Historiographie und Erzählkunst in den Samuelbüchern: Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments III 9783170374362, 9783170374379, 3170374362

Die Samuelbücher beschreiben einen bestimmten Abschnitt der Geschichte Israels, sind also Geschichtsschreibung - freilic

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German Pages 354 [355] Year 2019

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Deckblatt
Titelseite
Impressum
Inhalt
Vorwort
Der Mann, mit dem Gott war. Kompositions- und quellenkritische Überlegungen zur Darstellung des Aufstiegs Davids in den Samuelbüchern
Einführung: Die Samuelbücher sind nicht so alt, wie lange Zeit angenommen
Hauptthese 1: Der Aufstieg Davids bildete einen Teil eines vordeuteronomistischen Erzählwerks über die frühe Königszeit in Israel, das seinerseits wieder Teil des deuteronomistischen Geschichtswerks wurde
Hauptthese 2: Im Höfischen Erzählwerk sind mehrere, umfangmäßig und thematisch begrenzte, ältere Quellen verarbeitet
Unterthese 2.1: Der Höfische Erzähler hat eine Reihe von Einzelüberlieferungen aufgenommen
Unterthese 2.2: Es gibt Hinweise auf zwei größere, im Bereich der Geschichte vom Aufstieg Davids verarbeitete Grundquellen
Unterthese 2.3: Eine der beiden Hauptquellen zur Schilderung des Aufstiegs Davids war ein „Erzählkranz vom Aufstieg und Niedergang der Sauliden“
Unterthese 2.4: Die zweite Hauptquelle war der „Erzählkranz vom Freibeuter David“
3. Ein alternatives Modell der Quellenkritik
Schlussbemerkung: Die Samuelbücher bieten keine „Apologie“ Davids
Bibliographie
Deuteronomistische Redaktionen in den Samuelbüchern
1. Martin Noth und das Schichtenmodell der deuteronomistischen Redaktion
2. Zur deuteronomistischen Redaktionstätigkeit in den Samuelbüchern
3. Die dtr Redaktion der Samuelbücher und das dtr Geschichtswerk
a) DtrH
b) DtrP
c) DtrN
4. Abschließende Erwägungen
Timo Veijolas Beitrag zur Erforschung der Samuelbücher
1. Veijolas Einsichten und Thesen
2. Durchgang durch die von Veijola für deuteronomistisch erklärten Texte
3. Veijola und die Frage einer vordeuteronomistischen Redaktion
Erwähnte Literatur
Hebräische Hapaxlegomena in den Samuelbüchern
1. Hapaxlegomena infolge von Textfehlern
2. Einmalige Personen- und Gruppennamen
3. Einmalige Orts- und Regionalnamen
4. Übrige bzw. ‚echte‘ Hapaxlegomena
a) Samuel-Saul-Geschichte
b) Ladegeschichte
c) Sauliden-Erzählkranz
d) Freibeuter-Erzählungen
e) Abschalom-Novelle
f) Höfischer Erzähler
5. Résumé
Hebräisch-Griechisch-Deutsch. Übersetzungsprobleme in den Samuelbüchern
1. Einige Grundfragen zum Übersetzen biblischer (und speziell der Samuel-)Texte
a) Jede Übersetzung bedeutet Horizontverschmelzung
b) Grundentscheidungen bei einer wissenschaftlichen Samuel-Übersetzung
2. Aus dem Vorhandensein verschiedener Textversionen der Samuelbücher sich ergebende Übersetzungsprobleme
a) Der Befund
b) Differenzen zwischen Sam-M und Sam-Q
c) Differenzen zwischen Sam-M und Sam-G
d) Differenzen zwischen Sam-M, Sam-G und Sam-Q
3. Besondere Problemfälle beim Übersetzen der Samuelbücher
a) Spracheigentümlichkeiten
b) Unbekannte Wörter
c) Uneindeutigkeiten
David zwischen Poesie und Prosa in den Samuelbüchern
1. Poetische Prosa in den Daviderzählungen
a) Das erste poetische Merkmal: Parallelismus
b) Das zweite poetische Merkmal: Ambiguität
c) Das dritte poetische Merkmal: Metaphorik
2. Davidpoesie in den Samuelbüchern
a) Davids Totenklagen in 2Sam 1 und 3
b) Davids großes Danklied in 2Sam 22
c) Davids „Letzte Worte“ in 2Sam 23
Bibliographie
Am Übergang vom ersten zum zweiten Samuelbuch. Zwischenbilanz eines Kommentators
A) Vorgeschichte, Umfeld und Vorarbeiten
B) Bei der Kommentierung gewonnene Einsichten
1. Zur Textgeschichte
2. Zur Textdiachronie („Ort“)
3. Zur synchronen Analyse der Texte („Form“)
3.1 Chiasmen
3.2 Uneindeutigkeit, Ambivalenz
a) Sprachliche Doppeldeutigkeiten
b) Unterschiedliche Textformen
c) Widersprüchliche Informationen
d) Doppeldeutige Reden von Erzählfiguren
e) Parabeln
4 Zur Herausforderung durch den Abschnitt „Ziel“
Stefan Heyms Ethan ben Hoshaja und der Hauptverfasser der Samuelbücher
1. Ethan ben Hoshaja als fiktiver Verfasser der Samuelbücher
a) Der Romancier und der Historiker: eine frühe Verhältnisbestimmung Stefan Heyms
b) Heyms „König David Bericht“: Geschichtsroman und Geschichtsschreibung in einem
c) Ethan ben Hoshaja: Historiker im Dienst eines Romanciers
d) Michal, Abigajil und Batscheba: Beispiele für Art und Auswertung der Quellen im „König David Bericht“
e) Stefan Heym und die exegetische Wissenschaft: verborgene Beziehungen
2. Der „Höfische Erzähler“ als hypothetischer Verfasser der Samuelbücher
a) Das „Höfische Erzählwerk“: zu seiner Einordnung in die Entstehungsgeschichte der Samuelbücher
b) Michal, Abigajil und Batscheba: Quellenbehandlung und Eigenbeiträge im „Höfischen Erzählwerk“
c) Ein Hauptmerkmal des „Höfischen Erzählwerks“: Ambiguität
d) Das „Höfische Erzählwerk“: Geschichtsschreibung oder Roman?
Biblische Geschichtsschreibung und literarisches Kunstwerk: die Samuelbücher
1. Der Facettenreichtum der Samuelbücher
2. Die Samuelbücher als Historiographie
3. Die Samuelbücher als Literatur
Literaturhinweise
Staatsbildung und frühes Königtum in Israel: Geschichte und biblische Geschichtsschreibung
1. Die biblische Geschichtsschreibung
a) Die Quellenlage
b) Die biblische Geschichtsschreibung über König Saul
c) Die biblische Geschichtsschreibung über König David
d) Die biblische Geschichtsschreibung über König Salomo
2. Die geschichtlichen Vorgänge
a) Bedingungen der Staatsbildung
b) Das Königtum Sauls
c) Das Königtum Davids
d) Das Königtum Salomos
3. Konklusion
Literatur
König David – Fakten und Fiktionen
1. Zur Frage der historischen Zuverlässigkeit biblischer Tradition
2. Düstere Fakten und ihre fiktionale Aufhellung
a) Davids Verhältnis zu Saul und seinem Haus
b) David und die Philister
c) Davids Liaison mit Batscheba
d) Davids Kampf mit Abschalom
3. Überhöhungen Davids zur Lichtgestalt und ihr Anhalt an der Wirklichkeit
a) David und die Kunst
b) David und die Gewalt
c) David und sein Reich
d) David und die Religion
4. Zusammenfassung und Schluss
Uneindeutigkeit als Kennzeichen hebräischer Erzählkunst – am Beispiel der Samuelbücher
Einübung in den aufrechten Gang. Beispiele für Zivilcourage in den Samuelbüchern
1. Zivilcourage und Glaubensgehorsam
2. Mächtigen couragiert in den Arm fallen
3. Herrscher couragiert kritisieren
4. Mächtige couragiert zu richtigem Handeln bewegen
Bibliographie
‚Aufbruch‘ als heimliches Prinzip in den Samuelbüchern
1. Israels Aufbruch in die Staatlichkeit: historisch und literarisch
2. Die Hauptfiguren der Samuelbücher: Verkörperungen des Aufbruchs
a) Samuel
b) Saul
c) David
d) Salomo
Ars necandi und ars moriendi in den Samuelbüchern
Einführung
1. Ars necandi in den Samuelbüchern
a) Töten im Krieg
b) Selbsttötung
c) Mord
d) Liquidation
2. Ars moriendi in den Samuelbüchern
a) Vorzeitiger Tod
b) Tod im Alter
c) David, der Unsterblich-Sterbliche
Schluss
Weiterführende Literatur
Interreligiosität in den Samuelbüchern?
Einleitung
1. Das Onomastikon der Samuelbücher als Hinweis auf einen religiösen Mix
2. Erzählerische Zeugnisse scharfer religiöser Abgrenzung
3. Erzählerische Hinweise auf religiöse Offenheit
Ergebnis
Gottes Wort in unberufenem Mund. Zu einem spezifischen Erzählzug der Samuelbücher
1. Erster Fall: Die Männer Davids
2. Zweiter Fall: Die Stämme Israels
3. Dritter Fall: Der General Abner
4. Vierter Fall: Noch einmal Abner
Vom Schweigen und Reden Gottes in den Samuelbüchern
1. „The Silent God“
2. Zur Semantik des göttlichen Schweigens in der Hebräischen Bibel
3. Vom Schweigen und Reden Gottes in den Samuelbüchern
a) Hanna und der zuerst schweigende, dann redende Gott
b) Saul und der zuerst redende, dann schweigende Gott
c) David und der gelegentlich schweigende, aber immer wieder redende Gott
Saul unter den Propheten
1. König Saul und der Prophet Samuel
2. König Saul als Prophet
3. König Saul und die Propheten: Aspekte der Rezeptionsgeschichte
Bibliographie
Macht und Musik. Der historische und der biblische David
1. Aufstieg und Herrschaft Davids in historischer Perspektive
2. Die Davidgeschichte der Samuelbücher
3. Davids Weiterleben
David – König der Liebe
Einleitung
1. David, geliebt von Gott?
2. David, geliebt von Menschen
3. David, Liebhaber von Frauen und Männern
a) David und Jonatan
b) David und die Frauen
c) David und seine Söhne
4. David, Liebhaber der Kunst
5. David, Liebhaber Gottes und der Menschen
Schluss
David und die Dichter
1. Nachdichtungen von Gedichten Davids
a) Totenklagen Davids
b) Fiktive Therapiegedichte Davids
2. Neudichtungen auf David
a) Antike Gedichte über David
b) Moderne Gedichte über David
3. Rückblick
Bibliographie Walter Dietrich 2009–2019
Monographien und Aufsatzbände
Aufsätze und Beiträge zu Sammelwerken
Lexikonartikel
Herausgeberschaft von Einzelbänden
Herausgeberschaft von Reihen
Rezensionen
Journalistische Arbeiten
Mitwirkung an Radiosendungen
Nachweis der Erstveröffentlichungen
Register
Namen und Sachen
Bibelstellen
Recommend Papers

Historiographie und Erzählkunst in den Samuelbüchern: Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments III
 9783170374362, 9783170374379, 3170374362

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Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament Band 221 Herausgegeben von Walter Dietrich Ruth Scoralick Reinhard von Bendemann Marlis Gielen Heft 21 der elften Folge

Walter Dietrich

Historiographie und Erzählkunst in den Samuelbüchern Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments III

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Für Timo und Pirjo Veijola in Ehrerbietung und Freundschaft

1. Auflage 2019 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-037436-2 E-Book-Format: pdf: ISBN 978-3-17-037437-9 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhalt Vorwort ................................................................................................................... 13 I. Exegetische Spezialuntersuchungen Der Mann, mit dem Gott war. Kompositions- und quellenkritische Überlegungen zur Darstellung des Aufstiegs Davids in den Samuelbüchern ...

15

1. Das Höfische Erzählwerk als Teil des deuteronomistischen Geschichtswerks .......................................................................................................

16

2. Quellen des Höfischen Erzählwerks................................................................... 2.1 Einzelüberlieferungen ................................................................................ 2.2 Zwei Grundquellen über den Aufstieg Davids ........................................ 2.3 Der Sauliden-Erzählkranz .......................................................................... 2.4 Der Freibeuter-Erzählkranz .......................................................................

17 18 19 21 24

3. Ein alternatives Modell der Quellenkritik ........................................................

26

Bibliographie .............................................................................................................

28

Deuteronomistische Redaktionen in den Samuelbüchern .................................

31

1. Martin Noth und das Schichtenmodell der deuteronomistischen Redaktion ............................................................................

31

2. Zur deuteronomistischen Redaktionstätigkeit in den Samuelbüchern ......

36

3. Die dtr Redaktion der Samuelbücher und das dtr Geschichtswerk ............. a) DtrH ................................................................................................................. b) DtrP ................................................................................................................. c) DtrN .................................................................................................................

41 42 44 46

4. Abschließende Erwägungen................................................................................

48

Timo Veijolas Beitrag zur Erforschung der Samuelbücher .................................

50

1. Veijolas Einsichten und Thesen .........................................................................

50

2. Durchgang durch die von Veijola für deuteronomistisch erklärten Texte

53

3. Veijola und die Frage einer vordeuteronomistischen Redaktion.................

56

Erwähnte Literatur ...................................................................................................

57

6

Inhalt

Hebräische Hapaxlegomena in den Samuelbüchern............................................

59

1. Hapaxlegomena infolge von Textfehlern .........................................................

60

2. Einmalige Personen- und Gruppennamen .......................................................

62

3. Einmalige Orts- und Regionalnamen.................................................................

68

4. Übrige bzw. ‘echte’ Hapaxlegomena ................................................................. a) Samuel-Saul-Geschichte .............................................................................. b) Ladegeschichte .............................................................................................. c) Sauliden-Erzählkranz ................................................................................... d) Freibeuter-Erzählungen .............................................................................. e) Abschalom-Novelle ....................................................................................... f) Höfischer Erzähler .........................................................................................

74 74 75 77 79 80 81

5. Résumé ...................................................................................................................

84

Hebräisch-Griechisch-Deutsch. Übersetzungsprobleme in den Samuelbüchern ..............................................................................................

85

1. Einige Grundfragen zum Übersetzen biblischer (und speziell der Samuel-)Texte ........................................................................................................... a) Jede Übersetzung bedeutet Horizontverschmelzung ............................. b) Grundentscheidungen bei einer wissenschaftlichen Samuel-Übersetzung......................................................................................... 2. Aus dem Vorhandensein verschiedener Textversionen der Samuelbücher sich ergebende Übersetzungsprobleme ..................................... a) Der Befund...................................................................................................... b) Differenzen zwischen Sam-M und Sam-Q................................................. c) Differenzen zwischen Sam-M und Sam-G ................................................. aa) Abweichungen vom Urtext in 1Sam 1 ..................................................... bb) „Mäuse“ in der Ladegeschichte................................................................ cc) Saul – Übeltäter oder Retter? .................................................................... dd) Saul und sein Spiess ................................................................................... d) Differenzen zwischen Sam-M, Sam-G und Sam-Q ...................................

85 85 88 90 90 91 92 93 94 95 96 97

3. Besondere Problemfälle beim Übersetzen der Samuelbücher ...................... 98 a) Spracheigentümlichkeiten .......................................................................... 98 b) Unbekannte Wörter...................................................................................... 99 c) Uneindeutigkeiten ........................................................................................ 100 David zwischen Poesie und Prosa in den Samuelbüchern ................................... 104 1. Poetische Prosa in den Daviderzählungen ....................................................... 104 a) Das erste poetische Merkmal: Parallelismus ............................................ 106 b) Das zweite poetische Merkmal: Ambiguität ............................................. 108

Inhalt

7

c) Das dritte poetische Merkmal: Metaphorik .............................................. 110 2. Davidpoesie in den Samuelbüchern .................................................................. a) Davids Totenklagen in 2Sam 1 und 3 ......................................................... b) Davids großes Danklied in 2Sam 22 ........................................................... c) Davids „Letzte Worte“ in 2Sam 23..............................................................

112 114 116 119

Bibliographie ............................................................................................................. 121 Am Übergang vom ersten zum zweiten Samuelbuch. Zwischenbilanz eines Kommentators..................................................................... 123 1. Vorgeschichte, Umfeld und Vorarbeiten ......................................................... 123 2. Bei der Kommentierung gewonnene Einsichten ............................................. a) Zur Textgeschichte ....................................................................................... b) Zur Textdiachronie („Ort“) ......................................................................... c) Zur synchronen Analyse der Texte („Form“) ........................................... aa) Chiasmen ...................................................................................................... bb) Uneindeutigkeit, Ambivalenz ................................................................... d) Zur Herausforderung durch den Abschnitt „Ziel“ ..................................

126 126 128 132 134 138 145

Stefan Heyms Ethan ben Hoshaja und der Hauptverfasser der Samuelbücher ..................................................................................................... 149 1. Ethan ben Hoshaja als fiktiver Verfasser der Samuelbücher ........................ a) Der Romancier und der Historiker: eine frühe Verhältnisbestimmung Stefan Heyms ........................................................... b) Heyms „König David Bericht“: Geschichtsroman und Geschichtsschreibung in einem ...................................................................... c) Ethan ben Hoshaja: Historiker im Dienst eines Romanciers.................. d) Michal, Abigajil und Batscheba: Beispiele für Art und Auswertung der Quellen im „König David Bericht“ ........................................................... e) Stefan Heym und die exegetische Wissenschaft: verborgene Beziehungen ................................................................................. 2. Der „Höfische Erzähler“ als hypothetischer Verfasser der Samuelbücher a) Das „Höfische Erzählwerk“: zu seiner Einordnung in die Entstehungsgeschichte der Samuelbücher ................................................... b) Michal, Abigajil und Batscheba: Quellenbehandlung und Eigenbeiträge im „Höfischen Erzählwerk“ ................................................... c) Ein Hauptmerkmal des „Höfischen Erzählwerks“: Ambiguität ............. d) Das „Höfische Erzählwerk“: Geschichtsschreibung oder Roman? .......

149 149 151 154 156 162 165 166 168 177 179

8

Inhalt

II. Thematische Längsschnitte Biblische Geschichtsschreibung und literarisches Kunstwerk: die Samuelbücher ...................................................................................................... 182 1. Der Facettenreichtum der Samuelbücher ........................................................ 182 2. Die Samuelbücher als Historiographie .............................................................. 183 3. Die Samuelbücher als Literatur .......................................................................... 185 Literaturhinweise ..................................................................................................... 188 Staatsbildung und frühes Königtum in Israel: Geschichte und biblische Geschichtsschreibung ............................................................................................... 189 1. Die biblische Geschichtsschreibung .................................................................. a) Die Quellenlage .............................................................................................. b) Die biblische Geschichtsschreibung über König Saul ............................. c) Die biblische Geschichtsschreibung über König David........................... d) Die biblische Geschichtsschreibung über König Salomo .......................

189 189 190 192 193

2. Die geschichtlichen Vorgänge ............................................................................ a) Bedingungen der Staatsbildung ................................................................. b) Das Königtum Sauls ...................................................................................... c) Das Königtum Davids .................................................................................... d) Das Königtum Salomos ................................................................................

194 194 195 197 199

3. Konklusion ............................................................................................................. 200 Literatur ..................................................................................................................... 200 König David – Fakten und Fiktionen....................................................................... 203 1. Zur Frage der Zuverlässigkeit biblischer Tradition ........................................ 203 2. Düstere Fakten und ihre fiktionale Aufhellung ............................................... a) Davids Verhältnis zu Saul und seinem Haus ............................................ b) David und die Philister................................................................................. c) Davids Liaison mit Batscheba ...................................................................... d) Davids Kampf mit Abschalom .....................................................................

205 206 206 208 209

3. Überhöhungen Davids zur Lichtgestalt und ihr Anhalt an der Wirklichkeit ................................................................................................... a) David und die Kunst...................................................................................... b) David und die Gewalt ................................................................................... c) David und sein Reich .................................................................................... d) David und die Religion .................................................................................

210 210 211 212 213

4. Zusammenfassung und Schluss .......................................................................... 214

Inhalt

9

Uneindeutigkeit als Kennzeichen hebräischer Erzählkunst – am Beispiel der Samuelbücher ..................................................................................................... 216 Einübung in den aufrechten Gang. Beispiele für Zivilcourage in den Samuelbüchern ................................................ 219 1. Zivilcourage und Glaubensgehorsam ................................................................ 219 2. Mächtigen couragiert in den Arm fallen .......................................................... 222 3. Herrscher couragiert kritisieren ........................................................................ 225 4. Mächtige couragiert zu richtigem Handeln bewegen .................................... 227 Bibliographie ............................................................................................................. 229 ‚Aufbruch‘ als heimliches Prinzip in den Samuelbüchern................................... 231 1. Israels Aufbruch in die Staatlichkeit: historisch und literarisch .................. 231 2. Die Hauptfiguren der Samuelbücher: Verkörperungen des Aufbruchs ...... a) Samuel............................................................................................................. b) Saul .................................................................................................................. c) David................................................................................................................ d) Salomo ............................................................................................................

235 235 236 238 239

Ars necandi und ars moriendi in den Samuelbüchern ............................................. 241 Einführung ................................................................................................................. 241 1. Ars necandi in den Samuelbüchern ..................................................................... a) Töten im Krieg ............................................................................................... b) Selbsttötung ................................................................................................... c) Mord ................................................................................................................ d) Liquidation .....................................................................................................

242 242 243 244 246

2. Ars moriendi in den Samuelbüchern ................................................................... a) Vorzeitiger Tod ............................................................................................. b) Tod im Alter ................................................................................................... c) David, der Unsterblich-Sterbliche..............................................................

248 248 250 251

Schluss ........................................................................................................................ 253 Weiterführende Literatur........................................................................................ 255 Interreligiosität in den Samuelbüchern? ............................................................... 257 Einleitung ................................................................................................................... 257 1. Das Onomastikon der Samuelbücher als Hinweis auf einen religiösen Mix ............................................................................................................ 258

10

Inhalt

2. Erzählerische Zeugnisse scharfer religiöser Abgrenzung.............................. 259 3. Erzählerische Hinweise auf religiöse Offenheit ............................................... 263 Ergebnis ...................................................................................................................... 268 Gottes Wort in unberufenem Mund. Zu einem spezifischen Erzählzug der Samuelbücher ........................................................................................................... 269 1. Erster Fall: Die Männer Davids ........................................................................... 269 2. Zweiter Fall: Die Stämme Israels ........................................................................ 270 3. Dritter Fall: Der General Abner .......................................................................... 271 4. Vierter Fall: Noch einmal Abner ........................................................................ 271 Vom Schweigen und Reden Gottes in den Samuelbüchern ................................ 273 1. „The Silent God“ ................................................................................................... 273 2. Zur Semantik des göttlichen Schweigens in der Hebräischen Bibel ............ 275 3. Vom Schweigen und Reden Gottes in den Samuelbüchern........................... a) Hanna und der zuerst schweigende, dann redende Gott ....................... b) Saul und der zuerst redende, dann schweigende Gott ........................... c) David und der gelegentlich schweigende, aber immer wieder redende Gott.......................................................................................................

277 278 279 281

III. Biblische Porträts Saul unter den Propheten ........................................................................................ 285 1. König Saul und der Prophet Samuel .................................................................. 285 2. König Saul als Prophet ......................................................................................... 289 3. König Saul und die Propheten: Aspekte der Rezeptionsgeschichte ............. 294 Bibliographie ............................................................................................................. 297 Macht und Musik. Der historische und der biblische David................................ 300 1. Aufstieg und Herrschaft Davids in historischer Perspektive ........................ 300 2. Die Davidgeschichte der Samuelbücher ........................................................... 302 3. Davids Weiterleben .............................................................................................. 303

Inhalt

11

David – König der Liebe ............................................................................................ 305 Einleitung ................................................................................................................... 305 1. David, geliebt von Gott?....................................................................................... 307 2. David, geliebt von Menschen .............................................................................. 308 3. David, Liebhaber von Frauen und Männern .................................................... a) David und Jonatan......................................................................................... b) David und die Frauen ................................................................................... c) David und seine Söhne .................................................................................

311 311 312 315

4. David, Liebhaber der Kunst ................................................................................. 317 5. David, Liebhaber Gottes und der Menschen .................................................... 319 Schluss ........................................................................................................................ 320 David und die Dichter ............................................................................................... 322 1. Nachdichtungen von Gedichten Davids ............................................................ 323 a) Totenklagen Davids ...................................................................................... 323 b) Fiktive Therapiegedichte Davids ................................................................ 331 2. Neudichtungen auf David .................................................................................... 333 a) Antike Gedichte über David ........................................................................ 333 b) Moderne Gedichte über David .................................................................... 335 3. Rückblick ................................................................................................................ 340

IV. Anhang ............................................................................................................. 343 Bibliographie Walter Dietrich 2009–2019 .............................................................. 343 Nachweis der Erstveröffentlichungen.................................................................... 349 Register ....................................................................................................................... 351

Vorwort In den Jahren 2001 und 2012 sind als Bände 156 und 201 der „Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament“ die ersten beiden Bände meiner „Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments“ erschienen. Hier nun folgt der fortführende (und wohl abschließende) dritte Band, der sich ganz auf die Samuelbücher, meine zentrale Lebensaufgabe, konzentriert. Die hier versammelten Studien entstanden während der letzten sieben Jahre als Vor- und Begleitarbeiten zu meiner Kommentierung der Samuelbücher in der Reihe „Biblischer Kommentar Altes Testament“. Von dieser ist in diesem Jahr gleichfalls der dritte Band erschienen, der bis 2Sam 8 reicht. Damit ist der Großteil der Samuelbücher kommentiert, und die gewonnenen Einsichten finden Niederschlag auch in diesem Aufsatzband. Die beiden thematischen Schwerpunkte der hier zusammengestellten Arbeiten sind im Haupttitel angedeutet: Die Samuelbücher beschreiben einen bestimmten Abschnitt der Geschichte Israels, sind also Geschichtsschreibung – freilich ganz eigener Art –, und sie tun es in ästhetisch höchst anspruchsvoller Weise, sind also ein literarisches Kunstwerk – ebenfalls ganz eigener Art. Von beidem geben die in diesem Band vereinigten Studien Zeugnis: zuerst in Gestalt exegetischer Spezialstudien (I.), dann in Gestalt thematischer Längsschnitte (II.), schließlich in der von „Porträts“ der beiden Hauptfiguren der Samuelbücher, Saul und David (III.). Im Ergebnis zeichnet sich ein eigentümliches Verhältnis von Faktizität und Fiktionalität in der Historiographie der Samuelbücher ab, daneben aber eine höchst feinsinnige Erzählkunst mitsamt der Fähigkeit zur Zeichnung höchst prägnanter Menschen- (und übrigens auch Gottes-)Bilder. In der Darlegung dessen kommt erhebliches Gewicht der reichen Wirkungsgeschichte der Samuelbücher zu. Deren kunstsinnige Art der Geschichtsschreibung wie auch die Vielfalt und Grundsätzlichkeit der in ihnen verhandelten Themen haben auf Künstler und Denker aller Couleur und aller Zeiten eine starke Anziehungskraft ausgeübt. Und noch heute gewinnen Lesende, die sich durch die Vielzahl von Namen und Ereignissen und die gelegentliche Befremdlichkeit des Geschilderten nicht abschrecken lassen, alsbald den Eindruck: mea res agitur. Vordergründig bevölkern Könige und Prinzessinnen, Priester und Generäle die Erzählbühne, spielt das Geschehen an weit entfernten Orten und in längst vergangenen Zeiten; in Wirklichkeit geht es um nie überholte Menschheitsfragen, entfaltet an Figuren und Geschehnissen von reizvoller Fremdheit. Die Anlässe für die Entstehung dieser Studien waren recht vielfältig: Einladungen zu Fachtagungen oder zur Mitwirkung an Festschriften, Anfragen von Zeitschriftredaktionen, gelegentlich schlicht eigenes Interesse, geweckt

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Vorwort

durch die intensive Beschäftigung mit den Stoffen und Texten der Samuelbücher. Sechs der hier präsentierten Arbeiten sind (jedenfalls in deutscher Sprache) bisher noch nirgendwo erschienen, die anderen an weit auseinanderliegenden, zum Teil recht entlegenen Orten. Sie fallen nach Umfang und Textgenre entsprechend unterschiedlich aus, und die Unterschiede sollten in der hiesigen Ausgabe nicht verwischt werden. Die einen sind länger, die anderen kürzer; der Sprachduktus ist einmal der einer gelehrten Abhandlung, einmal der eines bündigen Essays; Sekundärliteratur wird einmal in den Fußnoten bibliographiert, dann wieder stehen (Kurz-)Bibliographien am Ende, zuweilen wird auf jeglichen wissenschaftlichen Apparat verzichtet; die eine Studie ist in deutscher, die andere in Schweizer Rechtschreibung abgefasst (was vor allem bei der Schreibung von „ß“ oder „ss“ auffällt); die Autorennamen einmal in Normalschrift, einmal in Kapitälchen. Formal einigermaßen einheitlich wurde das Überschriftensystem gestaltet – zuweilen in Abweichung vom Original. Im ersten Beitrag kommt es infolgedessen sogar zu einer Diskrepanz zwischen knappen Überschriften im Inhaltsverzeichnis und ausformulieren Tesen im Text. In solchen Dingen sind Kompromisse zwischen Ursprungstreue und ästhetischem Anspruch unvermeidbar. Gelegentlich kommt es zu Berührungen zwischen zwei Aufsätzen. Bei einer Sammlung wie dieser lässt sich z.B. kaum vermeiden, dass zweimal mit demselben Textbeispiel argumentiert wird. Ich habe erwogen, in solchen Fällen das betreffende Beispiel an einer der beiden Stellen wegzulassen, davon aber Abstand genommen, um nicht durch die Kürzung die Schlüssigkeit der jeweiligen Argumentation zu gefährden. Auch sollte der Entstehungshintergrund der einzelnen Arbeiten angemessen dokumentiert werden, so dass nach der Erstwie nach der Zweitpublikation zitiert werden kann. Dies hinderte natürlich nicht an der Behebung einst unterlaufener und jetzt entdeckter Fehler oder an der sanften Angleichung der unterschiedlichen Layouts. Ich habe denjenigen Verlagen, die den Wiederabdruck anderswo publizierter Arbeiten gestattet haben, zu danken. Zu danken ist auch dem Kohlhammer Verlag für die Veröffentlichung nun schon des dritten Aufsatzbandes desselben Autors in derselben Reihe, insbesondere auch Herrn Florian Specker vom Lektorat Theologie für die sorgfältige Betreuung des Layouts und der Herstellung dieses Buches. Frau Sophie Haug, meine Berner Mitarbeiterin in Sachen Samuel-Forschung, hat alle Beiträge noch einmal sorgfältig korrekturgelesen. (Was dennoch falsch geblieben ist, habe selbstverständlich ich zu verantworten.) Ich erhoffe mir bei Leserinnen und Lesern freundliche Aufnahme – und ihnen Gewinn aus der Lektüre. Bern, im Sommer 2019

Walter Dietrich

Der Mann, mit dem Gott war. Kompositions- und quellenkritische Überlegungen zur Darstellung des Aufstiegs Davids in den Samuelbüchern Einführung: Die Samuelbücher sind nicht so alt, wie lange Zeit angenommen Lange Zeit galt es als ausgemacht, dass die Geschichte Davids in den Samuelbüchern sich hauptsächlich aus zwei alten Quellen zusammensetzt: der „Aufstiegsgeschichte“ und der „Thronnachfolgegeschichte Davids“. Es war Leonhard Rost, der im Jahr 1926, also vor fast einem Jahrhundert, dieser Annahme zu fast kanonischer Geltung verhalf.1 Nachdem er die Aufstiegsgeschichte nur eher kursorisch abgehandelt hatte, nahmen sich spätere andere – zuerst Arthur Weiser in einem Aufsatz,2 dann Jakob Grønbæk in einer Monographie3 – ihrer intensiv an. Generell war man der Meinung, diese Aufstiegsgeschichte sei wegen ihres mosaikartigen Charakters eher älter als die stärker durchgestaltete Thronfolgegeschichte; und da Rost diese in die Salomozeit angesetzt hatte, musste die Aufstiegsgeschichte mindestens auch aus dieser, womöglich sogar aus der Davidzeit stammen. Wäre das richtig, dann ginge der allergrößte Teil der Stoffmasse in 1Sam 16 – 2Sam 20 (und dazu 1Kön 1–2) auf das 10. Jahrhundert v. Chr. zurück – eine enorm frühe Ansetzung für einen so großen Textkomplex. Dem gegenüber stand eine sehr zurückhaltende Einschätzung späterer Redaktionsarbeit. Martin Noth4 hielt den dtr Textanteil in den Samuelbüchern insgesamt und erst recht in der Davidgeschichte für vergleichsweise gering, geradezu marginal. Gleichwohl war es seiner Meinung nach (erst) „der Deuteronomist“, der in der Exilszeit, also fast ein halbes Jahrtausend nach ihrer Entstehung, die Aufstiegs- und die Thronfolgegeschichte zusammenführte und in seine große Geschichte Israels von der Landnahme bis zum Landverlust einsetzte.

1 2 3 4

ROST 1926 = 1965. WEISER 1966. GRØNBÆK 1971. NOTH 1943 = 1957.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Hauptthese 1: Der Aufstieg Davids bildete einen Teil eines vordeuteronomistischen Erzählwerks über die frühe Königszeit in Israel, das seinerseits wieder Teil des deuteronomistischen Geschichtswerks wurde Im Fortgang der Forschung wurde die Annahme einer fast durchgehend sehr alten Davidüberlieferung und einer nur ganz schmalen dtr Bearbeitung von beiden Seiten her in Frage gestellt. Auf der einen Seite entdeckten Ernst Würthwein5 und François Langlamet6 namentlich im Textbereich der sog. Thronfolgegeschichte recht umfangreiche Bearbeitungen aus einer Zeit deutlich nach dem 10., aber auch vor dem 6. Jahrhundert. Auf der anderen Seite schrieb Timo Veijola7 der dtr Redaktion (die er nicht mehr einstufig, sondern mehrstufig sah) ungefähr dreimal mehr Text zu als Noth, nämlich über 230 statt 75 Verse oder 15 statt 5 Prozent des Textbestands.8 Ich selbst bin, was den Deuteronomismus in den Samuelbüchern anlangt, etwas moderater als Veijola, dafür meine ich eine breite vor-dtr Bearbeitungsschicht im Textbereich der sog. Aufstiegsgeschichte ausfindig gemacht zu haben, die mit den von Würthwein und Langlamet postulierten Bearbeitungen des Thronfolgestoffs zusammenhängt. Diese Redaktionsschicht scheint mir derart grundlegend und umfassend, dass ich gar nicht mehr mit zwei voneinander separierbaren alten Geschichtswerken (über „Aufstieg“ und „Thronfolge“ Davids) rechne, sondern mit einem durchgehenden „Erzählwerk von den ersten Königen Israels“, das über die Geschichte Davids hinaus auch diejenige Sauls und Salomos enthielt und von 1Sam 1 bis 1Kön 12 (abzüglich natürlich der späteren dtr und nach-dtr Einträge) reichte.9 Viel spricht dafür, dass es in der mittleren Königszeit entstand, um die Wende vom 8. zum 7. Jahrhundert, in der Umgebung des Jerusalemer Hofes – jedoch nicht in völliger Abhängigkeit von diesem, als königliches ProgagandaMachwerk, sondern als hochrangiges Kunstwerk, das sich auszeichnet durch große geistige Freiheit und durch eine enorme Vielschichtigkeit, ja Ambiguität der geschilderten Charaktere wie der erzählten Handlungen. Der Verfasser dieses Werkes – von mir mangels eines besseren, konkreteren Namens „Höfischer Erzähler“ genannt – hat bei der Komposition des Davidstoffs seine Handschrift insbesondere in direkten Reden der handelnden Figuren hinterlassen: etwa in Dialogen zwischen Jonatan und David, zwischen David und Saul, zwischen Abigajil und David, zwischen David und den Mördern Sauls, Abners und Eschbaals. Dialoge sind sehr gut dazu geeignet, eine Erzählung, ohne 5 6 7 8 9

WÜRTHWEIN 1974. LANGLAMET 1976; 1978; 1979; 1980; 1981; 1982. VEIJOLA 1975. Vgl. die Aufstellung bei DIETRICH 2013: 51. Vgl. DIETRICH 1997: 259–273; DIETRICH 2016.

Kompositions- und quellenkritische Überlegungen

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ihren Ablauf zu stören, mit Deutungen zu versehen – und nun eben nicht eigenen, sondern denen von Erzählfiguren (die sich mit der Erzählermeinung decken können oder auch nicht). Hinzu kommen einige Geschichten, die der Höfische Erzähler als ganze selbst verfasst hat: etwa die von Sauls Verwerfung (die erste, in 1Sam 13,7b–15, während die zweite, in 1Sam 15, erst die dtr Redaktion eingebracht hat); dazu einige David-Geschichten, etwa die von seiner Salbung, die von seiner Flucht vor Saul zu Samuel oder von seiner Ausmusterung aus dem Philisterheer vor der Schlacht von Gilboa. Der Klarheit halber lege ich hier eine Liste der dem Höfischen Erzähler von 1Sam 16 an zuzuschreibenden Textpassagen vor, wie sie sich mir im Verlauf der bisherigen Kommentararbeit ergeben hat: 1Sam 16,1–13; 17,10–14.19.23–39.41b.42.43b–46a.57b; 18,1.5.8–12.14–16.*17.21.25b. 28–30; 19,1–8.18–24; 20,1a.8.12.13–17.23.32f.40–42; 21,12b; 22,6a.14b; 23,7b.14b–18. 21–23; 24,*5–8a.*10–22; 25,7b.8aα1.10aβb.13bβ.15–17.21f.24b.25a.28–31.32b–34a. *38b.39a; 26,1.*3.6.8–1.12bβγ.15b.16a.18–20a.21.22aα.23–25a; 27,1.3b.4f.(8.)9–12; 28, 1f.6.15b.16aβb.20b.23a; 29,*1–11; 30,1a.5.6–8.9b.10.18b.21–25.26b.29aβb; 31,1a; 2Sam 1,1aβγb.2aa1.3–5.8.10aβγ.12aβb.13–16.17f; 2,1.2aβb.3.4b–7.17b. 26b.27.28aβ.30f; 3,1; 5,1f.10b–13.17; 6,1.14.16.20–23; 7,1a.2f.8*a.b.9.12aγb.15b.

Da es im Folgenden um vorredaktionelles Quellenmaterial gehen soll, ist es sinnvoll, an dieser Stelle auch gleich noch die Textanteile der dtr Redaktion zu benennen. Wie Veijola rechne ich mit drei dtr Bearbeitungsstufen. Im Bereich der (Saul- und) David-Geschichten massieren sich deren Textanteile in drei Kapiteln: dem von Sauls Amalekiterkrieg, dem von der Totenbeschwörung in EnDor und dem von Natans Weissagung und Davids anschließendem Dankgebet. Hinzu kommt eine Reihe verstreuter kleinerer Bemerkungen und Ergänzungen. Hier wieder eine Liste der einschlägigen Stellen: DtrH: 1Sam 13,1; 23,1bβ.5b.*10.*11a.*13a; 2Sam 2,10aαb; 3,9f.17–19; 4,2b.3; 5,4–5; 7,1b.11aβb.13.16.17a.18–21. 25–29. DtrP: 1Sam 14,48aβb; 15.1aβγb.10–12.16aβb.17–27a; 28,3.9–10.12b.17–19aα. 21bβγ. DtrN: 1Sam 13,13bα.14bβ; 15,2.6.*9.29; 2Sam 7,4–8aα.10.11aα.22–24.

Die Deuteronomisten haben, soweit ich sehe, in die David-Geschichte keine eigenen älteren Quellen mehr eingebracht, sondern sich ganz auf das ihnen vorliegende Höfische Erzählwerk gestützt.

Hauptthese 2: Im Höfischen Erzählwerk sind mehrere, umfangmäßig und thematisch begrenzte, ältere Quellen verarbeitet Der Höfische Erzähler nun hat die David- (und die Saul- und die Salomo-) Geschichte nicht aus freien Stücken niedergeschrieben, also keinen selbsterdachten Roman verfasst, sondern in sein Werk eine beträchtliche Menge von

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Quellentexten eingearbeitet. Im Bereich der sog. Thronfolgegeschichte sind das nach meiner Ansicht zwei ehedem eigenständige Novellen: die eine über David, Batscheba und Salomo, den unter undurchsichtigen Umständen zur Welt und am Ende auf den Thron gekommenen Nachfolger Davids (in 2Sam 10–12 und 1Kön 1–2), die andere über Irrungen und Wirrungen im Hause Davids, zentriert um den Erst- und den Zweitgeborenen Davids, Amnon und Abschalom (in 2Sam 13–20). Wie aber steht es im Umkreis der sog. Aufstiegsgeschichte, d.h. im Textbereich zwischen 1Sam 16 und 2Sam 5 (oder 8)? Hier hat man zu unterscheiden zwischen älteren, dem Höfischen Erzähler zugänglichen oder zugekommenen Einzeltexten und bereits vor ihm zusammengestellten Textkompositionen.

Unterthese 2.1: Der Höfische Erzähler hat eine Reihe von Einzelüberlieferungen aufgenommen Die augenfälligsten Einzelstücke sind die Klagelieder Davids auf Saul und Jonatan (2Sam 1,19–27) sowie auf Abner (2Sam 3,33f). Zumindest für das erste ist eigens eine Quelle angegeben: „das Buch des Aufrechten“, offenbar eine Sammlung von Liedern über (oder in diesem Fall: von) heroischen Gestalten aus der Frühzeit Israels. Ferner sind die beiden Listen von Söhnen Davids zu nennen: eine über die in Hebron geborenen Söhne, die auch die Namen ihrer Mütter angibt (2Sam 3,2–5), eine zweite über in Jerusalem geborene (2Sam 5,13–16). Diese Listen dürften in den Archiven des Jerusalemer Hofs aufbewahrt worden sein. Das Gleiche gilt wohl für zwei weitere, sozusagen amtliche Listen: die erste mit den Namen judäischer Dörfer, die David aus der Beute eines Siegs über die Amalekiter beschenkt haben soll (1Sam 30,26–31), die zweite mit Kriegen und Siegen Davids gegen Nachbarvölker (2Sam *8,1–14), die dritte mit den Namen und Ressorts der führenden Beamten Davids (2Sam 8,16–18, und noch einmal, mit leichten Abweichungen, 2Sam 20,23–25). Schließlich kannte der Höfische Erzähler eine angeblich einst von Natan dem David übermittelte Dynastieweissagung, die anscheinend einen festen Platz im Jerusalemer Hofzeremoniell hatte (2Sam *7,11–16). Eine Art Zwischending zwischen Einzeltext und Textkomposition ist das Kapitel 2Sam 6, das von der Überführung der heiligen Lade nach Jerusalem erzählt und das erst der Höfische Erzähler um eine Szene vom endgültigen Zerwürfnis zwischen David und der Saultochter Michal anreicherte (2Sam 6,16.20– 23). Die Grunderzählung bildete einmal den Abschluss der sog. Ladegeschichte, deren erster Teil in 1Sam 4–6 steht.

Kompositions- und quellenkritische Überlegungen

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Unterthese 2.2: Es gibt Hinweise auf zwei größere, im Bereich der Geschichte vom Aufstieg Davids verarbeitete Grundquellen Sind die Textanteile der Redaktion sowie die quellenhaften Einzeltexte in Abzug gebracht, bleibt eine lange Reihe offensichtlich biografisch angeordneter Erzählungen: von Davids Auftauchen am Hof Sauls, seinem kometenhaften Aufstieg dort, seinem baldigen Absturz, d.h. der Vertreibung durch Saul, seinem Umherstreifen in der Wüste Juda, seiner Zeit als Philistervasall und Stadtkönig von Ziklag und schließlich seiner Einsetzung zum König zuerst Judas und dann Israels. Es ist dies eine veritable Vita, die in ihrem Detail- und Farbenreichtum in der antiken Literatur ihresgleichen sucht. Freilich weist diese Vita eine Reihe auffälliger Dubletten (oder doppelter Linienführungen) auf: – Die Erzählung von Davids Sieg über den Philisterrecken Goliat ist allem Anschein nach aus zwei verschiedenen Darstellungen des gleichen Ereignisses zusammengesetzt (ganz abgesehen davon, dass es noch eine dritte, vollkommen alternative Kurzversion in 2Sam 21,19 gibt). – David findet, als ihm Saul mit zunehmender Missgunst begegnet, Unterstützung bei zwei Kindern Sauls: Jonatan und Michal. Beide erfüllen je auf ihre Weise die gleiche Funktion: die Königsmacht in einer legitimen, das heißt nicht-usurpatorischen, Weise von Saul auf David übergehen zu lassen. – Michal hat noch ein weiteres, diesmal weibliches Gegenüber in Gestalt ihrer Schwester Merab, die allerdings einen viel schwächeren Part innehat. – David schont das Leben seines ihm in die Hände gefallenen Verfolgers Saul zweimal: zuerst in einer Höhle bei En-Gedi (1Sam 24) und dann auf einer Anhöhe namens Hachila (1Sam 26). – Saul stirbt im Kampf mit den Philistern auf zwei verschiedene Weisen: einmal vom Feind in die Enge getrieben von eigener Hand (1Sam 31), einmal schwer verwundet durch den Gnadenstoß eines Amalekiters (2Sam 1). – David bestraft zweimal Menschen, die glauben, ihm durch die Beseitigung eines Widersachers einen Gefallen getan zu haben, mit dem Tod: den vorgeblichen Mörder Sauls (2Sam 1) und die tatsächlichen Mörder Eschbaals (2Sam 4). Das sind, es sei betont, stoffliche Dubletten. Es gibt auch kleinere, gewissermaßen stilistische Wiederholungen: zum Beispiel das Frauenlied von Saul, der tausend, und David, der zehntausend erschlagen hat, das sogar dreimal vorkommt;10 oder die zweimal erzählte Bedrohung des musizierenden David durch den Spieß Sauls;11 oder die wie ein roter Faden sich durch die David-Erzählungen ziehende 10 11

1Sam 18,7; 21,12; 29,5. 1Sam 18,10f; 19,10.

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Mitseinsformel („Jhwh war mit David“);12 oder die immer wieder stattfindenden Befragungen Jhwhs.13 Solche Wiederholungen sind nicht quellenkritisch, sondern kompositionskritisch zu erklären: als Stil- und Gestaltungsmittel in der Hand des „Höfischen Erzählers“. Die aufgeführten Sach-Dubletten hingegen verdanken sich offensichtlich nicht der planenden Hand des Redaktors bzw. Verfassers, vielmehr hat dieser sie bereits vorgefunden und versucht, sie mehr oder minder überzeugend hintereinander zu ordnen – wozu zu betonen ist, dass ihm solche Doppelungen ästhetisch und sachlich anscheinend weniger Mühe bereiteten als uns Modernen. Er findet es offenbar nicht nachteilhaft, wenn sich zwei Erzählfäden, etwa die von den Königskindern Jonatan und Michal, die sich mit dem Feind ihres Vaters verbünden, ineinander verschlingen und sich so die Aussage verdoppelt: Die Zukunft liegt bei David, nicht bei Saul. Zu Zeiten der alten Pentateuch-Quellenkritik wurde gelegentlich die Ansicht vertreten, derartige Doppelungen seien der Beweis dafür, dass sich die Quellenfäden J(ahwist) und E(lohist) bis hinein in die Samuel- und womöglich noch in die Königsbücher fortsetzten.14 Martin Noth hat solchen Theorien für die Bücher des dtr Geschichtswerks den Boden entzogen. Mittlerweile wird auch für den Pentateuch selbst die alte Urkundenhypothese kaum noch verfochten, stehen stattdessen diverse Formen von Fragmentenhypothesen im Vordergrund. Eine solche ist auch für die Samuelbücher, und gerade für die Erzählungen vom Aufstieg Davids, zu bevorzugen. Der Höfische Erzähler hat sich hier, wenn ich es recht sehe, zweier größerer Quellen bedient und die diesen entnommenen Fragmente unter Beigabe eigener Verknüpfungen und Ergänzungen zu einem fortlaufenden Handlungszusammenhang verflochten. Allem Anschein nach lagen ihm diese Quellen schon in schriftlicher Form vor, doch zeigen sie noch deutlich ihren Entstehungsgrund in der mündlichen Erzähltradition. Ich spreche darum nicht von „Büchern“, sondern von „Erzählkränzen“, deren Schöpfer offenbar weniger als Autoren denn als Sammler anzusprechen sind. Diese haben in die ihnen überkommenen Geschichten nur selten spürbar eingegriffen, haben sie in der Hauptsache bloß aneinandergereiht, ohne ihnen ihr jeweiliges Kolorit zu nehmen. Die vorherrschende Textgattung in diesen Quellen ist somit die Einzelerzählung: mit in sich gerundetem Horizont, eigener Handlungs- und Personenführung, eigenem Erzählziel, eigenem Vokabular, oft auch eigener Topographie, auffallend häufig mit chiastischen Strukturen (welche vermutlich ästhetischen und mnemotechnischen Zwecken dienten).

12 13 14

1Sam 16,18; 17,37; 18,14.28; 2Sam 8,6.14; 1Kön 1,37. 1Sam 23,6–13; 30,7f; 2Sam 2,1f; 5,19.23f. So noch SCHULTE 1972.

Kompositions- und quellenkritische Überlegungen

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Unterthese 2.3: Eine der beiden Hauptquellen zur Schilderung des Aufstiegs Davids war ein „Erzählkranz vom Aufstieg und Niedergang der Sauliden“ Durch die gesamten Samuelbücher, von 1Sam 9 an, ziehen sich Geschichten, in denen noch nicht oder nicht allein David die Hauptfigur ist, sondern Saul oder ein Mitglied der Sauliden-Familie. Hierher gehören Geschichten wie die vom jungen Saul, der auszog, die Eselinnen seines Vaters zu suchen. und die Königskrone fand, von Sauls und Jonatans Kampf mit den Philistern bei Gibea, von der „Entdeckung“ Davids durch Saul anlässlich des Goliat-Sieges (die von mir so genannte Hirtenknaben-Version in 1Sam 17), die Erzählungen von der innigen und am Ende sich gegen Saul richtenden Freundschaft Jonatans mit David, vom Massaker Sauls an den Priestern von Nob, von der vergeblichen Jagd Sauls auf David in Keïla und bei der Höhe von Hachila, von Sauls Gang zur Totenbeschwörerin von En-Dor und von seinem Tod auf Gilboa, dann die Geschichten von Sauls Cousin Abner und seinem Sohn Eschbaal, von seinem Enkel Meribaal, auch die von dem Sauliden Schimi und dem Benjaminiter Scheba, womöglich die vom Tod von sieben Sauliden in Gibeon. Ich denke, all diese Geschichten ergeben ein ebenso farbiges wie in sich stimmiges Bild vom Geschick der Sauliden-Familie und ihrem Verhältnis zu David. Zur raschen und klaren Verständigung seien hier die Texte im Einzelnen aufgelistet, die dieser Quelle m.E. zuzuweisen sind (wobei freilich spätere Zugaben seitens des Höfischen Erzählers, gelegentlich auch der dtr Redaktion, in Rechnung zu stellen wären): 1Sam 9,1 – 10,16; 13–14; 17,12–14.17f.20–25.40f.48–50.55–58; 18,2–4.6f. 13aβb.17a.18f; 20,2–7.9–11.18– 23.25–31.34–39; 21,2–10; 22,6–18a.20–23; 23,1–13.14a.19.24a; 26; 28,4– 25; 29,1b.2a.11b; 31; 2Sam 2,8f.10aβ.12–17a.18–32; 3; 4; 9; 16,1–13; 19,17–31; 20,1–22; 21,1–14(?).

Alle Erzählungen dieser Quelle haben ihren Wurzelgrund offenbar in Nordisrael, näherhin wohl in Benjamin, jedenfalls nicht in Juda. Sie vertreten damit gewissermaßen eine Gegenwelt zur judäisch-jerusalemer Welt des Höfischen Erzählers (und der anderen von ihm verwendeten Quellen im Bereich der DavidGeschichte). Nicht zuletzt durch Aufnahme der Sauliden-Erzählungen gelang es ihm, eine virtuelle Welt des Miteinanders von Nord und Süd unter der Regentschaft Davids zu schaffen.15

15

Mit dieser Quellenzuweisung ist nicht der gerade im Schwange befindlichen Anzweiflung einer „United Monarchy“ unter David und Salomo das Wort geredet; diese hat es gegeben – freilich in viel geringerem Umfang und mit wesentlich geringerem Glanz, als namentlich in der Salomo-Überlieferung dargestellt; vgl. dazu die Auslegung von 2Sam 5 und 2Sam 8 in DIETRICH 2019.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Auch zur Zeit des Höfischen Erzählers, um 700 v.Chr., war diese Welt aus „Nord und Süd“ keine rein theoretische, vergangenheitliche Größe, sondern durchaus konkret präsent: Das Nordreich war kurz zuvor untergegangen, eine große Zahl von Flüchtlingen war in das noch existierende Juda geströmt und hatte eine eigene Überlieferungswelt mitgebracht: etwa vom Erzvater Jakob und dem aus seiner Familie hervorgehenden Israel oder vom Exodus Israels aus Ägypten oder von der Loslösung Israels vom davidischen Juda oder von den Königen Jerobeam oder Jehu oder von den Propheten Elija, Elischa und Hosea – und eben auch vom Gründerkönig Israels, Saul. Der Saulidenerzählkranz ist nun aber nicht mehr rein nordisraelitisch geprägt. Vielmehr zeigt er das Schicksal dieser Königsfamilie im Zusammenhang mit David, der an ihr vorbei und über sie hinweg aufsteigt und eine Doppelmonarchie schafft, von der Saul nicht einmal hätte träumen können. Wohl führte dieser gelegentlich Kriegszüge in das Gebiet des späteren Juda (das es aber bis David nicht gab!), doch unterwarf er sich dieses Gebiet nicht dauerhaft. Auch seine anfänglichen Erfolge gegen die Philister wichen einer deutlichen Unterlegenheit, die ihn schließlich das Leben kostete. Die Sauliden spielen in diesem Erzählkranz die Rolle einer Initiations- und Übergangsgröße, die ihre Überbietung und ihr Ziel in der Herrschaft Davids findet. Anders gesagt: Diese Erzählsammlung ist bereits stark judäisch gefärbt – und insofern dem Höfischen Erzähler, zweifellos einem Judäer, nicht von Grund auf wesensfremd. Trotzdem liegt der nordisraelitische Entstehungshintergrund noch deutlich zutage. Nehmen wir als Beispiel die Jonatan-Figur, die in den Sauliden-Überlieferungen eine auffällig starke Rolle spielt. – In 1Sam 13–14 läuft Jonatan seinem Vater Saul förmlich den Rang ab; letztlich ist er es, dem der erste große Sieg Israels über die Philister zu verdanken ist (und den sein cholerisch-sturer Vater um ein Haar liquidiert hätte). Diese Rollenverteilung scheint indes traditionsgeschichtlich auf einer zweiten Ebene zu liegen. Im ältesten Textstratum war Saul der Held, der die Philister aus dem Feld schlug. Offenbar gab es aber auch eine Heldengeschichte von Jonatan, die nachträglich über die von Saul gelegt wurde. Vielleicht war dafür erst der Höfische Erzähler verantwortlich,16 möglicherweise aber auch schon der Autor des Sauliden-Erzählkranzes. – In 1Sam 18 verbündet sich Jonatan in engster Freundschaft (und/oder Liebe?17) mit David. Dass der Kronprinz dem jungen Goliat-Sieger seine königlichen Gewänder und seine Waffen übergibt, ist ein Akt von symbolhafter Bedeutung. – In 1Sam 19,1–7 warnt Jonatan seinen Freund vor dem Zorn seines Vaters – und schafft es, diesen fürs erste zu besänftigen, so dass David wie zuvor 16 17

So DIETRICH 2015: 10–12. Zur Frage der vermeintlichen oder wirklichen Homoerotik zwischen Jonatan und David vgl. DIETRICH 2015: 414–417 und die dort angeführte Spezialliteratur.

Kompositions- und quellenkritische Überlegungen

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ungefährdet dem König dienen kann. Diese Episode beruht nach meiner Analyse nicht auf alter Überlieferung, sondern ist vom Höfischen Erzähler frei ersonnen worden. Sie erhöht durch scheinbare Entspannung die Dramatik des dann Folgenden. – In 1Sam 20 eröffnet David Jonatan seine Überzeugung, dass Saul ihm nach wie vor nach dem Leben trachte. Jonatan will das nicht glauben, stellt in Absprache mit David seinen Vater auf die Probe, erfährt, dass David recht hatte, wird selbst wegen seiner Freundschaft mit diesem beschimpft und sogar mit dem Tode bedroht und verhilft daraufhin David, nach tränenreichem Abschied, zur Flucht. So bewährt sich die Freundschaft im Augenblick der Gefahr, wird aber auch tragisch zerbrochen. Diese Erzählung stammt im Grundbestand aus dem Sauliden-Kranz, wurde aber vom Höfischen Erzähler durch einige Zusätze ideologisch und theologisch überhöht.18 – Die nächste Jonatan-David-Episode, 1Sam 23,14b–18, ist wieder reine Invention des Höfischen Erzählers: Jonatan schlägt sich zu dem von seinem Vater in die Wüste Juda vertriebenen David durch und dankt ausdrücklich zu dessen Gunsten ab: „Du bist es, der König über Israel sein wird, und ich werde der Zweite nach dir sein“. – In 1Sam 31 fällt Jonatan an der Seite seines Vaters: klar eine Geschichte aus dem Sauliden-Erzählkranz. – Im zweiten Samuelbuch kommt anstelle Jonatans dessen überlebender, freilich körperbehinderter Sohn Meribaal in den Blick. Man erfährt (offenbar aus dem Sauliden-Erzählkranz), wie er zu Schaden gekommen war (2Sam 4,4), dass David ihm die – zuvor anscheinend konfiszierten – Ländereien Sauls zurückgibt (2Sam 9), dass Meribaal beim Abschalom-Aufstand, angeblich oder wirklich, Hoffnung schöpft, selbst an die Macht zu gelangen (2Sam 16,1–4), nach Davids Sieg aber froh sein darf, mit dem Leben (und dem halben bisherigen Besitz) davonzukommen (2Sam 19,25–31). All diesen Episoden liegen Informationen aus dem Sauliden-Erzählkranz zugrunde, doch hat offenbar der Höfische Erzähler sie untereinander zusätzlich vernetzt und die Gestalt David noch ein wenig positiver erscheinen lassen als in seiner Quelle. Trotzdem ist nicht zu verkennen, dass allein durch die hartnäckige Präsenz von Sauliden in der Davidüberlieferung auf den Hauptprotagonisten ein Schatten fällt. Zwar werden schon der Sammler des Erzählkranzes und noch mehr der Höfische Erzähler nicht müde zu betonen, dass David keinem Saul-Nachkommen ein Haar gekrümmt habe. Trotzdem wird die Leserschaft dessen gewahr, dass es in Nordisrael bzw. in Benjamin eine Familie gab, die vor David die Königswürde innehatte und die, solange David lebte, laut oder leise einen Anspruch auf die Rückgewinnung dieser Würde erhob. Und seltsam genug: Bis auf den behin18

Vgl. die Analyse bei DIETRICH 2015: 522–526.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

derten Meribaal weiß die Überlieferung vom vorzeitigen Tod aller, aber auch aller Sauliden zu berichten – bzw. sie ist dazu gezwungen. Offenbar wusste man in Israel um die Verflochtenheit der Schicksale Sauls und Davids, und man vergaß nie, dass an David der Geruch der Usurpation haftete. Deutlich genug spricht der Saulide Schimi (wieder nach einer Überlieferung aus dem SaulidenKranz) von „all dem Blut des Hauses Saul, an dessen Stelle du [David] König geworden bist“ (2Sam 16,8). Nicht zuletzt den Überlieferungen aus dem „Erzählkranz vom Aufstieg und Niedergang der Sauliden“ (daneben aber auch einem Traditionsstück wie der David-Batscheba-Salomo-Novelle) ist es zu danken, dass das Bild Davids in den Samuelbüchern nicht in propagandistischer Manier rein positiv ausfällt, sondern gewissermaßen schattiert bleibt, mit ausgesprochen dunklen Flecken. David ist keine reine Licht-, sondern eine ambivalente Gestalt – und das macht nicht zum mindesten ihre Größe aus.

Unterthese 2.4: Die zweite Hauptquelle war der „Erzählkranz vom Freibeuter David“ Neben dieser einen Quelle verfügte der Höfische Erzähler noch über eine andere, die in einzelnen Episoden den Aufstieg Davids von seinem Auftauchen am Hof des israelitischen Königs Saul bis zu seiner eigenen Erhebung zum König Israels schilderte. Die ihr zuzurechnenden Stoffe finden sich zwischen 1Sam 16 und 2Sam 5. Ihr Hintergrund ist klar nicht israelitisch, sondern judäisch, und einzelne ihrer Bestandteile dürften zeitlich weit zurückreichen, womöglich bis in die Davidzeit. Die Themen bzw. die Geschichten dieses Erzählkranzes sind überschaubar. Es handelt sich um die Erzählung von Davids Musiktherapie an Saul, von ihm als namenlosem Schleudersoldaten, der den Philisterhünen Goliat ausschaltet, von seiner Heirat mit Michal (sie ist hier, anstelle Jonatans, die Überträgerin der Königsmacht von Saul auf David), vom Spießwurf Sauls auf seinen Therapeuten und von dessen Flucht aus dem Haus Michals, von seinem ersten, misslungenen Versuch, beim Philisterkönig von Gat unterzukommen, vom Aufbau einer mehrhundertköpfigen Freibeutertruppe, von der Verfolgung durch Saul bei Keïla, Maon und En-Gedi, von dem Abenteuer mit Nabal und Abigajil in Karmel, von dem gelungenen Übertritt zu den Philistern und der Einsetzung zum Stadtkönig von Ziklag, von einer Razzia gegen die räuberischen Amalekiter, von der Reaktion auf die Nachricht vom Tod Sauls und die Überbringung von dessen Regalien, von der Einsetzung zum König von Juda in Hebron, der Einnahme Jerusalems als neuer Hauptstadt und schließlich der Kür zum König von Israel. Wieder seien zur raschen Verständigung die betreffenden Stellen aufgelistet (wobei oft nur ein Grundbestand der jeweiligen Textpassagen gemeint ist):

Kompositions- und quellenkritische Überlegungen

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1Sam 16,14–23; 17,1–9.48–54; 18,20–27; 19,9–17; 21,11–16; 22,1–5; 23,24b–28; 24; 25; 27,2.3a.6f; 30,1–25; 2Sam *1,2.6–12; 2,2aα.4a.11; 5,3.*6–10a.

In all diesen Geschichten ist eindeutig David die Hauptperson; um ihn dreht sich jede einzelne Handlung wie auch die Gesamthandlung. In ihrer jetzigen Abfolge bilden sie ein Itinerar ab mit den Stationen Gibea, Wüste Juda (mit verschiedenen Unterpunkten), Ziklag, Hebron und Jerusalem – wobei ja zwischen dem Ausgangs- und dem Endpunkt geographisch nur wenige Kilometer liegen, die der Held aber aufgrund der widrigen Umstände nicht direkt, sondern nur über gewaltige Umwege zurücklegen kann. Hier zeichnet sich bereits das Muster ab, das den Aufstieg Davids im großen Höfischen Geschichtswerk prägen wird: per aspera ad adstra. Davids Weg nach oben ist nicht eben und gerade, sondern holprig und kurvenreich. Diesem Mann ist das Glück nicht in die Wiege gelegt. Er ist ein Seiteneinsteiger am Hof des regierenden Königs, er wird von diesem vertrieben und gejagt, schlägt sich mehr schlecht als recht als Flüchtling und Milizenführer durch, muss sich gar zum Vasallendienst beim Landesfeind herbeilassen. Und doch kann man sagen: Der David dieser Erzählungen ist auch ein Glückskind. So tief er fällt, er nimmt nie ernsthaft Schaden. So sehr andere ihm übelwollen – vor allem Saul, aber auch der König von Gat, natürlich Goliat von Gat, oder die Amalekiter –, er weiß auf jede Bedrohung eine passende Antwort. Er ist Held und Antiheld zugleich, ein Underdog, der doch unaufhaltsam nach oben strebt. Der Sammler des Erzählkranzes hat, wenn ich recht sehe, in die ihm überkommenen Einzelgeschichten nur wenig eingegriffen. Mit das auffälligste Merkmal ist die Aufreihung von Fluchtgeschichten durch formelhafte Überleitungen wie: „Und David floh und entrann“ – von einem Ort zum andern, manchmal vom Regen in die Traufe, aber nie ohne Ausweg, nie im Desaster endend. Ein symptomatischer Fall ist das Entkommen vor Sauls überlegener Heeresmacht am Fels Sela-Maklekot, wo nur die Meldung vom Einfall der Philister in Sauls Stammgebiet David die Haut rettet (1Sam 23,24b–28). Wird da ein Zusammenspiel der Philister mit David sichtbar? Tatsächlich berichtet gerade dieser Erzählkranz von Davids Vasallendienst bei den Philistern (1Sam *27). Andererseits aber weiß der Sammler auch davon, dass David sich bei einem ersten Versuch, in Gat unterzukommen, nur um den Preis, als Verrückter zu gelten, dem Zugriff der dortigen Sicherheitskräfte entziehen kann (1Sam 21,11– 16). Gerade an dieser Episode ist zu sehen, wie sehr schon dem Sammler des Freibeuter-Kranzes die zuweilen doch recht unkonventionellen Karriereschritte Davids zu schaffen machten. Kann ein guter König sein, wer eine Zeitlang eine Freischärler-Truppe befehligte, wer die Frau eines wohlhabenden, auf ungeklärte Weise ums Leben gekommenen Schafzüchters ehelichte und sich sogar dem Landesfeind verdingte? Ja, ist die Antwort – aber all dies muss in größter Not und unter schwerster Anfeindung geschehen sein.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Dass es Gott gewesen wäre, der David auf seinem komplizierten Weg führte und ihm aus schwierigen und demütigenden Situationen heraushalf, wird im Freibeuter-Erzählkranz nicht eigentlich betont. Es sind glückliche Zufälle, es ist vor allem die Gewitztheit Davids, die ihn immer wieder den Kopf aus der Schlinge ziehen und ihn immer weiter nach oben gelangen lassen. Dabei gebärdet er sich keineswegs als unbedachter Haudegen und rabiater Schlagetot. Selbst ausgemachten Gegnern wie Saul und Nabal schenkt er das Leben, und den Sauliden Abner und Eschbaal krümmt er kein Haar (obwohl diese alle umkommen!). Er erobert Jerusalem nicht mit brutaler Gewalt, sondern gewinnt die Stadt offenbar durch List, er zwingt die Judäer und Israeliten nicht unter seine Herrschaft, sondern lässt sich von ihnen die Krone reichen. Der David dieses Erzählkranzes zeigt keine Berührungsangst mit dem Volk. Schon seine Freischärler-Truppe rekrutiert er aus den unteren Schichten der Gesellschaft, und seine Kämpfer gehen mit ihm durch dick und dünn. Unbestritten ist seine Führerschaft jedoch nicht. Nicht nur Könige wie Saul und Achisch fühlen sich als seine Herren. Auch Nabal kann es wagen, ihn schroff abzuweisen und übel zu beleidigen. Amalekitische Raubnomaden können seinen Wohnort Ziklag plündern und die Bewohner verschleppen, woraufhin seine eigenen Leute Anstalten machen, ihn zu steinigen. Hier liest man nicht Hofgeschichtsschreibung, hier hört man Volkes Stimme. Wenn man so will, ist der David des Freibeuter-Erzählkranzes ein Vorabbild des Davids der Psalmen. Dieser hat überwiegend zu klagen und nur selten ein Siegeslied zu singen. Erstmals im Freibeuter-Erzählkranz – und in der Folge dann auch im Werk des Höfischen Erzählers – zeichnet sich ein Davidbild ab, das bei der Hörer- oder Leserschaft Mitgefühl weckt, sicher auch Achtung, nicht aber Furcht. Dieser David ist kein Übermensch, sondern ein aus kleinen Verhältnissen unglaublich hoch aufgestiegener Mensch, ein Regent, auf den die Untertanen stolz sein und bei dem sie sich geborgen fühlen können.

3. Ein alternatives Modell der Quellenkritik Mit meiner Quellenscheidung in den Davidgeschichten sei jetzt ein Gegenmodell verglichen, das sich, in zwei Variationen, wieder der alten Urkundenhypothese nähert: Es rechnet mit zwei ursprünglich voneinander unabhängigen Großerzählungen über den Aufstieg Davids. Diese werden nicht mehr mit dem Pentateuch in Verbindung gebracht und heißen darum nicht „Jahwist“ und „Elohist“ o.ä., sondern neutral „Source A“ und „Source B“ oder, mehr stoffbezogen, „HDR1“ und „HDR2“ (von „History of David’s Rise“). Baruch Halpern19 schlägt folgende Aufteilung vor: „Source A“: 1Sam 9,1 – 10,13; 13–14; *17; 18,1–5.14–19; 19,8–10; 20–24; 28,3–25; 31. 19

HALPERN 2001: 277–279.

Kompositions- und quellenkritische Überlegungen

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„Source B“: 1Sam 8; 10,14–27; 11–12; 15; 16; *17; 18,6–13; 18,20 – 19,7; 19,11–24; 25– 27; 28,1–2; 29–30; 2Sam 1. Jeremy Hutton20 teilt so auf: HDR1: 1Sam 16,14–23; 17,1–11.32–40.42–48a.49.51–5421; 18,6aβb–8a.9.12a.13–16.20– 21a.22–26a.27–29a; 19,11–17; 22,(6–8).9–23; 24,1–23; 28,3–25; 31; 2Sam *5–6. HDR2: 1Sam *13–14; 17,12–14.17–31.41.48b.50.55–58;22 18,1–5.17a.18.30; 23,1–13; 27,1 – 28,2; 29–30; 2Sam *1; 2,1–4 (?)

Beide Vorschläge berühren sich in gewissen Punkten mit dem oben von mir vorgetragenen. Im Besonderen hat Halperns „Source A“ eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem „Sauliden-Erzählkranz“. Seiner „Source B“ hingegen lässt sich kaum ein deutliches Profil abgewinnen; in ihr mischen sich Texte, die m.E. der deuteronomistischen Redaktion (1Sam 8; 15), dem Höfischen Erzähler (1Sam 16,1–13; 19,1–7.18–24) sowie den beiden von mir postulierten Quellen zuzuweisen sind (z.B. 1Sam 25 dem Freibeuter- und 1Sam 26 dem Sauliden-Erzählkranz). Beim Entwurf Huttons mischen sich in beiden Quellen Texte aus beiden Erzählkränzen, wobei jeweils der Freibeuter-Erzählkranz stärker vertreten ist: In HDR1 wären ihm m.E. 1Sam 16,14–23; 22; 24; 2Sam 5, in HDR2 1Sam 23; 27; 30; 2Sam 1 zuzurechnen. Dem gegenüber stehen im einen Fall 1Sam 28, im anderen 1Sam 13–14 aus dem Sauliden-Erzählkranz. Insgesamt zeigen die von diesen beiden Forschern postulierten Quellen kein inhaltlich klares Profil, erweisen sich vielmehr als mixta composita. Das ist insofern nicht verwunderlich, als die Grundannahme ja die zweier durchlaufender Erzählfäden ist, von denen jeder das Ganze des Aufstiegs Davids dargestellt haben soll. Doch wirkt keine der postulierten Quellen wirklich vollständig. Zudem heben sie sich nicht markant voneinander ab. Auch haben die beiden Forscher noch kaum Vorschläge hinsichtlich ihrer redaktionellen Verknüpfung vorgelegt.23 Ein Sonderproblem sei noch erwähnt: In beiden Entwürfen wird der Stoff von 1Sam 17,1 – 18,5 in Anlehnung an die unterschiedlichen Textversionen von MT und LXX auf die beiden Quellen verteilt: Der einen soll der Text angehören, den MT und LXX gemeinsam haben, der anderen der, den MT darüber hinaus bietet. Dem steht freilich entgegen, dass die MT-Überschüsse allein kaum eine geschlossene Erzählung ergeben. M.E. führt es weiter, die Differenzen zwischen 20

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Hutton hat diese in einem Vortrag bei einer Tagung in Jena angedeutet und mir auf meine Bitte hin im September 2018 brieflich näher erläutert. Dabei machte er zuweilen ausdrücklich den Vorbehalt weiterer gründlicher Analyse. Dezidiert nicht festlegen wollte er sich für 1Sam 23,14f.19–28. Doch vermisst man auch die Zuordnung des Jonatan-Textes 1Sam 20 und der Eschbaal-Abner-Geschichten 2Sam 2–4. Das sind diejenigen Textabschnitte in der Goliat-Geschichte, die MT und LXX gemeinsam haben. Also diejenigen Textabschnitte in 1Sam 17, die in MT über LXX überschießen. Immerhin weist Hutton im Bereich von 1Sam 17–18 folgende Passagen einer die Texte von HDR1 und HDR2 verbindenden Bearbeitung zu: 17,15.(16.)31; 18,6aα.8b.10aβ.*11(„zweimal“).12b.17b.21b.26b.29b.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

MT und LXX wirklich nur als textkritisches Problem zu behandeln, literarkritisch bzw. literarhistorisch aber, wie oben schon angedeutet, im (größeren, dem MT-)Text zwei ineinander verflochtene Geschichten von Davids Sieg über Goliat zu unterscheiden, die sich wiederum den von mir postulierten Erzählkränzen gut zuweisen lassen.

Schlussbemerkung: Die Samuelbücher bieten keine „Apologie“ Davids In der gegenwärtigen Samuelforschung wird also auch wieder eine Art Urkundenhypothese vertreten, und die weitere Forschung wird zu ergründen haben, ob dies ein gangbarer Weg zur Erklärung des Textbefundes ist. Er scheint mir indes relativ anfällig für eine bestimmte, in neuerer Zeit recht populäre Fehldeutung der Davidgeschichte: dass sie eine „Apologie“24 oder ein „königlicher Propagandatext“ sei,25 so wie sie etwa hethitische oder auch babylonische Könige von sich verbreiten ließen. Einer solchen Einschätzung der Samuelbücher käme zugute, wenn sie ganz oder zu großen Teilen schon in der frühen Königszeit entstanden wären. Denn ein schönfärberisches Bild Davids machte viel mehr Sinn zu seinen (oder allenfalls noch zu Salomos) Lebzeiten als Jahrhunderte post festum. Diejenigen, die die Samuelbücher und speziell die sog. Aufstiegsgeschichte Davids als Apologie lesen, rechnen denn auch recht unbefangen mit einem hohen Alter der Texte, und sie gehen zudem davon aus, dass sie in unmittelbarer Nähe des Königshofes entstanden seien. All das ist bei meinem Vorschlag zur Literargeschichte der Samuelbücher anders. Den Geist einer „apology“ trägt hier am ehesten noch der FreibeuterErzählkranz in sich, doch ist er stark geprägt von volkstümlicher Erzählweise und fast gar nicht von den Finessen und Konventionen höfischer Geschichtsdarstellung. Noch weniger passend erscheinen Kategorien wie „Apologie“ oder „Propaganda“ für den Sauliden-Erzählkranz, der dezidiert benjaminitisch-nordisraelitisches Traditionsgut überliefert, dies zwar in judäisch-davidischer Färbung, aber damit auch nicht mehr wirklich zeitgenössisch. Überhaupt nicht zutreffend sind jene Kategorien für den jetzt vorliegenden Endtext der Samuelbücher, der wesentlich im Zuge der Abfassung des „Höfischen Erzählwerks“ und des „Deuteronomistischen Geschichtswerks“ entstanden ist. 24

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Siehe die Arbeiten von MCCARTER 1980 und 1981, sowie die von PAYNE 1993. Doch schon nach ROST (1952: 234) wurde die Thronfolgegeschichte „trotz allem … in majorem gloriam Salomonis“ geschrieben; in dem „trotz allem“ steckt immerhin die Erkenntnis widerständiger Elemente im biblischen Text. Und WEISER nannte in seinem Aufsatz (von 1966) die Aufstiegsgeschichte sehr bewusst eine „Legitimation“ Davids. Als solche beschreibt MCKENZIE 2000: 25–46 die biblische Vita Davids.

Kompositions- und quellenkritische Überlegungen

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Die Deuteronomisten blickten, nach dem Untergang der Königreiche Israel und Juda, auf das Königtum – auch das Königtum Davids – ohnehin mit höchst gemischten Gefühlen zurück. Und der Höfische Erzähler, wiewohl im Königreich Juda lebend, verwandte außer dem Freibeuter- auch den Sauliden-Erzählkranz und dazu noch andere, teils recht widerborstige Quellen: etwa eine gänzlich undavidische Samuel-Saul-Geschichte oder, wie oben angedeutet, die sehr davidkritische Geschichte um Batscheba, Urija und Salomo oder die überaus düstere Amnon-Abschalom-Novelle. Offenbar legte er größten Wert darauf, mit seinem Werk hohen ästhetischen und moralischen Ansprüchen zu genügen. Wie es scheint, besaß er auch hinreichend Abstand zum Königshof, um in genügender Freiheit zu schaffen und zu gestalten. Gerade unter seinen Händen aber wurden die Samuelbücher zum unsterblichen Kunstwerk.

Bibliographie DIETRICH, Walter, Die Frühe Königszeit in Israel, Biblische Enzyklopädie 3, Stuttgart: Kohlhammer, 1997. ―, Samuel. 1Sam 1–12, BKAT VIII.1, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2011. ―, „The Layer-Model of the Deuteronomistic History and the Books of Samuel“, in Cynthia Edenburg / Juha Pakkala (eds.), Is Samuel among the Deuteronomists? Current Views on the Place of Samuel in a Deuteronomistic History, Atlanta: SBL Press, 2013, 39–65. ―, Samuel. 1Sam 13–26, BKAT VIII.2, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2015. ―, „Stefan Heyms Ethan ben Hoshaja und der Erstverfasser der Samuelbücher“, in Walter Dietrich / Cynthia Edenburg / Philippe Hugo (eds.), The Books of Samuel. Stories – History – Reception History, BETL 284, Leuven: Peeters, 2016, 3–38. ―, Samuel. 1Sam 27 – 2Sam 8, BKAT VIII.3, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019. GRØNBÆK, Jakob H., Die Geschichte vom Aufstieg Davids (1.Sam.15 - 2.Sam.5), AThD 10, Copenhagen: Prostant apud Munksgaard, 1971. HALPERN, Baruch, David’s Secret Demons. Messiah, Murderer, Traitor, King, Grand Rapids/Cambridge: Eerdmans, 2001. LANGLAMET, François, „Pour ou contre Salomon? La rédaction prosalomonienne de I Rois I-II“, RB 83, 1976, 321–379. 481–528. ―, „Ahitofel et Houshaï. Rédaction prosalomonienne en 2 Sam 15–17 ?“, in: Studies in the Bibel and the Ancient Near East, FS Samuel Ephraim Loewenstamm, Jerusalem 1978, 57–90. ―, „David et la maison de Saül. Les épisodes ‘benjaminites’ de II Sam., IX; XVI, 1-14; XIX, 17– 31; I Rois, II, 36-46“, RB 86, 1979, 194–213. 385–436. 481–513; RB 87, 1980, 161–210; RB 88, 1981, 321–332. ―, „David, fils de Jessé. Une édition prédeutéronomiste de l' ‘histoire de la succession’, RB 89, 1982, 5–47. MCCARTER, P. Kyle, „The Apology of David“, JBL 99, 1980, 489–504. ―, „’Plots, True or False’. The Succession Narrative as Court Apologetic“, Interp. 35, 1981, 355– 367. MCKENZIE, Steven L., King David. A Biography, Oxford: University Press, 2000. NOTH, Martin, Überlieferungsgeschichtliche Studien. Die sammelnden und bearbeitenden Geschichtswerke im Alten Testament, (Halle 1943 =) Tübingen: Mohr Siebeck, 21957. PAYNE, David Frank, „Apologetic Motifs in the Books of Samuel“, VoxEv 23, 1993, 57–66.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

ROST, Leonhard, „Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids“ (1926, BWANT 42 =), id., Das kleine Credo und andere Studien zum Alten Testament, Heidelberg: Quelle 1965, 119–253. SCHULTE, Hannelis, Die Entstehung der Geschichtsschreibung im Alten Israel, BZAW 128, Berlin: de Gruyter, 1972. VEIJOLA, Timo, Die ewige Dynastie. David und die Entstehung seiner Dynastie nach der deuteronomistischen Darstellung, AASF.B 193, Helsinki: Suomalainen Tiedeakatemia, 1975. WEISER, Arthur, „Die Legitimation des Königs David. Zur Eigenart und Entstehung der sogen. Geschichte von Davids Aufstieg“, VT 16, 1966, 325–354. WÜRTHWEIN, Ernst, Die Erzählung von der Thronfolge Davids – Theologische oder politische Geschichtsschreibung?, ThSt 115, Zürich: Theologischer Verlag, 1974.

Deuteronomistische Redaktionen in den Samuelbüchern 1. Martin Noth und das Schichtenmodell der deuteronomistischen Redaktion Martin Noth hegte keinerlei Zweifel daran, dass die Samuelbücher zentraler Bestandteil des großen Geschichtswerks sind, das „der Dtr“, ein in der mittleren Exilszeit in Juda arbeitender Autor und Redaktor, aus den Büchern Dtn–2Kön formte. Zum Nachweis dessen genügte Noth ein Dutzend Seiten1. Darin vertritt er die Überzeugung, dass „Dtr“ in diesem Textbereich auf vorgeformtes, bereits vor ihm redaktionell in die jetzige Reihenfolge gebrachtes Material zurückgreifen konnte und deshalb nur an vergleichsweise wenigen Stellen selbst eingreifen musste bzw. konnte. Dtr sah in Eli und Samuel die beiden letzten „Richter“ Israels und behandelte ihre Zeit als Abschluss der im Ri-Buch geschilderten Richterzeit. Dtr setzte an den Anfang „die alte Samuel-Geschichte 1.Sam. 1,1–4,1a“2 und „den ersten Teil der ‚Ladeerzählung’ nach dem Wortlaut der alten Überlieferung“ in 1Sam 4–63. Danach „stand Dtr vor allem der Anfang der alten Saul-David-Überlieferung als Quelle zu Gebote“, den er in 1Sam *9–11 wiedergibt4. Für die in 1Sam 13 beginnende „Geschichte Sauls und Davids stand Dtr der umfangreiche Komplex der Saul-David-Überlieferungen zur Verfügung, der schon längst vor Dtr aus verschiedenen Elementen … zusammengewachsen war. Das Vorhandensein dieses Überlieferungskomplexes enthob … Dtr der Aufgabe, seinerseits selbst ordnend und gestaltend einzugreifen“5. „In der Vorlage von Dtr folgte nunmehr das Ende der ‚Ladeerzählung’ und die daran angeknüpfte Nathanweissagung“, also 2Sam 6–76: nach der Analyse von Leonhard Rost7 Auftakt zur sog. Thronfolgeerzählung, die Dtr in 2Sam 9–20 im 1

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Martin Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien. Die sammelnden und bearbeitenden Geschichtswerke im Alten Testament (Tübingen: Max Niemeyer, 2. Aufl. 1957), 54–66. Zum Vergleich: Für die Analyse der dtr Redaktion in Ri benötigt er etwa den gleichen (47–55), für die in 1–2Kön den doppelten Raum (66–87). Noth, Studien, 60. Noth, Studien, 55. Noth, Studien, 54. Noth, Studien, 61–62. Noth, Studien, 64. Leonhard Rost, Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids, BWANT III.6 (Stuttgart: Kohlhammer, 1926).

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Wortlaut folgen ließ; lediglich die jetzt sich dazwischen schiebenden Listen in 2Sam 8 hat er mit Hilfe von Archivmaterial selbst zusammen- und eingestellt. „In 2.Sam. 21–24 liegt ein Konglomerat von Zusätzen vor, das erst, nachdem das Werk von Dtr in einzelne ‚Bücher’ zerlegt worden war, allmählich zugewachsen ist“8. Größere Eigenanteile von Dtr gibt es vor allem in dem Erzählkomplex von der Einführung des Königtums, 1Sam 7–12. Für diesen Textbereich folgt Noth der seit Julius Wellhausen geläufigen Unterscheidung einer ‚königsfreundlichen’, alten Textreihe in 1Sam 9,1–10,16; 11,1–15 und einer jüngeren, ‚königsfeindlichen’ in 1Sam 7; 8; 10,17–27; 12. Diese zweite Reihe erklärt Noth kurzerhand für das Werk von Dtr9. Dieser habe angesichts des bevorstehenden, höchst bedeutsamen Epochenwechsels von den Richtern zu den Königen Israels hier vergleichweise intensiv eingegriffen: in der Absicht aufzuzeigen, dass das Königtum als Institution verfehlt und ein entscheidender Schritt Israels auf den Abgrund zu war, in dem das Geschichtswerk mit 2Kön 25 endet. Im Übrigen, so Noth, hat Dtr in den Stoff der Samuelbücher kaum mehr eingegriffen. In 1Sam 13,1; 2Sam 2,10a.11; 5,4f bezieht er schon die ersten Könige in das System von Königsformeln ein, das dann das Gerüst seiner Darstellung der Königszeit bilden wird. In 2Sam 7,13a.22–24 erweitert er die durch und durch monarchistische Natanweissagung um eine Israel-Perspektive. Dieser glatte und schlanke Wurf Noths hat in der Folge und bis heute Viele überzeugt10. Im englischsprachigen Raum freilich ging das redaktions- bzw. literarkritische Element daran zuweilen verloren; „the Dtr“ wurde hier zum frei wirkenden Autor, der das Geschichtswerk insgesamt und so auch die Samuel-

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Noth, Studien, 62 Anm. 3. Lediglich in 21bβ–27a greift Dtr auf ein älteres „Überlieferungsfragment“ zurück: Noth, Studien, 58. Von den Vielen, die Noths Spur folgten, seien nur Wenige genannt: Hans-Walter Wolff, Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, in: ZAW 73 (1961), 171–186. – E. Theodore Mullen, jr., Narrative History and Ethnic Boundaries (Atlanta GA: Scholars Press, 1993). – Rainer Albertz, Die Exilszeit. 6. Jahrhundert v. Chr., Biblische Enzyklopädie 7 (Stuttgart: Kohlhammer, 2001), 210–260. – J. Harvey, The Structure of the Deuteronomistic History, in: SJOT 20 (2006) 237–258. – Udo Rüterswörden, Erwägungen zum Abschluß des deuteronomistischen Geschichtswerkes, in: Susanne Gillmayr-Bucher u.a. (Hg.), Ein Herz so weit wie der Sand am Ufer des Meeres. FS Georg Hentschel, EThSt 90 (Würzburg: Echter, 2006), 193–203. – John Barton, Historiography and Theodicy in the Old Testament, in: Robert Rezetko et al. (eds.), Reflection and Refraction. FS A. Graeme Auld, VT.S 113 (Leiden: Brill, 2007), 27–33. – David Janzen, An Ambiguous Ending. Dynastic Punishment in Kings and the Fate of the Davidides in 2 Kings 25.17-30, in: JSOT 33 (2008), 39–58. – Winfried Thiel, Martin Noths Arbeit am Deuteronomistischen Geschichtswerk, in: Kurt Erlemann u.a. (Hg.), Kontexte. Biografische und forschungsgeschichtliche Schnittpunkte der alttestamentlichen Wissenschaft. FS Hans Jochen Boecker (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2008), 223–234.

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bücher selbst verfasst hat11. Gelegentlich wurde er sogar zum Erstverfasser einer schmalen Ausgabe der Samuelbücher, die in nachexilischer Zeit noch erheblich ausgeweitet wurde12. Umgekehrt rechnet das sog. Block-Modell mit einem dtr Erstverfasser schon in der Joschija- und einem dtr Bearbeiter in der Exilszeit13. Im deutschsprachigen Raum wurden schon frühzeitig grundsätzliche Zweifel an Noths Einheitsmodell geäußert: Die einzelnen Teile bzw. Bücher von Dtn bis 2Kön seien zu unterschiedlich, um Teile ein und desselben Geschichtswerks zu sein14. Neuerdings schwillt diese Kritik zum vielstimmigen Chor an: Es gebe kein umfassendes dtr Geschichtswerk, sondern nur kleinere dtr „Geschichtswerke“, d.h. verschiedene, zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen Redaktoren bearbeitete und zusammengestellte Elemente innerhalb der biblischen Geschichtsschreibung über das vorexilische Israel15. 11

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So Diana Vikander Edelman, King Saul in the Historiography of Judah, JSOT.S 121 (Sheffield: Academic Press, 1991). – Robert Polzin, Samuel and the Deuteronomist. A Literary Study of the Deuteronomic History, Part Two: 1 Samuel (Bloomington, IN: Indiana University Press, 1993). – Robert Polzin, David and the Deuteronomist. A Literary Study of the Deuteronomic History, Part Three: 2 Samuel (Bloomington, IN: Indiana University Press, 1993). So John Van Seters, The Biblical Saga of King David (Winona Lake, IN: Eisenbrauns 2009). Frank Moore Cross, The Themes of the Book of Kings and the Structure of the Deuteronomistic History, in: Id., Canaanite Myth and Hebrew Epic. Essays in the History of the Religion of Israel (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1973), 274–289. – Richard Nelson, The Double Redaction of the Deuteronomistic History, JSOT.S 18 (Sheffield: Academic Press, 1981, 21983). – Antony F. Campbell/Mark A. O’Brien, Unfolding the Deuteronomistic History. Origins, Upgrades, Present Text, (Minneapolis, MN: Fortress, 2000). – Jeffrey C. Geoghegan, The Time, Place, and Purpose of the Deuteronomistic History. The Evidence of “Until This Day”, Brown Judaic Studies 347 (Providence, RI: 2006). – Samantha Joo, Provocation and Punishment. The Anger of God in the Book of Jeremiah and Deuteronomistic Theology, BZAW 361 (Berlin a.o.: de Gruyter, 2006). – B. Schmitz, Prophetie und Königtum. Eine narratologisch-historische Methodologie entwickelt an den Königsbüchern, FAT 60 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2008). – Thomas W. Mann, The Book of the Former Prophets (Eugene, OR: Wipf and Stock, 2011). Gerhard von Rad, Hexateuch oder Pentateuch? in: VF 1947/48 (gedruckt 1949) 52–56. – Claus Westermann, Die Geschichtsbücher des Alten Testaments – gab es ein deuteronomistisches Geschichtswerk?, ThB 87 (Gütersloh: Chr. Kaiser, 1994). Auch hier nur einige Namen von vielen: Ernst Axel Knauf, L’ ‚Historiographie Deutéronomiste’ (DtrG) existe-t-elle?, in: Albert de Pury et al. (eds.), Israël construit son histoire, Le monde de la Bible 34 (Genève: Labor et fides, 1996), 409–418. – Erik Eynikel, The Reform of King Josiah and the Composition of the Deuteronomistic History, OTS 33 (Leiden: Brill, 1996). – Hartmut Rösel, Von Josua bis Jojachin. Untersuchungen zu den deuteronomistischen Geschichtsbüchern des Alten Testaments, VT.S 75 (Leiden: Brill, 1999). – Reinhard Gregor Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments (Göttingen: Vandenhoeck, 2000). – John Van Seters, The Edited Bible. The Curious History of the “Editor” in Biblical Criticism (Winona Lake, IN: Eisenbrauns, 2006). – Markus Witte u.a. (Hg.), Die deuteronomistischen Geschichtswerke. Redaktions- und religionsgeschichtliche Perspektiven zur „Deuteronomismus“-Diskussion in Tora und Vorderen Propheten, BZAW 365 (Berlin u.a.: de Gruyter, 2006). – K. L. Noll, Deutero-

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Speziell im deutschsprachigen Raum fand eine bestimmte Differenzierung des Noth’schen Modells breite Aufnahme. Rudolf Smend, ein Schüler Noths, entwickelte zunächst am Jos-Buch die Theorie einer Abfolge mehrerer dtr Redaktionen16: Zwar schrieb ein dtr „Historiker“ ein von Dtn bis 2Kön reichendes Geschichtswerk, doch war dieses erheblich knapper als der jetzt vorliegende Text. Dieser Autor hielt die Landgabe für ein großes Geschenk Jhwhs an Israel. Er wurde später von einem dtr „Nomisten“ dahingehend korrigiert und ergänzt, dass Landgabe und Landbesitz an die Bedingung des Tora-Gehorsams geknüpft waren. Dieses Denkmodell mehrerer, durchgehender dtr Redaktionen wurde von einem Schüler Smends auf die (Samuel- und) Königsbücher angewandt, wobei zwischen die beiden, von Smend postulierten Redaktionsschichten eine dritte, „prophetische“, zu stehen kam17. Mit der Theorie einer dreifachen Schichtung – später mit den Kürzeln DtrH(istoriker), DtrP(rophet) und DtrN(omist) belegt – trat Timo Veijola an die Samuelbücher heran, und mit ihm erreichte die Forschung in diesem Bereich einen neuen Stand. In ehrendem Angedenken an diesen bedeutenden und viel zu früh verstorbenen Alttestamentler seien die Ergebnisse seiner Analysen, die er in zwei schlanken, aber dichten Bänden vorgelegt hat18, hier zunächst in tabellarischer Form wiedergegeben: DtrH: 1Sam 2,27–36; 4,4b.11b.17bα.19aγ.21b.22a; 7,5–15.17; 8,1–5.22b; 9,16b; 10,16b.17.18aα.19b–27; 11,12–14; 13,1; 14,47–51; 20,12–17.42b; 22,18bγ; 23,16–18; 24,18– 23a; 25,21f.23b.24b–26.28–34.*39a; 2Sam 3,9f.17–19.28f.38f; 4,2b–4; 5,1f.4f.11a.12a.17a; 6,*21; 7,8b.11b.13.16.18–21.25–29; 8,1a.14b.15; 9,1.*7.*10.11b.13aβ; 15,25f; 16,11f; 19,22f.29; 21,2b.7; 24,1.19b.23b.25bα. DtrP: 1Sam 3,11–14; 15,24–26; 22,19; 28,17–19aα; 2Sam 12,*7b–10.13f; 24,3.4a.10–14. 15aβ.17.21bβ.25bβ. DtrN: 1Sam 7,2–4; 8,6–10.18–22a; 10,18aβγb.19a; 12,1–25; 13,13f; 2Sam 5,12b; 7,1b.6. 11a.22–24; 22,1.22–25.51.

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nomistic History or Deuteronomic Debate? (A Thought Experiment), in: JSOT 31 (2007), 311–345. – Konrad Schmid, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2008). – Jürg Hutzli, The Literary Relationship between I–II Samuel and I–II Kings. Considerations concerning the Formation of the Two Books, in: ZAW 122 (2010), 505–519. Rudolf Smend, Das Gesetz und die Völker. Ein Beitrag zur deuteronomistischen Redaktionsgeschichte, in: Hans Walter Wolff (Hg.), Probleme biblischer Theologie. FS Gerhard von Rad (München: Kaiser, 1971), 494–509 = Smend, Die Mitte des Alten Testaments. Gesammelte Studien, BEvTh 99 (München: Kaiser 1986), 124–137. Walter Dietrich, Prophetie und Geschichte. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung zum deuteronomistischen Geschichtswerk, FRLANT 108 (Göttingen: Vandenhoeck, 1972). Timo Veijola, Die ewige Dynastie. David und die Entstehung seiner Dynastie nach der deuteronomistischen Darstellung, AASF.B 193 (Helsinki: Tiedeakatemia, 1975). – Timo Veijola, Das Königtum in der Beurteilung der deuteronomistischen Historiographie. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung, AASF.B 198 (Helsinki: Tiedeakatemia, 1977).

Deuteronomistische Redaktionen in den Samuelbüchern

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Auf den ersten Blick ist zu sehen, dass die von Noth “dem Dtr” zugewiesenen Texte auch von Veijola für dtr gehalten werden19. Allerdings verteilen sie sich bei ihm auf zwei Redaktionen: DtrH und DtrN. Diese zeigen scharf unterschiedliche Profile: DtrH ist, wie zu erwarten, für die ‘historischen’ Linien von der frühen hinüber zur späteren Königszeit verantwortlich (1Sam 13,1). Ihm gehört aber nicht die gesamte ‘königsfreundliche’ Reihe in 1Sam 7–12, sondern aus ihr nur solche Passagen, in denen die Einführung des Königtums als passable, wenn nicht sogar gute Entscheidung erscheint. So stammen in 1Sam 8 die in gewisser Weise plausible Begründung des Königswunsches (1–5) und Gottes Aufforderung an Samuel, diesem Wunsch nachzukommen (22b), von DtrH, in 1Sam 10 die Auswahl Sauls durch das göttlich gelenkte Los und seine Akklamation durch das Volk (19b–27). Auf DtrN entfallen demgegenüber die eindeutig königskritischen Passagen 1Sam 8,6–10.18–22a (samt dem dadurch eingefassten älteren ‘Königsrecht’ 11–17) und 10,*18.19 sowie 12,1–25. Auch die quasi-demokratische Aufsprengung der Davidverheißung in 2Sam 7,22–24 geht auf das Konto von DtrN. Dieser erweist sich hier und in 1Sam 7,2–4 zugleich als Verfechter eines exklusiven Monotheismus und, wie sich etwa in 1Kön 2,2–4 zeigen wird, als wirklicher ‘Nomist’ (im Sinne der Einforderung von Gesetzesgehorsam). Zusätzlich zu diesen, schon von Noth als dtr proklamierten Texten erklärt Veijola eine lange Reihe weiterer Passagen für dtr. Es seien daraus die wichtigsten herausgehoben. – DtrH, dem Grundverfasser des Geschichtswerks, traut Veijola erheblich mehr redaktionelle und schriftstellerische Tätigkeit zu als Noth. Den Anfang der Ladegeschichte in 1Sam 4 soll er überarbeitet haben, um eine elidische Priesterdynastie (neben der zadokidischen) erstehen zu lassen. Die Verbindung von 1Sam 10,17–27 mit 1Sam 11 mittels der Brückenverse 11,12–14 soll erst er vorgenommen haben20. Das gesamte Summarium 1Sam 14,47–51 habe er selbst nach dem Vorbild von 2Sam 8 als Schlussstein für die SaulGeschichten erschaffen. Ferner weist Veijola in der Meinung, DtrH sei ein heißer Befürworter der Daviddynastie gewesen, diesem ausgedehnte prodavidische Passagen innerhalb von 1Sam 20, 24 und 25 zu. – DtrP, dem prophetisch gesinnten Redaktor, werden ebenfalls einige Passagen zugeschrieben: die Offenbarung an Samuel in 1Sam 3,11–1421, seine Prophezeiung in 1Sam 28,*17–19 und die des Natan in 2Sam 12,*7–14. – DtrN, der Letztbearbeiter, hat, wie erwähnt, in das vorgefundene Textmaterial scharf antimonarchische, monotheistische und gesetzestheologische

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In der Tabelle kursiv gedruckt. Meiner Meinung nach ist dafür eine vor-dtr Redaktion verantwortlich. Merkwürdigerweise führt Veijola die Prophezeiung des namenlosen Gottesmannes in 1Sam 2,27–36 nicht auf DtrP, sondern auf DtrH zurück.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Akzente gesetzt. Hier zeichnet sich bereits jenes nachexilische Judentum ab, das in der Figur Esras besonders markante Gestalt annahm22. – Alle drei Redaktionen schließlich waren an der Zusammenstellung des sog. Anhangs zu den Samuelbüchern in 2Sam 21–24 beteiligt. Man sieht: Veijola hat mit mehreren statt nur einer redaktionellen Bearbeitung der Samuelbücher gerechnet, und er schrieb ihnen wesentlich mehr Texte zu als seinerzeit Martin Noth seinem “Dtr”. Es ist nunmehr zu fragen, ob und wo Veijolas Analyse kritischer Überprüfung standhält und wo sie vielleicht zu weit oder in die falsche Richtung geht.

2. Zur deuteronomistischen Redaktionstätigkeit in den Samuelbüchern Der hier Schreibende hat in der Reihe „Biblischer Kommentar Altes Testament“ einen ersten Band mit der Auslegung von 1Sam 1–1223 sowie (bisher) zwei Lieferungen zu 1Sam 13–1524 vorgelegt. Es sei erlaubt, die dort vertretenen Annahmen zur dtr Redaktionstätigkeit relativ detailliert zu präsentieren und danach die weiteren dtr Schwerpunkttexte in den Samuelbüchern eher summarisch in den Blick zu nehmen. Mit Veijola gehe auch ich von einer dreifachen dtr Redaktion – DtrH, DtrP und DtrN – aus. Was die Abfassungszeit angeht, ist die Grundredaktion in der mittleren und die prophetische Erweiterungsschicht in der späten Exilszeit anzusetzen, die im weitesten Sinn „nomistischen“ Erweiterungen dagegen in der frühnachexilischen Zeit25. Diese Grundannahme hat sich insofern bewährt, als sich mit ihr alle als redaktionell und spät26 erkannten Texte sinnvoll zuord22

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Den Zusammenhang zwischen dem Deuteronomismus und dem ‚frühorthodoxen’ Schriftgelehrtentum hat Veijola in einer profunden Studie nachzuzeichnen versucht: Die Deuteronomisten als Vorgänger der Schriftgelehrten. Ein Beitrag zur Entstehung des Judentums, in: Timo Veijola, Moses Erben. Studien zum Dekalog, zum Deuteronomismus und zum Schriftgelehrtentum, BWANT 149 (Stuttgart: Kohlhammer, 2000), 192–240. Walter Dietrich, Samuel. Teilband 1, 1Sam 1–12, BKAT VIII.1 (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2011). Walter Dietrich, Samuel, BKAT VIII.2.1/2 (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2011). Vgl. Walter Dietrich, Niedergang und Neuanfang. Die Haltung der Schlussredaktion des deuteronomistischen Geschichtswerkes zu den wichtigsten Fragen ihrer Zeit, in: Bob Becking/Marja C.A. Korpel (eds.), The Crisis of Israelite Religion. Transformation of Religious Tradition in Exilic and Post-Exilic Times, OTS 42 (Leiden: Brill, 1999), 45–70 = Walter Dietrich, Von David zu den Deuteronomisten. Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments, BWANT 156 (Stuttgart: Kohlhammer, 2002), 252–271. M.E. ging der deuteronomistischen eine frühere Redaktion in der mittleren Königszeit voraus, die bereits einen großen Teil des jetzigen Textbestandes beider Samuelbücher umfasste. Ich nenne sie „Das Höfische Erzählwerk über die frühe Königszeit in Israel“ und

Deuteronomistische Redaktionen in den Samuelbüchern

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nen ließen. Freilich unterscheiden sich meine Ansetzungen teilweise nicht unerheblich von denen Veijolas. Die Differenzen seien in einer Tabelle veranschaulicht: Veijola 1Sam 2,27–36 3,11–14 4,4b.11b.17bα.19aγ.21b.22a 7,5–15.17 7,2–4 8,1–5.22b 8,6–10.[11–17.]18–22a 10,16b.17.18aα.19b–27 10,*18.19a 11,12–14 12,1–25 13,1 13,13–14 14,47–51 15,24–26 ???

Red. DtrH DtrP DtrH DtrH DtrN DtrH DtrN DtrH DtrN DtrH DtrN DtrH DtrN DtrH DtrP

Dietrich 1Sam 2,27bβγ.28a.30a.34–36 3,12–14 --7,2aγ.6b.8.9b.10aα.13f 7,3–4 8,[1a.]1b.[2.]3–6.9b.10.[11–17.]19–22 8,7–9a.18 --10,*18.19a --12,1–25 13,1 13,13bα.14bβ 14,48aβb 15,*1aβγb.10–12.16aβb–27a 15,2.6.*9.29

Red. DtrP DtrP --DtrH DtrN DtrH DtrN --DtrN --DtrN DtrH DtrN DtrP DtrP DtrN

Es fällt sogleich ins Auge, dass die Zuweisungen an die dtr Redaktion bei Veijola umfänglicher sind als bei mir. Die stärkste Affinität herrscht noch bei den DtrNTexten. Zu dieser jüngsten Redaktionsschicht gehören die besonders markanten und kompromisslosen Aussagen über die Ausschließlichkeit der Jhwh-Verehrung (7,2–4), über den geforderten Gehorsam gegen Jhwhs Anordnungen (13, *13f) und über die Unvereinbarkeit von irdischem und himmlischem Königtum (10,*18f; 12,1–2527). In diesem letzten Punkt herrscht indes ein Dissens in der Beurteilung von 1Sam 8. Nach Veijola gehören hier nur wenige Verse DtrH, der darin eine uneingeschränkt promonarchische Haltung vertritt, während erst DtrN das sarkastische ‚Königsrecht’ 8,11–17 und in seinem Gefolge betont scharfe antimonarchische Töne in den Text eingebracht hat. M.E. dagegen hat schon DtrH das ‚Königsrecht’ aufgenommen28, weist also schon die dtr Grundschicht keine rein positive, sondern eine ambivalente Haltung gegenüber dem Königtum auf; DtrP und vor allem DtrN vereinseitigen dies dann zu entschiedenem Antimonarchismus.

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beschreibe sie knapp in Samuel (BKAT 8.1), 47*–51*, ausführlicher in: Walter Dietrich, Die frühe Königszeit in Israel. 10. Jahrhundert v.Chr., Biblische Enzyklopädie 3 (Stuttgart: Kohlhammer 1997), 259–273 = Walter Dietrich (translated by Joachim Vette), The Early Monarchy in Israel. The Tenth Century B.C.E. (Atlanta, GA: Society of Biblical Literature, 2007), 298–316. Meine Suche danach, ob in diesem langen Kapitel nicht auch ältere Traditionen oder Anteile von DtrH enthalten seien, endete ergebnislos (Samuel, VIII.1, 531–534). Auch habe DtrH in 8,1a.2 eine ältere Tradition über das Wirken der Samuel-Söhne in Beerscheba aufgenommen.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Die DtrP-Redaktion veranschlage ich wesentlich breiter als Veijola. – Die Rede des ‚Gottesmannes’ in 2,27–36 gehört nicht DtrH (so Veijola), aber auch nicht komplett DtrP; dieser hat vielmehr aus älterem Traditionsgut eine der von ihm so geschätzten prophetischen Schelt- und Drohreden29 geformt. Seine Eingriffe sind ablesbar an bestimmten Widersprüchen und Dubletten, an Verben wie ‫ גלה‬und ‫ בחר‬und an Ausdrücken wie ‫ נאם יהוה‬und ‫התהלך לפני יהוה‬. Eine Unheilsweissagung gegen das sündige Priesterhaus der Eliden gab es indes schon vor-dtr; sie erfüllte sich bald darauf in der katastrophalen Niederlage gegen die Philister, in der Entführung der Lade und im Tod der Ladepriester (1Sam 4)30. Dieser Erzählzusammenhang ist zwei literarische Stufen älter als die dtr Redaktion: Er war Teil der Ladegeschichte, die ihrerseits schon vom Höfischen Erzähler übernommen worden war. – Im nächsten Kapitel hat DtrP die ursprüngliche Gottesoffenbarung an Samuel durch eine Reprise jener (von ihm selbst bearbeiteten) GottesmannWeissagung ersetzt (1Sam 3,12–14) und dadurch dem dramatischen Geschehen eine zusätzliche unheilsprophetische Note gegeben. – Die Erzählung 1Sam 15 hat Veijola nur kurz gestreift. Er begnügt sich mit der knappen Bemerkung (in einer Fußnote!31), sie sei (zusammen mit 1Sam 16,1– 13) noch nicht Teil des Werkes von DtrH gewesen; vermutlich meinte er, beides sei von DtrP eingeschaltet (und evtl. von DtrN hier und da erweitert) worden, hat dies aber nirgends näher ausgeführt. Demgegenüber hatte ich mich mit dem Kapitel mehrfach ausgiebig zu beschäftigen32. Nach meinem Dafürhalten war die Salbungsgeschichte Davids schon Teil des Höfischen Erzählwerks, genauer: wurde von dessen Autor verfasst. Die Verwerfung Sauls nach dem Amalekiterkrieg dagegen gehörte weder zu seinem Werk noch zu dem von DtrH, sondern wurde erst von DtrP eingebracht und überarbeitet und später von DtrN ergänzt. Von diesem stammt namentlich die Behauptung in 15,29, Gott habe nie etwas zu bereuen; damit widerspricht er der gegenteiligen Aussage in 15,11.35, die ihm offenbar als unerträglich erschien. DtrP hat sehr ausgiebig in eine ältere prophetische Erzählung von Samuel, Saul und dem Bannkrieg gegen Amalek eingegriffen und sie zu einem Paradigma des Verhältnisses von König und Prophet ausgestaltet. Der Prophet tut zunächst Fürbitte für den Herrscher, der sich verfehlt hat (15,10f), tritt ihm dann aber, als Gott seinem Flehen nicht stattgibt, mit 29 30

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Vgl. Dietrich, Prophetie und Geschichte, passim. Dass in diesem Kapitel Eingriffe von DtrH vorlägen, wie Veijola behauptet, hat sich mir nicht bestätigt. Die Ewige Dynastie, 102 Anm. 156. Walter Dietrich, David, Saul und die Propheten. Das Verhältnis von Religion und Politik nach den prophetischen Überlieferungen vom frühesten Königtum in Israel, BWANT 122 (Stuttgart: Kohlhammer, 2. Aufl. 1989), 9–19. – Walter Dietrich, Samuel, VIII.2, 129–160 [inzwischen erschien längst auch die Fortsetzung].

Deuteronomistische Redaktionen in den Samuelbüchern

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großer Entschiedenheit entgegen, liefert ihm ein scharfes Streitgespräch (mit typisch dtr Ausdrücken wie „das Schlechte in den Augen Jhwhs tun“, „nicht auf Jhwhs Stimme hören“, auch mit dem Zitat einer kult- und opferkritischen Sentenz, die an ähnliche Aussagen im Corpus Propheticum erinnert33) und verwirft ihn dann in unerbittlicher Härte34. – Eingegriffen hat DtrP schließlich in die Erzählung von der Totenbeschwörung in En-Dor, 1Sam 2835. Ein vermutlich recht alter Kern dieser Geschichte zeichnet Saul als tragischen, tapfer in den sicheren Tod gehenden Helden36. Später wurde daraus eine Erzählung von dem unheilbaren Zerwürfnis zwischen Saul und seinem einstigen Mentor Samuel37. Dessen Rede als aus der Unterwelt heraufbeschworener Totengeist hat DtrP in 28,17–19aα38 zu einer der für ihn typischen prophetischen Schelt- und Drohreden ausgeweitet, die sich inhaltlich aus der Verwerfungserzählung 1Sam 15 speist: Jhwh habe Saul das Königtum „weggerissen“ und es seinem „Nächsten, dem David, gegeben“ (28,17, vgl. 15,28), weil Saul „nicht auf Jhwhs Stimme gehört“ und den Bann an Amalek nicht vollständig vollzogen habe (28,18, vgl. 15,19); zur Strafe werde nun Gott „Israel39 in die Hand der Philister geben“ (28,19aα) und auch Saul und seine Söhne zu Tode kommen lassen (so mit dem Wortlaut der älteren Erzählung: 28,19aβ). Die Grundredaktion DtrH setzt Veijola sehr breit an. Den Großteil des Kapitels 1Sam 7 schreibt er ihr zu, während nach meiner Meinung ältere Passagen darin bereits zum Höfischen Erzählwerk gehörten und dort den Aufstieg Samuels zum Volkstribun in Israel markierten. Die Eingriffe von DtrH in den Text sind m.E. eher marginal – abgesehen von der Behauptung 7,13f, die Philister hätten seit dem mirakulösen Sieg Samuels keine Gefahr mehr dargestellt, „solange Samuel lebte“; dies zielt erkennbar auf die Nachrichten vom Tod Samuels in 1Sam 25,1; 28,1 und der danach stattfindenden Schlacht gegen die Philister, die Saul das Leben kostete (1Sam 29; 31). Unstrittig ist die Herkunft der Königsformel in 13,1 von DtrH (der hier übrigens den Mangel an konkreten Daten freimütig zu erkennen gibt!). Höchst fragwürdig scheint hingegen Veijolas Herleitung des Summariums 14,47–51 von DtrH. Meiner Meinung nach ist dies der Abschluss einer recht alten „Samuel-Saul-Geschichte“, die der Höfische Erzähler in sein Werk eingegliedert hat. Einzig 14,*48 zeigt klar dtr Sprachgebrauch und weist zudem auf 1Sam 15 voraus, dürfte also wohl von DtrP eingesetzt sein.

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Vgl. 15,22f mit Jes 1,10–17; Hos 6,6; Am 5,21–24; Mi 6,6–8. In der dtr Überarbeitung weigert sich Samuel, mit Saul „umzukehren“ (15,26) – was er nach der älteren Erzählung doch tut (15,31). Zum Folgenden vgl. Dietrich, David, Saul und die Propheten, 20–27. Dieser Erzählkern ist hauptsächlich innerhalb von 28,4–8.19–25 zu suchen. Der große Rest der Erzählung – abgesehen vom gleich zu besprechenden DtrP-Zusatz. So grenzt auch Veijola, Ewige Dynastie, 57–59 den DtrP-Einschub ab. Nicht nur, wie es in 19b heißen wird, das „Lager Israels“.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Noch entschiedener ist Veijola darin zu widersprechen, dass die ausgiebigen prodynastischen Passagen in den Kapiteln 1Sam 20, 24 und 25 von DtrH stammten. Stimmt es, dass schon die erste dtr Redaktion zum (davidischen) Königtum ein allenfalls ambivalentes Verhältnis hatte, dann sind ihr ungebrochen prodavidische Aussagen, wie sie Jonatan in 1Sam 20,12–17, Abigajil in 1Sam 25,*21– 34 und gar Saul im 1Sam 24,18–23a im Munde führen, kaum zuzutrauen. Vielmehr haben wir es hier mit Kerntexten des „Höfischen Erzählers“ zu tun, der zur Zeit des noch existierenden Königreichs Juda schrieb; das dtr Geschichtswerk hingegen entstand erst nach dessen Zusammenbruch und war darum von Anfang an nicht mehr fraglos monarchistisch gesinnt. Eine Schlüsselstellung in dieser Frage kommt 2Sam 7, dem Kapitel mit dem Tempelbauverbot und der Dynastieverheißung Natans, zu40. Auch in ihm wieder stammen die besonders markanten, in diesem Fall: tempelkritischen (2Sam 7,5b–8aα.10.11a) und quasi-demokratischen (7,22–24), Töne von DtrN. Die dtr Grundredaktion war stärker beteiligt, als Veijola annahm: DtrH ließ in David den Gedanken an den Bau eines „Hauses“ für Jhwh aufkommen, ihn im Gegenzug die Weissagung empfangen, ihm selbst solle ein „Haus“ gebaut werden, und ließ ihn dafür Jhwh ausführlich danken (7,1–5a.8aβb.9.13.16–21.25–29). Der dtr Redaktion voran liegt als älteste Schicht ein dynastisches Orakel41, das bei Königskrönungen rezitiert worden sein mag und vom Höfischen Erzähler in den jetzigen geschichtlichen Kontext eingeordnet wurde (7,11b.12.14f42). Die dritte dtr Redaktionsebene, DtrP, ist in der Strafrede des Propheten Natan an David in 2Sam 12 zu greifen. Früher habe ich im Gefolge älterer Ansätze hierzu eine radikale Position vertreten, wonach der gesamte Natan-Auftritt (12,1–15a) erst von DtrP eingefügt wurde43, im vor-dtr Textstratum also auf den Ehebruch und Mord Davids (2Sam 11) sofort der Tod des aus dem Ehebruch hervorgegangenen Kindes gefolgt wäre (12,15b–23). Veijola hat dann auch die-

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Vgl. hierzu die Analyse bei Dietrich, David, Saul und die Propheten, 114–136. Andere literarkritische Analysen kommen zu etwas anderen, im Grundsatz aber doch ähnlichen Ergebnissen: Veijola (Die Ewige Dynastie, 72–79) rechnet mit zwei königszeitlichen Orakeln: einem über das Gotteshaus (7,1a.2–5.7) und einem über das Davidshaus (7,8a.9f. 12.14f.17); DtrH habe sie miteinander verbunden und kommentiert (7,8b.11b.13. 16.18– 21.25–29), ehe DtrN noch 1b.6.11a.22–24 hinzufügte. Michael Pietsch („Dieser ist der Sproß Davids …“ Studien zur Rezeptionsgeschichte der Nathanverheißung im alttestamentlichen, zwischentestamentlichen und neutestamentlichen Schrifttum, WMANT 100 [Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2003], 15–31) sieht, ähnlich wie ich, nur ein altes Orakel (7,*11–16), das von einer vor-dtr Redaktion historisiert (7,1a.2–5.8aβb.9a.*12.13.14b. 15b.18–21.25–27) und dann dtr (9b–11a.22–24) und nach-dtr (1b.6a–8aα sowie 28f) bearbeitet worden sei. Eigenformulierungen des Höfischen Erzählers sind 7,11bβ.15b: Sätze, die auf Salomo voraus- und auf Saul zurückweisen, mithin den geschichtlichen Zusammenhang herstellen. Dietrich, Prophetie und Geschichte, 127–132.

Deuteronomistische Redaktionen in den Samuelbüchern

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sen letzteren Passus noch für sekundär erklärt44, womit die Skandal-Erzählung 2Sam 11 ursprünglich mit der Mitteilung von Salomos Geburt (12,24) geschlossen hätte. So faszinierend solche Möglichkeiten sind: Die Gestalt Natans dürfte doch nicht erst von der dtr Redaktion eingebracht worden sein, sondern schon vom Höfischen Erzähler (der sich darin – und nicht nur darin45 – als bereits prophetisch beeinflusst erweist). Bekanntlich trägt Natan dem König eine Parabel vor, die diesen dazu bringt, sich ungewollt selbst zu verurteilen (12,1–7a): ein rhetorisches und theologisches Glanzstück. Die nachfolgende prophetische Deuterede weist einige Doppelungen auf. M.E. gehen 12,9a.10a.11f auf das Konto des Höfischen Erzählers: ein knapper Schuldaufweis, gefolgt von der Ankündigung, das Schwert werde von Davids Haus nicht mehr weichen (was sich in der Folge schaurig bestätigt), und der sehr konkreten Drohung, David würden zur Strafe „Frauen weggenommen“ (was in 2Sam 16,21f geschieht)46. DtrP hat dem einen Rückblick auf die bisherigen Erfolge Davids (12,7b.8), eine leichte Relativierung seiner Schuld (12,9b.10b) sowie seine Bereitschaft zur Buße (12,13) beigefügt. Den sog. Anhang zu den Samuelbüchern hat Veijola für ein Werk der (dreifachen) dtr Redaktion erklärt. Dies erscheint problematisch, weil die Erzählung von 2Sam 10–20 sowohl auf der Ebene des Höfischen Erzählwerks als auch auf der des dtr Geschichtswerks überaus eindeutig in 1Kön 1f fortläuft, so dass man die massive Unterbrechung durch 2Sam 21–24 für eine spätere Textentwicklung halten muss.

3. Die dtr Redaktion der Samuelbücher und das dtr Geschichtswerk Zählt man alle Verse zusammen, die in den vorstehend näher beschriebenen Forschungen ganz oder teilweise der dtr Redaktion zugeschrieben werden, und setzt sie in Relation zur Gesamtzahl der 1506 Verse in 1Sam 1 – 2Sam 24, dann 44

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Timo Veijola, Salomo - der Erstgeborene Bathsebas (1979), in: Veijola, David. Gesammelte Studien zu den Davidüberlieferungen des Alten Testaments, Helsinki: Finnische Exegetische Gesellschaft/Göttingen: Vandenhoeck, 1990), 84–105. Der Höfische Erzähler macht Samuel – in der ältesten Tradition ein Priester und Volkstribun – in den von ihm formulierten Passagen 1Sam 3,20b; 16,1–13; 19,18–24 dezidiert zum Propheten. Dass der gesamte Motivzug von den „Nebenfrauen“ Davids (2Sam 12,11f; 15,14b.16b.21– 23; 20,3) vom Höfischen Erzähler eingeführt ist, habe ich andernorts nachzuweisen versucht: Walter Dietrich, Davids Fünfte Kolonne beim Abschalom-Aufstand, in: Walter Dietrich (ed.), Seitenblicke. Literarische und historische Studien zu Nebenfiguren im zweiten Samuelbuch, OBO 149 (Fribourg: Academic Press; Göttingen: Vandenhoeck, 2011), 91–120, bes. 98–102.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

wird rasch klar, dass der dtr Textanteil am gesamten Textbestand der Samuelbücher relativ gering ist47.

Noth Veijola Dietrich

DtrHVerse --150 38

DtrP-Verse --28 34

DtrNVerse --55 48

Verse der dtr Redaktion 76 233 120

Anteil am Gesamttext 5% 15% 8%

Bei Veijola hat schon DtrH den doppelten Textanteil gegenüber dem Noth’schen (Gesamt-)„Dtr“. Und die Gesamtzahl der dtr Verse bei Veijola liegt fast doppelt so hoch wie bei mir. Doch selbst bei Veijola noch bleibt der dtr Textanteil innerhalb der Samuelbücher vergleichweise bescheiden48. Offenbar griff die dtr Redaktion hier auf weitgehend schon fertiges Textmaterial zurück, in das sie nicht mehr tief eingreifen wollte oder konnte. Das ist in den benachbarten biblischen Büchern anders. Dort scheint die dtr Redaktion allererst die literarische Grundkonzeption geschaffen und in diese eher kleinräumige ältere Quellenstücke integriert zu haben. Dies kann hier nicht Gegenstand der Untersuchung sein. Wohl aber ist zu fragen, ob und inwiefern die relativ knappe dtr Bearbeitung der Samuelbücher mit der ausführlicheren dtr Bearbeitung bzw. Erarbeitung derjenigen Bücher in Verbindung steht, die nach Noths Grundthese gemeinsam das „dtr Geschichtswerk“ bilden. Ich unterscheide dabei zwischen den drei im sog. Schichtenmodell postulierten Redaktionsebenen.

a) DtrH In Dtn 17,14–22 erlässt „Mose“, angeblich noch vor der Landnahme, das sog. Königsgesetz. Dereinst, im Gelobten Land, könne bzw. werde Israel auf den Gedanken kommen zu sagen: „Ich will einen König über mich einsetzen wie alle Völker, die um mich her sind“ (Dtn 17,14). Das ist unverkennbar eine Vorwegnahme des Wunsches der Ältesten an Samuel: „Setze uns einen König ein, uns zu richten wie alle Völker“ (1Sam 8,5). Offenbar ist der erste Text auf den zweiten hin formuliert, der seinerseits von DtrH stammt. Offenbar wollte dieser mit dem Königsgesetz lange im Voraus eine Lese- und Verstehenshilfe für die Vorgänge bei der Staatsgründung in Israel geben49. Gott erteilt im Blick darauf die 47 48

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Die folgenden Zahlenangaben stehen unter dem Vorbehalt kleinerer Irrtümer. Es ist zudem zu bedenken, dass bei den obigen Zahlen auch dtr geformte Halb- und Viertelverse mitgerechnet sind. Zur Abfassung von Dtn 17,14–17.20aα durch DtrH vgl. Walter Dietrich, Geschichte und Gesetz. Deuteronomistische Geschichtsschreibung und deuteronomisches Gesetz am Beispiel des Übergangs von der Richter- zur Königszeit, in: Walter Dietrich, Von David zu den Deuteronomisten. Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments, BWANT 156 (Stuttgart: Kohlhammer, 2002), 217–235, bes. 221–228.

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Anweisung, man möge dann einen König nehmen, den er selbst „erwählt“: ein Wort, das in 1Sam 10,24 Samuel mit Blick auf Saul gebraucht50. Später dann wird es auf David angewendet (1Sam 16,851; 2Sam 6,2152). Gegenüber Salomo sind größere Vorbehalte angebracht, weil dieser sich nicht an die Anordnung im Königsgesetz hält, nicht zu viele Pferde, Frauen und Silber zu sammeln (Dtn 17,16f). Insgesamt kommt hier jene Ambivalenz gegenüber dem Königtum zum Ausdruck, die wir DtrH zugeschrieben haben53. Doch in der dtr Geschichtsdarstellung geht der Königs- die Richterzeit voran. Sie endet in zunehmend blutigem Chaos, in dessen Schilderung DtrH regelmäßig die Bemerkung einstreut, es habe damals keinen König gegeben, jeder habe getan, was er wollte54. Unschwer hört man daraus ein Warten auf die Staatsbildung heraus, die mehr Ordnung bringen würde. Unter dem vorletzten ‚Richter’, Eli55, setzen sich die Turbulenzen fort; Israel erleidet infolge der Ruchlosigkeit seiner Söhne eine schwere Niederlage gegen die Philister. Jhwh, der Gott der Lade, vermag sich aus philistäischer Gefangenschaft zu befreien, woraufhin „das ganze Haus Israel zwanzig Jahre zu Jhwh hielt“ (1Sam 7,2) – eine unverkennbare Fortführung der 40- und 20-Jahr-Epochen des dtr Richterbuchs. Gemäß 1Sam 7 vermag dann Elis Nachfolger, Samuel, Israel im Innern Gerechtigkeit und gegen Außen Sicherheit zu verschaffen. Manche Formulierungen in diesem Kapitel gemahnen deutlich an den dtr Richter-Rahmen: „schreien zu Jhwh“ (V.8, vgl. Ri 3,9 u.ö.), „retten aus der Hand der Feinde“ (‫ נצל‬Hif. in V.8, vgl. Ri 6,9; 8,34), die Feinde „demütigen“ (‫ כנע‬Nif. in V.13, vgl. Ri 3,30; 8,28; 11,33). Obwohl Samuels Söhne (wie zuvor Elis Söhne!) einigen Anlass zur Sorge geben, erscheint es doch ein wenig ungerecht, dass die Ältesten Israels gerade von diesem ‚Richter’ einen König verlangen (1Sam 8,1–5). Samuel ist denn auch unzufrieden, erhält aber von Gott die Anweisung, sich dem Volkswillen zu fügen (1Sam 8,9b.22). Gott hilft den ersten König finden, dieser bewährt sich glanzvoll (1Sam 9–11). Doch seine Herrschaft – eingeleitet mit einer klassisch dtr Königsformel (1Sam 13,1) – steht unter keinem guten Stern (1Sam 13f). Bald schon muss Saul den nächsten Erwählten, David, an sich vorbeiziehen lassen. Wieder ergibt sich der Eindruck einer Ambivalenz: Das Königtum ist einerseits eine sinnvolle, andererseits eine problematische Einrichtung, weil die Könige von Beginn an Mühe bekunden, sich dem Willen Gottes unterzuordnen. Auch David wird da keine Ausnahme sein, von Späteren ganz zu schweigen. Immerhin zeigt David 50

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Es macht keinen großen Unterschied, ob hier DtrH selbst oder eine ältere Quelle zu Wort kommt. Ex negativo über einen Bruder Davids. Später fällt der Begriff mit Blick auf David noch in 1Kön 8,16; 11,34 (dtr) Auch das sarkastische Königsrecht 1Sam 8,11–17, das DtrH aufgenommen hat, kann man als Gegenstück zu den Warnungen in Dtn 17,16f lesen. Ri 17,6; 18,1; 19,1; 21,25. Dass diese Sätze von DtrH formuliert sind, hat Veijola (Das Königtum, 15f) überzeugend nachgewiesen. DtrH sieht Eli weniger als Priester denn als Richter!

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die generöse Absicht, Jhwh ein „Haus“ zu bauen (2Sam 7,1–5a), was dann aber erst sein Sohn tun darf (7,13): ein deutlicher Vorgriff auf den Tempelbau unter Salomo (1Kön 5–8). Gott indes erweist sich David kenntlich in der Zusage eines beständigen „Hauses“. Hier folgt DtrH unbefangen dem uralt-orientalischen dout-des-Schema, wonach die Götter den Königen, die ihnen Verehrung erweisen, Unterstützung gewähren. DtrH lässt David sich bei Jhwh mit überschwänglichen Worten bedanken (2Sam 7,16–21.25–29). Damit ist die lange Geschichte des davidischen Königshauses vorbereitet, wie DtrH sie, verschlungen mit derjenigen des Königreichs Israel, in den Königsbüchern darbieten wird. Er wird dort mehrfach wieder auf David zu sprechen kommen: als den Maßstab, an dem sich alle seine Nachfolger messen lassen müssen und dem keineswegs alle genügen56: ein neuerlicher Ausdruck von Ambivalenz.

b) DtrP Das deuteronomische Prophetengesetz (Dtn 18,9–22) ist zweifellos dtr überarbeitet, wenn nicht dtr verfasst57. „Mose“ verbietet dort Magie, Wahrsagerei und Totenbeschwörung und erlaubt einzig die Prophetie als Mittel der Zukunftserhellung. „Einen Propheten aus deiner Mitte, aus deinen Brüdern, [einen] wie mich, wird dir Jhwh, dein Gott, aufrichten; auf den sollt ihr hören“ (Dtn 18,15, auch 18,18)58. Auf die Frage, wie man entscheiden solle, wenn zwei Propheten aufträten, von denen mutmaßlich der eine den Willen Jhwhs kundtut, der andere sich dies aber nur „anmaßt“59, erfolgt die Antwort: Der, dessen Prophezeiung sich erfüllt, ist der wahre Prophet (Dtn 18,20–22). Während der Landnahme- und Richterzeit erfüllt sich diese Ankündigung noch nicht: muss sich nicht erfüllen, weil mit Josua und den Richtern gottunmittelbare Gestalten das Gottesvolk leiten60. Als der vorletzte Richter, Eli, 56 57

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Vgl. 1Kön 3,3; 11,6; 15,11; 2Kön 14,3; 16,2; 18,3; 22,2. Martin Rose (5. Mose. Teilband 1: 5. Mose 12–25, Einführung und Gesetze, Zürcher Bibelkommentare [Zürich: TVZ, 1994], 94–106) ortet dtr Eingriffe vor allem in Dtn 18,9.12.14– 20 und spät-dtr Nachträge in 18,13.21f. Ein frühester Kern in 18,*10–12 sei vor-dtr. Hinter den singularischen Formulierungen steht möglicherweise die Vorstellung einer prophetischen Sukzession: Jeder Generation steht im Prinzip ein Prophet in der Nachfolge Moses zur Verfügung. In diesem Sinn lässt sich die Abfolge von Propheten- im Gegenüber zu Königsgestalten (bzw. -dynastien) in den Samuel- und Königsbüchern verstehen: Samuel//Saul/David, Natan//David/Salomo, Ahija//Jerobeam/Rehabeam, Elija//Ahab/ Joschafat, Elischa//Joram/Jehu, Jesaja//Hiskija, Hulda//Joschija. Bekanntlich wird das Thema „Prophet gegen Prophet“ exemplarisch in Jer 27f (Jeremia versus Hananja), andeutend aber auch in 1Kön 22 (Micha ben Jimla versus 400 [Hof-] Propheten) abgehandelt. Allerdings hat Jhwh laut Ri 6,8 schon in der Richterzeit einmal einen ‫ איש נביא‬gesandt; doch der Abschnitt Ri 6,7–10 stammt von DtrN, der hier das Prophetenschema von DtrP durchbricht.

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versagt, tritt ihm ein „Gottesmann“ entgegen (1Sam 2,27–36). In dessen Rede greift DtrP in dreifacher Absicht ein61: Erstens verortet er die Anfänge der elidischen Priesterdynastie in der Auszugs- und Mosezeit; dass sie jetzt trotzdem an ihr Ende kommt und durch eine andere (gemeint ist die zadokidische) abgelöst wird, ist ein Paradigma für die Endlichkeit jeder Dynastie: der saulidischen wie später der omridischen oder der nimschidischen – und auch der davidischen (deren Ende DtrP ja vor Augen hat). Zweitens macht er die Rede des „Gottesmannes“ zu einer regelrechten „Schelt- und Drohrede“, wie er sie offenbar für ‚echt prophetisch’ hält; von DtrP geformte Beispiele dafür werden in 2Sam 12, 7b–10 und 1Kön 16,1–4 folgen. Drittens lässt er den „Gottesmann“ Weissagungen aussprechen, deren Erfüllung dann über drei Stufen hinweg zu berichten sein wird: zuerst im Untergang des Hauses Eli (1Sam 4), dann in der Verbannung Abjatars vom Priesterdienst in Jerusalem (1Kön 2,26f)62, schließlich in der Entamtung der Landpriesterschaft im Zuge der joschijanischen Reform (2Kön 23,8f). Ist also jener „Gottesmann“ mehrfach als ‚wahrer Prophet’ im Sinne von Dtn 18,21f ausgewiesen, so erhält er doch nicht den Titel „Prophet“ (‫)נביא‬. Dieser steht offenbar erst Samuel zu63; erst er tritt voll in die Sukzession des „Propheten“ Mose ein (Dtn 34,10; 1Sam 3,20; 9,9)64. Und DtrP sorgt dafür, dass er den Bestimmungen des Prophetengesetzes voll gerecht wird. Ein Israelit („aus deinen Brüdern“) ist er sowieso. Sodann verkörpert er, wie namentlich in 1Sam 28 klar wird, als Prophet eine scharfe Alternative zu Wahrsagerei und Totenbeschwörung. Vor allem aber gehen alle seine Voraussagen zuverlässig in Erfüllung. Er erklärt Saul für verworfen und kündigt ihm einen anderen als Nachfolger an, der „besser“ ist als er (1Sam 15,26–28)65; kurz darauf zieht er auf Jhwhs Geheiß nach Betlehem und salbt dort diesen „Besseren“ (16,1–13), während Saul in einer Negativspirale immer tiefer abwärts gezogen wird. Noch aus dem Totenreich heraus wird Samuel dieses Verwerfungsurteil bestätigen und Saul präzise ankündigen, was am nächsten Tag geschehen soll: Israel unterliegt den Philistern, der König samt seinen Söhnen kommt zu Samuel in die Unterwelt (1Sam 28,17–19). Dieses Zerwürfnis Samuels mit Saul ist nur die erste einer langen Reihe von Konfrontationen zwischen Propheten und Königen, die DtrP 61 62

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1Sam 2,27bβγ.28a.30a.34–36. Hier platziert DtrP den ersten seiner „Erfüllungsvermerke“, mit denen er später in den Königsbüchern immer wieder den Wahrheitsgehalt bestimmter Prophetien nachweist (1Kön 12,15; 15,29; 16,12; 2Kön 10,17; 24,2). Vgl. zu diesem Phänomen Gerhard von Rad, Die deuteronomistische Geschichtstheologie in den Königsbüchern, in: von Rad, Deuteronomiumstudien, FRLANT NF 40 (Göttingen: Vandenhoeck, 1947), 52–64, sowie Dietrich, Prophetie und Geschichte, 22–28. Wenn in 1Sam 10,5.10 anonyme Propheten (‫ )בני הנביאים‬auftreten, ist Samuel schon auf dem Plan, ja, er wird später eine solche (oder diese?) Prophetenschar selbst anführen (1Sam 19,18–24). Ein Gespür dafür zeigt sich in Jer 15,1, wo Mose und Samuel unmittelbar nebeneinandergestellt werden; vgl. auch Ps 99,6. Die Eigenanteile von DtrP liegen in 1Sam 15,*1aβγb.10–12.16aβb–27a.

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später noch zu schildern hat66. In seinen Augen sind sie Meilensteine am Weg in den Untergang der Staaten Israel und Juda, wie er im dtr Geschichtswerk beschrieben wird.

