f.) – Ladenschlussgesetz. 92 Zu der durch Art. 125a Abs. 2 GG geprägten Rechtslage Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 125a GG Rn. 40 ff. (speziell zum Ladenschluss-Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rn. 41 f. m. w. N.). 93 Die kompetenziellen Möglichkeiten des Bundes beschränkten sich darauf, das bisherige Ladenschlussrecht, das als Bundesrecht gem. Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG fortgalt, an veränderte Verhältnisse anzupassen, es also zu modifizieren; hierzu näher BVerfGE 111, 10 (29 ff.) – Ladenschlussgesetz. 94 Vgl. hierzu auch Peter M. Huber, Die Föderalismusreform von 2006, in: Nolte / Schliesky (Hrsg.), Verwaltungsmodernisierung durch Funktional- und Strukturreform, Entbürokratisierung und E-Government, 2007, S. 1 (9); Hans-Peter Friedrich, Recht der Wirtschaft, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 239 (243 f.); Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 125. 95 Das konzediert auch Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 92.
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wohl eng auszulegen, ist nicht, zumindest nicht prinzipiell, veranlasst.96 Inhaltlich kann auch dieser Kompetenztitel aufgrund seiner ebenfalls normativ-rezeptiven Formulierung in Anlehnung an den Inhalt des vom verfassungsändernden Gesetzgeber 2006 vorgefundenen Ladenschlussgesetzes bestimmt werden.97 Demgemäß umfasst die neue Länderzuständigkeit die Festlegung der Öffnungszeiten, wobei sowohl die Öffnungszeiten im Einzel- als auch im Großhandel erfasst werden.98 Allerdings umgreift sie nicht die allgemeinen arbeitszeitrechtlichen Komponenten des Ladenschlussrechts,99 weil die Föderalismusreform von 2006 die Regelungsbefugnis für das allgemeine Arbeitszeitrecht gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG in der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis belassen hat.100 Aus diesem Befund resultieren Schwierigkeiten bei der Bestimmung der inhaltlichen Reichweite der neuen Länderkompetenz. Das gilt namentlich für die Frage, ob die Zuständigkeit der Länder trotz der grundsätzlichen Zuordnung des Arbeits96 Insofern a. A. Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 92. 97 SächsVerfGH, NVwZ-RR 2012, 873 (874 f.) – Ladenschluss an Sonn- und Feiertagen. Dies folgt auch den bundesverfassungsgerichtlich formulierten Grundsätzen der Kompetenzinterpretation, siehe hierzu BVerfGE 109, 190 (218) – Sicherungsverwahrung; dazu bereits vorstehend im Kontext der Kompetenz für das Heimrecht (sub III. 4.). Aus dem Schrifttum grundlegend dazu Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 46 i. V. m. Art. 70 Rn. 54. 98 Wolfram Höfling / Stephan Rixen, Die Landes-Gesetzgebungskompetenzen im Gewerberecht nach der Föderalismusreform, GewArch 2008, S. 1 (5); ebenso Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 92. – Eingehend zu den einzelnen verfassungsrechtlichen Vorgaben, die vom Landesgesetzgeber bei einer Neuregelung zu beachten sind Holger Schmitz, Die Ladenöffnung nach der Föderalismusreform, NVwZ 2008, S. 18 (19 ff.). 99 André Schmitz, Recht der Wirtschaft und regionale Arbeitsmarktpolitik, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 247 (249); Jürgen Kühling, Ladenschluss nach der Föderalismusreform, AuR 2006, S. 384 (385); Hendrik Horstmann, Neue Gesetzgebungskompetenzen bei Ladenschluss und Arbeitszeit, NZA 2006, S. 1246 (1248); Jörn A. Kämmerer / Gregor Thüsing, Ladenschluss und Arbeitsrecht. Zur Gesetzgebungshoheit für die Materien des Ladenschlussgesetzes nach der Föderalismusreform, GewArch 2006, S. 266 (270 ff.); differenzierend Thorsten Kingreen / Bodo Pieroth, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Aufhebung der Ladenschlusszeiten, NVwZ 2006, S. 1221 (1224). 100 Thorsten Kingreen / Bodo Pieroth, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Aufhebung der Ladenschlusszeiten, NVwZ 2006, S. 1221 (1224); Jörn A. Kämmerer / Gregor Thüsing, Ladenschluss und Arbeitsrecht. Zur Gesetzgebungshoheit für die Materien des Ladenschlussgesetzes nach der Föderalismusreform, GewArch 2006, S. 266 (268 ff.); Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 2.
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zeitrechts zur konkurrierenden Gesetzgebung die Kompetenz für Arbeitszeitregelungen doch insoweit umfasst, als diese Befreiungs- und Ausgleichszeiten enthalten, die ihrerseits die Öffnungszeiten unmittelbar beeinflussen. Diesbezüglich lassen sich unterschiedliche Argumentationsansätze verfolgen. Im Schrifttum wird vielfach vertreten, dass auch die zum Schutz der Arbeitnehmer bislang im Ladenschlussrecht enthaltenen Regelungen der Arbeitszeiten nunmehr dem Recht des Arbeitsschutzes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zugeordnet sein sollen.101 Gegen eine solche Sichtweise sprechen gleichwohl durchgreifende Argumente: So formuliert Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG den das Ladenschlussrecht betreffenden Kompetenzausschluss, wie erwähnt, normativ-rezeptiv. Die von ihm erfasste Kompetenzmaterie ist also durch Aufnahme eines vorgefundenen Normbereichs geprägt, so dass – wie bereits in anderem Kontext ausgeführt102 – „Sinn und Zweck der Umschreibung [des] vom Verfassungsgeber bereits vorgefundenen Normenbereichs in der Kompetenzvorschrift […] dafür [sprechen], dass der vorgefundene Normenbereich von ihr erfasst werden soll“.103 Da das nunmehr in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG benannte Recht des Ladenschlusses bis zur Föderalismusreform I im Ladenschlussgesetz des Bundes104 normiert war und Anhaltspunkte dafür fehlen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber des Jahres 2006 diesen Sachbereich anders zuschneiden wollte, spricht alles dafür, dass die Kompetenzmaterie so, wie sie durch dieses Gesetz geregelt war, auf die Länder übertragen worden ist.105 Das Ladenschlussgesetz des Bundes indes enthielt Bestimmungen zum Schutz der Arbeitnehmer bei einer Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen.106 Dem entsprachen auch seine Vorgängerregelungen, die die Zulässigkeit der Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen sowie die Arbeitszeiten an diesen Tagen ebenfalls stets einheitlich in einem 101 Jörn A. Kämmerer / Gregor Thüsing, Ladenschluss und Arbeitsrecht. Zur Gesetzgebungshoheit für die Materien des Ladenschlussgesetzes nach der Föderalismusreform, GewArch 2006, S. 266 (270 ff.); Wolfram Höfling / Stephan Rixen, Die Landes-Gesetzgebungskompetenzen im Gewerberecht nach der Föderalismusreform, GewArch 2008, S. 1 (5 f.); Hans-Werner Rengeling / Peter Szczekalla, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Rn. 145; vgl. auch Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 92. 102 Siehe dazu im Kontext der Zuständigkeit für das Heimrecht vorstehend sub III. 4. 103 BVerfGE 109, 190 (218) – Sicherungsverwahrung; SächsVerfGH, NVwZ-RR 2012, 873 (874 f.) – Ladenschluss an Sonn- und Feiertagen. 104 Gesetz über den Ladenschluss in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 2003 (BGBl. I S. 744), zuletzt geändert durch Art. 228 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407, 2434). 105 Dezidiert wie hier SächsVerfGH, NVwZ-RR 2012, 873 (874) – Ladenschluss an Sonn- und Feiertagen.
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Gesetz geregelt hatten.107 Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der unmittelbaren und engen inhaltlichen Verklammerung von Bestimmungen über die Arbeitszeiten an Sonn- und Feiertagen mit den Regelungen über das prinzipielle Verbot und die ausnahmsweise Zulässigkeit der Ladenöffnung an diesen Tagen erscheint es überzeugend, der neuen Länderkompetenz für den Ladenschluss auch die Zuständigkeit für Befreiungs- und Ausgleichszeiten zuzuordnen, soweit diese die Öffnungszeiten unmittelbar beeinflussen.108 Daher können entsprechende Regelungen durch die Länder getroffen werden, ohne dass es darauf ankäme, ob der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Arbeitszeitrecht erschöpfenden Gebrauch gemacht hat oder nicht. Dieser Ansicht folgen in der seit 2006 etablierten Staatspraxis etwa das Gesetz über die Ladenöffnung in Baden-Württemberg, das Hessische Ladenöffnungsgesetz sowie weitere Landesgesetze.109 Nur in 106
106 § 17 des Gesetzes über den Ladenschluss in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 2003 (BGBl. I S. 744), zuletzt geändert durch Art. 228 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407, 2434); eine entsprechende Anordnung fand sich bereits in § 17 der Ursprungsfassung des Gesetzes über den Ladenschluß vom 28. November 1956 (BGBl. I S. 875), welches in der Sammlung des Bundesrechts (vgl. die im BGBl. III, Gliederungsnummer 8050-20, veröffentlichte bereinigte Fassung) im Bereich 8050 („Arbeitsschutz“) eingruppiert worden war. Auf diesen tradierten Regelungsgehalt weist zu Recht auch SächsVerfGH, NVwZ-RR 2012, 873 (875) – Ladenschluss an Sonn- und Feiertagen hin. 107 §§ 105a ff. der Gewerbeordnung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 7100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung. 108 Offen gelassen von BVerfGE 125, 39 (89) – Berliner Ladenöffnungszeiten; wie hier ausdrücklich SächsVerfGH, NVwZ-RR 2012, 873 (874 f.) – Ladenschluss an Sonn- und Feiertagen; i. E. ebenso Thorsten Kingreen / Bodo Pieroth, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Aufhebung der Ladenschlusszeiten, NVwZ 2006, S. 1221 (1224); Andreas Horsch, Die Föderalismusreform 2006 – Erste Auswirkungen für Thüringen, ThürVBl. 2007, S. 97 (98 f.); Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 31; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 46; wohl auch Wolfram Försterling, Kompetenzrechtliche Probleme nach der Föderalismusreform, ZG 2007, S. 36 (52 ff., v. a. 56 f.), vgl. auch Manfred Löwisch, Föderalismusreform: Neue Gestaltungsspielräume der Länder mit Auswirkungen auf das Arbeitsrecht, in: Krause / Schwarze (Hrsg.), Festschrift für Hansjörg Otto zum 70. Geburtstag am 23. Mai 2008, 2008, S. 317 (319 f.). 109 Entsprechende Regelungen finden sich außer in Bayern in sämtlichen Bundesländern, vgl. dazu: § 12 des Gesetzes über die Ladenöffnung in Baden-Württemberg (LadÖG) vom 14. Februar 2007 (GBl. S. 135), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 10. November 2009 (GBl. S. 628); § 7 des Berliner Ladenöffnungsgesetzes (BerlLadÖffG) vom 14. November 2006 (GVBl. S. 1045), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 13. Oktober 2010 (GVBl. S. 467); § 10 des Brandenburgischen Ladenöffnungsgesetzes (BbgLöG) vom 27. November 2006 (GVBl. I S. 158), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2010 (GVBl. I Nr. 46 S. 1); § 13 des Bremischen Ladenschlussgesetzes vom 22. März 2007 (Brem.GBl. S. 221), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom
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Bayern gilt gem. Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG derzeit noch das Ladenschlussgesetz des Bundes fort.110
28. Februar 2012 (Brem.GBl. S. 95); § 9 des Hamburgischen Gesetzes zur Regelung der Ladenöffnungszeiten (Ladenöffnungsgesetz) vom 22. Dezember 2006 (HmbGVBl. S. 611), zuletzt geändert durch Art. 18 des Gesetzes vom 15. Dezember 2009 (HmbGVBl. S. 444, 449); § 9 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes (HLöG) vom 23. November 2006 (GVBl. I S. 606), zuletzt geändert durch Art. 72 des Gesetzes vom 13. Dezember 2012 (GVBl. S. 622, 629); § 7 des Gesetzes über die Ladenöffnungszeiten für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Ladenöffnungsgesetz – LöffG M-V) vom 18. Juni 2007 (GVOBl. M-V S. 226); § 7 des Niedersächsischen Gesetzes über Ladenöffnungs- und Verkaufszeiten (NLöffVZG) vom 8. März 2007 (Nds. GVBl. S. 111), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 13. Oktober 2011 (Nds. GVBl. S. 348); § 13 des Ladenöffnungsgesetzes RheinlandPfalz (LadöffnG) vom 21. November 2006 (GVBl. S. 351). Einen Verweis auf Bundesrecht, demzufolge § 11 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) vom 6. Juni 1994 (BGBl. I S. 1170) „in der jeweils geltenden Fassung“, hier also in der Fassung der letzten Änderung durch Art. 3 Abs. 6 des Gesetzes vom 20. April 2013 (BGBl. I S. 868, 914), anzuwenden ist, enthalten die Vorgaben in: § 11 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Ladenöffnungszeiten (Ladenöffnungsgesetz – LÖG NRW) vom 16. November 2006 (GV. NRW. S. 516), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 30. April 2013 (GV. NRW. S. 208); § 10 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 1606 zur Regelung der Ladenöffnungszeiten (Ladenöffnungsgesetz – LÖG Saarland) vom 15. November 2006 (Amtsbl. S. 1974), zuletzt geändert durch Art. 14 des Gesetzes vom 26. Oktober 2010 (Amtsbl. I S. 1406, 1408); § 10 Abs. 2 des Gesetzes über die Ladenöffnungszeiten im Freistaat Sachsen (Sächsisches Ladenöffnungsgesetz – SächsLadÖffG) vom 1. Dezember 2010 (SächsGVBl. S. 338), zuletzt geändert durch Art. 39 des Gesetzes vom 27. Januar 2012 (SächsGVBl. S. 130, 146); sowie ergänzend auch § 7 Abs. 1 Satz 2 des Berliner Ladenöffnungsgesetzes (BerlLadÖffG) vom 14. November 2006 (GVBl. S. 1045), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 13. Oktober 2010 (GVBl. S. 467). Eine zusätzliche Inbezugnahme der Vorgaben der §§ 2 bis 8 des ArbZG enthält § 13 Abs. 5 des Bremischen Ladenschlussgesetzes vom 22. März 2007 (Brem.GBl. S. 221), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 28. Februar 2012 (Brem.GBl. S. 95); einen Rekurs auf §§ 3 bis 8 des ArbZG enthält § 9 Abs. 3 Satz 1 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes (HLöG) vom 23. November 2006 (GVBl. I S. 606), zuletzt geändert durch Art. 72 des Gesetzes vom 13. Dezember 2012 (GVBl. S. 622, 629); den Verweis auf §§ 3 bis 7 und 11 ArbZG wiederum § 13 Abs. 1 des Gesetzes über die Ladenöffnungszeiten (Ladenöffnungszeitengesetz – LöffZG) vom 29. November 2006 (GVOBl. Schl.-H. S. 243). Ein weitgehender Verweis auf das ArbZG mit lediglich punktuellen Abweichungen findet sich in § 9 Abs. 1 des Gesetzes über die Ladenöffnungszeiten im Land Sachsen-Anhalt (Ladenöffnungszeitgesetz Sachsen-Anhalt – LöffzeitG LSA) vom 22. November 2006 (GVBl. LSA S. 528) sowie in § 12 Abs. 2 Satz 1 des Thüringer Ladenöffnungsgesetzes (ThürLadÖffG) vom 24. November 2006 (GVBl. S. 541), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2011 (GVBl. S. 540). 110 Gesetzes über den Ladenschluss in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 2003 (BGBl. I S. 744), zuletzt geändert durch Art. 228 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407, 2434).
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b) Die Kompetenz für das Recht der Gaststätten Durch die Föderalismusreform des Jahres 2006 ist auch das Gaststättenrecht in die Gesetzgebungskompetenz der Länder überführt worden.111 Dieses war bis dahin als Teil des „Rechts der Wirtschaft“ wie auch der Sachbereich des Ladenschlusses Gegenstand des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, unterlag also der konkurrierenden Gesetzgebung, von der der Bund durch Erlass des Gaststättengesetzes vom 20. November 1998112 weitgehend auch Gebrauch gemacht hatte.113 Durch die Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, mit der das Recht der Gaststätten ausdrücklich vom Recht der Wirtschaft ausgenommen wurde, ist dieses nunmehr ebenfalls dem Anwendungsbereich des Art. 70 Abs. 1 GG unterstellt.114 Da sich der Wortlaut auch dieser Kompetenzänderung eng an die bisherige einfach-gesetzliche Begrifflichkeit anlehnt, zeichnet sich auch diese durch eine „normativ-rezeptive“ Formulierung i. S. der vorstehend bereits behandelten bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur aus.115 Die Auslegung des kompetenzrechtlichen Begriffs des Gaststättenrechts kann sich daran 111 Hierzu Ulrich Schönleiter, Föderalismusreform und Gewerberecht. Erste Gedanken zur neuen Rechtslage, GewArch 2006, S. 371 (372 f.); vgl. auch Hans-Peter Friedrich, Recht der Wirtschaft, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 239 (244 f.); Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 63. 112 Gaststättengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. November 1998 (BGBl. I S. 3418), zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 7. September 2007 (BGBl. I S. 2246, 2257). 113 Zum kompetenziellen Rekurs auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 i. V. m. Art. 72 Abs. 2 GG für den Bereich des Gaststättenrechts vgl. auch BT-Drs. 13 / 9109, S. 13. 114 Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 64. Darstellend André Schmitz, Recht der Wirtschaft und regionale Arbeitsmarktpolitik, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 247 (250: Übertragung der Kompetenz für das bisherige Gaststättengesetz in ihrer Gesamtheit); Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 39; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 47; vgl. auch Bodo Pie roth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 31; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 4 und 127; Klaus-Dieter Schnapauff, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 10 a. E. 115 Vgl. dazu BVerfGE 109, 190 (218) – Sicherungsverwahrung.
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orientieren.116 Inhaltlich umfasst es entsprechend der weit gefassten Begriffsbestimmung des bisherigen § 1 GastG des Bundes sowohl die Schankals auch die Speisewirtschaften, unabhängig davon, ob diese im stehenden Gewerbe oder im Reisegewerbe betrieben werden. Freilich wird die Zuordnung des sog. Reisegastgewerbes zur neuen Länderzuständigkeit im Schrifttum teilweise bestritten. Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass Grund für die Verlagerung der Gesetzgebungszuständigkeit der besondere regionale Bezug gewesen sei, weshalb von einer Kompetenzverlagerung auch nur insoweit ausgegangen werden dürfe, als es spezifisch um die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten gehe.117 Das indessen vermag nicht zu überzeugen. Zwar trifft es zu, dass der besondere regionale Bezug der betroffenen Materien des öffentlichen Wirtschaftsrechts, wie oben dargestellt, Motiv der Kompetenzübertragung auf die Länder war; in den Wortlaut des in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG hat dieses Motiv jedoch keinen Eingang gefunden. Deshalb können die von der konkurrierenden Zuständigkeit ausgeschlossenen Kompetenzmaterien nunmehr nicht entgegen dem Wortlaut und entgegen der Intention des verfassungsändernden Gesetzgebers, der sich bei dem Zuschnitt der Kompetenzmaterie ersichtlich an deren bisherigem einfach-rechtlichen Zuschnitt orientieren wollte,118 interpretatorisch auf Kon stellationen beschränkt werden, die in spezifischer Weise im Regionalprinzip begründet sind. Das sog. Reisegastgewerbe ist daher Teil der den Ländern übertragenen Gesetzgebungskompetenz.119 116 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 47; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 98; i. E. ähnlich, wenngleich wohl für eine unmittelbare Bindung an die Definition des § 1 GastG, Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 31; vgl. auch Winfried Kluth, Die Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Spielhallen nach der Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, 2010, S. 41 ff.; Wolfram Höfling / Stephan Rixen, Die Landes-Gesetzgebungskompetenzen im Gewerberecht nach der Föderalismusreform, GewArch 2008, S. 1 (6). 117 Wolfram Höfling / Stephan Rixen, Die Landes-Gesetzgebungskompetenzen im Gewerberecht nach der Föderalismusreform, GewArch 2008, S. 1 (7); Hans-Werner Rengeling / Peter Szczekalla, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Rn. 146, vgl. auch Ulrich Schönleiter, Föderalismusreform und Gewerberecht. Erste Gedanken zur neuen Rechtslage, GewArch 2006, S. 371 (372 f.). 118 Hierauf weisen übereinstimmend auch hin Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 64; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 91 a. E.; vgl. auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 47. 119 So auch bereits Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 98; vgl. auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 47.
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Die zunächst fortgeltenden einschlägigen Bestimmungen des Gaststättengesetzes des Bundes können die Länder gem. Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG durch landesrechtliche Regelungen ersetzen. Eine solche Ersetzung haben zwischenzeitlich der Freistaat Sachsen,120 das Land Baden-Württemberg,121 Brandenburg,122 Bremen,123 Hessen,124 Niedersachsen,125 das Saarland126 und der Freistaat Thüringen127 vorgenommen. Das Niedersächsische Gaststättengesetz hat auch das Reisegastgewerbe mitgeregelt.128 c) Die Kompetenz für das Recht der Spielhallen Durch die Föderalismusreform von 2006 ist die Gesetzgebungskompetenz der Länder nicht nur auf das Recht des Ladenschlusses und der Gaststätten, sondern auch auf das der Spielhallen erstreckt worden.129 Rechtstechnisch ist auch diese Zuständigkeitsverlagerung dadurch bewältigt worden, dass sie explizit aus dem Wortlaut des sie bislang umfassenden Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 120 Gesetz über die Gaststätten im Freistaat Sachsen (Sächsisches Gaststättengesetz – SächsGastG) vom 3. Juli 2011 (SächsGVBl. S. 198), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 14. Juni 2012 (SächsGVBl. S. 270, 273). 121 Gaststättengesetz für Baden-Württemberg (Landesgaststättengesetz – LGastG) vom 10. November 2009 (GBl. S. 628, 629). 122 Brandenburgisches Gaststättengesetz (BbgGastG) vom 2. Oktober 2008 (GVBl. I S. 218), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 7. Juli 2009 (GVBl. I S. 262, 268). 123 Bremisches Gaststättengesetz (BremGastG) vom 24. Februar 2009 (Brem.GBl. S. 45), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 12. Juni 2012 (Brem.GBl. S. 255, 264). 124 Hessisches Gaststättengesetz (HGastG) vom 28. März 2012 (GVBl. S. 50), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 28. März 2012 (GVBl. I S. 50, 54). 125 Niedersächsisches Gaststättengesetz (NGastG) vom 10. November 2011 (Nds. GVBl. S. 415). 126 Saarländisches Gaststättengesetz (SGastG) vom 13. April 2011 (Amtsbl. I S. 206), zuletzt geändert durch Art. 6 § 1 des Gesetzes vom 20. Juni 2012 (Amtsbl. I S. 156, 175). 127 Thüringer Gaststättengesetz (ThürGastG) vom 9. Oktober 2008 (GVBl. S. 367), zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 21. Juni 2012 (GVBl. S. 153, 162). 128 Siehe hierzu § 5 Abs. 2 NGastG. 129 Überblick bei Hans-Peter Friedrich, Recht der Wirtschaft, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 239 (243 ff.); Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 39 ff. Zu den das Gewerberecht betreffenden Änderungen näher Ulrich Schönleiter, Föderalismusreform und Gewerberecht. Erste Gedanken zur neuen Rechtslage, GewArch 2006, S. 371 (372 f.).
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GG ausgeschlossen und damit gem. Art. 70 Abs. 1 GG der Zuständigkeit der Länder unterstellt worden ist.130 Inhaltlich umfasst die neue Länderkompetenz zunächst unstreitig das Recht des Betriebs einer Spielhalle und ähnlicher Unternehmen, also die Spielhallenerlaubnis, die bis zur Föderalismusreform in § 33i GewO geregelt war.131 Umstritten ist indessen, ob sie sich hierauf beschränkt. So wird teilweise erwogen, sie auch auf das bislang in §§ 33c bis g GewO normierte materielle Spielrecht zu erstrecken, mithin auf jene Aktivitäten, die in Spielhallen stattfinden. In der Konsequenz wäre den Ländern auch die Legislativzuständigkeit für das sog. Automatenspiel und damit das bisher in §§ 33c bis g GewO erfasste Erlaubnis- und Zulassungsrecht für entsprechende Spielgeräte zuzuordnen.132 Für ein derartiges, weites, Verständnis lässt sich zwar darauf ver130 Vgl. auch Wolfram Höfling / Stephan Rixen, Die Landes-Gesetzgebungskompetenzen im Gewerberecht nach der Föderalismusreform, GewArch 2008, S. 1 (5); Hans-Peter Schneider, Das Recht der Spielhallen nach der Föderalismusreform. Zur Auslegung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG und zur Vereinbarkeit darauf gestützter Beschränkungen des gewerblichen Spielbetriebs mit Art. 12 Abs. 1 GG, 2009, S. 7, Bodo Pieroth / Frederike Kolbe, Kapriolen des Föderalismus. Die Entwicklung des Spielhallenrechts seit der Grundgesetzänderung von 2006, in: Hartmann / Pieroth (Hrsg.), Spielbanken und Spielhallen zwischen Landes-, Bundes- und Unionsrecht, 2013, S. 9 (17); Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 20a; Klaus-Dieter Schnapauff, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 1. Zur der kompetenzrechtlichen Lage nach der Föderalismusreform von 2006 auch Jörg Ennuschat / Christina Brugger, Gesetzgebungskompetenzen im Spielhallenrecht nach der Föderalismusreform, ZfWG 2006, S. 292 (292 f.). 131 Hierzu näher André Schmitz, Recht der Wirtschaft und regionale Arbeitsmarktpolitik, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 247 (250); Wolfram Höfling / Stephan Rixen, Die Landes-Gesetzgebungskompetenzen im Gewerberecht nach der Föderalismusreform, GewArch 2008, S. 1 (7); Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 130; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 118; vgl. auch Hans-Peter Friedrich, Recht der Wirtschaft, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 239 (245); Klaus-Dieter Schnapauff, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 10. 132 Hierfür etwa Johannes Dietlein, Die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder für das Spielhallenwesen. Kompetenzielle und materielle Fragen des neuen Art. 74 I Nr. 11 GG (Teil 1), ZfWG 2008, S. 12 (17 f.); hiergegen Bodo Pieroth / Frederike Kolbe, Kapriolen des Föderalismus. Die Entwicklung des Spielhallenrechts seit der Grundgesetzänderung von 2006, in: Hartmann / Pieroth (Hrsg.), Spielbanken und Spielhallen zwischen Landes-, Bundes- und Unionsrecht, 2013, S. 9 (18 ff., 84); vgl. dazu auch Hans-Peter Schneider, Das Recht der Spielhallen nach der Föderalismus-
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weisen, dass es mit dem Wortlaut des in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG aufgenommenen Ausschlusses prima facie vereinbar wäre und auch unionsrechtlichen Schwierigkeiten, die sich aus der Aufteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten ergeben, begegnen würde.133 Gleichwohl bestehen gegen ein extensives Verständnis Bedenken. Diese haben ihren Grund vor allem in dem Umstand, dass es sich, wie wiederholt dargelegt, beim Recht der Spielhallen – wie auch bei den übrigen der 2006 in die Gesetzgebungskompetenz der Länder überführten Teile des Gewerberechts – um normativ-rezeptiv umschriebene Sachbereiche handelt.134 Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat also auch hier eine „normativ ausgeformte Materie vorgefunden und sie als solche gleichsam nachvollziehend benannt“, mit der Folge, dass davon ausgegangen werden kann, „dass die einfachgesetzliche Ausformung […] den Zuweisungsgehalt auch der [neuen] Kompetenznorm bestimmt“.135 Im Falle des Rechts der Spielhallen lehnt sich der Wortlaut des seit 2006 in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG verankerten Kompetenzausschlusses hierbei ersichtlich an die Terminologie der Gewerbeordnung an, die in § 33i dieses Recht der Spielhallen normiert. Das ist ein deutliches Indiz dafür, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber lediglich diese Materie in die Landeszuständigkeit verlagern wollte und eine darüber hinausgehende Einbeziehung der Spielgeräte, wie sie Gegenstand der §§ 33c bis g GewO sind, ausdrücklich gekennzeichnet hätte.136 Das indessen ist nicht geschehen. Deshalb sprechen die überwiegenden Argumente dafür, dass das Recht der Spielgeräte von dem Kompetenzausschluss des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG nicht erfasst wird und demgemäß auch weiterhin zur konkurrierenden Gesetzgebung gehört.137 reform. Zur Auslegung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG und zur Vereinbarkeit darauf gestützter Beschränkungen des gewerblichen Spielbetriebs mit Art. 12 Abs. 1 GG, 2009, S. 36 ff. 133 Siehe nur EuGH, Slg. 2010, I-8069 – Winner Wetten . / . Stadt Bergheim. 134 Bodo Pieroth / Frederike Kolbe, Kapriolen des Föderalismus. Die Entwicklung des Spielhallenrechts seit der Grundgesetzänderung von 2006, in: Hartmann / Pieroth (Hrsg.), Spielbanken und Spielhallen zwischen Landes-, Bundes- und Unionsrecht, 2013, S. 9 (19); Christoph Degenhart, Spielhallen und Geldspielgeräte in der Kompetenzordnung des Grundgesetzes, 2014, S. 63; ders., in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 47; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 64; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 130. 135 BVerfGE 109, 190 (218) – Sicherungsverwahrung; anschließend so auch Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 130. 136 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 118 mit Anm. 5. 137 So i. E. André Schmitz, Recht der Wirtschaft und regionale Arbeitsmarktpolitik, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur
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Auch für das Recht der Spielhallen gilt Art. 125a GG mit der Folge, dass die Länder die Regelung des § 33i GewO ersetzen können. Von dieser Ersetzungsmöglichkeit hat die Mehrheit der Länder zwischenzeitlich Gebrauch gemacht.138 Dort, wo eine derartige landesrechtliche Ersetzung demgegenüber noch nicht erfolgt ist, gilt § 33i GewO gem. Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG fort.139 Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 247 (250 mit Anm. 17); Christoph Degenhart, Spielhallen und Geldspielgeräte in der Kompetenzordnung des Grundgesetzes, 2014, S. 75; Hans-Peter Schneider, Das Recht der „Spielhallen“ nach der Föderalismusreform. Zur Auslegung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, GewArch 2009, S. 343 (344 ff., v. a. 350); ders., Das Recht der Spielhallen nach der Föderalismusreform. Zur Auslegung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG und zur Vereinbarkeit darauf gestützter Beschränkungen des gewerblichen Spielbetriebs mit Art. 12 Abs. 1 GG, 2009, S. 38 ff., v. a. 45; Winfried Kluth, Die Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Spielhallen nach der Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, 2010, S. 41 ff., 89; Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 31; Hans-Werner Rengeling / Peter Szczekalla, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Rn. 153; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 118 mit Anm. 5. Ebenso wohl auch Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 129 f. 138 Siehe hierzu für Baden-Württemberg das Landesglücksspielgesetz (LGlüG) vom 20. November 2012 (GBl. S. 604); sodann das Gesetz zur Regelung des Rechts der Spielhallen im Land Berlin (Spielhallengesetz Berlin – SpielhG Bln) vom 20. Mai 2011 (GVBl. S. 223); das Brandenburgisches Spielhallengesetz (BbgSpielhG) vom 4. April 2013 (GVBl. I Nr. 10 S. 1); das Bremische Spielhallengesetz (BremSpielhG) vom 17. Mai 2011 (Brem.GBl. S. 327), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 12. Juni 2012 (Brem.GBl. S. 255, 261); das Gesetz zur Regelung des Rechts der Spielhallen im Land Hamburg (Hamburgisches Spielhallengesetz – HmbSpielhG) vom 4. Dezember 2012 (HmbGVBl. S. 505); das Hessische Spielhallengesetz vom 28. Juni 2012 (GVBl. S. 213); das Saarländische Spielhallengesetz (SSpielhG) vom 20. Juni 2012 (Amtsbl. I S. 156, 171); das Gesetz zur Regelung des Rechts der Spielhallen im Land Sachsen-Anhalt (Spielhallengesetz Sachsen-Anhalt – SpielhG LSA) vom 25. Juni 2012 (GVBl. LSA S. 204, 212); für Schleswig-Holstein das Gesetz zur Errichtung und zum Betrieb von Spielhallen (Spielhallengesetz – SpielhG) vom 17. April 2012 (GVOBl. S. 431); das Thüringer Gesetz zur Rege lung des gewerblichen Spiels (Thüringer Spielhallengesetz – ThürSpielhallenG) vom 21. Juni 2012 (GVBl. S. 153, 159). 139 Vgl. Dirk Ehlers, Gewerberecht, in: ders. / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2012, § 18 Rn. 2; Ulrich Schönleiter, Föderalismusreform und Gewerberecht. Erste Gedanken zur neuen Rechtslage, GewArch 2006, S. 371 (372); Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 64; Hans D. Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 125a Rn. 5.
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d) Die Kompetenz für das Recht der Schaustellung von Personen Seit 2006 erstreckt sich die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder darüber hinaus auch auf die Regelung des Rechts der Schaustellung von Personen. Auch diese Kompetenz gründet – wie die Zuständigkeit für das Ladenschluss-, Gaststätten- und Spielhallenrecht – auf dem Umstand, dass diese Materie ausdrücklich aus dem Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ausgenommen worden ist. Inhaltlich ist auf diese Weise jene Materie in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder überführt worden, die bislang in § 33a GewO geregelt war. Auch diese Materie ist in ihrer Begrifflichkeit deutlich an die einschlägige Vorschrift der Gewerbeordnung angelehnt.140 Daher erfasst die Zuständigkeit das gewerbsmäßige Zur-Schau-Stellen von Personen in Geschäftsräumen.141 Von ihr hat allerdings bislang kein Land Gebrauch gemacht.142 In der Konsequenz gilt aufgrund von Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG § 33a GewO im gesamten Bundesgebiet fort.
140 I. E. so auch Ulrich Schönleiter, Föderalismusreform und Gewerberecht. Erste Gedanken zur neuen Rechtslage, GewArch 2006, S. 371 (373); Wolfram Höfling / Stephan Rixen, Die Landes-Gesetzgebungskompetenzen im Gewerberecht nach der Föderalismusreform, GewArch 2008, S. 1 (8); Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 6 und Art. 74 Rn. 31; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 47 a. E.; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 56 und 63; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 91; Hans-Werner Rengeling / Peter Szczekalla, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Rn. 155; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 114. 141 Wolfram Höfling / Stephan Rixen, Die Landes-Gesetzgebungskompetenzen im Gewerberecht nach der Föderalismusreform, GewArch 2008, S. 1 (8); Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 91. Zur Begründung der Länderkompetenz infolge der mit dieser Materie einhergehenden „lokal radizierte[n] Wirkung“ Ulrich Schönleiter, Föderalismusreform und Gewerberecht. Erste Gedanken zur neuen Rechtslage, GewArch 2006, S. 371 (373). 142 Hans-Werner Rengeling / Peter Szczekalla, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Rn. 155, sprechen davon, dass Gesetzgebungsvorhaben der Länder in diesem Bereich derzeit nicht ersichtlich seien; mit entsprechendem Befund auch Dirk Ehlers, Gewerberecht, in: ders. / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2012, § 18 Rn. 2 mit Anm. 7 a. E.
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e) Die Kompetenz für das Recht der Messen, Ausstellungen und Märkte Schließlich ist durch die Föderalismusreform von 2006 aus dem Bereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts auch das Recht der Messen, Ausstellungen und Märkte in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder überführt worden.143 Der Wortlaut des Grundgesetzes gibt dies einmal mehr dadurch zu erkennen, dass er diese Sachbereiche nunmehr explizit aus dem Recht der Wirtschaft i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ausklammert. Gemeinsam ist den Messen, Ausstellungen und Märkten, dass es sich bei ihnen um öffentliche, zeitlich und räumlich begrenzte, meist regelmäßig wiederkehrende Veranstaltungen handelt, bei denen eine Vielzahl von Anbietern über ihre Produkte informieren oder ihre Waren oder Dienstleistungen zum Kauf bzw. zur Bestellung anbieten.144 Inhaltlich lehnt sich auch diese neue Landeszuständigkeit an die bisherigen bundesrechtlichen Regelungen an, in diesem Falle an Inhalt und Terminologie der alten §§ 64 bis 71b GewO.145 Sie umfasst Veranstaltungen wie Groß-, Wochen-, Spezial143 Darstellend Ulrich Schönleiter, Föderalismusreform und Gewerberecht. Erste Gedanken zur neuen Rechtslage, GewArch 2006, S. 371 (372 f.); Hans-Peter Friedrich, Recht der Wirtschaft, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 239 (245 f.); Wolfram Höfling / Stephan Rixen, Die Landes-Gesetzgebungskompetenzen im Gewerberecht nach der Föderalismusreform, GewArch 2008, S. 1 (8); Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 63; vgl. auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 47; vgl. auch Hans-Werner Rengeling / Peter Szczekalla, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Rn. 16, 142 und 156. Ablehnend zu dieser Kompetenzverlagerung auf die Länder Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 39 und 42; anders Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 63. 144 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 47 a. E.; zur Terminologie auch Dirk Ehlers, Gewerberecht, in: ders. / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2012, § 18 Rn. 39 ff. 145 Vgl. Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1214); Wolfram Höfling / Stephan Rixen, Die Landes-Gesetzgebungskompetenzen im Gewerberecht nach der Föderalismusreform, GewArch 2008, S. 1 (8); Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 31 a. E.; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 47 a. E.; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 56 und 64; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010,
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und Jahrmärkte. Mit der Zuständigkeitsübertragung verbunden ist die Kompetenz der Länder, zukünftig auch die Definitionen der festsetzbaren Veranstaltungen, die Festsetzung selbst sowie die Teilnahme an einer solchermaßen festgesetzten Veranstaltung zu regeln.146 Gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG gelten die §§ 64 ff. GewO zunächst als Bundesrecht fort. Auch sie können ausweislich des Satzes 2 jedoch durch Landesrecht ersetzt werden. Indessen haben die Länder von dieser Möglichkeit und damit von ihrer neu gewonnenen Zuständigkeit bislang, von einigen wenig bedeutsamen Detailregelungen abgesehen, keinen Gebrauch gemacht. Eine Ausnahme gilt für Rheinland-Pfalz. Dort hat die Landesregierung mit Datum vom 29. Oktober 2013 den Entwurf eines Landesgesetzes über Messen, Ausstellungen und Märkte vorgestellt, der zwischenzeitlich vom Landtag beschlossen worden ist.147 6. Die Kompetenz für die Flurbereinigung Über die genannten kompetenzrechtlichen Änderungen hinaus ist durch die Föderalismusreform ferner das Recht der Flurbereinigung in die Gesetzgebungskompetenz der Länder überführt worden. Die Materie war gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG a. F. der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet, ist von dieser aber durch einen Kompetenzausschluss ausgenommen und der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder unterstellt worden. Grund dieser Zuständigkeitsänderung ist wiederum das Regionalprinzip, da es sich bei dem erfassten Kompetenzbereich um eine nicht markt- oder produktbezogene Materie mit überwiegend regionaler oder lokaler Bedeutung handelt.148 Art. 74 Rn. 91; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 110; i. E. wohl ebenso Dirk Ehlers, Gewerberecht, in: ders. / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2012, § 18 Rn. 2 und 39. 146 Hans-Werner Rengeling / Peter Szczekalla, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Rn. 156. 147 Siehe dazu den Entwurf der Landesregierung vom 29. Oktober 2013, LT-Drs. 16 / 2919; Landesgesetz über Messen, Ausstellungen und Märkte (LMAMG) vom 3. April 2014 (GVBl. S. 40). 148 Dazu André Schmitz, Weitere Kompetenzmaterien im Bereich der Artikel 74 und 72 Abs. 3 neu GG (Art. 75 a. F. GG), in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 288 (290); Ernst Burgbacher, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen, ebd., S. 281 (286 f.); Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 43.
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Inhaltlich umfasst die Kompetenz die Regelung aller Fragen der Flurbereinigung, wobei die verfassungsrechtliche Regelung einmal mehr normativrezeptiv formuliert ist. Ihr Gegenstand ist daher in Anlehnung an § 1 Flurbereinigungsgesetz die Neuordnung ländlichen Grundbesitzes zur Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Land- und Forstwirtschaft sowie zur Förderung der allgemeinen Landeskultur und der Landesentwicklung.149 Die Regelungen des Flurbereinigungsgesetzes gelten gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG fort und können gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG durch Landesrecht ersetzt werden. Von dieser Möglichkeit hat – ähnlich wie bei anderen neu hinzugewonnenen Landeszuständigkeiten – bislang allerdings noch kein Land Gebrauch gemacht. Auch ein zukünftiges legislatives Tätigwerden der Länder ist derzeit nicht geplant. 7. Die Kompetenz für den landwirtschaftlichen Grundstücksverkehr, für das landwirtschaftliche Pachtwesen, für das Heimstätten- und Siedlungswesen sowie für Teile des Wohnungswesens Das Kompetenzarsenal der Länder ist mit der Föderalismusreform I ferner auch dadurch erweitert worden, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber den in Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG enthaltenen Kompetenztitel umgestaltet und inhaltlich in mehrfacher Weise beschränkt hat. So ist etwa der Materie des Grundstücksverkehrs das Adjektiv „städtebaulich“ vorangestellt worden mit der impliziten Folge, dass die Kompetenz für die Regelung des landwirtschaftlichen Grundstücksverkehrs nunmehr gem. Art. 70 Abs. 1 GG den Ländern obliegt.150 Sodann sind hinsichtlich des landwirtschaftlichen Pachtwesens sowie des Siedlungs- und Heimstättenwesens Streichungen vorgenommen und die betroffenen Materien auf diese Weise in die alleinige Legislativzuständigkeit der Länder transferiert worden. Schließlich ist die bisherige Gesamtmaterie „Wohnungswesen“ durch einige eng gefasste, enumerativ aufgeführte Einzelzuständigkeiten ersetzt worden. Auf diese Weise sind die übrigen (nicht aufgezählten) Bestandteile des bisherigen Kompetenztitels „Wohnungswesen“ ebenfalls in die Gesetzgebungskompetenz der Länder übergegangen. 149 Vgl. § 1 des Flurbereinigungsgesetzes (FlurbG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 546), zuletzt geändert durch Art. 17 des Gesetzes vom 19. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2794, 2835). Vgl. auch BVerwGE 68, 143 (144) – Weinbergsaufbaugesetz. Wie hier bereits Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 96. 150 Dazu Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 100.
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Vor dem hier skizzierten Hintergrund und angesichts des Wortlauts von Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG erstreckt sich die neue Gesetzgebungsbefugnis der Länder zunächst – wie auch die Gesetzesbegründung unterstreicht151 – auf den bislang namentlich im Grundstücksverkehrsgesetz152 geregelten landwirtschaftlichen Grundstücksverkehr.153 Zu diesem zählen im Einzelnen der Erwerb und die Veräußerung sowie die Belastung und die Verpachtung entsprechender Grundstücke.154 Da der Verkehr mit Grundstücken allerdings auch Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das bürgerliche Recht gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ist, kann die neue Landeskompetenz von vornherein nur die den landwirtschaft lichen Grundstücksverkehr betreffenden öffentlich-rechtlichen Regelungen umfassen.155 Auf der Grundlage der neuen Landeszuständigkeit können die einschlägigen Bestimmungen des Bundesrechts, namentlich die des Grundstücksverkehrsgesetzes, nunmehr gem. Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG durch Landesrecht ersetzt werden. Von dieser Möglichkeit hat bislang Baden-Württemberg Gebrauch gemacht.156 In den übrigen Ländern gelten die betroffenen Vorschriften gem. Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG (vorläufig) als Bundesrecht fort. 151 Vgl.
BT-Drs. 16 / 813, S. 13. über Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und zur Sicherung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe (Grundstückverkehrsgesetz – GrdstVG) vom 28. Juli 1961 (BGBl. I S. 1091, 1652, 2000), zuletzt geändert durch Art. 108 des Gesetzes vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2742). 153 Dazu bereits die Begriffsbestimmung und Eingrenzung des Geltungsbereiches in § 1 Abs. 1 GrdstVG: „Die Vorschriften dieses Abschnitts gelten für landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Grundstücke […]“. Vgl. Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 71 f.; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 87. 154 § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GrdstVG. Vgl. Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 128; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 89; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 72. 155 Vgl. dazu auch Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 69; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 257; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 128; kritisch von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 74 Rn. 1209 ff. 156 Gesetz über Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur in Baden-Württemberg (Agrarstrukturverbesserungsgesetz – ASVG) vom 10. November 2009 (GBl. S. 645), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 3. Dezember 2013 (GBl. S. 389, 440). 152 Gesetz
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Die Erstreckung der Länderkompetenz auch auf das landwirtschaftliche Pachtwesen sowie auf das Heimstätten- und Siedlungswesen folgt aus der Herausnahme des diesbezüglich bis zur Föderalismusreform ausdrücklich in Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG enthaltenen Kompetenztitels.157 Im Lichte der vorstehend betrachteten Kompetenz für den landwirtschaftlichen Grundstücksverkehr kommt der Herausnahme des landwirtschaftlichen Pachtwesens hierbei freilich keine eigenständige Bedeutung zu.158 Anderes gilt hingegen für die Zuständigkeit für das Heimstätten- und Siedlungswesen. Sie umfasst nach der ursprünglich auf die konkurrierende Zuständigkeit bezogenen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts inhaltlich die Regelung der „Begründung neuer Wohnstätten in Verbindung mit der Zuteilung von Grund und Boden“ und soll hierbei auch Erschließungsmaßnahmen umgreifen.159 In ihrem Zentrum steht seit der Zeit der Weimarer Reichsverfassung „die spezielle Aufgabe, Menschen seßhaft zu machen“.160 Auf sie sind in der Vergangenheit u. a. Regelungen über Gebührenbefreiungen oder das Vorkaufsrecht nach dem (1993 aufgehobenen) Reichsheimstättengesetz gestützt worden.161 Zuordnen lässt sich dieser Kompe157 Für das landwirtschaftliche Pachtwesen wie hier Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 256 und 339. Im Hinblick auf das Heimstätten- und Siedlungswesen so auch Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 65. Vgl. auch Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 87 und wiederum HansWerner Rengeling, ebd. 158 Für die bisherige Rechtslage so Dieter C. Umbach / Thomas Clemens, in: dies. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. II, 2002, Art. 74 Rn. 102; so seinerzeit auch Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 74 Rn. 142; a. A. von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 74 Rn. 1256. 159 BVerfGE 3, 407 (417, 430) – Baugutachten; zustimmend von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 74 Rn. 1270. – Soweit derartige Erschließungsmaßnahmen auf die Kompetenz für das Heimstät ten- und Siedlungswesen zu stützen sind, ist hiervon das Recht der Erschließungsbeiträge, das aufgrund seiner engen Verbindung zum kommunalen Abgabenrecht bereits mit der Verfassungsreform von 1994 (Art. 1 Nr. 6 a) bb) des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes [Artikel 3, 20a, 28, 29, 72, 74, 75, 76, 77, 80, 87, 93, 118a und 125a] vom 27. Oktober 1994 [BGBl. I S. 3146]) in die alleinige Gesetzgebungszuständigkeit der Länder überführt worden ist, zu unterscheiden. Zu dieser Kompetenz der Länder m. w. N. auch Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 94; vgl. auch Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 71 a. E. 160 BVerfGE 3, 407 (418) – Baugutachten; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 339. 161 Für die Gebührenbefreiungen siehe – im Kontext von Art. 74 Nr. 18 GG a. F. – OVG Berlin, NJW 1981, 776 (778) – Gesetzgebungszuständigkeiten im Heim
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tenz auch das bis heute fortgeltende, wiederholt geänderte Reichssiedlungsgesetz.162 Soweit die Länder von ihrer neuen Gesetzgebungszuständigkeit noch keinen Gebrauch gemacht haben, gelten gem. Artikel 125a Abs. 1 Satz 1 GG die bisherigen bundesrechtlichen Regelungen, namentlich die des erwähnten Reichssiedlungsgesetzes, fort. Schließlich sind durch die Föderalismusreform I auch wesentliche Teile des Wohnungswesens der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterstellt worden. Das Wohnungswesen war bis dahin in seiner Gesamtheit Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung und betraf inhaltlich jene Angelegenheiten, die sich auf Gebäude bezogen, die privaten Wohnzwecken dienten.163 Bis 2006 wurden hierzu grundsätzlich alle Regelungen gerechnet, die die Wohnraumbewirtschaftung betrafen,164 ferner die Wohnungsbauförderung165 und der soziale Wohnungsbau.166 Erfasst wurden auch entsprechende Subventionen und deren Rückforderung.167 Durch explizite Beschränkung des in Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG enthaltenen Kompetenztitels hat der verfassungsändernde Gesetzgeber diese umfassende Regelungsbefugnis nunmehr auf das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht eingegrenzt.168 Damit hat er zugleich alle Sachstättenrecht; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 4. / 5. Aufl. 2003, Art. 74 Rn. 88; kritisch hierzu Theodor Maunz, in: ders. / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 74 Rn. 209; für das Vorkaufsrecht nach dem Reichsheimstättengesetz siehe BGHZ 77, 45 (46) – Vorkaufsrecht. 162 Reichssiedlungsgesetz in der im BGBl. III, Gliederungsnummer 2331-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2355, 2386). 163 BVerfGE 3, 407 (416) – Baugutachten. 164 Aus dem Schrifttum wie hier Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 81; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 131; HansWerner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 261; vgl. auch Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 87 a. E. und 92; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 67; von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 74 Rn. 1260 ff. 165 BVerfGE 21, 117 (128) – Kommunale Baudarlehen. 166 BVerfGE 78, 249 (266) – Fehlbelegungsabgabe. 167 Vgl. BVerfGE 78, 249 (266) – Fehlbelegungsabgabe. 168 So auch BT-Drs. 16 / 813, S. 13. Vgl. auch Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 48; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 74
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bereiche, die über diese Einzelzuständigkeiten hinausgehen, in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder überführt.169 Diese verfügen daher seit 2006 namentlich über die Kompetenz für das Recht der sozialen Wohnraumförderung,170 ferner für das Recht des Abbaus von Fehlsubventionierung im Wohnungswesen,171 für das Wohnungsbindungsrecht, das Zweckentfremdungsrecht im Wohnungswesen und das Wohnungsgenossenschaftsvermögensrecht.172 Von dieser Kompetenz haben bislang – jeweils bezogen auf einzelne Sachbereiche – zahlreiche Länder Gebrauch gemacht. Soweit dies der Fall ist, haben sie damit zugleich die einschlägigen und zunächst fortgeltenden Bestimmungen des Bundesrechts gem. Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG erRn. 67; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 131; ders., in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 65. – Die auf diese Weise in der konkurrierenden Gesetzgebung belassenen Regelungsbereiche werden aufgrund des Umstands, dass auch sie normativ-rezeptiv formuliert sind, in Anlehnung an die entsprechenden einfach-gesetzlichen Regelungswerke zu bestimmen gesucht. Vgl. dazu Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 261 ff.; vgl. auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 81 f.; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 131. 169 BT-Drs. 16 / 813, S. 13; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 20a; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 87 a. E.; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 126; vgl. auch Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 65; Rudolf Böhmler, Kompetenzen mit Regionalbezug, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 271 (277); vgl. auch Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 262. 170 Vgl. dazu unter der Geltung des Art. 74 Nr. 18 GG a. F. BVerfGE 21, 117 (128) – Kommunale Baudarlehen. 171 Zu diesem Segment – wiederum unter Geltung des Art. 74 Nr. 18 GG a. F. – BVerfGE 78, 249 (266) – Fehlbelegungsabgabe; BVerwGE 101, 211 (213) – Fehlbelegungsabgabe bei Inhabern von Wohnungsfürsorgemitteln. 172 So die explizite Aufzählung in BT-Drs. 16 / 813, S. 13; ebenso Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 20a; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 74 a. E.; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 131; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 262; vgl. auch Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 67.
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setzt.173 Wo es zu einer solchen landesrechtlichen Ersetzung noch nicht gekommen ist, gelten die bundesrechtlichen Bestimmungen gem. Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG fort. 173 Für das Recht der sozialen Wohnraumförderung ist hinzuweisen auf das Gesetz über die Wohnraumförderung in Bayern (Bayerisches Wohnraumförderungsgesetz – BayWoFG) vom 10. April 2007 (GVBl. S. 260), zuletzt geändert durch § 2 des Gesetzes vom 24. März 2010 (GVBl. S. 136); für Baden-Württemberg auf das Landesgesetz zur Förderung von Wohnraum und Stabilisierung von Quartierstrukturen (Landeswohnraumförderungsgesetz – LWoFG) vom 11. Dezember 2007 (GBl. S. 581); sodann auf das Gesetz über die Wohnraumförderung in der Freien und Hansestadt Hamburg (Hamburgisches Wohnraumförderungsgesetz – HmbWoFG) vom 19. Februar 2008 (HmbGVBl. S. 74, 172), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. Mai 2013 (HmbGVBl. S. 244); das Hessische Wohnraumförderungsgesetz (HWoFG) vom 13. Dezember 2012 (GVBl. S. 600); das Niedersächsische Wohnraumförderungsgesetz (NWoFG) vom 29. Oktober 2009 (Nds. GVBl. 403); das Gesetz zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen (WFNG NRW) vom 8. Dezember 2009 (GV. NRW. S. 772), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 10. Januar 2012 (GV. NRW. S. 16); für Rheinland-Pfalz das Landeswohnraumförderungsgesetz (LWoFG) vom 22. November 2013 (GVBl. S. 472); siehe sodann das Gesetz über die Wohnraumförderung in Schleswig-Holstein (Schleswig-Holsteinisches Wohnraumförderungsgesetz – SHWoFG) vom 25. April 2009 (GVOBl. Schl.-H. S. 194), zuletzt geändert durch Art. 17 des Gesetzes vom 17. Dezember 2010 (GVOBl. Schl.-H. S. 789, 809) und schließlich das Thüringer Wohnraumförderungsgesetz (ThürWoFG) vom 31. Januar 2013 (GVBl. S. 1). Für das Wohnungsbindungsrecht ist hinzuweisen auf das Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen in Bayern (Bayerisches Wohnungsbindungsgesetz – BayWoBindG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 2007 (GVBl. S. 562), zuletzt geändert durch § 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (GVBl. S. 710, 712); das Bremische Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen (Bremisches Wohnungsbindungsgesetz – BremWoBindG) vom 18. November 2008 (Brem.GBl. S. 391), zuletzt geändert durch Geschäftsverteilung des Senats vom 5. Juli 2011 (Brem. Abl. S. 951, 957), vgl. dazu Nr. 2.3 der Bekanntmachung vom 24. Januar 2012 (Brem.GBl. 2012 S. 24, 58); das Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen in der Freien und Hansestadt Hamburg (Hamburgisches Wohnungsbindungsgesetz – HmbWoBindG) vom 19. Februar 2008 (HmbGVBl. S. 74, 81), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 21. Mai 2013 (HmbGVBl. S. 244); das Hessische Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen (Hessisches Wohnungsbindungsgesetz – HWoBindG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. April 2013 (GVBl. S. 142) sowie ergänzend auf §§ 16 ff. WFNG NRW, §§ 17 ff. des rheinland-pfälzischen LWoFG, §§ 11 ff. SHWoFG und §§ 16 ff. ThürWoFG. Für das Zweckentfremdungsrecht im Wohnungswesen ist hinzuweisen auf landesrechtliche Regelungen in Bayern mit dem dortigen Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWG) vom 10. Dezember 2007 (GVBl. S. 864), zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 22. März 2013 (GVBl. S. 77); in BadenWürttemberg mit dem Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungsverbotsgesetz – ZwEWG) vom 19. Dezember 2013 (GBl. S. 484); in Berlin mit dem Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungsverbots-Gesetz – ZwVbG) vom 29. November 2013
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8. Die Kompetenz für den Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm Einen Kompetenzausschluss angeordnet hat der verfassungsändernde Gesetzgeber von 2006 auch bei der Überführung der Zuständigkeit für den Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm in die Kompetenz der Länder.174 Sie war bis zur Föderalismusreform I Teil der konkurrierenden Gesetzgebung, ist aber nunmehr durch einen entsprechenden Klammerzusatz explizit von der in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG positivierten Kompetenz für die Lärmbekämpfung ausgenommen. Hintergrund auch dieser Änderung ist die Zielsetzung, Aufgaben mit regionalem bzw. lokalem Bezug den Ländern zuzuweisen.175 Ausweislich ihrer Anknüpfung an die überkommene immissionsschutzrechtliche Unterscheidung zwischen verhaltens- und anlagenbezogenem Lärm ist auch diese neue Länderkompetenz, die ihren heutigen Wortlaut im Rechtsausschuss des Bundestages gefunden hat,176 normativ-rezeptiv formuliert. Das scheint prima facie den Schluss zu rechtfertigen, der verfassungsändernde Gesetzgeber habe vorliegend, wie bei anderen Kompetenzaus(GVBl.
