Neuanfang und Kontinuität in Jerusalem: Studien zu den hermeneutischen Strategien im Esra-Nehemia-Buch 9783161541186, 9783161541193, 3161541189

Raik Heckl geht den hermeneutischen Strategien bei der Abfassung der Esra-Nehemia-Komposition nach. Diese geben einen Ei

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German Pages 463 [474] Year 2016

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Vorwort
Inhalt
Kapitel 1: Einleitung
1. Die angewendete Methodik als Antwort auf den Stand der Forschung
2. Kulturwissenschaftliche Grundlegung: Die Auslegung der biblischen Texte in ihrem historisch-sozialen Kontext
3. Die Intentionalität der biblischen Traditionsliteratur
4. Die alttestamentlichen Texte als Diskursfragmente
5. Der Metatextcharakter der biblischen Traditionsliteratur
6. Zur Rückfrage nach der Diachronie
7. Esra-Nehemia als Historiographie?
8. Die Schwerpunkte der Untersuchung
Kapitel 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6)
1. Das Kyrosedikt und Esr 5 f.
1.1. Der Inhalt von Esr 1,2–4
1.2. Esr 1,2–4 und seine Parallelen in Esr 1–6
1.3. Esr 1,2–4 und sein nachfolgender Kontext
1.4. Die Einführung des Edikts (Esr 1,1) und der Zusammenhang mit der Chronik
1.5. Hermeneutische Strategien im Zusammenhang der Abschnitte Esr 1,2–4; 5,13–16 und 6,2–5
2. Die sog. Rückkehrerliste
2.1. Die Liste als „Quelle“
2.2. Die Rahmung der Liste durch Esr 2,1 f.70
2.3. Der ursprüngliche Umfang der Rückkehrerliste
2.4. Evidenz für die Existenz der Quelle und ihren Einfluss auf die Textgestalt
2.5. Die inhaltlichen Implikationen der Liste
2.6. Die ursprüngliche Intention der Rückkehrerliste und ihr Gebrauch im Kontext
3. Die Unterbrechung des Tempelbaus (Esr 4,1–24)
3.1. Überblick
3.2. Esr 4,1–7
3.3. Esr 4,8–24
3.4. Die literarische Integrität von Esr 4,8–23
3.5. Die übergreifende Konzeption von Esr 4 und ihre kompositionelle Funktion
3.6. Das Geschichtskonzept
4. Die aramäische Tempelbauchronik
4.1. Exposition – Baubeginn und Ankunft des Statthalters (Esr 5,1–5)
a) Textoberfläche und Stil
b) Argumentationsstruktur
c) Resümee
4.2. Esr 5,6–17 Der Brief an Darius
a) Textoberfläche und Gattungsfragen
b) Argumentationsstruktur
c) Resümee
4.3. Die Edikte des Kyros und Darius in Esr 6,1–12
a) Textoberfläche und Stil
b) Argumentationsstruktur
4.4. Epilog: Abschluss des Tempelbaus und Einweihung (Esr 6,13–18)
a) Textoberfläche und Stil
b) Argumentationsstruktur
c) Die literarischen Probleme in Esr 6,13–18
4.5. Zusammenfassende Diskussion der Tempelbauchronik
a) Der Stil des Textes
b) Lösungen für die literarischen Probleme
c) Der thematische Zusammenhang der aramäischen Tempelbauchronik
d) Das Geschichtskonzept der aramäischen Tempelbauchronik
5. Der Zusammenhang von Esr 4 und 5f.
5.1. Die Integration der beiden Texte
5.2. Formale und stilistische Entsprechungen
5.3. Die übergreifende inhaltliche Konzeption
6. Die Identifikation des in Esr 5f. fehlenden Abschnittes
7. Vom Kyrosedikt zur Einweihung des Tempels
7.1. Die Kohärenzstruktur des literarischen Kompositums Esr 1–6
7.2. Die hermeneutischen Strategien in Esr 1–6 und die Pragmatik des Textes
a) Scheschbazzar und Serubbabel
b) Die „Rückkehr“ der Kultgeräte
c) Die Funktion der Bevölkerungsliste (Esr 2)
d) Die Überleitung zur aramäischen Tempelbauchronik (Esr 3f.)
e) Der Epilog Esr 6,19–21 als Schlüssel für die Pragmatik von Esr 1–6
f) Resümee
Kapitel 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem (Esr 7f. und Neh 8)
1. Einleitung
2. Das Schreiben des Artaxerxes und sein Kontext (Esr 7)
2.1. Überblick über das Kapitel
2.2. Die Einführung Esras (Esr 7,1–10)
2.3. Das vermeintliche Dokument Esr 7,11–26
a) Die hebräische Überschrift Esr 7,11 und der Kontext des Schreibens
b) Die Struktur des Schreibens
c) Esra in der Perspektive von Artaxerxes
d) Esras Aufgabe
e) Die Gaben für den Tempel und die Tempelgeräte
f) Die finanzielle Autonomie des Jerusalemer Tempels
g) Eine Rechtsordnung auf Grundlage der Tora
2.4. Esras Lobpreis als Schlüssel für das Verständnis von Esr 7
3. Der übergreifende Kontext von Esras Einführung (Esr 7) und Rückkehr (Esr 8)
4. Zum Verhältnis von Esr 7f. und Esr 1–6
4.1. Formale und inhaltliche Berührungen
4.2. Unterschiede
4.3. Resümee
5. Von Esr 7f. zur Verkündigung der Tora – die kompositionelle Funktion der Esrageschichte
5.1. Die Rückbindung an die vorexilische Geschichte Jerusalems durch die Esrageschichte
5.2. Die Autonomie der Juden auf der Grundlage der Tora
5.3. Esra und Nehemia
5.4. Resümee
6. Esras Gebet (Esr 9) als Schlüssel für die Pragmatik der Esrageschichte
6.1. Die Sicht der Fremdherrschaft in Esr 9 und die gottesfürchtigen Könige in Esr 7 und in Esr 1–6
6.2. Vermeidung von Vermischung und Abgrenzung von anderen Völkern als Reaktion auf Entwicklungen im Hellenismus und ihre Anwendung auf die Auseinandersetzung mit den Samariern
Kapitel 4: Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition
1. Der Wechsel von Ich-Rede und unpersönlicher Erzählung als Zugang zur Literargeschichte?
2. Die Begründung der Wiederholung der Rückkehrerliste in Neh 7 und ihre Absicht
3. Die Spannung zwischen Synoikismus (Neh 11) und Zitation der Rückkehrerliste (Neh 7)
4. Der Übergang von der Liste zum Erzähltext (Neh 7,72–8,2)
5. Bußgebet (Neh 9,5ff.) und Bundesschluss (Neh 10,1ff.) als ursprüngliches Zentrum der Nehemiaerzählung
6. Das Zusammenspiel von Neh 8 und Neh 9f.
7. Die Gemeinschaft in Neh 10 und die Konzeption des Volkes Israel im Esrabuch und in Neh 7f.
8. Der personale Zusammenhang zwischen Neh 10 und Neh 7
9. Zur inhaltlichen Struktur und zum Umfang der verarbeiteten Nehemiaerzählung
10. Die hermeneutischen Strategien bei der Rekontextualisierung des Bundes in Neh 10 durch die Voranstellung von Neh 7f.
Kapitel 5: Synthese
1. Die hermeneutischen Strategien im Esra-Nehemia-Buch
1.1. Dokumente
1.2. Rekontextualisierung
a) Die Rückkehrerliste in Esr 2
b) Die aramäische Tempelbauchronik
c) Die Nehemiaerzählung
d) Transformationen der rezipierten Abschnitte
1.3. Literarische Figuren als Zeugen
1.4. Personennamen
1.5. Resümee
2. Die Intention der Esra-Nehemia-Komposition gegenüber den Vorlagen
2.1. Die Ausgangssituation
2.2. Der Anschluss an die vorexilische Zeit als Grundlage des Geschichtskonzeptes der Esra-Nehemia-Komposition
2.3. Neuanfang und Kontinuität in Jerusalem
2.4. Die „Autorisation“ des Tempels und der Tora durch die Perser
2.5. Delegitimierung der Samarier, ihres Kultes und ihrer Auslegung der Tora
3. Das Verhältnis von Esra-Nehemia zur Chronik
3.1. Der Anfang der Esrageschichte (Esr 7) als Zentrum der Anknüpfungen der Esra-Nehemia-Komposition an die Chronik
3.2. Die Hoffnung auf politische Eigenständigkeit
3.3. Juda als leeres Land
3.4. Das Kyrosedikt als Brückentext
3.5. Die Kultgeräte
3.6. Jerusalem und die Israeliten aus dem Norden
3.7. Serubbabel
4. Abschließende Überlegungen zur Datierung
4.1. Vorüberlegungen
4.2. Die Datierung der verarbeiteten literarischen Quellen
4.3. Die Abfassungszeit der Esra-Nehemia-Komposition
5. Von den Diskursen zur Geschichte: Erst Kompromiss über Tempel und Tora, dann Separation
Abkürzungen
Allgemeine Abkürzungen
Weitere abgekürzt zitierte Literatur
Literaturverzeichnis
Stellenregister
Altes Testament
Apokryphen und Pseudepigraphen
Elephantine
Qumran
Josephus
Rabbinische Literatur
Sach– und Namensregister
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Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Konrad Schmid (Zürich) · Mark S. Smith (New York) Hermann Spieckermann (Göttingen)

104

Raik Heckl

Neuanfang und Kontinuität in Jerusalem Studien zu den hermeneutischen Strategien im Esra-Nehemia-Buch

Mohr Siebeck

Raik Heckl, geboren 1967; Studium der Ev. Theologie in Leipzig, Naumburg und Halle und der Judaistik in Jerusalem; 2001 Promotion; 2008 Habilitation; seit 2011 Heisenbergstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Tübingen; seit 2013 apl. Professor am Institut für Alttestamentliche Wissenschaft an der Universität Leipzig.

e-ISBN PDF 978-3-16-154119-3 ISBN 978-3-16-154118-6 ISSN 0940-4155 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­ nalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2016  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Ver­ lags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Sys­temen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­­papier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Als ich 1989 in der ehemaligen DDR mit dem Theologiestudium begann, ließ ich mich von Anfang an von den Umbrüchen in der Pentateuchexegese begeistern. Das Alte Testament als ein Fach, in dem neue Ideen möglich waren, wurde rasch zum Schwerpunkt meines Studiums. Da ich Hebräisch vor dem Studium in der ansonsten trostlosen und oft bösen Zeit als Bausoldat, dem Ersatzdienst für diejenigen, die dem kommunistischen Staat die Gefolgschaft mit der Waffe verweigerten, abgeschlossen hatte, konnte ich das Studium des Alten Testaments sofort mit dem Proseminar beginnen. Dort lernte ich bei meinem ersten alttestamentlichen Lehrer R. Stahl von Anfang an, die herkömmliche Methodik kritisch vom Zeugnis der Texte her zu hinterfragen, und E. Blums Buch zur Vätergeschichte war das erste theologische Fachbuch, das ich las. Die Aufnahmeprüfung für das „Studium in Israel“ war dann meine erste persönliche Begegnung mit seinem Autor. In Jerusalem (1994/95) begegnete ich nicht nur der Literatur des Judentums, sondern gelangte auch zu weiteren methodischen Einsichten. Denn viele Besonderheiten in den Texten ließen sich von der antiken Kommunikationssituation her erklären. Diese Einsicht begann ich in meiner Dissertation auf die Analyse eines biblischen Textes anzuwenden. Sie bestimmt die Suche nach den hermeneutischen Strategien im Esra-Nehemia-Buch maßgeblich. Ebenfalls aus Jerusalem habe ich die Frage nach dem Charaker der religiösen Literatur in der Zeit ihrer Entstehung mitgebracht. Aufgrund der Analogie mit der Herausbildung von Mischna und Talmud befürchtete ich schon damals, dass eine mit den späteren kanonischen Texten vergleichbare Sicht von deren Vorlagen anachronistisch ist. Dass die Texte bis zur allmählichen Herausbildung autoritativer Korpora weder als heilig noch als allgemein akzeptiert galten, sondern den theologischen Erfordernissen kreativ angepasst werden konnten, möchte ich auch in dieser Untersuchung aufzeigen. Die Einsicht, dass die Texte erst dazu beigetragen haben, den Glauben zu prägen und die Gemeinschaft zu bilden, die die Texte dann allmählich als autoritativ akzeptierte und schließlich für kanonisch erachtete, ist nicht nur methodisch, sondern auch theologisch von großer Bedeutung. Mit Esra-Nehemia verbindet mich ebenfalls eine längere Geschichte. Nach meiner Rückkehr aus Jerusalem wurde ich auf den Beitrag „Volk oder

VI

Vorwort

Kultgemeinde?“ von E. Blum aufmerksam. Ich hatte Zweifel an seiner Auslegung von Esra 6,19–21, wonach mit der Absonderung von Personen von der Unreinheit der Völker nichtisraelitische Jhwh-Verehrer zur Rückkehrergemeinschaft hinzugekommen seien. In einem Leserbrief begründete ich meine Skepsis damals mit der priesterlichen Terminologie der Absonderung. Die mehrmals hin und her gehende Kommunikation ist die Wurzel für mein besonderes Interesse an der Geschichtsdarstellung des Esra-Nehemia-Buches. Noch vor Abschluss meiner Habilitation wendete ich mich in einem Beitrag der Diskussion um die persische Reichsautorisation unter dem Titel „Erst Kompromiss dann Separation“ zu, der aber bereits für einen Zeitschriftenartikel zu umfangreich war, so dass ich mich zur Abfassung einer kleinen Monographie entschloss, deren Veröffentlichung mir für die „Biblisch Theologischen Studien“ zugesagt wurde. Auf diesem Wege wurde das Thema Teil meines Heisenbergprojektes, und ich hatte bei Lehrstuhlvertretungen in Halle, Hamburg und Leipzig die Gelegenheit, es mit Studierenden zu diskutieren und weiterzuentwickeln. Den ersten Teil der Untersuchung konnte ich 2013 beim Treffen der wissenschaftlichen Gesellschaft in Berlin vorstellen. Ich bin sehr dankbar für die positive Aufnahme, die mich auf meinem Weg bestätigt hat. Umso mehr freue ich mich nun, das fertige Buch Studierenden, Kolleginnen und Kollegen sowie allen Interessierten übergeben zu können. Ich freue mich schon jetzt auf alle Wortmeldungen, Gespräche und Diskussionen, die es hoffentlich hervorrufen wird. An dieser Stelle möchte ich zuallererst meinen Dank gegenüber der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zum Ausdruck bringen, die meine methodischen und inhaltlichen Arbeiten in den letzten Jahren gefördert hat und weiter fördert. In diesen Dank seien besonders auch die nicht nur wohlwollenden, sondern äußerst ermutigenden Gutachten eingeschlossen. Danken möchte ich auch für die Gastfreundschaft der Tübinger Kollegen, den Prof. B. Janowski, E. Blum und M. Leuenberger. Ich danke auch Prof. M. Smith für die Ermöglichung des inspirierenden Aufenthalts bei ihm an der New York University. Weiterhin möchte ich Dr. K. Weingart (Tübingen), sowie J. Gordis (Hamburg) und L. Maskow (Münster) für die kritische Lektüre verschiedener Fassungen der Untersuchung und den Prof. K. Schmid, M. Smith und H. Spieckermann für die Aufnahme der Studie in die Reihe „Forschungen zum Alten Testament“ danken. Dr. H. Ziebritzki und dem Mohr Siebeck Verlag danke ich für die Betreuung der Veröffentlichung und das ausgezeichnete Lektorat. Leipzig, im Herbst 2015

Raik Heckl

Inhalt Kapitel 1: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Die angewendete Methodik als Antwort auf den Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Kulturwissenschaftliche Grundlegung: Die Auslegung der biblischen Texte in ihrem historisch-sozialen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . 6 3. Die Intentionalität der biblischen Traditionsliteratur . . . . . . . . . 14 4. Die alttestamentlichen Texte als Diskursfragmente . . . . . . . . . . 20 5. Der Metatextcharakter der biblischen Traditionsliteratur . . . . . . 23 6. Zur Rückfrage nach der Diachronie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 7. Esra-Nehemia als Historiographie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 8. Die Schwerpunkte der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

Kapitel 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Das Kyrosedikt und Esr 5 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.1. Der Inhalt von Esr 1,2–4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.2. Esr 1,2–4 und seine Parallelen in Esr 1–6 . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1.3. Esr 1,2–4 und sein nachfolgender Kontext . . . . . . . . . . . . . . . 44

1.4. Die Einführung des Edikts (Esr 1,1) und der Zusammenhang mit der Chronik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1.5. Hermeneutische Strategien im Zusammenhang der Abschnitte Esr 1,2–4; 5,13–16 und 6,2–5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

2. Die sog. Rückkehrerliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.1. Die Liste als „Quelle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.2. Die Rahmung der Liste durch Esr 2,1 f.70 . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.3. Der ursprüngliche Umfang der Rückkehrerliste . . . . . . . . . . . . 65 2.4. Evidenz für die Existenz der Quelle und ihren Einfluss auf die Textgestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.5. Die inhaltlichen Implikationen der Liste . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2.6. Die ursprüngliche Intention der Rückkehrerliste und ihr Gebrauch im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

VIII

Inhalt

3. 3.3. DieEsr Unterbrechung des Tempelbaus (Esr 4,1–24) . . . . . . . . . . . 81 4,8–24 .............................................................................................................................................. 92 3.4. Die literarische Integrität von Esr 4,8–23 ............................................................................ 100 3.1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3.5. Die 4,1–7 übergreifende 3.2. Esr . . . . Konzeption . . . . . . von . . Esr . . 4 . und . . ihre . . .kompositionelle . . . . . . . . . . . . 83 102 Funktion 3.3. Esr 4,8–24............................................................................................................................................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.6. Das Geschichtskonzept ............................................................................................................... 107 3.4. Die literarische Integrität von Esr 4,8–23 . . . . . . . . . . . . . . . . 100

3.5. Die übergreifende Konzeption von Esr 4 und ihre kompositionelle ..................................................................................... 110 4. Die aramäische Tempelbauchronik Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.1. Exposition – Baubeginn und Ankunft des Statthalters (Esr 5,1–5) .......................... 111 3.6. Das Geschichtskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.2. Esr 5,6–17 Der Brief an Darius ................................................................................................ 125 Edikte desTempelbauchronik Kyros und Darius in Esr 139 4. 4.3. DieDie aramäische . . 6,1–12 . . . ............................................................... . . . . . . . . . . . . . . 110 4.4. Epilog: Abschluss des Tempelbaus und Einweihung (Esr 6,13–18) .......................... 148 4.1. Exposition – Baubeginn und Ankunft des Statthalters (Esr 5,1–5) . . . 111 4.5. Zusammenfassende Diskussion der Tempelbauchronik ............................................... 156 4.2. Esr 5,6–17 Der Brief an Darius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4.3. Die Edikte des Kyros undEsr Darius in Esr . . . . . . . . . . . . 139 ........................................................................... 171 5. Der Zusammenhang von 4 und 5f. 6,1–12 4.4. Epilog: Abschluss des Tempelbaus und Einweihung (Esr 6,13–18) . . . 148 5.1. Die Integration der beiden Texte ............................................................................................ 171 4.5. Zusammenfassende Diskussion der Tempelbauchronik . . . . . . . . . 156 5.2. Formale und stilistische Entsprechungen ........................................................................... 172 5.3. Die übergreifende inhaltliche Konzeption .......................................................................... 173 5. Der Zusammenhang von Esr 4 und 5 f. . . . . . . . . . . . . . . . . 171 177 6. Die Identifikation desbeiden in EsrTexte 5f. fehlenden 5.1. Die Integration der . . . . . .Abschnittes . . . . . . ...................................... . . . . . . . . 171 181 7. Vom Kyrosedikt zur Einweihung des Tempels 5.2. Formale und stilistische Entsprechungen . . . ........................................................... . . . . . . . . . . . . . 172 5.3. Die übergreifende inhaltliche Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . 173 7.1. Die Kohärenzstruktur des literarischen Kompositums Esr 1–6 ............................... 181 hermeneutischen Strategien Esr 1–6 und die Pragmatik 194 6. 7.2. DieDie Identifikation des in Esr 5 f. in fehlenden Abschnittes . .des . .Textes . . . .......... . 177

7. Vom Kyrosedikt zur Einweihung des Tempels . . . . . . . . . . . . . 181

Kapitel 3:Kohärenzstruktur Die Rückkehrdes Esras und die Einführung der Tora 7.1. Die literarischen Kompositums Esr 1–6 . . . . . 181 7.2. Die hermeneutischen Strategien in Esr 1–6 und die Pragmatik des in Jerusalem (Esr 7f. und Neh 8) ....................................................................................... 218 Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

1. Einleitung ................................................................................................................................................ 218 ................................... 221 2. Das Schreiben des Artaxerxes (Esr 7)der Kapitel 3: Die Rückkehr Esrasund undsein dieKontext Einführung Tora in Jerusalem Neh 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2.1. Überblick(Esr über7 f. das und Kapitel ........................................................................................................ 221 2.2. Die Einführung Esras (Esr 7,1–10) ......................................................................................... 222 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2.3. Das vermeintliche Dokument Esr 7,11–26 .......................................................................... 233 2. 2.4. DasEsras Schreiben desalsArtaxerxes und Kontextvon (Esr . . . . . . . . 221 Lobpreis Schlüssel für dassein Verständnis Esr7)7 ....................................... 258 2.1. Überblick über das Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Der übergreifende Kontext von Esras Einführung (Esr 7) und 2.2. Die Einführung Esras (Esr 7,1–10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 265 Rückkehr (Esr 8) ............................................................................................................................... 2.3. Das vermeintliche Dokument Esr 7,11–26 . . . . . . . . . . . . . . . 233 270 4. Zum Verhältnis Esr 7f. und EsrVerständnis 1–6 ....................................................................... 2.4. Esras Lobpreisvon als Schlüssel für das von Esr 7 . . . . . . . 258 4.1. Formale und inhaltliche Berührungen ................................................................................. 271 3. Der übergreifende Kontext von Esras Einführung (Esr 7) und 4.2. Unterschiede ..................................................................................................................................... 274 Rückkehr 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 4.3. Resümee(Esr ............................................................................................................................................. 278 4. Zum Verhältnis von Esr 7 f. und Esr 1–6 . . . . . . . . . . . . . . . . 270 5. Von Esr 7f. zur Verkündigung der Tora – die kompositionelle 4.1. Formale und inhaltliche Berührungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Funktion der Esrageschichte ...................................................................................................... 280 4.2. Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 5.1. Die Rückbindung 4.3. Resümee . . . . an . .die . vorexilische . . . . . . Geschichte . . . . . . Jerusalems . . . . . .durch . . . die . . . . 278 Esrageschichte ................................................................................................................................. 280 5.2. Die Autonomie der Juden auf der Grundlage der Tora ................................................ 284 5.3. Esra und Nehemia ......................................................................................................................... 286 5.4. Resümee ............................................................................................................................................. 289

Inhalt

IX

5. 7 f. zur derfür Tora die kompositionelle 6. Von EsrasEsr Gebet (EsrVerkündigung 9) als Schlüssel die– Pragmatik der Funktion der Esrageschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 289 Esrageschichte ....................................................................................................................................... 6.1. Die Rückbindung Sicht der Fremdherrschaft in Esr 9Geschichte und die gottesfürchtigen Könige 5.1. Die an die vorexilische Jerusalems durch die in 290 Esr 7 und in Esr 1–6 . . ...................................................................................................................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Esrageschichte 6.2. Vermeidung vonder Vermischung undGrundlage Abgrenzung von anderen Völkern als 284 5.2. Die Autonomie Juden auf der der Tora . . . . . . . . . Reaktion auf Entwicklungen 5.3. Esra und Nehemia . . . . .im . Hellenismus . . . . . . .und . . ihre . . Anwendung . . . . . . .auf . die . . 286 294 Auseinandersetzung 5.4. Resümee . . . . . mit . . den . . Samariern . . . . . . .............................................................................. . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

6. Esras Gebet (Esr 9) als Schlüssel für die Pragmatik der Kapitel 4: Die Reden Nehemias als Teil der Esrageschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

Esra-Nehemia-Komposition ................................................................................................... 302 6.1. Die Sicht der Fremdherrschaft in Esr 9 und die gottesfürchtigen Könige

. . . unpersönlicher . . . . . . . . . Erzählung . . . . . . als . . . . . . 290 Esr 7 undvon in Esr 1–6 . und 1. DerinWechsel Ich-Rede 6.2. Vermeidung von Vermischung und Abgrenzung von anderen Völkern Zugang zur Literargeschichte? ................................................................................................ 302 als Reaktion auf Entwicklungen im Hellenismus und ihre Anwendung 2. Dieauf Begründung der Wiederholung der Rückkehrerliste . . . . . . .in . Neh . . . 7 . . 294 die Auseinandersetzung mit den Samariern und ihre Absicht ................................................................................................................................ 308 3. Die Spannung zwischen Synoikismus (Neh 11) und Zitation der Kapitel 4: Die Reden Nehemias als Teil der Rückkehrerliste (Neh 7) ............................................................................................................... 311 Esra-Nehemia-Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 4. Der Übergang von der Liste zum Erzähltext (Neh 7,72–8,2) ....................... 312 1. Wechsel von9,5ff.) Ich-Rede unpersönlicher 5. Der Bußgebet (Neh und und Bundesschluss (Neh Erzählung 10,1ff.) alsals Zugang zur Literargeschichte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 ursprüngliches Zentrum der Nehemiaerzählung ..................................................... 315 Die Begründung der Wiederholung der Rückkehrerliste in Neh 7 2. 6. Das Zusammenspiel von Neh 8 und Neh 9f. .............................................................. 322 Absicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. und Die ihre Gemeinschaft in Neh 10 und die Konzeption des Volkes Israel 308 Spannung zwischen (Neh 11) und Zitation der 3. Die im Esrabuch und in NehSynoikismus 7f. ..................................................................................................... 329 Rückkehrerliste (Neh 7) . . . . . . . . . .Neh . . 10 . . und . . . Neh . . .7 ......................... . . . . 311 336 8. Der personale Zusammenhang zwischen 4. von der Listeund zumzum Erzähltext 7,72–8,2) . . . . 312 9. Der Zur Übergang inhaltlichen Struktur Umfang(Neh der verarbeiteten 5. Bußgebet (Neh 9,5ff.) und Bundesschluss (Neh 10,1ff.) als Nehemiaerzählung .......................................................................................................................... 342 ursprüngliches Zentrum der Nehemiaerzählung . . . . . . . . . . . 10. Die hermeneutischen Strategien bei der Rekontextualisierung des 315 6. Das Zusammenspiel von Neh 8 und Neh 9 f. von . . . . . . . . . . . . . 322 347 Bundes in Neh 10 durch die Voranstellung Neh 7f. ....................................

7. Die Gemeinschaft in Neh 10 und die Konzeption des Volkes Israel im Esrabuch und in............................................................................................................................ Neh 7 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Kapitel 5: Synthese 351 8. Der personale Zusammenhang zwischen Neh 10 und Neh 7 . . . . . 336 9. Struktur und zum der verarbeiteten 1. Zur Die inhaltlichen hermeneutischen Strategien imUmfang Esra-Nehemia-Buch .................................... 351 Nehemiaerzählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 1.1. Dokumente ....................................................................................................................................... 351 10. Die hermeneutischen Strategien bei der Rekontextualisierung des 1.2. Rekontextualisierung .................................................................................................................... 357 1.3. Literarische als die Zeugen .............................................................................................. 364 Bundes in NehFiguren 10 durch Voranstellung von Neh 7 f. . . . . . . . 347 1.4. Personennamen ............................................................................................................................... 367 1.5. Resümee ............................................................................................................................................. 368

Kapitel 5: Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 2. Die Intention der Esra-Nehemia-Komposition gegenüber den 1. Die hermeneutischen Strategien im Esra-Nehemia-Buch . . . . . . 351 Vorlagen ................................................................................................................................................... 368 1.1. Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 2.1. Die Ausgangssituation ................................................................................................................. 369 1.2. Rekontextualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

2.2. Der Anschluss an dieals vorexilische Zeit als Grundlage des 1.3. Literarische Figuren Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Geschichtskonzeptes der Esra-Nehemia-Komposition ................................................. 370 1.4. Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 1.5. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

X

Inhalt

2. Die Intention und der Kontinuität Esra-Nehemia-Komposition gegenüber den 2.3. Neuanfang in Jerusalem .......................................................................... 377 2.4. Die „Autorisation“ des Tempels und der Tora durch die Perser .............................. 380 Vorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 2.5. Delegitimierung der Samarier, ihres Kultes und ihrer Auslegung der Tora ........ 381 2.1. Die Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Anschlussvon an die vorexilische Zeit Grundlage des ...................................................... 387 3. 2.2. Der Das Verhältnis Esra-Nehemia zuralsChronik

. . . . . . . der . . 370 der Esra-Nehemia-Komposition 3.1. Geschichtskonzeptes Der Anfang der Esrageschichte (Esr 7) als Zentrum der Anknüpfungen 2.3. Neuanfang und Kontinuität in Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Esra-Nehemia-Komposition an die Chronik .................................................................... 390 2.4. Die „Autorisation“ des Tempels und der Tora durch die Perser . . . . 380 3.2. Die Hoffnung auf politische Eigenständigkeit ................................................................. 392 2.5. Delegitimierung der....................................................................................................................... Samarier, ihres Kultes und ihrer Auslegung der 3.3. Juda als leeres Land 394 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 3.4. Tora Das Kyrosedikt als Brückentext .............................................................................................. 394

3.5. Die Kultgeräte ................................................................................................................................. 395 3. Das Verhältnis von Esra-Nehemia zur Chronik . . . . . . . . . . . 387 3.6. Jerusalem und die Israeliten aus dem Norden .................................................................. 396

4.

5.

3.1. Der Anfang......................................................................................................................................... der Esrageschichte (Esr 7) als Zentrum der Anknüpfungen 3.7. Serubbabel 397 der Esra-Nehemia-Komposition an die Chronik . . . . . . . . . . . . 390 398 Abschließende Überlegungen zur Datierung ............................................................... 3.2. Die Hoffnung auf politische Eigenständigkeit . . . . . . . . . . . . . 392 3.3. Juda als leeres Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 4.1. Vorüberlegungen ............................................................................................................................ 398 3.4. Das Kyrosediktder alsverarbeiteten Brückentext literarischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 4.2. Die Datierung Quellen ................................................ 400 3.5. Die . .der . .Esra-Nehemia-Komposition . . . . . . . . . . . . . . .................................................... . . . . . . . . . . . 395 4.3. Die Kultgeräte Abfassungszeit 403 3.6. Jerusalem und die Israeliten aus dem Norden . . . . . . . . . . . . . 396 Von den Diskursen 3.7. Serubbabel . . . zur . . .Geschichte: . . . . . . Erst . . . Kompromiss . . . . . . . .über . . .Tempel . . . . . 397

und Tora, dann Separation ....................................................................................................... 410

4. Abschließende Überlegungen zur Datierung . . . . . . . . . . . . . 398 4.1. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 Abkürzungen ........................................................................................................................................... 419 4.2. Die Datierung der verarbeiteten literarischen Quellen . . . . . . . . . 400 4.3. Die Abfassungszeit der Esra-Nehemia-Komposition . . . . . . . . . . 403

Literaturverzeichnis ......................................................................................................................... 421

5. Von den Diskursen zur Geschichte: Erst Kompromiss über Tempel und Tora, dann Separation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 Stellenregister .......................................................................................................................................... 445

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Sach- und Namensregister ........................................................................................................ 457 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Sach- und Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457

Kapitel 1

Einleitung 1. Die angewendete Methodik als Antwort auf den Stand der Forschung Wenn man schon in der Spätantike über die Literargeschichte des EsraNehemia-Buches reflektiert hat, wo Judentum und Christentum Texte harmonisierten und die allegorische Auslegung blühte, sagt das einiges über den Charakter des Buches. Denn schon der babylonische Talmud (bBB 15a) hält fest, dass mindestens zwei Autoren an dem Buch gearbeitet haben. Esra, dem außerdem noch die Chronik zugeschrieben wurde, habe bis zu seiner Genealogie und seiner Rückkehr nach Jerusalem, d.h. Esr 8 gearbeitet (‫)עד שיחס עצמו ועלה‬, und Nehemia habe das Buch abgeschlossen (‫ומאן‬ ‫)אסקיה – נחמיה בן הכליה‬. Das Esra-Nehemia-Buch hat offenbar eine längere Geschichte durchlaufen, bevor es in die uns bekannte Form gekommen ist. Dies ist an formalen und inhaltlichen Problemen des Buches, an der Existenz des stark abweichenden apokryphen (nur griechisch überlieferten) Buches 1Esdras und an der Überlappung mit der Chronik (2Chr 36,22f.//Esr 1,1–3a) erkennbar. Es gibt in der Forschungsgeschichte mehrere Zugänge, die Literargeschichte des Esra-Nehemia-Buches1 zu rekonstruieren.2 Die Vielfalt bei den Ergebnissen der philologisch orientierten Forschung3 scheint allerdings davon abzuhängen, mit welchem Teil des Buches die Untersuchung jeweils einsetzt. Denn in der Regel beginnt die literar- und redaktionsgeschichtliche Analyse bei einem der drei Hauptabschnitte: bei der Tempelbau-, der Esraoder bei der Nehemiageschichte.4 Da zwei sehr unterschiedliche Versionen 1 Esra und Nehemia gelten in der hebräischen Tradition als ein zusammenhängendes Buch, was in der Endmasora der beiden Bücher entsprechend dokumentiert wird. 2 Zusätzlich zu den in dieser Untersuchung diskutierten Positionen vgl. man als Übersichten über die Forschungsgeschichte Willi, Forschung, 94–104; Eskenazi, Current Perspectives; Sæbø, Esra/Esraschriften sowie den unlängst erschienenen Kommentar Steinmann, Ezra-Nehemiah. 3 Vgl. die Beurteilung durch Steins, Esra und Nehemia, 341f. 4 Böhler, Heilige Stadt, setzt bei seiner Untersuchung mit dem Vergleich von EsraNehemia mit 1Esdras ein und kommt zu dem Ergebnis, dass mit Neh 1ff. die Struktur der ursprünglichen Esrageschichte aufgebrochen worden sei. Er rekonstruiert auf der

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Kap. 1: Einleitung

des Esrabuches existieren, spielt dabei auch eine Rolle, wie man das Verhältnis des kanonischen Esra-Nehemia-Buches zum apokryphen Esrabuch (1Esdras) bestimmt. Sieht man letzeres als Zeugnis einer Vorstufe des kanonischen Buches, führt das mitunter zu der Annahme einer Priorität von Esr 1–6; 7–10,5 während die Ablehnung einer Relevanz von 1Esdras in der Regel eher die Annahme einer Nehemiapriorität nach sich zieht.6 Dennoch gibt es trotz der disparaten Forschungssituation zumindest Ansätze zu Konsensbildungen. So datiert man das Buch in der Regel spät und nimmt an, dass es zwischen dem Ende der persischen Zeit und der Mitte der hellenistischen Zeit entstanden ist.7 Auch geht man durchgängig davon aus, dass sich im Werk verarbeitete Quellen erkennen lassen.8 Zudem verstärken sich die Zweifel daran, dass die dokumentarischen Textabschnitte Grundlage von 1Esdras eine Vorstufe, die die Nehemiaabschnitte nicht enthalten hat. Vgl. ebd., 374f., und ders., Machtkampf, 127. Dazu vgl. Willi, Forschung, 97ff. Pakkala, Ezra the Scribe, untersucht primär die Esrageschichte und kommt zu dem Ergebnis, dass ein Grundtext von Esr 7–10; Neh 8 ursprünglich eigenständig nicht nur vom übrigen Text von Esra-Nehemia, sondern auch von anderen biblischen Texten war. Vgl. ebd., 235f. Wright, Rebuilding Identity, nimmt dasselbe für Nehemia an. Vgl. ebd., 332f. Nach Reinmuth, Bericht, 333, ist die Nehemiageschichte zwar auch ursprünglich eigenständig, er (ebd., 339) hält aber die Entscheidung darüber offen, ob die übergreifenden Zusammenhänge auf die Gesamtkomposition oder darauf, dass Esr 1ff. die Nehemiageschichte rezipiert hat, zurückgehen. Keine Lösung kann es sein, ohne eine eingehende inhaltliche Analyse nur Probleme der literarkritischen Argumentation aufzuzeigen, um dann dazu überzugehen, den Charakter der übergreifenden Autorschaft zu bestimmen. So Min, Levitical Authorship, 30: „We then focused on arguments [aus der Forschungsgeschichte, R.H.] for viewing E-N as two separate works, a possibility which was also discounted on several grounds. We shall, therefore, continue to treat E-N as a single unified composition for the purpose of this book.“ Seine These sucht er später (Min, Nehemiah without Ezra?) zu stützen, indem er die problematische Erwähnung von Artaxerxes in Esr 6,14 darauf zurückführt, „that the author bore in his mind the book of Nehemiah: in Nehemiah not only does another edict of Artaxerxes appear that permits Nehemiah to build the wall of Jerusalem, but also depicts Artaxerxes in a favorable light as seen in Ezra 6.14.“ Doch bezieht sich die Stelle im Kontext auf die vorangehenden Ereignisse des Tempelbaus zurück (‫)ושכללו‬. Vgl. zu dem Problem unten, 175. 5 Vgl. Pohlmann, 3. Esra-Buch, 383f.; Böhler, Heilige Stadt; Grätz, Edikt, 34. Ähnlich Grabbe, Ezra-Nehemiah, 115, der annimmt, „that 1 Esdras represents in some fashion an earlier stage of the Zerubbabel-Joshua and the Ezra traditions from which the compiler of the Hebrew Ezra-Nehemiah drew.“ 6 Vgl. Kratz, Komposition, 66. Kratz, ebd., listet die Gründe dafür auf, warum 1Esdras sicher als spätere Komposition angesehen werden muss. Die gegenteilige Argumentation muss mit weiteren Bearbeitungen von 1Esdras rechnen, damit sich die Priorität gegenüber Esra-Nehemia behaupten lässt. So zuletzt Grabbe, Ezra-Nehemiah, 115. 7 Vgl. Steins, Esra-Nehemia, 346f. 8 Vgl. ebd., 338.

1. Die angewendete Methodik als Antwort auf den Stand der Forschung

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authentische Urkunden aus der Perserzeit sind.9 Literarhistorisch ist die Entdeckung der inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen der Esra- und der Nehemiageschichte (Esr 7–10; Neh 1–13) zu nennen. Diese werden zwar unterschiedlich gedeutet, aber als eines der wichtigsten Indizien für die Beschreibung der Literargeschichte des Buches angesehen.10 Unterhalb dieser Übereinstimmungen sind die Ergebnisse der Forschung allerdings wenig kompatibel. Doch verhält es sich beim Esra-Nehemia-Buch nicht anders als bei anderen Büchern der Hebräischen Bibel. Die meisten Beobachtungen der philologischen und inhaltlichen Besonderheiten sind seit dem Anfang der wissenschaftlichen Exegese bekannt, ihre Auswertung aber führt zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. In der vorliegenden Untersuchung wird demgegenüber kein vollständiges Modell der literarischen Entstehungsgeschichte des Esra-Nehemia-Buches angestrebt. Ganz im Sinne des letzten Abschnittes von Wittgensteins Tractatus11 soll der Bestand der Vorstufen nicht hypothetisch in einen Bereich geführt werden, in dem die Aussagekraft der Indizien sukzessive geringer wird.12 Denn die derzeitige exegetische Situation dürfte mit methodischen Problemen des Umgangs mit der komplexen Überlieferungslage, aber der nur begrenzten Aussagekraft der Indizien im Text zusammenhängen,13 und daher – durchaus im Sinne des frühen Wittgenstein – ruft die Forschungssituation nach veränderten Fragestellungen und Methoden. Mit der Anwendung einer alternativen Methodik unter Einbeziehung bzw. stärkerer Gewichtung bisher eher am Rande stehender Erkenntnisse können die seit Generationen gemachten Beobachtungen in konsensfähige Modelle zusammengeführt werden. Die Notwendigkeit eines anderen Zugangs deutet sich in einer neuen empirischen Untersuchung14 verschiedener biblischer und außerbiblischer Texte 9

Vgl. die Studien Schwiderski, Handbuch; Grätz, Edikt; Grabbe, Persian Documents. Man vermutet eine Abhängigkeit der beiden Textbereiche voneinander in unterschiedlicher Richtung und kommt deswegen zu entgegengesetzten Lösungen. Vgl. die Auflistung der Bezüge bei Becker, Ich-Bericht, 20f., der eine übergreifende Komposition vermutet. Nach Kratz, Komposition, 90, ist die Esrageschichte bspw. (vielleicht abgesehen vom „Überlieferungssplitter 7,21“ von Neh abhängig. Wesselius, Discontinuity, 37, meint, „that the book of Ezra reflects on the book of Nehemiah as a whole“. Pakkala, Ezra the Scribe, 225–227, dagegen führt die Bezüge auf redaktionelle Bearbeitungen bei der Verbindung der Esrageschichte mit den Nehemiatexten zurück. Als gemeinsamen Ausgangspunkt des Buches sieht Williamson, Composition, 29f., Esr 7–Neh 13 an. 11 „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“ (Wittgenstein, Tractatus, 188). 12 Zur grundsätzlichen Kritik an dem Optimismus der Redaktionskritik siehe Krüger, Redaktionen. 13 Diesen Zusammenhang hat Blum, Notwendigkeit, 13–23, kritisch angemerkt. 14 Blum, Notwendigkeit, 17f., wies in der bereits erwähnten Studie zur Methodik auf die Bedeutung von empirischen Textuntersuchungen hin, da diese „zeigen können, mit 10

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Kap. 1: Einleitung

durch J. Pakkala an,15 in der er sich speziell auch dem Esra-Nehemia-Buch zuwendet. Darin vergleicht er verschiedene Versionen derselben Textabschnitte und zieht die textliche Überlieferung als Zugang zu den letzten Phasen der Literargeschichte für unterschiedliche Bereiche der Hebräischen Bibel heran. Er schlussfolgert, man müsse mit einer größeren Bandbreite an Techniken in der literarischen Geschichte der biblischen Texte rechnen: „Some of the analyzed texts correspond to the conventional assumption that the texts were entirely or almost entirely expanded during their transmission, while others bear witness to processes that are much more radical than what is commonly assumed in literary criticism.“16 Er hält insbesondere fest, dass Bücher, die bereits kurze Zeit nach der Abfassung in unterschiedlichen Versionen überliefert wurden, besonders stark verändert wurden, während andere, die bereits längere Zeit akzeptiert waren, primär fortgeschrieben wurden. Pakkala dehnt seine Überlegungen auch auf den Pentateuch und andere Bücher aus, bei denen man aufgrund der guten Textüberlieferung vermuten könnte, dass diese nur additiv erweitert wären. Doch spiegelt der textkritische Befund eher die Tatsache wider, dass der Pentateuch und einige Prophetenbücher bereits über längere Zeit als autoritative Texte überliefert wurden, bevor sich die uns bekannten Texttraditionen herausgebildet haben. Entsprechend schließt er: „We do not know the prehistory of most texts, but to limit the prehistory of any text to only one possible model would risk erroneous and misleading literary-critical reconstructions. It is fair to assume that the same variety of editorial techniques that we find in the docwelchen Techniken Tradenten in der Welt der biblischen Überlieferung gearbeitet haben und wie sie mit ihren ‚Vorlagen‘ umgegangen sind“. Blum, ebd., 18f., nennt als „Pionierarbeit“ u.a. S. Kaufmans Untersuchung zur Tempelrolle. Kaufman, Temple Scroll, 42, hat auf der Grundlage seiner Untersuchung in Zweifel gezogen, dass die herkömmliche Literarkritik geeignet ist, ihr Ziel der Vorstufenrekonstruktion zu erreichen: „In sum, the various compositional patterns used in the Temple Scroll, especially the extremely complex patterns of paraphrastic conflation, fine conflation and modified Torah quotation must be assumed to have been used in the formation of the biblical text as well. But the very complexity and variety of those patterns makes higher criticism a dubious endeavor.“ Carr, Formation, geht von den zwei Fallstudien zum Gilgamesch-Epos und der Tempelrolle (vgl. ebd., 40–56) auf Beispiele innerhalb der Hebräischen Bibel und in der textlichen Überlieferung (vgl. ebd., 57–98) ein und kommt zu dem Ergebnis, dass zwar eine Tendenz zur Erweiterung bestehe und dass man mitunter das Bestreben erkennen könne, den ursprünglichen Text im neuen Text erkennbar zu halten, dass es aber auch zahlreiche Beispiele gebe, „where later authors transformed earlier compositions, sometimes into completely new wholes, through a mix of expansions across their various parts (but especially beginnings and endings)“ (ebd., 99). 15 Vgl. Pakkala, Omissions. 16 Pakkala, Omissions, 351.

1. Die angewendete Methodik als Antwort auf den Stand der Forschung

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umented evidence was in use in the texts where documented evidence is missing.“17 In seiner Untersuchung geht er in einem Abschnitt auch auf 1Esdras ein,18 zieht dabei aber überraschenderweise eine Schlussfolgerung, die seinen übergreifenden Überlegungen widerspricht. Er sieht in 1Esdras gegenüber Esra-Nehemia neben Ergänzungen auch ideologisch begründete Kürzungen und Glättungen von Wiederholungen und Spannungen. Obwohl er davon ausgeht, dass die vorliegende Komposition des 1Esdras sich auf der Grundlage einer hebräischen bzw. aramäischen Arbeit vollzogen hat, sieht er einen qualitativen Unterschied der Literargeschichte zwischen jener beim 1Esdras und jener im Esra-Nehemia-Buch: „First Esdras bears witness to some of the same editorial processes as the MT, but it additionally contains examples of more radical processes […] First Esdras also contains several omissions that can be characterized as theological or ideological in nature. […] At any rate, the small omissions, systematic or spontaneous, show that the rule of preservation of the older text was broken in this textual tradition. At the same, it is difficult to find clear cases of similar intentional content-changing omissions in the MT.“19 Da Pakkala aber einen engen Zusammenhang der Entstehung der beiden Kompositionen von Esra-Nehemia und 1Esdras vermutet und eine Entsprechung der literarhistorischen Prozesse in den beiden Büchern naheliegt, müsste auch die Literargeschichte des kanonischen Esra-Nehemia-Buches überdacht werden. Zusätzlich zu den Ergebnissen der empirischen Studien zeigt sich die Notwendigkeit eines Neuansatzes auch daran, dass eine schnelle literarkritische Aussonderung von Abschnitten mitunter zentrale Aspekte des Verständnisses eines Textes versperrt. Besonders auffällig ist dies im EsraNehemia-Buch in Esr 4. Dort wird anhand der Wiederaufnahme der Notiz über das Ruhen des Tempelbaus von Kyros bis zu Darius (Esr 4,5 > 4,24) geschlussfolgert, dass der dazwischen liegende Textabschnitt eine Interpolation sei. Doch anstelle die genaue Funktion dieses Abschnittes in dem uns vorliegenden Kontext zu bestimmen, interpretiert man ihn vor allem in dem literarischen Zusammenhang, in den er möglicherweise einmal gehört hat.20 Selbst wenn der ursprüngliche Ort des Schreibens und der Antwort des Artaxerxes tatsächlich der Nehemiazusammenhang wäre, so dient beides auf der redaktionellen Stufe dennoch zunächst der Begründung der Bauunterbrechung, und man müsste den Abschnitt in seinen Einzelheiten

Pakkala, Omissions, 359. Vgl. ebd., 295–317. 19 Pakkala, Omissions, 315 (Hervorhebung, R.H.). 20 Vgl. dazu die Diskussion von Esr 4 unten, 81ff. 17 18

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Kap. 1: Einleitung

mit dem Kontext der Unterbrechung des Tempelbaus diskutieren, was aber in der Regel nicht geschieht.21 Ein weiteres Beispiel ist der Versuch, auf literarkritischem Wege einen unabhängigen Erzählanfang für die Esrageschichte zu rekonstruieren. Man streicht einerseits die Formulierung, die die Esrageschichte an Esr 6 anbindet, andererseits die Genealogie Esras in Esr 7,1–5.22 Für beides gibt es keine ausreichenden literarkritischen Argumente.23 Wenn man jedoch diese beiden Inhalte am Beginn der Esrageschichte tilgt, entfernt man aus ihr damit auch die Hinweise auf eine doppelte Brückenfunktion von Esr 7 zur Tempelbauerzählung und über sie hinweg in die vorexilische Zeit und verschließt einen wesentlichen Zugang zum Verständnis der Esrageschichte.24 Vor der Vorstellung der in der Untersuchung angewendeten Methodik kann damit zunächst auf der Grundlage der disparaten Forschungssituation und der empirischen Studien vermutet werden, dass sich die Literargeschichte in einer Weise vollzogen hat, die sich dem Zugriff einer rein literarkritischen Methodik verschließt. Man muss berücksichtigen, dass die vermeintlich eindeutigen literarkritischen Kriterien nicht nur unterschiedlich gedeutet werden können, sondern dass es sich bei ihnen zumindest teilweise um Hinweise auf eine literarische Bearbeitung und einen transformativen Umgang mit Textvorlagen handeln kann.

2. Kulturwissenschaftliche Grundlegung: Die Auslegung der biblischen Texte in ihrem historisch-sozialen Kontext Die philologische Tradition der Exegese hat ihren Ursprung in der frühen Neuzeit. Als Reaktion auf die Kritik der radikalen Aufklärung25 und in Kontinuität zur Arbeit der Humanisten wurde seit dem 17. Jh. die Methodik der klassischen Philologie vollständig in die Bibelexegese übernommen.26 Seither bestimmen niedere und höhere Kritik die exegetische Arbeit 21 Zuletzt sah Rothenbusch, Abgesondert, 61, wiederum keinen direkten Zusammenhang mit dem Tempelbau. 22 Vgl. Pakkala, Ezra the Scribe, 23–26. 23 Der Abschnitt wird unten, 223f., diskutiert. 24 Siehe zusammenfassend unten, 270ff. 25 Hier kann man bspw. die von Lessing veröffentlichten Texte von Reimarus (vgl. dazu Beutel, Reimarus) und die Infragestellung des biblischen Zeugnisses durch B. Spinoza (vgl. Bartuschat, Spinoza, 1580) nennen. 26 Nach Smend, Epochen, 13.18, wurde sie erst von J.G. Eichhorn in die Bibelwissenschaft eingeführt. Doch auch wenn der Begriff vorher noch nicht angewendet wurde, war z.B. schon R. Simons Unterscheidung von originalen und späteren Bestandteilen im Pentateuch davon geprägt.

2. Kulturwissenschaftliche Grundlegung

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sowohl in der Ausbildung als auch in der Forschung. Dass man den Charakter der biblischen Texte als über Generationen hinweg entstandene Literatur erkannt hat, ist eine ihrer wesentlichen Errungenschaften. Die höhere Kritik richtete ihr Augenmerk vor allem darauf, „daß sie die Authenticität theils ganzer Schriften, theils einzelner Stellen darthut, oder mit andern Worten, daß sie zu beweisen sucht, daß eine Schrift mit allen ihren Theilen echt und nicht untergeschoben ist.“27 Goethe bringt dies in Bezug auf die biblischen Texte auf den Punkt, wenn er im West-ÖstlichenDiwan schreibt: „Kein Schade geschieht den heiligen Schriften, so wenig als jeder anderen Überlieferung, wenn wir sie mit kritischem Sinne behandeln, wenn wir aufdecken, worin sie sich widerspricht, und wie oft das Ursprüngliche, Bessere, durch nachherige Zusätze, Einschaltungen und Accomodationen verdeckt, ja entstellt worden. Der innerliche, eigentliche Ur- und Grundwerth geht nur desto lebhafter und reiner hervor [...]“28

Viele Generationen von Exegeten sind diesem Programm gefolgt und haben in verschiedenen Büchern auch außerhalb des Pentateuchs Quellen und d.h. das Originale ausfindig machen wollen und davon Redaktionen und Glossierungen, also Sekundäres, Nicht-Ursprüngliches abgehoben. Erst im 20. Jh. hat man begonnen, die theologische Arbeit der späteren Autoren (der Redaktoren und Editoren) stärker zu würdigen.29 Doch mit den philologischen Ursprüngen von Literar- und Redaktionskritik hängt es weiter zusammen, wenn man bis heute zunächst die Grundtexte zu rekonstruieren sucht und von ihnen Redaktionen und Fortschreibungen unterscheidet, bevor man zu form- und traditionsgeschichtlichen Fragestellungen übergeht. 30 Als me27 Barby, Enzyklopädie, 213. Becker, Exegese, 17, identifiziert die höhere Kritik heute mit den Methodenschritten, die man im Proseminar nach der Textkritik lehrt. 28 Goethe, Besserem Verständnis, 232. 29 M. Noth hat den biblischen Texten wieder in ihrer Breite zu Beachtung verholfen und die auch theologisch fragwürdige Suche nach dem reinen Grundtext in eine Frage nach den Intentionen der Autoren und Redaktionen überführt. Seiner Ansicht nach hat der Redaktor und Autor des deuteronomistischen Geschichtswerkes dieses „zur Belehrung über den echten Sinn der Geschichte Israels von der Landnahme ab bis zum Untergang des alten Bestandes“ (Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien, 100) geschaffen. 30 Zwar wenden H. Barth und O.H. Steck in der zweiten Auflage ihres Arbeitsbuches gegen das Lehrbuch Richter, Exegese, ein, dieses sei „ein System übereinanderliegender, in starrer, unumkehrbarer Reihenfolge aufeinander aufbauender Ebenen“, während ihr Arbeitsbuch das „mehrfache Durchlaufen der exegetischen Arbeitsschritte, das Oszillieren zwischen ihnen, die Möglichkeit auch zu korrigierendem Rückgriff und Wiedereinsatz“ (Barth/Steck, Exegese, 107) beinhalte, doch findet sich dieser Aspekt in dem Lehrbuch nicht geklärt. Die als synthetischer Arbeitsschritt präsentierte Redaktionsgeschichte kann dies ebensowenig leisten wie die Diskussion des Verhältnisses von Überlieferungs- und Literarkritik (vgl. ebd., 38f.). Auch der nachgetragene Hinweis, dass die Formkritik „von grundlegender Bedeutung für das Verständnis eines Textes ist“ und sich daher ihre „An-

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Kap. 1: Einleitung

thodische Grundannahme dafür setzt man voraus, dass der ursprüngliche Wortlaut bereits in der Antike von den fortschreibenden Autoren, Redaktoren und Ergänzern nicht nur als erhaltungswürdig, sondern als erhaltungsbedürftig angesehen wurde. J. Pakkala spricht daher von „the rule of preservation of the older text was broken in this textual tradition“31. Im Lehrbuch erklärt man das damit, dass die Grundlagen der biblischen Texte von Anfang an autoritative Texte gewesen seien, deren Bestand und Wortlaut gesichert werden mussten.32 Man erklärt das Phänomen der Redaktionen daneben auch als innerbiblische Auslegung,33 doch muss man, um die Besonderheit der additiven Literargeschichte zu sichern, annehmen, dass man einen „älteren, als autoritativ angesehenen Text […] der Situation anpaßt […], ihn aber nicht verdrängt oder gar verfälscht, sondern dem Wortlaut, der Sache und dem autoritativen Anspruch nach mit ihm identisch sein will“34. M. Fishbane, der das Konzept der innerbiblischen Interpretation entfaltet hat, sah hier Prozesse mit dynamischen Veränderungen an den autoritativen Texten und der Gemeinschaft.35 fangsstellung“ (ebd., 86) empfehle, wird weder in dieser Auflage noch in späteren Auflagen realisiert. Stattdessen wird in der 14. Auflage ihre Unterordnung unter die Ergebnisse der Literarkritik vorausgesetzt: „In der FG wird der Text gesondert für jede seiner Entstehungsstufen hinsichtlich seiner sprachlichen Gestalt untersucht, um die Sinnhinweise zu erkennen, die sich aus der sprachlichen Gestaltung ergeben“ (Steck, Exegese, 99). Für die Literarkritik wird darauf verwiesen, dass sie ein „historischer Aspekt“ sei und „bereits vorliegende Einsichten der Forschungsgebiete ‚Einleitung in das Alte Testament‘ und ‚Geschichte Israels‘ aufgenommen werden“ (ebd., 52) sollten. 31 Pakkala, Omissions, 315. 32 „Den alttestamentlichen Büchern kam nicht erst in ihrer ‚kanonischen‘ Endgestalt, sondern beinahe von Beginn an – also noch im Vorgang ihres Entstehens – eine besondere religiöse Dignität zu. Sie gewannen bereits in statu nascendi normativen Charakter, so daß im Vollzug der redaktionellen Fortschreibung das Vorgegebene, die Tradition, nicht einfach ‚weggelassen‘ werden konnte“ (Becker, Exegese, 86). So auch Levin, Miracle, 41: „The tradition – which in each given case provides the foundation for the literary process – was fundamentally sacrosanct; consequently, the scholar can work on the text like an archaeologist. If one clears away later strata, one can in each instance expect to come upon an older, intact form of the text.“ Ähnlich auch Talmon, Heiliges Schrifttum, 58: „Die unbezweifelbare Sonderstellung der Tora-Literatur legt nahe, dass deren Heiligkeit, gleichgesetzt mit ‚verfasst unter göttlicher Inspiration‘, ihre Schlüsselposition in dem als verpflichtend anerkannten Schrifttum von Anfang an sicherte.“ 33 Vgl. Kratz, Redaktionsgeschichte, 370, der den Begriff von M. Fishbane rezipiert. 34 Ebd. 35 Vgl. Fishbane, Biblical Interpretation, 18 [Hervorh. dort]. Fishbane hält fest, dass die neuen Texte von neuem oder erstmals als autoritativ angesehen wurden: „Cultures develop and change in any case; but they will just as certainly vary in the factors which inaugurate meaningful change, which guide it, and which justify it. Biblical Israel was set on its great course by transformative revelations. […] Each transmission of received traditions utilized materials which were or became authoritative in this very process; and each interpretation

2. Kulturwissenschaftliche Grundlegung

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Das Ende des 20. Jh. s brachte eine Fülle von methodischen Innovationen mit sich, die vor allem durch interdisziplinäre Ansätze geprägt waren. Verschiedene Vertreter der Bibelwissenschaften machten Anleihen an den sich schnell entwickelnden Sprach- und Literaturwissenschaften sowie an der Textlinguistik. Am Anfang wurden strukturalistische Konzepte rezipiert,36 und man suchte bei den biblischen Texten zu einer Art Textgrammatik vorzudringen.37 Besonders wichtig wurde die Anwendung der Erzähltextanalyse auf die biblischen Texte.38 Allerdings ist all diesen Konzepten sehr viel Skepsis entgegengebracht worden. Als Argument wurde immer wieder die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Diachronie der biblischen Traditionsliteratur in die Waagschale geworfen. In seinem programmatischen Aufsatz zu den diachronen und synchronen Methoden stellt beispielsweise L. Schmidt fest: „Für die Beibehaltung des Ansatzes der klassischen Pentateuchkritik bei der diachronen Analyse spricht m.E., daß Textkomplexe, die aus verschiedenen literarischen Schichten bestehen, erst voll verständlich werden, wenn man berücksichtigt, welche Vorlagen die Redaktionen aufgenommen haben.“39

Seit dem Ende des 20. Jh. ist der Methodendiskurs in den Sprach- und Literaturwissenschaften allerdings zu einem gewissen Abschluss geführt worden. Es bilden sich allmählich synthetische Konzepte heraus, und die interdisziplinäre Bedeutung der Textlinguistik und ihre kulturwissenschaftliche Relevanz wird herausgestellt.40 Dem wesentlichen Ergebnis der Textlinguistik im 20. Jh., dass Texte grundsätzlich nicht als unabhängige Artefakte zu betrachten sind,41 sollte sich die alttestamentliche Exegese stärker öffnen. Denn ein Text ist „der geäußerte sprachliche Bestandteil eines Kommunikationsaktes in einem kommunikativen Handlungsspiel“42. Kommunikation aber setzt Kommunikationspartner voraus. Nach dem Basismodell von C.E. Shannon sind das ‚Sender‘ und ‚Empfänger‘. Die aus der Nachrichtenübermittlung stammende Terminoloand explication was made in the context of an authoritative traditum. Further, each solidification of the traditum was the canon in process of its formation; and each stage of canon-formation was a new achievement in Gemeindebildung, in the formation of an integrated book-centred culture. The inner-biblical dynamic of traditum-traditio is thus culturally constitutive and regenerative in the most profound sense.“ 36 Vgl. Richter, Exegese. 37 Vgl. Schweizer, Metaphorische Grammatik. 38 Siehe dazu den nächsten Abschnitt unten, 14ff. 39 Schmidt, Diachrone und synchrone Analyse, 226. 40 Vgl. dazu z.B. den Sammelband Berdychowska/Bilut-Homplewicz/Mikołajczyk (Hg.), Textlinguistik als Querschnittsdisziplin. 41 Vgl. die Stellungnahme von Hilgert, Text-Anthropologie, 102, aus der Assyriologie. 42 Schmidt, Texttheorie, 150; vgl. Hardmeier, Texttheorie, 65.

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Kap. 1: Einleitung

gie macht deutlich, dass es ganz unterschiedliche Formen von Kommunikation gibt. Der Kommunikationsinhalt – bei Shannon die „Information“ – wird in einer codierten Form über einen Übermittlungskanal vom Sender zum Empfänger übertragen.43 Shannon hatte bereits auf mögliche Störungen bei der Übertragung hingewiesen.44 Obwohl das Konzept ursprünglich zur Beschreibung der technischen Informationsübertragung entwickelt wurde und Shannon ausdrücklich nicht so verstanden werden wollte, dass es um die Vermittlung von Inhalten geht,45 wurde es in vielfältiger Weise in der Linguistik aufgegriffen. 46 Vor allem wurde festgehalten, dass Austausch von Informationen immer der Vermittlung von Bedeutung dient. Dies führte zu der Einsicht, dass „der Transfer […] vom Empfänger zumindest mitbeeinflusst ist“47. Denn nicht nur die Wahl des Kanals und die Regeln der Informationsvermittlung, sondern auch die Strukturierung der Information berücksichtigen die Erwartungen der Empfängerseite. Dies bedeutet – bezogen auf die biblische Traditionsliteratur –, dass deren Autoren immer bestimmte Zielgruppen vor Augen hatten, auf die hin die Texte verfasst worden sind. Wie stark daher von einer Intentionalität der Texte zu sprechen ist, muss weiter diskutiert werden.48 Kommunikation, die ein Medium der Konservierung beinhaltet, ermöglicht nicht nur die zeitliche Scheidung der Rezeption von der Abfassung, sondern zielt u.a. auf sie ab.49 Schriftliche Texte konnten daneben aber auch Mittel für die Ausbildung oder den Eigengebrauch des Schreibers sein. Man muss also unterscheiden zwischen der von der Senderseite und daher im Text vorausgesetzten (impliziten) Empfängerseite und den tatsächlichen Rezipienten. Grundsätzliches Kennzeichen mündlicher Kommunikation ist es, dass ein Rückkanal existiert. Abhängig vom Charakter der Kommunikation und dem sozialen Verhältnis von Sprecher und Hörer gibt es die Möglichkeit der Rückfrage. Diese hilft Kommunikationsfehler zu korrigieren und sie ermöglicht es auch, fehlende Hintergrundinformationen abzufragen. Dieser Aspekt fehlt bei schriftlicher Kommunikation. Daher müssen die Struktur 43

Vgl. Shannon, Mathematical Theory, 34. Vgl. Weaver, Contributions, 8. 45 Nach Weaver, ebd., meint Shannon, dass „information must not be confused with meaning“. 46 Vgl. zum Prozess der Applikation, Heinemann/Heinemann, Grundlagen, 30ff.; außerdem z.B. Sowinski, Stiltheorien, 42. Angewendet wurde es in der alttestamentlichen Exegese beispielsweise von Schart, Mose, 19. 47 Heinemann/Heinemann, Grundlagen, 32. 48 Siehe unten, 14ff. 49 Nach Freud ist die Schrift eine kulturelle Grundtätigkeit. Er stellt fest: „die Schrift ist ursprünglich die Sprache des Abwesenden“ (Freud, Unbehagen, 450). 44

2. Kulturwissenschaftliche Grundlegung

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und die konzeptuelle Kohärenz eines schriftlichen Textes dem Rechnung tragen. Andernfalls wäre nicht sichergestellt, dass der Text kommunikativ ist.50 Ein auf die Analyse des Textes bezogenes Modell für die Kommunikation, für die die Texte der biblischen Traditionsliteratur verfasst worden sind, muss beachten, dass es sich um literarische Texte handelt und diese daher nicht nur an einen bestimmten Adressaten gerichtet, sondern für eine Adressatenschaft (impliziter Adressat) verfasst gewesen sind. Faktisch ist ein Konzept der impliziten Adressatenschaft im Text enthalten. Ebenso sind Hinweise auf Hintergrundinformationen, den Kontext, die vorausgesetzten und verwendeten Sprachkenntnisse im weitesten Sinne des Wortes und Konventionen der Textabfassung und -rezeption im Text enthalten. Daher ist es sinnvoll, im Modell nicht mehr von einer Einflussnahme bzw. einer Nutzung von Aspekten auszugehen, sondern von Teilmengen zu sprechen, an denen einerseits der Text, andererseits die implizite Adressatenschaft Anteil hat. Voraussetzung für das Gelingen der Kommunikation auch in der Antike war, dass der Rezipient über die vorausgesetzten Hintergrundinformationen, die im Text vorausgesetzten Informationen über den Kontext der Kommunikation, über ausreichende Sprachkenntnisse verfügt, Regeln und Konventionen beherrscht. Dabei ist von einer Übergangsschwelle auszugehen. Kein Adressat wird sämtlichen implizierten Anforderungen an das Textverständnis entsprechen. Doch muss es auch in der Antike zu den Konventionen der Textproduktion gehört haben, einen Text herzustellen, der den kommunikativen Anforderungen genügte. Kommunikationsprobleme, Missverständnisse hat es auch in der ursprünglichen Kommunikationssituation gegeben. Dass wir die Texte heute besitzen, zeigt allerdings, dass sie rezipiert und verstanden wurden. Andernfalls wäre es auch nicht zu einer Verwendung der Vorlagen in der weiteren Literargeschichte gekommen. Trotz der grundlegenden Bedeutung der Kommunikationsprozesse liegt der Schwerpunkt im Bereich der alttestamentlichen Exegese auf der Textanalyse und Interpretation. Da es sich um anonyme Literatur mit größtenteils erst noch zu klärendem historischen Ort handelt, sind wir zunächst für Hintergrundinformationen, Hinweise auf den impliziten Adressaten auf den Text selbst gewiesen. Außerhalb bleibt auch der tatsächliche Autor des Textes. So bietet sich ein Vermittlungskonzept an, wie es z.B. U. Eco vorgeschlagen hat. Er stellt klar, dass die im Text enthaltene Intention Grundlage der Interpretation ist.51 Diese intentio operis grenzt er zunächst von der für 50 Es handelt sich bei diesem Punkt vor allem um den Aspekt der Akzeptabilität, der von Dressler/de Beaugrande, Textlinguistik, 135ff., als Kriterium der Textualität von Texten aufgeführt wird. 51 Vgl. Eco, Grenzen der Interpretation, 35.

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Kap. 1: Einleitung

die Interpretation nicht erreichbaren intentio auctoris ab und bezeichnet die Intention des Werkes als den „wörtlichen Sinn“, der unter Umständen den Absichten des Autors widerspricht oder die Intentionen des Autors transzendiert.52 Auf Grundlage eines Rezeptionsaktes müssen Vermutungen über die Intention des Werkes aufgestellt werden, die sich „an der Kongruenz des Textes bewähren“53 oder nicht. In der neueren Literaturwissenschaft kehrt man inzwischen auf der Grundlage dieses Konzeptes wieder zu der Frage der Autorperspektive zurück: „Die hier vorgeschlagene Verwendung des Konzepts ‚Autor‘ für die Bedeutungsfunktion deckt sich zum großen Teil mit dem Begriff der ‚intentio operis‘, wie er etwa von Umberto Eco vorgeschlagen wird. Beide bezeichnen eine Textstrategie. Allerdings gibt es eine wesentliche Differenz: Im Konzept der ‚intentio operis‘ gibt es zwischen dem Text und dem Autor nach der Niederschrift keine Verbindung mehr. Dagegen sind im hier vorgeschlagenen Modell zur Ermittlung der Textstrategie Annahmen über den Autor notwendig. Das betrifft vor allem die notwendige Rekonstruktion der ‚Enzyklopädie‘, also des gesamten Netzwerks von Hintergrundannahmen und -wissen, zur Ermittlung der Verwendungsweise von Zeichen.“54

Die Analyse kann entsprechend versuchen, über die Intention des Textes hypothetische Rückschlüsse auf den Autor eines Textes zu ziehen, wenn diese der Erhellung der antiken Kommunikationssituation dienen. Dies kann insbesondere eine Rolle spielen, weil die Schriftkultur und bestimmte Formen literarischer Texte von bestimmten Gruppen oder Einzelpersonen getragen wurden (bei der Analyse von Prophetentexten oder anderer stark institutionell gebundener Literatur wie priesterlicher Texte). Texte sind also grundsätzlich Kommunikationsmittel und Teile von kommunikativen Handlungen und lassen sich demzufolge nur suffizient interpretieren, wenn sie in ihrer kommunikativen Funktion verstanden sind. Dieser Aspekt entspricht dem Grundanliegen der historisch-kritischen Exegese, die den Text und mit allen Entstehungsphasen in seinem historischen Kontext zu erfassen sucht. Ein auf die Analyse des Textes bezogenes Modell für die Kommunikation, für die die Texte der biblischen Traditionsliteratur verfasst worden sind, wird daher beachten, dass diese literarischen Texte im Blick auf eine bestimmte Adressatenschaft (impliziter Adressat) verfasst worden sind. Hinweise auf Hintergrundinformationen, den Kontext, die vorausgesetzten und verwendeten Sprachkenntnisse im weitesten Sinne des Wortes und Konventionen der Textabfassung und -rezeption sind im Text enthalten. Der antike Text ist nicht nur ein Zeugnis, sondern der konservierte Teil der antiken Kommunikationssituation. Es reicht also nicht aus, Vgl. Eco, Grenzen der Interpretation, 40ff. Eco, Grenzen der Interpretation, 49. 54 Jannidis, Der nützliche Autor, 385f. 52

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2. Kulturwissenschaftliche Grundlegung

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die philologischen Strukturen im Text zu rekonstruieren, sondern wir müssen aus den Hinweisen auf die Hintergrundinformationen und über das angewendete Textsortenwissen auf die Kommunikationssituation zurückschließen. Doch wie verhält es sich mit dem Einwand, dass vor all diesen Fragen die Diachronie des Textes, mithin die Einheitlichkeit diskutiert und redaktionelle Abschnitte, Fortschreibungen etc. ausfindig gemacht worden sein müssen?55 An diesem Punkt kann man an C. Hardmeiers schematische Sicht der Literargeschichte anknüpfen. Denn er verweist darauf, dass die Diachronie unserer Texte das Ergebnis von wiederholten Rezeptions- und (Re-)produktionsprozessen ist.56 Gleichgültig, welche Veränderung an einem literarischen Text vorgenommen wurde, wird man davon auszugehen haben, dass ein rezipierter Text an eine gegenüber der ursprünglichen Abfassungsperspektive veränderte Situation angepasst werden sollte.57 Das gilt für Glossierungen, für die Ersetzung von schwierigen Formulierungen, für die Beseitigung von Fehlern, aber auch für umfänglichere Verarbeitungen von Quellen bis hin zur Schaffung von umfassenden Kompositionen. Entscheidend ist beim Umgang mit dem Ergebnis dieser Prozesse der biblischen Traditionsliteratur, dass bei den intendierten Adressaten eines vorgeschriebenen oder transformierten Textes die Kenntnis des rezipierten Textes ebenso vorausgesetzt wird, wie sie für die Schaffung des neuen Textes konstitutiv gewesen ist. Wieso sollte einem neuen Text gegenüber einem möglicherweise bereits anerkannten klassischen Text der Vorzug gegeben werden? Wir treffen in den biblischen Texten immer wieder hermeneutische Strategien an, die den intendierten Adressaten genau dies zu vermitteln suchen. Da wird die Autorität von bestimmten Figuren genutzt wie jene des Mose, um das Deuteronomium oder den Pentateuch gegenüber seinen Vorlagen plausibel zu machen. Die Chronik gibt vor, die literarische Quelle der Samuelis-/Königebücher zu sein, will also, dass man den eigentlich älteren Text als jüngeren Text und möglicherweise weniger authentischen und weniger zuverlässigen Text versteht. Nur mit diesen hermeneutischen Strategien stehen wir bei der Rückfrage nach der Literargeschichte der Texte auf sicherem Boden: Zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Antike thematisierte man die Diachronie des Textes gegenüber den intendierten Adressaten, da bei diesen die Kenntnis der Vorlage vorausgesetzt wurde.

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Vgl. das Zitat oben, 9, Anm. 39. Hardmeier, Texttheorie, 81, stellt fest, „daß Traditionsprozesse als Bezugnahmen auf vorhandene Texte immer rezeptive kommunikative Handlungsspiele sind“. Später hat M. Fishbane das Konzept der innerbiblischen Interpretation aufgestellt. Vgl. dazu oben, 8. 57 Hardmeier, Texttheorie, 82, spricht von einem „aktuellen Interesse“. 56

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Die Einbeziehung dieser kommunikationstheoretischen Überlegungen in unsere exegetische Praxis stellt aber aufgrund der Diachronie der biblischen Traditionsliteratur einen außerordentlichen Gewinn in kulturwissenschaftlicher Hinsicht in Aussicht. Wenn wir nämlich die Kommunikationsprozesse berücksichtigen, erlangen wir Zugang zu den Diskursen, die im Zusammenhang mit überlieferten Texten stehen und sich über mehrere Generationen entwickelt haben. Die Bedeutung dieses Aspekts wurde von dem Kulturwissenschaftler A. Reckwitz aufgezeigt. Explizit für antike Texte wird sie von dem Heidelberger Assyriologen M. Hilgert hervorgehoben.58 Metatexte, die Hinweise auf Textvorlagen enthalten, geben uns die Möglichkeit zu verstehen, wie man in der Antike die Texte interpretiert hat und wie man sie verstanden wissen wollte. Nach Reckwitz sind es „die Praktiken der Rezeption (und Produktion), die kulturelle Artefakte zu sozial relevanten Zeichenträgern machen“59. Explizit sieht er die Problematik einer primär philologischen Arbeit an den Texten, die darauf ausgerichtet ist, „daß textimmanente Bedeutungen ‚gefunden‘ werden“60, was das Verständnis der Texte womöglich ganz oder teilweise verschließen kann. Umgekehrt eröffnet uns eine Analyse der biblischen Traditionsliteratur unter Berücksichtigung des Aspekts der kommunikativen Funktion der Texte einen Zugang zu den antiken Rezeptions- und Vermittlungsprozessen, was in anderen Disziplinen nur in Ausnahmefällen möglich ist.

3. Die Intentionalität der biblischen Traditionsliteratur Ein alternativer Zugang zur biblischen Traditionsliteratur mit einem vor allem synchronen Konzept der Textanalyse hat die biblischen Bücher als literarische Texte in den Blick genommen. Eine Vorreiterrolle spielte dabei R. Alter. Er hatte sich von der modernen Literaturwissenschaft leiten lassen und deren Kriterien für die Analyse von Erzähltexten genutzt, um zu erheben, wie biblische Texte funktionieren.61 Alter stellte zunächst Historiographie und Literatur in modernen Texten einander gegenüber und schlussfolgerte, dass die biblischen Texte zwar zu geschichtlichen Informationen in 58

Hilgert, Text-Anthropologie, 96, hält fest, dass „solche ,Metatexte‘ von nicht unerheblichem Aussagewert [sind], wenn es darum geht, die Rezeptionspraxis des Geschriebenen zu rekonstruieren, auf das sie Bezug nehmen.“ 59 Reckwitz, Transformation, 610. 60 Reckwitz, Transformation, 611. 61 Alter, Art of Biblical Narrative, 179, schließt, „that we shall come much closer to the range of intended meanings – theological, psychological, moral, or whatever – of the biblical tale by understanding precisely how it is told.“

3. Die Intentionalität der biblischen Traditionsliteratur

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einer Beziehung stünden, aber nicht wie Historiographie zu nachprüfbaren Fakten.62 Seine methodische Konsequenz war, dass „prose fiction is the best general rubric for describing biblical narrative“63 An der Anwendung von literaturwissenschaftlichen Konzepten auf biblische Texte hat man kritisiert, dass man diese damit zu nahe an fiktionale Literatur heranrücke. Eine Interpretation der biblischen Texte in diesem Sinne „als autonome Literatur impliziert mithin eine anachronistische Projektion und liest die Texte gegen ihr Eigenverständnis“64. Die Analyse der biblischen Texte als literarische Texte hat allerdings Einsicht in den Charakter und die internen Strukturen der Texte und in das Verständnis der literarischen Mittel geboten. In Deutschland sind solche Konzepte vor allem durch W. Richter, C. Hardmeier und H. Utzschneider in die biblische Exegese eingeführt worden. Dass wir sprach- und literaturwissenschaftliche Methoden überhaupt und auch jene der Erzähltextanalyse durchaus mit Gewinn auf antike Texte anwenden können beruht sicher darauf, dass die modernen literarischen Gattungen in einer direkten Tradition der antiken und mittelalterlichen Literatur stehen. Die die moderne Literatur prägende Fiktionalität (im Bereich der Erzählprosa) hat sich zudem erst allmählich entwickelt. 65 So verwendeten ja antike Autoren nicht nur mythische Stoffe, sondern legten ihren Texten auch traditionelle Gattungen zugrunde. Dasselbe gilt für die mit der frühen Neuzeit entstehenden Formen der Literatur. Diese Werke waren auch wegen ihrer formalen und inhaltlichen Anleihen bei klassischen, nichtfiktionalen Vorbildern erfolgreich. Wahrscheinlich ist die Fiktionalität also lediglich ein Aspekt, der im Verlaufe der Gattungsgeschichte hinzugetreten ist.66 Wir können die biblischen Texte also als nichtfiktionale Litera62

Vgl. Alter, Art of Biblical Narrative, 24. Alter, Art of Biblical Narrative, 24. Vgl. auch Sternberg, Poetics, 23ff. 64 Blum, Notwendigkeit, 30. 65 Fauser, Kulturwissenschaft, 87, hält fest: „Narrative finden sich auch außerhalb und vor der Fiktion. Die Fiktion als explizites Narrativ kann nur funktionieren, weil sie diese Folie schon voraussetzt.“ 66 Genette, Fiktion, 65ff., hat zwischen der fiktionalen und der faktualen Erzählung unterschieden und grundsätzlich festgestellt, dass sich „die faktuale und die fiktionale Erzählung zu der von ihnen ‚berichteten‘ Geschichte verschieden verhalten, einzig weil diese im einen Fall ‚wahr‘ ist (oder als ‚wahr‘ gilt) und im anderen fiktiv, das heißt, von dem, der sie gerade erzählt, erfunden oder von jemand anderem, von dem er sie übernimmt“ (ebd., 67). Er weist damit den Versuch von K. Hamburger, den Unterschied zwischen nichtfiktionalen und fiktionalen Formen anhand der angewendeten Technik zu beschreiben, zurück und kommt zu dem Ergebnis: „Noch weniger braucht die empirische Forschung sich von ihr entmutigt zu fühlen, denn selbst wenn – oder gerade wenn – die narratologischen Formen die Grenze zwischen Fiktion und Nicht-Fiktion unbefangen überschreiten, ist es für die Narratologie nichtsdestoweniger, oder vielmehr nur um so mehr gefordert, ihrem Bei63

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tur von „substantieller Poetizität“67 zu Recht von den Einsichten der modernen Sprach- und Literaturwissenschaft her analysieren. Ein anderer Punkt hängt unmittelbar mit dieser Standortbestimmung zusammen: Während moderne literarische Texte aufgrund ihrer Fiktionalität weniger intentional sind, muss man bei den biblischen Texten aufgrund ihrer in der Literargeschichte und Wirkungsgeschichte erkennbaren kommunikativen Funktion von einer ausgeprägten Intentionalität ausgehen. Dieser Aspekt wird allerdings in der Analyse wenig berücksichtigt und indirekt in der Sicht der biblischen Traditionsliteratur als von Anfang an quasi kanonischer Literatur ausgeschlossen.68 Einen anderen Weg hat E. Blum eingeschlagen. In der Auseinandersetzung mit den Vertretern eines literaturwissenschaftlichen Zugangs stellt er die These auf, dass es sich bei den biblischen Texten um „adressatenbezogene Mitteilungsliteratur“69 handele. Damit wird von ihm der Aspekt der Pragmatik eingeführt, doch schränkt er ihn sogleich ein, indem er ebenfalls einen ursprünglichen Sondercharakter der Texte annimmt. Dessen wichtigstes Charakteristikum ist nach Blum die Anonymität des Autors als „‚Regelfall‘ traditionalen Erzählens“70. Damit sei „der Erzähler seiner Darstellung insofern durchweg immanent, als die Möglichkeit einer anderen Darstellung oder auch die Vorinstanz einer individuell-auktorialen Urteilsbildung nicht in den Blick genommen werden“ 71, und „die Erzählung [werde] also grundsätzlich nicht als Darstellung von dem Dargestellten unterschieden“72. Daraus resultiere die den Texten innewohnende Verbindlichkeit: „Selbstverständlich ist auch für Überlieferungen ohne metatextuell eingeführten, verantwortenden Autor die Referenz auf geschichtliches Geschehen wesentlich, doch bleibt dieser Aspekt für die Rezipienten eingebettet in eine umfassendere Verlässlichkeit, die sich letztlich in der Erschließung der Lebenswelt der betreffenden Erzählgemeinschaft bewährt, d.h. in der Bedeutung der Texte für die Identität von Gemeinschaft und Individuen, für deren Handlungsorientierung etc.“73 „Zugleich impliziert dieses Zurücktreten des Auspiel zu folgen“ (Genette, Fiktion, 94). Gegen den Verzicht auf die Kategorie bei der Exegese alttestamentlicher Texte sprechen sich in Rezeption der Differenzierung von Genette auch Irsigler, Erzählen, 41f., und Dyma, Fiktionalität, aus. 67 Eine solche hält Blum, Notwendigkeit, 29 (Hervorhebung dort), trotz der von ihm hervorgehobenen Differenz zur poetischen Literatur fest. 68 Siehe die oben, 8, Anm. 32 zitierten Positionen. 69 Vgl. Blum, Notwendigkeit, 30, zum programmatischen Charakter der alttestamentlichen Traditionsliteratur vgl. zuletzt Heckl, Inside the Canon, 375–377. 70 Blum, Historiographie, 74. 71 Blum, Historiographie, 73, 72 Blum, Historiographie, 73, (Hervorhebung dort). 73 Blum, Historiographie, 73f.

3. Die Intentionalität der biblischen Traditionsliteratur

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tors hinter bzw. in seinen Text dessen ‚un-mittelbaren‘ Geltungsanspruch, der sich eben nicht über das vorgeschaltete urteilende Subjekt des Erzählers vermittelt präsentiert.“74 Hierbei handelt es sich um den Versuch, zwischen Adressatenbezogenheit und unmittelbarem Geltungsanspruch zu vermitteln. Das Ergebnis ist die Annahme eines in der Erzählgemeinschaft begründeten Sondercharakters der biblischen Literatur, was allerdings den Zugang zur Pragmatik der Texte verschließt. Die Adressatenbezogenheit der Texte ist von ganz besonderer Bedeutung, denn diese erheben nicht nur einen Anspruch auf Autorität, sondern in ihnen und mit ihnen wird bei den intendierten Adressaten um Akzeptanz der Inhalte und der Texte selbst geworben. Dem dienen direkte oder indirekte Verweise auf eine angebliche Urheberschaft der Texte. Explizit ist das bei allen Büchern der hinteren Propheten und mindestens75 beim Deuteronomium und Teilen von Exodus bis Numeri der Fall.76 Denn die Prophetenbücher werden jeweils der Autorität bestimmter Prophetengestalten unterstellt, Deuteronomium und Pentateuch der Autorität des Mose. Ähnlich findet sich im Josuabuch eine Verschriftungsnotiz (Jos 24). Indirekt ist das auch bei den anderen Büchern des sog. deuteronomistischen Geschichtswerkes der Fall. Teile des 2. Königebuches werden im Jesajabuch und im Jeremiabuch nicht nur deswegen zitiert, um sie inhaltlich in eine Beziehung zu den Inhalten der Prophetenbücher zu setzen,77 sondern auch, um ihnen (zusätzlich) die Autorität der Prophetengestalten zu verleihen, unter deren Namen einige Abschnitte ja nun gelesen werden sollten. Zu diesem Prinzip der Autoritätsverleihung gehören auch die Zuweisungen der Psalmen zu David und zu anderen Gestalten der Geschichte oder die Zuweisungen des Buches der Sprüche zu Salomo. Ihm folgen auch die nach Blum „wenigen nicht-anonymen biblischen Erzähltexte, die prophetischen Ich-Berichte und die sog. Nehemia-Denkschrift“78. Diese offensichtlich breite sekundäre Durchbrechung der anonymen Erzählweise zeigt, dass in ihr kaum per se ein Kriterium für die uns vorliegende biblische Traditionsliteratur gegeben ist. Die wenigen Ich-Reden bestätigen gerade nicht die Annahme G. v. Rads, die Blum zitiert, „daß Israel mit Blum, Historiographie, 73. Dabei handelt es sich um die übliche Sicht. Anhand der Verschriftungsnotizen in Exodus–Numeri zeigt sich, dass dies für den gesamten Pentateuch gilt. Vgl. Heckl, Mose als Schreiber, 223f. (zusammenfassend). 76 Vgl. für die Entwicklung dieser Konzeption und ihre Vorstufen zuletzt Heckl, Mose als Schreiber, 199–221. 77 So Dietrich, Jesajabuch, 323, zu Jes 36–39, und die Sicht von Römer, Jeremia, 409, „dass die deuteronomistischen Redaktoren das Buch Jeremia als Kommentar zum Deuteronomistischen Geschichtswerk verstanden“. 78 Blum, Historiographie, 74. 74

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seinen Aussagen aus einer Tiefenschicht geschichtlichen Erlebens kommt“ 79, so als würde im Ich einer bestimmten Figur das allgemein Akzeptierte ausgedrückt werden.80 Im Gegenteil: Das Ich des Mose und auch das Ich Esras und das Ich Nehemias sollen den Eindruck erwecken, die präsentierten Inhalte seien in hohem Maße authentisch. Dadurch werden die Texte literarischen Figuren und Personen der Vergangenheit zugewiesen, was zeigt, dass die Anonymität gerade nicht die Autorität der Traditionsliteratur sichert. Vielmehr sind die erwähnten Texte entweder aus einer bestimmten personalen Perspektive formuliert oder es wurde ihnen diese Perspektive aufgeprägt, um den enthaltenen Inhalten eine besondere Autorität zu verleihen, die sie andernfalls nicht hätten. Das Mittel wurde während der Entstehung des Pentateuchs und der Prophetenbücher entwickelt und in der Zeit des Zweiten Tempels zur jüdischen Pseudepigraphie weiterentwickelt.81 Die Nutzung der literarischen Zuschreibung zeigt, dass in der Kommunikationssituation, für die die Texte bestimmt waren, der Verweis auf eine textexterne Autorität erforderlich war. Offensichtlich handelt es sich bei den biblischen Texten über weite Strecken um programmatische Literatur, mit der die Menschen von bestimmten Inhalten und von bestimmten Konzepten – religiösen, politischen und sozialen – überzeugt werden sollten. Abgesehen von Zuschreibungen von Texten, um ihnen durch bestimmte literarische Figuren oder Personen der Vergangenheit Autorität zu verleihen, gibt es andere entsprechende hermeneutische Mittel. So finden sich Verweise auf akzeptierte Inhalte wie die Grundlagen der Gottesbeziehung Israels (siehe z.B. den Verweis auf den Exodus in Ex 20,2; Lev 11,45; 19,36; Dtn 15,15; 26,8 u.ö.) oder auch der Verweis auf bereits akzeptierte Texte (in Esra-Nehemia bspw. Esr 3,2.4; Neh 8,15) oder auch der Gebrauch von akzeptierten literarischen Gattungen und Vertextungsmustern, was besonders im Bereich der Prophetie anzutreffen ist,82 um die Akzeptanz von Innovationen zu bewirken.

79 Blum, Historiographie, 74. In dem Zusammenhang beschäftigt sich v. Rad, Theologie I, 120, mit der Frage, wie an der Sicht der Geschichtlichkeit der alttestamentlichen. Zeugnisse festgehalten werden kann, wenn diese „von den Ergebnissen der kritischen Geschichtsforschung“ (ebd.) abweichen. 80 Nach Blum, ebd., zeigt sich „die Darstellungsimmanenz des Erzählers in diesen Fällen geradezu idealiter gegeben, insofern er hier als Aktant sogar Teil der Handlung, nicht nur des Textes ist“. 81 Vgl. dazu Heckl, Geschichtstheologie, 230. 82 Bestes Beispiel ist das Deuteronomium, das nicht nur prophetische Gattungen aufgreift und wie in Prophetenbüchern paränetische Mittel anwendet, um die Inhalte zu vermitteln, sondern zugleich auch Mose als Propheten präsentiert. Vgl. dazu Heckl, Augenzeugenschaft.

3. Die Intentionalität der biblischen Traditionsliteratur

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Es lässt sich festhalten, dass den Texten der biblischen Traditionsliteratur – abhängig von der literarischen Gattung – ein besonderer Appell-Charakter zugrundeliegt. Erzählerische Texte mit eingebetteten Gesetzestexten wie im Pentateuch oder mit Belehrungen, Bundesschlüssen etc. wie in den deuteronomistischen Geschichtsbüchern oder der Chronik dienen der Vermittlung und Durchsetzung von religiösen Identitätskonzepten. Poetische Texte stehen demgegenüber stärker mit bestimmten Institutionen in Verbindung. Sie dienten als religiöse und ethische Gebrauchstexte dazu, den Zusammenhang zwischen den intendierten Adressaten und einer bestimmten Form der Gottesbeziehung, bestimmten ethischen Prinzipien und den etablierten Institutionen zu sichern.83 Gerichtet an eine bestimmte Adressatenschaft (Leser/Hörer) will man mit den Texten also bestimmte Ziele erreichen. Diese Ansicht hat L.S. Fried unlängst bei Esr 1–6 aufgezeigt, wobei sie auf die Anwendung hellenistischer Rhetorik zurückführt, dass „the author of Ezra 1–6 was complying with the demands of Hellenistic rules of rhetorical historiography when he created his text.“84 Die Adressatenbezogenheit, die sie anführt, gilt aber nicht nur für Esr 1–6, sondern durchgängig für die biblische Traditionsliteratur. Mit ihr will man in unterschiedlicher Weise die Akzeptanz bestimmter geschichtlicher Konzepte, theologischer Positionen und bestimmter religiös begründeter ethischer Vorschriften erreichen. Dies geschieht im Diskurs mit anderen abweichenden Konzepten, die inner- und außerisraelitischen Ursprungs sein können. Sowenig die biblischen Texte also fiktional im Sinne der modernen Literatur sind, sowenig sind sie schon als quasi kanonische Literatur entstanden. Dem muss die Textanalyse mit einer entsprechenden Methodik Rechnung tragen.

83 In unterhaltenden Gattungen, wie sie bspw. im Hohelied anzutreffen sind, tritt die Intentionalität zurück, weswegen dort auch keine Vermittlungskonzepte erforderlich waren, um Textveränderungen zu plausibilisieren, was bspw. die Existenz von abgekürzten Versionen des Buches in Qumran erklärt. Zu dem Sachverhalt vgl. Tov, Three Manuscripts, der aufzeigt, dass die Form der Texte nicht aufgrund der Nachlässigkeit von Schreibern zu erklären ist. Vgl. ebd., 89. 84 Fried, Use of Documents, 25. Sie schließt: „The purpose of Ezra 1–6 is evidently to persuade the reader that ‘am hā’areṣ are the enemies of the Jews“ (ebd., 26). Die Tatsache, dass die Angehörigen des ‫ עם הארץ‬direkt als „Widersacher“ bezeichnet werden, sie aber offenbar nicht direkt agieren, sondern sogar ihre Unterstützung anbieten, spricht für eine komplexere Pragmatik. Vgl. dazu unten, 208ff.289ff. und 381ff. Ebenfalls auf die besondere Bedeutung der Pragmatik hat Bedford, Temple Restoration, 302, für Esr 1,1–4,5 hingewiesen. Dies sei ein „tendentious text“.

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Kap. 1: Einleitung

4. Die alttestamentlichen Texte als Diskursfragmente Die Bücher der Hebräischen Bibel sind über weite Strecken85 als literarische Texte in pragmatischer Funktion anzusehen. Für das Verständnis dieser nichtfiktionalen Texte ist die Berücksichtigung ihres historisch-sozialen Kontextes und des Kommunikationszusammenhanges, zu dem sie gehören, unerlässlich. Eine Rezeption von diskursanalytischen Konzepten86 legt sich daher nahe. Denn mit ihnen ist ein Zugang zu den sozialen, religiösen und politischen Prozessen möglich, die im Hintergrund der Entstehung der Texte stehen. Anders als bei den Diskursanalysen in den Sozialwissenschaften, die von einer bestimmten Fragestellung ausgehen, steht allerdings in der Alttestamentlichen Wissenschaft die Textanalyse des Einzeltextes am Anfang. Entscheidend ist jedoch, dass jeder Text als Bestandteil von bestimmten Diskursen verstanden werden kann. Die Exegese biblischer Texte kann daher als Diskursanalyse von Diskursfragmenten entwickelt werden.87 Diskurs ist dabei als ein „übertextuelles Phänomen“88 zu verstehen, an dem Einzeltexte jeweils Anteil haben. Da das Wissen um den ursprünglichen institutionellen bzw. kulturellen Kontext und die historische Einordnung der Texte zunächst fehlt, muss beides bei der Analyse der Texte unter Zuhilfenahme von textexternem Wissen erschlossen werden. Ausgehend von den Thesen N. Faircloughs muss man auch für die Antike annehmen, dass soziale Identitäten und besondere Positionen, soziale Beziehungen und das System von Wissen und Glauben in Diskursen hervorgebracht und vermittelt wurden.89 Durch den Rückschluss auf die Diskurse und ihre kritische Evaluation ergibt sich eine Zuspitzung der historisch-kritischen Exegese und ihrer Betonung der Geschichtlichkeit der Texte. Den Diskursen wird als den Vermittlungsprozessen verschiedener theologischer, sozialer und politischer Positionen, in denen bestimmte Weltbilder und Gruppenidentitäten hervorgebracht wurden, nachgegangen, wobei auch in der Antike Machtverhältnisse eine entscheidende Rolle gespielt haben dürften. 90 Der Rückgriff auf die 85

Zur Einschränkung siehe oben, 19, Anm. 83. Zur kulturwissenschaftlichen und interdisziplinären Bedeutung der Diskurstheorie vgl. Jäger/Jäger, Diskurs als Fluss, 17ff. 87 Vgl. dazu Jäger, Kritische Diskursanalyse, 184–187. 88 Fix, EIN-Text, 317. 89 Vgl. Fairclough, Discourse and Social Change, 3f. 90 Vgl. schon Foucault, Ordnung des Diskurses, 7: „Ich setze voraus, daß in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird [...]“. Vgl. zuletzt von Stuckrad, Reflections, 159: „Discursive relations can thus be described as power-relations, which means that the term ‚discourse‘ refers not only to contents of frameworks of meaning, but also to instruments of power. Discursive 86

4. Die alttestamentlichen Texte als Diskursfragmente

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Diskursforschung zur Exegese biblischer Texte ist somit nicht nur als Ergänzung zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um ein Desiderat, da die Texte so nicht mehr nur als losgelöste Artefakte, sondern in ihrer historischen diskursiven Verortung verstanden werden können. Zugleich wird die historisch-kritische Exegese so interdisziplinär geöffnet.91 Um auf die Diskurse zurückzuschließen, muss zunächst das kulturelle Hintergrundwissen anhand der Präsuppositionen des Textes berücksichtigt werden. In den Diskursfragmenten sind Hinweise auf Hintergrundinformationen, Kontext, die vorausgesetzten Sprachkenntnisse und die Konventionen der Textabfassung und -rezeption enthalten. Unter Rückgriff auf Informationen aus Archäologie, Nachbarkulturen und parallelen Texten lässt sich über die Präsuppositionen der kommunikative Rahmen des Textes erschließen.92 In Anschluss an das oben93 dargestellte Kommunikationsmodell ist vorauszusetzen, dass die Kommunikation durch einen Text nur gelingen konnte, weil bestimmte Bedingungen erfüllt waren: Formal mussten Autor und Leser über Kenntnisse der Sprache, der Schriftkommunikation, Kenntnisse von literarischen Gattungen und von Vertextungsmustern verfügen. Hinzu kommt, dass ein Autor auch eine Fülle von Hintergrundinformationen bei den intendierten Adressaten voraussetzen musste. Bei diesem kulturellen Hintergrundwissen handelt es sich um das Selbstverständliche, denn es muss nur das, was nicht selbstverständlich ist, überhaupt gesagt und geschrieben werden, wie P. Cassirer auf der Grundlage der alltäglichen Kommunikation für die Interpretation von literarischen Texten aufgezeigt hat.94 practices intend to organize knowledge; but organizing knowledge is no innocent endeavor.“ 91 Von Seiten der Diskursanalyse strebt man eine entsprechende Öffnung u.a. für Einzeltextuntersuchungen an und erwartet Synergieeffekte. Vgl. Kämper/Warnke, Diskurslinguistik multidisziplinär, 2f. Kreuz/Römer, Kulturelle Artefakte, 232, öffnen die diskursanalytische Forschung grundsätzlich: „Wir betrachten kulturelle Artefakte somit als Sprache oder sprachliche Oberfläche. Darunter zu fassen sind also Texte, Textfragmente, Textteile, Sätze, Worte, Bilder und Zeichen im Allgemeinen. Sobald sie von den Kulturschaffenden produziert wurden, sind sie Ergebnisse intentionalen (sprachlichen) Handelns und können damit zum Objekt diskursanalytischer Forschung werden.“ 92 Auf die Affinität zur pragmatischen Textanalyse hat Holly, Holistische Dialoganalyse, hingewiesen. 93 Siehe oben, 6ff. 94 „Was gesagt wird, ist Ausnahme. Was nicht gesagt wird, ist normal, bekannt, konstant, ‚selbstverständlich‘“ (Cassirer, Regeln, 115). Für schriftliche Texte schlussfolgert er, dass „wir in der Literatur eine noch viel höhere Forderung an Relevanz stellen als in der alltäglichen Konversation, denn die Literatur beschreibt ja, auch bei größter epischer Breite, nur einen winzigen Ausschnitt der möglichen Wirklichkeit. Je komprimierter das Genre, um so relevanter ist jedes Wort“ (ebd., 119).

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Kap. 1: Einleitung

In der vorliegenden Untersuchung sollen entsprechend bereits in der Textanalyse jene Aspekte, die methodisch normalerweise getrennt von der Philologie eine Rolle spielen, einbezogen werden: Zum kulturellen Hintergrundwissen gehören die Inhalte, mit denen sich die Traditionsgeschichte beschäftigt. Berücksichtigt werden muss auch das Wissen der intendierten Adressaten um die Verwendung von Textsorten bzw. – um den klassischen Begriff der historisch-kritischen Exegese zu verwenden – das Wissen um die literarischen Gattungen.95 Jeder Text setzt Hintergrundinformationen voraus, damit er kommunikativ akzeptabel sein kann.96 Bezüge auf das Hintergrundwissen sind vor allem über die Präsuppositionen in jeder einzelnen Äußerung zugänglich. Im Zusammenhang mit ihnen werden die Inhalte und die Intention des Textes präsentiert. Die Erfassung des Zusammenspiels von vorausgesetztem Hintergrundwissen und der Intention des Textes ermöglicht daher Rückschlüsse auf die Diskurse. Aufgrund der Diachronie der Texte gehört die Kenntnis von Textinhalten häufig zum vorausgesetzten Hintergrundwissen, was erkennbar wird bspw. an den Verweisen des Textes oder der Zitation eines Textbestandteils oder der Einbettung von größeren Abschnitten. Die bereits erwähnten Vermittlungskonzepte lassen sich dann im Text ermitteln, sodass die hermeneutischen Konzepte deutlich werden. Da die Diskurse, zu denen ein Text gehört, individuell unterschiedlich sind, können die in den Texten enthaltenen Vermittlungskonzepte ganz verschiedener Natur sein. Als Grundlage kann aber auch hier gelten, dass für die intendierten Adressaten der Zusammenhang zu den Diskursen erkennbar gewesen sein muss, und wenn ein Zusammenhang mit Texten besteht, müssen auch diese Bezüge erkennbar gewesen sein. Den im Text enthaltenen Signalen für diese Bezüge muss die Analyse nachgehen. Solche sind z.B. Überleitungen und interpretierende Abschlussformulierungen oder entsprechende Überschriften. Unter Umständen reichte es auch aus, prägnante Formulierungen aufzugreifen, um auf entsprechende Inhalte zu verweisen.97 Das Esra-Nehemia-Buch ist ein Paradebeispiel dafür, wie man als bekannt vorausgesetzte textgebundene Konzepte mit neuen Konzepten vermittelte. Denn viele der als verarbeitete literarische Quellen vermuteten Textabschnitte werden auch den intendierten Adressaten gegenüber als quel-

95

Die beiden methodischen Innovationen von Gunkel sah Greßmann, Aufgaben, 28, als Schlüssel für die Literargeschichte: „Wie die Gattungsgeschichte, so will auch die Stoffgeschichte eine bescheidene Dienerin der Literaturgeschichte sein.“ 96 Vgl. zur Funktion der Präsupposition Maienborn, Präsupposition, 545f. 97 Zu verschiedenen Möglichkeiten von Bezugnahmen siehe den nächsten Abschnitt.

4. Die alttestamentlichen Texte als Diskursfragmente

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lenhaft präsentiert.98 Im Mittelpunkt der Analyse muss daher die Frage stehen, wie der Gesamttext sie gegenüber den bei den intendierten Adressaten vorausgesetzten Texten vermittelt. Daraus kann man das regelrechte hermeneutische Konzept des Textes erheben, das angewendet wird, um den vorliegenden Text gegenüber den rezipierten und verarbeiteten Vorlagen zu plausibilisieren. Ob man darüber in der Literargeschichte weiter zurückliegende Stufen eruieren kann, hängt vom Charakter der verarbeiteten literarischen Texte ab. Grundsätzlich muss aber zunächst beschrieben werden, wie die antiken Adressaten von der Kenntnis eines älteren Textes zur Akzeptanz des neuen Textes hingeführt werden sollten.

5. Der Metatextcharakter der biblischen Traditionsliteratur Die Verarbeitung von literarischen Texten setzt voraus, dass diese bereits bekannt und in Gebrauch gewesen sind. Damit gehört die Frage nach der Literargeschichte grundsätzlich zu den Fragen der Intertextualität. Die Pragmatik, dass also die Kenntnis der rezipierten Texte für die Kommunikationssituation, in der der uns vorliegende Text hervorgebracht wurde, von Bedeutung war, kann daher nicht von den literarhistorischen Fragen getrennt werden.99 Denn eine Rezeption setzt voraus, dass bestimmte interpretatorische Konzepte angewendet wurden. Der rezipierte Text wurde also in einen Zusammenhang mit der Intention des rezipierenden Textes gebracht. Dies konnte in unterschiedlicher Weise geschehen: Wenn – was üblicherweise als Normalfall der Literargeschichte gesehen wird – ein Text fortgeschrieben bzw. supplementiert wurde, wurde er an eine neue Intention angepasst oder mit neuen Implikationen versehen. Daher kann man in diesen Fällen von einer aktualisierenden Rezeption sprechen. Im Kontext des Esrabuches ist dies besonders gut im Zusammenhang der aramäischen Tempelbauchronik erkennbar. Dort wurde vor allem der Rahmen an einen veränderten Kontext angepasst, der Wortlaut der Vorlage aber insgesamt erkennbar gelassen.100 Dies verursachte zwar im neuen Kontext Probleme, diese nahm man aber offenbar in Kauf, um so eine Akzep98 Wright, Seeking, 279, geht dem Zusammenhang von „seeking and finding“ nach und lehnt eine rein literarische Deutung ab. Für ihn ist es „an administrative procedure that contributed to Judah’s success as she redefined her political identity in a new era, and it is a method of exegesis that produced the book itself“. Als exegetische Methode versteht er die Präsentation von Quellen: „They [the authors of Ezra-Nehemiah, R.H.] then write what they find, and when they do, they amplify the earlier texts and apply them to their contemporary situations“ (ebd., 303). 99 Siehe dazu oben, 6ff. 100 Vgl. dazu unten, 206ff.

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Kap. 1: Einleitung

tanz der neu eingebetteten Version des Abschnittes zu erreichen. Während in einem solchen Falle die Intention der Vorlage nur in Grundzügen akzeptiert wird, gibt es Fälle, in denen Bezugnahmen hergestellt werden, die eine vollständige Akzeptanz des Bezugstextes oder seine vollständige Ablehnung voraussetzen. Bei einer positiven Bezugnahme auf einen Text kann man von einer akzeptierenden Rezeption sprechen. Hermeneutische Mittel mussten in solchen Fällen nicht angewendet werden, um den vorliegenden Text zu plausibilisieren. Vorausgesetzt ist eine Akzeptanz des Referenztextes bei den intendierten Adressaten, die man sich zunutze machte. In der Regel handelt es sich dabei um Bezüge auf Texte, die eine autoritative Bedeutung für die intendierten Adressaten des bezugnehmenden Textes hatten. Daher war es in der Regel unnötig, diesen Text vollständig wiederzugeben oder die Passagen umfänglich zu zitieren. Zitationen von bestimmten Formulierungen oder aber der Gebrauch von Referenzformulierungen sollen bei den intendierten Adressaten bestimmte Aspekte des rezipierten Textes ins Gedächtnis rufen oder den Schwerpunkt auf bestimmte Inhalte legen. Für diese Form der Rezeption finden sich mannigfache Beispiele in Esra-Nehemia. So wird in der Exposition aufgrund von signifikanten Formulierungen ein Bezug zu Deuterojesaja hergestellt.101 Jeremia kommt über eine Verweisformel in den Blick.102 Zugleich wird auf die Chronik zurückgegriffen, und es finden sich literarische Verbindungen mit Inhalten des Pentateuchs. Die zuletzt genannten Referenzen markieren inhaltliche Übereinstimmungen zwischen dem vorliegenden Text und dem Text der Tora bzw. mit der Verkündigung Jeremias. Wesentlich ist, dass vom rezipierenden Text ausgehend eine positive anknüpfende Verbindung unterstellt wird. Diese lässt sich mitunter nicht in der Weise nachvollziehen, wie die Formeln nahelegen. Es wird dann ein Zusammenhang unterstellt, doch ist dieser aufgrund einer weitreichenden Interpretation des Bezugstextes zustande gekommen. Aufgrund des Fehlens exakter Entsprechungen wird die Frage aufgeworfen, ob Esra-Nehemia oder die Chronik, wo ein ähnlicher Bezug auf andere literarische Texte anzutreffen ist, sich auf nichtmasoretische Texte oder auf Vorstufen der uns bekannten Texte beziehen,103 oder die Zitationsformeln nur allgemein die Autorität des Kontextes in der Chronik oder bei Esra-Nehemia unterstreichen sollen.104 Doch ausgehend von dem rezipieren101

Siehe dazu unten, 35. Siehe dazu unten, 53f. 103 Nach Milgrom, Hermeneutics, 451f., bezieht sich Neh 10,35 auf eine Auslegung bzw. Fortschreibung von Lev 23,22 durch die Tempelrolle. 104 Willi, Leviten, 86, hebt hervor, dass „die Schriftkonformität des jeweiligen kultischen Sachverhaltes im Blick [sei], nicht die Zurückführung auf diese oder jene spezielle Stelle oder Passage“. Willi spitzt im Folgenden noch weiter zu, indem er feststellt: „Bezugsgröße ist die Schrift als Einheit und Ganzheit, nicht eine bestimmte Fundstelle oder 102

5. Der Metatextcharakter der biblischen Traditionsliteratur

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den Text wird der andere Text zunächst in jedem Fall als Autorität aufgerufen. Der rezipierende Text wird so neben den (bereits) akzeptierten Text gestellt, und es wird behauptet, dass es sich bei der Benutzung um eine legitime Auslegung handelt. Man suchte also bspw. anzuknüpfen an die Akzeptanz, die die Tora und die erwähnten Prophetenbücher bei den intendierten Adressaten hatten, auch wenn die aktuelle Interpretation dann konkret über die Tora hinausging. Der als akzeptiert vorausgesetzte Text wurde dabei für neue Intentionen instrumentalisiert. Was wir hier vor uns haben, ist nichts anderes als eine Vorform der Halachabildung, die sich an die Tora anschließt, aber über sie hinausgehen und auch eigene Wege gehen kann.

Bei dieser zweiten Form der Bezugnahme handelt es sich um ein Phänomen, das den breiten literarischen Gebrauch religiöser Texte und bereits die Ausbildung quasi kanonischer Texte voraussetzt. Dass wir diese Form der Intertextualität im Esra-Nehemia-Buch besonders häufig antreffen, weist es als Teil einer fortgeschrittenen Phase der Formation der Hebräischen Bibel aus. Als dritte Form der Intertextualität muss man den beiden erwähnten und mit Beispielen versehenen Formen eine kontrastierende Bezugnahme an die Seite stellen. Wiewohl auch diese Form der Intertextualität im Esrabuch mit Sicherheit vorauszusetzen ist, lassen sich kaum konkrete Bezugstexte ausmachen. Die Bezugnahmen dürften allerdings den intendierten Adressaten, die die Diskurse kannten, in denen die Texte standen, deutlich gewesen sein. Esr 1–6 wird sich auf Grundlage der nachfolgenden Analyse bspw. als ein perspektivischer literarischer Text erweisen, der anderen literarischen Konzepten gegenübersteht. Hierbei handelt es sich vor allem um eine perspektivische Auslegung der Tora (mit Jerusalembezug), die sich in Esr 4, aber auch schon in Esr 5f. gegen eine entsprechende andere (auf den Garizim bezogene) Auslegung richtete.105

6. Zur Rückfrage nach der Diachronie Während in der herkömmlichen Methodik die Rückfrage nach der Diachronie mittels Literar- und Redaktionskritik Analyseziel und zugleich Ausgangspunkt aller weitergehenden Fragen ist, muss die Erfassung der Diachronie der biblischen Texte im Rahmen der vorgestellten Methodik mit

Textpassage“ (ebd., 87, Hervorhebung dort). Dies erklärt eine Reihe von Bezügen, wo sich keine regelrechten Zitate finden lassen, doch setzt die Schriftkonformität zumindest voraus, dass es eine inhaltliche Verbindung gibt. Diese kann durch eine konkrete Stelle oder durch die Auslegung eines Zusammenhangs hergestellt werden. 105 Vgl. dazu unten, 85.107f.147, und Heckl, Kultstätte, 90–92. Vgl. dazu die abschließenden Rückschlüsse auf die Situation der Perserzeit unten, 410ff.

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Kap. 1: Einleitung

der Erschließung der Diskurse, zu denen sie gehören, in einen Zusammenhang gebracht werden. Man muss davon ausgehen, dass in der literarischen Geschichte eines Textes vor allem eine aktualisierende Rezeption von Vorlagen sichtbar wird. Die Hinweise auf diese literarische Geschichte, also literarische Probleme und Differenzen in der Überlieferung, auch wenn sie kontrovers erklärt werden, sind über Jahrhunderte tradiert worden. Dies zeigt, dass die Texte in der Antike auch trotz der mehrschichtigen Diskurse und trotz der in ihnen enthaltenen Probleme kommunikativ akzeptabel waren und als sinnvoll angesehen wurden. Trotz der Probleme wurden sie über Generationen hinweg gelesen, interpretiert und kommentiert oder weiter bearbeitet. Inhaltliche und formal inakzeptable Texte wären nicht zu der breiten Akzeptanz gelangt, die sie nicht nur zu den Grundlagentexten von Judentum und Christentum werden ließen, sondern auch ihre Erhaltung sicherten. Ein Teil der philologischen und inhaltlichen Probleme, die wir wahrnehmen, konnte dabei von den antiken Adressaten der Texte mit ihrer Kenntnis der Diskurse und auch der Vorlagen verbunden und verstanden werden. Grundsätzlich gilt, dass auch ein Text, der aufgrund der Verarbeitung eines anderen literarischen Textes entstanden ist, sich dem gestaltenden Willen eines Autors verdankt.106 Dieser war zwar vielleicht nicht in der Lage, sämtliche Aspekte des verarbeiteten Textes zu berücksichtigen, was zu philologischen und inhaltlichen Problemen führte, doch muss gelten, dass ein kohärentes Zusammenspiel der Textbestandteile intendiert ist. Aus diesen Gründen ist die Textanalyse, die dem Text in seiner Kohärenzstruktur folgt und die Argumentationstruktur rekonstruiert, für die Rückfrage nach der Diachronie unerlässlich. Wenn im Zusammenhang von Hintergrundwissen und Intention die Diskurse erfasst werden, zu denen der abgeschlossene Text gehört, ergeben sich auch Rückschlüsse auf die verarbeiteten Vorlagen, deren Kenntnis als Teil des Hintergrundwissens bei den intendierten Adressaten vorausgesetzt wird. Im Esra-Nehemia-Buch ist diese Herangehensweise besonders Erfolg versprechend, da sich in dem Buch durch ihren Stil deutlich bestimmte Textabschnitte abheben und an mehreren Stellen Teiltexte als Quellen thematisiert werden (vgl. Esr 1,1b; Esr 8,36; Neh 7,5). Letztere können als Ausgangspunkte genutzt werden, das hermeneutische Konzept bzw. die hermeneutischen Konzepte in Esra-Nehemia gegenüber den verarbeiteten Vorlagen zu erfassen.107

106 107

Dies habe ich erstmals in Heckl, Kohärenz, ausgeführt. Vgl. zu den Schwerpunkten der Untersuchung unten, 29f.

7. Esra-Nehemia als Historiographie?

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7. Esra-Nehemia als Historiographie? Bis in die Gegenwart wird das Esra-Nehemia-Buch für die Rekonstruktion der nachexilischen Geschichte Israels und des Judentums verwendet.108 Kritische Fragen dazu sind zwar immer wieder gestellt worden, doch wird auch aufgrund des Quellenmangels an der Verwertung von Esra-Nehemia festgehalten.109 Einer Skepsis gegenüber der Auswertung des Buches für die Geschichtsrekonstruktion steht gegenwärtig die These gegenüber, dass die biblischen Autoren die ersten Historiker gewesen seien.110 Über das Verhältnis der verschiedenen biblischen Texte zur Geschichte ist seit den Thesen von U. Cassuto und B. Halpern viel diskutiert worden. Beispielsweise stellte sich Y. Amit zwar gegen die ältere Forschung und ihre Datierung des Ursprungs der Historiographie in die Salomonische Zeit,111 doch überlegte sie dann, ob eine biblische Geschichtsschreibung stattdessen außerhalb des Hofes begonnen habe.112 So sieht sie die Vorstufen der deuteronomistischen Bücher als den Ursprung israelitischer Historiographie und hält sie wiederum für älter als Herodot.113 Die Sicht der biblischen Erzählliteratur als Historiographie und die Annahme einer Nähe zu den griechischen Geschichtsschreibern hat I. Kalimi in Bezug auf die Chronik und auf Esra-Nehemia erneuert. Kalimi hat in mehreren Veröffentlichungen ausgehend vom Vergleich der Chronik mit dem Werk Herodots nachzuweisen versucht, dass es sich bei der Chronik um Historiographie handelt.114 Esra-Nehemia sieht er ebenfalls als wichtiges Zeugnis für die Entwicklung der spätbiblischen Geschichtsschreibung.115 Weniger radikal, aber in der Sache damit übereinstimmend hat H.-P. Mathys überlegt, ob die Chronik sich nun ihrerseits an der griechischen Ge108

Sehr einflussreich war von v. Rad, Geschichtsbild, 24, nach dem der Verfasser „getreulich zeitgeschichtliches Material“ aufgenommen, aber dennoch „der Tatsachenwelt seine aus alter Tradition gespeiste dogmatische Theorie“ entgegengesetzt habe. Zu einer vergleichbaren Schlussfolgerung kam Welch, Chronicler’s Purpose, 155, der das Buch einerseits als „official record of the course of events“ ansah, andererseits „as one of the programmes which were put forward, before the final settlement was reached“ (ebd., 156). 109 Zur Problematik vgl. Grabbe, Introduction, 30f. 110 Vgl. Cassuto, Historiography, 8f.; Halpern, First Historians, 235. Als Überblick über die Konzepte siehe Witte, Geschichtswerke. 111 Vgl. Amit, History, 24. 112 Vgl. Amit, History, 25.27. 113 Vgl. Amit, History, 33. 114 Vgl. Kalimi, Historian, 33.156f. Allgemein zur Geschichtssicht der Chronik in der Forschungsgeschichte vgl. Peltonen, History Debated. 115 Vgl. Kalimi, In the Persian Period, 1. Vgl. auch Talmon, Historiographie, 355, der nach Vergleich mit der Chronik und Haggai/Sacharja die seit Torrey immer wieder infrage gestellte Sicht der Bücher als Historiographie für berechtigt hält.

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Kap. 1: Einleitung

schichtsschreibung und Herodot orientiert.116 Er sieht sie auf einer Stufe mit Hekataios von Abdera, Manetho und anderen.117 J. Blenkinsopp hat noch am Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts die Bedeutung von EsraNehemia als Quelle für die Geschichte hervorgehoben,118 obwohl er auf „inner contradictions, foreshortenings, and idealizations“119 verweist, die in die Rekonstruktion der Geschichte einbezogen werden müssten. J. Weinberg hält die bei der Interpretation der Bücher nötigen „Textumstellungen in den kanonischen Büchern Esra und Nehemia“ für „eher unbedeutend“120. Sie änderten „nichts an der Tatsache, daß die gegebene Anordnung des Stoffes […] grundsätzlich der historischen Wirklichkeit zu entsprechen scheint“ 121. J. Pakkala hielt zumindest die aramäische Tempelbauchronik für eine verlässliche Quelle für das späte 6. Jh. v. Chr. Unlängst hat auch R. Rothenbusch in Anschluss an Blenkinsopp das geschichtliche Interesse der Autoren in Esr 1–6 und deren Absicht einer „Schaffung einer geschlossenen Geschichtsdarstellung von Kyros II. bis Artaxerxes I.“122 hervorgehoben. Legt man den Maßstab der griechischen Geschichtsschreibung zugrunde, so ist es der reflektierte, kritische Umgang eines Autors mit seinen Quellen, der in eine Geschichtsdarstellung einfließt. Besonders die vorhandene Autorperspektive und die Bekanntheit des Autors sind entscheidende Kriterien für die Historiographie. Diese ermöglichen es den Rezipienten, den Autor „mit seinen Ansprüchen beim Wort zu nehmen“. Aus der „Erwartung der Nachprüfbarkeit, der Nachweisbarkeit etc.“ „konstituiert sich die Kategorie der ‚Historizität‘“123. Abgesehen davon, dass offenkundige Anachronismen zeigen, dass es um die Nachprüfbarkeit der Inhalte des Buches, das zudem mindestens 100 Jahre nach den dargestellten Ereignissen abgefasst worden ist, schlecht bestellt ist, verweist Blum darauf, dass der biblischen Traditionsliteratur ein anderes Konzept als der in Griechenland entwickelten Historiographie zugrunde liegt.124 Entscheidendes Kriterium der biblischen Traditionsliteratur sei der „‚unmittelbare[.]‘ Geltungsanspruch“ der Texte, mit einer „‚ganzheitliche[n]‘ Hermeneutik, die elementar auf Identifikation, Einverständnis etc. ausgerichtet“125 sei. Diese Beurteilung lässt die Frage un116

Vgl. Mathys, Chronikbücher, 82. Vgl. Mathys, Chronikbücher, 60. 118 Vgl. Blenkinsopp, Esra-Nehemia, 60. 119 Ebd. 120 Weinberg, Chronist, 10. 121 Weinberg, Chronist, 11. 122 Rothenbusch, Abgesondert, 78. 123 Blum, Historiographie, 72. 124 Vgl. Blum, Historiographie, 73. 125 Blum, Historiographie, 73. Ähnlich sah das bereits Amit, Narratives, 94, die feststellt, dass „the biblical author wants to be believed by the public.“ 117

7. Esra-Nehemia als Historiographie?

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beantwortet, wie sich die biblischen Texte, wenn sie Geschichte erzählen, konkret zur geschehenen Geschichte verhalten. Sind die Texte des EsraNehemia-Buches für die Rekonstruktion der Geschichte Israels daher allenfalls Sekundär- bzw. Tertiärquellen?126 Als Alternative dazu könnte man mit C. Hardmeier die biblischen Texte als Primärquellen der Zeit, in der sie entstanden sind, verstehen.127 Welche Relevanz sie aufgrund der präsentierten Inhalte für die Rekonstruktion der Geschichte haben können, ist dann allerdings auch offen. Theoretisch können die Geschichtserzählungen im Einzelfall der geschehenen Geschichte nahe sein oder sich weit von ihr entfernen. Die vorliegende Untersuchung wird anhand der in den Texten enthaltenen Diskurse auch die Frage nach dem Verhältnis der Texte zur Geschichte beantworten.128

8. Die Schwerpunkte der Untersuchung Das Ziel, die übergreifenden Strategien, mit denen das vorliegende EsraNehemia-Buch seinen Lesern glaubwürdig und akzeptabel gemacht wird, zu bestimmen, wozu auch die Verarbeitung und Rekontextualisierung von literarischen Quellen gehört, kann von den drei bereits genannten 129 Stellen ausgehen, die Bezüge zu anderen Textabschnitten herstellen und auf der synchronen Ebene des Textes auf Quellen bzw. Dokumente verweisen. 1. Esr 1,2b: Der Halbvers leitet das Kyrosedikt ein und hebt hervor, dass dieses im Gebiet des Großreiches veröffentlicht worden sei. Das Edikt spielt innerhalb von Esr 1–6 mehrfach eine Rolle, sodass die ‚Veröffentlichung‘ offenbar vorausgesetzt ist. In Esr 3,7 findet sich auf der Erzählebene ein Verweis auf die Erlaubnis des Königs, in Esr 4,3.11 und 5,13.15b nehmen Figuren darauf Bezug, und in Esr 6,2–5 wird eine Aufzeichnung des Kyrosediktes aufgefunden, die sich allerdings von Esr 1,2–4 unterscheidet. Das Ky126

Willi, Chronik als Auslegung, 215ff., beurteilt die Chronik als tertiäre Geschichtsschreibung, da es in ihr um eine Bewertung der Überlieferung gehe: „Nach der Stufe der Abfassung und der Bewahrung folgte die der Auswertung; dem Propheten und Epitomator trat der Exeget an die Seite.“ 127 Vgl. Hardmeier, Prophetie, 32. Japhet, History and Literature, 168, hebt diesen Aspekt bezogen auf Esr 1–6 ebenfalls hervor. Sie geht davon aus, dass die Texte dennoch auch für die Rekonstruktion der Geschichte aus der erzählten Zeit relevant sind. Darauf, dass die theologischen Ideen des Buches erst verstanden werden müssen, bevor man Rückschlüsse auf die Geschichte ziehen kann, wies zuletzt M. Oeming hin. In Bezug auf das Hauptprojekt des Nehemia-Buches stellt er daher fest, dass „the wall was a highly symbolic sign of the activity and the presence of God in history, for the end of God’s judgment“ (Oeming, Real History, 149). 128 Vgl. zusammenfassend unten, 410ff. 129 Vgl. oben, 26.

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Kap. 1: Einleitung

rosedikt mit seiner Einleitung (Esr 1,1–4) eröffnet damit weitverzweigte Bezüge, die die Tempelbauerzählung (Esr 1–6) umfassen. 2. Esr 8,36 muss sich auf das Schreiben beziehen, welches Artaxerxes (‫ )ארתחשסתא‬Esra mit auf den Weg nach Jerusalem gibt. Auf dieses wird mit dem pluralischen Begriff ‫ דתי המלך‬verwiesen, während in der Überschrift des Schreibens mit ‫ פרשגן הנשתון‬der Dokumentcharakter hervorgehoben wird. Der Begleitbrief bestimmt über die Notiz seiner Aushändigung an die Verantwortlichen der Provinz westlich des Euphrats hinaus das Geschehen in der Esrageschichte, wenn in Esr 8 eine Rückkehr berichtet wird, bei der Gaben an den Jerusalemer Tempel überliefert werden, und Esra anschließend ordnend eingreift und später in Neh 8 die Tora verkündet. Über den Zusammenhang der Esrageschichte hinaus ergibt sich eine Verbindung zur Nehemiageschichte, wo in Neh 2,7–9 ebenfalls erzählt wird, dass nun Nehemia sich vom König Begleitschreiben erbittet, in denen auch die Erlaubnis für den Bau der Stadtmauer und Stadt erteilt wird. Der Zusammenhang wird zusätzlich über die Feststellung in Esr 7,6 hergestellt, dass der König Esra alles gab, was dieser sich von ihm erbeten hatte. Damit erweist sich das Schreiben in Esr 7 von vornherein als Teil einer größeren Komposition und zugleich als Thema der Erzählung. 3. In Neh 7,5 wird ein weiteres Mal auf der inhaltlichen Ebene des EsraNehemia-Buches mit der Existenz von vorgegebenen Dokumenten argumentiert. An der genannten Stelle wird die nachfolgende Liste als existierendes älteres Dokument eingeführt, und zwar als eines, das die Anfertigung einer eigenen Aufzeichnung durch Nehemia unnötig macht. Da sich Esr 2 und Neh 7 über weite Strecken wörtlich entsprechen, wird deutlich, dass von Nehemia der Abschnitt Esr 2 aufgefunden worden ist. Dadurch entsteht ein übergreifender Zusammenhang zwischen Esr 2ff. und Neh 7ff. Die drei Thematisierungen von Teiltexten sind Ausgangspunkte für weitverzweigte Bezüge innerhalb der Haupttexte und im Gesamtkorpus des Buches. Ihnen soll in den drei Hauptkapiteln der vorliegenden Untersuchung nachgegangen werden. An erster Stelle werden die vom Kyrosedikt ausgehenden Bezüge innerhalb der Tempelbauerzählung behandelt. Diese führen teilweise in den Bereich der aramäischen Tempelbauchronik, die seit Langem als literarischer Kern von Esr 1–6 angesehen wird, und stellen Zusammenhänge zwischen dem Kyrosedikt in Esr 1,2–4 und den dort enthaltenen älteren Fassungen des Kyrosediktes her. Zwar wurde in den letzten Jahrzehnten in der Forschung auch der konstruierte Charakter der vermeintlichen Dokumente in der aramäischen Tempelbauchronik aufgezeigt,130 doch 130 Vgl. zur Diskussion der Fragestellung seit der älteren Forschung Kratz, Entstehung. Schwiderski, Handbuch, 381f., hat auf der Grundlage der Formkritik neue Impulse gegeben. Zur Rezeption der These vgl. Grätz, Edikt, 3; Grabbe, Persian Documents, 534.

8. Die Schwerpunkte der Untersuchung

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muss das Zusammenspiel dieser vermeintlichen Dokumente mit ihrem Kontext bestimmt werden, bevor die Bezüge im Gesamtkontext abschließend bewertet werden können. Daher bilden im ersten Hauptkapitel „Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6)“ (S. 32ff.) die Analyse der aramäischen Tempelbauchronik und die Bestimmung ihrer literarischen Funktion (S. 110–171) Ausgangspunkte, von denen aus die Absicht ihrer Präsentation durch den uns vorliegenden Text bestimmt werden kann. Das gilt für ihre Stellung innerhalb von Esr 1–6 und darüber hinaus für das Ganze des Buches. Zu klären ist insbesondere die Frage, wie die gegensätzlichen „Dokumente“ in Esr 4 und Esr 5f. sich zueinander verhalten (S. 171ff). Bei dem zweiten Hauptkapitel „Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem (Esr 7f. und Neh 8)“ (S. 218ff.), in dem zunächst die Funktion des Artaxerxes-Edikts in Esr 7 im Rahmen der Esrageschichte und über sie hinaus bestimmt wird, werden sich ebenfalls formale und inhaltliche Bezüge zur aramäischen Tempelbauchronik zeigen. Das dritte Hauptkapitel „Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition“ (S. 302ff.), das sich mit der Präsentation der Nehemiaerzählung im Esra-Nehemia-Buch beschäftigt, hat als Schwerpunkt die für das Buch insgesamt relevante Wiederholung der Rückkehrerliste, womit wiederum ein direkter Zusammenhang zur aramäischen Tempelbauchronik hergestellt wird.

Kapitel 2

Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Kyros hat nicht nur in der Sicht der biblischen Texte eine Heilswende für Israel bewirkt, er wurde auch in Babylon als Befreier gefeiert1 und von Herodot als Begründer einer neuen Kultur hervorgehoben.2 Wenn das Esrabuch mit einem ‚Edikt‘ (Esr 1,2–4) dieses Königs als einer im Kontext wie ein eigenständiges Dokument hervorgehobenen Passage einsetzt, muss das in der Antike als Paukenschlag aufgefasst worden sein. Dass die Konzeption mindestens von Esr 1–6 sich eng an den Eröffnungstext anheftet, ist zu erwarten.3 Esr 1–6 enthält abgesehen vom sog. Kyrosedikt in Esr 1,2–4 noch weitere Abschnitte, von denen man vermutet hat, dass es sich bei ihnen um eingebettete Quellentexte handelt.4 Vom Kontext heben sich die Rückkehrerliste Vgl. Borger, Historische Texte, 407–410. Vgl. Bichler, Herodots Welt, 258ff. 3 Das Kyrosedikt hatte schon Meyer, Entstehung, 49, als „Machwerk, welches der Chronist […] zu fabricieren nicht unterlassen hat“, angesehen und dies mit dem Vergleich mit dem Dekret in Esr 6 begründet, das er für authentisch hielt. Vgl. zum Versuch einer Evaluation der Historizität der verschiedenen Dokumente Grabbe, Persian Documents, 542– 544. 4 Die Diskussion des 19. und frühen 20. Jh. behandelte vor allem die Frage nach der Authentizität der Abschnitte in Esr 1–7. Meyer, Entstehung, 43, sah jene in Esr 4–7 als authentisch an. Dies hat schon damals C.C. Torrey in Zweifel gezogen. Vgl. Torrey, Ezra Studies, 150f. Er selbst sah sie als angebliche Dokumente und auf einer Linie mit den Texten des Esther- und Danielbuches. Vgl. ebd., 143. Diese Abschnitte seien außer Esr 7 nachchronistische Zusätze (ebd.). Abgesehen von Torrey rechnete man damals grundsätzlich mit einer Verarbeitung von Dokumenten oder zumindest korrekten Informationen. Kritik betraf Fragen der Chronologie der Zeit Esras und Nehemias. So hielt schon Wellhausen, Rückkehr, 169, in Anschluss an Kosters Esr 4 für „wertlos“. Kosters hatte versucht, den ursprünglichen Inhalt der Urkunden zu rekonstruieren. Er sah einen Kern bspw. im Brief des Darius in Esr 6 (vgl. Kosters, Wiederherstellung, 24), den er zur Beurteilung der übrigen Abschnitte heranzog. Vgl. ebd., 25. Ähnlich noch Talmon, Ezra-Nehemiah, 321. Vehement verteidigte die Echtheit noch eimal de Vaux, Decrees, 88ff. Exemplarisch die ältere Forschung diskutierte Kratz, Entstehung, 172ff., anhand der Thesen von Wellhausen und Meyer. Den Quellencharakter untersuchte zuletzt Grabbe, Persian Documents. Er überlegte, bei welchen Texten Authentizität am wahrscheinlichsten ist. Vgl. ebd., 563. Kratz, Komposition, 62, weist auf die formalen Parallelen der eingebetteten Dokumente zu den Ele1

2

1. Das Kyrosedikt und Esr 5f.

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(Esr 2) und die Briefe bzw. die Dekrete in den aramäischen Teilen von Esr 4 und Esr 5f. ab.5 Zwischen diesen dokumentarischen Passagen und Esr 1,2–4 gibt es enge Beziehungen. So dokumentiert die Rückkehrerliste Esr 2 die gehorsame Rückkehr des Volkes, und in der aramäischen Tempelbauchronik wird auf das Kyrosedikt als Erlaubnis des Baus zurückverwiesen, wobei allerdings Differenzen erkennbar sind. Im folgenden Abschnitt der Untersuchung geht es um die Klärung der Frage, welche Funktion die vom Kyrosedikt ausgehenden Bezüge haben. Diese Fragestellung ist noch unabhängig davon, ob die Referenzen auf verarbeitete Quellen zielen oder die Verfasser von Esr 1–6 mit den Querbeziehungen nur den Eindruck erwecken wollten, es seien Quellen enthalten. Das Zusammenspiel zwischen Esr 1,2–4 und den damit im Zusammenhang stehenden Abschnitten ermöglicht es allerdings, festzustellen, ob diese für den Kontext geschaffen wurden oder ob es sich um eingebettete ältere Abschnitte handelt.

1. Das Kyrosedikt und Esr 5f. 1.1. Der Inhalt von Esr 1,2–4 1,2 So spricht Kyros, der König von Persien: Alle Königreiche der Erde hat mir Jhwh, der Gott des Himmels, gegeben. Und er hat mir aufgetragen, ihm ein Haus zu bauen in Jerusalem, das in Juda liegt. 3 Wer unter euch aus seinem ganzen Volk ist, mit dem seia sein Gott. Und er ziehe hinauf nach Jerusalem. Und er baue das Haus Jhwhs, des Gottes Israels. Dieser ist der Gott, der in Jerusalem ist. 4 Und einem jeden, der übrig ist, dem sollen die Leute seines Ortes aufladenb mit Silber und mit Gold, mit Besitz und Vieh zusammen mit der freiwilligen Gabe für das Haus des Gottes, der in Jerusalem ist. a Hier bezeugt die Parallelstelle 2Chr 36,23 anstelle von ‫ יהי‬das Tetragramm. Während man sich kaum ein Szenario vorstellen kann, wie aus dem Tetragramm ‫ יהי‬geworden phantine-Papyri hin, lehnt aber eine Entscheidung über die Authentizität auf dieser Grundlage ab. Er überlegt, ob die literarkritisch erhobenen Kurztexte in Esr 5f. zu den Dokumenten führen: „Je fragmentarischer die Angaben, desto höher die Chancen, daß man es mit authentischer Überlieferung zu tun hat“ (ebd., 63). Zugleich rechnet er auch bei diesen Abschnitten eher „mit der freien, aufs Wesentliche reduzierten Wiedergabe einschlägiger Formulierungen, im Falle der Erwähnung Scheschbazzars in 5,14–16 sogar nur mit der entfernten Erinnerung eines Details“ (ebd.). Während Edelman, Origins, 10, feststellte, „none of the six purported letters and edicts written by Cyrus, Darius, or Artaxerxes I are authentic“, und Yamauchi, Persia and the Bible, 90f., sogar das Kyrosedikt für authentisch hält, sieht Steinmann, Ezra-Nehemiah, 18, die aramäischen Dokumente weitgehend als ursprünglich an. 5 Auch die Liste der Kultgeräte in Esr 1,9–11 wird im Kontext hervorgehoben und mitunter als Quellentext angesehen. Vgl. z.B. Galling, Protokoll, 88; In der Smitten, Esra, 4. Vgl. dazu die Überlegungen unten, 183.

34 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) ist, könnte ein Abschreiber umgekehrt ‫ יהי‬als Abkürzung aufgefasst haben. Zwar kommt ‫ אלהיו‬nahezu immer mit vorangehendem Gottesnamen vor, doch in Esr 7,6 findet sich eine ähnliche personal auf eine Figur (Esra) gerichtete Bezeichnung. Es ergibt sich eine unterschiedliche Bedeutung der Formulierung im jeweiligen Kontext. In der Chronik liegt ein konditionaler Sinn vor. Dort wird es Jhwh anheimgestellt, durch sein Mitsein mit dem Einzelnen für die Rückkehr zu sorgen. Demgegenüber wird in Esr 1,3 die Zusage des Mitseins Jhwhs durch den persischen König ausgedrückt. b Die Entscheidung für die Übersetzung ergibt sich aus der Textanalyse.

Das Kyrosedikt in Esr 1,2–4 (2Chr 36,23) wird mit der Botenformel eingeführt. ‫ כל ממלכות הארץ נתן לי יהוה‬impliziert, dass Jhwh den Perserkönig in die Weltherrschaft eingesetzt hat.6 Bereits die Eröffnung macht damit deutlich, dass die Bezeichnung Edikt für die nachfolgend zitierte Rede des persischen Königs nicht treffend ist. R. Rothenbusch hat den Abschnitt daher als „stark theologisierte Proklamation“7 auf der Grundlage von Esr 6,2–58 angesehen. Diese Beurteilung kann man noch verschärfen. Denn der Text beinhaltet nicht nur die Verkündigung des Willens des Perserkönigs, sondern vor allem sein öffentliches Bekenntnis zu Jhwh.9 Pragmatisch bedeutet die Beauftragung des Perserkönigs durch Jhwh für die intendierten jüdischen Adressaten, dass eigentliche Weltherrscher nicht Kyros oder die persischen Könige waren, sondern Jhwh.10 Der persische König erhält zwar die Herrschaft über alle Königreiche der Erde, doch ist diese von der Beauftragung abhängig. Wenn der persische König als gehorsam gegenüber dem Gott Israels dargestellt wird, wird damit auch die Relevanz der persischen Herrschaft für Israel begrenzt.11 6

So zuletzt auch Rothenbusch, Abgesondert, 108. Rothenbusch, Abgesondert, 108; so in der Tendenz schon Meyer, Entstehung, 49f.; vgl. die Abwägung anhand der verwendeten Begriffe bei In der Smitten, Kyrosedikt, 171, aufgrund derer er Esr 6 die Priorität gibt. 8 Vgl. ebd., 109. 9 So Johnstone, Chronicles, 275. 10 Johnstone, Chronicles, 275: „The gentile emperor acknowledges that the LORD, the personal God of Israel, is truly the cosmic deity.“ Gruen, Persia, 54, fragt: „Grateful Jews huddling under the protection of the powerful prince do not convey the most uplifting image. Would this not simply reinforce the idea of the helpless subordinate nation suffering under oppressive despots and prospering under benevolent autocrats?“ Er kommt ausgehend von einem Vergleich mit Deuterojesaja, wo Kyros erstmals als Werkzeug Jhwhs erscheint, zu dem Ergebnis: „Jews had their own self-image in mind. They were reconceiving their society within a larger Mediterranean empire“ (ebd.). 11 Nach Rothenbusch, Abgesondert, 108, zielt der Text dagegen auf die Weltherrschaft des Kyros: „Aus der nüchternen Verwaltungsnotiz mit dem Befehl des Königs wird dabei eine stark theologisierte Proklamation, in der Kyros, bewegt von Gottes Geist, diesem nicht nur sein Wirken für den Tempel in Jerusalem zuschreibt, sondern seine Weltherrschaft überhaupt (Esra 1,2).“ Doch ist zu beachten, dass die Weltherrschaft des Persers am Anfang steht, um ihn und seine Rolle anschließend mit der Beauftragung in Dienst neh7

1. Das Kyrosedikt und Esr 5f.

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Damit liegt in Esr 1,2 ein Zeugnis jüdischen Monotheismus’ und Universalismus’ vor. In der Hebräischen Bibel wird dies nur an wenigen Stellen so explizit formuliert.12 Das Bekenntnis des Kyros erinnert besonders an das Kyrosorakel bei Deuterojesaja, wo ebenfalls davon die Rede ist, dass der persische König vom Gott Israels erwählt worden ist.13 Die Rede von Kyros als Jhwhs Hirten (Jes 44,28) zielt dort auf die Ausübung der Herrschaft durch den Perserkönig im Auftrag Jhwhs.14 Auch wird behauptet, dass Jhwh Kyros mit Macht ausgestattet hat. Die Beziehung zwischen dem fremden König und Jhwh ist aber in Jes 44f. gegenüber Esr 1 zurückhaltender ausgedrückt, denn es wird festgehalten, dass Kyros Jhwh nicht kennt: ‫אאזרך ולא‬ ‫„ ידעתני‬ich habe dich gegürtet, du aber hast mich nicht gekannt“ (Jes 45,5b). In Esr 1,2 dagegen weiß Kyros nicht nur um Jhwh, sondern er bekennt sich zu ihm und zu seiner Beauftragung durch ihn. 15 Esr 1,2 geht also über Deuterojesaja hinaus. Ein literarischer Zusammenhang zum Deuterojesajabuch legt sich nahe, weil die theologische Zuspitzung in beiden Büchern mit dem persischen König verbunden wird.16 Der Vergleich lässt schließen, dass man das theologische Konzept des Exilspropheten in nachexilischer Zeit weitergedacht hat. Bei Deuterojesaja erweist sich Jhwh im Aufstieg des Kyros indirekt als Herr der Geschichte: „Nun liefert das Kyros-Orakel für diese jhwhistische Deutung der Gegenwartsgeschichte keine streng aus den Fakten deduzierte Begründung – was es ohnehin nicht gibt –, sondern bietet eine solenne, traditionsgestützt argumentierende Jhwh-Rede: In prophetischer Aktualisierung weit ausgreifender israelitischer Überlieferungen auf die aktuelle Exilssituamen zu können. Es geht nicht vordergründig um die Weltherrschaft des Persers, sondern um die bestimmende Rolle Jhwhs und nicht primär um die „Überhöhung und Ideologisierung faktisch ausgeübter Macht“ (Willi, Esra, 48), sondern um deren Inanspruchnahme durch den Gott des Himmels. 12 Vgl. zur Konzeption und Bedeutung der deuterojesajanischen Konzeption für die Religionsgeschichte Israels Achenbach, Monotheistischer Universalismus. 13 Die Eigentümlichkeit des literarischen Konzeptes ist schon Josephus aufgefallen (Ant. XI, 1,2 §5f.). So vermutet dieser – sicherlich aufgrund der inhaltlichen Parallelen –, dass Kyros Jesaja gelesen habe. Vgl. dazu Soggin, History, 203. 14 Nach B. Halpern scheint schon Deuterojesaja in Jes 44,26–28 und Jes 45,1ff. auf eine Proklamation des persischen Königs zur Wiederherstellung Judas zu verweisen. Vgl. Halpern, Historiographic Commentary, 85. 15 „Ganz im Sinne der deuterojesajanischen Prophetie wird Kyros als Beauftragter Jahwes verstanden“ (Gunneweg, Esra, 42). Vgl. schon Bertholet, Esra-Nehemia, 1; Rudolph, Esra-Nehemia, 3. 16 Den Zusammenhang hat schon Josephus (Ant. XI, 1,1 §4) gesehen, der das Edikt um einen Verweis auf das Zeugnis der Propheten ergänzt. Gunneweg, Esra, 41, der Anspielungen auf Jes 41,25; 44,28; 45,1ff.13 sieht. Vgl. auch Williamson, Ezra-Nehemiah, 10; Becker, Esra-Nehemia, 16. Der Bezug zum Jeremiabuch wird unten, 50, behandelt.

36 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) tion bemüht sich DtJes, evident zu machen, dass es Jhwh ist, der hinter dem Aufstieg des Kyros steht: Jhwh allein ist der souveräne Lenker der Geschichte.“17 Dem indirekten Erweis von Jhwhs weltgeschichtlicher Bedeutung wird im Kyrosedikt ein Bekenntnis des Kyros gegenübergestellt. Offensiver als durch eine öffentliche Verlautbarung des Perserkönigs kann die Weltherrschaft des Gottes Israels nicht verkündet werden. Das Bekenntnis des Kyros zu Jhwh als Urheber seiner Weltherrschaft in Esr 1//2 Chr 36 dient dazu, die Behauptung von Deuterojesaja, dass Jhwh in der universalen Geschichte wirksam ist, als Ereignis der Geschichte und damit als erwiesen erscheinen zu lassen. Wie schon bei Deuterojesaja geht es in Esr 1 nicht nur um den Erweis von Jhwhs Handeln in der Geschichte. Vielmehr vollzieht sich wie dort mit und durch Kyros die Heilswende für das Volk Israel. So ist die Beauftragung des Perserkönigs in Esr 1 zuerst für Israel wichtig. Der persische König bekennt sich zu Jhwh und akzeptiert seinen Auftrag, indem er für die Errichtung eines Tempels sorgt. Die Rede von der Errichtung „eines Hauses durch Kyros“ ist dabei der Perspektive des sprechenden Perserkönigs geschuldet. Sie nimmt das verbreitete Motiv des Tempelbaus eines Herrschers nach dessen Machtübernahme auf.18 Der an Kyros gerichtete Befehl, Jhwh ein Haus in Jerusalem zu bauen, war im antiken Kontext aufgrund des vorausgesetzten Hintergrundwissens sofort als Auftrag, einen Tempel zu errichten, zu verstehen. Da die Ortswahl nicht weiter thematisiert wird, wird Jerusalem als selbstverständlicher Ort des Tempels vorausgesetzt. Das Edikt des Königs der Reiche der Erde zugunsten des Gottes des Himmels erweist diesen als Gott der Welt. Die Präsuppositionen, die im Folgenden auch noch einmal in der Umsetzung des Auftrages (V. 3) explizit formuliert werden, lassen es als zwingend erscheinen, dass das Kyrosedikt für jüdische Re17 Leuenberger, Ich bin Jhwh, 26. Nach Achenbach, Kyros-Orakel, 193, handelt es sich um eine Auseinandersetzung mit der persischen Reichsideologie: „Und darum wird im jüdischen Kontext nun jeglichem Universalitätsanspruch eines Reichsgottes ein fundamentales Bekenntnis zum jüdischen Monotheismus entgegengestellt.“ Für „historisch“ im Sinne eines „typical beginning of a typical building inscription“ hält Fried, Land, 50, das Edikt. Doch gerade eine solche Veröffentlichung dürfte angesichts des enthaltenen Bekenntnisses des persischen Königs unmöglich gewesen sein. 18 Vgl. dazu Lux, Tempelbauer, 99–102. Nach VanderKam, Ezra-Nehemiah, 72, hat Eskenazi, Age, bereits das Kyrosedikt so interpretiert, als beziehe dieses sich auf Stadt und Volk: „In order to fit the book of Nehemiah into this theme which is articulated in Ezra she is forced to expand the meaning of the phrase ‚house of God‘ in Cyrus’s decree and in Ezra 6.14 to encompass not only the temple but also the entire city of Jerusalem.“ Vgl. auch Karrer, Verfassung, 60. Doch Eskenazi sieht nur eine durch den Bau der Stadt und durch die Ansiedlung des Volkes geschehene Vervollkommnung des Tempelbaus: „Ezra 7– 10 implies that building the house of God is not limited to structures in stone but refers to the process of building the community itself“ (Eskenazi, Age, 73).

1. Das Kyrosedikt und Esr 5f.

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zipienten verfasst ist. Zwar gehört die Errichtung eines Gotteshauses durch einen Herrscher kulturübergreifend zur Herrscherideologie. Dass dies aber in Jerusalem geschehen soll, und damit der Gott des Himmels mit Jerusalem verbunden wird, ist letztlich nur für jüdische Rezipienten evident. Auffällig ist allerdings, dass der Ort mehrfach wiederholt wird, als wolle man keinerlei Zweifel daran lassen, dass Jerusalem der richtige Ort ist. Zusammen mit der Akzeptanz Jhwhs als Gott der Welt kann die Zuspitzung auf Jerusalem nur so verstanden werden, dass dieser Ort und dieser Tempel das religiöse Zentrum des Himmelsgottes ist. In Esr 1,3f. folgt die Umsetzung des Auftrages, den der König von Jhwh erhalten hat. Erst bei diesen Versen kann man überhaupt von einem königlichen Dekret sprechen. Vorher werden keine Befehle weitergegeben. Die Verse stellen klar, dass es anders, als nach 1,2 eigentlich zu erwarten wäre, nicht um ein königliches Tempelbauprojekt geht. Der König bzw. das persische Reich wird den Tempel nicht selbst für Jhwh bauen. Vielmehr sagt Kyros den Exilierten das Mitsein ihres Gottes zu und fordert sie anschließend zum ‚Hinaufsteigen‘ nach Jerusalem (Esr 1,3a//2Chr 36,23b)19 und dazu auf, das Gotteshaus in Jerusalem zu errichten (Esr 1,3b). In V. 4 werden nach dem Rückkehrbefehl nun weitere Befehle gegeben. Die Männer der Orte, an denen sich die Exilierten aufhalten, sollen aktiv werden. Es ist eine Frage, wie man die Pendens-Formulierung in V. 4a zu interpretieren hat. H.G.M. Williamson hat vorgeschlagen, ‫ אנשי מקומו‬als Doppellesung zu verstehen.20 Es gehe von vornherein nicht darum, dass alle zurückkehren, sondern die verbleibenden Juden sollten den anderen die entsprechenden Gaben mitgeben.21 Obwohl dies am ehesten der historischen Situation der nachexilischen Zeit entsprechen dürfte, ist zu beachten, dass Esr 1,4 als Befehl des Königs formuliert ist und nicht als Situationsbeschreibung. Der Befehl zur Rückkehr gilt allen, auch wenn sich danach nur ein Teil des Volkes auf den Weg macht. Daher kann sich V. 4 nur an diejenigen richten, in deren Orten die Übriggebliebenen des Volkes Israel wohnen, 19 In Esr 1,3 wird das Ziel mit Jerusalem angegeben. Der Schluss der Chronik in 2Chr 36,23 mit ‫ ויעל‬macht bereits den Eindruck, als handle es sich schon um den terminus technicus für die Rückkehr aus dem Exil. Vgl. Johnstone, Chronicles, 275. 20 Vgl. Williamson, Ezra-Nehemiah, 5. 21 Vgl. Williamson, Ezra-Nehemiah, 14. Er begründet das damit, dass ‫ נשאר‬sich hier nur auf die vorher gemeinten Angehörigen des Volkes beziehen könne. Vgl. ders., Composition, 10f. Allerdings impliziert die Phrase ‫ וכל הנשאר מכל המקמות‬die Bevölkerung der Orte insgesamt, weswegen das Übrige auch die übrige Bevölkerung bezeichnen kann. Bickerman, Edict, 88, meint, die Ortsgemeinschaften unabhängig von ihrer Herkunft hätten Unterstützung leisten sollen, weswegen auch „included gentile townsmen“ einen Beitrag geleistet hätten, da selbst „the pious Jews reckoned with the existence (and, thus, the power) of the gods of their neighbors“.

38 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) d.h. an Nichtisraeliten.22 Die Imperfektform ‫ינשאוהו‬, mit der der königliche Befehl ausgedrückt ist, richtet sich an jene, denen der Befehl zur Rückkehr und zum Tempelbau nicht gilt. Dies drückt auch die Semantik des Verbs aus. Das „Heben, Aufladen“ impliziert das Leisten einer Abgabe oder eines Tributes.23 Im Blick ist außerdem der Transport, wodurch man an die Reliefs von Persepolis erinnert wird, auf denen dargestellt ist, wie Vertreter der Völker des Reiches ihre Güter an den persischen Hof liefern.24 Die Interpretation von 1,4a als Abgabe bzw. „Tribut“25 wird dadurch unterstrichen, dass im nachfolgenden zweiten Halbvers von freiwilligen Gaben für den in Jerusalem zu errichtenden Tempel die Rede ist. Die Rückkehrer werden auf Befehl des persischen Königs von der persischen Bevölkerung mit Silber, Gold, Besitz und Vieh ausgestattet. Damit zielt Esr 1,2–4 auf eine Finanzierung des Tempelbaus auf der Grundlage eines durch den persischen König gegebenen Befehls. Die zusätzlichen freiwilligen Gaben für den Jerusalemer Tempel runden den Zusammenhang ab. An dieser Stelle ist zwar nicht deutlich, ob es sich ebenfalls um Gaben der nichtjüdischen Bevölkerung handelt, doch stehen die Gaben dem Bekenntnis des Perserkönigs gegenüber. Nicht nur dieser handelt aus eigenem Antrieb für Jhwh, sondern auch andere. Wenn sich ein Exodusbezug von Esr 1 bestätigt – was durch den Bezug zu Deuterojesaja gestützt wird –, könnte damit ein Zusammenhang zu den freiwilligen Gaben hergestellt sein, die die Israeliten von den Ägyptern erhalten. 26 Mit ihnen würde in Esr 1 tatsächlich eine Art neuer Exodus seinen Anfang nehmen.27 22 Dies spricht auch gegen die Annahme von Rothenbusch, Abgesondert, 110f., der argumentiert, dass das Edikt an das ganze Reich gerichtet sei und deshalb sowohl Juden als auch Nichtjuden meine. 23 In ähnlicher Weise ist das Verb in 2Kön 18,14 und Ez 38,13 gebraucht. So interpretiert auch Gunneweg, Esra, 44, und zeigt einen Zusammenhang mit dem Exodusgeschehen auf: „Wie einst die Ägypter gezwungen wurden, die ausziehenden Israeliten mit Gold und anderen wertvollen Sachen zu unterstützen (Ex 3,21f.; 11,2; 12,35), so sollen nunmehr auch die heidnischen Bewohner des babylonisch-persischen Reiches dem erneut ausziehenden Israel ihren Tribut zahlen.“ Die Finanzierung aufgrund des königlichen Befehls stellt allerdings eher eine Differenz zu den Exodusereignissen dar, wo der König keine Rolle spielt. Auf einer Ebene mit dem Geben der Nachbarn im Exodusgeschehen stehen die freiwilligen Gaben in 4b. 24 Vgl. Koch, Es kündet Dareios, 133ff.; Lux, Mir gehört das Silber, 175, bringt Hag 2,6ff. damit in Verbindung. 25 Gunneweg, Esra, 44. 26 Bertholet, Esra-Nehemia, 2, stellt fest: „[U]nwillkürlich denkt man an den Auszug aus Ägypten, und diese Parallele macht nicht den Eindruck des Originalen“. Vgl. auch das Zitat oben, 38, Anm. 23.

1. Das Kyrosedikt und Esr 5f.

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Als Hintergrund des Abschnittes ist zu berücksichtigen, dass die religiös geprägte Herrscherideologie im Alten Orient weit verbreitet war. Bei den intendierten Adressaten muss dies als bekannt vorausgesetzt gewesen sein. In Bezug auf Kyros und die Vorstellung, dass dieser mit einem für ihn fremden Gott verbunden ist, ist der in Babylon aufgefundene Kyros-Zylinder wichtig.28 In der Inschrift wird die Erwählung des Kyros durch Marduk offenbar auf den Zorn gegenüber Nabonid zurückgeführt. Es handelt sich um ein aus der Perspektive der Mardukpriesterschaft verfasstes Lob des Kyros, das die neubabylonische Königsideologie auf den Perserkönig anwendet. 29 Der Aspekt der Herrschaftsproklamation und die Zurückführung der persischen Herrschaft auf eine Gottheit spielen auch in der Behistun-Inschrift eine wichtige Rolle. Die Versionen des Textes zeigen, dass man mit dem Text die Machtübernahme durch Darius I. in verschiedenen Sprachen im Perserreich bekannt gemacht hat. In ihr wird die Verleihung der Herrschaft an Darius I. durch Ahuramazda verkündet, was offenbar Zweifel an dessen Legitimität ausräumen soll.30 Diesen beiden Beispielen aus der Perserzeit kann man die Rosetta-Inschrift Ptolemäus’ V. (205–180 v. Chr.) an die Seite stellen.31 Darin wird der König entsprechend der ägyptischen Königsideologie als Gott und Abbild des Amun gepriesen und eine Steuerbefreiung für Tempel und Priesterschaft sowie das Volk bekannt gegeben. Die drei genannten Texte aus der Perserzeit und dem Hellenismus zeigen, dass die in Esr 1 vorausgesetzte Bekanntgabe des Kyrosediktes und die enthaltenen Wohltaten vor dem Hintergrund der Herrscherideologie der Großreiche verstanden werden mussten. Der erwähnte Bekenntnischarakter der Rede des Perserkönigs, seine Beauftragung durch Jhwh, die Rede von Israel als Gottesvolk (‫ )מי בכם מכל עמו‬und die ausschließliche Inanspruchnahme des Perserkönigs für das Heil Israels stellen vor diesem Hintergrund die Innovationen dar. Esr 1,2–4 hat die bekannte Königsideologie und die übliche Praxis der Informationsübermittlung in der Antike vor Augen und 27

Zur Differenz vgl. oben, 38, Anm. 23. Der Bezug zum Exodus wird oft registriert. Vgl. u.a. Talmon, Exil, 36; Gunneweg, Esra, 44; Becker, Esra-Nehemia, 16; Myers, EzraNehemiah, 8; Lux, Mir gehört das Silber, 177. Da in Esr 5f. die Propheten Haggai und Sacharja erwähnt werden, wird insbes. Hag 2,16 im Hintergrund eine Rolle spielen: „Der Leser des Esra-Nehemia-Buches wird gleich am Eingang unübersehbar an das Motiv von der Beraubung der Ägypter sowie die bei Haggai erwähnten Gabenströme der Völker für den Tempel von Jerusalem erinnert“ (ebd., 176). Knowles, Pilgrimage Imagery, 73f., hat diese Beobachtungen (vgl. dazu ebd., 57–61) weitergeführt zu der Überlegung, dass in den Texten die Wallfahrt zum Heiligtum im Vordergrund stehe. 28 Vgl. Borger, Historische Texte, 407–410. 29 Vgl. Grätz, Edikt, 219. 30 In §5 heißt es: „Nach dem Willen Ahuramazdas bin ich König. Ahuramazda hat mir die Königsherrschaft verliehen“ (Borger/Hinz, Behistun-Inschrift, 422). 31 Siehe Kaplony-Heckel, Ägyptische Texte, 236ff.

40 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) nutzt dieses Hintergrundwissen in einem für jüdische Adressaten bestimmten literarischen Text. Dabei hat man stark idealisiert und die Vorstellungen von der Inanspruchnahme fremder Könige für Israel, wie sie in Jes 44f. und Jer 43,10 existierten, weiterentwickelt. 1.2. Esr 1,2–4 und seine Parallelen in Esr 1–6 Abgesehen von den beiden Parallelstellen 2 Chr 36,23 und Esr 1,2–4 wird – wie bereits erwähnt – in Esr 3,7; 4,3.11; 5,13.15b und in 6,2–5 auf eine entsprechende Verlautbarung des Kyros Bezug genommen: Nach Esr 3,7 hat er die Erlaubnis erteilt, Zedernholz für den Tempelbau vom Libanon herbeizuschaffen. In Esr 4,3 stellt Serubbabel fest, dass der Tempelbau entsprechend einem Befehl des Kyros erfolgt. In Esr 5,13 verweisen die Ältesten der Juden auf ein Dekret des Kyros zum Wiederaufbau des Tempels. Es schließt sich in Esr 5,14f. ein Bericht über das weitere mit dem Tempelbau verbundene Handeln des Kyros an. Dort geht es um die Kultgeräte des Tempels und ihre Überführung nach Jerusalem. Als Zusammenhang erweisen sich 5,13– 15, da in V. 15b noch einmal abschließend zum Aufbau des Gotteshauses „an seiner Stelle“ aufgefordert wird. Insgesamt handelt es sich bei diesem Abschnitt um eine Paraphrasierung des in Esr 5,13b erwähnten Dekrets, das die Ältesten auf die Frage des Statthalters von Transeuphratene Tattenai wiedergeben. Dieser wendet sich in seinem Schreiben an den persischen König und bittet ihn, die Angaben der Juden über das Dekret zu überprüfen, und tatsächlich findet man dann bei der Nachforschung in den Archiven eine Aufzeichnung (‫ )דכרונה‬über einen entsprechenden Erlass des Kyros in einem medischen Schatzhaus. Dessen Wortlaut wird in Esr 6,2–5 wiedergegeben.32 Esr 1

Esr 5

2 So spricht Kyros, der Kö- 13 Aber im ersten Jahr des nig von Persien: Alle König- Kyros, des Königs von Babel, reiche der Erde hat mir Jhwh, der Gott des Himmels, gegeben. Und dieser hat mir aufgetragen, ihm ein Haus zu bauen in Jerusalem, das in Juda liegt.

Esr 6 2 […] Aufzeichnung: 3 Im ersten Jahr des Königs Kyros

32 Zu den textkritischen Entscheidungen und zu Übersetzungsproblemen sowie den Entscheidungen bei der Übersetzung siehe die Analyse der aramäischen Tempelbauchronik unten, 110ff.

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1. Das Kyrosedikt und Esr 5f. 3 Wer unter euch aus seinem erließ der König Kyros einen ganzen Volk ist, mit dem sei Erlass, dieses Haus Gottes sein Gott. Und er ziehe hin- zu bauen. auf nach Jerusalem. Und er baue das Haus Jhwhs, des Gottes Israels. Dieser ist der Gott, der in Jerusalem ist.

erließ der König Kyros einen Erlass, das Haus des Gottes in Jerusalem betreffend. Das Haus solle erbaut werden als eine Stätte, an der man Opfer darbringt, und (mit) seinen tragenden Grundmauern. Seine Höhe ist sechzig Ellen und seine Breite sechzig Ellen, 4 und drei Schichten von behauenen Steinen und eine Schicht von Holz (sollen sich abwechseln). Und die Aufwendung soll vom Hause des Königs gegeben werden.

4 Und einem jeden, der übrig ist, dem sollen die Leute seines Ortes aufladen mit Silber und mit Gold, mit Besitz und Vieh zusammen mit der freiwilligen Gabe für das Haus des Gottes, der in Jerusalem ist. 14 Und auch die Geräte von Gold und Silber, die Nebukadnezar aus dem Tempel von Jerusalem weggenommen und in den Tempel von Babel gebracht hatte, nahm der König Kyros aus dem Tempel von Babel, und man gab (sie) einem (Mann) mit Namen Scheschbazzar, den er zum Statthalter einsetzte.

5 Auch soll man zurückgeben die Geräte des Hauses Gottes von Gold und von Silber, die Nebukadnezar aus dem Tempel in Jerusalem weggenommen und nach Babel gebracht hat;

15 Und er sprach zu ihm: Diese Geräte nimm (und) geh hin (und) lege sie in dem Tempel von Jerusalem ab, und das Haus Gottes soll gebaut werden an seinem früheren Ort.

man soll (es) zurückbringen, und es soll in den Tempel zu Jerusalem gelangen. Und du sollst es im Hause des Gottes ablegen.

42 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Das Kyrosedikt in Esr 1,2–4 hat also in Esr 5,13–15 und 6,3–5 zwei Paralleltexte.33 Die Abschnitte in Esr 5 und 6 sind sich zwar inhaltlich relativ nahe, enthalten aber gegenüber Esr 1 einige abweichende Informationen. Demgegenüber unterscheidet sich Esr 1,2–4 sehr stark von den anderen beiden Stellen. Im Folgenden sollen die Querverbindungen und Unterschiede zwischen den Abschnitten aufgezeigt werden. Weitere Einzelheiten der Abschnitte in der aramäischen Tempelbauchronik und ihre Verbindung mit dem Kontext werden bei deren Analyse diskutiert.34 Beim Vergleich der inhaltlich parallelen Abschnitte fällt als Unterschied auf, dass die Maße des Tempels und die Einzelheiten des Baus nur in Esr 6 genannt werden. Dort wird außerdem explizit befohlen, die Mittel für den Bau aus dem Schatz des Königs zu nehmen. Die Person des Scheschbazzar wird dagegen ausschließlich in der Wiedergabe des Ediktes durch die Ältesten in Esr 5 erwähnt. Signifikant ist darin die Formulierung ‫ששבצר שמה‬, die eine Distanz ausdrückt.35 Das ist nur aus einem Wechsel der Perspektive erklärlich. Denn es handelt sich in Esr 5,13–15 um die Wiedergabe der Worte der Ältesten durch Tattenai. Die Formulierung soll den Eindruck erwecken, als habe dieser mit dem Namen des Statthalters nichts anfangen können.36 Die Besonderheiten der Textabschnitte dürften mit ihrem jeweiligen Kontext zusammenhängen: 1. Die Einzelheiten des Baus werden in Esr 5,13ff. wahrscheinlich deswegen nicht erwähnt, weil sie zuvor in Esr 5,8 schon vorkamen. Dort beschreibt Tattenai mit der Formulierung ‫והוא מתבנא אבן גלל‬ 33

Auf die drei Versionen weisen Willi, Juda, 51; Halpern, Historiographic Commentary, 85, und Häusl, Schriftrolle, 183, hin. In der Regel wird als Version nur Esr 6,2–5 diskutiert. So schon Meyer, Entstehung 49, der Esr 1 mit dem „authentischen Dokument Ezra 6“ vergleicht. Vgl. z.B. auch Bickerman, Edict, 71f.; In der Smitten, Kyrosedikt, 170; Weinberg, Chronist, 54; Hieke, Esra-Nehemia, 74. Esr 1 hat aber beide Versionen im Blick, was sich an der eigentümlichen Formulierung Esr 1,1bβ ‫ ויעבר קול בכל מלכותו וגם במכתב‬zeigt. Häusl, Schriftrolle, 183, deutet den Unterschied im Wortlaut zwischen 1,2–4 und 5 folgendermaßen: „Dabei kann Esr 5,13–15 damit erklärt werden, dass das Edikt im Munde der Judäer nur in seinen wesentlichen Inhalten wiedergegeben werden soll und nicht der Anspruch erhoben wird, dieses zu zitieren.“ Zum Vergleich von Esr 1,2–4 mit Esr 6,2–5 vgl. auch Japhet, Reality and Ideology, 198ff. Sie vergleicht die beiden Texte und kommt zu dem Schluss, dass nur Esr 6,2–5 zuverlässig die Verhältnisse wiedergebe (ebd., 200). 34 Siehe unten, 110ff. 35 Vgl. Kratz, Komposition, 57. 36 So Kratz, Komposition, 57. Kratz ist allerdings auch der Ansicht, dass die intendierten Adressaten ebenfalls nichts mit dem Namen anfangen konnten: „als einem – dem persischen Beamten wie dem Leser – Unbekannten“ (ebd.). Aufgrund der Tatsache, dass Scheschbazzar nur auf der Figurenebene erscheint, bleibt das in der aramäischen Tempelbauerzählung offen. Siehe dazu unten, 195ff. und außerdem die Analyse von Esr 5f. unten, 134f.

1. Das Kyrosedikt und Esr 5f.

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‫„ ואע מתשם בכתליא‬Und er wird erbaut mit behauenem Stein und es wird Holz in die Wände gelegt“, was er in Jerusalem angetroffen hat. Diese Formulierung muss mit der Vorgabe der Bauweise in der Wiedergabe des Kyrosediktes in Esr 6,4 zusammenhängen. Kontext der Paraphrase des Dekretes und der Wortlaut des Dekretes sind also aufeinander bezogen; Paraphrase und Dekret ergänzen einander und bilden einen literarischen Zusammenhang.37 2. Dass die „Aufzeichnung“ des Edikts in Esr 6,3–5 die Einsetzung des Scheschbazzar zum Statthalter nicht erwähnt, kann damit zusammenhängen, dass diese nicht zum eigentlichen Edikt gehört. Bezieht man Esr 5,13f. ein, so ist von mehreren Handlungen des Kyros die Rede. Die Erlaubnis zum Bau des Tempels steht an erster Stelle, während die Einsetzung Scheschbazzars am Ende steht. Indirekt wird die Richtigkeit der Aussagen der Ältesten aber durch die Thematisierung der Kultgeräte in Esr 6,5 bestätigt. Hier wiederholen sich z.T. die Formulierungen, und die Reihenfolge der Aussagen entspricht sich. Angesichts dessen kann es nicht verwundern, dass Esr 6,5bβ in die direkte Anrede der 2. Sing. mask. wechselt. Offenbar will man andeuten, dass im Edikt ein Verantwortlicher für die Kultgeräte angesprochen ist.38 Damit wird auch die Aussage der Ältesten über die Einsetzung Scheschbazzars zum Statthalter indirekt bestätigt. 3. Die Vorgabe der Maße und Bauweise in Esr 6 bildet einen Zusammenhang mit der im Anschluss (Esr 6,13–15) erzählten Errichtung und Fertigstellung des Tempels. 4. Die Zusicherung der Mittel durch Kyros in Esr 6,4 entspricht dem Befehl des Darius in Esr 6,8ff., sowohl die Kosten des Baus als auch den Unterhalt des Tempels aus den Steuern der Satrapie zu begleichen. Impliziert ist, dass Darius entsprechend den Vorgaben seines Vorgängers handelt bzw. für die Realisierung von dessen Entscheidungen sorgt. Dazu gehört, dass der Tempel explizit als Ort, an dem Opfer dargebracht werden (V. 3: ‫אתר די‬ ‫)דבחין דבחין‬, bezeichnet wird. Darius sorgt mit seinem Edikt für die Bereitstellung der Opfer (V. 9). Die beiden Versionen des Kyrosediktes in Esr 5f. und das Edikt des Darius sowie der Kontext bilden einen literarischen Zusammenhang, der auch die Richtigkeit der Aussagen der Ältesten bestätigen soll.39 Die Entscheidung des Kyros wird als gültig akzeptiert und durch ein neues Dekret be37 Die Schwierigkeiten, die die Kommentare bei der Interpretation von Esr 6,4 sehen, sind nicht gegeben, wenn man annimmt, dass das angebliche Edikt eine Einheit mit dem Kontext bildet. Vgl. dazu weiter die Analyse von Esr 5f. unten, 110ff. 38 Damit wird die These von Gunneweg, Esra, 108, rezipiert. Vgl. dazu unten, 142. Bei den Versionen, die die 3. Person bezeugen, handelt es sich am ehesten um Glättungen. 39 Dass der Abfassung von Esr 1,2–4 die anderen Abschnitte zugrunde liegen, wurde immer wieder angemerkt. Warum die drei unterschiedlichen Texte nebeneinandergestellt

44 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) kräftigt. Esr 5,13–15 und 6,2–5 sind Teile eines literarischen Gesamtkonzeptes. Die wichtigste Besonderheit von Esr 1,2–4 gegenüber den anderen beiden Fassungen (Esr 5f.) ist, dass sich Kyros nur in Esr 1 als von Jhwh berufen vorstellt. Die Eröffnung mit dem Bekenntnis zu Jhwh, die Erwähnung seiner Beauftragung und seines Gehorsams gegen den Gott Israels fehlen in den Versionen des Edikts in der aramäischen Tempelbauchronik. Dort wird auch die Rückkehr der Juden aus dem Exil nicht explizit thematisiert. Allenfalls in der Erwähnung der Überführung der Tempelgeräte durch Scheschbazzar in Esr 5 könnte man diesen Aspekt angedeutet sehen.40 Auffällig ist, dass auch die Tempelgeräte in Esr 1,2–4 nicht vorkommen, obwohl sie in Esr 5 und 6 eine wichtige Rolle spielen.41 1.3. Esr 1,2–4 und sein nachfolgender Kontext Der Wortlaut und die inhaltlichen Einzelheiten der beiden Versionen des Kyrosediktes in Esr 5f. hängen offenbar direkt mit ihrem Konzept der aramäischen Tempelbauchronik zusammen. Entsprechend ist auch bei den Besonderheiten des eigentlichen Kyrosediktes (Esr 1,2–4) zu vermuten, dass dessen Kontext dafür verantwortlich ist. Die enge Verbindung der Versionen des ‚Ediktes‘ mit dem jeweiligen Kontext lässt bereits erkennen, dass es sich nur scheinbar um zitierte Quellentexte handelt.42 Bei Esr 1,2–4 war das bereits durch den Inhalt selbst wahrscheinlich. Es handelt sich bei dem Abschnitt um einen literarischen Text, der für jüdische Adressaten bestimmt gewesen ist. Im Folgenden geht es um den Zusammenhang zwischen Esr 1,2–4 und seinem Kontext. Ein sehr enger Zusammenhang zwischen dem Kyrosedikt und dem nachfolgenden Kontext zeigt sich daran, dass in den V. 5f. eine genaue Ausführung der Forderung des Perserkönigs berichtet wird. Es machen sich Angehörige des Volkes auf, um den Tempel zu bauen, und die „ganze umliegende Bevölkerung“ unterstützt sie mit Geräten aus Silber, Gold, Besitz, Vieh und Kleinodien. H.G.M. Williamsons Annahme, dass in Esr 1,4 ursprünglich an die Gaben der in Babylon verbleibenden Israeliten gedacht gewesen werden, ist eine wesentliche Frage für die Interpretation des Esra-Nehemia-Buches insgesamt. 40 Vgl. Halpern, Historiographic Commentary, 86. 41 Dies führte Halpern zu der Vermutung, dass Esr 1,2–4 das Edikt des Kyros nur teilweise wiedergibt. Vgl. Halpern, Historiographic Commentary, 89f. 42 Vgl. dazu oben, 40ff. Dies bestätigt die Schlussfolgerungen zu den enthaltenen Briefen, die D. Schwiderski auf der Grundlage einer formkritischen Untersuchung getroffen hat. Vgl. Schwiderski, Handbuch, 381. Entsprechende Thesen wurden schon im 19. Jh. von W.H. Kosters vertreten. Vgl. dazu Tomes, Conjuring, 51.

1. Das Kyrosedikt und Esr 5f.

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sei,43 wird durch den Zusammenhang sehr unwahrscheinlich. Denn seine Interpretation setzt voraus, dass Esr 1,2–4 vor seiner Einbindung in den Kontext nicht nur unabhängig existiert hat, sondern auch anders verstanden wurde, als diejenigen, die den Anschluss in Esr 1,5f. geschaffen haben, es verstanden. Zusätzlich zu diesen Gaben der Bevölkerung werden in Esr 1,6b – wie in Esr 1,4b vorgegeben – freiwillige Gaben übergeben. Dabei liegt eine wörtliche Aufnahme vor. Signalisiert wird so, dass im nachfolgenden erzählerischen Kontext eine Realisierung des Dekretes bis in die freiwilligen Aspekte erfolgt. Auch der nachfolgende Kontext von Esr 1,2–4 weist Bezüge zu Esr 5f. auf. Ein Teil der im Kyrosedikt in Esr 1,2–4 gegenüber Esr 5f. fehlenden Elemente findet sich im weiteren Kontext von Esr 1: In Esr 1,7–11 wird dargestellt, wie Kyros die Tempelgeräte aus dem Tempel in Babylon herausbringt, über die mitgeteilt wird, dass Nebukadnezar sie aus Jerusalem geholt und in das Haus seines Gottes gebracht habe. Sie werden Scheschbazzar ausgehändigt, der sie nach Jerusalem bringen soll. Die Übergabe erledigt ein Beamter, der „sie Scheschbazzar vorzählte“ (‫ – ויספרם לששבצר‬Esr 1,8b). Diese Zwischenbemerkung signalisiert eine weitgehende Vertrautheit des Textes mit dem Geschehen und soll damit offenbar den Eindruck von Authentizität wecken. Das Vorzählen steht direkt mit der nachfolgenden Liste, die das Kapitel abschließt, und ihrer Einführung im Zusammenhang.44 Die Thematisierung der Kultgeräte nimmt die beiden parallelen Passagen Esr 6,5 und Esr 5,14f. auf. Bei der Verarbeitung der aramäischen Tempelbauchronik in Esr 1 musste der Verfasser auch den aramäischen Text in das Hebräische übertragen. Er hat dabei das aramäische ‫ נפק‬Haf. durch das hebräische ‫יצא‬ Hif. ersetzt und so eine zusätzliche Anspielung auf das Exodusgeschehen erreicht. Scheschbazzar wird aus der Paraphrase des Edikts (Esr 5,14f.) übernommen. Dabei wird mit ‫ הנשיא ליהודה‬das Profil Scheschbazzars gegenüber Esr 5,14 geschärft.45 Wenn dieser in Esr 1,8 als Fürst Judas bezeichnet wird, so interpretiert das Esr 5,14, wo Scheschbazzar zum Statthalter ernannt wird. Ebenso werden mit dem Vorzählen der Kultgeräte durch Mitredat (1,8) und der Liste (1,9–11) die Informationen aus Esr 5f. ergänzt. Ein enger Zusammenhang zwischen Esr 1,2–4 und dem nachfolgenden Kontext sowie zwischen diesem und dem Abschnitt der aramäischen TempelbauVgl. Williamson, Ezra-Nehemiah, 14. Siehe dazu auch oben, 37. So Bach, Esr 1, 57, der freilich annimmt, dass die Verarbeitung einer Quelle den Verfasser zu der Formulierung genötigt hat: „Sie ist die Ursache für die Wahl des Wortes ‚darzählen‘; sie ist es gewiß auch, die den Verfasser zwingt, die Zitierung von Esr 5,14 zu unterbrechen – und sie wird dann vermutlich auch die Quelle sein, der der ‚Schatzmeister Mitredat‘ entstammt.“ 45 Kratz, Komposition, 58, weist auf den Unterschied zu Esr 5,13–16 hin. 43

44

46 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) chronik, die offenbar interpretierend aufgenommen worden ist, ist insgesamt ersichtlich. Obwohl Esr 1,2–4 die Handlung von Esr 1–6 insgesamt eröffnet und bestimmt, deutet sich eine literarische Priorität von Esr 5f. gegenüber Esr 1 an. Die Weitergabe der Kultgeräte über den Beamten (1,8) und die Bemerkung über ihr Vorzählen versehen die Informationen aus Esr 5f. mit zusätzlichen Einzelheiten. Das dient dazu, die Liste der Kultgeräte vorzubereiten und mit Autorität zu versehen. Der nachfolgende Kontext von Esr 1,2–4 verwendet also Informationen aus den beiden Versionen des Ediktes in Esr 5f. und ist seinerseits eng mit dem Kyrosedikt verzahnt. Die Schärfung des Profils von Scheschbazzar und die Präsentation von Einzelheiten gegenüber Esr 5f. zeigt, dass der literarische Kontext von Esr 1 den literarischen Gesamtzusammenhang von Esr 5f. nicht nur verarbeitet, sondern auch mit Interpretamenten für den älteren Zusammenhang versehen hat. Eine ähnliche Funktion deutet sich bei den Stellen an, wo auf das Kyrosedikt zurückverwiesen wird: Esr 3,7 bezieht sich auf eine Erlaubnis des Kyros (‫)כרשיון כורש‬. Das kann sich nur auf das Edikt zurückbeziehen, doch geht es bei den Vorbereitungen in Esr 3,7 zunächst um die Beschaffung von Holz aus dem Libanon, das man nutzen kann, und zwar, ohne dass dabei von einer Bezahlung die Rede ist. Dafür findet sich kein Hinweis in Esr 1,2–4. Dies könnte Esr 6,4 im Blick haben, wo die Bauweise („... eine Schicht Holz“) vorgeschrieben und zugleich zugesichert wurde, dass die Aufwendungen vom König übernommen werden sollen. Der Rückbezug suggeriert, dass die Nutzung des Holzes bereits durch das Edikt in Esr 1 abgedeckt ist. Umgekehrt verweisen Serubbabel, Josua und die Häupter der Sippen in Esr 4,3 auf den Befehl des Kyros, dass nur sie bauen dürften. Beachtet man den Kontext von Esr 4, wo es um die Zugehörigkeit zu Israel geht, so kann es sich dabei nur um einen Rückverweis darauf handeln, dass die Angehörigen des Gottesvolkes nach Jerusalem ziehen sollen, um den Tempel zu errichten. Esr 1,2–4 war also ursprünglich keineswegs ein unabhängiger Text, und es handelt sich dabei schon gar nicht um ein eingebettetes Dokument.46 Der Abschnitt ist inhaltlich eng mit seinem Kontext verzahnt, und er ist für die46 Vgl. aber bspw. Bickerman, Edict, 102–106, der auf Parallelen in aramäischen und römischen Texten verweist und Esr 1,2–4 daher als den genuinen Wortlaut des Kyrosediktes ansieht. Auch Myers, Ezra-Nehemiah, 5, hält Esr 1 für authentisch. Der als Argument angeführte Kyros-Zylinder zeigt das Gegenteil. Denn auch bei diesem handelt es sich um Tendenzliteratur und nicht um ein Dokument des Perserkönigs. Vgl. Borger, Historische Texte, 407–410. Seit dem 19. Jh. überwiegt allerdings doch die Skepsis dem Text gegenüber. Vgl. schon Meyer, Entstehung, 49, und die Übersicht über ältere Positionen bei Torrey, Ezra Studies, 144. Eine vermittelnde Sicht hat zuletzt Grabbe, Persian Documents, 544, eingenommen, der das Kyrosedikt als Ausdruck einer persischen Erlaubnis, nicht aber als Dokument für authentisch ansieht. Ähnlich Soggin, History, 204, der es als „apokryphi-

1. Das Kyrosedikt und Esr 5f.

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sen geschaffen worden. Zu vermuten ist von daher bereits, dass die besondere Hervorhebung der Rückkehrerschaft innerhalb von Esr 1,2–4 und ihrer Verantwortung für den Bau des Tempels auf die Rückkehr und den Vollzug des Baus durch die Rückkehrer abzielt (Esr 2f.). Darüber hinaus zeigt sich, dass Esr 1,2–4 mit seinem literarischen Kontext auf die entsprechenden Abschnitte der aramäischen Tempelbauchronik vorausverweist, sie dabei aber gleichzeitig voraussetzt und ergänzt hat. Esr 1,2–4 fußt also seinerseits auf der aramäischen Tempelbauchronik und auch der Kontext des Kyrosediktes steht mit Esr 5f. in einem engen Zusammenhang. Wie man das Zusammenspiel der drei Textabschnitte und der anderen Erwähnungen des Kyrosediktes verstehen soll, muss weiter geklärt werden. Zusätzliche Hinweise ergeben sich aufgrund der Kontextualisierung des Edikts durch den Einleitungsvers Esr 1,1. 1.4. Die Einführung des Edikts (Esr 1,1) und der Zusammenhang mit der Chronik Die theologisch aufgeladene und mit der Verkündigung Deuterojesajas und dem von ihm entwickelten theologischen Konzept des Monotheismus verbundene Selbstvorstellung des Kyros in Esr 1,2 spricht gegen die Möglichkeit, dass der Text in dieser Form vom persischen König geäußert worden sein könnte.47 So kann es nicht verwundern, wenn Esr 1,2–4 eng mit dem Kontext verwoben ist. Doch bereits die Einführung des Ediktes (Esr 1,1//2 Chr 36,22) erweist den nachfolgenden Abschnitt als theologischen Text: Und im ersten Jahr des Kyros, des Königs von Persien, um das Wort Jhwhs ausa dem Munde Jeremiasb zu erfüllen, erweckte Jhwh den Geist von Kyros, dem König von Persien. Und er ließ Folgendes mündlich in seinem ganzen Reich umhergehen und auch in schriftlicher Form. a 2Chr 36,22 liest ‫ בפי‬und gleicht dabei an den vorangehenden Vers an. Eine Buchstabenverwechslung ist möglich. Der Chronik folgt offenbar auch 1Esdras. b Die Parallelstelle hat die in der Chronik übliche Schreibweise des Namens ‫ירמיהו‬. Die Kurzversion von Esr 1,1 entspricht der Schreibung einer Person in Neh 10,3; 12,1.12.34.

Das Buch beginnt mit der Datierung einer Handlung des Perserkönigs Kyros. Eine Phrase mit ‫( עבר‬hif.) und ‫ קול‬bezeichnet u.a. in Ex 36,6; 2Chr 30,5; Esr 10,7 und Neh 8,15 öffentliche Bekanntmachungen. 48 Der Eröffnungsvers führt die Bekanntmachung darauf zurück, dass Jhwh den Geist cal“ bezeichnet und es als „a paraphrase of the decree, made by the author of the text in his own words“ ansieht. 47 Grabbe, Persian Documents, 543, stellt fest, dass „they are precisely what we would expect from a Jewish writer inventing a decree to support his theology.“ 48 Johnstone, Chronicles, 274, sieht aufgrund der Formulierung und wegen des Themas der Freilassung einen Zusammenhang mit Lev 25,9.

48 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) des Kyros erweckt habe. Dieser wird dadurch nicht nur als ein Werkzeug Jhwhs ausgewiesen, sondern als ein von Jhwh zum Heil Israels eingesetzter König, eine Vorstellung, die traditionsgeschichtlich ebenfalls mit den bereits erwähnten Passagen des Deuterojesajabuches in einem Zusammenhang steht. Was Deuterojesaja angekündigt hat, erscheint im Bericht über ein königliches Edikt. Gegenüber der prophetischen Perspektive in Jes 44f., die auf die Zukunft gerichtet ist, wird in Esr 1,1 auf ein Geschehen der Vergangenheit zurückgeblickt. Während in Jes 44f. schon aufgrund der prophetischen Rede relativ offen formuliert ist, sollen die intendierten Adressaten in Esr 1,1 es als Ereignis der Vergangenheit und als Geschehen, das die ihnen bekannte Wirklichkeit bestimmt, begreifen, weil Jhwh, der Gott der Welt zugunsten Israels in die Geschichte eingegriffen hat. Gebunden ist es an die Verkündigung des Jeremia, dessen Prophetie mit Esr 1,1ff. als erfüllt gilt. Während dies die Aussageabsicht des Textanfangs ist, sind die Rückkehr der Exilierten und der Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem Informationen, die bei den intendierten Adressaten vorausgesetzt werden. In dem Rahmenvers Esr 1,1 geht es abgesehen von der theologischen Deutung der Vergangenheit auch darum, wie die Verlautbarung des Kyros veröffentlicht worden ist. Der bereits erwähnte Text der Behistun-Inschrift zeigt,49 dass man ideologische Texte, die Ansprüche auf die Herrschaft enthielten, tatsächlich im Reich bekannt gemacht hat. In Esr 1,1 geht es um eine Bekanntgabe des Textes in mündlicher (‫ )ויעבר קל‬und schriftlicher (‫וגם‬ ‫ )במכתב‬Form. Zwei Wege der Veröffentlichung werden hier parallel erwähnt, was das Gewicht des Textes erhöht, zugleich aber auch erwarten lässt, dass der Wortlaut später noch eine Rolle spielen wird. Das Edikt folgt nicht sofort. Zunächst schließt sich in Esr 1,2aα die sog. Botenformel an. Diese erweist das Edikt als weitergegebene Rede und hat ebenfalls eine Parallele in der aramäischen Version der Behistun-Inschrift.50 Doch dient die Formulierung im Anschluss an die Erweckung von Kyros’ Geist und nach der Erwähnung eines Prophetenwortes dazu, den intendierten Adressaten einen Zusammenhang mit prophetischen Gattungen zu signalisieren.51 In prophetischen Texten werden mit ‫ כה אמר‬Gottesreden eingeleitet. Die Botenformel mit Kyros als Subjekt (‫„ כה אמר כרש מלך פרס‬so spricht Kyros, der König von Persien“) zusammen mit der vorangehenden 49

Siehe oben, 39. Vgl. Bickerman, Edict, 103; Blenkinsopp, Ezra-Nehmiah, 75. 51 Gunneweg, Esra, 42, sieht dies als Nebenaspekt an: „Der Erlaß wird in V 2 mit der Botenformel eingeleitet. Das entspricht der Form des Erlasses als Botschaft, ist also nicht verwunderlich. Dennoch ist zu bedenken, daß auf ähnliche Weise auch Prophetensprüche eingeleitet werden, was zweifellos für damalige Leser, zumal in einer Zeit, da Prophetenbücher bereits Vorlagen und schon auf dem Wege waren, heilige Schriften zu werden, mit anklang.“ 50

1. Das Kyrosedikt und Esr 5f.

49

Feststellung, dass Jhwh den Geist des Kyros erweckt habe, macht daher zugleich auf eine Differenz zu Prophetentexten aufmerksam. Kyros ist zwar nach Esr 1,1 und entsprechend seinem nachfolgenden Bekenntnis gehorsames Werkzeug Jhwhs, doch gesteht man ihm ausdrücklich nicht zu, Jhwhs Prophet zu sein. Er ist zwar in gewissem Sinne Vermittler von Gottes Willen, aber er ist nicht sein Künder.52 Für das Verständnis des theologischen Konzeptes der Präsentation des Kyrosediktes ist der literarische Querverweis zum Jeremiabuch entscheidend. E.A. Knauf hat den Verweis allerdings als „falsches Zitat“ 53 bezeichnet. Ein Bezug liege stattdessen zu Jes 45,1–13 vor,54 wo Kyros erwähnt wird und wo es in 45,13 heißt: ‫„ – העירתהו‬habe ich ihn nicht erweckt?“ Dies hatte zuvor schon H.G.M. Williamson hervorgehoben und weitere mögliche Bezugsverse genannt.55 Allerdings handelt es sich in Esr 1,1bα nicht um ein Zitat aus Jes 45,13. Dafür fehlen sowohl die Identität der Formulierung als auch eine Zitationsformel. Außerdem entsprechen sich die Aussagen ‫העיר‬ ‫ יהוה את רוח כרש‬auf ‫ העירתהו‬auch inhaltlich nicht. Während in Esr 1,1 Jhwh den Geist des Kyros erweckt, sodass ein bestimmtes Geschehen in Gang gesetzt wird, geht es in Jes 45,13 und seinem Kontext generell um die Einsetzung des Kyros. Man kann daher eher von einer anspielenden Bezugnahme auf die Formulierung aus Deuterojesaja sprechen. Denn das Kyrosedikt (Esr 1,2–4) greift ja anschließend ebenfalls auf Jes 44f. zurück.56 Dieser Bezug auf den Exilspropheten, dessen Namen wir nicht kennen, schließt allerdings einen zusätzlichen Verweis auf Jeremia nicht aus. Dies legt sich nahe, wenn man beachtet, dass sich das Wort Jhwhs vom Munde Jeremias nicht unmittelbar mit der Erweckung von Kyros’ Geist erfüllt, sondern erst durch das auf sie folgende Edikt des Kyros und durch dessen Umsetzung. Zusätzlich zu der offenkundigen Anspielung auf Deuterojesaja gibt es also einen Textverweis zum Jeremiabuch, der aber nur mit dem Inhalt der Rede des Kyros und ihrer Verwirklichung zusammenhängen kann und nichts mit der Erweckung des Kyros in Jes 45,13 zu tun hat.57 Ohne den Verweis auf Jeremia (oder bei einem falschen Verweis) könnte man auch an die Aussagen über den Wiederaufbau der Stadt und die Rückkehr der Gefangenen 52 Anders zuletzt Willi, Esra, 50, der ihn aufgrund der Botenspruchformel als „Bote und Künder des Auftrages und Willens JHWHs“ versteht. Doch wird durch die Konstruktion mit dem Namen des Kyros die Differenz betont. Vgl. besonders Jes 45,1. Der prophetische Künder gebraucht die Formel mit Jhwh als Subjekt, um den Willen Gottes zu verkünden. 53 Knauf, Esra, 16. 54 Vgl. Knauf, Esra, 16. 55 Vgl. Williamson, Ezra-Nehemiah, 9f. 56 Siehe dazu oben, 35. 57 Gegen Williamson, Ezra-Nehemiah, 9; Knauf, Esra, 16.