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DtrN

Im deuteronomischen Königsgesetz findet sich ein klassisch nomistischer Passus: Der König solle sich eine Abschrift der Tora anfertigen lassen, darin sein Leben lang lesen und die Anweisungen und Satzungen Jhwhs treulich einhalten, damit er mit seinen Söhnen lange die Herrschaft ausübe (Dtn 17,18f.20aβb). Im Grunde das Gleiche schärft Samuel den Israeliten bei seiner Amtsniederlegung ein: Alles komme darauf an, dass Israel auch unter einem König auf Jhwhs Stimme höre und zusammen mit seinem König dem Willen Jhwhs folge; andernfalls werde sich Jhwhs Hand gegen sein Volk wenden (1Sam 12,14f). Dieser nomistische Tonfall klingt danach, in den Königsbüchern, immer wieder auf: Könige werden zum Gesetzesgehorsam, insbesondere zum Gehorsam gegen das Erste Gebot, ermahnt und für den Fall des Ungehorsams mit Strafen nicht nur gegen sich selbst und ihre Dynastie, sondern gegen ihr Reich und ihr Volk bedroht (z.B. 1Kön 6,12; 9,1–9; 11,38; 14,15f; 21,25f; 2Kön 17,12–19; 18,12; 21,4.6. 7b–9; 24,3f.20a; 25,21b). Gegenläufig zu dieser bedrückenden gibt es eine gewissermaßen antidepressive Aussagenreihe: David hat die Tora Jhwhs treu eingehalten (1Kön 3,14; 9,4; 11,33.34.38; 14,8)67; um seinetwillen hat Jhwh Jerusalem und Juda immer wieder vor dem an sich längst verdienten Untergang bewahrt (1Kön 11,12.13.36; 15,4; 2Kön 8,19; 19,34; 20,6). Hin und wieder – viel zu selten – taten es Davididen ihrem Ahnherrn gleich (2Kön 18,5–7a; 19,15–19; 23,1–3.10.13b.15.21–27), konnten aber den Untergang von Königtum und Staat nicht verhindern. Nach der Überzeugung von DtrN war der Gedanke, in Israel ein Königtum zu errichten, von vornherein verfehlt. Israel hatte den besten König, den es haben konnte: Jhwh. „Nicht dich haben sie verworfen, sondern mich“, erklärt Gott Samuel, als dieser ihm voll Erbitterung den Königswunsch des Volkes vorträgt (1Sam 8,7). Später wird dies noch zweimal bekräftigt: Die Einsetzung eines irdischen Königs bedeutet die Absetzung des himmlischen Königs (1Sam 10,19; 12,12). In einer in der antiken Geistesgeschichte einmaligen Weise wird hier das Königtum (eines) Gottes gegen das menschliche Königtum gesetzt. Sonst pflegen himmlische und irdische Könige reibungslos Hand in Hand zu arbeiten, legitimiert sich irdisches Königtum durch die Berufung auf den Willen des Königs im Himmel. Die Idee königlichen Gottesgnadentums hat uralte Wurzeln, und seine 66

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Vgl. die DtrP-Texte bzw. -Zusätze in 2Sam 12,1–15a; 1Kön 14,7–11; 16,1–4; 21,20–24; 2Kön 1,2–17; 9,7–10; 17,21–23; 21,10–15; 22,16f. Einmal wird fast widerwillig eingeräumt: „außer in der Sache mit Urija“: 1Kön 15,5.

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Triebe reichen bis weit in die Neuzeit. DtrN hat mit diesem Denken früh gebrochen: mit erheblichen Folgen zwar nicht für den Monarchismus als ganzen, wohl aber für das Judentum, das sich seither – mit einer kurzen Unterbrechung in der Makkabäerzeit – nie mehr monarchisch organisiert oder monarchistisch definiert hat. Wie hochbedenklich die Institution der Monarchie für Israel war, zeigt DtrN an der Geschichte ihrer Einführung. Die ihm vorgegebene Tradition hatte die Findung, Einsetzung und Bewährung Sauls (1Sam 9–11), gut monarchistisch, als gottgewollt und gottgelenkt dargestellt. DtrN hat diese Darstellung nicht nur antimonarchistisch gerahmt (in 1Sam 8,7–9a.18 und 12,1–25) und durchbrochen (1Sam 10,*18.19a)68, sondern viel weiter vorne im dtr Geschichtswerk bereits ein deutliches Warnsignal gesetzt. In Jos 7,14–18, innerhalb einer von ihm ersonnenen „Kriminalgeschichte“69, lässt er den Banngut-Dieb Achan durch ein Losverfahren herausgefunden werden, das deutlich demjenigen in 1Sam 10,20f nachempfunden ist. Wer nach der Lektüre von Jos 7 zu 1Sam 10 kommt, wird unwillkürlich denken: Wieder ein Verbrecher, der durch göttliches Los ermittelt wird – ein Exempel subtiler Leserlenkung!70 In 1Sam 12, der Darstellung von Samuels Rücktritt71, lässt DtrN alle Subtilität fahren und entfaltet vor den Augen der Leserschaft breit und klar die Vorzüge des Richtertums (einer nicht-monarchischen Ordnung, die der Leitung durch Jhwh Raum ließ) und die Nachteile des Königtums (das sich der Abhängigkeit von Jhwh zu entledigen trachtet). Damit setzt er sich zumindest teilweise in Widerspruch zu seinem Vorgänger DtrH, der die Schwächen des Richtertums unmissverständlich aufzeigte und im Königtum eine ambivalente Größe sah. Man spürt, dass DtrH noch stark im Rückblick auf die vorexilische Zeit mit israelitischen und judäischen Königen schreibt, während sich DtrN entschlossen der nachexilischen Zeit ohne (eigene) Könige zuwendet. Das Judentum konnte sich fortan nicht mehr über einen Staat definieren, sondern musste es über die Religion tun. Also rückte jetzt die Toratreue als das unterscheidende Merkmal Israels in den Vordergrund. Aus diesem Gesichtswinkel betrachtet, war der Hauptmangel des Königtums nicht politischer, sondern religiöser Natur. Der 68

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Dieser Text weist dichte Bezüge zu Ri 6,7–10 auf: eine weitere dtr Klammer zwischen den Samuelbüchern und ihrem Kontext im dtr Geschichtswerk. Vgl. Walter Dietrich, Achans Diebstahl (Jos 7) – eine Kriminalgeschichte aus frühpersischer Zeit, in: „Sieben Augen auf einem Stein.“ Studien zur Literatur des Zweiten Tempels, FS Ina Willi-Plein (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2007), 57–67. Vgl. Dietrich, Samuel, VIII.1, 465f. Dort in Anm. 51 eine Auflistung derjenigen Ausleger, die meinen, 1Sam 10,20f sei im Blick auf Jos 7 von vornherein königskritisch gemeint gewesen. Doch dieser Eindruck verdankt sich erst den Eingriffen von DtrN. Dass dieses gesamte Kapitel von DtrN stammt, hat Veijola nachgewiesen: einerseits mit sprachstatistischen Mitteln, andererseits mit dem Argument, dass 1Sam 11,15 und 13,1 zusammen die Einführung eines Königs im Stil von DtrH bilden und 1Sam 12 diesen Zusammenhang sprengt (Das Königtum, 83–92). Veijolas Analyse hat sich mir als richtig erwiesen: Dietrich, Samuel, VIII.1, 529–535.

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König drohte an die Stelle Gottes zu rücken – wo doch Israel einzig davon lebte, dass es seinem Gott Jhwh diente und keinem andern. „Weicht nicht ab hinter den Nichtsen her, die euch nicht helfen und nicht retten“, sagt Samuel in seiner Abschieds- und Antikönigsrede (1Sam 12,21). Königsdienst hat Affinität zum Götzendienst. Während Samuel Israel dazu gebracht hat, sich von den falschen Göttern zu trennen (1Sam 7,3f)72, werden die Könige (das konnte DtrN deutlich genug im Werk von DtrH nachlesen) es immer wieder zu ihrem Dienst verführen. Sie halten sich eben, anders als in Dtn 17,18–20 verlangt, nicht treu an die Tora. Saul liefert gleich bei seinem ersten Zusammenstoß mit Samuel das erste Exempel für den mangelnden Gesetzesgehorsam des Königtums. In der älteren Überlieferung ist Samuel ungehalten darüber, dass Saul ihm nicht aufs Wort folgt (1Sam 13,7b–15a); DtrN macht in zwei kurzen Einschüben klar, worum es in Wahrheit geht: Saul hat „den Befehl Jhwhs missachtet“ (1Sam 13,13bα.14bβ). Das Problem wird ins Grundsätzlich-Nomistische überhöht. Was Israel nottut, ist Toratreue – und der König ist der Letzte, der es dazu anhält! Es gibt, wie gesagt, Ausnahmen: David, Hiskija, Joschija. Doch Jhwh, der große und einzige Gott, hatte nicht Könige aus Ägypten „erlöst“ und nicht vor Königen „Völker und Götter vertrieben“, sondern dies für sein Volk getan (2Sam 7,22–24). Mag das Königtum vergangen sein – das Gottesvolk bleibt.

4. Abschließende Erwägungen In den vorstehenden Ausführungen liegt nicht viel Gewicht darauf, dass es bzw. ob es drei dtr Redaktionen gab – oder vielleicht doch nur eine oder womöglich eine Vielzahl eher kleinräumiger Fortschreibungen. Wichtig war mir der Nachweis, dass Bearbeitungen im Geist des Deuteronomiums bzw. des Deuteronomismus die Eingliederung der Samuelbücher in den größeren, von Dtn bis 2Kön reichenden Zusammenhang dtr Geschichtsschreibung bewirkt haben. Und auch dies sollte deutlich geworden sein: dass die dtr Redaktionstätigkeit an den Samuelbüchern bestimmte thematische bzw. theologische Schwerpunkte aufweist. – Da sind zunächst eindeutig historiographische Interessen, die ein geschichtliches Kontinuum von der Mose- bzw. Landnahme- bis zur Exilszeit aufzuzeigen bemüht sind. Gewiss ist dies keine Historiographie, die modernen Postulaten wie „Historizität“, Objektivität, innerweltlicher Kausalität usw. 72

Mit guten Gründen – wenn vielleicht auch gar zu radikal – hat Juha Pakkala (Intolerant Monolatry in the Deuteronomistic History, Publications of the Finnish Exegetical Society 76 [Helsinki: Finnish Exegetical Society / Göttingen: Vandenhoeck, 1999]) die Züge eines intoleranten Monotheismus im dtr Geschichtswerk allesamt der letzten Redaktionsstufe, DtrN, zugewiesen.

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in allem gerecht wird. Doch wird in durchaus modernem Sinn mit Quellen gearbeitet, werden geschichtliche Zusammenhänge hergestellt, Sachverhalte beschrieben und erklärt, wird all dies freilich religiösen Axiomen unterstellt, hat man es also mit einer Art theologischer Geschichtsschreibung zu tun. Dass diese hohen Ranges ist, beweist der Umstand, dass aufgefundene materielle Zeugnisse aus jener Zeit immer wieder zu „external evidence“ für die biblische Geschichtsdarstellung werden (auch wenn sie diese nicht immer im Sinne eines „Und die Bibel hat doch recht“ bestätigen). Da sind ferner prophetische Interessen. War schon Mose ein Prophet – und der maßgebliche in Israel –, so treten in seiner Nachfolge immer wieder Propheten auf. Sie sind Gottes zuverlässige Leuchtzeichen auch in stürmischen Zeiten. Sie verkünden den politischen Machthabern unmissverständlich den Willen Gottes und sie sagen ihnen unzweideutig voraus, was Gott – nicht zuletzt auch aufgrund ihres Verhaltens – in der Zukunft tun wird. In der frühen Königszeit üben diesen Auftrag ein namenloser „Gottesmann“ sowie vor allem die „Propheten“ Samuel und Natan aus. Später, in der Zeit der geteilten Reiche, werden ihnen andere folgen. So hat Gott sein Volk und dessen politische Führer während der gesamten staatlichen Epoche seiner Geschichte nie ohne klare prophetische Weisung gelassen. Schließlich finden sich redaktionelle Passagen nomistischer Prägung. Die Einhaltung der mosaischen Tora ist das unterscheidende Merkmal Israels in der nachköniglichen Zeit – und hätte es schon in der vorstaatlichen und staatlichen Zeit sein sollen. Das Königtum stellte eine besondere Bedrohung der Identität Israels dar, sofern es dank seiner Machtfülle dazu neigte, sich nicht an die Tora gebunden zu fühlen. Schon bei seiner Einführung macht Samuel auf diese Gefahr mit aller Deutlichkeit aufmerksam, und gleich am ersten König, Saul, statuiert er ein Exempel. David und wenige seiner Nachfolger werden tatsächlich toratreue Könige sein, die allermeisten Herrscher aber werden gegen ihre vornehmste Pflicht, das Volk zur Treue gegen Jhwh anzuhalten, verstoßen und damit die Staaten Israels in den Untergang reißen. Dank Jhwhs Treue aber gibt es das Gottesvolk weiterhin; es hat die bitteren Lehren aus seiner Geschichte zu ziehen und fortan streng nach Gottes offenbartem Willen zu leben haben.

All diese Gedanken finden sich in redaktionellen Passagen nicht allein der Samuelbücher, sondern auch der umgebenden biblischen Bücher. So bestätigt sich, wenn auch in modifizierter Form, die These Martin Noths von einem deuteronomistischen Geschichtswerk, das von Dtn bis 2Kön reicht und die Samuelbücher einschließt.

Timo Veijolas Beitrag zur Erforschung der Samuelbücher In Rudolf Smends monumentalem forschungsgeschichtlichem Band „Kritiker und Exegeten“ nimmt Timo Veijola eine Sonderstellung ein. Sein Porträt ist das letzte von vierundfünfzig, und es ist mit 35 Seiten, neben dem über Martin Buber, das längste von allen. Als nächstes folgt das um eine Seite kürzere über den Grossvater des Autors, Rudolf Smend sen., dann Johannes Hempel, Hans Walter Wolff usw. Sicherlich ist der Umfang dieser Skizzen auch den jeweiligen Anlässen geschuldet, aus denen sie entstanden sind; wohl so erklären sich die nur 16 Seiten für Baruch Spinoza, Abraham Kuenen, Julius Wellhausen oder Otto Eissfeldt. Und die Schlussstellung des Veijola-Kapitels resultiert schlicht daraus, dass 1947 das späteste Geburtsjahr aller behandelten Forscher ist. Trotzdem glaube ich hier nicht an puren Zufall. Angesichts seiner wissenschaftlichen Leistung kommt Timo Veijola eine Sonderstellung in der alttestamentlichen Forschungsgeschichte zu. Und innerhalb seines weitgespannten Oeuvres nehmen wiederum die Arbeiten über die Samuelbücher einen besonderen Rang ein.

1. Veijolas Einsichten und Thesen Timo wurde, wie man bei Smend nachlesen kann, im Jahr 1970 vom einen Zentrum der internationalen Septuagintaforschung, Helsinki, zum anderen, Göttingen, entsandt mit dem Auftrag, die komplizierte Textgeschichte der Samuelbücher ein Stück weit aufzuklären. Bald freilich wechselte das Augenmerk des jungen Forschers von der Text- zur Literarkritik. Unter der kundigen Anleitung Smends entzündete sich ein Funke, der alsbald in ein regelrechtes Feuerwerk überging. Als – um im Bild zu bleiben – alle kleineren und grösseren Feuerwerkskörper bereits zusammengestellt waren und eben die Lunte entzündet werden sollte, kam ich hinzu, frisch doktoriert in Münster, traf im Göttinger Doktorandenkolloquium den sympathischen jungen Finnen, hatte bald intensive Fachgespräche mit ihm, konnte ihm die Theorie einer mehrfach geschichteten deuteronomistischen Redaktion etwas näher bringen – und da gruppierte Timo die Materialien des künftigen Feuerwerks (sprich: die von ihm entdeckten Risse und Sprünge, Widersprüche und Dubletten) noch ein wenig um zu einer innerdeuteronomistischen Text- und Schichtenfolge – und schon erhellten seine ersten beiden Bücher mit ihren sprühenden Ideen und funkelnden Beob-

Timo Veijolas Beitrag zur Erforschung der Samuelbücher

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achtungen den wissenschaftlichen Himmel: 1975 „Die Ewige Dynastie“ (aufgrund derer er promoviert wurde) und 1977 die „Beurteilung des Königtums“. Argumentationsgang und Ergebnisse beider Arbeiten sind wiederholt beschrieben worden, last not least eben von Rudolf Smend1, so dass ich dies hier nicht wiederholen muss. Ich benenne nur noch einmal die beiden wichtigsten Meilensteine, die in ihnen gesetzt werden (wobei ich jetzt, dem Kanon zuliebe, die Reihenfolge der beiden Bücher verkehre.) Spätestens seit Julius Wellhausen galt als ausgemacht, dass es in 1Sam 7–12 eine „königsfreundliche“ und eine „königsfeindliche“ Textreihe gebe, seit Martin Noth, dass die letztere als deuteronomistisch einzustufen sei, dass also „der Deuteronomist“ (Noth kannte nur einen bzw. wollte nur einen kennen) gegenüber der Institution des Königtums kritisch eingestellt war. Das schien auch logisch, war das dtr Geschichtswerk laut Noth doch in der Exilszeit, d.h. nach dem Ende der israelitischen und judäischen Königszeit, entstanden und stellt eine großangelegte Ätiologie des Untergangs dar. Veijola sah diesen königskritischen Deuteronomismus auch, machte jedoch davor eine ebenfalls deuteronomistische, aber dem Königtum positiv zugewandte Redaktionsschicht ausfindig2. Diese datierte er nicht, wie eine bekannte amerikanische Schule, in die ausgehende Königszeit, sondern mit Noth in die Exilszeit – was bedeutete, dass der Deuteronomismus (genauer: die Grundredaktion DtrH) noch nach dem Untergang des Staates am Staatsgedanken festhielt, während erst DtrN (eine spätere Überarbeitungsschicht) eine grundsätzliche Königskritik übte und ein theokratisches an die Stelle des monarchischen Gesellschaftsideals setzte: ein Neuansatz, den Veijola als grosse geistige und auch politische Leistung würdigte. Eine königs- bzw. davidfreundlich geprägte Redaktionstätigkeit entdeckte Veijola auch im Fortgang der Samuelbücher. Seiner Meinung nach war es kein anderer als DtrH, der die Idee einer „ewigen“ Daviddynastie erschuf3. Seine Handschrift suchte Veijola in 1Kön 1–2, dem Schlussstück der sog. Thronfolgegeschichte, zu entziffern, um sie dann mit eiserner Konsequenz zurückzuverfolgen bis tief hinein ins 1. Samuelbuch. Die vielen davidfreundlichen Aussagen zeigen, dass man noch in der Exilszeit auf das Weiterleben und Wiederaufleben der Davididenherrschaft hoffte. Nicht zufällig handelt die letzte Perikope der dtr redigierten Königsbücher von der Rehabilitation des nach Babylon verschleppten Davidsprosses Jojachin. Daneben aber verschafft sich in zahlreichen dtr Passagen auch eine königskritische Sicht Geltung. (Timo war so freundlich, die betreffenden Texte nicht allein DtrN, sondern auch dem von mir entdeckten DtrP zuzuschreiben.) Unter Veijolas Händen wuchs der dtr Textanteil in den Samuelbüchern, verglichen mit Martin Noth, um das Dreifache: nämlich von 76 Versen auf rund 1 2 3

Smend, Kritiker und Exegeten, 952–956; Dietrich, Wissen – und doch glauben, 1–2. So in „Die Beurteilung des Königtums“. In „Die Ewige Dynastie“.

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233, d.h. von etwa 5 auf rund 15 Prozent des Textbestandes4. Vielleicht war das ein wenig über das Ziel hinausgeschossen; nach meiner eigenen Einschätzung beträgt der dtr Textanteil rund 8 Prozent – also mehr als bei Noth, aber auch weniger als bei Veijola. M.E. ist manches von dem, was Veijola über Noth hinaus als dtr deklariert hat, zwar tatsächlich redaktionell, aber nicht dtr; denn um 700 v. Chr. schuf ein begnadeter Redaktor bzw. Autor das „Höfische Erzählwerk über die frühe Königszeit in Israel“, das bereits einen großen Teil der Samuelbücher umfasste und später zu einem Baustein in dem von der Landnahme bis zum Landverlust reichenden dtr Geschichtswerk wurde. Demgegenüber haben nach Noth wie nach Veijola die Samuelbücher ihre Gestalt eigentlich erst im Zuge der dtr Redaktion angenommen, die dabei eine Reihe älterer Quellen benutzte. Hier wirkte eine These von Leonhard Rost aus dem Jahr 1926 nach, der zufolge zwei große, schon in der frühen Königszeit entstandene Werke den Hauptteil des Samuel-Stoffs ausmachten: die sog. „Thronfolgegeschichte“ und die „Aufstiegsgeschichte“ Davids. Aus ihnen – und noch einigen weiteren, kleineren Überlieferungen – hat laut Noth „der Deuteronomist“ die Samuelbücher geformt. Das sah Veijola im Wesentlichen genauso, nur dass er die dtr Redaktionstätigkeit als umfangreicher und vielfältiger einschätzte als Noth. In seinem dreiteiligen Literaturbericht „Deuteronomismusforschung zwischen Tradition und Innovation“, erschienen in der „Theologischen Rundschau“ 2002, nahm Veijola meinen zusammen mit Thomas Naumann verfassten Forschungsbericht zu den Samuelbüchern recht freundlich auf – im Unterschied zu meiner Monographie über „Die frühe Königszeit in Israel“. In dieser vertrat ich schon die Hypothese eines vor-dtr „Höfischen Erzählwerks“ – und konnte damit meinen Freund Veijola nicht völlig überzeugen. Massiven Widerspruch indes meldete er gegen mein Unterfangen an, die klare Einteilung DtrH= königsfreundlich und DtrN=königskritisch aufzuweichen. (Nebenbei bemerkt: Einen Sonderdruck des betreffenden Teils seiner Sammelrezension versah er mit einer handschriftlichen Widmung an mich: „Multis cum lacrimis!“) Der entscheidende Text hier ist 1Sam 8. Einerseits erscheinen in diesem Kapitel (das Veijola für komplett dtr hält) die Samuel-Söhne als korrupt, womit das bisherige System desavouiert ist; so muss Samuel am Ende den Befehl Gottes entgegennehmen, dem Volk den König zu geben, den es sich wünscht. Andererseits bietet 1Sam 8 scharfe Verurteilungen des Königtums durch Samuel wie durch Gott, und Samuel soll zur Warnung das sog. „Königsrecht“ vortragen: eine Persiflage auf die nimmersatte Herrsch- und Besitzsucht der Könige. Veijola schreibt die königsfreundlichen Elemente DtrH zu, die königskritischen DtrN. Ich hingegen denke, dass DtrH für die Notwendigkeit des Königtums wirbt, zugleich aber jenes „Königsrecht“ zitiert – also dem Königtum gegenüber keine glatt zustimmende, sondern eine ambivalente Haltung zeigt. Und DtrN sehe ich weniger als Verfechter eines politischen Antimonarchismus denn als wirklichen 4

Vgl. die Aufstellung bei Dietrich, Layer Model 51. Vgl. in diesem Band oben S. 34.

Timo Veijolas Beitrag zur Erforschung der Samuelbücher

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„Nomisten“, dem im Grunde nur eines am Herzen liegt: Tora-Observanz (womit er, darin bin ich mir mit Veijola einig, zum Wegbereiter der jüdischen Orthodoxie wurde). Mein auf mehrere Bände angelegter Samuel-Kommentar begann ab 2003 zu erscheinen; Timo starb 2005, noch bevor die zweite Lieferung des ersten Bandes, reichend bis 1Sam 2, publiziert war. So blieb während meiner Kommentararbeit das Gespräch mit ihm sehr einseitig: Ich hatte mich immer und immer wieder mit seinen Arbeiten zu den Samuelbüchern auseinanderzusetzen, konnte mich von ihnen anregen und bereichern lassen, zuweilen auch ein wenig davon absetzen – er aber konnte mir kein Feedback mehr geben. Ich erlaube mir jetzt, das Gespräch mit ihm gleichsam vor fremden Augen weiterzuführen, indem ich die von ihm als dtr deklarierten Texte der Samuelbücher entlanggehe und neben Zustimmung gelegentlich auch eine abweichende Meinung signalisiere.

2. Durchgang durch die von Veijola für deuteronomistisch erklärten Texte Timo hielt nicht nur das schon besprochene Kapitel 1Sam 8, sondern auch 1Sam 10,17–27, die Erzählung von der Königskür Sauls, für komplett dtr. Ich finde dort wie hier – in den Nachrichten über die Samuel-Söhne und in der Loswahl Sauls – ältere, vor-dtr Überlieferung. 1Sam 12 hingegen, die sog. Abschieds-rede Samuels, rechne ich – nach anfänglich anderen Versuchen – mit Veijola ganz und gar DtrN zu. Was ich ihm indes gar nicht abnehmen kann, ist die Zuweisung des Summariums über König Saul in 1Sam 14 an DtrH, der es in Anlehnung an das Summarium über David in 2Sam 8 gestaltet haben soll. Hier wird für mich ein Grundsatzproblem sichtbar: Ich finde in manchen Textpassagen, die Veijola für dtr erklärt, kaum das, was man als klassische dtr Terminologie bezeichnen würde. In 1Sam 14,47–52 etwa werden nüchterne Sachmitteilungen aneinandergereiht: Gegen die und die Völker hat Saul Krieg geführt, so hießen seine Frau, seine Söhne und Töchter, so sein Cousin und Armeeführer – woran die Nachricht von einer stehenden Söldnertruppe anschließt, die er aufgebaut habe. Sollte das wirklich ein Deuteronomist geschrieben haben (in diesem Fall DtrH)? Der aus Sicht der „Göttinger Schule“ nächste Deuteronomist, DtrP, hat laut Veijola zwei „prophetische“ Geschichten in das Werk von DtrH eingebaut: diejenige von Sauls Verwerfung durch Samuel anlässlich des Amalekiterkriegs (1Sam 15) und die von Davids Salbung durch Samuel (1Sam 16,1–13)5. Für 1Sam 15 stimme ich zu. In der Salbungsgeschichte Davids hingegen findet sich wieder keine typisch dtr Terminologie. M.E. schafft hier der Höfische Erzähler ein 5

Ewige Dynastie 102, Anm. 156.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

davidisches Gegenstück zur großen Erzählung von der Salbung Sauls (1Sam 9,1 – 10,16). Der Redaktion DtrH schrieb Veijola eine Reihe von Texten zu, in denen David eine „Ewige Dynastie“ zugesprochen wird. Sie beginnt in 1Sam 20, der Erzählung über Davids Trennung von Jonatan, und zwar mit den Worten Jonatans an seinen Freund: „Jhwh wird mit dir sein, wie er mit meinem Vater gewesen ist… Jhwh wird die Feinde Davids ausrotten, jeden einzelnen weg vom Antlitz der Erde… Und Jhwh soll [das Blut] fordern von der Hand der Feinde Davids6„. Laut Veijola sind das Formulierungen von DtrH. Sicher ist: Es sind redaktionelle Passagen – doch was an ihnen ist spezifisch dtr? M.E. formuliert hier wieder der Höfische Erzähler. Also war er der Schöpfer des Gedankens einer bleibenden Dynastie Davids (dem dann freilich erst DtrH die Dimension des „Ewigen“, Unverlierbaren, verlieh). In Sauls Rede an David nach seiner ersten Verschonung (in der Höhle von En-Gedi, 1Sam 24) und in der Rede Abigajils an David (in 1Sam 25) identifiziert Veijola längere Passagen als dtr7. Erneut ist klar: Sie sind redaktionell, aber m.E. wiederum vor-dtr. Hier war Timo ausnahmsweise einmal nicht konsequent genug: Abigajils Rede ist in noch viel weiterem Ausmaß redaktionell als von ihm angenommen8. Zudem geht er darüber hinweg, dass Saul nach seiner zweiten Verschonung (auf dem Hügel Hachila, in 1Sam 26) noch eine zweite Rede an David hält, die der ersten auffallend ähnelt – und in der m.E. wiederum der Höfische Erzähler am Werk ist9. Unüberholt ist Veijolas redaktionskritische Beurteilung der Episode vom Aufenthalt des Freibeuters David in Keïla (in 1Sam 23)10. Er schreibt dort eine Reihe von Versen DtrH zu11. Dem folge ich in meinem Kommentar fast völlig12. Interessant ist hier vor allem der Passus V. 10.11a, den Veijola in einem gesonderten Aufsatz als exilisches Klagegebet sehen gelehrt hat13. Bisher suchte man solche Gebete nur im Psalter und in den Threni. Jetzt wissen wir, dass sie dank der dtr Redaktion auch in die biblische Geschichtsschreibung Eingang gefunden haben – wodurch diese für die zeitgenössische Leserschaft einen höchst aktuellen Bezug erhielt: Nicht erst wir haben von Gott verhängtes Geschick zu beklagen – schon die Väter hatten es. 6 7 8

9 10 11 12 13

1Sam 20,*13.*15f. Veijola schreibt 1Sam 20,12–17 DtrH zu. 1Sam 24,18–23a; 25,21f.23b.24b–26.28–34.*39a. Ich weise in 1Sam 25 dem Höfischen Erzähler die Verse 7b.8aα1.10abβ.13bβ.15– 17.21f.24b.25a. 28–31.32b–34a.*38b.39a zu. Ihm gehören m.E. 1Sam 26,1.*3.6.8–11.12bβγ.15b.16a.18–20a.21.22aα.23–25a. Vgl. Veijola, David in Keïla. 1Sam 23,1bβ.2bβ.5b.6.*10.*11a.*13a. In BK VIII/2, 669f, erkläre ich noch 4bβ für dtr, 6 aber für älter. Vgl. Veijola, Das Klagegebet. Die anderen beiden Beispiele sind Jos 7,6–9 und Ri 6,13; allerdings ist nach meinem Dafürhalten Jos 7 ein generell erst mit DtrN zu verbindendes Kapitel, vgl. Dietrich, Achans Diebstahl.

Timo Veijolas Beitrag zur Erforschung der Samuelbücher

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In der redaktionsgeschichtlichen Einschätzung von 1Sam 28, der Geschichte von der Totenbefragung Samuels in En-Dor, hat Veijola so nobel wie feinsinnig mich gegen mich selbst zu verteidigen versucht14. Seiner Meinung nach stand dieses Kapitel noch nicht im Werk von DtrH: einerseits weil es sich geographisch nicht gut in den jetzigen Kontext füge, andererseits, weil es mit 1Sam 15, dem klar sekundären Amalek-Kapitel, korrespondiere, bestätigt doch der aus dem Totenreich heraufbeschworene Samuel das seinerzeit gegen Saul ausgesprochene Verwerfungsurteil. Ich hatte einmal behauptet, DtrP habe 1Sam 15 wie 1Sam 28, jeweils im Grundbestand, in einem „Buch der Prophetengeschichten“ vorgefunden (an das ich mittlerweile selbst nicht mehr glaube) und beide Geschichten am je passenden Ort in die Samuelbücher eingesetzt. Später lernte ich – belehrt hauptsächlich durch meinen Schüler Johannes Klein15 –, dass 1Sam 28 vielfältig mit den älteren Saul-David-Geschichten verwoben ist und von diesen nicht getrennt werden kann. Vermutlich hat die dtr Redaktion das Kapitel bereits am jetzigen Platz im Höfischen Erzählwerk vorgefunden und nur hier und da noch in es eingegriffen16. Auch dies ist einer der Punkte, an denen ich der dtr Redaktion weniger zutraue bzw. zuschreibe als Veijola. In weitgehender Übereinstimmung mit ihm befinde ich mich hingegen in 2Sam 3–4, den Erzählungen vom Tod der beiden Sauliden Abner und Eschbaal. Allerdings setzt Veijola auch hier die dtr Redaktion – diesmal DtrH – breiter an als ich. Gemeinsam halten wir Abners fromme Propagandareden für David in 3,9f.17–19 für dtr. Doch dann kommt ein Dissens: Nach der Ermordung Abners durch Joab distanziert sich David in langen Monologen scharf von seinem General. Veijola erklärt die Passagen 3,28f und 3,38f für dtr. Einmal mehr stelle ich fest: Gewiss sind sie redaktionell – doch klingen sie kaum dtr. Wieder erkenne ich hier die typische Sprache und Haltung des Höfischen Erzählers17. In 2Sam 4 möchte ich diesem auch den Vorverweis auf Meribaal, den Sohn Jonatans, zuschreiben (4,4), der ab 2Sam 9 ausgiebig in Erscheinung treten wird; Veijola sieht hier überall DtrH am Werk. Wohl aber stimme ich ihm zu in der Zuweisung der historischen Notiz über Beerot (eine Ortschaft, aus der die Mörder Eschbaals stammten) an DtrH (4,2b.3).

14 15 16 17

Veijola, Geographie im Dienst der Literatur. J. Klein, David versus Saul 57.72.109.187–189. So Dietrich, Frühe Königszeit 235.244–246.248f. Diesem schreibe ich nicht nur 3,28f.38f (laut Veijola von DtrH), sondern 3,28–31a.33–39 – also einen verhältnismäßig großen Textanteil – zu.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

3. Veijola und die Frage einer vordeuteronomistischen Redaktion Timo Veijola hat die Deuteronomismus-Forschung im Bereich der Samuelbücher auf einen neuen Grund gestellt18. Weniger bekannt ist, dass er auch auf Spuren vor-dtr Redaktionstätigkeit aufmerksam geworden ist. Hervorzuheben ist hier seine Hypothese, dass Salomo der „Erstgeborene Bathsebas“ war, während die Geschichte von einem angeblich jung verstorbenen Erstgeborenen (in 2Sam 12,15b–24) sekundär eingefügt sei. Klugerweise sprach er diesen Passus nicht flugs einem Deuteronomisten zu, sondern einem von ihm nicht weiter verfolgten früheren Redaktor. Leider allerdings ist er mir darin gefolgt, dass die berühmte „Deutestelle“ 2Sam 11,27b, wonach „in den Augen Jhwhs schlecht war, was David getan hatte“ (nämlich mit Batscheba die Ehe zu brechen und ihren Ehemann Urija umbringen zu lassen), von DtrP stamme, der durch sie die anschließende Natan-Episode (2Sam 12,1–15a) angeschlossen habe. Heute würde ich auch hier die Handschrift des Höfischen Erzählers erkennen: Er brachte Jhwh und seinen Propheten in das traurige Spiel von Ehebruch und Mord, einerseits um zu zeigen, dass auch ein David nicht einfach tun kann, was er will, andererseits um auf David und Salomo nicht die Last einer ungesühnten Schuld liegen zu lassen. Im Blick auf die nachfolgenden Kapitel des 2. Samuelbuches hatten Ernst Würthwein und François Langlamet die (wenn auch zögernd vorgetragene) Behauptung Leonhard Rosts in Frage gestellt, dass die Thronfolgegeschichte „in majorem Salomonis gloriam“ geschrieben sei. Vielmehr sei eine scharf antisalomonische bzw. antidavidische Grundschrift erst nachträglich prodynastisch übermalt worden. Würthwein19 erkannte diese Einfärbung vor allem in Passagen, die zulasten des Ratgebers Ahitofel und des Generals Joab David von dem Ruch entlasten, für den Tod seines Sohnes Abschalom verantwortlich zu sein. Langlamet20 wollte die für das Image Davids günstigen „benjaminitischen Episoden“ (von seinem schonenden Umgang mit Mitgliedern des Hauses Saul) einer „zweiten Auflage“ der Thronfolgegeschichte zuweisen, die allerdings noch der Thronfolgeerzähler selbst zur Salomozeit besorgt haben soll, wobei er das schmalere Anfangswerk zu einer umfassenden, aber immer noch salomokritischen „Davidgeschichte“ ausweitete; erst über diese habe sich, im 7. Jahrhundert, eine „prodavidische und prosalomonische, theologisch-weisheitliche Bearbeitung“ gelegt21. Dieser letzteren Hypothese (die ja der meinigen vom „Höfi18

19 20 21

Das zeigt sich etwa daran, dass einige neuere Kommentare seine Ergebnisse weitestgehend übernommen haben: so etwa Caquot / de Robert und R.W. Klein. Würthwein, Erzählung von der Thronfolge Davids. Langlamet, David et la maison de Saül. So Veijolas Formulierung: David und Meribaal 82f.

Timo Veijolas Beitrag zur Erforschung der Samuelbücher

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schen Erzählwerk“ recht nahe kommt) pflichtete Veijola ausdrücklich bei, nicht ohne hier und da noch ein deuteronomistisches donum superadditum ausfindig zu machen. Timo Veijola hat wohl mehr als die Hälfte seines Forscherlebens hauptsächlich mit den Samuelbüchern zugebracht. Ab den 1990-er Jahren wandte er sich verstärkt dem Deuteronomium und dann dem Buch Sirach zu. Dazu traten zunehmend andere Herausforderungen: die akademische Lehr- sowie eine ausgedehnte internationale Reise- und Vortragstätigkeit, das Durchdenken von Grundfragen alttestamentlicher Theologie, der Einsatz für die finnische lutherische Kirche und ihren Pfarrerstand, die umfassende Vermittlung der weltweiten alttestamentlichen Wissenschaft nach Finnland, die Betreuung eines beeindruckend vielköpfigen akademischen Nachwuchses in Helsinki, die Auseinandersetzung mit der ihn quälenden Krankheit. Vor dreizehn Jahren brach dieses so erfüllte Forscher- und Christenleben zu unserem Entsetzen viel zu früh ab. Mir erscheint es wie ein kleiner Trost, dass Timo das, was er zu den Samuelbüchern hat sagen wollen, auch wirklich sagen konnte, weil er es gleich zu Beginn gesagt hat. Nach meiner Erfahrung lohnt es sich allemal, darauf zu hören.

Erwähnte Literatur Caquot, André / de Robert, Philippe, Les Livres de Samuel, 1994 (CAT 6). Dietrich, Walter, Die frühe Königszeit in Israel. 10. Jahrhundert v. Chr., Stuttgart 1997 (Biblische Enzyklopädie 3). Englisch: The Early Monarchy in Israel: the Tenth Century B.C.E., trans. Joachim Vette, Atlanta, GA 2007 (BE 3). Dietrich, Walter, Achans Diebstahl (Jos 7) – eine Kriminalgeschichte aus frühpersischer Zeit, in: „Sieben Augen auf einem Stein.“ Studien zur Literatur des Zweiten Tempels, FS Ina Willi-Plein, Neukirchen-Vluyn 2007, 57–67. Dietrich, Walter, Wissen – und doch glauben. Über das wissenschaftliche Werk Timo Veijolas, in: ders. / Marko Marttila (Hg.), Timo Veijola, Offenbarung und Anfechtung. Hermeneutisch-theologische Studien zum Alten Testament, 2007 (BThSt 89), 1–9. Englisch in: Juha Pakkala / Martti Nissinen (eds.), Houses Full of All Good Things. Essays in Memory of Timo Veijola, Helsinki/Göttingen 2008, 1–8. Dietrich, Walter, Samuel. 1Sam 1–12, 2011 (BKAT VIII/1). Dietrich, Walter, The Layer Model of the Deuteronomistic History and the Book of Samuel, in: Cynthia Edenburg / Juha Pakkala (eds.), Is Samuel Among the Deuteronomists? Current Views on the Place of Samuel in a Deuteronomistic History, Atlanta, GA 2013, 39–63. Dietrich, Walter, Samuel. 1Sam 13–26, 2015 (BKAT VIII/2). Halbertal, Moshe / Holmes, Stephen, The Beginning of Politics. Power in the Biblical Book of Samuel, Princeton/Oxford 2016. Klein, Johannes, David versus Saul. Ein Beitrag zum Erzählsystem der Samuelbücher, 2002 (BWANT 158). Klein, Ralph W., 1 Samuel, 1983 (WBC 10).

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Langlamet, François, David et la maison de Saül. Les épisodes „ benjaminites “ des II Sam., IX; XVI, 1–14; XIX, 17–31; I Rois, II, 36–46: RB 86 (1979) 194–213. 385–436. 481–513; RB 87 (1980) 161–210; RB 88 (1981) 321–332. Smend, Rudolf, Kritiker und Exegeten. Porträtskizzen zu vier Jahrhunderten alttestamentlicher Wissenschaft, Göttingen 2017. Veijola, Timo, Die Ewige Dynastie: David und die Entstehung seiner Dynastie nach der deuteronomistischen Darstellung, Helsinki 1975 (AASFB 193). Veijola, Timo, Das Königtum in der Beurteilung der deuteronomistischen Historiographie: eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung, Helsinki 1977 (AASFB 198). Veijola, Timo, David und Meribaal: RB 85 (1978) 338–361 = ders., David. Gesammelte Studien zu den Davidüberlieferungen des Alten Testaments, Helsinki/Göttingen 1990, 58–83. Veijola, Timo, Salomo – der Erstgeborene Bathsebas, in: J.A. Emerton (ed.), Studies in the Historical Books of the OT, 1979 (VT.S 30), 230–250 = ders., a.a.O. 84–105. Veijola, Timo, David in Keïla. Tradition und Interpretation in 1 Sam 23:1–13: RB 91 (1984) 51– 87 = ders., a.a.O. 5–42. Veijola, Timo, Das Klagegebet in Literatur und Leben der Exilsgeneration am Beispiel einiger Prosatexte, in: Congress Volume Salamanca 1983 (Leiden 1985), 286–307. Veijola, Timo, Geographie im Dienst der Literatur in 1 Sam 28,4, in: Walter Dietrich (Hg.), David und Saul im Widerstreit. Diachronie und Synchronie im Wettstreit: Beiträge zur Auslegung des ersten Samuelbuches, 2004 (OBO 206), 256–271. Würthwein, Ernst, Die Erzählung von der Thronfolge Davids – Theologische oder politische Geschichtsschreibung?, 1974 (ThSt 115) = ders., Studien zum Deuteronomistischen Geschichtswerk, 1994 (BZAW 227), 29–79.

Hebräische Hapaxlegomena in den Samuelbüchern Die Untersuchung der Hapaxlegomena in den Samuelbüchern verspricht einerseits lexikographisch und sprachgeschichtlich interessant, andererseits aber auch exegetisch, d.h. für das Verständnis und die Auslegung der Texte, nützlich zu sein. Die Samuelbücher weisen 131 nur einmal in der Hebräischen Bibel begegnende Lexeme auf.1 Diese lassen sich in vier Sparten aufteilen: In dreizehn Fällen scheinen Textfehler die Ursache für das Entstehen nur einmal belegter Wörter zu sein (1). Sodann kommen 32 Personen- oder Gruppennamen (2) und 35 Ortsoder Regionalnamen (3) nur in den Samuelbüchern vor. Schliesslich gibt es 51, wenn man so sagen darf, ‚normale’ Hapaxlegomena (4), also hebräische Wörter, die sich einzig in den Samuelbüchern und auch in diesen nur einmal finden. Damit ist die Gliederung der folgenden Ausführungen vorgegeben. Die Hapaxlegomena (bzw. eine Auswahl aus ihnen) sollen auf der einen Seite auf ihre lexikalischen Eigenheiten untersucht werden, was anhand des „Hebräischen und Aramäischen Lexikons zum Alten Testament“ (HALAT) geschieht.2 Auf der anderen Seite soll die Untersuchung der betreffenden Wörter für die Exegese, insbesondere die Literargeschichte, der Samuelbücher nutzbar gemacht werden, könnte doch die Streuung und Dichte von Hapaxlegomena Aufschlüsse über die sprach- und entstehungsgeschichtlichen Hintergründe der jeweiligen Texte geben. Es mag nützlich sein, dazu die von mir bisher gewonnene Vorstellung von der Textdiachronie der Samuelbücher vorab zu skizzieren, damit die nachfolgend vorgenommenen Zuordnungen besser verfolgt werden können. Nach meinem Dafür-

1

2

Ich danke Samuel Arnet (Bern/Zürich), der mit mir zusammen das Lexikon KAHAL („Konzise und aktualisierte Version des Hebräischen und Aramäischen Lexikons zum Alten Testament“, Leiden: Brill, 2013) herausgegeben hat. Dank seiner ausgeprägten Computerkenntnisse war er in der Lage, mir eine erste grobe Auflistung der betreffenden Lexeme zusammenzustellen. Zunächst 5 Faszikel, dann 2 Bände, Leiden: Brill, 1974–1995 bzw. 1995. Das von dem Zürcher Alttestamentler Ludwig Köhler und dem Basler Walter Baumgartner begonnene Lexikon wurde von dem Berner Johann Jakob Stamm (in Zusammenarbeit mit Benedikt Hartmann) zu Ende geführt. Es sei mir verziehen, wenn ich aus rein pragmatischen, vielleicht auch ein wenig lokalpatriotischen Gründen die Angaben aus HALAT nur ausnahmsweise mit denen in HAHAT (Gesenius. Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, 18. Auflage, Gesamtausgabe, Berlin/Heidelberg: Springer, 2013) abgeglichen habe.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen halten sind die Samuelbücher im Wesentlichen auf sechs Stufen entstanden.3 Von hinten nach vorne sind dies: 6. eine recht weit verzweigte Textgeschichte, die einsetzte, nachdem der Textbestand der Samuelbücher (etwa in der spätpersischen Zeit) so weit verfestigt war, dass die Verfasser der Chronik nicht mehr daran rührten, und aus der als Hauptformen die Textfassungen der Septuaginta (bzw. ihrer hebräischen Vorlage), der Handschriften von Qumran und der Bibel der Masoreten resultierten (wobei diese Hauptzweige sich noch weiter verästeln); 5. spätnachexilische Ergänzungen namentlich am Anfang der Samuelbücher (das Hanna-Lied) und an ihrem Schluss (der grosse Appendix 2Sam 21–24), die freilich auch ältere Textbestandteile in sich aufgenommen haben können; 4. die deuteronomistische Redaktion (bzw. deren mehrere), die im 6. und 5. Jh. den bis dahin vorliegenden Samuelstoff ins dtr Geschichtswerk integriert und auf bestimmte Weise kommentiert hat (bzw. haben); 3. das sog. „Höfische Erzählwerk“, das im ausgehenden 8. oder frühen 7. Jh. die Geschichte der frühen Königszeit Israels erstmals im Zusammenhang darstellte und bereits beträchtliche Bestandteile des jetzt in 1Sam 1 bis 1Kön 2 (oder 12) zu Lesenden enthalten hat; es ist dies die wichtigste formative Phase in der Buchentstehung. 2. ältere Teildarstellungen (mündlicher oder schon schriftlicher Natur), die in das Höfische Erzählwerk Eingang fanden: über Samuel und Saul, über die heilige Lade, über das Schicksal der Sauliden, über David als Freibeuter, über den AbschalomAufstand sowie über die dubiosen Umstände der Geburt und der Machtergreifung Salomos; 1. Einzelüberlieferungen, die in diesen Teilsammlungen oder Novellen, teilweise auch abseits davon (etwa im Anhang 2Sam 21–24), aufbewahrt sind und deren Wurzeln teilweise bis ins 10. Jh. zurückreichen mögen.

1. Hapaxlegomena infolge von Textfehlern Eine Reihe von nur einmal und nur in den Samuelbüchern belegten Wörtern scheint durch Versehen der Tradenten und Abschreiber zustande gekommen zu sein: also faktisch erst auf Stufe 6 der Textentwicklung – oder noch danach, in der langen Geschichte immer neuen Abschreibens der biblischen Texte. Da diese Art von „Hapaxlegomena“ für die Ziele dieser Untersuchung nicht sehr ertragreich ist, genügt es, sich, gleichsam zu Demonstrationszwecken, auf drei Fälle zu beschränken.

3

Nähere Informationen und Begründungen zum Folgenden finden sich in: Walter Dietrich, Die frühe Königszeit in Israel. 10. Jahrhundert v.Chr. (Biblische Enzyklopädie 3), Stuttgart: Kohlhammer, 1997, 18–33. 229–273. – Walter Dietrich, David. Der Herrscher mit der Harfe (Biblische Gestalten 14), Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2006, 26–65. – Walter Dietrich, Samuel, Teilband 1, 1Sam 1–12 (BKAT 8.1), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2011, 38*–58*.

Hebräische Hapaxlegomena in den Samuelbüchern –



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In der Weissagung eines „Gottesmannes“ gegen Eli bzw. das elidische Priesterhaus (1Sam 2,27–36) findet sich, nach der Ankündigung mancherlei Ungemachs, die folgende Drohung: „Und Einen will ich dir nicht ausrotten von meinem Altar, um seine Augen überfließen und seine Kehle austrocknen zu lassen. Und die große Mehrzahl deines Hauses wird im besten Mannesalter sterben“ (2,33). Was hier mit „austrocknen lassen“ wiedergegeben ist, hat zur Grundlage das Hapaxlegomenon ‫ ְו ַל ֲאדִ יב‬. Dies sieht nach dem Infinitiv Hif. eines Verbs ‫ אדב‬aus, bei dem das ‫ ה‬entfallen wäre. HALAT (11) führt zwar gleich zwei homonyme Verben mit dieser Konsonantenfolge auf, doch das eine ist nur aus dem Arabischen erschlossen, um den Namen „Adbeël“ zu etymologisieren, und zum anderen wird lediglich unsere Stelle angegeben – anders gesagt: Es gibt keine positiven Belege für ein solches Verb im Hebräischen. Anscheinend liegt eine Vertauschung des ersten und des zweiten Buchstabens vor. ‫ דאב‬Qal nun bedeutet „schmachten“ (HALAT 199); das an unserer Stelle vorausgesetzte Hif. in Verbindung mit ‫נפשׁ‬, „Kehle“, meint etwas wie „austrocknen lassen“,4 wofür es einen Beleg auch in Jer 31,25 gibt. In 1Sam 13,20f wird eine Art Metallbearbeitungsmonopol der Philister beschrieben, das die Israeliten zwingt, abgenutzte oder beschädigte Werkzeuge in die Küstenebene hinunter zu tragen und dort warten oder reparieren zu lassen. In meinem Kommentar ist der Passus so übersetzt: „Und ganz Israel stieg hinab zu den Philistern, jeder, um seine Pflugspitze und seine Pflugschar und seine Axt und seine Sichel schärfen zu lassen. Und der Preis war ein Pim für Pflugspitzen und Pflugscharen und ein Drittelschekel für das Schärfen der Äxte und das Richten eines Rindersteckens.“5 Die Wendung „ein Drittelschekel für das Schärfen“ beruht auf einer Konjektur. Im hebräischen Text steht: ‫שׁלשׁ קלשׁון‬. Die Vulgata hat im ersten dieser beiden Wörter die Zahl „drei“ gesehen und von da aus auf „Dreizack“ getippt. Die LXX schreibt: τρεῖς σίκλοι εἰς τόν ὀδόντα, „drei Schekel für den Zahn“. Auch hier ist das Zahlwort „drei“ erkannt und werden die letzten Buchstaben von ‫ קלשׁון‬auf ‫שׁן‬ ֵ , den „Zahn“, gedeutet: eine Fehldeutung. Interessant aber ist das Auftauchen von σίκλος, „Schekel“. Das passt zu dem zuvor erwähnten „Pim“, einem alten Gewichtsmass, das ca. zwei Drittel eines Schekels ausmachte. Tatsächlich findet sich inmitten der Zeichenfolge ‫ שׁלשׁקלשׁון‬das Wort ‫שׁקל‬. Nimmt man einmal für dessen ersten und letzten Buchstaben eine Haplographie an – geboren aus der Not bzw. dem Unverständnis eines Abschreibers –, zeichnen sich drei Wörter ab: ‫שׁלשׁ שׁקל לשׁון‬. Die ersten beiden meinen kaum „drei Schekel“, das wäre im Kontext ein zu hoher Betrag, sondern „ein Drittel eines Schekels“. Und lässt man beim dritten Wort die – wohl wiederum aus Not hinzugekommene – mater Siehe Dietrich, Samuel (Anm. 3), 110. 116. Walter Dietrich, Samuel (BKAT 8.2/1), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2011, 25.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen lectionis weg, erhält man einen Infinitiv Qal + ‫ ל‬von ‫שׁנן‬, „um zu schärfen“, zusammen also: „ein Drittelschekel für das Schärfen“. Demnach hätten zu dem Hapaxlegomenon ‫קלשׁון‬, einem laut HALAT völlig „unsicheren Wort“ (1034), gleich mehrere Textfehler geführt. In 1Sam 15,9 wird berichtet, wen und was Saul und seine Soldaten bei der Razzia gegen Amalek verschont und was sie, scheinbar im Gehorsam gegen den göttlichen Bannbefehl, vernichtet haben. Dies Letztere hat im Hebräischen den Wortlaut: ‫נְ ִמ ְבז ָה ְונָ ֵמס אֺתָ הּ ֶהח ִֶרימוּ‬. Hier ist ‫ נְמִ ְבז ָה‬ein Hapaxlegomenon, das mit dem zweiten Wort ‫ נָמֵס‬offenbar einen Stabreim auf Nun bildet, ähnlich wie das deutsche „niet- und nagelfest“. Auch im Hebräischen könnte es sich um eine gleichsam sprichwörtliche Redewendung handeln. Laut HALAT (662) ist sie von zwei wohlbekannten Verben herzuleiten: ‫בזה‬, „verachten“, und ‫מאס‬, „verwerfen“ (jeweils im Nif.), also: „das Verachtete und Verworfene“. Ich habe übersetzt: „minderwertige und unbrauchbare Ware: die bannten sie“.6 Die weiteren auf Text- bzw. Schreibfehlern beruhenden Hapaxlegomena sind (in alphabetischer Reihenfolge): ‫ ֶאזֶל‬1Sam 20,19; ‫ אִין‬1Sam 21,9; ‫ בּ ִֵרים‬2Sam 20,14; ‫ָכּ ִלבִּו‬ 1Sam 25,3; ‫ לוּשׁ‬2Sam 3,15; ‫ ִמגְדּיל‬2Sam 22,51 (Ketib); ‫ קלה‬2Sam 20,14; ‫ ַעמִּיחוּר‬2Sam 13,37; ‫ ֵעצֶן‬/‫ ֶע ְצנִי‬2Sam 23,8; ‫ שִׁיבָה‬2Sam 19,33; ‫ תַּ ְחכְּמֹנִי‬2Sam 23,8.

2. Einmalige Personen- und Gruppennamen Die einzig in den Samuelbüchern belegten Personen- und Gruppennamen könnten in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich sein: Häufen sie sich an bestimmten Stellen? Sind sie aus dem sonst bekannten hebräischen Wortschatz etymologisierbar? Sind etwa fremdländische Namen darunter? Wie verhalten sich diese Namen zum übrigen biblischen Onomastikon (insbesondere auch zu etwaigen Parallelen in der Chronik)? Gehäuft finden sich einmalige Namen vor allem in den Ahnenreihen Samuels und Sauls, also eher am Anfang, sowie in den Anekdotensammlungen und Kriegerlisten im Anhang der Samuelbücher. – Für ‫תּ ֹחוּ‬, laut 1Sam 1,1 ein Vorfahr Samuels bzw. Elkanas, findet sich in 1Chr 6,19 die Schreibweise ‫( תֺּו ַח‬also eine Metathesis des zweiten und des dritten Radikals). Beide Namensformen lassen sich innerhebräisch nicht etymologisieren. HALAT (1563) vermutet, im Hintergrund könne ein akkadisches Wort taḫu II stehen, das so viel wie „Jungtier“ bedeutet; auch die Verbindung zu einem ugaritischen nomen locale Tu-ḫi-ya wird erwogen – beides immerhin innersemitische Ableitungsversuche. 6

Walter Dietrich, Samuel (BKAT 8.2/2), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2011, 132.

Hebräische Hapaxlegomena in den Samuelbüchern –

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Gleich drei singuläre Namen finden sich unter den Vorfahren Sauls. In 1Sam 9,1 werden ‫ ֲאפִי ַח‬und ‫ צְר ֹור‬erwähnt, der eine zu deuten als „der mit (grossem) Vorderkopf“ (HALAT 76), der andere wohl herzuleiten von ‫צ ֹר‬, „Fels, Stein“ (HALAT 987). In der Szene von der Auslosung Sauls aus der versammelten Mannschaft Israels begegnet zudem der Sippenname ‫ַמט ְִרי‬ (1Sam 10,21); laut HALAT (544) bedeutet er so viel wie „zur Regenzeit geboren“. Bis auf den ersten sind dies alles ‚gut hebräische’, auffälligerweise freilich überhaupt nicht theophore Namen. Nichts deutet darauf, dass sie aus einer späten Zeit stammten (wie das bei vielen Namen in der Chronik der Fall ist), eher im Gegenteil. Das Auftauchen des in der Ahnenliste 1Sam 9,1 nicht genannten Namens „Matri“ in 10,21 weist auf vermutlich recht frühe, separate literarische Entwicklungen.7

Im Anhang zu den Samuelbüchern sind zwei Anekdotenreihen über herausragende Taten von Kriegern Davids und eine Namensliste seiner „dreissig“ Elitekrieger enthalten. In den Anekdoten finden sich drei, in der Liste der „Dreissig“ dreizehn singuläre Personennamen. Das ist umso bemerkenswerter, als die Anekdotenreihe 2Sam 23,8–23 in 1Chr 11,10–25 und die Dreissiger-Liste 2Sam 23,24–39 in 1Chr 11,26–47 aufgenommen sind und daher eigentlich überhaupt keine Hapaxlegomena enthalten sollten. Zunächst die Anekdotenreihen. – Ein besiegter philistäischer Recke heisst ‫( סַף‬2Sam 21,18). HALAT (720) führt als Parallele den babylonischen Namen Sippē/ai an. Tatsächlich schreibt die Chronik (1Chr 20,4) ‫ ׅספַּי‬. Über eine mögliche Etymologie schweigt sich HALAT aus. Es gibt ein Nomen ‫סַף‬, „Schwelle“, und ein Verb ‫ ספה‬in den Bedeutungen „wegnehmen“ und „hinschwinden“; einen Reim auf den Namen „Sap(pai)“ vermag ich mir nicht zu machen. – Der Name des ersten von „drei“ besonders hoch gerühmten Kriegern Davids ist ‫שּׁבֶת‬ ֶ ‫( יֹשֵׁב ַבּ‬2Sam 23,8). In 1Chr 11,11 heisst er Jaschåb‛am, was hebräisch weniger auffällig klingt. HALAT (425) hält den Namen für eine Deformation aus Jischbaal, was zuerst zu Jischboschät und dann eben zu „Joschebbaschäbät“ geworden sei. Stimmte das, dann läge hier kein (unabsichtlicher) Textfehler, sondern eine beabsichtigte Textumformung vor. – Der dritte der grossen „Drei“ heisst Schamma’ (2Sam 23,11): ein nicht einmaliger, etymologisch gleichwohl ungesicherter Name. In 1Chr 11 ist er – nach Jaschåb‛am, dem ersten, und Elasar, dem zweiten der drei grossen Helden – einfach weggelassen. Sein Vater soll ein „Harariter“ gewesen sein: gemäss HALAT (246) ein „gentilicium incertum“, das laut Amarna-Brief 256 jedenfalls „im Süden“ zu suchen sei. Der Vater des „Harariters Schamma’“ – 7

Konkret gehören die Überlieferungen zum Sauliden-Erzählkranz und zur Samuel-SaulGeschichte.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen und jetzt kommt das eigentliche Hapaxlegomenen – heisst ‫אָגֵא‬. HALAT (10) führt als keilschriftliche Analogie einen gleichnamigen König von Aschkelon (um 600 v. Chr.) auf. Auch Aschkelon liegt bekanntlich „im Süden“, gehört aber zur philistäischen Pentapolis. Doch dürfte es sich kaum um einen ägäischen Namen handeln; denn es gibt eine gleichlautende semitische Bezeichnung für den „Kameldorn“, eine Steppenpflanze. Dann wären der „Age’“ aus der Davidzeit und sein jüngerer königlicher Namensvetter in Aschkelon nicht griechischstämmige, sondern gewissermassen autochthone Gestalten gewesen.

Nun zur Liste der „dreissig“ Elitekrieger in 2Sam 23,24–39. Sie findet sich in 1Chr 11,26–47 wieder. Über zwei Dutzend der Namen sind in beiden Texten identisch bzw. nur leicht unterschiedlich geschrieben. Vier kommen in der Sam-, nicht aber in der Chr-Version vor, umgekehrt achtzehn nur in der Chr-Version. Diese hat denn auch insgesamt 47 Namen im Vergleich zu 31 in 2Sam 23; vor allem gegen Ende hin ist die Chr- gegenüber der Sam-Liste deutlich ausgeweitet. Lag dem Chronisten eine eigene, von derjenigen in 2Sam 23 abweichende Tradition vor, oder hat er von sich aus erweitert? 2Sam 23,24–39 24 ‫ְֹלשׁים ֶא ְלחָנָ ֥ן בֶּן־דּ ֹ֖ד ֹו בֵּ ֥ית‬ ֑ ִ ‫ֲעשָׂה־אֵ ֥ל אֲחִ ֽי־י ָ ֹ֖ואב ַבּשּׁ‬ ‫לָ ֽחֶם׃‬ 25 ‫ִיקא ַהחֲר ֹדִ ֽי׃‬ ַ ֖ ָ ‫שׁ ָמּ ֙ה הַ ֽחֲר ֹדִ֔ י ֱאל‬ 26 ‫ִירא בֶן־ע ֵ ִ֖קּשׁ הַתְּק ֹועִ ֽי׃‬ ֥ ָ ‫֚ ֶחלֶץ ַה ַפּ ְל ִ֔טי ע‬ 27 ‫ֲאבִי ֶ֨עזֶ ֙ר הָ ֽ ַענְּת ֹתִ֔ י ְמב ַֻנּ֖י ַה ֻחשָׁתִ ֽי׃‬ 28 ‫ַצלְמ ֹו ֙ן הָ ֽ ֲאח ֹ ִ֔חי ַמה ַ ְ֖רי ַהנְּטֹפָתִ ֽי׃‬ 29 ‫ֶן־רי ַ֔בי ִמ ִגּב ַ ְ֖עת‬ ִ ‫ֵ ֥חלֶב בֶּ ֽן־ ַבּע ֲָנ֖ה ַהנְּטֹפ ִ ָ֑תי ס אִתַּ ֙י בּ‬ ‫בְּנֵ ֥י ִבנְי ָמִ ֽן׃‬ 30 ‫ְבּנָ ָ֨יה ֙וּ פּ ְִר ָ ֣עת ִֹ֔ני ה ַ ִ֖דּי מִנַּ ֥ ֲחלֵי גָ ֽעַשׁ׃‬ 31 ‫ֲאבִ ֽי־ ַעלְב ֹו ֙ן הָ ֽע ְַר ָב ִ֔תי ַעז ָ ְ֖מוֶת ַהבּ ְַרחֻמִ ֽי׃‬ 32 ‫ֶא ְלי ַ ְח ָבּ ֙א ה ַ ַ֣שּׁ ַעלְב ִֹ֔ני בְּנֵ ֥י י ֵ ָ֖שׁן י ְה ֹונ ָָתֽן׃‬ 33 ‫ָאר ִ ֽרי׃‬ ָ ‫שׁמָּה֙ הַ ֽה ֲָר ִ֔רי ֲאחִיאָ ֥ם בֶּן־שׁ ָ ָ֖רר ה‬ ַ 34‫ִיע֥ם בֶּן־‬ ָ ‫ֱאלִיפֶ ֥ לֶט בֶּן־ ֲא ַחס ַ ְ֖בּי בֶּן־הַמַּ ֽ ֲעכ ִ ָ֑תי ס ֱאל‬ ‫ִית ֹפֶל ַהגִֹּל ִנ ֽי׃‬ ֖ ‫ֲאח‬ 35 ‫ָאַרבִּ ֽי׃‬ ְ ‫ֶחצְר ֹו הַ ֽכּ ְַר ְמ ִ֔לי ַפּע ַ ֲ֖רי ה‬ 36 ‫יִג ָ ְ֤אל בֶּן־נָתָ ֙ן מִצּ ֹ ָ֔בה ס ָבּ ִנ֖י ַהגָּדִ ֽי׃‬ 37‫שׂאֵי כּ ְֵל֖י י ֹואָ ֥ב בֶּן־‬ ְ ֹ ‫ֶ ֖צלֶק ָהעַמּ ֹ ִנ֑י ס נַח ְַר ֙י ַהבּ ֵ ְ֣אר ֹתִ֔ י נ‬ ‫צ ְֻר ָי ֽה׃‬ 38 ‫ִיר ֙א ַהיּ ִתְ ִ֔רי גּ ֵ ָ֖רב ַהיּ ִתְ ִ ֽרי׃‬ ָ ‫ע‬ 39 ‫שׁב ְָעֽה׃‬ ִ ‫ְֹלשׁים ְו‬ ִ ‫ֽא‬ ֥ ִ ‫וּריּ ָ ֙ה הַ ֽחִתִּ֔ י ֖כּ ֹל שׁ‬

1Chr 11,26–47 26 ‫ְוגִבּ ֵ ֹ֖ורי ַה ֲחי ִָל֑ים ֲעשָׂה־ ֵאל֙ ֲא ִ ֣חי י ֹו ָ֔אב ֶא ְלחָנָ ֥ן בֶּן־דּ ֹ֖וד ֹו מִבֵּ ֥ית‬ ‫לָ ֽחֶם׃‬ 27 ‫שַׁמּ ֹו ֙ת ַההֲר ִֹ֔ורי ֶ ֖חלֶץ ַהפְֹּלו ִנ ֽי׃‬ 28 ‫ִיעזֶר ָה ֲענְּת ֹותִ ֽי׃‬ ֙ ‫ִירא בֶן־ ִע ֵקּ‬ ָ֤ ‫ע‬ ֖ ֶ ‫שׁ הַתְּק ֹו ִ֔עי ֲאב‬ 29 ‫ִיל֖י ָה ֲאח ֹוחִ ֽי׃‬ ַ ‫ִס ְבּ ַכ ֙י ה ֻ ַ֣חשָׁתִ֔ י ע‬ 30 ‫ַמה ְַר ֙י ַהנּ ְ֣ט ֹ ָפ ִ֔תי ֵ ֥חלֶד בֶּ ֽן־בַּ ֽע ֲָנ֖ה ַהנְּט ֹופָתִ ֽי׃‬ 31 ‫ֶן־רי ַ֗בי ִמגִּ ְב ַע ֙ת בּ ְֵנ֣י ִבנְי ָ ִ֔מן ס ְבּנָ ָי֖ה ַהפּ ְִרעָת ֹ ִנ ֽי׃‬ ִ ‫ִיתי בּ‬ ַ֣ ‫א‬ 32 ‫ִיאל ָהע ְַרבָתִ ֽי׃‬ ַ ֖ ֵ ‫חוּר ֙י מ ַ ִ֣נּ ֲחלֵי ָ֔געַשׁ ס ֲאב‬ 33 ‫שּׁ ַעלְב ֹ ִנ ֽי׃‬ ַ ‫ַעזְ ָ֨מ ֶו ֙ת ה ַ ַ֣בּחֲרוּ ִ֔מי ֶא ְליַח ָ ְ֖בּא ַה‬ 34 ‫שׁ ֵג֖ה ַהה ֲָר ִ ֽרי׃‬ ָ ‫שׁ ֙ם ַה ִגּ֣ז ֹו ִ֔ני י ֹונ ָָת֥ן בֶּן־‬ ֵ ‫ְבּ ֵ֗ני ָה‬ 35 ‫ִיאם בֶּן־שָׂכָ ֛ר ַהה ֲָר ִ ֖רי ֱאלִיפַ ֥ל בֶּן־אֽוּר׃‬ ֧ ָ ‫ֲאח‬ 36 ‫֚ ֵחפֶר ַהמּ ְֵכ ָ֣ר ִ֔תי ֲא ִח ָיּ֖ה ַהפְֹּל ִנ ֽי׃‬ 37 ‫ֶחצְר ֹ ֙ו הַ ֽכּ ְַר ְמ ִ֔לי נַע ַ ֲ֖רי בֶּן־ ֶאז ְבָּ ֽי׃‬ 38 ‫י ֹו ֵאל֙ א ִ ֲ֣חי נָתָ֔ ן ִמב ָ ְ֖חר בֶּן־ ַהג ִ ְֽרי׃‬ 39 ‫שׂא כּ ְֵל֖י י ֹואָ ֥ב בֶּן־צְרוּ ָי ֽה׃‬ ֵ ֕ ֹ ‫ֶ ֖צלֶק ָהעַמּ ֹו ִנ֑י נַח ְַר ֙י ה ֵ ַ֣בּר ֹתִ֔ י נ‬ 40 ‫ִיר ֙א ַהיּ ִתְ ִ֔רי גּ ֵ ָ֖רב ַהיּ ִתְ ִ ֽרי׃‬ ָ ‫ע‬ 41 ‫וּריּ ָ ֙ה ַהחִתִּ֔ י ז ָ ָ֖בד בֶּן־אַחְלָ ֽי׃‬ ִ ‫ֽא‬ 42 ‫ְֹלושֽׁים׃‬ ִ ‫עֲדִ י ָ֨נא בֶן־שִׁי ָ֜זא ה ָֽראוּ ֵב ִ֗ני ֛ר ֹאשׁ ל ָֽראוּ ֵב ִ ֖ני ְועָלָ ֥יו שׁ‬ 43 ‫ָחנָ ֙ן בֶּ ֽן־ ַמ ֲע ָ֔כה וְי ֹושׁ ָ ָ֖פט ַהמִּתְ ִנ ֽי׃‬ 44 ‫שׁמָע֙ וִיעוּאֵל בּ ְֵנ֖י ח ָֹות֥ם ָהעֲרֹע ִ ֵֽרי׃‬ ָ ‫ֻעזִ ָיּ֖א ָה ֲעשְׁתְּ ָר ִ ֑תי‬ 45 ‫אָחיו הַתִּ יצִ ֽי׃‬ ִ ‫י ְדִ ֽי ֲע ֵאל֙ בֶּן־‬ ֖ ִ ‫שׁמ ְִ֔רי וְי ָֹח֥א‬ 46 ‫שׁ ְו ָי֖ה בּ ְֵנ֣י ֶאל ָ ְ֑נעַם ְויִת ָ ְ֖מה‬ ִ ‫ֱאלִי ֵאל֙ הַ ֽ ַמּ ֲח ֔ ִוים ו‬ ַ ‫ִיריבַ ֥י ְוי ֹו‬ ‫הַמּ ֹואָבִ ֽי׃‬ 47 ‫ִיאל ַהמְּצ ֹ ָב ָי ֽה׃‬ ֣ ֵ ‫ֱאל‬ ֖ ֵ ‫ִיאל וְע ֹו ֵ֔בד ְוי ַ ֲעשׂ‬

Bei den nur in 2Sam 23 begegnenden Namen handelt es sich um drei Gentilicia und zehn Personnamen. Zuerst die Gentilicia:

Hebräische Hapaxlegomena in den Samuelbüchern –





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In 23,26 begegnet ‫ ֚ ֶח ֶלץ ַה ַפּ ְלטִי‬. Nach HALAT (880) zeigt ‫ ַפּ ְלטִי‬entweder die Herkunft aus Bet-Pelet, einer judäischen Ortschaft (Jos 15,27; dann wäre es ein nomen locale), oder die Zugehörigkeit zu einer Sippe Pelet an (vgl. 1Chr 2,47). Die Chr-Parallele in 11,27 spricht indes von „Helez dem Peloniter“; diese Angabe wiederholt sich in 11,36. Vielleicht konnte der Chronist mit diesem Namen mehr anfangen als mit ‫ ַפּ ְלטִי‬. In 2Sam 23,31 lesen wir von ‫ ַעז ְ ָמוֶת בּ ְַר ֻחמִי‬. In der Chronik haben wir den gleichen Personennamen, doch statt „Barchumiter“ heisst es dort „Bacharumiter“: eine Metathesis der Buchstaben Resch und Chet. In HALAT (115) wird eine Konjektur gegenüber beiden Fassungen vorgeschlagen, und zwar zu „Bachurmiter“, d.h. zu „einem aus Bachurim“, einem auch aus den Samuelbüchern wohlbekannten Ort nahe Jerusalem. Demnach resultierte dieses Hapax aus einem Textfehler – sowohl in Sam als auch in Chr –, und wieder hätten wir es ursprünglich mit einem nomen locale zu tun. Ein echtes und besonders interessantes Gentilicium findet sich in 2Sam 23,35. Mit ihm zusammen ist auch gleich noch der zugehörige Eigenname ein Hapax: ‫ָאַרבִּי‬ ְ ‫ ַפּע ֲַרי ה‬. HALAT (81) zögert nicht, ‫אַרבִּי‬ ְ von ‫אַרב‬ ַ herzuleiten; es handelt sich also um einen Araber. Die Chronik macht ihn zu einem ‫בֶּן־‬ ‫ ; ֶאזְבָּי‬vielleicht störte sie die Zugehörigkeit eines Arabers zu Davids Elitetruppe. Womöglich aus gleichem Grund unterschlägt sie zwei Aramäer:8 einen „Maachatiter“ (23,34) und einen Mann aus „Zoba“ (23,36)9. Zum Namen jenes Arabers liesse sich auf ein hebräisches Verb ‫ פער‬verweisen, das etwas wie „aufsperren“ bedeutet: meist in einem unangenehmen Sinn (etwa vom Rachen der Scheol, Jes 5,14: HALAT 898). Das wirkt bei einer Namengebung merkwürdig, und HALAT (ebd.) setzt zu dieser Ableitung denn auch ein Fragezeichen. Martin Noth habe die Lesung der Chronik bevorzugt: ‫נַע ֲַרי‬, was wieder gut hebräisch ist. In Wahrheit dürfte es sich eben um einen Ausländer mit fremdländischem Namen gehandelt haben.

Was die weiteren einmaligen Namensformen der Liste in 2Sam 23 betrifft, so sind sie oft hebräisch schwer ableitbar und innerhalb des hebräischen Onomastikons erratisch und archaisch. Womöglich war eben dies der Grund, dass dem Chronisten (oder schon den Tradenten, die auf dem Traditionsweg zwischen der Samund der Chr-Fassung allenfalls anzunehmen sind) Fehlschreibungen unterlaufen oder Neuschreibungen sinnvoll erschienen sind. Im Einzelnen: – ‫( אֱ לִיקָא‬2Sam 23,25) fehlt in der chronistischen Parallele völlig. Das zugehörige nomen locale ‫„( חֲר ֹד‬der Haroditer“) hat die Chronik (11,27) einem anderen Mann namens Schammot übertragen – aus welchen Gründen auch 8

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Den Ammoniter Zeleq freilich übernimmt sie (2Sam 23,37 = 1Chr 11,39), und der Moabiter Jitma begegnet in ihrem Eigengut (1Chr 11,46). Auch wenn hier etwas anders geschrieben, handelt es sich um das in 1Sam 14,47; 2Sam 8,3. 5.12; 10,6.8; 1Kön 11,23; 1Chr 18,3.5.9; 19,6 erwähnte aramäische Fürstentum.

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10

I. Exegetische Spezialuntersuchungen immer. Der Name ‫ אֱ לִיקָא‬soll laut HALAT (54) eine Kurzform von ‫ ֱאלִיקָם‬sein, „G[ott] hat sich (z. Kampf) erhoben“. Allerdings ist eine „Kürzung“ nicht wirklich zu erkennen, so dass der Name rätselhaft bleibt.10 Aus ‫ ְמ ֻבנַּי‬dem Huschatiter (2Sam 23,27) machen einige LXX-Handschriften und die Chronik „Sibbechai den Huschatiter“; genau so heisst der Held einer Anekdote in 2Sam 21,18 (die freilich in der Chronik nicht überliefert ist). HALAT (515) erklärt dies ohne Begründung für die richtige Namensform; diejenige in 2Sam 21,18 sei „corr.[upt]“. Ich würde wieder sagen: Sie ist rätselhaft. Für ‫ ַצלְמ ֹון‬in 2Sam 23,28 hat die Chronik ‫עִילַי‬. Laut HALAT (772) könnte das eine Verschreibung aus ‫ ִצילַי‬sein und dieses wieder eine Kurzform von ‫ ַצלְמ ֹון‬. Dann wäre dieser Name also ursprünglich. Er soll sich entweder von dem (konjizierten!) Verb ‫צלם‬, „dunkel, schwarz sein“, oder von dem Nomen ‫ ֶצלֶם‬, „Ebenbild“ (eines verstorbenen Verwandten, 964) herleiten. Für den Namen ‫ ֵחלֶב‬in 2Sam 23,29 haben einige hebräische Handschriften, der Targum, die Vulgata und auch 1Chr 11,30 „Heled“. HALAT (302) fordert, dieser Lesung zu folgen, und leitet den Namen von I ‫חלד‬, einem aufgrund einer arabischen Analogie postulierten Verb mit der Bedeutung „lebendig sein“, ab. Läge aber nicht eine Verbindung der in MT belegten Namensform mit ‫ ֵחלֶב‬, dem damals so hoch geschätzten „Fett“, viel näher? ַ . Hier soll man gemäss HALAT (287) Der ‫ הִדַּ י‬von 2Sam 23,30 heisst in Chr ‫חוּרי‬ der Sam-Fassung folgen. In dieser stecke möglicherweise das Nomen ‫הוֹד‬, „Hoheit“, das um einen Gottesnamen zu ergänzen wäre. Der seltsame Name ‫ ֲאבִי־ ַע ְלב ֹון‬in 2Sam 23,31 wird in Chr durch das leicht verstehbare „Abi’ël“ ersetzt. HALAT (783) erwägt für ‫ ֲאבִי־ ַעלְב ֹון‬zwei Erklärungen: Es könne sich um eine Verballhornung von ursprünglich AbiBaal oder um ein Derivat aus einem arabischen Etymon der Bedeutung „überwinden“ handeln; in Palmyra sei ein analoger Name belegt. Wäre das Zweite richtig, dann wäre dies ein weiterer Fall von Tilgung ausländischer Spuren durch den Chronisten. Martin Noth hatte den Namen ‫שׁן‬ ֵ ָ ‫ י‬in 2Sam 23,32 schlicht von ‫ ישׁן‬herleiten wollen: „der Schläfrige“ – originell, und gar nicht so fernliegend bei einem Baby. Die in HALAT (427) vorgeschlagene Konjektur zu „Schanah“ erscheint mir dagegen recht freihändig. Der Vater eines gewissen Ahiam heisst laut 2Sam 23,33 ‫שׁ ָָרר‬, laut Chr ‫שׂ ָכר‬ ָ . Letzteres ist der Name auch eines korachitischen Türhüters (1Chr 26,4) und hängt gewiss mit dem gleichlautenden Nomen für „Lohn“ zusammen. Die Namensform in 2Sam 23,33 führt HALAT (1528) auf ein im Ugaritischen belegtes Verb ‫ שׁרר‬zurück, das etwas wie „fest sein“ bedeute; dies wirkt bedeutend archaischer als der Name in Chr. Eine pikante Einzelheit: HALAT macht zu dem Wort die verkehrte Stellenangabe 2Sam 23,35; das ist jetzt in KAHAL korrigiert.

Hebräische Hapaxlegomena in den Samuelbüchern –

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Auch der Vater des Elifelet von 2Sam 23,34 hat einen auffälligen Namen: ‫אֲ ַח ְסבַּי‬. In der Chronik heisst der Krieger Elifal und sein Vater Ur. Letzterer Name hat natürlich mit dem geläufigen Nomen ‫אוּר‬, „Licht(schein)“, zu tun. Zu ‫ ֲא ַח ְסבַּי‬wagt HALAT (33) gar keine Etymologie. Die Vierradikalität fällt ins Auge, und selbst wenn das ‫ א‬ein Präfix wäre, gäbe es keine Wurzel ‫חסב‬.

Abschliessend seien noch vier weitere interessante Personennamen aus dem zweiten Samuelbuch näher betrachtet. – Der Zweitgeborene Davids und Sohn der bekannten Abigajil (1Sam 25) soll nach 2Sam 3,3 ‫ ִכּלְאָב‬gewesen sein. HALAT (453) deutet den Namen als kål’āb, „ganz der Vater“. Es ist erstaunlich, dass die Kunde von diesem Davidsohn erhalten geblieben ist, obwohl sein Träger in den nachfolgenden Erzählungen keinerlei Rolle spielt. Ist er vielleicht früh verstorben? – Natan gibt in 2Sam 12,25 dem frisch geborenen Salomo den Beinamen ‫י ְדִ ידְ י ָה‬, „Jahs Liebling“. Da dieser Name hernach nie mehr vorkommt, könnte es sich entweder um eine sehr alte, im Übrigen verschollene Information handeln – oder um eine gezielte Leserlenkung durch den „Höfischen Erzähler“, der frühzeitig einen Hinweis geben wollte, wer aus den nachfolgenden Irrungen und Wirrungen im Hause Davids als Nachfolger des Dynastiegründers hervorgehen werde. – Im Kontext des Abschalom-Aufstandes wird in 2Sam 17,25 der Name des Mannes genannt, den der Aufrührer als kommandierenden General eingesetzt hat: Amasa, Sohn eines gewissen ‫שׂ ְראֵלי‬ ְ ִ ‫י ִתְ ָרא ַהי‬. Der Name hängt gewiss mit der hebräischen Wurzel j-t-r zusammen und bezeichnet etwas wie „Überschuss, Vorrang“. Die gut hebräische Etymologie passt zu der Herkunftsbezeichnung „Israelit“. Die Chronik (in 1Chr 2,17) und in ihrem Gefolge viele Versionen, angefangen mit LXXA, machen daraus einen „Ismaeliter“, und viele moderne Exegeten folgen ihnen. Doch der Name des Mannes klingt so gar nicht arabisch. Offenbar konnte man sich schon früh nicht mehr vorstellen, dass inmitten der Daviderzählungen ein Mann als „Israelit“ bezeichnet wird, als wäre dies etwas Besonderes und gar Fremdes. Es war aber etwas Besonderes, dass Abschalom einen israelitischen General bestellte;11 dessen Gegenspieler (und späterer Mörder) Joab war selbstverständlich Judäer. Abschaloms Aufstand wurde offenbar nicht zuletzt von den israelitischen Nordstämmen getragen12 (was nach seiner Niederschlagung zu schweren Spannungen zwischen Judäern und Israeliten führte, 2Sam 19,10–16.42–44). Wenn Abschalom die Heeresführung also einem Israeliten anvertraute, war damit durchaus eine Signalwirkung beabsichtigt. 11

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Vgl. Ernst Axel Knauf, Ismael. Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens im 1. Jahrtausend v. Chr. (ADPV), Wiesbaden: Harrassowitz, 21989, 12f. So etwa Albrecht Alt, „Die Staatenbildung der Israeliten in Palästina“, in A. Alt, Kleine Schriften zur Geschichte Israels, Bd. 2, München: Beck, 31964, 1–65, hier 57; auch Dietrich, Frühe Königszeit (s. Anm. 3), 199f.

68 –

I. Exegetische Spezialuntersuchungen Schliesslich noch Elhanan, Sohn des ‫ יַע ְֵרי א ְֹרגִי‬in 2Sam 21,19. Der zweite Teil der Wortfügung, „Weber“, könnte aus der nachfolgenden Angabe, Goliats Lanzenschaft sei „wie ein Weberbaum“ (‫ ) ִכּמְנוֹר א ְֹרגִים‬gewesen, herübergedrungen sein – wenn sich nicht darin der Beruf des Namensträgers abzeichnet. Für ‫ יַע ְֵרי‬schreibt die Chronik ‫( יָעִיר‬1Chr 20,5), was laut HALAT (404 bzw. 401) die ursprüngliche Namensform und „Kf. v. VI ‫ “עיר‬sein soll. Hier scheint ein Irrtum vorzuliegen, unterscheidet HALAT (s.v., 777) doch nur vier Homonyme dieser Lautung. Ernster zu nehmen ist der Hinweis auf „ug. ġr schützen“. Wäre aber nicht – gerade in der in 2Sam bezeugten Namensform – auch ein Zusammenhang mit ‫יַעַר‬, „Wald“ bzw. „Honig“, denkbar? Kostbar ist dieses Hapaxlegomenon deswegen, weil der Mann mit dem schwer erklärbaren Vatersnamen König David die Ehre streitig macht, Goliat von Gat erschlagen zu haben. Bekanntlich hat die Chronik das Problem dadurch zu entschärfen versucht, dass sie „Elhanan ben Jair“ lediglich „Lachmi, den Bruder Goliats“ als Opfer zugestand. Die Wahrheit dürfte sein, dass der Goliatsieg Davids eine Fiktion ist.13 Weitere, nur in den Samuelbüchern begegnende Personennamen sind: ‫אַרמֹנִי‬ ְ 2Sam 21,8; ‫ י ְֻר ֶבּשֶׁת‬2Sam 11,21; ‫ מָע ֹוְך‬1Sam 27,2; ‫ שֹׁבִי‬2Sam 17,27; ‫שׁי ָא‬ ְ 2Sam 20,25. Die weiteren Stammes- und Volksnamen lauten: ‫ ִגּז ְִרי‬/‫ גּ ְִרזִי‬1Sam 27,8; ‫ י ָ ִא ִרי‬2Sam 20,26.

3. Einmalige Orts- und Regionalnamen 35 hebräische Orts- und Regionalnamen begegnen in der Bibel nur einmal und nur in den Samuelbüchern. Die Belege ballen sich an vier Stellen in auffälliger Weise. Ihnen möchte ich nachgehen und ein besonderes Augenmerk auf die doppelte Frage richten, welche siedlungs- und literarhistorischen Hinweise sich aus dem Phänomen ergeben. Drei geographische Hapaxlegomena finden sich in der Erzählung von Sauls Salbung durch Samuel in 1Sam 9,1 – 10,16. Gemäss 9,4f durchstreift Saul auf der Suche nach den entlaufenen Eselinnen seines Vaters eine Reihe von Landschaften. Die Häufung von Territorialnamen und ihre teilweise Unbekanntheit erhöhen das Gefühl der Ziel- und Hilflosigkeit, das sich seiner bei der langen, vergeblichen Suche bemächtigt. Das „Gebirge Efraim“ und das „Land Benjamin“ sind zwar bekannt, vor allem ersteres freilich ist von erheblicher Ausdehnung. Das „Land Zuf“14, in das Saul mit seinem Knecht schliesslich gelangt, ist kaum 13

14

Vgl. das (von einem Studenten übernommene) Diktum Steven L. McKenzie’s („David’s Enemies“, in König David – biblische Schlüsselfigur und europäische Leitgestalt, ed. Walter Dietrich / Hubert Herkommer [Fribourg/Stuttgart: Universitätsverlag/Kohlhammer, 2003], 33–47, hier 47): „So basically David killed everyone except Goliath.“ GBA haben die leicht abweichende Namensform Σειφ.

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lokalisierbar. Dürfte man es mit dem Namen des in 1Sam 1,1 erwähnten Vorfahren Samuels „Zuf, der Efratiter“ verbinden, gelangte man ins südliche Efraim. Die Toponyme ‫שׁ ֲעלִים‬ ַ und ‫שׁ ִלשָׁה‬ ָ (9,4) machen ganz und gar ratlos. In meinem Kommentar habe ich dazu geschrieben:15 „Die topographischen Bezeichnungen Schalischa und Schaalim kommen nur hier vor, weshalb eine Lokalisierung schwierig bis unmöglich ist. Eine Identifizierung von Schalischa mit dem in 2Kön 4,42 genannten, aber wiederum nicht näher lokalisierten Baal-Schalischa führt nicht viel weiter.16 Schaalim könnte eine Verschreibung aus Schaalbim sein, was ausweislich von Ri 1,35 und 1Kön 4,9 in den Südwesten Efraims wiese.17“ Man tappt mit derlei Versuchen im Nebel – wie seinerzeit Saul. Weckten diese Toponyme in den Ohren des Erzählers (und auch seiner Hörer oder Leserinnen) konkrete Vorstellungen – oder waren sie nur mehr sagenhafte Relikte einer früheren Siedlungsgeschichte? Saul trifft schliesslich, von Gott gelenkt, doch auf Samuel, und dieser salbt ihn überraschend zum ‫נׇ גִיד‬, zu Jhwhs „Bevollmächtigtem“ über Israel. Um ihn dessen zu versichern, dass wirklich Gott hinter dieser Wahl stehe, kündigt er dem Frischgesalbten drei Zeichen an, dessen erstes „beim Grab Rahels, im Gebiet Benjamins, bei Zelzach“ in Erfüllung gehen soll (1Sam 10,2). Das Gebiet (bzw. die [Nord-]Grenze, ‫ )גבול‬Benjamins ist von diesen Angaben noch die klarste, wenn auch keine punktgenaue. Sie verbietet es, das Rahelgrab mit einem Glossator in Gen 35,19f. (und einer langlebigen Pilgertradition) in der Nähe Betlehems zu suchen. ‫ ֶצ ְלצַח‬wäre, wenn man darin einen Ortsnamen sehen darf, ganz in der Nähe gelegen. Freilich haben einige Forscher gemeint, das Hapaxlegomenon per Konjektur beseitigen zu sollen: Statt ‫ צלצח‬solle man etwa ‫„( בצלצלים‬mit Zimbeln“) oder ‫„( בצל צור‬im Felsschatten“) lesen oder als ursprüngliche Textvorlage ‫ בצלחים במקלות‬annehmen („when they are setting fire to roasting places / a roasting place“18). Doch dürfte solchen Gewaltsamkeiten die Annahme vorzuziehen sein, dass man es mit einer alten, irgendwann aufgegebenen und dann nur noch dem Namen nach bekannten Ortschaft zu tun hat. Ein weiterer Schwerpunkt geographischer Hapaxlegomena ist die Erzählung von Sauls erster Philisterschlacht, 1Sam 13–14. Bei der Kommentierung habe ich einen in beiden Kapiteln zu greifenden alten Erzählkern festgestellt, in dem Saul die Haupt- und Heldenfigur war (1Sam 13,4.5a.15b; 14,2.*3a.15b.16.18a.19f.46). Diese Version wurde durch eine andere überlagert, die Jonatan in den Mittel15 16

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Dietrich, Samuel (Anm. 3), 409. Diana Edelman („Saul’s Journey,“ ZDPV 104 [1988], 44–58, hier 50–53) wagt immerhin eine Lokalisierung: westlich von Jericho. Neben Schaalbim wird in 1Kön 4,9 Bet-Schemesch im philistäisch-israelitischen Grenzland genannt. P. Kyle McCarter (I Samuel [AnB 8], New York a.o.: Doubleday, 1980, 174) befürwortet demgegenüber eine Gleichsetzung mit šû’al, was aufgrund von 1Sam 13,17 in die Gegend nördlich von Bet-El führte. So T. Harviainen, „Ṣȩlṣaḥ in 1 Sam. 10:2,“ StOr 51 (1979), 3–11. Es wäre dies ein Beleg für Grillplätze in der Antike!

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punkt rückt (13,2f.5b–7a.*16.17–23; 14,4–15a.21–23.31).19 Alle geographischen Hapaxlegomena finden sich in dieser jüngeren, gleichwohl noch recht alten Textschicht.20 Laut 13,17f schickten die Philister nach ihrem Aufmarsch im benjaminitischen Kernland Plünderertrupps in verschiedene Richtungen: einen „in Richtung Ofra, zum Land Schual“, einen anderen „in Richtung aufs Grenzland, das hinunterblickt aufs Tal Zeboïm“. Ofra „liegt ca. 6 km nördlich von Michmas und wird in Jos 18,23 zu Benjamin gerechnet. Das ‚Land Schual’ (wohl … ‚Fuchsland’) ist unbekannt. Manche bringen es mit dem ‚Land Schaalim’ … von 9,4 in Verbindung, das sich freilich geographisch ebenfalls nicht einordnen lässt“;21 davon war vorhin die Rede. Beim ‫גֵּיא ַהצְּבֹעִים‬, dem „Hyänental“, handelt es sich offenbar um eines der in den Ostabhang des benjaminitischen Berglandes eingekerbten Wadis: das Wadi es-Suwenit (steckt in ‚Suwenit’ noch ‚Zebo‛im’?) oder das von Norden in es einmündende Wadi Abu Daba‛ oder das beide vereinende Wadi Qilt.22 In 1Sam 14,4 werden die Namen der beiden Felsen genannt, zwischen denen hindurch Jonatan seine Attacke auf den Philisterposten bei Michmas führen wollte. Der eine heisst ‫בּ ֹוצֵץ‬, „der Dürre“23, der andere ‫ ֶסנֶּה‬, wohl „der Stachelige“. Vor dem Auge des Lesers „entsteht der Eindruck einer abweisenden Unwegsamkeit, aber auch einer gewissen Unübersichtlichkeit des Geländes, die einem verdeckten Angriff zugute kommen könnte.“24 Vermutlich haben wir es hier mit alten, im Zug der weiteren biblischen Überlieferung gleichsam versunkenen Geländebezeichnungen zu tun. Die nächste Häufung nur einmal begegnender Ortsnamen bietet die Liste der Orte, denen David nach seiner erfolgreichen Razzia gegen die Amalekiter Beuteanteile geschickt haben soll (1Sam 30,26–31). Soweit erkennbar (und teilweise auch archäologisch nachweisbar), führen alle hier versammelten Toponyme – abgesehen von einem einzigen, Bet-El, bei dem es sich aber um eine Verschreibung handeln dürfte25 – in die Gegend zwischen Hebron und Beerscheba. Bei Israel Finkelstein, einem gewiss nicht des Biblizismus verdächtigen Archäologen, finden sich die folgenden bemerkenswerten Feststellungen: „Die Ortsnamen und geographischen Angaben in den David-Geschichten im ersten Buch Samuel … bekunden … Vertrautheit mit den damaligen Machtverhält19 20

21 22 23 24 25

Vgl. Dietrich, Samuel (BK 8.2/1), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2011, 36.72f. Immerhin hat bereits der „Höfische Erzähler“ (wohl im ausgehenden 8. Jh.) die beiden Versionen kombiniert. Dietrich, Samuel (BK 8.2/1), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2011, 48 mit Anm. 91. Vgl. Dietrich, ebd. 49. Von ‫בצץ‬, s. HALAT 142. Vgl. Dietrich, Samuel (BK 8.2/2), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2011, 81 mit Anm. 45. Die LXX schreibt βαιθσουρ, ein Kodex der Vetus Latina Bethor, s. BHS. In Anlehnung an Jos 19,4 konjiziert Hans Joachim Stoebe (Das erste Buch Samuelis [KAT 8.1], Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1973, 508) in Betul (also ‫ בתול‬statt ‫)בית־אל‬, eine Ortschaft, die er nach dem Vorschlag anderer mit dem heutigen qaryetein 30 km nordöstlich von Beerscheba gleichsetzt.

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nissen“. „Wie Fossilien“ sind sie „eingeschlossen im Felsgestein der biblischen Überlieferung“. „Die geographische Beschreibung Judas in der David-Geschichte stimmt tatsächlich mit den naturräumlichen Bedingungen, der Topographie und dem Siedlungsmuster der frühen Eisenzeit im 10. Jahrhundert v. Chr. überein“.26 Meines Erachtens kann dies grundsätzlich auch für die Liste 1Sam 30,26–31 gelten.27 Sie wird eröffnet und abgeschlossen durch zwei wohlbekannte Namen: Bet-El und Hebron. Bet-El erscheint als eine Art – beabsichtigter oder unbeabsichtigter – ‚Ausrutscher’, da in der Einleitung zur Liste ausdrücklich die „Ältesten Judas“ als Adressaten genannt werden, Bet-El aber immer klar zu Benjamin gehört hat. Hebron dürfte angefügt sein, um die in 2Sam 2 berichtete Übersiedlung Davids und seiner Leute dorthin vorzubereiten.28 Dazwischen finden sich elf Toponyme. Die Nennung zweier Stammesgebiete – der Jerachmeeliter und der Keniter – dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass diese Verbände nicht in festen Siedlungen, sondern in Beduinenzelten lebten. Möglicherweise liegt hier auch ein redaktioneller Rückverweis auf 1Sam 27,10 vor.29 Vier Ortsnamen – Jattir, Aroër, Eschtemoa und Horma – sind selten, aber immerhin auch anderswo belegt. Fünf dagegen begegnen einzig hier: ‫( ָרמ ֹות נֶגֶב‬30,27), ‫שׂפְמ ֹות‬ ִ (30,28), ‫( ָרכָל‬30,29), ‫ בּ ֹור־ ָעשָׁן‬und ‫עֲתָ ְך‬ (beide 30,30). Schon dieses pure Faktum weist auf Altertümlichkeit. Dem tut es keinen Abbruch – eher im Gegenteil! –, dass zwei oder drei dieser Namen in leicht anderer Form auch anderswo belegt sind: Bor-Aschan dürfte mit dem Aschan identisch sein, das in Jos 15,42 Juda und in Jos 19,7 Simeon zugewiesen wird; laut HALAT (112) ist der Name in dem der Ruinenstätte (Chirbet) ‛Asan, 2 km nordöstlich von Beerscheba, noch erhalten. Zu Ramot-Negev (mit PleneSchreibung des ô!) gibt es in Jos 19,8 das Äquivalent Ramat-Negev; die Ortslage wird in der Forschung meist für nicht lokalisierbar gehalten, doch bringt Volkmar Fritz30 sie mit el-Ghazze, 9 km südöstlich von Arad, in Verbindung. Zu

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Israel Finkelstein / Neil A. Silberman, David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos, München: Beck, 2006, 34f. Im Blick auf sie ist im genannten Buch von Finkelstein und Silberman freilich ein Widerspruch zu verzeichnen: Einmal werden, im zitierten Zusammenhang und zum Nachweis historischer Verlässlichkeit, Namen aus 1Sam 30,26–28 mit modernen Ortsbezeichnungen identifiziert (Eschtemoa = Es-Semu’a, Jattir = Chirbet ’Attir: 36), einmal wird die gesamte Liste als Spiegelung einer (angeblichen) Expansion Joschijas (spätes 7. Jh.!) in Richtung Philisterland interpretiert (172). So mit Recht Alexander A. Fischer, Von Hebron nach Jerusalem. Eine redaktionsgeschichtliche Studie zur Erzählung von König David in II Sam 1–5 (BZAW 335), Berlin/New York: de Gruyter, 2005, 44. So mit guten Gründen Alexander A. Fischer, „Beutezug und Segensgabe. Zur Redaktionsgeschichte der Liste 1 Sam. XXX 26-31,“ VT 53 (2003), 48–64, hier 51f. Volkmar Fritz, Israel in der Wüste. Traditionsgeschichtliche Untersuchung der Wüstenüberlieferung des Jahwisten (Marburger Theologische Studien 7), Marburg: N.G. Elwert, 1970, 104.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Sifmot, Rachal und Atach gibt es in der grossen Enzyklopädie NEAEHL keine Einträge oder Verweise, und HALAT vermerkt jeweils lapidar „ign.“.31 Kurzum: Die geographischen Hapaxlegomena der Ortsliste von 1Sam 30,26– 31 stellen entweder abweichende Schreibweisen auch sonst (freilich selten!) belegter Namen dar, oder sie bezeichnen gleichsam versunkene oder vergessene Ortschaften. Kaum verdanken sie sich blühender literarischer Phantasie, vielmehr wohl alter archivarischer Tradition. Wie alt diese Tradition ist, muss hier nicht festgelegt werden. Nur so viel kann vorausgesetzt werden, dass sie dem Höfischen Erzähler um 700 v. Chr. vorlag. Anscheinend hat er sie durch die beiden rahmenden Verse in den jetzigen Kontext eingepasst.32 Woher er sie genommen haben mag, ist unklar. Es liegt nahe, an königliche Archive in Jerusalem zu denken. Lange Zeit nahm man an, die Liste sei davidzeitlich und ein Beleg für einen grösseren, um Hebron zentrierten politischen Verband „Grossjuda“, der David zum König erhoben habe (2Sam 2,4).33 Einer solchen Annahme steht einiges entgegen. Unserer Liste ist Hebron, wie bemerkt, erst sekundär angefügt worden. Nur wenige der übrigen Ortschaften sind einigermassen sicher identifiziert, und eher nur im Ausnahmefall weisen sie archäologisch greifbare Spuren aus dem späten 11. oder frühen 10. Jh. auf.34 Insgesamt ist die literarische wie die archäologische Beweislage für ein vordavidisches Juda derart schütter, dass man besser mit der Gründung eines politischen Verbandes „Juda“ erst durch David rechnet.

Der letzte, hier zu behandelnde Schwerpunkt sind die Kapitel 2Sam 2–3. Sie vereinen mehrere nordisraelitische, genauer: benjaminitische Überlieferungen, die m.E. zu der vom „Höfischen Erzähler“ benutzten Sammlung „Erzählungen über Aufstieg und Niedergang der Sauliden“ gehört haben.35 – 2Sam 2,9 umreisst das von Sauls Sohn und Nachfolger Eschbaal (und dann wohl auch von Saul selbst) beherrschte Gebiet: „Gilead, die/der Aschuriter, Jesreel, Efraim, Benjamin – kurz: ganz Israel“. Die Aufzählung ist so 31

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Bei Rachal könnte es sich indes um einen Textfehler handeln: Die LXX schreibt hier Καρμήλ, fand also möglicherweise in ihrer Vorlage ‫ כרמל‬vor, vgl. Jos 15,55 und 1Sam 25,2. Die literarkritischen Argumente bei Fischer, Beutezug (s. Anm. 29), 50f. Plausibel legt Fischer (53–55) auch dar, dass dieser Einbau durch Zusätze in 1Sam 30,14aβ.16aβb vorbereitet wurde. So Albrecht Alt, „Beiträge zur historischen Geographie und Topographie des Negev“, in Ders., Kleine Schriften zur Geschichte Israels, Band 3, München: Beck, 21968, 382–459, hier 418. Vgl. Fischer, Beutezug (s. Anm. 29), 57–61, der aber m.E. zu zielstrebig auf eine Spätdatierung (in die ausgehende Königszeit) zusteuert. Der in 1Sam 30,26–31 verschiedentlich gebrauchte Terminus „Stadt“ (‫ )עיר‬könnte erst auf den Höfischen Erzähler zurückgehen, der die Verhältnisse zu seiner Zeit zurückprojiziert haben mag. In Horma (Tel Māśōś) und Rama/ot Negev (Tel ‛Ira) wurden nach Fischers eigenen Feststellungen (Beutezug 57–61) Siedlungsspuren mindestens nahe dem 10. Jh. nachgewiesen. Und kleine Dörfer oder gar Zeltsiedlungen – wie die meisten der genannten Orte es zur damaligen Zeit gewesen sein dürften – werden, wenn überhaupt, dann archäologisch nur schwer nachweisbare Spuren hinterlassen. Vgl. Dietrich, Frühe Königszeit (s. Anm. 3), 242–249.

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glaubwürdig wie historisch aufschlussreich. Der Einflussbereich (Sauls und) Eschbaals umfasste im Wesentlichen nur das mittelpalästinische mit einer Ausbuchtung ins ostjordanische Bergland. In diesem Rahmen schwer unterzubringen ist das Wort ‫ֲשׁוּרי‬ ִ ‫ ָהא‬, ein Hapaxlegomenon. Sollte es identisch sein mit dem Stamm Ascher (der freilich nie plene mit einem ‫ וּ‬geschrieben wird), dann hätte zumindest teilweise Galiläa zu Sauls Reich gehört. Dies würde freilich weder zu den anderen Toponymen noch zu der Erzählung 1Sam 31 passen, der zufolge sich das Schicksal Sauls auf den Bergen von Gilboa erfüllt hat: in Blickweite von „Jesreel“ und offenbar an der äussersten nordöstlichen Ecke seines Herrschaftsgebietes, wo die Philister ihn stellten. Nun hat Diana Edelman36 den gewinnenden Vorschlag gemacht, bei „Aschuri“ handle es sich um eine ascheritische Sippe, die im efraimitischen Bergland siedelte. Wäre das richtig, dann verlöre diese Angabe ihre Anstössigkeit. Laut 2Sam 2,16 erhielt die Stätte nahe Gibeon, wo der in einem schaurigen Blutvergiessen endende Stellvertreterkampf von je zwölf Kriegern Eschbaals und Davids stattfand, den Namen ‫ ֶח ְלקַת ַהצּ ִֻרים‬. Der erste Namensteil ist leicht zu erklären – ‫ ֶחלְקָה‬bedeutet „Feldstück“ –, der zweite schwieriger. Ihn mit dem Substantiv ‫צוּר‬, „Fels“, zu verbinden, macht wenig Sinn, spiegelte sich darin doch nicht das dramatische Geschehen. Ginge es um eine Verbform, dann wohl um ein Partizip (masc. pl.), doch ist die konkrete Zuordnung problematisch: Wollte man eines der Verben I, II, III ‫צור‬ („binden, einschliessen“, „bedrängen, bekämpfen“ bzw. „formen, giessen“, vgl. HALAT 951f) zugrunde legen, würde die korrekte Partizipialform ‫צ ִָרים‬ lauten. Und bei I oder II ‫„( צרר‬umhüllen, festbinden“ bzw. „anfeinden, ְ . Immerhin führen zwei befehden“, vgl. HALAT 990f) erwartete man ‫צוֹר ִרים‬ dieser Verben, II ‫ צור‬und II ‫צרר‬, auf eine Namensdeutung als „Feld der Feinde“. Man hätte dann entweder eine Fehlvokalisation oder eine Haplographie (des Buchstabens ‫ – )ר‬oder aber eine altertümliche Aussprachebzw. Schreibweise anzunehmen. In 2Sam 2,24, im Kontext des Kampfes Abners mit den Zerujasöhnen, begegnen zwei topographische Hapaxlegomena nebeneinander: „der Hügel Amma (‫ ) ַאמָּה‬gegenüber Giach (‫“)גִּי ַח‬. Zu beiden Toponymen gibt es bei NEAEHL keinerlei Hinweise. Nach HALAT lassen sich beide zwar etymologisieren (60: „Kanal“; 161: „Sprudel“), lokalisieren jedoch nur insoweit, als sie vom literarischen Kontext her in der Nähe Gibeons zu suchen sind. Laut 2Sam 3,26 hatte Abner nach den Verhandlungen mit David Hebron wieder verlassen und war bis ‫ בּ ֹור ַהסּ ִָרה‬gelangt, als Joab ihn zurückholen liess, um ihn am Ende zu ermorden. HALAT deutet den Namen als „Dornbrunnen, Dornzisterne“ (726 bzw. 710f) und erwägt vorsichtig eine Verbindung mit dem Bergrücken ṣirat al-ballā‛i (112), der sich 4 km nördlich von Diana Edelman, „The ‚Ashurites’ of Eshbaal’s State,“ PEQ 117 (1985), 85–91.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen Hebron erhebt (und eine Zisterne getragen haben mag). Außer dieser Lage dürfte die Lautähnlichkeit zwischen dem biblischen und dem arabischen Toponym zu dieser Annahme geführt haben.

Auch bei dieser zuletzt behandelten Gruppe geographischer Hapaxlegomena stellt sich der Eindruck alter, lokal situierter und ortskundiger Überlieferung ein. Weitere, nur in den Samuelbüchern vorkommende Orts- und Regionalnamen sind: ‫ ֶאפֶס דַ מִּים‬1Sam 17,1; ‫ֵית־רח ֹוב‬ ְ ‫ ֲא ַרם בּ‬2Sam 10,6; ‫ ֶבּטַח‬2Sam 8,8; ‫ בֵּית כָּר‬1Sam 7,11;‫ַבּעַל חָצ ֹור‬ 2Sam 13,23; ‫ ַבּ ֲעלֵי י ְהוּדָ ה‬2Sam 6,2; ‫ בֵּר ֹתַ י‬2Sam 8,8; ‫ גּ ֶֹרן נָכ ֹון‬2Sam 6,6; ‫ ח ֶֶרת‬1Sam 22,5; ‫ְט ָלאִים‬ 1Sam 15,4; ‫ ֶסלַע ַה ַמּ ְחלְק ֹות‬1Sam 23,28; ‫ פּ ֶֶרץ ֻעזָּה‬2Sam 6,8; ‫ צ ֹופִים‬1Sam 1,1; ‫ ֵצלַע‬2Sam 21,14; ‫ שֶׂכוּ‬1Sam 19,22; ‫ שֵׁן‬1Sam 7,12; ‫ תַּ ְחתִּים חָדְ שִׁי‬2Sam 24,6.

4. Übrige bzw. ‚echte‘ Hapaxlegomena Abschliessend wenden wir uns den Hapaxlegomena im eigentlichen Sinne zu: „normalen“ Lexemen, die in der Hebräischen Bibel nur einmal und nur in den Samuelbüchern vorkommen. Ich werde dabei im Prinzip der kanonischen Anordnung folgen – verfeinert freilich durch eine literarhistorische Untergliederung, die auf meiner eingangs skizzierten Gesamtsicht der Entstehung der Samuelbücher beruht. Dabei werden mehrere Fragen zu bedenken sein: Gibt es zu den betreffenden Wörtern alternative Schreibweisen namentlich in der hebräischen und der griechischen Textüberlieferung? Wie sind die betreffenden Lexeme etymologisch zu erklären? Welches ist ihre ‚Textpragmatik’, d.h. ihre Funktion im jeweiligen Aussagezusammenhang?

a) Samuel-Saul-Geschichte Diese 1Sam 1–3; *7; *10,17–27; 11; 14,47–52 umfassende Quelle weist lediglich zwei (bzw. eineinhalb) Hapaxlegomena auf, und zwar gleich im ersten Kapitel, genauer: in dessen kritisch zu ermittelndem Grundbestand, einer am Heiligtum von Schilo haftenden Samuel-Legende. – Peninna, die zweite, kinderreiche Frau Elkanas und Kontrahentin der kinderlosen Hanna, wird in 1Sam 1,6 als ‫ צ ָָרה‬bezeichnet. HALAT führt den Beleg unter einem eigenen Lexem II ‫ צ ָָרה‬auf (neben I ‫ צ ָָרה‬,“Not”).37 Man 37

In KAHAL ist dies aus einer gewissen Pietät gegenüber HALAT so geblieben. Dort (486) findet man unter II ‫ צ ָָרה‬die Information: „1. Mitfrau, Nebenfrau eines Mannes, der noch eine andere Frau hat, die in ihrer Beziehung zu dieser anderen Frau als Feindin gesehen ist 1S 16; — 2. Feindschaft, als abstractum pro concreto = Feind Ps 549 14311.”

Hebräische Hapaxlegomena in den Samuelbüchern



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könnte freilich bezweifeln, ob dieser Eintrag nötig ist. Sicher leitet sich das Nomen vom Verb ‫צרר‬, “gehemmt, beklemmt, beengt sein”, ab. Es gibt davon auch die Nominalbildung II ‫צר‬, „Feind”. Nähme man an, ‫ צ ָָרה‬wäre ein Femininum zu diesem Maskulinum, dann bedeutete es einfach “Feindin” (oder “Rivalin”, wie ich in BK übersetzt habe38) – und jener Eintrag wäre überflüssig. Immerhin, in der weiblichen Form bleibt das Wort doch ein halbes Hapaxlegomenon. Das zweite, volle Hapaxlegomenon ist das Nomen ‫שׁלָה‬ ֵ in 1Sam 1,17. HALAT vermerkt dazu lapidar: “< ‫( “שְׁ ֵאלָה‬1393), will sagen: Es handelt sich um eine Abwandlung des gewöhnlichen Wortes für „Bitte“. Es ist der Priester Eli, der Hanna wünscht, ihre (leise vor Gott geäusserte) “Bitte” möge in Erfüllung gehen (1,17). Später, als sie tatsächlich einen Sohn zur Welt gebracht hat, nennt sie ihn ‫שְׁ מוּאֵל‬, “denn von Jhwh habe ich ihn erbeten” (1,20). Einige Jahre später übergibt sie den Knaben Eli mit den Worten: “Jhwh hat mir gegeben, was ich in meiner Bitte von ihm erbeten habe. Und nun habe auch ich ihn zu etwas von Jhwh Erbetenem gemacht. Alle Tage seines Lebens sei er ein Erbetener für Jhwh“ (1,27f).39 ‫שׁ ֵאלָה‬ ְ /‫ שׁאל‬ist offensichtlich das Leitwort der Erzählung. Wenn es an der ersten Belegstelle um ein ‫ א‬verkürzt wird, dann wohl in der Absicht, dieselbe Konsonantenfolge herzustellen wie im Namen des Heiligtums, an dem die Geschichte spielt und an dem Eli und schliesslich auch Samuel Dienst tun: ‫שׁלֺה‬ ִ . Stimmt dies, dann ist hier ein Hapaxlegomenon absichtsvoll konstruiert worden.

b) Ladegeschichte Diese Quelle des „Höfischen Erzählwerks“ hat ihren Ursprung unverkennbar in Nordisrael (wo die Lade ursprünglich beheimatet war). Die Erzählung von ihrem Verlust (1Sam *2; 4) wird jetzt aber fortgeführt mit einer ‚Rundreise’ der Lade durch Philistäa und über Bet Schemesch nach Jerusalem, wo sie im Salomonischen Tempel ihren endgültigen Platz findet (1Sam 5f; 2Sam 6; 1Kön 8). In diesen späteren Teilen zeigt die Erzählung unverkennbar judäischen Einfluss und datiert kaum vor dem 8. Jh. Die Ladegeschichte weist sechs Hapaxlegomena auf,40 von denen hier drei – zwei aus den älteren, eines aus den jüngeren Partien – näher ins Auge gefasst seien. – Die Erzähler erklären sich den Verlust der Lade damit, dass sie zuvor nicht angemessen behandelt worden sei. Nicht nur, dass sie einigermassen respektlos in die Schlacht gegen die Philister geschleppt wurde (1Sam 4,3f): 38 39

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Dietrich, Samuel (Anm. 3), 14. Dass in diesen letzten Aussagen der Name „Saul“ umspielt wird, ist eine Beigabe des Samuel-Saul-Erzählers zur Grunderzählung, vgl. BK 8.1 z.St. Es sind dies: ‫ ברא‬1Sam 2,29; ‫ ַמפ ְֶרקֶת‬4,18; ‫ שׂתר‬5,9; ‫ כֹּפֶר‬6,18; ‫ ְמנַ ַענְעִים‬2Sam 6,5; ‫ שַׁל‬6,7.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen die sie betreuenden elidischen Priester haben sich schon vorher fortgesetzt schwerer Kultfrevel schuldig gemacht. Daraufhin trat ihnen ein „Gottesmann“ entgegen41 und hielt ihnen u.a. vor, sie hätten sich „am Besten aller Opfergaben“ vergriffen (1Sam 2,29). Es wird hier eine Hif.-Form von ‫ ברא‬verwendet, was unwillkürlich an den theologischen terminus technicus des „Schaffens“ (I ‫ )ברא‬denken lässt; doch dieser ist sonst nur im Qal und im Nif. belegt, und er passt an unserer Stelle sachlich überhaupt nicht. Kein Wunder, dass es abweichende Lesarten gibt: 4QSama und anscheinend auch G-Vorlage schreiben ‫ברך‬, „segnen“, offenbar ebenfalls im Hif. (‫;)להבריך‬ auch dies ist einmalig und ergibt nur schwer einen Sinn („[sich] Segen verschaffen“?). Die modernen Lexika, auch HALAT (147), führen eigens für unsere Stelle eine Wurzel II ‫ ברא‬ein, die aufgrund arabischer Etyma (in der Bedeutung „sehr fett“ bzw. „frei von Krankheit sein“) mit „sich mästen“ zu übersetzen sei. Demnach hätten sich die Eliden „an Opfergaben gemästet“; in der Tat war Derartiges zuvor beschrieben worden (1Sam 2,12–16). Zwei Kapitel später kommen die Eli-Söhne ums Leben. Als ihr Vater diese Nachricht und speziell die vom Verlust der Lade erhält, fällt er rücklings vom Stuhl und bricht sich sein ‫( ַמפ ְֶרקֶת‬1Sam 4,18). HALAT (585) meint aufgrund syrischer, arabischer, jüdisch-aramäischer und mittelhebräischer Analogien, die alle “Scheitel” zu meinen scheinen, die Bedeutung “Genick” festlegen zu können. Die LXX gibt das Wort mit νῶτος, “Rücken”, wieder, was ebenfalls sinnvoll wäre. Unter den Instrumenten der Kapelle, die laut 2Sam 6,5 die Lade-Prozession nach Jerusalem hinein begleitet und die David und Israel zum Tanzen animiert hat, figurieren u.a. ‫ ְמנַ ַענְעִים‬. Die Spezialuntersuchung von Johannes Braun zählt sie “zu den Überresten der kanaanäischen Musiktradition, und dieser Kulturkontext scheint ihre alleinstehende Erwähnung im AT zu rechtfertigen”.42 Gemäss HALAT (570) ist das Hapaxlegomenon vom Verb ‫נוע‬ herzuleiten. Dieses bedeutet im Qal “schwanken, umherschweifen”, im Nif. “geschüttelt werden”, im Hif. “aufrütteln, schütteln” (HALAT 644), was daran denken lässt, jenes Instrument wäre zu “schütteln” gewesen. HALAT aber (570) spricht überraschend von einem “Schlaginstrument”, dann, einleuchtender, von einer “Rassel” bzw. dem “äg. Sistrum”. Letzteres ist laut Brockhaus (Bd. 17, 1973, 466) eine “Rassel, ein Handgriff mit Metallbügel, gegen den beim Schütteln [!] lose eingelassene Querstangen … klirren”. LXX überträgt das Wort mit κύμβαλα, “Zimbeln”: metallene Becken, die aneinIn meinem Samuel-Kommentar (s. Anm. 3), 123f, habe ich nachzuweisen versucht, dass die Gottesmann-Rede in 1Sam 2,27–36 nicht, wie manche meinen, komplett dtr ist, sondern einen älteren Kern enthält, der dtr bearbeitet wurde; die im Folgenden behandelte Stelle gehört zum Grundbestand. Johannes Braun, Die Musikkultur Altisraels/Palästinas. Studien zu archäologischen, schriftlichen und vergleichenden Quellen (OBO 164), Fribourg/Göttingen: Universitätsverlag/ Vandenhoeck & Ruprecht, 1999, 42.

Hebräische Hapaxlegomena in den Samuelbüchern

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andergeschlagen, nicht aber “geschüttelt” werden. Noch weiter weg vom hebräischen Lexem begibt sich der Targum mit der Wiedergabe durch rebi‛in, “Trommeln”.43 Wahrscheinlich drückt sich in diesen Abweichungen die gleiche Absicht aus wie in der Parallelstelle 1Chr 13,8 (und ebenso in der Beschreibung des Tempelorchesters in Ps 150): Dort fehlen die „Rasseln“ (wie auch die „Zypressenholzklappern“, ‫ ) ֲעצֵי בְרוֹשִׁים‬aus 2Sam 6,5, also just die volkstümlich-rustikalen Instrumente aus der Ladeumzugs-Kapelle. Offenbar meinte man später, Musik zu Ehren Gottes sollte seriöser und feierlicher sein als die, zu der seinerzeit David und Israel tanzten.

c)

Sauliden-Erzählkranz

Diese von mir als eine der vom “Höfischen Erzähler” benutzten Quellen postulierte Sammlung hat teilweise sehr alte Nordreichstraditionen in sich aufgenommen, die ein facettenreiches Bild der ersten israelitischen Königsfamilie bieten. Insgesamt ist sie indes deutlich prodavidisch-judäisch geformt, womit sie ideologisch und wohl auch zeitlich in die Nähe des „Höfischen Erzählwerks“ (Ende 8. Jh.) zu stehen kommt. In ihr finden sich nicht weniger als fünfzehn Hapaxlegomena,44 von denen hier nur ganz wenige diskutiert werden können. – Ein alter Traditionssplitter ist die Nachricht von einem Metallbearbeitungsmonopol, das die Philister sich in der Anfangszeit Sauls gegenüber den Israeliten gesichert hatten. Dort heisst es, in einem mit seltenen und altertümlichen Wörtern gespickten Vers:45 „Der Preis war ein Pim für Pflugspitzen und Pflugscharen und ein Drittelschekel für das Schärfen der Äxte und das Richten eines Rindersteckens“ (1Sam 13,21). Von Interesse sind hier zwei ‚echte’ Hapaxlegomena: ‫ִירה‬ ָ ‫ ְפּצ‬und ‫פִּים‬. Das erste Lexem bedeutet nach HALAT (898) „Preis“; es sei ein Derivat der Wurzel ‫ פצר‬und meine ursprünglich „das Auferlegte“. Die Bedeutung des zweiten Lexems war lange unklar. Erst vor relativ kurzer Zeit wurden „bei Ausgrabungen – etwa in Geser und Lachisch – Gewichtssteine gefunden, die die althebräische Aufschrift p-j-m (wahrscheinlich pajim) tragen. Das Wort könnte semitisch die Bezeichnung für ‚Zweidrittel’ (eines Schekels) sein, ist aber möglicherweise

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45

Braun, ebd. Es sind dies, in der kanonischen Abfolge: ‫שׁוּרה‬ ָ ְ‫ תּ‬1Sam 9,7; ‫ ח ֹו ַח‬13,6; ‫ פִּים‬13,21; ‫ִירה‬ ָ ‫ ְפּצ‬13,21; ‫ יַע ֲָרה‬14,27; ‫ ַחלֻּק‬17,40; ‫ יַלְקוּט‬17,40; ‫שׁלִישׁ‬ ָ 18,6; ‫ ֶפּשַׂע‬20,3; ‫ ַמ ְרדּוּת‬20,30; ‫ שׂרף‬31,12; ‫ ִבּתְר ֹון‬2Sam 2,29; ‫שׁלִי‬ ְ 3,21; ‫ עפר‬16,13; ‫ יגה‬20,13. Ich bin auf die Stelle bereits in Abschnitt 1 („Textfehler“) zu sprechen gekommen. Die obige Übersetzung stammt aus Dietrich, Samuel (BK 8.2/1); ebd. 28 finden sich die textkritischen Begründungen.

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47 48 49

I. Exegetische Spezialuntersuchungen philistäischen Ursprungs.46 Anscheinend war der pjm faktisch der Schekel von Aschdod; dieser machte etwa 4/5 seines ugaritischen Pendants aus und 2/3 des israelitischen Schekels. Von solchen Seitenreferenzen her kommt man auf ein Gewicht des pjm von 7,2 bis 7,8 Gramm; der Schekel wog knapp 11,5 Gramm.“47 So wurde mit Hilfe der Archäologie eine alte, mit der Zeit offenbar in Vergessenheit geratene Gewichtsbezeichnung wiederentdeckt und damit ein biblisches Hapaxlegomenon aufgeklärt. Zwei weitere Hapaxlegomena finden sich in 1Sam 17,40. Der Vers gehört zu einer von zwei Versionen der David-Goliat-Geschichte: derjenigen, in der David als Hirtenknabe den philistäischen Vorkämpfer überwältigt.48 Zuerst erfährt man, dass er im Bachbett zwischen den beiden Schlachtreihen „fünf glatte (‫ ) ַחלֻּק‬Steine“ aufliest. Die Wurzel I ‫חלק‬, von der HALAT (311) das Adjektiv ableitet, bezeichnet in Jes 41,7 im Hif. das “Glattschlagen” von Metall mit einem Hammer; verschiedentlich hat sie, im Qal wie im Hif., einen Beiklang von “glatt = falsch sein” (HALAT 309), was für todbringende Schleudersteine ja durchaus passt. David tut die Steine „zu der Hirtenausrüstung, die ihm gehörte, genauer: in die Tasche (‫“)יַלְקוּט‬.49 Das Wort ist laut HALAT (395) auf das Verb ‫לקט‬, “sammeln, auflesen”, zurückzuführen (HALAT 508). Laut LXX hat David die Steine εἰς τὴν συλλογήν gelegt, “in die Sammlung”: vielleicht in der Annahme, ein Hirte möchte wohl stets ein Sortiment von Schleudersteinen mit sich führen. In Wahrheit ist ‫ יַלְקוּט‬ein Gefäss zum Sammeln, eine “Tasche” eben, in der David zuvor den ihm vom Vater mitgegebenen Proviant transportiert haben mag. In 1Sam 31,12 findet sich die auffällige Mitteilung, die Jabeschiten hätten, nachdem sie die von den Philistern an der Stadtmauer von Bet-Schean zur Schau gestellten Leichname Sauls und seiner Söhne entwendet hatten, diese in Jabesch “verbrannt” (‫)וישׂרפו אתם‬. Nun war die Verbrennung von Toten damals nicht nur unüblich, sondern ein ausgesprochenes Sakrileg (vgl. Am 2,1). Gleichwohl übersetzt die LXX ohne Zögern: καὶ κατακαίουσιν αὐτούϛ. HALAT (1267) hingegen postuliert eine eigene Wurzel II ‫ שׂרף‬mit der Bedeutung “einbalsamieren”, die einzig hier (und in Abwandlung in Jer 34,5) belegt sei. Sie sei gleichzusetzen mit ‫סרף‬, einem weiteren Hapaxlegomenon, das in Am 6,10 im Zusammenhang mit Totensalbung gebraucht werde. Beide ֶ , “Harz, Verben seien denominiert von einem Substantiv ‫ ׇס ׇרף‬od. ‫שׂ ֶרף‬ Balsam” – doch ist ein solches biblisch nicht belegt, muss vielmehr vom Mittelhebräischen her erschlossen werden. Angesichts dieser Sachlage stellt Vgl. hierzu und zum Folgenden M.A. Powell, „Weights and Measures,” ABD VI, 897–908, bes. 906. Dietrich, Samuel (BK 8.2/1), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2011, 51. Vgl. Walter Dietrich, Samuel (BK 8.2/5), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2012, 326–332. Das Hapaxlegomenon wird kaum durch den vorangehenden (!) Ausdruck ‫כלי הרעים אשׁר לו‬ erklärt (so HALAT 395 und viele andere); vielmehr ist es per Waw-explicativum daran angeschlossen.

Hebräische Hapaxlegomena in den Samuelbüchern

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sich die Frage, ob hier nicht Hapaxlegomena erst durch die moderne Lexikographie geschaffen werden und man nicht besser beim wohlbelegten “Verbrennen” bleiben sollte: in diesem Fall als einer äusserst ungewöhnlichen Handlung, die womöglich durch den fortgeschrittenen Verwesungsprozess erzwungen worden war.

d) Freibeuter-Erzählungen Dies ist ein weiterer, von mir postulierter „Erzählkranz“, den der „Höfische Erzähler“ verwendet und zur Grundlage seiner Darstellung des Aufstiegs Davids in 1Sam 16 – 2Sam 5 gemacht hat. Er birgt sechs Hapaxlegomena,50 von denen hier zwei näher betrachtet seien. Beide stammen aus der anderen, älteren Version der David-Goliat-Geschichte: derjenigen vom Sieg des bis dahin namenlosen Schleudersoldaten David über einen Furcht erweckenden philistäischen Recken. – Dieser wird eingangs vorgestellt: mächtig gross und beängstigend bewaffnet (1Sam 17,4–7). Zu seiner Ausrüstung gehören „bronzene Beinschienen”. MT bietet einen Singular (‫) ׅמ ְצחַת נְחשֶׁת‬, doch der ist widersinnig und mit LXXBA (κνημῖδες χαλκαί) in einen Plural bzw. Dual zu korrigieren. ‫ ִמ ְצחָה‬nun ist ein Hapaxlegomenon. Es ist offensichtlich eine Ableitung von ‫ ֵמצַח‬, „Stirn” (vgl. HALAT 589f) – ein Wort, das übrigens in 1Sam 17 ebenfalls auftaucht: als der Punkt, an dem Goliat von Davids Stein getroffen wird. Offenbar nahmen die Hebräer es zu Hilfe, um einen Rüstungsgegenstand zu benennen, der ihnen (und dem ganzen Orient) unbekannt war – bis er ihnen an den Beinen griechischer Söldner entgegentrat.51 Diese hatten ihn, natürlich, vorn am Schienbein montiert, was wohl zur sprachlichen Verbindung mit der ebenfalls nach vorn weisenden Stirn führte.52 – In seiner Herausforderungsrede verwendet Goliat einen schwer verständlichen Ausdruck: ‫בְּרוּ ָלכֶם ׅאישׁ‬. Die LXX schreibt: ἐκλέξασθε ἑαυτοῖς ἄνδρα, „wählt euch einen Mann aus“. Fand sie in der Vorlage vielleicht noch eine Form von ‫ בחר‬vor, und in MT wäre das ‫ ח‬weggefallen? Oder soll man ‫ברו‬ 50 51

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Es sind dies: ‫ ִמ ְצחָה‬1Sam 17,6; ‫ ברה‬17,8; ‫ ח ִָריץ‬17,18; ‫ נחץ‬21,9; ‫ ַמחֲב ֹא‬23,23; ‫ חרץ‬2Sam 5,24. Beinschienen waren „commonplace in the Aegean world“: David Toshio Tsumura, The First Book of Samuel (NICOT), Grand Rapids: Eerdmans, 2007, 443, mit Verweis auf die Ilias, 18.613; 19.370; 21.592. Ebenso bereits Kurt Galling, „Goliath und seine Rüstung,“ in Volume du congrès international pour l'étude de l'ancien testament (Genève 1965) (VT.S 15), Leiden: Brill, 1966, 150–169, hier 165. Aus der semantischen Ähnlichkeit bzw. Verwandtschaft beider Lexeme resultierte eine originelle Forschungshypothese: David habe mit seinem Stein gar nicht die Stirn Goliats getroffen, sondern hinter eine seiner Beinschienen, was den Hünen ins Stolpern und schliesslich zu Fall brachte: Ariella Deem, „’And the Stone Sank into his Forehead’. A Note on I Samuel XVII, 49“, VT 28 (1978), 349–51.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen von ‫( ברר‬HALAT 155: „ausscheiden, sichten”) ableiten? Freilich müsste dann korrekt ‫ בֺּרוּ‬punktiert sein. HALAT nun (148) kreiert ein eigenes Verb – womit wir erneut vor dem Phänomen eines ‘lexikogenen Hapaxlegomenons’ stehen. ‫ בְּרוּ‬soll Imp. pl. Qal eines Verbs II ‫ ברה‬sein, „e. ‫… בּ ְׅרית‬ eingehen m. jmd.” Demnach sollten also die Israeliten „einen Bund eingehen” mit einem, der gegen Goliat zu kämpfen wagte. M.E. ist das in vieler Hinsicht zu weit hergeholt; besser folgt man LXX und nimmt für MT eine Verschreibung bzw. Fehlpunktierung an.

e)

Abschalom-Novelle

Diese höchst kunstvolle, zeitnahe Erzählung umfasst den Grundbestand von 2Sam 13–19 (20?). Es finden sich darin fünf Hapaxlegomena53, von denen hier drei behandelt werden. ְ ‫ ַמ‬in 2Sam 13,9 bezeichnet offenbar eine Küchengerätschaft, in der – ‫שׂ ֵרת‬ Tamar ihrem Halbbruder und späteren Vergewaltiger Amnon das von ihm gewünschte Gebäck reicht. Laut HALAT (606) handelt es sich um ein Derivat von ‫ שׂרת‬oder ‫סרת‬, doch erstaunlicherweise gibt es beide Verben nicht.54 Schon die griechischen Übersetzer hatten Schwierigkeiten mit dem Wort. Das beginnt bereits im vorangehenden V.8, wo Tamar zunächst den Teig für das Gebäck zubereitet: so MT und auch LXXB (σταῖς). LXXL dagegen bietet dort στέαρ, “Fett”.55 In V.9 dann, wo in MT das Wort erst wirklich steht, umschreibt LXXL es mit ἀποχέασις, was soviel heisst wie „Ausschütte” (in figura etymologica zum nachfolgenden Verb ἀποχέω). LXXB dagegen übersetzt es mit τήγανον, „Tiegel”, mit dem sonst hebräisch ‫ ַמ ֲחבַת‬, „Backblech“56, wiedergegeben wird. Es verwundert kaum, dass das fragliche Wort immer wieder Emendationsversuche herausgefordert hat; Stoebe57 führt sie auf, lehnt sie aber aus gleichem Grund ab wie McCarter58: „The rare word … seems to be firmly attested in Postbiblical Hebrew and Aramaic (independent of references to the present passage) as a term for a pan”. So ist es, und die entsprechenden Nachweise finden sich bei HALAT. – Worin hat sich Abschalom mit seinem langen Haar verfangen? MT sagt: „im ‫ שׂ ֹובְֶך‬einer Terebinthe” (2Sam 18,9). HALAT (1223) gibt für das Hapaxlego53 54 55

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Es sind dies: ‫ ַמשׂ ְֵרת‬2Sam 13,9; ‫ מִיכָל‬17,20; ‫ שְׁפ ֹות‬17,29; ‫ שׂ ֹובְֶך‬18,9; ‫ לאט‬19,5. In KAHAL ist dies geändert. In Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare, Bd. 1, ed. Martin Karrer / Wolfgang Kraus, Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 2011, 831, wird dies so erklärt: „Verschreibung durch Metathesis und Tilgung des ‫ מ‬von ‫‘ משׂרת‬Pfanne’ (so MT) zu ‫שׁתר‬, ‘Fett’”. Vgl. HALAT 537. Hans Joachim Stoebe, Das zweite Buch Samuelis (KAT 8.2), Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1994, 320. P. Kyle McCarter, II Samuel (AnB 9), New York a.o.: Doubleday, 1984, 317.

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f)

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menon die Übersetzung „Geäst” an und verweist dazu auf ein Verb ‫שׂבך‬. Dieses ist freilich im biblischen Hebräisch nicht belegt (HALAT 1214), doch gibt es Analogien in einigen benachbarten Sprachen, darunter auch alten (wie Akkadisch), die alle auf ein semantisches Feld weisen: „verflechten, umgarnen, befestigen”. Was letzte Zweifel schwinden lässt, ist das im AT neunmal belegte, ebenfalls von ‫ שׂבך‬abzuleitende Nomen ‫שׂ ָבחָה‬ ְ mit der Grundbedeutung „Flechtwerk” (vgl. HALAT 1214). Abschalom hat sich also im „Geflecht einer Terebinthe” verfangen, was natürlich das Astwerk oder Geäst des Baumes meint. Nach 2Sam 19,5 „verhüllte“ David, als er vom Tod Abschaloms erfuhr, sein Antlitz und weinte. Das hier verwendete Verb ‫ לאט‬ist gemäss HALAT (488) gleichbedeutend mit dem besser belegten ‫לוט‬, „einwickeln, verhüllen“. Anscheinend haben wir es mit einer altertümlichen Nebenform zu tun.

Höfischer Erzähler

Dem Hauptverfasser der Samuelbücher, der wohl gegen Ende des 8. Jh.s die Geschichte der frühen israelitischen Königszeit erstmals im Zusammenhang niederschrieb und dazu nicht nur zahlreiche Quellen aufnahm, sondern auch eigene Texte schrieb, lassen sich immerhin sieben Hapaxlegomena zuordnen.59 Dies ist insofern bemerkenswert, als die nächste grosse Redaktion, die deuteronomistische, nicht mehr eines aufweist!60 Offenbar lässt die sprachliche Originalität, die den älteren Bestand der Samuelbücher auszeichnet, in den jungen Schichten nach. (‫)וַיּאֶל‬ – In 1Sam 17,39 versucht Saul, den jungen Hirten David für den Zweikampf mit Goliat zu wappnen, indem er ihm seine eigene Rüstung anlegt. (Die ganze Szene mit der Rüstungsanprobe hat m.E. der Höfische Erzähler eingefügt, um das hervorzuheben, was seiner Meinung nach der Skopus der Geschichte ist: dass nicht Waffen den Sieg bringen, sondern das Mit-Sein Gottes.61) Doch schnell stellt sich heraus, dass David „unfähig war (‫ )וַיּאֶל‬zu gehen, denn er hatte es noch nicht probiert“. So legt er die schwere Rüstung ab und begibt sich mit Stock und Schleuder in den Kampf. Das Verb, das hier mit „unfähig sein“ wiedergegeben wird, ist nur hier in dieser Bedeutung 59

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Es sind dies: ‫ אלה‬1Sam 17,39; ‫ עין‬18,9; ‫הקָה‬ ֲ ‫ ַל‬19,20; ‫ פּוּקָה‬25,31; ‫שׁבָץ‬ ָ 2Sam 1,9; ‫ אנשׁ‬12,15; ‫ חַיּוּת‬20,3. Freilich ist hier zuweilen möglich, dass das betreffende Wort nicht auf den Gesamterzähler, sondern auf eine von ihm benutzte Quelle zurückzuführen ist. Eine Ausnahme könnte das Verb II ‫„( כהה‬schelten, hindern”) in 1Sam 3,13 sein, sofern man der verbreiteten Annahme folgt, das jetzige Orakel an den jungen Samuel in 3,12–14 sei ein redaktioneller (m.E. von DtrP stammender) Ersatz für eine ältere Version. Doch könnten darin immer noch ältere Elemente enthalten sein. Vgl. Dietrich, Samuel (BK 8.2/5), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2012, 329. 332.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen belegt. Es gibt zwar noch zwei andere homonyme Wurzeln – die bekannte für „verfluchen“ (I ‫ )אלה‬und eine seltene für „wehklagen“ (II ‫– )אלה‬, doch passen beide nicht in den hiesigen Zusammenhang.62 Das brachte die antiken Übersetzer zum Raten: Die meisten LXX-Versionen schreiben ἐκοπίασεν, „er versuchte (zu gehen)“, LXXL hingegen ἐχώλαινεν, was wohl gleichbedeutend ist mit χωλεύω, „lahm sein, hinken“, und jedenfalls abzuleiten von χωλός, „lahm“, woraufhin altlateinische Handschriften bieten: claudicare coepit, „er begann zu hinken“. HALAT (50) hingegen postuliert aufgrund einer arabischen Analogie ’alā, „zögern“, die hebräische Wurzel III ‫ אלה‬mit der Bedeutung „unfähig sein“.63 Diesmal, so wird man zugeben müssen, handelt es sich nicht um ein ‚lexikogenes Hapaxlegomenon’. Nach dem durch David herbeigeführten Sieg Israels über die Philister im Tal Ela werden die heimkehrenden Krieger von jubelnden Frauen begrüsst, die David als noch grösseren Helden rühmen als Saul. Daraufhin gibt der Höfische Erzähler Einblick in das Innere des Königs: Er sei ergrimmt und habe gedacht, nun müsse man David nur noch das Königtum geben (1Sam 18,8). „Und von diesem Tag an und fortan beäugte Saul David“ (18,9). In meinem Kommentar findet sich dazu die Textnote: „M hat hier im Ketib ‫עון‬, die Wurzel für ‚Schuld’: wohl eine Fehllesung. Das Qere (‫ )עוין‬und G (ὑποβλεπόμενος) setzen die Wurzel ‫עין‬, ‚Auge’, voraus. Davon ist hier in einem hapax legomenon ein Verb denominiert“,64 das man sachgemäss mit „(misstrauisch) beäugen“ wiederzugeben hat. Es scheint, als zeige sich der Höfische Erzähler hier als Wortschöpfer; doch gibt es laut HALAT (773) analoge Verbbildungen nicht erst in nachbiblischen Sprachen (Mittelhebräisch, Jüdisch-Aramäisch und Syrisch), sondern schon im Ugaritischen („‛n sehen, wahrnehmen“).65 Gleichwohl bleibt die Anschaulichkeit des Ausdrucks im gegebenen Kontext bemerkenswert. David hinterlässt, als er vor Abschalom aus Jerusalem weicht, dort zehn Nebenfrauen (2Sam 15,16), zu denen sein Sohn und Gegner, wie berichtet wird, prompt „eingeht“ (16,22). Bei der Rückkehr in seine Residenz findet David diese Frauen vor, lässt sie wegsperren und versorgen, hat aber keinen Umgang mehr mit ihnen; so „wurden sie zu Eingeschlossenen bis zum Tag

Dies gegen Gesenius18 (59), wo zwar vermerkt wird, dass ein „ar. LW [Lehnwort, W.D.] ’alā unterlassen, v. etw. abstehen – n. manchen Wz. zu ‫ וַיּאֶל‬1S 17,39“ sei, dann aber auf II ‫אלה‬ verwiesen wird, womit man zu der wenig überzeugenden Übersetzung gelangen würde: „David wehklagte zu gehen“. KAHAL folgt dem im Prinzip mit dem etymologischen Hinweis: „Arab. ʾlw zögern, aufgeben, lassen“. Dietrich, Samuel (BK 8.2/5), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2012, 399. In KAHAL (402) kann daraufhin die etymologische Angabe sehr knapp bleiben: „denom. v. ‫ ;“ ַעי ִן‬beim Nomen steht dann der Hinweis „sem.“, d.h. allgemeinsemitisch.