S. 626); in Hamburg mit dem Gesetz über den Schutz und die Erhaltung von Wohnraum (Hamburgisches Wohnraumschutzgesetz – HmbWoSchG) vom 8. März 1982 (HmbGVBl. S. 47), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 21. Mai 2013 (HmbGVBl. S. 244). Schutzvorschriften gegen Zweckentfremdung enthalten darüber hinaus § 23 Abs. 2 HWoFG, § 10 NWoFG, § 20 des rheinland-pfälzischen LWoFG, § 15 SHWoFG und § 18 ThürWoFG; auf die Vorgabe des § 27 Abs. 2 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsgesetz – WoFG) vom 13. September 2001 (BGBl. I S. 2376), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 9. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1885, 1893) verweisen etwa § 8 Abs. 3 BremWoBindG und § 6 Abs. 3 HmbWoBindG. 174 Hierzu näher Klaus Hansmann, Die Gesetzgebungskompetenz für die Lärmbekämpfung nach der Föderalismusreform, NVwZ 2007, S. 17 (17 ff.); Torsten Eberhard, Die Privilegierung von Kinderlärm im Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin – Ein Vorbild für Nordrhein-Westfalen?, NWVBl. 2011, S. 456 (458); vgl. auch Hanns-Christian Fricke / Matthias Schütte, Die Privilegierung des Kinderlärms im Bundes-Immissionsschutzgesetz – Eine rechtliche Anmerkung zu § 22 Abs. 1a BImSchG, ZUR 2012, S. 89 (93); Katrin Gerstenberg, Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform, 2009, S. 202. 175 Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 15; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 116; zur Motivation des Normgebers auch Günther Kiefer, Zur Gesetzgebungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern bei der Lärmbekämpfung, DÖV 2011, S. 515 (517); ders., Viel Lärm um (fast) nichts? Das Rätsel redaktioneller Änderungen, ZUR 2012, S. 479 (482); vgl. schließlich auch BT-Drs. 16 / 813, S. 13. 176 Siehe dazu BT-Drs. 16 / 813, S. 3, sowie BT-Drs. 16 / 2069, S. 42 i. V. m. BTDrs. 16 / 2010, S. 6.
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schlüssen auch, eine normativ ausgeformte Materie vorgefunden und diese als solche benannt – mit der Konsequenz, dass der Gehalt der neuen Länderzuständigkeit der vorgefundenen einfach-gesetzlichen Ausformung folgt.177 Für die neue Zuständigkeit der Länder zum Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm würde dies bedeuten, dass ihre Abgrenzung von der (nach wie vor der konkurrierenden Gesetzgebung unterfallenden) Kompetenz für die Bekämpfung des anlagenbezogenen Lärms in Anlehnung an das bisherige einfache (Immissionsschutz-)Recht zu erfolgen hätte. Dieses indessen ist von einem weiten Begriff des anlagenbezogenen Lärms geprägt und erfasst hinsichtlich der Begründung von Pflichten für den Anlagenbetreiber sowohl den Lärm, der von einer Anlage oder ihren Teilen selbst ausgeht, als auch jenen Lärm, der in einem „betriebstechnischen oder funktionellen Zusammenhang“ mit der betreffenden Anlage steht.178 Anlagenbezogen zu beurteilen wäre vor diesem Hintergrund beispielsweise der von Spielplätzen ausgehende Kinderlärm.179 In der Konsequenz verblieben für den Schutz 177 So etwa Eberhard Bohne, Das Umweltgesetzbuch vor dem Hintergrund der Föderalismusreform, EurUP 2006, S. 276 (281); Klaus Hansmann, Die Gesetzgebungskompetenz für die Lärmbekämpfung nach der Föderalismusreform, NVwZ 2007, S. 17 (20); Oliver Sauer, Anlagenbezogener Immissionsschutz gegen verhaltensbezogenen Lärm?, NordÖR 2008, S. 480 (481 f.); Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 70; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 107; i.E: auch Torsten Eberhard, Die Privilegierung von Kinderlärm im Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin – Ein Vorbild für Nordrhein-Westfalen?, NWVBl. 2011, S. 456 (459); Hanns-Christian Fricke / Matthias Schütte, Die Privilegierung des Kinderlärms im Bundes-Immissionsschutzgesetz – Eine rechtliche Anmerkung zu § 22 Abs. 1a BImSchG, ZUR 2012, S. 89 (94); kritisch gegenüber einem solchen Rückgriff Wolfram Försterling, Kompetenzrechtliche Probleme nach der Föderalismusreform, ZG 2007, S. 36 (51); Günther Kiefer, Zur Gesetzgebungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern bei der Lärmbekämpfung, DÖV 2011, S. 515 (518 f.). 178 BVerwGE 101, 157 (165) – Sperrzeitverkürzung. Aus dem Schrifttum so auch Hanns-Christian Fricke / Matthias Schütte, Die Privilegierung des Kinderlärms im Bundes-Immissionsschutzgesetz – Eine rechtliche Anmerkung zu § 22 Abs. 1a BImSchG, ZUR 2012, S. 89 (94); Hans D. Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 10. Aufl. 2013, § 22 Rn. 6b; Rainald Enders, in: Giesberts / Reinhardt (Hrsg.), BeckOK Umweltrecht, Ed. 29 (Stand: Oktober 2013), § 22 BImSchG Rn. 4; Karl W. Porger, in: Kotulla (Hrsg.), Bundes-Immissionsschutzgesetz, Stand: 17. Erg.-Lfg. (Juni 2011), § 22 Rn. 25; vgl. auch Klaus Hansmann / Marc Röckinghausen, in: Landmann / Rohmer, Umweltrecht, Stand: 69. Erg.-Lfg. (April 2013), § 22 BImSchG Rn. 12; kritisch Günther Kiefer, Viel Lärm um (fast) nichts? Das Rätsel redaktioneller Änderungen, ZUR 2012, S. 479 (480). 179 Peter M. Huber / Ferdinand Wollenschläger, Immissionsschutz nach der Föderalismusreform I: Zur veränderten Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Bereich des Lärmschutzes, NVwZ 2009, S. 1513 (1514); Torsten Eberhard, Die Privilegierung von Kinderlärm im Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin – Ein
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vor verhaltensbezogenem Lärm, der bisherigen einfach-gesetzlich geprägten Rechtslage entsprechend, nur die übrigen Aspekte, namentlich etwa ruhestörende Aktivitäten im Haus- und Gartenbereich.180 Das wiederum hätte zur Folge, dass im Rahmen der Föderalismusreform I letztlich lediglich der immissionsschutzrechtliche Status quo grundgesetzlich abgesichert worden wäre.181 Es lässt sich allerdings fragen, ob eine solche Interpretation im vorliegenden Kontext zu überzeugen vermag. Denn auch bei der normativ-rezeptiven Formulierung eines Kompetenztitels ist die bundesverfassungsgerichtliche Feststellung zu beachten, dass die einfachgesetzliche Ausformung den Zuweisungsgehalt der Kompetenznorm lediglich „in der Regel“ bestimmt, also nur insofern, als der verfassungsändernde Gesetzgeber nichts Abweichendes vorsieht.182 Im Fall der neuen Länderzuständigkeit für den Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm ergeben sich Anhaltspunkte für eine Abweichung von dem einfach-gesetzlichen Begriffsgehalt aus ihrer Entstehungsgeschichte. So enthielt der im ursprünglichen Gesetzentwurf zur Föderalismusreform von 2006 vorgesehene Kompetenzausschluss die Formulierung, dass von der konkurrierenden Gesetzgebung für die Lärmbekämpfung zukünftig „Sport- und Freizeitlärm“ sowie der „Lärm von Anlagen mit sozialer Zweckbestimmung“ ausgenommen sein sollten.183 Ausweislich der Begründung sollte auf diese Weise die Bekämpfung jenes Lärms in die Zuständigkeit der Länder überführt werden, der von sozialen Einrichtungen, Sportund Freizeitanlagen wie Kindergärten, Jugendheimen, Spielplätzen, SportVorbild für Nordrhein-Westfalen?, NWVBl. 2011, S. 456 (460); Hanns-Christian Fricke / Matthias Schütte, Die Privilegierung des Kinderlärms im Bundes-Immis sionsschutzgesetz – Eine rechtliche Anmerkung zu § 22 Abs. 1a BImSchG, ZUR 2012, S. 89 (94); Hans D. Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 10. Aufl. 2013, § 22 Rn. 6b und 43; Karl W. Porger, in: Kotulla (Hrsg.), Bundes-Immissionsschutzgesetz, Stand: 17. Erg.-Lfg. (Juni 2011), § 22 Rn. 25. 180 Aufzählung bei Rainald Enders, in: Giesberts / Reinhardt (Hrsg.), BeckOK Umweltrecht, Ed. 29 (Stand: Oktober 2013), § 22 BImSchG Rn. 4 a. E.; Hans D. Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 10. Aufl. 2013, § 22 Rn. 6b a. E.; Karl W. Porger, in: Kotulla (Hrsg.), Bundes-Immissionsschutzgesetz, Stand: 17. Erg.-Lfg. (Juni 2011), § 22 Rn. 25 a. E. 181 Peter M. Huber / Ferdinand Wollenschläger, Immissionsschutz nach der Föderalismusreform I: Zur veränderten Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Bereich des Lärmschutzes, NVwZ 2009, S. 1513 (1517). 182 BVerfGE 109, 190 (218) – Sicherungsverwahrung; siehe auch SächsVerfGH, NVwZ-RR 2012, 873 (874 f.) – Ladenschluss an Sonn- und Feiertagen; ebenso Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 54 ff., zustimmend etwa Winfried Kluth, Die Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Spielhallen nach der Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, 2010, S. 41 f. 183 BT-Drs. 16 / 813, S. 3.
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stätten und -stadien, Theatern und Aufführungsorten sowie Veranstaltungsund Festplätzen, Hotels und Gaststätten ausgeht.184 Damit korrespondiert, dass ebenfalls ausdrücklich notifiziert wurde, dass die „konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Lärmbekämpfung […] künftig nicht mehr den Lärm von Sportanlagen und anderen Einrichtungen umfassen [soll], die der Freizeitgestaltung dienen oder eine soziale Zweckbestimmung haben“.185 Intendiert war vor diesem Hintergrund offenkundig eine Erweiterung der Länderkompetenzen, die deutlich über die Festschreibung des immissionsschutzrechtlichen Status quo hinausgehen sollte. Allerdings wurde in der vom 28. Juni 2006 datierenden Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages der zunächst vorgesehene Wortlaut dieses Kompetenzausschlusses geändert und durch die schließlich in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG aufgenommene Formulierung „Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm“ ersetzt. Der Bericht des Rechtsausschusses hat diese Modifizierung ausdrücklich als eine „redaktionelle Änderung“ bewertet186 und damit der Auffassung Ausdruck verliehen, dass mit ihr – trotz des nunmehr erfolgenden Rückgriffs auf eine etablierte einfach-gesetzliche Terminologie – keine sachliche Änderung des ursprünglich Gewollten verbunden sein soll. Das indiziert, dass der nunmehr in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG verwandte Begriff des verhaltensbezogenen Lärms – anders als auf den ersten Blick naheliegend und daher im Schrifttum vielfach vertreten187 – der Intention des verfassungsändernden Gesetzgebers zufolge 184 BT-Drs. 16 / 813, S. 13; hierzu Günther Kiefer, Zur Gesetzgebungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern bei der Lärmbekämpfung, DÖV 2011, S. 515 (517). 185 BT-Drs. 16 / 813, S. 13; vgl. auch BT-Drs. 16 / 2069, S. 42 i. V. m. BT-Drs. 16 / 2010, S. 6. 186 BT-Drs. 16 / 2069, S. 42. So auch die Darstellung bei Jürgen Rüttgers, Umwelt- und Verbraucherschutzrecht – Teil II (Oktober 2005 bis Juli 2006) –, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 206 (212); aus dem Schrifttum so auch Wolfram Försterling, Kompetenzrechtliche Probleme nach der Föderalismusreform, ZG 2007, S. 36 (50 ff.); Klaus Hansmann, Die Gesetzgebungskompetenz für die Lärmbekämpfung nach der Föderalismusreform, NVwZ 2007, S. 17 (17); vgl. auch Günther Kiefer, Viel Lärm um (fast) nichts? Das Rätsel redaktioneller Änderungen, ZUR 2012, S. 479 (482). 187 So etwa Eberhard Bohne, Das Umweltgesetzbuch vor dem Hintergrund der Föderalismusreform, EurUP 2006, S. 276 (281); Klaus Hansmann, Die Gesetzgebungskompetenz für die Lärmbekämpfung nach der Föderalismusreform, NVwZ 2007, S. 17 (20); Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 70; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 107; vgl. hierzu auch Oliver Sauer, Anlagenbezogener Immissionsschutz gegen verhaltensbezogenen Lärm?, Nord
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nicht in vollem Umfang dem bisherigen einfach-gesetzlich vorgeprägten Verständnis folgt. Der Hinweis auf die normativ-rezeptive Formulierung des Kompetenzausschlusses allein vermag daher, anders als in vergleichbaren Fällen, im vorliegenden Kontext keine durchgreifende Überzeugungskraft zu entfalten. Freilich ist ebenso wenig zu übersehen, dass Anlass für die vom Rechtsausschuss vorgenommene Veränderung des Kompetenzausschlusses die fachliche Unschärfe der zunächst vorgesehenen Formulierung war.188 Ihr sollte mit dem Rückgriff auf „fachliche Termini“ begegnet werden.189 Daher sollte die Neuformulierung des Kompetenzausschlusses offenkundig die inhaltlichen Konturen der neuen Länderkompetenz präzisieren und insoweit – trotz ihrer Bezeichnung als redaktionelle Änderung – letztlich im Lichte des zu diesem Zweck aufgegriffenen Begriffs vom „verhaltensbezogenen Lärm“ eben doch verengend modifizieren, ohne hierdurch freilich den über eine Festschreibung des immissionsschutzrechtlichen Status quo hinausgehenden Änderungswillen des verfassungsändernden Gesetzgebers grundsätzlich in Frage zu stellen. Eine auch im Schrifttum in Betracht gezogene Möglichkeit, gleichermaßen dieser Intention wie auch der Veränderung der Formulierung im Rechtsausschuss zu entsprechen, besteht darin, sich sowohl von der normativen Vorprägung wie auch der Entstehungsgeschichte der neuen Länderkompetenz zumindest partiell zu lösen und die Formulierung des Kompetenzausschlusses verfassungsautonom auszulegen. So ist es mit dem Wortlaut des in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG aufgenommenen Klammerzusatzes ohne Weiteres vereinbar, Lärm dann als verhaltensbezogen zu qualifizieren, wenn er im Schwerpunkt durch menschliches Verhalten verursacht wird, also von menschlichen Handlungen ausgeht. Das gilt auch für ÖR 2008, S. 480 (481 f.); kritisch (für „ein eigenständiges verfassungsrechtliches Begriffsverständnis“) Günther Kiefer, Zur Gesetzgebungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern bei der Lärmbekämpfung, DÖV 2011, S. 515 (522). 188 Klaus U. Benneter / André Poschmann, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen im Umweltbereich aus Sicht des Bundes, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 175 (186). Zu den fachlichen Unschärfen der ursprünglichen Formulierung siehe auch die Darstellung entsprechender Bedenken aus der Sachverständigenanhörung bei Peter M. Huber / Ferdinand Wollenschläger, Immissionsschutz nach der Föderalismusreform I: Zur veränderten Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Bereich des Lärmschutzes, NVwZ 2009, S. 1513 (1516 f.). 189 Vgl. zur „Verwendung fachlicher Termini“ auch Jürgen Rüttgers, Umweltund Verbraucherschutzrecht – Teil II (Oktober 2005 bis Juli 2006) –, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 206 (212).
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Lärm, der bei der Benutzung einer Anlage entsteht.190 Verhaltensbezogen in diesem Sinne ist etwa der von Kinder- und Jugendspielplätzen ausgehende Kinderlärm und der von Kindergärten und Schulen hervorgerufene Lärm auf Schulhöfen oder Schulsportanlagen.191 Anderes gilt demgegenüber dort, wo die primäre Lärmquelle die Anlage ist.192 In der Konsequenz einer solchen Betrachtungsweise hätte der verfassungsändernde Gesetzgeber, trotz terminologischer Anknüpfung an Bestehendes, einer Neujustierung der lärmschutzbezogenen Kompetenzen von Bund und Ländern den Weg gebahnt.193 Hierfür spricht seine Intention, im Rahmen der Föderalismusreform die Länderkompetenz gerade mit Blick auf den lokalen Lärm zu stärken.194 Folgt man dem, so ist durch die Föderalismusreform eine weitreichende Neuausrichtung der Gesetzgebungskompetenzen für den anlagenbezogenen Lärmschutz einerseits und den Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm ins 190 I. E. wie hier Peter M. Huber / Ferdinand Wollenschläger, Immissionsschutz nach der Föderalismusreform I: Zur veränderten Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Bereich des Lärmschutzes, NVwZ 2009, S. 1513 (1518 f.); Günther Kiefer, Zur Gesetzgebungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern bei der Lärmbekämpfung, DÖV 2011, S. 515 (516 f.); Torsten Eberhard, Die Privilegierung von Kinderlärm im Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin – Ein Vorbild für Nordrhein-Westfalen?, NWVBl. 2011, S. 456 (458); Klaus-Dieter Schnapauff, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 24; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 103; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 122; wohl auch Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 90; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 166; weitergehend für die Zurechnung jedes von menschlichem Verhalten ausgehenden Lärms zur neuen Länderzuständigkeit Wolfram Försterling, Kompetenzrechtliche Probleme nach der Föderalismusreform, ZG 2007, S. 36 (51 f.). Vgl. auch Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 295. 191 Wie hier Peter M. Huber / Ferdinand Wollenschläger, Immissionsschutz nach der Föderalismusreform I: Zur veränderten Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Bereich des Lärmschutzes, NVwZ 2009, S. 1513 (1518 f.); vgl. auch Jan-Hendrik Dietrich / Christian Kahle, Immissionsschutzrechtliche Beurteilung von Kindergartenlärm und Lärm von Kinderspielplätzen, DVBl 2007, S. 18 (26). 192 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 103 a. E.; anders wohl Günther Kiefer, Zur Gesetzgebungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern bei der Lärmbekämpfung, DÖV 2011, S. 515 (522). 193 Vgl. auch Peter M. Huber / Ferdinand Wollenschläger, Immissionsschutz nach der Föderalismusreform I: Zur veränderten Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Bereich des Lärmschutzes, NVwZ 2009, S. 1513 (1520). 194 Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 315; vgl. auch Helmuth Schulze-Fielitz, Umweltschutz im Föderalismus – Europa, Bund und Länder, NVwZ 2007, S. 249 (256); Günther Kiefer, Zur Gesetzgebungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern bei der Lärmbekämpfung, DÖV 2011, S. 515 (517).
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Werk gesetzt worden – eine Neuausrichtung, die freilich für die Staatspraxis mit einem erheblichen und verfassungspolitisch kaum wünschenswerten Maß an Rechtsunsicherheit verbunden ist, setzt sie doch eine typisierende Betrachtung verschiedenster Einzelkonstellationen voraus, zwischen denen die Übergänge notwendigerweise fließend sein werden. Indessen dürfte diese Rechtsunsicherheit vor dem Hintergrund der divergierenden Auslegungen des in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG verankerten Kompetenzausschlusses bei Lichte betrachtet längst eingetreten sein. Sie wird letztlich nur durch die Verwaltungs- und Verfassungsgerichte zu überwinden sein – oder aber durch den erneut auf den Plan tretenden verfassungsändernden Gesetzgeber. Die vor diesem Hintergrund bestehenden Unsicherheiten über die Reichweite der neuen Gesetzgebungszuständigkeit für den Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm dürften nicht zuletzt der Grund dafür sein, dass die Länder von ihr bislang nur zurückhaltend Gebrauch gemacht haben. So finden sich ausdrücklich auf sie gestützte landesgesetzliche Regelungen bislang nur in Bayern,195 Hamburg196 und Niedersachsen;197 in der Sache haben entsprechende Bestimmungen darüber hinaus auch Schleswig-Holstein198 und Berlin199 erlassen.200 Namentlich Bayern geht hierbei offenkundig davon 195 Gesetz über Anforderungen an den Lärmschutz bei Kinder- und Jugendspieleinrichtungen (KJG) vom 20. Juli 2011 (GVBl. S. 304); zur kompetenziellen Grundlage LT-Drs. 16 / 8124, S. 1. 196 Hamburgisches Gesetz zum Schutz gegen Lärm (Hamburgisches Lärmschutzgesetz – HmbLärmSchG) vom 30. November 2010 (HmbGVBl. S. 621); zur kompetenziellen Grundlage LT-Drs. 19 / 6680, S. 7. 197 Niedersächsisches Gesetz über Verordnungen der Gemeinden zum Schutz vor Lärm (Niedersächsisches Lärmschutzgesetz – NLärmSchG) vom 10. Dezember 2012 (Nds. GVBl. S. 562); zur kompetenziellen Grundlage LT-Drs. 16 / 5183, S. 2 f. 198 Gesetz zum Schutz vor Luftverunreinigungen, Geräuschen und ähnlichen Umwelteinwirkungen (Landes-Immissionsschutzgesetz – LImSchG) vom 6. Januar 2009 (GVOBl. Schl.-H. S. 2), zuletzt geändert durch Art. 67 der Verordnung vom 4. April 2013 (GVOBl. Schl.-H. S. 143, 154); zur kompetenziellen Grundlage LT-Drs. 16 / 2115, S. 10. 199 § 6 des Landesimmissionsschutzgesetzes Berlin (LImSchG Bln) vom 5. Dezember 2005 (GVBl. S. 735, 2006 S. 42), zuletzt geändert durch Art. I des Gesetzes vom 3. Februar 2010 (GVBl. S. 38). 200 Daneben finden sich Regelungen zum Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm – für deren Erlass die kompetenzausfüllende Gesetzgebung im BImSchG den Ländern bereits vor der Föderalismusreform von 2006 Regelungsfreiräume belassen hat – auch weiterhin in den Landes-Immissionsschutzgesetzen. Hinzuweisen ist insofern etwa für Brandenburg auf das Landesimmissionsschutzgesetz (LImschG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Juli 1999 (GVBl. I S. 386), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 7 des Gesetzes vom 15. Juli 2010 (GVBl. I Nr. 28 S. 1, 3); für NordrheinWestfalen auf das Gesetz zum Schutz vor Luftverunreinigungen, Geräuschen und ähnlichen Umwelteinwirkungen (Landes-Immissionsschutzgesetz – LImschG) vom 18. März 1975 (GV. NRW. S. 232), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom
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aus, dass sich der verfassungsändernde Gesetzgeber von 2006 die immis sionsschutzrechtliche Unterscheidung zwischen anlagen- und verhaltensbezogenem Lärm nicht zu eigen gemacht hat: Denn das Bayerische „Gesetz über Anforderungen an den Lärmschutz bei Kinder- und Jugendspieleinrichtungen“ vom 20. Juli 2011 regelt ausweislich seines explizit normierten Anwendungsbereichs die Zulässigkeit von Geräuschimmissionen, die von Kinder- und Jugendspieleinrichtungen in der Nachbarschaft von Wohnbebauung hervorgerufen werden. Es gilt u. a. für Kindertageseinrichtungen, Lager- und Campingplätze u. Ä., während es andere Anlagen für soziale Zwecke sowie Sportanlagen nicht erfasst.201 9. Die Kompetenz für das Recht der Presse Zur Gesetzgebungskompetenz der Länder gehört seit 2006 darüber hinaus auch das Recht der Presse, für deren allgemeine Rechtsverhältnisse bis dahin eine in Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG a. F. lozierte Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes bestand.202 Damit steht nunmehr das gesamte Presserecht in der alleinigen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder, nicht etwa nur die Regelung der darauf bezogenen allgemeinen Rechtsverhältnisse.203 Etwas anderes gilt nur noch dort, wo ausnahmsweise spezielle Gesetzge5. Juli 2011 (GV. NRW. S. 358); für Rheinland-Pfalz auf das Landes-Immissionsschutzgesetz (LImSchG) vom 20. Dezember 2000 (GVBl. S. 578), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 9. März 2011 (GVBl. S. 75). 201 Siehe hierzu Art. 1 KJG. 202 Hierzu näher Ernst Burgbacher, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 281 (286); André Schmitz, Weitere Kompetenzmaterien im Bereich der Artikel 74 und 72 Abs. 3 neu GG (Art. 75 a. F. GG), ebd., S. 288 (292); vgl. auch Markus Heintzen, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 70 Rn. 88; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 204; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 50. Zur Rechtslage vor der Föderalismusreform von 2006 näher Peter Lerche, Die Gesetzgebungskompetenz von Bund und Ländern auf dem Gebiete des Presserechts, JZ 1972, S. 468 (468 ff.). 203 Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 344; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 112 und Art. 73 Rn. 204; vgl. auch Hans-Werner Rengeling / Peter Szczekalla, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Rn. 66, 70; Markus Heintzen, ebd., Art. 70 Rn. 88; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 20a.
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bungskompetenzen des Bundes Aktualisierung finden,204 was das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit etwa für die Regelung des strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts von Presseangehörigen205 oder auch für die Pressefusionskontrolle bejaht hat, sofern diese der Kontrolle wirtschaftlich beherrschender Macht dient, also keine pressespezifischen Ziele verfolgt.206 Inhaltlich umfasst die nunmehr ausschließliche Kompetenz der Länder nicht nur Bestimmungen über Zeitungen, Zeitschriften oder sonstige periodisch erscheinende Druckwerke, sondern sämtliche Regelungen, die sich auf alle zur Verbreitung geeigneten und bestimmten Druckerzeugnisse beziehen.207 Damit orientiert sie sich am weiten Pressebegriff des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, auf den bereits unter der Geltung von Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG a. F. zur Bestimmung des Kompetenzumfanges zurückgegriffen wurde.208 204 André Schmitz, Weitere Kompetenzmaterien im Bereich der Artikel 74 und 72 Abs. 3 neu GG (Art. 75 a. F. GG), in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 288 (292); Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 20; vgl. auch Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 82. 205 Gestützt auf Art. 74 [Abs. 1] Nr. 1 GG („das gerichtliche Verfahren“) so BVerfGE 36, 193 (201 ff.) – Zeugnisverweigerungsrecht der Presseangehörigen; 36, 314 (319 f.) – Hamburgisches Pressegesetz. 206 So unter Heranziehung von Art. 74 [Abs. 1] Nr. 16 GG („die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht“) BVerfG (Vorprüfungsausschuss), NJW 1986, 1743 – Pressefusionskontrolle; vgl. auch BGHZ 76, 55 (64 f.) – Untersagung einer Pressefusion; BGH, NJW 1987, 266 (267) – Kartellordnungswidrigkeit im Pressebereich. Einschränkend im Hinblick auf die letztgenannte Gesetzgebungskompetenz unter Hinweis auf den 2006 bewirkten Wegfall der Rahmenkompetenz des Bundes für die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse nunmehr Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 82; bereits vor 2006 kritisch auch Michael Bothe, in: Denninger / Hoffmann-Riem / Schneider / Stein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (AK-GG), 3. Aufl. 2001 (Stand: August 2002), Art. 70 Rn. 15; anders hingegen Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 40; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 66; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 57; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 62. 207 Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 344. 208 So seinerzeit auch das Schrifttum; vgl. dazu von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 75 Rn. 346 ff.; ebenso später Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein (Hrsg.), Kommentar zum Grundge-
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Angesichts des vor diesem Hintergrund umfassenden Gehalts der zur a lleinigen Vollkompetenz der Länder erstarkten Gesetzgebungsbefugnis für das Presserecht könnte die 2006 vorgenommene Verfassungsänderung prima facie besonders bedeutsam erscheinen. Gleichwohl ist ihre Relevanz in der Staatspraxis begrenzt, was daran liegt, dass der Bund von seiner Rahmengesetzgebungskompetenz – von dem Gesetz zur Gewährleistung der Unabhängigkeit des vom Deutschen Presserat eingesetzten Beschwerdeausschusses einmal abgesehen209 – keinen Gebrauch gemacht hat. Daher kam den landesrechtlichen Regelungen über das Presserecht in der Staatspraxis stets eine besondere Bedeutung zu.210 Sie ist im Lichte der durch die Föderalissetz, 10. Aufl. 2004, Art. 75 Rn. 64 ff.; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 4. / 5. Aufl. 2003, Art. 75 Rn. 24; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 75 Rn. 23; Dieter C. Umbach / Thomas Clemens, in: dies. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. II, 2002, Art. 75 Rn. 26; „ganz einhellige Ansicht“ nach Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 75 Rn. 46 mit Anm. 192; vgl. dazu auch Peter Lerche, Die Gesetzgebungskompetenz von Bund und Ländern auf dem Gebiete des Presserechts, JZ 1972, S. 468 (468 ff.). 209 Gesetz zur Gewährleistung der Unabhängigkeit des vom Deutschen Presserat eingesetzten Beschwerdeausschusses vom 18. August 1976 (BGBl. I S. 2215). 210 Vgl. dazu für Baden-Württemberg das Gesetz über die Presse (Landespressegesetz) vom 14. Januar 1964 (GBl. S. 11), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 17. Dezember 2009 (GBl. S. 809, 812); ferner das Bayerische Pressegesetz (BayPrG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 2000 (GVBl. S. 340), zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 22. Dezember 2009 (GVBl. S. 630); das Berliner Pressegesetz vom 15. Juni 1965 (GVBl. S. 744), zuletzt geändert durch Art. VIII des Gesetzes vom 18. November 2009 (GVBl. S. 674, 676); das Pressegesetz des Landes Brandenburg (Brandenburgisches Landespressegesetz – BbgPG) vom 13. Mai 1993 (GVBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. Juni 2012 (GVBl. I Nr. 27 S. 1); für Bremen das Gesetz über die Presse (Pressegesetz) vom 16. März 1965 (Brem.GBl. S. 63), zuletzt geändert durch Geschäftsverteilung des Senats vom 5. Juli 2011 (Brem. Abl. S. 951, 954), vgl. dazu Nr. 2.1 der Bekanntmachung vom 24. Januar 2012 (Brem.GBl. S. 24, 37); das Hamburgische Pressegesetz vom 29. Januar 1965 (HmbGVBl. S. 15), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 15. Dezember 2009 (HmbGVBl. S. 444, 447); das Hessische Gesetz über Freiheit und Recht der Presse – Hessisches Pressegesetz (HPresseG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2003 (GVBl. I 2004, S. 2), zuletzt geändert durch Art. 18 des Gesetzes vom 13. Dezember 2012 (GVBl. S. 622, 623); das Landespressegesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern (LPrG M-V) vom 6. Juni 1993 (GVOBl. M-V S. 541), zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes vom 17. Dezember 2009 (GVOBl. M-V S. 729, 737); das Niedersächsische Pressegesetz (NPresseG) vom 22. März 1965 (Nds. GVBl. S. 9), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 11. Oktober 2010 (Nds. GVBl. S. 480, 496); das Pressegesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (Landespressegesetz NW) vom 24. Mai 1966 (GV. NRW. S. 340), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 3. Dezember 2013 (GV. NRW. S. 723); für Rheinland-Pfalz das Landesmediengesetz (LMG) vom 4. Februar 2005 (GVBl. S. 23); das Saarländische Mediengesetz (SMG) vom 27. Februar 2002
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musreform bewirkten Verlagerung der Zuständigkeit in die Kompetenz der Länder nunmehr nochmals gewachsen. 10. Die Kompetenz für Teile des Hochschulwesens Ebenfalls bis zur Föderalismusreform von 2006 standen schließlich gem. Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG a. F. auch die „allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens“ in der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes, de ren Ausübung an die Bejahung der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung gebunden war.211 Durch die Föderalismusreform wurden aus diesem Bereich die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG n. F. i. V. m. Art. 72 Abs. 3 Nr. 6 GG in die konkurrierende Gesetzgebung,212 genauer: in die unkonditionierte abweichungsoffene konkurrierende Gesetzgebung überführt,213 die übrigen Teilbereiche (Amtsbl. S. 498, 754), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 22. April 2013 (Amtsbl. I S. 111); das Sächsische Gesetz über die Presse (SächsPresseG) vom 3. April 1992 (SächsGVBl. S. 125), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 13. August 2009 (SächsGVBl. S. 438); das Pressegesetz für das Land Sachsen-Anhalt (Landespressegesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Mai 2013 (GVBl. LSA S. 198, 199); für Schleswig-Holstein das Gesetz über die Presse (Landespressegesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 2005 (GVOBl. Schl.-H. S. 105), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 25. Januar 2012 (GVOBl. S. 266); das Thüringer Pressegesetz (TPG) vom 31. Juli 1991 (GVBl. S. 271), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 16. Juli 2008 (GVBl. S. 243, 244). 211 Zu den seinerzeitigen Beschränkungen dieser Kompetenz des Bundes, die namentlich aus deren Rahmencharakter, der Voraussetzung der Erforderlichkeit gem. Art. 72 Abs. 2 GG a. F. sowie aus der Beschränkung auf „allgemeine Grundsätze“ resultierten, vgl. BVerfGE 66, 270 (285) – Schleswig-Holsteinisches Hochschulgesetz; 111, 226 (246 ff.) – Juniorprofessur; 112, 226 (243) – Studiengebühren. 212 Dazu näher Erik Hansalek, Die neuen Kompetenzen des Bundes im Hochschulrecht, NVwZ 2006, S. 668 (668 ff.); Lothar Knopp, Föderalismusreform – zurück zur Kleinstaaterei? An den Beispielen des Hochschul-, Bildungs- und Beamtenrechts, NVwZ 2006, S. 1216 (1216 ff.); Peter M. Huber, „Vom Kindergarten zur Habilitation“? – Der Bund als Gewinner der Föderalismusreform im Bildungswesen, RdJB 2007, S. 4 (4 ff.); Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 54 ff.; Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 28 ff.; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 110; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 126; vgl. auch Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 194; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 20a. 213 Zur unkonditionierten abweichungsoffenen Gesetzgebung als einer der insgesamt drei Erscheinungsformen der konkurrierenden Gesetzgebung Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 72 Rn. 68 und 70; zur Abweichungsbefugnis der Länder nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 6 GG Christoph De-
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der bisherigen Rahmengesetzgebungskompetenz hingegen der Gesetzgebung der Länder unterstellt.214 Da sich das Recht der Hochschulzulassung ausweislich der Begründung des verfassungsändernden Gesetzgebers auf die Ermittlung und vollständige Ausschöpfung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten der Hochschulen sowie auf die Studienplatzvergabe und das hierfür erforderliche Auswahlverfahren beschränken soll215 und die Materie der Hochschulabschlüsse die Regelung der Abschlussniveaus und Regelstudienzeiten betrifft,216 gehört zum Bereich der nunmehr für das Hochschulwesen bestehenden Länderzuständigkeit zunächst die Ausgestaltung des Hochschulzugangs, also die Regelung der fachlichen Voraussetzungen für ein Studium, die einen engen genhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 126; Johannes Rux, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Rn. 30; Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 58; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 111. 214 Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 20a; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 103; vgl. auch Krista Sager, Auswirkungen der Föderalismusreform auf Bildung und Wissenschaft, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 117 (119 ff.); Rudolf Böhmler, Bildung und Kultur, ebd., S. 139 (140 ff.); Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 194. 215 BT-Drs. 16 / 813, S. 14; Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 30; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 196; ders., in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 56; Johannes Rux, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Rn. 57; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 147; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 112; Klaus-Dieter Schnapauff, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 33. 216 BT-Drs. 16 / 813, S. 14; hierzu näher Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 194; ders., in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 57; Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 31; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 148; Johannes Rux, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Rn. 66 ff.; vgl. auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 129; Klaus-Dieter Schnapauff, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 33.
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Bezug zum Schulwesen und damit zur diesbezüglichen Gesetzgebungskompetenz der Länder aufweisen.217 Ebenso unterfällt der Länderzuständigkeit die Regelung der Organisation der Hochschulen einschließlich deren Selbstverwaltung und innerer Gliederung.218 Auch gesetzliche Bestimmungen zur Ausgestaltung von Forschung und Lehre219 sowie die Regelung der Erhebung von Studiengebühren gehören hierher.220 Auf die vor diesem Hintergrund durchaus bedeutsame Kompetenz für wesentliche Teile des Hochschulwesens gründen die einschlägigen Gesetze der Länder. Sie sind nach dem Inkrafttreten der Föderalismusreform I zum Teil umfassend geändert und an die neue Kompetenzverteilung angepasst worden.221 217 BT-Drs. 16 / 813, S. 14; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 129; a. A. Johannes Rux, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Rn. 57 ff.; vgl. auch Erik Hansalek, Die neuen Kompetenzen des Bundes im Hochschulrecht, NVwZ 2006, S. 668 (669); Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 74 Rn. 30; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 112 a. E.; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 147; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 196. 218 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 129; Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 55; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 103; Johannes Rux, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 74 Rn. 30. 219 Vgl. BVerfGE 111, 226 (258 f.) – Juniorprofessur: Zuordnung dieser Bereiche zur Materie „Hochschulwesen“; dazu Christian von Coelln, Anmerkung, JA 2005, S. 256 (256 f.). Soweit das Arbeitsrecht der Hochschulangehörigen betroffen ist, verbleibt diese Kompetenz infolge Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG indes beim Bund, so auch Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 110.1. 220 BT-Drs. 16 / 813, S. 14; Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 84; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 103; vgl. auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 129; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 147 a. E.; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 196 a. E.; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 112. 221 Hinzuweisen ist auf: das baden-württembergische Gesetz zur Umsetzung der Föderalismusreform im Hochschulbereich vom 20. November 2007 (GBl. S. 505), mit dem u. a. das Gesetz über die Hochschulen in Baden-Württemberg (Landeshochschulgesetz – LHG) vom 1. Januar 2005 (GBl. S. 1), zuletzt geändert durch Art. 16 des Gesetzes vom 23. Juli 2013 (GBl. S. 233, 241), umfassende Änderungen erfuhr; das Bayerische Hochschulgesetz (BayHSchG) vom 23. Mai 2006 (GVBl. S. 245),
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IV. Neuere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Recht der Gesetzgebungskompetenz der Länder In ihrer Gesamtheit sind die durch die Föderalismusreform zum 1. September 2006 bewirkten Einzeländerungen in der Kompetenzausstattung der Länder vor dem vorstehend skizzierten Hintergrund nicht nur zahlreich, sondern auch von durchaus beachtlicher Qualität. Sie prägen ganz unverzuletzt geändert durch Entscheidung des BayVerfGH vom 12. Juli 2013 (GVBl. S. 491); das Gesetz über die Hochschulen im Land Berlin (Berliner Hochschulgesetz – BerlHG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juli 2011 (GVBl. S. 378, 379) sowie das Gesetz über die Zulassung zu den Hochschulen des Landes Berlin in zulassungsbeschränkten Studiengängen (Berliner Hochschulzulassungsgesetz – BerlHZG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Juni 2005 (GVBl. S. 393), zuletzt geändert durch Art. I des Gesetzes vom 26. Juni 2013 (GVBl. S. 198); das Gesetz über die Hochschulen des Landes Brandenburg (Brandenburgisches Hochschulgesetz – BbgHG) vom 18. Dezember 2008 (GVBl. I S. 318), zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 5. Dezember 2013 (GVBl. I Nr. 37 S. 1, 19); für Bremen das Zweite Hochschulreformgesetz vom 22. Juni 2010 (Brem.GBl. S. 375), welches zu Änderungen führte u. a. für das Bremische Hochschulzulassungsgesetz (BremHZG) vom 16. Mai 2000 (Brem.GBl. S. 145), nunmehr in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. November 2010 (Brem.GBl. S. 548, 549) und das Bre mische Hochschulgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 2007 (Brem.GBl. S. 339), jeweils zuletzt geändert durch Geschäftsverteilung des Senats vom 5. Juli 2011 (Brem. ABl. S. 951, 954) und vom 13. Dezember 2011 (Brem. ABl. 1625), vgl. dazu Nr. 2.1 i. V. m. Anlage 1 der Bekanntmachung vom 24. Januar 2012 (Brem.GBl. S. 24); das Hamburgische Hochschulgesetz (HmbHG) vom 18. Juli 2001 (HmbGVBl. S. 171), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 17. September 2013 (HmbGVBl. S. 389, 398) sowie das Gesetz über die Zulassung zum Hochschulstudium in Hamburg (Hochschulzulassungsgesetz – HZG) vom 28. Dezember 2004 (HmbGVBl. S. 515), zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 17. September 2013 (HmbGVBl. S. 389, 398); das Hessische Hochschulgesetz vom 14. Dezember 2009 (GVBl. I S. 666), zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes vom 27. Mai 2013 (GVBl. S. 218, 365); das Gesetz über die Hochschulen des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Landeshochschulgesetz – LHG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Januar 2011 (GVOBl. M-V S. 18, 19), zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 22. Juni 2012 (GVOBl. M-V S. 208, 211) sowie das Gesetz über die Zulassung zum Hochschulstudium in Mecklenburg-Vorpommern (Hochschulzulassungsgesetz – HZG M-V) vom 14. August 2007 (GVOBl. M-V S. 286), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 16. Dezember 2010 (GVOBl. M-V S. 730, 758); das Niedersächsische Hochschulgesetz (NHG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Februar 2007 (Nds. GVBl. S. 69, 70), zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 12. Dezember 2012 (Nds. GVBl. S. 591, 596); das Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz – HG) vom 31. Oktober 2006 (GV. NRW. S. 474), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 3. Dezember 2013 (GV. NRW. S. 723) sowie das Dritte Gesetz über die Zulassung zum Hochschulstudium in Nordrhein-Westfalen (Hochschulzulassungsgesetz – HZG) vom 18. November 2008 (GV. NRW. S. 710, 712), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom
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kennbar die jüngere Entwicklung in diesem Bereich. Ergänzt werden sie durch die seit dem Inkrafttreten der Föderalismusreform I ergangenen – 1.
März 2011 (GV. NRW. S. 165, 168); für Rheinland-Pfalz das Hochschulgesetz (HochSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. November 2010 (GVBl. S. 463, 464), zuletzt geändert durch Art. 15 des Gesetzes vom 18. Juni 2013 (GVBl. S. 157, 244) sowie das Landesgesetz über die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Verwaltungshochschulgesetz – DHVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. November 2010 (GVBl. S. 502, 503), zuletzt geändert durch Art. 14 des Gesetzes vom 18. Juni 2013 (GVBl. S. 157, 244); das Gesetz über die Universität des Saarlandes (Universitätsgesetz – UG) vom 23. Juni 2004 (Amtsbl. S. 1782), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 10. Februar 2010 (Amtsbl. S. 28); das Gesetz über die Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (Fachhochschulgesetz – FhG) vom 23. Juni 1999 (Amtsbl. S. 982, 1014), zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 26. Oktober 2010 (Amtsbl. I S. 1406, 1407); das Gesetz über die Hochschule der Bildenden Künste Saar (Kunsthochschulgesetz – KhG) vom 4. Mai 2010 (Amtsbl. I S. 1176, 1378), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 28. August 2013 (Amtsbl. I S. 274, 279) sowie das Gesetz über die Hochschule für Musik Saar (Musikhochschulgesetz – MhG) vom 4. Mai 2010 (Amtsbl. I S. 1176, 1198), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 28. August 2013 (Amtsbl. I S. 274, 279); das Gesetz über die Freiheit der Hochschulen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Hochschulfreiheitsgesetz – SächsHSFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Januar 2013 (SächsGVBl. S. 3) sowie das Gesetz über die Zulassung zum Hochschulstudium im Freistaat Sachsen (Sächsisches Hochschulzulassungsgesetz – SächsHZG) vom 7. Juni 1993 (SächsGVBl. S. 462), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 18. Oktober 2012 (SächsGVBl. S. 568, 575); das Hochschulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (HSG LSA) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 2010 (GVBl. LSA S. 600, 601, 2011 S. 561), zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 23. Januar 2013 (GVBl. LSA S. 45) sowie das Hochschulzulassungsgesetz Sachsen-Anhalt (HZulG LSA) in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Juli 2012 (GVBl. LSA S. 297, 298); das Gesetz über die Hochschulen und das Universitätsklinikum SchleswigHolstein (Hochschulgesetz – HSG) vom 28. Februar 2007 (GVOBl. Schl.-H. S. 184), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 22. August 2013 (GVOBl. Schl.-H. S. 365) sowie das Hochschulzulassungsgesetz (HZG) vom 19. Juni 2009 (GVOBl. Schl.-H. S. 331), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. Februar 2013 (GVOBl. Schl.-H. S. 107); das Thüringer Hochschulgesetz (ThürHG) vom 21. Dezember 2006 (GVBl. S. 601), zuletzt geändert durch Art. 16 des Gesetzes vom 21. Dezember 2011 (GVBl. S. 531, 538). Für das zentrale Studienplatzvergabe- und Zulassungsverfahren ist hinzuweisen auf den Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 5. Juni 2008, seitens der Vertragsparteien ratifiziert wie folgt: Baden-Württemberg: Gesetz vom 10. November 2009 (GBl. S. 663); Bayern: Zustimmung des Landtages Bayern mit Beschluss vom 22. April 2009, vgl. Bekanntmachung vom 5. Mai 2009 (GVBl. S. 186); Berlin: Gesetz vom 29. Oktober 2008 (GVBl. S. 310); Brandenburg: Gesetz vom 3. Dezember 2008 (GVBl. I S. 310); Bremen: Gesetz vom 16. Dezember 2008 (Brem.GBl. 2009 S. 15); Hamburg: Gesetz vom 17. Februar 2009 (HmbGVBl. S. 36); Hessen: Gesetz vom 15. Dezember 2009 (GVBl. I S. 705); Mecklenburg-Vorpommern: Gesetz vom 11. März 2010 (GVOBl. M-V S. 164); Niedersachsen: Gesetz vom 17. Februar 2010 (Nds. GVBl. S. 47);
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zahlenmäßig beschränkten – einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Aus ihnen ragt das aus dem Jahre 2008 stammende Urteil zum Nichtraucherschutz in Gaststätten hervor. Flankiert wird dieses von einigen Kammerentscheidungen, die sich mit der Gesetzgebungskompetenz für die Daseinsvorsorge auf dem Gebiet der Pflege, für bauordnungsrecht liche Ausgleichsabgaben, für Stellplätze und für die Rundfunkfinanzierung auseinandersetzen. 1. Die Senatsentscheidung zum Rauchverbot in Gaststätten Am bedeutsamsten aus den seit dem Inkrafttreten der Föderalismusreform ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts dürfte zunächst das Urteil des Ersten Senats vom 30. Juli 2008 zum Nichtraucherschutz in Gaststätten, genauer: zu landesgesetzlich verhängten Rauchverboten in Gaststätten, sein.222 In ihm hat das Bundesverfassungsgericht die Nordrhein-Westfalen:
Gesetz vom 18. November 2008 (GV. NRW. S. 710); Rheinland-Pfalz: Gesetz vom 27. Oktober 2009 (GVBl. S. 347); Saarland: Gesetz vom 9. Dezember 2008 (Amtsbl. 2009 S. 331); Sachsen: Gesetz vom 16. April 2009 (SächsGVBl. S. 155, 259); Sachsen-Anhalt: Gesetz vom 14. Juli 2009 (GVBl. LSA, S. 360); Schleswig-Holstein: Gesetz vom 27. Juni 2008 (GVOBl. Schl.-H. S. 304); Thüringen: Gesetz vom 16. Dezember 2008 (GVBl. S. 529) und am 1. Mai 2010 in Kraft getreten. Zum Inkrafttreten des Staatsvertrages vgl. stellvertretend die Bekanntmachung des baden-württembergischen Staatsministeriums vom 12. Mai 2010 (GBl. S. 415). Hinsichtlich der Hochschulgebühren ist hinzuweisen für Baden-Württemberg auf das Landeshochschulgebührengesetz (LHGebG) vom 1. Januar 2005 (GBl. S. 1, 56), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 18. Dezember 2012 (GBl. S. 677, 681); für Bayern auf die – aufgrund der seinerzeitigen Fassung des Art. 71 Abs. 8 Satz 3 i. V. m. Art. 106 Abs. 1 Satz 1 BayHSchG erlassene – Verordnung über die Erhebung von Gebühren für das Studium in berufsbegleitenden Studiengängen, für die Teilnahme von Studierenden an speziellen Angeboten des weiterbildenden Studiums und für das Studium von Gaststudierenden an den staatlichen Hochschulen (Hochschulgebührenverordnung – HSchGebV) vom 18. Juni 2007 (GVBl. S. 399), zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung vom 1. Februar 2013 (GVBl. S. 38, 487); auf das Bremische Studienkontengesetz vom 18. Oktober 2005 (Brem.GBl. S. 550), zuletzt geändert durch Beschluss des BVerfG vom 8. Mai 2013 (BGBl. I S. 1512); auf das Saarländische Hochschulgebührengesetz vom 20. März 2002 (Amtsbl. S. 662), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 16. Juni 2010 (Amtsbl. I S. 1306) und auf das Thüringer Hochschulgebühren- und -entgeltgesetz (ThürHGEG) vom 21. Dezember 2006 (GVBl. S. 601, 644), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 8. Februar 2010 (GVBl. S. 26). 222 BVerfGE 121, 317 – Rauchverbot in Gaststätten. Zu dieser Entscheidung Matthais Bäcker, Anmerkung, DVBl 2008, S. 1180 (1180 ff.); Stefan Muckel, Anmerkung, JA 2008, S. 906 (906 ff.); Michael Sachs, Anmerkung, JuS 2008, S. 916 (916 ff.); Justine K. Hutsch, Anmerkung, NJ 2009, S. 23 (23 f.); Rolf Gröschner, Vom Ersatzgesetzgeber zum Ersatzerzieher. Warum das Bundesverfassungsgericht
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Gesetzgebungskompetenz der Länder für derartige Regelungen ausdrücklich bejaht.223 Allerdings hat es dabei offengelassen, ob den Ländern diese Kompetenz unentziehbar zugewiesen ist oder ob der Bund sie unter Rückgriff auf einen der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordneten Kompetenztitel auch für eine bundesgesetzliche Regelung in Anspruch nehmen könnte. Die Entscheidung dieser Frage hat das Gericht für entbehrlich gehalten, weil es davon ausgegangen ist, dass der Bund von einer solchen etwaigen Zuständigkeit bislang keinen – zumindest keinen umfassenden – Gebrauch gemacht hat, so dass die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG, wie der Senat ausdrücklich feststellt, entsprechenden landesgesetzlichen Bestimmungen nicht entgegenstehe:224 Zwar habe der Bund auf der Grundlage seiner Gesetzgebungskompetenz für den Arbeitsschutz gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG Regelungen zum Schutz der nicht rauchenden Beschäftigten an ihrer Arbeitsstätte getroffen, nicht aber zum Schutz der Bevölkerung insgesamt vor Gesundheitsgefährdungen durch Passivrauchen.225 Daher sei Raum für die landesgesetzliche Statuierung von Rauchverboten in Gaststätten. Das gelte auch, soweit der Schutz der Gesundheit des Gaststättenpersonals zum Anliegen eines Landesnichtraucherschutzgesetzes gemacht werde: Wirke der angestrebte Schutz aller vor den Gefahren des Passivrauchens in Gaststätten auch zugunsten der dort Beschäftigten, so berühre dies hinsichtlich der Arbeitnehmer nicht die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Arbeitsschutz aus Art. 74 Abs. 1 zu einem „absoluten Rauchverbot“ besser geschwiegen hätte, ZG 2008, S. 400 (400 ff.); Lothar Michael, Folgerichtigkeit als Wettbewerbsgleichheit. Zur Verwerfung von Rauchverboten in Gaststätten durch das BVerfG, JZ 2008, S. 875 (875 ff.); Michaela Wittinger, Nichtraucherschutz in Gaststätten und die Wirtschaftsgrundrechte: das sang- und klanglose Verschwinden des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb? – zugleich eine Anmerkung zum Urteil des BVerfG vom 30.7.2008 –, VBlBW 2008, S. 469 (469 ff.); Heinrich A. Wolff / Sabina Gielzak, Die Auswirkungen der BVerfG-Entscheidung vom 30.7.2008 auf das Nichtraucherschutzgesetz in Brandenburg, LKV 2008, S. 62 (62 ff.); Cathrin Corell / Julius Wagner, Die Nichtraucherschutzgesetze der Länder in der Novellierung, DÖV 2009, S. 698 (698 ff.); Karlheinz Kibele, Wir können alles – auch Nichtraucherschutz?, VBlBW 2009, S. 201 (201 ff.); Christoph Holtwisch / Sonja Heimann, Einführung in das Nichtraucherschutzrecht, VR 2009, S. 259 (259 ff.); Philipp Dann, Verfassungsgerichtliche Kontrolle gesetzgeberischer Rationalität, Der Staat 49 (2010), S. 630 (630 ff.); Christopher Ebert, Raucherclub versus Nichtraucherschutz, NVwZ 2010, S. 26 (26 ff.); Niels Petersen, Braucht die Rechtswissenschaft eine empirische Wende?, Der Staat 49 (2010), S. 435 (435 ff.); ders., Gesetzgeberische Inkonsistenz als Beweiszeichen, AöR 138 (2013), S. 108 (108 ff.); Tristan Barczak, Die Nichtraucherschutzgesetzgebung in den norddeutschen Bundesländern, NordÖR 2012, S. 311 (311 ff.). 223 BVerfGE 121, 317 (347) – Rauchverbot in Gaststätten. 224 BVerfGE 121, 317 (347) – Rauchverbot in Gaststätten. 225 BVerfGE 121, 317 (347) – Rauchverbot in Gaststätten.