50 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) aus Jes 45,13b denken, die sich durch die Rede des Kyros verwirklichen. Da Esr 1,2–4 den Wiederaufbau des Tempels im Blick hat, wäre möglicherweise auch an einen Zusammenhang mit Jes 44,28 zu denken. Der inhaltliche Verweis auf Jes 45 ist also nicht so treffend, wie man annehmen müsste, wenn der Autor versehentlich ‫ ירמיה‬geschrieben hätte oder Deuterojesaja von ihm Jeremia zugeschrieben worden wäre.58 Angesichts dessen ist es die plausiblere Annahme, dass die Nennung von Jeremia ein bestimmtes, den intendierten Adressaten bekanntes Buch in den Blick nimmt. Esr 1,1 setzt daher voraus, dass mit der Erweckung des Geistes des Kyros ein bestimmtes Wort Jhwhs aus dem Jeremiabuch mit Esr 1,2–4 und seinem nachfolgenden Kontext erfüllt worden ist. Die Annahme eines falschen Zitats würde voraussetzen, dass Esr 1,1 ein unabhängiger Buchanfang ist. Dagegen sprechen der Anfang mit waw-Narrativum,59 die Überlappung mit 2Chr 36,22f. und die umfangreichere Überlappung von 1Esdras mit 2Chr 35,1–36,23. Im Konzept des übergreifenden chronistischen Geschichtswerkes war ganz klar, dass Esr 1,1//2Chr 36,22 sich wie 2Chr 36,21 auf Jer 29,10–14 bezieht. Allerdings hält ein Teil der Forschung heute den Zusammenhang nicht für ursprünglich. T.C. Eskenazi sieht generell keinen Zusammenhang: „Scholars usually interpret the verse as an allusion to a seventy-year limit to exile (Jer 29:10). Such interpretation relies largely on 2 Chr 36:20–22, where Jeremiah’s words are more explicitly defined in conjunction with Cyrus’s decree. Ezra-Nehemiah, however, does 58 Knauf, Esra, 17, nimmt an, dass die existierenden Bücher des Prophetenkanons im Blick seien. Nach Kratz, Jes 40,1f., 258, ergibt sich zwischen Jer 50f. und Jes 40ff. ein „geschlossener, sinnvoller Sachzusammenhang“, und es sei „ein durchgehender Lesezusammenhang“ beabsichtigt. 59 Knauf, Esra, 17, meint zwar, dass der Anfang mit waw-narrativum lediglich Konventionen der Eröffnung von Perikopen folge: „Mit 1,1 gibt sich Esra von vorneherein als Buch zu erkennen, das seinen Anfang ausserhalb seiner selbst sucht, das auslegend prophetenkanonische Literatur fortschreibt, ohne dieser Literatur selbst noch angehören zu wollen.“ Er schlussfolgert, dass Esr 1,1 als Fortsetzung zu 2Kön 25,27–30 verfasst ist. Vgl. ebd. Doch Knauf ignoriert, dass 2Kön 25 sich mit Esr 1,1ff. schlechter fügt als mit 2Chr 35f., da Jeremia nur dort und nicht in 2Kön 24f. erwähnt wird. Seine Überlegung berücksichtigt auch nicht, dass das Jeremiabuch den gleichen Schluss hat wie das zweite Königebuch. Der Rückbezug auf Jeremia und die inhaltliche Veränderung von 2Chr 36 im Gegenüber zu 2Kön 25 stellen eine Harmonisierung zwischen dem Jeremiabuch und dem Schluss des deuteronomistischen Geschichtswerkes dar. Anders zuletzt auch Mathys, Esra und Nehemia, 579: „Esr / Neh kann als Fortsetzung von 2Kön konzipiert worden sein.“ Zur Hervorhebung von Jeremia am Schluss der Chronik siehe Willi, Chronik als Auslegung, 226f. Zuletzt hat Willi, Esra, 45ff., den Charakter des Neuanfangs betont und interpretiert „Und schon im Jahr 1 des Kyros, des Königs von Persien ...“ (ebd., 45). Es trifft zwar zu, dass mit Esr 1 eine neue Epoche im Blick ist, doch versucht man in Esr 1ff. immer wieder einen Anschluss an die vorexilische Zeit herzustellen. Diese Absicht ist auch schon im ersten Vers des Buches erkennbar.

1. Das Kyrosedikt und Esr 5f.

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not make any allusion to these seventy years, either in Ezra 1 or elsewhere.“60 Die richtige Beobachtung, dass die siebzig Jahre in Esr 1–6 nicht thematisiert werden, schließt den Zusammenhang allerdings nicht aus. S. Japhet vertritt die Unabhängigkeit von Esr 1,1 von 2Chr 36 und vermutet, dass 2Chr 36,22f. aus Esr 1 zitiere.61 Allerdings hat sie in den Vorarbeiten zu ihrem Kommentar trotz der Annahme einer Unabhängigkeit von Esr 1,1ff. die Ansicht vertreten, dass ein Zusammenhang zu Jer 29,10–14 vorliege.62 Ähnlich hatte auch T. Willi vermutet, dass „der Chronist erst Esra-Nehemia als eigenständigen, letzten Abschnitt der Heilsgeschichte [...] verfaßt habe und erst danach an das andere Werk, die nachexilische Darstellung der vorexilischen Geschichte, ging“63. Dabei überlegte er, ob „es der Verfasser selbst war, der die Verse II 36,22f. (= Esr 1,1–3aα) seinem Werk anfügte“64. Es wäre „auch an sekundäre Anfügung der beiden Verse II 36,22f. an die Chronik zu denken“65. Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Chronik und Esra-Nehemia lässt sich nur über den Bezug zum Jeremiabuch klären. Ausgehend von Esr 1 und angesichts der entscheidenden Beobachtung von T.C. Eskenazi, dass die siebzig Jahre in Esr 1–6 keine Rolle spielen, muss nach Heilsaussagen für Jerusalem, den Tempel und die babylonische Gola Ausschau gehalten werden. Dafür kommen Jer 29,10–14 und Jer 33,7–13 infrage. In dem Abschnitt in Jer 29 wird zwar die Rückkehr betont, der Tempelbau, auf den das Kyrosedikt zielt, wird jedoch nicht explizit erwähnt. In dem Zusammenhang in Jer 33 dagegen kommt der Tempel im Wiedererwachen des Jubels im vormals wüsten Land und aufgrund der Erwähnung von Opfern im Tempel (33,11) in den Blick. Es geht dort auch um die Erbauung des Landes (33,7) und das Siedeln im Land (33,11), doch wird eine Rückkehr der Deportierten nicht erwähnt. Das Nebeneinander der beiden Stellen macht

Eskenazi, Age, 44. Vgl. Japhet, Authorship, 332; dies., 1&2 Chronicles, 1076; dies., 2 Chronik, 511. Kritisch dazu schon Williamson, Israel, 8f. 62 Vgl. Japhet, Postexilic Historiography, 318. Ich vermute, dass Japhet an der traditionellen Verbindung zwischen Esr 1,1–4 und Jeremiabuch trotz ihrer These eines unabhängigen Esrabuches festhalten wollte. Die Erwähnung Jeremias ist ein eindeutiges Zeichen, dass die Heilsprophetie des Jeremia im Blick ist (zur These von Knauf siehe oben, 49). 63 Willi, Chronik als Auslegung, 181f. 64 Willi, Chronik als Auslegung, 182. 65 Ebd. Den Bezug zum Jeremiabuch diskutiert Willi nicht. Später, in Willi, Juda, 58, beurteilt er den Sachverhalt folgendermaßen: „Die einzige Verknüpfung des Bucheingangs und damit des Buches Esr-Neh nach rückwärts geschieht also durch den Bezug auf das Wort Jeremias, indem es Jer 25,11 und 29,10 gewissermaßen kombiniert.“ 60 61

52 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) deutlich, dass die Identifikation des Bezuges zumindest in dem uns vorliegenden Jeremiabuch nicht eindeutig gegeben ist.66 Blickt man auf den Verweis in 2Chr 36,21, steht dort natürlich die Thematik der Zeit der Verwüstung des Landes mit siebzig Jahren im Zentrum. Aufgrund der Nennung der siebzig Jahre und der Erwähnung des Propheten Jeremia sind ebenfalls zwei Stellen als Bezug möglich: Jer 25,8–12 und Jer 29,10–14.67 Da aber bereits 2Chr 36,20 mit ‫ עד מלך מלכות פרס‬klarstellt, dass die Autorperspektive vom Ende der Zeit der Verwüstung formuliert ist, ist ein Bezug auf Jeremia Jer 29,10 wahrscheinlich. „Denn so hat Jhwh gesprochen: Wahrlich, wenn für Babel siebzig Jahre erfüllt sind, werde ich mich um euch kümmern. Und ich werde aufrichten mein gutes Wort, euch an diesen Ort zurückzuführen.“

Spannenderweise ergibt sich somit für 2Chr 36 und Esr 1 der Abschnitt Jer 29,10–14 als Schnittmenge der Bezüge. Der Zusammenhang der beiden Bezüge ist in der Chronik aufgrund des in 2Chr 36,21–23 durchlaufenden Erzähltextes nicht von der Hand zu weisen, und noch Esr 1,1 signalisiert mit der Eröffnung mit waw-Narrativum einen Zusammenhang zu einem anderen Werk.68 Auch inhaltlich ergibt sich in dem Nebeneinander der beiden Verweisformeln auf das Jeremiabuch ein übergreifender Sinn, denn es wird in 2Chr 36,21 das Verb ‫מלא‬, in 2Chr 36,22 aber das Verb ‫ כלה‬gebraucht. Wie in Jer 29,19 angekündigt müssen siebzig Jahre als eine Zeit, in der das Land unbewohnt bleiben sollte, „gefüllt“ (‫ – למלאות‬2Chr 36,21) werden. Demgegenüber signalisiert der Gebrauch von ‫ כלה‬im nachfolgenden Vers (2Chr 36,22), dass das Wort des Propheten nun „vollendet“ worden ist. 69 Während es im ersten Verweis um die Unheilszeit geht, zielt der zweite Verweis auf die sich anschließende Heilszeit. Mit ‫ דבר יהוה‬in 2Chr 36,22 ist somit das ganze Prophetenwort Jer 29,10 einschließlich der Heilszusagen und wohl auch noch seine Fortsetzung in 66

Kalimi, Historian, 149f., sieht in der Nennung von Jeremia in Esr 1,1 einen Bezug auf Jer 51,11. In dem Vers geht es um den Kampf der medischen Könige gegen Babylon als Rache Jhwhs für [die Zerstörung des] Tempels (‫)כי נקמת יהוה היא נקמת היכלו‬. Zu beachten ist aber, dass im Kyrosedikt keine Rache an Babylon, sondern ein Heilsgeschehen für Israel im Blick ist, weswegen dieser Vers kaum als Bezug für Esr 1 in Frage kommt. 67 Beide Stellen sieht Becking, Continuity, 30, im Horizont von Esr 1. Zusätzlich überlegt er, ob Jer 30f. rezipiert sei. 68 Dies hat schon Movers, Chronik, 13, dargestellt: „Beide Verse stehen im engsten Zusammenhang: V. 21 enthält die Nachweise über die geschichtliche Erfüllung der jeremianischen Weissagung nach ihrem ersten Theile, der Verwüstung des Landes und der Dauer des Exils; V. 22 giebt den Commentar über den zweiten Teil derselben, die verheißene Rückkehr aus dem Exil.“ Eine ähnliche These hat Willi, Juda, 58, vertreten. Siehe oben, 53, Anm. 73. 69 So auch Japhet, 2 Chronik, 511.

1. Das Kyrosedikt und Esr 5f.

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den V. 11–14 gemeint, während mit ‫ דבר יהוה‬in 2Chr 36,21 der Aspekt der siebzig Jahre Unheilszeit im Blick war. 2Chr 36,22f. und Esr 1,1–4 sind entsprechend als eine Auslegung von Jer 29,10ff. zu verstehen:70 Das gute Wort Jhwhs, das Jer 29,10 ankündigt, wird also durch Kyros gesprochen, dessen Geist dafür von Jhwh erweckt worden ist. Diese Verzahnung mit der Heilszusage des Propheten Jeremia erklärt auch, warum man mit der Einführung des Kyrosediktes eine Nähe zu prophetischen Textsorten sucht. Jhwh als Gott der ganzen Welt hat mit seinem guten Wort entsprechend der Prophetie des Jeremia die Geschichte in Bewegung gesetzt,71 und zwar mit Kyros als seinem gehorsamen Werkzeug. 72 Esr 1,1–4 und Esr 1–6 insgesamt rezipieren die Heilszusage aus Jer 29 und müssen daher nicht weiter auf die Dauer der Unheilszeit eingehen, was die Beobachtung von T.C. Eskenazi erklärt.73 Für den Zusammenhang von Esr 1,1 mit dem Schluss der Chronik ergibt sich so, dass Esr 1,1 und damit verbunden das Kyrosedikt nicht vollständig ohne den Kontext der Chronik verstanden werden kann, während 2Chr 36,21 für sich durchaus verständlich ist.74 Esr 1 kann also nicht einfach eine 70 Ich stelle mich insofern gegen die Annahme von Japhet, Williamson und Becking (vgl. Becking, Ezra on the Move, 4), als ich ausschließe, dass 2Chr 36,22f. nur die Verse aus Esr 1,1–4 „borgt“. Das Ende mit dem Kyrosedikt ersetzt die Begnadigung Jojachins und ist ein planvoller Abschluss. Dieser gehört zu demselben Autor, der Esr 1–6 + 7 geschaffen hat, als dem letzten Verfasser am Esra-Nehemia-Buch. Es wird eine Brücke geschlagen, aber bewusst kein übergreifendes Geschichtswerk hergestellt, weil der Schluss mit ‫ויעל‬ programmatisch ist. In der Sekundärliteratur wird immer auf Williamson als Autorität in dieser Frage verwiesen (vgl. Becking, Ezra on the Move, 4), doch ist er mit seiner Schlussfolgerung sehr vorsichtig: „We conclude, therefore, that of all the possibilities still open, the one certainty is that if the Chronicler was not responsible for Ezr.-Neh., he was not responsible for 2 Chr. 36:22f. either“ (Williamson, Israel, 10). Person, Deuteronomistic History, 155f., weist darauf hin, dass „the portrayal of Cyrus is consistent with the portrayal of earlier foreign monarchs as the Lord’s messenger through whom the divine will is manifested.“ Da aber die Literargeschichte des Esra-Nehemia-Buches (mit Wright und anderen) am ehesten ihren Anfang bei Nehemia gemacht hat, die Esrageschichte Esr 8ff. parallel dazu entwickelt wurde und an letzter Stelle erst Esr 1–6 (+ 7) als Anfang davor gesetzt wurde, besteht kein Problem, den gleichen mit dieser Supplementation beschäftigten Autor auch in 2Chr 36 am Werk zu sehen. Siehe dazu die Ergebnisse der Studie unten, 368ff. 71 So versteht Becking, Ezra on the Move, 24 den Vers, obwohl er die Bezeichnung „Theologie“ für das Buch ansonsten ablehnt. 72 Die kompositionelle Funktion von Esr 1,2–4 hat bereits Nykolaishen, Restoration, 194, hervorgehoben. Allerdings überlegt er weiter, ob es sich um eingefügte Dokumente handelt. 73 Siehe das Zitat oben 51, Anm. 60. Allerdings sind in Esr 1 die siebzig Jahre nicht als konkrete Zeitspanne im Blick. Siehe dazu unten, 182. 74 Die Position von Williamson, Israel, 10 (siehe Zitat in Anm. 70) führt zu derselben Schlussfolgerung. Redditt, Dependence, 230f., nimmt an, dass das Kyrosedikt aus 2 Chr 36 von Esr 1 aufgegriffen und fortgeführt worden ist: „Indeed, all the redactor of Ezra-Ne-

54 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Quelle für 2Chr 36 gewesen sein. Da die Betonung Jeremias in 2Chr 36,21 aber zu einer Kohärenzlinie gehört, die weiter zurückreicht, kann man diesen Vers nicht von der Chronik abtrennen. Denn Jeremia kommt bereits in 2Chr 35,25 mit dem Verweis auf die Klagelieder und in 2Chr 36,12 vor, wo die Missachtung seiner Worte als zusätzliches Verhängnis für Zidkija genannt wird. Der Schluss mit dem Verweis auf das Ende des Unheils bildet den Abschluss dieser inhaltlichen Linie. Der Autor der Chronik konnte zur Verbindung des Exilsgeschehens mit der Prophetie des Jeremia auf das Jeremiabuch selbst zurückgreifen. Denn als Abschluss des Jeremiabuches werden in Jer 52 nicht nur die letzten Verse von 2Kön 25 zitiert, sondern die Ereignisse der Exilierung und der Wegführung der Kultgeräte auch ausführlicher dargestellt als in 2Kön 25. Esr 1,1ff. kann man angesichts dessen am ehesten als Bezugnahme auf 2Chron 36,21 verstehen.75 Wie die Überlappung zwischen Chronik und Esra zu interpretieren ist, steht auf einem anderen Blatt, doch ist hier zu bedenken, dass der vermutlich spätere 1Esdras wesentlich früher mit ihr einsetzt und dabei die Bedeutung Jeremias verstärkt sowie den Zusammenhang zwischen der Chronik und der Tempelbaugeschichte vertieft.76 Insgesamt werden an den Verbindungen, die in die Chronik zurückführen, aber auch bei den Bezügen zu Jeremia und zu Deuterojesaja die hermeneutischen Prozesse und Strategien sichtbar, die bei der Herausbildung des Zusammenhangs zwischen den autoritativen Texten des Judentums (dem hemiah did by repeating the destination ‚Jerusalem‘ was to smooth the way for his further elaborations“ (ebd., 231). Diese Möglichkeit besteht. Allerdings wäre der Abschluss eines literarischen Werkes mit ‫ ויעל‬und folglich mit einer Leerstelle und ohne Hinweis auf eine Fortsetzung eigentümlich. So auch schon Williamson, Israel, 9 („quite unnatural“). Jerusalem wird in Esr 1,2–4 vielmehr deswegen viermal erwähnt, weil man diesen Ort hier bereits gegenüber dem konkurrierenden Tempel auf dem Garizim hervorheben will. Daher halte ich es für die einfachere Annahme, dass man in Aufnahme von 2Chr 36,22 das Kyrosedikt in Esr 1,1ff. formulierte und den Anfang des Buches zugleich an den Schluss der Chronik gesetzt hat, um einen Zusammenhang zu markieren. 75 So Kratz, Komposition, 93: „Während Esr 1,1–3 für den Fortgang in Esr-Neh unverzichtbar ist, könnte II Chr 36,22f ohne Weiteres ein Zusatz sein. Allerdings deutet bereits II Chr 36,20f den Herrschaftswechsel an und beruft sich dafür auf die [...] jeremianischen 70 Jahre für Babel […], die in Esr 1,1–3 = II Chr 36,22f die Grundlage für die Errechnung des ersten Jahres des Kyros (in Babel) abgeben. II Chr 36,20f endet mit einem Ausblick auf die von der Tora und den Propheten geweissagte Zukunft, wozu es einer Fortsetzung in Esr-Neh nicht bedarf.“ Kratz wendet sich ausdrücklich auch gegen Abhängigkeitsthesen wie jene von S. Japhet. 76 Williamson, 1/2Chronicler 419, hält 2Chr 36,22f. für sekundär aus Esr 1 übernommen und an den älteren Schluss der Chronik in 2Chr 36,21 angehängt „in order to point up the hopeful elements in the Chronicler’s concluding words“. Dies halte ich für die wahrscheinlichste Erklärung der Überlappung. Doch ist Esr 1 dennoch nicht unabhängig von 2Chr 36,21 zu denken. Anders Williamson, Ezra-Nehemiah, 9f. Vgl. dazu oben, 49.

1. Das Kyrosedikt und Esr 5f.

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späteren Kanon der Hebräischen Bibel) eine wichtige Rolle gespielt haben. Da inhaltliche Unterschiede zwischen Chronik und Esra-Nehemia gesehen werden,77 ist die Frage nach dem Zusammenhang und nach der Intention des bereits auf die Chronik bezogenen Endtextes von Esra-Nehemia noch einmal zu diskutieren.78 1.5. Hermeneutische Strategien im Zusammenhang der Abschnitte Esr 1,2–4; 5,13–16 und 6,2–5 Esr 1,2–4 ist eng mit seinem Kontext verbunden und bezieht sich zusammen mit 2Chron 36,21 auf Jer 29. In Esr 1,2–4 und seinem Kontext sind außerdem Informationen aus der aramäischen Tempelbauchronik verarbeitet worden.79 Es stellt sich nun die Frage, wie sich der Verfasser von Esr 1 das Nebeneinander der drei Textabschnitte vorgestellt hat. Aufgrund des Vergleichs der drei Versionen des Kyrosediktes hat sich bereits angedeutet, dass Esr 5,13–16 und 6,2–5 Bestandteile eines älteren Textes waren, die vom Verfasser von Esr 1 verwendet80 und zugleich zu einem Teil seines Werkes gemacht worden sind. Die Anstrengungen, die in Esr 1 unternommen werden, um die beiden Versionen in Esr 5f. vorzubereiten und sie in einen größeren Kontext zu stellen, zeigen, dass bei den intendierten Adressaten von Esr 1ff. die Kenntnis der literarischen Vorlage von Esr 5f. vorausgesetzt war.81 Dass Esr 1,2–4 ein theologischer Text mit Bezügen zu Deuterojesaja war, konnte den intendierten Adressaten aufgrund ihrer Quellenkenntnis nicht verborgen bleiben. So zeigt die außergewöhnliche Einführung des Ediktes als eines mündlich und schriftlich verbreiteten Textes, dass der Autor versuchte, mögliche Zweifel an der Authentizität seines Textes auszuräumen. Die Formulierung ‫ויעבר קול בכל מלכותו וגם במכתב‬ ‫„ לאמר‬Und er ließ Folgendes mündlich in seinem ganzen Reich umhergehen und auch in schriftlicher Form“ (Esr 1,1bβ) am Buchanfang zeigt, dass der Verfasser keinen vollständig neuen Text schaffen, sondern sich dem Pro77 So zuletzt Grätz, Chronologie, 223, mit Verweis auf „die antisamari(tani)sche Tendenz von Esr 4“, obwohl er „eine übergreifende Redaktion einer chronistischen Hand“ (ebd., 223f.) annimmt. 78 Vgl. unten, 387ff. 79 Die Verarbeitung der Tempelbauchronik nimmt auch Rothenbusch, Abgesondert, 108, an. 80 In der Smitten, Kyrosedikt, 171, hat erstmals auf einen entsprechenden Zusammenhang hingewiesen: „Es hat den Anschein, dass das hebräische Edikt vom Chronisten, dem Esr 6,3–5 in irgendeiner Form vorlag, bearbeitet und gleichsam als Überschrift für seine ganze nachexilische Kirchengeschichte der Juden gestaltet worden ist. Dabei unterstreicht er das Moment ‚Heimkehr‘ und drückt die Zurverfügungstellung persischer Mittel sehr viel verhaltener aus, als dies Esr 6,4 der Fall ist.“ 81 Nur so ist erklärlich, dass die Differenzen nicht ausgeglichen wurden.

56 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) blem des bekannten älteren Textes durch dessen Integration stellen wollte. Die Hinleitung zum Edikt zielt zunächst darauf, dass die spätere Bekanntheit des Ediktes in seiner sofortigen öffentlichen Verbreitung gründet. Zwar setzt Esr 5 voraus, dass das Edikt in der persischen Administration in Vergessenheit geraten ist, doch wird in Esr 3,7; 4,3.11 darauf verwiesen. Diese Verweise stellen einen Zusammenhang her zu der Paraphrase des Ediktes durch die Ältesten der Juden in Esr 5,13–15, sodass indirekt die Bekanntgabe bestätigt wird. Eine spätere Erwähnung des Ediktes erklärt noch nicht hinreichend, warum man von seiner Verkündung in mündlicher und schriftlicher Form, also auf zwei unterschiedlichen Kommunikationswegen,82 spricht. Bedenkt man aber, dass Esr 1,2–4 mit seinem Kontext dazu dient, die Abschnitte in Esr 5f. vorzubereiten, die gleichzeitig die Grundlage von Esr 1 sind, dann kann das Nebeneinander der beiden Kommunikationswege nur diesem komplexen literarischen Verhältnis geschuldet sein. Die mündliche Verbreitung des Kyrosediktes (‫ )ויעבר קל‬wird durch die Ältesten in Esr 5,13–15 wiedergegeben. Auf die Existenz mindestens einer schriftlichen Fassung wird mit der eigentümlichen Bemerkung ‫ וגם במכתב‬verwiesen „und auch in geschriebener Form“. Diese zielt auf den mit ‫„( דכרונה‬das Memorandum“) eingeführten Textabschnitt in Esr 6,2–5. Damit wird Esr 1,2–4 gegenüber seinen Quellen als die authentische, ursprünglich mündlich und schriftlich verbreitete Form des Edikts präsentiert. Da die aramäische Tempelbauchronik die rezipierte Quelle ist, wie sich an deren Verwendung u.a. in Esr 1,7ff. zeigt, hat man der Quelle einen neu verfassten Textabschnitt vorangestellt. Dadurch werden die beiden Versionen (in Esr 5f.) dem neuen Wortlaut des Ediktes mit seinen theologischen Innovationen gegenüber in ihrer Bedeutung relativiert, obwohl oder gerade weil diese zur sog. aramäischen Tempelbauchronik gehörten und damit wohl in einen literarisch älteren Zusammenhang eingebunden waren. Die Bemerkung dient dazu, ihn den intendierten Adressaten, die die Quellen von Esr 1,2–4 kennen konnten, als ursprünglichen und echten Wortlaut erscheinen zu lassen. Zugleich integrierte der Autor von Esr 1 die Erzählung vom Abschluss des Tempelbaus in sein Konzept und lässt die Quelle als Auffindungslegende des Ediktes von Esr 1,2–4 erscheinen, wobei die Versionen an Esr 1 gemessen werden sollen. Der Verweis auf das gegenüber den Juden positive Handeln des Kyros in Esr 5f. gehört zu einer breiten mit ihm verbundenen Tradition.83 Zu dieser gehört das Kyros-Orakel bei Deuterojesaja ebenso wie der Kyros-Zylinder So interpretiert beispielsweise Hieke, Esra-Nehemia, 74, die Redeeinleitung. Zu dem traditionsgeschichtlichen Zusammenhang vgl. Kratz, Translatio imperii, 271–273. 82

83

1. Das Kyrosedikt und Esr 5f.

57

und andere akkadische Propagandatexte, die ihn als gottesfürchtigen Weltherrscher rühmen und ihn als den, der die „Götter des Landes Akkad, Mann und Weib“ „in ihre Heiligtümer zurück“84 gebracht habe, preisen. Vielleicht sollte das Bekenntnis des Kyros zu Jhwh einen innerjüdischen Ableger dieses Traditionszusammenhanges mit der Präsentation des angeblich ursprünglichen Ediktes abschließen.85 Dabei konnte man bei den intendierten Adressaten eine Kenntnis von Praktiken der Verbreitung von königlichen Dekreten voraussetzen, die auch religiös geprägt sein konnten. Das angebliche Dokument geht mit seiner an die nichtjüdische Bevölkerung im Exil gerichteten Aufforderung, die Rückkehrer zu unterstützen (Esr 1,4a), über die beiden rezipierten Fassungen hinaus. Theologisch bedeutsam ist, dass Kyros selbst auf einen an ihn gerichteten Befehl Jhwhs verweist. Beides macht aus Kyros ein Werkzeug Jhwhs.86 Vor dem Hintergrund eines bereits gefestigten nachexilischen Monotheismus wirkt Jhwh direkt auf den fremden König ein, gibt ihm Befehle und dieser gibt sie entsprechend weiter. Gegenüber dem älteren Kontext wird ein neuer Kontext mit einer neuen Kohärenzstruktur hergestellt. Dass man die Quelle im neuen Text präsentiert, muss mit der Bekanntheit und mit der Bedeutung des älteren Textes zusammenhängen. Indem man dessen Inhalte dem angeblich authentischen Text gegenüber nur als mündlich wiedergegebene bzw. protokollierte erscheinen lässt, leugnet man seine Bedeutung nicht grundsätzlich, doch relativiert man sie. Eine solche Eröffnung des Esra-Nehemia-Buches (und parallel dazu der Abschluss der Chronik) deutet bereits an, dass man keineswegs verantwortlich von Geschichtsschreibung bei Esra-Nehemia und in der Chronik sprechen kann. Denn man erweckt lediglich den Eindruck, das Kyrosedikt sei die Quelle des verarbeiteten älteren Textes. Dieses hermeneutische Verfahren sollte bei der Beurteilung des Esra-Nehemia-Buches stärker berücksichtigt werden, weil man Quellenverwendung und -verarbeitung in der Forschung lange für das Buch (und auch für die Chronik) als charakteristisch angesehen hat. Offensichtlich fingiert das Esra-Nehemia-Buch aber wichtige Quellen. Die Analyse muss weiter der Frage nachgehen, welchem Zweck eine Quellenpräsentation oder fingierte Quellenpräsentation dient. Wo es sich um verarbeitete Texte handelt, muss das Zusammenspiel des älteren Textes mit dem Gesamtkontext entschlüsselt werden.

Schaudig, Kyros, 578. Nach Wright, Seeking, Finding and Writing, 284, stellt Esr 1–6 eine Rezeption und Wirkungsgeschichte des Edikts dar, an deren Schluss Esr 1,2–4 steht. 86 Vgl. Johnstone, Chronicles, 274; Hieke, Esra-Nehemia, 72. 84 85

58 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6)

2. Die sog. Rückkehrerliste 2.1. Die Liste als „Quelle“ Echte Dubletten finden sich im Alten Testament nur wenige. Hier haben wir eine. Denn die sog. Rückkehrerliste kommt in Esr 2 und parallel dazu in Neh 7 vor. Mit ihrer Nutzung als Quelle setzte sich schon W.H. Kosters auseinander. „Eines der gewichtigsten Argumente für die Glaubwürdigkeit der Erzählung des Chronisten über die Rückkehr der Verbannten unter Cyrus ist die in dem oben genannten Kapitel vorliegende Liste.“87 Bereits er wies auf das Problem der Einbindung in den Kontext hin, dass nämlich Esr 3,1a in Neh 7,72b als Teil der Liste behandelt wird, weswegen eine der beiden Stellen von der anderen abhängig sein müsse.88 Dabei nahm er an, dass Neh 7 der ursprüngliche Platz der Liste sei.89 100 Jahre später entscheidet man in der Regel umgekehrt.90 Aufgrund der besseren Einbindung in den Kontext sieht u.a. R.G. Kratz91 die Priorität bei Esr 2. J.L. Wright vermutet, dass der Verfasser von Neh 7 sich auf den vollständigen Kontext von Esr 2 bezieht.92 Gunneweg meinte zuvor, dass der Chronist „die Liste an beiden wichtigen Stellen absichtsvoll in seinem Werk als Verzeichnis der Erretteten und der wahren Gemeinde verwendete, und daß derselbe Chr in E 2f. und N 7f. im Anschluß an die wiedergegebene Liste eine ähnliche Fortsetzung verfaßte, ebenfalls um die Parallelität der Vorgänge von Erstheimkehr und endgültiger Konstituierung der wahren Gemeinde deutlich zu machen“ 93. Bei den genannten Überlegungen bleibt offen, warum man in Neh 7 die Liste als Verweis auf die Rückkehr und die Ansiedlung explizit zitiert hat, aber ihre Verwendung durch Nehemia nicht weiter thematisiert wird. 94 Stattdessen geht der zitierte Text mit einer ähnlichen Fortsetzung wie in Esr 2f. in den Erzähltext über, ohne dass darüber weiter reflektiert wird. Der Schlüssel zum Verständnis der Doppelung liegt in der Einleitung der Zitation in Neh 7,5. Dort wird die nachfolgende Liste als rezipierter auKosters, Wiederherstellung, 29. Vgl. ebd. 89 Vgl. ebd., 30. So auch Wellhausen, Prolegomena, 406; vgl. Kittel, Entstehung des Judentums, 27, der das Für und Wider ausführlich diskutiert und sich ebenfalls für Neh 7 entscheidet. Neh 7,72bβ sei (ebd., 30) allerdings eine Glosse. Kritisch schon in der älteren Forschung: Hölscher, Esra-Nehemia, 504; Mowinckel, Studien I, 45. 90 Pohlmann, Studien, 57ff., zeigt die Problematik der Annahme der Nehemiapriorität ausführlich auf. 91 Vgl. Kratz, Komposition, 64. 92 Siehe Wright, Rebuilding, 303. 93 Gunneweg, Esra, 56. 94 Hierbei handelt es sich um eine grundlegende Frage. Die Wiederholung wird sich als Grundelement der Gesamtkomposition erweisen. Siehe dazu unten, 347ff. 87

88

2. Die sog. Rückkehrerliste

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thentischer Text aus einer anderen Quelle erzählerisch plausibel gemacht. Nehemia als Ich-Erzähler hat nach Neh 7,5 vor, eine Versammlung des Volkes einzuberufen, um es nach den Geschlechtsregistern aufzuzeichnen. Doch findet er die in Neh 7 zitierte Liste, weswegen das Vorhaben fallen gelassen werden kann. Da die Liste aber nicht weiter verwendet wird, kann die Zitation in Neh 7 nur dem Nachweis der Echtheit der Liste und der enthaltenen Namen dienen.95 Die Verbindung der Liste mit der Figur des Nehemia bezeugt gegenüber den intendierten Adressaten die Identität von Neh 7 mit der Liste der Rückkehrer in Esr 2. Die intendierten Adressaten sollen aufgrund der Übereinstimmung von Neh 7 mit Esr 2 schließen, dass Nehemia ein zu seiner Zeit existierendes Werk aufgreift. Die Notiz unterstellt nicht nur, dass Esr 2 älter ist als Neh 7, sondern legt auch nahe, dass die Quelle, aus der es entnommen ist und die ja der intendierte Adressat nachlesen kann, zu Nehemias Zeit bereits alt war. Es geht also offenbar darum, Authentizität für einen bestimmten literarischen Zusammenhang aufzuzeigen. Die Übereinstimmung des erzählerischen Rahmens (Esr 3,1a) mit Neh 7,72b – wie auch immer man sie zu erklären hat – signalisiert dem Leser einen direkten literarischen Zusammenhang der beiden Texte und deutet damit an, dass der Ich-Erzähler Nehemia nicht nur eine Liste gefunden, sondern diese aus ihrem vorliegenden Kontext, dem Esrabuch, rezipiert hat.96 Um dies zu erreichen, könnte derselbe Autor, wie Gunneweg meint,97 an beiden Stellen gearbeitet haben. Es stellt sich dann aber die Frage, warum er einen solchen Aufwand betrieben hat. Bei der nochmaligen mehr oder weniger wörtlichen Wiedergabe derselben Liste kann es daher um nichts anderes als um die ausdrückliche Bestätigung des vorliegenden Wortlautes gehen. 98 Dass man den Ich-Erzähler Nehemia die Einzelheiten der Liste bezeugen lässt, setzt voraus, dass diese in irgendeiner Weise in Zweifel standen. An95

Vgl. dazu und zum kompositionellen Zusammenhang der Liste mit der Nehemiaerzählung unten, 308ff. 96 Wright, Rebuilding, 303, stellt fest: „Nehemiah discovers the ‚the book of the genealogies of those who came up first‘ (7:5b), which he employs to enroll the residents of the newly built Jerusalem (7:6ff.), nowhere else than in Ezra 1–6, as Spinoza proposed long ago.“ Der Zusammenhang von Esr 3,1 mit Neh 7,72 markiert ein übergreifendes literarisches Interesse, wie bereits Gunneweg, Esra, 56, festgestellt hat. 97 So Gunneweg, Esra, 56. 98 Keine Erklärung ist es, stattdessen nur die Einfügung der Liste in Neh 7 als Interpolation aufzufassen. So Kellermann, Nehemia, 26. Da Esra-Nehemia bis in das Mittelalter keine unabhängigen Bücher waren, müsste man die Interpolation auch erklären und käme zu dem gleichen Ergebnis. Einfacher und mit dem einführenden Vers gut zu vereinbaren ist die Annahme, dass von Anfang an die hermeneutische Absicht im Hintergrund der Wiederholung stand.

60 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) dernfalls hätte als Querverweis Neh 7,5abα ausgereicht, und die Liste hätte nicht vollständig wiedergegeben werden müssen. Die Frage nach den hermeneutischen Strategien im Hintergrund des Verweises in Neh 7 muss im Kontext des Nehemia-Buches weiter diskutiert werden,99 doch macht die Zitation durch den Ich-Erzähler Nehemia die Frage nach dem Quellencharakter bereits für Esr 2 relevant. Da das Kyrosedikt in Esr 1 schon dazu dient, ältere literarische Quellen zu relativieren, muss man fragen, wie sich die Liste in Esr 2 dazu verhält. Einen verarbeiteten Quellentext sieht man im Hintergrund der Liste in Esr 2 in der Sekundärliteratur fast durchgängig.100 Bereits W.H. Kosters nahm an, dass es sich bei der Liste um eine Gemeindeliste handeln müsse, und verwies auf ‫ ואלה בני המדינה העלים משבי הגולה‬am Beginn der Überschrift. Die Einwohnerschaft von Jehud sei insgesamt größer gewesen. Die Liste enthalte nur die Angehörigen der Gola in Jehud.101 Diese werden in Esr 2,64//Neh 7,66 zusammenfassend als ‫„ קהל‬Versammlung“ bezeichnet, was die Schlussfolgerung einer Gemeindeliste bestätige. G. Hölscher dachte an „ein Verzeichnis der Glieder der judäischen Tempelgemeinde, die man in die Zeit um 400 datieren mag“102, dem eine auf Verlangen eines persischen Beamten (des Tirschatta aus 2,63) angefertigte Liste für die Bestimmung der Steuer zugrunde gelegen habe.103 K. Galling sah eine „nach der Heimkehr der Gola aufgestellte offizielle Liste“, mit der man sich „(im Gegenüber zu den Samariern) in seiner Besonderheit“104 ausgezeichnet habe. Nach A. Alt sollte die Liste die Rechte der Rückkehrer gegenüber denen, die im Lande verblieben waren, sichern. Sie gehe auf Serubbabel zurück.105 W.F. Albright dachte wieder an eine Volkszählungsliste zur Zeit Nehemias.106 J. Weinberg kehrte mit seinem Vorschlag, die Liste gebe die Vaterhäuser der sog. BürgerTempelgemeinde aus der Mitte des 5. Jh. v. Chr. wieder, zu den Thesen von Kosters zurück.107 Wie Kosters sahen Albright und Weinberg die Priorität Siehe unten, 308ff. Vgl. Krüger, Esra 1–6, 72; Klein, Ezra-Nehemiah, 685; zuletzt Rothenbusch, Abgesondert, 88ff. (Lit.). 101 „Der Schreiber giebt also zu erkennen, dass das Verzeichnis, das er hier aufstellt, geschrieben ist in einer Zeit, als Verbannte und Nicht-Verbannte in Juda zusammenwohnten, und dass er eine Aufzählung der Bewohner der Provinz geben will, die zur Gola gerechnet werden müssen, und die Esra 2,64 (Neh. 7,66) ‚die Gemeinde‘ genannt werden“ (Kosters, Wiederherstellung, 32). 102 Hölscher, Esra-Nehemia, 502. 103 Vgl. Hölscher, Esra-Nehemia, 503. 104 Galling, Liste, 92. 105 Vgl. Alt, Rolle Samarias, 335. 106 Vgl. Albright, Biblical Period, 110f. 107 Vgl. Weinberg, Chronist, 62; ders., Citizen-Temple, 49–61; ders., Demographische Notizen. 99

100

2. Die sog. Rückkehrerliste

61

bei Nehemia. Heute tendiert man entweder dazu, in der Liste eine spätere Zusammenfassung mehrerer Einwandererzüge oder eine Steuerliste zu sehen,108 oder man umgeht die Frage. In einer Studie zu Esra-Nehemia hat R. Rothenbusch zuletzt vorgeschlagen, es sei eine Liste der Bevölkerung von Jehud gewesen. Dagegen spricht, dass die Bevölkerungszahl Judas in der Perserzeit wahrscheinlich wesentlich geringer war.109 Dass dieser Deutung auch einige Ortsnamen widersprechen, erklärt er mit der ad-hoc-Hypothese, dass die „Grenzen zur Zeit der Entstehung der Liste noch nicht so klar definiert waren wie später unter Nehemia“110. Die Forschung ist sich damit heute bei der Beurteilung der Liste nicht sicherer als in dem Jahrhundert zuvor. 2.2. Die Rahmung der Liste durch Esr 2,1f.70 1 Und diese sind die Angehörigen der Provinz, die Rückkehrera aus der Gefangenschaft der Exilantenschaft, die Nebukadnezzar, der König von Babel nach Babel weggeführt hatte. Und es kehrten zurück nach Jerusalem und Juda ein jeder in seine Stadt, 2 dieb gekommen waren mit Serubbabel, Jeschua, Nechemja, Seraja, Reeljac, Mordechai, Bilschan, Mispar,d Bigwaj, Rechum und Baanae fals Anzahlfg von Männern des Volkes Israel. [...] 70 Die Priester, die Leviten und hjene aus dem Volkh und die Sänger, die Türhüter, die Tempelsklaven ließen sich in ihren Städten nieder. Und ganz Israel (war) in ihren Städten. a Hinaufziehen ist wahrscheinlich bereits terminus technicus für das Ziehen nach Jerusalem bzw. nach Juda. Die nachfolgende Feststellung, woher man hinaufzieht, und der Attributsatz machen klar, dass es sich bei den ‫ העלים‬um „Rückkehrer“ handelt. Die Formulierung charakterisiert die Bewohner des Landes zwar als solche, geht aber nicht weiter auf die Rückkehr ein. b Anstelle von ‫ אשר באו‬liest Neh 7,6 ‫הבאים‬, was auch von 1Esdr 5,8 bestätigt wird. Es ist wahrscheinlich, dass in Esr 2,2aα ‫ אשר‬+ Perfekt nach waw-Imperfekt als stilistische Verbesserung geschrieben worden ist. c In der Version in Neh 7,6 findet sich zusätzlich nach Reelja ein Nachmani (‫)נחמני‬. Im 1Esdras wird noch ein Ενηνιος genannt. Den Namen Hananja finden wir in EsraNehemia öfter. Dass hier ein anderer Name steht als in Neh 7,6, spricht eher nicht für die Ursprünglichkeit, aber dafür, dass man einen Namen vermisst hat und zwölf Namen erreichen wollte. Vgl. Klein, Ezra-Nehemiah, 685 (summarisch). Berlejung, Geschichte, 160, rechnet für die Mitte des 5. Jh. mit ca. 20.000–25.000 Einwohnern in Jehud. Lipschits, Demographic Changes, 363, kommt auf ca. 30.000. Als Übersicht über die Thesen vgl. Frevel, Geschichte Israels, 808f. Sehr weit ging mit seinen Berechnungen Zwickel, Jerusalem. Er nahm 2000–4000 Einwohner (ebd., 215.217) in der Provinz und lediglich maximal 600 in Jerusalem an. Vgl. ebd., 217. Finkelstein, Jerusalem, 514, rechnete für die persische und frühhellenistische Zeit für Jerusalem mit einem Gebiet von „20 dunams, with a population of a few hundred people“. 110 Vgl. Rothenbusch, Abgesondert, 93. 108

109

62 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) d LXX zu Neh 7,7 fügt nach Μασφαραθ zusätzlich noch Esra ein. e 1Esdr 5,8 liest nach den Namen τῶν προηγουμένων αὐτῶν „ihren Vorstehern“. Das hebräische Äquivalent dazu wäre ‫ראשיהם‬. Dies bezeugt, dass man die Namen als Repräsentanten des Volkes Israel aufgefasst hat. f-f Man kann die Formulierung ‫ מספר אנשי עם ישראל‬als Apposition zu 1,1 ‫ואלה בני‬ ‫ המדינה‬auffassen. Als alleinige Überschrift oder als unabhängige Wiederholung der Überschrift fehlt ein Demonstrativpronomen. Als Apposition signalisiert ‫מספר‬, dass es in der Liste auch um die Zahlen geht, und kündigt die statistische Angabe Esr 2,64 an. Man könnte ‫ מספר‬daher mit „Zählung“ wiedergeben.111 g Da Neh 7,7 anstelle des Namens ‫ מספר‬den Namen ‫ מספרת‬liest, scheint LXX zu Neh 7,7 das Nomen ‫ מספר‬als Namen interpretiert zu haben. Zusammen mit dem eingefügten Esra kommt sie auf vierzehn Namen. h-h Die Formulierung findet sich in Neh 7,72 nach den Sängern und vor den Tempelsklaven. Auch diese Reihenfolge ist nicht logisch. Weder die Version in Esr 2,70 noch jene in Neh 7,72 entspricht der Struktur der Liste, in der die Laien am Anfang stehen und über Priester und Leviten zu den Tempelsklaven und weiteren Gruppen übergegangen wird. 1Esdr 5,45 erweckt mit der Einfügung von ἐν Ιερουσαλημ καὶ τῇ χώρᾳ den Eindruck, als würde in den Städten ganz Israel mit den Sängern und Tempelsklaven wohnen. Dies zeigt, dass man in dieser Version das Nebeneinander von ‫ מן העם‬und ‫כל‬ ‫ ישראל‬zu harmonisieren versucht hat. Abhängig von der Lesart sind die Vorschläge, im ersten Halbvers Jerusalem zu lesen.112 ‫ מן העם‬folgt auf die Priester und Leviten und bezeichnet die Laien.113 Die eigentümliche Formulierung hat eine Parallele in Esr 2,69. Besonders nahe ist signifikanterweise Esr 7,13 im aramäischen Text des Edikts des Artaxerxes: ‫כל מתנדב במלכותי מן עמה ישראל וכהנוהי ולויא למהך לירושלם עמך יהך‬.114

Esr 2,1 ist durch waw-Kopulativum (‫ )ואלה בני המדינה‬als Zwischenüberschrift erkennbar. Aufgelistet werden die Angehörigen der Provinz, wobei ‫ מדינה‬als ein vor allem im Aramäischen gebrauchter Begriff auf Provinzen bzw. Verwaltungseinheiten des persischen Großreiches verweist.115 Als Attribut wird an „die Bewohner der Provinz“ der Hinweis geheftet, dass es sich um Rückkehrer handelt.116 Dies könnte zweierlei implizieren: a) es leben mehr Bewohner in der Provinz als die in der Liste aufgeführten Personen;117 b) die Rückkehrerschaft ist mit der Bevölkerung der Provinz idenVgl. den Gebrauch von ‫ מספר‬in 2Sam 24,9 und dazu Ges18, 705. Z.B. Schaeder, Esra, 17ff.; Rudolph, Esra-Nehemia, 26. 113 So Gunneweg, Esra, 69. 114 Siehe dazu unten, 180. 115 Vgl. Ges18, 633; Fensham, mědînâ. F.C. Fensham überlegt für den vorliegenden Kontext, ob „mědînâ might refer in Ezra ii 1 and Neh. vii 6 to the province from which the exiles returned, viz. Babylonia“ (ebd., 797), doch ist das von den in der Liste erwähnten Orten eigentlich ausgeschlossen. 116 Zu dieser Interpretation von ‫ עלים‬siehe oben die Bemerkung zur Übersetzung. 117 Diesen Aspekt hebt schon Kosters, Wiederherstellung, 32, hervor: „Der Schreiber giebt also zu erkennen, dass das Verzeichnis, das er hier aufstellt, geschrieben ist in einer Zeit, als Verbannte und Nicht-Verbannte in Juda zusammenwohnten, und dass er eine Aufzählung der Bewohner der Provinz geben will, die zur Gola gerechnet werden müssen 111

112

2. Die sog. Rückkehrerliste

63

tisch. Da die Überschrift der Einbettung in den größeren Kontext dient, muss die Frage im Gesamtkontext beantwortet werden. Der Bezug auf die Rückkehrer hängt mit dem Befehl ‫ ויעל‬aus dem Kyrosedikt zusammen, was die Ortsangabe ‫ משבי הגולה‬und der Attributsatz, der auf die Deportation unter Nebukadnezar zurückverweist, unterstreichen. Wie Esr 1,7f. auf Esr 5f. im Gesamtzusammenhang vorgreift und außerdem das Kyrosedikt mit den beiden Abschnitten in Esr 5f. verbunden worden ist, so hängt auch die Erwähnung der Deportation mit der Tempelbauchronik zusammen. Aufgrund der genannten Vorverweise ist es wahrscheinlich, dass Esr 2,1a auf Esr 5,12 vorgreift.118 Verwendet wird als Information ‫יהב המו ביד נבוכדנצר‬ ‫ ועמה הגלי לבבל‬... ‫„ מלך בבל‬er gab er sie in die Hand Nebukadnezars, des Königs von Babel …, und das Volk führte er weg nach Babel“. Ein Vergleich der beiden Stellen bietet Einblick in die Interpretation und Verarbeitung des einen durch den anderen Text: Die Personen der Liste in Esr 2 werden mit der in Esr 5,12 erwähnten neubabylonischen Deportation verbunden. Die Determination (‫ )הגולה‬signalisiert, dass es nur eine Gola gibt und die gleiche Personengruppe im Blick ist. Nach Esr 2,1b kehren die Rückkehrer aus der durch Nebukadnezar weggeführten Gola nach Jerusalem und Juda – ein jeder in seine Stadt (2,1b) – zurück. Dabei ist zu beachten, dass hier nach der Aufbruchsnotiz in 1,5 nicht noch einmal der Weg thematisiert wird.119 Esr 2,1 nimmt also seinen Ausgangspunkt bei der Bevölkerung Jehuds, geht über die Information aus Esr 5,12b zur Deportation über, um in 2,1b die Rückkehrer aus der Deportation in ihre Städte zu bringen und zu dem zu machen, als was sie anschließend in der Liste aufgeführt werden: zu Einwohnern der Provinz. Die V. 1f. bilden aufgrund der grammatischen Verknüpfungen eine Einheit. Zwei Partizipialkonstruktionen (2,1aα beginnt als Attributsatz) sind mit der eigentlichen Überschrift verbunden. V. 2 als abhängiger Satz listet [...]“ Allerdings wird später im Text vorausgesetzt, dass Israel mit der Rückkehrerschaft identisch ist, sodass nur an nichtjüdische Bewohner der Provinz gedacht sein kann. Diesen Aspekt diskutierte zuletzt P.L. Redditt neu, indem er vermutete, dass die Differenz der Zahlen intendiere, dass die Gesamtzahl die Einwohnerschaft von Jehud bezeichne, die Summe der Angaben in der Liste und damit die kleinere Zahl „constituted those responsible for the building of the temple and the restoring of the wall“ (Redditt, Census List, 238). Eine solche Lösung ist verlockend, doch ist zu beachten, dass bei der Nennung der Gesamtzahl in Esr 2,64//Neh 7,66, der Begriff ‫ קהל‬verwendet wird, der im Buch an einer ganzen Reihe von Stellen die sich am Zentralheiligtum bzw. zum Hören der Tora versammelnde Gemeinschaft bezeichnet. Außerdem würde dies in den Konflikt mit der Überschrift geraten, wo die Rückkehrerschaft bereits von einer offenbar größeren Bevölkerungszahl abgehoben wird. 118 Vgl. Rothenbusch, Abgesondert, 90. 119 Man vergleiche stattdessen die Darstellung des Weges am Anfang der Esra- und Nehemiaerzählung Esr 8 und Neh 2.

64 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) eine Reihe von Personen auf, mit denen die ‫ בני המדינה‬gekommen sind. Also ist an so etwas wie an die Anführer gedacht. 120 Die Spitzenstellung von Serubbabel und Jeschua trägt paradigmatischen Charakter. Denn diese Personen sind die eigentlichen Protagonisten in Esr 3–6. Anders als in Esr 3,2 werden sie aber in Esr 2,2 nicht genealogisch eingeführt. Außerdem steht in Esr 2,2 Serubbabel vor Jeschua, dem Priester. Bei den anderen Namen könnte ‫ בגוי‬mit dem Vorstand der Sippe in Esr 2,14 als identisch gedacht sein.121 Die Anzahl der Personen in 2,2 scheint ursprünglich eine symbolische Bedeutung gehabt zu haben.122 Denn man hatte eine Reihe von zwölf Namen im Sinn.123 R.G. Kratz meint, dass die ZwölfZahl im Kontext dadurch erreicht wurde, dass Scheschbazzar nach Esr 1,11 zur Rückkehr der Gola und ihrer Führung gehörte.124 Eine Entscheidung über diese Hypothese hängt davon ab, wo man den Ursprung der Liste sieht und wie man das Verhältnis zwischen Serubbabel und Scheschbazzar bestimmt.125 Wenn man annimmt, dass beide Namen im Endtext des Esrabuches miteinander identifiziert werden, was mitunter vorgeschlagen wird,126 hätte Scheschbazzar keinen Einfluss auf die Zahl, da man dann zwar zwölf Namen, aber nur elf Personen hätte. Die beiden unterschiedlichen Versuche (in Neh 7 und 1Esdr 5), den zwölften Namen wiederherzustellen, belegen das Wissen um die Zwölf-Zahl und sprechen zugleich dafür, dass der Name schon früh ausgefallen ist. In der Abschlussnotiz der Liste ist dasselbe Konzept wie in den Eröffnungsversen erkennbar. Zunächst zeigt der Gebrauch der waw-ImperfektForm ‫ וישבו‬in 2,70a, dass man die vorangehende Liste als Teil der Handlung verstanden wissen will, obwohl die Rückkehr nicht konkret behandelt wird. Sie wurde aber in der Überschrift (Esr 2,1b) so betont, um die anschließende Bewohnerliste zugleich als Rückkehrerliste erscheinen zu lassen. Die Liste enthält entsprechend die Personen und Gruppen, die zurückgekehrt sind und sich in den Orten niedergelassen haben und daher die Angehörigen der

120 Dies hat schon 1Esdr 5,8 so gesehen. Siehe dazu oben, 62. Vgl. auch Gunneweg, Esra, 58. 121 Zur Bedeutung des Namens für die Datierung siehe unten, 73. 122 Vgl. die textkritischen Überlegungen oben, 61f. 123 Vgl. Hölscher, Esra-Nehemia, 504; Gunneweg, Esra, 57; Kratz, Komposition, 64. 124 Vgl. Kratz, Komposition, 64. 125 Siehe dazu unten, 195ff., und zu der These von Kratz unten, 200, mit Anm. 547. 126 Vgl. Schrader, Dauer, 480; Lust, Identifikation, 95; Saebø, Relation, 177. Gunneweg, Esra, 49f., tendierte ebenfalls in diese Richtung: „Auf jeden Fall unternahm der Chr nichts, zwischen beiden Personen und Namen deutlich zu differenzieren.“ Zum Stand der Forschung und zur Diskussion siehe Grabbe, Yehud, 276ff.; Hensel, Serubbabel, zur Intention von Esr 1–6 in Bezug auf das Gegenüber unten, 199f.

2. Die sog. Rückkehrerliste

65

Provinz (‫ )בני המדינה‬sind.127 Im Abschlussvers wird nun nach der Rückkehr noch einmal darauf verwiesen, dass die vorher genannten Personen sich niedergelassen haben, also entsprechend sesshaft geworden sind. Die beiden Narrative mit ‫ שוב‬und ‫ ישב‬bilden somit eine Klammer um die Auflistung der Einwohner, wobei Aufbruch, Weg etc. nicht noch einmal thematisiert werden. Die Formulierung von Esr 2,70 selbst macht wegen des zweimaligen ‫ בעריהם‬den Eindruck, als liege eine Dittographie vor. Von dieser Beobachtung ist der Harmonisierungsversuch von 1Esdras abhängig. Das eigentümliche ‫מן העם‬, das zudem in Neh 7,72 an anderer Stelle steht, zeigt, dass hier bei der literarischen Einbindung gearbeitet worden ist, aber kein flüssiger Text erreicht wurde. Von Jerusalem war in Esr 2,70 ursprünglich sicher keine Rede, und das Konzept von 1Esdras entspricht auch nicht dem nachfolgenden Kontext. Denn erst in 3,1 kommen die Israeliten in Jerusalem zusammen. Man hat beim Abschluss ebenso wie bei den Eröffnungsversen umformuliert. Das beweisen die eigentümliche Verdoppelung der Aussage der beiden Halbverse, die offensichtlich an falscher Stelle nachgetragenen anderen Gruppen der Rückkehrer128 und die Tatsache, dass die Reihenfolge Priester, Leviten, Volk gerade nicht der inhaltlichen Struktur der Liste entspricht.129 Dabei sind die Aspekte der Rückkehr (V. 1f.) und des sich Niederlassens (V. 70) betont worden. Dass es sich aber insgesamt um einen Zusatz handelt, ist auszuschließen, gerade weil die Formulierung zu wenig stringent ist und Probleme enthält. Die Einbindung der Liste in den erzählerischen Kontext durch die Anpassung der rahmenden Verse zeigt, dass die Überlegungen zu Neh 7,5, wo auf der Erzählebene mit der Existenz der Liste argumentiert wird, in die richtige Richtung gehen. Es gab eine Quelle, die vom Autor in Esr 2 rezipiert und in seinen Kontext integriert worden ist. Dabei wurden die Rahmenverse an den erzählerischen Kontext angepasst. Offenbar wollte man auch den ursprünglichen Rahmen erkennbar halten. Die eigentümlichen Formulierungen legen es daher zusätzlich nahe, dass bei den intendierten Adressaten die Kenntnis der Quelle von Esr 2 vorausgesetzt wird. 2.3. Der ursprüngliche Umfang der Rückkehrerliste Im Folgenden wird der parallele Text der Liste (Esr 2 und Neh 7) aufgeführt und gegliedert. Auf die Diskussion der Entsprechung zwischen Esr 3,1a und 7,72b wird zunächst verzichtet.130 So schon Kosters, Wiederherstellung, 32. Vgl. Gunneweg, Esra, 69. 129 Siehe dazu unten, 73f.

127

128

66 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Esra 2

Nehemia 7

2,1

7,6

Eröffnung

Abschnittsinhalt

Ist mit dem Kontext verbunden durch einen Hinweis auf die Rückkehr aus der Gola.

Kommentar

2,2

7,7

Aufzählung der elf Anführer

syntaktisch mit der Eröffnung verbunden

2,3–35

7,8–38

Israeliten

jeweils mit statistischen Angaben bei den Sippen

2,36–39

7,39–42

Priester

jeweils mit statistischen Angaben bei den Sippen

2,40

7,43

Leviten

Zahl der Leviten aus deren drei Sippen

2,41

7,44

Sänger

Anzahl

2,42

7,45

Torhüter

Anzahl

2,43–54

7,46–56

Tempelsklaven

2,55–58

7,57–60

Sklaven Salomos

Es steht nur eine statistische Angabe Tempelsklaven und Sklaven Salomos.

2,59–60

7,61–62

Israeliten mit unklarer Herkunft

mit statistischer Angabe

2,61–63

7,63–65

Priester mit unklarer Herkunft

ohne statistische Angabe

2,64

7,66

Zahl der Versammlung (‫)קהל‬

Gesamtstatistik: 42360 Personen

2,65

7,67

Knechte und Mägde

mit weiteren statistischen Angaben

2,66–67

7,68

Nutztiere

mit weiteren statistischen Angaben

2,68–69

7,69–71

Freiwillige Gaben

mit Mengenangaben

2,7

7,72a

Abschlussnotiz

Die Notiz ist mit Kontext verbunden durch den Hinweis auf die Ansiedlung.

130 Zur Klärung dieser oft (so schon Kosters, Wiederherstellung, 29; Rudolph, EsraNehemia, 142f.; Galling, Liste, 90; Kratz, Komposition, 73; zuletzt Wright, Rebuilding Identity, 302) als (literarkritischer) Schlüssel für das Verständnis des Nebeneinanders angesehenen Formulierung siehe unten, 312ff.

2. Die sog. Rückkehrerliste

67

Enthalten sind in Esr 2,2–63 ca. 105 Personennamen und 21 Ortsnamen. 131 Verwiesen wird auf die elf Einzelpersonen in V. 2, auf ca. 89 Sippen und auf die Bevölkerung von 16 Orten132. Diese werden in der Gesamtstatistik in Esr 2,64 zusammengefasst. Doch dies kann nicht der ursprüngliche Abschluss der Liste gewesen sein. Es folgen noch in Esr 2,65 die Zahlenangaben für weitere Knechte und Mägde sowie Sänger und Sängerinnen, die keinen Sippen zugeordnet werden. Diese werden durch ‫ מלבד‬eng mit der vorangehenden statistischen Angabe verbunden. Danach schließen sich als weitere statistische Angaben die Anzahl der Nutztiere und die Auflistung von Gaben zum Tempelbau an, bevor die Liste mit Esr 2,70 in den Kontext eingebunden wird. Insgesamt entsprechen sich Esr 2,1–70 und Neh 7,6–72a trotz einiger Differenzen. Die parallele Wiedergabe aller Teile in Esr 2 und Neh 7 zeigt, dass auf der Stufe, die den literarischen Bezug hergestellt hat, Esr 2,1–70//Neh 7,6–72a als ein zusammenhängender Abschnitt angesehen wurde.133 Natürlich muss gefragt werden, was die übergreifende Funktion einer Liste sein kann, die Bewohner nach Sippen und Orten, mit Sklaven, Mägden, weiteren Sängern, Sängerinnen und mit Tieren sowie Abgaben für den Tempelbau zusammenfasst.134 Dass die Rückkehr bzw. die Ansiedlung nur 131 Es kommt bei den genauen Zahlen auf die Interpretation bestimmter Aussagen und die Entscheidungen in der Textkritik an. Eine Differenz besteht außerdem zum Inhalt in Neh 7 und 1Esdr. Vgl. zu den Einzelheiten schon Galling, Liste, 96ff. 132 Es gibt eine Unsicherheit, an welcher Stelle von den Personennamen zu den Ortsnamen gewechselt wird, sodass die Zahlen sich entsprechend der Interpretation verschieben können. 133 Die Zusammengehörigkeit der Liste stellte Gunneweg infrage, indem er die Angaben für Knechte, Mägde, Sänger und Sängerinnen sowie Abgaben für sekundäre Hinzufügungen im Zusammenhang der Einbindung in den Erzählkontext hielt: „Der zweimalige Anschluß an die nämliche Liste ist keineswegs Beweis dafür, daß beides ursprünglich zusammengehört. Der nachweislich authentische und vorchr Charakter der Liste und die ebenso deutliche chr Herkunft der jetzt einsetzenden Erzählung spricht ebenso stark gegen diese Annahme wie der gattungsmäßige Unterschied von Liste und Erzählung: Die letztere indessen, wie schon die angehängte Ergänzung über Sklaven, Sänger und Reittiere, macht die Liste zum Heimkehrerverzeichnis, damit zum Teil der chr Erzählung und – als Ersatz, aber nicht als Notbehelf, für einen Heimkehr-Bericht – selbst zur Erzählung, deren Schluß und Höhepunkt die spontane Spendenaktion ist “(Gunneweg, Esra, 66). Gunneweg überträgt die Differenz zwischen Liste und Erzählung auf den Abschnitt 2,65–69, obwohl sich auch dieser formal von der Erzählung unterscheidet. Und so richtig es ist, dass man in den Rahmenversen der Liste die Tendenz erkennen kann, die Liste in den erzählerischen Kontext zu integrieren, so zweifelhaft ist, dass dem auch die Angaben über die Sklaven und Nutztiere sowie die Abgaben dienen. 134 Rothenbusch, Abgesondert, 91, bringt die Tiere beispielsweise mit der Rückkehr in Zusammenhang und erwägt deswegen, ob sie zu den Zufügungen durch die Gesamtkomposition gehören.

68 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) in den äußeren Rahmenversen zu finden und ebenfalls in beiden Kontexten enthalten ist, zeigt, dass der dazwischen stehende Text insgesamt (mehr oder weniger in der vorliegenden Form135) in den Kontext integriert worden sein muss. Die Differenz zwischen den statistischen Zahlen bei den Gruppen und der Gesamtzahl zwischen Esr 2 und Neh 7 auf der einen und 1Esdr 5 auf der anderen Seite verrät allerdings, dass der Textabschnitt bei seiner neuen Kontextualisierung nicht unverändert geblieben sein kann. Denn die Summe der statistischen Angaben ist wesentlich geringer als die übereinstimmend überlieferte Gesamtzahl.136 So ist es wahrscheinlich, dass die Liste im Bereich der Sippen oder Orte nicht vollständig überliefert, sondern gekürzt worden ist.137 Darüber hinaus ist R.G. Kratz in der Einschätzung zu folgen, dass man nicht versuchen kann, über den Vergleich der Einzelheiten bei Namen und Zahlen die Frage nach dem ursprünglichen Wortlaut zu beantworten.138 Komplexe Prozesse von Harmonisierungen und interpretativen Verbesserungen dürften den konkreten Unterschieden zugrunde liegen, die eine Rekonstruktion unmöglich machen. 2.4. Evidenz für die Existenz der Quelle und ihren Einfluss auf die Textgestalt Welche Prozesse könnten es gewesen sein, die die Unterschiede zwischen den beiden Versionen der Liste (Esr 2 und Neh 7) verursacht haben? Diese Frage soll exemplarisch durch die Diskussion der Stelle mit der wichtigsten Differenz (Esr 2,68f.//Neh 7,69–71) geklärt werden. Der Vergleich der beiden Versionen macht deutlich, dass beide Texte sowohl Zusätze als auch Auslassungen aufweisen.139 Die Differenzen werden als Hinweise für sekundäre Hinzufügungen angesehen, doch ist die Exis-

135

Vgl. dazu den nächsten Abschnitt unten, 68ff. Es ist auffällig, dass die Zahl der 42360 durch 12 teilbar ist. Der Versuch von Torrey, Ezra Studies, 250, die 3530 als Angabe für die Zerstörung des Tempels zu erweisen, erscheint allerdings als konstruiert, doch zeigen die „glatte“ Zahl und ihre durchgängige Bezeugung ihre Ursprünglichkeit. 137 Kuenen, Godsdienst, 89, führte den Unterschied umgekehrt darauf zurück, dass in die Zahl später die im Lande verbliebenen Judäer aufgenommen wurden: „Waarom zouden wij niet aannemen, dat de oorspronkelijke lijst der teruggekeerden na verloop van eenige jaren is aangevuld en dat toen ook de in het land achtergebleven Judeërs, voor zoover zij zich hadden aangesloten, daarop geplaatst zijn?“ 138 Vgl. Kratz, Komposition, 64. 139 Das macht eine Aussage wie „M.E. spricht auch der Aufbau für eine überlieferungsgeschichtliche Priorität von Esra 2,68f. gegenüber Neh 7,69–71“ (Rothenbusch, Abgesondert, 66) problematisch. 136

69

2. Die sog. Rückkehrerliste

tenz so großer Unterschiede zwischen zwei parallelen Texten eine Besonderheit, die man erklären muss. Esr 2,68f.

Neh 7,69–71 ‫ ומקצת ראשי האבות נתנו למלאכה‬69 ‫התרשתא נתן לאוצר זהב דרכמנים אלף מזרקות‬ ‫חמשים כתנות כהנים שלשים וחמש מאות׃‬ ‫ ומראשי האבות‬68

‫ ומראשי האבות‬70

‫בבואם לבית יהוה אשר בירושלם התנדבו לבית‬ ‫האלהים להעמידו על מכונו׃‬ ‫ ככחם‬69 ‫נתנו לאוצר המלאכה זהב דרכמונים‬

‫נתנו לאוצר המלאכה זהב דרכמונים‬

‫שש רבאות ואלף ס וכסף מנים חמשת אלפים‬

‫שתי רבות וכסף מנים אלפים ומאתים׃‬ ‫ ואשר נתנו שארית העם זהב דרכמונים שתי‬71 ‫רבוא וכסף מנים אלפים‬

‫וכתנת כהנים מאה׃‬

‫וכתנת כהנים ששים ושבעה׃‬

Während die beiden Versionen im kanonischen Esra-Nehemia-Buch sich in dieser Weise unterscheiden, geht die Version in 1Esdras mit Esr 2 parallel, wobei allerdings die Zahlen differieren. Gunneweg sieht die Ursache für die Unterschiede in Redaktionen: „Es ist von einer Ankunft beim Tempel Jahwes in Jerusalem die Rede, obwohl doch die Erzählung gerade die völlige Zerstörung des Tempels voraussetzt. [...] Die Fortsetzung des Satzteils sagt dann, daß die Gaben dem Wiederaufbau des Tempels Gottes – nicht ‚Jahwes‘ – dienen sollen, und auch diese Mitteilung klingt wieder wie zur Korrektur eines möglichen Mißverständnisses oder zur Verdeutlichung angehängt. Diese Beobachtungen sind ebenso viele Argumente für den sekundären Charakter des in N fehlenden Passus.“140 Doch trifft gerade die inhaltliche Argumentation den Sachverhalt nicht. Denn der Langtext in Esr 2,68f. spricht davon, dass die betreffenden Personen zum Haus Jhwhs kamen und spendeten, damit es an seinem alten Ort wieder errichtet werden kann (‫)בבואם לבית יהוה אשר בירושלם התנדבו לבית האלהים להעמידו על מכונו‬. Das setzt eine Situation voraus, in der der Tempel noch nicht wiedererrichtet oder noch nicht fertiggestellt ist. In Spannung mit dem Kontext in Esr 3 steht allerdings die Erwähnung des Kommens der Vorsteher der Sippen zum Haus Jhwhs. Das passt nicht dazu, dass die Liste in 2,1f.70 auf die Rückkehr und auf das sich Niederlassen bezogen ist. Das Kommen der Sippenältesten an dieser Stelle steht aus der Perspektive des Erzähltextes wie der rahmenden Verse 2,1f.70 zu früh. Die gemeinsame Differenz von Kon140

Gunneweg, Esra, 67.

70 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) text und Rahmen zum Inhalt der Liste hängt am ehesten mit der Veränderung der Liste bei der Einbindung in den erzählerischen Kontext zusammen. Gunneweg verweist außerdem auf „die Härte der Formulierung“ von Esr 2,68. Da aber eingebettete temporale Infinitivkonstruktionen wenn auch selten vorkommen, kann man Esr 2,68 nicht als literarkritisch entstandene Ausnahme ansehen.141 Nach Gunneweg hat ein anderer Redaktor den Kurztext in Esra ergänzt und die Abgaben des Tirschata, was wohl ein persischer Ehrentitel des Statthalters ist,142 und des Restes des Volkes eingetragen. Die Eintragung des Statthalters habe die Differenzierung des Volkes nach sich gezogen. Als Sinn der Redaktionen gibt Gunneweg an: „Sowohl in E 2 als auch in N 7 will die Bearbeitung den Text den verschiedenen Situationen anpassen.“ 143 Doch warum sollte ein Redaktor eine oder mehrere Ergänzungen machen, die die Entsprechung von Esr 2 und Neh 7 zerstört? Normalerweise werden Paralleltexte im Überlieferungsprozess einander angeglichen.144 Da der eine „Redaktor“ in Esr 2 mit der eigentlich zu frühen Ankunft der Sippenältesten gerade nicht im Sinne des erzählerischen Kontextes ergänzt, sondern einen Widerspruch generiert hat, lässt sich diese Stelle nicht als normale Fortschreibung glaubhaft machen. Der Langtext in Neh 7 ist ebenfalls nicht als redaktionelle Kontextualisierung anzusehen. Denn es ist ja gerade nicht Nehemia, der die Gaben entrichtet, sondern offenbar einer seiner Vorgänger. Über diese wird in Neh 5,15 mitgeteilt, dass sie das Volk mit einer Steuer belastet hätten. Eigentlich würde man hier vom Kontext her ebenfalls eher die Auslassung des Passus erwarten. Beide „Redaktoren“ hätten den ursprünglich übereinstimmenden Wortlaut der Liste voneinander entfernt und Widersprüche zum Erzähltext erzeugt. Den redaktionskritischen Lösungsversuchen wie jenem von Gunneweg liegt die Erkenntnis zugrunde, dass man die Unterschiede nicht auf text141 Die Formulierung ist grammatisch korrekt. Dass es stilistisch möglich war, dem Subjekt eine Infinitivkonstruktion folgen zu lassen, beweist der vorliegende Text selbst. Diese Aussage gilt unabhängig davon, ob der Wortlaut auf eine Überarbeitung zurückgeht oder einheitlich ist. Interessanterweise kommen vergleichbare Konstruktionen im Aramäischen in Dan 2,19a.25a vor. Ähnlich komplex sind Dan 4,23; 5,12. Siehe dazu unten, 180. 142 Vgl. Yamauchi, Cupbearer, 136. In Neh 8,9; 10,2 wird Nehemia ausdrücklich als Tirschata bezeichnet. An der Stelle schwankt die Forschung, ob Serubbabel oder Scheschbazzar mit dem Titel bezeichnet wird. Zur Diskussion, wen er bezeichnet, vgl. die Zusammenfassung der Diskussion bei Schunck, Nehemia, 200. Zur Lösung der Problematik siehe unten, 197. Zur Zurückweisung der Annahme, der Titel bezeichne einen Eunuchen, siehe Yamauchi, Cupbearer. 143 Gunneweg, Esra, 68. 144 Vgl. Tov, Textual Criticism, 279.

2. Die sog. Rückkehrerliste

71

kritischem Wege als Wechselwirkung zweier Versionen erklären kann. Für ein Szenario, das auf beiden Seiten massive Ausfälle textkritisch erklären könnte, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte.145 Vielmehr wirkt sich hier ein methodisches Problem aus. Mit Reduktionen des Textbestandes, also mit Ausfällen und mit Harmonisierungen zwischen den Versionen und parallelen Texten, rechnet man nur in der textlichen Überlieferung. Bei der literarischen Bearbeitung vermutet man dagegen im Prinzip nur Fortschreibungen und Redaktionen, d.h. Zusätze zu einem Grundbestand des Textes.146 Verlässt man diese methodische Beschränkung, gibt es eine einfachere Lösung, für die zudem auch die Differenz zwischen der Zahlenangabe in 2,64 und der Summe der anderen Zahlenangaben spricht: Wenn man von der literarischen Verarbeitung einer Quelle ausgeht, dann wurde diese – da sie inhaltlich nicht exakt passte – nicht nur ergänzt und mit einem Rahmen versehen, sondern zugleich auch überarbeitet, indem u.a. nicht passende Inhalte weggelassen wurden. Die inhaltliche Veränderung gegenüber der ursprünglichen Liste147 wird durch die parallele Einbindung in Esr 2 und Neh 7 plausibel gemacht. Die Zitation durch Nehemia soll die Korrektheit der veränderten Liste bestätigen. Doch die dennoch bestehenden Differenzen scheinen dem zu widersprechen. Da die Identität der Abschnitte aber eine Voraussetzung der inhaltlichen Konzeption ist, kann bei den – im Ganzen betrachtet – nicht sehr umfangreichen Abweichungen nur ein sekundärer Einfluss der verarbeiteten Quelle vorliegen. Die literarische Vorlage war also nicht nur den intendierten Adressaten bekannt, sondern sie existierte während der späteren textlichen Überlieferung zunächst noch weiter. Der Ort der Abweichungen dürfte gleichzeitig ein Hinweis darauf sein, dass die Quelle an dieser Stelle besonders stark bearbeitet worden ist. Besonders viele Unterschiede begegnen in Esr 2,68f. und Neh 7,69.71 im Bereich des an den Kontext angepassten Rahmens. Für die Differenzen zwischen Esr 2 und Neh 7 lässt sich keine übergreifende Gestaltungsabsicht erkennen. Daher liegt wohl jeweils eine textkritische Harmonisierung von Esr 2 und Neh 7 mit der ursprünglichen Quelle vor.148 Man sah Neh 7,6ff. nicht unbedingt nur als Zitat von Esr 2,1ff., sondern zugleich auch als Wiedergabe 145 Zwar gibt es Phrasen, bei denen ein Homoioteleuton möglich wäre, doch gilt das nicht für alle Probleme. 146 Zur Kritik dieses Prinzips siehe oben, 6ff. 147 Siehe oben, 68. 148 Dass man das Kommen der Häupter der Sippen zum Haus Jhwhs, wo sie ihre Gaben für den Tempelbau entrichten, einträgt, passt gut mit den statistischen Angaben für die Gaben zusammen. Im Gesamtkontext steht dieser Aspekt – wie bereits festgestellt – allerdings zu früh. In Neh 7 verhält es sich ähnlich. Die Gaben durch den Tirschata und den Rest des Volkes fügen sich gut mit dem Schluss von Neh 7, doch widersprechen die Anga-

72 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) der dahinter stehenden Quelle an. Die Differenzen zeigen so, dass man im Überlieferungsprozess die Intention der Quellenverarbeitung und Kürzung nicht berücksichtigt hat. Ein weiterer Vergleich zwischen den beiden Versionen bestätigt dagegen die Intentionalität der Kürzung. Denn die Kurzversion in Esr 2,69f. enthält größere Mengenangaben bei Silber und Gold als die Summe der einzelnen Gaben der Langversion in Neh 7.149 Golddrachmen Esr 2:

Häupter

Neh 7: Tirschata Häupter

Schalen

61000 1000 20000

Summe

41000

Priestergewänder

5000

100

50

20000

Rest des Volkes

Silberminen

530 2200

50

2000

67

4200

607

Die Steigerung der Zahl im Kurztext lässt sich am ehesten auf die planvolle Kürzung des Textes zurückführen. Ob und wie der Wert der Gaben des Tirschata eingeflossen ist, muss dabei offenbleiben. In jedem Fall ist eine Vergrößerung der Summe bei der Einbindung wahrscheinlicher als eine Reduktion. In Neh 7 hat demgegenüber der ursprüngliche Text sich auch bei den Zahlenangaben ausgewirkt. Eine solche Kürzung der Quelle bei der Integration entspricht auch dem Befund bei den Zahlenangaben für die Angehörigen der Sippen und der Gesamtzahl. Die wesentlich größere Gesamtzahl, die zudem einheitlich überliefert worden ist, macht es wahrscheinlich, dass man auch die Liste der Sippen und Gruppen aus ähnlichen Gründen gekürzt hat. Ein Grund für die Kürzung ergibt sich in dem Gegenüber von Tirschata, Häuptern und dem Rest des Volkes. Denn diese Angabe impliziert, dass es eine Bevölkerungsliste ist, die nicht nur Rückkehrer enthält. Besonders aufschlussreich ist die Erwähnung des ‫ שארית העם‬in Neh 7,71, die meist nicht besonders diskutiert wird, doch kommt sie mehrfach bei Haggai und Sacharja vor. Da die Überlieferung der beiden Bücher den Ereignissen des Tempelbaus wahrscheinlich relativ nahe ist und dort die Rückkehr aus dem Exil nicht im Vordergrund steht, spricht viel dafür, dass es sich auch in Neh 7,71 um eine Bezeichnung für das Volk ohne den Aspekt der Rückkehr hanben über die Stiftung des Tirschata der Bewertung der früheren Statthalter in der IchErzählung des Nehemia. 149 1Esdr 5,44 bestätigt Esr 2,69, hat aber beim Gold die Münzangabe in eine Mengenangabe geändert.

2. Die sog. Rückkehrerliste

73

delt.150 Auffällig ist, dass dieser Aspekt in Neh 7, aber nicht in Esr 2 aus der Quelle eingetragen worden ist. Dass die Liste nicht in die frühe Zeit zurückführen kann, zeigt der zweimal auftauchende Name ‫בגוי‬. Man kann den Gebrauch eines persischen Namens unter den Führern der Rückkehr am Anfang der persischen Zeit schwer erklären.151 Die Unterschiede unterstreichen die ursprüngliche Funktion der Liste. Doch auch der gekürzte und mutmaßlich ursprünglich übereinstimmende Textabschluss hat von den Gaben der Häupter der Sippen für den Schatz des Werkes gesprochen. Dies implizierte bereits eine größere Baumaßnahme, die sich in Planung oder im Vollzug befand, für die die Sippen bzw. die Sippenhäupter verantwortlich waren. Die ebenfalls übereinstimmende Erwähnung der Stiftung von Priestergewändern zeigt (‫)וכתנת כהנים מאה‬, dass es von Anfang an, und wahrscheinlich schon in der zugrunde liegenden Quelle, um den Bau des Tempels gegangen ist. 2.5. Die inhaltlichen Implikationen der Liste Ähnlich wie in anderen Listen des Esra-Nehemia-Buches werden in Esr 2// Neh 7 verschiedene soziale Gruppen unterschieden, doch anders als sonst stehen die Israeliten hier vor den Priestern und Leviten. In der Abschlussnotiz in Esr 2,70a//Neh 7,72a wechselt die Reihenfolge der sozialen Gruppen allerdings, was ein weiteres Mal zeigt, dass die Liste nicht für den jetzigen Kontext komponiert worden sein kann. Damit wird sie nachträglich formal an das im Esra-Nehemia-Buch Übliche angenähert, auch wenn dies – erkennbar an der problematischen Überlieferungssituation152 – nicht vollständig gelungen ist. Die Zahl der Priester (Esr 2,36–39) macht etwa ein Zehntel der Gesamtzahl aus. Nur drei Gruppen153 Leviten, insgesamt 74, – also eine recht geringe Gesamtzahl – werden aufgelistet (2,40).154 Nach den Sängern und Torhü150 Der Begriff allein lässt eine klare Zuordnung nicht zu. Siehe die Diskussion Meyers/Meyers, Haggai-Zechariah 1–8, 34 (Lit.). Anders Clements, ‫שאר‬, 949, im Anschluss an Wolff, Haggai, 34f. Dieser postuliert im Rückschluss von Esr 3,8; 4,1; 6,16: „ ‫ שארית‬kann nicht als eine andere Bezeichnung für die nachexilische Bewohnerschaft angesehen werden, weil in Esr 3,8; 4,1; 6,16 ausdrücklich die Söhne der Gola als die Erbauer des neuen Tempels bezeugt werden“ (ebd., 35). 151 So schon Galling, Liste, 95; vgl. zuletzt Edelman, Origins, 342. Ob „[t]hose registered under ‚Bigvai‘ may have been Persian authorities and soldiers temporarily posted to the province“ (ebd.), lässt sich nicht verifizieren. 152 Siehe dazu oben, 62. 153 Zur Textkritik in 2,40 siehe Gunneweg, Esra, 52. Der zweite Name kann mit Neh 10,10 allerdings nur ‫ ִבּנּוּי‬sein. 154 Das Problem wiederholt sich später in der Esrageschichte Esr 7f. und wird dort thematisiert, indem man berichtet, dass es Esra schwerfällt, überhaupt Leviten zu finden, die zurückkehren wollen. Man erklärt das damit, dass es entweder in der Diaspora kaum Le-

74 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) tern (2,41f.) werden die Tempelsklaven155 (2,43–54) und die Sklaven Salomos aufgeführt (2,55–58). Am Schluss der Liste folgen in 2,59–63 Personen, deren Herkunft nicht abschließend geklärt werden kann. Von diesen heißt es, dass sie aus bestimmten Orten hinaufgekommen seien, sodass es sich bei TelMelach, Tel-Charscha, Kerub-Addon und Imer um Orte des Exils handelt.156 An dieser Stelle ist eine Rückkehr aus dem Exil impliziert. Wieder finden sich die Laien an erster Stelle, danach folgen die Priester, die für den Priesterdienst für untauglich erklärt werden (2,62). Der Tirschata verbietet den Priestern das Essen vom Allerheiligsten, also der Priester- und Opferanteile. Damit wird das Gleiche ausgedrückt wie mit der Feststellung der Untauglichkeit zum Priesterdienst. Die Priesterprivilegien sollen nach Esr 2,63 so lange ruhen, bis ein Priester mit den Losen Urim und Tummim aufstehen würde.157 Das Losorakel wurde in nachexilischer Zeit nicht mehr praktiziert.158 Priesterdienst durften also nach dieser Entscheidung nur jene leisten, die ihre Herkunft nachweisen konnten. Für die priesterlichen Privilegien gilt das Gleiche. Hier wurde eine wichtige Entscheidung über die Legitimität der kultischen Funktionsträger getroffen, die Auswirkungen auf die Praxis des Kultes im nachexilischen Juda hatte.159 Aufschlussreich ist, dass der Statthalter diese Entscheidung trifft und mit dem Verweis auf das künftige Orakel und damit eine unbestimmte Zukunft einen Status Quo für den Tempeldienst festschreibt. Seit über 100 Jahren weist man darauf hin, dass die Angabe zumindest bei dem Geschlecht Hakkoz nicht dauerhaft zugetroffen habe.160 Doch geht viten gab, da diese aufgrund ihres niedrigen sozialen Status nicht deportiert wurden, oder dass sie nicht mit zurückkehren wollten, weil sie um ihre geringeren Rechte am Tempel gewusst hätten. So Klein, Ezra-Nehemiah, 686. 155 Die Identität der ‫ נתינים‬ist nicht sicher. Schon die LXX hat die Formulierung nur transkribiert. 156 Vgl. Gunneweg, Esra, 63. 157 Nach Ex 28,30 werden diese von Aaron und daher wohl vom Hohepriester getragen. 158 Meyer, Entstehung, 194, sieht die Erwähnung wie die Thematisierung in priesterlichen Texten als „lediglich Theorie“ an. Vgl. weiter Gabriel, Untersuchungen, 115f.; anders zuletzt van Dam, Urim and Thummim, 220f., der an das Fehlen der konkreten Fähigkeiten denkt, da die Urim und Thummim mit dem Hohepriesteramt verbunden sind. Ähnliches hatte erstmals Gabriel, Untersuchungen, 115, vermutet, dass „nämlich die Urim und Tummim überhaupt keine stets gleichbleibenden Gegenstände waren, sondern daß der HP durch ‫אוּרים‬ ִ ‫)מ ְשׁ ַפּט ָה‬ ִ angewiesen wurde, je nach der Natur der Frage bestimmte, jeweils wechselnde Gegenstände zum Zweck der Losbefragung zu verwenden“. 159 Man wird also nur sehr begrenzt von einer Art eschatologischer Aussage sprechen können. So schon Gunneweg, Esra, 64. Eher ist es eine pragmatische Aussage, die bestimmte Ansprüche mit einer klaren Regelung sichert. 160 Hölscher, Esra-Nehemia, 503, stellt fest, dass man das Geschlecht später wieder anerkannt habe. So auch schon Bertholet, Esra-Nehemia, 8. Ähnlich formuliert Rothenbusch, Abgesondert, 233, „dass in Esra 2,61 die Legitimität des Priestergeschlechts Hakkoz ange-

2. Die sog. Rückkehrerliste

75

es ausdrücklich um die Enthebung von den priesterlichen Aufgaben, wobei das Verbum ‫( גאל‬Nif.) verwendet wird. Der Verweis auf die zukünftige Entscheidung des Losorakels, auch wenn das nicht als realistische Aussicht zu verstehen ist, zeigt zumindest, dass diese Sippen einen Sonderstatus behalten. Blickt man auf den Begriff ‫כהנה‬, so kann dieser zwar das Priestertum bezeichnen, doch bezeichnet er auch den spezifischen Dienst des Priesters (Num 18,1.7). In dieser Bedeutung muss es in Esr 2,62 gebraucht sein. Andernfalls wäre der Verweis auf die Losorakel unnötig. Das Priestertum ist von der Herkunft abhängig. Die betreffenden Personen können nicht vom Priestertum ausgeschlossen werden, wohl aber steht ihre Herkunft in Zweifel, was nur durch einen Orakelentscheid geklärt werden könnte. Aus diesem Grunde können sie den Priesterdienst nicht ausüben. Dass also Meremot aus der Sippe des Hakkoz in Neh 3,4 an der Stadtmauer neben Zadok aus der Sippe des Baana baut und damit neben Israeliten und zusätzlich in Neh 3,21 neben Priestern baut, ist kein Widerspruch zu Esr 2,61 und es zeigt auch nicht, dass er später anerkannt wurde. Eher bestätigt die doppelte Nennung in dieser Liste die Einschränkungen, die seine Sippe betreffen. Dass derselbe Meremot in Esr 8,33 die Schätze der Einwanderung unter Esra im Empfang nimmt, lässt keine Rückschlüsse darauf zu, ob er später den Priesterdienst ausgeübt hat.161 Seine Erwähnung an der Stelle zeigt allerdings, dass man davon wusste, dass Meremot vor Esra bereits am Tempel in Jerusalem tätig war.162 Es könnte ja auch umgekehrt sein, dass jener Meremot oder seine Nachkommen in späterer Zeit umstritten waren und man das Problem in die Vergangenheit verlagert hat. Esr 2,61–63 mit der Entscheidung, die priesterlichen Rechte von bestimmten Sippen ruhen zu lassen, liegt auf einer Linie mit der Thematisierung des Tempelbaus in 2,69f. und der Vorbereitung des Kultes. zweifelt wird, das in der Zeit Nehemias (Neh 3,4.21) und später (Esra 8,33; 1 Chr 24,10) anerkannt ist“. 161 Koch, Ezra and Meremot, 110, meint allerdings, dass Esr 8 „acknowledged the status of Meremoth as a chief priest“. Er schließt dies aus der Bezeichnung ‫ הכהן‬in Esr 8,33. Bereits der determinierte singularische Gebrauch drücke das aus. Vgl. ebd., 107. Doch konkurriert das mit der Bezeichnung Esras als ‫ הכהן‬in Esr 7,11. Es wird dabei bleiben müssen, dass Meremot in der Priesterhierarchie in Esr 8,33 nicht höher steht als die Leviten Josabad und Noadja, mit denen er zusammen die Kultgeräte in Empfang nimmt. Für die Angehörigen des Geschlechts des Hakkoz wird in Esr 2,61 außerdem nicht die Bezeichnung ‫ הכהן‬ausgeschlossen, sondern nur die Praxis des Priesterdienstes. Könnte die Zuständigkeit für die Wertgegenstände nicht eine mit dem Problem der Herkunft zusammenhängende Sonderaufgabe sein? 162 Die Nennung von Hakkoz in 1Chr 24,10 als eine von David eingeteilte Priesterordnung spricht ebenfalls nicht von vornherein für die Akzeptanz der sich auf einen Hakkoz zurückführenden Priester am Zweiten Tempel.

76 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Auffällig ist, dass für die Israeliten mit unklarer Herkunft keine vergleichbaren Einschränkungen erwähnt werden. Dies überrascht, da ja später in der Esrageschichte die Frage der Zugehörigkeit zu Israel eine wesentliche Rolle spielt. Ein Blick auf diese Namen lässt freilich erkennen, dass man auf spätere Probleme hinweisen will. Man wird bspw. an Neh 6,10ff. zu denken haben, wo ein negativ bewerteter ‫ שמעיה‬genannt wird, der Sohn eines ‫דליה‬ ist und von ‫ טוביה‬und ‫ סנבלט‬bestochen worden sein soll. Auch der in Neh 2,10 als ammonitischer Knecht verunglimpfte Tobija163 kommt in diesem Kontext vor. Möglicherweise liegen auch Ressentiments gegen andere Sippen vor. In der Liste werden eine Reihe von Ortsnamen erwähnt (2,21–28.33f.), wobei Differenzen in der Bezeichnung zu Neh 7 auffallen, wo es mehr Einträge der Form ‫ אנשי‬+ ON gibt. Dies entspricht der Überschrift ‫בני המדינה‬. An diesen Stellen ist die Interpretation der Liste als ausschließliche Rückkehrerliste nicht möglich. Ein besonderes Problem stellen die in Esr 2,65 genannten Geschlechter der Sänger und weitere Sklaven und Mägde dar, die zu den zuvor erwähnten Sängern, Sklaven Salomos und ‫ נתינים‬hinzukommen und in der Gesamtzahl nicht enthalten sind. Eine Lösung könnte sein, dass in Esr 6,16 von der Einweihung des Tempels als Volksfest die Rede ist, welches möglicherweise auch „profane Sänger und Sängerinnen“ nötig gemacht hat. 164 In jedem Fall widersprechen diese Sänger und Sängerinnen der Konzeption des Rahmens als Rückkehrerliste. Unser Problem ist aber, dass wir Präsuppositionen, die mit diesen Namen und Gruppen verbunden waren, nicht vollständig entschlüsseln können. Allerdings sind auffällig viele Priester und andere Gruppen mit Bezug zum Tempel und Kult in der Liste enthalten. Ähnlich offen ist die Frage der Liste der Nutztiere (2,66f.). Diese lassen sich mit der Aufforderung des Kyrosediktes zur Unterstützung der Rückkehrer mit den Tieren für die Opfer nicht verbinden. Pferde, Maultiere, Kamele und Esel sind Transporttiere.165 So scheint es zunächst nahe zu liegen, dass mit ihnen an eine Karawane und damit an die Rückkehr aus dem Exil gedacht ist,166 doch erscheinen sie eher als Besitz der Rückkehrer. Die gleiche Reihe von Transporttieren findet sich in Sach 14,15. Sie sind dort Teil des Heerlagers der Völker und Ausdruck von deren Besitz und Stärke. Sie 163

Vgl. dazu unten, 364. Anders Gunneweg, Esra, 66, der „an Musikanten, die den feierlichen Exodus musikalisch begleiten sollen“ denkt und daher meint, dass der Rahmen der Liste hier eingetragen worden sei. 165 Hieke, Esra-Nehemia, 91, vermutet, dass die Zahl der Rinder und Schafe nicht aufgezählt wurde, „weil hier aufgrund von stetigem Verzehr und fortwährender Nachzucht Zahlenangaben unsinnig wären“. 166 So Rothenbusch, Abgesondert, 91. 164

2. Die sog. Rückkehrerliste

77

werden deshalb der gleichen Plage unterworfen wie die Völker selbst. In eine andere Richtung geht 1Chr 12,41, wo vom Transport von Lebensmitteln, Wein und Öl auf Eseln, Maultieren, Kamelen und Rindern zur Feier von Davids Regierungsantritt in Hebron die Rede ist. Die beiden Stellen machen deutlich, dass eine Auflistung von Nutztieren nicht von vornherein auf die Rückkehr zu beziehen ist. Am ehesten ist die Nennung der Tiere also in Esr 2,66f. Ausdruck des Wohlstandes, der sich ja auch in den Gaben für den Tempelbau widerspiegelt, und entsprechend gehören sie in einer nicht mehr rekonstruierbaren Weise zum Tempelbau oder zu seiner Einweihung. Was die Namen der Einzelpersonen, aber auch der Sippen und Orte angeht, so ist es spannend, dass viele von ihnen im Esra-Nehemia-Buch auch an anderen Stellen vorkommen. Von den Erstgenannten finden sich bspw. ‫שריה‬, ‫עזריה‬, ‫בגוי‬, ‫ רחום‬und ‫ בענה‬auch in der Liste in Neh 10. Eine Reihe von Einzelnamen, wohl der Vorsteher von Sippen in Esr 2//Neh 7 begegnen in Neh 10 als Unterzeichner des Bundesschlusses: ‫פרעש‬, ‫פחת מואב‬, ‫עילם‬, ‫זתוא‬, ‫בני‬, ‫בבי‬, ‫עזגד‬, ‫עדין‬, ‫אטר‬, ‫בצי‬, ‫חשם‬. Außerdem taucht in Neh 10,20 ein ‫ ענתות‬auf, während ‫ ענתות‬in Esr 2,23//Neh 7,27 als Ortsname erscheint.167 Auch in Esr 8 und Neh 11 und 12 tauchen Namen aus der Liste auf. Diese Zusammenhänge in der Reihenfolge zeigen eine Abhängigkeit, die im Quellencharakter von Esr 2//Neh 7 begründet sein kann. Auffällig ist es beispielsweise, dass sich in Esr 8 die Familien entsprechen, nicht aber die Einzelnamen. Das bedeutet, dass Esr 8 bei den Übereinstimmungen bei ‫פרוש‬, ‫שפטיה‬, ‫פחת מואב‬, ‫עילם‬, ‫בבי‬, ‫עזגד‬, ‫אדניקם‬, ‫ בגוי‬und ‫ עדין‬eine Kontinuität der Familien bei der Einwanderung gesehen wird. Besonders bei den Angehörigen der Sippe ‫ אדניקם‬ist dies auffällig. Diese werden in Esr 8,13 als ‫„ אחרנים‬letzte“ bezeichnet. Wahrscheinlich handelt es sich in der Sicht von Esr 8 also um die letzten Angehörigen der Sippe, die zurückgekehrt sind. 2.6. Die ursprüngliche Intention der Rückkehrerliste und ihr Gebrauch im Kontext Esr 2 wird eingeführt als die Liste der Angehörigen der Provinz, die angeführt von 11 (bzw. 12) Personen aus der Gola gekommen sind. Tatsächlich scheint es sich aber um eine Art Bevölkerungsstatistik zu handeln. Neben den 11 Einzelpersonen werden Gruppen aufgeführt und die zugehörigen Zahlen genannt. Es handelt sich um Sippen, die mit einem Sippenvorsteher verbunden sind. Sippen von Israeliten stehen neben Sippen von Priestern, Leviten und Tempelsklaven, der Sklaven Salomos und von Tempelsängern. Auch werden Sippen, die ihren Ursprung nicht genealogisch nachweisen 167

Dem konzeptionellen Zusammenhang wird unten, 336ff., weiter nachgegangen.

78 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) können, genannt. Diese werden auf bestimmte Orte in der Gola zurückgeführt und erscheinen als ausdrücklich hinaufgezogen (‫)עלה‬. Daneben werden in einem Abschnitt Bewohner einer Reihe von Orten nördlich von Juda aufgelistet. Gerade Letzteres fügt sich sehr gut in die erste Eröffnung der Liste mit ‫אלה בני המדינה‬, aber eher nicht zu der Behauptung, dass es sich durchgängig um Rückkehrer handelt. Blickt man nur auf die Kurzversion der Schlussverse Esr 2,68aα.69,168 so wird erheblicher Reichtum für ein gemeinschaftliches Werk eingesammelt, bei dem es sich – weil auch Priestergewänder erwähnt sind – nur um den Tempel handeln kann. Die Langversion in Esr 2,68f. hat dies (wieder169) explizit gemacht. Im Nehemia-Buch sind es neben den Sippenhäuptern auch der Statthalter und das übrige Volk, die Abgaben leisten. Dass die Liste mit dem Tempelbau bzw. mit der Einrichtung des Kultes im Zusammenhang stehen muss, zeigt sich auch bei der Thematisierung der Priestersippen mit zweifelhaftem Ursprung und daran, dass eine große Zahl von Priestern und weiterer mit dem Tempel in Zusammenhang stehender Sippen aufgelistet werden. Die in Esr 2//Neh 7 verarbeitete Quelle ist also ursprünglich eine Art Bevölkerungsliste gewesen, die einen Bezug zum Tempelbau hatte, wobei der Wohlstand der Gruppe für den Bau des Tempels eingesetzt wird. Zumindest die Lasttiere könnten ebenfalls mit dem Tempelbau in einem Zusammenhang stehen. Eine endgültige Lösung ist – wie bei den zusätzlichen Knechten und Mägden, Sängern und Sängerinnen – kaum zu geben. Man kann zusammenfassend festhalten, dass es eine Differenz zwischen dem erzählerischen Rahmen und dem Textabschnitt in Esr 2//Neh 7 gibt. Der Wortlaut des Abschnittes ist an den erzählerischen Rahmen angepasst und dabei u.a. der Schluss des Abschnittes gekürzt worden. Äquivalent dürfte auch bei den aufgelisteten Sippen gekürzt worden sein. Während Rückkehrer und Tempelbauer im Anschluss Esr 1,2–5 als identisch gedacht sind, da das Land nach dem Bezug auf Jer 29 als leer erscheint, ist die Rückkehr in der Liste nur ein Teilaspekt.170 Verantwortlich für den Tempelbau waren die aufgeführten Personen, die Angehörigen der ‫ מדינה‬, die durch die Rahmenverse ohne Unterschied zu Rückkehrern gemacht werden. Diese Tendenz im Rahmen wird durch die Thematisierung als Quelle auf der Erzählebene in Neh 7,5 bestätigt. Denn Nehemia will die Liste als Aufzählung derer, die zuerst heraufgezogen sind, aufgefunden haben. Mit dieser Bemerkung bezeugt Nehemia als Ich-Erzähler den intendierten Adressaten die 168

Siehe die Gegenüberstellung oben, 54. Siehe dazu oben, 68f. 170 Grätz, Edikt, 280, stellt fest: „Die Listen von Rückkehrern, besonders in Esr 2/Neh 7 erhalten insofern einen historischen Kern, als es tatsächlich Immigranten aus Babylon gegeben haben wird, die jedoch nicht in ein leeres Land kamen.“ 169

2. Die sog. Rückkehrerliste

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Richtigkeit der Konzeption der Bevölkerungsliste als Rückkehrerliste in Esr 2, auch wenn die Adressaten den Ursprung der Liste möglicherweise noch kennen. Dass es eine Quelle gegeben haben muss, zeigt sich daneben auch daran, dass die gleichen Namen auch in anderen Zusammenhängen im Esra-Nehemia-Buch – vor allem in Esr 8 – in der Rückkehrerliste unter Esra und in Neh 10 vorkommen. Die Differenzen am Ende und die Zahlendifferenzen sprechen außerdem für die Auslassung einer Anzahl von Gruppen bei der Integration der Liste in den Kontext. Möglicherweise sind Namen weggefallen, die zu der neu geschaffenen Rahmung nicht passten. Ausgeschlossen kann werden, dass die Liste nur für ihre Einbindung in das EsraNehemia-Buch formuliert worden ist. Mit der Feststellung, dass die Liste von Anfang an etwas mit dem Tempel zu tun hatte, kommen wir der These von J. Weinberg nahe, dass die Liste die Bürger-Tempelgemeinde aus der Mitte des 5. Jh. umreiße.171 Dafür, dass es die Tempelbaugemeinschaft ist, spricht auch, dass die Liste von Serubbabel und Jeschua angeführt wird. Auffällig ist, dass sie wohl bereits ursprünglich eine gesamtisraelitische Perspektive besaß. Sie ist erkennbar in den wohl ursprünglich zwölf Repräsentanten des Volkes, an der durch zwölf teilbaren Gesamtzahl der Gemeinschaft172 und daran, dass Priester und Leviten dem Volk folgen, wie in der Feststellung, dass das ganze Volk in den Städten wohnte (Esr 2,70b). Auffällig ist auch, dass der Tirschata offenbar für den Tempelbau spendete und Entscheidungen den Priesterdienst betreffend traf. Diese Aussagen entsprechen durchaus dem Handlungsrahmen der Statthalter, wie der Bittbrief der Juden aus Elephantine an die Statthalter von Jerusalem und Samaria und das überlieferte Antwort-Memorandum zeigen.173 In der Liste werden Einzelpersonen erwähnt und Gruppen, wobei es solche gibt, die auf ein Sippenoberhaupt zurückgeführt werden, und Gruppen, die mit einem Ort in einer Beziehung stehen. Bei den Namen werden nur in wenigen Fällen genealogische Angaben gemacht. Wenn man mit M.D. Johnson annimmt, dass die Genealogie dazu dient, Legitimität für die Gegenwart durch den Verweis auf die Vergangenheit zu erreichen,174 so muss es in der Liste, die Namen und Gruppen aufführt, um etwas anderes gehen. Das Fehlen genealogischer Angaben bei der Mehrheit der Namen kann pragmatisch nur damit zusammenhängen, dass bei den intendierten Adressaten nicht nur die betreffenden Namen, sondern die Personen, auf die verwiesen 171

Vgl. Weinberg, Citizen-Temple, 41–43. Siehe dazu die Diskussion der These Torrey, Ezra Studies, 250, und dazu oben, 68, Anm. 136. 173 Vgl. Rothenbusch, Abgesondert, 100. 174 Vgl. Johnson, Purpose, 76; vgl. dazu auch Hieke, Genealogien, 4f. 172

80 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) wird, bekannt sind. Das gilt für die Einzelpersonen (wie Serubbabel und Jeschua) und für die Namen, die die Gruppen bezeichnen. Dies zeigt sich am Verweis auf ausgewählte genealogische Angaben und durch Zusatz von ‫אחר‬ einer zweiten Gruppe mit der Bezeichnung ‫ בני עילם‬in Esr 2,31. Für uns, die wir nur begrenzte Informationen über die soziologische Struktur der nachexilischen Gemeinde haben, ist die Frage, ob mit der Wiederkehr einiger Namen in anderen Kontexten des Esra-Nehemia-Buches die Identität der betreffenden Person gemeint ist, mitunter schwer zu entscheiden, besonders wenn es sich um mehrfach vorkommende Namen wie z.B. Jeschua handelt. Unabhängig von dem Interpretationsproblem zeigt der Charakter der Liste, dass es um direkt für die intendierten Adressaten relevante Informationen gehen muss. Doch inwiefern dient diese Liste (wie die anderen Listen des Esra-Nehemia-Buches) dazu, die Identität175 der intendierten Adressaten zu definieren? Da am Anfang der Liste behauptet wird, dass durch sie die gesamte Bevölkerung repräsentiert wird und eine Fülle von Gruppen aufgelistet werden, muss vorausgesetzt sein, dass die Namen und Orte zumindest teilweise bekannt sind. Der intendierte Adressat aus der nachexilischen jüdischen Gemeinde konnte daher Bezugspunkte auf sich selbst darin wiederfinden. Dies wird im Esra-Nehemia-Buch letztlich schon entsprechend für die Zeit Esras und Nehemias realisiert, indem eine ganze Reihe von Namen z.T. immer wieder an anderen Stellen innerhalb und außerhalb der anderen Listen auftauchen. Doch wie verhält es sich mit Personen, die sich keiner dieser Gruppen zurechnen können? Auch dafür enthält der Text eine Lösung, in dem Abschnitt mit Gruppen, bei denen die Herkunft nicht nachgewiesen werden konnte (Esr 2,59–63). Während das für die Priester die Konsequenz der Untauglichkeit für den Priesterdienst hat – dazu im Folgenden –, wird für die betreffenden Juden bzw. Israeliten solches nicht erwähnt. Intendierte Adressaten ohne eigene Familiengenealogie konnten ihre Zugehörigkeit äquivalent zu diesen Gruppen betrachten, auch wenn ein Teil der Namen Probleme erkennen lässt.176 Diese Aspekte werden vom Rahmen rezipiert, indem eine vollständige Rückkehrerperspektive abhängig von Esr 1,1ff. entwickelt und somit der Charakter von einzelnen Elementen der ursprünglichen Liste auf die Gesamtliste ausgeweitet wurde. Die Nutzung dieser Elemente dient dazu, den intendierten Adressaten die Generalisierung der Rückkehrperspektive plausibel zu machen. Wenn allerdings die intendierten Adressaten mit den Namen etwas anfangen sollten, was ihr Gebrauch an anderen Stellen des Buches nahelegt, dann setzt das weitere Anstrengungen voraus. Denn die intendierten Adressaten sollen ja möglicherweise eine Veränderung in der 175 176

Nach Grätz, Listen, dienen die Listen der Identitätsbestimmung. Vgl. zum Zusammenhang mit Esr 6,21 unten, 208ff.

2. Die sog. Rückkehrerliste

81

Identitätsbestimmung der eigenen Sippe akzeptieren. Als erste Voraussetzung dafür muss man einen beträchtlichen Zeitabstand von den erzählten Geschehnissen annehmen. Andernfalls ist eine solche Konstruktion schwer vorstellbar. Zu den argumentativen Anstrengungen gehört auch, dass man eine veränderte Form der Quelle, die offenbar ein wichtiges Element der Identität der intendierten Adressaten war, präsentierte. Die erzählerische Einbindung sucht insbesondere in Neh 7,5 die Authentizität des veränderten Textes plausibel zu machen. Der Vers Neh 7,5 mit seiner Legende der Auffindung der Rückkehrerliste ist also nicht einfach Konstruktion, sondern er knüpft neben dem direkten Bezug auf Esr 2 auch an die Kenntnis der Quelle bei den intendierten Adressaten an und sucht die vorliegende Form der Liste mit der Autorität Nehemias und der gleichzeitigen Präsentation in Esr 2 als Liste derer, die den Tempel bauten und zugleich Rückkehrer aus der Gola waren, plausibel zu machen, während es in der ursprünglichen Quelle nur um den Tempelbau, aber noch nicht durchgängig um die Rückkehr aus der Gola ging.

3. Die Unterbrechung des Tempelbaus (Esr 4,1–24) Esr 4 enthält ebenfalls einen Textabschnitt, der als eine der Quellen der Tempelbauerzählung Esr 1–6 angesehen wird.177 Er soll an dieser Stelle analysiert werden, weil er mit der sog. aramäischen Tempelbauchronik eng verbunden ist und einen ähnlichen Aufbau wie sie aufweist. Er enthält zwei weitere dokumentarische Texte, und es sind in Esr 4 außerdem die bereits erwähnten beiden Rückverweise auf den Kontext des Kyrosediktes enthalten (Esr 4,3.11). Die Kommentierung bzw. Analyse des Abschnittes geschieht in der Sekundärliteratur in der Regel für den hebräischen und den aramäischen Abschnitt getrennt.178 Demgegenüber soll im Folgenden der Gesamtzusam177 So schon Meyer, Entstehung, 59; Stade, Geschichte, 159, die in dem aramäischen Abschnitt authentische Dokumente sahen. Grundsätzliche Kritik hat D. Schwiderski auf der Grundlage formkritischer Überlegungen geäußert. Aufgrund der Abweichungen von den Konventionen bezweifelt er, „ob das Schreiben jemals außerhalb des Erzählkontextes existiert hat“ (Schwiderski, Handbuch, 377). Rothenbusch, Abgesondert, 57, diese Kritik aufnehmend, plädierte zuletzt dafür, in 4,8ff. eine verarbeitete literarische Quelle zu sehen. 178 Vgl. Gunneweg, Esra, 77–82.85ff. So zuletzt wieder Rothenbusch, Abgesondert, 56ff. Insbesondere die Platzierung des Abschnittes (4,6–24) im direkten Anschluss an das Kyrosedikt, wie es in 1Esdras vorliegt, hat zu einer Trennung der beiden Bestandteile in der Auslegung beigetragen. Das Problem wird in der Regel mit der problematischen Chronologie der Perserkönige verbunden. Schon Schaeder, Esra, 27; ders., Iranische Beiträge, 216, sah ein Quellenstück, das eigentlich in einen anderen Zusammenhang gehört, aber hier

82 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) menhang untersucht, seine Intention erschlossen und erst auf dieser Grundlage die Frage nach der Quelle beantwortet werden. 3.1. Überblick Esr 4 berichtet davon, wie der von Kyros ermöglichte, befohlene (Esr 1) und sogleich mit viel Jubel und Freude (Esr 3) begonnene Tempelbau zunächst unterbrochen wird. Dies beginnt mit der Erwähnung einer Auseinandersetzung zwischen Serubbabel (zusammen mit den am Bau beteiligten Personen) und „Widersachern“, die die Judäer vom Bauen abschrecken und Ratgeber gegen sie dingen, um sie am Bau des Tempels zu hindern. Ein aramäisch abgefasster Abschnitt entfaltet dies, indem ein Briefwechsel mit dem persischen König wiedergegeben wird, der eine Bauunterbrechung bis zum zweiten Jahr des Darius zur Folge hat. Freilich ist in dem Briefwechsel nicht vom Tempelbau die Rede, sondern immer nur vom Bauen der Stadt Jerusalem. Erst in dem abschließenden V. 24 wird die Unterbrechung des Tempelbaus nach V. 5 ein weiteres Mal, nun resümierend erwähnt. In dem Kapitel lassen sich zunächst aufgrund der verwendeten Sprache formal zwei Teile unterscheiden. Der erste Abschnitt (Esr 4,1–7) ist hebräisch abgefasst. Der andere Abschnitt umfasst die aramäischen Verse Esr 4,8– 24. Die Abgrenzung gegenüber Esr 5f. lässt sich nur an der Einführung neuer Figuren und dem Neueinsatz der Handlung in Esr 5,1 erkennen.179 In V. 7 wird von der Abfassung eines Briefes in aramäischer Sprache und mit aramäischer Schrift berichtet, und danach wird in der Einleitung eines weiteren Briefes tatsächlich die aramäische Sprache verwendet, sodass die Grenze zwischen hebräischer und aramäischer Stilisierung signalisiert ist.180 Der Schwerpunkt des aramäischen Abschnitts liegt auf der Wiedergabe zweier Briefe, doch bereits die Einführung des ersten Briefes ist in Aramäisch verfasst, und die V. 23f. gehen auf die Folgen des Briefwechsels ein, gehören also bereits wieder zum erzählerischen Rahmen. Die Sprachgrenze verläuft also nicht zwischen Erzähltext und Brief. Oft wird die Sprachgrenze deswegen bei der Analyse außer Acht gelassen.

eingefügt worden sei. Vgl. zur älteren Forschungsgeschichte auch Rudolph, Esra-Nehemia, 37. Kittel, Geschichte Israels III/2, 602–605, überlegt, ob der Brief in Esr 4,12ff. in die Zeit Esras zu datieren ist. Er postuliert, dass der Abschnitt zwischen die Esrageschichte und die Nehemiageschichte zu platzieren sei und der Zustand der Mauer im Nehemia-Buch und deren Instandsetzung in 52 Tagen sich auf ihre Zerstörung in Esr 4,23 beziehe. Ähnlich zuletzt Goswell, Time, 192ff.; Doering, Letters, 119. 179 Vgl. unten, 115. 180 Vgl. unten, 91.

3. Die Unterbrechung des Tempelbaus (Esr 4,1–24)

83

Eine inhaltliche Klammer181 bilden die beiden Erwähnungen des Ruhens des Tempelbaus bis in die Zeit des Darius in Esr 4,5 und 4,24. 182 Allerdings ist V. 5 Teil einer Hinführung (V. 5–7) zu dem Schreiben, in der weitere Schreiben erwähnt werden. Nicht mehr verknüpft mit dem Erzähltext und als Überschrift des wiedergegebenen Schreibens als Neueinsatz formuliert ist erst Esr 4,8. 3.2. Esr 4,1–7 Esr 4 beginnt zunächst mit einer Auseinandersetzung mit sog. Widersachern (‫)צרים‬, die Juda und Benjamin gegenübertreten. Die beiden Stämme werden in gleicher Weise zusammen in Esr 1,5 erwähnt, dort als jene, die dem Kyrosedikt folgen und hinaufziehen, um das Haus Jhwhs zu bauen. Sie werden nun in Esr 4,1 außerdem als ‫ בני הגולה‬bezeichnet. Diese sind nun dabei, den Tempel des Gottes Israels zu bauen, was sich ebenfalls an 1,5 anschließt.183 Mit Juda und Benjamin ist kein Gebiet oder die nachexilische Provinz184 im Blick, sondern aufgrund des Verweises auf die Gola Israel als Stammesvolk.185 Von diesem sind exklusiv Juda und Benjamin am Tempelbau beteiligt. Dass es um eine Nutzung der gesamtisraelitischen Perspektive geht, ist daran erkennbar, dass Benjamin und Juda einen Tempel für Jhwh, den Gott Israels, bauen. Der Vers impliziert, dass es neben Juda und Benjamin noch andere Stämme gibt. Theoretisch könnten diese sich an dem Tempelbau beteiligen, doch sind sie offenbar als nicht anwesend gedacht, was Esr 1,5 ent181

Kratz, Komposition, 65; Rothenbusch, Abgesondert, 55, sprachen zuletzt von einer Wiederaufnahme. Williamson, Ezra-Nehemiah, 61, sieht ebenfalls einen Hinweis auf eine Überarbeitung. Bei der Parallelität sieht man schon seit dem Anfang des 19. Jh. einen Hinweis für eine sekundäre Verklammerung. Vgl. zur Forschungsgeschichte Rothenbusch, Komposition, 65. Gleichgültig, ob man hier ein sekundäres Mittel vermutet, werden dadurch inhaltliche Zusammenhänge markiert. 182 In V. 5 freilich wird dies vage ausgedrückt „bis zur Herrschaft des Darius“ und in V. 24 wird das zweite Jahr des Darius als Ende der Bauunterbrechung genannt. 183 Man sieht in 1,5 und 4,1 in der Regel denselben Verfasser am Werke. Vgl. zuletzt Rothenbusch, Abgesondert, 114.389. 184 Anders Willi, Juda, 68, der darin Landschaftsbezeichnungen sieht. Da die Rückkehr aus der Gola genannt wird, besteht ein Zusammenhang mit Esr 1,5. Wenn dort mit Juda und Benjamin Gruppen im Blick sind, dürfte auch in Esr 4,1 an die Rückkehrergruppen gedacht sein. 185 Weingart, Israel, 292, hält das Stammessystem nicht für von vornherein bei den Texten präsupponiert, „die ‚Israel‘ de facto mit der Stämmetrias der Provinz Jehud (Juda, Benjamin, Levi) identifizieren“. Doch gerade der Zusammenhang mit dem Kyrosedikt und seinem Rahmen zeigt, dass potentiell zu Israel weitere Stämme hinzugehören, sodass mit ‫ יהודה ובנימין‬nicht nur „eine Bezeichnung der Einwohner der Provinz Jehud“ (ebd.) vorliegt, sondern zugleich auch eine umfassendere Konzeption aufgerufen wird.

84 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) spricht. Während die Bauenden als Angehörige der (ehemaligen) Gola mit Juda und Benjamin identifiziert werden, bleibt die Identität der Widersacher offen. Mit der Einführung der ‫ צרי יהודה ובנימן‬erwartet man allerdings eine radikale Auseinandersetzung. Oft wird das Nomen zur Beschreibung von kriegerischen Konflikten verwendet.186 In Esr 4,2 werden als eine Partei Serubbabel, Jeschua und die Sippenhäupter genannt. Zu dieser kommen die Widersacher mit ihrem Ansinnen. Knapp heißt es: ‫„ – נבנה עמכם כי ככם נדרוש לאלהיכם‬Wir wollen mit euch bauen, denn wie ihr suchen wir euren Gott.“ Aus dem Mund von Widersachern ist der Wunsch, am Tempelbau mitwirken zu wollen, zumindest überraschend. Die Begründung ist aufschlussreich, da sich die Sprecher nicht in einer direkten Gottesbeziehung sehen. Sie befinden sich auf der Suche nach dem Gott der Judäer und Benjaminiten. Damit stellen sie sich als eine Gruppe von Nichtisraeliten vor, die sich dem Gott Israels zuwenden. In spät-nachexilischen Kontexten deutet sich eine solche Tendenz an, doch wird sie normalerweise positiv beurteilt.187 Im vorliegenden Fall sind die Sprecher aber bereits zuvor als ‫ צרים‬bezeichnet und deshalb von vornherein negativ charakterisiert. Sicher wegen der üblicherweise positiven Sicht von Fremden, die sich dem Gott Israels zuwenden, wird eine weitere Erklärung angefügt, in der sich die Sprecher vorstellen: ‫ולא אנחנו זבחים מימי אסר חדן‬ ‫„ – מלך אשור המעלה אתנו פה‬Und nicht opfern wir seit den Tagen Asarhaddons, der uns hier heraufgebracht hat.“ Bei dem Halbvers findet sich eine Differenz in der Lesetradition gegenüber dem Konsonantentext. Die Lesung der Masoreten (Qere) ist ‫ולו‬, während das Ketiv ‫ ולא‬lautet. Nach Gunneweg handelt es sich beim Ketiv um „eine boshaft tendenziöse Textänderung, welche den Zitierten ihren bisherigen Jahwekult abspricht.“188 Abgesehen davon, dass bei einer solchen Interpretation die jüdische Tradition eine Sicht entwickelt hätte, die den Fremden einen Jhwh-Kult zuspräche, hängt die Beurteilung des Unterschiedes von der Intention des Gesamtkontextes ab. Die Voranstellung von ‫ צרים‬wertet das Ansinnen der Fremden und seinen Hintergrund von vornherein ab. Auch wird es ohne Umschweife zurückgewiesen. Daher kann ein Kult der Widersacher nicht als Möglichkeit im Blick sein. Einen legitimen Jhwh-Kult kann es weder aus der Perspektive Serubbabels noch aus jener der intendierten Adressaten geben. Unter dieser Voraussetzung ist das Qere „ihm opfern wir seit den Tagen ...“ als besonders polemisch zu beurteilen. Die Fremden würden sich nach dieser 186

Die Formulierung ist ein Hinweis darauf, dass die Auseinandersetzung weit fortgeschritten ist. Vgl. dazu unten, 110. 187 Vgl. die Arbeit von Haarmann, JHWH-Verehrer der Völker. Leider diskutiert er (ebd., 265f.) nur die damit im Zusammenhang stehende Stelle Esr 6,21. 188 Gunneweg, Esra, 77.

3. Die Unterbrechung des Tempelbaus (Esr 4,1–24)

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Lesart selbst anmaßen, einen Jhwh-Kult zu praktizieren. Das Ketiv „nicht opfern wir seit den Tagen ...“ verbunden mit dem Wunsch, am Tempel mitzubauen, wäre dagegen eher als Hinwendung von Fremden zum Jhwh-Kult zu verstehen, wie sie auch in anderen biblischen Büchern begegnet.189 Die Fremden stellen sich weder mit ihrem Wohnort noch mit einer Volksbezeichnung vor, sondern verweisen lediglich darauf, dass sie seit der Zeit Asarhaddons, des Königs von Assur, „hier“ (‫ )פה‬sind und – entsprechend der Entscheidung für Qere oder Ketiv – entweder opfern oder nicht opfern. ‫„ פה‬hier“ macht deutlich, dass es um Bewohner des Landes geht. Mit dem Verweis auf die assyrische Ansiedlung kann es sich nur um Bewohner des ehemaligen Nordreiches handeln. Die Hervorhebung der Ansiedlung impliziert, dass diese aus Fremden, d.h. aus Nichtisraeliten besteht.190 Deren Selbstcharakterisierung lässt erkennen, warum nur von Juda und Benjamin und der Gola als am Bau beteiligter Gruppe gesprochen wird. Offenbar hat man ein besonderes Abgrenzungsinteresse von anderen, die im Lande anwesend sind und sich ebenfalls als Jhwh-Verehrer verstehen. Damit polemisiert der Vers mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen die Samarier.191 Da es gesichert ist, dass der Jhwh-Tempel auf dem Garizim bereits in der Mitte des 5. Jh. v. Chr. existiert hat,192 richtet sich die Polemik also gegen jene Gruppe, deren Tempel auf dem Garizim zur Abfassungszeit von Esr 4 bereits existierte.193 Die Polemik von Esr 4 besteht darin, dass die in der Er189

Vgl. als Überblick dazu Haarmann, JHWH-Verehrer der Völker. Vgl. Weingart, Israel, 74. 191 So schon Torrey, Ezra Studies, 169. Dies weist Coggins, Samaritans, 51, mit Verweis auf den fehlenden Vorwurf der Unreinheit zurück: „[I]t is important to note that there is nothing here of the later charges of racial impurity which Jews brought against Samaritans.“ Doch wir haben in Esr 4,2 die Selbstcharakterisierung der Widersacher vor uns. Unreinheit könnte darin keine Rolle spielen, und die Ablehnung durch Serubbabel in Esr 4,3 schließt es nicht aus, dass dies wie in Esr 6,21 eine Rolle spielt. 192 Vgl. Magen, Samaritian Temple, 176; Magen/Misgav/Tsfania, Mount Gerizim Excavations, 103; Hjelm, Mt. Gerizim, 26. Zur älteren Sicht siehe Mor, Samaritan History, 6; kritisch gegenüber der Argumentation, aber letztlich dem Rahmen der Datierung zustimmend: ders., Building, 98. 193 Anders noch Gunneweg, Esra, 78; Coggins, Samaritans, 67. Japhet, Ideology, 257, betont, dass in Esr 4 (wie in 2Kön 17) die Ideologie des leeren Landes für das ehemalige Nordreich vorausgesetzt sei: „According to the testimony of 2 Kings 17 and Ezra 4, all the Israelites were exiled from their land (2 Kings 17:20–23), and their cities came to be inhabited entirely by foreigners, the descendants of peoples departed to the land by Assyrian kings. In spite of the fact that they worshipped Israel’s God, they were considered aliens both by the returned exiles and by their own definition.“ Doch muss beachtet werden, dass wir es hier lediglich mit der Selbstcharakterisierung einer Gruppe zu tun haben. In dieser wird weder in Esr 4,2 noch in Esr 4,9f. etwas über den Verbleib der Israeliten im ehemaligen Nordreich ausgedrückt. Willi, Juda, 68, sieht stärker die Politik im Hintergrund: „Die Erzählung ist eindeutig, wenn man ihre Aussagen und Begriffe zum Nenn190

86 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) zählung auftretenden Widersacher (bei denen [pragmatisch] die Samarier mit ihrem Jhwh-Tempel im Blick sind) sich selbst als Angehörige von Fremdvölkern ausweisen.194 So bezeugen sie (angeblich) die Illegitimät ihres Anspruches auf den Jhwh-Kult selbst. Zu dieser Polemik gegen die Samarier passt das ‫( לא‬Ketiv) besser als ‫לו‬ (Qere). Wenn Fremde behaupten, sie würden sich zu Jhwh hinwenden, müssten sie auch den Gottesdienst an dessen Tempel im Blick haben. In der späteren jüdischen Polemik gegen die Samaritaner verschärfte das Qere die Polemik. Nun behaupten die Samarier, dass sie Jhwh bereits geopfert hätten. Vielleicht ist diese Lesung eine Harmonisierung mit 2Kön 17,28. In jedem Fall weist die Behauptung der Widersacher einen regelrechten Verstoß gegen die Tora auf, denn es darf ja nur einen legitimen Kultort Jhwhs geben. Dass das Qere erst nachträglicher Bibelexegese entstammen dürfte, zeigt sich daran, dass die Bitte, am Bau des Tempels mitzuwirken, angesichts des bereits vorausgesetzten eigenen Kultes wenig plausibel ist und eine andere Antwort Serubbabels nötig machen würde.195 Die Polemik ist traditionsgeschichtlich verbunden mit dem Abschnitt in 2Kön 17,24ff., in dem von der Ansiedlung fremder Völker im ehemaligen Nordreich und dem Ursprung von deren Jhwh-Kult erzählt wird.196 Die Erwähnung von Asarhaddon in wert nimmt und sie nicht mit Hypothesen wie jener einer antisamaritanischen Tendenz des ‚Chronisten‘ belastet. Denn ‚die Bedränger Judas und Benjamins‘ – keine politischen Entitäten (eine Provinz Jehud bestand, wenn überhaupt, in der hier vorausgesetzten Zeit bestenfalls auf dem Papier), sondern repristinierend gebrauchte Landschaftsbezeichnungen, mit denen hier ein Gebiet umrissen wird, das etwa das Hügelland von Bet Zur bis Betlehem sowie Jerusalem und seine Umgebung einschließen dürfte – diese ‚Bedränger Judas und Benjamins‘ sind eben das, was der Ausdruck aussagt: nicht synkretistisch eingestellte Bevölkerungsteile, nicht einmal unbedingt Nichtisraeliten, sondern einfach Persönlichkeiten und Kreise, denen ein Bedeutungszuwachs des als ‚Juda und Benjamin‘ bezeichneten Landstrichs oder gar der Stadt Jerusalem ein Dorn im Auge“ ist. Doch die Selbstcharakterisierung schließt ausdrücklich religiöse Aspekte ein, sodass ein Zusammenhang mit der entstehenden Gemeinschaft der Samaritaner nicht vorschnell ausgeschlossen werden sollte. 194 Schenker, Zwei Tempel, 312, weist darauf hin, dass in 1Esdr 5,49 ein Zusammenhang mit dem Tempel auf dem Garizim explizit ist. So sei die Formulierung älter als der Parallelkontext Esr 3,3, „weil es nicht wahrscheinlich erscheint, dass jemand das ‚schismatische‘ Heiligtum dort eingeführt hätte, wo es nicht vorkam“ (ebd., 315). Wenn dies richtig wäre, dann müsste man ursprünglich Esr 4,1ff. als konkrete Fortsetzung dessen verstanden haben. Doch 1Esdr 5,49 könnte eine bereits implizite Polemik für die griechischen Rezipienten auch explizit gemacht haben. 195 Anders Coggins, Samaritans, 23, der an der Stelle 2Kön 17 reflektiert sieht. 196 Doch auch 2Kön 17 selbst muss sehr spät sein, da noch nach 2Chr 35,18 die Bewohner des Nordreiches zumindest teilweise an Josias Passa teilnehmen. Daher könnte das Qere in Esr 4,2 zugleich als Harmonisierung mit 2Kön 17,28 in der Lesetradition zu verstehen sein.

3. Die Unterbrechung des Tempelbaus (Esr 4,1–24)

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Esr 4,2 zeigt allerdings eine Unsicherheit hinsichtlich der Ereignisse des 8. Jh.197 Der Anachronismus kann aber auch bewusst gesetzt sein. 198 Mit dem Bezug wird deutlich, dass die anwesenden Widersacher Judas und Benjamins als Bewohner des ehemaligen Nordreichs im Blick sind, die sich als Nichtisraeliten vorstellen. Bei der ablehnenden Antwort von Serubbabel, Jeschua und dem Rest der Häupter der Vaterhäuser ist es die Frage, welche Implikationen mit dem mehrfachen Gebrauch der 1. Pl. in ‫לא לכם ולנו לבנות בית לאלהינו כי אנחנו יחד‬ ‫ נבנה‬verbunden sind. Wenn diese sich auf die Sprecher bezieht, muss ‫יחד‬ nicht als Bezeichnung der Gemeinschaft angesehen werden. 199 Auch ist es nicht nötig, mit J.C. de Moor eine Sonderbedeutung „(together) without company, protection, assistence“ zu vermuten.200 Vielmehr zielt ‫ יחד‬dann nur auf die Gruppe der Sprecher, deren Angehörige gemeinschaftlich handeln: „Nicht an euch und an uns (als einer dann gemeinschaftlichen Größe) ist es, ein Haus für unseren Gott zu bauen, sondern wir (selbst) werden gemeinsam für Jhwh, den Gott Israels, bauen ...“ Auf Grund des Rückbezugs der 1. Pl auf die Sprecher gibt es ein „Wir“, das die Bewohner des ehemaligen Nordreiches einschließt, aus der Perspektive Serubbabels und der Rückkehrer nicht. Von Jhwh als von dem gemeinsamen Gott haben die Gegner nicht gesprochen, sondern mit ‫„ לאלהיכם‬für euren Gott“ die explizite Gottesbeziehung der Rückkehrer bestätigt. Im Rückblick ergibt sich, dass Jhwh als Gott Israels nur von Juda und Benjamin als den anwesenden Israeliten bzw. den Angehörigen der Gola verehrt werden kann. Doch warum wird auf so hintergründige Weise von Bewohnern des ehemaligen Nordreiches gesprochen, und warum lässt man sie selbst bezeugen, dass sie nicht zu Israel gehören? Für eine Beantwortung sind zwei Aspekte zu bedenken: 1. Wenn es sich bei denjenigen, die hier sprechen, um Einwohner des ehemaligen Nordreiches handelt, dann sind sie mit jenen zu verbinden, die auch später in Neh 4 und 6 gegen den Stadtmauerbau aktiv werden. Ein verbindendes Element ist, dass es hier wie dort einzelne Figuren und Gruppen sind, die auftreten. Schon die Unterbrechung des Tempelbaus direkt nach dem Exil wird in Esr 4 dem Einfluss aus dem Norden angelastet. Der Vergleich insbesondere mit Neh 4 und 6 zeigt, dass in Esr 4,1–5 eine besonders starke Form der Polemik vorliegt. Geschichtlich und literarisch an der ersten Stelle, an der die Angehörigen der Gola mit den Bewohnern des Landes zusammentreffen, 197

In den assyrischen Quellen ist eine solche Umsiedlung nicht erwähnt. Vgl. Becking, The Fall of Samaria, 96. 198 Siehe dazu unten, 103. 199 So Talmon, Sectarian ‫יחד‬, 135f. 200 Vgl. de Moor, Lexical Remarks, 355.

88 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) sprechen diese selbst ein Urteil über sich. 2. Der Tempel auf dem Garizim muss zur Abfassungszeit des Textes bereits eine beträchtliche Zeit existiert haben. Esr 4,1–5 lässt diejenigen, die (historisch betrachtet) wenig später den Tempel auf dem Garizim errichten, darum bitten, mitzutun am Tempelbau. Die Zurückweisung wird damit begründet, dass sie nicht zu Israel gehören, was von ihnen nicht geleugnet, sondern bestätigt wird. Die Aussage „wir haben nicht geopfert“, passt einerseits zu dem Konzept, das aus Samariern Nichtisraeliten macht, doch bedenkt man die Perspektive, so bedeutet sie andererseits, dass es keinerlei kultische Tradition gibt, an die der (aus der Erzählperspektive) auf dem Garizim später errichtete Tempel anknüpfen könnte. Die auftretenden Samarier delegitimieren sich selbst und den zudem als später erwiesenen eigenen Tempel.201 Einerseits geben sie zu, dass sie als Fremde nicht zum Gottesvolk gehören, andererseits wird dem aus der Figurenperspektive späteren Tempel auf dem Garizim seine Legitimität entzogen. Dieser Delegitimation stehen legitimierende Aussagen Serubbabels in seiner Antwort gegenüber. Dafür wird zuerst der Befehl des Kyros angeführt. Kyros hat den Befehl zum Tempelbau ihnen gegeben (‫)צונו‬. Das knüpft an das Kyrosedikt in Esr 1 an, wie die Nennung von Juda und Benjamin sich auf dessen Kontext bezog. Dem Befehl sind nach Esr 1,5 nur Angehörige Judas und Benjamins gefolgt. Bezieht man ein, dass der Tempel auf dem Garizim als existierender Kontext des Passus den intendierten Adressaten bekannt ist, so wird indirekt mit dem Befehl des Kyros auch die Jerusalemer Lokaltradition allein als gültig bestätigt.202 Während Esr 4,3 eher die Feindseligkeit des in Jerusalemer Perspektive verfassten Textes widerspiegelt, folgen in Esr 4,4ff. negative Konsequenzen. In V. 4 werden die Sprecher nunmehr auf der Erzählebene als ‫ עם הארץ‬bezeichnet,203 was diejenigen, die sich zuvor als Fremde vorgestellt haben, mit einem Begriff bezeichnet, der oft für die israelitische bzw. judäische Landbevölkerung gebraucht wird.204 Im Zusammenhang bezeichnet der Begriff 201 Die Einschätzung von Weingart, Israel, 74, dass die Widersacher „nach Esr 4,2 JHWH-Verehrer sind und am Tempelbau mittun möchten“, vereinfacht die Formulierung. Die Widersacher suchen vielmehr Jhwh noch, aber haben ihm nicht geopfert. Nicht vernachlässigt werden sollte der Gebrauch des Suff. 2. mask. Pl. in (‫ נדרוש לאלהיכם‬Esr 4,2aβ). 202 Hier deutet sich der eigentliche Grund für die frühzeitige Realisierung des Kyrosediktes an. Vgl. dazu unten zusammenfassend, 364ff. 203 1Esdr 5,69 spricht stattdessen von den Völkern des Landes: τὰ δὲ ἔθνη τῆς γῆς und scheint damit fremde Völker in den Blick zu nehmen. 204 Nach Fried, ʿam hāʾāreṣ, 137–141, handelt es sich dabei weder um die Deportierten, noch um die judäische Landbevölkerung, sondern um die persische Administration. Sie zieht dafür die Eröffnung von Tattenais Brief heran. Dieser Schluss sei nötig, weil „[l]ocal Judeans – the gôlâ – had no more political power in Judah than did local Egyptians in

3. Die Unterbrechung des Tempelbaus (Esr 4,1–24)

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zunächst die Bevölkerung, ohne die Identität zu klären. Diese Bevölkerung des Landes hat in dreierlei Weise in Esr 4,4f. einen negativen Einfluss auf den Tempelbau ausgeübt. Sie hat die Hände des Volkes von Juda schwach gemacht (‫ רפה‬Pi.), sie abgeschreckt (‫ בהל‬Pi) und gegen sie Berater in Dienst genommen, um ihren Entschluss (‫ )עצה‬zunichte zu machen.205 Für die Bauunterbrechung werden damit mehrere Gründe angegeben, auch wenn die Unterbrechung erst nach dem Brief in 4,8ff. erfolgt. In der Verbreitung von Mutlosigkeit (‫ רפה יד‬Pi.) deutet sich möglicherweise ein Bezug zu der Verkündigung des Haggaibuches an (Hag 1,1–11, bes. die Wiedergabe der Ablehnung des Tempelbaus durch das Volk in Hag 1,2bβ ‫לא עת‬ ‫)בא עת בית יהוה להבנות‬.206 Hinzu kommt die Inanspruchnahme der Berater. Zwar wird in Esr 4,5 nicht gesagt, um wen es sich dabei handelt, doch wird das aramäische Äquivalent in Esr 7,14f. und Dan 6,8 als Bezeichnung für persische Beamte verwendet. Man drückt damit aus, dass persische Beamte bestochen wurden.207 Mit ‫„ עצתם‬ihr Rat“, der so zunichte gemacht werden sollte, kann nur der Entschluss oder Plan des Tempelbaus gemeint sein. Die Einflussnahme wird zeitlich begrenzt. Sie umschließt die Zeit des Kyros und reicht bis zur Herrschaft des Darius (4,5). Das Verhältnis der Widersacher, die sich selbst als Fremde vorgestellt haben, zu dem Begriff ‫ עם הארץ‬muss weiter diskutiert werden, da dieser bestimmte Konnotationen aufruft. Er kommt im Esra-Nehemia-Buch nur an dieser Stelle vor. Dort dient ‫ )עממי( עמי הארץ‬bzw. ‫ עמי הארצות‬dazu, die Disparatheit der Bevölkerung auszudrücken. ‫ עם הארץ‬wird sonst normalerweise für Israeliten verwendet.208 Die Verbindung der Widersacher mit dem Begriff ohne genauere Aussagen über deren Identität zeigt, dass die Gruppe Egypt“ (ebd., 140), doch vernachlässigt das, dass die in Esra-Nehemia erwähnten Statthalter Judäer sind. 205 Meyer, Entstehung, 125, hat vermutet, dass der Sachverhalt sich umgekehrt verhalten habe und die Bevölkerung im Norden einer Aufforderung um Hilfe nicht nachgekommen sei, da in Esr 5 keine Rede von externen Einwirkungen ist. Gunneweg, Esra, 78, hat klargestellt, dass der Verfasser „die Verhältnisse seiner Gegenwart vor Augen [hatte], die er auf seine Weise interpretiert und in die Anfangszeit nachexilischer Existenz zurückdatiert“ hat. 206 Allerdings sind die Andeutungen in Esr 4,4 zu knapp, um dies als intendierten Bezug zu erweisen. Wenn man zusätzlich noch das Auftreten der „Widersacher“ in den Ereignissen des Haggaibuches wiederzufinden meint, muss man Esra-Nehemia und HaggaiSacharja eng aufeinander beziehen und/oder beide Zusammenhänge für historisch sehr zuverlässig halten. So in Anschluss an Rothstein, Juden und Samaritaner, 5ff., Talmon, Art. Ezra-Nehemiah, 323. J.W. Rothstein datiert die Ereignisse von Esr 4,2 nach Hag 2,10 und argumentiert, dass das Wort in Hag 2,10–14 nur aufgrund eines Angriffs von außen nötig gewesen sein könne. Dafür zieht er Esr 4 als Zeugnis heran. Siehe Rothstein, Juden und Samaritaner, 11.14f. 207 Vgl. Gunneweg, Esra, 81.

90 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) negativ gesehen wird. Die Zusammenstellung bewirkt daher, dass man für Probleme mit der Bevölkerung des Landes die als Fremde eingeführten Widersacher verantwortlich machen kann.209 Zum Verständnis des Übergangs zum Anfang des aramäischen Briefwechsels ist ein Blick auf die Struktur entscheidend, die sich in Esr 4,4–7 ergibt. Faktisch handelt es sich durchgängig um eine Kette von Handlungen, die durch waw-Kopulativum verbunden mehr oder weniger spezifisch die Widerstände gegen den Tempelbau aufzählen. 1. Das Volk des Landes schwächt die Hände des Volkes von Juda (V. 4); 2. Dingen von Ratgebern (Bestechung) (V. 5); 3. Schreiben einer Anklage unter Achašweroš (V. 6); Schreiben eines Briefes an Artachšasta durch Bischlam, Mitredat und Tabel (V. 7).210 Obwohl in V. 7b als Nebenbemerkung zu dem erwähnten Schreiben die Abfassung des Briefes auf Aramäisch thematisiert ist, wird in V. 8 dann im aramäischen Text ein weiteres Schreiben von neuen Personen erwähnt. Wir haben es also mit mehreren Briefen zu tun,211 die die Anfeindungen der V. 4f. fortsetzen. Die Betonung von aramäischer Sprache und Schrift dient in dem von vornherein als polemischer Zusammenhang erkennbaren Ab208

Beispielsweise setzt die Chronik in Rezeption des Konzepts der Königebücher den Begriff entsprechend ein. 209 Möglich ist es, dass der Gebrauch von ‫ עם הארץ‬in Esr 4,4 dabei bereits die despektierliche Bedeutung hat, die sich im rabbinischen Judentum abzeichnet. Die Verbote, mit den Angehörigen des ‫ עם הארץ‬zu essen und mit ihnen die Ehe einzugehen (vgl. Wald, Am Ha-areẓ, 68), rücken sie in die Nähe derer, gegen die im Esra-Nehemia-Buch polemisiert wird. 210 Analog zu dem vorangehenden Anklagebrief und dem nachfolgenden Verleumdungsschreiben ist ebenfalls von einer Anfeindung auszugehen. Vgl. Gunneweg, Esra, 88. Klostermann, Geschichte, 216, meint allerdings, dass ‫ בשלם‬auf eine „Apologie“ schließen lasse. Dem folgte Kittel, Geschichte, 602. – In der Regel wird Achašweroš mit Xerxes identifiziert, da dessen Bezeichnung in aramäischen Inschriften ‫ חשירש‬bzw. ‫ חריארש‬ist. Vgl. Gunneweg, Esra, 83; Steinmann, Ezra-Nehemiah, 220. Die Wiedergabe von Artachšastas mit Artaxerxes ist gesichert. Ob und welche historischen Personen damit zu verbinden sind, soll zunächst keine Rolle spielen. 211 Gunneweg, Esra, 88, hat vermutet, dass eine Kette von Anklagebriefen im Blick ist, was bereits in einer Quelle so enthalten war. Nach Schwiderski handelt es sich zumindest bei dem in V. 7 erwähnten Schreiben um ein königliches Edikt bzw. das Antwortschreiben. Schwiderski, Handbuch, 347, argumentiert, dass das nicht erklären könne, „aus welchem Grund […] die Verwendung der aramäischen Schrift und die Übersetzung ins Aramäische so ausdrücklich betont“ werden. Er schließt: „Im Zusammenhang eines Schreibens vom persischen Hof ließe sich ein betonter Hinweis auf die Verwendung der aramäischen Sprache und Schrift auch leichter verstehen, als dies bei einem Brief aus dem Westen des Reiches der Fall wäre. Als Opposition kämen das Akkadische und die dazugehörige Keilschrift infrage, die im Ostteil des Reiches in Gebrauch waren“ (ebd., 347f.). Doch bleibt bestehen, dass das Schreiben an Artaxerxes gerichtet ist.

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schnitt dazu, die Brisanz des nachfolgenden Schreibens zu unterstreichen.212 Denn die Bevölkerung des Landes, die eigentlich Hebräisch schreiben würde, deren Vertreter mit Serubbabel auch Hebräisch gesprochen haben, nutzt für einen Anklagebrief nun die offiziellen Kommunikationsformen, was sich im nachfolgenden Abschnitt entsprechend fortsetzt. Die Thematisierung der aramäischen Sprache auf der Erzählebene ist daher auch ein Signal dafür, dass aufgrund der aramäischen Kommunikation der nachfolgende Textabschnitt Esr 4,8ff. als integraler Bestandteil des hebräisch eröffneten Textes verstanden werden soll. Der Verweis (V. 7) deutet also eine inhaltliche Zuspitzung an und bereitet den nachfolgenden Abschnitt vor. Für das Verständnis der Verse Esr 4,4–7 ist zu beachten, dass eine längere Zeit der Bauunterbrechung durch die Phrase ‫כל ימי כורש מלך פרס ועד מלכות‬ ‫ דריוש מלך פרס‬in Esr 4,5 vorausgesetzt ist. Wie auch immer man die Nennung der Könige Xerxes (Achašweroš) und Artaxerxes (Artachšasta) interpretiert, so platziert der Text sie doch zwischen Kyros und Darius. Daher ist es nicht möglich, die Verse mit unserer auf textexternen Daten beruhenden Kenntnis der Perserzeit zu verbinden, nach der man jenen Achašweroš mit Xerxes I. (486–465/64) und jenen Artachšasta mit Artaxerxes I. (465/64– 425) identifiziert.213 Das Konzept der Namen in Esra-Nehemia lässt sich allerdings nicht vollständig entschlüsseln. Problematisch ist auch, dass Artaxerxes ab Esr 7,1 ‫ארתחשסתא‬, also mit ‫ ס‬geschrieben wird. Eine Unterscheidung der Könige scheint im Blick zu sein.214 Auffällig ist, dass die Vokalisation des Namens in Esr 4,7 wechselt. Dort wird bei der Datierung auf die Tage des ‫ ַא ְר ַתּ ְח ַשׁ ְשׂ ָתּא‬verwiesen, doch danach erscheint in V. 7aβ und 23 der Name mit dem Qere ‫א ְר ַתּ ְח ַשׁ ְשׂ ְתּ‬, ַ doch ändert sich die Vokalisation des Namens nicht mehr, die trotz des 212 Gegen die Annahme von Schwiderski, Handbuch, 347, dass das Aramäische in einem in Palästina abgefassten Text keinen Sinn ergibt, spricht der literarische Charakter des Textes. Nicht die uns bekannte Tatsache, dass das Aramäische im Westen dem Akkadischen als Verkehrssprache gegenüberstand (vgl. ebd.), ist entscheidend, sondern die den intendierten (jüdischen) Adressaten geläufige Tatsache, dass das Aramäische als Verkehrsund Amtssprache der hebräischen Lokalsprache gegenüberstand. 213 Mit dieser Verbindung steht die Erwähnung von Darius in Spannung, was man in unterschiedlicher Weise klärt. Innerbiblisch findet sich als Alternative noch die Notiz in Dan 9,1, wonach Darius, der Meder, ein Sohn des Achašweroš gewesen sei. Torrey, Ezra Studies, 38f., zieht dies auf der Grundlage von 1Esdras als Erklärung hinzu. Zur Problematik um Darius, den Meder, vgl. Koch, Dareios. Möglicherweise wird das Konzept von 1Esdras zu der in der rabbinischen Literatur entwickelten Identifikation von Artaxerxes mit Darius und Artaxerxes mit Achašweroš weiterentwickelt. Das Auftauchen des Xerxes nur an dieser Stelle ist signifikant. Er begegnet sonst nur im Estherbuch und in Dan 9,1. Auch wenn es sich nicht beweisen lässt, könnte der Verweis auf ihn auf das Estherbuch anspielen. 214 So Gunneweg, Esra, 83, in Anschluss an Torrey, Ezra Studies, 38f. Die Schreibweise hat aber nichts damit zu tun, dass ein negativ bewerteter Artaxerexes von einem positiven unterschieden werden soll, da in Esr 6,14 auch von ‫ ארתחששתא‬die Rede ist.

92 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Konsonantenwechsels ab Esr 7,1 dann auch gleich bleibt. Das spricht dafür, dass die Masoreten übergreifend den gleichen Namen sahen. Der Sinn dieses Qere perpetuum (‫ שת‬bzw. ‫ )ששת‬ist es, eine Identifikation des in Esr 4,7.8.23; 6,14 Genannten mit dem mit ‫ ס‬geschriebenen Artaxerxes in Esr 7–Neh 13 zu erreichen. Offensichtlich wurde in der Lesetradition die Identifikation, die in Seder Olam (SOR 30,2) enthalten ist, in den biblischen Text eingetragen. Dem Konzept liegt zugrunde, dass alle persischen Könige Artaxerxes genannt worden sind.215 Dieses Konzept kann wegen der unterschiedlichen Schreibweise im Konsonantentext nicht ursprünglich sein. Andererseits zeigt gerade der Wechsel der Bezeichnung in Esr 7,1, dass man ein konkretes Konzept vor Augen hatte. Die Veränderungen in der Lesetradition sind aber ein deutliches Zeichen dafür, dass das eigentümliche Konzept der jüdischen Sicht der Perserzeit in einer Auslegung des Esra-Nehemia-Buches entstanden ist.

Die Nennung zweier unterschiedlicher Schreiben (4,6f.) geht damit der ausführlichen Thematisierung des Schreibens Esr 4,8ff. voraus. Ob das auf eine Quelle zurückgeht oder einen Versuch darstellt, Informationen über entsprechende Einflussnahmen miteinander zu koordinieren, kann man nicht sagen. Doch dient diese Präsentation nach den hinleitenden und deutenden Versen Esr 4,4f. dazu, den Versuch einer andauernden bzw. mehrfachen Einflussnahme auf den Tempelbau aufzuzeigen. Das wiederum entspricht Esr 4,4f., wonach das Volk des Landes die Judäer mutlos macht, vom Bauen abschreckt und Beamte besticht. Es wäre dann eine Kette von Anfeindungen entworfen worden, an deren Ende (unter der Herrschaft des Artaxerxes) der Brief der Beamten Rehum und Schimschai als konkretes Beispiel präsentiert wurde, wobei diese Anfeindung ihr Ziel erreichte. 3.3. Esr 4,8–24 Der aramäische Abschnitt hat eine eigene Einleitung. ‫ כנמא‬dient dazu, den Brief Rehums und Schimschais an Artaxerxes einzuführen. Doch V. 9 folgt mit ‫ אדין‬eine zeitliche Anknüpfung, mit der sich die erzählerische Ebene fortsetzt.216 Esr 4,9f. gehören zusammen und beinhalten eine Aufzählung der Adressaten, die wie der Verweis auf den Brief in 4,7 mit Eigennamen einsetzt und dann weitere Personen folgen lässt. Dies ist für einen Brief ungewöhnlich.217 Es legt sich bereits an dieser Stelle nahe, dass nicht die exakte 215

Das Problem wird in der Regel nur notiert: Vgl. Rudolph, Esra-Nehemia, 34; Gunneweg, Esra, 83. Rudolph hatte im Anschluss an H.H. Schaeder erwogen, ob das damit zusammenhängen könnte, dass auch V. 7 eine anders geartete aramäische Vorlage hatte. 216 Vgl. Gunneweg, Esra, 89, der auch darauf hinweist, dass eigentlich der Brief zu erwarten wäre. Nach Schwiderski, Handbuch, 350, dient der neuerliche erzählerische Einsatz dazu, eine weitere Steigerung des Angriffs auszudrücken. 217 Für Rothenbusch, Abgesondert, 56, ist die Abweichung vom Formular ein Hinweis darauf, dass es sich bei Esr 4,9f. um eine sekundäre Ergänzung handelt. Dies ist unverständlich, da er davon ausgeht, dass der aramäische Abschnitt auch in der von ihm angenommenen Grundschrift bereits ein literarischer Text war: „Esra 4,7.8. 11b–23 ist nicht eine Zusammenstellung von Briefen, die als selbständig überlieferte Quellen aus der Zeit

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Wiedergabe der Briefkommunikation, sondern eine Art Ereignisprotokoll intendiert ist. Dem könnte es auch entsprechen, wenn summarisch neben den Gefährten von Rehum und Schimschai zusätzlich drei Beamtengruppen und drei Volksgruppen als Absender genannt werden, was in V. 10 noch einmal ergänzt wird mit weiteren Völkern. Diese habe ein großer und berühmter Asnappar in der Stadt Samaria und jenseits des Euphrats angesiedelt. In der historischen Herleitung der Völker ist die Bewertung des Asnappar auffällig, der für die Ansiedlung in Samaria und jenseits des Euphrats verantwortlich ist. Dabei handelt es sich um ein literarisches Stilmittel, das dem Leser aus der Perspektive der Absender Nebeninformationen bietet, zugleich aber die Absender charakterisiert. Das Lob des Herrschers, der sie in Palästina angesiedelt hat, steht im Gegensatz zur Beurteilung des Exils durch Israel. Dass mit Asnappar sehr wahrscheinlich ein assyrischer Herrscher im Blick ist, verschärft diesen Kontrast. 218 Die Selbstcharakterisierung dürfte der Grund sein, warum dem Dokument noch ein Vorspann vorangestellt worden ist. Um mit den Hintergrundinformationen und den verschiedenen Gruppen das Briefformular nicht zu durchbrechen, hat man mit dem Rückbezug auf die Namensliste ‫ עבדיך אנש עבר נהרה‬in Esr 4,11b auszugleichen gesucht. Dass der König in seiner Antwort sowohl den Brief als auch dessen Rahmen im Blick zu haben scheint, spricht dafür, dass ein zusammenhängender Text intendiert ist. Der König richtet sein Antwortschreiben in 4,17 direkt an die in V. 9f. erwähnten Personen mit ihren Titeln. Der Attributsatz ‫די‬ ‫ יתבין בשמרין‬spielt zudem auf den Aspekt der Ansiedlung jener Personen in Samaria an. Dies impliziert, dass die Namensangabe als Bestandteil des Schreibens gedacht war, vielleicht als eine zusätzlich angebrachte Absenderangabe. Besonders die Integration der charakterisierenden Absenderangabe mit ‫עבדיך אנש עבר נהרה‬, wodurch die besondere Verbundenheit mit dem König ausgedrückt wird, spricht gegen die These, dass Esr 4,9f. ein sekundärer Zusatz ist.219 Die inhaltliche Differenz ist in einem einheitlichen Text ebenso zu erklären wie im Rahmen einer Redaktionshypothese, wobei man aber für die Annahme einer Redaktion weitere Kohärenzprobleme zeigen müsste. Meiner Ansicht nach dient die Namensdifferenz der Gestaltung der polemischen Perspektive. Esr 4 dürfte also ein Konzept zugrunde liegen, wonach in V. 2 andere Vertreter der gleichen Gruppe von Widersachern Artaxerxes I. gewertet werden können. Sie sind vielmehr in einem narrativen Rahmen überliefert (Esra 4,7f.11a.17a.23)“ (ebd., 57). 218 Die Assyrer werden über weite Strecken negativ beurteilt. Dies rezipiert ihre Verwerfung im Jesajabuch. Vgl. dazu Fohrer, Theologische Grundstrukturen, 162. Später werden die Assyrer zum Muster für die Beurteilung fremder Herrscher. Vgl. Keel, Jerusalem, 1265. Zur Bewertung der Fremdherrschaft in Esr 1–6 allgemein siehe unten, 290ff. 219 Vgl. dazu unten, 103f.

94 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) sprechen, in deren Auftrag nun der Brief geschrieben wird. Dass man zwei verschiedene Vertreter voneinander abweichende Aussagen über ihre Identität machen lässt, wirft ein Licht auf die Verfasser und lässt den nachfolgenden Briefinhalt von vornherein in einem schlechten Licht erscheinen. Damit ist der abweichende Name Bestandteil der Charakterisierung, die dazu dient, den intendierten jüdischen Adressaten eine Bewertung des Inhalts des nachfolgenden Briefes und seiner Absender zu ermöglichen. Die Voranstellung der Absenderangabe sollte das Briefkonzept von kurzer Anrede und Absenderangabe erhalten und zugleich eine Charakterisierung des Briefes bewirken. Sie lässt sich nicht als sekundärer Zusatz erweisen, sondern ist integraler Bestandteil des Briefwechsels zwischen Rehum etc. und Artaxerxes.220 Der literarische Charakter des Gesamtkontextes ist damit unverkennbar. Dass die Differenz zwischen Esr 4,2 und Esr 4,9f. als intendiert verstanden werden kann, zeigt der inhaltliche Vergleich. Esr 4,2

Esr 4,9f. ‫רחום בעל טעם ושמשי ספרא ושאר כנותהון‬ ‫דיניא ואפרסתכיא טרפליא אפרסיא ארכוי‬ ‫בבליא שושנכיא דהוא עלמיא׃‬

‫ולא אנחנו זבחים‬ ‫מימי אסר חדן מלך אשור‬ ‫המעלה אתנו פה׃‬

‫ושאר אמיא‬ ‫די הגלי אסנפר רבא ויקירא‬ ‫והותב המו בקריה די שמרין ושאר עבר נהרה‬

Die Anwesenheit der Völker in Samaria und östlich des Euphrats leitet sich nach Esr 4,10 wie in Esr 4,2 aus assyrischen Umsiedlungen her. Zwar unterscheidet sich der verantwortliche König, doch korrespondieren dabei auch die Formulierungen (‫( המעלה אתנו פה‬Esr 4,2) und ‫( די הגלי … והותב המו‬Esr 4,10). Auch wenn in Esr 4,1f. die Beziehung der Gruppe zu Samaria erschlossen werden musste, gehört beides zusammen, denn die Einflussnahme auf den Tempelbau wird ja direkt mit diesen in Verbindung gebracht und in Esr 4,10 wird Samaria ausdrücklich genannt. Besonders auffällig ist dabei die Formulierung ‫קריה די שמרין‬, weswegen z.B. Gunneweg den antiken Übersetzungen folgt.221 Allerdings kann in dem Kontext ‫ שמרין‬nicht allein die Stadt Samaria bezeichnen.222 Vielmehr wird mit dem vorangestellten 220 Schwiderski weist darauf hin, dass zwar Gruppenbezeichnungen möglich seien, aber immer mit der Angabe von Namen. Vgl. Schwiderski, Handbuch, 355. Das Formular würde durch die Einfügung von V. 10f. vollständig zerstört. Das spricht auch gegen die These von Williamson, Ezra-Nehemiah, 62, dass hier umgestellt worden sei. 221 Vgl. Gunneweg, Esra, 84; und die Diskussion des Problems bei Williamson, EzraNehemiah, 55. 222 Man erwartet wie in den Elephantinetexten bei Bezeichnung eines konkreten Ortes die Anfangsstellung des Eigennamens mit anschließender Apposition: ‫( ביב בירתא‬TAD A 4.5:3).

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‫ קריה‬ausdrücklich auf die Stadt Samaria verwiesen. Wir wissen zwar von Umsiedlungen und Ansiedlungen der Assyrer in Samaria, doch beim Thema Umsiedlungen und Neugründung muss man bei Samaria auch an das Massaker an seiner Bevölkerung unter Alexander und an die Neugründung der Stadt als mazedonische Kolonistensiedlung denken.223 Wie man dies zu interpretieren hat, ist natürlich abhängig von der Datierung, für die Schwiderski aufgrund formaler Kriterien die hellenistische Zeit vorgeschlagen hat. Der Zusammenhang zwischen Esr 4,2 und 4,10 bei den gleichzeitigen Differenzen signalisiert den intendierten Adressaten schon bei der Vorstellung der Absender, dass mit den im Brief gegebenen Informationen etwas nicht stimmt. Umgekehrt wird im Rückblick auf Esr 4,2 dasselbe signalisiert. Die Gegner der Gola geben sich als Leute zu erkennen, die über ihre eigene Herkunft im Unklaren sind. Der Vorwurf, über die eigene Herkunft im Unklaren zu sein, kann sich zugleich darauf stützen, dass die Bevölkerung Palästinas seit dem Ende der Perserzeit tatsächlich disparat war, denn längst siedelten dort Angehörige unterschiedlicher Völker. Jedes Großreich hatte für Veränderungen in der Zusammensetzung der Bevölkerung gesorgt. Für Juda freilich ist aus der Rahmung von Esr 2,1f. vorausgesetzt, dass die Bevölkerung der Provinz mit der Rückkehrerschaft identisch ist.224 Zum Briefwechsel selbst: Der Brief beginnt ohne die üblichen Formeln der Anrede225 davon zu berichten, dass die nach Jerusalem gekommenen Juden mit dem Bau begonnen haben. Jerusalem wird als rebellierende und böse (also wohl feindliche) Stadt charakterisiert. In der Sekundärliteratur wird der Abschnitt mit dem Brief in der Regel mit „Verhinderung des Mauerbaus“226 überschrieben. Richtig ist, dass bereits in Esr 4,12 die Mauer erwähnt wird: Es sei dem König kundgetan, dass die Juden, die von dir heraufgezogen sind, zu uns nach Jerusalem gekommena sind. Die rebellische und böse Stadt bauen sie, und die Mauernb vervollständigen sie, und die Grundmauern bessern sie aus. a Obwohl die LXX mit ἤλθοσαν und auch 1Esdr 2,14 mit ἐλθόντες ‫ אתו‬bezeugen, schlägt BHS eine Konjektur vor. Noch Gunneweg hält es für einen Zusatz: „Das asyndetische ‫ אתו‬ist wohl Zusatz, der Jerusalem als Ziel des ‚Kommens‘ statt als Objekt des Bauens 223 Vgl. Droysen, Geschichte I, 210; ders., Geschichte II, 371f.; Hengel, Judentum und Hellenismus, 22f.; Donner, Geschichte, 476f. 224 Vgl. dazu oben, 62. 225 Schwiderski, Handbuch, 376. 226 Vgl. z.B. Gunneweg, Esra, 82; Kratz, Komposition; 54; Rothenbusch, Abgesondert, 58; Blenkinsopp, Ezra-Nehemiah, 108ff.; Wright, Rebuilding Identity, 44. Kittel, Geschichte III/2, 605, ging noch von einem Bau der Mauer unter Esra aus, die dann wieder zerstört worden sei. Vgl. dazu oben, 81, Anm. 178. Gunneweg, Esra, 91, sieht eine Quelle, die die Mauer betraf, verarbeitet und zumindest den Teil des Briefes, wo das Ausbleiben der Steuern etc. in Aussicht gestellt wird, bereits in der Quelle als Verleumdung formuliert.

96 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) mißversteht.“ Die Rückkehrerthematik (‫ )סלקו‬fügt sich aber bruchfrei mit der Formulierung von Jerusalem als Ziel. b Die LXX (gefolgt von Vg. und Pesch.) hat allerdings als Problem empfunden, dass nicht klar ist, welche Mauern gemeint sind, und mit τὰ τείχη αὐτῆς (so auch V. 13.16) klargestellt, dass es sich um die Mauern Jerusalems handelt. Es handelt sich um eine Interpretation. 1Esdr 2,14.15.18 bezeugt die Ursprünglichkeit von MT. BHS schlägt eine komplexere Veränderung vor, die auf einen Vorschlag von Rudolph zurückgeht: „Ich nehme an, daß vor ‫ שוריא‬durch Hapl. ‫( ושוריו‬52) ausgefallen ist und ersetze deshalb ‫ שכללו‬durch den Inf. ‫לשכללה‬.“227 Es ergäbe sich die ‫„( בנין שוריא ושוריו לשכללה‬sie bauen die Mauern und beginnen zu vervollständigen“). Bei diesem Eingriff entsteht anders als in Esr 5,2 eine Leerstelle bei der Infinitivkonstruktion, weswegen der Vorschlag abzulehnen ist. Außerdem würde sich die gleiche Haplographie im selben Kontext zweimal wiederholen. Die Wörterbücher konstruieren in Anlehnung an LXX, Vg. und Pesch. eine suffigierte Form,228 die aber am hebräischen Text keinen Anhalt hat. Sie ist, weil auf der Interpretation der LXX beruhend, nicht ursprünglich. Die sinnvollste Formulierung ergibt sich aufgrund des Qere. Das Ketiv beruht auf einer fehlerhaften Worttrennung, doch bezeugt das so fälschlich zu ‫ אשכללו‬hinzugetretene ‫א‬, dass das Possessivpronomen in der LXX keinen Anhalt am hebräischen Text haben kann. Die nachfolgend zweimal ähnlich wiederholte Formulierung kann entsprechend nicht zu einer suffigierten Form konjiziert werden.229

Das Qere schlägt Plural vor, doch eine direkte Verbindung durch Suffix mit der vorangehenden Erwähnung der Stadt existierte ursprünglich nicht. Vorgeworfen wird den Juden der Aufbau der Stadt, das Vervollständigen der Mauern und die Ausbesserung der Grundmauern. Man kann aus der Abfolge der Inhalte herauslesen, dass der Bau von Stadtmauern gemeint ist, dies wird aber nicht explizit.230 Die Mauern sind danach noch in 4,13.16 in Wiederholungen von V. 12 erwähnt, doch auch dort stand ursprünglich kein Suffix, das die Mauern ausdrücklich mit der Stadt verbindet. Die Interpretation des hebräischen Textes durch die LXX ist ein Indiz dafür, dass man diese Besonderheit in der Antike wahrgenommen hat. Doch erklärt der Kontext diese eigentümliche Rede vom Bau der Stadt und der Mauern. Der Brief beginnt nämlich damit, dass die Juden als jene vorgestellt werden, die vom König heraufgezogen und nach Jerusalem gekommen seien (‫)סלקו מן לותך עלינא אתו לירושלם‬. Dieser Beginn stellt nicht nur einen Zusammenhang her zu der Rückkehr des Volkes in Esr 2, sondern über die Verknüpfung der Rückkehr mit dem angesprochenen König Rudolph, Esra-Nehemia, 38. Ges18, 1539; KAHAL, 708. 229 Das schlug BHS noch vor, doch auch hier bezeugt 1Esdr MT als ursprüngliche Lesart. BHQ sieht LXX nur noch als Explikation. 230 ‫ שור‬kommt nur in Esr 4,12.13.16 vor, doch wird der Begriff in dem Elephantinetext TAD A 4.5, für eine von den Khnum-Priestern innerhalb des Lagers errichtete Mauer verwendet. 227

228

3. Die Unterbrechung des Tempelbaus (Esr 4,1–24)

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auch mit der Erlaubnis zur Rückkehr im Kyrosedikt.231 Da die Rückkehr der Judäer im Folgenden nicht infrage steht, muss man diese Kontextbindung als Ausgangspunkt ernstnehmen. Der Versuch, den Abschnitt mit dem Bau der Stadtmauer unter Nehemia zu verbinden, berücksichtigt die Rückbindung nicht.232 Der gegen Jerusalem gerichtete Vorwurf, rebellierend und feindlich gesinnt zu sein, wiegt im Kontext eines jeden Großreiches schwer. Man vergleiche nur, wie in den assyrischen Quellen der Aufstand des Hiskia bewertet wird.233 Das Perserreich und auch später die hellenistischen Reiche hatten mit Aufständen zu tun und suchten Unabhängigkeitsbestrebungen zurückzudrängen. Dass nach dem Vorwurf in Esr 4,13 angekündigt wird, dass Tributzahlungen und Zoll nach Fertigstellung der Arbeiten ausbleiben werden, erscheint folgerichtig. Denn eine Einstellung von Tributleistungen signalisierte in der Regel den Abfall eines Vasallen. In Esr 4,13bβ wird dies noch einmal damit zusammengefasst, dass sie (die Stadt) Königen schaden werde. Damit wird die Gefahr, die durch den Bau Jerusalems entstehen könnte, weiter betont. Andernfalls hätte man mit ‫ מלכא‬einen Bezug zu dem angesprochenen König herstellen können. Esr 4,14 bringt als Kontrast gegenüber den Vorwürfen zum Ausdruck, dass die Absender dem König gegenüber loyal sind. Die Formulierung ‫„ מלח היכלא מלחנא‬mit dem Salz des Palastes haben wir gesalzen“ impliziert Wohltaten des Herrschers, die man empfangen hat.234 V. 15 fordert dazu auf, die Aussagen des Briefes durch eine Suche in den Chroniken zu überprüfen. Es ist signifikant, dass man hier auf die Chroni231

gen. 232

Deswegen ist dem Konjekturvorschlag (BHS) zur Streichung von ‫ אתו‬nicht zu fol-

Wright, Rebuilding Identity, 44, nimmt an, dass die Korrespondenz in Esr 4 eingefügt worden ist, um den Bau der Stadtmauer in Neh 1–6 vorzubereiten: „Although the people begin to restore the walls on their own initiative, they fail without the permission that Nehemiah successfully obtains.“ Was inhaltlich tatsächlich bereits ein Licht auf Neh 1ff. wirft, darf aber nicht missverstanden werden als tatsächliche Handlung. Wright vernachlässigt, dass der Anklagebrief lediglich den Vorwurf formuliert, dass die Mauer gebaut wird. Der Kontext sagt das nicht, denn nach Esr 3 ist nur der Tempelbau im Gange. 233 So in der Darstellung von Sanheribs dritten Feldzug „Ich plünderte das weite Gebiet des Landes Juda. Den widersetzlichen (und) hochmütigen Hiskia, seinen König, unterwarf ich meinen Füßen.“ (Weippert, Textbuch, 334). 234 Nach Bertholet, Esra-Nehemia, 17; Gunneweg, Esra, 91, liegt ein Zusammenhang zur Formulierung ‫ברית מלח‬. in Num 18,19; 2Chr 13,5 vor. Nach Rudolph, Esra-Nehemia, 43, meint die Formulierung die enge Verbundenheit „mit der königlichen Regierung […], so wie der gemeinschaftliche Genuß von Salz ein Zeichen der Freundschaft und Symbol der Verbundenheit ist“. In der Formulierung in Esr 4,15 symbolisiert das Salz nach Achenbach, Vollendung, 163, „zugleich die Gemeinschaft im Mahl und die Abhängigkeit von dem Großkönig“. Zur symbolischen Bedeutung des Salzes in der Antike vgl. ebd., 162f.

98 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) ken der Väter des angesprochenen Königs verweist. Die Perser haben sich als legitime Nachfolger des neubabylonischen Reiches verstanden, doch werden mehrere Ereignisse in den Blick genommen, sodass auch an die vorangehende assyrische Herrschaft gedacht sein muss. Die Bezeichnung ‫ספר‬ ‫„ דכרניא די אבהתך‬das Buch der Aufzeichnungen deiner Väter“ übergeht daher den mehrfachen Wechsel der Großreiche. Kaum vorstellbar ist, dass über Jahrhunderte Zugang zu Informationen möglich war.235 Der literarische Charakter ist an diesem Punkt bereits deutlich erkennbar. In den Aufzeichnungen werde man den Schaden gegen Könige bestätigt finden und von Aufständen lesen, wegen derer die Stadt auch zerstört worden sei. Diese vagen geschichtlichen Aussagen beziehen sich auf die vorexilische Geschichte Jerusalems, nehmen die Teilnahme Jerusalems an Aufständen gegen das assyrische und neubabylonische Großreich in den Blick und greifen letztlich auf israelitisch-jüdische Informationen zurück (mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Traditionen der deuteronomistischen Geschichtsbücher). Entsprechend schließt der Brief mit einer Warnung, dass dem angesprochenen König kein Teil in Transeuphratene bleiben werde, wenn die Stadt erbaut sein würde und die Mauern vollendet wären (V. 16). Ein Großreich mit dem Zentrum Jerusalem kommt hier in den Blick. Diese Vorstellung kann nur auf der Grundlage der in Jerusalemer Perspektive verfassten Geschichtswerke entwickelt worden sein. Wenn die Gegner formulieren, dass ein Großreich wie unter David und Salomo zu befürchten ist, bestätigt das nicht nur die Existenz einer eigenständigen und bedeutenden Geschichte, sondern auch die Priorität Jerusalems, in dessen Schatten Samaria implizit gestellt wird.236 Die literarische Perspektive ist außerdem im Zusammenhang des Bezugs zum Kyrosedikt deutlich. Der persische König wird ohne Umschweife mit der Rückkehr der Juden in Verbindung gebracht. Dies impliziert, dass das persische Reich sein Zentrum in Mesopotamien gehabt habe, andererseits bestätigt es die in Esr 1f. vorgetragene Konzeption, dass die Bevölkerung Jerusalems aus der Gola stammt. Der Antwortbrief folgt im Briefkopf ebensowenig den bekannten Formularen wie der Anklagebrief, da die Absenderangabe fehlt. Die erzählerische Einführung des Briefes mit ‫ פתגמא שלח מלכא‬geht nahtlos in die Anrede über. Der Brief berichtet, man habe festgestellt, dass jene Stadt seit langer Zeit Aufstände unternommen habe (‫מתנשאה ומרד ואשתדור מתעבד‬ ‫)בה‬. Große Könige hätten von Jerusalem über das Gebiet jenseits des Stro235 Dies sieht Gunneweg, Esra, 91, ebenfalls als Hinweis darauf, dass der Text konstruiert ist. 236 Die Stelle scheint nur Jerusalem und Juda in den Blick zu nehmen und könnte daher eine Sicht widerspiegeln, wie sie auch in der Chronik vorliegt.

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mes regiert. Tribut, Steuer und Zoll seien an sie gegangen (Esr 4,20). An dieser Stelle entspricht die Antwort des Königs nur noch partiell dem Brief Rehums und Schimschais, die nicht erwähnt hatten, dass die Herrscher über Jerusalem das Gebiet jenseits des Euphrats beherrscht hatten. Stattdessen wird in der Antwort des Königs nun konkret auf ein eigenes Großreich, das einst von Jerusalem beherrscht wurde, angespielt, womit nur an die Zeit Davids und Salomos gedacht sein kann. Die Differenz zum Anklagebrief signalisiert, dass der König offenbar aus seinen Chroniken über genauere Informationen als seine Kommunikationspartner verfügt. Für die intendierten Adressaten, die als jüdische Leser die Inhalte der deuteronomistischen Königebücher und/oder der Chronik bzw. das dahinter stehende Konzept der vorexilischen Geschichte gekannt haben dürften, ergibt sich, dass diese literarischen Überlieferungen aus einer angeblich unabhängigen Quelle bestätigt werden. An die Auffindung der Informationen, die die Behauptungen des Anklagebriefes über die Geschichte Jerusalems bestätigen, schließt sich eine Antwort im Sinne der Absender an: ‫כען שימו טעם לבטלא גבריא אלך וקריתא דך לא תתבנא עד מני טעמא יתשם׃‬ „Nun gebt den Befehl, jene Männer aufhören zu lassen, damit jene Stadt nicht erbaut wird, bis von mir der Befehl (dazu) gegeben wird.“

Im Vergleich mit dem Anklagebrief fällt eine Inkongruenz auf. Während in V. 12 davon die Rede ist, dass die Stadt erbaut wird, Mauern errichtet werden und Fundamente gelegt sind, und auch in V. 13 noch einmal neben der Erwähnung des Stadtbaus die Mauern hervorgehoben werden, ist in der Antwort des Königs ausschließlich von dem Bau der Stadt die Rede, der aufhören soll. Auch ist keine dauerhafte Unterbrechung im Blick. Stattdessen wird bereits auf ein künftiges Dekret des Königs vorausgeblickt. Zu beachten ist der abschließende Temporalsatz mit dem determinierten ‫טעמא‬, der den Eindruck erweckt, als sei die Erlaubnis nur eine Frage der Zeit. Es könnte sein, dass damit bereits auf die Erlaubnis zum Bau der Stadtmauer, die Nehemia von einem Artaxerxes erhält, vorausgeschaut wird.237 Durch Esr 4,21b macht der Brief des Königs den Eindruck eines Zwischenbescheides. Die Verfahrensweise wird anschließend noch einmal eingeschärft. Die abschließende Frage „Warum soll die Schädigung von Königen groß werden?“ bekräftigt die Entscheidung zur Unterbrechung des Baus. Überraschend ist danach allerdings die Härte der Reaktion der Adressaten im erzählerischen Abschluss auch angesichts der Aussicht auf einen veränderten Beschluss des Königs. Der Befehl wird mit Gewalt umgesetzt 237

Die Formulierung wäre dann als Kompositionselement geschaffen worden. Siehe dazu unten, 362.

100 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) (4,23), sodass der Tempelbau bis zum zweiten Jahr des Darius unterbleibt (‫)הות בטלא עד שנת תרתין למלכות דריוש מלך פרס‬. An dieser Stelle wird nach V. 5 wieder vom Tempel gesprochen. Diese neuerliche Diskrepanz zeigt, dass das gesamte Kapitel 4 als Retardierung vor Esr 5 gesetzt worden ist. 3.4. Die literarische Integrität von Esr 4,8–23 Im Folgenden soll auf der Grundlage der Analyse des Kapitels zunächst zusammenfassend die Frage der literarischen Integrität des aramäisch ausformulierten Briefwechsels mit Artaxerxes (Esr 4,8–23) diskutiert werden. Auf der Erzählebene (in Esr 4,8) wird über das nachfolgende Schreiben ausgesagt, dass es gegen Jerusalem gerichtet ist. Wenn sich danach als Urheber des Anklagebriefes zusätzlich zu den beiden Beamten (4,8aα) eine Reihe von Völkern vorstellen (Esr 4,9f.), kann das nur ein massiver Angriff gegen Jerusalem sein. Mit dem Verweis auf die in Samaria angesiedelten Völker wird eine Auseinandersetzung aufgerufen, die im Prinzip nur Juda und Jerusalem betreffen kann. Doch bereits bei den beiden Versen und auch V. 11a wird ein sekundärer Zusatz vermutet.238 Gunneweg spricht von einer Interpolation.239 Obwohl er den gesamten Briefwechsel nicht für authentisch hält,240 begründet er diese mit der Durchbrechung der Konventionen beim Briefformular.241 Doch bewirkt die literarkritische Reduktion des Anfangs keinen besseren Briefanfang. Stattdessen muss ‫ עבדיך אנש עבר נהרה‬in Esr 4,11b als Teil der Anrede sich auf die vorangehenden Verse beziehen. Auf Personen wird normalerweise nicht generell mit einer geographischen Angabe referiert, es sei denn, diese haben eine erkennbare repräsentative Funktion. Doch das ist bei Rehum, dem Befehlshaber (‫)בעל טעם‬, und Schimschai, dem Schreiber (‫)ספרא‬, nicht der Fall. Als schlagender Beweis für die Zugehörigkeit von V. 9f. muss aber die Adressierung von Artaxerxes’ Antwortbrief gelten.242 Zwar sind in Esr 4,17 nicht alle Beamten, Völker etc. erSo zuletzt Rothenbusch, Abgesondert, 57. Vgl. Gunneweg, Esra, 89. 240 Vgl. Gunneweg, Esra, 91. 241 So auch Rothenbusch, Abgesondert, 56. Er (ebd., 57) verweist außerdem darauf, dass die Rede von den Gruppen und Völkern „einen wenig realistischen Eindruck“ erweckt. In 4,11a sieht er eine Wiederaufnahme von V. 8. 242 Rothenbusch, Abgesondert, 57, sieht 4,17 als ursprünglich an. Die Einfügung von V. 9f. habe „einfach an die Nennung Samarias und des übrigen Abar-naharā als lokaler Bezug der Beamten im folgenden Königsbrief anknüpfen“ können. Diese Argumentation ist eine ad-hoc-Hypothese, die die literarkritische Entscheidung zu V. 9f. stützen soll. Ohne diese Verse wird im Kontext überhaupt nicht deutlich, um wen es sich bei Rehum und Schimschai handelt. Man müsste überlegen, dass der König nicht nur weiß, was diese zugleich mit Samaria und dem Gebiet westlich des Euphrats zu tun haben, sondern dass sie Absender des Anklagebriefes sind. Solch ein massives Kohärenzproblem ist in einer literarischen Quelle unwahrscheinlich. 238

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wähnt, doch fasst der König insbesondere mit dem Verweis auf die in Samaria und jenseits des Euphrats wohnenden Personen letztlich die V. 9f. zusammen. Wollte man die V. 9f. streichen, müsste man auch in der Anrede alle Personen und Gruppen außer Rehum und Schimschai streichen,243 wofür es aber keinerlei formalen und inhaltlichen Grund gibt. Anklagebrief und königlicher Antwortbrief entsprechen einander. Der Antwortbrief baut auf den Anklagebrief auf, indem an dessen Formulierungen angeknüpft wird. In dem erzählerischen Abschluss in V. 23 findet sich danach ein weiterer Rückverweis, der eine Streichung der V. 9f. nicht zulässt. Dort heißt es, dass der Brief ‫ רחום ושמשי ספרא וכנותהון‬vorgelesen wurde. Von Letzteren („ihren Gefährten“) geht die nachfolgende kriegerische Unterbrechung des Baus aus. Doch auch die Perspektive im Anklagebrief lässt erkennen, dass eine größere Gruppe von Personen im Hintergrund steht. Der Verweis auf die Gunst des Königtums durch die Metapher ‫( מלח היכלא מלחנא‬4,14aα) bezieht sich kaum nur auf zwei Personen, wie überhaupt das Anliegen gegen eine Stadt und ein Volk aus der Perspektive zweier Beamter ohne erkennbare Interessen kaum einsichtig wäre. Der Fortgang von V. 14 deutet ebenso an, dass entsprechend der V. 9f. ein Interesse weiterer Kreise an der Anklage Jerusalems besteht. Es geht um eine Stadt und ein Volk und offensichtlich um kollektive Interessen. Wie das eher neutral und aus der Perspektive von Einzelpersonen formuliert würde, kann man in dem Brief des Tattenai in Esr 5 sehen. Die Denunziation wird mit ‫„( וערות מלכא לא אריך לנא למחזא‬und die Schande des Königs ist uns nicht möglich anzusehen“) begründet, doch ‫על‬ ‫„( דנה שלחנא והודענא למלכא‬deshalb haben wir gesendet und dem König kundgetan“) impliziert, dass hinter den beiden am Anfang erwähnten Beamten weitere Personen stehen. Die Mitteilung durch zwei persische Beamte müsste nicht mit dem Verweis auf die durch den König gewährte Gunst begründet werden. Dass es nur angeblich um Interessen der Nachbarschaft geht, aber in Wirklichkeit auf jüdische Adressaten hin formuliert ist, wird an den Bezugnahmen auf die Geschichte Israels deutlich. Gerade das aus der gegnerischen Perspektive vorgetragene Zeugnis von einer bedeutenden Geschichte Jerusalems244 soll ein Licht auf die Verfasser des Briefes werfen. 243

Gunneweg, Esra, 92, vermutet entsprechend, „daß Chr seine Vorlage ähnlich wie schon in V 9.10.11a erweiterte, hier aber auf eine Wiederholung der langen Aufzählung verzichtete.“ Abgesehen von den fehlenden literarkritischen Argumenten spricht dagegen, dass im Hintergrund des Briefwechsels nicht nur die beiden namentlich genannten Beamten, sondern größere Personengruppen stehen. 244 Dies wurde zuerst von Kuenen, Einleitung I/2, 178, als Hinweis auf den jüdischen Charakter des Textes verstanden. Meyer, Entstehung, 58, wehrt diese Argumentation mit der rhetorischen Frage ab, ob Rehum denn hätte schreiben sollen, „Jerusalem [sei] immer

102 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Ein Zusammenhang zu verschiedenen gegnerischen Gruppen und vor allem zur Bevölkerung Palästinas drängt sich auf. Wenn man die V. 9f. streicht, müsste man daher auch den Verweis auf die Geschichte Israels streichen. Streicht man den Abschnitt nicht, bleibt auch der Rückverweis auf das Kyrosedikt bestehen, das als bekanntes Faktum erwähnt wird. Dies lässt es aber nicht zu, dass es sich um eine unmotivierte Anklage neu eingeführter Beamter handelt. Der Zusammenhang von Esr 4,8–23 ist also als einheitlich zu betrachten. 3.5. Die übergreifende Konzeption von Esr 4 und ihre kompositionelle Funktion Im Folgenden soll es um das Zusammenspiel des Briefwechsels mit dem Kontext und um die übergreifende Funktion des Kapitels gehen. Die polemische Absicht des Briefes und ein Zusammenhang zu dem in V. 4–7 vorgestellten Prozess der Einflussnahme der „Widersacher“ Judas und Benjamins liegt nahe. Der Blick auf Esr 4,8ff. zeigt, dass der Briefwechsel als Höhepunkt der Angriffe gegen Jerusalem gewertet werden soll, der ja auch letztendlich zur Unterbrechung des Tempelbaus führt. Diese leicht erkennbare kompositionelle Funktion wird allerdings in der Auslegung des Abschnittes kaum diskutiert, da man ihn mit einem völlig anderen Zusammenhang, nämlich mit dem Bau der Stadtmauer und damit mit den Auseinandersetzungen des Nehemia-Buches verbindet.245 Der Briefwechsel scheint auf den ersten Blick tatsächlich in einer gewissen Spannung zum Kontext, also zu Esr 4,1–7.23f. zu stehen. Während in diesem Rahmen vom Tempelbau und seiner Unterbrechung die Rede ist, wird in dem Briefwechsel zwischen Rehum und Schimschai mit Artaxerxes der Bau der Stadt thematisiert.246 Doch lässt sich das Gegenüber als intendiert verstehen. Denn der Briefwechsel entspricht der im Rahmen in Ausnur ein unbedeutender Ort gewesen und auch jetzt nicht weiter gefährlich“. Doch geht es nicht um den Vorwurf der Gefährlichkeit, sondern die offenkundigen Anleihen an spezifischen jüdischen Geschichtsüberlieferungen. Ein davidisches Großreich hat es nicht gegeben; dass man Rehum darauf verweisen lässt, zeigt, dass jüdische Quellen verarbeitet wurden und der Text für jüdische Adressaten verfasst worden ist. Für Meyer, Entstehung, 59, waren die Verweise auf die jüdische Geschichte freilich „ein schlagender Beleg für die Aechtheit der Dokumente“. 245 Schon Stade, Geschichte, 159, stellte fest, die Geschichte sei „irriger Weise auf den Tempelbau gedeutet“ worden. Talmon, Art. Ezra-Nehemiah, 326, schreibt: „It is possible that the misplaced piece Ezra 4:7–23 could find its proper setting somewhere in this part of the memoirs, e.g., after Neh. 5:7 or 5:9.“ 246 Grabbe, Ezra-Nehemiah, 129, verweist auf die drei Briefe bzw. Briefwechsel, die erwähnt werden, und argumentiert weiter: „Furthermore, these letters in the name of Artaxerxes are used to stop a work being built in the time of Cyrus, a strange invention for the writer of the narrative. Thus, the most likely situation is that the compiler actually had

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sicht gestellten negativen Absicht. Für die intendierten Adressaten macht man dieses Verfahren von Anfang an durchsichtig. Die Notiz über die Bestechung von Beratern in Esr 4,5 mit dem Ziel, das Unterfangen der Angehörigen der Gola zunichte zu machen, lässt unbegründete Anschuldigungen erwarten, und diese führen zu einer für die Leser erkennbar unzutreffenden Argumentation, was allerdings vom König nicht wahrgenommen wird. Denn anders als der Rezipient, der zuvor Esr 3 (!) gelesen hat, weiß der König nicht, welche Bauten in Jerusalem im Gange waren; auch weiß er natürlich nichts von der kommentierenden Bemerkung in Esr 4,5a, dass Beamte gegen Jerusalem instrumentalisiert werden sollen. Vielmehr handelt er, wie von ihm bereits nach Esr 4,5b erwartet wird. In Esr 4,8ff. signalisiert die Selbstvorstellung der Absender allerdings eine deutliche Diskrepanz zu der Selbstvorstellung der Gegner in Esr 4,2. R. Rothenbusch führt diesen inhaltlichen Unterschied als Argument gegen die ursprüngliche Zusammengehörigkeit des Kapitels an: „Die Zuschreibung der Deportationen an verschiedene assyrische Könige in Esr 4,2 und 4,10 ist wohl durch die Kenntnis unterschiedlicher Traditionen bei den beiden Autoren bedingt.“247 Doch kann das wirklich als Argument gelten? Man bedenke, dass nach dem literarkritischen Konzept von Rothenbusch dem Ergänzer von 4,9f. der Anfang des Kapitels mit 4,2 ja vorgelegen haben müsste. Warum sollte er einen Zusatz gemacht haben, der eine – nach Rothenbusch – offensichtliche Spannung zum Kontext bewirkt? Hätte er nicht den Namen Asarhaddon aus 4,2 übernehmen oder Asarhaddon in 4,2 durch Asnappar ersetzen können, wenn er korrigieren wollte? Gunneweg sah demgegenüber noch eine einheitliche Intention hinter 4,2 und den – wie er vermutet – redaktionellen Versen 4,9f. und meinte: „Da der Chr hier selbst formuliert, ist mit Asnappar vermutlich derselbe Großkönig gemeint, der schon 4,2 genannt wurde.“248 Dies ist insofern richtig, als wir es in 4,2.10 mit zwei vagen Äußerungen unterschiedlicher Figuren zu wahrscheinlich dem gleichen geschichtlichen Ereignis zu tun haben. Auffällig ist ja, dass beide some alleged documents before him and made use of them, even when they did not fit very well.“ 247 Rothenbusch, Abgesondert, 59. In der Literatur werden verschiedene Versuche und auch Emendationen vorgeschlagen, um die beiden Erwähnungen aufeinander zu beziehen. Mir scheint es mit Meyer am plausibelsten zu sein, dass in Esr 4,10a mit ‫ אסנפר‬an Assurbanipal gedacht ist (vgl. Meyer, Entstehung, 29f.), der bis in griechische Zeit bekannt war. Vgl. u.a. Rudolph, Esra-Nehemia, 36; Williamson, Ezra-Nehemiah, 55; zuletzt Rothenbusch, Abgesondert, 59. Doch auch die Nennung Assurbanipals trifft die tatsächlichen Ereignisse beim Ende des Nordreiches nicht. Interessant ist, dass in Hss der lukianischen Textgruppe Salmanassar bezeugt ist. Dies führt in die Zeit des Endes des Nordreiches, ist aber am ehesten eine Verbesserung. 248 Gunneweg, Esra, 90.