Hebräische Hapaxlegomena in den Samuelbüchern





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ihres Todes: eine Witwenschaft auf Lebenszeit (‫“)חַיּוּת‬66 (2Sam 20,3). Dieser Satz ist, wie der ganze Motivzug von den Abschalom vorübergehend überlassenen Nebenfrauen Davids, vom Höfischen Erzähler formuliert.67 Es klingt aus ihm etwas wie Mitgefühl mit diesen namenlosen, im Machtspiel der Männer zu Objekten degradierten Frauen. Wie das Verb ‫ עין‬vom Nomen ‫ ַעי ִן‬, so ist das Nomen ‫ חַיּוּת‬vom Verb ‫ חיה‬abgeleitet – ein neuerlicher Hinweis auf die sprachschöpferische Kraft des Höfischen Erzählers: diesmal umso mehr, als es für diese Wortbildung keine Vorbilder in älteren semitischen, sondern nur Nachbildungen in jüngeren Sprachen gibt (Mittelhebräisch, Jüdisch-Aramäisch, Mandäisch: HALAT 298). Ein weiterer, ähnlicher Fall scheint das Vorkommen des Nomens ‫פּוּקָה‬, „Anstoss“, in 1Sam 25,31 zu sein. Nur an dieser, vom Höfischen Erzähler gestalteten Stelle in Abigajils Rede an David gibt es diese Nominalbildung vom Verb I ‫פוק‬, „taumeln”. Das Nomen meint das, was das Taumeln auslöst: in diesem Fall unnötiges Blutvergiessen. Für diese Ausdrucksweise führt HALAT (869f) keinerlei Parallelen aus anderen Sprachen an. Für ein anderes, dem Höfischen Erzähler zuzuschreibendes Hapaxlegomenon hingegen – das Verb I ‫( אנשׁ‬Nif.) zur Beschreibung des „Kränkelns“ eines Kindes in 2Sam 12,15 – gibt es Analogien in alten (Akkadisch) wie in jungen (Arabisch, Syrisch) semitischen Sprachen (vgl. HALAT 70).68 Hier ist interessant, dass die LXX das Wort durch ἀρρωστέω, „kraftlos od. schwach sein, insb. krank od. kränklich sein“69, völlig zutreffend wiedergibt, während es in 4QSama ausgelassen ist – man könnte meinen, weil es nicht verstanden wurde, nach Annahme der massgeblichen Bearbeiter jedoch aufgrund von „haplography (‫ )ויאנש ויבקש‬owing to both homoioarkton and homoioteleuton“.70 Die übrigen Hapaxlegomena: ‫ ֲאג ָֹורה‬1Sam 2,36; ‫ גְז ֵָרה‬2Sam 12,31; ‫שׁ ָרה‬ ְ ‫ ַח‬2Sam 22,19; ‫ַט ָבּחָה‬ 1Sam 8,13; ‫ ַמ ְלכֵּן‬2Sam 12,31; ‫ נהה‬1Sam 7,2; ‫ ַקי ִן‬2Sam 21,16; ‫ שׁסף‬1Sam 15,33; ‫ תפל‬2Sam 22,27.

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Diese Zeitspanne bezieht sich nicht auf das Leben Davids, sondern auf das der Nebenfrauen. Dies habe ich näher begründet in meinem Aufsatz: „Die Fünfte Kolonne Davids beim Abschalom-Aufstand,“ in Seitenblicke. Literarische und historische Studien zu Nebenfiguren im zweiten Samuelbuch (OBO 249), ed. Walter Dietrich, Fribourg/Göttingen: Universitätsverlag/Vandenhoeck & Ruprecht, 2011, 91–120 = Walter Dietrich, Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk. Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments II (BWANT 201), Stuttgart: Kohlhammer, 2012, 227–253. In KAHAL (39) ist nur das Akkadische und daneben das Ugaritische erwähnt. Menge-Güthling, Griechisch-deutsches und deutsch-griechisches Wörterbuch, Berlin-Schöneberg: Langenscheidt, 31925, 109. Qumran Cave 4 XII. 1-2 Samuel (DJD XVII), ed. Frank Moore Cross a.o., Oxford: Clarendon Press, 2005, 144.

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5. Résumé Um das Ergebnis dieser Untersuchung in wenigen Sätzen zusammenzufassen: Die jüngsten Schichten der Samuelbücher bergen so gut wie keine Hapaxlegomena, die älteren hingegen beträchtlich viele. Was den Höfischen Erzähler betrifft, weisen sie auf eine erhebliche Sprachkraft hin, in den von ihm benutzten Quellen darüber hinaus auf eine gewisse Altertümlichkeit sowohl der Sprache als auch der übermittelten Sachverhalte. Die antiken Versionen sahen sich dadurch zuweilen vor Probleme gestellt, denen sie mit hoher Einfühlsamkeit beizukommen suchten. Die moderne Lexikographie vermehrt durch selbstinduzierte Hapaxlegomena mitunter die Probleme, verfügt aber in Gestalt der vergleichenden Semitistik über ein probates Mittel zu ihrer Lösung.

Hebräisch-Griechisch-Deutsch. Übersetzungsprobleme in den Samuelbüchern 1. Einige Grundfragen zum Übersetzen biblischer (und speziell der Samuel-)Texte a) Jede Übersetzung bedeutet Horizontverschmelzung Jede Übersetzung des Bibeltexts (oder eines Stücks daraus) steht vor zwei gegenläufigen Aufgaben, die in irgendeiner Weise miteinander in Einklang gebracht werden müssen: Einerseits muss sie dem Ausgangstext, andererseits dem Zielpublikum gerecht werden. Es gibt Übersetzungen, die klar dem Zielpublikum den Vorrang geben – wobei dieses wiederum sehr verschieden bestimmt werden kann: vom sog. interessierten oder gebildeten Laien, der eine gepflegte Schriftsprache erwartet, über den gelernten Lutheraner, der den „Luther-Originalton“ im Ohr hat und immer wieder hören möchte, weiter zu einer kirchlich nicht gebundenen Normalleserschaft, der eine speziell religiöse Sprache fremd und die eher umgangssprachlich orientiert ist, bis hin zu Jugendlichen mit ihrem ganz eigenen Slang. Andere Übersetzungen legen den Akzent klar auf Treue gegenüber dem Ausgangstext. Dieser aber ist mehrere tausend Jahre alt. Er stammt aus einer Kultur (bzw. deren mehreren), die es heute so nicht mehr gibt. Allerdings ist das sog. christliche Abendland durch die biblische Tradition (zuerst auf Lateinisch, dann auf Deutsch, Englisch, Tschechisch usw.) kontinuierlich beeinflusst worden. Hier ist also für die alten biblischen Kulturen ein gewisses Grundverständnis erhalten geblieben bzw. in das kulturelle Selbstverständnis der Menschen eingeflossen. Doch je mehr sich das ändert (durch Säkularisierung etwa oder durch Zuwanderung) und je weiter das Zielpublikum vom christlichen Abendland entfernt ist (z.B. in Afrika oder in Asien oder in sog. indigenen Kulturen Südamerikas), desto mehr haben sich Bibelübersetzungen der Frage nach Inkulturation und Interkulturalität zu stellen. Um drei eher persönliche oder zufällige Beispiele zu geben: – Meine Eltern waren Missionare im sozusagen noch vormodernen ländlichen China, das von westlichen Kultureinflüssen völlig unberührt, das nicht einmal klar nur buddhistisch oder nur konfuzianisch oder nur daoistisch oder nur animistisch geprägt war, sondern von alledem zugleich. Wie konnte in

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen eine solche dezidiert nicht-westliche Kultur und überdies grundfremde Sprache hinein die Sprache der Bibel übertragen werden? Ein aus Kenia stammender und in der Schweiz lebender Theologe weiss glaubhaft und anschaulich zu berichten, dass in seiner Heimat Begriffe wie „Erzeltern“, „Totenwelt“ oder „Auferstehung“ auf einen ganz anderen, kulturell fruchtbaren Boden fallen als im modern-rationalen Westen. Um da anzuknüpfen und ein wenig auf die Samuelbücher zu fokussieren: In 1Sam 28 wird eine Beschwörung des toten Samuel aus der Unterwelt beschrieben – bzw. gerade nicht beschrieben. Es wird nur gesagt, dass die Totenbeschwörerin in Aktion trat – und gleich danach, dass sie Samuel heraufkommen sah. Wie sie das bewirkt, welche Zaubermittel und Beschwörungsformeln sie angewandt hat, bleibt völlig ungesagt; das war nämlich in Israel – bzw. in den Kreisen, die die biblischen Stoffe tradiert und schliesslich kanonisiert haben – tabu; Totenbeschwörung war verboten. In einem modernen Oratorium nun, das aus dem Schweizer Waadtland stammt, dem „Roi David“ von Artur Honegger und André Morax, singt die sog. „Hexe“ bestimmte Klänge und Wörter: eine höchst unheimliche, grossartige Szene, die ihre Wurzeln gewiss in spiritistischen Usancen der ländlichen Waadt hat. Künstler mögen derlei in einen biblischen Text eintragen, professionelle Bibelübersetzer können es nicht.

Nun bin ich nicht in der Lage, die Samuelbücher für Bauern im Waadtland oder in der chinesischen Provinz zu übersetzen, sondern in einem wissenschaftlichen Kommentar. Gleichwohl muss ich mein Zielpublikum im Blick haben: Es spricht (oder versteht doch) Deutsch. Es legt Wert auf Exaktheit, auf wissenschaftliche Genauigkeit. Es ist in der Lage, Begriffe und syntaktische Fügungen, die umgangssprachlich vielleicht nicht sehr üblich sind, zu verstehen. Es wird aber auch, so vermute ich, einen Sinn für Gediegenheit und Schönheit von Sprache haben. Und damit komme ich auf das andere Ufer des „Übersetz“-Vorgangs. Die Sprache der biblischen Texte, die ich über-zu-setzen habe, ist gediegen und schön, manchmal auch bewusst kantig, ja grob, zuweilen mit Wortspielen (in ganz seltenen Fällen: mit Reimen) verziert. Ein Beispiel aus den Samuelbüchern: Gleich im ersten Kapitel, 1Sam 1, ist ein bestimmtes Verb ein Leitwort: šā’al, „bitten, fragen“. Hanna, die Heldin der Geschichte, die unter ihrer Kinderlosigkeit leidet, „erbittet“ von Gott einen Sohn – und verspricht als Gegenleistung, diesen, wenn er ihr denn geschenkt worden ist, Gott zurückzugeben. Als sie tatsächlich einen Sohn gebiert, nennt sie ihn Schemû’ēl, „denn von Jhwh Zebaot habe ich ihn erbeten“ (1,20); offenbar hört die Frau bzw. die Leserschaft einen Wortanklang zwischen dem Namen und dem Verb heraus – obwohl dieser so dicht eigentlich nicht ist (vor allem wegen des zusätzlichen „m“ in „Samuel“). Viel dichter wäre der Anklang an einen anderen Namen: Šā’ûl – Saul, der Mann, den Samuel zum ersten König Israels salben wird. Sauls Name bedeutet wirklich so viel wie „der

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Erbetene“; die Eltern hatten ihn sich wohl gewünscht, während Šemû’ēl etwa bedeuten könnte: „Der, über dem der Name Gottes genannt ist“. Die Anklänge zwischen den beiden Namen und dem Verb sind offenbar bewusst hergestellt: Das Schicksal beider Männer wird verknüpft sein, weil Gott (der offenbar um beide „gebeten“ wurde) sie verknüpft haben wollte. Als Hanna später in Erfüllung ihres Gelübdes das Kind zum Tempel bringt, erklärt sie dem Priester: „Jhwh hat mir gegeben, was ich in meiner Bitte (das Nomen še’ēlāh) von ihm erbeten habe (das Verb šā’al). Und auch ich habe ihn [den Jungen] zu etwas von Jhwh Erbetenem gemacht (wieder das Verb šā’al). Alle Tage seines Lebens sei er ein Erbetener für Jhwh“ (noch einmal das Verb šā’al, diesmal in der Form des Partizips Passiv: hebräisch šā’ûl – genau der Wortklang des Namens Šā’ûl). Ein Übersetzer muss sich fragen, wie er mit so etwas umgehen will. Er wird diese Anklänge im Deutschen nicht nachahmen können, wird aber seine Leserschaft darauf hinweisen müssen: in einem Kommentar eben. Nun gibt es allerdings sehr verschiedene Kommentare bzw. Kommentarreihen mit ganz unterschiedlichen Zielvorgaben. In Amerika etwa heisst eine Reihe, sehr deutlich: „Interpretation. A Bible Commentary for Teaching and Preaching“. Eigentlich waren einmal „Das Alte Testament Deutsch“ und der „Zürcher Bibelkommentar“ ähnlich gedacht; doch tendieren sie immer stärker zur Verwissenschaftlichung, auch zur Historisierung. Auf katholischer Seite wäre die „Neue Echter Bibel“ ein Pendant. Sie nimmt einen Stil auf, der Anfang des 20. Jh.s mit grossem Erfolg gepflegt worden war. „Der Kautzsch-Bertholet“ war eine berühmte, zweibändige Übersetzung mit dem Titel: „Die Heilige Schrift des Alten Testaments“; in ihr läuft jeweils oben auf der Seite – oft nur mit wenigen Zeilen – der übersetzte Bibeltext, während unten auf der Seite kommentierende Erklärungen dazu stehen. So war und ist es im Prinzip auch im „Handbuch zum Alten Testament“, einer renommierten wissenschaftlichen Kommentarreihe, die der Göttinger Verlag Vandenhoeck & Ruprecht als wissenschaftliches Gegenstück zum ursprünglich populär gemeinten „Alten Testament Deutsch“ herausgibt. Der „Biblische Kommentar Altes Testament“, für den ich die Samuelbücher auszulegen habe, ist an Umfang und Gründlichkeit in der deutschen Kommentarwelt unübertroffen. Hier steht die Wissenschaftlichkeit stark im Vordergrund – obwohl die Serie seit ihrer Begründung in den 1950-er Jahren betont auch immer die PfarrerInnen in ihrem Predigtdienst im Blick hatte. Im BK ist es ausgeschlossen, etwas Anderes zu liefern als eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Textübersetzung. Diese wird immer begleitet von einem ausführlichen textkritischen Apparat, in dem die einzelnen Übersetzungsentscheidungen begründet, erklärt, abgesichert usw. werden. Diese Textnoten allein schon – noch ganz abgesehen von der nachfolgenden Auslegung – sind meist umfangreicher als die eigentliche Übersetzung. Gleichwohl gibt es auch unter der Prämisse kompromissloser Wissenschaftlichkeit Spielräume für bestimmte Entscheidungen, die man so oder anders

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fällen kann. Es handelt sich dabei gewissermassen um Grundsatzfragen, die vor jeder Einzelübersetzung stehen.

b) Grundentscheidungen bei einer wissenschaftlichen SamuelÜbersetzung Die erste Grundsatzfrage ist: Soll man einen Text so übersetzen, dass er die Eigenschaften der Herkunftssprache noch möglichst weitgehend erkennen lässt, oder so, dass er in der Zielsprache glatt und möglichst elegant klingt? Anders: Wie wörtlich muss eine Übersetzung und wie frei darf sie sein? Immer schon haben sich Dichter an fremdsprachigen Dichtungen erprobt, haben versucht, sie in der eigenen Sprache wieder als Dichtung erscheinen zu lassen. Je besser das gelingt, so die Faustregel, desto weiter hat man sich vom Ursprungstext entfernt, entfernen müssen. Bei einem wissenschaftlichen Kommentar kann m.E. kein Zweifel daran sein, dass die Verpflichtung zur Exaktheit gegenüber der Herkunftssprache den Wunsch nach Schönheit in der Zielsprache zu überwiegen hat. Doch ist da nicht schwarz-weiss zu malen: entweder korrekt oder elegant. Solange keine Interlinear-Übersetzung angestrebt ist – sie folgt Wort für Wort dem Ursprungstext –, kann dem Bemühen um eine zumindest verständliche, vielleicht beeindruckende oder gar bestrickende Wiedergabe Raum gegeben werden. Ein paar Beispiele: Im Hebräischen gibt es den sog. Narrativ. Das ist eine Zeitform bei Verben, die durch die Voranstellung eines „und“ vor der nachfolgenden, fast wie das Präsens aussehenden Verbform das Präteritum ausdrückt, und zwar oft in Fortsetzung eines vorangehenden Narrativs und vielleicht wieder gefolgt von einem weiteren. Bei einer eleganten Übersetzung würden viele narrative „Und“ entfallen oder durch eine Konjunktion (während, weil, obwohl usw.) ersetzt werden; dadurch würden Sätze, die im Hebräischen parataktisch nebeneinander stehen, einander subordiniert. Ich habe mich entschieden, das nicht zu tun. Das eigentümlich Schwingende der hebräischen Narrativketten sollte nicht beseitigt, die nicht immer eindeutige Zuordnung der einzelnen Aussagen unentschieden bleiben. Damit verbunden ist eine weitere Entscheidung. In aller Regel werden Erzählungen (anders als oft Dichtungen) in westlichen Zielsprachen in einem fortlaufenden Druckbild wiedergegeben. Nur getrennt durch Punkte (oder allenfalls Semikola oder Fragezeichen), folgen die Sätze nacheinander, bis irgendwo, aufgrund eines gedanklichen Wechsels, ein Absatz eine Satzfolge schliesst und eine nächste eröffnet. Ich unterlasse es in aller Regel, Absätze zu setzen, stelle dafür aber möglichst jede Sinneinheit auf eine eigene Zeile. Eine Satzkette wie „Und sie öffnete die Tür / und ging hinein / und sah sich um / und sagte zu den im Raum Anwesenden“ würde vier Zeilen in Anspruch nehmen, obwohl sie bei

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fortlaufendem Druck auf etwa eineinhalb Platz hätte. Das ist ein bisschen Platzvergeudung, gewiss; da aber die Übersetzungen meist nur ein Zwanzigstel der Auslegung ausmachen, ist der zusätzlich benötigte Raum relativ gering. Dafür tritt beim Lesen die Satz- und Erzählstruktur viel klarer vor Augen als bei der normalen Druckweise. Namentlich das „und“ der Narrative springt als jeweiliger Zeilenanfang unübersehbar ins Auge. Eine Konzession an Lesbarkeit und Verständlichkeit ist es, dass ich direkte Reden in Anführungszeichen setze (die es weder im Hebräischen noch im Griechischen gibt). Allerdings erfolgt im Hebräischen die Eröffnung direkter Rede häufig durch lē’mōr (wörtlich etwa: „für um zu sprechen“, freier: „sprechend“). Also: „Und er antwortete seinem Bruder, sprechend“, worauf die direkte Rede folgt. Ich übergehe im Deutschen das lē’mōr und setze dafür Anführungszeichen (und am Redeende Schlusszeichen). Ein Generalproblem ist die Wiedergabe des hebräischen Gottesnamens. Die jüdische Tradition vermeidet es, unter Bezug auf das 2. bzw. 3. Gebot, den Namen „Jahwe“ auszusprechen. Deshalb ist im masoretisch vokalisierten Text (M) das Tetragramm (die vier Konsonanten jod-he-waw-he) so punktiert, dass man „’adōnaj“ lesen soll (was fälschlich zur Lesung „Jehowa“ geführt hat). Die jüdischen Übersetzer des griechischen Alten Testaments, der Septuaginta (G), gaben es, jüdisch korrekt, mit κύριος wieder, deutsch „Herr“, lateinisch „dominus“. Luther übernahm das, schrieb aber zur Unterscheidung vom normalen Wort „Herr“ den Gottesnamen „HErr“ (was bei hebräisch ’adōnaj jhwh zu „Herr HErr“ führt), die Zürcher Bibel schreibt HERR (in Kapitälchen), im Reformierten Gesangbuch steht dafür ER oder IHN (auch in Kapitälchen), bei den jüdischen Übersetzern Buber/Rosenzweig „der Ewige“. Ich belasse es beim Tetragramm, aus Respekt vor den Juden ohne Vokale, und im Unterschied zu anderen nicht in Kapitälchen oder Grossbuchstaben, sondern in deutscher Normalschrift, also „Jhwh“. Auch andere hebräische Eigennamen stellen in gewisser Weise ein Problem dar. Manche sind längst eingedeutscht (David, Rut, Samuel), andere nicht. Die neue Zürcher Bibel von 2007 tut sich durch besonders grosse Treue gegen M hervor, und da findet man Namen wie Jehonatan, Chachila, Chebron, Chamat, Chuschai, Achitofel, dann aber überraschend Batseba und Absalom (wo hebräisch ‚korrekt’ Batscheba und Abschalom wäre). Ich halte solches für verwirrlich und plädiere, wo immer ich Gelegenheit habe, für die Befolgung der sog. Loccumer Richtlinien, eines „Ökumenischen Verzeichnisses der biblischen Eigennamen“, beschlossen 1980 von der Deutschen Bibelgesellschaft und der Katholischen Bibelanstalt mit den dahinter stehenden Kirchen. Hier ist die Schreibweise jeweils sehr nah am Hebräischen, aber nicht in sklavischer Weise; manches ist gegenüber dem Herkommen vereinfacht: für Taw steht einfaches t (statt th, ausser bei Matthäus), für Chet einfaches h, für Pe f (nicht ph), für Schin sch, konsonantisches Jod wird wirklich ausgeschrieben. So ergibt sich: Abigajil (statt Abigail), Abschalom, Ahitofel, Hamat, Hebron, Huschai usw.

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Eine Besonderheit bei einigen Namen gerade der Samuelbücher ist ihre offensichtlich aus dogmatischen Gründen erfolgte Verballhornung in M. Ein Saul-Sohn hiess Eschbaal, ein Jonatan-Sohn Meribaal. Die Masoreten wollten den Gottesnamen Baal nicht hinschreiben und änderten ab in Ischboschet („Mann der Schande“) bzw. Mefiboschet (eine sinnlose Verbindung mit „Schande“). Und die Zürcher Bibel von 2007 folgt dem!

2. Aus dem Vorhandensein verschiedener Textversionen der Samuelbücher sich ergebende Übersetzungsprobleme a) Der Befund Die Samuelbücher sind ein textlich bzw. textkritisch besonders schwieriges Feld innerhalb des Alten Testaments. Da gibt es: 1. (und für Protestanten immer noch an erster Stelle stehend) die hebräische Bibel (M), die im Judentum über ein Jahrtausend lang als reiner Konsonantentext überliefert, etwa im 8. Jh. n.Chr. von den sog. Masoreten (Gelehrtenschulen in Jerusalem und im galiläischen Tiberias) mit interlinearen Vokalund Akzentzeichen versehen, in dieser Form wieder viele Jahrhunderte getreulich abgeschrieben und mit dem beginnenden Buchdruck endgültig fixiert wurde; 2. die Septuaginta, eine etwa im 2. Jh. v.Chr. von alexandrinischen Juden vorgenommene Übersetzung solcher hebräischer Schriften, die damals kanonischen Rang hatten, ins Griechische; sie wurde in z.T. recht unterschiedlichen Rezensionen weiter überliefert, von der frühen Kirche übernommen und zum ersten, „alttestamentlichen Teil“ ihrer Bibel gemacht; 3. hebräische Textfragmente (z.T. sehr umfangreiche!) der Samuelbücher aus der Bibliothek der Essener-Sekte von Qumran (angefertigt im 2. und 1. Jh. v.Chr.); 4. einige Passagen, die der Verfasser der Chronik mehr oder weniger wortwörtlich aus den Samuelbüchern übernommen hat, sowie ein Psalm (Ps 18), den ein Redaktor in die Samuelbücher übertragen hat (2Sam 22), wobei die Textformen z.T. nicht unerheblich voneinander abweichen. Hinzu kommen noch Samuel-Zitate in anderen antiken Schriften: Flavius Josephus, Neues Testament, Talmud, dazu frühe Übertragungen oder Übersetzungen, teils noch aus dem Hebräischen (die aramäischen Targume [T] und die syrische Peschitta [S]), teils dann aus der Septuaginta (Reste der sog. Vetus

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Latina [L] und dann die von Rom approbierte Vulgata [V], bis heute im Katholizismus die bestimmende Version der Bibel). Die späteren Übersetzungen (von katholischer Seite meist aus der Vulgata, von protestantischer auch oder vorrangig aus der Hebräischen Bibel oder der Septuaginta) lasse ich hier beiseite: ins Mittelhochdeutsche, in Lutherdeutsch, ins Altfranzösische, Englische usw. Der Übersetzung in meinem Kommentar liegt, wie traditionell im BK, grundsätzlich der hebräische Text M zugrunde, doch gibt es sehr oft Abänderungen aufgrund von G oder Q, Chr oder Ps, selten auch von späteren Texten. Sämtliche Abweichungen von M werden im deutschen Text markiert und in Textnoten begründet. Ziel ist es, den wahrscheinlichen Urtext zu finden: diejenige Textform, die am Ende der formativen Phase der Entstehung der Samuelbücher, etwa im 4. Jh. v.Chr., erreicht war und von der aus sich dann (ab dem 3. oder 2. Jh. v.Chr.) die eben vorgestellten unterschiedlichen Textversionen entwickelten. Im Folgenden seien einige konkrete Entscheidungen in Fällen des Auseinanderlaufens dieser Texttraditionen vor Augen geführt.

b) Differenzen zwischen Sam-M und Sam-Q Hier will ich mich auf einen einzigen, freilich gewichtigen Fall beschränken. In 1Sam 11 wird die Geschichte vom wunderbaren Sieg des noch gar nicht richtig inthronisierten Saul über die ostjordanischen Ammoniter erzählt. Sie beginnt (in M und G) damit, dass „Nahasch, der Ammoniter“ mit Militärmacht gegen das Städtchen Jabesch in der ostjordanischen, sich aber zu Israel rechnenden Region Gilead vorrückt. Die Jabeschiter erkennen die Aussichtslosigkeit der Lage und bieten Nahasch ihre Unterwerfung an, wenn er denn einen Vertrag mit ihnen schliesse (damit beiderseitige Rechte und Pflichten fixiert sind). Nahasch antwortet mit einer unerhörten Provokation: Der ‚Vertrag’ soll darin bestehen, dass er jedem Jabeschiter das rechte Auge aussticht – um auf diese Weise Israel zu demütigen. Das ist ein wahrhaft steiler Einstieg in eine Erzählung. In Q nun läuft dem ein längerer Passus voraus, in dem jener Nahasch ‚ordentlich’ vorgestellt wird (als „König der Ammoniter“), in dem schon frühere Aggressionen seinerseits gegen die ostjordanischen Siedler Israels geschildert werden, und in dem seine Wut gerade gegen Jabesch eine Begründung erfährt: Und Nahasch, der König der Ammoniter, er hatte die Gaditer und die Rubeniter mit Gewalt bedrängt und hatte ihnen, jedem, das rechte Auge ausgestochen und Angst und Schrecken verbreitet in Israel. Und kein Mann war geblieben unter den Israeliten jenseits des Jordan, dem Nahasch, der König der Ammoniter, nicht jedes rechte Auge ausgestochen hätte. (Nur) 7000 Mann waren geflohen vor den Ammonitern, und sie kamen nach Jabesch-Gilead.

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Die Version von Q wird interessanterweise durch den folgenden Passus in den Antiquitates Iudaicae des Flavius Josephus gestützt: Naases, der König der Ammaniter, hatte einen Kriegszug gegen die jenseits des Jordan wohnenden Juden unternommen und sie hart bedrängt, da er nicht nur ihre Städte eingenommen, sondern auch den mit Gewalt Unterjochten durch eine schlaue und listige That es unmöglich gemacht hatte, sich seiner Botmässigkeit wieder zu entziehen, falls sie dies je gelüsten sollte. Er liess nämlich denen, die sich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben hatten oder kriegsgefangen in seine Gewalt gelangt waren, das rechte Auge ausstechen in der Absicht, sie zum Kriege untauglich zu machen, da das linke Auge ja durch den Schild verdeckt wurde. Als der König der Ammaniter so gegen die Juden jenseits des Jordan gewütet hatte, führte er sein Heer auch wider die Galadener. Bei deren Hauptstadt Jabis schlug er sein Lager auf...

Die Nachricht, dass der Belagerung von Jabesch eine massenhafte Teilblendung unterworfener ostjordanischer Israeliten vorangegangen sei, findet sich also bei zwei antiken Zeugen. Darüber, ob das Q-Plus zum ‚Urtext’ der Samuelbücher gehört (hat) oder nicht, haben sich zwei wissenschaftliche Lager gebildet. Das Pro-Lager ist in Nordamerika beheimatet. Für die Ursprünglichkeit des Q-Plus wird u.a. ins Feld geführt, dass es nicht ‚fromm erbaulich’ wirkt (wie sonst oft späte Zusätze), sondern ‚rein historisch’. Auch verstehe man so die grobe Reaktion Nahaschs auf das Unterwerfungsangebot der Jabeschiter besser: Diese haben ihn zuvor heftig gereizt. Warum der Passus in M und G fehlt, können die Vertreter dieses Lagers freilich kaum erklären. Das Anti-Lager ist vorwiegend in Israel lokalisiert. Seine Vertreter verweisen darauf, dass in dem Q-Plus auf verschiedene andere AT-Texte (etwa Num 32; Ri 4,3; 1Kön 19,18) angespielt werde, was auf schriftgelehrte Arbeit weise. Auch liebten es Verfasser von midraschartigen Zusätzen, ein im Bibeltext schon berichtetes Ereignis zu duplizieren und zu überhöhen (Augenausstechen für alle, nicht nur für Jabesch). Mir scheint, das Anti-Lager hat die besseren Argumente. Zudem ist es doch wahrscheinlicher, dass eine derartig wichtige ‚Information’ dem Text eher nachträglich zugewachsen als von späteren Schreibern ausgelassen worden ist. Zudem steht hier Q ganz allein gegen M und G (was grundsätzlich freilich nicht viel heißen muss: Es gibt Stellen – allerdings kleinere, weniger spektakuläre –, an denen Q allein den Urtext bewahrt zu haben scheint).

c)

Differenzen zwischen Sam-M und Sam-G

Abgesehen vom Jeremiabuch gibt es kein alttestamentliches Buch, in dem M und G so häufig und so weit auseinanderlaufen wie in den Samuelbüchern. Lange hat man gedacht, hier hätten sich die griechischen (in Wahrheit ja jüdischen, aber griechisch sprechenden) Übersetzer besonders viele Freiheiten herausgenom-

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men. (Oder umgekehrt: die Tradenten von M hätten hier besonders häufig ihre Vorlage abgeändert.) Aber warum gerade hier? Und warum stimmen M und G auch in Sam doch allermeist wortwörtlich überein, so dass G auf weite Strecken einer Interlinear-Übersetzung nahekommt (inklusive Übertragung hebräischer Spracheigentümlichkeiten wie des Infinitivus absolutus ins Griechische)? Seit die Texte in Qumran gefunden wurden (also seit den 50-er Jahren des vorigen Jahrhunderts), ist nunmehr bestätigt, was kluge Gelehrte schon zuvor geahnt hatten: dass die G-Übersetzer schlicht einen anderen hebräischen Text vor sich hatten als den, der in der M-Tradition überliefert wurde. Denn die (natürlich hebräisch geschriebenen) Sam-Texte von Qumran bieten sehr oft einen Text, der, ins Griechische übersetzt, just zu G führt. Oder anders: Rückübersetzungen von G ins Hebräische führen oft zu eben dem Text, der in Q vorliegt. Oft – aber nicht immer! Es gibt Stellen, an denen Q mit M übereinstimmt und G alleinbleibt. Und zuweilen steht, wie gesagt, Q ganz allein gegen M und G. Der aus der häufigen Übereinstimmung zwischen Q und G von Manchen gezogene Schluss, dass der M-Text generell der am wenigsten zuverlässige sei, ist also vorschnell; denn auch M hat – ob sekundiert von G oder Q oder auch ganz allein – offenbar oft den Urtext erhalten (so wie zuweilen auch Q). Man kommt also nicht umhin, jeden Fall von Textabweichung zwischen den Haupttextzeugen gesondert zu prüfen. Das soll jetzt an einigen Beispielen von Textunterschieden zwischen M und G geschehen; denn davon hängt am Ende ab, wie zu übersetzen ist. (Nebenbei bemerkt: Ein in gewisser Weise sicherer Weg wäre, immer nur M oder G zu übersetzen. Die Neue Zürcher Bibel von 2007 hat – im Unterschied zur „alten“ von 1934 – diesen Weg weitestgehend befolgt, indem sie sich streng an M hält. Auch die revidierte Lutherbibel von 2017 tut dies, im Vergleich zur Version von 1984, wieder verstärkt. Buber und Rosenzweig haben es ohnehin getan. Auf der anderen Seite steht etwa der Kommentar von Kyle McCarter in der Anchor Bible, der fast grundsätzlich G folgt. Gleiches tut mit grosser Regelmässigkeit, wenn auch bisher in keiner durchgehenden Übersetzung, die Fribourger textkritische Schule mit ihrem Oberhaupt Adrian Schenker: Hier erweist sich so gut wie immer der G-Text als der ursprüngliche. Selbstverständlich folgt auch die Übersetzung der neulich erschienenen „Septuaginta Deutsch“ allein G. Ich schlage einen schwierigeren und unsichereren Weg ein, indem ich einen „Urtext“ übersetze, der einmal in dieser, einmal in der anderen Textversion erhalten ist.) aa) Abweichungen vom Urtext in 1Sam 1 1,1: In G Samuel als Levit Nach M war Elkana ein „Efratiter“. In G dagegen heisst es am Versende, er habe in Νασιβ Εφραιμ gewohnt. Vielleicht handelt es sich dabei um eine gezielte Änderung in der Absicht, die in 1Chr 6,16-27 behauptete levitische Abkunft

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Samuels zu schützen, indem statt seiner Vorfahren nur deren Wohnorte als efraimitisch deklariert werden. M.E. ist M beizubehalten (und entsprechend zu übersetzen). 1,11: In G Samuel ein Nasiräer Mehrere Erweiterungen in G(-Handschriften) gegenüber M weisen darauf hin, dass man in der G-Tradition Samuel als einen Nasiräer zeichnen wollte: als Mitglied jenes ‚Ordens’ besonders streng Jhwh-Gläubiger, dessen äussere Kennzeichen das nie geschorene Haupthaar und der lebenslange Verzicht auf Alkohol waren. Entsprechend wurde das Gelübde Hannas in 1,11 in Anlehnung an Ri 13,7 (Simson war ein Nasiräer!) ausgeweitet: Samuel „soll keinen Wein und keinen Rauschtrank trinken“. Der Q-Text hat an dieser Stelle eine Lücke, in der ein entsprechendes Sätzchen Platz fände. Trotzdem handelt es sich wohl um eine sekundäre Ausweitung des in M erhaltenen, kürzeren Urtexts; ich nehme es in die Übersetzung nicht auf. 1,9.11.14.28: In M Schwächung der (kultischen) Rolle Hannas An drei Stellen erscheint Hanna in G (an einer auch in Q) als starke, kultisch handlungsfähige Frau, während sie in M zu einer abhängigeren und zurückhaltenderen Person wird (wie man sie sich wahrscheinlich im Umfeld des Jerusalemer Tempels im 3. oder 2. Jh. wünschte): – In V. 9, steht nur bei G, dass die von ihrer schlechten Rolle in der Familie frustrierte Hanna „vor Jhwh hintritt“. (In M „macht sie sich“ nur „auf“ – so die M-treue Zürcher Bibel; wohin, wird nicht gesagt). – In V. 11 verhandelt sie mit Gott sehr partnerschaftlich – „ich bringe das Kind vor dich“ –, während sie es in M „vor Jhwh“ (in 3. Pers.) bringen will. – In V. 14 herrscht der Priester Eli die vermeintlich betrunkene Hanna an, sie solle sich benehmen und nüchtern werden (so M). In G kommt das wichtige Sätzchen hinzu: „und geh weg von vor Jhwh“ (ein prächtiger Hebraismus, den die Übersetzer aus ihrer Vorlage brav übertragen haben). Die Auslassung von M entspricht hier derjenigen in V. 9, wo Hanna laut G „vor Jhwh hingetreten“ war. Derlei kultische Eigenständigkeit gebührt einer Frau nicht! – In V. 28, wo Hanna das Kind dem Tempel überbringt, „wirft“ sie sich laut Q abschliessend „vor Jhwh nieder“; in M tut das ein „er“, ob nun der Knabe Samuel oder sein Vater Elkana, aber jedenfalls keine Frau! (G hat in diesem Fall das Sätzchen überhaupt nicht.) Es ist klar: An allen diesen vier Stellen korrigiere ich den Text von M nach G (bzw. einmal nach Q). bb) „Mäuse“ in der Ladegeschichte In 1Sam 4–6 wird die Geschichte von den ‚Abenteuern der heiligen Lade’ erzählt: eines heiligen Kultgegenstandes, den die Israeliten – sozusagen zwecks Unterstützung seitens der Gottheit – mit in eine Schlacht gegen die Philister schleppten, der jedoch an die Philister verloren ging. Diese brachten ihn im Triumph-

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zug in ihre Heimat, wo er aber ein seltsames Eigenleben entfaltete (weil eben Jhwh darauf oder darin war – und den kann man nicht fangen, der will zurück nach Israel, genauer: nach Jerusalem und am Ende in den Salomonischen Tempel, so 2Sam 6 und 1Kön 8). Wie nun schafft die Lade die Wende von der Siegestrophäe in den Händen des Feindes zum siegreichen Symbol göttlicher Macht? Nun, sie wirft zunächst in einem Tempel in Aschdod des Nachts wiederholt eine ‚feindliche’ Götterstatue um und bringt danach über verschiedene Philisterstädte schwere Plagen: Krankheiten, deren Bestimmung nicht ganz einfach ist. Anscheinend handelte es sich um bestimmte Geschwüre, die sich am Unterleib nach aussen aufwölbten. Sie hatten die Form von „Mäusen“, waren also länglich-gestreckte Beulen. Als dann auch noch massenhaft Mäuse im Philisterland auftauchten, wussten die Philister, was sie zu tun hatten: Sie mussten der Lade fünf reingoldene „Mäuse“ stiften (fünf nach der Anzahl ihrer Städte) und das unheimliche Gerät mit ihnen zusammen unter höchster Ehrerbietung aus dem Land eskortieren, Richtung Jerusalem. So erzählt es M in 1Sam 6. Nach G aber tauchen die Mäuse schon viel früher auf. In 1Sam 5,6 heisst es in einem G-Plus: „und er führte herauf gegen sie und ließ auf ihre Schiffe ausschwärmen und es breiteten sich aus auf ihren Ländereien – Mäuse. Und es entstand eine große, tödliche Panik in der Stadt“. Mäuse – tödlich?? Nun kannte man schon im Altertum die sog. Beulen- oder Bubonenpest. boubon ist griechische Bezeichnung für die Scham- und Leistengegend; dort sitzende Drüsen schwellen bei dieser Krankheit schmerzhaft an. Die Erreger werden durch Zwischenträger, in der Regel infizierte Ratten (nicht: Mäuse!), auf Flöhe übertragen und durch diese auf delikate Körperzonen von Menschen. Demnach könnte es nach Vorstellung der Erzähler damals im Philisterland zu einer Mäuse- (eigentlich: Ratten-)induzierten Epidemie gekommen sein. In G wird dieser mögliche Zusammenhang viel früher hergestellt als in M. Es gilt hier wieder einmal die Regel „brevior potior“: die kürzere Version ist die bessere, d.h. ursprünglichere. Es ist ja viel wahrscheinlicher, dass ein solcher Erzählzug hinzugedichtet als dass er nachträglich herausgelöscht wurde. Also bleibt er auch in meiner Übersetzung von 1Sam 5 weg. cc) Saul – Übeltäter oder Retter? In einem sog. Summarium über König Saul, das als Sonderabschnitt gegen Ende der von seiner Amtszeit handelnden Kapitel (in 1Sam 14,47–52) eingesetzt ist, findet sich in M der folgende Satz: „Und Saul hatte das Königtum über Israel errungen. Und er führte Krieg gegen alle seine Feinde ringsum: gegen Moab und gegen die Ammoniter und gegen Edom und gegen ‘den’ König von Zoba und gegen die Philister. Und wohin er sich wandte, machte er sich schuldig“ (1Sam 14,47). Das letzte Sätzchen verblüfft. Von einem derartigen Summarium erwartet man, dass die Taten des Betreffenden gerühmt werden. So geschieht es ja auch

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in den vorangehenden Sätzen: Saul hat das Königtum errungen und gegen verschiedene Nachbarn (siegreich) Krieg geführt, d.h. die Existenz des jungen Staates Israel gesichert. Wieso dann „sich schuldig machen“? Die hebräische Verbform lautet: jaršî‘a. G aber schreibt dort: esōzeto, was bedeutet: „er wurde gerettet, erfuhr Hilfe“. Das passt gut in ein Summarium – doch wie kommen die Übersetzer darauf? Wie allermeist in solchen Fällen, lässt sich auch hier auf eine von M abweichende Vorlage schliessen, die zu dem abweichenden Text führte. Diese dürfte gelautet haben: jiwwāša‘ („er erfuhr Hilfe“), evtl. auch: jôšîa‘ („er brachte Hilfe“). Beides sind Formen des Verb j-š-‘, das in zwei Konsonanten mit dem übereinstimmt, das jetzt in M verwendet ist: r-š-‘. Derjenige Tradent von M, der, wie ich meine, dieses Verb anstelle des anderen eingesetzt hat, dürfte ganz bewusst gehandelt haben. Er wollte Saul eben nicht (nur) gerühmt, sondern getadelt haben. Ich bin in meiner Übersetzung in diesem Fall G gefolgt. dd) Saul und sein Spiess In den Kapiteln 1Sam 18–20 gibt es drei Stellen, an denen Saul gegen einen Unbewaffneten – zweimal David, einmal Jonatan – den Spieß erhebt oder nach ihm schleudert. Eben das ist die Frage: Droht Saul nur mit der Waffe, oder unternimmt er mit ihr Mordversuche? Die erste Stelle (1Sam 18,11) übersetze ich so: „Und Saul hob den Spieß und dachte: ‚Ich will David an die Wand schlagen!’ Und David wich zweimal vor ihm aus.“ Das „Heben“ des Spießes ist aus G übernommen; M hat (und die Zürcher Bibel von 2007 übersetzt so) „schleudern“. Dabei hat M in der betreffenden Verbform die genau gleiche Konsonantenfolge wie vermutlich die hebräische Vorlage von G: w-j-ṭ-l. Die Masoreten haben dies als wajjiṭṭōl punktiert, was von einem Verb ṭ-w-l, „schleudern“, herkäme. Die Übersetzer von G dagegen dachten sich eine andere Vokalisierung: wajjāṭäl, von n-ṭ-l, „wiegen, aufheben“. Hat also Saul den Spieß hochgehoben oder geschleudert? Von vornherein ist „heben“ wahrscheinlicher; denn die Figur Sauls wird im Verlauf der Überlieferungs- und der Wirkungsgeschichte der Samuelbücher immer mehr eingetrübt; dass er mit dem Spieß „nur“ gedroht habe, ist demnach die lectio difficilior. Vor allem aber: Wie soll er den (gleichen!) Spieß zweimal „geschleudert“ haben und David ihm zweimal ausgewichen sein? Hat der König die Waffe nach dem ersten Wurf schnell aus der Wand gezogen, in der er steckte, und David wartete geduldig auf den zweiten Wurf? Nein, die Situation ist so vorzustellen: David musiziert vor Saul; in diesem werden durch einen „schlimmen Geist“ Mordgedanken wachgerufen; leise „hebt“ er die Waffe – doch David merkt es und tut einen Satz zur Seite; dann fängt er wieder an, die Leier zu rühren – bis er aus dem Augenwinkel den Spieß sich erneut gegen ihn richten sieht und wieder eine Bewegung zur Seite macht. Saul ist das unheimlich, steht da: „Er fürchtete sich vor David“ – weil er merkte, dass er diesen Gegner nicht leicht überraschen konnte. Ähnlich ist es in 1Sam 20,33. Saul hat beim Essen eine Auseinandersetzung mit seinem Sohn Jonatan, in deren Verlauf er plötzlich seinen Spieß „hebt“

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(wieder hat M: „schleudert“). Da steht Jonatan auf (es wird nicht gesagt, dass er ausgewichen wäre) und verlässt im Zorn den Raum. Er bleibt aber weiter in der Umgebung Sauls. In diese Szenerie würde ein tatsächlicher Wurf nicht passen. Anders nun (und nur!) in 1Sam 19,10. Dort übersetze ich: „Und Saul suchte David mit dem Spieß an die Wand zu schlagen, und er (David) wich aus vor Saul, und er (Saul) schlug den Spieß in die Wand.“ Also nur eine Aktion Sauls, diesmal aber eine tödlich gemeinte und darum auch mit dem eindeutigen Verb „(er)schlagen“ ausgedrückt. Weil David aber geistesgegenwärtig ausweicht, steckt die Waffe hernach nur in der Wand. Und David verlässt fluchtartig das Haus, bald auch die Stadt Sauls. Einer, den der König mit dem Spieß an die Wand zu heften versuchte, hat dort natürlich keinen Platz mehr.

d) Differenzen zwischen Sam-M, Sam-G und Sam-Q An einer besonders signifikanten Stelle bieten die drei Haupttextzeugen der Sam-Bücher drei voneinander abweichende Textformen. Es geht um das Ende der Geschichte von Amnon und Tamar: Der Prinz hat die von ihm geliebte Prinzessin (und Halbschwester) vergewaltigt, dann aber plötzlich einen Hass gegen sie gefasst und sie aus dem Haus geworfen. Sie läuft schreiend zu ihrem Vollbruder Abschalom, der sie zu beruhigen versucht (später wird er sie rächen); danach lebt sie „zerstört“ in dessen Haus. Was aber ist mit Vater David, der das junge Mädchen zu seinem Vergewaltiger geschickt hatte, weil dieser vorgab, nur durch eine von ihr selbst zubereitete Speise von einer (vorgetäuschten) Krankheit geheilt werden zu können? David ist also in gewisser Weise mitverantwortlich für das schlimme Geschehen. Was wird er tun? An dieser Stelle laufen die drei Textversionen auseinander. 2Sam 13,21b M Und er war sehr zornig über ihn

Q ([…] = Textlücke) […]

G Und er war sehr zornig über ihn

[…] weil er sein Erstgeborener war

Und nicht kränkte er den Geist seines Sohnes Amnon Denn er liebte ihn, weil er sein Erstgeborener war

Allen drei Versionen gemeinsam (wenn auch in Q nicht direkt bezeugt) ist der Satz, dass „David sehr zornig war“ über Amnon. In M steht nur das. Es wird damit der Gedanke einer heimlichen Komplizenschaft Davids abgewehrt: Er hat zwar Tamar geschickt – dass sie aber vergewaltigt würde: das wusste und das wollte er nicht. Q und G haben gemeinsam eine weitere Mitteilung: „Er liebte ihn, weil er sein Erstgeborener war“. Schlösse dieser Satz direkt an den in M an (wie es in Q der Fall gewesen sein könnte), dann bildete er einen Gegen-Satz: „Er war zwar

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zornig über Amnon – aber er liebte ihn, seinen Erstgeborenen“. David hätte also gespaltene Gefühle gehabt: Wut einerseits – Liebe andererseits. Er hing an seinem Erstgeborenen – auch wenn er dessen Untat an Tamar missbilligte. Dies gäbe eine Erklärung für Davids Untätigbleiben. Sein Zorn hätte ihn zur Bestrafung Amnons getrieben, seine Liebe aber hinderte ihn daran. Allein G hat noch einen dritten Satz: David „kränkte den Geist Amnons nicht“ – bzw. er wollte das nicht tun. Die etwas seltsame Formulierung will vermutlich andeuten, dass Amnon ein seelisch doch empfindlicher bzw. verletzlicher Mann war. Hätte ihm der Vater seinen Zorn kundgetan, ihn auf diese oder jene Weise bestraft: Amnon hätte sich von Papa abgelehnt, hätte sich als Versager gefühlt, hätte seinen Thronanspruch in Gefahr gesehen. Das wollte David nicht. Die dynastische Ordnung sollte wegen der (einmaligen?) Entgleisung des Erbprinzen nicht gefährdet werden. Welche Textfassung von 2Sam 13,21b mag nun die ursprüngliche, welche also wird zu übersetzen sein (wenn ich in meinem Kommentar zu dieser Stelle komme)? Nach der Regel lectio brevior potior wäre M vorzuziehen. Doch in diesem Fall bin ich mir unsicher. Vielleicht werde ich diesmal drei Übersetzungen bieten und dazu erklären, dass jede von ihnen auf einer plausiblen Textversion beruht.

3. Besondere Problemfälle beim Übersetzen der Samuelbücher a) Spracheigentümlichkeiten 1Sam 2,24 Als Hanna den gerade entwöhnten Samuel in Erfüllung ihres Gelübdes an den Tempel übergibt, findet sich in der Erzählung ein merkwürdiger Satz. Er hat die denkbar kürzeste Form eines sog. Nominalsatzes: zwei Nomina nacheinander, zwischen denen man ein Hilfsverb hinzuzudenken hat. Ein solcher Satz könnte lauten: „Und David [war] ein Krieger“. In unserem Fall ist das Seltsame, dass die beiden Nomina identisch sind: „Und der Knabe – ein Knabe“. Das Hilfsverb „sein“ hilft hier nicht viel: Natürlich war der Knabe Samuel ein Knabe. Ich habe die Stelle so übersetzt: „Und der Knabe war (wirklich nur/noch) ein Knabe“ und dazu in einer Textnote vermerkt: „Die Formulierung ist rätselhaft, aber gerade darum wohl festzuhalten.“ Erwägenswert ist auch eine andere Deutung, wonach betont werden sollte, dass der kleine Samuel schon ein Knabe war (und kein Säugling mehr). Nicht zu übernehmen ist hingegen der Konjekturvorschlag eines Kommentators, wonach man für das zweite „Knabe“ das Wort „Nasiräer“ lesen sollte (also: „der Knabe war ein Nasiräer“). Interessant ist übrigens, dass G das

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zweite „Knabe“ weglässt und dafür einen längeren, m.E. sekundären Passus einfügt, in dem von einer Opferhandlung Elkanas die Rede ist. 2Sam 11,7 In der Geschichte von David, Batscheba und Urija – nachdem David Urija vom Schlachtfeld nach Jerusalem zurückbeordert hat –, erkundigt sich der König scheinheilig nach dem Ergehen der im Feld stehenden Truppen. „Und David fragte nach dem šālôm Joabs und nach dem šālôm des Kriegsvolks und nach dem šālôm des Krieges“. Wenn man die geläufige Bedeutung von šālôm, „Frieden“, wählte, dann erkundigte sich David nach dem „Frieden des Krieges“. Gemeint ist natürlich, ob die militärischen Aktionen dort im Land Ammon erfolgreich verliefen, ob mit dem baldigen Sieg zu rechnen sei. Doch im Hebräischen ist gerade die Gleichordnung der drei Nomina, die im Status constructus mit dem Wort šālôm verbunden werden, eindrucksvoll. Ich denke, ich werde so übersetzen: „David fragte nach dem Wohl Joabs und nach dem Wohl des Kriegsvolks und nach dem Wohl des Krieges“ (was ja immer noch befremdlich genug ist).

b) Unbekannte Wörter 1Sam 2,14 In der auf die Hannageschichte folgenden Erzählung vom Aufwachsen Samuels am Tempel von Schilo, unter der Obhut des Priesters Eli und seiner Familie, findet sich ein Passus (1Sam 2,1–14), den ich in meinem Kommentar so übersetzt habe: Und die Söhne Elis waren nichtswürdige Personen. Nicht kannten sie Jhwh 13und das Recht der Priester gegenüber dem Volk. Bei jedem, der ein Schlachtopfer schlachtete, kam der Priestergehilfe, wenn man das Fleisch kochte, und (hatte) die dreizinkige Gabel in seiner Hand 14 und stieß in den Kessel oder in den Topf oder in den Tiegel oder in die Schüssel; alles, was die Gabel heraufbeförderte, nahm der Priester für sich. So hielten sie es mit (den Leuten aus) ganz Israel, die dorthin nach Schilo kamen. 12

Besonders schwierig war hier die Wiedergabe der Zeile, in der Kochgeschirre aufgezählt werden. Interessanterweise hat G von den vier Begriffen nur drei und Q sogar nur zwei. Dies könnte zweierlei anzeigen: entweder das Ausufern der Begrifflichkeit in M oder, m.E. wahrscheinlicher, die Ratlosigkeit der Tradenten (obwohl sie des Hebräischen durchaus mächtig waren) angesichts einer Fülle von Begriffen, mit denen sie nur mehr teilweise etwas anfangen konnten. Ich denke, der Text von M enthält echte Antiquitäten: Gefässe, die mit der Zeit ausser Gebrauch kamen. Ich habe versucht, mit Hilfe eines modernen Lexikons alle vier Wörter so gut wie möglich zu verdeutschen.

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1Sam 13,19–21 In der Erzählung von Sauls erster grosser Philisterschlacht, 1Sam 13–14, gibt es einen sozialgeschichtlich hoch interessanten Passus. Die Philister, heißt es dort, hätten es (vor dieser Schlacht) geschafft, gegen die Israeliten eine Art Metallverarbeitungsmonopol durchzusetzen. Dahinter stand eine doppelte Ratio, eine militärische und eine ökonomische: Die Israeliten sollten keine Waffen schmieden können – und sie sollten Metallgeräte, die sie für die Landwirtschaft brauchten, bei den Philistern kaufen und warten lassen. Die betreffenden Verse (13,19–21) lauten: Und im ganzen Land Israel fand sich kein Schmied, weil die Philister ‘sagten’, die Hebräer sollten nicht Schwert oder Spieß herstellen. Und ganz Israel stieg hinab zu den Philistern, jeder, um seine Pflugspitze und seine Pflugschar und seine Axt und seine ‘Sichel’ schärfen zu lassen. Und der Preis war ein Pim für Pflugspitzen und Pflugscharen und ein ‘Drittelschekel für das Schärfen’ der Äxte und das Richten eines Rindersteckens.

Der Passus ist voller seltener, schwierig zu übersetzender Wörter. Das Wort für „Pflugspitze“ gibt es nur an dieser Stelle; gemeint ist wahrscheinlich die Metallspitze einer im Übrigen hölzernen Pflugschar. Der Begriff für „Pflugschar“ kommt ausser hier nur noch in dem berühmten Prophetenwort „Schwerter zu Pflugscharen“ (Jes 2,4 / Mi 4,3 / Joel 4,10) vor. Noch schwieriger wird es in der Fortsetzung. Ich habe dazu in einer Textnote geschrieben: „Hier scheint der Text bei beiden Haupttextzeugen verderbt: nicht verwunderlich angesichts der vielen Fachausdrücke.“ Der einzig gangbare Weg schien mir, aus M und G einen Mischtext zu konstruieren, der einigermassen Sinn macht. Besonders aufschlussreich ist dabei das Wort „Pim“, das genau so in M steht und mit dem G nichts anzufangen wusste. Das wusste auch danach niemand – bis man im letzten Jahrhundert bei Ausgrabungen in Palästina Gewichtssteine mit der althebräischen Aufschrift p-j-m (wahrscheinlich pajim oder eben pîm) fand. Vermutlich bedeutet das Wort: „Zweidrittel“ – nämlich von einem Schekel. Dieses Gewichtsmass kannten sowohl die Israeliten als auch die Philister. Verschiedene Indizien lassen darauf schliessen, dass ein pjm etwa 7,5, ein Schekel etwa 11,5 Gramm (Silber) wog.

c)

Uneindeutigkeiten

1Sam 15,27 und 16,21: Wer ist Subjekt, wer Objekt? Es gibt in den Samuelbüchern Sätze, in denen sich grammatisch nicht sicher festlegen lässt, wer das Subjekt und wer das Objekt einer Handlung ist. Bei einem Zerwürfnis zwischen Samuel und Saul heisst es (in M): „Und Samuel wandte sich zum Gehen, und er packte den Zipfel seines Mantels und riss

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ihn ab.“ Wer packte den Zipfel von wessen Mantel? Ich bin mir sicher: Saul reisst etwas vom Mantel des Propheten ab (und habe darum mit G und Q statt „er packte“ „Saul packte“ übersetzt). Rein syntaktisch ist es aber – jedenfalls nach M – auch möglich, dass Samuel ganz bewusst vom Königsmantel Sauls ein Stück abriss. Als später Saul von einem schlimmen Geist geplagt wird und David gerufen wird, den König zu besänftigen (und ihm dies anfangs sogar gelingt), heisst es: „Und er liebte ihn sehr und er wurde sein Waffenträger“. Natürlich wurde David Sauls Waffenträger und nicht umgekehrt. Liebte also auch David Saul – oder war es umgekehrt? Ich denke eher, es ist das Letztere gemeint, weil danach noch von Vielen die Rede ist, die David „liebten“; Saul wäre von ihnen der erste. Könnte es aber sein, dass die uneindeutige Ausdrucksweise etwas von einer Wechselseitigkeit der Empfindungen bzw. der Beziehung aussagen soll? In der Übersetzung muss diese Offenheit erhalten bleiben, zumal hier auch G und Q keine alternative Formulierung bieten. 2Sam 1,26: Genitivus subjectivus oder objectivus? Im Klagelied auf Saul und Jonatan rühmt David seinem gefallenen Freund nach: „Wunderbarer war mir deine Liebe als die Liebe der Frauen.“ So die gängige Übersetzung, die mit einem zweimaligen Genitivus subjectivus rechnet: Jonatan liebt und die Frauen lieben – wen? David natürlich. Die hebräische Formulierung lässt aber auch die Annahme eines zweimaligen Genitivus objectivus zu: „Wunderbarer war mir die Liebe zu dir als die Liebe zu den Frauen.“ Erneut verhilft G nicht zu Eindeutigkeit, weil dort die Syntax der des hebräischen Texts genau nachgebildet ist. Auch in diesem Fall dürfte die Doppeldeutigkeit beabsichtigt sein. 1Sam 17,49: Stirn oder Beinschiene? Wir alle meinen zu wissen, wie Goliat umkam: David traf ihn mit dem Schleuderstein an der Stirn, worauf er zu Boden stürzte und von David enthauptet wurde. Nun steht da (1Sam 17,49) für „Stirn“ ein Wort (mēzaḥ), das schon vorher in dem Kapitel einmal aufgetaucht ist: bei der Schilderung der Waffenrüstung Goliats; dort bezeichnet es dessen „Beinschiene“ (17,6). Ein pfiffiger Exeget kam nun auf die Idee, auch in V. 49 sei die „Beinschiene“ gemeint: David habe Goliat gar nicht an der Stirn getroffen, sondern oberhalb der Beinschiene; der Stein sei dann nach unten gefallen, habe das Kniegelenk des Hünen starr gestellt, woraufhin er ins Stolpern und Stürzen geriet und David ihn enthaupten konnte. Das ist, wie gesagt, pfiffig, aber doch nicht richtig. Denn es steht im Text eindeutig, der Stein habe Goliat „an“ der mēzaḥ getroffen – und nicht ‚über’ ihr; und er sei „eingedrungen in“ – natürlich nicht in die Beinschiene, sondern in die Stirn! Es bleibt allerdings das Phänomen eines einzigen Wortes mit zwei Bedeutungen („Stirn“ und „Beinschiene“). Doch derlei gibt es im Hebräischen öfter. In

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unserem Fall erklärt es sich recht einfach damit, dass sowohl die Stirn als auch die Beinschiene etwas ‚vorne am Menschen’ sind: am Kopf oder an den Unterschenkeln. [Es sei hier noch erwähnt, dass nach G der Stein nicht in die unbedeckte Stirn eindrang, sondern zuvor einen Helm durchschlug. Der Übersetzer wusste aus 17,5, dass Goliat einen Helm aufhatte. Ihm war klar, dass ein Helm nach vorne zu in einen Nasenschutz auslief, und der musste von Davids Stein zuerst einmal durchschlagen werden. Doch diese Art Helme hatten erst die Griechen, nicht schon die alten Hebräer und Philister.] 2Sam 12,24: Wer gab den Namen – er oder sie? Als Batscheba David einen zweiten Sohn geboren hatte, „rief er seinen Namen ‚Salomo’“. So steht es in M – jedenfalls im Haupttext. Es gibt an dieser Stelle eine sog. Ketiv-Qere-Differenz, d.h. die Masoreten vermerkten am Rand eine andere Lesart, die ihrer Meinung nach vorzuziehen war, die sie aber nicht in den ihnen überkommenen, längst heilig gewordenen Text einzutragen wagten, sondern nur am Rand notierten. Im sog. Qere (ein hebräischer Imperativ, zu deutsch: „lies!“) steht an dieser Stelle eine feminine Verbform: „Sie rief seinen Namen ‚Salomo’“. Diese Qere-Lesart findet sich auch in einigen hebräischen Handschriften (nicht im Codex Leningradensis, der unserer Biblia Hebraica zugrundeliegt), und auch die syrische Peschitta (S) und der Targum (T) haben hier weibliche Verbformen. Im Hebräischen besteht der Unterschied nur in einem einzigen Konsonanten (wattiqrā’ statt wajjiqrā’) – doch der macht einen wirklich grossen Unterschied. Schon innerhalb der Erzählung ist es nicht unerheblich, wer das Subjekt dieser doch sehr wichtigen Handlung ist; immerhin ist Salomo der kommende König! Schon von da her liegt es nahe zu denken, dass diese Ehre im Nachhinein eher dem König David zugesprochen wurde als der Dame Batscheba. Zu diesem Ergebnis führt auch eine kulturgeschichtliche Erwägung: Dass Mütter ihren Kindern, insbesondere Söhnen, den Namen geben, begegnet nur in vorexilischen, d.h. alten Textzusammenhängen; in jüngeren Texten ist immer der Vater der Namengeber. Offenbar hat sich also eine Verschiebung der sozialen Gewichte von den Frauen auf die Männer ereignet. In einer so frühen wie der Davidzeit ist der alte Brauch noch als intakt vorauszusetzen. Also: Batscheba gab Salomo seinen Namen (und so wird es auch in meiner Übersetzung stehen). 2Sam 13,39: Was wollte bzw. tat David? Die Amnon-Tamar-Geschichte, von der schon einmal die Rede war, nahm einen doppelt schrecklichen Ausgang: Zuerst vergewaltigte Amnon seine Halbschwester, dann ermordete deren Vollbruder Abschalom den Vergewaltiger. Der Brudermörder zog es nach dieser Tat vor, sich ins benachbarte Ausland, in das aramäische Fürstentum Geschur, zurückzuziehen. Von dort her, in der Nähe des Sees Gennesaret, stammte seine Mutter, und sein Grossvater mütterlicherseits, ein gewisser Talmai, gewährte ihm Schutz.

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In der Hebräischen Bibel folgt nun ein merkwürdig zweideutiger (und übrigens grammatisch auch nicht völlig korrekter) Satz. Hier die beiden möglichen Übersetzungen (deren jede eine, hier durch eckige Klammern angedeutete, kleine Textkorrektur benötigt): Und [der Geist von] König David verzehrte sich danach, zu Abschalom hinauszugehen. Er hatte sich nämlich getröstet über Amnon, dass er tot war.

Und der König David [hörte auf damit], gegen Abschalom auszurücken. Er hatte sich nämlich Trost verschafft dafür, dass Amnon tot war.

Beide Übersetzungen sind (wie gesagt: mit kleiner Textkonjektur) möglich. Doch die Aussage hier und dort könnte gegensätzlicher nicht sein. Das eine Mal hatte David nur einen Wunsch: sich mit seinem Zweitältesten, obwohl der seinen Ältesten umgebracht hatte, zu versöhnen. Dafür lassen sich viele Gründe denken: Grosse Verzeihungsbereitschaft, grosse Sympathie, auch: politische Berechnung (Sicherung der Thronfolge). Nach der anderen Lesung wäre David eine Zeitlang militärisch gegen das Fürstentum Geschur vorgegangen, das Abschalom Asyl gewährt hatte. Das passt historisch nicht schlecht, weil nämlich dieses Fürstentum nur bis und in der Zeit Davids erwähnt wird; danach war es offenbar von der politischen Landkarte gelöscht – womöglich infolge der militärischen Schläge Davids. Es ist klar, dass es im Blick auf die Figurenpsychologie, aber auch auf die literarische Dramaturgie und nicht zuletzt auf die politische Geschichte einen grossen Unterschied macht, ob man die eine oder die andere Übersetzung zugrunde legt. Ich weiss noch nicht, wie ich, wenn ich mit meinem Kommentar zu dieser Stelle komme, entscheiden werde; vielleicht setze ich – was ich nur im Notfall tue – beide Versionen nebeneinander. Das Bibelübersetzen, so hat sich hoffentlich gezeigt, ist ein nicht immer einfaches, aber ein jederzeit spannendes und schönes Geschäft!

David zwischen Poesie und Prosa in den Samuelbüchern David ist in die Kulturgeschichte eingegangen als großer Dichterkönig. Ungemein viel Poesie hat man ihm zugetraut: alle Gebete und Lieder des biblischen Psalters, am Ende gar 3600 Psalmen und dazu „Lieder vor dem Altar und über dem täglichen Brandopfer“, also das gesamte altjüdische Gesangbuch.1 In seltsamem Gegensatz dazu stehen die Daviderzählungen der Samuelbücher in ihrer weit überwiegend prosaischen Natur. David ist darin Vieles: Kriegsheld, Bandenführer, Stratege, Politiker, Liebhaber, Vater, wohl auch Leierspieler, aber nur selten Poet. Zwei Klagelieder werden ihm zugeschrieben, zwei Gebete, gegen Lebensende zwei Psalmen. Ansonsten ist er Hauptakteur beim Aufbau und der Sicherung des jungen israelitischen Staates. Freilich darf man die Divergenz auch nicht überspitzen. Die wenigen Davidlieder in den Samuelbüchern sind nicht ohne politische Inhalte, und die vielen Erzählungen sind nicht ohne Poesie. Diesem zweiten Aspekt soll zunächst das Augenmerk gelten.

1. Poetische Prosa in den Daviderzählungen Die Behauptung, Prosa könne poetisch sein bzw. Kennzeichen von Poesie an sich tragen, mag überraschen. Sie ist indessen nicht neu. Der Titel eines vom früheren Basler Alttestamentler Klaus Seybold verfassten Lehrbuchs lautet: „Poetik der erzählenden Literatur im Alten Testament“. In der Einführung heißt es: „Eine Poetik des Erzählens … hat eine Rekonstruktion der Technik und Kunst des Erzählens zum Ziel, mit der und aus der die Erzähler ihre Werke geschaffen haben“.2 Der erste Hauptteil des Buches, „Grundformen des Erzählens im Alten Testament“, gliedert sich in die Kapitel „Gattungen“, „Stilformen“ und „Bauformen“. Der zweite Hauptteil, überschrieben mit „Kunstformen des Erzählens im Alten Testament“, unterscheidet „Kurzgeschichten“, „Literarische Erzählungen“, „Größere Einheiten“ (wie 1

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So das Kolophon des Qumran-Psalters aus der 11. Höhle von Qumran, vgl. SEYBOLD, Psalmsänger, 158, sowie die ausführliche Untersuchung der Rolle Davids als Psalmist in Qumran bei KLEER, Sänger, 204–317. SEYBOLD, Poetik, 14. Vgl. auch ebd. 20: „Das besondere Anliegen der poetologischen Analyse ist es natürlich, die Kunstformen zu erkennen, welche die biblischen Texte auszeichnen.“ Allerdings spielen die Kunstformen, um die es im Folgenden gehen soll, bei Seybolds Erzählanalyse keine Rolle.

David zwischen Poesie und Prosa in den Samuelbüchern

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Novellen und biographische Berichte), „Geschichtliche Erzählwerke“, „Erzählungen in Versform“ und schließlich „Rahmenformen“ (wie Sammelwerke und Großkompositionen, auch ganze biblische Bücher). Von einer anderen Seite geht Johannes Klein auf die Thematik zu. Er wagt es, die Samuelbücher insgesamt „als poetisches Werk“ zu bezeichnen.3 Dieser Beurteilung liegt die Auffassung zugrunde, dass Poesie sich nicht in erster Linie durch gebundene Sprache – etwa Versform oder Reime – bestimmt, sondern durch die freie, fiktionale Gestaltung eines Stoffs. Klein beruft sich auf Aristoteles, der in seiner „Poetik“ schreibt: „Der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch, daß der eine in gebundener, der andere in ungebundener Rede spricht… Sondern das ist der Unterschied, daß der eine Dinge berichtet, die geschehen sind, der andere solche, die da hätten geschehen können.“4 Die Verfasser der Samuelbücher nun seien nicht, wie lange angenommen, Geschichtsschreiber, sondern Poeten, insofern sie weniger Geschehenes referierten als vielmehr Geschehen konstruierten. Nun kann man zwar darüber streiten, ob die Samuel-Autoren nicht doch auch und auf ihre besondere Weise Geschichtsschreiber waren und durchaus auch Geschehenes referierten bzw. referieren wollten.5 Doch dass ihre Darstellung ein gehöriges Maß an Fiktionalität enthält und darin, folgt man jenem Kriterium, etwas Poetisches hat, ist kaum zu bestreiten. Uns geht es hier indes weder um einen poetologischen Gesamtüberblick über die Samuelbücher noch um die Frage ihrer dichterischen Fiktionalität, sondern um den Nachweis dreier Merkmale, die auch die hebräische Poesie kennzeichnen: formale Parallelität, gedankliche Ambiguität und sprachliche Metaphorik. Dass sich derlei auch in Erzählungen findet, ist so verwunderlich nicht, darf man doch voraussetzen, dass die biblischen Erzähler nicht nur mit den im engeren Sinn narrativen, sondern auch mit den poetischen Traditionen ihrer Kultur vertraut waren und ihren ästhetischen Sinn nicht zuletzt daran geschult hatten. Wenn sie sich nun anschickten, ästhetisch anspruchsvolle Erzählungen zu schaffen – und das ist unverkennbar die Absicht der Samuel-Erzähler –, dann ist es nur natürlich, dass sie dabei, wenn vielleicht oft auch eher unbewusst, den Maßstäben auch der hebräischen Dichtkunst folgten. Selbstverständlich redeten bzw. schrieben sie nicht wie Versdichter. Vielmehr transformierten sie die von jenen entwickelten und gebrauchten Kunstformen in den Modus der Narration. Doch dadurch gewinnt diese etwas von der Eigenart und vom besonderen Zauber der hebräischen Poesie.

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KLEIN, David versus Saul, 11. KLEIN, ebd. In der Folge referiert Klein auch sehr moderne Entwürfe – diejenigen von Klaus Weimar und von Jürgen H. Petersen –, die sich mit Aristoteles in Vielem wieder treffen. Vgl. dazu das ungemein erhellende Buch von GILMOUR und dazu meine Besprechung in ThR 77 (2012) 297–300.

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a) Das erste poetische Merkmal: Parallelismus Das markanteste Merkmal hebräischer Poesie ist der Parallelismus membrorum, der in einer glücklichen Formulierung einmal als „Gedankenreim“ bezeichnet wurde. Er begegnet, in prosaischer Form, auch in den David-Erzählungen. In ihnen doppeln sich auffällig häufig Motive und Szenen – mit ähnlichen Wirkungen, wie sie der Parallelismus in hebräischen Gedichten hat: Durch Wiederholungen werden Aussagen verstärkt, aber auch variiert und gelegentlich konterkariert.6 Im Folgenden sei dies an einigen Beispielen aus dem ersten Samuelbuch aufgewiesen. In 1Sam 16–17 wird David in dreifacher Weise ins Erzählgeschehen eingeführt: Samuel findet ihn mit Gottes Hilfe aus der Reihe der Isai-Söhne heraus und salbt ihn, worauf sich der Geist Jhwhs seiner bemächtigt (16,1–13); Saul lässt ihn auf Anraten seiner Diener als Musiktherapeuten zu sich holen, gewinnt ihn lieb und macht ihn zum Waffenträger (16,14–23); endlich gerät David als Hirte in eine Kriegsszenerie im Tal Ela, nimmt die Herausforderung durch den philistäischen Vorkämpfer Goliat an, besiegt diesen und enthauptet ihn (17,1–58). David also als Gesalbter und Geistbegabter, als Musiker und Höfling, als Hirte und Held: das ist, wenn man so will, ein dreifacher synthetischer Parallelismus membrorum; erst alle drei Glieder zusammen vermögen auszusagen, wer David ist bzw. als wer er gesehen werden soll.7 Ein ähnliches Phänomen findet sich gleich im nächsten Kapitel, 1Sam 18: David gewinnt Jonatan zum Freund, dann beinahe Merab und tatsächlich Michal zur Frau. Drei Saul-Kinder geraten in den Bannkreis des jungen Aufsteigers, zwei von ihnen retten ihm wenig später das Leben (1Sam 19) und bleiben ihm langfristig verbunden, womit sie den Übergang der Herrschaft von ihrem Vater und ihrer Familie auf David und die Davididen verkörpern: David, besagt das, war kein Saulide – und war doch der legitime Erbe Sauls. Sehr gezielt wurde 1Sam 18 mit bestimmten Leitwörtern durchzogen: David wird außer von Jonatan und Michal auch von Sauls Untergebenen sowie von Israel und Juda „geliebt“;8 je dreimal heißt es, Jhwh sei „mit“ ihm gewesen und er habe „Erfolg gehabt“.9 Diese narrativen synonymen Parallelismen verleihen Davids Aufstieg eine Aura der Unwiderstehlichkeit.

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Demgemäß unterscheidet man den synonymen, den synthetischen und den antithetischen Parallelismus membrorum. Dass man dem Sachverhalt nicht durch literar- und redaktionsgeschichtliche Operationen beikommt, sondern nur durch die Annahme einer bewussten Kompositionstechnik gerecht wird, habe ich in der Einleitung zu meiner Kommentierung von 1Sam 16– 18 aufgezeigt (DIETRICH, BK VIII/2, 201–205). Die Wurzel ‫ אהב‬begegnet fünfmal: in 18,1.3.16.22.28. ‫היה עם‬: 18,12.14.28; ‫שׂכל‬: 18,5.15.30.

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Darüber hinaus begegnen in 1Sam 18 zwei Motive bzw. Szenen, die später noch einmal, eine sogar zweimal auftauchen. Bei der Rückkehr vom Goliat-Sieg feiern Israels Frauen den Erfolg mit einem kleinen Lied, in dem sie Saul als Helden, David aber als noch größeren Helden rühmen; Saul ergrimmt darüber und denkt, jetzt müsse David nur noch das Königtum zugesprochen werden (18,7f.); später, als David zu den Philistern übertreten will, nehmen diese eben jenes Liedchen als Beleg dafür, dass er „der König des Landes“ sei, obwohl dies – noch – Saul ist (1Sam 21,12; vgl. auch 29,5). Saul indes wird von einem „schlimmen Gottesgeist“ gequält; als ihn David wie gewohnt durch Leierspiel beruhigen will, zückt der König plötzlich den Spieß gegen ihn (18,10f.); bald danach zeigt Saul die gleiche gewalttätige Regung noch einmal gegen David (19,9f.) und ein weiteres Mal gegen seinen eigenen Sohn Jonatan (20,33). Das sind gewissermaßen dreifache synthetische Parallelismen. Einen synthetischen Parallelismus kann man auch in der doppelten Verschonung Sauls durch David sehen (1Sam 24 und 26). Zweimal gerät der Verfolger in die Gewalt des Verfolgten, zweimal verzichtet dieser auf Gewalt, nimmt stattdessen nur ein Pfand, um damit seine Unschuld zu beweisen. So wird sehr eindrucksvoll herausgestrichen, dass David mit dem (späteren) Tod Sauls ganz gewiss nichts zu tun hatte; alle Feindseligkeit zwischen den beiden ging allein von Saul aus, David verhielt sich ihm gegenüber jederzeit korrekt, sogar ehrerbietig. Eine Steigerung von der einen zur anderen Geschichte liegt insofern vor, als David in der ersten Saul ganz überraschend antrifft und ihn (bzw. seinen Mantel) immerhin noch anfasst, während er in der zweiten bewusst die Begegnung mit dem (schlafenden) König sucht und ihn dann überhaupt nicht berührt. Damit ist der Gewaltverzicht auf die Spitze getrieben. Einen antithetischen Parallelismus membrorum kann man in zwei verschiedenen Darstellungen von Davids Wechsel auf die Seite der Philister sehen.10 Er soll diesen Schritt nur in höchster Not unternommen haben, als er vor dem ihn erbittert verfolgenden Saul nicht mehr ein noch aus wusste. Bei einem ersten Anlauf misslingt der Übertritt zum Landesfeind (1Sam 21,11–16), beim zweiten Mal gelingt er (1Sam 27). Will sagen: Davids immens folgenreicher und aus israelitischen Augen höchst verdächtiger politischer Seitenwechsel erfolgte nicht leichthin und problemlos. Immerhin war er ja nach der biblischen Darstellung ein ausgewiesener Philisterfeind: Er hatte Goliat besiegt, sich die Einheirat ins Königshaus mit zweihundert Philistervorhäuten erkauft und gemäß dem Siegeslied der Frauen sogar „seine Zehntausende geschlagen“. So vermochte er sich nur dank großer Zähigkeit und Schlauheit bei den Philistern einzunisten und sich auf diese Weise vor Saul in Sicherheit zu bringen. Mehrere der eben aufgeführten Doppelungen dienten in der Forschung als Belege für die Notwendigkeit text- und literarkritischer Scheidungen in den Samuelbüchern: Die kurze Merab-Anekdote 1Sam 18,17–19 fehlt in LXXB, also, 10

Vgl. hierzu des Näheren DIETRICH, Philister.

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folgerte man, sei sie eine sekundäre Weiterentwicklung in MT.11 Angeblich auch gab es zwei Aufstiegsgeschichten, zu deren einer Jonatan gehört, zur anderen Michal.12 Desgleichen ist angeblich die Verschonung in der Höhle von En-Gedi der einen, diejenige auf dem Hügel Hachila der anderen ‚Quelle’ zuzuweisen. Oder: Die eine dieser Geschichten wurde aus der anderen heraus entwickelt; mithin sei eine primär, die andere sekundär,13 usw. Nun mag es durchaus verschiedene Sammelbecken für David-Traditionen gegeben haben,14 doch ist es m. E. sinnlos, ja kontraproduktiv, die jetzt vorliegenden Erzählbögen literarkritisch auftrennen und für die separierten Textstücke verschiedene Autoren finden zu wollen. Vielmehr hat ein Autor all diese Überlieferungen aufgenommen und gezielt in sein Werk eingesetzt, sie teilweise selbst noch verdoppelt15 und dann wieder aneinander angeglichen, um so die mit ihnen beabsichtigten Aussagen zu festigen und herauszuheben: ganz so, wie es in der hebräischen Poesie mittels des Parallelismus membrorum geschieht.

b) Das zweite poetische Merkmal: Ambiguität Poesie zeichnet sich seit alters auch dadurch aus, dass sie nicht beabsichtigt, eine bestimmte Epoche voll abzubilden (wie es im Prinzip Romane tun), sondern nur einzelne Erfahrungen und Empfindungen aufnimmt und sprachlich verdichtet. Vieles ringsherum bleibt unausgesprochen oder offen, regt die Empfänger an, das wenige Gesagte für sich selbst weiter auszufüllen und auszudeuten. In der Psalmenforschung hat man mit großer Akribie herauszufinden versucht, wer jeweils das sprechende „Ich“ ist und wer seine „Feinde“ sind, bei welchen Anlässen ein Text gebraucht, ob er gesungen oder gesprochen wurde, ob er etwas über seinen historischen Entstehungshintergrund zu erkennen gibt usw. – all das mit mäßigem Erfolg. Gedichte leben nicht zuletzt aus dem, was in ihnen nicht oder nicht eindeutig gesagt ist. Dadurch heben sie sich über eine konkrete Situation hinaus. So ist es zuweilen auch bei hebräischen Erzählungen. Auch sie malen nicht alles voll aus, deuten Vieles nur an, lassen Lücken und Unbestimmtheiten, bieten dem verstehenden Nachvollziehen zwar Anhaltspunkte, lassen aber der ausgestaltenden Phantasie Raum.16 11 12 13

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Nur eine, aber eine gewichtige Stimme für viele: MCCARTER, I Samuel, 305f. So HUTTON, Palimpsest, zusammenfassend 263. So STOEBE, Heldensage, 127–129. Nach KOCH (Formgeschichte, 175) wären aus einer ursprünglichen „Grunderzählung“ zuerst 1Sam 24, dann 1Sam 26 entwickelt worden. Ich möchte lieber von ‚Erzählkränzen’ sprechen, die noch stark von Mündlichkeit geprägt sind, als von fixen literarischen Textschichten. Dies gilt etwa für die Voransetzung von 1Sam 16,1–13 vor 16,14–23, vgl. DIETRICH, BK VIII/2, 217f. Diese Seite hebräischer Erzählkunst wird insbesondere von STERNBERG (Poetics) hervorgehoben. Sein Buch trägt seinen Titel nicht umsonst! Zu nennen ist auch die Arbeit

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Seit Erich Auerbach17 ist die Aqedah-Erzählung in Gen 22,1–19 das berühmteste Beispiel solch narrativer biblischer Poesie. Ihre hohe Kunst erweist sich an verschiedenen Merkmalen: äußerste Knappheit des Stils, raffinierte Einfachheit der Sprache, gezielte Wortwiederholungen, vor allem aber absichtsvoll gelassene Lücken und gezielt eingesetzte Uneindeutigkeiten. Wenn etwa Abraham den Knechten, die er angesichts des Berges Morija zurücklässt, sagt, er und der Knabe würden bald zurückkehren (Gen 22,5), dann könnte er damit den Plan, seinen Sohn zu opfern, verschleiern – oder tatsächlich glauben, es werde zu diesem Opfer nicht kommen. Wenn er seinem Sohn auf dessen Frage nach dem Opfertier antwortet, Gott werde sich ein Schaf zum Opfer ausersehen (Gen 22,8), dann könnte dies eine Notlüge – oder Abrahams aufrichtige Überzeugung sein. Vergleichbares gibt es auch in den David-Überlieferungen. Als Gott Samuel auffordert, in Betlehem einen Isai-Sohn zum künftigen König zu salben, bekundet der Gottesmann Angst vor Saul, dem amtierenden König. Daraufhin schlägt Gott ihm vor, ein Rind mitzunehmen und zu sagen, er komme zum Opfern (1Sam 16,2). Samuel folgt diesem Ratschlag. In Betlehem angekommen, fordert er die Leute auf, sich für den Opferdienst zu heiligen – doch merkwürdigerweise wird von einem Opfer in der Folge nichts erzählt: Erzählökonomie – oder ein Hinweis darauf, dass hier etwas nur vorgeschützt, nie aber wirklich beabsichtigt und ausgeführt wurde? Achisch von Gat, Davids philistäischer Lehnsherr, verlangt von seinem Vasallen David, mitsamt seinen Mannen an der Entscheidungsschlacht gegen Israel teilzunehmen, die zu Sauls Tod führen wird. David zeigt sich bereit und erklärt: „Du wirst erfahren, was dein Diener zu tun vermag“, worauf ihn Achisch mit seinem persönlichen Schutz beauftragt (1Sam 28,2). Bei der Musterung der Truppen aber werden Achischs Kollegen misstrauisch und setzen Davids Ausmusterung durch. Daraufhin beschwert sich dieser bei Achisch: „Was habe ich getan, und was hast du an deinem Diener gefunden …, dass ich nicht kommen und kämpfen darf gegen die Feinde meines Herrn, des Königs?“ (1Sam 29,8) Beide Äußerungen Davids sind von bemerkenswerter Doppelsinnigkeit. Achisch werde sehen, was er „zu tun vermag“ – doch was er tun will, sagt David nicht; könnte er sich nicht plötzlich an der Seite Israels gegen die Philister wenden? Und die Formulierung von den „Feinden meines Herrn, des Königs“ lässt offen, welchen König er meint: Achisch oder Saul, ob also die Israeliten der Feind sind oder die Philister. So suggeriert der Text auf subtile Weise, die Schlacht auf dem Gebirge Gilboa wäre anders ausgegangen, wenn die Philister nicht im letzten Moment Verdacht geschöpft und David zur Umkehr veranlasst hätten. Aus-

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der Germanistin PIA ECKSTEIN (König David), in der die Ambiguität zu dem entscheidenden und unterscheidenden Merkmal der David-Erzählungen und zum Hauptkennzeichen ihrer hohen Kunstfertigkeit erhoben wird. AUERBACH, Mimesis, 5–27.

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drücklich behauptet wird das aber nicht; vielmehr wird es der Leserschaft überlassen, solche Erwägungen anzustellen. Die Erzählung vom Batscheba-Urija-Skandal, 2Sam 11, ist voll von Uneindeutigkeiten und Lücken.18 David schickt sein Heer gegen Rabba-Ammon, bleibt aber selbst in Jerusalem (11,1): Ist das zu beanstanden oder nicht? Er sieht vom Dach seines Palastes aus eine Frau sich waschen (11,2): Hat diese das beabsichtigt oder nicht? Der König lässt sie zu sich holen und schläft mit ihr (11,3f.): Hatte er irgendein Recht dazu, und war sie damit einverstanden – oder hat er sie vergewaltigt? Als sie schwanger ist, beordert David ihren Gatten von der Front nach Jerusalem, doch gelingt es ihm nicht, ihn zu seiner Frau zu schicken und ihm so das Kind unterzuschieben (11,6–13): Ist der Mann wirklich so loyal und ehrenwert, wie er vorgibt, oder durchschaut er das unsaubere Spiel des Königs? Dann kehrt er mit dem berüchtigten ‚Uriasbrief’ an die Front zurück, ohne ihn zu öffnen (11,14f.): Ist er so überaus korrekt, oder ist er lebensmüde? General Joab sorgt gemäß Davids Anweisung für Urijas Tod, doch fällt dabei eine ganze Reihe weiterer Soldaten (11,16f.): ein schwer vermeidbarer Kollateralschaden oder ein stillschweigender Protest des Generals gegen den ruchlosen König? Als Batscheba vom Tod ihres Mannes erfährt, beklagt sie ihn und wird nach der Trauerzeit Davids Gemahlin (11,26f.): Ahnt sie etwas davon, dass ihr zweiter Gatte den Tod des ersten veranlasst hat und trägt ihm das nach, oder ist sie zufrieden, nunmehr Königs- statt nur Offiziersgattin zu sein? Fragen über Fragen, die der Text nicht einmal offen stellt, geschweige denn bündig beantwortet, auf die er vielmehr die Leserinnen und Leser selbst kommen und selbst nach einer eigenen Antwort suchen lässt: ganz ähnlich, wie Gedichte es oft tun.

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Das dritte poetische Merkmal: Metaphorik

Poetische Sprache lebt stark von der Bildhaftigkeit. Als Beleg diene der 22. Psalm: „Du thronst auf den Lobgesängen Israels“, sagt der Beter zu Gott (Ps 22,4). „Ich aber bin ein Wurm und kein Mann“, sagt er von sich selbst (22,7). Und dann folgt seine überaus bildreiche Notschilderung: „Umstellt haben mich viele Stiere, die Starken von Baschan haben mich eingeschlossen. Aufgerissen haben ihr Maul gegen mich brüllende, reißende Löwen. Wie Wasser bin ich hingeschüttet, zerlegt sind all meine Knochen. Es wurde mein Herz wie Wachs, zerflossen mitten in meinem Innern. Ausgetrocknet wie eine Scherbe ist meine Kraft, und meine Zunge ist an meinen Gaumen geklebt, und in den Staub des Todes legst du mich. Ja, umstellt haben mich Hunde…“ (22,13–17). Als weiteres Beispiel 18

Die gerade in diesem Umstand liegende literarische Kunstfertigkeit ist meisterhaft von STERNBERG (Poetics, 186–229) herausgearbeitet worden. Eine feine Detailanalyse des Kapitels speziell unter dem Gesichtspunkt der Ambiguität hat auch NAUMANN (Fall Urijas) vorgelegt.

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könnte gleich der nächste, der 23. Psalm angeführt werden: „Jhwh ist mein Hirte, er weidet mich auf grüner Aue“ usw. Auch die Daviderzählungen weisen verschiedentlich eine ähnlich farbenreiche Metaphorik auf, und zwar auffälligerweise insbesondere in Reden von Erzählfiguren. David ruft Saul, nachdem er ihn das erste Mal verschont hat, zu: „Hinter wem ist der König Israels ausgezogen, hinter wem jagst du her? Hinter einem toten Hund und hinter einem einzelnen Floh“ (1Sam 24,15). Und noch einmal, nach der zweiten Verschonung: „Ja, der König Israels ist ausgezogen, um einen einzelnen Floh zu suchen, wie man das Rebhuhn jagt auf den Bergen“ (1Sam 26,20).19 David macht sich gegenüber dem „König Israels“, dem höchsten Mann im Staat, selbst zu einem kleinen und lästigen bzw. einem nicht eben hoch geachteten, gar einem verachteten und noch dazu toten Tier, um anzuzeigen, dass der große Aufwand einer Jagd auf ihn vollkommen unangemessen ist. Man möge ihn doch laufen lassen, er könne doch keinen ernsthaften Schaden anrichten! Die kluge Abigajil20 spricht David, als dieser im Begriff ist, über das Anwesen ihres Mannes Nabal herzufallen, gut zu – und zugleich ins Gewissen. Er solle von seinen Racheplänen ablassen und sich ganz der Leitung Gottes anvertrauen: „Wenn ein Mensch aufsteht, um nach deinem Leben zu jagen und zu suchen [man erinnere sich an Sauls ‚Jagd’ auf David!], dann soll das Leben meines Herrn verschnürt sein im Beutel der Lebendigen bei Jhwh, deinem Gott, und das Leben deiner Feinde schleudere er weg von der Schleuderpfanne“ (1Sam 25,29). Die Rede von der Schleuder und den Schleudersteinen, von welchen die einen abgeschossen und die anderen in einem Beutel verwahrt werden, ist der Wirklichkeit des Kriegers, genauer des Schleuderers, bzw. des Hirten entnommen; wenige Kapitel zuvor war sie in der Konfrontation Davids mit Goliat präsent.21 Hier wird sie zum Bild, das Abigajils Wunsch veranschaulichen soll: Gott möge Davids Leben bewahren und das seiner Feinde beenden; im Blick darauf, meint sie, sei es ganz verfehlt, dass der in Gottes Hut Stehende anderen nach dem Leben trachte – er könne die Rache ruhig Gott überlassen. David fügt sich Abigajils Ansinnen und erlebt später, wie sich ihr Wunsch erfüllt: positiv an ihm selbst, negativ zuerst an ihrem Mann, dann an vielen weiteren, ja, eigentlich an allen seinen Feinden. (Dass er dabei gelegentlich mitgeholfen haben könnte, ist auf der Erzählebene gerade nicht vorgesehen.) Eine namenlose, „weise“ Frau aus Tekoa will in Joabs Auftrag David dafür gewinnen, seinen in Ungnade gefallenen Sohn Abschalom zu rehabilitieren. Mit dem Argument der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens sucht sie den König zu raschem und großzügigem Handeln zu bewegen: „Denn wir werden 19

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Dass diese und viele andere Parallelen in beiden Erzählungen von einem Kompositor bewusst hergestellt worden sind, habe ich an anderem Ort nachzuweisen versucht (DIETRICH, Verschonung). Zu 1Sam 25 vgl. die neuen Arbeiten von PEETZ, Abigajil, und BOSWORTH, Story. Vgl. dazu in der Sache, aber nur teilweise in der Begrifflichkeit, 1Sam 17,40.49.

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gewiss alle sterben und sind wie Wasser, das zur Erde rinnt, das man nicht mehr einsammeln kann“ (2Sam 14,14). Zum Schluss ihrer Rede appelliert sie an Davids Einsicht mit einem strahlend bildhaften Kompliment: „Denn wie der Engel Gottes, so ist mein Herr, der König, um zu hören das Gute und das Böse“ (14,17). David lässt sich von der Frau zu einem Gnadenakt gegen Abschalom bewegen – allerdings nur halbherzig, was später böse Folgen haben wird. Auch Huschai, der zum Schein von David zu Abschalom übergelaufene Königsberater,22 bedient sich metaphorischer Rede, um seinen neuen Herrn von der Richtigkeit seines falschen Rats zu überzeugen: Der aus Jerusalem geflohene David und seine Männer seien „erbittert wie eine der Jungen beraubte Bärin auf dem Feld“ (2Sam 17,8); man solle seine Verfolgung nur nicht überstürzen, sondern alles sehr sorgfältig und langsam angehen. Abschalom hört auf diesen Rat und lässt so Davids Truppen Zeit, sich zu formieren und zu regenerieren. Literarhistorisch gesehen sind Reden oft der Ort, an dem die biblischen Redaktoren (die eben nicht nur Kompilatoren sind, sondern auch Autoren) kommentierend und deutend in vorgegebenes Erzählgut eingreifen. Alle eben angeführten Reden sind gestaltet durch einen Autor, den ich für den Hauptredaktor bzw. -verfasser der Samuelbücher halte und den „Höfischen Erzähler“ genannt habe.23 Er schrieb um 700 v. Chr. ein Geschichtswerk über die frühe Königszeit in Israel – oft unter Verwendung älteren Textmaterials, oft aber auch aus freien Stücken. Die zitierten Passagen weisen ihn als gewissermaßen poetischen Erzähler aus. Offenbar ist er davon überzeugt, dass wohlgesetzte, durch treffende Bilder angereicherte Rede die Herzen der Menschen (nicht zuletzt auch der Leser!) und sogar den Gang der Geschichte zu beeinflussen vermag.

2. Davidpoesie in den Samuelbüchern Das in der späteren Religions- und Kunstgeschichte bestimmende Bild von David als Psalmisten findet Anhalt nicht erst im Psalterbuch, sondern schon in den Samuelbüchern. In deren Erzählungen erscheint König David gelegentlich als Musiker und als Beter. Vor allem aber werden einige poetische Texte zitiert, die er verfasst haben soll. Laut 1Sam 16,14–23 kam David an den Hof Sauls als Musikant, genauer: als Leierspieler, der die Aufgabe hatte (und auch zu erfüllen vermochte!), einen „schlimmen Geist von Jhwh her“ zu vertreiben, der den König immer wieder

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Zu dieser Figur, ihrer Rolle in der Abschalom-Erzählung und der Kunstfertigkeit ihrer Rede vgl. DIETRICH, Fünfte Kolonne. Vgl. DIETRICH BK VIII/1, 47*–51*.

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befiel.24 Davids ‚Therapie’ scheint dem Wortlaut nach nur in Instrumentalmusik bestanden zu haben; dass er zur Leier gesungen und gar selbst gedichtete Lieder vorgetragen hätte, verlautet nicht.25 Immerhin wächst ihm in dieser Erzählung das für einen Herrscher nicht eben häufige Attribut eines begnadeten Musikers zu.26 Verschiedentlich wird David als Beter dargestellt, seine Gebete auch im Wortlaut zitiert – ohne dass diese aber die Form von Psalmen annähmen. Als er vor seinem Sohn aus Jerusalem flieht, verhüllt er sein Haupt und weint wortlos (2Sam 15,30); doch als ihm kurz vor Erreichen der Kuppe des Ölbergs gemeldet wird, sein bester Berater, Ahitofel, sei zu Abschalom übergelaufen, entringt sich ihm ein knappes, ganz prosaisches Stoßgebet: „Mach doch den Ratschlag Ahitofels zunichte, Jhwh!“ (15,31) Gleich danach scheint diese Bitte erfüllt zu werden, indem ihm auf der Höhe des Ölbergs unerwartet Huschai entgegenkommt, ein anderer guter Ratgeber, den David geistesgegenwärtig und sehr erfolgreich als Gegenspieler Ahitofels in die Umgebung Abschaloms einschleust (15,32–36). Ein anderes, wesentlich längeres Gebet Davids entbehrt gleichfalls aller Poesie. Nachdem ihm der Prophet Natan die große Verheißung einer „ewigen“ Dynastie übermittelt hat, setzt David sich „vor Jhwh“ nieder,27 gibt zunächst seinem fassungslosen Staunen über die ihm erwiesene Gnade Ausdruck (2Sam 7,18–21), rühmt dann Jhwh dafür, dass er, der einzige Gott, gerade Israel zu seinem Volk gemacht und durch seine bisherige Geschichte geführt habe (7,22– 24), und bittet ihn schließlich, er möge die an ihn ergangene Verheißung auch wirklich in Erfüllung gehen lassen (7,25–29). Dieses Gebet atmet durchgehend den Geist der exilisch-nachexilischen Zeit (in der die Davididendynastie alle äußere Macht verloren hatte) und ist in der klassischen Sprache der Redaktoren bzw. Verfasser des deuteronomistischen Geschichtswerks gehalten.28 Unser eigentliches Augenmerk soll nun aber wirklich poetischen Abschnitten der Samuelbücher gelten, als deren Verfasser David in Anspruch genommen wird.

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Zu den vielfältigen Versuchen, dieses Phänomen des „Geistbefalls“ mehr oder weniger rational als eine bestimmte ‚Krankheit’ zu erklären, vgl. DIETRICH BK VIII/2, 258f. In der Rezeptionsgeschichte wird das wie selbstverständlich angenommen: Bei Josephus wie bei Pseudo-Philo, im Saul-Oratorium Georg Friedrich Händels genauso wie in Arthur Honeggers Oratorium „Le Roi David“ und in Eduard Nielsens David-Oper singt David vor Saul, vgl. DIETRICH BK VIII/2, 278–283. Entgegen HEINRICH (Klio, 123) ist 1Sam 16,14–23 nicht aus dem Psalter heraus entwickelt worden, sondern umgekehrt: Das Bild von David als Psalmisten hat u. a. die Geschichte vom Musiktherapeuten zur Grundlage. Als Räumlichkeit dafür ist wohl das Ladezelt gedacht, das wenig früher in Jerusalem die Funktion eines (provisorischen?) Jhwh-Heiligtums eingenommen hat: 2Sam 6,17. Darin stimmen die Analysen von VEIJOLA (Ewige Dynastie, 74–78) und PIETSCH (Sproß Davids, 28–31) überein.

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a) Davids Totenklagen in 2Sam 1 und 3 Zunächst sind hier zwei Trauerlieder zu erwähnen, die David auf zu Tode gekommene Mitglieder des saulidischen Königshauses gedichtet haben soll.29 Das kürzere von ihnen gilt Sauls Cousin und Heerführer Abner, den Davids Heerführer Joab meuchlings ermordet hat: Musste, wie ein Ausgestoßener stirbt, Deine Hände und deinen Füßen Wie ein Dahinfallen vor Söhnen der Bosheit, (2Sam 3,33f.)

Abner sterben? waren nie gefesselt wurden keine Ketten angelegt. so bist du gefallen.

Eine „Leichenklage“ wie diese (hier statt durch das Nomen ‫ קינה‬durch das Verb ‫ קין‬Pil. bezeichnet) weist in der Regel bestimmte Kennzeichen auf: formal den Parallelismus membrorum und einen eigenartig hinkenden Rhythmus, inhaltlich die Rühmung des oder der Toten und den Ausdruck des Schmerzes über den erlittenen Verlust.30 All dies trifft auf die Klage um Abner mehr oder weniger deutlich zu. Ihre vier Zeilen bilden einen doppelten Parallelismus, wobei sich in einem kunstvollen Chiasmus das erste und das vierte sowie das zweite und das dritte Glied aufeinander beziehen. Darüber, wie ein solches Lied vorgetragen wurde (bzw. vorgetragen zu denken ist), lässt sich kaum viel sagen; den üblichen Qina-Rhythmus von 3 + 2 Hebungen wird man in ihm schwerlich finden, wohl aber scheint jeder Stichos (in der oben angedeuteten Weise) in sich eine Zäsur zu enthalten, die ein rhythmisches und in gewisser Weise ‚hinkendes’ Sprechen ermöglicht. Die beiden inhaltlichen Merkmale sind gut zu erkennen: Abner war ein Held, nie im Kampf besiegt und nie in Fesseln geschlagen. Eben das macht auch das besonders Schmerzliche seines Todes aus. Dass ein „Ausgestoßener“ oder ein „Sohn der Bosheit“ sterben muss, ist begreiflich; dass jedoch ein ehrenwerter, aufrechter und starker Mann wie Abner fällt, ist widersinnig. Hinter dieser Aussage verbirgt sich eine Anklage. Die Solidarisierung mit dem Opfer bedeutet Distanzierung vom Täter. Der Name Joab fällt nicht. Wenn jedoch Abner kein Bösewicht war, wer dann? Wenn Abner den Tod nicht verdient hat, wer verdient ihn dann? Vermutlich doch der, der ihn zu Tode gebracht hat. Tatsächlich begründet viel später David seinen Auftrag an Salomo, Joab zu liquidieren, ausdrücklich mit dessen Meuchelmord an Abner (1Kön 2,5). Eine weitere, noch erheblich kunstvollere Totenklage soll David zu Ehren Sauls und Jonatans gedichtet haben (2Sam 1,19–27). Sie gliedert sich in zwei ungleich lange Strophen (V. 20–24 und V. 25b.26), die durch einen Refrain („Wie sind die Helden gefallen!“, V. 19.25.27) gerahmt und getrennt werden. Schon die 29

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Es ist durchaus unklar, ob die Texte als gesungen oder als gesprochen oder als etwas dazwischen zu denken sind. Vgl. die in den Grundlagen unüberholte Studie von JAHNOW (Leichenlied), speziell zu 2Sam 3,33f. dort 129.

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erste Strophe weist die vier vorhin genannten Merkmale einer hebräischen Leichenklage auf. Sie ist (1.) durch und durch vom Parallelismus membrorum geprägt (durchbohrt die Zierde Israels – gefallen die Helden; Gat – und Aschkelon; die Töchter der Philister – die Töchter der Unbeschnittenen; Jonatans Bogen – Sauls Schwert; schneller als Adler – stärker als Löwen usw.). Sie lässt (2.) jedenfalls in den Anfangszeilen den Qina-Rhythmus erkennen oder doch erahnen: Jede Aussage zerfällt in eine längere und eine kürzere Halbzeile.31 Ausgiebig werden (3.) die gefallenen Helden gerühmt: Sie waren äußerst tapfer, immer siegreich, ungetrennt im Leben und im Tod. Die Klage um den Verlust wird (4.) zunächst den „Töchtern Israels“ aufgetragen, die trauern sollen um die, denen sie kostbare Gewänder verdanken, d. h. die Wohlstand nach Israel brachten. In der zweiten Strophe dann beklagt David sehr persönlich und in außergewöhnlich wehmütigem und zärtlichem Ton den Verlust seines Freundes Jonatan, dessen Liebe ihm kostbarer gewesen sei als Frauenliebe.32 Trotz der in neuer Zeit grassierenden Neigung zu krassen Spätdatierungen ist die Altertümlichkeit und womöglich gar Davidizität dieser Totenklagelieder bis jetzt kaum ausdrücklich bestritten worden. Das ist anders bei den beiden anderen David zugeschriebenen Liedern, die sich im sekundär eingeschobenen33 Anhang zu den Samuelbüchern befinden. Dieser ist in sich chiastisch aufgebaut. 21,1–14 David und der Tod von sieben Sauliden (Erzählung) 21,15–22 Krafttaten davidischer Krieger (Aufzählung) 22,1–51 Sieg des Königs und Gottes Hilfe (Lied) 23,1–7 Gerechtigkeit des Herrschers und Gottes Treue (Lied) 23,8–39 Krafttaten davidischer Krieger, Liste der „Dreißig“ (Aufzählung) 24,1–25 Davids Volkszählung, die Pest und der Kultplatz (Erzählung)

Es ist, als solle ein kostbares (Doppel-)Bild, eben die beiden Lieder in 22,1–51 und 23,1–7, in einen doppelten Rahmen aus Aufzählungen und aus Erzählungen gefasst werden. Durch die Einfügung dieses Anhangs verschiebt sich das Gesamtbild Davids in den Samuelbüchern erheblich. Die beiden Erzählungen (im äußeren Rahmen) handeln nicht eben von Ruhmes-, sondern von eher fragwürdigen Taten des Königs (der Hinrichtung und Nichtbestattung von sieben Sauliden und der Volkszählung mit der darauf folgenden Peststrafe); die 31

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Der genaue Sprechrhythmus bleibt uns verborgen; wir wissen nicht, wie stark einzelne Silben gedehnt oder verschliffen werden konnten. Die Frage, ob hier homosexuelle Liebe durchscheint, ist umstritten. SCHROER/STAUBLI (Dreiecksgeschichte) behaupten dies so vehement, wie ZEHNDER (Observations) es bestreitet; eine vermittelnde (und im Grundsatz zutreffende) Haltung nimmt NISSINEN (Liebe) ein. Durch 2Sam 21–24 wird der Erzählbogen von 2Sam 15–20 nach 1Kön 1f unterbrochen. In 1Kön 1 wird Adonija klar nach dem Bild seines aufrührerischen Halbbruders Abschalom geformt (vgl. 1Kön 1,5f. mit 2Sam 14,25; 15,1), während der erfolgreiche Salomo von Geburt an „Liebling Jhwhs“ gewesen sein soll (2Sam 12,24f.).

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Aufzählungen (des inneren Rahmens) rühmen weniger David als seine Mitstreiter. Das, worin er alle anderen und gewissermaßen auch sich selbst übertrifft, ist seine Fähigkeit zum Dichten frommer Lieder (die beiden Texte im Zentrum des Chiasmus).

b) Davids großes Danklied in 2Sam 22 Das Dank- und Siegeslied 2Sam 22 kann nur in Zusammenhang mit dem fast wortgleichen Psalm 18 betrachtet werden. Beide haben gemeinsam eine Einleitung, die das Lied – wenn auch nicht besonders präzise – in der Biographie Davids situiert: „Und David sagte zu Jhwh die Worte dieses Liedes am Tag, da Jhwh ihn errettet hatte aus der Hand aller seiner Feinde und aus der Hand Sauls“. Dass aus der Reihe der Feinde Davids Saul herausgehoben wird, verweist auf die ausgedehnten Saul-David-Erzählungen in 1Sam 18–26. In Ps 18,1 allerdings kommt eine weitere Einleitung hinzu, die in 2Sam 22,1 fehlt: „Dem Chormeister. Mit Blick auf den Knecht Jhwhs, auf David“. Vermutlich trug der Psalm ursprünglich nur diese kürzere Überschrift, die bei seiner Übernahme in die Samuelbücher erweitert wurde (was dann wieder auf Ps 18,1 rückwirkte). Ps 18,2 setzt mit den Worten ein: „Ich liebe dich, Jhwh, meine Stärke“ – eine starke, auch in der Wortwahl ungewöhnliche Aussage,34 die sich fortsetzt in einer Reihe von Prädikationen Jhwhs, einer Beschreibung schwerer Not des Beters und dem Jubel über ihre Behebung durch eine Theophanie Jhwhs (V. 2– 20). Dies ist ein klassisches individuelles Danklied, in dem kaum etwas speziell auf den König David weist.35 In der Einleitung des Liedes in 2Sam 22,2f. entfällt die markante Aussage von der ‚Liebe’ des Beters zu Gott, dafür wird die Reihe der Jhwh-Prädikationen verlängert: [Du] „meine Zuflucht und mein Retter, der du mich aus der Gewalt errettest“ (V. 3). Der Begriff „Gewalt“, ‫חמס‬, greift voraus auf das Psalm-Ende, wo gedankt wird für die Rettung vor den „Feinden“ und vor dem „Mann der Gewalttaten“ (‫אישׁ חמסים‬, 49). Wer dieser „Mann“ ist, wurde in der biographischen Überschrift V. 1 klargemacht: Saul. Durch diese feinen Linien wird das Psalmlied mit seinem neuen Kontext in den Samuelbüchern verknüpft. Mit Vers 49 sind wir in einen neuen, eigenen Teil des Psalms vorgestoßen: In 33–50 liegt ein „Sieges- und Danklied des Königs“36 vermutlich noch aus der 34 35

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Statt des bekannteren ‫ אהב‬wird ‫ רחם‬Qal für ‚lieben’ gebraucht. MATHYS (Dichter, 151f.) meint zwar, die Begriffe ‫ סלע‬und ‫ מצודה‬in 3 und ‫ בליעל‬in 5 seien mit Blick auf die Davidgeschichten gewählt (vgl. 1Sam 23,25 und 24,23 bzw. elf Belege für ‫)בליעל‬. Doch werden sie dort jeweils ganz anders gebraucht als hier, so dass es mir plausibler erscheint, dass das Lied wegen solcher (scheinbarer) Anklänge an die Daviderzählungen aus dem Psalter in den Samuel-Anhang übertragen wurde. MATHYS, Dichter, 147.

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israelitischen bzw. judäischen Königszeit vor.37 In ihm rühmt sich der königliche Sprecher seiner unermesslichen, ihm von Jhwh gewährten Kraft, die ihn sämtliche Feinde (eben auch den „Mann der Gewalttaten“) hat besiegen und zahlreiche Völker unterwerfen lassen. Ähnliche Aussagen finden sich auch in den vorexilischen Grundbeständen anderer Königspsalmen, wo gleichermaßen von der Völker bezwingenden Macht der Jerusalemer Könige die Rede ist (Ps 2,8f.; 72,8–11; 110,5f.). Diese Vorstellung verdankt sich weniger der politischen Realität als vielmehr der gemeinorientalischen Königsideologie: Wenn der König – und sei es auch der eines kleinen Volkes – vom Himmel eingesetzt ist, dann ist er ideell Herr aller Herren: zunächst im Innern, aber auch gegen Außen,38 ja, dank seiner Gottunmittelbarkeit garantiert er seinem Volk gar den Segen der Natur (Ps 72,3.16). Hinter der Übertragung von Ps 18 in den Anhang der Samuelbücher steht der Gedanke, dass solche Bilder von grandioser königlicher Macht, wenn irgendwann in der Geschichte Israels, dann in der Davidzeit wahr geworden seien. Die in der modernen Forschungsgeschichte fix gewesene, neuerdings sehr fraglich gewordene Idee eines „Davidischen Großreichs“ ist bereits in 2Sam 22 präsent. Sie gründet ihrerseits insbesondere auf 2Sam 8,1–14, der Liste von „Kriegen und Siegen Davids“, in der er als Herr der gesamten Levante von der Grenze Ägyptens bis über den Eufrat hinaus erscheint. In 2Sam 22 stattet David für solche ihm von Gott geschenkte Macht seinen Dank ab. Dadurch allerdings, dass dem königlichen Siegeslied ein individuelles Danklied vorangeht, wird, mit Hans-Peter Mathys zu reden, „das ‚Deus et David’ vom ‚Solus Deus’ überstrahlt“.39 Dies fügt sich gut zu der Gesamtanlage des Textkomplexes 2Sam 21–24, der David nicht für seine Macht, sondern für seine Frömmigkeit rühmen will. Eben dies kommt besonders stark zum Ausdruck in dem jüngsten Passus des Psalms, dem Mittelstück in den Versen 21–32. Hier präsentiert sich David als toratreuer jüdischer Frommer, der ein ṣaddîq zu sein versucht und im Gegenzug zu dieser eigenen Gerechtigkeit auf Gottes Gerechtigkeit rechnet. Der Begriff ‫ניר‬ in V. 29 erinnert an die in den Königsbüchern mehrfach begegnende Rede von der „Leuchte“, die Jhwh David in Jerusalem geben wollte und um derentwillen er das Gericht so lange aufschob40 – nur dass hier Jhwh selbst für den Beter die „Leuchte“ ist. Diese und andere Ausdrücke klingen nach (spät-)deuteronomistischem Sprachgebrauch,41 doch begegnen daneben auch nicht-deutero37 38

39

40 41

So KLEER, Sänger, 18. Die assyrischen Königsinschriften sind voll derartiger Aussagen. Aber auch der politisch eher unbedeutende Danunäerfürst Azitawadda kann sich rühmen: „Ich unterwarf mächtige Länder im Westen, welche alle Könige, die vor mir waren, nicht unterworfen hatten“ (TUAT I/6, 642). MATHYS, Dichter, 147. Vgl. auch 153: Der Psalm „macht Gott größer … und David gerechter, vor allem aber frömmer“, als es in den Erzählungen der Samuelbücher der Fall ist. 1Kön 11,36; 15,4; 2Kön 8,19. Deshalb wollte VEIJOLA (Ewige Dynastie, 122f.) hier DtrN am Werk sehen.

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nomistische Wendungen.42 Anscheinend ist der Deuteronomismus inzwischen Teil der Frömmigkeitssprache geworden, haben wir es also mit einem nachdeuteronomistischen Text(abschnitt) zu tun. Das bestätigt sich auch darin, dass in V. 28 eine „Armenfrömmigkeit“ zu Wort kommt, die im Psalter zu den jüngsten Schichten gehört.43 In diesem (literargeschichtlich späten) Mittelteil dürften wir uns in historischer und mentalitäts- bzw. theologiegeschichtlicher Nähe dessen befinden, der für die Übertragung von Ps 18 in die Samuelbücher verantwortlich ist. Er tat damit einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur ‚Davidisierung’ des Psalters. Mag das ‫ לדוד‬zunächst noch (und auch in Ps 18) nicht davidische Verfasserschaft gemeint, sondern dazu aufgefordert haben, das betreffende Gebet „mit Blick auf“ David zu lesen oder zu sprechen,44 so macht die biographische Überschrift in 2Sam 22,1 David klar zum Verfasser. Infolge der Rückübertragung auf Ps 18,1 dürfte dieses Phänomen dann auf die weiteren zwölf, mit biographischen Überschriften versehenen Psalmen45 ausgestrahlt haben. In der Folge galten die David-Psalter und am Ende alle Psalmen als davidisch. 2Sam 22 schließt jetzt mit den Worten: … „[Jhwh,] der groß macht46 die Hilfe seinem König, der Huld erweist seinem Gesalbten, David und seinem Namen auf immer“ (22,51). Die Rede vom „König“, vom „Gesalbten“ und von „David“ in der 3. Person sticht von dem zuvor durchgehend gebrauchten „Ich“ des (königlichen) Psalmbeters ab. Vermutlich ist dieser Schluss, wie der Anfang in 22,*1, dem Lied bei seiner Transponierung in die Samuelbücher beigefügt (und von dort auch wieder nach Ps 18 übertragen) worden.47 Er leistet zweierlei: Erstens bindet er den Dankpsalm noch enger an die Samuelbücher; das geschieht durch Anklänge an das Hanna-Lied („Er gebe Kraft seinem König und erhöhe das Horn seines Gesalbten“, heißt es in 1Sam 2,10)48 und auf die Natanweissagung („Meine Huld wird nicht von ihm weichen“, steht in 2Sam 7,15, und in 7,29 dann: „Das Haus deines Knechts möge auf immer gesegnet sein“). Zweitens bildet der Schlussvers eine Brücke zu dem nachfolgenden Lied, den sog. „Letzten Worten Davids“, in denen dieser sich als „Gesalbter“ bezeichnet (2Sam 23,1) und von einem ihm gewährten „Bund auf immer“ (‫ )ברית עולם‬spricht.49 42

43 44 45 46 47 48

49

MATHYS (Dichter, 148f.) verweist dazu auf die Formulierungen ‫( בר‬22,21), ‫( רשׁע‬22,22) und ‫( ואשׁתמרה מעוני‬22,24). Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalm 1–50, 14f. So mit Nachdruck KLEER, Sänger, 78–86. Es sind dies die Psalmen 3; 7; 34; 51; 52; 54; 56; 57; 59; 60; 63; 142. Textus emendatus, vgl. BHS z. St. Laut KLEER (Sänger, 27) wäre es nur V. 51bβ gewesen. Dabei ist zu bedenken, dass das Hanna-Lied sehr spät in seinen Kontext eingestellt wurde, vgl. DIETRICH BK VIII/1, 74.81f. Vermutlich haben wir es hier und dort mit ein und derselben nach-deuteronomistischen Redaktion zu tun. Nach KLEER (Sänger, 31f.) ist eine weitere Klammer zwischen beiden Liedern das in 2Sam 22,47 gegenüber Ps 18,47 überschießende Wort „Fels“ (‫)צור‬, das in 2Sam 23,3 wieder auftaucht.

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c)

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Davids „Letzte Worte“ in 2Sam 23

Das Nacheinander eines Danklieds und eines ‚Testaments’ am Ende der Samuelbücher ist längst als beabsichtigte Parallele zum Nacheinander des Mose-Liedes und des Mose-Segens am Ende des Deuteronomiums erkannt (Dtn 32,1–43 und 33,1–29). Offenbar soll der große König dem großen Gesetzgeber an die Seite gestellt werden. Es ist wenig wahrscheinlich, dass dies in der Absicht der deuteronomistischen Redaktion lag, die Mose und die Tora höher als alles schätzte und das Königtum (und sogar David) durchaus mit Skepsis betrachtete. Kaum auch hat man es hier mit einer späten ‚monarchistischen Redaktion’ zu tun; mag es derartige Strömungen in spätalttestamentlicher Zeit gegeben haben (die Makkabäerherrschaft ist ihr sichtbarster Ausdruck): Beim Anhang zu den Samuelbüchern führt ein anderes Interesse die Feder. Wie schon festgestellt, dienen die Erzählungen und Aufzählungen in 2Sam 21–24 kaum dem höheren Ruhm des Königs und rühmen ihn die Lieder nicht für seine Macht, sondern für seine Frömmigkeit. Das gilt auch für 2Sam 23,1–7. Der Kompilator des Anhangs zu den Samuelbüchern hat die „Letzten Worte Davids“ genauso wenig wie den großen Dankpsalm selbst verfasst. Während man bei diesem die Quelle kennt – den Psalter (bzw. eine Teilsammlung desselben)50 –, ist sie bei 2Sam 23,1–7 unbekannt. Bei der Verbindung mit 2Sam 22 erhielt das Lied eine neue Einleitung und mit ihr seinen bis heute gebräuchlichen Titel: „Und dies sind die letzten Worte Davids“ (23,1a). Der diese Worte schrieb, wusste zweifellos, dass in 1Kön 2,2–9 noch einmal ‚letzte Worte’ Davids folgen: die Anweisungen an Salomo, wie er mit gewissen Personen umzugehen habe, d. h. welche er protegieren und welche er liquidieren solle. Diesem etwas beklemmenden ‚Testament’ geht jetzt ein anderes, sprachlich und moralisch hochstehendes voran. Indem nun dies „die letzten Worte Davids“ sind, verlieren die anderen an Gewicht. In seinem neuen Testament (!) stellt David sich zunächst mit hohem Selbstbewusstsein vor: „Spruch Davids, des Sohnes Isais, und Spruch des Mannes, hoch erhaben, des Gesalbten des Gottes Jakobs und Lieblings der Lieder Israels“ (23,1b). Diese Formulierung ist der Eröffnung der Bileam-Sprüche sehr ähnlich: „Spruch Bileams, des Sohnes Beors, und Spruch des Mannes mit offenem Auge“ (Num 24,3.15). Es kann kaum ein Zweifel daran sein, dass der Verfasser des David-Liedes sich von dort hat inspirieren lassen.51 Doch nicht erst diese Anspielung, sondern schon der Begriff ‫נאם‬, „Spruch“, macht deutlich, dass König David hier in die Sphäre des Prophetischen gerückt wird. „Spruch Jhwhs“ ist prophetischer terminus technicus für das empfangene Gotteswort; so erhält Davids 50

51

Gegen Mathys (Dichter, 146), nach dem 2Sam 22 ein „Kunstprodukt“ und „wahrscheinlich für seinen Einsatz an seinem jetzigen Platz (aus vorliegenden Komponenten) ‚komponiert’“ ist. KLEER begründet dies sehr plausibel: Sänger, 52f.

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„Spruch“ eine prophetische Aura. David rex – poeta et propheta: Hier nimmt ein Traditionszug seinen Anfang, der später große Bedeutung erlangen wird. Vom Neuen Testament an und bis in die Neuzeit las die Christenheit den gesamten Psalter als Davids Prophetie auf Christus hin. Der Introitus des Liedes setzt sich noch fort: „Gesprochen hat der Geist Jhwhs zu mir, und sein Wort ist auf meiner Zunge“ (23,2). Hier klingt zweierlei an. In den Saul- und Davidgeschichten spielt der ‚Geist’ Jhwhs eine gewichtige Rolle: Saul befähigte er in seinen guten Tagen zu Außergewöhnlichem, um ihn dann aber zu verlassen (1Sam 10,6.10; 11,6; 16,14) und dauerhaft auf David überzugehen (1Sam 16,13). Dies ist Ausdruck für die Gottgewolltheit von Sauls Abstieg und Davids Aufstieg und für das Gottgeschenktsein von Davids Erfolgen. Zugleich erinnert die Rede vom geisterfüllten König an die messianische Weissagung Jes 11: Auf dem dort angekündigten „Spross aus dem Stumpf Isais“ wird „der Geist Jhwhs ruhen, ein Geist der Weisheit und des Verstehens, ein Geist des Rates und der Kraft, ein Geist der Kenntnis und der Ehrfurcht Jhwhs“ (Jes 11,2f.). Die Folge solcher Geist-Einwohnung wird Gerechtigkeit unter den Menschen und Friede sogar in der Tierwelt sein. In 2Sam 23,2 spricht der ‚Geist’ und verleiht dem König Sprache: eben die Sprache dieses Liedes. In dessen Kern geht es wie in Jes 11 um gerechte Herrschaft. Zunächst hebt David im Stil prophetischer Rede an: „Gesprochen hat der Gott Israels, zu mir hat geredet der Fels Israels“ (V. 3a).52 Davids Wort, vom ‚Geist’ eingegeben, ist also geradeswegs Gottes Wort. Und was sagt Gott durch David? Wenn ein „Gerechter“ (‫ – צדיק‬die Selbstbezeichnung der Frommen in der Spätzeit des Alten Testaments) in der „(Ehr-)Furcht Gottes“ herrscht (vgl. Jes 11,2!), geht die Sonne auf und grünt die Erde, d. h. Wohltat und Wohlstand breiten sich im Lande aus. Nach Meinung des Verfassers (dem Textanspruch nach ist das David und gar Gott!) geschah dies unter David, und dementsprechend stehen er und sein „Haus“ unter einem Gottes-„Bund auf immer“. Darin klingt unüberhörbar die Verheißung Natans für das „Haus“ Davids an.53 Während man in dem dort folgenden Gebet Davids (2Sam 7,18–29) die Deuteronomisten mit dem Ende der Davididenherrschaft im Jahr 587/6 v. Chr. ringen spürt, hört man hier das spätnachexilische Judentum fast gelassen wieder von ‫ברית עולם‬, vom „Bund auf immer“, reden. Entweder sind die „Letzten Worte Davids“ schon messianisch geprägt, oder der König ist Substitut für das Gottesvolk. Die Verheißung von Gottes „Hilfe“ bzw. „Heil“ (‫ )ישׁע‬und seinem „Wohlgefallen“ (‫ )חפץ‬ist jedenfalls nicht mehr an den realen Davidsthron in Jerusalem gebunden, sie erfüllt sich immer, wenn Macht in der „(Ehr-)Furcht Jhwhs“ ausgeübt wird. Wo das nicht geschieht – dabei kann an Davids historischen Antipoden Saul gedacht sein, aber auch an jegliche spätere gottlose Herrschaft –, da wächst „Dorngestrüpp“, gegen das mit „Eisen und Spieß“ 52 53

Die bekannte Botenformel „So hat Jhwh gesprochen“ lautet nur leicht anders. Wie schon im redaktionellen Schluss des Dankpsalms, 2Sam 22,51, siehe oben.

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vorgegangen wird (V. 6f.) – eine Metaphorik, die militärisch-gewalttätige Assoziationen weckt. Böse Herrscher, prophezeit David, werden in Gewalt und Krieg untergehen. Das plakative Gegenüber gerechter und ungerechter Herrschaft in Davids „Letzten Worten“ erinnert an Ps 1, nur dass es dort nicht um Macht und Politik geht, sondern um die tägliche Lebensgestaltung. Die ‫צדיקים‬, die „Gerechten“, die der Tora folgen, sind wie Bäume am Wasser, die „Sünder“ und „Spötter“ und „Frevler“ aber (die ‫ )רשׁעים‬wie Spreu im Wind. In Ps 2 dann, dem zweiten Flügel des Doppeltors zum Psalter, kommen Politik und Herrschaftsausübung zur Sprache: bezeichnenderweise in einem Königspsalm. Es scheint, der Autor von 2Sam 23,1b–7 habe dies beides verinnerlicht, und der Kompilator, der durch 23,1a das Lied mit dem großen Dankpsalm 2Sam 22 verband,54 in beidem zusammen den hermeneutischen Schlüssel zu den Samuelbüchern gesehen.

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Er dürfte es auch gewesen sein, der den Appendix 2Sam 21–24 insgesamt schuf; dafür spricht allein schon dessen vorhin erwähnte chiastische Struktur.

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Am Übergang vom ersten zum zweiten Samuelbuch. Zwischenbilanz eines Kommentators1 A) Vorgeschichte, Umfeld und Vorarbeiten Eines lässt sich der Reihe „Biblischer Kommentar Altes Testament“ schwerlich vorwerfen: Kleinheit oder Kleinlichkeit. Als Gegenstück zu „Herders Theologischem Kommentar zum AT“ (auf katholischer Seite) bietet der BK (auf evangelischer Seite) die umfangreichsten deutschsprachigen Kommentare zu den Büchern der Hebräischen Bibel. In den allermeisten Kommentarreihen gibt es feste quantitative (und übrigens auch zeitliche) Vorgaben für die einzelnen Bände – beim BK nicht. Hier ein biblisches Doppelbuch mit 55 Kapiteln auslegen zu dürfen bzw. zu sollen, ist Lust und Last zugleich. An einer der ersten der jährlichen BK-Tagungen, an denen ich teilnahm, äußerte sich ein Herausgeber zu unserer Aufgabe so: Man müsse nicht alles schreiben, was man wisse – man solle aber möglichst alles wissen, bevor man schreibe. Ein BK-Autor solle sich nicht sagen lassen müssen, er habe irgendeine (!) wichtige Information, Frage, These zum jeweiligen Textbereich nicht gekannt und nicht bedacht. Das ist eine große Herausforderung. Und wohl jeder Kommentator, jede Kommentatorin ringt mit ihr auf seine, ihre Weise. In meinem Fall hatte das einen so großen Respekt zur Folge, dass ich die Kommentierung der Samuelbücher auf keinen Fall in einem Parforce-Stil angehen wollte. Ich hatte den Auftrag in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts erhalten. Damals war ich Pfarrer und hatte eine erste Professur gerade in Aussicht. Die für den BK Verantwortlichen stellten vermutlich die Überlegung an, man solle mit der Auslegung der Samuelbücher jemanden beauftragen, der oder die noch eine gewisse Lebenserwartung besitzt. Diese ist, was mich betrifft, inzwischen ziemlich geschrumpft, und ich bin gerade mit dem ersten Samuelbuch fertig. Immerhin, das ist mehr als die Hälfte, und ich hoffe, auch mit dem zweiten ganz oder doch zum größten Teil fertig zu werden.

1

Diesen Bericht habe ich im Jahr 2013 bei einer Tagung an der Humboldt-Universität Berlin vorgetragen, als die Kommentierung des ersten Samuelbuches gerade abgeschlossen und die des zweiten bereits in Angriff genommen war. Die damals gewonnenen und mitgeteilten Einsichten mögen von allgemeinerem Interesse sein.

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Als ich den Vertrag über BK VIII erhielt, hatte ich noch nicht viel zu den Samuelbüchern geforscht, also auch nicht viel publiziert. Die Herausgeber mussten einigen Mut aufbringen, ein solches Greenhorn mit dieser Aufgabe zu betrauen. Ich weiß nicht, ob ihnen bewusst war, was bzw. wer mich in die Samuelbücher hineingelockt hatte. Es war Stefan Heym mit seinem 1972 erschienenen Roman „Der König David Bericht“, zu dem ich eine der ersten theologischen Besprechungen schrieb. Dieses so schräge wie geniale Buch habe ich meinen Studierenden immer zu lesen empfohlen – mit der Warnung, sie müssten aufpassen, dass sie am Ende noch unterscheiden könnten, was in der Bibel stehe und was bei Heym. Diesem – ja nicht sehr frommen – Schriftsteller 1990 in Bern die Urkunde eines theologischen Ehrendoktors überreichen zu können, war mir eine Genugtuung. Er starb 2001. 2013 hatte ich das Vergnügen, an einer Tagung zu seinem 100. Geburtstag in Chemnitz teilzunehmen, an der ich einen von ihm in den 1930-er Jahren verfassten Text kennenlernte, in dem er sich über das Verhältnis zwischen der Arbeit des Historikers und eines Romanciers äußerte, der sich einen historischen Stoff vornimmt. Dieser Text war dann der Ausgangspunkt meiner „Presidential Address“ am Colloquium Biblicum Lovaniense 2014 in Leuven, in deren erster Hälfte es um Heyms „König David Bericht“ ging. So war und ist dieser Romancier einer meiner SamuelPaten. Es gab aber noch viel mehr Menschen, die mich animierten und voranbrachten bei meiner Arbeit am BK. Insgesamt sind hier sechs Stützsysteme zu nennen: – Da waren erstens regelmäßige Tagungen von BK-HerausgeberInnen und AutorInnen in Neukirchen. – Da waren, zweitens, die Lehrveranstaltungen mit Studierenden und Doktorierenden in Bern. – Da war drittens der „Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung“, der das Projekt zur „Erforschung der Samuelbücher“ insgesamt 15 Jahre lang gefördert hat. Auf diese Weise konnte ich vor allem zweierlei finanzieren: die Qualifikationsarbeiten von Nachwuchsforschenden und die Zuarbeit studentischer Hilfskräfte. – Da waren viertens Rezensionen zu einschlägigen Publikationen in wichtigen Rezensionsorganen (dem Review of Biblical Literature, der Theologischen Literaturzeitung und vor allem der Theologischen Rundschau, deren Fachreferent für die Samuelbücher ich bin). – Da war fünftens eine Reihe von Fachtagungen, die ich zwischen 2000 und 2014 in Bern und anderswo organisieren konnte und die zur Bildung eines informellen, internationalen Kreises von Samuelforschenden geführt haben, mit welchem Austausch zu pflegen für mich von großem Gewinn war. – Da war sechstens der Neukirchener Verlag und insbesondere Dr. Volker Hampel, dem – zusammen mit dem für mich zuständigen Herausgeber, Prof. Winfried Thiel – das Fachlektorat an meinen Manuskripten oblag. (Dass es

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inzwischen die „Neukirchener Theologie“ nicht mehr gibt, ist schwer zu fassen.) Die doppelte Publikationsweise beim BK – Lieferungen und Gesamtbände – hat Vorzüge, birgt aber auch Probleme. Es braucht einen kürzeren Atem, 80 Seiten für den Druck vorzubereiten als z.B. 650. Von 2003 bis 2011 habe ich jährlich etwa eine Lieferung zustande gebracht, jetzt sind es zwei, zuweilen sogar drei. Das Publikationstempo kann also variieren. Die Gefahr dabei ist, dass man bei der 4. Lieferung merkt: Bei der 2. ist ein mehr oder minder schwerwiegender Fehler unterlaufen. Oder in einer Lieferung ist der erste Teil der Auslegung eines Kapitels erschienen, in der nächsten soll der zweite folgen – doch man hat inzwischen eine neue Einsicht gewonnen, die sich mit dem gedruckten ersten Teil kaum verträgt. Noch schlimmer wäre: Man merkt bei der sechsten Lieferung oder im zweiten Teilband, dass der Ansatz der ersten fünf Lieferungen oder des ersten Teilbandes nicht durchzuhalten ist. Die Zeiterstreckung ist bei so umfangreichen Kommentaren ohnehin ein Problem – und eine Chance. In meinem Fall erschien die erste Lieferung ungefähr 15 Jahre nach der Beauftragung, 2003. Ich habe bewusst einen ausführlichen „Anlauf“ genommen, um ein Gesamtbild vom Wesen und der Entstehung der Samuelbücher zu haben, ehe ich mich an die Auslegung des ersten Kapitels machte. So erschienen bis 2003 vier Monographien, zwei Sammelbände und 16 Aufsätze zu den Samuelbüchern. Gleichwohl bleibt bei einer solchen Aufgabe die Maxime „dies diem docet“ stets aktuell. Meine Arbeit an den Samuelbüchern hat etwas von „rollender Planung“ oder von „scientia semper reformanda“, d.h. die Grundlinien lassen sich bisher, Gott und der langen Vorbereitung sei Dank, durchhalten, in Einzelheiten sind aber immer wieder Nachjustierungen nötig, glücklicherweise zumeist auch möglich. Ich habe in dieser Absicht immer wieder an verschiedenen Texten und Themen der Samuelbücher geforscht und darüber regelmäßig publiziert, so dass nach 2003 und bis heute noch ein recht umfangreiches Œuvre hinzugekommen ist. Daraus erwächst das einigermaßen beruhigende Gefühl, dass bei der Weiterarbeit am Kommentar kaum noch nie gesehene und bedachte Probleme auftauchen werden. Die ersten beiden Kommentarbände sind denn auch, wie ich meine, von leidlicher Geschlossenheit – und hoffentlich wird man das einmal von allen vier oder gar fünf Bänden sagen können. Ich habe es gewagt (weil ich dies für Benutzerinnen und Benutzer sachdienlich fand und weil ich, wie gesagt, auch eine lange Vorbereitungszeit hatte), gleich im ersten Band eine ausführliche Einleitung zum Gesamt der Samuelbücher vorzulegen. Darin erscheinen als Hauptgliederungspunkte die Termini „synchrone“ und „diachrone Aspekte“. Diese duale Betrachtungsweise scheint mir immer wichtiger, mittlerweile unverzichtbar. In der Forschungsgeschichte sind beide Linien lange Zeit weitgehend unverbunden nebeneinander hergelaufen. Beide Sichtweisen haben ihr Recht, ihre Stärken, ihre mehr oder weniger weit führenden Einsichten, beide aber auch ihre Grenzen. Pure Syn-

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chronie kann leicht abgleiten in historische Distanzlosigkeit und dann ins Flache oder ins Fundamentalistische; pure Diachronie kann zu bloßem art pour l’art werden: Schichten über Schichten, Fortschreibungen von Fortschreibungen, ohne Gespür für die Schönheit und Abgerundetheit von Texten.

B) Bei der Kommentierung gewonnene Einsichten Die Samuelbücher sind in vielfacher Hinsicht ein ganz besonderes Stück biblischer Literatur. Zunächst sind sie eine wichtige Quelle zur Geschichte des alten Israel, indem sie von der Entstehung des Staates in Israel, von der Vorgeschichte, dem Hergang und den Wirkungen dieses für die Geschichte und das Selbstverständnis Israels hochbedeutsamen Geschehens handeln. Sie sind aber auch ein Kleinod biblischer Erzählkunst, erzählen vom Erleben und Handeln herausragender wie sog. einfacher Menschen – von Königen und ihren Familien, von Propheten, Generälen, Priestern, aber auch von Müttern, Soldaten und Bediensteten –; sie erzählen nicht zuletzt vom Verhalten, vom Reden und vom Schweigen Gottes gegenüber den hier geschilderten Vorgängen und Personen. Sie setzen Leitstandards im biblisch-jüdisch-christlichen Wertesystem, etwa über das Verhältnis von Mensch und Gott, Staat und Volk, Macht und Recht, Krieg und Frieden, Männern und Frauen. Gehört die Bibel als ganze zur hohen Weltliteratur, so die Samuelbücher in herausgehobener Weise. Dessen wird sich der Kommentator bei seiner Arbeit stets aufs Neue bewusst. Es sei nun versucht, nach Erreichen der Zäsur zwischen erstem und zweitem Samuelbuch eine Art Zwischenbilanz zu ziehen. Ich folge dabei dem ehrwürdigen Fünf-Punkte-Schema des BK – Text, Form, Ort, Wort, Ziel –, fasse mich aber bei „Text“ kurz und lasse „Wort“ (wegen nicht zu bewältigender Aspektvielfalt) ganz beiseite.