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Nr. 12 GG.226 Erforderlich sei jedoch, den Vorrang des Bundesrechts gem. Art. 31 GG zu beachten.227 Vor dem Hintergrund dieser Aussagen hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juli 2008 keine Stellung zu der im Schrifttum umstrittenen Frage bezogen, ob der Bund allgemeine Nichtraucherschutzregelungen, also Bestimmungen zum Schutz vor Gesundheitsgefährdungen durch Passivrauchen, erlassen und sich hierfür auf eine entsprechende Gesetzgebungskompetenz berufen kann.228 Diese Vermeidung einer abschließenden Kompetenzklärung ist verfassungsprozessual konsequent. Unter dem Aspekt kompetenzieller Klarheit ist sie gleichwohl zu bedauern, hätte doch eine bundesverfassungsgerichtliche Stellungnahme Rechtssicherheit schaffen können, nicht zuletzt auch hinsichtlich der Frage, ob sich der Bund für Schutzmaßnahmen gegen das Passivrauchen auf den knapp zwei Jahre zuvor durch die Föderalismusreform von 2006 reformulierten Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG stützen kann.229 Auch ohne eine solche grundsätzliche Klärung 226 BVerfGE
121, 317 (348) – Rauchverbot in Gaststätten. 121, 317 (348) – Rauchverbot in Gaststätten. 228 I. E. bejahen eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für eine allgemeine Regelung des Nichtraucherschutzes Helmut Siekmann, Die Zuständigkeit des Bundes zum Erlass umfassender Rauchverbote nach In-Kraft-Treten der ersten Stufe der Föderalismusreform, NJW 2006, S. 3382 (3385); Jörg Geerlings, Ausgeraucht? – Bund und Länder erlassen Gesetze zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens, RuP 2008, S. 163 (167 f.); Annette Guckelberger, Der Übergang vom relativen zum absoluten Rauchverbot, GewArch 2011, S. 329 (334); Rupert Stettner, Zwischenruf: Der flächendeckende Schutz gegen das Passivrauchen ist Kompetenz und Pflicht des Bundes!, ZG 2007, S. 156 (166 ff.); ders., in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 96 und 103; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 76 und 53 a. E. mit Anm. 215; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 103; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 54, 85, 90; Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 34, 49, 55; vgl. auch das Sondervotum des Richters Brun-Otto Bryde, in: BVerfGE 121, 378 (379) – Rauchverbot in Gaststätten; Markus Zimmermann, Landesrechtliche Rauchverbote in Gaststätten und die Grundrechte der Betreiber von (Klein-)Gaststätten, NVwZ 2008, S. 705 (707); Alfred Scheidler, Rauchen verboten – Zum Nichtraucherschutz in Gaststätten, GewArch 2008, S. 287 (287); a. A. hingegen Matthias Rossi / Sophie-Charlotte Lenski, Föderale Regelungsbefugnisse für öffentliche Rauchverbote, NJW 2006, S. 2657 (2657 ff.); Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 49.1; wohl auch Christoph Holtwisch / Sonja Heimann, Einführung in das Nichtraucherschutzrecht, VR 2009, S. 259 (259); offen gelassen bei Michèle Rode, Das bayerische Gesetz zum Schutz der Gesundheit; Nichtraucherschutz in Bayern, GewArch 2008, S. 156 (156). 229 Hierfür Helmut Siekmann, Die Zuständigkeit des Bundes zum Erlass umfassender Rauchverbote nach In-Kraft-Treten der ersten Stufe der Föderalismusreform, 227 BVerfGE
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der Kompetenzlage hat die Entscheidung des Ersten Senats indessen in der Staatspraxis erhebliche Bedeutung entfaltet. Das liegt in ihrer kompetenziell legitimierenden Wirkung der beachtlichen Gesetzgebungsaktivitäten der Länder.230 Angesichts dessen hat sie zu einer weithin wahrgenommenen, NJW 2006, S. 3382 (3383 f.); Jörg Geerlings, Ausgeraucht? – Bund und Länder erlassen Gesetze zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens, RuP 2008, S. 163 (167); Annette Guckelberger, Der Übergang vom relativen zum absoluten Rauchverbot, GewArch 2011, S. 329 (334); Rupert Stettner, Zwischenruf: Der flächendeckende Schutz gegen das Passivrauchen ist Kompetenz und Pflicht des Bundes!, ZG 2007, S. 156 (173 ff.); ders., in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 103; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 90, Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 55; Martin Rehborn, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Rn. 41 und wohl auch Heinrich A. Wolff / Sabina Gielzak, Die Auswirkungen der BVerfG-Entscheidung vom 30.7.2008 auf das Nichtraucherschutzgesetz in Brandenburg, LKV 2008, S. 62 (62); hiergegen indes Matthias Rossi / Sophie-Charlotte Lenski, Föderale Regelungsbefugnisse für öffentliche Rauchverbote, NJW 2006, S. 2657 (2658). Für eine kompetenzielle Grundlage auch in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG Helmut Siekmann, Die Zuständigkeit des Bundes zum Erlass umfassender Rauchverbote nach In-Kraft-Treten der ersten Stufe der Föderalismusreform, NJW 2006, S. 3382 (3382 f.); Rupert Stettner, Zwischenruf: Der flächendeckende Schutz gegen das Passivrauchen ist Kompetenz und Pflicht des Bundes!, ZG 2007, S. 156 (168 ff.); Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 76; Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 135; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 85, Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 49 a. E. 230 Hinzuweisen ist insofern für Baden-Württemberg auf das Landesnichtraucherschutzgesetz (LNRSchG) vom 25. Juli 2007 (GBl. S. 337), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 3. März 2009 (GBl. S. 81); für Bayern das Gesetz zum Schutz der Gesundheit (Gesundheitsschutzgesetz – GSG) vom 23. Juli 2010 (GVBl. S. 314); dazu Michèle Rode, Das bayerische Gesetz zum Schutz der Gesundheit; Nichtraucherschutz in Bayern, GewArch 2008, S. 156 (156 ff.); für Berlin das Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Nichtraucherschutzgesetz – NRSG) vom 16. November 2007 (GVBl. S. 578), zuletzt geändert durch § 34 Abs. 1 des Gesetzes vom 3. Juni 2010 (GVBl. S. 285, 294); für Brandenburg das Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Brandenburgisches Nichtrauchendenschutzgesetz – BbgNiRSchG) vom 18. Dezember 2007 (GVBl. I S. 346), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 3 des Gesetzes vom 15. Juli 2010 (GVBl. I Nr. 28 S. 1, 3); für Bremen das Bremische Nichtraucherschutzgesetz (BremNiSchG) vom 18. Dezember 2007 (Brem.GBl. S. 515), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 25. Juni 2013 (Brem.GBl. S. 297); für Hamburg das Hamburgische Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Hamburgisches Passivraucherschutzgesetz – HmbPSchG) vom 11. Juli 2007 (HmbGVBl. S. 211), zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 19. Juni 2012 (HmbGVBl. S. 264); hierzu BVerfGE 130, 131 – Ham-
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wenngleich vielfach kontrovers beurteilten Stärkung der ausschließlichen Länderzuständigkeiten geführt. 2. Die Kammerentscheidung zur Daseinsvorsorge auf dem Gebiet der Pflege Entschiedener als in der Frage der Kompetenz für einen allgemeinen Nichtraucherschutz hat sich das Bundesverfassungsgericht in drei Kammerentscheidungen gezeigt, in denen es verschiedene Aspekte der Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder behandelt und teilweise erstmalig einer Klärung zugeführt hat. Ordnet man die nach dem Inkrafttreten der Föderaburgisches Passivraucherschutzgesetz; für Hessen das Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens (Hessisches Nichtraucherschutzgesetz – HessNRSG) vom 6. September 2007 (GVBI. I S. 568), zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes vom 27. September 2012 (GVBl. S. 290, 292); siehe dazu BVerfG (K), NVwZ 2008, 301 – Hessisches Nichtraucherschutzgesetz; siehe weiterhin das Nichtraucherschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern (NichtRSchutzG M-V) vom 12. Juli 2007 (GVOBl. M-V S. 239), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 17. Dezember 2009 (GVOBl. M-V S. 738); das Niedersächsische Nichtraucherschutzgesetz (Nds. NiRSG) vom 12. Juli 2007 (Nds. GVBl. S. 337), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 10. Dezember 2008 (Nds. GVBl. S. 380); das Gesetz zum Schutz von Nichtraucherinnen und Nichtrauchern in Nordrhein-Westfalen (Nichtraucherschutzgesetz NRW – NiSchG NRW) vom 20. Dezember 2007 (GV. NRW. S. 742), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 4. Dezember 2012 (GV. NRW. S. 635); das Nichtraucherschutzgesetz Rheinland-Pfalz vom 5. Oktober 2007 (GVBl. S. 188), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 26. Mai 2009 (GVBl. S. 205); vgl. dazu den Beschluss des RhPfVerfGH, NVwZ 2008, 552; siehe sodann für das Saarland das Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens (Nichtraucherschutzgesetz) vom 21. November 2007 (Amtsbl. 2008 S. 75), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 10. Februar 2010 (Amtsbl. I S. 25); vgl. dazu den Beschluss des VerfGH Saarland vom 21. Juni 2010 – Lv 3 / 10 e. A. u. a. (Amtsbl. I S. 1236); siehe weiterhin das Gesetz zum Schutz von Nichtrauchern im Freistaat Sachsen (Sächsisches Nichtraucherschutzgesetz – SächsNSG) vom 26. Oktober 2007 (SächsGVBl. S. 495), zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 14. Juni 2012 (SächsGVBl. S. 270, 273); dazu die Beschlüsse des SächsVerfGH vom 16. Oktober 2008, Vf. 92-IV-08 und vom 20. November 2008, Vf. 63-IV-08; das Gesetz zur Wahrung des Nichtraucherschutzes im Land Sachsen-Anhalt (Nichtraucherschutzgesetz) vom 19. Dezember 2007 (GVBl. LSA S. 464), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 23. Januar 2013 (GVBl. LSA S. 38, 44); vgl. dazu das Urteil des LVerfG vom 22. Oktober 2008 – LVG 3 / 08 u. a. (GVBl. LSA S. 396); für Schleswig-Holstein das Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens vom 10. Dezember 2007 (GVOBl. S. 485), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 25. April 2009 (GVOBl. S. 222); das Thüringer Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens (Thüringer Nichtraucherschutzgesetz – ThürNRSchutzG –) vom 20. Dezember 2007 (GVBl. S. 257), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 2. Juli 2012 (GVBl. S. 245).
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lismusreform ergangenen Entscheidungen chronologisch, fällt zunächst ein Nichtannahmebeschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Oktober 2007 in den Blick. In ihm hat die Kammer zutreffend festgestellt, dass die Länder gem. Art. 70 Abs. 1 GG über „die originäre Gesetzgebungskompetenz für Angelegenheiten der Daseinsvorsorge auf dem Gebiet der Pflege“ verfügen.231 Diese umfasst ausweislich des Beschlusses auch den Erlass gesetzlicher Regelungen, durch die den Trägern von Altenpflegeeinrichtungen die bußgeldbewehrte Pflicht auferlegt wird, im Umfang der erhaltenen öffentlichen Förderungen freie Pflegeheimplätze mit sozial bedürftigen Landeseinwohnern zu belegen, frei werdende Pflegeplätze zu melden und zudem Auskunft u. a. über die persönlichen Verhältnisse der Bewohner der Pflegeheime zu erteilen.232 Ihren im Ergebnis überzeugenden Befund begründet die Kammer damit, „dass das Grundgesetz dem Bund diesbezüglich keine Kompetenz verliehen [habe]“.233 Insbesondere bestehe, was zutrifft, diesbezüglich keine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes. So enthalte das Grundgesetz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a eine Gesetzgebungskompetenz nur für die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze, nicht aber für die wirtschaftliche Sicherung von Pflegeeinrichtungen.234 Gleiches gelte für Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG und die dort enthaltene konkurrierende Zuständigkeit für das Gebiet der „Sozialversicherung“, zu dem ausweislich der einfach-gesetzlichen Vorschriften des Bundes235 auch die soziale Pflegeversicherung gehöre.236 Auch wenn es grundsätzlich ein sozialpolitisches Ziel der Pflegeversicherung sei, den Sozialhilfebezug der Heimbewohner zu reduzieren, seien die Länder kompetenziell nicht gehindert, über bundesrechtliche Obliegenheiten hinaus in ihren Landespflegegesetzen eigene sozialpolitische Zielsetzungen niederzulegen und u. a. das Ziel zu verfolgen, durch finanzielle Förderung der Einrichtungen für sozial tragbare Pflegesätze zu sorgen und dadurch die Sozialhilfebedürftigkeit von Heimbewohnern zu vermeiden.237 Dem ist zuzustimmen. Das gilt auch insofern, als die Länder dem Kammerbeschluss zufolge in dem 231 BVerfGK 12, 308 (339) – Altenpflegeeinrichtung. Zu dieser Entscheidung Jutta Kaempfe, Belegungspflicht ist zulässig, G+G 2008, S. 40 (40 f.); Michael Sachs, Anmerkung, JuS 2008, S. 365 (365 ff.). 232 Vgl. zum Umfang dieser Kompetenz BVerfGK 12, 308 (339 f.) – Altenpflegeeinrichtung. 233 BVerfGK 12, 308 (339) – Altenpflegeeinrichtung. 234 BVerfGK 12, 308 (339) – Altenpflegeeinrichtung. 235 BVerfGK 12, 308 (339) – Altenpflegeeinrichtung. 236 BVerfGK 12, 308 (339) – Altenpflegeeinrichtung verweist insofern auf § 4 Abs. 1 und § 21a SGB I. 237 BVerfGK 12, 308 (340) – Altenpflegeeinrichtung.
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hier skizzierten Kontext u. a. zur Schaffung von Bußgeldtatbeständen befugt sind. So gehört zwar das Ordnungswidrigkeitenrecht, wie in der Entscheidung zutreffend hervorgehoben, grundsätzlich zum Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, so dass der Bund auch landesrechtliche Vorschriften bußgeldrechtlich sanktionieren kann. Macht er von seinem diesbezüglichen Gesetzgebungsrecht indessen, wie im vorliegenden Fall, keinen Gebrauch, verbleibt die Gesetzgebungsbefugnis aufgrund der Regelung des Art. 72 Abs. 1 GG auch insofern bei den Ländern.238 3. Die Kammerentscheidung zu bauordnungsrechtlich vorgesehenen Ausgleichsbeträgen für Stellplätze In einem weiteren, vom 5. März 2009 datierenden Nichtannahmebeschluss hat die 1. Kammer des Zweiten Senats die kompetenzielle Zuordnung bauordnungsrechtlicher Bestimmungen über Ausgleichsabgaben für Stellplätze zur ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder bestätigt. Diese ergebe sich aus Art. 70 Abs. 1 GG.239 Ihren Befund gründet die Kammer auf den Umstand, dass es sich bei derartigen Ausgleichsabgaben weder um eine Steuer im Sinne des Art. 105 GG noch um eine dem Bund zugewiesene Kompetenzmaterie handle.240 Folgerichtig charakterisiert sie bauordnungsrechtlich vorgesehene Ausgleichsbeträge zunächst zutreffend als nichtsteuerliche Abgaben, zu denen nicht nur Vorzugslasten und Sonderabgaben im engeren Sinne gehören, sondern auch sonstige nichtsteuerliche Abgaben, die durch spezielle Sachund Zweckzusammenhänge geprägt sind und deshalb nicht in Konkurrenz zu den Steuern treten.241 Letzteres trifft auf bauordnungsrechtlich ermöglichte Ausgleichsbeträge zu. Diese nämlich sind entscheidend durch ihre Ausgleichsfunktion geprägt.242 Daher stehen sie, wie die Kammer mit Recht ausführt, in einem speziellen Sach- und Zweckzusammenhang mit den Stellplatzregelungen, der es rechtfertigt, die bauordnungsrechtlich vorgesehene Stellplatz- und Fahrradplatzpflicht und ihre ersatzweise Erfüllung durch Ausgleichsbeträge als Einheit zu betrachten: In dieser Einheit regeln beide gemeinsam „die Belastung der Bauherren durch eine Primär- und eine an 238 BVerfGK
12, 308 (340) – Altenpflegeeinrichtung. 15, 168 (173) – Stellplatzablöse. 240 BVerfGK 15, 168 (173 f.) – Stellplatzablöse. 241 Zu Letzterem BVerfGK 15, 168 (173) – Stellplatzablöse; vgl. BVerfGE 101, 141 (150 f.) – Ausgleichsabgabe Jugendarbeit; 108, 186 (216 ff.) – Altenpflegeausbildungsumlage. 242 Ausdrücklich so auch BVerfGK 15, 168 (173) – Stellplatzablöse; dazu auch Peter Selmer, Anmerkung, JuS 2009, S. 1041 (1042). 239 BVerfGK
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deren Stelle tretende Sekundärpflicht“.243 Angesichts dessen prägt den Charakter von Ausgleichsabgaben deren Funktion, „den durch die Nichterfüllung einer öffentlich-rechtlichen Naturalverpflichtung entstehenden wirtschaftlichen Vorteil auszugleichen“. Im Lichte dieses speziellen Sach- und Zweckzusammenhangs unterscheiden sich Ausgleichsbeträge von Steuern, so dass sie in kompetenzrechtlicher Hinsicht als nichtsteuerliche Abgaben zu qualifizieren sind.244 Für nichtsteuerliche Abgaben aber richtet sich die Gesetzgebungszuständigkeit, wie die Kammer zu Recht ausführt, nach den allgemeinen Regeln über die Sachgesetzgebungskompetenzen, nicht nach Art. 105 GG, der spezielle Gesetzgebungskompetenzen für Steuern enthält.245 Diesen allgemeinen Regelungen zufolge zählen weder Bestimmungen über Ausgleichsbeträge noch Regelungen über eine Stellplatzpflicht zu den dem Bund vorbehaltenen Gesetzgebungsmaterien. Insbesondere besteht keine konkurrierende, vom Bund mit Sperrwirkung ausgeübte Gesetzgebungskompetenz, da es sich – wie auch die Kammer ausdrücklich feststellt – vorliegend weder um Bestimmungen des Straßenverkehrs i. S. v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG noch um solche des Bodenrechts i. S. v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG handelt, sondern um solche des Bauordnungsrechts: Denn geregelt werden Maßnahmen zur Bewältigung der Auswirkungen, die von „der Errichtung einer bestimmten baulichen Anlage auf den ruhenden und den Parkplatzsuchverkehr ausgehen“.246 Dass indessen das Bauordnungsrecht einer bundesgesetzlichen Regelung nicht zugänglich ist, ist in der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur seit Langem geklärt, weil nach Ansicht des Gerichts Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG mit dem Begriff des „Bodenrechts“ nicht das gesamte Baurecht und insbesondere nicht das Bauordnungsrecht erfasst. Vielmehr unterfällt dieses als eigenständige Rechtsmaterie, bei der ordnungs- bzw. polizeirechtliche Aspekte der Errichtung baulicher Anlagen im Vordergrund stehen, dem Anwendungsbereich des Art. 70 Abs. 1 GG.247 In diese Judikatur fügt sich der Nichtannahmebeschluss vom 5. März 2009 nahtlos ein.
243 BVerfGK
15, 168 (174) – Stellplatzablöse. 15, 168 (174) – Stellplatzablöse. 245 Vgl. BVerfGK 15, 168 (173) – Stellplatzablöse; vgl. auch BVerfGE 4, 7 (13) – Investitionshilfe; 113, 128 (145) – Solidarfonds Abfallrückführung. 246 BVerfGK 15, 168 (174) – Stellplatzablöse; vgl. auch BVerwG, NJW 1986, 600 (600) – Ablösung der Stellplatzpflicht; BVerwGE 122, 1 (3 f.) – Ablösung von Stellplätzen. 247 BVerfGE 3, 407 (432 ff.) – Baurechtsgutachten; 40, 261 (266) – Niedersächsische Bauordnung. 244 BVerfGK
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4. Die Kammerentscheidung zur Rundfunkgebühr Eine weitere Art. 70 Abs. 1 GG betreffende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts datiert vom 22. August 2012. Sie betrifft die Rundfunkgebühren für internetfähige PCs. In ihr stellt die 2. Kammer des Ersten Senats im Rahmen eines Nichtannahmebeschlusses einmal mehr klar, dass die Länder gem. Art. 70 Abs. 1 GG über die Gesetzgebungskompetenz für die Rundfunkfinanzierung und hier konkret für die Erhebung einer Rundfunkgebühr verfügen. Diesen kompetenziellen Befund gründet die Kammer zunächst darauf, dass es sich bei der Rundfunkgebühr nicht um eine voraussetzungslose Steuer zur Finanzierung des Gemeinwesens, sondern um eine Vorzugslast handle, die „für eine Begünstigung durch eine Leistung der Rundfunkanstalten zu zahlen [sei], indem sie an den durch das Bereithalten eines Rundfunkempfangsgerätes begründeten Status als Rundfunkteilnehmer geknüpft [werde]“.248 Darüber hinaus verweist sie zu Recht aber auch darauf, dass die Rundfunkgebühr „außerdem dem der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegenden Bereich des Rundfunks […] zuzuordnen [sei].“249 Der damit angesprochene kompetenzielle Befund bleibt mit Blick auf die verfassungsrechtliche Beurteilung des Rundfunkbeitrages auch nach der Abschaffung der Rundfunkgebühr zum Jahresende 2012 aktuell. Das gilt umso mehr, als die Kammer zur Begründung ausdrücklich auch auf die 2006 in das Grundgesetz eingefügte Regelung des Art. 23 Abs. 6 Satz 1 GG zurückgreift, die damit – soweit ersichtlich – erstmalig Eingang in eine bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung gefunden hat. In der Sache bestätigt der Nichtannahmebeschluss die seit Langem geklärte Rundfunkkompetenz der Länder,250 die nicht nur Bundesregelungen über Organisa tion, Veranstalter und Programm von Rundfunksendungen ausschließt,251 sondern eben auch Regelungen des Bundes über die Rundfunkfinanzierung.252 Von ihr ist vor allem die in Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG normierte 248 BVerfG
(K), NJW 2012, 3423 (3423) – Rundfunkgebühr für Internet-PC. (K), NJW 2012, 3423 (3423) – Rundfunkgebühr für Internet-PC unter Hinweis auf BVerfGE 90, 60 (105) – Rundfunkgebühren; 92, 203 (238) – EWGFernsehrichtlinie; 121, 30 (46) – Hessisches Privatrundfunkgesetz. 250 BVerfGE 12, 205 (225 ff., v. a. 229) – 1. Rundfunkentscheidung; 92, 203 (238) – EWG-Fernsehrichtlinie; 97, 228 (251 f.) – Kurzberichterstattung; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 70 Rn. 8; vgl. auch Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 40. 251 Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 79. 252 Zur Rundfunkfinanzierung BVerwGE 29, 214 (215) – Rundfunkgebühren; vgl. auch BVerwGE 66, 315 (322) – Rundfunkgebührenbefreiung für Schwerbehinderte; 249 BVerfG
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ausschließliche Bundeskompetenz für die Telekommunikation zu unterscheiden, die die sendetechnische Seite des Rundfunks betrifft.253 Abzugrenzen ist von ihr daneben aber auch die von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG erfasste konkurrierende Kompetenz des Bundes für das Recht der Wirtschaft.254 V. Würdigung Eine Analyse der durch die Föderalismusreform bewirkten Änderungen sowie der seither ergangenen bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen zeichnet insgesamt das Bild eines durchaus bedeutsamen Aufschwungs der Gesetzgebungskompetenzen der Länder. So belegen die durch die Verfassungsreform von 2006 herbeigeführten Modifikationen ein nicht unerhebliches Anwachsen der diesbezüglichen Länderzuständigkeiten. Zwar lässt sich einwenden, dass die von den Ländern hinzugewonnenen Kompetenzbereiche recht kleinteilig erscheinen,255 doch kann man diesem Umstand auch Positives abgewinnen: Denn in der Folge der engen Umgrenzung der übertragenen Zuständigkeitsfelder sind diese so deutlich konturiert, dass ihre Inanspruchnahme die Länder nicht vor unüberwindbare Aufgaben stellen dürfte. Das wiederum sollte die staatspraktische Ausfüllung der neuen Legislativbefugnisse durch die Länder wahrscheinlicher machen und den Landesgesetzgebern Ansporn für ein Tätigwerden sein. Gleichwohl offenbart eine Untersuchung der tatsächlichen Ausfüllung der neu gewonnenen Gesetzgebungsbefugnisse eine eher durchwachsene Bilanz der seit 2006 entfalteten Gesetzgebungsaktivitäten. Während in einigen Bereichen – exemplarisch etwa in den Bereichen des Laufbahn-, Besoldungs- und Versorgungsrechts, aber auch auf den Feldern des Strafvollzugs oder des Heimrechts – ein reges gesetzgeberisches Tätigwerden der Länder zu beobachten ist, befindet sich der Prozess der Landesgesetzgebung bei anderen der 2006 in die ausschließliche Länderkompetenz überführten Gesetzesmaterien erst in den Anfängen – so etwa, soweit das Recht der Messen, Ausstellungen und Märkte oder auch der landwirtschaftliche Grundstücksverkehr betroffen sind. In einigen Teilbereichen ist schließlich eine landesrechtliche Inanspruchnahme der neuen Legislativbefugnisse bislang weder in Angriff genommen worden noch ist dies derzeit intendiert. Das gilt 72, 8 (10) – Rundfunkgebührenbefreiung; ebenso etwa von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 73 Rn. 470. 253 Grundlegend insofern BVerfGE 12, 205 (225 ff.) – 1. Rundfunkentscheidung. 254 Markus Heintzen, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 70 Rn. 88. 255 Vgl. dazu Stefan Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 66.
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etwa für das Recht der Flurbereinigung. In der Staatspraxis könnten die 2006 neu erschlossenen Länderbefugnisse deutlich stärker in Anspruch genommen werden, als dies gegenwärtig der Fall ist. Im Vergleich mit der durch die Föderalismusreform I bewirkten Ausdehnung der Gesetzgebungsbefugnisse der Länder haben die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die seit dem Inkrafttreten der 2006 ins Werk gesetzten Verfassungsänderungen ergangen sind, bislang nur in sehr begrenztem Ausmaß Impulse setzen können. Das liegt wesentlich an dem Umstand, dass sich das Gericht mit Ausnahme der Entscheidung über den Nichtraucherschutz lediglich mit teilweise bereits geklärten und im Übrigen eher nachrangigen Detailfragen der Länderkompetenzen auseinanderzusetzen hatte, deren Beantwortung ganz überwiegend in Nichtannahmebeschlüssen erfolgt ist, denen ohnehin keine Bindungswirkung i. S. d. § 31 Abs. 1 BVerfGG zukommt.256 Das Urteil zum Nichtraucherschutz in Gaststätten indessen hat vorläufig zu einer Kräftigung der Gesetzgebungsbefugnisse der Länder geführt – und zwar gleichermaßen hinsichtlich der Legislativkompetenz als solcher wie auch hinsichtlich ihrer Inanspruchnahme durch die Länder in der Staatspraxis. Allerdings ist nach wie vor nicht abschließend geklärt, ob es dem Bund im Lichte der ihm zugewiesenen Kompetenzbereiche, namentlich im Lichte der durch die Föderalismusreform von 2006 reformulierten Kompetenz für das „Recht der Genussmittel“, möglich ist, die diesbezügliche Gesetzgebungsbefugnis durch ein abschließendes bundesgesetzgeberisches Tätigwerden an sich zu ziehen. Insgesamt betrachtet hat die Landesgesetzgebung vor dem hier nachgezeichneten Hintergrund seit der Föderalismusreform von 2006 fraglos gewonnen, wenn auch in überschaubarem Umfang. Die Bedeutung dieses Befundes wird nur ermessen können, wer sich bewusst macht, dass auf diese Weise ein jahrzehntelanger Erosionsprozess der Gesetzgebungsbefugnisse der Länder beendet worden ist. So betrachtet, hat die Föderalismus256 BVerfGE 23, 191 (207) – Dienstflucht; 53, 336 (348) – Entzug subjektiver Erstattungsansprüche; 92, 91 (107) – Feuerwehrabgabe; Stephan Rixen, Zur Bindungswirkung stattgebender Kammerentscheidungen (§ 93c I 2 i. V. m. § 31 I BVerfGG), NVwZ 2000, S. 1364 (1367); Steffen Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, S. 536; Christofer Lenz / Ronald Hansel, Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Handkommentar, 2013, § 31 Rn. 23; Eckart Klein, in: Benda / Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 1447; Stefan Korioth, in: Schlaich / ders. (Hrsg.), Das Bundesverfassungsgericht. Stellung, Verfahren, Entscheidungen, 9. Aufl. 2012, Rn. 478 f.; Rüdiger Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 4. Aufl. 2013, Rn. 990; Andreas Heusch, in: Umbach / Clemens / Dollinger (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2005, § 31 Rn. 55; Karin Graßhof, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Stand: 41. Erg.-Lfg. (Juni 2013), § 93b Rn. 17.
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reform I nicht weniger als eine Trendwende gebracht. Inwieweit diese im Rahmen der Reform von 2006 durch Zugeständnisse der Länder bei anderen Fragen der Kompetenzverteilung – insbesondere bei der Beschränkung des Anwendungsbereichs der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG257 – gleichsam „erkauft“ worden ist, steht freilich auf einem anderen Blatt.
257 Zu dieser Beschränkung Peter M. Huber, Deutschland nach der Föderalismusreform – in besserer Verfassung!, in: Pitschas / Uhle (Hrsg.), Wege gelebter Verfassung in Recht und Politik. Festschrift für Rupert Scholz zum 70. Geburtstag, 2007, S. 595 (610 f.); Arnd Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 Rn. 6, 28 und 43; ders., in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 72 Rn. 51 und 66 ff.
Die von der Föderalismusreform tangierten Sachbereiche der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz im Einzelnen Von Stefan Oeter I. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Hochzonung konkurrierender Kompetenzen in den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 III. Umlagerung der Rahmenkompetenzen in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Statusrechte und -pflichten der Landesbeamten (Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Jagdwesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 28 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3. Naturschutz und Landschaftspflege (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG) . . . . . . . 169 4. Bodenverteilung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 30 GG) und Raumordnung .(Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 5. Wasserhaushalt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 6. Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse (Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 IV. Streichung bisheriger Gesetzgebungskompetenzen des Bundes. . . . . . . . . . . 179 1. Strafvollzug (ex-Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Versammlungsrecht (ex-Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3. Heimrecht (ex-Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 4. Ladenschluss, Gaststättenrecht und Gewerberecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 5. Laufbahnen, Besoldung und Versorgung der Beamten (ex-Art. 74a GG). 184 6. Sonstige Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 V. Bilanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
I. Einleitung Nimmt man die Ergebnisse der Föderalismusreform etwas näher unter die Lupe, so wird man sich dessen gewahr, dass nicht nur Tatbestände der Zustimmungsbedürftigkeit verändert und die Erforderlichkeitsklausel des alten Art. 72 Abs. 2 GG in ihrem Anwendungsbereich erheblich eingeschränkt wurde, sondern dass auch die einzelnen Sachbereichstitel der Art. 73, 74
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und 75 GG durchsortiert und völlig neu geordnet wurden. Erklärtes verfassungspolitisches Ziel der Föderalismusreform war dabei – wie in den anderen Fragenkreisen – die Entflechtung der Kompetenzen von Bund und Ländern und die Stärkung der Länder als eigenverantwortlicher Ebene von Staatlichkeit.1 Allerdings bleibt auch zehn Jahre danach fraglich, ob dieses Ziel wirklich erreicht wurde – eine Frage, der die folgenden Überlegungen gewidmet sein werden. Für eine fundierte Analyse der Effekte der Umgruppierung von Kompetenztiteln bedarf es jedoch zunächst einer detaillierten Rekonstruktion der Maßnahmen der Neuordnung der gesetzgeberischen Zuständigkeiten, hier vor allem mit Blick auf die Neustrukturierung des Kataloges des Art. 74 GG. Sieht man sich unter dieser Perspektive das Vorgehen des verfassungsändernden Gesetzgebers der Föderalismusreform im Blick auf die konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen näher an, so drängt sich unweigerlich das Bild eines Rangierbahnhofs auf. Im Zuge der Föderalismusreform wurden mehr oder weniger wild Kompetenztitel in den Bereich der konkurrierenden Kompetenzen geschoben, aber auch Kompetenztitel heraus aus den konkurrierenden Kompetenzen in die Zuständigkeit der Länder, in Einzelfällen auch in die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes. Die innere Logik der Umgruppierungen ist für den Außenbeobachter nicht immer leicht zu erkennen – wie bei der unbefangenen Beobachtung des Geschehens auf einem Rangierbahnhof, wo nach einem von außen kaum durchschaubaren Plan Waggons zu neuen Zuggruppen zusammengefasst werden. Ähnlich wie bei Rangiervorgängen der Bahn gibt es natürlich auch hier eine innere Logik – der Bund hielt bestimmte Kompetenzen für politisch uninteressant und verzichtbar, die Länder wollten für sie wichtige Regelungsmaterien als Gegenstand gestaltender Politik aus einem Guss zurückgewinnen und mussten sich dabei im Ergebnis auf zahlreiche, im Detail in ihrer Logik nicht immer leicht zu erschließende Kompromisse und Tauschgeschäfte einlassen. Selbst in der Binnensicht sind die Detailergebnisse nicht immer rational – sie werden aber für längere Zeit die Kompetenzstruktur des deutschen Bundesstaates prägen. Diese Bemühungen sind im Zusammenhang zu sehen mit der allgemeinen Umgestaltung des Systems der konkurrierenden Gesetzgebung, das seit 2006 nun drei unterschiedliche Kategorien konkurrierender Zuständigkeiten kennt – neben dem Kernbereich der konkurrierenden Gesetzgebung, für den 1 Ulrich Häde, Zur Föderalismusreform in Deutschland, JZ 2006, S. 930 (931); Jörn Ipsen, Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Föderalismusnovelle, NJW 2006, S. 2801 (2804); Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1209).
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keine Erforderlichkeit gem. Art. 72 Abs. 2 GG mehr gefordert wird, stehen die Fälle der Bedarfsgesetzgebung und der Abweichungsgesetzgebung. Im Kontext der Abschaffung der Rahmengesetzgebung hat der verfassungsändernde Gesetzgeber sich dabei letztlich ergänzend auch um die (wenn auch mehr als maßvolle) Neuverteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten bemühen müssen, die eingangs skizziert wurde.2 Diese Neuverteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten ist auf drei verschiedenen Wegen geschehen. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat einmal einen Reihe von bisher im Katalog der Gegenstände der Rahmengesetzgebung oder der konkurrierenden Gesetzgebung aufgeführten Materien in den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes gem. Art. 73 GG verschoben. Zum zweiten wurde ein Großteil der alten Rahmengesetzgebungskompetenzen dem Block der Materien der konkurrierenden Gesetzgebung zugewiesen. Zum dritten wurden eine Reihe von Kompetenztiteln des Bundes im Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG vollständig gestrichen, was über die generelle Zuständigkeitsvermutung zu Gunsten der Länder nach Art. 70 Abs. 1 GG bewirkt, dass diese Gegenstände nunmehr in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fallen.3 Während der letztgenannte Schritt eindeutig eine Verschiebung zu Gunsten der Länder bewirkt, wächst den Landtagen doch so eine Reihe von Gesetzgebungsmaterien zu, über die bislang weitgehend (und in der Praxis häufig ausschließlich) der Bund verfügt hatte, so ist mit den beiden erstgenannten Verschiebungen aus dem alten Art. 75 GG bzw. Art. 74 Abs. 1 GG in den Katalog des Art. 73 GG und aus dem alten Art. 75 GG in den Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG im Ansatz eine Verfestigung der gesetzgeberischen Dominanz des Bundes verbunden. Bei Verschiebung in den Bereich der ausschließlichen Bundesgesetzgebung sind die Länder endgültig ausgeschlossen, beim Wechsel von der Rahmengesetzgebung in die konkurrierende Gesetzgebung fällt jedenfalls die Beschränkung des alten Art. 75 Abs. 2 GG weg und der Bund kann nun das auch ganz offiziell, was er in der Praxis immer schon gern getan hatte – Vollregelungen zu erlassen, die unmittelbar für den Einzelnen gelten und keiner Umsetzung durch den Landesgesetzgeber mehr bedürfen. Die dadurch erlittene Einbuße für den Landesgesetzgeber hält sich – sieht man genau hin – allerdings sehr in Grenzen: Die Verschiebung konkurrierender Kompetenzen in den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes hat meist keine ernsthaften praktischen Konsequenzen, da der Bundesgesetzgeber sowieso regelmäßig dazu neigte, 2 Einzelheiten bei Jörn Ipsen, Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Föderalismusnovelle, NJW 2006, S. 2801 (2804); Ulrich Häde, Zur Föderalismusreform in Deutschland, JZ 2006, S. 930 (933). 3 Jörn Ipsen, Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Föderalismusnovelle, NJW 2006, S. 2801 (2804).
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die Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung abschließend zu regeln, womit die Länder aus diesem Bereich faktisch bereits weitgehend verdrängt waren. Selbst bei der Rahmengesetzgebung neigte der Bund tendenziell zur Vollregelung, wenn auch die Länder hier regelmäßig noch mit eigenen Gesetzgebungsakten tätig wurden, ohne allerdings im Detail noch wirklich über große Gestaltungspielräume zu verfügen. Für die Gegenstände der Rahmengesetzgebung, die zu Gegenständen der konkurrierenden Gesetzgebung geworden sind, ist das Ergebnis insgesamt sowieso mehr als ambivalent – auf der einen Seite wurde der Bund die Beschränkung des Art. 75 Abs. 2 GG los, also die Maßgabe, dass Rahmengesetze nur in Ausnahmefällen „in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen“ enthalten dürfen; auf der anderen Seite erhielten die Länder über das neue Abweichungsrecht des Art. 72 Abs. 3 GG im Grundsatz vollen Zugriff auf alle Regelungsfragen des jeweiligen Feldes, und sind nicht mehr darauf beschränkt, den vom Bundesgesetzgeber gezogenen Rahmen mit Detailregelungen aufzufüllen. II. Hochzonung konkurrierender Kompetenzen in den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes Nur sehr knapp skizziert seien hier eingangs die Verschiebungen, die der verfassungsändernde Gesetzgeber zugunsten der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes durchgeführt hat. Aus dem Katalog des alten Art. 75 Abs. 1 GG überführt in den Katalog des Art. 73 GG wurden einmal das Melde- und Ausweiswesen (Art. 75 Abs. 1 Nr. 5 GG alt, nun Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG), zum anderen der Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland (Art. 75 Abs. 1 Nr. 6 GG alt, nun Art. 73 Abs. 1 Nr. 5a GG).4 Beide Materien waren materiell fast vollständig vom jeweiligen Bundesgesetz bestimmt, mit nur relativ geringfügigen rechtspolitischen Gestaltungsspielräumen der Länder – im Bereich des Melde- und Ausweiswesens durch das Melderechtsrahmengesetz (MRRG) vom 16. August 19805 und das Gesetz über Personalausweise vom 19. Dezember 1950 (in der Fassung vom 21. April 1986),6 im Bereich des Kulturgutschutzes durch das Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955.7 Im letztgenannten Fall erweist sich die Verschiebung des 4 Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1215). 5 Melderechtsrahmengesetz (MRRG) vom 16. August 1980 (BGBl. I S. 1429). 6 Gesetz über Personalausweise vom 19. Dezember 1950 in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. April 1986 (BGBl. I S. 548). 7 Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 (BGBl. I S. 501).
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Kompetenztitels in den Katalog des Art. 73 Abs. 1 GG schon deshalb als formale Besiegelung eines seit langem bestehenden Zustandes, als das Gesetz zu einem Zeitpunkt erlassen wurde, zu dem dieser Gegenstand noch der konkurrierenden Gesetzgebung unterfiel. Mit dem Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 hatte der Bundesgesetzgeber mehr oder weniger abschließend von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht.8 Als dann 1994 der verfassungsändernde Gesetzgeber den Kompetenztitel auf eine Rahmenkompetenz zurückstufte, wollte er damit zwar erklärtermaßen der Kulturhoheit der Länder Rechnung tragen;9 diese Geste blieb jedoch ohne praktische Auswirkungen (zumindest für die Landesgesetzgeber), da nach überwiegender Auffassung das Gesetz im Rahmen der Übergangsregelung des Art. 125a Abs. 2 GG als abschließende Vollregelung weiter galt und es zur Ablösung durch Landesrecht einer Ermächtigung durch den Bundesgesetzgeber bedurft hätte10 – die Regelung des Art. 125a Abs. 1 GG hielt man nicht für anwendbar, da diese Bestimmung nur für den Fall einer ersatzlosen Streichung einer Materie aus den Katalogen des Art. 74 oder Art. 75 greift.11 Die Geste zu Gunsten der Länder war damit ins Leere gelaufen – aber der Bundesgesetzgeber hätte das Gesetz in dieser Form nicht mehr erlassen dürfen bzw. bei einer Novellierung den Modalitäten der Rahmenkompetenz anpassen müssen, was praktisch auf eine Versteinerung der Materie hinauszulaufen drohte. Die erneute Hochzonung – nun auf den Status einer ausschließlichen Bundeskompetenz – erweist sich auf diesem Hintergrund, und im Blick auf die rechtspolitischen Herausforderungen, vor denen der Gesetzgeber auf dem Feld des Schutzes von Kulturgut gegen Abwanderung steht, als überaus sinnvoll. Letztlich sinnvoll sind sicherlich auch die neuen Zuordnungen der alten Kompetenztitel der Art. 74 Abs. 1 Nr. 4a, 10 und 11a GG in den Katalog des Art. 73 (als Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 bis 14 GG). Nennenswerte Verluste an rechtspolitischem Handlungsspielraum erlitten haben die Länder mit dieser 8 von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 75 Rn. 674 ff. 9 BT-Drs. 12 / 6000, S. 34; vgl. auch von Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 75 Rn. 59. 10 Nähere Details bei Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 75 Rn. 61, vgl. aber auch von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 75 Rn. 675. 11 Nachweise bei Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 75 Rn. 61 mit Fn. 277, vgl. aber auch von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 75 Rn. 640 ff.
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Umzonung nicht. Alle drei Gegenstandsbereiche waren schon vor Jahrzehnten vom Bundesgesetzgeber abschließend geregelt worden; praktisch – im Sinne einer politischen Gestaltung – interessante Gesetzgebungsbefugnisse standen den Ländern für diese Bereiche somit schon seit langem nicht mehr zu. Die Materien des Waffen- und des Sprengstoffrechts hatte der Bund 1972 mit dem Waffengesetz12 und 1976 mit dem Sprengstoffgesetz13 erschöpfend geregelt.14 Angesichts der Sachnatur der Gegenstandsbereiche war auch kaum zu erwarten, dass die Erforderlichkeit des Art. 72 Abs. 2 GG jemals hätte entfallen können – in Zeiten hoher Mobilität und starker Bedrohungen durch grenzüberschreitende Formen organisierter Kriminalität und internationalen Terrorismus bedarf es zwingend einheitlicher Regelungen in diesem Bereich, nicht nur deutschlandsweit, sondern letztlich europaweit. Der mit der Umzonung verbundene Verzicht auf die Erforderlichkeitsklausel ist insoweit unerheblich. Gleiches gilt im Prinzip auch für den Bereich der Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Fürsorge für ehemalige Kriegsgefangene (Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG alt, nun Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 GG), der vom Bundesgesetzgeber mit dem Bundesversorgungsgesetz,15 dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz16 und dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“17 praktisch vollständig reguliert wurde,18 sowie für das Atomrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11a GG alt, nun Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG), das mit 12 Waffengesetz (WaffG) vom 19. September 1972 (BGBl. I S. 1797), abgelöst durch das Waffengesetz vom 11. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3970, 4592, 2003 I S. 1957). 13 Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz) vom 13. September 1976 (BGBl. I S. 2737) in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. April 1986 (BGBl. I S. 577). 14 von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 74 Rn. 261, 266. 15 Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz – BVG) vom 20. Dezember 1950 (BGBl. I S. 791) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl. I S. 21). 16 Gesetz über die Entschädigung ehemaliger deutscher Kriegsgefangener (Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz – KgfEG) vom 30. Januar 1954 (BGBl. I S. 5), aufgehoben durch Art. 5 des Gesetzes zur Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2094, 2101); partiell trat an dessen Stelle das Gesetz über die Heimkehrerstiftung vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2094, 2101). 17 Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ vom 2. August 2000 (BGBl. I S. 1263); vgl. dazu auch Hugo J. Hahn, Individualansprüche auf Wiedergutmachung von Zwangsarbeit im zweiten Weltkrieg, NJW 2000, S. 3521 (3521 ff.). 18 von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 74 Rn. 456.
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dem Atomgesetz und einigen weiteren Nebengesetzen de facto längst abschließend geregelt war. III. Umlagerung der Rahmenkompetenzen in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Der im Blick auf die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen wohl wichtigste Schritt war die Verlagerung der meisten Gegenstandsbereiche der bisherigen Rahmengesetzgebung in den Katalog der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen, bei gleichzeitiger Unterstellung fast aller dieser Kompetenztitel unter das gemäß Art. 72 Abs. 3 GG neu gewährte Abweichungsrecht der Länder.19 In der Gesamtbilanz hält zwar auch diese Verschiebung eine ersichtliche Balance zwischen Gewinnen für den Bundesgesetzgeber und erhöhtem Handlungsspielraum der Länder bzw. Landesgesetzgeber. Die Effekte sind jedoch nicht ganz so einfach zu kalkulieren wie bei den Hochzonungen bestimmter Materien in den Bereich der ausschließlichen Bundeskompetenz, da sich hier zwei erhebliche Umgestaltungen der Grundkonstruktion mit gegenläufigen Effekten in die Quere kommen – einerseits die Aufhebung der prinzipiellen Beschränkung der Rahmengesetzgebung auf allgemeine Grundsätze und Rahmenregelungen, die von den Landesgesetzgebern umzusetzen waren, also die Entfesselung des Bundesgesetzgebers, andererseits die Einräumung eines Abweichungsrechts, das dem Landesgesetzgeber potenziell vollen Zugriff auf die Gesamtmaterie gibt. Wie beide Gewichtsverschiebungen in ihrer gegenseitigen Verschränkung praktisch wirken werden, ist bis heute nur schwer abzuschätzen, da es bislang praktisch zu keinem nennenswerten Gebrauch der Abweichungskompetenz gekommen ist. In der Zukunft sind als Konsequenz dieser Neujustierung der Statik der Gesamtarchitektur der Kompetenzverteilung erhebliche Gewichtsverlagerungen nicht auszuschließen – wenn es auch für diese Verlagerungseffekte bislang keine nennenswerten Anhaltspunkte gibt. 1. Statusrechte und -pflichten der Landesbeamten (Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG) Die Schwierigkeit einer mittel- bis langfristigen Folgenabschätzung wird schon sehr deutlich bei einem Blick auf die neu in den Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG eingefügte Nr. 27. Die Formulierung dieser neuen Nr. 27 weicht erheblich ab von der Formulierung der Vorläuferbestimmung in Art. 75 Abs. 1 Nr. 1 GG. In der alten Formulierung stand dem Bund die Befugnis 19 Hierzu eingehend Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1209, 1212 f.).
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zum Erlass von Rahmenregelungen zu über „die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienste der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen, soweit Artikel 74a nichts anderes bestimmt“.20 Der neue Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG gesteht dem Bund nun das Recht der konkurrierenden Gesetzgebung zu über „die Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechtes sowie der Richter in den Ländern mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung“. Schon bei einem simplen Textabgleich fällt auf, dass die neue Formel deutlich enger ist als die alte Formel. Mit dem Passus „die Rechtsverhältnisse“ der Bediensteten des öffentlichen Dienstes der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften war die alte Formulierung bewusst weit gehalten und deckte alle Rechtsfragen ab, die das Dienstverhältnis betrafen;21 der neue Passus der „Statusrechte und -pflichten“ der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften klingt im Vergleich dazu im Ansatz deutlich enger. Unter „Statusrechten und -pflichten“ könnte man einen relativ eng gefassten Kreis von Regelungen zu (im eigentlichen Sinne) statusbestimmenden Fragen verstehen, der nur eine kleine Teilmenge aller das Beamten- oder Dienstverhältnis betreffenden Regelungskomplexe umfasst.22 Hinzu kommt, dass der neue Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG ausdrücklich die Regelungen der „Laufbahnen, Besoldung und Versorgung“ aus dem Zuständigkeitsbereich des Bundesgesetzgebers ausklammert. Mit „Besoldung und Versorgung“ der Landes- und Gemeindebeamten sind dabei genau die Gegenstände ausgenommen, die im alten System der Kompetenzverteilung traditionell nach Art. 74a Abs. 1 GG der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes unterstanden hatten.23 Die ergänzende Ausklammerung der Laufbahnregelungen sichert die offene Flanke der Besoldungshoheit der Länder ab – und diese Besoldungshoheit sollte mit der Föderalismusreform gezielt (wieder)hergestellt werden. Die Föderalismusreform hat an diesem Punkt in erheblichem Maße den Einfluss des Bundesgesetzgebers auf zentrale Strukturfragen des öffentlichen Dienstes in Ländern und Gemeinden vermindert – und eine Reihe von Ländern hat die so neu gewonnene Gestaltungsfreiheit auch schon durch eigene Regelungssysteme ge20 Zur Auslegung dieser Bestimmung sei verwiesen auf Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 75 Rn. 34 ff. 21 Einzelheiten dazu bei von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 75 Rn. 149 ff. 22 Vgl. auch Helmut Lecheler, Die Auswirkungen der Föderalismusreform auf die Statusrechte der Beamten, ZBR 2007, S. 18 (18 ff.). 23 Einzelheiten dazu bei Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 74a Rn. 8 ff.
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nutzt.24 Zum Teil wird gezielt von den Besoldungs- und Laufbahnregelungen des Bundes wie der anderen Länder abgewichen, um so politisch eigene Akzente zu setzen.25 Der Bund gewinnt also vollen Zugriff auf die eigentlichen Statusregelun gen,26 ist dabei auch von keinem Abweichungsrecht der Länder belastet, verliert aber zugleich Einfluss nicht nur auf die Regelungen über Besoldung und Versorgung der Landes- und Kommunalbeamten, sondern auch das gesamte Laufbahnrecht der Landes- und Gemeindebeamten.27 Man kann darüber streiten, ob der Bund im Ergebnis mit dieser Regelung wirklich viel gewonnen hat. Zwar hat er sichere Ansätze der Vollregulierung für einen (eng definierten) Kreis der Statusregelung gewonnen;28 die politisch als Gestaltungsmasse aber weit interessanteren Fragen des Besoldungs- und Laufbahnrechts kann der Bund aber nur noch für seinen eigenen Rechtskreis regeln. Gegenüber dem alten Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG),29 das in seiner Regelungsstruktur Züge einer recht engmaschig geflochtenen (Quasi-)Vollregelung trug und den Ländern weitgehende Vorgaben für ihr Beamtenrecht machte, hat der Bund erhebliche Gestaltungsoptionen eingebüßt. Zwar hätte der Bundesgesetzgeber im Gefolge des 1994 geschaffenen Art. 75 Abs. 2 GG wohl auf Dauer Regelungsdichte und Regelungsstruktur des BRRG zurückfahren müssen; bestimmenden Einfluss auf die zentralen Statusfragen (einschließlich der Besoldungs- und Laufbahnstrukturen) hätte der Bund aber im Kontext der alten Rahmengesetzgebung wohl behalten. Mit den – für Struktur und Kosten des öffentlichen Dienstes zentralen – Laufbahnregelungen hat der Bund somit in der Konsequenz deutlich mehr abgegeben als er durch die Umzonung in die konkurrierende Gesetzgebung und die damit erlangte Möglichkeit der Vollregelung in einem beschränkten Bereich gleichzeitig gewon24 Vgl. Götz Frank / Thomas Heinicke, Die Auswirkungen der Föderalismusreform auf das öffentliche Dienstrecht – das neue Spannungsfeld von Solidarität, Kooperation und Wettbewerb zwischen den Ländern, ZBR 2009, S. 34 (34 ff.). 25 Vgl. nur als Beispiel Leonhard Kathke / Angelika Eck, Geht die Revolution weiter? Zum Laufbahnrecht in den Entwürfen des neuen bayerischen Dienstrechts, ZBR 2009, S. 361 (361 ff.). 26 Vgl. dazu etwa Günter Bochmann, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Reföderalisierung des öffentlichen Dienstrechts und der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG), ZBR 2007, S. 1 (1 ff.). 27 Vgl. Matthias Pechstein, Das Laufbahnrecht in der Gesetzgebungskompetenz der Länder, ZBR 2008, S. 73 (73 ff.). 28 Vgl. auch Ulrich Battis / Klaus Grigoleit, Die Statusgesetzgebung des Bundes – Dienstrechtliche Gesetzgebungskompetenz und Gesetzgebungspflicht des Bundes nach der Föderalismusreform, ZBR 2008, S. 1 (1 ff.). 29 Beamtenrechtsrahmengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. März 1999 (BGBl. I S. 654), seitdem mehrfach geändert.
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nen hat. Zu beklagen ist dieser Verlust aber meines Erachtens im Ergebnis nicht, denn das für eine gewisse Grundmobilität der Beamten auch der Länder zu fordernde Mindestmaß an Einheitlichkeit der Statusregelungen kann der Bund auch im Rahmen des neuen Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG sicherstellen, während es sich bei Besoldung und Versorgung wie der Laufbahnstruktur um Essentialia eines autonom über Struktur und Kosten seines öffentlichen Dienstes entscheidenden Gliedstaates im föderalen System handelt. In finanzwissenschaftlicher wie finanzpolitischer Perspektive war diese Änderung überfällig, sollte den Ländern der Spielraum zu so etwas wie einer eigenständigen Haushaltspolitik erhalten bleiben. 2. Jagdwesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 28 GG) Von deutlich geringerem Gewicht als die (beschränkte) Verlagerung der Regelungskompetenz für das Beamtenrecht ist die Umzonung der ehemaligen Rahmenkompetenz für das Jagdwesen in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Das Bundesjagdgesetz,30 mit dem der Bund von der Rahmenkompetenz schon 1952 sehr umfassend Gebrauch gemacht hatte, wird man in seinem Drang zu Vollregelungen als überaus problematisch im Lichte des 1994 eingefügten Art. 75 Abs. 2 GG ansehen müssen. Den Ländern blieb in der Ausfüllung des dort gezogenen Rahmens nur noch wenig Raum für eigene rechtsgestaltende Akzentsetzungen.31 Weitgehend waren die Länder auf den Status eines gesetzgeberischen Vollzugsorgans beschränkt worden. Mit der Verschiebung der Materie in die konkurrierende Zuständigkeit hat der Bund die bis dato problematische Rechtslage legalisiert. Da ihm im Kontext der konkurrierenden Gesetzgebung sowieso die Kompetenz zur Vollregelung zusteht, sind Regelungsdichte und Regelungsstruktur des Bundesjagdgesetzes in Zukunft kaum mehr zu beanstanden. Auch nach der Erforderlichkeit der bundesgesetzlichen Regelung kann in Zukunft nicht mehr gefragt werden – Art. 74 Abs. 1 Nr. 28 GG untersteht den Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht. Allerdings besteht für diese Sachmaterie ein materielles Abweichungsrecht der Länder gem. Art. 72 Abs. 3 GG. Die Landesgesetzgeber könnten also in Zukunft, wenn sie dies für rechtspolitisch sinnvoll halten, ein in Regelungsintentionen und Regelungsansatz deutlich abweichendes Landesjagdgesetz erlassen, das dem Bundesjagdgesetz letztlich auch in den Details vorginge. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass die Länder von dieser Mög30 Bundesjagdgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. September 1976 (BGBl. I S. 2849), seitdem noch mehrfach geändert. 31 Zu den verbleibenden Regelungsspielräumen der Länder im Jagdrecht Lars Brocker, Zur landesrechtlichen Bejagung geschützter Arten, NuR 2000, S. 307 (308).
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lichkeit in größerem Umfange Gebrauch machen wollten. Bislang haben nur Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen abweichende Regelungen zur Vorschrift des § 21 Abs. 2 BJagdG über die Abschusspläne erlassen.32 Ausgenommen von der Abweichungsgesetzgebung ist im übrigen das Recht der Jagdscheine, dessen Regelung damit allein dem Bund vorbehalten bleibt – letztlich wohl; um in diesem heiklen Bereich eine gleichförmige Regelung (und damit verbunden die wechselseitige Anerkennung) der Jagdscheine zu gewährleisten. 3. Naturschutz und Landschaftspflege (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG) Verfassungspolitisch zutiefst umstritten war die Neugestaltung der Gesetzgebungszuständigkeiten für den Naturschutz und die Landschaftspflege. Die Aufwertung dieser Regelungsmaterie zu einer konkurrierenden Zuständigkeit erfüllt ein jahrzehntealtes Begehren der Bundesregierung. Schon 1970 hatte die Bundesregierung sich bemüht, den Naturschutz und die Landschaftspflege als Nr. 25 dem Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG anzufügen – damals allerdings erfolglos, denn es fand sich keine verfassungsändernde Mehrheit für diesen Vorstoß.33 Erneut zum Thema wurde die Frage nach der richtigen Verortung der Kompetenz für den Naturschutz und die Landschaftspflege dann mit dem Entwurf eines Umweltgesetzbuches – eines Projektes, das nicht zuletzt an der unzureichenden Kompetenz des Bundes für die Regelung des Naturschutzes und des Wasserhaushaltsrechts scheiterte.34 Seit diesem Zeitpunkt wurden die Stimmen lauter, es bedürfe einer Vollkompetenz des Bundes für den Naturschutz. Die Verschiebung des Naturschutzes in den Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG (als Nr. 29) schafft nun – zusammen mit der parallelen Verschiebung der Zuständigkeit für Regelungen über den Wasserhaushalt in Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG – die Grundlage für eine Wiederaufnahme des Projektes eines 32 Vgl. Ernst Metzger, in: Lorz / ders. / Stöckel (Hrsg.), Jagdrecht – Fischereirecht, 4. Aufl. 2011, S. 8 Rn. 21. 33 Einzelheiten dazu bei von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 75 Rn. 393 ff. 34 Christof Gramm, Zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein Umweltgesetzbuch, DÖV 1999, S. 540 (544 f.); Helene Groß, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Umsetzung von EG-Umweltrecht, NWVBl. 2002, S. 289 (289 f.); Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 75 Rn. 52; a. A. Horst Sendler, Deutsche Schwierigkeiten mit dem EG-Recht – Zur Misere der Umsetzung von EG-UmweltschutzRichtlinien, NJW 2000, S. 2871 (2871); Franz-Joseph Peine, Probleme der Umweltschutzgesetzgebung im Bundesstaat, NuR 2001, S. 421 (427); Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungskompetenzen für den integrierten Umweltschutz, 1999, S. 83 (83 ff.).