104 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Namensnennungen zumindest nicht unserer Kenntnis der Ereignisse vom Ende des 8. Jh. entsprechen. Gemeint ist an beiden Stellen möglicherweise der gleiche assyrische König, der für die Zerstörung des Nordreiches verantwortlich ist, doch der unterschiedliche Name und die mögliche Diskrepanz auch zu den bei den intendierten Adressaten vorausgesetzten Kenntnissen249 signalisiert, dass die Figuren – denn von diesen wird das jeweils geäußert – keine korrekten Kenntnisse haben. Mit dem Signal, dass die Informationen nicht zutreffend sind, stimmt überein, dass die Anklage insgesamt sehr vage formuliert ist.250 In ihr wird auf Ereignisse der Teilnahme Judas an Koalitionen gegen die Assyrer und Neubabylonier angespielt und die Existenz des davidischen Großreiches vorausgesetzt. Für jüdische Rezipienten wird so klar gestellt, dass es unbegründete Anschuldigungen sind, die man lediglich dem König gegenüber als plausibel erscheinen lassen will. Aus dieser Perspektive ist dann die getrennte Rede vom Bau der Stadt und der Mauer einleuchtend. Die Anklage unterstellt den Bau der Stadtmauer gar nicht explizit. Dies soll lediglich vom König so aufgefasst werden. Der Unterschied wird bereits in der Einführung des Mauerthemas in Neh 1,3 mit der Ankunft des Boten aus Jerusalem bei Nehemia deutlich. Dort ist auch von der Stadt und den Mauern die Rede, aber beides wird explizit aufeinander bezogen (‫וחומת ירושלם מפרצת ושעריה‬ ‫„ – נצתו באש‬und die Mauern Jerusalems sind zerrissen und seine Tora im Feuer verbrannt“). Auch das Gespräch mit dem König mit der anschließenden Bitte Nehemias lassen keinen Zweifel, dass es um die Stadt mit der Befestigung geht (‫„ אשר העיר בית קברות אבתי חרבה ושעריה אכלו באש‬wenn die Stadt der Begräbnisstätte meiner Väter wüst ist und ihre Tore vom Feuer verzehrt sind“ [Neh 2,3]; ‫אשר תשלחני אל יהודה אל עיר קברות אבתי ואבננה‬ „dass du mich sendest nach Juda und in die Stadt der Gräber meiner Väter, dass ich sie aufbaue“). In Esr 4,11ff. ist durchgängig lediglich vom Bau der Stadt die Rede; die Mauern werden nie als die Mauern der Stadtbefestigung ausgewiesen. Gesucht wird ein Grund für die Unterbrechung des Tempelbaus. Und so wenig die Bedeutung Jerusalems in der Vergangenheit eine aktuelle Gefahr für das persische Reich darstellte, so wenig ist der gerade im Bau befindliche Tempel ein Angriff auf die Souveränität des persischen Königs. So wird den intendierten Adressaten signalisiert, dass die Anschuldigungen nicht den Tatsachen entsprechen und der Tempelbau aufgrund falscher Anschuldigungen unterbrochen worden ist. Wenn die Anschuldigungen falsch sind und 249 Wenn die Chronik Kontext war, dann signalisierte sie den intendierten Adressaten von Esr 4 deutlich, dass beide Nennungen der Könige nicht zutreffend sind. 250 So auch Davies, Ezra-Nehemiah, 22: „The historical record is offered as a predictor of the future. The point in itself is weak.“

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wie die Verweise auf die Geschichte Jerusalems (eigentlich) nicht geeignet sind, negative Entscheidungen des Königs zu bewirken, muss der Briefwechsel in seinem Kontext interpretiert werden. So ist eine übergreifende Strategie erkennbar. Man will die Widersacher Judas und Benjamins charakterisieren und für die Unterbrechung des Tempelbaus aufgrund einer falschen Anschuldigung verantwortlich machen. Der Charakterisierung der Gegner dient auch die Vorstellung der Absender des Briefes in den V. 8–10, die parallel zu Esr 4,2 formuliert ist, aber sich in der historischen Einordnung mit der Nennung eines anderen assyrischen Herrschers unterscheidet. Dies dient dazu, die Schreiber des Briefes bereits vorab als Überbringer fehlerhafter Informationen zu entlarven. Wenn man dagegen den Abschnitt von vornherein nur im Kontext des NehemiaBuches interpretiert und in Esr 4 als falsch platziert sieht, kann man die Anschuldigungen nicht in ihrer tatsächlichen Tragweite verstehen. 251 Die Anspielung auf einen angeblichen Bau der Stadtmauer soll dabei auch Licht auf die Ereignisse in Neh 1ff. werfen. Doch wird signalisiert, dass die Mauer tatsächlich nicht ohne Erlaubnis des Königs gebaut wird. 252 Die Vorwürfe der Nachbarn in Neh 2,19, dass der Bau der Stadtmauer gegen den König gerichtet und Grundlage eines Aufstandes sei (Neh 6,6), werden damit vorweggenommen und bereits zu diesem frühen Zeitpunkt ad absurdum geführt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Auseinandersetzungen im Nehemia-Buch bei der Abfassung von Esr 4 bekannt waren. Im Prinzip formuliert Esr 4 die Widerstände im Nehemia-Buch aus und datiert sie zurück in die Zeit des Tempelbaus. Es gibt keinen Anlass, eine andersgeartete Quelle zu vermuten. Abgesehen davon lässt sich ein Zugriff der jüdischen Verfasser auf solche feindlichen und polemischen ‚Dokumente‘ noch schlechter erklären als die Kenntnis der Dokumente der aramäischen Tempelbauchronik.253 Angesichts der in der Anklage enthaltenen regelrechten Drohung, was geschehen werde, wenn man die Jerusalemer gewähren ließe, fällt die Antwort des Königs moderat aus. Sie lässt erkennen, dass der König aus seinen 251 Das führt bei Fried, Artaxerxes, 56, die das Kapitel ebenfalls im Kontext der Nehemiageschichte interpretiert, dazu „that both the Artaxerxes correspondence as presented in Ezra 4 and the conversation between the men from Judah and Nehemiah as related in Nehemiah 1 are at base authentic and reliable“. 252 Wright, Rebuilding Identity, 44, nimmt stattdessen an, dass der Stadtmauerbau tatsächlich begonnen habe. 253 Man hat bei einzelnen vermeintlichen Dokumenten den Zugriff auf Archive vermutet. Der Zugang zu den Archiven in Samaria, die als Grundlage für Esr 4–6 infrage kommen, war nach Gauger, Authentizität, 150, erst nach 128 v. Chr. gegeben. Angesichts dessen müssten „Entstehungszeit und -modus des Esra-Buches neu durchdacht werden“ (ebd.).

106 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Chroniken offensichtlich über Hintergrundinformationen verfügt.254 So bezeugt der königliche Brief letztlich die große Bedeutung, die das von Jerusalem aus beherrschte Israel einst in der Region hatte.255 Der Bau der Stadt und der Mauer soll unterbunden werden. Dadurch, dass man den König nicht selbst eingreifen lässt, weist man ihm eine nur geringe Schuld zu, belastet aber die Absender und Auftraggeber des Anklagebriefes umso mehr. Der schriftliche Befehl des Königs vermittelt den Eindruck einer nur vorübergehenden Festlegung, die einen späteren Wiederaufbau bereits erwarten lässt.256 Die gewaltsame Unterbrechung des Tempelbaus in Esr 4,23 signalisiert, dass mit dem Anklagebrief und seinen Anschuldigungen ganz bestimmte Interessen verfolgt werden. Die moderate Antwort des Königs und seine Benutzung zeigen eindeutig, dass man den entstehenden Konflikt zwischen den Persern und den Jerusalemern als fehlgeleitete und missgedeutete Reaktion erscheinen lassen will. Die aramäische Sprache dient dabei dazu, dem Brief den Anschein von Authentizität zu verleihen. Das übergreifende literarische Konzept zeigt letztlich, dass es sich nicht um zitierte Dokumente handeln kann. Die kohärente Verbindung von Rahmen und Briefwechsel in der dargestellten Weise lässt es als wahrscheinlich erscheinen, dass der Briefwechsel für den Kontext geschaffen worden ist.257 Dies lässt sich anhand der übergreifenden Kontextbezüge verifizieren. Denn so wie Esr 4,1f. sich auf das Kyrosedikt zurückbezieht, so ist auch im Anklagebrief bereits vorausgesetzt, dass die Juden, die sich mit dem Bau des Tempels beschäftigen (auch wenn nur vom Bau der Stadt die Rede ist), aus Mesopotamien zurückgekehrt sind. Nicht zuletzt die Entsprechung von 4,5 und 4,24, zeigt letztlich, dass Rahmen und Briefwechsel derselben Intention folgen. Zwar nennt keiner der nachfolgenden Briefe als Adressat Kyros, doch hängt das mit dem Zusammenspiel von 4,5 mit 4,24 zusammen. Man intrigierte seit der Zeit des Kyros, und man suchte seit dieser Zeit, Beamte zu bestechen. Die Erwähnung eines Mitredat (vgl. Esr 1,8) als Absender in Esr 4,7 könnte andeuten, dass die Intrigen schon unter Kyros begannen. Das Ganze läuft aber zu auf eine militärische Konfrontation zwischen Samaria und Jerusalem. Dass man den Samariern die Verantwortung für ein gewaltsames Eingreifen in den Tempelbau in Jerusalem vorwirft, zeigt, dass die Auseinandersetzungen zwischen Samaria und Jerusalem sehr weit fort254

Vgl. Davies, Ezra-Nehemiah, 22. Davies, Ezra-Nehemiah, 23: „The royal caution is a compliment to the antiquity and prowess of the Judahites’ ancestors.“ 256 Davies, Ezra-Nehemiah, 23: „The rhetoric already anticipates the repatriates’ eventual resurgence.“ 257 Auf die Kontextbindung weisen auch Becker, Esra-Nehemia, 30; Wright, Rebuilding, 38, hin. Kratz, Komposition, 58, stellt fest, dass der „aramäische Briefwechsel mit Artaxerxes in 4,8–23 […] nicht Teil der Chronik Esr 5–6, sondern des sekundären Rahmens ist“. 255

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geschritten sein müssen. De facto liegt mit Esr 4 eine polemische Streitschrift gegen die mit dem Garizim verbundene Gemeinschaft vor. Deren intendierte Adressaten sind mit hoher Wahrscheinlichkeit jüdische Leser bzw. Hörer, denen aus dem Munde der Widersacher und des persischen Königs zugleich die einstige universale Bedeutung Jerusalems und damit indirekt nach Esr 4,2 ein zweites Mal die Legitimität des Jerusalemer Tempels vor Augen geführt wird. Die moderate Antwort des Königs und ihr Missbrauch durch Rehum und Schimschai zeigen ebenso wie die offengehaltene künftige Möglichkeit einer Erlaubnis zum Bau, dass man eigentlich keine Auseinandersetzung mit den Persern darstellen will. Freilich lässt die wiederholte Einflussnahme auf die verschiedenen persischen Könige erkennen, dass die persische Politik nicht als unproblematisch angesehen, sondern durchaus als kontingent erinnert wurde. 3.6. Das Geschichtskonzept Eigentümlich entfernt scheint die persische Administration in Esr 4 zu sein. Dabei werden vier persische Könige erwähnt, und die persische Herrschaft wird als Autorität vorausgesetzt. Die Auseinandersetzungen vollziehen sich dann aber im regionalen Kontext mit den als Widersacher Judas und Benjamins eingeführten Nachbarn, die nach Esr 4,2.9f. aus unterschiedlichen Völkern bestehen, bei denen es sich um die Bevölkerung des ehemaligen Nordreichs handelt. Spätestens die Nennung von Samaria macht explizit, dass es um eine Auseinandersetzung mit den späteren Samaritanern geht. Da als Thema der Tempel von Jerusalem mit seinem Kult eingeführt wird, dürfte der Tempel auf dem Garizim im Blick sein, der offensichtlich zur Abfassungszeit ein Problem darstellte. Verleumdungen, Bestechungen und Anklagen werden von den Samariern angeblich gegen Juda und Jerusalem genutzt, um Einfluss auf das im Bau befindliche Tempelbauprojekt zu nehmen. Die Instrumentalisierung der Perser ist erfolgreich, doch wird trotz einer gewaltsamen Unterbrechung des Tempelbaus im Antwortschreiben des Artaxerxes das persische Nein als vorübergehende Position deutlich. Die Perser selbst erscheinen als leicht beeinflussbar. Für solche Einflussnahmen haben wir in den Briefen aus Elephantine mit der Bitte um Unterstützung des Wiederaufbaus des dortigen Tempels konkrete Beispiele. Insbesondere die Selbstcharakterisierung der Gegner zeigt aber, dass die Auseinandersetzung zwischen Samaria und Jerusalem weit fortgeschritten sein muss. Aus diesem Grunde wird die Unterbrechung des Tempelbaus nicht nur den Gegnern im Norden angelastet, sondern zugleich von diesen eine Darstellung der Geschichte Jerusalems geboten, die dazu geeignet ist, den Jerusalemer Standpunkt zu plausibilisieren. Deutlich ist, dass mit diesem Konzept die jüdischen Leser von der Rechtmäßigkeit einer Auseinan-

108 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) dersetzung mit dem Norden überzeugt werden sollen. Die Rückkehr der Judäer wird im Anklagebrief als im Einklang mit der persischen Politik bestätigt, was im Zusammenhang mit dem Kyrosedikt stehen muss und damit indirekt auch die Rechtmäßigkeit des Tempelbaus bestätigt. Die Judäer erscheinen als dem persischen Großreich gegenüber loyal, weil die intendierten Adressaten darum wissen, dass die Vorwürfe nicht zutreffend sind. Außerdem wird im Anklageschreiben die Bedeutung Jerusalems bezeugt, was umgekehrt die Bedeutung Samarias relativiert und vom König bestätigt wird, auch wenn es zunächst einen negativen Effekt hat. Für die hellenistische Zeit könnte sprechen, dass man die Stadt Samaria so stark betont. Könnte es sein, dass das, was von den Widersachern Jerusalem vorgeworfen wird, eigentlich umgekehrt für Samaria gilt? Denn die Stadt Samaria wurde ja unter Alexander wegen ihres Widerstandes zerstört und neu besiedelt.258 Nach der Reihenfolge des Textes erscheinen Kyros, Xerxes, Artaxerxes und Darius. Diese Reihung entspricht nicht unserem Wissen von der Abfolge der persischen Könige, sodass man überlegt, ob entweder die Könige und die Ereignisse nicht chronologisch angeordnet sind oder der Text sich auf eine andere Reihe von Königen bezieht. Ersteres ist zumindest von der Komposition des Gesamttextes (von Kap. 4) ausgeschlossen, da der Briefwechsel der Unterbindung des Tempelbaus dient.259 Letzteres wurde von D. Edelman vorgeschlagen, die annimmt, dass mit dem erwähnten Darius nur Darius II. gemeint sein könne.260 Dazu muss man die Frage stellen, warum die Autoren von Esr 4,1–7, die mehrere Könige zwischen Kyros und Darius nennen, Darius I. ausgelassen haben sollen, wenn sie die Geschichte Vgl. oben, 95. Der Annahme, dass es sich um einen Vorgriff auf die Zeit Nehemias handelt, die seit Schaeder, Esra, 27; ders., Iranische Beiträge, 216, immer wieder vorgeschlagen wird (zu den Positionen siehe oben, 81, Anm. 178 und oben 95, Anm. 226), ist vom Kontext nicht gesichert. Zuletzt Rothenbusch, Abgesondert, 59: „Der inhaltliche Zusammenhang ist evident und häufig beobachtet worden. Die Schilderung in Esra 4,6–23 bildet einen narrativen Hintergrund für den Bericht über den schlechten Zustand der Bevölkerung Jerusalems und der Stadtmauer in Neh 1,3b–d und die entsetzte Reaktion Nehemias darauf (Neh 1,4).“ Da der Brief deutlich der Diffamierung dient, kann man ihn auch nicht als Quelle aus anderem Kontext ansehen. 260 Nach Edelman, Origins, 206, wurde von Artaxerxes I. sowohl der Bau der Stadtmauer als auch der Bau des Tempels erlaubt. Unter Darius II., sei der Bau abgeschlossen worden. Damit sucht sie, die Probleme der Chronologie des Buches zu lösen, muss dabei aber die Chronologie der Bücher Sacharja und Haggai anzweifeln. Zu der These siehe Klein, Response. Vgl. weiter Becking, Ezra on the Move, 10, der Esr 4 an seiner Stelle für korrekt hält und daher bereits eine Spätdatierung erwogen hat, die aber andere Probleme nach sich ziehe. Kratz, Komposition, 95, überlegt, ob eine „Umdatierung des Tempelbaus in die Regierungszeit Dareios’ II.“ durch eine Redaktion in Esr 4 vollzogen wurde. Vgl. ebd., 59, und dazu Zitat und Diskussion unten, 110, Anm. 269. 258 259

3. Die Unterbrechung des Tempelbaus (Esr 4,1–24)

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kannten. So bleibt als einzige realistische Annahme, dass die Chronologie, die der Autor Esr 4 zugrunde legt, nicht mit der uns bekannten realen Chronologie der Perserzeit übereinstimmt.261 Da Esr 4,23 eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Samaria und Jerusalem in der frühen Perserzeit postuliert und man bereits angesichts der Probleme der Chronologie vermuten muss, dass der Text sehr spät ist, müsste man nach gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Samaria und Juda Ausschau halten. Solche sind außerhalb von Esra-Nehemia nur für die hellenistische Zeit bezeugt. Josephus erwähnt schon im Zusammenhang des dritten syrischen Krieges (246–241)262 Raubzüge der Samarier gegen Juda und Jerusalem: ἐν τούτῳ τῷ χρόνῳ Σαμαρεῖς εὖ πράσσοντες πολλὰ τοὺς Ἰουδαίους ἐκάκωσαν τήν τε χώραν αὐτῶν τεμόντες καὶ σώματα διαρπάσαντες „In dieser Zeit taten die Samarier, denen es gut ging, den Juden viel Böses an, indem sie ihr Land verwüsteten und Sklaven wegführten.“263

Die Situation muss sich in der Zeit zugespitzt haben, als unter Antiochus III. seit 221 in Jerusalem das proseleukidische Lager erstarkte. 264 Seit man sich unter seleukidischer Herrschaft befand, was seit dem Jahr 200 mit dem Sieg Antiochus’ III. am Paneion der Fall war,265 und Jerusalem weitreichende Zugeständnisse von den Seleukiden erlangen konnte, wird die Situation eskaliert sein. Das könnte der Hintergrund von Esr 4,23 sein, wo bereits die Möglichkeit weitergehender kriegerischer Auseinandersetzungen in Betracht gezogen wird, wie sie sich dann später tatsächlich ereigneten und in 261

Zwar verfügt bspw. Josephus über zutreffendere Informationen, doch das sagt nichts über die Möglichkeiten der Verfasser von Esr 4. Hilfskonstruktionen wie jene von Pavlovský, Chronologie, 454, nach dem das chronologische Interesse des Verfassers von Esr 4 gering war, helfen letztlich auch nicht weiter. Ihm zufolge wurde das Kapitel nur an seiner Stelle eingeordnet, weil es „von Ereignissen [handelt], die der Tätigkeit Nehemias und Esdras vorausgingen“. Vgl. zuletzt auch die Harmonisierung von interner Chronologie und der uns bekannten Geschichte der Perserzeit bei Klement, Features, 62f. Gerade die offenkundigen Widersprüche sollten eher zu einem kritischen Gebrauch der Inhalte des EsraNehemia-Buches für die Rekonstruktion der Geschichte führen. 262 Büchler, Tobiaden, 88, hat herausgearbeitet, dass es sich bei der Notiz nur um Informationen des Josephus über „das Einschreiten der in Samareia residirenden Militärbehörden [...] am wahrscheinlichsten in dem Anschlusse der Judäer und ihres Hohepriesters Onias an Antiochos III. im Jahre 218“ handeln kann. 263 Josephus, Ant. XII, 4,1 §156. 264 Vgl. Tcherikover, Hellenistic Civilization, 76f.; Haag, Hellenistisches Zeitalter, 50. Während man sich unter dem Tobiaden Joseph noch verhältnismäßig freundschaftlich zu den Samaritanern verhielt (vgl. Hengel, Judentum und Hellenismus, 492), hat sich anscheinend nach seiner Vertreibung unter seinen Söhnen eine antisamaritanische Tendenz durchgesetzt. 265 Vgl. z.B. Haag, Hellenistisches Zeitalter, 131.

110 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) der Zerstörung des Garizim-Tempels unter Johannes Hyrkan am Ende des 2. Jh. v. Chr. eskalierten.266 Auch angesichts dieser sich abzeichnenden Spätdatierung steht das Geschichtskonzept des Kapitels traditionsgeschichtlich jenem nahe, das in Dan 9,1f. vorliegt. Denn dort wird Darius als Sohn eines Xerxes bezeichnet. Während man im Danielbuch kaum einen Anhalt (mehr267) in der Historie der persischen Könige vermutet,268 verbindet man aber wegen der angeblichen Aufeinanderfolge von Xerxes und Artaxerxes Esr 4,6f. in anderer Weise mit der Geschichte.269

4. Die aramäische Tempelbauchronik Bereits bei der Diskussion von Esr 1 ist die große Bedeutung von Esr 5f. deutlich geworden. Die Verfasser von Esr 1 rezipierten und interpretierten Inhalte aus diesem Abschnitt und suchten ihn zugleich in einer ihrer Intention entsprechenden Weise zu präsentieren. Dies muss damit zusammenhängen, dass der Esr 5f. wahrscheinlich zugrunde liegende Text bei den intendierten Adressaten als bekannt vorausgesetzt war und seine Inhalte 266 So wird man mit aller Vorsicht den Anfang der Seleukidenherrschaft über Juda und Jerusalem in Erwägung zu ziehen haben. Vgl. die Abwägungen von Welten, Chronikbücher, 200, der Esra-Nehemia in der Mitte des 3. Jh. abgefasst sieht. 267 Vgl. dazu Koch, Das aramäisch-hebräische Danielbuch, 7. 268 Auf den Zusammenhang hat allerdings Torrey, Medes and Persians, 1, hingewiesen. 269 Zuletzt lehnte Kratz, Komposition, 59, die Annahme eines Anachronismus ab und verweist auf die Entsprechung der genannten Abfolge mit der Abfolge der Könige in der Geschichte: „Nach Kyros II. und Dareios I. in Esr 1,1–4,5, Xerxes I. und Artaxerxes I. in 4,6 und 4,7.8ff spielen 4,24 und 5,1ff nicht wieder unter Dareios I., sondern eben unter dem nächsten, zweiten Dareios, dem übrigens ein zweiter Artaxerxes nachfolgt (404–359/8 v. Chr.), mit dem sich der König gleichen Namens (aber mit anderer Schreibung) in Esr 7ff und Neh identifizieren ließ. Mit der von 4,6.7ff suggerierten Chronologie stimmt die Reihenfolge der Könige in 6,14f (Kyros – Dareios I. – Artaxerxes I. – Dareios II.) überein.“ Dies sei dadurch zustande gekommen, dass in 6,14 „und Artaxerxes, des Königs von Persien“ (ebd.) sekundär hinzugefügt wurde. Das setzt aber voraus, dass man nach einer ursprünglich früheren Datierung des Tempelbaus unter Darius I. diesen in einer Redaktion in die Zeit Darius’ II. umdatiert hat. Dem widerspricht jedoch die grundsätzliche Tendenz in Esra-Nehemia und in 1Esdras, den Tempelbau und die anderen Ereignisse in Jerusalem möglichst früh zu datieren. Es erscheint entsprechend als die plausiblere Erklärung, dass Esr 4 eine andere als die uns bekannte Abfolge der persischen Könige zugrunde liegt. Und selbst wenn sich Esr 4,12ff. als Quelle aus der Zeit des Mauerbaus im Nehemia-Buch oder als literarisches Zeugnis aus diesem Zusammenhang erweisen ließe, bliebe das kontextuelle Problem bestehen. Denn der Briefwechsel in Esr 4 dient im Kontext ausschließlich dazu, eine Unterbrechung des Tempelbaus, der in Neh 2 als abgeschlossen vorausgesetzt wird, zu begründen und sie den Widersachern im Norden anzulasten.

4. Die aramäische Tempelbauchronik

111

akzeptiert wurden. Das könnte erklären, warum man die Stilisierung (vor allem den Gebrauch des Aramäischen) und die gegenüber Esr 1 erkennbaren inhaltlichen Besonderheiten erhalten hat. Als Alternative zu den üblichen literarkritischen Analysen soll im Folgenden diesen inhaltlichen Eigenheiten in einer Textanalyse nachgegangen werden. In einem ersten Schritt werden dazu die Gegebenheiten der Textoberfläche und der Stil der einzelnen Abschnitte beleuchtet. In einem zweiten Schritt wird der Entfaltung der Inhalte und ihren Verknüpfungen nachgegangen. 4.1. Exposition – Baubeginn und Ankunft des Statthalters (Esr 5,1–5) 5,1 Esa weissagten aber Haggai, der Prophet, und Sacharja, der Sohn Iddos, die Propheten, den Juden, die in Jehud und Jerusalem (waren), im Namenb des Gottes Israels über ihnen. 2 Da standen Serubbabel, der Sohn Schealtiels, und Jeschua, der Sohn Jozadaks, auf und begannen, das Haus Gottes, das in Jerusalem (ist), zu bauen, und bei ihnen waren die Propheten Gottes, die sie stärkten. 3 In der Zeit kam zu ihnen Tattenaic, der Statthalterd jenseits des Stromes, und SchetarBosnai und ihre Gefährten, und sprachen so zu ihnen: Wer hat für euch ein Edikt erlassen, dieses Haus aufzubauen und dieses Holzwerk zu vervollständigene? 4 Dann sagten wirf zu ihnen: Was sind die Namen der Männer, die dieses Bauwerkg bauen? 5 Aber das Auge ihres Gottes war über den Ältestenh der Juden, und sie wurden nicht behindert, bis das Edikti zu Darius gelangen und dann darüber ein Schriftstück zurückgeschickt würde. a Der Absatz beginnt in 1Esdr 6,1 mit einer Zeitangabe: ἐν δὲ τῷ δευτέρῳ ἔτει τῆς τοῦ Δαρείου βασιλείας ἐπροφήτευσεν. Der griechische Text könnte (hypothetisch) auf folgenden aramäischen Text zurückgehen: ‫בשנת תרתין למלכות דריוש התנבי‬. Es wäre dann möglich, in der Lesart von 1Esdras, der sonst zwar oft harmonisiert, einen Rückgriff auf den ursprünglichen Anfang der aramäischen Tempelbauchronik zu sehen. b An dieser Stelle und an weiteren Stellen setzt 1Esdras κύριος voran und verweist somit scheinbar auf das Tetragramm. Dadurch wird die in Esr 5f. erkennbare Außenperspektive abgemildert. Es handelt sich um eine erst im Griechischen entstandene Veränderung, was in 1Esdr 6,8 gegenüber Esr 5,8 erkennbar ist. Aus ‫ בית אלהא רבא‬ist im Griechischen die Formulierung οἶκον τῷ κυρίῳ μέγαν entstanden. An dieser Stelle kann kein Tetragramm gestanden haben. Diese durchgehende stilistische Veränderung in 1Esdras bezeugt aber, dass in der Antike die explizit externe Perspektive in der aramäischen Tempelbauchronik aufgefallen ist und man meinte, sie an die Perspektive des größeren Kontextes anpassen zu müssen. c Im 1Esdras und bei Josephus heißt der Satrap Sissines. Nach K. de Troyer könnte die Veränderung des Lauts dafür sprechen, dass man den Namen in das Hebräische zu übertragen gesucht hat.270

270

Vgl. de Troyer, Rewriting, 115.

112 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) d ‫ פחה‬bezeichnet unterschiedliche Beamte des persischen Reiches in einer herausgehobenen Position.271 In diesem Fall geht es um den Satrapen, was in der Phrase ‫פחת עבר‬ ‫ נהרה‬erkennbar ist. e Die knappe Formulierung lässt sich erst auf der Grundlage des nachfolgenden Kontextes entschlüsseln. In Esr 5,8 wird über den Bau festgestellt, dass Holz in die Mauer gelegt wird (‫)ואע מתשם בכתליא‬, und in 6,4 im Edikt von einer Reihe Holz gesprochen, die auf drei Reihen Steine folgen soll (‫)ונדבך די אע חדת‬.272 f Die LXX harmonisiert, indem sie die 3. Pl. für die Übersetzung wählt. Ähnlich verhält sich die Sachlage in 1Esdras. Dort lässt man die beiden Fragen mit και aufeinanderfolgen und hat die zweite Frage stark verkürzt wiedergegeben. Ob man MT als sinnvollen Text ansehen kann oder die textkritische Situation als literarkritisches Argument zu werten hat, muss auf Grundlage der Textanalyse entschieden werden. g Die LXX übersetzt τῶν οἰκοδομούντων τὴν πόλιν ταύτην und scheint damit versehentlich die Inhalte aus Esr 4 eingetragen zu haben. Es muss sich um einen Interpretationsoder Lesefehler handeln, da LXX ja im Vers vorher auch vom Bau des Tempels spricht. h LXX und 1Esdras setzen hier mit αἰχμαλωσία als Lesung ‫„ שבי‬Gefangenschaft, Exilantenschaft“ voraus. Die Wiedergabe erzeugt einen Fehler, weil die Bezeichnung „Gefangenschaft Judas“ ja in dem Kontext nicht zutrifft, da man sich in Palästina befindet. Außerdem wird später problemlos von den Ältesten gesprochen, weswegen MT zu folgen ist. i Hier wird in den Wörterbüchern die Bedeutung „Bericht, Gutachten“ 273 angenommen. A.H.J. Gunneweg interpretiert: „Es wird ein Bericht an König Darius gesandt, und darauf ergeht dann – später – die Entscheidung. Ein etwas anderes Verständnis dieses letzten Passus von V 5 ist zwar auch möglich, aber doch weniger wahrscheinlich: ‫ טעם‬kann auch ‚Befehl‘ bedeuten; versteht man das Wort in diesem Sinn, muß man übersetzen: ‚bis ein Befehl von Darius kam und man darüber eine Urkunde zurücksandte‘.“ 274 Das Problem bei dieser Interpretation und Übersetzung ist, dass es ignoriert, dass ‫ טעם‬direkt vorher indeterminiert eingeführt wird und nun determiniert steht. ‫ טעם‬ist Leitwort in Esr 5f. Warum sollte es an dieser exponierten Stelle in einer anderen Bedeutung gebraucht sein? Die Richtigkeit der Entscheidung für die Bedeutung „Edikt“ wird durch den nachfolgenden Kontext bestätigt. In Esr 6 reagiert Darius auf das Auffinden des Kyrosediktes mit einem eigenen Erlass. Auf das Kyrosedikt, auf das sich die Frage in Esr 5,3 bereits richtet, zielt daher auch ‫ טעמא‬in Esr 5,5.

a) Textoberfläche und Stil In der Sekundärliteratur wird davon ausgegangen, dass die aramäische Tempelbauchronik ein ursprünglich eigenständiger Text gewesen ist, der in Esr 1–6 verarbeitet worden ist. Bei der Analyse des Kyrosediktes hat sich dies anhand der erkennbaren Hermeneutik der Quellenverarbeitung bestätigt. Ein Problem bei dieser Sicht ist, dass sich für die aramäische Tempelbauchronik formal kein klarer Textanfang ausmachen lässt. Vgl. Ges18, 1524. Zur Übersetzung vgl. Ges18, 1471. 273 Vgl. z.B. Ges18, 1497. 274 Gunneweg, Esra, 98. 271

272

4. Die aramäische Tempelbauchronik

113

Der Gebrauch des Aramäischen scheint mit dem Quellencharakter zusammenzuhängen. Denn der Schluss des Textes ist in Esr 6,18 mit der Tempeleinweihung und den zugehörigen Opfern im aramäischen Text erreicht, dem die Feier des Passafestes im hebräischen Text folgt.275 Für den möglichen Anfang der Tempelbauchronik führt dies aber nicht weiter, da die Grenze zwischen dem hebräischen und aramäischen Text zwischen Esr 4,7 und 4,8 liegt, der aramäische und hebräische Abschnitt in Esr 4 aber inhaltlich und formal so eng verbunden sind, dass dort keine Textgrenze vorliegen kann. Der Beginn der aramäischen Tempelbauchronik lässt sich allerdings anhand einer inhaltlichen Zäsur zwischen 4,24 und 5,1 erkennen. 276 Der Bau am Tempel wird in Esr 4,24 unterbrochen und in Esr 5,2 wieder aufgenommen. Baubeginn (Esr 5,2), Bauabschluss und Einweihung des Tempels (6,14– 18) umschließen einen inhaltlichen Zusammenhang.277 Innerhalb von Esr 5f. finden sich mehrfach Einleitungsformulierungen am Beginn bzw. am Ende von Unterabschnitten (siehe Esr 5,6; 6,2.12b), doch eine solche fehlt im Kontext von 5,1 auffälligerweise. Das Fehlen eines expliziten Textanfangs könnte damit zusammenhängen, dass die aramäische Stilisierung in Kap. 4 thematisiert wird.278 Die einzelnen Äußerungen in Esr 5,1–5 sind textsyntaktisch miteinander und mit dem Kontext verbunden: 5,1 schließt sich mit waw-Kopulativum an den vorangehenden Kontext an, 5,2aα folgt mit ‫„ באדין‬da/dann“, während in Esr 5,3 mit der Zeitreferenz ‫ בה זמנא‬ein Zusammenhang markiert ist. Allerdings vollzieht sich in 5,1–3 jeweils ein Subjektwechsel. Dieser und die Markierung von Szenenwechseln durch ‫ באדין‬und ‫ בה זמנא‬sind untypisch für Erzähltexte, die normalerweise ein hohes Maß an Konsistenz durch rekurrierende Elemente und Substitution aufweisen. 5,1 berichtet über das Auftreten zweier Propheten. In der Eröffnung ist auffällig, dass Haggai mit der Apposition ‫ נביאה‬eingeführt wird, und danach – nach der Nennung von Sacharja – in einer weiteren Apposition Haggai und Sacharja zusammen als Propheten (‫ )נביאיא‬bezeichnet werden.279 Danach wird zu Serubbabel und Jeschua gewechselt. Dort, wo es WiederSiehe dazu unten, 149. Der Bau kommt zum Erliegen, was einen Abschnitt abschließt und mit dem Baubeginn (5,2) folgt ein neuer Abschnitt. 277 Vgl. die Überlegungen zur Lesart von 1Esdras oben, 111, und zu den Kohärenzproblemen durch die Zeitangabe in Esr 6,15 unten, 156. 278 Siehe oben, 91, zu den Überlegungen zur Notiz ‫ כתוב ארמית ומתרגם ארמית‬in Esr 4,7. Dort ist der Sprachwechsel Thema der Erzählebene. 279 In Esr 6,14, wo die beiden noch einmal begegnen, fehlt die zweite Apposition, doch hängt das damit zusammen, dass dort von der „Prophetie Haggais … und Sacharjas“ (‫ )נבואת חגי … וזכריה‬die Rede ist. 275 276

114 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) aufnahmen gibt, führen diese nicht zu einem narrativen Stil. So greifen die Suffixe 3. mask. Pl. in Esr 5,2b auf Serubbabel und Jeschua zurück und verbinden die beiden Personen mit den zuvor erwähnten Propheten. Die Charakterisierung der beiden Propheten als ‫ נביאיא די אלהא‬hebt die Bedeutung der in V. 1 namentlich erwähnten Personen hervor, doch der Vers erzählt nicht, worin diese besteht, und stellt nur deren Hilfe fest (‫)מסעדין להון‬. Der mit ‫ בה זמנא‬zeitlich mit dem Kontext verbundene V. 3 führt als neues Subjekt ‫ תתני‬ein. Das Suff. 3. mask. Pl. (‫ )עליהון‬kann sich nur auf Serubbabel und Jeschua beziehen. Der Satz selbst ist inkongruent gebildet, denn dem finiten Verb in der 3. Sing. mask. (‫ )אתה‬folgt eine Aufzählung weiterer Personen. In 5,3bα wird eine direkte Rede eingeleitet, die sich als Frage (Rückbezug 3. mask. Pl.) an Serubbabel und Jeschua richtet. Direkte Reden, mit denen die Kommunikation der Figuren dargestellt wird, sind eigentlich ein Kennzeichen für Erzähltexte. Entsprechend wird eine Frage gestellt, die bei den intendierten Adressaten eine Antwort erwarten lässt, doch was folgt, ist eine weitere Redeeinleitung, die zudem ein Oberflächenproblem enthält. Die Form ‫( אמרנא‬Perf. 1. Pl.) widerspricht der vorangehenden unpersönlichen Rede,280 was zum Vorschlag einer Streichung geführt hat. Textkritisch lässt sich kein plausibles Szenario für die Entstehung der Lesart entwickeln.281 Deshalb ist man von einer textkritischen zu einer redaktionskritischen Argumentation übergegangen, und hat das Ergebnis einer Bearbeitung vermutet.282 Das Problem lässt sich vor der Diskussion des Inhaltes nicht klären, doch der Neueinsatz der Rede mit einer zweiten Redeeinleitung markiert das besondere Gewicht der zweiten Frage. Diese geht formal 280 Gunneweg, Esra 95: „M hat zusätzlich: ‚Da sprachen wir also zu ihnen‘, versteht somit das folgende als Anfang der Antwort, auf die Anfrage. Die Fortsetzung zeigt jedoch, daß dies sinnlos wäre. Auch das ‚also‘ hinge völlig in der Luft. Es kann sich nur um einen mißverstehenden Zusatz handeln. G und S versuchen vergeblich zu verbessern, indem sie 3. Pers. Plur. lesen.“ LXX und Peschitta stellen mit der dritten Person einen zweiten Einsatz einer direkten Rede heraus und gleichen das Problem aus. Williamson, Ezra-Nehemia, 70, nimmt einen sekundären Einfluss von V. 9 auf die Textgestalt an. 281 Während der Apparat der BHS noch von der Priorität der Versionen ausgeht, sieht BHQ diese als Harmonisierungen. Siehe dazu auch oben, 112f. 282 Kratz, Komposition, 59, vermutet eine Eintragung aus dem nachfolgenden Kontext: „Die einleitenden Verse 5,3–4 sind dem in 5,6ff zitierten Schreiben entnommen und davon literarisch abhängig, wie das wörtliche, in der Erzählung deplazierte Zitat aus 5,9 in V. 4 (‚Darauf haben wir so zu ihnen gesprochen‘) zeigt.“ Kratz nimmt an, dass die Redeeinleitung ‫( כנמא אמרנא להם‬Esr 5,9aβ) der ersten Frage in dem Brief des Tattenai als Einleitung der zweiten Frage in 5,4 verwendet worden ist. Doch sollte der Redaktor, der in V. 3 grammatisch richtig gearbeitet hat, diesen Fehler gemacht haben? Außerdem hätte dieser Redaktor sich ja doch eher von der Eröffnung der zweiten Frage in 5,10 leiten lassen müssen, die er ja auch inhaltlich aufnimmt (‫)ואף שמהתהם שאלנא להם‬.

4. Die aramäische Tempelbauchronik

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der ersten Frage parallel. Außerdem besteht ein Bezug durch die Wiederaufnahme des Verbs ‫בנה‬. Esr 5,5 schließt sich mit waw-Kopulativum an den Kontext an. Subjekt ist jetzt ‫עין אלההם‬, wobei mit ‫ על שבי יהודיא‬eine neue Größe eingeführt wird, auf die sich das Suff. 3. mask. Pl. im Vers bezieht. 5,5aα und 5,5aβ sind dadurch verbunden, dass nun ein Satz mit Subjekt ‫ המו‬beginnt (Bezug zu ‫ שבי יהודיא‬und Suff. 3. mask. Pl.). Es folgen zwei temporale Nebensätze, die eingeleitet mit ‫ עד‬und ‫ ואדין‬das Imperf. gebrauchen. Das Demonstrativum in ‫ על דנה‬kann sich nur auf ‫ טאמא‬in 5,5bβ beziehen. b) Argumentationsstruktur Wie bereits gesehen stellt Esr 4,24 eine inhaltliche Zäsur, aber mit der Zeitangabe auch einen Übergang zu einem neuen Textabschnitt dar. An die Zeitdauer der Unterbrechung wird danach in Esr 5,2 angeknüpft, indem wieder von der Aufnahme der Arbeiten gesprochen wird. 5,1ff. ist so als neue Szene erkennbar. Dies wird – abgesehen von der in Esr 4,24 gegebenen Zeitangabe – durch das Auftreten neuer Figuren markiert. Haggai wird mit seinem Namen und der Apposition ‫נביאה‬, Sacharja mit der genealogischen Angabe ‫ בר עדוא‬eingeführt. Die beiden Figuren sind die Protagonisten der gleichnamigen Prophetenbücher. Im Buch Haggai wird der Prophet wie in Esr 5,1 mehrfach mit der Apposition ‫ הנביא‬erwähnt (Hag 1,1.3.12; 2,10).283 Eine genealogische Einordnung findet sich bei ihm nicht. Sacharja dagegen wird in Sach 1,1.7 mit der genealogischen Angabe ‫בן‬ (‫ ברכיה בן עדו)א‬bezeichnet.284 Auch bei ihm steht die Apposition ‫ הנביא‬zusätzlich zu den genealogischen Angaben. Übereinstimmung mit den Prophetenbüchern besteht darin, dass Haggai ohne, aber Sacharja mit einer genealogischen Angabe eingeführt wird und beide dort ebenfalls als Propheten bezeichnet werden. Der Unterschied zwischen Esr 5,1 und Sach 1,1.7 bei der genealogischen Angabe ist schon oft diskutiert worden.285 Das Fehlen des Vatersnamens ist 283 Dies führt Gunneweg, Esra, 95, als Argument für die Abhängigkeit vom Haggaibuch an. 284 Die Schreibweise ‫ עדוא‬in Esr 5,1; 6,14 entspricht der Schreibweise in Sach 1,7. Sach 1,1 hat ‫עדו‬. Das Vorkommen einer unterschiedlichen Schreibweise in einem Buch zeigt, dass Rückschlüsse aufgrund der Orthografie kaum möglich sind. Es handelt sich um einen Unterschied, der in der doppelten Namensliste Esr 2//Neh 7 bei mehreren Namen anzutreffen ist. 285 Bertholet, Esra-Nehemia, 20, überlegte einen versehentlichen Ausfall oder eine absichtliche Auslassung des weniger bekannten Namens und verweist auf die Erwähnung von Iddo in 12,16. Letzteres nahm auch Williamson, Ezra-Nehemiah, 76, auf. Rudolph, Esra-Nehemia, 46, vermutete lediglich eine Verkürzung bei der Übernahme aus dem Sacharjabuch. So auch Becker, Esra-Nehemia, 34. Eine andere These bot Hölscher, Esra-

116 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) aber an anderen Stellen durchaus üblich.286 Da das Wirken der beiden Propheten nur erwähnt wird, müssen sie und ihre Verkündigung bei den intendierten Adressaten als bekannt vorausgesetzt sein. 287 Die Verkürzung wäre daher sicher als Auffälligkeit gegenüber der bekannten Namensform aufgefasst worden. Hinzu kommt, dass die Angabe kaum dazu dienen kann, für Eindeutigkeit zu sorgen. Die Namen von Haggai und Sacharja zusammen mit der Angabe, dass es sich um Propheten handelt, haben mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der Antike den Bezug auf die beiden Prophetenbücher klargestellt. Daher muss der Nennung des Großvaters eine besondere Intention zugrunde liegen. Interessanterweise ergibt sich über ihn ein Zusammenhang mit Neh 12,16, der den Unterschied zu Sach 1,1.7 erklären hilft.288 Dort wird das Priestergeschlecht eines Iddo erwähnt, und als einer der Angehörigen dieser Familie wird auch ein Sacharja aufgezählt. Angesichts der großen Bedeutung von Genealogien und Namenslisten in EsraNehemia liegt es nahe, dass man den Propheten Sacharja mit diesem Sacharja verbinden wollte, um zu markieren, dass dieser zum Priestergeschlecht des Iddo gehört. Dies kann einem harmonisierenden Interesse geschuldet sein oder eine bei den intendierten Adressaten bekannte Zugehörigkeit ausdrücken.289 Als Priester und Prophet wird er damit dem nur als Prophet bezeichneten Haggai an die Seite gestellt. Esr 5,1 läge damit bei der Bezugnahme auf die Bücher Haggai und Sacharja ein umfassenderes systematisierendes Interesse zugrunde.290 Die Handlung der beiden Propheten wird mit denominiertem ‫( נבא‬Hitpa.) ausgedrückt. Im Hebräischen wird das Verb ohne die Angabe von Inhalten in der Regel wie in Num 11,25f.; 1Sam 10,5f.10; 18,10; 19,20 verwenNehemia, 513, der überlegt, ob eine Interpolation von ‫ ברכיה‬bzw. ‫ ברכיהו‬in Sach 1,1.7 aufgrund von Jes 8,2 vorliegt. Gunneweg, Esra, 96, listet alle Thesen auf, entscheidet aber nicht. Lux, Zweiprophetenbuch, 7, sieht in Esra-Nehemia eine „späte Konstruktion“ der Genealogie Sacharjas. 286 Vgl. die Stellen bei Becker, Esra-Nehemia, 34. Anders verhält es sich bei der Genealogie Esras, die auf 1Chr 5,27–40 zurückgreift, aber das letzte Glied auslässt. Vgl. dazu unten, 229f. 287 Dem wird im Anschluss an die Diskussion der Namensfrage (unten, 117f.) weiter nachgegangen. 288 Siehe oben, 115, Anm. 285. 289 Theoretisch möglich wäre es allerdings auch, dass man lediglich die Namensgleichheit markieren wollte. Die Wissen der Adressaten über das Nebeneinander eines Priesters und eines Propheten gleichen Namens müsste dann vorausgesetzt sein. Doch dies ist nicht wahrscheinlich, da in Esra-Nehemia auf Namensgleichheit unterschiedlicher Personen mit der vollständigen Genealogie oder durch explizite Hinweise reagiert wird. Vgl. z.B. die Angabe ‫ בני עילם אחר‬in Esr 2,31//Neh 7,34. Der Verfasser von Esr 5,1 hätte den Vater Berechia erwähnen können, um einen Unterschied gegenüber Neh 12,16 zu markieren. 290 So Bertholet, Esra-Nehemia, 20.

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det, um eine prophetische Verzückung von Personen oder Gruppen zu bezeichnen. In unserem Fall werden allerdings Adressaten genannt: ‫על יהודיא‬. Es geht demgegenüber also im vorliegenden Kontext um die Verkündigung von Inhalten, ohne dass diese mitgeteilt werden. Die Verkündigung Haggais und Sacharjas richtet sich an „die Juden in Jehud und Jerusalem“. Die Ausführlichkeit der Angabe der Adressatenschaft lässt auf eine besondere Intention schließen. Denn alternativ könnte formuliert sein, dass sich die Propheten an „Jehud und Jerusalem“ oder an „die Juden“ wendeten. Die Formulierung setzt also voraus, dass es in Jehud und Jerusalem auch Nichtjuden bzw. auch außerhalb von Jehud und Jerusalem Juden gibt, bzw. berücksichtigt das Wissen der intendierten Adressaten darüber. Diese Deutung der Formulierung wird textextern gestützt. ‫יהודיא‬ kommt auch mehrfach in den Elephantinepapyri vor.291 Juden sind spätestens um 400 v. Chr. als Personen bekannt, die innerhalb und außerhalb von Jehud leben konnten. Propheten werden eingeführt, die Adressatenschaft genannt und mit dem Verweis auf das Helfen der Propheten (5,2b) auch deren Wirkung vorausgesetzt, doch konkrete Inhalte der prophetischen Verkündigung werden nicht erwähnt. Allerdings findet sich in 5,1b die Notiz, dass die Verkündigung der Propheten „im Namen des Gottes Israels“ geschah, der „über ihnen“ war. Dass eine Gottheit zu der ihr zugehörigen Gruppe bzw. zu den Propheten gehört, ist selbstverständlich, wenn nicht ausdrücklich das Gegenteil festgestellt wird. Daher soll die Bemerkung offenbar das Mit-Sein der Gottheit betonen. Warum dies geschieht, zeigt der Kontext. Dort wird nicht nur festgestellt, dass „ihr Gott“ über ihnen war, sondern explizit ausgedrückt, dass es der Gott Israels war, der ‚über den Propheten war‘.292 Der Erzähltext nimmt damit eine distanzierte Perspektive ein, so als wäre er von Nichtjuden verfasst oder für ein größeres Publikum bestimmt. Aus einer Außenperspektive wird festgestellt, dass der Gott Israels mit dem Handeln der beiden Propheten war. Die nächste „Szene“ folgt schon in Esr 5,2. Wieder treten als neue Personen Serubbabel und Jeschua auf, die genealogisch eingeführt werden. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass trotz der Erwähnung der beiden Personen in Esr 2–4 mit Esr 5,1ff. ein eigenständiger literarischer Zusammenhang vorliegt. Doch ähnlich wie zuvor bei der Erwähnung der Propheten bleibt die konkrete Rolle auch von Serubbabel und Jeschua offen. Allerdings kommen Letztere im vorangehenden Kontext mehrfach vor, sodass Infor291 Dort ist mehrfach vom Heer der Judäer die Rede (‫ ;חילא יהודיא‬vgl. TAD A 4.1:1.10; C 3.15:1) und von den Judäern (‫ ;יהודיא‬A 3.8: 12; A 4.3:12; A 4.7:22.26A 4.8: 1.3.22.26). 292 Anders Williamson, Ezra-Nehemiah, 76, der feststellt, dass „[t]he prophets are introduced in their usual manner“.

118 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) mationen von dort vorausgesetzt sein könnten. Doch auch dort fehlen entscheidende Hinweise auf ihre konkrete Funktion. So wird vor allem über die offizielle Funktion Serubbabels nichts mitgeteilt,293 während Jeschua zumindest mit seinen Brüdern, den Priestern, verbunden wird (Esr 3,8). Im Haggaibuch dagegen wird Serubbabel mehrfach als Statthalter bezeichnet (1,1.14; 2,2.21). Es könnte als selbstverständlich vorausgesetzt sein, dass seine Funktion bekannt ist. Der in Esr 5,1 vorliegende Bezug zu den beiden Prophetenbüchern könnte also auch für Esr 5,2 von Bedeutung sein. 294 In Hag 1,12 ist zudem vom Gehorsam der beiden Vertreter des Volkes und vom Volk die Rede und in Hag 1,14 von der Arbeit am Haus Jhwhs. So ist es die einfachste Annahme, dass die V. 1f. auf die Figuren aus Kap. 3 zurückgreifen und auf Inhalte aus Haggai (und Sacharja) verweisen, wobei die beiden Bücher gleichzeitig als inhaltlich miteinander verbunden erscheinen.295 Mit ‫ קמו … ושריו למבנא‬scheint ein Anfang der Bauarbeiten intendiert zu sein.296 Freilich ist dies nicht sicher.297 Ausgehend von der Bedeutung „lösen“ im Pa. ließe sich bei ‫ שריו‬auch an eine dem Kontext entsprechende Fortsetzung des Baus denken.298 Auch bleibt die konkrete Rolle von Serubbabel und Jeschua offen, sodass inhaltlich für den Baubeginn eigentlich nötige Informationen fehlen würden. Für die Analyse des Textes kann man zunächst festhalten, dass in jedem Fall ein neuer Abschnitt beim Tempelbau im Blick ist. Das Verhältnis zum vorangehenden Kontext muss weiter diskutiert werden. Die Aufeinanderfolge der Prophetie Haggais und Sacharjas und der knappen Erwähnung des Baubeginns durch Serubbabel und Jeschua scheint es dem Leser zu überlassen, einen kausalen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen (Esr 5,1 und 2) herzustellen. Gemeinsam ist den beiden 293

Das ist nahezu durchgängig der Fall. Erst in Neh 12,47 begegnet Serubbabel neben anderen Statthaltern. Anders verhält es sich in 1Esdr, wo Serubbabel ausdrücklich in die davidische Genealogie gestellt und außerdem als Statthalter erwähnt wird. Vgl. dazu Böhler, Machtkampf, 129. 294 So auch Gunneweg, Esra, 95. 295 Das bestätigt Überlegungen zu der Verbindung der beiden Bücher zu einem „Zweiprophetenbuch“. Vgl. Lux, Zweiprophetenbuch, 21f. Esr 5,1 und 6,14 sind bereits antike Zeugen dafür, dass man die beiden Bücher zusammen rezipiert hat. 296 Bertholet, Esra-Nehemia, 20: „sie beginnen“. Auch Gunneweg, Esra, 95, ist sich sicher. Nach ihm „spricht V 2, wörtlich verstanden, nicht von Wiederaufnahme der Arbeiten, sondern von einem Baubeginn“. 297 Williamson, Ezra-Nehemiah, 76, weist auf die Mehrdeutigkeit hin, sieht aber gegenüber Esr 5,2 in Esr 3 ein späteres Konstrukt. Vgl. ebd., 45. 298 Siehe Ges18, 1543. Das Pa. des Verbs kommt in biblischen Texten nur in Esr 5,2 und Dan 5,12 vor. Dort hat es in ‫ ומשרא קטרין‬die Bedeutung „auflösen“. Es ist dort ebenfalls intransitiv verwendet. Vgl. dazu weiter die Überlegungen zum Zusammenspiel des Verses mit dem Gesamtkontext von Esr 1–6 unten, 191.

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Versen das Fehlen von Einzelheiten zum Hintergrund und zum Handeln der Figuren. Was waren die konkreten Handlungen? Was beinhaltete die Verkündigung? Wie ging der Bau vonstatten, und wer führte ihn aus? Alle diese Fragen bleiben offen. Hinzu kommt, dass Esr 5,2a ebenso distanzierend wie 5,1 von den Ereignissen spricht, wenn vom „Tempel des Gottes von Jerusalem“ die Rede ist. Der Kontext von Esr 5,1f. impliziert allerdings, dass Serubbabel und Jeschua Judäer in Jehud und Jerusalem sind. Die Erwähnung im Gegenüber zu den Propheten lässt sie als Repräsentanten der „Juden in Jehud und Jerusalem“ erscheinen. Die knappe Redeweise rückt die Propheten und die Repräsentanten nahe aneinander. Der nichtpriesterliche Prophet steht an erster Stelle Serubbabel gegenüber, der priesterliche Prophet299 dem Hohepriester Jeschua. Die gegenüber dem Sacharjabuch besondere Genealogie und das Gegenüber werden damit in einen Zusammenhang gebracht. Mit einem weiteren temporalen Verweis wird in 5,3 wiederum ein Neueinsatz markiert. Dass wieder eine Szene beginnt, unterstreicht die bereits vorher deutliche exzerptartige Erzählweise. In der Zeit des Baubeginns 300 kommen Tattenai und seine Gefolgsleute als neue Handlungsträger zum Geschehen hinzu.301 Bei ihm handelt es sich aufgrund von ‫פחת עבר נהרה‬ um den Satrapen von Transeuphratene. Sowohl die Funktion als auch die Person sind inschriftlich bezeugt, wenn man sie mit der Erwähnung eines Tattanu, der als „pahât e-bir nâri“302 bezeichnet wird, verbindet. Doch widersprechen sich die Datierungen. Der bezeugte Tattanu hat wohl erst 20 Jahre später sein Amt übernommen,303 sodass man lediglich sagen kann, Siehe dazu oben, 116. Vgl. Gunneweg, Esra, 97. 301 Man hat in der weiteren Handlung ebenfalls Hinweise auf einen Einfluss vor allem des Sacharjabuches vermutet und damit auch die historischen Zusammenhänge klarer zu fassen gesucht. Vgl. zur Diskussion dieser Thesen Edelman, Origins, 174f. Diese beruhen auf mehrdeutigen Formulierungen über Auseinandersetzungen wie auch der Versuch von Rothstein, Juden und Samaritaner, 11.14f., Hag 2,10ff. mit Esr 4,2 in Verbindung zu bringen. Vgl. dazu oben, 89, Anm. 206. Die Tatsache, dass die hinter der literarischen Figur Tattenai stehende Person erst später aufgetreten ist, spricht dagegen, die Ereignisse vorschnell mit bestimmten historischen Ereignissen zu verbinden oder solche zu rekonstruieren. Vgl. dazu Anm. 303. 302 Ungnad, Beiträge, 241 303 Vgl. z.B. Rudolph, Esra-Nehemia, 46; Fensham, Ezra-Nehemiah, 80. Schon Ungnad, Beiträge, 16, weist darauf hin, dass dieser erst ab dem 20. Regierungsjahr des Darius als Statthalter bezeugt ist, und hebt ihn von einem Uštanni ab, der diese Funktion in den ersten Jahren der Herrschaft Darius’ I. innehatte. Vgl. Boardman, Ancient History IV, 125f.131; Blenkinsopp, Ezra-Nehemiah, 120; Kratz, Statthalter, 101. Die Verbindung von Name und Funktion und die Verbindung mit Darius zeigen, dass man in Esr 5,3 auf eine bestimmte Figur abzielt. Das halten Elayi/Sapin, Beyond the River, 16, für unzweifelhaft. 299 300

120 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) dass die aramäische Tempelbauchronik zwar eine konkrete Figur im Blick hat, aber mit ihrer Einordnung zeigt, dass sich ihre Informationen über die betreffende Zeit in Grenzen halten. In Esr 5,3a ist durch die grammatische Inkongruenz die besondere Bedeutung Tattenais gegenüber seinen Begleitern hervorgehoben. Obwohl die Einführung Tattenais durch die Suffixe an den vorangehenden Kontext gebunden ist, setzt sich der exzerptartige Stil von V. 1f. fort. Es fehlen vor allem Informationen darüber, warum der Statthalter nach Jerusalem gekommen ist und dadurch mögliche Probleme verursacht werden.304 Es folgen zwei direkte Reden (Esr 5,3b.4) jeweils mit einer Redeeinleitung. Zweimal werden einer Personengruppe (3. Pl.) Fragen gestellt. Nach den im Text bisher gegebenen Informationen kann es sich dabei eigentlich nur um Serubbabel und Jeschua handeln. In der ersten direkten Rede wird gefragt, wer das Edikt erlassen hat, das Haus zu bauen und das Holzwerk zu vervollständigen.305 Dies ist in seiner Knappheit wiederum auffällig. Der Begriff ‫ טעם‬kann zwar verschiedene Bedeutungen haben, doch muss es mit ‫ מן שם לכם טעם‬um eine offizielle Erlaubnis zum Bau des Tempels gehen. Dadurch tut sich ein Bezug zur Fortsetzung des Textes und zur Tempelbauchronik insgesamt auf. Denn das königliche Edikt des Kyros spielt dort eine besondere Rolle. Der Begriff ‫ טעם‬kommt in Esr 5f. zwölf Mal vor, ist also ein Leitwort des Abschnittes. Überall306 legt sich die Bedeutung „Befehl, Edikt, Erlass“ nahe, obwohl die königlichen Edikte z.T. direkt an Einzelpersonen gerichtet sind. Die Frage in Esr 5,3 blickt also auf die spätere Zitation und Bekräftigung der offiziellen Erlaubnis voraus.307 Die nächste Redeeinleitung mit der zweiten Frage wechselt in die 1. Pl. Die Sicht dieses Oberflächenproblems als literarkritisches Kriterium bewährt sich nicht,308 aber auch ein textkritisches Szenario für die Entstehung des Problems lässt sich nicht wahrscheinlich machen. Es muss allerdings beSie verweisen allerdings auf einen weiteren Text, der einen Tattanu im 36. Jahr Darius’ I. erwähnt (ebd., 17). Zu den Fragen der Verwaltung des persischen Reiches allgemein vgl. Karrer, Verfassung, 26f. 304 Das Problem wird auch von Josephus in einer Paraphrase in Ant. XI, 4,4 §90ff. ausgeglichen. 305 Zur Bedeutung der Formulierung siehe oben Übersetzung mit den Anmerkungen. 306 Zur Problematik der Bedeutung von ‫ טעם‬in Esr 5,5 siehe oben, 112, Anm. 271, und im Folgenden. Zum Nebeneinander des Befehls des Gottes Israels und des Befehls der Könige Kyros, Darius und Artaxerxes (Esr 6,14) vgl. unten, 150 und Anm. 398. Lösungsvorschlag: unten, 175. 307 Theoretisch besteht am Anfang noch die Möglichkeit, dass es sich um eine rhetorische Frage handelt. Dann würde die Frage bereits eine Anklage implizieren. Diese Möglichkeit wird aber schon mit Esr 5,5 ausgeräumt. 308 Vgl. Kratz, Komposition, 59, und dazu oben, 114, Anm. 282.

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achtet werden, dass die vorangehende Redeeinleitung lediglich ein Partizip verwendet (‫)וכן אמרין להם‬. Dieses schließt sich an die erstmalige Erwähnung von Tattenai und seinem Gefolge an (...‫)אתה עליהון תתני‬. Das pluralische Partizip folgt somit auf den inkongruenten Satz Esr 5,3a. Dem Oberflächenproblem in 5,4 geht also ein weiteres Oberflächenproblem voran. Der Plural in Esr 5,3b und in Esr 5,4a lässt sich aber verbinden. Der Wechsel in die 1. Pl. könnte dazu dienen, den nachfolgenden Text als aus persischer Perspektive geäußert erscheinen zu lassen.309 Eine solche distanzierte Erzählweise, als handele es sich nicht um einen jüdischen Text, war bereits in den V. 1f. erkennbar. Das Oberflächenproblem ist dann dadurch bewirkt worden, dass die Figuren, aus deren Perspektive der nachfolgende Text präsentiert wird, zuvor auf der Erzählebene erwähnt werden sollten. Eine solche Inkonsistenz der Darstellung ist in biblischen Texten nicht unüblich. Sie begegnet bspw. in der Eröffnung des Jeremiabuches (Jer 1,1–4). Dort wird zunächst über Jeremia gesprochen, dann wechselt in V. 4 der Erzähltext in die Ich-Perspektive. Im Esra-Nehemia-Buch finden sich im Kontext der IchErzählungen Esras und Nehemias z.T. ebenfalls keine Signale, wenn zwischen unpersönlicher Erzählung und Ich-Erzählung gewechselt wird.310 Doch auch außerbiblisch ist der Stilwechsel anzutreffen. In dem Papyrus A 4.7 aus Elephantine311 wird nach einer allgemeinen Erzählweise der Ereignisse später in eine stärker persönliche Redeweise mit Gebrauch der 1. Pl. (Z. 13 ‫„ אבהין‬unsere Väter“ Z. 15 ‫„ אנחנו‬wir“) gewechselt. Der Wechsel in die Ich-Rede macht offenbar nicht nur die Perspektive sichtbar, sondern soll auch die Authentizität der Aussagen unterstreichen. Daher muss man dies auch an unserer Stelle als mögliches Signal ernst nehmen. Wer auch immer für die vorliegende Form von Esr 5,4a verantwortlich ist, hat das „Wir“ planvoll gesetzt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob man sich bei dem ursprünglich eigenständigen Text der Tempelbauchronik ein plausibles Konzept vorstellen kann, in dem ein Gebrauch der 1. Pl. auf der Erzählebene möglich war. Zunächst muss die Feststellung reichen, dass man mit dem Gebrauch der 1. Pl. den Erzähltext aus der Perspektive der Repräsentanten verfasst erscheinen lässt. Mit der eingeleiteten Frage (5,4b) soll in Erfahrung gebracht werden, wer am Bau beteiligt ist. Das ist eine eigentümlich knappe Frage, bei der mögliche Einzelheiten offenbleiben. Allerdings ist sie an die vorher erwähnten Fi-

309

Becker, Esra-Nehemia, 34, sieht das Fehlen der Namen Serubbabel und Jeschua im nachfolgenden Text als Folge davon, dass die Darstellung „sich in die Perspektive der außenstehenden persischen Behörde zu begeben“ scheint. 310 Vgl. dazu ausführlich unten, 265ff.365. 311 Vgl. TAD A 4.7.

122 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) guren gerichtet, weswegen nun weitere Verantwortliche in den Blick kommen. Esr 5,5 kehrt auf die Erzählebene zurück. Antworten auf die beiden Fragen werden nicht gegeben, eine Auseinandersetzung wird hier zunächst aufgeschoben. Damit wird eine Spannung aufgebaut und das Interesse auf den nachfolgenden Text verlagert. In dem Vers sind allerdings folgende Einzelheiten abschließend zu diskutieren: 1. Esr 5,5aα stellt fest, dass das Auge Gottes auf den Ältesten der Juden war, die zuvor aber noch nicht vorkamen. 2. Der nachfolgende Satz ‫ ולא בטלו המו‬teilt nicht mit, von was diese Ältesten nicht abgehalten werden. 3. Der temporale Nebensatz teilt mit, dass dies so lange der Fall war, bis das Edikt zu Darius gelangen werde (5,5aγ), wobei die Determination zu erklären ist. 4. Ein zurückgesendetes Schreiben „darüber“ ‫ על דנה‬markiert das Ende dieser Zwischenzeit, doch worauf sich das Demonstrativum ‫ דנה‬bezieht, ist ebenfalls unklar. Zwischen den Andeutungen in V. 5 und dem vorangehenden Abschnitt lässt sich folgender Zusammenhang beschreiben: Die Ältesten der Juden können nur mit denjenigen, nach deren Identität in 5,4 gefragt wurde, verbunden werden. Es kann danach nur um den Tempelbau gehen, von dem sie nicht abgehalten werden. Eine nicht auflösbare Spannung ergibt sich daraus, dass ja in 5,2 davon die Rede war, dass Serubbabel und Jeschua den Tempel bauen. Nun aber heißt es, dass die Ältesten nicht abgehalten werden. Diese Inkonsistenz zeigt, dass im vorangehenden Abschnitt bei der Angabe der Akteure umformuliert worden sein muss.312 Die determinierte Erwähnung des Dekretes, das Darius erreichen würde, stellt eine weitere starke Verkürzung dar. Da aber zuvor ‫ טעם‬indeterminiert vorkam, ist impliziert, dass das Edikt, nach dem gefragt worden war, die weitere Handlung bestimmt.313 Warum dieses Edikt zu Darius kommen und darüber ein Brief zurückgesendet werden soll, lässt der Text offen. Allerdings deutet sich eine mögliche Zuspitzung an, da die erwartete Reaktion des Darius den Bau tatsächlich unterbrechen könnte. Es scheint zu den Eigenheiten des Verses zu gehören, Andeutungen zu machen, die erst im nachfolgenden Kontext geklärt werden. Der exzerptartige und teilweise enigmatische Stil an dieser Stelle und übergreifend in Esr 5,1–5 dient offenbar dazu, auf den nachfolgenden Inhalt von Esr 5,6ff. zu 312

Der Vers wird in der Regel als ursprünglicher Bestandteil der aramäischen Tempelbauchronik angesehen. Vgl. zuletzt Kratz, Komposition, 59; Rothenbusch, Abgesondert, 86. Williamson, Composition, 20, meint: „While this verse does not in the same way arise verbally out of the following letter or its reply (though its reference to ‚the elders of the Jews‘ clearly does), yet it is a not unreasonable inference from their contents.“ Doch übersieht er, dass die Ältesten an dieser Stelle noch nicht bekannt sind. Der Leser kann nicht auf etwas schließen, was er noch nicht gelesen hat. 313 Siehe zur Übersetzung oben, 112, Anm. 271.

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verweisen. Auffällig ist, dass auch 5,5 aus der Außenperspektive geäußert zu sein scheint. So ist nicht nur davon die Rede, dass das Auge Gottes auf die Ältesten der Juden gerichtet war, sondern vom Auge ihres Gottes (mit Suff. 3. Pl.). Ebenfalls auffällig ist, dass Darius nur namentlich genannt wird. Es fehlt zumindest die Apposition ‫מלכא‬.314 Es ist zu berücksichtigen, dass an allen anderen Stellen (im Hebräischen und Aramäischen), an denen der Name vorkommt, die Apposition steht. Dies zeigt nicht nur, dass seine vorangehende Einführung mit der Bezeichnung als König vorausgesetzt wird, wie sie zuletzt in Esr 4,24 vorliegt, sondern dass hier womöglich eine Stilbesonderheit – vielleicht auch aufgrund der Exzerptartigkeit und Knappheit – vorliegt. Denn auch in Esr 6,1 findet sich ‫ דריוש מלכא‬auf der Erzählebene. c) Resümee Bei Esr 5,1–5 kann man formal und inhaltlich nicht vom Beginn eines Erzähltextes sprechen. Zu viele Informationen werden dem Leser vorenthalten bzw. nur angerissen. Es scheinen dabei aber auch eine Reihe von Informationen möglicherweise aus den Büchern Haggai und Sacharja als bekannt vorausgesetzt zu sein. Es handelt sich also um eine Art Exzerpt, das mit Andeutungen zum eigentlichen Text hinleitet. Das Nebeneinander von zwei Fragen in 5,3f. lässt dabei die Entfaltung der entsprechenden Inhalte erwarten. Der Höhepunkt der von Andeutungen lebenden Exposition ist in dieser Hinsicht Esr 5,5, wo eine mögliche Konfrontation mit den Persern aufgeschoben wird. Dort wird mit der ersten Wiederaufnahme des von hier an als Leitwort fungierenden Nomens ‫ טעם‬markiert, dass das Edikt, nach dem Tattenai fragt, die folgende Handlung und sogar die Entscheidungen des Königs beeinflussen wird. Besonders im Vergleich mit den Büchern Haggai und Sacharja fällt eine distanzierte Redeweise in der Exposition auf, die den Eindruck erweckt, der Text sei ein unabhängiges Zeugnis aus nichtjüdischer Perspektive. In Esr 5,3 heißt es nicht, dass Tattenai kam, sondern dass er zu ihnen kam. In 5,5 ist vom Auge ihres Gottes die Rede und davon, dass sie nicht behindert wurden. Der Gebrauch der 1. Pl. in Esr 5,4 lässt sich als Teilaspekt dieser Stilisierung sehen. Er signalisiert nicht nur, dass der Text aus der Perspektive Außenstehender, sondern offenbar aus der Perspektive Tattenais bzw. seines Gefolges formuliert ist. Dass dies eine literarische Konzeption ist, zeigen die Präsuppositionen, die eine jüdische Leserschaft voraussetzen. Bei den jüdischen Adressaten wird die Kenntnis der Propheten und ihrer Botschaft sowie von Serubbabel und Jeschua und ihrer Rolle vorausgesetzt. Das wäre aus persischer Perspektive nicht der Fall. 314

Vgl. dazu die textkritische Überlegung oben, 111, Anm 270.

124 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Die Aufschiebung der Konfrontation und der vorläufig ungehinderte Tempelbau werden in Esr 5,5 damit begründet, dass die Ältesten der Juden unter dem Auge ihres Gottes handelten. Dies trägt nach dem Auftreten der Propheten einen weiteren theologischen Akzent ein und markiert den Tempelbau von vornherein als dem Willen des Gottes der Ältesten der Juden entsprechend. Angesichts der Außenperspektive in der Exposition hat das zur Folge, dass aus der Perspektive des Großreiches das Wohlwollen des Gottes Israels zur Kenntnis genommen wird.315 Ein Problem hängt mit den Personen in der Exposition zusammen. In 5,1f. werden Haggai und Sacharja mit einer unterstützenden Prophetie sowie Serubbabel und Jeschua als Initiatoren des Tempelbaus erwähnt. Dem scheint noch die Frage nach den Namen derer, die den Bau tatsächlich vollziehen, zu entsprechen, doch werden in V. 5 die Ältesten der Juden erwähnt, die nicht am Bau gehindert wurden. Dass nach 5,1f. eigentlich Serubbabel und Jeschua als Gesprächspartner impliziert sind, danach aber unvermittelt die Ältesten erwähnt werden, ist ein Hinweis darauf, dass an dem Text gearbeitet worden ist. Hinzu kommt das Oberflächenproblem mit dem Gebrauch der 1. Pl. in der Redeeinleitung der zweiten Frage, die der Einführung von Tattenai in der 3. Sing. zu widersprechen scheint, und die erste Erwähnung von Darius, ohne das im übrigen Text anzutreffende ‫מלכא‬, was einen Stilunterschied darstellt. Ein wichtiges Problem der Exposition ist schon das Fehlen eines formalen Textanfangs in Esr 5,1. Damit hängt zusammen, dass der mit ‫והתנבי חגי‬ beginnende Satz sich formal an den vorangehenden Inhalt anschließt. Dies könnte zu der Überlegung führen, dass der Abschnitt ursprünglich mit Esr 4,24 begonnen hat.316 Wichtiges Argument dafür könnte sein, dass in 4,24 315

Beachtet werden muss aber auch, dass angesichts der sehr ‚sparsamen‘ Erzählweise jede andere Begründung die Nennung weiterer Einzelheiten erforderlich machen würde. 316 R.G. Kratz nimmt für die Tempelbauerzählung die inhaltliche Inkonsistenz zunächst in Kauf. Er meint, dass „[d]er Anfang mit waw-cop. + pf.“ „kein schöner Anfang, aber der Beginn der Erzählung, die bis 6,15 reicht“ (Kratz, Komposition, 56), sei; und überlegt, ob man durch Streichung von ‫ באדין‬in 4,24 eine die Verse 4,24; 5,1 umfassende Eröffnung rekonstruieren kann. Das ist insofern konsequent, als es das inhaltliche Problem von 5,1 berücksichtigt. Doch wären weitere Veränderungen erforderlich, da 4,24 mit Pe. Perf. kaum am Anfang des Textes gestanden haben kann. Aufgrund der inhaltlichen Inkonsistenz vermutet Kratz, dass 5,1–6,16 zwar unabhängig gewesen, aber außerdem einer Redaktion unterworfen worden sei, die zunächst eine Beziehung zwischen der aramäischen Tempelbauchronik und den Büchern Haggai und Sacharja herstellte. Der ursprüngliche Text habe mit 5,6 begonnen. Dazu streicht Kratz zunächst das Auftreten der Propheten und von Serubbabel und Josua (5,1f.). Esr 5,3f. sei „dem in 5,6ff zitierten Schreiben entnommen und davon literarisch abhängig wie das wörtliche, in der Erzählung deplazierte Zitat aus 5,9 in V. 4 (‚Darauf haben wir so zu ihnen gesprochen‘)“ zeige. Kratz, ebd., 61, vermutet weitere Überarbeitungen in dem Abschnitt.

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das Ende der Bauunterbrechung markiert wird, ein Thema, das eigentlich bereits den nachfolgenden Text erwarten lässt. Hinzu kommt, dass in Esr 5,1f. kein Termin für den Baubeginn genannt wird, obwohl in Esr 6,15 das Ende des Baus ganz exakt mitgeteilt wird. Wenn formal kein Erzählanfang vorliegt, sich aber Esr 5f. aus formalen und inhaltlichen Gründen als Quelle erweist, dann deutet sich an, dass bei der Abfassung von Esr 1–6 ein Übergang von Esr 4 zu Esr 5 geschaffen worden ist, bei dem auch die anderen Probleme und Besonderheiten entstanden sind. Wie die Vorlage an der Stelle aussah, welche Inhalte zugrunde lagen und welche hinzugetreten sind, muss im Anschluss an die inhaltliche Analyse des größeren Kontextes diskutiert werden.317 4.2. Esr 5,6–17 Der Brief an Darius 5,6 Abschrift des Schreibens, das Tattenai, der Statthalter jenseits des Stromes, an den König Darius schickte und Schetar-Bosnai sowie ihre Gefährten, die Beamtena jenseits des Stromes. 7 Den Wortlaut sandten sie an ihn, und so war darin geschriebenb: An Darius, den König, allen Frieden! 8 Es sei dem König kundgetan, dass wir in das Gebiet Jehud gekommen sind zu dem Hause des großen Gottes. Es wurde gebaut mit behauenen Steinen und Holz wurde in die Wände gelegt.c Und jene Arbeit wurde sorgfältig getan, und (sie) gelang durch ihre Hand. 9 Wir aber haben jene Ältesten gefragt und zu ihnen gesagt: Wer hat für euch ein Edikt erlassen, dieses Haus zu bauen und dieses Holzwerkd zu vervollständigen? 10 Auch fragten wir sie nach ihren Namen, um (sie) dir mitzuteilen, indem wir aufschreiben den Namen der Männer, die an ihrer Spitze stehen. 11 Folgenden Wortlaut antworteten sie uns: Wir sind Diener des Gottes des Himmels und der Erde, und wir bauen das Haus, das einst vor vielen Jahren hier gebaut war. Ein großer König Israels hatte es gebaut und vollendet. 12 Aber weil unsere Väter den Gott des Himmels erzürnten, gab er sie in die Hand Nebukadnezars, des Königs von Babel, des Chaldäers, und dieses Haus riss er nieder, und das Volk führte er weg nach Babel. 13 Aber im ersten Jahr des Kyros, des Königs von Babele, erließ Kyros, der König, ein Edikt, dieses Haus Gottes zu bauen. 14 Und auch die Geräte von Gold und Silber, die Nebukadnezar aus dem Tempel von Jerusalem weggenommen und in den Tempel von Babel gebracht hatte, nahm der König Kyros aus dem Tempel von Babel, und man gab (sie) einem (Mann) mit Namen Scheschbazzar, den er zum Statthalter einsetzte.f 15 Und er sprach zu ihm: 317 Bei der Herstellung des Zusammenhangs von Esr 4–6 wurde der Übergang zur ursprünglich unabhängigen aramäischen Tempelbauchronik transformierend überarbeitet, sodass eine vollständige Rekonstruktion nicht möglich ist. Siehe dazu unten, 171ff.

126 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Diese Geräte nimm (und) geh hin (und) lege sie in dem Tempel von Jerusalem ab, und das Haus Gottes soll gebaut werdeng an seinem früheren Ort. 16 Da kam jener Scheschbazzar (und) legte den Grund zum Hause Gottes, das in Jerusalem (war). Von da bis jetzt wird gebaut, aber es ist noch nicht fertiggestellt. 17 Und nun: Wenn es dem König gut (erscheint), möge er im Haus der Schätze des Königs, das dorth in Babel ist, suchen lassen, ob es sich so verhält, dass Kyros, der König, ein Edikt erlassen hat, jenes Gotteshaus in Jerusalem zu bauen. Und man sende uns die Entscheidung des Königs darüber. a ‫ אפרסכיא‬ist wahrscheinlich ein Beamtentitel. Die genaue Bedeutung ist unklar.318 b An der Stelle paraphrasiert 1Esdras und zieht den Inhalt mit dem vorangehenden Vers zusammen.319 c 1Esdras formuliert aus und fügt an dieser Stelle bereits die Ältesten ein. d Die Septuaginta interpretiert zwar mit καὶ τὴν χορηγίαν ταύτην, doch bietet der vorangehende V. 8, der von Stein und Holzarbeiten spricht, die nötige Klärung der Semantik. Dies gilt auch nachträglich für den Wortlaut der Frage in Esr 5,3. e Die LXX bezeugt ‫ בבל‬in den meisten Hss nicht. Das Fehlen muss eine Korrektur sein, da der Genitiv τοῦ βασιλέως beibehalten ist und sich umgekehrt kein sinnvolles Szenario für eine Einfügung von ‫ די בבל‬in MT ergibt. Einige Hss der LXX lesen zusätzlich Πέρσων. Sie zeigen, dass bei der Übersetzung die Formulierung von MT als problematisch empfunden wurde. f 1Esdras erwähnt an der Stelle Serubbabel und Scheschbazzar (Sanabassaros) gemeinsam. Die von MT durch ‫ שמה‬angezeigte Unsicherheit beim Namen wird vom apokryphen Esrabuch nicht berücksichtigt, auch Scheschbazzar nicht zum Statthalter eingesetzt, sondern als solcher bezeichnet: καὶ παρεδόθη Ζοροβαβελ καὶ Σαναβασσάρῳ τῷ ἐπάρχω. Diese Veränderung stellt eine Harmonisierung dar. Sie bezeugt, dass das inhaltliche Problem, das durch die Transformation in der Exposition des Textes entstanden ist, bereits in der Antike aufgefallen ist. g ‫ ובית אלהא יתבנא‬wird in der LXX nicht wiedergegeben. Dies dürfte eine Verschreibung in Hinblick auf Esr 6,5 sein. Dem vorliegenden Kontext widerspricht die Kürzung, weil in 5,16 davon gesprochen wird, dass Scheschbazzar den Grund des Tempels legte. h ‫ תמה‬wird in der LXX paraphrasiert und vom Schatzhaus des babylonischen Königs gesprochen. Gunneweg überlegt eine sekundäre Eintragung aus Esr 6,1.320

a) Textoberfläche und Gattungsfragen Der Teiltext wird mit ‫ פרשגן אגרתא‬als „Kopie/Abschrift“321 am Anfang einer überschriftsartigen Phrase eröffnet. Daran schließen sich die Angaben der Absender und des Empfängers an. Man horcht bei diesen mit Relativum an die Überschrift „Abschrift des Schreibens“ gehefteten Informationen in Esr 5,6 auf, meint Bekanntes vor Augen zu haben, doch nicht die vorange-

Vgl. Ges18, 1469. Vgl. Gunneweg, Esra, 101. 320 Vgl. Gunneweg, Esra, 100. 321 Vgl. Ges18, 1525. 318

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henden Briefe sind der Struktur der Eröffnung des Schreibens besonders ähnlich, sondern die Überschrift der Rückkehrerliste in Esr 2,1f.322 Nach der Überschrift erwartet man den Anfang des zitierten Textes, doch in V. 7abα wird dieser ein zweites Mal eingeführt. Dieser Vers ist durch Suff. 3. mask. Sing. und durch das pl. Subjekt von ‫ שלחו‬mit der vorangehenden Überschrift verbunden. Unpersönlich schließt sich der zweite Satz (Esr 5,7bα) an und verweist mit dem Demonstrativum und unter Gebrauch des Ptz. pass. ‫ כתיב‬noch einmal auf den nachfolgenden Text. Die Verse 5,6–7bα sind daher zugleich Überschrift und erzählerische Einführung des nachfolgend wiedergegebenen Inhaltes. Satz 5,7bβ (‫ )לדריוש מלכא שלמא כלא‬ist abgesehen von der Wiederholung des Namens Darius nicht mit dem vorangehenden Kontext verbunden. ‫ לדריוש‬fungiert noch einmal als Vorverweis. Nach dem Signal ‫„ אגרת‬Schreiben“ in Überschrift und der Hinleitung ist an dieser Stelle eigentlich die Adresszeile des Briefes zu erwarten. Diese ist allerdings, wie D. Schwiderski festgestellt hat, im Vergleich mit persischen Briefen untypisch formuliert. Denn die Absender werden darin nicht erwähnt, und außerdem fehle die „Selbsterniedrigungsbezeichnung ‚deine Knechte‘“323 bzw. „dein Knecht“. Schwiderski hält es für unwahrscheinlich, dass nach der Zitationsformel die Adresszeile gekürzt sein könnte,324 und schlussfolgert, dass das nur „in einer literarischen Fiktion“325 denkbar sei. Freilich kann man sich – abgesehen davon, dass man bei Texten in der Hebräischen Bibel nicht von einer literarischen Fiktion im modernen Sinne sprechen kann 326 – verschiedene Szenarien vorstellen, wonach der Text Authentizität beansprucht, ohne eine exakte Zitation zu bieten. Die Durchbrechung einer Konvention beweist nicht, dass der Inhalt nicht authentisch ist. Auch ohne den Formalitäten der Brieferöffnung zu folgen, könnte es sich inhaltlich um ein authentisches Zeugnis handeln.327 Eingebunden in einen literarischen Zusammenhang ist nicht damit zu rechnen, dass man den Formularen eines Briefes sklavisch folgt. Eine partielle Nutzung der üblichen Formulare reichte wahrscheinlich, um den Lesern zu signalisieren, um was es sich handelt. Eine Verkürzung legt sich 322

Dort heftet sich ebenfalls ein abhängiger Attributsatz an die Überschrift, Aufbruchsort und Ziel stehen den Adressatenangaben gegenüber. Vgl. dazu unten, 180. Signifikant ist auch, wie nah die Hinführung zur Zitation der Rückkehrerliste in Neh 7,5 der Formulierung ist. Siehe dazu unten, 308ff. 323 Schwiderski, Handbuch, 360. 324 Vgl. Schwiderski, Handbuch, 360. 325 Schwiderski, Handbuch, 360. 326 Siehe dazu oben, 15f. 327 Wenn sich allerdings aufgrund der Inhalte nachweisen lässt, dass dem Text eine primär literarische Konzeption zugrunde liegt, machen die Differenzen den zeitlichen und sachlichen Abstand von den avisierten Ereignissen deutlich.

128 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) auch nahe, da der Leser ja dem Gesamtkontext folgen soll und der Brief in dem von der Situation der Übermittlung eines Briefes an den Herrscher unterschiedenen Kontext andere Funktion hat. In diesem Falle meinte man offenbar, dass es für die literarischen Ziele passend und ausreichend sei, wenn der Briefinhalt als an Darius gerichtet erschien. Das altpersische Lehnwort ‫ פרשגן‬bezeichnet zwar eine „Abschrift, Kopie“328. Doch signalisiert dieser Begriff den intendierten Adressaten, dass eine wörtliche Wiedergabe bis in Einzelheiten folgt, oder eher, dass der Text auch bei Abweichungen vom möglichen Formular authentisch ist? Wenn Letzteres der Fall ist, dann könnten auch weniger strikte Gattungen wie das Memorandum zum Tempelwiederaufbau in Elephantine329 dem Text zugrunde gelegt werden. Dieses bezeichnet Schwiderski als „Merkzettel (Aidemémoire) für den Boten“330. Die Wiedergabe eines Briefes in einem literarischen Zusammenhang wie in Esr 5 dürfte eher der Textsorte eines solchen Textes entsprechen als dem korrekten Briefformular. Ein Beispiel für die Einbettung eines Briefes findet sich in einem weiteren Elephantine-Text, wo der Inhalt eines Briefes von Vidranga an Naphaina, dessen Sohn und Offizier (‫ )שר‬in Syene, wiedergegeben wird.331 Dieser wird mit ‫ לאמר‬eingeleitet, aber nur auf eine Aussage reduziert wiedergegeben.332 Diese gegenüber den Thesen von Schwiderski einschränkenden Bemerkungen sind notwendig, weil man inzwischen die aufgrund der Gattungsfrage gewonnene Einschätzung, dass es sich um einen literarischen Text handelt, wieder infrage stellt.333 Vgl. Ges18, 1525. Siehe TAD A 4.9. 330 Schwiderski, Handbuch, 114. 331 Siehe TAD A 4.7. 332 Bei dieser Zitation wird auch keine Konvention eingehalten. 333 Grabbe, Ezra-Nehemiah, 22, sah den Stil durchaus noch im Rahmen des zu erwartenden: „The letter begins with a greeting to Darius the king. This is surprisingly short and not the elaborate flattery one might have expected, but this seems to conform to actual correspondence at the time.“ Inzwischen rezipiert er die Thesen von Schwiderski in Grabbe, Documents, 558, wo er allerdings eine spätere Überformung der Formulare zumindest jener Textabschnitte überlegt, denen er am ehesten Authentizität zuspricht: „If there were original texts, they have been heavily edited in the Hellenistic Period“ (ebd., 559). Diese Argumentation nutzt Rothenbusch, Abgesondert, 235, zur grundsätzlichen Infragestellung der Datierungen in die hellenistische Zeit, wie sie bspw. von Hieke, EsraNehemia, 37, vorgeschlagen wird. Wie bei den ‚Dokumenten‘ in Esr 4–6, hat man auch bei Esr 7 die Argumentation von Grätz, Edikt, wonach Esr 7 aufgrund der Gattung in die hellenistische Zeit gehört, infrage gestellt und vorgeschlagen, dass „it still might be possible that Ezra 7 refers to known Persian processes of ‚imperial authorization‘ that could be transferred on a literary level in the introduction of the Torah in Judah“ (Schmid, Persian Imperial Authorization, 33). Ähnlich zuletzt Lee, Authority, 256; Willi, Esra, 105f. Hagedorn, Local Law, hat überlegt, ob das autoritative Setting gewählt ist, um der Tora größere 328

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Die folgenden Überlegungen zeigen allerdings, dass Schwiderskis Schlussfolgerungen zusammen mit weiteren Überlegungen zu Esr 5f. weiter gültig und für die Interpretation der Texte unerlässlich sind. Denn Evidenz dafür, dass es sich nicht um ein ‚echtes‘ Briefzitat handeln kann, sondern nur um einen literarischen Text, ergibt sich aufgrund des Stils im Korpus des ‚Briefes‘. In dem eingebetteten Text lassen sich mehrere Wechsel der Kommunikationsebene größtenteils bereits an der Textoberfläche erkennen: Eine Redeeinleitung markiert in 5,9a den Beginn der Rede. Die Wiederaufnahme der Verbform ‫ שאלנא‬in 5,10a markiert, dass deren Ende erreicht ist. Ähnlich wird in V. 11a die Antwort der Ältesten eingeleitet. Hier folgt die direkte Rede auf ‫לממר‬, dem aramäischen Äquivalent von ‫לאמר‬.334 Eine weitere Einbettung folgt in dieser direkten Rede im Anschluss an 5,15a wiederum mit einer Redeeinleitung. Ob V. 16 wieder Rede der Ältesten oder bereits wieder die Ebene des Briefes ist, kann man nur aufgrund der Inhalte erkennen.335 Der Abschnitt Esr 5,6–17 gibt also eine ausführliche Konversation zwischen dem Statthalter Tattenai und den Ältesten wieder. Dies ist für Briefe kaum passend, da diese ja der Kommunikation der Absender und ihrer Adressaten dienen. Direkte Reden haben in literarischen Texten die Funktion, Hintergründe, Beweggründe und Meinungen aufzuzeigen, sowie den Text aufzulockern. Oft soll damit auch der Eindruck erweckt werden, dass der Inhalt authentisch ist. Doch dieses Anliegen ist ein literarisches, das mit der Briefform nicht vereinbar ist. Denn die Authentizität eines Briefes wird ja dadurch, dass zwei gegenseitig identifizierbare Partner kommunizieren, gesichert. Das heißt nicht, dass direkte Reden in echten Briefen nicht vorkommen können. Bspw. finden sich in dem bereits erwähnten Schreiben aus Elephantine das Zitat einer Rede und die Wiedergabe eines Briefinhaltes, 336 doch widersprechen die überwiegend in der direkten Rede gestaltete Form von Esr 5,7–17 und die nochmalige Einbettung einer weiteren direkten Rede dem uns bekannten Briefstil der Perserzeit. Von der Überlegung, wonach der Stil im Briefkorpus dem Briefformular mit dem dort zu erwartenden Stil widerspricht, kann man abschließend zu der Eröffnung zurückfragen. Denn dort ist zu beachten, dass die Anrede mit der Grußformel dem in griechischen Formularen gebrauchten Stil nahe ist, sodass eine Entlehnung von dort und Übertragung in das Aramäische Autorität zu verleihen. Pummer, Samaritans and their Pentateuch, 268, fragt, ob man bei Preisgabe der Reichsautorisationsthese den parallelen Gebrauch der Tora in Samaria und Juda erklären kann. 334 Vgl. Ges18, 1467 335 Zur bereits in der Übersetzung erkennbaren Entscheidung siehe die folgende Diskussion der Argumentationsstruktur. 336 Vgl. TAD A 4.7: Z. 6f.

130 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) vorliegt.337 Ähnlich wie bei der Abfassung des Briefes das literarische Interesse im Vordergrund stand, wurde möglicherweise intuitiv das geläufige – d.h. das hellenistische – Formular des Briefes gebraucht. Hätte nicht ein ursprünglich dem persischen Formular folgender Beginn des Abschnittes den Text aufgrund der Abweichung vom griechischen Formular besonders gut als Zitat ausgewiesen? Warum sollte es dann bei einer Überarbeitung abgewandelt worden sein? Als wichtiges Oberflächenproblem muss V. 8f. weiter diskutiert werden; denn V. 8 referiert das Suff. 3. mask. Pl. (‫ )בידהם‬nicht auf ein Element im vorangehenden Briefinhalt. Man kann erschließen, dass es die Hände derjenigen sind, die mit dem Bau beschäftigt sind. Ganz parallel geht dem nachfolgenden ‫ לשביא אלך‬die Nennung der Ältesten nicht voraus, die mit dem Demonstrativum eigentlich stehen müsste, denn die Ältesten werden erst später erwähnt. b) Argumentationsstruktur Nach der an Esr 2,1f. und Neh 7,5–7 erinnernden überschriftsartigen Eröffnung des Schreibens folgt direkt angebunden der knappe Briefanfang mit „An Darius, den König, allen Frieden!“ (‫)לדריוש מלכא שלמא כלא‬. Dieser war für Schwiderski der wichtigste Grund für seine Beurteilung des Abschnittes: „Eine solche Adresse konnte nur dort in einem Königsbrief verwendet werden, wo eine Reaktion auf den Bruch der Konventionen nicht zu befürchten war – in einer literarischen Fiktion.“338 Doch ebenso wichtig wie das formkritische Argument scheint es zu sein, dass der Textabschnitt als Brief nicht funktionieren würde. Denn in ihm fehlt die Angabe des Absenders. Wenn es ein realer Brief wäre, müsste der Absender vom König also nicht nur eine Reaktion auf den Bruch der Konvention befürchten, sondern der König wüsste nicht einmal, von wem der Brief stammt. 339 Ein anonymer Brief ist aber nicht intendiert. Die Anrede von Tattenai und seinen Gefolgsleuten durch den König – im Anschluss an die Wiedergabe der Aufzeichnung des Kyrosediktes (Esr 6,6) als Ausgangspunkt der Reaktion des Königs – impliziert, dass dieser über die Absender des Briefes informiert war. Der Brief ist außerdem im Kontext als formal und inhaltlich akzeptabel ge337

Vgl. Schwiderski, Handbuch, 278. Schwiderski, Handbuch, 360. 339 Steinmann, Ezra-Nehemiah, 264, überlegt, ob die Absenderangabe ausgelassen worden ist, weil sie außergewöhnlich lang war. Doch kann das wirklich als Argument gelten? Spricht die außergewöhnlich lange Absenderangabe auf der Erzählebene nicht eher dafür, dass man bei der Abfassung des Textes von vornherein aus erzählökonomischen Gründen die Angabe vor den Brief gesetzt und später mit ‫( שלחו עלוהי‬Esr 5,7a) auf sie verwiesen hat? 338

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dacht.340 Hinter Überschrift, Einführung und Briefanfang steht also ein übergreifendes literarisches Konzept. Dies lässt sich nicht nur am Zusammenspiel von Überschrift und Korpus des Schreibens erkennen, sondern auch daran, dass es inhaltliche Rückbezüge auf die erzählerische Einleitung gibt. Der Text des Briefes lässt sich in die kurze Anrede des Königs (V. 7bβ), die Wiedergabe der Ereignisse mit den Fragen an die Ältesten (V. 8–10), die Antwort der Ältesten (V. 11–16) und die Bitte an den König, diese Antwort zu überprüfen (V. 17), gliedern. Nach der kurzen Anrede ist im ersten Hauptteil davon die Rede, dass die Absender (1. Pl.) nach Jerusalem zum Haus des großen Gottes gekommen sind, das im Bau gewesen sei (Esr 5,8). Beides wurde bereits in Esr 5,2f. auf der Erzählebene thematisiert. Der Vers charakterisiert in 5,8b die Arbeit als sorgfältig getan und erfolgreich (‫)ועבידתא דך אספרנא מתעבדא ומצלח בידהם‬. Das Suffix bei der Phrase ‫„( ומצלח בידהם‬und gelingend durch ihre Hände“) bezieht sich auf eine im Brief noch nicht erwähnte Gruppe. Den Rezipienten des Briefes als Teil des erzählerischen Kontextes ist es aufgrund des literarischen Kontextes möglich zu erschließen, um welche Personengruppe es sich handelt. Es können nur die Kommunikationspartner Tattenais in Esr 5,3f. gemeint sein. Doch als Teil eines auf die Kommunikation mit dem König gerichteten Briefes bereitet die Notiz eher Verständnisprobleme. Zwar impliziert der Bau des Tempels, dass daran Menschen beteiligt sind, doch vor einem Satz wie ‫ ומצלח בידהם‬müsste eine Personengruppe eingeführt werden. Die Formulierung in V. 8 ist daher nicht einfach nur ein Versehen, sondern Konsequenz des übergreifenden literarischen Konzeptes. Ähnlich muss man auch die Phrase ‫ לשביא אלך‬in V. 9a beurteilen. Die Ältesten sind als Gesprächspartner und als Verantwortliche des Tempelbaus bisher nicht eingeführt. Der Rückverweis „jene Ältesten“ setzt aber voraus, dass bereits bekannt ist, mit wem es Tattenai zu tun hatte. Wiederum handelt es sich um einen Rückgriff auf die Einleitung, wo zumindest in 5,5 davon die Rede war, dass das Auge Gottes über den Ältesten der Juden war.341 Jerusalem wird im Bericht des Tattenai (anders als in 1Esdras) nicht mit Namen genannt, wohl aber heißt es, dass sie in die Provinz Jehud (‫ליהוד‬ ‫ )מדינתא‬gekommen waren zum Haus des großen Gottes (‫)לבית אלהא רבא‬.342 Mit der Formulierung kann, da es danach um den im Gang befindlichen Tempelbau geht, nur der Tempelplatz mit der Baustelle gemeint sein. Doch Siehe dazu unten, 144. Wichtigster antiker Zeuge für das Oberflächenproblem ist 1Esdras. Dort (1Esdr 6,8) werden die Ältesten am Anfang des Begriffes eingetragen, sodass beide Bezüge stimmen. 342 Die Formulierung könnte auch mit „das große Gotteshaus“ wiedergegeben werden. Dies würde aber einen fertigen Tempel implizieren, doch im nachfolgenden Satz wird dieser als noch im Bau befindlich bezeichnet. 340 341

132 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) deutet sich mit der Formulierung bereits die religiöse Absicht des Verfassers an. So wird schon die Baustelle aus der Perspektive der persischen Absender als „Tempel des einen wahren Gottes dar[ge]stellt“343. Die Determination ‫ אלהא רבא‬impliziert zugleich, dass nicht nur bei den intendierten Adressaten des Gesamtkontextes, sondern auch bei dem angesprochenen Darius sowohl die Kenntnis des Tempels als auch des „großen Gottes“ vorausgesetzt wird. Im Gesamtkontext deutet sich zudem ein theologischer Zusammenhang mit Esr 5,5 an. Dort wird auf der Erzählebene die Fortsetzung des Tempelbaus mit der Fürsorge Gottes begründet. Dass der persische Vertreter in seinem Brief den Gott Israels würdigt, entspricht der Notiz über die Fürsorge. Gegenüber dem erzählerischen Rahmen verändert sich der Stil signifikant. Dieser ist nun keineswegs mehr als knapp zu charakterisieren. Die in der exzerptartigen Exposition platzierten Leerstellen werden mit Informationen gefüllt, und es fällt Licht auf die Andeutungen. So werden Einzelheiten über die Bauweise genannt, die Arbeiten werden bewertet und so der Eindruck vermittelt, dass der Tempelbau schon relativ weit fortgeschritten ist. Der breitere Erzählstil zeigt sich auch in Esr 5,9f., wo die beiden Fragen aus der Erzählung (5,3f.) wiederholt werden. Die erste Frage wird wörtlich wiedergegeben als zitierte direkte Rede, die zweite Frage wird indirekt formuliert. Während in 5,4 gefragt wird, wer den Bau ausführt, heißt es in 5,10 zunächst nur, dass man nach den Namen fragt. Bei den „Männern, die an der Spitze“ stehen, muss es sich um Personen handeln, die im Zusammenhang mit den in 5,9 erwähnten Ältesten stehen. Ziel ist explizit eine schriftliche Aufzeichnung (‫)להודעותך די נכתב‬. Dies stellt einen regelrechten Vorverweis dar, der im Folgenden die schriftliche Aufzeichnung der Namen erwarten lässt. Die Antwort der Ältesten auf die Fragen ist der umfangreichste und daher gewichtigste Abschnitt des Briefes (5,11–15). Darin stellen sich die Ältesten als Knechte des Gottes des Himmels und der Erde vor, was nun aus israelitischer Perspektive ein Bekenntnis zum jüdischen Monotheismus ist.344 Die Selbstvorstellung allerdings kann nicht als adäquate Antwort auf die Frage nach den Namen der Beteiligten betrachtet werden. Es folgt ein ge343

Gunneweg, Esra, 101. Der Nichtgebrauch des Gottesnamens ist durchgängig ein äußeres Zeichen für die externe Perspektive. Steinmann, Ezra-Nehemiah, 264, und Steveson, Ezra-Nehemiah-Esther, 53, wiesen zuletzt darauf hin, dass zwar der Gott Israels dadurch hervorgehoben wird, aber nicht im Sinne des biblischen Monotheismus verstanden sei. Doch scheint die Determination eher dafür zu sprechen, dass hier eine der Perspektive Tattenais entsprechende Formulierung für den biblischen Monotheismus gewählt ist. 344 Nach Gunneweg, Esra, 102, fügt sich das mit der Bezeichnung des Gottes Israels durch Tattenai und übertrifft sie.

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schichtlicher Abriss, der beim Bau des ersten Tempels einsetzt, wobei Salomo als großer König bezeichnet wird. Auch diese Aussage ist kaum eine Antwort auf die gestellten Fragen.345 Aufgrund seines Zornes habe der Gott des Himmels die Väter der Sprecher in die Hand Nebukadnezars gegeben, der den Tempel zerstört und das Volk nach Babel weggeführt habe (V. 12). Erst in V. 13 wendet man sich der ersten Frage zu, indem der Befehl des Kyros, den Tempel zu errichten, wiedergegeben wird. Dies schließt sich mit ‫ ברם בשנת חדה לכורש מלכא‬an den vorangehenden Kontext an. Damit wird von den Ältesten eine geschichtliche Gegenbewegung angedeutet: Nach dem Zorn Jhwhs, der die Zerstörung des Tempels unter Nebukadnezar bewirkte, konnte er durch den Befehl des Kyros wiedererrichtet werden. Das impliziert ein Ende des Zornes Jhwhs.346 In der wiedergegebenen Rede der Ältesten sind also Zerstörung des Tempels und Wegführung des Volkes durch Nebukadnezar sowie Wiederaufbaubefehl durch Kyros und Rückgabe der Tempelgeräte aufeinander bezogen. Die Bezeichnung des Kyros als König von Babel markiert den Zusammenhang, ist aber eine anachronistische Bezeichnung. Danach wird erzählt, wie dieser die Tempelgeräte Scheschbazzar ausgehändigt und ihn zum Statthalter eingesetzt hat. An dieser Stelle lässt man die Perspektive der Briefschreiber eindringen, indem man in der Phrase ‫ לששבצר שמה‬anklingen lässt, dass es Zweifel an dessen Identität gibt.347 In der zitierten Rede des Kyros an Scheschbazzar wird noch einmal der Befehl zum Bau bekräftigt und die Bestimmung der Geräte geklärt. Die Antwort der Ältesten auf die Frage nach dem Befehl zum Tempelbau ist also geschichtstheologisch geprägt. Zu ihr gehört letztlich auch noch der Bericht vom Kyrosedikt und der Aushändigung der Kultgeräte an Scheschbazzar. Damit ist die Frage nach der Erlaubnis mit dem Verweis auf ein königliches Edikt aus der Perspektive der persischen Fragesteller zwar formal beantwortet, de facto wird aber deutlich gemacht, dass der Gott Israels selbst für den Bau verantwortlich ist. Ein theologischer Aspekt wird 345

Es ist wahrscheinlich, dass man sich bei den Anspielungen und auch bei der Antwort des Königs von der in der Selbstdarstellung der Ältesten in Esr 5,11f. enthaltenen Erwähnung eines großen Königs in Jerusalem inspirieren ließ. Zum übergreifenden Zusammenhang siehe unten, 173ff. 346 Auffällig ist der Zusammenhang mit 2Chr 36,7. Es handelt sich in der 2. Chronik um einen Zusatz gegenüber dem Wortlaut von 2Kön 24. Es ist möglich, dass die aramäische Tempelbauchronik die Chronik verarbeitet hat. Genauso möglich ist es aber, dass der Aspekt von der Chronik aufgegriffen worden ist, die ja dann in 2Chr 36,18 von der Deportation der restlichen Geräte spricht. 347 Gunneweg, Esra, 100, schreibt zu dem ‫שמה‬: „Das ist auffällig, weil überflüssig; es könnte Dittographie zu dem letzten Wort des Verses sein.“

134 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) damit in den Vordergrund gerückt, der sich bereits in Esr 5,5 mit der Rede vom Auge Gottes über den Ältesten andeutete. Nicht beantwortet ist hingegen die zweite Frage nach den für den Tempelbau verantwortlichen Personen, was umso stärker auffällt, als offenbar darauf abgezielt ist, die Namen aufzuzeichnen und sie dem König zu übermitteln. In V. 16 wird mit der Erwähnung Scheschbazzars auf eine übergeordnete Ebene im Brief zurückgekehrt. Unklar ist aber zunächst, ob es wieder die Rede der Ältesten ist oder nun die Ebene der Mitteilungen Tattenais, auf der wir uns befinden. Die Rede der Ältesten, die sich zu ihrem Gott als dem Gott des Himmels und der Erde und damit zum Monotheismus bekennen, unterscheidet sich theologisch von der Bezeichnung des Tempels in 5,16. Diese erfolgt eher neutral und hebt das Haus des Gottes von Jerusalem nun nicht mehr gegenüber anderen Gotteshäusern hervor. Man könnte überlegen, ob der Gott Israels an dieser Stelle als Lokalgott in den Blick genommen wird. Aus diesen Gründen muss mit Esr 5,16 die Ebene der zitierten Rede der Ältesten verlassen sein. R.G. Kratz verweist auf die eklatanten Differenzen zwischen V. 16 und Esr 5,1f. in Bezug auf die Aussagen zum Tempelbau und zu den verantwortlichen Personen. Seiner Ansicht nach kommt als Erklärung nur eine redaktionskritische Lösung infrage. Der eigentlich der Einbindung von 4,6–23 dienende Vers Esr 4,24 vermittle zwischen 5,1f. und 5,16.348 Alle literarhistorischen Schlüsse hängen aber daran, dass man in Esr 1–3; 4 und 5f. nur miteinander zu vereinbarende Aussagen über den Tempelbau und die Verantwortlichen erwartet. Doch wird dabei bei Esr 5,16 vernachlässigt, dass es sich um Figurenrede handelt. Schon dies macht Differenzen möglich, auch wenn sie erklärt werden müssten. Wenn der Vers aber – wie die veränderte Rede vom Tempel zeigt – zusätzlich von der Perspektive der Ältesten in die Perspektive Tattenais wechselt, dann müsste der Inhalt nur mit den Aussagen, die die Ältesten dem Statthalter gegenüber machen, vereinbar sein. Und das ist durchaus der Fall: Scheschbazzar bekommt den Befehl von Kyros, den Tempel zu bauen, und Tattenai bestätigt, dass der Tempel gebaut wird. Die Formulierung ‫ ששבצר דך‬greift zudem zurück auf den von Tattenai ausgedrückten Zweifel an der Person eines Statthalters mit Namen Scheschbazzar in Esr 5,14. Mit dem Namen und der dahinter stehenden Person kann Tattenai weder dort noch in Esr 5,16 etwas anfangen. Daher steht seine Erwähnung zwar im Widerspruch zu Esr 5,1–5, wo nicht Scheschbazzar, sondern Serubbabel baut, doch wird der Widerspruch in der Figurenrede durch die impliziten Zweifel Tattenais an der Identität Scheschbazzars abgemildert. 348

Vgl. Kratz, Komposition, 65f.

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Die Problematisierung Scheschbazzars in der Rede des Tattenai kann als hermeneutisches Mittel angesehen werden, mit dem man erklären will, warum er und nicht Serubbabel, der ansonsten immer mit dem Beginn des Tempelbaus verbunden wird, in der aramäischen Tempelbauchronik erwähnt ist.349 Dass er dort von Anfang an vorgekommen sein muss, zeigt sich daran, dass man ihm in Esr 1,7–11 zugesteht, dass er entsprechend Esr 5,14 die Tempelgeräte in Empfang genommen und nach Jerusalem gebracht hat. Da umgekehrt Serubbabel in der Tempelbauchronik nur in Esr 5,2 begegnet, deutet sich an, dass erst aufgrund der Schaffung des Übergangs Esr 4,24–5,2 erwähnt worden ist.350 Am Schluss des Briefes fällt wieder die ausgesprochene Kürze der Formulierung auf.351 Darin wird die Bitte an den König gerichtet, zu prüfen, ob Kyros tatsächlich ein Edikt zugunsten des Jerusalemer Tempels erlassen hat. Analog wird in dem bereits mehrfach erwähnten Zeugnis aus Elephantine mit dem Rückgriff auf eine königliche Entscheidung in der Vergangenheit argumentiert.352 Kambyses habe von den Tempeln Ägyptens einst einzig den Yaho-Tempel verschont.353 Im Unterschied zur Kommunikation in Esr 5 richtet sich das Schreiben aus Elephantine an Autoritäten auf Statthalterebene. Die Autorität von Kambyses wird einer Instanz auf Provinzebene gegenüber angeführt, um sie zu einer entsprechenden Entscheidung zu bewegen. Demgegenüber ist Esr 5,17 mit der Rückfrage nach dem Edikt des Kyros auffällig, das die Autorität des Darius einschränkt. Denn die Entscheidung des Darius wird erst danach und abhängig von der Entscheidung 349 An dieser Stelle können die Zusammenhänge nur aufgezeigt werden. Eine Lösung lässt sich aber auf der Grundlage des Kontextes von Esr 1–6 insgesamt erkennen. Siehe dazu unten, 195ff. 350 Kratz sieht dagegen eine Redaktion der noch unabhängigen aramäischen Tempelbauchronik, muss aber resümieren, dass man zwar bei deren Integration in den größeren Kontext versucht hat, das Problem auszugleichen, dass dies aber letztlich nicht gelungen ist: „Im übrigen wird der Widerspruch von Esr 5,16 mit 4,24; 5,1 durch das Vorziehen von Esr 4,7–24 nur leidlich behoben“ (Kratz, Komposition, 67). Warum man das Problem überhaupt erzeugt und dann stehen gelassen hat, bleibt offen. 351 Parallelen aus Elephantine zeigen, dass Schlussformeln nicht unbedingt stehen müssen, doch kommt der Absender gegenüber den von ihm referierten Aussagen der Ältesten am Schluss auffällig knapp zu Wort. Daher hat Steinmann, Ezra-Nehemiah, 266, überlegt, ob an dieser Stelle ein editorischer Eingriff in die seiner Ansicht nach ansonsten authentische Urkunde vorgenommen wurde. Doch wären dann nicht bekräftigende, erklärende und wertende Äußerungen ausgelassen worden, die dem Brief zuallererst einen gewissen Eindruck von Authentizität gegeben hätten? So deutet sich hier bereits an, dass wir es mit einer literarischen Konstruktion zu tun haben, der es nicht auf die Figur des Tattenai, sondern auf das Edikt des Kyros ankam. 352 Vgl. TAD A 4.7, Z. 13f. 353 Dies dient nach Grätz, Adversaries, 78, auch dort dazu, die Legitimität des Tempels zu unterstreichen, für dessen Wiederaufbau um Erlaubnis nachgesucht wird.

136 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) des Kyros angefragt: ‫ורעות מלכא על דנה ישלח עלינא‬. Eigentlich wäre zu erwarten, dass die Entscheidung des Darius auf einer Ebene mit der Entscheidung des Kyros steht. Entsprechend müsste Tattenai einerseits um die Klärung der Richtigkeit der Behauptung der Ältesten nachsuchen und andererseits die Entscheidung des Darius über den Tempelbau erbitten. Die von Darius erbetene Entscheidung (‫„ רעו‬Wille, Entscheidung“) steht eigentümlich schwach neben dem betonten ‫„ שים טעם‬ein Edikt erlassen“ des Kyros. Dass die Entscheidung des Vorgängers so hervorgehoben wird, scheint zu implizieren, dass einmal getroffene königliche Entscheidungen von besonderer Bedeutung sind. Ein solches Konzept ist im Estherbuch und bei Daniel erkennbar. Est 1,19: ‫„ – ויכתב בדתי פרס ומדי ולא יעבור‬Und es wurde eingeschrieben in die Gesetze Persiens und Mediens, sodass es nicht übertreten wird.“; Dan 6,9: ‫מלכא תקים אסרא ותרשם‬ ‫„ – כתבא די לא להשניה כדת מדי ופרס די לא תעדא‬König, richte ein Gebot auf und schreibe es als Schriftstück auf, damit es nicht verändert werden kann entsprechend dem Gesetz Mediens und Persiens, das nicht aufhebbar ist“. Dieses wird literarisch übergreifend im Estherbuch insgesamt und zumindest in Dan 6 umgesetzt.354

Dieser Kontext muss nicht unbedingt ein Hinweis auf die Datierung von Esr 5 sein, da die späteren aus der hellenistischen Zeit stammenden Bücher Daniel und Esther ja auch Erinnerungen an die persische Zeit enthalten können.355 Allerdings ergibt sich so ein weiteres Indiz, dass der eingebettete Brief in Esr 5 integraler Bestandteil eines größeren literarischen Kontextes ist, für den der Brief geschaffen wurde. Dies erweist sich auch noch einmal an dem rahmenden Zusammenhang zwischen Esr 5,5 und 5,17, der zeigt, wie der Gesamtkontext von einem übergreifenden Thema bestimmt ist. Esr 5,5

Esr 5,17

‫ועין אלההם הות על שבי יהודיא‬ ‫ולא בטלו המו עד טעמא לדריוש יהך ואדין‬

‫וכען הן על מלכא טב יתבקר בבית גנזיא די‬ ‫מלכא תמה די בבבל‬ ‫הן איתי די מן כורש מלכא שים טעם למבנא בית‬ ‫אלהא דך בירושלם‬

‫יתיבון נשתונא על דנה׃‬

‫ורעות מלכא על דנה ישלח עלינא׃‬

Das Edikt des Kyros muss erst zu Darius gelangen und danach kann/soll er seinen Willen darüber kundtun. Das Kyrosedikt ist also von Anfang an (und zwar schon vor der Frage des Tattenai und der Antwort der Ältesten) das bestimmende Element des Textes. In dem entscheidenden Abschlussvers Zum Zusammenhang siehe Kratz, Translatio imperii, 226. So interpretiert Frei, Zentralgewalt, 90, die Phrase in den Büchern Daniel und Esther. Allerdings ergibt sich im Zusammenhang der Pragmatik des Gesamttextes eine Tendenz, die für die hellenistische Zeit spricht. Vgl. unten, 167ff. 354

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von Tattenais Brief (Esr 5,17) wird es konkret als Grundlage für den Fortgang der Tempelbauchronik herausgestellt. c) Resümee Der „zitierte“ Brief bildet mit der vorangehenden Exposition Esr 5,1–5 einen übergreifend konzipierten literarischen Zusammenhang. Dies legte sich einerseits aufgrund der formalen Eigenheiten des Briefes, andererseits, weil darin auf Inhalte aus der Exposition zurückgegriffen wird, nahe. Diese ist für das Verständnis des Briefes unerlässlich und zeigt, dass der Brief nie unabhängig existiert haben kann. Umgekehrt werden im Brief Einzelheiten der Exposition entfaltet und Andeutungen aufgegriffen und geklärt, was zu derselben Schlussfolgerung führt. Die literarische Absicht des Briefes zeigt sich aber auch an der wiedergegebenen Antwort der Ältesten. Die Begründung der Legitimität des Tempelbaus setzt mit seiner Vorgeschichte und seiner Zerstörung aufgrund des Gotteszornes ein und mündet in die Darstellung von dem Edikt des Kyros und die Beauftragung des zum Statthalter eingesetzten Scheschbazzar zum Tempelbau durch Kyros. Doch wird dies auf den über dem Tempelbau stehenden Willen der Gottheit zurückgeführt. Die Beantwortung der seit über einhundert Jahren diskutierten Frage, ob der Brief des Tattenai authentisches Zeugnis sein könnte oder zumindest authentische Informationen verarbeitet sind, kann nicht auf der Grundlage von formalen Aspekten356 oder der Diskussion, ob einzelne Aspekte vorstellbar sind oder nicht,357 erfolgen. Vielmehr ist es erforderlich, die Frage zu stellen, ob der vorliegende Brief als Teil der Kommunikation zwischen Darius und einem Satrapen plausibel ist. Beim Zentrum des Textes – der geschichtlichen Darstellung von Bau, Zerstörung und Erlaubnis zum Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels mit der vorausgesetzten Kenntnis und Akzeptanz der Bedeutung des Gottes Israels beim persischen König – ist dies nicht der Fall. Es geht nicht so sehr um die Erlaubnis zum Tempelneubau als darum, die Legitimität des Jerusalemer Tempels in der Geschichte zu begründen und die Gründe für seine Zerstörung aufzuzeigen. Die Ältesten bezeugen indirekt ihre intakte Gottesbeziehung, die bereits auf der Erzählebene die eigentliche Grundlage des Tempelbaus ist. Damit ist der Text insgesamt als jüdischer religiöser Text mit eingetragener Großreichsperspektive erkennbar. Warum sollte der persische König auf die Frage, wer die Bauenden sind, mit einem Abriss der Geschichte Israels belehrt werden? Für die intendierten Adressaten ist völlig Schwiderski, Handbuch, 375ff. Vgl. Grabbe, Persian Documents, der auf dieser Grundlage zu einer vergleichenden Bewertung der unterschiedlichen dokumentarischen Abschnitte zu kommen sucht. 356 357

138 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) klar, dass es die Israeliten sind, doch dem König wird an dieser Stelle kaum mitgeteilt, um wen es sich handelt. Auch stellt sich die Frage, warum man Darius auch noch eine angebliche direkte Rede des Kyros mitteilt. Dies ist nur sinnvoll, weil es für die intendierten jüdischen Adressaten auf die Übergabe der Tempelgeräte verweist. Mit der suggerierten Nähe zu den Ereignissen will man lediglich den Eindruck von Authentizität erwecken. Dass im Brief mehr Einzelheiten erscheinen als in der Exposition, ist kein Indiz dafür, dass V. 1–5 sekundär sind.358 Vielmehr zeigt die formale und inhaltliche Verflechtung mit dem Kontext, dass der Brief nicht unabhängig von einem Vorspann existiert haben kann. Das immer festgestellte Faktum, dass vom Brief nicht auf Serubbabel und Jeschua verwiesen wird und auch die Propheten nicht vorkommen, spricht dagegen für eine Rahmung. Beide Aspekte gemeinsam lassen nur die Schlussfolgerung zu, dass der Vorspann transformierend überarbeitet worden ist. Dort müssen ursprünglich auch die Ältesten als Initiatoren des Tempelbaus erwähnt gewesen sein. Die Betonung des Mitseins der Gottheit in Esr 5,5 legt nahe, dass davon in dem Abschnitt die Rede war, der durch Esr 5,1f. ersetzt worden ist. Eine sekundäre Rahmung, auch wenn die Zäsur zwischen 5,5 und 5,6 dies nahe legen könnte,359 reicht zur Erklärung des Befundes nicht aus.360 Die beiden Probleme der Exposition (Gebrauch der 1. Pl. in 5,3, Erwähnung der Ältesten, obwohl zuvor Serubbabel und Jeschua Gesprächspartner Tattenais waren) beweisen, dass in dem Bereich Inhalte ersetzt worden sind. Wie hat man dann allerdings das Nebeneinander von Scheschbazzar als Tempelbauer in Esr 5,16 und der Erwähnung Serubbabels und Jeschuas in Esr 5,2 zu erklären? Offenbar hat man bei der Transformation des Anfangs den Widerspruch in Kauf genommen, weil die aramäische Tempelbauchronik ursprünglich Scheschbazzar im Brief erwähnte. Doch präsentierte man Serubbabel auf der Erzählebene und platzierte ihn am Anfang, sodass der Leser die Erwähnung von Scheschbazzar von dieser Notiz her lesen musste. Auch konnte man sich für die Plausibilität des Rahmens zu Nutze machen, dass Scheschbazzar nicht nur in dem Brief des Tattenai als weitergegebene 358

Kratz, Komposition, 57, verweist dazu außerdem auf die ausführliche Einführung von Serubbabel und Jeschua. Vgl. dazu unten, 159, Anm. 429 und unten, 195ff. 359 Vgl. Kratz, Komposition, 61. 360 Kratz, Komposition, 63, zieht daraus die Konsequenz und sieht den Kern der aramäischen Tempelbauchronik in den „protokollartigen Auszüge[n] in 5,6.7bβ.8 und 6,6– 7.12b und vielleicht [dem] Memorandum in 6,3–5“. Das reduziert den Brief des Tattenai auf die Mitteilung des Tempelbaus. Dass der König aber darauf reagiert, ein Edikt des Kyros gesucht und zitiert wird, setzt einen längeren Text im Vorfeld voraus. Die Hypothese des Kurztextes lässt sich außerdem nicht mit der Verwendung der aramäischen Tempelbauchronik in Esr 1 sowie damit, dass Esr 1 Interpretament für die als bekannt vorausgesetzte aramäische Tempelbauchronik ist, vereinbaren.

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Figurenrede vorkommt, sondern dort bereits als Unbekannter problematisiert wird (Esr 5,14.16). Dies wurde von der Exposition entweder genutzt, oder aber die entsprechenden Bemerkungen wurden nachträglich an den Namen angeheftet (‫ ששבצר שמה‬und ‫)ששבצר דך‬. Das zweite inhaltliche Problem hängt mit den beiden an die Ältesten gerichteten Fragen zusammen. Diese werden als zwei inhaltliche Punkte herausgestellt. Die Wiederholung der Fragen im Brief bestätigt das. Doch der inhaltliche Schwerpunkt des Briefes liegt auf der Beantwortung der ersten Frage bzw. auf der Darstellung des historischen Hintergrundes des Jerusalemer Tempels. Die zweite Frage bleibt letztlich ungeklärt. Doch warum wird sie in der Exposition mit gleichem Gewicht vorgetragen? Dass dies nicht zufällig geschieht, ist daran erkennbar, dass als Grund für die Befragung eine schriftliche Mitteilung an den König genannt wird (‫)להודעותך די נכתב‬. Damit wird die Erwartung geweckt, dass nun die Verantwortlichen tatsächlich aufgelistet werden, doch stattdessen wird lediglich die Identität der einzigen namentlich erwähnten Person in Zweifel gezogen („ein gewisser Scheschbazzar“). Dies sind Hinweise dafür, dass die aramäische Tempelbauchronik um die Mitteilung einer Namensliste gekürzt worden sein muss. 4.3. Die Edikte des Kyros und Darius in Esr 6,1–12 6,1 Da erließ Darius, der König, ein Edikt. Und man suchte im Haus der Bücher, der eingelagerten Schätzea dort in Babel. 2 Und man fand in Achmetab, in der Festung, die in der Provinz Medien liegt, eine Schriftrolle. Darin war so geschrieben: Memorandum: 3 Im ersten Jahr des Königs Kyros erließ der König Kyros, ein Edikt, das Haus des Gottes in Jerusalem betreffend. Das Haus soll erbaut werden als eine Stätte, an der man Opfer darbringt, und (mit) seinen tragendenc Grundmauern. Seine Höhe ist sechzig Ellen und seine Breite sechzig Ellen. 4 Und drei Schichten von behauenen Steinen und eine Schicht neuesd Holz (sollen sich abwechselne). Und die Aufwendung soll vom Hause des Königs gegeben werden. 5 Und auch die Geräte des Gotteshauses aus Gold und Silber, die Nebukadnezar aus dem Tempel zu Jerusalem weggenommen und nach Babel gebracht hat, man soll (sie) zurückschicken, es soll gelangen in den Tempel von Jerusalem an seinen Ort, und duf sollst (es) im Hause Gottes ablegen! 6 Nun, Tattenai, Statthalter jenseits des Stromes, und Schetar-Bosnai und ihre g Gefährten, Beamte jenseits des Stromes, haltet euch fern von dort, 7 überlasst die Arbeit an jenem Haus Gottes dem Statthalter der Juden und den Ältesten der Juden. Sie sollen jenes Gotteshaus an seiner Stelle bauen. 8 Und von mir ist ein Edikt erlassen worden, was ihr tun sollt mit jenen Ältesten der Juden, um jenes Gotteshaus zu bauen. Und aus den Einkünften des Königs, der Steuer jenseits des Stromes, mit Sorgfalt soll die Aufwendung jenen Männern gegeben werden, um nicht zu unterbrechen.

140 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) 9 Und was sie bedürfen anh Stieren, Widdern und Lämmern als Brandopfer für den Gott des Himmels, an Weizen, Salz, Wein und Öl, wie die Priester von Jerusalem sagen, das soll man ihnen Tag für Tag geben, auf dass keine Nachlässigkeit sei, 10 damit sie opfern zum lieblichen Geruch dem Gott des Himmels und bitten für das Leben des Königs und seiner Söhne. 11 Und von mir ist ein Edikt erlassen worden: jedem Menschen, wenn er diese Sache verändert, soll ein Balken aus seinem Haus herausgerissen und er daran ausgestreckt angeschlagen werden, und sein Haus soll zum Schutthaufeni gemacht werden deswegen. 12 Der Gott aber, der seinen Namen dort wohnen lässt, bringe jeden König um und jedes Volk, das seine Hand ausstreckt, dieses Edikt zu verändern und jenes Haus Gottes von Jerusalem zu zerstören. Ich, Darius, habe dieses Edikt erlassen, sorgfältig soll es ausgeführt werden. a Vielleicht könnte man die Phrase auch mit „im Schatzhaus der Schriftstücke“ wiedergeben. b Der Eigenname ist aus dem Altpersischen abgeleitet.361 Die LXX lässt ihn aus und spricht nur von der Stadt in Medien, zieht also wohl ‫ ברתא‬und ‫ אחמתא‬zusammen, vielleicht weil der Eigenname als unverständlich angesehen wurde. Vulgata gibt die Phrase mit „in Ecbathanis“ wieder. c ‫ אשוהי מסובלין‬wird oft als problematisch angesehen. Zuletzt schlug A.E. Steinmann vor, anders zu vokalisieren und dann einen Satz „about offering sacrifices, like the preceding clause“362 zu sehen. Wahrscheinlicher ist aber dieselbe Bedeutung von ‫ אשיא‬wie Esr 4,12; 5,16. Wenn man dies mit dem nachfolgenden Partizip zusammenzieht und bei diesem wie im späteren Aramäischen die Bedeutung „tragen“ annimmt, kann man die Phrase als erstes Glied der Aufzählung der Architektur des Tempels sehen: „seine Grundmauern tragen“. So hat es die Vulgata interpretiert. Ob dies für ein unvollkommenes Aramäisch spricht, wie z.B. G. Jahn gemeint hatte,363 sei dahingestellt. Man kann überlegen, ob es sich ursprünglich um einen zusammenhängenden Satz handelt: „Seine Grundmauern tragen seine Höhe mit 60 Ellen und seine Breite mit sechzig Ellen“. Dann hätte erst die masoretische Akzentsetzung eine Aufzählung gesehen. Warum die Grundmauern die Länge nicht tragen, ist ebenso unerklärlich wie deren Fehlen in der Aufzählung. Es bleibt dabei, dass der Vers unvollständig ist. d LXX scheint ‫ חד‬zu lesen, doch 1Esdras bezeugt offensichtlich die Lesart von MT. Wahrscheinlich handelt es sich bei der Lesart der LXX um einen interpretativen Eingriff oder um ein Missverständnis. Obwohl man zunächst ein Überlieferungsproblem im Gegenüber von ‫ חדת‬und ‫ חד‬sehen könnte, führt der theoretische Wortlaut einer so rekonstruierten Vorlage ‫ ונדבך די אע חד‬wegen des dazwischen stehenden Relativpronomens nicht zu einer sinnvollen Syntax.364 „Neues Holz“ hat also ursprünglich dem behauenen Stein gegenübergestanden. e Offensichtlich geht es um eine erdbebensichere Bauweise.365 f Ich folge A.H.J. Gunneweg und halte den Wechsel in die Anrede für ursprünglich. 366 Der Text enthält zwar eine ganze Reihe von Fehlern in der Syntax, doch ist die Anrede 361

Vgl. Ges18, 1465. Steinmann, Ezra-Nehemiah, 257 363 Vgl. Jahn, Esra-Nehemia, 52. 364 Sinnvoll wäre ‫ונדבך חד די אע‬, doch lässt sich daraus nicht die Entstehung der Lesart von MT erklären. 362

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sinnvoll. Sie dient dazu, die Authentizität von Esr 5 zu belegen. Vgl. dazu im Folgenden die Textanalyse. g Einige LXX-Hss und Peschitta lesen 3. Sing. wie in Esr 5,6. Dem folgt Gunneweg. 367 Doch wird in LXX und Peschitta auch bei 6,13 entsprechend geändert, sodass eine Tendenz zur Vereinheitlichung vorliegt. Vulgata korrigiert inhaltlich und wählt 2. Pl. mask. Die Formulierung mit Suff. 3. Pl. mask. „ihre Gefährten“ ist dieselbe wie in 5,3 und später in 6,13. Lediglich in 5,6 stand Suff. 3. mask. Sing. „seine Gefährten“. An dieser Stelle ist die Formulierung besonders auffällig, weil Tattenai direkt angesprochen scheint. Doch ist zu beachten, dass anders als in 5,6 in 6,6 und 6,13 eine pluralische Verbform folgt. Und auch in 5,3 folgt (trotz des zuvor stehenden ‫ )אתה‬zumindest das pluralische Partizip. Das pluralische Suffix steht hier also, weil die einzelnen Glieder der Aufzählung als Akteure eine Rolle spielen. In Esr 6,6 werden sie direkt angesprochen, sich vom Tempelbau fernzuhalten. h Die Kopula hat hier erläuternden Sinn.368 i Der Begriff ist unsicher, wie bereits die LXX zeigt.369

a) Textoberfläche und Stil ‫ באדין‬eröffnet einen neuen Abschnitt. Die Handlung ‫דריוש … שם טעם‬ nimmt die im vorangehenden Text gebrauchte Phrase wieder auf. Die nachfolgenden Sätze 6,1f. schließen sich im Perfekt und mit waw-Kopulativum an. Sie laufen in 6,2b auf die Zitation eines Dokumentes zu. Dessen Einführung ist wie Esr 5,7bα formuliert. Die Wiederholung der Formulierung ‫ כתיב בגוה‬stellt einen Zusammenhang mit dem vorangehenden Textabschnitt her. Nach der Zitationsformel steht der Begriff ‫ דכרונה‬als Überschrift. Auch dies folgt dem Muster von Esr 5,6, wo ‫ פרשגן אגרתא‬als Bezeichnung vor dem Brief Tattenais steht. Esr 6,2 stellt mit ‫ דכרונה‬ein „Memorandum, Protokoll“370 in Aussicht. V. 3 beginnt mit einer Zeitbestimmung, was nach ‫ דכרונה‬den Anfang markiert. Die Phrase ‫ שים טעם‬wiederholt in dem Abschnitt die entsprechende mit Darius verbundene Phrase aus 6,1a, stellt aber zugleich eine Beziehung her zu dem Brief des Tattenai, wo sie in 5,9.13.17 vorkommt, in 5,13.17 bereits zusammen mit dem Subjekt ‫כורש‬. Sie bindet den Text zugleich an die Exposition der aramäischen Tempelbauchronik, wo in 5,3 nach dem Urheber eines Ediktes gefragt wurde. Formal deutet sich damit die Schließung eines inhaltlichen Bogens an. Außerdem wird der Abschnitt Esr 365

Vgl. dazu Edelman, Earthquakes, 228, die hervorhebt, dass die Bauweise gegenüber den rezipierten literarischen Konzepten an der Stelle neu ist. Dies ist ein Hinweis darauf, dass zur Abfassungszeit in dieser Weise Stabilität hergestellt wurde. 366 Gunneweg, Esra, 103.108. 367 Vgl. Gunneweg, Esra, 103.109. 368 Vgl. Ges18, 1489. 369 Vgl. dazu Ges18, 1514. 370 Vgl. Ges18, 1483.

142 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) 6,1–12 durch den Gebrauch der Phrase gerahmt (6,1.12), und gleichzeitig werden zwei Schwerpunkte markiert (6,3 und 6,8.11). Der durch die Zitationsformel eingeleitete Abschnitt wird mit Perf. 3. mask. Sing. eröffnet (6,3a: ‫)בשנת חדה לכורש מלכא כורש מלכא שם טעם‬. Das Kyrosedikt beginnt also eigentlich wie ein Erzähltext. Danach dominieren Sätze im Imperfekt. Darunter fällt der abschließende Satz auf, der in der 2. Sing. mask. formuliert ist (6,5bγ: ‫)ותחת בבית אלהא‬. A.H.J. Gunneweg hat zu Recht gegen eine textkritische Entscheidung für die dem Kontext entsprechende Lesart LXX und 1Esdr geltend gemacht,371 dass die persönliche Anrede den Inhalten der Rede der Ältesten in Kap. 5 entspricht.372 Der Wechsel der Stilisierung dürfte also inhaltliche Gründe haben. Es ist umgekehrt sehr unwahrscheinlich, dass man im Blick auf Esr 5 Scheschbazzar in Esr 6,5b nur durch den Gebrauch der 2. Sing. nachträglich eingetragen hat. Eine weitere Auffälligkeit ist, dass in Esr 6,6 ohne eine Redeeinleitung eine direkte Rede folgt. Diese beginnt mit ‫ כען‬und spricht Tattenai zunächst mit seinem Namen an. Der Abschnitt nutzt wieder Imperative und Imperfektformen. Nach der Formel ‫ ומני שים טעם‬in 6,8.11 setzt sich das jeweils fort. Damit entspricht das Tempus der Rede der Bezeichnung des Kontextes durch die Formel, die den Abschnitt als Edikt/Befehl des Königs markiert. Entsprechend schließt die Formel den Abschnitt in Esr 6,12b ab. b) Argumentationsstruktur Auf die abschließende Bitte des persischen Repräsentanten folgt unmittelbar die entsprechende Reaktion. Dazu wird vom König zunächst ein Edikt erlassen. Innerhalb von Esr 6,1–12 kommt die dafür gebrauchte Phrase ‫שים‬ ‫ טעם‬fünf Mal vor. Ihr Gebrauch dient dem Zusammenhang des Abschnittes und zugleich dem Anschluss an das vorangehende Kapitel. In Esr 6 geht es um zwei Edikte des Darius und um eines des Kyros. Das Edikt des Kyros (Esr 6,3ff.) ist entsprechend der erste inhaltliche Schwerpunkt, das (zweite) Edikt des Darius der zweite. Die Erwähnung eines ersten Edikts des Darius am Abschnittsanfang nimmt den Schluss auf und leitet zu neuen Ereignissen über. Sein Inhalt wird nicht ‚zitiert‘, sondern nur seine Durchsetzung berichtet. Man sucht in den Schatzhäusern in Babylon und findet dann in einer Festung in Medien 371 Die LXX zu Esr 6,5 und 1Esdr 6,25 formulieren zwar unpersönlich, doch diese Korrektur der Versionen berücksichtigte nicht das zugrunde liegende literarische Konzept. 372 Gunneweg, Esra, 108, schreibt: „Bemerkenswert ist, wie schon gesagt, die unvermittelte Anrede in der 2. Person. Obwohl die Neigung groß ist, den Text in Übereinstimmung mit manchen Zeugen abzuändern, sollte doch beachtet werden, daß diese Formulierung genau derjenigen von 5,15 konform geht. Dort ist Scheschbazzar angeredet, und an ihn muß auch hier gedacht werden.“

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eine Schriftrolle. Vorausgesetzt, aber zunächst nicht noch einmal mitgeteilt, ist also, dass es um das in Esr 5 erwähnte Edikt des Kyros geht, nach dem man im Reich fahnden soll. Dies bindet Kap. 6 fest an den vorangehenden Kontext. Bereits die Ortsangaben zeigen den konstruierten literarischen Charakter des Textes insgesamt: 1. Einmal soll die Suche in Babel erfolgen, dann aber heißt es in V. 2, dass man in Medien fündig geworden ist. Babel ist hier eine übergeordnete Größe, wozu das iranische Hochland als Peripherie gehört. ‫„ באחמתא‬in Achmeta“, d.h. in Ekbatana, 373 steht der Phrase ‫ בבירתא די במדי מדינתה‬als Apposition gegenüber. Der Eigenname Achmeta wird also als Festung definiert und in der Provinz Medien lokalisiert. 374 Zentrum und Peripherie des Perserreiches sind in der Sicht von Esr 6,1f. vertauscht.375 Dieser Anachronismus ist mit dem Anachronismus der Bezeichnung von Kyros als König von Babel (Esr 5,13) zu verbinden.376 ‚Kyros als König von Babel‘ und ‚Medien als Peripherie des Reiches‘ sind durch die Suche des Dokuments in Babel (6,1) fest miteinander verbunden. Dass es eine Schriftrolle ist, die man findet, ist ein weiterer Anachronismus. Denn im östlichen Teil des Reiches wären eher keilschriftliche Einträge im Archiv zu erwarten gewesen.377 Beides erweist Esr 5f. als literarische Konzeption.378 Die Erwähnung der Schriftrolle entspricht der Sprache des Dokumentes und der aramäischen Tempelbauchronik insgesamt. Man will den Text als authentisch erscheinen lassen, ist aber offenbar nicht ausreichend über Geographie, politische Geschichte und Kommunikationstechnik des Perserreiches informiert gewesen. 2. Sodann wird berichtet, dass man es „dort in Babel“ „suchte“ (‫ תמה בבבל‬... ‫)ובקרו‬. Was über ein Handeln gemäß dem Vgl. Ges18, 1465. Gunneweg, Esra, 104, problematisiert die Formulierung: „Da ‚in der Provinz Medien‘ sich nur auf Ekbatana beziehen dürfte, wäre man geneigt, das erste ‫ ב‬von ‫ בבירתא‬zu streichen: ‚in der Burg Ekbatana in ...‘. Vielleicht ist ‚das in der Provinz Medien liegt‘ eine noch in G fehlende Glosse.“ Die parallele Konstruktion von Ortsnamen und ‫ בבירתא‬ist ein Hinweis auf das Vorliegen einer Apposition. Zu dieser gehört noch die Lokalisierung. Die Überlieferung der LXX hat dies teilweise vereinfacht. 375 Williamson, Ezra-Nehemiah, 80, bringt das zusammen mit historischen Überlegungen. Es sei verständlich, dass man in Babylon begonnen habe, aber in Ekbatana, der Sommerresidenz der Achämeniden, gefunden habe: „It is known that Cyrus left Babylon in the spring of 538 B.C. and it is reasonable to suppose that Ecbatana was his destination.“ De Vaux, Decrees, 89, sieht in der Konstruktion aus gleichem Grund einen besonderen Hinweis auf die Historizität des Textes. Diese Sicht berücksichtigt nicht, dass Kyros in Esr 5,13 als König von Babel bezeichnet wird und in Esr 5,8 auch Jehud als ‫ מדינתא‬gilt und damit im gleichen Rang wie Medien und unter Babylon steht. 376 Vgl. oben, 133. 377 Vgl. Hieke, Esra-Nehemia, 115. 378 Gunneweg, Esra, 107: „Gegen Echtheit spricht auch noch das verräterische Detail, daß es eine ‫ ְמגִ ָלּה‬gewesen sein soll, auf der das Edikt geschrieben stand.“ 373 374

144 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Befehl des Darius berichtet, entspricht dem Wortlaut der Bitte Tattenais, man solle „dort in Babel“ nach dem Dokument des Kyros suchen. Während die Formulierung in 5,17 aus der Perspektive des Tattenai einsichtig ist, überrascht sie auf der Erzählebene, weil die Ausführung des königlichen Befehls aus der gleichen westlichen Perspektive wie der Brief des Tattenai erfolgt. Der Inhalt der aufgefundenen Schriftrolle (6,2b–5) bestätigt die Worte der Ältesten aus Esr 5 mit einer fast wörtlichen Entsprechung: Ein Edikt des Kyros ist in dessen erstem Jahr den Tempel in Jerusalem betreffend erlassen worden. Der Abschnitt wird mit ‫ דכרונה‬als Memorandum und damit als offizielle Aufzeichnung bezeichnet. Der darin enthaltene stilistische Bruch mit dem scheinbar unvermittelten Gebrauch der 2. Sing. (6,5bγ – ‫ )ותחת בבית אלהא‬macht die konkrete Ausrichtung des Ediktes auf eine Einzelperson deutlich und entspricht ebenfalls der Vorgabe aus Esr 5,15 (‫שא‬ ‫)אזל אחת המו בהיכלא‬.379 Es folgt die erbetene Entscheidung, die direkt an Tattenai gerichtet ist. Die Anrede in Esr 6,6 mit ‫ כען‬+ PN zeigt, dass beim König die Kenntnis des Absenders vorausgesetzt wird, obwohl dieser in dem an den König gerichteten Brief gar nicht erwähnt war. Nach dem Konzept des Textes funktioniert die Kommunikation zwischen Statthalter und König (und umgekehrt) dennoch. Das Fehlen einer direkten Anrede mit Redeeinleitung nach dem Kyrosedikt durchbricht zwar die Konventionen, die bei einer Briefkommunikation zu erwarten sind. Doch wechselte bereits zuvor das Memorandum des Kyrosediktes ohne Nennung eines Angesprochenen in die persönliche Anrede. Der Wechsel der Person ohne Redeeinleitung, um die Perspektive deutlich zu machen, scheint zum Stil der aramäischen Tempelbauchronik zu gehören. Dass außerdem zwei direkt an den Statthalter gerichtete königliche Äußerungen direkt nebeneinanderstehen („Du lege (sie) im Haus Gottes nieder. Du nun Tattenai ...“), ist sicher kein Zufall. Die Eröffnung der an Tattenai gerichteten Rede mit ‫ כען‬in 6,6 markiert zudem den inhaltlichen Zusammenhang mit dem vorher wiedergegebenen Memorandum. Der direkte Bezug zum vorangehenden Edikt und die direkte Anrede signalisieren eine königliche Entscheidung. Dies zeigt auch der Stil des Abschnitts, in dem Imperative und Imperfektformen dominieren. Der König lässt es nicht damit bewenden, dass dem Statthalter eine Einmischung untersagt wird (V. 6). Es wird außerdem festgehalten, dass der Statthalter der Juden und die Ältesten den Tempel an seinem Ort bauen sollen (V. 7). Dadurch wird nun die Legitimität des Ortes auch von Darius bestätigt. Die Argumentation der Ältesten Tattenai gegenüber wird vom Großkönig voll379

Vgl. oben, 129.

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ständig akzeptiert und dabei neben dem Tempel und dem Ort des Tempels auch die politische Situation von Darius bestätigt, wenn der Statthalter der Juden und die Ältesten der Juden bauen sollen. Bemerkenswert ist, dass zuvor lediglich in der wiedergegebenen Rede der Ältesten von der Einsetzung eines Statthalters die Rede war.380 Vom König wird es als selbstverständlich vorausgesetzt, dass es diesen gibt. Doch auch die Ältesten der Juden kommen im Brief an Darius nicht vor. Meiner Ansicht nach lässt sich daraus schlussfolgern, dass die Ältesten in der Exposition ursprünglich eine stärkere Rolle gespielt haben müssen, als dort jetzt noch erkennbar ist. Der Zusammenhang zwischen dem Dekret des Darius, dem Brief des Tattenai und der vorangehenden Erwähnung der Ältesten in 5,5, zeigt, dass sie die primären Handlungsträger der aramäischen Tempelbauchronik gewesen sind und auch am Anfang gestanden haben müssen. Dass Darius den Statthalter der Juden erwähnt, kann nur mit dessen Nennung in Esr 5,14 zusammenhängen. Wenn es von Anfang an einen Statthalter gegeben hat, dann konnte er nicht übergangen werden. Während Esr 6,6–7 das Kyrosedikt bestätigt und Tattenai und seinem Gefolge eine Einflussnahme verboten wird, gehen Esr 6,8–10 mit einem an ihn gerichteten Befehl zur Mitwirkung beim Tempelbau darüber hinaus.381 Damit wird ein Kontrast zu dem zumindest potentiell für die Juden gefährlichen Brief des Satrapen hergestellt. Denn nun sollen den Ältesten der Juden Steuerabgaben des Gebietes jenseits des Stromes zum Bau des Tempels zur Verfügung gestellt werden. Dabei kann es sich nur um die „Kleinsatrapie Syrien“382 mit dem Sitz des Satrapen in Damaskus und damit um den direkten regionalen Kontext Jerusalems handeln. Darüber hinaus wird für den Betrieb des Tempels und die Opfer gesorgt, die ausdrücklich dafür bestimmt sind, damit die Priester von Jerusalem einen lieblichen Geruch für den Gott des Himmels darbringen und für das Leben des Königs und seiner Söhne beten können (V. 10). Der Tempel in Jerusalem erhält damit eine Be380 Alt, Rolle Samarias, hielt dies für eine Hinzufügung: „In Esra 6,7 ist die Erwähnung des ‫הוּדיֵ א‬ ָ ְ‫( ַפּ ַחת י‬Serubbabel) offensichtlich sekundär.“ Ähnlich Gunneweg, Esra, 104: „Zusatz zur Angleichung an 5,2“. Warum sollte hier im Dekret des Darius, das primär mit dem Brief des Tattenai verbunden ist, ein Zusammenhang zu 5,2 hergestellt werden? Die Rede des Darius bezieht sich auf die Erwähnung von Scheschbazzar in Esr 5,14.16. Wer ‫ פחת יהודיא‬in Esr 6,7 streicht, müsste auch die Formulierung über die Einsetzung Scheschbazzars zum Statthalter streichen, die jedoch zum Bestand der aramäischen Tempelbauchronik gehören muss. 381 Nach Gunneweg, Esra, 109, hängen Verbot der Einflussnahme und Befehl zur Mitwirkung insofern zusammen, als die Ausführung der Befehle des Kyros geregelt wird. Vgl. Hieke, Esra-Nehemia, 116. 382 Vgl. Jacobs, Satrapieverwaltung, 160f. Diese gehörte zur Hauptsatrapie Assyrien. Vgl. ebd., 153ff.

146 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) deutung für die persische Herrschaft. Da der König vom Gott des Himmels (determiniert) und ohne Namensnennung spricht, signalisiert dies zugleich die Akzeptanz des jüdischen monotheistischen Konzepts. Eine solche Fürsorge für einen Tempel und seine Inanspruchnahme für den Großkönig erinnert an hellenistische Darstellungen, wie wir sie in der Rosetta-Inschrift antreffen.383 Diese verweist auf eine Fülle von Zuwendungen wie Steuererleichterungen und eine Amnestie, die Bestätigung der älteren Privilegien der Tempel und neue Privilegien, die direkte Fürsorge für Tempel sowie für die Verehrung der heiligen Tiere, was alles ebenfalls dem Wohl des Königs und seiner Kinder dient. Mit der Phrase ‫„( מני שים טעם‬von mir ist ein Edikt erlassen worden“) wird in Esr 5,11 ein nochmaliger Einschnitt markiert. Es handelt sich außerdem um eine Hervorhebung, was die Sanktionen unterstreicht, die bei Nichtbefolgung der vorangehenden Befehle in Aussicht gestellt werden, aber die vorangehenden Befehle werden so ebenfalls als Teil des Edikts erkennbar. Über die Sanktionen geht die sich in Esr 6,12 anschließende Fluchformel hinaus. In ihr liegt der theologische Zielpunkt des Textes. Der Fluch der Gottheit richtet sich gegen jeden König und jedes Volk, die ihre Hand gegen Jerusalem ausstrecken, um diese Entscheidungen zu verändern und jenes Gotteshaus in Jerusalem zu zerstören. Während in V. 10 mit den Söhnen des Darius offenbar noch die persische Herrschaft im Blick ist und sich die Sanktionen in V. 11 noch an eine persische Herrschaft richten, kann sich die Fluchformel in V. 12 quasi als vaticinium ex eventu nur auf eine spätere Zeit beziehen, in der das Edikt des Darius nicht mehr gilt. 384 Woher ‚der Wind weht‘, wird mit der Bezeichnung des im Fluch wirksamen Gottes deutlich. Mit „der Gott, der seinen Namen dort wohnen lassen hat“, greift man auf die Zentralisationsformel im Deuteronomium zurück.385 Dabei nutzt man aber das Perfekt386 und geht damit über die im MT des Deuteronomiums formulierte Offenheit hinsichtlich des zentralen Ortes hinaus. 383

Vgl. dazu oben, 39f. Meyer, Entstehung, 51, musste den Vers für sekundär erklären, weil er gegen die Authentizität spricht, doch gibt es dafür keine literarkritischen Argumente. Gunneweg, Esra, 111, überlegt, ob Nachbarvölker in den Blick genommen werden. Doch ist es eine eigentümliche Vorstellung, dass in dem Edikt des Darius ein Gegner der Achämeniden wegen der möglichen Zerstörung des Jerusalemer Tempels in den Blick genommen wird. 385 Steinmann, Ezra-Nehemiah, 269, sucht die Authentizität des Textes ohne Infragestellung des Verweises auf die Zentralisationsformel mit der Hinzuziehung des Passabriefes von Elephantine zu sichern, indem er annimmt, dass „the Persian kings took an interest in the details of the cultic rites of their subjects throughout their empire“. Doch ist im Passabrief wegen einer Textlücke in Z. 3 unklar, ob sich die Erwähnung von Darius überhaupt auf kultische Belange bezieht. 386 Es besteht eine deutliche Affinität zur Stilisierung der Zentralisationsgebote im samaritanischen Pentateuch. 384

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Damit deutet sich bereits ein Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen Jerusalem und Samaria an. Denn während in der Zufügung zum Dekalog im samaritanischen Pentateuch der Garizim als erwählter Ort angesehen wurde, wird dies im jüdischen Konzept in Jos 8 geleugnet.387 Ähnlich wie im samaritanischen Pentateuch das Perfekt auf die bereits im Dekalog geschehene Erwählung des Garizim bezugnimmt, setzt Esr 6,12 eine Entscheidung der Gottheit für Jerusalem voraus. Esr 6,12 scheint also bereits zu einem Diskurs um die Auslegung der Zentralisationsformel des Deuteronomiums zu gehören. Dies allerdings setzt voraus, dass der Pentateuch bei Abfassung des Textes abgeschlossen und akzeptiert gewesen ist.388 Nicht nur die Privilegierung eines einzigen Tempels durch die Perser, auch seine weltgeschichtliche Relevanz lassen es nur zu, von einem literarischen Konzept aus späterer jüdischer Perspektive zu sprechen. Die Fluchformel nimmt bereits kommende Herrschaften in den Blick, sodass wohl im Rückblick auf die Perserzeit formuliert worden ist.389 Dieser Zielpunkt des Textabschnittes mit den Edikten erweist den Text als weder mit der Religionspolitik der Perser noch mit jener der Seleukiden oder Ptolemäer konform. Entwickelt wird stattdessen ein theologisches Ideal, das für jüdische Adressaten bestimmt ist und diesen gegenüber plausibel sein soll. Die Schlussformel Esr 6,12b hält noch einmal fest, dass es sich um ein von Darius erlassenes Edikt handelt (Esr 6,12b: ‫אנה דריוש שמת טעם אספרנא‬ ‫)יתעבד‬. Hier fehlen nun wie in Esr 6 insgesamt jegliche Formelemente eines Briefes. Der Textabschnitt ist von der erzählerischen Eröffnung über die Zitation des Kyrosedikts direkt in die Anrede Tattenais übergegangen. Erzählerische Elemente waren allerdings sogar im Memorandum des Kyrosedikts enthalten. Dies spricht dafür, dass in Esr 6 an so etwas wie eine Chronik gedacht ist. Der Wechsel der Perspektive und die enthaltenen direkten Reden erwecken den Eindruck mehrerer Chronikeinträge. Ähnliches konnte auch schon in Esr 5 wahrgenommen werden, wo man zwar einen Brief präsenVgl. dazu Heckl, Kultstätte, 90–92. Zum Abschluss des Pentateuchs in persischer Zeit siehe Grabbe, Law of Moses, 99f.; Heckl, Abschluss, 201f.; Lange, Date, 304. 389 Besonders relevant ist das Gebet für den König und die nachfolgende Fluchformel. Zwar hält Krauter, Bürgerrecht und Kultteilnahme, 199, Esr 6 in Anschluss an das Votum von Koch, Artaxerxes-Erlaß, 98, zu Esr 7,12–26 und Meyer, Entstehung, 60–70, für authentisch und persisch. Die von ihm angeführten Beispiele (Krauter, Bürgerrecht und Kultteilnahme, 195–199) führen aber alle in die hellenistische Zeit. Das gilt auch für Bar 1,10–14. Krauter, ebd., 195, gesteht zwar ein, dass die darin „vorausgesetzte Situation zwischen 598 und 586 v. Chr. [...] eine literarische Fiktion“ ist. „Aber die Schilderung [zeige], was man zur Entstehungszeit für möglich hielt“ (ebd.) Es ist allerdings für die Frage nach dem Ursprung des Gebets für den König irrelevant, ob man im 1. Jh. v. Chr. der Meinung war, dass es dieses schon im 6. Jh. gegeben hat. 387

388

148 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) tierte, aber aufgrund seiner Einbindung in den größeren Kontext von dem Briefformular abgewichen war. 4.4. Epilog: Abschluss des Tempelbaus und Einweihung (Esr 6,13–18) 6,13 Da taten Tattenai, der Statthalter jenseits des Stroms, und Schetar-Bosnai und ihre Gefährten sorgfältig so, wie der König Darius geschickt hatte. 14 Und die Ältesten der Juden bauten, und es ging vonstatten durch die Weissagung Haggais, des Propheten, und Sacharjas, des Sohnes Iddos, und sie bauten und vollendeten es nach dem Befehl des Gottes Israels und nach dem Edikt des Kyros, Darius und Artaxerxesa, des Königs von Persien, 15 und sie vollendeten das Haus bis zum dritten Tag des Monats Adar im sechsten Jahr der Herrschaft des Königs Darius. 16 Und die Israeliten, die Priester, die Leviten und der Rest der Gefangenschaft, hielten die Einweihung des Hauses Gottes mit Freuden. 17 Und sie opferten zur Einweihung des Hauses Gottes hundert Stiere, zweihundert Widder, vierhundert Lämmer und zum Sündopferb für ganz Israel zwölf Ziegenböcke nach der Zahl der Stämme Israels. 18 Und man stellte die Priester nach ihren Ordnungen auf und die Leviten nach ihren Abteilungen zum Dienst für Gott in Jerusalem, wie es im Buch des Mose geschrieben steht. a A.H.J. Gunneweg nimmt an, Artaxerxes sei nachträglich mit Blick auf Esr 4,6f. hinzugefügt worden.390 Die Annahme eines Zusatzes (so auch App. der BHS) setzt jedoch einen Eingriff mit einer bestimmten Absicht voraus. Warum der Interpolator aber die Könige in der falschen Reihenfolge aufführt und überhaupt Artaxerxes, der ja in Esr 4 nicht gerade glücklich agiert, erwähnt, wird dadurch nicht erklärt. Kratz nimmt an, dass eine Redaktion in der „4,6.7 eingeführten und in 6,14f angepaßten Chronologie“391 vorliegt, und verlässt die Argumentation auf der textkritischen Basis. Doch auch hier gilt, dass eine Intention vorliegen muss. Eine Klärung ist nur möglich im Blick auf die Sicht der Perserzeit im Gesamtkontext.392 b Sowohl im Ketiv ‫ לחטיא‬als auch im Qere ist der Hebraismus erkennbar, mit dem das Sündopfer bezeichnet werden soll. 393 Gemeint dürfte am ehesten eine Nominalform sein, da der Inf. Pa. eigentlich mit „versündigen“ wiederzugeben wäre und man daher eine Sonderbedeutung annehmen müsste. 2Chr 29,21 stellt das Äquivalent der Formulierung mit einer sehr ähnlichen Syntax dar: ‫וצפירי עזים שבעה לחטאת על הממלכה‬. Esr 8,35 hat Esr 6,17 offenbar aufgenommen und die Formulierung in der Weise, wie hier vorgeschlagen worden ist, verstanden.394

a) Textoberfläche und Stil Der Beginn des Abschnitts wird mit ‫ באדין‬markiert. V. 13 ist allerdings durch die Eigennamen fest mit dem vorangehenden Textabschnitt verbunden. Tattenai und Schetar-Bosnai aus Esr 5,3.6; 6,5 und Darius aus 6,12 tau390

Vgl. Gunneweg, Esra, 112. Kratz, Komposition, 66. 392 Vgl. dazu unten, 171ff. 393 Vgl. Gunneweg, Esra, 113. 394 Siehe dazu unten, 272. 391

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chen wieder auf. Der Zusammenhang zum vorangehenden Vers wird außerdem durch die Wiederaufnahme der Phrase ‫ אספרנא יתעבד‬mit ‫אספרנא עבדו‬ signalisiert. Der neue Abschnitt ist also mit dem weiteren und engeren Kontext verbunden. Der Schluss ist durch den Übergang vom Aramäischen zum Hebräischen an der Textoberfläche markiert.395 Inhaltlich bildet der Verweis auf die Toragemäßheit der Priesterordnungen eine Schlussmarkierung. Vor allem aber zeigt das Nebeneinander von Einweihung, die noch Bestandteil der aramäischen Tempelbauchronik ist, und dem folgenden Fest am fertiggestellten Tempel Ende und Anfang eines neuen Abschnittes an.396 Der Gebrauch von Perfektformen prägt den Abschnitt. Dessen erzählerischer Zusammenhang wird jeweils durch waw-Kopulativum hergestellt. Aus dem erzählerischen Stil fällt allerdings Esr 6,14a heraus. Dort stehen zwei partizipiale Konstruktionen vor der Perfektform ‫ובנו‬. Der Passus stellt mit der Erwähnung der Namen Haggai und Sacharja zugleich einen Rückbezug auf Esr 5,1 in der Exposition her. Formal ergibt sich eine Rahmung des Mittelteils. Das Oberflächenproblem ist aber weiter zu beachten. Eine weitere Besonderheit in demselben Vers ist die auffällige Vokalisation von ‫ טעם‬in der Phrase ‫מן טעם אלה שמיא‬, die so nur in Esr 7,23 noch einmal auftaucht. b) Argumentationsstruktur An der Textoberfläche zeigte sich bereits, wie eng Esr 6,13f. mit dem vorangehenden Kontext verbunden ist. Die inhaltlichen Rückbezüge zur Exposition ergeben eine konzentrische Struktur des Rahmens (Esr 5,1–5; Esr 6,13– 18): Die Erwähnung von Tattenai und Schetar-Bosnai führt zurück zu Esr 5,3; das Bauen des Tempels in Esr 6,14aα schließt einen Bogen mit dem Baubeginn in Esr 5,2; und die Erwähnung der Propheten Haggai und Sacharja nimmt den Anfang in Esr 5,1 auf. Innerhalb dieser Rückbezüge wird mit der Feststellung, dass es die Ältesten der Juden sind, die bauen, ein weiteres Mal die Spannung zwischen dem Korpus der Tempelbauchronik und ihrer Exposition deutlich. Nach Esr 6,13 handeln Tattenai bzw. die Beamten in der Weise, wie Darius „geschickt hatte“ (‫)די שלח דריוש מלכא‬. Der Zusammenhang impliziert die schriftliche Übermittlung des vorangehenden Textes, auch wenn Esr 6 nicht explizit als Brief des Darius gekennzeichnet wird: Der Tempel kann gebaut werden, und die Satrapie Transeuphratene stellt dafür und für Siehe die Überlegungen oben, 112. Gunneweg, Esra, 115, meint, dass das Passafest ein „festlicher Ausklang“ der „Einweihungsfeierlichkeiten“ ist. Doch meiner Ansicht nach signalisiert das Fest den Beginn des regelmäßigen Kultes am Tempel. Zu beachten ist dafür die Datumsangabe. Während die Einweihung des Tempels noch im Adar stattfindet, wird als erstes Jahresfest das Passa im Nisan gefeiert. 395 396

150 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) den späteren Tempelkult die Mittel zur Verfügung. Der inhaltliche Zusammenhang wird mit der Wiederaufnahme der Formulierung ‫אספרנא יתעבד‬ (V. 12) durch ‫ כנמא אספרנא עבדו‬in V. 13 unterstrichen und dadurch die Bedeutung des vorangehenden Abschnittes hervorgehoben.397 Die Arbeit am Tempel und ihren Abschluss behandeln Esr 6,14f. Allerdings wird den konkreten Einzelheiten des Tempelbaus nicht nachgegangen. Es wird lediglich festgestellt, dass die Ältesten erfolgreich waren, und zwar durch die Prophetie Haggais und Sacharjas, und dass der Bau nach dem Befehl/Willen des Gottes Israels und der persischen Könige Kyros, Darius und Artachšasta (Artaxerxes) geschah. Stilistisch unterscheidet sich dies vom Brief des Tattenai, wo Einzelheiten des Baus erwähnt werden, und auch vom Memorandum des Kyrosediktes (Esr 6,3–5), wo Vorgaben für die Konstruktion des Tempels gemacht werden. Der Schluss der aramäischen Tempelbauchronik kehrt wieder zu der knappen Darstellungsweise in der Exposition (5,1–5) und im Übergangsabschnitt (Esr 6,1f.) zurück. Während die Propheten nur am Rande erwähnt werden, wird in Esr 6,14 die Vollendung des Tempels parallel auf den Gott Israels und auf die persischen Könige zurückgeführt. Verwendet wird zwei Mal das Nomen ‫טעם‬, das im vorangehenden Kontext mehrfach die königlichen Edikte bezeichnete. Der Wille des Gottes Israels wird also den Edikten der Könige an die Seite gestellt, wobei Gott an erster Stelle steht.398 Durch seine Anfangsstellung – flankiert von der Erwähnung der Prophetie Haggais und Sacharjas – erweist sich die aramäische Tempelbauchronik ein weiteres Mal als jüdischer religiöser Text. Ein Bogen zu Esr 5,5, wo das Mitsein des Gottes Israels mit den Ältesten ausgedrückt war, und zu dem Auftreten der Propheten in Esr 5,1f. wird geschlagen. Das Gegenüber des Willens Gottes und der Befehle der Könige steht mit dem Geschichtsrückblick der Rede der Ältesten im Zusammenhang. Dort wurde die geschichtstheologische Priorität des Gotteshandelns im Rückblick auf die Geschichte Israels aufgezeigt. Aktuell vollzieht sich also mit den Bauarbeiten am Jerusalemer Tempel und ihrem Abschluss göttliches Heilshandeln.399 Esr 6,15 datiert den Abschluss der Bauarbeiten auf den 3. Adar im sechsten Jahr des Darius. In 6,16f. wird anschließend von der Einweihung berich397

So Gunneweg, Esra, 112. Allerdings hat die Lesetradition offenbar einen Unterschied gesehen, und so signalisiert die abweichende Vokalisation von ‫ טעם‬in der Phrase ‫ מן טעם אלה שמיא‬wohl einen Unterschied zwischen dem Willen Gottes und den Dekreten der Könige. Vielleicht wurde durch die deutliche zweisilbige Aussprache auch im Vortrag der Wille Gottes betont. Doch die Hervorhebung ist natürlich schon an der Position vor den Edikten der Könige erkennbar. 399 Siehe oben, 133. 398

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tet. Beides markiert den Abschluss des Textes, der mit dem Baubeginn eingesetzt hatte, und ist, wie sich im Folgenden zeigen wird, unverzichtbar.400 Zu beachten ist in Esr 6,16 zunächst die neue Angabe der handelnden Personen. Während vorher nur von den Ältesten und dem Statthalter der Juden als am Bau Beteiligten die Rede war, nimmt an der Einweihung offenbar das ganze Volk teil. Als Israeliten – in Apposition zu ‫– בני ישראל‬ werden Priester, Leviten und der Rest der ‫ גלו‬genannt.401 Der Begriff ‫גלו‬ kommt in den aramäischen Abschnitten des Esrabuches nur hier vor. Er bezeichnet wie das hebräische Pendant ‫ גולה‬die Gefangenschaft bzw. die Exilierung. In Esr 9,4; 10,6ff. – anders als in der Bezeichnung ‫( שבי הגולה‬Esr 2,1 // Neh 7,6) – scheint es sich dabei um einen terminus technicus zur Bezeichnung der Juden im Lande zu handeln. In Esr 8,35 wird in der Formulierung ‫ הבאים מהשבי בני הגולה‬erst durch die Zusammenstellung geklärt, dass jene aus der Gefangenschaft die Angehörigen der Gola sind. Dies weist darauf hin, dass das Exil in Babylonien (Esr 5,12) als theologische Definition des nachexilischen Israel dient, aber dass der Begriff für sich zunächst noch nichts über die Rückkehr aussagt.402 Priester, Leviten und der Rest der Gola sind Israel und insgesamt bei der Einweihung vertreten. Israel wird hier vom babylonischen Exil her definiert, doch die Rückkehr steht in der Formulierung nicht im Vordergrund. Dass der sich anschließende hebräische Text im direkten Anschluss an die aramäische Tempelbauchronik die Rückkehr besonders betont, zeigt demgegenüber deren Bedeutungssteigerung in der Gesamtkonzeption, die der Betonung der Rückkehr in Esr 1f. entspricht.403 Indirekt erweist sich, dass im vorangehenden aramäischen Text Israel noch nicht als ausschließlich aus der Gola zurückgekehrt angesehen wird. Diese Differenz zum hebräischen Rahmen und zu Esr 1–4 lässt erkennen, dass Esr 6,16 ein unabhängiges Konzept zugrunde liegen muss. Es ist daher wahrscheinlicher, dass der Vers ursprünglich zur aramäischen Tempelbauchronik gehörte, als dass er bei deren Einarbeitung in den Zusammenhang von Esr 1–6 hinzugekommen ist. In der aramäischen Tempelbauchronik dient das Exil offenbar auch der Beschreibung der Identität, doch im hebräischen Text geht man darüber hinaus, indem die konkrete Rückkehr als Grundlage der Identität erscheint.404 Anders Gunneweg, Esra, 113. Vgl. Hausmann, Rest, 26. 402 Die Differenz im Gebrauch sieht auch Weinberg, Citizen-Temple, 64, doch datiert er die Texte nahe der dargestellten Zeit und vermutet, dass sich mit der Konsolidierung der Gemeinschaft der konkrete Bezug verlor: „After the expansion and consolidation of the community this term also dropped out of use as a selfdesignation for the community, since it no longer corresponded to the actual constituency of the community.“ 403 Siehe dazu ausführlich unten, 192f. 404 Vgl. zur damit verbundenen Hermeneutik unten, 208ff. 400

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152 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Trotz der Bezeichnung der Israeliten als Gefangenschaft liegt eine gesamtisraelitische Konzeption vor, indem von den ‫ בני ישראל‬als übergeordnete Größe gesprochen wird. Dies wird in Esr 6,17 noch einmal bei der Zahl der Sündopfer deutlich, die „für ganz Israel zwölf nach der Zahl der Stämme Israels“ (‫ )על כל ישראל תרי עשר למנין שבטי ישראל‬beträgt. Es handelt sich um ein Konzept, das zuvor schon in der Bezeichnung Jhwhs als Gott Israels in Esr 5,1; 6,14b anklingt. Diese beiden Stellen zeigen, dass kein Widerspruch dazu besteht, dass der Tempelbau nur von den Ältesten als Repräsentanten der Judäer vollzogen wird. Deren Handeln gilt offenbar als Handeln des Volkes insgesamt.405 Gegenüber der vorangehenden Rede von den Ältesten der Juden bzw. von den Juden deutet sich mit dem Gebrauch der theologischen Bezeichnung ‫ בני ישראל‬bei der Einweihung des Tempels an, dass das Gottesvolk wieder hergestellt ist.406 Das Nebeneinander des Willens Gottes und des Willens der Könige jeweils mit ‫ טעם‬markiert das ebenso. Ein Idealzustand für die Israeliten und deren Tempel in Jerusalem wird erreicht. Zur Einweihung gehören nach dem Befehl des Darius ganz selbstverständlich die Opfer. Deshalb gibt es keinen Grund, an dieser Stelle literarkritisch einzugreifen.407 Eine Fertigstellung des Tempels ohne eine Einweihung mit Opfern wäre für die Antike schwer vorstellbar. Man vergleiche 1Kön 8, aber auch die direkt nach der Fertigstellung der Stiftshütte in Ex 40 dargebrachten Opfer.408 Außerdem würde nach der besonderen Betonung der Opfer im Edikt des Darius eine regelrechte Lücke in der Kohärenzstruktur der aramäischen Tempelbauchronik bleiben. Als ein Appendix mag es zunächst erscheinen, wenn danach noch von der Ordnung des Kultes entsprechend dem Buch des Mose die Rede ist, doch dient ein Tempel dem regelmäßigen Kult, sodass auch dieser Aspekt zum Abschluss der Arbeiten gehört. Insofern ist auch die Einrichtung der Dienste der Priester und Leviten ein durchaus logischer Aspekt. Hinzu kommt, dass auch der regelmäßige Kult in Esr 6 von Darius gefördert wird, sodass das Personal kaum unerwähnt bleiben konnte. Gegen die Annahme, dass es sich um eine Redaktion handelt, spricht, dass die Terminologie der 405 Steinmann, Ezra-Nehemiah, 271: „To emphasize that these people constitute Israel, the narrators specifically mention offering twelve goats, one for each tribe.“ 406 So Gunneweg, Esra, 114: „Die Feiernden werden mit dem altehrwürdigen sakralen Namen Israel und nicht etwa als Juden bezeichnet […] diese Ineinssetzung des wahren Israels mit den einst Verbannten und nunmehr Heimgekehrten, die aus Gottes Gericht zum neuen Heil zurückgeführt wurden, ist ja das Theologumenon, welches diese ganze Geschichtsinterpretation trägt und prägt.“ 407 Gunneweg, Esra, 113, hält diesen Aspekt für sekundär. 408 Außerbiblisch muss man einbeziehen, dass der Tempel in Elephantine nach dem Wiederaufbau ausdrücklich die Genehmigung für die Brandopfer zu erlangen suchte.

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Einrichtung der Ordnungen der Priester und Abteilungen der Leviten ansonsten nur in der Chronik, dort aber meist anders formuliert wird.409 Ein weiterer Hinweise für die Ursprünglichkeit des Abschnittes ist auch die Reihenfolge der Teilnehmer bei der Einweihung „Israeliten, Priester und Leviten“: Abgesehen von Esr 2 und Neh 7 beginnen solche Angaben oder Listen überall im Esra-Nehemia-Buch mit den Priestern. Ein Argument für die ursprüngliche Zugehörigkeit auch von Esr 6,18 ist der enthaltene Querverweis. Die Aufstellung der Ordnungen erfolgt entsprechend dem, was im Buch des Mose aufgeschrieben ist (‫)ככתב ספר משה‬. Zusätze tragen oft einen harmonisierenden Charakter. Und auch hier ist es bspw. bei Gunneweg die Chronik, die seiner Ansicht nach insgesamt im Hintergrund der Zufügungen von Esr 6,15–18 steht.410 Doch in der Chronik werden auffälligerweise die Dienste am Tempel von David geregelt.411 Die hebräischen Äquivalente der Termini für die Dienste von Priestern und Leviten finden sich allerdings im Pentateuch nicht. Bedeutet dies, dass wir es mit einem leeren Verweis zu tun haben, der an dieser Stelle lediglich die Autorität der Priesterordnungen verstärken soll?412 L. Hänsel schreibt dazu: „Ganz unbestreitbar ohne Bezugsstelle ist dagegen Esr 6,18: Nirgends ist im Pentateuch von Priester- und Levitenordnungen in dieser Weise die Rede.“413 Zwar werden die Priesterordnungen im Pentateuch nicht ausführlich behandelt. Wenn man sich aber einmal nicht ausschließlich auf Konkordanzbelege stützt, dann muss man berücksichtigen, dass in Num 3,2–4 die Söhne Aarons in den Priesterdienst eingesetzt werden.414 Sollte dies nicht für die Rezipienten als Ursprung der Ordnungen der Priester erkennbar gewesen sein? Ausführlich werden im Pentateuch die Leviten entsprechend ihrer Sippen geordnet. Dies erfolgt auffälligerweise im direkten Kontext der Einsetzung der Aaronsöhne ebenfalls in Num 3.415 Daher wird mit dem Verweis in Esr 6,18 Num 3 im Blick 409 Der Begriff ‫ מחלקת‬wird dort für Priester und Leviten oft verwendet, ‫ פלוגה‬kommt nur in 2Chr 35,5 vor. 410 Vgl. Gunneweg, Esra, 113. 411 Dies gesteht Gunneweg, Esra, 115, ein, nimmt aber an, dass „der Komplex 1 Chr 23– 26 nachchronistisch sein wird“. Angesichts der Tatsache, dass Davids Bedeutung für den Tempel in der Chronik verstärkt wird, muss man dies als ad-hoc-Hypothese ansehen, die dazu dient, den Zusatzcharakter der Stelle in Esr 6 zu stützen. 412 In diese Richtung geht Gunneweg, Esra, 115: „Gemeint ist die volle, sachliche und institutionelle Übereinstimmung der neuen Tempelgemeinde mit dem alten Israel, und diese Übereinstimmung kann jetzt nur noch eine solche gemäß dem Gesetzbuch Moses sein. “ 413 Hänsel, Studien, 50. 414 Die Bedeutung der Stelle zeigt sich auch in Sir 45,15. 415 Dass man diese Entsprechung im spätnachexilischen Israel so aufgefasst hat, zeigt 2Chr 31,17. Dort wird zudem festgehalten, dass die Ordnung der Priester und Leviten unter Hiskia entsprechend deren Vaterhäusern geschieht.

154 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) sein. Der Literaturverweis ist ein Abschlussphänomen, das die Existenz bereits autoritativer Texte und ihren Gebrauch in Rezeption und Auslegung anzeigt.416 Der Verweis auf die Tora bei den Ordnungen der Priester und Leviten stellt eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber der Chronik dar, wo diese mit David, Salomo und Hiskia verbunden sind.417 Die mit dem Verweis als abgeschlossen und akzeptiert markierte Tora und ihre Sicht als mosaischer Text führt allerdings mindestens an das Ende der Perserzeit oder in die hellenistische Zeit. Zusammen mit der Intention der Fluchformel in Esr 6,12a418 deutet sich aber für die aramäische Tempelbauchronik bereits eine Abfassung in der hellenistischen Zeit an.419 c) Die literarischen Probleme in Esr 6,13–18 Es haben sich bereits mehrere Hinweise ergeben, dass Esr 6,13–18 in seinen Hauptaussagen den Abschluss der aramäischen Tempelbauchronik bildet. Hier soll nun nicht als Alternative zu den redaktionskritischen Thesen behauptet werden, dass der Text durchgängig ‚einheitlich‘ ist, sondern stattdessen eine alternative Sicht entwickelt werden, die die folgenden literarischen Probleme klärt. 1. Mehrere Probleme enthält Esr 6,14. Der erste Halbvers hebt sich vom Kontext mit den Partizipialkonstruktionen ab. Der Kontext ist immer im Perfekt formuliert. Außerdem wird in 6,14b ‫ ובנו‬nach ‫ בנין‬in 6,14a noch einmal auf das Bauen verwiesen. Dadurch macht die Konstruktion den Eindruck einer Nebenbemerkung, was noch nicht heißen muss, dass es eine sekundäre Hinzufügung ist. Allerdings verbindet sich mit der Oberflächenbesonderheit auch ein inhaltliches Problem: Die Partizipialkonstruktionen verknüpft das Bauen und den Erfolg der Ältesten mit der Prophetie Haggais und Sacharjas. Dies steht unverbunden neben der Aussage des zweiten Halbverses, dass der Bau entsprechend dem Befehl/Willen des Gottes Israels vollendet werden konnte. Wenn man insbesondere das Nebeneinander der Verbformen beachtet, kann man bei 6,14a an eine Glossierung denken. 420 Allerdings ist zu beachten, dass auch schon in Esr 5,1f. die Propheten in ähnlicher Weise erwähnt waren, was dort damit zusammenhing, dass der Inhalt der Bücher Haggai und Sacharja bei den intendierten Adressaten vorausgesetzt wurde, die aramäische Tempelbauchronik aber mit deren Zeug416 Gerade der nur vage Bezug zeigt, dass der Text selbst nicht infrage steht, dass man ihn aber kreativ rezipiert. Vgl. zu den Schriftbezügen unten, 352f. 417 Vgl. Hänsel, Studien, 50f. 418 Siehe dazu oben, 146. 419 Zur Sicht der Tora siehe zusammenfassend unten, 410ff. 420 Kratz, Komposition, 66, überlegt, ob die Propheten in Esr 6,14 nachgetragen worden sind.

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nis verbunden werden sollte. Eine ähnliche Funktion der Eintragung der Propheten wird man daher auch in Esr 6,14 in Erwägung ziehen müssen. 2. Ebenfalls in Esr 6,14 findet sich eine zweite Auffälligkeit, die oft bereits in der Textkritik zum Vorschlag einer Emendation führt. Es handelt sich um den dritten persischen König Artaxerxes ( ‫)ארתחששתא‬, dem außerdem explizit die Bezeichnung als König von Persien (‫ )מלך פרס‬beigegeben wird. Bereits im Apparat der BHS wird vermutet, dass dies ein Zusatz ist.421 In der Tat ist die Nennung Artaxerxes am Ende der aramäischen Tempelbauchronik überraschend, da man einen solchen König im Kontext der aramäischen Tempelbauchronik nicht erwähnt, er in Esr 4 keine positive Rolle spielt und in 6,14 auch nicht in der Reihenfolge von Esr 4–6 angeführt wird.422 Für das Verständnis ist aber wichtig, dass die Einfügung auf eine Intention zurückgehen muss. Warum hätte ein Schreiber an der dritten Stelle Artaxerxes einführen sollen, einfach nur, weil er in Esr 7,11 erscheint, wo doch die Esrageschichte voraussetzt, dass der Tempelbau bereits abgeschlossen ist? Meiner Meinung nach ist gerade die Spannung, die sich im Gegenüber zu Esr 4 und Esr 7ff. ergibt, ein Argument dafür, dass die drei Namen in der vorliegenden Weise zur aramäischen Tempelbauchronik gehörten. Innerhalb von Esr 5f. liegt ein eigenständiges Konzept von der Rolle der Perser vor, und dazu gehörte ein weiterer König, den man positiv erwähnte. Dafür spricht, dass Kyros in Esr 5f. als König von Babel bezeichnet wird (Esr 5,13) und Babylon auch als Zentrum des von Darius beherrschten Reiches angesehen wird (Esr 6,1). Artaxerxes wäre damit als weiterer König – und zwar nur er als ‫ – מלך פרס‬in den Blick genommen. Der scheinbare Widerspruch zu Esr 4 löst sich, wenn man Esr 4 als Rekontextualisierung und hinzugesetzte Vorbereitung der aramäischen Tempelbauchronik versteht.423 Die Nennung weiterer Könige in Esr 4, die in Esr 6,14 fehlen, und die differenzierte Behandlung von Artaxerxes, der zwar gegen Jerusalem instrumentalisiert wird, aber ein positives Schreiben in Bezug auf den Bau der Stadt

421 Zuletzt Rothenbusch, Abgesondert, 60: „Dieses spannungsvolle Verhältnis von negativem Aspekt in Esra 4,7–23 und positivem in 6,14d wird nur dann verständlich, wenn der Bearbeiter hier schon auf das positive Artaxerxesbild in Esra 7–Neh 13 vorausschaut und die von ihm benutzte Quelle in den insgesamt optimistischen Horizont des Esra-Nehemia-Buchs stellt.“ So auch Min, Nehemiah without Ezra?, 174, der eine Anspielung auf die spätere Genehmigung von Artaxerxes, die Mauern zu bauen, sieht und damit die Einheitlichkeit des Buches begründet. Doch wird der Tempelbau an dieser Stelle ja gerade als abgeschlossen bezeichnet. Warum der Verfasser das so formuliert haben soll, bleibt unklar. 422 Gunneweg, Esra, 112, meint, dass man ihn aufgrund des in Aussicht gestellten abweichenden Befehls Esr 4,21 nachgetragen hat, doch erklärt das die Stellung ebenfalls nicht. 423 Vgl. unten, 171ff.