1.

Zur Textgeschichte

Die Samuelbücher und das Jerermiabuch sind diejenigen biblischen Bücher, in denen die LXX (jedenfalls bestimmte LXX-Versionen) vom MT ganz besonders weit abweicht. Kommt hinzu, dass es gerade zu Sam sehr umfangreiche Textstücke aus der Bibliothek von Qumran gibt. Und zu alledem hat manche Abschnitte aus den Sam-Büchern die Chr aufgenommen, und dort bietet sich der Text oft noch einmal anders dar. Es gesellen sich weitere Quellen für die Textrekonstruktion hinzu: der Targum Jonatan, Textauszüge bei Flavius Josephus, Zitationen im Talmud und bei den Rabbinen. Lässt sich aus alledem ein sog. ‚Urtext’ rekonstruieren, den es dann zu kommentieren gälte? Manche

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haben dieses Ansinnen aufgegeben. Sie übersetzen einfach eine der beiden vollständig erhalten antiken Textversionen: entweder den MT oder die LXX bzw. einen ihrer Codices. Das wäre in der Tat am einfachsten. Dann brauchte man zu der betreffenden Übersetzung nur die Abweichungen in den je anderen Versionen, Handschriften usw. anzumerken, vielleicht noch zu erwägen, wie es wozu gekommen ist – und man hätte jedenfalls einen authentischen antiken Text mit textkritischen Annotationen in deutscher Sprache vor sich. Skeptiker glauben auch, weiter sei nicht zu kommen: Es gebe eben verschiedene Versionen der Samuelbücher, nicht nur eine, und man müsse sich für eine von ihnen entscheiden. Ich indes glaube, dass es einen Ur-Text gab, aus dem heraus sich alle antiken Versionen entfaltet haben. Dieser Urtext dürfte festgestanden haben, nachdem die letzten formativen Phasen der Textentwicklung abgeschlossen waren. Wann das war, lässt sich daran erkennen, dass der Verfasser der Chr nicht mehr in Sam eingriff, sondern einen eigenen Text danebenstellte; Sam war für ihn also (in sehr begrenztem Sinn!) „kanonisch“ geworden. Die Chr entstand in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Text von Sam gefestigt. Im 2., vielleicht auch schon im 3. Jahrhundert liefen die textlichen Linien dann auseinander, wobei sich die wichtigsten wohl an bestimmte Orte bzw. ‚wissenschaftliche Zentren’ binden lassen: Jerusalem, Alexandria, Qumran. Als Qumran noch nicht entdeckt war (also vor der Mitte des 20. Jahrhunderts), dachte man, die Abweichungen der LXX vom MT seien auf die Freiheit der griechisch-sprachigen Übersetzer zurückzuführen; aufmüpfigere Geister (wie etwa Julius Wellhausen) hielten auch für möglich, dass die hebräisch schreibenden Tradenten gelegentlich vom griechischen Text (bzw. von dem durch diesen bezeugten hebräischen Urtext) abwichen. Doch da bei allen Abweichungen auf sehr lange Strecken der griechische Text haargenau dem hebräischen parallelläuft (inklusive diverser Hebraismen), ist es wenig wahrscheinlich, dass sich die Übersetzer plötzlich dazu hinreißen ließen, an diesen und jenen Stellen etwas ganz anderes wiederzugeben, als sie in ihrer Vorlage lasen. Vollends seit Qumran bekannt ist, weiß man, dass es für die griechische Version eine hebräische Vorlage gegeben hat, die freilich von unserem MT oft sehr weit abweicht, dafür aber mit der LXX sehr oft (nicht immer!) übereinstimmt. Hinter diesen beiden hebräischen Texten gab es, nach meiner Überzeugung, einen Urtext, und den versuche ich im Kommentar herauszufinden. In einem Aufsatz, der auf der Basis der Textkritik in den ersten zehn Kapiteln des ersten Samuelbuches geschrieben wurde2, habe ich folgende Ergebnisse formuliert.

2

Doch ein Text hinter den Texten? Vorläufige textkritische Einsichten eines Samuelkommentators, in: P. Hugo / A. Schenker (Hg.), The Entangling of the Textual and Literary History in the Books of Samuel, 2009 (VT.S 132), 133–159.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

a) Abweichungen vom vermuteten ursprünglichen Text sind bei G zahlenmäßig eher häufiger als bei M. Doch gerade an kulturgeschichtlich interessanten Stellen ist der ‚Urtext’ auffallend häufig gerade in G erhalten. Dies deutet auf ein relativ hohes Alter der G-Tradition bzw. auf einen relativ frühen Verzweigungspunkt zwischen M und G hin – unbeschadet dessen, dass beide Texttraditionen danach noch eine recht intensive Veränderungsgeschichte durchlaufen haben. b) Q – soweit vorhanden – stützt die Lesungen von G oft, aber keineswegs immer. Es gibt auch Stellen, an denen Q mit M gegen G zusammengeht, und solche, an denen Q gegen M und G alleinsteht. Da zuweilen gerade Q (allein oder mit G oder mit M) die älteste Textform bewahrt hat, muss die Q-Tradition ebenfalls weit zurückreichen – was wiederum nicht hindert, dass sie nachträglich noch manche, z.T. midraschartige Anreicherungen erfahren hat. Anscheinend hat sich Q bereits abgetrennt, als M und G noch nicht auseinandergelaufen waren.

2.

Zur Textdiachronie („Ort“)

Wann und wie sind die Samuelbücher entstanden? Lange Zeit galt (und Vielen gilt noch immer) als ausgemacht, dass sie in einem breiten Grundbestand auf die frühe Königszeit zurückgehen. Fast kanonisches Ansehen erlangten Hypothesen, nach denen es zwei voneinander unabhängige Geschichtsschreibungen gegeben habe: eine über den Aufstieg3 Davids und eine über seine Thronnachfolge4; beide seien schon zur Salomo- oder gar zur Davidszeit entstanden und hätten den Textbestand etwa von 1Sam 16 bis 2Sam 20 + 1Kön 1–2 umfasst. Nur für einige Abschnitte außerhalb dieses Hauptblocks5 – etwa die Erzählungen über Sauls Königswerdung (1Sam 7f; *10; 12) oder die psalmartigen Lieder im

3

4

5

A. Weiser, Die Legitimation des Königs David: VT 16 (1966) 325–354; J.H. Grønbæk, Die Geschichte vom Aufstieg Davids, 1971 (AThD 10); mit einer Aufteilung auf zwei ‚Quellen’: B. Halpern, The Constitution of the Monarchy in Israel, 1981 (HSM 25); ähnlich wieder: J.M. Hutton, The Transjordanian Palimpsest. The Overwritten Texts of Personal Exile and Transformation in the Deuteronomistic History, 2009 (BZAW 396). L. Rost, Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids, 1926 (BWANT 42); neuerdings S. Seiler, Die Geschichte von der Thronfolge Davids (2 Sam 9–20; 1 Kön 1–2), 1998 (BZAW 267). Auch die diesem Hauptblock vorausliegenden Textblöcke wurden verschiedentlich – und wie mir scheint: noch nicht abschließend – mit literarhistorischen Methoden untersucht: die Samuel-Saul-Überlieferungen von A. Weiser (Samuel. Seine geschichtliche Aufgabe und religiöse Bedeutung, 1962 [FRLANT 81]) und P. Mommer (Samuel. Geschichte und Überlieferung, 1987 [WMANT 65]), die Lade-Überlieferungen von F. Schicklberger (Die Ladeerzählungen des ersten Samuelbuches, 1973 [FzB 7]) und A.F. Campbell (The Ark Narrative, 1975 [SBL.DS 16]).

Zwischenbilanz eines Kommentators

129

Anhang der Samuelbücher (2Sam 22f) – wollte man eine spätere Entstehungszeit zugestehen.6 In beiden Bereichen hat sich die Forschung in den letzten Jahrzehnten ausdifferenziert. Auf der einen Seite hat sich die Deuteronomismusforschung auch der Samuelbücher angenommen. Nach einer radikalen Hypothese wären diese insgesamt Zeugnisse erst der deuteronomistischen und nachdeuteronomistischen Geschichtsschreibung, also rein fiktionale Literatur.7 Eine bestimmte deutsche Forschungsrichtung rechnet mit sehr schmalen Grundbeständen aus alter Zeit, die nach und nach und vor allem in später Zeit vielfältigen „Fortschreibungen“ unterworfen gewesen seien; hier scheint das Modell deuteronomistischer Redaktion(en) zu entschwinden.8 Moderatere Positionen rechnen mit einer mehrfach geschichteten deuteronomistischen Redaktion. In Amerika genießt eine Hypothese großen Einfluss, wonach eine erste Version, die bereits den allergrößten Teil der Samuelbücher enthielt, in der späten Königszeit entstand und dann in der Exilszeit revidiert wurde. Im deutschsprachigen Raum wurde die Theorie einer dreifachen deuteronomistischen Redaktion entwickelt, deren erste dem Königtum und der Daviddynastie freundlich gegenüberstehe, die zweite, prophetisch geprägte dagegen ausgesprochen kritisch, während die dritte das Königtum am Maßstab der deuteronomischen Tora messe. Auf der anderen Seite erbrachten Forschungen gewissermaßen von der Gegenseite, von den älteren Textstraten her, Argumente für relativ breite vordeuteronomistische Redaktionsschichten sowohl im Bereich der sog. Thronfolgegeschichte9 als auch in dem der sog. Aufstiegsgeschichte10.

6

7 8

9

10

So schon J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des AT, 31899. M. Noth (Überlieferungsgeschichtliche Studien, 31967), H.J. Boecker (Die Beurteilung der Anfänge des Königtums, 1969 [WMANT 31] und T. Veijola (Das Königtum in der Beurteilung der deuteronomistischen Historiographie, 1977 [AASF.B 193] erklärten diese Textschicht für deuteronomistisch. J. Van Seters, The Biblical Saga of King David, Winona Lake, IN 2009. T.A. Rudnig, Davids Thron. Redaktionskritische Studien zur Geschichte von der Thronnachfolge Davids, 2006 (BZAW 358). – A. Heinrich, David und Klio. Historiographische Elemente in der Aufstiegsgeschichte Davids und im Alten Testament, 2009 (BZAW 401). F. Langlamet, in mehreren Arbeiten; grundlegend: Pour ou contre Salomon? La rédaction prosalomonielle de I Rois I-II: RB 83 (1976), 321–379. 481–528. – E. Würthwein, Die Erzählung von der Thronfolge Davids, 1975 (ThSt 115). – S.K. Bietenhard, Des Königs General. Die Heerführertraditionen in der vorstaatlichen und frühen staatlichen Zeit und die Joabgestalt in 2 Sam 2-20; 1 Kön 1-2, 1998 (OBO 163). B. Lehnart, Prophet und König im Nordreich Israel. Studien zur sogenannten vorklassischen Prophetie im Nordreich Israel anhand der Samuel-, Elija- und ElischaÜberlieferungen, 2003 (VT.S 96). – A.A. Fischer, Von Hebron nach Jerusalem. Eine redaktionsgeschichtliche Studie zur Erzählung von König David in II Sam 1-5, 2004 (BZAW 335).

130

I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Aufgrund meiner Kommentararbeit und der mancherlei voraus- und parallellaufenden Studien bin ich zu der Auffassung gelangt, dass die Samuelbücher im Wesentlichen auf sechs Stufen entstanden sind11: a) Einzelüberlieferungen, die verstreut über die Samuelbücher, teilweise sogar in deren Anhang 2Sam 21–24 erhalten geblieben sind und deren Wurzeln teilweise bis ins 10. Jahrhundert zurückreichen mögen. Ich denke etwa an die Erzählung vom Verlust der heiligen Lade in 1Sam 4 oder an die ältesten der Saul-Geschichten (wie er Eselinnen suchte und die Königskrone fand, wie er die Ammoniter oder die Philister besiegte), oder an alte David-Geschichten (um nur ein paar Beispiele zu nennen: die von ihm als Musiktherapeuten Sauls, oder von seinem Leben als Freibeuter, oder von ihm und Urija und Batscheba, oder von der Hinrichtung von Sauliden in 2Sam 21), dazu alte Lieder (die Trauergesänge auf Saul und Jonatan in 2Sam 1, auf Abner in 2Sam 3), alte Listen (die Verwandten Sauls in 1Sam 14, die von David mit Beute beschenkten judäischen Dörfer in 1Sam 30, Davids Söhne in 2Sam 3 und 5, Davids Minister in 2Sam 8, Davids Elitekrieger in 2Sam 23). b) Die nächste Stufe bilden Teildarstellungen (wohl bereits schriftlicher Natur), in die solche älteste Fragmente teilweise eingegangen sind und die die Grundlage der späteren Gesamtdarstellung bilden: Erzählreihen über Samuel und Saul, über die heilige Lade, über das Schicksal der Sauliden, über David als Freibeuter, über den Abschalom-Aufstand sowie über die dubiosen Umstände der Geburt und der Machtergreifung Salomos. Diese „Quellen“ stammen aus sehr unterschiedlichen Zeiten: Während die beiden letzten (‚Abschalom’ und ‚Salomo’) in der Grundform nahe an die Ereignisse heranführen dürften, ist die Ladegeschichte kaum vor dem 8. Jh. entstanden. c) Die m.E. entscheidende Phase stellt das sog. „Höfische Erzählwerk“ dar. Es präsentierte im ausgehenden 8. oder frühen 7. Jahrhundert die Geschichte der frühen Königszeit Israels erstmals im Zusammenhang und enthielt bereits beträchtliche Bestandteile des jetzt in 1Sam 1 bis 1Kön 2 (oder 12) zu Lesenden. Der von mir postulierte und mangels eines griffigen Namens so genannte „Höfische Erzähler“ ist in sehr weitgehendem Maß für die kunstvolle Gestalt der Samuelbücher verantwortlich, von der oben die Rede war. Er war also ein Künstler, ein Schriftsteller hohen Ranges. Zugleich aber war er auch Theologe – freilich nicht in so ausgeprägtem, alles andere in den Hintergrund drängenden Maß wie etwa die Deuteronomisten oder der Chronist oder auch der Gesamtverfasser der Abrahamgeschichten (vorausgesetzt, einen solchen gab es), wohl nicht einmal so sehr wie der oder die Erzähler der Jakobgeschichten; er schreibt noch ‚profaner’ als diese(r), Gott tritt kaum je als handelnde Figur auf die Erzählbühne, nur ganz selten gibt 11

Was die dtr und vor-dtr Redaktionsstufen anlangt, sind die von mir erzielten Ergebnisse in der ersten, in diesem Band abgedruckten Arbeit („Der Mann, mit dem Gott war“) in tabellarischer Form wiedergegeben und erläutert.

Zwischenbilanz eines Kommentators

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der Höfische Erzähler zu verstehen, was Gott von diesem oder jenem Geschehen hielt oder wie er es beeinflusste. Zumeist muss man seine Theologie zwischen den Zeilen oder in den Handlungsabläufen aufspüren – aber sie ist da, ganz zweifellos. Zudem war der Höfische Erzähler Historiker – ein Historiker sui generis freilich, ein antiker und zudem religiöser Historiker.12 Er erfüllt bzw. teilt nicht alle Ideale moderner Historiographie, z.B. nicht das der rein innerweltlichen Kausalität oder das weitestgehender Spannungsfreiheit oder Eindeutigkeit oder das der vermeintlichen Objektivität oder Neutralität oder das möglichst großer Nüchternheit und Nicht-Emotionalität. Bei ihm überwiegt farbige Erzählung bei weitem trockene Dokumentation (obwohl es auch das gibt, etwa in Gestalt unkommentierter Listen). Offensichtlich bemüht sich der Höfische Erzähler um eine zutreffende, zumindest plausible Darstellung der für ihn mittlerweile versunkenen Zeit, die er beschreibt – nicht zuletzt, indem er ältere Quellen aufnimmt und als noch erkennbare Sonderüberlieferungen in sein Werk einsetzt, ohne sie bis zur Unkenntlichkeit zu verschleifen und an seinen Stil und seine Aussageabsichten zu adaptieren. Man könnte ihn in dieser Hinsicht auch ‚Redaktor’ nennen, wenn man damit nicht Abläufe in modernen Printmedien assoziiert, sondern die von Martin Noth bemühte Vorstellung des „ehrlichen Maklers“ zwischen überkommenem Traditionsmaterial und eigener Darstellungsabsicht. Am sichersten zu fassen bekommt man den Höfischen Erzähler einerseits in der oft äußerst artifiziellen Komposition vorgegebener Texte und vor allem in Dialogen, die er in ältere Erzählungen eingeschoben hat, um durch die handelnden Figuren die Erzählhandlung auszudeuten, zu dramatisieren, zu theologisieren. Um ein Beispiel zu nennen: Die Reden Sauls und Davids in den sog. Verschonungsgeschichten 1Sam 24 und 26 sowie der klugen Abigajil in der dazwischen geschobenen NabalGeschichte sind zum allergrößten Teil vom Höfischen Erzähler geschaffen. d) Die deuteronomistische Redaktion hat (wohl in mehreren Rezensionen) im 6. und 5. Jahrhundert das Höfische Erzählwerk in das von Dtn bis 2Kön reichende dtr Geschichtswerk integriert, es damit zu einem wesentlichen Baustein der „Geschichte Israels“ gemacht und auf bestimmte Weise kommentiert. Ich gehöre zu denen, die in (halbwegs) treuer Gefolgschaft von Martin Noth noch an ein solches umfassendes Werk glauben – und die nicht, wie manche andere, es in wesentlichen Teilen schon in der späten Königszeit (Joschija) entstanden sein lassen (um seine positiven Tendenzen zeitgeschichtlich scheinbar fest zu verankern – als ob nicht auch ein nach dem Zusammenbruch lebender Mensch die Vorzüge und Chancen der früheren, der Königszeit erkennen könnte); und auch nicht zu denen, die es in eine Reihe von Teil-Geschichtsbüchern (über die Landnahme-, die Richter-, die 12

Vgl. das in dieser Hinsicht grundlegende Werk von R. Gilmour, Representing the Past. A Literary Analysis of Narrative Historiography in the Book of Samuel, 2011 (VT.S 143).

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

frühe und die spätere Königszeit) zerschlagen; viel zu massiv sind dafür die vielfältigen Verklammerungen, die eben von Dtn bis 2Kön reichen und das Gesamtwerk zu einem gewaltigen Akt der Selbstreflexion Israels bzw. Judas in der schwärzesten Stunde seiner antiken Geschichte machen. Natürlich haben die Deuteronomisten ältere Quellen aufgenommen (Landnahme- und Rettergeschichten, eben auch das Höfische Erzählwerk über die ersten Könige Israels, danach die res gestae des israelitischen und des judäischen Hofes und manche Sammlung von Prophetengeschichten. Vermutlich hat dies alles nicht ein einziger Mensch geschafft, sondern wuchs dieses mächtige Werk auf mehreren Stufen heran, um schließlich das Selbstverständnis des frühen Judentums in der Zeit der Perserherrschaft und noch danach maßgeblich zu prägen. e) Am Anfang und am Ende der Samuelbücher bzw. des betreffenden Abschnitts im dtr Geschichtswerk traten noch einige spätnachexilische Ergänzungen hinzu. Ich meine insbesondere das Hanna-Lied (in 1Sam 2,1–10) und den großen Appendix 2Sam 21–24, der freilich ältere Textbestandteile in sich aufgenommen hat. f) Die letzte Stufe in der Textdiachronie der Samuelbücher ist die recht weit verzweigte Textgeschichte, von der vorhin die Rede war. Nach Abzug der Texte der Redaktionsstufen 3, 4 und 5 bleiben für die Stufen 1 und 2 immer noch rund 470 Verse. Damit stammen immerhin rund zwei Drittel des Gesamttextbestandes der Samuelbücher aus Quellen des (10.,) 9. und 8. Jahrhunderts: ein Fundus an antik-israelitischer Literatur, wie er in dieser Breite wohl nirgends sonst in der Hebräischen Bibel zu finden ist.

3.

Zur synchronen Analyse der Texte („Form“)

Weithin abseits der deutschsprachigen Forschung13 hat sich, namentlich im anglo-amerikanischen Raum, eine zunehmend wichtige Forschungsrichtung etabliert: die der literary analysis, zuweilen auch close bzw. holistic oder canonical reading, mit Blick gerade auf die Samuelbücher aber auch narratology genannt. Der biblische Textbestand wird hier nicht diachron auf sein schrittweises Werden befragt, sondern synchron auf den Aussagewillen der jetzt vorliegenden Endgestalt (gelegentlich auch: früherer Endgestalten). Diese Fragerichtung hat eine alte Tradition vor allem im Bereich jüdischer, aber auch vor- oder nicht-aufklärerischer christlicher Exegese. Heute ist in der 13

Es gibt freilich auch vereinzelte deutschsprachige Bücher dieser Forschungsrichtung: U. Berges, Die Verwerfung Sauls. Eine thematische Untersuchung, 1989 (FzB 61). – J. Vette, Samuel und Saul. Ein Beitrag zur narrativen Poetik des Samuelbuches, Münster 2005. – P. Eckstein, König David. Eine strukturelle Analyse des Textes aus der Hebräischen Bibel und seine Wiederaufnahme im Roman des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2000.

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alttestamentlichen Wissenschaft vorherrschend eine dezidiert nicht-konfessorische, rein literaturwissenschaftliche Betrachtungsweise, mit strukturalistischen14 oder auch spielerisch-postmodernen15 Nebenformen. Den Forschungen auf dieser Basis verdanken sich wesentliche Einsichten sowohl in die Erzählkunst16 der Samuelbücher als auch in deren weitgehende innere Geschlossenheit und ihre wohldurchdachte Anlage17, zudem in ihre äußerst vielfältigen und oft geradezu verwirrenden anthropologischen und theologischen Aussagen18. Notwendig ist die weitere Vertiefung dieser Fragerichtung – noch lange sind nicht alle Beobachtungen am Text gemacht! –, aber auch ihre Korrelierung mit der literaturhistorischen Frageweise: Inwiefern verdanken sich überzeugende Ergebnisse des literary reading dem Vorhandensein durchgehender, den Gesamttext gewissermaßen einheitlich überformender Redaktionen? Hat die Methode ihre Grenze dort, wo sie doch vorhandene Textstufen außer Acht lässt? Rechnet sie zuweilen gar zu optimistisch damit, die Aussage des Textes erheben zu können (so wie diachrone Analysen oft zu optimistisch die Meinung des Autors meinen feststellen zu können)? In der Einleitung in den 1. Band meines Kommentars habe ich die synchrone Sicht auf die Samuelbücher in folgenden Abschnitten zusammenzufassen versucht: Handlungsbogen Strukturierung Charakterzeichnung Perspektivik Stilmittel

Dazu will ich mich jetzt nicht wiederholen, sondern zwei weitere Gesichtspunkte hervorheben – einen formalen und einen inhaltlichen –, welche sich im Zuge der synchronen Textanalysen als bedeutsam erwiesen haben: 1. chiastische bzw. 14

15

16

17

18

So J.P. Fokkelman in seinem achtunggebietenden, vierbändigen Werk, Narrative Art and Poetry in the Books of Samuel, I-IV, 1981, 1986, 1990, 1993. Etwa D.J. Clines, Michal Observed: Ders. / T.C. Ezkenazi (eds.), Telling Queen Michal’s Story, 1991 (JSOT.S 119), 24–63; L. Eslinger, Into the Hands of the Living God, 1989 (JSOT.S 84); Ders., Kingship of God in Crisis. A Close Reading of 1 Samuel 1-12, 1985 (BiLiSe 10). Dazu viele Beiträge in den Sammelbänden: C.S. Ehrlich in cooperation with M.C. White (eds.), Saul in Story and Tradition, 2005 (FAT 47); T. Linafelt / C.V. Camp / T. Beal (eds.), The Fate of King David. The Past and Present of a Biblical Icon, 2010 (LHBOTS 500). Eine Vorreiterrolle spielte hier der jüdisch-amerikanische Literaturwissenschaftler R. Alter mit seinem bahnbrechenden Buch: The Art of Biblical Narrative, 1984. Inzwischen hat Alter einen Kurzkommentar zu den Samuelbüchern vorgelegt: The David Story, New York/London 1999. D.M. Gunn, The Story of King David, 1978 (JSOT.S 6); Ders., The Fate of King Saul, 1984 (JSOT.S. 14). C. Conroy, Absalom Absalom! Narrative and Language in 2 Sam 13-20, 1978 (AnBib 81); P.D. Miscall, 1 Samuel. A Literary Reading, 1985; R. Polzin, Samuel and the Deuteronomist, Bloomington, IN 1989; Ders., David and the Deuteronomist, Bloomington, IN 1993.

134

I. Exegetische Spezialuntersuchungen

konzentrische Strukturen in den Erzählungen der Samuelbücher, und 2. die Uneindeutigkeit bzw. Ambivalenz mancher, sogar vieler Textaussagen.

3.1 Chiasmen Wohlbekannt sind chiastische Wort- bzw. Satzstellungen in der hebräischen Poesie, und zwar in Gestalt des „Parallelismus membrorum“, z.B.; Wohl dem, der nicht wandelt im Rat von Frevlern und auf dem Weg von Sündern nicht steht (Ps 1,1).

Oder: Es erheben sich die Könige der Erde und die Würdenträger verschwören sich (Ps 2,2).

Dass der chiastische Stil auch die biblische Erzählliteratur, jedenfalls die der Samuelbücher, durchzieht, ist weniger bekannt19. In der Einleitung zum Gesamtkommentar, im 1. Band, habe ich bereits sechs, besonders augenfällige Beispiele dieses Phänomens aufgeführt. Ich wiederhole und nummeriere sie hier in ihrer biblischen Reihenfolge mit kleinen lateinischen Buchstaben: a) Sauls Berufung (1Sam 9,1 – 10,16): b) Die Verschonungsgeschichten 1Sam 24–26: c) Die Amnon-Tamar-Erzählung (2Sam 13) d) Davids Flucht aus und Rückkehr nach Jerusalem (2Sam 16 + 19) e) Die Abschalom-Schlacht (2Sam 18) f) Der Anhang zu den Samuelbüchern (2Sam 21–24)

An dieser Reihe fällt auf, dass drei von ihnen offenbar ursprüngliche Einzelüberlieferungen betreffen (a, c, e), während die anderen drei sich redaktioneller Planung und Arbeit verdanken (b, d, f). Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich weitere, im Verlauf der Kommentierung des ersten Samuelbuchs entdeckte Chiasmen betrachten. In folgenden zehn Einzelüberlieferungen lassen sich chiastische Strukturen feststellen: g) Samuels Berufung (1Sam 3) A

A’

B B’

C

1–3 4–9 10–15 16–18 19–21

Elis Kraft nimmt ab, Gott offenbart sich nicht mehr Gott ruft Samuel dreimal an, und der läuft zu Eli Gott ruft Samuel ein viertes Mal und teilt seinen Willen mit Samuel meldet das Gehörte und Gesehene Eli Samuel gewinnt Bedeutung, Gott offenbart sich wieder

h) Elis Rede 1Sam 3,16–18 19

Wer auf dieses Phänomen immer und immer wieder hinweist, ist J.P. Fokkelman in seiner magistralen vierbändigen Untersuchung der Samuelbücher (s. Anm. 13).

Zwischenbilanz eines Kommentators A

A’

B B’

C

135

Was für ein Wort (‫ )דבר‬war es, das er zu dir geredet hat (‫?)דבר‬ Verbirg es nicht vor mir (‫!)כחר מן‬ Gott soll dir dies und auch noch jenes antun, wenn du vor mir verbirgst (‫)כחר מן‬ ein Wort (‫ )דבר‬von dem, was er zu dir geredet hat (‫!)דבר‬

i) Sauls Ammoniterkrieg und Königserhebung (1Sam 11) 10,26f: Israel spaltet sich in der Frage nach Sauls Eignung zum Königtum 11,1a: Die Ammoniter attackieren Jabesch 11,1b.2: Nahasch verlangt bedingungslose Unterwerfung 11,3: Jabesch erbittet und erhält eine Frist, um Hilfe zu holen 11,4f: Boten durchziehen Hilfe suchend Israel bis Gibea 11,6: Saul wird durch Gottes Geist zum Helfer 11,7f: Boten ziehen von Gibea durch Israel und finden Hilfe 11,9: Jabesch wird fristgerechte Hilfe angekündigt 11,10: Die Jabeschiter versprechen bedingungslose Unterwerfung 11,11: Saul attackiert und besiegt die Ammoniter 11,12–15: Ganz Israel anerkennt Sauls Eignung und erhebt ihn zum König

j) Sauls erste Philisterschlacht (1Sam 13f)20 A The Philistine to the east of Beth-aven B Israel in sore straits C Israel hides in Caves and holes D Hebrews flee across the Jordan E Saul’s army trembles E’ the Philistines tremble D’ other Hebrews run over to Saul C’ Israel, having hidden, re-appears and takes part in battle B’ Yahweh liberates Israel A’ The battle passes Beth-aven (westwards!)

13,5 13,6a 13,6b 13,7a 13,7b 14,15–20 14,21 22 23a 23b

k) Michals Fluchthilfe für David (1Sam 19,11–17) A Michal warnt David: Flieh, sonst bist du morgen tot (11) B Michal lässt David entfliehen, er bringt sich in Sicherheit (12) C Michal präpariert das Bett mit dem Terafim (13) D Saul schickt Boten, die hören, dass David krank ist (14) D’ Saul schickt Boten, um David mitsamt dem Bett holen (15) C’ Die Boten entdecken im Bett den Terafim (16) B’ Saul: Warum hast du erlaubt, dass David sich in Sicherheit bringt? (17a) A’ Michal: David hat mich bedroht: Lass mich gehen, oder ich töte dich (17b)

l) Sauls Massaker an den Priestern von Nob (1Sam 22,6–21)21 A Bericht und Rede Sauls B Anzeige Doëgs 20 21

Nach Fokkelman II 61. Nach Fokkelman II 412.

6–9 9f

136

I. Exegetische Spezialuntersuchungen C

Saul eröffnet das Verfahren D Anklage Sauls X Verteidigung Ahimelechs D’ Urteil Sauls C’ Saul ordnet die Hinrichtung an B’ Doëg führt die Hinrichtung aus A’ Bericht

11f 13 14f 16 17 18f 20f

m) David und Saul in der Höhle von En-Gedi (1Sam 24,4–9) A 4: Saul und David sind in der Höhle B 5a: Davids Männer fordern ihn zum Handeln auf X 5b.6: David handelt anders, als seine Männer dachten B’ 7.8a: David weist seine Männer zurecht A’ 8b.9a: Saul und David verlassen die Höhle

n) Saul und die Totenbeschwörerin (1Sam 28,21–23) Es war keine Kraft in ihm denn er hatte kein Brot gegessen „Deine Magd hat auf deine Stimme gehört Und nun höre auf die Stimme deiner Magd. Ich will einen Bissen Brot bereiten, und du sollst essen, und es wird in dir Kraft sein“.

o) Die Schlacht auf Gilboa (1Sam 31,1–7)22 Sieg der Philister (Weitwinkel: 1) die Königsfamilie im Visier (mittlere Brennweite: 2) Sauls und seines Waffenträgers Suizid (Zoom: 3–5) Tod der Königsfamilie (mittlere Brennweite: 6) Flucht der Israeliten (Weitwinkel: 7)

p) Die Schändung des Leichnams Sauls (1Sam 31,9f) der Kopf wird vom Rumpf getrennt die Ausrüstung wird geraubt die Frohbotschaft wird in Philistäa verbreitet die Ausrüstung wird im Haus der Aschtarte niedergelegt der Leichnam wird an die Stadtmauer von Bet-Schean gespießt

Auf Redaktorenhand gehen folgende sechs Chiasmen zurück: q) Der junge Samuel in Schilo (1Sam 2) A (Notiz) B (Erzählung) C (Notiz) D (Erzählung) C’ (Notiz) 22

Samuels Ergehen (11b) Fehlverhalten der Eli-Söhne (12–17) Samuels Ergehen (18) Samuel und seine Eltern (19–21a) Samuels Ergehen (21b)

Teilweise nach Fokkelman II 623.

Zwischenbilanz eines Kommentators B’ (Erzählung) A’ (Notiz)

137

Zurechtweisung der Eli-Söhne (22–25) Samuels Ergehen (26)

r) Samuels Abschied (1Sam 12) 1–3 4–5 19 20–25

6–18

Monolog Samuels Dialog mit dem Volk Monolog Samuels Dialog mit dem Volk Monolog Samuels

s) Sauls Verwerfung im ersten Philisterkrieg (1Sam 13,2–23) A Israel reizt die Philister und bekommt ihre Wut zu spüren (2–7a) B Saul überwirft sich mit Samuel (7b–15a) A’ Israel wird von den Philistern schwer drangsaliert (15b–23)

t) Sauls und Jonatans Verhalten gegenüber dem geflüchteten David (1Sam 23) A Saul jagt David aus Keïla und bei Sif (1–15) B Jonatan versichert David seiner Solidarität (16–18) A’ Saul jagt David bei Sif und Maon (19–27)

u) Davids Orakelanfrage in Keïla (1Sam 23,9–11) A Jhwh, Gott Israels, B dein Diener hat sicher vernommen, C dass Saul beabsichtigt, nach Keïla herabzukommen, X um die Stadt meinetwegen zu zerstören. C’ Wird Saul herabsteigen, B’ wie dein Diener vernommen hat? A’ Jhwh, Gott Israels, tu [es] deinem Diener doch kund!

v) Jonatans Begegnung mit David (1Sam 23,16–18) A Jonatan macht sich auf, David zu treffen B Jonatan stärkt David in Jhwh C „Fürchte dich nicht, mein Vater findet dich nicht“ X „Du wirst König sein, und ich der Zweite nach dir“ C’ „Mein Vater weiß das“ B’ David und Jonatan schließen einen Bund vor Jhwh A’ David bleibt, Jonatan geht

Von diesen letzten sechs Beispielen gehen vier auf den Höfischen Erzähler zurück (q, s, t, v) und je eines auf eine der deuteronomistischen Rezensionen DtrH bzw. DtrN (u bzw. r).23 Jedenfalls für das erste Samuelbuch lassen sich zwei Schwerpunkte konstatieren: bei den Einzelüberlieferungen (zehn Fälle) und beim Höfischen Erzähler 23

Der Einzelnachweis ist hier nicht zu führen, kann aber im Kommentar eingesehen werden.

138

I. Exegetische Spezialuntersuchungen

(vier Fälle). Vermutlich hat das Phänomen auf diesen beiden Stufen der Textentstehung aber unterschiedliche Bedeutung. Bei den Einzelüberlieferungen schimmert noch der ursprünglich mündliche Vortrag durch: Das Memorieren und Rezitieren einer vorgegebenen Geschichte wird durch eine chiastische Struktur erleichtert. Zugleich bilden sich so schöne, geschlossene Formen. Beim Höfischen Erzähler, dem Schöpfer eines großen literarischen Werkes, überwiegt klar das ästhetische Moment; er nutzt Chiasmen als sprachlich-gestalterisches Kunstmittel. Die Sammler bzw. Autoren der älteren Quellen (Stufe 2) scheinen davon keinen Gebrauch gemacht zu haben, die dtr Redaktoren (Stufe 4) lernten offenbar vom Höfischen Erzähler.

3.2 Uneindeutigkeit, Ambivalenz Modern-westlichen Menschen sind Texte mit klarer und eindeutiger Aussage am liebsten – auch wenn Schriftsteller und insbesondere Dichter dieser Maxime nicht immer frönen mögen24. In der orientalischen Antike frönte ihr kaum jemand, schon gar nicht Schriftsteller und Dichter. Speziell die Samuelbücher, insgesamt auf hohem literarischem Niveau stehend, weisen derart viele Uneindeutigkeiten und Ambivalenzen auf, dass man dies geradezu als ihr besonderes Merkmal ansehen kann. Tatsächlich erklärt die Germanistin Pia Eckstein in ihrem Buch „König David“ (2000)25 die Ambiguität für diejenige Eigenschaft, welche die Davidgeschichten auszeichne und „unglaublich modern“ mache (181). Manche Geschichten hätten „mehrere gleichzeitig gültige Bedeutungen“ (171). So berechtige z.B. nichts dazu, den Bericht des Amalekiters über Sauls Tod (2Sam 1,6–10) als von vornherein lügnerisch abzutun, obwohl er dem Erzählerbericht vom gleichen Ereignis (1Sam 31,4f) in einigen Punkten klar widerspreche. Es stehe hier sogar das sonst unantastbare Prinzip der Zuverlässigkeit des Erzählers in Frage. So „kann nichts mehr als absolut betrachtet werden; die Ambiguität ist unauflösbar und dominant. Wir erfahren eine Erzählung von vollkommener Unfassbarkeit, unangreifbarer Unsicherheit“ (177). Der Erzähler installiere unterhalb der Handlungsebene eine zweite, oft konträr verlaufende Aussageebene, „und es scheint fast, als wolle er den Leser mit der provozierenden, unauflösbaren Ambiguität narren und verwirren“ (185). Die Autorin untersucht dann eine Vielzahl neuzeitlicher David-Romane unter der Frage, ob sie dem biblischen Text in dieser Hinsicht gerecht werden. Ihre Antwort ist allermeist negativ: Moderne Autoren hielten die Ambiguität der biblischen Vorlage nicht durch und vereindeutigten in die eine oder andere Richtung. Nur zwei rühmliche Ausnahmen gebe es: Joseph Heller und Stefan Heym. Jedenfalls beim Zweiten hat sie Recht. 24 25

Weswegen insbesondere Lyriker es schwer haben, auf breite Resonanz zu stoßen. Vgl. meine Besprechung des Buches in: W. Dietrich, Von den ersten Königen Israels. Forschung an den Samuelbüchern im neuen Jahrtausend, Zweiter Teil, ThR 77 (2012) 263– 316, hier 293–297.

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Ich möchte jetzt kurz belegen, dass sie auch in der Einschätzung der Samuelbücher Recht hat. Zu diesem Zweck trage ich einige Beobachtungen zusammen, die einzeln nicht neu, im Verbund aber m.E. doch beeindruckend sind. Ich beginne mit Beispielen für a) Sprachliche Doppeldeutigkeiten – In 1Sam 16,21, im Zusammenhang mit Davids Musiktherapie an Saul, teilt der Erzähler mit: „Und er liebte ihn“. Meist sagt man, es sei gemeint, dass Saul seinen jungen Therapeuten liebte. Doch rein grammatisch ist auch das Umgekehrte möglich: dass der junge David seinen alten, traurigen Patienten liebte. Und beides muss sich ja nicht gegenseitig ausschließen. – In seinem Trauerlied auf (Saul und) Jonatan bekennt David: „Deine Liebe war mir wunderbarer als die Liebe von Frauen“. So übersetzt man 2Sam 1,26 meist. Möglich wäre aber auch die Übersetzung: „Die Liebe zu dir“ (also Davids Liebe!) „war mir wunderbarer als die Liebe zu Frauen“. Der genitivus possessivus und genitivus objectivus sind im Hebräischen nicht zu unterscheiden. – In 2Sam 13,39 + 14,1 wird Davids Reaktion auf Abschaloms Mordtat an seinem Halbbruder Amnon und seine Flucht nach Aram-Geschur beschrieben26. Der Passus lässt sich auf zweierlei Weise übersetzen. Entweder militant-kriegerisch: „Und der König David hörte auf damit, auszurücken gegen Abschalom; denn er hatte sich getröstet über Amnons Tod. Und Joab, der Sohn der Zeruja, wusste, dass das Herz des Königs gegen Abschalom gerichtet war“. Oder friedlich-versöhnlich: „[Der Geist des] Königs David verzehrte sich danach, zu Abschalom hinauszugehen. Er hatte sich nämlich getröstet über Amnon, dass er tot war. Und Joab merkte, dass sich Davids Herz auf Abschalom richtete“. In solchen Fällen bleibt es den Lesenden überlassen, sich für eine der beiden Verständnismöglichkeiten zu entscheiden – oder auch nicht zu entscheiden. b) Unterschiedliche Textformen Auch die komplizierte Textüberlieferung der Samuelbücher kann zu schwer behebbaren Uneindeutigkeiten führen: dann nämlich, wenn sich kaum mehr entscheiden lässt, welcher Textvariante der Vorzug zu geben, welches also der mutmaßliche Urtext ist. Hier ein Beispiel: Nach der Vergewaltigung Tamars durch Amnon beschreibt der masoretische Text Davids Reaktion lapidar so: „Und er (David) war sehr ungehalten“ (2Sam 13,21), will heißen: der König hatte, als er Tamar zu ihrem Vergewaltiger schickte, keinesfalls das gewollt, was dann 26

Vgl. hierzu und zum nachfolgenden Beispiel meinen Aufsatz „David, Amnon Abschalom (2Sam 13). Literarische, textliche und historische Erwägungen zu ambivalenten Beziehungen eines Vaters zu seinen Söhnen“, in: W. Dietrich, Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk. Studien zu Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments II, 2012 (BWANT 201), 207–226.

und den Die den

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geschah. In 4QSama folgt ein weiterer Satz: „Und er liebte ihn, weil er sein Erstgeborener war“. Wahrscheinlich ist der Anschluss adversativ zu denken: Obwohl David ungehalten über Amnons Tat war, liebte er ihn: seinen Ältesten (und prospektiven Nachfolger). Damit wird dem Verdacht gewehrt, David könne mit Amnons schließlicher Ermordung durch Abschalom stillschweigend einverstanden gewesen sein. Den ausführlichsten Text bietet die Septuaginta (bzw. deren mutmaßliche hebräische Vorlage): „David war sehr ungehalten, und er kränkte den Geist seines Sohnes Amnon nicht, denn er liebte ihn, weil er sein Erstgeborener war“. Hier wird erklärt, warum David gegen den Vergewaltiger nichts unternahm: Er war ein zärtlicher Vater, der seine Söhne – und speziell seinen Ältesten – nicht „kränken“ wollte. Ein weiteres Beispiel ist 1Sam 14,47. Der Satz lautet nach M: „Und Saul hatte das Königtum über Israel errungen. Und er führte Krieg gegen alle seine Feinde ringsum: gegen Moab und gegen die Ammoniter und gegen Edom und gegen ‘den’ König von Zoba und gegen die Philister. Und wohin er sich wandte, machte er sich schuldig (Hif. von ‫“)רשע‬. In der Septuaginta lautet das letzte Sätzchen: „Wohin er sich wandte, wurde er errettet (εσωζετο)“. Die Vorlage für das griechische Wort „retten“ war wohl ‫ישע‬.27 Ein einziger Buchstabe nur vertauscht (‫ ר‬oder ‫)י‬, und es ergeben sich zwei völlig verschiedene Aussagen. Von der Sache her wird man in diesem Fall eher der Septuaginta zu folgen haben, doch lässt sich hier kaum mehr von einer Entscheidung für den „Urtext“ sprechen. c) Widersprüchliche Informationen Klare historische bzw. historiographische Konturen werden des Öfteren dadurch verwischt, dass es von ein und demselben Ereignis zwei oder mehr, oft einander widersprechende, Darstellungen gibt. Warum wurde Saul zum König: weil Samuel ihn gesalbt und beauftragt hat (1Sam 9,1 – 10,16), weil ihn bei einer Volksversammlung das göttliche Los traf (1Sam 10,17–27) oder weil ihn die Krieger Israels nach dem triumphalen Sieg über die Ammoniter auf den Schild hoben (1Sam 11)? Was leitete Davids Aufstieg ein: seine Salbung durch Samuel im Kreis der Familie (1Sam 16,1–13), seine Berufung zum Musiktherapeuten des kranken Königs Saul (1Sam 16,14–23) oder sein grandioser Sieg über den „Riesen“ Goliat (1Sam 17)? Wer übrigens hat Goliat wirklich besiegt: David – oder ein gewisser Elhanan aus Betlehem (2Sam 21,19)? Oder: Wie kam Saul wirklich um: indem er sich ins eigene Schwert stürzte (1Sam 31,4) oder indem ihm ein Fremder auf sein Bitten hin den Gnadenstoß gab (2Sam 1,10)? Oder was ist nun richtig: dass Gott etwas tun konnte, was er hernach zu bereuen hatte (1Sam 15,11.35) – oder dass er nie etwas zu bereuen hat (1Sam 15,29)? d) Doppeldeutige Reden von Erzählfiguren 27

Entweder im Nif. („er erfuhr Hilfe“) oder im Hif. („er brachte Hilfe“).

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Insbesondere der Höfische Erzähler liebt es, seine Figuren mitunter so reden zu lassen, dass der Sinn nicht ganz eindeutig ist. – David wird in 1Sam 29,6f von seinem philistäischen Lehnsherrn Achisch von Gat aufgefordert, das Heerlager der Philister zu verlassen und nicht mit in den Kampf gegen Saul zu ziehen, der diesen das Leben kosten sollte. Man könnte es als großes Glück auffassen, dass David auf diese Weise einem schlimmen Loyalitätskonflikt enthoben wird. Auf der anderen Seite verliert er so jede Möglichkeit, den Kriegsverlauf – etwa zugunsten Sauls und Israels – zu beeinflussen. Auch könnte es seinem Ruf als tüchtiger Krieger schaden, dass er von einer entscheidenden Schlacht als unsicherer Kantonist ferngehalten wird. So antwortet er überaus durchtrieben: „Was habe ich getan, und was hast du an deinem Diener gefunden von dem Tag an, da ich vor dir erschienen bin, bis zu diesem Tag, dass ich nicht [mit]kommen darf und kämpfen gegen die Feinde meines Herrn, des Königs?“ (29,8) Achisch wird verstehen, dass David gegen seine Feinde, die Israeliten, kämpfen wollte; der israelitische Leser jedoch ahnt, dass David gegen Sauls Feinde, die Philister, hätte kämpfen wollen und nun, leider Gottes, daran gehindert wurde. – David hinterließ, als er von seinem aufständischen Sohn Abschalom aus Jerusalem vertrieben wurde, dort eine Fünfte Kolonne: an der Spitze den königlichen Ratgeber Huschai. Bevor dieser seinen (vergifteten) Ratschlag erteilen kann, fragt ihn Abschalom misstrauisch, ob das die Treue sei, die er seinem Herrn David geschworen habe. Darauf Huschai: „Nein! Dem, den Jhwh erwählt hat und dieses Volk und jeder Mann in Israel: dem28 gehöre ich und bei dem bleibe ich“ (2Sam 16,18). Abschalom soll meinen (und meint), er sei der Erwählte; der Leser ahnt, dass Huschai David meint. e) Parabeln Zweimal werden dem König David (in seiner Funktion als oberster Richter) Geschichten erzählt, von denen er meinen muss, sie schilderten wirkliche Vorfälle: Der Prophet Natan berichtet von einem armen Mann, dem ein Reicher unverschämterweise sein einziges Schäfchen weggenommen hat (2Sam 12,1–4), eine weise Frau aus Tekoa davon, dass einer ihrer beiden Söhne den andern erschlagen habe und nun dafür hingerichtet werden solle, worauf sie überhaupt keinen Sohn mehr haben werde (2Sam 14,5–7). Die scheinbaren Rechtsfälle sind in Wirklichkeit Parabeln: mit einem oberflächlichen, scheinbar realen – und einem untergründigen, fiktiven Sinn, der aber der eigentliche ist und auf viel Tieferes zielt. David tappt beide Male in die Falle: Er spricht ein hartes Urteil über jenen Reichen (der in Wahrheit er selbst ist), und er ordnet Straferlass für jenen Totschläger an (der in Wahrheit Abschalom ist). f) In sich widersprüchliche Charaktere 28

Hier ist mit dem Qere ‫ לו‬anstelle von ‫ לא‬im Ketib zu lesen.

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Im Blick auf die in ihnen auftretenden Figuren sind die Samuelbücher ein wahres Eldorado an Ambivalenz und Ambiguität. Es gibt in ihnen so gut wie keinen eindeutig guten oder eindeutig bösen Menschen29. Die in vielen Literaturgenres beliebte Schwarz-Weiß-Malerei fehlt. Man könnte entgegnen: Ist nicht Eli schwarz und Samuel weiß? Ist nicht Saul schwarz und Jonatan weiß? Sind nicht Saul und Joab und Michal und Abschalom schwarz und David weiß? Oder – schon das Nacheinander verblüfft – ist nicht David schwarz und Batscheba weiß? Nichts von alledem. Jeder der vermeintlich düsteren Charaktere hat helle Seiten und jede der vermeintlich lichten Gestalten dunkle Punkte: – Eli ist weiß Gott nicht unfehlbar. Er verkennt die Not einer armen, Gott um Hilfe anrufenden Frau (1Sam 1,13f), und er vermag seine das Priesteramt schändenden Söhne nicht zu bändigen (1Sam 2) – doch immerhin versucht er, den Fauxpas gegenüber Hanna wiedergutzumachen (1Sam 13,17) und seine Söhne in die Schranken zu weisen (1Sam 2,23–25). Er ist nicht in der Lage, Gottes Offenbarung als solche zu erkennen (1Sam 3,2–9), doch als er sie in Erfahrung gebracht hat, gibt er Gott in aller Form die Ehre (1Sam 3,18). – Samuel30 scheint als Gottesmann hoch über seinen Zeitgenossen, einschließlich der ersten beiden Könige, zu stehen. Doch dem Ruf des Volkes nach einem König widerstrebt er, wie es scheint: nicht aus ganz uneigennützigen Motiven, und das selbst dann noch, als Gott ihn anders unterwiesen hat (1Sam 8). Die erste Verwerfung Sauls spricht er aus, als dieser zumindest subjektiv nichts Verwerfliches getan hat (1Sam 13,7b–15). Als Gott ihn das zweite Mal auffordert, Saul das Verwerfungsurteil zu überbringen, sträubt er sich (1Sam 15,10), und als er dann den Auftrag erhält, einen neuen König zu salben, hat er so viel Angst, dass ihm erlaubt werden muss, sich durch eine Notlüge zu schützen (1Sam 16,2). Und im Verlauf der Auslegungsgeschichte wurde ihm auch das noch vorgeworfen, dass er sich aus dem Totenreich durch eine „Hexe“ heraufbeschwören ließ (1Sam 28). Nein, ein makelloser Gottesmann ist Samuel nicht. – Saul31 wurde im Verlauf schon der Traditions- und Redaktions-, dann aber noch mehr der Wirkungsgeschichte zum finsteren Antipoden des gotterwählten David. Dabei beginnt er laut der biblischen Darstellung selbst als 29

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Vielleicht machen zwei Frauen eine Ausnahme: die tüchtige Abigajil (1Sam 25) und die arme Tamar (2Sam 13). Doch schon Abigajils Gatte, Nabal, der ausdrücklich als „böse“ bezeichnet wird, handelt durchaus nicht grundlos und unsinnig. Und Tamars Vergewaltiger, Amnon, scheint am Anfang wirklich etwas wie liebeskrank gewesen zu sein, ehe ihn ein undurchsichtiger Berater auf verderbliche Wege führte. Vgl. meinen Aufsatz: Samuel – ein Prophet?, in: W. Dietrich, Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk. Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Tes-taments II, 2012 (BWANT 201), 115–130. Vgl. meinen Aufsatz: König Saul – eine ambivalente Gestalt, in: W. Dietrich, Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk. Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments II, 2012 (BWANT 201), 131–139.

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Lichtgestalt, wird durch Gott und seinen Propheten mehr zum Königsamt gedrängt als dass er sich selbst danach drängt, erweist sich dann als tapferer und erfolgreicher Heerkönig, gibt sich in der Folge die größte Mühe, Gott und dem Gottesmann zu gefallen, wird aber schon aufgrund geringer Vergehen schonungslos verworfen, erfährt, dass er schon ausgemustert und sein Nachfolger ausgewählt ist, wird dann von einem „schlimmen Gottesgeist“ befallen, verstrickt sich in einen verzweifelten Kampf gegen überall von ihm gewitterte Feinde, entwickelt dabei Züge eines grausamen Despoten – und erscheint insgesamt doch eher als tragische denn als bösartige Figur32. Jonatan ist auf den ersten Blick das positive Gegenbild seines sich selbst zerstörenden Vaters. Doch schon in der allerersten Geschichte, die von ihm erzählt wird, gelingt ihm zwar einerseits ein Heldenstreich (1Sam 14,1–15), begehrt er aber andererseits gegen seinen Vater auf (1Sam 14,29). Er bricht ein von diesem beschworenes Tabu, wird vom göttlichen Los als Übeltäter ermittelt und sieht selbst ein, dass er sein Leben verwirkt hat (1Sam 14,36– 43). Seltsam eng bindet er sich an David, den Todfeind seines Vaters, und doch stirbt er am Ende an dessen Seite, während David auf der Gegenseite steht. In seinem Trauerlied rühmt David denn auch Jonatans Loyalität gegenüber dem Vater – und zugleich seine Liebe zu ihm (2Sam 1,22f.26). Joab33, einer der „Söhne der Zeruja“, der Schwester Davids und somit dessen Neffe, kennt nur eine Devise: dem König zu Diensten und von Nutzen zu sein. Als sein Heerführer ist er sein militärischer und oft auch blutiger Arm. Auf dem Schlachtfeld holt er für ihn die Kastanien aus dem Feuer (2Sam 2; 10; 18), mordet für ihn (2Sam 11), mordet manchmal auch gegen Davids Willen – aber nur, weil er eine Gefahr als dringlicher einschätzt als dieser (2Sam 3; 18; 20). Wenn er sich in die Politik einmischt, dann ohne Fortüne (2Sam 14; 1Kön 2). Am Ende wird er von einem noch Brutaleren gemeuchelt. Was ist solch ein Mann? Ein böser Mensch – oder nicht viel eher ein sehr guter General? Abschalom34 wurde in der Wirkungsgeschichte zum abschreckenden Beispiel eines dem Vater ungehorsamen und gegen ihn aufbegehrenden Sohnes. In der Tat neigt er zu Ungeduld und Gewalttätigkeit (2Sam 13; 14; 15), doch ist zu seinen Gunsten zu sagen, dass David ihm die Zügel sehr locker ließ und seinerseits wohl auch genug Anlass zum Aufruhr bot. Schließlich vermag es nicht jeder, gegen einen amtierenden König praktisch das gesamte Volk hinter sich zu vereinen. Dass er dem alten Fuchs (besser: Dies arbeitet, fast überscharf, D. Gunn heraus: The Fate of King Saul, 1984 (JSOT.S 14). Vgl. S.K. Bietenhard, Des Königs General (s. Anm. 8). Vgl. C. Conroy, Absalom Absalom! (s. Anm. 17); T. Naumann, Abschalom – Aspekte seines literarischen Porträts, in: W. Dietrich (Hg.), Seitenblicke. Literarische und historische Studien zu Nebenfiguren im zweiten Samuelbuch, 2011 (OBO 249), 314–330.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen Fallensteller) am Ende unterlag und ausgerechnet von Joab ins Jenseits befördert wurde, weckt eher Sympathie als Antipathie. Batscheba war, sagen die einen, Opfer einer Vergewaltigung. Andere sagen, sie hätte des Königs Begierde bewusst auf sich gezogen. Der Text (2Sam 11) scheint eher das Erste anzudeuten, sagt es aber nicht deutlich. Und später, nach dem Amtsantritt ihres Sohnes Salomo, macht Batscheba eine, gelinde gesagt, dubiose Figur (1Kön 1–2)35. Michal, die andere, erste Gattin Davids, überwirft sich am Ende mit ihm, als er sich gerade um die heilige Lade Jhwhs verdient gemacht hat (2Sam 6,16. 20–23). Doch schon hier lässt sich ihr Ärger begreifen; und in den Erzählungen davor erscheint sie als liebesstarke, mutig ihren Gatten schützende Frau, die aber zum Spielball wird im Ringen zwischen David und Saul (1Sam 18–19; 2Sam 3). Und schließlich David selbst. Speziell, nachdem man ihm in der Tradition die Abfassung der Psalmen zugeschrieben hatte, aber auch schon in den späteren Schichten der alttestamentlichen Geschichtsschreibung galt er als der Inbegriff des gottwohlgefälligen, untadeligen und überaus erfolgreichen Königs36. In einer seltsamen Gegenbewegung dazu haben es in jüngster Zeit respektlose Romanciers37 wie auch sich aufgeklärt gebende Wissenschaftler unternommen, ihn zu einem möglichst unbedeutenden und zudem skrupellos-bösartigen Potentaten zu machen38. Die Samuelbücher fallen in keines dieser Extreme, sie zeichnen ihre Hauptfigur zwar überwiegend in hellen, immer wieder aber auch mit sehr dunklen Farben. Das Erste muss hier nicht belegt werden, zum Zweiten genügen kurze Hinweise. Die Brautgabe, die David für die Heirat mit Michal entrichtet, ist absolut schauerlich (1Sam 18,27). Auf der Flucht vor Saul bringt er sich durch dreiste Lügen in den Besitz von Proviant und Waffen – und den belogenen Priester und seine gesamte Großfamilie ums Leben (1Sam 21–22). Einem Farmer, der die von ihm verlangten Abgaben verweigert, will er alles auslöschen, „was an die Vgl. den von T. Naumann (David und die Liebe, in: W. Dietrich / H. Herkommer [Hg.], König David – biblische Schlüsselfigur und europäische Leitgestalt, Fribourg/Stuttgart 2003, 51–84, hier 68–71) beschriebenen Streit zwischen George Nicol und J. Cheryl Exum, in dem ersterer Batscheba der (Mit-)Täterschaft bezichtigt, Letztere hingegen alle Schuld bei David (und den männlichen Interpreten) sieht. Man denke an die dtr Rahmenformeln im Königsbuch, die David zum positiven Vorbild für die Beurteilung seiner Nachfolger nehmen, oder an das durch und durch fromme Davidbild der Chronik. S. Heym, Der König David Bericht, München 1972; J. Heller, Weiß Gott, München 1985. P.K. McCarter, The Apology of David: JBL 99 (1980) 489–504; ders., Plots, True or False. The Succession Narrative as Court Apologetic: Interp. 35 (1981) 355–367; S.L. McKenzie, King David. A Biography, 2000; B. Halpern, David’s Secret Demons. Messiah, Murderer, Traitor, King, 2001 (dazu meine Rezension: Biblica 84, 2003, 108–117). Als schlicht proköniglich empfindet die Erzählungen der Samuelbücher auch R.G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des AT, 2000 (UTB 2157).

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Wand pisst“ (1Sam 25). Seinen philistäischen Lehnsherrn täuscht er über sein tatsächliches Verhalten, und um dieses zu vertuschen, schreckt er vor Genozid nicht zurück (1Sam 27). Seine Erhebung zum König von Juda wird überaus lapidar, in einem Halbsatz, beschrieben, sodass unklar bleibt, wie freiwillig oder unfreiwillig die Judäer seine Untertanen wurden (2Sam 2,4a). Wann immer er sich als König zum Richter aufschwingt, fällt er fragwürdige oder verfehlte Urteile (2Sam 1,13–16; 12,1–4; 14,8; 16,1–4). Untaten seiner Söhne quittiert er mit sträflicher Nachsicht (2Sam 13; 14–15; 1Kön 1). Den vielen gewaltsamen Todesfällen im Hause Sauls kommt er verdächtig nahe (1Sam 29 + 31; 2Sam 3; 4; 21,1–9). Die wahrscheinliche Vergewaltigung Batschebas und den hinterhältigen Mord an Urija versucht die Bibel gar nicht zu verheimlichen (2Sam 11). Und den alt gewordenen David wagt sie als senilen, wahrscheinlich einer Hofintrige aufgesessenen Greis zu schildern (1Kön 1). In ihrer durch und durch ambivalenten Darstellung Davids sind die Samuelbücher dessen konventionellen Verehrern wie seinen modernen Verächtern gleichermaßen weit voraus.

4

Zur Herausforderung durch den Abschnitt „Ziel“

Am letzten Stichwort im Fünfschritt des BK, am Abschnitt „Ziel“, haben sich immer wieder Diskussionen und Kritik entzündet. Man dachte dabei oft an eine „neutestamentliche Kurve“, die der Kommentator am Ende jeder Perikope zu nehmen habe. In diese Richtung scheint das Stichwort „Biblisch“ im Titel der Reihe zu weisen, und es haben dazu auch die einen oder anderen Kommentare Anlass gegeben. Ich möchte solche Verweise auf das NT nicht ausschließen; z.B. beim Hanna-Lied lag es nahe, am Schluss auf das Magnifikat der Maria zu sprechen zu kommen. Allerdings habe ich für mich diesen „Ziel-Punkt“ vermehrt um andere, auf die ein Text zulaufen kann: etwa in der jüdischen oder in der altkirchlichen oder der reformatorischen Wirkungsgeschichte. Oft haben die früheren Rezipienten sehr klar gesehen, worin das Proprium eines Textes besteht – oder haben ihm ein solches zugeschrieben, das dann in der Folgezeit seine Wirkung entfaltete. Protestantische Exegeten geben sich gern der Illusion hin, sie stünden „dem Text“ unmittelbar gegenüber. Jede Auslegung erscheint wie ein neuer Schöpfungsakt, geboren aus der Verschmelzung zweier Geister: dem des Auslegers oder der Auslegerin und dem der Bibel bzw. des Textes. In Wirklichkeit ist der Text uns Heutigen nur dank der Vermittlung vieler Generationen von Abschreibern, Punktatoren, Setzern, Übersetzern usw. zur Hand. Wir empfangen ihn immer nur eingebunden in eine lange Auslegungs- und Forschungsgeschichte. Dem suche ich in meiner Kommentierung – vor allem, aber nicht nur im Abschnitt „Ziel“ – Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang habe ich mich auch zu etwas entschlossen (und die Herausgeber haben es geduldet), was im BK ein Novum war: zur Wiedergabe von Bildern. Natürlich

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

wäre die sachgemäße Ausdeutung von Bildern und ihre In-Beziehung-Setzung zu den biblischen Texten ein eigenes, schwieriges Forschungsgebiet; ich beschränke mich meist auf ganz kurze Einordnungen und Andeutungen. Immerhin aber denke ich, der Leserschaft tue es wohl, in den endlosen Bleiwüsten der Textauslegungen gelegentlich auch auf bildliche Darstellungen zu stoßen und diese reflektieren zu können. Jede Perikope der Samuelbücher ist ein Unikat. Insofern sollte unter „Ziel“ m.E. das stehen, was den betreffenden Text in seinem Kern ausmacht, worin sein spezifisches Profil besteht. Oft sind das Aussagen über Gott, also das theologische Profil eines Textes – aber nicht immer! Die Erzählungen der Samuelbücher sind häufig nur sehr verhalten religiös; manche sprechen von Gott überhaupt nicht, manchmal spricht nur eine Erzählfigur von ihm, wobei durchaus unklar bleibt, ob sie „richtig“ von ihm spricht. Sehr häufig machen nicht theologische, sondern anthropologische oder ethische oder politische oder historische Aussagen das Proprium eines Textes aus. In meinem Buch „Die frühe Königszeit in Israel“ habe ich den „Theologischen Ertrag“, der sich den Samuelbüchern entnehmen lasse, in fünf Punkte aufgegliedert39: 1. Realgeschichte und biblische Geschichtsschreibung 2. Staat und Gottesherrschaft 3. Erwählung und Verwerfung, Tragik und Glück 4. Männer und Frauen 5. Gewalt und Gewaltverzicht

Dies sind in der Tat Themenfelder, die in den Abschnitten „Ziel“ zur Sprache kommen können (und wohl auch sollten). Oft auch lassen sich für Texte – namentlich für solche, die eine markante diachrone Stufung aufweisen – mehrere „Ziele“ benennen. Aus den Marginalien oder Zwischenüberschriften in den „Ziel“-Abschnitten meines Kommentars möchte ich hier zwei Dinge hervorheben, die m.E. besonders kennzeichnend sind für die Samuelbücher, nämlich einerseits eben deren enorm reichhaltige Wirkungsgeschichte und andererseits den in ihnen durchgehend zu beobachtenden Motivzug von der Umkehrung der Verhältnisse, von der Bevorzugung des Schwachen vor dem Mächtigen, hinter dem sich offenbar ein geradezu subversives Gottesbild verbirgt. Perikope 1Sam 1 1Sam 2,1–10 1Sam 3 1Sam 5–6

39

„Ziel“-Angaben aus dem Bereich „Wirkungsgeschichte“ Hanna im antiken Judentum Hanna in der Kunstgeschichte (drei Malereien) Wirkungsgeschichte (Targum Jonatan, Pseudo-Philo, Magnifikat, Paulus) Theodoret von Kyrus, Gregor der Große Bilder aus Dura Europos und aus einer mittelalterlichen Bilderbibel

Vgl. W. Dietrich, Die frühe Königszeit in Israel. 10. Jahrhundert v. Chr., Stuttgart 1997 (Biblische Enzyklopädie 3), 274–302.

Zwischenbilanz eines Kommentators 1Sam 12 1Sam 16,1– 13 1Sam 16,14– 23 1Sam 17 1Sam 20 1Sam 21 1Sam 28

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Bible moralisée Die Wurzel Jesse (Abbildungen) Die Geistaustreibung durch Davids Musik („Kunsttherapie“, Wirkungsgeschichte!) Rezeption der Themen „Sieg des Guten über das Böse“ und „Sieg des Glaubens über die Waffen“ „Hohes Lied der Freundschaft, ja der Liebe“ Zu V. 1–10: Talmud, Neues Testament, Bible moralisée Zu V. 11–16: Ps 34 und Ps 56 Der Streit der Kirchenväter Die Figur der Totenbeschwörerin (Kunst-, Musik- und Literaturgeschichte)

Dies sind beileibe nicht alle, aber doch herausgehobene Bezugnahmen auf die Rezeptionsgeschichte. Im Abschnitt „Ziel“ beschreiben sie eine nicht vom Kommentator zu bestimmende, sondern von früheren Rezipienten bestimmte Mitte des jeweiligen Textes. Aus heutiger Sicht fällt der Fokus dabei vielleicht nicht immer auf zentrale Textaussagen, doch kann gerade dies erhellend und horizonterweiternd sein. Das andere, häufig auftretende Element ist die im Zentrum des HannaLiedes stehende „Umkehrung“ der Verhältnisse. Der Niedergang Elis und Sauls und der damit verknüpfte Aufstieg Samuels und Davids hat in der Tat einen fast revolutionären Aspekt: Ein Oberpriester und ein König müssen zwei jungen Leuten den Vortritt lassen, die niemand auf der Rechnung hatte – außer Gott. In der Geschichte von David und Goliat ist dieses Motiv in ein eindrückliches Bild gefasst. Perikope 1Sam 2,1–10 1Sam 2,11–36 1Sam 3 1Sam 14 1Sam 16,1–13 1Sam 17 1Sam 22 1Sam 23 1Sam 30

„Ziel“-Angaben zum Motiv „Tausch zwischen Oben und Unten“ Umkehrung der Verhältnisse Abstieg und Aufstieg Aufstieg des Niederen Der Sieg der Unterlegenen Vorrang für die Kleinen Sieg des Schwachen über den Starken „Er lässt aufstehen aus dem Staub den Niederen“ (zu V. 1–5) Der verfolgte David David als gefährdeter Held

Aus der Vielfalt der in den Erzählungen des ersten Samuelbuchs enthaltenen „Ziele“ seien hier noch einige weitere benannt, die ins Auge springen und funkelnde Facetten dieser grandiosen Literatur freilegen. – In 1Sam 4 lassen sich zwei „Ziele“ ausmachen: Je nachdem, ob man auf die am Grunde der Überlieferung liegende Katastrophenerzählung fokussiert oder ob man das Kapitel im größeren Zusammenhang der Ladegeschichte 1Sam 4–6 + 2Sam 6 betrachtet, bekommt man entweder eine „narrative

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen Klage“ zu Gesicht oder eine Beispielerzählung zur Maxime: „Gott lässt sich nicht spotten“. In 1Sam 11 sind ebenfalls zwei „Ziele“ vereint: „Gott, Krieg und Sieg“, wenn man den Fokus auf den Kampf Israels gegen Ammon richtet, und „Gott, Königtum und Staat“, wenn man das Kapitel als Inaugurationserzählung für König Saul nimmt. In 1Sam 15 stellen sich zwei theologisch-ethische Probleme: der Bann gegen Amalek sowie die Verwerfung Sauls und die Reue Gottes. An 1Sam 25 hat die neuere Rezeption namentlich das hier gezeichnete Frauenbild fasziniert; ich habe seine verschiedenen Facetten so benannt: Abigajil als „ideale Frau“, als „Friedensstifterin“, als „Schützerin des Messias“ und als „Segensmittlerin“. 1Sam 28 zeigt „Gott als Feind“ (Sauls).

Ich denke, die Vielfalt und Diversität dieser „Ziel“-Angaben ist nicht Ausdruck einer zur Tugend gemachten Not, sondern ist wirkliche Tugend: Es spiegelt sich darin der theologische, anthropologische und ethische Reichtum der Samuelbücher, über den ich immer nur aufs Neue staunen kann.

Stefan Heyms Ethan ben Hoshaja und der Hauptverfasser der Samuelbücher 1. Ethan ben Hoshaja als fiktiver Verfasser der Samuelbücher a) Der Romancier und der Historiker: eine frühe Verhältnisbestimmung Stefan Heyms Stefan Heym, geboren 1913, als Jude und Sozialist früh ins Visier der braunen Horden geraten, 1933 über Tschechien in die USA emigriert, dort durch mehrere Romane berühmt geworden, mit der US Army 1945 nach Deutschland zurückgekehrt, zuerst in München, ab 1952 in Ostberlin ansässig, von den DDR-Machthabern zuerst hofiert, dann relegiert, veröffentlichte im Jahr 1972 den Roman „Der König David Bericht“: bezeichnenderweise nicht zuerst in der DDR, sondern in Westdeutschland1. Es erscheint hoffentlich nicht vermessen, wenn ich vermerke, dass 1972 auch meine Dissertation, „Prophetie und Geschichte“ erschien, in der die Samuelbücher eher nur am Rand behandelt werden2. Doch bald wurde ich auf Heyms Roman aufmerksam, schrieb einen Rezensionsaufsatz darüber3 – m. W. den ersten aus exegetischer Perspektive –, vertiefte mich, um mich des biblischen Hintergrundes zu vergewissern, in die Samuelforschung und schloss eine Sammelrezension hierzu mit den Sätzen: „Heyms ‚König-David-Bericht’ habe ich an anderem Ort bereits ausführlich vorgestellt, so daß ich mich hier auf die Warnung beschränken kann: Wer zu David und zur Davidüberlieferung in sicherer Distanz bleiben will, nehme dieses Buch lieber nicht zur Hand“4. Ich hatte es zur Hand genommen – und blieb zur Davidüberlieferung nicht in S. HEYM, Der König David Bericht. Roman, München, Kindler, 1972. Das Buch war ursprünglich auf Englisch geschrieben und erschien unter dem Titel „The King-David-Report“ 1973 in New York. Die Übertragung ins Deutsche besorgte Heym selbst. 2 W. DIETRICH, Prophetie und Geschichte. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung zum deuteronomistischen Geschichtswerk (FRLANT, 108) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1972. 3 W. DIETRICH, Von einem, der zuviel wußte. Versuch über Stefan Heyms ‚König David Bericht’, in: W. DIETRICH, Wort und Wahrheit. Studien zur Interpretation alttestamentlicher Texte, Neukirchen-Vluyn, Neukirchener, 1976, 41–67. 4 W. DIETRICH, David in Überlieferung und Geschichte, in: VuF 22 (1977) 44–64, 64. 1

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sicherer Distanz. Dies umso weniger, als ich nach einiger Zeit den Auftrag zur Kommentierung der Samuelbücher in der Reihe „Biblischer Kommentar Altes Testament“ erhielt. Seither habe ich in diesem Bereich einiges gearbeitet und publiziert5, doch Stefan Heym und sein „König David Bericht“ haben mich nie losgelassen. 1990 gelang es, ihn – nicht zuletzt wegen dieses Romans – zum theologischen Ehrendoktor der Universität Bern zu machen6. 2001 verstarb er. 2013 fand in Chemnitz eine Tagung aus Anlass seines 100. Geburtstages statt, an der ein Dokument die Runde machte, in dem er – als noch junger Autor – die Genres Geschichtsschreibung und Geschichtsroman prägnant zueinander in Beziehung setzt. Im Jahr 1935, als 22-Jähriger also, besprach er in einer Literaturzeitschrift den damals erschienenen Roman eines gewissen Alfred Neumann über Napoleon III. und formulierte dabei die folgenden programmatischen Sätze: „Während der Historiker gezwungen ist, sich an das ihm überlieferte Material zu halten, während er zahllose Einzelheiten erwähnen muß, die vielleicht geeignet sind, die von ihm verfolgte Generallinie zu verwischen, während in seiner Darstellung Lücken auftauchen müssen, darf der Romancier seinen Gestalten Worte, Gedanken und Taten andichten, die sie vielleicht nie gesprochen, gedacht und unternommen haben. Kein Historiker dürfte es wagen, zu erzählen, was etwa der Prinz Louis Napoleon empfand, als er mit seinem todkranken Bruder nach dem mißlungenen Aufstand von 1830 in einer Kalesche über den Apennin floh, – der Romancier muß es 5

6

W. DIETRICH, David, Saul und die Propheten. Das Verhältnis von Religion und Politik nach den prophetischen Überlieferungen vom frühesten Königtum in Israel (BWANT, 122), Stuttgart, Kohlhammer 21992; Die Samuelbücher (EdF, 287), Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995 [zusammen mit Thomas Naumann]; Die frühe Königszeit in Israel. 10. Jahrhundert v.Chr. (Biblische Enzyklopädie, 3), Stuttgart, Kohlhammer, 1997 [engl. transl. Joachim Vette, The Early Monarchy in Israel, Atlanta, SBL Press/Leiden, Brill, 2007]; David – ein Königsweg. Psychoanalytisch-theologischer Dialog über einen biblischen Entwicklungsroman, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2002 [zusammen mit Hans-Jürgen Dallmeyer]; Von David zu den Deuteronomisten. Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments (I) (BWANT, 156), Stuttgart, Kohlhammer, 2002; König David – biblische Schlüsselfigur und europäische Leitgestalt, Fribourg/Stuttgart, Academic Press/Kohlhammer, 2003 [hgg. zusammen mit H. HERKOMMER]; David und Saul im Widerstreit – Diachronie und Synchronie im Wettstreit. Beiträge zur Auslegung des ersten Samuelbuchs [ed. W. Dietrich] (OBO, 206), Fribourg/Göttingen, Academic Press/ Vandenhoeck & Ruprecht, 2004; David. Der Herrscher mit der Harfe (Biblische Gestalten, 14), Leipzig, Evangelische Verlagsanstalt, 2006; Seitenblicke. Literarische und historische Studien zu Nebenfiguren im zweiten Samuelbuch (OBO, 249) [ed. W. Dietrich], Fribourg/ Göttingen, Academic Press/Vandenhoeck & Ruprecht, 2011; Samuel. 1Samuel 1–12, (BKAT, 8.1), Neukirchen-Vluyn, Neukirchener, 2011; Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk. Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments (II) (BWANT, 201), Stuttgart, Kohlhammer, 2012; Samuel. 1Samuel 13–26 (BKAT, 8.2, Lieferungen 1-8), Neukirchen-Vluyn, Neukirchener, 2011-2014. Vgl. die Laudatio von W. Dietrich, Stefan Heym und das jüdisch-biblische Erbe, in: EvTh 52 (1992) 277–281, sowie S. HEYM, Rede am Dies academicus 1990 in Bern, in: EvTh 52 (1992) 281–284.

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sogar tun, vorausgesetzt, daß sein Bild des Spitzbärtigen richtig ist, vorausgesetzt, daß er die Stimmungen und Bedingungen des Jahres 1830 kennt und so, wie sie waren, lebendig zu machen vermag.“ „Es gibt objektive Umstände und subjektive Momente in der Geschichte. Die subjektiven Momente gewinnen Leben und Realität nur auf Grund der objektiven Gegebenheiten, der ökonomischen Tatbestände zum Bespiel, aus denen die Klassenlage erwächst“7.

Gemäß Heym ist der Historiker also zu absoluter Treue gegenüber seinen Quellen verpflichtet. Er darf nichts wegnehmen und nichts dazuerfinden. Er hat gegenüber seinem Gegenstand so objektiv zu bleiben wie nur möglich. Der Romancier dagegen darf das Subjektive betonen, darf von dem, was er weiß, etwas weglassen und etwas, was er nicht wissen kann, beifügen, um ein überzeugendes Bild seines Gegenstands zu vermitteln. Doch er darf dabei nicht gegen die „objektiven Gegebenheiten“ verstoßen. Er darf und soll die „Stimmungen und Bedingungen“ der jeweiligen Zeit „lebendig machen“, nicht weniger und nicht mehr. Heym hatte, als er das schrieb, noch keinen der Romane verfasst, für die er später berühmt wurde. Doch er entwickelt hier bereits die Maximen, denen er bei ihrer Abfassung folgen wird. Alle seine Geschichtsromane beruhen auf intensiven Recherchen zu den jeweiligen „objektiven Gegebenheiten“ – und zeigen doch keine Scheu, den Figuren, die sie „lebendig machen“ wollen, vielerlei „anzudichten“. Dies gilt auch vom „König David Bericht“.

b) Heyms „König David Bericht“: Geschichtsroman und Geschichtsschreibung in einem Im Titel des Buches finden sich zwei Gattungsbezeichnungen: „Bericht“ und „Roman“. „Bericht“ bezieht sich auf ein Werk, dessen Entstehung in dem Roman geschildert wird: „des Einen und Einzigen Wahren und Autoritativen, Historisch Genauen und Amtlich Anerkannten Berichts über den Erstaunlichen Aufstieg, das Gottesfürchtige Leben, sowie die Heroischen Taten und Wunderbaren Leistungen des David ben Jesse, Königs von Juda während Sieben und beider Juda und Israel während Dreiunddreißig Jahren, des Erwählten Gottes und Vaters von König Salomo“8. In diesem monströsen Titel sind alle Adjektive, als wären es Nomina, mit Großbuchstaben geschrieben, das Wort „GOtt“ sogar mit zwei Großbuchstaben – eine witzige Adaption an das lutherische „HErr“, das der Reformator bekanntlich in Anlehnung an die Septuaginta (κύριος) und die Vulgata („dominus“) zur Wiedergabe des Tetragramms verwendet hat. 7

8

S. HEYM, Der falsche Louis. Rezension über Alfred Neumann, Der neue Caesar, in: Neue Deutsche Blätter 2 (1935) 314–318, hier 314. Vgl. auch seine kritische Bemerkung: „Wollte Neumann den Louis vernichten? Wollte er ihn heroisieren? Alles bleibt unklar, nicht zu fassen, hängt in der Luft. Historie ohne Boden und ohne Konsequenzen!“ (318) HEYM, König David Bericht (n. 1), 11.

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Diesen „König-David-Bericht“ also soll Davids Nachfolger Salomo bestellt haben, und zwar ziemlich zu Beginn seiner Regierungszeit, also bald nach dem Tod seines Vaters. Salomo setzt dazu eine Kommission ein, der sechs hohe Würdenträger angehören: der Kanzler Joschafat ben Ahilud, der General Benaja, der Priester Zadok, der Prophet Natan und die beiden königlichen Schreiber. Ihnen beigesellt wird der „Autor und Historiker“ Ethan ben Hoshaja aus der Stadt Esrah; er ist „Redaktor, jedoch ohne Stimmrecht“. Ethan hat sich um diese Aufgabe nicht beworben, sie wird ihm zugewiesen. Er hält sie für außerordentlich heikel und sucht sich ihr zu entziehen. Doch Salomo besteht unnachgiebig auf dem Auftrag an einen, der „einer der Weisesten in Israel“9 sei. So viel Macht in der Kommission versammelt ist, ohne Sachverstand geht es eben nicht, das ist dem König klar. Diese im ersten Kapitel des Romans gezeichnete Situation ist objektiv und fiktiv in einem. Die Kommissionsmitglieder sind die Herren, die in 1Kön 4,2–4 als Spitzenbeamte Salomos aufgelistet sind10 und an deren Existenz, genauso wie an derjenigen Salomos selbst, kein Zweifel besteht. Auch die Existenz Ethans ist bezeugt. In 1Kön 5,11 erscheint er als einer der besonders Weisen in Israel erwähnt, die freilich an Weisheit durch Salomo übertroffen werden11. Ethan der Esrachiter firmiert auch als Autor des 89. Psalms12. Das Patronym „ben Hoshaja“ ist offenbar der Notiz in 1Chr 15,17 entnommen, wonach unter den Leviten, die David bei der Überführung der Lade nach Jerusalem begleiteten, ein „Ethan ben Kuschajahu“ gewesen sein soll. Aus diesen verstreuten, knappen Angaben gewinnt Heym den Ich-Erzähler seines Romans. Jener „Bericht“, den Salomo in Auftrag gibt, ist laut einer vom Kanzler Josafat ben Ahilud verlesenen Urkunde13 „zusammenzustellen durch sorgfältige Auswahl aus und durch zweckentsprechende Benutzung von allem vorhandenen Material …, als da sind königliche Akten, Korrespondenz und Annalen, wie auch verfügbare mündliche Zeugnisse, ferner Legenden und Überlieferungen, Lieder, Psalmen, Sprüche und Prophezeiungen“14. In dieser Aufzählung meldet sich ein historischer Anspruch. Es sollen alle erreichbaren Quellen genutzt werden – so wie es nach Heyms eingangs zitierter Maxime Aufgabe des Historikers ist. Und Ethan wird ja auch ausdrücklich als solcher berufen. Freilich tritt 9 10

11

12 13

14

HEYM, ebd., 7. Allerdings fehlt Abjatar als zweiter Priester neben Zadok, wie umgekehrt der Prophet Natan hinzugefügt ist, der in jener Liste nicht figuriert, bei der Machtübernahme Salomos aber eine wichtige Rolle gespielt hat (1Kön 2,11–27.34.38.45). Heym ironisiert diese Aussage, indem er sie seinem Ethan als Schmeichelei an Salomo in den Mund legt: „Ich aber erwiderte ihm: ‚Wer kann von sich sagen, er sei weiser als der Wei-seste der Könige, Salomo?’“ (HEYM, König David Bericht [n. 1], 7). Ps 89,1: eine offenbar aus 1Kön 5,11 abgeleitete Angabe. Angeblich war sie auf einem „Tontäfelchen“ festgehalten (HEYM, König David Bericht [n. 1], 11), einem in Israel-Palästina nicht gebräuchlich Schreibmaterial. HEYM, König David Bericht (n. 1), 11.

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in seinem Falle etwas ein, das korrekte Geschichtsschreibung unmöglich zu machen droht: Der Auftrag wird erteilt von der höchsten Macht im Staat, und dies in dezidiert tendenziöser Absicht. Der „Historiker“ Ethan hat denn auch nicht allein und alleinverantwortlich zu arbeiten, sondern er ist jener Kommission verantwortlich, deren Mitglieder hohe Staatsämter bekleiden und in deren Sitzungen auch immer wieder König Salomo persönlich auftaucht. Auch sind die beizuziehenden Quellen, wie sie eben aufgezählt wurden, nicht gefeit gegen Subjektivität und sogar gezielte Verfälschung: Legenden und Psalmen ohnehin nicht, aber auch nicht Annalen und Zeugenaussagen. Ethan wird, wie jeder Historiker, die erreichbaren Quellen nicht unbesehen übernehmen können, sondern sie sichten und auswerten müssen. Nicht umsonst lautet der königliche Auftrag auf „sorgfältige Auswahl“ und „zweckentsprechende Benutzung“. Nur: Wer wählt aus, und wer sagt, was zweckentsprechend ist? Gleich beim Erscheinen von Heyms Roman waren sich die westlichen Medien einig15, es handele sich um eine Persiflage auf den korrupten Kulturbetrieb und die ‚parteiliche’ Geschichtsschreibung in der damaligen DDR. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Symptomatisch ist folgende kleine Szene: „König Salomo stieg vom Thron herab, trat auf mich zu, legte mir seine kurze, fette Hand auf die Schulter und fragte: ‚Nu?’“16. Unverkennbar ist es Walter Ulbricht, der hier auftritt17; man muss das „Nu“ nur sächsisch lesen und sich an bestimmte Tonaufnahmen erinnern, um das zu wissen18. Auch ist die Zielsetzung des von Salomo angeforderten König-David-Berichts klar eine totalitäre: Er soll „für unsere und alle kommenden Zeiten Eine Wahrheit aufstellen und dadurch Allem Widerspruch und Streit ein Ende setzen“19. Es gab eine vom Institut für MarxismusLeninismus beim ZK der SED herausgegebene achtbändige „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung”20, an der gelegentlich Ulbricht persönlich mitformuliert haben soll21 und die jene Eine geschichtliche Wahrheit aufstellen sollte, die dem DDR-Regime genehm war. Verfälschte Geschichtsschreibung gibt es allerdings nicht nur in einem kommunistischen, sondern in jedem autoritären System. Und auch in sogenannt freiheitlichen, liberalen Systemen fehlt es nie an Kräften, die auf die Geschichtsschreibung in gezielter Absicht Einfluss zu nehmen versuchen. Als unverdächtiges, weil aus einem dezidiert freien Land stammendes Beispiel 15 16 17 18

19 20 21

Vgl. den Nachweis bei DIETRICH, Von einem, der zuviel wußte (n. 3), 59. HEYM, König David Bericht (n. 1), 9. Ulbricht war von 1960 bis 1973 Vorsitzender des Staatsrats der DDR. Wohl nicht zuletzt deswegen hatte die Zensur der DDR mit dem Buch erhebliche Mühe, obwohl sie es dann, allerdings in kleiner Auflage, schließlich doch drucken ließ: im Jahr 1973 im Verlag Der Morgen. HEYM, König David Bericht (n. 1), 12. Berlin(-Ost), Deutz, 1965ff. Im Jahr 1962 publizierte der Deutz-Verlag ein „Referat um ‚Grundriss der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung’“, verfasst von Walter Ulbricht.

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können die bis heute anhaltenden Bemühungen dienen, die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg als betont unabhängig, widerständig, geradezu heroisch hinzustellen. Diese Darstellung ist nicht von Grund auf verkehrt, sie gibt aber nicht die ganze Wahrheit wieder. In einem freien Land wie der Schweiz ist es freilich möglich, andere, kritische, ja konträre Positionen zu propagieren, woraus sich eine offene Debatte ergibt. Das war in der DDR – und auch im salomonischen Israel, so wie Heym es sich vorstellt – nicht möglich. Doch unterschätze man nicht die Möglichkeiten, die auch unter solchen Umständen ein wahrheitsliebender Historiker hat: jedenfalls in einem Geschichtsroman.

c)

Ethan ben Hoshaja: Historiker im Dienst eines Romanciers

Heyms Ethan ist, trotz der erwähnten, dünnen Verankerung in biblischen Texten, eine erfundene Figur. So aufrichtig und vertrauenerweckend er sich gibt: Alles, was über ihn gesagt wird und was er mitteilt, ist fiktiv. Man meint einen Geschichtsschreiber bei der Arbeit zu sehen, liest in Wahrheit aber über ihn in einem Geschichtsroman. Der Romancier zaubert dem Leser fingiert-historische, authentisch-erfundene Vexierbilder vor Augen. Er leiht sich von dem (erdachten) Historiker Ethan die Aura von Seriosität und Verlässlichkeit – und leiht im Gegenzug Ethan den Einfallsreichtum und die Sprachkunst des Romanciers. Auf diese Weise entsteht eine mehrfache Brechung und Verschränkung der beiden vom jungen Heym unterschiedenen Kategorien. Der Romancier muss nicht dem Anspruch gerecht werden, eine möglichst objektive Geschichte der Zeit Davids und Salomos zu schreiben, wohl aber, deren „Stimmungen und Bedingungen“ zutreffend wiederzugeben. Dies tut er nicht zuletzt dadurch, dass er einen IchErzähler kreiert, der sich als Augenzeuge der Salomozeit und als seriöser Erforscher der Davidzeit ausgibt. Den Anschein der Authentizität soll auch seine Sprache erwecken: Er spricht nicht, wie es eigentlich sein müsste, Hebräisch, sondern Deutsch – aber ein betont nicht-modernes, antik anmutendes, oft an Luther gemahnendes, irgendwie ‚biblisch’ wirkendes Deutsch. Die Quellen, die Ethan auftut, sind außerordentlich vielfältig. Eine Reihe von ihnen ist schriftlicher Natur: ein „Buch Samuels“, offenbar identisch mit denjenigen Partien des 1. Samuelbuchs, in denen Samuel vorkommt22; oder „Erinnerungen des Propheten Nathan“, aus denen Ethan den Passus über den Batscheba-Urija-Skandal vorliest (163-174); oder Briefe verschiedener Absender auf Tontäfelchen (! 56-60)23 oder Scherben (78); ferner „Ablagen des Seraja“, des 22

23

HEYM, König David Bericht (n. 1), 16, 19. Im Folgenden die jeweiligen Seitenzahlen in Klammern. Das Schreiben auf Tontafeln war in Mesopotamien gebräuchlich, nicht in Israel-Palästina. Die akkadische Keilschrift eignet sich dafür auch besser als eine westsemitische Buchstabenschrift.

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Schreibers Davids (116-125), „Ablagen Joabs“ (167f., 170f.), „Aufzeichnungen Ahitophels“ (209-227), sogar eine „Aufzeichnung König Davids“ (154f.). Andere wichtige Informationen bezieht Ethan aus der Befragung von Zeitzeugen: Dreimal gibt ihm die Prinzessin Michal Auskunft (34-41, 67-73, 133142), einmal die Königinmutter Batscheba (178-180), einmal die vorübergehend aus dem Irrsinn zurückgerufene Prinzessin Tamar (201-205); ferner die Generäle Joab (111-114) und Benaja sowie der Vorsteher des salomonischen Harems, Amenhoteph24. Auch Leute weniger hohen Rangs tragen Puzzleteile zu dem entstehenden Bild Davids bei: ein „Sachbearbeiter dritten Grades im königlichen Schatzamt“ (25-30), drei „behördlich zugelassene Erzähler von Geschichten und Legenden“ (48-51), ein Veteran aus Davids Freibeutertruppe (74-77), eine Dienerin Abigajils (78-82), die ‚Hexe von En-Dor’ (oder ihre Tochter oder Enkelin, 100104) u.a.m. Man ahnt, welch bunt-lebendige Bilder Ethan aus diesen Quellen gewinnen wird. Ethan selbst ist Kronzeuge für die Darstellung der Salomozeit. Er beobachtet die Schläue und die Skrupellosigkeit dieses Königs, den Protz und Prunk um ihn her, das Entstehen einer korrupten und eigensüchtigen Elite wie eines elenden und haltlosen Proletariats, die Verarmung der Bauern und das Ausbluten des Landes. Er sieht und beschreibt aus der Nähe das Geschick prominenter Persönlichkeiten nach Salomos Machtergreifung: Joabs, des gefangen gehaltenen ExHeerführers, der misshandelt, erpresst und schließlich ermordet wird; oder Adonijas, des unterlegenen Rivalen Salomos, der nach der schönen, aber dummen Abischag giert, ihretwegen bei Königinmutter Batscheba vorspricht und daraufhin liquidiert wird. Man erhält Kenntnis davon, dass und wie und unter welchem Aufwand und mit welchen sozialen Folgen die Pläne für den Tempelbau vorangetrieben werden. Man erlebt, wie die Ankunft der Pharaonentochter vorbereitet wird, die den königlichen Harem bereichern und der ausgerechnet Ethans geliebte „Kebse“ Lilith als Gespielin dienen soll. Überhaupt wirken Ethans Berichte über seine Familie – seine drei Frauen, seine zwei Söhne – besonders authentisch und anrührend. Immer wieder räsoniert er auch über sich selbst, über seine Aufgabe, seine Möglichkeiten, seine Grenzen. Dem Leser tritt ein Intellektueller vor Augen, der in einer Zeit zu leben und zu wirken hat, in der Geist wenig zählt und Macht alles. Ethan ist ein ausnehmend wacher Geist mit scharfer Beobachtungsgabe. Er besitzt aber auch Berufsehre als Historiker. Er recherchiert sorgfältig, doch beim Einbringen des Ermittelten in den „König-David-Bericht“ sind ihm weitgehend die Hände gebunden. Ständig und bis ins Detail muss er sich mit der königlichen Kommission ins Benehmen setzen. Deren Mitglieder, wiewohl untereinander nicht immer einig, wachen mit Argusaugen darüber, dass in den „König-DavidBericht“ möglichst keine für David (und für Salomo und für sie selbst) ungüns24

Benaja und Amenhoteph sind die wichtigsten Gesprächspartner, freilich auch die verschlagensten Gegenspieler Ethans.

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tigen Nachrichten, keinerlei herrschaftskritische Töne einfließen. Sie spüren die Klugheit Ethans, ahnen, dass er bald mehr weiß, als ihnen lieb ist. Sie beargwöhnen, kontrollieren, bedrohen ihn. Er sucht sich zu tarnen, gibt sich geschmeidig, setzt seine Worte listig, doch letztlich ist er ihnen ausgeliefert. Zum Helden ist er nicht geboren, zum Märtyrer schon gar nicht. Also verlegt er sich aufs Subversive. Gleich zu Beginn, als er die ihm zugedachte Aufgabe nolens volens annimmt, verrät er dem Leser seinen heimlichen Plan: „Mit einigem Glück und mit Hilfe unseres HErrn Jahweh mochte es mir sogar gelingen, ein Wörtchen hier und eine Zeile dort in den König-David-Bericht einzufügen, aus denen spätere Generationen ersehen würden, was wirklich in diesen Jahren geschah“25. Er wird nicht unverstellt schreiben können, wie es wirklich war, doch er wird so schreiben, dass zwischen den Zeilen die Wahrheit erkennbar bleibt. Ist ihm das gelungen? Durchaus. Denn der „König-David-Bericht“, dessen Entstehen der Roman schildert, ist nichts Anderes als – die Samuelbücher. Und diese malen von der Davidszeit kein glänzend-glattes Propagandabild, sondern enthalten neben prodavidischen durchaus auch davidkritische, machtkritische Informationen. Dafür verantwortlich ist, wie wir jetzt wissen, Ethan ben Hoshaja. Salomo, dem das nicht entgangen ist, der es aber letztlich nicht hat verhindern können, beschließt, Ethan totzuschweigen (immerhin nicht totzuschlagen); niemand soll erfahren, dass er der Verfasser des „König-DavidBerichts“ ist. Einzig der nach dem Urteil des Königs belanglose Psalm 89 soll seinen Namen in der Überschrift tragen. Am Ende muss Ethan Jerusalem fluchtartig verlassen: angefeindet, ausgenutzt, gedemütigt. Sein (heimliches) Werk aber bleibt. Unzählige Male sind die Samuelbücher gelesen worden und werden weiter gelesen. Ungezählte Menschen sind über die Fußangeln gestolpert, die Ethan in ihnen ausgelegt hat, haben etwas von der Wahrheit begriffen, die in ihnen verborgen liegt.

d) Michal, Abigajil und Batscheba: Beispiele für Art und Auswertung der Quellen im „König David Bericht“ Wie Ethan an welche Informationen gelangt und in welcher Form diese in den „König-David-Bericht“, d.h. in die Samuelbücher, Eingang gefunden haben, das sei an den Geschichten über drei Gemahlinnen Davids vor Augen geführt. Michal Der Tochter Sauls, die „zweimal die Frau Davids“ war (33), begegnet Ethan mehrmals. Er erlebt sie als wahrhaftig adelige Person, alt geworden und immer noch Respekt gebietend, hochgewachsen und schmal, mit Füßen „von bemerkenswerter Schönheit“ (72), furchtlos und ungebrochen. Von ihr, deren Blick 25

HEYM, König David Bericht (n. 1), 13.

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klar und deren Urteil profund ist, erfährt Ethan viel nicht nur über Saul, sondern auch über David. Die Krankheitsanfälle ihres Vaters beschreibt sie so: „Dieser riesige Mann, der in der Schlacht stand wie ein Turm, verkroch sich in der Ecke seines Zelts, stammelte vor Angst und biß sich in die Knöchel, oder brütete vor sich hin, stundenlang, lauschte Stimmen, die nur er hören konnte, oder zitterte und raste mit Schaum vor dem Munde“ (35). Sie sieht einen ursächlichen Zusammenhang zwischen diesen Zuständen und dem Verhalten Samuels wie auch der Anwesenheit Davids. Dabei konnte dieser dem Geplagten zunächst helfen – im Unterschied zu den anderen Hofmusikanten, die man beizog. „Davids Musik war anders. Seine Weisen und Worte, und wie er sie sang, lösten den Schmerz und füllten das Herz mit Sehnsucht“ (35). Trotz ihres schließlichen Überworfenseins mit David hat Michal kein einseitig negatives Bild von ihm: „er besaß natürliche Anmut. Er gewann die Menschen mit ein paar Worten, einem Blick, einer Handbewegung. Er schien so herzlich, ohne Arg zu sein“ (37). Sauls wie Jonatans Liebe empfing er „mit der ihm eigenen Liebenswürdigkeit; er lächelte, sprach seine Verse, und spielte die Laute. Er stillte meines Vaters König Saul Begehr, wenn der es wünschte; er lag mit meinem Bruder Jonathan und ließ ihn seine Füße, seine Schenkel, seine Hände, seinen Hals küssen; und in der Nacht, da ich meine Fassung verlor und Böses sprach gegen ihn26, kam er später zu mir und nahm mich“ (38). Die Prinzessin sinniert: „warum sollte Jahweh nicht auch einmal seinen Geist in ein Gefäß schütten, das den Sinnen angenehm war?“ (38) Doch David hatte auch ganz andere Seiten: „in der Schlacht verwandelte sich der hübsche Jüngling in einen gleichsam von Blutrausch gepackten Mann“ (39). Voll Grausen erinnert sich Michal an die Morgengabe, die David für sie entrichtete: wie er „den Korbdeckel abnimmt und die blutverkrusteten Penisse auf den Tisch schüttet. Und höre ihn zählen, bis zweihundert. In dieser Nacht kam er zu mir mit der Peitsche, und ich lag vor ihm, und er strafte mich, und ich duldete es“ (40). Michal erzählt Ethan, wie sie David vor den Nachstellungen ihres Vaters gerettet und diesen angelogen hat (68), und wie sie dann an einen wenig ansehnlichen, aber zärtlich um sie bemühten Mann gegeben wurde (69f.). Einmal fragt die Prinzessin den Historiker unvermittelt: „Wie siehst du David eigentlich?“ Als er ausweicht, gibt sie ihre eigene Antwort: „Er hat so viele Gesichter. Ich gebe zu, das macht es schwer, ihn zu ergründen“. Ihren Bruder, den Kronprinzen Jonatan, habe sie sagen hören: „Um zu herrschen, darfst du nur ein Ziel sehen – die Macht. Darfst du nur einen Menschen lieben – dich selbst. Sogar dein Gott muß ausschließlich dein Gott sein, der ein jedes deiner Verbrechen rechtfertigt und es mit seinem heiligen Namen deckt“ (72). So sieht Michal David, und Ethan bekennt einmal: „Je mehr ich erfahre über ihn, desto mehr verwächst er mit mir; wie eine Beule am Leib ist er mir, ein böses Geschwür; ich möchte ihn ausbrennen und kann es doch nicht“ (125). 26

Eine Anspielung auf 2Sam 6,20.

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Ihr eigenes Geschick beschreibt Michal illusionslos. „Ich war notwendig für seine Pläne: durch die Tochter Sauls erhielt er ein legitimes Anrecht auf den Thron Sauls“ (135). Auch dass er sie später von der Seite ihres neuen Gatten an die seine zurückholte, geschah nicht aus Liebe (137f.). Das Zerwürfnis zwischen ihr und ihm schildert nicht sie, sondern David in einer eigenhändigen „Aufzeichnung“, die Ethan in die Hände bekommt. Darin wird den Streit wegen des Tanzes vor der Lade recht realistisch beschrieben (154), allerdings obszön vereindeutigt: Er schäme sich, habe er Michal im Zorn gesagt, dessen nicht, was die Mägde von ihm „sehen möchten; es ist gar mancher Magd zu Diensten gewesen; du aber sollst übergangen werden und sollst kinderlos bleiben bis zum Tag deines Todes“ (155). Darauf Michal: Als ob er ihr, seit er sie zu sich zurückgeholt habe, je „in Liebe genaht“ wäre! Die Antwort: „Warum auch soll ich durch meinen eignen Samen das Blut Sauls vermehren, welcher mein Feind ist? O, David! ruft sie aus. Und dann: Der HErr GOtt weiß, daß dein Herz ein Eisklumpen ist, welcher die Liebe derer, die dir nahestehen, erkalten läßt und tödlich ist für deine Seele“ (155). Dieser Dialog findet sich im „König-David-Bericht“ natürlich nicht27! Abigajil Diese Gattin Davids lebt anscheinend zur frühen Salomozeit nicht mehr, so dass Ethan sie nicht persönlich befragen kann. Doch er erhält Kunde über sie aus anderen Quellen. „Ich hatte“, berichtet Ethan, „ein Gespräch über sie mit einer gewissen Debora. Diese muntere Alte unterhält ein Wohnheim für ausländische Fachleute aus Sidon und Tyrus, die für den Tempelbau gedungen wurden. Debora war eine der fünf Kammerjungfern gewesen, die Abigail in die Ehe mit David mitbrachte“ (74). „Dann wurde mir durch die Diener des Benaja ben Jojada ein gewisser Mibsam ben Mishma vorgeführt, ein einbeiniger alter Bettler vom Stadttor; das fehlende Bein, bekundete er, sei ihm abgeschnitten worden, als er mit David in der Wildnis war. Mibsam stand, seiner Aussage zufolge, an der Spitze der zehn Jünglinge, welche David zu Nabal sandte, dem ersten Gatten der Abigail, um diesem Frieden zu entbieten und ihn um eine großzügige Spende zu bitten“ (74f.). „Es gab auch noch andere, mit denen ich sprach, ferner einige Dokumente, so daß es mir möglich war, aus den verschiedenen Steinchen ein wenn auch unvollständiges Mosaik zusammenzustellen“ (75). Jene „Dokumente“ sind zwei Listen – eine über die Besitztümer Nabals aus der Feder eines kalibbitischen Ältesten (75) und eine über den Tribut an David, verfasst anscheinend von Abigajil persönlich (78) – sowie ein „Shiggaion des David, welches er gesungen hat dem Herrn“, ein Auszug aus Ps 7 (82). Wichtiger sind die beiden Gewährsleute. Mibsam gibt relativ korrekt (gemessen an 1Sam 25) die anfängliche, unerfreuliche Begegnung mit Nabal wieder, beschreibt diesen aber noch abstoßender, als es in der Bibel geschieht („der Wanst hing ihm bis zu den Knien, und unterm Kinn war ihm eine fette Wamme“, 76). Abigajil 27

Vgl. 2Sam 6,20–23.

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schildert er als ansehnliche, auffällig stark an ihm, dem stattlichen Jüngling, interessierte Frau (77). Debora verstärkt dies: Abigajil war ein paar Jahre älter als David, „aber ihr Fleisch war stramm und ihre Brüste standen hervor wie Rammböcke. Sie leitete das Haus, und befahl den Dienern, und rechnete ab, während Nabal, ihr Gatte, sich vollfraß und vollsoff, bis er wie ein gestopftes Stück Darm war, und so verlockend für eine Frau wie dieses“ (79). Es habe Gerüchte über Seitensprünge Abigajils gegeben; „aber sie war eine tugendhafte Frau und zog die Gesellschaft ihrer fünf Jungfern vor, von denen ich eine war, und wir mußten sie hätscheln und tätscheln, und küssen und kosen, und streicheln und drücken, bis sie wollüstig aufseufzte und ihr die Augen übergingen“ (79). Demnach war es eine unbefriedigte, nach sexueller Erfüllung lechzende Frau, auf die David traf. Mibsam hatte ihr diesen zuvor geschildert als einen, der „zehnmal mehr der Mann [ist], der ich bin“ (77). Auch Debora schwärmt: „Da war er, aufrecht im Sattel, rotes Haar über gebräuntem Gesicht, und in seinen Augen leuchtete es“ (79). Abigajil habe sich vor ihm so zur Erde gleiten lassen, daß er tiefe Einblicke in ihr Dekolletee erhielt. Nach kurzem Gespräch mit ihr „verbeugte sich [David] vor ihr, und die zwei wandelten ein Stück in die Wildnis, und als sie zurückkehrten, da trug meine Herrin den Kopf so, daß sie zehn Jahre jünger wirkte“ (80). Ihren Bericht an Nabal über das Vorgefallene beginnt sie mit den Worten: „Ach, du Fettsack, du Saufbold, du Gebirge von Impotenz: ich habe dein Leben gerettet“ (80f.). Als er daraufhin einen Herzanfall erleidet, verhindert sie, dass er ärztlich versorgt wird. Debora dazu: „Zehn Tage dazusitzen und zuzusehen, wie der eigene Mann stirbt, und Sorge zu tragen, daß er stirbt, zeugt wahrhaftig von Charakter“ (81). Dann endlich kam der Heiratsantrag von David; da war „[u]m die Lippen meiner Herrin … ein Lächeln wie nach einem Siege“ (81). Man vergleiche, was aus dieser Story im biblischen „König-David-Bericht“ geworden ist28: Die Grundfakten sind korrekt wiedergegeben, die abfälligen und anzüglichen und abstoßenden Züge aber sind im Bibeltext gemildert oder getilgt. Genau dieses Vorgehen schlägt Ethan wenig später der Kommission zur Behandlung „unbequemer Tatsachen“ vor. Es gebe da drei Möglichkeiten: „(a) alles zu berichten, (b) mit Diskretion zu berichten, (c) gar nicht zu berichten“. Zu empfehlen sei „Möglichkeit (b): mit Diskretion zu berichten. Diskretion, sagte ich, sei keineswegs gleichzusetzen mit Lüge; Diskretion sei „Wahrheit gezügelt durch Weisheit“ (89f.). Batscheba Die Annäherung an diese Gattin Davids und ihre Geschichte ist für Ethan besonders heikel, hat ihr Sohn, der Thronfolger, doch den „König David Bericht“ in

28

Vgl. 1Sam 25,1–42.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Auftrag gegeben. Von ihrer Rolle bei den Thronfolgewirren29 erfuhr Ethan durch einen drittrangigen Beamten, den er durch Wein gesprächig gemacht hatte (27f.). Den Skandal um sie, ihren Mann Urija und König David schildert ihm Natan anhand seiner schriftlich festgehaltenen Erinnerungen. Diese decken sich in den Grundzügen mit dem biblischen Bericht30, sind aber ausführlicher und um einige pikante Einzelheiten reicher: Natan sei persönlich zugegen gewesen, als der König von jener schönen Frau berichtete, die er beim Bad gesehen habe, und als ihm vorgeschlagen wurde, sie trotz seiner eigenen Bedenken zu sich zu holen; er selbst habe dazu geschwiegen (165). Natan war auch in der Nähe, als Batschebas Nachricht von ihrer Schwangerschaft kam; er habe David sagen hören: „ich glaube fast, sie hat das geplant“ (166). Er, Natan, habe den König zu seiner Fruchtbarkeit zunächst beglückwünscht (166), dann aber begriffen, dass aus dieser Geschichte Unbill zu erwachsen drohte, da ein König alles durfte, nicht aber die Frau eines im Feld stehenden Soldaten schwängern. Daraufhin habe er dem König den Vorschlag gemacht, Urija aus dem Felde zurückzuholen; der könne dann „mit seiner Frau Bath-sheba liegen, und der Vater ihres Kindes werden, denn wer kann auf den Tag genau sagen, wie lange ein Säugling im Leib seiner Mutter verharrte? König David aber stieß mir den Ellbogen in die Rippen und sprach: Nathan, mein Freund, wüßte ich nicht, daß du ein Prophet bist, so würde ich meinen, du bist ein Schelm“ (167). Natans Bericht wird durch einige Briefe angereichert, die Benaja Ethan zugänglich gemacht hat: von Batscheba an Urija, in dem sie ihren Gatten in zärtlichsten Tönen zu sich nach Hause lockt (167), ein daraufhin erfolgtes Beurlaubungsgesuch Urijas (168) sowie eine Weisung des Königs an Joab, Urija nach Jerusalem zu schicken (168). Durch die leisen Verschiebungen gegenüber der biblischen Darstellung gewinnt Batscheba in dem Geschehen eine viel aktivere und, ja, durchtriebene Rolle. Batscheba ist es denn auch, die dem König melden lässt, Urija sei entgegen ihren Erwartungen nicht zu ihr gekommen – sie ist also Mitwisserin des unsauberen Spiels um die Vaterschaft (169). Natan wird dann Zeuge der Versuche Davids, Urija zur Einkehr in sein Haus und zum Beischlaf mit Batscheba zu bewegen (169f.). Immerhin, den Rat, Urija umkommen zu lassen, will Natan nicht gegeben haben (170) – ob man ihm trauen kann, ist fraglich. Dann aber berichtet er freimütig, wie er, nach Urijas Tod, Batscheba lauthals habe klagen hören: „Eines ist es, die arme, hilflose Frau eines Soldaten zum König kommen zu lassen, und sie zu zwingen, bei ihm zu liegen und sich zärtlich um ihn zu bemühen, auf ihm sowie unter ihm, aber ein gänzlich anderes, ihr beizustehen in ihrem Unglück, und das königliche Versprechen zu erfüllen. Und sie schlug die Hände vors Gesicht, und schrie laut auf, und sagte, wie sehr schrecklich es sein würde, so ihr Vater Eliam, und ihre Mutter und all

29 30

Vgl. 1Kön 1,11–39. Vgl. 2Sam 11f.

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ihre Verwandten von ihrer mißlichen Lage erführen“ (172). Batscheba erpresst David also! David heiratet Batscheba, sie gebiert das Kind – und urplötzlich wechselt Natan die Rolle. Er erzählt dem König die berühmte Parabel vom Reichen und dem einzigen Schaf des Armen, hört ihn das Todesurteil sprechen, schleudert ihm sein „Du bist der Mann!“ entgegen – worauf David mit den Worten reagiert: „Habe ich mir doch gedacht, daß da ein Hintergedanke steckte hinter der Geschichte; sage mir darum, ist der HErr dir wahrhaftig erschienen, oder hast du es dir ausgedacht?“ (173). Und später, nach Natans prophetischer Gerichtsrede: „Entweder spricht der HErr wahrhaftig durch deinen Mund, Nathan, oder du bist der dreisteste Mensch diesseits des Jordan, denn warst du nicht von Anbeginn an all diesem beteiligt, und wo war damals deine biedere Stimme?“ (173f.) Das fragt man sich wirklich – und führt es auf die Maxime der „Diskretion“ zurück, dass die Bibel Natans anfängliche Komplizenschaft mit dem weibstollen König verschweigt. Dafür aber lässt Heym Ethan noch ein zusätzliches Gespräch in Sachen Batscheba-Urija-Skandal mit Benaja führen. Der suggeriert ihm, Batscheba habe ihren Gatten, als er vom Felde kam, über die wahre Sachlage aufgeklärt und ihn aufgefordert, auf keinen Fall des Nachts zu ihr zu kommen; „so wird niemand bezweifeln können, daß das Kind von David ist, und du wirst aufsteigen im Dienst des Königs“ (176). Als Ethan fragt, ob sie nicht hätte ahnen müssen, dass David, zu sehr in die Ecke gedrängt, ihren Mann würde umbringen lassen, entgegnet Benaja kühl: „Und wenn sie es vorausgesehen hätte?“ Das ist infam und durch nichts im biblischen Bericht gedeckt. Es spricht hier Benaja, und Benaja ist ein unheimlicher Zeuge. Das wird vollends klar, als er Ethan ein schriftliches Geständnis Joabs vorlegt, dass nicht die Ammoniter Urija getötet hätten, sondern die eigenen Bogenschützen auf seinen Befehl hin (177f.). Man hat sogleich den Verdacht – und dieser bestätigt sich später –, dass diese Aussage erpresst worden ist, um Joab noch eine weitere Mordtat anzuhängen. Endlich kann Ethan Batscheba persönlich zur Sache befragen. Er möchte herausfinden, ob sie damals eine wehrlose Frau war, vom König gezwungen, ihm zu Willen zu sein, oder ob sie ihn verführen wollte – mit Erfolg und mit der Folge, dass nun ihr Sohn König war. Es gelingt Ethan nicht, ihr irgendeine Aussage zu entlocken, die ihm über diese Frage Aufschluss gäbe. Stattdessen erzählt sie – von ihrem toten Erstgeborenen31. Einige Tage später wird er aufgefordert, vor der Kommission und dem König Rechenschaft darüber abzulegen, was er über die Verbindung Davids mit Batscheba in Erfahrung gebracht habe. Er tut dies – „wobei ich das Allzumenschliche ausließ und meinen Vortrag beendete mit den Worten: ‚Und David tröstete sein Weib Bath-sheba, und ging ein in sie, und lag ihr bei, und sie gebar einen Sohn, den hießen sie Salomo.’ Dann fügte ich, um gut Maß zu geben, hinzu: ‚Und der HErr liebte Salomo.’“ (183) 31

Vgl. 2Sam 12,15–23

162

e)

I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Stefan Heym und die exegetische Wissenschaft: verborgene Beziehungen

Gerade die Batscheba-Geschichte gibt Anlass, aus dem Garten des Romanciers hinüberzusehen in den der Exegeten. Rund fünfzehn Jahre nach Erscheinen des „König-David-Berichts“ gab es einen veritablen exegetischen Streit um die Rolle bzw. das Bild Batschebas in den Daviderzählungen. Wie zuvor schon andere, vertrat George Nicol32 die Ansicht, „dass Batseba schon in 2Sam 11 die klug kalkulierende und clevere Frau war, als die sie sich sehr viel später in den Thronfolgestreitigkeiten erweist“33. Bewusst habe sie sich dem König beim Bade dargeboten, freiwillig habe sie sich ihm hingegeben, triumphierend habe sie ihm ihre Schwangerschaft melden lassen. Kein Wunder, dass gerade sie Königinmutter wurde. Auf diese Interpretation reagierte Cheryl Exum34 mit der bitteren Bemerkung, Batscheba, zuerst „raped by the penis“, sei nun auch noch „raped by the pen“. Eigentlich nehme dies schon in der biblischen Erzählung seinen Anfang, wenn sie dort nackt und badend den gierigen Blicken nicht nur Davids, sondern einer männlichen Leserschaft ausgesetzt werde. Nirgends dürfe sie wirklich Subjekt sein, immer nur „Tochter des“ oder „Frau des“. In der Folge gehe es nur noch um ihre Gebärfunktion. Nach meinem Dafürhalten schießen beide Voten über das Ziel hinaus. Nicht zufällig bemerkt Ethan, dass er in seinem Bericht über die Affäre „das Allzumenschliche ausließ“. Er, und das heißt: der Bibeltext, stellt Batscheba nicht als durchtriebene Intrigantin hin, sondern lässt die Möglichkeit offen, legt sie sogar nahe, dass sie das schuldlose Opfer männlich-königlicher Gewalt war35. Den jetzigen Abschluss der Story, wonach „Jhwh Salomo liebte“, kennzeichnet Ethan ehrlicherweise als Zugabe seinerseits; diesen Satz halten auch Exegeten für einen redaktionellen Zusatz36. 32

33

34

35

36

G.G. NICOL, Bathsheba. A Clever Woman?, in ExpT 99 (1988) 360–363; und später noch einmal: The Alleged Rape of Bathsheba. Some Observations on Ambiguity in Biblical Narrative, in: JSOT 73 (1997) 43–54. Ähnlich R.C. BAILEY, David in Love and War. The Pursuit of Power in 2 Samuel 10–12 (JSOT.S, 75), Sheffield: Academic Press 1990, 84f. T. NAUMANN, David und die Liebe, in: DIETRICH/HERKOMMER (ed.), König David – biblische Schlüsselfigur (n. 5), 51–83, hier 68. J.C. EXUM, Fragmented Women. Feminist (Sub)versions of Biblical Narratives (JSOT.S, 163), 177–201. Die Batscheba belastenden Nachrichten, die oben referiert wurden, stammen sämtlich von Natan und Benaja: zwei nicht unbedingt sehr glaubwürdigen Zeugen. Ethan hat sie als „allzumenschlich“ weggelassen. Vgl. z.B. E. WÜRTHWEIN, Die Erzählung von der Thronfolge Davids – theologische oder politische Geschichtsschreibung? (ThSt 115), Zürich, TVZ, 1974, 28–31; T. VEIJOLA, Salomo – der Erstgeborene Bathsebas, in VEIJOLA, David. Gesammelte Studien zu den Davidüberlieferungen des Alten Testaments (Schriften der Finnischen Exegetischen Gesellschaft, 52), Helsinki/Göttingen, Finnische Exegetische Gesellschaft/Vandenhoeck & Ruprecht, 1990, 91.

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An diesem Punkt gilt es einen ‚Titel’ bzw. eine Standesbezeichnung Ethans hervorzuheben, die neben „Historiker“ oder „Autor“ immer wieder vorkommt: „Redaktor“. Diese Bezeichnung ist exegetisch besetzt; die „redaktionsgeschichtliche“ Fragestellung oder Forschung nimmt im exegetischen Fragenund Methodenkanon einen festen Rang ein. Bekanntlich ist hier an biblische Autoren gedacht, die nicht (nur) selbstformulierte Texte, sondern (auch) Quellenstücke in die von ihnen bearbeiteten Bücher eingesetzt haben. Martin Noth hat den Deuteronomisten („Dtr“), den er für den Endredaktor der Bücher Deuteronomium bis 2. Könige hielt37, einen „ehrlichen Makler“ genannt, der zwischen älteren, von ihm aufgenommenen Quellen sowie eigenen Überzeugungen und Bedürfnissen seiner Zeit nach bestem Wissen und Gewissen zu vermitteln suchte. Als „Redaktor“ ist „Dtr“ zugleich „Historiker“, der dem Überlieferten verpflichtet ist, und „Autor“, der eigene Verbindungsstücke oder Kommentare formuliert. All das lässt sich von Heyms Ethan auch sagen – nur dass dieser ein rundes halbes Jahrtausend früher agiert haben soll als Noths „Dtr“. Auch in diesem Punkt indes befindet sich Heym in guter exegetischer Gesellschaft. Leonhard Rost hat in einem lange Zeit maßgeblichen Werk die sog. Thronfolgegeschichte (2Sam 9–20; 1Kön 1f.) aus der Salomozeit hergeleitet; in ihr verarbeitete Subquellen, die Natanweissagung (2Sam 7) und die Ladegeschichte (1Sam 4–6; 2Sam 6), kämen noch früher zu liegen, und auch die sog. Aufstiegsgeschichte soll älter sein, d.h. wohl aus der Davidszeit stammen38. Gerhard von Rad hat für seine theologische Interpretation der Thronfolgegeschichte Rosts Datierungsansatz übernommen, Artur Weiser und Jakob Grønbæk haben den Textbereich der Aufstiegsgeschichte unter dieser Prämisse näher untersucht39. Wusste Heym von alledem, bezog er Anregungen aus der exegetischen Diskussion? In einem Präskript seines Romans bedankt er sich bei „Herrn Dr. Walter Belz, dem Religionshistoriker und wissenschaftlichen Mitarbeiter der Universität Halle, für seine guten und hilfreichen Vorschläge“40. Walter Beltz41 (19352006) hatte 1966 mit einer Dissertation zu den Kaleb-Traditionen promoviert42, war also gelernter Alttestamentler. Schon in der Habilitation von 1970 aber 37

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39

40 41

42

M. NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien. Die sammelnden und bearbeitenden Geschichtswerke im Alten Testament, Tübingen, Niemeyer, 21957. L. ROST, Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids ([BWANT 42], Stuttgart, Kohlhammer, 1926 =) in: L. ROST, Das kleine Credo und andere Studien zum Alten Testament, Heidelberg, Quelle & Meyer 1965, 119–253. A. WEISER, Die Legitimation des Königs David. Zur Eigenart und Entstehung der sogen. Geschichte von Davids Aufstieg, in: VT 16 (1966) 325–354; J. GRØNBÆK, Die Geschichte vom Aufstieg Davids (1.Sam.15 - 2.Sam.5) (AThD 10), Copenhagen, Prostand apud Munksgaard, 1971. HEYM, König David Bericht (n. 1), 5. So dürfte der Name richtig geschrieben sein. Vgl. zum Folgenden den Nachruf von J.H. Schoeps, Walter Beltz: 25. April 1935 - 22. April 2006, in: ZRGG 59 (2007) 183. W. Beltz, Die Kaleb-Traditionen, Budapest: Ref. Theol. Akademie 1966.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

schwenkte er zur Religionsgeschichte über; Gegenstand war die Adam-Apokalypse aus Nag Hammadi43. Danach wurde er Mitarbeiter an der Sektion Orientund Altertumswissenschaften und außerordentlicher Professor für allgemeine Religionsgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er machte sich einen Namen als Mythenforscher; die von ihm verfassten Bücher wurden überwiegend in der DDR, z.T. aber auch in der BRD verlegt44. Man darf diesem Mann zutrauen, dass er Heym über den seinerzeitigen Stand der exegetischen Forschung an den Samuelbüchern informiert bzw. ihm wichtige einschlägige Literatur genannt hat. Die heutige exegetische Forschung kann es schwerlich mitvollziehen, wenn Heym die Entstehung nicht nur der Samuelbücher, sondern dazu der SalomoÜberlieferungen in 1Kön 1–11, einer Reihe von Psalmen, der Proverbien und des Hohelieds in der Salomozeit, d.h. im 10. Jahrhundert v.u.Z., annimmt. Wird damit nicht die mittlerweile weithin aufgegebene Theorie von der großen ‚salomonischen Aufklärung’, vom politischen und kulturellen Glanz der davidisch-salomonischen Doppelmonarchie auf die Spitze getrieben? Stefan Heym trifft eine solche Rückfrage kaum. Er ist weder Exeget noch Historiker, sondern Romancier, und sein historischer Gewährsmann ist von ihm erfunden. Der Künstler ist frei, mit seinen Stoffen, auch biblischen, so umzugehen, wie es seinen künstlerischen Vorstellungen und Zielsetzungen entspricht. Auf der anderen Seite ist der „König-David-Bericht“ ein Geschichtsroman und sollte als solcher den von Heym selbst formulierten Ansprüchen genügen: die „objektiven Gegebenheiten“ der beschriebenen Zeit zutreffend wiederzugeben und ihre „Stimmungen und Bedingungen lebendig zu machen“. Ist dies der Fall? Nach meinem Urteil: ja. Welche Kenntnisse über die frühe Königszeit Heym intensiver Bibellektüre, dem Studium von Fachliteratur, Hinweisen von Fachleuten wie Walter Beltz oder einfach seinem Allgemeinwissen und seiner Imagination verdankt, darüber lässt sich nur spekulieren. In jedem Fall entwirft er ein stimmiges und nicht unplausibles Bild jener Zeit. Dass die Machtübernahme Salomos, wie sie in 1Kön 1-2 geschildert wird, einen Geruch von gewaltsamer Usurpation hat, behaupten auch manche Exegeten. Dass die Ära Salomos nicht das Goldene Zeitalter war, als das sie in 1Kön 3-10 erscheint, bezweifelt kaum mehr jemand. Dass damals die Menschen und Ressourcen vor allem im Norden der Doppelmonarchie über Gebühr ausgebeutet wurden, belegt die Erzählung von der sog. Reichsteilung in 1Kön 12. 43

44

W. Beltz, Die Adam-Apokalypse aus Codex V von Nag Hammadi. Jüdische Bausteine in gnostischen Systemen, Berlin 1970. Zum Beispiel: W. Beltz, Gott und die Götter. Biblische Mythologie, Berlin/Weimar, AufbauVerlag, 1975, 3. Aufl. 31982); Das Tor der Götter. Altvorderasiatische Mythologie, Berlin, Der Morgen, 1978, 21982, 31986; Die Mythen des Koran. Der Schlüssel zum Islam, Düsseldorf, Claassen, 1980; Die Mythen der Ägypter, Düsseldorf, Claassen, 1982; Die Schiffe der Götter. Ägyptische Mythologie, Berlin, Der Morgen, 1987; Christus und die Christen. Mythologie der alten Kirchen, Berlin, Der Morgen, 1990.

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Oder nehmen wir ein konkretes Detail. Ethan erlebt Benaja als Mann des locker sitzenden Schwerts und des kurzen Prozesses (was durch den Bibeltext gedeckt45 und ohnehin glaubhaft ist). Angeblich hätte Benaja allzu gern auch den verdächtig gewordenen Ethan exekutiert46, wird aber von Salomo daran gehindert. Diesen leitet dazu seine (in der Bibel gerühmte, historisch aber nicht zu sichernde) Weisheit, die Heym ihm durch alle möglichen Untertanen, auch durch Ethan, honigsüß bescheinigen lässt. Seinen berühmten Traum von Gibeon, in dem er um Weisheit gebeten und außer ihr auch noch Reichtum zugesprochen bekommen haben soll, erzählt bei Heym aber nicht Ethan oder sonst ein vertrauenswürdiger Berichterstatter, sondern (entgegen der biblischen Darstellung) der König persönlich in eitler Selbstgefälligkeit47. Immerhin ist Salomo am Ende so raffiniert, Ethan nicht totschlagen, sondern totschweigen zu lassen48 (wozu die Anonymität der Samuelbücher passt – auch wenn es nicht dem biblischen Salomobild, dafür aber dem Vorgehen gewisser Gewalthaber entspricht). Die größte Leistung Heyms besteht indes weniger in historischen Hypothesen als in seiner literarischen Grundannahme, dass es einen Hauptverfasser der Samuelbücher gab – und nicht, wie in der damaligen (und z.T. noch der heutigen) Exegese vielfach angenommen, mehrere alte Geschichtswerke über die Zeit Davids, die erst nach einem halben Jahrtausend zu den heutigen Samuelbüchern zusammengefügt worden wären. Ich glaube allerdings nicht, dass dieser Grundverfasser Ethan hieß und bereits zur Salomozeit wirkte; er war auch nicht der einzige und letzte, der an den Samuelbüchern arbeitete; und die von ihm genutzten Quellen waren kaum von der Art, wie im „König-David-Bericht“ dargestellt. Gleichwohl ist die fiktive Figur des „Historikers, Autors und Redaktors“ Ethan ben Hoshaja eine bleibende und zukunftweisende Herausforderung an die exegetische Wissenschaft.

2. Der „Höfische Erzähler“ als hypothetischer Verfasser der Samuelbücher Mich selbst haben meine Forschungen zu der Auffassung geführt, dass die Samuelbücher nicht in einem Zuge (und schon gar nicht in der Salomozeit), sondern über sechs Stufen hinweg entstanden sind49. Den Hauptverfasser würde 45 46 47 48 49

1Kön 2,25.34.46. HEYM, König David Bericht (n. 1), 255, 257. HEYM, ebd., 7–8. HEYM, ebd., 257–258. Zum Folgenden vgl. W. Dietrich, 1Samuel 1–12 (n. 5), *38–*58, sowie im vorliegenden Band oben S. 128–132.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

ich auf der dritten ansiedeln – wobei mir freilich Phantasie und Freiheit fehlen, ihm einen konkreten Namen (z.B. Ethan ben Hoshaja) zu geben.

a) Das „Höfische Erzählwerk“: zu seiner Einordnung in die Entstehungsgeschichte der Samuelbücher 1) Am Anfang der Traditionsbildung über die Frühe Königszeit standen Einzelüberlieferungen unterschiedlicher Art, die sich, wenn auch vielfach abgewandelt, verstreut über die Samuelbücher und teilweise auch in deren Anhang 2Sam 21– 24 noch erkennen lassen und deren Wurzeln relativ weit, zum Teil vielleicht bis ins 10. Jh. zurückreichen. Zu denken ist da etwa an die Erzählung vom Verlust der Lade (1Sam 4) oder an die ältesten Saul-Geschichten (wie er Eselinnen suchte und die Königskrone fand, wie er die Ammoniter oder die Philister besiegte: 1Sam 9–13*), ebenso an alte David-Geschichten (um nur ein paar Beispiele zu nennen: die von seiner Musiktherapie an König Saul 1Sam 16, oder von seiner Auseinandersetzung mit Nabal in 1Sam 25, oder von ihm und Urija und Batscheba 2Sam 11, oder von der Hinrichtung der Sauliden in 2Sam 21). Dazu kommen alte Lieder (die Trauergesänge auf Saul und Jonatan in 2Sam 1, auf Abner in 2Sam 3), alte Listen (die Verwandten Sauls in 1Sam 14, die von David mit Beute beschenkten judäischen Dörfer in 1Sam 30, Davids Söhne in 2Sam 3 und 5, Davids Minister in 2Sam 8 und 20, Davids Elitekrieger in 2Sam 23). 2) Die nächste Stufe bilden Teildarstellungen (mündlicher oder schon schriftlicher Natur): Erzählreihen über Samuel und Saul, über die heilige Lade, über das Schicksal der Sauliden, über David als Freibeuter, über den Abschalom-Aufstand sowie über die dubiosen Umstände der Geburt und der Machtergreifung Salomos. Diese „Quellen“ stammen aus sehr unterschiedlichen Zeiten: Während die beiden letzten (‚Abschalom’ und ‚Salomo’) in ihrer Grundform nahe an die geschilderten Ereignisse heranführen dürften, ist die Ladegeschichte kaum vor dem 8. Jh. entstanden. 3) Die entscheidende formative Phase stellt das von mir so genannte „Höfische Erzählwerk über die frühe Königszeit in Israel“ dar, das im ausgehenden 8. oder frühen 7. Jh. entstanden sein dürfte und bereits einen erheblichen Teil des jetzt in 1Sam 1 bis 1Kön 2 (oder 12) zu Lesenden enthielt50. Sein Verfasser, der „Höfische Erzähler“, war ein Literat hohen Ranges, der die Samuelbücher zu dem gemacht hat, was sie zweifellos sind: einem Glanzstück der Weltliteratur. Er war auch His50

Daran halte ich fest entgegen einem Urteil C. NIHANs und D. NOCQUETs (in: T. Römer / J.-D. Macchi/C. Nihan [Hg.], Einleitung in das Alte Testament, Zürich, TVZ, 2013, 341), wonach die „Hypothese einer vordeuteronomistischen Ausgabe von 1./2. Samuel … wahrscheinlich aufzugeben“ sei, weil „die Redaktions- und Editionsarbeit, durch welche die verschiedenen Überlieferungen zu Saul in einen sinnvoll strukturierten Zusammenhang gebracht wurden, eindeutig das Profil des Deuteronomisten“ aufwiesen. Dies ist unrichtig.

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toriker, wenngleich ein Historiker sui generis51, der nicht alle Ideale moderner Historiographie teilte (z.B. das der rein innerweltlichen Kausalität oder das von Widerspruchsfreiheit und Eindeutigkeit des Berichteten oder das von höchstmöglicher Objektivität und Nicht-Emotionalität). Er war zugleich eine Art Redaktor, der ältere Quellen aufnahm und in sein Werk so einarbeitete, dass sie in ihrer Eigenart noch erkennbar und nicht bis zur Unkenntlichkeit verschliffen und an seinen Stil und seine Aussageabsichten vollkommen adaptiert sind. Seine Handschrift ist zu erkennen einerseits in der oft äußerst artifiziellen Komposition vorgegebener Texte, andererseits in von ihm selbst geschaffenen Szenen, vor allem aber in direkten Reden, die er den Figuren älterer Erzählungen in den Mund legt, um durch sie die Erzählhandlung zu deuten, zu dramatisieren und zu theologisieren. 4) Die deuteronomistische Redaktion hat ab der Mitte des 6. Jh.s eine „Geschichte Israels von der Landnahme bis zum Landverlust“ verfasst und zur Darstellung der frühen Königszeit das Höfische Erzählwerk herbeigezogen. Ich gehöre zu denen, die in (halbwegs) treuer Gefolgschaft zu Martin Noth52 noch an ein solches umfassendes Werk glauben – und die nicht, wie manche andere, es in wesentlichen Teilen schon in der späten Königszeit (Joschija) entstanden denken; und auch nicht zu denen, die es in eine Reihe von Teil-Geschichtsbüchern (über die Landnahme-, die Richter-, die frühe und die spätere Königszeit) zerschlagen – dafür sind die Verklammerungen zu vielfältig, die das ganze Werk und einzelne seiner Teile überspannen53. Freilich entstand dieses kaum mit einem Mal, gab es vielmehr mehrere, sukzessive wachsende Ausgaben davon. 5) Am Anfang und am Ende der Samuelbücher bzw. des betr. Abschnitts im dtr Geschichtswerk traten noch einige spätnachexilische Ergänzungen hinzu. Insbesondere sind hier das Hanna-Lied (1Sam 2,1-10) und der große Appendix 2Sam 21–24 zu nennen, der freilich ältere Textbestandteile in sich zu bergen scheint. 6) Die letzte Stufe in der Textdiachronie der Samuelbücher ist die recht weit verzweigte Textgeschichte, die wesentlich durch das Nebeneinander des masoretischen Textes, mehrerer griechischer Versionen und diverser Handschriften aus Qumran geprägt ist54. Wenden wir uns nunmehr der dritten dieser Stufen zu – und damit dem mutmaßlichen Hauptverfasser der Samuelbücher. 51

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Vgl. R. GILMOUR, Representing the Past. A Literary Analysis of Narrative Historiography in the Book of Samuel (VT.S 143), Leiden/Boston, Brill, 2011. M. NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien (n. 37). Vgl. W. DIETRICH, Vielfalt und Einheit im deuteronomistischen Geschichtswerk, in: J. PAKKALA/M. NISSINEN (eds.), Houses Full of All Good Things. Essays in Memory of Timo Veijola, Helsinki, Finnish Exegetical Society; Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2008, 169–183. Vgl. W. DIETRICH, Doch ein Text hinter den Texten? Vorläufige textkritische Einsichten eines Samuelkommentators, in: P. HUGO/A. SCHENKER (eds.), Archaeology of the Books of Samuel. The Entangling of the Textual and Literary History (VT.S 132), Leiden, Brill, 2010, 133–159.

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b) Michal, Abigajil und Batscheba: Quellenbehandlung und Eigenbeiträge im „Höfischen Erzählwerk“ Das Verhältnis von übernommenen Stoffen bzw. Texten und selbstverfassten Passagen im Werk des Höfischen Erzählers ist ungefähr mit 4 : 1 zu bestimmen55. Er war also, wenn diese Formulierung erlaubt ist, dreimal mehr Redaktor als Autor. Seine Eigenbeiträge kann man unterteilen in solche (meist kürzere), die das überkommene Traditionsgut verknüpfen und kommentieren, und ausführlichere, in denen er dem Geschehen ganz neue Facetten hinzufügt56. Beides sei jetzt an den Abschnitten der Samuelbücher demonstriert, die Davids Beziehungen zu seinen drei Frauen Michal, Abigajil und Batscheba schildern57. Michal Die erste von ihnen wird mit einem Paukenschlag auf die Erzählbühne geführt: „Und Michal, die Tochter Sauls, liebte David“ (1Sam 18,20) – eine für die damalige Zeit höchst ungewöhnliche Aussage. Sie schließt an die Episode von Sauls miss-glücktem Versuch an, seine älteste Tochter, Merab, mit David zu vermählen (1Sam 18,17-19). Immer wieder hat die Exegese daran Anstoß genommen, dass das gleiche Motiv – Heirat Davids mit einer Saultochter – zweimal auftaucht. Verfechter einer schneidigen Literarkritik erklärten eine der beiden Varianten für sekundär: meist diejenige mit Merab58, wofür zu sprechen schien, dass der sie betreffende Passus im griechischen Codex Vaticanus (GB) fehlt. Doch sollte man Text- und Literarkritik nicht vorschnell vermischen. Die gerade im Bereich von 1Sam 17f markant schmalere Fassung von GB muss nicht die ältere, sie kann auch eine gekürzte jüngere Textversion sein59. Gerade das Nebeneinander der Merab- und der Michal-Episode in 1Sam 18 entspricht einer Devise, 55

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Diese Aussage basiert auf den bisher von mir kommentierten Kapiteln 1Sam 1–20. Hieraus habe ich (ein wenig vergröbert) folgende Passagen dem Höfischen Erzähler zugewiesen: 1Sam 1,3b.16a; 2,11b.12.18a.21b.25bβ; 3,1a.2b.3bβ.7.19f; 4,1a; 9,2b.15.16a.17; 10,1b.8; 13,4b. 7b–15a; 16,1–13; 17,10–14.19.23–39.41b.42.43b–46a.57b; 18,1.5.8–12.14–17.21.25b.28–30; 19,1–8.18–24; 20,1a.8.12.13–17.23.32f.40–42. Das sind – Halbverse eingeschlossen – ca. 115 Verse. Insgesamt zählt 1Sam 1–20 (ohne die erst im Zug der dtr Redaktion hinzugekommenen Kapitel 1Sam 8; 12; 15) ca. 475 Verse. Ich denke hier vor allem an die Passagen 1Sam 13,7b–15a; 16,1–13; 17,23–39; 18,8–12; 19,1–8. 18–24; 20,13–17.40–42. Dazu kommen weitere aus dem Fortgang der Daviderzählungen. Oben bei I.4 wurde Ethans bzw. Heyms Sicht auf die betreffenden Erzählungen vorgestellt. So z.B. P.K. MCCARTER, I Samuel (AB 8), New York a.o., Doubleday, 1980, 305–306; oder J. HUTTON, The Transjordanian Palimpsest. The Overwritten Texts of Personal Exile and Transformation in the Deuteronomistic History (BZAW 396), Berlin a.o., de Gruyter, 2009, 263. Die Meinungen darüber sind bekanntlich geteilt, vgl. D. BARTHÉLEMY/D.W. GOODING/J. LUST/ E. TOV, The Story of David and Goliath. Textual and Literary Criticism (OBO 73), Fribourg, Editions Universitaires; Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1986. Ich selbst halte M für prioritär, vgl. W. DIETRICH, Die Erzählungen von David und Goliat in I Sam 17, in: ZAW 108 (1996) 172–191.