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Umweltgesetzbuches.35 In dieser Perspektive handelt es sich um eine im Kern höchst sinnvolle, wenn nicht gar sachlich notwendige Stärkung der Bundeszuständigkeit. Der Naturschutz kann – betrachtet man ihn unter einer integrierten und auf weiträumige Vernetzung angelegten Perspektive – nicht mehr rein regional gelöst werden, sondern bedarf einheitlicher, das Handeln der Länder koordinierender Standards. Nicht zuletzt die Regulierungsaktivitäten der Europäischen Gemeinschaft in diesem Bereich (FFH-Richtlinie) machen dies deutlich. Aus der starken europarechtlichen Überformung des Gegenstandsbereiches ergab sich auch eine zusätzliche Notwendigkeit, die Zuständigkeit des Bundes zu einer Vollkompetenz aufzuwerten. Die Umsetzung von EG-Richtlinien war im Kontext der Rahmengesetzgebung immer mit hohen Risiken eines Vertragsverletzungsverfahrens belastet, da die Umsetzung in ein Rahmengesetz des Bundes allein noch keine umfassende Anwendbarkeit der in der Richtlinie vorgegebenen Regelungen sicherstellte; erst wenn das letzte Land das Rahmengesetz seinerseits durch ein entsprechendes Landesgesetz implementiert hatte, lag eine ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie vor – dafür aber bedurfte es oft erheblicher Zeit.36 Die Rahmengesetzgebung war in dieser Perspektive ein gravierendes Hindernis für die Europatauglichkeit der föderalen Ordnung.37 Unter der neuen Rechtslage kann der Bund nun selbst eine umfassende Regelung treffen und zügig einen gemeinschaftskonformen Zustand herstellen. Die Länder können dann im Nachgang, wenn ihnen Art und Modalitäten der Umsetzung nicht zusagen, abweichende Regelungen treffen – die aber ihrerseits natürlich gemeinschaftsrechtskonform sein müssen, also die Vorgaben aus dem Richtlinienrecht beachten müssen. Ist dies nicht der Fall, hat die landesgesetzliche Regelung hinter dem Bundesgesetz zurück zu treten, das insoweit dann am Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts teilnimmt.38 Gesamthaft wird man den gefundenen Kompromiss wohl als sinnvoll ansehen müssen. Unumgänglicher Preis für die Möglichkeit des Bundes, zügig und umfassend das Naturschutzrecht zu regulieren, war das Abweichungsrecht gem. Art. 72 Abs. 3 GG. Gelegentlich wird dieses Abweichungsrecht aus Sicht der Umweltrechtler (und Umweltpolitiker) zwar als Wermutstrop35 Walter Frenz, Föderalismusreform im Umweltschutz, NVwZ 2006, S. 742 (747). 36 Walter Frenz, Föderalismusreform im Umweltschutz, NVwZ 2006, S. 742 (746 f.). 37 So ausdrücklich die Gesetzesbegründung des 52. Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, BT-Drs. 16 / 813, S. 18; ferner Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1209). 38 Walter Frenz, Föderalismusreform im Umweltschutz, NVwZ 2006, S. 742 (746 f.).
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fen empfunden. Dem Bund wird auf der einen Seite die Möglichkeit der Vollregelung des Sachbereiches eingeräumt, was erst ein alle Problembereiche des Umweltschutzes integrierendes Umweltgesetzbuch (und zügige Umsetzung einschlägiger EG-Richtlinien) möglich macht; zugleich aber wird den Ländern erlaubt, über ihr materielles Abweichungsrecht aus dem integrierten Ansatz eines künftigen Umweltgesetzbuches wieder auszubrechen. Gemildert wird das Abweichungsrecht zwar durch den Anschluss einiger Regelungskomplexe aus der Möglichkeit zum Erlass abweichender Landesgesetzgebung – der allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes und des Meeresnaturschutzes. Es bleibt zugegebenermaßen das Risiko, dass der Gewinn an Rationalität und sachlicher Integration der verschiedenen Teilregelungen des Umweltrechts durch landesgesetzliche Abweichungen wieder konterkariert werden könnte. Letzten Endes wird man dem verfassungsändernden Gesetzgeber jedoch zugestehen müssen, eine grosso modo sachgerechte Lösung gefunden zu haben.39 Weithin bestand schon vor der Föderalismusreform Einigkeit, dass die konkreten Voraussetzungen und Inhalte für die Ausweisung von Schutzgebieten, die gute fachliche Praxis für die Land- und Forstwirtschaft und die Mitwirkung der Naturschutzverbände nicht unbedingt bundeseinheitlich geregelt werden müssen.40 Der Bezug zu den raumbezogenen Nutzungsplanungen und Instrumenten der regionalen Struktur- und Wirtschaftspolitik ist – was die Ausweisung von Schutzgebieten angeht – allzu ersichtlich. Die gute fachliche Praxis für die Land- und Forstwirtschaft weist ihrerseits einen engen Bezug zu Fragen der regionalen Agrarstruktur und zu den landesspezifischen Bemühungen um Abfederung des Strukturwandels in den ländlichen Räumen auf. Die Beteiligung von Naturschutzverbänden schließlich ist eher eine politische Geschmacksfrage als notwendiger Kernbestand eines einheitlichen Regelungskonzeptes. Mithin sprechen gute Gründe dafür, dass jenseits eines (eng geschnittenen) Kernbereichs der tragenden Grundsätze des Naturschutzrechts die Länder den Spielraum zu einer autonomen – und politisch auch eigenverantworteten – Naturschutzpolitik und Landschaftspflege haben. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben und bundesrechtlich normierte allgemeine Grundsätze des Naturschutzrechts schaffen einen so engmaschigen normativen Rahmen für die Länder, dass ein weitgehender Ausfall der Ziele und Instrumente des Naturschutzes kaum zu befürchten ist. Mit dem am 6. August 2009 verkündeten und am 1. März 2010 in Kraft getretenen neuen Bundesnaturschutzgesetz41 hat sich 39 Walter Frenz, Föderalismusreform im Umweltschutz, NVwZ 2006, S. 742 (746 f.). 40 So der in der Koalitionsvereinbarung vom 18. November 2005 niedergelegte Konsens – Koalitionsvereinbarung, Anlage 2 Rn. 42. 41 Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542).
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der Bundesgesetzgeber an einer Vollregelung des Gebietes versucht, um so einer (potenziell drohenden) Zersplitterung des Rechtsgebietes entgegen zu wirken.42 Trotz seiner Regelungsdichte ist das neue BNatSchG allerdings gespickt mit Öffnungsklauseln und nicht als wirklich abschließend gedachten Regelungen, was den Ländern vielfältige Optionen eigener, landesspezifischer Gestaltung offen hält, ohne formell von der Abweichungsmöglichkeit Gebrauch machen zu müssen.43 Deren Inanspruchnahme auf breiter Front ist daher auch eher unwahrscheinlich. 4. Bodenverteilung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 30 GG) und Raumordnung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG) Der Gegenstandsbereich der Bodenordnung ist eher eine historische Reminiszenz als eine Materie gegenwärtig oder künftig relevanter Gesetzgebung. Nach seinem historischen Hintergrund – und in der Abgrenzung zum Bodenrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) und zur Überführung von Grund und Boden in Gemeineigentum (Art. 74 Abs. 1 Nr. 15 GG) – ist unter Bodenverteilung die Veränderung der Eigentums- und Besitzverhältnisse an Grund und Boden im Wege der Umverteilung unter Privaten zu verstehen, also das, was man traditionell als Bodenreform bezeichnet hat.44 Der Bund hat allerdings nie von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht, ebenso wenig die Länder.45 Anders sieht dies dagegen für den Bereich der Raumordnung aus. Hier handelt es sich um einen klassischen Bereich gemeinsamen Zusammenwirkens von Bund und Ländern, auf dem es so etwas wie einer gemischten Kompetenz bedarf, die traditionell mit der Rahmengesetzgebung zur Verfügung stand. Der Bund gibt mit dem Raumordnungsgesetz (ROG)46 Ziele der Raumordnung vor und prägt die Grundstrukturen eines Gesamtsystems integrierter Raumplanung aus. Zudem bedarf es zwingend des Bundesgesetzgebers für die notwendigen Strukturen länderübergreifender Raumordnung, für die überwiegend sogar eine Kompetenz kraft Natur der Sache angenom42 Vgl. hierzu Peter Berghoff / Katharina Steg, Das neue Bundesnaturschutzgesetz und seine Auswirkungen auf die Naturschutzgesetze der Länder, NuR 2010, S. 17 (17 ff.). 43 Peter Berghoff / Katharina Steg, Das neue Bundesnaturschutzgesetz und seine Auswirkungen auf die Naturschutzgesetze der Länder, NuR 2010, S. 17 (26). 44 Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 75 Rn. 54. 45 von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 75 Rn. 574. 46 Raumordnungsgesetz (ROG) vom 8. April 1965 in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. August 1997 (BGBl. I S. 2081), seitdem mehrfach geändert.
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men wird.47 Die Länder dagegen füllen den vom Bund gesetzten Rahmen mit ihren Landesraumordnungsgesetzen oder Landesplanungsgesetzen aus und formen die konkreten Modalitäten der Raumordnung und Landesplanung aus,48 ihnen obliegt dann in der Folge auch die Detailarbeit in der Erstellung der Raumordnungspläne der verschiedenen Stufen. Zumindest für den Bereich der länderübergreifenden Raumordnung ist das Instrument der Rahmengesetzgebung schon immer problematisch gewesen – hier bedarf es der unmittelbar anwendbaren Vollregelung, während umgekehrt für das System der landesinternen Raumordnung und Landesplanung der Bund allenfalls allgemeine Grundsätze vorgeben sollte, die Länder hier aber weitgehend autonom ihr eigenes System der Raumordnung ausformen sollten. Die nun geschaffene konkurrierende Zuständigkeit mit Abweichungsrecht der Länder löst die Herausforderung eines gestuften Gesamtsystems letztlich sogar besser als die alte Rahmenkompetenz. Die Möglichkeiten der Abweichung wird man insoweit als eher unproblematisch ansehen müssen, da in diesem Bereich eine wirklich geteilte Gesetzgebung sinnvoll ist. 5. Wasserhaushalt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG) Für den Bereich des Wasserhaushaltsrechts lässt sich im Grundansatz ähnliches sagen wie für den Bereich des Naturschutzes. Auch hier waren bereits 1968 und 1970 erste Vorstöße unternommen worden, die Materie in den Bereich der konkurrierenden Kompetenzen umzugruppieren.49 Schon die natürlichen Gegebenheiten widersprächen – so war damals bereits argumentiert worden – „unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern, da die Gewässer nicht an den Landesgrenzen haltmachen“. Zudem fordere die Rechts- und Wirtschaftseinheit „einheitliche Maßstäbe bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Wassernutzungen. Die Anforderungen, die an die Reinigung der Abwässer der Industrie gestellt werden, müssen so gehalten sein, dass dadurch keine Wettbewerbsverzerrungen entstehen“.50 Dem widersprachen die Länder. Die Wasserwirtschaft sei „ein bedeutsamer Faktor für die Lebensverhältnisse eines bestimmten Lebensraumes“. Wasserwirtschaftliche Fragen müssten „auch die regionale Wirtschaftsstruktur, die Landesplanung, den Verkehr und die sonstigen kommunalen, gewerb lichen und baupolizeilichen Erfordernisse berücksichtigen. Diese sind zum 47 von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 75 Rn. 552 f. 48 Überblick der einschlägigen Landesgesetzgebung bei von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 75 Rn. 576. 49 Einzelheiten bei von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 75 Rn. 492 ff., 515 ff. 50 BT-Drs. V / 3515, S. 7.
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Teil regional sehr verschieden. Es muss daher weiterhin den Ländern überlassen bleiben, die auf sie zukommenden Probleme entsprechend der von ihnen gebildeten Schwerpunkte zu lösen“.51 Der Vorschlag einer Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz für das Wasserhaushaltsrecht in den Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG fand dementsprechend keine verfassungsändernde Mehrheit im Bundesrat. Neue Argumente für einen derartigen Schritt kamen erst mit den Plänen auf, das gesamte Umweltrecht in einem einheitlichen Umweltgesetzbuch zu erfassen.52 Doch scheiterte das Umweltgesetzbuch nicht zuletzt an der unzureichenden Kompetenz des Bundes für eine Vollregelung des Wasserrechts, die eine umfassende und integrierte Regulierung des gesamten Bereiches des Gewässer- und Grundwasserschutzes nicht ermöglicht hätte.53 Allein mit der alten Rahmenkompetenz für das Wasserhaushaltsrecht ließen sich – so die Befunde der Kompetenzanalyse – die vom Entwurf des Umweltgesetzbuches bezweckten Vollregelungen des Wasserrechts nicht bewerkstelligen. Der Grundansatz im Umweltrecht hat sich mittlerweile jedoch völlig in Richtung auf eine integrierte Anlagen- und Vorhabengenehmigung entwickelt, die zwingend Fragen des Wasserrechts zum Bestandteil eines einheitlichen umweltrechtlichen Genehmigungsverfahrens werden lässt. Spätestens mit dem integrierten Konzept der IVU-Richtlinie der EU bedarf es der (Voll-)Regulierung des Wasserhaushaltsrechts durch den gleichen Gesetzgeber wie im sonstigen Anlagengenehmigungsrecht.54 Der Einbezug des Wasserhaushaltsrechts in die konkurrierende Gesetzgebung war daher kaum mehr zu vermeiden – und ist mit der Föderalismusreform gerade noch rechtzeitig gekommen, um keine allzu handfesten Probleme mit einer angemessenen Umsetzung der IVU-Richtlinie aufzuwerfen. Doch auch im Hinblick auf die (mittlerweile recht umfangreiche) Serie genuin wasserrecht licher EG-Richtlinien ist die konkurrierende Kompetenz des Bundes für das Wasserhaushaltsrecht ein bemerkenswerter Fortschritt, kann so doch endlich die halbwegs fristgerechte Umsetzung einschlägiger EG-Richtlinien sichergestellt werden – ohne auf das letzte der 16 Länder bei der landesrecht 51 BT-Drs.
V / 3515, S. 12. für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch. Entwurf der unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1998, dort insbes. §§ 360 ff. 53 Walter Frenz, in: Stober / Vogel (Hrsg.), Umweltrecht und Umweltgesetzbuch aus wirtschaftsrechtlicher Perspektive, 2001, S. 37, 41 ff. 54 Walter Frenz, Föderalismusreform im Umweltschutz, NVwZ 2006, S. 742 (744); Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungskompetenzen für den integrierten Umweltschutz, 1999, S. 65 (65). 52 Bundesministerium
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lichen Umsetzung des Rahmengesetzes warten zu müssen.55 Mit dem neuen Wasserhaushaltsgesetz vom 31 Juli 200956 ist der Bundesgesetzgeber nun auch zu einer Vollregelung des Gewässer- und Grundwasserschutzes geschritten, die den alten Desideraten einer in sich stimmigen Wasserhaushaltsregelung Rechnung trägt.57 Das zugleich den Ländern eingeräumte Abweichungsrecht gem. Art. 72 Abs. 3 GG, das allerdings gezielt stoff- und anlagenbezogene Regelungen von der Abweichungsmöglichkeit ausnimmt, trägt den schon 1968 geäußerten Bedenken der Länder gegen eine völlige Zentralisierung der Gesetzgebung über das Wasserhaushaltsrecht Rechnung. Den regionalen Verschiedenheiten im Blick auf die regionale Wirtschaftsstruktur, die Landesplanung, den Verkehr und die sonstigen kommunalen, gewerblichen und baupolizeilichen Erfordernisse kann durch eine punktuell von den bundesrechtlichen Vorgaben abweichende landesgesetzliche Regelung nun im neuen System zureichend Rechnung getragen werden, ohne dass es dadurch zu einer weitreichenden Rechtszersplitterung käme. 6. Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse (Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG) Die Rahmengesetzgebung im Hochschulrecht hatte sich aus Sicht des Bundesgesetzgebers „als ineffektiv erwiesen“ und hatte sich aus dessen Sicht „im Übrigen nicht bewährt“. Hintergrund dieser skeptischen Einschätzung bildeten ohne Zweifel die negativen Erfahrungen, die der Bundesgesetzgeber im Hochschulrecht mit der 1994 verschärften Erforderlichkeitsklausel des Art. 74 Abs. 2 GG sowie den einschränkenden Vorgaben des Art. 75 Abs. 2 GG gemacht hat.58 Mehrere Novellen zum Hochschulrahmengesetz – die causes célèbres der Einführung der Juniorprofessur und des Verbotes der Studiengebühren – sind in den Jahren vor der Föderalismusreform am Bundesverfassungsgericht bzw. an dessen Anforderungen im Hinblick auf Art. 74 Abs. 2 und Art. 75 Abs. 2 GG gescheitert.59 Wie das Zitat 55 Walter Frenz, Föderalismusreform im Umweltschutz, NVwZ 2006, S. 742 (746 f.). 56 Gesetz zur Neuregelung des Wasserrechts vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2585). 57 Vgl. nur Kurt Faßbender, in: Landmann / Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Stand: 69. Erg.-Lfg. (April 2013), § 1 Rn. 1 ff.; vgl. ferner Michael Kotulla, Das novellierte Wasserhaushaltsgesetz, NVwZ 2010, S. 79 (79 ff.); Bernhard Stüer / Dirk Buchsteiner, Wasserhaushaltsgesetz 2010, DÖV 2010, S. 261 (261 ff.); Michael Rolfsen, Das neue Wasserhaushaltsgesetz, NuR 2009, S. 765 (765 ff.). 58 Erik Hansalek, Die neuen Kompetenzen des Bundes im Hochschulrecht, NVWZ 2006, S. 668 (668).
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aus der amtlichen Begründung zum Gesetzespaket der Föderalismusreform zeigt, hat der Bundesgesetzgeber daraufhin weitgehend resigniert. Versuche einer Einflussnahme auf die grundlegenden Parameter der auseinander driftenden Organisationsstrukturen des Hochschulwesens schienen in der Folge ebenso hoffnungslos zu sein wie der Erlass zwingender Vorgaben für Neuerungen des Dienstrechts der Hochschullehrer. Zwar leisteten die Bildungsund Wissenschaftspolitiker des Bundes noch 2003 / 04 entschiedenen Widerstand gegen eine Beschneidung der Bundeskompetenzen im Hochschulbereich – und brachten mit diesem Widerstand dann auch 2004 den ersten Anlauf zu einer Föderalismusreform zu Fall.60 59
Im Kontext der Bemühungen der Großen Koalition 2005 / 06 um eine Wiederaufnahme der Föderalismusreform brach dieser Widerstand letztlich zusammen. Als Ergebnis kam es zu einer radikalen Beschneidung des Umfangs der Bundeskompetenz, nunmehr beschränkt nur noch auf eine Zuständigkeit für Fragen der Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse.61 Zwar ist diese Regelungszuständigkeit zugleich zu einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz konsolidiert worden, und der neue Kompetenztitel untersteht auch nicht mehr den Anforderungen der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG.62 Der Gegenstandsbereich der Gesetzgebungskompetenz ist allerdings auf zwei eng umrissene Materien beschränkt worden, im Gegensatz zur bisherigen Reichweite der allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens. Fragen der Hochschulorganisation, die jahrzehntelang zu den umstrittensten Fragen der Hochschulgesetzgebung gehörten, sind damit seit 2006 dem Einflussbereich des Bundesgesetzgebers entzogen. Auch Fragen der Qualitätssicherung, die als zentrale Parameter der künftigen Hochschulpolitik gelten, bleiben dem Zugriff des Bundesgesetzgebers weitgehend verschlossen.63 Letztlich hat sich der Bund mit den zwei punktuellen Materien der Hochschulzulassung und der Hochschulabschlüsse auf zwei eher 59 BVerfGE
111, 226 – Juniorprofessor; 112, 226 – Studiengebühren. Oeter / Sigrid Boysen, Wissenschafts- und Bildungspolitik im föderalen Staat – ein strukturelles Problem?, RdJB 53 (2005), S. 296 (309); Thomas Fleiner, Das Bildungssystem im schweizerischen Föderalismus, RdJB 53 (2005), S. 346 (352). 61 Skeptisch zu diesem Schritt Lothar Knopp, Föderalismusreform – zurück zur Kleinstaaterei? – An den Beispielen des Hochschul-, Bildungs- und Beamtenrechts, NVwZ 2006, S. 1216 (1217 f.), ferner Stellungnahme Götz Frank, Gemeinsame öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates zur Föderalismusreform, Stenographischer Bericht, 12. Sitzung, Rechtsausschussprotokoll vom 15. / 16. Mai 2006, Prot. S. 205 f. 62 Erik Hansalek, Die neuen Kompetenzen des Bundes im Hochschulrecht, NVWZ 2006, S. 668 (668). 63 Erik Hansalek, Die neuen Kompetenzen des Bundes im Hochschulrecht, NVWZ 2006, S. 668 (668). 60 Stefan
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historisch wichtige Felder abdrängen lassen, unter Fixierung auf die tradi tionelle Perspektive einer umfassenden rechtlichen Rahmensteuerung der Hochschulen. Dabei handelt es sich – so schrieb ein Sachkenner aus dem zuständigen Bundesministerium – bei der traditionellen Vollregelung um ein „Auslaufmodell“.64 Die Kompetenz für die Hochschulzulassung knüpft an die tradierte Numerus Clausus-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an und soll dem Bund weiter Einfluss auf die Modalitäten der Kapazitätsberechnung und die Ausschöpfung der Studienplatzkapazitäten geben. Der Bund wollte sich somit die Möglichkeit sichern, „insbesondere bei bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen Vorgaben für die Ermittlung und vollständige Ausschöpfung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten der Hochschulen sowie für die Vergabe der Studienplätze und Auswahlverfahren einheitlich zu regeln“.65 Die Kompetenz deckt auch Fragen der Ermittlung und Ausschöpfung der vorhandenen Kapazitäten ab, gibt dem Bund allerdings keinen Einfluss auf die Entwicklung der Kapazitäten und die Ressourcen, die die Länder für das Hochschulwesen einsetzen. Bauen die Länder Hochschulkapazitäten ab, so beschränkt sich die Zuständigkeit des Bundes auf die Strukturen einer Mangelverwaltung.66 Ausdrücklich (laut amtlicher Begründung) nicht von der Regelungskompetenz erfasst sind die Bereiche Hochschulzugang und Studiengebühren.67 Bislang hat der Bund noch keinen Gebrauch gemacht von der Möglichkeit, im Wege einer Vollregelung die Fragen der Hochschulzulassung zu regeln. Dies hängt im Kern sicherlich mit den Schwierigkeiten und Tücken der Regelungsmaterie zusammen. Zulassungsfragen sind – in Konsequenz der Numerus clausus-Rechtsprechung des BVerfG – unweigerlich stark mit verfassungsrechtlichen Wertsetzungen aufgeladen und bewegen sich in einem schwierigen Spannungsfeld zwischen politischer Steuerung der Ausbildungskapazitäten und grundrechtlich gewährleisteter Zugangsberechtigung zur Hochschulbildung.68 In diesem Minenfeld einen gangbaren Weg zu finden ist nicht einfach – und hat auch die Länder von weitergehenden Regelungsexperimenten bislang Abstand nehmen lassen.
64 Erik Hansalek, Die neuen Kompetenzen des Bundes im Hochschulrecht, NVWZ 2006, S. 668 (669). 65 BT-Drs. 16 / 813, S. 14. 66 Erik Hansalek, Die neuen Kompetenzen des Bundes im Hochschulrecht, NVWZ 2006, S. 668 (669). 67 BT-Drs. 16 / 813, S. 14. 68 Vgl. auch Wolfgang Löwer, Rechtsfragen der Neuordnung eines Curricularwertes, 2010, S. 1 ff.
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Die parallele Zuständigkeit für den Bereich Hochschulabschlüsse erhält dem Bundesgesetzgeber die Möglichkeit, „die Abschlussniveaus und die Regelstudienzeiten zu regeln“.69 Mit der Festlegung der Inhalte der einzelnen Studiengänge hat der Bund implizit auch Zugriff auf die festzulegenden Regelstudienzeiten, die das Profil des jeweiligen Hochschulabschlusses mit bestimmen. Über die Thematik der Abschlussniveaus kommt mittelbar auch die Frage nach der „Qualität des Outputs“ und dessen Vergleichbarkeit und Bewertung ins Spiel, indirekt also doch der Qualität (und Qualitätssiche rung).70 Gedacht ist diese neue (Teil-)Kompetenz als Ansatzpunkt, der es dem Bund ermöglichen soll, „einen Beitrag zur Verwirklichung des einheitlichen europäischen Hochschulraums und zur internationalen Akzeptanz deutscher Hochschulabschlüsse“ zu leisten.71 Auch von dieser Befugnis hat der Bundesgesetzgeber bislang keinen ernsthaften Gebrauch gemacht. Relativiert wird die hier skizzierte – und schon gegenständlich recht beschränkte – Kompetenz des Bundes durch das Abweichungsrecht der Länder, das laut Art. 72 Abs. 3 Nr. 6 GG auch für die Hochschulkompetenzen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG gilt. Theoretisch könnte jedes Land mit abweichenden hochschulpolitischen Vorstellungen und Kompetenzen damit die Leitlinien und Strukturvorgaben des Bundesgesetzgebers beiseite schieben und seine eigenen hochschulpolitischen Leitvorstellungen durchsetzen. Die Länder übernehmen faktisch „die Aufgabe des Endentscheiders“, da der Bund bei einem Regelungswettlauf systembedingt den Kürzeren ziehen würde.72 Entgegen der ursprünglich erklärten Zielsetzung der Föderalismusreform, einer forcierten Entzerrung der Zuständigkeitsbereiche von Bund und Ländern, sind beide Ebenen im praktischen Ergebnis doch wieder zu einer „kooperativen Wahrnehmung“ der entsprechenden Zuständigkeiten gezwungen73 – wenn auch mit der wichtigen Modifikation, dass nicht der Bund die Länder zur Kooperation zwingen kann, sondern jedes Land die Zusammenarbeit einseitig aufkündigen kann, Kooperation mithin auf der Basis der Einsicht in die Notwendigkeit erfolgen muss. Nur dies sichert auf Dauer zureichend die für die Länder zentrale Kulturautonomie. 69 BT-Drs.
16 / 813, S. 14. Hansalek, Die neuen Kompetenzen des Bundes im Hochschulrecht, NVWZ 2006, S. 668 (669); Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1214). 71 BT-Drs. 16 / 813, S. 35. 72 Kritisch insoweit Erik Hansalek, Die neuen Kompetenzen des Bundes im Hochschulrecht, NVWZ 2006, S. 668 (670); Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1214). 73 Erik Hansalek, Die neuen Kompetenzen des Bundes im Hochschulrecht, NVWZ 2006, S. 668 (670). 70 Erik
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IV. Streichung bisheriger Gesetzgebungskompetenzen des Bundes Ziel der Föderalismusreform war erklärtermaßen die Entflechtung der Zuständigkeiten, eine erhöhte Autonomie der Landesgesetzgebung und die Stärkung der Landesparlamente. Im Lichte dieser Zielsetzung bedurfte es, sollte der Zielsetzung auch nur symbolisch Rechnung getragen werden, bestimmter Kompetenzverschiebungen zu Gunsten der Länder – und zwar der Kompetenzverschiebungen aus der Zuständigkeit des Bundes in die der Länder, und nicht nur der Umlagerung einzelner Kompetenztitel aus der Rahmenkompetenz in die konkurrierende Kompetenz, unter Einräumung der Möglichkeit der Abweichung und unter Eingrenzung der Gegenstandsbereiche. Technische Ausprägung dieser (wenn auch gegenständlich sehr beschränkten) Kompetenzverschiebung zu Gunsten der Länder ist die Streichung einzelner Gegenstandsbereiche der konkurrierenden Gesetzgebung aus dem Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG bzw. die Streichung bisheriger Gegenstandsbereiche der Rahmengesetzgebung. Mit der Entfernung dieser Materien aus dem Katalog der Bundeszuständigkeiten fallen diese gemäß Art. 70 GG automatisch in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Vergleicht man nun den geänderten Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG mit dem alten Kompetenzbestand, so schälen sich zwei Varianten einer solchen Rückführung bisheriger Bundeskompetenzen heraus. Eine Variante ist die Streichung ganzer Gegenstandsbereiche aus dem Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG; eine andere Variante ist die Ausklammerung bestimmter Teilbereiche aus dem weiterhin in Art. 74 Abs. 1 GG aufgeführten Gegenstandsbereich – meist ausgedrückt durch einen Klammerzusatz mit dem einleitenden Wort „ohne …“. Die in beiden Formen bewirkten Rückführungen einzelner Kompetenztitel in den Bereich der ausschließlichen Länderzuständigkeiten sind in der Gesamtbilanz alles andere als revolutionär, verändern im Detail aber doch die Gewichte zu Gunsten der Länder und führen Gesetzgebung und Verwaltung in manchen Bereichen zusammen, in denen die Schnittstelle zwischen Gesetzgebung und Verwaltungsvollzug sich als besonders schwierig erwiesen hat und die Ländern gern die Möglichkeit hätten, den Rechtsrahmen im Lichte ihrer Vollzugserfahrungen zu verändern. 1. Strafvollzug (ex-Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) Besonders deutlich wird diese Vorgehensweise (und die ihr zugrunde liegende Motivation) an dem rechtspolitisch wohl am heftigsten umstrittenen Bereich einer solchen Rückführung einer bisherigen Bundeskompetenz in den Eigenbereich eines Landesgesetzgebers – dem Bereich des Strafvollzugsrechts. Im Schrifttum sind heftige Proteste gegen eine Verlagerung der
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Kompetenz für den Strafvollzug auf die Länder geäußert worden.74 Argumentiert wurde dabei zunächst historisch – das Strafvollzugsgesetz von 1976 habe eine historische Entwicklung zum Abschluss gebracht, die seit nahezu hundert Jahren von Forderungen nach national einheitlicher Regelung des Strafvollzugs geprägt gewesen sei. Eine derartige Errungenschaft aber gebe man nicht ohne Not preis – „das Herausbrechen des dritten Teilstücks aus dem gesamten bundesgesetzlich geregelten Kriminalrecht, nämlich des Strafvollzugsgesetzes,“ bedeute einen „der Rechtseinheit zuwider laufenden Rückfall in die einstigen kleinstaatlichen Lösungen des Deutschen Bundes“. Hier werden schon sprachlich alle Register des in Deutschland historisch tief eingewurzelten unitarischen Affektes gezogen – gipfelnd im Bild der „Rückkehr zur Kleinstaaterei“.75 Dabei gestehen auch die Gegner der Kompetenzverlagerung zu, dass der gesetzgeberische Spielraum, der Bund wie Ländern in diesem Bereich zukommt, eher begrenzt ist – handelt es sich doch um eine Materie, die seit der Strafvollzugsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts76 durch und durch grundrechtlich geprägt ist und die für den Gesetzgeber eher undankbar ist, sind doch zentrale Entscheidungen außer Disposition gestellt, ohne dass man die Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsbefugnis immer so genau bestimmen könnte.77 Zuzugestehen ist der Kritik allenfalls, dass der Trend einer nachhaltigen Überformung strafvollzugsrechtlicher Praxis durch gemeineuropäische Standards, die in der EMRK und anderen Europaratsinstrumenten ihren Sitz haben, den Gedanken einer rechtspolitischen Autonomie der Ländern auf diesem Feld in gewisser Hinsicht als Anachronismus erscheinen lässt.78 Für Bereiche, die zunehmend zwischenstaatlichen Standards unterliegen, erweist sich der – an der Aushandlung dieser Standards beteiligte – Bund regelmäßig als der bessere Sachwalter als die Länder; Landesverwaltungen tun sich notorisch schwer mit der Implementation zwischenstaatlicher Standards, empfinden derartige überstaatliche Einflüsse tendenziell eher als Störquelle 74 Heinz Müller-Dietz, Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug, ZRP 2005, S. 156 (157); Heinz Cornel, Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug muss beim Bund bleiben, ZfStrVo 2005, S. 48 (48 ff.); Stefan Caspari, Unterschiedliches Strafvollzugsrecht belastet Justiz, DRiZ 2006, S. 142 (142 ff.); Michael Köhne, Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug, ZRP 2006, S. 195 (195 f.). 75 Heinz Müller-Dietz, Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug, ZRP 2005, S. 156 (158); Reinhard Wiesner, Zurück in die Kleinstaaterei? Ein historischer Streifzug durch die Gesetzgebung der Kinder- und Jugendhilfe, in: Kreft (Hrsg.), Fortschritt durch Recht: Festschrift für Johannes Münder, 2004, S. 117 (137). 76 BVerfGE 33, 1 – Strafgefangene. 77 Heribert Ostendorf, Gesetzliche Grundlage für den Jugendstrafvollzug – verfassungsrechtlich geboten!, NJW 2006, S. 2073 (2073 ff.). 78 Heinz Müller-Dietz, Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug, ZRP 2005, S. 156 (159).
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innenpolitischer Kompromissbildung denn als sinnvolles Korrektiv nationaler Voreingenommenheiten und Verhärtungen. Nur in dieser Hinsicht ergibt die Kritik an einer Reföderalisierung des Strafvollzugs Sinn. Unter rein nationalem Blickwinkel ist die Verschiebung der Strafvollzugskompetenz dagegen sicherlich sinnvoll, ist der Strafvollzug doch in den letzten Jahren durch ein hohes Maß experimentellen Suchens nach neuen Organisationsformen geprägt – eines Suchprozesses, der sinnvollerweise der begleitenden Anpassung auch gesetzlicher Standards bedarf. Aus dieser Perspektive scheint mir die Rückverlagerung durchaus sinnvoll, ermöglicht sie den Ländern doch integrale Ansätze einer Reform des Strafvollzugs, unter Einschluss des Vollzugs der Untersuchungshaft, der ebenfalls in die Zuständigkeit der Landesgesetzgeber rückverlagert wurde.79 Von der so gewonnenen Gestaltungsfreiheit haben auch schon eine ganze Reihe von Ländern (Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen) durch den Erlass eigener Strafvollzugsgesetze Gebrauch gemacht,80 während die Mehrheit der Länder den alten Rechtszustand weiter so belassen hat wie gewohnt und mit der (Weiter-)Anwendung des Strafvollzugsgesetzes des Bundes vorlieb nimmt. Im Bereich des Untersuchungshaftvollzugs haben fast alle Länder (bis auf Bayern und Schleswig-Holstein) eigene Landesgesetze erlassen.81 2. Versammlungsrecht (ex-Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG) Schon deutlich weniger umstritten war die Streichung des Gegenstandsbereiches Versammlungsrecht aus der Nr. 3 des Kataloges der konkurrierenden Gesetzgebung. Offensichtlich wurde hier – im Gegensatz zum Strafvollzug – von den Gralshütern des klassischen Versammlungsrechts keine ernsthafte Einbuße an grundrechtlicher Substanz befürchtet – was angesichts der für diesen Bereich prägenden, überaus engmaschigen Kontrolle des Gesetzgebers und der Verwaltung durch das Bundesverfassungsgericht auch eher merkwürdig gewesen wäre.82 Selbst soweit die Länder das Versamm79 Vgl. zum Umfang des so für die Landesgesetzgeber eröffneten Gestaltungsbereiches Astrid Hermann, Die Reform der bundesstaatlichen Ordnung Deutschlands, unter besonderer Berücksichtigung ihrer Folgen für das Beamtenrecht, die terroristische Gefahrenabwehr und den Strafvollzug, 2012, S. 127 ff. 80 Vgl. nur den Überblick der Landesgesetze bei Frank Arloth, Strafvollzugsgesetze: StVollzG, 3. Aufl. 2011, S. 63 ff., 731 ff., 839 ff., 937 ff., 1035 ff. 81 Vgl. den Überblick unter http: / / www.dvjj.de / node / 128 (Abruf vom 10.12. 2013). 82 Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1214); Michael Nierhaus / Sonja Rademacher, Die große Staatsreform als Ausweg aus der Föderalismusfalle?, LKV 2006, 385 (389).
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lungsgesetz des Bundes durch eigene Versammlungsgesetze ablösen, werden sie sachlich keine groß abweichenden Pfade beschreiten können – Art. 8 GG und die darauf gestützte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat aus dem Versammlungsrecht den wohl extremsten Fall einer weitgehend grundrechtlich determinierten Gesetzesmaterie werden lassen. Viel Freude werden die Landesgesetzgeber an diesem Feld nicht haben – das Zugeständnis des Bundes entpuppt sich bei näherem Hinsehen eher als Danaergeschenk. Die ersten Gehversuche der Länder auf diesem Feld scheinen mir diese These deutlich zu belegen – so hat etwa der Freistaat Sachsen mit seinem neuen Versammlungsgesetz schon vor dem Landesverfassungsgericht Schiffbruch erlitten und auch Bayern ist mit seinem neuen Versammlungsgesetz im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht ganz ungeschoren davon gekommen.83 Gleichwohl haben einige Länder erste Anläufe zu einer eigenen Regelung unternommen, wie Bayern, Sachsen-Anhalt und Nieder sachsen,84 andere haben punktuelle Neuregelungen erlassen, wie Brandenburg mit seinem Gesetz über Versammlungen und Aufzüge an und auf Gräberstätten,85 die meisten Länder jedoch begnügen sich mit der Fortgeltung des Versammlungsgesetzes des Bundes. 3. Heimrecht (ex-Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) Verfassungsrechtlich abgesichert, wenn nicht gar durch verfassungsgerichtliche Rechtsprechung induziert ist die Überführung des Heimrechts in die Zuständigkeit der Länder. Traditionell unstreitig vom Kompetenztitel der öffentlichen Fürsorge umfasst,86 hatte der Bundesgesetzgeber das Heimrecht durch eine umfassende Regelung, das Heimgesetz,87 erschöpfend reguliert. 83 Vgl. dazu nur Thomas Holzner, Die gebändigte Demokratie? – Das Bayerische Versammlungsgesetz auf seinem beschwerlichen Weg zur Verfassungsmäßigkeit, BayVBl. 2009, S. 485 (485 ff.); Alfred Scheidler, Bedenken des Bundesverfassungsgerichts gegen das Bayerische Versammlungsgesetz, NVwZ 2009, S. 429 (429 ff.). 84 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) vom 22. Juli 2008 (GVBl. S. 421); Gesetz des Landes Sachsen-Anhalt über Versammlungen und Aufzüge (Landesversammlungsgesetz – VersammlHG LSA) vom 3. Dezember 2009 (GVBl. LSA S. 558); Niedersächsisches Versammlungsgesetz (NVersG) vom 7. Oktober 2010 (Nds. GVB. S. 465, 532). 85 Gesetz über Versammlungen und Aufzüge an und auf Gräberstätten (Gräberstätten-Versammlungsgesetz – GräbVersammlG) vom 26. Oktober 2006 (GVBl. I S. 114). 86 Eingehend dazu von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 74 Rn. 344. 87 Gesetz über Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige (Heimgesetz – HeimG) vom 7. August 1974 (BGBl. I S. 1873), in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. November 2001 (BGBl. I S. 2970), seitdem noch mehrfach geändert.
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Die wegweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur neuen Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG, die zu einer spezifischen Konstellation des Heimgesetzes erging,88 hatte den Bundesgesetzgeber aber offensichtlich im Blick auf das Heimrecht derart verunsichert, dass er zur Abgabe der Materie an die Länder bereit war. Im Lichte der Entscheidung war mehr als unklar, in welchem Umfang für diesen Bereich überhaupt noch eine Erforderlichkeit zu bejahen war. Warum die Standards der Altenpflege wirklich zwingend im gesamten Bundesgebiete einheitlich sein müssen, ist bei bestem Willen nur schwer zu erklären. Die Begründung einer alleinigen Regelungszuständigkeit der Landesgesetzgeber ist insoweit nur konsequent. 4. Ladenschluss, Gaststättenrecht und Gewerberecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) Nicht ganz ohne rechtspolitische Bedeutung ist auch die Einschränkung, die der verfassungsändernde Gesetzgeber im Gegenstandsbereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG vorgenommen hat. Eine Reihe spezifischer gesetzgeberischer Regelungsmaterien wurden im Wege eines Klammerzusatzes „(ohne …)“ aus der Zuständigkeit des Bundes für das Recht der Wirtschaft ausgeschlossen. An die Länder zurückgegeben wurde mittels dieses Verfahrens zum einen die rechtspolitisch seit langem streitige Materie der Ladenschlussregelungen, zum anderen das Gaststättenrecht und einzelne (Sonder-) Bereiche des Gewerberechts, konkret die Regelungen zu Spielhallen, zur Schaustellung von Personen, zu Messen, Ausstellungen und Märkten.89 Für das Ladenschlussrecht war schon seit längerem fraglich geworden, aus welchen Erwägungen sich insoweit eigentlich noch eine Erforderlichkeit bundeseinheitlicher Regelung ergeben sollte.90 Letztlich handelt es sich bei Regelungen des Ladenschlusses um eine sehr spezifisch auf den regionalen Kontext bezogene Regelung für den lokalen Einzelhandel. Ähnliches gilt für das Gaststättenrecht, das ohne jegliche Folgeprobleme landesgesetzlich geregelt werden kann, ja das inhaltlich eher nach landesspezifischer Differen88 BVerfGE 106, 62 – Altenpflege; zur Entscheidung Markus Kenntner, Der Föderalismus ist (doch) justiziabel! – Anmerkungen zum „Altenpflegegesetz-Urteil“ des BVerfG, NVwZ 2003, S. 821 (821 ff.); Kurt Faßbender, Eine Absichtserklärung aus Karlsruhe zur legislativen. Kompetenzverteilung im Bundesstaat, JZ 2003, S. 332 (332 ff.); Otto Depenheuer, Vom „Bedürfnis“ zur „Erforderlichkeit“. Verfassungsgerichtliche Kompetenzbegradigungen im Bereich der Bundesgesetzgebung durch das Urteil des BVerfG zum Altenpflegegesetz, ZG 2003, S. 177 (177 ff.). 89 Jörn Ipsen, Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Föderalismusnovelle, NJW 2006, S. 2801 (2804); Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1213 f.). 90 Spätestens seit BVerfGE 111, 10 – Ladenschluss.
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zierung verlangt als nach einheitlicher Regelung. Auch für die gewerberechtlichen Regelungen zu Spielhallen, zur Schaustellung von Personen, zu Messen, Ausstellungen und Märkten lässt sich im Ergebnis eher eine Dominanz der lokalen und regionalen Bezüge feststellen. Im Ergebnis wird man die Überführung dieser Materien in die Zuständigkeit der Landesgesetzgeber als durchaus sinnvoll ansehen müssen. Die Länder haben in den ersten Jahren auch nur zögerlich begonnen, die fraglichen Regelungsbereiche eigenständig zu regeln. Dies gilt noch am wenigsten für den Bereich der Ladenschlussregelungen, wo mittlerweile fast alle Länder über eigenständige Gesetzeswerke verfügen.91 Im Bereich des Gaststättenrechts operieren die meisten Länder noch mit dem (fortgeltenden) Gaststättengesetz des Bundes und auf der Basis der Verordnungsermächtigungen dieses Gesetzes; allerdings haben einige wenige Länder (Brandenburg, Bremen, Saarland, Thüringen) zwischenzeitlich auch schon eigene Gaststättengesetze auf der Grundlage der neuen Regelungskompetenz erlassen.92 Im Bereich der gewerberechtlichen Regelungen zu Spielhallen und Glücksspiel ist die Rechtslage uneinheitlich. Einige Länder (Berlin, Bremen, Hessen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein) haben für diese Bereiche bereits eigenständige Gesetze erlassen,93 die meisten (vor allem die großen) Länder haben Entwürfe vorgelegt und befinden sich zurzeit im Gesetzgebungsverfahren.94 5. Laufbahnen, Besoldung und Versorgung der Beamten (ex-Art. 74a GG) Als wohl mit die wichtigste (und langfristig folgenreichste) Änderung der Kompetenzverteilung im Bereich der Gesetzgebung ist schließlich die – 91 Im Bereich der Ladenschlussregelungen haben – dies hat eine eigene Auswertung der Gesetzessammlungen der Länder ergeben – mittlerweile alle Länder bis auf Bayern eigene Ladenschlussgesetze erlassen. 92 Gaststättengesetz Brandenburg vom 2. Oktober 2008 (GVBl. S. 218); Bremisches Gaststättengesetz vom 24. Februar 2009 (Brem.GBl. S. 45); Saarländisches Gaststättengesetz (SGastG) vom 13. April 2011, das zuletzt durch das Gesetz vom 20. Juni 2012 (Amtsbl. I S. 156) geändert worden ist; Thüringer Gaststättengesetz (ThürGastG) vom 9. Oktober 2008, das zuletzt durch das Gesetz vom 8. Juli 2009 (GVBl. S. 592) geändert worden ist. 93 Gesetz zur Regelung des Rechts der Spielhallen im Land Berlin vom 20. Mai 2011 (GVBl. S. 223); Bremisches Spielhallengesetz vom 17. Mai 2011 (Brem.GBl. S. 327); Hessisches Spielhallengesetz vom 28. Juni 2012 (GVBl. S. 213); Gesetz zur Regelung des Rechts der Spielhallen im Land Sachsen-Anhalt vom 25. Juni 2012 (GVBl. LSA S. 204, 212); Gesetz zur Errichtung und zum Betrieb von Spielhallen des Landes Schleswig-Holstein vom 17. April 2012 (GVBl. SLH S. 431). 94 Bayern, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Thüringen.
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oben schon erwähnte – Streichung des alten Art. 74a GG einzustufen, die dem Bund eine konkurrierende Zuständigkeit für die Besoldung und Versorgung der Beamten zuwies.95 Art. 74a GG wurde nicht nur aufgehoben, sondern Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG erwähnt jetzt noch einmal klarstellend, dass die neue konkurrierende Kompetenz für die Statusrechte und -pflichten der Landes- und Gemeindebeamten nicht die Fragen der Laufbahnen sowie der Besoldung und Versorgung umfasst. Diese Fragenkreise sind vielmehr in Zukunft ausschließlich den Ländern zugeordnet.96 Die Landespolitik erhält damit wieder die Gestaltungshoheit über die Struktur (und die Kosten) des öffentlichen Dienstes der Länder zurück – eine Kompetenz, die 1971 mit der Einfügung des Art. 74a in das Grundgesetz verloren gegangen war. Verfassungspolitisch wird man in dieser Neuorientierung einen Befreiungsschlag zu Gunsten der Länder erblicken müssen – trotz aller Proteste der Beamtenverbände. Natürlich wird die Rückverlagerung der Besoldungskompetenz, flankiert von der gleichzeitigen Rückverlagerung der Zuständigkeit für die Laufbahnregelungen, zu deutlichen Ungleichheiten in Besoldung und Laufbahnstruktur führen.97 Doch diese Ungleichheiten sind gewünscht, sind geradezu das notwendige Salz in einem föderalen System. 6. Sonstige Änderungen Der Normtext des Art. 74 Abs. 1 GG ist auch an einer Reihe weiterer Stellen verändert worden, wenn auch an den meisten Stellen eher im Sinne einer Klarstellung denn einer inhaltlichen Änderung. Eine beschränkte Änderung bedeutet die Einfügung des Passus „ohne das Recht der Flurbereinigung“ in den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG. Rein präzisierende Funktion hat dagegen die Ersetzung der Gegenstandsbereiche des landwirtschaftlichen Pachtwesens, des Wohnungswesens, des Siedlungs- und Heimstättenwesens (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) durch „das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiter95 Einzelheiten zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74a GG bei Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 74a Rn. 4 ff. 96 Kritisch dazu Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1214), aber auch schon Markus Möstl, Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern, ZG 2003, S. 297 (312 f.), ferner Stellungnahme Götz Frank, Gemeinsame öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates zur Föderalismusreform, Stenographischer Bericht, 12. Sitzung, Rechtsausschussprotokoll vom 15. / 16. Mai 2006, Prot. S. 206 f. 97 Hierzu auch Gerhard Stratthaus / Christoph Jestaedt, Länderzuständigkeit bei Besoldung und Versorgung der Beamten? Pro und Contra, ZRP 2006, S. 135.
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wohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht“. Klarstellung sollte auch mit der Neufassung der Nr. 19 erzielt werden, die anstelle des alten Passus „Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, den Verkehr mit Arzneien, Heil- und Betäubungsmitteln und Giften“ die Aufzählung setzt: „Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte“. Deutlich konkreter fokussiert ist auch die Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG. Die alte Fassung sah eine Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers vor für „den Schutz beim Verkehr mit Lebens- und Genussmitteln, Bedarfsgegenständen, Futtermitteln und land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz“. In der neuen Version liest sich dieser Passus als: „das Recht der Lebensmittel einschließlich der ihrer Gewinnung dienenden Tiere, das Recht der Genussmittel, Bedarfsgegenstände und Futtermittel sowie den Schutz beim Verkehr mit land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzen, der Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz“.98 Abgeändert worden ist auch der Passus „Erhebung und Verteilung von Gebühren für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen“ in Nr. 22. In der neuen Version des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG ist nun die Rede von „Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen“. Der Lärmbekämpfung in Nr. 24 ist nun der Klammerzusatz angehängt worden „ohne Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm“ – eine Arbeitsteilung, die bisher schon das Verhältnis zwischen Bundes- und Landesgesetzgeber prägte.99 Leicht verändert wurde auch die Formulierung der Nr. 26, die nun anstelle von „die künstliche Befruchtung beim Menschen“ die Formel enthält „die medizinisch unterstützte Erzeugung menschlichen Lebens“. Völlig gestrichen wurde die alte Nr. 2 des Art. 75 Abs. 1 GG – die Kompetenz des Bundes für die „allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse“; für diese ehemalige Rahmenkompetenz findet sich keine Entsprechung in den geänderten Katalogen der Art. 73 und 74 GG. V. Bilanz In einem Versuch bilanzierender Betrachtung erweisen sich die Änderungen an der Architektur des Systems der Verteilung der Gesetzgebungskom98 Zu den dadurch potenziell bewirkten Änderungen im Kompetenzumfang Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1214). 99 Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, S. 1209 (1214).
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petenzen als überaus ambivalent. In einer Gesamtschau wird man das Unternehmen der Kompetenzbereinigung letztlich als eine grosso modo sinnvolle Flurbereinigung einstufen müssen. Der Bund hat zunächst einmal in einem gewissen Umfang Kompetenzen abgegeben, bei denen die Erforderlichkeit im Gefolge der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zunehmend fraglich geworden war, bei denen also immer weniger zu erkennen war, wie der Bund in diesen Bereichen von seiner Gesetzgebungsbefugnis im Sinne einer politischen Gestaltungsoption hätte Gebrauch machen sollen. Anstatt diese Bereiche einer zunehmenden Versteinerung anheim fallen zu lassen, was oft mit Problemen der fehlenden Erforderlichkeit einher geht, war es verfassungspolitisch durchaus sinnvoll, den Ländern in einigen politisch nicht ganz unwichtigen Politikbereichen wieder eigenständige Gestaltungsoptionen zu eröffnen. Dies gilt etwa für das Beamtenrecht, vor allem Fragen der Laufbahnregelungen und der Besoldung, aber auch für das Strafvollzugsrecht und das Hochschulrecht. Im Gegenzug hat der Bund weite Teile seiner alten Rahmenkompetenzen in die konkurrierende Gesetzgebung überführen können, unter weitgehendem Entfall der Erforderlichkeitsklausel. Die Regelungsbefugnis des Bundesgesetzgebers ist hier zur Kompetenz der Vollregelung erstarkt, was dem Bund auch helfen wird, einige in ihrer Regelungsdichte unter der Rahmenkompetenz zunehmend fraglich gewordene Regelungswerke zu retten. Der Preis für diesen Ausbau zu einer Vollregelungsbefugnis ist allerdings das vielfach kritisierte Abweichungsrecht der Länder. Einige Autoren haben insoweit (von der Möglichkeit der Abweichungsgesetzgebung mit Schrecken erfüllt) eine fatale Schwächung des Bundes als Garant der Rechtseinheit beschworen, während andere Autoren eher eine entscheidende Schwächung der Länder sehen, die für weite Teile der konkurrierenden Gesetzgebung das Korrektiv des Art. 72 Abs. 2 GG verloren haben und die mit der Hochzonung einer ganzen Serie von Kompetenztiteln aus der konkurrierenden Gesetzgebung in die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes sowie mit der Abschaffung der Rahmengesetzgebung und der Verschiebung der meisten Titel des alten Art. 75 GG in den Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG eine deutlich sichtbare (partielle) Stärkung der Rolle des Bundesgesetzgebers erlebt haben. Die Konsequenzen der Umgruppierung der Rahmenkompetenzen in die konkurrierende Gesetzgebung unter Einräumung eines Abweichungsrechts sind bislang nur ganz schwer einzuschätzen. Die anfänglich vielfach beschworene Dramatik hat sich in der ersten Phase jedenfalls nicht bewahrheitet – die Länder machen von ihren Abweichungsbefugnissen nur sehr zögerlich und höchst selektiv Gebrauch. Insgesamt lässt sich fragen, wie relevant die beschriebenen Verschiebungen im Blick auf die Gesamtarchitektur der Kompetenzverteilung wirklich sind. In einer militärischen Metapher ließe sich formulieren, dass der Bund
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einige umkämpfte (und gefährdete) Vorposten seiner Gesetzgebungsbefugnis geräumt hat, zugleich aber seine Hauptlinien stabilisiert und gestärkt hat. Die Länder haben dadurch einige Geländegewinne erzielt, wobei fraglich bleibt, ob diese gesamthaft wirklich ins Gewicht fallen. Letztlich wird man konstatieren müssen, dass die Statik des Gesamtgebäudes nicht nennenswert verändert worden ist. Es sind einige überflüssig gewordene Pfeiler des Gebäudes entfernt worden; die Hauptpfeiler der Kompetenzabgrenzung aber sind gestärkt worden, und die meisten Änderungen im Detail wird man eher unter die Kategorien des Einziehens von Leichtbauwänden einstufen können. Eine Revolution der föderalen Kompetenzteilung hat die Föderalismusreform im Blick auf die Änderungen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen jedenfalls nicht bewirkt, sondern einzig – wenn auch vielfach sinnvolle – Korrekturen im Detail.