156 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) in Aussicht stellt, könnten eine Ausformulierung des eigentümlichen ‫ וארתחששתא מלך פרס‬sein.424 3. Ein kontextuelles Problem findet sich in Esr 6,15 mit der genauen Datumsangabe des Abschlusses des Tempelbaus. Die Datierung wird von Gunneweg zusammen mit Einweihung des Tempels für nicht mehr zur Tempelbauchronik zugehörig gehalten.425 „Stark ins Gewicht fallen die genaue zeitliche Festlegung und der Umstand, daß die gebotene Datierung bestens zur chr Fortsetzung paßt, die vom Passafest im ersten, also im gleich darauffolgenden Monat berichtet.“426 Die Konzeption insgesamt entspricht zwar den Informationen aus Haggai und Sacharja, dass der Tempelbau am Anfang der Regierungszeit des Darius erfolgt, die genaue Zeitangabe ist aber nicht von dort übernommen, sodass keine Harmonisierung vorliegt. Doch stimmt die Existenz einer abschließenden Zeitangabe mit der Zeitangabe in der erzählerischen Einleitung des Memorandums des Kyrosediktes (Esr 6,3a) überein, sodass wir es hier mit einem ursprünglichen Bestandteil der aramäischen Tempelbauchronik zu tun haben. Was angesichts der genauen Angabe des Abschlusses des Tempelbaus fehlt, ist zumindest eine ungefähre Zeitangabe für deren Beginn. Dies führt uns zu dem eigentümlichen Anfang der aramäischen Tempelbauchronik zurück. Esr 6,15 macht noch einmal deutlich, dass in Esr 5,1 kein Erzählanfang vorliegt und die Zeitangabe dort im Übergangsbereich liegt. Sollte der Text an dieser Stelle transformierend bearbeitet, d.h. umformuliert worden sein, so legt sich doch nahe, dass die Zeitangabe von Esr 4,24 am Anfang der Eröffnung der aramäischen Tempelbauchronik gestanden haben wird. Demgegenüber ist aufgrund der vielen inhaltlichen Besonderheiten beim Abschluss der aramäischen Tempelbauchronik die transformative Überarbeitung dort geringer ausgefallen und möglicherweise auf die Eintragung der Prophetie Haggais und Sacharjas beschränkt geblieben. 4.5. Zusammenfassende Diskussion der Tempelbauchronik a) Der Stil des Textes Die uns in Esr 5f. vorliegende aramäische Tempelbauchronik besitzt keine eigene Eröffnung, ist also nur fragmentarisch erhalten. Dennoch bildet der Tempelbau ein geschlossenes Thema. Das Ende des Textes ist inhaltlich und formal in Esr 6,18 erkennbar. Grundsätzlich unterscheidet sich Esr 5f. von anderen erzählerischen Texten der Hebräischen Bibel dadurch, dass der Schwerpunkt der Handlung auf darin als Dokumenten präsentierten AbVgl. unten, 173ff. Vgl. Gunneweg, Esra, 113. 426 Gunneweg, Esra, 113. 424

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schnitten liegt, mit denen sich die Handlung vollzieht. Im ersten Hauptabschnitt geschieht dies im Brief von Tattenai, im zweiten Hauptabschnitt in den Edikten von Kyros und Darius. Aufgrund der inhaltlichen Analyse bestätigen sich die Ergebnisse der Untersuchung von D. Schwiderski, wonach es sich nicht um authentische Dokumente handeln kann. Die mehrfachen Wechsel der Kommunikationsebene, die Einbettung gar einer Rede des Kyros in Esr 5,15 wären in einer tatsächlichen Briefkommunikation zwischen Tattenai und Darius nicht erklärlich. Es handelt sich also bei der aramäischen Tempelbauchronik insgesamt um ein literarisches Erzeugnis, das Hintergrundinformationen unter anderem durch ausführliche direkte Reden bietet und diesen einen Hauch von Authentizität geben will. Zudem ist der Brief auf den erzählerischen Rahmen bezogen und ohne ihn inhaltlich nicht vollständig. In Kap. 6 verhält es sich ähnlich. Obwohl zwei Edikte enthalten sein sollen, sind diese teilweise an Einzelpersonen gerichtet. In beiden Edikten gleitet der Stil wie im Brief des Tattenai in erzählerische Formen ab, obwohl man beide als Dokumente erscheinen lassen will. Aufgrund der Durchdringung der ‚Dokumente‘ mit einem erzählerischen Stil ist es auffällig, dass die aramäische Tempelbauchronik in Esr 5,1– 5 selbst nicht wie ein erzählerischer Text beginnt. Die einzelnen Formulierungen sind für Erzähltexte zu wenig miteinander vernetzt. Dadurch entsteht der Eindruck von Exzerpthaftigkeit. Anspielungen und Leerstellen verweisen auf den nachfolgenden Kontext. Die wichtigsten Einzelheiten werden in den Worten der Ältesten im Brief des Tattenai nachgetragen, was für die intendierten Adressaten die Angaben der Exposition nachprüfbar macht. Diese steht also ganz im Dienst der Präsentation des nachfolgenden „Dokumentes“. Bei der Erwähnung der Propheten Haggai und Sacharja hängt der knappe Stil allerdings davon ab, dass bei den intendierten Adressaten die Kenntnis weiterer Informationen vorausgesetzt wird. Ein ähnlich kataphorischer Stil liegt in den Eröffnungsversen des zweiten Hauptabschnittes (Esr 6,1f.) vor. Dort wird vorausgesetzt, dass Darius über den Brief des Tattenai informiert war; als nur indirekte Reaktion darauf wird von einem Edikt gesprochen, das Darius erlassen hat, doch auch dieses wird nicht wiedergegeben, sondern nur die Erfüllung des Befehls dargestellt. In der Exposition, beim Übergang zwischen Kap. 5f. und beim Abschluss spricht der knappe Stil dafür, dass man die aramäische Tempelbauchronik insgesamt als eine Art Dokument erscheinen lassen wollte. Zusätzlich zum knappen Stil ist die neutrale Perspektive auffällig. Es wird eine Erzählperspektive eingenommen, die den gesamten Text der aramäischen Tempelbauchronik als aus persischer Perspektive verfasst erscheinen lässt. Wenn man außerdem davon ausgeht, dass am ursprünglichen Anfang der

158 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Tempelbauchronik äquivalent zu der Zeitangabe in Esr 6,15 eine Eröffnung mit Zeitangabe stand, die noch in 4,24 erkennbar ist, dann legt sich ein Vergleich mit dem Memorandum des Kyrosediktes nahe, das in Esr 6,3 ebenfalls mit einer erzählerisch formulierten Datierung beginnt. Daher ist zu überlegen, ob die aramäische Tempelbauchronik wie das eingebettete Kyrosedikt als Memorandum stilisiert worden ist. Warum wählt man einen solchen Stil und will den Text als aus persischer Perspektive formuliert erscheinen zu lassen, wenn er aufgrund der Inhalte für jüdische Rezipienten bestimmt ist? Aus der Präsentation der angeblichen Dokumente kann man für den Gesamttext Schlussfolgerungen ziehen: Die „Dokumente“ suchen die Anfänge des Jerusalemer Tempels auf den Willen der persischen Könige zurückzuführen und zugleich die persischen Könige als Zeugen der besonderen Bedeutung des Tempels zu nutzen. Der Rahmen unterstreicht diese Absicht und sucht den Dokumenten zusätzliche Autorität und Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Es deutet sich damit an, dass es bei der Abfassungszeit für den Jerusalemer Tempel ein Legitimationsproblem gab. Als literarische Konzeption steht die aramäische Tempelbauchronik dabei keineswegs allein da. Denn bspw. der die Septuaginta legitimierende Aristeasbrief gibt vor, von einem Hofbeamten Ptolemaios’ II. verfasst worden zu sein.427 b) Lösungen für die literarischen Probleme Vor der Zusammenfassung der inhaltlichen Analyse sollen für die Probleme des Abschnittes, die nicht im Verlauf der inhaltlichen Analyse geklärt werden konnten, Lösungsmöglichkeiten auf der Grundlage der gesamten Analyse aufgezeigt werden. 1. Die Einführung von Serubbabel und Jeschua konkurriert mit der späteren Erwähnung der Ältesten. Nach der Nennung von Serubbabel und Jeschua in Esr 5,2 wird in Esr 5,5 festgestellt, dass das „Auge Gottes über den Ältesten“ war. Das Problem wird außerdem am Gegenüber von Esr 5,3f. und 5,9 deutlich. Während Tattenai sich in Esr 5,3f. an die zuvor erwähnten Personen, also an Serubbabel und Jeschua und eventuell an die Propheten zu wenden scheint, ist bei der Wiedergabe der Frage im Brief erkennbar, dass er seine Fragen an Älteste richtete.

427 Vgl. Meisner, Aristeasbrief, 37. Wenn der Heide Aristeas seinen Bruder über die religiöse Bedeutung der Gesandtschaft an den Hohepriester unterrichtet (vgl. Arist. 1–6), geht es ebenfalls darum, dass ein Fremder vom Hof des Königs die universale Bedeutung des Gottes Israels und der Tora bezeugt. Allerdings wird dieser Text erst auf das Ende des 2. Jh. v. Chr. datiert. Vgl. ebd., 42. Zur Datierung der aramäischen Tempelbauchronik siehe unten, 167ff.

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2. Es fehlt eine echte Eröffnung, obwohl ein klares Textende erkennbar ist. Dass in Esr 6,15 der Abschluss der Arbeiten genau datiert wird, dies nicht am Textanfang ähnlich geschieht und in Esr 5,1–5 auch der König nicht vorgestellt wird, der am Ende eine Entscheidung fällt, unterstreicht dieses Problem. 3. In Esr 5,3f. werden zwei Themen für den nachfolgenden Text angekündigt. Doch wird nur ein Thema – die Baugenehmigung – in der geschichtstheologischen Weise dargestellt. Die Frage nach den Namen wird nicht beantwortet. Die ersten beiden Probleme scheinen es nahe zu legen, eine literarische Überarbeitung in der Exposition anzunehmen. Zuletzt schlug dies R. Rothenbusch vor, indem er Esr 5,1f. als Zusatz zu einer vorgegebenen Quelle (Esr 5,3–6,15) ansah: „Dagegen sind die aramäischsprachigen Verse Esr 5,1f., wo im Unterschied zum folgenden (aramäischen) Text Serubbabel und Jeschua als Akteure auftreten, inhaltlich mit Esr 3,1–4,5 (hebräisch) zu verbinden. Sie werden in beiden Bereichen übereinstimmend mit ihren jeweiligen Patronymen bezeichnet (3,2.8; 5,2). 5,3 setzt mit ‫ בה זמנה‬auch formal neu ein und damit beginnt offenbar eine ältere aramäischsprachige Quelle, in der Serubbabel ursprünglich anscheinend keine Rolle gespielt hat.“ 428 Zu einer weitergehenden These war zuvor R.G. Kratz gekommen: Die Exposition sei insgesamt sekundär zu der ursprünglich mit dem in Esr 5,6 beginnenden Text hinzugekommen, und zwar noch bevor die aramäische Tempelbauchronik in den größeren Kontext des Esra-Nehemia-Buches integriert wurde.429 Dies, so Kratz, stand im Zusammenhang mit einer Angleichung Rothenbusch, Abgesondert, 84. Vgl. Kratz, Komposition, 60. Dieser (ebd., 66) nimmt an, dass „die Frühdatierung Serubbabels und Jeschuas in 2,1–4,5 […] 5,1f zur Voraussetzung hat“ und dass damit bei der Abfassung der Komposition Esr 1–6 bereits auf den sekundären Anfang der noch eigenständigen aramäischen Tempelbauchronik zurückgegriffen wurde. Ein Argument ist, dass in Esr 5,1f. die Hauptpersonen so eingeführt werden, „als wären sie noch nicht bekannt“ (ebd., 57), woraus er schlussfolgert, „daß die aramäische Chronik in Esr 5–6 die vorausgehenden Kap. 1–4 ursprünglich nicht kannte und diese sekundär vorgeschaltet wurden, um die Handlung nach vorne zu verlängern“ (ebd.). Doch hätte der Ergänzer dieses formale Problem nicht vermeiden können, als er den ursprünglichen Anfang der aramäischen Tempelbauchronik zu einem Übergang umgestaltete? Das parallele Auftauchen von Serubbabel und Jeschua in den Kapiteln 2–5 immer am Anfang der inhaltlichen Einheiten spricht eher dafür, dass die beiden Figuren wie in den hebräischen Abschnitten auch im aramäischen Abschnitt erst nachgetragen sind. Der Grund für die (nochmalige) Einführung Serubbabels und Jeschuas wird mit der ursprünglichen Konzeption der aramäischen Tempelbauchronik zusammenhängen. Da die Tempelbauchronik ursprünglich nicht mit diesen beiden Personen verbunden war, betont man sie jetzt an ihrem Anfang ebenso wie die beiden Propheten. Die aramäische Tempelbauchronik als ein bekannter und akzeptierter Text machte die Vermittlung von Veränderungen in besonderer Weise erforderlich. Die 428

429

160 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) an Haggai und Sacharja und habe „eine erste Korrektur an der staatsloyalen Haltung in Esr 5,6ff und 6,3ff“430 bewirkt. Zwar dient die Anfangsstellung der Propheten dazu, den Text mit einer zusätzlichen Perspektive zu versehen. Wenn die aramäische Tempelbauchronik aber ohne die Eröffnung staatsloyal gewesen wäre, müsste man auch entsprechende Widersprüche zwischen Exposition und dem Haupttext finden. Doch ist dies nicht der Fall. Die Bezugnahme auf den Gott Israels durch Kyros und Darius in den Edikten in Esr 6 dient stattdessen dazu, die Könige als dem Gott Israels gegenüber loyal erscheinen zu lassen. Des Weiteren widersprechen das Auftreten von Propheten und die geschichtstheologische Rede der Ältesten (Esr 5,5ff.) sich nicht. In beiden Zusammenhängen wird der Wille des Gottes Israels hervorgehoben und damit über denjenigen des Königs gestellt. Faktisch liegt in den Worten der Ältesten eine vergleichbare theologische Sicht wie in der Exposition vor, dass es der Gott Israels ist, der hinter dem Tempelbau steht.431 In der aramäischen Tempelbauchronik werden die Perser allerdings durchaus differenziert betrachtet. So wird eine mögliche Bauunterbrechung nur durch Jhwhs Fürsorge verhindert, und vom König muss ein Verbot ergehen, dem Bau Einhalt zu gebieten. Mögliche Eingriffe der Administration und auch Willkür sind hier im Blick. Die Eintragung der Propheten entspricht also durchaus dem bereits vorhandenen theologischen Charakter. Der ursprüngliche Text der aramäischen Tempelbauchronik wird nicht von den Büchern Haggai und Sacharja her korrigiert, sondern mit ihnen harmonisiert. Es stellt sich die Frage nach dem Umfang der harmonisierenden Arbeit. Der von Kratz aufgestellten Vermutung einer umfangreichen Ergänzung steht entgegen, dass Esr 5,6ff. ohne die Exposition nicht hinreichend verständlich wäre. Aber auch die Annahme, dass die überarbeitete, aber unabhängige Version in 5,1 oder 4,24 begonnen habe, ist problematisch, da beide Verse als Übergangsformulierungen erkennbar sind.432 Die Annahme eines teilweisen Zusatzes führt ebenfalls nicht zu einem befriedigenden Text. Esr 5,3 ist formal kein Neueinsatz und lässt sich nicht als Textanfang wahrscheinlich machen. Der Vers ließe nicht erkennen, zu wem Tattenai spricht und worauf sich die Rede bezieht. Veränderung wird erstens durch die Bücher Haggai und Sacharja gedeckt. Esr 5,1f. stimmt zweitens mit den zuvor ebenfalls auf der unpersönlichen Erzählebene gegebenen Informationen überein (Esr 1,8.11; 2,2; 3,2.8; 4,2f.). Die nochmalige ausführliche Einführung der beiden Handlungsträger dient als hermeneutischer Schlüssel für die aus der Perspektive Tattenais später folgenden abweichenden Informationen. 430 Kratz, Komposition, 60. 431 Siehe dazu oben, 133. 432 Siehe dazu Kratz’ Diskussion des eigentümlichen Anfangs oben, 124.

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Eine tragfähige Lösung ergibt sich für die Exposition aus der Perspektive des Zwischenverses Esr 5,5 und von Tattenais Brief. Deren Inhalte geben Aufschluss über die ursprüngliche Exposition. In Esr 5,5 ist erkennbar, dass sich die vorangehenden und im Brief wiedergegebenen Fragen Tattenais nicht an Serubbabel und Jeschua sowie die Propheten richten, sondern an die Ältesten der Juden. Des Weiteren ist von einer Grundsteinlegung Scheschbazzars in 5,16 die Rede, der nach den Worten der Ältesten von Kyros zum Statthalter eingesetzt worden sei. Der Name steht an dieser Stelle in Zweifel, doch wird Tattenai in 6,7 eingeschärft, den Statthalter der Juden und die Ältesten nicht beim Bauen zu behindern. Die Veränderung dürfte im Zusammenhang der bereits vermuteten Bezugnahme auf die Bücher Haggai und Sacharja stehen. Da eine Veränderung sich bei den Gesprächspartnern von Tattenai vollzogen hat, ist zu vermuten, dass sie in einem direkten Zusammenhang mit der Bezugnahme auf die Bücher Haggai steht. Serubbabel und Jeschua wären dann zusammen mit Haggai und Sacharja an die Stelle zuvor nicht namentlich erwähnter Repräsentanten getreten. Serubbabel und Jeschua wurden darüber hinaus zu den Protagonisten in Esr 1–6 insgesamt gemacht. Das ist formal daran erkennbar, dass man gegen die Information aus 1Chr 3,19 als Vater von Serubbabel Schealtiel aus Haggai und Sacharja übernommen hat. Weiterhin blieben in 5,5.9; 6,7 die Ältesten und aufgrund von 6,7 ein (noch) nicht namentlich erwähnter Statthalter erwähnt, sodass die Voranstellung Serubbabels und Jeschuas bedeutet, dass man diese mit den zuvor erwähnten Personen in einen Zusammenhang bringt. Jeschua und Serubbabel treten quasi an die Spitze der Ältesten. Offen bleibt das Verhältnis des auch in 5,14–16 bereits problematisierten Scheschbazzar, der aber von Tattenai als eine Figur der Vergangenheit angeführt wird und an dessen Seite Serubbabel nun tritt. Ein Nebeneinander eines nicht näher benannten Statthalters und die Einsetzung Scheschbazzars muss bereits in der Vorlage präsent gewesen sein. Demgegenüber ist die Erwähnung Jeschuas von Bedeutung. Dieser steht den Ältesten und dem Statthalter gegenüber und dürfte eine Innovation der überarbeiteten Exposition sein. Ihr entspricht, dass dort eine Parallelisierung von Serubbabel und Jeschua mit Haggai und Sacharja vorliegt, wobei Sacharja als priesterlicher Prophet im Prinzip Jeschua gegenübersteht.433 Darin haben wir es mit dem Grundkonzept der harmonisierenden Auslegung zwischen der aramäischen Tempelbauchronik und den Büchern Haggai und Sacharja zu tun. Die fehlende Texteröffnung und das Fehlen der Einführung des Darius ebenso wie einer Datierung der Ankunft der persischen Repräsentanten 433

Siehe dazu oben, 116.

162 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) und des Bauens der Ältesten hängen damit zusammen, dass man einen Übergang von Kap. 4 zu Kap. 5 geschaffen hat. In 4,24 ist ganz äquivalent der Datierung des Kyrosediktes eine Datierung enthalten. Daraus ergibt sich, dass keine Redaktion erfolgt ist, sondern transformierend eingegriffen worden ist. Der bekannte Text mit seiner Erwähnung der Ältesten und des Statthalters wurde auf die Inhalte von Haggai und Sacharja bezogen und die Veränderungen für die intendierten Adressaten plausibel gemacht. Am Anfang muss also eine Datierung in die Herrschaft des Darius vorhanden gewesen sein. Das zweite Jahr des Darius als Ausgangspunkt der Handlung der aramäischen Tempelbauchronik stand dem ersten Jahr des Kyros im Rückblick gegenüber. Da man den Text als Quelle rezipiert und auch deswegen die Sprache beibehalten hat, ist es wahrscheinlich, dass einzelne Formulierungen, wie die Datierung in 4,24 und die Information über den Bau in 5,2 übernommen worden sind, um eine Entsprechung zur Vorlage zu erhalten. Das Problem der fehlenden Thematisierung der Bauenden, von denen Tattenai angeblich eine Aufzeichnung für den König angefertigt hat, ist ein echtes Kohärenzproblem, da ein vorbereiteter und bereits aufgenommener Handlungsfaden abreißt. Im Bekenntnis der Ältesten ‫אנחנא המו עבדוהי די‬ ‫( אלה שמיא וארעא‬Esr 5,11bα) und in der partizipial angefügten Handlung ‫ ובנין‬deutet sich zwar ein Bezug zur zweiten Frage an. Doch die erfragten Namen werden nicht genannt. Das Problem ist nicht einfach damit zu lösen, dass man den Brief, der einst Teil des Dokumentes war, als nicht mit überliefert ansieht,434 denn die Namensliste wird ja bereits auf der Ebene des Rahmens erwähnt. Selbst wenn 5,4 sekundär wäre, müsste der Vers noch von der Liste gewusst haben. Doch ein erst späterer Ausfall wäre noch unwahrscheinlicher. Die Liste dürfte daher am ehesten deswegen ausgelassen worden sein, weil sie dem Konzept der Gesamtkomposition nicht (mehr) entsprach. Ein Anhaltspunkt bietet sich in der Feier des Passafestes nach der Tempelbauchronik. Dort sind nur die Rückkehrer erwähnt. Die Liste der Ältesten der Juden dürfte demgegenüber als Liste der mit dem Tempel verbundenen Bevölkerung erkennbar gewesen sein. c) Der thematische Zusammenhang der aramäischen Tempelbauchronik Der folgende Überblick fasst die Ergebnisse der Textanalyse noch einmal in kondensierter Weise zusammen.435 434

So Rudolph, Esra-Nehemia, 51: „[N]ach v. 10 lag dem Brief eine Liste der jüdischen Führer bei, die uns leider nicht erhalten ist“. Das Fehlen der Liste stellte zuletzt auch Steinmann, Ezra-Nehemiah, 264, fest und überlegte, ob sie ursprünglich zwischen 5,16.17 gestanden haben könnte. 435 Zu den Einzelheiten siehe oben, 110ff.

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Auch wenn in Esr 5,1f. eine Überleitung vom vorangehenden Abschnitt zur Tempelbauchronik geschaffen und dabei deren Anfang transformiert wurde, beginnt dort die eigentliche Handlung, und das muss auch in der verarbeiteten Vorlage bereits der Fall gewesen sein. Nach einer Einführung mit Zeitangabe für den Baubeginn hat der Bau am Tempel bereits begonnen, als Tattenai, der Statthalter von Transeuphratene, mit seinem Gefolge in Jerusalem eintrifft. Die Ankunft des persischen Repräsentanten eröffnet einen Zusammenhang, der in Esr 6,13–18 zu seinem Abschluss geführt wird. Die Szenerie impliziert, dass die Legalität des Baus angezweifelt wird, und so eröffnen die zwei Fragen Tattenais nach der Genehmigung und nach den Verantwortlichen die Handlung. Diese scheinen die Hauptthemen des nachfolgenden Textes vorzugeben, da sie auch noch einmal am Anfang von Tattenais Brief an den König wiederholt werden. Doch im Brief selbst wird nur der ersten Frage nach dem Urheber des Befehls als Leitthema unter mehrfacher Wiederaufnahme der Phrase ‫ שים טעם‬nachgegangen. Die Ankunft Tattenais wird als ernsthaftes Problem für den Tempelbau eingeführt. In Esr 5,5 wird explizit feststellt, dass die Arbeiten nicht unterbrochen werden. Diese Bemerkung lässt erkennen, dass die persische Fremdherrschaft im Text keineswegs grundsätzlich positiv gesehen wird. 436 Die mit den Persern verbundenen Implikationen sind mit jenen im Danielund Estherbuch vergleichbar. Nur der Fürsorge des Gottes Israels wird es als Verdienst zugeschrieben, dass es nicht zu einer Konfrontation und Unterbrechung des Tempelbaus kommt. In einem Brief an Darius wird die Antwort der Ältesten auf Tattenais Frage nach der Genehmigung wiedergegeben. Doch dies geschieht nicht so, wie man es als Reaktion auf die Nachfrage des Repräsentanten erwarten würde.437 Denn erst nach einer geschichtstheologischen Darstellung des Ursprungs und der Zerstörung des Jerusalemer Tempels wird auf das Edikt des Kyros mit der Genehmigung des Baus eingegangen. Der theologische Abschnitt beinhaltet ein Bekenntnis der Ältesten, die sich als Knechte des Gottes des Himmels und der Erde bezeichnen, zum Gott Israels als einzigem Gott. Diese Exklusivität der Gottesbeziehung wird auch bei der Rede vom Tempel deutlich. Die Determination stellt dessen Universalität heraus. Die Angaben der Ältesten über den Befehl des Kyros zur Errichtung des Hauses Gottes schließen diesen Abschnitt ab. Danach wird noch von Tattenai festgestellt, dass Scheschbazzar die Tempelgeräte nach Jerusalem ge436 Vgl. oben, 160, die Diskussion der These von Kratz, Komposition, 60, wonach der aramäischen Tempelbauchronik ursprünglich eine staatsloyale Haltung zugrundelag. 437 Dieser Punkt ist entscheidend, da von den Vertretern der Authentizität der Quelle der Zitatcharakter hervorgehoben wird. Vgl. z.B. Rudolph, Esra-Nehemia, 52. Warum sollte ein persischer Statthalter dem persischen Großkönig die israelitisch/jüdische Theodizee des Exils präsentieren?

164 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) bracht und den Grundstein des Tempels gelegt habe. Abschließend richtet er die Bitte an den König, dieser möge im Schatzhaus „dort in Babel“ nach dem entsprechenden Edikt suchen und seine Entscheidung darüber mitteilen. Am Schluss des ersten Hauptteiles schließt sich damit ein Bogen zu Esr 5,5, wo angekündigt worden war, dass das Edikt zu Darius gelangen und eine Entscheidung darüber mitgeteilt werde. Dass der persische König zu einer Entscheidung das Edikt des Vorgängers betreffend aufgerufen wird, zeigt jenen in einer Legitimationslinie mit seinen Vorgängern. Offenbar kann er deren Willen nicht übergehen. Eine grundsätzliche Gültigkeit persischer Edikte, wie sie in Daniel und bei Esther begegnet, deutete sich für die aramäische Tempelbauchronik an. Der zweite Hauptabschnitt setzt in Esr 6,1–2 mit der Umsetzung eines ersten Edikts des Königs Darius ein, mit dem dieser offenbar auf die Anfrage Tattenais reagiert. Man sucht und findet ein Memorandum des Kyrosedikts, das als unabhängige Quelle präsentiert wird, mit der die Worte der Ältesten verifiziert werden. Es schließt sich als Reaktion ein an Tattenai gerichtetes Edikt des Darius an. Dieses bestätigt die Gültigkeit des Kyrosediktes, die Richtigkeit der Aussagen der Ältesten und damit die Legitimität des Tempelbaus. Die Repräsentanten des persischen Reiches der Region (Tattenai und seine Gefährten) werden von einem möglichen Eingreifen abgehalten und zugleich zur Mitwirkung beim Tempelbau verpflichtet. Dem Kult wird eine permanente Unterstützung durch den persischen König zugesagt und dabei die universale Bedeutung des Gottes Israels vom persischen Reich bestätigt, was umgekehrt durch das Gebet der Priester für das Leben des Königs und seiner Söhne, also offensichtlich der Dynastie des Darius, die Existenz des Reiches sicherstellt. Theologisch brisant ist im Anschluss an die angedrohten Sanktionen die abschließende Fluchformel des Dariusediktes. Mit ihr wird der Geltungsbereich der königlichen Dynastie überschritten und ein Eingreifen des Gottes Israels in einer Zukunft, in der das Dekret des Darius nicht mehr beachtet wird, angekündigt. Der Epilog führt die Handlungsstränge zusammen. Gehorsam halten sich die Repräsentanten des Staates an das Edikt des Darius, und entsprechend gehorsam wird der Tempel von den Ältesten fertiggestellt. Der Bericht von der Einweihung des Tempels und der Einrichtung des Kultes bildet den Abschluss des Textes, denn im Edikt des Darius war der dauerhafte Kult bereits als Notwendigkeit des Reiches hervorgehoben worden. Im Zusammenhang mit der geschichtstheologischen Rede der Ältesten steht das abschließende Sündopfer für ganz Israel. Mit ihm wird ein Schlussstrich unter den Zorn des Gottes Israels, der zur Zerstörung des Tempels geführt hat, gezogen. Der Kult nimmt also unmittelbar mit der Fertigstellung des

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Tempels seinen Anfang, und damit ist zugleich impliziert, dass der Kult die von Darius vorgegebene Funktion übernimmt. Die Präsuppositionen vor allem im Bereich der Geschichte und Religion Israels zeigen, dass der als eine Art Memorandum aus persischer bzw. Großreichsperspektive stilisierte Text für jüdische Leser bzw. Hörer bestimmt gewesen ist. Das Thema der aramäischen Tempelbauchronik ist nicht nur die Darstellung, wie sich der Wiederaufbau des Tempels vollzogen hat; der Text stellt vor allem dar, wie die Existenz und Fürsorge für den Tempel ausgehend von seinem Wiederaufbau unter Darius für die Zukunft gesichert worden ist. Eine universale heilsgeschichtliche Bedeutung des Jerusalemer Tempels wird aufgezeigt. Der Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels markiert aber auch das Ende der Unheilszeit, für die der Gott Israels bzw. der Zorn über die Israeliten verantwortlich gewesen ist. Die Könige Kyros und Darius bestätigen nicht allein den Wiederaufbau, sondern zugleich das Ende der Unheilszeit und die grundlegende Bedeutung des Jerusalemer Tempels. Als seine vorbildlichen Förderer bekräftigen sie bereits für den Anfang der persischen Zeit seine Legitimität. Mit den Steuereinnahmen zugunsten des Tempelbetriebes und der Befreiung des Kultpersonals von Abgaben deutet sich außerdem eine Autonomie der mit dem Jerusalemer Tempel verbundenen Gemeinschaft an. d) Das Geschichtskonzept der aramäischen Tempelbauchronik Einen Zugang zum Geschichtskonzept der aramäischen Tempelbauchronik eröffnet die Rede der Ältesten. Diese geben sich als Diener des Gottes des Himmels und der Erde zu erkennen, die dessen Tempel wiedererrichten (5,11). Die Rede vom Gott Israels als Gott des Himmels und der Erde setzt dabei nicht nur eine Schöpfungstheologie voraus, sondern aufgrund des persischen Gegenübers ein ausgeprägtes monotheistisches Konzept. Das geht mit einer exklusiven Bedeutung des Jerusalemer Tempels einher, die zunächst durch die Anspielung auf Salomo als Tempelbauer aufgezeigt wird. Der Bericht von der Zerstörung dieses Tempels aufgrund des Zorns des Gottes Israels lässt in geschichtstheologischer Hinsicht den Tempelbau als folgerichtig erscheinen. Denn man verknüpft ihn mit dem deuteronomistischen Geschichtskonzept, das Unheil aufgrund des Ungehorsams erklärt. Dieses gilt offenbar nun als überwunden. Der ausgeprägte Monotheismus führt dazu, dass das Wirken des Gottes Israels nicht auf Israel beschränkt ist. Die fremden Mächte sind nicht mehr nur Werkzeug des Zorns, eine Vorstellung, die auch außerbiblisch anzutreffen ist.438 Vielmehr ist die Weltgeschichte, die Geschichte des Aufstrebens der Großreiche, ihres Zerfalls bzw. ihrer Ablösung durch neue Reiche nun 438

Siehe dazu den Text der Meschastele Z. 4–7. Vgl. Weippert, Textbuch, 245.

166 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) der Kontext, in dem sich das Handeln des Gottes Israels, der der Gott der Welt ist, vollzieht. Die weltgeschichtliche Bedeutung der Gottesbeziehung hat zur Folge, dass der Gott Israels die Welt ordnet. Diese auf Israel zugespitzte Sicht soll jüdische Leser in einem nichtjüdischen Kontext in ihrer religiösen Haltung bestätigen und stärken.439 Die aramäische Tempelbauchronik instrumentalisiert die Perser als Zeugen der universalen Bedeutung des Gottes Israels und damit auch Israels und seines Tempels. Unmissverständlich wird die Fürsorge für den Jerusalemer Tempel zu einer existenzsichernden Grundlage des persischen Reiches erhoben. Diese Unterstützung des Großkönigs sichert allerdings nicht nur die Existenz des Reiches, sondern stellt die Herrschaft unter einen Vorbehalt, der sich in der Fluchdrohung widerspiegelt. Damit wird das Großreich von der Fürsorge für den Tempel in Jerusalem und damit vom Gott Israels abhängig gemacht. Das Geschichtsbild der aramäischen Tempelbauchronik ist so apokalyptischen Konzepten nahe, in denen eine dem Willen Gottes und seinem Volk gegenüber feindliche Herrschaft dem Gottesgericht ausgeliefert wird.440 Der Text unterstellt, dass die Genehmigung zum Tempelbau durch Kyros bereits unter Darius wieder in Vergessenheit geraten war, was insbesondere bei den zuständigen Repräsentanten des Reiches in der Provinz Transeuphratene kaum möglich gewesen sein dürfte. Die Wiederentdeckung des Edikts an der Peripherie des Reiches lässt sich angesichts dessen am besten als Versuch begreifen, das Vergessen zu plausibilisieren. Das vergessene Edikt soll eine möglichst frühe Legitimation sicherstellen, obwohl der Tempel erst später gebaut wurde. Dem dient auch die Behauptung der Grundsteinlegung durch Scheschbazzar. Die Suche im Archiv, das Auffinden des Kyrosediktes und seine Bestätigung unter Darius deuten zugleich an, dass es tatsächlich um eine sehr viel spätere Auseinandersetzung um die Bedeutung des Jerusalemer Tempels gehen muss. Wie der Text insgesamt auf israelitische bzw. jüdische Adressaten hin ausgerichtet ist, muss es sich auch bei der Frage nach der Bedeutung des Jerusalemer Tempels um eine innerisraelitische Problemstellung handeln. Dass Darius in Esr 6,12, in der Fluchformel, die das Edikt des Darius abschließt, die Zentralisationsformel des Deuteronomiums nutzt, zeigt, dass der Text in einem innerisraelitischen Diskurs um die Legitimität des Kultortes einzuordnen ist. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gehört der Text in die Auseinandersetzung zwischen Jerusalem und Samaria, die sich in der hellenistischen Zeit zugespitzt hat, in der Zeit, in die mehrere Inhalte des Textes führen. 439 440

Vgl. Gunneweg, Restauration, 302. Vgl. dazu Hengel, Judentum und Hellenismus, 353; Koch, Dareios, 132–137.

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e) Zur Abfassungszeit der aramäischen Tempelbauchronik In der Analyse haben sich Datierungshinweise für die aramäische Tempelbauchronik ergeben. Übergreifend enthaltene Anachronismen, eine relative Unkenntnis der Verhältnisse der Perserzeit, Probleme bei der Nennung der Könige und das Fehlen perserzeitlicher Konventionen in den vermeintlichen Dokumenten nähren Zweifel daran, ob die aramäische Tempelbauchronik in einer relativen Nähe zu den dargestellten Ereignissen verfasst sein kann. Weitere Hinweise ergeben sich im Zusammenhang des Geschichtskonzeptes und auf Grundlage der Diskurse, denen es zugeordnet werden muss. Die Hinweise sollen im Folgenden zusammengetragen und in eine relative Datierung einbezogen werden. Einen wichtigen Hinweis für die Datierung bietet die Erwähnung Tattenais in Esr 5,3, der dort als Statthalter – gemeint ist der Satrap – jenseits des Stroms eingeführt wird. Dieser scheint außerbiblisch bezeugt zu sein, doch er hat seine Funktion, anders als in Esr 5,3 behauptet, erst seit dem 20. Jahr des Darius ausgeübt.441 Die Differenzen lassen erkennen, dass die aramäische Tempelbauchronik nur eine vage Kenntnis der Geschichte der frühen Perserzeit und ihrer Administration hat. Von Bedeutung für die Datierung ist auch, dass die im Text deutliche religionspolitische Konzeption für die Perserzeit sehr unwahrscheinlich ist. Hier kann man die Erkenntnisse von S. Grätz einbeziehen, der für Esr 7 nachgewiesen hat, dass die dort erkennbaren Schenkungen und Stiftungen für die hellenistische Zeit charakteristisch sind.442 Auch im Edikt des Darius sind entsprechende Wohltaten des Königs zugunsten des Tempels in Jerusalem erkennbar. Die Abtretung von Steuern für den Jerusalemer Tempel ist etwas, was für die Perserzeit eher unwahrscheinlich ist. Besonders die Bereitstellung von Mitteln für die Opfer unter ausdrücklichem Einschluss der Tieropfer ist höchst zweifelhaft, da tierische Opfer von den Persern nicht gefördert wurden.443 Weitere inhaltliche Aspekte bestätigen diese Beobachtungen: Zwar wird Nebukadnezar als König von Babel in Esr 5 erwähnt, doch wird zugleich deutlich, dass die neubabylonische Herrschaft nicht von der persischen Herrschaft abgehoben wird. So wird Kyros als König von Babel bezeichnet, und selbst Darius wird bei der in Babel beginnenden Suche nach dem Edikt zunächst mit Babylon in Verbindung gebracht. Dass man in Babel sucht, dann aber in Medien findet, lässt Babylon als Zentrum des Großreiches erVgl. Ungnad, Beiträge, 241, und die Einzelheiten oben, 119f. Vgl. Grätz, Edikt. 443 Siehe dazu die Diskussion des entsprechenden Zusammenhanges in Esr 7 unten, 247f. 441

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168 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) scheinen. Die Herrschaften gehen scheinbar ineinander über. 444 Ungenauigkeiten in Bezug auf die Sicht der Geschichte und die Abfolge der Herrscher sind eigentlich für den ersten Teil des Danielbuches charakteristisch.445 Offenbar haben der Verfasser und die intendierten Adressaten keine korrekte Vorstellung mehr vom persischen Reich. Dass in dem Text das Zentrum des Großreiches wie selbstverständlich in Mesopotamien gesehen wird, könnte widerspiegeln, dass Seleukos I. 300 v. Chr. in der Nähe Babylons Seleukia am Tigris als Hauptstadt errichtete.446 Da eine genaue Kenntnis der Verhältnisse im persischen Reich für die aramäische Tempelbauchronik auszuschließen ist, dürfte das Perserreich bei der Abfassung mindestens eine Generation zurückgelegen haben. Wenn in Esr 6,12 spätere Könige unter den Fluch des Gottes Israels gestellt werden, falls sie das Edikt des Darius übertreten, so scheint sich damit ein grundsätzlicher Wechsel der Herrschaft anzudeuten.447 Das geschichtstheologische Konzept, das in Esr 5f. entfaltet wird, setzt also aufeinanderfolgende Großreiche voraus, was nur im Blick auf den Umbruch durch das Auftreten Alexanders erklärbar ist. Durch diesen hat die Welt des Orients sich massiv verändert. Dazu gehören die Umwälzungen in der Herrschaft und Verwaltung, die Entwicklung der Infrastruktur und die massive Bautätigkeit der hellenistischen Herrscher, die neue Städte mit neuen Tempeln hervorbrachte. Die Bestimmung des Jerusalemer Tempels als Ort des Gebets für den König blickt also wohl zurück aus der Perspektive des Hellenismus auf die Perserzeit. Es wird der Eindruck vermittelt, als habe sich in der Perserzeit die weltgeschichtliche Bedeutung der Verehrung des Gottes Israels ausgewirkt. Indirekt ist aber auch eine gewisse Kritik an den Persern in dem Konzept enthalten. Denn in der Bestimmung des Tempelkultes für das Gebet des Königs und in der Fluchformel am Ende des Dariusediktes ist eine Konditionalisierung der Herrschaft der Perser erkennbar. So wird 444 Rothstein/Hänel, 1Chronik, LXIX, überlegte, ob schon die Bezeichnung „König von Persien“ für eine Abfassung in der hellenistischen Zeit spricht. 445 Vgl. Koch, Das aramäisch-hebräische Danielbuch, 7. 446 Vgl. Bickerman, The Seleucid Period, 4. 447 Dieses Argument wurde zumindest für Esr 6,11 schon von Meyer, Entstehung, 51, vorgetragen. Rudolph, Esra-Nehemia, 59, weist es mit der Bemerkung ab, dass wie in assyrischen Inschriften die Veränderung der Vorschrift im Blick sei. Meyer, Entstehung, 51, überlegte zwar bei der Zentralisationsformel, ob „einer der Juden, die es zu allen Zeiten am Hof gab, den König beeinflusst hätte“. Danach sei aber „gänzlich unmöglich [...], dass Darius in einem officiellen Dokument die Fortdauer der persischen Herrschaft in Frage stellt und von Königen und Völkern redet, die in Zukunft seinen Befehl rückgängig machen könnten“, und sah entsprechend die Interpolation eines „jüdische[n] Eiferer[s]“. Gegen einen Zusatz spricht aber, dass die Formulierung sich bruchfrei mit der übergreifenden Geschichtskonzeption und dem theologischen Universalismus der aramäischen Tempelbauchronik verbindet.

4. Die aramäische Tempelbauchronik

169

der Untergang des Perserreiches möglicherweise bereits auf eine Diskrepanz zwischen den Entscheidungen des Darius und den späteren Königen zurückgeführt, was auch der festgestellten Nähe zu apokalyptischen Konzepten entspricht.448 Weitere Beobachtungen bestätigen die Herkunft der Tempelbauchronik aus der hellenistischen Zeit. Einerseits muss der Jerusalemer Tempel eine zumindest für das Judentum und die Region nicht unbeachtliche Größe gewesen sein. Könnte das Wohlwollen von Ptolemäus II., auf das die Legende des Aristeasbriefes zurückblickt und das durch Münzprägungen von JehudMünzen bestätigt wird, im Hintergrund des Konzeptes der aramäischen Tempelbauchronik stehen? Die Zenonpapyri bestätigen zumindest, dass Jerusalem in der Mitte des 3. Jh. ein Verwaltungszentrum war, das bei einer Reise von Verwaltungsbeamten auch als bedeutender Ort wahrgenommen wurde.449 Die Existenz einer jüdischen Autonomie und die Finanzierung des Tempels aus den Steuereinkommen des Staates mag zwar (schon aufgrund der Rückdatierung in die Perserzeit) eine Idealisierung sein, doch sind solche jüdischen Peuliteumata für die hellenistische Zeit bezeugt. Der Aristeasbrief scheint eine Ursprungslegende der beschränkten Autonomie der jüdischen Gemeinschaft in Alexandria zu sein. Spannend ist aber, dass in ihm der Jerusalemer Tempel und der Hohepriester als Partner der Ptolemäer erscheinen, was eine besondere Rolle des Jerusalemer Tempels bzw. seinen Anspruch in der hellenistischen Zeit aufnimmt. Ein weiterer Hinweis für die Abfassung in der hellenistischen Zeit ist auch die fortgeschrittene Auslegung der Tora. Der Rückgriff auf das Numeribuch, die Interpretation von Num 3,2–4 als Einsetzung der Ordnungen der Priester zeigt, dass das ‚Zeitalter der Auslegung‘ des Pentateuchs angebrochen ist. Der Pentateuch muss dafür abgeschlossen und akzeptiert gewesen sein. Die Betonung des Monotheismus und Universalimus in Esr 5f. bestätigt dies. Für die Datierung der aramäischen Tempelbauchronik sind die Hinweise auf den Diskurs, zu dem der Text wahrscheinlich gehört, ein besonders wichtiger Anhaltspunkt. Der Diskurs zeigt sich an der Wiedergabe des Zentralisationsgebotes im Edikt des Darius in Esr 6,12. Die Zentralisationsformel wird dabei im engeren Kontext und im Gesamtkontext auf Jerusalem bezogen, weshalb man die aramäische Tempelbauchronik bereits als Teil des Diskurses mit den Samariern um die Auslegung der Tora bei der Ortsfrage ansehen muss. Vgl. oben, 166. Vgl. CPJ I, Nr. 2b, 122; dazu Keel, Jerusalem II, 1137; Hengel, Judentum und Hellenismus, 77f. 448 449

170 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Weitere Zeugnisse der Auseinandersetzung sind die samaritanischen Sonderlesarten im Pentateuch, doch lassen sich diese nicht aufgrund von Qumrantexten datieren.450 In die biblische Zeit führt allerdings der späte Zusatz in Jos 8,30–35 zurück, der eine antisamar(itan)ische Interpretation von Dtn 27; 31 darstellt und wahrscheinlich bereits auf die im Dekalog der Samaritaner behauptete Erwählung des Garizims durch Jhwh reagiert.451 Außerdem sucht die Septuaginta das Feld, das Jakob von Sichem kauft, mit Jerusalem zu identifizieren452 und so die Lokaltradition der Samaritaner zu adaptieren. Wann konkret aus einem Mit- und Nebeneinander zwischen Juda und Samaria eine Konkurrenzsituation geworden ist, lässt sich daraus ebenfalls nicht erheben. Denn die Datierung dieser Textzeugen ist ebenso unsicher wie die Datierung von Esr 5f.453 Auch umgekehrt lassen sich die Auseinandersetzungen mit Samaria um die Legitimität des Jerusalemer Tempels nicht exakt datieren. Der Tempel auf dem Garizim ist schon für 450 v. Chr. archäologisch nachgewiesen.454 Der Tempel in Jerusalem ist außerbiblisch in den Papyri von Elephantine am Ende des 5. Jh. erwähnt. Das Gegenüber der beiden rivalisierenden Tempel ist also relativ früh zu datieren. Die Auseinandersetzungen hatten ihren Höhepunkt am Ende der hellenistischen Zeit. In der persischen Zeit aber muss es noch Übereinkünfte zwischen den beiden Orten gegeben haben. Dafür spricht die Existenz des Pentateuchs als gemeinsamem religiösen Grundlagentext, der weder Jerusalem noch den Garizim als Ort des Zentralheiligtums nennt,455 und das gemeinsame Handeln der persischen Statthalter von Samaria und Jerusalem bei der Unterstützung des Wiederaufbaus des Tempels von Elephantine.456 Da die aramäische Tempelbauchronik anders als Esr 4 keine Polemik gegen den Tempel auf dem Garizim enthält und damit argumentiert, legitimierende Dokumente seien verloren gegangen, und weil man Darius als Reaktion auf ihre Auffindung den Bezug des Zentralisationsgesetzes auf 450 Bei den protosamaritanischen Texten aus Qumran sind keine Abschnitte erhalten, die die ideologischen Sonderlesarten zeigen. 451 Jos 8,30ff. ermöglicht damit eine indirekte Datierung der samaritanischen Sonderlesarten. Vgl. Heckl, Kultstätte, 92; und Heckl, Zukunftshoffnung. 452 Vgl. dazu Heckl, Kultstätte, 93. 453 Zur Diskussion der Datierung der Sonderlesarten in die Zeit Johannes Hyrkans vgl. Welten, Chronikbücher, 172f. 454 Vgl. Magen/Misgav/Tsfania, Mount Gerizim Excavations, 103. Schorch, Construction, 139, denkt aufgrund der Existenz eisenzeitlicher Kapitelle an einen möglichen Vorgängerbau und sucht dies mit Verweis auf die Erwähnung des Garizim im Deuteronomium zu sichern (vgl. ebd., 142). Siehe die entsprechenden Erwägungen zu Esr 4 oben, 85. 455 Vgl. Nihan, Torah between Samaria and Judah, 199; und unten, 410ff. 456 Siehe TAD 76, A 4.9.

4. Die aramäische Tempelbauchronik

171

Jerusalem unkommentiert herstellen lässt, dürfte man sich noch in einer bei der Abfassung des Textes lebendigen Auseinandersetzung mit der entstehenden Gemeinschaft der Samaritaner befunden haben. Die bereits erwähnte ptolemäische Zeit, vielleicht die Zeit der Zenonpapyri, d.h. die Mitte des 3. Jh. v. Chr. ist daher meiner Ansicht nach die plausibelste Annahme.

5. Der Zusammenhang von Esr 4 und 5f. 5.1. Die Integration der beiden Texte Esr 4,8–22 wird mit der Bemerkung über den aramäischen Brief in Esr 4,7 vorbereitet457 und in einen größeren Zusammenhang einer gegen die Juden und Jerusalem gerichteten Briefkommunikation gestellt. So werden drei aufeinanderfolgende Briefwechsel in Esr 4 erwähnt. Für den übergreifenden Zusammenhang ist relevant, dass in Esr 5 ein weiterer Briefwechsel die gleiche Thematik betreffend folgt. Angesichts dessen ist zu beachten, dass die aramäische Tempelbauchronik formal nicht über einen Anfang verfügt und nicht nur temporal, sondern auch durch die Erwähnung von Serubbabel und Jeschua mit dem vorangehenden Kontext verbunden ist. Über die für die aramäische Tempelbauchronik wesentliche Zeitangabe in Esr 4,24 wird außerdem ein Zusammenhang zu Esr 4,5 im hebräischen Rahmen von Esr 4 hergestellt. Diesen hat man zwar als Wiederaufnahme und als Hinweis auf eine sekundäre Einfügung des dazwischen liegenden Textes aufgefasst, 458 doch fehlen gerade im Zusammenhang der beiden Verse die formalen Hinweise für die Annahme einer literarkritischen Zufügung. Eine echte Wiederaufnahme liegt nicht vor. Denn 4,5 blickt noch auf die Bauunterbrechung voraus und nimmt nur eine vage Zeitangabe vorweg, während 4,24 mit der exakten Zeitangabe zurückblickt und zugleich für die zeitliche Einordnung des nachfolgenden Textes sorgt. Esr 4,5 stellt außerdem in Aussicht, dass sich die Intrigen der Widersacher mit dem Bestechen von Beamten (Pl.) über eine längere Zeit von der Herrschaft des Kyros bis zu Darius erstre457

Dies ist vergleichbar mit Dan 2,4. Auch wenn sich Esr 4,7b wahrscheinlich nicht als Zitationsformel auf den nachfolgenden Text bezieht, gibt der Verweis auf einen aramäischen Briefwechsel das Stichwort vor. 458 Vgl. Rothenbusch, Abgesondert, 54. Nach Gunneweg, Esra, 93, ist 4,24 eine „Dublette“. Böhler, Heilige Stadt, 268, geht von der anderen Platzierung des Abschnittes in 1Esdras aus und meint, dass die Formulierung von Esr 4,24, die nur den Tempel erwähnt, nicht für den Esra-Nehemia-Kontext, sondern nur für den Kontext von 1Esdras bestimmt gewesen sei. Denn nur in 1Esdr 2,18 wird im Brief des Rehum der Tempel erwähnt. Doch gerade dies lässt sich kaum anders denn als harmonisierender Zusatz in 1Esdras verstehen, mit dem der vermeintliche Widerspruch zwischen Brief und dem auf ihn folgenden Baustopp ausgeglichen werden soll.

172 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) cken werden. Dies leitet zu den wiederholten Anklagen gegenüber den persischen Königen über (Esr 4,6–22). Die inhaltliche und temporale Integration der beiden Abschnitte bewirkt, dass die aramäische Tempelbauchronik als weitere Episode in der Auseinandersetzung mit den Widersachern erscheint. 5.2. Formale und stilistische Entsprechungen Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass der Zusammenhang der beiden Textabschnitte durch eine redaktionelle Verknüpfung zweier ursprünglich eigenständiger Texte zustande gekommen ist.459 Dagegen sprechen aber formale und stilistische Gemeinsamkeiten, die die Texte insgesamt betreffen: Beide Abschnitte haben einen ähnlichen Aufbau. Sie beginnen mit einer Exposition, die auf einen Briefwechsel (in Esr 5f. ein Brief und Dekrete als Antwort) zielt. Die beiden Eröffnungsabschnitte haben eine vergleichbare rhetorische Funktion. Dort wird mit Andeutungen gearbeitet. Damit soll bei den intendierten Adressaten jeweils ein Interesse an dem nachfolgenden Briefwechsel geweckt werden. Der jeweilige Briefwechsel ist nur in seinem Kontext verständlich und lässt erkennen, dass er weder in Esr 4 noch in Esr 5f. eigenständig ohne Einführung bzw. Rahmung existiert haben kann. Es gibt darüber hinaus Übereinstimmungen in Einzelheiten: In den Briefwechseln richten sich zwei (Esr 4,8; 5,6) bzw. drei (Esr 4,7) namentlich erwähnte Personen gefolgt von einer mit dem Pl. von ‫ כנת‬eingeleitete Gruppe an den persischen König. Bei der zweitgenannten Person könnte jeweils an eine Art Sekretär gedacht sein. Dies ist in Esr 4,8 durch die Bezeichnung ‫ ספרא‬explizit; in Esr 5,3ff. wird es durch den Namen (Schetar-Bosnai) impliziert.460 In Esr 4,8 liegt das Hauptgewicht auf der ersten Person, was durch die Bezeichnung ‫„ בעל טעם‬Befehlshaber“ ausgedrückt wird. Dies ist auch in Esr 5,3 der Fall, wo es durch die inkongruente Konstruktion mit der singularischen Verbform signalisiert wird. Weder in Esr 4 noch in Esr 5f. wird den in der Perserzeit üblichen Formen der Briefkommunikation gefolgt. Unterschiede ergeben sich dadurch, dass in Esr 4,9f. die Gruppe mit der vorangestellten Absenderangabe stark ausgeweitet wird und mehrere Völker und Beamtengruppen zu Rehum und Schimschai hinzutreten. Bei der erzählerischen Einleitung der Briefkommunikation lässt Esr 4 eine stilistisch einheitlichere Konzeption erkennen. Anders als in Esr 5f. wird der Gegen459

Vgl. zuletzt Rothenbusch, Abgesondert, 58, mit Übersicht zur Entstehung der These. Als spätere Einschaltung sieht Kratz, Komposition, 66, den Abschnitt Esr 4,6ff. Aber auch er rückt ihn vom Kontext ab und verweist darauf, dass er „thematisch dem Nehemiabuch nahestehen“ (ebd., 67) würde. 460 Vgl. Ges18, 1543.

5. Der Zusammenhang von Esr 4 und 5f.

173

brief des Königs in Esr 4,17 erzählerisch eingeleitet. Dessen Eröffnung mit ‫ שלם וכעת‬ist zwar für einen echten Brief auch zu kurz, doch man kann diesen Übergang am ehesten als stilistische Verbesserung gegenüber der schlichten Anrede Tattenais in 6,6, in der ein Übergang fehlt, verstehen. Esr 4,17ff. bewirkt, dass die knappe Anrede Tattenais im Dekret in Esr 6,6ff. als literarisch verkürzte Briefform erscheint. 5.3. Die übergreifende inhaltliche Konzeption Mehrere Verbindungen auf der inhaltlichen Ebene zwischen Esr 4 und 5f. (gemeinsamer Rückbezug von Esr 4,1ff. und 5,1f. auf Esr 3, wo Serubbabel und Jeschua das erste Mal als Figuren auftreten; mögliche gemeinsame Intertextualität mit Haggai461; der Übergangsabschnitt 4,24–5,1462) sowie die Übereinstimmungen in der Struktur und der rhetorischen Funktion von verschiedenen Elementen der beiden Textabschnitte (knappe erzählerische Expositionen vor der Kommunikation, Vorwegnahmen, Struktur der Absenderangaben) lassen es wahrscheinlich erscheinen, dass ein Zusammenhang intendiert ist. Während allerdings die aramäische Tempelbauchronik vor allem in dem umformulierten Rahmen mit dem Kontext verbunden worden ist, was die inhaltlichen Probleme zwischen Exposition und Kern der aramäischen Tempelbauchronik unterstreichen, und sie daher am ehesten als zuvor unabhängiger Text angesehen werden kann, scheint Esr 4 über Esr 4,5.24 nahtlos zu Esr 5 hinzuführen. Außerdem hat Esr 4 eine die Struktur von Esr 5f. erhellende Funktion. Alle diese Aspekte zusammen lassen den Schluss zu, dass Esr 4 als Präludium der aramäischen Tempelbauchronik vorangestellt worden ist, wodurch sich inhaltliche Zusammenhänge und eine übergreifende inhaltliche Struktur ergeben. Esr 4 setzt mit einer Reihe von Angriffen gegen die Jerusalemer ein und bietet einen Anklagebrief, der Gerüchte an den König weiterleitet. Erkennbar ist das daran, dass nicht mitgeteilt wird, woher die Informationen, die an den König weitergereicht werden, stammen. Zudem wird mit Anspielungen gearbeitet. Der Brief soll den Eindruck erwecken, als würde es sich beim Bau in der Stadt um den Wiederaufbau der Stadtmauer handeln. Dieses Thema, das im Nehemia-Buch eine wichtige Rolle spielt, dient in Esr 4 dazu, die Rückkehrer als Aufrührer zu denunzieren, die einen Abfall vom König im Sinn hätten. Dies wird explizit, indem Warnungen an den König ausgesprochen werden und er zum Eingreifen aufgefordert wird. Bei alledem macht der Kontext klar, dass der Vorwurf konstruiert ist. Dem steht in der aramäischen Tempelbauchronik die Übermittlung klarer Informationen gegenüber: Der Statthalter von Transeuphratene teilt mit, dass er nach Jeru461 462

Vgl. oben, 89. Vgl. oben, 171f.

174 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) salem gekommen sei und den Bau des Tempels im Gange gesehen habe. 463 Der Text soll den Eindruck erwecken, Informationen würden sachgerecht an den König weitergeleitet. Verbunden sind die beiden Texte durch das gemeinsame Motiv der Aufforderung zum Nachprüfen der Aussagen (Esr 4,15 in den Chroniken nach Aufzeichnungen; 5,17: im Schatzhaus nach dem Dekret des Kyros). Vor allem durch das Thema der Unterbrechung des Tempelbaus wird ein übergreifender Zusammenhang hergestellt, indem der Unterbrechung in Esr 4 die mögliche Unterbrechung und am Ende das Verbot zu unterbrechen gegenüberstehen. Der mit dem Verb ‫ בטל‬markierte Zielpunkt in Esr 4 (Esr 4,21.23.24) könnte von Esr 5,5; 6,8 abgeleitet sein. Die Integration von Esr 4 mit Esr 5f. wird vor allem durch die Nennung von Serubbabel und Jeschua als Repräsentanten bewirkt. Dieser Aspekt der neuen Kontextualisierung impliziert, dass es in Esr 5f. ebenfalls die Rückkehrer sind, die bauen. Sie stehen in Esr 4 den Widersachern gegenüber, die sich nach Esr 4,2 und 4,9f. selbst als Nichtisraeliten ausweisen. Judäer und Jerusalemer sind in der Perserzeit aus Babylonien heraufgezogen (Esr 4,12). Die Kontextualisierung der aramäischen Tempelbauchronik mit Esr 4 und die Veränderung in der Exposition machte also aus den Ältesten, die mit dem Tempelbau beschäftigt waren, Rückkehrer aus dem Exil. Der konzeptionelle Zusammenhang war besonders gut daran erkennbar, dass in Esr 4,2 die Häupter der Vaterhäuser zusätzlich noch mit erwähnt werden. Deren Nichterwähnung am Anfang der aramäischen Tempelbauchronik rief zwar ein Kohärenzproblem hervor. Die Voranstellung in Esr 4,2 aber hat für den Gesamtkontext in Esr 4–6 zur Folge, dass man die Ältesten nun auch als Rückkehrer ansehen soll. Die Einbindung der Tempelbauchronik hat der Erzählung durch eine veränderte Kontextualisierung eine veränderte Intention verliehen und dies ohne große Eingriffe in den Wortlaut. Die Reaktion des persischen Königs in Esr 4 entspricht den Warnungen der Absender und folgt deren Intention. Der Herrscher erscheint dadurch als eine Instanz, die sich von unklaren Informationen und Gerüchten leiten lässt. Demgegenüber reagiert Darius in Esr 6 entsprechend dem aufgefundenen Kyrosedikt. Er handelt aber erst nach der Prüfung der übermittelten Informationen. In beiden Textabschnitten liegt eine hintergründige Kritik an der persischen Politik vor. Dass die Herrschaft über die Geschichte ihrer Provinzen nicht informiert ist und ihr generell Informationen über die Provinzen fehlen, wird ebenfalls in beiden Abschnitten deutlich. Ein schlechtes Zeugnis für die persische Politik ist auch, dass man Gerüchte nicht überprüft und den Absendern des Anklagebriefes den Auftrag gibt, einen Bau, über den man kaum informiert ist, zu unterbinden. Des weiteren ist es suspekt, dass 463

Den Zusammenhang erwägt auch Garbini, History and Ideology, 154.

5. Der Zusammenhang von Esr 4 und 5f.

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ein später als grundlegend akzeptiertes Edikt des Perserkönigs Kyros in Vergessenheit geraten ist. Im Hintergrund steht für das Verhältnis zwischen Juda/Jerusalem und dem persischen Großreich, dass Repressalien möglich sind oder gar zu erwarten wären. Diese werden in Esr 4 mit den Intrigen der Samarier in Verbindung gebracht, in der aramäischen Tempelbauchronik aber auf eine Uninformiertheit der persischen Autoritäten zurückgeführt. Auch dort ist die Gefahr durchaus real und wird lediglich durch die Fürsorge des Gottes Israels verhindert. Dabei ist ebenfalls eine distanzierte Haltung gegenüber dem Satrapen von Transeuphratene spürbar, die möglicherweise von Esr 4 aufgegriffen und ausformuliert worden ist. Die Voranstellung von Esr 4 vor Esr 5f. hat zur Folge, dass aus der unabhängigen aramäischen Tempelbauchronik als einer Ursprungsgeschichte für die Privilegien des Jerusalemer Tempels und der mit ihm verbundenen jüdischen Gemeinschaft eine Geschichte von Unterbrechung, Wiederaufnahme und Vollendung des Tempelbaus wird. Eine Geschichte mit dem primären Problem des Verlorengehens von Informationen über das Kyrosedikt wird zu einer Geschichte, wie Intrigen, die an den persischen König gegen Juda/ Jerusalem gerichtet sind, zunächst erfolgreich sind, dann aber überwunden werden können. Es ist dabei zugleich eine Geschichte, wie die persische Politik, die Spielball von Intrigen war, letztlich dem Willen des Gottes Israels unterworfen wurde. Der differenzierten Sicht der persischen Könige, die dem Willen des Gottes Israels unterworfen werden, entspricht auch die Aufnahme der zusätzlichen Information von einem Perserkönig Artaxerxes, der zur Fertigstellung des Tempelbaus beigetragen hat. Zwar charakterisiert man diesen in Esr 4 als manipulierbar, doch legt man ihm eine zurückhaltende Antwort auf den Brief von Schimschai und Rehum in den Mund und die Ankündigung eines positiven Edikts, sodass auch dieser König dem Willen des Gottes Israels zur Vollendung des Tempels (Esr 6,14) nicht entgegengestanden hat. Die eigentümliche Stellung eines Artaxerxes an letzter Stelle in Esr 6,14 lässt sich nicht auf der Grundlage von Kap. 4 erklären, da die Reihenfolgen der Könige in Esr 4f. und Esr 6,14b sich nicht entsprechen.464 Da Esr 6,14b sich aber eindeutig auf die Fertigstellung des Tempels zurück bezieht, ist auch nicht an das Handeln des Artaxerxes in Esr 7 oder im Nehemia-Buch zu denken.465 Wohl aber ist umgekehrt die differenzierte Darstellung des Artaxerxes in Esr 4 gut denkbar. Man unterstellt damit einen beginnenden Wandel in der persischen Politik, die feindlich gegen die Juden lediglich aufgrund der Verleumdung durch die Widersacher gewesen war. Gegen Gunneweg, Esra, 112. Siehe dazu oben, 155, Anm. 422. Gegen Rothenbusch, Abgesondert, 60, und Min, Nehemiah without Ezra?, 174. Siehe dazu oben, 155, Anm. 421. 464

465

176 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Formal ist zu überlegen, ob das in der aramäischen Tempelbauchronik verwendete rhetorische Mittel von Andeutungen, die der Leserlenkung dienen, zum Anlass genommen wurde, um Gerüchte in Esr 4 zum Ausgangspunkt der Komplikationen zu machen. Die Feststellung in Esr 4,5, dass aufgrund der Fürsorge des Gottes Israels der Tempelbau nicht unterbrochen wurde, dürfte die verschiedenen Anläufe der Intriganten, die auf eine militärische Unterbindung des Tempelbaus hinauslaufen, beeinflusst haben. Ebenso dürften auch die von Darius angedrohten Sanktionen eine Rolle dabei gespielt haben, die Zuspitzung der Handlung in Esr 4 als militärische „Lösung“ zu gestalten. Das Verbot eines Eingreifens des Satrapen durch den König in Esr 6,6 könnte auch bei der Formulierung von Esr 4,23 im Hintergrund stehen. Denn ein gegenüber dem klaren Verbot von Esr 6,6 unklarer Befehl des Königs wird in Esr 4,23 zur Rechtfertigung eines militärischen Eingreifens genutzt.466 Insgesamt kann man zwar Esr 5f. noch als geschlossene Erzählung mit Ausgangspunkt, Komplikationen, Problemlösung und Zielpunkt erkennen, Esr 4 aber stellt die nach vorn verlängerte Problematisierung seiner Handlung dar. Esr 4 ist als Präludium und zugleich als Kontrastparallele zur älteren aramäischen Tempelbauchronik verfasst und mit ihr verbunden worden. Das übergreifende Konzept wird daran erkennbar, dass in Esr 4 das Unterbinden des Tempelbaus nur als vorübergehend dargestellt wird und zudem auf ein mögliches Edikt des Königs verwiesen wird. Dies nimmt Bezug auf die besondere Bedeutung, die das königliche Edikt in Esr 5f. hat. Als zweiter Punkt ist hier zu nennen, dass in dem gestalteten Übergang in Esr 4,24–5,1 nicht von den Ältesten die Rede ist, obwohl diese in der älteren Tempelbauchronik später ganz selbstverständlich erwähnt werden. Die Ältesten spielen in Esr 4,2 neben Serubbabel und Jeschua eine Rolle. Bei der Abfassung von Esr 4 und der transformierenden Überarbeitung des Anfangs der aramäischen Tempelbauchronik hat man auf die Erwähnung der Ältesten in Esr 4,1f. zugunsten der neu eingeführten Personen Serubbabel und Jeschua zwar verzichtet, doch lässt man sie zusammen mit Serubbabel in Esr 4,2 auftreten. Dies hat ein Kohärenzproblem hervorgerufen, weil die aramäische Tempelbauchronik als abgeschlossene Szene erkennbar bleibt. Für den intendierten Adressaten liegt vor allem deswegen Esr 4,2 zu weit zurück.

466 Dieser Erzählzug dürfte ebenfalls nicht in die Perserzeit führen. Denn es wird damit letztlich behauptet, dass die Perser militärische Aktionen zwischen Teilprovinzen geduldet hätten.

6. Die Identifikation des in Esr 5f. fehlenden Abschnittes

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6. Die Identifikation des in Esr 5f. fehlenden Abschnittes Die bisherige Analyse von Esr 1–6 hat ergeben, dass Esr 2 und Esr 5f. vor ihrer Einbindung in den uns vorliegenden Kontext eigenständig existiert haben oder in einem anderen Kontext standen. Durch die neue Kontextualisierung muss sich bei beiden Textabschnitten die Funktion verändert haben. Bei der aramäischen Tempelbauchronik ist das offenkundig. Durch ihre Überarbeitung am Textanfang und durch die Kontextualisierung mit Esr 4 hat sich ihre Funktion und Intention verändert. Bei Esr 2 ist Ähnliches vermutet worden. Ursprünglich handelte es sich um eine Liste von Einwohnern, die auf die Bewohnerschaft von Jehud verwies.467 Doch ließ ihr Inhalt sich nicht mit den Grenzen der Provinz in Deckung bringen.468 Auch suchte man mit der Überschrift in Esr 2,1a (‫ואלה בני המדינה העלים משבי הגולה‬ ‫ )אשר הגלה נבוכדנצר מלך בבל לבבל‬eine Identifikation der Bevölkerung der Provinz mit der Rückkehrerschaft zu erreichen.469 Aufgelistet sind Sippen mit einem Vorsteher und die Bewohner von Ortschaften. Alle sind offenbar mit dem Tempel verbunden gewesen.470 Rückkehrer waren in der Liste auch enthalten, doch dominierten sie die Liste ursprünglich nicht. 471 Die Liste wurde durch eine transformierende Überarbeitung der Überschrift, die zugleich der Einbindung in den Kontext von Esr 1 diente, zur Rückkehrerliste gemacht.472 Es konnte auf der Grundlage von Esr 2 allein nicht erschlossen werden, wo die Liste herstammt. Die Differenz zwischen der Summe der aufgezählten Gruppen und der angegebenen Gesamtsumme machte es allerdings wahrscheinlich, dass gekürzt worden ist.473 Dies muss mit der Veränderung der Funktion der Liste in einem Zusammenhang stehen. Es liegt nahe, dass Gruppen aus der Liste ausgelassen wurden, die sich nicht mit der revidierten Überschrift bzw. Einleitung als Rückkehrerschaft vereinbaren ließen. Damit ist ein auffällig paralleler Umgang mit den Vorlagen bei der Einbettung von Esr 2 und 5f. in den größeren Kontext ersichtlich, was auf einen übergreifenden Gestaltungswillen hindeutet. Doch ist die Anwendung ähnlicher Techniken nur abhängig von der Intention des neuen Gesamttextes, in den die beiden Texte einbezogen wurden, oder haben inhaltliche Zusammenhänge der beiden Quellen sich ausgewirkt? Siehe oben, 77ff. Siehe oben, 83. 469 Siehe dazu oben, 63. 470 Siehe dazu oben, 77ff. 471 Siehe dazu oben, 78. 472 Siehe oben, 63. 473 Siehe oben, 65ff. 467

468

178 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) In der aramäischen Tempelbauchronik ist noch erkennbar, dass die Ältesten der Juden die zentrale Rolle spielten. Diese wurden vom Statthalter von Transeuphratene beim Tempelbau angetroffen. Wo die Ältesten der Juden herstammen, wird in der Erzählung nicht thematisiert. Doch ist impliziert, dass es sich bei ihnen um Repräsentanten der Bevölkerung handelt, die später mit den theologischen Begriffen ‫ בני ישראל‬und ‫ גלותא‬bezeichnet wird. Die Ältesten sind also als Repräsentanten des Volkes Israel im Blick. Und so schließt die Einweihung des Tempels mit der Opferung von zwölf Ziegenböcken nach der Zahl der Stämme Israels als Sündopfer für ganz Israel (‫)וצפירי עזים לחטאה על כל ישראל תרי עשר למנין שבטי ישראל‬. Wenn der Tempelbau ein das Volk insgesamt betreffendes Unternehmen ist, dürften die Repräsentanten auf die gleiche Größe bezogen sein. Die Voranstellung Serubbabels und Jeschuas bewirkt eine ähnliche Veränderung in der Personenkonstellation in Esr 5f. wie die Einführung der Einwohnerliste als Rückkehrerliste in Esr 2. Wie in Esr 2 und in den anderen vom Verfasser von Esr 1–6 verfassten Abschnitten sind dadurch auch in Esr 5 die Rückkehrer aus der Gola diejenigen, die den Tempelbau verantworten. Mit der Erwähnung von Serubbabel und Jeschua als Tempelbauer in Esr 5,2 agieren dieselben, die sich nach Esr 4 mit der Landbevölkerung auseinandergesetzt hatten. Die Analyse hatte neben der Kontextualisierung am Anfang und am Ende der aramäischen Tempelbauchronik auch eine wesentliche Veränderung im Wortlaut aufgedeckt. Dort muss die Liste der für den Tempelbau verantwortlichen Personen ausgelassen worden sein, obwohl sie in der Exposition der Erzählung bereits als essenzieller Bestandteil vorbereitet wird. Und obwohl berichtet wird, dass sie von Tattenai erstellt und schriftlich an den König weitergeleitet worden ist, fehlt sie. Ihr Platz muss ursprünglich am Ende von Tattenais Schreiben nach der Mitteilung ihrer Aufzeichnung (Esr 5,10b) gewesen sein. Ihre Auslassung wird ebenfalls mit der Zuspitzung der Erzählung auf die Rückkehrer in Esr 5,1f. zusammenhängen. Aufgrund der Kontextualisierung mit Esr 4 ist zu überlegen, ob die Liste außerdem der Darstellung der Auseinandersetzung zwischen den Tempelbauern und den Samariern im Wege stand. Die einst im Kontext von Esr 5 enthaltene Liste muss dort eine repräsentierende Funktion gehabt und mit den erwähnten Ältesten in einem Zusammenhang gestanden haben. Sollte es nur Zufall sein oder nur auf die Unachtsamkeit des Autors der größeren Komposition zurückzuführen sein, dass man in Esr 5 mehrfach die Frage nach den Verantwortlichen und den Hinweis auf die Aufzeichnung einer Liste stehen gelassen hat? Meiner Ansicht nach ist dieses Problem zu offensichtlich und das Thema der Liste zu tief in der Kohärenzstruktur verankert, als dass man dies annehmen könnte. Es legt sich daher nahe, dass man die Überlegungen zu den beiden verarbeiteten Quellen zusammenführt:

6. Die Identifikation des in Esr 5f. fehlenden Abschnittes

179

Die Einarbeitung der Liste in Esr 2, in der ähnliche Veränderungen bei ihrer Rekontextualisierung wie in Esr 5f. erkennbar sind, lässt sich am besten damit erklären, dass es sich bei ihr um die aus dem Kontext der aramäischen Tempelbauchronik entnommene und an den neuen Kontext angepasste Liste handelt. Denn Esr 2 wird im Rahmen als Liste der Rückkehrer präsentiert und zugleich um solche Gruppennamen reduziert, die nicht mit dem veränderten Konzept des Tempelbaus übereinstimmten. Das entspricht der Kontextualisierung von Esr 5f. aufgrund von Esr 4 und vor allem der Erwähnung Serubbabels und Jeschuas, die ja die Liste in Esr 2 wie die rekontextualisierte aramäische Tempelbauchronik anführen. Die Einfügung der Liste direkt im Anschluss an das Kyrosedikt entspricht außerdem dem Rückgriff von Esr 1 auf die aramäische Tempelbauchronik. Denn sowohl das Kyrosedikt speist sich aus Esr 5f. als auch der „Bericht“ von der Rückkehr des Scheschbazzar. Die als Rückkehrerliste präsentierte Einwohnerliste mit den Namen der Sippenanführer bzw. mit zugehörigen Orten ist in Esr 2 allerdings noch als Fremdkörper erkennbar. Auch geschieht die Thematisierung von Gaben für den Tempel und für den Kult in Esr 2 vor der Eröffnung des Baus eigentlich zu früh.474 Mit dem Konzept von Esr 5f. würde der Aspekt aber gut übereinstimmen. Eine weitere inhaltliche Übereinstimmung zwischen der Liste und der Tempelbauchronik bestätigt die Vermutung des ursprünglichen Zusammenhangs. Die Liste wird in Esr 2,2b mit der eigentümlichen Formulierung ‫ מספר אנשי ישראל‬eröffnet, der die Nennung von elf (in Neh 7; 1Esdr 5,8 zwölf) Namen vorangeht, die als Repräsentanten anzusehen sind. Da Neh 7 und 1Esdras versuchen, die Zwölfzahl wiederherzustellen, dürfte die ursprüngliche Zahl auf die Stämme des Volkes verweisen, obwohl zuvor ausdrücklich von Juda und Jerusalem die Rede ist. Dies wird auch am Schluss bei den Gaben für den Tempel unterstrichen, wenn man die Langversion in Neh 7,71 als eine Angleichung an den Wortlaut der Vorlage ansieht. 475 Der Beteiligung Judas und Jerusalems bei symbolischer Repräsentation des Gesamtvolkes durch die in Esr 2 zuerst genannten Personen steht gegenüber, dass die aramäische Tempelbauchronik auf den Kult am wiedererrichteten Tempel von Jerusalem zielt, der für Israel insgesamt von Bedeutung ist (6,16), obwohl zunächst nur die ‫ שבי יהודיא‬am Tempelbau beteiligt sind. In Esr 2,1f. und Esr 6,14–16 scheint also eine vergleichbare Repräsentation des aus zwölf Stämmen bestehenden Gesamtvolkes durch eine bestimmte hervorgehobene Gruppe vorzuliegen. Die Unterschiede zwischen Esr 2 und Neh 7 machten es wahrscheinlich, dass parallel zu dem neuen Kontext von Esr 1–6 die ursprüngliche Liste in 474 475

Vgl. oben, 77ff. Siehe dazu oben, 68ff.

180 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) ihrem ursprünglichen Kontext noch existierte und so einen Einfluss auf die Textgestalt von Esr 2//Neh 7 ausüben konnte. Die gegenüber Esr 2 in Neh 7 häufigeren aramäischen Formen der Namen lassen sich damit erklären, dass die Liste in der ursprünglichen aramäischen Tempelbauerzählung wie ihr ursprünglicher Kontext auf Aramäisch abgefasst war. Dafür sprechen auch die eigentümliche Syntax in Esr 2,68a und die Form ‫ ומן העם‬in Esr 2,70.476 Ein weiterer formaler Hinweis ist, dass Esr 2,1f. trotz der Übertragung ins Hebräische und der inhaltlichen Anpassung an den Kontext dem Briefanfang in Esr 5,6 noch ähnlich ist.477 Es ergibt sich, dass die Versetzung der Liste mit einem übergreifenden Konzept von Esr 1–6 zusammenhängen muss. Dieses spiegelt sich bereits an den bearbeiteten Bezügen zum Kyrosedikt wider: Denn in Esr 4,3 wird in der Rede Serubbabels auf das Kyrosedikt zurückgewiesen. Das Wir der Tempelbauer ist identisch mit jenen, die dem Befehl des Kyros zur Rückkehr folgen. Die Versetzung der Liste aus Esr 5 nach Esr 2 erweckt deswegen in der vorliegenden Kontextualisierung den Eindruck, dass die Tempelbauer identisch mit den aufgelisteten Personen in Esr 2 sind. Die ursprüngliche Liste muss von großer Bedeutung gewesen sein. Denn abgesehen von der Zitation der Liste in Neh 7 zeigt die Verwendung von Namen und die Erwähnung von Klans in anderen Teilen des Esra-Nehemia-Buches, dass sie bei den intendierten Adressaten als bekannt vorausgesetzt wurde. Deshalb konnte sie nicht einfach ignoriert werden, und man band sie am Anfang des Esrabuches als Rückkehrerliste ein. Letztlich lässt sich die Liste in Esr 2 rückblickend als die in Esr 5 erwähnte Liste verstehen.478 Denn aus der Perspektive von Esr 5 gibt es nichts, was als Antwort auf die Frage Tattenais (Esr 5,4.10) vorstellbar ist, und die Kommunikation zwischen Tattenai und Darius soll ja als funktionierend erscheinen. Offenbar soll durch diese Vorwegnahme die Identität der Namen der am Tempelbau beteiligten Gruppen mit den Rückkehrern erwiesen werden, wofür auch die Auslassung von Namen spricht. Dabei stellt sich auch ein Zusammenhang mit der polemischen Rekontextualisierung von Esr 5f. durch Esr 4 her. Offenbar sucht man mit der Versetzung der Liste den Jerusalemer Anspruch gegenüber den Samariern zu untermauern. Die am Tempelbau beteiligten Personen und ihre Repräsentanten wurden durch die Versetzung der 476

Vgl. oben, 126. Marcus, Nehemiah, 104–110, führt eine Reihe von Stellen an, aus denen man schließen kann, dass das Buch Nehemia ursprünglich möglicherweise aramäisch verfasst war. 477 Vgl. oben, 126. 478 Hölscher, Esra-Nehemia, 503, hat wie die ältere Forschung über den Ursprung der Liste spekuliert und vermutet, dass ein persischer Beamter die Liste habe anfertigen lassen, um auf ihrer Grundlage die Steuern zu bestimmen. Ohne dass Hölscher einen Zusammenhang mit Esr 5 herstellt, kam er dem allein auf Grundlage ihres Inhaltes nahe.

6. Die Identifikation des in Esr 5f. fehlenden Abschnittes

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Liste zu Rückkehrern aus dem Exil gemacht, um sie von den Samariern abzuheben. Bei den intendierten Adressaten war das vermittelbar, weil in der Liste auch bereits im Kontext von Esr 5f. Rückkehrer enthalten waren. Für spätere Rezipienten sind Unsicherheiten entstanden, weil die Liste vor der Notiz über ihre Anfertigung steht, was in der Exegese eine Vielzahl von Hypothesen zur Liste hervorgerufen hat.

7. Vom Kyrosedikt zur Einweihung des Tempels Die bisherige Analyse von Teilabschnitten in Esr 1–6 hat ergeben, dass zwei literarische Textabschnitte eingebettet worden sind. Die beiden Abschnitte Esr 2 und Esr 5f. wurden in die uns vorliegende Struktur integriert und haben darin eine neue Funktion erhalten. Die inhaltliche Präsentation der älteren Bestandteile scheint eine wesentliche Funktion von Esr 1–6 zu sein. Von Esr 1 ausgehend werden im neuen Kontext Bezüge zu den älteren Bestandteilen hergestellt, um sie in ihrem neuen Kontext plausibel zu machen. Solche hermeneutischen Mittel waren nötig, weil man auf die mögliche Kenntnis der Vorlagen bei den intendierten Adressaten reagieren musste.479 Im Folgenden wird zunächst der disparate Erzähltext Esr 1–6 in einer Gesamtschau betrachtet. Während dabei auf die Ergebnisse der Einzeluntersuchungen zu Esr 1; 2; 4; 5f. zurückgegriffen wird, muss auf einige bisher noch nicht behandelte Einzelheiten der anderen Textabschnitte näher eingegangen werden. Auch wenn es sich dabei vor allem um rahmende und interpretierende Abschnitte handelt, die für den Gesamttext von besonderer Bedeutung sind, soll vermieden werden, dass ihre Diskussion die Wahrnehmung verzerrt. Daher erfolgt sie exkursartig (petit). Danach wird zusammenfassend den hermeneutischen Strategien und der Pragmatik von Esr 1–6 nachgegangen. 7.1. Die Kohärenzstruktur des literarischen Kompositums Esr 1–6 Die Geschichte des Wiederaufbaus des Tempels in Esr 1–6 verfügt in Esr 1,1–4 über eine Exposition und in Esr 6,19–21 über einen Epilog. Im ersten Hauptteil (Esr 1,5–3,13) entwickelt sich die Handlung zunächst stringent. In Esr 4 folgt als Komplikation die Unterbrechung des Tempelbaus. Die Fortsetzung des Baus (Esr 5) leitet zum Höhepunkt des Textes über. Denn mit der Ankunft eines persischen Repräsentanten steht es wiederum infrage, ob 479

Siehe dazu den ausführlichen Vergleich des Kyrosedikts mit seinen Parallelen in der aramäischen Tempelbauchronik oben, 33ff.

182 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) es zu einem Abschluss der Arbeiten kommen kann. Dieser wird dann auf Initiative des persischen Königs allerdings doch erreicht (Esr 6). Obwohl der Zusammenhang mehrere Stilwechsel wie den Wechsel zu Listen und den Wechsel zwischen dem Hebräischen und dem Aramäischen enthält, hat die bisherige Analyse ergeben, dass letztlich nur ein literarischer Text, die aramäische Tempelbauchronik, verarbeitet worden ist. Diese und die ursprünglich zu ihr gehörende Bevölkerungsliste (jetzt Esr 2) ist ein jüdischer Text, der aus persischer Perspektive als eine Art Chronik oder Memorandum der Legitimierung der mit dem Jerusalemer Tempel in Verbindung stehenden Gemeinschaft diente. Sie unterstellt, dass der Tempelbau nicht nur auf Veranlassung des Kyros und in Übereinstimmung mit dem Willen des Darius vollendet wurde, sondern dass ihm zugleich auch eine Reihe von Privilegien gewährt wurden.480 Esr 1 beginnt mit literarischen Bezugnahmen. Die Erfüllungsnotiz, die sich auf Jeremia bezieht, lässt sich nur im Zusammenhang mit dem Schluss der Chronik verstehen, wodurch sich ein Bezug zur von Jeremia angekündigten Unheilszeit des Exils von 70 Jahren ergibt. Doch die Zahl der Jahre wird weder hier noch anderswo im Esra-Nehemia-Buch genannt, obwohl man an 2Chr 36,21 angeknüpft hat.481 Daher hat man die 70 wahrscheinlich wie in babylonischen Texten als „Hoffnungszahl“482 verstanden. Rezipiert wird aus dem aufgegriffenen Abschnitt (Jer 29,10–14) die Aussicht auf die Wende zum Heil durch die Rückkehr „an diesen Ort“ (Jer 36,10), womit schon bei Jeremia Jerusalem in den Blick kommt.483 Das Kyrosedikt schließt sich daran an und erlaubt die Rückkehr der Israeliten nach Jerusalem. Bereits diese betonte484 Erwähnung gibt die Jerusalemzentrierung vor, die für den Text Esr 1–6 insgesamt charakteristisch ist. Das Kyrosedikt, das als Bekenntnis Kyros’ zum Gott Israels und zu dessen Herrschaft über die Welt beginnt, hat den Willen des Gottes Israels realisiert, sodass den Israeliten in Babylon die Rückkehr ermöglicht und der Wiederaufbau des Tempels befohlen wurde. Denn es wird ja im Rückblick davon erzählt. Dieses Dekret wurde in mündlicher und schriftlicher Form bekannt gemacht. Die Erwähnung von zwei Wegen der Verbreitung dient nicht nur dazu, die Bedeutung des Dekrets für die intendierten Adressaten und für den Tempel hervorzuheben, sondern es soll auch erklären, wieso es im nachfolgenden Text von Esr 1–6 immer wieder eine wichtige Rolle spielen kann. Dies beginnt bereits im nachfolgenden Kontext des Dekrets, wo 480

Zur Nähe zum Aristeasbrief vgl. oben, 158, mit Anm. 427. Siehe dazu oben, 53f. 482 Albani, 70-Jahr-Dauer, 20. 483 Siehe oben, 53. 484 Siehe dazu oben, 53, Anm. 74. 481

7. Vom Kyrosedikt zur Einweihung des Tempels

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dieses fast wörtlich beim Bericht des Aufbruchs der Häupter der Vaterhäuser von Benjamin und Juda sowie der Priester und Leviten aufgenommen wird. Anschließend erzählt der Text von einer Auslieferung der Tempelgeräte an Scheschbazzar und darüber, wie dieser sie nach Jerusalem bringt (1,11b), was Inhalte aus den beiden Versionen des Ediktes in Esr 5f. vorwegnimmt. Es finden sich nahezu wörtliche Entsprechungen zwischen Esr 1,7f. und den Worten der Ältesten in Esr 5,14. Die sich anschließende Liste der Tempelgeräte (1,9–11a) mit den beigegebenen Zahlen soll dokumentieren, dass man über korrekte Informationen verfügt. Man hat auch bei dieser Liste überlegt, ob es sich um eine eingearbeitete Quelle handelt.485 Der Abschnitt ist zwar wesentlich kürzer als die Bewohnerliste in Esr 2, weist aber ein ähnliches Schema auf. Diese Nähe zu Esr 2, die zunächst für ein Dokument sprechen könnte, spricht eher dagegen. Denn anders als bei Esr 2 lässt sich keine Differenz zwischen der Rahmung und der eigentlichen Liste erkennen.486 Stattdessen ist es auffällig, dass die Liste nichts enthält, was konkret auf den vorexilischen Tempel zurückweisen könnte. 485 Rudolph, Esra-Nehemia, 7, verweist auf die selten vorkommenden Bezeichnungen und meint, dass die Liste auf ein „in der Sprache der persischen Kanzlei abgefaßtes Original“ zurückgehe. Ähnlich auch Galling, Protokoll, 80, der auf die Abhängigkeit von Esr 1,2–4 von Esr 6 verweist und meint, dass bei einer literarischen Bildung der Abschnitt anders hätte aussehen müssen: „Wenn der Chronist zuvor in Esr 1,2–4 von einer Proklamation des Kyros berichtet, folgerte er dies aus den Anordnungen des Kyros (6,3–5), doch hätte es naheliegen können, in der Proklamation selbst, die auf den Wiederaufbau des Tempels und die Heimkehr der Diasporagemeinde (Gola) zielte, auch die Rückgabe der Tempelgeräte zu verankern und etwa hinter 1,4 den Satz anzuschließen: ‚Auch sollen die Tempelgeräte... mitgenommen werden.‘“ Diese Schlussfolgerung berücksichtigt nicht, dass auch in Esr 5,14 von den Ältesten bereits eine Handlung des Kyros die Kultgeräte betreffend erzählt wird und nicht nur ein Befehl. Daher passt Esr 1,9–11 gut zu den Vorgaben der aramäischen Tempelbauchronik. Positiv auch noch Blenkinsopp, Ezra-Nehemiah, 42.79; Talmon, Art. Ezra-Nehemiah, 321; Williamson, Composition, 7; Grabbe, Ezra-Nehemiah, 126; Steinmann, Ezra-Nehemiah, 144f. Segal, Numerical Discrepancies, 122, sieht die Existenz einer Liste an der Stelle als Konsens in der Forschung an und sucht, die Probleme bei den Zahlenangaben, die dieser Annahme im Wege stehen könnten, zu lösen. Dazu unterbreitet er Konjekturvorschläge auf der Grundlage von in aramäischen Dokumenten anzutreffenden Zahlzeichen. Warum allerdings manche Zahlzeichen korrekt, aber andere inkorrekt umgesetzt worden sein sollen, erklärt das nicht. Zu den textlichen Problemen der Liste vgl. vor allem Torrey, Ezra Studies, 138f. Kritisch zur Annahme der Authentizität: Gunneweg, Esra, 48. Edelman, Origins, 165f., weist auf den Zusammenhang zu prophetischen Verheißungen hin und darauf, dass hier Ansprüche glaubhaft gemacht werden sollen. Levine, Numbers, 263, sieht im Hintergrund von Esr 1,9–11 wie von Num 7 „that priestly scribes employed an accounting method“. Wenn es sich um eine priesterliche Gattung handelt, spricht das stärker für die literarische Herstellung der Liste in der spätpersischen bzw. hellenistischen Zeit als für ihre Originalität. 486 Kratz, Komposition, 64, überlegt, ob der Rahmen von 1,9–11 wie bei 1Chr 2–9; 15f. und 23–27 an den Kontext angepasst worden ist.

184 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Es werden Geräte aufgeführt, die man mit Sicherheit in der nachexilischen Zeit im Tempel antreffen konnte. Sowenig es sich bei Esr 2 um eine Rückkehrerliste handelt, sowenig dürfte es sich bei Esr 1,9–11 um die Liste zurückgegebener Tempelgeräte handeln.487 Die formalen Übereinstimmungen zwischen Esr 1,9–11 und Esr 2 lassen sich außerdem am besten damit erklären, dass man sich bei dem Rückgriff auf die Informationen zu den Tempelgeräten in Esr 5f. auch an die ebenfalls von dort übernommene Bewohnerliste angelehnt hat. Die Liste hat zwar den Zweck, eine direkte Kontinuität mit dem vorexilischen Tempel zu signalisieren, verfehlt ihn jedoch. Denn theoretisch hätte man die spezifischen Geräte erwähnen können, wie sie in 1Kön 7,48ff. vorkommen. Dass man dies nicht tat, lässt die Schlussfolgerung zu, dass es am Zweiten Tempel keine in die vorexilische Zeit zurückreichende Tradition der Kultgeräte gegeben hat. Allerdings ist die Liste nur plausibel in einer Zeit, in der bereits wieder wertvolle Tempelgeräte am Tempel vorhanden waren. Es ist schwer vorstellbar, dass dies direkt im Anschluss an den Tempelbau oder gar vorher der Fall gewesen sein soll.488 Da mit der Liste ein Bezug zur vorexilischen Zeit hergestellt wird, hat man sich bei ihrer Formulierung an Esr 5f. angelehnt. Das zeigt vor allem die Ausformulierung der Behauptung der Ältesten aus Esr 5,12, dass Kyros die Geräte aus Nebukadnezars Tempel holte in Esr 1,7. Dieser Passus schlägt gleichzeitig eine Brücke zurück zur Chronik, wo dasselbe in 2Chr 36,7 erwähnt wird.489 Man könnte angesichts der Herkunft von Esr 2 auch für die Liste der Tempelgeräte überlegen, ob sie dort herkommt. Doch ist dies auszuschließen, da in Esr 5 weder vom Vorzählen der Geräte noch von der Aufzeichnung einer entsprechenden Liste die Rede ist, sondern nur von der Aushändigung der Geräte an Scheschbazzar. Das Vorzählen durch Mitredat in Esr 1,8b dient der Einführung der Liste und ist wie diese erst in Anlehnung an die Notiz in Esr 5,16 formuliert worden. Dass in der Liste Probleme bei den Zahlen bestehen, ist allerdings erklärungsbedürftig. Man könnte argumentieren, dass man sie beibehielt, da eine Quelle zugrunde lag. Doch hätte bei einer solch kurzen Quelle das Zusammenspiel der Einzelelemente und der Gesamtsumme die Angaben nicht eher stabilisieren müssen? Auch wird man die Frage stellen müssen, was der Sinn einer Gesamtsumme von Gefäßen und anderen Geräten unterschiedlicher Materialien sein soll. Könnte es sein, dass man die Differenz in Anlehnung an die Differenz in der Liste in Esr 2 fingiert hat?490

Während die Auslieferung der Tempelgeräte verbunden mit der Rückkehr Scheschbazzars sich noch direkt an das Kyrosedikt anschließt (Esr 1,7f.), wird mit der Rückkehrerliste in Esr 2 ein weiteres Mal auf das Kyrosedikt zurückgegriffen. Die im Vergleich zur erzählerischen Hinführung ausführliche Liste impliziert eine massenhafte Rückkehr in Anschluss an die Erlaub487 Zweifel an der Authentizität äußerte schon Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien, 144, der sie aber dennoch als eigenständiges Dokument ansieht. So auch Kratz, Komposition, 64. 488 Dagegen spricht, dass die Anfänge des Tempels aufgrund der geringen Bevölkerung in Juda und Jerusalem unbedeutend gewesen sein werden, was ja von den Texten auch reflektiert wird. Vgl. Hag 2,3; Esr 3,12. Zur Bevölkerungszahl vgl. oben, 61, Anm. 109. 489 Zur literarischen Abhängigkeit vgl. auch oben, 133, Anm. 346. 490 Vgl. Hieke, Esra-Nehemia, 82; Karrer, Verfassung, 350; Rothenbusch, Abgesondert, 113.

7. Vom Kyrosedikt zur Einweihung des Tempels

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nis des Kyrosediktes.491 Eine Differenz besteht darin, dass in Esr 1,5 von den Häuptern der Vaterhäuser die Rede ist, in der Überschrift (Esr 2,1) aber von der Bewohnerschaft, die zurückgekehrt sein soll, gesprochen wird. Bei den ‫ בני המדינה העלים משבי הגולה‬handelt es sich aber nicht nur um die Häupter der Vaterhäuser, sondern um die Angehörigen der Vaterhäuser (siehe bspw. ‫ בני פחת מואב‬in Esr 2,6) und die Bewohner von Orten (so in 2,21: ‫)בני בית לחם‬.492 Diese Divergenz beruht darauf, dass Esr 2 ein wiederverwendeter Text aus dem ursprünglichen Kontext der aramäischen Tempelbauchronik ist.493 Kap. 3 scheint den direkten Zusammenhang mit dem Kyrosedikt zu verlassen. Obwohl der Bau des Tempels darin zentrales Anliegen ist, gehen dem Beginn der Bauarbeiten am Tempel zunächst die Errichtung des Altars, die Einführung des regelmäßigen Kultes und die Feier des Laubhüttenfestes voraus (Esr 3,1–6a). Während man die Errichtung des Altars als ersten Schritt des Tempelbaus verstehen kann, steht die Feier des Laubhüttenfestes mit den vorgeschriebenen Opfern in einer gewissen Spannung zu dem Befehl des Kyros, den Tempel in Jerusalem zu bauen. Der Hinweis, dass der Tempel noch nicht gegründet war (Esr 3,6b), scheint das Problem im Blick zu haben. Es ist daher die Frage, ob es sich um eine Retardierung des Tempelbaus oder um einen notwendigen Aspekt des Tempelbaus handelt. Aufschlussreich ist die Datierung: Nach Esr 3,1 versammelt sich am Anfang des siebenten Monats das ganze Volk in Jerusalem 494. Dabei handelt es sich um den Monat des Laubhüttenfestes, das nach Lev 23,34 vom 15.–21. des Monats gefeiert wird. Ob der Gedenktag an die Ermordung Gedaljas eine Rolle gespielt haben kann, ist offen.495 Im Blick der antiken Adressaten dürfte in jedem Fall auch der Versöhnungstag gewesen sein.496 Dass man den Altar am Kultort errichtet, stellt nicht nur von vornherein dessen Legitimität und die Legitimität des späteren Tempels heraus. Seine Errichtung macht den regelmäßigen Kult497 und die kultischen Höhepunkte möglich, die mit dem siebenten Monat ihren Anfang nehmen. Der Altarbau direkt nach der Ankunft und direkt danach das erste vollzogene Wallfahrtsfest bedingen sich aber auch dadurch, dass so die Anwesenheit des ganzen Volkes eine Begründung erfährt. Das ganze Volk ist schon aufgrund des kommenden Wallfahrtsfestes anwesend und nimmt von daher auch an der Einweihung des Altars und danach an der Grundsteinlegung des Tempels teil. Dies wird durch die Betonung der Begehung des Laubhüttenfestes der Ordnung entsprechend (‫ )כמשפט‬impliziert. Die Formulierung bezieht sich zwar konkret auf die Anzahl der Opfer, doch mit der ‚Ordnung‘ wird ein Bezug zu den Vorschriften der Tora herge491 Vgl. zum ideologischen Charakter der angeblich massenhaften Rückkehr Becking, We All Returned, 13. 492 Vgl. dazu oben, 65ff. 493 Zur Identifikation des ursprünglichen Ortes siehe oben, 177ff. 494 Zur Übereinstimmung mit Neh 7,72b siehe unten, 312f. 495 Schon Mahler, Chronlogie, 70, nahm an, dass dieser Fastentag bereits im Exil praktiziert wurde. Vgl. dazu zusammenfassend unten, 324. 496 Das Neujahrsfest ist innerbiblisch nicht als solches erwähnt, aber Lev 23,24 nennt als besonderen Ruhe- und Versammlungstag den ersten des siebenten Monats. 497 Vgl. Rudolph, Esra-Nehemia, 30.

186 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) stellt, und dort wird für die Wallfahrtsfeste die Anwesenheit des gesamten Volkes vorgeschrieben (Dtn 16,16). Die Anwesenheit des ganzen Volkes und der sofortige Beginn des Kultes in Jerusalem sowie die Feier des ersten Wallfahrtsfestes bedingen einander und unterstreichen die Legitimität Jerusalems und seines künftigen Tempels. Das legitimatorische Interesse in Esr 3,1–6 hat einen bestimmten Hintergrund, wie die Begründung „wegen der Furcht vor den Völkern der Länder, die auf ihnen war“ ( ‫כי באימה‬ ‫ )עליהם מעמי הארצות‬in Esr 3,3 andeutet. Die Wiederherstellung der kultisch gewährleisteten Gottesnähe scheint vordergründig einen Schutz für die Rückkehrer durch die Gottheit sicherzustellen. Der Vers lässt eigentümlicherweise offen, worin die Furcht vor den Völkern der Länder besteht. Denn sie tauchen ja noch nicht auf; auch wird nicht klargestellt, um welche Völker es sich eigentlich handelt.498 Diese Leerstellen bleiben bis zu den Auseinandersetzungen in Kap. 4 bestehen, weswegen die Bemerkung am ehesten als Vorverweis und Anspielung auf die Auseinandersetzung mit den fremden Widersachern beim Thema des Tempelbaus in Jerusalem anzusehen ist. Während der Bau des Altars bereits auf den nachfolgenden Kontext zielt, verweist Esr 3,7 mit ‫ כרשיון כורש מלך פרס עליהם‬auf eine Erlaubnis des Kyros, aufgrund derer Holz vom Libanon herangeschafft wird. Ihre beiläufige Erwähnung kann sich nur auf das Kyrosedikt zurückbeziehen. Wieso man das Edikt aber als Bezug in den Blick nehmen kann, obwohl es Holz nicht erwähnt, ist erklärungsbedürftig. Grundlegend für die Interpretation ist, dass kein Einkauf von Holz erwähnt ist. Lediglich die Arbeiter am Tempel werden bezahlt, die Sidonier und Tyrer dagegen werden nur mit Lebensmitteln versorgt. Der nötige Baustoff muss von diesen also geradezu selbstverständlich und zudem kostenlos an den Tempelbau in Jerusalem abgegeben werden. Die Erlaubnis des Kyros bezieht sich damit wohl auf den Tempelbau allgemein. Das Funktionieren der Versorgung des Baus wird entsprechend vorausgesetzt. Es bleibt natürlich die Frage, warum das an dieser Stelle so ausdrücklich erwähnt wird. Dies wird deutlich, wenn man beachtet, dass in 2Chr 2,8f. anders als in 1Kön 5,20ff. nicht mehr von einer regelmäßigen Tributleistung Salomos an Hiram die Rede ist, sondern nur noch von einer einmaligen Lieferung von Getreide, Wein und Öl, die an die Arbeiter geht.499 Dieses Konzept scheint von Esr 3,7 rezipiert und als eine Versorgungsleistung für die Arbeiter interpretiert worden zu sein. Esr 3 muss also auf diese Chronikstelle zurückgegriffen haben. Mit dem Rückverweis auf den „Befehl des Kyros“ impliziert der Beitrag von Sidon und Tyros, dass das Kyrosedikt im Reich bekannt gewesen und zunächst eingehalten worden ist. Der Tempelbau soll außerdem als ebenso bedeutsames Ereignis wie jener unter Salomo erscheinen. Die nachfolgenden Bezüge zu verschiedenen biblischen Texten unterstreichen den Bezug zur Chronik.500 In Esr 3,8ff. ist der Baubeginn am Tempel im zweiten Jahr und im zweiten Monat mit einem Freudenfest verbunden. Esr 3,10–13 erwecken den Eindruck, als werde die Feier der Einweihung des Tempels, die die aramäische Tempelbauchronik abschließt, vorweggenom498 Blenkinsopp, Ezra-Nehemiah, 96, hält zwar fest, dass der Altar und die Fundamente „in spite of the first intimations of opposition“ eingerichtet werden, doch handelt es sich zunächst nur um eine begründende Randbemerkung auf der Erzählebene, die offen lässt, ob es bereits Widerstände gibt, oder ob man prophylaktisch handelt. 499 Vgl. zur Differenz auch Japhet, 2 Chronik, 40f. Aus ‫( מכלת לביתו‬1Kön 5,25) wird in 2Chr 2,9 ‫( מכלת לעבדיך‬Lesart entsprechend LXX rekonstruiert aus ‫מכות‬, vgl. dazu ebd., 35.41). 500 Zum Verhältnis der Esra-Nehemia-Komposition zur Chronik vgl. zusammenfassend unten, 387ff.

7. Vom Kyrosedikt zur Einweihung des Tempels

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men.501 So wird die Eröffnung des Tempelbaus wie ein Dankgottesdienst und in Freude zelebriert. Dies ist überraschend, wenn man das vorangehende Laubhüttenfest beachtet. Denn dieses ist eigentlich das Freudenfest schlechthin (vgl. Dtn 16,13–15), doch werden bei ihm nur die Opfer erwähnt, mit denen der regelmäßige Kult in Jerusalem wieder aufgenommen wird. Während die antiken Adressaten an dieser Stelle die Festfreude als nicht erwähnten und daher selbstverständlichen Aspekt des Laubhüttenfestes vorausgesetzt haben dürften, ist dies nach Betonung der Festfreude beim Baubeginn nicht mehr möglich. Durch die explizite Erwähnung der Festfreude beim Tempelbau wird erkennbar, dass sie beim vorangehenden Fest noch fehlt. Dies ist umso auffälliger, als in 2Chr 7 bei der Einweihung des Ersten Tempels die Reihenfolge offenbar (gegen die ursprüngliche Intention von 1Kön 8, nach der die Einweihung beim Laubhüttenfest geschieht) umgekehrt ist und die Einweihung des Tempels dem Laubhüttenfest vorangeht.502 Der wahrscheinliche Bezug zu 2Chr 7503 bzw. der ansonsten sichere Bezug zu 1Kön 8 unterstreicht, dass die Abfolge von Fest ohne Festfreude und anschließender Freudenfeier beim Baubeginn signalisiert, dass die Trauerzeit des Exils zu einem Ende gekommen ist. Das Fest ohne Freude markiert das Ende und die Freude beim Bau den Anfang einer neuen Epoche. Dies stellt einen Bezug zu einem nachexilischen Diskurs her, der während oder im Anschluss an den Tempelbau geführt wurde. So wurde nach der sog. Fastenfrage in Sach 7,3 offenbar während der Zeit, als der Tempel zerstört war, im fünften und im siebenten Monat gefastet. Und man fragte sich, ob diese Zeit mit dem Tempelbau vorüber wäre. In der Regel werden die beiden Angaben im Sacharjabuch mit den jüdischen Fastentagen am 9. Aw (Tempelzerstörung) und 3. Tischrej (Fasten aus Anlass der Ermordung Gedaljas) verbunden. 504 Doch ist es signifikant, dass in Sach 7,3 nicht von Fastentagen die Rede ist, sondern von den Monaten des Fastens.505 Auch wenn kaum ganze Monate als kultische Erinnerung und Trauerzeiten begangen wurden, so ist in Sach 7 die Rede vom Fasten und Trauern im siebenten Monat schon deswegen auffällig, weil dieser Monat der Monat von Sukkot, des expliziten Freudenfestes, ist. In diesem Monat befinden wir uns in Esr 3 mit dem Bau des Altars und dem sich anschließenden Laubhüttenfest. Man wollte also mit dem Jubel beim Baubeginn deutlich machen, dass eine grundsätzliche Wende zum Heil vollzogen wird. Da auch in Esr 5,1f. bei der Kontextualisierung der aramäischen Tempelbauchronik ein Zusammenhang zu den Prophetenbüchern Haggai und Sacharja hergestellt wurde, dürfte auch der Aspekt der Heilswende mit der Bezugnahme zu diesen Büchern in einem Zusammenhang stehen. Die Klärung der Fastenfrage in Sach 7, die eigentlich eine vorexilische Kultkritik aufgreift, wird dann vielleicht in Hinblick auf die Betonung der Heilswende durch den Beginn des Tempelbaus in Hag 2,15.18 u.ö. als Wandel von der Trauer zur Freude aufgegriffen. Es ist signifikant, dass in Hag 2,18 die Heilswende explizit für den Tag, an dem der Tempel gegründet wird, angekündigt ist. Die Festfreude wird in Esr 3,12a allerdings damit kontrastiert, dass sich unter den Jubel noch die Tränen derer mischten, die den alten Tempel noch gekannt haben. Diese Notiz dient dazu, die personale Kontinuität der Rückkehrer mit den 501

Siehe dazu unten, 206. Vgl. Japhet, 2 Chronik, 100f. 503 Der zweimalige Gebrauch von ‫ כי לעולם חסדו‬in 2Chr 7 erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Esr 3,11 der Zusammenhang vorgelegen hat. Siehe dazu unten, 188, Anm. 508. 504 Vgl. Reventlow, Haggai-Sacharja-Maleachi, 76. 505 Entsprechend stellt Hoffman, Fasts, 205, fest: „No fixed annual fast day, not even Yom Kippur, was observed in Israel until at least the mid-fifth century, the time of Ezra and Nehemiah.“ 502

188 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Bewohnern Jerusalems und Judas zu dokumentieren. 506 Doch auch dies unterstreicht den Zusammenhang mit dem Haggaibuch, wo ebenfalls jene erwähnt werden, die den Ersten Tempel noch gesehen haben und wo ein Tempel in größerer Herrlichkeit angekündigt wird (Hag 2,3.6–9). Mit ‫ כי טוב כי לעולם חסדו‬in Esr 3,11a werden eine Fülle von möglichen Textbezügen hergestellt. Ps 106; 107; 118; 136 beginnen mit dem Aufruf zum Lob und lassen ebenso ‫כי‬ ‫ טוב כי לעולם חסדו‬folgen.507 Dies spricht dafür, dass bei den intendierten Adressaten auch entsprechende Texte als bekannt vorausgesetzt sind. Die Psalmenzeile findet sich auch in der Chronik, und zwar interessanterweise immer in Verbindung mit dem Kult bzw. mit dem Tempel. In 1Chr 16,34 steht die Zeile am Ende des Dankpsalms, der beim Abschluss der Überführung der Bundeslade gesungen wird (16,8–36). Ein Bezug ist ebenfalls zu 2Chr 5,13 möglich. In diesem Kontext im siebenten Monat nach Fertigstellung des Tempels wird ganz parallel wie in Esr 3,10f. von den liturgischen Aufgaben der Leviten gesprochen.508 Damit dürfte am ehesten auf beide Chronikstellen verwiesen sein. Bei dem Psalm, der in 1Chr 16 zitiert wird, ist dies wahrscheinlich, weil die Überführung der Bundeslade der Grundsteinlegung parallel geht und weil dort in 1Chr 16,35 die Bitte um Errettung von den Völkern folgt, damit der Lobpreis weiter erfolgen kann. Dies dürfte u.a. im Blick der Formulierung in Esr 3,3 sein. So ist es der Zusammenhang zwischen der Überführung der Lade nach Jerusalem und der Fertigstellung des Jerusalemer Tempels (1Chr 16; 2Chr 5), der in Esr 3 mit dem Freudenfest und dem Gesang eines Dankpsalms aufgerufen wird. Die Wende zum Heil greift zurück auf die Einrichtung des Kultes in Jerusalem und den Tempelbau unter Salomo. Damit wird durch die Intertextualität mit der Chronik (durch die freiwillige Holzlieferung von Sidon und Tyros) und durch die Intertextualität mit Haggai und Sacharja wiederum die Jerusalemer Perspektive deutlich, die das Kyrosedikt und die Erzählung von der Rückkehr nach Jerusalem prägt.

Die Handlung in Esr 1–3 vollzieht sich stringent. Die Einflechtung der Bewohnerliste dient dazu, eine massenhafte Rückkehr aus dem Exil aufzuzeigen. Diese markiert wie die Erlaubnis des Kyros zu ihr das Ende des Exils. Der Kult an seinem ursprünglichen Kultort nimmt seinen Anfang unmittelbar nach Rückkehr der Israeliten, und anschließend werden die Opfer des Laubhüttenfestes vollzogen. Der Zusammenhang ist dadurch gegeben, dass in Esr 3,1 das Zusammenkommen des ganzen Volkes in Jerusalem betont wird. Schon aufgrund des Laubhüttenfestes, auf das mit der Erwähnung des siebenten Monats angespielt wird, muss das ganze Volk anwesend sein. Zusammen mit der vorangehenden Liste ergibt sich, dass die Rückkehrer der Liste mit dem nun zusammenkommenden Volk identisch sind und gemeinschaftlich Zeuge der Baueröffnung werden. 506 Später wird sich diese Formulierung als ein entscheidendes Signal für die gesamte Komposition des Esra-Nehemia-Buches erweisen. Vgl. unten, 282. 507 Gunneweg, Esra, 74, sah ein Zitat aus Ps 136, Williamson, Israel, 47, einen konkreten Zusammenhang mit Ps 100,4f. 508 In 2Chr 7,3.6 hat die Formulierung eine vergleichbare Funktion und verweist ebenfalls auf bekannte Psalmen. Entweder handelt es sich um eine übliche Praxis des Verweises oder aber Esr 3,11 und 2Chr 7 sind voneinander abhängig.

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Mit dem Tempelbau wird eine Wende zum Heil markiert. Denn mit Aufnahme von 1Chr 16 und 2Chr 5 signalisiert die „hörbare“ Festfreude (Esr 3,13) das Ende der Unheilszeit des Exils. Entsprechend dem Verweis auf die Verkündigung des Jeremia in Esr 1,1 ist das Wort Jhwhs über Unheil und die Heilswende erfüllt. In Kap. 4f. folgt eine zweifache Komplikation und Zuspitzung. Die erste wird durch die Notiz in Esr 3,3 vorbereitet, dass der Altarbau aus Furcht vor den Völkern der Länder erfolgt.509 Die in Esr 4,1 erwähnten Widersacher von Juda und Benjamin stellen sich danach tatsächlich als Angehörige unterschiedlicher Völker vor. Die Eröffnung von Kap. 4 mit ‫וישמעו צרי‬ ‫ יהודה ובנימן‬stellt ebenfalls einen Zusammenhang her. Die Feier bei der Eröffnung des Tempelbaus ist anscheinend nicht ungehört geblieben. Es kann kein Zufall sein, wenn Kap. 3 mit dem Freudenjubel schließt, während in 4,1 davon die Rede ist, dass die Widersacher Judas und Benjamins davon hören, dass jene gekommen seien, um den Tempel Jhwhs zu bauen. Lediglich ein Szenenwechsel liegt zwischen Esr 3 und 4. Bei der Analyse der aramäischen Tempelbauchronik hat sich herausgestellt, dass Esr 4 zu der eingebundenen aramäischen Tempelbauchronik überleitet, wobei auch formal ein Übergang vom hebräischen zum aramäischen Text geschaffen worden ist.510 Als Komplikation der Erzählung wird von einer schrittweisen Gefährdung des Tempelbaus durch Widersacher (Esr 4,1) berichtet, was zu einer gewaltsamen Unterbrechung der Bauarbeiten führt. Aufschlussreich ist die hintergründige Polemik gegen die angeblichen Widersacher, aber auch die Charakterisierung der persischen Herrschaft als leicht instrumentalisierbar. Letzteres setzt voraus, dass die persische Fremdherrschaft von den Juden nicht durchgängig als wohlwollend empfunden wurde.511 Esr 4 bewirkt, dass mögliche und möglicherweise auch bekannte Probleme mit den Persern zurücktreten, da man Konflikte mit der fremden Oberherrschaft den „Widersachern“ anlastet.512

Siehe oben, 186. Siehe oben, 91. 511 Dies knüpfte an die bereits ambivalente Sicht des persischen Statthalters Tattenai in Esr 5f. an. Die Betonung der Fürsorge Jhwhs in Esr 5,5 und das von Darius übermittelte Verbot, den Tempelbau zu behindern (Esr 6,6), lassen erkennen, dass von dem Statthalter eine potentielle Gefahr ausgeht. Anders Kratz, Komposition, 60. Siehe dazu oben, 160. Dies wiederum deckt sich mit vielen anderen Texten der Hebräischen Bibel. Im Estherbuch, bei Daniel, vor allem aber in Neh 9,36f. werden die Perser ähnlich charakterisiert. 512 Die Auseinandersetzungen um die Zerstörung und den Wiederaufbau des Tempels in Elephantine und die Rolle auch persischer Autoritäten dabei geben Anlass zu der Vermutung, dass konkrete Probleme auch im Hintergrund der aramäischen Tempelbauchronik stehen, die aber in Esr 4 umgedeutet worden sind. 509 510

190 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Der Bitte der „Widersacher“, man möge sie am Bau mitmachen lassen, liegt eine literarische Strategie zugrunde: Die aus Samaria stammenden Gegner legitimieren mit ihrer Anfrage den Tempel in Jerusalem bereits, während er noch im Bau ist, gleichzeitig delegitimieren sie damit die religiösen Institutionen, die in der frühen Perserzeit in Samaria existierten, indem sie von sich behaupten, als angesiedelte Fremde und daher als Nichtisraeliten hätten sie eine Verehrung Jhwhs im Sinn.513 Mit der Aussage, sie hätten nicht geopfert, sprechen sie sich den Besitz einer eigenen Kulttradition ab. Auf das Kyrosedikt wird von Serubbabel als Grund der Zurückweisung, wonach nur Israeliten und in dieser Konstellation daher die Rückkehrer bauen dürfen, verwiesen. Dies greift die bereits im Kyrosedikt gebotene Konzeption des Volkes (Esr 1,3a) und die nur partielle Realisierung der Rückkehr durch Juda und Benjamin (Esr 1,5) auf. Auf Veranlassung jener Widersacher514 werden mehrere Briefe an verschiedene Könige gesandt. Wiedergegeben wird ein Anklagebrief von Rehum und Schimschai. Der Brief ist so formuliert, dass er für die antiken jüdischen Adressaten des Textes als Verleumdung erkennbar ist. In der Kommunikation mit dem König aber wird suggeriert, dass die im Gang befindlichen Bauarbeiten die Stadtmauer betreffen. Die Anschuldigungen, die mit einem Geschichtsrückblick unterstrichen werden, sind erfolgreich und bewirken eine Unterbrechung des Tempelbaus. Die Interpretation des Abschnittes als konstruierter verleumderischer Angriff wird durch die Bezüge zum Gesamtkontext gesichert. Denn das Kyrosedikt steht auch in dem Anklagebrief im Hintergrund, wenn festgestellt wird, dass die Juden „von ihm“ – dem persischen König – hinaufgezogen seien. Und entsprechend – auch angesichts des Verweises in Esr 4,3 – war es geradezu unmöglich, direkt auf den Tempelbau einzuwirken. Um den erlaubten Bau zu stören, musste man auf angebliche Aktivitäten, die nicht vom Kyrosedikt gedeckt waren, zurückgreifen. Und so sind die Unterstellung eines angeblichen Baus der Stadtmauer und einer gegen die persische Oberherrschaft gerichteten Politik erfolgreich. Dieser Erfolg wirft allerdings auch ein negatives Licht auf die Politik der Perserzeit, die als beeinflussbar durch Verleumdungen gezeigt wird und offensichtlich nicht in der Lage zu sein scheint, die Anschuldigungen zu überprüfen. Diese Strategie erweist Esr 4,8ff. als integralen Bestandteil des Kapitels und der Gesamtkomposition.515 513 Mosis, Theologie, 224, lehnte die Sicht ab, dass sich der Passus auf die Samarier bezieht: „Der Chr deutet mit keinem Wort an, daß es sich bei den ‚Widersachern Judas und Benjamins‘ um eine aus den abgespaltenen zehn Stämmen des Nordreichs entstandene Kultgemeinde in Samaria gehandelt hat.“ Allerdings ist dies nicht verwunderlich, wenn die Verschleierung der Herkunft der Widersacher zum Konzept gehört. 514 Siehe zum übergreifenden Konzept von Esr 4 oben, 102ff. 515 Siehe dazu oben, 102ff.

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Eine genaue Zeitdauer für die Unterbrechung des Tempelbaus wird nicht mitgeteilt. Ihr Ende ist schon in Esr 4,5 und dann in Esr 4,24 im Blick. Der „Zeitsprung“ nimmt also nur zwei Verse in Anspruch. Denn nach Esr 4,24 geht es schon in Esr 5,2 um die Wiederaufnahme des Baus. Zwar ist es bei der Verbform ‫( ושריו‬von ‫ שרה‬Pa.) nicht sicher, ob sie den Baubeginn oder die Fortsetzung des Baus bezeichnet. Da Esr 5,1–2 der Verbindung der aramäischen Tempelbauchronik mit Esr 4 und darüber hinaus ihrer Einbindung in die Erzählstruktur von Esr 1–6 dient, ist es am wahrscheinlichsten, dass das Verb hier die Fortsetzung des Baus ausdrückt.516 In der Phase, die zur Unterbrechung des Tempelbaus führt, wechseln mehrere Könige einander ab. Begonnen hatte der Bau noch unter Kyros. Bereits unter einem nachfolgenden Xerxes (Esr 4,6) intrigierte man gegen die Juden, und unter Artaxerxes sind die Intrigen dann erfolgreich, bis zur Zeit des Darius. Diese Kette der Ereignisse in Esr 4 macht aus der nachfolgenden aramäischen Tempelbauchronik eine Episode, die mit einer nochmaligen Problematisierung des Tempelbaus beginnt. Sie wird aber zugleich auch ihr Höhepunkt, und mit ihr wird die Fertigstellung des Tempels und damit das Ziel von Esr 1–6 erreicht. Die im jetzigen Kontext ununterbrochene Kette der Ereignisse, die zur aramäischen Tempelbauchronik hinführt, verursacht ein inhaltliches Problem. Der Spannungsbogen innerhalb von Esr 5f. beruht darauf, dass das Edikt des Kyros abgesehen von den Ältesten der Juden unbekannt ist. Doch wird noch in Esr 4 die Kenntnis des Edikts bei den Widersachern und wohl auch beim König als bekannt vorausgesetzt. Trotz der Unkenntnis des Ediktes des Kyros wird eine Konfrontation zunächst durch die Fürsorge des Gottes Israels aufgeschoben und dann letztlich verhindert (Esr 5,5). Der Konflikt wird entsprechend dem übernommenen Textabschnitt nicht nur durch die Bestätigung des Kyrosediktes, sondern auch durch seine Verschärfung gelöst. Das Perserreich beteiligt sich aktiv am Wiederaufbau, und zwar offenbar mit den Steuereinnahmen der Kleinsatrapie Syrien.517 Die vorangestellte Anklageschrift und Kap. 4 insgesamt scheinen diesen Aspekt von Esr 6 avisiert zu haben. Den angeblich ausbleibenden Tributen und Steuern (Esr 4,13.16) steht der Befehl des Darius, dass der Tempelbau aus Steuern von Transeuphratene finanziert werden soll (Esr 6,8), gegenüber. Einen geradezu parodistischen Eindruck macht es, wenn offenbar auch die „Widersacher“ durch das Edikt des Darius zu einer Beteiligung genötigt werden, nachdem sie in Esr 4,2 gegenüber Serubbabel ihre Mitwirkung angeboten hatten. 516 517

Siehe dazu oben, 118. Siehe oben, 145.

192 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Die aramäische Tempelbauchronik wurde in ihrem Wortlaut am Ende weniger stark überarbeitet als am Anfang. So erwähnt man die Propheten nur noch einmal und lässt Serubbabel und Jeschua gar nicht mehr auftreten. Insgesamt bestätigt sich so, dass die vier in 5,1f. erwähnten Figuren in der Vorlage der aramäischen Tempelbauchronik keine Rolle spielten. Die Angabe, wer an der Einweihung des Tempels teilnimmt, steht in einer Spannung zu den Angaben im hebräischen Schluss von Esr 1–6 und bestätigt die inhaltliche Intaktheit des Schlusses des verarbeiteten Textes.518 Bei der Tempeleinweihung in der aramäischen Tempelbauchronik findet sich für die Teilnehmer die Aufzählung: ‫בני ישראל כהניא ולויא ושאר בני גלותא‬. Priester, Leviten und der Rest der Angehörigen der Galut werden insgesamt als Israeliten bezeichnet. Dies wird in Esr 6,19 aufgenommen. Dort sind die Angehörigen der Gola (‫ )בני הגולה‬Teilnehmer am Passa. Anders als in der aramäischen Tempelbauchronik, die ja nicht ausschließlich eine Rückkehrerschaft thematisiert, wird der Begriff im hebräischen Rahmen von Esr 1–6 verwendet, um speziell die Rückkehrerschaft aus Judäern und Benjaminiten zu bezeichnen (Esr 1,11; 2,1; 4,1). Der Gebrauch von ‫ גולה‬auch außerhalb von Esr 1–6 legt nahe, dass es sich generell um einen Begriff handelte, der zwar zur Bezeichnung der Identität allgemein das Exil im Blick hat, nicht aber von vornherein die Rückkehr aus dem Exil.519 Die allgemeine Verwendung des Begriffs liegt in Esr 6,16 sicherlich vor. Der Gebrauch des Begriffs im hebräischen Schluss in Esr 6,19 aber impliziert wieder wie in Esr 1,11 etc. eine Rückkehr aus dem Exil. Dies wird im Fortgang des Epilogs in Esr 6,21 deutlich. Der Vers nennt wie in 6,16 mit der Voranstellung von ‫ בני ישראל‬zunächst die Gesamtgröße. Es folgt eine Aufzählung als Apposition dazu. Esr 6,16

Esr 6,21 ‫ועבדו בני ישראל‬

‫ויאכלו בני ישראל‬

‫כהניא ולויא ושאר בני גלותא‬

‫השבים מהגולה‬ ‫וכל הנבדל מטמאת גוי הארץ אלהם‬ ‫לדרש ליהוה אלהי ישראל׃‬

‫חנכת בית אלהא דנה בחדוה׃‬ Esr 6,21aα (‫ )ויאכלו בני ישראל השבים מהגולה‬macht nachträglich in der Übersetzung der vorher gebrauchten Phrase klar, dass es sich bei den vorher in 6,19f. erwähnten ‫בני הגולה‬ und bei den ‫ בני גלותא‬in 6,16 um die Rückkehrer handelt. Damit wird ein Bogen zu Esr 1,3, wo Kyros zur Rückkehr auffordert, und zu Esr 1,5 geschlagen, wo festgestellt wird, dass es die Sippenhäupter von Juda und Benjamin sind, die dem Befehl Folge leisten und hinaufziehen. ‫ בני ישראל השבים מהגולה‬nimmt über ‫ בני הגולה‬in Esr 6,19 die Aufzählung in 6,16 auf ‫ בני ישראל כהניא ולויא ושאר בני גלותא‬und bewirkt darüber hinaus, dass die Akteure in der aramäischen Tempelbauchronik in der Sicht des Gesamttextes tatsächlich jene sind, die aus dem Exil zurückgekehrt sind. Dass man dies an dieser Stelle nachträglich so formuliert, zeigt, dass der Rückkehraspekt in der aramäischen Tempelbauchronik nicht im Vordergrund gestanden haben kann. Nötig ist die Klarstellung, weil anschließend eine 518 519

Siehe dazu auch oben, 151f., und im Folgenden. Siehe dazu oben, 151.

7. Vom Kyrosedikt zur Einweihung des Tempels

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weitere von den Rückkehrern unterschiedene Gruppe als Teilnehmer am Passa erwähnt wird. Die viel diskutierte Stelle ist für die Pragmatik von besonderer Bedeutung und muss deswegen im Anschluss noch einmal beleuchtet werden.520 In einem direkten Zusammenhang mit dem Gesamttext steht im letzten Vers des Kapitels auch die Bemerkung, dass Jhwh das Herz des Königs von Assur ihnen zugewendet habe. Diese anachronistische Bezeichnung521 des persischen Königs als König von Assyrien stellt einen Zusammenhang mit Esr 4,2 her,522 wo sich die Widersacher von Juda und Benjamin in einen Zusammenhang mit den Assyrern brachten. Demgegenüber macht Esr 6,22 nun deutlich, dass Jhwh dafür gesorgt hat, dass durch den persischen König, der nun auch Herrscher von Assyrien ist, die Verhältnisse zugunsten Judas und Jerusalems verändert worden sind.523 Die Bezeichnung steht mit der hintergründigen Kritik an den Persern im Zusammenhang,524 die auch an anderen Stellen des Buches deutlich wird.525

Esr 6,21 betont die Rückkehrer und schließt damit die Kohärenzlinie ab, die mit dem Kyrosedikt in Esr 1,2–4 und der Rückkehr von Judäern und Benjaminiten (Esr 1,5) einsetzt und zur Abweisung der „Widersacher“ in Esr 4,2 führt. Andererseits stellt sich die Frage, wie die zusätzlich eingeführte Gruppe, die sich den Angehörigen der Gola zugesellt und von der Unreinheit der Völker des Landes abgesondert habe, zu den Widersachern verhält.526 An dieser Stelle ist aber bereits deutlich, dass man die Intention der aramäischen Tempelbauchronik mit ihrer Rahmung in das Konzept von Esr 1–6 eingepasst hat, indem rückwirkend klar gemacht wird, dass ausschließSiehe unten, 208ff. Hölscher, Esra-Nehemia, 516, hielt das für eine Verschreibung. Galling, ChronikEsra-Nehemia, 202, sah einen sekundären Nachtrag einer zweiten Ausgabe des Chronisten, bei der man an Antiochus III. gedacht habe. Er sieht das zugleich als Hinweis für die Datierung dieser zweiten Ausgabe (vgl. zur Unterscheidung ebd., 8). Obwohl es eine Affinität zu der in dieser Arbeit vorgeschlagenen Datierung gibt (siehe unten, 398ff.), muss man die Frage stellen, wieso über die Freude um die Gunst des Königs im Kontext von Tempelbau und Tempeleinweihung ein bestimmter Seleukide im Blick sein soll. Galling unterschied Erzählzeit und erzählte Zeit nicht. Die Beobachtung und seine Überlegungen gingen allerdings dennoch in die richtige Richtung. Denn offensichtlich haben die Verfasser von Esr 6,22 anachronistisch die Bezeichnung „König von Assur“ auf die Perser angewendet, weil die Seleukiden sich als Könige von Syrien bezeichneten und als Nachfolger der Assyrer ansahen. „These terms [Syria and Assyria] were used in subsequent centuries as interchangeable toponyms ...“ (Rollinger, Terms, 287). Die Identifikation setzt auch Koch, Apokalyptik, 36, voraus. Zur dahinter stehenden Reichsideologie vgl. Koch, Dareios, der Meder, 132f. Der Gebrauch der Bezeichnung Assur ermöglichte an der Stelle eine hintergründige Kritik an den Persern. 522 Man vgl. auch den in Esr 4,10 erwähnten Asnappar. 523 Vgl. Wilda, Königsbild, 127; In der Smitten, Esra, 9. 524 Vgl. Klement, Features, 73. Gunneweg, Esra, 117, sah einen Hinweis auf eine Wende zum Heil, da jetzt die Perser als „Rechtsnachfolger jener assyrischen Großkönige [erscheinen], die das Gottesgericht über Israel einleiteten“. 525 Vgl. unten, 290f. 526 Vgl. dazu unten, 208ff.294ff. 520 521

194 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) lich die Rückkehrer den Tempel gebaut und eingeweiht haben. Man hat das Konzept wahrscheinlich in der Rezeption der aramäischen Tempelbauchronik entwickelt, wo ‫ בני גלותא‬als Bezeichnung des nachexilischen Israels vorkam, ohne allerdings explizit die Rückkehr zu thematisieren. Mit der Feier des Passas am wiedererrichteten Tempel wird nun mit einem weiteren Wallfahrtsfest die Kontinuität des Kultortes unterstrichen und zugleich signalisiert, dass der regelmäßige Kult und die Feste dem Jahreslauf gemäß kontinuierlich vollzogen werden. Reziprok zu Esr 3 stehen sich Baueröffnung und Einweihung und die Jahresfeste in Esr 3; 6 gegenüber, sodass sich eine wiederkehrende Ereignisstruktur ergibt, was den engen inhaltlichen Zusammenhang signalisiert: Altarweihe, erste Opfer, Laubhüttenfest, Tempelbaubeginn mit Feier, Bauunterbrechung, Wiederaufnahme des Baus, Abschluss des Tempelbaus mit Feier und Opfern, Passa-Opfer, Passafeier.527 Der Unterstreichung der Legitimität des Kultes dienen die beim Passa erwähnten Einzelheiten. Für die Reinigung der Leviten ist ein intakter Kult offenbar erforderlich. Mit der Erwähnung der Reinigung werden mögliche Bedenken ausgeräumt,528 der Jerusalemer Kult könnte inkorrekt sein. Außerdem wird mit der Feier des Passas ein Bogen zu der Eröffnung der Tempelbauerzählung in Esr 1,2 geschlagen. Im Bekenntnis des Kyros waren die Hoffnungen Deuterojesajas aufgenommen und verstärkt worden. Mit dieser Hoffnung hängt es zusammen, dass mit der Rückkehr immer wieder auf den Exodus angespielt wurde, und entsprechend markiert die Feier des Passas am wiedererrichteten Tempel das Ende des „neuen Exodus“. Dass dieser in Jerusalem am wiedererrichteten Tempel abgeschlossen wird, schließt den Kreis, der mit der Aufforderung des Kyrosediktes, nach Jerusalem zu ziehen und den Tempel zu errichten, eröffnet worden war. 7.2. Die hermeneutischen Strategien in Esr 1–6 und die Pragmatik des Textes Bei der Abfassung von Esr 1–6 wurde mit der aramäischen Tempelbauchronik ein literarischer Text eingebunden, der eine mit dem Bau des Tempels verbundene Bevölkerungsliste enthielt. Bereits am Beginn der Komposition sind das Kyrosedikt und sein direkter Kontext nicht nur von der aramäischen Tempelbauchronik beeinflusst, sondern auf sie bezogen formuliert. 527

Umgekehrt meint Becking, Continuity, 37, „that the temple was not seen as a building ‚as such‘ but was necessary for rites of reconciliation“. Doch widerspricht dem, dass man immer wieder die Legitimität des Tempels betont, was offensichtlich eine Rolle im Diskurs um den Ort des Tempels spielt. Kult und Tempel am korrekten Platz bilden im Esrabuch einen Zusammenhang, der dazu dient, den Ort zu legitimieren. 528 Das Thema kommt in Hag 2,13f. vor. Auch wenn dort eine konkrete Auseinandersetzung im Hintergrund stehen kann, so zeigt die Erwähnung doch, dass es im nachexilischen Israel diskutiert wurde.

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7. Vom Kyrosedikt zur Einweihung des Tempels

Die späteren Versionen des Dekrets sollen von der Rückkehr her gelesen werden. Esr 1,2–4 stellt für diese529 und für den Gesamttext von Esr 1–6 quasi den hermeneutischen Schlüssel dar. Das Bekenntnis des persischen Königs zeigt die weltgeschichtliche Bedeutung des Eingreifens von Jhwh, der dort das erste Mal als Gott des Himmels bezeichnet wird. Den Versionen in Esr 5f. wird außerdem der Aspekt der initialen Rückkehr des Volkes vorangestellt, von der her Esr 1–6 ebenfalls gelesen werden soll. Den zugrunde liegenden hermeneutischen Strategien soll im Folgenden genauer nachgegangen werden. Der Vergleich der ursprünglichen Intention der aramäischen Tempelbauchronik mit derjenigen des Gesamttextes eröffnet aber zugleich einen Zugang zur Pragmatik des Gesamttextes. a) Scheschbazzar und Serubbabel Kap. 1–3 formulieren wenige Bemerkungen aus Esr 5f. aus. Esr 1,7f. hat dabei die Äußerung der Ältesten aus Esr 5,14f. aufgenommen, dass Kyros die von Nebukadnezar weggebrachten Tempelgeräte zurückgegeben habe.530 Esr 1,7f.

Esr 5,14f.

‫והמלך כורש הוציא‬ ‫את כלי בית יהוה‬ ‫אשר הוציא נבוכדנצר מירושלם‬ ‫ויתנם בבית אלהיו׃‬

‫ואף מאניא די בית אלהא די דהבה וכספא‬ ‫די נבוכדנצר הנפק מן היכלא די בירושלם‬ ‫והיבל המו להיכלא די בבל‬ ‫הנפק המו כורש מלכא מן היכלא די בבל‬

‫ויוציאם כורש מלך פרס על יד מתרדת הגזבר‬ ‫ויספרם לששבצר הנשיא ליהודה׃‬

‫ויהיבו לששבצר שמה‬ ‫די פחה שמה׃‬ ‫ואמר לה אלה אל מאניא שא אזל אחת המו‬ ‫בהיכלא די בירושלם ובית אלהא יתבנא׃‬

Dabei wurde die Pendenskonstruktion in 5,14 aufgelöst und das Handeln des Kyros vorgezogen, wodurch es betont wird. Dies dient dem Ausgleich eines Problems, vor dem der Verfasser von Esr 1–6 in seiner Verarbeitung der vorgegebenen Überlieferung stand. Die aramäische Tempelbauchronik behauptete nämlich, dass Scheschbazzar den Tempelbau begonnen hatte, während dies in Haggai und Sacharja von Serubbabel berichtet wurde. Die Vorwegnahme der Inhalte der aramäischen Tempelbauchronik dient hier ebenfalls dazu, den älteren Text in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Man verzichtete auf einen Bericht darüber, dass Scheschbazzar von Kyros zum Statthalter eingesetzt worden sei, und verwendete stattdessen für ihn die Bezeichnung ‫נשיא‬. Der Gebrauch des terminus technicus ‫פחה‬ wäre jedoch nicht nur möglich gewesen, sondern hätte sich aufgrund von 529 530

Siehe dazu bereits oben, 55ff. Siehe oben, 40ff.

196 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Esr 5,14bγ (‫ )די פחה שמה‬angeboten. Man benutzte aber stattdessen einen jüdischen Titel, mit dem bspw. bei Ezechiel der künftige Herrscher bezeichnet wird.531 Scheschbazzar erhält die Kultgeräte offenbar bereits in dieser Funktion. Der König scheint also anders als in der aramäischen Tempelbauchronik dort von vornherein mit Scheschbazzar als jüdischem Repräsentanten in Kontakt zu treten, während er ihn in Esr 5,14 erst zu einem Repräsentanten macht. Aufgrund des Bezuges auf Juda als Stamm in der Bezeichnung ‫נשיא‬ ‫ ליהודה‬ist ein Zusammenhang mit dem Buch Numeri wahrscheinlich, wo für jeden Stamm ein „Fürst“ erwähnt wird (vgl. Num 1f.; 7 [passim]). Für jüdische Adressaten ist dieser Zusammenhang ein Signal dafür, dass mit Scheschbazzar ein potenzieller jüdischer Herrscher im Blick ist. 532 Denn der ‫ נשיא‬für Juda ist nach Num 2,3 ein gewisser Nachschon, der in Ruth 4,20 in der Genealogie Davids auftaucht. Der persische König – so wird damit angedeutet – respektiert die judäische Herrschertradition. Das passt zum Kontext des Kyrosedikts, wo Kyros ja nicht nur die weltgeschichtliche Bedeutung Jhwhs bestätigt, sondern auch die besondere Rolle Jerusalems.533

531

Vgl. Ges18, 853. So schon Meyer, Entstehung, 75. Zur Terminologie allgemein vgl. Weinberg, Chronist, 90f., der allerdings im Vordergrund auch die religiöse Konnotation sieht. Japhet, Sheshbazar, 83, stellt lediglich fest, „that some kind of leadership is intended“ und der Titel „can easily be understood as referring to a descendant of the House of David“ (ebd., 95), doch schließt sie nach einer Diskussion der Semantik: „It may well be that in this title we have a unique attempt to find a Hebrew equivalent for the Aramaic ‚peḥa‘ (governor), an attempt which does not recur.“ Sacchi, History, 60, gibt ‫ לששבצר הנשיא ליהודה‬mit „to Sheshbazzar the vassal king of Judah“ wieder. Doch begründet er diese weitgehende Interpretation nicht hinreichend. Er stellt lediglich fest: „Sheshbazzar, son of Jehoiachin, was on the throne of Judah as vassal king when Cyrus occupied Babylon, in Ezra 1.8 he is mentioned as naśi of Judah; this expression must be understood in its technical sense: ‚vassal king of Judah‘“ (ebd.). Dies beruht auf der Interpretation von 2Kön 25,27, wonach Jojachins Titel als König von den Babyloniern mit seiner Freilassung bestätigt worden sei. Vgl. ebd., 56. Dass sich dies bis in die persische Zeit nicht verändert haben soll, ist ebenso Spekulation wie die Schlussfolgerung aus der Freilassung, Jojachin sei Vasallenkönig geblieben. Für die persische Zeit ist wichtig, dass Serubbabel in Haggai und Sacharja als ‫פחה‬ erscheint und auch in der aramäischen Tempelbauchronik von den persischen Autoritäten nicht wie im Erzähltext von einem ‫ נשיא‬oder König, sondern von der Einsetzung Scheschbazzars zum ‫( פחה‬Esr 5,14) und vom ‫( פחת יהודיא‬Esr 6,7) die Rede ist. Darauf weist auch Meinhold, Serubbabel, 195, hin. Die Gegenüberstellung mit Serubbabel und der Gebrauch des ‫נשיא‬-Titels zeigen, dass man die Weiterexistenz der davidischen Dynastie und zugleich auch deren Bedeutung aufzeigen will. Dies widerspricht der Sicht von Rudolph, Chronikbücher, XXIII; Myers, I Chronicles, lxxxv; Japhet, Ideology, 385, und Knoppers, I Chronicles, 98, dass im Esra-Nehemia-Buch die davidische Dynastie keine Rolle spielt. 533 Siehe dazu oben, 36f. 532

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Die Bezeichnung von Scheschbazzar als ‫ נשיא‬dient auch der inhaltlichen Klärung von Aussagen aus der aramäischen Tempelbauchronik. Der Beamte mit dem babylonischen Namen, dessen Identität aufgrund der Formulierung ‫( ששבצר שמה‬Esr 5,14) im Brief des Tattenai hinterfragt wird,534 erscheint mit der Bezeichnung ‫ הנשיא ליהודה‬als Judäer. Bezieht man ein, dass die Liste in Esr 2//Neh 7 ursprünglich zur aramäischen Tempelbauchronik gehörte, so könnte das Handeln des als Tirschata 535 bezeichneten Statthalters eine Rolle gespielt haben. Denn dieser entscheidet hinsichtlich der Priester mit unklarer Herkunft, dass diese keine Anteile aus den Abgaben essen dürften, bis ein Losorakel darüber entscheide. Ohne Zweifel wird die Ehrenbezeichnung an der ursprünglichen Stelle der Liste den Statthalter und daher Scheschbazzar bezeichnet haben. Zusammen mit der religionspolitischen Entscheidung, die als Hinweis für seine jüdische Identität aufgefasst werden konnte, hat die Ehrenbezeichnung also möglicherweise zur Verwendung des ‫נשיא‬-Titels beigetragen.536 So klärt sich im übrigen die Unsicherheit bei der Frage, wen der Titel Tirschata in Esr 2,63 bezeichnet. Ursprünglich zielte er auf Scheschbazzar, doch durch die Rekontextualisierung der Liste mit Voranstellung Serubbabels bezeichnet sie nun diesen und unterstreicht so die vom Verfasser der Komposition intendierte Identifikation der beiden Figuren. Dazu wird zusätzlich beigetragen haben, dass in der aramäischen Tempelbauchronik der Statthaltertitel auf Scheschbazzar (Esr 5,15: ‫ ;די פחה שמה‬6,7: ‫ )פחת יהודיא‬angewendet wurde, während in Hag 1,1.14; 2,2.21 Serubbabel als ‫ פחת יהודה‬bezeichnet wird.537 Auch an diesem Punkt ist das Interesse der Komposition deutlich, zwischen aramäischer Tempelbauchronik und den Büchern Haggai und Sacharja zu harmonisieren. Durch die Rekontextualisierung der Aussagen über Scheschbazzar in Esr 1,8 werden Informationen gegeben, die über das hinausgehen, was Tattenai in seinem Brief an den König weitergibt: Während jener die Aussage der Ältesten, dass Scheschbazzar zum Statthalter eingesetzt worden sei, wiedergibt und zugleich anzweifelt, ist dieser nun auf der Erzählebene bereits als Judäer und als Fürst des Stammes Juda bekannt, und man kann so schlussfolgern, dass er Davidide ist.538 Doch nicht nur die Leser wissen – durch die Siehe dazu oben, 133. Zum Titel siehe oben, 70. 536 Dabei konnte man sich auf das Konzept der Chronik stützen, nach der sich David selbst um die Ordnungen der Priester und Leviten kümmerte. 537 Vgl. zur politischen Implikation der Haggaistellen Meinhold, Serubbabel, 199. 538 Dies vermutete auch schon Freedman, Chronicler’s Purpose, 439. Procksch, Fürst, 132, hatte noch überlegt, ob Ezechiels Konzept von Scheschbazzar als „Repräsentant der davidischen Dynastie“ abhängig sei. Die alte These, dass die Davididen zunächst politisch relevant gewesen seien, dann aber von der Priesterschaft zurückgedrängt worden wären 534 535

198 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Voranstellung von Esr 1,8 – um die besondere Würde der Person. Es wird vielmehr unterstellt, dass auch Kyros selbst darum gewusst hat, auch wenn dies später in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Es ist angesichts dessen erklärlich, dass Serubbabel anders als Scheschbazzar in Esr 5f. nirgends explizit mit der für ihn sicher als bekannt vorausgesetzten persischen Funktion ‫ פחה‬bezeichnet wird.539 Die Kontextualisierung deutet also, ohne dies auszuformulieren, eine personale Kontinuität der Herrschaft über Juda und die Bestätigung von entsprechenden judäischen Ansprüchen durch Kyros an. Die mit dem Davididen verbundenen Hoffnungen, die sich in Hag 2 und Sach 4 finden, werden auf den jüdischen Repräsentanten der Zeit des Kyros übertragen. Esr 1,8 hat zugleich die Funktion, zwischen Scheschbazzar und Serubbabel zu vermitteln. Entscheidend ist, dass abgesehen von Esr 5,16 in Esr 1–6 nicht davon die Rede ist, dass Scheschbazzar den Tempelbau begonnen hat. Esr 5,16 unterstellt, dass seit Scheschbazzar gebaut wurde, doch in Esr 2–4 wird dargestellt, dass der Tempelbau unter Serubbabel begonnen habe und danach unterbrochen worden sei. Man liest ausgehend von Esr 2,2 immer wieder von Serubbabel. Der Name muss also als Signal verstanden werden, denn Serubbabel taucht auch in der Genealogie der Davididen in 1Chr 3 auf. Außerdem werden mit ihm im Haggai- und Sacharjabuch (Hag 2,23; Sach 4,6ff.) weitreichende Hoffnungen verbunden. Diese beiden Zusammenhänge gehören zum literarischen Horizont des Esra-Nehemia-Buches, doch waren Haggai und Sacharja, wie in der Rahmung der aramäischen Tempelbauchronik erkennbar war, bestimmend, was auch an der Nennung von Serubbabels Vater Schealtiel erkennbar ist.540 Die beiden unterschiedlichen literarischen Zusammenhänge zeigen aber, dass er auch unabhängig von einer Textkenntnis bei den intendierten Adressaten als bekannt vorausgesetzt sein dürfte. Die einmalige Erwähnung Scheschbazzars wird also von einer übergreifenden Erwähnung Serubbabels begleitet, und das Gegenüber der beiden Personen wird außerdem in die aramäische Tempelbauchronik eingetragen, indem nun auch dort in Esr 5,1f. Serubbabel als maßgeblicher Tempelbauer erscheint. Was dort konkret der Harmonisierung mit den Inhalten von Haggai und Sacharja dient, bewirkt im näheren Kontext das eigentümliche Gegenüber zu Scheschbazzar in Esr 5,16. Das gleiche Gegenüber wird im Gesamtkontext durch dessen Erwähnung in Esr 1,8 erzeugt. (vgl. ebd., 132f.) kehrt bei Sacchi, History, 60.65, wieder, der Scheschbazzar und Serubbabel als Könige Judas ansieht. Zur dieser These vgl. oben, 196, Anm. 532. 539 Dafür spricht die Rezeption von Haggai und Sacharja, aber auch, dass Serubbabel in Neh 12,47 neben Nehemia gestellt wird. Lediglich der Befehl des Darius, dass der Statthalter der Juden allein für den Bau verantwortlich sein soll, ist durch die Kontextualisierung in Esr 5,1f. auf Serubbabel zu beziehen. 540 Siehe dazu oben, 161.

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Denn obwohl man Scheschbazzar auf das Kyrosedikt hin in das Land ziehen lässt, steht Serubbabel in 2,2 zusammen mit Jeschua an der Spitze der Rückkehrer und beginnt in Esr 3 mit dem Tempelbau. Ein zweimaliges Nebeneinander der beiden Personen kann nicht auf eine Unachtsamkeit des Verfassers oder eines Kompilators zurückgehen. Dass es also nicht einfach ein Widerspruch mit literarkritischer Relevanz ist, dafür sprechen folgende Überlegungen: In Esr 3,6 wird ausdrücklich festgestellt, dass der Tempel bis nach dem Laubhüttenfest noch nicht gegründet war. Die kurze hebräische Notiz kontrastiert die spätere aramäische Notiz (Esr 5,16), dass Scheschbazzar den Tempel gegründet habe. Außerdem wird Scheschbazzar mit der Bezeichnung als ‫„ נשיא‬Fürst“ an Serubbabel herangerückt. Man versieht ihn mit dem Nimbus des Davididen, den Serubbabel in den Büchern Haggai und Sacharja hat, was dort zu politischen Hoffnungen führt541 und in der Chronik (1Chr 3,19) auch genealogisch dargestellt wird. Wenn der Verfasser von Esr 1 den Widerspruch zwischen Tattenais Brief und der Erzählung unterstreicht und Serubbabel mit einem ähnlichen Nimbus versieht, wusste er also, was er tat. Offenbar wollte (oder konnte) er weder den Informationen aus Haggai/Sacharja noch aus der aramäischen Tempelbauchronik den Vorzug geben. Doch was hat er mit seiner eigentümlichen doppelten Kontextualisierung im Sinn? Die intendierten Adressaten mit dem Hintergrundwissen aus Haggai und Sacharja und der aramäischen Tempelbauchronik hatten theoretisch zwei Interpretationsmöglichkeiten: Sie konnten die Aussage des Tattenai für zutreffend halten oder aber darin eine Fehlinformation des Persers sehen.542 Sah man Haggai und Sacharja als zuverlässige Quelle an, dann konnte man wiedererkennen, dass Serubbabel Statthalter war und den Tempelbau begonnen hatte. Im Rückblick von der aramäischen Tempelbauchronik müsste man dann Scheschbazzar und Serubbabel für zwei Namen ein und derselben Person halten. Die Formulierungen im Brief des Tattenai ‫ששבצר‬ ‫ שמה‬und ‫ ששבצר דך‬weisen dann lediglich auf ein Namensproblem hin. Im anderen Fall müsste man annehmen, dass Scheschbazzar als ein erster Statthalter nur die Tempelgeräte hinaufgebracht hat, die (anderen) Rückkehrer wären unter der Führung Serubbabels (Esr 2,2) gekommen, der offenbar danach Statthalter geworden wäre. Die Formulierungen ‫ ששבצר שמה‬und Vgl. Lux, Der Zweite Tempel, 136f. M.E. ist die andere Konzeption von 1Esdras Zeugnis dafür, dass der Verfasser von Esr 1–6 keine eindeutige Formulierung gewählt hat, denn dort versucht man das Problem zu klären. Siehe dazu unten, 201, Anm. 548. Nach Donner, Geschichte, 442, war „den Ältesten […] daran gelegen, den Satrapen glauben zu machen, daß Kyros den inkriminierten Tempelbau nicht nur angeordnet hatte, sondern daß auch wirklich etwas geschehen war“. 541

542

200 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) ‫ ששבצר דך‬in Tattenais Brief würden so als Missverständnis der Ältesten oder Tattenais über den Baubeginn verstanden.543 Beide Interpretationen wären grundsätzlich möglich. Nicht möglich dagegen ist es, Esr 5,16 (wie in der zuvor unabhängigen Tempelbauchronik) mit der Erwähnung Scheschbazzars beim Tempelbau gegen Esr 3 (Serubbabel) den Vorzug zu geben. Denn Serubbabel wird dort auf der Erzählebene erwähnt, während Scheschbazzar nur im Schreiben Tattenais vorkommt, welches auf den mündlichen Informationen der Ältesten beruht. Die Diskussion der Forschung über Identität bzw. Nicht-Identität von Serubbabel und Scheschbazzar kreist somit um die harmonisierende Tätigkeit des Autors von Esr 1–6,544 der zwei unterschiedliche Informationen hatte, die er nicht prüfen konnte und die offenbar beide nicht nur vertretbar, sondern bei den intendierten Adressaten bekannt waren. Auf die Rückfrage nach dem historischen Hintergrund muss aufgrund dessen verzichtet werden.545 Sie ist in einem literarischen Text, in dem Informationen aus unterschiedlichen literarischen Quellen zusammengeflossen sind, aussichtslos. Trotz der beiden Interpretationsmöglichkeiten deutet sich an, dass der Verfasser von Esr 1–6 eine Identifikation der beiden Figuren im Sinn hatte.546 Zunächst einmal dient ja die Einfügung und Betonung von Serubbabel (und Jeschua) der Harmonisierung der aramäischen Tempelbauchronik mit den Inhalten aus Haggai und Sacharja. Die Figurierung Scheschbazzars als Repräsentant des Stammes Juda und als möglicher Davidide ist dafür ein deutliches Zeichen. Ebenso aussagekräftig ist, dass Serubbabel in Esr 2,2 an der Spitze der Zwölferliste, die Israel repräsentiert, platziert worden ist.547 543 Die ältere Forschung hat das Problem bereits gesehen und mit der Quellenverarbeitung argumentiert. So setzte Schrader, Dauer, 480, voraus, dass es sich um ein und dieselbe Person handelte, die aber in den unterschiedlichen Quellen unterschiedlich benannt war. 544 Lust, Zerubbabel, 93, hält dies zumindest für möglich. Gunneweg, Esra, 49, meint, der Verfasser der Komposition habe die beiden Figuren identifiziert. 545 Rothenbusch, Abgesondert, 83, hat zuletzt als Ziel der Exegese angesichts der Probleme beim Gegenüber von Serubbabel und Scheschbazzar ausgegeben, „[e]ine Harmonisierung des Wirkens von Scheschbazzar und Serubbabel [sei] auf der Grundlage von Esra 1–6 nicht möglich“, sondern nur „die Glättung einer überlieferungsgeschichtlichen Spannung“. Doch bezweifle ich, dass ein so dezidiertes Nebeneinander zweier Namen zufällig zustande gekommen sein kann. Daher muss die Exegese das Ziel verfolgen, die Konzeption herauszuarbeiten, aufgrund derer die Probleme präsentiert werden. 546 Ich folge damit in etwas abgeschwächter Form aufgrund der Berücksichtigung der verarbeiteten Vorlagen der These von Gunneweg. Rothenbusch, Abgesondert, 83, schließt mit dem Hinweis auf das Fehlen eines positiven Hinweises „auf die Personengleichheit“ eine Identifikation aus. Ein solcher Hinweis findet sich deswegen nicht, weil sich der Verfasser offenbar nicht endgültig festlegen konnte. 547 Vgl Num 2,3 und Num 10,14, wo jeweils Juda mit Nachschon als ‫ נשיא‬das Lager um die Stiftshütte und den Aufbruch anführt. Dass Serubbabel als bekannter Davidide an

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Die Rezeption vollzieht sich entsprechend so, dass nach der Nennung des unbekannten Davididen Scheschbazzar548 der bekannte Davidide Serubbabel dominiert. So wird aufgrund des Nebeneinanders und der ähnlichen Figurierung zunächst die Nähe der beiden Figuren deutlich. Zudem sind sowohl ‫ ששבצר‬als auch ‫ זרובבל‬babylonische Namen. In Esr 5,14 erfährt der Leser danach, dass Scheschbazzar zum Statthalter eingesetzt wurde. Wenn der Leser im späteren Kontext im Brief des Tattenai auf die Information der Ältesten stößt, dass es Scheschbazzar gewesen sei, der den Tempel gegründet habe, legt es sich ihm nahe, die beiden Davididen zu identifizieren. Ohne dass eine endgültige Lösung bei diesem Vermittlungsversuch favorisiert wäre, wird die Identifikation doch nahegelegt. Diese relative Offenheit der Komposition von Esr 1–6 spricht dafür, dass die Nebenbemerkungen bei der Nennung von Scheschbazzar in der Tempelbauchronik bereits vorlagen549 und als Vermittlungshilfe stehen gelassen wurden. So konnte der Verfasser das Hauptgewicht auf den Namen Serubbabel legen und den Büchern Haggai und Sacharja folgen, aber die Aussagen der rezipierten aramäischen Tempelbauchronik beibehalten. der Spitze der Liste steht, spricht gegen die Annahme von Kratz, Komposition, 64, dass die in Esr 2,2 erwähnten Namen zusammen mit ‫„ ששבצר‬die Zahl der zwölf Stämme Israels verkörpern“. 548 Auffällig ist in 1Chr 3,18 die Existenz des Davididen ‫שנאצר‬. Dies wird schon von Meyer, Entstehung, 77, zur Identifikation der beiden genutzt. Nach ihm agieren in der frühen Perserzeit zwei Davididen. 1Chr 3,18 wurde schon von 1Esdr 2,11 rezipiert, indem nicht mehr von Scheschbazzar, sondern mit Σαναβάσσαρος offensichtlich von ‫ שנאצר‬gesprochen wurde. 1Esdras entwickelt allerdings ein völlig anderes Konzept. Es unterscheidet zugleich eine Rückkehr unter Serubbabel von jener unter Sanabassaros. Jene unter Serubbabel kann schon deswegen nicht eher geschehen, da dieser ja entsprechend der Pagenerzählung am Hof des Darius anwesend ist. Die Harmonisierung wird im Brief des Tattenai damit abgeschlossen, dass in 1Esdr 6,17 die Geräte sowohl Sanabassaros als auch Serubbabel ausgehändigt werden. Sanabassaros allein zieht zurück und legt die Grundsteine (ἐνεβάλετο τοὺς θεμελίους τοῦ οἴκου κυρίου). Davon wird die Gründung des Tempels in 1Esdr 5,55 terminologisch (καὶ ἐθεμελίωσαν τὸν ναὸν τοῦ θεοῦ) unterschieden. Die auch von Josephus rezipierte Identifikation des ‫ שנאצר‬mit ‫ ששבצר‬in 1Esdr von der Sacchi, History, 60, schreibt „It is difficult not to make the connection with Sheshbazzar of the book of Ezra“ wird in der Hebräischen Bibel nicht vermittelt. Ein noch einmal anderes Konzept der Vermittlung bietet Josephus (gegen die Annahme von Sacchi, ebd., Josephus folge 1Esdras). Josephus folgt offensichtlich bei der Wiedergabe des Namens mit Ἀβέσσαρος nicht 1Esdras. Außerdem gleicht Josephus insofern aus, als er diesen als Statthalter von Phönizien und Syrien und gerade nicht in einer jüdischen Funktion auftreten lässt. Die unterschiedlichen Lösungsversuche von 1Esdras und Josephus zeigen, dass der Autor von Esr 1– 6 mit seiner Bemerkung in Esr 1,8 letztlich das Gegenüber von Scheschbazzar und Serubbabel nicht endgültig klären konnte. Aufgrund der Etymologie handelt es sich aber nach Berger, Namen, 99f., um zwei unterschiedliche Namen (bestätigt aufgrund eines Textzeugnisses durch Dion, ‫)ששבצר‬. 549 Vgl. dazu, oben 139.

202 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Diese Vermittlung durch die intendierte Identifikation der beiden Figuren bewirkt außerdem, dass Serubbabel als von Kyros eingesetzter Statthalter von Darius bestätigt wird. Denn in Esr 6,7b wird determiniert auf den Statthalter der Judäer verwiesen (‫)פחת יהודיא‬, der zusammen mit den Ältesten der Judäer die Verantwortung für den Tempelbau haben soll. Die Diskussion um eine frühzeitige Abberufung550 Serubbabels erübrigt sich entsprechend. Man hat ihn der Erzählung in Esr 1–6 deswegen zugrunde gelegt, weil er in Haggai und bei Sacharja am Anfang des Tempelbaus und in seinem Verlauf eine wesentliche Rolle spielt. Für den Abschluss des Tempelbaus hatte man keine anderen Informationen als jene der aramäischen Tempelbauchronik, und da kam er nicht vor, sodass er auch nicht mehr erwähnt wurde. b) Die „Rückkehr“ der Kultgeräte Der Liste der Kultgeräte liegt wahrscheinlich kein eigenständiger Quellentext zugrunde. Dagegen spricht vor allem, dass sie nicht aus der aramäischen Tempelbauchronik entnommen worden sein kann. Denn dort spielt die Rückgabe der Tempelgeräte nur eine untergeordnete Rolle. Dass sie in Esr 1 mit Scheschbazzar verbunden ist, beruht lediglich auf der Notiz in Esr 5,14. Bei der Ausformulierung der Informationen aus der aramäischen Tempelbauchronik hat man eine personale Vermittlung eingeführt und versucht, die Szene durch die Zufügung von Einzelheiten realistischer erscheinen zu lassen. Die Einfügung der Liste hängt mit dieser Absicht zusammen. Offenbar wollte man die Kultgeräte mit der Liste zu einem eigenen Aspekt bei der Restitution machen. Allerdings enthält die Liste nichts, was auf den vorexilischen Tempel zurückführen könnte.551 Das weist darauf hin, dass man am Zweiten Tempel wohl zur Abfassungszeit – abgesehen vom Ort des Tempels selbst – nichts vorzuweisen vermochte, was in einer direkten Kontinuität mit dem Ersten Tempel stand.552 Der aramäischen Tempelbauchronik ging es um die Legitimität des Tempels und seiner Privilegien. Da die aramäische Tempelbauchronik nichts Spezifisches enthielt und wohl auch bei den intendierten Adressaten als bekannt vorausgesetzt ist, dass die spezifischen Tempelgeräte verloren gegan550 Angeführt wird dafür in der Regel, dass er in Esr 6,13–22 nicht mehr auftaucht. Vgl. zuletzt Hieke, Esra-Nehemia, 106. Vorsichtig formuliert es Meinhold, Serubbabel, 210: „Vielleicht stellt das Fehlen Serubbabels bei der Einweihung des Zweiten Tempels bereits einen Hinweis darauf dar, dass mit einem Verzicht auf ein judäisches Vasallenkönigtum das davidische Element selbst und gerade bei den Statthaltern allmählich, aber sicher, zurückgedrängt wurde.“ 551 Vgl. die Diskussion des Abschnittes oben, 183f. 552 Man hätte eine Kontinuität zu den spezifischen Geräten, die in 1Kön 7,48ff. erwähnt werden, herstellen können. Siehe oben, 183f.

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gen waren, kreiert man eine Liste mit Gegenständen, die in spätnachexilischer Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich am Zweiten Tempel existierten. Diese sollen eine Kontinuität unterstreichen, die in Wirklichkeit nicht vorhanden war, und zugleich die große Bedeutung des Tempels und seines Reichtums aufzeigen, die er bei der Abfassungszeit hatte.553 Mit der Liste (Esr 1,9–11) wird dasselbe Ziel verfolgt wie mit der Erwähnung Scheschbazzars in Esr 1,8.11. Es wird in Anschluss an das Kyrosedikt in Esr 1 der Anschein erweckt, als verfüge man über detailliertere Informationen, als sie in der bei den intendierten Adressaten als bekannt vorausgesetzten aramäischen Tempelbauchronik enthalten sind. Die Behauptung der Ältesten erscheint im Licht von Esr 1 für die Leser von vornherein glaubwürdig, weil scheinbar zwei unabhängige Quellen zur selben Sache vorliegen, während auf der Figurenebene Tattenai den König darum bitten muss, die Angaben der Ältesten zu überprüfen. c) Die Funktion der Bevölkerungsliste (Esr 2) Die Liste in Esr 2 muss aus der Tempelbauchronik stammen, denn dort wird nach den Akteuren beim Tempelbau und den Verantwortlichen gefragt und mitgeteilt, dass die abgefragten Informationen in schriftlicher Form an den König weitergeleitet worden seien.554 Dafür sprach, dass dem als Rückkehrerliste präsentierten Abschnitt in Esr 2 eine Bevölkerungsliste zugrunde liegt, die offensichtlich ursprünglich bereits mit dem Tempelbau verbunden war. Mit ihrer Wiedergabe in ihrem jetzigen Kontext verfolgt man das Ziel, die am Bau Beteiligten und für ihn Verantwortlichen aus Esr 5f. als Rückkehrer aus dem Exil erscheinen zu lassen. Die ursprüngliche Intention wurde dabei abgewandelt: 1. Während in ihr die Rückkehr und die Rückkehrer keine dominierende Rolle spielten, werden die aufgelisteten Personen in Esr 2 durch die Rahmung als Rückkehrer präsentiert. 2. Während dem Tempelbau in der Liste ursprünglich die entscheidende Rolle zukam, scheint er nun zunächst zurückzutreten. Denn der Tempelbau beginnt erst Esr 3,8. In der Überschrift zeigt sich eine vermittelnde Absicht. Man sucht von dem ursprünglichen Schwerpunkt der Liste zu der veränderten Konzeption hinüberzulenken, indem man von der Bewohnerschaft der Provinz, die zurückgekehrt ist, spricht. Innerhalb der Liste hatte sich aufgrund der Zahlenangaben ergeben, dass an den Stellen Kürzungen vorgenommen worden sein müssen, die der Neuausrichtung widersprachen. Trotz der Kürzungen am Schluss, die besonders im Zusammenhang des Tempels standen, ist be553 Darüber hinaus hat die Liste die Funktion, einen Bezug zur vorexilischen Zeit herzustellen, was sie mit Esr 7,1–6 verbindet. Vgl. dazu zusammenfassend unten, 389. 554 Zur Begründung siehe oben, 177ff.

204 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) einflusst durch die Vorlage der ursprüngliche Charakter erkennbar geblieben.555 Zur Präsentation als Rückkehrerliste in ihrem jetzigen Kontext gehört, dass Serubbabel und Jeschua an die Spitze der Liste gesetzt worden sind. 556 Der direkte Anschluss an das Kyrosedikt unterstreicht den konzeptionellen Zusammenhang. Von Esr 2 herkommend muss der antike Leser die Liste in Esr 5 nicht vermisst haben. Er hätte problemlos erschließen können, dass die jetzt in Esr 2 zitierte Liste später unter Tattenai an den König weitergereicht wurde, da der Zusammenhang mit Jerusalem und dem Tempel nachvollziehbar ist und Repräsentanten erwähnt werden. Dies ist sicher solange der Fall gewesen, wie die Liste aufgrund der ursprünglich parallelen Existenz in der Vorlage der aramäischen Tempelbauchronik noch bekannt gewesen ist.557 Da sie wichtige Gruppen des nachexilischen Judentums auf deren Repräsentanten zurückführte, dürfte eine Kenntnis der Namen oder zumindest einer Fülle der Namen bei den intendierten Adressaten vorausgesetzt sein. Die intendierten Adressaten konnten sich im Blick auf die Liste mit der Bevölkerung des frühnachexilischen Juda in eine Beziehung setzen und dies spannenderweise auch dann, wenn man keiner der Sippen angehörte, da die Liste ja auch den Umgang mit Personen regelte, die ihre Herkunft nicht bestimmen konnten.558 Mit der kompositionellen Verschiebung der Rückkehrerliste und ihrer Überschrift scheint ein Kohärenzproblem im Gegenüber zu Esr 1,5 zu entstehen. Nach der Überschrift in Esr 2,1f. handelt es sich bei den aufgelisteten Personen um Rückkehrer, die aber mit dem Tempelbau verbunden sind. An deren Spitze die Anzahl von elf bzw. zwölf Personen. Dies lässt sich mit Esr 5f. noch verbinden. Denn in Esr 5,4 wird nach den Leuten gefragt, die den Bau ausführen. Doch nach Esr 5,10 soll auch nach den Verantwortlichen an der Spitze gefragt worden sein. Das scheint mit Esr 1,5 in einer Spannung zu stehen. Denn dort ist nur davon die Rede, dass die Häupter der Vaterhäuser von Juda und Benjamin hinaufziehen (Esr 1,5). Dies wiederum blickt auf die Rolle der Ältesten beim Tempelbau in Esr 5f. voraus. Die Vgl. oben, 58ff. Durch die Erwähnung von Serubbabel und Jeschua (parallel zu Esr 3,2; 4,2; 5,2) wird die Liste Teil des übergreifenden Zusammenhangs von Esr 1–6. Dass der Statthalter und der Hohepriester gemeinsam eine Liste anführen, wiederholt sich in der Unterschriftenliste in Neh 10,2. Dort wird Nehemia zudem als Tirschata bezeichnet. Eine Person mit diesem Titel begegnet auch in Esr 2,63//Neh 7,65.69 (vgl. auch Neh 8,9). Siehe dazu oben, 195, und zum Zusammenhang von Esr 2//Neh 7 und Neh 10 unten, 336ff. 557 Die Übereinstimmungen der Namen zwischen Esr 2//Neh 7 und den anderen Namenslisten des Esra-Nehemia-Buches unterstreichen dies. 558 Siehe dazu oben, 77ff. 555 556

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Liste selbst aber nennt eine große Zahl von demgegenüber scheinbar zusätzlichen Personen bzw. Gruppen. Interessanterweise hat 1Esdras dies als Widerspruch aufgefasst und daher die beiden Rückkehrerwellen dargestellt, jene unter Scheschbazzar (1Esdr 2,7ff.) und jene unter Serubbabel (1Esdr 5,7ff.). Bezieht man allerdings die Grundstruktur von Esr 2 ein, so ergibt sich eine Lösung. Denn in der Liste ist übergreifend von Sippen die Rede (2,3ff.), und das führt letztlich zu den Häuptern der Vaterhäuser, die in Esr 1,5 erwähnt werden. Zudem werden zuletzt noch die ‫ ראשי האבות‬in Esr 2,68f. (vgl. Neh 7,69) mit ihren Gaben für den Tempel genannt. Aufgrund dessen ist die Erwähnung der Rückkehr der Häupter der Vaterhäuser in Esr 1,5 als Vermittlungsversuch zu interpretieren, der zur Liste hinführt. Der direkte Zusammenhang wird durch Esr 1,11b hergestellt, wo festgestellt wird, dass Scheschbazzar die Geräte mit der Rückkehr der Gola nach Jerusalem gebracht habe. Der Aufbruch der Häupter der Vaterhäuser gilt also als Rückkehr der Gola, und diese entspricht der nachfolgenden Rückkehrerliste. Die einfachste Erklärung dessen ist, dass die Häupter der Vaterhäuser, also wohl die Ältesten nach Esr 5f., die Angehörigen ihrer Sippen nach sich ziehen. Dass dies das harmonisierende Konzept korrekt beschreibt, ergibt sich aus Esr 8.559 Dort werden wiederum Sippen aufgelistet, doch nach Esr 8,15 stellt Esra fest, dass keine Leviten vertreten sind. Seine Anstrengungen, Leviten zu gewinnen, sind erfolgreich, und die Leviten werden danach wiederum in einer äquivalenten Weise aufgeführt, indem Repräsentanten von levitischen Gruppen genannt werden (Esr 8,18–20). Daraus geht einerseits hervor, dass die Sippenangehörigen nicht (ausschließlich) als leibliche Nachfahren einer Person verstanden sind und dass die Rückkehr nicht individuell, sondern in der größeren Gruppe der Sippe gedacht ist. Die Sippenhäupter – so gibt Esr 1,5 vor – machten sich von Jhwh angeregt auf den Weg und zogen ihre Gruppen (zumindest teilweise) nach, was zu einer massenhaften Rückkehr mit dem Ergebnis der jüdischen Besiedelung (‫ )אלה בני המדינה‬der Provinz führte. Diese Bevölkerung ist es, die in Esr 5f. den Tempel baut. Als Verantwortliche wurden die Sippenhäupter (Ältesten) gesehen. Außerdem gibt es Repräsentanten, die an der Spitze stehen. Die Versetzung der Bevölkerungsliste an den Anfang der nachexilischen Zeit als Rückkehrerliste hat also bewirkt, dass der Tempelbau, der auch nach Esr 5,13–16 angeblich unter Kyros begonnen hat, von denselben Personen, die zur Zeit des Darius bauten, vollzogen wurde. Doch sind diese in der jetzigen Konzeption alle unmittelbar davor aus der Gola gekommen. Die Verlagerung nach vorn bewirkt eine personale Konstanz der Handlungen in Esr 1–6 von der Rückkehr bis zur Einweihung des Tempels. Orientie559

Siehe dazu die Interpretation der Unterschiede von Esr 8 und Esr 2 unten, 275f.

206 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) ren konnte man sich bei der Formulierung der Konzeption von Esr 1–6 einerseits an der Notiz in Esr 5,16, dass man „seitdem baute, und [der Bau] noch nicht fertiggestellt“ sei, und andererseits an der Bezeichnung des Volkes als ‫ בני גלותא‬in Esr 6,16. d) Die Überleitung zur aramäischen Tempelbauchronik (Esr 3f.) Die Überleitung von der Rückkehr des Volkes Esr 2 zur aramäischen Tempelbauchronik (Esr 5f.) wird durch zwei Textabschnitte realisiert, die die Zeit von Kyros bis Darius überbrücken. Es handelt sich um Altarbau und Baubeginn (Esr 3) und den Abschnitt über die Bauunterbrechung (Esr 4). Die Erwähnung Serubbabels und Jeschuas in Esr 3 und 4 als Protagonisten wie in der Exposition der aramäischen Tempelbauchronik lässt erkennen, dass diese Abschnitte ebenfalls der Überleitung dienen. In Esr 3 wird der Zusammenhang dadurch hergestellt, dass sofort nach der Rückkehr vom Bau des Altars und der Einrichtung des Kultes berichtet wird. Beides geschieht in der aramäischen Tempelbauchronik nicht und wird dieser entsprechend in Esr 3 vorangestellt. Altar und Kult sind nötig, damit die kultischen Feste des siebenten Monats vollzogen werden können, was für das Laubhüttenfest besonders ausgeführt wird. Die Einrichtung des Kultes und besonders die Opfer am Laubhüttenfest dokumentieren, dass Jerusalem der Ort des Zentralheiligtums ist. Da bei den Wallfahrtsfesten nach den Vorschriften der Tora das ganze Volk anwesend sein soll und dies nach Esr 3,1b der Fall ist, bestätigt die Anwesenheit des Volkes die Legitimität Jerusalems und umgekehrt die exklusive Beziehung der Rückkehrer zum Ort des späteren Tempels. Der legitimatorische Charakter dessen wird bei der Angabe des Grundes für den sofortigen Altarbau angedeutet. Ohne weitere Einzelheiten heißt es, dass man den Altar aus „Furcht vor den Völkern des Landes“ baut (3,3aβγ), was sich später als Vorverweis auf die in Kap. 4 berichteten Anfeindungen herausstellt. Der Beginn des Tempelbaus nimmt die Einweihungsfeier in komplementärer Weise vorweg. Die Baueröffnung wird aus der Notiz der aramäischen Tempelbauchronik aufgenommen, dass man seit der Zeit des Kyros gebaut habe (Esr 5,16b). Die Feier der Baueröffnung manifestiert die Wende zum Heil. Dieser Aspekt und die Anwesenheit von Personen, die den Ersten Tempel noch gesehen haben, gehen auf Hag 2 zurück. Schon der begonnene Tempelbau dient also dazu, die Zeitenwende anzuzeigen, auch wenn sich in Esr 3,3 Probleme andeuten. Kap. 3 erstellt demnach mit Altarweihe, Kultbeginn, Wallfahrtsfest und feierlicher Baueröffnung eine Vorstufe des Tempels, auch wenn man nicht daran vorbeikommt, dass erst unter Darius der Tempel fertiggestellt worden ist.

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Esr 4 nimmt das Grundmotiv der Problematisierung des Tempelbaus aus der aramäischen Tempelbauchronik auf. Mit dieser Voranstellung einer Kontrastparallele wird eine längere Bauunterbrechung begründet. An dieser Stelle klärt sich, warum man die Rückkehrerschaft ausgehend von Esr 1 gegenüber der verarbeiteten Quelle der aramäischen Tempelbauchronik so stark betont hat. Offensichtlich hängt das mit einer Auseinandersetzung zwischen Jerusalem und Samaria zusammen. Weil man sich in der Abfassungszeit in einer zuspitzenden Auseinandersetzung mit den Samariern befindet, definiert man Israel nun von den Rückkehrern neu. In diesem Kapitel treffen die Rückkehrer unter Führung Serubbabels und Jeschuas mit Vertretern jener Gegner zusammen. Der Abschnitt nutzt deren Auftreten in doppelter Weise zur Legitimation Jerusalems und zur Delegitimation der kultischen Bestrebungen der Samarier. Der Abschnitt setzt die Rückkehr in Anschluss an das Kyrosedikt voraus und verweist auf das Kyrosedikt zurück, um so die Zurückweisung der Gegner zu begründen, die gekommen sind, um am Tempelbau mitzuwirken. Die Polemik besteht vor allem darin, dass die Gegner sich selbst als Nichtisraeliten vorstellen und sich damit nicht nur die Teilnahme am Tempelbau in Jerusalem verschließen, sondern auch die Legitimität des (aus der Figurenperspektive) späteren Kultplatzes absprechen. Gerade dieser Aspekt zeigt, dass der Text keine konkreten Auseinandersetzungen beim Tempelbau im Blick hat und auch nicht der direkten Auseinandersetzung mit den Samariern dienen kann.560 Der Abschnitt hat die Auseinandersetzungen lediglich im Hintergrund und dient der Vergewisserung der mit Jerusalem verbundenen Juden. Allerdings muss man angesichts der Polemik die Frage stellen, wieso die Auseinandersetzung in Kap. 4 ihren Ausgangspunkt bei dem Vorschlag der „Widersacher“, sich am Tempelbau zu beteiligen, nimmt. Warum formuliert man aus der Perspektive der Konkurrenten überhaupt eine solche Frage? Man erwartet von Widersachern eigentlich kein Hilfeangebot.561 Meiner Ansicht nach deutet sich dadurch an, dass im Hintergrund die Kenntnis eines Zusammenwirkens oder zumindest entsprechende Bestrebungen vorausgesetzt sind. Es muss zu einer radikalen Verschlechterung des Verhältnisses 560 Weniger harsche Polemik wurde freilich in der Auseinandersetzung durchaus aufgegriffen wie die gegen die Samarier gerichtete Auslegung von Dtn 27 und 31 in Jos 8,30–35 (vgl. dazu Heckl, Kultstätte). Diese wird in dem Josuabuch der Samaritaner ausformuliert zu einem Legitimationstext. Ironischerweise wird die Aufzeichnung der Tora auf die Steine des Altars aus dem polemischen Abschnitt Jos 8,30–35 übernommen (vgl. Gaster, Josua, 213.502f.), was auch zeigt, dass es sich nicht um eine von Jos (MT oder LXX) unabhängige samaritanische Josuatradition handeln kann. Zur Beurteilung des Textes vgl. Pummer, Samaritans and their Pentateuch, 240f. 561 Siehe dazu oben, 84.

208 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) bis zur Abfassungszeit des Textes gekommen sein.562 Außerdem muss man sich die Frage stellen, warum man den Tempelbau in Jerusalem überhaupt zu legitimieren trachtet und seine Anfänge so früh wie möglich zu datieren sucht. Offenbar konnte man nicht daran vorbei, dass der Tempel nicht sofort errichtet werden konnte. Könnte es sein, dass es in Samaria, also wohl auf dem Garizim, zeitgleich oder vielleicht sogar früher als in Jerusalem kultische Anfänge gegeben hat? Die beiden Überleitungsabschnitte mit der Ausformulierung von Notizen und der Erstellung einer Kontrastparallele dienen damit dazu, aus der Episode des Tempelbaus der aramäischen Tempelbauchronik, die der Begründung einer begrenzten politischen Autonomie der um den Tempel versammelten Gemeinschaft diente, den Tempelbau in Jerusalem zu dem bestimmenden Ereignis der nachexilischen Geschichte Israels zu machen. Die Rückkehrer – so wird behauptet – hätten von Anfang an und allein (ohne die Hilfe der Vertreter der Samarier, die sich als Fremde vorstellen) mit dem Tempelbau eine Wende zum Heil eingeleitet. Der Zweite Tempel wird dadurch zur bestimmenden Institution Israels erklärt. e) Der Epilog Esr 6,19–21 als Schlüssel für die Pragmatik von Esr 1–6 Das Passafest nach der Tempeleinweihung schließt den Erzähltext Esr 1–6 ab. Esr 1 mit dem Kyrosedikt und Esr 2 mit der als Rückkehrerliste rekontextualisierten Einwohnerliste geben für den Gesamttext den personalen Rahmen vor. Allein die Rückkehrer aus den Stämmen Juda und Benjamin sowie Priester und Leviten sind aus der Gola gekommen und haben den Tempel errichtet. Dadurch ergab sich eine Verschiebung des ursprünglichen personalen Konzeptes der aramäischen Tempelbauchronik. Im Epilog werden diese Veränderungen gegenüber der Tempelbauchronik noch einmal unterstrichen, indem in Esr 6,21aα paraphrasierend von den ‫בני ישראל השבים‬ ‫ מהגולה‬gesprochen wird.563 Deutlich wird im Fortgang des Verses, warum man das Handeln der Rückkehrer, das seit Esr 1,5 bestimmend ist, an dieser Stelle noch einmal betont. Denn nun tritt beim Essen des Passas paradoxerweise eine zusätzliche Gruppe zu den Rückkehrern hinzu, von der zuvor noch nicht die Rede war. Da in Esr 6,21 zunächst ‫ בני ישראל‬als übergeordnete Größe am Anfang steht, bilden die Rückkehrer (‫ )השבים מהגולה‬dazu eine Untergruppe. Obwohl von Esr 1,5 klar ist, dass nicht ganz Israel aus dem Exil zurückgekehrt ist, folgt eine zweite aufgezählte Gruppe, sodass bei der Feier des Passas zwei Gruppen nebeneinanderstehen: 1.: ‫ ;בני ישראל השבים מהגולה‬2.: ‫וכל‬ ‫הנבדל מטמאת גוי הארץ אלהם‬. Nach V. Haarmann kommen zu den ‫בני הגולה‬ 562 563

Siehe dazu unten, 410ff. Siehe zur Funktion von Esr 6,21aα oben, 192.

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„laut Esr 6,19–21 bei der Feier des Passa diejenigen hinzu, die sich von der Unreinheit der Völker abgesondert haben“564. Diese sieht er als „JHWHVerehrer der Völker“ an. Es würde sich damit um Nichtisraeliten handeln,565 wobei er sich für die Auslegung der Stelle auf E. Blum beruft. 566 Blum selbst hatte sich mit seiner Interpretation gegen eine These gewendet, wonach „sich dahinter eben die Nachkommen der nicht deportierten Judäer (die es in der Theorie der Redaktion gar nicht gibt!) [verbergen], soweit sie bewußt der Heimkehrer-Gemeinde, dem sog. qehal ha-gola, beitraten.“567 Blums Sicht beruht darauf, dass andernfalls von Esr 1–6 mit der Behauptung, die Rückkehrer allein hätten den Tempel gebaut, die Gesamtkonzeption über den Haufen geworfen zu werden scheint. Doch kann man wirklich annehmen, dass zusammen mit den Israeliten Nichtjudäer bzw. Nichtisraeliten das Passa feiern, die sich danach in Neh 10,29 – wenn man diesen Text einbezieht – unter die Verpflichtung der Tora stellen?568 Meiner Ansicht nach ist eine solche Interpretation nur bei einer Vernachlässigung der besonderen Konnotation des Verbs ‫( בדל‬Nif.) im Kontext möglich. Es hat im Nif. die Grundbedeutung „sich trennen, absondern“. Im vorliegenden Kontext wird ausgedrückt, von was sich die betreffende Person absondert und wem sie sich zuwendet. 569 Die Frage kann also darauf eingegrenzt werden, ob hier impliziert ist, dass man sich von der Unreinheit der Völker des Landes absondern und den Angehörigen der Gola zugesellen kann. Haarmann, JHWH-Verehrer der Völker, 265f. So Haarmann, JHWH-Verehrer der Völker, 266, in Anschluss an Blum, Volk oder Kultgemeinde, 30. 566 „In Esr 6,21 und in Neh 10,29 ( ‫ )כל הנבדל מעמי הארצות אל תורת האלהים‬beteiligen sich an der Passafeier ‚auch (im Land wohnende) Fremde, die sich mit allen rituellen Konsequenzen der JHWH-Religion zugewandt haben‘“ (Blum, Volk oder Kultgemeinde, 30). 567 Blum, Volk oder Kultgemeinde, 30. Die These wurde zuerst von Kosters, Wiederherstellung, 124, vertreten, für den allerdings Esr 6,21 eine Rückprojektion darstellt: „War schon zur Zeit des Cyrus die Gola nach Palästina gekommen, so konnte die Gemeinde nicht erst ein Jahrhundert später gebildet sein. Darum ist die Erzählung davon (Neh. 9; 10), dadurch, dass sie auf die Einführung des Gesetzes (Neh. 8) folgt, in ein anderes Licht gesetzt, und zugleich die Bildung der Gemeinde, die Absonderung von den Heiden, antedatiert, sodass diese schon zur Zeit des Tempelbaus eine Thatsache heissen konnte (Esra 6,21).“ Nach In der Smitten, Esra, 111, fand man sich schon im 6. Jh. „mit der politischen Fremdherrschaft der Perser ab und gab sich mit dem kirchenstaatsartigen Gebilde einer judäischen Tempelgemeinde zufrieden“. Vgl. weiter die Literatur bei Blum, ebd., 40. 568 Weingart, Israel, 76, hält zwar die Möglichkeit dieser Auslegung fest, sie aber grundsätzlich für unwahrscheinlich: „Da sie aber zuvor überhaupt keine Rolle spielen, wäre es verwunderlich, dass sie gerade an dieser sehr exponierten Stelle innerhalb der Komposition von Esr *1–6 eingeführt werden“ (ebd., 76f.). Rothenbusch, Abgesondert, 157, sieht einen Zusammenhang zu den Stellen, an denen die Mischehenfrage thematisiert wird. 569 Vgl. Steinmann, Ezra-Nehemiah, 273. 564 565

210 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Das Verb ‫ בדל‬zusammen mit ‫„ טמאה‬Unreinheit“ ruft das Konzept der kultischen priesterlichen Unterscheidung von rein und unrein auf, welches kulturübergreifend anzutreffen ist.570 Ursprünglich impliziert es „den Akt der Befreiung oder Trennung von der Sündenmaterie“ 571. Im vorliegenden Kontext geht es entsprechend um die „Unreinheit der Völker des Landes“. Die Phrase polemisiert gegen die Bevölkerung des Landes in radikaler Weise. Mit ihr wird ein Zusammenhang zur Begründung der Vertreibung der Völker des Landes in Lev 18,26–28 und zur Androhung des Exils als äquivalentes Schicksal hergestellt.572 Der gleiche Zusammenhang wird in Esr 9,11 evoziert, wo das Land durch die Unreinheit der Völker (hier ‫ )נדה‬und ihre Greuel als unrein gilt. Von daher liegt dort auch ein Zusammenhang mit der dtn/dtr Rede von den Völkern des Landes vor, wenn Esr 9,1 betont, dass das Volk sich nicht von den Völkern des Landes abgesondert habe, wobei unter anderem die aus Dtn 7 bekannten Völker, aber zusätzlich auch Amoniter, Moabiter und Ägypter erwähnt werden.573 Der Bezug von Esr 6,21 zu diesen Konzepten spricht gegen die Annahme von Blum und Haarmann, dass an Angehörige einer entsprechenden nichtisraelitischen Bevölkerung als Teilnehmer des Passas gedacht sein kann. Doch welche andere personale Größe kann dann im Blick sein, die sich von der Unreinheit der Völker absondern könnte? Meiner Ansicht nach kann es sich angesichts der gegen die Nichtisraeliten gerichteten Polemik nur um Personen handeln, die nicht a priori zu solchen Völkern gehören, weswegen nur an Juden bzw. Israeliten gedacht sein kann. Daher ist es in Esr 6,21 nicht möglich, dass ‫השבים‬ ‫ מהגולה‬allein als Apposition zu ‫ בני ישראל‬steht. Vielmehr ist Israel die übergeordnete Größe, zu der die Rückkehrer und andere Juden bzw. Israeliten, „die sich von der Unreinheit der Völker des Landes abgesondert haben, um Jhwh zu suchen“, gehören. Allerdings scheint die Thematisierung anderer Juden oder Israeliten neben den Rückkehrern in Esr 6,21 entweder dem ausgehend von Esr 1,5 gültigen Konzept zu widersprechen, 574 oder aber dieses Konzept ist noch nicht vollständig erfasst. Zunächst muss man damit rechnen, dass man zwar das Gewicht auf die Rückkehrer verlagern will, dass aber den intendierten Adressaten, die noch andere literarische Konzepte kennen und über eigenes Hintergrundwissen Vgl. Stausberg, Rein und Unrein, 239f. Podella, Reinheit, 481. 572 Den Zusammenhang beschreibt Nihan, Forms, 355: „This passage presupposes the general view laid out in Lev 18 and 20 regarding the inability of other ethnic groups to ‚separate‘ ‚unclean‘ from ‚clean‘ but introduces a minor qualification with respect to individual members of these same ethnic groups.“ Das Konzept fußt außerdem auf der Vorstellung der Vertreibung der Völker im Deuteronomium (vgl. Dtn 7; 18,12). 573 Siehe dazu unten, 294, und 289ff. 574 So Blum, Volk oder Kultgemeinde, 30. 570 571

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(bspw. aus der eigenen Familie) verfügen – selbst wenn der Text aus der hellenistischen Zeit stammt –, ein Konzept des leeren Landes nicht von vornherein plausibel ist. Nach unserer Kenntnis gab es sowohl in Juda als auch in Samaria während des Exils Judäer bzw. Israeliten. Wenn man die Leser dazu bringen wollte, die Priorität der Rückkehrer in theologischer und politischer Hinsicht zu akzeptieren, musste man dieses Anliegen mit dem Hintergrundwissen der intendierten Adressaten, dass es nicht nur Rückkehrer im Lande gegeben hat, vermitteln. Meiner Ansicht nach geschieht genau das in Esr 6,19–21. Allerdings nicht so, dass „die Altjudäer hier quasi unter der Hand zu Nichtisraeliten erklärt werden, die dann als JHWH-gläubige Fremde unter den für diese geltenden Voraussetzungen doch wieder am Fest teilnehmen können“575, wie K. Weingart erwägt.576 Denn das würde zugleich auch einen Übertritt zum Judentum voraussetzen. Auch wenn es sich dabei hier auch um einen literarischen Kunstgriff handeln könnte, müsste ein solcher Übertritt als Institution akzeptiert sein. Wenn man die Vehemenz bedenkt, mit der die Mischehenfrage in Esr 9f. behandelt wird, muss man das für die Esra-Nehemia-Komposition für ausgeschlossen halten. Es muss also um Personen gehen, die zwar in der Komposition keine Rolle spielen, aber dennoch als Juden oder Israeliten am Fest teilnehmen können.577 Stoßen wir damit wieder an die Grenze, die Blum bereits gezogen hat, wonach es solche Personen „in der Theorie der Redaktion“578 nicht gebe? Nein, denn tatsächlich behandelt die Komposition nur Juda und Jerusalem und die dort angeblich ausschließlich aus dem Exil zurückgekehrten Judäer und Benjaminiten. Die Darstellung der Zerstörung und Exilierung Judas, die in 2Chr 36 auch den Ausgangspunkt von Esr 1,1–4 bildet, gilt ausschließlich für Juda und nicht für das Gebiet des ehemaligen Nordreiches.579 Zwar scheint Esr 4,2.10 das Gegenteil zu bezeugen, doch handelt es sich darin nur um sich widerWeingart, Israel, 77. Weingart, Israel, 77, verwirft diese Möglichkeit, weil der Personenkreis zuvor nirgends eine Rolle spielt. 577 Ähnlich meint Dexinger, Ursprung, 93, dass „man nicht ausschließen kann, daß damit ‚Juden aus der nicht ins Exil gegangenen palästinischen Bevölkerung‘ gemeint sind.“ Er folgt dabei Rudolph, Esra-Nehemia, 33, doch sieht er die polemische Konzeption von Esr 4,1–5 nicht und schlussfolgert, dass „[d]ie heidnischen Samarier […] in der nachexilischen Zeit jedoch die politisch bestimmende Gruppe [waren] und […] sich auch in synkretistischer Weise des lokalen Jahwe-Kultes bemächtigt [hatten]“ (Dexinger, ebd.). 578 Blum, Volk oder Kultgemeinde, 30. 579 Allgemein Israeliten außerhalb Judas wurden zuletzt von Rothenbusch, Auseinandersetzung, 132, erwogen: „Esra 6,21 liegt aber anscheinend eine ethnisch-religiöse israelitische Identität zugrunde mit einer auf alle Nachkommen Israels, auch außerhalb Judas, ausgeweiteten Dimension.“ Karrer, Verfassung, 74; Häusl, Feste feiern, 237, denken an nichtdeportierte Judäer, was allerdings der Konzeption des Buches widerspräche. 575 576

212 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) sprechende Äußerungen einzelner Vertreter eines Landesteiles, in dem unterschiedliche Völker leben. Aussagen auf der Figurenebene haben in einem literarischen Text nicht den gleichen Anspruch, wahr zu sein, wie Aussagen der Erzählebene. Im vorliegenden Fall handelt es sich bei den Widersachern zwar um Repräsentanten, die sich als Fremde vorstellen,580 doch über die Identität der übrigen Bewohner sagt das nichts aus. Außerdem haben wir in Esr 4 ja zwei sich scheinbar widersprechende Selbstvorstellungen von Bewohnern des Landes vor uns, was offenbar zusätzlich dazu dient, die Disparatheit der Bevölkerung und die Unsicherheit der Repräsentanten über ihre eigene Herkunft deutlich zu machen. Das Gebiet des Nordreiches wird aufgrund der assyrischen Politik als Gebiet mit einer Mischbevölkerung dargestellt.581 Das erklärt auch den Gebrauch des terminus „Völker der Länder“. Anwesend sind Angehörige unterschiedlicher Völker und Länder, doch sagt das nichts darüber, dass es keine Israeliten in dem Gebiet gäbe. Dass das Land abgesehen von Juda während des Exils leer – d.h. ohne israelitische Bevölkerung – gewesen ist, wird demgegenüber weder in Esr 4 noch an anderer Stelle in der Esra-Nehemia-Komposition behauptet.582 Entscheidend ist, dass die in Esr 1–6 rezipierte Chronik dieses radikale Konzept ebenfalls nicht vertritt, im Gegenteil: In 1Chr 5,26 wird – abweichend von 580 K. Weingart hat nun ausgehend von diesem Abschnitt überlegt, ob wie in Esr 4 auch in Esr 6,21 an die Samarier gedacht sei, denen wegen der „Berufung auf ihre fremde Herkunft […] die Beteiligung am Tempelbau verweigert“ (Weingart, Israel, 77) wird, die aber „insofern sie sich an Israel – und das heißt wohl dem Jerusalemer Tempel – orientieren, nach Jerusalem pilgern und am Fest teilnehmen können“ (ebd.). Doch werde der „Personenkreis anders als in 2Chr 30 gerade nicht als ‚Nordstämme‘ und somit Israeliten verstanden [...], sondern als fremde Völkerschaften“ (ebd., 78). 581 Rom-Shiloni, Shifts of Groups, 136 (Hervorh. dort), schließt aus der „absence of any reference to Judeans or Israelite-Yahwistic communities“, dass „Amalgamation (a + b = c) serves in Ezra-Nehemiah as an overall strategy to unify and denigrate outsiders. In contrast, the repatriates separate themselves from this amalgamated mongrel ‚other‘ population by advocating their own genuine and distinctive (versus ‚amalgamated‘) status; in religion, culture, national history, law, and politics, the repatriates are ‚the Judeans (Jews)‘ or should we say the ‚[true] Judeans (Jews).‘“ Bei ihrer Argumentation aufgrund des Schweigens der anderen Juden/Israeliten geht sie allerdings nicht auf Esr 6,21 ein, sondern zieht lediglich die Schlussfolgerung aus der Tatsache, dass das Land nicht leer gewesen sein könne. Cornelius, Tale, 227, überlegt aufgrund der Ikonographie, ob es tatsächlich entsprechende Unterschiede gegeben hat, sodass „people living in Samaria were more ‚open‘ to foreign ideas“. 582 H.M. Barstad hat die These vom Mythos des leeren Landes entwickelt. Er bezieht sich dabei ausschließlich auf Juda. Vgl. Barstadt, Myth, 77ff.; ders., History, 131ff. Allgemein wird angenommen, dass die Babylonier der Praxis der Assyrer folgten. Vgl. Albertz, Exilszeit, 74. Es ist nach Becking, Samaria, 82, Praxis der Assyrer gewesen, eine Durchmischung der Bevölkerungen zu erreichen, um Aufstände zu verhindern.