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der der Höfische Erzähler immer wieder folgt: bestimmte, wichtige Ereignisse Vorgänge zwei- oder auch dreimal zu berichten. Es gibt „zwei Geschichten über den Beginn der Karriere Davids am Hof Sauls (16,1423; 17,1–18,4), zwei Prinzessinnen, mit denen er verheiratet werden soll (18,17-19; 18,20-27), zweimal einen Übertritt Davids zu den Philistern (1Sam 21,11-16; 27,1-7), zwei Erzählungen über Sauls Verschonung durch David (1Sam 24; 26), zwei Darstellungen von Sauls Tod (1Sam 31; 2Sam 1), drei Salbungen Davids (1Sam 16,13; 2Sam 2,4; 5,3), zwei Trauerlieder Davids über getötete Sauliden (2Sam 1,17-27; 3,33f), zwei Listen mit Söhnen Davids (2Sam 3,2-5; 5,13-15), zwei Erzählungen von Übergriffen auf Frauen im Haus Davids (2Sam 11; 13), zwei Parabeln, mit denen David überlistet wird (2Sam 12,1-6; 14,4-17), zwei „weise“ Frauen, die politisch Einfluss nehmen (2Sam 14; 20), zwei Aufstände gegen David (2Sam 15ff; 20), zwei Prinzen mit klaren Thronambitionen (2Sam 15; 1Kön 1)“60.

Der Höfische Erzähler scheint das intertextuelle Spiel zu lieben, das sich aus Übereinstimmungen und Differenzen zwischen solchen – in der Sprache der alten Literarkritik – „Dubletten“ ergibt. Im Fall von Merab und Michal stellt er selbst eine enge literarische Berührung zwischen beiden Episoden her, indem er beide Male Saul arglistige Absicht unterstellt. An das Angebot, David Merab zur Frau zu geben, lässt er den König eine Bedingung knüpfen: „Nur sei mir ein tapferer Mann und kämpfe die Kriege Jhwhs!“ und dabei einen Hintergedanken hegen: „Nicht meine Hand soll gegen ihn sein; es sei die Hand der Philister gegen ihn“ (1Sam 18,17). Und als Saul dann von David 100 Philistervorhäute als Brautgabe für Michal verlangt, kommentiert das der Höfische Erzähler mit der Bemerkung: „Und Saul hatte die Absicht, David zu Fall zu bringen durch die Hand der Philister“ (1Sam 18,25). Nach der älteren Überlieferung machte Saul David das eine Mal das Angebot einer Dienstehe, das dieser höflich, aber bestimmt ablehnte, während David das andere Mal durch Entrichtung einer (gewiss schaurigen, für einen mittellosen Krieger aber immerhin aufbringbaren) Brautgabe zum regulären Schwiegersohn des Königs aufstieg61. Die beiden Versionen von Davids (Beinahe-)Ehe mit einer Saulstochter stammen nach meinem Dafürhalten aus zwei verschiedenen Erzählsammlungen bzw. „Erzählkränzen“, die der Höfische Erzähler für die Darstellung des Aufstiegs Davids genutzt zu haben scheint. Gelegentlich wurde und wird in der Exegese die Auffassung vertreten, es habe zwei „Aufstiegsgeschichten Davids“

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61

W. DIETRICH (H.-P. MATHYS/T. RÖMER/R. SMEND), Die Entstehung des Alten Testaments, Stuttgart u.a., Kohlhammer, 2014, 249. Die obige Auflistung ist übrigens noch nicht vollständig, vgl. etwa die zweifache Spießattacke Sauls auf David (1Sam 18,10f; 19,9f) oder die dreifache Erwähnung eines Frauen-Triumphlieds auf David und Saul (1Sam 18,7; 21,12; 29,5). Zu Begriff und Sache der „Dienstehe“ vgl. I. WILLI-PLEIN, Michal und die Anfänge des Königtums in Israel, in: I. WILLI-PLEIN, Sprache als Schlüssel. Gesammelte Aufsätze zum Alten Testament, Neukirchen-Vluyn, Neukirchener, 2002, 79–96, hier 85. Zur Auslegung von 1Sam 18,17–27 vgl. W. DIETRICH, 1Samuel 13–26 (n. 5), 426–441.

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gegeben62. Ich denke, es gab nur eine Geschichte Davids, die des Höfischen Erzählers, doch dieser schöpfte im fraglichen Bereich aus zwei Quellen. Die eine von ihnen, der von mir so genannte „Erzählkranz über Aufstieg und Niedergang der Sauliden“63, betrachtet das Königshaus Sauls unter dem Aspekt des Übergangs der Herrschaft von ihm auf David, ist also prodavidisch geprägt, enthält aber zahlreiche benjaminitische bzw. nordisraelitische Überlieferungen64. In ihm fungieren Merab und vor allem Jonatan als Vehikel, mittels derer die Macht legitim vom Haus Sauls auf das Davidhaus übertragen wird. Die andere Quelle nenne ich „Erzählkranz vom Freibeuter David“65; in ihm spielt Michal diese Rolle, doch stehen hier weit mehr als beim Sauliden-Kranz die Geschicke, die Abenteuer und die Tüchtigkeit Davids im Vordergrund. Der Höfische Erzähler hat beide Erzählreihen – die noch stark durch mündliche Tradierung geprägt waren, ihm aber wohl doch schon in verschrifteter Form vorlagen – ineinandergeflochten und sie in der Weise, wie in der Merab- und der Michal-Episode geschehen, leise kommentiert. Aus dem „Freibeuter-Erzählkranz“ dürften auch die nächsten Nachrichten über Michal stammen: wie sie ihrem Gatten gegen die Nachstellungen ihres Vaters zur Flucht verhalf (1Sam 19,11-17 – im „Sauliden-Erzählkranz“ tut das Gleiche Jonatan: 1Sam 20), wie Saul sie daraufhin einem anderen Mann zur Frau gab (1Sam 25,44), und wie David, als er die Macht dazu hatte, sie von diesem zurück an seine Seite holte (2Sam 3,12-16). Für die letzte Michal-Szene indes, die von ihrem Zerwürfnis mit David anlässlich der Überführung der Lade nach Jerusalem (2Sam 6,16.20-23), hatte allem Anschein nach der Höfische Erzähler keine Vorlage; sie formulierte er selbst, um die Geschichte zwischen dieser Frau und ihrem königlichen Gatten zu einem – traurigen – Abschluss zu bringen. Angeregt dazu hat ihn die aus ganz anderer Quelle (den „Erzählungen vom Geschick der Lade“66) stammende Nachricht, wonach David die Ladeprozession nach Jerusalem hinein in einem ekstatischen Tanz angeführt habe (2Sam 6,14). Daraus macht der Höfische Erzähler den Anlass für den Bruch zwischen ihm und der Prinzessin, mit dem er sich wiederum den Umstand erklärt, dass in den beiden 62

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Vgl. die „chart“ bei B. HALPERN, David’s Secret Demons. Messiah, Murderer, Traitor, King, Grand Rapids MI/Cambridge, Eerdmans, 2001, 277–279; ausführlich HUTTON, Transjordanian Palimpsest (n. 58), 266–288. Zu seinem Umfang und seinen Grundlinien vgl. W. DIETRICH, Frühe Königszeit (n. 5), 242–247. Hierzu gehören die ‚benjaminitischen Episoden’ im Bereich der sog. Thronfolgegeschichte, die F. Langlamet in einer Serie von fünf Aufsätzen auf eine (allerdings sekundäre) literarische Stufe gestellt hat: F. LANGLAMET, David et la maison des Saül. Les épisodes „benjaminites“ des II Sam., IX; XVI, 1-14; XIX, 17-31; I Rois, II, 36-46, in: RB 86 (1979) 194–213. 385–436. 481–513; RB 87 (1980) 161–210; RB 88 (1981) 321–332. Zu ihm vgl. W. DIETRICH, Frühe Königszeit (n. 5), 248–253. Dazu vgl. ebd., 239–242. Zur Textdiachronie in 2Sam 6 siehe W. DIETRICH, Die Überführung der Lade nach Jerusalem (2Sam 6) – Geschichten und Geschichte, in: A.G. AULD/E. EYNIKEL (eds.), For and Against David. Story and History in the Books of Samuel (BEThL 232), Leuven, Peeters, 2010, 235–253.

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Listen von Davidsöhnen (2Sam 3,2-5; 5,13-15) kein Sohn Michals auftaucht – der sicher der natürlichste Thronerbe gewesen wäre. Hier formuliert der Höfische Erzähler also, anders als bei den vorangehenden Michal-Episoden, frei. Und so ist diese Szene auch besonders kennzeichnend für seine Sicht des Verhältnisses zwischen Saul und den Sauliden einerseits und David und den Davididen andererseits: Michal erscheint als Respekt gebietende, kraftvolle, stolze Frau, die nicht leugnen kann und will, dass in ihren Adern königliches Blut fließt, während sie in ihrem Gatten den Emporkömmling sieht, der sich nicht zu benehmen weiß. David wiederum leugnet seine Nähe zum einfachen Volk nicht, besteht aber darauf, dass Jhwh ihn „erwählt hat vor deinem Vater und vor seinem ganzen Haus, um mich zu bestimmen zum Bevollmächtigten über sein Volk, über Israel“ (2Sam 6,21). Da sie daraufhin keine Kinder von ihm bekommt und sich auch keine anderen Sauliden als valable Thronprätendenten anbieten, liegt die Zukunft Israels (und nicht nur Judas!) bei den Davididen. Hier bestätigt sich die Richtigkeit des Begriffs „Höfischer Erzähler“; dass dieser kein platter Hofpropagandist ist, hat sich bereits angedeutet und wird sich noch deutlicher zeigen. Abigajil Die Erzählung von David, Nabal und Abigajil (1Sam 25,2-44) stammt in ihrem Grundbestand aus dem Freibeuter-Erzählkranz. Sie ist in diesem geradezu unentbehrlich, zeigt sie doch am klarsten, wie David den Lebensunterhalt für seine Miliz erwarb: durch Schutzdienste für die lokalen Viehzüchter (und wohl auch Bauern), die seine Leistungen in Naturalien abzugelten hatten. So kommt eines Tages eine Delegation von zehn Leuten (!) zu dem reichen Herdenbesitzer Nabal in Karmel, als dieser Schafschur feiert, und erbittet einen angemessenen Anteil am Ertrag (25,2-9). Doch Nabal entgegnet: „Ich soll mein Brot und meinen Wein und mein Schlachtfleisch, das ich für meine Scherer geschlachtet habe, nehmen und Männern geben, von denen ich nicht weiß, woher sie sind?“ (25,11) Als die Boten mit leeren Händen zurückkommen, befiehlt David den Aufbruch zu einer Razzia gegen Nabals Anwesen (25,12f). Doch da tritt Abigajil auf den Plan, Nabals Gattin. Ein Diener hat ihr gemeldet, was geschehen ist (25,14), und sie lässt eiligst, ohne ihren Mann zu fragen, eine große Menge Nahrungsmittel auf Esel laden, sendet diese voraus und begibt sich dann selbst auf den Weg, David entgegen (25,18-20). Als sie seiner ansichtig wird, gleitet sie vom Esel, fällt ihm zu Füßen, entschuldigt sich, dass sie das Kommen von Davids Dienern nicht bemerkt habe, und bittet ihn, ihre Gaben entgegenzunehmen und an seine Männer zu verteilen. David ist dazu bereit und entlässt sie in Frieden (25,23.24a.25b. 27.35f). Als Abigajil ihrem Mann, nachdem dieser tüchtig gefeiert und danach seinen Rausch ausgeschlafen hat, von dem Vorgefallenen berichtet, trifft ihn der Schlag; nach zehn Tagen verstirbt er (25,36-38). David erfährt davon und nimmt Abigajil zur Frau (25,39*aα.b.40-42). Diese Erzählung gibt nicht nur eine ökonomische Erklärung für die Existenz einer nach Hunderten zählenden Miliz im judäischen Bergland, sie erklärt auch,

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

wie Abigajil – immerhin die Frau eines anderen – Davids Gattin wurde: Ihr Mann verstarb, ohne Zutun Davids wohlgemerkt, woraufhin sie frei war, eine neue Ehe einzugehen. Abigajil figuriert in der ersten Liste der Davidsöhne als Mutter eines gewissen Kilab, der nach Amnon und vor Abschalom geboren wurde (2Sam 3,3), anders als diese beiden aber in der Thronfolge keine Rolle spielte – vielleicht, weil er früh verstarb. Der Höfische Erzähler hat diese ursprüngliche Abigajil-Nabal-Erzählung annähernd auf das Doppelte ihres Textumfangs ausgeweitet67. Es sind vor allem direkte Reden, die auf seine Hand zurückgehen; sie konnte er einfügen, ohne den Erzählplot zu stören: – Jener Diener, der Abigajil vor dem drohenden Unheil warnt, macht ihr nicht nur schlicht Meldung über das Vorgefallene, sondern fügt seine eigene Wertung hinzu: Davids Leute seien „immer sehr gut“ zu Nabals Hirten gewesen, es habe keinerlei Übergriffe gegeben, Tag und Nacht seien sie eine „Mauer“ gewesen. Die Herrin möge rasch etwas unternehmen; denn der Herr sei ein bæn-belijja‛al, mit dem man nicht vernünftig reden könne (1Sam 25,15-17). Damit ist klar: David ist kein Mafioso, Nabal dagegen ein heilloser Mensch. – David, als er mit seinen Mannen zur Vendetta aufgebrochen ist, hört man ein Selbstgespräch führen, das nur ein allwissender Erzähler belauscht haben kann: Ganz umsonst habe er den Herdenbesitz dieses Nabal in der Steppe bewacht, und der habe ihm nun Gutes mit Bösem vergolten; dafür würden jetzt alle männlichen Wesen seines Hauses mit dem Leben büßen (25,21f.). Damit ist klar: David ist kein Engel, doch seine Wut ist wohlbegründet. – Abigajil, bevor sie David ihre Geschenke überreicht, bittet ihn, sich das Verhalten dieses ’îš belijja‛al, ihres Gatten, nicht zu Herzen nehmen; dieser heiße nicht nur „Nabal“, er sei auch ein „Tor“68. Ihn aber, David, wolle Jhwh davon abhalten, „in Blutschuld zu geraten“ und sich „durch seine eigene Hand zu helfen“; denn es werde all seinen „Feinden“ ebenso ergehen wie Nabal (25,25f.). Damit ist klar: Abigajil distanziert sich scharf von ihrem Mann und möchte David vor einem schweren Fehler bewahren. – Nach der Übergabe der Geschenke hebt Abigajil neuerlich zu einer Rede an: David führe „Jhwhs Kriege“, und Jhwh werde ihm ein „beständiges Haus“ bauen. Nie möge etwas Böses an ihm gefunden werden. Sein Leben werde immer geschützt sein, während das derjenigen, die ihm übelwollten, „weggeschleudert“ werde. Wenn Jhwh ihn dereinst an das ihm bestimmte Ziel geführt habe, solle er sich nicht vorwerfen müssen, grundlos Blut vergossen zu haben (25,28-31). Damit ist klar: Abigajil rechnet fest mit Davids Aufstieg

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Von 23 ganzen und 5 Teilversen auf jetzt insgesamt 41 Verse. (Die Randverse 25,1 und 25,43f., die nicht zur Nabalgeschichte gehören, sind dabei nicht mitgezählt). Bekanntlich bedeutet das hebräische Substantiv nābāl „Tor“.

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zum Königtum, ja schon mit der Gründung einer Dynastie durch ihn, und sie hält Blutschuld für das Schlimmste, was ihn belasten könnte. – Der Höfische Erzähler lässt David eine kleine Gegenrede halten: Er preise Jhwh dafür, dass er sie ihm entgegengesandt habe, sei ihm so doch erspart geblieben, „in Blutschuld zu geraten“ und sich „mit seiner Hand zu helfen“; andernfalls wäre wirklich kein männliches Wesen im Hause Nabals am Leben geblieben (25,32-34). Damit ist klar: David ist durch Abigajil davor bewahrt worden, unnötig Gewalt auszuüben. – Eine letzte kleine Rede hält David, nachdem er von Nabals Tod erfahren hat: Er segnet Jhwh dafür, dass er die ihm von Nabal zugefügte Schmach vergolten und ihn selbst vor Schlimmem bewahrt habe (25,39). Damit ist klar: David hat die Lektion gelernt, die Abigajil ihm erteilt hat: Ein großer Herrscher zeichnet sich durch Selbstbeherrschung aus. Die Nabal-Abigajil-Geschichte in der Bearbeitung des Höfischen Erzähler macht Mehreres klar: Davids Freibeutertum war moralisch völlig einwandfrei; der Tod Nabals war von Jhwh verursacht, seine Ehe mit Abigajil war vollkommen rechtmäßig; diese kluge Frau erkannte, dass sein Aufstieg gottgewollt und also jeder Widerstand dagegen gottwidrig war; er aber war ein Herrscher (bzw. wurde es dank Abigajil), der auf Bluttat und Gewalt zur Durchsetzung seiner Ziele verzichtete. In den vom Höfischen Erzähler verfassten Partien begegnen zahlreiche geprägte Begriffe und Wendungen, durch die Bezüge von 1Sam 25 zum näheren und weiteren Kontext hergestellt werden. Besonders augenfällig sind sprachliche Berührungen mit den direkt benachbarten Kapiteln 1Sam 24 und 1Sam 26, wo David Saul ebenso verschont, wie er in 1Sam 25 Nabal verschont69. 25,21: mit Bösem anstelle von Gutem

vgl. 24,18

vergelten 25,22.26.29: Feind(e) Davids

69

vgl. 24,5; 26,8

25,26: So wahr Jhwh lebt und du selbst lebst

vgl. 26,10

25,26: nachstellen (b-q-š)

vgl. 24,3.10; 26,2

25,29: verfolgen (r-d-p)

vgl. 24,15; 26,18.20

25,33: sich mit eigener Hand helfen

vgl. 24,7.12.14; 26,9.18.23

25,38: Jhwh schlägt (n-g-p)

vgl. 26,10

Vgl. hierzu J.D. LEVENSON, 1 Samuel 25 as Literature and History, in: CBQ 40 (1978) 11–28, bes. 28; R.P. GORDON, David’s Rise and Saul’s Demise: Narrative Analogy in 1Samuel 24-26, in: TynB 31 (1980) 36–64, bes. 40–43; E. VAN WOLDE, A Leader Led by a Lady: David and Abigail in 1 Samuel 25, in: ZAW 114 (2002) 355–375, bes. 373; M. PEETZ, Abigajil, die Prophetin: Mit Klugheit und Schönheit für Gewaltverzicht. Eine exegetische Untersuchung zu 1Sam 25 (FzB 116), Würzburg, Echter, 2008, 211f.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Doch die Bezüge reichen innerhalb des Höfischen Erzählwerks noch viel weiter70: 25,17 (vgl. 25,25): bæn-belija‛al

vgl. 1Sam 1,16; 2,12; 10,27; 2Sam 20,1

25,22.26.29: Feind(e) Davids

vgl. 1Sam 18,29; 19,17

25,26: nachstellen (b-q-š)

vgl. 1Sam 20,16; 22,23; 23,10.14.15.25

25,29: schleudern (q-l-‛)

vgl. 1Sam 17,40.49.50

25,28: David beständiges Haus machen

vgl. 2Sam 7,11.16

25,28: Kriege Jhwhs führen

vgl. 1Sam 18,17

25,29: verfolgen (r-d-p)

vgl. 1Sam 23,25.28

25,30: Jhwhs Bevollmächtigter (nāgîd)

vgl. 1Sam 9,16; 10,1

25,31: umsonst Blut vergießen

vgl. 1Sam 19,5

25,38: Jhwh schlägt (n-k-h)

vgl. 2Sam 12,15

So wächst dem Abigajil-Kapitel eine bedeutsame Rolle innerhalb des Höfischen Erzählwerks zu71; Abigajil ist viel mehr als eine von vielen Gattinnen Davids, sie ist eine zentrale Deutungsfigur der gesamten Davidgeschichte. Batscheba Batscheba tritt innerhalb der Davidüberlieferungen zweimal in Erscheinung: zuerst in 2Sam 11–12, wo sie, die Gattin des Hetiters Urija, zu Davids Gemahlin wird und diesem einen ersten und, nachdem dieser früh verstorben ist, einen zweiten Sohn gebiert: Salomo; und in 1Kön 1–2, wo sie wesentlichen Anteil daran hat, dass Salomo David auf dem Thron folgen und sich auf diesem etablieren kann. Diese Texte gehören, ungeachtet der sich dazwischenschiebenden großen Textmasse 2Sam 13–24, literarisch zusammen; das zeigt sich daran, dass nur in ihnen die gleichen fünf Figuren David, Batscheba, Salomo, Natan und Joab (nebst einigen weiteren Personen auf der einen oder anderen Seite) zusammen auftreten. Nach meinem Dafürhalten gehörten die Grundbestände der genannten Kapitel einmal zu einer „Batscheba-Salomo-Novelle“, die in drei Akten davon erzählte, wie Salomo (1) zur Welt kam (2Sam *11f.), wie er (2) auf den Thron gelangte (1Kön *1) und wie er (3) mit seinen Gegnern aufräumte (1Kön *2)72. Die Darstellung ist für die beteiligten Personen wenig schmeichelhaft: David schwängert die Frau eines Offiziers und lässt diesen, als er ihm die Vaterschaft nicht unterschieben kann, umbringen; er ehelicht die Witwe, das Kind aus dem Ehebruch ist Salomo. Später dann wird ausgerechnet dieser Salomo, der Zehnte 70

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Zum Folgenden vgl. D. BOSWORTH, The Story within a Story in Biblical Hebrew Narrative (CBQ MS 45), Washington, DC, The Catholic Biblical Association of America, 2008, 78f. Darum sieht BOSWORTH , ebd., 70–117 in dem Kapitel ein „mise-en-abyme“, eine „story within a story“ (nämlich der von 1Sam 13 bis 2Sam 5 reichenden „Story of David and the House of Saul“); alle wichtigen Elemente dieses großen Textkomplexes seien in 1Sam 25 in nuce abgebildet. Vgl. DIETRICH, Frühe Königszeit (n. 5), 253–257.

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in der Reihe der Davidsöhne, in einem putschartigen Vorgang von einer Palastclique auf den Thron gehoben; eine breit abgestützte Gegenpartei um den ältesten noch lebenden Davidsohn, Adonija, wird überrundet und durch gezielte Tötung ihrer Führungspersonen mundtot gemacht. Diese Erzählung dürfte nah an den Ereignissen – wohl in der Salomozeit – entstanden sein73. Ohne ausdrückliche Wertung durch den Verfasser wird das Geschehen doch unverkennbar in ein negatives Licht gerückt: Wie Salomo zur Welt und an die Macht kam, ist absolut skandalös. Es ehrt den Höfischen Erzähler, dass er diesen gegen die Anfänge der Daviddynastie überaus kritischen Text nicht beiseitegelassen, sondern in sein Werk aufgenommen hat. Freilich hat er ihn gründlich überarbeitet und dafür gesorgt, dass dem Gerechtigkeitsempfinden der Leserschaft mehr Genüge getan wird, als es in der Vorlage – in wohl durchaus provokativer Absicht – der Fall war. Die entscheidende Weiche stellt er mit dem jetzigen Abschlusssatz von 2Sam 11: „Und es war böse in den Augen Jhwhs, was David getan hatte“ (2Sam 11,27b)74. Gott wird in diese Skandalgeschichte eingeführt, damit klar werde, dass auch ein David nicht alles tun durfte, was ihm beliebte. Gott entsendet den aus der Batscheba-Salomo-Novelle, aber auch schon aus 2Sam 7 bekannten75 Propheten Natan – wodurch dieser eine neue, dezidiert david- bzw. königskritische Seite bekommt76 (und auch der Höfische Erzähler eine solche zeigt). Natan erzählt David die bekannte Parabel vom reichen Mann, der dem armen sein einziges Schäfchen wegnimmt (2Sam 12,1-4) – vielleicht ein geprägter Stoff, der dem Höfischen Erzähler aus unbekannter Quelle zugeflossen sein mag. David reagiert wie gewünscht (12,5f.), d.h., er ist im Grunde doch ein moralischer Mensch. Natan spricht sein berühmtes „Du bist der Mann!“ und hält eine 73

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Dies gegen die etwa von S.L. MCKENZIE (King David. A Biography, New York, Oxford University Press, 2000, 34–35.156–161) geäußerte Vermutung, die Batscheba-Salomo-Geschichten bildeten jüngere Nachträge innerhalb der Davidgeschichte. Für J. VAN SETERS (The Biblical Saga of King David, Winona Lake IN, Eisenbrauns, 2009, 290–301) sind diese Erzählungen nicht sekundär gegenüber ihrem umgebenden Kontext, sondern bilden das stärkste Argument dafür, dass der gesamte Textblock 2Sam 2 – 1Kön 2 nach-dtr geschaffen und sekundär ins dtr Geschichtswerk eingestellt worden sei. Die Formulierung erinnert an die bekannte Formel aus den Rahmungen des dtr Geschichtswerks „Und sie taten/er tat das Böse in den Augen Jhwhs“ (z.B. Ri 2,11; 3,7; 1Kön 14,22; 15,26); der entscheidende Unterschied ist, dass es dort jeweils um kultische Verfehlungen, genauer: um die Missachtung des ersten Gebots, geht, hier dagegen um ein zwischenmenschliches Vergehen, konkret: um einen Verstoß gegen das fünfte und das sechste Gebot. Ein – relativ schmaler – Grundbestand dieses Kapitels, namentlich um den Kern der Weissagung 2Sam 7,11–16, gehörte schon zum Höfischen Erzählwerk; die dtr Redaktion hat dies dann erheblich ausgeweitet. Doch das ist hier nicht Gegenstand der Untersuchung. Entgegen W. OSWALD (Nathan der Prophet. Eine Untersuchung zu 2Samuel 7 und 12 und 1Könige 1 [AThANT 94], Zürich, Theologischer Verlag, 2008) denke ich nicht, dass die ‚höfische’ und die ‚kritische’ Seite Natans der gleichen, erst im 7. oder 6. Jh. anzusiedelnden literarischen Stufe angehören.

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I. Exegetische Spezialuntersuchungen

Gerichtsrede (*12,7-12)77, in der er David faktisch die öffentliche Übernahme seines Harems durch Abschalom ankündigt78: ein feiner Vorverweis des Höfischen Erzählers auf später zu Erzählendes. Als nunmehr der König seine Schuld bekennt, wird das von ihm selbst gefällte Todesurteil auf das im Ehebruch gezeugte Kind verschoben (12,13-15a). Wenn der Höfische Erzähler damit rechnet, dass sich ein Prophet so scharf gegen einen König wenden kann, dann kennt er vermutlich bereits die israelitische und judäische Unheils- bzw. Oppositionsprophetie und hegt für diese eine deutliche Sympathie. Wieder wird deutlich: Er ist kein Hofpropagandist, sondern ein u.a. von der Prophetie beeinflusster, nachdenklich-kritischer Betrachter des Geschehens bei Hofe. Fehltritte von Königen (auch eines David!) deklariert er unverblümt als solche, anders: Er macht deutlich, dass Könige in Israel und Juda sich nicht als Despoten zu gerieren haben – eine Position, die ja auch in der von ihm bearbeiteten Nabal-Abigajil-Geschichte zum Ausdruck kommt. Die Geschichte von dem sterbenden Kind, um dessen Überleben David ringt, durch dessen schließlichen Tod er sich aber nicht überwältigen lässt (2Sam 15b23), dürfte Traditionsgut aus unbekannter Quelle sein; sie zeigt nichts von der sonstigen Sprach- und Denkwelt des Höfischen Erzählers, doch erschien sie ihm offenbar als nachdenkenswert. Den Satz von der Zeugung und Geburt eines weiteren Batscheba-Sohns (12,24) hingegen formulierte er wohl selbst79. Mit der Nachricht, dass das Kind Natan übergeben wurde (12,25), lenkt der Höfische Erzähler zur alten Salomo-Batscheba-Novelle zurück. Die Textcollage in 2Sam 11–12 und die eigenen Bemerkungen des Höfischen Erzählers bringen sehr Grundsätzliches über seine Haltung zum Königtum und zur Daviddynastie zum Ausdruck. Sein Vorgehen in 1Kön 1–2 ist hier nur noch summarisch anzuzeigen. Dafür kann auf die Analyse Timo Veijolas80 zurückgegriffen werden, auch wenn dieser die redaktionellen Anteile zu pauschal als dtr eingestuft hat. M.E. stammen vom Höfischen Erzähler folgende Passagen:

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Die Rede ist in 2Sam 12,7b.8aβγ.*9aαb.10abα von einem prophetisch gesinnten Deuteronomisten noch erweitert worden. Hierin halte ich an meiner früheren Analyse fest (DIETRICH, Prophetie und Geschichte [n. 5], 127-133), während ich nicht mehr glaube, die ganze Natan-Szene sei erst dtr hinzugefügt worden; damals kannte ich den Höfischen Erzähler noch nicht! Vgl. 2Sam 16,21f. Die Zuweisung dieser Episode an den Höfischen Erzähler ist begründet bei W. DIETRICH, Davids Fünfte Kolonne beim Abschalom-Aufstand in DIETRICH, Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk (n. 5), 227–253, bes. 234–238. Man erinnere sich an HEYMs – hellsichtige! – Bemerkung, den Satz von der Liebe Gottes zu Salomo habe Ethan (also der Redaktor!) beigefügt, „um gut Maß zu geben“ (s. oben Abschnitt I.4). T. VEIJOLA, Die ewige Dynastie. David und die Entstehung seiner Dynastie nach der deuteronomistischen Darstellung (AASFB 193), Helsinki, Suomalainen Tiedeakatemia, 1975, 16– 23.

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1Kön 1,*30.35-37.46-48; 2,5-9.24.26b.27.31b-33.37b.*42a.*43a.44f.81 Im Wesentlichen sind dies entweder prodynastische Äußerungen von Erzählfiguren, welche die ursprünglich finstere Darstellung der Vorgänge etwas aufhellen, oder Begründungen für die von Salomo angeordneten Säuberungsmaßnahmen, die dadurch etwas weniger willkürlich erscheinen als in der Batscheba-SalomoNovelle. Dass er diese eminent königskritische Quelle in sein Werk aufgenommen hat, macht den Höfischen Erzähler über den Verdacht erhaben, er sei schlicht ein Hofpropagandist. Nein, er ist ein überaus nachdenklicher und differenzierter Geschichtsschreiber.

c)

Ein Hauptmerkmal des „Höfischen Erzählwerks“: Ambiguität

An der Darstellung der drei Frauengestalten Michal, Abigajil und Batscheba wurde deutlich, wie der Höfische Erzähler verschiedene, in ihrer Tendenz teilweise konträre Überlieferungen in Beziehung zueinander und sich in Beziehung zu ihnen setzt. Schon von da her kann sein Werk nicht einlinig ausfallen; es ist multiperspektivisch, oft mehrdeutig, enthält Lücken oder Doppelungen und fordert die Leserin, den Ausleger zu eigener Beteiligung und Deutung heraus. Ich bringe ein paar Beispiele. Wer oder was ist Samuel: ein Priester, Prophet, Volkstribun, Richter, Königsmacher, Königskritiker – oder all das zugleich82? Was ist Saul: ein tapferer Krieger und erfolgreicher Herrscher oder ein von seiner Aufgabe überforderter Mann, der dann zögert, wenn er entscheiden müsste, und dann entscheidet, wenn er zögern sollte; ein sympathischer Mensch mit depressiven Zügen und tragischem Schicksal oder ein selbst- und eifersüchtiger Despot83? Der Höfische Erzähler scheint nicht geneigt, klar konturierte, widerspruchsfreie Charakter- und Historienbilder zu präsentieren. Gleiches gilt für David. Irritierend ist bereits, dass er in dreierlei Gestalt die Erzählbühne betritt: als gotterwählter, gesalbter Jüngling, als Musiktherapeut Sauls und als Goliatsieger (1Sam 16–17). Er wird alsbald von allen geliebt, auch von Saul – oder liebt etwa er Saul (1Sam 16,2184)? Sein Freund Jonatan lässt ihn schwören „bei seiner Liebe zu ihm“ (1Sam 20,17) – wer liebt da wen85? Welcher Art überhaupt war die Liebe der beiden: homoerotisch, homosexuell oder keines von beidem? Und hielt David Jonatans Liebe zu ihm oder seine Liebe zu Jonatan

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Die von VEIJOLA ebenfalls hierher gerechneten Verse 1Kön 2,1f. 4aαb dürften tatsächlich dtr sein. Vgl. W. DIETRICH, Samuel – ein Prophet?, in: W. DIETRICH, Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk (n. 5), 115–130. Vgl. W. DIETRICH, König Saul – eine ambivalente Gestalt, in W. DIETRICH, Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk (n. 5), 131–139. Das Subjekt und das Prädikat des Liebens sind nicht klar bestimmt. Das Suffix in „bei seiner Liebe“ kann einen Genitivus subjectivus oder objectivus anzeigen.

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für „köstlich“, köstlicher gar als „die Liebe der Frauen“ – oder für köstlicher als „die Liebe zu den Frauen“ (2Sam 1,26)? Die Uneindeutigkeiten nehmen im Fortgang der Davidgeschichte nicht ab. War er gegenüber Michal edelmütig und sie ihm gegenüber herablassend – oder war es umgekehrt? Schützte er mit seiner Freibeutertruppe die Viehzüchter und Bauern – oder empfand ihn Nabal mit Recht als Schmarotzer und unterwarf sich Abigajil nur einem mafiosen Erpresser? Hat David Batscheba gegen ihren Willen genommen – oder hat sie ihn verführt? Hat er, als er Tamar in Amnons Haus schickte, die Gefahr geahnt oder nicht, und hat er Abschalom für den Mord an Amnon zur Rechenschaft ziehen oder sich möglichst rasch mit ihm versöhnen wollen86? Hat er seinen Feldherrn Joab ob dessen Eigenmächtigkeit gefürchtet und gehasst – oder ihn ob seiner Ergebenheit geschätzt und geschont? Hat er verstanden und geduldet, dass Abschalom und Adonija nach der Macht griffen – oder hat er sie kaltblütig in die Falle ihres Ehrgeizes laufen lassen? Hat er tatsächlich Batscheba geschworen, Salomo solle sein Nachfolger werden, und dankte er zu dessen Gunsten ab – oder wurde er einfach zur Seite geschoben? Vor einigen Jahren hat die Germanistin und Kunsthistorikerin Pia Eckstein ein m.E. kluges Buch geschrieben, in dem sie – einfach anhand des Luthertextes – als herausragendes Merkmal der Davidgeschichten die Ambiguität herausarbeitet87. Das empfindet sie als „unglaublich modern“88. In der Erzählwelt der Samuelbücher könne „nichts mehr als absolut betrachtet werden“; „die Ambiguität ist unauflösbar und dominant. Wir erfahren eine Erzählung von vollkommener Unfaßbarkeit, unangreifbarer Unsicherheit“89. Unterhalb der Handlungsebene lasse der Erzähler eine zweite, oft konträr verlaufende Aussageebene mitlaufen; „es scheint fast, als wolle er den Leser mit der provozierenden, unauflösbaren Ambiguität narren und verwirren“90. Eckstein fragt sich nach der Intention, aus der ein solches Werk geschrieben sein mag. „Konnte man die Glorie der geschichtlichen Figur David noch nicht zerstören und versuchte dennoch, ansatzweise und versteckt, Kritik in seiner ihn verherrlichenden Geschichte unterzubringen? Oder hatte umgekehrt der Glanz Davids bereits zu viele matte Stellen, und die Erzählung seiner Geschichte war ein Versuch, seinen einst so ruhmreichen Nimbus zu erhalten?“91 Ich möchte diese Frage aufnehmen und umformulieren: Wollte der Höfische 86

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Vgl. W. Dietrich, David, Amnon und Abschalom (2Sam 13). Literarische, textliche und historische Erwägungen zu den ambivalenten Beziehungen eines Vaters zu seinen Söhnen, in: W. DIETRICH, Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk (n. 5), 191–206. P. ECKSTEIN, König David. Eine strukturelle Analyse des Textes aus der Hebräischen Bibel und seine Wiederaufnahme im Roman des 20. Jahrhunderts, Bielefeld, Aisthesis, 2000, 171–197. Ebd., 181. Ebd., 177. Ebd., 185. Ebd., 195.

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Erzähler mit seinem Werk ein David-Denkmal errichten mit der Aufschrift „Ecce rex“ – oder wollte er den sagenumwobenen Reichsgründer gleichsam vom Sockel holen und ihm ein Schild anheften „Ecce homo“? Vermutlich hat die Antwort ambivalent auszufallen. Er wollte beides: David glorifizieren und entmythisieren – das eine etwa mit Blick auf nordisraelitische Leser, deren Heimat von den Assyrern überrannt worden war und die argwöhnten, dies sei nicht ohne Zutun des davidischen Südens geschehen; das andere mit Blick auf judäische Leser, die angesichts der assyrischen Bedrohung und erst recht nach der überraschenden Rettung Jerusalems vor Sanherib zu davidisch-zionistischem Übermut neigten. Das bedeutet: Der ambivalenten historischen Situation Judas (und Nordisraels) im ausgehenden 8. und beginnenden 7. Jahrhundert entspricht literarisch die ambivalente Darstellung der frühen Königszeit im Höfischen Erzählwerk.

d) Das „Höfische Erzählwerk“: Geschichtsschreibung oder Roman? Der Hauptgegenstand von Pia Ecksteins erwähntem Buch sind die zahlreichen David-Romane des 20. Jahrhunderts. Sie durchmustert sie unter der Fragestellung, ob sie ihrer biblischen Vorlage und insbesondere deren Ambiguität gerecht werden – oder ob sie „sich den überkommenen Konventionen der realistischen Literaturvorstellungen beugen“. Tun sie Letzteres, dann „reduzieren sie … die rezipierte Textaussage auf ein Minimum, löschen die konstituierenden Elemente des Bibeltextes aus und zerstören diesen letzten Endes“92. Mit anderen Worten: Wer über David schreibt und die Mehrdeutigkeit und Widersprüchlichkeit des biblischen Davidbildes wegretuschiert, bleibt unter Niveau. (Ich kann mir die Bemerkung nicht versagen: Exegeten, welche die Daviderzählungen als bloße „apology“ lesen93 und in David lediglich einen „serial killer“ sehen94, drohen ebenfalls unter Niveau zu bleiben.) Da kehrt das eingangs zitierte Kriterium Stefan Heyms für einen guten Geschichtsroman in abgewandelter Form wieder. Heym verlangte, dass der Romancier die „Stimmungen und Bedingungen“ der von ihm behandelten Zeit nicht verfälscht. Man kann von einem Literaten schwerlich verlangen, dass er 92 93

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ECKSTEIN, König David (n. 87), 205. P.K. MCCARTER, The Apology of David in JBL 99 (1980) 489–504; P.K. MCCARTER, “Plots, True or False”. The Succession Narrative as Court Apologetics in Interpretation 35 (1981) 355– 367; auch WEISER, Legitimation des Königs David (n. 39). HALPERN, David’s Secret Demons (n. 61), 73–94; auch S.L. MCKENZIE, David’s Enemies in W. DIETRICH / H. HERKOMMER (Hgg.), König David – biblische Schlüsselfigur (n. 5), 33–49, sowie ausführlich C.T.A. TUSHIMA, The Fate of Saul’s Progeny in the Reign of David, Cambridge, James Clarke, 2012.

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die „Stimmungen und Bedingungen“ der Frühen Königszeit in Israel zutreffend wiedergibt; das ist Aufgabe von Exegeten, Historikern und Archäologen (und sie ist noch für diese schwierig genug). Wohl aber sollte er, wenn er über die Davidzeit schreibt, die „Stimmungen“ seiner unvermeidlich wichtigsten Quelle, der Samuelbücher, zutreffend wiedergeben – und das heißt nicht zuletzt: deren Ambiguität. Gemessen an diesem Maßstab fallen nach Ecksteins Urteil fast alle modernen David-Darstellungen durch: nicht nur Abenteuergeschichten (vorwiegend aus Amerika), sondern auch ernsthafte literarische Werke95. Einzig Joseph Hellers „God knows“96 und Stefan Heyms „König David Bericht“ halten der Prüfung stand, weil einzig in ihnen das zerklüftete biblische Davidbild nicht geglättet und eingeebnet werde97 (ein Urteil, dem ich mich – wenn auch mit gewissen Reserven gegenüber dem Ersteren98 – gern anschließe). Am Schluss sei noch eine Frage gestellt: Ist das Höfische Erzählwerk, im Sinne der eingangs zitierten Unterscheidung Stefan Heyms, eher als „Geschichtsschreibung“ oder als „Geschichtsroman“ anzusprechen? Auch hier hat die Antwort wohl ambivalent auszufallen. Der Höfische Erzähler ist Historiker darin, dass er Quellen aufnimmt, auswertet und in relativ großer Breite wiedergibt. Er kommt sogar dem nach, was nach dem zu Beginn zitierten Text von Heym typische Historikerpflicht ist: Er hält sich so getreulich „an das ihm überlieferte Material“, dass „er zahllose Einzelheiten erwähn[t]“, auch wo diese „geeignet sind, die von ihm verfolgte Generallinie zu verwischen“. Im Höfischen Erzählwerk bleiben auch Nachrichten stehen, die David in extrem ungünstigem Licht zeigen (etwa der Ehebruch mit Batscheba und der Mord an Urija) – und umgekehrt solche, die ihn schier über Gebühr erheben (etwa die wiederholte Verschonung von Gegnern: Nabals genauso wie Sauls). In solchen Fällen greift der Höfische Erzähler freilich in seine Quellen interpretierend und korrigierend ein, bis sie sich in das von ihm angestrebten Doppelbild des „rex et homo“ fügen. Davids übler Machtmissbrauch gegen Batscheba und Urija wird von Natan kritisiert und von Gott geahndet. Und Davids hoher Edelmut gegen seine Feinde

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Darunter fallen so bekannte Namen wie Nelly Dix, Allan Massie, Hildegard Hories, Torgny Lindgren, Vincenz Zapletal und Martin Gaugler (vgl. ECKSTEIN, König David [n. 87], 205– 216). Vgl. J. HELLER, God knows, New York, Alfred A. Knopf, 1984; deutsche Übersetzung von G. Danehl: Weiß Gott, München, Goldmann, 1987. Die beiden Werke von GRETE WEIL (Der Brautpreis, Zürich/Frauenfeld, Kimche & Nagel, 2 1988) und von ARNULF ZITELMANN (Jonatan, Prinz von Israel. Roman aus der frühen Königszeit, Weinheim/Basel, Beltz, 1999) behandelt ECKSTEIN nicht; sie hätten m.E. eine Chance, ihren Kriterien zu genügen. HELLER porträtiert David doch recht einseitig als schwatzhaften, eitlen Greis, der seine Lebensgeschichte erzählt – mit einer auf dem Cover zitierten Zeitungsbesprechung zu reden: „brillant, rotzfrech und erfrischend“.

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wird dem Einfluss Abigajils zugeschrieben – und demjenigen Jhwhs, der nicht will, dass sein Erwählter „sich mit eigener Hand hilft“99. In solchen Fällen überschreitet der Höfische Erzähler eine Grenze, die dem Historiker (im modernen bzw. im Sinn Stefan Heyms) gezogen ist, indem er es wagt, „seinen Gestalten [hier: David] Worte, Gedanken und Taten an[zu]dichten, die sie vielleicht nie gesprochen, gedacht und unternommen haben“. Er ist eben nicht nur Historiker, sondern auch (aber gleichfalls nicht nur!) Literat und Theologe – freilich einer, der „die Stimmungen und Bedingungen“ der Davidszeit „kennt und so, wie sie waren, lebendig zu machen vermag“. So scheint mir der Höfische Erzähler beides in einem zu sein: Historiker und Romancier.

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Auf Jhwh beruft sich Abigajil ein ums andere Mal (1Sam 25,26.28.29.30.31), und auch David beugt sich vor ihm (25,32.34). Die Verschonung Sauls begründet er regelmäßig damit, dass man an den „Gesalbten Jhwhs“ nicht Hand anlegen darf (1Sam 24,7.11; 26,9.11.16.23) – alles vom Höfischen Erzähler formulierte Passagen. Zur Begründung für 1Sam 24 und 26 siehe W. DIETRICH, Die zweifache Verschonung Sauls (1Sam 24 und 1Sam 26). Zur „diachronen Synchronisierung“ zweier Erzählungen in W. DIETRICH, Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk (n. 5), 171–190.

Biblische Geschichtsschreibung und literarisches Kunstwerk: die Samuelbücher 1. Der Facettenreichtum der Samuelbücher Das Alte Testament ist das Grundbuch dreier Weltreligionen: der jüdischen, der christlichen und, mit gewissen Abstrichen, der islamischen. Das Alte Testament gehört aber auch zur großen Weltliteratur. Die Psalmen oder das Hiobbuch bieten unvergängliche Poesie, die Genesis oder die Samuelbücher unübertroffene Erzählkunst. Während die Genesis vorwiegend Mythen, Märchen und Sagen enthält, schildern die Samuelbücher einen Geschichtsabschnitt: die Zeit der Staatsbildung im alten Israel. Im Zentrum stehen die beiden ersten Könige, Saul und David. Doch bezeichnenderweise läuft ihnen eine dritte Hauptfigur voraus: Samuel, ein Gottesmann, der nach der biblischen Darstellung Israel hilft, den enorm folgenreichen Schritt vom formlosen Stämmebund zum zentral gelenkten Königtum zu gehen. Samuel soll beide gesalbt haben: Saul und David, obwohl sie eigentlich Konkurrenten waren. Doch dazu später. Außer von Samuel, Saul und David wird in den Samuelbüchern noch von vielen anderen erzählt: nicht nur von Königinnen und Prinzen und Prinzessinnen, sondern auch von Generälen, Offizieren und einfachen Soldaten, von Propheten, Priestern und normalen Gläubigen, von klugen Ratgebern und starken Frauen, von Höflingen und Mägden, von Bauern und Beduinen. Literarisch bieten die Samuelbücher sehr verschiedene Textformen. Es überwiegt die Erzählung, und zwar die typisch hebräische: scheinbar einfach, sparsam in den Stilmitteln, die Sätze meist verbunden durch schlichtes „und“, in der Regel nur zwei Charaktere auf der Erzählbühne, von denen nur Handlungen und Worte, kaum einmal innere Regungen mitgeteilt werden. Doch in der Einfachheit steckt Raffinesse. Die Sprache kann, vor allem in direkten Reden, sehr bildreich werden. Die Personen agieren aus oft undurchsichtigen Motiven; immer wieder stößt man auf uneindeutige Aussagen und Erzähllücken, die Mitdenken, Mitarbeit, eigenes Deuten verlangen. Manchmal stehen Einzelerzählungen ganz für sich; oft aber sind sie zu größeren oder sehr großen Erzählbögen verbunden. Daneben oder dazwischen gibt es auch andere Textarten: Listen, Anekdotenreihen, Sieges- und Trauerlieder, sogar regelrechte Psalmen. Insgesamt bilden die Samuelbücher ein großes Mosaik, das sich aus zahllosen verschiedenfarbigen ‚Steinchen’ zusammensetzt: hier eine Landschaftsschilderung, dort ein Abenteuer, hier ein Personenporträt, dort eine zusammenhängende Ereignisfolge, hier ein Gebet, dort eine Schlacht, hier eine Liebes-

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beziehung, dort ein übler Mord. Die Betrachterin (oder der Leser) kann in diesem literarischen Bild gleichsam umherlaufen, sich in Einzelheiten vertiefen oder längeren Erzählfäden folgen, sich bald freuen, bald erschrecken, Mitleid empfinden oder Abneigung, sich identifizieren oder abgrenzen – und sich immer wieder hineingezogen fühlen in ein Geschehen, das vergangen ist und doch erstaunlich gegenwärtig. Im Folgenden sollen zwei Gänge durch dieses Mosaik (oder ihm entlang) unternommen werden: einer, bei dem auf geschichtliche, und einer, bei dem auf literarische Dinge geachtet werden soll.

2. Die Samuelbücher als Historiographie Die Gestalt des Samuel bleibt nahezu vollständig im Nebel einer noch vorgeschichtlichen Zeit. Was man nicht bezweifeln muss, ist, dass es ihn gegeben hat. Anscheinend war er geistlich-rechtliches Oberhaupt in einer Region im mittelpalästinischen Bergland. Da dort auch Saul zuhause war, ist es durchaus möglich, dass Samuel bei dessen Einsetzung zum König die Hand im Spiel hatte. Über die Königwerdung Sauls gibt es drei Versionen. Einmal erscheint er als charismatischer Anführer in einem Kriegszug gegen die Ammoniter im Ostjordanland; nach dem überraschenden Sieg heben ihn die Stammeskrieger auf den Schild. Einmal rückt Samuel in den Vordergrund: Saul sei ihm von Gott über den Weg geschickt und von ihm gesalbt worden. Einmal wird Saul per Loswahl zum König: eine in alter Zeit gar nicht so seltene Methode, Führungsämter zu vergeben. Allen drei Erzählungen haften sagen- bzw. märchenhafte Züge an. Sie konvergieren darin, dass zentralpalästinische Stämme einen König wollten und dass die Wahl eher überraschend auf Saul fiel. Gewünscht war damals offenbar kein absoluter Herrscher, sondern ein primus inter pares. Nirgendwo steht, dass Saul Steuern erhoben hätte; nur ‚Geschenke’ brachte man ihm – wenn man wollte. Staatliche Infrastruktur: Fehlanzeige. Eine kleine Söldnertruppe durfte Saul sich aufbauen, die das Milizheer entlastete, sonst nichts. Israel wollte einen König vor allem für den Krieg – aber doch nicht nur. Im israelitischen Bergland hatten sich immer mehr Siedler niedergelassen, die sich in Sippen und Stämmen organisierten. Die zunehmende Bevölkerungsdichte machte Regeln des Umgangs und Verkehrs nötig. Eine Zentralinstanz – wenn auch eine schwache – war da sinnvoll. Dass man sich auf eine solche verständigte, ist Ausdruck gemeinsamer Interessen und politischer Willensbildung. Die Entstehung eines – wenn auch vorerst nicht sehr massiven – Machtfaktors im palästinischen Bergland sorgte für Beunruhigung in der Nachbarschaft. Von der Mittelmeerküste aus erhoben die Philister Vormachtansprüche

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in der gesamten Region. Sie waren als Pentapolis organisiert, als Bund von fünf Stadtstaaten. Die Herrenschicht dort war aus der Ägäis zugewandert, hatte sich aber an die Landeskultur weitgehend angepasst. Auch im Osten, jenseits des Jordan, entstanden Fürsten- oder Königtümer: Aram im Norden, dessen Einfluss bis in den Golan reichte, das schon erwähnte Ammon südlich davon, Moab und Edom noch weiter südlich. Die Philister kontrollierten die Via maris, die große Nord-Süd-Verkehrsverbindung entlang der Mittelmeerküste. Durch die ostjordanischen Fürstentümer verlief der „Königsweg“ vom Golf von Akaba nach Damaskus. Über diesen Pfründen wachten Israels Nachbarn, und das Aufkommen einer weiteren Macht zwischen ihnen beobachteten sie mit Argwohn. Sauls Königtum war also von außen bedroht und nach innen schwach. Es war zudem recht kleinräumig. Galiläa im Norden gehörte so wenig dazu wie Juda im Süden. Trotz aller Widrigkeiten spekulierte Saul auf eine Dynastiebildung, erhoffte also für sein kleines Reich eine lange Lebensdauer. Sie war ihm nicht beschieden. Laut der Bibel kam zu den schwierigen äußeren Umständen eine Veränderung in seiner Persönlichkeit: Ein ‚schlimmer Geist’ habe ihn befallen: wohl Ausdruck für eine psychische Erkrankung. Anscheinend wurde er zunehmend unberechenbar und gewalttätig. Gleichwohl blieb er ein tapferer und aufrechter Mann; zusammen mit den meisten seiner Söhne fiel er im Kampf gegen die Philister. Ein überlebender Sohn, Eschbaal, wollte ihn beerben, wurde aber bald ermordet. Die Mörder brachten sein Haupt zu – David (der sie freilich kurzerhand hinrichten ließ). Damit kommt die dritte, wichtigste Hauptfigur der Samuelbücher in den Blick. David war der achte Sohn eines Bauern in dem judäischen Dorf Betlehem. Seine Karriere nahm – das ist durchaus glaubhaft – ihren Beginn in der Söldnertruppe Sauls. Er soll weniger als Soldat als vielmehr als Musikant angeheuert worden sein, der jenen ‚schlimmen Geist’ vertreiben sollte, unter dem der König litt. Bald erwarb er sich auch kriegerischen Ruhm. Zwar tötete nicht er den Riesen Goliat; das tat, wenn, dann ein gewisser Elhanan, ebenfalls aus Betlehem. Doch schlug sich David auf andere Weise erfolgreich gegen die Philister. Um die Hand der Königstochter Michal zu gewinnen, soll er ein gruseliges Brautgeschenk abgeliefert haben: 200 Vorhäute – vermutlich wohl ganze Penisse – von erschlagenen Philistern (die als Leute griechischer Abkunft unbeschnitten waren). Die Frauen Israels jubelten, wenn die Truppen heimkehrten, angeblich ihm als dem Tüchtigsten, Saul nur als dem Zweittüchtigsten zu. Über kurz oder lang musste Saul in dem kometenhaft aufsteigenden Gefolgsmann den Rivalen erkennen. Dieser war alsbald gezwungen, sich aus dem Dienst des Königs zu lösen und eigene Wege zu gehen. Eine Zeitlang fristete David sein Dasein als Anführer einer Privatmiliz im unwegsamen Bergland Judas, bot dort, so wird erzählt, Viehzüchtern Schutz an und trieb dafür Naturalien ein, notfalls mit Gewalt. Irgendwann – vielleicht auch, weil Saul ihm nachstellte – hielt er es für angebracht, sich in den Dienst der Philister zu begeben (ausgerechnet der Philister!). Angeblich hat er als ihr Vasall

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niemals Israel geschadet, auch nicht in jener Schlacht, in der Saul fiel; doch das könnte schöngefärbt sein. Unter den Augen seiner Lehensgeber etablierte er sich als König von Juda in Hebron. Von dort aus attackierte er Israel. Als die SaulFamilie praktisch ausgelöscht war, trugen ihm die Israeliten die Herrschaft an. Als Gebieter einer Doppelmonarchie verlegte er seine Residenz zwischen beide Reichsteile, nach Jerusalem. Juda-Israel war eine veritable Mittelmacht (keine Großmacht; eine solche gab es damals weit und breit nicht). Mit den Philistern einigte sich David auf eine Koexistenz, die ostjordanischen Fürstentümer unterwarf er, die syrischen Aramäer schlug er aus dem Feld. Anders als Saul schuf David eine Regierungszentrale: mit Verwaltung, Religionsbeauftragten, Armeeführung, Sekretariat, Harem, Leibgarde und Bediensteten. Als Bauherr tat er sich nicht hervor. In neuester Zeit vermelden Archäologen, sie seien in Jerusalem auf Reste seines Palastes gestoßen, doch ist dies noch nicht gesichert. Den Jerusalemer Tempel erbaute erst sein Sohn Salomo. Davids Reich war kein durchorganisierter Zentralstaat, sondern ein Konglomerat aus Städten, Stämmen und Regionen, die in je eigener Beziehung zum König standen. David war eine Art politischer Jongleur, der gleichzeitig viele Bälle in der Luft zu halten versuchte. Gelegentlich fielen welche herunter. Neben Kriegen gegen Nachbarn gab es Aufstände im Innern, in der Hauptsache getragen vom israelitischen Norden, der nach mehr Selbstständigkeit strebte. Eine Rebellion führte sein zweitältester Sohn an, Abschalom; dieser hatte seinen älteren Bruder (den geborenen Thronfolger) Amnon zuvor umgebracht, angeblich, weil der seine Schwester vergewaltigt hatte. David selbst hatte eine Affäre mit einer Offiziersgattin, Batscheba, anscheinend einer Repräsentantin des Jerusalemer Stadtadels. Dass gerade ihr Sohn Salomo Davids Nachfolger wurde, bedeutet eine markante politische Akzentsetzung. Anscheinend konnte sich David von der Herrschaft nicht lösen, bis er altersschwach und senil war – und dann von einer Clique um Salomo zur Seite geschoben wurde. Gleichwohl starb er hochbetagt eines friedlichen Todes: etwas, das nicht allen Herrschern vergönnt ist.

3. Die Samuelbücher als Literatur Die Samuelbücher vermitteln dieses geschichtliche Bild nicht im Stil nüchterner, trockener Historiographie, sondern in der Manier großer literarischer Kunst. Wenn nicht alles täuscht, war dafür in der Hauptsache ein Autor verantwortlich, dessen Namen wir nicht kennen und der in beträchtlichem zeitlichem Abstand vom Geschehen gelebt zu haben scheint. Er verfügte aber über Quellen: Listen und Geschichten, locker gebundene Erzählkränze, ausformulierte Novel-

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len. Was ihn antrieb, ist nur zu ahnen. Außer Kunstsinn und geschichtlichem Interesse war es wohl vor allem ein einschneidendes politisches Ereignis. Die vereinigte Monarchie Juda-Israel war gegen Ende des 10. Jahrhunderts zerbrochen; während des 9. Jahrhunderts behaupteten sich die beiden Teilreiche schlecht und recht im levantinischen Kräftespiel (mit starken Vorteilen für Israel); im 8. Jahrhundert jedoch erstand im Zweistromland eine Großmacht, Assur, die rasant expandierte und schließlich das Königreich Israel von der Landkarte tilgte. Zehntausende Israeliten flohen nach Juda, das (wenn auch als assyrischer Vasall) weiter existierte. Warum dieses ungleiche Schicksal? Jener große Schriftsteller antwortet indirekt durch seine Darstellung der frühen Königszeit: Auch damals behielt der Judäer David über den Israeliten Saul die Oberhand – und es war letztlich gut so. Der Höfische Erzähler (wie er einmal genannt sei, weil er offenbar im Umkreis des judäischen Königshofes wirkte und über dessen Archive verfügte) malt nun kein schrilles Propagandabild: hier ein lichter David und ein leuchtendes Juda, dort ein finsterer Saul und ein sinistres Israel. Nein, das Königreich Israel war zuerst da, und sein erster König war eine imponierende, kraftvolle Gestalt. Er schuf aus Wenigem Großes, einte die Stämme, bot den Nachbarn in Ost und West die Stirn. Doch dann verlor er den Rückhalt bei Gott und den Menschen. Seine Persönlichkeitsstruktur zerfiel, er agierte zunehmend unglücklich. Er war kein Schurke, eher ein tragischer Held. Und David war eben ein glücklicher Held – freilich einer mit dunklen Seiten. 200 Philistervorhäute für eine Braut – entsetzlich. Vasall der Philister – kaum zu glauben. Die männlichen Mitglieder der Saulfamilie ausgerottet – alles ohne sein Zutun? Dann die Skandale in seiner Familie, die Bürgerkriege, die Entscheidungs- und die Altersschwäche. David war kein Übermensch, sondern ein Mann mit großen Stärken, aber auch mit erheblichen Schwächen. Gott jedoch hielt zu ihm. Warum? Weil er der Richtige war, um dem Volk dieses Gottes eine Zukunft zu geben. Der Höfische Erzähler lädt seine Leserschaft ein, sich auf diese Perspektive einzulassen. Seht, scheint er zu sagen, wir waren und wir bleiben ein Volk, damals dank David, und so auch heute! Fast noch beeindruckender als diese einladend-versöhnliche Intention ist die hohe literarische Kunst, mit der der Höfische Erzähler zu Werke ging. Aus lückenhaften und divergenten Quellen schuf er ein geschlossenes Bild. Die Geschehensfolge ist erstaunlich kohärent, eins greift ins andere. Auf wundersame Weise kommt Samuel zur Welt und dann an die Spitze der israelitischen Stämme. Mit Umsicht und Geschick überträgt er die politische und militärische Führung auf Saul. Dieser eint das Volk und erringt achtbare militärische Erfolge. Als sein Stern zu sinken beginnt, steigt rechtzeitig derjenige Davids auf, der auf wiederum wundersame Weise die Macht gewinnen kann, Juda und Israel zusammenführt, die äußeren Feinde abwehrt, die inneren Krisen meistert und am Ende Salomo ein intaktes Erbe übergibt.

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In diese Hauptlinien sind höchst kunstvoll zahlreiche Nebenlinien eingewoben. Ein Beispiel ist die heilige Lade, ein Kultgegenstand, in dem die Nordstämme Gott gegenwärtig glaubten. Dass sich die Philister ihrer bemächtigen konnten, führt zu Samuels und letztlich zu Sauls Aufstieg. Sie befreit sich aus eigener (vielmehr: mit Gottes) Kraft aus Philistäa, und David holt sie in feierlicher Prozession in seine Residenzstadt Jerusalem: eine kluge religionspolitische Geste an Nordisrael. Gelegentlich zieht sie noch mit in den Krieg, als Siegesgarant sozusagen; doch Salomo gibt ihr einen festen Platz in seinem Tempel. Oder ein ganz anderer, gleichfalls signifikanter Gegenstand: der Spieß Sauls, den dieser nie aus der Hand zu geben scheint und den ihm David doch entwenden kann, bis er am Schluss, auf ihn gelehnt, stirbt. Oder nehmen wir zwei Nebenfiguren: zunächst Michal, Sauls Tochter, die sich in David verliebt, seine erste Frau wird, ihn wegen des Hasses ihres Vaters verliert, später von ihm an seine Seite zurückgeholt wird, sich jedoch mit ihm überwirft und von ihm keine Kinder bekommt (die natürlich bevorzugte Erben der davidischen Doppelmonarchie – und so Salomo im Weg gewesen wären). Oder der General Joab, der Davids Aufstieg von Anfang an begleitete, wohl erst ermöglichte, ihm bedingungslos ergeben, gleichsam sein kriegerisches alter ego, erfolgreich im Kampf gegen Nordisrael, gegen Nachbarstaaten, gegen Aufständische im Innern, zunächst Förderer, dann Mörder des ehrgeizigen Prinzen Abschalom, von David relegiert, aber durch kaltblütigen Mord bald auf seinen Posten zurückgekehrt – bis er sich im Ringen um Davids Nachfolge auf die falsche Seite schlägt und auf Salomos Geheiß am Altar niedergestochen wird. Ein wichtiger Charakter in den Samuelbüchern ist – Gott. Er tritt nur ganz selten in Person auf die Erzählbühne; meist agiert er in den Kulissen. Mitunter – gerade in besonders trostlosen Situationen – ist er gar nicht mehr wahrzunehmen. Nicht immer ist zu verstehen, was er tut oder unterlässt. Warum können sich die Philister seiner Lade bemächtigen? Warum verwirft er Saul und favorisiert David? Warum lässt er Intrigen, Morde und Vergewaltigungen zu? Die göttliche Geschichtslenkung scheint zuweilen undurchschaubar. Letztlich aber meint Gott es gut mit Israel und hat Möglichkeiten, seinen Willen zu verwirklichen. Dabei wird er auch in Verirrungen, Abbrüche und Katastrophen verwickelt. Wäre er aber nicht in sie verwickelt, wären sie noch trost- und auswegloser. Dieses so gar nicht triumphale, gar nicht glatt aufgehende Gottesbild gibt den Samuelbüchern eine sehr eigene Note. Haben wir es also mit religiöser Literatur und gar nicht mit Geschichtsschreibung zu tun? Die Alternative ist falsch gestellt. Die Samuelbücher bieten, sorgfältig und kritisch gesichtet, sehr wohl verlässliche historische Informationen. Doch es handelt sich um eine Geschichtsschreibung eigener Art, die nicht immer und nicht nur das mitteilt, was wirklich war, sondern was wahr ist – und das auf eine schöne Art.

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II. Thematische Längsschnitte

Literaturhinweise Alter, R., The David Story, New York/London 1999 Dietrich, W./Edenburg, C./Hugo, P. (eds.), The Books of Samuel. Stories – History – Reception History, Leuven 2016 (BEThL 284) Finkelstein, I./Silberman, N. A., David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos, München 2006 Gilmour, R., Representing the Past. A Literary Analysis of Narrative Historiography in the Book of Samuel, Leiden/Boston 2011 (VT.S 143) Heym, S., Der König David Bericht, München 1972 Wolpe, D., David. The Divided Heart, New Haven/London 2014

Staatsbildung und frühes Königtum in Israel: Geschichte und biblische Geschichtsschreibung 1. Die biblische Geschichtsschreibung Von der Staatsbildung und dem frühen Königtum in Israel berichten nicht weniger als sechs der historischen Bücher des Alten Testaments. Damit ist dieses Thema in der biblischen Geschichtsschreibung außergewöhnlich breit vertreten. An den Texten lässt sich ablesen, dass Israel sich schwer tat mit dem Schritt von einer dezentralen, tribalen zu einer zentral gelenkten staatlichen Gesellschaft. Es gab Widerstände gegen ihn, es gab mehrere Anläufe und Ansätze zu seiner Verwirklichung, und es gab, nachdem er getan war, Versuche, ihn wieder rückgängig zu machen.1

a) Die Quellenlage Faktisch ist die Bibel die einzige Quelle zur Frühen Königszeit Israels. Dieser Umstand hat (hyper)kritische Exegeten und Historiker veranlasst, diese Geschichtsepoche zur puren Fiktion, zu einem bloßen Traum von einstiger Größe, zu erklären. Gerade der berühmteste der drei Gründerkönige Saul, David und Salomo sei eine mythische Gestalt.2 Doch wenn es für diesen Abschnitt der Geschichte Israels keine direkten außerbiblischen Zeugnisse gibt, kann das ganz andere Gründe haben als die Fiktionalität der Bibel. Namentlich zwei sind zu nennen: – Das Land Israel (und Juda) lag an einer geopolitisch und ökonomisch wenig prominenten Stelle der altorientalischen Welt: nicht an einem der beiden gewichtigen Enden des sog. Fruchtbaren Halbmonds, auch nicht an der für den internationalen Handel zentralen östlichen Mittelmeerküste, sondern im Binnenland der südlichen Levante: einer ökologisch wenig bevorzugten Region. Dieser gebirgige und niederschlagsarme Landstrich konnte keine großen Bevölkerungsmengen ernähren; in ihm ließ sich nur schwer ein Surplus erwirtschaften, das politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung ermöglichte.

1 2

An dieser Stelle folgte in der Erstpublikation eine Reverenz an Udo Rüterswörden. Davies, „House of David“; Neumann, Der historische David.

190 –

II. Thematische Längsschnitte Das Volk Israel war in der altorientalischen Völkerwelt ein Spätling. Eine Ethnie dieses Namens begegnet erstmals in der Merneptah-Stele (um 1200 v. Chr.). Die Bibel sieht Israel von außen ins Land eingewandert bzw. eingedrungen.3 In Wirklichkeit dürfte es sich während der frühen Eisenzeit (ca. 1200-1000 v. Chr.) aus den relativ dicht besiedelten Fluss- und Küstenebenen Kanaans herausgelöst und im fast unbesiedelten palästinischen Bergland niedergelassen haben. Arme Bergbauern aber entfalten keine hohe Kultur; Lese- und Schreibfähigkeit war sicher eine seltene Ausnahme. Das änderte sich zwar mit dem aufkommenden Königtum, jedoch nicht über Nacht.

So verwundert es eigentlich nicht, dass es neben der Bibel keine weiteren Quellen zur israelitischen Staatsgründung gibt. Die einzige (halbe) Ausnahme ist die in Tel Dan gefundene, aller Wahrscheinlichkeit nach durch den Aramäerkönig Hazaël (ca. 845-800) angefertigte Stele, in der dieser sich rühmt, einen König von Israel und einen von „Davidhaus“ getötet zu haben. Trotz Beschädigung des Textes an dieser Stelle lassen sich die beiden Königsnamen rekonstruieren: Joram (von Israel, 850-845) und Ahasja (von Juda, 845). Immerhin ist das ein relativ frühes Zeugnis für die Existenz zweier Staaten auf dem Boden Israel-Judas, von denen sich einer auf einen gewissen David zurückführte.4 Nach der Bibel ist der von Hazaël besiegte Israelit Joram das vierte Glied der Omri-Dynastie. Vor dieser soll es schon eine andere, die Jerobeam-Dynastie, mit wiederum vier Königen, gegeben haben. Rechnet man die dazu jeweils genannten Regierungszeiten zusammen, gelangt man mit der Frühen Königszeit ins 10. Jahrhundert. Wie stellt die biblische Geschichtsschreibung die Zeit der Staatsbildung in Israel dar?5

b) Die biblische Geschichtsschreibung über König Saul Die Samuelbücher beginnen bezeichnenderweise nicht mit dem ersten König, Saul, sondern mit einem Gottesmann: Samuel. Er soll es gewesen sein, der die Tür zur Staatlichkeit Israels aufstieß. Er tut das aus einer Position heraus, wie sie das Richterbuch in den Listen der „Kleinen Richter“ beschreibt.6 In der Grenz3 4

5

6

So namentlich das Josuabuch. Dass „Davidhaus“ hier nicht einen Staat, sondern eine Verwandtschaftsgruppe meine – dies die Grundthese von Leonard-Fleckman, The House of David –, hat wenig für sich. Ich beschränke mich im Folgenden auf die Samuel- und Königsbücher. Die Chronik bleibt beiseite, weil sie die fragliche Epoche zwar recht ausführlich (1Chr 10 – 2Chr 9), aber aus einer Distanz von einem Dreivierteljahrtausend und ganz auf der Basis von Sam-Kön beschreibt. Die Notiz 1Sam 7,15–17a dürfte ursprünglich Teil der Liste „Kleiner Richter“ gewesen sein, vgl. Dietrich, Samuel, BK 8.1, 311f.

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region zwischen den Stämmen Efraim und Benjamin zieht Samuel turnusmäßig von Ort zu Ort, um Recht zu sprechen: vermutlich in Angelegenheiten, welche die Dorfgemeinschaften nicht selbst „im Tor“ lösen konnten. Das ist historisch nicht implausibel. Wie Samuel in diese Stellung gelangte, wird aus den vorangehenden Erzählungen nicht ganz klar. Angeblich beerbte er das Priestergeschlecht der Eliden, das am Heiligtum von Schilo Dienst tat, aber zusammen mit der von ihm betreuten heiligen Lade Amt und Leben verlor (1Sam 2–4). Zuvor hatte seine Mutter Hanna den Knaben Samuel in Erfüllung eines Gelübdes der Obhut Elis unterstellt (1Sam 1). Die ihr in 1Sam 1,20 in den Mund gelegte Namensätiologie läuft über das hebräische Verb š’l, „erbitten“, das jedoch viel stärker an „Scha’ul“ anklingt als an „Schemu’el“. So wird im Antlitz von KleinSamuel bereits das des künftigen Königs Saul sichtbar, anders: Samuel ist zum Königsmacher geboren. Nachdem er zu einer Art Volkstribun aufgestiegen ist, verlangt „das Volk“ von ihm die Einsetzung eines Königs (1Sam 8). Samuel reagiert verstimmt, Gott ebenfalls. Doch dann weist er Samuel an, dem Volk zu gehorchen – nicht ohne es zuvor (in einer prächtigen Persiflage auf die „Rechte“ des Königs: 1Sam 8,11– 17) vor dem nimmersatten Wesen des Königtums zu warnen. Hier melden sich antimonarchische Stimmen zu Wort – gleich darauf aber auch promonarchische: Gott habe Saul dem Samuel zugeführt (1Sam 9,1 – 10,16), habe in einem Loswahlverfahren das Los auf ihn gelenkt (1Sam 10,17–27) und habe ihm zu einem überzeugenden Sieg über die aggressiven ostjordanischen Ammoniter verholfen (1Sam 11). Vor den Augen des Lesers ersteht so die Gestalt eines gotterwählten, hochgewachsenen (1Sam 9,2; 10,23), bescheidenen (1Sam 9,21; 10,21–22) und charismatischen (1Sam 11,6–7) Mannes, der die Stämmegemeinschaft zum Staatsvolk umformen sollte.7 In der Darstellung des Aufstiegs und der Herrschaft Sauls sind zwei Sammlungen volkstümlicher Geschichten verarbeitet: eine über ihn und Samuel, eine andere über ihn und David. Die erste, aus der wichtige Bestandteile schon aufgerufen wurden, schloss mit einem Summarium über Sauls Familie und die von ihm siegreich geführten Kriege (1Sam 14,47–52). Die zweite hatte schon zuvor begonnen mit der märchenhaften Geschichte von einem, der die Eselinnen seines Vaters suchte und die Königskrone fand (1Sam 9,1 – 10,16). Ihre Fortsetzung liegt in dem Bericht über die erste große Schlacht gegen die Philister (1Sam 13–14). Sie schilderte Saul ursprünglich als strahlenden Kriegshelden; jetzt wird er überstrahlt durch seinen ältesten Sohn, Jonatan. Da dieser später zum engsten Freund Davids wird, zeigt sich hierin eine antisaulisch-prodavidische Tendenz, die am deutlichsten in einem Einschub zum Vorschein kommt, demzufolge Samuel Saul aus vergleichsweise nichtigem Anlass verworfen haben soll (1Sam 13,7b–15). Eine zweite Verwerfung erfolgt im Zusammenhang eines 7

Vgl. zum Ganzen Hentschel, Saul. Die Wirkungsgeschichte der Saul-Gestalt steht in Ehrlich (ed.), Saul in Story and Tradition, im Vordergrund.

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II. Thematische Längsschnitte

Bannkrieg gegen die nomadischen Amalekiter, den Saul nicht rabiat genug geführt habe (1Sam 15).8 Die biblischen Erzähler bemühen sich sehr, auf Sauls Weste dunkle Flecken zu finden; dies gelingt nur halbwegs, der erste König Israels bleibt eine im Grunde tragische Figur.9

c)

Die biblische Geschichtsschreibung über König David

Sauls Niedergang ist mit Davids Aufstieg verknüpft. Anfangs fördert Saul ihn noch, wird sogar sein Schwiegervater, dann aber mehr und mehr sein Gegner und Verfolger, ohne ihm letztlich etwas anhaben zu können. Man hat den großen Textzusammenhang, der davon erzählt, lange für eine eigenständige „Aufstiegsgeschichte Davids“ gehalten.10 Von einer solchen gäbe es jedoch keinen klaren Anfang und keinen klaren Schluss. Der Beginn der Karriere Davids ist in diejenige Sauls verwoben, und Geschichten von Sauls Nachkommen ziehen sich bis ins erste Königsbuch durch.11 Statt einer „Aufstiegsgeschichte“ nimmt man besser verschiedene Erzählsammlungen an, die – vermutlich in erheblichem zeitlichem Abstand – von einem Großerzähler zusammengeführt und zum ersten Teil der biblischen Davidbiographie ausgestaltet wurden. In ihr sind im Wesentlichen zwei Erzählkränze verarbeitet: der schon erwähnte über David, Saul und die Sauliden, sowie ein anderer über die Abenteuer des jungen David: wie er zuerst Saul als Musiker und Waffenträger diente, sich dann als Freibeuter in der judäischen Wüste und als Vasall des Philisterfürsten von Gat durchschlug und schließlich König von Juda und Israel wurde. In beiden „Erzählkränzen“ ist das Verhältnis Davids zu Saul ein wichtiges Thema, in beiden liegt die Präferenz bei David, doch beide zeichnen ihn nicht als makellos gut und Saul nicht als bodenlos schlecht. Schon auf dieser frühen Stufe biblischer Historiographie zeigt sich eine bemerkenswerte Fähigkeit zur differenzierten Beschreibung von Charakteren und Ereignissen. Der zweite Teil der Davidbiographie galt lange Zeit als eine ursprünglich selbstständige „Thronfolgegeschichte“.12 Deren Schluss wäre zwar klar (1Kön 2), nicht aber ihr Anfang. Auch ist das Thema „Thronfolge“ keineswegs überall präsent. Wahrscheinlich sind in 2Sam 11 – 1Kön 2 zwei hochdramatische und literarisch hochstehende Novellen zusammengefügt. In der einen geht es um die Geburt und die Machtergreifung Salomos (*2Sam 11–12 + *1Kön 1–2), in der 8

9

10 11 12

Die erste Verwerfungsgeschichte stammt vom sog. Höfischen Erzähler (dazu s. unten), die zweite gehört noch weniger zum literarischen Urgestein, vgl. Dietrich, Samuel, BK 8.2, 35 bzw. 149–151. Vgl. Gunn, The Fate of King Saul. Shalom Brooks (Saul and the Monarchy) möchte ihn sogar zum Helden und David zum Antihelden stilisieren. Die gründlichste Untersuchung ist die von Grønbæk, Davids Aufstieg. 2Sam 9; 16,1–14; 19,17–31; 1Kön 1,8; 2,8f.36–46. So grundlegend Rost, Thronnachfolge Davids.

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anderen hauptsächlich um das Verhältnis zwischen David und Abschalom (*2Sam 13–20). Dieser Doppelnovelle ist in 2Sam 6–10 ein Mosaik kleinerer Quellenstücke vorangestellt.13 Der Autor, der diese Komposition und auch die andere über den jungen David geschaffen und beide zu einer Art Gesamtbiographie verbunden hat, war ein Historiograph von hohen Graden: ein quellenkundiger Historiker und behutsamer Redaktor, dazu ein begabter Literat und tiefgründiger Theologe. Ich nenne ihn den „Höfischen Erzähler“, weil er im Umfeld des Jerusalemer Königshofs gearbeitet haben muss (sonst hätte er kaum Zugriff auf so viele Quellen gehabt). Da ihm auch das Schicksal Sauls und der Nordstämme am Herzen liegt, dürfte er unter dem Eindruck des Untergangs des Nordreichs Israel (im Jahr 722 v. Chr.) und der massenhaften Flucht von Nordisraeliten nach Juda stehen. Er will seinen Zeitgenossen die Frühe Königszeit als Vorbild für ein zwar nicht konfliktfreies, aber doch gedeihliches Zusammenleben von Judäern und Israeliten vor Augen stellen. Der Höfische Erzähler hat nicht nur ältere Stoffe ausgewählt und angeordnet, sondern an vielen Stellen auch eigene Farben in das von ihm geschaffene Gesamtbild eingetragen. So stammt etwa die Geschichte von der Salbung Davids durch Samuel (1Sam 16,1–13) zur Gänze von ihm. Vor allem verdanken sich ihm viele Dialoge, die er den Erzählfiguren in den Mund legt (besonders in 1Sam 20; 24; 25; 26; 27; 2Sam 1; 14; 17; 18; 1Kön 2). Namentlich dieser Autor machte die Samuelbücher zu einem Stück großer Weltliteratur.14

d) Die biblische Geschichtsschreibung über König Salomo In die Darstellung Salomos in 1Kön 1–11 sind zwei Quellen eingeflossen: der Abschluss der David-Batscheba-Novelle in 1Kön 1–2 und ein in 1Kön 11,41 erwähntes „Buch der Salomogeschichten“. Die erste Quelle ist vergleichsweise alt und schildert mit genauer Sachkenntnis, wie Salomo das Königtum „fest in seine Hand“ bekam (1Kön 2,46). Der Erzählton ist fast sarkastisch, zumal wenn man gewisse abmildernde Zusätze (teils von deuteronomistischer, teils von der Hand des Höfischen Erzählers) in Abzug bringt.15 Ein völlig anderer Salomo betritt in 1Kön 3 die Bühne: ein demütiger, frommer – und vor allem: ein weiser Mann. Dies letztere Thema wird gleich in den Eingangserzählungen 1Kön 3,4–15 und 3,16–28 angeschlagen (wobei die erste als offensichtliche Legende und die zweite als Wandererzählung klar unhistorisch sind). Die dann noch folgenden Rühmungen der Klugheit und des Reichtums Salomos (*1Kön 5; 9–10) wollen offenbar ein hell strahlendes Bild dieses Königs 13

14 15

Beiseitegelassen ist hier der sog. „Anhang“ 2Sam 21–24, in dem ältere Informationen über David mit jüngeren Liedern kombiniert sind. Grundlegend: Dietrich, Frühe Königszeit, 259–273. Dazu die scharfsichtige Analyse Veijolas, Ewige Dynastie, 16–26.

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II. Thematische Längsschnitte

malen, der prädestiniert war für den Bau des Jerusalemer Tempels (1Kön *6–7). In eben dieser Absicht wird auch geschildert, wie er eine staatliche Verwaltung aufbaute, die ihm seinen Reichtum generieren half (1Kön 4). Damit mag ungefähr nachgezeichnet sein, was im „Buch der Salomogeschichte“ stand. In die Tempelbau-Perikope (1Kön *8; 9,1–6) sowie in das Schlusskapitel (1Kön 11) haben deuteronomistische (und z. T. noch jüngere) Ergänzer eingegriffen: die einen, um Salomos Herrscherglanz noch aufzupolieren, die anderen, um ihn wieder etwas zu relativieren.

2. Die geschichtlichen Vorgänge Die biblische Darstellung der Frühen Königszeit ist weder purer Faktenbericht noch reine Fiktion, sondern ein Mittelding dazwischen. Die verschiedenen Autoren waren sehr wohl an der Geschichte interessiert, jedoch nicht dem (modern-westlichen) Ideal historischer Objektivität verpflichtet.16 Um ein möglichst korrektes Bild des Faktischen zu gewinnen, gilt es das Fiktive so sorgfältig wie möglich beiseite zu stellen.

a) Bedingungen der Staatsbildung Lange Zeit galt es als ausgemacht (und die Bibel schien es zu bestätigen), dass es zur Staatsgründung in Israel hauptsächlich aufgrund des Drucks kam, den die ostwärts expandierenden Philister auf die israelitischen Stämme ausübten.17 Diese Sicht ist zu einseitig. Komplexe Vorgänge erfordern meist multikausale statt monokausaler Erklärungen. So ist als Erstes zu bedenken, dass die Monarchie in der Levante – etwa in den Stadtkönigtümern Kanaans oder Phöniziens – als politische Organisationsform längst etabliert war und also den Israeliten als Modell vor Augen stand. Kaum zufällig bildeten sich im 10. (und 9.) Jahrhundert Territorialstaaten nicht nur in Israel und Juda, sondern auch in Syrien und im Ostjordanland. Offenbar war die Zeit dafür reif. Ein akephales Stämmesystem mochte zunächst als Alternative zum gängigen Königtum attraktiv erscheinen. Bei einer dezentralen Siedlungsstruktur in einem weitläufigen, aber kleinkämmerigen Bergland bot es sich auch an. Als aber die Besiedlungsdichte stieg – laut archäologischen Befunden nahmen die Dorfgründungen im palästinischen Bergland im 12. und 11. Jahrhundert geradezu lawinenartig zu –,18 als die bewohnten und kultivierten Flächen sich zunehmend berührten, als sich immer mehr 16 17 18

Vgl. Gilmour, Representing the Past. Alt, Staatenbildung. Finkelstein, Israelite Settlement.

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Handels- (und Heirats-!)Kontakte über Dorf- und Sippengrenzen hinweg ergaben, als sich die Gesellschaft sozial differenzierte (die einen Dörfer blieben ärmlich, andere blühten auf, aus manchen Klein- wurden Großbauern, neben kleinen Hirten gab es reiche Herdenbesitzer), als die anfänglich nur auf Selbstversorgung ausgerichtete Wirtschaft zunehmend arbeitsteilig wurde (Großviehhaltung neben Kleinviehzucht, Wein- und Oliven- neben Ackerbau, Handwerker neben Bauern), als weiträumige Handelsbeziehungen und damit verbunden ein überörtliches Wegenetz entstanden: da verlangte all dies nach übergeordneten Regelungen und überregionalen Organisationsformen. Kam es dazu tatsächlich, dann musste das wiederum die Nachbarn (etwa die Philister oder die Ostjordanier) beunruhigen und zu präventiven oder invasiven Gegenmaßnahmen veranlassen, was im Gegenzug die Stämme im Bergland auch militärisch zusammenschweißte. So griff eins ins andere. Am Ende stand folgerichtig der israelitische (und judäische) Territorialstaat. In den älteren biblischen Quellen lässt sich diese Entwicklung noch recht gut nachverfolgen. Vorstufen politischer und militärischer Einigung deuten sich in den Rettererzählungen und Richterlisten des Richterbuchs an. Der „Richter“ Samuel agierte über die Stammesgrenze zwischen Efraim und Benjamin hinweg und errang angeblich sogar einen Sieg über die Philister (1Sam 7). Wohl möglich, dass ein solcher Mann sein Ansehen und seinen Einfluss geltend machte bei der Einsetzung eines ersten Königs (1Sam 10; dass er auch den zweiten noch gesalbt hätte, wie in 1Sam 16,1–13 erzählt wird, ist dagegen völlig unwahrscheinlich). Recht plausibel wäre aber auch das andere: dass die Stammeskrieger nach gewonnener Schlacht ihren Anführer auf den Schild hoben (1Sam 11; hier ist die Figur Samuels sekundär eingeführt: 11,12–14). Sicher aufhellen lässt sich der erste Schritt in die Staatlichkeit nicht mehr.

b) Das Königtum Sauls König Saul, so unscharf seine Konturen im Einzelnen bleiben, ist keine mythische Gestalt. Hätte es ihn nicht gegeben, wäre er nicht erfunden worden. Denn erstens ist er in seiner merkwürdig ambivalenten Beziehung zu dem Gottesmann Samuel und in seinem schließlichen Scheitern kein mythisch verklärter Übermensch, und zweitens ist er als Vorgänger und Antipode des hochgerühmten David eher ein Ärgernis als ein Erfordernis. Das Königtum Sauls hielt sich noch eng an die Stammesstrukturen. Er war betontermaßen Benjaminit (1Sam 9,1; 10,20). Und er war Bauer; angeblich musste ihn der „Geist“ hinter dem Pflug weg an die Spitze der Heerschar holen (1Sam 11,5). Sein militärisches Führungspersonal rekrutierte er aus Benjamin (1Sam 22,7). In seiner Hierarchie nahmen Familienglieder die obersten Ränge ein (1Sam 20,25).

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Dieser „König“ war in eklatanter Weise abhängig von der Loyalität der Stämme. Staatliche Strukturen konnte oder wollte er nicht aufbauen. Es gibt keine Hinweise auf eine königliche Verwaltung oder einen staatlichen Erzwingungsapparat. Nirgendwo verlautet, Saul hätte die Stämme gegen ihren Willen zum Krieg aufbieten oder hätte ihnen Steuern abverlangen können; lediglich von „Gaben“ ist die Rede, die man ihm bringen (1Sam 10,3–4) – oder auch verweigern konnte (1Sam 10,27). Wenn es bei Sauls Einsetzung einen Königsvertrag gab (darauf deutet 1Sam 10,25), dann waren darin eher die Rechte der Untertanen als die des Königs festgehalten. Die ökonomische Lage Israels war, als Saul antrat, prekär. Die ohnehin ärmlichen Bergdörfer standen zusätzlich unter der Fuchtel der Philister, die sich offenbar aus dem Land holten, was sie wollten (1Sam 13,17–18; auch 23,1). Obendrein sicherten sie sich anscheinend ein Monopol auf die Herstellung und Wartung eiserner Landwirtschaftsgeräte; Waffenproduktion unterbanden sie völlig (1Sam 13,19–22). So konnte es im Kriegsfall geschehen, dass Sauls „Hebräer“ (eine Bezeichnung für gesellschaftliche underdogs, vgl. z. B. Gen 39,17; Ex 1,15; 2,6–7; 1Sam 14,11) massenhaft desertierten (1Sam 13,4–7). Anscheinend versuchte Saul, sich ökonomisch wie militärisch ein Stück Handlungsfreiheit zu verschaffen. Selbst aus einer wohlhabenden Bauernfamilie stammend, akkumulierte er zusätzlich Grund und Boden: sei es durch Urbarmachen neuen oder Akquisition verwaisten Landes oder durch Eroberungen (2Sam 21,2; 4,2–3). So entstand Krongut, aus dem er seinen bescheidenen Eigenaufwand decken und verdiente Krieger entlohnen konnte (vgl. 1Sam 21,8; 22,7; 2Sam 9,7.9). Zudem baute er sich neben dem Stämme-Heerbann eine jederzeit verfügbare und unbedingt loyale Söldnertruppe auf (1Sam 14,52). Wie lang Sauls Herrschaft dauerte, ist unklar. Die entsprechende Jahreszahl wurde ausgelassen oder war später nicht mehr bekannt (1Sam 13,1). Die Fülle der Erinnerungen an ihn deutet jedoch auf eine nicht allzu kurze Regentschaft. Freilich erreichte er nie die Kontrolle über ganz Israel und Juda. Sein Einflussbereich beschränkte sich auf das mittelpalästinische Bergland, mit einer Ausbuchtung ins transjordanische Gilead (vgl. 1Sam 11; 31,11–13; 2Sam 2,9). Über eine Residenz, die diesen Namen verdiente, verfügte er nicht. Die gelegentlich vertretene These, er habe Gibeon, eine immerhin ansehnliche Kanaanäerstadt, dazu erhoben, lässt sich nicht beweisen, auch nicht, dass das neuerdings entdeckte Festungsstädtchen Qeiyafa südwestlich von Jerusalem seine Gründung gewesen wäre.19 Saul residierte wohl zeitlebens in seinem Heimatort Gibea (= Tell el-Ful); dort fanden sich aber keine größeren architektonischen Strukturen, die sich als „Palast“ deuten ließen.20 Vielleicht hieße ein solcher Machthaber besser „Häuptling“ als „König“. Gleichwohl betrieb Saul die Bildung einer Dynastie. Allgemeinem Erbrecht 19 20

So aber Finkelstein/Silberman, Das vergessene Königreich, 67–73. Arnold, Gibeah.

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gemäß wäre sein Erstgeborener der geborene Nachfolger gewesen. Ob Jonatan wirklich der liebste Freund Davids war und zu dessen Gunsten auf sein Erbe verzichtete (so 1Sam 18,1–4; 20; 23,14–18), wird sich nie mehr ergründen lassen. Als Jonatan und einige seiner Brüder zusammen mit dem Vater gefallen waren (1Sam 31), übernahm ein anderer Saul-Sohn, Eschbaal, das Erbe, starb aber bald durch die Hand von Meuchelmördern, die glaubten, David damit einen Dienst zu erweisen (2Sam 2–4). So erlosch das saulidische Königtum rasch, während das davidische aufblühte.21

c)

Das Königtum Davids

David betritt die geschichtliche Bühne als krasser Außenseiter. Im Grunde war er nichts anderes als ein Usurpator. Geboren als jüngster Sohn eines Kleinbauern in Betlehem (Juda gehörte nicht zum Reich Sauls!), heuerte er als junger Mann in der Söldnertruppe Sauls an, fiel bald als besonders tüchtig auf, weckte aber auch das Misstrauen seines Herrn, zog sich vor dessen Anfeindungen in seine judäische Heimat zurück, schlug sich dort als Bandenführer durch (was im 10. Jahrhundert infolge dünner Besiedlung und mangelnder staatlicher Ordnung möglich war22), wechselte dann mitsamt seiner Miliz in den Dienst des Stadtfürsten von Gat (einer nur damals bedeutsamen Philisterstadt), erhielt das Städtchen Ziklag im Negev als Lehen, nutzte dieses als Basis für Raubzüge in die Umgebung und schließlich als Sprungbrett für eine Rückkehr nach Juda, genauer: nach Hebron, ließ sich dort zum König Judas ausrufen,23 destabilisierte als solcher nach Kräften das saulidische Israel, wurde, nachdem das dortige Königtum zerschlagen war, auch zum König Israels erhoben und machte zur Hauptstadt der solchermaßen entstandenen Doppelmonarchie das zwischen beiden Reichsteilen gelegene Jerusalem (so der historisch ‚harte Kern‘ des Berichts von 1Sam 16 bis 2Sam 5). David scheint sich von Anfang an in der Kunst des „networkings“ geübt zu haben. Schon im Dienst Sauls machte er sich beliebt nach allen Seiten. Als Milizenführer gewann er gesellschaftliche Randsiedler für sich (1Sam 22,1f) und formte aus ihnen eine Truppe, die für ihn durchs Feuer ging (vgl. 2Sam 21,15–22; 23,8–38). Als Stadtkommandant von Ziklag stellte er sich gut sowohl mit den Philistern (1Sam 27) als auch mit den Judäern (1Sam 30,26–30). Als König unterhielt und pflegte er ungemein vielfältige und vielgestaltige Beziehungen: 21

22 23

Die von Finkelstein/Silberman (Das vergessene Königreich, 73–75) aufgestellte Hypothese, der Totengräber des saulidischen Königtums sei der ägyptische Pharao Schoschenk I. gewesen und nicht David oder die Philister, basiert auf höchst gewagten Datierungen. Vgl. Finkelstein/Silberman, David und Salomo, 33–48. Die Hypothese, dies sei eine später nachgetragene, fiktive Stufe seines Aufstiegs (LeonardFleckman, House of David, 182–187), hat sowohl die Texte als auch die historische Wahrscheinlichkeit gegen sich.

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mit beiden Reichsteilen, mit einzelnen Städten und Stämmen, mit Sippen und Interessengruppen, mit Lokalfürsten und Nachbarkönigen, mit Heeresabteilungen und Armeeführern sowie mit diversen Gattinnen (samt ihren Herkunftsmilieus). Die Art seiner Herrschaft scheint nicht überall gleich gewesen zu sein. In Juda und Jerusalem konnte er relativ frei schalten und walten, mit Israel hatte er einen Vertrag zu schließen, der wohl einerseits das Recht des Königs auf die Erhebung von Abgaben und die Aushebung von Soldaten festschrieb, andererseits Rechte der Stämme auf Mitsprache und partielle Selbstverwaltung. Jerusalem scheint er nicht militärisch erobert, sondern ohne Blutvergießen übernommen zu haben (2Sam 5,6–9). Er installierte dort das Reich einende religiöse (2Sam 6) und politisch-militärische Institutionen (2Sam 8,16–18; 20,23–26). Was die Grenzen von Davids Reich betrifft, so drängte er die Nachbarn im Osten (Ammon, Moab, Edom) in eine Art Kolonialstatus, verwies die im Norden (Aram) in ihre Grenzen und ging mit denen im Westen (Philister, Phönizier) eine schiedlich-friedliche Koexistenz ein. Das Kernland reichte „von Dan bis Beerscheba“ (2Sam 3,10; 17,11; 24,15, auch 1Kön 5,5), d.h. vom Libanon bis in den Negev, und schloss dabei die von Saul noch nicht integrierten galiläischen Stämme sowie die Ebenen und Städte Kanaans ein. Damit war David Herr zwar keiner Groß-, aber doch einer Mittelmacht. So sehr sich David auf die Kunst des Ausgleichs verstand, so hart griff er durch, wenn er seine Interessen bedroht sah. Menschen, die seinem Ruf schadeten, wurden beseitigt (1Sam 27; 2Sam 1; 4; 11), Aufstände wurden rücksichtslos niedergeschlagen (2Sam 15–20). Doch mit den Zügen von Unzimperlichkeit und Skrupellosigkeit mischen sich solche von Zögerlichkeit und sogar Zartheit (z.B. 2Sam 3; 12; 13; 19): auch dies wohl kaum ohne Anhalt an der tatsächlichen Persönlichkeit Davids. Offenbar war er ein ungewöhnlich facettenreicher Charakter. Er blieb der Nachwelt nicht nur als Kämpfer und Gewinner in Erinnerung, sondern auch als Verfolgter und Bedrohter.24 Nicht von ungefähr wurden ihm aus der biblischen Literatur gerade Psalmen – und überwiegend Klagepsalmen – zugeschrieben. David erreichte offenbar ein hohes Alter. Ob er volle vier Jahrzehnte regierte (so 1Kön 2,11), sei dahingestellt. Jedenfalls umfasst die Spanne seines Lebens außerordentlich viel: einen hindernisreichen Aufstieg vom Bauernjungen zum König, den Aufbau eines komplizierten Staatswesens, zahllose Kämpfe und Kriege, die Schaffung einer vielköpfigen Familie (mit zahlreichen, nicht zuletzt unter diplomatischen Gesichtspunkten ausgewählten Frauen25 und mindestens sechzehn, z.T. schwierigen und überehrgeizigen Söhnen), schließlich das Altern und das mehr oder minder freiwillige Zurücktreten von der Macht. Das vielfache Auf und Ab in diesem Leben, die erstaunlichen Erfolge und tiefen Abstürze, die 24 25

Siehe Kipfer, Der bedrohte David. Vgl. Levenson/Halpern, Political Impact.

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Mischung von Glück und Tragik, die gewinnenden wie die abstoßenden Charakterzüge, die Liebe wie die Feindschaft der Zeitgenossen: all das ließ David zur Ikone nicht nur der jüdischen und der christlichen Literatur, sondern der Kunst in all ihren Spielarten werden.26

d) Das Königtum Salomos Salomo konnte noch unmittelbar aus dem schöpfen, was sein Vater geschaffen hatte. Ihm selbst werden nur wenige innovative und überhaupt keine expansiven Aktivitäten nachgesagt. Immerhin hat er in der Hauptstadt einen ansehnlichen Tempel und einen noch großzügigeren Palastkomplex erbaut (1Kön 6–7), vielleicht auch das eine oder andere kleinere Verwaltungszentrum eingerichtet, die Verwaltung der Doppelmonarchie weiter ausdifferenziert und in Nordisrael ein Provinzialsystem zur Abschöpfung von Wirtschaftsleistung und Arbeitskraft inauguriert (1Kön 4,1–19). Nicht unmöglich ist, dass er Israel-Juda tiefer in das Netz vorderorientalischer Handelsbeziehungen integriert und daraus zusätzliche Ressourcen für einen, im Vergleich zur Zeit Davids und erst recht Sauls, relativ üppigen Staatshaushalt gewonnen hat. Doch aufs Ganze gesehen wird Salomos Herrschaft viel weniger großartig und glanzvoll gewesen sein, als in der Bibel dargestellt. Israel blieb unter ihm, was es unter David geworden war: eine Mittelmacht, die freilich unter seiner Führung bereits Anzeichen schwindender Kohärenz im Innern und rückläufiger Dominanz nach außen erkennen lässt (1Kön 11). Dass Salomo der große Bauherr war, als der er vor allem in 1Kön 9,17–19 erscheint, meinte man lange Zeit archäologisch beweisen zu können, doch ist es inzwischen nicht mehr sicher. Dass er seine Bauten mit unerhörtem Luxus ausgestattet, jährlich Hekatomben von Tieren und Tonnen von Lebensmitteln zum Unterhalt seines Hofes gebraucht, einen vielhundertköpfigen Harem sein eigen genannt, Israel zum internationalen Handelszentrum gemacht, die gesamte Levante von Ägypten bis zum Eufrat beherrscht, Überseeflotten ausgerüstet und ausgesandt, und vor allem: dass er mehr Weisheit besessen habe als irgendjemand sonst – all das gehört ins Reich der Legende. Der Großteil des biblischen Berichts über Salomo will den Eindruck erwecken, dass Israel damals sein Goldenes Zeitalter erlebte. Was immerhin konzediert werden kann, ist, dass es ein friedliches Zeitalter war; man erfährt von keinem einzigen Krieg, den Salomo geführt hat. Mag er auch ein weniger großes politisches Genie als sein Vater gewesen sein, er verstand es doch, dessen Erbe zusammenzuhalten. Gleich nach dem Ende seiner (angeblich wiederum vierzigjährigen: 1Kön 11,42) Regierungszeit brach die Doppelmonarchie auseinander (vgl. 1Kön 12), und Israel und Juda gingen fortan getrennte Wege. 26

Einen Eindruck davon gibt Dietrich, David – der Herrscher mit der Harfe, 201–357.

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3. Konklusion Das biblische Bild der Staatsbildung und des frühen Königtums weist Lücken auf und ist nicht in allen Punkten historisch zutreffend. Aus heutiger Sicht fällt besonders auf, dass die Bibel nicht so sehr gesellschaftspolitische Aspekte in den Vordergrund rückt als vielmehr theologische. Wie stand Gott zur Monarchie? Die Antwort: Er schätzte sie nicht sonderlich, wollte aber weder seinem Volk ihre Vorzüge vorenthalten noch es vor ihren Nachteilen schützen. Und wie stand Gott zu den drei ersten Königen? Die Antwort: Er hatte bei der Einsetzung aller die Hand im Spiel, doch waren ihm nicht alle drei gleich nah. Saul war der Mann seiner Wahl, doch scheint es fast, als habe er sich in ihm geirrt und ihn bald fallen lassen. Zu David hielt er unbeirrbar, im Erfolg, aber auch in Misserfolgen und bei Missetaten. Salomo gegenüber war er anfänglich wohlwollend, ließ ihm vieles gelingen, wurde am Ende aber von ihm enttäuscht. In alledem gerät die biblische Darstellung nie zur platten Propaganda; sie bleibt differenziert, verliert nicht den Kontakt zur historischen Wirklichkeit. In der Tat wurden in der Frühen Königszeit die Grundlagen gelegt für das halbe Jahrtausend, in dem Israel-Juda staatliche Eigenständigkeit genoss (und darüber hinaus für die immer wieder aufkeimende Messiaserwartung). Aufs Ganze einer mehrtausendjährigen Geschichte gesehen, blieben Königtum und Eigenstaatlichkeit freilich nur eine Episode und eher eine Randerscheinung.

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Staatsbildung … Geschichte und biblische Geschichtsschreibung

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König David – Fakten und Fiktionen1 Die historischen Konturen des berühmtesten Königs der Bibel, David, sind in letzter Zeit recht undeutlich geworden. Es mehren sich die Zweifel, ob er ein großer und ein guter Herrscher war. Laut Bibel war er das eindeutig – aber vielleicht ist das ja fiktiv; manche Forscherstimmen votieren in die Richtung, dass er faktisch ein kleiner Provinzpotentat von fragwürdiger moralischer Qualität war. Ist das korrekt?

1. Zur Frage der historischen Zuverlässigkeit biblischer Tradition David gehört zu den Gestalten mit der höchsten Präsenz in der Bibel. Sein Leben wird ausführlich in den Samuel-, den Königs- und den Chronikbüchern beschrieben. Er und sein Haus werden in prophetischen Schriften zum Symbol der Zukunftshoffnung Israels (Stichwort: „Messias“). David soll rund die Hälfte der 150 Psalmen gedichtet haben. Im Neuen Testament erscheint David als Ahnherr Jesu, weswegen dieser häufig den Titel „Davidsohn“ trägt und seine Geburt im Geburtsort Davids, Betlehem, stattfinden muss. Durchmustert man diese vielen biblischen Bezeugungen Davids unter dem Aspekt „Fakt oder Fiktion?“, dann fällt für die Rubrik „Fakten“ von vornherein einiges außer Betracht. Das Neue Testament, aber auch schon die alttestamentlichen Chronik- und die Prophetenbücher sind in großem Abstand von der Zeit der ersten Könige Israels geschrieben. Die Psalmen hat man mit dem Namen „David“ geschmückt, um ihre Autorität zu erhöhen und ihre Aussagen zu veranschaulichen. Es verbleiben als relativ älteste Quelle die Samuel- (und Königs-)bücher. Relativ alt, sagte ich mit Bedacht. Denn auch hier hat man es nicht einfach mit Zeitzeugnissen zu tun. Die Frühe Königszeit Israels fällt auf das 10. Jahrhundert v. u. Z. Dorthin reichen möglicherweise einige Textelemente zurück. Im Wesentlichen aber entstanden die Samuel- und Königsbücher viel später; nicht einmal nach einem halben Jahrtausend hatten sie ihren jetzigen Textumfang erreicht. 1

Der folgende Text basiert auf einem Vortrag, der am 5. Juni 2015 im Rahmen des Deutschen Evangelischen Kirchentags Stuttgart zum Thema „David und Salomo – Fakten und Fiktionen“ gehalten wurde.

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Dazu muss man sich klarmachen, dass im Alten Testament weithin nicht Autoren-, sondern Traditionsliteratur vorliegt. So hat auch nicht ein einzelner Geschichtsschreiber die Zeit Davids und Salomos beschrieben; es waren viele, unbenennbar viele Köpfe und Hände daran beteiligt. Ganz am Anfang erzählte man sich einzelne Geschichten, sang man kleine Lieder, legte man die eine oder andere Liste in einem Archiv ab. Später haben Sammler solche mündlichen und schriftlichen Erinnerungen zusammengestellt. Schriftsteller gestalteten daraus größere literarische Zusammenhänge. So entstand nach und nach der große Erzählbogen von Samuel über Saul und David bis Salomo, d.h. von der noch königslosen Zeit bis zur Etablierung der Monarchie in Israel. Diese Großerzählung wurde noch einmal später von Redaktoren in den weiten Geschichtszusammenhang von der Landnahme bis zum Verlust des Landes eingesetzt, der eine Zeitspanne von sieben Jahrhunderten umgreift. Dieses Geschichtswerk diente wiederum den Verfassern der Chronik oder den Redaktoren des Psalters als historische Basis. Keine der an diesem Traditionsvorgang mitwirkenden Personen hinterließ in den Texten ihren Namen; alle traten zurück hinter das, was sie empfangen, bearbeitet und weitergegeben haben. Vielleicht ist es hilfreich, sich die Entstehung der Samuel- und Königsbücher vorzustellen wie einen Wasserlauf, eben einen Traditionsfluss oder -strom. In ihm bleibt das Quellwasser irgendwie präsent, doch Vieles verdunstet auch. Dafür strömt anderes hinzu: sei es aus anderer alter Quelle oder aus jüngeren Seitengewässern. Gelegentlich kommt es zu Wolkenbrüchen, die wieder neues Gut einschwemmen. Die Quelle, das sind Zeitzeugnisse aus der Zeit Davids. Nach dem Tod seines Nachfolgers Salomo teilte sich das von ihm geschaffene Reich. Die beiden Königtümer Israel und Juda suchten nach ihrer Position im Gefüge der Klein- und Mittelstaaten des Nahen Ostens, ehe sie unter den Einfluss von Großmächten gerieten und am Ende von diesen ausgelöscht wurden. Zehntausende mussten damals ins Exil. Von deren Nachkommen kehrten manche zurück, andere blieben in der Diaspora. Diese lange bewegte Geschichte spiegelt sich in den Samuel- und Königsbüchern, weil die vielen namenlosen Autoren nicht nur der jeweiligen Tradition, sondern immer auch ihrer Zeit verpflichtet waren. Was nun ist dabei herausgekommen: Fakten oder Fiktionen? Die Antwort auf diese Frage lässt sich nicht pauschal geben, es bedarf vielmehr einer sorgfältigen Prüfung von Text zu Text: Welcher stammt aus welcher Quelle, aus welcher Zeit, gehört zu welcher Textschicht er, hat welchen Verfasser? Die wissenschaftliche Exegese hat zur Klärung dieser Fragen ein sehr feines Instrumentarium entwickelt. Doch auch mit ihm lässt sich nicht jeder Tropfen im Traditionsstrom der Samuel- und Königsbücher genau auf seine Herkunft bestimmen. So ist es kein Wunder, dass die Ansichten über Faktizität und Fiktionalität in den Samuel- und Königsbüchern sehr weit auseinandertreten. Auf der einen Seite des Spektrums steht etwa ein britischer Bibelwissenschaftler namens Phil Davies mit dem markanten Votum, über König David wisse man so viel Sicheres

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wie über King Arthur – eigentlich nämlich nichts. Auf der entgegengesetzten Seite gibt es fundamentalistische oder biblizistische Positionen, wonach die Samuel- und Königs- und möglichst auch noch die anderen biblischen Bücher, in denen David vorkommt, für bare historische Münze genommen werden. Bei sorgfältigem Abwägen, das liegt auf der Hand, wird man zu Lösungen irgendwo dazwischen gelangen. Außer einer fein ausgebildeten exegetischen Methodologie hilft dabei auch die Archäologie – jedoch nur in Maßen. Denn ausgegrabene Mauerreste oder Brandspuren sprechen nicht von selbst, sondern bedürfen der Interpretation. Außerbiblische Schriftzeugnisse aus der Frühen Königszeit und auch über sie sind leider äußerst rar. Immerhin wurde in den 1990-er Jahren in Tel Dan (in Nordisrael) eine aramäische Stele aus dem 9. Jahrhundert gefunden, in der von einem „Haus Davids“ die Rede ist, d.h. von einer Dynastie, die sich auf einen Gründer David zurückführt. Das ist schon mehr und Sichereres, als über King Arthur je gefunden wurde. Es ist freilich nicht eben viel. Da sind die biblischen Zeugnisse ergiebiger, doch lassen sie sich eben nur schwer einigermaßen sicher einordnen. In zwei Durchgängen soll nunmehr versucht werden, Fakten und Fiktionen zu unterscheiden.

2. Düstere Fakten und ihre fiktionale Aufhellung Bei dem Bemühen, in den Samuel- und Königsbüchern historisch glaubhafte Nachrichten über David ausfindig zu machen, scheint mir ein Kriterium besonders erfolgversprechend zu sein: Man sucht nach Texten, die sich im jetzigen Zusammenhang sperrig ausnehmen, die sich nicht recht in die Hauptinteressen der späteren Traditionsbildung fügen; in ihnen hat man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit altes Traditionsgut vor sich. Was waren in der späteren und spätesten Zeit des Alten Testaments die Hauptinteressen bezüglich Davids? Nun, er sollte fromm, heldenhaft, moralisch vorbildlich und politisch großartig erscheinen. So ungefähr ist das Bild Davids in den jungen Chronikbüchern, und streckenweise ist es so auch in den Samuel- und Königsbüchern. Texte, die diesen Wunschbildern nicht entsprechen, sind mit einiger Wahrscheinlichkeit alt und bergen womöglich historische Fakten in sich. Erstaunlich ist bereits, dass es solche Texte überhaupt gibt. Offenbar wurden sie von den späteren Tradenten nicht einfach unterdrückt und verschwiegen, sondern der Nachwelt überliefert. Es sollte wohl kein glänzend-glattes Propagandabild von David fabriziert, es sollte auch das Menschlich-Allzumenschliche an ihm zum Ausdruck kommen. Damit er aber nun nicht gar zu finster erscheint, wurden die Schatten ein wenig aufgehellt. Dafür vier Beispiele.

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a) Davids Verhältnis zu Saul und seinem Haus Es ist nicht selbstverständlich und aus der Sicht der späteren prodavidischen Tradenten sogar störend, dass in der Bibel die Erinnerung an Davids Vorgänger auf dem Thron wachgehalten und ihm sogar ein in gewisser Weise ehrendes Andenken bewahrt wird. König Saul ist eine durchaus imposante und achtenswerte Gestalt: der Statur nach ein Hüne, dem Wesen nach zurückhaltend und bescheiden, politisch und militärisch anfangs sehr erfolgreich, dann freilich zunehmend von guten Geistern verlassen, unglücklich in seinen Entscheidungen, psychisch labil, unberechenbar und gefährlich. In der von Saul aufgebauten stehenden Truppe steigt ein gewisser David auf. Er ist des Leierspiels kundig und kann dadurch dem schwermütigen Saul Erleichterung verschaffen. So unaufhaltsam wie sein Aufstieg ist der Abstieg Sauls und seiner Familie. Praktisch alle Sauliden, ausgenommen nur ein körperbehinderter Enkel Sauls, kommen gewaltsam ums Leben – und immer ist David in verdächtiger Nähe. Die späteren Tradenten haben alle Hände voll zu tun, David Fall um Fall von der Schuld an der langen Serie von Todesfällen freizusprechen. Unwillkürlich gewinnt man den Eindruck: Da war etwas, etwas Kompromittierendes, das irgendwie bearbeitet werden musste, sollte es das beabsichtigte positive Davidbild nicht zu sehr stören. Nach der jetzigen biblischen Darstellung freilich ist Saul eine sehr viel düsterere Gestalt als David. Sein Misstrauen gegen den jungen Emporkömmling erscheint als völlig grundlos, seine unablässigen Versuche, ihn kaltzustellen oder aus dem Weg zu räumen, als manisch. David hingegen enthält sich jeder unrechten Tat, er zeigt jederzeit Respekt vor dem König, tastet ihn, als sich ihm Gelegenheit dazu bietet, nicht an. Als Saul gegen die Philister fällt, ist David zwar ihr Vasall, aber weit weg. Die Mörder von Sauls Sohn Eschbaal lässt er hinrichten, statt sie zu belohnen. Vom Mord seines Generals Joab an dem saulidischen Heerführer Abner distanziert er sich scharf. Anfeindungen von Sauliden erträgt er gleichmütig, gegen Sauls verkrüppelten Enkel Meribaal ist er großzügig. – In alledem ist eine apologetische Intention mit Händen zu greifen. An David soll nicht der Ruch der gewaltsamen Usurpation haften. In einer verstörenden Geschichte jedoch, die zunächst wohl ausgelassen wurde, dann aber doch in einen Anhang zu den Samuelbüchern hineingelangte, liest man, wie David sieben Sauliden mit einem Mal hinrichten lässt. Offenbar soll hier einer unangenehmen Wahrheit im Nachhinein doch die Ehre gegeben werden.

b) David und die Philister Ein befremdlicher Zug im Lebensbild Davids ist es, dass er, nachdem er sich mit Saul überworfen hat, eine Zeitlang als Vasall den Philistern dient. Die an der

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Mittelmeerküste gelegenen Philisterstädte übten eine Art regionaler Hegemonie in Südpalästina aus. Den politischen Ambitionen Sauls drohte von ihnen die stärkste Gefahr. Am Ende fiel er im Kampf gegen sie. Es wirkt skandalös, dass David gerade damals ihr Vasall war. Für die Historizität des Sachverhalts spricht zusätzlich, dass Davids Patron laut Bibel der Stadtkönig von Gat war. Archäologischen Forschungen zufolge spielte diese Stadt im 10. und 9. Jahrhundert eine wichtige Rolle; um 825 v. u. Z. wurde sie zerstört und sank danach in die Bedeutungslosigkeit ab. Warum hätte spätere literarische Erfindung David ausgerechnet mit ihr liiert sein lassen? Das mutmaßliche Faktum, dass David eine Zeitlang im Dienst einer Macht stand, die in den Augen des saulidischen Israel der Landesfeind war, konnten die Späteren nur schwer ertragen. Sie taten alles, seinen Übertritt zu den Philistern als vollkommen ungewollt, aber unvermeidlich hinzustellen. Mit Bedacht wird er in der ersten Phase seiner Karriere als Philisterfresser dargestellt. Nicht nur Goliat hat er erschlagen, als Brautgabe für Sauls Tochter Michal hat er 200 Philistervorhäute beigebracht, und unter den Frauen Israels machte ein Siegeslied die Runde, wonach er Zehntausende, Saul dagegen nur Tausende geschlagen habe. Nicht zuletzt dieses Lied soll Saul eifersüchtig gemacht haben. Immer unumwundener hasst er David und vertreibt ihn schließlich vom Hof. David flüchtet nach Gat: anscheinend in der Hoffnung, inkognito Unterschlupf zu finden. Doch die Wachen erkennen ihn prompt, schleppen ihn vor den König und zitieren jenes Frauenlied aus Israel. David sitzt in der Falle, rettet sich aber durch einen pfiffigen Einfall: Er mimt den Wahnsinnigen, worauf der Philisterkönig fragt, ob er nicht genug Verrückte in der Stadt habe, dass man ihm diesen noch bringe? So zieht David den Kopf aus der Schlinge – und die Lesenden begreifen, dass es für ihn eigentlich unmöglich war, bei den Philistern unterzukommen. Er versucht sich danach auf andere Weise durchzuschlagen, sammelt eine Truppe von Desperados, mit der er im dünn besiedelten Süden Judas sein Wesen treibt. Saul jagt ihn auch dort, „wie ein Rebhuhn in den Bergen“ (wie es David einmal bildhaft ausdrückt). Er werde vom Erbland Jahwes vertrieben, jammert er kurz vor seinem zweiten Gang nach Gat, das heißt: Schweren Herzens geht David ins Exil (und nicht etwa: Leichthin bietet er dem Höchstbietenden seine Dienste an). Diesmal wird er anstandslos aufgenommen: vielleicht weil sein Zerwürfnis mit Saul jetzt offenkundig ist, oder weil er als Anführer einer Miliz den Philistern nützlich erscheint. Er bekommt ein kleines Stadtkönigtum im Negev als Lehen zugewiesen: zur Grenzsicherung – und als Basis, um die Region Juda unsicher zu machen. (Dass Sauls Herrschaft gar nicht bis hierher reichte, beachten die betreffenden Erzähler nicht.) Angeblich vermochte David seinen Dienstherrn über seine wahre Loyalität zu täuschen: Er unternimmt Raubzüge nicht gegen Juda, sondern tief hinein in den Negev, und damit die Kunde davon nicht nach Gat dringt, schlägt er jeweils alle Menschen tot, die ihm in die Hände fallen – ein moralisch hoher Preis dafür, dass er nur ja nicht als Landesfeind dasteht. Noch einmal soll er seinen Lehnsherrn getäuscht

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haben: als dieser nämlich mit den anderen Philister-Fürsten zur entscheidenden Schlacht gegen Saul aufbricht und von David Heeresfolge fordert. Man hält den Atem an: David wird doch nicht gegen Israel kämpfen? Nein, die anderen Philister-Führer werden aufmerksam auf ihn: Er sei doch der, von dem die Frauen Israels sängen, er habe Zehntausende (Philister natürlich!) erschlagen. Der König von Gat schickt ihn unter allen Zeichen des Bedauerns nach Hause. David beschwert sich doppeldeutig: Er hätte schon bewiesen, wozu er fähig sei (eben: für die Philister zu kämpfen – oder gegen sie). Murrend zieht er ab – und ein schwerer Kelch ist an ihm vorübergegangen. Als Saul gefallen ist und David ihn beerbt hat, führt er sofort Krieg gegen die Philister und treibt sie für immer aus dem Land. So lesen wir es jetzt in der Bibel. Doch vermutlich wurde ein entsprechender Kriegsbericht an eine chronologisch unrichtige Stelle verschoben. Die darin geschilderten Kämpfe mögen stattgefunden haben, aber wohl viel früher in der Karriere Davids; als er König war, arrangierte er sich mit den Philistern schiedlich-friedlich.

c)

Davids Liaison mit Batscheba

Zum König von Juda und Israel aufgestiegen, soll David mit einer verheirateten Frau ein Verhältnis eingegangen sein. Deren Gatte, der Offizier Urija, lag mit der Armee im Felde gegen den ostjordanischen Nachbarstaat Ammon. David versuchte die prompt eingetretene Schwangerschaft ihm unterzuschieben; als dies nicht gelang, ließ er ihn heimtückisch töten. Ausgerechnet aus der Verbindung mit Batscheba ging Davids Nachfolger Salomo hervor. Würde so etwas erzählt, wenn nichts Wahres daran wäre? Zumindest so viel darf man als historisches Faktum annehmen: dass die Königsmutter Batscheba zuvor die Gattin eines gewissen Urija war, dass dieser bei einer merkwürdig unbedachten militärischen Aktion ums Leben kam und die Witwe auffallend rasch vom König geehelicht wurde. Der Skandal um die Offiziersgattin Batscheba war in Form einer Novelle niedergeschrieben und wahrscheinlich weitherum bekannt. Man konnte – und wollte – ihn nicht einfach verschweigen. Wohl aber sorgte man dafür, dass Davids Untat nicht einfach ungeahndet bleibt. Es tritt der Prophet Natan auf, stellt den König zur Rede. Merke: In Israel steht niemand über Gesetz und Moral, auch David nicht! Tatsächlich geht der König in sich, woraufhin ihm der Prophet zubilligt, dass nicht er, wie es eigentlich sein müsste, sondern das im Ehebruch gezeugte Kind sterben muss. Alsbald wird das Baby krank. Der Vater ringt mit Gott um sein Überleben; als es dennoch stirbt, fügt er sich demütig in sein Schicksal (bzw. unter Gottes Urteil). Dann habe er, so heißt es, die trauernde Mutter „getröstet“ und sei „zu ihr eingegangen“ (wie sie das wohl empfunden haben mag?). Sie wurde erneut schwanger und gebar einen zweiten Sohn, den sie „Salomo“ nannte. In der alten Novelle war Salomo die unmittelbare Frucht

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des Ehebruchs; jetzt ist dieser Ruch auf das fiktive ältere Brüderchen übergegangen, das früh verstarb.

d) Davids Kampf mit Abschalom Könige lassen sich gern als militärische Sieger porträtieren. Das passt auf Davids Sieg über den Philisterrecken Goliat, auf den ich aber historisch nicht viel geben würde. Anders ist dies bei seinem Sieg über Abschalom. Dieser war nämlich Davids eigener Sohn. Er zettelte einen Bürgerkrieg an, verdrängte den Vater aus der Hauptstadt, brachte große Teile der Bevölkerung Judas und Israels hinter sich, gewann führende Berater und Militärs des Königs – kurzum, er sah aus wie der sichere Sieger. David dagegen wirkt in dem betreffenden Bericht traurig und abgeschlagen. Nur wenige Getreue halten zu ihm, militärisch kann er sich einzig noch auf seine Garde und auf ausländische Söldner stützen. Eigentlich müsste er abdanken. Das tut er nicht, installiert vielmehr in Jerusalem eine Fünfte Kolonne, zieht sich taktisch geschickt ins Ostjordanland zurück, sichert sich dort die Unterstützung einiger Potentaten, wählt für die Entscheidungsschlacht ein für seine Berufskrieger günstiges Gelände und erringt den kaum noch für möglich gehaltenen Sieg. Es ist ein Pyrrhussieg. David hat sein Volk besiegt – und seinen Sohn verloren. Der potenteste Anwärter auf seine Nachfolge ist tot. Nur deshalb wird Salomo später eine Chance haben. Wie sollte eine solche Story Fiktion sein? Der um ein Haar erfolgreiche Aufstand Abschaloms ließ sich aus dem kollektiven Gedächtnis Israels nicht einfach löschen. Wohl aber konnten in das dramatische Geschehen Züge eingetragen werden, die ein gar zu ungünstiges David-Bild verhindern. Zu diesem Zweck werden die Gestalten Abschaloms und des Generals Joab eingeschwärzt, diejenige Davids aber aufgehellt. Er ist jetzt der unter einem furchtbaren Geschick leidende tragische Held. Vertrieben von seinem treulosen Sohn, verlässt er klagend Jerusalem und legt sein Schicksal fromm in Gottes Hände. Geduldig erträgt er die Schmähungen eines Sauliden, der ihn mit Steinen bewirft und ihm lauthals vorhält, jetzt sei die Stunde der Rache für die vielen Morde am Hause Sauls gekommen. Vor der Schlacht gegen Abschalom ist ihm nichts wichtiger, als dass dem „Jungen“ nichts zustößt, und nach dem Sieg will er nur eines wissen: ob der „Junge“ noch am Leben ist. Als klar wird, dass er tot ist, bricht der Vater in so hemmungsloses Klagen aus, dass seine Soldaten ganz betroffen sind und Joab ihn zur Ordnung rufen muss – ausgerechnet Joab, der den Prinzen gegen den strikten Befehl des Königs umgebracht hat. Ob all des Unglücks, das den armen David betroffen hat, vergisst man fast, dass er soeben einen Volksaufstand blutig hat niederschlagen lassen.

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3. Überhöhungen Davids zur Lichtgestalt und ihr Anhalt an der Wirklichkeit In wissenschaftlichen Diskursen hängen die Ergebnisse, die man erzielt, nicht zuletzt davon ab, welche Prämissen man gesetzt hat. Im vorigen Kapitel wurde vorausgesetzt, dass für David ungünstige Erzählzüge eher den historischen Fakten entsprechen als für ihn günstige. Das wird zutreffen, doch ist zuzugeben, dass diese Prämisse nicht unproblematisch ist. Baut man alles auf sie, dann würde David faktisch ein Finsterling, der erst nachträglich und fiktiv zu einer Lichtgestalt gemacht wurde. Das stimmt so kaum. Israel hätte ihn nicht als so ruhmreiche Gestalt in Erinnerung behalten, wenn er nicht auch positive Seiten gehabt und positive Leistungen vollbracht hätte. Und die späteren Tradenten hätte ihn, wenn jedermann ihn als Schurken gekannt hätte, nicht ohne weiteres in einen Helden verwandeln können. Vermutlich gab es seinerzeit sehr verschiedene Meinungen über David: rein positive, rein negative oder solche dazwischen. Auch in der Folgezeit hatte man divergente Bilder von ihm. Das spiegelt sich in den Texten. Das Große an der Geschichtsdarstellung der Samuel- und Königsbücher ist, dass sie nicht schwarzweiß malt, sondern gewissermaßen schraffiert und mit Zwischentönen. Da ergeben sich Spannungen und Widersprüche, Fragen bleiben offen, Ambivalenzen tun sich auf. Wichtig ist nicht in erster Linie, wie es war, sondern was wahr ist. Und es ist nicht das eine wahr und das andere unwahr, sondern beides zusammen kann die Wahrheit spiegeln. Nicht „so und so ist es gewesen“, sondern „so oder so könnte es gewesen sein – und du, liebe Leserin, lieber Leser, überlege, was das eine und das andere bedeutet“. Nicht: Das und das sollst du von David denken, das und das nicht, sondern: Lass dich anregen nachzudenken, was von ihm zu halten, was von ihm zu lernen ist. Im Vorangegangenen kamen vier Beispiele in den Blick, die eher zeigen, was von David nicht zu lernen ist. Jetzt seien vier Beispiele vorgeführt, in denen er von Anfang an eine positive Figur macht; hier hatten die Tradenten nicht die Aufgabe einer Abmilderung oder Umformung, sondern sie bemühten sich um eine Verstärkung und Überhöhung der positiven Züge an ihrem Helden.

a) David und die Kunst Im Psalter erscheint David als frommer, oftmals leidender, immer wieder aber auch sieghafter Beter, Dichter und Sänger. Dieses Bild gibt er freilich bereits in den Samuelbüchern ab, insbesondere in dem sog. „Anhang“ 2Sam 21–24, einem nachträglich ans Ende der Daviderzählungen gestellten Textkonglomerat. In dessen Mitte stehen zwei regelrechte Psalmen, der erste (2Sam 22) fast

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wortwörtlich aus dem Psalter übernommen (Ps 18), der zweite eine wohl eigens für diesen Ort geschaffene Psalmdichtung (23,1–7). Hinter dieser Ausgestaltung des Abschlusses der Samuelbücher steht bereits die Vorstellung, dass David der Psalmist, der paradigmatische Beter Israels war. Dazu wurde er offenbar erst in nachexilischer, d.h. in der Spätzeit des Alten Testaments. Doch wurde ihm anscheinend schon in der Exilszeit (im 6. Jh.) ein längeres Gebet in den Mund gelegt, das zwar nicht, wie die Psalmen, Gedichtform hat, seinen Sprecher aber so fromm zeigt wie nur irgendeinen Psalmbeter: In 2Sam 7,18–29 bedankt sich David in bewegter Rede bei Gott für die eben an ihn ergangene Dynastieverheißung und bittet darum, dass sie sich nun auch wirklich erfüllen möge. Die Autoren dieses Textes waren sog. Deuteronomisten, theologische Geschichtsschreiber, die den Gründerkönig nicht nur als Kämpfer und Politiker, sondern als Vorbild an Frömmigkeit dargestellt sehen wollten. Die späteren Tradenten entnahmen ihre Vorstellung vom frommen Beter David durchaus nicht einfach ihrer Phantasie, sondern hatten dabei Anhalt an älteren Überlieferungen, die womöglich bis in die Davidszeit und bis zur Person Davids zurückreichen. In 1Sam 16,14–23 wird erzählt, dass man für den schwermütig gewordenen König Saul einen Musiktherapeuten suchte (ein sehr frühes Beispiel eines heute wieder modernen Berufsbildes!). Jemand bei Hofe wusste von einem jungen Leierspieler, der die entsprechende Gabe besitzen mochte: „Siehe, ich habe einen Sohn Isais, des Betlehemiters, gesehen, der versteht zu musizieren.“ (Nach dem jetzigen Text weiß der Berater noch viel mehr Positives über jenen jungen Mann zu sagen: „Er ist ein einflussreicher Mann und ein Mann des Krieges und des Wortes kundig und ein Mann von [gutem] Aussehen – und Jhwh ist mit ihm.“ Hier ergreift ein späterer Bearbeiter das Wort, der David von Anfang an mehr sein lassen wollte als einen Musiker.) Man holt jenen Isai-Sohn an Sauls Hof – und tatsächlich, er vermag, zumindest anfänglich, den „schlimmen Geist“ zu vertreiben, der in Schüben den armen König befällt. Gut möglich, dass hier die Erinnerung an besondere musikalische Fähigkeiten Davids aufbewahrt ist. An anderer Stelle zeigt dieser noch andere künstlerische Fähigkeiten, nämlich die eines Dichters. Als Saul und dessen Sohn, Davids Freund Jonatan, im Kampf gegen die Philister gefallen sind, dichtet er ein berührendes Trauerlied auf sie (2Sam 1,19–27). Das ist kein Psalm, gewiss, doch kann es dieses Lied an literarischer Kunstfertigkeit mit jedem Psalm aufnehmen. Man muss den trauernden David nur noch fromm (und musikalisch!) sein lassen, und es wird aus ihm ein Psalmist von hohen Graden.

b) David und die Gewalt Der Abschnitt 1Sam 24–26 ist ein Traktat über „David und die Gewalt“ bzw. über die Fähigkeit Davids, gewalttätige Regungen und Versuchungen in sich zu unterdrücken. Die drei Kapitel bilden ein Triptychon: Die beiden Seitenbilder

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zeigen Szenen, in denen David die Gelegenheit hat, den ihn verfolgenden Saul zu töten, dies aber unterlässt. Das Mittelbild handelt von einem reichen Landlord, Nabal, der sich dem Warlord David entgegenstellt, wofür er mit dem Leben bezahlt hätte, wenn nicht seine mutige und kluge Gattin Abigajil für ihn in die Bresche gesprungen wäre. Die Erzählungen sind jetzt geradezu überladen mit Dialogen: zwischen Abigajil und David sowie zwischen David und Saul. In ihnen entfalten spätere Bearbeiter geradezu eine Theologie des Gewaltverzichts: Der von Gott zum König Bestimmte darf sich weder an dem rüpelhaften Nabal noch an dem „gesalbten“ Saul vergreifen. Gott selbst wird die Dinge so lenken, dass sein Plan sich erfüllt; sein Erwählter muss und darf sich „nicht mit eigener Hand helfen“, darf seine „Hand nicht ausstrecken“ gegen Widersacher, muss lernen, dass ein wahrer Herrscher sich nicht durch Gewalttätigkeit hervortut, sondern durch Selbstbeherrschung. Leicht fällt ihm das nicht. In den beiden Verschonungsgeschichten tauchen Einflüsterer auf, die das Naheliegende – den Königsmord – mit scheinbar klugen und frommen Argumenten begründen, und in der Abigajil-Geschichte kocht in David selbst der Zorn hoch, so dass er in Nabals Anwesen keinen „Wandpisser“ am Leben lassen möchte. Nach Gottes Willen aber soll er Gegner nicht mit Gewalt überwinden, sondern mit Gelassenheit und Gottvertrauen. Diese eindrückliche Trilogie der Gewaltlosigkeit basiert auf drei Einzelerzählungen, die von den Vorgängen wesentlich trockener und nicht so ideologisch hochgeladen berichteten: Da waren einerseits Soldatenschwänke, in denen David zwar überraschend gewaltfrei, aber doch durchaus listig und berechnend agiert, indem er sich unwiderlegliche Beweisstücke verschafft, mit denen er vor aller Augen seine Großmut belegen kann. Da war andererseits die Geschichte von einem reichen, groben Mann, der zuerst etwas von seinem Besitz, dann sein Leben und am Ende noch seine Frau an David verlor. So erklärt sich, warum jene Abigajil eine der Gemahlinnen Davids wurde – und wohl auch, warum dieser im Süden Judas eine Machtstellung erringen und am Ende König von Juda mit Sitz in Hebron werden konnte (vgl. 2Sam 2,1–4).

c)

David und sein Reich

David blieb bekanntlich nicht lange in Hebron, sondern machte bald Jerusalem zu seiner Residenz, die er gehörig ausgebaut haben soll (2Sam 5,6–12). Sein Herrschaftsgebiet umfasste mittlerweile nicht mehr nur das südliche Juda, sondern auch das nördliche Israel (2Sam 5,1–5). Dabei soll es aber nicht geblieben sein. Das Kapitel 2Sam 8, eine Auflistung kriegerischer Erfolge Davids, erweckt den Eindruck, als habe David weite Gebiete Arams (im heutigen Syrien), dazu die ostjordanischen Regionen Moab, Ammon und Edom sowie das Philisterland an der Mittelmeerküste seiner Herrschaft unterworfen. Von Salomo heißt es dann ausdrücklich, das von seinem Vater ererbte Reich habe

König David – Fakten und Fiktionen

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vom Eufrat bis an die Grenze Ägyptens gereicht: ein imposantes politisches Gebilde, das ein würdiger Vorläufer der assyrischen und babylonischen Großreiche gewesen wäre. Weil dann Salomo auch noch internationale Handels- und Kulturbeziehungen unterhalten haben soll, sprach man lange von einer „salomonischen Aufklärung“, aus der sich bedeutsame Werke der alttestamentlichen Literatur – nicht zuletzt die Samuelbücher – herleiten sollten. Diese politische Landkarte ist stark fiktional überzeichnet. Mit den Philistern scheint David eine schiedlich-friedliche Koexistenz gepflegt zu haben. Von nur einem der ostjordanischen Länder gibt es detailliertere Nachrichten von einer längerfristigen Besetzung: Ammon (vgl. 2Sam 12,26–31); die beiden andern, Moab und Edom, mag David bekriegt, wird sie aber kaum dauerhaft unterworfen haben. Dies gilt noch mehr für die in 2Sam 8 und 2Sam 10 erwähnten aramäischen Fürstentümer. Was immerhin bleibt, ist eine „Vereinigte Monarchie“, bestehend aus Juda und Israel, d.h. reichend „von Dan bis Beerscheba“ (diese Formel wird etwa gebraucht in 2Sam 3,10; 17,11; 24,15) und erweitert um Teile Ostjordaniens. Dieses Reich hat man sich nicht als durchorganisiertes Staatswesen im modernen Sinn vorzustellen, sondern als ein System vielfältiger Klientelbeziehungen, die ein geschickter Politiker, wie David offenbar einer war, halbwegs in Balance zu halten vermochte. Doch die vielen Kriege und Bürgerkriege, die ihm zugeschrieben werden (neben 2Sam 8 noch 2Sam 10; 17–18; 20), lassen etwas von widerstreitenden Interessen ahnen, die sich eruptiv Luft verschafften und nur mit Gewalt zu unterdrücken waren. Was die Hauptstadt Jerusalem betrifft, so macht der einschlägige Bericht kaum deutlich, wie David in ihren Besitz gelangte; möglicherweise nahm er die Stadt gar nicht kriegerisch, sondern friedlich ein (vgl. 2Sam 5,6–8 vs. 1Chr 11,4–6). Und die Nachrichten von in Jerusalem eingeleiteten Baumaßnahmen könnten von solchen unter Salomo ausgelöst sein (vgl. namentlich die Erwähnung eines Hiram von Tyros in 2Sam 5,11 und 1Kön 5,15–32; 9,11–14). Allerdings ist durchaus plausibel, dass bei der Übersiedelung Davids in das bis dahin etwa 100 x 400 m große bzw. kleine Jerusalem für die Königsfamilie, den (nicht eben umfangreichen) Königshof und die Königsgarde Platz geschaffen werden musste. Gesicherte Einzelheiten dazu könnten aber allenfalls umfassende und fachgerechte (d.h. nicht interessegeleitete!) Grabungen im Bereich nördlich der sog. Davidstadt zutage fördern.

d) David und die Religion Das biblische Davidbild ist vor allem in seinen späteren Schichten durchdrungen von der Vorstellung eines unvergleichlich gottesfürchtigen und gottgeleiteten Herrschers. Da sind nicht nur die Davidpsalmen, sondern auch die ausgiebigen Mitteilungen der Chronik über Vorbereitungen Davids für den Tempelbau und gar schon für den Tempelkult (1Chr 21–29). Da ist auch die im Anhang zu den

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II. Thematische Längsschnitte

Samuelbüchern überlieferte Geschichte von der Auffindung des Tempelbauplatzes durch David (2Sam 24) sowie das schon erwähnte ausführliche Dank- und Bittgebet nach Empfang der Dynastieverheißung (2Sam 7,18–29). Zieht man all das ab, bleibt freilich kein areligiöser oder atheistischer König zurück; ein solcher wäre in der Antike auch kaum vorstellbar. David wird, wie seine Untertanen, ein religiöser Mensch gewesen sein. Es hat den Anschein, dass die von ihm und seiner Familie in besonderer Weise verehrte Gottheit Jhwh war. Darauf deutet das Onomastikon seiner Familie und seiner Entourage, das auffällig viele mit Jo- oder Jeho- oder -ja gebildete Namen aufweist (z.B. Zeruja, Joab, Jehoschafat, Seraja, Benaja, Adonija, Schefatja). In einer Beamtenliste werden die Davidsöhne sogar ausdrücklich als Priester aufgeführt (2Sam 8,18M). Ein in diesem Zusammenhang hochbedeutsamer Vorgang ist die in 2Sam 6 berichtete Überführung der heiligen Lade nach Jerusalem. Diese war ein Kriegspalladium der israelitischen Stämme, das freilich vor der Staatsgründung unter Saul seine Bedeutung verloren hatte, als es den Philistern in die Hände fiel (vgl. 1Sam 4). David besann sich des halb vergessenen Kultobjekts und brachte es in festlich-feierlichem Zug in seine neue Residenz Jerusalem. Dies war ein kluger religionspolitischer Schachzug, weil er so die Nordstämme geistlich an sich und seine Herrschaft band. Er soll sich bei jener Prozession hoch animiert, ausgelassen, geradezu ekstatisch verhalten habe: Signal einer intensiven, ja exzessiven Frömmigkeit. Zugleich übernahm er als königlicher Kultherr priesterliche Funktion, indem er einen Priesterschurz trug und sich an den rituellen Schlachtungen beteiligte. Die Lade wurde in einem Zelt untergebracht, womit man ihrer angestammten Mobilität Reverenz erwies. Tatsächlich wurde sie in verschiedenen Kriegen Davids (oder in allen?) mitgeführt (vgl. 2Sam 11,11; in negativer Wendung: 2Sam 15,24–26). Darin äußerte sich die Überzeugung, dass der über ihr präsent geglaubte Jhwh den Truppen seines Volks zum Sieg verhelfen werde. Offenbar wurde also ein dezidierter Jhwh-Verehrer Gründerkönig der vereinten Monarchie. Das hatte zur Folge, dass Jhwh faktisch zum Staatsgott sowohl in Juda als auch in Israel wurde.