Die Sachbereiche der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach der Föderalismusreform Anmerkungen zur Verfassungsreform von 2006 und zu neueren Entwicklungen im Recht der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes Von Arnd Uhle I. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 II. Kompetenztitel, die bis zur Föderalismusreform von 2006 der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Die Kompetenz für das Waffen- und Sprengstoffrecht gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Die Kompetenz für die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen sowie die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. Die Kompetenz zur Gesetzgebung über die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG. . . 196 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 III. Kompetenztitel, die bis zur Föderalismusreform von 2006 der Rahmengesetzgebung zugeordnet waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Die Kompetenz für das Melde- und Ausweiswesen gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Die Kompetenz für den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 5a GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 IV. Der neue Kompetenztitel des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG: Die Zuständigkeit des Bundes für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus. 204 1. Inhalt und Umfang des neuen Kompetenztitels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Das Verhältnis von Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG zur Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Recht der Gefahrenabwehr. . . . . . . . . . . . . . . . . 212 V. Veränderungen im Bereich der Zustimmungsrechte des Bundesrates. . . . . . 215 VI. Neuere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Recht der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 1. Die Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG betreffenden (Kammer-)Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
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Arnd Uhle 2. Die Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG betreffenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3. Die Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG betreffenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 4. Die Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 a) bis c) sowie ergänzend Nr. 1 und 5 GG betreffende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Antiterrordatei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
VII. Würdigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
I. Einleitung Hinter dem Recht der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes liegen bewegte Jahre. Das gilt zuvörderst für die Änderungen, die sie durch die Föderalismusreform I erfahren hat. Zwar hat diese die Charakteristik der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes unverändert belassen, da Art. 71 GG durch den verfassungsändernden Gesetzgeber des Jahres 2006 nicht angetastet worden ist. Abweichendes gilt indessen für die dieser Kompetenzform unterstellten Materien. Hier hat die Föderalismus reform zu insgesamt acht Einzeländerungen geführt – und damit zu mehr Änderungen als im gesamten Zeitraum der Geltung von Art. 73 GG zuvor.1 Ihren Grund haben diese Verfassungsänderungen vor allem in der mit der Föderalismusreform bezweckten Entflechtung von Zuständigkeiten und der damit einhergehenden Stärkung der Eigenständigkeit von Bund und Ländern,2 da in der Konsequenz dieser Entflechtungsintention Kompetenzmaterien, die bislang der konkurrierenden Gesetzgebung sowie der nunmehr abgeschafften Rahmengesetzgebung des Bundes unterstellt waren, in den Kompetenzkatalog des Art. 73 GG aufgenommen worden sind. Indessen steht im Hintergrund der wohl bedeutungsvollsten Einzeländerung ein anderes Motiv. Denn die Ergänzung des Art. 73 GG um einen gänzlich neuen Kompetenztitel in Nr. 9a hat der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht aus Gründen der Entflechtung für erforderlich gehalten, sondern deshalb, weil er kompetenzrechtliche Vorsorge gegen eine in der föderalen 1 Überblick über die Änderungen des Art. 73 GG seit Inkrafttreten des Grundgesetzes bei Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 29 ff. 2 Vgl. zu diesen Zielsetzungen der Föderalismusreform von 2006 die Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, BT-Drs. 16 / 813, S. 7 ff. – Die durch die Föderalismusreform von 2006 vorgenommenen Änderungen des Art. 73 GG deutet als Ausdruck des Leitbildes des Trennföderalismus Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 73 Rn. 2; wie hier Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 91.
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Staatsstruktur gründende ineffektive Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus treffen wollte.3 Versucht man vor diesem Hintergrund die 2006 ins Werk gesetzten Änderungen der Kompetenztitel, die der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes unterstellt sind, systematisch zu erfassen, lassen sich diese im Einzelnen vier Kategorien zuordnen. Eine erste Kategorie betrifft die Erweiterung der ausschließlichen Bundeszuständigkeit durch Kompetenztitel, die bislang der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet waren und nunmehr in den Katalog des Art. 73 Abs. 1 GG überführt worden sind. Das trifft auf insgesamt drei Kompetenztitel zu: zunächst auf die nun in Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 GG verankerte Kompetenz für das Waffen- und Sprengstoffrecht, sodann auf die in Nr. 13 lozierte Zuständigkeit für die Versorgung der Kriegsbeschädigten und -hinterbliebenen sowie die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen und schließlich auf die in Nr. 14 positionierte Regelungsbefugnis für die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken (hierzu nachfolgend sub II.). Eine zweite Kategorie umfasst Änderungen, die daraus resultieren, dass die Rahmengesetzgebungskompetenz entfallen und in der Konsequenz eine Neuverteilung der bisher diesem Kompetenztyp unterstellten Sachbereiche erforderlich geworden ist.4 Auf diese Weise ist der Katalog des Art. 73 Abs. 1 GG zweifach erweitert worden: in Nr. 3 um das Melde- und Ausweiswesen und in der neu eingefügten Nr. 5a um den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland (hierzu unten sub III.). Eine dritte Kategorie ist dadurch charakterisiert, dass durch sie die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes – wie bereits dargelegt – um einen vollständig neu konzipierten Kompetenztitel erweitert worden ist. Das trifft auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG zu, der dem Bund eine Zuständigkeit für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt einräumt (hierzu unten sub IV.). Eine vierte Kategorie der ins Werk gesetzten Änderungen umfasst schließlich nicht die Verlagerung oder Neukonzeption von Kompetenztiteln, sondern betrifft das Erfordernis der mit ihnen verbundenen Bundesratszustimmung. Dieses hat durch die Föderalismusreform von 2006 sowohl eine Zurücknahme als auch eine Ausdehnung erfahren. So ist auf der einen Seite mit der Aufhebung des Art. 74a Abs. 3 GG a. F. zugleich die dort bislang normierte Zustimmungsbedürftigkeit für bestimmte Gesetze über die Rechtsverhältnisse der Bundesbediensteten i. S. d. Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG entfallen. Auf der 3 Zu dieser Intention Arnd Uhle, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus. Anmerkungen zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, DÖV 2010, S. 989 (989); ders., in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 206 f. 4 Vgl. hierzu auch die diesbezügliche Feststellung in BT-Drs. 16 / 813, S. 8.
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anderen Seite hat die Föderalismusreform indessen auch ein neues Zustimmungserfordernis begründet. Dieses betrifft den neu in das Grundgesetz aufgenommenen Kompetenztitel zur Terrorismusabwehr, bezieht sich also auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG (hierzu unten sub V.). Mit einer Analyse dieser, durch die Föderalismusreform zum 1. September 2006 bewirkten, Einzeländerungen sind die in den letzten Jahren eingetretenen Entwicklungen im Bereich der von Art. 73 Abs. 1 GG umfassten Kompetenztitel indes nur unvollständig beschrieben. Denn zu diesen Entwicklungen zählen auch verschiedene Entscheidungen, in denen das Bundesverfassungsgericht seither Stellung zur inhaltlichen Reichweite einzelner Kompetenzmaterien bezogen hat. Diese, zum Teil außerordentlich aktuellen Entscheidungen betreffen vorrangig Sachmaterien, die bereits vor 2006 der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterstellt waren und in den vergangenen Jahren zum Gegenstand bundesverfassungsgerichtlicher Befassung geworden sind, aber auch Kompetenztitel, die erst im Zuge der Föderalismusreform Aufnahme in Art. 73 Abs. 1 GG gefunden haben (hierzu unten sub VI.). Erst durch ihre Einbeziehung entsteht ein Gesamtbild jener Entwicklungen, die im Recht der ausschließlichen Bundesgesetzgebung seit 2006 eingetreten sind (hierzu sub VII.). II. Kompetenztitel, die bis zur Föderalismusreform von 2006 der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet waren Betrachtet man zunächst die durch die Föderalismusreform von 2006 herbeigeführten Einzeländerungen, ist der Blick als erstes auf jene erste Kategorie zu richten, der die Kompetenztitel zuzuordnen sind, die bislang der in Art. 74 Abs. 1 GG kodifizierten konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet waren und die nunmehr in den Katalog des Art. 73 Abs. 1 GG überführt sind. 1. Die Kompetenz für das Waffen- und Sprengstoffrecht gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 GG Zu dieser Kategorie gehört zunächst die nunmehr in Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 GG lozierte Zuständigkeit für die Gesetzgebung über das Waffen- und Sprengstoffrecht, die bei Inkrafttreten des Grundgesetzes noch zwischen Bund und Ländern aufgeteilt und seit den Verfassungsergänzungen von 1972 und 1976 der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis unterstellt war.5 Zwi5 Bei Inkrafttreten des Grundgesetzes erstreckte sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ausschließlich auf die wirtschaftlichen Aspekte des Waffen- und Sprengstoffrechts. Die Regelung sicherheitsrechtlicher Aspekte war hingegen den
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schen ihnen bestehen nicht nur verfassungshistorische Gemeinsamkeiten ihrer Positivierung, sondern auch sachliche Parallelen, da beide Kompetenzbereiche sicherheitsrelevante Wirtschaftsgüter betreffen.6 Indessen sind inhalt liche Änderungen beider Kompetenzbereiche mit ihrer 2006 bewirkten Ver lagerung in die ausschließliche Bundesgesetzgebung nicht verbunden.7 Der Waffenbegriff umfasst daher weiterhin alle Arten von Waffen und damit – unabhängig von ihrer Zweckbestimmung – namentlich Schuss-, Hieb- und Stoßwaffen sowie Sport-, Jagd- und Dienstwaffen,8 der Sprengstoffbegriff nicht nur alle zur Explosion bestimmten, sondern auch alle explosionsfähigen Stoffe.9 Auch der Umfang der Regelungskompetenz ist durch die Föderalismusreform nicht verändert worden. Der Kompetenztitel regelt daher nach wie vor das Waffen- und Sprengstoffrecht in seiner Gesamtheit, erstreckt sich also unverändert auf sämtliche – sowohl sicherheits- als auch wirtschaftsrechtliche – Aspekte des Waffen- und Sprengstoffrechts.10 Eines Rückgriffs Ländern vorbehalten. Dies änderten erst die Verfassungsergänzungen von 1972 und 1976, mit denen seinerzeit in den grundgesetzlichen Katalog der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeiten zunächst eine Kompetenz für das Waffenrecht, sodann auch für das Sprengstoffrecht eingefügt wurde. Diese Änderungen dienten vor allem dazu, die bis dahin bestehende Kompetenzaufspaltung zu überwinden und dem Bund kompetenziell eine einheitliche und umfassende Regelung der beiden Sachbereiche zu ermöglichen. Vgl. dazu auch die Darstellung bei Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 50 f.; Tade M. Spranger, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 Rn. 1 ff.; ähnlich HansWerner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 138. 6 Hierzu näher Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 268. 7 Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 85. 8 Wie hier auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 55; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 67; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 269; für Art. 74 Abs. 1 Nr. 4a GG a. F. so auch Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 50 a. E. 9 Im Hinblick auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 4a GG a. F. so auch Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 74 Rn. 53; wie hier nach der Föderalismusreform von 2006 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 275; HansWerner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 139. 10 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 55; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 67; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 271 und 276; Hans-Werner Ren-
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auf einen Annex bedarf es hierfür nicht.11 Erfasst werden vor diesem Hintergrund sämtliche Regelungen, die Produktion, Handel und Vertrieb, Erwerb und Besitz, Mitführen und Verwendung oder den sonstigen Umgang mit Waffen und Sprengstoff betreffen.12 Die Bedeutung der 2006 vorgenommenen Kompetenzverlagerung beschränkt sich angesichts dessen auf die Zuständigkeitsüberführung der beiden Materien in die ausschließliche Kompetenz des Bundes. 2. Die Kompetenz für die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen sowie die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 GG Zu der Gruppe jener Zuständigkeiten, die durch die Föderalismusreform von der konkurrierenden in die ausschließliche Bundeskompetenz überführt worden sind, zählt weiterhin die Gesetzgebungszuständigkeit für die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen sowie die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen. Nachdem das Grundgesetz sie gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG a. F. ursprünglich der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet hatte, ist sie 2006 in Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 GG verlagert worden.13 Der Kompetenztitel ist durch die Föderalismusreform sachlich ebenso wenig verändert worden wie der für das Waffen- und Sprengstoffrecht. Insbesondere ist der von seinen beiden Einzelbereichen gemeinsam vorausgesetzte Hintergrund auch weiterhin der einer durch Krieg herbeigeführten Schädigung.14 Daher werden die Folgen zukünftiger bewaffneter Konflikte von Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 GG unverändert nur erfasst, wenn ein bewaffneter Konflikt im Einzelfall einen Krieg bzw. eine kriegerische Auseinandersetzung darstellt und daher dem Kriegsbegriff unterfällt.15 Das geling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 137 ff. 11 A. A. Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 148 und 149. 12 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 271 und 276. 13 Vgl. dazu BT-Drs. 16 / 813, S. 12. 14 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 281 m. w. N. 15 Auslandseinsätze der Bundeswehr umfassend in Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 (1. Alt.) GG einbeziehend etwa Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 56; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 71; Tade M. Spranger, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 Rn. 6 ff., v. a. 8; Hans-Werner
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ist nach tradiertem Verständnis namentlich und jedenfalls dort der Fall, wo es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Staaten unter Abbruch ihrer friedlichen Beziehungen zueinander kommt.16 Ebenfalls unverändert bleiben die erfassten Kompetenzbereiche im Übrigen. So ist die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen i. S. v. Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 (1. Alt.) GG auch weiterhin traditionell zu verstehen. Sie umfasst daher etwa Heilbehandlung, Krankengeld, Leistungen der sozialen Fürsorge sowie Renten- und Hinterbliebenenleistungen.17 Demgegenüber zeichnet sich der Begriff der Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 (2. Alt.) GG unverändert dadurch aus, dass bei ihm das Leistungsniveau der Fürsorge hinter jenem der Versorgung zurückbleibt. Neben der Gewährung von Leistungen infolge von Personenschäden umfasst er auch die Möglichkeit der Kompensation von Sachschäden.18 Vor diesem Hintergrund lässt auch die Überführung der Kompetenz für die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen sowie die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes den Kompetenztitel inhaltlich unangetastet. In der Konsequenz dieser Änderung unterliegt der Gesamtkomplex der Kriegsfolgelasten seit 2006 unterschiedlichen kompetenziellen Zuordnungen, weil die Zuständigkeit für sächliche Kriegsschäden und WiedergutRengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 141, für einen diesbezüglichen Rückgriff auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG hingegen Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 86. 16 Vgl. zum Kriegsbegriff § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. November 1990 (BGBl. I S. 2506), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 6. Juni 2013 (BGBl. I S. 1482, 1493); aus dem Schrifttum Volker Epping, Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 1991, S. 99 ff.; ders., Der Staat 31 (1992), S. 39 ff.; ders., Grundgesetz und Kriegswaffenkontrolle, 1993, S. 37 ff.; Werner Meng, War, in: Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law IV, 2000, S. 1334 (1335 ff.). Für eine teleologische Weitung des Kriegsbegriffs Tade M. Spranger, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 Rn. 4 ff. 17 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 286. 18 Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 73 Rn. 57; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 70; Tade M. Spranger, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 Rn. 16; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 142; im Hinblick auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG a. F. so auch Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 74 Rn. 74 f.
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machung gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 9 GG auch weiterhin – ebenso wie für die Kriegsgräber gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG19 – der konkurrierenden Gesetzgebung unterstellt bleibt.20 3. Die Kompetenz zur Gesetzgebung über die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG Zu der Gruppe der ehemals der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordneten Kompetenztitel, die nunmehr in den Katalog des Art. 73 Abs. 1 GG überführt sind, zählt schließlich auch die Zuständigkeit zur Gesetzgebung über die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die seit ihrer Aufnahme in das Grundgesetz im Jahre 1959 durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 11a GG a. F. der konkurrierenden Gesetzgebung unterstellt war, seit der Föderalismusreform des Jahres 2006 aber nunmehr der ausschließlichen Gesetzgebung zugeordnet ist.21 Die vier auch weiterhin ausdrücklich benannten Kompetenzteilbereiche – die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und der Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen, der Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen entstehen und die Beseitigung radioaktiver Strahlen – verdeutlichen, dass der Kompetenztitel unverändert den gesamten Bereich der friedlichen Nutzung der Kernenergie umfasst. Daher umgreift er auch weiterhin etwa die konkrete Standortplanung für kerntechnische Anlagen, die verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette22 sowie Regelungen zur Entsorgung anfallender Abfälle, zum Schutz vor den mit der Kernenergie verbundenen Risiken oder zum Arbeits19 Die diesbezügliche Kompetenz war ursprünglich in einem Kompetenztitel mit der Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und der Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen normiert (vgl. Art. 74 Nr. 10 GG i. d. F. der Bekanntmachung vom 23. Mai 1949 [BGBl. I S. 1]), wurde aber durch verfassungsänderndes Gesetz vom 16. Juni 1965 (BGBl. I S. 513) ausgeklammert und als Nr. 10a kompetenziell verselbstständigt, bevor sie im Rahmen der Föderalismusreform von 2006 zu Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG wurde (vgl. dazu das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes [Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c] vom 28. August 2006 [BGBl. I S. 2034]). 20 Zutreffend daher Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 56; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 71. Siehe auch Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 280. 21 Vgl. dazu BT-Drs. 16 / 813, S. 12. 22 Zu ihr näher Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 295 mit Anm. 3 (S. 266).
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schutz- und Haftungsrecht.23 Von dem Kompetenzbereich unverändert erfasst wird im Übrigen die gesetzliche Entscheidung für oder gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie.24 Die diesbezügliche Entscheidung steht prinzipiell in der Freiheit des Gesetzgebers.25 Diese gesetzgeberische Freiheit entbindet indes nicht von der Einhaltung materieller Vorgaben des Grundgesetzes, insbesondere von der Beachtung der Grundrechte und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, die die Zulässigkeit der gesetzgeberischen Inanspruchnahme der Kompetenznorm materiellen Begrenzungen unterwerfen.26 Das gilt gleichermaßen für eine positive wie auch für eine negative 23 Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 87; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 74; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 144. Ebenso, wenngleich seinerzeit noch im Hinblick auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11a GG a. F., Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 74 Rn. 105. 24 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 304; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 73 Rn. 61.1. – Zur grundsätzlichen Billigung der Kernenergienutzung als zulässig BVerfGE 53, 30 (56 f.) – Mülheim-Kärlich; Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 39; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 163; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 58; Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 140; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 74; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 144; vgl. auch Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 54. 25 Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 140; Rüdiger Sannwald, in: SchmidtBleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 164; Klaus-Dieter Schnapauff, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 73 Rn. 19. Im Kontext des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11a GG a. F. ebenso Fritz Ossenbühl, AöR 124 (1999), S. 1 (3). Für eine gesetzgeberische Freiheit auch BVerfGE 53, 30 (56) – Mülheim-Kärlich und – auch hinsichtlich der Abgrenzung von einer bloßen Verwaltungskompetenz – BVerfGE 49, 89 (127) – Kalkar I; Oliver Klöck, Der Atomausstieg im Konsens – ein Paradefall des umweltrechtlichen Konsensprinzips?, NuR 2001, S. 1 (6); Monika Böhm, Atomrecht im Wandel – Von der staatlichen Förderung zum Ausstieg, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel. Bilanz und Perspektiven aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der Gesellschaft für Umweltrecht (GfU), 2001, S. 667 (678). 26 So auch BVerfGE 53, 30 (56 f.) – Mülheim-Kärlich; vgl. dazu auch Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 54 i. V. m. Art. 70 Rn. 4; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 144 a. E.
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Entscheidung über die Kernenergienutzung. Daher bleibt der Gesetzgeber auch im Falle der gesetzlichen Entscheidung für eine Beendigung der friedlichen Nutzung der Kernenergie an die Beachtung der Grundrechte gebunden.27 Das traf freilich bereits auch auf die kompetenzrechtliche Lage vor der Föderalismusreform von 2006 zu. Angesichts dessen hat sich auch für diese Kompetenzmaterie durch ihre Überführung in den Bereich der ausschließlichen Bundeszuständigkeiten – ebenso wie für das Waffen- und Sprengstoffrecht sowie für die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen – sachlich nichts geändert. 4. Zwischenergebnis Insgesamt lässt sich für die Kategorie der Kompetenztitel, die bis 2006 der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet waren und nunmehr der ausschließlichen Bundeszuständigkeit unterfallen, festhalten, dass sie inhaltlich unverändert geblieben sind. Trotz des neuen systematischen Kontextes der einzelnen Zuständigkeitsbereiche ist diese Gruppe der Kompetenzverlagerungen folglich von inhaltlicher Kontinuität geprägt. Das folgt einerseits aus dem unverändert gebliebenen Wortlaut der Kompetenzvorschriften, andererseits aus der Entstehungsgeschichte der Föderalismusreform. Deren amtliche Begründung formuliert ausdrücklich, dass „die bisherigen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen“ als solche Gegenstand der 2006 vorgenommenen Kompetenzverschiebung sind.28 III. Kompetenztitel, die bis zur Föderalismusreform von 2006 der Rahmengesetzgebung zugeordnet waren Inhaltliche Kontinuität prägt weithin auch die zweite Kategorie der 2006 vorgenommenen Einzeländerungen und damit jene Kategorie, in der Ände27 Hierzu m. w. N. Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 304; Kyrill-Alexander Schwarz, Rechtsstaat und Energiewende, BayVBl 2013, S. 65 (66); vgl. auch Felix Eckardt, Atomausstieg, Eigentumsgarantie, Abwehrrechte und Schutzgrundrechte, NuR 2012, S. 813 ff.; Ulrich Battis / Marc Ruttloff, Vom Moratorium zur Energiewende – und wieder zurück, NVwZ 2013, S. 817 (819 f.); zu praktischen Auswirkungen der Grundrechtsbindung im Kontext des EEG Martin Burgi, Die Energiewende und das Recht, JZ 2013, S. 745; i. E. wie hier Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 54 i. V. m. Art. 70 Rn. 4; für eine Grundrechtsbindung auch bei einem „Ausstieg aus dem Ausstieg“ Torben Ellerbrok, Stromausfall 2017 – Rechtliche Möglichkeiten eines Ausstiegs aus dem Ausstieg, VR 2013, S. 148 (149 f., 155). 28 BT-Drs. 16 / 813, S. 12.
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rungen zusammengefasst werden können, die vorgenommen worden sind, weil die Rahmenkompetenz entfallen und in der Folge eine Umverteilung der ihr bisher unterstellten Kompetenzbereiche erforderlich geworden ist.29 1. Die Kompetenz für das Melde- und Ausweiswesen gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG Auf die beschriebene Weise ist der Katalog des Art. 73 Abs. 1 GG zunächst in Nr. 3 um das Melde- und Ausweiswesen erweitert worden. Der Kompetenztitel umfasst nunmehr die Freizügigkeit, das Passwesen, das Melde- und Ausweiswesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung. Maßgeblich für die Überführung des Melde- und Ausweiswesens in den dortigen Kompetenzbereich war der Sachzusammenhang mit den übrigen in Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG benannten Sachbereichen, vor allem mit der Freizügigkeit und dem Passwesen.30 Damit räumt Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG dem Bund seit 2006 die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit für eine Reihe von Sachgebieten ein, die sich im weitesten Sinne mit der räumlichen (Fort-)Bewegung von Personen innerhalb des Bundesgebietes und über die Bundesgrenzen befassen.31 Durch die Kompetenzverlagerung sind die Sachbereiche des Ausweiswesens einerseits und des Meldewesens andererseits sachlich weitgehend unverändert geblieben. Dem Ausweiswesen unterfallen daher auch weiterhin die Ausstellung und der Gebrauch von Ausweisen über die Identität natürlicher Personen, die zur Benutzung im Inland bestimmt sind (Personalausweise),32 was das Ausweiswesen vom 29 Vgl.
hierzu auch die diesbezügliche Feststellung in BT-Drs. 16 / 813, S. 8. 16 / 813, S. 12; Hans-Werner Rengeling, Föderalismusreform und Gesetzgebungskompetenzen, DVBl 2006, S. 1537 (1541); ders., Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 102; Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 75; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 19. 31 Wie hier auch Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 99; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 23b; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 61; vgl. ferner Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 27. 32 Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 11; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 14; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 21; Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 33. 30 BT-Drs.
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Kompetenzbereich des ebenfalls von Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG erfassten Passwesens unterscheidet, da der Pass zum Gebrauch im grenzüberschreitenden bzw. ausländischen Verkehr bestimmt ist.33 Auch das Meldewesen im Sinne des Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 (3. Alt.) GG bleibt als Kompetenzbereich in seiner Grundanlage unverändert. Zu ihm gehören daher auch weiterhin alle bei der Begründung oder Aufgabe eines Wohnsitzes relevanten Meldepflichten natürlicher Personen,34 also deren An- und Abmeldung.35 Allerdings stellt sich aufgrund der 2006 vorgenommenen Überführung des Kompetenzbereichs in die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis des Bundes die Frage, ob sich das Meldewesen ausschließlich auf die Meldung deutscher Staatsangehöriger bezieht oder ob es auch das Meldewesen für Ausländer umfasst, das bis zu dieser Reform Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG zugeordnet wurde.36 Auch wenn für Ersteres sprechen mag, dass die Ergänzung des Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers von 2006 ausschließlich Resultat der Abschaffung der bisherigen Rahmenkompetenz sein sollte und daher kompetenzielle Folgewirkungen nicht intendiert waren,37 ist doch nicht zu übersehen, dass der Formulierung des Kompetenzbereiches Anhaltspunkte für eine Beschränkung des 33 Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 27d; Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 29. 34 Zu dieser Beschränkung auf das Meldewesen natürlicher Personen Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 68; Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 10; Klaus-Dieter Schnapauff, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 73 Rn. 5; zur Rechtslage vor der Föderalismusreform ebenso Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 75 Rn. 57; a. A. von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 75 Rn. 594. 35 Wie hier auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 14; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 16; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 20; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 102; vor der Föderalismusreform von 2006 – die insofern an dem Begriff des Meldewesens nichts geändert hat – so auch Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 75 Rn. 57. 36 Für letzteres i. E. etwa Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 184 f.; Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 73 Rn. 4 mit Anm. 2; Klaus-Dieter Schnapauff, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 73 Rn. 5; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 68. 37 Vgl. dazu BT-Drs. 16 / 813, S. 12: „Die bisherige Rahmengesetzgebungskompetenz für das Melde- und Ausweiswesen steht in Zusammenhang mit anderen Gegen-
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Kompetenztitels auf deutsche Staatsangehörige fehlen. Das spricht dafür, Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 (3. Alt.) GG prinzipiell auch das Meldewesen für Ausländer zuzuordnen, Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG aber aufgrund seiner ausdrücklichen Bezugnahme auf Ausländer als lex specialis gegenüber der ausschließlichen Regelungsbefugnis aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG zu verstehen.38 Auch wenn die Materie des Melde- und Ausweiswesens demgemäß nunmehr das Meldewesen der Ausländer erfasst, bleibt festzuhalten, dass die Erstarkung dieser Zuständigkeit zu einer Vollkompetenz des Bundes im Übrigen keine, insbesondere keine grundsätzlichen Änderungen des Zuständigkeitsbereiches mit sich gebracht hat. Allerdings können in der Konsequenz der Erweiterung des Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 um das Melde- und Ausweiswesen die einschlägigen Gesetze – namentlich das noch vor der Föderalismusreform von 2006, also auf der Grundlage des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GG a. F. erlassene Melderechtsrahmengesetz,39 das gem. Art. 125b Abs. 1 Satz 1 GG bis zu seiner (am 1. Mai 2015 in Kraft tretenden40) Ablösung fortgilt41 – ständen der Nummer 3 (Freizügigkeit und Passwesen) und wird deshalb im Wege der Ergänzung dieser Nummer in die ausschließliche Bundeskompetenz überführt.“ 38 Für eine Zuordnung des Meldewesens für Ausländer ausschließlich zu Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG allerdings Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 27b; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 20; tendenziell ebenso Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 81. Wie hier dagegen Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 14; vor der Föderalismusreform des Jahres 2006 so bereits für das Verhältnis des seinerzeitigen Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GG a. F. zu Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 75 Rn. 594; Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 75 Rn. 57. 39 Melderechtsrahmengesetz (MRRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 2002 (BGBl. I S. 1342), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 8. April 2013 (BGBl. I S. 730, 731), außer Kraft gesetzt ab 1. Mai 2015 durch Art. 4 Satz 2 des Gesetzes vom 3. Mai 2013 (BGBl. I S. 1084, 1103). 40 Die Ablösung des MRRG ist durch Art. 4 Satz 2 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens (MeldFortG) vom 3. Mai 2013 (BGBl. I S. 1084, 1103) mit Wirkung ab dem 1. Mai 2015 beschlossen worden; zu diesem Zeitpunkt tritt das Bundesmeldegesetz (BMG) vom 3. Mai 2013 (BGBl. I S. 1084) in Kraft (zum Inkrafttreten Art. 4 Satz 1 des Gesetzes vom 3. Mai 2013 [BGBl. I S. 1084, 1103]). 41 Bis zu einer Ablösung unterfällt Recht, das noch auf der Grundlage des Art. 75 Abs. 1 Nr. 5 GG a. F. erlassen wurde, der Übergangsregelung des Art. 125b Abs. 1 Satz 1 GG. Dieser bestimmt, dass auf Art. 75 GG a. F. basierende Vorschriften, die bis zum 1. September 2006 erlassen wurden, als Bundesrecht fortgelten, soweit es auch nach diesem Zeitpunkt als Bundesrecht – sei es aufgrund ausschließlicher, sei es aufgrund konkurrierender Gesetzgebungskompetenzen – erlassen werden könnte; vgl. dazu BT-Drs. 16 / 813, S. 21. Wie hier auch Jürgen Vahle, Auskünfte aus Melderegistern, DSB 2008, S. 14 (14).
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von Rahmen- zu Vollgesetzen fortentwickelt werden. Abgeschlossen worden ist eine solche Fortentwicklung zwischenzeitlich bereits beim Gesetz über Personalausweise,42 das als Rahmengesetz infolge des Art. 125b Abs. 1 Satz 1 GG zunächst fortgalt und durch das Personalausweisgesetz43 als Vollgesetz abgelöst worden ist. 2. Die Kompetenz für den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 5a GG Zu der Gruppe der im Rahmen der Föderalismusreform von 2006 von der Rahmen- zur Vollkompetenz des Bundes erstarkten Zuständigkeitsbereiche zählt weiterhin auch der Schutz des deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland. Nachdem das Grundgesetz ursprünglich diese Kompetenz gem. Art. 74 Nr. 5 GG a. F. der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis zugeordnet hatte und sie seit der Verfassungsreform von 1994 gem. Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 GG a. F. der Rahmengesetzgebungskompetenz unterstellt war, räumt seit 2006 Art. 73 Abs. 1 Nr. 5a GG dem Bund die ausschließ liche Kompetenz für diesen Sachbereich ein.44 Hierbei ist der Inhalt des nunmehr von Art. 73 Abs. 1 Nr. 5a GG erfassten Zuständigkeitsbereichs wiederum unverändert geblieben.45 Die Gesetzgebungskompetenz erstreckt sich ausweislich ihres Wortlauts daher auch weiterhin auf das Kulturgut schlechthin, erfasst also Kulturgut im privaten und im öffentlichen Besitz,46 das „deutsch“ i. S. d. Kompetenztitels nicht nur bei deutscher Urheberschaft und deutscher Belegenheit ist, sondern aus entstehungsgeschichtlichen Gründen (wohl) auch dann, wenn das betreffende Kulturgut ausländischer Herkunft ist, sich aber nicht nur vorübergehend im Geltungsbereich des 42 Gesetz über Personalausweise in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. April 1986 (BGBl. I S. 548), aufgehoben mit Wirkung ab 1. November 2010 durch Art. 7 Satz 1 des Gesetzes vom 18. Juni 2009 (BGBl. I S. 1346, 1359). 43 Gesetz über Personalausweise und den elektronischen Identitätsnachweis (Personalausweisgesetz – PAuswG) vom 18. Juni 2009 (BGBl. I S. 1346), welches infolge Art. 7 des Gesetzes vom 18. Juni 2009 (BGBl. I S. 1346, 1359) am 1. November 2010 und hinsichtlich des § 21 am 1. Mai 2010 in Kraft getreten ist. 44 Vgl. dazu BT-Drs. 16 / 813, S. 12; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 112. 45 Vgl. auch Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 77 und 84. 46 Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 21; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 29; Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 56; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 130.
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Grundgesetzes befindet oder befunden hat.47 Der Schutz gegen Abwanderung meint die Verhinderung der Ausfuhr deutschen Kulturgutes in das Ausland.48 Gleichwohl ist die gesetzgeberische Begründung sachlich begründeter und umfänglich begrenzter Ausnahmeregelungen statthaft.49 Das dem Kompetenztitel zuzuordnende Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung,50 das 1999 auf der Grundlage des seinerzeitigen Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 GG neu gefasst worden ist, gilt nach der Föderalismusreform gem. Art. 125b Abs. 1 Satz 1 GG fort,51 kann indessen nunmehr zum Vollgesetz fortentwickelt werden. 3. Zwischenergebnis Bilanzierend lässt sich vor diesem Hintergrund auch für die zweite Gruppe der 2006 von der Föderalismusreform tangierten Sachbereiche der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes festhalten, dass sie – vom Sonderfall des Meldewesens für Ausländer abgesehen – zu sachlichen Änderungen des Zuschnitts der im Einzelnen betroffenen Kompetenzbereiche nicht geführt hat. Auch hier trifft demgemäß – wie bereits für die Kompetenztitel, die bis 2006 der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet waren – der Befund inhaltlicher Kompetenzkontinuität trotz systematisch neuen Kom petenzkontextes zu. Gemeinsam ist den Kompetenzänderungen beider Gruppen darüber hinaus aber auch ein Weiteres. So steht hinter ihnen übereinstimmend die Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers, mit ihrer Hilfe das Zentralziel der Föderalismusreform von 2006, die Entflechtung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern,52 zu realisieren. Andere Zielsetzun47 Dazu m. w. N. im Detail Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 131; wie hier auch Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 73 Rn. 24. 48 Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 56; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 113. 49 Daher ist das in § 1 Abs. 4 KultgSchG enthaltene Verbot mit Erlaubnisvorbehalt verfassungsrechtlich unbedenklich; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 113 mit Anm. 373. 50 Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Juli 1999 (BGBl. I S. 1754), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 18. Mai 2007 (BGBl. I S. 757, 761). 51 Wie hier auch Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 125b Rn. 1. 52 Zum Ziel der Entflechtung siehe bereits oben sub I. Begründung der Entflechtung als Verfassungsgebot bei Peter M. Huber, Klare Verantwortungsteilung von
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gen der Föderalismusreform – wie etwa die, die Länder kompetenziell zu stärken – sind hingegen mit ihnen erkennbar nicht verbunden. Diese werden vielmehr durch andere Reformmaßnahmen verwirklicht. So dient etwa der Stärkung der Länderkompetenzen die durch die Föderalismusreform ins Werk gesetzte Rückverlagerung von Zuständigkeiten des Bundes auf die Länder.53 IV. Der neue Kompetenztitel des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG: Die Zuständigkeit des Bundes für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus Eine dritte Kategorie der im Rahmen der Föderalismusreform vorgenommenen Einzeländerungen im Bereich der ausschließlichen Bundesgesetzgebung – die der vollständig neu konzipierten Kompetenztitel – ist zahlenmäßig die kleinste, denn gebildet wird sie allein von dem neu in das Grundgesetz aufgenommenen Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die Regelung bestimmter Fälle der Terrorismusabwehr durch das Bundeskriminalamt einräumt. Gleichwohl kommt ihr qualitativ eine besondere Bedeutung zu, da es sich bei der von ihr umfassten Kompetenzergänzung um die politisch brisanteste Änderung handelt, die im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes durch die Föderalismusreform von 2006 ins Werk gesetzt worden ist. Inhaltlich ermöglicht der neue Kompetenztitel Gesetzgebungsakte, die der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen dienen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht. Die Aufnahme des so konturierten Kompetenzbereichs in den Katalog des Art. 73 Abs. 1 GG dient dem Ziel, kompetenzrechtliche Vorsorge gegen eine in der föderalen Staatsstruktur gründende ineffektive Gefahrenabwehr zu treffen.54 Das wird bereits in der Begründung des verfassungsändernden Bund, Ländern und Kommunen?, in: Verhandlungen des fünfundsechzigsten Deutschen Juristentages, Bd. I, 2004, D 1 (D 33 ff.); ders., Das Bund-Länder-Verhältnis de constitutione ferenda, in: Blanke / Schwanengel (Hrsg.), Zustand und Perspektiven des deutschen Bundesstaates, 2005, S. 21 (22 ff.). Zu diesem Ziel der Föderalismusreform von 2006 zuletzt ders., in: Durner / Peine (Hrsg.), Reform an Haupt und Gliedern. Verfassungsreform in Deutschland und Europa, Symposium aus Anlass des 65. Geburtstages von Hans-Jürgen Papier, 2009, S. 25 (26 ff.). 53 Siehe dazu in diesem Band den Beitrag von Peter M. Huber / Arnd Uhle, Die Sachbereiche der Landesgesetzgebung nach der Föderalismusreform. Anmerkungen zur Verfassungsreform von 2006 und zu neueren Entwicklungen im Recht der ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, oben S. 83 ff. 54 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 206 f.
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Gesetzgebers für die Einfügung dieses Kompetenztitels in das Grundgesetz deutlich. Diese stützt sich ausdrücklich auf die Erwägung, dass es auf dem Gebiet des internationalen Terrorismus vielfach zur Übermittlung gefahrenabwehrdienlicher Hinweise aus dem Ausland komme, für die eine örtliche Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden in den Ländern zunächst (noch) nicht erkennbar sei, obwohl unter Umständen eine weitere Sachaufklärung veranlasst sei. Die so begründete Gesetzgebungsbefugnis hat der Bund zwischenzeitlich durch die Novellierung des BKA-Gesetzes 2008 ausgefüllt.55 1. Inhalt und Umfang des neuen Kompetenztitels Der neue Kompetenztitel erfasst ausweislich seiner Formulierung zunächst und von vornherein nur die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus. Terrorismus liegt hierbei nach natürlichem Wortsinn wie allgemeinem Sprachgebrauch vor, wenn Angst und Schrecken durch Androhung bzw. Anwendung von Gewalt verbreitet und als Druckmittel instrumentalisiert werden. Die mit einem solchen Druckmittel im Einzelfall intendierten Ziele können höchst unterschiedlich sein. So ist etwa denkbar, dass konkrete Einzelziele – beispielsweise die Freilassung inhaftierter Gesinnungsgenossen, eine Destabilisierung bestehender staatlicher Strukturen oder auch die Stabilisierung bestehender (Unrechts-)Regime – angestrebt werden.56 55 Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt vom 25. Dezember 2008 (BGBl. I S. 3083). Aus dem Schrifttum dazu Gerhart Rudolf Baum / Peter Schantz, Die Novelle des BKA-Gesetzes. Eine rechtspolitische und verfassungsrechtliche Kritik, ZRP 2008, S. 137 ff.; Frederik Roggan, Das neue BKA-Gesetz – Zur weiteren Zentralisierung der deutschen Sicherheitsarchitektur, NJW 2009, S. 257 ff.; Benno Zabel, Terrorgefahr und Gesetzgebung, JR 2009, S. 453 ff.; Heinrich A. Wolff, Die Grenzverschiebung von polizeilicher und nachrichtendienstlicher Sicherheitsgewährleistung. Das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt, DÖV 2009, S. 597 ff.; Christoph Gusy, Vom neuen Sicherheitsbegriff zur neuen Sicherheitsarchitektur, VerwArch 101 (2010), S. 309 (325). 56 Hieran zeigt sich, dass Terrorismus auch auf die Verfestigung bestehender Regime und Ordnungen gerichtet sein kann. Siehe hierzu und zum Terrorismusbegriff näher Arnd Uhle, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus. Anmerkungen zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, DÖV 2010, S. 989 (991 f.); ders., in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 212; Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 4. – Mit dieser Definition des Terrorismusbegriffes harmoniert das Verständnis, das den einschlägigen Bestimmungen des EURechts und des hieran anknüpfenden deutschen Strafgesetzbuches (§ 129a StGB) zugrunde liegt, im Wesentlichen. Vgl. insofern Art. 67 i. V. m. Art. 75 AEUV, Art. 83 Abs. 1 AEUV sowie den seinerseits völkerrechtlich vorgeprägten Rahmenbeschluss 2002 / 475 / JI des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164
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Jenseits derartig konkreter Einzelziele kann das Ziel aber auch schlicht in der Verbreitung von Angst und Unsicherheit liegen. Allerdings erfasst die neue Bundeszuständigkeit nur den internationalen Terrorismus. Diese Internationalität besteht, wenn sich die fraglichen terroristischen Handlungen durch einen grenzüberschreitenden Bezug auszeichnen.57 Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die terroristischen Handlungen grenzüberschreitend vorbereitet bzw. verwirklicht werden oder in ihren Wirkungen und Zielsetzungen über den Staat, in dem sie vorgenommen werden, hinausreichen bzw. hinausreichen sollen.58 Die Begründung des Ende 2008 novellierten BKA-Gesetzes formuliert diesbezüglich, dass terroristische Straftaten international sind, wenn sie in Deutschland begangen werden und einen internationalen Bezug aufweisen oder wenn sie im Ausland begangen werden, hierbei aber ein Deutschlandbezug gegeben ist.59 Gegenstand des neuen Kompetenztitels ist indessen nicht die Bekämpfung des internationalen Terrorismus als solchem, sondern nur die Abwehr der von diesem ausgehenden Gefahren durch das Bundeskriminalpolizeiamt. Der damit zunächst Verwendung findende Begriff der Gefahrenabwehr ist als grundgesetzlicher Terminus zwar durch seinen verfassungsrechtlichen Selbststand gekennzeichnet. Das hindert freilich nicht, für seine Auslegung auf sein polizeirechtliches Verständnis zurückzugreifen.60 Im Lichte dieses vom 22.6.2002, S. 3); dazu Astrid Hermann, Die Reform der bundesstaatlichen Ordnung Deutschlands, 2012, S. 117. 57 Hingegen fehlt es ausweislich der Begründung des verfassungsändernden Gesetzgebers an der Internationalität des Terrorismus dann, wenn es sich bei den terroristischen Straftaten um „auf Deutschland begrenzte terroristische Phänomene“ handelt; siehe hierzu BT-Drs. 16 / 813, S. 12. 58 Wie hier Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 6. Vgl. dazu Christian J. Tams, Die Abschiebungsanordnung nach § 58a Aufenthaltsgesetz, DVBl 2005, S. 1482 (1483 f.); ders., Die Zuständigkeit des Bundes für die Abwehr terroristischer Gefahren. Anmerkungen zum neuen Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, DÖV 2007, S. 367 (373); Matthias Bäcker, Terrorismusabwehr durch das Bundeskriminalamt, 2009, S. 34 f.; Astrid Hermann, Die Reform der bundesstaatlichen Ordnung Deutschlands, 2012, S. 117; Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 73 Rn. 8 a. E.; Klaus-Dieter Schnapauff, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 73 Rn. 14; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 53; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 73 Rn. 44. 59 So BT-Drs. 16 / 10121, S. 21. 60 Wie hier auch Katrin Gerstenberg, Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform, 2009, S. 185 f.; Astrid Hermann, Die Reform der bundesstaatlichen Ordnung Deutschlands, 2012, S. 115 f.; ebenso Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 98; Arnd Uhle, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Abwehr von Gefahren
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Verständnisses erfasst die Gefahrenabwehr i. S. d. Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG – entgegen einer im Schrifttum vertretenen abweichenden Auffassung61 – auch die Straftatenverhütung im Vorfeld konkreter Gefahren. Dafür spricht bereits der Umstand, dass zahlreiche Landespolizeigesetze Bestimmungen enthalten, denen zufolge die Aufgabe der Gefahrenabwehr die Straftatenverhütung und damit das Gefahrenvorfeld umfasst.62 Ein weiteres Indiz für eine derartige Auslegung lässt sich zudem dem Wortlaut des neuen Kompetenztitels entnehmen. Denn dieser weist dem Bund die Gesetzgebungskompetenz u. a. für den Fall zu, dass die Zuständigkeit der Landespolizeibehörde noch nicht erkennbar ist. Wenn es indessen noch an der Erkennbarkeit dieser Zuständigkeit fehlt, dann wird es vielfach auch am Vorliegen einer konkreten Gefahr fehlen. Das ist ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sich Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG nicht auf die Abwehr konkreter Gefahren beschränkt, sondern auch die Straftatenverhütung im Vorfeld konkreter Gefahren erfasst.63 Mögliche Instrumente der so verstandenen Gefahrenabdes internationalen Terrorismus. Anmerkungen zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, DÖV 2010, S. 989 (992); ders., in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 214. 61 So namentlich Frederik Roggan, Das neue BKA-Gesetz – Zur weiteren Zentralisierung der deutschen Sicherheitsarchitektur, NJW 2009, S. 257 (258); Astrid Hermann, Die Reform der bundesstaatlichen Ordnung Deutschlands, 2012, S. 116. 62 So etwa Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz – PAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1990 (GVBl. S. 397), zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 24. Juni 2013 (GVBl. S. 373); § 1 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Aufgaben, Befugnisse, Organisation und Zuständigkeit der Polizei im Land Brandenburg (Brandenburgisches Polizeigesetz – BbgPolG) vom 19. März 1996 (GVBl. I S. 74), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 16. Mai 2013 (GVBl. I Nr. 18 S. 19); § 1 Abs. 3 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz – ASOG Bln) vom 11. Oktober 2006 (GVBl. S. 930), zuletzt geändert durch Art. I des Gesetzes vom 14. November 2013 (GVBl. S. 584); § 1 Abs. 4 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Januar 2005 (GVBl. I S. 14), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 27. Juni 2013 (GVBl. S. 444); § 1 Abs. 1 Satz 3 des Rheinland-Pfälzischen Polizei und Ordnungsbehördengesetzes (POG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. November 1993 (GVBl. S. 595), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2013 (GVBl. S. 537); § 1 Abs. 1 Satz 2 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Januar 2005 (Nds. GVBl. S. 9), zuletzt geändert durch Art. 1, 5 des Gesetzes vom 19. Juni 2013 (Nds. GVBl. S. 158, 159); § 1 Abs. 1 Satz 2 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Juli 2003 (GV. NRW. S. 441), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. Juni 2013 (GV. NRW. S. 375). 63 Matthias Bäcker, Terrorismusabwehr durch das Bundeskriminalamt, 2009, S. 36; Christoph Streiß, Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichten-
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wehr sind die aus dem Polizei- und Sicherheitsrecht bekannten Eingriffsbefugnisse. Damit signalisiert der neue Kompetenztitel, dass dem einfachen Gesetzgeber die gesamte Breite polizeilicher Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung steht und er sie auch in dieser Breite an das Bundeskriminalamt adressieren kann.64 Von dieser Möglichkeit hat der Bund durch das Ende 2008 novellierte BKA-Gesetz zwischenzeitlich intensiven Gebrauch gemacht.65 Allerdings beschränkt Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG die so umrissene neue Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf drei eng umgrenzte Fälle: auf den Fall einer länderübergreifenden Gefahr, auf den Fall fehlender Erkennbarkeit der Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde und schließlich auf den Fall, dass eine oberste Landesbehörde um Übernahme ersucht. Der erste dieser Fälle – das Vorliegen einer länderübergreifenden Gefahr – hat seinen sachlichen Grund in deren Überregionalität. Diese Überregionalität soll der ausdrücklichen Begründung des verfassungsändernden Gesetzgebers zufolge regelmäßig dann gegeben sein, wenn die fragliche Gefahr nicht nur ein diensten, 2011, S. 202; Arnd Uhle, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus. Anmerkungen zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, DÖV 2010, S. 989 (992); Christoph Gusy, Vom neuen Sicherheitsbegriff zur neuen Sicherheitsarchitektur, VerwArch 101 (2010), S. 309 (325); Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 9; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 40; Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 30; i. E. wie hier auch Heinrich A. Wolff, Die Grenzverschiebung von polizeilicher und nachrichtendienstlicher Sicherheitsgewährleistung. Das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt, DÖV 2009, S. 597 (602); Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 73 Rn. 9; Christoph Degenhart in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 48; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 214. – Dieser Sichtweise folgt seit seiner Novellierung von 2008 auch das BKAG in § 4a Abs. 1 Satz 2. 64 Arnd Uhle, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus. Anmerkungen zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, DÖV 2010, S. 989 (992 f.); Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 54; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 48; vgl. auch Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 7; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 126. 65 Stellvertretend aus dem Schrifttum hierzu Heinrich A. Wolff, Die Grenzverschiebung von polizeilicher und nachrichtendienstlicher Sicherheitsgewährleistung. Das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt, DÖV 2009, S. 597 (598).
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Land betrifft.66 Dies mag zwar bei Aktivitäten des internationalen Terrorismus durchaus häufig der Fall sein, darf aber – anders als zum Teil angenommen67 – nicht ohne Weiteres unterstellt werden, weil nicht jede durch den internationalen Terrorismus verursachte Gefahr zugleich länderübergreifend ist.68 Der zweite Fall des neuen Kompetenztitels liegt vor, wenn die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde zunächst (noch) nicht erkennbar ist. Diese Fallgruppe rechtfertigt sich aus dem vorstehend bereits angesprochenen Anliegen, Verzögerungen bei der Aufklärung gefahrenabwehrdienlicher Hinweise aus dem Ausland zu vermeiden. Vorliegen muss hier eine Situation, in der zwar Anhaltspunkte für eine bevorstehende terroristische Tat gegeben sind, in der jedoch noch nicht festgestellt werden kann, in welchem Bundesland diese Tat ausgeführt werden soll.69 Für Konstellatio66 Siehe hierzu BT-Drs. 16 / 813, S. 12; ebenso etwa Klaus-Dieter Schnapauff, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 73 Rn. 14; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 122e; Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 12; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 127; insoweit „kaum Auslegungsprobleme“ annehmend Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 40 a. E. 67 So etwa Ralf Poscher, Schriftliche Stellungnahme, in: Stenographischer Bericht der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates zur Föderalismusreform am 17. Mai 2006, Anlage 2, S. 325 (332); wohl auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 48 („in aller Regel“). 68 Wie hier Jürgen Staupe, Beamtenrecht, Innere Sicherheit und Katastrophenschutz, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 161 (170); Christian J. Tams, Die Zuständigkeit des Bundes für die Abwehr terroristischer Gefahren. Anmerkungen zum neuen Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, DÖV 2007, S. 367 (374); Matthias Bäcker, Terrorismusabwehr durch das Bundeskriminalamt, 2009, S. 38; Astrid Hermann, Die Reform der bundesstaatlichen Ordnung Deutschlands, 2012, S. 120; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 218; Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 12; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 73 Rn. 44. 69 Ausweislich der Begründung des verfassungsändernden Gesetzgebers ist die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde i. S. v. Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a (2. Alt.) GG nicht erkennbar, „wenn die Betroffenheit eines bestimmten Landes durch sachliche Anhaltspunkte im Hinblick auf mögliche Straftaten noch nicht bestimmbar ist“. Siehe hierzu wiederum BT-Drs. 16 / 813, S. 12; im Anschluss daran so auch HansWerner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 127. Ebenso Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 303; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl.
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nen, in denen nach der Übernahme durch das Bundeskriminalamt die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde erkennbar wird, besteht allerdings eine Befugnis des Bundesgesetzgebers, dem Bundeskriminalamt die Gefahrenabwehr zu übertragen, nicht.70 Ein unter Inanspruchnahme der in Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG lozierten Kompetenz erlassenes Gesetz muss daher vorsehen, dass das Bundeskriminalamt in diesem Fall die Aufgabenwahrnehmung an das betroffene Land bzw. an dessen zuständige Landespolizeibehörde abzugeben hat, sofern keine der übrigen Alternativen des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG vorliegt. Dieser Verpflichtung ist der Bundesgesetzgeber durch § 4a Abs. 2 Satz 4 BKAG nachgekommen.71 Im dritten Fall des neuen Kompetenztitels schließlich, dem Ersuchen einer obersten Landesbehörde um Übernahme, kommt es für eine mögliche Zuständigkeitsbegründung des Bundeskriminalamts auf einen entsprechenden Willen der Länder an. Ihren sachlichen Grund hat diese Fallgruppe wiederum in dem angestrebten Ziel einer effektiven Gefahrenabwehr. Das wird daran deutlich, dass sie erkennbar auf der Wertung des verfassungsändernden Gesetzgebers basiert, dass in dem Übernahmeersuchen ein Eingeständnis der betreffenden Landesbehörde liegt, zu einer Abwehr der Terrorgefahr selbst nicht bzw. nicht mehr in der Lage zu sein und daher sicherstellen zu müssen, dass in einem solchen Fall das Bundeskriminalamt im Interesse einer wirksamen Gefahrenabwehr tätig werden kann. Voraussetzung hierfür ist, dass das Übernahmeersuchen von der zuständigen obersten Landesbehörde ausgeht.72 2011, Art. 73 Rn. 48; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 40; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 55; restriktiver Matthias Bäcker, Terrorismusabwehr durch das Bundeskriminalamt, 2009, S. 37; kritisch („kaum praktische Relevanz“) Christoph Streiß, Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten, 2011, S. 203. 70 Arnd Uhle, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus. Anmerkungen zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, DÖV 2010, S. 989 (994); i. E. ebenso Astrid Hermann, Die Reform der bundesstaatlichen Ordnung Deutschlands, 2012, S. 125; Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 14; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 122f a. E. 71 Dieser lautet: „Stellt das Bundeskriminalamt bei der Aufgabenwahrnehmung nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde fest, so gibt es diese Aufgabe an diese Polizeibehörde ab, wenn nicht ein Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 oder 3 vorliegt.“ Vgl. hierzu auch Christoph Streiß, Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten, 2011, S. 204. 72 Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 15; Astrid Hermann, Die Reform der bundesstaatlichen Ordnung Deutschlands, 2012, S. 125; vgl. auch Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar,
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Bilanzierend lässt sich vor diesem Hintergrund festhalten, dass die drei vorstehend beleuchteten Einschränkungen der neuen Gesetzgebungskompetenz dadurch gekennzeichnet sind, dass das Grundgesetz im Falle ihres Vorliegens davon ausgeht, dass eine effektive Gefahrenabwehr durch ein Bundesland im Fall der länderübergreifenden Gefahr nicht, im Falle fehlender Erkennbarkeit der Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde noch nicht oder im Falle des Übernahmeersuchens nicht mehr möglich ist.73 Das verdeutlicht, dass Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG eine Auffangkompetenz des Bundeskriminalamts darstellt, die nur dort Aktualisierung erfährt, wo davon auszugehen ist, dass die Länder zu einer effektiven Gefahrenabwehr nicht in der Lage sind.74 In diesem Sinne lassen sich die in Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG enthaltenen Eingrenzungen als Ausdruck und Sicherung der Subsidiarität des Bundeskriminalamts im Verhältnis zu den Landespolizeibehörden verstehen, soweit es um die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus geht.75 Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 51. Welche dies ist, ergibt sich aus dem Staatsorganisationsrecht des jeweiligen Bundeslandes. So zu Recht auch Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 122g. Für eine Unzulässigkeit des Übernahmeersuchens bei fehlender Erforderlichkeit Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 30; ähnlich Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 15. 73 Arnd Uhle, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus. Anmerkungen zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, DÖV 2010, S. 989 (994); ders., in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 217. 74 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 217; Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 102; vgl. auch Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 15; gegen eine generelle Bundeskompetenz auch Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 122a a. E.; Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 30; Christian J. Tams, Die Zuständigkeit des Bundes für die Abwehr terroristischer Gefahren. Anmerkungen zum neuen Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, DÖV 2007, S. 367 (374 f.). 75 Vgl. Christoph Streiß, Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten, 2011, S. 203; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 122a; Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 98; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 48; Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 11.