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2Kön 17583 – nur die Deportation der Bevölkerung aus den Territorien östlich des Jordans durch die Assyrer erwähnt.584 In 2Chr 30,1ff. ergeht ein Aufruf Hiskias an Ephraim und Manasse, am Passa beim Hause Jhwhs in Jerusalem teilzunehmen, dem einige Leute folgen (V. 11). Dasselbe wiederholt sich in 2Chr 35,18 bei Josias Passa.585 Und wenn man von hier aus den Bericht über das babylonische Exil in 2Chr 36,20 anschaut, so fällt auf, dass die Chronik anders als 2Kön 25 zwar eine vollständige Deportation und die Sabbatruhe des Landes (2Chr 36,20f.) darstellt, doch mit ‫ הארץ‬ist dort Juda gemeint.586 Ähnlich wie die Chronik würde damit das Esrabuch primär Juda und Jerusalem behandeln und nur auf die anderen Israeliten zu sprechen kommen, wenn es die Darstellung erfordert.587 Und das ist dann in Esr 6,21 der Fall, sodass tatsächlich einzelne Israeliten im Nachbargebiet in den Blick genommen werden.588 583 Daher hat die Chronik die weitgehende Konzeption von 2Kön 17 entweder nicht vertreten und dazu eine kritische Position entwickelt oder aber der uns vorliegende Text von 2Kön 17 ist jünger als die Chronik. Bemerkenswert ist, dass die generellen Aussagen über die Deportation Samarias in 2Kön 17 in der Chronik nur die ostjordanischen Stämme betreffen (1Chr 5,26). Könnte es sein, dass aufgrund der Radikalisierung des Verhältnisses zwischen Judäern und Samariern in spätnachexilischer Zeit in 2Kön 17 eine partielle Deportation des Nordreiches zu einer generellen Deportation ausformuliert worden ist? Zu beachten ist, dass Jer 41,3 die vollständige Deportation des Nordreiches ebenfalls nicht vertritt. Dort wird darüber berichtet, dass klagende Männer aus Sichem, Schilo und Samaria zum Haus Jhwhs unterwegs sind. Diese Notiz ist aufgrund der Zitation von 2Kön 24,18–25,30 in Jer 52 besonders auffällig. Zum Gegenüber der beiden Vorstellungen von dem Gebiet von Samaria vgl. Magen, Samaritan Temple, 186. 584 Vgl. zu dem Zusammenhang mit 2Chr 30 Japhet, 1 Chronik, 161. 585 Auf den direkten Zusammenhang weist in Kritik der These von der literarischen Unabhängigkeit der Chronik auch Pohlmann, Korrespondenzen, 316, hin. 586 So zuerst in Kritik der These der literarischen Unabhängigkeit Pohlmann, Korrespondenzen, 326. 587 Japhet, Ideology, 256f., zieht dagegen 2Kön 17 mit Esr 4 zusammen und sieht beides im Widerspruch zur Chronik: „According to the testimony of 2 Kings 17 and Ezra 4, all the Israelites were exiled from their land (2 Kings 17:20–23), and their cities came to be inhabited entirely by foreigners, the descendants of peoples departed to the land by Assyrian kings.“ Dass Esr 4,2.10 nicht im Sinne eines leeren Landes zu interpretieren ist, hat vor über 100 Jahren schon Montgomery, Samaritans, 51ff., festgestellt. Er schlussfolgert, dass „there is no reason to think that these movements absolutely changed the character of the citizens of Samaria“ (ebd., 53). 588 Rothenbusch, Auseinandersetzung, 131, hält fest, „[d]ass es – bezogen auf die Verhältnisse in Palästina – Angehörige ‚Israels‘ außerhalb Judas nicht gebe, ist den Texten des 4. Jh.s im Esra-Nehemia-Buch also nicht zu entnehmen und kann von daher auch die Rede von ‚Israel‘ im Esra-Nehemia-Buch nicht in exklusiv judäischem Sinne qualifizieren.“ Während man die zweite Schlussfolgerung auf Esr 1,1–6,20 (!) einschränken muss, dürfte dies vor allem aufgrund der Rezeption der Chronik (siehe dazu im Folgenden) zustande gekommen sein, aber auch in der Tatsache begründet sein, dass es pragmatisch nicht mög-

214 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Wenn der Autor von Esr 1–6 die Chronik auch in Bezug auf das Exil rezipiert hat, konnte er auf das Konzept zurückgreifen, dass Juda vollständig im Exil war, doch konnte er wie die Chronik ebenfalls davon ausgehen, dass weiterhin Angehörige von Ephraim und Manasse im Gebiet von Samaria lebten. Gerade die Teilnahme einer Gruppe beim Passa, die sich von der Unreinheit der Völker des Landes absondert, zeigt, dass es sich zugleich um die direkte Aufnahme des Passathemas aus 2Chr 30 und 35 handeln muss. Der Zusammenhang ist insbesondere an der Betonung erkennbar, dass die Leviten sich gereinigt haben und die Schlachtung für die Israeliten vollziehen, was einen direkten Zusammenhang zu diesen beiden Stellen herstellt.589 Das Passa am wiedererrichteten Tempel in Jerusalem wird so dem Passa unter Hiskia und Josia an die Seite gestellt.590 Letztlich wiederholt sich die Teilnahme von einzelnen Israeliten aus Samaria beim Passa am wiedererrichteten Tempel.591 In diesem Punkt fügt sich das Esra-Nehemia-Buch bruchlos mit der Chronik.592 Und dass man die Israeliten erst hier auftreten lässt und sie nur als ‫ כל הנבדל מטמאת גוי הארץ‬unter die ‫ בני ישראל‬subsumiert, hängt mit dem Anspruch der Judäer auf Jerusalem als exklusiven Kultort zusammen. Sie sind wie in der Chronik vorhanden, aber man schenkt ihnen so wenig wie möglich Aufmerksamkeit.593 Doch die Wiederholung des Passas von lich war, für Palästina insgesamt zu postulieren, kein Israelit habe dort während des Exils gelebt. 589 Vgl. Shaver, Torah, 116f. 590 So schon In der Smitten, Esra, 6; Rothenbusch, Abgesondert, 225. Den literarischen Zusammenhang legte zuletzt Weingart, Israel, 299, ihrer Auslegung von Esr 6,21 zugrunde. 591 Gegen Weingart, Israel, 78: „Entscheidend für Esr 6,21 ist aber, dass dieser Personenkreis anders als in 2Chr 30 gerade nicht als ‚Nordstämme‘ und somit Israeliten verstanden wird, sondern als fremde Völkerschaften.“ 592 Japhet, Ideology, 257, betont den Widerspruch auch umgekehrt und verweist darauf, dass die von den Assyrern angesiedelten Völker in der Chronik keine Rolle spielen: „There is absolutely no sign of their presence in Chronicles: only Israelites live in the northern region.“ Sie verweist auf das Fehlen von 2Kön 17: „2 Kings 17 does not appear in Chronicles at all, a rather surprising omission if the latter’s key motif is really ‚anti-Samaritanism‘“ (ebd.). Letzteres ist ein schwaches Argument, denn die Stelle könnte ja in der Chronik nicht stehen, weil der Abschnitt nichts mit Juda zu tun hat. Auch widerspräche der Abschnitt dem Konzept der Chronik, wonach in 2Chr 30 Israeliten aus Ephraim und Manasse am Passa des Hiskia teilnehmen. Sollte die Rede vom übriggebliebenen Rest ( ‫וישב אל‬ ‫ )הפליטה הנשארת לכם מכף מלכי אשור‬der Israeliten in Ephraim und Manasse von dem in 2Chr 30,6 nicht neben der Deportation auch die Ansiedlung anderer Völker implizieren? Dasselbe Konzept der teilweisen Deportation liegt der Formulierung ‫ וישראל הנמצא‬in 2Chr 35,18 bei Josias Passa zugrunde. 593 Meiner Ansicht nach erklärt sich mit der hier erkennbaren Sicht einer Mischbevölkerung im Gebiet von Samaria die bis in die Spätantike disparate Situation, wonach die Samaritaner mitunter als Fremde, mitunter auch als verwandt und halachisch akzeptabel angesehen werden konnten. Dass Josephus die „als fremdländisch verstandenen Bewohner

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Hiskia und Josia und damit auch die Teilnahme derer, die sich von der Unreinheit der Völker absondern, dokumentiert wie dort, dass der Tempel in Jerusalem von gesamtisraelitischer Bedeutung ist. Diese Erkenntnis bedeutet allerdings nicht, dass wir es in den Texten nun doch mit Zeugnissen von einer sich um den Jerusalemer Tempel formierenden Kultgemeinde im Sinne der älteren Forschung zu tun haben.594 Vielmehr handelt es sich um eine aufgrund der Auseinandersetzungen mit den Samariern und auf der perspektivischen Auslegung der Chronik beruhenden Konstruktion des Ursprungs. Deshalb behauptet Esr 1–6, dass nur die Rückkehrer aus der babylonischen Gola den Tempel bauten, die ihn auch einweihten. Erst danach und außerdem nach der Schlachtung des Passas kommen einige jener Israeliten hinzu, die sich nun von der Unreinheit der Völker ab- und den Rückkehrern zugewendet haben. Man deutet also nur Juda und Jerusalem als von Israeliten unbewohnt. Dass die Ideologie des leeren Landes in Esra-Nehemia (wie in der Chronik) ausschließlich für Juda entwickelt wird, delegitimiert spannenderweise den Tempel auf dem Garizim ein weiteres Mal. Dieser, so unterstellt man letztlich auf der Samariens […] ausser in der auf einer samaritanischen Quelle basierenden Bell-Stelle (1,63), nie mit dem Garizim oder einem anderen Hinweis auf die SRG in Verbindung gebracht“ (Egger, Josephus, 306) hat, zeigt, dass er das Konzept der Esra-Nehemia-Komposition vertritt. Dasselbe Gegenüber wird tTer 4,12.14 vorgetragen. Vgl. dazu Schiffman, Samaritans in Tannaitic Halakah, 326f. Zur Diskussion der Belege seit der hasmonäischen Zeit vgl. Hensel, Von „Israeliten“ zu „Ausländern“. Zu beachten ist, dass noch die Halacha des babylonischen Talmudes zeigt, dass man die Samaritaner nicht anderen Ausländern gleichsetzte. Bspw. findet sich ausgehend von der Baraita ‫( שחיטת כותי מותרת‬bHul 3b) zwar die Einschränkung, dass ein Israelit daneben stehen müsse oder der Samaritaner selbst etwas von dem Fleisch verzehren müsse. Doch sind diese Einschränkungen geringer als jene, die sich gegen die eigene einfache Bevölkerung richten. Zeitweilig wurde auch der Wein der Samaritaner als koscher akzeptiert. Vgl. weiter tPes 1,3; bHul 4a. Vgl. insgesamt zur Thematik Montgomery, Samaritans, 172f., und Schiffman, Samaritans in Tannaitic Halakah, 328ff.; Knoppers, Jews, 3. Des weiteren ist zu beachten, dass noch im Talmud rabbinische Diskurse mit Samaritanern um die Auslegung von Bibeltexten konstruiert werden. Vgl. dazu Lehnardt, Taube, 289ff. 594 In seiner Zurückweisung der Beschreibung des nachexilischen Israel als konfessionelle (religiöse) Gemeinschaft entwickelt Blum, Volk oder Kultgemeinde, 30 (gefolgt von Haarmann, JHWH-Verehrer der Völker, 266; Weingart, Israel, 332) selbst einen Entwurf einer Kult- oder besser Religionsgemeinde, wenn er annimmt, dass sich „Fremde […] mit allen rituellen Konsequenzen der JHWH-Religion zugewandt haben“. Denn das würde theoretisch bedeuten, dass die JHWH-Religion und die Teilnahme am Kult in der hellenistischen Zeit nach außen offen waren. Was denkbar war, ist letztlich bei der Beschreibung der Könige Kyros, Darius und Artaxerxes erkennbar. Diese akzeptieren die universale Bedeutung des Gottes Israels und handeln entsprechend dessen Willen zugunsten Israels bzw. sorgen dafür, dass die Tora gelehrt und getan wird und die Opfer im Jerusalemer Tempel dargebracht werden.

216 Kap. 2: Die Rückkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels (Esr 1–6) Grundlage des Diskurses in Esr 4, ist von den Fremden errichtet worden bzw. von der Mischbevölkerung, und er ist deswegen illegitim. Doch die Israeliten haben sich bereits am Anfang der persischen Zeit von ihm oder von den entsprechenden Bestrebungen ab- und dem Tempel von Jerusalem zugewendet.595 Angesichts dieser Überlegungen ist deutlich, dass das Konzept Esr 1–6 nicht so weit von der aramäischen Tempelbauchronik entfernt ist. Es wird weiter vorausgesetzt, dass es im Lande Israeliten gab, doch wird nun im Unterschied zur Tempelbauchronik behauptet, dass der Tempelbau ausschließlich von den sofort nach dem Exil zurückgekehrten Judäern und Benjaminiten realisiert wurde. Jene aber, die möglicherweise als Landbevölkerung in der frühnachexilischen Zeit die Hauptverantwortung für die Restitution trugen, werden als Außenstehende definiert, die in frühnachexilischer Zeit ‚sekundär‘ zur Gemeinschaft der Rückkehrer hinzugekommen sind. f) Resümee Esr 1–6 ist eine für antike jüdische Leser in der fortgeschrittenen nachexilischen Zeit596 bestimmte Komposition. Ihre literarische Grundlage war die aramäische Tempelbauchronik, die nicht nur in die Komposition eingebunden wurde, sondern zugleich auch die Informationen für die neu verfassten Abschnitte geliefert hat. Die Integration der Quelle im neuen Werk und ihre Präsentation in neuem Kontext zeigt, dass Esr 1–6 bzw. das Esrabuch insgesamt an die Stelle des rezipierten Textes treten sollte. Doch wurde offenbar weiter mit seiner Kenntnis gerechnet, und zudem muss der aramäische Text noch eine Weile existiert haben, da er sich sekundär auf den Wortlaut der Liste in Esr 2/Neh 7 ausgewirkt hat. Gegenüber dem bei den intendierten Adressaten bekannten älteren Text war es bei der Präsentation des neuen Textes deswegen nötig, für dessen Plausibilität zu sorgen. Dies geschah durch Ausformulierungen und Umgruppierungen in einem neuen Kontext. Zugleich wird die Tora als akzeptiertes Werk rezipiert, diese aber auf Jerusalem hin ausgedeutet. Interpretierend und zugleich harmonisierend Die Formulierung ‫ וכל הנבדל‬kommt in Neh 10,29 noch einmal vor. Doch dort ist einerseits nicht von der Unreinheit die Rede, andererseits wird festgestellt, dass diese sich zur Tora Gottes hin abgesondert haben. Diese Stelle lässt sich nicht mit Haarmann, JHWH-Verehrer der Völker, 266, so auslegen, Fremde hätten sich „mit allen rituellen Konsequenzen der JHWH-Religion zugewandt“, vielmehr kann ‫וכל הנבדל מעמי הארצות‬ ‫ אל תורת האלהים‬nur diejenigen meinen, die gegenüber denen, die die ‫ אמנה‬unterzeichnet haben (Neh 10,1–28), neben Priestern, Leviten, Torhütern, Sängern und Tempelsklaven ebenfalls zum Rest des Volkes gehören und dem Bund beitreten. Dabei kann es sich nur um Juden bzw. Israeliten handeln. 596 Bereits für die verarbeitete Quelle war (oben, 154, und 167ff.) eine Datierung in der hellenistischen Zeit vorgeschlagen worden. 595

7. Vom Kyrosedikt zur Einweihung des Tempels

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wird auf andere Literatur zurückgegriffen. Deutlich wurde ein Anschluss an die Chronik, an Deuterojesaja und Jeremia sowie vor allem an Haggai und Sacharja. Man suchte ein plausibles Gesamtkonzept zu erstellen und dieses bei den intendierten Adressaten (Juden in Jerusalem bzw. auf Jerusalem bezogen) plausibel zu machen. Die neue Komposition ist ein Beitrag in einem Diskurs um die Erwählung des Ortes des Zentralheiligtums und muss dazu mit den sich seit dem Beginn der hellenistischen Zeit zuspitzenden Auseinandersetzungen mit den Samariern bzw. der entstehenden Gemeinschaft der Samaritaner in einem Zusammenhang stehen. Deutlich ist, dass die Auseinandersetzung gegenüber dem in der aramäischen Tempelbauchronik bereits existierenden Diskurs um den Ort des Heiligtums sich massiv verschärft hat. Aus diesen Gründen suchte man den Neubeginn in Jerusalem mehrfach nahtlos an die Situation der vorexilischen Zeit anzubinden. Dies geschieht durch die Betonung der Identität des Ortes, der Wiederaufnahme des Kultes, der Feier des Festes am Zentralheiligtum und mit der Wiedereinführung der zugehörigen Institutionen, durch die Rückführung der Kultgeräte und dadurch, dass mit Scheschbazzar ein jüdischer Repräsentant dafür verantwortlich ist. Die persischen Könige fungieren dabei nicht nur als Förderer und Garanten Jerusalems, sondern zugleich auch als Zeugen für die Legitimität der Ansprüche Jerusalems. Man sucht also den Neuanfang als eine ungebrochene Kontinuität erscheinen zu lassen, um so die Legitimität Jerusalems zu unterstreichen.597

597

Anders zuletzt die Beurteilung von Esr 1,1–4 durch Willi, Esra, 45: „Nicht von einer Anknüpfung an Früheres ist die Rede, mit keinem Wort erinnert das anhebende Geschichtswerk an das ehemalige, staatlich unabhängige Königreich Juda oder erwähnt es etwa die davididischen Könige als Symbol nationaler Erwartungen – kurz: Nicht eine Fortsetzung ist im Blick, sondern um einen neuen Anfang, um eine neue Epoche geht es.“ Gegen seine Einschätzung spricht der Beginn des Esrabuches mit waw-Narrativum, der Rückgriff auf die Prophetie des Jeremia, die Anspielung auf Deuterojesaja, die Rede von den übriggebliebenen Angehörigen des Volkes und die Betonung des Ortes.

Kapitel 3

Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem (Esr 7f. und Neh 8) 1. Einleitung In Esr 8,36 händigen die Ankömmlinge „aus der Gefangenschaft“ (vgl. Esr 8,35) den Statthaltern jenseits des Stromes die ‫ דתי המלך‬aus. Das aus dem Persischen entlehnte Wort ‫ דת‬bezeichnet Befehle bzw. Verordnungen1 und kann entsprechend im Aramäischen als Synonym für das hebräische ‫תורה‬ (Esr 7,12.14.21.26) verwendet werden. Gedacht ist hier an königliche Begleitbriefe, die den Rückkehrern nach Juda mit auf den Weg gegeben wurden. Die Angelegenheit wird in Esr 8,36 nicht ausgeführt. Vorausgesetzt ist also, dass die nachfolgenden Handlungen Esras durch die ausgehändigten Befehle des Königs beglaubigt sind. Die kurze Erwähnung der Befehle nach der Rückkehr unter Esra verweist zurück an den Anfang der Esrageschichte, die mit einem für Esra bestimmten Schreiben des Artaxerxes einsetzt.2 Dass Esr 7,11–26 in Zusammenhang mit den in 8,36 erwähnten königlichen Befehlen steht, ergibt sich aus folgenden Überlegungen: In Esr 7,11 ist davon die Rede, dass ein als ‫„ פרשגן הנשתון‬Abschrift des Dokumentes“ bezeichneter Text an Esra ausgehändigt wurde. Dieser enthält die Privilegien, aber auch die Aufträge, die Esra für den König in Jerusalem ausführen soll. Darüber hinaus erhält Esra aufgrund des Dokumentes weitgehende Befugnisse über die Mittel der Provinz und für den Tempel und die mit ihm verbundene Gemeinschaft.3 Besonders die behandelten Privilegien lassen das Schreiben als Begleitschreiben erscheinen. Aufgrund der Ausrichtung des Textes an mehrere Repräsentanten (Esr 7,21–24) und der Aushändigung von Befehlen (‫ )דתי המלך‬an die Statthalter von Transeuphratene (8,36) könnte dabei vorgestellt sein, dass Esra mehrere Schreiben für die Statthalter jenseits des Stromes bei sich trug. Angesichts der inhaltlichen Entsprechungen von Dokument und nachfolgendem Kontext ist es aber in jedem Fall wahrscheinlich, dass das in Esr 7,11–26 wiedergegebene Schreiben mit den ‫ דתי המלך‬zu Vgl. Ges18, 261f. Vgl. Kratz, Komposition, 77. Rothenbusch, Abgesondert, 149, meinte dagegen zuletzt, dass das Edikt „im weiteren Verlauf der Esraerzählung praktisch keine Rolle mehr“ spiele. 3 Zur Diskussion des Schreibens siehe unten, 233ff. 1

2

1. Einleitung

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verbinden ist. Damit unterstellt Esr 8,36 eine für die Esrageschichte grundlegende Bedeutung des in Esr 7,11–26 zitierten Dokumentes und zugleich, dass es sich dabei um ein auch außerhalb der Esrageschichte bekanntes, von den persischen Verantwortlichen respektiertes Dokument handelt.4 Damit deutet sich für dieses eine ähnliche literarische Funktion an, wie sie für das Kyrosedikt in Esr 1–6 herausgearbeitet worden ist. Das der Handlung von Esr 7–10 zugrundeliegende Schreiben des Artaxerxes (Esr 7,11–26) ist der zweite aramäische Textabschnitt des Buches, und auch dieser wurde in der Forschung oft als eine in den Erzählzusammenhang eingefügte Quelle angesehen.5 Der Textabschnitt ist den anderen als zitierte Dokumente präsentierten Abschnitten in Esr 1–6 aber inhaltlich und formal ähnlich.6 Formal wird er in der Überschrift bereits als Abschrift eines amtlichen Schreibens eingeführt, und er enthält wiederum zweimal die Formel ‫שים טעם‬, mit der das Schreiben als königliches Edikt ausgewiesen wird. Darin geht es über weite Strecken erneut um den Tempel und seine Versorgung, obwohl der Tempelbau bereits in Esr 1–6 thematisiert ist und in Esr 6 der reguläre Kult bereits begonnen hat. Das Schreiben am Anfang der Esrageschichte begründet auch die Autorität Esras, der Hauptfigur in Esr 7–10. Damit liegt eine doppelte Kontexteinbindung des Schreibens vor. Es nimmt Themen wieder auf, die Esr 1–6 bestimmen, und führt sie weiter, leitet aber mit der Figur des Esra und den ihm gewährten Privilegien zu 4

Der Zusammenhang von Esr 8,36 und Esr 7 wird auch von Pakkala, Ezra the Scribe, 241, festgestellt, doch sieht er dessen Sinn vordergründig in der Einführung der Tora: „The instructions are given to the officials so that they would obey the Torah. In other words, there are no references to any administrative functions in the Achamenid Empire, even in the later additions.“ Doch von der Tora ist in 8,36 keine Rede. Sie ist in Esr 7,11–26 im Blick, aber keineswegs ausschließlicher Inhalt des Schreibens. Daher sind mit dem Plural ‫ דתי המלך‬zunächst für die Figuren die Inhalte des Dokuments im Blick. Dass mit der Privilegierung Esras auch die Tora eingeführt wird, steht auf einem anderen Blatt. 5 Zur älteren Forschung siehe oben, 32, mit Anm. 4. In der neueren Forschung ist Grabbe, Persian Documents, 563, zu nennen, der das Dokument im Vergleich zu den anderen Texten für relativ zuverlässig hält: „All in all, it seems to me that the compiler of Ezra had available some original Persian documents at least part of the time, but he or a prior tradent worked these over for apologetic or theological purposes or even to support claims made by the Jewish community to the Persian administration.“ Für mit den Prozessen korrekt verbunden hält Schmid, Persian Imperial Authorization, 33, den Abschnitt. Vgl. auch noch die Verteidigung der Authentizität durch Koch, Artaxerxes-Erlaß. Zuletzt äußerte Steinmann, Ezra-Nehemia, 297, „[m]ost modern commentators accept that the letter is authentic“, und unterstellt damit einen Konsens der Forschung. 6 Dies nennt als Hauptgrund Kratz, Komposition, 82f., dafür, dass das ‚Dokument‘ (möglicherweise abgesehen von Esr 7,21f.) für den Kontext von Esr 7f. geschaffen worden sei. Für das gesamte Dokument nahm das zuletzt auch Rothenbusch, Abgesondert, 122f., an, wobei er eine inhaltliche Gegenüberstellung von Esr 1,2–4; 6,2–12 mit Esr 7,11–26 bietet.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

den nachfolgenden Inhalten der Esrageschichte über. Die Geschichte wird mit Esr 7,1 auch formal an den vorangehenden Textabschnitt angebunden. Das legt auch eine kompositionelle Bedeutung des eingebetteten „Dokumentes“ nahe, weswegen im Folgenden Esr 7 insgesamt zu analysieren ist. Dies soll wie bei der Analyse von Esr 4 übergreifend für das vermeintliche Quellenstück und dessen Kontext geschehen. In der Forschung hat man in der Regel aramäischen und hebräischen Abschnitt getrennt voneinander diskutiert. Dies hat eine Berechtigung aufgrund der relativen Abgeschlossenheit des aramäischen Textabschnittes. Zuletzt hat S. Grätz Esr 7,11–26 gattungs- und traditionsgeschichtlich untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Abschnitte Esr 7,11ff. und Esr 6,7–12 „Merkmale einer griechischen Stiftung“7 aufweisen. Für den Abschnitt Esr 7,11ff. zog er die Schlussfolgerung, dass diesem ein hellenistisches literarisches Konzept zugrunde liegt, wonach eine Privilegierung des Jerusalemer Tempels und seines Personals etc. in der Perserzeit durch die zuständigen Autoritäten geschehen sei. Für das Esrabuch insgesamt vermutet er, dass die Einbettung von Dokumenten in einen narrativen Kontext ein Stilmittel sei. Denn die Funktion aller Dokumente sei „zugleich legitimierend und verbürgend“8 und mit den Reden der Chronik zu vergleichen.9 Damit deutet sich an, dass Esr 7,11ff. erst für den vorliegenden Kontext der Esrageschichte und darüber hinaus für das Esra-Nehemia-Buch geschaffen sein dürfte.10 Die zusammenhängende Diskussion von Esr 7,11–26 in seinem Kontext soll nicht nur die Funktion des Abschnittes im engeren Kontext bestimmen, sondern zugleich auch das Zusammenspiel mit den anderen vermeintlichen Dokumenten erhellen.11 Sie ermöglicht dadurch unabhängig von den mit dem Abschnitt verbundenen formalen und inhaltlichen Anachronismen eine Antwort auf die Frage, ob es sich um einen eigenständigen und sekundär eingebetteten Abschnitt handeln kann. Zugleich dürften sich in Esr 7 bereits die Ausgangspunkte der inhaltlichen Linien der Esrageschichte und darüber hinaus zeigen, denen in der Analyse weiter nachgegangen werden soll.

7

Grätz, Edikt, 186. Grätz, Edikt, 196. 9 Vgl. Grätz, Edikt, 214. 10 Grätz, Edikt, 285, schlussfolgert, „daß die Esrageschichte wahrscheinlich für sich genommen keine selbständige Geschichte ist, sondern zunächst Esr 1–6 voraussetzt und dazu in kritischer Weise Stellung nimmt.“ 11 Erstmals in diesem Sinne als Kompositionselement hat Kratz, Komposition, 77f., das Kapitel zusammen mit der nachfolgenden Liste (Esr 8) gesehen. 8

2. Das Schreiben des Artaxerxes und sein Kontext (Esr 7)

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2. Das Schreiben des Artaxerxes und sein Kontext (Esr 7) 2.1. Überblick über das Kapitel Das erste Kapitel der Esrageschichte gliedert sich in drei Abschnitte: die Vorstellung Esras (V. 1–10), den Erlass des Königs Artaxerxes (V. 11–26) und den Lobpreis Esras (V. 27–28). In Esr 7,1 wird ein Anschluss an „die vorangehenden Ereignisse“ (‫ואחר‬ ‫ )הדברים האלה‬hergestellt.12 Auch wenn nicht klargestellt wird, wie viel Zeit seit diesen „Dingen“ vergangen ist, werden die mit der anschließenden Zeitangabe ‫ במלכות ארתחשסתא מלך פרס‬verbundenen Ereignisse nicht als unabhängig von dem vorangehend erzählten Geschehen gesehen. Esr 7 beginnt also zwar mit einem neuen Zeitabschnitt, nicht aber wie ein unabhängiger Text. Was folgt, ist (zunächst) keine Handlung, sondern die Genealogie Esras, der Hauptfigur in Esr 7–10. Nach seiner genealogischen Einführung wird er selbst in den V. 6–10 weiter behandelt. Esra erscheint als Rückkehrer aus Babel, und er besitzt die Gunst des Königs, was aber sogleich auf die Unterstützung Jhwhs zurückgeführt wird. Außerdem wird er als Schreiber eingeführt und seine Funktion mit der Tora des Mose in Verbindung gebracht. Alle diese Aspekte weisen Esra als religiös und politisch bedeutende Persönlichkeit aus. Gleichzeitig spielen sie durchgängig in der Esrageschichte eine Rolle. Im zweiten Abschnitt (V. 11–26) wird Esra weiter vorgestellt. Dies geschieht dort aus der Perspektive des persischen Königs in dessem aramäischen Schreiben. Seiner hebräisch formulierten Überschrift zufolge soll es Esra übergeben worden sein. In dem Schreiben erhalten weitere Israeliten (13) die Erlaubnis, mit Esra nach Jerusalem zu ziehen. Esra selbst wird ermächtigt, entsprechend der Tora in Juda ordnend einzugreifen. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf den Gaben und Privilegien, die gewährt werden. Abgaben und Geräte soll er an den Tempel übergeben (15–20). Weitere notwendige Mittel sollen die Schatzhäuser jenseits des Euphrats bereitstellen (21f.). Nach einer Einschärfung des königlichen Willens (23) wird eine Steuer- und Zollfreiheit für das Tempelpersonal gewährt (24) und Esra mit der Einrichtung einer gerichtlichen Autonomie auf Grundlage der Tora mit Sanktionsandrohungen beauftragt (25f.). Unvermittelt, aber formal durch die Rückkehr in den hebräischen Text erkennbar, wechselt der dritte Abschnitt des Kapitels (V. 27–28) in den Stil der Ich-Rede. Dies beginnt im Lobpreis Jhwhs 7,27–28a über die zugewiesene Gunst des Königs und der königlichen Räte und wechselt mit 7,28b in einen in der 1. Sing. formulierten erzählerischen Satz. Mit diesem scheint 12

So z.B. schon In der Smitten, Esra, 7; Gunneweg, Esra, 119.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

sowohl die weiter als Ich-Rede stilisierte Überschrift (Esr 8,1) als auch der nachfolgende Erzähltext vorbereitet zu werden (vgl. Esr 8,15). 2.2. Die Einführung Esras (Esr 7,1–10) Der Auftakt, der wie ein Erzählungsbeginn aussieht, dann aber in eine ausführliche Genealogie des Protagonisten mündet, wurde oft als formal problematisch empfunden. Das spannungsvolle Verhältnis von Esras Genealogie und der Genealogie Levis in 1Chr 5 hat Überlegungen befeuert, dass in dem Abschnitt mit literarischen Hinzufügungen zu rechnen ist. 13 Gunneweg hat gezeigt, dass die Versuche, den komplexen Anfang des Abschnittes literarkritisch u.a. durch Streichung der Genealogie zu reduzieren, letztlich keinen besseren Text zur Folge haben: „Gegen einen solchen doch recht massiven Eingriff spricht aber zunächst, daß der dann rekonstruierte vermeintliche Urbestand immer noch dieselbe Struktur aufweist, die zur Literarkritik Anlaß gegeben hatte. Auch dieser Urbestand greift vor und holt nach.“14 Nach Gunneweg zeigt das Scheitern des Unterfangens, dass der Abschnitt die Funktion hat, eine Brücke zu schlagen. Am Anfang des 21. Jh. hat J. Pakkala in seiner Untersuchung der Esrageschichte einen neuen Versuch unternommen, die Literargeschichte in dem Bereich zu rekonstruieren. Die Grundlage des Abschnittes zeigt ihm zufolge einen ursprünglich eigenständigen Anfang und Ausgangspunkt der Esrageschichte.15 Dafür muss er allerdings den Grundbestand nicht nur weitgehend reduzieren, sondern auch mit weitreichenden inhaltlichen Ver13

Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien, 125, streicht Esr 7,7–9, ohne dass dies mit hinreichenden Argumenten aus der Analyse untermauert wird: „Daß 7,7 ein Zusatz ist, an den V. 8 nicht glatt anknüpft, liegt auf der Hand. Aber auch in 7,8.9 scheint mir eine — gegenüber V. 7 schon ältere — Ergänzung vorzuliegen, die der folgenden Erzählung vorgreift und den Begründungssatz V. 10 von V. 6 trennt, an dessen letzte Worte er sich mit seinem allgemeinen Inhalt bei weitem am besten anschließt.“ Die Argumentation ist vorrangig synthetisch und trägt keinen Beweischarakter, wie In der Smitten, Esra, 8, anhand von Gegenbeispielen aufzeigt. In Bezug auf die Genealogie stellt Noth fest: „Sogleich die Ahnenreihe Esras in 7,1b–5 unterbricht den Erzählungszusammenhang zwischen V. 1a und 6 + 105) in so auffälliger Weise, daß man sie als besonderes Element betrachten muß; und man kann nur fragen, ob Chr diesen zweifellos apokryphen Stammbaum des großen Gesetzeslehrers als ein zu seiner Zeit bekanntes Überlieferungsstück vorfand, um ihn dann in etwas harter Weise der Esraerzählung einzugliedern, oder ob es sich um einen späteren Zusatz zu seinem Werke handelt. Für die zweite Alternative spricht das Verhältnis des Stammbaums zu dem sekundären Stück 1.Chr. 5,29–32.37–40a; denn der Esrastammbaum scheint eine späte Kompilation aus den beiden hier stehenden Namenreihen zu sein“ (ebd., 145f.). Auch dies wies schon In der Smitten, Esra, 8, mit dem Hinweis zurück, dass es eine gemeinsame Vorlage hinter 1Chr 5 und Esr 7 geben könne und 1Chr 5 damit keinen Beitrag zur Einheitlichkeit von Esr 7 leisten würde. 14 Gunneweg, Esra, 120.

2. Das Schreiben des Artaxerxes und sein Kontext (Esr 7)

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änderungen in der nachfolgenden Redaktionsgeschichte rechnen. Das ist für die Interpretation der Esrageschichte und des Esra-Nehemia-Buches insgesamt außerordentlich folgenreich.16 Nach Pakkala sind in Esr 7,1–6 drei Schichten zu unterscheiden. Der umfangreichste Zusatz bestehe aus dem größten Teil der Genealogie Esras in Esr 7,1–5.17 Zunächst sondert Pakkala den Beginn des Abschnittes ( ‫ואחר‬ ‫ )הדברים האלה‬als redaktionellen Zusatz aus und streicht damit den wichtigsten Anknüpfungspunkt zur vorangehenden Tempelbauerzählung. Die Argumentation ist dabei synthetisch und an der Erwartung des modernen Lesers orientiert. Kap. 7 sei ursprünglich ein eigenständiger Textanfang, was die Referenz zum vorangehenden Text infrage stelle 18: „The text would have a flawless beginning without it.“19 Als Problem und eigentliches analytisches Argument hält er fest, dass zwei Zeitreferenzen im gleichen Zusammenhang problematisch seien. „The final text of Ezra 7:1 begins with two competing chronological references: One that refers to the past events and another that refers to the king’s reign.“20 Als weiteres Argument nennt er, dass das finite Verb relativ weit vom Anfang entfernt stehe. Das führt Pakkala dazu, die Genealogie für sekundär zu halten. Außerdem werde in V. 6 mit der Phrase ‫ הוא עזרא‬dieser weite Abstand (sekundär) überbrückt. Er sieht dies offenbar als eine Wiederaufnahme.21 15

Vgl. Pakkala, Ezra the Scribe, 179. Ähnlich zuvor Williamson, Ezra-Nehemiah, 89: „It is argued in this commentary that Ezra 1–6 was written later than the editing of the material concerning Ezra and Nehemiah. The first phrase of this section (‚After these things‘) will have been added at the same time.“ Eine Eigenständigkeit hatte auch Daniels, Composition, 328, angenommen. Doch geht er nicht auf die Parallelität mit Esr 1–6 und auf den Rückbezug ein. 16 Vgl. die Tabelle der literarhistorischen Prozesse bei Pakkala, Ezra the Scribe, 303– 309. 17 In einem Aufsatz habe ich demgegenüber aufgezeigt, dass die Genealogie nicht nur für die Esrageschichte, sondern für das Esra-Nehemia-Buch insgesamt eine Schlüsselpassage ist. Vgl. Heckl, Esra als Hohepriester. 18 Während Kratz, Komposition, 94, in Erwiderung der These von Williamson (siehe oben, 223, Anm. 15) noch einmal die Argumentation von In der Smitten und Gunneweg aufnimmt, und feststellt, „daß Esr 7,1 kein selbständiger Anfang ist“, wirft Pakkala, Ezra the Scribe, 23 (Hervorh. R.H.), diesen Argumentationen vor, sie seien von einem Vorverständnis der Komposition abhängig: „Gunneweg (1985, 121) and Kratz (2000, 78) assume that the phrase derives from the same hand as the ensuing text. This assumption is, of course, in accordance with their view that the basic text of the EM has no or limited prehistory and that it was written for the present context between the construction of the temple and the Nehemiah narrative. However, from the perspective of the principles of literary criticism the assumption is questionable.“ 19 Pakkala, Ezra the Scribe, 23. 20 Pakkala, Ezra the Scribe, 23.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

Es ist zu prüfen, ob diese Argumentation für die Bestimmung der Literargeschichte ausreichend ist: 1) Die Phrase ‫ אחר הדברים האלה‬kommt nur selten ohne ein eröffnendes ‫ ויהי‬vor (vgl. Gen 15,1; Est 2,1; 3,1). ‫ ויהי‬kann allerdings an unserer Stelle schon deswegen nicht stehen, da keine Erzählung folgt. Mit Kopula zusätzlich an den vorangehenden Kontext gebunden findet sich außer Esr 7,1 keine weitere Stelle. Weil die Phrase generell selten vorkommt, ist der Verweis auf die Syntax ein eher schwaches literarkritisches Argument. 2) Dass zwei Zeitreferenzen in einem Vers ein inhaltliches Problem darstellen, ist ein Postulat, das Pakkala nicht absichert. Es gibt aber sogar zwei weitere Stellen, an denen ebenfalls ‫ אחר הדברים האלה‬mit einer weiteren Zeitangabe steht: Est 2,1; 3,1.22 Grundsätzlich wird in jedem Vers, in dem die Phrase ‫ אחר הדברים‬gebraucht wird, gegenüber der Zeitebene des Verses selbst zurückverwiesen, sodass zwei zeitliche Zusammenhänge verbunden werden. 3) Das Fehlen eines finiten Verbs in V. 1 bzw. der weite Abstand des finiten Verbs zum Anfang muss erklärt werden. Denn in vielen Übersetzungen wird es durch die Umstellung des Textes bzw. durch Voranstellung eines zusätzlichen Verbs ausgeglichen. Bereits die LXX, aber auch 1Esdras haben im Griechischen entsprechend geglättet.23 Dem folgen die modernen Übersetzungen in der Regel. Doch muss man das Problem tatsächlich mit der Annahme einer redaktionellen Bearbeitung lösen? Immerhin ist zu beachten, dass zwar LXX und 1Esdras ein stilistisches Problem gesehen haben, doch findet sich in der hebräischen Überlieferung kein Anhaltspunkt dafür, dass die späte Setzung des Verbs problematisch gewesen ist. Pakkala jedenfalls sieht die Genealogie als eine Art Glossierung an und weist sie keiner der anderen Redaktionen zu. Doch leuchtet schon diese Charakterisierung nicht ein, da der Bearbeiter nicht nur die Genealogie von Asarja bis Aaron ergänzte, sondern auch in V. 6 den Anschluss mit ‫ הוא עזרא עלה‬angepasst hat. Diese syntaktisch korrekte „Wiederaufnahme“ würde zunächst voraussetzen, dass der von Pakkala vermutete Bearbeiter auf die Kohärenz des Textes bedacht war. Nach Pakkala ist allerdings auch nur der Abstand bzw. die Länge der Genealogie das Problem. Denn er nimmt an, dass Esra in der zugrunde liegenden Vorlage bereits mit Vatersnamen erwähnt war. 24 Doch das Argument, dass man am Anfang der Esrageschichte einen Vatersnamen erwarten würde, 21 „The genealogy in Ezra 7:1bβ–5 is a probable addition. In principle, it is not impossible that the original author would have included a genealogy, but the position of the verb and the repetition of Ezra’s name imply editorial activity. The repetition of Ezra’s name in v. 6 would be an expected technique from an editor who tried to return to the older text after the expansion“ (Pakkala, Ezra the Scribe, 24). Diese Form der Wiederholung wird seit Kuhl, Wiederaufnahme, in der Literarkritik oft als Argument für die Annahme von Fortschreibungen gesehen. Kuhls Diskussion von literarkritisch relevanten Beispielen hat aber durch die von ihm zugestandene Tatsache, dass es Beispiele gibt, an denen ein Stilmerkmal vorliegt (vgl. ebd.), keine Beweiskraft in der Analyse. 22 In Est 2,1 verweist die Phrase ‫ אחר הדברים האלה‬zurück, es folgt die Infinitivkonstruktion ‫כשך חמת המלך אחשורוש‬, die einen Zeitabstand einführt, während dessen sich der Zorn des Königs beruhigt hat, woran sich erst die eigentliche Handlung anschließt. In Est 3,1 wird mit ‫ אחר הדברים האלה‬zurückverwiesen, während die Beförderung Hamans auf der Zeitebene des Verses liegt. 23 Darauf weist schon Rudolph, Esra-Nehemia, 66, hin. 24 Dies begründet Pakkala, Ezra the Scribe, 24, nicht, sondern stellt es nur fest: „Since Ezra is introduced for the first time in this verse, one would expect that his father’s name be mentioned. Consequently, it may be assumed that the original text included the name of Ezra’s father, Seraiah, who may not have had anything to do with the Aaronide priestly

2. Das Schreiben des Artaxerxes und sein Kontext (Esr 7)

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schließt ja nicht aus, dass dort eine ausführlichere Genealogie stehen kann. Auffällig ist freilich, dass Esra nirgends sonst im Esra-Nehemia-Buch mit Vatersnamen steht. Er wird stattdessen in der Regel als Priester bzw. als Schreiber bezeichnet, was doch wohl zeigt, dass man auf ihn nicht mit Vatersnamen, sondern mit seinen Funktionen verwiesen hat. Müsste man angesichts dessen nicht eher annehmen, dass eine Glossierung, die 1Chr 5 bzw. die im Hintergrund stehende Tradition aufnahm, die gesamte Genealogie ergänzt hat? Das Problem mit dem Vatersnamen geht aber noch weiter. Denn bei der Abfassung ist offensichtlich die Genealogie in 1Chr 5,40 nicht bis zu ihrem Schluss rezipiert worden, und man hat Esra nicht mit Jozadak, dem Vater Jeschuas, sondern eine Generation weiter in der Vergangenheit mit Seraja, dem Großvater von Jeschua, verbunden. Während die Genealogie so insgesamt – mit dem Vatersnamen – ein Konzept erkennen lässt, hängt die nur teilweise Streichung der Genealogie durch Pakkala mit einem literarkritischen Systemzwang zusammen. Ohne Angabe des Vatersnamens in der Vorlage müsste er annehmen, dass die Figur bei ihrer ersten Erwähnung anders erkennbar gemacht wurde, nämlich wie durchgängig im Buch mit der Bezeichnung Priester und/oder Schreiber, was die Bearbeitung dann gestrichen haben müsste. Doch Streichungen bzw. Ersetzungen kommen im Konzept der Literarkritik normalerweise nicht vor. Enthält die vorliegende Konstruktion aber wirklich ein grammatisches oder stilistisches Problem? Welche Alternative hätte der antike Autor eigentlich gehabt? Nach Pakkala ist das Verb korrekt nach der genealogischen Angabe gesetzt und lediglich die Verlängerung des Abstandes ist dafür verantwortlich gewesen, dass man das Subjekt wiederholte. Nun finden sich in der Hebräischen Bibel insgesamt dreizehn Beispieltexte, in denen das finite Verb vor zwei nachfolgenden Namen steht. Für drei nachfolgende Namen gibt es immerhin noch drei Beispiele, wobei diese allerdings mit waw-Imperfekt gebildet sind (Num 16,1; Jos 7,1.18). Umgekehrt besitzen wir fünf Beispiele, in denen zwei nachfolgende Namen genannt werden, bei denen anschließend das Verb folgt. Bei größeren Genealogien findet sich das entsprechend nicht, sodass man schließen muss, dass die Betonung, die Esra aufgrund der Genealogie erfährt, die Wiederaufnahme nach sich gezogen hat. Es liegt eine inhaltliche Besonderheit vor, die eine besondere Form nötig gemacht hat. Das heißt nun nicht, dass der Sachverhalt nicht aufgrund einer Überarbeitung zustande gekommen sein könnte. Doch spricht dagegen, dass man die gleiche grammatische Struktur auch an anderer Stelle mit ähnlicher Funktion findet, nämlich in 1Chr 5,8. In dem Kontext werden mehrmals Einzelpersonen in der Genealogie hervorgehoben. In 1Chr 5,8 geht es um Bela, für den zwei Vorfahren genannt werden. Danach heißt es, dass er in Aroër lebte: ‫ובלע בן‬ ‫עזז בן שמע בן יואל הוא יושב בערער‬. Das Beispiel, in dem der Name nicht wiederholt wird und zudem Partizip steht, ist trotzdem eine Parallele, da es sich um die gleiche grammatische Konstruktion handelt. Denn sowohl bei 1Chr 5,8 als auch Esr 7,1–6 handelt es sich um eine Pendenskonstruktion, was W. Groß in seiner Untersuchung auch ausdrücklich festgestellt hat.25 Die Verwendung des Stilmittels dient dazu, Esra mit seiner Genealogie hervorzuheben, was am Anfang der Geschichte durchaus Sinn ergibt, aber literarkritischen Begründungen den Boden entzieht. Außerdem beruht die Streichung der Genealogie auf einem nichthebräischen Sprachverständnis. Die Streichung der Genealogie bei Pakkala hängt nämlich mit einem Sprachverständnis zusammen, das auch in den Übersetzungen family or the executed high priest, but whose name was an incentive for a later editor who connected Ezra with this genealogy.“ 25 Siehe Groß, Pendenskonstruktion, 162. Groß, ebd., 161–163, bietet mehrere grammatisch parallel konstruierte Beispiele.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

zur Umstellung des finiten Verbs führt. Was ebenfalls stutzig macht, ist die Tatsache, dass in der hebräischen Textüberlieferung nirgends so harmonisiert wurde wie in den Übersetzungen. Und auch die rabbinische Überlieferung und die mittelalterlichen Kommentatoren haben die Stelle nicht als Problemstelle gesehen. Eine teilweise Streichung der Genealogie ist damit nicht hinreichend begründet.

Auch wenn zunächst kein finites Verb nach der Einführung Esras folgt, reicht diese Tatsache weder für die Annahme einer Zufügung der Genealogie noch für die Annahme einer sekundären Voranstellung von ‫ואחר הדברים‬ ‫ האלה‬aus. Mit dem Rückverweis wird festgehalten, dass Esras Auftreten später erfolgte als die vorangehenden Ereignisse des Tempelbaus, und mit der Temporalbestimmung ‫ ובמלחות ארתחשסתא מלך פרס‬wird deutlich gemacht, dass dies unter einem ganz bestimmten König und zu einer bestimmten Zeit geschah. Die Einführung Esras in Esr 7 dient der Hervorhebung dieser neuen Figur. Der mit ihm verbundene Abschnitt dürfte aber als Fortsetzung der vorangehenden Tempelbauerzählung Esr 1–6 konzipiert sein. Der Abschnitt ist in allen seinen Bestandteilen ein Brückentext, wie Gunneweg aufzeigt26 und Kratz in einem Kompositionsmodell umsetzt.27 Bei der zeitlichen Anknüpfung an die vorangehenden Geschehnisse mit Verweis auf die Handlungszeit des eröffneten Abschnittes geht es nicht primär um den temporalen Sachverhalt.28 Denn es fehlt in den Angaben in Esr 7,1.7 (zunächst) eine konkrete Zeitangabe für das Auftreten Esras.29 Die Anknüpfung signalisiert, dass das Auftreten Esras inhaltlich etwas mit den zuvor erzählten Ereignissen zu tun hat. Da bereits in Esr 1–6 die Chronologie der Darstellung nicht mit unserer Kenntnis der Perserzeit übereinstimmt, 30 sollte man auch hier darauf verzichten, Esras Kommen nach Jerusalem unter Zuhilfenahme externer Informationen zu datieren.31 Kratz weist auf die 26

Vgl. Gunneweg, Esra, 120, und Zitat oben, 222, bei Anm. 14. Kratz, Komposition, 78: „Der Reisebericht Esr 7–8 ist für den literarischen Zusammenhang von Esr 1–6 und Neh 1,1a; 2,1ff verfaßt.“ 28 In diesem Sinne dürfte eine Epitome zu 1Esdr und Esra-Nehemia in einer mittelalterlichen Handschrift der Paralipomena Jeremiae die Formulierung verstanden haben. Vgl. Text und Übersetzung bei Hanhart, Text, 118f. Darin wird behauptet, der Tempel sei erst nach der Rückkehr Esras eingeweiht worden. Das dient wahrscheinlich dazu, die eigentümliche Nennung der Könige Kyros, Darius und Artaxerxes in Esr 6,14 mit der Abfolge des Textes zu harmonisieren. Nach Hanhart identifizierte der Verfasser die verschiedenen Einweihungszeremonien des Esra-Nehemia-Buches miteinander. Vgl. ebd., 124. 29 Vgl. Hieke, Esra-Nehemia, 125. 30 Das methodische Problem hat erstmals Gunneweg, Interpretation, hervorgehoben. Seine Schlussfolgerung ist, dass „sich Änderungen dieser Angaben und Eingriffe in die Überlieferung [erübrigen], sobald erkannt wird, daß nicht exakt datierte Historie geschrieben, sondern eine geschichtstheologische Konzeption dargeboten werden soll“ (ebd., 159). 31 Schaeder, Esra, 5 formulierte: „Gemeint ist Artaxerxes I., das 7. Jahr seiner Regierung ist 458. Die Erzählung des Chronisten hat also einen Zeitraum von 62 Jahren übersprun27

2. Das Schreiben des Artaxerxes und sein Kontext (Esr 7)

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thematischen Verbindungen von Esr 7f. mit der Tempelbauerzählung hin und vermutet, dass in Esr 4–7 eine kontinuierliche Chronologie der persischen Könige intendiert sei. „[A]ramäische Dokumente verbinden Esr 4–6 mit Esr 7“32. Esras Vorfahren werden bis zu Aaron zurückverfolgt, wodurch er als direkter Nachfahr und aufgrund der Erwähnung des letzten Oberpriesters am Ersten Tempel als Angehöriger der Hohepriesterfamilie erscheint. Weder der Textabschnitt noch die späteren Abschnitte unterstellen dabei,33 dass Esra als Hohepriester wirkt.34 Doch durch die Genealogie wird er, der sonst als Priester und Schreiber bezeichnet wird, nahe an das Hohepriestertum herangeführt.35 Sie stimmt inhaltlich größtenteils mit dem Abschnitt 1Chr 5,29–40 aus der ersten Genealogie Levis und 1Chr 6,35–38 (Aarongenealogie) überein.36 In der Gegenüberstellung treten die Differenzen deutlich zutage: gen.“ Ihm folgen Wright, Date, 23f.; Cross, Reconstruction, 16. Dies sah zuvor auch schon Wellhausen, Rückkehr, 167, so. Hieke, Esra-Nehemia, 125, folgert dagegen: „In der Logik des Textes ist offenbar in den vergangenen Jahrzehnten nichts Wesentliches, das berichtenswert wäre, geschehen. Erst das Auftreten von Esra und Nehemia wird als bedeutungsvoll angesehen.“ Ob tatsächlich Jahrzehnte vorausgesetzt sind, ist zweifelhaft. Das Problem sah Torrey, Ezra-Studies, 135, als er ausgehend von der nicht stimmigen Verbindung von Esr 1 mit den siebzig Jahren des Jeremiabuches nach anderen Konzepten fragte und vermutete, dass hier die jüdische Tradition (vgl. Dan 6,1) von Darius dem Meder im Hintergrund stehe. Dennoch hat er andere Stellen wiederum versucht historisch einzuordnen, sodass er Esra auf das Jahr 398 datiert. Vgl. ebd., 260. Aufgrund der Auseinandersetzungen mit den Samariern und der datierten Zeugnisse aus Elephantine überlegt Rowley, Sanballat, 193, sogar eine Datierung Esras um 350 v. Chr. Die Abhängigkeit der Chronologie von theologischen Überlegungen vermutete zuletzt auch Abadie, Esra-Nehemia, 685: „In einem Kontext, der so deutlich theokratisch geprägt ist, muss die Ankunft des Priester-Schreibers Esra (‚priesterliche Gestalt‘) der des Nehemia (‚weltliche Gestalt‘) vorausgehen. Auf ebendiese theologische Perspektive, und nicht auf eine genaue Rekonstruktion der historischen Ereignisse, stützt sich die Chronologie der Esra- und Nehemia-Missionen im biblischen Text.“ 32 Kratz, Komposition, 54. Grätz, Artaxerxes, 213, sieht „eine gewisse Konkurrenz der Dokumente in Esr 1–6 einerseits und Esr 7 andererseits“. Außerdem könne „das Dokument Esr 7,12ff. als teilweise Ablösung des vorher Gültigen aufgefaßt werden“. 33 Lediglich 1Esdr 9,39f.49 hat entgegen Neh 8,1f.9 Εσδρας ὁ ἀρχιερεὺς, womit offenbar behauptet wird, dass Esra später zum Hohepriester geworden ist. 34 So u.a. Adeney, Ezra-Nehemiah, 110; Grabbe, Ezra’s Mission, 292. Zur Diskussion vgl. Watts, Torah, 323. Nach van der Kooij, Public Reading, 38, spricht die Genealogie für einen Gruppenkonflikt und „the underlying claim is that Ezra should be seen as the legitimate priestly leader of the Judean people“ (ebd.). Anhaltspunkte für solche Gruppenkonflikte kann ich beim Gebrauch der Esrafigur nicht erkennen. 35 Zu beachten ist aber, dass in vielen Texten der Hohepriester determiniert nur als ‫ הכהן‬bezeichnet wird. Vgl. dazu Gabriel, Hohepriestertum, 1. Es ist gerade diese Bezeichnung, die für Esra neben ‫ הספר‬im Esra-Nehemia-Buch immer wieder gebraucht wird.

228

Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem 1Chr 5,27–40

1Chr 6,35–38

Esr 7,1–5

Aaron

Aaron

Eleasar

Eleasar

Eleasar

Pinhas

Pinhas

Pinhas

Levi Gerschon, Kehat, Merari Amram, Jizhar, Hebron, Usiel Aaron, Mose, Mirjam Nadab, Abihu, Eleasar, Itamar

Abischua

Abischua

Abischua

Bukki

Bukki

Bukki

Usi

Usi

Usi

Serachja

Serachja

Serachja

Merajot

Merajot

Merajot

Amarja

Amarja

Ahitub

Ahitub

Zadok

Zadok

Ahimaaz

Ahimaaz

Asarja Johanan Asarja

Asarja

Amarja

Amarja

Ahitub

Ahitub

Zadok

Zadok

Schallum

Schallum

Hilkija

Hilkija

Asarja

Asarja

Seraja

Seraja

Jozadak Esra

36 Zur Übersicht vgl. Oeming, Genealogische Vorhalle, 142–144. Dass sie konstruiert ist, ergibt sich aus der teilweisen Übereinstimmung mit der Genealogie des Seraja in Neh 11,11. Batten, Ezra-Nehemiah, 303, sah dies als Beweis für ihren unhistorischen Charakter. Doch geht es hier nicht um mögliche Historizität, sondern um ihre Funktion im Kontext.

2. Das Schreiben des Artaxerxes und sein Kontext (Esr 7)

229

Die Genealogie Esras weist gegenüber dem Stammbaum Levis zwei Lücken auf und ist daher kürzer. Man hat entweder vorgeschlagen, dass Esr 7 die Liste in 1Chr 5 benutzt und gekürzt hat,37 oder aber man überlegt, ob 1Chr 5 die Liste in Esr 7 erweitert hat.38 Die Entscheidung hängt in der Regel davon ab, ob man die Chronik oder Esra-Nehemia für älter hält. Für die erste Lücke zwischen Merajot und Asarja deutet sich aufgrund der Namensdoppelungen am ehesten ein textkritisches Problem an.39 Die zweite „Lücke“ findet sich bei der Vaterangabe Esras. Durch sie wird Esra als Sohn des letzten Hohepriesters vorgestellt. Seraja wird in 2Kön 25,18 als letzter Oberpriester am Tempel erwähnt. Dort wird außerdem berichtet, dass dieser zusammen mit anderen Personen in Ribla hingerichtet wurde.40 Damit scheint die Genealogie Esras direkt an die vorexilische Zeit anzuknüpfen. 41 Als direkter Nachfahre des letzten Hohepriesters wäre er als potenzieller Hohepriester für die Zeit des Exils im Blick,42 da er somit zur Generation von Jeschuas Vater gehört.43 Dass der Verfasser von Esr 7,1 über die Genealogie der Hohepriesterfamilie in der Exilszeit nicht informiert gewesen sein soll, ist nicht möglich, da Jeschua nicht nur in Esr 3,2.8, sondern auch in der Esrageschichte (Esr 10,18) und in Neh 12,26 als Sohn Jozadaks erwähnt wird. Daher ist ein Textfehler an dieser Stelle sehr unwahrscheinlich. Wie realistisch die enthaltenen Vorstellungen und insbesondere die vorgestellten Zeitabstände sind, darüber lässt sich kaum Aufschluss gewinnen, 37

So u.a. Blenkinsopp, Ezra-Nehemiah, 136. Blenkinsopp (ebd.) meint außerdem, dass die Verbindung auf der Namensgleichheit seines Vaters mit dem Hohepriester Seraja beruht. Da wir aber beides nur in der Genealogie Esr 7,1ff. antreffen, ist das spekulativ. 38 So Japhet, 1 Chronik, 170, gefolgt u.a. von Pakkala, Ezra the Scribe, 26. 39 Anders als die Einschätzung von Pakkala, Ezra the Scribe, 25 („Regarding the relatively large section of missing material, the idea of accidental omission is hard to accept.“), wirkt die Vermutung eines Abschreibefehlers durch Kratz, Komposition, 81, einleuchtend. Da aber 1Chr 5 zugleich als Ergebnis einer Dittographie zu verstehen ist, ist auch eine harmonisierende Absicht im Hintergrund von Esr 7 möglich. Siehe dazu im Folgenden. 40 Die Chronik berichtet von der Hinrichtung in Ribla nicht. Könnte es sein, dass die personale Kontinuität, die in nachexilischer Zeit für Jeschua und dann auch für Esra mit dem Hohepriestertum behauptet wurde, nicht in mögliche Zweifel gezogen werden sollte und man deswegen auf diesen Inhalt verzichtet hat? 41 In der jüdischen Tradition (bMeg 16b) wird vorausgesetzt, dass Esra im Exil ein Schüler Baruchs war und deswegen, so lange dieser noch lebte, nicht in das Land ziehen konnte. Vgl. dazu Kratz, Ezra – Priest and Scribe, 164. 42 Koch, Ezra and Meremoth, 110, meint: „Ezra himself acted as high priest.“ Leuchter, Ezra’s Many Identities, 44, stellte unlängst fest, „that Ezra was perceived by ancient audiences to have been a prominent Zadokite“. 43 Deshalb ist die Schlussfolgerung von Adeney, Ezra-Nehemiah, 110 letztlich nicht zutreffend: „He was a born priest of the select family of Zadok, but not of the later house of high-priests. Therefore the privileges which are assigned to that house in the Pentateuch cannot be accounted for by ascribing ignoble motives of nepotism to its publisher.“

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

doch ist zu bedenken, dass nach Esr 3,12 mindestens eine Gruppe von Anwesenden beim Anfang der Bauarbeiten am Zweiten Tempel den Ersten Tempel noch kennt. Ob man es für möglich hält, dass auch Esra zu dieser Gruppe zählte, ist abhängig von der jeweils favorisierten Konzeption des Esrabuches und den damit zugleich vorgestellten Zeiträumen. Sieht man mit der Vatersangabe ‫ בן שריה‬einen Hinweis darauf, dass Esra noch zu der Gruppe derer, die den Ersten Tempel kennen, gehört, so würde das die in der Sekundärliteratur übliche Synchronisierung mit der uns bekannten Abfolge der persischen Könige ausschließen. Dass es aber darum geht, dass man Esra an die vorexilischen Hohepriester bzw. deren Familie anbinden will, beweist die überraschende Bezeichnung Aarons mit ‫הכהן הראש‬. Diese Bezeichnung wird zwar in der Chronik mehrmals verwendet. Im 2. Buch der Könige trägt diesen Titel aber allein jener Seraja, der nach Esr 7,1 Esras Vater ist, obwohl normalerweise die Bezeichnung ‫ הכהן הגדול‬gebraucht wird. Esra ist entsprechend der Genealogie nicht nur Priester, sondern außerdem Glied der hohepriesterlichen Familie. Der Grund dafür zeigt sich meines Erachtens in dem ersten Inhalt, mit dem Esra verbunden wird. In 7,6aβ erscheint er als Schreiber, dessen Aufgabe die Tora des Mose ist: ‫והוא‬ ‫ספר מהיר בתורת משה אשר נתן יהוה אלהי ישראל‬. Auffällig ist in dem Vers zudem, dass ein Verweis auf die Tora nicht gereicht hat und man zusätzlich noch auf die Vermittlungsfunktion des Mose verwiesen hat. Dies könnte signalisieren, dass man Esra als Schreiber und Vermittler der Tora des Mose verstehen soll. Da die Genealogie Esras bis zu Aaron zurückgeführt wird, kommt Mose zusätzlich als Bruder von Esras erstem aufgelisteten Vorfahren in den Blick. Wenn ein Zusammenhang zu 1Chr 5 besteht, so ist das der Bereich, wo von der segmentären in die lineare Genealogie übergegangen wird.44 Mose als Bruder des Aaron kommt hier in den Blick. Mit diesem Verweis auf die Funktion des Mose erscheint Esra zusätzlich als Nachfolger des Mose.45 Zugleich spiegelt die Genealogie eine am Anfang der hellenistischen Zeit bekannte Verbindung zwischen dem Hohepriestertum in Jerusalem und der Tora wieder. Hekataios von Abdera erwähnt, dass der Hohepriester Mittler von Weisungen sei und göttliche Anordnungen vortrage.46 Esra als der (spätere) Verkünder der Tora wird mittels der Genealogie in einen Zu44

Zur Terminologie vgl. Hieke, Genealogien, 20. Es ist spannend, dass in der samaritanischen Tradition in der sog. ‫ שלשלת הכהנים‬die Hohepriesterfamilie sowohl mit Mose als auch mit Aaron verbunden wird. Vgl. Gaster, Chain, 412. Becking, Inscriptions, 111, schließt aus der Erwähnung von Mose in dem Text, „that the Samaritan High Priest is a direct descendant of Moses“, doch wird Mose nur zusätzlich neben Aaron gestellt, aber in der Reihe nicht mitgezählt, offensichtlich weil er auch als Sohn Amrams gilt. Bei der samaritanischen Hohepriesterfamilie wird also ein ähnliches Prinzip wie bei Esra in Esr 7 verfolgt. 45

2. Das Schreiben des Artaxerxes und sein Kontext (Esr 7)

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sammenhang mit den Autoritäten am Zweiten Tempel und deren Bezug zur Tora gebracht.47 Die Genealogie verbindet ihn außerdem direkt mit Hilkija, bei dem es sich um den Hohepriester handelt, der im Tempel unter Josia das Buch der Tora gefunden hat. Der eigentliche Grund des Mosebezuges wird damit deutlich. Nach Dtn 31 wird die Tora dort abgelegt, wo Hilkija sie später im Tempel auffindet. Verbunden mit der Person des Esra deutet sich hier bereits in Bezug auf die Tora ein ähnliches Konzept an, wie es in Esr 1–6 für den Tempel entwickelt wurde. Man sucht die Tora personal und institutionell in der vorexilischen Zeit zu verankern. Dass Esra als Sohn Serajas erscheint, steht also im Zusammenhang der Intention von Esr 7,1ff. Aus diesen Gründen ist es wahrscheinlich, dass man die in 1Chr 5 vorliegende Genealogie gekürzt hat. Kann es angesichts dessen wirklich sein, dass dem Verfasser von Esr 7 bei der längeren Lücke einfach nur ein Lapsus unterlaufen ist? Das ist unwahrscheinlich. Bei der Rezeption, Interpretation und Anwendung der Genealogie aus 1Chr 5 auf Esra dürfte die darin enthaltene Wiederholung aufgefallen sein. Eine Kürzung als Versuch, einen Textfehler (Dittographie) auszumerzen, ist wahrscheinlicher als ein neuer Fehler. Die Charakterisierung Esras als Priester nimmt zugleich eine Bezeichnung auf, die in der Esrageschichte mehrfach vorkommt. Ihr wird in Esr 7,6.11 die Bezeichnung des Schreibers an die Seite gestellt. Bereits die gleichzeitige Bezeichnung Esras als Priester und seine genealogische Verortung im Hohepriestertum legt es nahe, dass an eine besondere Funktion und nicht nur an die eines Beamten gedacht ist.48 Die Bezeichnung wird an der ersten Stelle, an der sie vorkommt, zusätzlich mit dem Attribut ‫ מהיר‬versehen. Während der ‫ ספר‬als Beamter und Sekretär angesehen werden kann,49 muss die Phrase eine spezielle Bedeutung besitzen. Sie begegnet in Ps 45,2 ein weiteres Mal und dient dort dazu, die Redefähigkeit einer Person auszudrücken: Meine Zunge ist wie der Griffel eines ‫ספר מהיר‬. Damit dürfte der ‫ ספר מהיר‬eine Person mit außerordentlicher Befähigung beim Schreiben bezeichnen und nicht ausschließlich als Berufsbezeichnung gebraucht sein. 50 46

Der Passus findet sich bei FgrH 264 F 6, Z. 29–33. Vgl. dazu Heckl, Esra als Hohepriester, 75f. Dort findet sich auch eine kommentierte Übersetzung. 47 Knoppers, Ethnicity, 153, verweist darauf hin, dass Esra die gleiche genealogische Anbindung an die vorexilische Zeit wie die nachexilische Hohepriesterschaft erhalte. 48 Gaster, Samaritans, 27, verweist auf die Funktion des Schreibers in den Königebüchern und bei Jeremia und schließt: „Ezra’s position could, therefore, not have been that of a mere scribe, but that of a man who held a special post of commanding rank.“ 49 Vgl. Rüterswörden, Beamte, 85ff. 50 Der Übergang vom unpersönlichen Erzähltext zur Ich-Erzählung lässt dazu weitere Rückschlüsse in Bezug auf Esra und auf diese Bezeichnung zu. Vgl. unten, 262f., den Exkurs dazu.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

Die Formulierung hat auf der einen Seite seit der Aufklärung zu der Vermutung geführt, dass Esra zu den Verfassern der Tora gehört hat. In diese Richtung gingen die Interpretationen bereits in der Antike. So hat die jüdische Überlieferung Esra als den angesehen, der die Tora nach dem Exil wieder eingeführt hat (bSuk 20a)51 und die Tora in der Quadratsschrift (bSanh 21b) schrieb.52 Ob Esra historisch an der Entstehung oder Einführung der Tora beteiligt war, lässt sich zwar nicht sagen, doch die Auslegung hat wahrgenommen, dass „jener Esra“ in dem vorliegenden Kontext in ganz besonderer Weise mit der Tora verbunden wird. Das ist der Sinn der Genealogie, die ihn Hilkija und Mose als Mittler der Tora an die Seite stellt. Genau dies ist es auch, was in V. 10 noch einmal unterstrichen wird: ‫כי עזרא הכין לבבו לדרוש את‬ ‫תורת יהוה ולעשת וללמד בישראל חק ומשפט‬. Obwohl der Vers an typische Formulierungen wie z.B. Dtn 5,1.31; 6,25; 12,1 erinnert, ist die Zusammenstellung von ‫„ דרש‬suchen“ der Tora, ‫„ עשה‬tun“ und „lehren“ von Satzung und Recht einzigartig. Esra richtete sein Handeln auf die Erforschung der Tora Jhwhs bzw. (wörtlich) die Suche nach ihr. Als äquivalente Handlung zu 2Kön 22,8//2Chr 34,13, wo Hilkija die Tora findet (‫)מצא‬, sucht/erforscht (‫ )דרש‬Esra die Tora, um in Israel Satzung und Recht zu lehren. Was bereits wie der Anfang von Halachabildung klingt, fügt Esra in Wirklichkeit eng mit Mose zusammen, der ebenfalls als Lehrer der Gebote und Satzungen im Dtn erscheint und das Volk zum Tun des Gotteswillens anleitet.53 Die besondere Gottesbeziehung, die in Esr 7,10 aufgezeigt und durch die Bezüge zu Mose und Aaron unterstrichen wird, bestätigt sich darin, dass ihm die Gunst des Königs verliehen wird (Esr 7,6b), die durch Gott vermittelt ist. Esr 7,1–10 dient damit überwiegend der Charakterisierung Esras und der Rückbindung seines Auftretens nicht nur an den Tempelbau wie die Phrase ‫ ואחר הדברים האלה‬andeutet, sondern an die weiter zurückliegende Geschichte. Daneben bildet Esr 7,7–9 eine Vorwegnahme des nachfolgenden Zuges nach Jerusalem, wobei bereits Esr 8 in den Blick genommen wird. Esr 7,1–10 insgesamt muss damit als ein verbindendes Element im engeren und weiteren Kontext angesehen werden. 51 ‫„ כשנשתכחה תורה מישראל עלה עזרא מבבל וידסה‬Als die Tora von Israel vergessen war, kam Esra aus Babel herauf und begründete sie.“ 52 Vgl. dazu Hjelm, Samaritans, 108. 53 Hieke, Esra-Nehemia, 127: „Der ‚Sohn‘ des zuletzt am salomonischen Tempel amtierenden Priesters in Jerusalem (Seraja) und zugleich der jüngste Spross des Geschlechts von Aaron und Mose kommt von Babel nach Jerusalem in Sachen ‚Gesetz des Mose‘! Subtil wird auch eine Parallelität zwischen Mose, dem Gesetzesmittler, und dem Vorhaben Esras, des Gesetzeskundigen, aufgebaut.“ Vgl. auch Grätz, Edikt, 84ff., der neben Mose auch einen Zusammenhang mit den Figuren Josia und Joschafat sieht. Alle diese Bezüge hängen mit der besonderen Beziehung Esras zur Tora zusammen. Vgl. dazu unten, 263.

2. Das Schreiben des Artaxerxes und sein Kontext (Esr 7)

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2.3. Das vermeintliche Dokument Esr 7,11–26 a) Die hebräische Überschrift Esr 7,11 und der Kontext des Schreibens Das eingebettete Dokument wird durch den Sprachwechsel und durch eine hebräische Überschrift vom Kontext abgehoben. Diese doppelte Markierung der Grenze zwischen „Dokument“ und Kontext ist verglichen mit den in Esr 1–6 angeführten Schreiben und Edikten eine Besonderheit. Zwar sind auch die Kapitel Esr 4–6 auf Aramäisch verfasst, doch werden die enthaltenen Briefe und Edikte im Bereich des aramäischen Abschnittes gerahmt. Die Sprache ist also weder in Esr 4 noch in der aramäischen Tempelbauchronik formal Kriterium für die Unterscheidung der angeblichen Dokumente von ihrem Kontext. Allerdings findet sich in Esr 4,7 ein Verweis auf einen Text in aramäischer Sprache und Schrift. Auf der inhaltlichen Ebene wird dort also das Aramäische als Dokumentensprache etabliert. 54 Zwar geht es bei diesem Verweis zunächst noch um einen nicht aufgeführten Brief, doch bildet er zugleich ein Signal für den nachfolgend wiedergegebenen Briefwechsel (Esr 4,8ff.), der die weitere Handlung bestimmt. Denn dieser ist – allerdings zusammen mit der erzählerischen Ein- und Ausleitung – aramäisch abgefasst. Nach diesem Briefwechsel wird der Gebrauch des Aramäischen in der Überleitung zur aramäischen Tempelbauchronik Esr 4,23f. beibehalten. Der Verweis auf den Gebrauch des Aramäischen, auch der Wechsel zum Aramäischen in Kap. 4 und der Gebrauch des Aramäischen sowohl in den wiedergegebenen Dokumenten als auch in deren Rahmen hängt mit der ursprünglichen Stilisierung der aramäischen Tempelbauchronik zusammen. Dieser liegt ein Text zugrunde, der aus persischer Perspektive verfasst erscheinen sollte. Der in Anlehnung und als Vorspann dazu verfasste Abschnitt Esr 4 lehnt sich an diese Vorgabe an, nutzt nun den Verweis auf das Aramäische und formuliert dann auch aramäisch, um die Authentizität des Verleumdungsbriefes zu unterstreichen.55 Wie hat man demgegenüber zu interpretieren, dass das Schreiben des Artaxerxes (Esr 7,12–26) innerhalb von Esr 7 formal anhand der Sprache erkennbar ist und auch die Überschrift sich von dem Schreiben abhebt? Erstens kann man überlegen, ob es sich um ein Zeichen für die Authentizität handelt. Tatsächlich wäre in Begleitschreiben für Beamte, die sich in den Westen des Perserreiches begeben, das Aramäische als Sprache zu erwarten. Entsprechende Beispiele liegen in dem sog. Passabrief und dem Memorandum zum Wiederaufbau des Tempels aus dem Elephantinearchiv vom Ende des 5. Jh. vor. Das in Esr 7 verwendete Aramäische weist zwar einige Hebraismen auf, doch könnte man diese auf die Thematik zurückfüh54 55

Vgl. dazu oben, 90. Vgl. dazu oben, 106.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

ren.56 Zweitens könnte man überlegen, ob der Verfasser von Esr 7 bei der Abfassung frei war, weil er keine Vorlage besaß. Anders als in Esr 4 wo Esr 5f. noch zu berücksichtigen war, konnte das Konzept des Aramäischen als Dokumentensprache daher konsequent umgesetzt werden. Der Gebrauch des Aramäischen nur für das Edikt, das im hebräischen Kontext wiedergegeben wird, hat also ebenso wenig Aussagekraft für die Frage nach der Authentizität wie das Fehlen der klaren Unterscheidung von Dokumenten und Kontext in Esr 4–6. Wie bereits festgestellt, wird die formale Unterscheidung des Edikts von seinem Kontext durch die (hebräische) Überschrift in Esr 7,11 unterstrichen. Sie ist durch waw-Kopulativum mit der vorangehenden Vorstellung Esras verbunden und verweist mit dem Demonstrativum auf das nachfolgende Schreiben. Dieses wird als ‫פרשגן הנשתון‬ „Abschrift/Aufzeichnung des Schriftstückes“57 bezeichnet. Der Gebrauch des Ausdrucks wirft Fragen auf, denn er kommt zuvor im aramäischen Übergang von Esr 4 zur aramäischen Tempelbauchronik in Esr 4,23 vor und verweist dort auf den zuvor wiedergegebenen Brief zurück. 58 Die Begriffe scheinen persische Lehnworte zu sein.59 Dass der gleiche Ausdruck vorkommt, markiert einen Zusammenhang und signalisiert eine äquivalente Funktion der Schreiben.60 Dass er aber parallel im aramäischen und im hebräischen Abschnitt erscheint,61 signalisiert einen kompositionellen Zusammenhang. Die Überschrift dient dazu, den nachfolgenden Abschnitt von Esras Begleitschreiben als amtliches Dokument auszuzeichnen. Nach den vorangehenden Versen wäre es allerdings in der Überschrift eigentlich nicht noch einmal erforderlich, Esra vorzustellen. Man vermutet schon deswegen oft eine literarische Überarbeitung. Gunneweg nahm an, dass Vers 11 als Über56

Vgl. die Diskussion bei Grätz, Edikt, 81–83, ob die aramäische Sprache allgemein oder im aramäischen Text enthaltene Hebraismen Hinweise auf die Authentizität geben können. Besonders vor Letzterem warnt Grätz, ebd., 83. Auch Grabbe, Persian Documents, 553, wies zuletzt auf das ambivalente Zeugnis der enthaltenen älteren und jüngeren aramäischen Formen hin. 57 Vgl. Ges18, 1516.1525. 58 ‫ פרשגן‬kommt außerdem in Esr 4,11; 5,6 vor, ‫ נשתון‬in 4,18 und 5,5. An letztgenannter Stelle bezeichnet ‫ נשתון‬das erwartete Antwortschreiben des Darius. Vgl. zur Semantik oben, 128. 59 Zu ‫ נשתון‬vgl. KAHAL, 367; Ges18, 1516; zu ‫ פרשגן‬Ges18, 1525. 60 Nach Kapelrud, Authorship, 26, signalisieren die persischen Lehnworte den Neuanfang des Abschnittes. Abhängig ist diese Funktion natürlich von der Frage der Diachronie. Möglich ist, dass die beiden Stellen von vornherein als Zusammenhang konzipiert sind oder dass eine der beiden Stellen auf die andere zurückgegriffen hat. So Gunneweg, Esra, 127; Kratz, Komposition, 90. 61 Auf den Zusammenhang hat Gunneweg hingewiesen. Er vermutet, dass der Verfasser von Esr 7,11 die Phrase aus Esr 4–6 übernommen hat. Vgl. Gunneweg, Esra, 129.

2. Das Schreiben des Artaxerxes und sein Kontext (Esr 7)

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leitung geschaffen worden sei.62 So werde die „Titulatur Esras noch einmal vollständig und umständlich wiederholt“, um die „amtliche, offizielle Bedeutsamkeit dessen, was nunmehr mitgeteilt werden soll, hervor[zu]heben“63. In der Tat muss man die zusätzliche Überschrift als Signal werten. Doch warum muss in dem Rahmen die „amtliche, offizielle Bedeutsamkeit“ des Schreibens signalisiert werden? Diesem Zweck dient danach doch auch die Eröffnung des Schreibens, wo sich Artaxerxes als „König der Könige“ vorstellt und sich an Esra als Priester und Schreiber des Himmelsgottes wendet, womit in dem Text letztlich eine dreifache Vorstellung Esras erfolgt. Meiner Ansicht nach lässt der Gebrauch der Phrase, die nach Esr 4,23 als fremdsprachliche Formulierung erkennbar ist, die Schlussfolgerung zu, dass man mit der Überschrift eine besondere Signalwirkung erzielen wollte. Doch sollte nicht nur der offizielle Charakter des Schreibens betont, sondern das Schreiben als Dokument vom Kontext abgehoben werden. Die Überschrift, die mit den Fremdworten auf den aramäischen Text verweist, steht mit diesem in einem direkten Wechselverhältnis. Die Überschrift zielt auf das Dokument, das Dokument bezeugt zugleich die vorangehenden Informationen und damit auch die Aussagen über Esra, die in der Überschrift noch einmal aufgeführt werden. Esra wird im Attributsatz (‫ )אשר נתן המלך ארתחשסתא לעזרא‬als direkter Empfänger des Schreibens erwähnt, der Brief erscheint also ganz explizit als Begleitbrief.64 Dieses Konzept wird wieder deutlich, wenn das Schreiben in Esr 8,36 – bezeichnet als die Befehle des Königs (‫ – )דתי המלך‬an die Beamten und Statthalter jenseits des Euphrats ausgehändigt wird. Die Funktionsangabe des Schreibens geht mit einer ausführlichen Charakterisierung Esras einher, der an erster Stelle als Priester und danach als Schreiber der ‫ דברי מצות יהוה וחקיו על ישראל‬bezeichnet wird. Esra wird hier als jüdische Autorität eingeführt, was ebenso auffällig ist wie die Tatsache, dass er weder hier in Esr 7,11 noch anderswo in einer persischen Funktion erscheint. Dass man Esra in der Sekundärliteratur als Kommissar für die Einführung der Tora ansieht,65 ist lediglich eine Notlösung, die seine eigentümliche Ein62 Vgl. Gunneweg, Esra, 129. Pakkala weist den Abschnitt 7,11a.12ff. einem rescript-editor zu: „The purpose of the comment in v. 11b was to be more explicit on Ezra’s title in Hebrew, left short by the author of v. 11a“ (Pakkala, Ezra the Scribe, 32). 63 Gunneweg, Esra, 129. 64 Vgl. Grätz, Edikt, 63. 65 So sprach Klostermann, Geschichte, 217, von Esra „als königlichem Kommissar für die Reorganisation der Tempelgemeinde“, In der Smitten, Esra, 119, von Esra als „Kommissar für jüdische Angelegenheiten“. Frei, Zentralgewalt, 20, sah ihn als Kommissar für das „Gesetzbuch“, Koch, Weltordnung, 140f., „als persischen Sonderkommissar, um den Kult in Jerusalem anhand des Gesetzes Jahwäs zu erneuern“. Blenkinsopp, Mission, 413ff.,

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führung erklären soll. Bereits in Esr 7,11 deutet sich damit ein enges Zusammenspiel zwischen Überschrift und Dokument an. Die Überschrift behauptet, dass er das Dokument und damit die Gunst des Königs als Priester und als religiöser Schreiber66 erhält. Mit dieser für ein persisches Dokument überraschenden Aussage, wonach der persische König Esra als jüdischen Schriftgelehrten und Priester privilegiert, wird Esr 7,6 mit der Information aufgenommen, dass Artaxerxes Esra „alles gab, worum dieser ihn bat“, doch dass dies aufgrund des Wohlwollens Jhwhs geschah. Die Bedeutung Esras hängt also nicht an seiner Stellung beim König, sondern an seiner Gottesbeziehung, und entsprechend wird er vom König als religiöse jüdische Autorität begünstigt. Zugleich wird bereits deutlich, dass die Lehre der Tora und der Gehorsam ihr gegenüber nicht erst auf den Befehl des Königs zurückgehen können, denn Esras Position steht bereits vor dem Dokument fest. Kompositionell ergibt sich, dass Esr 7,6–11 und damit die gesamte Exposition zur Überschrift des Dokumentes hinleiten. Es wird im Folgenden weiter zu klären sein, ob das Dokument diese Sicht des Verhältnisses zwischen Artaxerxes und Esra bestätigt.

sieht diese Funktion Esras parallel zu jener des Udjahorresnet und des in TAD A 4.1 erwähnten Hananiah. Die Funktion des Letzteren in Bezug auf die Regelungen des Passas in Elephantine ist wegen des fragmentarischen Charakters unsicher. Gegenüber Udjahorresnet ist zu beachten, dass das Verhältnis zwischen Esra und Artaxerxes umgekehrt zu sein scheint. Esra übt keine bestimmte Funktion auf Befehl des Königs aus, sondern der König wird zugunsten einer jüdischen Funktion Esras aktiv. 66 Schaeder, Esra, 42, stellt fest: „Wir können sagen: aus ‚Schreiber‘ wurde ‚Schriftgelehrter‘, weil Esra in der Tradition der jüdischen Gemeinde aus einem Schreiber ein Schriftgelehrter wurde.“ Letztlich sei 7,11b „der wenig geglückte Versuch einer vorgreifenden Interpretation des Titels“ (ebd., 50) und für diese traditionsgeschichtliche Entwicklung verantwortlich. Die Grundlage dieser These ist, dass Schaeder, ebd., 46, ‫ספר דתא די אלה‬ ‫ שמיא‬von vornherein für authentisch hält und aufgrund dessen feststellt, „daß er als hoher Beamter bezeichnet wird, dessen Ressort das ‚Gesetz des Himmelsgottes‘, die Tora Jahves ist.“ Dem folgt auch Rendtorff, Esra und das Gesetz, 169, der nur fragte, „ob es sich um ein ständiges Regierungsamt handelt oder eher um eine Beauftragung ad hoc“. R. Rendtorff betont in seinem Beitrag vor allem die Differenz zwischen dem im Hebräischen gebrauchten ‫ תורה‬und dem aramäischen ‫דת‬, was erst durch „die kompositorische Notiz in Esr 7,6“ verbunden werde. Die These wurde erstmals von Kapelrud, Authorship, 27, kritisiert, mit dem Hinweis, dass „såfar is used in exactly the same manner in the Aramaic sections as sofer in the Hebrew, where the Ezra-narrative is concerned.“ Der These von Schaeder geht Grätz, Edikt, 67–70, in einem ausführlichen Exkurs nach und kommt zu dem Ergebnis, dass „das Amt des ‫ ָס ַפר‬in Esr 7,12–26 hinsichtlich seines semantischen Gefälles zum ‫ סּ ֵֹפר‬im Kontext Esr 7,1–11 nicht so eindeutig bestimmbar erscheint, wie es u.a. Schaeder vermutet.“ In Bezug auf ‫ דת‬und ‫ תורה‬weist Grätz, ebd., 70, darauf hin, dass der aramäische Begriff erst durch ‫„ טעם‬näher bestimmt“ (ebd.) wird.

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b) Die Struktur des Schreibens Das Schreiben des Artaxerxes weist eine konzentrische Struktur auf. Das Edikt wird eröffnet mit einer Einführung Esras, in der die Beziehung Artaxerxes zum Gott Israels geklärt wird. Dem steht die Aufforderung in Esr 7,25 gegenüber, die Tora zu lehren, und in Esr 7,26 die Androhung von Sanktionen für den Fall der Nichteinhaltung. Der Beauftragung Esras, Jerusalem nach dem Gesetz in seiner Hand zu inspizieren (V. 14), steht die Aufforderung, Richter und Amtleute einzusetzen, gegenüber (V. 25). Der Aufforderung, die Gaben des Königs, der Räte und aus der Provinz Babel nach Jerusalem zu bringen, steht die Darstellung der Gaben gegenüber. Diese Struktur, die durch die nur einmalige Thematisierung der Erlaubnis zur Rückkehr (V. 13) und der Abgabenfreiheit für das Kultpersonal durchbrochen wird, lässt sich so erklären, dass Themen mit besonderem Gewicht wiederholt werden. Im äußeren Rahmen findet sich das Betonte: die Einführung der Tora durch Esra. Entsprechend hat er am Anfang des Edikts den Auftrag, auf der Grundlage der Tora die Stadt zu inspizieren, was dann am Ende mit dem Thema der Gerichtsinstitution entfaltet wird. c) Esra in der Perspektive von Artaxerxes Im aramäischen Abschnitt wird Esra noch einmal vorgestellt. Eine literarkritisch relevante Doppelung liegt aber deswegen nicht vor, weil er nun aus der Perspektive des persischen Königs thematisiert wird und seine Person so ausdrückliches Thema des Briefes ist. In Esr 7,21, wo sich der König direkt an die Beamten in Transeuphratene richtet, wird die Vorstellung aus ähnlichem Grund wiederholt.67 Die aufgrund der unterschiedlichen Perspektive zwischen Rahmen und Brief erklärbare Wiederholung ermöglicht einen Vergleich der Charakterisierungen Esras. Esra wird zunächst vom König direkt angesprochen und dabei mit Funktionsbezeichnungen versehen. Die aramäischen Ausdrücke, die Esra als Priester und Schreiber des Gesetzes des Himmelsgottes ansprechen, scheinen den Angaben in Esr 7,11 zu entsprechen.68 Dies geht bis hinein in die grammatische Struktur, wonach die beiden Funktionen Esras asyndetisch aufeinanderfolgen bzw. in einem Appositionsverhältnis zueinander stehen: ‫דברי מצות יהוה וחקיו על ישראל‬

‫הספר ספר‬

‫לעזרא הכהן‬

‫דתא די אלה שמיא‬

‫ספר‬

‫לעזרא כהנא‬

Esra wird mit der jüdischen bzw. israelitischen Bezeichnung des Priesters eingeführt, und die anschließende Gegenüberstellung von ‫ דת‬und den ‫מצות‬ 67 68

Vgl. Schaeder, Esra, 43. Vgl. oben, 236, Anm. 66 mit dem Zitat von A.S. Kapelrud.

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‫ יהוה וחקיו‬scheint alles andere als der „wenig geglückte Versuch einer vorgreifenden Interpretation des Titels“69 zu sein. Denn an dieser Stelle wird nicht der Begriff ‫תורה‬, sondern ‫ מצות‬und ‫ חקות‬verwendet, die semantisch im Hebräischen dem aramäischen ‫ דת‬näher sind.70 Dessen Bedeutung wird später durch den Gebrauch von ‫ טעם‬deutlicher.71 Für den Gebrauch von ‫דת‬ ist aber entscheidend, dass dieses Nomen von Anfang an determiniert gebraucht wird. Es ist also von vornherein vorausgesetzt, dass zumindest Esra, aber auch diejenigen, denen das Begleitschreiben auszuhändigen sein würde, mit der Größe „Gesetz des Himmelsgottes“ etwas anfangen können. Wie die terminologische Besonderheit von Esr 7,12 bei der Bezeichnung des Gesetzes des Himmelsgottes sind die Abweichungen beim Bezug auf die Gottheit und der Geltungsrahmen davon abhängig, dass Esr 7,12ff. aus der Perspektive des Königs geäußert ist. Während die Überschrift den Eigennamen Jhwh verwendet, spricht Esr 7,12 vom Gott des Himmels (‫אלה‬ ‫)שמיא‬. Gegenüber Esr 7,11 fehlt außerdem der Israelbezug. Zusammen mit der Rede vom Gott des Himmels und vom Gesetz des Himmelsgottes wird aus der Perspektive des Königs universalisiert. Jhwh und die Gebote der Tora erscheinen so in einer übergreifenden Bedeutung.72 Deshalb wird die Tora mit einem der Perspektive des persischen Königs entsprechenden aramäischen Begriff bezeichnet. Dass man zuvor auf den Begriff ‫ תורה‬verzichtet hat, zeigt, dass man sich über die terminologische Differenz im Klaren ist, denn man hätte ja wie z.B. bei der Bezeichnung Esras als ‫ כהן‬auf den hebräischen Begriff zurückgreifen können. Esr 7,11.12 liegt also ein durchdachtes Konzept zugrunde, wie der fremde König seine Akzeptanz Jhwhs und der Tora ausdrücken muss. Dieser Aspekt hat die folgenden Effekte: Esra wird als Priester und Schreiber des Gesetzes des Himmelsgottes von Artaxerxes nicht wie ein Beamter angesprochen, sondern als Partner des Königs eingeführt.73 Die Selbstbezeichnung des Königs als ‫מלך מלכיא‬74 kann nichts daran ändern, dass von vornherein ein Gefälle zugunsten Esras entsteht. Denn dieser erscheint als 69 Schaeder, Esra, 50. In dem Gegenüber sieht Schaeder eine grundsätzliche Differenz zwischen Brief und Rahmen. 70 Nicht ungeschickt, sondern bewusst und semantisch exakt wird zum Gebrauch von ‫ דת‬aus der Perspektive des persischen Königs hingeleitet. 71 Vgl. Grätz, Edikt, 70. 72 Hier tut sich eine Beziehung zu Dtn 4,6–8 auf, worauf im Folgenden noch einmal eingegangen wird. Siehe unten, 254. 73 Der Umgang des Königs mit Esra entspricht dem Umgang von Ptolemäus II. Philadelphos mit dem Hohepriester nach dem Aristeasbrief Vgl. Arist. 35ff. 74 Dabei handelt es sich um eine seit dem Neuassyrischen Reich gebrauchte Bezeichnung des Großkönigs (so auch Kapelrud, Authorship, 27; Colpe, Großer König, 201), die innerbiblisch z.B. in Dan 2,37 verwendet wird.

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Priester des Gottes der Welt und als dessen Schreiber, was vom „König der Könige“ mit der Anrede bestätigt wird. Dadurch wird das Gesetz des Himmelsgottes durch Artaxerxes ebenso zu einer universalen Forderung, wie der Gott Israels zum Gott der Welt wird. Den intendierten Adressaten macht dies deutlich, dass Esra als israelitische Autorität privilegiert wird und dass dies vor dem Hintergrund der Akzeptanz des Gottes Israels als Gott des Himmels durch den König geschieht. Damit entspricht die Eröffnung des Schreibens in Esr 7,12 inhaltlich der Überschrift und der Einführung Esras (Esr 7,1–10). Lediglich der Perspektive entsprechend wird eine veränderte Terminologie verwendet und die Bedeutung des Gottes und der Gebote Israels so ausgedrückt, wie sie dem königlichen Brief entspricht. Diese Übertragung der Terminologie in die Perspektive des Briefes mit der einhergehenden Universalisierung wird aus der Perspektive des Königs in keiner Weise vermittelt und auch nicht begründet. Man hat den Eindruck, die angeblichen Adressaten des Begleitbriefes würden die theologische Konzeption bereits akzeptieren. Daher kann der Vers nicht als Teil eines persischen Dokumentes, sondern nur als ein für jüdische Adressaten bestimmter Inhalt angesehen werden. Dasselbe gilt für Esr 7,21b, wo Esra den Repräsentanten der Provinz noch einmal in gleicher Formulierung vorgestellt wird. Die folgenden Erwägungen zum textkritisch schwierigen ‫ גמיר‬am Ende des Verses stützen die Überlegungen zur Intention von Esr 7,12: Wenn man D. Schwiderski darin folgt, dass dieses ‫ גמיר‬eher ein Attribut und daher eine zusätzliche Charakterisierung Esras als eine verstümmelte Grußformel ist,75 dann bieten sich zwei mögliche Erklärungen, die die anderen Implikationen der Anrede Esras in Esr 7,12 weiter unterstreichen. 1. Als Charakterisierung Esras76 könnte es ein Äquivalent zu ‫ ספר מהיר‬in Esr 7,6 sein. Dies würde das Gefälle zwischen dem König und dem von ihm angesprochenen Priester weiter vergrößern, da entsprechend von Esra als „Priester und Schreiber des Gesetzes des Himmelsgottes, den Vollkommenen“ die Rede wäre.77 2. Für mich plausibler ist es, dass sich ‫ גמיר‬als Attribut auf ‫ אלה שמיא‬bezieht. Als Attribut zu Esra stünde ‫ גמיר‬sehr weit vom Namen entfernt.78 Das Attribut 75 Schwiderski, Handbuch, 371, hält zu Recht fest, dass die Lesung eines Attributs (also mit Determination) einen wesentlich kleineren Eingriff verlangt als die Lesung einer Grußformel. 76 Vgl. Schwiderski, Handbuch, 371. 77 Für Schwiderskis Lösung könnte zusätzlich sprechen, dass in einer Liste von Würdenträgern, die Esra ihre Gnade zugewendet haben, abschließend das Attribut ‫הגברים‬ steht. 78 Eventuell könnte es sich auch auf ‫„ דתא‬das Gesetz“ beziehen, doch ist dies weniger wahrscheinlich, da ‫ גמיר‬dann auch über ‫ די‬hinweg einen Zusammenhang herstellen müsste.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

würde aber an der Phrase ‫ אלה שמיא‬die universale Bedeutung des Himmelsgottes und seines Gesetzes unterstreichen,79 und der persische König würde so seine besondere Hochschätzung des Gottes Israels ausdrücken.80 Die Versionen haben in harmonisierenden Ergänzungen eine an Esra gerichtete Grußformel eingefügt. Dies beruht darauf, dass man den Beginn des Schreibens als Selbstvorstellung und die Angabe ‫ לעזרא‬als Adressatenangabe interpretiert hat, wie es üblicherweise auch übersetzt wird. Dem entspricht auch, dass Esra im Brief angesprochen ist, doch wird der Brief ja in Esr 7,11 als Begleitbrief ausgewiesen. Dieser Aspekt ist auch im Schreiben selbst enthalten, wenn dieses in 7,21 nach 7,13 ein zweites Mal als Edikt bezeichnet wird (‫ )ומני אנה ארתחשסתא מלכא שים טעם‬und nun von Esra die Rede ist, dem jenseits des Euphrats Privilegien zugewiesen werden. Die Interpretation des schwer verständlichen ‫ גמיר‬als Grußformel in den Versionen ist also ein Missverständnis, das aus dieser Ambivalenz der Anrede Esras und der Bestimmung des Briefes als Begleitbrief mit Ediktcharakter herrührt. Das ‫ לעזרא‬in Esr 7,12 wäre entsprechend sowohl mit „an“ als auch mit „für“ wiederzugeben. Eine Grußformel jedoch hat in dem als Begleitbrief zu verstehenden Schreiben keinen Platz, da dieses dazu dient, dass Esra es gegenüber anderen Autoritäten vorweisen kann.81 Was in der Überlieferung offenbar zu der Irritation geführt hat, ist die würdigende Einführung Esras durch den König und dass sich der König danach direkt an Esra wendet. Diese Interpretation wird durch eine andere Stelle im Esra-Nehemia-Buch gestützt. Denn in Neh 2,7–9 ist ebenfalls die Rede von Begleitbriefen. Diese sind an konkrete Autoritäten gerichtet, die Unterstützung gewähren sollten.82 Obwohl auch das Schreiben des Artaxerxes an Esra in Esr 8,36 weitergegeben wird, wird Esra darin aber direkt angesprochen. Die Unterschiede gegenüber dem, was im Hintergrund von Neh 2,7ff. steht und was wohl eigentlich zu erwarten wäre, ergeben sich aus der bereits in Esr 7,12, aber auch im vorangehenden Kontext des Edikts erkennbaren besonderen Bedeutung Esras. Man sucht ihn gegenüber Nehe79 Beispielsweise findet sich in dem eng mit Esr 7 verbundenen Abschnitt Neh 8,6 im hebräischen Text die Formulierung ‫ויברך עזרא את יהוה האלהים הגדול‬. Letztlich sind die Überlegungen zu der Formulierung unsicher, weil die eigentlich zu erwartende Determination fehlt. Das Problem könnte darin begründet sein, dass es sich um ein konstruiertes Schreiben handelt. 80 Nach Schwiderskis Vorschlag wäre indirekt mit der Würdigung des Gottes Israels die besondere Bedeutung Esras, des Priesters dieses Gottes, ausgedrückt. 81 Der Neueinsatz in Esr 7,21, der in die Anrede der Schatzhausverwalter wechselt, zeigt, dass keine Grußformel zu erwarten ist. 82 So ergeben sich weitere Zusammenhänge mit dem Nehemia-Buch, sodass der für ein Begleitschreiben eigentümliche Stil wohl in Vorwegnahme von Neh 2 der Hervorhebung Esras gegenüber Nehemia dient. Vgl. dazu unten, 287.

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mia herzuvorheben. Dass Esra durch den König gewürdigt wird, obwohl (oder weil) er nicht als Glied der persischen Hierarchie erscheint, muss mit seiner religiösen Bedeutung zusammenhängen. Dass er als Priester des Gottes des Himmels von Artaxerxes eingeführt wird, impliziert nicht nur, dass der König die universale Bedeutung des Gottes Israels akzeptiert, sondern auch, dass er die besondere Bedeutung des Gesetzes des Himmelsgottes anerkennt. Da dies aus der Perspektive des persischen Königs geschieht, nutzt man den äquivalenten aramäischen Begriff ‫דת‬. Bei Abfassung von Esr 7,11ff. wurde berücksichtigt, dass er semantisch nicht vollständig dem hebräischen ‫ תורה‬entspricht, weswegen in der vorangehenden Überschrift nicht ‫תורה‬ verwendet wurde, sondern zwei Begriffe, die die Gebote bzw. Satzungen der Tora bezeichnen. Damit wird in der Perspektive des Königs, der das Gesetz des Himmelsgottes akzeptiert und unterstützt, zugleich eine Differenz zur Bedeutung der Tora für Israel aufrechterhalten. d) Esras Aufgabe Der Hauptteil des Schreibens beginnt in Esr 7,13. Erkennbar ist dies an der Formel ‫„ מני שים טעם‬von mir ist ein Dekret erlassen worden“, die den Text als offizielles Dokument ausweisen soll. Nach der persönlichen Anrede Esras am Anfang des Dokumentes, die zwar Esr 7,1–10 und der hebräischen Überschrift 7,11 entspricht, wo Artaxerxes und Esra als Partner einander gegenüberzustehen scheinen, überrascht die Benutzung der Formel zunächst. Doch das Edikt behandelt die Person Esras nicht. Stattdessen wird jedem Israeliten, der bereit ist (‫)כל מתנדב‬, mit Esra nach Jerusalem zu gehen, vom König die Erlaubnis dazu erteilt. Dies wird am Ende des Verses deutlich, wo Esra angesprochen ist: ‫„ עמך יהך‬mit dir ziehe er hinauf“. Die Eröffnung des Briefes setzt damit von vornherein voraus, dass Esra hinaufzieht. Von einer offiziellen Beauftragung Esras kann also keine Rede sein, was einerseits der Vorstellung Esras durch Artaxerxes in Esr 7,12 entspricht, andererseits eine Parallele in Esr 7,6 hat, wo es auch zunächst ohne jeden Hinweis auf ein Einverständnis des Königs heißt, dass Esra nach Jerusalem hinaufgezogen sei und der König ihm in jeder Bitte entsprochen habe. Ziel der freiwilligen Rückkehr ist Jerusalem. So wenig wie Esra die Rückkehr vom König gewährt wird, wird in dem Dokument deutlich gemacht, warum man überhaupt nach Jerusalem ziehen soll. Dies setzt voraus, dass diejenigen, für die das Dokument bestimmt ist, mit der besonderen Bedeutung Jerusalems für Esra und die Israeliten vertraut sind und es ganz selbstverständlich akzeptieren, dass die Israeliten aus der Gola dorthin zurückkehren. Diese Präsupposition verwundert, da das Dokument als Begleit- und Beglaubigungsschreiben für persische Autoritäten bestimmt zu sein scheint. Nur für jüdische Leser ist die Rückkehr aus der Gola ein selbstverständli-

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cher Sachverhalt, sodass auch an diesem Punkt der Dokumentcharakter nicht zu halten ist. Gleichzeitig steht die Eigenständigkeit infrage, da das „Dokument“ den vorangehenden Kontext voraussetzt. Denn in Esr 7,7–9 wird Jerusalem mehrmals als Ziel der Rückkehr Esras erwähnt und die besondere Beziehung zwischen Esra und dem Jerusalemer Tempel ist aufgrund seiner Genealogie erkennbar. Inhaltlich ergibt sich eine besondere Nähe zum Kyrosedikt und seinem Kontext (Esr 1,2ff.). Denn schon dort wird dem Volk die grundsätzliche Erlaubnis erteilt, nach Jerusalem zu ziehen. Bereits an dieser Stelle wird eine freiwillige Rückkehr vorausgesetzt. Ein weiterer Aspekt ist die Betonung der religiösen Struktur des Volkes. Artaxerxes erlaubt Volk, Priestern und Leviten die Rückkehr. Dies wird so zwar nicht im Kyrosedikt vorgegeben, aber dem Edikt folgen in Esr 1,5 die Häupter der Vaterhäuser Judas und Benjamins sowie Priester und Leviten. Erst ab Esr 7,14 geht es um Esras Funktion. Der Vers ist durch ‫כל קבל די‬ mit dem vorangehenden Kontext verbunden und liefert die Begründung der Erlaubnis nach. Esras Auftrag erscheint so als selbstverständlicher Hintergrund des Schreibens. Die Aussendung geschieht, um Untersuchungen in Jehud und Jerusalem anzustellen (‫)לבקרא על יהוד ולירושלם‬, was nun doch eine persische Funktion Esras im Blick zu haben scheint. 83 Die Formulierung wurde in Anschluss an P. Frei mit der sog. persischen Reichsautorisation in einen Zusammenhang gebracht.84 Nach Blum erteilt Artaxerxes Esra „den amtlichen Auftrag, ‚eine Untersuchung anzustellen über Juda und Jerusalem mittels/kraft des Gesetzes deines Gottes, das in deiner Hand ist‘“85. Doch muss man in Betracht ziehen, dass es sich nur um einen Begründungssatz und keine Deklaration handelt, die Aussendung daher bereits im Hintergrund des Dokumentes steht und als Maßstab der Überprüfung auf das bereits zuvor erwähnte und ausdrücklich von vornherein mit Esra verbundene Gottesgesetz (Esr 7,12: ‫ )כהנא ספר דתא די אלה שמיא‬verwiesen ist. Dem korrespondiert, dass der persische König zuvor auf einer Stufe mit Esra zu kommunizieren scheint. Und auch Esr 7,14 präsupponiert, dass der König nicht nur den Gott Israels als Gott des Himmels akzeptiert, sondern auch dessen Gesetz. Was von Frei und Blum auf die persische Politik dem entstehenden Judentum gegenüber und auf die offizielle Einführung der Tora bezogen wird, basiert auf einer Vorstellung, nach der der persische König die universale Bedeutung der Tora und des Gottes Israels akzeptiert. Angesichts dessen ist der literarische und theologisch konzeptionelle Cha83 Steinmann, Ezra-Nehemiah, 293, in Anschluss an Steiner, Relation, meint aufgrund der präpositionalen Phrase, dass es um ein regelrechtes Amt gehe. Doch ist im Unterschied zu den Qumrantexten nicht das Partizip von ‫ בקר‬verwendet. Dort ist ausdrücklich determiniert von ‫ האיש המבקר‬die Rede. Vgl. Steiner, Relation, 626. 84 Vgl. Blum, Esra, 177.180f. 85 Blum, Esra, 177.

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rakter von Esr 7,12ff. unverkennbar, was nicht heißt, dass es so etwas wie die persische Autorisation der Tora nicht gegeben haben kann. Doch ist Esr 7 kein Zeugnis für diese und kann daher auch nicht genutzt werden, um die literarischen Eigenheiten der Tora zu erklären.86 Dem muss auch die Interpretation von Esr 7,26 Rechnung tragen. Dort werden zwar offenbar Sanktionen des persischen Staates angedroht, doch nicht weil die Tora zum Reichsgesetz erhoben wird, sondern weil auch der König sich ihr unterstellt. Die Tora verbleibt in Esras Hand. Wir haben es mit einer theologischen Konstruktion zu tun, nach der die persische Politik der Tora zugeordnet wird und nicht umgekehrt.87 Die theologische Konzeption lässt sich nicht auf bestimmte Eigenheiten der persischen Religionspolitik hin ausdeuten. Esras vage formulierte Aufgabe ist von vornherein mit der Tora verbunden. Er erscheint zwar als vom König ausgesandt, doch wird ihm keine staatliche Funktion zugewiesen. So fehlt der autoritative Hintergrund von Esras Rückkehr. Wenn man mit Frei das Schreiben als Beglaubigung zu verstehen sucht, dann verwundert dies besonders. Denn für die persischen Autoritäten in Palästina wäre es zunächst erforderlich gewesen, über Esras Stellung informiert zu werden, wenn sie die Forderungen des Textes akzeptieren sollten. Esra erscheint stattdessen vom König ausdrücklich als Priester und Schreiber des Gottesgesetzes nach Jerusalem gesandt. 88 Er ist nicht 86 Ich beziehe mich hier auf die von Esr 7 ausgehenden Schlussfolgerungen durch Blum, Esra, 195: „Die Hybridkomposition des Pentateuch ist aus endogenen Prozessen allein nicht hinreichend zu erklären. Damit kommen wir wieder zurück zur Frage nach den äußeren Rahmenbedingungen der Perserzeit bei der Herausbildung des Pentateuch, näherhin zur sog. ‚Reichsautorisation‘.“ 87 Anders Kratz, Translatio imperii, 235: „Sowohl die Ratifizierung des jüdischen Gesetzes, von der 7,26 zeugt, als auch die darauf beruhende Beauftragung Esras und spezielle Genehmigung einzelner Vorschriften […] erfolgen im Rahmen der persischen Reichsgesetzgebung und konstituieren nach Meinung von Esr 7 lokal gültiges persisches Recht.“ Die hebräische Esraerzählung, die Esr 7,12–26 „Zug um Zug“ folge, erweise sich „darin als ein vorzügliches Dokument jüdischer Loyalität gegenüber der persischen Oberherrschaft“. 88 Esra erscheint also nicht als persischer Beamter, wie Steiner, Relation, 628, aufgrund des Vergleiches mit der Funktion des Episkopos nach einem Dokument des 5. Jh. und der Beschreibung des Aristophanes meint: „Ezra resembles the Athenian ἐπίσκοπος in a surprising number of ways. He too was sent by an imperial government in the fifth century B.C.E., presumably wearing rich Persian clothes, to set up a legal system in a subject state. He too carried a scroll from the government containing the decree authorizing him to do that. He too came without a military escort to enforce his decisions.“ Die von Steiner genannten Einzelheiten beruhen auf der Auswertung der Komödie des Aristophanes. Die Parallelen sind aber konstruiert, wie sich beispielsweise beim Vergleich von Esras Verzicht, militärische Unterstützung in Anspruch zu nehmen, und der fehlenden militärischen Begleitung des Episkopos zeigt. Während Esr 8,22 erkennen lässt, dass militärische Begleitung die Normalität ist, hängt der Aspekt bei Aristophanes von der bizarren Szenerie einer von Vögeln erbauten Stadt ab.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

ein persischer Beamter, sondern eine jüdische religiöse Figur. 89 Wie sollten diese Implikationen für die persischen Beamten als angebliche Adressaten des Schreibens akzeptabel gewesen sein? Dieser Aspekt lässt sich stattdessen nahtlos damit verbinden, wie man Esra in den vorangehenden Versen eingeführt hat, wo ebenfalls nicht mitgeteilt wird, wie Esra in die Gunst des Königs gekommen ist und was seine Stellung beim König gewesen sein könnte, sondern nur festgestellt wird, dass „der König ihm jeden Wunsch erfüllte, weil die Hand Jhwhs über ihm war“ (‫ ויתן לו‬... ‫הוא עזרא עלה מבבל‬ ‫)המלך כיד יהוה אלהיו עליו כל בקשתו‬. Dass ein jüdischer Repräsentant ohne erkennbare persische Autorität zur religiösen Aufsicht über Juda und Jerusalem eingesetzt wird (Esr 7,14), erscheint zwar als Teil eines amtlichen persischen Schreibens als paradox, doch wird dies vom erzählerischen Rahmen vorausgesetzt. Denn bereits die Genealogie betont seine Stellung in der jüdischen Hierarchie und eine Verbindung mit der Tora. 90 Die Rede von der Beauftragung Esras bestätigt im Gesamtkontext die besondere Rolle, die Esra von vornherein hat. Artaxerxes wird dieser religiösen Funktion Esras zugeordnet. Neben der Affinität zum Kyrosedikt wegen der Erlaubnis zur Rückkehr ist Esr 7,12ff. auch Esr 6,6ff. nahe. Denn das Kyrosedikt setzt ja mit dem Bekenntnis des Perserkönigs zu seiner Berufung durch Jhwh ein, und im Edikt des Darius wird der Erhalt der Dynastie mit dem Tempelkult für Jhwh verbunden (6,10). Außerdem sichert Jhwh die spätere Einhaltung des Ediktes ab (6,12). Als zweiten Grund für die Aussendung Esras wird in Esr 7,15f. die Übergabe von Gaben an den Tempel in Jerusalem erwähnt. Dabei handelt es sich an erster Stelle um freiwillige Gaben des Königs und seiner Räte für den Gott Israels. Danach wird Esra aufgefordert, Silber und Gold, das er in der Provinz Babylon findet, zusammen mit weiteren freiwilligen Gaben dem Tempel in Jerusalem zu übergeben. Die Gaben des Volkes müssten eigentlich nach 7,16a nicht erwähnt werden. Man fragt sich, warum diese Spenden für den Tempel in Jerusalem in einem Begleit- und Beglaubigungsschreiben 89 Letztlich führt die von Steiner, Relation, 626, angeführte parallele Formulierung in 1QS 6:11f., 19f. eher zu einer innerjüdischen Funktion, die aber wohl am ehesten in Anlehnung an Esr 7ff. entwickelt worden ist. Denn der ‫ מבקר‬hat in CD XIII:5f. die Aufgabe, einen Priester im Wortlaut der Tora zu unterweisen. Ähnliches gilt für die Beurteilung von Karrer, Verfassung, 258, nach der sich in der Esrageschichte „kein einheitliches Esrabild“ ergebe. Es bestehe ein Widerspruch zwischen dem Dekret und der übrigen Esrageschichte. Das Dekret gehe von „einer Machtposition Esras und von einem Handeln im direkten Auftrag der achämenidischen Zentralmacht“ (ebd., 259) aus, während dies in der übrigen Esrageschichte ausgeschlossen werden solle. Wenn man aber die vorauslaufende Akzeptanz Esras und der Tora durch den König im Dokument berücksichtigt, bleibt von dem Widerspruch nichts übrig. 90 Siehe dazu oben, 231.

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des persischen Königs stehen. Diese Besonderheit geht damit einher, dass nun ausdrücklich der Gott Israels erwähnt wird, während aus der Perspektive des Königs zuvor nur vom Gott des Himmels die Rede war. Zu diesem Perspektivenwechsel gehört, dass Artaxerxes die Wohnstatt des Gottes Israels in Jerusalem lokalisiert. Das Dokument unterstellt hier nicht nur, dass Artaxerxes in einer jüdischen Auseinandersetzung Stellung bezogen hat, sondern dass es aus seiner Perspektive selbstverständlich ist, dass der Tempel des Gottes Israels in Jerusalem steht. Da wir darum wissen, dass in der Perserzeit nicht nur in Samaria, sondern auch in Idumäa91 und Elephantine Jhwh-Tempel existierten, wird nun der dritte persische König in dem Edikt gegen die tatsächlichen Verhältnisse auf eine bestimmte – nämlich die Jerusalemer – theologische Perspektive festgelegt. Die Übergabe von Mitteln stellt ein weiteres Mal einen Zusammenhang mit dem Kyrosedikt und seinem Kontext her. Der Verantwortlichkeit Esras für die Spendenzuweisung steht die Überführung der Kultgeräte durch Scheschbazzar gegenüber. Besonders aufschlussreich ist in dem Zusammenhang, dass Scheschbazzar zwar in der aramäischen Tempelbauchronik noch eine persische Funktion zugewiesen wurde, er aber in Esr 1,8 als ‫נשיא‬ ‫ ליהודה‬von vornherein mit einer jüdischen Bezeichnung auftritt und Kyros ihn nicht erst in eine Funktion einführt. In Esr 1 wird keine persische Funktion Scheschbazzars mehr genannt, und auch von Serubbabel, der mit Scheschbazzar identifiziert werden soll, wird nicht gesagt, dass er zum Statthalter eingesetzt wurde. Bei dem Silber und Gold, das Esra in Babel „findet“ (V. 15a: ‫וכל כסף ודהב‬ ‫)די תהשכח בכל מדינת בבל‬, das er zusammen mit den freiwilligen Gaben des Königs (7,15), des Volkes und der Priester (7,16b) nach Jerusalem bringen soll, dürfte es sich nun nicht mehr um freiwillige Gaben handeln. Die Formulierung erweckt den Eindruck, als werde Esra ermächtigt, durch Babel zu ziehen und sich mit den Edelmetallen einzudecken. Die zitierte Formulierung macht allerdings nicht deutlich, ob es sich um Gaben der Angehörigen des Volkes Israel oder aus anderen Quellen handelt. 92 Freilich steht die Angabe vor den freiwilligen Gaben, sodass man an Mittel der babylonischen Bevölkerung denken kann und möglicherweise doch wie in Esr 1 eine Anspielung auf eine Tributleistung vorliegt.93 Die bereits mehrfach deutlich 91

Vgl. dazu Lemaire, Aramaic Ostraca, 417. Dies nimmt Rothenbusch, Abgesondert, 123, an. Dass die freiwilligen Gaben vom Volkes und den Priestern (‫ )עמא וכהניא‬stammen, heißt nicht, dass diese nun weiter im Blick sind. Dem widerspricht die geographische Bestimmung ‫בכל מדינת בבל‬. Meiner Ansicht nach geht es eher um eine Art Kompensationsleistung, wobei sich der Bezug zum Auszug aus Ägypten wiederholt, wie wir ihn in Esr 1 angetroffen haben. 93 Vgl. oben, 38. Dass es sich um ein theologisches Konstrukt handelt, das am ehesten aufgrund des größeren Zusammenhangs hier noch einmal thematisiert wird, zeigt sich dar92

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gewordenen inhaltlichen Bezüge zum Kyrosedikt könnten dafür sprechen, dass hier wiederum die Bevölkerung von Babylon zur Kasse gebeten wird. Der König stattet damit Esras Zug nach Jerusalem u.a. mit Mitteln der babylonischen Bevölkerung aus. Aufgrund der Gaben zugunsten des Jerusalemer Tempels und der gewährten Privilegien, die im nächsten Abschnitt behandelt werden, muss man das Dokument des Artaxerxes mit hellenistischen Schenkungen vergleichen, wie S. Grätz herausgearbeitet hat.94 Gleichwohl führen nicht nur die zugrunde liegende Gattung und der mit ihrem Gebrauch verbundene Anachronismus dazu, dass man den Text als literarischen Text zu verstehen hat.95 Dass nach den Gaben des Königs und seiner Räte sowie der Provinz Babel an letzter Stelle die freiwilligen Gaben des Volkes und der Priester für das Gotteshaus in Jerusalem stehen, zeigt, dass der Text sich pragmatisch an Juden bzw. Israeliten richtet, die man ebenfalls zu einer Beteiligung am Unterhalt des Tempels in Jerusalem bewegen will. Dass die Betonung am Ende noch einmal auf Jerusalem liegt, aber zuvor vom König in Anlehnung an das Deuteronomium der Jerusalemer Tempel als Wohnung des Gottes Israels akzeptiert wird, lässt erkennen, dass im Hintergrund des Textes mit einer Konkurrenz verschiedener Tempel um die Finanzmittel der Diaspora gerechnet wird. Bei der Aufgabe Esras zeigt sich damit eine starke Vernetzung des Edikts mit der Einführung Esras in Esr 7,1–11. Auffällig ist, dass die Figuration Esras in ähnlicher Weise wie jene Scheschbazzars geschieht, wobei sich zwischen dem Dokument des Artaxerxes und dem Kyrosedikt eine Reihe von Berührungen ergeben. e) Die Gaben für den Tempel und die Tempelgeräte Dass am Schluss nach den Gaben des Königs und dem Gold und Silber des Landes die freiwilligen Gaben des Volkes Israel stehen, ist nicht dem Zufall geschuldet, sondern dürfte mit der eigentlichen Funktion des Textes zusammenhängen. Es geht darum, die israelitische bzw. jüdische Diaspora zu Gaben für den Jerusalemer Tempel zu bewegen. Im Folgenden ordnet der König den Gebrauch der Mittel. Zwar wäre es der persischen Perspektive durchaus angemessen, dass der König zumindest die Verwendung der vom

an, dass in Esr 8,24–28 nur die freiwilligen Gaben des Königs und des Volkes weiter behandelt werden. 94 Vgl. Grätz, Edikt, 186f.291. 95 S. Grätz führt außerdem noch eine Reihe von Berührungen zwischen der Figuration Esras und anderen atl. Figuren an, die den literarischen Charakter des Textes unterstreichen. Vgl. Grätz, Edikt, 84–92.

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Staat gewährten Mittel bestimmt,96 doch dem widerspricht am Ende wieder, dass dem Tempel die Nutzung der Mittel freigestellt ist (V. 18). Dass der König zunächst auch die Verwendung der freiwilligen Gaben der Israeliten zu regeln scheint, zeigt, dass es in dem Text nicht von vornherein um seinen Befehl selbst geht, als vielmehr darum, mit diesem die Bedeutung der Gaben hervorzuheben. Die Betonung der Reichhaltigkeit der Mittel, die klare Bestimmung ihrer Herkunft und die Zusage der freien Verfügung des Tempels über sie ergeben entscheidende Hinweise für die Datierung der EsraNehemia-Komposition.97 Dass an dieser Stelle die Verfügungsgewalt von Esra auf eine jüdische Gruppe übergeht, mit der er aufgrund seiner Herkunft verbunden ist, zeigt, dass es der Intention des Textes entspricht, wenn Esra zwar nicht als persischer Beamter oder dergleichen erscheint, aber dennoch mit einer von der Tora bestimmten Aufsicht über Juda und Jerusalem beauftragt wird. Esra als jüdische Autorität wird vom König mit jüdischen religiösen Angelegenheiten betraut, und der König gibt die Verfügung über die Opfer aus der Hand, obwohl Esr 7,17 das Gegenteil erwarten lässt. Nimmt man dies zusammen, scheint der persische König in 7,17 mit den Informationen zum Opfer die Bedeutung der Opfer am Jerusalemer Tempel zu unterstreichen. Dies dürfte am ehesten wiederum dazu dienen, die intendierten Adressaten, also Juden, zu Gaben zu bewegen, da sogar98 der persische König als Unterstützer des Kultes erscheint. Der König bestimmt die Gaben zum Unterhalt der Opfer. Dabei werden Tieropfer am Tempel und die zugehörigen Speise- und Trankopfer erwähnt (V. 17). Wenn es richtig ist, dass die Perser tierische Opfer ablehnten und die Genehmigung dazu nur in Ausnahmefällen erteilten,99 und dass die Perser nichtpersische Kulte mit Tieropfern generell nicht materiell unterstützten,100 dann ist der Passus von großer Bedeutung für die Beurteilung des angeblichen Dokuments. Behauptet wird, der König hätte die tierischen Opfer des Jerusalemer Tempels nicht nur gegen die eigene Religionspolitik erlaubt, sondern sie zudem als bestimmendes Element vorgeschrieben und zumindest teilweise selbst versorgt. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Dokument 96 Koch, Götter, 270, zeigt auf der Grundlage elamischer Urkunden auf, dass im persischen Reich „Gerste/Mehl, Wein/Bier und Früchte als Opferzuteilungen ausgegeben wurden“. 97 Vgl. dazu unten, 398ff. 98 Siehe dazu den folgenden Absatz. 99 So Kottsieper, Religionspolitik, 173. 100 Vgl. Koch, Religion, 404. Nach H. Koch belegen die Dokumente, dass „Tieropfer von der Regierung nicht vorgesehen waren“ (ebd.). Vgl. dies., Götter, 269–271; dies., Iranische Religion, 23; weiter dies., Die religiösen Verhältnisse der Dareioszeit, 146.177f.; dies., Es kündet Dareios der König, 285.

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an diesem Punkt authentisch ist, ist sehr gering, und man muss den Vers daher als Signal für die intendierten Adressaten verstehen, dass hier eine außerordentliche Privilegierung des Jerusalemer Tempels geschieht, die die für die Perser bekannte Normalität101 sprengte. Wenn man aber beachtet, dass die Aufzählung der Tieropfer mit der Erwähnung zugehöriger Speise- und Trankopfer der Konzeption der priesterlichen Texte des Levitikus- und Numeribuches entspricht, wird man auch bei der Thematik der Opfer nicht anders können, als ein innerjüdisches Interesse zu resümieren, wobei auf die entsprechenden Opfertexte der Tora zurückgegriffen worden ist. Die Formulierung der V. 17f. dürfte außerdem mit Esr 6,9 zusammenhängen. Esr 6,9 ‫ומה חשחן‬ ‫ובני תורין‬ ‫ודכרין‬ ‫ואמרין לעלון לאלה שמיא‬ ‫חנטין מלח‬ ‫חמר ומשח‬

Esr 7,17f. ‫כל קבל דנה אספרנא תקנא בכספא דנה‬ ‫תורין‬ ‫דכרין‬ ‫אמרין‬ ‫ומנחתהון‬ ‫ונסכיהון‬ ‫ותקרב המו על מדבחה די בית אלהכם די‬ ‫בירושלם‬

‫ומה די עליך ועל אחיך ייטב בשאר כספא ודהבה כמאמר כהניא די בירושלם להוא מתיהב להם‬ ‫יום ביום די לא שלו׃‬ ‫למעבד‬ ‫כרעות אלהכם תעבדון‬

Es steht sich die Abfolge der Opfer gegenüber. Der Aspekt, dass die Priester die Mittel bestimmen sollen in Esr 6,9,102 ist der Bestimmung der erforderlichen Mittel durch Esra und seine Brüder (Esr 7,18) parallel. Diese Parallelitäten lassen sich am einfachsten als direkte Übernahme verstehen. Die Formulierung ‫„ כמאמר כהניא די בירושלם להוא מתיהב להם‬nach dem Wort der Priester von Jerusalem soll es ihnen gegeben werden“ scheint in Esr 7,18 theologisch überhöht zu werden, wo es heißt, dass Esra und seine Brüder – damit müssen die Priester gemeint sein – mit dem Rest des Silbers und Goldes „nach dem Willen eures Gottes“ (‫ )כרעות אלהכם‬verfahren sollen. Bei der Formulierung von Esr 7 und der enthaltenen Konzeption hat man also auf die aramäische Tempelbauchronik zurückgegriffen. 101 Da Herodot sich über die Besonderheiten der persischen Opferpraxis im Klaren ist (vgl. Hist. I:131.1), ist damit zu rechnen, dass sie nicht nur im Perserreich bekannt waren, sondern auch für längere Zeit bekannt blieben. Auf die außergewöhnliche Höhe wies zuletzt Knoppers, Exile, Return, 51, hin. 102 Auf den Zusammenhang verweist Grätz, Edikt, 157, in der gattungsgeschichtlichen Untersuchung.

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Die abstrakte Rede vom Willen Gottes verweist auf eine Autorität im Hintergrund bzw. über Esra und den Priestern. Nach dem möglichen Bezug auf priesterliche Texte des Pentateuchs ist dabei sicher die Tora im Blick, auf die ja bereits in Esr 7,12 (vgl. Esr 7,11) verwiesen worden ist. Esr 7,17f. fügt sich damit nahtlos in das Gesamtkonzept von Esr 7,12ff., und das angebliche Dokument erweist sich zunehmend als literarisches jüdisches Produkt, das für den vorliegenden Kontext geschaffen worden ist. Besonders überraschend wäre es bei einem eigenständigen Dokument in Esr 7,12ff., dass in Esr 7,19 Kultgeräte erwähnt werden, die man Esra aushändigt (V. 19). Denn im Dokument ist zuvor nicht von Kultgeräten die Rede, doch die determinierte Erwähnung der Geräte mit dem nachfolgenden Attributsatz (‫ )ומאניא די מתיהבין לך לפלחן בית אלהך‬unterstellt, dass Esra solche zuvor erhalten hat. Dagegen, dass hier eine außertextuelle Referenz existiert, spricht, dass ein nur zwischen dem König und Esra relevanter Sachverhalt in einem Beglaubigungsschreiben ein weiteres Mal nur die Privilegierung Esras dokumentiert. Daher dürfte der Passus sich literarisch ebenfalls auf die aramäische Tempelbauchronik und ihre neue Kontextualisierung in Esr 1–6 beziehen, wo die Übermittlung von Kultgeräten an den Jerusalemer Tempel thematisiert ist.103 Zudem werden Artaxerxes und Esra aufgrund von Esr 7,19 direkt Kyros und Scheschbazzar (Esr 1,7f.) an die Seite gestellt. Man beachte, dass Esra wie Scheschbazzar in Esr 1 als jüdischer Repräsentant und nicht als persischer Würdenträger erscheint. Der Abschnitt vermittelt insgesamt den Eindruck, als befehle Artaxerxes, den Kult gemäß der Tora zu organisieren, obwohl dies der persischen Religionspolitik widersprach. Er verfügt dabei paradoxer Weise über Mittel, die zumindest teilweise freiwillige Gaben der Israeliten sind. Dies unterstreicht ebenso wie die unvermittelte Erwähnung einer Übergabe von Kultgeräten an Esra die bereits aufgrund der Überschrift geäußerte Vermutung, dass Esr 7,12–26 ein für den Kontext konstruiertes Schreiben ist, das Esr 1–6 voraussetzt.104 f) Die finanzielle Autonomie des Jerusalemer Tempels In Esr 7,20–24 wird über die Gaben des Königs zum Kult und deren Bestimmung hinausgegangen, indem nun eine umfängliche Fürsorge des persischen Reiches für den Tempel in Jerusalem in Aussicht gestellt wird. An103 Die Parallelen führt Grätz, Edikt, 55f., auf, verweist aber darauf, dass so „Doppelungen“ (ebd., 56) entstehen und die „Erzählungen je für sich abgeschlossen und verständlich“ (ebd.) sind, sodass er vorsichtig mit der Annahme einer übergreifenden Konzeption ist. 104 Schon Hölscher, Esra-Nehemia, 517, hatte aufgrund der Nähe zu den Dokumenten in Esr 4–6 vermutet, dass Esr 7,12ff. „von derselben Hand gefertigt ist“.

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satzweise sind diese Aspekte in der aramäischen Tempelbauchronik enthalten. Dort wird im Memorandum des Kyrosediktes davon gesprochen, dass der Tempelbau aus den Mitteln des Königs bestritten werden soll (Esr 6,4b). Dieser Aspekt wurde danach im Dekret des Darius ausformuliert und auf den Bedarf des Kultes ausgeweitet. Nach Esr 6,8f. soll der Bau des Tempels und die Aufrechterhaltung des Kultes aus den Steuern „jenseits des Euphrat“ finanziert werden. Wie bereits festgestellt werden konnte, hat Esr 7,17 wahrscheinlich den Aspekt der Opfer aus Esr 6,9 übernommen. Nicht rezipiert wurde dabei die Eröffnungsformulierung ‫ומה חשחן‬. Diese kehrt nun in Esr 7,20 wieder, wenn vom übrigen Bedarf des Gotteshauses (‫ )שאר חשחות בית אלהך‬gesprochen wird. Es wird also nun ein umfänglicher Bedarf des Tempels, der über die kultischen Belange hinausgeht, in den Blick genommen. Der bereits festgestellte Zusammenhang mit Esr 6 und die Rede vom Bedarf legt nahe, dass man in Esr 7 über Esr 6 hinausgehen will. Mit der Ausweitung der Fürsorge durch den König hat sich auch die Terminologie etwas verändert. Während es in Esr 6,8f. allgemein Steuern sind, aus denen der Bau des Tempels und sein Kult versorgt werden soll, kommen die Mittel nun aus dem Schatzhaus des Königs (‫)בית גנזי מלכא‬.105 Diese Veränderung zeigt, dass das ArtaxerxesSchreiben die Tempelbauchronik rezipiert, sich an sie anschließt und deren Konzeption zu einer umfassenden Fürsorge durch die persische Administration ausformuliert hat.106 Die Rede vom übrigen Bedarf macht zunächst den Eindruck, als handele es sich nach den Gaben für den Kult (Esr 7,15f.) nun um einen Nebenaspekt, doch zeigt schon seine breite Ausformulierung, dass dem Passus erhebliches Gewicht beigemessen wird. Dies signalisieren auch die konkreten Mengenangaben für die Mittel, die so hoch sind, dass sie in der Regel als unrealistisch angesehen werden.107 Hier wiederholt sich, was bei der Regelung des Kultes durch Artaxerxes festgestellt wurde: Der König bewilligt unglaubliche Mittel und gesteht dem Jerusalemer Tempel und seinem Personal damit etwas zu, was sonst nicht gewährt wurde.108 Mit den Mengenangaben als Signal für eine außerordentliche Privilegierung hängen die Aussagen zur Verfügungsgewalt bis zu der angegebenen 105 Die Schatzhäuser werden in Esr 6,1 noch allgemein als Aufbewahrungsorte erwähnt, wo dann die Aufzeichnung des Kyrosediktes gefunden wird. 106 Diese Entfaltung führt in die Zeit am Anfang des 2. Jh. Zur Frage der Datierung siehe unten, 398ff. 107 Gunneweg, Esra, 135, verweist darauf, dass nach Herodot die gesamte Steuer der Provinz Transeuphratene 350 Talente Silber ausmachte. Allein die Angabe in Silber ist daher außerordentlich hoch. Vgl. auch Grabbe, Persian Documents, 554. 108 Zudem scheinen im Perserreich große Summen nur im Kriegsfall aus den Schatzhäusern entnommen worden zu sein. Vgl. Brentjes, Die iranische Welt, 89.

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Höchstmenge zusammen. Denn den Verantwortlichen auf der anderen Seite des Euphrats wird Gehorsam gegenüber den Forderungen Esras eingeschärft. Dieser Aspekt wird damit betont, dass an dieser Stelle der Ediktcharakter des Dokumentes noch einmal unterstrichen wird ( ‫ומני אנה‬ ‫ – ארתחשסתא מלכא שים טעם לכל גזבריא די בעבר נהרא‬Esr 7,21a). Esra, dem Priester und Schreiber des Gottesgesetzes, sollen die Schatzhausverwalter gehorsam das Geforderte aushändigen. Es kann kein Zufall sein, dass an der Stelle, die den Rahmen des Denkbaren überschreitet, die religiöse Funktion Esras ein weiteres Mal herausgestellt wird, während er wiederum nicht als persischer Amtsträger charakterisiert wird. Zugunsten des Jerusalemer Tempels und seines Personals gibt Artaxerxes Autonomie an Esra als religiösen Repräsentanten des Judentums ab. Diese Intention bestätigt sich in Esr 7,23, wo der König noch einmal bekräftigt, dass alles entsprechend dem Willen des Himmelsgottes zugunsten des Gotteshauses getan werden soll.109 Damit wird der Aspekt, dass es der jüdische Repräsentant ist, der als solcher jenseits des Euphrat Entscheidungen treffen kann, noch einmal unterstrichen. Im Vergleich mit Esr 6,8f. verstärkt sich damit die Privilegierung des Tempels von Jerusalem. Esra und der Priesterschaft wird letztlich der freie Zugriff auf Mittel bis zu einem außerordentlichen Umfang zusätzlich zu den freiwilligen Gaben und den Abgaben der Provinz Babel gewährt. Eine durch den persischen Staat gesicherte Autonomie des Jerusalemer Tempels und der mit ihm verbundenen Gemeinschaft wird hier begründet. Diese Privilegierung des Jerusalemer Tempels durch Artaxerxes lässt diesen als idealen fremden Herrscher erscheinen, der nach dem Willen des Gottes Israels handelt. Man lässt Artaxerxes dabei auch Aussagen über seine Motivation machen: Die Abgaben des Königs an den Tempel in Jerusalem sollen den göttlichen Zorn über das Königtum des Königs und seiner Söhne verhindern (Esr 7,23b). Gemeint ist damit ein göttliches Gericht des Himmelsgottes, also in der Perspektive des Textes des Gottes Israels über den persischen König. Hier zeigt sich ein weiteres Mal ein Zusammenhang mit der aramäischen Tempelbauchronik. Doch an die Stelle einer positiven Motivation in Esr 6,10, wonach die Opfer die Fürbitte für den König sicherstellen, tritt nun eine negative Motivation. Zugleich deutet sich bei dieser Verschiebung ein Zusammenhang mit Esr 6,12 an. Dort wird im Falle der Übertretung des Erlasses des Darius durch nachfolgende Könige Unheil durch den Gott von Jerusalem angedroht. Bedenkt man, dass schon damit nicht mehr das Perserreich selbst in den Blick genommen wird,110 kann man 109 Für jüdische Adressaten muss die Formulierung mit der Tora in einen Zusammenhang gebracht werden. Grätz, Edikt, 99f., sieht einen möglichen Zusammenhang der Zornesandrohung mit den Flüchen des Deuteronomiums. 110 Vgl. dazu oben, 146f.

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die Übernahme dieses Aspektes in die Motivation des Artaxerxes als bedingte Unheilsankündigung für dessen eigene Dynastie verstehen. Die Unheilsdrohung für künftige nichtpersische Herrschaften im Edikt des Darius wird damit in Esr 7 weiterentwickelt zu einer Ätiologie des Untergangs des Perserreiches aufgrund eines möglichen Zornes des Gottes Israels.111 Die weitgehende Abgabenfreiheit für die Bediensteten des Tempels112 in Esr 7,24 fügt sich nahtlos mit den vorangehenden Begünstigungen durch den Perserkönig. Zwar wird vorgeschlagen, darin eine Glosse zu sehen und sie mit Esr 7,7 zu verbinden.113 Doch die umfangreiche Liste an der Stelle hat ein Pendant bereits in Esr 7,13, wo der König ja ausdrücklich Israeliten, Priestern und Leviten die Erlaubnis zur Rückkehr erteilt.114 Außerdem ist die Abgabenfreiheit eine logische Konsequenz der vorangehenden Privilegierung. Der Reichtum und die Privilegien des Tempels und seines Personals werden durch Esr 7,24 für den persischen König unangreifbar gemacht. 111 Darüber hinaus deuten sich aber konkrete Probleme mit der hellenistischen Herrschaft an. Siehe das zusammenfassende Kapitel zur Datierung unten, 398ff. 112 Weinberg, Citizen-Temple, 88, folgt der These J.D. Amusins, wonach sich die Steuerbefreiung auf die gesamte Gemeinschaft erstreckte. J. Weinberg führt als Argument an, dass „the inventory of the members of the postexilic community contains no reference to the association of the netînîm and the ‚sons of the slaves of Solomon‘ to the postexilic priesthood or temple personnel.“ Am stärksten spricht gegen diese Argumentation, dass die ‫ נתינים‬und die Nachkommen der ‫ עבדי שלמה‬in Esr 2//Neh 7 nicht im Zusammenhang der Israeliten stehen, sondern bei den Priestern und Leviten. So Carter, Emergence, 300. 113 Vgl. Gunneweg, Esra, 136. 114 Pakkala, Ezra the Scribe, 267, sieht offenbar den Zusammenhang und löst es damit, dass er in 7,13 die Phrase ‫ וכהנוהי ולויא‬als Arbeit eines levitischen Editors ansieht: „Most Levitical additions are too idiomatic and/or short to characterize and connect with other Levitical additions. In fact, a considerable number of them consist of few words only (often ‫ הכהנים והלוים‬or ‫ הלוים‬e.g., Ezra 1:5; 6:16; 7:13; 9:1; Neh 8:13), which have the sole function of emphasizing the presence of priests and Levites and/or other cultic personnel at the events.“ Dies ist kein hinreichender Grund für die Annahme einer Redaktionsschicht, wenn sich im Kontext kein Problem ergibt. Dass die Angelegenheit sich mit der Bedeutung der Priester und Leviten im nachexilischen Juda erklärt, zeigen die vielen Listen in den Büchern Esra-Nehemia, die die Gruppen immer unterscheiden. Außerdem liegt mitunter (wie in Esr 7,13 der Rückbezug auf Esr 1–6 insgesamt) ein Einfluss von rezipierten Texten vor. Das ist ohne Zweifel in Neh 8 der Fall. Dort sondert Pakkala (vgl. ebd., 272f.) u.a. in Neh 8,9.11f. die Leviten und deren Funktion bei der Verlesung der Tora aus. Doch beruht das ohne Zweifel auf der Rezeption von Dtn 31,9ff., was Kratz, Komposition, 87, herausgestellt hat. Zu der von Pakkala angenommenen Reduktion der Rolle Esras durch diese Redaktion vgl. unten, 283, Anm. 235. – An dieser Stelle zeigt sich außerdem ein möglicher Zusammenhang mit dem zweiten Teil der Liste (Esr 2,36ff.) und damit wiederum ein Zusammenhang zu Esr 1–6 insgesamt. Auf die Übereinstimmung weist auch Weinberg, Citizen-Temple, 87, hin, der das Dokument allerdings für authentisch hält und daher Rückschlüsse auf die soziale Struktur der Gemeinschaft anstellt.

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Ohne diese Aussage würden die weitreichenden Privilegien ihre Bedeutung verlieren. S. Grätz hat aufgrund formkritischer Überlegungen besonders den Abschnitt Esr 7,20ff. vor dem Hintergrund hellenistischer Institutionen erklärt. Die unrealistische Konzeption, wonach Esra frei über die Mittel verfügen kann, und die dementsprechende Abgabenfreiheit des Tempels und seines Personals fügen sich bruchfrei mit der Einführung Esras in Esr 7,1–11 als in besonderer Weise mit dem Tempel und der Tora verbundene religiöse Autorität, was im Schreiben des Artaxerxes in persischer Perspektive ebenso ausgedrückt wird. Es besteht daher kein Grund, den Abschnitt, in dem Esra als jüdische religiöse Autorität für den Tempel Jhwhs Privilegien erhält, für sekundär zu erklären.115 Dagegen spricht auch die durchgängige Rezeption und Interpretation von Esr 6. Der persische König erscheint unter Zuhilfenahme und Zuspitzung griechischer Institutionen als idealer und offenbar gottesfürchtiger Herrscher, der die universale Bedeutung Jhwhs und des Jerusalemer Tempels anerkennt und ihr entsprechend handelt. Dass einzelne Aspekte wie die Befreiung von der Steuer116 sich in authentischen Dokumenten finden, zeigt, dass man in Esr 7 angeknüpft hat an entsprechendes Hintergrundwissen. Man hat damit aber einen idealisierenden literarischen Text geschaffen, der für jüdische Adressaten bestimmt ist. Artaxerxes wird damit an die Seite des Kyros gestellt, der sich schon in Esr 1,2–4 zu Jhwh als Gott der Welt bekennt. Das Schreiben des Artaxerxes stellt somit eine Vielzahl von Bezügen zu den Inhalten der Dokumente in Esr 1–6 her. Die Außerordentlichkeit der Privilegierung ist für die intendierten Adressaten, die offizielle amtliche Dokumente beispielsweise der ptolemäischen Zeit gekannt haben dürften, erkennbar gewesen. Die Differenz zu dem Denkbaren und die Abweichung von dem, was man in der hellenistischen Zeit von den Herrschern erwarten konnte, diente dazu, das Hauptaugenmerk auf die bedingte Unheilsankündigung des Artaxerxes zu richten. Möglicherweise will man aber mit dem Verweis auf das Handeln des idealen Königs Artaxerxes zusätzlich zu freiwilligen Gaben der Diaspora für den Jerusalemer Tempel motivieren.

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Grätz, Edikt, 80, stellt die Abhängigkeit solcher Thesen von der Gesamtsicht auf Esr 7,12ff. heraus und zeigt, dass „zwingende literarkritische Gründe für ein Ausscheiden von V. 20ff. nicht vor[liegen]“. Kratz, Komposition, 82f., überlegt, ob Esr 7,21f. ursprünglicher Kern war. Dafür mögen der Neueinsatz und die Anrede der Beamten sprechen, doch spricht dagegen Esras freier Zugriff auf die Mittel des Reiches. Solch eine Abgabe von Autonomie ist unwahrscheinlich. 116 Beispielsweise ist die Steuerbefreiung des Apollotempels in Magnesia bezeugt. Vgl. dazu Ahn, Toleranz, 192. Vgl. weiter Gunneweg, Esra, 136.

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g) Eine Rechtsordnung auf Grundlage der Tora Der Abschluss des Schreibens (Esr 7,25f.) richtet sich nach dem an die Schatzmeister von Transeuphratene gerichteten Abschnitt wieder an Esra. Die Verse nehmen Bezug auf seine Beziehung zur Tora. Es spannt sich damit ein Bogen zur Eröffnung. Esra wurde dort (Esr 7,12) durch Artaxerxes wie auch in der hebräischen Überschrift als Priester und Schreiber des Gottesgesetzes bezeichnet. Die zweite Funktion wird nun in Esr 7,25f. aufgegriffen, indem er auf der Grundlage der Tora eine Rechtsordnung schaffen soll. Das Gesetz des Himmelsgottes wird dabei nicht sofort erwähnt, sondern von der Weisheit „deines Gottes“ gesprochen. Die Formulierung ‫ כחכמת אלהך די בידך‬ist allerdings parallel zu ‫ בדת אלהך די בידך‬in 7,14b formuliert, sodass den Adressaten eine Identifikation der beiden Größen signalisiert wird.117 Ähnlich werden Tora und Weisheit in Sir 24 identifiziert.118 Im Gegenüber der beiden Formulierungen in Esr 7,14.25 ist eine vergleichbare Sicht der Tora im Blick. Aufgrund der Bezüge zum Pentateuch119 liegt Dtn 4,6–8120 mit einer verwandten Aussage im direkten Assoziationshorizont von Esr 7. An diesem Bezug ist es spannend, dass Dtn 4 in der „Prophetie des Mose“121 die Tora aus der Perspektive fremder Völker als Weisheit bezeichnet, welche sich im Besitz Israels befindet. Die Ankündigung des Mose verwirklicht sich also damit, dass Esra dazu aufgefordert wird, Richter und Amtleute122 nach der ‚Weisheit seines Gottes, die sich in seiner Hand‘ befindet, einzusetzen. Der König ermächtigt Esra somit, auf der Grundlage der Tora eine Rechtsordnung zu schaffen. Dass die Tora als deren Grundlage sich von vornherein bei Esra befindet, der König ihre Bedeutung aufzeigt und sich damit der Prophetie des Mose entsprechend verhält, darf bei der Beurteilung der Passage nicht vernachlässigt werden. 117

Gunneweg, Esra, 137, hält bereits fest, dass die Gleichsetzung aus dem jüdischen Hintergrund stammt. 118 Sir 24,23 schreibt: ταῦτα πάντα βίβλος διαθήκης θεοῦ ὑψίστου νόμον ὃν ἐνετείλατο ἡμῖν Μωυσῆς κληρονομίαν συναγωγαῖς Ιακωβ. Gunneweg ist bei der Einordnung von Esr 7,27 in die jüdische Traditionsgeschichte der Identifikation von Weisheit und Tora sehr vorsichtig: „Allenfalls kann man von einer gewissen Ähnlichkeit mit solchen Ideen sprechen“ (Gunneweg, Esra, 137). Doch zeigt die auch von ihm gesehene Parallelität von Esr 7,14 und 25, dass die Tora als Weisheit des Gottes Israels verstanden ist. Ohne Identität der Begrifflichkeit abgesehen vom Gebrauch von ‫ חכמה‬ist aber dennoch derselbe Sachverhalt ausgedrückt. 119 Vgl. auch die Überlegungen von Grätz, Edikt, 99f., der einen Zusammenhang von Esr 7,26 mit dem Deuteronomium herstellt. 120 Die Formulierung zeigt nach Daniels, Composition, 317, dass der Verfasser des Dokuments „familiar with Deuteronomy“ war. 121 Zur Charakterisierung der Passage vgl. Otto, Deuteronomium, 528. 122 Ich vermute, dass die Doppelung ‫ שפטין ודינין‬die Phrase ‫( שפטים ושטרים‬z.B. Dtn 16,18) aufnimmt, was auch die LXX so interpretiert hat.

2. Das Schreiben des Artaxerxes und sein Kontext (Esr 7)

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Auch die abschließende Strafsanktion der Rechtsordnung (Esr 7,26) wurde mit der persischen Reichsautorisation in Verbindung gebracht.123 Doch aufgrund des Bezuges zu Dtn 4 und der Vorgegebenheit der Bedeutung der Tora ist es auch an dieser Stelle unwahrscheinlich, dass es in dem Abschlussvers tatsächlich um die Zuweisung einer persischen Autorität zu der Tora Israels geht, wie von Frei vorgeschlagen worden ist. Frei verweist darauf, dass man Sanktionen gegen die Übertretung des Gesetzes des Himmelsgottes zusammen mit dem Gesetz des Königs androht, und setzt voraus, dass die beiden Größen ein und dasselbe Gesetz beträfen. 124 Doch der Diskussionsstand, den Frei ausführlich wiedergibt, zeigt, dass das nicht so eindeutig ist. Denn der zweite Gebrauch von ‫ דתא‬könnte sich auch auf die vorliegende Anordnung zur Einführung der Rechtsordnung durch Esra beziehen. Zwar wird im Schreiben auf die Befehle des Königs sonst immer mit ‫ טעם‬verwiesen, doch ist gerade in der Aufnahme des Schreibens in Esr 8,36 im hebräischen Text davon die Rede, dass die ‫ דתי המלך‬übergeben worden seien.125 Diese Interpretation wäre theoretisch zugunsten der Reichsautorisationsthese sogar noch besser verwendbar. Allerdings bleibt es dabei, dass der Wille des Königs eng mit der Tora verbunden ist, die auf der Seite Esras steht. Die Einsetzung der Richter und damit die Schaffung einer Gerichts123 Blum, Esra, 199, folgt zwar Gunneweg darin, dass die beiden Verse ursprünglich sind. Doch habe Gunnewegs „Deutung als ‚Ätiologie der synagogalen Jurisdiktion‘“ „keinerlei Anhalt am Text“ (ebd.). Der inhaltliche Zusammenhang mit der in Dtn 4 erkennbaren Außenperspektive auf die Tora, spricht zwar nicht für die Ätiologie einer synagogalen Jurisdiktion, wohl aber für das Vorliegen einer religiösen jüdischen Konzeption. 124 Frei, Zentralgewalt, 60f., ging in seiner historisch orientierten Deutung davon aus, dass für den thematisierten Zusammenhang eine Identität von Tora und Königsgesetz hergestellt wird. Die Identität nahm zuvor auch schon Gunneweg, Esra, 139, an. Er wird dem Text gerecht, indem er festhält, dass es eine „theologische Konzeption [ist], welche Artaxerxes’ Brief für Esra insgesamt prägt […] Esra als Schriftgelehrter des Gesetzes Gottes und Beauftragter des persischen Königs; das Gesetz des Gottes Esras als Gesetz des Königs“. Die Identität setzt auch Kratz, Translatio imperii, 227, für die Komposition voraus; vgl. Mullen, Ethnic Myths, 30. Anders Rendtorff, Esra und das Gesetz, 187; Willi, Juda, 91. Dass auch den Verfassern des Artaxerxes-Schreibens die semantische Differenz zwischen den Begriffen ‫ דת‬und ‫ תורה‬bewusst war, zeigte sich bereits am Gegenüber von Überschrift und Eröffnung. Vgl. oben, 237f. 125 Nach Kratz, Komposition, 81, verweist Esr 8,36 nur auf die im Schreiben enthaltenen Befehle, während das Gesetz des Königs in Esr 7,26 mit dem Gesetz des Himmelsgottes zu identifizieren ist. Wahrscheinlich ist keine vollständige Identität, sondern eine sachliche Entsprechung im Blick, weswegen die drei Größen zusammenzusehen sind. Die Befehle des Königs und sein Dokument stellen die universale Gültigkeit der Tora heraus. Dafür spricht, dass beim Abschluss der aramäischen Tempelbauchronik festgestellt wird, dass die Fertigstellung des Tempelbaus aufgrund des Willens des Gottes Israels ( ‫מן טעם‬ ‫ ) אלה ישראל‬und aufgrund des Befehls der Könige Kyros, Darius und Artaxerxes geschah (‫)ומן טעם כורש ודריוש וארתחששתא מלך פרס‬.

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organisation ist – wie man es auch wendet – Ausdruck der auch schon zuvor im Dokument anzutreffenden Universalisierung der Jhwh-Verehrung. Man hat den Eindruck, als gehe der fremde König noch über Dtn 4 hinaus, indem er die Tora nicht allein lobt, sondern sie in der Region für gültig erklärt. Angesicht des zugrunde liegenden Konzeptes einer Universalisierung der jüdischen Religion und ihrer Institutionen stellt sich die Frage, ob eine Diskussion des Textes im Rahmen der sog. persischen Reichsautorisation angemessen ist. Meiner Ansicht nach ist dies deswegen ausgeschlossen, weil nicht die Autorität des Königs oder eine bestimmte Politik des Reiches die Grundlage der Vorgänge sind, sondern eine bestimmende Bedeutung Jhwhs, der Tora und Esras als Priester und Schreiber Jhwhs. Der König unterwirft sich der jüdischen Tora und letztlich auch Esra, ihrem Schreiber, er bezeichnet sie als Weisheit und macht sie zu seinem eigenen Gesetz bzw. handelt zu ihren Gunsten. Dies hat zwar die Konsequenz, dass Sanktionen angedroht werden können, eine persische Institution oder eine generelle persische Religionspolitik, wonach lokales oder gruppenspezifisches Recht für bestimmte Gruppen und Regionen zum Staatsrecht erhoben wird, haben wir aber nicht vor uns. In Esr 7 liegt letztlich in Bezug auf die Tora und auf die auf sie bezogene Rechtsordnung nichts anderes vor als bei den Regelungen, die in Esr 7, aber auch in Esr 1 und 6 in Bezug auf den Tempel von Jerusalem getroffen werden. Die Texte präsentieren nicht vordergründig eine religionsfreundliche oder zumindest Israel gegenüber religionsfreundliche Politik der Perser und auch nicht ein Beispiel für den Umgang mit dem Recht bestimmter Gruppen, sondern eine Unterwerfung der persischen Könige unter das geschichtliche Handeln Jhwhs.126 Ebensowenig, wie in Esr 1–7 bei der Fürsorge für den Jerusalemer Tempel eine Fürsorge für andere Tempel als Alternative für den König vorausgesetzt ist, lässt Esr 7,26 im Gesamtkontext von Esr 7,12–26 ein anderes konkurrierendes Gesetz in anderen Regionen oder gar ein übergeordnetes Recht zu. Der Text beschäftigt sich nicht mit der persischen Politik generell und kann deswegen auch nicht für die Frage, ob es eine persische Reichsautorisation gegeben hat oder nicht, herangezogen werden. Pragmatisch geht es um die Definition des Ursprungs einer jüdischen religiösen und juristischen Autonomie.127 Dieses Thema war relevant für die intendierten Adressaten der hellenistischen Zeit, 126 Hagedorn, Local Law, 73, hat an eine ätiologische Konstruktion gedacht, die nicht in Konflikt mit den persischen Autoritäten gerät, aber die jüdische Identität begründet. 127 So auch Gunneweg, Esra, 139. Deren Durchsetzung wird später mit Aushändigung der ‫ דתי המלך‬an die Beamten der Region signalisiert. Dass die Perser in der Esrageschichte keine Rolle mehr spielen, zeigt, dass sie in Kraft und Gültigkeit ist. Anders Rothenbusch, Abgesondert, 149, nach dem das Dokument im Fortgang der Esrageschichte nur eine untergeordnete Rolle spielt.

2. Das Schreiben des Artaxerxes und sein Kontext (Esr 7)

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und man machte es nur in einer idealen Ursprungssituation fest, in der ein persischer König angeblich die universale Geltung der Tora anerkannt hatte. Mit persischer Unterstützung wird Esra also befähigt, eine jüdische Rechtsordnung zu schaffen. Dabei geht es um eine Rechtsautonomie, was an den Sanktionsandrohungen bis hin zur Todesstrafe deutlich wird. Allerdings dürfte auch hier ein weiteres Mal ein Zusammenhang zur aramäischen Tempelbauchronik vorliegen, wo die Nichteinhaltung des Edikts des Darius unter Strafe gestellt wurde. Strafe bei Ungehorsam gegen die Tora überhöht wiederum das Konzept in Esr 6. Ein Signal für den nachfolgenden Kontext des Esra-Nehemia-Buches ist, dass die Rechtsautonomie nach Esr 7,25a für alle gilt, die Gesetze des Gottes Esras kennen (‫)לכל ידעי דתי אלהך‬. Gemeint ist nun allerdings das Volk Israel, für das die Tora bzw. die Gesetzestexte der Tora zur Grundlage einer Rechtsautonomie werden. Worauf das zielt, wird im zweiten Halbvers deutlich, wo es heißt, dass diejenigen, die nicht darum wissen, in der Tora unterrichtet werden sollen (‫)ודי לא ידע תהודעון‬. Dies nimmt die Ausrichtung von Esr 9f. an der Tora ebenso vorweg wie die Verkündigung der Tora durch Esra in Neh 8. In einer gewissen Spannung zu dieser Zielrichtung des Textes steht, dass die Rechtsinstitution auf der Grundlage der Tora nicht auf Jehud oder die Juden beschränkt zu werden scheint. Denn in Esr 7,25 scheint die Formulierung ‫„ לכל עמה די בעבר נהרה‬für das ganze Volk jenseits des Stromes“ sich wie in Esr 6 mindestens auf die Kleinsatrapie Syrien und damit auf den regionalen Kontext Judas zu beziehen.128 Auch wenn damit ‚nur‘ Juda und Samaria gemeint sein dürften, so stellt dies dennoch eine Übertreibung dar, die erklärungsbedürftig ist. Zunächst dokumentiert sie allerdings, dass es nicht um gruppenspezifisches oder regionales Recht gehen kann, denn beides wird deutlich überschritten. Im Hintergrund dürfte die im Pentateuch häufig anzutreffende Konzeption stehen, dass gleiches Recht für den ‫אזרח‬ und den ‫ גר‬gilt.129 Dennoch stellt sich bei der präsentierten Konzeption die Frage, wie diese in einer Geschichtsdarstellung akzeptabel und verständlich gewesen sein kann. Es muss eine Möglichkeit im Blick gewesen sein, wonach die intendierten Adressaten den an Esra gerichteten Befehl mit der ihnen vorfindlichen Realität vermitteln konnten. Meiner Ansicht nach zeigt die im Dokument des Artaxerxes besonders hervorgehobene Jerusalemer Perspektive,130 worauf die Einführung der Tora in der Region zielt. Denn der mit hoher Wahrscheinlichkeit erst in der hellenistischen Zeit verfasste Siehe dazu oben, 145. Vgl. Ex 12,19.48; Lev 16,29; 17,15 u.ö. Vgl. zur Konzeption Utzschneider/Oswald, Exodus, 272f. 130 Jerusalem wird darin sechs Mal als Ort des Tempels des Himmelsgottes genannt. 128 129

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Text konnte berücksichtigen, dass die Tora nicht nur als Grunddokument in Jehud oder bei den Juden bekannt war, sondern auch in Samaria und bei den Samariern. Was wir in Esr 7,25f. vor uns haben, ist somit nicht ein Zeugnis für die Einführung der Tora als regionales Recht durch die Perser, sondern die Ätiologie der Einführung der Tora in Samaria. Die Samarier werden damit unter der Hand zumindest teilweise zu ‫ גרים‬erklärt, die sich nach der Tora (bezogen auf Jerusalem, siehe Esr 7,14) zu richten haben. Und Esra wird zumindest indirekt für die Benutzung der Tora bei den späteren Samaritanern verantwortlich gemacht. 2.4. Esras Lobpreis als Schlüssel für das Verständnis von Esr 7 Mit Esr 7,27 wechselt die Sprache. Das Hebräische ist durch die Eröffnung mit ‫ ברוך‬auf den ersten Blick erkennbar. Dass eine Überleitung vom Brief des Artaxerxes zum anders stilisierten Fortgang fehlt, ist auffällig. Als Problem hat man das schon in der Antike empfunden, weswegen in einer Reihe von Handschriften des 1Esdras καὶ εἶπεν Εσδρας harmonisierend ergänzt worden ist.131 Es bleibt also zunächst der scheinbar stilistisch unvermittelte Einsatz von Esr 7,27. Die literarkritischen Entscheidungen der älteren Forschung gingen in der Regel davon aus, dass in der Esrageschichte das Ich Esras den älteren Bestand der Esrageschichte ausweist.132 Jüngere Arbeiten vermuteten einen redaktionellen Zusatz. Beispielhaft sei hier Pakkalas These erwähnt: „One receives the impression that the ensuing praise derives from an editor who took the transition from the third person narrative to the first person narrative for granted. It is doubtful that the first person account could have originally begun in this way without any transitional elements. One would expect a clearer signal that the first person account begins. The original beginning of the first person account should therefore be sought in the following verses.“133 131 Vgl. Gunneweg, Esra, 143; Pohlmann, 3. Esra, 413. Dass er sekundär sein muss, ergibt sich aus dem weiteren Kontext. Die Redeeinleitung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Ich-Erzählung, die in Esr 8,1 weitergeht, eine einleitende Formulierung fehlt, wie sie bspw. in Neh 1,1 steht. Batten, Ezra-Nehemiah, 316, hat noch überlegt, ob der schroffe Übergang durch den Ausfall einer eigentlichen Einleitung der Esrageschichte zustande gekommen ist. Der Grund sei die Einfügung der Liste in Esr 8, doch ist zu beachten, dass die Liste in 8,1 ebenfalls in der 1. Sing. formuliert ist, sich also an 7,27f. mit der 1. Sing. nahtlos anschließt. 132 So z.B. Torrey, Ezra Studies, 244. Bereits Hölscher, Esra-Nehemia, 493, weist auf die Gemeinsamkeiten mit der Nehemia-Denkschrift hin und meint, der Chronist habe sich bei Abfassung der Esrageschichte an jene angelehnt. 133 Pakkala, Ezra the Scribe, 53. Umgekehrt argumentieren Allen/Laniak, Ezra-Nehemiah-Esther, 55: Der Stilwechsel signalisiere die Verarbeitung „of a literary source generally called the Memoirs of Ezra“. Der Bearbeiter habe das Artaxerxes-Schreiben aus der Quelle übernommen und den Anfang des Kapitel in die dritte Person übertragen. Vgl.

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Abgesehen davon, dass diese Argumentation sehr stark von einem modernen ästhetischen Empfinden abhängt, setzt sie voraus, dass dem späteren Redaktor oder dem Autor der Komposition bei dem Anschluss ein Fehler unterlaufen ist. Da Stilwechsel und Sprachwechsel aber parallel gehen, ist die Annahme eines Fehlers in der Literargeschichte ebenso unwahrscheinlich wie die versehentliche Auslassung einer Überleitung in der Textgeschichte. Es liegt daher nahe, dass eine konkrete Intention für den Wechsel verantwortlich ist.134 In diese Richtung ging Gunneweg, nach dem die Funktion des Abschnittes für die eigenartige Form verantwortlich ist: „Es wird eben nicht fortlaufend erzählt, sondern vorgestellt, dargestellt, mitgeteilt und ‚dokumentiert‘. Dabei stehen Vorwegnahmen, Reproduktionen von Listen und Erlassen und nun eines Stoßgebets mehr oder weniger verbindungslos nebeneinander.“135 Eine übergreifende Absicht „Dokumentieren“, wie Gunneweg meint, erklärt allerdings nicht den abrupten Wechsel vom Schreiben in die Ich-Rede Esras. Als dokumentarisch kann man zwar den Charakter des aramäischen Schreibens Esr 7,12–26 bezeichnen wie auch jenen der Listen in Esr 1f. und den der Dokumente in Esr 4–6. Bei Esr 7,27f. fehlt aber diesen Beispielen gegenüber ein Signal wie eine Überschrift. Warum Esra an der vorliegenden Stelle sich unvermittelt zu Wort meldet, lässt sich so nicht erklären. Warum sollte man ein „Stoßgebet“ an dieser Stelle unangekündigt „dokumentieren“ wollen? Und warum sollte man ein Stoßgebet faktisch auf die selbe Stufe wie den zuvor als Dokument präsentierten Abschnitt stellen? Nach S. Mowinckel ist der Wechsel der Stilisierung in Esr 7–Neh 13 und daher auch in Esr 7 „eine vom Verfasser bewußt benutzte literarische Kunstform“136, was er anhand von außerbiblischen Beispielen untermauert: „Die Form ist ein Mittel, das Erzählte zu vergegenwärtigen, zu beleben, zu dramatisieren, und ihm damit etwas von der Art des Wirklichen in der Vorstellung der Leser oder der Zuhörer zu verleihen und deren Interesse festzu-

ebd., 59. Dagegen hat Karrer, Verfassung, 237ff., vermutet, dass die Probleme bei der sekundären Herstellung der Stilisierung in der 1. Sing. verursacht wurden. 134 Mowinckel, Ich und Er, 214, bemängelt, dass man bis in die Mitte des 20. Jh. kaum über diese Möglichkeit nachgedacht habe. Er stellt fest, dass der Wechsel zwischen 1. und 3. Person „als Ausgangspunkt der Bearbeitungshypothese unbrauchbar“ (ebd., 216) sei. 135 Gunneweg, Esra, 143. Auch Rothenbusch, Abgesondert, 142, hält die Esrageschichte am Anfang in Esr 7 weitgehend für einheitlich und meint, dass „sich das Artaxerxes-Edikt so in seinen unmittelbaren literarischen Kontext gut einfügt“ (ebd., 149), doch erklärt er letztlich den Wechsel des Stils nicht. 136 Mowinckel, Ich und Er, 220. So auch schon Hölscher, Esra-Nehemia, 493. Kapelrud, Authorship, 95, stellte fest, „that it has not been possible to prove any difference between those sections written in the first person, and the other sections of the Ezra-narrative“.

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halten und zu steigern.“137 Für Esr 7,27 meinte er, dass der Wechsel in „die Ich-Form mit dem hymnenartigen Dankwort an Gott“138 „von der traditionellen Ichform des Dankpsalms in die Feder gelegt“139 sei. Der Wechsel zum Ich Esras stelle also ein besonderes Signal dar, um die Dankbarkeit dem Heilshandeln Jhwhs gegenüber auszudrücken.140 Dabei ist aber zusätzlich zu beachten, dass in Esr 7,27 der Wechsel von einer Ich-Rede in eine andere Ich-Rede erfolgt. Esras Wortmeldung als Auftritt der zuvor mit höchster Autorität eingeführten Figur, die nicht nur Akzeptanz durch den König erfährt, sondern der vom König sogar Zugriff auf die Mittel des Reiches gewährt wird, folgt direkt auf die Gewährung des Privilegs einer Rechtsordnung auf Grundlage der Tora. Nach diesen letzten Worten des Königs spricht nun Esra. Doch spricht dieser den König nicht an, was natürlich als Erwiderung auf einen Begleitbrief ebenfalls ein Stilbruch wäre. Vielmehr richtet er sich in der Segensformel an Gott, den er als Gott unserer Väter bezeichnet (‫)ברוך יהוה אלהי אבותינו‬. Mit der 1. Pl., die durchaus vergleichbar mit dem Gebrauch der 1. Pl. in den Psalmen ist, verbindet sich der Sprecher der Ich-Rede mit seinen Adressaten. Dabei handelt es sich nicht nur um die textinternen Adressaten einer fiktiven Ich-Rede, sondern zugleich um die impliziten Adressaten des Textes selbst.141 Mit dem Beginn von Esras IchRede wird also signalisiert, dass eine Metaebene eingenommen wird, und in der Tat findet sich in Esr 7,27 mit ‫ כזאת‬ein direkter Rückverweis142 auf den vorangehenden Abschnitt. Der Zusammenhang ist damit untrennbar. Der abrupte Wechsel ist weniger auffällig, wenn man bedenkt, dass ein solcher Übergang von der Figurenebene auf die Metaebene in Erzähltexten in der Regel ebenfalls nicht explizit angezeigt wird. Für den Rezipienten ist der Wechsel von dem Dokument auf die Metaebene des Sprechers durch den Inhalt und durch den Stilwechsel143 deutlich. Wenn man diese Analogie weiter zurückverfolgt, muss man überlegen, ob man in dem Abschnitt Esr 7,1–11 ein Äquivalent zu Esr 7,27f. sehen kann. Mowinckel, Ich und Er, 223. Mowinckel, Ich und Er, 223. In einem Beitrag zur Komposition des Psalters hat Kratz, Theokratie, 304, darauf hingewiesen, dass die beiden Verse so etwas wie eine abschließende Doxologie für Esr 1–7 darstellen. 139 Mowinckel, Ich und Er, 224. 140 Nach Mowinckel war es die „Nehemia-Denkschrift […], die ihm den Impuls dazu gegeben hat“ (Mowinckel, Ich und Er, 233). Nach Kratz, Komposition, 56, hängt der Wechsel der Stilisierung der Esrageschichte mit jener in der Nehemiageschichte zusammen. 141 Dies geschieht auch über die aufgerufenen Inhalte. Vgl. Davies, Ezra-Nehemiah, 46. 142 In Übernahme der Terminologie aus der Textlinguistik bezeichnet Hardmeier, Textwelten, 221, solche Elemente als „Substitution auf Metaebene“. 143 Z.B. durch den Tempuswechsel. Im vorliegenden Fall ist der Wechsel vom dokumentarischen Stil zum Stil des Dankpsalms und durch den Sprachwechsel ersichtlich. 137

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Die Einführung Esras war stilistisch ja allenfalls in den V. 6–11 als erzählende Hinführung zu sehen. In Esr 7,27f. wird mit V. 28a die Identität des IchSprechers deutlich (‫„ ועלי הטה חסד לפני המלך ויועציו‬und mir neigte er Gunst zu vor dem König und seinen Räten“). Die Formulierung nimmt Esr 7,6b auf, wonach der König jeden Wunsch Esras erfüllte. Der Zusammenhang zu dem erzählerischen Beginn ist damit offenkundig. Dennoch bleibt der Unterschied der Stilisierung zwischen Esr 7,1–11 und 7,27f. erklärungsbedürftig. Dass es sich dabei um ein übergreifendes Konzept handelt, zeigt sich an der Stelle, die inhaltlich besonders stark mit Esr 7 verbunden ist, in Neh 8 bei der Einführung der Tora. Denn in Neh 8,1 wird ebenso unerwartet nach der Zitation der Liste von Neh 7 aus der Ich-Rede des Nehemia auf eine neutrale Erzählebene gewechselt.144 Ein Wechsel zwischen Ich-Rede und Erzähltext ist abgesehen von Prophetenbüchern145 besonders im Deuteronomium anzutreffen. Das Deuteronomium und dabei besonders das Kapitel Dtn 31 ist für die Erklärung relevant, da es in einer direkten Intertextualität mit Neh 8 steht.146 In Dtn 31 wird Mose als Verfasser des Deuteronomiums und Pentateuchs in den Text eingetragen, obwohl er im Kontext des Deuteronomiums sowohl als Sprecher vorkommt als auch als Figur, über die in der dritten Person geredet wird. Mit dem Text, den Mose in Dtn 31 schreibt, ist der den intendierten 144 Eine Nachahmung der Problematik im Nehemia-Buch (so Mowinckel, Ich und Er, 233) erklärt das Gegenüber in Esr 7 ebenso wenig wie den Wechsel in Neh 8,1. Siehe dazu weiter den nächsten Absatz. 145 Mowinckel, Ich und Er, 232, schließt einen Zusammenhang zu den Prophetenbüchern von vornherein aus, weil diese als „Sammlungen von ursprünglich selbständigen mündlichen Einheiten“ ihre literarische Geschichte begonnen hätten, und „die erzählenden Stücke aus dem Leben des betreffenden Propheten [seien] zur Erklärung ihrer Worte beigegeben“ (ebd., 233). Dazu muss er freilich voraussetzen, dass die Rezipienten zur Zeit der Abfassung des Esrabuches sich über die Prinzipien der Literargeschichte der Prophetenbücher im Klaren waren, was sehr unwahrscheinlich ist. Zu dem zumindest formalen Zusammenhang zwischen Neh 1,1ff. mit Jer 1,1ff. siehe unten, 305ff. 146 Vgl. zuletzt Otto, Deuteronomium im Pentateuch, 205; Achenbach, Vollendung, 33; Allen/Laniak, Ezra-Nehemiah-Esther, 128. Anders Pakkala, Ezra the Scribe, 157, der zwar die Möglichkeit eines Einflusses von Dtn 31 festhält, dann aber einwendet: „This is possible, but not necessary, because some central features of Deut 31:9–13 are missing in Neh 8. Deut 31:9–13 orders the Torah to be read every seven years (in the scheduled year of remission), but this idea is not referred to in Neh 8. Moreover, Deut 31:9–13 implies that the Levites were responsible for reading the Torah to the people. This idea appears only in the latest phase of Neh 8, which could mean that Deut 31:9–13 is dependent on a late form of Neh 8. It would be easier to assume that Deut 31:9–13 is dependent on the final text of Neh 8 than to assume that the different (at least three) authors/editors of Neh 8 were all subsequently using Deut 31:9–13.“ Doch spricht die Tatsache, dass Esra-Nehemia sonst auf den Pentateuch verweisen und man mit der Entstehung von Dtn 31 weit in die hellenistische Zeit kommen würde, gegen Pakkalas These.

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Adressaten vorliegende Text gemeint. Er umschließt auch die erzählerischen Verse, in denen von Mose in der 3. Person die Rede ist. Bei diesem für ein modernes Stilempfinden eigentümlichen Konzept der Zuschreibung eines Textes zu einer Figur desselben Textes handelt es sich um eine „symbolische Repräsentation“147, die dazu dient, einem konkreten Text eine besondere Autorität zu verleihen. Beim Pentateuch ist dies möglich, weil den intendierten Adressaten bewusst gewesen sein wird, dass „zwischen Mose und den intendierten Adressaten eine Vielzahl von Schreibern steht“148. Dies beruht auf dem in der Antike bekannten Faktum, dass Texte grundsätzlich von berufsmäßigen Schreibern im Namen anderer verfasst wurden.149 Dass dies der Normalfall gewesen sein muss, zeigt das Jeremiabuch, das neue ergänzte Fassungen damit erklärt, dass diese von Baruch nach der Vernichtung einer älteren hergestellt worden seien (siehe Jer 36, und vgl. Jer 45,1; 51,60). Im Alten Israel sind damit dieselben Prinzipien der Textherstellung vorauszusetzen, die bis zum Ende des Mittelalters generell angewendet wurden. „Für uns ist es heute selbstverständlich, daß alle Aktivitäten beim Texteschreiben in einer Hand liegen, eine Person also alles zu verrichten hat, was zur Produktion eines Textes erforderlich ist: von der Idee, die dem Text zugrunde liegt, der Generierung und Organisierung der Gedanken bis hin zu ihrer Ausformulierung und schließlich auch noch der Niederschrift. Das war nicht immer so. Bis zum Ende des Mittelalters war die Last auf mindestens zwei Schultern verteilt. […] Denn der Text selbst wurde vom Autor hergestellt, und zwar in einer eigenständigen Handlung, die sich grundsätzlich nicht von der Verfertigung einer normalen Rede unterschied. Ebenso eigenständig war die Handlung, die der Schreiber zu besorgen hatte: die Einrichtung des Manuskriptes, in das er den Text einzutragen hatte. Sie hat sich nicht grundsätzlich von den vielen Abschriften unterschieden, die ein Schreiber auch sonst vorzunehmen hatte. Zwischen beiden Handlungen, der Textproduktion und der Manuskriptproduktion, gab es eine Verbindung: das Diktat, das noch zu den Aufgaben des Autors gehörte und das der Schreiber zu befolgen hatte.“150 Autor und Schreiber dürften auch im Alten Israel also in der Regel nicht identisch gewesen sein. Angesichts der Tatsache, dass Esra in besonderer Weise mit den Inhalten der Tora in Verbindung gebracht wird und Artaxerxes ihm aufträgt, die Gerichtsordnung nach der Weisheit (=Tora) in seiner Hand einzurichten, ist für ihn vorausgesetzt, dass er kreativ mit Texten umgeht. Daher dürfte die besondere Bezeichnung des ‫ ספר מהיר‬gegenüber einem einfa-

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Vgl. dazu, Heckl, Mose als Schreiber, 222. Heckl, Mose als Schreiber, 222. 149 Schon Mowinckel, Ich und Er, 213, verweist auf die in der Ich-Form verfassten „Ehreninschriften“ der altorientalischen Könige, die diese Texte „‚selbstverständlich‘ [...] nicht ‚eigenhändig‘ verfaßt haben. Sie mögen mitunter die geistigen Urheber derselben sein, insofern als sie irgendwie angedeutet und kontrolliert haben, was behandelt werden sollte und was nicht, wie es von König Sverre von Norwegen erzählt wird, daß er ‚dabei‘ saß und bestimmte, was geschrieben werden sollte, als Abt Karl die ‚Sverissaga‘ verfaßte. Die Verfasserschaft im technischen Sinne haben sie selbstverständlich einem ihrer Hofschreiber überlassen.“ 150 Vgl. Ludwig, Geschichte des Schreibens, 8. 148

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chen ‫ ספר‬die kreative Arbeit dessen, der dem eigentlichen Schreiber normalerweise das Diktat vorgibt, auszeichnen.151

Neh 8 rezipiert Dtn 31 nicht nur als bekannten Text, sondern zeichnet – wie dies in Esr 7 der Fall ist – Esra als Lehrer der Tora und Nachfolge des Mose aus. Wenn dem so ist, dann dürfte auch der Gebrauch der im Deuteronomium angewendeten hermeneutischen Konzepte nahegelegen haben. Vielleicht ahmt man sie auch bewusst nach. Der Wechsel in die Ich-Rede dokumentiert damit nicht ein Stoßgebet,152 er soll auch nicht nur die Aufmerksamkeit steigern,153 sondern dient stattdessen dazu, mindestens das Kapitel Esr 7 insgesamt direkt auf Esra zurückzuführen.154 Da Esra untrennbar mit der Tora verbunden ist, wird er durch die IchRede zugleich Mose als Sprecher des Deuteronomiums und als Schreiber der Tora an die Seite gestellt. An dieser Stelle erfährt die Beobachtung von S. Grätz, dass Esra wie Mose figuriert ist,155 eine letzte auch funktionale Bestätigung. Dass der Wechsel in die Ich-Rede erst in Esr 7,27f. geschieht, hängt natürlich damit zusammen, dass Esra als Figur zuvor eingeführt werden musste. Dass dem Wechsel in die Ich-Rede eine so ausführliche Einführung der Figur und das Dokument des Artaxerxes vorausgehen, zeigt, dass ein literarisches Konzept vorliegt. Esra, eine vielleicht bekannte Figur, wird hier erst als bedeutende religiöse Gestalt eingeführt und durch das königliche Edikt als solche extern bezeugt. Danach lässt man ihn sich als Autor präsentieren. Zudem dürfte der in Esr 1–6 verarbeitete Text der aramäischen Tempelbauchronik ursprünglich nicht mit Esra in einem Zusammenhang gestanden haben. So wollte man aus kompositionellen Gründen einen sinnvollen Anschluss der Esrageschichte in Esr 7,1–6 an den vorangehenden Text erreichen, indirekt aber der neuen Komposition von Esr 1–6 durch die so hergestellte Verbindung mit Esra Autorität geben. Im weiteren Verlauf der Esrageschichte konnte man dann das Ich des Esra betont verwenden. Die 151 Dies beweist Ps 45,2, wo sich der Dichter lobt und davon spricht, dass seine Zunge der Stift des ‫ עט מהיר‬ist. 152 Vgl. Gunneweg, Esra, 143. 153 Mowinckel, Ich und Er, 223. 154 Allen/Laniak, Ezra-Nehemiah-Esther, 55, gehen davon aus, dass ein Herausgeber an einem ursprünglich als Memoiren stilisierten Grundtext gearbeitet habe, sodass die vorliegende Form zustande gekommen ist. Diese Annahme ist nicht nötig, wenn sich der Verfasser beispielsweise am Vorbild des Deuteronomiums orientiert hat. 155 Vgl. Grätz, Edikt, 84f. Diese Figuration ist eines der wesentlichen Argumente gegen die Authentizität des Artaxerxes-Ediktes. Grätz sieht weitere innerbiblische Affinitäten der Esra-Figur mit Josia und Joschafat. Vgl. ebd., 86ff. Da schon Josia mit seiner Reform und dem Bundesschluss dem Vorbild des Mose und Josuas nachgestaltet ist, dürften diese Zusammenhänge nicht von der Mose-Figuration zu trennen sein. Die genealogische Verbindung mit dem Hohepriester Hilkija, der nach 2Kön 22//2Chr 34 unter Josia das Buch der Tora im Tempel findet, zeigt den Zusammenhang.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

beiden Verse, die sich an Gott richten und in denen das Handeln des Arataxerxes letztlich als Gottes Handeln gepriesen wird, lassen auch das Edikt und indirekt die vorangehende Einführung Esras zu Esras Text werden, der sich in Esr 8,1 sukzessive fortsetzt. Die beiden Verse machen Esr 7 also zu einem Übergangsabschnitt von der Tempelbauerzählung Esr 1–6 hin zur Esrageschichte. Wenn man das antike Zusammenspiel von Autor und Schreiber berücksichtigt, das für eine „symbolische Repräsentation“ Esras genutzt wird, dann soll die Aufeinanderfolge von Dekret und Lobpreis möglicherweise signalisieren, dass Esra den Text diktiert hat, und zwar über Esr 7 hinaus. Dass die Wissenschaft nicht eher zu dieser eigentlich einfachen Lösung des Ganzen gekommen ist, überrascht, denn bereits die ältere Forschung hatte ja das Phänomen der Ich-Rede als Hinweis auf die Authentizität der Abschnitte verstanden, was bspw. schon von Hölscher mit dem Hinweis auf literarische Texte mit ähnlicher Stilisierung zurückgewiesen wurde.156 Dass das Ich aber genutzt wird, um für die Esrageschichte und möglicherweise für das Esrabuch insgesamt den Eindruck zu erwecken, Esra sei sein Urheber, wurde nicht weiter verfolgt.157 Neben dieser kompositionellen Bedeutung von Esr 7,27–28, die bei der Diskussion der Abschnitte im Nehemia-Buch noch einmal eine Rolle spielen wird,158 haben die beiden Verse eine wichtige auf den Text des vorangehenden Schreibens bezogene Funktion. Die direkte Anrede Gottes, als deren Alternative man sich allenfalls einen an Artaxerxes gerichteten Dank vorstellen könnte, weist letztlich das vorangehende Schreiben als Ergebnis des Heilshandelns des Gottes Israels aus. Sie signalisiert, dass man den Text gerade nicht als Gunsterweisung des Königs und als Handeln des persischen Reiches zugunsten Israels verstehen soll.159 Die antiken Rezipienten sollen die außergewöhnliche Begünstigung Israels und des Tempels in Jerusalem auf das direkte Einwirken des Gottes Israels zurückführen. Dem König wird mit der Formulierung ‫ אשר נתן כזאת בלב המלך‬ein eigenes Verdienst abgesprochen. Die Verherrlichung des Hauses Jhwhs in Jerusalem (7,27), die zusammenfassend als Ziel von Jhwhs Handeln genannt wird, geht auf den Willen und das Handeln Jhwhs selbst zurück. Wie wohl Esr 7,13–26 Vgl. Hölscher, Esra-Nehemia, 493. Das relativ späte Esra-Nehemia-Buch muss als ein (neben dem Pentateuch mit Dtn 31 weiterer) Prototyp für die jüdische pseudepigraphe Literatur gelten. Vgl. dazu Heckl, Schriftverständnis, 217–219. 158 Zu klären ist auch die Frage, warum die Ich-Erzählung in Esr 10 wieder verlassen wird, was ebenfalls zu redaktionsgeschichtlichen Thesen geführt hat. So zuletzt Rothenbusch, Abgesondert, 133. Zum Problem siehe unten, 288. 159 Vgl. dazu Grätz, Edikt, 203, der auf die Parallelen in den Makkabäerbüchern hinweist und dort vergleichbare Konzepte aufzeigt. 156

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2. Das Schreiben des Artaxerxes und sein Kontext (Esr 7)

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vor dem Hintergrund der hellenistischen Wohltätigkeit und Privilegierung von Tempeln etc. zu verstehen ist,160 wird durch Esr 7,27f. diese Wohltätigkeit allein auf Jhwh zurückgeführt, was im Dokument in der Akzeptanz der Bedeutung des Gottes des Himmels, Esras und der Tora durch Artaxerxes bereits von Anfang an signalisiert ist.161 Insgesamt ergibt sich ein Konzept, das sich nahtlos an die Vorstellung Esras anschließt, wonach dieser die Gunst des Königs aufgrund des göttlichen Wohlwollens erlangt hat (Esr 7,6). In Esr 7,28b lässt man danach Esras Worte in die bereits angekündigte Rückkehr Esras übergehen, was wiederum mit der Fürsorge Jhwhs verbunden wird (‫)כיד יהוה אלהי עלי‬. Damit wird ein Zusammenhang zu Esr 6,21 hergestellt, wo Jhwh bereits als Grund für die Gunst des Königs von Assur genannt wird, und man stellt die nachfolgenden Kapitel unter dasselbe Konzept wie Esr 7 mit Esra als Sprecher, der mit seiner Autorität die Handlung vorantreibt und zugleich die Authentizität des Textes sichert. Dieser Esra, der als potentieller Nachfolger des besonders mit der Tora verbundenen Hohepriesters (Hilkija) eingeführt wurde, hält bei der Rückkehr die Tora in seinen Händen, setzt sie exemplarisch durch und veröffentlicht sie dann in Neh 8.