4. Zusammenfassung und Schluss In der biblischen Darstellung des Königs David mischen sich Fakten und Fiktionen, genauer: In den Samuel- (und Königs-)büchern finden sich auch Fakten über ihn; die übrige biblische Überlieferung von ihm ist wohl als weitestgehend fiktiv zu betrachten. Im Vorangehenden wurden zwei Arten von Fakten unterschieden: für das Davidbild eher ungünstige und eher günstige. Die ungünstigen waren unter Überlagerungsschichten herauszuschälen, die allzu finstere Züge des Gründer-

König David – Fakten und Fiktionen

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königs aufzuhellen – aber keineswegs ganz auslöschten. Die günstigen wurden im Laufe der späteren Tradition noch weiter überhöht – aber keineswegs ins Übermenschlich-Mythische. Insgesamt stellte sich ein durchaus differenziertes Bild des historischen David ein. Er war offenbar eine vielfältig begabte, geschickt taktierende, kraftvoll handelnde, dabei aber auch kräftige Fehler begehende Persönlichkeit. Dieses Bild ließe sich sicher weiter vervollständigen; denn natürlich handelte es sich bei den in den Blick genommenen Überlieferungssträngen nur um Beispiele – freilich um gewichtige und aussagekräftige. Die in neuester Zeit fast überhandnehmende Skepsis gegenüber einem historisch verortbaren und darstellbaren König David sollte wieder auf ein sachgerechtes Maß zurückgeführt werden. Gewiss lässt sich nicht alles, sondern nur vergleichsweise Weniges, was über diesen König in der Bibel steht, als faktisch zutreffend erweisen. Immerhin aber ist nicht alles Fiktion. König David ist nicht King Arthur. David ist keine mythische, sondern eine historische Gestalt. Von deren tatsächlicher Existenz künden nicht erst außerbiblische Inschriften aus dem 9. Jahrhundert; auch die biblischen Samuelbücher bezeugen sie in hinreichender Glaubhaftigkeit und Deutlichkeit. Die sorgfältige kritische Analyse der Texte ergibt das relativ klar konturierte Bild eines Herrschers, der im 10. Jahrhundert Juda und Israel auf neue Grundlagen stellte. Dieser Mann war kein kleiner Provinzpotentat von fragwürdiger moralischer Qualität, sondern eine achtbare, wenn auch nicht unfehlbare Persönlichkeit und ein bedeutender, wenn auch menschliches Maß nicht sprengender Politiker. Die Frage nach „Fakt oder Fiktion“ ist nicht die einzige, nicht einmal die wichtigste, die man an die Samuelbücher oder auch an die Bibel insgesamt richten kann. Mindestens ebenso wichtig sind Fragen wie die nach ihrer literarischen Qualität, ihren anthropologischen Einsichten und ihrer theologischen Wahrheit. Unwichtig ist die historische Frage gleichwohl nicht. Es ist wichtig zu wissen, dass die Bibel nicht einfach ein Märchenbuch ist (wobei auch Märchenbücher von hoher Qualität sein können). Die Bibel enthält auch Märchen, enthält noch mehr Sagen – sie enthält aber auch historische Fakten. An der Historizität Jesu hängt nicht der ganze christliche Glaube; ohne den historischen Jesus aber droht dieser Glaube in rein spirituelle Gnosis abzuheben. An der Historizität Davids hängt nicht die Existenz des Gottesvolkes Alten und Neuen Testaments, hängt auch nicht die literarische Schönheit der Samuelbücher oder die geistliche Wahrheit der Psalmen; doch die Erforschung des historischen David ist ein Mittel, die Schönheit und Wahrheit der Bibel in historisch festem Grund zu verankern. Eine Besonderheit des biblischen Gottes liegt darin, dass er sich tief in die Menschengeschichte hineinbegibt. Dabei zeigt er mancherlei Gesichter und nimmt mancherlei Gestalten an. Dass er auch der Gott Davids war, gibt ihm etwas Greifbares, Verlässliches und Anschauliches.

Uneindeutigkeit als Kennzeichen hebräischer Erzählkunst – am Beispiel der Samuelbücher Gut erzählt ist eine Geschichte, wenn sie die Lesenden ins Geschehen hineinnimmt, ohne ihnen alles gleich klipp und klar zu sagen, sie vielmehr dazu bringt, das Erzählte selbst zu imaginieren und weiterzuführen. Zwei prächtige Beispiele solchen Erzählens liefern zwei Personen, die in einer heiklen Angelegenheit an König David gelangen müssen, ihm ihr Anliegen aber nicht offen mitzuteilen wagen. So erzählen sie ihm Geschichten, die ihn dazu bringen, das zu tun bzw. zu sagen, was sie sich wünschen. Der Prophet Natan berichtet ihm von einem reichen Mann, der seinem armen Nachbarn das einzige Schäfchen weggenommen und einem Gast vorgesetzt habe. Dem aufs Höchste erzürnten König eröffnet er plötzlich, er selbst sei jener Mann, indem er einem anderen seine Frau weggenommen habe (2Sam 12,1–7). Eine sog. „weise Frau“ erzählt David von ihren beiden Söhnen: Der eine habe den anderen umgebracht, und nun solle der Brudermörder zur Strafe hingerichtet werden – ob sie denn beide auf einmal verlieren solle?! David verspricht ihr Unterstützung – bis sie ihm eröffnet, er selbst sei gemeint: Er solle seinen Sohn Abschalom, der zum Brudermörder geworden ist, begnadigen, um nicht zwei Söhne auf einmal zu verlieren (2Sam 14,4–17). Hier wird beispielhaft vorgeführt, welche Kraft Erzählungen entfalten können: auch und gerade, wenn sie fiktiv sind. Der König – genauso übrigens wie der unbefangene Leser – fällt auf die Doppelbödigkeit der Erzählung herein, fällt durch den Boden der fingierten Wirklichkeit auf den der existenziellen Wahrheit. In den Samuelbüchern bedienen sich wiederholt Erzählfiguren der Kunst doppelbödiger Rede. Der junge David etwa erzählt vor der Entscheidungsschlacht zwischen den Philistern und den Israeliten Sauls seinem damaligen Lehnsherrn, dem Philisterkönig Achisch, etwas von unbedingter Treue zu „meinem Herrn, dem König“ (1Sam 29,8) – ohne zu sagen, ob er damit Achisch meint oder Saul. Um ein Haar wäre es ihm so gelungen, an der Seite der Philister in den Kampf zu ziehen und womöglich durch einen überraschenden Seitenwechsel das Kriegsglück zugunsten Israels zu wenden. Doch die Philister riechen Lunte, schicken ihn nach Hause und schlagen Israel vernichtend. Später, als David längst König ist und das Königtum gerade an seinen rebellischen Sohn Abschalom zu verlieren droht, versichert in ganz ähnlicher Manier Huschai, ein listiger königlicher Berater, dem Abschalom, er wolle dem dienen, „den Jhwh und den Israel erwählt hat“ (2Sam 16,18) – ohne zu sagen, ob er damit Abschalom meint oder David. Der eitle Abschalom legt die zweideutigen Worte zu seinen Gunsten aus, schenkt Huschai Vertrauen und lässt sich von ihm zu schweren

Uneindeutigkeit als Kennzeichen hebräischer Erzählkunst

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taktischen Fehlern verleiten, die ihn Kopf und Kragen kosten, David aber Haut und Herrschaft retten. Uneindeutigkeit ist ein literarisches Mittel, dessen sich die biblischen Erzähler auch gegenüber ihrer Leserschaft (also uns gegenüber!) bedienen. Bekanntlich hatte Samuel Saul, den er einst vom Nobody zum ersten König Israel gemacht hatte, bald wieder zu verwerfen. Die Anlässe, die zum Bruch führen, wirken auf uns geringfügig bis nichtig. Einmal soll Saul vor Beginn einer Schlacht gegen die Philister nicht geduldig genug auf das Startzeichen Samuels gewartet haben – doch kam dieser so spät, dass man für den Heerführer Saul Verständnis hat (1Sam 13,7–15). Danach erhält Saul von Samuel den Auftrag, Amalek vollständig zu „bannen“, d.h. mit Mann und Maus auszurotten, führt diesen furchtbaren Befehl aber nicht ganz vollständig aus, woraufhin Gott seine Berufung „bereut“ und Samuel zu seiner Absetzung geschickt haben soll (1Sam 15,11, auch 15,35). Als Saul sich teils überrascht, teils reuig zeigt, versichert ihm Samuel, Gott sei „kein Mensch, dass er etwas bereut“ (15,29). „Bereut“ Gott nun – oder nicht? Hat Saul seine Verwerfung verdient oder nicht? Die Erzählung klärt die Fragen nicht bis auf den Grund. Doppelbödig sind speziell Mitteilungen, die zum Thema Liebe und Eros gemacht werden. Da heißt es, als David mit seinem Leierspiel den gemütskranken Saul hat beruhigen können: „Und er liebte ihn sehr“ (1Sam 16,21). Wer liebte wen: Saul David oder David Saul? Wenig später erfährt man, der Kronprinz Jonatan habe David „geliebt wie sich selbst“ (1Sam 18,1): Ist damit Sympathie gemeint, eine klassische Männerfreundschaft, oder ein persönliches Angezogensein, womöglich mit homosexuellem Beiklang, oder eher eine politische Verbundenheit über gesellschaftliche Grenzen hinweg? Wenn dann auch die Prinzessin Michal David „liebt“ (1Sam 18,20), geht es deutlicher um erotische Gefühle; doch warum steht da nicht, ob und wie David diese Gefühle erwidert? Er heiratet Michal einfach – um ein schauerliches Brautgeschenk von 200 Philistervorhäuten, die er dem Schwiegervater Saul hinzählt (1Sam 18,27). Was sollen wir Leser und vor allem Leserinnen dazu denken? Lange Zeit später schläft David mit einer verheirateten Frau, die er vom Dach seines Palastes aus sich hat waschen sehen und die sehr schön ist. Hat sie sich etwa absichtlich so gewaschen, dass er sie sehen konnte (2Sam 11,2), hat sie ihn also verführt – oder hat er sie einfach genommen, weil er sie begehrenswert fand, deutlicher: Wurde sie vergewaltigt? Diese (aus dem Text heraus kaum zu entscheidende!) Frage hat zu einem handfesten Streit geführt: bezeichnenderweise zwischen einem Exegeten und einer Exegetin. Aus der unerlaubten Liaison resultierte prompt eine Schwangerschaft. Nachdem Natan seinen großen Auftritt hatte (mit der Geschichte vom reichen Mann und dem Schäfchen des Armen), stirbt das Kind, vielmehr: Jhwh „schlägt“ es, so dass es stirbt. Soll man das gerecht finden? David ringt mit Jhwh um das Leben des Kindes, als es aber tot ist, hält er jegliche Trauerriten für unnötig (vorbildhaft oder nicht?), geht zu Batscheba und „tröstet“ sie; sie wird daraufhin erneut schwanger und gebiert

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II. Thematische Längsschnitte

Salomo, den späteren Thronfolger (2Sam 12,15–24). Ende gut, alles gut? Oder doch nicht gut? Was dachte wohl Batscheba über Jhwhs Gerechtigkeit, und hat es sie wirklich „getröstet“, dass David mit ihr schlief? Gleich die nächste Erzählung, 2Sam 13, lässt manche Fragen unbeantwortet. Davids Ältester, Amnon, ist in seine Halbschwester Tamar verliebt. Er täuscht eine Krankheit vor und behauptet, nur ihre Backkünste könnten ihn heilen. David schickt das Mädchen zu ihm. Ahnt er nicht, was passieren wird? Tamar wird vergewaltigt. David aber unternimmt – nichts. Endlich lädt Tamars Vollbruder Abschalom zu einem Gastmahl und bittet David ausdrücklich um Amnons Anwesenheit. Der König stimmt zu – ahnt er wieder nichts? Amnon wird ermordet. Seit Davids eigener Verfehlung scheint seine Familie wie vergiftet. Die Erzählungen der Samuelbücher (und biblische Erzählungen überhaupt) entbehren immer wieder der Eindeutigkeit. Nicht zuletzt deswegen sind sie große Literatur.1

1

Der vorstehende Beitrag ist eine – kürzende und vertiefende – Ausarbeitung des Abschnitts 3.2 der ebenfalls in diesem Band abgedruckten Studie „Am Übergang vom ersten zum zweiten Samuelbuch. Zwischenbilanz eines Samuelkommentators“.

Einübung in den aufrechten Gang. Beispiele für Zivilcourage in den Samuelbüchern 1. Zivilcourage und Glaubensgehorsam „Mut zeiget auch der Mameluck, Gehorsam ist des Christen Schmuck“. Mit dieser Sentenz wird in Friedrich von Schillers (1759–1805) Ballade „Der Kampf mit dem Drachen“ ein junger Johanniter konfrontiert, der soeben einen fürchterlichen Drachen erlegt, dabei aber gegen einen Befehl seines Ordensoberen verstoßen hat. Dieser hatte nämlich, nachdem fünf Ritter im Kampf gegen das Ungeheuer ihr Leben verloren hatten, weitere Versuche untersagt, es besiegen zu wollen. Der besagte Ritter nun hatte eine glänzende Idee, wie er das doch bewerkstelligen konnte – und dies gelang ihm tatsächlich. Nach vollbrachter Tat tritt er vor den Oberen und meldet mit gelassenem Stolz: „Ich hab’ erfüllt die Ritterpflicht; / Der Drache, der das Land verödet, / Er ist von meiner Hand getötet.“ Darauf der Ordensmeister: „Was ist die erste Pflicht / Des Ritters, der für Christum ficht, / Sich schmücket mit des Kreuzes Zeichen?“ Der junge Held antwortet errötend: „Gehorsam ist die erste Pflicht, / Die ihn des Schmuckes würdig zeiget.“ Nachdem er dann doch ausführlich berichtet hat, unter welch enormem Aufwand und unter welchen Gefahren er seine „Ritterpflicht“ erfüllt habe, entgegnet ihm der Ordensmeister: „Die Schlange, die das Herz vergiftet, Die Zwietracht und Verderben stiftet, Das ist der widerspenst’ge Geist, Der gegen Zucht sich frech empöret, Der Ordnung heilig Band zerreißt; Denn er ist’s, der die Welt zerstöret. Mut zeiget auch der Mameluck, Gehorsam ist des Christen Schmuck.“

Das Christentum steht nicht im Ruf, eine Religion zu sein, auf deren Boden eine Tugend wie Zivilcourage gut gedeihen kann. Muss man das nicht von allen drei sog. abrahamitischen Religionen fürchten, wenn es vom Urahn Abraham jene Erzählung gibt, nach der er bereit ist, auf Gottes Anweisung hin seinen eigenen Sohn zu opfern (Gen 22)? Die Geschichte von „Isaaks Bindung“ dient seit jeher als Exempel dafür, dass einem göttlichen Befehl, und sei er noch so unbegreiflich und unmoralisch, unter allen Umständen Folge zu leisten sei. Der polnische Philosoph Leszek Kolakowski (1927–2009) äußert sich in einer der „erbaulichen Geschichten“, die er unter dem Titel „Der Himmelsschlüssel“ veröffentlicht hat,

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II. Thematische Längsschnitte

dazu in spöttischem Ton: Gott habe sein Versprechen, aus Abraham „ein großes, besonders gesegnetes Volk zu machen“, an eine „Bedingung“ geknüpft: „absoluten Gehorsam gegenüber der Obrigkeit“. „Das zukünftige Schicksal des Volkes und die Größe des Staates hängen von der getreuen Erfüllung aller Befehle der Obrigkeit ab. Aber die Obrigkeit verlangt von ihm, daß er das eigene Kind opfert. Abraham hatte zwar die Natur eines Gefreiten – er war jedoch nicht ohne Mitgefühl für das Los der Familie. Als Gott ihm befahl, den Sohn dem Feuer zu opfern, hatte er es nicht für notwendig erachtet, den Befehl zu begründen. Es ist nicht Art von Vorgesetzten, dem Untergebenen den Befehl zu erläutern. Das Wesen des Befehls besteht darin, daß er ausgeführt werden muß, weil er ein Befehl ist, und nicht deswegen, weil er vernünftig, erfolgversprechend, durchdacht ist; es ist keineswegs erforderlich, daß der Gehorchende den Sinn des Befehls versteht – sonst kommt es unweigerlich zu Anarchie und Chaos. Ein Untergebener, der nach dem Sinn des erhaltenen Befehls fragt, sät Unordnung“ 1.

Man kann die Isaak-Geschichte auch anders lesen, gewiss2. Doch dass der im Alten wie im Neuen Testament gefeierte Glaubensmut Abrahams3 gern mit bedingungsloser Unterwürfigkeit verwechselt wurde und wird, ist nicht zu bestreiten. Der zusammengesetzte Begriff „Glaubensgehorsam“ ist denn auch durchaus geläufig. Für Friedrich Nietzsche war die biblische Religion insgesamt ein „gebotene[r] Glaube“, eine „Religion aus Unglück und fürs Unglück“, eine „Sklavenreligion“, die „nur die Herrschaft oder die Knechtschaft zulässt“, in der alle „Genien, in denen die Menschen vereinigt sind“, „an den Himmel verschleudert“ seien und die so in „Entselbstung“ und „Selbst-Entfremdung“ ende4. Kann man da hoffen, aus der Bibel lasse sich etwas über „Zivilcourage“ lernen? Gemäß dem jüdisch-marxistischen Philosophen Ernst Bloch: ja. Einer seiner Haupthelden ist Hiob5 – Hiob freilich nur insofern und nur so lange, als er gegen die (scheinbare?) Willkür Gottes aufbegehrt. Wenn dann gegen Ende des Hiobbuchs der Rebell Hiob durch lange Gottesreden mundtot gemacht wird und kleinlaut „die Hand auf den Mund legt“, dann ist dies laut Bloch der nachträgliche Versuch, einen Mann mit ‚aufrechtem Gang’ niederzubeugen und zu gebückter Haltung zu zwingen, auf dass nicht etwa in seinem Gefolge sich viele aufrichteten! Der Hiob-Schluss stamme von priesterlichen Verfechtern jenes Untertanengeistes, der dem ‚echten’ Hiob so gänzlich fernlag. Man muss nicht bei Hiob stehenbleiben, gar einem Teil-Hiob, um Beispiele für Menschen mit ‚aufrechtem Gang’ zu finden. Der systematische Theologe Helmut Gollwitzer bestreitet mit Vehemenz die Behauptung, die Bibel erziehe Menschen zur Unterwürfigkeit und zum Kadavergehorsam. 1 2 3 4 5

Kolakowski 1965: 27–28. Reichliche Anregung dazu bietet Veijola 2007: 88–133. Vgl. Gen 15,6; Röm 4,3; Hebr 11,17; Jak 2,21. Vgl. Busche 1992: 92. Vgl. zum Folgenden Bloch 1968: 104–118.

Zivilcourage in den Samuelbüchern

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„Die Legende, daß durch die Aufforderung zum Gehorsam gegen Gottes Gebot notwendig autoritäre Persönlichkeiten und Untertanenmentalität erzeugt würden, wird nicht wahrer dadurch, daß sie immer wieder erzählt wird. Mißbräuchliche Inanspruchnahme der Autorität, des Namens und des Wortes Gottes für das Gefügigmachen von Menschen unter menschliche Autorität gab und gibt es massenhaft … Dem muß mit Erziehung zur Kritik und mit Einübung im Ungehorsam begegnet werden … Wo Menschen wirklich unter die Autorität des Wortes Gottes geraten sind, haben sie dadurch nicht Duckmäuserei, sondern aufrechten Gang gelernt“6.

Im Umfeld des biblischen Gottes und im biblischen Gottesvolk gedeiht Zivilcourage viel besser als Duckmäusertum. Dies soll im Folgenden anhand der Samuelbücher aufgezeigt werden. In ihnen, die ja die Einrichtung des Königtums und die Errichtung eines Staates in Israel schildern, könnte man ein starkes Plädoyer für die Unterscheidung von Oben und Unten, von Herrschern und von Untertanen, von Befehlenden und Gehorchenden erwarten. Das Gegenteil ist der Fall. Sie enthalten zahlreiche Geschichten über die Gegenwehr von Menschen gegen staatliche Macht. Bezeichnend ist bereits, dass Samuel, der große Gottesmann und letzte ‚Richter’ Israels, dem Wunsch des Volkes nach einem König partout nicht nachkommen will (1Sam 8). Er beklagt sich bei Gott, dass die Leute nun nicht mehr ihm, Gott, sondern einem König untertan sein wollten. Das ist eine bemerkenswerte Entgegensetzung. Im Orient (und nicht nur dort!) pflegten die Macht der Götter und die Macht der Herrscher bestens zu kooperieren – laut Samuel aber sollen sie in Konkurrenz zueinander stehen. Freilich ist dies ist die Meinung nur einiger, nicht vor der Exilszeit wirkender Schriftsteller bzw. Theologen7. Während der Epoche der Staatlichkeit (vom 10. bis ins beginnende 6. Jahrhundert) dachte Israel überwiegend ‚gut orientalisch’. Dementsprechend werden in den Samuelbüchern Feindseligkeiten und Umsturzversuche gegen die regierenden Könige klar negativ konnotiert. Leute, die dem frisch gekürten Saul die Huldigung verweigern, werden als benê belijja‛al bezeichnet, etwas wie „Staatsfeinde“ oder „Terroristen“ (1Sam 10,27), und Aufstände gegen David – geführt vom Prinzen Abschalom und von einem Benjaminiten namens Scheba (2Sam 15; 20) – werden ohne jede Sympathie geschildert. Menschen mit ‚aufrechtem Gang’ sind offenbar nicht darauf aus, den Mächtigen ihre Macht streitig zu machen oder sie an sich zu reißen. Sie besitzen vielmehr, wie jetzt gezeigt werden soll, die Courage, drohendem Machtmissbrauch entgegenzutreten (II.), eingetretenen Machtmissbrauch zu kritisieren (III.) und zu gutem, sinnvollem Gebrauch der Macht anzuhalten (IV.).

6 7

Gollwitzer 1972: 370–371 (Kursivierung von W. D.). Auch wenn das sog. ‚Königsrecht’ in 1Sam 8,11–17 ein königszeitlicher Text sein dürfte, ist 1Sam 8 stark deuteronomistisch geprägt. Vgl. – mit Differenzen im Einzelnen – Veijola 1977: 53–72; Müller 2004: 119–147; Dietrich 2011: 339–377.

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II. Thematische Längsschnitte

2. Mächtigen couragiert in den Arm fallen Die Königskinder Michal und Jonatan verhindern, dass ihr Vater, König Saul, den ihrer Meinung nach unschuldigen David, den er aber für seinen Rivalen hält, umbringt. Als Saul das erste Mal offen seine Tötungsabsicht geäußert hat, legt Jonatan für seinen Freund Fürsprache ein; dabei geht er sehr weit in dessen Rühmung, lässt aber nie den gehörigen Respekt vor dem König missen (1Sam 19,4–5). Das couragierte und doch besonnene Auftreten des Sohnes verfehlt seine Wirkung nicht. „Da hörte Saul auf die Stimme Jonatans“; der König legt einen Eid ab, er werde David nichts zuleide tun (1Sam 19,6). Diese Szene (1Sam 19,1–7) wurde gestaltet vom Grundverfasser der Samuelbücher8, dem sog. „Höfischen Erzähler“, der im ausgehenden 8. oder frühen 7. Jahrhundert aus älteren Quellen ein „Erzählwerk über die frühe Königszeit in Israel“ geschaffen hat9. Ihm lag offenbar daran, den Kronprinzen Jonatan als Menschen mit ‚aufrechtem Gang’ zu zeichnen und seinen Vater, König Saul, als einen Herrscher, der imstande ist, beherztem Widerstand gegen eine von ihm getroffene Entscheidung stattzugeben. Dem Höfischen Erzähler hat in dieser Hinsicht die ältere Saul-Überlieferung vorgearbeitet. Zu dieser gehört der Grundbestand der Erzählung von Sauls erster großer Philisterschlacht (1Sam 13–14). Nachdem die Philister im benjaminitischen Bergland besiegt worden waren und ihr Heil in der Flucht suchten, wollte Saul ihnen sofort nachsetzen, um sie vollkommen zu vernichten. Seine Krieger sind bereit, doch sein Priester erhebt überraschend Einspruch: Man solle zuerst einen Gottesbescheid einholen (1Sam 14,36). Das ist „ein ziemlich heftiger Affront“, in dem kaum verhüllt der Vorwurf steckt, der König lasse es an „kultische[r] Korrektheit … fehlen“10. Und Saul fügt sich! Bei der dann durchgeführten Gottesbefragung nun verweigert Gott die Antwort11. Es stellt sich heraus, dass jemand ein zuvor von Saul verhängtes Speisetabu übertreten und dadurch den Zorn der Gottheit gereizt haben muss. Ein Losordal erweist Jonatan als den Schuldigen – ausgerechnet ihn, durch dessen heldenmütigen Einsatz die Philister aus dem Feld geschlagen worden waren. Saul jedoch verurteilt, ohne Zögern und bekräftigt durch einen Eid, den eigenen Sohn zum Tode – und dieser erklärt sich zum Sterben bereit (1Sam 14,43–44). Man kann das von beiden Seiten heroisch finden, die israelitischen Soldaten aber finden es vollkommen verfehlt. Sie „lösen“ Jonatan „aus“12 und verhindern so seine Hinrichtung (14,45). Und wieder gibt Saul nach! 8 9 10 11

12

Vgl. Dietrich 2015: 463–465. Zum Charakter dieses Werkes vgl. Dietrich 1997: 259–273. Dietrich 2015: 96. Vermutlich hat man sich vorzustellen, dass bei dem angewandten Alternativorakel weder das Ja- noch das Nein-Symbol erschien, sondern gar keines. Bei Dietrich 2015, 106, Erwägungen darüber, was mit diesem „Auslösen“ gemeint sein könnte.

Zivilcourage in den Samuelbüchern

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Auch von David gibt es eine Erzählung, 1Sam 25, der zufolge er sich von einem beeideten Vorsatz hat abbringen lassen. In seiner Zeit als Milizenführer hat ihm ein reicher Herdenbesitzer, ein gewisser Nabal, die ihm seiner Meinung nach zustehenden Abgaben verweigert. Er schwört daraufhin, er werde in Nabals Anwesen alles auszurotten, „was an die Wand pisst“ (1Sam 25,22) – ein so undiplomatischer wie unmissverständlicher Vorsatz. Nabals Gattin Abigajil wird der drohenden Gefahr gewahr und tritt dem Zornschnaubenden in den Weg. Natürlich wäre es ihm ein Leichtes gewesen, sie weg- oder niederzustoßen, doch er lässt sich von ihr besänftigen. Sie erreicht dies durch eine Mischung aus großzügigen Geschenken und goldenen Worten. Namentlich in den letzteren ist die Hand des Höfischen Erzählers zu spüren, die Kerngeschichte aber stammt aus älterer Davidüberlieferung13. Dies waren positive Beispiele von gewissermaßen ‚belohnter’ Zivilcourage: Mächtige sind bereit, sich durch schwächere, ihnen aber beherzt widerstehende Personen von geplanten schlimmen Handlungen abhalten zu lassen. Es gibt allerdings auch negative bzw. traurige Gegenbeispiele, in denen sich die Mächtigen über noch so berechtigte Einsprachen bedenkenlos hinwegsetzen. Saul hat sich durch den oben geschilderten Versöhnungsversuch Jonatans auf Dauer nicht davon abbringen lassen, David als seinen schlimmsten Feind zu betrachten und unbedingt liquidieren zu wollen. Einmal versucht er es selbst, durch einen Spießwurf; doch die Waffe verfehlt ihr Ziel, David kann entweichen (1Sam 19,9–10). Als Saul ihn doch noch fassen will, trifft er auf den Widerstand seiner beiden Kinder, Michal und Jonatan. Erstere, zu der David nach dem Spießwurf geflohen ist, entdeckt vor ihrem Haus die Häscher, die den Flüchtigen verhaften sollen, und verhilft diesem daraufhin zur Flucht durch ein Fenster auf der Rückseite des Hauses. Ihrem Vater, der sie hernach zur Rede stellt, lügt sie vor, David habe sie bedroht, und deshalb habe sie ihn laufen lassen müssen (1Sam 19,11–17). Jonatan setzt sich ein weiteres Mal vor Saul für David ein, wird diesmal aber wüst beschimpft und gar mit dem Tod bedroht (1Sam 20,28–33). Daraufhin deckt auch er die Flucht des Freundes vom Königshof (20,34–42)14. Saul taxiert dies zwar als Verrat (22,8), vergreift sich aber nicht an seinem Sohn. Auch Michal gibt er „nur“ einem anderen Mann, tut ihr sonst aber nichts an. So hat die Zivilcourage der beiden keine für sie katastrophalen Folgen. Hätten sie aber nicht so gehandelt, wie sie es taten: Die Geschichte Davids wäre vorzeitig zu Ende gewe-

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Peetz (2008) sieht keine Anhaltspunkte für eine solche Schichtung, sondern hält das gesamte Kapitel für einheitlich, freilich nicht aus der Davidszeit, sondern aus dem 8. oder 7. Jahr-hundert stammend, was unserer Ansetzung des Höfischen Erzählwerks entspricht. Es handelt sich offenbar um zwei Parallelüberlieferungen, die eine mit Michal, die andere mit Jonatan als Zentralfigur. Wahrscheinlich sind diese beiden, neben David, die ‚Helden’ zweier verschiedener „Erzählkränze“ oder Erzählsammlungen, die der Höfische Erzähler in sein Werk eingearbeitet hat; vgl. Dietrich 2015: 461–463. 525–526.

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sen und Israel hätte seinen nach Meinung der Erzähler größten Hoffnungsträger verloren. Die Priester des Heiligtums von Nob waren, eher unwissentlich und unwillentlich, David auf seiner Flucht vor Saul behilflich. Saul erfährt davon, bestellt sie ein, führt einen Hochverratsprozess gegen sie und verurteilt sie zum Tode. Als er seine „Läufer“ auffordert, das Urteil zu vollstrecken, rühren sich diese „gewiß nicht zartfühlenden Knechte des Königs“15 nicht von der Stelle (1Sam 22,16–17); sie scheuen sich, Hand an unbewaffnete Gottesdiener zu legen, halten offenbar auch das Urteil für verfehlt. Auch wenn sich dann ein anderer, williger Henker findet, bleibt ihre Weigerung als Fanal dafür stehen, dass Soldaten unrechtmäßige Befehle verweigern können, ja müssen. Einmal erlebt auch David, dass ihm ein Soldat, der „Hetiter Urija“, den Gehorsam verweigert. Der König hat Urijas Frau, Batscheba, geschwängert und holt nun den Mann aus dem Felde zurück, gibt sich ihm gegenüber außerordentlich huldvoll – und schickt ihn zu seiner Frau, um auf diese Weise die eigene Vaterschaft zu vertuschen. Doch Urija weist des Königs Ansinnen mit den Worten zurück: „Die Lade, Israel und Juda wohnen in Hütten, und mein Herr Joab und die Knechte meines Herrn lagern auf dem Acker – und ich soll nach Hause gehen, um zu essen und zu trinken und mit meiner Frau zu schlafen?“ (2Sam 11,11) Dieser Mann hat Ehre im Leib, der König nicht. Allerdings muss Urija seinen Anstand – oder ist es seine Widersetzlichkeit, weil er das Spiel des Königs durchschaut? – mit dem Leben bezahlen. Auch Davids Heerführer Joab handelt einmal einem Befehl des Königs zuwider: nicht so sehr aus Zivilcourage als vielmehr aus politischem und militärischem Kalkül, vielleicht auch aus persönlichen Gründen16. Entgegen Davids ausdrücklicher Anweisung, in der Schlacht gegen den rebellischen Abschalom das Leben des Prinzen zu schonen (2Sam 18,5), bringt ihn Joab, als er ihn hilflos im Geäst eines Baumes baumelnd findet, zu Tode (2Sam 18,14). Wie ruchlos sein Handeln ist, erhellt aus dem Kontrast zu einem einfachen Soldaten, der Abschalom in seiner misslichen Lage entdeckt hat und den Joab dafür tadelt, dass er ihn nicht sofort umgebracht hat. Der wackere Mann widerspricht seinem General: Alle hätten gehört, wie der König die Schonung des Prinzen geboten habe – er würde einem solchen Befehl um noch so viel Belohnung nicht zuwiderhandeln (2Sam 18,10–12). Hier spricht ein Mann mit ‚aufrechtem Gang’!

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Hertzberg 1965: 152. Immerhin ist Joab verantwortlich dafür, dass David nach seinem Brudermord (2Sam 13) rehabilitiert (2Sam 14) und damit in die Lage versetzt wurde, seinen Aufstand vorzubereiten (2Sam 15).

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3. Herrscher couragiert kritisieren Noch ziemlich am Anfang seiner Karriere muss David eine heftige, gar handgreifliche Kritik an seinem Führungsverhalten hinnehmen. Als er mit seiner Söldnertruppe von einem Feldzug nach Ziklag zurückkehrt, einer ihm zum Lehen gegebenen Stadt, findet er diese ausgeplündert und ausgebrannt vor, alle Frauen und Kinder sind verschleppt. Seine Krieger sind derart betroffen und empört, dass sie ihren Anführer zu steinigen drohen (1Sam 30,6). Vielleicht ist Zivilcourage nicht der richtige Ausdruck für das, was diese Männer treibt; immerhin zeigt die Episode, dass auch die Person Davids vor Unzufriedenheit und Wut nicht gefeit ist. Doch David gelingt es, den Zorn von sich ab und gegen den Feind zu wenden, eine amalekitische Nomadenbande, die über die schutzlose Stadt hergefallen ist. Tatsächlich gelingt es, die Räuber zu stellen und ihnen die Beute wieder zu entreißen. Danach ist Davids Autorität wiederhergestellt. Auch in einer viel späteren Phase seines Lebens bekommt es David mit handfester Kritik zu tun. Als er sich vor der zunächst erfolgreichen Rebellion Abschaloms aus Jerusalem zurückziehen muss, wird er von einem Sauliden namens Schimi öffentlich beschimpft und mit Steinen beworfen. Was Schimi David vorzuhalten hat, ist Blutschuld am Hause Sauls (2Sam 16,7–8). Nun gibt sich zwar der Höfische Erzähler alle Mühe, David von solcher Blutschuld freizusprechen17; doch die außerhalb des Erzählwerks erhalten gebliebene Erzählung 2Sam 21 spricht eine andere Sprache, und so ist es gewiss kein Zufall, dass David jenen Vorwurf Schimis schweigend entgegennimmt. Das Angebot eines ihn begleitenden Offiziers, „hinüberzugehen und ihm den Kopf abzuschlagen“, weist er zurück (2Sam, 16,9). Als er von der Auseinandersetzung mit Abschalom siegreich zurückkehrt, kommt ihm Schimi entgegen und nimmt seine Vorwürfe zurück – anscheinend ist ihm die Zivilcourage abhandengekommen. David verhindert auch diesmal, dass er getötet wird, schwört ihm vielmehr, sein Leben zu verschonen (2Sam 19,22–24)18. Auch ein weibliches Mitglied des Hauses Sauls, Michal, wagt es, David offen zu kritisieren (2Sam 6,20). Was sie treibt, ist nicht Empörung über die Behandlung ihrer Familie durch David, sondern dass ihr Gatte sich in einer in ihren 17

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Dass David Saul und seiner Familie die Macht nicht gewaltsam entrissen, sondern jederzeit und konsequent das Leben von Sauliden geschont (notfalls auch: gerächt) habe, ist ein durchgängiges Motiv im Höfischen Erzählwerk (vgl. nur 1Sam 20,14–15; 24,7.22; 26,9; 2Sam 1,14; 4,10–11; 9,3). Seinen Sohn und Nachfolger Salomo sieht er an diesen Schwur nicht mehr gebunden, vgl. 1Kön 2,8–9. Kipfer (2015, 214–215) mutmaßt, die 1000 Mann, die Schimi begleiteten (2Sam 19,18), seien eine zu große Macht gewesen, als dass David sich mit ihrem Anführer hätte anlegen wollen. Das ist denkbar, doch den Erzählern ist wohl wichtiger als eine solche rational-militärische Motivation, dass David einmal mehr Großmut gegen einen Sauliden zeigt.

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Augen vulgären Weise bei seinen Untertanen, namentlich denen weiblichen Geschlechts, angebiedert habe; offenbar hat er anlässlich der Überführung der heiligen Lade in die Residenz Jerusalem gar zu freizügig getanzt. David bestreitet das gar nicht, beharrt aber darauf, dies gehöre für ihn zur rechten Verehrung Jhwhs (2Sam 6,21–22). Michals Kritik bleibt insofern nicht folgenlos, als sie von David keine Kinder bekommt (6,23) – wobei offenbleibt, ob David fortan den Kontakt mit ihr gemieden oder sie sich ihm verweigert hat. Ungestraft und mit uneingeschränkter Zustimmung der Erzähler üben in den Samuelbüchern Propheten Kritik an den Königen. Der Gegenspieler Sauls ist Samuel, derjenige Davids Natan. Es ist bemerkenswert, dass beide Propheten nicht von Beginn an Königskritiker sind, sondern anfänglich – im Falle Natans auch am Ende wieder – dem jeweiligen Herrscher eng verbunden sind. Samuel wird geradezu als der ‚Entdecker’ und in der Folge als Mentor Sauls geschildert (1Sam 9–11). Doch dann entzündet sich Streit zwischen ihm und seinem Protegé über die Frage, inwieweit dieser ihm bzw. seinem Gott Gehorsam schulde. (‚Zivilcourage’ gegen Gott ist also nicht zulässig!) Im Prinzip befolgt Saul Samuels Anweisungen treulich und zieht, wie von diesem verlangt, in den Krieg zuerst gegen die Philister, dann gegen die Amalekiter19. Doch beide Male geht er dabei angeblich ein wenig zu selbstständig vor und wird dafür von dem Gottesmann nicht nur kritisiert, sondern förmlich relegiert (1Sam 13,7b–15; 15,26–29). Erstaunlicherweise lässt Saul den prophetischen Kritiker unangetastet, bittet ihn beim zweiten Mal sogar fast unterwürfig darum, mit ihm „umzukehren“ und ihn nicht vor seinen Kriegern zu desavouieren – worauf sich Samuel gnädig einlässt (1Sam 15,30–31). Angeblich haben sich Samuel und Saul danach nie mehr gefunden, ja, selbst, als der König den verstorbenen Propheten aus dem Totenreich heraufholen lässt – eine in der Bibel einmalige Szene –, wiederholt Samuel nur seine alte Kritik wegen Amalek (1Sam 28,18)20. Natan hat drei große Auftritte: den ersten und den dritten als Unterstützer Davids und seines Königtums (2Sam 7,1–17; 1Kön 1), den zweiten als scharfer Kritiker des Königs (2Sam 12,1–24a)21. Ohne ihn blieben Davids Ehebruch mit Batscheba und der Mord an Urija ungeahndet, jedenfalls unkommentiert. Natan aber bewertet beides als abgrundtief gemein und absolut unerträglich. Direkt 19

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Der prophetische bzw. göttliche Befehl zum Bannkrieg gegen Amalek in 1Sam 15,3 ist nicht zu überhören, derjenige zum Losschlagen gegen die Philister in 1Sam 10,7–8 etwas verdeckter; doch folgten ursprünglich die Salbungserzählung 1Sam 10,1–8 und eine Grundform der Philisterkriegserzählung 1Sam 13–14 unmittelbar aufeinander, vgl. Dietrich 2015, 33–34. Die Erzählungen 1Sam 15 und 1Sam 28 sind dtr bearbeitet, in einem breiten Grundbestand aber vor-dtr. Ob sie zum Höfischen Erzählwerk gehörten, ist zumindest fraglich, vgl. Dietrich 1992: 9–27. In 2Sam 12,25 scheint Natan indes wieder mit David zu kooperieren. Die drei Natan-Szenen in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit und Verflechtung untersucht Oswald (2008); ob seine Grundthese, Natan sei eine rein literarische Invention aus dem 7. und 6. Jh., zutrifft, bleibe dahingestellt.

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wagt er das dem König nicht zu sagen; er sagt es durch die berühmte Parabel vom reichen Mann, der sich das einzige Schaf eines Armen nimmt (2Sam 12,1– 4). In dieses Gewand gekleidet, erscheint David sein eigenes Verhalten als strafund sogar todeswürdig (2Sam 12,5–6). Weil er Einsicht zeigt, wird die Todesstrafe auf das im Ehebruch gezeugte Kind verschoben; der König versucht, auch diese Bestrafung abzuwenden – vergeblich (2Sam 12,7–15). Kaum gehörte diese NatanStory schon zum Urbestand der Erzählungen über Davids Thronfolge; ursprünglich war Salomo schlicht die Frucht des Ehebruchs Davids mit Batscheba22. Den Tradenten aber erschien es offenbar als unmöglich, dass ein solch schlimmes Vergehen nicht geahndet worden wäre; es musste jemand auftreten, der die nötige Zivilcourage aufbrachte, den großen David in die Schranken zu weisen. Dabei handelt Natan bezeichnenderweise nicht aus eigenem Antrieb, sondern weil das Vorgefallene „in den Augen Jhwhs böse“ war und der Prophet darum dem König entgegentreten musste (2Sam 11,27b; 12,1a). Zivilcourage hat hier ihren Grund im Glauben an die Präsenz und die Gerechtigkeit Gottes.

4. Mächtige couragiert zu richtigem Handeln bewegen Als David sich zum Zweikampf mit Goliat meldet, will Saul ihn von dem scheinbar aussichtslosen Unterfangen abbringen (1Sam 17,33). David wagt es, dem König zu widersprechen: Er sei als Hirte den Kampf mit Raubtieren gewöhnt, und er werde auch mit diesem „unbeschnittenen Philister“ fertig werden (1Sam 17,34–37). Daraufhin will Saul ihn wenigstens angemessen ausstatten: Er legt ihm seine eigene Kampfrüstung an. Als David versucht, damit zu gehen, vermag er es nicht, legt sie wieder ab und zieht mit seiner Hirtenschleuder in den Kampf (1Sam 17,38–40). An sich ist das ein Affront gegen den wohlmeinenden König, doch David muss, sich selbst und Israel zuliebe, in diesem Fall den Wünschen des Monarchen widerstehen. So geht dem couragierten Kampf mit dem übermächtigen Gegner ein Akt der Zivilcourage gegenüber dem eigenen König voraus. Als bald nach Davids glänzendem Sieg Saul ihm seine ältere Tochter Merab zur Gemahlin geben will, lehnt David dies so höflich wie entschieden ab: „Wer bin ich und (wer sind) die Meinen und die Sippe meines Vaters in Israel, dass ich ein Schwiegersohn des Königs werden sollte?“ (1Sam 18,18) Vermutlich schwebte Saul keine Vollehe vor, durch die David ein vollwertiges Mitglied der Königs22

Vgl. Veijola 1990: 84–105. Auch nach Dietrich (1997: 253–257) gab es eine alte „BatschebaSalomo-Novelle“, bestehend aus 2Sam 11–12* und 1Kön 1–2*, in der Salomo direkt die Frucht des Ehebruchs Davids mit Batscheba war.

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familie geworden wäre, sondern eine „Dienstehe“, durch die David in einer inferioren Stellung an den König gebunden worden wäre23. Das war nicht in seinem Sinn, und so zog er es vor, das Angebot auszuschlagen. Als ihm Saul dann die Heirat mit seiner jüngeren Tochter Michal anbot, willigte David ein: vermutlich nicht nur deswegen, weil Michal ihn „liebte“ (1Sam 18,20.28), sondern weil er für sie eine Brautgabe entrichten konnte (in Form von 100 bzw. 200 Philistervorhäuten!) und damit zum vollwertigen Schwiegersohn des Königs wurde (1Sam 18,20–27). So bahnt sich David couragiert und selbstbewusst seinen Weg in die Königsfamilie. Sehr viel später wird ein anderer Mann ihm selbst gegenüber ebenfalls ein großzügiges Angebot ausschlagen: Barsillai, ein hochbetagter Notabler, der ihm während des Abschalom-Aufstands sehr geholfen hat, lehnt es ab, mit ihm nach Jerusalem zu ziehen und sich am Königshof eine Apanage ausrichten zu lassen. Der alte Herr formuliert seine Ablehnung ausgesucht höflich und macht zudem einen Gegenvorschlag, auf welche Weise David seinen Dank doch abstatten könne; auf diese Weise vermeidet er es, den Monarchen zu kränken (2Sam 19,32– 41). Die Beispiele lehren, dass man keineswegs immer das tun muss, was die Könige wollen, auch dann nicht, wenn sie es offenbar gut meinen24. Ein Bürger darf seinem Herrscher gegenüber durchaus seine eigenen Interessen vertreten, sollte dabei allerdings die guten Formen wahren25. Für beides ist die Frau von Tekoa (2Sam 14) ein glänzendes Beispiel. Sie hat von Joab den Auftrag, David zur Rehabilitation seines Sohnes Abschalom, des ins Ausland geflohenen Brudermörders, zu bewegen. Sie bringt dieses Anliegen indessen nicht offen und sofort zu Gehör; das würde der König als Vermessenheit empfinden. Vielmehr geht sie äußerst behutsam und geschickt zu Werke, trägt dem König einen fingierten Rechtsfall aus ihrer eigenen Familie vor, der ihn mitleidig und milde stimmt, ehe sie unter vielen Kautelen, Ausschmückungen und unterwürfigen Floskeln ihr eigentliches Anliegen zur Sprache bringt. David durchschaut ihre List und Gewitztheit, wird aber nicht zornig, sondern lässt sich erweichen. Ähnlich verläuft die Geschichte der Rizpa (2Sam 21,8–14) – auch wenn sie sich vor einem ungleich schaurigeren Hintergrund abspielt. David hat sieben Sauliden, darunter zwei Söhne von Sauls Nebenfrau Rizpa, für eine rituelle Tötung freigegeben. Statt, wie vorgesehen, die Leichname zur Abschreckung 23 24

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So Willi-Plein 2002: 85. Hinter den Heiratsangeboten Sauls an David sollen sogar arglistige Hintergedanken gesteckt haben (1Sam 18,17b.21.25b), doch sind dies Einträge vonseiten des Höfischen Erzählers, vgl. Dietrich, 2015: 411. Deswegen ist das Verhalten Nabals gegenüber David (1Sam 25,10–11) im Sinne der alttestamentlichen Schriftsteller kein positives Beispiel für Zivilcourage: Dieser Mann vergreift sich in Ton und Sache vollkommen und wird entsprechend vom Erzähler wie von seiner eigenen Gattin negativ qualifiziert (1Sam 25,3.25)

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öffentlich ausgestellt und zum Fraß wilder Tiere werden zu lassen, hält Rizpa bei ihren toten Söhne Wache: ein wortloser, starker Protest gegen einen königlichen Rechtsentscheid. Die Frau hält so lange durch, bis David nachgibt und die Leichen bestatten lässt. Es ist auffällig, dass in den Samuelbüchern gerade auch Frauen Zivilcourage zeigen: außer der Frau von Tekoa und Rizpa auch Abigajil und Michal. Frauen hatten in der damaligen patriarchalen Gesellschaft keinen starken Stand; sie waren aber nicht schwächer als die Männer und nicht weniger als diese zu einem ‚aufrechten Gang’ gewillt. Ihnen wie ihren männlichen Gesinnungsgenossen sei hiermit ein kleines Denkmal gesetzt. Eine führende Enzyklopädie definiert „Zivilcourage“ sehr knapp als den „Mut, sich im bürgerl.[ichen] Leben für die eigene Überzeugung einzusetzen“26. Nach der vorangehenden Durchmusterung der Samuelbücher wäre diese Definition etwas auszuweiten und zu präzisieren: Warum braucht es „Mut“? Weil sich Menschen mit ‚aufrechtem Gang’ regelmäßig mächtigen Interessen oder dem Willen Mächtiger ausgesetzt sehen, vor denen der Normalbürger gern klein beigibt. „Bürgerliches Leben“ hätte auch soldatisches Leben einzuschließen – nicht im Kampf (da wäre eher von Tapferkeit o. ä. zu reden), wohl aber im Verhalten gegenüber Vorgesetzten, denen Untergebene mit ‚aufrechtem Gang’ gelegentlich ein Dorn im Auge sind. Und woraus speisen sich die „eigenen Überzeugungen“ der Menschen mit Zivilcourage? Laut den Samuelbüchern aus gesellschaftlichem Konsens, persönlichem Anstandsempfinden – und aus religiösen Maximen. Gern widme ich diese Überlegungen einem aufrechten Kollegen, der seinerseits verschiedentlich gegen den Willen und wohl auch die Willkür übergeordneter Institutionen und Personen anzukämpfen hatte.

Bibliographie Bloch, Ernst, 1968: Atheismus im Christentum. Zur Religion des Exodus und des Reichs (Frankfurt: Suhrkamp). Busche, Hubertus‚ 1992: Religiöse Religionskritik beim frühen Hegel und beim späten Nietzsche, in: Mihailo Djurič and Josef Simon (Hg.), Nietzsche und Hegel (Würzburg: Königshausen & Neumann), 90–109. Dietrich, Walter, 1992: David, Saul und die Propheten. Das Verhältnis von Religion und Politik nach den prophetischen Überlieferungen vom frühesten Königtum in Israel (BWANT, 122; Stuttgart: Kohlhammer, 2. Aufl.). Dietrich, Walter, 1997: Die frühe Königszeit in Israel. 10. Jahrhundert v. Chr. (Biblische Enzyklopädie, 3; Stuttgart: Kohlhammer). Dietrich, Walter, 2011: Samuel. Teilband 1. 1Sam 1–12 (BKAT, 8/1; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener). 26

Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 20 (Wiesbaden: Brockhaus, 1974): 719.

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Dietrich, Walter, 2015: Samuel. Teilband 2. 1Sam 13–26 (BKAT, 8/2; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener). Gollwitzer, Helmut, 1972: Krummes Holz – aufrechter Gang. Zur Frage nach dem Sinn des Lebens (München: Chr. Kaiser, 5. Aufl.). Hertzberg, Hans Wilhelm, 1965: Die Samuelbücher (ATD, 10; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht). Kipfer, Sara, 2015: Der bedrohte David. Eine exegetische und rezeptionsgeschichtliche Studie zu 1Sam 16-1Kön 2 (Studies of the Bible and Ist Reception, 3; Berlin u.a.: de Gruyter). Kolakowski, Leszek, 1965: Der Himmelsschlüssel. Erbauliche Geschichten (Bibliothek Suhrkamp, 207; Frankfurt: Suhrkamp). Müller, Reinhard, 2004: Königtum und Gottesherrschaft (FAT, 2/3; Tübingen: Mohr Siebeck). Oswald, Wolfgang, 2008: Nathan der Prophet. Eine Untersuchung zu 2Samuel 7 und 12 und 1Könige 1 (AThANT, 94; Zürich: Theologischer Verlag). Peetz, Melanie, 2008: Abigajil, die Prophetin: Mit Klugheit und Schönheit für Gewaltverzicht. Eine exegetische Untersuchung zu 1 Sam 25 (fzb, 116; Würzburg: Echter). Veijola, Timo, 1977: Das Königtum in der Beurteilung der deuteronomistischen Historiographie. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung (AASFB, 198; Helsinki: Suomalainen Tiedeakatemia). Veijola, Timo, 1990: David. Gesammelte Studien zu den Davidüberlieferungen des Alten Testaments (Schriften der Finnischen exegetischen Gesellschaft, 52; Helsinki/Göttingen: Finnische Exegetische Gesellschaft / Vandenhoeck & Ruprecht). Veijola, Timo‚ 2007: Das Opfer des Abraham – Paradigma des Glaubens aus dem nachexilischen Zeitalter, in: Idem, Offenbarung und Anfechtung. Hermeneutisch-theologische Studien zum Alten Testament (BThSt, 89; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener), 88–133. Willi-Plein, Ina, 2002: Michal und die Anfänge des Königtums in Israel, in: Dies., Sprache als Schlüssel. Gesammelte Aufsätze zum Alten Testament (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener), 79–96.

‚Aufbruch‘ als heimliches Prinzip in den Samuelbüchern 1. Israels Aufbruch in die Staatlichkeit: historisch und literarisch Im deuteronomistischen Geschichtswerk, das die Zeit von der Landnahme Israels bis zum Landverlust umspannt, wird der relativ kurzen Epoche der frühen Königszeit (ca. 1000–926 v. Chr.) auffällig viel Raum gegeben: 67 Kapitel (1Sam 1 – 1Kön 12). Demgegenüber erhalten die viel längeren Perioden davor und danach, die Zeit der Stämme (ca. 1200–1000 v. Chr.) und die Zeit der späteren Könige (926 bis 563 v. Chr.), mit 45 bzw. 34 Kapiteln (Jos–Ri bzw. 1Kön 13 – 2Kön 25) deutlich weniger Platz Die Zeit der Staatsbildung in Israel ist nicht nur literarisch, sondern auch historisch von besonderem Gewicht. Der Schritt von einer tribalen zu einer staatlichen Ordnung ist eine ungemein einschneidende und weitreichende Veränderung in der Geschichte eines Volkes. Das biblische Israel bewältigte ihn in weniger als einem Jahrhundert. Demgegenüber brauchten die Schweizer Eidgenossen wie auch die Siebenbürger Sachsen, um von dezentralen, genossenschaftlichen Anfängen zu festen staatlichen Strukturen zu gelangen, wohl über ein halbes Jahrtausend.1 Man ahnt die gewaltigen Spannungen, die das Israel des 10. Jahrhunderts v. Chr. erschüttert haben müssen. Die Situation des vorstaatlichen Israel – das zeigen diejenigen biblischen Texte, die (mehr oder weniger verschwommene) Erinnerungen an diese Zeit aufbewahrt haben, das zeigt aber auch mit zunehmender Klarheit die Archäologie – war von folgenden Faktoren geprägt: – Die Siedlungsgebiete der Stämme lagen überwiegend im mittelpalästinischen Bergland. Sie waren von einer fast rein landwirtschaftlichen, kleinbäuerlichen Lebens- und Wirtschaftsweise geprägt. Die typische Siedlungsform war das Dorf, meist ringförmig, zuweilen befestigt, auf Bergkuppen angelegt. Die Bewohner betrieben Ackerbau auf mühsam dem steinigen, karstigen Gelände abgerungenen kargen Böden und hielten Kleinviehherden in den ganz unzugänglichen, brachliegenden Gebirgsgegenden. Die Wasserversorgung während der langen, trockenen Sommer erfolgte teils

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Mit dieser Anspielung grüsst ein Schweizer Alttestamentler den Siebenbürger Neutestamentler Hans Klein in Ehrerbietung und Dankbarkeit.

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II. Thematische Längsschnitte aus Quellen, vor allem aber aus Zisternen. Mangel, Knappheit, Trockenheit, oft auch Hunger waren ständige Begleiterscheinungen. Die einzelnen Stämme und sogar die Sippen existierten weitgehend für sich, in weitreichender Autarkie. Sie betrieben eine Art Subsistenzwirtschaft, das heißt, man lebte von dem, was sich an Getreide und Gemüse anbauen ließ, und von dem, was Schaf- und Ziegenherden abwarfen. Tauschwirtschaft über das einzelne Dorf, erst recht über die jeweilige Region hinaus gab es kaum, von Überlandhandel ganz zu schweigen. Heiraten erfolgten allermeist über kleine Entfernungen hinweg: innerhalb des Dorfs, vielleicht noch zum Nachbardorf. Entsprechend begrenzt waren die geistigen und kulturellen Horizonte. Die Religion diente vorwiegend der Sicherung der Fruchtbarkeit und des Lebens. Die dörfliche Gesellschaft war vergleichsweise egalitär. Sicher gab es größere und kleinere, erfolgreichere und ärmere, durch Glück und durch Tüchtigkeit begünstigte und weniger begünstigte Bauern. Die Dörfer hatten Ältestenräte, eine Art Notabeln, und am anderen Ende der Skala standen Unselbstständige, Sklaven, Knechte und Mägde (von Geburt her oder infolge Verschuldung und Verarmung); dennoch gab es keine ausgeprägt hierarchischen Herrschaftsformen. In den Ebenen Palästinas – in der Küsten-, der Jesreel- und auch der Jordanebene – herrschten teilweise sehr andere Lebensformen und -ordnungen. Während der gesamten Bronzezeit existierten in Kanaan Stadtstaaten, über die zeitweise die ägyptischen Pharaonen die Oberherrschaft ausübten. Dieses politische System zerfiel in der Spätbronzezeit, doch gab es auch in der frühen Eisenzeit noch – d.h. in der Frühzeit des werdenden Israel – Residuen oder Revivals der alten urbanen Kultur. Namentlich in der Küstenebene hatten sich zudem die Philister niedergelassen: eine wohl aus der Ägäis stammende Herrenschicht, die aus fünf vordem kanaanitischen Städten florierende Wirtschaftszentren mit differenzierter Ökonomie und überregionalen Handelsbeziehungen machten. Landwirtschaft war nur begrenzt ihre Sache; landwirtschaftliche Produkte bezogen sie (oder nahmen sie sich) aus dem gebirgigen Hinterland im Osten. In der Nachbarschaft der kanaanitischen bzw. philistäischen Städte und der israelitischen Stämme gab es noch weitere stadtstaatliche Zentren (die Phönizierstädte im Nordwesten) wie auch bäuerlich-tribal geprägte Gesellschaften (die Aramäer, Ammoniter, Moabiter und Edomiter im Osten) sowie nomadisierende Verbände (die Midianiter und Amalekiter im Süden).

Dies etwa war die Situation Palästinas in der Frühen Eisenzeit (ca. 1200-1000 v. Chr.), wie sie in den Erzählungen des Richterbuchs und am Anfang des 1. Samuelbuchs vorausgesetzt ist. In den Königsbüchern bietet sich dann eine erheblich veränderte politische Lage. Weiterhin bestehen im Westen die philistäischen und phönizischen Stadtstaaten. Im Osten sind vier Königtümer entstanden:

‚Aufbruch‘ als heimliches Prinzip in den Samuelbüchern

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Aram-Damaskus, lange Zeit die führende Regionalmacht, sowie die kleineren politischen Einheiten Ammon, Moab und Edom. Dazwischen haben sich zwei israelitische Staaten etabliert: das Königreich Israel, reichend vom Libanon bis zu einer Linie knapp nördlich von Jerusalem, unter Einschluss der Jesreel- und der Jordansenke sowie eines Teils des Ostjordanlandes; und das wesentlich kleinere, bei weitem nicht so volkreiche Königreich Juda, von Jerusalem bis in den Negev reichend. Diese Staaten blieben eine Zeitlang selbstständig, bis sie in die Imperien der mesopotamischen Mächte Assyrien und Babylonien eingegliedert wurden. Den Übergang von der einen zur anderen Situation beschreiben die Samuelbücher. Sie erzählen die Geschichte eines epochalen Aufbruchs Israels. Es war nicht der erste dieses Volkes und sollte nicht der letzte bleiben. Nach den Erzählungen des Pentateuchs war schon das Leben der Urahnen Israels von Aufbrüchen gekennzeichnet: von Mesopotamien nach Palästina, von dort nach Ägypten, von Ägypten hinein in die Wüste Sinai und von dort in Richtung auf das Gelobte Land. Am Ende der Königsbücher erfolgt der grundstürzende Aufbruch aus der Eigenstaatlichkeit in die Staatenlosigkeit und ins babylonische und ägyptische Exil. Keine hundert Jahre später brechen wieder Juden (keineswegs alle!) auf vom Exil zurück in die Heimat, werden alsbald aus den Träumen erneuerter eigener Staatlichkeit gerissen und in die raue Realität der persischen, dann der griechischen und schließlich der römischen Fremdherrschaft versetzt, um am Ende in neue Exile in der gesamten römischen Ökumene und darüber hinaus getrieben zu werden. Die ständigen Aufbrüche des israelitischen und jüdischen Volkes erklären sich nicht zuletzt aus der exponierten Lage des Landes der Bibel: auf der Landbrücke zwischen den großen Macht- und Kulturzentren am Nil und an Eufrat und Tigris, geographisch selbst relativ kleinräumig und kleinkämmerig, nicht geeignet für umfassende territoriale Zusammenschlüsse, ausgestattet mit höchst begrenzten ökonomischen Ressourcen, bevölkerungsmäßig immer unterhalb der kritischen Masse zur Großmachtbildung. Ein Völklein wie Israel war gezwungen zu immer neuen, oft höchst unliebsamen Aufbrüchen. Die Folge war aber auch, dass es zu immer neuen geistigen Aufbrüchen fähig war. Nicht zuletzt seine Religion ermangelt einer, manchen vielleicht als wünschenswert erscheinenden, Statik und Systematik. Der Gott, dem Israel sich verschrieb (oder der sich ihm verschrieb), kann bald als Wüsten-, bald als Kulturlandgott auftreten. Er kann als Schöpfer- oder als Geschichtsgott erscheinen. Er wird einmal als wandernd, einmal als sesshaft wahrgenommen. Er will einmal an keinem festen Heiligtum, dann an vielen und schließlich nur an einem einzigen verehrt werden. Er wird als Familien- wie auch als Landes-, als Stammes- wie auch Staatsgott gesehen. Es ist, als konzentrierten sich die Beweglichkeit und Wandlungsfähigkeit Israels wie auch die seines Gottes in der frühen Königszeit wie in einem Prisma. Der Anfang des ersten Samuelbuches zeigt Israel noch als dezentrales Gefüge:

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Bauernfamilien, die an ein Stammesheiligtum zum Jahresfest pilgern (1Sam 1), ein Stammesheer, das eine vernichtende Niederlage gegen die Philister erleidet, ein Stammesheiligtum, das dem Feind in die Hände fällt (1Sam 4), Bergbauern, die ihre Arbeits- und Ackergeräte bei den Philistern kaufen und warten lassen müssen (1Sam 13,20f), ein erster König, der Bauernsohn ist (1Sam 9) und selbst noch den Pflug führt (1Sam 11), der über keine Residenz und über keine nennenswerten staatlichen Strukturen verfügt (1Sam 13–14). Völlig anders die Lage am Anfang des 1. Königebuches. Der jetzige, dritte König Israels ist Königssohn (1Kön 1), verfügt über eine differenzierte Verwaltung (1Kön 4), residiert in einer teilweise neu errichteten Kapitale mit Palast und Tempel (1Kön 5–8), pflegt internationale Beziehungen, betreibt ein offenbar aufwändiges Hofleben einschließlich eines riesigen Harems und fördert Kunst und Bildung (1Kön 10–11). Der Umbruch könnte schärfer kaum sein. Auch wenn in der biblischen Darstellung Salomos manches übertrieben und aus späterer Zeit zurückprojiziert sein mag, hat Israel sich offenbar binnen etwa eines halben Jahrhunderts von einer Stammesgesellschaft in einen monarchisch gelenkten Staat verwandelt und ist zu einem regulären Glied der vorderorientalischen Staatengemeinschaft geworden. Dieser grundstürzende und grundlegende politische Wandel war womöglich auch mit einem starken religiösen Umbruch verbunden. Die Stämme, soweit sie sich schon in vorstaatlicher Zeit als zusammengehörig empfanden, trugen den Gottesnamen „El“ im Namen (Isra-El; in Gen 32,23-32 findet sich eine volksetymologische Deutung dafür). Im Onomastikon der Samuelbücher findet sich ebenfalls das Epitheton „El“ (Elkana, Samuel, Eliab, Elimelech usw.), daneben auch „Baal“ (Eschbaal, Meribaal u. a.) – aber auch schon „Ja(hu)“ oder „J(eh)o“ (Jonatan, Jischwi, Joab, Seraja, Benaja, Jojada, Urija, Adonija etc.). Es ist, als sei Jhwh gerade dabei, zum Gott Israels zu werden – möglicherweise, weil die ersten Könige sich dezidiert als seine Verehrer bekannten und zwecks Schaffung eines einigenden ideologischen Bandes seine Verehrung förderten. War also Israel in der frühen Königszeit gleichsam erst auf dem Weg, Jhwhs Volk zu werden, so wurde es damals doch klar zum Staatsvolk. Als solches sollte es ein rundes halbes Jahrtausend existieren – in einer mehrtausendjährigen Geschichte eine nicht übermäßig große Spanne. Und doch war die Königszeit eine äußerst formative Phase in der politischen, der Religions- und nicht zuletzt auch der Kultur- und Literaturgeschichte Israels. Und in der frühen Königszeit wurden die Weichen dorthin gestellt. Ob das Alte Testament Zeugnisse aus der vorstaatlichen Zeit bewahrt hat, ist strittig; am ehesten ist das in Grundbeständen der Jakob-Überlieferung (Gen *30–31) und des Debora-Liedes (Ri *5) der Fall. Diejenigen Textelemente der Samuelbücher, die sich mit einiger Sicherheit in die frühe Königszeit zurückverfolgen lassen, gehören somit zu den ältesten des Alten Testaments. Um 700 v. Chr. lag die Gesamtdarstellung der frühen Königszeit weitgehend abgeschlossen vor. In ihr erreichte die hebräische Erzählkunst bereits einen ihrer Höhepunkte. Wenn das Alte Testament große Weltliteratur

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ist, dann nicht zuletzt dank der Samuelbücher. Die namenlosen Autoren, die dafür verantwortlich sind, begriffen offenbar die frühe Königszeit als Zeit des Aufbruchs. Auch wenn sie das hebräische Wort für „aufbrechen“, qûm, nicht auffällig häufig verwenden (in 1Sam 21,1.11; 23,4.13; 25,1; 27,2; 2Sam 15,14), deutet sich darin doch schon an, dass hier nicht fixe Gegebenheiten beschrieben werden sollen, sondern ein höchst lebendiger, überraschender geschichtlicher Prozess. Das wird noch viel deutlicher in den Hauptcharakteren der Samuelbücher. Jeder von ihnen erlebt (oft auch: erleidet!) die unterschiedlichsten persönlichen Aufbrüche und wird so zum Teil des großen Aufbruchs Israels in die Staatlichkeit.

2. Die Hauptfiguren der Samuelbücher: Verkörperungen des Aufbruchs a) Samuel Die Mutter Samuels, Hanna, könnte geradezu als Inbegriff einer aufbrechenden, Neues wagenden Frau gelten. Sie ist nicht bereit, ihre Kinderlosigkeit und gar noch hämische Bemerkungen einer Nebenbuhlerin klaglos zu ertragen. Abrupt verlässt sie beim Jahresfest in Schilo die familiäre Tischgemeinschaft und begibt sich „vor Jhwh“, d.h. ins Heiligtum. Mit Gott schließt sie einen ungewöhnlichen Pakt: Er soll ihr einen Sohn, sie wird ihm diesen zurück schenken. Der Dienst tuende Priester missdeutet ihr aufgewühltes Benehmen, will sie des heiligen Ortes verweisen. Sie aber erringt sich seinen Segen – und wird bald darauf schwanger. Später hält sie das Gott gegebene Wort und übergibt ihren Sohn, Samuel, dem Heiligtum in Schilo (1Sam 1). Das ihr von späteren Redaktoren in den Mund gelegte Lied (1Sam 2,1-10) gibt der Überzeugung Ausdruck, dass der Gott Israels ein Gott der überraschenden Neuanfänge ist; er vermag althergebrachte Ordnungen außer Kraft zu setzen, die Hohen zu erniedrigen, die Niedrigen zu erhöhen. Dies wird eine Leitlinie der Erzählungen in den Samuelbüchern sein. Als Priesterzögling hebt sich der junge Samuel vorteilhaft von den Sprösslingen der Priesterfamilie ab (1Sam 2). So empfängt er anstelle der Priester die Offenbarung Gottes (1Sam 3). Die elidischen Priester gehen im Kampf gegen die Philister zugrunde, die von ihnen gehütete Lade fällt in Feindeshand (1Sam 4). Während sich das heilige Palladium seinen Weg zurück in die Heimat erkämpft (1Sam 5–6), findet Samuel nicht weit entfernt von Schilo, im efraimitisch-benjaminitischen Grenzgebiet, eine neue Aufgabe: Er wird zum allseits geachteten Richter, zu einer Art Volkstribun der dort siedelnden israelitischen

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Verbände, als der er sogar gegen die Philister einen Erfolg zu erringen vermag (1Sam 7). Damit ist er in einer Position, aus der heraus er die politische Ordnung der israelitischen Stämme auf neuen Grund stellen kann. Die Stämmeordnung hat sich überlebt, es muss eine Staatsordnung geschaffen werden. Trotz der Bedenken Samuels und auch Gottes kommt dafür nur eine Monarchie in Frage (1Sam 8). Samuel findet mit Gottes Hilfe den richtigen Mann als ersten Amtsinhaber: den Benjaminiten Saul aus dem nahe gelegenen Gibea (1Sam 9–10). Nur die Autorität Samuels ermöglicht dessen Inthronisation, und begleitet von Samuel erringt er seinen ersten militärischen Erfolg gegen die Ammoniter (1Sam 11). Danach zieht sich Samuel aus der Politik zurück, nicht ohne Israel noch einmal ernst vermahnt zu haben (1Sam 12). Samuel ist es, der sich von der getroffenen Wahl auch wieder distanzieren und einen erneuten Aufbruch wagen kann. Als er feststellt, dass Saul sein Amt nicht jederzeit und absolut vor Gott verantworten und nach Gottes strenger Anweisung ausüben will, entzieht er ihm die göttliche Legitimation und kündigt das Auftreten eines anderen an, der „nach Gottes Herzen ist“ (1Sam 13,7b–15; 15). Saul darf noch einen großen Erfolg gegen die Philister erzielen, darf eine schüttere staatliche Ordnung installieren (1Sam 14) – doch Samuel ist schon zu neuen Ufern aufgebrochen: Den unscheinbaren David ben Isai aus Betlehem kürt er zum nächsten König (1Sam 16,1-13) und wartet dann im Hintergrund ab, wie die Ablösung des ersten Königs Israels durch den zweiten vonstattengehen wird. Einmal ist er David noch gegen Saul behilflich, schützt ihn vor dessen Nachstellung (1Sam 19,18–24). Dann hört man nichts mehr von ihm, bis er in hohem Alter stirbt (1Sam 25,1). Saul wird bald danach sein Ende finden, David sein Erbe antreten (1Sam 30 – 2Sam 5). So ist Samuel der (Gottes-)Mann, der Israel den Schritt in eine neue politische Ordnung zu tun hilft und eine alsbald eintretende Fehlentwicklung korrigiert. Er ist der Mann des Übergangs vom tribalen zum staatlichen System in Israel, von der Zeit ohne König zu der mit Königen. Danach wird die staatliche Ordnung stabilisiert, wird das Staatsschiff Israels (und Judas) in halbwegs gesicherten Gewässern unterwegs sein.

b) Saul Die zweite große Gestalt der Samuelbücher ist der von Samuel inthronisierte Saul. Sein Kommen kündigt sich schon im allerersten Kapitel an, indem das dortige Leitwort, šā’al („bitten“), seinen Namen šā’ûl präludiert (1Sam 1). Er selbst, so die biblische Darstellung, wäre nie auf den Gedanken verfallen, König zu werden; der Sprung vom gewohnten Familien- und Sippendenken zu einem neuartigen, königlichen Selbstbewusstsein muss ihm von außen – genauer: von Samuel – nahegelegt werden. Ein fast nichtiger Anlass – dem Vater sind Eselinnen entlaufen – setzt Saul in Bewegung: von Gibea auf Umwegen nach Rama,

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vom Vater Kisch zum Propheten Samuel, vom arglosen Bauernsohn zum Königsanwärter (1Sam 9,1–10,16); die ihm von Samuel entgegengebrachte Ehrerbietung verwirrt ihn, er möchte sie zurückweisen. Als bei einer Volksversammlung ein König per Los ermittelt werden soll und prompt Saul getroffen wird, da fehlt er, hält sich beim Tross auf bzw. hat sich dort versteckt (1Sam 10,17–27). Kurz, Saul ist von Haus aus kein Mann des Neuaufbruchs, und doch wird er zu dessen Galionsfigur. Eine weitere Version seiner Königswerdung zeigt ihn noch als Bauern, der wie alle andern von der Nachricht eines schamlosen Überfalls der Ammoniter auf die Ortschaft Jabesch in Gilead überrascht wird. Anders als bei allen anderen bleibt es bei ihm jedoch nicht bei Empörung und Trauer; ihn vielmehr „springt der Geist Jhwhs an“, als charismatischer Führer treibt er die Israeliten zur Heerfolge, befreit Jabesch und wird anschließend in Gilgal auf den Thron gehoben (1Sam 11) – der gewaltige Wechsel vom Bauern zum Heerführer und König in einem Kapitel! Was Saul treibt, ist kein neuartiges, sondern ein aus der Vergangenheit bekanntes Phänomen: Schon in der Stämmezeit waren immer wieder geistbegabte militärische Führer aufgetreten, die einen oder mehrere Stämme in den Kampf gegen äußere Feinde führten (Ri 3–16). Während sie aber jeweils ins Glied zurücktraten, blieb Saul an der Macht. Der Überlieferung zufolge hatte er alsbald mit noch viel gefährlicheren Feinden zu tun als den Ammonitern. Die Philister drängten aus der Küstenebene herauf, um die israelitischen Siedler in die Rolle einer Untertanenbevölkerung zu zwingen. Eine große Schlacht gegen sie soll Saul mit Hilfe seines Sohnes Jonatan (1Sam 13–14), eine weitere mit Hilfe des jungen David gewonnen haben (1Sam 17). Es gibt ein kleines Summarium seiner militärischen Erfolge, verbunden mit einer Liste der Mitglieder der Königsfamilie, unter ihnen sein C Abner, der ihm als Truppenführer diente (1Sam 14,47–51). Neben dem von Zeit zu Zeit aufzubietenden Heerbann verfügte Saul offenbar über eine kleine stehende Truppe (1Sam 14,52), eine Neuerung, die ihm ermöglichte, polizeiliche und auch kleinere kriegerischen Aufgaben sozusagen aus eigener Kraft zu erfüllen. Aus welchen Mitteln diese Söldnergarde unterhalten wurde, erfährt man nicht; möglicherweise diente diesem Zweck die Akkumulation größerer Anteile am damals wichtigsten Produktionsmittel: dem landwirtschaftlich nutzbaren Boden (vgl. 2Sam 16,1–4). Sauls Reich war nicht groß, seine Herrschaft nicht stark ausgebaut. Auf ihn hörten wohl nur die Stämme des mittelpalästinischen Berglands und der ostjordanischen Landschaft Gilead (vgl. 2Sam 2,9). Nichts verlautet von einer differenzierten Verwaltung, von Steuern, von einem nennenswerten höfischen Leben, von Kunst und Kultur. Saul war eine Art Soldatenkönig – nicht mehr und nicht weniger. Dass er dies werden konnte, bedeutete bereits eine gewaltige Veränderung in der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung Israels. Einer war jetzt auf längere Zeit (im Prinzip unbefristet) über alle anderen hinausgehoben. Erst der Tod trennte ihn von der Macht, und zuvor versuchte

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II. Thematische Längsschnitte

er, eine ihn überdauernde dynastische Herrschaft zu installieren, was aber misslang. In alledem gelangte sein Nachfolger David wesentliche Schritte weiter.

c)

David

Davids Karriere begann im Umkreis Sauls. Anscheinend bot ihm dessen Söldnertruppe eine Chance zu erstem Aufstieg. Er soll auch dem gemütskranken König als Musiktherapeut gedient haben (1Sam 16). Bald aber sprengten sein Ehrgeiz und sein Talent den engen Rahmen des Königsdienstes. Er gewann die Prinzessin Michal zur Frau und den Kronprinzen Jonatan zum Freund. Nicht lange, und er wurde dem König suspekt; argwöhnisch beobachtete dieser den Senkrechtstarter, stellte ihm nach, wollte ihn angeblich sogar aus dem Weg räumen (1Sam 18). David entwich und machte sich als Bandenführer in seiner judäischen Heimat selbstständig (1Sam 21): ein Ausstieg, der nicht sogleich als Aufstieg erkennbar ist, vielmehr eher wie ein Abstieg wirkt. Das Leben als Freibeuter war naturgemäß eine ständige Abfolge von Aufbrüchen: von Ort zu Ort, von Versteck zu Versteck, von einer Möglichkeit, das Auskommen der Truppe zu sichern, zur andern (1Sam 21–25). Einmal, wird erzählt, entschloss er sich, die Ortschaft Keïla von den Philistern zu befreien, dann wieder musste er sie überstürzt verlassen, um Saul nicht in die Hände zu fallen. Am Ende soll er nur noch die Möglichkeit des Übertritts zu den Philistern gesehen haben. Angeblich fiel ihm dieser Schritt enorm schwer, bedeutete er doch den Bruch mit allem Vertrauten, einschließlich der hergebrachten Religion (1Sam 26–27). David hielt es nicht lang in der Stellung eines philistäischen Vasallenkönigs von Ziklag. Bald schon folgte ein neuerlicher Wechsel: nach Hebron, von wo aus er ein neugeschaffenes Königtum Juda regierte. Damit war sein Ehrgeiz noch immer nicht gestillt. Gezielt destabilisierte er das Reich des inzwischen gefallenen Saul, bis ihm auch dessen Krone angetragen wurde. Das zwischen beiden Reichsteilen gelegene Jerusalem erwählte er zur Residenz (2Sam 2–5). Auch dort freilich kam er nicht zur Ruhe. Nicht nur scheint er eine große Zahl von Kriegen geführt zu haben (2Sam 8), auch Bürgerkriege erschütterten sein Reich; sein eigener Sohn Abschalom trachtete ihm nach dem Leben und vertrieb ihn eine Zeitlang aus Jerusalem (2Sam 15–20). Innenpolitisch brach David laut dem biblischen Bericht zu manchen neuen Ufern auf. Als wohlüberlegter religionspolitischer Schachzug lässt sich die Überführung der heiligen Lade nach Jerusalem verstehen: eines fast in Vergessenheit geratenen Kriegspalladiums der mittelpalästinischen Stämme Israels (2Sam 6). Damit erwies David seine Reverenz gegenüber einem Kernsymbol der alten Stämmereligion, zugleich einer Repräsentanz des zu seiner Zeit noch keineswegs monotheistisch oder auch nur monolatrisch verehrten Gottes Jhwh, der als

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über der Lade thronend geglaubt wurde. Jhwh wurde zum Dynastie- und damit über kurz oder lang zum Landesgott Judas wie auch Israels. Offenbar hat David eine relativ differenzierte Verwaltung aufgebaut, deren Spitzen zweimal in fast gleich lautenden Listen aufgezählt werden (2Sam 8,16– 18; 20,23–25). Man muss sich den davidischen Staat trotzdem nicht vorstellen wie einen modernen, durchorganisierten Flächenstaat. Es war ein Klientel-Staat, zusammengesetzt aus einer Vielzahl unterschiedlicher politischer Entitäten – Stämme, Clans, Städte, Kleinregionen –, die ein je eigenes Verhältnis zum König unterhielten. Erst recht ist das in 2Sam 8 entworfene Bild eines Imperiums, in dem das Kernland umgeben war von einem breiten Gürtel von Vasallenstaaten, der bis fast an den Nil und an den Eufrat reichte, kräftig überzeichnet. Die Ammoniter scheint David tatsächlich dauerhaft unterworfen zu haben (2Sam 10; 12); andere Nachbarn mag er gelegentlich besiegt, mit wieder anderen ein schiedlich-friedliches Verhältnis gepflegt haben. Gleichwohl stellt das Königtum Davids, so kurz nach Aufgabe der Stammesordnung, eine gewaltige Neuerung dar. David darf als der Mann des Aufbruchs in eine neue Epoche der Geschichte Israels bezeichnet werden. Namentlich die Geschicke des südlichen Juda hat er nachhaltig geprägt. Die von ihm sich herleitende Dynastie herrschte in Jerusalem fast ein halbes Jahrtausend lang, und aus der Erinnerung an den Dynastiegründer erwuchs in der nachstaatlichen Zeit der messianische Gedanke, der die Hoffnung auf eine neue, lebensförderliche Ordnung für Israel, ja für die ganze Welt, wachhielt (Jes 11!).

d) Salomo Vom ersten in der langen Reihe von Davididenkönigen wird in den Samuelbüchern nur noch die Geburtsgeschichte (1Sam 11–12), in dem literarisch eigentlich noch zu den Samuelbüchern gehörenden Anfang der Königsbücher die Inthronisationsgeschichte erzählt (1Kön 1–2). Die eigentliche Geschichte der Salomozeit entstammt einer eigenen literarischen Quelle (1Kön *3–11). Anscheinend stand es nie in Frage, dass das Reich Davids von einem seiner Söhne weitergeführt werden sollte – die Frage war nur, von welchem. Nachdem einige aussichtsreiche Thronanwärter ausgeschieden waren (Amnon, Abschalom und Adonija), kam die Reihe an Salomo: den zehnten und unter einigermaßen obskuren Umständen zur Welt gekommenen Sohn Davids. In seinem Fall hätte man eher von einer Machtergreifung als von einem auf harmonische Weise erfolgten Thronwechsel zu reden. Einmal an der Macht, scheint Salomo die von seinem Vater grundgelegten staatlichen Strukturen weiter ausgebaut zu haben. Die Liste seiner Minister ist länger als die Davids (1Kön 4,2–6), von ihm gibt es eine detaillierte Liste von zwölf Provinzen, die über das Jahr hinweg für die Versorgung des Hofs zu sorgen hatten (1Kön 4,7–19). Angeblich setzte er ein umfangreiches staatliches Bauprogramm in Szene (1Kön 9,15–19). Es überrascht

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nicht, dass in der Salomo-Überlieferung Hinweise auf regelmäßige Steuern, Abgaben und Frondienste auftauchen (vgl. außer 1Kön 4,7–19; 9,15 noch 1Kön 12,4.9–11.18). Damit war Israel-Juda zu einem vollgültigen orientalischen Staat geworden. Die unter (Samuel und) Saul zaghaft begonnene und unter David auf neue Grundlagen gestellte Entwicklung vom losen Stämmebund zur festen Monarchie gelangte unter Salomo zu einem vorläufigen Schlusspunkt. Ob der in den Samuelbüchern geschilderte Aufbruch in die Staatlichkeit letztlich zum Wohl Israels war, ist eine unbeantwortbare Frage. Wahrscheinlich war er unvermeidlich. Jedenfalls hat Israel, indem es ihn wagte, eine ganz neue Entwicklung genommen, ganz neuartige Erfahrungen gemacht, neue Möglichkeiten entfaltet, ohne die das Alte Testament nicht das ungemein vielfältige, so viele Lebensbereiche ansprechende Buch geworden wäre, das es jetzt ist.

Ars necandi und ars moriendi in den Samuelbüchern Einführung Wohl nirgendwo in der Bibel ist der Tod so allgegenwärtig wie in den Samuelbüchern. Fast kein Kapitel, in dem nicht Menschen auf irgendeine Weise zu Tode kommen oder ihm nur ganz knapp entkommen. Offenbar wollen die Erzähler nicht nur schildern, wie die Menschen in der frühen Königszeit Israels gelebt haben, sondern auch wie sie gestorben sind. So sehen wir nicht nur die Hauptfiguren – Samuel, Saul, David – sterben, sondern genauso zahllose Nebenfiguren. Mit der Binsenweisheit, dass der Mensch sterblich ist, wird hier bedingungslos ernst gemacht. Der Grund dafür ist kaum, dass die Autoren der Samuelbücher etwa makaber morbide Neigungen hatten, sondern vielmehr, dass ihnen an einem ernsthaften, realistischen Umgang mit dem Thema Tod lag. Vermutlich wollten sie ihren Leserinnen und Lesern etwas sagen über eine angemessene Haltung gegenüber dem Sterben: gegenüber dem ‚schlechten’, das Leben zerstört, genauso wie gegenüber dem ‚guten’, das gleichsam zum Leben gehört. Die einschlägigen Äußerungen der Samuelbücher lassen sich grob in zwei Bereiche aufteilen: den des Tötens und den des Sterbens. Das eine Mal wird der Tod zugefügt, das andere Mal erlitten. Oft sind das natürlich zwei Seiten einer Medaille. Doch der Erzählfokus richtet sich einmal mehr auf die eine, einmal mehr auf die andere Seite. Es möge nicht als zynisch empfunden werden, dass der erste der beiden Bereiche mit „ars necandi“ überschrieben ist. Wenn man den Ausdruck nicht rein technisch missversteht (Wie bringt man am besten Menschen um?), ist er durchaus sinnvoll: Wann ist bzw. galt damals Töten als unvermeidlich und zulässig, wann als unzulässig und unbedingt zu vermeiden? Auch bei der „ars moriendi“, der Kunst des Sterbens, ist zu differenzieren: zwischen einem Tod, der zu erwarten ist und vorbereitet werden kann, und einem unerwarteten, vorzeitigen Tod, und wie dieser verarbeitet werden kann.

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1. Ars necandi in den Samuelbüchern a) Töten im Krieg Am massenhaftesten gestorben wird in den Samuelbüchern im Krieg. Die Zeit der Staatenbildung in Israel scheint eine ungewöhnlich kriegerische Zeit gewesen zu sein. Gleich zu Beginn wird von einer verlorenen Schlacht der noch nicht von einem König geführten Stämme Israels gegen die Philister berichtet. 30 000 Mann sollen gefallen (1Sam 4,10), zudem das gesamte führende Priestergeschlecht der Eliden ausgerottet worden sein. Doch wie ein Funken Glut unter der Todesasche erscheint die Geburt eines Eliden im Augenblick der Katastrophe (1Sam 4,19–22). Israel überlebt, schwer lädiert, die Krise und will alsbald einen König haben, der „vor uns ausziehen und unsere Kriege führen soll“ (1Sam 8,20). Samuel kommt diesem Wunsch widerstrebend nach und kürt Saul zum ersten König Israels. Dessen erste Großtat ist ein Sieg über die Ammoniter, bei dem ungezählte Krieger dieses östlichen Nachbarvolkes ihr Leben verlieren und von den Überlebenden „nicht zwei beieinander blieben“ (1Sam 11,11). Bald darauf folgt ein Krieg gegen die Philister im Westen, den Saul zwar gewinnt, bei dem er aber erste Blessuren erleidet (1Sam 13f.), danach einer gegen die Amalekiter im Süden, die Saul angeblich mit Kind und Kegel ausrotten sollte, was er nicht ganz vollständig tat (1Sam 15). In einem Summarium werden die Nachbarvölker noch einmal aufgezählt, gegen die Saul Krieg führte (1Sam 14,47f.). Der Anfang von Davids Karriere ist in Sauls Kämpfe mit den Philistern verwoben. Den Auftakt bildet die Tötung Goliats, eines ihrer Vorkämpfer, und die anschließende Verfolgung des flüchtenden Feindes, wobei „Erschlagene auf dem Weg lagen von Schaarajim bis Gat“ (1Sam 17,52). Um die Hand der Prinzessin Michal zu gewinnen, liefert David eine schauerliche Brautgabe in Form von 200 Philister-Vorhäuten ab (1Sam 18,27). Diese und noch weitere Kriege mit den Philistern übersteht David unbeschadet (2Sam 5,17–25; 21,15–22), während Saul zusammen mit dreien seiner Söhne und ungezählten Soldaten diesem Feind zum Opfer fällt (1Sam 31). Die Ammoniter, die schon Saul einmal geschlagen hat, unterwirft David endgültig (2Sam 12,26–31). Auch bei David fasst ein Summarium alle Kriegsgegner zusammen (2Sam 8), zu denen jetzt auch die Aramäer im Norden zählen (vgl. auch 2Sam 10). Besonders erschreckend sind hier die Nachrichten von Massentötungen an Moabitern (2Sam 8,2) und Edomitern (2Sam 8,13). In diesem Summarium noch nicht einmal aufgeführt sind die Bürgerkriege in der Zeit Davids, die zahlreiche weitere Opfer gefordert haben müssen (2Sam 2; 18). Von all diesen Kriegsereignissen berichten die Erzähler der Samuelbücher scheinbar ungerührt. Und sie lassen es als natürlich erscheinen, dass um tote

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Israeliten getrauert und über tote Feinde gejubelt wird. David beklagt die Niederlage Israels und den Tod Sauls und Jonatans (2Sam 1,17–29), die Frauen Israels rühmen Saul und David als die, die „Tausende“ bzw. „Zehntausende“ erschlagen haben (1Sam 18,7, vgl. 21,12; 29,5). Moralische Skrupel scheinen nicht zu bestehen. „Das Schwert frisst bald hier, bald dort“, bemerkt David selbst lakonisch (2Sam 11,25). An einigen Stellen aber ist doch ein Unbehagen über die Massenhaftigkeit und Wahllosigkeit des Sterbens im Krieg zu spüren. Gelegentlich wird das Bestreben sichtbar, bei einer militärischen Auseinandersetzung nur den Anführer des Feindes zu töten – in der Hoffnung, dass dann seine Soldaten die Flucht ergreifen und so ein großes Blutvergießen vermieden werden kann (2Sam 17,1–3; 18,3; 20,20f.). Zweimal gibt es den Versuch, eine Feldschlacht zu umgehen, indem man Stellvertreter miteinander kämpfen lässt, die Sieg und Niederlage unter sich ausmachen sollen; einmal macht Goliat dem Heer Sauls diesen Vorschlag (1Sam 17,8f.), das andere Mal der Heerführer Eschbaals, Abner, dem Heerführer Davids, Joab (2Sam 2,14). In beiden Fällen endet der Stellvertreterkampf freilich doch in einem allgemeinen Blutvergießen. Daraufhin macht im zweiten Fall Abner seinem Gegenspieler Joab einen noch weitergehenden Vorschlag: Man solle doch das Kämpfen gänzlich einstellen (2Sam 2,26f.) – und Joab lässt sich auch darauf ein. Hinter solchen Erzählzügen steht unverkennbar die Sehnsucht nach einer Begrenzung oder gar Beendigung des Tötens und Sterbens im Krieg. Ob sich die vielen Kriege zur Frühen Königszeit hätten vermeiden lassen, diskutieren die Erzähler nicht ausdrücklich. Wohl aber geben sie zu verstehen, dass die Frage nach der Kriegsschuld nicht unwichtig ist. Den ersten großen Krieg gegen die Philister, den Israel verlor, hat es selbst vom Zaun gebrochen (1Sam 4,1). Sauls und Jonatans Schlag gegen sie war die Antwort auf ihr freches Vordringen mitten in israelitisches Siedlungsgebiet (1Sam 13,2–5.17–23). Goliat musste fallen wegen seiner Überheblichkeit (1Sam 17,8–10.43–47). Die Niederlagen der Ammoniter gegen Saul und David waren selbstverschuldet (1Sam 11,1f.; 2Sam 10,1–4). Abschalom entfesselte einen Bürgerkrieg gegen seinen Vater, und Jhwh selbst sorgte dafür, dass er ihn verlor (2Sam 17,14). Offenbar werden die Toten solcher Kriege dem Aggressor angelastet, nicht dem, der sich gegen den Angriff zur Wehr setzt.

b) Selbsttötung Die Samuelbücher schildern zwei prominente Fälle von Suizid. Einmal nimmt sich ein König das Leben, einmal ein königlicher Ratgeber. König Saul macht in den Erzählungen der Samuelbücher zunehmend den Eindruck eines gequälten Menschen. Jhwh habe einen „schlimmen Geist“ über ihn geschickt, der ihn handlungsunfähig und unberechenbar machte (1Sam

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16,14.23; 18,10). Nach und nach wenden sich alle von ihm ab, die ihn früher unterstützt haben: Samuel, David, seine eigenen Kinder, das Volk, Gott. Vor der Entscheidungsschlacht gegen die Philister läuft er in einer düsteren Vorahnung zu einer Totenbeschwörerin, um seinen einstigen Mentor Samuel aus der Unterwelt heraufholen zu lassen; doch dieser kündigt ihm nur die bevorstehende Katastrophe an (1Sam 28). Tatsächlich überrennen die Philister Israels Heer, Saul wird gestellt, wohl auch verwundet; als sein Waffenträger sich weigert, ihm den Gnadenstoß zu geben, stürzt er sich ins eigene Schwert (1Sam 31,4). Die Erzählung enthält sich jeglicher Bewertung des Vorgangs, scheint vielmehr Verständnis zu zeigen für den König, der „diesen Unbeschnittenen“ nicht lebendig in die Hände fallen wollte (1Sam 31,4). Sein Freitod, auch wenn er nicht wirklich aus freien Stücken erfolgte, hat etwas Heroisches. Eine andere Version seines Endes, die ein Amalekiter (ausgerechnet ein Amalekiter!) zum Besten gibt – dass nämlich er Saul auf dessen Bitten hin den Todesstoß versetzt habe (2Sam 1,6–10) –, erscheint als unaufrichtig und als Herabwürdigung des Saul’schen Helden-Images. Auch der andere Suizid wird ohne jeden bewertenden Unterton dargestellt. Ein hoch angesehener Berater Davids, Ahitofel, hat beim Aufstand Abschaloms dessen Partei ergriffen: ein prekärer, aber nicht von vornherein unverständlicher oder verwerflicher Schritt; offenbar standen praktisch ganz Israel und Juda auf Abschaloms Seite, wohingegen sich David faktisch nur mehr auf seine Söldnertruppen stützen konnte – und auf eine kleine Fünfte Kolonne, die er in die Umgebung des Aufrührers einschleuste. Ihr gelang es, den Einfluss Ahitofels zu dämpfen und Abschalom zu verhängnisvollen Entscheidungen zu veranlassen. Ahitofel erkannte sofort, dass damit alles verloren war; „er sattelte seinen Esel, machte sich auf und ging zu seinem Haus, zu seiner Stadt, und traf Anordnungen über sein Haus und erhängte sich“ (2Sam 17,23). Sein Handeln erscheint als vollkommen folgerichtig, so als habe er gar nicht anders gekonnt, als seinem Leben ein Ende zu setzen. Den Leser, die Leserin überkommt ein Schauder: nicht nur über das traurige Ende dieses offenbar außergewöhnlich begabten Menschen, sondern auch über seine Einschätzung Davids, dessen Rache er sich auf keinen Fall aussetzen wollte.

c)

Mord

Durch die Samuelbücher zieht sich eine Kette erschreckender Mordtaten. Die Mordopfer sind, ebenso wie die Mörder, sämtlich prominent. (Man kann sicher sein, dass es noch mehr Morde gab, nur fanden sie keinen Eingang in die Geschichtsschreibung.) Auffälligerweise waren alle drei ersten Könige in Morde verwickelt – so als ob Machthäufung fast unvermeidlich zu Machtmissbrauch führte.

Ars necandi und ars moriendi in den Samuelbüchern

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Von Saul werden verschiedene Mordversuche gegen David berichtet, die freilich sämtlich fehlschlagen. David seinerseits hat den Ehemann einer von ihm geschwängerten Frau aus dem Weg geräumt; der Batscheba-Urija-Skandal ist wohl der dunkelste Fleck auf seiner Weste (2Sam 11). Zwar versucht der König zunächst beinahe verzweifelt, das Problem auf andere Weise zu lösen: Urija soll partout zum Beischlaf mit Batscheba bewegt werden, damit ihm die Vaterschaft untergeschoben werden kann. Doch als dies nicht gelingt, greift David zu einem perfiden Mittel: Er lässt den offenbar arglosen Mann sein eigenes Todesurteil an den Heerführer Joab übermitteln, der ihn daraufhin, scheinbar unverdächtig, im Krieg fallen lässt. Doch mindestens Joab weiß Bescheid über die wahren Hintergründe – und ebenso der Prophet Natan, der den Mörder zur Rede stellt (2Sam 12), und danach ungezählte Leserinnen und Leser. Salomo, das zweite Kind aus der unheiligen Liaison mit Batscheba, beerbt David. Er gelangt auf reichlich undurchsichtige Weise an die Macht und lässt die beiden führenden Vertreter einer Gegenpartei, die eine andere Thronfolgeregelung anstrebten, ermorden (1Kön 2,25.34). Sein Mordarm ist in beiden Fällen der General Benaja. Überhaupt fällt auf, dass die den Königen angerechneten Morde nie von diesen selbst, sondern immer von anderen ausgeführt werden. Wer die Macht hat, muss sich nicht selbst mit Blut bespritzen. Eben dies gilt auch vom Prinzen Abschalom, als dieser sich seines älteren (Halb-)Bruders Amnon entledigen will. Amnon hat nicht nur Abschaloms Schwester, Tamar, vergewaltigt, er versperrt als Erstgeborener Davids dem ehrgeizigen Zweiten den Weg zum Thron. Die Bediensteten, die den Mord ausüben sollen, muss Abschalom nachdrücklich ermutigen: „Fürchtet euch nicht – habe nicht ich es euch befohlen? Habt Mut und seid stark!“ (2Sam 13,28) – woraufhin die Leute tun, was von ihnen erwartet wird. Demgegenüber legt der General Joab bei drei Morden, die ihm angelastet werden, selbst Hand an. Zwei Konkurrenten um das Amt des Armeechefs ermordet er meuchlings, indem er sie scheinheilig begrüßt und ihnen unversehens einen Dolch in den Bauch stößt (2Sam 3,27; 20,9f.). Dem rebellischen Prinzen Abschalom, der sich mit dem Kopf in den Ästen eines Baumes verfangen hat und dort hilflos zwischen Himmel und Erde schwebt, stößt er drei „Stäbe“ ins Herz, die ihn noch nicht töten, doch erledigen dies dann seine Waffenträger (2Sam 18,14f.). Besonders niederträchtig verhalten sich zwei Offiziere, die den Sohn und Nachfolger Sauls, Eschbaal, im Mittagsschlaf ermorden, ihm den Kopf abschneiden und diesen erwartungsvoll zu David bringen; doch der lässt sie unverzüglich liquidieren (2Sam 4). Mit Mördern will David nichts zu tun haben – was ihn freilich nicht hindert, die Nachfolge des Ermordeten anzutreten (2Sam 5,1–3). Alle geschilderten Mordtaten werden von den biblischen Erzählern als irgendwie begründet, in gewisser Weise verständlich, nie aber als berechtigt hingestellt. Mord kann nicht legal und schon gar nicht legitim sein. Anders als

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Soldaten im Krieg oder Selbstmörder bewegen sich Mörder klar außerhalb der ars necandi.

d) Liquidation Gemäß den Samuelbüchern zieht kein Mörder bleibenden Gewinn aus seiner Tat. Über kurz oder lang ereilt sie alle das Schicksal, das sie mit ihrer Bluttat selbst über sich heraufbeschworen haben. Der Mörder Saul stirbt auf dem Schlachtfeld von eigener Hand (1Sam 31). Der Mörder David kommt glimpflicher davon; zwar spricht er sich (unwissentlich) selbst das Todesurteil, doch wird dieses, als er seine Tat bereut, auf das im Ehebruch gezeugte Kind verschoben (2Sam 12,1–14; der Vorgang wird uns noch beschäftigen). David seinerseits lässt Mörder, die sich selbst überführt haben, sofort hinrichten (2Sam 1,15; 4,12). An General Joab, den mehrfachen Mörder, traut er sich nicht heran, doch empfiehlt er seinem Sohn Salomo dessen Liquidierung (1Kön 1,5f.). Der Brudermörder Abschalom wird durch selbstgewähltes Exil und langanhaltenden väterlichen Liebesentzug bestraft (2Sam 13,37–39; 14,32f.) – die Erzähler lassen offen, ob diese Maßnahmen streng genug waren; am Ende jedenfalls stirbt auch Abschalom einen elenden Tod. In einem einzigen Fall erscheint eine Tötung als einigermaßen legitim, obwohl der Betreffende sich keines Mordes, sondern ‚nur’ des Aufruhrs schuldig gemacht hat: Der Benjaminit Scheba ben Bichri ruft nach den Wirren des Abschalom-Aufstands die Nordstämme Israels zur Sezession auf (2Sam 20,1f.). David ordnet an, ihn sofort unschädlich zu machen – eine Aufgabe, die ungefragt Joab übernimmt. Als Scheba sich in eine Stadt zurückzieht und Joab diese zu erstürmen sich anschickt, werfen ihm die Bewohner den Kopf des Rebellen über die Mauer zu (2Sam 20,22). Fast stärker noch als vollstreckte Hinrichtungen stechen Fälle ins Auge, in denen auf Liquidationen verzichtet wird. Nachdem Saul zum König gekürt worden ist, verweigern ihm Personen, die mit dem wenig schmeichelhaften Titel benê belijja‛al (soviel wie „Aufrührer, Terroristen“) belegt werden, die Huldigung (1Sam 10,27). Nach seinem triumphalen Sieg über die Ammoniter wollen seine begeisterten Anhänger an diesen Dissidenten ein Exempel statuieren; doch Saul verbietet ihre Tötung mit dem Hinweis auf Jhwh, der den Sieg geschenkt habe (1Sam 11,12f.). Diese Begründung ist bemerkenswert: Ein Machthaber, der sich Gott unterstellt fühlt, tötet weniger leicht. Später allerdings muss Saul von anderen am Töten gehindert werden. Seinen Sohn Jonatan, der einen Sieg über die Philister herbeigeführt, dabei aber eigensinnig gehandelt und gar noch ein königliches Gebot übertreten hat, verurteilt er zum Tode; doch das Kriegsvolk verhindert die Hinrichtung (1Sam 14,44f.). Auch über die Priester von Nob fällt Saul ein Todesurteil – subjektiv einigermaßen nachvollziehbar (er kann von ihrer Konspiration mit David überzeugt

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gewesen sein), objektiv aber ein Fehlurteil und ein Sakrileg. Zwar weigern sich seine „Läufer“ (die Leibwache), die Strafe zu vollstrecken, doch dann findet sich doch ein williger Exekutor: der Edomiter Doëg. Seinen Widersacher David sucht Saul gleich selbst zu töten (1Sam 19,9f.); doch da fallen ihm seine Kinder, Michal (1Sam 19,11–17) und Jonatan (1Sam 20), in den Arm. David gelingt es, sich vor dem ihn wütend verfolgenden Saul ins judäische Bergland zurückzuziehen. Dort ergeben sich wiederholt Situationen, in denen der Jäger zum Gejagten wird. Zweimal könnte David Saul problemlos umbringen, wird dazu sogar ausdrücklich aufgefordert, weigert sich aber – bezeichnenderweise wieder unter Verweis auf Jhwh, dessen „Gesalbter“ Saul sei (1Sam 24,7; 26,9). Zwischen die beiden Erzählungen von Sauls Verschonung schiebt sich eine dritte ähnlichen Inhalts: Ein reicher Viehzüchter namens Nabal hat David schwer provoziert; als dieser mit seiner Truppe anrückt, um blutig Rache zu nehmen, tritt ihm Nabals Gattin Abigajil in den Weg, besänftigt ihn und hält ihn mit kluger Rede davon ab, „in Blutschuld zu geraten“ und sich „mit eigener Hand zu helfen“ (1Sam 25,26.33). Diese Frau lehrt David eine wichtige Lektion: dass ein großer Herrscher nur sein kann, wer sich selbst beherrschen kann. Später zeigt David (der biblische David, wohlgemerkt!) verschiedene Male, dass er die Lektion gelernt hat. Gelegenheit dazu gibt ihm insbesondere der Aufstand Abschaloms, der zunächst enorm erfolgreich verläuft, am Ende aber scheitert. Zu Beginn, als David scheinbar geschlagen das Feld räumt, zeigen ihm einige Personen unverhohlen ihre Antipathie (2Sam 16,1–12); als er siegreich zurückkehrt, rächt er sich nicht, sondern lässt sie am Leben (2Sam 19,17–31).

2. Ars moriendi in den Samuelbüchern a) Vorzeitiger Tod Viele Tode in den Samuelbüchern kommen eindeutig zu früh. Das gilt natürlich von allen Mordopfern, aber auch von den Vielen, namentlich Genannten wie Namenlosen, die ihr Leben im Krieg verlieren. Hinzu kommen einzelne krankheitsbedingte Todesfälle oder der Tod im Kindsbett. Die Samuelbücher schildern diese traurigen Ereignisse, berichten aber auch, wie sie verarbeitet und überwunden wurden. Die hochschwangere Ehefrau des elidischen Priesters Pinhas bricht bei der Nachricht von dessen Tod zusammen; es überkommen sie die Wehen, und im Sterben gebiert sie einen Sohn. Die Nachricht davon kann sie nicht mehr trösten; nur einen trostlosen Namen (Ikabod, „Wo ist die Herrlichkeit?“) vermag sie dem Kind noch zu geben (1Sam 4,19–21). Außer diesem Eliden überlebt auch der junge Samuel die katastrophale Niederlage gegen die Philister; er ist im Haus Elis

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aufgewachsen und bereits zum geistlichen Führer Israels berufen (1Sam 3). Die Todesstunde der Frau des Pinhas und Zehntausender Israeliten wird so zur Geburtsstunde eines neuen Israel. Samuel setzt den ersten König ein. Dieser erlebt einen steilen Aufstieg, dann aber bald einen unaufhaltsamen Abstieg. Am Ende verliert nicht nur er sein Leben, sondern praktisch seine gesamte Familie. Diese Tragödie macht den Weg für David frei, der aber darüber, glaubt man der biblischen Darstellung, nicht etwa glücklich, sondern tieftraurig ist. Diejenigen, die Morde an Mitgliedern der Königsfamilie zu verantworten hatten, lässt er liquidieren (2Sam 1,15; 4,11). Joab, der Abner, Sauls Onkel und Heerführer ermordet hatte, zwingt er zur Teilnahme an einer von ihm verordneten Staatstrauer (2Sam 3,31). Bei dieser stimmt er ein Trauerlied an, in dem er öffentlich beklagt, dass Abner gefallen sei „wie vor Bösewichtern“ (2Sam 3,34) – eine deutliche Distanzierung von Joab und seiner Bluttat. (Mehr wollte oder konnte David gegen seinen ebenso treuen wie rabiaten Gefolgsmann nicht unternehmen.) Noch weniger als gegen Joab vermochte David gegen die Philister auszurichten, die Saul und Jonatan auf dem Gewissen hatten. In seinem Trauerlied auf diese beiden fordert er symbolisch dazu auf, die Siegesnachricht keinesfalls den Philisterstädten zu überbringen, damit die Frauen dort keinen Grund zur Freude hätten (2Sam 1,20). Im Übrigen rühmt er die Gefallenen als einander zugetane, überaus tapfere und um Israel hochverdiente Helden (2Sam 1,22–24). Insbesondere Jonatans Tod erfüllt ihn mit tiefem Schmerz, den er nicht allein tragen, sondern mit allen teilen will, die ihm zuhören. In aller Offenheit und Missverständlichkeit bekennt er, dass ihm Jonatans Liebe kostbarer gewesen sei als Frauenliebe (2Sam 1,26). In geradezu heldenhafter Art leistet Rizpa, eine Nebenfrau Sauls, Trauerarbeit. Sie muss erleben, dass ihre beiden Söhne zusammen mit fünf weiteren Sauliden wegen einer angeblichen Blutschuld des Hauses Saul hingerichtet werden. Die Leichname sollen den wilden Tieren überlassen werden: eine weitere schlimme und demütigende Strafe, galt doch eine ordentliche Bestattung als Voraussetzung für den Eintritt ins Totenreich. Rizpa lässt sich – vermutlich gegen ausdrückliches Verbot – an der Hinrichtungsstätte nieder und weicht nicht, bis David sich endlich zur Beisetzung der Leichen entschließt (2Sam 21,1– 14). Geradezu ein Lehrbeispiel für den Umgang mit Sterben und Tod ist die Erzählung von David und seinem ersten Kind mit Batscheba. Natan hatte den Tod dieser Frucht einer verbotenen Beziehung angekündigt (2Sam 12,14), und prompt „schlug Jhwh das Kind, das die Frau Urijas (!) David geboren hatte“ (2Sam 12,15), d.h. das Neugeborene wird krank. David, der den Grund genau kennt, ist nicht bereit, diese Strafe für seine Schuld zu akzeptieren – und der moderne Mensch pflichtet ihm bei: Was kann ein Kind für das, was seine Eltern getan haben? Die Bibel kennt diese Frage durchaus (vgl. Ez 18), doch in diesem Fall argumentiert bzw. erzählt sie (noch) ganz archaisch. David ringt mit aller

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Kraft um das Überleben des Kindes: Er „sucht Gott“, fastet, schläft auf dem Fußboden und lässt sich von alledem durch niemanden abbringen (2Sam 12,16f.; die Wissenschaft spricht hier von „Selbstminderungsriten“, die darauf abzielen, das Mitleid der Gottheit zu wecken). Bis zu diesem Punkt ist die Erzählung, existenziell gedeutet, eine Aufforderung, sich dem vorzeitigen Tod eines Menschen, zumal eines Kindes, mit allen Mitteln (heute würde man wohl medizinische Mittel den geistlich-rituellen vorziehen) entgegenzustemmen. Doch im Fall des Erstgeborenen Batschebas (wie auch in vielen anderen Fällen) bleibt Gott unerbittlich (bzw. ist die Medizin machtlos): „Am siebten Tag starb das Kind“ (2Sam 12,18). Die Diener wagen das David gar nicht zu sagen, weil sie einen hoch emotionalen, womöglich (selbst)zerstörerischen Ausbruch von Trauer befürchten. Doch der König reagiert ganz unerwartet: Er wäscht und salbt sich, geht ins Haus Jhwhs, um anzubeten (nicht mehr: um mit Gott zu ringen!) und lässt sich Speisen und Getränke bringen (2Sam 12,20). Auf verblüffte Nachfragen erklärt er: „Als das Kind noch lebte, fastete und weinte ich, weil ich mir sagte: Wer weiß, vielleicht merkt es Jhwh und erbarmt sich meiner, und das Kind bleibt am Leben. Jetzt aber, wo es tot ist: Was soll ich fasten? Kann ich es wieder zurückholen? Ich, ich gehe wohl zu ihm, es aber, es kehrt nicht zu mir zurück“ (2Sam 12,22f.). Das ist eine bemerkenswerte Ergebung in die Unwiderruflichkeit des Todes, gemildert durch keine noch so leise Hoffnung auf Totenauferstehung. Und diese Nüchternheit führt zu einer erstaunlichen Fähigkeit, durch schweres Leid hindurch ins Leben zurückzufinden. David denkt sogar an die schmerzerfüllte Mutter und „tröstet“ sie, indem er zu ihr „eingeht“, woraufhin sie prompt schwanger wird (2Sam 12,24). Wohl mag man fragen, ob hier nicht ein Mann ‚typisch männlich’ agiert und die psychische Lage einer Frau verkennt, der ihr Kind genommen wurde; immerhin aber wird das zweite Kind Batschebas Salomo, der spätere Thronerbe. Im Verlauf der Zeit werden noch zwei weitere Söhne Davids sterben: nicht mehr als Kleinkinder, sondern als junge Erwachsene – und gleichwohl viel zu früh. Der eine, sein Ältester Amnon, ein Vergewaltiger, wird bei einem Fest umgebracht, zu dem alle Königssöhne eingeladen waren. Daraufhin gelangt nach Jerusalem das Gerücht, sie seien alle tot. David zerreißt sein Gewand und wirft sich zur Erde. Dann stellt sich heraus, dass ‚nur’ Amnon tot ist, doch genügt dies, um „den König und alle seine Bediensteten in ein sehr großes Weinen“ ausbrechen zu lassen (2Sam 13,36). Doch ändern lässt sich an dem schockierenden Faktum nichts mehr. Der nächste Davidsohn, der stirbt, ist Amnons Mörder, Abschalom. Von seinem schrecklichen Ende, im Geäst eines Baumes hängend und von Joab und seinen Leuten erschlagen, war schon die Rede. Fast noch mehr Gewicht als auf dieses Geschehen legen die Erzähler darauf, wie David davon Kenntnis erhielt und wie er reagierte. Der König hatte nämlich ausdrücklich angeordnet, das Leben des „jungen Mannes“ zu schonen (2Sam 18,5). Joab hatte sich darüber hinweggesetzt und war nun in der Verlegenheit, seinen Herrn über den Gang

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der Dinge informieren zu müssen. Einen Vertrauten, der sich erbot, die vermeintlich frohe Botschaft vom Sieg zu überbringen, hielt Joab zurück, weil er Schlimmes befürchtete; stattdessen schickte er einen dunkelhäutigen Söldner los. Doch es rannten beide, kamen nacheinander beim König an, und dieser wollte von ihnen nur eines wissen: wie es dem „jungen Mann“ gehe (2Sam 18,29. 32). Als er erfasst hat, was geschehen ist, „durchfuhr es ihn, und er stieg in das Obergeschoss des Tores hinauf und weinte. Und weinend rief er: ‚Mein Sohn Abschalom, mein Sohn, mein Sohn Abschalom! Ach, wäre ich doch an deiner Stelle tot, Abschalom, mein Sohn, mein Sohn!’“ (2Sam 19,1) Diese erschütternde Klage zeigt einen hilf- und trostlosen Vater, dem sein Kind geraubt wurde. David vergisst völlig, was um ihn her vorgeht, und erst, als Joab ihn grob ermahnt, die für ihn siegreichen Soldaten nicht vor den Kopf zu stoßen, besinnt er sich auf seine Amtspflichten. Die Erzähler sagen es nicht, doch man kann es vermuten, dass er in der Folge ein gebrochener Mann war.

b) Tod im Alter Neben den tragischen und aufwühlenden Fällen vorzeitigen Sterbens gibt es in den Samuelbüchern auch solche, in denen der Tod nicht überraschend kommt und deswegen vorab bedacht und hernach gelassener hingenommen werden kann. Die beiden letzten Anführer Israels in der vorköniglichen Ära sterben in hohem Alter. Von Eli erfährt man sogar, welches sein Sterbejahr war: das neunundneunzigste (1Sam 4,15). Und selbst dann wäre er noch nicht gestorben, hätte er nicht die schreckliche Nachricht von der Niederlage Israels, dem Tod seiner Söhne und vor allem vom Verlust der heiligen Lade vernehmen müssen; auf sie hin fällt er rücklings vom Stuhl und bricht sich das Genick (1Sam 4,18). Das ist zwar immer noch tragisch, doch laut getrauert wird nicht um den toten Eli, sondern um die zu Tode gekommene Jungmannschaft Israels (1Sam 4,13f.). Beim Ableben Samuels, das wohl ebenfalls in hohem Alter erfolgte, soll sich immerhin „ganz Israel versammelt und die Totenklage gehalten“ haben (1Sam 25,1; 28,3). Mit dem normalen Trauer- und Bestattungsritual hat es indes sein Bewenden. Am Ende der Samuel-Erzählungen sieht man einen alten Mann sehr umsichtig mit seinem absehbaren Sterben umgehen. Barsillai, ein Notabler aus der Ortschaft Rogelim im ostjordanischen Gilead (vgl. 2Sam 17,27), hatte David bei dessen taktischem Rückzug vor Abschalom sehr geholfen: Dank ihm und zwei weiteren wohlhabenden und einflussreichen Männern konnte der aus Jerusalem vertriebene König sich mit den ihm verbliebenen Truppen im Ostjordanland konsolidieren und von dort aus die Niederschlagung der Rebellion und die Rückkehr an die Macht in Angriff nehmen. Nach dem Sieg und vor der Rückkehr nach Jerusalem will David sich Barsillai erkenntlich zeigen und bietet ihm an, er

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möge mit ihm kommen und sich fortan an der königlichen Tafel versorgen lassen. Barsillai lehnt das mit wohlüberlegten und wohlgesetzten Worten ab: „Wie viele Jahre werde ich noch leben, dass ich mit dem König nach Jerusalem hinaufzöge? Ich bin jetzt achtzig Jahre alt – werde ich da zwischen gut und schlecht unterscheiden können, so dass dein Diener schmeckt, was er isst und was ich trinke, dass ich noch höre die Stimme der Sänger und Sängerinnen? Und warum sollte dein Diener noch zur Last werden für meinen Herrn, den König? … Möge dein Diener umkehren dürfen, und ich will in meiner Stadt sterben (und beigesetzt werden) im Grab meines Vaters und meiner Mutter“ (2Sam 19,36.38). So ehrenvoll und verlockend das königliche Angebot ist, der achtzigjährige Barsillai möchte nicht noch einmal ein neues Leben beginnen. Realistisch sieht er altersbedingte Einschränkungen und Beeinträchtigungen voraus. Er denkt, es sei für ihn besser, die ihm noch verbleibende, nicht mehr allzu lange Lebensspanne in der gewohnten Umgebung zuzubringen. Das Grab seiner Eltern, das auch seines sein wird, ist ein Fixpunkt, von dem er sich nicht mehr weit wegbewegen möchte. Einer, der so spricht, zeigt ein sicheres Gespür für sein Alter und eine große Gelassenheit gegenüber seinem Tod. Auf der anderen Seite möchte Barsillai den König in seiner Großzügigkeit nicht brüskieren; auch weiß er, dass nach seinem Sterben das Leben weitergehen wird. So empfiehlt er David, an seiner Stelle einen gewissen Kimham (über den man sonst nichts Sicheres weiß) mit nach Jerusalem zu nehmen und sich um ihn zu kümmern; der König willigt sofort ein (2Sam 19,38f.).

c)

David, der Unsterblich-Sterbliche

David ist unbestritten die Hauptfigur der Samuelbücher. Entsprechend können an ihm alle wesentlichen Facetten des Themas Tod entfaltet werden. Davon, wie er Menschen zu Tode brachte oder darauf bewusst verzichtete, und wie er auf den Tod anderer reagierte, war im Vorangehenden schon die Rede. Jetzt soll es noch um sein eigenes Sterben (bzw. sein Nicht-Sterben und am Ende dann doch Sterben) gehen. Laut den Samuelbüchern hat David dem Tod schier ungezählte Male ins Auge gesehen. Das beginnt mit seinem Zweikampf gegen Goliat, in dem er jedem vernünftigen Menschen als sicherer Todeskandidat erscheinen musste. Ein Leitwort in 1Sam 17 ist das Verb „erschlagen“. Goliat fordert eingangs einen Zweikampfgegner, den entweder er „erschlägt“ oder dieser ihn (V. 9) – eine in seinen Augen natürlich nur scheinbare Alternative. Saul setzt einen Preis auf den aus, der diesen Philister „erschlägt“ (V. 25.26.27). David, der sich zum Kampf meldet und den Saul zurückzuhalten versucht, erklärt dreimal, er habe als Hirte große Raubtiere „erschlagen“ (V. 35.36) – die Situation der Lebensgefahr war ihm also von Jugend auf bekannt. Goliat kündigt ihm, als er seiner gewahr wird, an, er werde sein „Fleisch den Vögeln des Himmels und den Tieren des Feldes“

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vorwerfen (V. 44). David antwortet, er wolle umgekehrt ihn „erschlagen“ (V. 46) – und das tut er dann wirklich (V. 49.50.57). Gegen die Philister stand Davids Leben noch oft auf dem Spiel. Wie sonst hätte er „Zehntausende schlagen“ oder 200 Vorhäute von ihnen erbeuten können? In einigen Fällen saß er schon bei ihnen in der Falle, entkam aber mit List und Tücke oder durch den tapferen Einsatz seiner Getreuen (1Sam 21,11–16; 2Sam 21,15–17). Fast noch gefährlicher für ihn als der äußere Feind war indes der innere, vor allem König Saul: sei es, dass dieser den Rivalen durch die Hand der Philister zu beseitigen versuchte (1Sam 18,17.21), sei es, dass seine Häscher ihn unschädlich machen sollten (1Sam 19,1.11.21), sei es, dass er ihn persönlich an die Wand zu spießen drohte (1Sam 18,11; 19,10), sei es, dass er ihn unerbittlich durch die Wüste jagte (1Sam 23,8.25; 24,3; 26,2). Es wirkt wie ein Wunder, dass David all diese Anschläge lebend überstand. Als David, mittlerweile Philistervasall geworden, mit seiner Privatmiliz im Aufgebot seines Lehnsherrn gegen Israel gezogen, dann aber vorzeitig zurückgeschickt worden war, fand er die ihm zum Lehen gegebene Stadt Ziklag zerstört und menschenleer vor; eine Bande nomadischer Amalekiter hatte die Abwesenheit der Krieger zu einem Überfall genutzt, die Stadt geplündert und gebrandschatzt, Frauen und Kinder in die Wüste verschleppt. „Da erhoben David und das Kriegsvolk, das bei ihm war, ihre Stimme, und sie weinten, bis in ihnen keine Kraft mehr war zum Weinen… Und David geriet in große Bedrängnis, weil das Kriegsvolk davon sprach, ihn zu steinigen“ (1Sam 30,4.6). Es wäre dies nicht der einzige Fall einer Meuterei gegen einen erfolglosen Anführer gewesen. Was David rettet, ist der Einfall, Jhwh zu befragen, ob und wie man die Räuber verfolgen könne; so richtet sich die Wut auf den Feind statt auf ihn (1Sam 30,7f.). Glücklicherweise, so muss man sagen, hat die Verfolgungsjagd Erfolg. In schwerste Lebensgefahr gerät David im Zuge des Abschalom-Aufstands. Er ist sich dessen bewusst, dass sein „eigener Sohn ihm nach dem Leben trachtet“ (2Sam 16,11). Ahitofel, der zu Abschalom übergelaufene Ratgeber, benennt ganz klar das Ziel seines Schlachtplans: „Ich will über ihn kommen, solange er müde und erschlafft ist, und ihn aufschrecken; und das ganze Kriegsvolk, das bei ihm ist, wird fliehen, und ich werde den König ganz allein erschlagen“ (2Sam 17,2). So wäre es wohl gekommen, hätte Ahitofel sich durchgesetzt. Doch es kam anders. Wenn dann am Ende David um den toten Abschalom mit den Worten klagt: „Wäre ich doch an deiner Stelle tot!“ (2Sam 19,1), dann weiß jede Leserin, jeder Leser, dass dazu nur ganz wenig gefehlt hätte. Unsterblich ist freilich auch ein David nicht. „Und König David war alt und hochbetagt, und man hüllte ihn in Decken, doch es wurde ihm nicht warm“ (1Kön 1,1). In erstaunlicher Offenheit berichten die biblischen Erzähler von des großen Königs Altersschwäche – und wie um ihn herum sich Parteien herausbilden, die um seine Nachfolge buhlen. Die eine Seite wird angeführt von Adonija, dem nach dem Ableben Amnons und Abschaloms ältesten Davidsohn, die andere von Batscheba und Salomo. Der alte David wirkt unbeteiligt an diesem

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Ringen und einigermaßen hilflos. Doch dann, zum kritischsten Zeitpunkt, kehrt die alte Kraft zurück. David ordnet die Krönung Salomos an und erteilt diesem, als er inthronisiert ist, Ratschläge bzw. Anweisungen, wie er mit verschiedenen prominenten Persönlichkeiten verfahren soll: Die einen sind zu töten, die anderen zu schonen (1Kön 2,5–9). Dann „legte David sich zu seinen Vätern und wurde begraben in der Davidstadt… Und Salomo saß auf dem Thron Davids, seines Vaters, und sein Königtum festigte sich sehr“ (1Kön 2,10.12). Ende gut, alles gut, möchte man sagen. Doch lassen die Erzähler durchaus den Eindruck aufkommen, David habe dieses Ende nicht frühzeitig und nicht energisch genug vorbereitet. Es kam eher über ihn, als dass er es geplant hätte. Anscheinend konnte er sich allzu lange in der Nachfolgefrage nicht entscheiden, vielleicht auch: sich allzu schwer von der eigenen Macht trennen. Freilich, sein Erst- und sein Zweitgeborener, die natürlichen Thronprätendenten, waren vorzeitig ausgeschieden. Zumindest im Zweiten, Abschalom, hatte er selbst wohl lange seinen Nachfolger gesehen. Als dieser aber nicht warten und die Macht mit Gewalt an sich reißen wollte, da wehrte David sich entschieden. Angeblich wollte er Abschaloms Tod nicht, doch lag dieser in der Logik des Krieges, dem David nicht auswich. Der Nächste dann, Adonija, scheint eine schwächere Kopie Abschaloms gewesen zu sein; David mochte sich für ihn nicht entscheiden, trat aber auch seinen Thronambitionen nicht entgegen (1Kön 1,5f.). Vielleicht muss man die holpernd verlaufene und fast zu spät entschiedene Thronfolge als Davids persönliche Tragik bezeichnen. Schließlich aber, so scheinen es die biblischen Erzähler zu sehen, gilt eben doch: Ende gut, alles gut.

Schluss Im Vorstehenden wurden die Aussagen der Samuelbücher zum Thema Tod zusammen- und nebeneinandergestellt, als handelte es sich um ein einheitliches literarisches Werk, in dem alles planvoll aufeinander abgestimmt ist. In der Tat zeigen die Samuelbücher, verglichen etwa mit den vorangehenden Büchern Josua und Richter oder den nachfolgenden Königsbüchern, eine auffallend intensive Durchdringung und dichte Verflechtung der verschiedenen Stoffe und Gestalten, und das in einer herausragend hohen literarischen Qualität. Trotzdem sind sie nicht von einem einzelnen Autor, gar einem Zeitzeugen, geschaffen worden, sondern sind, wie die meisten Schriften des Alten Testaments, Traditionsliteratur, d.h. in ihnen wird älteres Traditionsgut über die Zeiten hinweg immer wieder aufgenommen und neu bearbeitet. So gibt es auch zum hier verhandelten Thema in den Samuelbüchern nicht nur eine Meinung, sondern mehrere, wohl sogar viele. Umso erstaunlicher ist es, dass sich bei der Durchmusterung der einschlägigen Texte doch ein recht kohärentes Bild einstellt.

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Offenbar stammen sie doch weitestgehend aus einer relativ geschlossenen Erfahrungswelt. Und wahrscheinlich haben eben doch einzelne Autoren dem Ganzen sehr deutlich ihren persönlichen Stempel aufgeprägt. Infolgedessen finden sich in den Samuelbüchern zum Thema Tod einige durchgehende Aussagelinien, die nun noch einmal hervorgehoben werden sollen. Immer wieder wird das Axiom sichtbar, dass Mord unter keinen Umständen erlaubt ist. Dies entspricht exakt dem fünften Gebot des Dekalogs, das wörtlich lautet: „Du wirst nicht morden“ (Ex 20,13; Dtn 5,17). Das ist ein sog. apodiktisches Verbot, d.h., es gilt derart unbedingt, dass es keiner Begründung und keiner Strafandrohung bedarf. Mord ist schlicht ausgeschlossen. Wer dennoch mordet, schließt sich aus der Gemeinschaft mit Gott und den Menschen aus. Mehrfach wird Mord mit dem Tod bestraft, und nichts deutet darauf, dass sich die Erzähler von dieser Praxis distanzieren. Sie stellen die Todesstrafe, zumindest als Möglichkeit, nicht in Frage. An dieser Stelle zeigt sich eine Zeitgebundenheit, die überwunden werden kann – und auch sollte. Moderne Staaten mit ihren entwickelten Rechts- und Strafvollzugssystemen haben andere Möglichkeiten, mit schweren Straftätern umzugehen, als sie umzubringen. Zeitgebunden kann man auch die Haltung zum Thema Krieg finden. Die Samuelbücher sind zu einem nicht unerheblichen Teil Kriegsberichterstattung. Die Erzähler freuen sich an Israels Siegen und leiden unter seinen Niederlagen. Fanden sie das massenhafte Sterben im Krieg nicht grundsätzlich problematisch? Wohl doch. Die Furchtbarkeit des Krieges, das Grauen von Verwundung, Verstümmelung und Massakrierung werden so ungeschönt ins Bild gerückt, dass jedenfalls eine schwülstige Kriegsromantik nicht aufkommen kann. Auch die stille Warnung davor, Kriege leichtfertig und einseitig vom Zaun zu brechen, sollte nicht überhört werden. Und die Schilderung verschiedener Versuche, das Blutvergießen zu vermeiden oder zu begrenzen oder zu beenden, lässt durchaus Nachdenklichkeit in dieser Frage erkennen. Am deutlichsten friedfertig zeigen sich die Samuelbücher dort, wo sie vom Verzicht aufs Töten handeln. Die „ars necandi“ erreicht ihre höchste Stufe in ihrer Nicht-Ausübung! Namentlich David hat in diesem Punkt Vorbildcharakter. Wohl ein dutzend Mal soll er Menschen, die ihm im Weg standen und ihm obendrein noch feindselig gesinnt waren, verschont haben. Neuere Forschungsarbeiten bezweifeln, dass er wirklich so großmütig war; die betreffenden Erzählungen seien bloße Propaganda. Dagegen kann man (literar-)historisch argumentieren: Vermutlich ist gerade die Textschicht, die am klarsten jenes Ideal vertritt, weit nach-davidisch und insofern für Propagandazwecke kaum geeignet. Zudem ist es unwahrscheinlich, dass ein Herrscher sich so lang an der Macht hält und der Nachwelt so eindrücklich in Erinnerung bleibt, wenn er nicht irgendwie doch ungewöhnlich war. Selbst wenn David aber, wie manche wollen, ein mediokrer Machthaber und skrupelloser Serienmörder gewesen wäre: Was wäre der Gewinn, das zu wissen? Ist es nicht viel gewinnbringender, von den

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biblischen Autoren zu lernen, was sie an der David-Gestalt aufzeigen wollen: dass Nicht-Töten besser ist als Töten? Was die „ars moriendi“ angeht, ist David ebenfalls Vorbild, aber auch warnendes Beispiel. Zunächst ist es förmlich eine Kunst, so viele Male dem sicheren Tod zu entgehen. Ein ‚gutes’ Sterben, so lehrt dies, kann erst am Ende eines erfüllten Lebens stehen. Irgendwann aber sind die Lebenskräfte auch eines David erschöpft; er kann die Zügel nicht mehr halten, muss sie in andere Hände legen. Man könnte sich vorstellen, dies hätte ihm besser gelingen können, wenn er sich vom Leben und von der Lust, es zu gestalten, etwas weniger hätte in Beschlag nehmen lassen. Andere Figuren – der Prophet Samuel, der Gileaditer Barsillai und sogar der unglücklich endende Ahitofel – scheinen darin mehr Weitsicht und Geschick zu zeigen. Der Tod ist allgegenwärtig in den Samuelbüchern; er ist die Kehrseite des Lebens. Einmal reißt er in dieses tiefe Lücken, einmal schließt er es sanft ab. Bald kommt er unerwartet vorzeitig, dann erwartbar im hohen Alter. Bei manchen klopft er viele Male an, bei manchen nur einmal, ehe er eintritt. Bei den einen denkt man, er hätte sie früher, bei anderen, er hätte sie später treffen sollen – doch wer vermag das nachzurechnen? Jedenfalls ist auf fast jeder Seite der Samuelbücher, die so prall voll sind von Leben, ein leises oder lautes memento mori zu vernehmen.

Weiterführende Literatur Kommentare: Robert Alter, The David Story. A Tranlation with Commentary of 1 and 2 Samuel, New York/ London 1999. A. Graeme Auld, I & II Samuel, 2011 (OTL). Shimon Bar-Efrat, Das Erste Buch Samuel, 2007 (BWANT 176); Das Zweite Buch Samuel, 2009 (BWANT 181). Walter Brueggemann, First and Second Samuel, Louisville 1990 (Interpretation). Walter Dietrich, Samuel. 1Sam 1–12, 2011 (BKAT VIII/1); 1Sam 13–26, 2015 (BKAT VIII/2). David G. Firth, 1 & 2 Samuel, Nottingham/Downers Grove 2009 (Apollos Old Testament Commentary 8). P. Kyle McCarter, I Samuel, 1980; II Samuel, 1984 (AncB). Hans Joachim Stoebe, Das erste Buch Samuelis, 1973; Das zweite Buch Samuelis, 1994 (KAT 13.1/2). Fritz Stolz, Das erste und zweite Buch Samuel, 1981 (ZBK.AT 9). Monographien: Sophia K. Bietenhard, Des Königs General. Die Heerführertraditionen in der vorstaatlichen und frühen staatlichen Zeit und die Joabgestalt in 2 Sam 2-20; 1 Kön 1-2, 1998 (OBO 163). Walter Dietrich, Die frühe Königszeit in Israel. 10. Jahrhundert v.Chr., Stuttgart 1997 (Biblische Enzyklopädie 3).

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Interreligiosität in den Samuelbüchern? Einleitung Die mit dem Titel gestellte Frage1 scheint auf den ersten Blick wenig Ertrag zu versprechen, handeln doch die biblischen Samuelbücher in erster Linie nicht von Religion, gar von Religionen, sondern von geschichtlichen und politischen Themen: der Einführung des Königtums in Israel, den Neuerungen, welche die Staatswerdung mit sich brachte, den inneren und äußeren Kämpfen, die Israel seinerzeit zu überstehen hatte. Allerdings bekommen es die Helden der Samuelbücher – Samuel, Saul, Jonatan, David – nicht nur mit immanenten Problemen zu tun, sondern auch mit der Transzendenz. Doch der biblischen Darstellung nach ist es eindeutig und einzig Jhwh, der Gott Israels, der das Geschehen lenkt. Dabei hatte sich, religionsgeschichtlich gesehen, in der frühen Königszeit der Monotheismus in Israel noch keineswegs durchgesetzt, wohl nicht einmal die Monolatrie. Man war in jener Zeit – um die Wende vom 2. zum 1. Jahrtausend v. Chr. – noch nicht überzeugt, dass es nur einen Gott gab, und man hielt sich offen für die Verehrung anderer Gottheiten neben Jhwh. Zudem war Israel schon damals nicht allein in Palästina. Die israelitischen Stämme siedelten vor allem im palästinischen Bergland, doch in den Ebenen gab es die Städte der Kanaaniter und Philister. Und auch dort verehrte man Götter – nicht nur einen: Baal, Schalem, Zedeq und Aschera in Kanaan, Dagon und Pythogaja (und wohl noch andere) in Philistäa. Hinzu kommen Nachbarvölker ringsum, die nicht Jhwh, sondern andere Gottheiten verehrten. Die ethnischen, ökonomischen, politischen und kulturellen Grenzen waren nicht sehr scharf gezogen, so dass die Nähe zu nichtisraelitischen Gruppen und Völkern auch die Nähe zu deren Göttern mit sich brachte – wenn diese nicht sogar, neben Jhwh, auch die eigenen waren. 1

Sie wurde gewählt in der Absicht, den von mir hochgeschätzten Kollegen Dorin Oancea zu erfreuen, dessen Hauptarbeitsbereich die Interreligiosität und Interkonfessionalität war und ist. Unvergessen ist eine Studienreise nach Siebenbürgen im Jahr 2003, auf der Dorin Oancea den evangelisch-reformierten Theologiestudierenden aus Bern die orthodoxe Theologie und Kirchlichkeit in unnachahmlicher Weise nahebrachte. Bei diesem Kollegen mischen sich ganz vorbildlich eine starke eigene Positionalität und eine undoktrinäre Offenheit gegen andere. Mit großer Freude und Dankbarkeit grüße ich ihn zu seinem 70. Geburtstag. Mein Beitrag ist bewusst in essayistischem Stil gehalten; ich verzichte auf Einzelnachweise und verweise dazu auf meinen Kommentar: Samuel. Biblischer Kommentar Altes Testament VIII, Neukirchen-Vluyn / Göttingen, Band 1: 2011; Band 2: 2015; Band 3: 2019.