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2. Das Verhältnis von Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG zur Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Recht der Gefahrenabwehr Aus diesem Befund erwachsen Konsequenzen für das Verhältnis von Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG zu der Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Recht der Gefahrenabwehr. Denn hieraus resultiert, dass der neu in das Grundgesetz aufgenommene Kompetenztitel von vornherein beschränkt ist und die Länder keinesfalls daran hindert, ihren eigenen Landesbehörden Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Abwehr terroristischer Gefahren zuzuweisen.76 Das verdeutlicht, dass Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG die Entstehung paralleler Zuständigkeiten von Bundes- und Landesbehörden zulässt und demgemäß darauf verzichtet, die Kompetenz für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus in einer ausschließlichen Form entweder dem Bund oder den Ländern zuzuweisen.77 Die neue Kompetenz des Bundes berührt folglich die Gesetzgebungsbefugnis der Länder zur Gefahrenabwehr nicht. Ebenso wenig tangiert ihre Inanspruchnahme die Zuständigkeiten von Landesbehörden auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr.78 Ein76 Wie hier auch Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 101; ders., in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 105; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 51 a. E.; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 127; Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 2; Rüdiger Sannwald, in: SchmidtBleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 122d; vgl. auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 48a; entsprechend bereits BT-Drs. 16 / 813, S. 12. 77 Ebenso Christian J. Tams, Die Zuständigkeit des Bundes für die Abwehr terroristischer Gefahren. Anmerkungen zum neuen Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, DÖV 2007, S. 367 (371); Matthias Bäcker, Terrorismusabwehr durch das Bundeskriminalamt, 2009, S. 39 f.; Astrid Hermann, Die Reform der bundesstaatlichen Ordnung Deutschlands, 2012, S. 124 f.; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 51; Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 2; vgl. auch Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 105. 78 So bereits Arnd Uhle, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus. Anmerkungen zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, DÖV 2010, S. 989 (995); zustimmend Christoph Streiß, Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten, 2011, S. 203; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 127; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 48a; Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck
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fachgesetzlich wird dieser Befund durch § 4a Abs. 2 Satz 1 BKAG unterstrichen.79 Die in der Konsequenz dieser Konzeption ermöglichten Parallelzuständigkeiten von Bundes- und Landesbehörden machen eine intensive gegenseitige Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen dem Bundeskriminalamt und den Landespolizeibehörden, also Koordination und Kooperation zwischen Bund und Ländern, unausweichlich.80 Angesichts dessen erlangt im Anwendungsbereich des neuen Kompetenztitels der Grundsatz der Bundestreue erhebliche Bedeutung, der Bundes- und Landesbehörden bei der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus zu rücksichtsvoller Zusammenarbeit, rechtzeitiger Information und gegenseitiger Abstimmung verpflichtet.81 Entsprechende Informations- und Abstimmungspflichten kann der Bund nach einhelliger Auffassung unter Inanspruchnahme seiner aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG resultierenden Kompetenz statuieren. Von dieser – bereits vom verfassungsändernden Gesetzgeber selbst erkannten82 – Möglichkeit hat der Bundesgesetzgeber zwischenzeitlich in § 4a Abs. 2 BKAG Gebrauch gemacht.83 (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 105; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 122d; vgl. auch Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 30; Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 2; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 51 a. E.; entsprechend bereits auch BTDrucks. 16 / 813, S. 12. 79 Dieser lautet: „Die Befugnisse der Länder […] bleiben unberührt.“ 80 Zutreffend Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 101; ders., in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 105 a. E.; hinsichtlich der Einzelheiten des Zusammenwirkens auf den einfachgesetzlichen Regelungsauftrag hinweisend Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 127; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 122d; Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 2. 81 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 224. 82 Vgl. BT-Drs. 16 / 813, S. 12: „Die Einzelheiten des Zusammenwirkens zwischen dem BKA und den Landespolizeibehörden sind einfachgesetzlich zu regeln.“ 83 Siehe hierzu v. a. Sätze 2 und 3 des § 4a Abs. 2 BKAG. Diese lauten: „Die zuständigen obersten Landesbehörden und, soweit zuständig, anderen Polizeibehörden des Bundes sind unverzüglich zu benachrichtigen, wenn das Bundeskriminalamt die Aufgabe nach Absatz 1 wahrnimmt. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt in gegenseitigem Benehmen.“
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Umstritten ist allerdings, ob es dem Bund unter Inanspruchnahme des neuen Kompetenztitels für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus auch möglich ist, dem Bundeskriminalamt Weisungsbefugnisse gegenüber den Landespolizeibehörden einzuräumen.84 Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG verhält sich zu dieser Frage explizit nicht. Hieraus wird im Schrifttum zum Teil abgeleitet, dass eine Einräumung von Weisungsrechten unstatthaft sei, weil diese einer ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Legitimation bedürften.85 Für eine solche Position lässt sich auf die Vorgeschichte der Aufnahme von Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a in das Grundgesetz verweisen, da die Bundesstaatskommission Ende 2004 im Zusammenhang mit der seinerzeit vorgeschlagenen Ergänzung der Art. 74 Abs. 1 und 87 Abs. 1 GG auch Weisungsbefugnisse des Bundes diskutiert, vor dem Hintergrund der für unerreichbar gehaltenen Zweidrittelmehrheit für Verfassungsänderungen letztlich aber nicht weiter verfolgt hat.86 Das lässt sich als ein entstehungsgeschichtliches Indiz dafür deuten, dass ein Weisungsrecht des Bundes im Kontext des neuen Kompetenztitels bereits im Vorfeld der Föderalismusreform von 2006 verworfen worden ist.87 Zwingend freilich erscheint eine solche Sichtweise keinesfalls. So ist die Statthaftigkeit der bundesgesetz lichen Verankerung von Weisungsrechten, soweit ersichtlich, im Kontext der Beratungen über die schließlich in Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG verankerte Kompetenz des Bundes nicht mehr erörtert worden, weshalb es zweifel84 Für die Zulässigkeit derartiger Weisungsbefugnisse Manfred Baldus, Schriftliche Stellungnahme, in: Stenographischer Bericht der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates zur Föderalismusreform am 17. Mai 2006, Anlage 2, S. 272 (281 f.); Winfried Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 73 Rn. 11; zuletzt Matthias Bäcker, Terrorismusabwehr durch das Bundeskriminalamt, 2009, S. 40 f.; a. A. Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 102; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 48. 85 Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 102; i. E. ebenso ablehnend Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 8. 86 Zur Diskussion stand insofern ein Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit, Projektgruppenarbeitsunterlage-2 / 0012, Art. 87 Abs. 1 GG um einen Satz 3 zu ergänzen, der folgenden Wortlaut haben sollte: „Die nach Satz 2 eingerichteten Zentralstellen können gegenüber den nach Art. 73 Nr. 10 GG zur Zusammenarbeit verpflichteten Landesbehörden Weisungen erteilen.“ 87 Siehe hierzu die Darstellung bei Jürgen Staupe, Beamtenrecht, Innere Sicherheit und Katastrophenschutz, in: Holtschneider / Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates. Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003 / 2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, 2007, S. 161 (170); vgl. auch Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 300.
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haft sein dürfte, der Auslegung des neuen Kompetenztitels das zuvor auf Art. 87 Abs. 1 GG zugeschnittene Ergebnis der Bundesstaatskommission zugrunde zu legen. In systematischer Hinsicht kommt hinzu, dass Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, wie vorstehend dargestellt, eine Aufgabenparallelität von Bundeskriminalamt und Landespolizeibehörden ermöglicht, die Ähnlichkeiten mit der Konstellation des Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG aufweist und dort jedenfalls im Fall eines Konflikts von Bund und Ländern überwiegend als Argument für die Zulässigkeit eines Letztentscheidungs- und Weisungsrechts des Bundes herangezogen wird.88 Das spricht dafür, dass der zur Terrorabwehr eingefügte Kompetenztitel jedenfalls in einem solchen Konfliktfall die gesetzliche Anordnung von Weisungsbefugnissen umfassen kann. Dies gilt umso mehr, als seine Aufnahme in das Grundgesetz vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen dem Ziel dient, eine effektive Gefahrenabwehr durch das Bundeskriminalamt dort zu ermöglichen, wo ein Bundesland zu ihr nicht, noch nicht oder nicht mehr in der Lage ist. Mit dieser Zielsetzung verträgt es sich kaum, den neuen Kompetenztitel auch in Fällen dringender Gefahr als ein an den Bundesgesetzgeber adressiertes Verbot zu interpretieren, Weisungsbefugnisse des Bundeskriminalamts gegenüber den Landes polizeibehörden anzuordnen. Freilich werden sowohl die Begründung als auch die Inanspruchnahme derartiger Befugnisse im Lichte des Prinzips der Bundestreue anspruchsvollen Restriktionen zu unterwerfen sein.89 V. Veränderungen im Bereich der Zustimmungsrechte des Bundesrates Eine vierte Kategorie der 2006 von der Föderalismusreform herbeigeführter Änderungen im Bereich der ausschließlichen Bundesgesetzgebung betrifft schließlich weder die veränderte Zuordnung einer Gesetzgebungsmaterie zu Art. 73 Abs. 1 GG noch die Neukonzeption von Kompetenz titeln, sondern das Erfordernis der Bundesratszustimmung, das durch die 88 So im Kontext des Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG etwa Martin Ibler, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 87 Rn. 116 f.; ferner Eckhart Werthebach / Bernadette Droste, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 73 Nr. 10 Rn. 76 ff.; Martin Burgi, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 87 Rn. 47. 89 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 225; ders., Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus. Anmerkungen zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, DÖV 2010, S. 989 (996); für ein (begrenztes) Weisungsrecht auch Martin Ibler, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 87 Rn. 133.
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Föderalismusreform einerseits zurückgenommen, andererseits ausgeweitet worden ist. So ist mit der Aufhebung des alten Art. 74a Abs. 3 GG a. F. auch die dort normierte Zustimmungsbedürftigkeit für bestimmte Gesetze über die Rechtsverhältnisse der Bundesbediensteten i. S. d. Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG entfallen. Neu begründet worden hingegen ist ein solches Zustimmungserfordernis für den in das Grundgesetz aufgenommenen Kompetenztitel zur Terrorismusabwehr, denn Art. 73 Abs. 2 GG bindet den Erlass von Bundesgesetzen i. S. v. Abs. 1 Nr. 9a an das Erfordernis der Bundesratszustimmung. Die auf diese Weise erfolgende Aufnahme eines neuen Zustimmungserfordernisses zugunsten des Bundesrates in das Grundgesetz verdient aus zwei Gründen besondere Beachtung. So fügt sie sich zunächst nicht in die mit der Föderalismusreform von 2006 verfolgte Reformintention ein, die Kompetenzen von Bund und Ländern auch durch eine Reduzierung der Anzahl zustimmungsbedürftiger Gesetze zu entflechten. Darüber hinaus stellt ein solches Zustimmungserfordernis zugunsten des Bundesrates im Kontext des Art. 73 Abs. 1 GG eine Ausnahme dar, weil für keinen sonstigen der dort aufgeführten Kompetenztitel ein derartiges Zustimmungserfordernis besteht.90 Freilich ist zu beachten, dass dem Grundgesetz die Verbindung einer ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes mit einem Zustimmungsrecht des Bundesrates auch nicht gänzlich unbekannt ist. Immerhin enthielt ein solches – allerdings, wie vorstehend dargestellt, 2006 gerade aufgehobenes – Erfordernis der Bundesratszustimmung in bestimmten Fällen Art. 74a Abs. 3 GG a. F. für Gesetze über die Rechtsverhältnisse der Bundesbediensteten. Daher stellt die in Art. 73 Abs. 2 GG getroffene Regelung zwar eine Ausnahmeerscheinung im Recht der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes dar, doch vollkommen neu ist diese nicht. Dass es zu ihrer grundgesetzlichen Positivierung kommen konnte, ist in dem von ihr erfassten Kompetenzbereich begründet. Denn die in Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG verankerte neue Bundeskompetenz betrifft inhaltlich ein spezielles Gebiet des Gefahrenabwehrrechts, das als solches aus Sicht der Bundesländer zum Kernbereich ihrer Gesetzgebungszuständigkeiten zählt.91 Angesichts dessen haben sich diese in den Verhandlun90 Arnd Uhle, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus. Anmerkungen zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, DÖV 2010, S. 989 (996 f.); ders., in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 227. 91 Dazu Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 166; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 56; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 25; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz,
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gen um eine Aufnahme des Kompetenztitels in das Grundgesetz mit ihrer Bedingung durchgesetzt, einen Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Bundesrates grundgesetzlich zu verankern.92 Sachlich lässt sich dies insofern nachvollziehen, als die in Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG verankerte Kompetenz, wie oben gesehen, zu einem Nebeneinander von Bundes- und Landesbehörden auf dem Gebiet der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus führt und überdies wechselseitige Übergänge der Zuständigkeit zwischen Landes(-polizei-)behörden und Bundeskriminalamt ermöglicht. Zweifelsohne liegt dem neuen Kompetenztitel damit eine Zuständigkeitsmaterie zugrunde, die in außergewöhnlich hohem Maße eine Koordinierung der Tätigkeit von Bund und Ländern erfordert. Im Interesse einer solchen Koordinierung den Bundesrat und damit die in ihm repräsentierten Länder bereits in die später dieser Koordinierung zugrunde liegende Gesetzgebung des Bundes einzubeziehen ist jedenfalls nicht völlig unzweckmäßig.93 VI. Neuere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Recht der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes Auch wenn bereits die durch die Föderalismusreform zum 1. September 2006 bewirkten Einzeländerungen zahlreich sind, bliebe eine Darstellung der jüngeren Entwicklungen auf dem Gebiet der ausschließlichen BundesBd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 60; vgl. auch Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 107; deutliche Kritik bei Wolfram Höfling / Andreas Engels, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 42. Erg.-Lfg. (August 2013), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a Rn. 20; Karl-Michael Reineck, Die Föderalismusreform 2006, DVP 2006, S. 485 (486). 92 Vgl. Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 166; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 57; Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 103; deutliche Ablehnung des Zustimmungsvorbehaltes bei Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 303 f.; kritisch auch Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 30. 93 Wie hier bereits Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 57; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 313; vgl. auch Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 103 („nicht systemwidrig“); a. A. Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 303 f.; Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 30 („systemwidrig“).
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gesetzgebung doch unvollständig, würde sie nicht auch die seither ergangene bundesverfassungsgerichtliche Judikatur berücksichtigen. Die vor diesem Hintergrund im Folgenden nachzuzeichnenden Entscheidungen, in denen sich das Bundesverfassungsgericht seit dem Inkrafttreten der Föderalismusreform mit einzelnen Kompetenzmaterien der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes auseinandergesetzt hat, betreffen aus dem Katalog jener Kompetenztitel, die 2006 in Art. 73 Abs. 1 GG aufgenommen worden sind, freilich lediglich einen Sachbereich. Im Vordergrund der bundesverfassungsgerichtlichen Kompetenzklärungen stehen Kompetenzmaterien, die der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes bereits vor der Föderalismusreform unterstellt waren. Das gilt vor allem für die in Art. 73 Abs. 1 Nr. 6, 7 und 10 a) bis c) GG enthaltenen Kompetenztitel. 1. Die Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG betreffenden (Kammer-)Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Ordnet man die nach dem Inkrafttreten der Föderalismusreform zum 1. September 2006 ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den der ausschließlichen Bundesgesetzgebung unterstellten Sachbereiche chronologisch, fallen zunächst drei Nichtannahmebeschlüsse ins Auge, die sich mit Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG auseinandersetzen – und damit mit der Kompetenz für die friedliche Nutzung der Kernenergie, die erst im Zuge der Föderalismusreform von Art. 74 Abs. 1 GG in den Katalog des Art. 73 Abs. 1 GG verlagert worden ist.94 Das erklärt, warum die drei Entscheidungen der 3. Kammer des Ersten Senats weniger einer erstmaligen Annäherung an die Gesetzgebungskompetenz als vielmehr der grundsätz lichen Klärung dienen, dass der Inhalt der Gesetzgebungszuständigkeit durch die 2006 vorgenommene Kompetenzverlagerung keine Änderungen erfahren hat. So stellt das Gericht in zwei Entscheidungen vom 12. November 2008 zunächst ebenso ausdrücklich wie zutreffend fest, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber die Materie des Kernenergierechts „als solche unverändert“ von der bisherigen konkurrierenden in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes überführt habe.95 Hieraus leitet die Kammer ab, dass die bundesverfassungsgerichtliche Judikatur zu dem über die Kompetenzzuweisung hinausgehenden Aussagegehalt des Kompetenztitels96 94 Siehe
hierzu näher oben sub II. 14, 402 (411) – Atomzwischenlager; ebenso BVerfG (K), Nichtannahmebeschluss vom 12. November 2008 – 1 BvR 2492 / 06, Rn. 8. 96 Siehe hierzu BVerfGE 53, 30 (56) – Mülheim-Kärlich und die Nachweise oben in Anm. 24. Zur Legitimationsfunktion des Kompetenztitels näher auch Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 304. 95 BVerfGK
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weiterhin Bestand hat.97 Auf dieser Grundlage entnimmt sie Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG unverändert die Aussage, dass die Verfassung selbst die Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken „im Grundsatz als zulässig gebilligt“ habe und dass zur Grundsatzentscheidung für oder gegen die Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken „allein der Gesetzgeber“ berufen sei.98 Die solchermaßen bestätigte Qualifizierung der friedlichen Kern energienutzung als „im Grundsatz zulässig“ bekräftigt die Kammer auch in einem weiteren, vom 10. November 2009 datierenden Nichtannahmebeschluss.99 Sie trifft insofern zu, als Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG in der Tat als Beleg dafür herangezogen werden kann, dass das Grundgesetz eine fried liche Nutzung der Kernenergie und deren gesetzliche Regelung offenkundig jedenfalls nicht als grundsätzlich verboten betrachtet.100 Allerdings eröffnet der Kompetenztitel, wie andere Kompetenztitel auch, insofern lediglich die Zuständigkeit für entsprechende Gesetzgebungsakte, dispensiert also nicht von der Einhaltung materieller – insbesondere grundrechtlicher – Vorgaben, die das Grundgesetz für entsprechende Regelungen enthält.101 Auch insofern hat sich durch die Föderalismusreform an dem Gehalt des Kompetenztitels nichts geändert. 2. Die Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG betreffenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Weitaus bedeutungsvoller als die grundsätzliche Bestätigung der bisherigen Auslegung des Kompetenztitels für die friedliche Nutzung der Kernenergie sind zwei Beschlüsse aus den Jahren 2011 und 2012, die die Zuständigkeit für die Gesetzgebung über den Luftverkehr betreffen. Ihren gemeinsamen Hintergrund haben diese Entscheidungen in dem ihnen vo rausliegenden Urteil vom 15. Februar 2006, in dem der Erste Senat als kompetenzielle Grundlage für eine gesetzliche Ermächtigung der Streitkräfte zum Abschuss entführter Passagierflugzeuge nach dem Luftsicherheitsgesetz allein auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG abgestellt und einen Rückgriff auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 oder 6 GG ausdrücklich ausgeschlossen 97 BVerfGK 14, 402 (410 f.) – Atomzwischenlager; ebenso BVerfG (K), Nichtannahmebeschluss vom 12. November 2008 – 1 BvR 2492 / 06, Rn. 8. 98 BVerfGK 14, 402 (410) – Atomzwischenlager; ebenso BVerfG (K), Nichtannahmebeschluss vom 12. November 2008 – 1 BvR 2492 / 06, Rn. 8; im Hinblick auf die grundsätzliche Zulässigkeit der Kernenergienutzung so auch BVerfGK 16, 370 (378) – Schacht Konrad. 99 BVerfGK 16, 370 (378) – Schacht Konrad. 100 Hierzu, auch zum Folgenden, Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 304. 101 Siehe hierzu bereits oben sub II.
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hatte.102 Diese Zuordnung ist im Schrifttum zu Recht auf vielfältige Kritik gestoßen.103 Auch der Zweite Senat hat sich nicht bereit gezeigt, sich ihr anzuschließen. Daher hat er in einem vom 3. Mai 2011 datierenden Beschluss das Plenum des Bundesverfassungsgerichts angerufen, um u. a. von dieser kompetenzrechtlichen Zuordnung abzuweichen.104 Das auf diese Weise angerufene Plenum hat mit Beschluss vom 3. Juli 2012 entschieden, dass als kompetenzielle Grundlage der einschlägigen §§ 13 bis 15 LuftSiG – die, wie es zugleich richtigerweise klarstellt, nicht nur innerföderale Bereitstellungsvorgänge regeln, sondern außenwirksame Eingriffsermächtigungen enthalten105 – Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG nicht in Betracht kommen kann. Ausdrücklich hält es in seinem Beschluss fest, dass es der Bestimmung nicht nur an einem expliziten Kompetenzgehalt fehle, sondern dass es darüber hinaus „auch in systematischer Hinsicht“ und „nach dem Schutzzweck der föderalen Zuständigkeitsordnung“ – die grundsätzlich nicht durch die Normen des materiellen Verfassungsrechts, sondern durch 102 BVerfGE 115, 118 (LS 1 und 140 f.) – Luftsicherheitsgesetz. In dieser Entscheidung hatte der Erste Senat festgehalten, dass der Bund „unmittelbar aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG das Recht zur Gesetzgebung für Regelungen [habe], die das Nähere über den Einsatz der Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen nach diesen Vorschriften und über das Zusammenwirken mit den beteiligten Ländern bestimmen“ (so LS 1). Im Anschluss an das BVerfG so auch Walter Frenz, Gesetzgebungskompetenzen nach der Föderalismusreform, Jura 2007, S. 165 (166); Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 35; vgl. auch Heinz-Joachim Pabst / Rolf Schwartmann, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 Rn. 13 ff. 103 Kritisch etwa Christian Hillgruber, JZ 2007, S. 209 (214); vgl. auch Christian Starck, Anmerkung, JZ 2006, S. 417 (417); Wolf-Rüdiger Schenke, Die Verfassungswidrigkeit des § 14 III LuftSiG, NJW 2006, S. 736 (737); Christian Pestalozza, Inlandstötungen durch die Streitkräfte – Reformvorschläge aus ministeriellem Hause, NJW 2007, S. 492 (493); Rainer Arnold, Die Diskussion über das neue Weißbuch. Verteidigungsfall auch bei Terroranschlägen?, RuP 2006, S. 136 (136); tendenziell zustimmend hingegen Einiko Benno Franz, Der Bundeswehreinsatz im Innern und die Tötung Unschuldiger im Kreuzfeuer von Menschenwürde und Recht auf Leben. Zugleich Anmerkung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz, Der Staat 45 (2006), S. 501 (522 ff., v. a. 525); Karsten Baumann, Das Urteil des BVerfG zum Luftsicherheitseinsatz der Streitkräfte, Jura 2006, S. 447 (450); Daniela Winkler, Verfassungsmäßigkeit des Luftsicherheitsgesetzes, NVwZ 2006, S. 536 (536); Wolfgang Hecker, Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz, KJ 2006, S. 179 (182 ff.); Burkhard Hirsch, Bemerkungen zu der Behauptung eines Rechts zur vorsätzlichen Tötung Unschuldiger, RuP 2007, S. 153 (155). Vgl. zu dieser Entscheidung auch Geert Mackenroth, Der Rechtsstaat in der Zwickmühle? Zur Balance von Freiheit und Sicherheit, 2011, S. 25 ff. 104 BVerfGE 128, 325 (326) – Luftsicherheitsgesetz. 105 BVerfGE 132, 1 (9) – Bundeswehreinsatz im Inneren.
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gesonderte, in ihrer Reichweite von materiell-rechtlichen Vorgaben unabhängige Kompetenzvorschriften bestimmt sei – „nicht nahe“ liege, „ungeschriebene Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes in Sachnormen außerhalb des VII. Abschnitts des Grundgesetzes (Art. 70 ff.) aufzusuchen“. Das trifft, auch wenn der Bestand grundgesetzlicher Kompetenzzuweisungen außerhalb des Art. 73 Abs. 1 GG durchaus nicht unbeachtlich ist,106 jedenfalls dort zu, wo das Grundgesetz wie in Art. 73 Abs. 1 GG kompetenzielle Anknüpfungspunkte bereithält, deren Heranziehung deutlich näher liegen dürfte als ein Rückgriff auf sonstige Bestimmungen des Grundgesetzes, denen ein kompetenzrechtlicher Gehalt kaum überzeugend zu entnehmen ist. Das gilt umso mehr, als eine auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG rekurrierende Kompetenzzuordnung auf die Schwierigkeit träfe, „dass sich aus ihr nur schwer Klarheit über die Rechtsnatur der zugeschriebenen Kompetenz – ausschließlich oder konkurrierend – gewinnen lässt“.107 Vor diesem Hintergrund spricht sich das Plenum des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 3. Juli 2012 dafür aus, die Gesetzgebungszuständigkeit für die §§ 13 bis 15 LuftSiG als Annexkompetenz aus Art. 73 Abs. 1 GG Nr. 6 GG abzuleiten, der dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist.108 Dafür greift es zunächst auf die allgemeinen Lehren über stillschweigend mitgeschriebene Bundeskompetenzen zurück. Diesbezüglich hebt es zutreffend hervor, dass dem Bund nach tradierter Auffassung dort, wo dieser über die Gesetzgebungszuständigkeit 106 Nach zutreffender Ansicht ist der Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes durch den Katalog des Art. 73 Abs. 1 GG nicht abschließend festgelegt, vgl. dazu etwa Hans-Uwe Erichsen, Die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten nach dem Grundgesetz, Jura 1993, S. 385 (385); Philip Kunig, Gesetzgebungsbefugnis von Bund und Ländern – Allgemeine Fragen, Jura 1996, S. 254 (257); Matthias Pechstein / Anja Weber, Gesetzgebungskompetenzen nach dem Grundgesetz, Jura 2003, S. 82 (84); Holger Weidemann, Gesetzgebungskompetenz im Bundesstaat, DVP 2004, S. 353 (353); Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 71 Rn. 2 ff.; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 71 Rn. 7. Eingehend zu den ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes aufgrund expliziter Zuweisungen, die das Grundgesetz außerhalb des in Art. 73 Abs. 1 GG normierten Kompetenzkatalogs enthält, Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 71 Rn. 22 ff. 107 BVerfGE 132, 1 (6) – Bundeswehreinsatz im Inneren. Zu dem besonderen Problem, namentlich aus kompetenzunspezifischen Gesetzgebungsvorbehalten auf die Zuordnung einer Kompetenz zum Bereich der konkurrierenden bzw. ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes zu schließen, näher Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 71 Rn. 25 m. w. N.; vgl. auch Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 71 Rn. 13 mit Anm. 12. 108 BVerfGE 132, 1 (6) – Bundeswehreinsatz im Inneren.
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für ein bestimmtes Sachgebiet verfügt, „als Annexkompetenz auch die Gesetzgebungsbefugnis für die damit in einem notwendigen Zusammenhang stehenden Regelungen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in diesem Bereich“ zustehen.109 Dies, so das Plenum, gelte auch für das in Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG normierte Sachgebiet „Luftverkehr“.110 Die Gesetzgebungszuständigkeit für den Luftverkehr umfasse daher als Annex „jedenfalls die Befugnis, Regelungen zur Abwehr solcher Gefahren zu treffen, die gerade aus dem Luftverkehr herrühren“.111 Allerdings fordert das Plenum zu 109 BVerfGE 132, 1 (6) – Bundeswehreinsatz im Inneren unter zutreffendem Verweis auf BVerfGE 3, 407 (433) – Baurechtsgutachten; 8, 143 (149 f.) – Beschußgesetz; 78, 374 (386 f.) – Bestimmtheitsgrundsatz; 109, 190 (215) – Nachträgliche Sicherungsverwahrung. Eingehend zu den stillschweigend mitgeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 62 ff., speziell zur Annexkompetenz dort Rn. 71 ff. Näher zur Annexkompetenz aus dem Schrifttum etwa Hans-Uwe Erichsen, Die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten nach dem Grundgesetz, Jura 1993, S. 385 (387 f.); Dirk Ehlers, „Ungeschriebene Kompetenzen“, Jura 2000, S. 323 (325); eingehend zuletzt Ulrich J. Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetz gebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs nach dem Grundgesetz, 2007, S. 233 ff.; aus der Kommentarliteratur Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Vorb. v. Art. 70 Rn. 29 f.; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 70 Rn. 73 ff. Aus der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 3, 407 (433) – Baurechtsgutachten; vgl. auch BVerfGE 8, 143 (149 f.) – Beschußgesetz; 9, 185 (190) – Vorkonstitutionelle Verfahrensbestimmungen; 22, 180 (210) – Jugendhilfe; 77, 288 (299) – Saarländisches Kommunalselbstverwaltungsgesetz; 109, 190 (215) – Nachträgliche Sicherungsverwahrung; 119, 331 (359) – Arbeitslosengeld II. Ablehnung der Annexkompetenz dagegen bei von Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Bd. 8, Art. 70 Rn. 112 f. und 116 f. mit Anm. 162. 110 So ausdrücklich BVerfGE 132, 1 (6) – Bundeswehreinsatz im Inneren; vgl. nachgehend BVerfG, NVwZ 2013, 713 (715) – Einsatz der Bundeswehr im Inland; für einen Rückgriff auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG bei der gesetzlichen Regelung der Abwehr luftverkehrsspezifischer Gefahren bereits Michael Ronellenfitsch, Die Luftsicherheitsgebühr, VerwArch 86 (1995), S. 307 (315 ff.); Hans P. Mechlem, Rechtsgrundlagen für Sicherungsmaßnahmen von Luftfahrtbehörden und Luftfahrtunternehmen gegen Angriffe auf den Luftverkehr, 1991, S. 24 ff.; Wolf-Rüdiger Schenke, Die Verfassungswidrigkeit des § 14 III LuftSiG, NJW 2006, S. 736 (737); Einiko B. Franz / Thomas Günther, Tötungshandlungen beim Bundeswehreinsatz im Innern. Das Luftsicherheitsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht, VBlBW 2006, S. 340 (341); aus der Kommentarliteratur Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 65; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 26; Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 57; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grund gesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 137. 111 BVerfGE 132, 1 (6) – Bundeswehreinsatz im Inneren; vgl. dazu bereits Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73
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Recht, dass die Notwendigkeit des Zusammenhangs zwischen einer dem Bund zugewiesenen Regelungskompetenz für ein bestimmtes Sachgebiet und einschlägigen Regelungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung einer strengen Prüfung bedürfe. Dies, so das Plenum weiter, gelte erst recht, wenn die sachgebietliche Kompetenz zu den von Art. 73 Abs. 1 GG umfassten ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes gehöre.112 Jedenfalls für „die Abwehr derjenigen spezifisch aus dem Luftverkehr herrührenden Gefahren“, auf die die Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zielten, sei dieser notwendige Zusammenhang indessen gegeben.113 Das vermag zumindest im Ergebnis zu überzeugen. Allerdings hätte es für die Ableitung einer Annexkompetenz zunächst der Prüfung bedurft, ob nicht bereits der in Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG normierte Kompetenztitel als solcher die bundesverfassungsgerichtlich zugeschlagene Annexmaterie enthält und daher der Rückgriff auf einen Annex entbehrlich ist.114 Im vorliegenden Fall bestehen für eine solche Sichtweise durchaus gute Gründe, deren Erörterung angezeigt gewesen wäre.115 Beurteilt man diese Frage – wie augenscheinlich das Bundesverfassungsgericht – anders, ist freilich die Heranziehung einer Kompetenz kraft Annexes konsequent, weshalb die bundesverfassungsgerichtlichen Ausführungen zu ihr nachvollziehbar und insbesondere hinsichtlich des gerichtlich zu Recht geforderten engen Zusammenhangs zwischen einer Annexmaterie und der in Anspruch genommenen ausdrücklich normierten Bundeskompetenz zweifelsohne zutreffend sind.116 Ein solRn. 137; Werner J. Leitmeier, Die Sicherung des Luftverkehrs als gemeinsame Aufgabe von Landes- und Bundesbehörden, BayVBl. 1987, S. 361 (362); i. E. ebenso Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 26; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 65; aus der Judikatur entsprechend BVerwGE 95, 188 (190 ff.) – Luftsicherheitsgebühren. 112 BVerfGE 132, 1 (6) – Bundeswehreinsatz im Inneren. Ähnlich bereits vor der Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz BVerfGE 77, 288 (299) – Saarländisches Kommunalselbstverwaltungsgesetz. Zum erforderlichen Zusammenhang zwischen Haupt- und Annexmaterie aus dem Schrifttum etwa Dirk Ehlers, „Ungeschriebene Kompetenzen“, Jura 2000, S. 323 (325); Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 38, 3. Spiegelstrich a. E.; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 71 a. E. 113 So ausdrücklich BVerfGE 132, 1 (6 f.) – Bundeswehreinsatz im Inneren. 114 Zu dieser Anforderung einer Annexkompetenz im Allgemeinen Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 71. 115 Siehe dazu aus der Kommentarliteratur Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 26; Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 57; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 137. 116 Eine Ausnahme gilt lediglich für die bundesverfassungsgerichtliche Feststellung, dass die Prüfung des erforderlichen Zusammenhangs zwischen Haupt- und
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cher Zusammenhang ist im vorliegenden Fall umso anerkennenswerter, als der Kompetenzmaterie des Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG auch sonst die Abwehr luftverkehrsspezifischer Gefahren zugeordnet und ihr daher etwa die Erhebung von Luftsicherheitsgebühren unterstellt wird.117 Der die Judikatur des Ersten Senats korrigierenden Entscheidung des Plenums ist daher jedenfalls im Ergebnis hinsichtlich der Bejahung einer ausschließlichen Regelungszuständigkeit des Bundesgesetzgebers zuzustimmen. Aufgrund der bundesverfassungsgerichtlich festgestellten Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die §§ 13 bis 15 LuftSiG kann eine Entscheidung der Frage, ob eine Regelungszuständigkeit des Bundes darüber hinaus aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG folgt, wie auch das Plenum des Bundesverfassungsgerichts zutreffend feststellt, offenbleiben.118 3. Die Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG betreffenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Zwei weitere, nach dem Inkrafttreten der Föderalismusreform von 2006 ergangene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gelten Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 (2. Alt.) GG und der dort lozierten ausschließlichen Gesetz Annexmaterie „erst recht“ einer strengen Prüfung bedürfte, wenn die Hauptmaterie Aufnahme in den Katalog des Art. 73 Abs. 1 GG gefunden habe: Die Inanspruchnahme der Annexkompetenz für den Erlass einer bundesgesetzlichen Sachregelung muss stets erforderlich sein, auch in dem Falle, dass die sachgebietliche Kompetenz gem. Art. 74 Abs. 1 GG eine konkurrierende Zuständigkeit ist. Einer Annexkompetenz widersprechend hingegen Manuel Ladiges, Der Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand nach dem Plenarbeschluss des Bundesverfassungsgerichts, NVwZ 2012, S. 1225 (1225). 117 BVerwGE 95, 188 (190 ff.) – Luftsicherheitsgebühren; nachgehend ebenso Hessischer VGH, NVwZ-RR 1995, 596 (LS 2 a) und 597); Heinz-Joachim Pabst / Rolf Schwartmann, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 Rn. 18. 118 So auch BVerfGE 132, 1 (9) – Bundeswehreinsatz im Inneren. Für einen Rückgriff sowohl auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG als auch auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG als kompetenzielle Grundlage der einschlägigen Regelungen des LuftSiG Kerstin Odendahl, Der Umgang mit Unbeteiligten im Recht der Gefahrenabwehr: Das Luftsicherheitsgesetz als verfassungsgemäßer Paradigmenwechsel?, Die Verwaltung 2005, S. 425 (437 f.); Peter J. Tettinger, Der Luftsicherheitseinsatz der Bundeswehr, ZLW 2004, S. 334 (339); ebenso wohl Christian M. Burkiczak, Das Luftsicherheitsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht, NZWehrR 2006, S. 89 (94 f.); den möglichen Einsatz der Bundeswehr kompetenziell auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG stützend Elmar Giemulla, Zum Abschuss von Zivilluftfahrzeugen als Maßnahme der Terrorbekämpfung, ZLW 2005, S. 32 (32 f.); mit Verweis auf die Kriegsähnlichkeit eines entsprechenden Angriffs für eine Zuordnung zu Art. 87a GG Otto Depenheuer, Zwischen polizeilicher Gefahrenabwehr und militärischer Verteidigung. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz?, ZG 2008, S. 1 (7 ff.).
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gebungskompetenz des Bundes für die Telekommunikation. Beiden, aus den Jahren 2010 und 2012 stammenden Entscheidungen ist gemeinsam, dass sie kompetenzrechtliche Grenzfälle dieses Zuständigkeitsbereiches betreffen. So hat das Bundesverfassungsgericht zunächst mit Urteil vom 2. März 2010 entschieden, dass die Kompetenz aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 (2. Alt.) GG bei der gesetzlichen Regelung der sog. Vorratsdatenspeicherung, in deren Rahmen eine sechsmonatige vorsorgliche und anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durch private Diensteanbieter vorgesehen wird, kraft Sachzusammenhangs auch die Gewährleistung der Datensicherheit und der Verwendungszwecke erfasst. Die Zuständigkeit für die Schaffung der Abrufregelungen selbst sowie für die Ausgestaltung der Transparenz- und Rechtsschutzbestimmungen soll sich hingegen nach den jeweiligen Sachkompetenzen richten.119 Zur Begründung dieses kompetenziellen Befundes geht das Bundesverfassungsgericht zunächst von der weithin geteilten – und zutreffenden – Auffassung aus, dass Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 (2. Alt.) GG den Bund unmittelbar nur zur Regelung der technischen Seite der Errichtung einer Telekommunikationsinfrastruktur und der Informationsvermittlung mit Hilfe von Telekommunikationsanlagen berechtigt.120 Auf dieser Grundlage stellt das Gericht klar, dass die Telekommunikationskompetenz des Bundes von vornherein keine Regelungen umfassen kann, die auf die Art der Nutzung der Telekommunikation – etwa auf eine Überwachung der Telekommunikation zum Zwecke der Erlangung von Informationen für Aufgaben der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr – gerichtet sind.121 119 BVerfGE
125, 260 (LS 3) – Vorratsdatenspeicherung. 125, 260 (314) – Vorratsdatenspeicherung; zuvor so bereits BVerfGE 12, 205 (225 ff.) – 1. Rundfunkentscheidung; 113, 348 (368) – Präventive Telekommunikationsüberwachung; 114, 371 (385) – Bayerisches Landesmediengesetz; 121, 30 (46) – Parteibeteiligung an Rundfunkunternehmen; siehe auch BVerwGE 112, 194 (198) – Beiträge für Geräteprüfung. Aus dem Schrifttum so auch Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 119; aus der Kommentarliteratur Klaus Stern / Martin Bauer, in: Stern (Hrsg.), Postrecht der Bundesrepublik Deutschland, Stand: 6. Erg.-Lfg. (2000), Art. 73 Nr. 7 Rn. 30; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 73 Rn. 33; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 82; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 34; Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 75; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 40; Peter Badura, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 73 Nr. 7 Anm. II Rn. 15; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 165. 121 So bereits BVerfGE 113, 348 (368) – Präventive Telekommunikationsüberwachung. Derartige Regelungen sind jeweils dem Sachbereich zuzuordnen, für dessen 120 BVerfGE
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Dem entspricht, dass Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 (2. Alt.) GG Regelungen zu den übermittelten Inhalten oder zu ihrer Entstehung oder Nutzung nicht erfasst.122 Allerdings bejaht das Bundesverfassungsgericht in der vorliegenden Entscheidung im Ergebnis die Kompetenz des Bundes nicht nur für die gesetzliche Anordnung von Speicherungs- und Übermittlungspflichten, sondern kraft Sachzusammenhangs auch für solche Vorschriften, die dem Datenschutz dienen.123 Damit greift das Gericht zur Begründung seines kompetenziellen Befundes auch hier, ähnlich wie bei seinem vorstehend erörterten Plenarbeschluss zum Luftsicherheitsgesetz, auf stillschweigend mitgeschriebene Bundeskompetenzen – im hiesigen Kontext nunmehr auf die Kompetenzen kraft Sachzusammenhangs – zurück.124 Hierzu stellt es zunächst fest, dass zwar mangels ausdrücklicher Kompetenzzuweisung das Recht des Datenschutzes grundsätzlich in die Zuständigkeit der Länder falle, dass indessen eine bundesgesetzgeberische Zuständigkeit für dessen Regelung kraft Sachzusammenhangs dort bestehe, wo der Bund eine zur Gesetzgebung zugewiesene Materie verständigerweise nicht regeln könne, ohne auch die datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu normieren.125 Das trifft als solches zweifelsohne zu. Weniger eindeutig erscheint indessen, ob Zwecke die Überwachung erfolgt, BVerfGE 125, 260 (314) – Vorratsdatenspeicherung. Vgl. dazu Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 166. 122 So bereits BVerfGE 12, 205 (225 ff.) – 1. Rundfunkentscheidung; 113, 348 (368) – Präventive Telekommunikationsüberwachung; 114, 371 (385) – Bayerisches Landesmediengesetz; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 119. 123 BVerfGE 125, 260 (314) – Vorratsdatenspeicherung. 124 Aus dem Schrifttum zu ihr etwa Hans-Uwe Erichsen, Die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten nach dem Grundgesetz, Jura 1993, S. 385 (387); Wolfgang Rüfner, Ungeschriebene Bundeskompetenzen im Widerstreit, ZG 1999, S. 366 (367 f.); Dirk Ehlers, „Ungeschriebene Kompetenzen“, Jura 2000, S. 323 (324 f.); umfassend zuletzt Ulrich J. Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs nach dem Grundgesetz, 2007, S. 121 ff. und passim; Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 73 ff.; aus der Kommentarliteratur Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 42 ff.; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Vorb. v. Art. 70 Rn. 27 ff.; Jochen Rozek, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 Rn. 45 ff.; Markus Heintzen, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 70 Rn. 116 ff.; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 70 Rn. 67 ff. 125 BVerfGE 125, 260 (314) – Vorratsdatenspeicherung; vgl. in diesem Sinne, wenngleich ohne speziellen Bezug zum Recht des Datenschutzes, BVerfGE 3, 407 (421) – Baurechtsgutachten; 12, 205 (237) – 1. Rundfunkentscheidung; 15, 1 (20) – Seewasserstraßen; 26, 246 (256) – Ingenieur; 26, 281 (300) – Gebührenpflicht von
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dies auch für die sich anschließende Begründung des Bundesverfassungsgerichts gilt, mit der es zu belegen sucht, dass im Falle der §§ 113a und 113b TKG ein solch zwingender Regelungszusammenhang mit der Telekommunikationskompetenz des Bundes besteht. Das Gericht argumentiert insofern zwar in nachvollziehbarer Weise, dass die diesbezüglichen Bestimmungen „unmittelbar“ an die Telekommunikationskompetenz anknüpften, da sie im Anschluss an die Regelung der technischen Bedingungen der Informationsübermittlung die jeweils zu beachtenden Anforderungen an den Umgang mit den bei der Erbringung von Telekommunikationsdiensten erzeugten oder verarbeiteten Daten normierten. Auch führt es an, dass aufgrund des „engen Zusammenhangs zwischen technischem Übermittlungsvorgang und den dabei anfallenden Daten […] die erforderliche datenschutzrechtliche Regelung ihrer Verwendung nur einheitlich durch den Bundesgesetzgeber erfolgen [könne], der über die Kompetenz zur Regelung des Übermittlungsvorgangs [verfüge]“;126 andernfalls bestehe „die Gefahr eines Inkongruenzen verursachenden Auseinanderfallens der technischen und datenschutzrechtlichen Regelungen der Datenverarbeitung“.127 Gleichwohl irritiert, dass das Bundesverfassungsgericht diese Argumentation um Erwägungen anreichert, die die Anforderungen an die materielle Verfassungskonformität der Vorratsdatenspeicherung betreffen.128 So führt es etwa aus, dass die „verfassungsrechtlich gebotene Gewährleistung der Datensicherheit sowie einer den Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügenden normenklaren Begrenzung der Datenverwendung […] ein untrennbarer Bestandteil der Anordnung der Speicherungsverpflichtung [sei] und […] deshalb dem die Verpflichtung auferlegenden Bundesgesetzgeber [obliege]“.129 Speziell im Hinblick auf die Bundeskompetenz für die Begrenzung der Verwendungszwecke gründe dies in dem „unaufhebbaren verfassungsrechtlichen Zusammenhang von Datenspeicherung und Verwendungszweck“, da aus materiellen Gründen – namentlich aus Gründen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – eine Speicherung verfassungsrechtlich nicht als solche gerechtfertigt werden könne, Bundesbahn und Bundespost; 98, 265 (299 f.) – Bayerisches Schwangerenhilfegesetz; 106, 62 (115) – Altenpflege; 110, 33 (48) – Zollkriminalamt. 126 BVerfGE 125, 260 (314 f.; vgl. auch 345 f.) – Vorratsdatenspeicherung. Billigung dieses bundesverfassungsgerichtlichen Ausgangspunktes bei Markus Möstl, Das Bundesverfassungsgericht und das Polizeirecht, DVBl 2010, S. 808 (815). 127 BVerfGE 125, 260 (315) – Vorratsdatenspeicherung. 128 Die entsprechenden Ausführungen finden sich aussagekräftigerweise zu einem erheblichen Teil innerhalb jener Urteilspassagen, die sich mit den materiellen Anforderungen an die Grundgesetzkonformität einer Vorratsdatenspeicherung auseinandersetzen, siehe BVerfGE 125, 260 (344 ff.; hierbei nimmt der Senat [345] selbst durch einen Binnenverweis explizit auf die vorherigen materiell-rechtlichen Grundsatzausführungen Bezug) – Vorratsdatenspeicherung. 129 BVerfGE 125, 260 (344, s. auch 345) – Vorratsdatenspeicherung.
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sondern nur insoweit, als sie hinreichend gewichtigen, konkret benannten Zwecken diene: „Diese materielle Verknüpfung von Speicherung und Verwendungszweck der Daten“ dürfe „auch im Zusammenspiel von Bund und Ländern nicht aufgebrochen werden. Die Kompetenz, diese Verknüpfung zu gewährleisten, erwächst dem Bund aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG kraft Sachzusammenhangs“.130 Damit zieht das Gericht materielle Anforderungen an die verfassungsgemäße Regelung der Vorratsdatenspeicherung heran, um das Vorliegen eines zwingenden Zusammenhangs zwischen der Telekommunikationskompetenz des Bundes auf der einen Seite und der Zuständigkeit für die Datenverwendung auf der anderen Seite zu begründen. Indessen sind aus prinzipiellen Gründen Fragen der formellen Verfassungskonformität nicht mit Fragen der materiellen verfassungsrechtlichen Statthaftigkeit einer gesetzlichen Regelung zu vermischen. Erst recht können Anforderungen des materiellen Verfassungsrechts, selbst wenn sie grundrechtlich begründet sein mögen, keine kompetenzerweiternden Wirkungen entfalten. Auch wer es für zutreffend hält, die Telekommunikationskompetenz des Bundes über die Anordnung der Speicherungsverpflichtung hinaus – wie gesetzgeberisch seit Jahrzehnten praktiziert131 – auf die gleichzeitige Regelung des Schutzes der gespeicherten Daten zu erstrecken,132 wird daher diesen Aspekt der bundes130 BVerfGE
125, 260 (346) – Vorratsdatenspeicherung. Inanspruchnahme der Kompetenz aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG erlässt der Bund seit Jahrzehnten auch Regelungen zum Datenschutz. Vgl. hierzu etwa §§ 449 ff. der Verordnung über die Bedingungen und Gebühren für die Benutzung der Einrichtungen des Fernmeldewesens (Telekommunikationsordnung – TKO) vom 5. November 1986 (BGBl. I S. 1749), erlassen aufgrund § 14 des Gesetzes über die Verwaltung der Deutschen Bundespost (Postverwaltungsgesetz) in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 900-1, veröffentlichten bereinigten Fassung. Nachgehend entsprechend die Verordnung über den Datenschutz bei Dienstleistungen der Deutschen Bundespost TELEKOM (TELEKOM-Datenschutzverordnung – TDSV) vom 24. Juni 1991 (BGBl. I S. 1390) auf der Grundlage von § 30 Abs. 2 des Gesetzes über die Unternehmensverfassung der Deutschen Bundespost (Postverfassungsgesetz – PostVerfG) vom 8. Juni 1989 (BGBl. I S. 1026); zum insoweitigen Rekurs auf die ausschließliche Kompetenz vgl. etwa BT-Drs. 11 / 2854, S. 36 und 45. Vgl. auch die Verordnung über den Datenschutz für Unternehmen, die Telekommunikationsdienstleistungen erbringen (Teledienstunternehmen-Datenschutzverordnung – UDSV) vom 18. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2337), erlassen aufgrund § 14a Abs. 2 des Gesetzes über Fernmeldeanlagen in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Juli 1989 (BGBl. I S. 1455); ebenso die Telekommunikations-Datenschutzverordnung (TDSV) vom 18. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1740), erlassen auf der Grundlage von § 89 Abs. 1 des Telekommunikationsgesetzes vom 25. Juli 1996 (BGBl. I S. 1120). Hinsichtlich der Inbezugnahme der Kompetenz des Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 für die Datenschutzregelungen in §§ 91 ff. TKG vgl. BR-Drs. 755 / 03, S. 75; zur Übernahme der bisher im Verordnungswege in der TDSV geregelten Maßgaben in das TKG, ebd., S. 119. 132 So etwa – die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs i. E. bejahend – Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 82a; Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz 131 Unter
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verfassungsgerichtlich gewählten Begründung als wenig überzeugend beurteilen (müssen). Dieser Begründungsmangel ist umso gravierender, als das Bundesverfassungsgericht auch die Reichweite der von ihm bejahten Kompetenz des Bundesgesetzgebers dezidiert materiell-rechtlich konturiert: Der Bund, so das Gericht ausdrücklich, könne unter Berufung auf die ihm vorliegend zugebilligte Zuständigkeit diejenigen Regelungen treffen, „die zu einer grundrechtskonformen Regelung der Datenverwendung erforderlich [seien].“ Insbesondere könne er daher jene Bestimmungen vorsehen, die „notwendig“ seien, „damit die […] Datenspeicherung und die Übermittlung der Daten an Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden sowie Nachrichtendienste und ihre Verwendung zur Erteilung von Auskünften […] den grundrechtlichen Anforderungen von Art. 10 Abs. 1 GG [genügten].“133 Allerdings reiche die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nur so weit, „wie dies nach datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten und den hiermit verbundenen verfassungsrechtlichen Anforderungen geboten [sei]“. Deshalb könne die Ermächtigung zum Datenabruf nicht auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG gestützt werden,134 sondern sei „auf der Grundlage jeweils derjenigen Kompetenznorm zu schaffen, die die Gesetzgebung für die mit der Datenverwendung verfolgten Aufgaben [regele]“.135 Letzteres ist im Ergebnis zwar zutreffend, allerdings ausschließlich deshalb, weil die Frage, welche Daten abgerufen werden, nicht mehr an die technische Seite des Übermittlungsvorgangs anknüpft, sondern die Nutzung der übermittelten Inhalte betrifft. Demgemäß bedarf es für die Begründung der diesbezüglichen Kompetenzbeschränkung wiederum nicht der bundesverfassungsgerichtlich vorgenommenen Vermischung von Kompetenzreichweite und materieller Grundrechtsgewähr, dies umso weniger, als eine solche Vermengung – wie ausgeführt – in grundsätzlicher Weise verkennt, dass Grundrechte keine Zuständigkeitsverschiebungen legitimieren können.136 Das ist auch der Grund dafür, dass der bundesfür die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 27; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 34; vgl. auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 42 a. E. mit Anm. 187. 133 BVerfGE 125, 260 (315) – Vorratsdatenspeicherung. 134 BVerfGE 125, 260 (315: Der Bund bedürfe daher für die Ermächtigung zum Datenabruf eines eigenen Kompetenztitels oder müsse die Entscheidung hierüber den Ländern überlassen) – Vorratsdatenspeicherung; ebenso Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 34; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 34 mit Anm. 137; Heinrich A. Wolff, Vorratsdatenspeicherung – der Gesetzgeber gefangen zwischen Europarecht und Verfassung, NVwZ 2010, S. 751 (752). 135 BVerfGE 125, 260 (346) – Vorratsdatenspeicherung. 136 Wie hier auch Markus Möstl, Das Bundesverfassungsgericht und das Polizeirecht, DVBl 2010, S. 808 (816). – Das gilt umso mehr, als eine solche Vermengung
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verfassungsrechtliche Versuch, die Zuständigkeit des Bundes für die Regelung des Verwendungszwecks aus grundrechtlichen Gründen auf detaillierte Bestimmungen über die Anforderungen an den Datenabruf auszudehnen, nicht überzeugen kann. Vielmehr gehört die Festlegung der materiellen Voraussetzungen des Datenzugriffs nach dem Schwerpunkt der Regelung zur Kompetenz des Fach-, nicht aber des Telekommunikationsgesetzgebers.137 Zu Recht kritisieren auch die dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung beigefügten Sondervoten, dass die Senatsmehrheit der den §§ 113a und 113b TKG zugrunde liegenden Konzeption „einer gestuften legislativen Verantwortung“ von Telekommunikations- und Fachgesetzgeber letztlich nicht angemessen Rechnung trägt.138 An das hier nachgezeichnete – im Ausgangspunkt nachvollziehbare, in Begründung wie Detail vor diesem Hintergrund aber doch erhebliche Schwächen offenbarende – Urteil zur Vorratsdatenspeicherung knüpft inhaltlich der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar 2012 zur Bestandsdatenspeicherung an.139 Dieser bestätigt zunächst noch einmal, dass der Bund kraft Sachzusammenhangs mit der Materie der Telekommunikation i. S. d. Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG befugt ist, auch datenschutzrechtliche Anforderungen an die Speicherung und Verwendung von Telekommunikationsbestandsdaten zu regeln, sofern damit ein Inkongruenzen verursachendes Auseinanderfallen der technischen und datenschutzrechtlichen Bestimmungen zur Datenverarbeitung vermieden wird. Hierzu, so das Bundesverfassungsgericht, gehörten indessen „nicht nur Regelungen zu den Schutzanforderungen, sondern als deren Kehrseite auch Bestimmungen dazu, welche Daten zur öffentlichen Aufgabenwahrnehmung bereitgehalten oder zur Verfügung gestellt werden dürfen oder müssen“.140 Daher seien keine kompetenziellen Einwände zu erheben gegen eine bundesgesetzliche Verpflichtung der Telekommunikationsdiensteanbieter zur Erhebung und Speicherung bestimmter telekommunikationsbezogener Kundendaten, um diese für die staatliche Aufgabenwahrnehmung verfügbar zu halten.141 Der Bund sei auf der Grundlage seiner Kompetenz für im Übrigen gerade jene Unterscheidung zwischen den kompetenziellen Bestimmungen des Grundgesetzes und den materiellen Vorgaben der Verfassung missachtet, die das Plenum des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss zum Luftsicherheitsgesetz vom 3. Juli 2012 unter verfassungssystematischen Aspekten selbst zu Recht hervorgehoben hat (siehe dazu vorstehend sub VI. 2.). 137 Zutreffend Markus Möstl, Das Bundesverfassungsgericht und das Polizeirecht, DVBl 2010, S. 808 (815 f.). 138 So die abweichende Meinung der Richter Michael Eichberger (S. 381 f.) und Wilhelm Schluckebier (S. 374 f.) zu BVerfGE 125, 260 – Vorratsdatenspeicherung. 139 BVerfGE 130, 151 – Bestandsdatenspeicherung. 140 BVerfGE 130, 151 (186) – Bestandsdatenspeicherung. 141 BVerfGE 130, 151 (186; vgl. auch 200 f.) – Bestandsdatenspeicherung.