3. Der übergreifende Kontext von Esras Einführung (Esr 7) und Rückkehr (Esr 8) Das Kapitel von Esras Rückkehr ist durch den Gebrauch der 1. Sing. mit dem Schluss von Esr 7 formal verbunden (Esr 7,27f.; 8,1.15ff.), sodass Esra von vornherein als Urheber des Berichtes erscheint. Die Liste der Rückkehrer in Esr 8,1–14 hängt gleichermaßen mit der nachfolgenden Erzählung und mit Esr 7 zusammen. Denn die Reise wird abgeschlossen mit der Übergabe „der Befehle des Königs“ (8,36), was sie an das Dokument Esr 7,12–26 bindet. Die zusätzliche Sammlung von Leviten durch Esra direkt im Anschluss an die Liste signalisiert einen inhaltlichen Zusammenhang zu dieser, da jene darin fehlen. Gunneweg hat überlegt, ob mit der Thematisierung des Fehlens der Leviten ein literarisches Problem vorliegt: „Das Ergebnis der Musterung ist, daß keine Leviten angetroffen werden. Der vorliegende Text muß aber fehlerhaft oder auch das Produkt späterer Verschlimmbesserung nach dem Einschub der Liste der Esragefährten sein, denn eine Muste160

Vgl. Grätz, Euergetismus, 151f. Dass dies auch pragmatisch gilt, hat Grätz, ebd., 153, ebenfalls herausgestellt: „Für Esr 7 (und die ganze Esrageschichte) ist klar, daß das legitime Judentum und die legitime Tora aus der Mitte der Gola kommt.“ Das ist insofern einzuschränken, als die genealogische Konzeption in Esr 7,1ff. bereits das Gehen der Tora in die Gola impliziert. 161

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

rung von Laien und Priestern, ob unter ihnen Leviten anzutreffen seien, ist ja widersinnig: Weder Laien noch Priester sind ja Leviten.“162 Angesichts dessen sieht er die Lesart von 1Esdras als ursprünglich an, wonach die Personen gemustert werden, sich darunter aber weder Priester noch Leviten fanden.163 Doch dürfte 1Esdr 8,41f. mit καὶ κατέμαθον αὐτούς. καὶ ἐκ τῶν υἱῶν τῶν ἱερέων καὶ ἐκ τῶν Λευιτῶν οὐχ εὑρὼν ἐκεῖ kaum ein anderer hebräischer Text zugrunde liegen als MT von Esr 8,15 (‫ואבינה בעם ובכהנים ומבני לוי לא מצאתי‬ ‫)שם‬. Der relativ freie Übersetzer von 1Esdras164 hat das Satzende wohl nach ‫ בעם‬gesehen und die Formulierung äquivalent zu καὶ συνήγαγον αὐτοὺς am Anfang von 1Esdr 8,41 formuliert.165 Einen Widerspruch enthält der Zusammenhang nicht, wenn man die Satzgrenze anhand des übergreifenden Kontextes bestimmt. Dann muss der zweite Satz ‫ומבני לוי‬ ‫„ לא מצאתי שם‬Ich fand von den Söhnen Levis (niemanden) dort“ lauten. Die Frage ist, worauf sich das Adverb ‫ שם‬bezieht. Nach Gunneweg nimmt es einmal ‫ עם‬und zugleich ‫ כהנים‬in V. 15bα auf. Auch wenn es in der nachexilischen Zeit noch nicht vollständig entschieden war, welche Gruppierungen zu den Leviten gehörten, so dürfte von vornherein klar sein, dass bei einer Gegenüberstellung von Volk und Priestern die Leviten zu keiner der beiden Gruppen gehören. Aus diesem Grund kann sich das ‫ שם‬nicht auf sie beziehen, sondern muss die Gesamtgruppe der versammelten Personen im Blick haben, auf die das Suff. 3. mask. Pl. bei ‫( ואקבצם‬V. 15aα) verweist. Entsprechend kann man die Phrase ‫ואבינה‬ ‫ בעם ובכהנים‬nicht im Sinne von „das Volk und die Priester inspizieren“166 interpretieren, sondern muss sie ähnlich wie dieselbe Phrase in Neh 8,12 eher wörtlich verstehen: „Ich wurde des Volkes und der Priester gewahr, aber von den Söhnen Levis fand ich (niemanden) dort.“

Das Nebeneinander von Israeliten, Priestern und Leviten wird nach der Liste erst in Esr 8,15 thematisiert, und die Leviten haben anschließend die Funktion, die Kultgeräte und das Silber und Gold nach Jerusalem zu bringen (Esr 8,24167.30). Esra kündigt zwar in Esr 7,28b nur die Aufzählung von „Häuptern“ an, was sich auch so in der Überschrift wiederfindet. Dennoch liegt die soziale Unterscheidung im Volk, die an der Beziehung der Gruppen zum Tempel orientiert ist, bereits in der Vorwegnahme der Rückkehr 162

Gunneweg, Esra, 149. Vgl. Gunneweg, Esra, 149. 164 Vgl. Böhler, Esdras I, 1174. 165 Gunneweg, Esra, 149, sieht als hebräische Vorlage für καὶ κατέμαθον αὐτούς ‫ואבינה‬ ‫בהם‬. Es ist wohl eher an ‫ ואבינם‬zu denken. Die Lesart von 1Esdr ist sekundär, da sie im Kontext keinen sinnvollen Text ergibt. Denn in der vorangehenden Liste, auf die sich der Passus ja bezieht, sind priesterliche Familien (siehe Esr 8,2) enthalten, und es werden ja auch in Esr 8,18–20 nachträglich nur Leviten und keine Priester aufgezählt, die zu den vorher gezählten Personen hinzukommen. So kann man die Lesart in 1Esdr 8,41 am ehesten als Missverständnis des Übersetzers, der auf den engeren Kontext fixiert war, verstehen. Er hat dort das schwierige ‫ ואבינה בהם‬zu vereinfachen gesucht. Alternativ könnte man einen Überlieferungsfehler im Hebräischen vermuten. Am ehesten könnte man dann ‫ ואבינם‬als akustischen Fehler sehen, der dann beim Übersetzer die falsche Satzabgrenzung nach sich gezogen hätte. 166 So Gunneweg, Esra, 147; ähnlich zuletzt Pakkala, Ezra the Scribe, 305: „As I reviewed the people and the priests, I found there none [...]“. 167 Siehe zu der Auslegung dieses Verses unten, 273. 163

3. Der übergreifende Kontext von Esras Einführung (Esr 7) und Rückkehr (Esr 8) 267

in Esr 7,7 vor, und auch die Erlaubnis des Königs zur Rückkehr für Volk, Priester und Leviten nimmt sie vorweg (Esr 7,13) und lässt die Thematisierung auch von Leviten erwarten. Aufgrund dieser Verflechtungen besteht keine Notwendigkeit, Überarbeitungen beim Thema Leviten anzunehmen.168 Stattdessen wird man eine absichtsvolle Konzeption unter Einschluss des Levitenthemas sehen müssen, da nach der Erwähnung von „Häuptern“ 7,28b; 8,1 und dem Fehlen der Leviten in der Liste (Esr 8,1ff.) in Anschluss an 7,7.13 auch ohne den Zwischenvers 8,15 ihre gesonderte Behandlung zu erwarten ist. Wir befinden uns mit dem Text in der nachexilischen Zeit, und die Leviten sind bereits parallel zu ihrer Thematisierung im Numeribuch zu einer integralen Größe am Zweiten Tempel geworden, was daran erkennbar ist, dass sie durchgängig in den Listen in EsraNehemia anwesend sind. Im Hintergrund ihrer expliziten Behandlung in Esr 8 muss aber das Wissen darum stehen, dass sie gegenüber dem Priestertum zwar keine neue, aber eine neu etablierte Gruppe am Zweiten Tempel gewesen sind. Dies kann an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden.169

Die beiden Vorwegnahmen der Struktur der Rückkehrerschaft unter Esra in Esr 7,7.13 sind ein Kennzeichen dafür, dass Esr 7f. eine konzeptionelle Einheit ist, was sich später bei der weiteren Diskussion der übergreifenden kompositionellen Zusammenhänge bestätigen wird.170 Ein Grund für die besondere Thematisierung der Leviten in Esr 7f. deutet sich in dem Abschnitt selbst an: Anders als an allen anderen Stellen des Esra-Nehemia-Buches wird Esra in Esr 7 nicht sogleich als Priester und/oder Schreiber bezeichnet. Dies geschieht erst in der hebräischen Überschrift des Artaxerxes-Ediktes Esr 7,11. In Esr 7,1–5 begegnet Esra stattdessen als Mitglied der Hohepriesterfamilie und als direkter Nachfahr Aarons. Da die Leviten in der spätnachexilischen Zeit den Priestern am Tempel untergeordnet sind, was ja im Pentateuch in Num 8,6–15 mit einer direkten Unterstellung unter die Aaroniden durch Mose vorweggenommen wird, dürfte die Suche nach den Leviten mit Esras Zugehörigkeit zur Tempelhierarchie zusammenhängen.171 Außerdem erscheinen die Leviten in Neh 8 an der Seite Esras und übernehmen danach teilweise seine Funktionen. Esra hat also einen doppelten Bezug zu der Gruppierung. 168 Pakkala, Ezra the Scribe, 266ff., sieht in 7,7.13; 8,15–20 (mehrfache) levitische Überarbeitungen. 169 Vgl. dazu Heckl, Moses as a Levite (im Druck). 170 Vgl. dazu unten, 280ff. 171 In Num 8,16 gehen die Leviten in die Verfügung Aarons und seiner Söhne – das heißt nach Esr 7,5 der direkten Vorfahren Esras – über. Es ist dieser Zusammenhang, der dann auch das gemeinsame Auftreten mit den Leviten zur Folge hat. Deshalb wird Esra allerdings nicht selbst als „levitisch“ charakterisiert, wie Leuchter, Coming in Terms, 49ff., annimmt.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

Ebenfalls ein direkter Zusammenhang zu Esr 7 liegt im Fortgang von Esr 8 vor. Nach einem Gebet (Esr 8,21) wird die weitere Fürsorge Jhwhs festgestellt. Damit ergibt sich ein Bezug zu Esr 7,6b.27f. Danach – noch vor dem knappen Bericht von der Rückkehr (8,31f.) – werden zunächst zwölf Priester eingesetzt, die für Silber, Gold und Geräte verantwortlich sein sollen. Aufschlussreich sind die Zahlenangaben. Gunneweg hat auf den Zusammenhang zu den Gaben in Esr 2,69 verwiesen, die „im Vergleich mit den E 8,26f. verzeichneten Schätzen relativ bescheiden“ 172 wirken, doch auch allein im Kontext von Esr 7f. sind die Zahlen schon außergewöhnlich. Zwar übersteigt bereits die Erlaubnis des Königs, bis zu einer Höhe von 100 Talenten Silber aus den Schatzhäusern von Transeuphratene verfügen zu können, das für die Perserzeit Denkbare, doch was Esra den zwölf verantwortlichen Priestern aushändigt, stellt mit 650 Talenten Silber und 100 Talenten Gold einen vielfachen Wert dessen dar. Die damit dem Jerusalemer Tempel übereigneten Werte aus den freiwilligen Gaben des Königs und der Israeliten werden als außerordentlich beschrieben. Ausdrücklich wird es in Esr 8,28 als freiwillige Gabe für Jhwh bezeichnet, womit die Pragmatik der Erwähnung der Gaben im Edikt sich bestätigt. Man will mit Esr 7f. die Diaspora zu Gaben für den Jerusalemer Tempel bewegen. Der schier unermessliche Reichtum soll außerdem wie bei der Aufzählung der Kultgeräte in Esr 1,9– 11 den Reichtum und damit die Bedeutung des Jerusalemer Tempels aufzeigen.173 Dessen Grundlage – so wird dokumentiert – sind freiwillige Gaben auch des persischen Königs. Der so nach Jerusalem überführte Schatz erweckt den Eindruck einer Stiftung als Grundkapital.174 Zusätzlich zu den Hinweisen aus der Gattung des Briefes zeigt die Betonung der finanziellen Aspekte, dass Esr 7f. in der hellenistischen Zeit verfasst sein muss.175 Der Weg nach Jerusalem und die Ankunft dort stellen im Prinzip in diesem Zusammenhang nur kurze Nebenbemerkungen dar. Nach der Ankunft nimmt die Aushändigung der Gaben und die Verzeichnung der Menge sehr viel mehr Aufmerksamkeit in Anspruch als die summarische Feststellung in Esr 8,31b, dass die Hand Jhwhs sie vor „Feind und Wegelagerer“176 rettete. Der Zusammenhang wird mit zwei Schlussbemerkungen markiert. ZuGunneweg, Esra, 155. Vgl. dazu oben, 203. 174 Zu der Institution in hellenistischer Zeit siehe Grätz, Edikt, 148ff. 175 Schon Alexander hatte das Finanzsystem radikal verändert und zentrale und regionale Finanzverwaltungen eingerichtet, die von der Verwaltung der Satrapien abgetrennt wurden. Vgl. Droysen, Geschichte I, 210.224; Albertz, Religionsgeschichte, 595. Darüber hinaus wirft die besondere Thematisierung der Finanzmittel des Tempels Licht auf das Verhältnis des Jerusalemer Tempels zur hellenistischen Herrschaft. Vgl. dazu die abschließenden Erwägungen zur Datierung unten, 398ff. 176 Vgl. Ges18, 94. 172

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3. Der übergreifende Kontext von Esras Einführung (Esr 7) und Rückkehr (Esr 8) 269

nächst werden Opfer dargebracht, wobei die Brandopfer betont am Anfang stehen. Dass hier sofort nach der Rückkehr die Opfer von ‫פרים‬, ‫ אילים‬und ‫ כבשים‬dargebracht werden, zeigt, dass der Befehl des Artaxerxes, mit den u.a. von ihm gewährten Mitteln für das Opfer von ‫ תורין דכרין אמרין‬und die zugehörigen Speis- und Trankopfer zu sorgen (Esr 7,17), für den Kontext formuliert sein muss. Es kann entsprechend kein Zufall sein, wenn das Opfer auch im Dokument des Artaxerxes direkt im Anschluss an die Übergabe der Gaben an den Tempel thematisiert ist. Angesichts dessen muss auch die auffällige Feststellung im Edikt, dass die Gaben für den Gott Israels bestimmt seien, dessen Wohnung in Jerusalem sei ( ‫לאלה ישראל די בירושלם‬ ‫)משכנה‬, mit der Betonung der gesamtisraelitischen Bedeutung des Opfers in Esr 8,35 zusammengehören. Auch dort wird betont, dass die Darbringung (‫ קרב‬Hif. vgl. 7,17: ‫ קרב‬Pa.) für den Gott Israels geschieht. An erster Stelle werden dafür zwölf Stiere als Brandopfer für ganz Israel geopfert (‫)עלות לאלהי ישראל פרים שנים עשר על כל ישראל‬.177 Die bereits erwähnte abschließende Übergabe der Befehle des Königs (‫ )דתי המלך‬an die Beamten und Statthalter von Transeuphratene folgt ebenfalls der Logik des Dokumentes. Denn in dem Passus zum Kult in Jerusalem geht es konkret um Esras Vollmachten, wobei die persischen Autoritäten sogar direkt angesprochen werden. Der ganze Abschnitt erweist sich so als ein zusammenhängend konstruiert: die Einführung Esras als Glied der hohepriesterlichen Familie mit Wurzeln in der vorexilischen Zeit, die daraus erwachsene Verbindung mit der Tora, die Ausstattung mit weitreichenden Privilegien vom König – all das dient der Darstellung des Heilshandelns des Gottes Israels für Israel und Jerusalem. Das Dokument des Artaxerxes ist eng mit dem Kontext verbunden und seine Inhalte werden sukzessive durch Esra realisiert. Es dient aber neben seiner die Handlung bestimmenden Funktion (zunächst am Beginn der Esrageschichte) dazu, Esras Rolle vom König her zu bestätigen und zu unterstreichen. Dadurch wird die Autorität Esras als Haupthandlungsträger und Ich-Erzähler nach seiner genealogischen Legitimierung auch durch den persischen König bestätigt. Die sofortige Realisierung der Inhalte des „Dokuments“ in Esr 8 hat zur Folge, dass es auch weiterhin bestimmender Hintergrund der Esrageschichte bleibt.178

177

Zur Zwölfzahl vgl. im Folgenden, 270ff. Als solcher muss es nicht weiter explizit behandelt werden. Dass die Perser nicht wieder in das Handeln eingreifen, zeigt seine weitere Gültigkeit. Gegen Rothenbusch, Abgesondert, 149, der festgestellt hat, dass das Edikt in „der Esraerzählung praktisch keine Rolle mehr“ spielt. 178

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

4. Zum Verhältnis von Esr 7f. und Esr 1–6 Der Zusammenhang Esr 7f. bildet den Auftakt zur weiteren Esrageschichte. Dem wird noch nachzugehen sein, doch die Untersuchung von Esr 7,1–6 hatte ebenfalls gezeigt, dass mit dem Auftakt der Esrageschichte in doppelter Weise ein Anschluss an die Vergangenheit gesucht wird: Durch ‫ואחר‬ ‫ הדברים האלה‬ist die Esrageschichte mit der Tempelbauerzählung (Esr 1–6) verbunden, und mit der Genealogie Esras wird über diese Zeit hinweg eine Brücke zur vorexilischen Zeit geschlagen.179 Der Zusammenhang zwischen Esr 7f. und Esr 1–6 ist aufgrund von formalen und inhaltlichen Entsprechungen sehr eng. Zuletzt hat R. Rothenbusch die These formuliert, dass das Schreiben Esr 7,12–26 „auf der Grundlage der Dokumente in Esr 1–6 gestaltet worden ist“180. Dies beruht darauf, dass man formale und inhaltliche Zusammenhänge zwischen den Teilen sieht, auf die u.a. Blenkinsopp,181 Kratz182 und Grätz183 hingewiesen haben. Besonders Kratz184 und Grätz haben ein Fortschreibungsmodell favorisiert. „Die Esrageschichte besitzt ein eigenes literarisches Profil und ist redaktionell an den vorangehenden Zusammenhang Esr 1–6 gefügt.“ 185 Grundsätzlich schließt der Befund aber nicht aus, was die ältere Forschung mit der chronistischen Abfassung der Esrageschichte noch angenommen hatte,186 dass Esr 7f. literarisch mit Esr 1–6 auf eine Stufe gehört. Grätz stellt dies allerdings mit dem Hinweis infrage, dass das Nebeneinander als Doppelung anzusehen ist und „Doppelungen zu den klassischen Kriterien der Literarkritik [gehören]“187. Allerdings hält er „beide Erzählungen je für sich [für] abgeschlossen und verständlich“188. Handelt es sich aber um zwei thematisch Vgl. dazu oben, 222ff., zusammenfassend: 232. Vgl. Rothenbusch, Abgesondert, 122. Er (ebd., 123f.) zeigt die Zusammenhänge der Dokumente in einer Übersicht auf. So schon Hölscher, Esra-Nehemia, 516f., verbunden mit der These, dass alle aramäischen Dokumente auf einen Autor zurückgehen. 181 Vgl. Blenkinsopp, Ezra-Nehemiah, 135. 182 Kratz, Komposition, 78, verweist auf die „sprachlich-stilistischen und inhaltlichen Gemeinsamkeiten des Reskripts 7,12–26 mit den Dokumenten in Esr 4–6“ sowie zwischen „Reskript und Erzählung mit Esr 1–2, was die Heimkehr, Überbringung der Spenden und das anschließende Opfer anbelangt“. 183 Vgl. Grätz, Edikt, 56. Ähnlich sieht auch Pakkala, Ezra the Scribe, 44f., die Zusammenhänge an, doch führt er sie auf mehrere Fortschreibungen der Esrageschichte zurück, die sie erst hergestellt haben. Vgl. ebd., 291. 184 Kratz, Komposition, 78, meint, dass schon „die älteste Esraerzählung als Fortsetzung von Esra 1–6 verfaßt wurde“. 185 Grätz, Edikt, 55. 186 So Hölscher, Esra-Nehemia, 493. 187 Grätz, Edikt, 56. 188 Ebd. 179 180

4. Zum Verhältnis von Esr 7f. und Esr 1–6

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unterschiedliche Szenen, so kann nicht von einer echten Dopplung gesprochen werden. Schwerer scheint zu wiegen, dass „ein expliziter Rückgriff auf die Ereignisse um das Kyrosdekret und den Tempelbau des Serubbabel […] in der Esrageschichte bspw. nicht zu finden“189 ist. Hier wird man zunächst zu fragen haben, ob vor diesem Problem nicht auch die Fortschreibungsmodelle stehen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Tempel in der Esrageschichte als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Dass er bereits errichtet wurde, ist geradezu die Basis des Dokumentes von Artaxerxes. In Esr 8,33 werden die Gaben im Tempel ausgehändigt und verzeichnet. Nach Esr 9,9 hat es die Gunst der Könige von Persien ermöglicht, „ihn wiederzuerrichten“. Diese Bemerkungen müssen als Verweise auf die Zusammenhänge in Esr 1–6 verstanden werden.190 Wenn man es demgegenüber als auffällig ansieht, dass Serubbabel in Esr 7ff. nicht noch einmal als Tempelbauer erscheint, müsste man zunächst auch erklären, warum er bereits beim Abschluss der Arbeiten am Tempel und auch beim anschließenden Passafest nicht mehr erwähnt wird.191 Eine Entscheidung darüber, ob Esr 7f. eine Fortschreibung von Esr 1–6 ist oder beide Abschnitte als konzeptionelle Einheit ursprünglich zusammengehören, lässt sich anhand der thematischen Vernetzungen erreichen. 192 Differenzen würden eher für eine Fortschreibung sprechen. Sollte sich in beiden Abschnitten allerdings eine übergreifende Intention zeigen, spräche das am ehesten für die Annahme einer konzeptionellen Einheit. Daher soll im Folgenden den inhaltlichen Zusammenhängen nachgegangen werden, die mit dem formal parallelen Aufbau verbunden sind. 4.1. Formale und inhaltliche Berührungen Der Aufbau von Esr 1–6 und Esr 7f. geht auffällig parallel.193 Formal folgt auf eine Einführung mit einer temporalen Verortung (Esr 1,1//Esr 7,1–6) jeEbd. Grätz, Edikt, 56, meint, dass ein expliziter Verweis an dieser Stelle möglich gewesen wäre. Doch fehlen Personennamen in dem Gebet generell, sodass es anders als bspw. in Sir 24 offenbar nicht zum Konzept von Esr 9 gehört, (menschliche) Verantwortliche hervorzuheben. 191 Dies führt in die Diskussion darüber, ob Serubbabel möglicherweise vor Abschluss der Arbeiten abberufen worden ist. Vgl. dazu Meinhold, Serubbabel, 209, und generell zu der Fragestellung oben, 202. Zu beachten ist aber, dass die Erwähnung von persischen Autoritäten in Jerusalem in Esr 7–10 generell vermieden wird. Siehe dazu unten, 274. 192 Man könnte als methodisches Problem anführen, dass auch eine Fortschreibung eine konzeptionelle Einheit herstellt und auch bei Arbeit desselben Autors dessen Fortsetzung den Charakter einer ‚Fortschreibung‘ haben kann. Da aber kein Autor, der ein anderes Werk verwendet, alle vorgegebenen Einzelheiten berücksichtigen kann, kommt es unweigerlich zu Kohärenzstörungen. 193 Das stellte schon Torrey, Ezra Studies, 262, entsprechend fest. 189 190

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

weils ein konstruiertes Dokument (Esr 1,2aβ–4 und Esr 7,12–26), das die Basis der weiteren Handlung bildet, die ihm entspricht. Ausgangspunkt ist eine Rückkehrerliste. Esr 7f. ist also zusätzlich zu der Rückbindung an den vorangehenden Kontext durch Esr 7,1–6 mit seinem formal parallelen Aufbau mit der Tempelbauerzählung verbunden. Die damit einhergehenden inhaltlichen Parallelen gehen ebenfalls sehr tief. 1. Esr 1–6 wird durch die Eröffnung mit ‫( ובשנת‬Esr 1,1) und die Erwähnung von Jeremia, wie dies mit der Eröffnung von Esr 7,1 und die Genealogie Esras geschieht, an einen temporal vorangehenden Zusammenhang angebunden. 2. Beide Dokumente behandeln nicht nur die Rückkehr, sondern diese bildet jeweils den Ausgangspunkt weiterer Handlungen und Ereignisse,194 wobei Ziel und Zentrum der Jerusalemer Tempel ist.195 Theologisch entsprechen sich die beiden Dokumente darin, dass Kyros und Artaxerxes Jhwh nicht nur als Gott des Himmels bezeichnen, sondern ihn als Gott der Welt akzeptieren. Darauf beruhen die Entscheidungen zugunsten des Tempels und der Rückkehrer. Gefordert ist von den Königen eine Unterstützung durch die Provinz Babel (Esr 1,4a [‫]ינשאוהו אנשי מקומו‬//Esr 7,16), was jeweils eine Anspielung auf das Exodusgeschehen beinhaltet.196 3. Aufbruch und Rückkehr nehmen in Esr 1,5.11b//Esr 8,31f. jeweils nur sehr wenig Raum ein. Stattdessen wird die Rückkehrerschaft ausgiebig in den Listen Esr 2,3ff.//Esr 8,2–14 dokumentiert, die darin übereinstimmen, dass die Angehörigen einer Sippe jeweils als NN-‫ בני‬mit einer Zahl angegeben werden. Die Zwölfzahl spielt dabei in Esr 8 insofern eine Rolle, als es sich – abgesehen von den beiden genannten Priestern Gerschom und Daniel und dem Davididen Hattusch197 – um zwölf Sippen handelt, was ein Äquivalent in den (wohl198) ursprünglich zwölf Namen an der Spitze der Liste in 194

Vgl. Grätz, Edikt, 56. Vgl. Grätz, Edikt, 56. 196 So Blenkinsopp, Ezra-Nehemiah, 135. 197 Vgl. Rothstein/Hänel, Chronik, LXVII. Ein textkritisches Problem stellt die Versgrenze zwischen Esr 8,2 und 3 dar. Nicht nötig ist es, der Harmonisierung ὁ Σεχενιου von 1Esdr zu folgen und ursprünglich ‫ בן שכניה‬anzunehmen (so z.B. Hölscher, Esra-Nehemia, 519; Gunneweg, Esra, 145). Letztlich macht auch die Angabe ‫ מבני שכניה‬klar, dass der Davidide Hattusch einer der Söhne Schechanjas war. Dies hat der Verswechsel verunklart. Dass man Hattusch als Davididen bezeichnet, könnte auf seine Erwähnung in 1Chr 3,22 zurückgehen. Dass man ihn in Esr 8 zu den Söhnen Schechanjas rechnet und seinen Vater ‫ שמעיה‬überspringt, könnte für eine Identifikation mit dem Hattusch in Neh 3,10 sprechen. Denn dieser hat einen anderen Vatersnamen. In Esr 8,2f. hätte man dann gegenüber 1Chr 3,22 korrigiert. 198 Vgl. dazu oben, 64. 195

4. Zum Verhältnis von Esr 7f. und Esr 1–6

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Esr 2,2 hat.199 Kultgeräte werden in Esr 1 durch Scheschbazzar überbracht,200 während Esra sie u.a. einer Gruppe von zwölf Leviten aushändigt, die sie an den Tempel übergeben sollen (Esr 8,24). Das Problem des Verses wird selten diskutiert. Gunneweg sieht zwölf Priester und interpretiert folgendermaßen: „Es wundert wiederum nicht, daß dazu genau 12 ‚Obere‘ der Priester bestimmt werden; diese Zahl, auch sonst im AT bedeutungsträchtig, symbolisiert beim Chr ja die Ganzheit Israels und bedeutet an dieser Stelle, daß die Priester an ganz Israel eine Aufgabe haben und auch Israel insgesamt repräsentieren[.]“201 Die beiden namentlich erwähnten Scherebja und Haschabja sind aber nach Esr 8,18f. ausdrücklich Leviten. Wenn in 8,24 von „ihren Brüdern“ die Rede ist, dann kann es sich auch bei diesen nur um Leviten handeln. Da der Vers aber von ‫ שרי הכהנים‬spricht, scheint eine komplexere Situation vorzuliegen. Ohne die Einbeziehung des Kontextes kommt man nicht zu einer Lösung. Nach Esr 8,2 ziehen außer Esra nur zwei Priester nach Jerusalem, 202 sodass man nicht von zwölf Priestern, denen zwölf Leviten zugeteilt werden, ausgehen kann. 203 Auch Konjekturen mit dem Ergebnis veränderter Gruppen 204 oder die Überlegung, dass Esra sozusagen vorab zwölf zuständige Priester ernennt, ohne dass diese anwesend sind, helfen nicht weiter, da in Esr 8,30 ausdrücklich davon die Rede ist, dass die Priester und die Leviten die Edelmetalle nahmen, um sie nach Jerusalem zu bringen ( ‫וקבלו הכהנים והלוים משקל‬ ‫)הכסף והזהב והכלים להביא לירושלם לבית אלהינו‬.205 Wenn man davon ausgeht, dass es sich bei den Priestern maximal um die beiden in Esr 8,2 erwähnten handeln kann, die Zwölf (Scherebja, Haschabja und ihre zehn Brüder) aber Leviten sind, muss man ‫ משרי הכהנים‬als Phrase mit ‫מן‬-privativum206 interpretieren: 199 Nach Kratz, Komposition, 78, sind „die zwölf Laiengeschlechter in 8,1–14 ein auf die Zahl der Stämme Israels (8,24.35) reduzierter Auszug aus Esr 2“. So auch Gunneweg, Esra, 146; Daniels, Composition, 318. Auf die zwölf Laiengeschlechter verweist schon Meyer, Entstehung, 137. 200 Vgl. Grätz, Edikt, 56. 201 Gunneweg, Esra, 154. 202 Anders seinerzeit Wellhausen, Prolegomena, 140, der von zwei zusätzlichen Priestergeschlechtern ausgeht. Wenn man den anschließend genannten Davididen als Einzelgestalt interpretiert, kann man auch die Priester nur als Einzelgestalten verstehen. 203 So Steinmann, Ezra-Nehemiah, 313: „To care for these freewill offerings Ezra appointed twelve priests to match twelve Levites headed by Sherebiah and Hashabiah (Ezra 8:24).“ 204 Auf der Grundlage von 1Esdr schlug Batten, Ezra-Nehemiah, 323, vor, dass zwölf Stammeshäupter und zwölf Priesterhäupter einander gegenübergestanden hätten. Er rekonstruierte „and I set apart from the leaders of the people twelve, and from the priests of the temple Sherebiah and Hashabiah [...]“. Scherebja und Haschabja sind keine Priester, und in keiner LXX-Handschrift zu 1Esr 8,54 ist vom Tempel die Rede, sondern lediglich von Priestern. 1Esdr gibt außerdem ‫ שרי הכהנים‬immer mit φυλάρχους τῶν ἱερέων wieder. 205 Der Vers wurde von Batten, Ezra-Nehemiah, 325, für sekundär gehalten, weil er in der 3. Pl. formuliert ist, doch wird damit lediglich ausgedrückt, dass Esra für die Abgaben nicht mehr zuständig war, nachdem er sie weitergegeben hatte. Er bleibt aber Ich-Erzähler, wie das Suffix 1. Pl. bei ‫ אלהינו‬am Ende des Verses zeigt. 206 Vgl. dazu Ges18, 694; Brockelmann, Grundriß II, §251g.h, 401ff.; ders., Hebräische Syntax, §111f., 109f.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

‫ואבדילה משרי הכהנים שנים עשר לשרביה חשביה ועמהם מאחיהם עשרה‬ „Und ich sonderte abgesehen von den (bzw. „zusätzlich zu den“ oder „ohne die“) Häuptern der Priester zwölf aus, Scherebja, Haschabja und mit ihnen von ihren Brüdern zehn.“

In beiden Texten wird scheinbar ganz genau protokolliert und der Eindruck erweckt, als wäre alles unter Zeugen geschehen. Freiwillige Gaben der Rückkehrer werden außerdem in Esr 2,68f. erwähnt. Sie werden zusammen mit den Kultgeräten in Esr 8,25–27 noch einmal thematisiert, spielen aber außerdem bereits vorher im Dokument des Artaxerxes eine Rolle. Der gesamtisraelitische Aspekt wird auch bei den Opfern deutlich. Sowohl bei der Einweihung des Tempels als auch bei der Ankunft Esras werden eine Reihe von Opfern nach der Zahl der Stämme konkret für das ganze Volk dargebracht, was jeweils die gesamtisraelitische Bedeutung des Jerusalemer Tempels unterstreicht. Außerdem stehen sich das Handeln Tattenais nach dem Befehl des Darius (Esr 6,13) und die Übermittlung der Befehle an die Beamten (Esr 8,36) gegenüber.207 4.2. Unterschiede Die Parallelität von Esr 1–6 und 7f. könnte sowohl für eine Forstschreibung als auch für das Vorliegen einer konzeptionellen Einheit sprechen. Doch gibt es zwischen den Komplexen auch signifikante Unterschiede: 1. Eine Auffälligkeit findet sich darin, dass bei der Übergabe der Kultgeräte von Kyros an Scheschbazzar Kyros zusammen mit einem persischen Beamten handelt, während in Esr 7f. lediglich von Gaben und Geräten des Königs berichtet, aber nicht darauf eingegangen wird, wie diese in die Hände Esras gekommen sind, während von Esra ausführlich der Umgang mit den Mitteln und die Übergabe in Jerusalem geregelt werden. Der Grund dafür dürfte in der Abhängigkeit des Themas der Kultgeräte von der aramäischen Tempelbauchronik (Esr 5,14f.) liegen. Im Zusammenhang betrachtet, ergibt sich, dass man in Esr 1 Scheschbazzar als jüdischen Repräsentanten entsprechend der Vorgaben von Esr 5,14f. aufgebaut hat. Esra wird ganz parallel figuriert, aber seine religiöse Bedeutung stark hervorgehoben und seine Integrität betont. Dieser Gewinn an Autorität gegenüber den von den Persern eingesetzten Beamten erklärt auch, warum man in Esr 7–10 einen Statthalter in Jerusalem nirgends erwähnt findet.208 Die einzige Stelle, an der das in der Esrageschichte überhaupt geschieht, ist Neh 8,9.

Vgl. Grätz, Edikt, 56. Die Aushändigung der Befehle des Königs an die ‫ פחוות עבר הנהר‬dürfte zwar den Statthalter von Jerusalem einschließen, gerade die offene Formulierung könnte aber für eine bewusste Vermeidung sprechen. 207

208

4. Zum Verhältnis von Esr 7f. und Esr 1–6

275

2. Esr 8,1 erinnert an die Überschrift in Esr 2,1f., doch wird in der Esrageschichte knapper formuliert. Esr 2,1f. ‫ואלה בני המדינה העלים משבי הגולה אשר‬ ‫הגלה נבוכדנצר מלך בבל לבבל וישובו לירושלם‬ ‫ויהודה איש לעירו׃‬

Esr 8,1ff. ‫ואלה ראשי אבתיהם והתיחשם העלים עמי‬ ‫במלכות ארתחשסתא המלך מבבל‬

‫מבני פינחס גרשם מבני איתמר דניאל מבני דויד אשר באו עם זרבבל ישוע נחמיה שריה רעליה‬ ... ‫חטוש מבני שכניה‬ ‫מרדכי בלשן מספר בגוי רחום בענה מספר אנשי‬ ‫עם ישראל‬

Eine wesentliche Differenz der beiden Überschriften besteht darin, dass in Esr 2,1f. erkennbar geblieben ist, dass es sich zuvor um eine Bevölkerungsliste gehandelt hat, die erst in dem Kontext von Esr 2 als Rückkehrerliste interpretiert worden ist. Demgegenüber wird Esr 8,1 von vornherein als Liste von Rückkehrern eingeleitet. Die Interpretation der ursprünglichen Einwohnerliste als Rückkehrerliste in der Überschrift Esr 2,1f. hatte eine Spannung mit dem Kontext des Kyrosedikts zur Folge. Während dort (Esr 1,5) der Schwerpunkt auf dem Aufbruch der Häupter der Vaterhäuser Judas und Benjamins sowie der Priester und Leviten liegt, wird mit ‫ בני המדינה‬in Esr 2,1 eine massenhafte Rückkehr unterstellt. Der Unterschied hing an der Verarbeitung der Bevölkerungsliste in Esr 2,1 und konnte sich darauf stützen, dass zumindest ein großer Teil der Liste auch Angaben zu Sippen enthält, die sich an ein Oberhaupt hefteten.209 Keines der Probleme findet sich demgegenüber in Esr 8,1ff., denn es handelt sich abgesehen von den drei Einzelpersonen ausschließlich um Sippen, und anders als in Esr 2,1 wird auch sogleich von den ‫ העלים עמי‬... ‫ ראשי אבתיהם‬gesprochen. Auch in Esr 2,1f. wird die Rückkehr angeführt, doch geschieht das durch (wahrscheinlich) zwölf Personen, an deren Spitze Serubbabel und Jeschua, die beiden Protagonisten von Esr 1–6, stehen. Die Verbindung mit dem Kontext wird nur durch die Spitzenstellung Serubbabels und Jeschuas erreicht. Die Zwölfzahl spielt in Esr 8,1ff. zwar in der Zahl der Laiengeschlechter eine Rolle, doch hält die Überschrift die (ausschließliche) Führerschaft Esras fest, obwohl auch mit ihm ein Davidide und zwei später als ‫ שרי הכהנים‬bezeichnete Priester reisen. Die Kontextbindung ist also in Esr 8,1 enger als in Esr 2,1f.

209

Vgl. zur Differenz oben, 185.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

3. An der Liste in Esr 2 ist es auffällig, 210 dass darin die Gaben der Sippenältesten für den Tempel notiert werden. Dieser Aspekt wird auch in Esr 8 breit ausformuliert, doch wird dies im Anschluss an den Listenabschnitt notiert. Ein zweiter Unterschied besteht darin, dass in Esr 8 von vornherein keine Leviten enthalten sind, was ebenfalls in der nachfolgenden Erzählung ausgeführt wird. Meiner Ansicht nach ist beides damit zu erklären, dass Esr 8 das Konzept von Esr 2 übernimmt und erzählerisch ausformuliert. Die Esrageschichte reagiert in der Suche nach Leviten nachträglich auch auf deren geringe Zahl in Esr 2. Dasselbe gilt für die freiwilligen Gaben der Israeliten. Diese werden in Esr 2 nur aufgezählt. Demgegenüber berichtet Esr 8 nun genauer, wie man sich das Zustandekommen einer solchen Aufzählung vorzustellen hat. 4. Esr 8 erwähnt anders als Esr 2,64 (//Neh 7,66) keine Gesamtzahl nach den anderen Zahlen. Allerdings wird nun in Esr 8,3–14 betont, dass die Angaben nur die Männer betreffen, ein Aspekt, der in Esr 2//Neh 7 offengeblieben war. 5. Eine weitere interessante Abweichung findet sich bei den Opfern zur Einweihung des Tempels und den Opfern bei der Darstellung von Esras Ankunft. Esr 6,16f.

Esr 8,35

‫הבאים מהשבי בני הגולה הקריבו עלות לאלהי ועבדו בני ישראל כהניא ולויא ושאר בני גלותא‬ ‫חנכת בית אלהא דנה בחדוה׃‬ ‫ישראל‬ ‫והקרבו לחנכת בית אלהא דנה‬ ‫תורין מאה‬ ‫דכרין מאתין‬ ‫אמרין ארבע מאה‬ ‫וצפירי עזין לחטיא על כל ישראל תרי עשר למנין‬ ‫שבטי ישראל׃‬

‫פרים שנים עשר על כל ישראל‬ ‫אילים תשעים וששה‬ ‫כבשים שבעים ושבעה‬ ‫צפירי חטאת שנים עשר הכל עולה ליהוה׃‬

In Esr 6,16f. sind keine Brandopfer erwähnt. Allerdings sind sie impliziert, da im Edikt des Darius in Esr 6,9 ausdrücklich (und vor allem ausschließlich) Tieropfer erwähnt werden. Nach der Ankunft Esras wird nun zweimal das Brandopfer vollzogen, zunächst am Anfang allgemein (‫ )הקריבו עלות‬und danach noch einmal zusammenfassend am Ende des Verses (‫הכל עולה‬ ‫)ליהוה‬. Diese betonte Erwähnung des Brandopfers muss im Zusammenhang der bereits im Dokument des Artaxerxes als außergewöhnlich gekennzeich210

Auf die Unterschiede, die konkrete Inhalte betreffen, muss nicht besonders eingegangen werden, da die Liste in Esr 2 ja der Vorgabe der Überschrift nicht vollständig entspricht und die Bewohner mehrerer Ortschaften auflistet. Allerdings scheint ein Teil der Aufzählung der Sippen in Esr 8 direkt auf die Liste in Esr 2 zurückzugehen. Siehe dazu unten, 336ff.

4. Zum Verhältnis von Esr 7f. und Esr 1–6

277

neten Szenerie stehen. Sind schon Tieropfer im Perserreich lediglich geduldet, so müssten die Brandopfer wegen der Feuerverehrung 211 als besonders problematisch einzuschätzen gewesen sein. Ihre betonte Erwähnung unterstreicht die besondere Privilegierung des Tempels in Jerusalem. Daraus ergibt sich gegenüber den Vorschriften für das Sündopfer (siehe Lev 6,19) eine Besonderheit, da dieses vom Priester verzehrt wird. Die besondere Betonung „alles als Brandopfer für Jhwh“ weist die von Esra durchgeführte Praxis demgegenüber als außergewöhnliche kultische Handlung aus.212 Zugleich wird das Opfer in einen direkten Zusammenhang mit den Opfern, die sofort nach Errichtung des Altars eingeführt wurden, gestellt. In Esr 3,6 wird als Beginn des Kultes ausdrücklich auf die Darbringung der Brandopfer verwiesen. 6. Auch die Zahl der Opfertiere verleiht dem Opfer einen außergewöhnlichen Charakter. Zwar sind die Zahlen insgesamt niedriger als bei der Einweihung, doch haben sie eine symbolische Bedeutung. Diese wird bei der Erwähnung von zwölf Stieropfern durch ‫ על כל ישראל‬explizit gemacht. Bei der Zahl der Widder handelt es sich ebenfalls um ein Vielfaches von zwölf, und auch die am Schluss erwähnten Sündopfer sind wie in Esr 6,17 zwölf. Lediglich die 77 Lämmer scheinen nicht zu passen, doch symbolisiert deren Zahl möglicherweise Vollständigkeit.213 Mit der mehrfachen Betonung der Zwölfzahl, auch dass man ihre Begründung beim ersten Opfer platziert, deutet sich ein direkter Zusammenhang mit Esr 6,16f. an. Die gesamtisraelitische Bedeutung wird demgegenüber nicht nur verstärkt, sie wird zum bestimmenden Element in Esr 8,35, was der Bedeutung der Zwölfzahl der Laiengeschlechter und der zwölf Leviten, denen die Kultgeräte ausgehändigt werden, parallel geht. Die schwierige aramäische Formulierung ‫וצפירי עזין‬ ‫ לחטיא‬wird dabei rückwirkend geklärt.214 7. Dass der Abschluss in Esr 8,36 inhaltlich mit dem Gehorsam Tattenais gegenüber dem Edikt des Darius zusammenhängt, war bereits festgestellt 211

Vgl. Koch, Iranische Religion, 20; Kottsieper, Religionspolitik, 172. Snaith, Note, 151f., schlägt aufgrund des Widerspruchs zu Lev 6 vor, die Phrase ‫הכל‬ ‫ עולה ליהוה‬als Verschreibung anzusehen, die eigentlich vor das Sündopfer gehört. Ein plausibles Szenario für einen Überlieferungsfehler ergibt sich so nicht. Auch würde nach den vorangehenden Opfern die Bemerkung keinerlei Sinn herstellen, da diese schon als Brandopfer ausgewiesen sind. Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass auch 1Esdr 8,63 das Problem erkannt hat und daher nicht mehr von Brandopfern spricht, sondern nur noch von Opfern (ἅπαντα θυσίαν τῷ κυρίῳ). 213 Siehe Gen 4,24. 1Esdr 8,63 hat zwar mit 72 ebenfalls eine Zahl, die durch zwölf teilbar ist, doch lässt sich schwer ein Szenario für die Entstehung der Lesart von MT daraus entwickeln. Vgl. dazu Steinmann, Ezra-Nehemiah, 315. Daher handelt es sich bei der Lesart in 1Esdr um eine Harmonisierung. Die Verfasser oder Übersetzer haben die besondere Bedeutung der Zahlen erkannt und sie verstärkt. 214 Vgl. dazu, oben, 148, Anm. 393. 212

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

worden, doch während von Tattenais Unterstützung nichts Konkretes im Rahmen der aramäischen Tempelbauchronik überliefert ist, wird nun ausdrücklich die Unterstützung der Beamten und der Statthalter in Transeuphratene215 für das Volk und den Tempel mitgeteilt. Dies schlägt aber zugleich eine Brücke zu Esr 1,4, wo im Kyrosedikt die Unterstützung der Rückkehrer mit der gleichen Terminologie unterstrichen wurde. Der Zusammenhang mit dem Kyrosedikt macht deutlich, dass nun nicht nur Rückkehr und Wiederaufbau, sondern auch eine auf der Unterstützung der Region beruhende Unabhängigkeit der Juden und des Tempels in Jerusalem hergestellt worden ist. 4.3. Resümee Die Zusammenhänge sind somit selbst an den Stellen unverkennbar, an denen sich Abweichungen zwischen Esr 1–6 und 7f. zeigen. Dem entspricht, dass dieselben hermeneutischen Grundkonzepte enthalten zu sein scheinen. So weist das Artaxerxes-Edikt Esra als höchste Autorität aus und legitimiert ihn über die von ihm angeführte Rückkehr hinaus, wie das Kyrosedikt Rückkehr und Tempelbau begründet und legitimiert. Dies leitet direkt über zur Frage der Mischehenproblematik, die als einziges Problem unter Bezugnahme auf die Tora in der Esrageschichte gelöst wird.216 Mit der Einführung Esras in Esr 7,1–6 wird sein Auftreten ebenfalls nahe an das Exil herangeführt und mit der vorexilischen Zeit verbunden, wie dies durch das Kyrosedikt mit dem Befehl zum Wiederaufbau des Tempels und der Rückkehr der Deportierten geschieht. Dadurch stehen sich der Tempel und die Tora als parallele Themen gegenüber. Der Tempel wird auf Befehl des Kyros an seinem Platz wiedererrichtet, die einstigen Kultgeräte werden vom König herausgegeben. Dies führt dazu, dass das Haus Jhwhs als Zentralheiligtum Israels wieder eingerichtet wird. Dem entspricht, dass Esra als Glied der Hohepriesterfamilie und mit der Tora verbundene jüdische Autorität mit dieser zusammen nach Jerusalem zurückkehrt und sie wieder dort hinbringt. Wie der Tempelbau von Transeuphratene getragen werden soll, so wird die Tora in Transeuphratene in Geltung gebracht. Daher ist es nicht möglich, Esr 7,12–26 oder Teile daraus getrennt vom Gesamtkontext auf eine Reichsautorisation der Tora hin auszulegen. Was wir stattdessen vor uns haben, ist eine übergrei215 Das meint an dieser Stelle mit hoher Wahrscheinlichkeit die Führungspersönlichkeiten der Unterprovinzen, also Samarias, Jehuds etc. 216 Auch bei diesem Thema wird mit der Verbindung zu Esr 6,21 deutlich ein Anschluss an Esr 1–6 hergestellt. Da Esr 6,21 pragmatisch an der Auseinandersetzung mit den Samariern ausgerichtet ist, lässt sich eine äquivalente Absicht im Hintergrund von Esr 9f. vermuten. Vgl. dazu unten, 294ff.

4. Zum Verhältnis von Esr 7f. und Esr 1–6

279

fende kohärente Darstellung der Restitution des Tempels in Jerusalem und der dortigen Einführung der Tora mit persischer Unterstützung, die aber in beiden Fällen ausschließlich auf dem Heilshandeln Jhwhs beruht.217 Dabei handelt es sich um eine literarische Darstellung, die aus der hellenistischen Zeit stammen muss. Es ergibt sich eine zunehmende Privilegierung der Juden und Jerusalems. Esr 7 stellt dabei als letztes Dokument den Zielpunkt des Heilshandelns Gottes dar, womit die Begünstigung des Jerusalemer Tempels vervollständigt wird. Dies führt nun dazu, dass nicht mehr nur für den Kult gesorgt wird, sondern auch darüber hinaus der Unterhalt des Tempels sichergestellt und eine Abgabenfreiheit des Tempelpersonals festgeschrieben wird. Während Kyros sich zu Jhwh als universale Gottheit bekannte, wird von Artaxerxes nun die universale Bedeutung der Tora als Weisheit des Gottes Israels akzeptiert. Esr 1,2–4 und Esr 7,12–26 erscheinen so als Pendants und für den gemeinsamen Kontext geschaffen zu sein.218 Beide Texte rezipieren „Dokumente“ der aramäischen Tempelbauchronik und überbieten sie. In Esr 1–8 ergibt sich eine durchlaufende Handlung. Die Tora, die bereits bei dem Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem im Hintergrund steht, tritt zum Tempel hinzu und kann in der Esrageschichte zur Grundlage der mit dem Jerusalemer Tempel verbundenen Gemeinschaft werden. In Esr 7f. setzt sich der Wille Jhwhs mit der Einführung der Tora weiter durch. Angesichts der intensiven Verflechtung der Inhalte und aufgrund der Tatsache, dass dieselben hermeneutischen Mittel angewendet werden, dürfte Esr 7f. und damit wohl auch die weitere Esrageschichte auf denselben Verfasser zurückgehen, der die aramäische Tempelbauchronik verarbeitet und die uns vorliegende Tempelbauerzählung Esr 1–6 geschaffen hat. Esr 7f. ahmt Esr 1–6 nicht nur nach,219 sondern bildet mit der Erzählung vom Tempelbau eine kohärente übergreifende Konzeption.220 Die Differenzen zwischen Esr 7f. und Esr 1–6 sprechen nicht gegen diese Annahme, sondern bestätigen sie. 217

Römer, Conflicting Models, 34, plädierte unlängst noch einmal für die These der Reichsautorisation und stellte fest, dass „the fact remains that the biblical accounts about the promulgation of the Law present Ezra as acting in conformity with the will of the Achaemenid ruler“. Doch ist die Übereinstimmung nicht aufgrund der Autorität des persischen Königs gegeben, sondern aufgrund der geradezu paradoxen Entsprechung des Willens des Perserkönigs mit dem Willen des Gottes Israels. 218 Es bestätigt sich damit die These von Eskenazi, Age of Prose, 38, dass das Kyrosedikt eine grundlegende Bedeutung für das Esra-Nehemia-Buch hat. Die beiden Edikte beinhalten nicht dasselbe, doch behandeln beide den Tempel und sind entsprechend verbunden. 219 Vgl. Kratz, Komposition, 77f.; Grätz, Edikt, 50. 220 Der Zusammenhang von Tempel, Tora und Volk wird sich pragmatisch als grundlegende Intention des Gesamtzusammenhangs von Tempelbauerzählung (Esr 1–6) und Esrageschichte (Esr 7–10) herausstellen. Vgl. dazu unten, 294ff.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

Denn sie finden sich zwischen Esr 7f. und den älteren Abschnitten der aramäischen Tempelbauchronik (Esr 2; Esr 5f.), wobei spürbar ist, dass man die Besonderheiten dieser Quelle zu integrieren suchte.

5. Von Esr 7f. zur Verkündigung der Tora – die kompositionelle Funktion der Esrageschichte Die Tempelbauerzählung und Esr 7f. bilden eine kompositionelle Einheit, deren literarhistorischer Ausgangspunkt die aramäische Tempelbauchronik gewesen sein muss.221 Das Ziel ihres inhaltlichen Spannungsbogens ist über die Einweihung des Tempels und die Wiederaufnahme des regelmäßigen Kultes sowie über Esr 7f. hinweg die Esrageschichte, die nicht nur mit Esra als Hauptfigur verbunden ist, sondern die – zumindest teilweise – als sein Zeugnis aufgefasst werden soll.222 Für Esr 7f. als Ausgangspunkt der Esrageschichte hat sich allerdings eine Anschlussfunktion ergeben, die die erzählte Zeit des Esra-Nehemia-Buches überschreitet, denn mit der Esrafigur wird wie mit dem Tempelbau eine Verbindung zur vorexilischen Zeit hergestellt. Die in Esr 7 ebenfalls enthaltenen kataphorischen Elemente lassen sich gut mit einem Konzept verbinden, das R.G. Kratz für die Entstehung des Esra-Nehemia-Buches entwickelt hat: Ausgehend von Esr 7 enthält die Esrageschichte insgesamt (Esr 8– 10) gegenüber der Nehemiaerzählung kaum eigene Themen und erweist sich so als Überleitung zur (älteren) Nehemiaerzählung.223 Daher sollen im Folgenden die inhaltlichen Kontextualisierungen der Esrageschichte behandelt werden: Esras Brückenfunktion zur vorexilischen Zeit (5.1.), die Umsetzung der Autonomie auf der Grundlage der Tora in der Esrageschichte (5.2.) und das Verhältnis der beiden Figuren Esra und Nehemia (5.3.). 5.1. Die Rückbindung an die vorexilische Geschichte Jerusalems durch die Esrageschichte Der Zeitabstand zwischen den Ereignissen beim Tempelbau und dem Auftreten Esras bleibt zwar unbestimmt. Doch zeigt die Genealogie Esras am Beginn der Esrageschichte, dass man mit ihr eine Rückbindung im Sinn hatte: Mit der Einführung Esras als Sohn des letzten Hohepriesters am vorexilischen Tempel224 werden auch die mit ihm verbundenen Ereignisse nahe 221

Siehe dazu zusammenfassend oben, 216f. Siehe dazu oben, 259f. 223 Vgl. Kratz, Komposition, 78. Kratz rechnet aber mit mehrstufigen Fortschreibungen sowohl in der Esrageschichte als auch in der Nehemiageschichte. Vgl. ebd., 84. 224 So auch Garbini, History and Ideology, 154. 222

5. Von Esr 7f. zur Verkündigung der Tora

281

an das Exil herangerückt. Anders als in der Sekundärliteratur in der Regel angenommen kann Esras Auftreten daher nach dem Konzept des Esrabuches nicht erst 60–70 Jahre nach dem Tempelbau gedacht sein. 225 Auch die mitunter diskutierte Spätdatierung des Tempelbaus in die Zeit Darius’ II.226 ist so als Konzept von Esr 1–8 nicht möglich.227 Die genealogische Einführung Esras dient nicht primär der zeitlichen Verortung seiner Rückkehr, sondern dazu, den von Anfang an mit der Tora verbundenen Esra (7,6: ‫ ;ספר מהיר בתורת משה‬7,10: ‫;ללמד בישראל חק ומשפט‬ 7,12: ‫ ;ספרדתא דאלה שמיא‬7,25: ‫ )חכמת אלהך די בידך‬mit den vorexilischen Trägern der Tora zu verknüpfen. Denn er wird genealogisch nicht nur in die Hierarchie des Tempels integriert, sondern auch in die Nachfolge Hilkijas gestellt, der die Tora im Tempel unter Josia aufgefunden hatte. Eine Rückführung der Tora wird somit an die „Auffindungslegende“ in 2Kön 22// 2Chr 34 angeheftet.228 Die Anknüpfung an Seraja macht es wahrscheinlich, dass die Chronik im Blick ist. Seine Ermordung durch die Babylonier wird nur in 2Kön 25,18, nicht aber in der Chronik erwähnt. Die Chronik hat dies verschwiegen, weil ihr an der Kontinuität der Hierarchie des vorexilischen und nachexilischen Tempels gelegen war. So könnte theoretisch im Anschluss von Esr 7 an 2Chr 34 auch an einen Aufenthalt Serajas im Exil und Esras Geburt dort gedacht sein. 225 In der Regel rechnet man mit dem Auftreten frühestens 458 v. Chr. Die Diskussion pendelt seit mehr als 100 Jahren bei der Datierung Esras und Nehemias zwischen der Mitte des 5. und dem Anfang des 4. Jh. Vgl. zur älteren Forschung Colpe, Esra-Forschungen, 132f.; weiter Hieke, Esra-Nehemia, 41f.; Willi, Esra, 25f. Alle diese Arbeiten argumentieren historisch und suchen die uns bekannte Geschichte der Perserzeit mit der Darstellung im Esra-Nehemia-Buch zu synchronisieren. Dabei kommt der Nennung der persischen Könige besonderes Gewicht zu. Beispielsweise beginnt Batten, Ezra-Nehemiah, 303, seine Kommentierung damit, dass er feststellt: „The reference is to Artaxerxes II (404–358).“ Er folgert: „The genealogy is wrong in several respects.“ Diese Aussage ist sicher historisch korrekt, doch heißt das nicht, dass in Esra-Nehemia kein kohärentes Konzept intendiert ist. 226 Edelman, Origins, 75, datiert den Tempelbau nach 465 v. Chr., nachdem sie die im Esra-Nehemia-Buch erwähnten Namen mit außerbiblischen Daten abgeglichen hat. Vgl. ebd., 17–75. Becking, Ezra on the Move, 10, tendiert zu einer Datierung unter Darius II. und meint, Hag 1,11 reflektiere die Fertigstellung des Tempels am Ende des 5. Jh. v. Chr. Vgl. Becking, Coping, 251. Vgl. auch ders., In Babylon, 31, wo er an eine Entstehung in der zweiten Hälfte des 5. Jh. denkt. 227 Das heißt nicht, dass man deswegen Esra als „bloße literarische Fiktion“ (Hieke, Esra-Nehemia, 41) anzusehen hätte. Dass „Esra eine konkrete Gestalt der Geschichte Israels war“ (ebd.), heißt aber auch nicht, dass die Autoren des Esra-Nehemia-Buches über die uns zugänglichen Informationen über die Perserzeit verfügt haben müssen. Ihrem Werk liegen außerdem mit Sicherheit andere Prämissen für die Beurteilung ihrer Quellen zugrunde als die Frage nach dem historischen Zeugniswert. 228 Siehe oben, 222ff.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

Dass die Verbindung Esras mit Seraja kein punktueller Anachronismus des Autors ist, zeigt sich daran, dass die Frühdatierung der Esrageschichte dem gleichen Konzept folgt wie die Platzierung des Kyrosedikts in Esr 1,2– 4. Das dient dort dazu, Rückkehr, Kultbeginn und Tempelbau möglichst eng mit dem Exilsende zu verbinden.229 Üblicherweise pflegt man zwar Esra auf der Grundlage der Datierbarkeit Nehemias historisch sehr viel später anzusetzen,230 doch dürfte das Konzept mit einer relativen Unkenntnis seines Autors von den zeitlichen Abläufen der frühen Perserzeit zusammenhängen, wie sie sich auch in Esr 4 und Esr 6,14 gezeigt hat. 231 Die Informationen stammen vor allem aus der rezipierten Tempelbauchronik, den Büchern Haggai und Sacharja sowie der Chronik. Möglich ist es, dass andere und abweichende Informationen den verarbeiteten Quellen untergeordnet worden sind. Dennoch liegt ein geschlossenes Konzept vor. Wir sollten allerdings nicht versuchen, den Textinhalt an Hand anderer Quellen zu korrigieren. Bei Esra muss an eine Person in hohem Alter gedacht sein. Er ist zu verbinden mit jenen bei der Feier der Baueröffnung anwesenden alten Häuptern der Vaterhäuser, die den Ersten Tempel noch gesehen haben (Esr 3,12), wodurch sich mit dieser Randbemerkung ein konzeptioneller Zusammenhang ergibt.232 Esra ist als Sohn Serajas zumindest potentieller Augenzeuge des vorexilischen Tempels. In Esr 7 wird er übergreifend als religiöser Repräsentant Israels aufgebaut, was durch den König bestätigt und akzeptiert wird. Als solcher erscheint er als Partner des Königs und nicht als Untergebener. Entsprechend wird er auch nicht als persischer Beamter, Statthalter oder dergleichen eingeführt. Auf Grundlage dieser Figuration wird Esra zum Anführer einer Rückkehr und zum Überbringer der Gaben des Königs, der Provinz Babel und der Angehörigen der Diaspora. Vor allem aber soll er, der bereits durch seine Zugehörigkeit zur hohepriesterlichen Familie und durch den König als „Träger“233 der Tora ausgewiesen ist, zu dem Be229

Garbini, History and Ideology, 154, schlussfolgert lediglich: „The inevitable conclusion is that the author of Ezra had remarkably confused ideas about the historical period in which his narrative is set, and therefore falls into innumerable contradictions and errors, an inexhaustible source of hypotheses and inferences (as useless as they are unjustified) by biblical scholars who want at all costs to find a historical foundation in a text which is only ‚apparently‘ historical.“ 230 Vgl. dazu zuletzt Willi, Esra, 25f. 231 Siehe oben, 107ff. 232 Vgl. Garbini, History and Ideology, 154. Interessanterweise berichtet Josephus in Ant. IX, 5,5 §158 im Anschluss an die Paraphrase von Neh 8 von Esras Ableben in hohem Alter und davon, dass er in Jerusalem bestattet wurde. Vgl. Pummer, Samaritans in Flavius Josephus, 97. 233 Mit dem Begriff beziehe ich mich auf die Formulierungen ‫( דת אלהך די בידך‬7,14) und ‫( חכמת אלהך די בידך‬7,25), die ihn in einer besonderen Beziehung zur Tora zeigen.

5. Von Esr 7f. zur Verkündigung der Tora

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gründer einer ökonomischen und juristischen Autonomie des Jerusalemer Tempels auf Grundlage der Tora werden. Die Kombination der Themen Rückkehr und Tora in der Esrafigur lässt erkennen, dass man sie Mose nachgebildet hat.234 Die Verbindung von Esra mit der Tora bleibt in Esr 8–10 und darüber hinaus bestimmend. Der Zielpunkt dessen liegt in Neh 8 bei der Verlesung (d.h. Veröffentlichung) der Tora. Dass Esra danach zurücktritt, muss unmittelbar mit der Mose-Figuration des Esra zusammenhängen. Denn die Abfassung der Tora und ihre Aushändigung an die levitischen Priester und Ältesten in Dtn 31 gehört zu den letzten Aspekten in der Fabel des Buches Deuteronomium.235 Und so übermittelt auch Esra die Tora in Neh 8 und tritt danach allmählich zurück, wie Mose nach Dtn 31 allmählich Abschied nimmt. Es ergibt sich im Anschluss an die Auffindungslegende der Tora in 2Chr 34,14f. ein Gesamtkonzept, das auch die Bezeichnung Esras als Priester und Schreiber erklärt. Denn wie Esras Vorfahr Hilkija, der die Tora im Tempel gefunden hatte und Priester war, ist Esra Priester. Wie der Schreiber Schafan verliest Esra, der Schreiber, (Neh 8,1!) später die Tora. Diese Verlängerung der Auffindungslegende zu einer Rückführungslegende geht der Betonung der Passafeier am wiedererrichteten Tempel in Esr 6,20 parallel. Denn diese schließt sich nahtlos an Josias Passa in 2Chr 35 an, was sich an der Besonderheit des Schlachtens durch die Leviten in beiden Texten zeigt, allerdings als generelle Praxis am Zweiten Tempel nicht durchgesetzt hat.236

Vgl. Grätz, Edikt, 85, und oben, 263. Eine Marginalisierung Esras dagegen in einer übergreifenden Redaktion liegt nicht vor, wie sie Pakkala, Ezra the Scribe, 183, zu erkennen meint: „Neh 8. The tendency to marginalize Ezra takes a further step in this passage. In Neh 8:13–18, Ezra only receives a marginal role, but in Neh 9 he disappears completely, although in view ofNeh 8:1–12, where he is the master of the ceremonies, one would certainly expect him to read the confession of Neh 9:6–37. The Levites take his place. The almost incomprehensible omission of Ezra in the list of signatories in the ensuing chapter further emphasizes the tendency. The omission must be conscious and intentional. The best explanation for the omission is that Ezra’s activity challenged and overlapped with that of the Levites.“ Das Verhältnis zwischen Esra und den Leviten wird bereits in Esr 8 paradigmatisch beschrieben. Die Leviten sind für die Esrageschichte wahrscheinlich wichtig, weil sie bei der Verkündigung der Tora eine Rolle spielen und Esra später in seiner Funktion teilweise ablösen. Vgl. zum Gegenüber von Esra und Nehemia unten, 286f. 236 Dies ergibt sich aufgrund der rabbinischen Halacha in mPes 5,6 und bPes 64b. Die Erwähnung der Leviten in 2Chr 35 und Esr 6 zeigt den konzeptionellen Zusammenhang von Chronik und Esra-Nehemia, in deren Hintergrund Ez 44,11 stehen dürfte. Vgl. Milgrom, Studies, 502; Rudolph, Chronikbücher, 329f. 234 235

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5.2. Die Autonomie der Juden auf der Grundlage der Tora Esra vermittelt dem Jerusalemer Tempel die weitreichende Autonomie, die in Esr 6 mit dem Edikt des Darius bereits vorbereitet ist. Sie beinhaltet Abgabenfreiheit für Tempelbedienstete und Jurisdiktion mit Sanktionsrecht bis hin zur Todesstrafe. Es hat sich herausgestellt, dass dies ein zurückprojiziertes Ideal sein muss, das sich an hellenistischen Konzepten der Teilautonomie von Gebieten und Gruppen orientiert hat.237 Zusammen mit Esr 1–6 ergibt sich eine fortschreitende Privilegierung Jerusalems und der Juden, wobei diese übergreifend auf das Wirken des Gottes Israels zurückgeführt wird. Ihr Ursprung ist eine konstruierte Anfangssituation, in der ein persischer Herrscher die besondere Autorität Esras und die universale Bedeutung des Gottes Israels sowie der Tora anerkennt. Insbesondere mit der Anerkennung der Tora durch den persischen König verwirklicht sich die Prophetie des Mose in Dtn 4,238 was zugleich den Beginn einer neuen Epoche der Geschichte Judas und Jerusalems markiert. An der konzentrischen Struktur des Artaxerxes-Schreibens ließ sich erkennen, dass die Versorgung des Tempelkultes der Vertiefung und Fortführung der Inhalte in Esr 1–6 diente, während die Thematisierung der Tora die eigentliche Innovation war,239 was Esr 7,12–26 als Scharnier zwischen Tempelbauerzählung und Esraerzählung ausweist. Abgesehen von dem Thema Tora werden die übrigen Inhalte schon in Esr 8 sukzessive realisiert.240 In Esr 7 wird Esra aufgefordert, auf der Grundlage der Tora, die Stadt zu inspizieren und eine Gerichtsinstitution auf der Grundlage der Tora zu schaffen. Der Zielpunkt dafür liegt erst in Neh 8, doch die Übergabe der Befehle des Königs (‫ )דתי המלך‬an die Beamten in Transeuphratene und die Vollzugsnotiz in Esr 9,1 (‫ )וככלות אלה‬markieren den Übergang zur Einführung der Tora.241 Dies geschieht zunächst mit der Schilderung eines Falls von „Untreue“ bzw. „Abfall“242 (‫מעל‬1). Das Nomen wird konkret auf den Sachverhalt in der Esrageschichte bezogen. Das Verbum ‫( מעל‬Qal) aller237 Grätz, Edikt, 178f., verweist auf die Zeugnisse des Politeuma der Juden von Herakleopolis und die Sicht des Aristeasbriefes. 238 Vgl. oben, 254. 239 Siehe oben, 237f. 240 Kratz, Komposition, 81, überlegt, ob dies aufgrund einer parallelen Ergänzung von Edikt und Erzählung zustande gekommen ist. 241 Impliziert ist mit der summarischen Notiz die Einführung der Tora als juristische Grundlage. Andernfalls ist nicht verständlich, dass die Repräsentanten an der Stelle die Übertretung des Volkes an Esra herantragen. Zu den seit Wellhausen vorgeschlagenen Umstellungen vgl. Mowinckel, Studien III, 8f.; Pohlmann, Studien, 130f. Man sah deswegen in der Regel auch eine Priorität von 1Esdras. Als Überblick zu der Frage siehe Böhler, Heilige Stadt, 331. 242 Siehe Ges18, 711.

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dings ist ein Synonym zu ‫( חטא‬Qal). Es dient besonders in der Chronik dazu, den Abfall von Jhwh auszudrücken. Damit deutet sich an, dass mit dem Nomen ‫מעל‬1 eine grundlegende Übertretung der Tora im Blick ist und mit ihrer Thematisierung die Durchsetzung der Tora behandelt wird.243 Es geht nach Esr 9,1f. um das Konnubium des Volkes Israel und der Priester und Leviten mit den Völkern der Länder (‫)עמי הארצות‬.244 Das Ideal stellt demgegenüber die Absonderung von einer Reihe von angeführten Völkern dar. Der Bezugspunkt für die Ablehnung von „Vermischung“ bei Esra ist der Pentateuch. Das zeigt die Erwähnung der Gräuel der Völker des Landes, die im Deuteronomium und im Heiligkeitsgesetz der Grund für deren Vertreibung sind (vgl. Lev 18,27f.; Dtn 7,26; 12,31), und das ist auch der Grund für die Absonderung der Israeliten von ihnen (vgl. Lev 20,26). Aufgerufen wird dabei in Esr 9,2 das Verbot der Eheschließung aus Dtn 7,3. In diesem Zusammenhang wird dann der Begriff ‫ מעל‬eingeführt. Allerdings ergibt sich zur Behandlung der Mischehen in Neh 13 ein spannungsvolles Verhältnis. Denn dort nimmt die Mischehenfrage ihren Ausgangspunkt bei der Verweigerung des Zugangs zur Gemeinde für Ammoniter und Moabiter, was offenbar Dtn 23,4 rezipiert. Die Ausweitung des Verbotes der Eheschließung auf die Nachbarvölker in Esr 9,1f. kann man daher am ehesten als eine Rezeption von Neh 13 auffassen.245 Dafür spricht auch, dass das Schließen von Mischehen in Neh 13,27 noch allgemeiner mit dem Verb ‫מעל‬ (Qal) bezeichnet wird. Eine Generalisierung und Ausweitung der Problematik des Nehemia-Buches durch Esr 9f. geht mit der terminologischen Zuspitzung und Bezeichnung dessen mit dem Nomen ‫ מעל‬einher. Diese Zuspitzung bzw. interpretative Anwendung des Konnubiumsverbotes dürfte im zeitgeschichtlichen Kontext der Abfassung verankert sein.246 Es dürfte auch mit der kompositionellen Funktion von Esr 9f. zusammenhängen, dass die Mischehenproblematik im Esrabuch nicht zu einem endgültigen Abschluss geführt wird. Die betreffenden Personen werden 243 Siehe dazu weiter das anschließende Kapitel zum Gebet Esras und zur Pragmatik der Esrageschichte unten, 289ff. 244 Nach Grätz, Edikt, 179, ist das Beispiel auch deswegen gewählt, weil „[d]ie Regelung familienrechtlicher Angelegenheiten […] den Bedingungen zur Anwendung der πολιτικοὶ νόμοι in Herakleopolis“ entspreche. 245 Kratz, Komposition, 85, hält ebenfalls „eine Verallgemeinerung der Einzelszene für wahrscheinlicher als den umgekehrten Fall“. So auch zuletzt Frevel/Conczorowski, Deepening the Water, 26. Geissler, Beziehungen, 45, hat einst versucht, auf der Grundlage der Querbeziehungen zum Pentateuch Quellen im Esra-Nehemia-Buch herauszuarbeiten. Doch lässt die Tatsache, dass Dtn 23 in Neh 13 mit dem Problem des Konnubiums mit den Nachbarn verbunden wird, während der Sachverhalt in Esr 9 ausgeweitet wird, eine solche harmonisierende Verbindung der Stellen nicht zu. 246 Siehe dazu die beiden folgenden Abschnitte unten, 290ff. und 294ff.

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zwar in Esr 10,16f. ausfindig gemacht und die Frauen entsprechend weggeschickt,247 doch das grundsätzliche Problem des Ungehorsams gegen die Tora ist noch nicht ausgeräumt. Denn die Verkündigung der Tora und die Verpflichtung des Volkes auf sie stehen weiter aus. So wird letztlich in Esr 9f. die Tora von Esra anhand des aus dem Nehemia-Buch übernommenen Beispiels zunächst exemplarisch umgesetzt. Dem entspricht, dass mit der Übergabe der Befehle des Königs in Esr 8,36 die Perser fast vollständig aus der Esrageschichte verschwinden.248 Und auch die Verkündigung der Tora an jene, die sie nicht kennen (Esr 7,25b), wird erst in Neh 8 realisiert. Dort setzt Esra, der die Tora in seiner Hand hält (Esr 7,14.25), deren Inhalte nicht nur administrativ durch wie in Esr 9f., sondern macht sie umfassend bekannt und gibt sie somit weiter. Die Platzierung von Neh 8 außerhalb der Esrageschichte ist ein weiteres Symptom dafür, dass diese ein Verbindungselement zur Nehemiaerzählung ist,249 was im dritten Hauptteil der Untersuchung weiter verfolgt werden soll. Dass auf Neh 8 in Esr 7f. abgezielt wird, zeigt sich aber auch an der besonderen Betonung der Leviten in Esr 8,15ff. Denn diese spielen nicht nur eine Rolle bei der Vermittlung der Tora (Neh 8,7), sondern behalten ihre Funktion offenbar auch, als Esra nicht mehr auftritt (vgl. Neh 9,4f.). 5.3. Esra und Nehemia Esra verfügt nicht nur aufgrund des Wohlwollens Gottes über die Gunst des Königs (Esr 7), der König unterwirft sich in seinem Schreiben regelrecht dem Willen dieses Gottes und den Entscheidungen Esras. Nehemia dagegen wird als Bediensteter am Hofe des Königs eingeführt (Neh 1,11), der die Gunst des Königs hat und von diesem deswegen zum Statthalter eingesetzt wird (vgl. Neh 5,14).250 Die Position Esras wird verglichen mit jener Nehemias eigentümlich in der Schwebe gehalten. Er scheint letztlich – wie Scheschbazzar – aufgrund seiner jüdischen religiösen Funktion vom König mit der Autorität des persischen Reiches ausgestattet zu sein, was ähnlich auch für die Geltung der Tora gilt, die nicht als Reichsgesetz, sondern als religiöses Recht für die Juden eingeführt wird. Der Sinn dieses Konzeptes wird deutlich, wenn man beachtet, dass Esra gegenüber Nehemia hervorgehoben werden sollte: Siehe Kratz, Komposition, 76. Sie spielen erst im Nehemia-Buch wieder eine Rolle und kommen nur summarisch im Gebet des Esra vor (vgl. Esr 9,7.9). 249 Zu den Umstellungsthesen vgl. oben, 284, Anm. 241. 250 Zu der Diskussion über die Position Nehemias (auch zu der Frage, ob er Eunuch gewesen sein könnte) vgl. North, Nehemiah, 1069; Yamauchi, Nehemiah the Cupbearer, 135ff. 247

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Das in der Rahmung der aramäischen Tempelbauchronik entwickelte Konzept des Nebeneinanders von priesterlicher und nichtkultischer Autorität (Jeschua und Serubbabel) liegt auch im Gegenüber von Esra und Nehemia vor. Esra würde dann von den Autoren der Gesamtkomposition als religiöser Partner Nehemias gesehen. Das steht zwar in einer Spannung zur Erwähnung des Hohepriesters Eljaschibs in Neh 3,20, doch hat man dies in Kauf genommen. Freilich erscheint Nehemia schon aufgrund der aus Neh 13 in Esr 9f. vorweggenommenen Mischehenproblematik zugleich als Esras Nachfolger. Dies zeigt sich auch bei der Suche nach Leviten durch Esra, ohne die die Rückkehr nicht möglich zu sein scheint, was ein Pendant im Synoikismus Neh 11 hat. Nehemia wird so auch in seiner Fürsorge für die Bevölkerungszusammensetzung zum Nachfolger Esras. Doch wird Esra von Nehemia auch über sein außerordentliches Verhältnis zum König abgehoben. Esra verzichtet auf Begleitschutz (Esr 8,22). Nehemia dagegen hatte einen solchen erbeten und war entsprechend in Begleitung von Soldaten und Reitern nach Jerusalem gereist (vgl. Neh 2,7.9). Ausdrücklich wird aber in Esr 7,6 für Esra festgehalten, dass der König ihm jede Bitte erfüllte. So wird für ihn anders als für Nehemia betont, dass er sich ganz unter die Hand Jhwhs begibt.251 Der Vers, wonach Esra seinen Verzicht gegenüber dem König mit dem Verweis auf Jhwhs Hilfe ausdrücklich erklärt, ergibt keinerlei Sinn in einer unabhängigen Esra-Erzählung. Da er den König nicht bittet, müsste er den Verzicht auch nicht erklären, sodass die Bemerkung nur dem Vorverweis auf das gegenteilige Handeln Nehemias dienen kann, der so – im Vergleich – in seinem Vertrauen auf die Fürsorge Jhwhs hinter Esra zurücksteht. Doch der nicht in Anspruch genommene Begleitschutz ist nur ein Detail, das mit der Platzierung des Artaxerxesdekrets in Esr 7,12–26 insgesamt in einem Zusammenhang steht. Denn die Bitte um Begleitschutz durch Nehemia gehört mit der Bitte um die Anfertigung von Begleitschreiben, die vom König an die Statthalter von Transeuphratene gerichtet sein sollten (Neh 2,7–9), zusammen. Wie in Esr 8,36 die Befehle des Königs den Beamten und Statthaltern in Transeuphratene ausgehändigt werden, geschieht dies auch mit den Briefen in Neh 2,9. Entsprechend der Bemerkung in Esr 7,6, „wonach Esra vom König alles gewährt wurde, was er erbat“, erhält jener also das die folgende Handlung bestimmende Dokument in Esr 7,12ff. So weit liegt eine Parallele vor. Doch während Esr 7,12ff. primär an Esra als Partner des Königs gerichtet ist, sind die Schreiben in Neh 2,7 an die Statthalter von Transeuphratene adressiert 251 Vgl. dazu Kratz, Komposition, 78. Kratz sieht allerdings nur eine Anlehnung an die Abschnitte des Nehemiamemoirs. Neh 8–10 hingegen versteht er als später in Blick auf die in der Esrageschichte sekundär verfasst an. Vgl. ebd., 84. Eine in Bezug auf Nehemia kritische Intention der Esraabschnitte hat auch Karrer, Verfassung, 370, herausgearbeitet.

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(‫)אגרות יתנו לי על פחוות עבר הנהר‬. Die Parallelität und auch die Unterschiede erklären sich am besten damit, dass Esr 7–10 als Idealisierung den entsprechenden Inhalten der Nehemiaerzählung vorangestellt worden ist. Eine leise Kritik wird in den ersten Worten, die Esra selbst im Buch äußert, deutlich. In seinem Lobpreis (Esr 7,27) dankt er Gott für die Gunst, die ihm beim König und den Räten gewährt worden ist. Dies dürfte sich an dem refrainartigen Gebet, das Nehemia an Gott richtet (Neh 5,19; 13,14.22. 31), orientieren. Dort bittet Nehemia jeweils darum, dass ihm seine Fürsorge für das Gottesvolk zugutekomme. Demgegenüber zielt in Esr 7,27b Esras Handeln offenbar ausschließlich auf die Verherrlichung des Tempels. S. Grätz hat die Funktion Esras und die mit ihm verbundene Privilegierung mit der Funktion des ägyptischen Oberarztes Udja-Hor-resenet verglichen und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die von ihm „berichteten Wohltaten des Kambyses und Darius I. historisch eher als Einzelfälle“ 252 zu beurteilen sind. Angesichts dessen ist der Zusammenhang, den R.G. Kratz zwischen der Inschrift und der Nehemiaerzählung sieht, beachtenswert. 253 Besonders das refrainartige Selbstlob Nehemias hat seine Parallele in der religiösen Ausrichtung der Inschrift: „O ihr großen Götter in Saïs! Möget ihr euch all des Guten erinnern, das der Oberarzt Udja-Hor-resenet getan hat! O, möget ihr alles Gute für ihn tun, möget ihr seinen Namen in diesem Land auf ewig bestehen lassen!“254

Das persönliche Engagement eines Repräsentanten in religiösen Angelegenheiten dürfte eine Grundintention der ursprünglichen Nehemiaerzählung sein. Diese dürfte wie die ägyptische Stiftungsurkunde das Konstrukt eines idealbiographischen Textes mit der Hervorhebung der Verdienste des Stifters sein.255 Der Vergleich mit den gebetsartigen Bemerkungen führt zu dem Gegenüber der Ich-Rede in der Esra- und Nehemiaerzählung. Es liegt auf der Hand, dass man die Esraerzählung als Ich-Erzählung stilisieren musste, wenn die Nehemiaerzählung durch die Ich-Rede als authentisch ausgewiesen wurde. Dieses Nebeneinander erklärt auch, wieso man in Esr 10 von der Ich-Rede wieder in die neutrale Erzählweise wechselt. Man wollte die Ich252

Grätz, Edikt, 230. Vgl. Kratz, Komposition, 68; Wright, Rebuilding Identity, 47, sieht auch weitergehende formale Zusammenhänge. 254 Übersetzung Kaplony-Heckel, Ägyptische historische Texte, 605. 255 Zur Gattung vgl. Sternberg-el Hotabi, Die persische Herrschaft in Ägypten, 113f. Man muss eine zugrunde liegende Gattung allerdings nicht unbedingt zum Anlass nehmen, als Vorstufe auch der Nehemiageschichte eine kurze Inschrift zu sehen (vgl. Kratz, Komposition, 68). Denn selbst wenn man von entsprechenden Redaktionen ausgeht, wäre es dann ja auch möglich gewesen, einen solchen kurzen Text zu einem literarischen Text auszubauen. Dass man von Anfang an eine konstruierte Autobiographie gestaltet hat, bleibt damit weiter möglich. 253

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Rede des Nehemia nicht unmittelbar auf die Ich-Rede des Esra folgen lassen.256 5.4. Resümee Esr 7 ist also nicht nur ein Kompositionselement, sondern zugleich ein Schlüsseltext, mit dem ein hermeneutisches Anliegen verfolgt wurde. Schon Esr 7 dient dazu, dass die Nehemiaerzählung ganz im Lichte von Esras Auftreten erscheint. Nehemia wird damit gegenüber Esra in seiner Bedeutung relativiert. Auch wird offenbar damit gerechnet, dass die Nehemiaerzählung als ältere Geschichte bekannt und akzeptiert gewesen ist. Durch die Positionierung von Esra und Nehemia soll die konstruierte Esrageschichte umgekehrt ebenfalls plausibel gemacht werden. Es deutet sich damit an, dass die Reformen des Nehemia und der Bundesschluss im Nehemia-Buch (Neh 10), dem noch weiter nachzugehen sein wird, von der Einführung der Tora durch Esra in Neh 8 her gelesen werden sollen. Außerdem will man Esra als den Wegbereiter Nehemias erscheinen lassen.

6. Esras Gebet (Esr 9) als Schlüssel für die Pragmatik der Esrageschichte Mehr als in den idealisierten Konzepten der Darstellung der Privilegierung und Rückkehr Esras lässt sich die Pragmatik der Esrageschichte in Esras Gebet (Esr 9) erfassen.257 Dies ist der Fall, obwohl Esra darin in einer weiteren Moserolle begegnet, indem er nämlich als Beter stellvertretend für das Volk Gott gegenübertritt. Als Situation wird vorausgesetzt, dass durch die in Esr 9,1f. thematisierte Sünde von Angehörigen des Volkes dessen Exis256 Galling, Chronik-Esra-Nehemia, 210, meint, dass der Wechsel wegen der (s.E. sekundär hergestellten) Verbindung der Esrageschichte mit der Nehemiageschichte erforderlich war. Ähnlich Daniels, Composition, 322. Rothenbusch, Abgesondert, 128, weist die These, dass das Ich der Betonung dient, mit dem Hinweis zurück, dass es „[d]ann […] allerdings umso weniger verständlich [sei], weshalb die Esraerzählung ab Esra 10 wieder zum distanzierteren ‚Er‘ wechselt“. Doch erklärt die redaktionskritische These, die er (ebd., 129) zu Esr 10 favorisiert, den Sachverhalt nicht besser. Die terminologischen Unterschiede zwischen Esr 9 und 10 hängen mit dem unterschiedlichen Charakter der beiden Kapitel zusammen. Wer Esr 9 von Esr 10 abtrennt, muss erklären, wie in der vermeintlichen Quelle in Esr 10 eigentlich das Problem eingeführt wurde. Dem kann hier nicht weiter nachgegangen werden. Zur Diskussion des redaktionsgeschichtlichen Konzepts von Pakkala vgl. ebd., 130. 257 Das Gebet dürfte sich ebenfalls an das Gebet des Nehemia (Neh 9) anlehnen. Dafür spricht beispielsweise, dass der dort allein auf den Aufenthalt in Ägypten bezogene Begriff ‫( עבדות‬Neh 9,17) nun generalisierend für die Existenz unter der Fremdherrschaft verwendet wird (Esr 9,8f.).

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tenz infrage steht. Aufgrund dessen beinhaltet das Gebet einen starken Appell an die intendierten Adressaten, sich der kritischen Position, die von Esra formuliert wird, mit den entsprechenden Konsequenzen, die im Gebet noch nicht thematisiert werden, anzuschließen. Das Gebet ermöglicht über die enthaltenen Präsuppositionen Zugang zu der im Hintergrund des Textes stehenden Sicht der Perser und zur religiösen und nationalen Identität der intendierten Adressaten. 6.1. Die Sicht der Fremdherrschaft in Esr 9 und die gottesfürchtigen Könige in Esr 7 und in Esr 1–6 Nach R.G. Kratz „bildet die unbedingte, notfalls mit Gewalt erzwungene Loyalität gegenüber König und Reich nach achaimenidischer Reichsauffassung die entscheidende Grundlage für das Bestehen des Systems der Länder/Völker-Regierung, die jedes Volk an dem ihm schöpfungsmäßig eigenen Ort beläßt oder durch militärische Aktionen dorthin stellt“258. Seiner Ansicht nach ist die Esraerzählung „ein vorzügliches Dokument jüdischer Loyalität gegenüber der persischen Oberherrschaft“259. In der Tat vollzieht sich die Handlung in Esr 7f. und darüber hinaus dem Dokument entsprechend, doch spricht gegen die Sicht der Esraerzählung als eines Dokuments, das der Fremdherrschaft unumwunden loyal gegenübersteht, dass die Perser nach Esr 8 keine Rolle mehr spielen.260 Und auch das Dokument widerspricht einer solchen Sicht. Denn in Esr 7,12–26 wird wie bereits in Esr 1,2–4 und in Esr 6,3–12 ein Ideal des fremden Königs entwickelt, das nicht als realistische Einschätzung der Fremdherrschaft betrachtet werden kann. Das positive Handeln der Könige wird an allen Stellen ausschließlich mit Jhwhs Wirken begründet. Kritische Nebentöne sind gleichwohl spürbar. So wurde am Anfang der aramäischen Tempelbauchronik mit dem Schreiben Tattenais durchaus eine erneute Unterbrechung des Tempelbaus als Möglichkeit aufgeworfen. Auf den als Kontrast zur Tempelbauchronik verfassten Verleumdungsbrief in Esr 4 hin kommt es zu dem militärischen Eingreifen gegen die Juden mit ausdrücklicher königlicher Duldung. Außerdem werden die persischen Autoritäten als beeinflussbar und für feindliche Absichten instrumentalisierbar dargestellt. Die Realität der Perserzeit dürfte dem nicht allzu fernstehen. Dies bezeugen die Briefe von Elephantine, in denen Beeinflussungen zugunsten eines Wiederaufbaus des dortigen Tempels versucht werden und auch Bestechungen eine Rolle spielen.261 Wenn das Esra-Nehe258

Kratz, Translatio imperii, 225. Ebd., 236. Römer, Conflicting Models, 34, verwies zuletzt ebenfalls auf die positive Sicht der Perser in diesem Abschnitt. 260 Siehe oben, 286. 261 Vgl. Kottsieper, Religionspolitik, 166. 259

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mia-Buch tatsächlich in der persischen Zeit verfasst wäre, müsste man die Idealisierung von Kyros in Esr 1; 5f., von Darius in Esr 6 und von Artaxerxes in Esr 7 geradezu als eine Infragestellung des „Systems der Länder/Völker-Regierung“262 ansehen. Da das Dokument des Artaxerxes aber vor dem Hintergrund hellenistischer Konzepte zu verstehen ist und sich an entsprechende spätere Konzepte der lokalen Autonomie anlehnt, geht es wohl nicht vordergründig um die Kritik der Fremdherrschaft. Zwar muss man die Inhalte des Schreibens auch im Kontext der hellenistischen Herrschaft als Ideal ansehen, doch haben die Einführung einer finanziellen Autonomie und die Gültigkeit der Tora im Rahmen eines Gerichtsprivilegs den notwendigen institutionellen Hintergrund. Dass man trotzdem im Kontext des Perserreiches erzählt, hängt einerseits damit zusammen, dass es um die Perserzeit geht, andererseits konnte man in einer vergangenen Epoche leichter idealisierend darstellen. Die Zeit der Perser wurde so zu einer Ätiologie der Situation der hellenistischen Zeit und zu einem idealen Urzustand ausgebaut, ein Ideal, dessen Verwirklichung man sich für die hellenistische Zeit wohl noch erhoffte. Im Bußgebet des Esra finden sich nun allerdings Hinweise darauf, welche Sicht der Fremdherrschaft (zumindest in der Esrageschichte) präsupponiert ist. Besonders relevant für die Fragestellung ist der Abschnitt Esr 9,7– 9. Dort wird die Situation des Volkes zunächst in quasi deuteronomistischer Weise mit der Schuld des Volkes begründet. Dabei umfasst das die Schuld bekennende „wir“ mit dem Verweis auf Könige und Priester nicht nur das Volk, sondern die gesamte Geschichte. Das Versagen der eigenen Autoritäten habe dazu geführt, dass man in die Hand der Könige der Länder (‫)ביד מלכי הארצות‬, unter das Schwert (‫)בחרב‬, in Verbannung (‫)בשבי‬, Plünderung und in offenkundige Schande (‫ )בבשת פנים‬ausgeliefert sei. Wichtig ist, dass diese Unheilsfolge des Ungehorsams mit ‫ כיום הזה‬als aktuell gültig angesehen wird. Wenn man – noch vor dem Versuch einer abschließenden Datierung – bedenkt, dass man sich bei Abfassung des Textes bereits Jahrhunderte nach der Zerstörung des Tempels, den Kriegen mit den Babyloniern und der Exilierung befindet, dann muss man die Betonung der Situation mit der den intendierten Adressaten präsenten Geschichte verbinden. Kriegerische Auseinandersetzungen, radikale Verunsicherung und Rechtlosigkeit, aber auch die Anspielung auf eine Versklavung lassen kaum eine andere Schlussfolgerung zu, als dass wir uns mit diesem Text und damit mit der Esrageschichte und Esr 1–10 insgesamt im Kontext der blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Ptolemäern und Seleukiden befinden. In der spätptolemäischen Zeit standen unter Onias II. ein Entzug der Privilegien und die Ansiedlung einer Militärsiedlung in Jerusalem als Strafmaß262

Kratz, Translatio imperii, 225.

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nahme zur Debatte. Dieses Zerwürfnis mit den Ptolemäern hatte auf der Seite der einflussreichen Jerusalemer zur Folge, dass man sich schon bald im vierten und dann ein weiteres Mal im fünften syrischen Krieg auf die Seite der Seleukiden stellte.263 Dieser Kontext scheint im Widerspruch zu der als Heilshandeln Jhwhs dargestellten Geschichte des Tempelbaus zu stehen, und er scheint auch dem Beginn der Esrageschichte nicht zu entsprechen. Die Jetztzeit kommt im nachfolgenden Vers in den Blick, und dieser erlaubt es, die vordergründig positive Haltung gegenüber den Persern zu beurteilen: ‫ועתה כמעט רגע היתה תחנה מאת יהוה אלהינו להשאיר לנו פליטה ולתת לנו יתד במקום קדשו‬ ‫להאיר עינינו אלהינו ולתתנו מחיה מעט בעבדתנו׃‬ „Und nun ist für uns von Jhwh, unserem Gott ein winziger Augenblick des Erbarmens geschehen, um uns einen Rest übrig zu lassen und uns einen Halt an seinem heiligen Ort zu geben, um unsere Augen zu erleuchten und um uns etwas Leben zu schenken in unserer Knechtschaft.“ (Esr 9,8)

Das verbindende Element zu den Erzähltexten ist die Feststellung, dass die Wende vom Unheil zum Heil durch Jhwh bewirkt worden ist. Doch der Vers lässt keinen Zweifel daran, dass Rückkehr und Tempelbau, auf die man sich bezieht, im Kontext der Fremdherrschaft geschehen und letztlich wenig an der grundsätzlichen Situation ändern.264 Das nimmt der nachfolgende Vers noch einmal auf, der zwar auch die durch Jhwh gewährte Gunst der Könige von Persien erwähnt, wo aber zugleich von der Gemeinschaft als Sklaven in der Sklaverei gesprochen wird. Die Abstraktbildung ‫עבדות‬ kommt wie bereits erwähnt im großen Gebet des Nehemia-Buches in Neh 9,17 als Metapher für den Aufenthalt der Israeliten in Ägypten vor. Die Fremdherrschaft wird damit zwar akzeptiert, aber eigentlich wird sie weiter als Beschränkung der Freiheit verstanden und sogar mit der großen Unfreiheit am Anfang der Geschichte Israels verglichen. Der Tempel spielt eine wesentliche Rolle, denn er ist als fester Halt im einstigen Territorium gedacht (‫)ולתת לנו גדר ביהודה ובירשלים‬. Die idealisierende Darstellung der Rückkehr und des Neuanfangs des Tempelkultes ist damit auch Ausdruck weiter reichender Hoffnungen auf eine Restitution. Vielleicht ist das der Grund, warum man trotz der Betonung der religiösen Bedeutung des Priesters Esra mit der Thematisierung der Figuren Scheschbazzar, Serubbabel Vgl. dazu Sasse, Geschichte, 129f. So auch Gruen, Persia, 70: „This was no slip of the pen. The lengthy prayer in Nehemiah 9 echoes the sentiment. The exiles have returned to Jerusalem, and the hymn praises Yahweh. But it recognizes too the sins of the Israelites whom Yahweh has justly punished for violations of the covenant. They are back in the homeland, but they remain slaves to the kings whom Yahweh has set over them (Neh. 9.36–37). This is hardly a paean to Persia.“ 263

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und Hattusch (Esr 8,2) auf Hoffnungen der Restitution der davidischen Dynastie und damit der Unabhängigkeit anspielt. Dies geschieht verhaltener als bei Haggai und Sacharja,265 doch zeigt es, dass die spätnachexilischen Texte nicht einfach nur Zeugnisse dafür sind, dass man sich unter der Fremdherrschaft eingerichtet hat. Da bereits die älteren Abschnitte der aramäischen Tempelbauchronik auf die Perserzeit zurückblicken, dürfte die Idealisierung und Instrumentalisierung der persischen Oberherrschaft nicht von der Sicht der neuen hellenistischen Herrschaft zu trennen sein. Hoffte man möglicherweise auf grundsätzliche Veränderungen für Juda und Jerusalem durch einen neuen Herrscher? Dass man hellenistische Institutionen der Gewährung von Privilegien und Schenkungen aufgreift und ein entsprechendes Handeln idealisierend den frühen persischen Königen unterstellt, könnte zeigen, dass man von den hellenistischen Herrschern Entsprechendes zumindest ansatzweise erwartet. Vielleicht hängt diese Sicht auch mit der Erfahrung zusammen, dass man aus Jerusalemer Perspektive in jedem Fall den Beginn der griechischen Herrschaft eher positiv empfunden hat und dass das Geschick Jerusalems unter Alexander sich stark vom Geschick Samarias unterschied, das vollständig zerstört und als hellenistische Stadt neugegründet wurde.266 Wenn man den Anachronismus der Bezeichnung von Darius als König von Assur in Esr 6,22 beachtet,267 dann legt sich als Kontext die Besitznahme Palästinas durch die Seleukiden zwischen dem vierten und fünften syrischen Krieg und der endgültigen Inbesitznahme durch Antiochus III. im Jahre 198 nahe.268 Das Dokument, das bei Josephus (Ant. XII,3, §138–144) überliefert ist, bezeugt in jedem Fall, dass Antiochus III. Jerusalem die alten Privilegien, die von den Ptolemäern infrage gestellt worden waren, bestätigt und neue Privilegien zukommen lässt.269 Die Unberechenbarkeit und die GefährVgl. dazu Lux, Der Zweite Tempel, 125f.133–143. Vgl. Droysen, Geschichte II, 371f.; Hengel, Judentum und Hellenismus, 22f.; Donner, Geschichte, 476f. Sasse, Geschichte, 84f. Als Weichenstellung sieht Nodet, Origin, 38, die Differenz in Alexanders Umgang mit Samaria und Juda, denn „he bestowed on the Jews privileges which he refused to the Samaritans“. Dieser Einschnitt ist auch archäologisch nachweisbar: „The great settlement crisis of the period was during the transition to the Hellenistic period“ (Zertal, Pahwah of Samaria, 13). Zu der widersprechenden, aber auf mittelalterlicher Konstruktion beruhenden Darstellung der samaritanischen Quellen vgl. Pummer, Alexander. 267 Vgl. dazu oben, 193f. 268 Wir befinden uns damit letztlich in der Zeit, die schon Galling, Chronik-EsraNehemia, 202, als Datierung für die letzte Ausgabe der Chronik herausgearbeitet hat. 269 Vgl. Sasse, Geschichte, 133. Besonders interessant ist die vielfach diskutierte Erlaubnis und Unterstützung zum Wiederaufbau der Stadt und zur Ausbesserung des Tempels durch Antiochus III., woraus man schlussfolgert, dass der Tempel während des fünften syrischen Krieges in Mitleidenschaft gezogen worden sei. 265

266

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dung, mögliche Privilegierung und der mögliche Entzug von Privilegien, wären der Kontext, dem das Ideal von Esr 1–6 und 7f. entgegengestellt wurde. 6.2. Vermeidung von Vermischung und Abgrenzung von anderen Völkern als Reaktion auf Entwicklungen im Hellenismus und ihre Anwendung auf die Auseinandersetzung mit den Samariern Bei dem Gebet des Esra handelt es sich um ein Sündenbekenntnis, das Esra stellvertretend für das Volk spricht.270 Es reagiert auf die zuvor an Esra herangetragene Sünde der Vermischung durch Eheschließungen, die als Übertretung ‫ מעל‬bezeichnet wurde.271 Bei den zuerst genannten handelt es sich um die im Deuteronomium erwähnten Völker des Landes, doch werden zusätzlich noch die Ammoniter, Moabiter, Ägypter und in 1Esdr außerdem die Edomiter272 einbezogen, wobei man im Blick auf Neh 13 das Gemeindegesetz Dtn 23,4 rezipiert hat.273 Das Problem wird im Gebet erst wieder in Esr 9,10ff. zur Sprache gebracht, wo die Mischehenproblematik als Übertretung der Gebote erscheint. Denn Esr 9,12 greift dazu verschiedene Abschnitte der Tora auf. Das Verbot des Konnubiums wird aus Dtn 7,3 übernommen. Dtn 23,7 wird zitiert und damit nun explizit das Gemeindegesetz des Deuteronomiums einbezogen. Hinzu kommt die Beurteilung des Landes als unreines Land aufgrund der Gräuel seiner Bewohner (Esr 9,11).274 Während Letzteres ein typisch dtn/dtr Topos ist, handelt es sich bei der Beurteilung des Landes als unrein um eine Generalisierung, die auf Rezeption priesterlicher Texte wie Lev 18 beruhen muss. Es werden also unterschiedliche Konzepte des Pentateuchs verwendet, um den intendierten Adressaten die geforderte Abgrenzung zu begründen. Die eigentümliche Kombination der Völker des Landes mit den Vorschriften des Gemeindegesetzes und die Einbeziehung des Konzeptes von Reinheit / Unreinheit aus priesterlichen Kontexten zeigt, dass man Mischehen generell ausschließt. Vermischung wird als grundsätzliches Problem und Gefahr gesehen, was nur vor dem Hintergrund einer in der hellenistischen Zeit aufkommenden Sicht verstanden werden kann.275 Vgl. Gunneweg, Esra, 165. Siehe zum Begriff und dem damit entwickelten Konzept oben, 285f. 272 Esr 9,1 (alle Zeugen) erwähnt als letztes Volk die Amoriter, doch würde man diese nach ‫ החתי‬erwarten (vgl. Neh 9,8). Damit könnte in 1Esdr 8,66 die ursprüngliche Lesart erhalten geblieben sein. Vgl. Gunneweg, Esra, 162. 273 Vgl. zu den Einzelheiten oben, 284ff. 274 Vgl. zuletzt Pakkala, Intermarriage, 83f. 275 Becking, Continuity, 38, verweist auf Affinitäten zum Zoroastrismus und darauf, dass im 5. Jh. vergleichbare Tendenzen in Athen bezeugt sind. Grätz, Question, hält anhand mehrerer Beispiele fest, dass in der persischen Zeit die Mischehe kein Problem darge270 271

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Bereits M. Weber hat entsprechend festgestellt, dass die generelle Durchsetzung des Tabus der Mischehe eine Innovation des Esrabuches und seiner Zeit ist.276 Tatsächlich findet sich in dieser Radikalität kaum ein weiteres biblisches Buch, das die Endogamie so exklusiv festschreibt. Außerdem gibt es sogar in relativ nahem zeitlichen Kontext der Abfassung von Esra-Nehemia scheinbar völlig gegenläufige Konzepte.277 Der Sachverhalt scheint also eine besondere Relevanz in der Abfassungszeit des Buches gehabt zu haben. Für die im Hintergrund stehende Sicht des Volkes Israel besitzen wir ein relativ frühes außerbiblisches Zeugnis. Es findet sich in dem als authentisch geltenden Abschnitt über die Juden aus den Aigyptiaka des Hekataios von Abdera.278 Darin279 wird festgestellt, dass die Lebensweise der Juden sich von jener anderer Menschen unterscheide, sich aber unter der Herrschaft der Perser und Mazedonier aufgrund einer Vermischung mit Fremden verändert habe: κατὰ δὲ τὰς ὕστερον γενομένας ἐπικρατείας ἐκ τῆς τῶν ἀλλοφύλων ἐπιμιξίας, ἐπί τε τῆς τῶν Περσῶν ἡγεμονίας καὶ τῶν ταύτην καταλυσάντων Μακεδόνων, πολλὰ τῶν πατρίων τοῖς ʼΙουδαίοις νομίμων ἐκινήθη „In den später entstandenen Herrschaften von der Vermischung der fremden Stämme an – unter der Herrschaft der Perser und der Mazedonier, die diese stürzte – gerieten viele der väterlichen Gesetze bei den Juden ins Wanken.“280

Bei dieser Bemerkung handelt es sich ebensowenig um eine neutrale (externe) Beschreibung der Situation des Judentums am Anfang der hellenistischen Zeit wie bei dem vorangehenden Bericht über Mose und die Vertreibung der Israeliten aus Ägypten, sondern um eine aus dem jüdischen stellt haben dürfte, was aber aufgrund veränderter politischer und sozialer Rahmenbedingungen in der hellenistischen Zeit nicht länger galt: „They were probably organized in territorial associations like the politeumata which enjoyed subsidiary legal, political, and social autonomy. Therefore, it is not as likely as in Elephantine that individuals would get married to someone from outside of the politeuma“ (ebd., 204). Auch Frevel/Conczorowski, Deepening the Water, 44, sehen das Mischehenthema als „answer to questions emerging during the Hellenistic period, with its political and religious challenges.“ Zur Heiratspraxis vgl. Johnson, Holy Seed, 56ff. 276 Vgl. Weber, Entstehung, 712f. 277 Nach Graetz, Zuwanderung, 309, stammt das Ruthbuch noch aus der späten Perserzeit und hat anders als das später entstandene Esra-Nehemia-Buch die Mischehe noch als „Notwendigkeit zum Überleben einer Gemeinschaft“ angesehen. Als Überblick über die Diversität der Konzepte in der Hebräischen Bibel und im Antiken Judentum vgl. Knoppers, Social Complexity. 278 Vgl. dazu allgemein und zum Text insgesamt Heckl, Abschluss, 189–191; Grätz, Question, 201f. 279 Text: FgrH 264 F 6, 8b, 15. 280 Übersetzung: Heckl, Abschluss, 191.

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Kontext stammende Charakterisierung.281 Ähnlich wie die Informationen, die Hekataios über das Hohepriesteramt bietet,282 muss es sich um eine aus Jerusalemer Perspektive stammende Einschätzung handeln. Offenbar hat man dem Ethnographen gegenüber die Differenz zwischen den „väterlichen Gesetzen“, d.h. wohl der Tora, und der gelebten Praxis mit einer erst unter der Herrschaft der Perser und Mazedonier geschehenen Vermischung erklärt. Ein weiteres Zeugnis ist das aus der seleukidischen Zeit stammende Sirachbuch. Dort wird die Fremdherrschaft und das direkte Miteinander mit Angehörigen anderer Völker als ernste Bedrohung der eigenen jüdischen Identität und Kultur empfunden.283 Durch die Entstehung neuer Siedlungen mit griechischen Kolonisten wurden traditionelle Zentren wirtschaftlich und politisch in ihrer Bedeutung reduziert. Fremde werden entsprechend als Bedrohung und Konkurrenten empfunden. Diese Aspekte sind besonders in Sir 8 enthalten.284 Sirach weist dort auf eine Geringschätzung der Juden und ihrer Kultur durch die Fremden hin. Vermischung wird als identitätszerstörende Gefahr angesehen. Daher empfiehlt die weisheitliche Paränese in Sir 11,29, bei der Aufnahme von Fremden in das Haus Vorsicht walten zu lassen. Denn Assimilation lasse „das Eigene“ zurücktreten (Sir 11,34): ἐνοίκισον ἀλλότριον καὶ διαστρέψει σε ἐν ταραχαῖς καὶ ἀπαλλοτριώσει σε τῶν ἰδίων σου „Lässt du einen Fremden bei dir wohnen, bringt er dich in Unruhe und macht dich zum Fremden in deinem eigenen (Haus).“

Hinzu kommt, dass das Konzept des Mischvolkes Samarias auch bei Sirach anzutreffen ist (Sir 50,25f.). Das durch Hekataios vermittelte externe Zeugnis für das Selbstverständnis des Jerusalemer Judentums (mutmaßlich ebenfalls aus der Perspektive des Jerusalemer Tempels) und Sirachs Sicht des Fremden im allgemeinen sowie der Samarier im Speziellen konvergieren285 mit dem Konzept, das in Esr 9 und in Esr 1–6 enthalten ist. Die Thematisierung in Esr 9f. und das Auftauchen desselben Motivs am Anfang der helle281 282

Vgl. dazu zuletzt Grätz, Question, 201. Vgl. FgrH 264 F 6, 5–6, 14. Zum Ursprung der Informationen vgl. Heckl, Abschluss,

194. 283

Vgl. dazu insgesamt Reiterer, Der Fremde, bes. 85. Vgl. dazu ebd., 79f. Aufgrund des Auftauchens derselben Aversionen hat Vermeylen, Gracious God, 106, eine Datierung der letzten Redaktion des Nehemia-Buches in die Zeit Sirachs vorgeschlagen, doch ist zu beachten, dass Sirach Nehemia erwähnt. 285 Hier könnte man auch noch all jene Texte und Kontexte, die sich mit dem Hellenismus der Zeit Antiochus’ IV. auseinandersetzen, als Beispiele hinzuziehen. Doch kam es darauf an, dass die Problematik offenbar bereits vor diesen Auseinandersetzungen ausgeprägt war und sich literaturbildend ausgewirkt hat. 284

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nistischen und in der seleukidischen Zeit zeigt, dass insbesondere die Veränderungen im Zuge der Hellenisierung negativ beurteilt wurden. Man sieht Veränderungen, die sich durch die Existenz im Großreich ergeben, als der eigenen Identität zuwiderlaufend an.286 Es deutet sich an, dass in jener Zeit – d.h. seit ca. 300 v. Chr. – eine der Tora entsprechende Lebensweise bereits zu einem wesentlichen Kriterium für die nationale Identität Israels geworden war. Die Vermischung wird also in Esr 9,1ff. wohl als Abfall von Jhwh angesehen, weil man sie als eine grundsätzliche Gefahr für die jüdische Identität ansieht. Das erklärt, warum beispielsweise die im zeitlichen Kontext entstandene Chronik und andere Texte wie Ruth nicht von der Konzeption des Mischehenverbotes berührt scheinen, und warum man verschiedene Vorschriften der Tora kombiniert, damit ausgeweitet und gegenüber dem Pentateuch verschärft hat. Was wir im Esrabuch vor uns haben, ist also eine frühe halachische Antwort auf die Herausforderungen des Hellenismus. Es handelt sich um eine Innovation, die mit biblischen Texten und Konzepten begründet wird, aber nicht mit den Konzepten der verwendeten Texte der Tora identisch sein muss. Die Bewahrung des „Samens der Heiligkeit“287 vor der Vermischung (Esr 9,2) wird zur Sicherung der jüdischen Identität angesichts der aktuellen Herausforderung in dem dynamischen hellenistischen Kontext propagiert. Es ergibt sich mit diesem Konzept ein direkter Zusammenhang mit der durchaus kritischen Sicht der Existenz im Großreich,288 die auch eine Gefahr für die eigene Identität darstellt. Es ist bereits deutlich geworden, dass das im Hintergrund des Gebetes und der Äußerung der ‫( שרים‬Esr 9,1f) stehende Problem nicht losgelöst vom Schluss der Tempelbauerzählung in Esr 6,21 zu sehen ist, wo ausdrücklich die Unreinheit der Völker des Landes erwähnt wird. Dort wird allerdings in umgekehrter Weise gehandelt, indem an der Feier des Passas neben den Rückkehrern andere teilgenommen hatten, die sich von der Unreinheit der Völker des Landes abgesondert hatten (‫וכל הנבדל מטמאת גוי הארץ אלהם‬ 286 Das Auftauchen derselben Motive bei Sirach und bei Hekataios spricht dagegen, dass sich bei der Mischehenfrage im Esra-Nehemia-Buch eine Diasporaperspektive niederschlägt. So Rothenbusch, Question, 61, der von einem „Concern of the Diaspora“ spricht. Diese Sicht hängt mit der Frühdatierung der Texte zusammen und damit, dass man aus der literarischen Konzeption der Rückkehr Esras und Nehemias die Herkunft der Konzepte ableitet. Dass man synchron Konzepte des Pentateuchs als judäische Perspektive (ebd., 73ff.) mit Konzepten des Esra-Nehemia-Buches als Diasporaperspektive vergleicht, berücksichtigt den zeitlichen Abstand nicht, der schon an den Verweisen von Esra-Nehemia auf den Pentateuch erkennbar ist. Zu den Datierungsfragen vgl. zusammenfassend unten, 398ff. 287 Die von Willi, Esra, 233, so sachgemäß übersetzte Konstruktusverbindung zeigt, dass die Erhaltung der Heiligkeit als Konzept der Identität im Vordergrund steht. 288 Siehe dazu oben, 290ff.

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‫)לדרש ליהוה אלהי ישראל‬.289 Ich hatte festgestellt, dass es sich bei den einzelnen, die sich dort absondern, konzeptionell nicht um Angehörige anderer Völker handeln kann.290 Das ist allerdings auch deswegen nicht möglich, weil die genealogische Herkunft der Israeliten im Esrabuch durchgehend betont wird, was mit der Nebenbemerkung vom ‫ זרע הקדש‬aufgerufen und so mit dem Konzept der Heiligkeit verbunden wird. Daher muss im Konzept des Esra-Nehemia-Buches vorausgesetzt sein, dass es im Lande abgesehen von den Rückkehrern Judas und Benjamins noch eine Mischbevölkerung gibt, zu denen auch Israeliten/Juden im ehemaligen Nordreich gehören. Eine angebliche Vermischung von Israeliten mit Angehörigen anderer Völker wird vorausgesetzt, was auch so (als ideologisches Konzept) von Hekataios zur Kenntnis genommen wurde. Damit lässt sich verbinden, dass sich anhand jüdischer Dokumente aus Ägypten zeigen lässt, dass offenbar in der hellenistischen Zeit kaum mehr Mischehen geschlossen wurden.291 Daher ist es zweifelhaft, ob das Problem im zeitlichen Kontext der Abfassung des Esrabuches überhaupt in der Form existiert hat, wie es präsentiert und gelöst wird. Wenn es seit dem Anfang der hellenistischen Zeit bereits eine verstärkte Tendenz zur Endogamie gegeben hat, dann ist das in Esr 9f. entwickelte Mischehen- bzw. das Exogamietabu vor allem ein ideologisches – wenn man so will restauratives – Konzept, das angeblich in der Vergangenheit verwirklicht worden ist. Dass es sich um eine künstliche unter Rückgriff auf Neh 13 entwickelte Szenerie handelt, ergibt sich aus der Liste der Namen. Diese macht zwar zunächst den Eindruck einer großen Menge an verstoßenen Frauen. In Wirklichkeit aber ist die aus ca. 100 Personen bestehende Gruppe angesichts der angeblichen Zahl der Rückkehrer sehr klein. Dass die Liste konstruiert sein muss, ergibt sich daraus, dass die Gruppennamen immer der Liste in Esr 2//Neh 7 folgen, aber nur wenige bekannte Eigennamen aufgeführt werden. Die meisten kommen in Neh 8,4 wieder: ‫( מתתיה‬siehe Esr 10,43), ‫( עניה‬Esr 10,23), ‫( אוריה‬vgl. ‫אורי‬ Esr 10,24), ‫( מעשיה‬Esr 10,21.22.30), ‫( מלכיה‬Esr 10,25.31), ‫( חשום‬Esr 10,33), ‫( זכריה‬Esr 10,26), ‫( משלם‬Esr 10,29). Auch ein Levit taucht in Neh 8,7 auf: ‫( יוזבד‬Esr 10,23). Außerdem lässt die Form ‫( קליה הוא קליטא‬Esr 10,23) einen direkten Zusammenhang zu Neh 8,7 vermuten,292 doch dürfte der Levit ‫( שבתי‬Neh 8,7) kaum als mit dem Leviten ‫( שבתי‬Esr 10,15) identisch gedacht sein, da er sich der Scheidung widersetzt. Der Zusammenhang speziell in diesem Bereich macht deutlich, dass sich auch – und gerade – jene, die in Esr 10 genannt werden, explizit der Tora unterstellen. 289 Pakkala, Intermarriage, 84, sieht insbes. Esr 9,2 als Zusatz und verweist auf das priesterliche Vokabular, doch ist dies in einem Text, der den abgeschlossenen Pentateuch voraussetzt, zu erwarten, da kultische Reinheit und Unreinheit vor allem in priesterlichen Texten des Pentateuchs behandelt werden. 290 Siehe dazu oben, 208ff. 291 Vgl. Grätz, Question, 204. 292 Vgl. Grätz, Edikt, 47.

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So wird in Esr 6,21 und in Esr 9f. paradigmatisch dasselbe Problem der Vermischung behandelt: In Esr 6,21 wird es (vorerst) in der Weise gelöst, dass sich einige – aufgrund der Parallelität mit 2Chr 30,11 dürfte ebenfalls nur an Einzelne gedacht sein – absondern, um Jhwh zu suchen, und sich so aus der Vermischung lösen, dass sie zur Gemeinschaft der Gola hinzutreten können. In Esr 9,1ff. wird ebenfalls vorausgesetzt, dass die Absonderung zuvor nicht vollständig geschehen ist, und mehr als das wird jetzt unterstellt, dass auch die Rückkehrer angeblich begonnen haben, sich mit der Landesbevölkerung zu vermischen.293 Daraufhin wird umgekehrt eine Abgrenzung durch das Wegschicken der Frauen als Problemlösung entwickelt. Wenn man die Anknüpfungsfunktion der Esrageschichte einbezieht, wo vorausgesetzt ist, dass nur wenige Jahre seit dem Tempelbau bis zur Ankunft Esras vergangen sind, dann drängt sich die Frage auf, wieso die Vermischung nun ein internes Problem der Rückkehrergemeinschaft ist. Immerhin wird in Esr 1–6 das Gewicht ganz auf die Rückkehrer verlagert und das Problem der Vermischung kommt nur mit Esr 6,21 in den Blick.294 Meiner Ansicht nach ist die neuerliche Thematisierung erforderlich, weil in der verarbeiteten Quelle die Rückkehrerschaft noch nicht dominant war. Der Verfasser der Komposition stand vor dem Problem, wie er vermitteln sollte, dass sich gegenüber der Quelle eine Veränderung der Identität vollzogen hat, wenn außerdem eine mehr oder weniger konsistente Bevölkerung für Juda und die Region selbstverständlich war und auch der Tempelbau in Jerusalem ursprünglich auf die Bevölkerung des Landes (Juden und Israeliten) zurückgeführt wurde. So behauptete er, dass es ausgehend vom Tempelbau durch die Rückkehrer in Jerusalem eine Absonderung gegeben hatte. Diese habe mit der Teilnahme jener Personen am Passa (Esr 6,21) begonnen und wurde angeblich mit der Vertreibung der fremden Frauen fortgeführt 293 Dies hat zuletzt auch Southwood, Ethnic Affair, hervorgehoben. Der Text stellt sich gegen eine faktische Situation und „itself, therefore, acts as a foundation for ethnic identity in later Judaism“ (ebd., 59). Den Zusammenhang mit Esr 1–6 sah auch Mosis, Theologie, 228. 294 Daher kann es sich insgesamt nicht um die Ätiologie einer „frühsynagogale[n] Gerichtsbarkeit in Ehescheidungsangelegenheiten“ (Gunneweg, Esra, 183) handeln. Richtig ist es natürlich, dass Esra in Esr 7,25 aufgetragen wird, eine Gerichtsbarkeit einzuführen, doch dürfte dabei an das Konzept einer dem Politeuma entsprechenden Form des subsidären Rechts gedacht sein. Dieses ist für das Politeuma der Juden von Herakleopolis bezeugt. Cowey/Maresch, Urkunden, 26, folgern: „Die Archonten müssen berechtigt gewesen sein, zumindest subsidiär jüdisches Recht anzuwenden. Die jüdischen Politeumata in Alexandria und sicherlich auch in der Chora müssen ja dazu da gewesen sein, jüdischer Eigenständigkeit und Überlieferung ein Dach zu bieten und sie zu schützen.“ Im Hintergrund steht also eine Form der „Hierarchie der Rechte“ (ebd.), doch wird sie für ein aktuelles Problem instrumentalisiert.

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Kap. 3: Die Rückkehr Esras und die Einführung der Tora in Jerusalem

(Esr 9f.).294 Das Thema hängt textintern mit der Rekontextualisierung295 der Bevölkerungsliste als Rückkehrerliste in Esr 2 zusammen. Denn die Tatsache, dass im nachexilischen Juda die Bevölkerung des Landes am Aufbau des Tempels und der Institutionen des Landes arbeitete, blieb ja bestehen, und die Bevölkerungszusammensetzung änderte sich ja auch nicht allein deswegen, weil man eine frühe umfassende Rückkehr aus dem Exil konstruierte. So behauptete man nun zugleich für die Vergangenheit, dass „der Same der Heiligkeit“ durch diese zwei Wege wiederhergestellt worden sei. Es dürfte also übergreifend in Esr 1–10 um die Auseinandersetzung mit den Samariern gehen. In dieser wendet man das Vorurteil der Vermischung an. Man wirft den Samariern vor, eine aufgrund des Großreichskontextes (siehe Esr 4) vermischte Bevölkerung zu sein, und stellt dem die Anstrengung der Identitätssicherung in Jerusalem als Ideal gegenüber. Das erklärt, warum man bei dem Problem in Anlehnung an Neh 13 die Nachbarvölker mit dem Verbot des Konnubiums mit den Völkern des Landes verbindet. Indirekt zeigt diese polemische Rückprojektion aber auch, dass die Beziehungen zwischen den beiden zunehmend feindlich einander gegenüberstehenden Gemeinschaften in Samaria/Garizim und Juda/Jerusalem lange Zeit eher unproblematisch gewesen sein dürften.296 Zumindest wurden bis zum Aufkommen des Konzeptes des Esrabuches die Ehen nicht als Ehen mit den Gräuelvölkern angesehen (‫)להתחתן בעמי התעבות הלה‬. Mit anderen Worten sucht man in Esr 9f. eine Unterscheidung zwischen Israeliten, d.h. entsprechend dem Konzept des Esrabuches Rückkehrern aus der judäischen Gola, und der Bevölkerung des Landes gegen die übliche Praxis des Zusammenlebens zu etablieren. Das wiederum dürfte der Grund sein, dass man auf der Seite der Jerusalemer Konzeption des Esrabuches immer wieder den Anspruch erhebt, allein Israel zu repräsentieren. Man schafft so eine von den Samariern verschiedene Identität. Diese wird ganz von der Rückkehr aus dem babylonischen Exil und von Jerusalem her definiert. Das ist der Grund, warum man bereits unter Kyros mit dem Edikt die Rückkehr nach Jerusalem zur Erbauung des Tempels beginnen lässt. Die permanente Betonung des Tempels von Jerusalem und die Feststellung des Artaxerxes, dass es der Gott ist, der in Jerusalem seine Wohnstatt hat, weist darauf, dass die Esrageschichte ihren Ort ebenfalls in einer innerjüdischen bzw. innerisraelitischen Konkurrenzsituation hat, in der nicht nur ein Diskurs um den Tempel, sondern auch um das richtige Verständnis der Tora geführt wurde. Deshalb lässt man mit Esra die Tora nach Jerusalem ziehen und verbindet über seine Genealogie eine bestimmte Auslegung mit der vorexilischen Zeit und dem vorexilischen Tempel in Jerusalem. Und dies dürfte letztlich der Grund 295 296

Siehe dazu oben, 77ff. Siehe dazu die abschließenden Überlegungen unten, 410ff.

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sein, warum Esra in Neh 8 die Tora in Jerusalem verkündet. Denn dies nimmt die Szenerie von Dtn 31,11 auf, wo die Verlesung der Tora an dem Ort, den Jhwh sich erwählen wird, befohlen wird. Die Mischehenproblematik stellt also nicht nur eine literarische Brücke zum Nehemia-Buch dar.297 Die Esrageschichte mit der Mischehenproblematik in den Kap. 9f. ist die mit höchster Autorität vorgetragene Fortsetzung der Tempelbaugeschichte. Denn Esra selbst, als Träger (und späterer Verkünder) der Tora, nimmt darin die von Anfang an im Hintergrund des Textes stehende Auseinandersetzung mit den Samariern als Abgrenzung von der Bevölkerung des Landes vorweg. Wichtig ist, dass es nicht darum geht, dass man sich von den Samariern abtrennt, sondern von den Völkern der Länder. Dies dient dazu, dem Vorurteil des Jerusalemer Judentums, dass die Samarier eine Mischbevölkerung sind, das Ideal eines unvermischten Judentums gegenüberzustellen. Damit wird auch nicht ein Wegschicken von Frauen und Kindern propagiert. Vielmehr liegt ein Appell an die Juden/Israeliten der Region und der Diaspora vor, sich aus ihrer Vermischung in der Weise abzusondern, wie es die Einzelnen in Esr 6,21 gemacht haben: durch eine Hinwendung nach Jerusalem und zu der Gemeinschaft derer, die aus dem Exil zurückgekehrt sind. Denn der Same der Heiligkeit und damit die jüdische und israelitische Identität wird dort mit dem Tempel „als Schutzwehr in Juda und Jerusalem“ (Esr 9,9) gesichert. Als ideologischer Hintergrund dient der Verweis dazu, auszudrücken, dass die Jerusalemer Identität des Judentums durch eine besonders rigorose Ablehnung der Heirat mit Angehörigen fremder Völker – und nicht mit Samariern generell – gesichert wurde und wird.

297

So Kratz, Komposition 83, der allerdings Esr 9f. als sekundäre Ergänzung dazu ansieht. Zur Diskussion der These vgl. Grätz, Edikt, 47f.

Kapitel 4

Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition 1. Der Wechsel von Ich-Rede und unpersönlicher Erzählung als Zugang zur Literargeschichte? Nach der Zurückweisung der traditionellen Annahme, dass das Esra-Nehemia-Buch auf die beiden gleichnamigen Personen zurückgeht, ist die Frage nach seinem Ursprung lange Zeit im Zusammenhang der These vom sog. Chronistischen Geschichtswerk diskutiert worden.1 Von großem Einfluss war L. Zunz, der Esra-Nehemia mit der Chronik als ein zusammenhängendes Werk beschrieb2 und meinte, es ginge auf einen Verfasser zurück, den er als Mitglied der in Mischna Avot (mAb 1,1) erwähnten großen Versammlung (‫ )אנשי כנסת הגדולה‬betrachtete und zwischen der Zeit Esras und dem Beginn der hellenistischen Zeit datierte.3 Die These, dass es sich um ein umfangreiches literarisches Werk handelt, hat allerdings die Frage nach den verarbeiteten Quellen aufgeworfen, was letztlich schon bei Zunz eine Rolle spielte,4 und so hat man für die folgenden mehr als eineinhalb Jahrhunderte u.a. in den Ich-Abschnitten des Nehemia-Buches eine verarbeitete Quelle ausgemacht.5 Man hat diese im Prinzip durchgängig für authentisch gehalten, bis J. Becker vermutete, dass die Ich-Erzählungen des Esra und des Nehemia pseudepigraphische Textabschnitte des Chronisten wären.6 Dies wur1

Die ältere Forschungsgeschichte ausgehend von E. Bertheau (1862) findet sich bei Weyde, Historical Books, 550–555, zusammengefasst. 2 Zunz, Chronik, 21, stellte fest, dass „die Chronik und das Buch Esra [d.h. Esra–Nehemia, vgl. ebd., 15, R.H.] als zwei zusammengehörige Theile eines und desselben Werkes“ anzusehen seien. Die These galt schon Bertheau, Esra-Nehemia, 12–14, als allgemein akzeptiert. 3 Zunz, Chronik, 21, stellte fest, dass wir mit Esra-Nehemia „ein Buch von unbekannter Zeit und unbekannten Verfassern haben würden, in dem sich wenige Fragmente des Esra eingeschaltet finden“. Wenig später datierte Bertheau, Esra-Nechemia-Ester, 16, konkret um 300. 4 Er unterscheidet eine Reihe von Abschnitten „die dem ächten Esra so wie dem ächten Nehemia sogar widersprechen“ (Zunz, Chronik, 24). 5 So auch schon Bertheau, Esra-Nechemia-Ester, 13. 6 Siehe Becker, Ich-Bericht, 6; so bereits ders., Esra-Nehemia, 8.

1. Der Wechsel von Ich-Rede und unpersönlicher Erzählung

303

de mit dem Argument zurückgewiesen, dass die Annahme des pseudepigraphischen Charakters nicht erklären könnte, warum „ein späterer anonymer Autor für die Mitteilung von Handlungen Nehemias die Ich-Form verwendet haben soll, während er andere, ebenfalls in die Zeit Nehemias versetzte Ereignisse in der Er-Form mitteilte.“7 Diese Kritik trifft insofern, als Becker keine plausible Erklärung für den Wechsel der Stilisierung erbrachte. Dass die Ich-Rede einen „mehr kommunikativen Ton an[schlägt], wie man ihn in dieser Form in anderen Zusammenhängen nicht erwarten kann“8, reicht kaum aus. T. Reinmuth hat dann ausgehend von der unbestreitbaren Prämisse, dass „[n]icht die Einheitlichkeit, sondern die Uneinheitlichkeit, nicht die ‚Echtheit‘, sondern die ‚Unechtheit‘ eines Textes […] bewiesen werden“9 müsse, geschlussfolgert, es gebe „deshalb keinen Grund, den Wortlaut der Berichte dem Erzähler von vornherein abzusprechen“ 10. Entsprechend kommt er für die von ihm literarkritisch herausgearbeiteten Ich-Abschnitten zu dem Ergebnis, dass „die Mauerbau-Erzählung vielleicht noch während der Statthalterschaft Nehemias entstanden ist [und] die Denkschrift bald nach dessen Wirkungszeit in Juda im letzten Viertel des 5. Jh.s v. Chr. verfaßt worden sein [kann]“11. Inzwischen hat J.S. Wright ein mit vielfachen redaktionellen Bearbeitungen rechnendes Konzept vorgestellt. Er schließt einerseits, dass die Grundlage des Nehemia-Buches „constitutes the point of departure for the composition of this history“12. Andererseits machte er ausgehend von der Ausgrenzung der Ich-Erzählung 13 einen stark reduzierten Ursprung aus (Neh 1,1a.11b; 2,1–6*.11.15.16a.17.18b; 3,38*; 6,15), den er als „perhaps a building inscription“14 identifiziert. Anders als im Nehemiabuch hat man die Authentizität bei den Esraabschnitten bereits länger bezweifelt.15 Bei der Analyse von Esr 7,27f. war ich der Sicht gefolgt, dass die Rezeption des Nehemiazusammenhangs den GeSchunck, Nehemia, 403. Becker, Ich-Bericht, 13. 9 Reinmuth, Bericht, 26 10 Reinmuth, Bericht, 26. 11 Reinmuth, Bericht, 336. 12 Wright, Rebuilding Identity, 334. 13 Wright, Rebuilding Identity, 1–6, eröffnet nicht nur seine Untersuchung mit der Forschungsgeschichte zur Unterscheidung, sondern analysiert primär die in der ersten Person stilisierten Abschnitte. 14 Wright, Rebuilding Identity, 331. Auch Kratz, Komposition, 68, hatte zuvor einen sehr begrenzten Bestand vermutet und ihn mit der Inschrift des Udjahorresnet verglichen. Er überlegt, ob die „zeit- und gattungsgeschichtliche Parallele […] auch bei manchen Zufügungen, z.B. dem Gebet in Neh 1, Pate [stand]“. Vgl. dazu oben, 288f. 15 Torrey, Ezra-Studies, 238f.: „in imitation of the memoir of Nehemiah“; Hölscher, Esra-Nehemia, 494: „eine spätere, der Gestalt des Nehemia nachgezeichnete Figur“; vgl. weiter Mowinckel, Ich und Er, 233; Kellermann, Quellen, 56. 7

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Kap. 4: Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition

brauch der 1. Person in der Esrageschichte angeregt16 und auch den Wechsel zurück in die 3. Person in Esr 10 erzwungen hat.17 Für Esr 7–10 legte sich aufgrund der Figuration Esras nach dem Vorbild des Mose und aufgrund der Rezeption von Dtn 31 in Neh 8 ein Zusammenhang mit der Stilisierung des Deuteronomiums nahe.18 Als Erster hat H. Schmidt die Ich-Rede im Nehemia-Buch mit den Selbstberichten der Prophetenbücher verglichen. Seiner Ansicht nach kommt erstmals in den Büchern der Schriftpropheten ein autobiographisches Interesse auf.19 Dieser Zusammenhang wird dadurch unterstrichen, dass Nehemia in Neh 6 in der Auseinandersetzung mit Propheten steht.20 Doch schon S. Mowinckel hat Schmidts Vorschlag mit Verweis auf den ursprünglich mündlichen Charakter der Prophetenrede pauschal zurückgewiesen21 und stützte sich stattdessen bei der NehemiaDenkschrift auf altorientalische Parallelen, um so den Gebrauch des Ich in der Erzählung zu erklären.22 Für das Nehemia-Buch bleibt als grundsätzliches Problem bestehen, wie das Gegenüber von Ich-Rede und unpersönlichem Erzähltext zu erklären ist. Dies gilt für die Annahme, dass es auf einen Autor zurückgeht,23 aber ebenso für die Thesen, die mit seinem redaktionellen Ursprung rechnen.24 Siehe oben, 258ff.289. Siehe oben, 289. 18 Siehe oben, 261f. 19 Er stellt dazu in gewissem Sinne apologetisch fest, dass der Prophet „nicht um seiner Person willen [erzählt], sondern weil er die Überzeugung hat, hier etwas von Gott erfahren zu haben“ (Schmidt, Geschichtsschreibung, 45). Mit dem Ich des Nehemia werde das Geschehen anschaulich und das ohne, dass man das Gefühl habe, „einen eitlen Menschen zu hören“ (ebd., 46f.), und „[w]ie bei den Propheten hat das seinen Grund darin, daß Nehemia als den eigentlich Handelnden in all seinen Erlebnissen und Taten nicht sich selbst, sondern Gott ansieht“ (ebd., 47). 20 Schunck, Propheten, 534, ist allerdings der Meinung, dass „[d]ie Verbindung der Propheten mit Tobija und ihre Wendung gegen Nehemia […] nicht religiös begründet [war], sondern […] allein einen aus einem persönlichen Motiv erwachsenen politischen Hintergrund“ hatte. 21 Vgl. Mowinckel, Studien II, 87f. 22 Vgl. Mowinckel, Studien II, 92ff.; Hölscher, Esra-Nehemia, 493. 23 J. Becker untersucht primär die sog. Nehemia-Denkschrift, schließt aber aufgrund sprachlicher und sachlicher Übereinstimmungen auf eine „Verfasseridentität“ (Becker, IchBericht, 21). 24 Selbst nach der These von Wright, Rebuilding Identity, 334, bleibt das Gegenüber in der ersten literarischen Konzeption bestehen. Er begründet die Überschrift folgendermaßen: „Whereas Neh 1:1a probably represents the original title of – or introduction to – the independent building-report, the reader of Ezra-Neh ascribes this line to the same narrator responsible for the other third-person passages in the book.“ Doch ist ein solcher Wechsel in einer Bauinschrift denkbar? 16 17

1. Der Wechsel von Ich-Rede und unpersönlicher Erzählung

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Doch man muss nicht die Königsinschriften,25 die in der Regel keinen Wechsel vom Ich zum Er enthalten, oder doch weit entfernte Beispiele der hellenistischen Geschichtsschreibung,26 hinzuziehen, denn in der Hebräischen Bibel haben wir unter den Büchern der Schriftpropheten eine ganze Reihe von entsprechenden Texten, und das bereits im Zusammenhang mit Esr 7–10 thematisierte Deuteronomium ist ein klares Zeugnis dafür, dass man den Wechsel zwischen der Ich-Rede und der unpersönlichen Erzählung auch außerhalb von genuinen Prophetenbüchern anwenden konnte. Das Jeremiabuch ist in besonderer Weise von einem solchen Stil geprägt, und es ist nicht nur für den Verfasser von Esr 1 direkte Bezugsgröße gewesen, sondern es steht auch im Hintergrund des Gebets in Neh 9. Denn dort (Neh 9,31) wird die Ankündigung Jeremias, Jhwh wolle trotz seines Zornes und durch das Exil hindurch kein Ende mit Israel machen, aus Jer 5,18; 30,11 aufgegriffen.27 Aus diesen Gründen verwundert es, dass man der auffällig parallelen Stilisierung der Eröffnung von Jeremia- und Nehemia-Buch bisher nicht nachgegangen ist.28 Jer 1,1–6

Neh 1,1–5

‫דברי ירמיהו בן חלקיהו מן הכהנים אשר בענתות‬ ‫בארץ בנימן׃‬

‫ דברי נחמיה בן חכליה‬1

‫אשר היה דבר יהוה אליו‬ ‫בימי יאשיהו בן אמון מלך יהודה בשלש עשרה‬ ‫שנה למלכו׃‬ ‫ויהי בימי יהויקים בן יאשיהו מלך יהודה עד תם‬ ‫עשתי עשרה שנה לצדקיהו בן יאשיהו מלך‬ ‫יהודה עד גלות ירושלם בחדש החמישי׃‬

‫ויהי בחדש )כסלו( ]כסליו[ שנת עשרים‬

‫ויהי דבר יהוה אלי‬

‫ ויבא חנני אחד מאחי הוא ואנשים מיהודה‬2

‫ואני הייתי בשושן הבירה׃‬ 25

Vgl. Mowinckel, Studien II, 93f. Eskenazi, Composition, 231, verweist auf Polybius, der Selbstreferenzen als Stilmittel anwendet, und folgert, dass es nützlich sein könnte, „to consider also the Greek autobiographies and biographies“ (ebd., 232) bei der Interpretation „of first-person, seemingly ‚autobiographical,‘ material in Ezra-Nehemiah“ (ebd.). 27 Vgl. Gunneweg, Nehemia, 128. Ein Zusammenhang legt sich auch zwischen den Rachegebeten gegen die Widersacher Neh 3,37 und Jer 18,23 nahe. Batten, Ezra-Nehemiah, 227, sah das als Zitation aus Jeremia und zweifelt deshalb die Ursprünglichkeit des Verses an. Eine Bezugnahme sieht auch Schunck, Nehemia, 141. Gunneweg, Nehemia, 80, zog sie in Erwägung. 28 Wesselius, Discontinuity, 37, notiert: „A problem for which, unfortunately, I do not know a solution is why the book of Nehemiah looks the way it does. One suspects another case of imitation behind its irregular appearance, but no biblical model comes easily to mind.“ 26

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Kap. 4: Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition ‫ואשאלם על היהודים הפליטה אשר נשארו מן‬ ‫השבי ועל ירושלם׃‬ ‫לאמר‬

‫ ויאמרו לי ׃‬3

‫בטרם אצורך בבטן ידעתיך ובטרם תצא מרחם‬ ‫הקדשתיך נביא לגוים נתתיך׃‬

‫הנשארים אשר נשארו מן השבי שם במדינה‬ ‫ברעה גדלה ובחרפה וחומת ירושלם מפרצת‬ ‫ושעריה נצתו באש‬ ‫ ויהי כשמעי את הדברים האלה‬4 ‫ישבתי ואבכה‬ ‫ואתאבלה ימים ואהי צם ומתפלל לפני אלהי‬ ‫השמים׃‬

‫ואמר אהה אדני יהוה הנה לא ידעתי דבר כי נער‬ ‫אנכי׃‬

‫ ואמר אנא יהוה אלהי השמים האל הגדול‬5 ‫והנורא שמר הברית וחסד לאהביו ולשמרי‬ ‫מצותיו׃‬

Eine direkte Intertextualität ließe sich anhand des Gegenübers freilich kaum beweisen, doch steht diese aufgrund der anderen Bezüge zum Jeremiabuch nicht infrage. Während es sich bei Jer 1 um die Berufungsgeschichte des Propheten handelt, leitet Neh 1 ein Gebet ein, das bei einem Schuldbekenntnis einsetzt und zu einer Bitte um Beistand führt. Doch die überschriftsartige Formulierung mit Vorstellung des Sprechers und Datierung und die Eröffnung der Handlung mit einem Gesprächspartner, die die Grundlage der nachfolgenden Handlung bestimmt, bilden eine auffällig parallele Struktur, sodass im Hintergrund der beiden Buchanfänge ein gemeinsames Vertextungsmuster stehen muss. Möglicherweise hat das Jeremiabuch dem Verfasser der Nehemiaerzählung dabei als Mustertext gedient. De facto könnten dann weitere Texte dieses Muster nachgeahmt haben, sodass in der späteren jüdischen Literatur die quasi autobiographische Erzählung als regelrechte literarische Gattung daraus entstanden ist.29 Das Wissen darum, dass bei der Abfassung von Texten neben dem eigentlichen Autor in der Regel ein professioneller Schreiber beteiligt war, dürfte dabei eine Rolle gespielt haben.30 Dieses Wissen wird ja bekanntlich im Jeremiabuch explizit mit der Entstehung des Buches verbunden. Natürlich könnte man auch 29

Das hat schon Gunkel, Israelitische Literatur, 96f., vermutet. Es wurde von Mowinckel, Studien II, 87, mit dem Hinweis abgetan, dass Tobit und Kohelet in der Weisheitsdichtung verankert seien. Der Ablehnung der These lag eine schematische Sicht der Gattungen zugrunde, die Gunkel offenbar selbst nicht propagiert hatte. Der kreativen Verwendung von Gattungen ist Hardmeier, Texttheorie und biblische Exegese, ausführlich nachgegangen. Er (ebd., 387) schlussfolgert: „So wie wir die Geschichte der Überlieferung von Texten generell als intentional geleitete Textverarbeitung und damit als Rezeptionsgeschichte bestimmt haben, so hat sich auch die Geschichtlichkeit von Gattungen und von Stilfiguren gezeigt als Geschichte ihrer Weiter- und Neuverarbeitung bis hin zu ihrer Veränderung oder Verdrängung unter je aktuellen Kommunikationsinteressen.“ 30 Vgl. dazu die Diskussion von Esr 7,27f. oben, 258ff.

1. Der Wechsel von Ich-Rede und unpersönlicher Erzählung

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überlegen, ob der ganze Anfang des Nehemia-Buches als Pendant zur Berufungsgeschichte am Anfang des Jeremiabuches erstellt worden ist, doch kommt man bei dieser inhaltlichen Frage nicht über Vermutungen hinaus. Allerdings ist zu bedenken, dass Nehemia in Neh 6 in einer Auseinandersetzung mit Propheten erscheint und ihm zugleich auch vorgeworfen wird, Propheten beeinflusst zu haben. Wenn der Wechsel von der Erzählrede zur Ich-Rede als Stilmittel vorgegeben war, dann ist es kaum möglich, allein anhand des Wechsels literarische Schichten voneinander zu scheiden. Zwar ist es auch möglich und wahrscheinlich, dass man am Beginn des Nehemia-Buches literarisch gearbeitet hat. Man vermutet ja eine besondere inhaltliche Nähe zwischen Neh 1 und Esr 9.31 Doch würde auch ein sekundärer Abschnitt bezeugen, dass man den Wechsel zwischen Erzählung und Ich-Rede im Buch äquivalent zum Beginn des Jeremiabuches verstanden hat und dieses Vertextungsmuster für die antiken Rezipienten kein Problem darstellte. Der Wechsel kann daher ebenso wenig als literarkritisches Kriterium angesehen werden,32 wie die Ich-Rede allein Hinweis für die Authentizität ist. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das Esra-Nehemia-Buch als zusammenhängende Komposition überliefert ist und es, wie sich im Folgenden zeigen wird, aufgrund der Verknüpfung von Esr 2 mit Neh 7 und der Verknüpfung von Esr 7–10 mit Neh 8 auch inhaltlich als zusammenhängende Komposition erkennbar ist. Angesichts dessen ist es überaus überraschend, wenn in Neh 1,1 ein Buchteil mit einer Überschrift beginnt, die an anderen Stellen ganze Bücher einleitet. Ob nun Neh 1 ursprünglich ist oder nicht, das sei dahingestellt, doch die Überschrift signalisiert den Beginn eines eigenständigen Zusammenhangs. Es ist wahrscheinlich, dass im abgeschlossenen Buchkontext mit der Abgeschlossenheit ein Verweis auf die literarische Vorlage geschaffen oder beibehalten wurde. Aus diesen Vorüberlegungen ergibt sich, dass ein anderer Zugang zur Literargeschichte des Nehemia-Buches gefunden werden muss. Ohne den seit 150 Jahren genutzten Stilwechsel scheinen keine so ‚leicht‘ zu handhabenden Kriterien zu existieren. Als Alternative soll – wie bereits angekündigt – bei dem Textabschnitt Neh 7,6–72, der auf der literarischen Ebene als Zitat präsentiert wird, eingesetzt werden.

Vgl. Kratz, Komposition, 85. So u.a. noch Gunneweg, Nehemia, 176ff.; Kratz, Komposition, 68; Wright, Rebuilding Identity, 46; Reinmuth, Bericht, 328. 31

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2. Die Begründung der Wiederholung der Rückkehrerliste in Neh 7 und ihre Absicht Der in Esr 2 als Rückkehrerliste präsentierte Abschnitt hat sich bereits als kohärenzstiftendes Element zwischen Esr 1–6 und Esr 7–10 herausgestellt. Denn die zweite Liste der Rückkehrer in Esr 8 rezipiert nicht nur die in Esr 2 eingebundene Liste, sondern lehnt sich auch inhaltlich an sie an. Doch auch die Liste der Personen, die sich in Esr 10 von ihren Frauen trennen, beruht auf der Liste in Esr 2, und umgekehrt tauchen viele Namen aus Esr 10 in Neh 8 wieder auf. Die Übereinstimmung von Namen signalisiert einen inhaltlichen Zusammenhang. Die beiden Rückkehrerzüge unter Serubbabel und Esra sollen aufeinander bezogen werden. Das wird beispielsweise bei den ‫ בני אדניקם‬in Esr 8,13 explizit, von denen es dort heißt, sie seien die „letzten“. Markiert wird damit, dass es ausgehend von der Rückkehr in Esr 2 über Esr 8 und Esr 10 immer um die gleiche Gruppe von Personen geht, deren Angehörige als Rückkehrer aus der Gola die jüdische Bevölkerung des Landes bilden und ganz Israel repräsentieren. Dass man die als Rückkehrerliste rekontextualisierte Bevölkerungsliste im Nehemia-Buch ein weiteres Mal verwendet, muss damit zusammenhängen. Präsentiert wird die Liste nach der Vollendung des Baus der Stadtmauer und der Tore sowie nach der Sicherung der Stadt. In Neh 7 wird zur Liste mit der Feststellung übergeleitet, dass die Stadt groß ist, aber nur wenige Einwohner darin leben (Neh 7,4). Formal liegt ein nahtloser Übergang vor. Auch dass nach der Fertigstellung der Mauer nun die Bevölkerung der Stadt thematisiert wird, erscheint als eine logische Fortsetzung. Dennoch besteht eine inhaltliche Spannung zum vorangehenden Kontext. Denn es wird in Neh 7,4 ausdrücklich festgestellt, dass noch keine Häuser in der Stadt gebaut waren,33 obwohl in Neh 3 davon berichtet wird, dass die genannten Personen jeweils ihrem Haus gegenüber an der Mauer bauen. Außerdem lässt Nehemia in Neh 7,3 Wachen aus den Einwohnern Jerusalems (‫ )משמרות ישבי ירושלים‬aufstellen, wobei jeder gegenüber seinem Haus Dienst tun soll. Die plötzliche Feststellung von einer geringen Bevölkerung hängt also nicht mit dem Schutz der Stadt zusammen, sondern scheint auf den später im Buch thematisierten Synoikismus hinauszulaufen. Nehemia als Ich-Erzähler nimmt das Problem insofern auf, als er von sich berichtet, dass Jhwh bei ihm den Entschluss geweckt habe, das Volk zu zählen. Neh 33

Gunneweg, Nehemia, 104, folgert aufgrund des Zusammenhangs, dass noch keine Familien gegründet worden seien. Da es aber auf den Synoikismus hinausläuft, kommt man an den erbauten Häusern nicht vorbei. Wahrscheinlich ist intendiert, dass zu den bereits existierenden Häusern nach dem Bau der Mauer noch keine weiteren Häuser errichtet worden sind.

2. Die Begründung der Wiederholung der Rückkehrerliste in Neh 7

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7,5aα formuliert bewusst nur eine Absicht. Der terminologische Zusammenhang macht deutlich, dass Nehemia zwar beabsichtigt, das Volk zu versammeln, um es genealogisch aufzuzeichnen (‫)להתיחש‬. Doch dies ist (offenbar) nicht nötig, da er das nachfolgend zitierte ‫ ספר היחש‬findet. Auch wenn es an dieser Stelle weder zur Versammlung kommt, noch die Aufzeichnung einer Liste vorgenommen wird,34 so bietet der Vers doch Einblick, wie man sich vorstellte, dass solche Listen zustande gekommen sind. In dem Passus wird über die Entstehung einer das Esra-Nehemia-Buch prägenden Textgattung reflektiert. Die Aufzeichnung der Bevölkerung muss in der Sicht von Neh 7,5 in einer Volksversammlung geschehen. Dass zusammen mit dem Volk auch die Angehörigen der Aristokratie (‫)חרים‬35 und die Vorsteher der Gemeinschaft36 zur Aufzeichnung versammelt werden sollen, lässt sich mit der Liste insofern verbinden, als an deren Spitze elf bzw. zwölf Repräsentanten stehen. Die Liste enthält ansonsten ja Gruppen, was von Esr 1,5 auf die ‫ראשי האבות‬, die Häupter der Vaterhäuser, hin ausgedeutet wird.37 Die Auffindung der Liste kommt Nehemias Vorhaben zuvor, und so wird sie im Folgenden zitiert. Sie hat dieselbe Überschrift und nahezu denselben Umfang wie der Paralleltext in Esr 2, sodass eine genaue Entsprechung intendiert ist.38 Der Ich-Erzähler Nehemia findet ein in der Vergangenheit aufgezeichnetes Dokument auf, was letztlich zeigt, dass man auch in Esr 2 an ein Dokument denkt.39 Aufschlussreich ist, dass die im Anschluss zitierte Liste die Bezeichnung ‫ ספר היחש העולים בראשונה‬trägt. ‫ בראשונה‬macht deutlich, dass Neh 7,5bα nicht nur auf die Liste, sondern auf die Tempelbauerzählung mit dem anschließenden Zusammenhang der Esrageschichte mit den dort mit Esra Hinaufziehenden zurückblickt und sich von hier eine Verbindung zum abgeschlossenen Esrabuch ergibt.40 Neh 7,5b behauptet, dass Nehemia dieses als älteres Dokument in der Hand 34 Gunneweg, Nehemia, 105, postuliert, dass eine Versammlung stattgefunden hat und denkt an eine sekundäre Überarbeitung der Stelle, „denn die weitere Mitteilung, Nehemia habe die dann gleich vollständig reproduzierte Liste der Heimkehrer vorgefunden, ersetzt den Bericht über die eben erst einberufene Versammlung und deren Beschlüsse und macht die vorgenommene Registrierung von vornherein überflüssig.“ 35 Vgl. Ges18, 391. 36 Ges18, 873, denkt in Anschluss an Willi, Juda, 29, an eine Funktion der persischen Verwaltung. 37 Vgl. zu dem Zusammenhang von Esr 1,5 und 2,1f. oben, 185. 38 Zu den Unterschieden, die aufgrund des sekundären Einflusses der Vorlage zustande gekommen sind, siehe oben, 68ff. 39 Dies bestätigt zugleich auch die Überlegungen zum Ursprung der Liste aus der Aufzeichnung des Tattenai für den persischen König. Vgl. dazu oben, 177ff. 40 Die Formulierung lässt auch einen Zusammenhang mit 1Chr 9,1 vermuten. Vgl. dazu unten, 392.

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hält.41 Aus dem Gesamtzusammenhang von Esr 1–10 zitiert er angeblich (‫וא‬ ‫)מצא כתוב בו‬. Oft ist über die Richtung der Abhängigkeit von Esr 2 und Neh 7 spekuliert worden. Doch angesichts dieser Behauptung ist der Rückbezug eindeutig und zugleich durch ‫ בראשונה‬der Zusammenhang mit dem Esrabuch insgesamt nicht von der Hand zu weisen. Hinzu kommt, dass Neh 7,5bα von der Aufzeichnung der Rückkehrer spricht, was eindeutig der vorliegenden (aber nachträglichen) Kontextualisierung der Liste in Esr 2 entspricht. Die Überlegung führt letztlich zu dem Schluss, dass beide Stellen Esr 2 und Neh 7 auf den gleichen Autor zurückgehen müssen. Dies hat Gunneweg vorgeschlagen. Er nimmt an, „daß es der Chr selbst war, der die Liste an beiden wichtigen Stellen absichtsvoll in seinem Werk als Verzeichnis der Erretteten und der wahren Gemeinde verwendete, und daß derselbe Chr in E 2 f. und N 7 f. im Anschluß an die wiedergegebene Liste eine ähnliche Fortsetzung verfaßte, ebenfalls um die Parallelität der Vorgänge von Erstheimkehr und endgültiger Konstituierung der wahren Gemeinde deutlich zu machen“.42 Das Ganze hätte dann eine kompositorische Bedeutung. Diese Überlegung wird durch die Analyse von Esr 7f. bestätigt, die eine ähnliche Stellung der Liste in Esr 8 ergeben hat, was ebenfalls im Zusammenhang einer Aufnahme von Esr 1–6 stand und dem Anschluss der Esrageschichte daran diente.43*** 41

Wright, Rebuilding Identity, 303, denkt an Esr 1–6: „Nehemiah discovers ‚the book of the genealogies of those who came up first‘ (7:5b), which he employs to enroll the residents of the newly built Jerusalem (7:6ff.), nowhere else than in Ezra 1–6, as Spinoza proposed long ago.“ 42 Gunneweg, Esra, 56. So auch Hieke, Esra-Nehemia, 183f.: „Zu diesen Fundamenten gehört die genealogische Geschlossenheit des Volkes als wahres Israel – sie ist ausgedrückt in der detaillierten Namensliste (Neh 7), die Esr 2 zitiert und damit erneut deutlich macht, dass nur die aus dem Exil Heimgekehrten das wahre Israel ausmachen.“ 43 Die ältere Forschung hat überlegt, ob die Liste tatsächlich hier ihren Ort hatte und die Bemerkung umgekehrt dazu diente, sie in Esr 2 zu plausibilisieren. Jahn, Esra-Nehemia, LII, hält Neh 7,5 für „gefälscht“ und argumentiert ebd., 9: „Nach Neh. 7,5 will Neh. ein Verzeichnis der in der Provinz Ansässigen geben, um für die Vermehrung der Bevölkerung Jerusalems zu sorgen, und ‫ העלים בראשונה‬sieht ganz wie eine Korrektur statt ‫הישבים‬ ‫ בה‬aus, zumal, wenn man 1 Chr. 9,3 vergleicht. Der Zweck der Korrektur war, mit Esr 2 auszugleichen.“ Die Zuhilfenahme von 1Chr 9,3 ist allerdings trügerisch, da 1Chr 9,3 mit Neh 11 zusammenhängt und damit ebenfalls die nach dem Synoikismus Nehemias anwesende Bevölkerung Jerusalems im Blick hat. Vgl. u.a. schon Wellhausen, Prolegomena, 406. Letztlich tendierte noch Gunneweg, Nehemia, 105, mit der Annahme der weggefallenen „Beschlüsse[n]“ der Versammlung zu dieser Lösung. Eine solche Lösung ist unwahrscheinlicher als die Annahme, dass die Liste aus dem Zusammenhang in Esr 5f. stammt. Denn eine Liste, die ursprünglich mit dem Synoikismus in Verbindung gestanden hätte, wäre den intendierten Adressaten noch schwerer als Liste der Rückkehrer plausibel zu machen gewesen als die Liste derer, die den Tempel gebaut haben. – Es sei noch darauf verwiesen,

2. Die Begründung der Wiederholung der Rückkehrerliste in Neh 7

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Allerdings wäre die nochmalige Einfügung eines umfangreichen Textes mit dem ausschließlichen Zweck, Kontinuitäten aufzuzeigen, eine in der Hebräischen Bibel einzigartige Strategie. Und es stellt sich die Frage, ob dem Verfasser zur Erreichung dieses Zweckes nicht die Bemerkung in Neh 7,5bα als Verweis auf die Liste ausgereicht hätte.43 Die Wiederholung scheint so allen Konventionen der Textökonomie zu widersprechen. Ich hatte bereits bei der Diskussion von Esr 2 die These aufgestellt, dass die Wiederholung des Textes primär dazu dient, den neuen Ort von Esr 2 und vor allem die Funktion der Liste als Rückkehrerliste zu legitimieren und mit der Autorität des Nehemia zu versehen. 44 Doch auch dies wäre theoretisch mit wenigen Nebenbemerkungen zu leisten gewesen. Anders verhält es sich, wenn – was die textuellen Abweichungen zwischen den Listen unterstreichen – die ursprünglich verarbeitete Liste bei den intendierten Adressaten noch als bekannt vorausgesetzt war und ihre Inhalte, d.h. die enthaltenen Namen und Gruppen für den Inhalt des Nehemia-Buches weiter relevant waren. Dann wäre die Wiederholung der Liste notwendig. Und so könnte es sein, dass man Nehemia die korrekte Liste der Rückkehrer wiedergeben lässt, damit er die Korrektheit der Liste in Esr 2 bezeugt, und zwar, um die den intendierten Adressaten bekannte ursprüngliche Bevölkerungsliste als nicht authentisch zu erweisen.

3. Die Spannung zwischen Synoikismus (Neh 11) und Zitation der Rückkehrerliste (Neh 7) Der Einbindung der Liste geht die Feststellung des Ich-Erzählers voraus, dass in der Stadt keine Häuser gebaut waren, obwohl die Stadt nach dem Bau der Mauer und ihrer Sicherung einer größeren Bevölkerung Platz geboten hätte. Die beabsichtigte Versammlung des Volkes mit dem Ziel, sie zu zählen, scheint dieses Problem in den Blick zu nehmen. In der Tat findet sich in Neh 11,1f. im direkten Anschluss an die Verpflichtung des Volkes, den Zehnten an den Tempel zu geben,45 die Feststellung, dass bislang nur dass die Einführung der Liste in Esr 2,1f. der Eröffnung des Briefanfangs in Esr 5,6 parallel geht. Vgl. dazu oben, 126, und 180. Blickt man auf Neh 7,5 ergeben sich zusätzliche Zusammenhänge mit Esr 5,6. 44 Die ältere Forschung hat weniger mit dem Gebrauch der Texte gerechnet, dafür aber umfassende Veränderungen in der Intention der Liste vermutet. Doch nur bei Texten, die ausschließlich für das Archiv bestimmt gewesen wären, wäre dies denkbar. Bei wiederverwendeten Texten musste bei den intendierten Adressaten mit der Kenntnis der Vorlage gerechnet werden. Daher musste man Veränderungen vermitteln. 45 Gunneweg, Nehemia, 140, vermisst einen Zusammenhang zwischen Neh 10 und 11,1f. und überlegt aufgrund dessen, ob Neh 11,1f. die Fortsetzung der Redaktion ist, die

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die ‫ שרי העם‬in der Stadt wohnten, das übrige Volk aber ausloste, wer noch in der Stadt siedeln sollte. Der kurzen erzählerischen Szene folgt eine Bevölkerungsliste, an deren Anfang die Bevölkerung Jerusalems genannt wird. Neh 11,1f. wird u.a. von Gunneweg gegenüber der Nehemia-Denkschrift für sekundär gehalten.46 Die beiden Verse Neh 11,1f. wollten „nicht nur 7,4f. fortspinnen, sondern die [nachfolgende, R.H.] Liste einleiten“47. Während Letzteres einleuchtet, lässt sich kein bruchfreier Zusammenhang mit Neh 7,4f. erkennen. In Neh 11,1f. bestimmt das Volk selbstständig, wer in der Stadt siedeln soll, während in Neh 7,4f. Nehemia das Problem mit einer Zählung angeht. Die Zählung ist nicht erforderlich, weil sogleich eine Liste aufgefunden wird. Doch spielt weder sie noch die Absicht der Zählung in Neh 11,1f. eine Rolle.48 Lediglich die Anwesenheit des Volkes in Jerusalem ist die Bedingung für den Synoikismus in Neh 11,1f., doch auch das Volk kommt in Neh 7,4f. noch nicht zusammen, sondern erst in Neh 8,1. Die vorher zitierte Liste spielt im Fortgang keine Rolle mehr, obwohl sie angeblich Nehemias Handeln bestimmt. Aus diesen Gründen muss gefolgert werden, dass Neh 7,4f. allein der Einfügung der nachfolgenden Liste dient. Wenn dem so ist, kann Neh 11,1f. nicht der gleichen Redaktion angehören, sondern muss bereits in der Vorlage gestanden haben.49 Der Synoikismus wird als Vorwand für die Einfügung der Liste aufgegriffen. Die Liste selbst muss aber einem anderen kontextuellen Zweck dienen.

4. Der Übergang von der Liste zum Erzähltext (Neh 7,72–8,2) Während die Wiedergabe der Rückkehrerliste im vorangehenden Kontext inhaltlich vorbereitet wird und dort auch eine regelrechte Zitationsformel er in 7,5 am Werk sieht. Doch besteht durchaus ein Zusammenhang zu Neh 10. Denn dort verpflichtet sich die Gruppe u.a. zur Abgabe von landwirtschaftlichen Produkten an den Tempel. Das impliziert, dass die anwesende Gruppe überwiegend als Landbevölkerung vorgestellt ist. Das ändert sich nach der Auslosung des zehnten Teils der Gruppe in Neh 11,1f. 46 Maßgeblich ist für seine Beurteilung, dass weder der Name Nehemia erscheint noch die Ich-Rede wiederaufgenommen wird. Vgl. Gunneweg, Nehemia, 140. 47 Gunneweg, Nehemia, 141. Der Zusammenhang wird seit Meyer, Entstehung, 94–102, immer wieder aufgezeigt. Belege: Lipschits, Nehemiah, 426. 48 Dies stellt auch Coggins, Ezra-Nehemiah, 127, fest: „The theme is the same as that of 7:4–5, but there is no obvious connection with that passage.“ 49 Die beiden Verse sind nicht notwendig Teil eines unpersönlich erzählenden Textabschnittes. Warum sollte aus der Perspektive Nehemias ursprünglich nicht erzählt worden sein können, dass die anwesende Gruppe nach dem Bundesschluss von Neh 10 beschließt, die Stadt in stärkerem Maße zu besiedeln. Die besondere Bedeutung des gesamten Kapitels unabhängig von den Verbindungen hebt Lipschits, Nehemiah, 431, hervor.

4. Der Übergang von der Liste zum Erzähltext (Neh 7,72–8,2)

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existiert (Neh 7,5), setzt sich nach Abschluss der Liste der Erzähltext nahtlos fort. Da sie vom Ich-Erzähler thematisiert wird und in Neh 7,5 unterstellt wird, dass es sich bei ihr um jene in Esr 2 handelt, wird sie scheinbar von dort zitiert, so als hätte sie Nehemia dort aufgefunden. Angesichts dessen überrascht aber, dass der Anfang des nachfolgenden Erzähltextes in Neh 7,72–8,2 noch mit Esr 2,70–3,1 übereinstimmt: Esr 2,70–3,1

Neh 7,72–8,2

‫ וישבו הכהנים והלוים ומן העם והמשררים‬70 ‫והשוערים והנתינים בעריהם וכל ישראל בעריהם‬

‫ וישבו הכהנים והלוים‬72 ‫והשוערים והמשררים‬ ‫ומן העם‬ ‫והנתינים וכל ישראל בעריהם‬

‫ ויגע החדש השביעי ובני ישראל בערים‬1

‫ויגע החדש השביעי ובני ישראל בעריהם‬

‫ויאספו העם כאיש אחד‬ ‫אל ירושלם‬

‫ ויאספו כל העם כאיש אחד‬8,1 ‫אל הרחוב אשר לפני שער המים ויאמרו לעזרא‬ ‫הספר להביא את ספר תורת משה אשר צוה‬ ‫יהוה את ישראל׃‬

‫ ויקם ישוע בן יוצדק ואחיו הכהנים וזרבבל בן‬2 ‫שאלתיאל ואחיו ויבנו את מזבח אלהי ישראל‬ ‫להעלות עליו עלות ככתוב בתורת משה איש‬ ‫האלהים‬

Der Sachverhalt wird seit dem 19. Jh. als Fehler an einer der beiden Stellen und als Hinweis auf eine sekundäre Bearbeitung angesehen. 50 In beiden Kontexten gehört es bereits wieder zur Erzählung, wenn festgestellt wird, dass das Volk sich in den Städten befindet. Gleichzeitig ist aber die Nennung der verschiedenen Gruppen des Volkes eine Anknüpfung an die Liste. Jede Version der Liste (Esr 2 und Neh 7) für sich geht bruchfrei zum nachfolgenden Erzähltext über. Das Volk befindet sich in den Orten, der siebente Monat rückt heran und das Volk kommt zusammen. Danach geht die Handlung ihre je eigenen Wege: In Esr 3,2 folgt der Altarbau, während in Esr 8,1b zur Verlesung der Tora übergeleitet wird. Beide Zusammenhänge sind aufgrund der kalendarischen Daten verständlich. Denn sowohl in Esr 3,1 als auch in Neh 7,72b ist der Verweis auf den Anfang des siebenten Monats mit den nachfolgenden Geschehnissen 50

Vgl. schon Wellhausen, Prolegomena, 406; Jahn, Esra-Nehemia, 120. Nach Kratz, Komposition, 73, hat man entweder den Übergang Esr 3,1 zusammen mit der Liste aus Esr 2f. übernommen oder er „ist an beiden Stellen jünger“ (ebd.). Gunneweg, Esra, 55, hat darauf hingewiesen, dass die Versuche, an der einen oder anderen Stelle einen Textfehler für diese Überlappung verantwortlich zu machen, keine Aussicht auf eine plausible Erklärung haben. Wenn man bedenkt, dass Neh 7,5 dezidiert auf Esr 2 zurückverweist, ist es kaum möglich, dass derselbe Autor, der am Anfang um die Plausibilität des Textes in Esr 2 ringt, einen fehlerhaften Anschluss an den nachfolgenden Erzähltext geschaffen hat.

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verbunden. Bei jenem handelt es sich um den Monat des Laubhüttenfestes, das sowohl in Esr 3,4 als auch in Neh 8,14 begangen wird. In beiden Zusammenhängen wird die Feier des Laubhüttenfestes zudem mit der Tora in Verbindung gebracht, und da es sich um eines der drei Wallfahrtsfeste handelt, ist für das Laubhüttenfest das Kommen des ganzen Volkes zum (Zentral-) Heiligtum vorgeschrieben (Ex 23,15–17; 34,22f.; Dtn 16,13–16; vgl. Dtn 31,10f.).51 Es verwundert also nicht, wenn mit dem Nahen des siebenten Monats als des Monats des Laubhüttenfestes das ganze Volk in Jerusalem zusammenströmt. Hinzu kommt, dass der siebente Monat nach Lev 23,24 mit einem Ruhetag und einer Versammlung beginnen soll. Das ganze Volk findet sich also in Neh 8 wiederum in Jerusalem zusammen. Wie in Esr 2f. wird über die Betonung der Zusammenkunft des ganzen Volkes in Jerusalem ein Zusammenhang zwischen der Liste und dem nachfolgenden Erzähltext hergestellt. Wie in Esr 3 der Kult in Anwesenheit des ganzen Volkes in Jerusalem beginnt, wird in Neh 8 in Anwesenheit des ganzen Volkes die Tora in Jerusalem verkündet. Wenn man so will, bildet Neh 7f. in ähnlicher Weise eine kompositionelle Einheit wie Esr 2f. Diese kompositionelle Funktion der Liste in ihren beiden Kontexten bestätigt die Schlussfolgerung aufgrund ihrer Einführung in Neh 7,5, dass sich ihre Präsentation in Esr 2 und Neh 7 einem übergreifenden gestalterischen Interesse verdankt. Beim siebenten Monat und beim Laubhüttenfest als Freudenfest wird zunächst noch auf die Erwähnung der Festfreude verzichtet, von der dann aber beim Baubeginn die Rede ist. Damit wird in Esr 3 ein Umschwung von der Unheilszeit des Exils zur Heilszeit markiert. 52 In Neh 8 legt sich aufgrund des Zusammenhangs zu Dtn 31,10 ebenfalls der siebente Monat für die Verkündigung der Tora nahe. Darüber hinaus konnte der für die Einfügung verantwortliche Verfasser bereits auf Aspekte des vorangehenden Kontextes für die Datierung zurückgreifen. Denn nach Neh 6,15 wird der Mauerbau am 25. Elul und damit am Ende des sechsten Monats abgeschlossen. Und auch die Thematisierung der sozialen Missstände und Nehemias Forderung eines Schuldenerlasses und der Freilassung der Sklaven konnte man mit dem herannahenden siebenten Monat verbinden. Naheliegender 51

Aufgrund der Platzierung der Feste im Kontext sieht Häusl, Feste feiern, 248, eine kompositorische Funktion der Feste: Diese spielen (vgl. ebd., 249f.) eine besondere Rolle für die Identitätskonzepte des Buches, da sie mit den vier Hauptthemen, „mit dem Tempel, dem Opferdienst, der Toralesung und der Stadt“ verbunden sind. Da der festliche Baubeginn und die Einweihung sowie die Toralesung jeweils mit einem Wallfahrtsfest verbunden sind, dürfte allerdings die betonte Anwesenheit des ganzen Volkes im Vordergrund stehen. 52 Siehe dazu oben, 206.

4. Der Übergang von der Liste zum Erzähltext (Neh 7,72–8,2)

315

Kontext ist Lev 25,9f., wo die Freilassung im fünfzigsten Jahr mit dem zehnten Tag des siebenten Monats, dem Versöhnungstag, verbunden wird. Welche Funktion kann dann aber die vollständige Einfügung der als Rückkehrerliste rekontextualisierten Bevölkerungsliste in Neh 7 haben? Wenn sie an dieser Stelle noch einmal präsentiert wird, so wird damit zunächst ein weiteres Mal deutlich gemacht, dass es nur das Israel gibt, dessen Ausgangspunkt die Rückkehr aus dem Exil ist. Die Anwesenheit des ganzen Israel beim Laubhüttenfest und damit auch bei der Verlesung der Tora, die Esra an dem Ort, den Mose für sie bestimmt hat, am Ort, den Gott erwählen wird (‫)במקום אשר יבחר‬, wird signalisiert. Es dürfte also dadurch nicht nur um die Verlesung der Tora allgemein gehen, sondern um den Ort der Verlesung. Die Tora wird auf Jerusalem festgelegt, „kanonisiert“ wird eine auf Jerusalem bezogene Auslegung der Tora, so wie die zeitige Errichtung des Altars und der anschließende Tempelbau die Erwählung des Ortes durch die Wiederaufnahme der kultischen Kontinuität sichern sollte. Die Anwesenheit des ganzen Volkes dient dazu, dies zu bestätigen. Die Auffindung der rekontextualisierten Liste durch Nehemia und das anschließende Zusammenkommen des Volkes erklärt allerdings immer noch nicht hinreichend die vollständige Zitation.53 Selbst dafür, dass sie aus einem anderen Kontext stammt und in ihrer neuen Form plausibilisiert werden soll,54 hätte ein Rückverweis ausgereicht. Einer über das Zusammenkommen des ganzen Volkes hinausgehenden Funktion des Listeninhaltes für den nachfolgenden Kontext des Nehemia-Buches muss daher weiter nachgegangen werden. Während der Synoikismus sich bereits als vorgeschobener Grund herausgestellt hat,55 liegt es nahe, dass ein Zusammenhang zur Namensliste im Anschluss an das Bundesdokument in Neh 10 besteht, die eine Reihe von Entsprechungen mit der Liste in Neh 7 aufweist.

5. Bußgebet (Neh 9,5ff.) und Bundesschluss (Neh 10,1ff.) als ursprüngliches Zentrum der Nehemiaerzählung Neh 10 wird oft zu dem sekundären Bestand des Nehemia-Buches gerechnet. R.G. Kratz stellt – die Forschung seit der Mitte des 19. Jh. zusammenfassend – fest: „Hauptkennzeichen der Nehemia-Denkschrift ist der Ich-Stil. Die Kapitel Neh 7,6–12,26, die den stilistischen und thematischen Zusammenhang offensichtlich unterbrechen, gelten darum allgemein als Einschub. Der innere Kern der Einschaltung umfaßt Neh 8–10 und trägt Esra und das Vgl. oben, 311 Siehe dazu oben, 77ff. 55 Siehe oben, 308ff. 53

54

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Kap. 4: Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition

Gesetz in die Nehemiadenkschrift ein (vgl. auch 12,26.36).“ 56 Kratz, J. Pakkala und R. Rothenbusch haben zuletzt zusätzlich angenommen, dass Neh 9f. auch gegenüber Neh 8 sekundär ist.57 Voraussetzung für die Literarkritik in diesem Bereich des NehemiaBuches war bisher, dass man in den Ich-Abschnitten einen eigenen literarischen Stil auszumachen meinte, von dem man die neutrale Erzählweise literarisch unterscheiden kann. Sieht man das verwendete Ich allerdings nicht von vornherein als einen Hinweis für eine Quelle oder als Stil für bestimmte literarische Schichten an, muss nach den möglichen Implikationen des Wechsels der Erzählrede zwischen der 1. und 3. Person gefragt werden. Zunächst erweckt ein Text, der die erste Person gebraucht, den Eindruck, er sei aus einer bestimmten Perspektive formuliert: von einer Person. Das dient in einem nichtfiktionalen Text, der Ereignisse der Vergangenheit beschreibt, dazu, die Authentizität des Berichteten zu unterstreichen. Entsprechend berichtet in Neh 1ff. Nehemia über eigene Entscheidungen und über Ereignisse, wie sie sich in seiner Perspektive darstellen. Denn eigentliche Voraussetzung für eine solche Ich-Erzählung ist, dass die Figur auch an den Ereignissen beteiligt ist. Doch wie verhält es sich, wenn man diesen Ich-Erzähler aufgrund des Ablaufes der Handlung über Dinge berichten lassen müsste, an denen er nicht unmittelbar beteiligt sein kann? Zur Klärung dieser Problemstellung möchte ich auf einen Abschnitt der Esrageschichte zurückkommen. Denn dort wird (anders als in der älteren Forschung) inzwischen nicht mehr aufgrund des Stilwechsels von der Ich-Erzählung zur unpersönlichen Erzählung literarkritisch geschieden. In Esr 8,30 wird berichtet, dass die Priester und Leviten das Silber und Gold nahmen (‫)וקבלו הכהנים והלוים‬. Dieser Vers scheint auf den ersten Blick in einer neutralen Erzählweise stilisiert zu sein, also als unpersönlicher Erzähltext. Doch am Ende des Verses ist dann wieder vom „Haus unseres Gottes“ (‫ )לבית אלהינו‬die Rede, wo das Silber und Gold hingebracht werden soll. L.W. Batten rechnete am Anfang des 20. Jh. selbstverständlich mit der Existenz einer Esra-Denkschrift, und so stellte er fest, dass „[t]his v. is an addition by the Chr., for the third p. is used at the beginning and the first at the end“58. Doch de facto zeigt die 1. Pl. am Ende des Verses, dass weiterhin aus der Perspektive des Esra formuliert wird. Das Beispiel lässt erkennen, dass nicht pauschal alle Abschnitte, in denen in der Kratz, Komposition, 73. Vgl. Kratz, Komposition, 88f.; Pakkala, Ezra the Scribe, 185ff. bes. 186; Rothenbusch, Abgesondert, 363. Die These wurde bereits von Hölscher, Esra-Nehemia, 544, vorformuliert. Als Argument nennt er, den unvermittelten Wechsel vom Freudenfest zum Trauertag. Ähnlich sah das Mowinckel, Studien III, 7; ders., Ich und Er, 212, der Neh 9 für eine sekundäre Brücke nach Neh 10 hielt. 58 Batten, Ezra-Nehemiah, 325. 56 57

5. Bußgebet und Bundesschluss als ursprüngliches Zentrum der Nehemiaerzählung 317

3. Person erzählt wird, von der Ich-Rede unterschieden werden können. Und selbst wenn die 1. Pl. an dieser Stelle beim Gottesnamen nicht stehen würde, widerspräche der Zusammenhang der Perspektive Esras nicht. Denn dann könnte auch die besondere Beziehung der Priester und Leviten zu Jhwh betont sein. Der Wechsel in den unpersönlichen Erzähltext lässt sich also nur eindeutig feststellen, wenn der Name des Ich-Erzählers im Erzähltext erwähnt wird, auch wenn dies – wie anhand von Neh 1 aufgezeigt59 – ebenfalls kein Kriterium für die Literarkritik sein muss, da Neh 1ff. in dem Wechsel dem literarischen Muster bspw. von Deuteronomium oder Jeremiabuch folgen könnte. Innerhalb des betreffenden Kontextes (Neh 7,6–12,26) wird allerdings nur viermal eine Person mit dem Namen Nehemia genannt. In Neh 7,7 steht der Name wie in Esr 2,2 am Anfang der Liste unter den Anführern der Rückkehrer. Nach der Ich-Erzählung bis in Neh 7,5 ist das kein Signal für den Wechsel in den unpersönlichen Erzähltext. Erst in Neh 8,9 sprechen Nehemia und Esra zusammen mit den Leviten zum Volk. Das zeigt, dass der mit der Einbindung von Neh 7,6ff. zusammenhängende Abschnitt der Verlesung der Tora zum unpersönlichen Erzähltext gehört. Anders verhält es sich in Neh 10,2. Dort unterzeichnet Nehemia als Erster das nachfolgende Dokument. In Neh 12,26, kurz vor dem Wiedereinsetzen einer IchErzählung, erscheint Nehemia zusammen mit Esra am Schluss einer Liste, um diese zu datieren. Dort würde der Listenstil die Ich-Rede nicht zulassen. Ausschließlich Neh 8,9 signalisiert also gegenüber der bis Neh 7,5 vorliegenden Ich-Erzählung einen anderen Stil. Dies unterstreicht zwar die Zusammengehörigkeit von Neh 7 mit Neh 8 und die Zugehörigkeit dieses Zusammenhanges zur Gesamtkomposition mit der Einfügung der Rückkehrerliste in Esr 2. Doch ist das einmalige Auftauchen von Nehemia im Erzähltext ein sehr schwaches Argument dafür, dass Neh 7–11 insgesamt gegenüber der Ich-Erzählung in Neh 1–7; 12–13 sekundär sein soll. Innerhalb von Neh 7–12 heben sich allerdings zwei Abschnitte in besonderer Weise vom unpersönlichen Erzählstil durch Gebrauch der 1. Pl. ab. Es handelt sich um das Gebet Neh 9 und anschließend um das Bundesdokument in Neh 10. Der Psalm wird in Neh 9,5 als Rede der erwähnten Leviten eingeführt. Der Plural bezieht sich durchgängig auf das Volk Israel. Bislang wurde nicht für eine Problemlösung berücksichtigt, dass sich im Übergang zwischen dem Psalm und der Eröffnung des Bundesdokumentes (Neh 9,37–10,1) kein Hinweis auf eine veränderte Perspektive findet und dennoch an beiden Stellen die 1. Pl. steht:

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Vgl. oben, 302ff.

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Kap. 4: Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition ‫ ותבואתה מרבה למלכים אשר נתתה עלינו בחטאותינו‬37 ‫ועל גויתינו משלים ובבהמתנו כרצונם ובצרה גדולה אנחנו׃‬ ‫ ובכל זאת אנחנו כרתים אמנה וכתבים ועל החתום שרינו לוינו כהנינו׃‬1

„Und sein [des Landes] Ertrag bringt Königen viel ein, die du über uns gesetzt hast wegen unserer Sünden. Über unsere Leiber und unser Vieh herrschen sie nach ihrem Willen. Und wir sind in großer Not. Und deshalb60 schließen wir eine Vereinbarung/Bund61 und unterschreiben62. Und auf der Urkunde63 sind unsere Anführer, unsere Leviten (und) unsere Priester.“

Gunneweg sah einen nahtlosen Übergang: „Das ‚wir‘ von V 1 schließt unmittelbar an die 1. Person Mehrzahl des Bußgebetes an, ja ist deren nahtlose Fortsetzung. Wie ein Klagepsalm mit einem Gelübde geschlossen werden kann, so das Klagelied N 9 mit der feierlichen Verpflichtung von 10,1.29–30. Schon diese enge Verzahnung von Gebet und Verpflichtung läßt es als ausgeschlossen erscheinen, daß in N 10 ein authentisches Dokument reproduziert sein könnte. Das ‚wir‘ der ‚Verpflichtungsurkunde‘ ist immer noch dasselbe ‚Wir‘ des Gebets, und wie dieses stammt auch die versiegelte Urkunde aus der Feder desselben Verfassers.“64 Doch ist Neh 10,1 wirklich Teil einer ‚Urkunde‘? Das ist deswegen nicht möglich, weil in partizipialen Konstruktionen noch auf den Akt des Bundesschlusses und des Schreibens verwiesen wird. Außerdem heißt es, dass „unsere Anführer, Leviten und Priester“ auf der Urkunde stehen. Damit befinden wir uns in Neh 10,1 auf einer Metaebene. Es scheint also, als würde ohne Überleitung in den Text der zitierten Bundesurkunde übergegangen. Entsprechend dürfte ‫ ועל החתומים‬in 10,2a noch zur Metaebene gehören, während der an erster Stelle genannte Nehemia den Inhalt der ‫„ אמנה‬zitiert“. Eine Urkunde lässt sich formal nicht wahrscheinlich machen.65 Hier wird von einem Bundesschluss und ei-

‫ בכל זאת‬wörtlich: „und wegen allem diesen“. Es liegt ein Rückverweis vor. ‫ אמנה‬bedeutet eigentlich „Vereinbarung“ (vgl. Wildberger, ‫אמן‬, 179) bzw. „bindende Abmachung“ (Ges18, 74). Für die Semantik relevant ist die parallele Stelle in Neh 11,23, wo ‫ אמנה‬dem Gebot des Königs gegenübersteht. Signifikant und auch traditionsgeschichtlich bedeutsam ist die Abmachung über den Schuldenerlass in Neh 5,12f., die geschworen und mit ‫ אמן‬besiegelt wird. Da dort ein Zusammenhang zu Jer 34 besteht (vgl. dazu Reinmuth, Bericht, 179), ist ‫ אמנה‬in Neh 10,1 wohl als Synonym zu ‫ ברית‬verwendet worden, was auch die Phrase ‫ כרת אמנה‬unterstreicht. Vgl. Schunck, Nehemia, 285. Synonym stehen ‫ אמנה‬und ‫ ברית‬in der Damaskusschrift. Vgl. Ges18, 74. Becking, Nehemiah 9, 92, sieht kein vollständiges Synonym und gibt es mit „trustworthy regulation“ wieder. 62 Eigentlich „schreiben“. Aufgrund des Fortganges mit ‫„ ועל החתום‬und auf der gesiegelten Urkunde“ unterstreicht bereits das Schreiben die Vereinbarung. 63 Das Ptz. Pass. bezeichnet eine gesiegelte Urkunde. Vgl. Ges18, 411. 64 Gunneweg, Nehemia, 132. 60

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5. Bußgebet und Bundesschluss als ursprüngliches Zentrum der Nehemiaerzählung 319

ner zugehörigen Bundesurkunde und ihren Inhalten berichtet. Es liegt also eine übergreifende literarische Konzeption vor.66 In diesem literarischen Zusammenhang kann anders als im Gebet mit der 1. Pl. in Neh 10,1 nicht mehr das Volk aus der Perspektive der betenden Leviten im Blick sein.67 Wenn Neh 10,1f. noch zur Metaebene gehört, wer ist als Sprecher vorgestellt, der hier die 1. Pl. gebrauchen kann? Dass weiter von den Leviten gesprochen wird, wäre schon deswegen nicht möglich, weil diese an vorletzter Stelle in 10,1b stehen. Deshalb muss hier eine andere repräsentierende Gruppe oder Person als Sprecher vorausgesetzt sein. Da keine Einschaltung eines „Dokumentes“ vorliegt, Nehemia als erster Unterzeichner genannt wird und er vorher in Neh 1–7 sowie später in Neh 12f. als Ich-Erzähler auftritt, drängt sich der Schluss auf, dass er hier auch als Sprecher vorgestellt ist. Einen Hinweis darauf bietet, dass Nehemia mit Vatersnamen und mit dem Titel ‫ תרשתא‬die Namensliste anführt, er also der erste Repräsentant der Gruppe und des Volkes ist. Er hätte dann an dieser Stelle dieselbe repräsentative Funktion wie bspw. im Gebet in Neh 1,5ff., wo er vom Ich zum Wir wechselt. Das Wir in Neh 10,1 entspricht also den nachfolgenden Namen ausgehend von Nehemia als erster erwähnter Person. Wenn man berücksichtigt, dass Nehemia auch durch die Voranstellung der Esrageschichte gegenüber Esra zurückgesetzt wird und in Neh 8 wiederum Esra handelnd im Zentrum der Nehemiaerzählung platziert ist, dann liegt es nahe, dass Neh 10 ursprünglich ein direkt mit Nehemia verbundener Abschnitt war. Dafür spricht, dass Nehemia auch in Neh 1–7 religiöse Entscheidungen trifft und der ‫ תרשתא‬noch in der rekontextualisierten Form der Liste in Esr 2,63//Neh 7,65 für religiöse Entscheidungen, die die Teilnahme am Kult betreffen, verantwortlich ist. Doch wie verhält sich dazu, dass das Gebet in der 1. Pl. stilisiert ist und scheinbar von den Leviten gesprochen wird? Muss man nun doch Neh 9 von Neh 10 trennen? Zunächst einmal handelt es sich in Neh 9,37–10,2 nur dann um einen spannungsvollen Übergang, wenn die Sprechergruppe wechselt.68 Da aber Gebet und Bundesdokument durch ‫ בכל זאת‬argumentativ verbunden sind, die Bundesschlussszene also als Antwort auf das Bußgebet 65 Grabbe, Ezra-Nehemiah, 179, weist darauf hin, dass es keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Annahme eines Dokumentes in Neh 10 gibt: „It could have been, but there seems no way to prove that it was not simply the creation of the literary writer.“ 66 Darin ist Häusl, Gebete, 60 zu folgen. Sie schlussfolgert daraus, dass an der Textoberfläche kein Einschnitt markiert ist, die konzeptionelle Zusammengehörigkeit von Neh 9f. Auch sieht sie inhaltliche Bezüge aufgrund der Themen Bund und Einhaltung der Tora. 67 Aufgrund der Fortsetzung der Stilisierung (1. Pl.) und des Wechsels des „literarische[n] Genre[s]“, meint Hieke, Esra-Nehmia, 225, es sei „an eine fiktive Kreation zu denken“.