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1. Das Onomastikon der Samuelbücher als Hinweis auf einen religiösen Mix Die in den Samuelbüchern auftauchenden Personennamen deuten nicht auf eine reine Jhwh-Verehrung im Israel der Frühen Königszeit, sondern auf die Inkulturation auch nichtjahwistischer Kulte. Einerseits begegnen durchaus Jahwehaltige Namen. Sauls ältester Sohn hieß Jonatan („Jhwh hat gegeben“), Davidsöhne trugen die Namen Adonija („Mein Herr ist Jhwh“) und Schefatja („Jhwh hat Recht gesprochen“, 2Sam 3,4), Davids Neffe – und Heerführer – war Joab („Jhwh ist Vater“). Andererseits finden sich auch Namen, die mit den Namen anderer Götter gebildet sind: Die Davidsöhne Abschalom und Salomo sind wohl nach Schalem, dem in Jerusalem (Jeru-Schalem!) verehrten Gott der Verständigung und des Ausgleichs, benannt, sein Oberpriester heißt Zadok: nach der Gottheit Zädäq, der personalisierten bzw. deifizierten „Gerechtigkeit“. Der Sohn und Nachfolger Sauls, Eschbaal, trägt „Baal“ im Namen, ebenso wie Jonatans Sohn Meribaal – wobei Baal aber nicht unbedingt die gleichnamige Gottheit meinen muss, sondern vielleicht nur ein Titel ist: „Besitzer, Herr“, was sogar ein Epitheton Jhwhs sein könnte. Immerhin wird deutlich: Die ersten Könige versuchten schon in der Namengebung innerhalb ihrer Familien den verschiedenen religiösen Strömungen und Glaubensrichtungen im Lande gerecht zu werden. Diese Absicht könnte auch hinter den vielen Namen stehen, die sozusagen religionspolitisch neutral sind. Wie „Baal“ ein Epitheton sein kann, so ist „Ab“ (d.h. „Vater“) ein häufig gebrauchter Gottestitel, der völlig offenlässt, an welchen Gott dabei gedacht ist. Hierhin gehören die Namen Abinadab, Abner, Abischai, Abimelech und Abjatar. Ein Priester heißt Ahimelech ben Ahitub, „Mein-Bruder-ist-König, Sohn des Mein-Bruder-ist-Güte“, wobei beide „Brüder“ wieder eine Gottheit meinen können. Gewissermaßen neutral sind auch mit „El“, dem Wort für „Gott“, gebildete Namen wie derjenige Samuels oder der Davidsöhne Elischua, Elischama, Eljada, Elifelet (2Sam 5,14f). Auch der Name des David eng verbundenen Propheten Natan („Er hat gegeben“) sagt nicht, wer da „gegeben“ hat. In dieser frühen Zeit waren es in der Regel die Mütter, die den Kindern die Namen gaben. Diese Frauen und wohl auch ihre Familien waren, aufs Ganze gesehen, nicht auf einen einzigen Gott und seinen Kult festgelegt. Aller Wahrscheinlichkeit nach gab es in den Städten und Dörfern der damaligen Zeit Heiligtümer verschiedenster Gottheiten und wurden auch in den Privathäusern und -palästen diverse Göttinnen und Götter verehrt. Nirgendwo verlautet etwas davon, dass es darüber zu Streit oder gar zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen wäre. Offenbar herrschte im frühkönigszeitlichen Israel ein schiedlich-friedliches Religionsgemisch. Vielleicht ließe sich von „Multireligiosität“ sprechen – von „Interreligiosität“ eher nicht, weil dafür die „Religi-

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onen“ nicht klar genug definiert und voneinander abgegrenzt waren, weshalb eine bewusste Verhältnisbestimmung wohl kaum stattfand.

2. Erzählerische Zeugnisse scharfer religiöser Abgrenzung Nun gibt es in den Samuelbüchern freilich auch Zeugnisse einer klaren Abgrenzung Jhwhs von allen übrigen Gottheiten und Kulten im damaligen Palästina. Man muss sich dazu aber von vornherein klarmachen, dass die Texte nur zum geringsten Teil zeitgenössisch sind, also nur sehr bedingt die frühe Königszeit (die ins 10. vorchristliche Jahrhundert fällt) widerspiegeln. Ganz überwiegend sind sie später, manche sogar sehr viel später, entstanden und projizieren die Überzeugungen späterer Zeiten in jene frühe Zeit zurück. Ganz markant ist dies beim Lied Hannas, der Mutter Samuels, der Fall (1Sam 2,1–10), das dann zur Vorlage für das Magnificat der Maria (Lk 1,46–55) werden sollte. Das Hannalied ist etwas wie eine den Samuelbüchern sehr spät erst vorangestellte Lesehilfe, welche die Leserschaft anleiten will, die Geschichten von den ersten Königen recht zu verstehen. Ein wichtiges Element im Hannalied ist die „Umkehrung der Werte“, wie sie in der folgenden Beschreibung des Wesens und Wirkens Jhwhs vorgenommen wird: „Der Bogen von Starken zerbricht, und Strauchelnde gürten sich mit Kraft. Satte verdingen sich um Brot, und Hungrige ruhen sich aus für immer. Die Unfruchtbare gebiert Sieben, und die Kinderreiche verwelkt. Jhwh tötet und macht lebendig, schickt hinab ins Totenreich und führt herauf. Jhwh macht arm und macht reich, er bringt zu Fall und er erhöht; er lässt aufstehen aus dem Staub den Niederen, aus dem Kot erhöht er den Armen, um (ihnen) einen Platz zu geben bei den Edlen und sie einen Ehrenthron erben zu lassen“ (1Sam 2,4–8). Jhwh ist also ein Gott, der die althergebrachten und scheinbar unumstößlichen gesellschaftlichen Hierarchien und Ordnungen umstürzen, der Obere hinab- und Untere hinaufbringen kann. Liest man durch diese Linse die Samuelbücher, dann leuchten in diesen sehr viele Facetten auf: Israel unterliegt im Krieg gegen die Philister (und verliert zugleich damit die Heilige Lade, die dann aber wieder den Philistern schwer zusetzt), Samuel steigt an dem Priester Eli und seinen Söhnen vorbei zum Leiter Israels auf; Saul wird sozusagen aus heiterem Himmel zum König gekürt, obwohl er dem sehr kleinen Stamm Benjamin angehört und sich nach dem Amt alles andere als gedrängt hat; David wird von Samuel bzw. von Gott seinen sieben älteren und stärkeren Brüdern vorgezogen; der unbesiegbar scheinende Philisterrecke Goliat fällt von der Hand des Hirtenknaben David; dieser namenlose Jüngling wird zum besten Truppenführer Sauls und zu seinem Schwiegersohn, verliert dann aber seine Gunst und muss sich gegen tausenderlei Widrigkeiten mühsam wieder nach oben arbeiten; Saul

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wandelt sich vom gefeierten König zum geistig umwölkten und glücklosen Despoten; David überlebt den Entscheidungskampf gegen die Philister als deren Vasall (!), während Saul zusammen mit den meisten seiner Söhne fällt; David überrundet Sauls Sohn und Nachfolger Eschbaal und wird, obwohl Judäer, König von Israel; ganz unerwartet verheißt ihm Gott durch den Propheten Natan eine „ewige Dynastie“; das neu gegründete Königreich Juda-Israel avanciert zur führenden Militärmacht der Levante; die erstgeborenen, hoffnungsvollen Söhne Davids versagen, einer nach dem andern, während das Rennen um Davids Thronfolge ausgerechnet einer macht, der aus einer illegitimen Liaison hervorgegangen ist: Salomo. So demonstrieren die Erzählungen der Samuelbücher auf vielfältigste Weise die Wahrheit jener Aussagen des Hannaliedes, wonach Jhwh im wahren Sinn des Wortes ein umstürzlerischer Gott ist. Es gibt aber noch eine zweite Aussagelinie im Hannalied, die man die „monotheistische“ nennen könnte: „Es ist keiner heilig wie Jhwh, ja, es ist keiner außer dir und keiner ist ein Fels wie unser Gott … Jhwh zerbricht seinen Gegner, der Erhabene donnert im Himmel, Jhwh richtet die Enden der Erde“ (1Sam 2,2.10). Jhwh, der alleinige Herr über Himmel und Erde, der einzig Heilige, ja der, „außer dem keiner“, d. h. kein anderer Gott ist. Derart dezidiert monotheistische Aussagen finden sich sonst vor allem im Deuterojesajabuch. Israel bzw. das Judentum ist also erst in der Zeit des Babylonischen Exils zur Überzeugung durchgedrungen, es gebe nur einen einzigen Gott, und das sei Jhwh. Der Zeitpunkt dieser Entdeckung ist erstaunlich, schien Jhwh doch gerade damals geschlagen und überrundet durch die großen Götter Babylons, voran Marduk und Ischtar. Nein, nicht die Sieger haben die wahren Götter, das kleine, besiegte Israel kennt den einzigen Gott: Jhwh. Kein anderer als er war es, der den Babyloniern die Kraft zum Siegen verlieh, und er wird auch dafür sorgen, dass Israel nicht untergeht. Diese Aussage wurde, indem das Hannalied an den Anfang der Samuelbücher gestellt wurde, zur Deutekategorie auch für die frühere Geschichte Israels: Schon damals, zur Zeit der ersten Könige, war es Jhwh, der das Geschick Israels und seiner Nachbarvölker in Händen hielt. Eben er – und kein anderer, kein Zufall, keine Laune der Geschichte – war es, der sie alle aus dem Nichts aufsteigen ließ: Samuel, Saul, David, Salomo; und der diejenigen, die seinen Plänen im Weg standen, absteigen ließ. Die in die Samuelbücher eingestreuten Geschichten von der Heiligen Lade (1Sam 4–6; 2Sam 6) sind ein herausragendes Beispiel für die unbegrenzte Fähigkeit Jhwhs zur Geschichtslenkung. Dabei scheint diese Erzählung in ihrem Anfang das gerade Gegenteil davon zu sein: Das heilige Kultobjekt, über dem der lebendige Gott anwesend geglaubt wurde, ging an die philistäischen Feinde verloren (1Sam 4). Jhwh schien besiegt (wie später wieder durch die Babylonier). Doch durch die scheinbare Niederlage hindurch entwickelte er eine unbändige, unheimliche Kraft, die zuallererst Dagon, einen Getreide- und Fruchtbarkeitsgott der Philister, wortwörtlich Kopf und Kragen kostete. In seinem Tempel zu

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Aschdod hatte man die Lade Jhwhs als Siegestrophäe aufgestellt, doch einmal, zweimal fiel vor ihr die Dagon-Statue zu Boden; beim zweiten Mal brachen ihr dabei Kopf und Hände ab (1Sam 5): das ungemein eindrückliche Bild einer Gottheit, die weder hören noch sehen noch sprechen noch denken und die auch nicht mehr handeln kann, zu Boden gestürzt vor einem unscheinbaren Kasten, über dem aber der lebendige Gott präsent ist. In einem komplizierten Divinationsverfahren finden die Philister dann heraus, dass diese Lade nichts Anderes als zurückwill in ihre israelitische Heimat (1Sam 6), womit die anfängliche Niederlage in einen triumphalen Erfolg verwandelt wird. Eine andere, parallel gelagerte Geschichte nimmt nicht ein solches Happy End. Als die Philister im Endkampf um die Vorherrschaft in Palästina das Israel des Königs Saul vernichtend besiegt haben, kommen am nächsten Tag die Leichenfledderer auf das Schlachtfeld: „Und die Philister kamen, um die Durchbohrten auszuplündern. Und sie fanden Saul und seine drei Söhne, gefallen auf dem Gebirge Gilboa. Und sie schnitten seinen Kopf ab und plünderten seine Ausrüstung und sandten diese umher im Land der Philister als frohe Botschaft für ihre (Götter)Bilder und ihr Volk. Und sie legten seine Ausrüstung im Haus der Aschtarte nieder, und seinen Leichnam spießten sie an die Mauer von BetSchean“ (1Sam 31,8–10). Die Philister und ihre Götter feiern den triumphalen Sieg. Aschtarte, die weibliche Hauptgöttin der Region, wird mit Ausrüstungsgegenständen des getöteten feindlichen Königs beehrt: zum Zeichen des Dankes an sie und des Glaubens an ihre Überlegenheit – über Saul nicht nur, sondern auch über Jhwh. Es gelingt dann immerhin einigen tapferen Männern Israels, die „an die Stadtmauer von Bet-Schean gespießten“ Leichname der Königsfamilie zu entwenden und ehrenvoll beizusetzen (1Sam 31,11f); doch die Schmach des Spektakels im Aschtarte-Tempel ist damit nicht abgewaschen. Andersherum verläuft die Geschichte vom Sieg Davids über Goliat. Der tapfere Jüngling sieht diesen monströsen Feind weniger als Krieger denn als einen, der Jhwh und seine Mannen verhöhnt. „Wer ist dieser unbeschnittene Philister, dass er die Schlachtreichen des lebendigen Gottes schmäht?“, fragt David empört, und zu König Saul sagt er: „Den Löwen wie den Bären erschlug dein Knecht. Und dieser unbeschnittene Philister soll sein wie einer von ihnen, weil er die Schlachtreihen des lebendigen Gottes geschmäht hat“ (1Sam 17,26.36). Und als er dann, bewaffnet bloß mit einer Schleuder, dem Feind entgegentritt, ruft er: „Du kommst zu mir mit Schwert, Spieß und Sichelschwert. Ich aber komme zu dir mit dem Namen Jhwh Zebaots, des Gottes der Schlachtreihen Israels, die du geschmäht hast“ (1Sam 17,45). Der Ausgang der Geschichte ist bekannt – und ihre Lehre liegt auf der Hand: Wer sich mit dem Gott Israels anlegt, wird dafür büßen. Dass möglicherweise auch Goliat ein religiöser Mensch war (obgleich sich dies seinen Worten nicht entnehmen lässt), spielt dabei keine Rolle; wenn er gläubig war, dann eben falschgläubig. Von „Interreligiosität“ ist da keine Spur.

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Als Saul in (vielleicht nicht einmal unbegründeter) Eifersucht David von seinem Hof gejagt und in verbissener Verfolgungswut durchs ganze Land getrieben hat, sieht dieser keinen anderen Ausweg mehr, als zu den Philistern überzutreten, wo er vor dem Zugriff Sauls sicher zu sein hofft. Das ist ein höchst verblüffender Zug der Daviderzählung: der Held als Überläufer zum Landesfeind. David, so sieht man, ist eben kein unverwundbarer Held; er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, bedroht und gefährdet und angesichts der unstillbaren Feindschaft Sauls zur Flucht gezwungen. Die politische Moral ist in einem solchen Fall zweitrangig. Schon bedenklicher fanden die Tradenten, dass David sich mit dem Schritt über die Landesgrenze in den Einflussbereich auch einer fremden Religion begab. Und so lassen sie ihn, bei der letzten Begegnung mit Saul, verzweifelt ausrufen: „Sie“ – das heißt: die Menschen, die den König zur Verfolgung Davids angestiftet haben – „haben mich heute vertrieben aus der Zugehörigkeit zum Erbe Jhwhs, indem sie sagen: Geh, diene anderen Göttern!“ (1Sam 26,19) Das bedeutet: Wenn David sich aus dem Wohngebiet Israels-Judas vielleicht 50 Kilometer westwärts, in die Philisterstadt Gat, begibt, befindet er sich nicht mehr im „Erbe Jhwhs“ und hat „anderen Göttern“ zu dienen. Jhwhs Macht, so die hier zugrundeliegende, deutlich noch nicht monotheistische Vorstellung, endet an der Landesgrenze. Drüben herrschen andere Götter (Dagon zum Beispiel), und es ist für einen Israeliten oder Judäer eine Katastrophe, ihnen ausgeliefert zu sein. Auch hier: keine Spur von Interreligiosität. Später, als David schon weit aufgestiegen und König zuerst von Juda, dann auch von Israel geworden ist, kommt es zu Kämpfen mit den Philistern, die eine solche Machtballung in ihrem Hinterland nicht dulden wollen. Zweimal rücken sie vor in die unmittelbare Umgebung von Jerusalem, wo David Residenz genommen hat, und zweimal besiegt David sie – ausdrücklich dank der Hilfe Jhwhs (2Sam 5,17–25). Nach der ersten verlorenen Schlacht im Tal Refaïm heißt es: Die Philister „ließen dort ihre Götter zurück. Und David und seine Männer nahmen sie mit“ (2Sam 5,21). Welcher Gestalt diese „Götter“ waren, ist unklar; vielleicht waren es Amulette, die die Krieger um den Hals trugen und in ihrer panischen Angst von sich warfen, oder es waren Feldzeichen mit Abbildungen der philistäischen Götter oder diesen geweihte Statuen, die man mit in den Kampf führte und die nun dem Sieger in die Hände fielen. Jedenfalls wurden David und seine Leute religiöser Symbole des Gegners habhaft. Nach der Chronik-Parallele wurde mit ihnen „orthodox“ verfahren, d. h., sie wurden auf Davids Anordnung „im Feuer verbrannt“ (1Chr 14,12). In der Samuel-Version verlautet davon nichts. Sollte hier etwa daran gedacht sein, dass die Sieger die erbeuteten Kultgegenstände mitnahmen, um sie an eigenen Kultstätten oder Hausaltären mitzuverehren? Eher nicht. Sie werden – ähnlich wie einst die Lade oder Sauls Ausrüstungsgegenstände, nur diesmal auf der anderen Seite – Siegestrophäen gewesen sein, welche die Botschaft verkündeten: „So wenig nützt den Feinden ihre Religion!“

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3. Erzählerische Hinweise auf religiöse Offenheit Neben diesen Beispielen scharfer Abgrenzung gibt es in den Samuelbüchern aber auch Erzählungen, die von gegenseitigem Respekt und sogar Interaktion zwischen den Religionen wissen. Die schon erwähnte Ladegeschichte (1Sam 4–6; 2Sam 6) bezeugt nicht nur Fremdheit, sondern auch eine gewisse Nähe zwischen den religiösen Überzeugungen von Israeliten und Philistern. Die Schlacht von Eben-ha-eser, die für Israel so traumatisch endete, verlief in zwei Phasen. Zuerst hatten die Israeliten die Heilige Lade nicht dabei, verloren – und überlegten, ob das nicht eben am Fehlen der Lade gelegen haben könnte. Sie schaffen den hochverehrten Kultgegenstand herbei – und dann erfährt man über die Reaktion in den beiden feindlichen Heerlagern Folgendes: „Und es geschah, als die Lade Jhwhs ins Lager kam, und da brach ganz Israel in ein großes Kriegsgeschrei aus, und es erzitterte die Erde. Und die Philister hörten das Geräusch des Kriegsgeschreis und sagten: ‘Was bedeutet das Geräusch des großen Kriegsgeschreis im Lager der Hebräer?’ Und sie erfuhren, dass die Lade Jhwhs ins Lager gekommen war. Und die Philister fürchteten sich, weil man gesagt hatte: ‘Ein Gott ist ins Lager gekommen.’ Und sie sagten: ‘Weh uns, denn das hat es noch nie gegeben. Weh uns, wer wird uns erretten aus der Hand dieser gewaltigen Götter? Dies sind (doch) die Götter, die Ägypten geschlagen haben mit allerlei Plagen und in der Wüste!’“ (1Sam 4,5– 8) Dass die Israeliten über die Ankunft der Lade begeistert sind und siegessicher werden, ist erwartbar. Dass aber die Philister sich zu fürchten beginnen, zeigt einen unerwarteten Respekt vor dem fremden Glauben. Offenbar hat man in Philistäa von den wunderhaften Ereignissen beim Exodus Israels aus Ägypten zu hören bekommen (sicher eher ein Wunschtraum der Israeliten als historische Realität) und befürchtet nun, Ähnliches könne sich wiederholen (was ja dann eben nicht der Fall sein wird). Die Philister wissen zwar nicht so genau, mit wem sie es da zu tun bekommen: ob mit einem Gott oder, wie sie es gewohnt sind, mit mehreren (natürlich mit einem, aber das weiß nur Israel). Doch so oder so jagt ihnen die Ankunft der Jhwh-Lade einen gehörigen Schreck ein. Man könnte dies einen Fall gelungener psychologische Kriegsführung nennen – wenn die Philister so reagieren würden, wie man es sich in Israel wohl wünschen mochte. Doch statt in Angst und Mutlosigkeit zu versinken, raffen sie sich zu Trotz und Heldenmut auf: „Seid mutig und erweist euch als Männer, Philister, damit ihr nicht den Hebräern dient, wie sie euch gedient haben. Und erweist euch als Männer und kämpft!“ (1Sam 4,9) Und wie sie dann kämpfen! Sie gewinnen auch die zweite Schlacht, obwohl diesmal die Lade dabei ist, ja, sie können diese als Kriegsbeute abschleppen. War ihr Respekt vor dem Gott Israels verfehlt? Auf den ersten Blick könnte es so scheinen; hernach aber wird sich zeigen, dass sie – die Feinde Israels! – völlig im Recht waren. Jhwh wird zwar keinen neuen Exodus Israels in-

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szenieren, aber seinen eigenen bzw. den Exodus seiner Lade aus dem Philisterland. Auch wie dieser Auszug vonstatten geht, zeugt wieder von Empathie der Philister (natürlich nur der literarischen Philister, nicht der historischen!) mit der Jhwh-Religion. Nachdem sie festgestellt haben, dass die Lade überall, wohin sie kommt, schweres Leid anrichtet, dämmert ihnen, dass diesem unheimlichen Kasten transzendente Kräfte innewohnen. Sie bieten ihre Priester und Mantiker auf und fragen diese: „Was sollen wir machen mit der Lade Jhwhs?“ (1Sam 6,2) Die Antwort der nichtjahwistischen Religionsfachleute: „Warum wollt ihr euer Herz schwer machen, wie die Ägypter und der Pharao ihr Herz schwer gemacht haben? Hat er nicht, wie er sie gepeinigt hatte, sie dann ziehen lassen, und sie gingen davon?“ (1Sam 6,6) Wieder der Hinweis auf den Exodus aus Ägypten; in Philistäa ist man also wohlinformiert über den, der Ausdruck sei erlaubt, Hauptglaubensartikel Israels: „Jhwh führte uns aus Ägypten.“ Aber so ganz genau wissen die Religionsspezialisten der Philister doch nicht, ob es mit der Lade wirklich diese Bewandtnis hat. Darum schlagen sie einen divinatorischen Test vor: Man möge die Lade auf einen neuen Rinderwagen stellen, vor den Wagen zwei säugende Kühe spannen, „auf die noch kein Joch gekommen ist“, und dann abwarten, was geschieht: Laufen die Kühe, ihrem Muttertrieb folgend, zurück in Richtung Stall, dann war es nichts mit der göttlichen Kraft in der Lade; laufen sie aber, entgegen ihrem Muttertrieb, Richtung israelitische Grenze, dann muss eine transzendente Kraft sie treiben (1Sam 6,7–9). Volk und Fürsten der Philister lassen sich ein auf diesen Test – und ziehen dann, wie in einer Prozession, hinter der Lade her nach Bet-Schemesch, der Grenzstadt zu Israel. Der Beweis ist erbracht: Über der Lade thront, unsichtbar, Jhwh. Und die das herausgefunden haben, sind philistäische, also ‘heidnische’, Religionsfachleute. Diesen wird damit ein gutes Zeugnis ausgestellt: Sie zeigen sich erstaunlich offen für die Lebendigkeit und Kraft einer fremden Religion. Noch eine weitere Erzählung über die Lade beinhaltet solch interreligiöse Züge. Nachdem der heilige Gegenstand irgendwo an der Grenze Israels stehengeblieben und vergessen worden war, besann sich König David auf ihn und beschloss, ihn nach Jerusalem zu holen (2Sam 6). Das war ein religionspolitisch wohlbedachter und folgenreicher Schritt. Jerusalem war bis dahin eine kanaanitische – oder wie es genauer heißt: jebusitische – Enklave zwischen den Siedlungsgebieten Israels und Judas. David, soeben zum König zuerst Judas, dann Israels erhoben, realisierte, welche Vorteile es ihm brachte, wenn er diese Stadt einnahm und zu seiner Residenz erhob. Er adelte damit eine nicht-israelitische Stadt, die zwischen den beiden von ihm in Personalunion zusammengeführten Regionen lag. Alle Städte Kanaans, bisher noch selbstständig, werden dies als einladende Geste verstanden haben. Die Judäer werden’s gleichfalls zufrieden gewesen sein, war doch David einer von ihnen und versprach, ihnen Bedeutung weit über ihr eigentliches Wohngebiet hinaus zu geben. Und die Israeliten? Sie wurden mit der Tatsache, dass ein judäischer Herrscher sie von einer kanaani-

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tischen Stadt aus regierte, versöhnt, indem – ihre Lade nach dort gelangte. Denn von Haus aus stammte diese aus dem israelitischen Schilo, und nun kam sie, nach diversen Umwegen über das Philisterland, in die neue Metropole des davidischen Reiches. Angeblich geleiteten sie dorthin „alle Erlesenen in Israel, 30.000 Mann“ (2Sam 6,1), was bedeutet: Die Israeliten anerkannten Jerusalem, den neuen Standort der Lade, als ihre Hauptstadt. Die Tragweite des Vorgangs ist kaum zu ermessen. Schon im vordavidischen Jerusalem wurde, selbstverständlich, eine Religion praktiziert: vielleicht, wie oben angedeutet, mit Zädäq und Schalem als Gottheiten. Infolge der Überführung der Lade gingen diese Götter bzw. ihre Aufgaben- und Wirkungsbereiche in Jhwh und sein Wirken über – und umgekehrt: Jhwh nahm gewissermaßen (auch) ihr Antlitz an. Es bildete sich eine Gottesgestalt heraus, die weiter und umfassender war als jeder ihrer vorigen Bestandteile. Insofern war die entstehende Monolatrie und später der Monotheismus Israels von Beginn an nicht exklusiv, sondern inklusiv; sein Wesen resultierte nicht aus dem Ausschluss alles Fremden, sondern aus dem Einschluss dessen, was an diesem Fremden als kompatibel erschien. In diesem Sinne nahm Jhwh auch Züge des im Orient allüberall verehrten Königsgottes an, oder solche von weiblichen, mütterlichen Gottheiten. Gewiss war und blieb er – soweit man das männliche Genus noch für angemessen halten mag – Einer und wurde niemals zu Vielen; doch der Eine schloss Viele in sich: eine besonders intensive Form der Interreligiosität. Während der Überführung der Lade von der israelitisch-philistäischen Grenze nach Jerusalem soll sich, schon nahe dem Ziel, ein Zwischenfall ereignet haben. Einer der begleitenden Priester habe, als der Wagen, auf dem die Lade transportiert wurde, ins Wanken geriet, nach dieser gegriffen: wohl in der guten Absicht, ihren Sturz zu verhindern. Doch Gott fasst man nicht an! Umgehend sank der Mann tot zu Boden. Die Prozession wurde abgebrochen, und David entschied, das offensichtlich gefährliche Kultgerät – diese Erfahrung hatten ja auch die Philister gemacht! – zumindest vorübergehend „im Haus des Gatiters Obed-Edom“ abzustellen (2Sam 6,10). Die unscheinbare Notiz birgt in mehrfacher Hinsicht Sprengstoff: Gat ist eine, sogar die führende Philisterstadt, in deren Dienst David längere Zeit gestanden hatte (schon dies ja ein interethnischer Vorgang von großer Reichweite!); wenn er jetzt die Jhwh-Lade im Haus eines Philisters abstellt, dann erscheint das wie ein Sakrileg. Vielleicht ist es aber nur ein Zeichen interreligiöser Offenheit. Denn vermutlich war das „Haus Obed-Edoms“ nicht nur ein profanes Wohnhaus, sondern barg auch ein Heiligtum: wenn, dann einer philistäischen, jedenfalls einer Gottheit, die nicht Jhwh hieß. (Bei allerneuesten Ausgrabungen hat man vor den Toren Jerusalems eine kleine Kultstätte gefunden, von der Fachleute annehmen, es könne sich just um das „Haus Obed-Edoms“ handeln.) Obed-Edom heißt übersetzt „der Diener Edoms“, wobei „Edom“ vermutlich ein Gottesname ist, etymologisch verwandt mit dem semitischen Wort für „Erde“, was auf eine Erd- und Fruchtbarkeitsgottheit hindeutet (man erinnere sich an den Getreidegott Dagon in

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Aschdod). Möglicherweise war Obed-Edom deren Priester – und nun hatte er, gewissermaßen per Zufall, auch als Priester Jhwhs zu amten. Und das bekam ihm gut! Laut dem biblischen Bericht „segnete Jhwh Obed-Edom und sein ganzes Haus“ (2Sam 6,11). Man muss sich das ganz handfest vorstellen: Die Dinge des Lebens liefen diesem Mann plötzlich viel besser als vorher. Der Gott Jhwh war, was ethnische Zugehörigkeit anging, offenbar nicht wählerisch; auch ein Philister konnte Empfänger seines Segens werden. Als dies David gemeldet wurde, beschloss er, die Lade weitertransportieren zu lassen in seine Residenz: natürlich in dem Glauben, sie werde fortan dort ihre Segenskräfte entfalten. Im Reich Davids – das man sich nicht zu großmächtig und zu durchorganisiert vorstellen darf – gab es eine Reihe von „Ministern“: herausgehobene Führungskräfte, die David in administrativen und sonstigen staatlichen Aufgaben unterstützten. Die beiden einschlägigen Listen, 2Sam 8,16–18 und 20,23– 26, kennen neben führenden Militärs und Verwaltungsbeamten („Sekretär“, „Schreiber“, „Verantwortlicher für den Frondienst“) auch zwei Priester, die offenbar für religiöse Angelegenheiten im Staat und in der Hauptstadt zuständig waren. Einer von ihnen, Abjatar, ist aus den vorangehenden Davidgeschichten wohlbekannt; er entstammte einer Priesterfamilie, die am Staatsheiligtum Sauls Dienst tat (vgl. 1Sam 22,20–23) und insofern sicher „urisraelitisch“, man darf auch annehmen: „jahwistisch“, war. Der andere aber, Zadok, taucht erst auf, nachdem David sich in Jerusalem niedergelassen hat; sein Name verweist, wie oben bemerkt, auf eine Jerusalemer Stadtgottheit. Vermutlich amtete er schon vor der Übernahme Jerusalems durch David dort als Priester. Indem der König diese beiden Geistlichen miteinander in sein „Kabinett“ beruft, setzt er ein markantes Signal: Ihm liegt die althergebrachte Religion der israelitischen Stämme ebenso am Herzen wie die in den kanaanitischen Städten gepflegte. Eben diese Haltung hat er ja auch, wie vorhin festgestellt, mit der Überführung der israelitischen Lade ins jebusitische Jerusalem gezeigt. Ob nun aus innerer Überzeugung oder aus Gründen politischer Taktik: David verfolgte eine Religionspolitik mit betont interreligiösem Akzent. Dazu passt eine Erzählung im letzten Kapitel der Samuelbücher. In 2Sam 24 wird berichtet, wie einst, infolge einer (von Jhwh offenbar nicht erwünschten!) Volkszählung, über das davidische Königreich schweres Unheil hereinbrach: Ein Pestengel dezimierte die Bevölkerung. Doch als er zum Schlag auch gegen Jerusalem ausholte, tat David ihm mit einer frommen Tat Einhalt. Auf Geheiß eines Propheten kaufte er von einem Jebusiter namens Arauna vor den Toren der Stadt eine „Tenne“ und errichtete auf ihr einen Altar, auf dem er „Brandopfer und Heilsopfer“ darbrachte; prompt legte sich Gottes Zorn und die Stadt war gerettet. Diese Erzählung ist stark legendenhaft und in Manchem rätselhaft. Zum Beispiel wird nicht klar, wer jener Arauna war: ob ein einfacher Bürger oder der jebusitische Stadtfürst; ob die gekaufte „Tenne“ schon irgendwie als geheiligter Boden galt, auf dem ein Altarbau höchst angemessen war; erst recht, ob der Zusammenhang zwischen Volkszählung und Pest nicht ein bloßes Konstrukt

Interreligiosität in den Samuelbüchern?

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ist, und ob damals wirklich in Israel eine Pest wütete. In jedem Fall aber kommt zum Ausdruck, dass David auf jebusitischem Land eine Opferstätte für den israelitischen Jhwh einrichtete. Vermutlich will die Erzählung davon den späteren Tempelbau Salomos, der an eben dieser Stelle erfolgt sein dürfte, legitimieren. Das aber bedeutet zugleich, dass im Tempel von Jerusalem, dem Heiligtum des Königreichs Juda und des späteren Judentums, jebusitisches Erbe steckt. Diese Vermutung lässt sich noch aus anderen Texten erhärten, doch ist dies darzulegen hier nicht die Aufgabe. Es genügt der Hinweis auf das interreligiöse Kernelement in einer Erzählung wie 2Sam 24. Ein letzter, eher noch rätselhafterer Punkt sei genannt. In einem Abschnitt, der alle militärischen Erfolge Davids zusammenfasst (2Sam 8,1–14), ist überraschend auch von einem friedlichen diplomatischen Abkommen zwischen Israel-Juda und einem Staat weit im syrischen Nordwesten die Rede: dem „Königreich Hamat“. Diese Stadt ist am unteren Orontes gelegen, und das dortige Königtum hatte seine Wurzeln in einer inzwischen versunkenen Großreichsbildung im anatolisch-syrischen Raum, dem Reich der Hetiter. Hamat nun, so erfährt man, lag im Krieg mit dem damals führenden aramäischen Fürstentum Zoba. Die Aramäer – nach der biblischen Erzelternerzählung waren sie mit den Israeliten recht eng verwandt (vgl. Gen 29–31) – setzten sich in Syrien etwa zur gleichen Zeit fest wie Israel in Palästina; auch sie organisierten sich zunächst in Stämmen und gingen dann zur Bildung von Staaten über. Der frühe aramäische Staat von Zoba und der von David begründete Staat Israel-Juda waren gewissermaßen natürliche Konkurrenten um die Vorherrschaft in der Levante. Der König von Hamat nun, angeblich mit Namen Toï, soll froh gewesen sein über militärische Erfolge Davids gegen Zoba und eine Delegation nach Jerusalem entsandt haben, die von seinem „Sohn“ (es ist unsicher, ob es ein leiblicher oder ein Ziehsohn war) angeführt wurde. Der Name dieses Mannes nun lässt aufhorchen: „Joram“ (2Sam 8,10) – ein klar Jhwh-haltiger Name, der bedeutet: „Jhwh ist erhaben“. Die Fachleute rätseln: Handelt es sich um eine bloß literarische „Israelisierung“? Oder wurde Jhwh etwa auch außerhalb Israels verehrt? Oder nahm jener Mann aus Respekt vor David (oder gar in Unterwürfigkeit gegen ihn) einen israelitischen Namen an? Ursprünglich dürfte er, das zeigen abweichende Textüberlieferungen, „Adoram“ geheißen haben, worin der gut aramäische Gottesname „Hadad“ steckt, also: „Hadad ist erhaben“. Der doppelte Name Joram/Adoram ist, wenn letztlich auch unaufklärbar, doch ein leises Zeichen zumindest gedachter Interreligiosität.

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Ergebnis Die Befragung der Samuelbücher auf Züge von Interreligiosität erbrachte ein zwiespältiges Ergebnis. Das Onomastikon spiegelt gewissermaßen „gemischtreligiöse“ Verhältnisse in der frühen Königszeit. Es gibt Namen, die mit Jhwh, aber auch solche, die mit anderen Gottesnamen gebildet sind, dazu solche, die auf die göttliche Sphäre verweisen, ohne eine „konfessionelle“ Festlegung erkennen zu lassen. Die Signale im Erzählstoff der Samuelbücher sind ebenfalls nicht eindeutig. Einige Erzählungen oder Erzählzüge scheinen eine scharfe Trennung zwischen der Jhwh-Religion und anderen Religionen vorauszusetzen bzw. zu propagieren. Andere dagegen gehen von einem Ineinander, gar einer Verschmelzung damals gelebter Religionsformen aus. Es ist, als habe man in Israel, als hätten jedenfalls die Autoren der Samuelbücher gerungen um die richtige Haltung zur Frage nach religiöser Abtrennung oder interreligiöser Offenheit. Israel entschied sich schließlich klar für die Alleinverehrung Jhwhs, am Ende sogar für einen strengen Jhwh-Monotheismus. Doch gerade die Samuelbücher in ihrer religiösen Weitherzigkeit zeigen, dass diese Entscheidung keine abweisend-exklusivistische war, dass vielmehr sehr verschiedene religiöse Prägungen und Haltungen in den Jhwh-Glauben eingegangen sind. Gerade so aber war dieser überlebens- und zukunftsfähig. Das Christentum ist nicht aus einer engen, gegen alles Fremde abgeschotteten Religion hervorgegangen – und es schottete sich, jedenfalls in seinen gewinnenderen Ausprägungen, auch seinerseits nicht ab, sondern war und blieb offen für interreligiöse Erfahrungen verschiedenster Art.

Gottes Wort in unberufenem Mund. Zu einem spezifischen Erzählzug der Samuelbücher In den Samuelbüchern wendet sich Gott immer wieder in direkter Ich-Rede an Menschen: vornehmlich an Propheten, aber auch an David (an diesen freilich stets vermittelt durch Propheten oder Orakel). Aufgrund der stillschweigenden und jedenfalls in der antiken Literatur gültigen Übereinkunft, wonach Autoren ihre Leserschaft nicht mutwillig hinters Licht führen, ist anzunehmen, dass sie in all diesen Fällen Gott das sagen lassen, was er nach ihrer Überzeugung tatsächlich meinte. In vier Fällen jedoch führen Erzählfiguren, die nicht über alle Zweifel erhaben sind, Gottesworte im Mund, von denen nicht eindeutig geklärt ist, ob sie je gesprochen worden oder ob sie frei erfunden sind. Das ist irritierend. Es wäre wichtig zu wissen, ob Gott jene Aussagen zumindest gemacht haben könnte, oder ob er durch sie für undurchsichtige Zwecke eingespannt wird. Mehr literarisch gefragt: Stehen die Erzähler hinter jenen Zitaten, oder stehen sie in Distanz zu ihnen?

1. Erster Fall: Die Männer Davids Auf der Jagd nach David fällt Saul zweimal unversehens in die Hände des von ihm Gejagten. Beim ersten Mal betritt er, nahe der Oase En-Gedi am Toten Meer, eine Höhle, um diskret seine Notdurft zu verrichten – und ahnt nicht, dass sich in der Tiefe der Höhle David mit seinen Leuten verborgen hält. Diese sehen ihn, er sieht sie nicht; sie sind viele, er ist allein. Da sagen Davids Männer zu ihrem Anführer: „Sieh, das ist der Tag, von dem Jhwh dir gesagt hat: Ich werde deinen Feind in deine Hände geben“ (1Sam 24,5). Formal relativ nahe kommt dieser Aussage das, was Gott einst Samuel eröffnet hat, als ihm Saul erstmals gegenübertrat: „Sieh, der Mann, von dem ich dir gesagt habe: Der wird über mein Volk herrschen“ (1Sam 9,17). Hier ist Saul natürlich kein „Feind“, sondern der alsbald zu salbende Herrscher Israels. Inhaltlich nahe sind dem Votum der Männer Davids Äußerungen zweier Erzählfiguren. Sauls Sohn Jonatan zeigt sich davon überzeugt, dass Jhwh „die Feinde Davids ausrotten“ und „von der Hand der Feinde Davids“ vergossenes Blut zurückfordern werde (1Sam 20,15f). Und die kluge Abigajil versichert David, Gott werde „das Leben deiner Feinde wegschleudern mitten aus der Schleuder-

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tasche“ (1Sam 25,29). Weder hier noch dort wird David nahegelegt, dem Leben seiner Feinde selbst ein Ende zu machen; vielmehr wird ihm dies als Tat Jhwhs in Aussicht gestellt. Dass aber Gott selbst David versprochen hätte, er werde ihm einen „Feind“ – und speziell Saul – „in die Hände geben“, davon verlautet nirgendwo etwas. Man fragt sich, ob lediglich ein Bericht darüber in den Samuelbüchern fehlt – oder ob die Männer Davids jenes Gotteswort frei erfunden haben. Lassen sie Gott etwas sagen, wovon sie wissen, dass er es nicht gesagt hat, machen sie also Gott zum Vehikel ihrer Wünsche an David? Im Fortgang der En-Gedi-Geschichte erfährt diese Frage eine differenzierte Antwort. Nachdem Saul die Höhle unversehrt verlassen hat, ruft ihm David hinterher: „Sieh, am heutigen Tag haben deine Augen gesehen, dass Jhwh dich heute in meine Hand gegeben hat“. Insoweit bestätigt also David die Rede seiner Männer. Doch im gleichen Atemzug widerspricht er dem damit verbundenen Ansinnen, das sie gar nicht ausdrücklich geäußert haben, das er aber deutlich herausgehört hat: Er solle die gottgeschenkte Gelegenheit nutzen und seinen „Feind“ töten. Dem hält David entgegen, dass Saul der „Gesalbte Jhwhs“ sei und deshalb unter keinen Umständen getötet werden dürfe (1Sam 24,11). Davids Männer haben sich also in der Sache zu Recht auf Gott berufen, daraus aber die falschen Schlüsse gezogen.

2. Zweiter Fall: Die Stämme Israels Saul verlor eines Tages doch sein Leben: nicht durch David, sondern durch die Philister. Nach und nach wurde faktisch sein gesamtes Haus ausgelöscht. Da „alle Stämme Israels“ zu David, um ihm die Königswürde anzutragen. Angeblich beriefen sie sich dabei auf ein Gotteswort: „Jhwh sagte zu dir: Du, du sollst mein Volk Israel weiden und sollst zum Bevollmächtigten (‫ )נגיד‬über Israel werden“ (2Sam 5,2). Auch dieses Wort hat Gott nach dem Bericht der Samuelbücher zu David nie gesagt. Vielmehr ließ er einst Saul durch Samuel mitteilen, er habe sich „einen Mann nach seinem Herzen gesucht“ und diesen „aufgeboten als Bevollmächtigten (‫ )נגיד‬über sein Volk“ (1Sam 13,14). Diese Aussage ist im Wortlaut nicht weit entfernt von 2Sam 5,2, nur ergeht sie an den „falschen“ Adressaten. Wenn Samuel damals die Metapher vom „Weiden“ Israels nicht gebrauchte, dann erfuhren die Leser doch alsbald, dass David – um ihn geht es natürlich – als junger Bursche die Schafe des Vaters „weidete“ (1Sam 16,11; 17,15). Dieser von Gott Erwählte stieg also auf vom Kleinvieh- zum Menschenhirten. Demnach sagten die „Stämme Israels“, als sie sich bei ihrer Avance an David auf Gottes Willen beriefen, durchaus die Wahrheit. Dass sie ihr Wissen in ein

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Gotteswort an David umformen, könnte dem Wunsch entspringen, besonders überzeugend aufzutreten. (Oder soll man als Leser denken, Samuel habe, was er einst Saul allein eröffnete, später auch andere wissen lassen?)

3. Dritter Fall: Der General Abner Abner ben Ner diente als Heereschef zuerst Saul, dann dessen Nachfolger Eschbaal. Als dieser ihn einmal durch Vorhaltungen reizt, schleudert er ihm die Sätze entgegen: „So soll Gott dem Abner tun und so ihm hinzufügen, dass ich so, wie Jhwh dem David geschworen hat, diesem tun werde: das Königtum dem Haus Sauls wegnehmen und aufrichten den Thron Davids über Israel und über Juda von Dan bis Beerscheba!“ (2Sam 3,9f) Auch von diesem angeblichen Schwur Gottes ist nirgendwo in den Samuelbüchern etwas zu lesen. Allenfalls ließe sich wieder auf die (erste) Verwerfung Sauls durch Samuel in 1Sam 13,7b–15 verweisen, vielleicht auch auf Abigajils geisterfüllte Rede an David in 1Sam 25,24–31 oder an die Prophezeiung des aus dem Totenreich heraufgerufenen Samuel an Saul in 1Sam 28,15–19. An allen diesen Stellen wird inhaltlich ungefähr das zum Ausdruck gebracht, was laut Abner Gott selbst David gesagt haben soll. Freilich, von einem Schwur Gottes ist dort nirgendwo die Rede, auch nicht von einem David zugedachten Doppelkönigtum „über Israel und über Juda“. Zudem ist höchstens bei der dritten Erzählung denkbar, dass Abner zum Zeugen des Geschehens geworden wäre. Wenn also die Worte des Generals an Eschbaal von inhaltlich verwandten Stellen in den Samuelbüchern auch einigermaßen gedeckt sind, hat man doch den Eindruck, dieser Mann nehme den Mund etwas voll.

4. Vierter Fall: Noch einmal Abner Dieser Eindruck verstärkt sich in einer wenig später geschilderten Szene: „Und das Wort Abners war ergangen an die Ältesten Israels wie folgt: Seit gestern und vorgestern verlangt ihr unablässig David als König über euch. Und nun – handelt! Denn Jhwh hat zu David Folgendes gesagt: Durch die Hand meines Knechtes David will ich mein Volk Israel erretten aus der Hand der Philister und aus der Hand aller seiner Feinde“ (2Sam 3,17f). Die Behauptung, die Ältesten Israels hätten schon seit Langem David zum König haben wollen, stammt von Abner; der Erzähler sagt nicht, ob sie zutrifft. Und das, was laut Abner Jhwh gesagt hat, lässt sich erneut in den Samuelbüchern

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nicht belegen. Eher im Gegenteil: Einst hatte Jhwh ganz Ähnliches über Saul gesagt, nämlich an die Adresse Samuels: „Morgen um diese Zeit schicke ich zu dir einen Mann aus dem Land Benjamin, und du salbe ihn zum Bevollmächtigten (‫ )נגיד‬über mein Volk Israel. Und er wird mein Volk retten aus der Hand der Philister“ (1Sam 9,16). Saul versuchte nach Kräften, diesem Auftrag gerecht zu werden, scheiterte aber letztlich an ihm. So ging er, das scheint Abner (bzw. der Erzähler) zu meinen, an David über – und dieser erfüllte ihn, wie die Erzählungen von Philisterkriegen in 1Sam 17–18 und 2Sam 5,17–25 sowie die lange Liste kriegerischer Erfolge in 2Sam 8,1–14 zeigen, glänzend. Abner, so zeigt sich, zitiert in diesem Fall ein tatsächlich einmal ergangenes Jhwh-Wort, doch münzt er es von Saul auf David um. So lenkt er in dem Augenblick, da er im Begriff ist, vom Haus Sauls zu David überzulaufen, in Gestalt eines leicht verfremdeten Gotteswortes Wasser auf die eigenen Mühlen. Gleichwohl sagt er in der Sache nicht die Unwahrheit: David, nicht Saul, war der „Retter Israels“. Ein Wort zum Abschluss. Im Jeremiabuch, d. h. in zeitlicher Nähe zum Exil, hat sich in der biblischen Tradition eine ausgefeilte Wort-Gottes-Theologie herausgebildet, die Gestalt annimmt etwa in der zusehends gängig werdenden Wortereignisformel „Und das Wort Jhwhs geschah zu NN“ oder in dem Spitzendiktum, wonach Gottes Wort sei „wie ein Hammer, der Felsen zerschmeisst“ (Jer 23,29 nach Luther). Von dieser Theologie ist der Autor, der die behandelten vier Wort-Gottes-Stellen in die Samuelbücher eingeschrieben hat (es ist ein und derselbe!), noch weit entfernt. Für ihn sind Gottesworte keine felsenfeste, sondern eine literarisch einsetzbare, hinterfragbare, missverstehbare und gar missbrauchbare Größe. Eine „quantité négligeable“ sind sie gleichwohl nicht; denn auch wenn mitunter dubiose Figuren sie im Munde führen, gewinnt deren Position mit ihnen doch erheblich an Gewicht.

Vom Schweigen und Reden Gottes in den Samuelbüchern 1. „The Silent God“ Den Anstoß zu dieser Studie gaben zwei niederländische Autoren, Marjo Korpel und Johannes C. de Moor, die ein bedeutsames Buch vorgelegt haben: The Silent God (Leiden/Boston 2012). Sie begeben sich in ihm auf ein schwieriges Feld biblischer Exegese und Theologie. Speziell in den Kirchen der Reformation hat das „Wort Gottes“ einen ungemein hohen Stellenwert. Dass Gott geredet hat und weiterhin redet, ist zentrales christliches Glaubensgut – und es ist grundlegende Überzeugung der Heiligen Schrift Alten Testaments. Das erste Kapitel der Bibel berichtet von der Schöpfung allein durch Gottes Wort. Die Verheißungen an die Erzväter, in denen sich die Geschichte des erwählten Volkes vorbereitet, sind Reden Gottes. Gott teilt Mose und Israel am Sinai seine Tora mit. Nicht vergebens lässt er sich vom jungen Samuel bitten: „Rede, dein Knecht hört“ (1Sam 3,10). Hiobs unnachgiebiges Rechten mit ihm kommt erst dann zur Ruhe, als er am Ende mit ihm redet. Die in den Büchern der Vorderen wie der Hinteren Propheten immer wiederkehrende Formel „Und das Wort Jhwhs geschah zu XY“ beschreibt das Reden Gottes als fast dinghaftes Ereignis. In der anderen, noch häufigeren Formel „So spricht Jhwh“ kennzeichnen sich die Propheten als die Gottes Wort überbringenden Boten. So lautet ein prophetischer Spitzensatz: „Das Wort unseres Gottes bleibt ewig“ (Jes 40,8). Und dann ein Buch über das Schweigen Gottes? Korpel und de Moor setzen zur Begründung in der Moderne ein. In einer hochinteressanten Stoffsammlung schildern sie die bedrückende Erfahrung heutiger Menschen – Dichter, Philosophen, auch Theologen – mit einem schweigenden Gott (Kap. 1.1-5), und sie tasten sich auch schon zu ersten, systematisch-theologischen Antworten auf die damit aufgeworfenen Fragen vor (1.6). Doch eigentlich gilt ihr Interesse dem Umgang der Hebräischen Bibel mit dem Thema. Zwei grundlegende Vorentscheidung treffen sie damit, dass sie die Bibel dezidiert als Menschenwort und die Vorstellung von einem schweigenden Gott als rein metaphorische Beschreibung bestimmter menschlicher Erfahrungen auffassen (2.1-2) und dass sie Schweigen als Fortsetzung von Reden bestimmen (2.3). Was wie eine Selbstverständlichkeit aussieht, hat im Buch weit reichende Konsequenzen. Ein erstes Sachkapitel (3.) listet nämlich zahlreiche Beispiele für zwischenmenschliches Schweigen im Alten Testament und seiner Umwelt (auf deren Einbezug liegt ein starker Akzent!) auf und fragt nach dessen jeweiligen

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Gründen: Menschen, so erfährt man, schweigen untereinander aus Verdecktheit, Ängstlichkeit, Klugheit, Unfähigkeit und Schläfrigkeit. Zur Frage nach dem Schweigen Gottes trägt dies zunächst wenig bei. Später wird man hören, dass Menschen auch den Göttern gegenüber aus denselben Gründen schweigen (4.5) und, erstaunlicherweise, ebenso die Götter gegenüber den Menschen (6.2). Es liegt auf der Hand, dass dabei weniger an den biblischen Gott gedacht sein kann (dem kaum Verdecktheit, Ängstlichkeit und Unfähigkeit nachgesagt wird), sondern mancherlei orientalische Gottheiten. Das heißt, was man hier liest, hat weniger mit biblischer Theologie als mit altorientalischer Religionsgeschichte zu tun. (Dies ist kein Verdikt, sondern blosse Feststellung.) Noch weiter von der eigentlichen Thematik entfernen sich zwei weitere, spiegelbildlich angelegte Kapitel „How Did Man Address the Deity?“ (4.) und „How Did the Deity Address Man?“ (5.) Gewiss erfährt man hier viel Interessantes, z.B. über Gebete, Magie, Träume, Orakel, doch mit dem Schweigen Gottes hat dies wenig bis nichts zu tun. In diesen Bereichen ist das Buch deutlich redundant. So, wie es jetzt vorliegt, hätte es nicht heißen sollen: „Der schweigende Gott“, sondern: „Reden und Schweigen. Über Kommunikationsweisen und Kommunikationsstörungen unter den Menschen sowie zwischen Menschen und Göttern im Alten Testament und im Alten Orient“. Das letzte Kapitel (7.) aber rechtfertigt in gewisser Weise den jetzigen Titel. In ihm werben die Autoren in fast konfessorisch-paränetischem Stil um ein angemessenes Verständnis der Rede vom „Schweigen Gottes“. Sie erkennen, dass das Thema seine letzte Schärfe am Theodizeeproblem gewinnt. Mit Blick auf Entsetzlichkeiten wie die Shoa, Tsunamis und Erdbeben sinnieren sie: „If it is inevitable that innocent people suffer, God himself may well be speechless for sorrow and regret, and his inability to do something about it“ (301); Gott könnte also selbst leiden. Doch nicht eigentlich bei ihm sehen sie den Schlüssel zur Lösung des Problems liegen, sondern beim Menschen. „To state that God is silent amounts to saying that his messengers, angelic or human, are unable to speak in his name“ (303). „And if God does not help me to go on, then I shall have to help God“, zitieren sie die 1943 von den Nazis ermordete junge holländische Jüdin Etty Hillesum (283) und leiten daraus die Aufforderung ab: „Divine silence is an invitation to speak in his name“ (287). Dem mag man widersprechen. Man könnte höchstens fragen, ob hier nicht auf eine zutiefst theologische Frage eine anthropologische bzw. moralische Antwort gegeben wird. In manchen biblischen Zeugnissen erscheint Gott selbst als erschreckend unergründlich und unnahbar, befremdlich und fremd. Gegen das Schweigen dieses deus alienus vermöchte kein menschliches Reden, und wäre es noch so tapfer oder trotzig, etwas auszurichten. Dies soll gleich an Beispielen aus den Samuelbüchern veranschaulicht werden. Zuvor aber ist einem Desiderat ein wenig abzuhelfen, das Korpels und de Moors Buch aufweist: Es versucht nirgendwo, das Wortfeld des Schweigens Gottes – eine paradoxe Wendung! – zu

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erfassen, wie es in der Hebräischen Bibel vor uns liegt. Gerade von ihm her eröffnen sich aber grundlegende Einsichten in das Thema.

2. Zur Semantik des göttlichen Schweigens in der Hebräischen Bibel In der Hebräischen Bibel gibt es ein ganzes Wortfeld zur Beschreibung des Schweigens Gottes. An erster Stelle ist das unmittelbar einschlägige Verb ‫חשׁה‬, „schweigen“, zu nennen. Dreizehnmal hat es diese Bedeutung, fünfmal davon ist Gott das Subjekt (Jes 42,14; 57,11; 64,11; 65,6; Ps 28,1). Gleich der erste Beleg ist besonders aufschlussreich: Jes 42,14, wo Jhwh von sich selbst sagt (natürlich im Prophetenwort), er habe nunmehr lange Zeit „geschwiegen“ (‫ חשׁה‬Hif.), sagt Jhwh da durch den Exilspropheten Deuterojesaja, jetzt aber wolle er sich vernehmen lassen (Jes 42,14). Hier ist also die Exilszeit als eine Zeit des Gottesschweigens verstanden. Doch schwebte man offenbar auch nach ihrem Ende noch zwischen Bangen und Hoffen: „Willst du (weiterhin) schweigen?“, wird Gott im sog. Tritojesaja (an)klagend gefragt (Jes 64,11, ‫ חשׁה‬Qal), und seine Antwort lautet: „Ich werde nicht schweigen“ (Jes 65,6, ‫)לא אחשׁה‬. Von diesen beiden Stellen aus lässt sich das Wortfeld vom Schweigen Gottes weiter entfalten. In Jes 42,14 steht in Parallele zu ‫ חשׁה‬Hif. das lautlich und sachlich nah verwandte ‫ חרשׁ‬Hif., „sich still verhalten, schweigen“; Gott hat also die ganze Exilszeit über „geschwiegen“ und „geschwiegen“. Auf die babylonische Fremdherrschaft zielt nach dem jetzigen Zusammenhang auch die vorwurfsvolle Frage Habakuks an Gott: „Warum schaust du den Treulosen zu und schweigst (‫ ;“?)תחרישׁ‬ursprünglich dürfte hier Gottes Tatenlosigkeit angesichts ungerechter Verhältnisse innerhalb Judas im Blick gewesen sein. Gott lässt also Unrecht schweigend geschehen – und dürfte das doch keinesfalls. Im Qal hat ‫חרשׁ‬, gut passend, die Bedeutung „taub sein“; wenn ein Psalmbeter sich selbst versichert, Jhwh sei doch „nicht taub“ (‫אל־יחרשׁ‬, Ps 50,3), verrät er deutlich genug die Besorgnis, er könne es (zeitweise) vielleicht doch sein. In Jes 42,14 wie in Jes 64,11 gesellt sich zu ‫ חשׁה‬Qal ferner das Hitp. von ‫אפק‬, „an sich halten“. Gott hat mit der Hilfe für sein leidendes Volk „an sich gehalten“. In Jes 62,1, wo allerdings der Prophet im eigenen, nicht in Gottes Namen zu reden scheint, tritt in Parallele zu ‫ חשׁה‬ein noch anderes Verb: „Um Zions willen schweige ich nicht (‫)לא אחשׁה‬, um Jerusalems wegen halte ich nicht still“ (‫)לא אשׁקוט‬. Auch bei Gott kann dieses „Stillhalten“ eine Funktion seines „Schweigens“ sein: „Schweige nicht (‫ )אל־תחרשׁ‬und halte nicht still (‫“!)אל־שׁקט‬, heisst es in einem kollektiven Klagepsalm, der sich bei Jhwh über die andringenden Feinde Israels beschwert (Ps 83,2).

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In einem individuellen Klagelied lässt der Beter auf die Aufforderung „Schweige nicht (‫ “!)אל־תחרשׁ‬einen Weckruf folgen: „Wach auf und erwache“ (‫העירה והקיצה‬, Ps 35,22f). Damit erweitert sich das Wortfeld vom Schweigen Gottes um das von seinem Schlafen und (Nicht-)Wachwerden – eine nach gängiger Dogmatik doch recht ungewöhnliche Metaphorik. Es erstaunt, wie unverstellt ein anderer Psalmbeter seinen Gott anrufen kann: „Wach auf (‫!)עורה‬ Warum schläfst du (‫)תישׁן‬, Herr? Erwache (‫( “!)הקיצה‬Ps 44,24) Ein Gott, der schläfrig ist, kann wohl auch vergesslich sein. Das Verb ‫ שׁכח‬Qal hat namentlich in den Psalmen oft Gott zum Subjekt. Da gibt es gottlose Menschen, die sagen, Gott vergesse ohnehin alles (Ps 10,11). Eine besondere Note bringen hier die Propheten ins Spiel. Nach Hos 4,6 will Jhwh die Nachkommen eines bestimmten Priesters „vergessen“, während er nach Am 8,7 bestimmte Untaten nie „vergessen“ werde. Fromme Psalmbeter halten fest, dass Gott nicht vergesse oder nicht vergessen solle (womit sie immerhin zeigen, dass sie ihm diese Möglichkeit zutrauen: Ps 10,12; 74,19). Und immer wieder wird ausdrücklich der Vorwurf laut, Gott habe die Seinen vergessen (Ps 13,2; 42,10; 44,25; Thr 5,20). Im Zusammenhang dieser Aussagen weitet sich die Begrifflichkeit des Gottesschweigens noch weiter aus. „Bis wann vergisst du mich (‫ )תשׁכחני‬so dauerhaft, Jhwh, bis wann verbirgst du dein Antlitz (‫ )תסתיר פניך‬vor mir?“ (Ps 13,2; ähnlich Ps 44,25) Es leuchtet sofort ein: Wer von Gott nichts hört, bekommt von ihm wohl auch nichts zu sehen. Elihu, einer der Freunde Hiobs, findet das nicht weiter verwunderlich: „Gott hält still (‫ – )ישׁקט‬wer will ihn tadeln? Er verbirgt das Antlitz (‫ – )יסתר פנים‬wer will ihn (durch)schauen?“ (Hi 34,29) Andere finden sich mit Gottes Vergesslichkeit weniger leicht ab: „Warum vergisst du uns (‫ )תשׁכחנו‬auf Dauer und verlässt uns (‫ )תעזבנו‬so lange Zeit?“ (Thr 5,20) – was wiederum an den berühmten, von Jesus am Kreuz aufgenommenen Verlassenheitsruf gemahnt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“? (‫עזבתני‬, Ps 22,2) Bisher stellt sich das Wortfeld des Schweigens Gottes so dar: Er kann „schweigen“ (‫)חשׁה‬, „taub sein, sich still verhalten, schweigen“ (‫)חרשׁ‬, „sich still halten“ (‫)שׁקט‬, „an sich halten“ (‫)אפק‬, „schlafen“ (‫)ישׁן‬, so dass er „wach werden“ muss (‫קיץ‬, ‫)עור‬, die Seinen „vergessen“ (‫)שׁכח‬, vor ihnen „sein Antlitz verbergen“ (‫ סתר‬Hif.) und sie „verlassen“ (‫)עזב‬. Diese Verben drücken ‚positiv’ das Schweigen und das Untätigbleiben Gottes aus. Es gibt aber auch solche, die in positivem Gebrauch seine Anteilnahme und Aktivität bezeichnen, negiert aber das Gegenteil davon, eben wiederum sein Schweigen. „Ich höre nichts“ (‫)אינני שׁמע‬, lässt Jhwh durch Jesaja denen, die zu ihm beten, lakonisch ausrichten (Jes 1,15). Gleiches kündigen Jeremia (Jer 11,11.14; 14,12) und Sacharja (Sach 7,14) an. Hiob wie der Beter des 22. Psalms beklagen sich, dass Gott auf ihr flehentliches Rufen „nicht antwortet“ (‫לא תענה‬: Ps 22,3; Hi 30,20; vgl. auch Hi 19,7). Micha kündigt umgekehrt voll Ingrimm eben dieses Verhalten Gottes denen an, die jetzt ihre armen Landsleute zerfleischen (Mi 3,4). Mehrfach

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werden geschichtliche Notsituationen so erklärt, dass Jhwh, weil Israel ihn gekränkt hatte, auf Hilferufe „nicht antwortete“ (Dtn 1,45; 3,26; 1Sam 8,18). Schliesslich wird Jhwh im kollektiven Klagelied vorgeworfen, er habe Jerusalems, „des Schemels seiner Füsse, nicht gedacht (‫“)לא־זכר‬, so dass es schutzlos der Wut der Feinde preisgegeben war (Thr 2,1). Somit gehören auch diese Wendungen zum Wortfeld des Schweigens Gottes: dass er „nicht hört“ (‫)לא שׁמע‬, „nicht antwortet“ (‫ )לא ענה‬und „nicht gedenkt“ (‫)לא זכר‬.

3. Vom Schweigen und Reden Gottes in den Samuelbüchern Im vorangehenden semantischen Überblick sind die Belege sämtlich aus poetischen Texten genommen. Dass sie sich dort häufen, ist kein Zufall. Gottes „Schweigen“, „Vergessen“, „Schlafen“ sind theologisch ziemlich gewagte Anthropomorphismen, Sprachbilder, die Gott in menschlich-allzumenschlicher Gestalt zeigen. Poetische Sprache lebt nicht zuletzt von ihrer Bildhaftigkeit. Auch Korpel und de Moor heben in ihrem Buch ja den metaphorischen Charakter derartiger Aussagen hervor. Ihrer Meinung nach gelangt man vom sprachlichen Bild zur gemeinten Sache, indem man die Metapher vom „schweigenden Gott“ gleichsam anthropologisch rückübersetzt: Weil es den Menschen aufgrund bestimmter Erfahrungen die religiöse oder theologische Sprache verschlägt, breitet sich Gottesschweigen aus. Trifft dies aber den biblischen Sachverhalt vollständig? Die Rede vom Schweigen Gottes ist ja ihrerseits wieder religiös-theologische Rede. Wer sagt, dass Gott schweigt, schweigt gerade nicht von ihm. Menschen, die unter schweren Erfahrungen nicht einfach verstummen (oder empört aufschreien oder das Schicksal in die eigenen Hände nehmen), sondern ihren Gott des Schweigens und der Untätigkeit bezichtigen, geben zu verstehen, dass es ausser ihrer Erfahrung und ihnen selbst noch etwas anderes gibt, einen Anderen – auch wenn von diesem derzeit nichts zu hören oder zu fühlen ist. Von einem schweigenden Gott zu reden heisst, ihn als Grösse extra nos auch dann festhalten, wenn sich diese menschlicher Wahrnehmung nicht mehr zu erkennen gibt. Die alttestamentlichen Autoren äussern derartige Gedanken nicht in theoretischer Form, sondern in der Form namentlich der Klage, also in poetischer Sprache – oder in der Form der Erzählung, das heisst: in einer narrativen Sprache. Sie hält, indem sie vom Miteinander Gottes und der Menschen erzählt, neben den handelnden (oder leidenden) Menschen auch den handelnden (oder schweigend-untätigen) Gott präsent. Irgendwann, so die Überzeugung der biblischen Erzähler, redet und handelt Gott wieder – unabhängig davon, ob und wie

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II. Thematische Längsschnitte

die beteiligten Menschen reden und handeln. Dies soll an drei Erzählfiguren der Samuelbücher veranschaulicht werden.

a) Hanna und der zuerst schweigende, dann redende Gott Hanna tritt in die Erzählung der Samuelbücher als eine zugleich bevorzugte und benachteiligte Frau. Sie ist die Lieblingsfrau ihres Mannes Elkana, aber sie ist kinderlos, während Elkanas zweite Frau, Peninna, viele Söhne und Töchter gebiert. Der Erzähler (oder die Erzählerin?) zögert nicht, die ‚Schuld’ an Hannas Unglück Gott zu geben: Nicht sie war unfruchtbar, sondern „Jhwh hatte ihren Leib verschlossen“ (1Sam 1,5). Das tat er gewiss wortlos, schweigend. Die Frau und ihr Mann stehen vor einem Faktum, das unerklärt bleibt, von dem sie nur ahnen (bzw. wovon die Erzählung behauptet), dass Gott es verhängt habe. Eines Tages, bei einem der jährlichen Opferfeste in Schilo, erträgt Hanna ihren Kummer und die Sticheleien ihrer Nebenbuhlerin nicht mehr und tritt „vor Jhwh“, um mit ihm zu verhandeln. Sehr gut könnte man sich in ihrem Mund einen der Psalmen vorstellen, die Gott sein Schweigen und Stillhalten vorwerfen. Tatsächlich gebraucht sie, als sie Gott einen Handel vorschlägt – du gibst mir einen Sohn, und ich gebe ihn dir als deinen Diener zurück –, zwei Begriffe aus dem Wortfeld vom Schweigen Gottes: „Wenn du meiner gedenkst (‫)זכרתני‬ und deine Magd nicht vergisst (‫( “…)לא־תשׁכח‬1,11). Bisher hat ihrer Meinung nach Jhwh genau das getan, hat ihrer „nicht gedacht“ und sie „vergessen“; jetzt soll er sich eines anderen besinnen. Jhwh bricht sein Schweigen nicht; keine Audition, keine Vision stellt sich ein. Doch am Eingang des Heiligtums sitzt sein Priester, der alte Eli, der auf Ordnung an der Kultstätte achtet und auf die still und inbrünstig mit Gott ringende Frau aufmerksam wird. Er versteht nichts, sondern bezichtigt sie des übermässigen Alkoholkonsums, woraufhin sie ihm höflich, aber bestimmt erklärt, dass sie kein Problem mit Wein habe, sondern mit Gott. Da „antwortet“ er (‫ )ענה‬und sagt: „Der Gott Israels gebe dir, was du erbeten hast“ (1,17), ohne zu wissen, was sie erbeten hat. Hanna scheint die Worte dieses nicht besonders hellsichtigen Gottesdieners als Antwort Gottes selbst genommen zu haben; denn umgehend veränderte sich ihr „Antlitz“ (1,18). Sie kehrte mit ihrem Mann nach Hause zurück, dieser verkehrte mit ihr – und Jhwh „gedachte ihrer“ (‫ויזכרה‬, 1,19). Prompt wurde sie schwanger und gebar einen Sohn, Samuel (1,20). Nirgends wird gesagt, dass Jhwh zu Hanna geredet hätte; sein Schweigen hat er gleichwohl gebrochen. Nachträglich sieht man, dass dieses gar nicht feindselig und destruktiv war. Hanna sollte ihr Leid nur, statt es in sich hineinzufressen, aussprechen – und zwar direkt vor Gott. Dieser scheint darauf förmlich gewartet und seinem Priester das falsche, richtige Wort sofort in den Mund gelegt zu haben. Freilich musste Hanna zuvor etwas aufgeben: ihren mütterlichen oder auch Besitz-Anspruch auf den erhofften Sohn. Gott wollte Hanna das

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ersehnte Kind schenken – doch sollte es nicht ihr Sohn bleiben, sondern zu dem Mann werden, der Israel den höchst riskanten Schritt von der Stammesgesellschaft zum Staat gehen half. Ist die Hanna-Erzählung ein Beleg dafür, dass der Mensch, statt über Gottes Schweigen zu sinnieren, lieber selbst von ihm reden sollte? Nun, Hanna redet nicht von Gott, sondern mit ihm, und Eli redet von ihm einigermassen hilflos und unwissend. Im Grunde befindet sich der Gott dieser Erzählung ausserhalb der Reichweite menschlicher Rede. Er ist souverän in seinem Schweigen wie in seinem Reden bzw. Handeln, und weiss genau, wann er das eine und wann das andere tut.

b) Saul und der zuerst redende, dann schweigende Gott Nach der Erzählung 1Sam 9,1 – 10,16 verdankt Saul seine Karriere einem zwar nicht jedermann (schon gar nicht ihm selbst!) erkennbaren, untergründig jedoch sehr zielstrebig handelnden und redenden Gott. Der Auslöser ist eine scheinbare Lappalie: Sauls Vater entlaufen Eselinnen, und er sendet seinen Sohn, um sie zu suchen und zurückzubringen. Was oder wer die Eselinnen weggetrieben hat, wird nicht gesagt, man kann sich darüber aber mehr oder minder tiefsinnige Gedanken machen. Jedenfalls gelangt Saul nach langer Irrreise genau zu dem Ort, in dem Samuel lebt. Und diesen hat tags zuvor Gott in klaren Worten instruiert, da komme einer, den er zum „Bevollmächtigten“, sprich: zum künftigen König, zu salben habe. Samuel tut dies und spricht dazu die über sein eigenes Handeln hinaus- und auf Gott hinweisenden Worte: „Hat nicht Jhwh dich gesalbt zum Bevollmächtigten über sein Erbe?“ Saul stolpert gleichsam blindlings auf den Thron, doch sein Weg ist von Gott vorgezeichnet. Ihm selbst gegenüber wahrt Gott Schweigen, doch zu seinem und durch seinen Diener Samuel redet er. Saul wird anschliessend vom Volk glänzend im Königsamt bestätigt (1Sam 10,17–27) und erringt einen triumphalen Sieg über die Ammoniter (1Sam 11,1– 15). Auch jetzt redet Gott nicht mit ihm, lenkt aber offensichtlich sein Geschick zum Guten. Doch bald danach stellen sich Komplikationen ein. Samuel zieht sich aus der politischen Verantwortung zurück (1Sam 12), sucht aber gleichwohl, seine Mentorschaft über Saul aufrecht zu erhalten, was zu Spannungen und schliesslich zum Zerwürfnis zwischen dem Gottesmann und dem eher nach weltlichen Gesetzen agierenden König führt (1Sam 13,7–14; 15,1–35). Den ersten grossen Krieg gegen die Philister kann Saul zwar für sich entscheiden, doch es ist ein Pyrrhussieg (1Sam 13,15 – 14,46). In seinem Verlauf treten erste ernste Kommunikationsschwierigkeiten mit Gott auf. Als der Kampf losbricht, will Saul mittels des Efod, eines Orakelgeräts, Jhwhs Weisung einholen, lässt dies dann aber angesichts der sich überstürzenden Ereignisse bleiben (14,18f). Den Sieg erringt eigentlich sein Sohn Jonatan für ihn: bravourös und offenbar mit Gottes

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Hilfe. Doch unglücklicherweise setzt sich Jonatan über eine vor Gott beschworene Anordnung des Vaters hinweg. Als Saul später die göttliche Zustimmung zur Verfolgung des geschlagenen Feindes einholen will, geschieht etwas Irritierendes: Gott „antwortete ihm nicht (‫ )לא ענהו‬an diesem Tag“ (14,37). Urplötzlich sieht sich Saul mit einem schweigenden Gott konfrontiert. Sogleich vermutet er, dass der Grund in einer menschlichen Übertretung liegen müsse. Um den Missetäter herauszufinden, lässt er das Los werfen: erneut eine Art Orakelanfrage bei Gott, und dieser lenkt das Los prompt und zielsicher auf Jonatan. Jonatan gesteht seine Schuld ein, erklärt sich zum Sterben bereit, und der Vater fällt das Todesurteil. Gott schweigt dazu, doch das Kriegsvolk erhebt Einspruch und erzwingt die Begnadigung. Die Rolle Gottes in diesem Geschehen ist zwielichtig. Auf einen Schwurbruch reagiert er mit eisigem Schweigen, hilft tatkräftig bei der Ermittlung des Täters, scheint somit dessen Bestrafung zu sanktionieren, schweigt aber wieder, als diese nicht stattfindet. Saul muss vor einem Rätsel stehen. Er hatte alles richtig machen wollen, doch Gott fand anscheinend alles falsch. An Sauls Lebensende kumulieren die unguten Erfahrungen mit dem abweisend schweigenden Gott. Ungerührt scheint dieser zuzusehen, wie Saul sich in eine Art Verfolgungswahn steigert und in wahnhaftem Starrsinn seinen vermeintlich schlimmsten Feind, David, verfolgt – vergebens, da Gott, wie die Erzähler nicht müde werden zu betonen, auf der Seite Davids steht. Saul unternimmt mehrere Mordaufschläge auf ihn, beschuldigt seine Getreuesten der Kumpanei mit ihm, rennt gegen ihn ein ums andere Mal ins Leere, gerät dabei in blamable Situationen, steht vor aller Welt da als einer, der nicht in der Lage ist, seine Absichten durchzusetzen. Schliesslich bahnt sich die ultimative Auseinandersetzung mit den Philistern an. Die Erzähler schildern eindringlich, wie Saul immer mehr in die Enge getrieben wird, mehr und mehr den Mut verliert, von Gott aber keinerlei Unterstützung erfährt. „Und Saul befragte Jhwh, doch Jhwh antwortete ihm nicht (‫)לא ענהו‬, weder durch Träume noch durch Urim (ein probates Orakelmittel) noch durch Propheten“ (1Sam 28,6). In seiner Verzweiflung begibt er sich zu einer Totenbeschwörerin, die ihm Samuel aus der Unterwelt heraufholt; als dieser ihn unwirsch fragt, warum er ihn störe, sagt er: „Mir ist sehr angst. Die Philister bekriegen mich, und Gott hat sich von mir abgewandt und antwortet mir nicht mehr (‫)עוד לא־ענני‬, weder durch Propheten noch durch Träume“ (28,15). So spricht ein Mann, der sich von Gott verlassen fühlt. Jetzt aber, ein letztes Mal, redet Gott zu ihm: durch Samuel, der ihm scheinbar mitleidlos das Todesurteil spricht: „Morgen wirst du mit deinen Söhnen bei mir sein“ (28,19). Wieder sei die Frage gestellt: Hatten es Menschen versäumt, von Gott zu reden, als Saul ihn schweigend fand? Nun, er selbst bemühte sich um Kontakt zu ihm. Und Samuel schwieg von Gott nicht, sondern begründete dessen Schweigen. Was schwieg, waren „die Träume, die Orakel, die Propheten“ – nach Überzeugung der Erzähler deshalb, weil ihnen Gott nicht zu reden gestattete. Es

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schwieg also Gott selbst. So wie ein Deuterojesaja die Exilszeit, so empfanden die biblischen Biographen die Regierungszeit Sauls als Zeit des Gottesschweigens. Gott entzog sich dem ersten König Israels, weil er dessen Herrschaft nicht mehr als Israel zuträglich fand, weil er einen anderen an der Spitze Israels sehen wollte: David. So stellt es die Bibel dar – und nimmt in Kauf, dass aus der Sicht Sauls (vermutlich auch seiner Anhänger und mancher Leser) Gott als undurchschaubar und ungerecht erscheint. Wenn ein Mensch, und gar der erste König Israels, scheitert, ist das ein Rätsel, das der Glaube nicht aufzulösen vermag. Er kann nur bereit sein, Gott anders reden zu hören als erwartet. Denn dass der Gott Israels letztlich ein Gott eisigen Schweigens wäre, kann er nicht glauben.

c)

David und der gelegentlich schweigende, aber immer wieder redende Gott

Während Saul, gemäss der biblischen Darstellung, in zunehmender Dringlichkeit nach Gott fragte und nie eine Antwort bekam (jedenfalls keine hilfreiche), erhielt David auf seine regelmässigen Anfragen jederzeit (und immer hilfreiche) Antwort. Als er sich noch als Freischärler durchschlug, erteilte ihm einmal Jhwh Anweisung zu einem Kriegszug; er aber fragte, weil seine Männer sich fürchteten, noch einmal nach, woraufhin Jhwh geduldig seine vorherige Auskunft bekräftigte (1Sam 23,2.4). Wenig später dann warnte ihn Jhwh gleich zweifach vor einer militärischen Falle, in die er zu geraten drohte, so dass er entweichen konnte (1Sam 23,10–12). Seinen Aufstieg zum König von Juda mit Sitz in Hebron leitete ebenfalls ein göttliches Orakel ein (2Sam 2,1). Als er auch noch Israel hinzugewonnen hatte und nach Jerusalem übergesiedelt war und die Philister ihn dort stellen und vernichten wollten, führte ihn ein zweifaches göttliches Orakel – gar noch mit detaillierten taktischen Hinweisen – zu einem doppelten Sieg (2Sam 5,19.23f). Danach war Frieden mit den Philistern und Davids Königtum unangefochten. Klar signalisieren diese gegenläufigen Belegreihen, dass nach Meinung der biblischen Autoren Gott anstelle Sauls David an der Spitze Israels haben wollte und dass er sich darum dem einen verschloss und dem anderen öffnete. Man mag das theologisch bedenklich finden, doch steht dahinter die Überzeugung, dass Gott mit diesem Wechsel für Israel nur das Beste wollte – und auch wirklich erreichte. Gleichwohl stellt sich der beunruhigende Gedanke ein, das Schweigen und das Reden Gottes könne zum blossen Faktor in einem politischen Machtkampf geworden bzw. von den biblischen Autoren zugunsten menschlicher Herrschaftsinteressen funktionalisiert worden sein. Und wirklich halten manche modernen Forscher die Daviderzählungen für eine Apologie (englisch: „apology“) der Davidherrschaft oder, noch gröber, für platte Politpropaganda.

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Dagegen spricht dreierlei. Erstens wird der Niedergang Sauls in der Bibel nicht distanziert, gar mit Häme, beschrieben, sondern mit Empathie, fast Mitleid; Davids Vorgänger erscheint weniger als böse denn als tragische Figur. Zweitens ist David weder eine pure Lichtgestalt noch ein Glückspilz. Sein Hang zur Gewalttätigkeit ist besorgniserregend. Wer wird schon Schwiegersohn des Königs um den Brautpreis von zweihundert Philistervorhäuten (1Sam 18,17–27), wer liefert um des eigenen Vorteils willen ein ganzes Priestergeschlecht ans Messer (1Sam 21,2–10; 22,9–23), wer rückt gegen das Anwesen eines unbotmässigen Gutsbesitzers vor in der Absicht, dort alles umzubringen, „was an die Wand pisst“ (1Sam 25,22.34)? Es scheint, als reagiere Gott auf diese Mentalität dadurch, dass er Davids Aufstieg nicht geradlinig verlaufen lässt, sondern durch tiefe Demütigungen und Gefährdungen hindurch und – erst danach auf die Höhe der Macht. Um seine hohe Stellung einnehmen zu können, muss David sich läutern lassen. Drittens aber und entscheidend wird es ihm verwehrt, sich auf dem einmal erreichten Gipfel der Macht, einem Olympier gleich, auszuruhen und selbstgefällig im Erfolg zu sonnen. Vielmehr treibt ihn das Leben, treibt ihn nicht zuletzt sein eigener fehlbarer Charakter immer wieder in tiefste Tiefen, aus denen er nur mit grosser Mühe und dank göttlicher Gnade wieder herausfindet. Dieser letzte Punkt sei hier noch näher entfaltet. Die entscheidende Zäsur in Davids Erfolgsgeschichte ist seine unstatthafte Liaison mit Batscheba und die heimtückische Ermordung von deren Ehemann Urija; am Ende einer Geschichte voll sex and crime teilt der Erzähler den Lesenden mit, es sei „böse in Jhwhs Augen gewesen, was David getan hatte“ (2Sam 11,27). Gott stellt den königlichen Verbrecher nicht selbst zur Rede – direkte göttliche Eingriffe in das irdisch-menschliche Geschehen begegnen in den Samuelbüchern je länger, je weniger –, doch er sendet den Propheten Natan, dies für ihn zu tun (2Sam 12,1). David merkt nicht, dass die Prophetenrede über einen scheinbar externen Vorfall in Wahrheit Gottesrede über ihn selbst ist. Ungewollt verurteilt er sich selbst zu vierfachem Schadenersatz und gar zum Tode (2Sam 12,5f). Als der Prophet ihm die Augen öffnet, zeigt David – nicht eben zu erwarten bei einem Machthaber – Einsicht und Reue. Daraufhin verlagert Natan das Todesurteil auf das im Ehebruch gezeugte Kind und entschwindet. Wenig später wird das Kind krank. David ahnt sogleich die Zusammenhänge und „sucht ( ‫בקשׁ‬Pi.) Gott“: doch wohl im Gebet. Er unterzieht sich harten Selbstminderungsriten, fastet, liegt nachts auf dem nackten Boden – kurzum, er kämpft mit Gott um das Leben des Kindes. Eine Antwort bekommt er nicht. Als am siebten Tag das Kind stirbt, weiss David, dass er den Kampf mit Gott verloren hat; er streift die Trauer ab und kehrt ins Leben zurück (12,15b–23). Der Gott dieser Erzählung scheint nicht derselbe zu sein, der David bisher immer willig Auskunft erteilte und seinen Weg ebnete. Die Lehre liegt auf der Hand: Auch ein David hat keinen Freibrief von Gott, zu tun, was er will. Sein Leben verschont er gerade noch, doch er fordert dafür ein anderes Leben (ein

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freilich wieder befremdlicher Gedanke, dem hier aber nicht weiter nachzugehen ist). Was noch aussteht, ist die vierfache Wiedergutmachung. Auch auf ihr besteht Gott unerbittlich. Ein Königssohn nach dem anderen – nach dem Erstgeborenen Batschebas auch die Erstgeborenen Davids: Amnon (2Sam 13), Abschalom (2Sam 14–18) und Adonija (1Kön 1–2) – verliert sein Leben. An keinem der drei Todesfälle ist der Vater völlig unschuldig, insofern er seine herrschsüchtigen Söhne allzu mild behandelt und allzu lang gewähren lässt. Doch ist das wirklich Schuld – oder nicht vielmehr, ganz ähnlich wie einst bei Saul, Tragik? Nachdem das Gottesurteil gefallen ist, könnte David vermutlich tun und lassen, was er wollte: Er könnte seine Vollstreckung nicht verhindern. Am intensivsten bemüht er sich darum im Fall Abschaloms. Er trifft alle nur denkbaren Vorkehrungen, um das Leben des rebellischen Prinzen zu schützen (2Sam 18,1–5.12) – es nützt alles nichts. Und als ihm der Tod des von ihm zwar bekämpften, aber doch geliebten Sohnes verkündet wird, da bricht er in haltloses Schluchzen aus (2Sam 19,1). „Wer könnte es geben, dass ich an deiner Stelle tot wäre?!“ – das ist die Klage eines zerbrochenen Mannes vor einem Gott, der nichts mehr „gibt“, nicht einmal den eigenen Tod. Als dann, später, Davids Sterben doch näher rückt, gewinnt man aus der Erzählung den Eindruck, der grosse König sei zum kraftlosen, senilen Mann geworden, willenloses Werkzeug in den Händen höfischer Intriganten, voran seiner Gattin Batscheba und des Propheten Natan (1Kön 1). Es wäre indes zu einseitig, die grosse Erzählung von David und seinen Söhnen als eine Geschichte des Schweigens Gottes zu interpretieren. Dem entgegen stehen Erzählzüge, die Gott als zielgerichtet Handelnden und gelegentlich auch Redenden zeigen. Die Strafrede Natans wurde schon genannt. Ihr voran geht eine andere grosse Rede des Propheten, in der er die grosse Zukunft des Davidhauses ankündigt (2Sam 7,12–16). Derjenige, der diese Zukunft eröffnet, ist Salomo, der laut 1Kön 3–10 von Gott mit Weisheit und Erfolg gesegnete Nachfolger Davids; er, der Zweitgeborene Batschebas, konnte auf den Thron nur gelangen, nachdem die Älteren – Amnon, Abschalom, Adonija – ausgeschieden waren. So hatte, bedeuten uns die Erzähler, schon alles seine Ordnung und sein Gutes. Einen weinerlich-egoistischen und kaltblütig-brutalen Vergewaltiger wie Amnon hätte niemand auf dem Davidsthron sehen wollen. Sein Bruder Abschalom war schon aus einem anderen Holz geschnitzt; doch auch er – ein Bruder- und beinahe auch ein Vatermörder – wäre nicht der Richtige gewesen. Feinsinnig zeichnen die Erzähler seine Rebellion als zwar begreiflich und im Volk breit abgestützt, aber doch als nicht gottgewollt. Als David aus Jerusalem fliehen muss, da schickt er ein kurzes Stossgebet zum Himmel, Gott möge den Ratschlag des berühmten, von ihm zu seinem Sohn übergelaufenen Ratgebers Ahitofel zunichtemachen; Gott antwortet nicht mit Worten, aber mit Taten, genauer: indem er ihm Huschai begegnen lässt, einen ebenfalls bewährten Ratgeber, der den Einfluss Ahitofels aufzuheben vermag (2Sam 15,31–33). Adonija schliesslich wirkt wie eine kleine, unbedeutendere Ausgabe Abschaloms

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II. Thematische Längsschnitte

(1Kön 1,5). Davids Erbe, so wird uns bedeutet, durfte keiner von diesen, es konnte nur Salomo antreten. Dass Gott die gesamte Zeit von dessen Geburt bis zu seiner Thronbesteigung eher schweigend agiert, manchmal sogar eisig schweigend, deuten die Erzähler nicht als eine Zeit der Gottesfinsternis. Gott, so glauben sie, schrieb auch in den späten, verworrenen Phasen des Lebens Davids ‚auf krummen Linien gerade’.

Saul unter den Propheten Die Gestalt des Königs Saul wird in den Samuelbüchern durch die seines Rivalen und Nachfolgers, David, überstrahlt und in den Schatten gestellt. Vielfach erscheint er nur noch als dunkle Hintergrundfolie für das Porträt des Jüngeren, Glücklicheren. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass das politische Ringen zwischen dem benjaminitischen Königshaus Sauls und dem judäischen Davids zugunsten des Letzteren ausging und danach die biblische Überlieferungsbildung weitgehend in Juda erfolgte, welches als Staat den israelitischen Norden um rund 150 Jahre überdauerte und auch in der exilischen und nachexilischen Zeit traditionsprägend blieb. Dabei kommt das Verdienst, Israel von einer Stämmegesellschaft in einen Staat umgeformt und den jungen, noch wenig gefestigten Staat gegen äußere Feinde verteidigt zu haben, Saul zu. Er ist der Mann, auf dessen – hohen!1 – Schultern David stand. Es ist auffällig, dass schon der erste König es mit einem Phänomen zu tun hatte, das alle späteren Könige Israels und Judas, im Guten oder im Bösen, begleiten sollte: der Prophetie. Die biblische Darstellung erweckt sogar den Eindruck, Saul sei mit den Propheten enger verbunden gewesen als irgendein König nach ihm, David eingeschlossen. Das Thema „Saul und die Prophetie“ gliedert sich in zwei Bereiche: Erstens ist da Sauls Beziehung zu Samuel, der ihm gegenüber die Rolle eines Propheten einnimmt2 und ihm zuerst positiv, dann mehr und mehr negativ entgegentritt. Und da ist zweitens die Erinnerung daran, dass Saul sich selbst prophetisch betätigt habe – etwas, das von keinem anderen König (weder in der Bibel noch, soweit ich sehe, in der gesamten altorientalischen Literatur) gesagt wird. Diesen beiden Aspekten soll im Folgenden nachgegangen werden; danach sind noch einige Blicke auf die Nachgeschichte des Themas zu werfen.

1. König Saul und der Prophet Samuel Die Beziehung zwischen Saul und Samuel wird als außerordentlich lang andauernd und intensiv dargestellt. Mehr als ein halbes Dutzend Erzählungen handeln von ihr. Am Anfang scheinen die beiden eng zu kooperieren, um dann zunehmend in Konflikt zu geraten. Samuel salbt Saul im Auftrag Jhwhs zum kom1 2

Vgl. 1Sam 9,2; 10,23. Samuel erscheint indes nicht nur als Prophet, sondern auch als Priester, Richter und Volkstribun, vgl. Dietrich, Samuel – ein Prophet?

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III. Biblische Porträts

menden König (1Sam 9,1–10,16), leitet eine Loswahl zu seinen Gunsten (1Sam 10,17–27), unterstützt ihn im Kampf gegen den ersten äußeren Feind, Ammon (1Sam 11)3, animiert ihn auch zum Kampf gegen den weit größeren Feind, die Philister (1Sam 10,7f). Andererseits lassen deuteronomistische Autoren Samuel von vornherein schwere Bedenken gegen die Einsetzung eines Königs überhaupt haben (1Sam 8) und ihn, als er sie doch hat vollziehen müssen, mehr oder weniger grollend von der politischen Bühne abtreten (1Sam 12). Gleich beim ersten Krieg gegen die Philister soll er sich mit Saul überworfen (1Sam 13,7b– 15), anlässlich eines Kriegs gegen die Amalekiter ihn endgültig verworfen haben (1Sam 15). Danach wandte er sich angeblich dem jungen David zu, salbte ihn gleichsam zum Gegenkönig (1Sam 16,1–13) und nahm ihn gegen den Zugriff Sauls in Schutz (1Sam 19,18–24). Saul freilich suchte noch nach dem Tod des ehemaligen Mentors (1Sam 25,1) Kontakt zu ihm und ließ ihn durch eine Totenbeschwörerin aus der Scheol herauf rufen, bekam aber nichts als eine vernichtende Zukunftsansage zu hören (1Sam 28); kurz darauf fiel er im Kampf gegen die Philister (1Sam 31). Die verschiedenen Elemente dieser sehr bewegten Beziehung sind nicht einzigartig in der Hebräischen Bibel. Die Davidgeschichten der Samuelbücher, die Königs-, die Chronik-, teilweise auch die Prophetenbücher thematisieren immer wieder das Gegenüber von Prophet und König; und auch dort gibt es beides: Kooperation und Konflikte. Auf der einen Seite legitimieren Propheten die Machtergreifung von Königen und die Gründung von Dynastien (2Sam 7,8– 17 = 2Chr 7; 1Kön 11,29–39; 2Kön 9,1–7), beraten und unterstützen Könige in Konfliktsituationen und in Kriegen (1Sam 22,5; 1Kön 20; 2Kön 3; 6f; 19; 2Chr 11,1– 4; 25,8f; 28,9–11; Jes 7f) oder befördern bzw. erwirken notwendige kultische Reformen (2Sam 7,13; 2Kön 22,12–20 = 2Chr 35,22–28; 2Chr 15,1–7). Auf der anderen Seite kritisieren Propheten Könige für bestimmte Fehlleistungen (2Sam 12,1–7; 24,10–14; 1Kön 21,18f; 2Kön 1,2–4; 2Chr 16,7–10; 21,12–15; 24,20f; 25,15f), kündigen deren eigenes Ende oder das ihrer Dynastie an (1Kön 14,7–16; 16,1–4; 21,21–26; 22,19–23 = 2Chr 18,17–22) und sagen katastrophale Entwicklungen voraus (1Kön 22,17; 2Kön 21,10–15; Jes *28–31; Jer 38; Hos *10; Am 7,1–10). Blickt man von dieser reichhaltigen Geschichte des Verhältnisses von Propheten und Königen zurück auf die Beziehung zwischen Samuel und Saul, gewinnt man den Eindruck, diese sei als grundlegendes Paradigma für die Gesamtthematik gestaltet. An ihm lässt sich ablesen, dass ein König, will er legitim an die Macht gelangen und diese erfolgreich ausüben, prophetischer Unterstützung bedarf, und dass er seine Macht zu verlieren droht, wenn er den prophetischen Maximen nicht nachkommt. Man kann sich fragen, ob dieses Bild der historischen Wirklichkeit entspricht. Die ‚echten’ prophetischen Überlieferungen zeugen eher von einem nur 3

Es tut hier nichts zur Sache, dass die Person Samuels in 1Sam 11,7.12–14 literarisch sekundär nachgetragen ist, vgl. Walter Dietrich, Samuel, BKAT 8.1, 494f.

Saul unter den Propheten

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begrenzten Einfluss der Propheten (und Prophetinnen) auf die Könige, oft genug aber auch von der Missachtung oder Unterdrückung prophetischer Stimmen. Was Saul betrifft, spricht Vieles dafür, dass Samuel ihn tatsächlich bei seiner Kür zum König unterstützt hat. Es bedurfte wohl der Autorität eines nicht nur lokal, sondern (über)regional geachteten geistlich-weltlichen Anführers4, um einen benjaminitischen Bauern auf den Schild des Heerkönigs zu heben. Mit der Zeit leisteten diesem Mann die israelitischen Stammesverbände im mittelpalästinischen Bergland und im transjordanischen Gilead Gefolgschaft. Ob Saul vom Sukkurs Samuels derart abhängig blieb, wie es die Bibel schildert, und ob der Prophet ihn seines Amtes wieder entheben konnte, ist doch eher fraglich. Die beiden Verwerfungserzählungen in 1Sam 13,7b–15 und 1Sam 15 gehören, jedenfalls was die kritische Rolle Samuels gegen Saul anbelangt, nicht zum Urgestein der Saulüberlieferung5. Die erste ist vom sog. Höfischen Erzähler, dem frühesten Gesamtverfasser der Samuelbücher aus der Zeit um 800 v. Chr., die zweite von prophetischen Kreisen ebenfalls der mittleren Königszeit und von Deuteronomisten der (nach)exilischen Zeit ausgestaltet. Auch die Episoden von Davids Salbung durch Samuel (1Sam 16,1–13) und von der Parteinahme des Propheten für den kommenden und gegen den amtierenden König (1Sam 19,18–24) stammen vom Höfischen Erzähler6. Die Geschichte von der Totenbeschwörung Samuels (1Sam 28) gehört ohnehin ins Reich der Legenden. Kurzum: Wenn, dann war Samuel ein Supporter Sauls bei dessen Königserhebung. Über eine spätere Beziehung der beiden lässt sich historisch kaum Sicheres sagen. In neuerer Zeit ist die Figur Samuels verstärkt nicht unter historischkritischem, sondern unter literar-ästhetischem Aspekt betrachtet worden. Die dabei gewonnenen Bilder fallen für den Propheten wenig schmeichelhaft aus7. Robert Polzin8 sieht Samuel in den Texten vollkommen negativ dargestellt. Bei der Salbung Sauls trumpfe er durch die Ankündigung dreier Zeichen – die natürlich prompt in Erfüllung gehen, namentlich das von „Saul unter den Propheten“ – mit seinen „prophetic powers“ auf, die Saul beeindrucken sollten9. 4

5

6 7 8 9

Diese Rolle Samuels ist glaubhaft belegt in 1Sam 7,15–17. Vermutlich gehörten diese Verse (zusammen mit 1Sam 25,1) ursprünglich zur Auflistung der Namen und Taten der sog. „Kleinen Richter“ in Ri 10,1–5; 12,8–15; vgl. Dietrich, Samuel, BKAT 8.1, 311f. 1Sam 13,7b–15 weisen etwa Caquot/ de Robert (Samuel, 163) nicht dem Grundbestand der Samuelbücher zu, sondern einer „tradition ‚sadocide’“: einer in zadokidischen Kreisen beheimateten, prodavidischen und vor-dtr Redaktion. 1Sam 15 gilt weithin als stark dtr bearbeitet, wenn nicht als durch und durch dtr (so z.B. Foresti, Rejection; Giercke-Ungermann, Niederlage im Sieg, zusammenfassend 262) oder sogar nach-dtr (so Donner, Verwerfung). Der Einzelnachweis bei Dietrich, Samuel, BKAT 8.2, 217f bzw. 466–468. Vgl. auch Dietrich, Samuel – ein Prophet?, 124–130. Polzin, Samuel and the Deuteronomist. Polzin, Samuel, 105f.

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III. Biblische Porträts

Wenn er Saul zum Kampf mit den Philistern anstifte, ihn dann aber, als es ernst wird, überlang warten lässt, um ihn, als er die Geduld verliert, sofort zu verwerfen, dann sei das geradezu boshaft; ihm liege offenbar an einer „strict royal dependence upon prophetic direction“10. Als er dann, nach dem Amalekiterkrieg, Saul seine endgültige Verwerfung mitteilen solle, leiste er dagegen aus egoistischen Gründen Widerstand: Er hätte gern Saul weiterhin unter seiner Fuchtel gehabt11. David M. Gunn12 sieht Samuels „instruction“ an Saul in 1Sam 10,8 als „ambigous“ und die in 1Sam 13,13f folgende „condemnation“ als „arbitrary“13. Beim Amalekiterkrieg in 1Sam 15 habe Saul „acted in good faith“14. „Samuel accuses him of disobedience. Clearly Saul considered himself obedient“15. Von seiner Einsetzung an habe Saul „no chance at all“16. Nicht er, sondern „Yahweh [is] to be condemned for his jealous persecution of Saul“17. Der Prophet Samuel ist nichts als ein williges Werkzeug in Gottes perfidem Kampf gegen den ersten König Israels. Joachim Vette18 hingegen diagonistiziert verschiedentlich eine „Divergenz … zwischen der Stimme ADONAIs und der Stimme Samuels“19; im Grunde sei der Prophet noch gnadenloser als sein Gott. Dieser sei immerhin bereit, den Wunsch des Volkes nach einem König zu akzeptieren. Anders Samuel; denn er und Saul seien „nicht als Vertreter verschiedener Ämter zu sehen, sondern als konkurrierende Vertreter für dasselbe Amt … Somit ist die Einsetzung Sauls mit einer Amtsübergabe und einem Machtverlust für Samuel verbunden …, [so] dass Samuel nicht bereit ist, seine Macht an Saul abzutreten“20. „Der Führer Israels wird … kontinuierlich selbst geführt. … Samuels eigene Machtansprüche tragen einen erheblichen Teil dazu bei, dass sich Sauls Schicksal so radikal wendet“21. Die Gestalt Samuels mit ihren Eigeninteressen ist hiernach also ein wesentlicher Grund für das Scheitern des ersten Königs Israels. Hier wächst dem Thema „Saul unter den Propheten“ eine eigenartige Dimension zu: Samuel sorgt dafür, dass Saul unter ihm steht, bewirkt, dass er unter ihm leidet. Doch hätte man nicht, wie in Saul, so auch in Samuel eher eine tragische Figur zu sehen? Die beiden Männer schätzen einander, sie hängen 10 11 12 13

14 15 16 17 18 19 20 21

Polzin, Samuel, 107. Polzin, Samuel, 146. Gunn, King Saul. Gunn, King Saul, 40. Ähnlich Shalom Brooks, Saul 53: „Samuel’s commands were ambigous and confusing“. Gunn, King Saul, 53. Gunn, King Saul, 54. Gunn, King Saul, 125. Gunn, King Saul, 129 Vette, Samuel und Saul. Vette, Samuel und Saul, 222. Vette, Samuel und Saul, 224. Vette, Samuel und Saul, 225.

Saul unter den Propheten

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aneinander, sie werden aber durch ungünstige Umstände und Entwicklungen auseinander getrieben. Was als glückliche Symbiose begann, endet als unglückliche Diastase.

2. König Saul als Prophet Von allen biblischen Königen ist Saul der einzige, von dem gesagt wird, er sei „unter den Propheten“ gewesen – und dies gleich zweimal. Beide Male geht es um die Erklärung eines seinerzeit offenbar umlaufenden Sprichworts: „Ist auch Saul unter den Propheten?“ Beide Erzählungen zeichnen jedoch von Saul wie von den Propheten höchst unterschiedliche Bilder. Und zwischen ihnen spannt sich eine ganze Kette von Erzählfragmenten bzw. redaktionellen Elementen, die mit dem Thema „Saul und die Prophetie“ zu tun haben. Die erste Erzählung darüber, wie Saul „unter die Propheten“ geriet, findet sich in 1Sam 10,5–6.9–13. Sie ruht nicht in sich, sondern ist in einen größeren Erzählzusammenhang, 1Sam 9,1 – 10,16, verwebt: Saul sollte Eselinnen suchen, die seinem Vater entlaufen waren. Auf verschlungenen Wegen gelangte er dabei an den Wirkungsort Samuels, der bereits von Gott darauf hingewiesen worden war, es werde ein Mann zu ihm kommen, den er zum „nāgîd über Israel“ salben sollte. Als Saul eintraf, behandelte ihn Samuel sogleich mit größter Hochachtung, behielt ihn eine Nacht zu Gast, um ausführlich mit ihm zu reden, und salbte ihn am nächsten Morgen. Um ihn des Wirkens Gottes in alledem zu versichern, kündigte er ihm für den Heimweg drei „Zeichen“ an. Das dritte und bedeutendste sollte die Begegnung mit einer Schar Propheten sein. Dabei sollte ihm Außergewöhnliches widerfahren, und er sollte daraufhin Außergewöhnliches unternehmen. (Wie man später erfahren wird, sollte er in den Kampf mit den Philistern eintreten22.) Sauls Weg führt ihn (zurück) nach Gibea, zu Deutsch „Anhöhe“. Da es in Israel nicht nur eine besiedelte Anhöhe gab23, trägt die hier gemeinte24 gelegentlich eine Zusatzbezeichnung: „Gibea in Benjamin“25, hier aber „Gibea Gottes“. Offenbar war dieses Gibea (bzw. ein dort befindlicher Kultort) bekannt als eine heilige Stätte. Die Propheten, so hörte Saul von Samuel, würden von der „Kulthöhe“, der bāmāh, herabkommen und sich in einem Zustand befinden, der als hinnābê’ beschrieben wird, „sich prophetisch gebärden“. Allem Anschein 22 23

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Vgl. 1Sam 13,3f mit 1Sam 10,8. Vgl. etwa Gibat-Amma 2Sam 2,24, Gibat-Gareb Jer 31,39, Gibat-More Ri 7,1, Gibat-Aralot Jos 5,3, Gibat-Pinhas Jos 24,33. Zur Ortslage unter archäologisch-topographischem Gesichtspunkt siehe Dietrich, Frühe Königszeit, 114. 1Sam 13,2.15; 14,16; auch „Gibea der Benjamiten“ in 2Sam 23,29.

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nach ist damit ein ekstatisches Außer-sich-Sein gemeint. Der „Geist Gottes“26, der diese Männer zu ihrem Verhalten treibt, soll auch Saul „anspringen“. Es ist kein Zufall, dass dies im „Gibea Gottes“ geschieht; dort ist der „Geist Gottes“ zuhause. Und dort ist auch Saul zuhause. Bisher allerdings hat er die GeistErfahrung nicht gemacht. Er ist nicht Prophet, sondern Sohn eines dort ansässigen wohlhabenden Bauern27. Jetzt aber, vorbereitet durch Samuel, wird er offen sein für den „Geist“ der Prophetie. Tatsächlich kommt Saul, als er in Gibea eintrifft, eine Schar von Propheten entgegen, die von der bāmāh herabkommt. Interessanterweise geht ihr eine kleine Musikkapelle voraus. Die von ihr hervorgebrachten Klänge dienen wohl dazu, jenen Zustand des hinnābê’, in dem die Propheten sich befinden, auszulösen oder doch zu verstärken. Später hat Elischa sich durch Leierspiel in einen Zustand versetzen lassen, der ihn zur Abgabe eines Orakels befähigte28. Generell ist Musik „als Mittel der Prophezeihung [sic!], Verzückung und Ekstase tief in der Tradition der antiken Geisteswelt verwurzelt“29. Das Verb hinnābê’ ist abgeleitet von dem Nomen nābî’, „Prophet“. Es beschreibt, zumindest an der hiesigen Stelle, offenbar keine Wortverkündigung, sondern eine Bewegung zur Musik. Diese Propheten befinden sich in einer Art tänzerischer Trance. Auch in den eigentlichen Prophetenbüchern wird Prophetie gelegentlich mit tranceartigen, ekstatischen Zuständen in Verbindung gebracht30. In einen solchen Zustand nun wird Saul hineingezogen. Das Prophetische wirkt ansteckend, der „Geist“ springt auf ihn über. Wie soll man den ungewöhnlichen Vorgang beurteilen? Hat Saul, als er „unter die Propheten“ geriet, sich selbst verloren – oder gerade sich selbst gefunden? Die Umstehenden sollen sich ratlos gefragt haben, was da mit dem „Sohn des Kisch“ geschehen sei; man kannte ihn doch anders – und plötzlich „gebärdet sich“ der junge Bauer „als Prophet“ (hinnābê’)!? Seinen Vater kannte man – doch „wer ist ihr [sc. der Propheten] Vater?“ Die Frage zeugt nicht von einer geachteten sozialen Stellung der Propheten. Vaterlose Gesellen sind in einer Sippengesellschaft kaum hoch angesehen – wie kann sich ihnen der Sohn eines angesehenen Bürgers zugesellen?! Auf diese Weise nun soll das Sprichwort „Ist auch Saul unter den Propheten?“ erklärt werden. Anders als in der ätiologischen Erzählung muss sich in ihm nicht Befremden ausdrücken, sondern nur Erstaunen. Man mag so gefragt haben, wenn Dinge oder Personen aufeinandertrafen, die eigentlich nicht zu26 27 28 29

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So in 10,10. Samuel spricht in 10,6 vom „Geist Jhwhs“. 1Sam 9,1f. 2Kön 3,14–20. Braun, Musikkultur, 161. Als Belege führt Braun außer 1Sam 10 und 2Kön 3 eine ThomasLegende sowie eine talmudische Notiz über einen gewissen Jona ben Amitai an (TJ Sukkah 55a). Speziell die hier genannte „Flöte“ oder „Klarinette“ (ḥālîl) wird in 1Kön 1,40 und Jer 48,36 mit quasi-ekstatischen Phänomenen verbunden. Jes 8,11; 21,3f; Jer 29,26; Ez 21,11f; Hos 9,7; Hab 3,16.

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sammenpassten: etwa wenn jemand sich unerwartet auf eine Gruppe zu bewegte, die ihm und der er fremd war, oder wenn politische oder gesellschaftliche Veränderungen eintraten, mit denen nicht zu rechnen war. Aus anderen Zusammenhängen und Kulturen kommen Analogien in den Sinn wie „Romeo und Julia“ oder „der Kronprinz und eine Bürgerliche“ oder „der rote Baron“ oder „Prager Frühling“ oder „Öffnung des Eisernen Vorhangs“. Wo im alten Israel solcherlei geschah, quittierte man es wohl mit der verblüfften Frage: „Ist auch Saul unter den Propheten?“ Damit ist Deutungen widersprochen, die das Sprichwort als rhetorische Frage verstehen, auf die die Antwort „Nein“ erwartet wird31. Auch ein „Ja – Aber“ wird durch die Frage nicht evoziert32. Vielmehr steht hinter ihr eine seinerzeit bekannte Tatsache: Saul unterhielt enge, positive Beziehungen zu prophetischen Gruppierungen seiner Zeit (und nicht nur zu Samuel!). Man sprach davon nicht despektierlich, sondern respektvoll33: Saul war ein sehr ungewöhnlicher, ein „geistbegabter“ König. Trotzdem bleibt die (Selbst-)Identifikation eines Königs mit den Propheten ein Paradox. Oben wurde kurz rekapituliert, wie im Alten Testament das Verhältnis von Königen und Propheten generell wahrgenommen wurde: als kooperativ oder als konfrontativ – aber niemals im Sinne einer Identität beider Größen. Dies geschieht nur bei Saul. Die Geschichte von seiner Begegnung mit den Propheten beim „Gibea Gottes“ soll das Erstaunliche ätiologisch erklären: Damals, als er von Samuel zurückkehrte, traf er auf „prophezeiende Propheten“, wurde urplötzlich vom „Geist Gottes“ befallen und „gebärdete als Prophet“ (hinnābê’). Davon, der Saul „vom Geist Jhwhs angesprungen“ wurde, wird wenig später noch einmal erzählt. Als ihn die Nachricht von der Bedrohung von Jabesch in Gilead durch die Ammoniter erreichte, packte ihn – ohne dass irgendein Prophet in der Nähe war! – der Gottesgeist; er zerhackte die Rinder, mit denen er eben gepflügt hatte, und forderte, unterstrichen durch die umhergesandten Fleischstücke, die Stämme Israels zur Heerfolge auf: mit Erfolg34. Hier treibt der „Geist“ 31

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„Saul war kein Prophet!“ So etwa Eppstein, Saul among the Prophets?; Sturdy, Original Meaning; Parker, Possession Trance, 276–278; Wilson, “Prophecy and Ecstasy, 333. So McCarter (I Samuel, 186), dem zufolge das Sprichwort davon ausgeht, dass Saul ein Feind der Propheten war, dass er sich aber einmal erstaunlicherweise wie ein Prophet gegeben habe. Laut Nihan (Saul among the Prophets, 108f) fragt das Sprichwort: „Does the experience of spirit possession (for which ... Saul apparently was well-known) suffice to situate Saul among the professional prophets“? Die intendierte Antwort laute: Nein, ekstatische Phänomene machen noch keinen Propheten. So Lindblom, Saul inter Prophetas; freilich sei nach Volkes Meinung diese Verbindung „nicht mit der Königswürde recht vereinbar“ (39). Laut Caquot/de Robert (Samuel, 129) war das Sprichwort „sans doute peu flatteuse“. Nach Dietrich (David, Saul und die Propheten, 57–62) drückte das Sprichwort ursprünglich Hochachtung aus für Sauls Nähe zu den Propheten. 1Sam 11,6f.

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Saul nicht zum „Prophezeien“, sondern, wie den sagenhaften Helden Simson35, zu einem kriegerischen Kraftakt. Und noch ein drittes Mal wird berichtet, „der Geist Jhwhs“ habe Saul „angesprungen“. Inzwischen hat dieser „Geist“ in Bezug auf die Person Sauls eine destruktive Dimension angenommen: Er hat seine Persönlichkeit zerstört, sie krank, schwermütig und unberechenbar gemacht. Am ehesten hilft noch eine Musiktherapie36, doch der Therapeut ist ausgerechnet David, in dem Saul in unheimlich düsterer Hellsichtigkeit alsbald den Rivalen ahnt. Der Geistbefall führt diesmal nicht zu einer kriegerischen Machttat, sondern wieder dazu, dass Saul sich „prophetisch gebärdet“ (hinnābê’), außer sich gerät und gegen David den Spieß zückt: zweimal – doch zweimal weicht David aus37. Diese letzte Szene wurde vom „Höfischen Erzähler“ gestaltet, von dem oben schon die Rede war. Er erzählt sie im Vorgriff auf eine ähnliche Szene in 1Sam 19,9f, die er in einer älteren Quelle vorfand38, verwendet dabei aber das Vokabular von „Saul unter den Propheten“39. Auf diese Weise wird das erstaunliche Phänomen „der König als Prophet“ in eine mörderische umgeformt: Wenn der „Geist“ über Saul kommt, wird er zur Gefahr für seine Umgebung, namentlich für David, seinen prospektiven Nachfolger. Umgekehrt erzählt der Höfische Erzähler – wieder in einer selbst geschaffenen Erzählung40 –, „der Geist Jhwhs“ habe bei der Salbung durch Samuel David „angesprungen“41. Bei David blieb in der Folge der „Geist“ und wurde niemals destruktiv; das Erfülltsein von ihm wird hier zum königlichen Habitus. So stellt es der Höfische Erzähler dar, und im Gegenzug stuft er dieses Motiv bei Saul zur Mordlust herunter. Die letzte Erzählung, die mit dem Geistbefall eines Königs – diesmal wieder Sauls – zu tun hat, ist vom Höfischen Erzähler selbst verfasst: die zweite Ätiologie des Sprichworts „Ist auch Saul unter den Propheten?“42 David hat vor dem rasenden Saul fliehen müssen und sich vorübergehend in die Obhut Samuels begeben. Dieser fungiert jetzt nicht mehr als einzelner „Seher“, der David die Begegnung mit einer Prophetenschar ankündigt, wie in der ersten Geschichte, sondern er ist selbst der Vorsteher einer solchen Schar. Das ist einzigartig in den Samuelüberlieferungen und ein Konstrukt des Höfischen Erzählers, gespeist aus verschiedenen Elementen der älteren Tradition. Anscheinend flossen auch Motive aus der Elija- und Elischa-Überlieferung ein. Denn Elischa ist dezidiert

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Das Verb ṣlḥ mit dem göttlichen „Geist“ als Subjekt wird auch in Ri 14,6.19; 15,14 gebraucht. 1Sam 16,14–23. 1Sam 18,10. Vgl. Dietrich, Samuel, BKAT 8.2, 462f. Vgl. Dietrich, Samuel, BKAT 8.2, 411. Zu dieser literarhistorischen Einordnung von 1Sam 16,1–13 vgl. Dietrich, Samuel, BKAT 8.2, 217f. 1Sam 16,13. 1Sam 19,18–24.

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das Haupt einer Gruppe von Propheten(schülern)43, und Elija soll einmal der von einem König angeordneten Verhaftung dadurch entgangen sein, dass wiederholt auf die Greifkommandos der „Geist Jhwhs“ fiel und sie zur Ausführung ihres Auftrags unfähig machte44. So auch hier: Drei Trupps von Soldaten werden von Saul ausgesandt, um den bei Samuel Schutz suchenden David zu verhaften, doch sie alle überwältigt der „Geist Gottes“, so dass sie, statt David festzunehmen, sich „als Propheten gebärden“ (hinnābê’). Endlich macht sich auch selbst Saul auf, um aber gleichfalls vom „Geist“ gepackt zu werden, „vor Samuel“ ins Prophezeien zu verfallen (hinnābê’) und einen geschlagenen Tag und eine Nacht lang „nackt“ dazuliegen. Und dann heißt es wieder: „Daher sagt man: Ist auch Saul unter den Propheten?“ In dieser zweiten ätiologischen Erklärung bekommt das Sprichwort einen rein negativen Klang: „Unter den Propheten“ zu sein, das bedeutete für Saul, dass er handlungsunfähig wurde und sich unwürdig benahm. Offenbar wird hier die ältere Tradition von 1Sam 10 bewusst ins Negative gekehrt45. War dort die Sympathie früher nordisraelitischer Prophetenkreise mit dem ersten König Israels zu spüren, so hier die höchst distanzierte Sicht nichtprophetischer Kreise etwa zur mittleren Königszeit46. Weder also ist die Episode in die frühe Königszeit zu datieren, wie manche wollen47, noch auch in die nachstaatliche Zeit48; sie ist weder ein zeitgenössisches, gar historisch verlässliches Dokument noch ein gänzlich unhistorisches Produkt blühender Phantasie. Solche ekstatischen Prophetengruppen gab es, und Saul konnte nur sein Gesicht verlieren, wenn er „unter sie“ geriet. Von Samuel selbst wird dies übrigens nicht gesagt; er steht sozusagen über ‚seinen’ Propheten49 – und selbstverständlich über Saul. Ein König, der sich in seiner Blöße allen preisgibt, ist offensichtlich unzurechnungsfähig und unfähig zur Ausübung seines hohen Amtes50. Er hat sich selbst – bzw. der „Geist“ hat ihn – desavouiert, während der, den er fassen wollte, entkommen ist und ihn über kurz oder lang beerben wird. 43 44 45 46

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2Kön 4,1–7.38–41; 9,1–10. 2Kön 1,9–16. Auld (Samuel, 229) spricht denn auch von „an exploration (midrāš)“ zu 1Sam 10,5f.10f. So nicht nur Dietrich (Samuel [BKAT 8.2], 217f), sondern etwa auch Stoebe, Das erste Buch Samuelis, 369; Campbell, 1 Samuel, 209; Lehnart, Saul unter den Ekstatikern, 205–223; Shalom Brooks, Saul and the Monarchy, 46. Etwa Caquot/de Robert, Samuel, 235; Tsumura, The First Book of Samuel, 498. Dies gegen u.a. Sturdy, Original Meaning, 207; McCarter, I Samuel, 330); Stolz, Samuel, 131; Nihan, Saul among the Prophets, 101f; Vermeylen, La loi du plus fort, 117f. Es ist zu beachten, dass „auch Saul“ sich nackt auszieht – offenbar wie die Propheten. Zu einer Analogie aus Mari (18. Jh. v.Chr.) vgl. Dietrich, Samuel, BKAT 8,2, 489. Ebd. 489f auch der Hinweis auf Versuche im Targum und bei Pseudo-Philo, das peinliche Bild vom nackten König zu verwischen. Vgl. Klaus-Peter Adam, He behaved, 15: „The king is stripping himself naked and thus is giving up his royal privileges“; oder Hamilton, Body Royal, 191: „Madness obviously disqualifies one for kingship“.

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3. König Saul und die Propheten: Aspekte der Rezeptionsgeschichte Das Thema „Saul unter den Propheten“ hat Aufmerksamkeit nicht nur in der Exegese, sondern auch in der Kunst(geschichte) gefunden. Oft entdecken und verstärken Kunstschaffende an Bibeltexten Seiten, die der Fachexege weniger bedeutsam erscheinen oder ganz entgehen. Dies sei an drei Beispielen aus drei verschiedenen Künsten aufgewiesen: der Bild-, der Musik- und der Dichtkunst. Als erstes Exempel mag eine Buchmalerei aus der Wenzels-Bibel dienen51. Diese entstand im ausgehenden 14. Jahrhundert am Prager Hof und war König Wenzel IV. zugedacht. Sie umfasst 1214 Pergamentblätter, ist beschriftet mit einer Übersetzung der Vulgata ins damalige Pragerdeutsch und geschmückt mit 646 Illustrationen. Eine davon setzt 1Sam 10,2–13 ins Bild52, und zwar in zwei Szenen: Die eine zeigt Saul bei der in 10,3f angekündigten (aber nirgendwo berichteten!) Begegnung mit drei Männern, die ihm Huldigungsgeschenke überreichen, die andere das in 10,5 angekündigte (und in 10,10 immerhin knapp berichtete) Auftreten einer von einer Musikkapelle begleiteten Prophetenschar. Saul selbst bezeichnenderweise kommt nur in der ersten dieser Szenen vor: ganz würdevoll, in königlicher Robe, hoch aufgerichtet, die Krone auf dem Haupt (die er nach der biblischen Textfolge noch nicht haben kann!), die Hände in huldvollem Gestus vorgestreckt. In Verbindung mit den Propheten ist Saul nicht abgebildet. Das hätte wohl dazu gezwungen, ihn in weniger würdiger Haltung zu zeigen: „angesprungen“ vom „Geist“ und „sich als Prophet gebärdend“. Vermutlich hätte eine solche Darstellung auf den königlichen Adressaten und seine Hofleute eine ungünstige Wirkung gehabt. Es muss nicht betont werden, dass die zweite Szene von „Saul unter den Propheten“, die von seiner Nacktheit „vor Samuel“, überhaupt nicht gezeigt wird. Das ist anders im Oratorium „Le roi David“ des französisch-schweizerischen Komponisten Arthur Honegger (1892–1955)53. Durch dieses Werk führt ein Sprecher, dessen Texte im Grunde eine verdichtete Nacherzählung der Samuelbücher sind; die in diese Erzählung eingebetteten Musikstücke sind in der Regel vertonte Psalmtexte. Entsprechend der Fokussierung auf die Gestalt Davids beginnt das Stück erst mit 1Sam 16. In dem sich alsbald entfaltenden Konflikt zwischen Saul und David spielt auch die zweite Szene von „Saul unter den Propheten“ eine Rolle. Sie wird durch folgenden Erzähler-Text eingeleitet: „Il 51 52 53

Zu ihr gibt es einen kleinen Exkurs bei Dietrich, Samuel, BKAT 8.1, 413f. Vgl. die Abbildung bei Dietrich, Samuel, BKAT 8.1, 430. Das Libretto dieses Oratoriums schrieb der welschschweizer Dichter René Morax. Eine Würdigung des Stücks unter exegetischem Gesichtspunkt ist vorgenommen bei Dietrich, Le Roi David.

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[David] s’est enfui près des prophètes et le bonheur de sa jeunesse se fane au souffle du désert“. Das ist eine überraschende Verfremdung der biblischen Vorlage: David floh nach Sauls Anschlag mit dem Spieß zu den Propheten – und seine Jugendlichkeit verwelkte in der Wüste; doch Rama liegt bekanntlich nicht in der Wüste, sondern in Benjamin. Doch erklärt sich so das nachfolgende Sopransolo über Worte aus Ps 55 („Ach, hätte ich die Flügel einer Taube“). Dann hört man wieder den Erzähler: „Et Saül envoya des gens pour capturer David chez Samuel. Mais quand les messagers s’en furent à Najoth, ils trouvèrent David au milieu des voyants et ils prophétisaient“. Daran schließt sich, gesungen vom Männerchor, ein „Cantique des prophetes“ an: L’homme né de la femme A peu de jours à vivre. La route qu’il doit suivre Est ardue à son âme Et pleine de douleurs. Il naît comme la fleur. On la coupe, elle tombe. Il passe comme une ombre Et le lieu qui l’a vu Ne le reconnaît plus.

Das ist eine (gereimte) Nachdichtung von Hiob 14,1f – eine seltsam schöne und nachdenkliche Dichtung im Mund ekstatischer Propheten! Über Sauls Ekstase (und Nacktheit) fällt kein Wort. Stattdessen stellt der Erzähler fest, David sei in der Wüste gereift, was die (zweite) Erzählung von Sauls Verschonung durch ihn vorbereitet (1Sam 26). Der hebräische Dichter Saul Tschernichowski (1875–1943) verleiht in einem Gedicht mit dem Titel ‫„( המלך‬Der König“) den beiden Erzählungen von „Saul unter den Propheten“ ein überraschend neues, rauschendes Leben54. Der Text kann hier nicht in vollem Umfang, sondern nur in Ausschnitten wiedergegeben werden: … Und er kam nach Rama und bis zu der Kulthöhe. Und dort war der Prophet des lebendigen Gottes, und er war der Größte unter seinen Brüdern, den Prophetensöhnen – ein eindrucksvoller Alter. … Und einer spielte auf der Zither, und sie erhoben alle ihre Stimme und sangen. Und als sie sangen, ruhte unvermutet der Geist auf ihnen – und einer fasste den andern bei der Hand, die rechte Hand in der Hand des Nebenmannes zur Linken, Hand in Hand, und sie hoben ihre Füße, alle traten 54

Das Gedicht findet sich in Tschernichowskis neuhebräischem Gedichtband ‫ובלדות שירים‬ (Gedichte und Balladen), Tel-Aviv 1990, 292–296. Es wurde ins Deutsche übertragen und mir zugänglich gemacht durch Frau Prof. Gabrielle Oberhänsli-Widmer (Freiburg i.Br.); ich danke ihr dafür sehr herzlich.

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III. Biblische Porträts in den Reigen der Frommen vor dem Altar; und sie hüpften mit aller Kraft und Macht, und mit ihnen trat auch der König in den Reigen. Und mit verschlungenen Händen hüpften dort die Propheten, drehten sich rechts herum, drehten sich links herum, reckten sich auf und jubelten, bildeten zwei Reihen, sich gegeneinander erhebend und wieder zurückweichend, wie Belagerer auf der Mauer und Belagerte, die sich zurückziehen. Von Augenblick zu Augenblick wurde ihre Freude heftiger, und ihr Innerstes lechzte nach oben, hoch und immer höher.

Danach wird geschildert, wie Saul sich nach und nach der Insignien seiner Würde entledigt: seines Diadems, seiner Harfe (!?), seines Schwerts und endlich seiner Kleider. Mit dem Ablegen jedes dieser Gegenstände fällt eine der Wände, die ihn von seiner Umwelt trennen: sein Glanz, seine Besonderheit, seine Macht, seine Abgegrenztheit. So wird er Schritt um Schritt zuerst ein normaler Israelit, dann ein einfacher Mensch, dann wie irgendein Lebewesen, schließlich wie irgendetwas Geschaffenes. Er wird immer mehr, je weniger Insignien seiner Würde er behält. Zwischen die einzelnen Stufen seines Abstiegs – bzw. Aufstiegs! – ist ein Refrain gelegt, der freilich nicht wortgleich, sondern in Varianten wiederkehrt, etwa: Und zu einem einzigen Körper von vielen Köpfen schmolzen die Propheten zusammen, kreisten nach rechts, nach links, rasend in wundersamen Tänzen, schwankten hin und her zwischen den Hölzern und Steinen des Altars, wälzten sich in frischem Grün und duftenden Kräutern; und von Augenblick zu Augenblick wuchs ihre Hingabe, und ihr Geist erhob sich nach oben, hoch und immer höher.

In der Schlussstrophe richtet sich der Blick auf Saul allein: Und da erfasste der Geist des Herrn seinen Gesalbten; und auch er geriet in prophetische Verzückung inmitten der Schar und wurde zu einem winzigen Wesen im mächtigen Universum, ein kleiner Funke im unendlichen Sein, in Liebe und Hingabe an die gesamte Schöpfung. Und er sank hin, nackt, an jenem Tag und die ganze Nacht … nackt … nackt … nackt …

Das prophetische Phänomen der Ekstase wird hier in einen wilden chassidischen Tanz umgeformt, an dessen Ende, „in Liebe und Hingabe an die gesamte Schöpfung“, Saul nackt daliegt. Das hat nichts Despektierliches mehr, sondern etwas Wunderbares und Großartiges. Saul „unter den Propheten“: das ist Gottes vornehmstes Geschöpf.

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III. Biblische Porträts

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Saul unter den Propheten

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Macht und Musik. Der historische und der biblische David David ist eine ungemein facettenreiche Gestalt. In der Bildkunst begegnet er oft als gekrönter Harfenist: ein Herrscher, der zugleich Künstler ist – eine nicht eben häufige Kombination. Anscheinend verstand sich David wirklich aufs Leierspiel, und auch das eine oder andere Poem scheint er verfasst zu haben. Doch was ist daraus geworden! Alle Psalmen hat man ihm zugeschrieben, einige ganz ausdrücklich unter Angabe der Lebenssituation, aus der sie stammen sollen. Die Chronikbücher schildern ihn vorzugsweise als Planer des Tempels und Organisator der Tempelmusik – daneben aber auch als großen Krieger. In den Prophetenbüchern erscheint er als Urbild israelitischer Königsherrschaft in Vergangenheit und Zukunft. Die relativ älteste Quelle über ihn sind die Samuelbücher, die eine Art Biographie von ihm bieten: von seiner Jugend als Kleinviehhirt bis zu seinem Tod nach langer, erfolgreicher, wenn auch immer wieder angefochtener Herrschaft (1Sam 16 bis 1Kön 2).

1. Aufstieg und Herrschaft Davids in historischer Perspektive Nun wird nicht jeder Hirtenjunge König – zumal, wenn vor ihm schon ein kraftvoller König regiert. Der erste König Israels hieß Saul; ihn umgibt eine Aura von Glanz und Tragik, von Tapferkeit und Versagen. Vielleicht war nicht zuletzt David schuld an seinem Untergang. Obwohl Saul eine ganze Reihe von Söhnen hatte, beerbte ihn auf Dauer keiner von ihnen, sondern ein Nobody, jüngster Sohn eines Bauern aus dem unbedeutenden judäischen Dorf Betlehem. So etwas riecht nach Umsturz, nach Usurpation – und das war es auch. Von allen SaulNachkommen überlebte Davids Machtergreifung nur ein einziger: ein Krüppel. Alle anderen schieden gewaltsam aus dem Leben. Angeblich war David unschuldig an den zahlreichen Todesfällen, doch wer will das so genau wissen? (Am deutlichsten noch kennzeichnet eine Geschichte im sog. Anhang zu den Samuelbüchern, 2Sam 21,1–14, David als verantwortlich für das Erlöschen der Saulidendynastie.) Davids Karriere begann bei der Armee. Saul war ein Soldatenkönig, der den jungen Staat Israel mit militärischer Gewalt zwischen den umgebenden Völkern und Staaten in Südpalästina etablierte. Die gefährlichsten Gegner waren die

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Philister, ein Städtebund in der Küstenebene. Das landeinwärts gelegene Bergland, in dem die Stämme Israels und Judas siedelten, betrachteten sie als Kolonialgebiet – bis Saul ihnen die Oberherrschaft entriss. Dazu brauchte er tüchtige Soldaten. Einer von ihnen war David. Er wurde sogar sein Waffenträger – nicht zuletzt, weil er anscheinend die Fähigkeit besaß, turbulente Gemütszustände des Königs durch Leiermusik zu besänftigen. Saul gab ihm gar eine seiner Töchter zur Frau: um den bezeichnenden Preis von 100 Philistervorhäuten. (Die Philister waren, anders als die Israeliten und Judäer, nicht beschnitten.) Bald jedoch witterte der alte Herrscher in dem aufstrebenden Jungen den Rivalen. Er vertrieb ihn, und David fristete einige Zeit sein Dasein als Anführer einer Bande von Bewaffneten im judäischen Bergland, ehe er – bei den Philistern anheuerte! Räuberhauptmann, Söldnerführer, Landesverräter: keine schmeichelhaften Attribute, aber der Stoff, aus dem Usurpatoren sind. Nach und nach konnte sich David mehrere Kronen aufs Haupt setzen: zuerst die einer philistäischen Kleinstadt im Negev, dann diejenige seiner Heimat Juda. Nachdem Saul und drei seiner Söhne gegen die Philister gefallen und andere Sauliden unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen waren, wurde er König auch von Israel. Die zwischen beiden Reichsteilen gelegene Stadt Jerusalem erhob er zur Residenz. So regierte er in Personalunion ein Reich „von Dan bis Beerscheba“, vom Libanon bis zum Negev. Schließlich soll er sich noch zum König von Ammon gemacht und auch die anderen transjordanischen Staaten, Moab und Edom, unterworfen haben. Mit den Philistern und den Phöniziern im Westen wahrte er einen Burgfrieden, die Aramäer im Norden hielt er auf Distanz. Die großen Kulturen am Nil und an Eufrat und Tigris waren seinerzeit, im 10. Jahrhundert v. Chr., zur Kontrolle der zwischen ihnen gelegenen Landbrücke nicht fähig, was das Aufkommen einer Mittelmacht wie Israel-Juda erst möglich machte. Offensichtlich war David ein gewiefter Militär und Politiker, verstand mit vielen Bällen gleichzeitig zu jonglieren, notfalls auch mit skrupelloser Härte durchzugreifen. Mehrere Aufstände warf er nieder, einer von ihnen geführt von seinem Sohn Abschalom. Er wurde also nicht allenthalben geliebt, von manchen klar gehasst. Gleiches gilt dann auch von seinem Nachfolger Salomo, dem David im letztmöglichen Augenblick und unter obskuren Umständen auf den Thron half. Aus dieser Nachfolge sollte eine fast ein halbes Jahrtausend währende Dynastie erwachsen – und daraus wieder, nach dem Untergang des Königreichs Juda, die Hoffnung auf die Wiederkehr eines Königs aus Davids Geschlecht. Anscheinend sahen Viele in Jesus diesen erwarteten „Gesalbten“ (wie in anderen vor und nach ihm).

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2. Die Davidgeschichte der Samuelbücher Die Geschichte des Dynastiegründers ist eine Geschichte von Mord und Krieg, von Liebe und Hass, von politischen und militärischen Erfolgen, aber auch von schweren Einbrüchen. Hätte es damals Zeitungen gegeben, es ließe sich gut vorstellen, was über den jungen Staat Israel und seine führenden Exponenten alles daringestanden hätte. Regierungsnahe Blätter hätten alles in ein möglichst günstiges Licht gerückt, Oppositionsblätter hätten genug aufzudecken und anzuklagen gehabt. Die Samuelbücher malen David eher in lichten Farben, weshalb man sie schon als Propagandaliteratur verdächtigt hat. Das ist verfehlt. Hinter den biblischen Daviderzählungen stehen große Literaten und kluge Denker, achtbare Historiker und feine Poeten, aber keine billigen Lobhudler. Ihre Texte spiegeln großenteils gar nicht direkt die Auseinandersetzungen der Davidzeit; allenfalls einzelne Erinnerungen reichen dorthin zurück. Literatur wurde daraus erst nachträglich: kunstvoll gestaltete Einzelerzählungen (z.B. die von David und Goliat in 1Sam 17, oder von Amnon und Tamar in 2Sam 13), thematisch zusammenhängende Erzählkränze (etwa vom Freibeuter David im Grundbestand von 1Sam 16 bis 2Sam 5), geschliffene Novellen (wie die von David, Batscheba und Salomo in 2Sam 11–12 und 1Kön 1–2 oder vom Aufstand Abschaloms in 2Sam 14–19). Besonders zu nennen aber ist das große „Höfische Erzählwerk über die Frühe Königszeit in Israel“, das (abgesehen von einigen späteren Zusätzen) die gesamten Samuelbücher und noch den Anfang der Königsbücher umfasst. Der dafür verantwortliche „Höfische Erzähler“ scheint rund 200 Jahre nach den Ereignissen zu Werk gegangen sein, mancherlei älteres Material verwendet und David zu dem geformt zu haben, als der er der Nachwelt allezeit vor Augen stand. In diesem Werk zeigt David durchaus auch düstere Seiten, scheint zudem schmerzliche Lernprozesse durchzumachen. Als junger Mensch ist er ein Draufgänger, stark, schlau, selbstbezogen, skrupellos. Zu töten, macht ihm nichts aus. Sein erstes Opfer, um das es niemandem recht leid tut, ist Goliat, der riesenhafte, großmäulige Philisterrecke, den David mit einem Stein aus der Hirtenschleuder niederstreckt und mit seinem eigenen Schwert enthauptet (1Sam 7). Doch bald schon jubeln die Frauen Israels, David habe „seine Zehntausende erschlagen“, was rühmend gemeint ist, aber doch Schauder weckt. In einem Summarium seiner „Kriege und Siege“ (2Sam 8) werden sie aufgezählt: die Völkerschaften, die er unterworfen, die Zigtausende von Menschen, die er geschlachtet haben soll. Später wird es denn auch heißen, nicht er, sondern erst sein Sohn Salomo habe den Tempel von Jerusalem bauen dürfen, weil er so viel Blut vergossen hatte (1Chr 22,8). Statt, dass er seinem Gott „ein Haus baut“, „baut“ ihm Gott „ein Haus“: das Davidshaus, das die Geschicke Judas so wesentlich bestimmen sollte; die betreffende Weissagung des

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Propheten Natan an ihn (2Sam 7) gehört zu den wirkungsmächtigsten Texten der Bibel. Schon früh habe Gott David zum König ausersehen und salben lassen, berichtet der Höfische Erzähler (1Sam 16,1–13), und er betont immer wieder, Gott sei beständig „mit ihm“ gewesen (z.B. 1Sam 16,18; 18,14.28). So scheint David fast traumwandlerisch sicher aufzusteigen. Dabei muss er lernen – übrigens nicht zuletzt von Frauen (vgl. 1Sam 25) –, seinen Zorn zu beherrschen, Rückschläge hinzunehmen, auf seine Stunde zu warten, nicht vorschnell und gewaltsam zuzuschlagen. Zweimal könnte er Saul, der ihn erbarmungslos verfolgt, töten; er verzichtet darauf (1Sam 24 und 26) – er, der Usurpator, als ein Muster an Gewaltverzicht. Das ist kostbar: wie die Bibel hier einen zeichnet, der Erfolg hat, „als hätte er ihn nicht“; dem die Macht zufällt, ohne dass er nach ihr giert; der sich voll in politische und militärische Händel einlässt, ohne sich zu beschmutzen. Und dabei ist er kein Engel, kein Übermensch! Er ist aus Fleisch und Blut, versuchlich und fehlbar. Gerade gegen Ende seiner Karriere (ab 2Sam 11) häufen sich die Fehlgriffe und Übergriffe: fremde Frauen, unbotmäßige Söhne, eigenmächtige Generäle, aufständische Elemente, familiäre Tragödien, politische Katastrophen. König David hat nicht mehr alles im Griff, er wird herumgewirbelt – und bleibt doch in Gottes Hand. So wird sein Leben zu einem Exempel für wahres Menschsein: in aller Tüchtigkeit und Begrenztheit, in Erfolg und Misserfolg, in Stärken und Schwächen, im Leben und im Sterben geborgen bei Gott.