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die Telekommunikation auch befugt, ein automatisiertes Auskunftsverfahren, bei dem die Bundesnetzagentur die Daten auf Ersuchen an bestimmte, ge setzlich festgelegte Behörden zu übermitteln habe, zu regeln.142 Da er sich allerdings auch insoweit lediglich auf eine Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs stützen könne, sei er auf die Regelung solcher datenschutzrechtlicher Bestimmungen beschränkt, „die verständigerweise nur im Zusammenhang mit den Bestimmungen zur Errichtung einer Telekommunikationsinfrastruktur und zur Informationsübermittlung mit Hilfe von Telekommunikationsanlagen geregelt werden“ könnten.143 Das trifft insofern zu, als die Grenze einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs für den Bund in der Tat als Grenze seiner Regelungszuständigkeit wirkt. Nachdem indessen bereits das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung diese Zuständigkeit auf Regelungen zum Schutz der Daten erstreckt, sieht das Bundesverfassungsgericht von ihr nunmehr ausdrücklich auch Bestimmungen erfasst, „die die Grenzen dieses Schutzes bestimmen und festlegen, unter welchen Bedingungen und zu welchen Zwecken Daten für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zur Verfügung gestellt werden“.144 Daher bejaht es die Befugnis des Bundesgesetzgebers, festzulegen, unter welchen Voraussetzungen eine Behörde Daten übermitteln dürfe („Datenübermittlungsbefugnis“) bzw. zu welchen Zwecken und in welchen Fällen Daten im Rahmen der Amtshilfe auf Ersuchen an eine andere Behörde übermittelt werden müssten („Datenübermittlungspflicht“).145 Angesichts dessen – so das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich – liege die „kompetenzrechtliche Verantwortung für die Datenübermittlung einer Behörde […] im Bereich des Telekommunikationsrechts beim Bund“. Diese Feststellung zeigt, wie weit auch der hier erörterte Beschluss den Umfang der Gesetzgebungsbefugnis des Bundes bemisst und – damit korrespondierend – wie erheblich er die grundsätzlich bestehende Länderkompetenz für das Recht des Datenschutzes wiederum schmälert. Daher betrifft auch er einen kompetenzrechtlichen Grenzfall.146 Wer indessen – trotz der deutlichen Schwächen in Begründung und Detail – dem der Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung zugrunde liegenden Ausgangspunkt des Bundesverfassungsgerichts folgt, also die kompetenzielle Zuordnung der Vorratsdatenspeicherung einschließlich begleitender Bestimmungen über Datenschutz und Verwendungszweck zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 (2. Alt.) GG im Ergebnis für zutreffend hält, wird zu konzedieren haben, dass dieser Ansatz durch den hier nachgezeichneten Beschluss zur Bestandsdatenspeicherung konsequent fortgeschrieben wird. Das 142 BVerfGE
130, 151 (192) – Bestandsdatenspeicherung. 130, 151 (192) – Bestandsdatenspeicherung. 144 BVerfGE 130, 151 (192 f.) – Bestandsdatenspeicherung. 145 BVerfGE 130, 151 (193) – Bestandsdatenspeicherung. 146 Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 73 Rn. 33.1. 143 BVerfGE
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gilt auch insofern, als in dieser Entscheidung die Grenze der Gesetzgebungskompetenz des Bundes wiederum dort gezogen wird, wo es um den Abruf telekommunikationsbezogener Kundendaten geht. Für dessen Regelung, so das Bundesverfassungsgericht zu Recht, bedarf es – wie bereits in der Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung verdeutlicht – einer fachrechtlichen Kompetenzgrundlage.147 Kann sich der Bund hierfür nicht auf einen eigenen Kompetenztitel berufen, muss der Datenabruf den Ländern überlassen bleiben.148 4. Die Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 a) bis c) sowie ergänzend Nr. 1 und 5 GG betreffende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Antiterrordatei Ordnet man die nach dem Inkrafttreten der Föderalismusreform zum 1. September 2006 ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den der ausschließlichen Bundesgesetzgebung unterstellten Kompetenztiteln chronologisch, hat die vorläufig jüngste kompetenzielle Klärung das vom 24. April 2013 datierende Urteil zur Antiterrordatei erbracht.149 Diesem Urteil zufolge kann sich der Bund für den in dem der Antiterror datei zugrunde liegenden Gesetz geregelten Informationsaustausch zwischen Bundeskriminalamt, Landeskriminalämtern, Bundesverfassungsschutz, Landesverfassungsschutzbehörden sowie weiteren Polizeivollzugsbehörden auf die Gesetzgebungskompetenzen des Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 a) bis c) GG zur Zusammenarbeit der Behörden stützen. Ausdrücklich und zu Recht bestätigt das Urteil in diesem Kontext, dass Zusammenarbeit im Sinne dieser Kompetenzvorschrift „eine auf Dauer angelegte Form der Kooperation [ist], die die laufende gegenseitige Unterrichtung und Auskunftserteilung, die wechselseitige Beratung sowie gegenseitige Unterstützung und Hilfeleistung in den Grenzen der je eigenen Befugnisse umfasst und funktionelle und organisatorische Verbindungen, gemeinschaftliche Einrichtungen und gemeinsame Informationssysteme erlaubt“.150 Zutreffend hebt es zudem hervor, dass 147 BVerfGE
130, 151 (200 ff.) – Bestandsdatenspeicherung. 130, 151 (193, vgl. auch 201 f.) – Bestandsdatenspeicherung. 149 BVerfG, NJW 2013, 1499 – Antiterrordatei. 150 BVerfG, NJW 2013, 1499 (1501 f.) – Antiterrordatei; so zuvor bereits Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 231; ebenso Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 126; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 73 Rn. 49; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 73 Rn. 41. Dem BVerfG zustimmend auch Klaus F. Gärditz, Anmerkung, JZ 2013, S. 633 (634), demzufolge „eine lediglich organisatorische Trennung einem Informationsaustausch nicht entgegen“ steht. 148 BVerfGE
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sich die von Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 a) bis c) GG umfasste Gesetzgebungskompetenz für die Regelung dieser Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Polizeibehörden nicht auf die Strafverfolgung beschränkt. So stellt es ausdrücklich klar, dass Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG die Möglichkeit schaffen soll, „föderale Zuständigkeitsgrenzen bei der Erfüllung repressiver und präventiver Aufgaben zu lockern“. Das überzeugt bereits im Hinblick auf den Wortlaut des Kompetenztitels, da der in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 a) GG Verwendung findende Begriff der „Kriminalpolizei“ in der Tat keinesfalls ausschließen soll, dass der Bund eine Zusammenarbeit auch zur Verhinderung von Straftaten regeln kann. Vielmehr dient er lediglich der Beschränkung auf Regelungen, die sich auf bedeutsame Straftaten von Gewicht beziehen.151 Darüber hinaus – so das Bundesverfassungsgericht weiter – stehe einem Rückgriff auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG auch nicht entgegen, dass das Antiterrordateigesetz eine Zusammenarbeit der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden nicht nur fachlich, sondern zugleich fachübergreifend regele. Denn der Kompetenztitel erlaube auch derartige, fachübergreifende, Regelungen. Ein solches Verständnis der Zuständigkeitszuweisung entspricht, wie das Gericht selbst zu Recht feststellt, in der Tat „nicht nur einem funktionalen Verständnis der Norm, die allgemein eine Effektivierung der Zusammenarbeit der verschiedenen Sicherheitsbehörden über föderale Kompetenzgrenzen hinweg ermöglichen will, sondern wird auch durch ihre ursprüngliche Fassung nahegelegt, die noch nicht in einzelne Buchstaben aufgegliedert war“.152 Soweit im Antiterrordateigesetz darüber hinaus als weitere Behörden der Bundesnachrichtendienst, der Militärische Abschirmdienst, das Zollkriminalamt und die Bundespolizei einbezogen werden, stützt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 2013 dies kompetenziell zutreffend auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 GG. Zwar sei der Bundesgesetzgeber nicht berechtigt, dem Bundesnachrichtendienst allein deshalb, weil es sich um Fälle mit Auslandsbezug handele, Befugnisse einzuräumen, die auf die Verhütung, Verhinderung oder Verfolgung von Taten als solche gerichtet seien. Vielmehr müssten Regelungen, damit sie auf Gesetzgebungskompetenz aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützt werden können, „in einen Rege151 BVerfG, NJW 2013, 1499 (1502) – Antiterrordatei; aus dem Schrifttum so auch Markus Heintzen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 73 Rn. 114; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 239; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 59; Eckhart Werthebach / Bernadette Droste, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 165. Erg.-Lfg. (Januar 2014), Art. 73 Nr. 10 Rn. 109, 118 ff. 152 BVerfG, NJW 2013, 1499 (1502) – Antiterrordatei.
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lungs- und Verwendungszusammenhang eingebettet sein, der auf die Auslandsaufklärung bezogen ist und der politischen Information der Bundesregierung dient“.153 Die Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes an der Antiterrordatei hält das Gericht mit diesen Vorgaben indessen zu Recht für vereinbar. Das gelte, so das Bundesverfassungsgericht, zunächst für den dem Bundesnachrichtendienst ermöglichten Zugriff auf die in der Antiterrordatei gespeicherten Daten, da diesem damit nach den Bestimmungen des zugrunde liegenden Gesetzes „keine weiteren, allgemein auf die Verhinderung von Straftaten des internationalen Terrorismus gerichtete Kompetenzen“ zugewiesen würden. Kompetenzgerecht sei aber auch, dass der Bundesnachrichtendienst seine eigenen Daten durch Einstellung in die Datei anderen Behörden zugänglich mache; denn das Antiterrordateigesetz begründe auch insofern keine neuen Datenerhebungsbefugnisse, sondern knüpfe „an die jeweils für die eigene Aufgabenerfüllung erhobenen Daten an“ und verpflichte lediglich dazu, „diese Daten anderen Behörden für deren Aufgaben zugänglich zu machen“. Die „Regelung des Umfangs solcher zweckändernder Bereitstellung von Daten für andere Aufgabenträger“ ordnet das Bundesverfassungsgericht hierbei – insofern Bezug nehmend auf sein Urteil zur Vorratsdatenspeicherung – „kraft Sachzusammenhangs“ der „jeweiligen Kompetenz für die Datenerhebung und den hiermit korrespondierenden Datenschutz“ zu.154 In vergleichbarer Weise stützt es schließlich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Beteiligung des Militärischen Abschirmdienstes auf die Gesetzgebungskompetenz für die Verteidigung gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG und für die der Bundespolizei sowie des Zollkriminalamtes auf die Zuständigkeit für den Zoll- und Grenzschutz nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG. Das soll allerdings in der Kontinuität der bundesverfassungsgerichtlichen Argumentation zu den Entscheidungen zur Vorratsdaten- und zur Bestandsdatenspeicherung wiederum nicht für solche Regelungen gelten, die es den anderen an der Antiterrordatei beteiligten Behörden „unmittelbar erlaubte[n], die von diesen Bundesbehörden eingestellten Daten abzurufen“.155
153 BVerfG, NJW 2013, 1499 (1502) – Antiterrordatei; vgl. dazu auch Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 73 Rn. 41. 154 BVerfG, NJW 2013, 1499 (1502) – Antiterrordatei. 155 BVerfG, NJW 2013, 1499 (1502) – Antiterrordatei. Ausdrücklich hält das BVerfG hierbei fest, dass das Antiterrordateigesetz eine entsprechende Nutzung der Datei nicht vorsehe. Vielmehr setze es hierfür seitens der jeweils Zugriff nehmenden Behörde „eigene Datenerhebungsvorschriften, gegebenenfalls auch auf Landesebene, voraus“.
Die Sachbereiche der Gesetzgebungskompetenz des Bundes235
VII. Würdigung Die Analyse der seit 2006 ins Werk gesetzten Einzeländerungen des Art. 73 GG sowie der seither ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts belegt einen nicht unerheblichen Bedeutungszuwachs der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, der in mehreren Ursachen wurzelt. Zu diesen Ursachen gehört zunächst, dass Kompetenztitel, die bis 2006 der konkurrierenden Zuständigkeit sowie der Rahmenkompetenz unterstellt waren, in einer verfassungspolitisch insgesamt weithin angemessenen Weise der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes zugeordnet worden sind.156 Das gilt insbesondere für die Kompetenz zur Regelung der Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken (Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG). Die diesbezüglichen Änderungen bedeuten für die Länder jedenfalls in der Staatspraxis gegenüber dem bisherigen Status quo keine substanzielle Schwächung ihrer Zuständigkeiten, weil es sich bei ihnen durchgängig um Sachbereiche handelt, in denen die Länder entweder bereits vor der Föderalismusreform keine Gesetze erlassen haben oder aber durch bundesgesetzliche Rahmenvorschriften in ihrer inhaltlichen Gestaltungsfreiheit erheblich eingeschränkt waren.157 Eine weitere – und bedeutsamere – Ursache für die Stärkung der ausschließlichen Gesetzgebungskom156 Das trifft etwa zu auf die Übernahme des Melde- und Ausweiswesens in die ausschließliche Bundeszuständigkeit, mit der es gelungen ist, in Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG bislang getrennte Kompetenzgegenstände zu bündeln, weiterhin auf die Überführung der Zuständigkeit für den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland in den Katalog der von Art. 73 Abs. 1 GG benannten Materien und schließlich auch auf die Verlagerung der Kompetenzen für das Waffen- und Sprengstoffrecht sowie für die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken in die ausschließliche Bundesgesetzgebung. Anderes mag freilich für die die isolierte Überführung der Kompetenz für die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen sowie für die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen gelten, die im Schrifttum auf Kritik gestoßen ist, weil die Kompetenzen für die Kriegsschäden und die Wiedergutmachung sowie für die Kriegsgräberfürsorge in der konkurrierenden Gesetzgebung verblieben sind und die Verfassungsänderung daher die bislang thematisch zusammengehörende Kompetenzgruppe aufgelöst hat (vgl. in diesem Sinne etwa Rupert Stettner, in: Dreier [Hrsg.], Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 10). Einer solchen Beurteilung lässt sich indessen – worauf Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 77 aufmerksam gemacht hat – entgegenhalten, dass jedenfalls im Falle des Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG die in der konkurrierenden Zuständigkeit verbliebene Materie im Gegensatz zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 GG n. F. auch SED-Unrecht erfasst und deshalb im Einzelfall ein Bedürfnis nach Landesgesetzgebung in Berlin sowie den fünf „neuen“ Bundesländern bestehen kann. 157 Wie hier auch Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 9 a. E.; Markus Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, Rn. 75 f.
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petenzen des Bundes ist sodann mit der neu in das Grundgesetz aufgenommenen Bundeszuständigkeit des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a verbunden. Sie ist unter den 2006 im Recht der ausschließlichen Bundesgesetzgebung vorgenommenen Verfassungsänderungen ohne Zweifel die wichtigste, was nicht zuletzt auch die Intensität ihrer bundesgesetzgeberischen Inanspruchnahme durch das Ende 2008 erlassene „Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt“ deutlich gemacht hat.158 Mindestens ebenso stark wie die Verfassungsänderungen von 2006 hat daneben schließlich auch die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zum Bedeutungszuwachs des Art. 73 GG beigetragen. Das gilt vor allem für die Entscheidungen, die sich mit Kompetenzfragen befassen, die im weitesten Sinne die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit bzw. die Abwehr terroristischer Gefahren betreffen – angefangen von dem Beschluss des Plenums zum Luftsicherheitsgesetz über die Entscheidungen zu Vorrats- und Bestandsdatenspeicherung bis hin zum Urteil über die Antiterrordatei. Angesichts dessen sind die sicherheitsrelevanten Zuständigkeitsfragen in der gegenwärtigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von besonderer Relevanz. Diesen Hintergrund haben die einschlägigen Entscheidungen im Übrigen mit der wichtigsten Einzeländerung der Föderalismusreform von 2006, dem neuen Kompetenztitel zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt, gemeinsam. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie eine Tendenz zur Ausdehnung der einschlägigen Bundeszuständigkeiten aufweisen. Das ist im Hinblick auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG ohnehin evident, zeigt sich aber auch an den Kompetenzinterpretationen der vorstehend behandelten bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen, insbesondere daran, dass das Bundesverfassungsgericht in ihnen wiederholt auf stillschweigend mitgeschriebene Bundeskompetenzen zurückgreift. Angesichts dessen ist es letztlich die seit dem 11. September 2001 allgegenwärtige Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und die dadurch neu ins Bewusstsein getretene Bedrohung der öffentlichen Sicherheit, die seit 2006 wesentlich zum Bedeutungszuwachs der einschlägigen Kompetenzmaterien der ausschließlichen Bundesgesetzgebung beigetragen hat.
158 Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt vom 25. Dezember 2008 (BGBl. I S. 3083).
Teil D
Die Regelungen des Kompetenzübergangs
Die Freigabe von Bundesrecht zur landesrechtlichen Ersetzung Von Christian Seiler I. Die Ersetzung nicht mehr kompetenzgerechten Bundesrechts im Überblick. 240 II. Abgrenzung von anderen Formen landesrechtlicher Disposition über Bundesrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Ermächtigung zur Landesgesetzgebung bei ausschließlicher Bundeskompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2. Abweichung des Landes‑ vom Bundesgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Keine erkenntnisleitende Bedeutung für die Ersetzung. . . . . . . . . . . . . . . 242 III. Der Ersetzung zugängliche Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Ersetzung nach Änderung der Kompetenzordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Ersetzung nach Änderung kompetenzrelevanter Verhältnisse. . . . . . . . . . 244 3. Praktische Anwendungsfälle der Ersetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 IV. Wesen und Wirkung der Ersetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1. Austausch von Bundes- und Landesgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Das ersetzende Landesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Die Freigabe zur Ersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 4. Die Inanspruchnahme der Freigabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 5. Einschub: Das Problem zwischenzeitlicher Versteinerung der Rechtslage. 251 V. Verfassungsprozessuale Absicherung der Ersetzungsbefugnis. . . . . . . . . . . . 253 1. Der Antrag nach Art. 93 Abs. 2 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Rückwirkungen auf die Freigabegesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 VI. Die Ersetzung als Instrument eines geordneten Ebenenübergangs . . . . . . . . 255
Das Land Baden-Württemberg hat vor einiger Zeit ein Landesgaststättengesetz1 erlassen, das aus nur drei Paragraphen besteht. § 1 des Gesetzes ordnet pauschal an, dass das Gaststättengesetz des Bundes nun als Landesrecht gilt. § 2 fügt ein Verbot bestimmter Formen der Vermarktung alkoholischer Getränke hinzu, die übermäßigem Alkoholkonsum Vorschub leisten – 1 Gaststättengesetz für Baden-Württemberg, verkündet als Artikel 2 des Gesetzes zur Abwehr alkoholbeeinflusster Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung während der Nachtzeit und zum Schutz vor alkoholbedingten Gesundheitsgefahren (Alkoholverkaufsverbotsgesetz) vom 10. November 2009 (GBl. S. 628, 629).
240
Christian Seiler
gemeint sind vor allem besondere Preisgestaltungen wie etwa die sogenannten Flatrate-Partys. § 3 erklärt Verstöße gegen § 2 zu Ordnungswidrigkeiten, die mit einem Bußgeld geahndet werden können. Die Gesetzesbegründung2 lässt erkennen, dass es dem Landesgesetzgeber bei seiner Neuregelung allein um das bußgeldbewehrte Verbot von Flatrate-Partys ging, also nur um eine Detailfrage des Gaststättenrechts. Um diese jedoch regeln zu können, hat er zunächst das ganze Bundesgesetz in Landesrecht überführt und es dann unmittelbar anschließend geändert. Technisch hat er sich damit des Instruments einer Ersetzung von Bundes- durch Landesrecht bedient, das im Folgenden Gegenstand näherer Betrachtung sein soll. Die Ersetzung ist hierzu nach einem kurzen Überblick (I.) von anderen Formen landesrechtlicher Disposition über geltendes Bundesrecht abzugrenzen (II.), um auf dieser Grundlage ihren Anwendungsbereich (III.) und ihre wichtigsten Wesenszüge (IV.) herauszuarbeiten, denen ein Blick auf ihre verfassungsprozessuale Absicherung (V.) und eine abschließende rechtspolitische Bewertung (VI.) nachfolgen sollen. I. Die Ersetzung nicht mehr kompetenzgerechten Bundesrechts im Überblick Das Grundgesetz sieht in Art. 72 Abs. 4 GG sowie in Art. 125a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 GG die Möglichkeit vor, Bundes- durch Landesrecht zu ersetzen.3 Diese bereits 1994 eingeführte, mit der Föderalismusreform I tatbestandlich erweiterte Ersetzungsbefugnis folgt teils unmittelbar aus der Verfassung (Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG), teils bedarf es noch eines freigebenden Bundesgesetzes (Art. 72 Abs. 4 GG, Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG). Jeweils geht es um Konstellationen, in denen ein wirksam ergangenes, bis zu seiner Ersetzung fortgeltendes Bundesgesetz wegen einer zwischenzeitlichen Änderung der Sach- oder Rechtslage so nicht mehr kompetenzgerecht erlassen werden könnte. Sinn und Zweck der Ersetzungsbefugnis ist es demgemäß, das einfache Recht rechtsstaatlich geordnet auf die nun zuständige Länderebene zu überführen. Als Rechtsfolge tritt daher auch ein Geltungsvorrang ersetzender Landesgesetze ein, die das abgelöste Bundesgesetz – auf das jeweilige Landesgebiet beschränkt – partiell vernichten. Konkurrenzfragen zwischen Landes- und Bundesgesetz stellen sich nicht, da beide nie nebeneinander stehen. 2 Vgl. den Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 14 / 4850, insbesondere S. 16 f. 3 Zum Folgenden auch Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 72 Rn. 17 ff.; Art. 125a Rn. 1 ff.; Art. 125b Rn. 2.1 m. w. N.; siehe ferner Katrin Gerstenberg, Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform, 2009, S. 210 ff., 221 ff.
Die Freigabe von Bundesrecht zur landesrechtlichen Ersetzung241
II. Abgrenzung von anderen Formen landesrechtlicher Disposition über Bundesrecht Die landesrechtliche Ersetzung nicht mehr kompetenzgemäßen Bundesrechts ist von der landesgesetzlichen Disposition über an sich in der Zuständigkeit des Bundes verbliebene Rechtsmaterien abzugrenzen. Diese tritt, je nach Kompetenzbereich, in zwei Erscheinungsformen auf, der bundesgesetzlichen Ermächtigung zur Landesgesetzgebung nach Art. 71 GG und der Abweichung des Landes- vom Bundesgesetz gemäß Art. 72 Abs. 3 GG, Art. 84 Abs. 1 Satz 2 bis 6 GG sowie Art. 125b Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 GG. 1. Ermächtigung zur Landesgesetzgebung bei ausschließlicher Bundeskompetenz Zunächst gestattet Art. 71 GG dem Bundesgesetzgeber, die Länder in Bereichen der aus schließlichen Bundeszuständigkeit zur Gesetzgebung zu ermächtigen.4 Es handelt sich damit um einen Fall der Kompetenzdelega tion, deren genaue Reichweite im jeweiligen Bundesgesetz (unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der auf eine grundsätzliche Bundes einheitlichkeit drängenden Bundeskompetenz) zu definieren ist. Kompetenzkonflikte drohen hier kaum, gegebenenfalls wären sie im Wege der (verfassungskonformen) Interpretation des ermächtigenden Gesetzes zu lösen.5 2. Abweichung des Landes‑ vom Bundesgesetz Sodann sieht das das Grundgesetz seit der Föderalismusreform I in Art. 72 Abs. 3 GG, Art. 84 Abs. 1 Satz 2 bis 6 GG und Art. 125b Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 GG für bestimmte Gebiete konkurrierender Bundeszuständigkeit6 die Möglichkeit einer Abweichung des Landes- vom Bundesgesetz vor.7 Diese bewirkt eine atypische Verdopplung der Regelungszuständigkeit, kraft 4 Hierzu Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 71 Rn. 5 ff. 5 Vgl. z. B. NRWVerfGH, NVwZ 1993, S. 57 (57 ff.) zu § 22 PartG a. F. 6 Im Einzelnen sind dies die (nicht unter dem Erforderlichkeitsvorbehalt des Art. 72 Abs. 2 GG stehenden) Katalogtatbestände des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 6 GG (zu definieren i. S. v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 28 bis 33 GG), die Bundesregelungen der Behördeneinrichtung und des Verwaltungsverfahrens beim Vollzug von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheit der Länder nach Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG sowie die Altfälle nach Art. 125b GG. Diese Gebiete stehen überschneidungsfrei neben dem Anwendungsbereich der landesrechtlichen Ersetzung. 7 Hierzu Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 72 Rn. 23 ff.; Art. 125b Rn. 1 ff. m. w. N.
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derer Bundes- und Landesgesetz nebeneinander gelten können, so dass ein echtes Konkurrenzverhältnis entsteht. Sachgerechte Rechtsfolge ist dann ein bloßer Anwendungsvorrang abweichender Landesgesetze, als dessen Konsequenz ein älteres Bundesgesetz nach einer Aufhebung des abweichenden Landesgesetzes wieder Anwendung findet. Weitere Konkurrenzsituationen können dadurch eintreten, dass beide Gesetzgeber auch künftig Gesetze erlassen können, zwischen denen dann das jeweils spätere Gesetz ebenenübergreifend Anwendungsvorrang beansprucht. 3. Keine erkenntnisleitende Bedeutung für die Ersetzung Bundesgesetzlicher Ermächtigung und landesgesetzlicher Abweichungsbefugnis gemeinsam ist das Anliegen, differenzierten Anforderungen an Bundeseinheitlichkeit und regionale Vielfalt flexibel Rechnung zu tragen, nicht zuletzt weil verschieden große Länder über unterschiedliche Regelungskapazitäten verfügen. Als an bestehende Bundeskompetenzen anknüpfende Instrumente unterscheiden sich beide Rechtsinstitute jedoch nach Tatbestand und Rechtsfolge von der hier zu betrachtenden landesrechtlichen Ersetzung, mit der sie keine erkenntnisleitenden Gemeinsamkeiten teilen. III. Der Ersetzung zugängliche Rechtsgebiete Die Eigenschaft der Ersetzung von Bundes- durch Landesrecht, auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage auf dem Gebiet der Kompetenzordnung zu antworten, zeichnet ihren Einsatzbereich vor. Sie kommt in Betracht, wenn und soweit ein Bundesgesetz zwar anfänglich kompetenzgemäß und daher wirksam ergangen ist und auch bis auf Weiteres fortgilt, die Zuständigkeitsordnung es dem Bund jedoch aktuell nicht mehr gestatten würde, ein Gesetz gleichen Inhaltes zu erlassen. Nicht gemeint sind dagegen bloße Verschiebungen zwischen verschiedenen Kompetenztiteln des unverändert zuständigen Bundes (namentlich zwischen ausschließlicher und konkurrierender Bundeszuständigkeit).8 Zu unterscheiden sind dabei im Einzelnen zwei Arten des Kompetenzverlusts, der entweder aus Änderungen der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung (1.) oder aus mittelbar kompetenzerheblichen Veränderungen der zu regelnden Verhältnisse (2.) folgen kann.
8 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 125a Rn. 23.
Die Freigabe von Bundesrecht zur landesrechtlichen Ersetzung243
1. Ersetzung nach Änderung der Kompetenzordnung Erstere, die Änderung der normativen Kompetenzordnung, wird in der Übergangsbestimmung des Art. 125a GG angesprochen. Dessen Abs. 1 erfasst verschiedene Kompetenzver lagerungen vom Bund auf die Länder, deren wichtigste mit der Föderalismusreform I (zum 1. September 2006) vorgenommen wurden. Es geht dabei um gegenständliche Verkürzungen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes durch Änderungen von Art. 74 Abs. 1 GG,9 um das hinzugefügte Verbot bundesgesetz licher Aufgabenübertragungen an die Gemeinden in Art. 84 Abs. 1 Satz 7 und 85 Abs. 1 Satz 2 GG,10 um die Freigabe des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer zur landesgesetzlichen Bestimmung durch Art. 105 Abs. 2a Satz 2 GG, um die Abschaffung der vormaligen Bundeskompetenzen nach Art. 74a und 75 GG11 sowie um die Aufhebung von Art. 98 Abs. 3 Satz 2 GG. Vor Inkrafttreten der genannten Verfassungsänderungen ergangene Bundesgesetze gelten gemäß Satz 1 von Art. 125a Abs. 1 GG einstweilen als Bundesrecht12 fort (mit Vorrang gegenüber bis zur Änderung der Kompetenzordnung ergangenem Landesrecht). Ihr Fortbestand verlängert aber nicht die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers, sondern vermeidet lediglich eine Regelungslücke bis zum Inkrafttreten entsprechender Landesgesetze.13 Letzteres ermöglicht Satz 2, der es den Ländern vo9 Die Föderalismusreform I verkürzte den Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG um die Kompetenzen für den Strafvollzug und den Vollzug der Untersuchungshaft (zuvor Nr. 1), das Versammlungsrecht (zuvor Nr. 3), das Heimrecht (zuvor Nr. 7), das Ladenschluss-, Gaststätten- und Spielhallenrecht sowie das Recht der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und Märkte (zuvor Nr. 11), das Recht der Flurbereinigung (zuvor Nr. 17), Teile des Grundstücksverkehrs- und Bodenrechts sowie des Wohnungs-, Siedlungs- und Heimstättenwesens und landwirtschaftlichen Pachtwesens (zuvor Nr. 18) sowie den Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm (zuvor Nr. 24). – Wichtiger Anwendungsfall einer von Art. 125a Abs. 1 GG erfassten älteren Kompetenzänderung ist das „Bodenrecht“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG), aus dem 1994 das „Recht der Erschließungsbeiträge“ herausgenommen wurde, so dass die §§ 127 bis 135 BauGB seither landesgesetzlich ersetzt werden können. 10 Dabei handelt es sich, weil Verwaltungsgesetze mit entsprechenden Länderaufgaben möglich bleiben, genau genommen nicht um gegenstandsbezogene Zuständigkeitsübertragungen, sondern um inhaltsbezogene Kompetenzausübungsschranken. 11 Art. 125a Abs. 1 GG bezieht sich insofern auf jene Bestandteile der (mit der Föderalismusreform I) entfallenen Art. 74a, 75 GG, die in die Länderzuständigkeit übergingen. Dies sind das Besoldungs-, Versorgungs- und Laufbahnrecht der Landesbeamten (Art. 74a GG), ferner das Recht der Landesbeamten mit Ausnahme der Status rechte, das Hochschulrecht mit Ausnahme von Zulassung und Abschlüssen sowie das Presserecht (Art. 75 GG). 12 A. A. Michael Kirn, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 125a Rn. 3a: Fortgeltung als Landesrecht. 13 BVerwGE 131, 20 (29) m. w. N.
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raussetzungslos gestattet, das nicht mehr kompetenzgemäße Bundesgesetz durch eigene Rechtsakte zu ersetzen. Sachlich verwandt regelt Abs. 2 von Art. 125a GG die Folgen der bereits zum 15. November 1994 in Kraft getretenen Verschärfung von Art. 72 Abs. 2 GG durch den Übergang von der älteren Bedürfnis- zur strengeren Erforderlichkeitsklausel, nach welcher der Bund auf den in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Gebieten nur noch gesetzgebend tätig werden darf, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.14 Ältere Bundesgesetze, die nach der Neufassung nicht mehr ergehen könnten, bleiben gemäß Satz 1 in Kraft. Nach Satz 2 können sie jedoch durch ein Bundesgesetz mit konstitutiver Wirkung zur landesrechtlichen Ersetzung freigegeben werden.15 2. Ersetzung nach Änderung kompetenzrelevanter Verhältnisse Etwas anders setzt Art. 72 Abs. 4 GG an. Die Vorschrift verarbeitet – bei ungeänderten Kompetenztiteln – Veränderungen der zu regelnden Verhältnisse, die die anfänglich gegebenen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nachträglich entfallen lassen.16 Dabei kann es sich, weil die Erforderlichkeitsklausel faktische wie normative Umstände einbezieht, sowohl um tatsächliche Entwicklungen (vor allem bezogen auf die gleichwertigen Lebens verhältnisse und die Wirtschaftseinheit) als auch um Änderungen der 14 Das Bundesverfassungsgericht handhabt diese Anforderungen restriktiv; grundlegend BVerfGE 106, 62 (135 ff.) – Altenpflege; bestätigend BVerfGE 111, 226 (246 ff.) – Juniorprofessor; BVerfGE 112, 226 (243 ff.) – Studiengebühren; vgl. auch BVerfGE 111, 10 (30 f.) – Ladenschluss. Hiernach sind die „gleichwertigen Lebens verhältnisse“ erst gefährdet, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung abzeichnet. Die „Wahrung der Rechtseinheit“ wendet sich nur gegen Rechtszersplitterungen mit problematischen Folgen, die im Interesse des Bundes wie der Länder nicht hingenommen werden können. Die „Wahrung der Wirtschaftseinheit“ zielt auf die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik. Jeweils besteht kein genereller Beurteilungs-, sondern nur ein eng umgrenzter Prognosespielraum des Bundes gesetz gebers. 15 Umgekehrt enthält Art. 125a Abs. 3 Satz 2 GG die verfassungsunmittelbare Befugnis zur Ersetzung nicht mehr kompetenzgemäßen Landesrechts durch Bundesgesetz. 16 Art. 72 Abs. 4 GG greift indes nicht schon dann, wenn eines der Ziele des Art. 72 Abs. 2 GG erreicht worden ist, solange das Gesetz noch erforderlich ist, um diesen Zustand zu erhalten; Katrin Gerstenberg, Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform, 2009, S. 225 m. w. N.
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rechtlichen Umgebung (mit Blick auf die Rechtseinheit) handeln.17 Art. 72 Abs. 4 GG lässt derartige Änderungen der Umweltbedingungen nicht auf die Wirksamkeit ursprünglich kompetenzgemäßer Bundes gesetze durchschlagen, ermöglicht aber – parallel zu Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG – ihre bundesgesetzliche Freigabe zur landesgesetzlichen Ermächtigung. 3. Praktische Anwendungsfälle der Ersetzung Die Länder haben von den verschiedenen Ersetzungsmöglichkeiten in unterschiedlichem Maße Gebrauch gemacht. In Anspruch genommen wurden bislang vor allem die Ersetzungsbefugnisse des Art. 125a Abs. 1 GG, soweit sie an vorherige Einschränkungen des Art. 74 Abs. 1 GG anknüpfen. Hierunter fällt beispielsweise auch die eingangs geschilderte Überführung des zuvor dem Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zugehörigen, dort nun ausdrücklich ausgenommenen Gaststättenrechts in das Landesrecht.18 Weitere Beispiele ersetzender Landesgesetze im Sinne von Art. 125a Abs. 1 GG finden sich auf den Gebieten des Strafvollzugs (vormals Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 2. Fall GG),19 des Untersuchungshaftvollzugs (zuvor Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 3. Fall GG),20 des Versammlungsrechts (einst Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG),21 des 17 Zusätzlich verkompliziert wird die Rechtslage durch die Verengung des Anwendungsbereichs der Erforderlichkeitsklausel auf die Katalogtatbestände des Art. 72 Abs. 2 GG zum 1. September 2006 (Föderalismusreform I). Für Bundesgesetze, die bereits zuvor auf den nun von dieser Einschränkung befreiten Gebieten erlassen worden sind, gilt Folgendes: Ergingen sie bereits vor dem 15. November 1994 und genügten sie damals den Anforderungen der alten Bedürfnisklausel, nicht aber jenen der verschärften Erforderlichkeitsklausel, galten sie fort, konnten aber zunächst zur landesgesetzlichen Ersetzung freigegeben werden (Art. 125a Abs. 2 GG a. F.). Letzteres ist, weil sie nun nicht mehr dem entschärften Art. 72 Abs. 2 GG widersprechen, seit der Föderalismusreform I ausge schlossen. Entsprechendes gilt, falls sie nach dem 15. November 1994, aber vor dem 1. September 2006 ergingen, soweit zwischenzeitlich die anfänglich gegebene Erforderlichkeit entfallen ist. Die Möglichkeit, das gültige Gesetz zur Ersetzung freizugeben (Art. 72 Abs. 3 GG a. F.), besteht insofern nicht mehr. Erging ein Gesetz jedoch zwischen dem 15. November 1994 und dem 1. September 2006, ohne der Erforderlichkeitsklausel zu genügen, war es bereits anfänglich unheilbar nichtig. 18 Siehe oben; ferner z. B. Brandenburgisches Gaststättengesetz (BbgGastG) vom 2. Oktober 2008 (GVBl. I S. 218), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 7. Juli 2009 (GVBl. I S. 262, 268). 19 Z. B. Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg (Justizvollzugsgesetzbuch) vom 10. November 2009 (GBl. S. 545). 20 Z. B. Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft im Saarland (Untersuchungshaftvollzugsgesetz – SUVollzG) vom 1. Juli 2009 (Amtsbl. S. 1219), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 24. April 2013 (Amtsbl. I S. 116, 144). 21 Z. B. Niedersächsische Versammlungsgesetz vom 7. Oktober 2010 (Nds. GVBl. S. 465, 532).
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Heimrechts (früher Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG),22 des Ladenschlussrechts (ehemals Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG),23 des Spielhallenrechts (früher Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG),24 des Länderanteils am Wohnungswesen (vormals umfassend in Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG enthalten)25 und des auf verhaltensbezogenen Lärm gerichteten Immissionsschutzes (ehemals Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 3. Fall GG).26 Partiell ersetzt wurde auch das Bundesbesoldungsgesetz, soweit es die Besoldung der Landesbeamten regelt (früher Art. 74a Abs. 1 GG).27 Besonderer Beliebtheit erfreut sich schließlich der Steuersatz der Grunderwerbsteuer (Art. 105 Abs. 2a Satz 2 GG), der inzwischen von einer Mehrheit der Länder steuererhöhend ersetzt worden ist.28 Spezielle Freigabegesetze nach Art. 72 Abs. 4 GG oder Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG29 bleiben dagegen praktisch bedeutungsarm. Ein (seltenes) Beispiel einer solchen bundesgesetzlichen Freigabe mit anschließender landesrechtlicher Ersetzung bot § 67 BBesG a. F., der es den Ländern erlaubte, das subsidiär fortgeltende Bundessonderzuwendungsgesetz durch eigene Regelungen über Sonderzahlungen zu ersetzen.30
22 Z. B. Heimgesetz für Baden-Württemberg (Landesheimgesetz – LHeimG) vom 10. Juni 2008 (GBl. S. 169), zuletzt geändert durch Art. 46 der Verordnung vom 25. Januar 2012 (GBl. S. 65, 70). 23 Z. B. Ladenschlussgesetzes vom 22. März 2007 (Brem.GBl. S. 221), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 28. Februar 2012 (Brem.GBl. S. 95). 24 Z. B. Gesetz zur Regelung des Rechts der Spielhallen im Land Berlin (Spielhallengesetz Berlin) vom 20. Mai 2011 (GVBl. S. 223). 25 Z. B. Bremische Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen (Bremisches Wohnungsbindungsgesetz – BremWoBindG) vom 18. November 2008 (Brem.GBl. S. 391), zuletzt geändert durch Geschäftsverteilung des Senats vom 5. Juli 2011 (Brem. Abl. S. 951, 957). 26 Z. B. Hamburgisches Lärmschutzgesetz vom 30. November 2010 (GVBl. S. 621). 27 Z. B. Bundesbesoldungsgesetz [für das Land Sachsen], übergeleitet mit Gesetz vom 17. Januar 2008 (SächsGVBl. S. 3). – Das BBesG hat damit ein geteiltes Schicksal erfahren: Soweit es die Besoldung der Bundesbeamten regelt, gilt es als Bundesgesetz fort und kann auch vom Bund erneuert werden. Für die Besoldung der Landesbeamten gilt dagegen bis zu einer Ersetzung die „eingefrorene“ Version des BBesG 2006. 28 So zuletzt das baden-württembergische Gesetz über die Festsetzung des Steuersatzes für die Grunderwerbsteuer vom 26. Oktober 2011 (GBl. S. 493): 5 % statt 3,5 %. 29 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 45: Es „sind keine Fälle der Einräumung einer Ersetzungsbefugnis nach dieser Vorschrift bekannt“. 30 Vgl. hierzu VGH Mannheim, VwBlBW 2009, S. 178 (179), gestützt auf Art. 72 Abs. 3 GG a. F.
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IV. Wesen und Wirkung der Ersetzung 1. Austausch von Bundes- und Landesgesetz Die Ersetzung soll einen geordneten Übergang des Gesetzesrechts auf die Ebene der nun ausschließlich zuständigen Länder ermöglichen. Sie ist dabei im Zusammenhang der zur Vermeidung legislativer Brüche, das heißt letztlich um der Rechtssicherheit willen getroffenen Entscheidung für ein vorläufiges Fortgelten des vorrangigen Bundesgesetzes zu sehen, dessen aus Art. 31 GG folgende Sperrwirkung gegenüber an sich kompetenzgemäßem Landesrecht nur durch eine ebenso rechtssichere Neuregelung überwunden werden soll. Eine Ersetzung bedingt demgemäß, wie bereits der Begriff verdeutlicht, einen Austausch der Normen. Das (bis dahin vorrangig fortgeltende) Bundesgesetz wird beseitigt, das heißt vernichtet. An seine Stelle tritt das ersetzende Landesgesetz. Soweit nur manche Länder ihre Er setzungsbefugnis ausüben, führt dies zu einer gebietsbezogenen Teilnichtigkeit des Bundes gesetzes. Es entsteht ein territorial abgegrenztes Nebeneinander von partikularem Bundesrecht und Landesrecht.31 Beschränkt sich hingegen ein Land auf gegenständlich abgrenzbare Teilregelungen, stehen Bundes- und Landesrecht insofern auch landesintern nebeneinander.32 Wird ein ersetzendes Landesgesetz seinerseits aufgehoben, lebt das untergegangene Bundesgesetz nicht wieder auf. 2. Das ersetzende Landesrecht Als Mittel der Ersetzung kommt ausweislich des Verfassungswortlautes grundsätzlich jedes Landesrecht, also nicht nur das förmliche Landesgesetz in Betracht.33 Im praktischen Ergebnis läuft es dennoch auf eine Ersetzung nur durch Parlamentsgesetze hinaus. Zwar könnte grundsätzlich auch eine Landesrechtsverordnung ein Parlamentsgesetz des Bundes ersetzen. Jedoch bedürfte eine solche einer förmlichen Ermächtigungsgrundlage, die wieder31 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 125a Rn. 5. 32 Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 72 Rn. 19. 33 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 125a Rn. 30; a. A. (nur förmliche Gesetze) Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 36; Michael Kirn, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 125a Rn. 3 („entgegen dem Wortlaut“); vgl. auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 52; Art. 125a Rn. 5.
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um, um die Sperr wirkung des Art. 31 wirksam überwinden zu können, selbst ersetzenden Charakter haben müsste, so dass das Bundesgesetz im Zeitpunkt des Verordnungserlasses bereits beseitigt ist. Für ersetzende Verordnungen bleibt also praktisch kaum noch Raum.34 Jedenfalls genügen, wie der systematische Zusammenhang zur Gesetzgebungskompetenz belegt, sonstige Rechtsakte des Landesrechts (z. B. Verwaltungsakte) nicht. Die gesetzesvernichtende Wirkung der Ersetzung fordert grundsätzlich einen Austausch des ganzen Gesetzes, also eine umfassende Übernahme der Legislativverantwortung. Bloße landesrechtliche Änderungen oder Ergänzungen des Bundesrechts sind hingegen ausgeschlossen, auch um ein unabgestimmtes Hineinwirken in das Regelwerk eines anderen Normurhebers zu vermeiden. Nicht statthaft wäre etwa ein Zusatz, ein als solches fortgeltendes Bundesgesetz sei im jeweiligen Land nur mit einer bestimmten Maßgabe anzuwenden. Dagegen ist es unbedenklich, wenn ein Landesgesetz – wie im Ausgangsbeispiel das baden-württembergische Landesgaststättengesetz35 – das Bundesrecht pauschal übernimmt, um es sodann punktuell abzuändern. Diese Verengung auf eine Ersetzungs-, nicht aber Änderungsbefugnis der Länder beugt einer undurchsichtigen Gemengelage aus Bundes- und Landesrecht vor36 und dient damit der Rechtsklarheit, die wiederum sowohl eine eindeutige Zuordnung der legislativen Verantwortung als auch eine rechtssichere Erkennbarkeit der jeweils geltenden Bestimmungen ermöglicht. Lediglich soweit Teilbereiche einer Materie eindeutig abgrenzbar sind und sofern ihre isolierte Ersetzung nicht den Sinn des verbleibenden Bundesrechts ent stellt, können einzelne Gesetzesteile je für sich Bestand haben.37 Anerkennung finden sollte des Weiteren auch eine Negativgesetzgebung, die sich darauf beschränkt, das Bundesgesetz landesweit außer Kraft zu 34 In Betracht käme wohl allenfalls der Sonderfall eines die Landesregierungen zur Ersetzung im Verordnungswege berechtigenden Bundesgesetzes, das als solches gleichzeitig Freigabegesetz nach Art. 72 Abs. 4 GG oder Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG und Ermächtigungsgrundlage im Sinne von Art. 80 Abs. 1 Satz 1, 3. Fall GG wäre. 35 Siehe oben. 36 Siehe – zu Art. 125a Abs. 2 GG a. F. – BVerfGE 111, 10 (29) – Ladenschluss: „Die andernfalls entstehende Mischlage aus Bundes- und Landesrecht für ein und denselben Regelungsgegenstand im selben Anwendungsbereich wäre im bestehenden System der Gesetzgebung ein Fremdkörper.“ 37 Vgl. BVerfGE 111, 10 (30) – Ladenschluss: Die Ersetzung erfasse „gegebenenfalls auch einen abgrenzbaren Teilbereich“. Siehe auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 53; Art. 125a Rn. 6; Hans D. Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 125a Rn. 8; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.Lfg. (Mai 2013), Art. 125a Rn. 30; Heinrich A. Wolff, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 125a, Rn. 27 f.
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setzen.38 Zwar scheint der Begriff des „Ersetzens“ eine aktiv gestaltende Regelung vorauszusetzen.39 Nach dem Sinn und Zweck der auf einen Übergang zur aktuellen Kompetenzlage abzielenden Norm sollte jedoch das legislative verantwortete Hervorrufen bestimmter Rechtsfolgen maßgeblich sein, die, wie der Wegfall einer Verbotsnorm oder die Abschaffung einer Leistung belegen, im Kontext der Gesamtrechtsordnung auch durch die Anordnung einer künftigen Nichtregelung erzeugt werden können.40 Die bloße Aufhebung eines Bundesgesetzes kann dieses mithin durch eine landesrechtlich erwünschte Rechtslage „ersetzen“. 3. Die Freigabe zur Ersetzung Das Grundgesetz ordnet die landesrechtliche Ersetzung nicht selbst an, sondern normiert zwei Formen bundesrechtlicher Freigabe zur Ersetzung, die jeweils die Sperrwirkung des vor rangigen Bundesgesetzes aufheben. Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG erteilt diese Freigabe für die dort genannten Fälle gegenständlicher Kompetenzverlagerungen auf die Länder verfassungs unmittelbar und ohne zusätzliche Maßgaben. Demgemäß konnte beispielsweise der baden-württembergische Gesetzgeber das Gaststättenrecht ohne weiteres an sich ziehen. Hingegen ermächtigen Art. 72 Abs. 4 GG und Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG für beide Fälle aktuell nicht mehr gegebener Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG den Bundesgesetzgeber, eine besondere Freigabe auszusprechen, die dann konstitutiv die Ersetzungsbefugnis der Länder begründet und sich dabei auf das ganze Bundesgesetz oder auf klar abgrenzbare Teile desselben erstrecken kann.41 Der Grund für diese Differenzierung liegt in der notwendigen Offenheit der auch wertend zu bestimmenden Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG im Unterschied zu 38 Katrin Gerstenberg, Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform, 2009, S. 210 f.; Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hoffmann / Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 91b; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 72 Rn. 19.1; Heinrich A. Wolff, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 125a Rn. 26. Differenzierend Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 52 einerseits (nur eigene „Regelung in der Sache“); Art. 125a Rn. 6 andererseits (Aufhebung genügt). 39 In diesem Sinne Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 36; ähnlich Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 125a Rn. 9. 40 Vgl. Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 125a Rn. 30; dem folgend Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 125a Rn. 9. 41 Hierzu Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 72 Rn. 17 ff.; Art. 125a Rn. 6 ff.
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den einfacher erkennbaren Gegenständen des Art. 125a Abs. 1 GG. Um der Rechtssicherheit willen erscheint es daher angezeigt, sowohl einen nachträglichen Wegfall der Erforderlichkeit (Art. 72 Abs. 4 GG) als auch die Folgen des Übergangs von der Bedürfnis- zur Erforderlichkeitsklausel (Art. 125a Abs. 2 GG)42 in einem Freigabegesetz eindeutig festzustellen.43 Hieran schließt sich die Frage an, ob Art. 72 Abs. 4 GG und Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG dem Bundesgesetzgeber ein politisches Ermessen zur Entscheidung über eine gesetzliche Freigabe einräumen.44 Das Bundesverfassungsgericht hat dies dem Grundsatz nach angenommen.45 Für ein solches legislatives Ermessen spricht nicht zuletzt der Verfassungswortlaut („kann“). Indes sollte hieraus nicht auf eine offene Entscheidungssituation geschlossen werden. Denn jedenfalls kann das Gebot der Bundestreue den Ermessensspielraum des Gesetzgebers ein engen und ihn zur Freigabe verpflichten, schon weil kaum ein schutzwürdiges Interesse am Fortbestand eines aktuell nicht erforderlichen Bundesgesetzes bestehen dürfte, vor allem aber weil ansonsten weder der Bund (mangels aktueller Kompetenz) noch die Länder (wegen der Sperrwirkung des existierenden Bundesgesetzes) den Gegenstand grundlegend – das heißt über gewisse dem Bund weiterhin zuzugestehende Modifikationen hinaus46 – neu regeln könnten, so dass eine dauerhafte Versteinerung der Rechtslage drohte.47 Da diese Situation regelmäßig eintreten dürfte, sprechen gute Gründe für eine generelle Reduzierung des durch die Freigabetatbestände eingeräumten legislativen Ermessens.48 Der verfassungs42 Vgl.
hierzu auch oben Fn. 17. Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 125a Rn. 17; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 48, fordert daher mit Recht eine selbständige, das zu ersetzende Bundesgesetz ausdrücklich bezeichnende und unbedingte Freigabe. Vgl. aber auch Stefan Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 132. 44 Grundsätzlich befürwortend Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 49; Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 35. 45 BVerfGE 111, 10 (30) – Ladenschluss – zu Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG a. F. 46 Siehe sogleich (IV.5). 47 In diesem Sinne auch BVerfGE 111, 10 (31) – Ladenschluss: Das legislative Ermessen sei „unter Berücksichtigung des Grundsatzes bundes- und länderfreund lichen Verhaltens […] entsprechend eingeschränkt“. Die ebenda erörterte zweite Konstellation einer Freigabepflicht (der Bund hält eine Neukonzeption politisch für erforderlich) dürfte hingegen praktisch kaum bedeutsam sein: Soweit der Bund die Kompetenzlage richtig einschätzt, wird er den regelungsbedürftigen Gegenstand von sich aus zur Ländergesetzgebung freigeben. Hielte er sich dagegen irrig für zuständig, würde er auch eine Freigabepflicht verkennen. 48 Bodo Pieroth, in: Jarass / ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 24; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), 43 Vgl.
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ändernde Gesetzgeber hat im Rahmen der Föderalismusreform I womöglich Ähnliches vor Augen gehabt, unterstellte er doch speziell zu Art. 72 Abs. 4 GG eine Freigabepflicht „jedenfalls“ bei positiver Kenntnis des Bundesgesetzgebers von der mangelnden Erforderlichkeit.49 Der offenere Verfassungswortlaut drückt somit ein Erkenntnisproblem aus, bringt aber keine echte Gestaltungsfreiheit mit sich. 4. Die Inanspruchnahme der Freigabe Soweit ein Bundesgesetz hiernach verfassungsunmittelbar oder einfachgesetzlich zur Ersetzung freigegeben ist, steht es im legislativen Ermessen der einzelnen Länder („kann“), ob, in welchem Umfang50 und mit welchen Inhalten sie von der ihnen eröffneten Befugnis Gebrauch machen. Als Instrument des Kompetenzrechts verhält sich die Ersetzung dabei neutral zu den möglichen Inhalten des ersetzenden Landesrechts, die ihre Maßstäbe im sonstigen Verfassungsrecht finden. Neben die allgemeinen rechtsstaatlichen Vorgaben insbesondere des Gesetzesvorbehalts, der Grundrechte oder des Vertrauensschutzes können inso fern auch noch besondere Anforderungen des Landesverfassungsrechts51 treten. Der (Bundes-)Freigabegesetzgeber kann auf all dies keinen Einfluss nehmen. Er kann das „Rückholrecht“ der Länder zwar gegenständlich definieren und es dadurch auf abgrenzbare Gesetzesteile beschränken, darf seine Ausübung aber mangels aktueller Gesetzgebungskompetenz nicht inhaltlich anleiten. 5. Einschub: Das Problem zwischenzeitlicher Versteinerung der Rechtslage Ergänzend ist noch auf ein nicht ursächlich der Ersetzung zuzuschreibendes, aber doch mit ihr zusammenhängendes Sonderproblem einzugehen: Das Zusammenwirken von fehlender Bundeskompetenz und mangelnder Änderungsbefugnis der Länder kann die Gefahr einer Versteinerung der Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 72 Rn. 18; ähnlich Heinrich A. Wolff, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 125a Rn. 38. Siehe auch unten (V.) zu Art. 93 Abs. 2 GG. 49 Siehe BT-Drs. 16 / 813, S. 20 f.; dies gelte „insbesondere“ dann, wenn das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung inzident zur Einschätzung mangelnder Erforderlichkeit gekommen ist. 50 Im Fall einer nur teilweise Ersetzung gilt dies indes nur unter der Voraussetzung eindeutig und sinnwahrend abgrenzbarer Gegenstände (siehe oben IV.2.). 51 Vgl. auch Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 51, zur Frage einer landesverfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Inanspruchnahme des Rückholrechts.
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Rechtslage mit sich bringen. Denn der Bund dürfte keine neuen Gesetze geben, die Länder könnten die bestehenden Gesetze allenfalls „ersetzen“, nicht „ändern“, in Fällen einer noch ausstehenden legislativen Freigabe noch nicht einmal dies. Als Folge dessen wäre – bis zur landesgesetzlichen Übernahme der gesamten Legislativverantwortung – keine Ebene befugt, bloße Berichtigungen oder kleinere Anpassungen vorzunehmen. Um einem solchen Stillstand der Gesetzespflege vorzubeugen, wird dem Bund (nur) noch eine eingeschränkte Verfügungsmacht über seine Gesetze zugebilligt. Er darf sein Regelwerk weiterhin im Detail ändern,52 beispielsweise Aktualisierungen vornehmen,53 sogar seine befristete Geltung verlängern54 und sein Gesetz auch insgesamt aufheben55 (nicht zuletzt um ein dauer haftes Nebeneinander von Landes- und partikularem Bundesrecht zu verhindern),56 es aber nicht mehr grundlegend umgestalten oder gar neu konzipieren. Weitreichende Neuerungen können ab dem Zeitpunkt ihres Kompetenzerwerbs nur noch die Länder einführen, indem sie das Bundesgesetz ganz oder in klar abgrenzbaren Teilbereichen durch eigene Regelungen ersetzen. Besondere Bedeutung gewinnt die Frage nach einer Dispositionsbefugnis des Bundes über seine Altgesetze im Hinblick auf bestehende bundesgesetzliche Zuweisungen kommunaler Aufgaben, die zwar nicht den jüngeren Art. 84 Abs. 1 Satz 7, 85 Abs. 1 Satz 2 GG ent sprechen, aber gemäß Art. 125a Abs. 1 GG bis zu ihrer landesrechtlichen Ersetzung fort gelten. Dabei stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Möglichkeit, ein Bundesgesetz nach träglich zu ändern, auch die Befugnis einschließt, die in ihm geregelten Aufgaben zu erweitern und den Gemeinden dadurch zusätzliche Kosten aufzuerlegen. Richtigerweise wird man auch hier gewisse Änderungen insbesondere des materiellen Rechtsrahmens kommunaler Aufgaben gestatten können, erhebliche Ausweitungen ihres Umfangs dagegen für unzulässig halten müssen.57 Bei der noch ausstehenden Präzisierung dieser 52 Grundlegend jeweils noch zu Art. 125a Abs. 2 GG a. F. – BVerfGE 111, 10 (28 ff.) – Ladenschluss; bestätigt in BVerfGE 111, 226 (268 ff.) – Juniorprofessor. Siehe auch Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 125a Rn. 4; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.Lfg. (Mai 2013), Art. 125a Rn. 27 f.; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 125a Rn. 10; a. A. Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 125a Rn. 7. 53 OVG Schleswig, NVwZ 2006, 847 (848). 54 BVerwGE 139, 42 (54 ff.). 55 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 125a Rn. 7. 56 Katrin Gerstenberg, Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform, 2009, S. 212. 57 Vgl. Christian Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hoffmann / Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 125a Rn. 3; strenger Hans-Günter Henneke, in:
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Maßstäbe sollte man nicht zuletzt auch das mangelnde Interesse der Länder im Blick behalten, bundesrechtlich zugewiesene Kommunalaufgaben in eigene Ländergesetze zu überführen und dadurch die Rechtsfolgen des landesverfassungsrechtlichen Konnexitätsprinzips auszulösen.58 V. Verfassungsprozessuale Absicherung der Ersetzungsbefugnis 1. Der Antrag nach Art. 93 Abs. 2 GG Begleitend zum materiellen Recht ermöglicht Art. 93 Abs. 2 GG den Ländern, eine gesetz liche Freigabe vor dem Bundesverfassungsgericht zu erwirken. Scheitert eine Gesetzesvorlage zum Erlass eines Freigabegesetzes im Bundestag oder im Bundesrat oder wird im Bundestag nicht innerhalb eines Jahres über sie beraten und Beschluss gefasst, können der Bundesrat, eine Landesregierung oder ein Länderparlament beim Bundesverfassungsgericht die Feststellung beantragen, dass die Erforderlichkeit im Sinne von Art 72 Abs. 2 GG entfallen ist oder dass Bundesrecht in den Fällen des Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG nicht mehr erlassen werden könnte. Eine gerichtliche Feststellung ersetzt dann jeweils – gewissermaßen im Wege einer „verfassungsgerichtlichen Ersatzvornahme“59 – das gescheiterte Freigabegesetz (Art. 93 Abs. 2 Satz 2 GG). Das Bundesverfassungsgericht prüft bei seiner Entscheidung nach Art. 93 Abs. 2 GG lediglich, ob die grundgesetzlichen Voraussetzungen eines Freigabegesetzes vorliegen. Sind sie gegeben, erteilt es selbst die Freigabe. Das dem Bundesgesetzgeber zumindest nach dem Verfassungswortlaut zustehende Ermessen findet hingegen keine Berücksichtigung. Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 84 Rn. 27; ders., Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen?, ZG 2007, S. 21 (26 ff.); ders., Föderalismusreform II: „Rolle rückwärts“ beim Verbot des bundesunmittelbaren Aufgabendurchgriffs auf die Kommunen?, NdsVBl 2008, S. 1 (4); Friedrich Schoch, Verfassungswidrigkeit des bundesgesetzlichen Durchgriffs auf Kommunen, DVBl 2007, S. 261 (263 f.). – BVerfGE 119, 331 (359 f.) – Arbeitslosengeld II – ließ die Frage ausdrücklich offen. 58 Siehe auch Günther Macht / André Scharrer, Landesverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzipien und Föderalismusreform, DVBl 2008, S. 1150 (1150 ff.). 59 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 72 Rn. 54. Vgl. auch Philip Kunig, in: von Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 35 („Rolle eines Ersatzgesetzgebers“). – Gleichwohl steht das Produkt der gerichtlichen Feststellung nicht im Rang eines Parlamentsgesetzes, sondern hat lediglich dieselben Wirkungen wie ein solches. Vgl. Katrin Gerstenberg, Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform, 2009, S. 228 f. m. w. N.