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einsetzt, ist zu schlussfolgern, dass der Psalm ursprünglich in derselben Perspektive formuliert war, wie das Bundesdokument. Die Lösung des Ganzen ist dann recht einfach: Bei der Hinzufügung von Neh 7f. hat man auch an der Eröffnung des Gebetes literarisch gearbeitet und ähnlich wie zwischen Esr 4 und der aramäischen Tempelbauchronik einen Übergang geschaffen. Deswegen ist die Äußerungsperspektive des Psalms nicht mehr klar erkennbar.69 Der nahtlose Übergang70 zwischen Neh 9 und 10 und der Rückbezug mit ‫ בכל זאת‬sprechen dafür, dass das vorangehende Bußgebet ursprünglich ebenfalls aus der Perspektive Nehemias bzw. aus der gemeinsamen Perspektive Nehemias mit den Vertretern des Volkes formuliert war. Bußgebet und Bundesschluss bildeten somit den ursprünglichen Kern der Nehemiaerzählung. Die inhaltlichen Probleme, die für die Unterscheidung von Neh 8 und Neh 9 angeführt werden,71 lassen sich mit einer Voranstellung der Verlesung der Tora durch Esra zusammen mit der Rückkehrerliste besser erklären als mit einer weiteren Fortschreibung.72 Das literarische Verfahren, bei dem die Einführung des Bußgebetes ersetzt worden ist, ist vergleichbar mit dem Verfahren der Rekontextualisierung der aramäischen Tempelbauchronik,73 wobei spannenderweise an beiden Stellen die Einfügung der Liste direkt mit der Rekontextualisierung zusammenhängt. Denn wie in Esr 2–6 durch Altarbau und Freudenfest bei der Tempelbaueröffnung sowie die Retardierung in Esr 4 die aramäische Tempelbauchronik an den Rand gerückt wird, wurde der Bundesschluss (jetzt Neh 10) durch die Voranstellung der Verlesung der Tora durch Esra aus dem Zentrum der Nehemiageschichte verdrängt. Zugleich wurde dadurch Nehemia in seiner Bedeutung relativiert. Während er in der Vorlage der Nehemiaerzählung für Bußgebet und Bundesschluss verantwortlich war74 und überhaupt die treibende Kraft gewesen 68 Schaeder, Esra, 14f., nahm das zum Anlass, Neh 8f. gegenüber Neh 10 für sekundär vorangestellt anzusehen. Das Problem besteht aber tatsächlich nur in Neh 9,1–5 bei der Einführung des Gebetes, die deutlich an Neh 8 gebunden ist. Kritisch schon Kapelrud, Authorship, 16. 69 Der Wechsel ohne den Rückbezug wäre nicht unbedingt ein Hinweis für die Veränderung der Perspektive. Interessanterweise wechselt die Ich-Erzählung in Neh 4,4f. auch von der Wiedergabe einer Rede des Volkes zurück in das Wir Nehemias, ohne diesen Wechsel anzuzeigen. 70 Vgl. Häusl, Gebete, 60; Schunck, Nehemia, 288. 71 Vgl. Hölscher, Esra-Nehemia, 544; Mowinckel, Studien I, 51f.; Böhler, Heilige Stadt, 380f. Diese Thesen sind abhängig von der Annahme einer von der Nehemiaerzählung unabhängigen Esrageschichte. 72 Vgl. Gunneweg, Nehemia, 120f.; Böhler, Heilige Stadt, 330; Grätz, Edikt, 51f. 73 Vgl. oben, 171ff. 74 Möglich ist natürlich, dass das Gebet, das mit einer Fülle von poetischen Texten in einem traditionsgeschichtlichen Zusammenhang steht, vorgegeben war und lediglich an

5. Bußgebet und Bundesschluss als ursprüngliches Zentrum der Nehemiaerzählung 321

sein muss, steht nun Esra mit den Leviten im Zentrum. Man wollte und konnte aber Nehemias ursprüngliche Bedeutung nicht vollständig verbergen, denn Nehemia steht noch an der Spitze der Unterzeichner des Bundes.75 Das hängt mit der Bedeutung der verarbeiteten Vorlage zusammen, die man ja auch mit Neh 1,1 formal erkennbar gehalten hat.76 In der Hinleitung zum Bußgebet muss also eine literarische Überarbeitung vorliegen, wodurch die Eröffnung der Bundesszenerie durch ein stellvertretend für das Volk von Nehemia gesprochenes Gebet nun von den Leviten, die in Neh 8 zunächst neben Esra stehen und dann zusammen mit Esra und Nehemia sprechen, vorgenommen wird.77 Bestes Zeugnis für diese literarischen Veränderungen an der ursprünglichen Nehemiaerzählung ist die der Nehemiaerzählung nachgeahmte Esrageschichte. Deren Aufbau folgt in vereinfachter Weise der ursprünglichen Nehemiaerzählung, wenn das Dokument (zu Esr 7,12ff. vgl. Neh 2,7–9) und die Rückkehr (zu Esr 8 vgl. Neh 2,11) die Handlung eröffnen und das Bußgebet zur Mischehenproblematik hinleitet (zu Esr 9f. vgl. Neh 9f.; 13). Das mit dem Bußgebet des Nehemia im Zusammenhang stehende Gebet Esras78 ist das Scharnier zur exemplarischen Durchsetzung des einen Gebotes, wie Nehemias Gebet das Scharnier zur Durchsetzung der Verpflichtungen von Neh 10, zur Unterstützung des Tempels, zur Durchsetzung des Sabbats und zur Klärung der Mischehenfrage ist.79 Wenn man diese Parallelität sieht und die Überle-

den Kontext angepasst worden ist. Zu diesen Thesen und den Bezügen vgl. Schunck, Nehemia, 270. Vgl. zur Gattung die Übersicht bei Becking, Nehemiah 9, 87ff. 75 Obwohl Gunneweg annimmt, dass Neh 10 sekundär ist, sieht er das Kapitel auf einer Linie mit der Nehemiaerzählung: „Dieser Nachtrag ist eine Fortführung der Nehemiageschichte, als welche der Ergänzer auch N 8 verstand“ (Gunneweg, Nehemia, 133). 76 Siehe dazu oben, 307. 77 Diese Lösung hatte Kellermann, Quellen, 34, im Blick, wenn er den Zusammenhang von Neh 9,1–5 mit Neh 8,1–8 betonte: „Der erzählende Teil 9,1–5aα erscheint so deutlich in Anlehnung an 8,1–8 und den Bußpsalm gestaltet […].“ 78 Schaeder, Esra, 64: „Es ist der Bußpsalm in Neh 9, zu dem ergänzend das Bußgebet in Esra 9 tritt.“ Den Zusammenhang sah auch Kapelrud, Authorship, 66.70; Boda, Praying Tradition, 29; Hieke, Esra-Nehemia, 224, sehen die gleiche Gattung. Zur Gattungsfrage vgl. den Überblick über die Diskussion bei Häusl, Gebete, 49ff. Liebreich, Impact of Nehemiah 9:5–37, weist das Gebet der Zeit Esras zu und sieht es sowohl stilistisch als auch vom Aufbau her als Grundlage für die jüdische Liturgie. Der Bezug ist auch deswegen so bestechend, weil er nicht zu dem Gebet Esras oder zu anderen Texten führt. Zur Bedeutung des Gebets vgl. schon Kaufmann, Religion, 210. Wenn sich so die besondere Bedeutung von Neh 9 bestätigt, erklärt das auch, dass man sich bei der Abfassung von Esr 9 an Neh 9 angelehnt hat. 79 Ich folge damit insgesamt den Überlegungen von Grabbe, Ezra-Nehemiah, 179, zu den Zusammenhängen.

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gungen von L. Liebreich80, L.L. Grabbe81 und M.J. Boda82 einbezieht, wonach das Bußgebet ein gegenüber Esr 9 älterer Text ist, dann wird man die These von R.G. Kratz, dass Esra der Nehemiagestalt nachgebildet ist, auf eine umfassendere Nehemiaerzählung hin ausweiten können.83 Nicht mit einer Fülle von Fortschreibungen und Wechselbeziehungen, sondern mit einer einmaligen Einfügung von Esra und seiner Verkündigung der Tora hat man Nehemia bei der Abfassung der Esra-Nehemia-Komposition gegenüber Esra in den Hintergrund geschoben.

6. Das Zusammenspiel von Neh 8 und Neh 9f. Die Hinweise darauf, dass Neh 10 durch die Voranstellung der Verlesung der Tora in einen veränderten Kontext gestellt worden ist, wobei am Anfang von Neh 9 transformierend gearbeitet worden sein muss, haben sich bereits verdichtet. Im Folgenden soll zur Überprüfung der These der größere Kontext, in dem Neh 10 steht, diskutiert werden. Als ein wesentliches Argument für die Annahme, dass Neh 10 gegenüber Neh 8 sekundär ist, wird auf den gemeinsamen Bezug zur Tora verwiesen. R.G. Kratz macht dies daran fest, dass die Szenerie erst sekundär auf das Laubhüttenfest zugespitzt werde: „Aus dem ‚heiligen Tag‘ ist bei dem zweiten Anlauf in 8,13–18 das in der Tora für den siebenten Monat vorgeschriebene, hier noch ziemlich vage datierte Laubhüttenfest geworden, aus der Festversammlung von 8,18 in Neh 9–10 schließlich die – präzise nach dem im Gesetz vorgeschriebenen Termin des Laubhüttenfests angesetzte, aus Esr 9–10 und Neh 13 gespeiste und von den Leviten geleitete – Bußfeier [...]“ 84. Dies setzt voraus, dass die Verlesung der Tora durch Esra ursprünglich nichts mit dem Laubhüttenfest zu tun hatte. Doch ist diese Annahme angeVgl. Liebreich, Impact of Nehemiah 9:5–37, 227f. Grabbe, Ezra-Nehemiah, 178, datiert das Gebet in die Perserzeit. 82 Vgl. Boda, Praying Tradition, 35f. Boda sieht eine regelrechte frühnachexilische Bundesschlusszeremonie. Becking, Nehemiah 9, 93, verweist zu Recht auf die eher individuelle Bedeutung solcher Texte. Meiner Ansicht nach bleiben aber die Bezüge, die Boda sieht, relevant, sodass es nicht ausgeschlossen ist, dass Neh 9 ein frühnachexilischer Psalm zugrunde liegt. Anders Vermeylen, Gracious God, 106ff., der den Psalm in die Zeit Ben Siras datiert. Doch dürfte die Erwähnung Nehemias nicht eher dafür sprechen, dass Ben Sira der Psalm schon vorlag? 83 Lediglich das literarkritische Festhalten an der Unterscheidung von Ich-Erzählung und unpersönlichem Erzähltext macht die mehrstufige Entstehung von Esr 7–Neh 13 mit wechselseitigen Bezügen erforderlich. Doch ist dies schon deswegen unwahrscheinlich, da der Wechsel von Ich-Erzählung und unpersönlichem Erzähltext der Esrageschichte bereits in Esr 7 vorgegeben ist 84 Kratz, Komposition, 89f. 80 81

6. Das Zusammenspiel von Neh 8 und Neh 9f.

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sichts der Tatsache, dass Esra schon in Esr 7,1ff. als Glied der Hohepriestergenealogie mit Hilkija verbunden wird und so von ihm über Hilkijas Auffindung der Tora im Tempel (2Kön 22,8//2Chr 34,13) ein Bogen nach Dtn 31,9.26 geschlagen wird, denkbar? Wenn es einen Zusammenhang mit Dtn 31 gibt, dann muss auch die Verlesung der Tora beim Laubhüttenfest in Neh 8 von Anfang an vorausgesetzt sein.85 Und letztlich läuft das Ganze ja bereits in Neh 7,72b aufgrund der Erwähnung des siebenten Monats auf das Laubhüttenfest zu. Der siebente Monat wird außerdem ganz parallel zu Esr 3,1 aufgerufen, um auf die Feste des Monats anzuspielen. Mit dem ersten Vers in Neh 8 ist also schon klar, dass das Laubhüttenfest als Kontext im Blick ist. Die Verlesung der Tora beim Laubhüttenfest dient dazu, dass bei diesem Fest entsprechend dem Konzept des Deuteronomiums (vgl. Dtn 16) das ganze Volk (wieder) anwesend ist. Und in Neh 8,10f. wird bereits signalisiert, dass man sich im Kontext eines Festes befindet, wenn das Weinen des Volkes angesichts des Hörens der Tora damit zurückgewiesen wird, dass der Tag heilig sei für den Herrn (‫)קדש היום לאדנינו‬. Wie sich später in Neh 9,3 zeigt, schließt die Verlesung der Tora Fasten und Trauer nicht aus. Wenn dann in Neh 8,12 davon die Rede ist, dass das ganze Volk ein Freudenfest abhält, dann ist das kaum von dem Fest zu trennen, das in Dtn 16,14 ausdrücklich mit der Freude verbunden wird. In Neh 8 muss also bereits von Anfang an die Verlesung der Tora beim Laubhüttenfest im Blick sein. Das vermeintliche literarische Problem, dass das Laubhüttenfest nicht von Anfang an explizit genannt wird, hängt mit einem wichtigen Erzählzug zusammen. Denn Neh 8,9 signalisiert, dass das Volk um die Riten beim Laubhüttenfest noch nicht (wieder) weiß. Dass man erst am zweiten Tag (8,13) die Vorschrift des Hüttenbaus in der Tora auffindet, signalisiert dann die sukzessive Einführung der Tora.86 Die Zählung der Tage deutet von vornherein auf ein mehrtägiges Fest hin. Sie zeigt zugleich, dass es für die intendierten Adressaten eine Selbstverständlichkeit ist, dass das bereits zuvor mehrmals in Anspielungen eingeführte Fest mehrere Tage dauert. Diese Informationen entdecken aber Esras Zuhörer erst in der Tora wieder. Und entsprechend folgt in Neh 8,18 an die Szenerie der sukzessiven Einführung 85 Der Zusammenhang wurde möglicherweise durch den von Nehemia erzwungenen Schuldenerlass angeregt. Vgl. Steinmann, Ezra-Nehemiah, 518, der allerdings den Gesamtzusammenhang für historisch hält und überlegt, ob aufgrund dessen „the Israelites may have deemed it appropriate to read the Teaching even though it was not a Sabbatical Year“ (ebd.). Van der Kooj, Public Reading, 43, weist darauf hin, dass die Toraverlesung von vornherein nicht als einmaliges Ereignis, sondern als wiederkehrende Praxis eingeführt wird. 86 Vgl. Steinmann, Ezra-Nehemiah, 516, der von einer „Rediscovery of the Regulations for the Feast of Booths“ spricht.

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der Tora angepasst die Umsetzung der Vorschrift für das Laubhüttenfest Lev 23,34–36: So betont Neh 8,18, dass man täglich Tora gelesen habe. Dass anders als in Lev 23,35f. nur von einer Versammlung (‫ )עצרת‬am achten, aber nicht am ersten Tag die Rede ist, zeigt, dass man erst am zweiten Tage aufgrund der Toralesung zur korrekten Praxis des Festes übergegangen ist. Die stringente Szenerie, die davon lebt, dass die Israeliten offenbar entsprechend Esr 7,25b (!) die Tora erst kennenlernen, wird im Anschluss durchbrochen. Denn die Israeliten kommen am 24. des Monats mehrere Tage nach dem Laubhüttenfest – und damit davon getrennt – zu einem Fasten zusammen. Ein Zusammenhang mit Neh 8,9–11 deutet sich in der dort zurückgewiesenen Trauer an. Dass man sich nun im siebenten Monat, direkt im Anschluss an das Laubhüttenfest, bei dem ausdrücklich der Charakter des Freudenfestes hervorgehoben wird, zum Fasten trifft, ist erklärungsbedürftig.87 Inhaltlich mag das Ganze bereits in irgendeiner Weise auf die Mischehenproblematik in Neh 13 hinauslaufen, doch wird anders als bei Esr 9,4ff. im nachfolgenden Bußgebet der Zusammenhang nicht thematisiert. Meiner Ansicht nach lässt sich dieses Fasten sehr gut erklären, wenn man Sach 7,5 beachtet, denn dort wird ebenfalls eine solche Veranstaltung im siebenten Monat erwähnt.88 Dieses Fasten könnte eine Antwort auf das Freu87

Auf das Problem hat schon Galling, Chronik-Esra-Nehemia, 239, hingewiesen: „Da sowohl das Fest bei der Gesetzesverlesung als auch das Laubhüttenfest einen fröhlichen Charakter haben, ist der Umschwung zu einem Bußtag höchst auffallend.“ Seine Lösung beruht auf der Annahme, dass Neh 8 eigentlich in den Esrazusammenhang vor Esr 9 gehörte. Von „dem ursprünglichen Aufriß der Esra-Quelle beeindruckt“ (ebd.), habe der zweite Chronist, den Galling in die hellenistische Zeit datiert, die Verlesung wieder vor dem Schuldbekenntnis etc. eingefügt. Damit nahm Galling die Position von Kratz, Komposition, 88, vorweg: „Die Bundesfeier in Neh 9–10 ahmt Esr 9–10 nach und kann, soll die Wiederholung irgendeinen Sinn haben, also auch nur im Nehemia-Buch und nirgends sonst stehen.“ Tatsächlich lässt sich die Argumentation umkehren. Dann hätte man Esr 9f. geschaffen, um ein Gegengewicht zu der Bedeutung Nehemias herzustellen und außerdem noch der Bundesfeier die Verkündigung der Tora in Neh 8 vorangestellt, damit auch diese von Esras Handeln abhängig ist. Dieses Szenario muss nicht mit vielfachen Fortschreibungen und wechselseitigen Beeinflussungen rechnen. 88 Allerdings wird dieses Fasten in der Regel mit dem Gedenktag an die Ermordung Gedaljas in Verbindung gebracht. Vgl. Reventlow, Haggai-Sacharja-Maleachi, 75f.; Meyers/ Meyers, Haggai-Zecharia, 388. Während biblisch das Fasten des siebenten Monats noch nicht mit der Ermordung Gedaljas verbunden wird, wird im direkten zeitlichen Zusammenhang damit (Jer 41,1–3) davon berichtet, dass aus Sichem, Silo und Samaria Männer offensichtlich zu einer Klageveranstaltung unterwegs zum Haus Jhwhs sind, und zwar ausdrücklich ohne Wissen um die Ereignisse in Mizpa (siehe Jer 41,5). Veijola, Verheißung, 176, erschließt u.a. aus Jer 41,5 die Existenz von Klagefeiern während der Exilszeit (vgl. dazu besonders ebd., 190ff.), womit er Sach 7,2ff.; 8,18ff. in einen Zusammenhang bringt.

6. Das Zusammenspiel von Neh 8 und Neh 9f.

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denfest am Tempel in der Zeit des Exils gewesen sein.89 Von jenem heißt es in Sach 8,19 wieder wie von den anderen Fasten: ‫צום הרביעי וצום החמישי וצום‬ ‫„ השביעי וצום העשירי יהיה לבית יהודה לששון ולשמחה ולמעדים טובים‬Das Fasten des vierten, das Fasten des fünften, das Fasten des siebenten und das Fasten des zehnten (Monats) soll für das Haus Juda zum Jubel und zur Freude werden und zu guten Festen.“ Ähnlich wie bei der Klärung der Fastenfrage an dieser Stelle stellt man nun das korrekte Fest am wiedererrichteten Tempel dem Fasten voran. Vielleicht reflektiert das Nebeneinander von Fest und Fasten die Ablösung des Fastens in der spätnachexilischen Zeit. Die Aufforderungen, wegen des Festes nicht zu trauern und zu weinen (Neh 8,9: ‫ )אל תתאבלו ואל תבכו‬und nicht traurig zu sein (Neh 8,10: ‫ואל‬ ‫)תעצבו‬, korrespondieren letztlich dem Fasten des siebenten Monats. In dieser Perspektive lässt sich eine Voranstellung des Abschnittes mit der Verlesung der Tora, die zur Einführung der Festfreude führt (Neh 8) als Kontrastierung des bereits traditionellen Fastens leichter verstehen als umgekehrt eine Fortschreibung. Doch die Verkündigung der Tora in Neh 8 lässt sich nicht nur in Bezug auf Neh 9 als vorangestelltes Interpretament besser verstehen als umgekehrt eine Fortschreibung in Neh 9. Pakkala sieht den Bezug auf die Tora in Neh 10 als einen Hinweis auf eine spätere Fortschreibung: „That the community understands (‫ )כל יודע מבין‬the content of the Torah is again emphasized. This idea was most likely taken from Neh 8 (vv. 3, 7–8, 12).“90 Doch kann man nicht daran vorbei, dass Neh 8,3.7f.12 die Aufforderung, die Tora zu vermitteln, aus Esr 7,25b aufnimmt und damit zur Gesamtkomposition des Esra-Nehemia-Buches gehört. Wenn Neh 10,29 demgegenüber sekundär wäre, hätte dann dort nicht eher auf die Phrase ‫ כל יודע מבין‬verzichtet werden müssen? Denn in Neh 8 wird die Tora bereits an das ganze Volk vermittelt, aber in Neh 10,29 scheinen sich nur jene in den Bund zu begeben, die zu verstehen vermögen. Der Aspekt, dass die Tora schon mit Neh 8 bekannt ist, hat weitreichende Konsequenzen. Welche sekundäre Intention sollte demgegenüber eine Fortschreibung mit dem Schuldbekenntnis und dem Dokument in Neh 9f. haben, wenn zuvor das ganze Volk sukzessive schon damit beginnt, der Tora zu folgen. Zumindest der ausdrückliche Bundesschluss mit der Betonung zusätzlicher Verpflichtungen ist so eigentlich überflüssig. Doch liegt das Problem sogar noch tiefer, wenn man den zwischen Esr 7 und Neh 8 Diesen Hintergrund sieht auch Boda, Praying Tradition, 192f. Allgemein zu den exilisch/nachexilischen Klagefeiern vgl. Keel, Jerusalem, 784–786. 89 Zu der Funktion solcher „Klage- und Fastenriten“, die offenbar im Alten Israel wie der Umwelt ihren Ort hatten vgl. Berlejung, Notlösungen, 208f.; Lux, Der Zweite Tempel, 141. Zu Sach 7f. vgl. ders., Zweiprophetenbuch, 22ff. 90 Pakkala, Ezra the Scribe, 186.

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Kap. 4: Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition

bestehenden Zusammenhang einbezieht. Esra wird ja in Esr 7 als besonders mit der Tora und ihrer Durchsetzung verbundene Autoritätsfigur eingeführt. Wieso wird dazu nun konkurrierend die freiwillige Selbstverpflichtung einer bestimmten Gruppe gestellt? Auch fällt es im Fortschreibungskonzept schwer, zu erklären, wieso Esra in Esr 9f. keine Rolle spielt, wenn er doch nach Esr 7 gerade prädestiniert wäre, wie Josua das Volk auch zu einem Bundesschluss zu veranlassen.91 All das lässt sich aber gut erklären, wenn Neh 8 zusammen mit der Esrageschichte mit der Nehemiaerzählung verbunden worden ist. So wurden die Ereignisse von Neh 9f. generalisiert, und sie können auch ohne Esras Erwähnung als mit der Verlesung der Tora und mit Esras Autorität verbunden angesehen werden. Dass es sich bei Neh 10 um einen wichtigen Abschnitt des ursprünglichen NehemiaBuches gehandelt haben muss, zeigt sich auch beim Thema des Sabbats. Pakkala vermutet, dass Neh 10,32 von Neh 13,15–22 abhängig sei: „In other words, the author of Neh 10:32a took on one aspect of Neh 13:15–22, interpreted it against the general Sabbath law and developed from it a stipulation that received divine backing that should be followed as if it was in the Torah.“92 Pakkala vernachlässigt aber, dass Neh 13 sogar mehrere quasi halachische Vorschriften im Hintergrund des Sabbatgebotes voraussetzt.93 Das zeigt sich bei dem wiederholten Vorwurf, den Nehemia macht, dass man mit dem Verkaufen, dem Tragen von Früchten etc. den Sabbat entheiligt. Ohne eine Vorschrift oder eine Übereinkunft im Hintergrund wäre Neh 13 unverständlich. Es ist daher eine einfachere Annahme, dass die Regelung in Neh 10,32a in Neh 13 ausformuliert und mit weiteren Aspekten angereichert worden ist, wozu halachische Konventionen gehörten, die als bekannt vorausgesetzt werden.94 Als zweiten Aspekt kann man sich die Klage über die Willkür der persischen Herrschaft (Neh 9,36f.)95 vor Augen führen. In dieser ist ähnlich wie in Esr 9 die Pragmatik des 91 Pakkala, Ezra the Scribe, 183, begründet das damit, dass in der Hinzufügung und an anderen Stellen eine Marginalisierung Esras zugunsten der Leviten erfolge. Dass Esra nicht mit unterschreibe, betone diese Tendenz. Besser erklärt sich das Verhältnis, wenn man Esra ausschließlich durch die Hinzufügung von Esr 8 in den Zusammenhang eingefügt sieht, in dem er zuvor nicht enthalten war. Denn es ist auffällig, dass er danach erst wieder in den summarischen Kapiteln auftaucht. Für die Autoren, die für die mit Neh 8 verbundene Konzeption verantwortlich waren, stellte das „Verschwinden“ Esras danach allerdings wohl kein Problem dar, weil man bei ihm an einen sehr alten Menschen dachte. Siehe dazu oben, 282. 92 Pakkala, Ezra the Scribe, 188. 93 Fishbane, Biblical Interpretation, 165, hebt die kontextuelle Bedeutung der Vorschriften hervor: „they make no pretence to be a collection of comprehensive norms, but rather serve as a reformulated digest of issues mostly related to Nehemiah’s reforms“. Dieser Zusammenhang ist besonders gut bei der Einhaltung des Sabbats erkennbar. 94 Ähnlich Reinmuth, Bericht, 182.210ff 95 Diese wird bereits in Esr 9 verwendet und weitergeführt. Esr 9 als Vorwegnahme von Neh 9 ist daher ein deutlicher Hinweis darauf, dass Neh 9 ursprünglich als von Nehemia gesprochen stilisiert gewesen ist.

6. Das Zusammenspiel von Neh 8 und Neh 9f.

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Textes besonders deutlich,96 doch besteht außerdem ein Zusammenhang mit der Abmachung einer freiwilligen Tempelsteuer in Neh 10. Diese kennt die Privilegierung des Tempels durch Artaxerxes und den Zugriff Esras auf die Mittel des Reiches (Esr 7) ebenso wenig, wie dies am Anfang der Nehemiaerzählung bekannt zu sein scheint. Während man den Aspekt nicht auf einer Linie mit der Esrageschichte und auch nicht als deren redaktionelle Reflexion begreifen kann, so lässt sich umgekehrt Esr 7 als paradigmatische, aber einmalig bleibende Vorwegnahme sehen, was zusammen mit Esr 7,23 als Ätiologie der Niederlage der Perser gegen die Mazedonier dient.97

Es bleibt also festzuhalten, dass Neh 10 unabhängig von Neh 8 entstanden sein muss, auch wenn bei der Voranstellung von Neh 8 der ältere Übergang zum Gebet in Neh 9 umgeformt worden ist. Neh 10 ist aber selbst bereits ein Zeugnis für Auslegung der Tora. Spannend ist dabei, dass nur in Neh 8 und in Neh 10 von der ‫ תורת האלהים‬die Rede ist, wobei der Begriff in Neh 8,8.18 noch durch ‫ בספר‬ergänzt wird und dort im vorangehenden Kontext auch von der ‫ תורת משה‬die Rede ist, während in Neh 10 an erster Stelle die seltenere Bezeichnung steht.98 Dass Neh 10 sich auf die Tora und wohl nicht nur auf eine ihrer Vorstufen bezieht, zeigen die Querbeziehungen der Bundesverpflichtungen (Neh 10,31ff.) mit verschiedenen Vorschriften der Tora. Pakkala sieht darin auch ein Argument für die Datierung: „He [the author of Neh 10:31–40] only refers to or uses an insignificant fraction of the laws. Nevertheless, in all issues he deals with, he seems to have been aware of the youngest development or phase of the Pentateuch.“99 Reinmuth hat dagegen überlegt, ob das Dokument älter ist und aus der Entstehungsphase der Tora stammt. Neh 10 sei ein Zeugnis der Autorisation der Tora durch die Gemeinde,100 doch dürften wir es am ehesten mit einem innerbiblischen ZeugVgl. oben, 290ff. Vgl. dazu oben, 252. 98 ‫ תורת אלהים‬findet sich außerdem in Jos 24,26; Jes 1,11 steht ‫תורת אלהינו‬, Hos 4,6 ‫ תורת אלהיך‬und in Ps 37,31 ‫תורת אלהיו‬. 99 Pakkala, Ezra the Scribe, 209. Ähnlich sieht den Zusammenhang Clines, Nehemiah 10, 111; Rendtorff, Esra, 90. 100 Vgl. Reinmuth, Bericht, 218f. Er reduziert den Bestand um jene Formulierungen, die sich mit priesterlichen Texten verbinden lassen. Doch ist die Literarkritik fragwürdig. V. 33 hält er gegenüber V. 31f. für sekundär, weil „der Vers mit einer Verbform im Perfekt einsetzt und inhaltlich gleichsam eine neue Überschrift formuliert“ (ders., Reform, 292), doch folgt die waw-Perfekt-Form dem vorangehenden Imperfekt in der Verpflichtungserklärung syntaktisch bruchfrei, und es werden danach mehrere selbst auferlegte Gebote aufgezählt. Anschließend erklärt er V. 36 letztlich nur als Anschluss an V. 33 für sekundär. Vgl. ebd., 293. So spannend es wäre, ein Zeugnis über den vorpriesterlichen Pentateuch zu besitzen, so muss doch beachtet werden, dass auch dieser Kontext die Tora bereits als autoritative Grundlage voraussetzt. An anderer Stelle beschreibt er (ders., Nehemiah 8, 260) den Umgang mit der Tora in Neh 10 als „not a receptive, but a creative process“, doch ist das kein Argument dafür, dass der Pentateuch als noch nicht abgeschlossen vorgestellt ist. Der kreative Umgang mit der Tora gehört zum Konzept des Gegenübers von mündlicher 96

97

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Kap. 4: Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition

nis dafür zu tun haben, wie man eine bestimmte Auslegung der Tora als Regel des gemeinschaftlichen religiösen Lebens umzusetzen suchte.101 Mit der gebotenen Vorsicht vor einem Anachronismus muss man doch in Neh 10 so etwas wie eine frühe Halachabildung erkennen, und nicht umsonst haben die Rabbinen den Ursprung ihrer Bewegung in der sog. großen Versammlung verortet, die letztlich in jene Zeit gehören könnte.102 Auch wenn wir natürlich nicht sagen können, ob – und wenn ja: welche – Institutionen der persischen und hellenistischen Zeit im Hintergrund von Neh 10 stehen, so handelt es sich bei dem Text doch innerhalb der Hebräischen Bibel um ein einzigartiges Zeugnis.103 Denn es berichtet von einem Bundesschluss nicht in der Vorgeschichte oder unter den Königen, sondern in der Zeit, die nahe am Ursprung des Antiken Judentums liegt. Einzigartig ist der Textabschnitt auch deswegen, weil der Bund von 84 Personen namentlich unterzeichnet wird. Diese Personen stehen stellvertretend für eine größere Gruppe, die sich die nachfolgenden Vorschriften zu eigen macht.104 Nach L.S. Fried stellt und schriftlicher Tora. Dem lassen sich frühjüdische Zeugnisse und die halachische Diskussion der Rabbinen zuordnen. Dies gilt im übrigen bekanntlich besonders beim Thema Sabbat. Dass sich im Pentateuch kein Handelsverbot für den Sabbat findet, ist leicht mit der Verortung der Tora vor der eigentlichen Geschichte Israels zu erklären. Denn in der Perspektive des Pentateuchs gibt es keine nichtisraelitische Bevölkerung im Land. 101 In Anschluss an T. Reinmuth sieht Achenbach, Vollendung, 161f., die Thematisierung von Sabbat und Drittelschekel als Hinweis, dass der Kontext vor den Abschluss des Pentateuchs zurückführt. Gerade über den ‫( שלשית השקל‬Neh 10,33) hat man sehr viel diskutiert und unterschiedliche Maßeinheiten im Hintergrund der Nehemiastelle und des ‫( מחצית השקל‬Ex 30,13) vermutet (zur Diskussion vgl. ebd., 160ff.). Nach Achenbach (ebd., 161) ist signifikant, dass „der Pentateuch kein Gesetz über eine Tempelsteuer enthält und andererseits Neh 10,33 mit der Einheit des Drittel-Schekels keine Tempel-Währung im Blick hat“. Doch könnte sich nicht auf das Ideal der Forderung des halben Schekels der Tora eine (später) auf der Grundlage der Tora entwickelte quasi halachische Vereinbarung über die Versorgung des Tempels beziehen? Es würde sich dann um einen Kompromiss der Volksversammlung zugunsten des Tempels handeln. Diese Überlegung wird durch eine interessante Notiz im Sondergut der Chronik (2Chr 24,9f.) bestätigt. Dort lässt Joasch eine Kiste im Tor des Tempels aufstellen, in die die Israeliten die „Last/Steuer Moses“ (‫ )משאת משה‬aus der Wüstenzeit einwerfen sollen. Es handelt sich um eine offenbar nur freiwillig aufgebrachte Leistung. 102 So übrigens schon Zunz, Chronik, 21. Nach Clines, Nehemiah 10, „the halakot of Nehemiah 10 form the final link in a chain of legal development, throughout the biblical period“. 103 Wie schon Grabbe, Ezra-Nehemiah, 179, feststellt, lässt sich schwer anhand von Form und Inhalt eine Entscheidung darüber treffen, ob im Hintergrund von Neh 10 außerliterarisch ein historisches Dokument stehen könnte, was beispielsweise noch Mowinckel, Studien III, 128, annahm. Beweisbar ist es leider nicht, aber die deutlichen Abweichungen vom Pentateuch könnten für einen frühen halachischen Text stehen, der hier verarbeitet worden ist.

6. Das Zusammenspiel von Neh 8 und Neh 9f.

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Neh 10 den Höhepunkt des Esra-Nehemia-Buches dar.105 Sie vergleicht die ‫ אמנה‬mit ägyptischen und griechischen Vereinigungen und zeigt auf, dass es entsprechende verbindliche Dokumente und Vereinigungen vor allem in hellenistischer Zeit gab.106 Auch diese Beobachtung lässt sich, wie mir scheint, mit der Überlegung, dass das Fasten im Zusammenhang von Neh 8–10 eine ältere exilische und nachexilische Praxis ist, verbinden. Der Bundesschluss im Rahmen war von Anfang an in einer Fastenveranstaltung platziert und stellte die Antwort einer bestimmten Gruppe auf ein Sündenbekenntnis dar. Der Zusammenhang mit Neh 8 bestätigt die Arbeitshypothese, wonach Neh 8 dem ursprünglich mit Nehemia verbundenen Bundesschluss als Interpretament vorangestellt worden ist.

7. Die Gemeinschaft in Neh 10 und die Konzeption des Volkes Israel im Esrabuch und in Neh 7f. Die Vereinbarung, die in Neh 10 getroffen wird (‫)אנחנו כרתים אמנה‬, fällt gegenüber anderen Bundesschlüssen in der Hebräischen Bibel aus dem Rahmen, weil der Text mit einer Namensliste behauptet, dass eine größere Gruppe – repräsentiert durch die namentlich identifizierbare Gruppierung – in den Bund eintritt. Die Namensliste ist im Vergleich mit anderen Listen des Esra-Nehemia-Buches außergewöhnlich, da in ihr fast ausschließlich Eigennamen stehen. Nur in wenigen Fällen werden genealogische Angaben hinzugesetzt. Während Listen mit genealogischen Angaben die Autorität der Einzelpersonen in der Vergangenheit zu verankern suchen, indem so eine Verbindung mit bekannten Gestalten hergestellt wird, soll eine Liste wie Neh 10,2–28 den Eindruck erwecken, als handle es sich um bei den Adressaten bekannte Personen.107 104 Vgl. Fishbane, Biblical Interpretation, 165. Den Gruppencharakter hebt auch Bautch, Covenant, 22, hervor: „we are dealing with a distinct sort of covenant: a community’s internal resolve to adhere to some portion of its law“. 105 Vgl. Fried, Religious Association, 77. Dieser Zusammenhang könnte ein zusätzlicher Hinweis für die Verarbeitung eines frühen halachischen Textes sein (vgl. oben, Anm. 103). Das würde zeitgeschichtlich zu den Wurzeln der frühjüdischen Halacha führen. Dennoch könnte konkret Neh 10 ein literarisch gestalteter idealer Text sein. 106 Vgl. Fried, Religious Association, 90. Sie schließt von Neh 10 „a cultic association may have existed among the levites of Persian period Judah“ (ebd., 96), doch muss sie dafür eine weitgehende Überarbeitung der Namensliste annehmen. Vgl. ebd., 85. Zu den Namen siehe unten, 336ff. 107 Gegen Fried, Religious Association, 85, die fragt „if the names are authentic, where are the patronyms of the other signatories“. Ein Patronym dient der genaueren Bezeich-

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Kap. 4: Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition

84 Personen – angeführt von Nehemia – unterzeichnen das nachfolgend wiedergegebene Dokument. Sie stehen stellvertretend für die größere Gruppe, deren Zusammensetzung aus Neh 10,29 hervorgeht. Genannt werden der Rest des Volkes, die Priester, Leviten, Torhüter, Sänger, Tempelsklaven. Außerdem werden weitere Personen erwähnt, die sich von den Völkern der Länder zur Tora abgesondert haben. Der erste Teil der Formulierung entspricht weitgehend der Untergliederung der Rückkehrerschaft, wie sie in Esr 7,7 der nachfolgenden Esrageschichte vorangestellt worden ist. Neh 10,29

Esr 7,7

Neh 7

‫ושאר העם‬

‫ויעלו מבני ישראל‬

‫הכהנים‬

‫ומן הכהנים‬

‫ אנשי עם ישראל‬8–38

‫הלוים‬

‫והלוים‬

‫ הלוים‬43

‫השוערים‬

‫והמשררים‬

‫ המשררים‬44

‫המשררים‬

‫והשערים‬

‫ השערים‬45

‫ הכהנים‬39–42

‫הנתינים‬

‫ כל הנתינים ובני עבדי שלמה והנתינים‬46–60

‫וכל הנבדל מעמי הארצות‬

‫ ולא יכלו להגיד בית אבותם‬61–63 ‫וזרעם אם מישראל הם׃‬

‫אל תורת האלהים‬

‫אל ירושלם בשנת שבע‬ ‫לארתחשסתא המלך‬

… ‫ … נתנו‬69–71

Aufgrund des Zusammenhangs mit der zur Endfassung des Esra-NehemiaBuches gehörenden Einleitung der Esrageschichte wird überlegt, ob Neh 10,29 wie Esr 7,7108 einem späteren literarischen Stadium des Buches entstammt.109 Auffällig ist zunächst, dass Neh 10,29 nicht der Reihung der Unterzeichner im vorangehenden Abschnitt entspricht und auch andere Grupnung, denn ein Name kann ja von mehreren Personen getragen werden. Das Patronym sagt daher nichts über die Authentizität eines Namens oder der Liste aus. So bleibt es dabei, dass die Personen als bekannt erscheinen sollen. Ähnlich hat das schon Gunneweg, Nehemia, 134 formuliert: „Das Verzeichnis hat also seinen ätiologischen Sinn vor allem in den neuen Namen, die es nennt. Diese repräsentieren offenbar die neue historische Lage, die über den Bevölkerungsbestand, den die ‚Heimkehrerliste‘ widerspiegelt, hinausgewachsen ist.“ Die parallele Existenz von entsprechenden Institutionen in Ägypten ist dagegen nur für die Interpretation der ‫ אמנה‬in ihrem literarischen Kontext relevant. Über die Authentizität des Bundes gibt sie für uns so wenig Aufschluss wie darüber, ob die Namen der Liste authentisch sind. Die Diskussion über Letzteres wurde intensiv in der älteren Forschung geführt. Vgl. dazu Mowinckel, Studien I, 62ff. 108 Hinzu kommt noch Esr 7,24 im Artaxerxes-Schreiben. Den Zusammenhang führt Blenkinsopp, Judaism, 53, als Argument gegen die Authentizität des Schreibens an. 109 Gunneweg, Nehemia, 131, sieht in Neh 9f. einen nachchronistischen Ergänzer und daher eine Rezeption von Esr 8. Ähnlich Pakkala, Ezra the Scribe, 301, der die Abschnitte den levitischen Ergänzern ebenso zuschreibt wie Esr 7,7.

7. Die Gemeinschaft in Neh 10 und die Konzeption des Volkes Israel

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penbezeichnungen gegeben werden. Als stellvertretende Unterzeichner werden nach Neh 10,1 „Fürsten, Leviten und Priester“ aufgelistet. Die andere Abfolge stellt aber selbst noch kein literarkritisches Kriterium dar. Denn die Unterzeichner ordnen sich lediglich in einer anderen Weise als die danach genannte umfangreiche Gruppierung des Volkes, die zusammen mit den Unterzeichnern als anwesend gedacht ist. Doch bevor man bei Neh 10,29f. über eine sekundäre Ergänzung nachdenkt, sollte man den Implikationen der Formulierung nachgehen. Blickt man zurück, kann der Verweis auf die größere Gruppe nur mit Neh 9,1 in Verbindung stehen. Dort kommt man nach dem Treffen beim Laubhüttenfest (Neh 8) zu einer neuen Versammlung zusammen. Neh 9,1 unterscheidet sich insofern vom vorangehenden Kontext, als nur davon die Rede ist, dass die Israeliten sich versammeln (‫)נאספו בני ישראל‬, während in Neh 8,1 ausdrücklich vom ganzen Volk gesprochen wird (‫ ;ויאספו כל העם כאיש אחד‬Esr 3,1b: ‫)ויאספו העם כאיש אחד‬. Der von L. Fried herausgearbeitete institutionelle Hintergrund der ‫אמנה‬ unterstreicht, dass in Neh 10 nicht das Gesamtvolk agiert, sondern sich nur eine Gruppe gemeinschaftlich unter die nachfolgenden Verpflichtungen stellt. Eine bestimmte Gruppe handelt also in Neh 10, und diese wird von ihren mächtigen Brüdern (‫ )אחיהם אדיריהם‬angeführt.110 Dies scheint auch in Neh 9,1 im Unterschied zu Neh 8,1 vorausgesetzt oder zumindest nicht ausgeschlossen zu sein. Worauf sich die Gruppe verpflichtet, wird im nachfolgenden Abschnitt aufgelistet. Die Verpflichtung auf die Tora mündet in besonderer Weise in die dauerhafte Sicherung des Unterhalts des Tempels (Neh 10,33–40), der im ‚Dokument‘ refrainartig als Haus unseres Gottes bezeichnet (‫)בית אלהינו‬ wird. Eine konkrete Gruppe, die sich in besonderer Weise dem Tempel in Jerusalem verschreibt, steht damit dem ganzen Volk, das in Neh 8 am Tempel die Tora hört, gegenüber. Die herausgearbeitete kompositionelle Funktion von Neh 7f. hat also zur Folge, dass man die partikulare Konzeption von Neh 9f. im Licht des Zusammenkommens des ganzen Volkes lesen soll. Mit dieser Intention der Positionierung von Neh 8 und Neh 10 dürfte die Einfügung von Neh 7 unmittelbar zusammenhängen, denn es handelt sich ja um die als Rückkehrerliste rekontextualisierte Bevölkerungsliste aus der aramäischen Tempelbauchronik. 110

So auch Fishbane, Biblical Interpretation, 165. Rothenbusch, Abgesondert, 363, lässt mit der Überschrift „Tora und Bund als Grundlage einer religiösen Gruppe in Neh 10“ eine ähnliche Sicht des Abschnittes erwarten, doch stellt er dann fest, dass „das ganze Volk in seinen einzelnen Gruppierungen“ (ebd.) auch in Neh 10 handelt. Das legt sich allerdings nur nahe, wenn man die von dem eingefügten Kapitel Neh 8 vorausgesetzten Informationen in Neh 10 berücksichtigt. Weder kommt mit der Versammlung in Neh 9,1 das ganze Volk zusammen, noch wird in der Unterschriftenliste Neh 10,1ff. und in Neh 10,29 betont, dass das ganze Volk sich in den Bund begibt.

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Kap. 4: Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition

Dieser konzeptionelle Zusammenhang manifestiert sich in einer strukturellen Parallelität der Liste und der Angabe über die anwesenden Gruppen in Neh 10,29. Das in die Tabelle eingetragene Gegenüber dokumentiert eine grundlegende Parallelität zwischen der Konstellation der Gruppe in Neh 10,29 und der Konzeption der angeblichen Rückkehrerliste in Neh 7 (//Esr 2). Denn in dem von Nehemia ‚zitierten‘ Abschnitt (Neh 7,6ff.) werden dieselben Gruppen in der gleichen Reihenfolge wie in Neh 10,29 aufgeführt, und außerdem spielt auch dort am Ende der Unterhalt des Tempels eine wichtige Rolle. Und selbst die Aussage ‫וכל הנבדל מעמי הארצות אל תורת‬ ‫ האלהים‬an letzter Stelle lässt sich als Bezugnahme auf jene verstehen, die sich zwar zu Israel rechnen, aber deren Herkunft unsicher ist (Neh 7,61–63). Allerdings besteht kein direkter Zusammenhang, denn die Liste in Neh 7 wird ausdrücklich als Zitat einer vergangenen Zeit eingeführt, und außerdem lässt Neh 10,1–29 keinen direkten Zusammenhang zur Rückkehr erkennen, während in Neh 7,5b.6 (wie an der Parallelstelle) die nachfolgende Liste als Rückkehrerliste gilt.111 Dieses Missverhältnis lässt sich mit dem Ursprung der Rückkehrerliste erklären. Diese war ja dadurch zustande gekommen, dass eine ursprünglich mit dem Tempel in Verbindung stehende Bevölkerungsliste gekürzt und als Rückkehrerliste rekontextualisiert worden war. Neh 10 mit dem Bezug auf eine Gruppe, die sich vor allem zur dauerhaften Unterstützung des Tempels verpflichtet, könnte also mit der Vorlage von Neh 7,6ff.//Esr 2,1ff., die die mit dem Tempelbau beschäftigte Bevölkerung auflistete, verbunden gewesen sein. Könnte es sein, dass dieser Bezug der Namensliste Neh 10,2–28 die Präsentation der veränderten Liste in Neh 7 – d.h. im direkten Kontext von Neh 10 – nötig gemacht hat? Neh 10,29 steht zusätzlich mit Esr 6,21 und damit mit einem Abschnitt in einem Zusammenhang, der nun aber sicher zu dem abgeschlossenen Text 111 Schon Mowinckel, Studien I, 136, hat behauptet, dass die Namen ein Zusatz sind: „Dort wo die Namen jetzt stehen, unterbrechen sie deutlich den literarischen Zusammenhang zwischen v. 1 und v. 29.“ Doch in seiner abgekürzten Wiedergabe des angeblich ursprünglichen Textes lässt er die sich wiederholenden Elemente weg, ohne von einer zusätzlichen Bearbeitung auszugehen: „1‚In Anbetracht von alledem treffen wir eine schriftliche Vereinbarung, wobei unsere śårim ... auf der gesiegelten Urkunde (stehen), 29während der Rest des Volkes .... 30sich ihren vornehmen Brüdern mit Eid und Schwur anschliessen [sic.]‘“ (ebd.). Er muss also auch V. 29 abgesehen von ‫ ושאר העם‬streichen, da sonst eine Doppelung entstünde. Dies ist eine ad-hoc-Hypothese, die die Streichung der Liste sichern soll. Warum das Schreiben und Versiegeln in V. 1 betont worden sein soll, ohne dass Namen folgen, bleibt offen. Meiner Ansicht nach wird so deutlich, dass Neh 10 ohne Namensliste nicht funktioniert. Gunneweg, Nehemia, 133, weist solche Streichungsversuche ebenfalls mit dem Hinweis zurück, dass nach V. 1 „eine Reihe von Namen“ zu erwarten ist. Zuletzt hat auch Kratz, Komposition, 89, die Liste wieder für sekundär gehalten: „Innerhalb von Neh 8–10 dürften 8,13–18 ein Nachtrag zu (7,72b) 8,1–12 und Neh 9–10 ein Nachtrag zu 8,1–18 sein, seinerseits ergänzt in 10,2–28 und 10,38b–40a.“

7. Die Gemeinschaft in Neh 10 und die Konzeption des Volkes Israel

333

von Esr 1–6 gehört. Die Erwähnung der Absonderung bestimmter Personen von den Völkern verbindet die beiden Verse: Neh 10,29

Esr 6,21

‫ושאר העם‬ ‫הכהנים הלוים השוערים המשררים הנתינים‬

‫ויאכלו בני ישראל‬ ‫השבים מהגולה‬

‫וכל הנבדל מעמי הארצות אל תורת האלהים‬ ‫נשיהם בניהם ובנתיהם כל יודע מבין‬

‫וכל הנבדל מטמאת גוי הארץ אלהם לדרש‬ ‫ליהוה אלהי ישראל‬

... ‫מחזיקים על אחיהם אדיריהם‬

In Esr 6,21 und in Neh 10,29 tritt eine Gruppe auf, von der es heißt, sie habe sich von anderen Völkern abgesondert. Allerdings unterscheidet sich die Terminologie an den beiden Stellen. Nur in Esr 6,21 wird mit der Rede von der Unreinheit der Völker des Landes ein Zusammenhang mit Dtn 7,3 und mit Lev 18,26–28 aufgerufen. Dieser polemische Hintergrund liegt in Neh 10,29 nicht vor.112 Insbesondere die Rede von den Völkern der Länder deutet einen Palästina übergreifenden Zusammenhang an, und es wird somit eher eine Situation, wie sie in der Mischehenproblematik in Neh 13 vorliegt, oder die Diasporasituation in den Blick genommen. Neh 10,29 scheint auf den Kontext der Nehemiaerzählung und nicht in gleicher Weise polemisch auf die Samarier gerichtet zu sein wie Esr 6,21 und das Gesamtkonzept von Esr 1–6 zusammen mit Esr 9f. Allerdings stellt sich auch hier die Frage, auf wen sich die Phrase ‫וכל‬ ‫ הנבדל מעמי הארצות‬bezieht. Theoretisch könnte man mit V. Haarmann überlegen, ob eine Absonderung von Fremden zur Tora im Blick ist, die zur Gemeinschaft gehören, die sich in Neh 10 auf die Tora und zum Unterhalt des Tempels verpflichtet.113 Könnte es womöglich sein, dass nun an dieser Stelle, wo nicht mehr die gleiche polemisch und vor allem genealogisch ar112 Siehe dazu die Diskussion von Esr 6,21 oben, 208ff., und den Abschnitt, in dem der Zusammenhang zwischen der Mischehenproblematik und Esr 6,21 als Ziel von Esr 1–6 dargestellt wird, oben, 294ff. 113 Haarmann, Jhwh-Verehrer, 266, verbindet Neh 10,29 mit Esr 6,21: „In Esr 6,21 und in Neh 10,29 (‫ )וכל הנבדל מעמי הארצות אל תורת האלהים‬beteiligen sich an der Passafeier ‚auch (im Land wohnende) Fremde, die sich mit allen rituellen Konsequenzen der JHWHReligion zugewandt haben.‘“ Er erweitert die These von Blum auf Neh 10,29, obwohl in Neh 10,29 deutlich andere Akzente gesetzt werden. Abgesehen davon, dass es in Neh 10,29 ja nicht um das Passa geht, ist von „den Völkern der Länder“ und nicht von den „Völkern des Landes“ (‫ )גוי הארץ‬die Rede wie in Esr 6,21. Zwar könnten die Phrasen ‫ עמי הארץ‬und ‫„ עמי הארצות‬synonym verwendet werden“, wie Weingart, Israel, 76, meint, doch sollte man nicht vorschnell Bedeutungen egalisieren. Denn im Unterschied zu Esr 6,21, wo mit ‫גוי‬ ‫ הארץ‬die Polemik von Dtn 7 gegen die Völker des in Besitz zu nehmenden Landes aufgerufen wird, dürfte es in Neh 10,29 im Nehemiakontext doch um einen größeren Bereich als Juda oder Israel gehen. Man beachte, dass die Mischehenproblematik in Neh 13 mit

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gumentierende Konzeption wie in Esr 1–10 vorliegt, doch Fremde zur Gemeinschaft der ‫ אמנה‬hinzukommen? Der engere Zusammenhang widerspricht dem allerdings. Denn am Anfang von Neh 9, wo sich die Gemeinschaft derer konstituiert, die sich in Neh 10,29ff. in die ‫ אמנה‬begeben, sondern sich zunächst Israeliten von allen Fremden ab (‫ויבדלו זרע ישראל‬ ‫)מכל בני נכר‬. Angesichts dessen können in Neh 10,29 nur Israeliten in die ‫ אמנה‬eingeschlossen sein und keine Angehörigen fremder Völker. 114 Nur Juden und Israeliten sondern sich von den Völkern der Länder zur Tora ab. Neh 10 ist zwar weniger polemisch, aber es liegt das gleiche Konzept der Zugehörigkeit zum Volk vor. Da in Neh 10,29 eine Gruppe sich von anderen absondert, ist hier allerdings anders als in Esr 6,21 präsupponiert, dass es im direkten Umfeld auch andere Juden bzw. Israeliten gibt, solche nämlich, die sich nicht in den Bund und unter die Tora begeben haben. Konkret setzt die Formulierung voraus, dass es offenbar andere Juden/Israeliten gibt, die sich nicht von den Völkern abgesondert haben. Damit stellt sich eine erklärungsbedürftige Differenz zwischen Neh 10 und Neh 7f. heraus. Denn die Einfügung der Liste in Neh 7 stellt klar, dass das anwesende Volk nicht nur ein Teil Israels ist, sondern sich vollständig von den Rückkehrern herleitet und entsprechend am Zentralheiligtum anwesend ist. Angesichts der unterschiedlichen Konzepte wird deutlich, warum man in Esr 6,21 eine ähnliche Formulierung gewählt hat und warum man Neh 8 überhaupt vorangestellt hat. Man hat so die partikulare Verpflichtung auf die Tora und die Unterstützung des Tempels in Jerusalem zu der allein gültigen und das gesamte Volk umfassenden gemacht. Die Frage des Konnubiums macht es möglich zu entscheiden, ob das Konzept durch Voranstellung von Neh 7f. vor Neh 9ff. verändert worden oder umgekehrt Neh 7f. durch Neh 9ff. ergänzt worden ist. R.G. Kratz meint, dass die „Bundesverpflichtung zur Reinerhaltung des ‚heiligen Samens‘“115 sich an Esr 9f. und Neh 13 anlehne.116 Doch warum verpflichtet man sich erst in Neh 10,31 zum Verzicht auf das Konnubium, wenn in Esr 9,1 die ‫ שרים‬bereits ihre Schuld bekannt haben und das Mischehenproblem in Esr 10 schon einmal einer Lösung zugeführt worden ist? Um eine solche Fortschreibung verständlich zu machen, wäre ein Rückverweis auf die beVerweis auf das Gemeindegesetz Dtn 23,4 und der Nennung der Nachbarvölker von Ammonitern und Moabitern eröffnet wird. 114 Zwar ist es wahrscheinlich, dass am Anfang von Neh 9 bei Voranstellung von Neh 8 transformierend eingegriffen worden ist, doch ist gerade in Neh 9,2 besonders nachdrücklich nur von einer Gruppe, die sich aussondert die Rede. Und selbst wenn die Formulierung in Neh 9,2 sekundär wäre, müsste man sie als frühe Interpretation von Neh 10,29 ansehen. 115 Kratz, Komposition, 90. 116 Vgl. Kratz, Komposition, 89f.

7. Die Gemeinschaft in Neh 10 und die Konzeption des Volkes Israel

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reits geschehene Klärung des Problems durch Esra erforderlich. Umgekehrt ist das jedoch verständlich. Man hätte dann das radikale Konzept von Esr 9–10 erst unter Rückgriff auf Neh 9ff. entwickelt. Durch Voranstellung der Esrageschichte und der Verkündigung der Tora (Neh 8) suchte man Neh 9ff. als spätere, weniger radikale Entwicklung erscheinen zu lassen. Dem älteren Konzept wurde dazu das neuere radikalere Konzept der Rückkehrerschaft als alleiniges Israel quasi als hermeneutischer Schlüssel vorangestellt. Es ist damit schwieriger, Neh 10 mit seiner partikularen Konzeption als Fortschreibung zu Neh 8 und damit auch zur Esrageschichte zu erklären, als umgekehrt die Voranstellung von Neh 7f. als Rekontextualisierung der ursprünglichen Konzeption der Nehemiaerzählung. Neh 7f. soll bewirken, dass der Bundesschluss in Neh 10 als Handeln des ganzen Volkes verstanden wird. Wenn man Neh 9,1–5 als Überleitung zum ursprünglichen Bußgebet ansieht, dann dürfte sich damit Neh 9f. als Zentrum der ursprünglichen Nehemiaerzählung herausstellen, wo ursprünglich wie in Neh 1–6 Nehemia Hauptakteur gewesen sein muss. Dass in den Übergangsversen in Neh 9,1–5 gearbeitet worden sein muss, zeigt sich daran, dass vor dem Bußgebet die Verlesung der Tora erwähnt wird, was in dem Kontext keine besondere Funktion hat. Möglich wäre es allerdings auch, dass Neh 8 als Ziel der Esrageschichte mit dem Verlesen der Tora von dieser kurzen Notiz abhängig ist. Denn die Existenz und Bekanntheit der Tora wird ja auch in Neh 10 vorausgesetzt. Das Konzept der Verlesung der Tora in Neh 8 wäre dann in ähnlicher Weise aus einer kurzen Notiz heraus entwickelt worden wie Esr 7 aus der Notiz der Begleitbriefe, die Nehemia erhalten hat (Neh 8,29), für Esra. Dieser Zusammenhang wird durch das Auftreten der Leviten unterstützt, für deren Anwesenheit man Esra in Esr 8 sorgen lässt, damit sie in Neh 8 mit ihm auftreten und in Neh 9 das Bußgebet rezitieren können. Weiterhin ist bei der Gestaltung des Übergangs von Neh 8 zum Bußgebet in Neh 9 mit vergleichbaren Prozessen zu rechnen, wie sie am Übergang zwischen Esr 4 und 5 aufgezeigt worden sind. Es ergibt sich, dass auch das Konzept der Rückkehrerliste und das Konzept des Volkes im Esrabuch von Neh 10 sowie von der Notiz in Neh 10,29 her entwickelt worden sein muss. So wurde die Gliederung des Volkes übernommen, der noch die Vorlage der Liste in Esr 2//Neh 7 folgt. Die Absonderung wurde generalisiert und mit der Vorstellung von der Reinheit verbunden, um so gegen die Samarier zu polemisieren (Esr 6,21). De facto wird auf der Grundlage der Verpflichtung einer Gruppe auf bestimmte Gebote in Anlehnung an die Tora und auf die Unterhaltung des Tempels das bestimmende Konzept der Identität des Judentums entwickelt.117 117

Dies wäre dann der Ursprung des Konzeptes, das Becking, Continuity, 42, vor allem im Esrabuch ausmacht.

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Wenn man bedenkt, dass die in Esr 2 verarbeitete und in Neh 7 wiedergegebene Liste aus der aramäischen Tempelbauchronik stammt, ergibt sich über den Bezug von Neh 10,29 und über das Thema des Tempels in der ‫אמנה‬, dass die ursprüngliche Nehemiaerzählung vor ihrer Rekontextualisierung mit Esr 1–10 in irgend einer Weise mit der aramäischen Tempelbauchronik verbunden gewesen sein muss.

8. Der personale Zusammenhang zwischen Neh 10 und Neh 7 Dadurch dass man Neh 8 dem Zusammenhang von Neh 9f. vorangestellt hat, wird die Zusammenkunft der Gruppierung und deren Bundesschluss mit der Zusammenkunft des ganzen Volkes in Jerusalem verbunden. Zwei Zusammenkünfte sind so in direkter Folge platziert worden, dass das Zweite nun als Folgetreffen verstanden werden muss und der Eindruck erweckt wird, als treffe wie in Neh 8 das ganze Volk zusammen. Was wir hier vor uns haben, ist eine Rekontextualisierung, wie sie in der Eröffnung der Tempelbauerzählung (Esr 1–6) durch das Kyrosedikt oder durch die Präsentation des Verleumdungsbriefes in Esr 4 vor der Korrespondenz der aramäischen Tempelbauchronik vorgenommen worden ist. Zu der Rekontextualisierung der ‫ אמנה‬gehört aber neben der Zusammenkunft des ganzen Volkes bei der Verlesung der Tora und der Feier des Laubhüttenfestes (Neh 8) auch die Zitation der Rückkehrerliste in Neh 7. Diese Liste – so wird in Neh 7,5 behauptet – hat Nehemia aufgefunden, und so kann die von ihm beabsichtigte Zählung des Volkes unterbleiben. Da eine Zählung des Volkes auch in Neh 11, wo der Synoikismus beschlossen wird, keine Rolle spielt, legte sich nahe, dass die Liste vor allem die Funktion hat, aufzuzeigen, dass das in Neh 8,1 zusammenkommende Volk dasselbe Volk ist, das nach Esr 2 aus dem Exil zurückgekehrt ist. Die Zitation in Neh 7,5b wird noch einmal ausdrücklich als die „Aufzeichnung derer, die zuerst hinaufzogen“ (7,5b: ‫ספר‬ ‫ )היחש העולים בראשונה‬bezeichnet, um so den Zusammenhang mit der Konzeption des Volkes Israel in der abschließenden Komposition des Esrabuches zu betonen.118 Während es den Listen in Esr 2 und Neh 7 um die Menge und Struktur der Bevölkerung geht, soll die Namensliste in Neh 10 die Authentizität des Bundesdokumentes und des Bundesschlusses unterstreichen. Dass durchgängig Einzelnamen stehen und bis auf wenige Ausnahmen auf die Angabe der Patronymia verzichtet worden ist, soll zumindest den Eindruck erwecken, als seien die Namen bekannt.119 Trotz dieser unterschiedlichen Funkti118 119

Siehe oben, 309. Siehe oben, 329.

8. Der personale Zusammenhang zwischen Neh 10 und Neh 7

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on der Listen Esr 2//Neh 7 und Neh 10 finden sich eine ganze Reihe von Übereinstimmungen bei den enthaltenen Namen.120 Dem durch die Voranstellung von Esr 7f. hergestellten inhaltlichen Zusammenhang von Neh 7– 10121 scheinen konkrete inhaltliche Zusammenhänge der Listen zu entsprechen: Von den 84 in Neh 10,2–28 erwähnten Personen kommen 24 Namen in den Listen Neh 7 bzw. Esr 2 vor (‫שריה‬, ‫עזריה‬, ‫פשחור‬, ‫[ חרם‬als Priester in Esr 2,39//Neh 7,39], ‫ישוע בן אזניה‬, ‫קדמיאל‬, ‫חנן‬, ‫פרעש‬, ‫פחת מואב‬, ‫עילם‬, ‫זתוא‬, ‫עזגד‬, ‫בבי‬, ‫בגוי‬, ‫עדין‬, ‫אטר‬, ‫חזקיה‬, ‫חשם‬, ‫בצי‬, ‫חריף‬, ‫ענתות‬, ‫רחום‬, ‫[ חרם‬als Israelit in Esr 2,32//Neh 7,35], ‫)בענה‬. 18 Personen sind in Neh 10 enthalten, die aus Esr 8 bekannt sind (‫חטוש‬, ‫[ מרמות‬in Anschluss an die Liste Esr 8,33], ‫עבדיה‬, ‫דניאל‬, ‫משלם‬, ‫שמעיה‬, ‫חשביה‬, ‫זכור‬, ‫שרביה‬, ‫פרעש‬, ‫פחת מואב‬, ‫עילם‬, ‫עזגד‬, ‫בבי‬, ‫בגוי‬, ‫עדין‬, ‫)משלם‬. Davon begegnen sieben (unterstrichen) auch in Neh 7 bzw. Esr 2. Aus Neh 3 scheinen 24 Personen zu unterschreiben ( ‫[ עזריה‬Neh 3,23: Sohn des ‫]מעשיה‬, ‫מלכיה‬, ‫חטוש‬, ‫[ חרם‬Neh 3,11 Vater des ‫]מלכיה‬, ‫מרמות‬, ‫ברוך‬, ‫משלם‬, ‫בנוי‬, ‫חשביה‬, ‫זכור‬, ‫[ בני‬Neh 3,17: Vater des ‫]רחום‬, ‫פרעש‬ [Neh 3,25: Vater des ‫]פדיה‬, ‫[ פחת מואב‬Neh 3,11: Vater des ‫]חשוב‬, ‫[ עזור‬Neh 3,19 event. ‫]עזר בן ישוע‬, ‫[ משלם‬Neh 3,4.30 ‫]משלם בן ברכיה‬, ‫[ משיזבאל‬Neh 3,4: Großvater von ‫]משלם בן ברכיה‬, ‫[ צדוק‬Neh 3,4: Sohn des ‫]בענא‬, ‫חנניה‬ [Neh 3,8: Sohn des ‫הרקחים‬, oder Neh 3,30: Sohn des ‫]שלמיה‬, ‫[ חשוב‬Sohn des ‫]פחת מואב‬, ‫[ הלוחש‬Neh 3,12: Vater des ‫]שלום‬, ‫[ רחום‬Neh 3,17: Sohn des ‫]בני‬, ‫[ מעשיה‬Neh 3,23: Vater des ‫]עזריה‬, ‫[ חרם‬Neh 3,11: Vater des ‫]מלכיה‬, ‫[ בענה‬Neh 3,4: Vater des ‫]צדוק‬. Die Reihenfolge ist über weite Strecken identisch. Auch existieren familiäre Zusammenhänge. Denn in Neh 10 scheinen mehrmals Väter zusammen mit ihren Söhnen zu unterzeichnen. Meschesabel scheint dies mit seinem Enkel Meschulam, nicht aber mit seinem Sohn zu tun. Andere Personen tauchen an verschiedenen Stellen des Buches, vor allem in Esr 10; Neh 11–13 wieder auf.122 Vier bzw. fünf Unterschriften in Neh 10 stimmen mit den Namen überein, die am Kopf der Liste in Neh 7,7//Esr 2,2 stehen (‫[ שריה‬nur Esr 2,2], ‫[ עזריה‬nur Neh 7,7], ‫בגוי‬, ‫[ רחום‬in Neh 7,7: ‫]נחום‬, ‫)בענה‬. Nicht zu berücksichtigen ist der in Neh 10,2 als erster Unterzeichner stehende Nehemia ben Hachalja. Dieser kann kaum mit dem in Esr 2,2//Neh 7,6 genannten Nehemia identisch sein, da die Nehemiaerzählung voraussetzt, dass jener erst nach der Fertigstellung des Tempels nach Jerusalem gekommen ist. Wahr120 Gunneweg, Nehemia, 134, sieht den Sinn primär in den Unterschieden. Siehe Zitat oben, 329, Anm. 107. Allerdings werden in den Übereinstimmungen zwischen den Listen die Zusammenhänge in der Gesamtkonzeption deutlich. 121 Siehe dazu oben, 329ff. 122 Besonders auffällig ist noch die Übereinstimmung von Neh 12 mit den in Neh 10 enthaltenen Priestern, die in fast der gleichen Reihenfolge unterschreiben. Vgl. dazu Mowinckel, Studien I, 142.

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scheinlich wird der Vatersname zusätzlich zum Titel ‫ תרשתא‬in Neh 10,2 genannt, um ihn von dem am Anfang der Liste Esr 2,2//Neh 7,7 stehenden Nehemia zu unterscheiden. Des weiteren unterschreiben in Neh 10 auch 17 Personen, die im Esra-Nehemia-Buch sonst nicht noch einmal vorkommen (‫צדקיה‬, ‫רחוב‬, ‫בנינו‬, ‫בּנִּ י‬,ֻ ‫אדניה‬, ‫[ הודיה‬als ‫]ראש העם‬, ‫[ נובי‬siehe aber die Ortsnamen ‫ נבו‬Esr 2,29//Neh 7,33 und ‫ נוב‬Neh 11,32], ‫מגפיעש‬, ‫חזיר‬, ‫[ ידוע‬als ‫]ראש העם‬, ‫פלטיה‬, ‫הושע‬, ‫פלחא‬, ‫שובק‬, ‫חשבנה‬, ‫אחיה‬, ‫)ענן‬. Wie hat man diese Situation zu interpretieren? Wie es kaum möglich ist, dass Nehemia ben Hachalja mit dem in Esr 2,2//Neh 7,6 erwähnten Nehemia identisch ist, so ist bei einigen Namen nicht letzte Gewissheit über die Identität zu gewinnen. Dennoch kommen mehrere Namen in der gleichen Reihenfolge vor wie in Neh 7 bzw. stehen sehr nahe beieinander. Das gilt vor allem für die Häupter des Volkes in Neh 10,15–20. Dies zeigt, dass die Übereinstimmungen der Namen nicht zufällig sind und die Listen aufeinander bezogen sind.123 Dass ein literarischer Zusammenhang zwischen Esr 2//Neh 7 und Neh 10 bestehen muss und Neh 10 die Seite ist, die rezipiert hat, zeigen die Übereinstimmungen und vor allem der Name ‫( ענתות‬Neh 10,20). Anathot ist in Esr 2,23//Neh 7,27 als Ortsname geführt und wird außerdem in Neh 11,32 als Wohnort des Stammes Benjamin genannt. Beim Namen ‫ נובי‬könnte ein ähnlicher Zusammenhang bestehen. Denn in Esr 2,29//Neh 7,33 ist ja der Ortsname ‫ נבו‬erwähnt. Außerdem wird in Neh 11,32 der Ort ‫ נב‬genannt. Zu beachten ist, dass eine Unsicherheit bei der Interpretation von Orts- und Personennamen auch im Vergleich zwischen Esr 2 und Neh 7 vorliegt und besonders in Neh 7 ein aramäischer Einfluss spürbar ist. Das in Neh 10,20 erkennbare Problem bei der Rezeption könnte am ehesten wiederum auf einen Einfluss der möglicherweise aramäischen Vorlage von Esr 2//Neh 7 zurückgehen.124 Aufschlussreich ist nun, dass der Zusammenhang zwischen Neh 10 und Esr 8 zwar kein Schema erkennen lässt, aber alle Namen, die nur in Esr 8 und Neh 10 vorkommen, in Esr 8 mit konkreten Einzelpersonen verbunden sind. Das sind Priester (Neh 10,5–8) bzw. Leviten (10,12f.). Besonders bei den drei Leviten ist auffällig, dass diese in Neh 10 direkt aufeinanderfolgen, aber auch bei den Priestern deutet sich dies an. Die Namen aus Neh 10 allerdings, die sowohl in Esr 2//Neh 7 als auch Esr 8 vorkommen, sind immer Gruppennamen. Sie folgen der Reihenfolge in Esr 2,3–15//Neh 7,8–20. 123 Diese Zusammenhänge wurden immer schon gesehen, doch zieht man daraus bis heute die Konsequenz, dass die Liste eine spätere Zeit oder spätere Rückkehrerzüge aufführt. Vgl. Reditt, Census List, 229f. 124 Siehe dazu oben, 177ff.

8. Der personale Zusammenhang zwischen Neh 10 und Neh 7

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Der Sachverhalt bei den Namen der Priester und Leviten lässt vermuten, dass Esr 8 die Liste in Neh 10 verwendet hat.125 Was lässt sich aus dem Zusammenhang zwischen Esr 2/Neh 7 und Neh 10 mit diesen Übereinstimmungen für die Konzeption der Unterschriftenliste in Neh 10 schließen? Gunneweg sah darin eine geschichtstheologische Kontinuität ausgedrückt: „Als Unterschriftenliste ist es eine Fiktion, aber dahinter steht eine – freilich nicht mehr genau faßbare – Realität. In dieser neuen Liste wie überhaupt in N 9–10 spricht sich vor allem der Wille aus, über die ursprüngliche geschichtstheologische Konzeption des Chr hinausgehend, die Gemeinde Israel in dreifacher Hinsicht neu zu definieren, und zwar einmal ihrem Wesen nach: Sie tut Buße, weil sie in der Kontinuität mit dem alten, immer wieder sündigenden Israel steht; sodann nach ihrem gewandelten Bevölkerungsbestand; und schließlich aufgrund genauer Gesetzesbestimmungen, deren Einhaltung das wahre Israel auszeichnet.“126 Ausgehend von ihren Überlegungen zu einer religiösen Vereinigung im persischen Juda hat L.S. Fried auf Grundlage des Vergleichs mit ähnlichen Institutionen in Ägypten und Griechenland überlegt, ob die Übereinstimmungen zwischen Neh 10 und den anderen Listen aufgrund einer nachträglichen Hinzufügung von Namen in Neh 10 zustande gekommen sind.127 Sie schließt dies aufgrund der z.T. parallelen Reihenfolge, die Neh 10 mit Esr 2//Neh 7 und Neh 3 gemeinsam hat. Ihr Ziel ist es aber, in Neh 10 ein originales Dokument zu rekonstruieren.128 Abgesehen von den Zusammenhängen mit den anderen Listen haben wir keine Möglichkeit hinter die uns vorliegende Liste zurückzuschließen. Überlegungen zu im Hintergrund stehenden historischen Ereignissen lassen sich daher nicht verifizieren. Dass die Zusammenhänge einen literarischen Charakter tragen, ist allerdings erkennbar. Dass das Ganze ein Konstrukt sein muss, zeigt – wie bereits erwähnt – der Name Anathot in Neh 10,20, da Anathot in Esr 2,23//Neh 7,27 ein Ort ist. Innerhalb des Nehemia-Buches markieren die Übereinstimmungen zwischen Neh 10 und Neh 3 zunächst einen sozialen Zusammenhang. Denn 125

Mowinckel, Studien I, 137, hat darauf hingewiesen, dass „fast alle die Priester-, Lewiten-, Sänger- und Torhüternamen, die sich im Buche Ezr/Neh finden, auch in der Liste als Mitunterzeichner auftreten“. Dies spreche gegen die „Echtheit der Liste“, doch erweist sich hier zunächst deren literarischer Charakter. Wenn Esr 8 neben Esr 2 auch Neh 10 verwendet hat, dann bestätigt das, dass die Liste in Neh 10 zu den Quellen der Esra-Nehemia-Komposition gehört und nicht eine spätere Kompilation ist. Einige Namen könnten zusätzlich auch aus Neh 3 aufgegriffen worden zu sein. Infrage kommen ‫( זכור‬Esr 8,14) aus Neh 3,2, ‫( משלם‬Esr 8,16) aus Neh 3,4 und ‫( חשביה‬Esr 8,19) aus Neh 3,17. 126 Gunneweg, Nehemia, 134. 127 Vgl. Fried, Religious Association, 85. 128 Vgl. ebd.

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Kap. 4: Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition

Neh 10 erweckt den Eindruck, als wäre die ‫ אמנה‬mehrmals von den Söhnen gemeinsam mit den Vätern unterzeichnet worden. Das beweist, dass Neh 10, wo ja Nehemia als Erstunterzeichner erscheint, nicht von der übrigen Nehemiaerzählung getrennt werden kann. Der Bau der Mauer und die Verpflichtung der ‫ אמנה‬werden von der gleichen Gruppe getragen. Angesichts dessen ist es spannend, dass die weitere Besiedlung Jerusalems ja erst nach der Unterzeichnung der ‫ אמנה‬beschlossen wird. Es stellt sich darüber hinaus die Frage, wie sich das Konzept der Einfügung von Neh 7 mit Neh 10 verbindet. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Übereinstimmung von Namen zwischen Neh 10 und Esr 2// Neh 7 ebenfalls einen Zusammenhang markiert. Nach dem Konzept, das Esr 2//Neh 7 zugrunde liegt, werden vor allem Gruppen aufgelistet. Es handelt sich um Familien und Clans und Gruppen, die nach ihrem Herkunftsort aufgeführt werden. Bei der Liste geht es allgemein darum, die Identität des nachexilischen Israel zu beschreiben.129 Die implizierten Adressaten sind aufgrund der Liste in der Lage, sich den erwähnten Familien oder lokalen Gruppen zuzuordnen. Wenn dies im Einzelfall nicht möglich ist, bietet Esr 2,59–61//Neh 7,61–63 eine Alternative mit dem Verweis auf eine Reihe von Familien, die ihre Herkunft aus Israel nicht nachweisen können. Dies kann als Paradigma für jene sicher nicht seltenen Fälle gelten, in denen man nicht in der Lage war, die Herkunft zurückzuverfolgen. In Neh 10 dagegen werden ausschließlich die Namen von Einzelpersonen aufgelistet.130 Es fehlen abgesehen von der ersten Person Nehemia ben Hachalja (Neh 10,2), Jeschua ben Asanja und Binnui von den Söhnen Henadads (beide Neh 10,20) genealogische Angaben. Wie bereits festgestellt soll das den Eindruck erwecken, als müssten die Namen bei den intendierten Adressaten bekannt sein. Für uns macht die Identifikation der Namen in Neh 10 mitunter Probleme, insbesondere bei häufiger gebrauchten Namen. Doch sind neben den Personen aus Neh 3 tatsächlich 24 Namen aus Esr 2 bzw. aus Neh 7 bekannt. Bei beiden Zusammenhängen ist die Übereinstimmung mit den Gruppenbezeichnungen besonders brisant. Denn es scheint in Neh 10 vorausgesetzt zu sein, dass zumindest zwanzig Personen unterschreiben, die den Gruppen in Esr 2 Siehe dazu oben, 80. Bertholet, Esra-Nehemia, 77, hat die Meinung der Forschung des 19. Jh. noch einmal betont „dass die 21 (oder 22) Namen Priestergeschlechter bezeichnen, welche die betr. Unterzeichner zu vertreten hatten“. Dies hat Mowinckel, Studien I, 141, anhand mehrerer Beispiele widerlegt. Vgl. auch Hölscher, Esra-Nehemia, 544. Und insbesondere von Neh 10,1 kann dies auch nicht anders verstanden werden. Nun hat Rothenbusch, Abgesondert, 370f., die These wieder hervorgeholt: „Die Namen der Siegelnden in Neh 10 sind auch keine Personen-, sondern Geschlechternamen.“ Die Argumentation geht von der Übereinstimmung mit Esr 2 aus und schlussfolgert: „Deshalb muss man darin aber noch keine isolierte, bloß literarisch-theologische Fiktion sehen.“ 129 130

8. Der personale Zusammenhang zwischen Neh 10 und Neh 7

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ihren Namen geben. Die anderen fünf Personen scheinen mit den Personen aus der Überschrift identisch zu sein. Da die Reihenfolge in einem Bereich parallel läuft, müssen die Unterschreibenden mit den namengebenden Personen der Rückkehrer- bzw. der zugrunde liegenden Bevölkerungsliste als identisch gedacht sein. Einige der namengebenden Personen aus der Liste in Esr 2//Neh 7 unterschreiben also in Neh 10. Es ist natürlich kaum denkbar, dass zu der Sippe des Parosch bei der Rückkehr aus dem Exil (nach dem Konzept der Liste in Esr 2) oder beim Tempelbau 2172 Nachkommen des Parosch (‫בני פרעש אלפים מאה ושבעים‬ ‫ )ושנים‬gehören und dieser in Neh 10,15 unterschreibt, möglich ist aber, dass bei ihm wie bei den anderen Namen an den Vorstand eines Clans zu einer bestimmten Zeit gedacht ist. Darauf lässt auch die mehrfach gebrauchte Bezeichnung ‫ ראשי האבות‬in Esra-Nehemia schließen. Offensichtlich hat man so auch die Liste in Neh 10 verstanden, denn über dieser steht, dass es sich um ‫שרים‬, ‫ לוים‬und ‫ כהנים‬handelt. Dass zumindest jene 24 Personen und darunter 20 „Häupter“ aus der Liste Esr 2//Neh 7 noch auf der Liste des Bundesschlusses in Neh 10 erscheinen, schließt zwingend aus, dass sich inzwischen mehrere Generationen abgelöst haben. Die Veränderungen berücksichtigen dennoch einen Zeitabstand. Denn immerhin sind ja die übrigen Personen gegenüber Esr 2//Neh 7 neu. So dürfte entsprechend ein Zeitabstand von 20–40 Jahren zwischen den beiden Listen im Blick sein.131 Wenn man von der Unterschriftenliste in Neh 10 ausgeht, reicht man entsprechend diese Anzahl von Jahren in die Vergangenheit. Dies scheint auf den ersten Blick auszuschließen, dass der Tempelbau oder gar die Rückkehr aus der Gola im Hintergrund der Listen von Esr 2// Neh 7 steht, und könnte ein Argument dafür sein, dass die Liste einen völlig anderen Hintergrund hat.132 Doch ist in der Liste zumindest der Tempelbau im Blick. Damit ist allerdings nur eine zweite Lösung möglich, dass nämlich sämtliche Datierungen, die aufgrund der uns bekannten Abfolge der Perserkönige zustande kommen, für die Interpretation der Zusammenhänge zwischen Neh 10 und Esr 2//Neh 7 ausgeschlossen sind. Denn das 20. Regierungsjahr Artaxerxes’ I. würde in das Jahr 445 v. Chr. führen. Die Fertigstellung des Tempels bei der traditionellen Datierung liegt zu dieser Zeit siebzig Jahre zurück. Da allerdings der Rahmen der Liste in Neh 7,5 wie die Liste in Esr 2 unterstellt, dass die Rückkehr im ersten Jahr des Ky131 Auf exakte Angaben kann man hier nicht kommen, da die Mortalitätsrate der Erwachsenen für das Alte Israel unsicher ist und auch nicht klar ist, wie viele Jahre für das Alter der Häupter bei der Zählung gerechnet werden. Aufgrund der guten Überlieferungslage hat allerdings die Untersuchung von Kraus, Demographie, 206, für das Alte Ägypten „eine Reduktion der erwachsenen Bevölkerung um die Hälfte nach dem 25. Lebensjahr in der prädynastischen und nach dem 30. Lebensjahr in der dynastischen Zeit“ festgestellt. 132 Zu den Thesen siehe oben, 60f.

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Kap. 4: Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition

ros stattgefunden hat, müssten die Führer der Sippen nach ihrer Rückkehr noch knapp 100 Jahre gelebt haben, um in Neh 10 die Verpflichtung zur Tora unterschreiben zu können. Bereits die Grundkonzeption von Neh 10 mit dem Verweis auf eine Bevölkerungsliste und damit wohl auf die Vorlage von Esr 2//Neh 7 setzt eine kürzere Zeitdauer voraus, die Platzierung von Neh 7 aber scheint den Zeitpunkt, zu dem der Bundesschluss in Neh 10 erfolgt ist, noch weiter an das Exil heranzurücken. Diese veränderte Konzeption wird von Esr 8 gestützt. Das Kapitel muss zugleich als Zeugnis früher Auslegung des ursprünglichen Konzeptes verstanden werden. Denn es fügt ja zwischen die Listen weitere Namen ein und nimmt eine Reihe von Namen aus Neh 10 vorweg, berücksichtigt also die Zeitspanne und sucht sie mit der Rückkehr unter Esra zu füllen. Dies zeigt sich bei der Gruppe, die nach Adonikam benannt ist. Von jener kommen in Esr 2,13//Neh 7,18 666 bzw. 667 Personen aus der Gola, und in Esr 8,13 kommen weitere 60 Männer. Deren Namen werden genannt, und es heißt, dass es die letzten (ihrer Gruppe) waren. Da nach der Konzeption der abgeschlossenen Esra-Nehemia-Komposition (vgl. Esr 7 und Neh 2) ein Zeitabstand von ca. zwölf Jahren zwischen Esra und Nehemia liegt, impliziert das, dass die weiteren Veränderungen gegenüber Esr 2 und Esr 8 sich in dieser Zeit vollzogen haben müssen. Dass man umgekehrt die Namen aus Neh 10 u.a. in Esr 8 anführt, beruht auf der Logik der Gesamtkonzeption des Buches, wonach alle Bewohner der Provinz Rückkehrer sind, die sofort mit dem Bau des Tempels begonnen haben. Denn dies zieht ja nach sich, dass auch die Liste in Neh 10 ausschließlich auf Rückkehrer und deren Nachfahren zurückgehen muss. Da der Bundesschluss an den Tempelbau und damit ebenfalls an die Rückkehr unter Serubbabel und Esra herangerückt wird, liegt die gleiche Tendenz wie beim Tempelbau vor, an den Anfang der nachexilischen Zeit zu gelangen.

9. Zur inhaltlichen Struktur und zum Umfang der verarbeiteten Nehemiaerzählung Im vorangehenden Kapitel wurde das Zusammenspiel zwischen der Zitation von Esr 2 in Neh 7,6–72 und den verschiedenen Abschnitten des Kontextes diskutiert. Neh 7,6–72 gehört einerseits untrennbar mit Neh 8 zusammen und dient andererseits mit Neh 8 in der uns vorliegenden Komposition dazu, die Tora vor ihrer Anwendung (Neh 9f.) einzuführen und allgemein bekannt zu machen. Die Zitation wird zwar auf der Erzählebene vom IchErzähler Nehemia damit begründet, dass dieser wegen der geringen Zahl der Bevölkerung Jerusalems eine Zählung des Volkes vorgehabt habe (Neh

9. Struktur und Umfang der verarbeiteten Nehemiageschichte

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7,4f.), doch spielt weder diese Absicht noch die stattdessen zitierte Liste eine Rolle, wenn das Problem der Bevölkerung von der anwesenden Menge per Losentscheid gelöst wird (Neh 11,1f.). Weder lassen sich Neh 7,4f. und 11,1f. der gleichen Redaktionsschicht zuweisen, noch lässt sich Neh 11,1f. als Fortschreibung von Neh 7,4f. begreifen. Daher muss der in Neh 11,1f. vollzogene Synoikismus in Jerusalem Teil der ursprünglichen Nehemiaerzählung gewesen sein. Neh 11,1f. lässt sich problemlos als Teil der Ich-Erzählung und damit als Äußerung aus der Perspektive Nehemias auffassen.133 Neh 8 gehört auf eine Ebene mit Esr 7–10. Die Verlesung der Tora und ihre Vermittlung ist die letzte Aufgabe, die Esra entsprechend dem Artaxerxesedikt hat. Sein unvermitteltes Auftauchen kann nur dazu dienen, den eigentlich unabhängigen Nehemia an ihn zu binden. In Neh 8 setzt sich damit die kompositionelle Funktion von Esr 7ff. fort. Doch kann dieser Zusammenhang mit Esr 7 noch nicht erklären, warum die Verkündigung der Tora im Zentrum der Nehemiaerzählung geschieht. Dies wird deutlich, wenn man beachtet, dass Neh 8 seine Funktion im Kontext der Nehemiaerzählung hat: Die Verlesung der Tora ist die institutionelle Grundlage für die korrekte Feier des Laubhüttenfestes (Neh 8,14), für das Lesen der Tora vor dem Bußgebet (Neh 9,3), für die ‫( אמנה‬Neh 10,29f.) und für die Auflösung der Mischehen (Neh 13,1–3134). Unabhängig von dem beginnend mit dem Zitat von Esr 2 eingebundenen Abschnitt Neh 7,4–8,18 ergibt sich folgender Handlungsablauf: Der Text setzt nach einer kurzen Überschrift mit der Selbstvorstellung Nehemias als Ich-Erzähler ein. Nehemia, ein Höfling beim persischen König, erlangt die Erlaubnis, nach Jerusalem zu ziehen (Neh 2,1ff.), um die Stadt zu erbauen. Nehemia erhält Begleitbriefe, die ihm Unterstützung dafür zusichern (Neh 2,9). Die Geschichte setzt von Anfang an voraus, dass es im Land Widerstand gegen den Wiederaufbau der Stadt gibt. Dieser wird mit den Namen Sanballat und Tobija verbunden. Es handelt sich ganz anders als in dem Text der späteren Komposition Esr 4 um eine nichtkultische Auseinandersetzung. Da die Befestigung der Stadt diskutiert wird, dürfte der Disput sich um die politische Bedeutung Jerusalems gedreht haben.135 Die Einführung der Widersacher zeigt, dass man sie als Protagonisten der (als feindlich gedachten) Nachbarn erscheinen lassen will. Doch konnte man sie nicht unumwunden zu Nichtjuden bzw. Nichtisraeliten erklären. Die Bezeichnungen ‫ סנבלט החרני‬und ‫ טוביה העבד העמני‬sind despektierlich. 133

Der Wechsel zwischen unpersönlicher Erzählrede und Ich-Erzählung stellt allerdings ebenfalls kein literarkritisches Problem dar. Siehe dazu oben, 261ff. 134 Vgl. dazu unten, 349. 135 Knoppers, Jews and Samaritans, 141, stellt fest: „The issues, then, are not so much cultic and religious as ethnic and political.“

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Doch die so Bezeichneten erscheinen damit lediglich als im Bunde mit Nichtisraeliten, und sie werden in Neh 2,20 gerade nicht als Ammoniter oder Moabiter bezeichnet.136 Die Verbindung der beiden Protagonisten mit Geschem, dem Araber, dient wahrscheinlich dazu, auch die beiden Personen, die man lediglich als Fremden nahestehend figurieren kann, zu diskreditieren.137 Nach einer Inspektion der Stadt beschließt man, die Mauern und Tore der Stadt wieder aufzubauen, was in Neh 3–4 erzählt wird. In Kapitel 4 eskaliert die Auseinandersetzung mit den Widersachern, sodass es erforderVgl. Gunneweg, Nehemia, 52.56. Sanballat ist aus TAD A 4.7:29 und A 4.8:28 am Ende des 5. Jh. als ‫ פחת שמרין‬bekannt. Seine Kinder tragen ebenso Jhwh-haltige Namen wie Tobija. Offensichtlich ist in dem Text die Herkunft der beiden Personen als bekannt vorausgesetzt. Darüber hinaus wird erwogen, ob sie Einfluss in Jerusalem hatten, gegen den die Nehemiaerzählung argumentiert. Vgl. Tyson, Ammonites, 113. Nach Edelman, Origins, 34, kann ‫ העבד העמני‬sowohl mit „der ammonitische Sklave“ als auch mit „der Knecht, der Ammoniter“ wiedergegeben werden. In ihrer Untersuchung entscheidet sie sich für Letzteres und spricht daher durchgängig von „Tobiah the Ammonite“ (ebd. 33ff.). Während grammatisch der Sachverhalt zwar mehrdeutig ist, lassen der Kontext und die Berücksichtigung der Pragmatik eine Entscheidung zu. ‫ עבד‬kann hier nicht die soziale Stellung des in Juda äußerst einflussreichen (so in Anschluss an Neh 6,18 auch Edelman, ebd.) Mannes bezeichnen. Daher kann es nur metaphorisch gebraucht sein, um Tobija als mit den Ammonitern besonders verbunden bzw. ihnen unterworfen zu charakterisieren. Man hätte ihn mit ‫ טוביה העמני‬besser diskreditieren können, wenn er tatsächlich Ammoniter gewesen wäre oder ammonitische Verwandte gehabt hätte. Dasselbe dürfte bei ‫סנבלט‬ ‫ החרני‬der Fall sein. Nach Mittmann, Tobia, Sanballat, 16, war er „Feudalherr des Hauran“. Nehemia betont dann ebenso Sanballats Bezug nach Transjordanien, benutzt nicht seinen Titel und geht nicht auf seine genealogische Herkunft ein. Die Zenonpapyri bezeugen, dass Hauran zum ptolemäischen Territorium gehörte. Vgl. Tcherikover, Hellenistic Civilization, 61. Nach Knoppers, Jews, 147f., wird mit ‫ החרני‬dagegen die Herkunft aus einem kleinen Ort in der Schefela bezeichnet. Dann würde damit seine Bedeutung herabgesetzt. – Edelman, Seeing Double, 571, hat vorgeschlagen, dass die Erwähnung von Tobija „reflects two different historical figures named Tobiah who lived some 200 years apart. One was a wealthy member of the gōlâ-community who returned to Yehud ca 460 BCE and was involved in the rebuilding and resettling of Jerusalem, while the other was the head of a division of cavalrymen stationed at a fort in Ammon ca 250 BCE, whose son served as a tax collector in Yehud on behalf of the Ptolemaic rulers.“ Sie vermutet, dass die Anspielung auf den ptolemäischen Beamten auch die Darstellung beeinflusst. Tcherikover, Hellenistic Civilization, 64, hielt es für wahrscheinlich, dass der in Nehemia erwähnte Tobija der Vorfahr des Tobija aus dem 3. Jh. war. Vgl. ebd., 584. – Gunneweg, Nehemia, 56, hat überlegt, ob ein Widerspruch zu der Thematik der Begleitbriefe (Neh 2,7–9) besteht, da diese bei der Auseinandersetzung keine Rolle spielen. Doch wird das Thema der Briefe bereits in der Esrageschichte rezipiert und Esra gegenüber Nehemia hervorgehoben, wobei dies natürlich auch übergreifend gestaltet sein könnte. Doch besteht nicht unbedingt ein Widerspruch im Kontext. Man könnte die Briefe an die übergeordnete Instanz, d.h. an den Satrapen von Damaskus, gerichtet haben. Hinzu kommt, dass die Widersacher in 2,10 ja von Nehemias Ankunft hören und sich an seinem Engagement stören. Dies heißt zu136

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lich wird, Wachtposten aufzustellen. In Kapitel 5 greift Nehemia in soziale Probleme ein. Es besteht ein großes Schuldenproblem, das angeblich bereits dazu geführt hat, dass Personen in die Unfreiheit gelangt sind. Das Problem wird in der Weise gelöst, dass ein Erlass der Schulden vereinbart wird. Man sichert das mit einem Eid in Anwesenheit der Priester und durch einen Fluch, der mit einer Zeichenhandlung verbunden ist, was darauf abzielt, dass jene, die sich weigern, ihr Haus und Einkommen verlieren mögen. Im Kontext dieser Vereinbarung wird von Nehemia auf einen Verzicht auf seine Einkünfte als Statthalter verwiesen (Neh 5,14), wobei dies die erste Stelle ist, an der explizit seine Funktion erwähnt wird. Wichtig an dem Passus ist, dass Nehemia hier das erste Mal für ein religiös begründetes und kultisch begleitetes soziales Handeln der Gemeinschaft verantwortlich ist.138 Die Mauer wird am 25. Elul fertiggestellt. Explizit wird nun deutlich, dass es sich um eine innerjüdische bzw. innerisraelitische Konfrontation handelt (Neh 6,17f), an der Judäer im Umfeld Jerusalems beteiligt sind. Nach der Fertigstellung der Mauer wird deren Bewachung und die Öffnung der Tore geregelt (7,1–3). Es folgte entsprechend der Analyse ursprünglich eine Zusammenkunft einer Gruppe zu einem Fasten, das mit einem Bußgebet verbunden ist (Neh 9,1ff.). Daher handelte es sich um eine Klagefeier, wie sie seit der Tempelzerstörung in Jerusalem im Kontext des einstigen Wallfahrtsfestes begangen wurde.139 Die Gruppe sondert sich von Fremden ab und bekennt sich ganz im deuteronomistischen Sinne zur eigenen Schuld und zur Schuld ihrer Väter. Die Klageveranstaltung mündet in die religiöse Vereinbarung, die ‫אמנה‬, den eigentlichen Höhepunkt der Nehemiaerzählung. Die Spitzenstellung Nehemias lässt darauf schließen, dass er wie in Neh 5 als hauptverantwortliche Person bei dem gemeinschaftlichen Handeln gedacht ist. Man verpflichtet sich allgemein auf die Einhaltung der Tora, doch speziell wird der Verzicht auf das Konnubium mit den Völkern des Landes (10,31), die Einhaltung des Sabbats (10,32) und der Unterhalt des Tempels (10,33–40) genannt. Der weitere Kontext legt nahe, dass direkt im Anschluss durch Los entschieden wird, wer in der Stadt wohnen soll, gleich, dass sie offiziell nichts zu unternehmen vermochten, weil im Hintergrund die königliche Duldung und die Privilegierung standen. So impliziert der Zusammenhang eher den Ungehorsam der Samarier gegen die Privilegierung Nehemias durch die Begleitschreiben des Königs. 137 Vgl. Neh 2,19; 6,1f. Im Kontrast zu den beiden Figuren wird Geschem, der Araber, als Nichtisraelit ausgewiesen. 138 Hier bestätigt sich der Zusammenhang mit Neh 10, den Bautch, Covenant, 22, in Neh 5,12f. sieht. Der ebenfalls vorhandene Zusammenhang mit Esra 9 dürfte aufgrund der Rezeption der älteren Nehemiaerzählung bei der Abfassung der Esrageschichte zustande gekommen sein. 139 Siehe dazu oben, 322ff. Allgemein Veijola, Verheissung in der Krise, 208–210.

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was den Mauerbau und die Sicherung der Stadt ebenso aufnimmt wie die Feststellung, dass die Stadt noch wüst sei und Häuser noch nicht gebaut waren. Ein Fremdkörper scheint zu sein, dass man in Kap. 13 beim Lesen der Tora auf Dtn 23,4ff. trifft und sich aufgrund dessen alles fremde Volk (‫ )ערב‬aus Israel aussondert. Denn danach wird speziell die Auseinandersetzung mit dem Widersacher Tobija noch einmal aufgenommen, und erst nach der Regelung der Anteile der Leviten, der Durchsetzung von Regelungen des Sabbates kommt es zu der Auflösung von Ehen mit Frauen aus Aschdod, Ammon und Moab, als hätte es nicht zuvor schon eine Trennung von Fremden gegeben. Der gesamte Zusammenhang wird wesentlich durch das Handeln Nehemias bestimmt und dadurch, dass eine bestimmte Gruppe von Juden sich in Jerusalem engagiert und insbesondere den Unterhalt des Tempels dort sichert. Der refrainartige Bezug der Gaben für den Tempel Jhwhs ist durch die Anwesenheit auf Jerusalem bezogen.140 Es handelt sich um eine religiöse Geschichte, die berichtet, wie ein Jude die Gunst des Königs erwirkt und so zum Wohltäter für sein Volk in Jerusalem werden kann. Die Auseinandersetzung mit Sanballat und Tobija ist zwar in Neh 3,35 und 4,1 mit jener der Nachbarvölker verbunden, doch zeigt letztlich abschließend Neh 13,4ff. noch einmal, dass es um eine innerjüdische bzw. innerisraelitische Auseinandersetzung gehen muss. Da Sanballat als Statthalter in Samaria außerbiblisch erwähnt wird und seine Söhne Jhwh-haltige Namen tragen, ist es nicht von der Hand zu weisen, dass es hier bereits um eine Auseinandersetzung mit den Samariern geht, die trotz der Polemik (noch) als jüdische bzw. israelitische Bewohner des Landes galten. Sie wurde ursprünglich in der Nehemiaerzählung noch nicht als eine Frage der Zugehörigkeit zu Israel thematisiert. Die Auflösung von Mischehen beschränkt sich demgegenüber auf Personen, die mit Frauen aus den Nachbarvölkern die Ehe geschlossen hatten (Neh 13,23ff.).141 140

Dieser betonte Zusammenhang könnte zeigen, dass auch die so auf den Tempel in Jerusalem bezogene ‫ אמנה‬schon im Gegenüber des auf dem Garizim existierenden Tempels geschah. Für die intendierten Adressaten dürfte dieser Hintergrund eindeutig gewesen sein, so dass das Schweigen zum Garizim in der Nehemiaerzählung nicht überzubewerten ist. Vgl. dazu Pummer, Samaritans in Flavius Josephus, 142. 141 Es ist sehr wahrscheinlich, dass Neh 13,1f. ähnlich wie die Verlesung der Tora in Neh 8 vor allem im Zusammenhang des Laubhüttenfestes der Mischehenproblematik vorangestellt worden ist, wodurch Nehemias Initiative an den Rand gedrängt wird, aber die abschließende Auseinandersetzung um Eljaschib (Neh 13,4f.) auch im direkten Anschluss an die Auseinandersetzung mit den Fremden steht. So auch bereits Gunneweg, Nehemia, 164, zu Neh 13,1–3: „Wenn auch literarisch mehrschichtig, verfolgt die doppelte Überleitung 12,44–47; 13,1–3 doch insgesamt dasselbe Ziel, den Bericht Nehemias über seine verschiedenen Maßnahmen in die chronistisch-nachchronistische Erzählung einzubauen: Nichts Neues veranlaßte Nehemia, keine grundsätzliche Reform führte er durch, sondern

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Die Situationsbeschreibung in Neh 1, aber auch die sozialen Probleme, die in Neh 5 auftauchen, und der Schluss des Bußgebetes Neh 9,36f., wo das Leben unter der Fremdherrschaft ausdrücklich als Sklavenexistenz beschrieben wird, scheinen nicht um die Privilegierung, die für die Juden und den Tempel in der Tempelbauerzählung und in der Esrageschichte vorausgesetzt ist, zu wissen. Beachtet man die Auseinandersetzungen, die sich mit den Nachbarn zutragen, gegen die Jerusalem die Stadtmauer zu verteidigen meint, hat man den Eindruck, dass von den Persern das Zusammenleben in der Provinz nicht geregelt wird. Abgesehen von der einmaligen Privilegierung des Nehemia kommen die Perser nur als jene in den Blick, die aufgrund der Steuern soziale Probleme verursacht haben.

10. Die hermeneutischen Strategien bei der Rekontextualisierung des Bundes in Neh 10 durch die Voranstellung von Neh 7f. Neh 10,1 verweist auf den nachfolgenden Text, der mit einer weiteren Namensliste beginnt, und betont die Schriftlichkeit der Bundesverpflichtung. Es kann angesichts dessen kein Zufall sein, wenn man dem im NehemiaBuch die Zitation eines angeblichen älteren Zusammenhanges vorangestellt hat, der von Nehemia aufgefunden worden sei. Der Ich-Erzähler Nehemia präsentiert in der jetzigen Komposition also zwei dokumentarische Texte, die aufgefundene ältere Liste und das ‚aktuelle‘ Zeugnis des Bundesschlusses, an dem er als Erstunterzeichner maßgeblich beteiligt ist. Abgesehen von der übergreifenden Absicht, Nehemia in Neh 7,5 als Zeugen für den veränderten Wortlaut der in Esr 2 verarbeiteten Liste zu nutzen,142 dient die Liste in Neh 7,6ff. außerdem dazu, den Abschnitt Neh 10 zusammen mit dem Bußgebet in ein anderes Licht zu rücken. Denn die Einfügung der Liste dient nicht dazu, den Synoikismus in Jerusalem zu begründen, von dem in Neh 11,1f. berichtet wird.143 Vielmehr geht es darum, das beim siebenten Monat aufgrund des nahenden Festes zusammenkommende Volk zu definieren.144 Denn es folgt in Neh 8,1 die Zusammenkunft des ganzen Volkes (‫)כאיש אחד‬. Das ganze Volk stellt entsprechend Neh 7 die aus der Rückkehrerschaft bestehende (bzw. hervorgegangene) jüdische Bevölkerung dar. Denn aufgrund des Auffindens der Liste erübrigt sich die von Nehemia beabsichtigte Zählung. Dass dies eine auf Neh 10 bezogene Funktion er handelte nur als Sachwalter der zuvor konstituierten Theokratie und deren Gesetzen und Beschlüssen konform.“ 142 Vgl. dazu oben, 77ff. 143 Siehe dazu oben, 311f. 144 Siehe dazu oben, 312ff.

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Kap. 4: Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition

haben muss, ist bereits an der Struktur erkennbar. In Neh 10 folgt auf die Namensliste die Verpflichtung auf die Tora, und ganz entsprechend schließt sich in Neh 8 die Verlesung und Einführung der Tora an die Rückkehrerliste an. Die Listen hängen aber – wie gezeigt – auch inhaltlich zusammen. Denn eine ganze Reihe von Namen aus Esr 2//Neh 7 kehren in Neh 10 wieder. Da die Liste in Neh 7,6–72, aber auch in Esr 2 die mit dem Tempelbau verbundene Bevölkerungsliste aus dem Bereich der aramäischen Tempelbauchronik bereits in rekontextualisierter Form als Rückkehrerliste eingebunden worden ist, muss Neh 10 ursprünglich mit der Esr 2//Neh 7 zugrunde liegenden Liste verbunden gewesen sein. So erklärt sich letztlich die überraschende ausführliche Zitation in ein und demselben literarischen Zusammenhang auch aufgrund der Korrektur des zugrunde liegenden älteren Textes.145 Denkbar ist, dass ein engerer Zusammenhang zwischen der aramäischen Tempelbauchronik mit der zu diesem Zeitpunkt noch enthaltenen Bevölkerungsliste und der ursprünglichen Nehemiaerzählung existiert hat.146 Es ergeben sich in der durch die Einbindung von Neh 7f. veränderten Struktur folgende inhaltliche Implikationen für die Gesamtgeschichte: Das ganze Volk kommt zusammen, d.h. entsprechend der vorliegenden Konzeption jene, die aus dem Exil zurückgekehrt sind. Dabei wird die Tora verlesen und damit entsprechend Dtn 31 Jerusalem als Zentrum erwiesen. Im Zuge der Verlesung der Tora wird die Feier des Festes der Tora entsprechend ausgerichtet. Auch dies betont den Bezug zwischen der Tora und Jerusalem. Denn eine Feier der Tora entsprechend der Tora (Neh 8,15) muss an dem Ort stattfinden, der von Jhwh nach Dtn 16,13–15 erwählt worden ist. Immer wieder wird mit ‫ כל העם‬die Anwesenheit des ganzen Volkes betont (Neh 8,1.3.5f.9.11–13). Das geschieht nirgendwo sonst im NehemiaBuch so dezidiert. Ausdrücklich heißt es dann auch, dass das ganze Volk das Fest in Festfreude begeht (8,12), weil es die gelesenen Worte verstanden hat. Diese außergewöhnliche Betonung der Anwesenheit des ganzen Volkes hat ihre Funktion in der nachfolgenden ursprünglichen Zusammenkunft. Im jetzigen Ablauf handelt es sich dabei um ein zweites nachfolgendes Treffen. Ohne, dass man in Neh 9,1 explizit ausdrücken muss, dass das ganze Volk sich versammelt, wird durch die direkt vorangehende Versammlung der Eindruck erweckt, als handle es sich um eine äquivalente Versammlung 145

Ein wichtiges Indiz für den Zusammenhang ist, dass die in der Rückkehrerliste erwähnten Sippen, deren Herkunft nicht bestätigt werden kann, in einem Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen im Nehemia-Buch stehen dürften. Vgl. dazu oben, 76. 146 Im vorliegenden Gesamtkontext wird der Zusammenhang durch das zweimalige Auftreten Esras in Esr 7–10 und Neh 8 aufgebrochen, gleichzeitig aber durch die Wiederholung der Liste wieder hergestellt. Da es Hinweise gibt, dass die Nehemiaerzählung ursprünglich wie Esr 5f. aramäisch abgefasst war (vgl. dazu Marcus, Nehemiah, 104–110), könnte man an einen aramäischen Zusammenhang denken. Doch bleibt das Spekulation.

10. Die hermeneutischen Strategien bei der Rekontextualisierung des Bundes

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des ganzen Volkes. Dass man damit das Konzept von Neh 9 nur durch die Voranstellung von Neh 7f. verändert hat, lässt erkennen, dass in der Vorlage tatsächlich nur von einer begrenzten Gruppe die Rede war. Man will so bewirken, dass man das ältere Konzept der verarbeiteten Vorlage im Lichte von Neh 8 versteht. Die Feststellung in Neh 9,2, dass sich der ‫זרע ישראל‬ von allen Fremden absondert, erhält dadurch eine andere Bedeutung, indem nun von Neh 8 her nahegelegt wird, dass alle Angehörigen der Rückkehrer als das ganze Volk Israel sich von Fremden absondern und diesen gegenüberstehen. Vermeintlich das ganze Volk hört dann weiterhin die Tora und bekennt die Sünden und vermeintlich das ganze Volk wird in Neh 10 von den 84 Unterzeichnern vertreten. Dem Zusammenhang mit der Rückkehrerliste in Neh 7 kommt bei dieser Rekontextualisierung eine ganz besondere Bedeutung zu. Die übereinstimmenden Namen sollen so die personale Kontinuität der Rückkehrerschaft mit dem Volk des Bundesschlusses dokumentieren. Aus einem partikularen Bund, der auch gegen innerjüdische Widersacher gerichtet ist, und aus einer innerjüdischen bzw. innerisraelitischen Auseinandersetzung wird ein Konflikt zwischen innen, d.h. dem Volk Israel, und außen, d.h. den Nachbarn der Jerusalemer Juden. Die Widersacher des Nehemia-Buches, die sich mit den Nachbarn verbünden, und die auf die Nachbarn bezogene Mischehenproblematik (vgl. Neh 13,1ff.) sollen im Lichte der Polemik gegen die Widersacher aus dem angeblichen Mischvolk in Samaria, deren Vertreter sich als Fremde vorgestellt hatten, gesehen werden. Im Hintergrund dieser Kontextualisierung des Textes durch Neh 7f. dürfte wie im Grundtext die Auseinandersetzung mit der entstehenden Gemeinschaft der Samaritaner stehen. Doch durch die Behauptung, dass das ganze Volk beim Fest in Jerusalem anwesend ist, wird daraus nun indirekt eine Auseinandersetzung zwischen Juden und nichtjüdischen bzw. nichtisraelitischen Nachbarn. Entsprechend kann es nicht verwundern, dass Esra in Neh 8 die Tora entsprechend dem Konzept von Deuteronomium 31 in Jerusalem verkündet. Dies geschieht, um zu signalisieren, dass der Tempel in Jerusalem der von Gott erwählte Ort ist. Zugleich wird die Auslegung der Tora auf Jerusalem hin zugespitzt. Eine möglicherweise partikuläre Interpretation der Tora, die die Unterhaltung des Jerusalemer Tempels im Blick hatte in der ursprünglichen Kontextualisierung von Neh 10, wird so zu der einzig möglichen Interpretation. Für diese radikale Konzeption hat man das Konzept der Volksgruppe, die sich in Neh 10 (siehe Neh 10,29) auf die Tora verpflichtet, genutzt. Doch gehören zum Volk in Juda und Jerusalem nun ausschließlich die aus dem Exil zurückgekehrten Judäer und ihre Nachkommen. Andere kommen allerdings hinzu – so soll man Neh 10,29 nun im Lichte von Esr 6,21 lesen – als Glieder der vermischten Bevölkerung in der

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Kap. 4: Die Reden Nehemias als Teil der Esra-Nehemia-Komposition

Nachbarschaft. Diese haben sich den Rückkehrern in Jerusalem zugewendet. Die Übereinstimmung der Namen markiert eine Identität der Personen. Damit geht es bei dem Zusammenhang nicht nur um Kontinuität, sondern um tatsächliche Identität und um eine direkte Beziehung der Ereignisse besonders in Neh 10 mit den Anfängen in der nachexilischen Zeit. Der Zusammenhang zwischen Neh 7 und Neh 10 signalisiert, dass mehr als ein Viertel der in der Liste erwähnten Führer der Familien beim Bundesschluss anwesend ist und unterzeichnet. Esra verkündet also in Neh 8 den Rückkehrern und deren Nachfahren die Tora. Und diese sind es auch, die sich gleich im Anschluss zur Einhaltung der Tora und zum Unterhalt des Tempels verpflichten. Zwar implizieren die Unterschiede der Listen, dass sich personale Veränderungen vollzogen haben. Dies liegt auf einer Linie mit dem Rückverweis von Neh 7,5 auf die Zeit der Rückkehr, der ja einen Zeitabstand voraussetzt. Differenzen und Übereinstimmungen zeigen allerdings, dass im Höchstfall an einen zeitlichen Abstand von einer Generation, also von ca. 30 Jahren, gedacht sein kann. Die Einbindung von Neh 7f. in den Kontext der Nehemiageschichte führt damit zu einem Konzept, das unserer Kenntnis der Perserzeit und insbesondere der Erwähnung von Sanballat in den Elephantine-Papyri radikal widerspricht. Denn die Einführung der Tora und der Bundesschluss werden im abgeschlossenen Text der Nehemiageschichte sehr viel näher an das Exilsende herangerückt. Intendiert ist eine direkte Kontinuität mit dem Ende des Exils, die man für die Einführung der Tora und ihre Annahme durch das nachexilische Israel festhalten will. Die Betonung der Rückkehrerschaft zeigt, dass die Intention der Einfügung von Neh 7–8 nicht von der Konzeption in Esr 1–6 zu trennen ist. Der Bundesschluss nach der Rückführung und Verkündigung der Tora schließt damit die Restitution Israels nach dem Exil ab.

Kapitel 5

Synthese 1. Die hermeneutischen Strategien im Esra-Nehemia-Buch Die vom Kyrosedikt (Esr 1,2–4), dem Artaxerxes-Edikt (Esr 7,12–26) und der Liste in Neh 7,6–72 ausgehenden Untersuchungen haben gezeigt, dass im Esra-Nehemia-Buch die Intention des Gesamttextes in einem Vermittlungsprozess bei der Rekontextualisierung der zugrunde liegenden Textabschnitte entwickelt worden ist. Diese sind literarisch in die neue Komposition eingebunden worden, sodass sie nun Teil des neuen Kontextes sind. Bei der literarischen Vermittlung hat man den Kontext auf die rezipierten Abschnitte hin formuliert, die rezipierten Abschnitte aber auch im Wortlaut angepasst. Nie wurden einfach nur Zusätze gemacht ohne den Versuch einer inhaltlichen Vermittlung der Veränderung. Die Versuche, den neuen Text gegenüber dem übernommenen zu plausibilisieren, ließen darauf schließen, dass mit der Kenntnis der Vorlagen gerechnet wurde. Folgende Mittel werden angewendet: 1. Es wurden in Anschluss an Informationen aus den verarbeiteten Vorlagen oder äquivalent zu darin enthaltenen Textabschnitten dokumentarische Texte geschaffen, die einerseits Träger der Intention der Komposition wurden, andererseits die Aussage der verarbeiteten Texte an die Intention des Gesamttextes annähern sollten. 2. Man lässt immer wieder literarische Figuren als Zeugen auftreten, mit denen man die Intention absichern will. 3. Querverknüpfungen zwischen neuen und rezipierten Textabschnitten unterstreichen die Kohärenzstruktur der Endkomposition und sichern ihre Intention. 1.1. Dokumente Das Esra-Nehemia-Buch fällt neben den Zitationen von „Dokumenten“ durch seine vielen expliziten und impliziten Bezüge auf andere biblische Texte auf. Das Konzept, Dokumente zu platzieren, dürfte aber nicht bei der Erstellung der Endkomposition des Esra-Nehemia-Buches neu entwickelt worden sein. Die Wiedergabe von Dokumenten prägte auch schon die verarbeitete aramäische Tempelbauchronik, wobei diese insgesamt einen dokumentarischen Charakter trägt, als würden Ereignisse aus persischer Perspek-

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Kap. 5: Synthese

tive aufgezeichnet.1 Die aramäische Tempelbauchronik enthält vermeintliche Dokumente und spielt zugleich auf verschiedene biblische Texte an (vgl. Esr 5,11f.). Besonders auffällig ist dabei die Wiedergabe der Zentralisationsformel des Deuteronomiums durch den persischen König in Esr 6,12. Man hat bei der Abfassung der Esra-Nehemia-Komposition nicht nur inhaltlich verarbeitet, sondern auch auf diese angewandten Techniken zurückgegriffen. Zwischen den Verweisen auf biblische Texte und der Zitation bzw. vermeintlichen Zitation von Dokumenten besteht aber ein grundsätzlicher Unterschied. Die Bezüge auf die Tora und andere Texte der Hebräischen Bibel (abgesehen von der Chronik2) werden meist nur durch Verweisformeln, durch sehr kurze Zitate oder Anspielungen realisiert. Der Unterschied hängt davon ab, inwieweit bei den intendierten Adressaten die Kenntnis der Texte vorausgesetzt ist. Eine ausführliche Einfügung bzw. Zitation eines Dokumentes – unabhängig von der Frage der Authentizität – bedeutet zunächst vor allem, dass der Textabschnitt bei den intendierten Adressaten nicht (oder nicht in dem vorliegenden Wortlaut) als bekannt vorausgesetzt wird. Eine ausführliche Zitation, die zwar die Authentizität unterstreichen soll, ist so ein erster Hinweis darauf, dass es sich um eine literarische Bildung des Abschnittes handelt. Die knappe Art des Verweises auf biblische Texte und vor allem auf Texte aus der Tora ist umgekehrt ein Hinweis, dass sie akzeptierte Grundlagentexte waren. Wenn die Inhalte nicht wiedergegeben werden, sondern nur ein Verweis steht, dann muss der Bezug als akzeptiert angesehen werden. Und auch dort, wo Inhalte wiedergegeben werden, geschieht das nur so weit, wie ihr Verständnis infrage stand. Insbesondere die Toratexte standen in ihrer grundlegenden Autorität nicht mehr infrage.3 Auf diesen Unterschied ist unlängst M. Häusl gestoßen: „Es zeigt sich also, dass man im administrativen Kontext zu zitieren weiß und den zitierten Schriftstücken Autorität zukommt. Um so mehr fällt auf, dass die eigene religiöse Tradition nicht in der gleichen Weise zitiert wird.“4 „Die Tora liegt zwar schriftlich vor, für die Qualifizierung als Tora bzw. für die Anerkennung ihrer Autorität ist aber, wie es scheint, ihre Schriftlichkeit kein wesentliches Moment.“5 Der Unterschied erklärt sich, wenn man die Funktion der Verweise und Zitate auf der inhaltlichen Ebene (Erzählebene) und auf der pragmatischen Ebene berücksichtigt. Den vermeintlichen Zitaten wird auf der Erzählebene zwar höchste Autorität zugeschrieben, doch ausführ1

Siehe dazu oben, 156f. Siehe dazu unten, 387f. 3 Siehe zu den verschiedenen Arten der Bezugnahme oben, 23ff. 4 Häusl, Schriftrolle, 191. 5 Häusl, Schriftrolle, 191f. 2

1. Die hermeneutischen Strategien im Esra-Nehemia-Buch

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lich zitiert werden sie, um die intendierten Adressaten über ihren Inhalt zu unterrichten, damit sie ihrem Zusammenspiel mit dem Kontext folgen können. Ein Blick auf Neh 8,14f. zeigt, dass es sich bei den Verweisen bspw. auf Toratexte anders verhält. In diesem Kontext lernen die Israeliten auf der Textebene erst die konkreten Regelungen des Laubhüttenfestes kennen und richten ihr Handeln daran aus, während bei den intendierten Adressaten nicht nur die Kenntnis der Regelungen des Festes, sondern auch deren Bedeutung vorausgesetzt ist.6 Aus diesem Grunde reicht es, in Neh 8 auf die Regeln zu verweisen, und man muss nicht ausführlich aus Lev 23 oder Dtn 16 zitieren. Das Esra-Nehemia-Buch beginnt auch entsprechend mit dem Verweis auf das Wort des Propheten Jeremia und mit einer Anspielung auf Deuterojesaja. Beides steht nicht infrage. Mehr noch, beide Texte werden als Referenzgrößen und als Autorität aufgegriffen. Doch zitiert wird der vermeintliche Wortlaut des Kyrosediktes. Bei genauer inhaltlicher Betrachtung erweist sich dieser als literarischer Text, der in Anlehnung an die Paraphrase und die Wiedergabe eines Memorandums eines solchen Ediktes in Esr 5f. geschaffen worden ist. 6 M. Häusl diskutiert das Beispiel aus Neh 8 ebenfalls und folgert in Anschluss an T. Willi: „Dort, wo ein Text aus der uns bekannten ‚schriftlichen Tora‘ zitiert bzw. paraphrasiert wird, nämlich in Neh 8,13–18 und Neh 13,1–3, folgen dem ‚Zitat‘ keine Auslegungen, sondern Handlungen. Diese lassen sich jedoch nicht ohne weiteres aus dem ‚zitierten Toratext‘ herleiten. Das als zentral markierte Verstehen und die sich aus der Tora ergebenden Handlungen lassen sich also schlecht als Auslegung eines schriftlichen Textes deuten. Die Erzählung in Neh 8 legt vielmehr ein Verständnis der Tora nahe, wie es Thomas Willi beschreibt. Nach Willi ist das Verstehen dem Begriff der Tora immer schon zu eigen und nicht an deren Schriftlichkeit gebunden. ‚Bei ‫ תורה‬handelt es sich um eine Mitteilung, die das angesprochene Objekt ... zum Handeln und Aktivwerden veranlaßt.‘ Tora meint eine autoritative Unterweisung und den dadurch in Gang gesetzten Lernprozess“ (Häusl, Schriftrolle, 187f.). Dass nicht zitiert wird, heißt aber nicht, dass der schriftliche Text nicht im Blick ist, und auch nicht, dass er keine Autorität hatte. Es muss wahrscheinlich nicht zitiert werden, weil die Tora als Autorität vorausgesetzt wird. Nur so kann Tora im Sinne Willis Autorität sein, die zu lernen und im Handeln zu realisieren ist. Und daraus entwickelt sich dann das rabbinische Konzept der mündlichen Tora, wie man unschwer in Neh 10 erkennen kann. Willi, Wie geschrieben steht, 268, hebt hervor, dass die Referenzen im Esra-Nehemia-Buch „mit ihrer Erwähnung einer schriftlichen Fassung von Tora gerade nicht den Buchstaben, sondern die aktuelle Lehre, die Unterweisung in actu, im Blick“ haben. Wenn es um Akzeptanz und Realisierung der Inhalte der Tora, oder dessen, geht, was man als deren Intention ansieht, dann kann das nur mit „Erwähnung einer schriftlichen Fassung“ (Willi, ebd.) erreicht werden. Dies liegt auf einer Ebene mit dem, was Fishbane, Biblical Interpretation, 216, in Bezug auf Neh 10,37 festgestellt hat, dass nämlich mit wenigen Stichworten und der Formel ‫ ככתוב בתורה‬ein „entire exegetical complex was simply alluded“.

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Der hebräische Abschnitt in Esr 1,2–4 wurde dabei mit einer Art hermeneutischen Schlüssel versehen, wie sich die nun drei Versionen des Ediktes, Esr 1,2–4 und die beiden rezipierten älteren Erwähnungen in der aramäischen Tempelbauchronik, zueinander verhalten. Denn es wird behauptet, dass das Edikt unter Kyros in schriftlicher und mündlicher Form bekannt gemacht wurde. Esr 1 soll so gegenüber den angeblichen Ergebnissen dieser Bekanntmachungen in Esr 5f. als der ursprüngliche, authentische Wortlaut erwiesen werden. Umgekehrt sichert der integrierte Text der aramäischen Tempelbauchronik mit der zweifachen Erwähnung eines Edikts des Kyros die neue Konzeption. Der rezipierte und relativierte Text stützt so den neuen Kontext. Eine ähnliche Funktion hat die Liste der Kultgeräte in Esr 1,9f. Aus der aramäischen Tempelbauchronik wurden die Informationen über die Herausgabe der Tempelgeräte durch Kyros rezipiert. Die Liste dient dazu, die Darstellung als authentisch zu erweisen. Eine Notwendigkeit dazu mag man auch deswegen gesehen haben, weil in Esr 5 die Begebenheiten bei der Herausgabe der Geräte nur von den Ältesten der Juden dargestellt und weil sie in Esr 6 nur summarisch bestätigt werden. Gleichzeitig dient die Liste dazu, den Reichtum des Jerusalemer Tempels zu „dokumentieren“. Die Rückkehr der Kultgeräte zusammen mit der Rückkehr der Judäer und Benjaminiten markiert außerdem explizit das Ende des Exils. Wie das in Esr 7ff. für die Tora behauptet wird, kehren die Kultgeräte7 aus dem Exil zurück. Wiederum nutzt man die Erwähnung der Aushändigung der Kultgeräte unter Kyros in der aramäischen Tempelbauchronik dazu, die am Anfang von Esr 1–6 platzierte Liste und ihren Kontext als authentisch zu erweisen. Ein weiterer dokumentarischer Text ist die Liste in Esr 2. Sie stammt wahrscheinlich aus der aramäischen Tempelbauchronik und ist dort als Bevölkerungsliste erstellt worden, um die mit dem Tempelbau in Jerusalem verbundene Bevölkerung aufzuzeigen.8 Durch die Platzierung der Liste am Anfang von Esr 1–6 und durch die Rekontextualisierung vor allem mit Hilfe der Rahmung9 ist sie zur Rückkehrerliste umgestaltet worden. Sie nimmt die aus dem Kontext der aramäischen Tempelbauchronik entnommene und nun dort inhaltlich fehlende Liste vorweg. Präsupponiert wird die Kenntnis der Vorlage mit der enthaltenen Liste. Doch der von der Rückkehrerliste in Esr 2 herkommende Rezipient soll sie mit der in der aramäischen Tempelbauchronik erwähnten Liste identifizieren. Dass man die Liste wiedergibt, hängt damit zusammen, dass man die aramäische Tempelbauchronik ebenfalls rekontextualisiert, aber auch damit, dass man die Liste gegenüber ihrer Vgl. Karrer, Verfassung, 350. Siehe dazu oben, 73ff. 9 Siehe dazu den nächsten Abschnitt. 7

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Vorlage aktualisiert hat. So soll man der Rückkehrerliste in Esr 2 aufgrund der früheren Platzierung im Handlungsablauf den Vorzug gegenüber der in der Vorlage erwähnten Liste geben. Dadurch wird behauptet, dass diejenigen, die in Esr 5f. für den Tempelbau verantwortlich sind, mit den Rückkehrern von Esr 2 identisch sind. Dasselbe wird auch durch die Eröffnung des Tempelbaus in Esr 3,1ff. für die aramäische Tempelbauchronik vorgegeben. Die Bevölkerung, die am Tempel in Esr 5f. baut, und ihre Repräsentanten, die Ältesten der Juden (‫)שבי יהודיא‬, sind mit der Rückkehrerschaft von Esr 2 identisch. Die Rückkehrerliste wird vom Ich-Erzähler Nehemia in Neh 7,4f. aufgegriffen und danach zitiert. Die Figur des Nehemia bezeugt so die Authentizität der Liste in Esr 2.10 Indirekt wird die Authentizität von Esr 8 und damit der gesamte Zusammenhang der Esrageschichte von Nehemia als authentisch erwiesen. So bezeugt Nehemia als Figur der Vergangenheit – bekannt ist er aus der rezipierten Nehemiaerzählung – gegenüber den intendierten Adressaten die Authentizität dessen, was im Esrabuch berichtet wird. Letztlich wird er in einen älteren literarischen Zusammenhang als Zeuge eines jüngeren Textzusammenhangs eingetragen.11 Beim Abschluss der Komposition des Esra-Nehemia-Buches hat man sich zu einer nochmaligen Wiedergabe der Liste entschlossen, weil ihre Vorlage aus der aramäischen Tempelbauchronik einen abweichenden Wortlaut und eine abweichende Intention hatte. So wird mit der Wiedergabe der Liste durch die Figur Nehemia deren Rekontextualisierung in Esr 2 gestützt. Die Wiederholung der Liste in einem zweiten Kontext unterstreicht noch einmal, dass die anders geartete Vorlage der Liste bei den intendierten Adressaten noch als bekannt vorausgesetzt wird. So soll die Wiederholung die Authentizität der veränderten Liste gegenüber ihrer Vorlage unterstreichen. Der zweimalige parallele Gebrauch der Liste, um das feiernde Volk zu definieren, ist daher kein literarkritisches Argument, sondern dokumentiert eine übergreifende Gestaltungsabsicht.12 Abgesehen vom Kyrosedikt finden sich weitere ‚fingierte‘ Dokumente in der Komposition. Zu nennen ist an erster Stelle der im Vorspann zur aramäischen Tempelbauchronik platzierte Verleumdungsbrief mit dem Antwortschreiben des Königs (Esr 4,9–22). Die beiden Schreiben dienen dazu, die Manipulation der persischen Oberherrschaft durch die „Widersacher“ aufzuzeigen. Das Verleumdungsschreiben (Esr 4,9–23) ist für die jüdischen Siehe dazu unten, 364f. Siehe dazu oben, 59. 12 So auch Eskenazi, Age, 182, wobei sie allerdings den Zusammenhang mit dem Kyrosedikt sehr eng sieht: „the repetition of the list indicates that these diverse stories constitute a single major event: the building of God’s house by the people of God in accordance with a decree.“ 10 11

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Adressaten des Gesamtzusammenhangs als solches erkennbar gewesen. 13 Es ist so formuliert worden, dass die negative Reaktion des persischen Königs verständlich wird. Anders als die intendierten jüdischen Adressaten versteht der König die Anspielungen und verzerrten Wiedergaben der Geschichte Israels als berechtigten Anlass für ein Eingreifen in Jerusalem. Die falschen Behauptungen und Anspielungen öffnen so die Handlung zugleich für die nachfolgende aramäische Tempelbauchronik. Die beiden Schreiben bilden ein Pendant zu deren ‚Dokumenten‘ und gehören insgesamt zur Rekontextualisierung der aramäischen Tempelbauchronik.14 In Esr 7 ist ein weiteres Schreiben des Artaxerxes den ‚Dokumenten‘ der aramäischen Tempelbauchronik an die Seite gestellt worden, was ebenfalls ihrer Rekontextualisierung dient. Dieses unterstreicht die auf der Erzählebene dargestellte Behauptung, dass Esra vom persischen König weitreichende Privilegien zugestanden worden sind. Zusammen mit den anderen dokumentarischen Texten in Esr 1–6 wird so eine fortschreitende Privilegierung des Jerusalemer Tempels und der Juden, die aus dem Exil zurückgekehrt sind und sich wieder im Lande befinden, aufgezeigt. An allen dokumentarischen Texten, zu denen man noch die Namenslisten Esr 8; 10; Neh 3; 11–13 hinzunehmen kann, zeigt sich, dass sie mit der Handlung eng verzahnt sind und Behauptungen der Erzählebene durch vermeintliche Zitationen unterstreichen. Das ist beim Kyrosedikt der Fall, das die Erweckung des Geistes des Kyros in Esr 1,1 bezeugt. Das ist ebenso in der Liste der Kultgeräte der Fall, die die parallele Aushändigung der Kultgeräte durch Kyros unterstreicht. Und das ist auch bei der Rückkehrerliste der Fall, die einerseits die vorher erwähnte Rückkehr mit Zahlen und Gruppennamen manifestiert und andererseits aufzeigt, was konkret in Esr 3,1 und parallel dazu in Neh 8,1 unter dem Zusammenkommen des Volkes zu verstehen ist. In Esr 4,8ff. dokumentiert das Schreiben von Rehum und Schimschai die zuvor erwähnten Versuche der Widersacher, die Perser gegen den Tempelbau in Jerusalem zu vereinnahmen. Das Begleitschreiben des Artaxerxes dokumentiert die Privilegierung Esras und die Akzeptanz des Gottes Israels durch den König.15 Anders verhält es sich nur bei den Dokumenten in der aramäischen Tempelbauchronik.16 Diese sind stattdessen integrale Bestandteile von deren Handlung und dienen dort nicht primär der Unterstreichung der Aussagen der Erzählebene. Der Unterschied zeigt, dass die 13 Siehe dazu die Analyse oben, 92ff., und die Überlegungen zum Zusammenhang von Esr 4–6 oben, 171ff. 14 Siehe oben, 171ff. 15 Willi, Esra, 20, meinte zuletzt, dass umgekehrt der Erzählfaden dazu diene, „die verschiedenen Urkunden zu vermitteln, sie ein- und auszuleiten und zu gewichten“. 16 Siehe dazu oben, 157. Dort vollzieht sich die Handlung in den Dokumenten, der Rahmen dient dort nur der Vermittlung, wie Willi, Esra, 20, meint.

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aramäische Tempelbauchronik ein rezipierter Textabschnitt ist. Die Platzierung des Kyrosediktes am Anfang des Esrabuches und ihr Bezug zur aramäischen Tempelbauchronik zeigen, dass der Verfasser der Esra-NehemiaKomposition seine Technik im Zuge dieser Übernahme entwickelt hat.17 1.2. Rekontextualisierung An erster Stelle bin ich in der Synthese auf die vermeintlichen Dokumente als Mittel, die Authentizität der dargestellten Handlung zu erweisen, eingegangen, da sie im Esrabuch im Vordergrund stehen und jeweils auch an Schlüsselstellen der Handlung auftauchen. Die im Folgenden aufzuzeigende Praxis der „Rekontextualisierung“ von literarischen Textabschnitten, die ursprünglich eine andere Funktion und möglicherweise auch einen anderen Kontext hatten, lässt sich nicht streng vom Gebrauch der „Dokumente“ als Mittel der Vermittlung trennen. Der Unterschied besteht vor allem darin, dass die Kenntnis der explizit als Dokumente präsentierten Textabschnitte bei den intendierten Adressaten in der Regel nicht vorausgesetzt ist, während bei den rekontextualisierten Textabschnitten die Kenntnis für die Integration eine wesentliche Rolle spielt. Außerdem spielen die vermeintlichen Dokumente eine wichtige Rolle bei der Rekontextualisierung. Die Behandlung der Rekontextualisierung muss natürlich berücksichtigen, dass der neue Kontext letztlich der Gesamtkontext des Textes ist. Denn in einem literarischen Text stehen ja alle seine Teile über die gemeinsame Thematik und die übergreifende Intention in einem Verhältnis zueinander. Und in der Tat finden sich Hinweise darauf, dass die Präsentation der älteren, verarbeiteten Abschnitte weiträumig vorbereitet wird. Doch Zugang zu den Verfahren der Rekontextualisierung bietet zunächst der direkte Kontext. a) Die Rückkehrerliste in Esr 2 Der erste Textabschnitt, der wohl aus einem anderen literarischen Kontext in den Ablauf des Esrabuches integriert worden ist, ist die Rückkehrerliste (Esr 2). Sie wird in Neh 7,5 als „Dokument“ eingeführt und zitiert (Neh 7,6–72). Der ursprünglich als Bevölkerungsliste konzipierte Abschnitt erweist sich insbesondere durch die transformierte Überschrift (Esr 2,1f.// Neh 7,6f.), durch den neuen Kontext im Anschluss an Kyrosedikt und Rückkehr und zusätzlich durch den Hinweis auf die Rückkehr in Neh 7,5b als Rückkehrerliste. Besonders die Transformation der Überschrift und der beibehaltene Charakter der Liste (Bevölkerungsgruppen) lassen erkennen, 17 Dies ist besonders gut bei der Gestaltung der Esrageschichte erkennbar, die sich an Esr 1–6 und an die dort enthaltenen „Dokumente“ formal und inhaltlich anlehnt. Vgl. oben, 278ff.

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dass die ursprüngliche Liste bei den intendierten Adressaten als bekannt vorausgesetzt wird. Dafür spricht auch, dass man Verweise auf die ursprüngliche Liste in der aramäischen Tempelbauchronik stehen gelassen hat. Gegenüber diesem ursprünglichen Ort der Liste und gegenüber dem ursprünglichen Wortlaut soll Esr 2 von den Adressaten des Buches als authentisch akzeptiert werden. Dem dient ihre Präsentation im direkten Zusammenhang der Kultgeräteliste. Die Verarbeitung der Liste als Rückkehrerliste zeigt, welche Verfahren bei der Rekontextualisierung angewendet wurden. So hat man die Liste zwar in der Überschrift umformuliert, dabei aber die ursprüngliche Bestimmung der Liste erkennbar gelassen. Die umständliche Formulierung an der Stelle zeigt, wie man nach einem Weg gesucht hat, den ursprünglichen Wortlaut im Sinne der neuen Komposition zu interpretieren. Man hat also nicht einfach eine neue Überschrift vor die Liste gesetzt und behauptet, dass die in der Liste aufgeführten Personen Rückkehrer sind, sondern hat die Themen Rückkehr und Bewohnerschaft verbunden und so die Bewohner zu Rückkehrern gemacht bzw. umgekehrt: Im vorliegenden Kontext werden die Rückkehrer zu den Bewohnern, was sie im Folgenden im Buch und auch in den verarbeiteten Vorlagen sind. 18 Gleichzeitig hat man den Übergang von der Liste zum Erzähltext genutzt, die Identität des Volkes klarzustellen, indem behauptet wird, dass das ganze Volk zum siebenten Monat zusammenkommt (Esr 3,1a). Die Vorschrift der Tora, dass das ganze Volk bei den drei Wallfahrtsfesten am Zentralheiligtum zusammenkommen soll, ist präsupponiert. Die Erwähnung des Monats des Laubhüttenfestes stellt also klar, dass die Rückkehrerschaft mit dem zusammenkommenden Volk identisch ist. Dasselbe Verfahren wird ein zweites Mal in Neh 7,72–8,1 angewendet. Dieselbe Liste dient dort wiederum dazu, zu dokumentieren, welches Volk anwesend ist. Alle nachfolgenden Ereignisse werden von der Versammlung des ganzen Volkes – und das heißt nach 7,6–72 von den Rückkehrern bzw. ihren Nachfahren – getragen. Die zweimalige parallele Nutzung der Liste, um das nachfolgend feiernde Volk zu definieren, zeigt die übergreifende Absicht bei der Einfügung der Liste an den beiden Stellen. Bezogen ist dies beide Male auf die ursprüngliche Intention der verarbeiteten Vorlagen (aramäische Tempelbauchronik und Nehemiaerzählung). Ausgerichtet auf diese wird die eigene Intention der Gesamtkomposition interpretativ und harmonisierend entwickelt.19 Die Liste, deren Vorlage möglicherweise ursprünglich wie die aramäische Tempelbauchronik aramäisch abgefasst gewesen sein dürfte, wurde für die Rekontextualisierung nicht nur ins Hebräische übertragen, sondern auch in18 19

Siehe oben, 63. Siehe dazu unten, 377f.

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haltlich verändert. Dies geschah durch eine Kürzung im Bestand der Gruppen, die erkennbar ist, weil die Gesamtzahl stehen gelassen wurde. Möglicherweise werden Gruppen- und Ortsangaben, die der Rückkehr widersprachen, weggelassen. Außerdem hat man am Schluss des Abschnittes die mit dem Tempelbau in Verbindung stehenden Aussagen reduziert. Neben der Rahmung und der Anpassung des Inhaltes – soweit sich dies feststellen lässt20 – gehört zur Rekontextualisierung schon das Kyrosedikt. Dieses dient ja der Ermöglichung der Rückkehr der Israeliten. Ebenfalls zur Rekontextualisierung im größeren Kontext gehört dessen Realisierung in Esr 1,5, wo man die in Esr 2 aufgelisteten Gruppen als die Sippen, die den Häuptern der Sippen angehören, auftreten lässt. Außerdem wird an dieser Stelle für das gesamte abgeschlossene Esra-Nehemia-Buch vorgegeben, dass es sich bei den Rückkehrern um Judäer, Benjaminiten, Priester und Leviten handelt. b) Die aramäische Tempelbauchronik Die aramäische Tempelbauchronik wird in zwei Abschnitten in Esr 1–6 präsentiert (Esr 2 und 5f.). Dass auch die Liste in Esr 2 ursprünglich zu ihr gehört, legte sich deswegen nahe, weil darin noch eine Liste von Personen erwähnt ist, die für den Tempelbau verantwortlich sind. Die Esr 2 zugrunde liegende Liste entspricht inhaltlich dem, was die Thematisierung der Liste in Esr 5 erwarten lässt.21 Die Rekontextualisierung des Hauptteils der aramäischen Tempelbauchronik wird ganz parallel zur Einbindung der Bevölkerungsliste realisiert. Im weiteren Kontext dient das Kyrosedikt mit seinem Bezug auf die beiden Versionen des Edikts in Esr 5f. ihrer Vorbereitung und zugleich als hermeneutischer Schlüssel.22 Die ältere eingebundene Tempelbauchronik sichert dabei umgekehrt die Authentizität des Kyrosediktes in Esr 1,2–4. Kontext und verarbeiteter Text stützen sich damit gegenseitig, obwohl das Kyrosedikt in Esr 1 dazu dient, die beiden ursprünglichen Versionen des Edikts in Esr 5f. zu relativieren und zusammen schon mit dem Verweis auf das Erwecken des Geistes des Kyros durch Jhwh (Esr 1,1) die späteren Erwähnungen des Edikts theologisch einzuleiten und so von Anfang an als Heilshandeln Jhwhs erscheinen zu lassen. Dieser Aspekt spielte in Esr 5f. ursprünglich kaum eine Rolle. Zur Rekontextualisierung der aramäischen Tempelbauchronik gehört auch der nachfolgende Kontext des Kyrosediktes, wo die Behauptung der Ältesten (Esr 5,14), dass die Kultgeräte Scheschbazzar ausgehändigt worden Siehe zu den Personen unten, 367f. Vgl. oben, 177ff. 22 Siehe oben, 40ff.55ff. 20 21

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seien, erzählerisch ausformuliert wird. Dabei hat man sie dem Kontext angepasst. Scheschbazzar erscheint anders als in Esr 5 von vornherein als ein jüdischer Repräsentant, und die vagen Informationen in Esr 5 sollen im Licht des scheinbar unabhängigen Erzähltextes gelesen werden. Scheschbazzar wird in Esr 1,8.11 im Kontext der Rückkehr erwähnt, die durch die aus Esr 5f. übernommene Liste in Esr 2 dokumentiert wird. Seine Erwähnung dient damit auch dazu, einen Zusammenhang zwischen der Liste in Esr 2 und der Erwähnung der Liste in Esr 5,4.9f. herzustellen. Durch die Entfernung der Liste aus Esr 5f. sind diese Erwähnungen nur dann unverständlich, wenn man die aramäische Tempelbauchronik losgelöst vom Kontext von Esr 1–6 betrachtet. Innerhalb ihres neuen Kontextes sollen diese Erwähnungen durch das Kyrosedikt und die sofort folgende Rückkehr der Israeliten mit der Liste in Esr 2 verbunden werden. Da diese nun auf der Erzählebene und nicht (mehr) im Schreiben des Tattenai präsentiert werden, soll man schlussfolgern, dass Esr 1f. in Bezug auf die mit Scheschbazzar verbundene Rückkehr gegenüber der verarbeiteten Vorlage die Priorität zukommt. Der direkte Kontext der aramäischen Tempelbauchronik erwies sich als in besonderer Weise literarisch angepasst. So dient das ganze Kapitel Esr 4 dazu, die aramäische Tempelbauchronik vorzubereiten. Letztlich wurde es geschaffen, um die Verzögerung des Tempelbaus zu begründen und dafür die in Esr 4,1 eingeführten Widersacher verantwortlich zu machen. Am Übergang von dem Kapitel zur eigentlichen aramäischen Tempelbauchronik ist transformierend in deren Wortlaut eingegriffen worden. Dabei ist ihre ursprüngliche Eröffnung weggefallen. Es legt sich nahe, dass die dort erwähnten Inhalte rezipiert und mit den neuen Aspekten verbunden worden sind. So wurde die zuvor am Anfang der Tempelbauchronik stehende Datierung in Esr 4,5 aufgenommen und im Übergang in Esr 4,24 als Datierung des Endes der Unterbrechung des Tempelbaus verwendet. Die zweimalige Übernahme der Datierung zeigt, dass man einen neuen engeren Gesamtkontext der aramäischen Tempelbauchronik intendiert hat. Die Datierung bildete möglicherweise den Ausgangspunkt für die Harmonisierung der aramäischen Tempelbauchronik mit den Informationen aus den Büchern Haggai und Sacharja. Serubbabel und Jeschua wurden von dort eingetragen, und im vorangehenden Kontext (Esr 4,2) so wie am Anfang der aramäischen Tempelbauchronik als Repräsentanten eingeführt. Der Verweis auf die Prophetie der Propheten Haggai und Sacharja unterstreicht nun das Heilshandeln und reduziert so im engeren Kontext der aramäischen Tempelbauchronik die Bedeutung der persischen Könige. Diese Anknüpfung zeigt, dass Haggai und Sacharja nicht nur bei Esr 4 und 5f., sondern bei der Entwicklung der Gesamtkomposition von Esr 1–6 eine wesentliche Rolle gespielt ha-

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ben.23 Die transformierende Überarbeitung am Anfang der aramäischen Tempelbauchronik führte dazu, dass die Ältesten als Handlungsträger dort fehlen. Zwar sollte dies mit der Voranstellung von Esr 4 eigentlich vermieden werden, doch ist die Entfernung der Erwähnung der ‫ ראשי האבות‬in Esr 4,2f. zu groß, sodass die Transformation ein Kohärenzproblem verursacht hat. Beim Abschluss der aramäischen Tempelbauchronik scheint man weniger intensiv umformuliert zu haben. Dort erwähnte man nur noch einmal die Prophetie Haggais und Sacharjas. Dann hat man der Einweihung des Tempels die Feier des Passafestes an die Seite gestellt. Dass vor und nach der aramäischen Tempelbauchronik jeweils ein Wallfahrtsfest zu ihrer Rekontextualisierung platziert wird, dient der Betonung der Anwesenheit des ganzen Volkes, die in der aramäischen Tempelbauchronik keine Rolle spielt. Im Gegenüber der Einweihung des Tempels und der Passafeier wird die veränderte Intention durch die Rekontextualisierung deutlich. c) Die Nehemiaerzählung Obwohl das Nehemia-Buch in der jüdischen Tradition mit Esr 1–10 ein gemeinsames Buch bildet, setzt es wie ein unabhängiger Text ein. Die Überschrift mit dem nachfolgenden Gebet des Nehemia erinnert an den Beginn des Jeremiabuches.24 Das könnte dafür sprechen, dass die Nehemiaerzählung tatsächlich zunächst als eigenständiger Text geschaffen wurde, bevor sie mit der Tempelbauerzählung (Esr 1–6) und mit der Esrageschichte (Esr 7–10) verknüpft worden ist. Es stellt sich allerdings die Frage, wieso man anders als bei der Einbindung der aramäischen Tempelbauchronik die Nehemiaerzählung weiter wie ein eigenständiges Werk beginnen ließ. Von Seiten des Esrabuches erweist sich die Esrageschichte (Esr 7–10) als Übergang zu Neh 1ff. Viele Einzelheiten – ausgehend von dem Schreiben des Artaxerxes (Esr 7) – lassen sich aufgrund der Rezeption von Inhalten aus der Nehemiaerzählung und als vorwegnehmende Kontextualisierung verstehen. Die Esrageschichte selbst hat inhaltlich wenig aufzuweisen, was sich in differenzierter Weise und verbunden mit anderen Kontexten nicht ebenfalls in der Nehemiaerzählung findet. Und auch die Figur des Esra soll die Bedeutung Nehemias relativieren. Die unter anderem von R.G. Kratz formulierte These, dass die Esrageschichte die Lücke zwischen Tempelbau und Nehemiaerzählung schließt, hat sich so bestätigt. Sie wurde auf den Zusammenhang von Esr 9f. und Neh 9f. ausgeweitet.25 Die umfängliche Rekontextualisierung der Nehemiaerzählung ist mit jener bei der aramäischen Tempelbauchronik in Esr 4 und Esr 1–6 vergleichbar. Siehe dazu oben, 115f. Siehe dazu oben, 302ff. 25 Siehe dazu oben, 322. 23 24

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Das Schreiben des Artaxerxes in Esr 7 dient als hermeneutischer Schlüssel auch für die Nehemiaerzählung. Auch dort spielen wie schon in Esr 9f. die Perser eine untergeordnete Rolle. Die eingeschränkte Autonomie ist ein Verbindungselement, das man in den Vorlagen vorgefunden und weiterentwickelt hat. Doch auch Esr 4 spielt schon eine Rolle bei der Hinleitung zur Nehemiaerzählung. Das Antwortschreiben des Artaxerxes auf den Verleumdungsbrief Rehums und Schimschais verbietet zwar den Bau von Stadt und Mauer – was im direkten Kontext von den Widersachern zur Unterbrechung des Tempelbaus genutzt wird –, doch wird zugleich auch eine mögliche Revision dieser Entscheidung angedeutet (Esr 4,21). Diese Notiz dürfte bereits direkt auf die Situationsbeschreibung der Stadt in Neh 1f. hin formuliert worden sein.26 In ähnlicher Weise werden auch die Begleitschreiben, die Nehemia in 2,7–9 erbittet, in den Blick genommen. Bei der Konstruktion des Begleitschreibens des Artaxerxes in Esr 7 ist diese Notiz rezipiert worden, und man hat der Erwähnung der Begleitschreiben für Nehemia ein idealisiertes Schreiben für Esra vorangestellt.27 Die Rekontextualisierung der Nehemiaerzählung mit der Esrageschichte hat nicht nur zur Folge, dass die Perser nicht durchgängig in einem positiven Licht erscheinen, sondern sie scheinen sich später auch nicht mehr entsprechend dem Artaxerxesdekret zu verhalten. Was auf der einen Seite der besonderen Hervorhebung Esras dient, führt auf der anderen Seite dazu, dass das durchaus positive Verhältnis Nehemias zum persischen König in einem differenzierten Licht erscheint. Denn in Neh 1,11; 2,2b wirkt der persische König durchaus als furchteinflößende Gestalt und Nehemia als von dessen Laune abhängig. Auch die Situationsbeschreibung des Lebens in Jerusalem widerspricht dem, was nach Esr 7 dort entstehen sollte. Was in der älteren Forschung immer wieder zu Umstellungshypothesen geführt hat, dürfte eher dazu dienen, die Perser differenziert erscheinen zu lassen. Die abgeschlossene Komposition nennt zwar positive und gottesfürchtige persische Könige. Doch ihre Oberherrschaft insgesamt erscheint als kontingentes Gegenüber.28 Und so bewirkt die Voranstellung von Esr 7, dass derselbe König, der den Tempeldienst in Esr 7 angeblich in idealer Weise privilegiert 26 Die redaktionsgeschichtlichen Thesen seit A. Klostermann und H. Schaeder haben diesen literarischen Querbezug nicht als solchen berücksichtigt, sondern historische Ereignisse zu rekonstruieren gesucht. Vgl. Schaeder, Esra, 27f. 27 Siehe dazu oben, 240.286ff. 28 Gegen die Einschätzung von Wilda, Königsbild, 128, wonach „Israel […] mit der Völkerwelt versöhnt“ ist. Auch die zuletzt vorgetragene Einschätzung von Rothenbusch, Abgesondert, 406, dass unter den Persern „eine weitgehend unbeeinflusste Ausübung der eigenen religiös-kultischen Tradition möglich war“, ist nur für das literarische Konzept und dort nur in bestimmten Zeiten richtig. Die Pragmatik zeigt, dass die Realität der Perserzeit und möglicherweise auch die Realität der Abfassungszeit dem nicht entsprochen hat.

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hatte, für die sozialen Probleme in Juda verantwortlich ist. Auch führt die Rekontextualisierung der Nehemiaerzählung dazu, dass der Eindruck erweckt wird, dass der Unterhalt des Tempels von den Persern nicht dauerhaft gesichert wurde. Und zuletzt werden die Auseinandersetzungen mit den Nachbarn indirekt den Persern angelastet, da diese nicht in der Lage zu sein scheinen, für ein friedliches Zusammenleben in der Provinz zu sorgen. Man hat bei der Platzierung der Esrageschichte vor die Nehemiaerzählung im Sinn gehabt, dem eher differenzierten Bild der persischen Herrschaft ein Ideal voranzustellen. Umgekehrt hatte man mit Esr 4 als Hinleitung zur aramäischen Tempelbauchronik darauf abgezielt, das eher positive Bild von Darius in Esr 5f. mit einer Darstellung der Unberechenbarkeit und Beeinflussbarkeit der Perser zu relativieren. Das Gegenüber zeigt, dass man die beiden literarisch verarbeiteten Texte aneinander annähern wollte. Man hat zwischen ihnen harmonisiert, wobei man sich an bestimmte Aspekte wie die Möglichkeit einer Unterbrechung des Tempelbaus nach dem Schreiben des Tattenai in Esr 5 oder den Besitz der Gunst des Königs bei Nehemia anlehnen konnte. Die Rekontextualisierung wurde aber auch durch direkte Eingriffe in die Nehemiaerzählung erreicht. Wie mehrfach festgestellt findet Nehemia ja die Liste jener, die angeblich zuerst heraufgezogen sind (‫)העלים בראשונה‬. Das bezeugt die Richtigkeit und Authentizität der Rückkehrerliste, doch gleichzeitig impliziert der Rückverweis mindestens eine weitere Rückkehr. Dabei muss der unter Esra stattfindende Zug in Esr 8 und die entsprechende Liste in Esr 8,1–14 gemeint sein. Dieser Rückbezug erklärt, warum man Neh 1,1 als unabhängigen Textanfang erhalten hat: Nehemia bzw. die angepasste Nehemiaerzählung sollte als Zeugnis für die sehr viel stärkere kompositionelle Arbeit in Esr 1–6 und Esr 7–10 fungieren. Die weiter als eigenständig erkennbare Nehemiaerzählung bezeugt so die Authentizität der abgeschlossenen Komposition von Esr 1–10. Wichtig dürfte das vor allem deswegen gewesen sein, weil neben der Nehemiaerzählung auch die aramäische Tempelbauchronik mit der daraus stammenden Bevölkerungsliste als ursprünglich unabhängiger Textabschnitt bekannt gewesen sein dürfte.29 Bei ihrer Integration hat man die Nehemiaerzählung erkennbar gehalten, um damit inhaltliche Veränderungen und die Zeugenschaft der Nehemiafigur plausibel machen zu können. Der ältere Text wird also genutzt, um den Ge29 Dieses Unterfangen war erfolgreich, wie die traditionelle Sicht der Verfasserschaft des Buches zeigt. Im Talmud (bBB 15a) wird Esra als erster Verfasser des Buches erwähnt, der von Nehemia abgelöst worden sei. Das apokryphe Esrabuch demgegenüber ist wahrscheinlich als sekundäre Kompilation des angeblich älteren Esrabuches erstellt worden. Es konnte auf die Akzeptanz des Esra-Nehemia-Buches und auf einen weiteren Bedeutungszuwachs Esras aufbauen. Den Verfahren und den Prinzipien bei der Entstehung des apokryphen Buches wird in einer gesonderten Untersuchung nachgegangen.

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samtkontext des neuen Textes zu sichern, und umgekehrt werden durch die Rekontextualisierung, insbesondere durch die betonte Einführung des Esra, die weitgehenden Veränderungen in der Nehemiaerzählung (Neh 7f.) plausibel gemacht. Hier zeigen sich ein weiteres Mal ähnliche Verfahren, wie sie schon im Gegenüber von Esr 1,1–4 und Esr 5f. deutlich geworden sind. d) Transformationen der rezipierten Abschnitte Die literarischen „Vorlagen“ des Esra-Nehemia-Buches wurden in der Endkomposition aufeinander bezogen, und durch die Rekontextualisierung entstand das uns vorliegende zusammenhängende Buch. Ob die beiden Grundbestandteile (aramäische Tempelbauchronik und Nehemiaerzählung) vorher noch stärker zusammengehörten, also möglicherweise schon vor ihrer Verwendung einen literarischen Zusammenhang bildeten, lässt sich nicht sicher sagen. Dagegen könnte der wie ein Buchanfang aussehende Anfang der Nehemiaerzählung sprechen. Ein Argument dafür ist, dass bereits die am Ende der Liste in Esr 2,68f. erwähnten freiwilligen Gaben von Häuptern und Volk in einer Verbindung mit den Regelungen zum Unterhalt des Tempels in Neh 10,33–40 gesehen werden könnten. Und nicht zuletzt wäre es möglich, dass der in Esr 2,60//Neh 7,62 erwähnte Tobija, der seine Herkunft nicht herleiten kann, mit dem Tobija, der in Neh 2,10 als ammonitischer Knecht verunglimpft wird, als identisch gedacht ist.30 Der personale Zusammenhang zwischen Esr 2 und der Nehemiaerzählung kann auf die Verwendung der aramäischen Tempelbauchronik bei Abfassung der Nehemiaerzählung zurückgehen oder darin begründet sein, dass es eine gemeinsame Vorlage gibt. In der Textanalyse ist nicht der gesamte Text der Nehemiaerzählung untersucht worden. Doch lässt sich von der Verarbeitung der aramäischen Tempelbauchronik schlussfolgern, dass man jene in ihrem Kern ebenfalls weniger bearbeitet hat. Das schließt allerdings literarische Umformulierungen nicht aus. Esr 2//Neh 7 wurde in der Überschrift transformiert, aber auch im Text gekürzt. Beim Übergang von Esr 4 zu Esr 5 hat man den Anfang der aramäischen Tempelbauchronik wegfallen lassen und dabei Probleme im engeren Kontext bewirkt. Das geschah wohl auch in Neh 9,1ff. Dort dürfte die Verlesung der Tora von Kapitel 8 her eingefügt worden sein, was sich ähnlich auch in Neh 13,1ff. erkennen lässt. 1.3. Literarische Figuren als Zeugen Bereits mehrfach ist darauf verwiesen worden, dass die in Esr 2 eingefügte Rückkehrerliste von Nehemia als Ich-Erzähler aufgefunden wird. Die litera30

Vgl. oben, 76.

1. Die hermeneutischen Strategien im Esra-Nehemia-Buch

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rische Figur wird als Zeuge für den Wortlaut verwendet. Er dient dazu, Veränderungen gegenüber der übernommenen Vorlage – also die Rekontextualisierung der Bevölkerungsliste als Rückkehrerliste – zu plausibilisieren. Mit der Nebenbemerkung, die Rückkehrerliste (Neh 7,6–72) wäre die Aufzählung jener, die zuerst hinaufgezogen seien (‫)העלים בראשונה‬, bestätigt Nehemia nicht nur eine zweite Rückkehr nach jener in Esr 2, sondern dabei auch die Perspektive, aus der diese Rückkehr formuliert worden ist. Esr 8,1ff., worauf sich dies beziehen muss, ist wie die Nehemiaerzählung als IchErzählung stilisiert. Nehemia als literarische Figur bestätigt so die Authentizität der Ich-Erzählung des Esra, während die Ich-Erzählung des Nehemia und die ursprüngliche Abfassungsperspektive der aramäischen Tempelbauchronik31 bei der Herstellung der Komposition als Muster für die IchErzählung des Esra gedient haben werden. So soll der Beginn der IchErzählung des Esra im Lobpreis Jhwhs nach dem Schreiben des Artaxerxes den Eindruck erwecken, als sei das Schreiben mit Kontext nur Zitat, womit man zudem die Authentizität der Esrageschichte unterstreichen will.32 Doch nicht nur die Ich-Erzählung dient der Plausibilisierung des Textes. Wie in Neh 7,5 Nehemia als Zeuge eines Textzusammenhangs begegnet, werden weitere Personen und Gruppen im Esra-Nehemia-Buch genutzt, um Inhalte zu bezeugen: Zuallererst sind hier die persischen Könige Kyros, Darius und Artaxerxes zu nennen. Denn sie bekennen sich nicht nur mehr oder weniger explizit zu Jhwh als Gott der Welt, sondern respektieren darüber hinaus zentrale Inhalte der jüdischen Religion, womit beispielsweise für die Zeit des Kyros behauptet wird, dass der jüdische Monotheismus und Universalismus bereits existiert hat und verbreitet war. Während man die besondere Rolle Jhwhs in jüdischen Texten der hellenistischen Zeit allgemein für selbstverständlich ansehen kann, dient die Behauptung einer Akzeptanz Jhwhs durch die drei erwähnten persischen Könige vor allem dazu, die intendierten Adressaten religiös zu bestätigen und Jhwhs Heilshandeln für Israel nach dem Exil zu unterstreichen.33 Daneben werden die persischen Könige und ihre Verlautbarungen aber auch in einem aktuellen Diskurs instrumentalisiert. Es handelt sich um die Auseinandersetzung um den Ort des Hei31 Vor allem das plötzliche Auftauchen der 1. Pl. in Esr 5,4 ist ein Kennzeichen dafür, dass die aramäische Tempelbauchronik als aus persischer Perspektive verfasst erscheinen soll. Vgl. dazu oben, 121. 32 Vgl. oben, 264. 33 Becking, Continuity, 34, hebt hervor, dass „two powers are at work: divine and imperial. Both Yhwh and the Persian king are seen as powerful agents steering history.“ Doch tritt die eigenständige Bedeutung der persischen Könige deutlich zurück, da sie Jhwhs Willen erfüllen. Wenn sie gegen Jerusalem instrumentalisiert werden, erscheinen sie als fehlgeleitete Größen.

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ligtums. Dies ist an der aus Jerusalemer Perspektive entwickelten Konzeption, dass dem Jerusalemer Tempel und der auf Jerusalem bezogenen Auslegung der Tora die alleinige Gültigkeit zukommt, erkennbar. So lässt man Kyros bereits in seinem Edikt bezeugen, dass Jahwe, der Gott Israels, „der Gott ist, der in Jerusalem ist“. Die Verfasser der Esra-Nehemia-Komposition konnten dabei auf das in der aramäischen Tempelbauchronik enthaltene Konzept zurückgreifen. Dort wurde bereits im Edikt des Darius die Zentralisationsformel des Deuteronomiums paraphrasiert und mit der Nennung Jerusalems verbunden (Esr 6,12). Die Paraphrase ist dabei im Perfekt formuliert, womit anders als im MT des Deuteronomiums betont wird, dass die Erwählung Jerusalems durch Jhwh bereits geschehen ist. Die Jerusalemer Perspektive bei der Auslegung des dtn/dtr Kultzentralisationsgebotes findet sich auch im Schreiben des Artaxerxes in Esr 7,15 wieder. Die drei Stellen gehören in der Gesamtkomposition zur fortschreitenden Privilegierung Jerusalems durch die persischen Könige. Damit, dass diese aber unmittelbar mit dem ersten Herrschaftsjahr des Kyros einsetzt, wird im direkten Anschluss an das Exil eine Brücke zurück in die vorexilische Zeit geschlagen und so die durch das Exil unterbrochene Kontinuität des Ortes unmittelbar nach Exilsende wiederhergestellt. In dem Schreiben des Artaxerxes (Esr 7) wird zudem die Einführung der Tora in Jerusalem in Aussicht gestellt. Esra als Sohn des letzten Hohepriesters hält die von Artaxerxes akzeptierte Tora in der Hand. Diese Eröffnung der Esrageschichte läuft dabei auf die Verlesung der Tora durch Esra in Neh 8 zu, was einerseits den Zusammenhang zwischen Esra und der Auffindung der Tora in Jerusalem unter Josia unterstreicht, andererseits aber die Aufforderung von Dtn 31, die Tora am Zentralheiligtum zu verlesen, verwirklicht. Wenn die Tora in Jerusalem verlesen wird, bestätigt das die Jerusalemer Sicht, dass sich dort das Zentralheiligtum befindet, und zugleich auch, dass die Tora selbst auf Jerusalem hin auszulegen ist. Dasselbe Problem steht im Hintergrund der Auseinandersetzung mit den Widersachern in Esr 4,1ff. Dabei handelt es sich um Vertreter der Samarier, die im Erzählzusammenhang instrumentalisiert werden, indem sie sich mit der Behauptung diffamieren, sie seien von den Assyrern im Lande angesiedelt worden. Dies erweist die Bevölkerung Samarias insgesamt als Mischbevölkerung. Das Ansinnen, beim Tempelbau mitzuwirken, bezeugt den unmittelbar mit dem Kyrosedikt begonnenen Bau und die im Hintergrund stehende Legitimität des Tempels, während der zur Abfassungszeit bereits bestehende Tempel auf dem Garizim als illegitim erscheint. Später im Verleumdungsschreiben Rehums und Schimschais wird aus der Perspektive der Gegner die Übereinstimmung zumindest der Rückkehr der Judäer aus dem Exil mit dem Willen der persischen Könige vorausgesetzt, was de facto die

1. Die hermeneutischen Strategien im Esra-Nehemia-Buch

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Gültigkeit des Kyrosediktes und seine Kenntnis sogar aus der Perspektive der Gegner bestätigt. 1.4. Personennamen Das Esra-Nehemia-Buch enthält eine Fülle von Listen, in denen die Vorsteher von Sippen oder auch einzelne Personen aufgeführt werden. Wiederkehrende Namen bedeuten zwar nicht unbedingt, dass auf dieselbe Person verwiesen wird, doch ist an mehreren Stellen dieselbe Abfolge der Namen nicht nur ein Indiz für die Abhängigkeit der Listen voneinander, sondern auch dafür, dass mit der Identität der Namen auch die Identität der Personen intendiert ist. Die unterschiedlichen Ereignisse im Esra-Nehemia-Buch werden daher nach dessen Konzept zumindest teilweise von denselben Personen getragen. Hier ist die Verbindung zwischen Neh 7 und 8, die strukturell dem Zusammenhang von Esr 2 und 3 folgt, ein entscheidender Hinweis, dass eine übergreifende Gestaltungsabsicht bei der Präsentation der Namen vorliegt. Der Zusammenhang zwischen der Rückkehrerliste in Esr 2//Neh 7 und der Namensliste in Neh 10 dürfte dabei ebenso in den verarbeiteten Vorlagen gegeben gewesen sein wie die Tatsache, dass uns mehrere Namen aus Neh 10 in Neh 3 jeweils im Kontext einer Familie begegnen, von denen einige auch in der Liste in Esr 2//Neh 7 auftauchen. Die Platzierung von Esr 2 in Neh 7 dient dazu, eine veränderte Intention der bereits zuvor bestehenden Namensidentität zu erreichen. Denn aus einer Liste der verantwortlichen Bevölkerung beim Tempelbau bzw. bei der Unterhaltung des Tempels wird die Rückkehrerschaft aus dem Exil, und diese ist es nun auch, die in Esr 9f. in den Bund mit Gott eintritt. Weitere Übereinstimmungen zwischen Esr 2 mit Esr 8; 10 hängen von der Intention der Esra-Nehemia-Komposition ab. Für diese wurde eine personale Verbindung zwischen den Teilabschnitten des Buches geschaffen.34 Doch die Benennung von Personen hat im Esra-Nehemia-Buch noch eine weitere Funktion, denn in der Verarbeitung der aramäischen Tempelbauchronik und bei gleichzeitiger Rezeption von Haggai und Sacharja kommt es zu Problemen, weil in den unterschiedlichen Traditionen unterschiedliche Protagonisten erwähnt werden. Das bewusste Nebeneinanderstellen der Namen Scheschbazzar (Esr 1) und Serubbabel (Esr 2–5) in der Komposition dient dazu, diese Traditionen miteinander zu harmonisieren. Durch die Behauptung, dass Scheschbazzar der Fürst Judas gewesen sei, wird den antiken Rezipienten eine verblüffende Lösung präsentiert. So wie Serubbabel als Davidide bekannt war, wird auch für Scheschbazzar mit dem Titel das34

Siehe zur Bedeutung der Personenidentität für das Zeitkonzept des Esra-NehemiaBuches unten, 370.

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Kap. 5: Synthese

selbe nahegelegt.35 Bei einer von Esr 1,8 ausgehenden Rezeption legt sich dem Rezipienten zudem die Folgerung nahe, dass Serubbabel und Scheschbazzar zwei Namen ein und derselben Person sind, obwohl auch möglich bleibt, dass Tattenai bei der Übermittlung der Informationen ein Fehler unterlaufen ist. Denn wenn man den Text von Esr 1 rezipiert, fällt ja auf, dass die zweite Erwähnung Scheschbazzars in Esr 5 als Information aus der Perspektive von Figuren wiedergegeben wird. Doch die Glaubwürdigkeit von Figurenrede ist – insbesondere nach dem Verleumdungsbrief in Esr 4,9ff. – geringer als jene der Erzählebene.36 Diese Harmonisierung, die von dem bereits von Tattenai geäußerten Zweifel an Scheschbazzars Namen gespeist ist, lässt zumindest die Vermutung zu, dass der Verfasser der Komposition die sich in Esr 4–7 z.T. widersprechenden Namen der Perserkönige entweder als Koregentschaften gedeutet haben wollte oder dass er unterschiedliche Benennungen ein und desselben Königs im Blick hatte. Zumindest hat die jüdische Tradition Letzteres angenommen und ist in ihrer Geschichtssicht daher auf der Grundlage des Esra-Nehemia-Buches von einer sehr kurzen Perserzeit ausgegangen.37 1.5. Resümee Bei allen aufgeführten Beispielen zeigen sich übergreifend angewendete Verfahren der Vermittlung. Die Platzierung von dokumentarischen Abschnitten, die Nutzung von literarischen Figuren als Zeugen und die Bezüge, die sich über die Namen im Buch ergeben, aber auch die Verfahren bei der Rekontextualisierung von verwendeten Abschnitten weisen die abgeschlossene Esra-Nehemia-Komposition als Ergebnis eines übergreifenden Gestaltungswillens mit einer übergreifenden Intention aus.

2. Die Intention der Esra-Nehemia-Komposition gegenüber den Vorlagen Im vorangehenden Abschnitt haben wir uns vor allem den hermeneutischen Strategien, d.h. den Techniken der Komposition gewidmet. An dieser Stelle gilt es, die letzte und entscheidende Phase der Literargeschichte des EsraNehemia-Buches inhaltlich zu umreißen. Die Techniken dienen dazu, den neuen Text bei den intendierten Adressaten plausibel zu machen. Das war nötig, weil bei ihnen die Kenntnis der verarbeiteten Vorlagen vorausgesetzt 35 Da dies ein Harmonisierungsversuch der Komposition ist, sind sämtliche Rückfragen, ob Scheschbazzar Davidide oder gar König war, obsolet. 36 Siehe dazu oben, 195f. 37 Vgl. dazu oben, 226f.

2. Die Intention der Esra-Nehemia-Komposition gegenüber den Vorlagen

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war. Die Techniken der Plausibilisierung von literarischen Veränderungen bieten einen Zugang zur Literargeschichte, während die formalen, stilistischen und inhaltlichen Probleme in einem Text allein dies nicht ermöglichen und ein ausschließlich additives Textwachstum zudem unwahrscheinlich ist. 2.1. Die Ausgangssituation Die verarbeitete aramäische Tempelbauchronik war als eine Art Chronik stilisiert. Man hatte ihr eine außerjüdische Perspektive gegeben, doch ist durchgängig erkennbar, dass die für Juden bzw. Israeliten bestimmt war. 38 Sie diente als Ätiologie der mit dem Jerusalemer Tempel verbundenen Gemeinschaft und ihrer eingeschränkten Autonomie.39 Der Text wurde wahrscheinlich nicht mehr unter der persischen Herrschaft verfasst. Das zeigen das verarbeitete Briefformular der konstruierten Dokumente und das Konzept der Privilegierung des Jerusalemer Tempels, das untypisch für die Perserzeit ist. Vor allem schließt das Edikt des Darius mit einer Fluchformel, die unabhängig von der Thematisierung der persischen Könige Unheil für Könige, die sich nicht an sein Edikt halten, in Aussicht stellt. So werden offenbar Konzepte der hellenistischen Zeit in die Perserzeit zurückdatiert und deren Beginn als Ursprung einer besonderen Förderung des Jerusalemer Tempels markiert. Möglicherweise geschieht dies in der Hoffnung auf eine entsprechende Politik der hellenistischen Herrscher. Obwohl die Nehemiaerzählung hebräisch überliefert ist, ist sie thematisch ähnlich zu beurteilen. Das Handeln der Perser wird wie in der aramäischen Tempelbauchronik als kontingent eingeschätzt. Die Einsetzung Nehemias zum Statthalter und die ihm erteilte Erlaubnis zum Bau der Stadt beruhen auf einer ihm gewährten besonderen Gunst des Königs und auf seiner Stellung am Hof. In der Nehemiaerzählung wird das Ideal der Autonomie der Juden ebenfalls entfaltet: Ausdruck der Souveränität ist die Errichtung der Stadtmauer. Soziale Probleme werden gelöst, und die Verteidigung der Stadt wird gesichert. Gemeinschaftlich geht man eine religiöse Vereinbarung ein (Neh 10). In dieser verpflichtet sich eine Gruppe auf die Einhaltung bestimmter Inhalte, die mit der Tora verbunden sind, besonders aber zur Unterhaltung des Jerusalemer Tempels, wodurch eine Verbindung zur aramäischen Tempelbauchronik hergestellt wird. Die Umsiedlung eines Teils der mit Jerusalem verbundenen Bevölkerung nach Jerusalem, die Durchsetzung des Sabbats und des Verbotes des Konnubiums mit Frauen von Nachbarvölkern schloss die Nehemiaerzählung ab. 38 39

Vgl. dazu oben, 156f. Vgl. dazu oben, 162f.

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Kap. 5: Synthese

Neben dem gemeinsamen Interesse an der jüdischen Autonomie waren die aramäische Tempelbauchronik und die Nehemiaerzählung beide aus Jerusalemer Perspektive formuliert. Der übergreifende Bezugsort war in beiden Texten Jerusalem als Ort des Tempels des Gottes Israels. Dennoch ist der Blick auf Juda und Jerusalem als Binnensicht erkennbar, und die mit Juda und Jerusalem verbundenen Israeliten sind nur eine Teilgruppe des Volkes. Entsprechend tauchen innerjüdische bzw. innerisraelitische Gegner in der Nehemiaerzählung auf. Diese lassen sich auf eine existierende Rivalität mit den Autoritäten in Samaria und dem auf dem Garizim erbauten Tempel beziehen. 2.2. Der Anschluss an die vorexilische Zeit als Grundlage des Geschichtskonzeptes der Esra-Nehemia-Komposition Wie sich die beiden literarischen Vorlagen der Esra-Nehemia-Komposition zur Geschichte verhalten und inwieweit in ihrem Hintergrund reale Ereignisse oder Personen stehen, lässt sich schwer sagen. Denn sie sind von einer partikularen Sicht der Ereignisse in Jerusalem geprägt, die zudem sehr stark personalisiert dargestellt werden. Die Erwähnung der persischen Könige und weiterer Figuren signalisiert, dass es um Ereignisse zwischen dem Ende des 6. und dem Anfang des 4. Jh. v. Chr. in Juda und Jerusalem geht. Die Namen Darius, Kyros, Tattenai, Artaxerxes, Sanballat scheinen Bezüge zur Geschichte herzustellen.40 Doch widerspricht schon die Darstellung der aramäischen Tempelbauchronik und der Nehemiaerzählung dem Bild, das sich aufgrund der Archäologie von Jerusalem ergibt: Der Ort dürfe in der Perserzeit und in der frühen hellenistischen Zeit eine unbedeutende unbefestigte Siedlung gewesen sein,41 sodass auch schon die in der Esra-NehemiaKomposition verarbeiten Vorlagen die Anfänge idealisiert dargestellt haben. 40 Weitere Namen kann Edelman, Origins, 17ff., aufgrund externer Bezeugung verschiedenen Generationen der Perserzeit zuweisen. 41 Siehe dazu oben, 280ff. Entscheidend ist, „that in the Persian and Early Hellenistic periods Jerusalem was a small unfortified village that stretched over an area of c. 20 dunams, with a population of a few hundred people – that is, not much more than 100 adult men. This population – and the depleted population of the Jerusalem countryside in particular and the entire territory of Yehud in general – could not have supported a major reconstruction effort of the ruined Iron II fortifications of the city“ (Finkelstein, Jerusalem, 514). Dies diskutiert noch einmal Ussishkin, Nehemiah’s City Wall, in Bezug auf die Informationen im Nehemia-Buch und kommt zu dem Ergebnis: „The plan to revive and resettle the large city failed, and most of its old quarters remained uninhabited, while the population concentrated around the central part of the City of David and the area of the Temple Mount.“ – Der Abstand bereits der aramäischen Tempelbauchronik zu den Ereignissen zeigt sich besonders auch bei dem Anachronismus des Auftretens Tattenais. Vgl. dazu oben, 119.

2. Die Intention der Esra-Nehemia-Komposition gegenüber den Vorlagen

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Bei dem Vermittlungsprozess, der im Hintergrund der Esra-Nehemiakomposition steht, scheint die Frage nach der Geschichte der Perserzeit, „wie es eigentlich gewesen“42, eine noch geringere Rolle gespielt zu haben. Von Bedeutung waren vor allem die verarbeiteten Textabschnitte, die in rekontextualisierter Weise in die Komposition übernommen wurden. Diese bildeten nicht nur den Grundstock der Handlung, sondern wurden auch als Quelle für die Ausgestaltung der Gesamtkomposition genutzt. Vermittelt wurden die Informationen der rezipierten Textabschnitte mit den Inhalten von anderen Büchern – vor allem aus Haggai und Sacharja. Insgesamt ist eine harmonisierende Tendenz erkennbar. Die nachexilischen Prophetenbücher müssen bereits eine autoritative Bedeutung gehabt haben, sodass zwischen den aus ihnen entnommenen Informationen und den Inhalten der aramäischen Tempelbauchronik vermittelt werden musste. Ähnliches ist bereits am Anfang der Tempelbauerzählung (Esr 1–6) erkennbar, wo eine Verbindung zu Jes 49 und zur Prophetie des Jeremia hergestellt wird, indem man behauptet, dass Kyros die Weltherrschaft von Jhwh erhalten habe, damit er für den Bau des Tempels sorgen konnte. Dies nimmt die Information aus der aramäischen Tempelbauchronik auf, wonach Kyros die Erlaubnis zum Tempelbau gegeben hatte, und vermittelt dies mit den Inhalten der Prophetenbücher. So verwirklicht sich das gute Wort Jhwhs, das in Jer 29 angekündigt wird. Dass es sich um einen literarisch erarbeiteten theologischen Text mit einem programmatischen Bezug zur Prophetie handelt, dessen Quellen literarische Traditionen sind, ist unverkennbar. Doch ist diese Quellengrundlage kein Hinweis darauf, dass man bei der Abfassung nicht an der Geschichte der Perserzeit interessiert war. Eher dürfte die Kenntnis der Perserzeit bei der Abfassung beschränkt oder sehr disparat gewesen sein43 und man meinte, in den verarbeiteten und rezipierten jüdischen Texten glaubwürdige Zeugnisse zu besitzen.44 Entsprechend verwundert es nicht, wenn man ein 42 Ranke, Geschichten, VII. Für Esr 1,1–4,5 stellt Bedford, Temple Restoration, 302, fest: „As a late, tendentious text which has little first-hand knowledge the period it recounts, Ezr 1:1-4:5 places into the early period of the restoration anachronistic concerns which reflect the author’s understanding of the character of Achaemenid Judean society current in his own day.“ 43 Wäre man der Perserzeit sehr nahe gewesen, hätte man stärker mit außerliterarischen Informationen bei den intendierten Adressaten rechnen müssen. Solche dürften in der ursprünglichen Nehemiaerzählung noch eine Rolle spielen. In der aramäischen Tempelbauchronik und in den späteren Abschnitten wird ein stärker konstruiertes Konzept der Perserzeit geboten. 44 In der Beurteilung von Josephus, dass der Wahrheitscharakter der biblischen Texte denjenigen heidnischer Texte aufgrund ihres prophetischen Ursprungs übertrifft, wird diese Praxis zum Konzept erklärt. Vgl. Josephus, Ap. I, 7 §37.

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Kap. 5: Synthese

harmonisierendes Konzept erstellte. Dennoch handelt es sich anders als bei dem Werk des Josephus, der den jüdischen „Quellen“ den Vorrang gab, nicht um eine Form von jüdischer Geschichtsschreibung. 45 Denn der Text setzt mit Esr 1,2–4 als einem konstruierten Dokument ein, das nicht nur Informationen der ebenfalls integrierten Quelle verwendete, sondern diese zugleich relativierte.46 Das Kyrosedikt in Esr 1 wird durch die Informationen aus der aramäischen Tempelbauchronik und aus den beiden Versionen des Edikts bestätigt, doch gleichzeitig beabsichtigt man mit Esr 1 ihre Relativierung. Die Esra-Nehemia-Komposition erweist sich daher als programmatischer Text, der ein bestimmtes Konzept der Geschichte des nachexilischen Judentums entwickelt, welches nicht zu verwechseln ist mit Geschichtsschreibung.47 In einem literarischen Text, der andere literarische Traditionen zu harmonisieren sucht, ist es nicht verwunderlich, wenn die Informationen über die Abfolge der persischen Könige nicht dem entsprechen, was wir auf der Grundlage verschiedener Quellen und der Quellenkritik wissen. Dennoch ist das Konzept nicht losgelöst von der Geschichte. Es reflektiert Ereignisse einer bestimmten Zeit. Entscheidend ist die Platzierung des Kyrosedikts am Anfang der Erzählung als Auftakt der Darstellung direkt nach dem Exilsende. Es wird der Eindruck erweckt, als würde unmittelbar mit der Machtübernahme des Kyros die Geschichte Israels und Jerusalems in seinem Lande wiederbeginnen. Die Inhalte des Buches sind eng mit diesem Anfangsereignis verbunden. So wird der Tempelbau an das Exil angebunden. Die Rückkehr beginnt unmittelbar mit dem Edikt, und es schließt sich sofort die Errichtung des Altars und der Beginn des regelmäßigen Kultes an. Mit dem festlichen Baubeginn am Tempel wird de facto ein Äquivalent zur Einweihung an den Anfang in die Zeit des Kyros verlagert. Direkt mit dem Exilsende setzt die Geschichte Jerusalems, der Rückkehr und des Tem-

Anders Kalimi, In the Persian Period, 1. Als weiteres Gegenargument führt Ben Zvi, Shifting the Gaze, 60, gegen die Sicht der Chronik als Geschichtsschreibung deren affirmativen und wenig explanatorischen Charakter an. 47 Willi, Juda, 174, meint, dass „[w]eder Esr-Neh noch Chr […] Parteischriften einer ‚Jerusalemer Kultgemeinde‘“ sind, doch ist das nur insofern richtig, als die alten Thesen einer Kultgemeinde nicht mehr vertreten werden können. Aufgrund ihrer durchgehenden Jerusalemer Perspektive und der gegen andere Konzepte gerichteten Polemik ist die EsraNehemia-Komposition klar als Parteischrift erkennbar. Für die Rekonstruktion der Geschichte Israels kann der Text daher nur unter Vorbehalten genutzt werden. Zu der Frage, ob und wie weit man das Esra-Nehemia-Buch als Geschichtszeugnis ansehen kann, siehe auch oben, 27ff., und unten, 410ff. Nach Willi (ebd., 84) allerdings ist „Esr-Neh […] ein hervorragendes Zeugnis israelitischer Geschichtsschau“. 45

46

2. Die Intention der Esra-Nehemia-Komposition gegenüber den Vorlagen

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pels wieder ein. Kyros ermöglicht dies, und er ist zugleich Zeuge dafür, dass Jhwh Gott der Welt ist und sein Tempel in Jerusalem stehen muss. Die Einführung Esras und das mit ihm verbundene Dokument haben eine vergleichbare Funktion wie der Auftakt von Esr 1–6 mit dem Kyrosedikt. Denn danach werden auch in der Esrageschichte die Bedeutung des Tempels und der dauerhafte Kult betont. Mit Esra, der aus dem Exil nach Jerusalem zieht, wird nicht nur ebenfalls das Exilsende aufgegriffen, sondern das Exil überbrückt. Denn Esra ist nach Esr 7 Sohn des letzten Hohepriesters am vorexilischen Tempel. Er ist aber nicht nur dessen Nachfahr und daher selbst potentieller Hohepriester der Exilszeit, sondern auch Nachfolger seines Urgroßvaters Hilkija, der unter Josia die Tora im Tempel gefunden hatte. Als solcher wird er als Träger der Tora eingeführt und kann sie entsprechend nach Jerusalem bringen. Damit wird Esra als Schlüsselfigur einer zweiten Auffindungslegende der Tora derjenigen unter Josia48 an die Seite gestellt. Impliziert ist dabei, dass Esra ein sehr alter Mann ist und möglicherweise auch jemand, der den Ersten Tempel noch gesehen hat.49 Die mit ihm realisierte „Überbrückung“ des Exils bestätigt die Erwählung Jerusalems, indem nach dem Tempel nun auch die Tora in Jerusalem platziert wird, was in Neh 8 in Anlehnung an Dtn 31 mit ihrer Verlesung durch Esra explizit gemacht wird. Esra ist daher der hermeneutische Schlüssel für die älteren Teile des Nehemia-Buches, die von seiner Einführung her und auf die Umsetzung der in Esr 7 angekündigten Tora-Einführung hin gelesen werden sollen. Wenn Esra als sehr alte Person gedacht ist, die das vorexilische Jerusalem noch gesehen hat, dann erklärt das, warum man ihn nur punktuell im Nehemia-Buch auftreten lassen kann. Dennoch stellt sich die Frage, wie eine solche chronologische Innovation mit den Überlieferungen vereinbar war. Anknüpfungspunkt dürfte gewesen sein, dass in den verarbeiteten Texten keine Hinweise existieren, wie lange die Herrschaft des Kyros gedauert hat und wie sich die Herrschaft des Artaxerxes zu jener des Darius verhält. An Daten werden nur sechs Jahre des Darius und 32 Jahre des Artaxerxes erwähnt, wobei Nehemia im 20. Jahr nach Jerusalem zieht und sich im 32. Jahr wieder beim König aufhält. Die Anbindung der Ereignisse an das Exil hat zur Folge, dass entsprechend dem Konzept der abgeschlossenen EsraNehemia-Komposition nach dem Exil bis zur Verlesung der Tora nicht sehr viel mehr als jene 26 Jahre vergangen sein können, und möglicherweise sind es diese 26 Jahre, die die spätere Konstruktion der 52 Jahre (2x26) bewirkt Vgl. 2Kön 22,8; 2Chr 34,14f. Zu dieser Schlussfolgerung kommt auch Garbini, History, 154. Er schließt, dass „the author of Ezra had remarkably confused ideas about the historical period in which his narrative is set, and therefore falls into innumerable contradictions and errors“. 48 49

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Kap. 5: Synthese

haben.50 Da das 20. Jahr des Artaxerxes in der Nehemiaerzählung vorgegeben war, hat man in der Endkomposition den Zug Esras nach Jerusalem im siebenten Jahr und die Verlesung der Tora im 20. Jahr des Artaxerxes dem zugeordnet und sie so dem Bundesschluss direkt vorangestellt.51 Die Anknüpfung an die vorexilische Zeit hängt unmittelbar mit dem personalen Konzept des Volkes zusammen. Angeknüpft wird an die Sicht der Chronik, wonach Juda während des Exils unbewohnt war. Der an das ganze Volk ergehende Aufruf des Kyros zur Rückkehr wird nur von Judäern, Benjaminiten, Priestern und Leviten befolgt. Das zurückgekehrte Volk wird in Esr 2 präsentiert, wobei die Bevölkerungsliste als Rückkehrerliste eingefügt ist. Der Wechsel zu Kap. 3 signalisiert, dass tatsächlich das ganze Volk anwesend ist und an der Einweihung des Altars und am Kult beim Fest teilnimmt. Das ganze Volk beteiligt sich entsprechend am Bau des Tempels. Ihm treten Widersacher entgegen (Esr 4), und in Esr 5f. soll man entsprechend schließen, dass der von den ‫ שבי יהודיא‬getragene Bau auch das Werk jener ist, deren Rückkehr in Esr 1f. berichtet wird. Mit Esra kommen danach weitere Exilierte ins Land. Die mit der Figur des Esra verbundene und damit zeitlich noch kurz nach dem Exil bzw. nach dem Tempelbau verortete Rückkehr bildet die Grundlage für die Einführung der Tora, die freilich erst in Neh 8 erfolgt. Wesentlich für das mit der Nehemiaerzählung verbundene Gesamtkonzept ist, dass nach der Sicherung der Stadt 52 Nehemia angeblich die Liste jener auffindet, die zuerst hinaufgezogen sind. Ihre Zitation und Einbindung in den Kontext dient dazu, dieselbe Konzeption, wie sie in Esr 2f. mit der Platzierung der Rückkehrerliste umgesetzt wird, auch für das NehemiaBuch zu erreichen. Das in Neh 8,1 sich versammelnde Volk sind die Rückkehrer bzw. deren Nachkommen. Hinzu kommt, dass Esra noch einmal auftritt und dieser damit auch für die Nehemiaerzählung bezeugt, dass man sich zeitlich noch nahe am Exil befindet. Die Verlesung der Tora am Laubhüttenfest legt es in der Rezeption von Dtn 31 nahe, dass an das Sabbatjahr gedacht ist. Wesentlich ist, dass nun wiederum wie in Esr 3,1ff. das ganze 50

Vgl. dazu unten, 376, und 374, Anm. 52. Dieses Konzept wird scheinbar ganz bewusst im Buch 1Esdras dadurch überwunden, dass man die gesamte Nehemiaerzählung aus dem Zusammenhang entfernt und Esra nur im siebenten Jahr des Artaxerxes auftreten lässt. 1Esdras ist offensichtlich ein Werk, dass auch chronologisch Esra weiter betont, was an anderer Stelle ausführlich dargestellt werden soll. 52 Der ungeschichtliche Charakter der verarbeiteten Vorlage ist daran ersichtlich, dass Nehemia noch im selben Jahr nach 52 Tagen Bauzeit die Reparatur der Stadtmauer vollendet. Vgl. Gunneweg, Nehemia, 99. Die Zahl ist sehr auffällig, weil sie der Zahl der Wochen eines Sonnenjahres entspricht. Sie stimmt zudem mit der Anzahl der Jahre, die in der jüdischen Zeitrechnung für die Perserzeit gezählt werden, überein. Vgl. dazu unten, 377. 51

2. Die Intention der Esra-Nehemia-Komposition gegenüber den Vorlagen

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Volk – und zwar alle Rückkehrer – als anwesend beim Laubhüttenfest gedacht ist. Volk und Tora werden auf Jerusalem bezogen. Die Einbindung des Abschnittes Neh 7f. bewirkt, dass für die danach stattfindende Versammlung (Neh 9f.) dasselbe gilt, und so wird die ‫ אמנה‬nicht mehr nur von einer begrenzten Gemeinschaft von Juden Jerusalems und Judas, sondern vom ganzen Volk vereinbart. Eine partikulare Verpflichtung wird so zu einer allgemeinen gemacht. Doch der Zusammenhang geht noch weiter, da parallel zu der Erwähnung Esras die Übereinstimmungen der Namen mit der Bevölkerungsliste aus der aramäischen Tempelbauchronik durch dren erneute Rekontextualisierung signalisieren, dass noch einige derer, die in Esr 2 aufgelistet werden, das Bundesdokument in Neh 10 unterzeichnen. Die Anzahl der Übereinstimmungen und die Anzahl der neuen Namen zeigen, dass der Bund ungefähr eine Generation nach der Rückkehr geschlossen worden ist und auch dieser damit noch zum direkten Kontext des Exils gehört, was durch die Anwesenheit einer Reihe von Personen „bezeugt“ wird. Man hat die Tora nur wenige Jahre nach dem Wiederaufbau des Tempels mit Unterstützung des Königs Artaxerxes aus Babylonien zurückgeführt. Durch Esra ist sie verkündet worden, und auf sie verpflichtet sich das gesamte Volk. Es zeigt sich bei allen drei Hauptteilen der Esra-Nehemia-Komposition, also in der Tempelbauerzählung (Esr 1–6), der Esrageschichte (Esr 7–10) und der Nehemiageschichte dieselbe Tendenz: Man will einen direkten Anschluss der Ereignisse an das Exilsende herstellen. In allen drei Teilen wird außerdem versucht, Kontinuitäten zur vorexilischen Zeit aufzuzeigen: Dies geschieht durch den sofortigen Bau des Tempels, die Rückführung der Tempelgeräte, die Errichtung des Altars und die Einrichtung des regelmäßigen Kultes. In Esr 7–10 wird Esra als personale Brücke über das Exil genutzt. Er sichert dabei die Verbindung der Tora mit Jerusalem ab. In der Nehemiaerzählung wird mit der Ausbesserung der Mauer und dann mit der Einführung der Tora ein Bogen zurück in die vorexilische Zeit geschlagen. Es soll also die Geschichte des Tempels und von Juda und Jerusalem als kontinuierliche Geschichte erscheinen, die direkt mit dem Exilsende beginnt und zugleich eine Wiederaufnahme der vorexilischen Zeit darstellt. Der im Hintergrund stehenden Pragmatik muss noch weiter nachgegangen werden. Es zeichnet sich aber bereits ab, dass man ein Konzept des zeitigen Beginns und der Kontinuität gewählt hat, um so den eigenen Tempel, die eigenen Institutionen und auch die eigene Gemeinschaft gegenüber einem Konkurrenzkonzept zu sichern. Eine offene Frage ist, wie sich chronologisch Esr 1,1 zu den in 2Chr 36,21 erwähnten 70 Jahren verhält, da Esr 1,1 sich ja auf diesen Vers zurückbezieht. Anders als in Sach 1,12; 7,5 werden die 70 Jahre allerdings in der Esra-Nehemia-Komposition nirgends thematisiert.