3. Davids Weiterleben Der Name „David“ bedeutet „Liebling“. Liebling Gottes und der Menschen. „Der Gesalbte und Liebling der Gesänge Israels“, heißt er in der Überschrift eines ihm zugeschriebenen Abschiedsliedes (2Sam 23,1). Eben dieser David war es, der Geschichte gemacht hat. Das von ihm geschaffene Königreich hat ihn nicht lange überdauert, auch seine Dynastie ging irgendwann unter, sogar der messianische Gedanke erfuhr Enttäuschungen und Abbrüche. David, der Dichter und Sänger, der Musiker und Beter: der lebte und lebt fort. Dichter und Beter, Musiker und Maler erkannten sich und ihre Sehnsucht nach dem wahren Menschsein in ihm wieder. Wer die „Psalmen Davids“ betet, kniet gleichsam neben dem großen König. Wer die David-Gemälde mittelalterlicher Buchillustratoren oder moderner Maler, wer die David-Statuen Verocchios oder Michelangelos, wer die von David handelnden Oratorien Georg Friedrich Händels oder Arthur Honeggers, wer die Gedichte eines Rainer Maria Rilke oder eines Yehuda Amichai über David, wer die David-Romane von Grete Weil oder Stefan Heym auf sich wirken lässt, nimmt wahr, wie ungemein reichhaltig die David-Gestalt

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ist, in wie viele Richtungen sie sich im Verlauf ihrer Wirkungsgeschichte entfaltet hat. Und von dort her nehmen sich die biblischen Bilder Davids wieder ganz neu und lebendig aus. Wenn es nicht doch eine Übertreibung wäre, könnte man David „unsterblich“ nennen.

David – König der Liebe Einleitung Über Jahrtausende war König David eine Ikone – und er ist es zum Teil bis heute: Inbegriff von Tapferkeit und Tüchtigkeit, Klugheit und Geschicklichkeit, Kunstsinnigkeit und Frömmigkeit. In neuerer Zeit allerdings häufen sich Versuche, die Ikone gleichsam vom Postament zu stürzen. Romanciers stellen David als schwatzhaften, eitlen Gockel hin oder als blutrünstigen Machtmenschen1. Wissenschaftler meinen, er sei – wenn es ihn überhaupt gegeben habe2 – ein Banditenführer von höchstens lokaler Bedeutung gewesen3, eine Figur mafiosen Zuschnitts, ein bedenkenloser Serienkiller4. Nun hat es sicher sein Gutes, wenn vermeintliche Übermenschen auf menschliches Maß reduziert, wenn hochfahrende Mythen entmythisiert werden. Doch abgesehen davon, dass dabei historisches Augenmaß gewahrt werden muss (was bei manchen zeitgenössischen David-Darstellungen nicht gesichert zu sein scheint), zielen solche Depotenzierungsversuche womöglich am Wesentlichen vorbei. Wohl zeigt die Bibel gelegentlich eine Neigung zur Heroisierung und Überhöhung Davids, und dagegen ist Dekonstruktion durchaus angebracht. Insgesamt aber ist sie erstaunlich resistent gegen geläufige Herrschaftsideologien5. Der David der Samuelbücher zeigt viele Schwächen und begeht viele Fehler; der David der Psalmen präsentiert sich vorrangig nicht als Sieger, sondern als Klagender, Bittender und Büßender; der David der Chronikbücher ist weniger ein Herrscher als ein Heiliger, mit nur einem Ziel vor 1

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J. Heller, Weiß Gott. Roman, München 1987, bzw. G. Weil, Der Brautpreis. Roman, Zürich 2 1988. Vgl. dazu (sowie zu einem weiteren Roman von T. Lindgren) W. Dietrich, Gott, Macht und Liebe. Drei neue Romane über die Davidzeit [1989 =], in: ders., Von David zu den Deuteronomisten (BWANT 156), Stuttgart 2002, 113–119. Zweifel daran lässt ein Satz erkennen wie: „… whether such a figure as the David of the Bible existed“, geäußert von P.R. Davies in der „Introduction“ des von ihm und V. Fritz herausgegebenen Bandes: The Origins of the Ancient Israelite States (JSOT.S 228), Sheffield 1996, 15. Vgl. auch ders., „House of David“ – Built On Sand. The Sins of the Biblical Maximizers, BArR 20/4 (1994), 54f. I. Finkelstein/N.A. Silberman, David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos, München 2006, 54f. B. Halpern, David’s Secret Demons. Messiah, Murderer, Traitor, King, Grand Rapids, Mi 2001; S.L. McKenzie, David. A Biography, Oxford 2000. Vgl. W. Dietrich, König David – biblisches Bild eines Herrschers im altorientalischen Kontext, in: ders./H. Herkommer (Hg.), König David – biblische Schlüsselfigur und europäische Leitgestalt Fribourg/Stuttgart 2003, 3–31.

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III. Biblische Porträts

Augen: dem Bau des Tempels in Jerusalem (den bekanntlich erst sein Sohn Salomo gebaut hat). So scheint es, als rufe das biblische Davidbild weniger nach Entmythisierung als nach Existenzialisierung: Könnte der biblische (nicht unbedingt der historische!) David nicht ein Exempel sein für gute Herrschaft, für gelungenes Menschsein? Dieser Frage soll im Folgenden anhand eines Leitmotivs nachgegangen werden, das man weder bei einem großen Herrscher noch bei einem kleinen Potentaten für vorrangig halten würde, das aber in der biblischen Darstellung Davids eine signifikante Rolle spielt: Liebe. Mit diesem großen Wort ist es im Hebräischen ähnlich wie in anderen Sprachen6: Es schillert in mancherlei Nuancen. Vor allem drei Wortwurzeln drücken „Liebe“ aus: ‫אהב‬, ‫ נעם‬und ‫דוד‬, und alle drei sind in den Davidtexten präsent. ‫( אהב‬bzw. das davon abgeleitete Nomen ‫ )אהבה‬kann sehr Verschiedenes bezeichnen: Liebe zwischen Männern und Frauen, nur zwischen Männern (Freundesliebe oder Homoerotik?), von Untergebenen zum Patron, der Volksmenge für einen Helden, übrigens auch Nächstenliebe7. Das Adjektiv ‫ נעים‬meint eigentlich „lieblich“ (z.B. von einer Landschaft8); an den beiden Stellen, an denen es in den Samuelbüchern auftaucht, beschreibt es die Liebe zwischen Vater und Sohn9 bzw. die eines Menschen (Davids!) zur Kunst10. Das Verb ‫ נעם‬verwendet David zur Kennzeichnung seiner Beziehung zu Jonatan11. ‫ דוד‬sind die drei Radikale des Namens „David“. In der Vokalisierung ‫ דּוֹד‬bedeuten sie „Geliebter, Liebling“; bezeichnenderweise stehen 30 von 31 Belegen dafür im ‚Hohenlied der Liebe’, und auch die sechsmal dort vorkommende Pluralform ‫דודים‬, „Liebe“, zeigt klar erotische Konnotationen. Allerdings steht ‫ דּוֹד‬18-mal auch für „Onkel“, den ‚lieben Onkel’ gewissermaßen12.

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Das Lateinische unterscheidet amor und sexus, das Griechische: φιλία, ἔρως und ἀγάπη Das Deutsche behilft sich mit Beiwörtern: Freundes-, Nächsten-, eheliche, käufliche usw. Liebe. Lev 19,18. Ps 16,6. 2Sam 1,23, in Verbindung mit ‫אהב‬. 2Sam 23,1. 2Sam 1,26. In der Inschrift des Moabiterkönigs Mescha aus dem 9. Jh. scheint dôd ein Epitheton des Gottes Israels zu sein (Z. 12: „Ich brachte von dort den Altar ihres Dod …“), was die skurrile Folge hatte, dass gewisse Forscher, die nicht wahrhaben wollten, dass die sog. Tel-DanStele (ebenfalls aus dem 9. Jh.) die Wendung „Haus Davids“ enthielt, die beiden Wörter als „Haus des Dod“ lasen, darin also die Bezeichnung eines Jhwh-Heiligtums in Dan sahen.

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1. David, geliebt von Gott? Es ist gut möglich, dass die Vokalisierung der drei Konsonanten ‫ דוד‬mit „a“ und „i“, wodurch der Name „David“ entsteht, nur künstlich und zur Unterscheidung von jenem anderen Wort geschaffen wurde, das „Liebling“ heißt. Vielleicht wurde David in Wirklichkeit „Dôd“ gerufen – etwa, weil seine Mutter13 ihn bei der Geburt spontan „Liebling“, „Schätzchen“ nannte oder weil sie ihrem mutmaßlich letzten Kind14 diesen Namen bewusst und mit besonderer Zärtlichkeit beilegte. Möglicherweise wollte sie auch zum Ausdruck bringen, dass dieses Kind nicht nur ihr, sondern der Liebling Gottes, genauer: Jhwhs15, war bzw. sein sollte. Tatsächlich verlief die Lebensgeschichte Davids nach den Samuelbüchern so, als habe es Gott mit diesem Mann sehr gut gemeint. Von früh an ersah er ihn zum König aus16, bewahrte ihn vor allerlei Gefahren17, stand ihm in zahlreichen Schwierigkeiten bei18, reagierte jederzeit und hilfreich auf seine Anliegen und Anfragen19, hielt unverbrüchlich zu ihm – auch wenn es gelegentlich Anlass gab, ihn zurechtzuweisen und gar zu bestrafen20. Achtmal wird die sog. MitseinsFormel auf David angewandt21. Davids politische Erfolge werden ganz unmittelbar dem Wirken Jhwhs zugeschrieben22. In einer schweren Krisensituation lenkte Jhwh angeblich die Geschicke zu Davids Gunsten23. Und anders als viele Könige, auch solche aus der von ihm begründeten Dynastie, starb David schließlich in hohem Alter eines friedlichen Todes. 13

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In der alten Zeit war die Namengebung der Kinder das Recht der Mutter, nicht des Vaters (vgl. nur Gen 4,1; 30,4–24; 1Sam 1,20; 4,21f.; 2Sam 12,24 [Qere]; auch Ex 2,10). Im Lauf der Zeit änderte sich das (vgl. nur Hos 1,4.6.9; Jes 8,3; Hiob 42,12; Lk 1,13). Laut 1Sam 16,10 hatte David sieben ältere Brüder. Dazu kommt (mindestens) eine Schwester, Zeruja, die aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls älter war; denn ihre Söhne, die „Zerujasöhne“, erscheinen als Davids Kampfgenossen und dürften somit etwa im gleichen Alter sein wie er. Vgl. des Näheren S.L. McKenzie, The Sons of Zeruiah, in: W. Dietrich (Hg.), Seitenblicke. Literarische und historische Studien zu Nebenfiguren im zweiten Samuelbuch (OBO 249), Fribourg/Göttingen 2011, 293–313. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war Jhwh die persönliche Gottheit der Davidfamilie und wurde so zum Dynastie- und schließlich zum Landesgott. Vgl. 1Sam 15,28; 16,1–13. Vgl. sein Bekenntnis vor dem Goliatkampf, 1Sam 17,37. Man denke an seine weder unbedenkliche noch ungefährliche Liaison mit den Philistern und sein großes Glück, nicht mit diesen in den Kampf gegen Saul und Israel ziehen zu müssen (1Sam 27–30). Vgl. nur die erfolgreichen Orakelanfragen in 1Sam 23,1–13 und 2Sam 5,17–25. 2Sam 12, auch 2Sam 24. „Jhwh war mit David“: 1Sam 16,18; 17,37; 18,14.28; 20,13; 2Sam 8,6.14; 1Kön 1,37. Zu Verbreitung und möglichen Hintergründen der Formel vgl. H.D. Preuß, „… ich will mit dir sein!“, ZAW 80 (1968), 139–173. Zum Beispiel 2Sam 7,1.9. 2Sam 17,14.

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III. Biblische Porträts

So kann die (biblische) Geschichte Davids durchaus als die eines ‚Lieblings Gottes’ gelesen werden. Direkt gesagt wird es freilich nirgends: dass Gott David geliebt habe. Salomo hingegen „liebte“ er, wie gleich nach der Mitteilung von seiner Geburt vermerkt wird24. Später dann, als er die Macht ergriffen und Israel (angeblich) zu Glanz und Gloria geführt hatte, scheint Gottes Enthusiasmus für ihn nachgelassen zu haben... In den Psalmen ist von der Liebe Gottes verschiedentlich die Rede: allerdings nie zu dem Psalmbeter persönlich (der bekanntlich ja sehr oft oder gar immer David gewesen sein soll), wohl aber zu bestimmten Werten sowie zu Menschen, die diese verkörpern: Jhwh liebt (‫„ )אהב‬Recht“ (Ps 37,28), „Gerechtigkeit“ (Ps 45,8), „Gerechtigkeit und Recht“ (Ps 33,5), „gerechte Taten“ (Ps 11,7) und schließlich „die Gerechten“ (Ps 146,8).25 Von diesem Befund her fällt ein relativierendes Licht auf die Annahme einer besonders liebevollen Beziehung Gottes zu David.

2. David, geliebt von Menschen In den Kapiteln des 1. Samuelbuchs, die den Beginn der Karriere Davids am Hof Sauls schildern, ist „Liebe, lieben“ geradezu ein Leitbegriff. Abgesehen von dem natürlich viele Male vorkommenden David-Namen begegnet hier siebenmal das Verb ‫אהב‬, dreimal das Nomen ‫אהבה‬. Interessant ist, wer jeweils das Subjekt und wer das Objekt der Liebe ist. Wir nehmen zunächst die eindeutigen Fälle: „Und Jonatan liebte ihn [David] wie sich selbst“ (1Sam 18,1). „Und Michal liebte David“ (1Sam 18,20, ähnlich 18,28)26. „Und ganz Israel liebte David“ (1Sam 18,16). Alle diese Aussagen stehen in einem einzigen Kapitel. Zuvor war erzählt worden, wie David als Musiktherapeut in den Dienst des gemütskranken Königs Saul getreten war (1Sam 16,14–23) und dann den Philisterrecken Goliat besiegte (1Sam 17). Jetzt aber, in 1Sam 18, beginnt in Saul der Keim des Misstrauens und der Eifersucht zu wachsen; der König wittert in dem jungen Helden den Rivalen, „beäugt“ ihn (1Sam 18,9) und wird ihm schließlich „feind“ (1Sam 18,29)27. Man ahnt, was es bedeutet, wenn just jetzt gesagt wird, andere hätten David „geliebt“ – und nicht irgendwelche anderen, 24 25

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2Sam 12,24. Ob all diese Psalmen ausdrücklich David zugewiesen werden (immerhin ist es bei dreien von ihnen der Fall: Ps 11; 33; 37), spielt keine entscheidende Rolle; über kurz oder lang galt David als Urheber aller Psalmen. In der exegetischen Literatur wird regelmäßig und mit Recht darauf hingewiesen, wie ungewöhnlich diese Aussage im damaligen soziokulturellen Kontext ist. Außer Michal erscheint in der ganzen Bibel einzig die weibliche Protagonistin im Hohenlied als Liebende. Ein merkwürdiger Zufall will es, dass sich die hebräischen Wurzeln für „Liebe“ (‫ )אהב‬und „Feindschaft“ (‫ )איב‬nur in einem einzigen Radikal unterscheiden.

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sondern Sauls ältester Sohn und prospektiver Thronfolger Jonatan, seine Tochter Michal und das Volk Israel. Des Königs Kinder und des Königs Volk halten zu dem, den dieser für seinen Nebenbuhler hält: eine menschlich desaströse und politisch prekäre Lage für einen Herrscher! In den nachfolgenden Texten gibt es freilich auch gegenläufige Signale. Michals Liaison mit David, so erfährt man, zerbrach. Jonatan und das (Kriegs-) Volk Israels stellten sich Seite an Seite mit Saul dem Landesfeind, den Philistern, entgegen: bis zum bitteren, tragischen Ende28. Bei all diesen Menschen hat also die „Liebe“ zu David der Treue zu Saul keinen Abbruch getan. Vielleicht hat man diese differenzierte Darstellung in dem Sinne zu verstehen, dass die Menschen damals gegenüber den beiden untereinander zerstrittenen Führungsgestalten Israels ambivalente Gefühle hegten29. Dazu passt, dass einige Aussagen, die in den Samuelbüchern zum Thema ‚David und die Liebe’ gemacht werden, auffallend uneindeutig formuliert sind. Als David mit der Musiktherapie bei Saul (zunächst) Erfolg hat, heißt es: „Und er liebte ihn sehr“ (1Sam 16,21). Wer liebte wen: Saul David (wie die Meisten verstehen) oder David Saul? Von der Syntax her ist beides möglich. Warum sollte nicht ein Jüngerer einen Älteren, ein Untertan seinen König, ein Therapeut seinen Patienten „lieben“ können? Zumal, wenn die Wurzel ‫אהב‬, wie in mehreren Spezialuntersuchungen festgestellt worden ist, neben emotionalen auch politische Konnotationen tragen kann: „Liebe“ als Ausdruck der Ergebenheit eines Untertanen gegenüber seinem Herrn30. Doch auch das andere ist natürlich denkbar: dass ein König zu einem bestimmten Untertanen, ein Kranker zu dem ihm wohltuenden Therapeuten, ein älterer, reifer Mann zu einem jungen (in welchem Sinne auch immer) Gefühle der Zuneigung entwickelt. M.E. muss die Alternative nicht entschieden werden. Saul kann David und David kann Saul und beide können einander „geliebt“ haben. Die gleiche sprachliche Ambiguität kennzeichnet an einer Stelle auch die Zuneigung zwischen Jonatan und David. Bei dem erzwungenen Abschied der beiden Freunde „ließ Jonatan David wiederholt schwören“… – bis hierhin sind die grammatischen Bezüge eindeutig; doch der Satz geht weiter – … „bei seiner Liebe zu ihm; denn er liebte ihn, wie er sich selbst liebte“ (1Sam 20,17). Wer liebte 28

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Unheimlicherweise war David gerade in dieser Zeit Philistervasall. Die biblischen Erzähler verwenden aber alle Mühe auf den Nachweis, dass er in der entscheidenden Schlacht nicht dabei war. Zum Begriff der „Ambivalenz“ in solchem Zusammenhang vgl. W. Dietrich/K. Lüscher/ C. Müller, Ambivalenzen erkennen, aushalten und gestalten. Eine neue interdisziplinäre Perspektive für theologisches und kirchliches Arbeiten, Zürich 2009, und darin insbesondere den grundlegenden Beitrag des Soziologen Kurt Lüscher. Vgl. J.A. Thompson, The Significance of the Verb Love in the David-Jonathan Narratives in 1 Samuel, VT 24 (1974), 334–338; S. Ackerman, The Personal Is Political. Covenantal and Affectionate Love in the Hebrew Bible, VT 52 (2002), 437–458; E. van Wolde, Sentiments as Culturally Constructed Emotions. Anger and Love in the Hebrew Bible: Biblical Interpretation 16 (2008) 1–24.

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III. Biblische Porträts

wen wie sich selbst? Hierzu heißt es in einem Kommentar: „Dem Zusammenhang nach müßte die Liebe Davids zu Jonathan gemeint sein“31. In der Tat legt sich rein sprachlich die Annahme nahe, dass Jonatan David bei dessen Liebe schwören ließ. Allerdings hatte es zuvor nie geheißen, dass David Jonatan liebte, wohl aber (wie oben zitiert), dass „Jonatan David liebte wie sich selbst“ (1Sam 18,1). Da in 20,17 ganz ähnlich formuliert wird, könnte es vielleicht doch um Jonatans Liebe zu David gehen, bei der dieser schwören soll – in einer Paraphrase ausgedrückt: Du weißt, wie sehr ich dich liebe; also schwöre mir nun… In einem englischen Kommentar findet sich die kluge Bemerkung: „given the reciprocal nature of true love, the ambiguity does not matter“32. Wohl wahr: Liebe ist in den allermeisten Fällen gegenseitig. Wer freilich David übel will (und die Neigung mancher Interpreten dazu wurde eingangs vermerkt), streicht heraus, dass in den ersten Kapiteln über den Aufstieg Davids immer nur von der Liebe anderer zu ihm, nie aber von seiner Liebe zu anderen berichtet werde – er sei offensichtlich liebesunfähig33. Doch das ist, rein grammatisch, weniger sicher, als jene Stimmen meinen. Davon abgesehen kann der Erzähler die große Beliebtheit Davids herausstreichen, ohne gleichzeitig auch dessen eigene Empfindungen benennen zu wollen.34 Ein weiterer etwas zweideutiger Fall verdient hier noch Erwähnung. Saul will David die ihn liebende Michal zur Frau geben – unter der Bedingung, dass der Schwiegersohn in spe ihm einhundert Philister-Vorhäute als Brautgabe liefert. (Bekanntlich hat David die Zahl hernach verdoppelt). Unterhändler sollen David dieses Angebot mit der einleitenden Bemerkung unterbreiten: „Siehe, der König hat Gefallen an dir gefunden, und alle seine Untergebenen lieben dich. Und nun: Werde zum Schwiegersohn des Königs“ (1Sam 18,22). Diese Botschaft kommt, wohlgemerkt, von Saul, von dem wir wissen, dass er längst Misstrauen gegen David gefasst hat. Warum dann dieses Kompliment? Ist es Schmeichelei? Oder gar vergiftet? Sollte ‫ אהב‬hier nicht so sehr für Emotionen stehen als vielmehr für politische Relationen? Dann versicherte Saul David der Loyalität seiner eigenen Leute – entweder ein bitterer Sarkasmus oder Ausdruck resignierter Einsicht. 31 32 33

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H.J. Stoebe, Das erste Buch Samuelis (KAT 13,1), Gütersloh 1973, 376. A.G. Auld, I & II Samuel (OTL), Louisville 2011, 242. Zum Beispiel wird von D.E. Garland/D.Garland (Flawed Families of the Bible: How God’s Grace Works through Imperfect Relationships, Grand Rapids, MI 2007) das Schweigen der Erzähler über Davids Empfindungen so gedeutet: „Perhaps it had … to do with David loving himself too much to love anybody else“ (135). Dass er Michal um 100 Philistervorhäute zu freien bereit ist, erklären sie aus seinem „macho pride“ (136). H. Angel (When Love and Politics Mix. David and His Relationships with Saul, Jonathan, and Michal, JBQ 40 [2012], 41–51) betont zu Recht, die („Liebes“-)Beziehungen zwischen David und den Mitgliedern der Saul-Familie müssten keineswegs einseitig, sie könnten – in allen drei Fällen! – durchaus auch wechselseitig gewesen sein. Doch die Bibel beschreibe bei Liebesverhältnissen oft (vgl. z.B. Gen 25,28; 29,18) nur die jeweils ‚dominante’ Seite als aktiv liebend.

David – König der Liebe

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Man sieht, nach den Samuelbüchern war David keineswegs ‚everybody’s darling’. Vielmehr wird am Leitwort der „Liebe“ ein Phänomen sichtbar, das die Erzählweise der Samuelbücher ganz generell kennzeichnet: die Uneindeutigkeit und gelegentliche Undurchschaubarkeit menschlicher Charaktere und Beziehungen. David, der vermeintlich allseits Geliebte und Beliebte, steht bei näherem Zusehen in einem Zwielicht aus Zuneigung und Abneigung, Selbstlosigkeit und Selbstsucht.

3. David, Liebhaber von Frauen und Männern a) David und Jonatan In seinem Trauerlied auf Saul und Jonatan, die gegen die Philister gefallen sind, findet David vor allem für seinen toten Freund anrührende Worte: „Eng ist’s mir um dich, mein Bruder Jonatan – du bist mir sehr lieb gewesen (‫)נעם‬. Köstlicher war mir deine Liebe als die Liebe von Frauen (zweimal ‫( “)אהבה‬2Sam 1,26). So wird üblicherweise übersetzt. Der hebräische Text erlaubt indes auch, den Genitiv jeweils nicht als genitivus possesivus, sondern als genitivus obiectivus aufzufassen. Dann lautete die Übersetzung: „Köstlicher war mir die Liebe zu dir als die Liebe zu Frauen“. Auch hier also wieder die vorhin schon festgestellte Ambiguität: David könnte ‚nur’ das Objekt, er könnte aber auch das Subjekt der Liebe gewesen sein. Vielleicht soll man beides heraushören. Entsprechend kann man sich auch die Aussage „du bist mir lieb gewesen“ verschieden begründet denken: „wegen deiner Liebe zu mir“ oder „wegen meiner Liebe zu dir“ – und als drittes wieder: „wegen unserer gegenseitigen Liebe“. Allein die tiefe Trauer, die sich in diesem Lied ausdrückt, lässt erkennen, dass auch David gegen Jonatan liebevolle Gefühle hegte, nicht nur dieser gegen ihn. Als sich die beiden infolge der Feindseligkeit Sauls gegen David hatten trennen müssen, seien sie sich, so wird erzählt, zum Abschied in die Arme gefallen, hätten sich (gegenseitig) „geküsst“ und (beide) „geweint“ (1Sam 20,41). Die abendländische Exegese hat die Beziehung zwischen David und Jonatan lange Zeit als außergewöhnliche, wunderbare Männer- oder auch Jugendfreundschaft verstanden. Es verwundert kaum, dass sie neuerdings auch unter dem Gesichtspunkt gleichgeschlechtlicher Liebe gesehen wird. Schließlich kennt die Antike berühmte Männerpaare: Gilgamesch und Enkidu in Babylon, Achill und Patroklos in Hellas – warum also nicht David und Jonatan in Israel? Nach den einen sprechen die Texte klar dafür35. Die andern entgegnen, dass Männerliebe 35

So etwa T. Horner, Jonathan Loved David. Homosexuality in Biblical Times, Philadelphia 1978. Auch S. Schroer/T. Staubli, Saul, David und Jonathan – eine Dreiecksgeschichte? Ein

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III. Biblische Porträts

in Israel klar negativ konnotiert gewesen sei, man derlei also den Helden David und Jonatan nicht angehängt hätte36. Die Diskussion wird heftig, zuweilen erbittert geführt37. Muss sie entschieden werden? Kann es nicht dabei sein Bewenden haben, dass die Deutung auf Homosexualität nicht eben wahrscheinlich, die auf Homoerotik möglich – und beides nicht zwingend nötig ist38? Ein berührendes Beispiel in diesem Sinne uneindeutiger, keine Deutung ausschließender Redeweise bietet das Gedicht von Else Lasker-Schüler (18691945) „David und Jonathan“: In der Bibel stehn wir geschrieben Buntumschlungen. Aber unsere Knabenspiele Leben weiter im Stern. Ich bin David, du mein Spielgefährte. O, wir färbten Unsere weißen Widderherzen rot! Wie die Knospen an den Liebespalmen Unter Feiertagshimmel. Deine Abschiedsaugen aber – Immer nimmst du still im Kusse Abschied. Und was soll dein Herz Noch ohne meines – Deine Süßnacht Ohne meine Lieder.

b) David und die Frauen Gleich, wie es mit der angeblichen Homosexualität Davids steht: dass er heterosexuell aktiv war, steht außer Frage. Allein die Listen von ingesamt sieb-

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38

Beitrag zum Thema „Homosexualität im Ersten Testament“, BiKi 51 (1996), 15–22. In Amsterdam entsteht derzeit eine Dissertation, die klar in diese Richtung zu votieren scheint: Karin Hügel, Queere Lesarten der Hebräischen Bibel; Informationen dazu unter http://www.uva.nl/profile/k.hugel. M. Zehnder, Exegetische Beobachtungen zu den David-Jonathan-Geschichten, Bib. 79 (1998), 153–179. Es gibt auch Zwischentöne, etwa bei M. Nissinen, Die Liebe von David und Jonatan als Frage der modernen Exegese, Bib. 80 (1999), 250–263. Es sei noch einmal bemerkt, dass auch die anfängliche Beziehung zwischen Saul und David nach 1Sam 16,21 von „Liebe“ geprägt war; auch dort könnte Homoerotik im Spiel sein.

David – König der Liebe

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zehn Söhnen, die er mit vielen verschiedenen Frauen hatte, belegen das39. Eine Wertung enthalten diese Nachrichten nicht. Man kann sie als Ausdruck der Virilität und Potenz eines starken Herrschers lesen. Spätestens in den Hunderten von Haupt- und Nebenfrauen Salomos jedoch wird die Bibel einen Ausdruck von Maßlosigkeit und ein Einfallstor für Untreue gegen Jhwh sehen40. Anders als bei Salomo, bei dem die biblischen Erzähler in dieser Hinsicht ganz pauschal bleiben, schildern sie bei David vier einzelne Frauenbeziehungen näher. Nur sehr verhalten lassen sie dabei etwas wie „Liebe“ erkennen – an sich nicht verwunderlich, ist diese Erwartung doch weitgehend modernem Empfinden geschuldet. Umso erstaunlicher, dass zweimal ausdrücklich von Michals Liebe zu David die Rede ist – freilich nicht von seiner zu ihr. Manche schließen daraus, er habe sie weniger gemocht als vielmehr benutzt: als Vehikel beim eigenen Aufstieg. Immerhin holte er sie, die er wegen Sauls Feindseligkeit an einen anderen Mann verloren hatte, zu sich zurück, als er die Macht dazu hatte41. Auch dies kann man zu seinen Ungunsten auslegen: Er habe mit der Königstochter lediglich seinen Thronanspruch unterstreichen wollen. Doch ebenso könnte es auch Liebe und Treue gewesen sein, die ihn so handeln ließen; die Erzähler schweigen über die Motive. Am Ende kommt es zum Zerwürfnis zwischen beiden42: Ausdruck gegenseitiger Entfremdung oder enttäuschter Erwartungen? Wieder bleibt viel Interpretationsspielraum43. Die zweite Frau, von der erzählt wird, dass und wie sie an Davids Seite gelangte (und dort offenbar blieb44), ist Abigajil, die Gattin bzw. Witwe eines reichen Viehzüchters im Negev45. Sie rettete ihr und ihres Mannes Leben vor einem Rachezug des damals als Freibeuter tätigen David. Als ihr Gatte verstorben war, bot sie sich David als Ehefrau an, und dieser willigte ein. Sicher bewog ihn dazu, abgesehen davon, dass sie schön und klug gewesen sein soll, ihr großer 39

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41 42 43

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45

Vgl. 2Sam 3,2–4 und 2Sam 5,13–15; demnach wurden David sechs Söhne in Hebron, elf in Jerusalem geboren. In 5,13 ist auch von „Töchtern“ die Rede, doch werden diese nicht namentlich genannt. Vgl. 1Kön 11,1–8 und die Vorwegverurteilung in Dtn 17,17; dazu W. Dietrich, Geschichte und Gesetz. Deuteronomistische Geschichtsschreibung und deuteronomisches Gesetz am Beispiel des Übergangs von der Richter- zur Königszeit, in: ders., Von David zu den Deuteronomisten. Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments (BWANT 156), Stuttgart 2002, 217–235. 2Sam 3,12–16. 2Sam 6,16.20–23. Zur Figur Michals vgl. D.J. Clines/T.C. Eskenazi (eds.), Telling Queen Michal’s Story. An Experiment in Comparative Interpretation (JSOT.S 119), Sheffield 1991; I. Willi-Plein, Michal und die Anfänge des Königtums in Israel, in: dies., Sprache als Schlüssel. Gesammelte Aufsätze zum Alten Testament, Neukirchen-Vluyn 2002, 79–96. In 2Sam 3,3 wird sie als Mutter eines Davidsohnes namens Kilab erwähnt. Michal hatte laut 2Sam 6,23 keine Kinder von David. 1Sam 25. Vgl. dazu M. Peetz, Abigajil, die Prophetin: Mit Klugheit und Schönheit für Gewalt-verzicht. Eine exegetische Untersuchung zu 1Sam 25 (FzB 116), Würzburg 2008.

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III. Biblische Porträts

Besitz und ihr gesellschaftlicher Rang im Sippenverband der Kalibbiter. Von Liebe zwischen beiden ist nirgendwo die Rede. Es scheint dies der typische Fall einer politisch-ökonomisch begründeten Zweckehe zu sein, wie Könige sie seit jeher schließen46. Als die große Liebesgeschichte im Leben Davids gilt gemeinhin seine Liaison mit Batscheba. Sie nahm ihren Anfang mit der sexuellen Begierde des Königs und einem Ehebruch, der zur Ermordung des Ehemannes führte. Batschebas Gefühle David gegenüber werden nirgendwo benannt. Man(n) hat gemutmaßt, sie habe sich ihm voll Berechnung angeboten, habe Sex mit dem König und ein Kind von ihm haben wollen, und nicht zufällig sei ihr Sohn Salomo Davids Nachfolger geworden47. Feministisch orientierte Exegetinnen48 plädierten demgegenüber auf Vergewaltigung einer wehrlosen Frau durch einen Recht und Sitte missachtenden König49. Auf dieser Seite liegen m.E. die besseren Argumente. Möglicherweise bedeutete Salomos Thronerhebung für Batscheba etwas wie Genugtuung für die ihr einst zugefügte Erniedrigung. David hat dieser Nachfolgeentscheidung angeblich zugestimmt. Warum? Aus politischen Gründen, aus Altersschwäche – oder aus Schwäche für diese Frau? Sie ist die einzige Person weiblichen Geschlechts, bei der die biblischen Erzähler etwas wie emotionale Zuneigung Davids zu erkennen geben50. Er hätte sie, als sie schwanger und ihr Mann tot war, nicht mit den vollen Rechten einer Königsgemahlin an seinen Hof holen müssen. Er hätte nicht um ihr erstgeborenes Kind, das plötzlich erkrankte, kämpfen müssen, als wäre es sein einziger Sohn. Er hätte mit ihr nicht Mitleid empfinden und sie „trösten“ müssen, als das Kind doch starb51. Und er hätte ihr zweites Kind, Salomo, am Ende nicht zu seinem Nachfolger machen müssen. Die vierte Frau, die in den Davidgeschichten als Individuum in den Blick kommt, ist Abischag von Schunem52: ein ausgesucht schönes Mädchen, das man dem vor Alter und Kälte zitternden König in der Hoffnung ins Bett legte, mit ihr 46 47

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52

Vgl. J.D. Levenson, 1 Samuel 25 as Literature and as History, CBQ 40 (1978), 11–28. G.G. Nicol, The Alleged Rape of Bathsheba. Some Observations on Ambiguity in Biblical Narrative, JSOT 73 (1997), 43–54. Voran C.J. Exum, „Bathsheba plotted, shot, and painted“, Semeia 74 (1996), 47–73. Die Diskussion wird referiert und bewertet von T. Naumann, David und die Liebe, in: W. Dietrich/H. Herkommer (Hg.), König David – biblische Schlüsselfigur und europäische Leitgestalt, Fribourg/Stuttgart 2003, 51–84, hier 68–72. Laut dem Psychoanalytiker H.-J. Dallmeyer hat (die literarische!) Batscheba in David die „Anima-Persönlichkeitsseite“ geweckt, die dieser bis dahin in sich verschlossen gehalten hatte: H.-J. Dallmeyer/Walter Dietrich, David – ein Königsweg. Psychoanalytisch-theologischer Dialog, Göttingen 2003, 177f. Vgl. dazu allerdings die kritischen Erwägungen von D. Bosworth, „David Comforted Bathsheba“ (2Sam 12:24). Gender and Parental Bereavement, in: W. Dietrich (Hg.), Seitenblicke. Literarische und historische Studien zu Nebenfiguren im zweiten Samuelbuch (OBO 249), Fribourg/Göttingen 2011, 238–255. 1Kön 1,1–4.

David – König der Liebe

315

werde ihm „warm“. Doch lakonisch heißt es: „Und der König erkannte sie nicht“. Mehr wird über das Verhältnis dieser beiden nicht mitgeteilt.

c)

David und seine Söhne

Ausdrücklich von Davids Liebe ist aber in einem anderen Zusammenhang die Rede. Offenbar liebte er seine Kinder, insbesondere seine Söhne – fast zu sehr. Von zweien wird dies ausführlich berichtet: von seinem Ältesten, Amnon, und dem Zweitältesten, Abschalom. Diese beiden sind verbunden in der Gestalt Tamars, Abschaloms Voll- und Amnons Halbschwester. Amnon verliebt sich in sie53, begehrt sie und vergewaltigt sie schließlich. David reagiert auf den Vorfall, nachdem er davon erfahren hat, auf nicht weniger als drei Weisen – je nachdem, welcher Textversion man folgt54. Die kürzeste Fassung bietet der masoretische Text: „Und er wurde sehr zornig“ (2Sam 13,21). Diese Bemerkung wehrt dem Verdacht stillschweigender Komplizenschaft; schließlich war gerade der Skandal zwischen David und Batscheba vorausgegangen, und da hätte es wohl sein können, dass der Vater mit dem Sohn gar zu viel Verständnis, wohl gar Einverständnis, hatte. Nein, so war es nicht, David war zornig auf Amnon (aus welchen Gründen auch immer). Weiter unternahm er aber nichts. Die Version aus Qumran (4QSama) liefert hierfür eine Begründung: „Denn er war sein Erstgeborener“. Das leuchtet ein: Der König schont den Kronprinzen, um die Erbfolge nicht zu gefährden. Noch ausführlicher wird die griechische Septuaginta: „Und er war sehr zornig über ihn. Doch er kränkte den Geist seines Sohnes Amnon nicht; denn er liebte ihn,55 weil er sein Erstgeborener war“. Die Vaterliebe war es demnach, die David zu seinem verhängnisvollen Nichtstun veranlasste. Die Folge war, dass Abschalom Amnon ermorden ließ. Auch diesem seinem zweiten Sohn gegenüber56 zeigt David jene aus Liebe geborene Schwäche, die zu nichts Gutem führt. Abschalom flieht nach dem Brudermord zunächst ins Exil, kämpft sich nach einigen Jahren in die Umgebung des Königs zurück, gebärdet sich umgehend als Thronfolger und beginnt alsbald mit Vorbereitungen für einen Aufstand, der den Vater vom Thron fegen und wohl auch den Kopf kosten soll. Obwohl der Sohn unmittelbar unter den Augen 53 54

55 56

Darauf wird in 2Sam 13,1 das Wort ‫ אהב‬angewendet. Zum Folgenden vgl. W. Dietrich, David, Amnon und Abschalom (2Sam 13). Literarische, textliche und historische Erwägungen zu den ambivalenten Beziehungen eines Vaters zu seinen Söhnen, in: A. Rofé/M. Segal/S. Talmon/Z. Talshir (eds.), Text Criticism and Beyond. In memoriam of Isac Leo Seeligmann, Textus 23 (2007), 115–143. In der hebräischen Vorlage stand hier gewiss das Verb ‫אהב‬. Über ihn vgl. C. Conroy, Absalom Absalom! Narrative and Language in 2 Sam 13-20 (AnBib 81), Rom 22006; T. Naumann, Abschalom – Aspekte eines literarischen Porträts, in: W. Dietrich (Hg.), Seitenblicke. Literarische und historische Studien zu Nebenfiguren im zweiten Samuelbuch (OBO 249), Fribourg/Göttingen 2011, 314–330.

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III. Biblische Porträts

des Königs agiert und agitiert, fällt dieser ihm nicht in den Arm. Schließlich muss David vor der an Kraft gewinnenden Rebellion aus Jerusalem fliehen, doch am Ende besiegen seine Söldner das Volksaufgebot Abschaloms, und dessen Leben setzt der General Joab eigenhändig ein Ende. David verfällt daraufhin in bodenlose Trauer – sehr zum Missfallen Joabs, der ihm vorhält: „Die dich hassen, liebst du, und die dich lieben, hasst du“ (2Sam 19,6f.). Will heißen: Abschalom, der dir nach dem Leben trachtete, bringst du eine närrische Liebe entgegen; doch die (unter anderen mich), die dein Leben vor diesem mörderischen Sohn bewahrt haben, stößt du vor den Kopf. Als Joab dem König mit der Abkehr seiner Getreuen droht, ermannt sich David und nimmt einen Vorbeimarsch der Truppen ab. Bald kehrt er nach Jerusalem zurück, wird alt und älter, erlebt einen weiteren Versuch eigenmächtiger Thronfolge durch seinen Dritten, Adonija, und hilft schließlich dem Zehnten, Salomo, auf den Thron57. Ende gut, nicht alles gut. Davids Liebe zu Abschalom hat besonders eindringlich der Dichter Kurt Oskar Buchner (geb. 1912) in seinem Gedicht „David in der Nacht nach Absaloms Tod“ reflektiert. Darin kommt viel von Vater-Sohn-Beziehungen zum Vorschein – und Kritischeres gegen den Sohn, als Söhne wohl gern hören mögen (und als schlichte BibelleserInnen aus dem Text heraushören). Hast du den Vater gemeint oder den König allein, Absalom? Du wußtest genau, er wird hilflos sein, das wußtest du schon, als du jung noch und klein meine Liebe mit Füßen getreten. Ich sagte dir oft, was mein ist, ist dein, und hab’ um Vertrauen gebeten, Absalom! Doch ich sah deinen Mund, so stolz und so hart, Absalom, und sah deine Augen, in die ich vernarrt, obgleich ich doch spürte, wie kalt und erstarrt du mir gegenüber geblieben. Ich wollte nicht wahrhaben, was meiner harrt, ich wollte dich blindlings nur lieben, Absalom! Doch du lachtest nur meiner Hilflosigkeit, Absalom, und triebst es bedachtsam schließlich so weit, daß ich gehorchte Gott und dem Eid und befahl, den Verräter zu richten. Und das Herz zerriß mir in jener Zeit, denn Liebe kann nicht verzichten, 57

1Kön 1–2.

David – König der Liebe

317

Absalom! Und nun bist du tot, denn ich tat meine Pflicht, Absalom, und mir wird jeder Tag zu neuem Gericht, und ich seh’ jeden Zug in deinem Gesicht und hör’ dich noch immer lachen. Ich schreie zu Gott, doch er antwortet nicht, so will ich für dich denn wachen, Absalom!

David liebte Viele: Frauen und Männer. Ihn trieben sexuelle Gier und kühle Berechnung, aber auch Freundschaft, Fürsorglichkeit und Väterlichkeit. Doch kaum einmal stand über seiner Liebe ein guter Stern. Manche Liebesbande blieben seltsam schwach und unausgebildet, andere wurden gewaltsam zerrissen, wieder andere führten in trostlose Abgründe. Vor den Augen der Lesenden ersteht das Bild eines Mannes, der wohl liebesfähig, dem aber Glück in der Liebe nur vorübergehend und unvollkommen beschieden war.

4. David, Liebhaber der Kunst Aus der Kunstgeschichte gibt es unzählige Abbildungen Davids mit der Harfe (oder Leier, Psalterion, Organon, Flöte, Fiedel usw.)58, sei es zusammen mit anderen Psalmisten59 oder allein, mit Auditorium oder ohne. Wenn, dann lauschen ihm meist Menschen, vorzugsweise Batscheba, zuweilen aber auch Tiere60. Diese reiche Ikonographie machte David zum Inbegriff des Künstlers auf dem Thron61.

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Reiche Eindrücke davon gibt W. Salmen, Die Vielzahl der Attribute des musizierenden und „springenden“ David, in: W. Dietrich/H. Herkommer (Hg.), König David – biblische Schlüsselfigur und europäische Leitgestalt Fribourg/Stuttgart 2003, 687–729. Als nur ein Beispiel aus der frühmittelalterlichen Kunstgeschichte sei ein Mailänder Psalter aus dem 9. Jh. genannt, der David im Kreis von Asaf, Heman, Etan und Jedutun zeigt; abgebildet bei T. Bruggisser-Lanker, König David und die Macht der Musik, in: W. Diet-rich/H. Herkommer (Hg.), König David – biblische Schlüsselfigur und europäische Leitgestalt Fribourg/Stuttgart 2003, 589–629, dort 603. Hier schlägt das Orpheusmotiv auf die David-Tradition durch, vgl. dazu W. Dietrich, David. Der Herrscher mit der Harfe (Biblische Gestalten 14), Leipzig 2006, 277–283. Eine – äußerst seltene – altorientalischen Analogie dazu stellt der König Schulgi von Ur dar (21. Jh. v.Chr.), der von sich sagt, er habe sich der Musik geweiht, und nichts, was mit Musik tun habe, sei ihm zu schwierig; vgl. G.R. Castellino, Two Šulgi Hymns (Studi Semitici 42), Rom 1972, 47. Anmerkungsweise sei bemerkt, dass die Zahl kunstbegabter Regenten auch in der Neuzeit sehr begrenzt ist; Gestalten wie Friedrich d. Gr. oder Helmut Schmidt sind die Ausnahme, nicht die Regel.

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III. Biblische Porträts

Seinen traditionsgeschichtlichen, womöglich auch seinen historischen Ausgang nahm dieses Motiv bei einer Überlieferung, der zufolge David am Hof Sauls als Leierspieler angeheuert wurde, der den „schlimmen Geist“ vertreiben sollte (und eine Zeitlang auch konnte), welcher den König sporadisch befiel62. Doch nicht nur als Ton-, auch als Wortkünstler erscheint David in den Samuelbüchern; zwei Dichtungen – angeblich (und wohl wirklich) von ihm verfasste Klagelieder auf ums Leben gekommene Mitglieder des Königshauses – werden im Wortlaut zitiert63. Am Ausgang der Samuelbücher stehen zwei David zugeschriebene Psalmdichtungen64. Die zweite von ihnen trägt die etwas barocke Überschrift: „Dies sind die letzten Worte Davids. Ausspruch Davids, des Sohnes Isais, Ausspruch des Mannes, der hoch gestellt war, des Gesalbten des Gottes Jakobs und des Lieblings (‫ )נעים‬der Lieder Israels“. Damit wird David als der hebräische Dichter charakterisiert. Als solcher erscheint er dann ausgiebig im Psalter. In der Hebräischen Bibel tragen 73 Psalmen in ihrer Überschrift den Namen „David“. (In der Griechischen Bibel sind es über 80, in Qumran sämtliche Psalmen und noch sehr viel mehr Lieder.) Die hebräische Wendung ‫ לדוד‬muss nicht unbedingt bedeuten: „von David“ (wie es die Bibelübersetzungen zumeist wiedergeben)65. Das sog. ‫ ל‬auctoris ist sogar vergleichsweise selten; eigentlich besagt die Präposition ‫ ל‬zunächst nur: „in Bezug auf“. Demnach hätte man die betreffenden Lieder und Gebete mit Blick auf David, im Gedenken an ihn zu lesen und zu sprechen; man soll sich ihren Sinn und ihre Aussage an den David-Erzählungen der Samuelbücher veranschaulichen. Die Beziehung zwischen Psalmen und Davidbüchern wird in dreizehn Psalmen intensiviert, indem diese ausdrücklich mit einer bestimmten Situation im Leben Davids in Verbindung gebracht werden: Ps 3 7 18 34

Sam 2 Sam 15 2 Sam 16,5ff? 18,31ff? 2 Sam 7,1 1 Sam 21,11ff

Ps 51 52

Sam 2 Sam 12 1 Sam 21,8; 22,9f

Ps 57 59

Sam 1 Sam 22,1 1 Sam 19,11

54 56

1 Sam 23,19f 1 Sam 21,11ff

60 63 142

2 Sam 8,3ff 1 Sam 22,5; 23,14 1 Sam 22,1

Die hier angesprochenen Situationen in Davids Vita sind überwiegend solche der Verfolgung. Entsprechend sind die betreffenden Psalmen überwiegend Klage62

63 64

65

1Sam 16,14–23; dazu W. Dietrich, Samuel (BKAT VIII/2.4), Neukirchen-Vluyn 2012, 248– 288. 2Sam 1,19–27; 3,33f. 2Sam 22 = Ps 18; 2Sam 23,1–7. Vgl. dazu M. Kleer, „Der liebliche Sänger der Psalmen Israels“ (BBB 108), Bodenheim 1996, 11–77; H.-P. Mathys, Dichter und Beter. Theologen aus spätalttestamentlicher Zeit (OBO 132), Fribourg/Göttingen 1994, 146–164. Vgl. dazu M. Kleer, Der liebliche Sänger, 78–86.

David – König der Liebe

319

lieder. Tatsächlich wird David in den Samuelbüchern erstaunlich oft als bedroht und gefährdet geschildert66. Dies macht es möglich, dass er zur Identifikationsfigur gerade für Menschen in Not wird. Wer immer in Leid gerät, soll wissen: Auch David hat gelitten. Andererseits weiß man ja, dass David ein langes, erfolgreiches, gotterfülltes Leben führte. Da mit dem Namen Davids auch Vertrauens-67, Dank-68 und Siegeslieder69 in Verbindung gebracht werden und weil überdies auch jedes Klagelied Aussagen der Hoffnung und des Vertrauens, ja des Gotteslobs, enthält, darf, wer im Gedenken an David betet, darauf hoffen, dass Gott wie mit David, so auch mit ihm oder ihr sein wird. Der Chronist hat dem Psalmisten David auf seine Weise ein Denkmal gesetzt. Er berichtet, dass David, bevor er die Herrschaft an Salomo, den Tempelbauer, weitergab, vorab den Tempelgesang ordnete und die Gilden der Tempelsänger einteilte. Die dabei fallenden Namen von Familienhäuptern – Asaf, Heman, Jedutun – begegnen alle auch in den Psalmen70. Kurz vor seinem Tod betätigt sich David in einer feierlichen gottesdienstlichen Versammlung als Vorbeter und Vorsänger: ein Vermächtnis ganz eigener Art71.

5. David, Liebhaber Gottes und der Menschen In den Psalmen kommt etwas zum Vorschein, was in den Samuelbüchern nicht aufscheint: Davids Liebe zu Gott. In Ps 31,24 ruft ‚er’72 seine Glaubensgenossen auf: „Liebt Jhwh (‫ “!)אהב‬Dazu kann nur einer auffordern, der selbst in dieser Liebe steht. Tatsächlich findet sich in Ps 116,1 das überschwängliche Bekenntnis: „Ich liebe Jhwh (‫)אהב‬73!“ Auch wenn dieser Psalm nicht ausdrücklich David zugewiesen ist, hat man früher oder später ihn hier reden hören. Der David der Psalmen liebt nicht nur Gott selbst, sondern auch „die Stätte seines Hauses“ (Ps 26,8). Nach Ps 99,4 ist es „die Stärke des Königs“, dass er Jhwhs „Recht liebt“ (‫)אהב‬. Und der längste Psalm, 119, beschwört zehnmal des From-

66

67 68 69 70

71 72 73

Neuerdings gibt es dazu eine gründliche Untersuchung: S. Kipfer, Der bedrohte David. Eine exegetische und rezeptionsgeschichtliche Studie zu 1 Sam 16 - 1 Kön 2 (Studies of the Bible and Its Reception 3), Boston 2015. Zum Beispiel Ps 11; 23 Zum Beispiel Ps 27; 40; 118 (freilich ohne „David“ in der Überschrift). Ps 18; 20; 21, in gewisser Weise auch Ps 2; 110. Asaf: Ps 50; 73–83; Heman: Ps 88; Jedutun: Ps 39; 62; 77. Die im Psalter prominent vertretenen Korachiten (Ps 42; 44–49; 84f; 87f.) sowie auch Etan (Ps 89) fehlen allerdings. 1Chr 29,10–20. Ps 31 trägt in der Überschrift ‫לדוד‬. Der hebräische Text bietet die Wortfolge: „Ich liebe, weil er hört, Jhwh“. In BHS wird vorgeschlagen, umzustellen: „Ich liebe Jhwh, weil er hört [bzw. gehört hat]“.

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III. Biblische Porträts

men „Liebe“ zu Gottes Tora, Geboten usw. Auch dies kann man als Rede des vorbildlich frommen David hören. Die Samuelbücher reden, wie von Davids Gottesliebe, so auch von seiner Liebe zu Menschen nur sehr verhalten und nie ganz eindeutig74. Demgegenüber bekennt der Beter des 109. Psalms – in dessen Überschrift ‫ לדוד‬steht – von seiner „Liebe“ (‫ )אהבה‬zu den Mitmenschen; freilich sei ihm diese mit Hass vergolten worden (Ps 109,4.5)75. Wer will, kann dahinter die Beziehung zu Saul und vor allem die zu Abschalom wiedererkennen. Die Belege für die „Liebe“ des Psalmisten David zu Gott und zu den Menschen sind nicht zahlreich76 und doch signifikant. Sie vervollständigen das Bild Davids nach einer Seite hin, die in den Samuelbüchern (und in der Chronik) blass geblieben ist.

Schluss Eingangs wurde die Frage gestellt, ob der biblische David ein Exempel sein könne, dem nachzusinnen, wohl gar nachzuleben, sich lohnt. Am Leitfaden des Motivs der „Liebe“ hat sich einiges erarbeiten lassen, das diese Frage zu bejahen erlaubt. Entscheidend dafür ist, dass die biblischen Autoren von David kein unglaubwürdig leuchtendes Propagandabild malen. An David glänzt nicht alles golden, auch nicht an David als „König der Liebe“. Nirgendwo wird ausdrücklich gesagt, dass Gott ihn liebte, und auch von seiner Liebe zu Gott ist erst in den Psalmen die Rede. Obwohl die Beziehung zwischen Jhwh und David insgesamt zweifellos eng und weit überwiegend positiv ist, bleibt doch eine letzte Distanz zwischen ihnen; der König wird nicht eins mit Gott, und Gott bindet sich nicht bedingungslos an den König. Ähnlich steht es mit Davids Liebe zu und seinem Geliebtsein bei Menschen: Er ist liebesfähig, zuweilen liebevoll, und doch scheint er das eine Mal zu wenig, das andere Mal zuviel Liebe aufzubringen. Kaum eine seiner Liebesbeziehungen lässt sich glückhaft, glücklich nennen. Besonders zu Beginn seiner Karriere schlägt ihm viel Sympathie und Liebe entgegen, doch nicht immer sind die Gründe deutlich und oft ist der Ausgang tragisch. Vielleicht die wenigsten Schatten fallen auf ihn als Liebhaber der Kunst. Darum ist David der Nachwelt nicht zuletzt als Musiker, Sänger und Beter in Erinnerung geblieben. ‚Seine’ Psalmen laden ein zur Identifikation mit einem Mann, der oft 74 75 76

Siehe oben Abschnitt 3. In Ps 109,17 begegnet noch das Verb – allerdings für seinen Gegner: Dieser „liebt“ den Fluch. Die weiteren Belege für ‫ אהב‬in den Psalmen tragen für unser Thema nichts aus: Ps 4,3: Man soll nicht Nichtiges lieben; Ps 52,5f: Doëg (der Verräter Davids, vgl. 1Sam 22) liebt die Lüge; Ps 34,13: „Wer liebt es, gute Tage zu sehen?“; Ps 47,5: Jhwh liebt Jakob (= Israel); Ps 78,68 und Ps 87,2: Jhwh liebt den Zion.

David – König der Liebe

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gelitten, immer wieder aber auch gesiegt hat. Von den Psalmen wird der Blick wieder zurückgelenkt auf die Samuelbücher und ihr Bild eines zwar bedeutenden, aber doch menschliches Maß nicht übersteigenden, auch in der Liebe nicht vollkommenen, aber doch liebenden und geliebten Menschen.

David und die Dichter Ulrich Luz ist derjenige Exeget, der den Aspekt der Wirkungsgeschichte am nachdrücklichsten und nachhaltigsten in die exegetische Diskussion eingebracht hat. Wesentlich ihm ist die Erkenntnis zu danken, dass heutige Ausleger ihre Interpretationen nicht (nur) aus eigener unmittelbarer Begegnung mit den biblischen Texten gewinnen, sondern vermittelt durch eine lange Kette von Abschreibern, Auslegern, Predigern, Philosophen, Illustratoren, Musikern, Bildhauern, Malern, Dichtern usw., welche die Texte schon zuvor bedacht und interpretiert haben und unsere Wahrnehmung bewusst oder unbewusst beeinflussen und steuern. Diese früheren, fremden Wahrnehmungen in den Blick zu bekommen, kann die eigene Perspektive auf die Texte verändern und bereichern. Dies sei hier am Beispiel „David und die Dichter“ veranschaulicht1. In einem 2005 publizierten Sammelwerk „Die Bibel in den Worten der Dichter“2 sind immerhin 35 von etwas über 600 Textseiten dem König David gewidmet. Seinen biblischen Anhalt hat dies darin, dass David selbst ein Lyriker3 gewesen sein soll. Nicht nur, dass ihm relativ spät ein großer Teil der Psalmen zugeschrieben wurde, nein, auch in der vergleichsweise ältesten Quelle, den Samuelbüchern, werden mehrere Lieder zitiert, die er gedichtet haben soll: zwei Totenklagelieder, das eine auf den König Saul und den Kronprinzen Jonatan (2Sam 1,19–27), das andere auf den General Abner (2Sam 3,33f), sowie – in einem relativ spät hinzugekommenen Anhang – zwei Hymnen (2Sam 22,1–51 und 23,1– 7). Namentlich die ersten beiden Lieder liegen wohl am Grund der Tradition von „David als Dichter“, und es ist bisher niemandem der Nachweis gelungen, dass er nicht ihr Verfasser war. Kein Wunder, dass durch die Zeiten hindurch gerade Dichter sich von diesem Dichterkönig angezogen gefühlt haben. Die einen haben die ihm zugeschriebenen lyrischen Texte nach- bzw. umgedichtet, andere haben neue Dichtungen auf ihn geschaffen. Mit dieser Unterscheidung – Nachdichtung oder Neudichtung – ist die Gliederung der folgenden Ausführungen vorgegeben.

1

2 3

Mit „Dichter“ sind dabei im engeren Sinne „Lyriker“ (und Lyrikerinnen) gemeint, nicht z.B. Librettisten oder RomanautorInnen. Herausgegeben von Bertram Kircher und erschienen 2005 in Freiburg i. Br. Und übrigens auch ein Musiker: vgl. 1Sam 16,14–23 sowie manche Psalmenüberschriften sowie die Darstellung Davids in der Chronik, vgl. dazu W. Dietrich, David. Der Herrscher mit der Harfe, Leipzig, 2. Aufl. 2016, 73–88.

David und die Dichter

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1. Nachdichtungen von Gedichten Davids Die meisten Nachdichtungen betreffen die David zugeschriebenen Psalmen; man denke nur an die schier zahllosen einschlägigen Kirchenlieder, angefangen beim Genfer Psalter, der in Bern zum Lobwasser-Psalter verdeutscht wurde, über Paul Gerhardt bis zu Willy Burkhard und Rudolf Alexander Schröder. Doch auch an unerwartetem Ort findet man neue „Psalmen Davids“: etwa in Honeggers Oratorium „Le roi David“4 oder in Stefan Heyms gar nicht frommem Roman „Der König David Bericht“5. Es soll im Folgenden aber nicht um Psalmen, sondern um Gedichte gehen, die wirklich (oder doch mit hoher Wahrscheinlichkeit) von David selbst stammen. Es sind dies in erster Linie die erwähnten beiden Totenklagelieder, die am Anfang des zweiten Samuelbuches erhalten geblieben sind.

a) Totenklagen Davids Das zweite, kürzere dieser Leichenlieder soll enstanden sein, als Davids Feldherr Joab seinen Kontrahenten Abner, den Feldherrn Sauls und Eschbaals, meuchlings ermordet hatte. David zeigt alle Anzeichen des Entsetzens, ordnet Staatstrauer an, folgt bei der Leichenprozession persönlich der Bahre des Ermordeten und stimmt folgendes Lied an6: Musste, wie ein Ausgestoßener stirbt, Abner sterben? Deine Hände waren nie gefesselt und deinen Füßen wurden keine Ketten angelegt. Wie ein Dahinfallen vor Söhnen der Bosheit[, so] bist du gefallen.

Abner war von Haus aus ein Gegner des davidischen Königtums. Doch kurz vor seiner Ermordung soll er Anstalten gemacht haben, dem bis dahin nur über Juda regierenden David auch das saulidische Israel zuzuführen (2Sam 3). Einen Strich durch diese Rechnung machte Joab durch einen brutalen Meuchelmord – sei es, weil er Abners Motive als unlauter oder weil er diesen als Gefahr für die eigene Karriere ansah. David beklagt lauthals den Tod eines aufrechten, bisher nie gebundenen Mannes. Joab qualifiziert er indirekt als „Sohn der Bosheit“. 4

5

6

Vgl. dazu W. Dietrich, „Le Roi David“. Ein modernes Oratorium und seine biblische Textvorlage, in: C. Karrer-Grube u.a. (Hg.), Sprachen – Bilder – Klänge. Dimensionen der Theologie im Alten Testament und in seinem Umfeld, FS Rüdiger Bartelmus, Münster 2009, AOAT 359, 11–22. Heym legt David die Worte von Ps 7 und Ps 18 in den Mund: den einen nach der AbigajilGeschichte (1Sam 25), den anderen nach der Massenhinrichtung von sieben Sauliden (2Sam 21); in solchem Kontext bekommen die Psalmlieder einen seltsamen Klang! Zur Begründung der folgenden Übersetzung siehe W. Dietrich, BK 8.3, 369f.

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III. Biblische Porträts

Der frühmittelalterliche Theologe, Philosoph und Dichter Petrus Abaelardus (1079–1142) hat in einem von sechs biblischen „Planctus“ das Klagelied auf Abner nachgestaltet – und ihm dabei ein Vielfaches seines ursprünglichen Umfangs gegeben. Hier der lateinische Text samt einem eigenen Übersetzungsversuch: Abner fidelissime, bello strenuissime, amor ac deliciae militaris gloriae,

Abner, du höchst Ehrenwerter, im Krieg höchst Tapferer, Liebling und Wonne militärischen Ruhms:

quod vis non praevaluit, dolus in te potuit; per quem peris perditus par ejus sit exitus, nullis dignus fletibus, quos tuus dat omnibus.

Was Kraft nicht vermochte, tat List dir an; durch den du ausgelöscht wurdest: sein Ende sei (deinem) gleich – nur niemandem des Weinens wert, wie das deine es allen entlockte.

Dolus execrabilis casus miserabilis cogit ad continuas hostem quoque lacrymas dissolvitque pietas mentes adamantinas.

Die fluchwürdige List, der bejammernswerte Tod zwingt selbst einen Gegner zu unausgesetzten Tränen, und das fromme Gedenken bringt auch eiserne Gemüter zum Schmelzen.

Hostis regni dum fuisti manifestus, semper claris es triumphis sublimatus.

Ein Feind der Tyrannei warst du stets, ein offensichtlicher. Für immer bleibst du durch glänzende Siege hoch erhöht.

Multis dampnis nos multasti, nulla passus, armis potens sensu pollens vir perfectus.

Durch viele Niederlagen hast du uns zugesetzt, keine hast du selbst erlitten: du waffengewaltiger, geistesstarker, vollkommener Mann.

Israelis fortis murus, Iude metus, inimicus et amicus eras summus.

Israels starke Mauer, Judas Schrecken: ein Feind und ein Freund warst du von höchsten Graden.

Tandem nostris cedens votis inis fedus et spe pacis

Endlich auf unsere Versprechungen hin gekommen, gehst du ein Bündnis ein, und in der Hoffnung auf Frieden

David und die Dichter

325

arma ponis male tutus.

legst du die Waffen nieder – ganz zu deinem Verderben.

Dum timendum tibi creditisti periculis cunctis providisti: fide nostra fidens corruisti, quam de tua vir verax pensasti. Armati qui horruit nomen Abner, inermi praevaluit tibi Abner.

Dem, der dir übelwollte, hast du geglaubt – wo du doch sonst alle Gefahren voraussahst. Unserer Zusicherung trauend bist du gestürzt, da du als aufrechter Mann mit deinem Vertrauen vergaltest. Der, den erschrecken machte der Name des bewaffneten Abner, war dir als Unbewaffnetem überlegen, Abner.

Nec in via congredi tecum ausus portas urbis polluit per hoc scelus.

Einer, der dir auf offenem Weg nicht zu begegnen wagte, entehrte die Tore der Stadt durch diese Freveltat.

Milites militiae, ducem tantum lacrymantes plangite sic prostratum!

Soldaten der Armee – den so großen Führer beklagt unter Weinen, den so niedergestreckten!

Principes iustitiae sumant zelum in tam execrabilem vindicandum.

Die Häupter der Gerechtigkeit sollen sich mit Eifer annehmen eines derart Fluchwürdigen, (unbedingt) zu Strafenden!

Die schlichte Raffinesse des gereimten lateinischen Textes fällt ins Auge. In die Nachdichtung ist nicht nur das eigentliche Trauerlied in 2Sam 3,33f aufgenommen, sondern im Grund die Erzählung des ganzen Kapitels, ja eigentlich die gesamte Abner-Überlieferung. Der Hergang der Mordtat wird angedeutet und einige der Äußerungen Davids dazu zitiert. Abner wird durch erfolgreiche Kriegstaten und durch den Respekt charakterisiert, den sein Name im gegnerischen Juda auslöste. Es entsteht das Bild eines wahrhaft bedeutenden, geachteten Führers, dazu eines vertrauenswürdigen und seinerseits vertrauensvollen Menschen, dessen Leben durch ruchlose Mörderhand jäh beendet wurde. Kein negatives Wort über ihn – de mortuis nil nisi bene. Das Gedicht durchzieht eine spürbare Erschütterung darüber, dass solche Mordtaten möglich sind: nicht nur zur Zeit und in der Umgebung Davids! Die andere Totenklage, die David verfasst haben soll, ist diejenige auf Saul und Jonatan in 2Sam 1,19–277. Die Zierde, Israel: auf deinen Höhen durchbohrt! Wie sind die Helden gefallen! 7

Zur Übersetzung siehe Dietrich, BK 8.3, 240.

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III. Biblische Porträts Nicht meldet es in Gat, nicht verbreitet die Frohbotschaft auf den Gassen von Aschkelon, damit sich nicht freuen die Töchter der Philister, damit nicht jubeln die Töchter der Unbeschnittenen! [Ihr] Berge von Gilboa: Kein Tau und kein Regen [mehr] auf euch, und kein Fruchtgefilde [sollt ihr mehr sein]! Denn dort wurde besudelt der Schild der Helden; der Schild Sauls: nicht [mehr ist er] mit Öl gesalbt. Vom Blut der Durchbohrten, vom Fett der Recken wich Jonatans Bogen nicht zurück, kehrte Sauls Schwert nicht leer wieder. Saul und Jonatan, die ihr Leben lang einander Lieben und Teuren, wurden auch in ihrem Tod nicht getrennt. Schneller waren sie als Adler, stärker als Löwen. Ihr Töchter Israels, weint um Saul, der euch in luxuriöses Karmesinrot gekleidet, der Goldschmuck an eure Kleider geheftet hat. Wie sind die Helden gefallen mitten in der Schlacht – Jonatan auf deinen Höhen durchbohrt! Ganz eng ist mir um deinetwillen, mein Bruder Jonatan. Du warst mir sehr teuer! Wunderbarer war mir deine Liebe als Frauenliebe. Wie sind die Helden gefallen – und verloren die Waffen des Kriegs!

Die schwermütige Schönheit des Liedes kommt noch in der Übersetzung zur Wirkung. Erkennbar gliedern drei refrainartige Doppelzeilen das Ganze in zwei ungleich lange Strophen. In der zweiten, kürzeren, beklagt David sehr persönlich den Verlust seines ihm in „Liebe“ verbundenen „Bruders“ Jonatan. (Es ist viel darüber werweißt worden, ob sich in diesen Worten Homoerotik ausdrückt oder eine überaus enge Waffenbrüderschaft und Männerfreundschaft.) Die Klage um Saul hat David zuvor, im letzten Abschnitt der ersten, längeren Strophe, den „Töchtern Israels“ aufgetragen; deren Verlust ist ebenfalls groß, denn Saul hat ihnen kostbare Kleider verschafft (d.h. er hat Wohlstand in das Land gebracht). Den israelitischen Frauen spiegelbildlich gegenüberstehen, zu Beginn der ersten Strophe, die philistäischen Frauen; sie sollen keinen Grund zum Jubeln haben, darum dürfen sie von der Niederlage Israels auf Gilboa nichts erfahren. Noch unsympathischer als die Philisterfrauen sind dem Dichter eben diese Berge von Gilboa, die das Blut der Krieger Israels aufgesogen haben; sie sollen vertrocknen! Es folgt die Rühmung der Toten und ihrer Taten – Kernstück aller Leichenlieder. Saul und Jonatan werden nicht als zivile Herrscher, sondern als Krieger gezeigt, charakterisiert durch ihre stets siegreichen Waffen. Dazu waren sie „leichtfüßig“ und „stark“ und hielten auf Gedeih und Verderb zusammen – auch dies beides wichtig bei Kriegern. Bemerkenswerterweise fällt in diesem wie in dem anderen Klagegesang Davids der Gottesname nicht.

David und die Dichter

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Anscheinend war dies in Totenklagen nicht zwingend nötig. Vielmehr geben sie dem zutiefst menschlichen Schmerz Ausdruck, die der Verlust geschätzter und geliebter Menschen für die Hinterbliebenen bedeutet. In dieser Hinsicht sind Davids Lieder, so sehr sie bei einer ganz bestimmten Situation behaftet und auf bestimmte historische Personen konzentriert sind, zeitlose Paradigmen ernster Trauer – aber keine Psalmen. Auch dieses Totenklagelied hat Abaelard nachgedichtet. Alle wichtigen Motive aus dem Vorbild werden aufgenommen, ausführlicher freilich und in veränderter Abfolge. Zusätzlich aber spielt nunmehr Gott eine wichtige Rolle, fast die wichtigste: Auf ihn, der die Katastrophe zugelassen hat, fällt sie zurück: im Spott der Feinde (der zusammen mit Gott auch sein Volk trifft). Zudem schreibt David sich selbst in diese Klage ein: als der, der zu seinem Leidwesen am Leben geblieben ist, statt es an der Seite des Freundes zu verlieren, und dem der Schmerz des Verlustes alle Fassung raubt. Dolorum solatium, Laborum remedium, Mihi mea cithara, Nunc quo major dolor est, Justiorque moeror est Plus est necessaria.

Trost in Schmerzen, Heilmittel in Mühen ist mir meine Leier. Nun, wo der Schmerz noch größer und die Trauer noch angebrachter ist, ist sie mir umso unentbehrlicher.

Strages magna populi, Regis mors et filii, Hostium victoria, Ducum desolatio, Vulgi desperatio, Luctu replent omnia.

Die schwere Niederlage des Volkes, der Tod des Königs und seines Sohnes, der Sieg der Feinde, die Verlassenheit der Führer, die Verzweiflung des Volkes erfüllen alles mit Trauer.

Amalech invaluit Israel dum corruit, Infidelis jubilat Philistaea Dum lamentis macerat Se Judaea.

Amelek ist erstarkt, während Israel fiel, es jubelt das ungläubige Philistäa, während in Klagen sich erschöpft Judäa.

Insultat fidelibus Infidelis populus; In honorem maximum Plebs adversa, In derisum omnium Fit divina.

Es verhöhnt die Gläubigen das ungläubige Volk; zu höchster Ehre kommt der feindliche Pöbel, zum Gespött aller wird die göttliche Sache.

Insultantes inquiunt: Ecce de quo garriunt, Qualiter hos perdidit Deus summus, Dum a multis occidit Dominus prostratus.

Die Spötter sprechen: Sieh, wie der, von dem sie schwätzen, sie zugrunde gerichtet hat, der höchste Gott, wo doch von vielen (Göttern) besiegt der Herr hingestreckt ist.

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III. Biblische Porträts

Quem primum his praebuit, Victus rex occubuit; Talis est electio Derisui, Talis consecratio Vatis magni.

Der, den er ihnen als Ersten gab: besiegt ist der König und tot. So gerät die Erwählung zum Hohn, so die Weihung durch den großen Seher.

Saul regum fortissime, Virtus invicta Jonathae, Qui vos nequit vincere, Permissus est occidere.

O Saul, tapferster der Könige, unbesiegte Tapferkeit Jonatans! Der euch nicht besiegen konnte, durfte euch töten.

Quasi non esset oleo Consecratus dominico, Scelestae manus gladio Jugulatur in praelio.

Als wäre er nicht mit dem Öl, dem göttlichen, gesalbt, wird er vom Schwert in verbrecherischer Hand abgeschlachtet im Kampf.

Plus fratre mihi Jonatha, In una mecum anima, Quae peccata, quae scelera, Nostra sciderunt viscera!

Mehr als ein Bruder warst du mir, Jonatan, seelisch eins mit mir. Was für Sünden, was für Verbrechen haben unser Innerstes zerschnitten!

Expertes montes Gelboe Roris sitis et pluviae, Nec agrorum primitiae Vestrae succurrunt incolae.

Ihr Berge Gilboas, entbehren sollt ihr Tau und Regen! Und nicht werden Erstlinge der Äcker eurer Bewohnerschaft helfen.

Vae, vae tibi, madida Tellus caede regia! Quare te, mi Jonatha, Manus stravit impia?

Wehe, weh dir, Erde, gesättigt vom Königsmord! Weshalb hat dich, mein Jonatan, eine ruchlose Hand hingestreckt?

Ubi Christus Domini, Israelque inclyti, Morte miserabili Sunt cum suis perditi?

Wo ist der Gesalbte des Herrn, wo die Berühmten Israels? Sind sie durch elenden Tod samt den Ihren zugrunde gegangen?

Tu mihi nunc, Jonatha, Flendus super omnia, Inter cuncta gaudia Perpes erit lacryma.

Um dich nun, Jonatan, muss ich mehr weinen als um alles. Zwischen allen Freuden wird immer eine Träne sein.

Planctus, Sion filiae, Super Saul sumite, Largo cujus munere Vos ornabant purpurae.

Ein Klagelied, ihr Töchter Zions, stimmt über Saul an, dank dessen großzügigem Geschenk euch Purpurkleider schmückten.

Heu! cur consilio Acquievi pessimo, Ut tibi praesidio Non essem in praelio?

Wehe, warum bin ich schlechtem Rat gefolgt, dass ich nicht dir zum Schutz in der Schlacht war?

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Vel confossus pariter Morirer feliciter, Quum, quod amor faciat, Majus hoc non habeat.

Durchbohrt gleichermaßen (wie du), wäre ich glücklich gestorben. Denn was die Liebe täte – Größeres gäbe es nicht.

Et me post te vivere Mori sit assidue, Nec ad vitam anima Satis est dimidia.

Und nach dir noch zu leben, das ist wie ständiges Sterben; nicht zum Leben genug ist eine zerteilte Seele.

Vicem amicitiae Vel unam me reddere, Oportebat tempore Summae tunc angustiae;

Erwiderung der Freundschaft einzig das hätte ich geben müssen zum Zeitpunkt höchster Bedrängnis:

Triumphi participem Vel ruinae comitem, Ut te vel eriperem Vel tecum occumberem,

als Teilhaber am Triumph oder als Begleiter im Untergang, dass ich entweder dich herausgerissen hätte oder mit dir unterlegen wäre –

Vitam pro te finiens, Quam salvasti totiens, Ut et mors nos jungeret Magis quam disjungeret.

so für dich das Leben beendend, das du so oft gerettet hast, damit auch der Tod uns verbinde, statt dass er uns trenne.

Infausta victoria Potitus, interea, Quam vana, quam brevia Hic percepi gaudia!

Eines unglücklichen Siegs bin ich stattdessen teilhaftig geworden. Was für leere, was für kurze Freuden habe ich dabei gewonnen!

Quam cito durissimus Est secutus nuntius, Quem in sua anima Locuta est superbia!

Wie schnell ist der härteste Bote dem gefolgt, der in seinem Herzen (eben noch) übermütig redete!

Mortuos quos nuntiat Illata mors aggregat, Ut doloris nuntius Doloris sit socius.

Die Toten, von denen er kündet, bringt der hereingetragene Tod herbei, so dass der Schmerzensbote zum Schmerzensgefährten wird.

Do quietem fidibus: Vellem ut et planctibus Sic possem et fletibus! Caesis pulsu manibus, Raucis planctu vocibus Deficit et spiritus.

Das Saitenspiel beende ich – ich wollte, ich könnte es mit dem Klagen und dem Weinen genauso tun! Verletzt vom Saitenschlag die Hände, heiser vom Klagen die Stimme, geht nun auch der Atem aus.

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III. Biblische Porträts

In Rainer Maria Rilke (1875–1926) hat Abaelard einen späten Nachfolger gefunden. Doch wie anders klingt nun diese „Klage um Jonathan“8! In ihr gerät der geschichtliche Hintergrund – Krieg und Schlachtentod, Israel und die Philister – gänzlich in den Hintergrund. Auch Saul entschwindet. Alles liegt an der schmerzhaft zerbrochenen Beziehung zwischen David und seinem liebsten Freund. Vergleichsweise deutlich sind die (homo)erotischen Anspielungen. Doch Davids Dank an Jonatan geht tiefer: Er erkennt in ihm den, der seine verworrenen Sinne entflochten, was wohl bedeutet: ihm durch die eigene Selbstrücknahme die eigene Bestimmung bewusstgemacht hat. Klage um Jonathan Ach sind auch Könige nicht von Bestand und dürfen hingehn wie gemeine Dinge, obwohl ihr Druck wie der der Siegelringe sich widerbildet in das weiche Land. Wie aber konntest du, so angefangen mit deines Herzens Initial, aufhören plötzlich: Wärme meiner Wangen. O daß dich einer noch einmal erzeugte, wenn sein Samen in ihm glänzt. Irgend ein Fremder sollte dich zerstören, und der dir innig war, ist nichts dabei und muß sich halten und die Botschaft hören; wie wunde Tiere auf den Lagern löhren9, möcht ich mich legen mit Geschrei: denn da und da, an meinen scheusten Orten, bist du mir ausgerissen wie das Haar, das in den Achselhöhlen wächst und dorten, wo ich ein Spiel für Frauen war, bevor du meine dort verfitzten10 Sinne aufsträhntest wie man einen Knaul entflicht; da sah ich auf und wurde deiner inne: – Jetzt aber gehst du mir aus dem Gesicht.

8

9 10

Rainer Maria Rilke, (Der Neuen Gedichte Anderer Teil, 1908=) Gesammelte Werke, Köln 2013, 492. Laut Deutschem Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm: „wie ein Tier heulen“. Das Verb bezeichnet nach Duden das unauflösbare Ineinanderschlingen von Fäden.

David und die Dichter

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b) Fiktive Therapiegedichte Davids Haben in den vorstehenden Textbeispielen spätere Dichter überlieferte Gedichte Davids nach- und umgedichtet, so gibt es auch Nachdichtungen von lediglich erahnten Dichtungen Davids. In der Erzählung 1Sam 16,14–23 wird der junge David als Musiktherapeut des gemütskranken Königs Saul ins Bild gesetzt. Dem Textwortlaut nach musiziert er lediglich auf einer Leier, einem schlichten Instrument mit wenigen Saiten. Die Wirkungsgeschichte hat daraus gern eine vielsaitige Harfe gemacht, hat die wahrscheinlich eintönige Leiermusik in Cembalomusik übersetzt11 – oder, weil sonst ihre heilsame Wirkung schwer vorstellbar schien, David zur Leier singen bzw. eben Gedichte vortragen lassen. Einer der ersten, die dies taten, war Georg Friedrich Händel (1685–1759) im Oratorium „Saul“. Er legt dem Musiktherapeuten ein selbstverfasstes Psalmgebet in den Mund, in dem sich Zuspruch und Zurechtweisung die Waage halten: O Lord, whose mercies numberless O’er all the works prevail: Though daily Man thy laws transgress Thy patience cannot fail.

O Herr, deine Güte ist ohne Ende und setzt sich gegen alle Taten durch. Wenn einer auch täglich deine Gebote übertritt Wirst du‘s doch an Geduld nicht fehlen lassen.

If yet his sins be not too great, The busy fiend control; Yet longer for repentance wait, And heal his wounded soul.

Solange seine Sünden nicht all zu groß sind, bändige den rastlos bösen Geist! Warte noch weiter auf seine Umkehr und heile seine verwundete Seele!

Rainer Maria Rilke (1875–1926) ließ in einem 1907 geschaffenen Gedicht „David singt vor Saul“ den jungen Musiktherapeuten über seine überaus anspruchsvolle Aufgabe nachdenken und zu höchst überraschenden Ergebnissen gelangen: König, hörst du, wie mein Saitenspiel Fernen wirft, durch die wir uns bewegen: Sterne treiben uns verwirrt entgegen, und wir fallen endlich wie ein Regen, und es blüht, wo dieser Regen fiel. Mädchen blühen, die du noch erkannt, die jetzt Frauen sind und mich verführen; den Geruch der Jungfraun kannst du spüren, und die Knaben stehen, angespannt schlank und atmend, an verschwiegnen Türen. Daß mein Klang dir alles wiederbrächte. Aber trunken taumelt mein Getön: Deine Nächte, König, deine Nächte –, 11

So etwa Johann Kuhnau (1660–1722) in seiner „Musicalische[n] Vorstellung Einiger Biblischer Historien / In 6 Sonaten“. Vgl. dazu W. Dietrich, David. Der Herrscher mit der Harfe, 2 2016, 287–289.

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III. Biblische Porträts und wie waren, die dein Schaffen schwächte, o wie waren ihre Leiber schön. Dein Erinnern glaub ich zu begleiten, weil ich ahne. Doch auf welchen Saiten greif ich dir ihr dunkles Lustgestöhn? – König, der du alles dieses hattest und der du mit lauter Leben mich überwältigest und überschattest: komm aus deinem Throne und zerbrich meine Harfe, die du so ermattest. Sie ist wie ein abgenommner Baum: durch die Zweige, die dir Frucht getragen, schaut jetzt eine Tiefe wie von Tagen welche kommen –, und ich kenn sie kaum. Laß mich nicht mehr bei der Harfe schlafen; sieh dir diese Knabenhand da an: glaubst du, König, daß sie die Oktaven eines Leibes noch nicht greifen kann? König, birgst du dich in Finsternissen, und ich hab dich doch in der Gewalt. Sieh, mein festes Lied ist nicht gerissen, und der Raum wird um uns beide kalt. Mein verwaistes Herz und dein verworrnes hängen in den Wolken deines Zornes, wütend ineinander eingebissen und zu einem einzigen verkrallt. Fühlst du jetzt, wie wir uns umgestalten? König, König, das Gewicht wird Geist. Wenn wir uns nur aneinander halten, du am Jungen, König, ich am Alten, sind wir fast wie ein Gestirn das kreist.

Zunächst sucht David Saul zu trösten: nicht mit frommen Worten, sondern mit der Erinnerung an seine schönen Liebeserfahrungen. Doch dann sinkt dem jungen Sänger der Mut, er kann den großen Alten doch nicht wirklich fassen. Am Ende freilich findet er zu der Einsicht, dass er den andern in seiner rätselhaft-abweisenden Nähe für seine Dichtung und für sein Leben braucht – so wie dieser ihn, den Jungen.

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2. Neudichtungen auf David Die Dichtungen über David ergeben insgesamt ein Kaleidoskop, welches das biblische Bild dieses Königs in seinen zahlreichen Facetten widerspiegelt und noch um mancherlei Nuancen bereichert. Schwerpunkte dieser poetischen David-Rezeption liegen in der Antike und in der Neuzeit.

a) Antike Gedichte über David Die „Letzten Worte“, die David in 2Sam 23,2–7 in den Mund gelegt werden, können als Dichtung über ihn, den Dichterkönig, verstanden werden. Hier tritt sogleich das wesentlichste Merkmal hebräischer Dichtung, der Parallelismus membrorum, hervor. Der Geist Jhwhs redet in mir, und sein Wort ist auf meiner Zunge; gesprochen hat der Gott Jakobs, zu mir geredet der Fels Israels: Wer als Gerechter die Menschen regiert, wer regiert in Ehrfurcht vor Gott, der steigt auf wie das Licht am Morgen, die Sonne am Morgen, ohne Gewölk, die leuchten lässt nach dem Regen das Grün aus der Erde. Steht nicht so mein Haus zu Gott? Einen ewigen Bund hat er mir gesetzt, wohlgeordnet in allem und wohlbehütet. All mein Wohl und alles, was mir gefällt, lässt nicht er es sprossen? Der Nichtsnutzige aber ist wie weggefegte Dornen, nicht fasst man’s an mit der Hand, und keiner berührt sie – außer mit Eisen oder dem Speerschaft, und mit Feuer verbrennt man sie auf der Stelle.

Ein faszinierendes Bild des großen Königs entsteht in diesen Zeilen: Zu ihm hat Gott gesprochen, er hat durch gerechtes Regiment das Land zum Leuchten gebracht. Jeder, der nach ihm kommt, tue es ihm gleich. Wenn David im hohen Alter dieses Lied gesungen hätte – er hätte es gewiss zur Harfe gesungen. So haben ihn sich manche Maler vorgestellt: Sehr, sehr alt, fast schon nicht mehr auf der Erde, mit den zarten Tönen und Wörtern, die er hervorbringt, gleichsam aufsteigend in eine andere Welt12. 12

Vor Augen stehen mir hier namentlich Gemälde von Peter Paul Rubens (1577–1640) und dem Schweizer Maler Max Hunziker (1901–1976).

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Ein weiteres, frühes Gedicht auf David ist der 151. Psalm, den die meisten Handschriften der Septuaginta über die 150 Psalmen des hebräischen Kanons hinaus haben und in dem David in der Ich-Form aus seiner Jugend erzählt. In der Qumran-Fassung dieses Psalms wird noch stärker als in derjenigen der Septuaginta der Bezug auf den griechischen Orpheus-Mythus sichtbar – David ein jüdischer Orpheus gewissermaßen: Kleiner war ich als meine Brüder und geringer als die Söhne meines Vaters. Und er setzte mich ein als Hirten für sein Kleinvieh und als Herrscher über seine Zicklein. Meine Hände hatten einen/den Ugab gemacht und meine Finger eine/die Tragleier, damit ich Jhwh die Ehre gebe. Und ich hatte gesagt, ich, in meiner Seele: „Die Berge, nicht legen sie Zeugnis ab für ihn; und die Hügel, nicht verkünden sie. Es haben sich aufgerichtet die Bäume bei meinen Worten und das Kleinvieh bei meinen Werken...“

Eine David-Poesie stellt auch der ihm gewidmete Abschnitt im „Lob der Väter“ des Jesus Sirach dar (Sir 47,2–13)13. In ihm werden bestimmte Züge des biblischen Davidbildes – die des Kriegers, die des Sängers und Dichters und die des Gottbegnadeten – markant herausgehoben. Denn wie Fett herausgenommen wurde für das Opfer, so David aus den Söhnen Israels. Die Löwen verlachte er wie Böcklein und die Bären, als wären sie junge Lämmer. In seiner Jugend erschlug er den Riesen und nahm vom Volke die Schmach, indem er seine Hand schwang mit der Schleuder und das Geprahle des Goliat zerschlug. Er rief nämlich zum Herrn, dem Allerhöchten, und dieser gab ihm Kraft in seine Rechte, auf dass er niederstrecke den kriegserprobten Mann und so das Horn seines Volkes erhöhe. Darum gab man ihm den Ruhm über Zehntausend und lobte ihn im Lobpreis des Herrn, indem man ihm eine Krone der Ehre brachte. Denn er zerstörte ringsum die Feinde. Er vernichtete die feindlichen Philister und zerbrach ihr Horn bis auf den heutigen Tag. Bei jeder seiner Taten stimmte er Lobgesänge an auf den Heiligen, den Allerhöchsten, mit verherrlichenden Worten. Aus ganzem Herzen sang er und erwies so Liebe seinem Schöpfer. Begleitinstrumente zum Gesang stellte er am Altar bereit, 13

Die folgende Übersetzung nach der Jerusalemer Bibel.

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deren Begleitung die Lieder noch lieblicher machte. Glanz verlieh er den Festen und vollkommene Pracht den Festfeiern. Bei ihrem Lobsingen auf seinen heiligen Namen hallte schon vor der Morgenfrühe das Heiligtum wider. Auch verzieh ihm der Herr seine Sünden und erhöhte sein Horn für immer. Er übergab ihm einen Königsbund und richtete seinen Thron auf über Jerusalem.

b) Moderne Gedichte über David In dem eingangs genannten Sammelwerk „Die Bibel in den Worten der Dichter“ ist eine Reihe von Gedichten abgedruckt, die man dort einsehen kann und die deshalb hier beiseite bleiben können14 – ungeachtet ihrer zumindest teilweise hohen poetischen Qualität. Die Namen und die Titel lauten: Nelly Sachs (1891–1970) Siegfried August Mahlmann (1771–1826) Gottfried Keller (1819–1890) Matthias Claudius (1740–1815) Else Lasker-Schüler (1869–1945) Else Lasker-Schüler Friedrich Rückert (1788–1866) Johann Christoph Friedrich Haug (1761–1829) Kurt Oskar Buchner (1912–1994) Rainer Maria Rilke (1875–1926)

„David“ „Saul und David“ „David“ „Die Geschichte von Goliath und David“ „David und Jonathan“ „Abigail“ „Davids Stellvertreter“15 „König David“ „David in der Nacht nach Absaloms Tod“ „Abisag“

Über diese Sammlung hinaus ist hier nur noch einer kleinen Anzahl neuzeitlicher Autoren das Wort zu geben – wohl nicht zufällig sind es allesamt jüdische. Der jüdisch-deutsche Dichter Frank Wedekind (1864–1918) veröffentlichte 1998 in der damals noch jugendfrischen Zeitschrift „Simplicissimus“16 das Gedicht „Im heiligen Land“ über eine Palästinareise Kaiser Wilhelms II. Das Gedicht erschien unter dem Pseudonym „Hieronymus“, doch die Tarnung wurde aufgedeckt, und der Verfasser entzog sich der drohenden Anklage und Verurteilung wegen Majestätsbeleidigung zunächst durch Flucht nach Paris. Als er 1899 nach Deutschland zurückkehrte, wurde er gleichwohl noch verurteilt und verbüßte vier Monate der über ihn verhängten sechsmonatigen Kerkerhaft in der Festung Königstein. In seinem Spottgedicht nahm er das von Wilhelm II. bzw. seinen Ideologen gezielt wiedererweckte Motiv des „Novus David“ aufs Korn. 14 15 16

Rilkes „Klage um Jonathan“ wurde allerdings oben schon wiedergegeben. Es ist – die Nachtigall! Jahrgang 3, Nummer 31.

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III. Biblische Porträts Der König David steigt aus seinem Grabe, Greift in die Saiten, schlägt die Augen ein; Und preist den Herrn, dass er die Ehre habe, Dem Herrn der Herrscher einen Psalm zu weih’n. Wie einst zu Abisags von Sunem Tagen Hört man ihn wiederum die Harfe schlagen, Indes ein Heeres-, Preis- und Siegeslied Wie Sturmesbrausen nach dem Meere zieht. Willkommen, Fürst, in meines Landes Grenzen, Willkommen mit dem holden Ehgemahl, Mit Geistlichkeit, Lakaien, Excellenzen, Und Polizeibeamten ohne Zahl. Es freuen rings sich die histor’schen Orte Seit vielen Wochen schon auf deine Worte, Und es vergrössert ihre Sehnsuchtspein Der heisse Wunsch, photographiert zu sein. Ist denn nicht deine Herrschaft auch so weise, Dass du dein Land getrost verlassen kannst? Nicht jeder Herrscher wagt sich auf die Reise Ins alte Kanaan. Du aber fandst, Du seist zu Hause momentan entbehrlich, Und darin täuscht sich deine Weisheit schwerlich; Und wer sein Land so lang und klug wie du regiert, Weiss immer schon im voraus, was passiert. Es wird die rote Internationale, Die einst so frech und ungebärdig war, Versöhnen sich beim frohen Liebesmahle Mit der Agrarier sanftgemuten Scharen; Frankreich heisst seinen Dreyfus stolz willkommen, Als wär’ auch er zum Heil’gen Land geschwommen. Und gern verschiebt - mit Rücksicht auf den Staat Der Anarchist sein nächstes Attentat. So sei uns denn noch einmal hochwillkommen, Und lass dir unsre tiefste Ehrfurcht weih’n, Der du die Schmach vom heilgen Land genommen, Von dir bisher noch nicht besucht zu sein. Mit Stolz erfüllest du Millionen Christen; Wie wird von nun an Golgatha sich brüsten, Das einst vernahm das letzte Wort vom Kreuz Und heute nun das erste deinerseits. Der Menschheit Durst nach Taten lässt sich stillen, Doch nach Bewundrung ist ihr Durst enorm. Der du ihr beide Durste zu erfüllen Vermagst, seis in der Tropen-Uniform, Sei es in Seemannstracht, im Purpurkleide,

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im Rokoko-Kostüm aus starrer Seide, Sei es im Jagdrock oder Sportgewand, Willkommen, teurer Fürst, im heilgen Land!

Gar nicht spöttisch, sondern sehr ernsthaft sucht, nach dem Schrecken zweier Weltkriege und der Schoa, der deutsch-israelische Dichter Yehuda Amichai (oder: Amihay, 1924–2000) sein Verhältnis zum biblischen König zu bestimmen. Er gewinnt es nicht aus den zahlreichen Texten von Davids Tapferkeit und Frömmigkeit, sondern aus der Szene vom knapp überlebten Spießwurf Sauls (1Sam 18,10f, vgl. 19,9f):17 Lately I’ve been thinking a lot about King David. Not the one who is alive forever in the song, and not the one who is dead forever under the heavy carpets on his tomb that is not really his tomb, but the one who played and played for Saul and kept dodging the spear until he became king

Nicht David, der große König, der an seinem vermeintlichen Grab bis heute verehrt wird, beeindruckt den Dichter, auch nicht David, der zweite Mose, der mit seiner Unsterblichkeit für die bleibende Gültigkeit der Tora steht,18 sondern David, der Musizierende und der Gewalt Ausweichende19. Schließlich noch der neulich verstorbene jüdisch-kanadische Songwriter Leonard Cohen (1934–2017). Sein Lied „Hallelujah“ ist wohl sein berühmtestes, das nicht nur ungezählte Male von ihm selbst20, sondern von über zwanzig weiteren Musikern – als erstem von Bob Dylan – aufgenommen und interpretiert wurde. Nach eigenem Bekunden hat er an ihm fünf Jahre gearbeitet, es entstand ein ganzer Stapel Textversionen. Hier die gewissermaßen definitive: I’ve heard there was a secret chord That David played, and it pleased the Lord 17

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Im Folgenden eine Übersetzung von Ron Hendel aus dem Jahr 2001. Der ursprünglich neuhebräisch geschriebene Text wurde veröffentlicht in einem Gedichtband mit dem Titel Patuah – sagur – patuah (Offen – geschlossen – offen), Tel Aviv 1998, dort S. 51. Zur rabbinischen Formel „Der König David lebt und besteht“ vgl. C. Thoma, David im antiken Judentum, in: W. Dietrich/H. Herkommer (Hg.), David – biblische Schlüsselfigur und euro-päische Leitgestalt, Fribourg/Stuttgart 2003, 213–228, hier 218f. Ein weiteres Gedicht von Yehuda Amichai – über Abischag von Schunem – ist (in deutscher Übersetzung) abgedruckt in W. Dietrich, David. Der Herrscher mit der Harfe, Leipzig 22016, 276. Erstmals 1984 in dem Album „Various Positions“.

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III. Biblische Porträts But you don’t really care for music, do you? It goes like this The fourth, the fifth The minor fall, the major lift The baffled king composing Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Your faith was strong but you needed proof You saw her bathing on the roof Her beauty in the moonlight overthrew you She tied you to a kitchen chair She broke your throne, and she cut your hair And from your lips she drew the Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Baby I have been here before I know this room, I’ve walked this floor I used to live alone before I knew you. I’ve seen your flag on the marble arch Love is not a victory march It’s a cold and it’s a broken Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Hallelujah, Hallelujah There was a time when you let me know What’s really going on below But now you never show it to me, do you? And remember when I moved in you The holy dove was moving too And every breath we drew was Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Maybe there’s a God above But all I’ve ever learned from love Was how to shoot at someone who outdrew you It’s not a cry you can hear at night It’s not somebody who has seen the light It’s a cold and it’s a broken Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Hallelujah, Hallelujah You say I took the name in vain I don’t even know the name But if I did, well, really, what’s it to you? There’s a blaze of light in every word It doesn’t matter which you heard The holy or the broken Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Hallelujah, Hallelujah I did my best, it wasn’t much I couldn’t feel, so I tried to touch I’ve told the truth, I didn’t come to fool you

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And even though it all went wrong I’ll stand before the Lord of Song With nothing on my tongue but Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Hallelujah, Hallelujah Hallelujah

Hier der Versuch einer Übersetzung, angelehnt an im Internet auffindbare Versionen: Ich habe gehört, es gab einen geheimen Akkord, den David spielte und der Gott gefiel. Aber du scherst dich nicht um Musik, oder? Es geht so: Quarte, Quinte, hinab nach Moll, hinauf nach Dur. Der verblüffte König komponierte Halleluja Halleluja, halleluja Halleluja, halleluja Dein Glaube war stark, doch du brauchtest einen Beweis Du sahst sie baden, auf dem Dach Ihre Schönheit und das Mondlicht überwältigten dich Sie band dich an einen Küchenstuhl Sie brach deine Macht und sie schnitt dir die Haare Und sie entlockte deinen Lippen das Halleluja Halleluja, halleluja Halleluja, halleluja Liebes, ich war schon mal hier zuvor Ich kenne diesen Raum, und habe diesen Flur schon mal durchquert Ich lebte alleine, bevor ich dich kennenlernte Ich sah deine Flagge am Triumphbogen Liebe ist keine Triumphzug Es ist ein kaltes und gebrochenes Halleluja Halleluja, halleluja Halleluja, halleluja Es gab eine Zeit, da du mich wissen ließest, was wirklich tief drinnen vor sich ging. Aber nun zeigst du mir es nie mehr, oder? Und vergiss nicht, als ich mich in dir bewegte, bewegte sich auch die Heilige Taube, und jeder Atemzug, den wir taten, war ein Halleluja Halleluja, halleluja Halleluja, halleluja Vielleicht gibt es ja einen Gott dort oben. Aber alles, was ich je von der Liebe gelernt habe,

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III. Biblische Porträts war, auf jemanden zu schiessen, der auf dich zielt. Es ist kein Schrei, den man nachts hören kann. Es ist nicht jemand, der eine Erleuchtung hatte. Es ist ein kaltes und gebrochenes Hallelujh Halleluja, halleluja Halleluja, halleluja Du sagst, ich würde den Namen Gottes missbrauchen, dabei kenne ich den Namen nicht einmal. Aber wenn es denn so ist, welche Bedeutung hätte das für dich? In jedem Wort strahlt ein gewisser Lichterglanz, es macht keinen Unterschied welches du gehört hast: Das heilige oder das zerbrochene Halleluja. Halleluja, Halleluja Halleluja, Halleluja Ich habe mein Bestes gegeben. Ich weiß, es war nicht viel. Ich war unfähig zu fühlen, und darum habe ich Kontakt gesucht. Ich sage die Wahrheit, ich bin nicht gekommen um dir etwas vorzumachen. Und auch wenn alles schief gelaufen ist, stehe ich vor dem Gott der Musik mit nichts auf meiner Zunge als Halleluja. Halleluja, Halleluja Halleluja, Halleluja… Halleluja

Die Anspielungen auf den biblischen David sind zahlreich. Das Leitmotiv „Halleluja“ verdankt sich den „David“-Psalmen, namentlich dem „großen Hallel“ in Ps 146–150. David kannte einen „geheimen Akkord“, „der Gott gefiel“ – eine wunderbare Metapher für den König der Musik. Doch dann sah er „sie baden“ und wurde von ihrer Schönheit überwältigt; gemeint ist natürlich Batscheba (2Sam 11) – die gleich darauf mit Dalila verschwimmt, der unglücklichen Liebe Simsons. Trotz seines Versagens versucht er, weiterhin Gott zu dienen – mit seinem „Halleluja“. Die biblische Szenerie entschwindet zusehends, die Beziehung des Dichters (oder des Mannes) zu einer (zu der Frau?) tritt in den Vordergrund. Ein inniges und doch gebrochenes Verhältnis bildet sich ab, und entsprechend gibt es ein „heiliges“ und ein „zerbrochenes“ Halleluja. So steigt das Lied, das einsetzte beim König David, auf zu allgemein gültigen Aussagen über Liebe und Leid, über Gottesglück und Gottesferne.

3. Rückblick Ohne dass der im Vorangehende gebotene Überblick Anspruch auf Vollständigkeit erheben könnte, zeigt er doch, welch große Faszination der biblische Dichterkönig auf Dichter aller Zeiten ausgeübt hat. Es ist, als entzünde sich die Poesie immer aufs Neue an der vermeintlichen oder wirklichen des gekrönten Poeten. Besonders antike und mittelalterliche Dichter porträtieren ihn gern als

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Meister der Wort- und der Tonkunst.Von ihm geht das aus, was Staatshäupter immer ausstrahlen sollten: eine Aura des Musischen, eine Liebe zur Kunst, in Sonderheit zur Dichtung, die Befeuerung und Förderung der Künstler, hier insbesondere der Dichter. David wird so zum Vorläufer und Anreger kaiserlicher Domerbauer und Kunstmäzene, der Esterhazys, Friedrichs, Katharinas und wie sie alle heißen. Doch David, der Dichter, ist nicht nur ein zeitloses Modell, die Dichtungen über ihn zeigen durchaus auch historische Konturen: konkrete Kämpfe werden sichtbar (gegen Goliat und die Philister), vor allem seine vielfältigen menschlichen Beziehungen (zu seinem Vorgänger und Rivalen Saul samt dessen Cousin und General, Abner, zu seinem Freund Jonatan, zu seinen verschiedenen Frauen – Michal, Abigajil, Batscheba, Abischag –, zu seinem Sohn Abschalom). Doch an den historischen Details entfaltet sich jeweils das bleibend Gültige, das es wert ist, in verdichtete Wortbilder gefasst zu werden. David ist auch als Person der Vergangenheit ein Gegenüber der Gegenwart. Die Dichter gehen mit dem Dichterkönig auf sehr verschiedene Weisen um. Sie wählen eine streng gebundene oder eine freie Sprache, sie äußern sich nachdenklich oder ekstatisch, sie reden von ihm respektvoll oder respektlos, sie rühmen ihn und sie hinterfragen ihn, sie sehen seine Glanz- und seine Schattenseiten. Sie fühlen sich in ihn ein: in seine Begegnungen und Handlungen, in die möglicherweise hinter ihnen stehenden Motive, in die möglichen Folgen – worüber sich in der Bibel wenig oder nichts findet. So reichern sie das biblische Bild Davids an mit späterer, eigener Erfahrung. Sie erkennen in der Gestalt Davids das Grundsätzliche und Bleibende, was so große Regungen wie Lust, Liebe und Leid, Gottverbundenheit, Mitmenschlichkeit und Endlichkeit betrifft. Wie in den Psalmen, die man David zugeschrieben hat, so tritt auch in den Nachdichtungen seiner Lieder und in den Dichtungen über ihn ein königlicher und zugleich begrenzter Mensch den Lesenden und Hörenden lebensvoll vor Augen, stellt sich zu ihnen, leidet mit ihnen, siegt für sie, nimmt sie mit auf den Weg zu einem nicht immer einfachen, endlich aber doch gelingenden Leben. Aufs Ganze gesehen kann man nur staunen, welche Wirkung und welche Kraft die Figur Davids in den Worten der Dichter über die Zeiten hinweg zu entfalten vermochte.

Bibliographie Walter Dietrich 2009–2019 Monographien und Aufsatzbände Begegnungen – Belastungen – Bewegungen. Berner Münsterpredigten, Basel 2009 Ambivalenzen erkennen, aushalten und gestalten. Eine neue interdisziplinäre Perspektive für theologisches und kirchliches Arbeiten [zus. mit Kurt Lüscher und Christoph Müller], Zürich 2009 Samuel. 1Samuel 1–12, Neukirchen-Vluyn 2011 (Biblischer Kommentar Altes Testament 8.1) Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk. Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments II, Stuttgart 2012 (BWANT 201) Gottes Einmischung. Studien zur Theologie und Ethik des Alten Testaments II, NeukirchenVluyn 2013 Die Entstehung des Alten Testaments [zus. mit Hans-Peter Mathys, Thomas Römer und Rudolf Smend], Stuttgart 2014 Nahum – Habakuk – Zefanja, Stuttgart 2014 (Internationaler Exegetischer Kommentar zum Alten Testament, IEKAT) Englische Übersetzung durch Peter Altmann (IECOT), Stuttgart 2016 Samuel. 1Samuel 13–26, Neukirchen-Vluyn 2015 (Biblischer Kommentar Altes Testament 8.2) Historiographie und Erzählkunst in den Samuelbüchern. Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments III, Stuttgart 2019 (BWANT 221) Samuel. 1Samuel 27 – 2Sam 8, Göttingen 2019 (Biblischer Kommentar Altes Testament 8.3)

Aufsätze und Beiträge zu Sammelwerken „Le Roi David“. Ein modernes Oratorium und seine biblische Textvorlage. In: C. Karrer-Grube u.a. (Hg.), Sprachen – Bilder – Klänge. Dimensionen der Theologie im Alten Testament und in seinem Umfeld, FS Rüdiger Bartelmus, Münster 2009 (AOAT 359), 11–22 Israel und die Völker in der Hebräischen Bibel. In: R. Schwinges / M. Konradt (Hg.), Juden in ihrer Umwelt. Akkulturation des Judentums in Antike und Mittelalter, Basel 2009, 7–27 Israel in der Perspektive des deuteronomisch-deuteronomistischen Literaturkreises. In: H. Irsigler (Hg.), Die Identität Israels. Entwicklungen und Kontroversen in alttestamentlicher Zeit, Freiburg i.Br. 2009 (HBS 56), 87–99 Israel, seine Ahnen und die Völker. Ambivalenz als Grundkategorie der biblischen Erzelternerzählungen und der Erfahrungen Israels mit seinen Nachbarn. In: W. Dietrich / K. Lüscher / C. Müller, Ambivalenzen erkennen, aushalten und gestalten. Eine neue interdisziplinäre Perspektive für theologisches und kirchliches Arbeiten, Zürich 2009, 73–128 Der heilige Ort im Leben und Glauben Altisraels. In: The Land of Israel in Bible, History, and Theology. Studies in Honour of Ed Noort, Leiden 2009 (VT.S 124), 219–235 Essen und Trinken – ein zentrales Nebenthema in den Samuelbüchern. In: M. Geiger / C. Maier / U. Schmidt (Hg.), Essen und Trinken in der Bibel, FS Rainer Kessler, Gütersloh 2009, 269–285

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IV. Anhang

Religion und Staat im Alten Testament. In: Konfluenzen. Jahrbuch des Departements für Protestantische Theologie der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt / Sibiu, Nr. 9 / 2009, 66–76 Rumänische Übersetzung: „Religie şi stat în Vechiul Testament“: Revista Teologica 91 (2009) 178–184 Doch ein Text hinter den Texten? Vorläufige textkritische Einsichten eines Samuelkommentators. In: P. Hugo / A. Schenker (eds.), Archaeology of the Books of Samuel. The Entangling of the Textual and Literary History, Leiden 2010 (VT.S 132), 133–159 Tendenzen neuster Forschung an den Samuelbüchern. In: C. Schäfer-Lichtenberger (Hg.), Die Samuelbücher und die Deuteronomisten, Stuttgart 2010 (BWANT 188), 9–17 Die Überführung der Lade nach Jerusalem (2Sam 6) – Geschichten und Geschichte. In: A.G. Auld / E. Eynikel (eds.), For and Against David. Story and History in the Books of Samuel, Leuven 2010 (BEThL 232), 235–253 Das Alte Testament in der christlichen Bibel – Relikt fremder Religiosität oder Basis (inter)religiöser Offenheit? In: W. Dietrich / W. Lienemann (Hg.), Religionen – Wahrheitsansprüche – Konflikte. Theologische Perspektiven, Zürich 2010 (Beiträge zu einer Theologie der Religionen 10), 71–91 1. und 2. Könige. In: Erklärt. Der Kommentar zur Zürcher Bibel, Bd. 1, Zürich 2010, 738–876. Prophet und Gesalbter. König David im Neuen Testament. In: BiKi 66 (2011) 25–29 Die Fünfte Kolonne Davids beim Abschalom-Aufstand. In: W. Dietrich (Hg.), Seitenblicke. Literarische und historische Studien zu Nebenfiguren im zweiten Samuelbuch, Fribourg/Göttingen 2011 (OBO 249), 91–120 Der Königsmord als Motiv in den Samuel- und Königsbüchern. In: Sacra Scripta 9 (Cluj 2011) 27–43 David and the Philistines. Literature and History. In: G. Galil / A. Gilboa / A.M. Maeir / D. Kahn (eds.), The Ancient Near East in the 12th–10th Centuries BCE. Culture and History, Münster 2012 (AOAT 392), 79–98 Deutsche Grundversion: David und die Philister, in: W. Dietrich, Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk. Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments II, Stuttgart u.a. 2012 (BWANT 201), 148–170 Three Minor Prophets and the Major Empires. Synchronic and Diachronic Perspectives on Nahum, Habakkuk, and Zephaniah. In: R. Albertz / J.D. Nogalski / J. Wöhrle (eds.), Perspectives on the Formation of the Book of the Twelve, Berlin u.a. 2012 (BZAW 433), 147–156 Von den ersten Königen Israels. Ein Jahrzehnt Forschung an den Samuelbüchern, Teil I. In: ThR 77 (2012) 135–170 Von den ersten Königen Israels. Ein Jahrzehnt Forschung an den Samuelbüchern, Teil II. In: ThR 77 (2012) 263–316 Von den ersten Königen Israels. Ein Jahrzehnt Forschung an den Samuelbüchern, Teil III. In: ThR 77 (2012) 401–425 König Saul – eine ambivalente Figur. In: W. Dietrich, Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk. Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments II, Stuttgart u.a. 2012 (BWANT 201), 131–139 Macht und Musik. Der historische und der biblische David. In: Grundschule Religion 35 (2012) 28–30 The Layer-Model of the Deuteronomistic History and the Books of Samuel. In: C. Edenburg / J. Pakkala (eds.), Is Samuel among the Deuteronomists? Current Views on the Place of Samuel in a Deuteronomistic History, Atlanta, GA 2013, 39–65 „Der schweigende Gott.“ Gedanken zu einem beachtenswerten Buch und einem bedeutsamen Thema. In: B. Becking (ed.), Reflections on the Silence of God, Leiden 2013 (OTS 62), 89–104 Uneindeutigkeit als Kennzeichen hebräischer Erzählkunst – am Beispiel der Samuelbücher. In: Momentum 2 (2013), 16–17

Bibliographie Walter Dietrich 2009–2019

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Ars necandi und ars moriendi in den Samuelbüchern. In: Review of Ecumenical Studies 6 (Sibiu 2014) 288–305 The Books of Samuel. Stories – History – Reception History. Bericht über das Colloquium Biblicum Lovaniense 2014. In: EThL 90 (2014), 731–742 Historiography in the Old Testament. In: M. Saebø (ed.), Hebrew Bible/Old Testament III/2, Göttingen 2015, 467–499 Einübung in den aufrechten Gang. Beispiele für Zivilcourage in den Samuelbüchern. In: M.C.A. Korpel / L. Grabbe (eds.), Open-Mindedness in the Bible and Beyond, FS Bob Becking, New York/London 2015 (LHBOTS 616), 57–67. David – König der Liebe. In: JBTh 29 (2015), 3–21 Hebräische Hapaxlegomena in den Samuelbüchern. In: E. Bons / J. Joosten / R. HunzikerRodewald (eds.), Biblical Lexicology – Hebrew and Greek. Semantics, Exegesis, Translation, Berlin u.a. 2015 (BZAW 443), 101–129 Saul unter den Propheten. In: V.K. Nagy / L.S. Egeresi (Hg.), Propheten der Epochen. Prophets during the Epochs, FS Istvan Karasszon, Münster 2015 (AOAT 426), 13–28 ‚Aufbruch‘ als heimliches Prinzip in den Samuelbüchern. In: Konfluenzen 14/15 (Hermannstadt/Sibiu 2014/15) 27–38 Soziale Not als Anfechtung des Glaubens im Alten Testament. In: H. Klein u.a. (Hg.), Dreptate si comportament. Cercetari biblice, Sibiu 2015, 37–60 = Sacra Scripta 14 (Cluj 2016) 115–133 Stefan Heyms Ethan ben Hoshaja und der Erstverfasser der Samuelbücher. In: W. Dietrich / C. Edenburg / P. Hugo (eds.), The Books of Samuel. Stories – History – Reception History, Leuven 2016 (BEThL 284), 3–38 Hebräisch-Griechisch-Deutsch. Übersetzungsprobleme in den Samuelbüchern. In: H. Jenni / M. Saur (Hg.), Nächstenliebe und Gottesfurcht, FS Hans-Peter Mathys, Münster 2016 (AOAT 439), 71–90 David zwischen Poesie und Prosa in den Samuelbüchern. Erstveröffentlichung im vorliegenden Band Biblische Geschichtsschreibung und literarisches Kunstwerk. Die Samuelbücher. In: H.-J. Simm (Hg.), Aspekte der Bibel. Themen, Figuren, Motive, Freiburg/Basel/Wien 2017, 157–165 König David – Fakten und Fiktionen. Erstveröffentlichung im vorliegenden Band David und die Dichter. In: Aufsätze zur Biblischen Hermeneutik. FS Ulrich Luz, Sacra Scripta 15 (Cluj 2017), 167–192 Staatsbildung und frühes Königtum in Israel. Geschichte und biblische Geschichtsschreibung. In: S. Grätz / A. Graupner / J. Lanckau (Hg.), Ein Freund des Wortes, FS Udo Rüterswörden, Göttingen 2019, 55–68 Der Beitrag Timo Veijolas zur Erforschung der Samuelbücher. Erstveröffentlichung im vorliegenden Band Gerechtigkeit und Frieden. Eine biblische Grundlegung. In: Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens: Ein friedenstheologisches Lesebuch. Herausgegeben im Auftrag des Präsidiums der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Leipzig 2019, 37–52. Im Publikationsprozess: Israelite Early Monarchy and State Formation. In: B.E. Kelle / B.A. Strawn (eds.), The Oxford Handbook on the Historical Books of the Hebrew Bible Zephaniah in the Book of the Twelve. In: L.-S. Tiemeyer / J. Wöhrle (eds.), The Book of the Twelve: Composition, Reception, and Interpretation, Leiden 2019 (Formation and Interpretation of Old Testament Literature, FIOTL)

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IV. Anhang

Interreligiosität in den Samuelbüchern? In: A. Patru (Hg.), Gott im Anderen begegnen. Beiträge zur konfessionellen und religiösen Pluralität, FS Dorin Oancea, Münster 2019 (orientalia – patristica – oecumenica) Gewaltfreie versus gewalttätige Konfliktbewältigung im Alten Testament. In: I.-J. Werkner / N.N. (Hg.), Friedensethische Prüfsteine ziviler Konfliktbearbeitung, Wiesbaden 2019. Schalom – unverlierbares alttestamentliches Friedenserbe. In: Quatember 83/3 (2019) Gottesbilder und Gottesworte. Zum Phänomen theologischer Fortschreibung in den Samuelbüchern. In: R. Müller / U. Nõmmik / J. Pakkala (Hg.), Fortgeschriebenes Gotteswort. Studien zu Geschichte, Theologie und Auslegung des Alten Testaments, Tübingen 2020 (FAT) Der Mann, mit dem Gott war. Kompositions- und quellenkritische Überlegungen zur Darstellung des Aufstiegs Davids in den Samuelbüchern. In: H. Bezzel / R.G. Kratz (Hg.), David in the Desert. Tradition and Redaction in the „History of David’s Rise“, Berlin/Boston 2020 (BZAW 514)

Lexikonartikel Achan Gewalt Jagd Obed-Edom Ordal Verfolgung Widerstand

WiBiLex 2009 (http/www.WiBiLex.de) SGWB, 2009, 210-215 [zus. mit Moisés Mayordomo] SGWB, 2009, 274-275 WiBiLex 2013 (http/www.WiBiLex.de) WiBiLex 2015 (http/www.WiBiLex.de) SGWB, 2009, 604-608 [zus. mit Moisés Mayordomo] SGWB, 2009, 649-652 [zus. mit Moisés Mayordomo]

Herausgeberschaft von Einzelbänden Religionen – Wahrheitsansprüche – Konflikte. Theologische Perspektiven [zus. mit Wolfgang Lienemann], Zürich 2010 (Beiträge zu einer Theologie der Religionen 10) Seitenblicke. Literarische und historische Studien zu Nebenfiguren im zweiten Samuelbuch, Fribourg/Göttingen 2011 (OBO 249) Konzise und aktualisierte Ausgabe des Hebräischen und Aramäischen Lexikons zum Alten Testament (KAHAL) [zus. mit Samuel Arnet], Leiden 2013 The Books of Samuel: Stories – History – Reception History [zus. mit Cynthia Edenburg und Philippe Hugo], Leuven 2016 (BEThL 284) Die Welt der Hebräischen Bibel. Umfeld – Inhalte – Grundthemen, Stuttgart 2017

Bibliographie Walter Dietrich 2009–2019

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Herausgeberschaft von Reihen „Biblische Enzyklopädie“ „Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament“ „Internationaler Exegetischer Kommentar zum Alten Testament / International Exegetical Commentary on the Old Testament“

Rezensionen Witte, M., u.a. (Hg.), Die deuteronomistischen Geschichtswerke. Redaktions- und religionsgeschichtliche Perspektiven zur „Deuteronomismus“-Diskussion in Tora und Vorderen Propheten, 2006 (BZAW 365). In: BiOr 66 (2009), 205–210 Williamson, H.G.M. (ed.), Understanding the History of Ancient Israel, Oxford 2007. In: RBL 2009, siehe http://www.bookreviews.org/BookDetail.asp? TitleId=6732 Van Seters, J., The Biblical Saga of King David, Winona Lake, IN 2009. In: RBL 2010, siehe http://www.bookreviews.org/BookDetail.asp? TitleId=7252 Smith, R.G., The Fate of Justice and Righteousness During David’s Reign: Narrative Ethics and Rereading the Court History According to 2 Samuel 8:15-20:26, New York / London 2009. In: RBL 2011, siehe http://www.bookreviews.org/BookDetail.asp? TitleId=7482 Hutton, J., The Transjordanian Palimpsest. The Overwritten Texts of Personal Exile and Transformation in the Deuteronomistic History, Berlin u.a. 2009 (BZAW 396). In: RBL 2011, siehe http://www.bookreviews.org/BookDetail.asp? TitleId=7887 Blenkinsopp, J., David Remembered. Kingship and National Identity in Ancient Israel, Grand Rapids, MI 2013. In: RBL 2014, siehe http://www.bookreviews.org/BookDetail.asp? TitleId=9309 Wolpe, D., The Divided Heart, New Haven/London 2014 (Jewish Lives). In: RBL 2015, siehe http://www.bookreviews.org/BookDetail.asp? TitleId=10117 Obermayer, B., Göttliche Gewalt im Buch Jesaja. Untersuchung zur Semantik und literarischen Funktion eines theologisch herausfordernden Aspekts im Gottesbild, 2014 (BBB 170). In: ThLZ 141 (2016) 470–473 Bezzel, H., Saul. Israels König in Tradition, Redaktion und früher Rezeption, Tübingen 2015 (FAT 97). In: Biblica 98 (2017) 127–131. Zalewski, U., Gott, König und Volk. Eine synchrone und diachrone Auslegung von 2 Sam 24, 2014 (EThS 103). In: BN NF 174 (2017) 114–117 Carroll, M.D. / Wilgus, J.B. (eds.), Wrestling with the Violence of God. Soundings in the Old Testament, Winona Lake, IN 2015 (Bulletin for Biblical Research Supplements 10). In: ThLZ 142 (2017) 490–493 Grütter, N., Das Buch Nahum. Eine vergleichende Untersuchung des masoretischen Texts mit der Septuagintaübersetzung, 2017 (WMANT 148). In: ThlZ 142 (2017) 1177–1180 Im Publikationsprozess: Fröhlich, I. (ed.), David in Cultural Memory, Leuven 2019 (Contributions to Biblical Exegesis and Theology 93). In: RBL 2019 Lipiński, E., A History of the Kingdom of Israel, 2018 (OLA 275). In: BN 2019

348

IV. Anhang

Journalistische Arbeiten „Besinnungen für jeden Tag“. In: Berner Telebibel, 5.-12.12.2009 Zur Gewalt im Alten Testament. In: „Christkatholisch“ 15/16 (2010), 8–9 Das Dreimal-Heilig in der Laurentius-Kirche zu Dassel. In: M. Schnepel, St. Laurentiuskirche zu Dassel, 2010, 79–80 „Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten“. In: Evangelische Zeitung 43/2013, 7 Ein literarisches und theologisches Juwel: die Samuelbücher. In: Dein Wort – Mein Weg 11/4 (2018), 28–30 Was bedeutet mir die Bibel? In: Die Bibel aktuell. Die Zeitschrift der Schweizerischen Bibelgesellschaft 2/2019, 20.

Mitwirkung an Radiosendungen Die Samuelbücher: Biblische Geschichtsschreibung und literarisches Kunstwerk, Sendung des Hessischen Rundfunks am 31.1.2015, siehe http://www.hr-online.de/website/derhr/ home/index.jsp?rubrik=87889&key=standard_document_54172057 „König David“, in der Sendereihe „Diesseits von Eden“ des WDR 5, gesendet am 26.12.2018, siehe https://wdrmedien-a.akamaihd.net/medp/podcast/weltweit/fsk0/179/1798674/ wdr5diesseitsvonedenganzesendung_2018-12-26_diesseitsvonedenganzesendung 26122018_wdr5.mp3

Nachweis der Erstveröffentlichungen

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Nachweis der Erstveröffentlichungen Der Mann, mit dem Gott war. Kompositions- und quellenkritische Überlegungen zur Darstellung des Aufstiegs Davids in den Samuelbüchern. Bisher unveröffentlicht. Zur Veröffentlichung vorgesehen in: Hannes Bezzel / Reinhard Gregor Kratz (Hg.), David in the Desert. Tradition and Redaction in the „History of David’s Rise“, Berlin/Boston 2020 (BZAW 514) Deuteronomistische Redaktionen in den Samuelbüchern: In deutscher Sprache unveröffentlicht. Englische Version in: Cynthia Edenburg / Juha Pakkala (eds.), Is Samuel among the Deuteronomists? Current Views on the Place of Samuel in a Deuteronomistic History, Atlanta, GA 2013, 39–65. Der Beitrag Timo Veijolas zur Erforschung der Samuelbücher: Unveröffentlicht Hebräische Hapaxlegomena in den Samuelbüchern: In: Eberhard Bons / Jan Joosten / Regine Hunziker-Rodewald (eds.), Biblical Lexicology – Hebrew and Greek. Semantics, Exegesis, Translation, Berlin, de Gruyter 2015 (BZAW 443), 101–129. Hebräisch-Griechisch-Deutsch. Übersetzungsprobleme in den Samuelbüchern: In: Hanna Jenni / Markus Saur (Hg.), Nächstenliebe und Gottesfurcht, FS Hans-Peter Mathys, 2016, Münster, Ugaritverlag 2018 (AOAT 439), 71–90. David zwischen Poesie und Prosa in den Samuelbüchern: In: Friedhelm Hartenstein / Thomas Willi (Hg.), Psalmen und Chronik, Tübingen, Mohr Siebeck 2019 (FAT II), 257–276 [erscheint parallel zum vorliegenden Band] Am Übergang vom ersten zum zweiten Samuelbuch. Zwischenbilanz eines Kommentators: Unveröffentlicht Stefan Heyms Ethan ben Hoshaja und der Hauptverfasser der Samuelbücher: In: Walter Dietrich / Cynthia Edenburg / Philippe Hugo (eds.), The Books of Samuel. Stories – History – Reception History, Leuven, Peeters 2016 (BEThL 284), 3–38 Biblische Geschichtsschreibung und literarisches Kunstwerk: die Samuelbücher: In: HansJoachim Simm (Hg.), Aspekte der Bibel. Themen, Figuren, Motive, Freiburg/Basel/Wien, Herder 2017, 157–165 König David – Fakten und Fiktionen: Unveröffentlicht Staatsbildung und frühes Königtum in Israel: Geschichte und biblische Geschichtsschreibung: In: Sebastian Grätz / Axel Graupner / Jürg Lanckau (Hg.), Ein Freund des Wortes, FS Udo Rüterswörden, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2019, 55–68. Uneindeutigkeit als Kennzeichen hebräischer Erzählkunst – am Beispiel der Samuelbücher: In: Momentum 2 (2013), 16–17 Den aufrechten Gang üben. Zivilcourage in den Samuelbüchern: In: Marjo C.A. Korpel / Lester Grabbe (eds.), Open-Mindedness in the Bible and Beyond, FS Bob Becking, London u.a., Bloomsbury 2015 (LHBOTS 616), 57–67 ‚Aufbruch‘ als heimliches Prinzip in den Samuelbüchern: In: FS Hans Klein, Konfluenzen 14/15 (Hermannstadt/Sibiu 2014/15) 27–38 Ars necandi und ars moriendi in den Samuelbüchern: In: Review of Ecumenical Studies 6 (Sibiu 2014), 288–305 Interreligiosität in den Samuelbüchern? Verfasst für die von Alina herauszugebende Fest schrift für Dorin Oancea: „Gott im Anderen begegnen. Beiträge zur konfessionellen und religiösen Pluralität“, Münster 2019 (orientalia – patristica – oecumenica) Gottes Wort in unberufenem Mund. Zu einem spezifischen Erzählzug der Samuelbücher: Unveröffentlicht

350

IV. Anhang

Vom Schweigen und Reden Gottes in den Samuelbüchern: Unter dem Titel „’Der schweigende Gott’. Gedanken zu einem beachtenswerten Buch und einem bedeutsamen Thema“ veröffentlicht in: Bob Becking (ed.), Reflections on the Silence of God, Leiden, Brill 2013 (OTS 62), 89–104 Saul unter den Propheten: In: Viktor Kokai Nagy / Laszlo Sandor Egeresi (Hg.), Propheten der Epochen. Prophets during the Epochs, FS István Karasszon, Münster, Ugarit-Verlag 2015 (AOAT 426), 13–28 Macht und Musik. Der historische und der biblische David: In: Grundschule Religion 35 (2012), 28–30 David, König der Liebe: In: Jahrbuch Biblische Theologie 29 (2015), 3–21 David und die Dichter: In: Aufsätze zur Biblischen Hermeneutik, FS Ulrich Luz, Sacra Scripta 15 (Cluj 2017), 167–192 Bibliographie Walter Dietrich 2009–2019: Fortführung der Bibliographie in „Diasynchron“, FS Walter Dietrich, Stuttgart 2009, 433–445

Register Namen und Sachen Abaelard, Petrus 324–325, 327–329 Abigajil 54, 107, 158–159, 171–174, 313 Abjatar 266 Abraham 219–220 Abschalom 56, 143, 209, 245, 249, 283, 316–317 Ahitofel 56, 244 Amalek 38 Amasa 67 Ambiguität 108–110, 177–179, 310 Ambivalenz, ambivalent 43, 44, 52, 138, 179, 210, 309 Amichai, Yehuda 337 Amnon 315 Anthropomorphismus 277 Antidavidisch 56 Antimonarchisch 37 Apologie (s. auch Propaganda) 28–29, 281 Aristoteles 105 Aufbruch, Aufbrüche 231–240 Aufstiegsgeschichte Davids 15, 52, 192 Baal 90 Batscheba 102, 144, 159–161, 162, 174– 177, 208, 314 Beinschienen 79 Benaja 165 Bet-El 71 Bibelübersetzung 85–103 Bloch, Ernst 220 Buchner, Oskar 316–317 Chiasmus, chiastisch 134–138 Cohen, Leonard 337–340 David 24, 25, 26, 46, 97, 101, 103, 106, 113, 112–121, 144–145, 177–179, 184– 186, 197–199, 203–215, 238–239, 245, 247–249, 251–255, 281–283, 300–303 Davididen(herrschaft) 51 Davids Frauen 156–161, 168–177, 313– 315 Davids Reich 212–213, 239 Davids Söhne 315–317

Deuteronomist(en), deuteronomistisch 15, 16, 17, 29, 31–49, 51–55, 129, 131– 132, 211, 286 Diachronie 125, 128–132 Dialog 16, 131, 193 Dichter, Dichtung 322–341 Dubletten 20, 169 Einzelüberlieferung 130 Ekstase 290 Eli 142, 250 Erzählkränze 20, 108 Erzählkunst 182 External evidence 49 Eschbaal 19 Et(h)an 152–156 Exil 233 Feind(schaft) 309 Fiktion(alität) 189, 194, 203–215 Flucht 25 Fragmentenhypothese 20 Freibeuter-Erzählkranz 24–26, 28, 79, 170 Gat 25, 207 Gebet 113 Geist 120 Geschichtsroman 151, 164, 179–180 Geschichtsschreibung 150, 179–180, 187, 189–194 Gewalt(verzicht) 107, 211–212 Goliat 19, 24 Gott(esbild) 26, 38, 131, 146, 175, 187, 200, 214, 269–272, 278–283, 307–308 Gottes Geist 290–292 Gottes Schweigen 273–277, 281 Gottesvolk 49 Götzendienst 48 Händel, Georg Friedrich 331 Hanna 94, 278–279 Hapaxlegomena, hebräische 59–84 Hebräer 196 Hebron 71 Heym, Stefan 124, 149–165, 323

352 Hiob 220 Historiographie 48 Höfischer Erzähler, Höfisches Erzählwerk 16, 17, 29, 41, 52, 56, 81–83, 112, 130– 131, 166–181, 186–187, 193, 222, 287, 292, 302 Homosexualität 312 Honegger, Arthur 294–295 Inkulturation 85 Interreligiosität 257–268 Joab 56, 143, 187, 245, 248 Jonatan 19, 22, 54, 69, 106, 143, 197, 222– 223, 311–312 Josephus Flavius 92 Juda 72 Klagegebet 54 Kolakowski, Leszek 219 Kommentararbeit 123–125 Königsfeindlich 51 Königsfreundlich 51 Krieg 242–243, 254 Ladeheiligtum 214 Ladegeschichte 75–77, 90–91, 260–261, 263–265 Lasker-Schüler, Else 312 Leichenklage 114 Leitwort, Leitwörter 86, 106, 308 Liebe, lieben 106, 217, 306–321 Liquidation 246–247 Loccumer Richtlinien 89 Merab 19 Meribaal 23, 55 Metaphorik 110–11 Michal 19, 24, 106, 144, 156–158, 168– 171, 223, 313, Mitseinsformel 20, 307 Monarchismus 47 Mord, Mordlust 244–246, 254, 292 Multireligiosität 258 Narrativ 88 Nasiräer 94 Natan 175–176, 226–227, 283 Nietzsche, Friedrich 220 Nomismus, nomistisch 46, 49 Nordisrael, Nordreich 21, 22, 23 Onomastikon 214, 258 Orakel 280–281 Parallelismus 106–108 Philister 22, 61, 100, 107, 183–184, 195– 196, 206–208

IV. Anhang Poesie und Prosa 104–121 Priester 266 Prodavidisch, prodynastisch 40, 177 Propaganda (s. auch Apologie) 28, 186, 200, 205, 254, 281, 302 Prophet, Prophetie, prophetisch 44–45, 49, 176, 285–296 Psalmen, Psalter 26, 198, 303, 318–319 Qumran 93 Redaktion, Redaktor 131, 163 Reue Gottes 217 Rezeptionsgeschichte (s. auch Wirkungsgeschichte) 294–296 Richterzeit 43 Rilke, Rainer Maria 330–332 Salbung 53 Salomo 67, 152, 155, 164–165, 175, 193– 194, 199, 234, 239–240, 245, 308 Samuel 45, 86, 142, 183, 190–191, 195, 226, 235–236, 279, 285–289 Samuel-Saul-Geschichte 74–75 Saul 19, 22, 48, 68, 69, 86, 95, 96, 142–143, 177, 183–184, 191–192, 195–197, 206, 222, 226, 236–238, 244–245–247, 279– 281, 285–296, 308–309 Sauliden-Erzählkranz 21–24, 28, 77–79, 170 Sauls Spieß 19, 96–97 Schiller, Friedrich 219 Septuaginta 92–98 Staatsbildung 194–195, 231 Stamm, Stämme 196 Suizid 243–244 Synchronie 125, 133–145 Tel-Dan-Stele 190, 306 Textkritik, Textfehler 60–62, 90–98, 126– 128, 168 Theokratie, theokratisch 51 Thron(nach)folgegeschichte Davids 15, 51, 52, 56, 163, 192 Tod 241–255 Tora 46, 49 Totenklage 323–330 Traditionsliteratur 204 Tragik, tragisch 283, 288 Tschernichowski, Saul 295–296 Ulbricht, Walter 153 Umkehrung der Verhältnisse 147–148 Uneindeutigkeit, uneindeutig 100–103, 138–139, 216–218, 311, 312

Register

353

Urkundenhypothese 26 Urtext 91 Usurpation, Usurpator 24, 197, 300–301 Verwerfung 45, 217, 287 Volkswille 43 Vorstaatliches Israel 231–232 Wedekind, Frank 335–337

Wenzels-Bibel 294 Widersprüche 140 Wirkungsgeschichte (s. auch Rezeptionsgeschichte) 145–147, 303, 322 Zivilcourage 219–229

Bibelstellen Genesis 22,1–19 109, 219 Numeri 24,3, 15 119 Deuteronomium 17,14–22 42 17,18–20 46 18,9–22 44 Josua 7,14–18 47 1Samuel 1,1 62, 93 1,6 74 1,11 94 1,17 75 1,20 86 2,1–10 259–260 2,14 99 2,24 98 2,27–36 38, 45 2,29 76 2,33 61 3,11–14 35 3,12–14 38 4,18 76 4,19–21 247 5,6 95 7,2–4 37 7,3f 48 7,2 43 7,13f 39 8 52, 221 8,5 42

8,7 46 8,11–17 37 9,1 63 9,4f 68 10,2–13 294 10,2 69 10,5–13 289 10,17–27 53 10,19 46 10,20f 47 10,24 43 10,27 221 11,1 91–92 11,6f 291 11,12–14 35, 246 12,1–25 47, 53 12,12 46 12,14f. 46 12,21 48 13,1 196 13,17f 70 13,13f 37, 48 13,19–21 100 13,20f 61 13,21 77 14,4 70 14,37 280 14,43–45 222, 246 14,47–51(52) 35, 39, 53 14,47 95, 140 15 38, 53 15,9 62 15,26–28 45 15,27 100 15,29 217 16 – 17 106

16,1–13 53 16,2 109 16,14–23 112–113, 211, 331 16,21 100, 139, 217, 309 17,1 – 18,5 27 17,4–7 79 17,34–37 227 17,39 81 17,40 78 17,49 101 18,7f 107 18,9 82 18,10 292 18,11 96 18,18 227 18,22 310 19,1–7 222 19,9f 292 19,10 97 19,11–17 223 19,18–24 292 20,17 310 20,33 96 21,11–16 107 21,12 107 22,16f 224 23 54 24–26 211–212 24,5 269 24,15 111 25,2–44 171–173, 223 25,29 111 25,31 83 26,19 262 26,20 111

354 28 39, 55, 86 28,6.15 280 28,17–19 35, 45 29,5 107 29,8 109, 141, 216 30,6 225, 252 30,26–31 18, 70–71 31,4 244 31,8–10 261 31,12 78 2Samuel 1,19–27 18, 114–115, 325–327 1,26 101, 139 2,9 72–73 2,16 73 2,24 73 2,26f 243 3,2–5 18 3,3 67 3,9f.17–19 55 3,9f 271 3,17f 271 3,26 73 3,28f 55 3,33f 18, 114–115, 323 3,38f 55 4,2–4 55 5,2 270 5,13–16 18 5,21 262 6 18 6,5 76 6,10.11 265–266 6,16.20–23 170 6,20 225 7 40 7,13 44 7,11–16 18 7,16–29 44 7,18–29 113 7,22–24 48 8,1–14 18 8,10 267 8,16–18 18, 266

IV. Anhang 11–12 176 11 110 11,2 217 11,7 99 11,11 224 11,27 56, 175, 282 12,1–15 40, 56 12,1–7 41, 216 12,1–4 141 12,7–14 35 12,15–24 56, 217–218, 282 12,15 83, 248 12,24 102, 308 12,25 67 12,24 41 13,9 80 13,21 97–98, 140, 315 13,39 102–103, 139 14 228 14,4–17 216 14,5–7 141 14,14.17 112 15,31–33 283 15,31 113 16,7–9 225 16,8 24 16,11 252 16,18 141, 216 17,8 112 17,23 244 17,25 67 18,9 80 18,10–12 224 19,1 249 19,5 81 19,32–41 228, 250–251 20,3 83 20,22 246 20,23–26 18, 266 21 – 24 115 21,8–14 228 21,18 63, 66 21,19 68 22 116–118, 210

23,1(2)–7 119–121, 211, 333 23,8 63 23,11 63 23,24–39 64 23,25 65 23,26 65 23,27.28.29.30 66 23,31 65, 66 23,32.33 66 23,34 67 23,35 65 24 266–267 1Könige 1,1 252 2,26f 45 2Könige 1,9–16 293 3,14–20 290 23,8f 45 Jeremia 23,29 272 Psalmen 1 121 18 116–118 22 110 31,24 319 55 295 89 156 109,4f 320 116,1 320 151 334 Hiob 14,1f 295 1Chronik 2,17 67 11,26–47 64 14,12 262 20,5 68 Jesus Sirach 47,2–13 334–335