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2. Rückwirkungen auf die Freigabegesetzgebung Das Grundgesetz baut an dieser Stelle eine ungewöhnliche Spannungslage auf. Ausweislich seines Textbefundes räumt es einerseits in Art. 72 Abs. 4 und 125a Abs. 2 GG dem Bundesgesetzgeber ein legislatives Ermessen zur Entscheidung über die Freigabe ein. Andererseits gibt es in Art. 93 Abs. 2 GG dem Bundesverfassungsgericht unter denselben Voraussetzungen auf, zwingend eine Freigabe auszusprechen. Die prozessuale Kontrolle scheint so über die materiellen Maßstäbe hinauszureichen, indem sie das legislative Ermessen übergeht. Im praktischen Ergebnis könnten die Länder auf diese Weise eine entgegenstehende Ermessensentscheidung des Bundes überwinden. Materielles Recht und prozessuale Absicherung scheinen also nicht hinreichend aufeinander abgestimmt zu sein.60 Diese offensichtlich ungewollte Spannungslage ließe sich im Wege einer generellen Re duzierung des durch die Freigabetatbestände eingeräumten legislativen Ermessens auflösen, die den Ländern, deren Zuständigkeiten berührt sind, im praktischen Ergebnis einen Anspruch auf bundesgesetzliche Freigabe vermittelte.61 Hierfür (und damit gegen die Alternative einer Beschränkung des Bundesverfassungsgerichts auf eine bloße Ermessensprü fung)62 spricht nicht zuletzt der Sinn und Zweck des auf eine Überleitung der Bundeszuständigkeit in die Länderkompetenz angelegten Freigabegesetzes. Seine Funktion liegt nicht darin, einen politischen Handlungsspielraum des aktuell unzuständigen Bundesgesetzgebers abzu schirmen, sondern die Rechtssicherheit hinsichtlich der häufig nicht eindeutigen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG zu wahren. Lässt sich jedoch hinreichend sicher erkennen, dass die Kompetenz des Bundes entfallen ist, besteht kein Grund, ihm noch politische Entscheidungsspielräume zu belassen. Noch prinzipieller lässt sich die grundgesetzliche Funktionengliederung als Argument für eine bereits materielle Rechtspflicht des Bundesgesetzgebers zur Freigabe anführen, müsste doch die gerichtliche Entscheidung ansonsten funktionenwidrig als eigene politische Ermessensbetätigung der Judikative bewertet werden.63 Alles in allem bestätigt auch Art. 93 Abs. 2 GG die bereits dem 60 Arnd Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 Rn. 67 („redaktionell unzureichend abgestimmt“). 61 Nach Arnd Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 Rn. 60, hätte für diese Lösung der Wortlaut des Art. 72 Abs. 4 GG geändert werden müssen. 62 So aber Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hoffmann / Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 88a. 63 Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 72 Rn. 18; die Gesetzesbegründung schweigt zu dieser konkreten Frage; BTDrs. 16 / 813, S. 11, 17 f.
Die Freigabe von Bundesrecht zur landesrechtlichen Ersetzung255
materiellen Recht entnommene generelle Reduzierung des legislativen Freigabeermessens.64 VI. Die Ersetzung als Instrument eines geordneten Ebenenübergangs Obwohl das Grundgesetz die landesgesetzliche Ersetzung von Bundesrecht nun schon seit knapp zwei Jahrzehnten vorsieht, musste sich das Bundesverfassungsgericht bislang kaum mit Grund und Reichweite der Ersetzungsbefugnis beschäftigen.65 Gegenstand verfassungs gerichtlicher Prüfung waren lediglich die Frage nach einem legislativen Ermessen des Frei gabegesetzgebers sowie der Umfang verbleibender Änderungsbefugnisse des Bundes im Vor feld einer noch ausstehenden Landesgesetzgebung.66 Dieser Befund, aber auch der im Ausgangsbeispiel zu erkennende pragmatische und reibungslose Einsatz der Ersetzung belegen ihre Eignung als Instrument eines rechtsstaatlich geordneten Überganges des Gesetzesrechts auf die nun zuständige Gesetzgebungsebene. Das Rechtsinstitut der Ersetzung hat sich in der Praxis bewährt.
64 Siehe soeben (IV.3.). Etwas anders Katrin Gerstenberg, Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform, 2009, S. 230 f. (intendiertes Ermessen, das eine grundsätzliche Freigabe fordere, in atypischen Fällen aber eine Abweichung gestatte). 65 Vgl. auch die unzulässige Richtervorlage in BVerfGE 121, 233 (239 f.) – Postkontrolle. 66 Siehe zu beiden Fragen nochmals BVerfGE 111, 10 (28 ff.) – Ladenschluss.
Die kompetenzrechtlichen Übergangsbestimmungen Von Heinrich Amadeus Wolff I. Die Regelung des Kompetenzübergangs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 1. Keine allgemeine Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Verfassungswidrigkeit bei Wegfall der Gesetzgebungskompetenz . . . . . . 258 a) Keine Übertragbarkeit zum Wegfall der Rechtsverordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 b) Keine Lösung aus dem Begriff der Kompetenz heraus. . . . . . . . . . . . 259 c) Konzeption des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Anwendungsfelder der allgemeinen Regelung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 II. Die Prinzipien der Art. 125a GG bis Art. 125c GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 III. Die Fortgeltung alten Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 1. Sinn der Fortgeltungsanordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 2. Gleiche Geltungskraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3. Fortschreibungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Reichweite der Befugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Problem der Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 c) Frage der einheitlichen Fortschreibungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 d) Frage der Fortschreibung bei Rahmenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 4. Aufhebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 IV. Die Ersetzungsbefugnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1. Schlüsselbegriff der Übergangsbestimmungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Begriffsunschärfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 3. Frage des einheitlichen Begriffs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 4. Pflicht zur Ersetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 V. Das Freigabegesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 1. Das Erfordernis eines Freigabegesetzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2. Rechtswirkungen des Freigabegesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3. Ermessen oder bundesverfassungsgerichtliche Feststellung . . . . . . . . . . . 269 VI. Lücken in der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 1. Kompetenzwidrig erlassenes Recht wird kompetenzgemäß . . . . . . . . . . . 270 2. Unsicherheiten im Verhältnis von Fortgeltung alten Rahmenrechts und neuer Freiheit im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. . . . . . . . . 271 3. Uminterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
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VII. Bewertung der Übergangsregelung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 1. Die Übergangsregelung gemessen am Ziel der Übergangsbestimmung . 271 2. Erleichterung der Ziele der Föderalismusreform I. . . . . . . . . . . . . . . . . 272 3. Umsetzbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 4. Verstärkung der retardierenden Wirkung durch die Rechtsprechung. . . 273 VIII. Schluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
I. Die Regelung des Kompetenzübergangs 1. Keine allgemeine Regelung Art. 125a bis c GG sind spezielle Regelungen für bestimmte Kompetenzänderungen. Es stellt sich die Frage, ob sie die allgemeine Regel der Folgen von Kompetenzveränderungen nur wiederholen oder ob sie konstitutiv wirken. Eine allgemeine Norm für die Frage der Geltung von kompetenzlos gewordenen formellen Gesetzen ist im Grundgesetz jedoch nicht enthalten. Die bestehenden Normen, Art. 124 bis 126 GG, beziehen sich auf Sonderkonstellationen. 2. Verfassungswidrigkeit bei Wegfall der Gesetzgebungskompetenz a) Keine Übertragbarkeit zum Wegfall der Rechtsverordnungsermächtigung Fehlt eine ausdrückliche Norm, muss man auf allgemeine Grundsätze zurückgreifen. Am nächsten liegt zunächst der Gedanke, die von der Rechtsprechung entwickelte Regel, nach welcher der Wegfall der gesetzlichen Grundlage keine Auswirkung auf die Gültigkeit rechtmäßig erlassener Rechtsverordnungen hat,1 analog anzuwenden. Diese Regel ist allerdings nicht übertragbar, da der Wegfall einer Gesetzgebungskompetenz nicht mit dem Wegfall einer Verordnungsermächtigung gleichzusetzen ist. Die eine Frage betrifft das Verhältnis von Bund und Ländern (Bundesstaatsprinzip), die andere das Verhältnis von Legislative und Exekutive (Rechtsstaatsprinzip).
1 Siehe dazu nur Michael Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 80 Rn. 76 m. w. N.
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b) Keine Lösung aus dem Begriff der Kompetenz heraus Auch eine reine Interpretation des Begriffs der Kompetenzen allein hilft nicht weiter. Abstrakt gesehen, lassen sich für beide mögliche Lösungsvarianten (Weitergeltung einerseits und Verfassungswidrigkeit andererseits) Argumente finden: Man kann die Gesetzgebungskompetenz auf den Zeitpunkt des Erlasses beziehen und sie daher als die Kompetenz zur Handlung verstehen; alternativ kann man sie aber auch auf die Geltung des Rechts beziehen und sie daher als die Kompetenz, eine Sache regeln zu dürfen, verstehen. c) Konzeption des Grundgesetzes Entscheidend ist daher, wie nach dem Grundgesetz die Gesetzgebungskompetenzen zu verstehen sind. Die besseren Gründe sprechen dafür, die Kompetenz auf die Regelungsmacht als solche zu beziehen. Danach wird ein erlassenes Gesetz, mit Wegfall der Kompetenz verfassungswidrig. Normen, die auf der Grundlage einer alten Kompetenzlage erlassen wurden, gelten danach nur dann weiter, wenn die Verfassung dies ausdrücklich normiert. Für diese Einschätzung sprechen folgende zwei Argumente: Art. 31 GG beruht auf dieser Vorstellung. Danach bricht Bundesrecht Landesrecht. Vorausgesetzt wird, dass sowohl das Bundesrecht als auch das Landesrecht kompetenzgerecht erlassen wurden. Würde die Gesetzgebungskompetenz vom Bund auf den Landesgesetzgeber übergehen, nachdem der Bund ein Gesetz erlassen hat, könnte das Land der Vorrangregel des Art. 31 GG entsprechend die ihm zustehende Gesetzgebungskompetenz nicht wahrnehmen, wenn das alte Bundesgesetz trotz Wegfall der Gesetzgebungskompetenz wirksam bliebe. Art. 31 GG enthält keine dem Art. 125a GG vergleichbare Ermächtigung an den Landesgesetzgeber, altes Bundesrecht abzuändern.2 Das Land wäre auf eine Aufhebung des Bundesgesetzes durch den Bundesgesetzgeber angewiesen, was mit dem Sinn des Kompetenzwechsels und der grundsätzlichen Gleichwertigkeit beider Ebenen im Bundesstaat nicht zu vereinbaren wäre. Hinzu kommt die derzeit überwiegende Annahme, dass dann, wenn der Landesgesetzgeber seine Gesetzgebungskompetenz verliert, weil der Bundesgesetzgeber von einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat, dies zur Nichtigkeit bereits erlassenen Landesrechts in Folge des Verlustes der Gesetzgebungskompetenz führt.3 Daher muss im 2 Vgl. Peter M. Huber, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 31 Rn. 14, 25. 3 Hans D. Jarass, Regelungsspielräume des Landesgesetzgebers im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung und in anderen Bereichen, NVwZ 1996, S. 1041
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umgekehrten Fall, wenn der Bund seine Kompetenz verliert, die Nichtigkeit des alten Rechts erst recht angenommen werden.4 3. Anwendungsfelder der allgemeinen Regelung Diese Erkenntnis ist keineswegs nur akademisch, weil es zu einer Reihe von Veränderungen im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen kommen kann (und kommt), für die keine verfassungsrechtlichen Übergangsbestimmungen bestehen. So wird man etwa annehmen können, dass § 16 StWG verfassungswidrig ist.5 Die Norm verpflichtet die Kommunen dazu, den Vorgaben des § 1 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz (StWG), d. h. dem magischen Viereck, bei ihrer Haushaltswirtschaft Rechnung zu tragen. § 16 StWG beruht gegenwärtig auf keiner Gesetzgebungskompetenz des Bundes, insbesondere kann er sich nicht auf Art. 109 Abs. 4 GG stützen.6 Dies folgt aus drei Gründen: (a) Art. 109 Abs. 4 GG bezieht sich auf die Ausgestaltung der Budgethoheit von Art. 109 Abs. 1 GG, die nur den Ländern, nicht aber den Gemeinden zukommt. Bezieht sich Absatz 1 nur auf die Länder, spricht dies dafür, auch Absatz 4 nur auf diese zu beziehen.7 Eine systematische Abkopplung des Absatzes 4 von Absatz 1 ist zwar nicht ausgeschlossen, aber nicht nahe liegend.8 (b) Hätte Art. 109 Abs. 4 GG auch die Gemeinden einbeziehen wollen, hätte sich eine entsprechende Formulierung „Gebietskörperschaften“ empfohlen, wie sie Art. 109 Abs. 4 GG a. F. (1042); a. A. BVerwG, NVwZ 1993, 1197 (1197 f.); Wolfgang März, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 31 Rn. 56 f.; Stefan Oeter, ebd., Art. 72 Rn. 87. 4 Ebenso im Ergebnis Christoph Böckenförde, Verfassungswidrig durch Verfassungsänderung, DÖV 1969, S. 744 (744 f.); Alex Möller (Hrsg.), Kommentar zum Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, 1969, § 16 Rn. 3; Friedrich Rauschning, Die Verpflichtung der Gemeinden zu stabilitätskonformer Wirtschaftsführung, DÖV 1987, S. 9 (14). 5 Für Nichtigkeit: Christoph Böckenförde, Verfassungswidrig durch Verfassungsänderung, DÖV 1969, S. 744 (744 f.); Alex Möller (Hrsg.), Kommentar zum Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, 1969, § 16 Rn. 3; Friedrich Rauschning, Die Verpflichtung der Gemeinden zur stabilitätskonformer Wirtschaftsführung, DÖV 1987, S. 9 (13 f.); a. A. (konkludent) Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 109 Rn. 106; Gregor Kirchhof, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 109 Rn. 117. 6 A. A. Hans-Günter Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 109 Rn. 2. 7 Ebenso Friedrich Rauschning, Die Verpflichtung der Gemeinden zu stabilitätskonformer Wirtschaftsführung, DÖV 1987, S. 9 (14). 8 A. A. Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 109 Rn. 106.
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bis 2009 vorsah.9 (c) Die Haushaltswirtschaft der Gemeinden ist für den Bund keine selbstständige Größe, sondern gem. Art. 106 Abs. 9 GG Teil des jeweiligen Landes.10 Diese Einbindung des Kommunalhaushalts in den Landeshaushalt führt aus der Sicht des Bundes dazu, dass die Länder die Verantwortung dafür tragen, dass die Gemeinden die Verpflichtung der Länder auch einhalten. Nicht etwa kann Art. 106 Abs. 9 GG so verstanden werden, dass der Bund immer dann, wenn er den Ländern Vorgaben machen dürfte, dies auch erst recht für die Gemeinden gelte.11 Zum Zeitpunkt des Erlasses von § 16 StWG hatte der Gesetzgeber dagegen eine Kompetenz.12 Grundlage des § 16 StWG war der Art. 109 Abs. 3 GG in der Fassung, die er bei seiner Einfügung durch das 15. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 8. Juni 1967 hatte.13 Dieser berechtigte den Bund zur Aufstellung von Grundsätzen für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung. Mit dem 20. Änderungsgesetz zum Grundgesetz vom 15. Mai 196914 erhielt Art. 109 Abs. 3 GG dagegen seine heutige Fassung (nun als Art. 109 Abs. 4 GG), der die Kompetenz zur Regelung des Haushaltsrechts auf den Bund und die Länder beschränkt. Auch wenn der verfassungsändernde Gesetzgeber es nicht wollte,15 so hat er doch durch die Änderung des Normtextes dem Bund die Kompetenz genommen, Vorgaben für die Haushaltswirtschaft der Kommunen zu erlassen. II. Die Prinzipien der Art. 125a GG bis Art. 125c GG Für die Bewertung der Folgen der Kompetenzverschiebungen im Rahmen der Föderalismusreform I aus dem Jahr 2006 für jenes Recht, das nach alter 9 Alex Möller (Hrsg.), Kommentar zum Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, 1969, § 16 Rn. 3; a. A. Andreas Kienemund, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 109 Rn. 15. 10 Christoph Böckenförde, Verfassungswidrig durch Verfassungsänderung, DÖV 1969, S. 744 (744 f.). 11 So aber Andreas Kienemund, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 109 Rn. 15. 12 Christoph Böckenförde, Verfassungswidrig durch Verfassungsänderung, DÖV 1969, S. 744 (744). 13 Fünfzehntes Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 8. Juni 1967 (BGBl. I S. 581): „Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Grundsätze für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt werden.“ 14 Zwanzigstes Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 12. Mai 1969 (BGBl. I S. 357). 15 Der Gesetzgeber wollte eine derartige Einschränkung der Gesetzgebungskompetenz gegenüber den Gemeinden wohl nicht bewirken, BT-Drs. V / 3040, S. 38.
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Kompetenzlage verabschiedet wurde, muss man auf diese allgemeine Regelung allerdings nicht zurückgreifen, weil die Verfassung mit Art. 125a bis c GG spezielle Übergangsnormen erlassen hat. Die Übergangsregeln folgen vier Prinzipien: – Hat eine Gebietskörperschaft die Gesetzgebungskompetenz vollständig verloren, bleibt das bereits erlassene Gesetz bestehen. Es behält auch seinen Rang, kann aber von der Körperschaft, die nun die Kompetenz besitzt, ersetzt werden (Art. 125a Abs. 1 und Abs. 3 GG). – Ging die Kompetenz dagegen nicht vollständig verloren, so richtet sich die Änderungsmöglichkeit nicht nach den Regeln des Erlasszeitpunktes, sondern nach denen zum Zeitpunkt der Änderung (Art. 125b Abs. 1 GG). Bestehen Ermächtigungen oder Verpflichtungen nach dem alten Rahmenrecht, bleiben diese bestehen. – Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen werden innerhalb des Erforderlichkeitskriteriums Kompetenzänderungen rechtlicher und tatsächlicher Art gleich behandelt (Art. 125a Abs. 2 GG / Art. 72 Abs. 4 GG). Bei fehlender Erforderlichkeit bleibt das Bundesrecht bestehen und kann erst nach einer gesetzlichen Freigabe ersetzt werden, wobei das Freigabegesetz durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes substituiert werden kann. – Die Beschränkung auf eine Ersetzung und das Erfordernis einer Freigabe besteht nicht in dem Bereich der Abweichungsgesetzgebung; hier kann der Gesetzgeber vielmehr von seiner Befugnis ohne zusätzliche materielle Erfordernisse Gebrauch machen. In einigen Fällen ist eine Fristwahrung erforderlich. – In einigen bestimmten Fällen sind konkrete Fristen vorgesehen, für die die alte Rechtslage aufrechterhalten bleibt (Art. 125c GG). Diese Prinzipien verstehen sich keineswegs von selbst. Die Prinzipien, die das Grundgesetz für Verschiebungen von Gesetzgebungskompetenzen im Zusammenhang mit dem Erlass des Grundgesetzes normierte, sahen anders aus. Nach Art. 124, 125 GG wechselte das Recht, das von einer Kompetenzverschiebung betroffen war, den Charakter von Bundes- und Landesrecht. III. Die Fortgeltung alten Rechts 1. Sinn der Fortgeltungsanordnung Zentrale Aussage der Übergangbestimmungen des Art. 125a bis c GG ist zunächst die Fortgeltung des Rechts auf der Stufe, auf der es bisher galt. Die
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Anordnung ist konstitutiv.16 Voraussetzung der Fortgeltung ist der gültige Erlass, der nach den Bedingungen zum Erlasszeitpunkt zu bewerten ist. Die Fortgeltung endet, wenn die Bundesregelung wirksam durch eine Landesregelung ersetzt wird. Die Fortgeltungsklausel verhindert auf diese Weise eine Regelungslücke bis zum Inkrafttreten des Landesgesetzes (Regelungsvakuum).17 Es ist gerade der zentrale Wunsch der Übergangsbestimmungen, dass durch die Änderung der Kompetenzen kein Vakuum oder Chaos entsteht. 2. Gleiche Geltungskraft Das fortgeltende Recht besitzt die gleiche Geltungskraft, die es vor der Änderung des Gesetzgebungskataloges besaß. Es gilt als Bundesrecht fort und behält somit grundsätzlich seinen Rang. Es behält den Vorrang gem. Art. 31 GG, allerdings nicht gegenüber dem Landesrecht, durch das es ersetzt wird. Die Sperrwirkung des Art. 72 GG kann das fortgeltende Bundesrecht allerdings wegen des Wegfalls des Kompetenztitels nicht mehr entfalten. War das Bundesrecht Rahmenrecht, gilt es als Rahmenrecht fort.18 Es ist daher auch als Rahmenrecht auszulegen und zu interpretieren.19 Die Fortgeltung bezieht sich auch auf alte Ermächtigungen, etwa im Rahmen von altem Rahmenrecht, und zwar auch dann, sofern es um Materien geht, die in die ausschließliche Bundeskompetenz übergeleitet wurden und deren Voraussetzung einer Ermächtigung gem. Art. 71 GG nicht vorliegt.20 Relevant wird diese Konstellation etwa für das Melde- und Ausweiswesen.21 3. Fortschreibungsbefugnis a) Reichweite der Befugnis Die Fortgeltung bezieht sich auf das erlassene Recht und nicht auf die Gesetzgebungskompetenz.22 Die Gesetzgebungskompetenz selbst ist entfal16 Heinrich A. Wolff, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 125a Rn. 21. 17 Klaus-Dieter Schnapauff, in: Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 10. Aufl. 2013, Art. 125 Rn. 2. 18 Hans D. Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 125b Rn. 3. 19 BVerfGK 12, 17 (25 f.) – Hochschulreform. 20 Vgl. BT-Drs. 16 / 813, S. 21. 21 Andreas Haratsch, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz. Beck’scher KompaktKommentar, 2. Aufl. 2011, Art. 125b Rn. 2. 22 BVerwGE 131, 20 (29); OVG Münster, ZBR 2012, 390 (391); VG Saarlouis, Urteil vom 12. August 2011 – 2 K 181 / 10, juris Rn. 39.
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len. Die Kompetenz für den Erlass neuer Regelung liegt grundsätzlich beim neuen Kompetenzträger. Davon wird ungeschrieben eine Ausnahme angenommen. Dem Gesetzgeber verbleibt die Befugnis, komplexe Regelungswerke nicht sehenden Auges versteinern zu lassen. Nach der ganz überwiegenden Ansicht folgt aus der Fortgeltungsanordnung auch das Recht des früheren Gesetzgebers, das alte Recht fortzuschreiben, um es auf diese Weise vor einer Versteinerung zu bewahren.23 Diese Änderungskompetenz des Bundes ist eng auszulegen. Die wesentlichen Elemente der in dem fortgeltenden Bundesgesetz enthaltenen Regelung sind beizubehalten. Die Fortschreibung ist an diese geknüpft, sie darf diese lediglich modifizieren.24 Neue Gedanken dürfen dem Regelungswerk nicht beigefügt werden. Allerdings sollen umfangreiche Detailregelungen zulässig sein.25 Beispiel der Anpassung sind die Änderung des § 14a BeamtVG26 oder die Fortschreibung der Filmförderungsabgabe.27 b) Problem der Grundlage Noch offen ist, ob die Kompetenzgrundlage für die Fortschreibung und die Aufhebung dabei der alte Kompetenztitel ist, der durch Art. 125a Abs. 1 GG für reine Fortschreibungen aufrecht erhalten bleibt, oder die Übergangsbestimmung des Art. 125a Abs. 1 GG selbst.28 Die erste Alternative dürfte näher liegen, da bei Fortschreibungskompetenzen der Gesetzgeber nicht von sonstigen Bindungen, wie etwa der Einhaltung der Anforderungen von Art. 72 GG oder den Grenzen des alten Rahmenrechts, frei gesprochen werden kann.29
23 BT-Drs. 16 / 813, S. 20; VG Berlin, Urteil vom 20. August 2009 – 28 A 210.07, juris Rn. 20 f.; VGH München, NVwZ-RR 2012, 391 (392); OVG Berlin-Brandenburg, LKV 2009, 132 (135); Hans D. Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 125a Rn. 7a; Christian Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hoffmann / Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 125a Rn. 6; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 125a Rn. 27 ff.; a. A. Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 125a Rn. 7 (zu Art. 125a Abs. 1 GG). 24 BVerwGE 139, 42 (54). 25 BVerwGE 139, 42 (55). 26 VG Berlin, Urteil vom 20. August 2009 – 28 A 210.07, juris Rn. 21. 27 BVerwGE 139, 42 (54 ff.). 28 So VG Berlin, Urteil vom 20. August 2009 – 28 A 210.07, juris Rn. 20 f. 29 Heinrich A. Wolff, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 125a Rn. 23 und Art. 125b Rn. 8.
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c) Frage der einheitlichen Fortschreibungsbefugnis Die Fortschreibungsbefugnis wurde vom BVerfG im Zusammenhang mit Art. 125a Abs. 2 GG entwickelt und wird von der überwiegenden Ansicht unkommentiert auf die Fortgeltungsanordnung übertragen. Nach einer Mindermeinung ist die Fortschreibungsbefugnis aber auf den Fall des Art. 125a Abs. 2 GG zu beschränken.30 Diese Ansicht kann sich auf gewichtige Gründe stützen. Bei Art. 125a Abs. 2 GG ist die Gefahr der Versteinerung sehr viel größer als bei Art. 125a Abs. 1 GG und zudem hat der Bundesgesetzgeber bei Absatz 2 wenigstens einen Kompetenztitel. Umgekehrt würde man bei einer Beschränkung auf Absatz 2 den Bund gewissermaßen dafür belohnen, dass er das Freigabegesetz nicht erlässt, während er bei Art. 125a Abs. 1 GG vollständig auf die Landesgesetzgeber angewiesen ist. Daher ist es sachlich überzeugender, die Fortschreibungskompetenz bei allen Fortgeltungsgestaltungen zu ergänzen. d) Frage der Fortschreibung bei Rahmenrecht Die Fortschreibungskompetenz gilt, sofern altes Recht fort gilt. Es wäre systematisch nicht überzeugend, sie davon abhängig zu machen, ob die frühere Kompetenz vollständig weggefallen ist oder in der Kategorie verändert wurde. Sie gilt daher auch dann, wenn altes Rahmenrecht fort gilt, der Bund aber noch einen Titel der konkurrierenden Gesetzgebung besitzt. Macht der Bund von seiner neuen Gesetzgebungskompetenz Gebrauch und integriert er in diese Neuregelung die alte Rahmenregelung, hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, ob er hinsichtlich der integrierten Rahmenregelung auf die Fortschreibungskompetenz zugreift und das Recht als Rahmenrecht weiter gilt, oder, ob das Rahmenrecht nun insgesamt als Recht gilt, das auf die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz gestützt wird. Die gleiche Frage gilt, wenn er das Rahmenrecht nur partiell ändert. Für die Qualifizierung alten Rahmenrechts als fortgeltendes Rahmenrecht oder als konkludent neu erlassenes Recht auf der Grundlage der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz ist auf den Willen des Gesetzgebers abzustellen.31 Möchte der Gesetzgeber das alte Rahmenrecht als fortgeltendes Rahmenrecht beibehalten, muss ihm dies solange möglich sein, wie seine Änderungen des alten Rahmenrechts als reine Fortschreibungen des Rah30 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 125a Rn. 7. 31 A. A. wohl Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 125b Rn. 2, neues Recht richtet sich ausschließlich nach den Regeln der konkurrierenden oder ausschließlichen Gesetzgebung.
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menrechts zu verstehen sind. Übernimmt er dagegen die Regelung in den Gesamtkontext der konkurrierenden Gesetzgebung, ist Art. 125b Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 nicht mehr anwendbar. Für die Kriterien lässt sich analog auf die Überlegungen zurückgreifen, die für die Abgrenzung von vorkonstitu tionellem und nachkonstitutionellem Recht gelten.32 Die Regelungen können allerdings nur analog und nicht unmittelbar herangezogen werden, weil Textänderungen von altem Rahmenrecht unter Umständen am Charakter des fortgeltenden Rahmenrechts nichts ändern. 4. Aufhebungskompetenz Ein selbständiger Fall der Weitergeltung besteht in der Zulässigkeit der Aufhebung des eigenen Gesetzes auch nach Wegfall der Kompetenz.33 IV. Die Ersetzungsbefugnis 1. Schlüsselbegriff der Übergangsbestimmungen Der zweite zentrale Baustein der Fortgeltungsregelung ist die Möglichkeit der Ersetzung. Je nach Kompetenzsituation setzt die Ersetzung ein vorheriges Freigabegesetz voraus. Der Begriff des Ersetzens ist der Schlüsselbegriff der Übergangbestimmungen. Wie sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt, wurde dieser Begriff mit Bedacht gewählt und soll einen Unterschied zur einfachen Änderungsgesetzgebung verdeutlichen. Die Ersetzung ist auch im Unterschied zu der Abweichung von Bundesregelungen im Rahmen von Art. 72 Abs. 3 GG zu sehen, die kleinräumiger sein kann. 2. Begriffsunschärfe Obwohl sich der Begriff des „Ersetzens“ seit 1994 im GG findet, ist es bisher nicht gelungen, ihn näher zu konkretisieren. Die Ersetzung des Bundesrechts erfordert, dass der Landesgesetzgeber die Materie, gegebenenfalls auch einen abgrenzbaren Teilbereich, in eigener Verantwortung regelt.34 32 Heinrich A. Wolff, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 123 Rn. 24 ff. 33 Bezogen auf den Bundesgesetzgeber: vgl. Josef F. Lindner, Zur Änderungsund Freigabekompetenz des Bundesgesetzgebers nach Art. 125a Abs. 2 GG, NJW 2005, S. 399 (399); Heinrich A. Wolff, Die Aufhebungskompetenz des Bundes für das BRRG, ZBR 2007, S. 145 (145 ff.); Kyrill-Alexander Schwarz, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, S. 58. 34 BVerwG, NVwZ-RR 2010, 243 (243); Hans D. Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 125a Rn. 8.
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Zulässige Formen der Ersetzens sind etwa der Erlass einer völlig neuen Konzeption, d. h. eine neue und andere Kodifikation zu dem Kompetenztitel. Weiter ist es möglich, ein dem bisherigen Bundesrecht gleichlautendes Landesrecht zu erlassen.35 Auch die Übernahme en bloc ist aus dem Blick des Art. 125a GG möglich, auch wenn fraglich ist, ob dafür der Begriff statische Verweisung qualifiziert ist.36 Ebenfalls zulässig ist die Aufhebung der Bundesregelung, ohne Erlass einer sie ersetzenden landesrechtlichen Regelung.37 Sofern eine Rechtsverordnungsermächtigung besteht, muss das Ersetzen nicht durch förmliches Gesetz geschehen, sondern kann auch durch Rechtsverordnung erfolgen,38 wenn man nicht schon die gesetzliche Ermächtigung selbst als ein Fall des Ersetzens begreift. Eine teilweise Ersetzung bleibt möglich.39 Die reine Änderung, die noch keine Teilersetzung darstellt, ist dagegen ausgeschlossen. Die Abgrenzung zwischen zulässiger Teilersetzung und unzulässiger Änderung ist schwierig und kann von niemandem klar geführt werden. Entscheidend dürfte die Frage sein, ob nach der Änderung nur eines Teils, sowohl die verbleibende als auch die Neuregelung insgesamt sinnvoll bleiben.40 Verweist das Land auf die fortgeltende Bundesregelung, dann ersetzt sie das Recht nicht.41 3. Frage des einheitlichen Begriffs Der Begriff des Ersetzens kommt vor in Art. 72 Abs. 4, Art. 125a Abs. 1 bis 3 GG. Üblicherweise geht man davon aus, der Begriff sei in allen Nor35 BVerfGE 111, 10 (29 f.) – Ladenschluss; VG Dresden, Urteil vom 14. Juli 2011 – 11 K 296 / 09, juris Rn. 19. 36 SächsOVG, Urteil vom 14. Oktober 2010 – 2 A 632 / 09, juris Rn. 20; Urteil vom 14. Oktober 2010 – 2 A 430 / 09, juris Rn. 17 ff. 37 Teilweise a. A. Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 125a Rn. 9. 38 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 125a Rn. 30; a. A. Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 125a Rn. 5. 39 BVerwG, NVwZ-RR 2010, 243 (243); BAG, NZA-RR 2011, 553 (554); OVG Berlin-Brandenburg, LKV 2009, 132 (135); VG Düsseldorf, Urteil vom 30. Mai 2008 – 13 K 5515 / 07, juris Rn. 182; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 125a Rn. 31; Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 125a Rn. 6; Heinrich A. Wolff, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 125a Rn. 21; Kyrill-Alexander Schwarz, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, S. 58. 40 OVG Münster, ZBR 2012, 390 (391); vergleichbar Hans D. Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 125a Rn. 8. 41 OVG Münster, ZBR 2012, 390 (391).
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men gleich zu verstehen.42 Zwingend ist dies nicht. Der Kompetenzzuwachs der Länder bei Art. 125a Abs. 2 GG und Art. 72 Abs. 4 GG ist erheblich geringer als in den Fällen des Art. 125a Abs. 1 GG, bzw. für den Bund bei Art. 125a Abs. 3 GG, sodass eine strenge Auslegung des Art. 125a Abs. 2 GG deutlich gemäßigter in die Gesetzgebungskompetenz der Länder eingreift als eine solche bei Art. 125a Abs. 1 GG. Zudem ist bei Art. 125a Abs. 2, Art. 72 Abs. 4 GG eine stärkere Verflechtung der Kompetenzen von Bund und Land vorhanden. Demnach erscheint es durchaus angemessen, bei dieser Norm strengere Anforderungen an ein Abweichen zu stellen, auch wenn sich diese begrifflich nicht klar fassen lassen. 4. Pflicht zur Ersetzung Das Land ist grundsätzlich aus dem GG heraus nicht verpflichtet von den neuen Kompetenzen Gebrauch zu machen.43 Im Bereich der alten Rahmengesetzgebung ist das ersetzende Bundesland bei der Ausübung seiner Ersetzungsbefugnis nicht mehr an den bundesgesetzlichen Rahmen gebunden.44 Es verbleiben jedoch die Pflichten aus anderem Rechtsgrund. Ein solcher Rechtsgrund kann die Landesverfassung sein. Widerspricht das fortgeltende Bundesrecht der Landesverfassung, folgt aus der Landesverfassung die Pflicht des Landesgesetzgebers, den nun in seiner Kompetenz liegenden, der Landesverfassung entsprechenden Zustand herzustellen.45 V. Das Freigabegesetz 1. Das Erfordernis eines Freigabegesetzes Das dritte Gestaltungselement ist das Freigabegesetz. In den Fällen, in denen bei der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz die Voraussetzun42 Siehe insoweit nur Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 125a Rn. 6, 10; Hans D. Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 125a Rn. 11. 43 OVG Münster, ZBR 2012, 390 (391); Holger Schmitz, Die Ladenöffnung nach der Föderalismusreform, NVwZ 2008, S. 18 (20 f.); Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 125a Rn. 9. 44 Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 125a Rn. 29. 45 Guido Kirchhoff, Art. 125a GG und landesverfassungsrechtliche Regelungspflichten, NVwZ 2009, S. 754 (754 f.); Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 125a Rn. 29; offen gelassen Christian Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hoffmann / Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 125a Rn. 6.
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gen für den Erlass des Gesetzes ursprünglich vorlagen, aber aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Folgen nicht mehr anzunehmen sind, besteht eine Ersetzungsbefugnis des Landesgesetzgebers nur, wenn entweder ein Freigabegesetz des Bundes vorliegt oder das Bundesverfassungsgericht den Wegfall der Voraussetzungen bestätigt hat (Art. 72 Abs. 4 GG, Art. 92 Abs. 3 GG, Art. 125a Abs. 2 GG). 2. Rechtswirkungen des Freigabegesetzes Mit der Freigabe entfällt nicht die Bindungswirkung des fortgeltenden Bundesrechts, vielmehr erhält nur der Landesgesetzgeber die Möglichkeit der Ersetzung. Die Freigabekompetenz hebt nur die Sperrwirkung von Art. 72 Abs. 1 GG auf. Ohne eine Ermächtigung steht dem Land keine Ersetzungsbefugnis zu.46 Die Freigabe ist weder mit der Ermächtigung nach Art. 71 ff. GG noch mit der Aufhebung des Bundesrechts vergleichbar. Der Landesgesetzgeber wird bei der Freigabe nicht auf Grund einer bundesrechtlichen Ermächtigung tätig, sondern auf Grund eigener Kompetenzlage. Auch bei einer Freigabe behält das Recht seinen Charakter als Bundesrecht, bis der Landesgesetzgeber eigene Normen setzt.47 Der Landesgesetzgeber kann von der Ersetzungskompetenz Gebrauch machen, er muss aber nicht.48 Eine Frist zur Wahrnehmung der Ersetzungskompetenz unter Rückgriff auf Art. 75 Abs. 3 GG kann der Bundesgesetzgeber nicht setzen. Landesrecht liche Vorschriften, die vor der Freigabe erlassen wurden, erhalten durch die Freigabe nicht nachträglich ihre Gültigkeit zurück. Nach der Freigabe kann das Land nicht wiederum jede Änderung vornehmen, sondern nur eine solche, die den qualifizierten Anforderungen einer „Ersetzung“ genügt. 3. Ermessen oder bundesverfassungsgerichtliche Feststellung Die Freigabe liegt nach überwiegender Ansicht im Ermessen des Bundesgesetzgebers.49 Das Ermessen ist gebunden. Verlangen die veränderten 46 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 125a Rn. 10; Josef F. Lindner, Zur Änderungs- und Freigabekompetenz des Bundesgesetzgebers nach Art. 125a Abs. 2 GG, NJW 2005, S. 399 (400). 47 A. A. Michael Kirn, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2012, Art. 125a Rn. 5. 48 Kyrill-Alexander Schwarz, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform. Einführung, 2007, S. 58. 49 Rüdiger Sannwald, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen und des Gesetzgebungsverfahrens im Bundesstaat. Einführung, Erläuterungen, Materialien, 1996, S. 18 Rn. 5; Arnd Uhle, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand: 69. Erg.-Lfg. (Mai 2013), Art. 125a Rn. 45; Christian Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hoff-
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Verhältnisse nach einer Neuregelung, die nicht als Fortschreibung zu realisieren ist, ist der Bund aufgrund des Prinzips des bundesfreundlichen Verhaltens rechtlich verpflichtet, die Materie freizugeben.50 Die Annahme des Ermessens des Bundes wirft Friktionen mit der gesetzlichen Feststellung gem. Art. 93 Abs. 2 BVerfGG auf. Danach ersetzt die Feststellung des BVerfG das Freigabegesetz. Gegenstand der gerichtlichen Feststellung ist aber nicht das Bestehen einer Pflicht zur Aufhebung, sondern nur der Wegfall der Erforderlichkeitsvoraussetzungen. Es besteht daher keine Kongruenz zwischen gerichtlicher Feststellung und objektiver Rechtslage – die Wirkung der Feststellung geht weiter, als die festgestellte Rechtslage. Dies ist ein Unikum innerhalb des Systems der rechtsprechenden Gewalt und sollte als einmaliger Ausnahmefall nicht ausgedehnt werden. VI. Lücken in der Regelung Wie jede von Menschenhand geschaffene Systematik ist auch die Regelung der Art. 125a ff. GG nicht lückenlos. Minimale Lücken sind zu entdecken. 1. Kompetenzwidrig erlassenes Recht wird kompetenzgemäß Keine Regelung findet sich für den Fall, dass das alte Recht kompetenzwidrig erlassen wurde, nach der Kompetenzänderung aber kompetenzgemäß wäre.51 Zutreffend dürfte sein: Eine automatische Heilung durch die Verfassungsänderung ist nicht anzunehmen. Die Regelung bleibt verfassungswidrig.52 Ein ausdrücklicher neuer Gesetzeserlass ist aber ebenfalls nicht immer zu fordern. Es genügt, wenn der Gesetzgeber mit hinreichender Mehrheit und Deutlichkeit zu erkennen gibt, dass er die alte Regelung – unter der nun geänderten Kompetenzlage – bewusst in seinen Willen aufnimmt.
mann / Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 125a Rn. 10; so jetzt auch BVerfGE 111, 10 (30 f.) – Ladenschluss. 50 BVerfGE 111, 10 (31) – Ladenschluss; Rupert Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 125a Rn. 15. 51 Hans D. Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 125a Rn. 2. 52 Hans D. Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 125a Rn. 2.
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2. Unsicherheiten im Verhältnis von Fortgeltung alten Rahmenrechts und neuer Freiheit im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung Enthält fortgeltendes Rahmenrecht in Bezug auf eine Materie, für die der Bund nun die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz besitzt, keine ausdrückliche Ermächtigung an den Landesgesetzgeber und stellt es auch keine ausdrückliche abschließende Regelung dar, bleibt unklar, voraus das Recht der Länder zur Gesetzgebung folgt. Folgt das Recht der Länder zur Ausfüllung aus der Weitergeltung als Rahmenrecht oder aus dem Umstand, dass die Änderungsbefugnis sich auch aus den Regeln der konkurrierenden Zuständigkeiten ergibt?53 Dieses Problem wird etwa bei den früheren Regeln des Beamtenrechtsrahmengesetzes relevant, die heute als Statusregelung i. S. v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG ergehen können.54 3. Uminterpretation Ebenfalls nicht ganz geklärt ist der Fall, dass das alte Recht beim Erlass auf Normen gestützt wurde, die aufgehoben wurden, aber zum Zeitpunkt der Anwendung der Art. 125a ff. GG noch vom gleichen Kompetenzträger erlassen werden könnte, sofern man nur bereit ist, diese Normen auf andere Kompetenznormen als ursprünglich gedacht zu stützen. Diese Form der Aufrechterhaltung der Kompetenzen wird man nicht verhindern können. VII. Bewertung der Übergangsregelung 1. Die Übergangsregelung gemessen am Ziel der Übergangsbestimmung Die Bewertung von Normen und ihrer Umsetzung bedarf eines Maßstabs. Einen möglichen Maßstab bilden zunächst die Ziele, die der Normgeber mit ihnen verfolgte. Der verfassungsändernde Gesetzgeber wollte mit den Art. 125a ff. GG zunächst die Fortgeltung der alten Rechtslage ermöglichen und zugleich dem neuen Kompetenzträger die Möglichkeit geben, die eigenen Ideen durch neue Kodifikationen umzusetzen. Gemessen an den Zielen, die der Normgeber mit den Übergangsvorschriften selbst verfolgt, sind diese nicht ungeeignet. Die Übergangsvorschriften 53 Vgl. Hans D. Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012, Art. 125b Rn. 3; Christian Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 125b Rn. 2.1 (für Variante 1). 54 Vgl. OVGE MüLü 53, 214 (226); 53, 240 (253).
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verhindern ein Normvakuum durch die Kompetenzverschiebungen und gestatten dem Land zugleich, unter bestimmten Bedingungen von ihrer neuen Kompetenz Gebrauch zu machen. 2. Erleichterung der Ziele der Föderalismusreform I Das zweite Ziel der Übergangsbestimmungen liegt darin, die Erreichung der eigentlichen Rechtsänderung, auf welche die Übergangsnormen bezogen sind, nicht zu konterkarieren, d. h. im Fall der Föderalismusreform I 2006 u. a., die Stärkung des Landesgesetzgebers zu ermöglichen. Ob die Normen dafür geeignet sind, darf bezweifelt werden. Die Übergangsbestimmungen schwächen die Folgen der Kompetenzveränderungen der Sache nach für die Übergangszeit zunächst erheblich zugunsten des Bundes ab. Allein am Maßstab der Übergangregelung gemessen, ist der Bund der Gewinner und das Land der Verlierer der Regelung. Die Regelung der Fortgeltung als Bundesrecht und die Einschränkung der Änderungsbefugnis auf das Ersetzen und die teilweise bestehende Notwendigkeit des Freigabegesetzes gehen der Sache nach zu Lasten der Länder, auch wenn sie vereinzelt formal den Bund selbst treffen. Gäbe es diese Regelung nicht, wäre die Stellung des Landesgesetzgebers stärker. Der Sache nach konterkariert die Ausgestaltung der Übergangbestimmungen teilweise die Reformbestrebungen im Bereich der Kompetenzveränderungen. Neu ist diese Regelungstechnik nicht. Schon die Weimarer Reichsverfassung kannte das System, dass gewollte Reformen blockiert werden, in denen ein Tätigwerden des Bundes zwecks Überganges zunächst für notwendig vorgeschrieben wird und dieses Übergangsgesetz dann über 100 Jahre nicht erlassen wird. Gemeint ist die Regelung zur Ablösung der Staatsleistungen an die Staatskirchen, die gemäß Art. 138 WRV i. V. m. Art. 140 GG von dem vorherigen Erlass eines Grundsätzegesetzes des Bundes gem. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG abhängig gemacht wird und so dieser Landesgesetzgeber, der reformwilliger ist, gesperrt wird.55 Bei der Gestaltung der Übergangsregelung haben sich der Sache nach die Verfechter eines starken Bundesstaates durchgesetzt und die Föderalisten in gewisser Form geschlafen.
55 Ausführlich Heinrich A. Wolff, Die Struktur des Grundsätzegesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften (Art. 138 Abs. 1 S. 2 WRV / Art. 140 GG), in: Brenner / Huber / Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel. Festschrift für Peter Badura zum 70. Geburtstag, 2004, S. 839 ff.
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3. Umsetzbarkeit Ein dritter Maßstab für Normen ist deren Anwendbarkeit und deren Handhabbarkeit. Hier kann man dem Art. 125a ff. GG leider kein gutes Zeugnis ausstellen. Der Begriff des Ersetzens ist unklar und schwer zu handhaben. Die Abgrenzung von Art. 125a Abs. 1 und Art. 125b GG ist schwer zu ziehen, gleichwohl sie von erheblicher Bedeutung ist. Gehört beispielsweise eine Regelung im Beamtenrecht zu den Statusfragen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG, dürfen die Länder nur die Regelungen erlassen, die der Bundesgesetzgeber bewusst offen gelassen hat, dann allerdings auch hinsichtlich Einzelfragen. Gehört die alte Regelung dagegen nicht zum Statusbereich, dürfen sie keine Einzelfragen regeln, dafür aber eine komplette, auch dem Bundesrecht widersprechende Neuordnung formulieren. Angesichts des Umstandes, dass unklar ist, was Statusrechte i. S. v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG sind, wird auf diese Weise große Unsicherheit verursacht. Die Vorschriften kamen nicht dem Bedürfnis des Landesgesetzgebers entgegen und sind mit einer der Gründe, weshalb die Föderalismusreform I nur zu sehr begrenzten Rechtsänderungen führte. 4. Verstärkung der retardierenden Wirkung durch die Rechtsprechung Das retardierende Element der Übergangsbestimmungen wird unterstützt durch die Rechtsprechung. Diese stärkt die Beharrungskräfte der alten Rechtsordnung. Bestehende Auslegungsvarianten werden zu Lasten des Landesgesetzgebers genutzt. Drei Beispiele sollen angeführt werden: (1) Die Anerkennung der Fortschreibungskompetenz des Bundes stärkt den Bund und nimmt den Druck von den Ländern, tätig zu werden. (2) Die fehlende Bereitschaft, das Merkmal des Ersetzens handhabbar zu machen, erhöht die Unsicherheit bei dem Landesgesetzgeber und verringert seine Bereitschaft zum Handeln. (3) Als drittes Beispiel sei eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs von Sachsen genannt.56 Der Landesgesetzgeber von Sachsen wollte ein eigenes Versammlungsgesetz erlassen und wählte dafür den Weg eines Artikelgesetzes. Mit einem Artikel übernahm er en bloc das Bundesversammlungsgesetz als Landesgesetz und in einem zweiten Artikel änderte er zugleich einige Normen des neu geschaffenen Landesrechtes. Die Übernahme en bloc wurde bis zu dieser Entscheidung von der Kommentarliteratur als 56 SächsVerfGH,
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eine mögliche Form des Ersetzens angesehen. Der Verfassungsgerichtshof von Sachsen hielt das Gesetz dagegen formell für verfassungswidrig, da kein ordnungsgemäßer Gesetzesentwurf vorlag.57 Da der Text des Bundesgesetzes in dem Gesetzentwurf nicht enthalten gewesen sei, hätten die Abgeordneten nicht gewusst, worüber sie diskutieren sollten, sodass der Gesetzentwurf seine Funktion nicht erfüllen könnte. Der Einwand, dieser Fall sei strukturell vergleichbar mit dem Fall einer statischen Verweisung eines Landesgesetzes auf ein Bundesgesetz, bei dem ebenfalls das Bundesgesetz nicht beigelegt werden musste, wurde mit dem Argument zurückwiesen, dass bei der Verweisung das vom Landesgesetzgeber zu verabschiedende Gesetz tatsächlich nur aus der Verweisungsnorm auf das Bundesrecht bestünde. Allein sie besitze den Charakter eines förmlichen (Landes-)Gesetzes, wenn auch das in Bezug genommene Bundesrecht den Rang eines Landesgesetzes erhalte.58 Dieses Argument ist sachlich nicht richtig, da das Verweisungsgesetz genauso viel und genauso wenig Landesgesetz ist, wie ein Ersetzungsgesetz. Dies sieht man auch daran, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes Sachsen im Anschluss an das Urteil des Verfassungsgerichtshofs spätere sächsische Ersetzungsgesetze, die Bundesrecht en bloc ersetzen, als statische Verweisung einstuften und somit verhältnismäßig deutlich dem Verfassungsgerichtshof die Gefolgschaft verweigerten.59 Der Hinweis, beim Versammlungsgesetz läge eine von der Verfassung gewollte Form des Ersetzens vor, wurde wiederum zurückgewiesen mit dem Argument, aus Art. 125a GG ließe sich für den Inhalt von Gesetzesvorlagen von vornherein nichts entnehmen, da er keine Regelungen zum Verfahren der Gesetzgebung auf der Landesebene treffe. Dabei wird nicht auf das Argument eingegangen, dass diese Auslegung des Landesverfassungsrechts, eine bundesrechtlich gewollte Form der Ersetzung erschwert, was rechtlich möglich ist, aber sicher nicht im Sinne der Föderalismusreform ist. Es soll nicht bestritten werden, dass alle drei Fallgruppen methodisch mögliche Gesetzesinterpretationen sind, zwar nicht naheliegende, aber zumindest vertretbare. Entscheidend ist aber, dass diese Verfassungsauslegung ebenfalls nicht von dem Gedanken getragen ist, dem Landesgesetzgeber die Wahrnehmung seiner neuen Kompetenzen zu erleichtern. Durch die Übergangsregelung und deren Handhabung durch die Rechtsprechung wird der 57 SächsVerfGH, NVwZ 2011, 936 unter B. I; der Autor dieses Beitrages war als Verfahrensbevollmächtigter eines anhörungsberechtigten Verfassungsorgans am Verfahren beteiligt und vertrat die vom VerfGH verworfene Ansicht. 58 SächsVerfGH, NVwZ 2011, 936 unter B. I. 2a. 59 SächsOVG, Urteil vom 14. Oktober 2010 – 2 A 632 / 09, juris Rn. 20 ff.; SächsOVG, Urteil vom 14. Oktober 2010 – 2 A 430 / 09, juris Rn. 17 ff.; VG Dresden, Urteil vom 14. Juli 2011 – 11 K 296 / 09, juris Rn. 20 (über die Konstruktion als statische Verweisung).
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von der Föderalismusreform gewollte Zustand der Stärkung des Landesgesetzgebers zumindest nicht im Eiltempo erreicht werden. Wenn man einen Beleg dafür suchen sollte, dass die Jurisprudenz in Deutschland eher von retardierenden Anhängern des Rechtsstaates und weniger von feurigen Verfechtern der Demokratie beherrscht wird, würde ein Hinweis auf Art. 125a ff. GG und auf deren Auslegung durch die Rechtsprechung ein günstiges Argument bilden. Der Gewinn liegt in einer gewissen Qualitätssicherung der ermöglichten Änderungen und der Preis liegt in der Behäbigkeit derselben. VIII. Schluss Die Übergangsregelungen im Zusammenhang mit der Föderalismusreform weichen von der dem GG stillschweigend zugrunde liegenden allgemeinen Regelung ab. Sie stärken der Sache nach den Bundesgesetzgeber, sind ausgesprochen kompliziert und wirken sich hemmend auf die Wahrnehmung der neuen Kompetenzen durch den Bundesgesetzgeber aus. Sie konterkarieren damit das eigentliche Ziel der Föderalismusreform I. Auf diese Weise erreichen sie allerdings ein Tempo der Rechtsänderung, das von allen Beteiligten gut nachzuvollziehen ist. Weiter kommt es zu keinen großen Abweichungen der Regelungen der Länder untereinander, weshalb eine weitgehende Rechtsvereinheitlichung gewahrt bleibt.
Autorenverzeichnis Christoph Degenhart, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten München und Lausanne, Promotion und Habilitation an der Universität München. Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Direktor des Instituts für Rundfunkrecht und Mitglied des Instituts für Umwelt- und Planungsrecht an der Universität Leipzig. Mitglied des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs. Markus Heintzen, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft und Politik, Promotion und Habilitation an der Universität Bonn. Inhaber des Lehrstuhls für Staats-, Verwaltungs- und Steuerrecht an der Freien Universität Berlin. Peter Michael Huber, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten München und Genf, Promotion und Habilitation an der Universität München. Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Staatsphilosophie sowie Leiter der Forschungsstelle für das Recht der europäischen Integration an der Universität München. Richter des Bundesverfassungsgerichts. Stefan Oeter, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft, Promotion und Habilitation an der Universität Heidelberg. Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht sowie geschäftsführender Direktor des Instituts für internationale Angelegenheiten der Universität Hamburg. Jochen Rozek, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft, Promotion und Habilitation an der Universität Passau. Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, Verfassungsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Universität Leipzig sowie stellvertretendes Mitglied des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs. Christian Seiler, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Freiburg und Heidelberg, Promotion und Habilitation an der Universität Heidelberg. Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, Finanz- und Steuerrecht sowie Prodekan der dortigen Juristischen Fakultät. Mitglied des Staatsgerichtshofs Baden-Württemberg. Rupert Stettner, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft und Promotion an der Universität München sowie Habilitation an der Universität Augsburg. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls Öffentliches Recht an der Universität der Bundeswehr München. Rektor der Hochschule für Politik München. Arnd Uhle, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Bonn, Promotion und Habilitation an der Universität München. Inhaber des Stiftungslehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere für Staatsrecht und Staatswissenschaften sowie Leiter der Forschungsstelle „Recht und Religion“ an der Universität Dresden. Prodekan der dortigen Juristischen Fakultät.
278 Autorenverzeichnis Heinrich Amadeus Wolff, Prof. Dr. rer. publ., Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Regensburg, Tübingen, Bonn, Freiburg und Heidelberg, Promotion und Habilitation an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Umweltrecht an der Universität Bayreuth.