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Kap. 5: Synthese

Als konkrete Zeitangabe, wonach das gute Wort Jhwhs entsprechend Jer 29 sich bereits mit dem ersten Jahr des Kyros als siebzigstes Jahr nach dem Exil verwirklicht, wäre das auch unrealistisch, da in der Komposition in Esr 3,12 noch Zeugen des Ersten Tempels auftreten. Und auch Esra als Sohn des letzten Hohepriesters ließe sich damit nicht verbinden. Daher dürften die 70 Jahre wohl wie babylonische astrale Konzepte und entsprechend dem Jeremiabuch als „Hoffnungszahl“53 im Blick gewesen sein. Da im Esra-Nehemia-Buch nirgends das Lebensalter einer Figur behandelt wird, muss dafür ein bei den intendierten Adressaten akzeptables Maß im Blick sein. Die Figurierung Esras als alten Mann dient dazu, eine Verbindung zur vorexilischen Zeit herzustellen und seine große Bedeutung zu unterstreichen. Doch können nicht 100 oder mehr Jahre im Blick sein, wenn Esra im 20. Jahr des Artaxerxes die Tora liest.

Die Esra-Nehemia-Komposition präsentiert ein Bild von Israel in der frühen Perserzeit, das aus der Sicht der hellenistischen Zeit und entsprechend den Erfahrungen unter der aktuellen Herrschaft entwickelt worden ist. Dabei hatte man keine Möglichkeit, die aus den eigenen jüdischen Quellen verwendeten Informationen zu überprüfen. Mit der Frühdatierung der Anfänge muss allerdings die Vorstellung verbunden gewesen sein, dass abgesehen von Darius und Artaxerxes die anderen persischen Könige nur kurze Zeit regiert haben. Eventuell denkt man daran, dass verschiedene Namen mit einem König verbunden waren. Vielleicht interpretiert man im Rückblick aus der Zeit der Diadochenreiche die Perserzeit auch als Zeit, in der mehrere Könige gleichzeitig regierten (conregnum). Die wiederkehrenden Namen der persischen Könige haben dabei vielleicht eine Rolle gespielt. Gemeinsam mit dem Danielbuch dürfte das Esra-Nehemia-Buch die Quelle für die Geschichtssicht des Judentums sein, wie sie in den rabbinischen Quellen ausformuliert worden ist. Dass diese im Konflikt mit anderen Überlieferungen steht, hat man in der Antike bereits wahrgenommen. Deshalb identifiziert beispielsweise Josephus die in Esr 4,6ff. erwähnten Könige Xerxes und Artaxerxes mit Kambyses.54 Möglicherweise dienen schon die Listen in Neh 12 als Korrektur,55 wie die Umstellung der Ereignisse, die in 1Esdras vorgenommen worden ist. Die jüdische Sicht der Perserzeit ist allerdings in Dan 11,2 bereits innerbiblisch vorformuliert,56 und wahrscheinlich beruht die Konzeption des Danielbuches auf jener des Esra-Nehemia-Buches. In jedem Fall prägte sie später die Sicht der Perserzeit mit einer Dauer von nur 52 Jahren, in der angeblich lediglich drei Könige regierten.57

53 Albani, 70-Jahr-Dauer, 20. In der jüdischen Chronologie sind es 70 Jahre von der Zerstörung des Tempels bis zum zweiten Jahr des Darius, in dem der Tempelbau fortgesetzt wurde. Vgl. First, Jewish History, xvii. 54 Vgl. Josephus, Ant. XI, 2.2 §26. 55 So schon Gunneweg, Nehemia, 152. 56 Siehe First, Jewish History, 6.

2. Die Intention der Esra-Nehemia-Komposition gegenüber den Vorlagen

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2.3. Neuanfang und Kontinuität in Jerusalem Mit Esr 1,1 wird der Neuanfang in Jerusalem im ersten Jahr des Kyros eingeleitet. Dabei handelt es sich um eine neue Epoche, die insbesondere mit der Festfreude beim Beginn des Tempelbaus die Zeit des Exils ablöst. Der Versuch, möglichst ungebrochen die nachexilische Zeit am Exilsende zu verankern, geht damit einher, dass man das Exil zu überbrücken sucht. Das geschieht durch die Rückkehr der Exilierten, die den Tempelbau beginnen, durch die Rückführung der Tempelgeräte, durch die Errichtung des Altars und des Tempels an seinem vorherigen Platz und durch die Feier der Wallfahrtsfeste in Jerusalem am Ort des Tempels. Die Esra-Nehemia-Komposition stellt also den Beginn einer neuen Epoche dar bei gleichzeitiger Betonung der Kontinuitäten. Für dieses Konzept konnte man auf den Schluss der Chronik zurückgreifen. Bei der Analyse der Einleitung des Kyrosedikts war ja deutlich geworden, dass Esr 1–6 nicht unabhängig von dem in der Chronik vor dem Kyrosedikt stehenden Verweis auf Jeremia sein kann. Am ehesten wird man das Ende der Chronik als einen Verweis auf das Ende des Unheils zu sehen haben, was Esr 1ff. in der Rezeption der Chronik als Beginn der Heilszeit ausformuliert hat.58 Abgesehen von den Bezügen auf die Verkündigung des Jeremia, die mit ihren konkreten Heilszusagen in der Formulierung des Kyrosediktes und seines Kontextes aufgegriffen werden, war die Charakterisierung der Exilszeit in 2Chr 36,21aβb, die nicht mit in Esr 1,1 erwähnt wird, für die Handlung des EsraNehemia-Buches bestimmend. Dort wird erstens von einer Zeit, in der das Land wüst liegt, gesprochen und diese zweitens als Sabbatzeit (‫עד רצתה‬ ‫ )הארץ את שבתותיה כל ימי השמה שבתה‬definiert. Das spielt auf die Gesetzgebung des siebenten Jahres von Lev 25,4 an und greift den Fluch aus Lev 26,33–35 auf.59 Die Aussage, dass das Land wüst ist, führt die Darstellung der Chronik weiter, wonach „der Rest“ der Judäer weggeführt wird. Diese Information wird in Esr 1–6 durchgängig vorausgesetzt.60 Nur auf dieser Grundlage können die Rückkehrer mit ganz Israel im Land identifiziert werden, wenn diese in Esr 3,1 und Neh 8,1 zum Fest des siebenten Monats in Jerusalem zusammenkommen. 57 Vgl. First, Jewish History, 5f. Allgemein zur „Chronography“ im antiken Judentum vgl. Milikowsky, Seder ‘Olam. Vgl. dazu auch die Bemerkung zu den aus den Vorlagen vorgegebenen Daten, oben, 374. 58 Siehe dazu oben, 49ff., und die generellen Überlegungen zum Verhältnis von Chronik und Esra-Nehemia-Buch unten, 387f. Dies war bereits die Sicht von Movers, Chronik, 13. Siehe dazu oben, 52, Zitat: Anm. 68. 59 Vgl. dazu Japhet, 2 Chronik, 510. 60 Der Zielpunkt der Chronik dient damit als Interpretament für die Rekontextualisierung der aramäischen Tempelbauchronik. So schon Pohlmann, Korrespondenzen, 323.

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Kap. 5: Synthese

Das Kyrosedikt wirkt wie eine Initialzündung, die nicht nur die sofortige Rückkehr, sondern alle nachfolgenden Ereignisse bis zum Tempelbau nach sich zog. Die Zeit davor wird letztlich ausgeblendet. Das wüste Land hält entsprechend 2Chr 36,21 eine Sabbatzeit. Zwar impliziert die Thematik des Sabbats des Landes in erster Linie die Regeln des siebenten Jahres. Doch wie der wöchentliche Sabbat durchbricht auch das Sabbatjahr die regelmäßigen Prozesse nicht. Wochensabbat und Sabbatjahr gehören zum Leben im Land entsprechend der Tora hinzu. Auch wenn das Exil in der Sicht von 2Chr 36,21 als nachgeholte Sabbatzeit erscheint, pausiert das Land sozusagen nur. So erscheinen die Ereignisse nicht als Neuanfang, sondern lediglich als Fortsetzung dessen, was vor dem Exil zum Stillstand gekommen ist. Anders als im Buch Haggai verzögern sich im Esra-Nehemia-Buch die Ereignisse zunächst nicht. Und wo sie sich verzögern (Esr 4), wird dafür nicht die Rückkehrerschaft verantwortlich gemacht. Es kann kaum Zufall sein, dass am Schluss des Esra-Nehemia-Buches neben dem Vorgehen gegen die Mischehen der Sabbat von Nehemia durchgesetzt wird. Dieses Thema war aus der Nehemiaerzählung vorgegeben und hat möglicherweise zur Übernahme des Konzeptes des ruhenden Landes aus der Chronik angeregt, sodass nun durchgängig das Konzept des „leeren Landes“ Juda61 die EsraNehemia-Komposition bestimmt. Man konnte dabei anknüpfen an die Nehemiaerzählung, wo das siebente Jahr beim Erlass der Schulden anklingt (Neh 5). Dass es mit Neh 8 zum Zielpunkt gemacht worden ist (Dtn 31!) zeigt, dass es durchgängiges Konzept der Endkomposition ist. Nach einer von Gott erzwungenen Pause, so wird mit dem Auftakt des Kyrosedikts unterstrichen, setzt sich die Geschichte Judas und Jerusalems fort. Und zu ihr gehört zuallererst der Kult am zentralen Ort, für den auch der Tempel wieder errichtet werden muss. Dabei betont man allerdings durchgängig den gesamtisraelitischen Hintergrund. Bereits Kyros richtet sein Edikt an das gesamte Volk, auch wenn nur Judäer und Benjaminiten ihm folgen. Wenn an der Spitze der Rückkehrer in Esr 2 zwölf Personen stehen, wenn zwölf Laiengeschlechter unter Esra in das Land ziehen und jeweils die Opfer nach der Rückkehr bzw. nach dem Tempelbau ganz Israel symbolisieren, so soll die Fortsetzung der Geschichte Jerusalems dieses als Zentrum Israels insgesamt erweisen. Die Kontinuität wird nicht nur über den Ort und die Geräte, sondern auch über Personen erreicht. Es kann kein Zufall sein, dass Scheschbazzar und Serubbabel als Davididen eingeführt werden, Serubbabel an der Spitze der Rückkehrerliste steht und in Esras Rückkehrerliste (in Esr 8,2) an der Spitze mit Hattusch ein weiterer Davidide auftaucht. Ihre politische Füh61

Die Konzeption bezieht sich wie in der Chronik ausschließlich auf das ehemalige Südreich. Vgl. oben, 212.

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rungsrolle (‫ )]![ ששבצר הנשיא ליהודה‬und die Fürsorge für den Tempel nehmen zwei zentrale Aspekte des Königtums auf. Aber auch mit Esra, der als Sohn des letzten Hohepriesters eingeführt wird, wird eine Brücke zurückgeschlagen und die „Ruhezeit“ des Landes überwunden. Esra sorgt mit der Rückführung der Tora an ihren Ort für die Wiederherstellung der vorexilischen Situation, die von Dtn 31 bestimmt ist. Der Auffindung der Tora unter Hilkija, dem Urgroßvater von Esra, wird nun ihre Wiedereinführung unter Esra an die Seite gestellt. Dies wird mit der Verlesung der Tora beim wiederholten Zusammenkommen des ganzen Volkes beim Laubhüttenfest entsprechend Dtn 31 signalisiert. Dass dem Ganzen ein legitimatorisches Interesse zugrunde liegt, wird spätestens mit der Erwähnung der Widersacher deutlich. Doch schon die Begründung der sofortigen Errichtung des Altars mit der Furcht vor den Völkern der Länder deutet an, dass man literarisch einen sofortigen Anschluss an die vorexilische Zeit zu gewinnen sucht, um die Legitimität Jerusalems und seines Tempels zu betonen. Dies bestätigen dann auch die Widersacher selbst, die den sofortigen Tempelbau bezeugen und für seine Unterbrechung verantwortlich gemacht werden. Die in Esr 4 auftretenden Widersacher stellen sich als Fremde vor und delegitimieren von vornherein den Tempel, den die Samarier auf dem Garizim errichtet haben, aber auch die Bevölkerung Samarias insgesamt als Mischbevölkerung. Die Legitimität Jerusalems wird zusätzlich auch durch die anderen Israeliten erwiesen, die sich aus dieser Vermischung absondern zu den Jerusalemer Juden. Die Zusammensetzung der Bevölkerung im Gebiet des ehemaligen Nordreiches hat sich gegenüber 2Chr 30,11; 35,18 nicht verändert. Wie damals beim Passa Hiskias und Josias kommen nun einige zum Passa am wiedererrichteten Tempel. Esr 6,21 stellt also eine weitere Kontinuität her, indem das Angebot an die Israeliten im Norden weiter besteht und weiter von einigen angenommen wird. Das Exil stellt eine Unterbrechung des Lebens in Juda und Jerusalem und des Gottesdienstes am Tempel dar, und nun hat Jhwh die Widerstände ausgeräumt, sodass beides sich ungebrochen fortsetzen kann. Dieses Konzept wird besonders deutlich an der Stelle, an der die Esra-Nehemia-Komposition eine Verzögerung des Tempelbaus eingebaut hat. So wird die Wiederaufnahme des Tempelbaus schon am Anfang dieser Vorgeschichte zur aramäischen Tempelbauchronik angedeutet, und man macht sowohl im Brief des Artaxerxes (Esr 4,21: ‫ )וקריתא דך לא תתבנא עד מני טעמא יתשם‬als auch auf der Erzählebene (Esr 4,24b: ‫והות בטלא עד שנת תרתין למלכות דריוש‬ ‫ )מלך פרס‬deutlich, dass es sich nur um eine zeitweilige Pause handelt.

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2.4. Die „Autorisation“ des Tempels und der Tora durch die Perser Die Rückführung der Kultgeräte, die Wiedererrichtung von Altar, Tempel und Stadtmauern, die Wiedereinführung der Feste und die Wiedereinführung der Tora dienen dazu, die Geschichte, die mit dem Exil zum Stillstand gekommen ist, wieder in Gang zu bringen. Die genannten Aspekte sind um die beiden primären Bezugspunkte gruppiert: Tempel und Tora. Allerdings hat man seit den 80er Jahren des 20. Jh. die Einführung der Tora separat behandelt und versucht, sie im Rahmen der persischen Religionspolitik zu erklären. Man meinte, aus Esr 7 herauslesen zu können, dass Esra im Auftrag des Perserkönigs die Tora quasi als Reichsgesetz in Jerusalem einführen sollte.62 Letztlich beruht diese Sicht auf einer Erkenntnis, die sich nicht auf das Esra-Nehemia-Buch stützen kann, dass nämlich der Pentateuch erst in der Perserzeit als Komposition aus disparaten Überlieferungen entstanden ist. Obwohl dies literarhistorisch sicher zutrifft, lässt es sich nicht mit Esr 7 verbinden. Denn dort werden vom König von Anfang an die Existenz und die Bedeutung der Tora vorausgesetzt. Auch werden Esra und die Tora von vornherein als verbunden betrachtet. So wenig wie Esra vom König in ein Amt eingesetzt wird, wird die Bedeutung der Tora erst durch das königliche Schreiben begründet. Wenn man die Verlesung der Tora in Neh 8 hinzunimmt, wird deutlich, dass man mit ihrer Erwähnung an eine im Pentateuch von Mose selbst begründete Verbindung zwischen Tora und Zentralheiligtum anknüpfen will. Wenn man die Entstehung der Tora aus scheinbar disparaten Traditionen und ihre Einführung dem Einfluss der Perser zuschreibt, handelt es sich dabei um nichts anderes als um einen exegetischen Anachronismus.63 Als solcher erweist sich die Annahme einer Reichsautorisation auf der Grundlage von Esr 7, weil die Tora bereits in der dem „Dokument“ Esr 7 vorangehenden Tempelbauerzählung in Esr 3,2 als selbstverständlich akzeptierte Referenzgröße angeführt wird. Dasselbe macht Esr 7,6 deutlich, wo Esra als ‫ ספר מהיר בתורת משה‬bezeichnet wird, wobei die Tora wiederum als abgeschlossene und akzeptierte Größe vorausgesetzt ist. Die enge Verbindung zwischen Tora und Jerusalem, die in der Esrageschichte deutlich wird, zeigt, dass die Übermittlung und Wiedereinführung der Tora durch Esra mit dem Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem als erster zentraler Institution vergleichbar ist. Toraeinführung und WiederaufVgl. Blum, Esra, 177. Bolin, Exegetical Anachronism, 100, definiert den Begriff folgendermaßen: „These modern scholarly readings constitute a kind of exegetical anachronism, i.e., the attributing to ancient authors of theological views which not only could not have plausibly been held in antiquity, but which are also contradicted by our knowledge of ancient religious beliefs.“ 62 63

2. Die Intention der Esra-Nehemia-Komposition gegenüber den Vorlagen

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bau des Tempels in Jerusalem sind parallel gestaltet und aufeinander bezogen. Beide Ereignisse gehen zurück auf je ein Edikt eines persischen Königs. Beide Edikte hängen mit einer besonderen Beziehung des jeweiligen Königs zum Gott Israels zusammen, der als Gott der Welt akzeptiert wird. Die beiden Institutionen hängen zusammen, da der Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem schon in der aramäischen Tempelbauchronik mit dem Verweis auf das Zentralisationsgebot verbunden wurde, das auch in der an das ganze Volk gerichteten Aufforderung des Kyros und in dem Dokument des Artaxerxes in Esr 7,15 anklingt.64 Damit wird eine ganz klar auf Jerusalem bezogene Auslegung der Tora entwickelt und von Anfang an mit dem Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem verbunden, was sich bei der Feier der Feste dort und dem Zusammenkommen des ganzen Volkes manifestiert. Bei alledem leisten die persischen Könige nur Hilfestellung. Sie sorgen dafür, dass der Tempel an seinem ursprünglichen Ort wiedererrichtet werden kann und die Tora in Jerusalem wieder eingeführt wird. Sie sind daher Unterstützer und Zeugen dafür, dass es sich um den richtigen Ort handelt, an dem diese beiden Grundinstitutionen wieder eingerichtet werden. Wer demgegenüber von einer Reichsautorisation der Tora spricht, müsste theoretisch die „Reichsautorisation“ des Tempels in sein Konzept einbeziehen. Doch wie die Unterstützung und Privilegierung von Tempeln Topoi der hellenistischen Zeit sind, dürfte auch die Hilfestellung durch einen gottesfürchtigen König bei der Wiedereinführung des religiösen Gesetzes der Juden auf eine entsprechende spätere Konzeption zurückgehen, wie sie auch im Aristeasbrief für die Übersetzung der Tora vorliegt. Dass die Könige Kyros, Darius und Artaxerxes sich für Jhwh als Gott der Welt engagieren und sich z.T. zu ihm als solchem bekennen, ist eine Universalisierung, die dem nahe steht, was wir bspw. im Danielbuch antreffen. 2.5. Delegitimierung der Samarier, ihres Kultes und ihrer Auslegung der Tora Gegner tauchen im Esra-Nehemia-Buch mehrfach auf. Deren Thematisierung und auch die betont frühzeitige Rückkehr sowie der Baubeginn des Tempels noch im ersten Jahr des Kyros müssen mit einem Diskurs um die Legitimität des Jerusalemer Heiligtums zusammenhängen. Der Jerusalemer Tempel hatte seit der Mitte des 5. Jh. ein konkurrierendes Heiligtum auf dem Garizim. Dieses Gegenüber ist die Grundlage des Diskurses und der Kontext, in den die Widersacher im Esra-Nehemia-Buch gehören. 65 Er prägte allerdings schon die Pragmatik der später rekontextualisierten älteren 64 Man vergleiche auch die Verbindung des Zitats aus Dtn 30,4 mit der Zentralisationsformel in Neh 1,9. 65 Siehe dazu oben, 107ff.

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Nehemiaerzählung. Denn bereits ihr rezipierter Grundtext setzt entsprechende Auseinandersetzungen voraus.66 Deren Ausgangspunkt ist, dass sich einige unter den Protagonisten Sanballat und Tobija gegen den Wiederaufbau der Stadt Jerusalem und seiner Mauer stellen. Beide Personen werden zwar von Anfang an mit abfälligen Bemerkungen charakterisiert und als im Bunde mit Nichtisraeliten dargestellt, doch handelt es sich um Juden bzw. Israeliten. Im Hintergrund stehen offensichtlich die Samarier, doch macht gerade die Gestalt des Tobija deutlich, dass es enge Verbindungen zwischen Samaria und Jerusalem gibt, gegen die Nehemia vorgeht. Jener Tobija scheint eine in Juda und Jerusalem einflussreiche Person gewesen zu sein. 67 Gegen die Widerstände der Samarier wird auf Betreiben Nehemias in Jerusalem die Mauer ausgebessert und gesichert. Die Mischehenproblematik wird im Nehemia-Buch dagegen noch nicht mit dieser Auseinandersetzung in einen Zusammenhang gebracht, sondern man richtet sich zunächst gegen das Konnubium mit den Nachbarvölkern (Neh 13,23; vgl. 13,1f. und dagegen Esr 9,1f.). Die Auseinandersetzung ist also in der ursprünglichen Nehemiaerzählung noch nicht in gleicher Weise ethnisch geprägt wie in der späteren Gesamtkomposition. Freilich ist erkennbar, dass man eine politische Auseinandersetzung in die Nähe einer ethnischen zu rücken suchte – deswegen die Betonung der Verbindung Sanballats und Tobijas mit Fremden.68 Das Thema der Anfeindungen beim Wiederaufbau der Stadt, das die Nehemiaerzählung prägt, wurde in die Tempelbaugeschichte Esr 1–6 übernommen und so in den Status einer religiösen Auseinandersetzung überführt. Die gegen die mit dem Tempelbau beschäftigten Rückkehrer gerichtete Verleumdung, man wäre dabei, die Mauern der Stadt wieder zu errichten (Esr 4,8ff.), dient dazu, den Tempelbau zu unterbrechen.69 Die in der Forschungsgeschichte spätestens seit Schaeder anzutreffende Sicht, dass der Abschnitt eigentlich in den Nehemiazusammenhang gehört, missversteht die traditionsgeschichtliche Bedeutung der Auseinandersetzung in der Nehemiaerzählung, die in Esr 4 programmatisch verschärft und in den religiösen Bereich überführt wird.70 Dieser programmatische Textabschnitt und Esr 1– 6 insgesamt zeigen, dass sich das Verhältnis zu den nördlichen Nachbarn gegenüber dem Zeugnis der Nehemiaerzählung verschärft haben muss. Das zeigt sich auch daran, dass nicht mehr nur ein religiöser Widerspruch auftaucht, sondern dass man jetzt auch eine ethnische Differenz konstruiert.71 Denn die Widersacher in Esr 4,2 stellen sich als NichtisraeliVgl. dazu oben, 343. Siehe oben, 344, Anm. 136. 68 Vgl. oben, 344f. 69 Siehe dazu oben, 107ff. 70 Vgl. oben, 349f. 71 Siehe die Darstellung oben, 208ff. 66 67

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ten vor, und dasselbe wiederholt sich noch einmal im „Briefkopf“ des an Artaxerxes gerichteten Verleumdungsbriefes von Rehum und Schimschai. Allerdings wäre es ein Missverständnis, wenn man dies so interpretieren würde, als wären die Samarier in diesem Konzept unterschiedslos als Fremde charakterisiert. Gerade das Gegenüber von zwei sich widersprechenden Selbstcharakterisierungen von Vertretern jener Widersacher in Esr 4 zeigt, dass Samaria als ein Territorium mit einer disparaten Bevölkerung, als eine Mischbevölkerung aufgrund der Siedlungspolitik der Assyrer im Blick ist.72 Dem wird das Konzept der Rückkehrerschaft entgegengehalten: Das während des Exils leere Land Juda wurde von der Rückkehrerschaft wiederbesiedelt und hat nun eine entsprechend unvermischte Bevölkerung, deren Herkunft dokumentiert werden kann (Esr 2 [!]). In der Mischbevölkerung Samarias existieren freilich noch Israeliten. Das stellt letztlich die Akzeptanz des verschärften Konzeptes bei den intendierten Adressaten sicher. Das Konzept bedeutet, dass diese Israeliten sich von der Unreinheit der Judäer abwenden und den Rückkehrern und vor allem Jerusalem zuwenden können, was ebenfalls paradigmatisch in Esr 6,21 in der Wiederaufnahme der Passafeier Hiskias und Josias dargestellt wird. Und umgekehrt wird der Gefahr der Vermischung durch eine radikale Durchsetzung des Mischehenverbotes in Esr 9f. vorgebeugt. Die Konstruiertheit der Szenerie ist daran erkennbar, dass man eine Konzeption, die in der ‫ אמנה‬deutlich ist und sich dort auf die Separierung einer auf Jerusalem bezogenen Gruppe von anderen bezog, nun als grundsätzliches Konzept ausformulierte und zudem die Mischehenfrage, die in Neh 13 mit anderen Völkern verbunden ist, in die Auseinandersetzung mit den Samariern überträgt.73 Programmatisch wird dieses Konzept – ausgehend von der Einfügung der Rückkehrerliste – direkt am Exilsende verankert, sodass die nachfolgende Geschichte Samarias zur weiteren Geschichte eines Mischvolkes wird, während die nachfolgende Geschichte Judas und Jerusalems zur Geschichte eines ursprünglich unvermischten Volkes wird, das aber fortwährend gegen mögliche Gefährdungen von Außen gesichert werden muss. Die besondere Betonung der jüdischen Identität (ein Zaun für die Tora mAb 1,1), die in der tannaitischen und amoräischen Zeit auftauchenden Aversionen gegen die eigene Landbevölkerung und die schon bei Josephus und dann auch in Mischna und Talmud begegnenden sich scheinbar widersprechenden Sichtweisen der Samaritaner 74 als Fremde und zu72

Vgl. oben, 212. Zur Frage nach der Identität und dem Ursprung der Samaritaner vgl. zuletzt Pummer, Samaritanism, der auch von einem über die Spätantike hinausreichenden Einfluss des Judentums auf die Konzepte der Samaritaner ausgeht. Vgl. ebd., 16. 73 Vgl. dazu oben, 349. 74 Siehe dazu oben, 214.

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gleich als halachisch akzeptabel lassen sich nur auf Grundlage des konzeptionellen Gegenübers von Reinheit und Vermischung verstehen. Mit der ethnischen Diffamierung geht eine kultisch religiöse Delegitimation der Samarier einher. Signifikant ist, dass die Widersacher das erste Mal mit ihrem Ansinnen, am Bau des Tempels mitzuwirken, auftreten. Wenn man den Text damit so konstruiert, dass sich die Widersacher selbst als Fremde vorstellen, die Jhwh bislang nicht geopfert haben,75 so wird einerseits erwiesen, dass abgesehen von den Rückkehrern zu diesem Zeitpunkt im ehemaligen Gebiet Judas und Israels kein Jhwh-Kult praktiziert wurde und dass der spätere Jhwh-Kult auf dem Garizim illegitim sein muss, da an ihm fremde Völker (mindestens) beteiligt sind. Letztlich kann es damit nur umgekehrt um den Erweis der Legitimität des Jerusalemer Tempels gehen. Diese wird im Text von den Widersachern bestätigt, indem sie ihren eigenen (aus der Perspektive der Figuren) Tempel zu dem Zeitpunkt als noch nicht erbaut bestätigen und ihn letztlich nur als Reaktion auf den Jerusalemer Tempel erscheinen lassen. Mit den danach beginnenden sukzessiven Anfeindungen werden die Samarier außerdem als schuldig an der verzögerten Fertigstellung des Jerusalemer Tempels hingestellt. Ihre Nutzung als Zeugen des frühen Baubeginns in Jerusalem, der gleichzeitige Vorwurf, sie seien für die verzögerte Einweihung des Jerusalemer Tempels verantwortlich, und der Erweis der Illegitimität des Tempels auf dem Garizim noch vor seinem Bau sollte zu denken geben. Könnte es sein, dass die durchgehend zu findende Annahme, dass der Garizim eine Reaktion auf den bereits existierenden Tempel in Jerusalem war, eine Konstruktion ist?76 Wir hatten festgestellt, dass im Dienste der Legitimation des Jerusalemer Tempels konstruierte Dokumente bemüht und auch die persischen Könige als Zeugen genutzt werden. Doch ist das Thema „Tempel“ von Anfang an mit einer perspektivischen Auslegung der Tora verbunden. Während die Tora selbst ursprünglich den Ort des Heiligtums offengelassen hat und möglicherweise auch von vornherein als gemeinsames Dokument für die Gemeinschaften in Juda/Jerusalem und Samaria/Garizim bestimmt war,77 macht das Esrabuch von Anfang an klar, dass nur der Tempel in Jerusalem den Vorschriften der Tora entspricht. Der sofortige Baubeginn auf den BeSiehe zur Erhebung der ursprünglichen Intention von Esr 4,2 oben, 86f. So ansprechend eine solche Vorstellung auch wäre und so sehr sie auch Einfluss auf unsere Modelle von der nachexilischen Geschichte Israels haben könnte, so sehr muss man doch beachten, dass wir momentan außer dieser eigenartigen Argumentationsstruktur keine Möglichkeit haben, den historischen Kontext zu entschlüsseln. Denn die Argumentation könnte auch gegen eine später vorgetragene Behauptung der Samarier gerichtet sein, deren Tempel sei älter als jener in Jerusalem. Vgl. allerdings die Versuche von Edelman, Origins, 206, und Becking, Ezra on the Move, 10, den Tempelbau und die Ereignisse in Esr 4 später zu datieren. Dazu oben, 108. 75 76

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fehl des Kyros hin, die Einrichtung der Opferstätte und die Feier des Festes, all das dient dazu, den Jerusalemer Tempel als den von Gott erwählten Ort zu erweisen, was in dem quasi-prophetisch eingeführten Edikt des Kyros auch entsprechend verkündet wird. Tempel und Tora, deren Wiedereinführung von den persischen Königen Kyros, Darius und Artaxerxes unterstützt wird, sind die beiden Größen, die zwischen Jerusalem und Samaria zumindest im Verlaufe der hellenistischen Zeit zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen führten. Doch beides hängt unmittelbar zusammen. Denn es ist in der Auslegung des Pentateuchs und bis hinein in die Unterschiede zwischen der masoretischen und der samaritanischen Version des Pentateuchs spürbar, dass es primär um den erwählten Ort geht. Während die samaritanischen Sonderlesarten sich nicht aufgrund externer Zeugen datieren lassen, 78 bieten die perspektivische Übersetzung der LXX und der späte Abschnitt Jos 8,30–35 Hinweise dafür, dass der Streit in der hellenistischen Zeit einen ersten Höhepunkt erreicht haben muss, sodass man die Tora und ihre Auslegung zum Mittel der Auseinandersetzung machte.79 Bezeichnend ist, dass man Esra in der samaritanischen Tradition ebenfalls unmittelbar mit der Auseinandersetzung in einen Zusammenhang bringt. Dieser habe nicht nur den Text der Tora verfälscht, indem er die Quadratschrift einführte, sondern auch das auf den Garizim weisende Dekaloggebot getilgt und in Dtn 27 die Namen der Berge (Garizim und Ebal) vertauscht.80 Diese gegen Esra gerichtete Polemik kann man als Reaktion auf die ebenfalls polemische Esra-Nehemia-Komposition mit ihrer Jerusalem-zentrierten Figuration Esras ansehen. Esra-Nehemia ist ein dezidiertes Zeugnis für eine Toraauslegung aus Jerusalemer Perspektive und dabei offenbar eine polemische Streitschrift gegen die Gemeinschaft, die religiös auf den Garizim ausgerichtet war. Ich vermute, dass nicht die Zusammensetzung der auf Jerusalem bezogenen Gemeinschaft im Vordergrund gestanden hat, auch wenn die Rückkehr aus der babylonischen Diaspora in Jerusalem und Juda eine wichtige Rolle bei der Identitätskonstruktion gespielt haben muss.81 Wirtschaftliche und politische Gründe dürften ent77

Nihan, Torah between Samaria and Judah, 223, stellt fest, dass die Tora „was never written for only one community but was intended to be accepted by both Judeans and Samarians.“ 78 Indirekt schließt Dexinger, Prophet wie Mose, 111, auf das 2./1. Jh. v. Chr. An dieselbe Zeit denkt auch Schorch, Construction, 146. Die Datierung der Esra-Nehemia-Komposition bestätigt diese Überlegungen. Siehe dazu unten, 398ff. 79 Siehe dazu oben, 170. 80 Vgl. Gaster, Samaritans, 28; Hjelm, Samaritans, 27. 81 Da es sich offenbar um ein Konzept handelt, das rückwirkend die Ereignisse der frühen Perserzeit interpretiert, ist es zweifelhaft, ob tatsächlich exklusiv in der Diaspora entwickelte Konzepte durchgesetzt werden, wie Blenkinsopp, Temple Society, 52f., u.a. aus

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scheidend gewesen sein, an welchen Tempel nämlich die Abgaben und Gaben der Juden und Israeliten im Lande und in der Diaspora gingen und welcher Tempel sich letztlich als universales Heiligtum durchsetzen würde.82 Die Formulierungen auf den Stiftertafeln in Delos zeigen nicht nur, dass es eine samaritanische Diaspora gab, sondern zugleich auch eine gewisse Offenheit des Bezugs.83 In dieser Auseinandersetzung nutzte man das Gruppenzeugnis der Nehemiaerzählung, wo von einem Bundesschluss der mit Jerusalem verbundenen Gemeinschaft berichtet wurde und bereits Auseinandersetzungen mit den Samariern behandelt waren, und postulierte in Aufnahme von 2Chr 36,21, dass während des Exils keine Juden in Juda und Jerusalem anwesend waren. Die beiden verarbeiteten älteren Texte, die aramäische Tempelbauchronik und die Nehemiaerzählung, die das in dieser Radikalität nicht behauptet hatten, wurden dafür in einen entsprechenden neuen Kontext gestellt. So wurde die mit dem Jerusalemer Tempel verbundene Bevölkerung durchgängig zu Rückkehrern erklärt. Außerdem wurde behauptet, dass der Neuanfang sowohl des Tempels als auch der Tora Esr 3,1ff. und Neh 8,1ff. in Anwesenheit des gesamten Volkes geschah. Damit dass in Esr 6,21 wie unter Hiskia und Josia weitere Israeliten sich beim Passafest in Jerusalem einfinden, bestätigen diese Einzelnen mit ihrer Anwesenheit wie ihre Vorgänger in den Zeiten Hiskias und Josias die Legitimität Jerusalems. Diese programmatische Wiederholung des vorexilischen Passas ermöglicht zugleich, den Bund einer Gruppe (Neh 10,29) von dem Esr 8,15–20 folgert. Noch weiter geht Bedford, Diaspora, 163., der eine starke gegenseitige Abhängigkeit sieht: „[T]he community of repatriates needs the diaspora community for legitimacy and correct practice, while the diaspora community needs to remain in a relationship with the homeland community so that they have a connection there.“ Doch zu beachten ist, dass gerade die Listen im Esra-Nehemia-Buch suggerieren, dass es eine massenhafte Rückkehr gegeben hat und die eigentliche Geschichte in Jerusalem am Tempel sich fortsetzt. Rothenbusch, Abgesondert, 326, sieht eine „Diaspora-Perspektive“. 82 Josephus erwähnt in Ant. XII,1 §7f., dass unter Ptolemäus I. Juden und Samaritaner in Alexandria angesiedelt worden seien. In Ant. XIII,3 §74 berichtet er, dass unter Ptolemäus VI. (offenbar am Anfang des 2. Jh.) ein Streit zwischen Juden und Samaritanern in Alexandria darüber ausgebrochen sei, welches der erwählte Tempel sei. Für dieselbe Zeit ist die Existenz einer samaritanischen Diasporagemeinde inschriftlich für Delos bezeugt. Kartveit, Origin, 218f., datiert die Inschriften auf die erste Hälfte des 2. Jh. v. Chr. 83 Die Betonung des Garizim lässt erkennen, dass es eine Alternative gab. Denn die Stiftertafel (Inschr. 1) erwähnt ΟΙ ΕΝ ΔΕΛΩ ΙΣΡΑΕΛΕΙΤΑΙ ΟΙ ΑΠΑΡΧΟΜΕΝΟΙ ΕΙΣ ΙΕΡΟΝ ΑΡΓΑΡΙΥΕΙΝ „die Israeliten in Delos, die Abgaben leisten für das Heiligtum Hargarizim“. Text: Kartveit, Origin, 217; vgl. ders., Second Temple, 75. Das offenbar in der Inschrift im Griechischen noch nicht orthographisch standardisierte „Israeliten“ lässt auf eine in der Diaspora verwendete gemeinsame Bezeichnung schließen. Die Besonderheit wurde durch die Abgabe an den Garizim markiert. Zur Übersicht über die Diskussion vgl. Dušek, Inscriptions, 76; zur Bedeutung Böhm, Israel, 197.

2. Die Intention der Esra-Nehemia-Komposition gegenüber den Vorlagen

387

neuen Konzept der Identität her zu interpretieren. 84 So wird eine politische Auseinandersetzung religiös zu einer Konfrontation um den Bau des Tempels in Jerusalem weiterentwickelt und mit einer unabhängig von der politischen Auseinandersetzung existierenden Bestrebung zur Abgrenzung (Neh 13) verbunden und so radikalisiert (Esr 9f.). Man nutzte die in der hellenistischen Zeit aufkommende Vorstellung, dass im Kontext der Großreiche eine Vermischung eingetreten sei,85 dazu, aus der kritischen Haltung gegen die Samarier, wie sie noch in der Nehemiaerzählung erkennbar ist, eine zwischen Judentum und der (aus Fremden und Israeliten bestehenden) samarischen Mischbevölkerung zu machen. Deswegen greift man in Esr 9f. das Thema der Mischehen als Exempel für die Einführung der Tora auf, das im Nehemia-Buch noch nicht mit der Auseinandersetzung mit den Samariern verbunden ist, und spricht nun von einer Vermischung mit den Völkern des Landes, wobei man die kultische Unreinheit als wesentliches Argument ins Feld führt.8687

3. Das Verhältnis von Esra-Nehemia zur Chronik Der folgende Abschnitt fasst Beobachtungen zusammen, die für die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Chronikbüchern und der Esra-NehemiaKomposition relevant sind. Diese lassen sich den Überlegungen von P.L. Redditt an die Seite stellen, der im Jahr 2008 die Sicht einer Priorität 84

Vgl. oben, 329ff. Siehe dazu oben, 294ff. 86 Ähnliche Konzepte sind auf der samaritanischen Seite entwickelt worden. Die Samaritaner bezeichnen sich bekanntlich als ‫שמרים‬, von hebr. ‫„ שמר‬bewahren“, als „Bewahrer der Tora“ (zur Bezeichnung und ihrem Ursprung vgl. Crown, Samaritan Diaspora, 196). Ihre Halacha ist teilweise rigoroser als die des Judentums, was in den rabbinischen Quellen entsprechend gewürdigt wird. Siehe dazu oben, 214, Anm. 593. 87 Am Anfang stand die These von Freedman, Chronicler’s Purpose, 440f., dass die Chronik zusammen mit Esr 1–6 ein Interesse an der Wiedereinsetzung des davidischen Königtums gehabt habe, während dieses in den jüngeren Abschnitten der Esra- und Nehemiaerzählung fehle. Zur Rezeption dieser These siehe Redditt, Dependence, 218. Besonders einflussreich war danach S. Japhet. Sie vertrat nicht nur die Unabhängigkeit der Chronik, sondern nahm an, dass Esra-Nehemia eine Quelle bei der Abfassung der Chronik gewesen sei. Vgl. zusammenfassend Japhet, 1 Chronik, 40.43f. Wenig beachtet wurde der kritische Beitrag Pohlmann, Korrespondenzen, obwohl er sich direkt mit den Thesen von S. Japhet auseinandersetzte und in der Veröffentlichung entsprechend platziert wurde. Zuletzt wurde diese Sicht auch noch einmal von I. Kalimi wiederholt: „Der Chronist […] wusste von den Aktivitäten Esras und Nehemias und benutzte ihre Berichte“ (Kalimi, Chronikbuch, 13). Er weist als Beispiele auf den Zusammenhang von 1Chr 9,2–17 und Neh 11,3–19 und zwischen 2Chr 36,22f. und Esr 1,1–3a hin. 85

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Kap. 5: Synthese

von Esra-Nehemia gegenüber der Chronik87 problematisierte.88 Er verweist auf den vergleichbaren Stil,89 und erklärt die von Japhet herausgearbeiteten Differenzen in der Theologie aufgrund der unterschiedlichen Kontexte.90 Seine Einsichten zur Richtung der literarischen Abhängigkeit bei sich entsprechenden Textabschnitten treffen sich mit den Beobachtungen in der vorliegenden Untersuchung. Der Vergleich dieser Stellen und sein Ergebnis ist abgesehen von der Annahme, dass Esr 1,1–4 den Schluss der Chronik verlängert habe,91 einleuchtend: „This paper has argued that the references to Jeremiah in 2 Chronicles 35 and 36 and Ezra 1 show that the redactor of Ezra-Nehemiah drew upon Chronicles and that six other texts (Ezra 3.8,10; 8.20; and Neh. 12.24,45–46) constitute places where Ezra-Nehemiah alludes to texts in which the Chronicler modified Samuel-Kings. An argument for the borrowing of names in 1 Chron. 9.2–17 from Neh. 11.3–19 fails because the first section of these passages contain almost no names in common, and the last section also contain names in each not in the other; so neither could be derived from the other. Nor do the examples of other borrowing proposed by Kalimi in 2 Chron. 2.9, 15 and 2 Chron. 6.40 stand up to close inspection. It seems, therefore, that the redactor of Ezra-Nehemiah borrowed from the Chronicler.“92 Das in der Studie zu Esra-Nehemia deutliche Verhältnis der beiden Größen zueinander kann dazu anregen, ausgehend von den Kommunikationsprozessen, für die die Bücher geschaffen worden sind, das Verhältnis erneut aus der Perspektive der Chronik zu überprüfen. Die Argumentationsstruktur und die Präsuppositionen dürften dabei ebenfalls Hinweise auf die Richtung der literarischen Abhängigkeit geben. Die Esra-Nehemia-Komposition hat sich als eine durchkonstruierte literarische Einheit erwiesen, in der vorgegebene Literatur rezipiert worden ist und in neue Kontexte gesetzt wurde, wo aber vor allem auch kreativ versucht wurde, den intendierten Adressaten die literarischen und konzeptionellen Innovationen zu vermitteln. Im Hintergrund stand die sich zuspit88 Vgl. Redditt, Dependence. Redditt (ebd., 222) nennt in einem Atemzug mit Japhet Williamson, doch favorisiert dieser eine unabhängige Sicht der Chronik und vertritt eine ähnliche Position in Bezug auf 2Chr 36,21f., wie sie hier vorgestellt wird. Vgl. Williamson, Israel, 70; ders., Ezra-Nehemiah, xxii. 89 Vgl. Redditt, Dependence, 221. 90 Vgl. Redditt, Dependence, 222ff. 91 Siehe dazu oben, 53, Anm. 74. 92 Redditt, Dependence, 239. Diese Feststellung gilt trotz des offenkundigen Zusammenhangs zwischen 1Chr 9 und Neh 11. Vgl. das Zitat oben, 387, in Anm. 87. Knoppers, Sources, 167, sieht dies als Zeichen für differierende Traditionen: „Each represents a revision of and a development from an older source.“ Insofern könnte dies für eine Übernahme aus den älteren Bestandteilen der Nehemiaerzählung sprechen.

3. Das Verhältnis von Esra-Nehemia zur Chronik

389

zende Auseinandersetzung zwischen den Gemeinschaften, die sich in der Perserzeit in Palästina um die beiden Jhwh-Tempel auf dem Garizim und in Jerusalem herausgebildet hatten. Für die Bestimmung des Verhältnisses der Esra-Nehemia-Komposition zur Chronik ist auch der herausgearbeitete Umgang mit den verarbeiteten Texten erhellend. Die beiden rezipierten Abschnitte (die aramäische Tempelbauchronik und die Nehemiaerzählung) sowie der aus der ursprünglichen aramäischen Tempelbauchronik entnommene Abschnitt der Bevölkerungsliste wurden in neue Kontexte eingebunden. Die Rekontextualisierung erfolgte dabei sowohl in der direkten Umgebung der Abschnitte als auch im Gesamtkontext. Dafür entstanden z.T. ausführliche Hinleitungen, zu denen bei der aramäischen Tempelbauchronik die mit dem Kyrosedikt einsetzende Vorgeschichte und bei der Nehemiaerzählung die Voranstellung der Esrageschichte gehören. Bei der aramäischen Tempelbauchronik fiel außerdem auf, dass ein kontrastierender aramäischer Text vorangestellt und dabei eine Überleitung geschaffen wurde, wobei die alte Eröffnung in diese Überleitung integriert worden ist. Der Korpus der rezipierten Texte blieb jedoch mehr oder weniger intakt. Bei der aramäischen Tempelbauchronik wurde die Bevölkerungsliste entnommen und an anderer Stelle gekürzt integriert. Die Nehemiaerzählung erfuhr an entscheidender Stelle (in Neh 7f.) eine Supplementierung. Die literarischen Verfahren sind für das Verhältnis zur Chronik insofern relevant, als sich auch beim Übergang und bei bestimmten Themen ein enger inhaltlicher Zusammenhang zwischen der Esra-Nehemia-Komposition und der Chronik ergeben hat, der zeigt, dass man mit der Esra-Nehemia-Komposition einen Anschluss an die bereits existierende Chronik gesucht hat.93 Im Verlaufe der Untersuchung sind dabei folgende Themen diskutiert worden: die Hoffnung auf politische Eigenständigkeit, der Zusammenhang zwischen dem Konzept des leeren Landes Juda und der Rückkehrerschaft als dessen nachexilischer Bevölkerung, das Kyrosedikt als Brückentext zur Chronik, die Erwähnung der Kultgeräte in Esr 1,9–11 und das Verhältnis der Juden in Jerusalem zu den Israeliten in Samaria. Zwei Aspekte sollen zusätzlich besprochen werden: 1. Die Form des Anschlusses von Esr 7,1 an den vorangehenden Kontext ähnelt jenem in Esr 1,1. Den damit verbundenen inhaltlichen Bezügen ist nachzugehen. 2. Die Genealogie Serubbabels in der Chronik unterscheidet sich von jener bei Esra-Nehemia. In der Chronik wird Serubbabel als Sohn Pedajas erwähnt (1Chr 3,17–19), während er in Esr 3,2; 5,2; Neh 12,1 Sohn Schealtiels ist. 93 Es ist wahrscheinlich, dass dieser Anschluss später mit der Überlappung zwischen 2Chr 36 und Esr 1 unterstrichen werden sollte. Die Beobachtungen bestätigen die Festellung von Kratz, Komposition, 96, dass Esr 1–6 eine Brückenfunktion zwischen der Chronik und der Nehemiaerzählung hat.

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Kap. 5: Synthese

Jeder der im Folgenden zusammenfassend zu behandelnden Aspekte, lässt eine Bezugnahme zur Chronik erkennen. In der Regel ist die Richtung der Abhängigkeit erkennbar. Alle Aspekte spielen eine Rolle bei der Entfaltung der Intention der Esra-Nehemia-Komposition. Selbst wenn im Einzelnen die Richtung der Abhängigkeit nicht klar wäre, müsste man umgekehrt annehmen, dass die einzelnen Aspekte unabhängig von dem Gesamtkonzept der Esra-Nehemia-Komposition in der Chronik angeordnet worden sind, was unwahrscheinlich ist. 3.1. Der Anfang der Esrageschichte (Esr 7) als Zentrum der Anknüpfungen der Esra-Nehemia-Komposition an die Chronik Der Übergang von der Chronik zum Esrabuch (Esr 1,1) und der Übergang von der Tempelbauerzählung zur Esrageschichte (Esr 7,1) sind stilistisch ähnlich gestaltet. Der jeweilige Vers bietet für die nachfolgende Erzählung die Zeitangabe, aber gleichzeitig wird ein syntaktischer Zusammenhang mit dem vorangehenden Text hergestellt.94 Damit ist ein neuer temporaler Bezug für den eröffneten Kontext gegeben, aber zugleich ein Zusammenhang mit vorangehenden Ereignissen hergestellt. In Esr 1,1 steht das im Zusammenhang mit der Darstellung einer Wende zum Heil durch die Herrschaft der Perser. Dies ist bereits in 2Chr 36,20 im Blick; Esr 1 rezipiert dies und entwickelt davon her sein Konzept der nachexilischen Geschichte.95 Ähnliches lässt sich auch im engeren Kontext von Esr 7,1 beobachten. Denn in Esr 6,22 findet sich die abschließende Feststellung, dass Jhwh für die Gunst des Königs von Assyrien gesorgt habe, sodass die Arbeit des Gotteshauses getan werden kann. Die Anknüpfung an die Aussicht auf die Heilswende von 2Chr 36,20 durch Esr 1,1ff. ist mit der Thematisierung der außerordentlichen Gunst, die Esra auf Betreiben Jhwhs beim König in Esr 7 hat, vergleichbar. Da festgestellt werden konnte, dass Esr 7–10 insgesamt vom Verfasser der Esra-Nehemia-Komposition als Übergang von der Tempelbauerzählung zur Nehemiaerzählung geschaffen worden ist, verwundert es nicht, wenn die Esraerzählung die Gunst des Königs von Assur entsprechend Esr 6,22 breit ausformuliert. Allerdings ergibt sich so auch ein Zusammenhang mit der aramäischen Tempelbauchronik und der Feststellung, dass nach dem Willen/Befehl Gottes und nach dem Willen/Befehl der Könige Kyros, Darius und Artaxerxes der Tempelbau vollendet werden konnte (Esr 6,14). Die Komposition hat dies in Esr 6,22 aus pragmatischen Gründen auf den König von Assur hin umgedeutet,96 doch warum spricht man Zu den Parallelen insgesamt siehe oben, 270ff. Siehe dazu bereits oben, 370ff. und speziell zur Bedeutung von Esr 1,1ff. für die Frage nach dem Verhältnis zur Chronik unten, 394ff. 96 Vgl. dazu oben, 193, und 290. 94 95

3. Das Verhältnis von Esra-Nehemia zur Chronik

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nur von dem König, und vor allem: Warum nutzt man die Formulierung ‫( סבב לב‬Hif.)? Diese wird zwar oft mit „jmd./etw. das Herz zuwenden lassen“97 wiedergegeben, doch kommt sie nur noch in 1Kön 18,37; Koh 2,20 vor, wo sie für einen Sinneswandel gebraucht wird. Insbesondere 1Kön 18,37 kommt als Vergleich infrage, weil dort ebenfalls Jhwh Subjekt einer veränderten Haltung des Volkes ihm gegenüber ist. Die Formulierung deutet einerseits bereits die außerordentliche Gunst an, die Esra danach gewährt wird, was ja am Beginn der Ich-Erzählung in Esr 7,28 auch entsprechend aufgegriffen wird.98 Doch mit dem Sinneswandel wird andererseits in den Blick genommen, dass ein Artaxerxes ja in Esr 4 den Tempelbau unterbricht, er allerdings auch eine möglicherweise später andere Haltung in Aussicht stellt. Der Anschluss der Esrageschichte an die Tempelbauerzählung, zu der dann noch Esr 6,22 gehört, stellt also eine Verbindung mit Esr 4 her und interpretiert zugleich die eigentümliche Auflistung der drei Könige in Esr 6,14. Damit findet sich im Kontext von Esr 7,1 ein auch inhaltlich ähnlicher Anschluss an den vorgegebenen Text, wie er sich in Esr 1,1 mit dem Kontext der Chronik ergibt. An beiden Stellen handelt es sich um eine auslegende Aufnahme und um die Weiterführung einer Formulierung in einem neuen Gesamtkontext. Mit dem Schreiben des Artaxerxes in Esr 7 wird aber offenkundig auch der Faden des Kyrosediktes aufgenommen und damit nach der Heilswende nun die weitere heilvolle Entwicklung dargestellt.99 Dabei schließt Esr 7 sich auch direkt an die Chronik an. Bei der Analyse von Esras Genealogie und ihrer Verbindung mit der nachfolgenden Erzählung durch die Wiederaufnahme des Namens waren Parallelen in der genealogischen Eröffnung der Chronikbücher (bes. in 1Chr 5) aufgetaucht.100 Es erscheint als die plausibelste Annahme, dass die Genealogie in 1Chr 5,27ff. bei der Konstruktion der Genealogie Esras rezipiert und kritisch bearbeitet worden ist. Es handelt sich dabei in der Chronik um die erste Genealogie, die in die nachexilische Zeit führt,101 während die Genealogie Esras in die vorexilische Zeit zurückreicht.102 Dass man die Genealogie Aarons kritisch aufgenommen und Esra ganz bewusst in Anschluss an die vorexilische Zeit als Sohn Serajas platziert hat, zeigt, dass die Chronik rezipiert worden ist. Ein damit ver97 Vgl. Gunneweg, Esra, 115; Talmon, Historiographie, 348; Koch, Weltordnung, 285. Anders Ges18, 870, der „Gunst verschaffen“ interpretiert. 98 Vgl. oben, 265. 99 Erwähnt sei an dieser Stelle zusätzlich, dass das Dokument in Esr 7 wie die anderen „Dokumente“ in Esr 1–6 den Reden der Chronik ähnelt. Vgl. Grätz, Edikt, 214; und oben, 220. 100 Vgl. oben, 225. 101 Vgl. Sparks, Chronicler’s Genealogies, 75f. 102 Siehe dazu oben, 282.373.

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Kap. 5: Synthese

wandten Aspekt, der zudem die Technik der Anknüpfung zeigt, findet sich in der Einführung der Zitation der Rückkehrerliste in Neh 7,5. Die Formulierung lässt eine Kenntnis von 1Chr 9,1 vermuten103 und könnte Esr 1ff. schon als Fortsetzung der Chronik im Blick haben. Diese Aufnahme der Genealogie dient der Unterstreichung des Zusammenhangs zwischen Jerusalem und Tora. Die Esrafigur ist der Kern einer Verlängerung der Auffindungslegende der Tora in 2Chr 34. Denn die Chronik erwähnt anders als 2Kön 22 die Hinrichtung Serajas nicht. 104 So verband man die Geschichte der Tora durch die aus der Chronik übernommene Genealogie nicht nur mit dem vorexilischen Juda, sondern über Seraja mit Hilkija und der Auffindung der Tora auch mit Mose in Dtn 31. Der Bezug auf 2Chr 34f. ist im Kontext von Esr 7 ein zweites Mal bei der Passafeier in Esr 6,20f. sichtbar. Die besondere Rolle der Leviten beim Schlachten des Passas in 2Chr 35,10f. und in Esr 6,20, was sich als Praxis am Zweiten Tempel nicht durchgesetzt hat, zeigt eindeutig den Zusammenhang der beiden Texte.105 Wie sich die Überführung der Tora nach Jerusalem durch Esra an ihre Auffindung durch Hilkija anschließt, so wird das Passa in Jerusalem in der Form vollzogen, wie es zuvor auf Grundlage der Tora von Josia eingeführt worden ist. Diese komplementäre Wiederaufnahme von Passa und Tora aus 2Chr 34f. im Übergang von der Tempelbauerzählung zur Esrageschichte bei gleichzeitiger Rückbindung Esras an die Genealogie in 1Chr 5 weist die Chronik als Quelle und Grundlage der Esra-Nehemia-Komposition aus. 3.2. Die Hoffnung auf politische Eigenständigkeit In der Esra-Nehemia-Komposition als Ätiologie der mit dem Jerusalemer Tempel verbundenen Gemeinschaft wird die Hoffnung auf politische Eigenständigkeit, die durch den Gottesgehorsam bestimmter persischer Könige ansatzweise hergestellt wird, durchgängig deutlich. Allerdings hat man die These aufgestellt, dass dabei im Esra-Nehemia-Buch anders als in der Chronik der Blick auf die davidische Monarchie keine Rolle spiele. 106 S. Japhet stellt stattdessen die positive Haltung der persischen Herrscher gegenüber den Juden und dem Jerusalemer Tempel heraus. Der Eindruck einer Eigenständigkeit von Esra-Nehemia gegenüber der Chronik kommt allerdings hauptsächlich dadurch zustande, dass beide sich mit ganz unterschiedlichen Themen und Epochen beschäftigen. Während die Chronik die Geschichte 1Chr 9,1: ‫ ;וכל־ישראל התיחשו והנם כתובים על ספר מלכי ישראל‬Neh 7,5: … ‫ויתן אלהי אל לבי‬ ‫להתיחש ואמצא ספר היחש העולים בראשונה‬. 104 Vgl. dazu oben, 281. 105 Vgl. oben, 283. 106 Vgl. Japhet, Relationship, 305. 103

3. Das Verhältnis von Esra-Nehemia zur Chronik

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der Königszeit darstellen und idealisieren kann, muss Esra-Nehemia sich mit der Geschichte unter der fremden Herrschaft herumschlagen. Doch setzt die Chronik, die ja für das Ende der Königszeit wie das deuteronomistische Königebuch den Ungehorsam Israels bzw. Judas verantwortlich macht, die nationale Katastrophe des Exils zunächst ebenso voraus wie das Esra-Nehemia-Buch. Warum sollte die politische Eigenständigkeit im Kontext der persischen Oberherrschaft weitergehende Hoffnungen, wie sie im Konzept der Chronik enthalten sind, ausschließen? Japhet selbst weist auf die bittere Klage über die Existenz unter der Fremdherrschaft hin, wie sie in Neh 9,36f. begegnet.107 Dies aber kann nicht isoliert betrachtet werden. Es fügt sich nahtlos mit der ambivalenten Beschreibung der Perser, wie sie in Esr 4 auch im Blick auf die Nehemiaerzählung gewählt worden ist. Entsprechend kann es nicht verwundern, wenn die Komposition sowohl bei Scheschbazzar als auch bei Serubbabel die Existenz und bleibende Bedeutung der davidischen Dynastie andeutet.108 Da Esr 5,1f. einen Anschluss an Haggai und Sacharja herstellt und deren Inhalte als bekannt vorausgesetzt werden, ohne dass über Serubbabel Abweichendes berichtet wird, bilden die dort aufgeworfenen Hoffnungen letztlich auch den Horizont der Darstellung in Esr 1–6 und darüber hinaus. Für die antiken jüdischen Adressaten waren politische Hoffnungen so durchaus erkennbar, während der Text für Außenstehende als eine mehr oder weniger positive Beschreibung der Perserzeit erscheinen konnte. Dass zu den in der Gesamtkomposition enthaltenen Hoffnungen die Davididen gehörten, zeigt sich besonders in Esr 8, wo wie in Esr 2 wiederum ein Davidide an der Spitze des Rückkehrerzuges unter Esra steht.109 Wenn in diesem Kontext Esra Vollmachten vom persischen König erhält, die es ihm ermöglichen auf die Einnahmen des Großreiches eigenmächtig zuzugreifen, dann wird hier geradezu subversiv eine Unabhängigkeit inszeniert, bei der eigentlich fast nur noch fehlt, dass ein König in Jerusalem eingesetzt wird, was dann natürlich der Kenntnis der intendierten Adressaten von der Geschichte der Perserzeit widersprochen hätte. Die Aufrechterhaltung dieser weitgehenden Hoffnung zeigt sich aber spannenderweise in den Vorwürfen des Verleumdungsbriefes in Esr 4, wo das Ideal des davidischen Großreiches als Gefahr für den Perserkönig ausgemalt wird.110 Bei dem Thema Davididen und der Beschreibung politischer Eigenständigkeit als Ideal stellt Esra-Nehemia demnach am ehesten eine dem Vgl. Japhet, Sheshbazzar, 75. Zum Verhältnis der beiden Figuren im Konzept der Esra-Nehemia-Komposition siehe oben, 195ff. Über die Hoffnungen hinaus hat Kellermann, Nehemia, 182, auf Grundlage der Nehemiaerzählung gemeint, man habe „die Wiedereinsetzung der Davididen und die Wiederherstellung des Davidreiches“ regelrecht erwartet. 109 Siehe oben, 272. 110 Siehe oben, 98. 107

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Kap. 5: Synthese

Kontext der spätnachexilischen Zeit entsprechende Rezeption der Geschichtsdarstellung der Chronik dar. 3.3. Juda als leeres Land Grundlage und hermeneutischer Schlüssel für die Rekontextualisierung der aramäischen Tempelbauchronik und der Nehemiaerzählung ist der Abschluss der Chronik mit der Aussage, dass das Land Juda nun mit der Wegführung seiner nach dem Krieg verbliebenen Bewohner nach Babylon eine Sabbatsruhe antritt. Dieser Aspekt ist bestimmend und wird auf verschiedenen Ebenen in der Esra-Nehemia-Komposition zugrunde gelegt, sodass eine umgekehrte Abhängigkeit nicht wahrscheinlich ist. Das Konzept wurde aus der Chronik zur Rekontextualisierung der aramäischen Tempelbauchronik übernommen. Die Chronik setzt voraus, dass Juda allein unbewohnt ist. Esr 6,21 greift dies auf.111 Esra-Nehemia kann nicht die Quelle des Konzeptes vom leeren Land in der Chronik sein, weil es lediglich vorausgesetzte Grundlage ist, aber nirgends dargestellt wird, wie das mit dem Sabbatkonzept in 2Chr 36 geschieht. Erst 2Kön 17 hat das Konzept des leeren Landes auf Samaria angewendet und dabei am ehesten die Selbstvorstellung der Fremden in Esr 4 rezipiert und verallgemeinert.112 3.4. Das Kyrosedikt als Brückentext Die Überlappung zwischen der Chronik und dem Esra-Nehemia-Buch (2Chr 36,22f.//Esr 1,1–3) ist ein Glücksfall, denn sie zeigt, dass die beiden Bücher literarhistorisch zusammenhängen. Man ist in der Forschung lange Zeit der These von L. Zunz gefolgt und hat ein übergreifendes literarisches Werk des Chronisten vermutet. Doch seit der zweiten Hälfte des 20. Jh. diskutiert man literarische Abhängigkeiten in der einen wie in der anderen Richtung oder eine sekundäre Verschränkung der beiden Bücher. Ein wichtiger Hinweis für die Bestimmung der Abhängigkeit von Chronik und EsraNehemia schien es zu sein, dass 2Chr 36,22f. mit dem Schluss ‫ ויעל‬nur als partielle Übernahme von Esr 1,1–4 verstanden werden kann.113 Das schien die Thesen, die bei der Abfassung der Chronik mit einer Übernahme von Esr 1,1–3 quasi als einer weiteren Quelle rechneten, zu bestätigen. Doch bleibt die Einschätzung vom Anfang des 19. Jh. durch F.C. Movers gültig, dass Esr 1,1–4 inhaltlich nicht von 2Chr 36,21 abgetrennt werden 111

Siehe dazu unten, 396f. Siehe dazu oben, 213. Letztlich haben die Verfasser von 2Kön 17 Esr 4.2.10 nicht anders interpretiert als wir, wenn wir von den Aussagen der Widersacher auf die Situation in Samaria schließen. Vgl. zur Sicht von S. Japhet oben, 213, mit Anm. 583. 113 Vgl. Williamson, Israel, 9. 112

3. Das Verhältnis von Esra-Nehemia zur Chronik

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kann.114 Allein auf der Grundlage von Esr 1,1–4 lässt sich der Verweis auf die Prophetie des Jeremia nicht vollständig entschlüsseln.115 Lediglich der vorangehende Bezug in 2Chr 36,21 führt zu dem verarbeiteten Kontext im Jeremiabuch, was als Hintergrund des Fortgangs eine wesentliche Rolle gespielt hat. Außerdem würde ohne einen eindeutigen Bezug zur Verkündigung des Jeremia die Vorstellung vom Volk in der Esra-Nehemia-Komposition ihrer Grundlage beraubt. Denn ohne den über 2Chr 36,21 eindeutigen Bezug wäre nicht klar, dass das Land Juda während des Exils als leer gedacht ist. Ein weiterer Hinweis dafür, dass der Chronikschluss mit dem Verweis auf Jeremia in Esr 1,1ff. im Blick ist, ergibt sich aus dem Vergleich zwischen 2Chr 35f. und 2Kön 25. Auffälligerweise wird in 2Kön 25 Jeremia nicht erwähnt. Doch ist dies in der Chronik auch vor 2Chr 36,21 der Fall.116 Bei der Abfassung der Chronik suchte man also zwischen der geschichtlichen Überlieferung und dem inzwischen akzeptierten Jeremiabuch zu harmonisieren. 117 Das ist insbesondere in 2Chr 35,25 deutlich, wo Jeremia zunächst als Urheber der Klagelieder angeführt wird. Wichtig ist dann aber, dass das Ende Judas und Zidkijas direkt auf seinen Ungehorsam gegen Jeremia zurückgeführt wird (2Chr 36,12). So wird die sich verwirklichende Unheilsankündigung des Exils in 2Chr 36,12 mit der Unheilszeit, die zugleich deren Ende impliziert (2Chr 36,21), verbunden. Jeremia ist also in der Chronik als theologischer Abschluss sowohl für den Aspekt des Unheils als auch für den Aspekt der Hoffnung auf eine Erneuerung des Heils gewählt worden. An den zweiten Aspekt schließt sich die Esra-Nehemia-Komposition mit der Ausformulierung seiner Heilsperspektive an. 3.5. Die Kultgeräte Die „Rückkehr“ der Kultgeräte zeigt die Kontinuität des Tempels mit dem vorexilischen Tempel auf. Die Liste verarbeitete mit hoher Wahrscheinlichkeit lediglich die Erwähnung der Kultgeräte in der aramäischen Tempelbauchronik. Dass man in der Liste nur unspezifische Kultgeräte erwähnt hat und insbesondere nicht auf die in 1Kön 7,48ff.//2Chr 4,19ff. erwähnten zurückgreift, ließ vermuten, dass man keine konkreten Gegenstände mit vorexilischer „Geschichte“ am Zweiten Tempel zu benennen wusste.118 Wie oben festgestellt, lässt sich schwer entscheiden, ob bereits die aramäische Tempelbauchronik auf die Erwähnung der Einlagerung von Kultgeräten in Nebukadnezars Tempel in 2Chr 36,7 zurückgegriffen hat oder ob die Chro114

Vgl. Movers, Chronik, 13, und dazu oben, 52. Siehe dazu oben, 50f. 116 Vgl. Redditt, Dependence, 239. 117 3Esr weiß also um den Zusammenhang und schreibt ihn fort. 118 Vgl. oben, 183f. 115

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Kap. 5: Synthese

nik die aramäische Tempelbauchronik als Informationsquelle rezipiert hat.119 Allerdings lässt sich die ausführliche Liste am ehesten als Vermittlung zwischen den beiden „Quellen“ verstehen, denn auf der Erzählebene wird ja nun nicht nur der Sachverhalt der Herausgabe erwähnt, sondern zudem noch ein angeblich statistisches Dokument präsentiert. 3.6. Jerusalem und die Israeliten aus dem Norden Die Analyse von Esr 4 hat ergeben, dass es sich bei diesem Kapitel um ein konstruiertes Präludium zur aramäischen Tempelbauchronik handelt.120 Darin spielen die unterschiedlichen Figurenperspektiven eine wesentliche Rolle, denn in ihnen werden Beweggründe und Charakterisierungen geboten, um den Vorspann zur Tempelbauchronik als Angriff der Widersacher aus dem Norden erscheinen zu lassen. Wesentlich für die Interpretation ist, dass die Aussageebene der Figuren und die Pragmatik nicht verwechselt werden. Es konnte zwar festgestellt werden, dass das Kapitel tatsächlich die Samarier im Blick hat und deren Tempel und deren Tora-Auslegung delegitimiert.121 Doch auf der Textebene ist wesentlich, dass die auftretenden Widersacher sich nirgends als Israeliten oder Juden ausweisen, sondern von sich selbst behaupten, Angehörige fremder Völker zu sein, die von den Assyrern im ehemaligen Nordreich angesiedelt worden sein sollen. Nur wenn man annehmen würde, dass Esr 4 auf dem Hintergrund von 2Kön 17 gelesen werden muss, wäre auch vorausgesetzt, dass es im Gebiet des ehemaligen Nordreiches keine Israeliten gibt. Doch dagegen spricht, dass sich die Informationen, die in Esr 4,2 und 4,10 gegeben werden, nicht mit 2Kön 17 verbinden lassen,122 wobei der Widerspruch zwischen den beiden Aussagen zugleich zum Ausdruck bringen sollte, dass die Widersacher sich über ihre eigene Geschichte und Identität nicht im Klaren sind. 123 Esr 4 bietet also keinen Hinweis darauf, dass auch das ehemalige Nordreich (während des babylonischen Exils und/oder vorher) ein leeres Land gewesen sei.124 Da es sich nur um Äußerungen von Figuren (Widersachern!) handelt, heißt das nicht, dass in Samaria keine Israeliten existierten. 125 Das Konzept von 2Chr 30,6, dass die Könige von Assur einige Israeliten im ehemaligen Nordreich übrig gelassen haben, ist damit keineswegs ausgeschlossen.126 Bei der den Tempelbau abschließenden Passafeier zeigt sich, dass positiv an die Konzep119

Vgl. dazu oben, 133, Anm. 347. Siehe oben, 173ff. 121 Siehe dazu oben, 208ff. 122 Vgl. dazu oben, 213. 123 Siehe dazu die Analyse oben, 95. 124 Siehe dazu oben, 213, mit Anm. 583. 125 Vgl. oben, 208ff. 126 2Chr 30,6 aber schließt das Konzept von 2Kön 17 aus. 120

3. Das Verhältnis von Esra-Nehemia zur Chronik

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tion der Chronik angeknüpft wird (Esr 6,21). Denn dabei nehmen am wiedererbauten Tempel abgesehen von den Rückkehrern andere Personen teil, die sich von der Unreinheit der Völker abgesondert haben. Bei diesen kann es sich nur um jene Israeliten handeln, die im ehemaligen Gebiet des Nordreichs leben, die die Assyrer nämlich nach 2Chr 30,6 übrig gelassen haben. Besonders auffällig ist die wie in Esr 6,21 kurze Notiz in 2Chr 35,18, wo unter ‫ וישראל הנמצא‬auf die ausführliche Behandlung der Einladung der Nordstämme zum Passa unter Hiskia bezuggenommen wird. Hier liegt kein neues Konzept vor, wonach plötzlich Fremde beim Passa teilnehmen können.127 Vielmehr handelt es sich um die Wiederaufnahme des älteren in der Chronik entwickelten Konzeptes, wonach das Hauptgewicht auf Jerusalem, seiner Geschichte und auf den Judäern liegt, das aber bleibend für ganz Israel offenstehend gedacht ist, sodass zumindest einige Israeliten unter Hiskia und Josia beim Passa nach Jerusalem kommen. Dies dient in Esr 6,21 dazu, die Kontinuität der Tempelbauerzählung mit der vorexilischen Situation zu unterstreichen. Und möglicherweise ist das auch der Grund, warum man ganz am Schluss der Tempelbauerzählung von der Gunst des Königs von Assur spricht. Denn dies schlägt einen Bogen über Esr 4,2 zurück nach 2Chr 30,6, wo davon gesprochen wird, dass von den Königen von Assur ein Rest im Lande übriggelassen worden ist. 3.7. Serubbabel Zuletzt muss noch auf eine erklärungsbedürftige Differenz zwischen der Chronik und Esra-Nehemia eingegangen werden. Serubbabel wird in Esr Esr 3,2; 5,2 und in Neh 12,1 als Sohn Schealtiels bezeichnet, doch in der Chronik ist er ein Sohn Pedajas, des Bruders Schealtiels. 128 Da auch mit dem Verweis auf Schealtiel ein Zusammenhang zur davidischen Familie gegeben ist,129 der zudem auch von Haggai und Sacharja entsprechend rezipiert wird, kann es sich nur um zwei differierende Herleitungen ein und derselben Figur handeln. Der Frage, wie sie zu erklären sind, muss hier 127

So u.a. Haarmann, JHWH-Verehrer der Völker, 266. Vgl. dazu oben, 208f. Steinmann, Ezra-Nehemiah, 212, löst das Problem harmonisierend, indem er annimmt, „either Pedaiah or Shealtiel had died childless, then the surviving brother united with the dead brother’s wife in a Levirate marriage“. Den Vorschlag hatte auch schon F.X. Kugler gemacht. Vgl. dazu Rudolph, Esra-Nehemia, 18. 129 Nach Japhet, Sheshbazzar, 72, ist angesichts des Gegenübers von Serubbabels Betonung in Haggai und Sacharia „the question of Ezra-Nehemiah’s utter silence concerning Zerubbabel’s origins [...] unavoidable“. Doch berücksichtigt sie nicht, dass die Bedeutung Serubbabels auch von der Kenntnis Haggais und Sacharjas her vorausgesetzt sein kann. Außerdem wird die davidische Herkunft über die Nennung von Schealtiel ebenso signalisiert wie es mit Pedaja der Fall wäre. 128

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nicht ein weiteres Mal nachgegangen werden.130 Man muss freilich die Frage stellen, wieso es bei den unterschiedlichen Konzepten geblieben ist, wenn Esra-Nehemia und Chronik in irgendeiner Weise literarisch zusammengehören. Hätte nicht die Chronik das Patronym Schealtiel in ihre Genealogie übernehmen müssen, wenn sie Esra-Nehemia als Quelle verarbeitet hat? Umgekehrt ist dies nicht in gleicher Weise der Fall, denn in Esr 2–6 wird ja die aramäische Tempelbauchronik bei ihrer Rekontextualisierung mit Informationen aus den Prophetenbüchern Haggai und Sacharja verbunden. Auf diesem Wege sind die beiden Propheten in den Rahmen von Esr 5f. gekommen, und das dürfte auch die Eintragung von Serubbabel bewirkt haben, wodurch auch das Nebeneinander mit Scheschbazzar zustande gekommen ist.131 Doch in Haggai (Hag 1,1.12.14; 2,2.23) wird Serubbabel ebenfalls als Sohn Schealtiels bezeichnet. Die zusätzliche Abhängigkeit der Esra-Nehemia-Komposition von der Chronik, die sich verdichtet hat, würde also bedeuten, dass den Verfassern zwei differierende Konzepte vorlagen. Sie entschieden sich offenbar gegen die Chronik für die Herkunft, wie sie immer wieder im Haggaibuch unterstrichen wird, und folgten damit dem Prophetenbuch ein weiteres Mal.132 Denn man betont Serubbabel gegenüber Scheschbazzar ebenfalls, obwohl dieser in der aramäischen Tempelbauchronik erwähnt war, und legt zudem eine Identifikation der beiden Figuren nahe.

4. Abschließende Überlegungen zur Datierung 4.1. Vorüberlegungen Biblische Texte zu datieren, ist schwierig, weil die in ihnen enthaltenen Hinweise mitunter in unterschiedliche Richtungen zu weisen scheinen. Relative Datierungen werden daher oft nur zu vagen ‚absoluten‘ Datierungen weitergeführt, sodass häufig Aussagen wie „vorexilisch“, „exilisch“, „nachexilisch“, „perserzeitlich“, „hellenistisch“ etc. in der Sekundärliteratur anzutreffen sind. Oft wird das Esra-Nehemia-Buch entsprechend in der spätpersischen/frühhellenistischen Zeit verortet.133 Die Analyse der Diskurse, in denen das Esra-Nehemia-Buch und die von ihm verarbeiteten Vorlagen entstanden sind, machte es möglich, zu genaueren Aussagen zu kommen. Eckpunkte der Datierungen sind die Erwähnungen Sanballats in der 130

Vgl. zum Problem ausführlich Edelman, Origins, 20f. Vgl. dazu oben, 195ff. 132 Vgl. dazu oben, 161. 133 Vgl. Kratz, Komposition, 97; Mathys, Esra-Nehemia, 583; Rothenbusch, Abgesondert, 245; Willi, Juda, 84: „aus spätpersischer Zeit“. So auch Steins, Chronik, 491. 131

4. Abschließende Überlegungen zur Datierung

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Nehemiaerzählung und in den Elephantine-Papyri. Dies wird von D. Edelman mit der Regierungszeit Artaxerxes’ verbunden, was einen ersten Anhaltspunkt ergibt.134 Die Nehemiaerzählung könnte also frühestens am Ende des 5. Jh. und die Esra-Nehemia-Komposition nachfolgend verfasst worden sein. Ein Terminus ad quem ergibt sich durch drei in Qumran aufgefundenen Fragmente, die den masoretischen Text des Esra-NehemiaBuches bezeugen. E. Ulrich datiert sie in die Mitte des 1. Jh. v. Chr.135 Innerhalb dieses Rahmens muss sich die Datierung also bewegen. Um zu ihr zu gelangen, ist es erforderlich, das Gegenüber von dargestellter, erzählter Zeit und den enthaltenen Präsuppositionen abzuwägen. Dies ist bei der EsraNehemia-Komposition deswegen schwierig, da bestimmte Rahmenbedingungen sich nicht grundsätzlich geändert haben, wie die Existenz der Fremdherrschaft und die mit ihr im Zusammenhang stehenden Institutionen und Schwierigkeiten. Die Problematik relativer Datierungen zeigt sich an einer der wenigen Stellen der Hebräischen Bibel, die eine Rezeption des Esra-Nehemia-Buches zu enthalten scheint. Denn in Dan 1,21 wird als Bezugsjahr für die Danielerzählungen das erste Jahr des Darius angegeben. Das Buch beginnt zudem in Dan 1,1f. mit der Erwähnung der Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar und mit der Wegführung der Kultgeräte. Das Problem wurde ausführlich von R.G. Kratz geklärt, der überlegt hat, ob eine regelrechte Zitation aus 2Chr 36/Esr 1 vorliegt.136 Da sich ihm für die aramäischen Danielerzählungen noch eine Abfassung in der Perserzeit nahelegt, würde sich eine Abhängigkeit der Datierung von der Ansetzung der abgeschlossenen Esra-Nehemia-Komposition ergeben, wenn Dan 1,21 Esr 1,1 voraussetzt. Doch Kratz geht davon aus, dass das chronistische Geschichtskonzept auch schon vor Abfassung von Chronik und Esra-Nehemia existiert haben müsse.137 Er betont außerdem, dass die Einzelheiten in Esr 1 bereits von der aramäischen Tempelbauchronik vorgegeben waren.138 Die Konzeption von Chronik und Esra-Nehemia habe daher auf Sacharja, Jeremia, Deuterojesaja und der Tempelbauchronik aufbauen können und sich auch entsprechend 134

Vgl. Edelman, Origins, 70f. Vgl. Ulrich, Ezra-Qoheleth, 140. Ein unlängst identifiziertes Fragment von Neh 3,14f. wird zwischen 30 v. Chr. und 20 n. Chr. datiert. Charlesworth, Fragment of Nehemiah. Zwischen 75 v. Chr. und 50 n. Chr. werden die Hss von 4QMMT datiert (vgl. Hempel, Context, 275), das Esra-Nehemia rezipiert (vgl. ebd., 292). 136 Vgl. Kratz, Translatio imperii, 271. 137 Kratz, ebd., 271, weist auf Haggai, Sacharja und auf Jeremia hin, wo schon das Wissen von der „sukzessiven Deportation der Tempelgeräte seit Jojakim […] und die Wertschätzung der ersten Gola“ enthalten sei. Der Verweis auf das erste Jahr des Kyros könne sich auf „die vermutlich überarbeiteten Kyros-Aussagen in Dtjes“ beziehen. 138 Vgl. ebd., 272. 135

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auf die Abfassung von Dan 1 ausgewirkt: „Soweit die zeitliche Ansetzung der Sammlung Dan 1–6* von ihrem Anschluß an das chronistische Geschichtsbild 2Chr 36/Esr 1 abhängt, steht einer Ansetzung in das späte 5. Jh. trotz der erst später erfolgten Abfassung von ChrG nichts im Wege.“ 139 Meiner Ansicht nach ist zusätzlich zu bedenken, dass punktuelle Berührungen in der Textgeschichte nicht selten durch Harmonisierungen zustande kommen.140 Eine nachträgliche Angleichung der Datierung ‫עד־שנת אחת לכורש‬ ‫ המלך‬an das Konzept der Chronik, auch wenn Dan 1ff. älter als diese ist, wäre also nicht ausgeschlossen,141 obwohl es, wie Kratz aufgezeigt hat, möglich ist, dass Deuterojesaja sich auf die Abfassung von Dan 1 ebenso ausgewirkt hat wie bei der von 2Chr 36/Esr 1. 4.2. Die Datierung der verarbeiteten literarischen Quellen Die verarbeiteten literarischen Texte, die aramäische Tempelbauchronik und die Nehemiaerzählung bilden einen wichtigen Bezugspunkt für die Datierung des Abschlusses der Esra-Nehemia-Komposition. R.G. Kratz hatte sie in seiner Studie noch in die Perserzeit datiert. 142 In der vorliegenden Untersuchung hat sich anhand inhaltlicher Erwägungen D. Schwiderskis Sicht bestätigt, wonach die eingebetteten Briefe aufgrund von Gattungskriterien der hellenistischen Zeit zugeordnet werden können. 143 Die Aspekte zur Datierung sind für den Bereich Esr 5f. bereits zusammengefasst worden. 144 Berücksichtigt wurden Anachronismen, die auf eine relative Unkenntnis der Geschichte der Perserzeit bei der Abfassung schließen ließen. Die Darstellung des Ursprungs des Jerusalemer Judentums in dem Text entspricht den Institutionen und Verhältnissen der hellenistischen Zeit. Offensichtlich hat man unter der mazedonischen Herrschaft die aktuellen Verhältnisse in die Perserzeit zurückprojiziert bzw. man hat sich (aufgrund der Aussageabsicht) bei der Darstellung der nachexilischen Geschichte von aktuellen politischen und religiösen Konstellationen und Problemen leiten lassen und so eine idealisierte Ursprungssituation konstruiert. Für die Beurteilung der Ebd., 273. Ich habe am Beispiel vom Gegenüber der Stellen 4Q51 und 1Sam 1 die Problematik aufgezeigt. Vgl. Heckl, Intertextualitäten, 337f. Solche Harmonisierungen kommen dadurch zustande, dass spätere Tradenten vermeintliche inhaltliche Bezüge zu verstärken suchten. Wenn wir nur 4Q51 besäßen, würde sich für die Abfassung von 1Sam 1 die hellenistische Zeit nahelegen, da darin mit vergleichsweise geringen Veränderungen nachträglich Bezüge zu priesterlichen Pentateuchtexten hergestellt worden sind. 141 Kyros kommt zudem im Danielbuch erst in dem sehr viel späteren Vers Dan 10,1 wieder vor. 142 Vgl. Kratz, Translatio imperii, 273, und den vorangehenden Abschnitt. 143 Siehe oben, 156ff. 144 Vgl. oben, 167ff. 139 140

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aramäischen Tempelbauchronik war weiterhin der Gebrauch der Zentralisationsformel im vermeintlichen Edikt des Darius von Bedeutung. Denn dabei handelt es sich bereits um eine perspektivisch auf den Standort des Tempels in Jerusalem bezogene Auslegung des Deuteronomiums. Dass sich die aramäische Tempelbauchronik bereits auf den abgeschlossenen, d.h. den insbesondere im Numeribuch priesterlich vollendeten Pentateuch bezieht, ergab sich daraus, dass dort Num 3,2–4 als Grundlage der Priesterordnungen interpretiert wurde.145 Der Schluss von Darius’ Edikt mit der Fluchformel zeigt, dass wie in einem vaticinium ex eventu der Wechsel der Herrschaft und damit bereits der Übergang zum Hellenismus in den Blick genommen wird.146 Auch Esr 5f. als Ausgangspunkt einer eingeschränkten Autonomie und die Bedeutung Jerusalems lässt sich nicht mit der Perserzeit verbinden. Erst seit der hellenistischen Zeit ist dies greifbar. Als zentraler Ort ist Jerusalem durch Hekataios von Abdera erstmals außerbiblisch (allerdings auch aus Jerusalemer Perspektive) bezeugt.147 Die wirtschaftliche Bedeutung Jerusalems aus externer Perspektive wird in den Zenonpapyri bestätigt, weswegen ich für die aramäische Tempelbauchronik die Mitte des 3. Jh. v. Chr. als mögliche Abfassungszeit vorgeschlagen habe.148 Die Notiz in den Zenonpapyri lässt sich auch für die Datierung der Nehemiaerzählung nutzen. Grundsätzlich ist es auch bei diesem Text schwierig, Konzeptionen der erzählten Zeit von der eingetragenen Perspektive der Abfassungszeit zu unterscheiden. So ist es durchaus möglich, dass sich in den Erzählungen die soziale Fürsorge eines Statthalters der persischen Zeit widerspiegelt. Doch spricht die Betonung der sozialen Problematik eher für die hellenistische Zeit, in der ein Bevölkerungswachstum und der wirtschaftliche Aufschwung starke soziale Unterschiede mit sich gebracht haben.149 Insbesondere das Problem der Unfreiheit ist in den Zenonpapyri belegt. Dort ist erwähnt, dass vier Jungen in Begleitung eines Eunuchen wahrscheinlich als Geschenk von Tobias zu Appolonius nach Ägypten gesandt wurden. Ausdrücklich wird bei zwei der Jungen festgehalten, dass es sich um beschnittene Knaben handelt.150 Dies fügt sich in unsere Informationen aus anderen Quellen, dass seit dem Beginn der hellenistischen Zeit viele Juden als Sklaven nach Ägypten gekommen waren.151 Mit Ptolemäus II. sind bekanntlich viele von ihnen freigekommen und stellten seitdem eine Siehe dazu oben, 153f. Vgl. oben, 146. 147 Vgl. dazu oben, 296. 148 Vgl. dazu oben, 169. 149 Vgl. zu den Auswirkungen Hengel, Judentum und Hellenismus, 39f. 150 CPJ I, Nr. 4, 125ff. 151 Vgl. Sasse, Geschichte, 99f. 145 146

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bedeutende Größe in der ägyptischen Gesellschaft dar.152 In diese Zeit gehören auch die ersten außerbiblischen Belege aus dem griechischen Raum, die vom Freikauf bzw. der Freilassung von Juden sprechen.153 Diese Beispiele bieten einen Kontext, in den die Betonung der sozialen Frage in der Nehemiaerzählung gehören dürfte. Ein Hinweis, dass man sich in einer gegenüber der Perserzeit veränderten Situation befindet, stellt der Bezug zu den Referenztexten des Pentateuchs dar. Denn man spielt mit der Freilassung auf das Konzept des siebenten Jahrs im Deuteronomium an und nimmt nicht das Konzept des Jobeljahres aus dem Heiligkeitsgesetz auf. Diese verschärfende Interpretation spricht für eine gegenüber der Perserzeit, aus der der Pentateuch stammt, veränderte Situation. Ein weiterer Hinweis auf eine im Zuge des Hellenismus veränderte Sicht ist die Klage darüber, dass es bei der Versklavung zu sexuellem Missbrauch gekommen ist (Neh 5,5). 154 Doch auch die Problematisierung der Unfreiheit und die Bestrebungen zum Rückkauf von versklavten Juden fügen sich gut in die ptolemäische Zeit ein, in der sich allmählich Beschränkungen für entsprechende Verkäufe in die Sklaverei entwickelten und man ein „Absinken“ von Freien in den Sklavenstand zu verhindern suchte.155 Freilich setzten sich in der hellenistischen Zeit entsprechende Erfahrungen fort. In der seleukidischen Zeit sind ebenfalls Massenfreilassungen und Massenversklavungen bezeugt.156 Ein weiteres wichtiges Thema in der Nehemiaerzählung ist der Mauerbau. Üblicherweise sieht man diesen im Zusammenhang mit der persischen Grenzsicherung, nachdem die Herrschaft über Ägypten verlorengegangen war.157 Jerusalem ist in jener Zeit de facto zu einer Festung geworden. Zu beachten ist, dass in der ursprünglichen Nehemiaerzählung Mauerbau und Synoikismus getrennt voneinander behandelt werden und nur in der Ge152

Vgl. Hengel, Judentum und Hellenismus, 42; Hegermann, Diaspora, 133. Allerdings sind die auf dem Aristeasbrief fußenden Informationen über Massenfreilassungen mit Vorsicht zu genießen. Vgl. Collins, Library, 2f. 153 Vgl. Stern, Diaspora, 638; Hengel, Judaism and Hellenism, 191. 154 Schunck, Nehemia, 149, hält das nicht für eine notwendige Interpretation, doch lässt die Kriegsmetaphorik ‫( כבש‬Nif.) „erobert werden“ meiner Ansicht nach keine andere Interpretation zu. Vgl. zur Semantik Schorch, Euphemismen, 137. 155 Vgl. Seidl, Ptolemäische Rechtsgeschichte, 37f. 156 Vgl. Volkmann, Massenversklavungen, 65. 157 Vgl. Berlejung, Geschichte, 165. Die perspektivische Darstellung der Nehemiaerzählung dürfte letztlich die gleiche Situation reflektieren, die Finkelstein, Jerusalem, 514, für die persische und frühhellenistische Zeit für wahrscheinlich hält, dass nämlich „[t]his population – and the depleted population of the Jerusalem countryside in particular and the entire territory of Yehud in general – could not have supported a major reconstruction effort of the ruined Iron II fortifications of the city.“ Wenn es eine Mauer gab, dann war sie wahrscheinlich auf einen sehr kleinen Teil der Stadt begrenzt. Finkelstein, ebd., rechnet allerdings generell nicht mit einer Mauer vor der hellenistischen Zeit.

4. Abschließende Überlegungen zur Datierung

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samtkomposition durch die Einfügung von Neh 7 verbunden sind. Die vom Volk und nicht von Nehemia inszenierte Umsiedlung in die Stadt nach Los dürfte mithin nicht nur literarisch von den Baumaßnahmen zu trennen sein, sondern auch historisch nicht in denselben Kontext gehören. Die Konstruiertheit des Losverfahrens wird durch unsere Kenntnis der tatsächlich schwachen Bevölkerung Jerusalems und Judas in der Perserzeit gestützt. 158 Aus diesen Gründen dürfte das entscheidende Bevölkerungswachstum sich in der Stadt nach der Erholung von den Deportationen unter Ptolemäus I. ereignet haben. Der Schutz durch die Stadtbefestigung dürfte entsprechend in den wiederkehrenden zeitweiligen Unsicherheiten in der Anfangszeit des Hellenismus von der Landbevölkerung genutzt worden sein. Der Schutz der Stadt vor den Samariern dürfte in dieser Zeit eine gewisse Relevanz gehabt haben. Ich hatte darauf hingewiesen, dass Entsprechendes für die Zeit des dritten syrischen Krieges (246–241) von Josephus erwähnt wird. Angesichts der Tatsache, dass in der spätpersischen Zeit noch ein Zusammenwirken der Vertreter Samarias und Jerusalems in den Elephantinetexten bezeugt ist,159 müssen auch die Auseinandersetzungen, die angeblich schon in der Perserzeit den Mauerbau nötig machten, Rückprojektionen sein. Die Mauer bekam also wohl in den sich allmählich zuspitzenden regionalen Auseinandersetzungen wachsende Bedeutung. 4.3. Die Abfassungszeit der Esra-Nehemia-Komposition Ein wichtiger Eckpunkt für die Datierung ist der Bezug zur Chronik. Wenn die Chronik rezipiert wurde, indem mehrere ihrer Inhalte der Abfassung der Esra-Nehemia-Komposition zugrunde gelegt wurden, und wenn auch zeitlich ein regelrechter Anschluss an die Chronik gesucht wurde, dann muss sie älter als Esra-Nehemia sein. Die aramäische Tempelbauchronik und die Nehemiaerzählung führen eher in die ptolemäische Zeit. Thesen, wonach Esra-Nehemia noch in die persische Zeit gehören,160 sind damit ausgeschlossen. Für die Datierung von besonderer Relevanz ist das veränderte Verhältnis zur direkten Nachbarschaft in Samaria. Die Auseinandersetzung mit ihr stand bereits in der Nehemiaerzählung im Hintergrund. Doch war sie dort noch politisch motiviert und wurde erst in der Endkomposition zu einem religiösen Konflikt weiterentwickelt. Außerdem wurde ein ethnischer Konflikt (Mischvolk vs. Rückkehrerschaft) konstruiert, um die Jerusalemer Position zu unterstreichen. Das zeigt, dass sich das Verhältnis bis zur AbfasVgl. dazu oben, 61, Anm. 109. Siehe dazu oben, 170. 160 Vgl. zuletzt Rothenbusch, Abgesondert, 245: „die Mitte oder die zweite Hälfte des 4. Jh.“. 158 159

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sung der Esra-Nehemia-Komposition weiter radikalisiert haben muss. Dass gewaltsame Auseinandersetzungen durchaus im Blick sind, deutete sich ja schon in der Nehemiaerzählung an. Dieser Aspekt wird in Esr 3 mit der „Furcht vor den Völkern der Länder“ aufgegriffen. Doch nun wird in Esr 4 eine regelrechte kriegerische Auseinandersetzung entworfen, indem erzählt wird, dass letztlich die Samarier den Tempelbau mit Waffengewalt unterbunden hätten. Tatsächlich ist Entsprechendes für die hellenistische Zeit bezeugt. Josephus erwähnt im Zusammenhang des dritten syrischen Krieges Raubzüge der Samarier gegen Jerusalem. Allerdings dürfte die Notiz eher in die Jahrzehnte vor der Machtübernahme der Seleukiden gehören. In jedem Fall erklärt sie die in Esr 4 dargestellte Radikalisierung gut. 161 Außerdem dürfte auf die Zerstörungen angespielt sein, zu denen es während des fünften syrischen Krieges in Jerusalem u.a. am Tempel gekommen war. Diese Darstellung der neuen Dimension der Auseinandersetzung, dürfte aber auch mit einer größeren Bedeutung Jerusalems und einer stärkeren Konkurrenz der Gemeinschaften in Juda und Samaria zusammenhängen.162 Die persische Herrschaft scheint in Esr 4, aber auch in der Esrageschichte allerdings relativ weit vom Geschehen entfernt zu sein und reagiert letztlich nur auf Verleumdungen und ohne eigene Expertise.163 Auch dies lässt sich gut mit der Situation in Jerusalem im Übergang von der ptolemäischen zur seleukidischen Zeit verbinden, in der der Einfluss der Zentralherrschaft auf die Region temporär begrenzt war. Als weiteres Detail für die Datierung kann man die Betonung des Exodusmotivs in der Esra-Nehemia-Komposition hinzuziehen. Denn nach einer Androhung der Entziehung der Privilegien und der Ansiedlung einer Militärgarnison in Jerusalem164 hatten sich die Juden von Jerusalem seit dem dritten syrischen Krieg immer stärker an Antiochus III. orientiert, sich von der ptolemäischen Oberherrschaft abgewendet und im Zuge der späteren kriegerischen Auseinandersetzungen diesen unterstützt.165 Ohne die Unterstützung wäre Antiochus ein Sieg im fünften syrischen Krieg (202–195) kaum möglich gewesen.166 Die Dankbarkeit des Königs führte zu einer Wiederherstellung der zuvor von den Ptolemäern gewährten Privilegien und darüber hinaus zu weitergehenden Zugeständnissen.167 Dies dürfte der Hintergrund der Darstellung der außergewöhnlichen Privilegierung sein, die 161

Vgl. dazu oben, 109. Ihr Höhepunkt liegt in der Zerstörung des Garizim-Tempels unter Johannes Hyrkan am Ende des 2. Jh. v. Chr. Vgl. dazu oben, 110. 163 Vgl. oben, 107ff. 164 Vgl. dazu Sasse, Geschichte, 128f. 165 Vgl. Graininger, Syrian Wars, 251.256. 166 Vgl. Sasse, Geschichte, 132. 167 Vgl. Sasse, Geschichte, 133. 162

4. Abschließende Überlegungen zur Datierung

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man in Esr 7 mit Esra verbindet. Die nächste Parallele zum Dokument in Esr 7 ist daher der Brief Antiochus’ III., der von Josephus wiedergegeben ist.168 Darin wird nicht nur die Privilegierung des Tempels und die Fürsorge für den Kult geregelt, sondern auch eine umfassende Steuerbefreiung beschlossen sowie den Angehörigen des Volkes zugestanden, nach den väterlichen Gesetzen zu leben.169 Besonders der letzte Punkt, der die Gültigkeit der Tora für die Juden in Jerusalem und Juda festschrieb, dürfte bereits mit den beginnenden innerjüdischen Auseinandersetzungen um ihre Geltung zusammenhängen, die eine Generation später zu dem Aufstand gegen Antiochus IV. geführt haben. Im Hintergrund von Esr 7 würde entsprechend nicht eine Reichsautorisation der Tora stehen, sondern die Parteinahme des seleukidischen Herrschers für die konservativen Kreise in Jerusalem, die ihn bei der Machtübernahme unterstützt hatten. Dies erklärt die Form des Edikts zur Einführung der Tora. Denn deren Bedeutung steht in Esr 7 von vornherein fest. In jedem Fall trifft sich die in Esr 7 in Aussicht gestellte Bedeutung Jerusalems mit der Weiterentwicklung seiner Autonomie vom Politeuma in der Seleukidenzeit und seiner großen Bedeutung in der Diaspora. Indirekt in die Zeit führt auch die eigentümliche Betonung, dass Esra Zugriff auf die Mittel der Provinz erhält. Denn zu bedenken ist, dass bereits unter den Ptolemäern das Konzept der Steuerpächter eingeführt worden war. Über den Wechsel der Herrschaft hinweg hatte Hyrkanos, der Sohn des Tobiaden Joseph, diese Position inne. Dabei war ihm spannenderweise auch Samaria unterstellt.170 Somit hätte die Konstruktion einer Vorherrschaft Jerusalems über die Region unter Esra, die an den politischen Zuständigkeiten vorbei zu gehen scheint, und die Tatsache, dass man für Esra kein politisches Amt benennt, möglicherweise in dieser Institution ihren Hintergrund. Der Einfluss aufgrund eines Amtes, das in der Realität natürlich den hellenistischen Herrschern zugute kam und der Familie der Tobiaden in die Hände spielte sowie ihren Einfluss sicherte, wurde idealisierend mit Esra verbunden und mithin in die Perserzeit zurückprojiziert. Dem hellenisierten Tobiaden, aber auch dem nicht weniger unbeliebten Hohepriester Onias II., der mit der Einstellung der Tribute an die Ptolemäer die Autonomie aufs Spiel gesetzt hatte, wird mit Esra eine integrere Gestalt aus der hohepriesterlichen Familie gegenüber- bzw. besser: vorangestellt.171 Vielleicht hat man positiv bei der Vgl. Grätz, Gottesgesetz, 7. Siehe Josephus, Ant. XII,3 §142. Vgl. Haag, Das Hellenistische Zeitalter, 52. 170 „Thus Mt. Gerizim, as well as the villages in Samaria, whence people came to the temple on Mt. Gerizim, was under the responsibility of the Tobiad family“ (Dušek, Administration, 82). 171 Garbini, History, 169, überlegt, ob das Fehlen Esras in 1Chr 5 und bei Sirach dafür spricht, dass er eine konstruierte Gestalt ist, entworfen im Zusammenhang des Aufstiegs 168

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Figuration Esras und der Konstruktion des Artaxerxes-Schreibens auch an den Hohepriester Simon II. gedacht, der im Zusammenhang der von Antiochus III. gewährten Privilegien stand und dem von Antiochus III. das Recht der Prostasia zugestanden wurde.172 Dieser führte die konservativen Kräfte und zugleich die proseleukidische Partei an.173 Man könnte dabei auch überlegen, ob die Zugehörigkeit zur hohepriesterlichen Familie und das Fehlen einer persischen Funktion bei Esra darauf hindeutet, dass er wie ein Inhaber des Amtes der Prostasia gesehen wurde, welches wenige Jahre vor dem Sieg Antiochus’ III. noch der Tobiade Joseph zusätzlich zur Steuerpacht hatte an sich ziehen können.174 Bei einem weiteren Punkt deutet sich an, dass Esra-Nehemia in dieser fortgeschrittenen hellenistischen Zeit abgeschlossen worden ist. In Esr 1f. und in Esr 7f. werden eine Fülle von Gaben der Diaspora für den Tempel in Jerusalem erwähnt. Ich hatte die Vermutung geäußert, dass es eine der Intentionen des Buches ist, die Diaspora zur Unterstützung des Jerusalemer Tempels zu bewegen.175 Zeitgeschichtlicher Kontext ist, dass die Bedeutung Jerusalems sicher erst durch die Unterstützung der jüdischen Diaspora herangewachsen ist. Dabei stand man in Konkurrenz mit dem Heiligtum auf dem Garizim, das ebenfalls Beziehungen zur Diaspora unterhielt. Entsprechende – offenbar andauernde – Auseinandersetzungen erwähnt Josephus: In den Antiquitates berichtet er davon, dass schon unter Ptolemäus I.176 und dann unter Ptolemäus VI.177, also am Anfang des 2. Jh., gewalttätiger Streit zwischen Juden und Samaritanern in Ägypten darüber ausgebrochen war, welcher der erwählte Tempel sei. Für dieselbe Zeit ist die Existenz einer samaritanischen Diasporagemeinde inschriftlich für Delos bezeugt. Eine weitere Einnahmequelle dürfte die Entwicklung des Wallfahrtswesens gewesen sein. Das Esra-Nehemia-Buch betont ja mehrfach die Anwesenheit des ganvon Jonathan Makkabaios. Doch sollte man dann Hinweise auf die Entweihung des Tempels, seine Plünderung und den Aufstand im Esrabuch finden. Zu der These einer vollständigen Konstruktion der Esragestalt vgl. Soggin, Irrweg. 172 Vgl. Haag, Das Hellenistische Zeitalter, 52. 173 Vgl. dazu Tcherikover, Hellenistic Civilization, 79ff. 174 Vgl. dazu Sasse, Geschichte 130. Wenn sich erhärten ließe, dass schon bei dem in Neh 2,10ff. erwähnten Tobija hintergründig an den Begründer des Tobiadenclans gedacht ist, wie Edelman, Seeing double, 571, meint, ergäbe sich ein weiterer Zusammenhang mit der hellenistischen Zeit und zudem eine Möglichkeit, die Abfassungszeit der Nehemiaerzählung einzugrenzen. Vgl. das Zitat von Edelman oben, 344, Anm. 136. So spekulativ dies insbesondere im Zusammenhang der Abfassung der Nehemiaerzählung ist, so mag die Namensgleichheit bei der Entstehung der Gesamtkomposition zumindest eine Rolle gespielt haben. 175 Siehe oben, 253. 176 Vgl. Josephus, Ant. XII, 1, 10. 177 Vgl. Josephus, Ant. XIII, 3, 74.

4. Abschließende Überlegungen zur Datierung

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zen Volkes bei den Wallfahrtsfesten. Was in dem Buch vordergründig die Legitimität Jerusalems unterstreicht,178 sicherte auch in der Realität seine Bedeutung als Ort des Zentralheiligtums und seinen Wohlstand.179 Während die Fürsorge für den Tempel in Neh 10 noch in einem Kompromiss der regionalen Gemeinschaft auf der Grundlage der Vorschriften der Tora geschah und noch relativ begrenzte Verhältnisse widerspiegelt, dürfte sich indirekt in Esr 1 und in Esr 7 ein weiterer Einflussbereich des Jerusalemer Tempels in der hellenistischen Zeit abbilden. Dass man die freiwilligen Gaben der Israeliten in Esr 7 mit den freiwilligen Gaben des Königs und den anderen von ihm gewährten Privilegien verbindet, beinhaltet einen weiteren Anhaltspunkt für die Datierung in die Zeit nach dem fünften syrischen Krieg und in den Zusammenhang der von Antiochus III. gewährten Privilegien. Dass man diese Privilegierung, die das Maß jener, die Jerusalem von den Ptolemäern empfangen hatte, übertraf, in die Vergangenheit verlagerte, dürfte nämlich vor allem damit zusammenhängen, dass sie unter Antiochus III. gerade nicht von Dauer war. Denn wenige Jahre nach dem Sieg beim Paneion180 (200 v. Chr.) wurden die Seleukiden aufgrund ihrer Niederlage gegen die Römer bei Magnesia (190 v. Chr.) zur Zahlung riesiger Tribute gezwungen, was vielerorts die Aufhebung der gewährten Steuerprivilegien181 und die Plünderung von Tempelschätzen nach sich zog.182 Diese veränderte Situation erklärt die Betonung der Freiwilligkeit der Gaben eines Königs einer längst vergangenen Epoche.183 Damit bietet man eine Begründung des aktuellen Reichtums des Tempels, die einen direkten Zugriff des seleukidischen Herrschers als unberechtigt erscheinen lassen soll. Die Heliodor-Episode (2Makk 3,4ff.) lässt erkennen, dass die Seleukiden sich tatsächlich aufgrund der gewährten Zuwendungen zur Konfiszierung von Mitteln berechtigt sahen. Man vergleiche darin besonders 2Makk 3,10, wo das Besitzrecht des Volkes am Tempelschatz betont wird. Esr 8 und auch Esr 1f. macht in der von den Römern verursachten veränderten Politik der Seleukiden klar, dass die Finanzmittel nicht aus Juda Vgl. zusammenfassend oben, 357f. Vgl. Knowles, Pilgrimage Imagery, 73f.; dies., Centrality, 77ff. Vgl. bspw. die Beschreibung der Massenwallfahrten bei Philo, Spec. Leg. 1.69. 180 Dabei handelte es sich um ein Panheiligtum bei den Jordanquellen (heute Banias). Vgl. Sasse, Geschichte, 264f. 181 Die Steuerlast erhöhte sich und führte dazu, dass schon Onias III. (196–174) sich wieder stärker den Ptolemäern zuwandte, „perhaps because of the higher tax debt imposed on the Jews by Antiochus III“ (Wright, Foreign Rule, 130). 182 Nach der Niederlage gegen Rom folgten im Herrschaftsbereich der Seleukiden „Zwangsanleihen bei Heiligtümern und Plünderungen von Tempelschätzen“ (Haag, Das Hellenistische Zeitalter, 56). 183 Siehe dazu oben, 268. 178 179

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Kap. 5: Synthese

stammen und somit nicht Teil des Besitzes der Region sind. Die veränderte weltpolitische Situation dürfte damit die Argumentation der Esra-NehemiaKomposition maßgeblich beeinflusst haben.184 Die Szenerie in Esr 7f. dient also dazu, einen späteren Zugriff der hellenistischen Herrscher als unrechtmäßig erscheinen zu lassen. Deshalb wird nicht nur aufgrund des Befehls des persischen Königs für die Opfer gesorgt, sondern es werden auch Autonomie und Steuerfreiheit gewährt und außerdem freiwillige Gaben auch der persischen Hierarchie betont. Die ebenfalls in der Endkomposition erkennbare Unberechenbarkeit der persischen Politik fügt sich gut mit den Erfahrungen, die man im Übergang von der ptolemäischen zur seleukidischen Herrschaft gemacht hatte. Denn die hellenistischen Herrscher gewährten Privilegien, entzogen sie aber auch schnell wieder. Und möglicherweise ist das auch der Grund, warum man nun betont vom „König von Assur“ (Esr 6,22) spricht. Man spielt mit der Bezeichnung des eigentlich verhassten Imperiums darauf an, dass die gewährte Gunst nicht von Dauer war.185 Nach diesen Bezügen, die sich aufgrund der Präsuppositionen ergeben, kann nun noch auf zwei literarische Bezüge eingegangen werden, die die vorgeschlagene Datierung bestätigen: 1. Im Lob der Väter (Sir 44–50) wird Esra trotz seiner außerordentlichen Betonung in Esr 7–10; Neh 10 nicht erwähnt. Lange hat man über inhaltliche Gründe für diese „Leerstelle“ spekuliert,186 doch ergibt sich nur dann ein Problem, wenn man Esra-Nehemia

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Nach Lichtenberger, Geschichtsschreibung, 208, war die Heliodor-Episode symptomatisch für die Innenpolitik im Seleukidenreich nach der Niederlage Antiochus’ III. gegen die Römer. Da die Legitimität betont wird, dürfte die gewaltsame Beraubung des Tempels unter Antiochus IV. noch nicht im Blick sein. 185 Vgl. Haag, Das Hellenistische Zeitalter, 131; Koch, Dareios, 133. Siehe dazu auch oben, 193, Anm. 521. 186 Höffken, Warum schwieg, 193ff., ist die ganze Esrageschichte durchgegangen und zu dem Ergebnis gekommen, dass die „Ablehnung des Levitismus, verbunden mit einer Hochschätzung des Hohenpriesters und seiner Priesterkollegen“ (ebd., 195) verantwortlich sei. Feininger, Personalisierte Geschichte, 356, hat – etwas moderater – überlegt, ob sich darin „Konkurrenzkonflikte unterschiedlicher priesterlicher Gruppen“ widerspiegeln. Mulder, Simon, 95, meint, der Partikularismus Esras widerspreche dem Universalismus Sirachs. Doch berücksichtigt er bei seiner Beurteilung die Aversionen gegen Fremde ebensowenig wie jene gegen die Samarier. Nach Garbini, History, 152, sei Esra ausgelassen worden und „Ben Sirach not only ignores Ezra but gives Zerubbabel and Joshua the credit for having restored the cult“, doch von Kult ist an der Stelle nicht die Rede. Stadelmann, Ben Sira als Schriftgelehrter, 163, hatte vermutet, dass Esra nicht direkt etwas mit Tempelbau und Ausstattung zu tun habe, doch hätte dann schon Esras Lobpreis (Esr 7,27f.) seine Aufnahme geradezu erzwingen müssen. Ähnlich Ska, Praise of the Fathers, 194. Zu der umfangreichen Diskussion des Themas vgl. ebd.

4. Abschließende Überlegungen zur Datierung

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frühdatiert.187 Aber zunächst einmal ist relevant, dass Sirach offensichtlich die Chronik kennt und verarbeitet hat.188 Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass eine Nähe zwischen der Esra-Nehemia-Komposition und Sirach aufgrund der Haltung zu Fremden und speziell den Samariern gegenüber besteht.189 Das Fehlen Esras bei Sirach lässt sich mit dem ähnlichen Kontext nahtlos verbinden. Denn in der nachexilischen Zeit wird auf Serubbabel und Jeschua verwiesen. Die Formulierung αὐτὸς ὡς σφραγὶς ἐπὶ δεξιᾶς χειρός „wie ein Siegelring an der rechten Hand“ (Sir 49,11) zielt auf Hag 2,23. Im Hintergrund der gemeinsamen Erwähnung dürften also die Bücher Haggai und Sacharja stehen, wobei es bemerkenswert ist, dass bei Serubbabel kein Vatersname steht. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Sirach der chronologische Konflikt zwischen Hag/Sach und der Chronik beim Vatersnamen bewusst gewesen ist.190 Die beste Erklärung dafür, dass danach Nehemia als Baumeister der Stadt erwähnt wird und die Einführung der Tora ebenso übergangen wird wie zuvor die Rückkehr Esras, ist, dass die Esra-Nehemia-Komposition bei der Abfassung Sirachs noch nicht existiert hat oder ihm nur die Nehemiaerzählung als akzeptierter traditioneller Text bekannt war. Ob Sirach auch die aramäische Tempelbauchronik gekannt hat, ist unsicher. Denn in dieser war ja von Serubbabel und Josua ursprünglich keine Rede. Zwar ist es spekulativ, ob Esra, der in den Texten wie eine Gegenfigur zu den Steuerpächtern erscheint, außerdem mit dem Hohepriester Simon, dem Gerechten, verglichen wird, doch wenn dem so wäre, dann würde Esra nun doch indirekt seinen Platz in Sirach haben, denn das Buch zielt ja auf den Lobpreis Simons II.191 2. Als weitere Bezugsgröße muss man die Darstellung des Eupolemos vom Bau des Tempels in Jerusalem durch Salomo in Betracht ziehen. Dessen (nur fragmentarisch überliefertes) Geschichtswerk ist etwas später als 187 Da man zu seiner Zeit noch selbstverständlich von einem übergreifenden chronistischen Geschichtswerk ausging, hat Ackroyd, Criteria, 116, aus dem Fehlen Esras geschlossen, dass Sirach die Chronik nicht gekannt habe, während er den Abschnitt Sir 47,2–11 lediglich in einem Traditionszusammenhang mit der Chronik sah. Rivkin, Ben Sira, 349f., hat erstmals überlegt, ob Esra-Nehemia noch nicht verfasst gewesen ist. Allerdings datiert er Sirach an den Anfang des 3. Jh. 188 Sir 47,2–11 setzt das chronistische Davidbild voraus. Vgl. Kaiser, Grundriss I, 147; Kratz, Translatio imperii, 270. Die Datierung Sirachs in die Anfangszeit der seleukidischen Herrschaft erscheint angesichts der Anspielung in Sir 10,8 als sicher. Von dem Aufstand gegen die Seleukiden ist noch nichts zu spüren. Vgl. Tcherikover, Hellenistic Civilisation, 143. Mulder, Simon, 329, hält ihn für einen Zeitgenossen von Simon II. 189 Vgl. oben, 296. 190 Vgl. oben, 397f. 191 Zu Simon, dem Gerechten, als Klimax des Lobs der Väter und des Sirachbuches vgl. Mulder, Simon, 329ff.

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Sirach verfasst worden,192 doch rezipiert es wie Sirach die Chronik.193 Spannenderweise wird von ihm in ähnlicher Weise wie bei Esra-Nehemia die Legitimität des Reichtums des Jerusalemer Tempels betont, und es spannt sich bei ihm der Bogen zum Exil und der Wegführung der Wertgegenstände. 194 Beachtenswert sind bei Eupolemos auch die fiktiven Briefwechsel, die die Authentizität der Darstellung unterstreichen, wie dies im Esra-NehemiaBuch der Fall ist. Man könnte überlegen, ob Eupolemos, der in Palästina schreibt, in der direkten Tradition der Entstehung der Esra-Nehemia-Komposition steht. Wahrscheinlich hat sich in jener Zeit ein regelrechtes literarisches Genre entwickelt, das die Briefe in den Makkabäerbüchern und weitere Literatur der Zeit des Zweiten Tempels prägt195 und auch von Josephus weiter genutzt wird.

5. Von den Diskursen zur Geschichte: Erst Kompromiss über Tempel und Tora, dann Separation Lange Zeit nutzte man das Esra-Nehemia-Buch als wichtigste Quelle für die Rekonstruktion der Geschichte Israels in der Perserzeit. Am Ende des 20. Jh. hat man auf seiner Grundlage mit der These von der Reichsautorisation einen Zusammenhang zwischen der persischen Politik, der Entstehung und Einführung der Tora und damit der Entstehung des Judentums hergestellt. Die Anhaltspunkte, die im Rahmen dieser These im Esra-NehemiaBuch für eine „Reichsautorisation der Tora“ gesehen wurden, stellen sich aber bei näherer Betrachtung als Reflex der Situation und von bestimmten Ereignissen der hellenistischen Zeit heraus. So destruktiv die Ergebnisse der vorliegenden Studie für die Verwendung von Esra-Nehemia als Quelle für die Geschichtsschreibung erscheinen mögen, es ergeben sich aufgrund der darin erkennbaren zeitgeschichtlich begründeten Zuspitzungen und Interpretationen älterer Texte doch Hinweise auf die Ausgangssituation und damit auf die religiösen Verhältnisse im Judentum der Perserzeit. Das Esra-Nehemia-Buch ist eine Programmschrift, die die Rückkehr aus dem babylonischen Exil, den Jerusalemer Tempel und die Jerusalemer Auslegung der Tora als ausschließliche Grundlagen des nachexilischen Israel erweisen sollte.196 Ihr Hintergrund war die Auseinandersetzung mit der GeVgl. Veltri, Eupolemos, 1660; Walter, Fragmente, 95. Z.B. folgt Eupol. 34,4 2Chr 2,9 und nicht 1Kön 5,20. Vgl. Walter, Fragmente, 103. 194 Vgl. Walter, Fragmente, 107. 195 Doering, Letters, 167, hält für diese ausdrücklich fest, dass „[t]he communication form ‚letter‘ is particularly apt for the corroboration of claims“. Damit haben sie dieselbe hermeneutische Funktion wie die eingebetteten Dokumente und Briefe bei Esra-Nehemia. 196 Vgl. oben, 372. 192

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meinschaft, die sich in Samaria mit dem Tempel auf dem Garizim als religiöses Zentrum entwickelt hatte. Der Neuanfang wird auf eine angeblich ungebrochene Kontinuität der Erwählung Jerusalems und der auf sie bezogenen Auslegung der Tora aufgebaut und dem Tempel auf dem Garizim und einer entsprechend abweichenden Auslegung der Tora entgegengesetzt. Für die Auseinandersetzung ist die wiederholte Begründung der Erwählung Jerusalems bezeichnend. Dazu wird die Kontinuität des Ortes, der Tempelgeräte, des von Gott vermittelten Befehls des Perserkönigs und das Angebot der Widersacher, am Tempelbau mitwirken zu dürfen, genutzt. Es werden Dokumente geschaffen, die das bestätigen sollen, und ältere literarische Texte in einen neuen Kontext gesetzt, damit sie das unterstreichen. Außerdem wird nicht nur die Auslegung der Tora an Jerusalem gebunden, sondern die Verbindung von Tora und Volk existiert ebenfalls angeblich ausschließlich im Kontext der Rückkehrer (Neh 7f.).197 Diese vielfache Unterstreichung der Legitimität lässt darauf schließen, dass die Erwählung Jerusalems zur Abfassungszeit mitnichten unangefochten war.198 In der Zeit der Diadochenreiche suchte man offenbar die Bedeutung Jerusalems gegenüber dem Garizim zu unterstreichen. Das diente dazu, die Juden/Israeliten im Lande und in der Diaspora an den Tempel in Jerusalem zu binden und sie vom Garizim zu lösen. Entscheidend dürfte sein, dass die Bedeutung beider regionalen Kultorte allmählich gewachsen war. Die Mobilität nahm zu, und der Einfluss der Tempel dehnte sich bis in die Diaspora aus, sodass es zu Überschneidungen und Konkurrenzsituationen kam. Dabei dürfte es vor allem um die finanzielle Unterstützung des jeweiligen Kultes und des Kultpersonals gegangen sein. Ohne Zweifel bedurfte es in einer Zeit, in der sich konkurrierende Gemeinschaften herausbildeten, argumentativer Anstrengungen, um die Glieder der Gemeinden zur Loyalität gegenüber dem einen oder dem anderen Ort zu bewegen. Das Esra-Nehemia-Buch hatte sowohl für Palästina als auch für die Diaspora diese Funktion. Dieser Hintergrund der Argumentation im Esra-Nehemia-Buch lässt vermuten, dass historisch Bau und Einweihung des Jerusalemer Tempels nicht von vornherein dem Tempel auf dem Garizim vorangegangen sein müssen.199 Der Tempelbau und auch die Ereignisse, von denen in Neh 10 erzählt wird, werden ganz nahe an das Ende des babylonischen Exils herangerückt, um die Ansprüche der Samarier zu bestreiten. Die im Esra-Nehemia-Buch enthaltenen Diskurse lassen aber erkennen, dass diese Auseinandersetzungen nicht immer in gleicher Radikalität geführt wurden und wahrscheinlich Vgl. oben, 329ff. Vgl. oben zusammenfassend, 381ff., und Knowles, Centrality, 128. 199 Vgl. dazu oben, 208. 197 198

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erst in der hellenistischen Zeit entstanden sind. Da der Tempel auf dem Garizim in der Mitte des 5. Jh. v. Chr. errichtet worden ist, haben historisch die beiden später konkurrierenden Tempel ca. 150 Jahre nebeneinander existiert. Ein wenig Einblick in die Verhältnisse jener Epoche bieten die Elephantinepapyri. Denn am Ende des 5. Jh. und damit Jahrzehnte nach dem Bau der Tempel in Jerusalem und auf dem Garizim wurde der Tempel der dort ansässigen jüdischen Garnison zerstört.200 Die Elephantiner Juden wendeten sich daraufhin an verschiedene Institutionen mit Bitte um Unterstützung zu dessen Wiederaufbau. Erhalten sind zwei Abschriften eines Briefes,201 den sie an Bagohi, den Statthalter von Jehud, geschickt hatten, worin um Unterstützung wahrscheinlich gegenüber der persischen Verwaltung in Ägypten nachgesucht wird.202 In diesem Brief wird außerdem erwähnt, dass ein Schreiben an Johanan, den Hohepriester in Jerusalem, und eine Reihe Jerusalemer Honoratioren gegangen sei, auf das man aber keine Antwort erhalten habe.203 Am Schluss des Briefes heißt es, dass Delaiah und Shelemiah, die Söhne von Sanballat, des Statthalters von Samaria, einen Brief gleichen Inhaltes erhalten würden. Man kann aus der Tatsache, dass der erste Brief an den Hohepriester von Jerusalem geschickt wurde, vielleicht schlussfolgern, dass die Elephantiner Juden sich Jerusalem in besonderer Weise verbunden fühlten, was angesichts der Tatsache, dass sie sich ja selbst als Judäer bezeichnen, nicht verwundert. Dass ein Brief gleichen Inhalts an die Söhne des Statthalters von Samaria und an den Statthalter von Jehud geschickt wurde, spricht dafür, dass man beide Seiten für gleichermaßen kompetent in dieser religiösen Angelegenheit hielt. Es handelt sich bei den genannten Personen wahrscheinlich um Juden bzw. Israeliten, denn alle tragen Jhwh-haltige Namen. Da die Statthalter von Jehud und Samaria in der Elephantiner Angelegenheit kaum direkt zuständig waren, suchte man sie wohl als Fürsprecher zu gewinnen. Überraschend ist die erhalten gebliebene Reaktion, denn Delaiah und Bagohi treten in einem gemeinsamen Memorandum für den Wiederaufbau des Heiligtums in Elephantine ein. Doch werden darin die Opfer insofern eingeschränkt, als Brandopfer nicht erwähnt werden. Außerdem wird der Tempel auch nicht mehr als Tempel Yahos, sondern nur noch als „Altarhaus des Himmelsgottes in Jeb“204 (‫בית‬ ‫ )מדבחא זא אלה שמיא זי יב‬bezeichnet.205 Über diese Erwiderung ist viel spe200

Vgl. Kratz, Der Zweite Tempel, 65ff. Siehe TAD A 4.7; 4.8. 202 Vgl. dazu Kottsieper, Religionspolitik, 166f. 203 Vgl. dazu Kratz, Der Zweite Tempel, 67. 204 Auf den auffälligen Unterschied der Bezeichnung weist Rüterswörden, Reichsautorisation, 60, hin. 205 Der Bestechungsversuch in TAD A 4.10 zeigt, dass die Brandopfer in TAD A 4.9 nicht zufällig unerwähnt bleiben. Vgl. Kottsieper, Religionspolitik, 169. 201

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kuliert worden. Es ist wahrscheinlich, dass man zwischen dem Anspruch der Tora insbesondere aus dem Kultzentralisationsgesetz und den realen Verhältnissen zu vermitteln suchte.206 In jedem Fall beweist das Memorandum, dass man am Ende des 5. Jh. das Zentralisationsgesetz des Deuteronomiums noch nicht so radikal interpretierte, wie es in der Esra-NehemiaKomposition und bspw. auch in der samaritanischen Version des Pentateuchs der Fall ist.207 Wichtig ist außerdem, dass die beiden Statthalter, die offenbar getrennte Briefe erhalten haben, in der religiösen Angelegenheit gemeinsam agierten. Dem muss eine Verständigung vorangegangen sein. All dies spricht dafür, dass die beiden Repräsentanten sich gemeinsam um die Interessen der Juden in der Diaspora kümmerten, wobei eine Reduzierung der Bedeutung des Tempels in Elephantine wohl am ehesten als Rücksichtnahme auf die Ansprüche der beiden wichtigen Tempel in Palästina zu verstehen ist. Noch in einem weiteren Punkt ist der Briefwechsel wichtig. Die beiden persischen Repräsentanten in Palästina haben offenbar Einfluss auf entsprechende Instanzen in Ägypten genommen. Eine offizielle Erlaubnis für den Bau des Tempels in Jerusalem und auf dem Garizim dürfte von daher einst auch nötig gewesen sein. In der Zeit dieses höchst erhellenden Briefwechsels am Ende des 5. Jh. und bis hinein in das 4. Jh. wird gemeinhin der Abschluss des Pentateuchs vermutet.208 Das bedeutet, dass anders als bspw. bei dem späteren Konkurrenztempel in Leontopolis209 nicht ein Priester die Tora und andere Texte mitgebracht hat,210 sondern dass die Tora nachträglich an beiden bereits seit längerem bestehenden Tempeln eingeführt worden sein muss. Einen Austausch über den Text – wo auch immer er entstanden ist – muss es daher gegeben haben. Wenn man die Notiz über die Heiratsverbindung der hohepriesterlichen Familie mit der Familie Sanballats (Neh 13,28f.) mit den Informationen aus Josephus (Ant. XI, 8,2 §309ff.) verknüpft,211 dann muss es über verwandt206 Rüterswörden, Reichsautorisation, 59f., weist darauf hin, dass bei der Annahme einer Autorisation der Tora eine solche vermittelnde Erlaubnis durch „die Autoritäten in Transeuphratene“ (ebd., 60) nicht denkbar wäre. 207 Dies konvergiert mit dem Ergebnis der Studie von Knowles, Centrality, 128, dass die Zentralisation in der persischen Zeit noch nicht vollständig durchgesetzt war. 208 Vgl. Grabbe, Law of Moses, 99f.; Heckl, Abschluss, 201f.; Lange, Date, 304. 209 Zum Tempel vgl. Ameling, Leontopolis, 117ff.; Sasse, Geschichte, 108. 210 Die Begründung des Tempels mit dem Verweis auf Jes 19,18 bei Josephus lässt vermuten, dass Onias IV. die Tora und Propheten dort eingeführt hat. Vgl. Josephus, Ant. XIII, 3, 62ff.; XX, 10, 236. 211 Josephus datiert die Angelegenheit in die Zeit Alexanders. Dennoch dürfte es sich auf dieselben Geschehnisse beziehen. Denn der Wegzug der Priester und Leviten aus Jerusalem geht auch bei Josephus dem Alexanderzug voraus. Siehe Josephus, Ant. XI, 8, 2, 309–

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schaftliche Bande der Priesterschaft hinaus212 auch weitere Beziehungen gegeben haben.213 Nach F. Dexinger gab es während der Perserzeit generell einen Zuzug von Priestern aus Jerusalem und Juda nach Samaria.214 Bezieht man außerdem ein, dass Juda und Jerusalem in der Perserzeit (wieder) deutlich geringer besiedelt waren als Samaria215 und sich damit das wirtschaftliche und politische Verhältnis zwischen Juda und Samaria im Vergleich zur spätvorexilischen Zeit umkehrte, hat das wohl zu der Abwanderung geführt, die sich in der Nebenbemerkung von der Rückkehr der Leviten in ihre Orte wegen des Ausbleibens der für sie bestimmten Abgaben niedergeschlagen hat (Neh 13,10). Vielleicht war also der Tempel auf dem Garizim in dem wirtschaftlich besser gestellten Samaria zeitweilig attraktiver als jener in Jerusalem. Wenn man das zusammenzieht, könnte es sich bei dem einen oder anderen Tempel vielleicht ursprünglich um eine Tochtergründung gehandelt haben. Tempel, Priesterschaft und Tora bildeten zunächst ein gemeinsames Band.216 Wenn Jerusalem an Bedeutung dem Tempel auf dem Garizim unterlegen gewesen sein sollte, würde das die Notwendigkeit von Kompromissen gut erklären. Bei der Rekontextualisierung älterer Vorlagen, beim Anschluss an die Chronik und bei der Harmonisierung von sich widersprechenden Konzepten wird ca. 150 Jahre später217 in der Esra-Nehemia-Komposition die Jerusalemer Perspektive unterstrichen. Durchgehend wird das mit dem Pentateuch begründet. Das war möglich, weil er die akzeptierte Grundlage war, und man wollte nun eine weitgehend von der Jerusalemer Perspektive bestimmte Interpretation der Tora als maßgeblich erweisen. Wie man sich schon in der Chronik beim Passa des Hiskia und Josia gegen eine abweichende Praxis und damit gegen eine andere Auslegung der Tora richtet, so diente die Unterstreichung Jerusalems als Ort der Erwählung in der Esra312. Schon Montgomery, Samaritans, 67f., hat die Berichte verbunden. Magen, Samaritian Temple, 189, hat die Identifikation der Ereignisse mit Neh 13,10f. begründet. 212 Magen, Samaritan Temple, 182, überlegt aufgrund des Briefwechsels in Elephantine, ob die Söhne von Sanballat auf dem Garizim als Priester fungierten. Dazu kritisch: Mor, Building, 95; Pummer, Samaritans in Flavius Josephus, 141. 213 Auch das Onomastikon der Inschriften auf dem Garizim lässt keine Besonderheiten gegenüber Juda und Jerusalem erkennen. Vgl. Knoppers, Jews, 128ff. 214 Vgl. Dexinger, Ursprung, 126ff. So auch schon Büchler, Tobiaden, 91. 215 Vgl. oben, 61, Anm. 109. 216 Nach Watts, Torah, 320ff., legitimiert der Pentateuch die Priesterschaft beider Tempel. Er weist darauf hin, dass der gemeinsame Gebrauch der Tora und die Verbindungen zwischen den Priesterschaften nicht zufällig sein können. Vgl. ebd., 321. Damit ist auch aufgrund des gemeinsamen Gebrauchs die Reichsautorisation als Hypothese nicht erforderlich, wie Pummer, Samaritans and their Pentateuch, 268, meint. 217 Zur Datierung siehe oben, 403ff.

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Nehemia-Komposition dazu, Jerusalems Legitimität gegenüber dem Garizim herauszustellen. Es ist allerdings signifikant, dass der Pentateuch gerade nicht auf einen Ort festgelegt ist. Zwar finden sich entsprechende Zuspitzungen der Versionen, doch scheinen sie der Entwicklung, die wir im Esra-Nehemia-Buch und auch in Jos 8 antreffen, nachzufolgen.218 Von Jerusalem kann natürlich im Pentateuch nicht direkt die Rede sein, und an den Stellen im Deuteronomium, an denen es um das zentrale Heiligtum geht, findet sich im masoretischen Text eine Formulierung, die die Erwählung Jerusalems als noch nicht geschehen markiert (‫)במקום אשר יבחר‬. Dies blickt, wie S. Schorch feststellt, auf eine aus der Perspektive des Mose künftige Erwählung Jerusalems voraus.219 Doch deswegen handelt es sich nicht um eine gegenüber dem samaritanischen Perfekt ‫ בחר‬sekundäre Lesart, denn diese ist innerhalb des samaritanischen Pentateuchs im Dekalog explizit220 mit dessen sekundärem221 zehnten Gebot und damit mit der samaritanischen Perspektive verbunden.222 Ohne solche späteren Eintragungen der jeweiligen Perspektive sprechen die Offenheit der Formulierung des Zentralisationsgesetzes und mehrere Anspielungen auf die Orte dafür, dass die Tora bewusst als Text für die beiden Tempel verfasst worden sein wird, wie C. Nihan anhand von Dtn 27 aufgezeigt hat.223 Die Aufnahme des Zentralisationsgesetzes im deuteronomistischen Geschichtswerk ist noch von einer durch sein Ende bedingten Offenheit geprägt, der das Konzept von Esra-Nehemia später widersprochen hat. Die bleibende Erwählung Jerusalems konnte nach der Zerstörung des Tempels und der Stadt kaum mehr als selbstverständlich behauptet werden. Die an die Kontinuität der Kultgeräte gebundene Sukzession der Orte, wie sie im 218

Vgl. dazu oben, 170. Vgl. Schorch, Construction, 142f. 220 Hjelm, Jerusalem’s Rise, 294. 221 Dies ist am Kompositcharakter des Dekaloggebotes und an seiner Verbindung mit dem Altargesetz deutlich erkennbar. Vgl. dazu Heckl, Zukunftshoffnung. 222 Schorch, Construction, 146, meint: „It is only by this textual change of the centralization formula, from ‫ בחר‬to ‫יבחר‬, that the Jerusalemite concept of a twofold election – place and dynasty – became firmly anchored in the written textual body of the Torah.“ 223 Dtn 27,4–8 dient seiner Ansicht nach dazu, zwischen dem Altargesetz in Ex 20 und Dtn 12 zu vermitteln „(1) to mediate between the competing claims of Zion and Gerizim in the late 5th or early 4th century B.C.E. and (2) to reach a compromise that would be acceptable by the two parties involved“ (Nihan, Torah, 216). Wenn man die These von Mullen, Ethnic Myths, 329, einbezieht, dass der Pentateuch „a full ethnic mythography, placing ‚Israel’s‘ origins in space and time in the remote past“ ist, dürften sich ähnliche vermittelnde Konzepte in den priesterlichen Texten des Tetrateuchs an vielen Stellen zeigen. Eine vergleichbare Funktion sieht Berquist, Identities and Empire, 11, für das deuteronomistische Geschichtswerk. 219

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Kap. 5: Synthese

Geschichtswerk vorgestellt wird, beruht wohl u.a. auf der exilisch betonten Ankündigung einer Verwerfung Jerusalems durch Jhwh bei Jeremia. Zentral dürfte die Ankündigung der Zerstörung des Tempels und sein Vergleich mit Schilo gewesen sein (Jer 7,12.14; 26,6.9). Der Bezug auf Jerusalem ist zwar in den Büchern der Hebräischen Bibel über weite Strecken anzutreffen. Das deuteronomistische Geschichtswerk, die Prophetenbücher, selbst die Nordreichspropheten werden auf Jerusalem bezogen. Einerseits sind diese Bücher größtenteils auch in Jerusalem bzw. in Juda entstanden oder zumindest dort in ihre uns bekannte Form gebracht worden. Andererseits liegt ihnen doch die Vorstellung zugrunde, dass es eine Abfolge der Kultorte in der Geschichte gibt.224 Es hat nach dem Exil nicht von vornherein festgestanden, dass nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels die nachexilische Geschichte Israels ihr Zentrum in Jerusalem haben würde. Die Herkunft des Deuteronomismus aus den exilischen Klagefeiern dürfte der Grund dafür sein.225 Die allmähliche Entzweiung zwischen Juda und Samaria erfolgte erst geraume Zeit nach der Ausformulierung der Jerusalemer Tradition.226 Dass man in judäischen Kreisen nur an eine Suspension geglaubt hat, ist wahrscheinlich, doch dürfte die Existenz zweier Tempel, an denen gemeinsam die gleiche Tora eingeführt wurde, letztlich auf der Vorstellung beruhen, dass es nach dem Exil nicht klar war, wo die Geschichte des Ortes sich fortsetzen würde. Und so sind die meisten der Bücher des Kanonteils der Propheten zwar schon in Jerusalemer Perspektive verfasst, doch enthalten sie noch nicht die Zuspitzung, die sich im Esra-Nehemia-Buch und auch in der Chronik227 zeigt. Ein gemeinsames Agieren in religiösen Angelegenheiten, wie es um 400 noch in den Elephantinepapyri bezeugt ist, und ein Kompromiss über den Grundlagentext an beiden Tempeln in einer Situation, in der Jerusalem wieder wie in der Königszeit im Schatten des einflussreicheren Samaria stand, dürfte das Leben im Perserreich nicht nur bestimmt, sondern auch erleich224

In der Abfassung dieser Bücher entwickelten sich in einem offenen Prozess allmählich die bestimmenden Aspekte des Judentums. Vgl. dazu Ben Zvi, Social Memory, 141ff. 225 Vgl. oben, 324f. 226 Dass bei den späteren Samaritanern keine äquivalente Literatur entstanden ist, zeigt, dass der Schwerpunkt der Literaturentstehung in Jerusalem gelegen haben wird. 227 Dass man die Geschichte des Nordreiches ausklammert, aber seine Bevölkerung nach seinem Ende nach Jerusalem zum Passafest einlädt, zeigt, dass die Chronik ebenfalls ein Teil jener Auseinandersetzung ist und vielleicht auf eine Stufe mit der Nehemiaerzählung oder der aramäischen Tempelbauchronik gehört. Dies trifft sich mit der generellen Einschätzung von Beentjes, Earlier History, 72, wonach „the author of Chronicles presents history to convey a certain interpretation of the events“. Vgl. auch Ben Zvi, Shifting the Gaze. In Bezug auf die Bundeslade hat Welten, Lade, 182, festgestellt, dass diese in der Chronik nicht mehr den erwählten Ort markiert: „Die Lade markiert gewissermaßen den Weg Jahwes nach Jerusalem, in den Tempel.“

5. Von den Diskursen zur Geschichte

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tert haben. Die wahrscheinlich auch schon aus der hellenistischen Zeit stammende Nehemiaerzählung aber erinnert bereits an Reibereien und sieht den politischen und religiösen Einfluss Samarias kritisch. Entscheidend für den Rückschluss ist das Zeugnis vom Bundesschluss in Neh 10, zu dem sich eine bestimmte Gruppe zusammengefunden hatte.228 Die Selbstverpflichtung der Gemeinschaft vor allem zur Unterhaltung des Tempels, aber auch zur Einhaltung einiger Regeln auf der Grundlage der Tora dürfte den Anfang einer auf Jerusalem bezogenen Auslegung der Tora und einer damit verbundenen Halacha markieren,229 was sich zu einer Entzweiung von Jerusalem und der Gemeinschaft in Samaria weiterentwickelt hat.230 Die EsraNehemia-Komposition zeugt damit davon, dass in der Folge nicht nur der anfängliche Kompromiss aufgegeben wurde, von dem der gemeinsame Pentateuch noch heute zeugt, sondern dass man den Jerusalemer Tempel und die Jerusalemer Auslegung der Tora als die alleinigen religiösen Grundlagen Israels zu erweisen suchte.

228

Vgl. oben, 329ff. Vgl. oben, 315ff.322ff. 230 Dass man an zentraler Stelle die Figur Esra für die Verschärfung des Konzeptes nutzt, ihn aber nicht direkt mit dem Bundesschluss in Verbindung bringt, sondern diesen nur in den Schatten der Verkündigung der Tora durch Esra stellt, könnte dafür sprechen, dass er in der Tradition lediglich als Schreiber (vgl. zu dem Aspekt oben, 231f.) mit der Tora verbunden gewesen ist. Doch wie bei Mose dominiert die Figuration und die kontextuelle Funktion die Esrafigur, sodass eine Aussage über den Ursprung der Esratradition ebensowenig möglich ist wie die Beantwortung der Frage nach dem historischen Esra. Zur Problematik vgl. Grabbe, Ezra’s Mission. Da die Auseinandersetzungen um die Auslegung der Tora aber erst in der hellenistischen Zeit begannen, kann Esra noch nichts mit ihnen zu tun gehabt haben. Auch die Aversionen der Samaritaner gegen ihn dürften sich also (direkt oder indirekt) auf die Esra-Nehemia-Komposition beziehen. Lediglich der Vorwurf, die Tora in die Quadratschrift übertragen zu haben, könnte zu ihm führen. Vgl. dazu oben, 385. Die Betonung des Zusammenhangs zwischen Tora und Esra widerspricht also geradezu der weitreichenden Annahme bspw. von Sanders, Torah and Canon, 51ff., dass das Judentum mit der Rückkehr Esras seinen Anfang genommen habe. Daher muss der Satz von Sanders, ebd., 51, „From Ezra onwards, the Torah was Judaism and Judaism was the Torah“ abgewandelt werden in „From the time of the composition of Ezra-Nehemiah onwards, the Torah became Judaism and Judaism became Torah“. 229

Abkürzungen Die Abkürzungen folgen: Schwertner, S.M.: IATG2. Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin, New York 21992; Collins, B.J./Buller, B./Kutsko, J.F., The SBL Handbook of Style. For Biblical Studies and Related Disciplines, Atlanta, GA 2014. Daneben werden die folgenden Abkürzungen verwendet:

Allgemeine Abkürzungen fem. Haf. Hif. Hitp. Hitpa. Imp. Imperf. Inf. Inf. abs. Inf. constr. mask. Nif.

feminin Haf‘el Hif‘il Hitpa‘el Hitpa‘al Imperativ Imperfekt Infinitiv Infinitivus absolutus Infinitivus constructus maskulin Nif‘al

Pa. pass. Pe. Perf. Pesch. Pl. / pl. Ptz. sam. Sam. Suff. V. Z.

Pa‘el passiv Pe‘al Perfekt Peschitta Plural / pluralisch Partizip samaritanisch Samaritanus Suffix Vers(e) Zeile(n)

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Die vollständigen Angaben sind im Literaturverzeichnis angegeben.

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Stellenregister Altes Testament Genesis 4,24 15,1

277 224

Exodus 3,21f. 11,2 12,19 12,35 12,48 20,2 23,15–17 28,30 30,13 34,22f. 40

38 38 257 38 257 18 314 74 328 314 152

Levitikus 6,19 11,45 16,29 17,15 18 18,26–28 18,27f. 19,36 20 20,26 23 23,24 23,34–36 23,34 23,35f. 25,4

277 18 257 257 210.294 210.333 285 18 210 285 353 185.314 324 185 324 377

25,9f. 26,33–35

315 377

Numeri 1f. 2,3 3 3,2–4 8,6–15 10,14 11,25f. 16,1 18,1 18,7

196 196.200 153 169.401 267 200 116 225 75 75

Deuteronomium 4 4,6–8 5,1 5,31 6,25 7 7,3 7,26 12,1 12,31 15,15 16 16,13ff. 16,14 16,16 16,18 23 23,4ff. 23,4

254f.284 238.254 232 232 232 210.333 285.294.333 285 232 285 18 323 187.314 323 186 254 285 346 285.294.334

446 23,7 26,8 27 30,4 31 31,9ff. 31,9 31,10f. 31,10 31,11 31,13–15 31,26

Stellenregister 294 18 170.207.385.415 381 170.207.231.261.263.283.304. 323.348.366.373f.378f.392 252.261 323 314 314 301 348 323

Josua 7,1 7,18 8 8,30–35 24 24,26

225 225 415 170.207.385 17 327

400 116 116 116 116

2. Samuel 24,9

62

1. Könige 5,20ff. 5,20 5,25 7,48ff. 18,37

186 410 186 184.202.395 391

2. Könige 17 17,24ff. 17,28 18,14 22

232.323 50 213 50.54.213.395 229.281 50 196

Jesaja 1,11 36–39 41,25 44,26–28 44,28 44f. 45 45,1ff. 45,1 45,5 45,13 49

327 17 35 35 35.50 35.40.48f. 50 35.49 49 35 35.49f. 371

Jeremia

1. Samuel 1 10,5f. 10,10 18,10 19,20

22,8 24f. 24,18–25,30 25 25,18 25,27–30 25,27

85.86.213f.394.396 86 86 38 263.281.392

1 1,1ff. 1,1–6 1,1–4 5,18 7,12 7,14 18,23 25,8–12 25,11 26,6 26,9 29 29,10ff. 29,10 29,11–14 29,19 30,11 33 33,7–13 33,7 33,11 36 36,10

306 261 305 121 305 416 416 305 52 51 416 416 51.53.55.78.371.376 50–53.182 51–53 53 52 305 51 51 51 51 262 182

447

Stellenregister 41,1–3 41,3 41,5 43,10 45,1 51,60 52 62

324 213 324 40 262 262 213 54

Ezechiel 38,13 44,11

38 283

Hosea 4,6

327

Haggai 1,1–11 1,1 1,2 1,3 1,12 1,14 2 2,2 2,3 2,6–9 2,10ff. 2,10 2,13 2,15 2,16 2,18 2,21 2,23

89 115.118.197.398 89 115 115.398 118.197.398 198.206 118.197.398 184.188 188 89.119 89.115 194 187 39 187 118.197 198.398.409

Sacharja 1,1 1,7 1,12 4 4,6ff. 7f. 7 7,2ff. 7,3

115f. 115f. 375 198 198 325 187 324 187

7,5 8,18ff. 8,19 14,15

324.375 324 325 76

Psalmen 37,31 45,2 100,4f. 106 107 118 136

327 231 188 188 188 188 188

Ruth 4,20

196

Kohelet 2,20

391

Ester 1,19 2,1 3,1

136 224 224

Daniel 1–6 1 1,1f. 1,21 2,4 2,19 2,25 2,37 4,23 5,12 6,1 6,8 6,9 9,1 9,1f. 10,1 11,2

400 400 399 399 171 70 70 238 70 70.118 227 89 136 91 110 400 376

448

Stellenregister

Esra 1–10 1ff. 1–8 1–7 1–6

1–4 1–3 1f. 1

1,1ff. 1,1–4 1,1–3 1,1 1,2ff. 1,2–4 1,2 1,3f. 1,3 1,4 1,5–3,13 1,5f. 1,5 1,7ff. 1,7f. 1,7 1,8 1,9–11 1,9f. 1,11 2–6

291.300.310.334.336.363 2.55 281 32.256.260 2.19.28–33.46.51.53.81.93.112. 125.135.151.161.177–179.181f. 191–195.198.200f.205.208f. 213–216.219f.226.231.249. 252f.263f.270–272.274f.278f. 284.294.296.299.308.310.333. 336.350.354.356.359–361.363. 371.373.375.377.382.387.389. 391.393 19.151.371 188 151.406f. 36.38.42.45f.51–53.82.88.110. 177.179.181.202f.207.227.245. 249.256.273.291.305.354.359. 367f.372.389f.399f.407 54.80.261.390 30.53.211.217.364.388.394f. 1.51.54.387.394 26.47–52.55.62.271f.356.359. 375.377.389–391.399 78.242 29f.32–34.38–40.42–47.49f.53– 56.183.193.195.219.253.272. 279.290.351.354.359.367.372 29.34.35.48.117.194 37 36f.190.192 37.57.183.272.278 181 45 63.83.88.185.190.192f.204f. 208.210.252.272.309.359 45.56.135 63.183f.195.249 184 45f.106.160.197f.201.203.245. 360.368 33.45.183f.203.268.389 354 64.160.192.203.205.360 320.398

2–5 2–4 2,1–4,5 2

2,1ff. 2,1f. 2,1 2,2 2,2–63 2,3ff. 2,6 2,10 2,13 2,14 2,21–28 2,23 2,29 2,31 2,32 2,33f. 2,36–39 2,40 2,41f. 2,43–54 2,55–58 2,59–63 2,59–61 2,60 2,61–63 2,61 2,62 2,63 2,64 2,65–69 2,65 2,66f. 2,68f. 2,68 2,69f. 2,69 2,70–3,1

367 117.198 159 30.33.58.60.65–73.77–79.81. 96.153.177–185.197.203–206. 208.216.252.273.275f.280.298. 300.307–311.313f.317.332.335– 343.347f.354f.357–360.364f. 367.374f.378.383.393 71 61.65.69.95.127.130.180.204. 275.311.357 63f.151.177.185.192.275 61.63f.160.179.198–201.273. 317.337f. 67 205.272.338 185 76 342 64 76 77.338f. 338 80 337 76 73 73 74 74 74 74.80 340 364 75 75 74.75 60.74.197.204.319 60.62f.67.71.276 67 76 76f. 68f.71.78.205.274.364 70.180 72.75 62.72.268 313

Stellenregister 2,70 2ff. 2f. 3–6 3,1–4,5 3 3,1ff. 3,1–6 3,1 3,2 3,3 3,4 3,6 3,7 3,8 3,10–13 3,10f. 3,11 3,12 3,13 4–7 4–6 4f. 4

4,1ff. 4,1–7 4,1–5 4,1f. 4,1 4,2 4,2f. 4,3 4,4ff. 4,4–7 4,4f. 4,4

61f.64f.67.69.73.79.180 30 47.58.313.314 64 159 69.82.103.118.173.187–189. 194.200.206.314 355.386 185.186 58f.65.185.188.206.313.323. 331.356.358.377 18.64.159f.204.229.313.380. 389.397 86.186.188f.206 18.75.314 185.199.277 29.40.46.56 73.159.160.203.229 186 188 187f. 184.187.230.282.376 189 32.368 105.125.128.155.174.227.233f. 249.259.270 175.189 5.25.31f.46.81.83.85.87.93.97. 100.102.105.107–109.112.125. 155.162.170–172.174–179.181. 186.189.191.206f.213.216.233f. 282.290.300.320.335f.343. 360–364.374.378f.383.391. 393f.396.404 86.173 82.83.102.108 87f.211 106.176 73.83.189.192.360 84–89.93–95.103.105.107.119. 174.176.191.193.204.211.213. 360.382.396f. 160.361 29.40.56.81.88.190 88 90f.102 89f.92 88–90

4,5–7 4,5 4,6ff. 4,6f. 4,6 4,7–23 4,7 4,8ff. 4,8–24 4,8–23 4,8–22 4,8–10 4,8 4,9ff. 4,9–23 4,9f. 4,10 4,11ff. 4,11 4,12ff. 4,12 4,13 4,14 4,15 4,16 4,17 4,18 4,20 4,21 4,23f. 4,23 4,24–5,1 4,24 5f.

5

5,1ff. 5,1–5

449 83 5.82f.89.91.103.106.171.173. 191.360 81.108.134.172.376 92.110 191 102.155 82.90–92.106.113.171f.233 89.92.103.190.233.356 82.92 100.102.106 171 105 83.90.92.100.113.172 368 355 85.92–94.100f.103.107.172.174 93–95.103.211.213.396 104 29.40.56.81.93.100.234 110 95f.99.140.174 96f.99.191 97.101 97 96.191 93.100.173 234 99 99.155.174.379 82.102.233 82.91f.100f.106.109.174.176. 234.235 173.176 5.82.83.106.113.115.123f.134f. 156.158.160.162.171.173f.360. 379 25.31.33.43–47.56.63.82.106. 110.112.120.129.155–157.159. 169.172.174–179.181.183f.189. 191.195.203.205f.280f.354f. 359f.363f.374.400f. 42.44.56.89.100.125.128.135f. 141–143.147.162.167.171.173. 178.180f.204.335.354.359f. 363f.368 115 111f.123.134.137f.149.157.159

450 5,1–3 5,1f. 5,1 5,2 5,3–6,15 5,3ff. 5,3f. 5,3 5,4 5,5 5,6 5,6ff. 5,6–17 5,6–8 5,6f. 5,7–17 5,7 5,8–10 5,8 5,9f. 5,9 5,10 5,11–16 5,11–15 5,11f. 5,11 5,12 5,13–16 5,13–15 5,13f. 5,13 5,14–16 5,14f. 5,14 5,15 5,16 5,17

Stellenregister 113 120f.124f.134.138.150.154.159. 163.173.178.191f.198.393 82.113.115.118f.124.135.149. 152.156.160 96.113–115.117–119.122.131. 135.138.149.158f.162.178.191. 204.389.397 159 172 114.120.123.131f.158f. 112.114.119–121.123.138.141. 148f.159f.167.172 114.121–123.132.162.204.360. 365 112.115.120.122–124.131f.134. 136.138.145.150.158.161.163f. 174.189.191.234 113.126.138.141.148.159.172. 234.311 122.160 125.129 138 127 129 127.130f.141 131 42.111f.131.143 132.360 114.129.131f.141.158.161 114.132.178.204 131 132 352 146.162.165 63.133.151.184 45.55 40.42.44.56.205 43 29.40.133.141.143.155 33.161 45.195.274 45.134f.139.145.183.195–197. 201f.359 29.40.129.142.144.157.197 126.134f.139f.161.198–200.206 131.135–137.141.144

6 6,1–12 6,1f. 6,1 6,2–12 6,2–5 6,2 6,3ff. 6,3–12 6,3–5 6,3 6,4 6,5 6,6ff. 6,6f. 6,6 6,7–12 6,7 6,8–10 6,8f. 6,8 6,9 6,10 6,11 6,12 6,13–22 6,13–18 6,13–15 6,13f. 6,13 6,14–18 6,14–16 6,14f. 6,14 6,15–18 6,15 6,16f. 6,16 6,17 6,18 6,19–21 6,19 6,20f. 6,20

6.42–44.112.142f.147.149.152. 174.182f.191.194.219.250.253. 256f.283.291.354 139.142 141.143.150.157.164 123.126.142f.155.250 219 29.34.40.42.44.55f.144 113.141.143 142.160 290 42.43.55.138.150 43.142.156.158 43.46.55.112 43.45.142.144.148 173.244 138.145 130.142.144.173.176.189 220 144.161.196f.202 145 250 142.174.191 43.248.250.276 145.244.251 142 113.138.142.146–148.150.154. 166.168f.244.251 202 148f.154.163 43 149 141.149f.274 113 179 150 2.92.110.113.115.118.120.149. 152.154f.175.226.282.390f. 153 113.125.150.156.158f.314 150.276f. 73.76.151.179.192.206.252 152.277 153.156 181.208f.211 192 392 283.392

Stellenregister 6,21 6,22 6,35–38 7–Neh 13 7–10 7ff. 7f. 7

7,1ff. 7,1–11 7,1–10 7,1–6 7,1–5 7,1 7,5–7 7,5 7,6–11 7,6–10 7,6 7,7–9 7,7 7,8f. 7,11ff. 7,11–26 7,11 7,10 7,12ff. 7,12–26 7,12–16 7,12 7,13

84.85.192f.208–210.212–214. 265.278.297.299.301.332–335. 349.366.379.383.386.394.397 193.293.390f.408 227 155.259.322 2.3.219.221.271.274.279.288. 304f.307f.343.361.363.375. 390.408 271.354 31.73.226f.267f.270–272.274. 278–280.286.290.294.310.337. 406.408 6.30.53.128.167.175.196.218f. 221–223.226f.229.231.233. 240.243.248.250.253f.256. 258f.261.263–265.267f.279– 282.286.289.291.322.325–327. 335.342f.356.361f.366.373. 380.390–392.405.407 229.231.265.323 236.246.260f. 221.232.239.241 203.223.225.263.271f.278 6.222–224.228.267 91f.220f.223.226.230.272.389– 391 130 267 261.236 221 30.231f.236.239.241.261.265. 268.281.287.380 222.232.242 222.226.252.267.330 222 220.241 218–221.233 75.155.218.231.234–238.240f. 267 232.281 243.244.249.287.321 147.233.236.243.249.256.259. 265.270.272.279.284.287.290. 351 278 218.238–242.249.254.281 62.221.237.240f.252.267

7,14f. 7,14 7,15–20 7,15f. 7,15 7,16 7,17f. 7,17 7,18 7,19 7,20ff. 7,20–24 7,21–24 7,21f. 7,21 7,23 7,24 7,25f. 7,25 7,26 7,27f. 7,27 7,28 8–10 8

8,1ff. 8,1–14 8,1 8,2–14 8,2 8,3–14 8,3 8,9 8,11f. 8,13 8,15ff. 8,15 8,16 8,18–20 8,18f. 8,19 8,21 8,22

451 89 218.237.242.244.254.258.282. 286 221 250 245.366.381 244f. 248f. 247.250.269 247f. 249 253 249 218 219.221.253 218.237.239f.251 149.221.251 221.252.330 221.254.258 237.254.257.281f.286.299.324f. 218.237.243.255f. 221.259–261.263–265.268.303. 408 258.260.264.288 221.261.265–267.391 53.283 30.63.75.77.79.205.232.265. 268f.272.276.283f.290.308. 310.321.338f.342.356.363.367. 407 267.275.365 265.273.363 222.264f.267.273.275 272 266.272f.293.378 276 272 252 252 77.308.342 265 205.222.266f. 339 205.266 273 339 268 243.287

452 8,24–28 8,24 8,25–27 8,26f. 8,28 8,30 8,31f. 8,33 8,35 8,36 9f. 9 9,1ff. 9,1f. 9,1 9,2 9,4 9,7–9 9,7 9,8f. 9,8 9,9 9,11 9,12 10 10,6ff. 10,7 10,16f. 10,18 10,23ff.

Stellenregister 246 266.273 274 268 268 266.273.316 268.272 75.271.337 151.218.269.276f. 26.30.218f.235.240.255.265. 274.277.286 211.257.278.285–287.296.299. 301.321f.324.326.333.335.361. 367.383.387 289.296.307.321.326.345 297.299 285.289.382 210.252.284.294.334 285.297f. 151 291 286 289 292 271.286.301 210.294 294 264.288f.298.304.308.334.337. 356.367 151 47 286 229 298

Nehemia 1–13 1–7 1–6 1ff. 1f. 1 1,1–5 1,1 1,3 1,5ff. 1,9

3 317.319 97.335 1.105.316f.361 362 303.306f.317.347 305 226.258.303f.321.363 104.108 319 381

1,11 2 2,1ff. 2,2 2,3 2,7ff. 2,7–9 2,7 2,9 2,10 2,11 2,15–18 2,19 2,20 3f. 3 3,2 3,4 3,8 3,10 3,11 3,17 3,19 3,20 3,21 3,23 3,25 3,30 3,35 3,37 3,38 4 4,1 5 5,5 5,7 5,9 5,12f. 5,14 5,15 5,19 6 6,1f. 6,6 6,10ff. 6,12 6,15 6,17f.

286.303.362 63.240.341 226.303.343 362 104 240 30.240.287.321.344.362 287 287.343 344.364 303.321 303 105.345 344 344 308.337.339f.356.367 339 75.337.339 337 272 337 337.339 337 287 75 337 337 337 346 305 303 87.344 346 345.347.378 402 102 102 345 286.345 70 288 87.304.307 345 105 76 352 303 345

Stellenregister 6,18 7–12 7–10 7f. 7

7,1–3 7,3 7,4–8,18 7,4f. 7,4 7,5 7,6–12,26 7,6ff. 7,6–72 7,6f. 7,6 7,7 7,8–20 7,18 7,23 7,27 7,33 7,35 7,5f. 7,61–63 7,62 7,65 7,66 7,69–71 7,69 7,71 7,72 7,72–8,2 7,72–8,1 8–10 8f. 8

344 317 30.337 314.320.331.334f.347.349f.364. 375.411 30.58–60.64.66–68.70–73.76– 78.153.179.197.204.216.252. 261.298.307f.310.313–315.317. 330–332.335–342.347–350. 367.403 345 308 343 312.343 308 26.30.58–60.65.78.81.127.309– 313.317.336.341.347.350.357. 365.392 315.317 59.71.317.332.347 67.307.342.348.351.357f.365 357 61.151.337f. 62.337f. 338 342 327 77.338f. 338 337 332 332.340 364 204.319 60.63.276 68f. 71.204f. 71.72.179 58f.62.65.73.185.313.323.332 313 358 287.315.329.332 320 2.30f.218.252.257.261.263.265. 283f.286.289.301.304.307f. 314.316f.320–327.329.331.334– 336.342f.348–350.353.364. 366f.373f.378.380

8,1ff. 8,1f. 8,1 8,3 8,4 8,5f. 8,6 8,7 8,8 8,9–11 8,9 8,10f. 8,11–13 8,12 8,13–18 8,13 8,14f. 8,14 8,15 8,16 8,18 8,29 9ff. 9f. 9 9,1ff. 9,1–5 9,1 9,2 9,3 9,4ff. 9,4f. 9,5–37 9,5 9,8 9,17 9,31 9,36f. 9,37–10,2 10

10,1ff. 10,1f.

453 321.332.386 227 261.283.312.331.336.347f.356. 374.377 348 298 348 240 286.298 327 324 70.227.274.317.323.348 323 348 266.323.348 322.332.353 252.323 353 314.343 18.47.348 267 322–324.327 335 334f. 316.321f.330–332.334.336. 342.361.375 305.316f.319f.322.325–327. 334f.349 345.364 320f.335 331.348 334.349 323.343 324 286 321f. 317 294 289.292 305 189.292.326.347.393 317.319 77.79.204.289.311f.315–317. 319–322.326–329.331–336. 338–342.347–350.353.367.369. 375.407f.411.417 216.331f. 319

454 10,1 10,2–28 10,2 10,5–8 10,12f. 10,15–20 10,20 10,29ff. 10,29f. 10,29 10,31ff. 10,31 10,32 10,33–40 10,33 10,37 10,38–40 11–13 11 11,1f. 11,3–19 11,23 11,32 12f. 12 12,1 12,16 12,26 12,36 12,44–47 12,47 13 13,1ff. 13,1–3 13,1f. 13,4ff. 13,4f. 13,10 13,14 13,15–22 13,22 13,23ff. 13,23 13,27 13,28f.

Stellenregister 318f.331.340.347 329.332.337 70.204.317f.337f.340 338 338 338 77.338–340 334 318.343 209.216.325.330–336.349.386 327 334.345 326.345 331.345.364 327.328 353 332 337.356 77.287.310.336.388 311f.343.347 387 318 338 317.319 77 389.397 116 229.316f. 316 346 118.198 285.287.298.300.321f.324.326. 333f.346.383.387 349.364 346.353 346.382 346 346 414 288 326 288 346 382 285 413

1. Chronik 2–9 3 3,17–19 3,18 3,19 3,22 5 5,8 5,26 5,27ff. 5,29ff. 5,37–40 5,40 6,35–38 9 9,1 9,2–7 9,3 12,41 15f. 16 16,8–36 16,34 23ff. 24,10

183 198 389 201 161 272 222.225.229–231.391f.405 225 213 228.391 222.227 222 225 228 388 309.392 387 310 77 183 188f. 188 188 153.183 75

2. Chronik 2,9 4,19ff. 5 5,13 7 7,3 7,6 30 30,1ff. 30,5 30,6 30,11 31,17 34f. 34 34,13 34,14f. 35f. 35

186.410 395 188f. 188 187f. 188 188 212–214 213 47 396f. 213.299.379 153 392 263.281.392 232.323 283 50.395 214.283

455

Stellenregister 35,10f. 35,18 35,25 36 36,7 36,12 36,18 36,20–22

392 213.214.379.397 54 36.50–54.211.389.394.399f. 133.184.395 54.395 133 50

36,20f. 36,20 36,21 36,21–23 36,22f. 36,22 36,23

54.213 52.213.390 50.52–55.182.375.377f.386. 388.394f. 52 1.50f.53f.387.394 47.52–54 33f.37.40

Apokryphen und Pseudepigraphen 1. Esdras 2,7ff. 2,11 2,14f. 2,18 5 5,7ff. 5,8 5,44 5,45 5,49 5,55 5,69 6,1 6,8 6,17 6,25 8,41 8,54 8,63 8,66

205 201 96 96.171 64.68 205 61f.179 72 62 86 201 88 111 111.131 201 142 266 273 277 294

9,39f. 9,49

227 227

2. Makkabäer 3,4ff. 3,10

407 407

Sirach 11,29 11,34 24 44–50 45,15 49,11 50,25f.

296 296 254 408 153 409 296

Aristeasbrief 1–6 35ff.

158 238

Elephantine A 3.8 A 4.1 A 4.10 A 4.3

117 117.236 412 117

A 4.5 A 4.7 A 4.8 A 4.9

94.96 117.121.129.135.344.412 117.344 170.412

456

Stellenregister

Qumran 1QS 6,11f. 1QS 6,19f. 4Q51

244 244 400

4QMMT CD 13,5f.

399 244

Josephus Ant. 9,158 282 Ant. 11,4 35 Ant. 11,5f. 35 Ant. 11,90ff. 120 Ant. 11,309ff. 413

Ant. 12,7f. 386 Ant. 12,138ff. 293 Ant. 12,142 405 Ant. 13,74 386 Ap. 1,37 371

Rabbinische Literatur Mischna mPes 5,6 mAb 1,1

283 302.383

Tosefta tTer 4,12 tTer 4,14 tPes 1,3

215 215 215

Babylonischer Talmud bPes 64b bSuk 20a bMeg 16b

283 232 229

bBB 15a bSan 21b bHul 3b bHul 4a

1.363 232 215 215

Seder Olam SOR 30,2

92

Sach– und Namensregister Aaron 74.153.224.227f.230.232.267.391 Abgabenfreiheit 237.252f.279.284 Abgrenzung 82.85.294.299.301.387 Abgrenzungsinteresse 85 Achämeniden 143.146 Administration 56.88.107.160.167.250 Adressaten, intendierte 13.17.19.21–26. 39.42.48.50.55–57.59.65.71.78–81.84.88. 95.99.103f.107.108.110.114.116f.128.132. 137.154.157.162.168.172.176.180–182.188. 198–200.202–204.210f.216f.239.247.248. 253.256f.261f.290f.294.310f.323.340.346. 352f.355.357f.365.368.371.376.383.388. 393 Alexander d. Gr. 95.108.168.268.293.413 Älteste 40.42f.56.111f.122–126.129–139. 142.144f.148–152.154.157f.160–165.174. 176.178.183f.191.195.197.199–205.283. 354f.359.361 Ammoniter 285.294.334.344 Anachronismus 15.87.110.143.193.246. 282.293.328.370.380 Anfeindungen 90.92.206.382.384 Anklagebrief 90f.97–101.106.108.173f.190 Antiochus III. 109.193.293.404–408 Antiochus IV. 296.405.408 Apokalyptik 166.169 Appell 19.290.301 Appolonius 401 Archäologie 21.370 Aristeasbrief 158.169.182.238.284.381.402 Artaxerxes 2.5.28.30f.33.62.90–94.99f.102. 105–108.110.120.148.150.155.175.191.215. 218f.221.226.233.235–242.244–246.249– 255.257–259.262–265.267.269.271f.274. 276.278f.281.284.291.300.327.330.341.351. 356.361f.365f.370.373–376.379.381.383. 385.390f.399.406

Asarhaddon 84–86.103 Assurbanipal 103 Assyrer 93.95.104.193.212–214.366.383. 396.397 Ätiologie 252.255.258.291.299.327.369. 392 Auffindungslegende 56.281.283.373.392 Aussageabsicht 48.400 Authentizität 32f.45.55.59.81.106.121. 127–129.135.138.141.146.157.163.183f.219. 233f.263–265.303.307.316.330.336.352. 355.357.359.363.365.410 Autonomie 165.169.208.221.249.251.253. 256f.280.283f.291.362.369f.401.405.408 Autorisation 243.327.380.413 Autorität 13.17f.24f.46.81.107.129.135. 153.158.175.189.196.219f.231.235f.239– 241.243f.247.249.253.255f.260.262f.265. 269.271.274.278f.284.286f.290f.301.311. 326.329.352f.370.413 Babylon 32.39–41.44f.52.54.61–63.78.125f. 133.139.142–144.151.155.164.167f.174.182. 196f.201.212.215.221.232.237.244–246.251. 272.281f.291.300.375f.385.394.396.410f. Bagohi 412 Baruch 229.262 Bauunterbrechung 5.82f.89.91.125.160. 171.194.206f. Beamter 45.101f.180.231.236.238.243f.247. 282 Beglaubigung 241.243f.249 Begleitschreiben 30.218.233f.238.240.287. 345.356.362 Behistun-Inschrift 39.48 Bestechung 90.92.103.106f.171.290.412

458

Sach- und Namensregister

Bevölkerungsliste 72.78f.182.194.203. 205.275.300.308.311f.315.331f.341f.348. 354.357.359.363.365.374f.389 Brandopfer 140.152.269.276f.412 Briefformular 93.100.128f.148.369 Briefkommunikation 93.144.157.171f. Bundesdokument 315.317.319f.336.375 Bundesschluss 77.263.289.312.315.318– 320.322.325f.328f.335f.341f.347.349f.374. 386.417 Bürger-Tempelgemeinde 60.79 Bußgebet 291.315.318–322.324.335.343. 345.347 Chronik 1.13.19.24.27.34.37.47.50–55.57. 90.98f.104.106.133.153f.159.182.184.186. 188.197.199.212–215.217.220.229f.281– 283.285.293.297.302.328.352.369.372.374. 377f.387–395.397–400.403.409f.414.416 Darius I. 5.32f.39.43.82f.89.91.100.108. 110–112.119f.122–125.127f.130.132.135– 142.144–150.152.155–157.160–171.174.176. 180.182.189.191.198.201f.205f.215.226. 227.234.244.250–252.255.257.274.276f. 281.284.288.291.293.363.365f.369f.373. 376.381.385.390.399.401 Darius II. 108.281 Datierung 64.95.110.136.156.167.169.170. 247.281f.291.327.341.376.398–401.403f. 407f. Delaiah 412 Delegitimation 88.207.384 Delos 386.406 Denkschrift 17.258.260.303f.312.315f. Denunziation 101 Deportation 51.63.88.103.133.213f.278. 399.403 Deuterojesaja 24.34–36.38.47–50.54–56. 194.217.353.399f. Diachronie 9.22.25 Diadochen 376.411 Diaspora 73.183.246.253.268.282.297.301. 333.385f.405f.411.413 Diskursanalyse 20–22 Diskursfragment(e) 20f.

Einweihung 76f.113.148–153.156.164.178. 181.185–187.192.194.202.205f.226.274. 276f.280.314.361.372.374.384.411 Ekbatana 143 Elephantine 32.79.94.96.107.117.121.128f. 135.146.152.170.189.227.233.236.245.290. 295.350.399.403.412–414.416 Empfängerseite 10 Erwählung 39.147.170.217.315.366.373. 411.414f. Erzählebene 29.65.78.88.91.100.113.121– 123.130–132.137f.144.160.186.197.200.212. 261.342.352.356.360.368.379.396 Erzähltextanalyse 9 Esra 1.30.227.235f.242.281 Eupolemos 409f. Exodus 18.38f.45.76.194.272.404 Fasten 187.323f. Fastenfrage 187.325 Festfreude 187.189.314.325.348.377 Figuration 246.263.282f.304.385.406.417 Figurenebene 42.203.212.260 Figurenperspektive 88.207.396 Fiktionalität 15f. Fortschreibung 7f.13.24.70f.224.270f.280. 320.322.324–326.334f.343 Freilassung 47.314f.402 Fremdherrschaft 93.163.189.209.289–293. 296.347.393.399 Garizim 54.85f.88.107.110.147.170.208. 215.300.346.366.370.379.381.384–386.389. 404.406.411–415 Gattung, literarische 21.306.410 Gemeindegesetz 294.334 Gemeinschaft 8.16.63.79.86f.97.107.151. 165.169.171.175.182.208.215–218.251f.279. 292.295.299.301.309.329.333.345.349.369. 375.385f.392.407.410.417 Genealogie 1.6.79.80.116.119.196.198.221– 227.229–232.242.244.270.272.280.300.323. 389.391f.398 Gerichtsinstitution 237.284 Gesamtstatistik 66f. Geschichtskonzept 107.110.165.167f.370. 399 Geschichtsrückblick 150.190

Sach- und Namensregister Geschichtsschreibung 27–29.57.305.372. 410 Geschichtstheologie 150.159.160.163– 165.168.226.339 Gola 51.60.62–64.66.73.77f.81.83–85.87. 95.98.103.151.178.183.192f.205.208f.215. 241.265.299f.308.341f.399 Gottesbeziehung 18f.84.87.137.163.166. 232.236 Gottesvolk 39.46.88.152.288 Grußformel 129.239.240 Haggai 27.39.72.89.108.111.113.115–118. 123f.148–150.154.156.157.160–162.173. 187f.195–202.217.282.293.360f.367.371. 378.393.397–399.409 Hakkoz 74f. Harmonisierung 50.62.65.68.71.86.109. 111f.114.116.126.153.156.160f.171.197f. 200f.205.216.226.229.240.258.272.277. 285.358.360.363.367f.371f.395.397.400. 414 Hattusch 272f.293.378 Heiligtum 39.86.217.314.365.381.384.386. 406.412.415 Heilshandeln 150.260.264.269.279.292. 359f.365 Heilsperspektive 395 Heilswende 32.36.187.189.390f. Heilszeit 52.314.377 Heilszusage 53 Hekataios v. Abdera 28.230.295–298.401 Heliodor-Episode 407f. Hellenismus 39.97.108f.136.146.154.166– 170.211.217.230.253.256f.265.279.284.291. 293–295.297f.302.305.328f.365.369f.376. 381.385.387.398.400–408.410.412.417 Herrscherideologie 37.39 Hilkija 228.231f.263.265.283.323.373.379. 392 Himmelsgott 37.235–241.251.254f.257.412 Hintergrundinformation(en) → Hintergrundwissen Hintergrundwissen 10–13.21f.26.36.40. 93.199.210f.253 Historiographie 14f.17f.27f. Historizität 28.32.143.228

459

Hohepriester 74.109.119.158.169.204.227. 229–231.238.263.265.267.278.280.287.296. 323.366.373.376.379.405f.409.412 Ich-Erzählung 72.121.231.258.264.288. 302f.315f.317.320.322.343.365.391 Ich-Rede 17.121.221f.259–261.263f.288f. 302–305.307.312.317 Ich-Stil → Ich-Rede, Ich-Erzählung Identifikation 28.52.91f.177.185.193.197. 200–202.254.272.340.398.414 Identität 16.49.59.71.74.80f.84.89.94.122. 133f.139.151.180.192.197.200.211f.217. 255f.261.290.296f.299–301.335.338.340. 350.358.367.383.387.396 Identitätskonstruktion 385 Ideologie des leeren Landes 78.85.211– 213.215.378.383.389.394.396 Intentionalität 10.14.16.19.72 Interpretation, innerbiblische 8 Intertextualität 23.25.173.188.261.306 Jehud 60f.63.83.86.111.117.119.125.131.143. 169.177.242.257f.278.412 Jerusalem 1f.30.33f.36–41.43.45f.48.51.54. 59.61–63.65.69.75.79.82.86.88.95–111.117. 119f.125f.131.133–135.137.139f.144–148. 150.152.155.158.163.165–171.173–175. 179f.182–188.190.193f.196.204–208.211– 218.220f.226.230.232.235.237.241–251. 253.256–258.264.266.268f.271–274.277– 280.282–284.287.291–293.296.299–301. 308.310.312.314f.331.334.336f.340.342– 350.354.356.362.365f.369.370.372–375. 377–387.389.392f.396f.399–407.409–417 Jeschua 61.64.79.80.84.87.111.113f.117– 124.138.158f.161.171.173f.176.178f.192. 199f.204.206f.225.229.275.287.340.360. 409 Jobeljahr 402 Johannes Hyrkan 110.170.404 Kambyses 135.288.376 Klagefeier 324f.345.416 Kohärenzproblem 93.100.113.162.174. 176.204.361 Kohärenzstruktur 26.57.152.178.181.351

460

Sach- und Namensregister

Kommunikation 9–14.21.23.56.91.99.114. 129.131.135.137.143f.173.180.190.388 Kommunikationssituation 11–13.18.23 Konkurrenz 170.246.300.375.404.406.411. 413 Konnubium 285.294.300.334.345.369.382 Kontextualisierung 47.68.70.174.177–180. 187.198f.249.280.310.349.361 Kontinuität 6.77.184.187.194.198.202f.217. 229.281.311.315.339.349f.366.375.377– 379.395.397.411.415 Kontrastierung 25 Kontrastparallele 176.207f. Konventionen 11.12.21.50.81.100.130.144. 167.311 Kritik, höhere 6f. Kultgeräte 33.40.43.45f.54.75.133.183f. 196.202.217.245.249.266.268.273f.277.278. 354.356.358f.380.389.395.399.415 Kultort 86.166.185.188.194.214.411.416 Kulturwissenschaft 6.9.14 Kyros II. 5.28.32–37.39–41.43–50.53f.56f. 82.88f.91.106.108.110.120.125f.133–139. 142–145.148.150.155.157.160–163.165–167. 171.174f.180.182–186.188.191f.194–196. 198f.202.205f.215.226.245.249.253.255. 272.274.278f.291.300.341.354.356.359. 365f.370–374.376–378.381.385.390.399f. Kyros-Zylinder 39.46.56 Kyrosedikt 29.30.32–34.36.42.44–46.49. 51–54.57.60.63.81.83.88.97f.102.106.108. 112.133.136.142.144f.158.174f.179–182. 184–186.188.190.193f.199.203f.207f.219. 242.244–246.278.279.336.351.355–357. 359.360.366.372f.377f.389.394 Laubhüttenfest 185.187f.194.199.206.314f. 322–324.331.336.343.346.353.358.374.375. 379 Legitimation 207.384 Legitimationsproblem 158 Legitimität 39.74.79.88.107.135.137.144. 164–166.170.185f.194.202.206.207.217.366. 379.381.384.386.407f.410f.415 Leontopolis 413 Leserlenkung 176 Leviten 61f.65f.73.75.77.79.148.151–154. 183.188.192.194.197.205.208.214.216.242.

252.265–267.273.275–277.283.285–287. 298.316–319.321f.326.330f.335.338f.346. 359.374.392.413f. Literarkritik 6.7.25.70.100.103.111f.120. 152.171.199.222.224f.237.258.303.307.316. 331.355 Literaturwissenschaft 9.12.14–16 Losorakel 74f.197 Loyalität 97.108.160.163.243.290.411 Magnesia, Schlacht v. 253.407 Marduk 39 Mauerbau 87.95.105.110.303.314.346.402f. Medien 139.140.142f.167 Memorandum 56.79.128.138f.141.144.147. 150.156.158.164f.182.233.250.353.412f. Meremot 75 Mesopotamien 98.106.168 Metaebene 260.318.319 Metatexte 14.16.23–25 Mischbevölkerung 212.214.216.298.301. 366.379.383.387 Mischehe 209.211.278.285.287.294f.297f. 301.321.324.333f.343.346.349.378.382f. 387 Mischvolk 296.349.383.403 Moabiter 210.285.294.334.344 Monotheismus 35f.47.57.132.134.165.169. 365 Mortalität 204.341 Nebukadnezar 41.45.63.125.133.139.167. 184.195.395.399 Nehemia 215.227.280.289.304.330.332 Nehemiapriorität 2.58 Neuanfang 50.217.292.377f.386.411 Nichtisraeliten 38.84–88.174.190.207.209– 211.343–345.382 Nutztiere 66f.76 Onias II. 291.405 Onias III. 407 Opferung 178 Paneion, Schlacht am 109.407 Passafest 113.149.156.162.194.208.210. 214f.236.271.297.361.386.392.416 Patronym 159.329.330.336.398

Sach- und Namensregister Pedaja 389.397 Pentateuch 4.7.13.17–19.24.147.153.169f. 249.254.257.261f.267.285.294.297.327.380. 385.401f.413–415.417 Perserreich 39.97.143.168f.191.233.248. 250–252.277.291.416 Philologie 6 Polemik 85–87.90.170.189.207.210.333. 335.346.349.372.385 Politeuma 284.295.299.405 Pragmatik 16f.19–21.23.74.79.86.136.181. 193–195.208.213.246.265.268.278f.285. 289.326.344.352.362.375.381.390.396 Präsupposition 21f.36.76.123.165.241.290. 388.399.408 Priesterdienst 74f.79f.153 Priesterordnung 75.149.153.401 Priesterschaft 39.197.251.414 Priestertum 75.267 Primärquellen 29 Privilegien 74.146.175.182.202.218f.221. 240.246.252f.269.291.293f.356.404.406– 408 Privilegierung 147.219f.248–253.265.277. 279.284.288f.294.327.345.347.356.366. 369.381.404f.407 Programmatik 18.371.372.382f.386.410 Pseudepigraphie 264.302f. Ptolemäer 147.169.291–293.404f.407 Ptolemäus I. 386.403.406 Ptolemäus II. 169.238.401.406 Ptolemäus V. 39 Ptolemäus VI. 386.406 Quelle(n) 2.13.22.26.28f.33.45.54–60.65. 68.71–73.78f.81f.90.92.95.99.100.105.108. 110.125.155.159.162–164.177f.183f.199f. 203.207.215f.219.258.280.282.289.299. 302.316.371f.376.387.392.394.396.398. 400f.410 Rechtlosigkeit 291 Rechtsordnung 254–257.260 Redaktionskritik 25 Redaktor 7.8.17.70.114.259 Rehum 92–94.99–102.107.171f.175.190. 356.362.366.383

461

Reichsautorisation 129.242f.255f.278f. 380f.405.410.414 Reichsgesetz 243.286.380 Rekontextualisierung 29.155.179.180.197. 300.320.335.336.347.349.351.354–359. 361–365.368.375.377.389.394.398.414 Religionspolitik 147.243.247.249.256.380 Repräsentant 62.79.119.121.142.152.161. 163.164.166.174.178–181.196–198.200. 204f.212.217.218.239.244.249.251.274.282. 284.288.309.319.355.360.413 Repressalien 175 Rezeption 24 Rosetta-Inschrift 39.146 Rückkanal 10 Rückkehr 1.30.32–34.37f.44.47–49.51f.58. 61.64–67.69.72–74.76–78.81.83.96–98.108. 151.179f.182.184f.188.190.192–195.201– 203.205–207.218.221.226f.237.241–244. 252.265–269.272.275.278.281–283.287. 289.292.297.300.308.315.321.332.341f. 350.354.356–360.363.365f.372.374f.377f. 381.385f.395.409f.414.417 Rückkehrer(schaft) 38.47.57.59–63.65.72. 76.78.81.87.95.162.173f.177–179.181.186– 188.190.192–194.199.203f.206–211.215f. 221.265.272.274f.278.298–300.308.310f. 317.341f.349.355.358.367.374f.377f.382. 411 Rückkehrerliste 31–33.58.64.65.76f.79.81. 127.177–180.184.203–205.208.272.275. 300.308.311.312.315.317.320.331f.335f. 348f.354–358.363–365.367.374.378.383. 392 Sabbat 326.328.378 Sabbatjahr 374.378 Sabbatruhe 213 Sacharja 27.39.72.89.108.111.113.115–119. 123f.148–150.154.156f.160–162.187f.195– 202.217.282.293.360f.367.371.393.397– 399.409 Samaria 79.93–95.98.100f.105–109.129. 147.166.170.190.207f.211–214.245.257f. 278.293.296.300.324.346.349.366.370.379. 382–385.389.394.396.403–405.411f.414. 416f.

462

Sach- und Namensregister

Samarier 60.85f.88.106f.109.169.175.178. 180f.190.207.208.211–213.215.217.227.258. 278.294.296.300f.333.335.345f.366.379. 381–384.386f.396.403f.408f.411 Samaritaner 86.107.109.170f.207.214f.217. 258.349.383.386f.406.416f. Sanballat 343f.346.350.370.382.398.412– 414 Sanktionen 146.164.176.237.243.255–257 Satrap 111.112.119.137.145.167.175.176.199. 344 Satrapie 43.149.268 Schealtiel 111.161.198.389.397f. Schenkungen 167.246.293 Scheschbazzar 33.41–46.64.70.125f.133– 135.137–139.142.145.161.163.166.179.183f. 195–203.205.217.245f.249.273f.286.292. 359.360.367f.378.393.398 Schimschai 92f.99–102.107.172.175.190. 356.362.366.383 Schreiber 10.19.27.60.62.100.105.155.221. 225.227.230f.235–239.243.251.254.256. 262–264.267.283.306.417 Schriftlichkeit 347.352f. Schuldbekenntnis 306.324f. Selbstverpflichtung 326.417 Seleukiden 109.110.147.193.291–293.404f. 407–409 Senderseite 10 Seraja 61.225.228–230.232.281f.392 Serubbabel 40.46.60f.64.70.79f.82.84–88. 91.111.113f.117–124.126.134f.138.145.158f. 161.171.173f.176.178–180.190–192.195– 202.204–207.245.271.275.287.292.308.342. 360.367f.378.389.393.397f.409 Simon II. 406.409 Sirach 296f.405.408–410 Sklaverei 292.402 Souveränität 104.369 Stadtmauer 30.75.96f.99.102.104f.108.173. 190.308.347.369.374.380 Statthalter 40–43.45.70.72.74.78f.89.111. 118–120.125f.129.133–135.137.139.144f. 148.151.161–163.167.170.173.178.189.195. 197–199.201f.204.218.235.245.269.274. 278.282.286f.303.345f.369.401.412f. Steuerbefreiung 39.252f.405 Steuern 43.95.167.180.191.250.347

Steuerpächter 405.409 Stiftungen 167 Stilwechsel 121.182.258–260.307.316 Strategien, hermeneutische 13.18.22–24. 26.29.54f.57.60.135.181.194f.263.278f.289. 335.347.351.354.359.362.368.373.394 Streitschrift 107.385 Synchronie 9 Synoikismus 287.308.310–312.315.336. 343.347.402 Tattenai 40.42.88.101.111.114.119–121. 123–125.129–132.134–139.141f.144f.147– 150.157f.160–164.167.173.178.180.189.197. 199–201.203f.274.277f.290.309.360.363. 368.370 Tempel 30.34.36–39.41.43–46.51.54.69.74– 76.78f.81.83.85f.88.100.104.107.113.119. 122.125f.131–135.139.144–146.149f.152f. 158.162–167.169–171.177.179.182–190.194. 199.201–206.208f.212.214–216.218f.221. 226f.229–232.242.244–247.249–251.253. 256.263.266–269.271–273.276.278–284. 292f.300f.310–312.314.323.325.328.331f. 346.347.349.355.366.369f.372f.375.378– 381.384–386.389.392.395–397.404.406f. 410–417 Tempelbau 2.5f.36.38.40.51.56.67.71.72.75. 77–79.81–84.87–90.92.94.97.100.102.104– 108.110.118.122.124.131–138.141.145.148. 150.152.155f.160.163–166.174–176.178– 182.184–191.193–195.198–200.202–209. 212.216.219.226.232.250.255.271.278–282. 290.292.299.315.332.341f.348.354–356. 359–363.366f.371f.374.376–379.382.384. 390f.396.404.408.411 Tempelbauchronik, aram. 23.28.30f.33. 40.42.44f.47.55f.63.81.105.110–113.120– 122.124f.133.135.137–139.141.143–145. 149–152.154–179.181–183.185–187.189. 191–204.206–208.216f.233.234.245.248– 251.255.257.263.274.278–280.282.287.290. 293.320.331.336.348.351f.354–361.363– 367.369–372.375.377.379.381.386.389f. 394–396.398–401.403.409.416 Tempeldienst 74.362 Tempeleinweihung 113.192f.208

463

Sach- und Namensregister Tempelgeräte 44f.133.135.138.163.183f. 195.199.202.246.354.375.377.399.411 Tempelpersonal 221.237.279.284 Territorium 292.344.383 Tieropfer 167.247.248.276.277 Tirschata 70–72.74.79.197.204 Tobiaden 109.405f. Tobija 76.304.343f.346.364.382.406 Toraeinführung 31.218f.232.235.237.242. 255.257–259.261.284.289.323.348.350. 366.374f.380.387.405.409f. Traditionsliteratur 9–14.16–19.23.28 Transeuphratene 40.98.119.149.163.166. 173.175.178.191.218.237.250.254.268.269. 278.284.287.413 Tribut 38.97.99.186.191.245.405.407

Verschriftungsnotiz 17 Versklavung 291.402 Vertextungsmuster 18.21.306f.

Überarbeitung(en), transformative 6. 126.138.156.357.361.364 Udjahorresnet 236.288.303 Unheilsankündigung 252f.395 Unheilszeit 52f.165.182.189.314.395 Universalismus 35.168.365.408 Unterschriftenliste 204.331.339.341 Ursprungslegende 169

Xerxes

Vasall 97.202 Verleumdungsbrief 233.290.336.355.362. 368.383.393 Vermischung 285.294–301.379.383f.387

Wallfahrtsfeste 185.186.206.314.345.358. 377.407 Widersacher 19.82–90.93.102.105.107f. 110.171f.174f.186.189–191.193.207.212. 305.343.344.346.349.355f.360.362.366. 374.379.381–384.394.396.411 Wiederaufbau 32.40.48–50.69.106f..133. 135.137.152.165.170.173.181–183.189.191. 233.278f.290.293.343.375.380–382.412 Willkür 160.326 Wohltaten 39.97.167.288 Wohltätigkeit 265 90f.108.110.191.376

Zenonpapyri 169.171.401 Zentralheiligtum 63.170.206.217.278.334. 358.366.380.407 Zentralisation 146.147.166.168–170.352. 366.381.401.413.415 Zitat(ion) 22.24.49.58–60.71.108.114.120. 124.127–130.141f.147.171.180.188.213.261. 305.307.311f.315.332.336f.342f.347f.351– 353.356.365.374.392.399 Zollfreiheit 221 Zwölfzahl 179.269.272.275.277