Marcel Duchamp und die Alten Meister: Zu den Vorbildern des radikalen Kunsterneuerers 9783839453667

Marcel Duchamp ist nicht nur als radikaler Neuerer und im Bruch mit Traditionen stehend zu denken. Patricia Bethlens wis

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German Pages 446 Year 2020

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Einleitung: Duchamp und die Dimension der Vergangenheit
Einleitung
1.1. Begriffsdefinitionen
1.2. Methode und Forschungsstand
2. Duchamp als Rezeptionist
2.1. PODE BAL = DUCHAMP – Eine Rezeptionsformel
2.2. Das »ästhetische Echo« und die Kunst der »grauen Materie«
2.3. Altmeisterliche Rezeptionen der Avantgarde und museale Positionen im 19. und 20. Jahrhundert
2.4. El Greco – Wiedergeburt des Manierismus
2.5. Einen Rembrandt als Bügelbrett verwenden
2.6. Die Duchamp-Sammlung Arensberg – Ein zusammenhängendes, organisches System
3. Vom Leben eines Werkes – Rezeptionen nach Hans Baldung Grien im Hauptwerk: Das Große Glas
3.1. Lebensalter-Darstellungen
3.2. Emanation – Transformierter Ausfluss der Kunst
3.3. Arcimboldeske – Plastisch gewordenes, essbares Objekt
3.4. Der Almanach Der Blaue Reiter
3.5. Das Große Glas
3.6. Die Pferdeserie Hans Baldung Griens – Ein Ideen-Modell
3.7. Schöpfungsmetaphern
3.8. Schöpfungsmetaphern im Großen Glas
3.9. Momente der Statik und der Bewegung
3.10. Die Grüne Schachtel
3.11. Glas als (Hinter-)Grund
3.12. Der behexte Stallknecht als ein Theatrum mundi
3.13. Der Kamm – Ein Baldung-Zitat
4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés
4.1. Maschine-onaniste
4.2. Grundformen
4.3. Baldungs Adam und Eva im Katalog First Paper of Surrealism 1942
4.4. Grafische Serie zu Étant donnés – Umrisszeichnungen
4.5. Der Arm aus Étant donnés – Eine Motiv-Transformation
4.6. Dem gebrochenen Arm voraus
4.7. Exkurs: Tizians Himmlische und irdische Liebe
4.8. Lichtinszenierungen
4.9. Das Sintflut-Bild Baldungs
5. Albrecht Dürer-Rezeptionen
5.1. Duchamp als »Nachschöpfer« – Erstellung einer Ahnengalerie
5.2. Duchamps Aneignung methodischer Vervielfältigung und Vergrößerungsverfahren – Konzeptuelles Rezeptionsverfahren
5.3. »As Stupid as a painter«
5.4. Der Wasserhahn – Ein Dürer Zitat
5.5. Die Melancholia I – Synthese von Psychologisierung und Genialität eines Künstlerindividuums
6. Übernahmen aus dem Werk von Lucas Cranach dem Älteren
6.1. Duchamp als Adam
6.2. Die Kunsthaut – Materielle Weiterformung traditioneller Farbschichtung
6.3. Schaumgeburten
6.4. Die Nymphen-Darstellung – Sensueller Einsatz der Hand
7. Leonardo da Vinci – Das zweite, weiblich-reproduktive Element im Künstler und vom interagierenden Kunstwerk
7.1. L.H.O.O.Q
7.2. Rrose Sélavy – Duchamps weibliches Alter Ego
7.3. Das vermeintlich beschießende Kunstwerk
8. Resümee
9. Anhänge
9.1 Abbildungen
9.2 Abbildungsnachweis
9.3 Literatur- und Quellenverzeichnis
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Marcel Duchamp und die Alten Meister: Zu den Vorbildern des radikalen Kunsterneuerers
 9783839453667

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Für Dres. Ursula und Werner Dick

Patricia Bethlen (geb. Dick) studierte Kunstgeschichte, katholische Theologie und Denkmalpflege an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und promovierte an der Universität Kassel. Sie absolvierte ein wissenschaftliches Volontariat an den Staatlichen Schlössern, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern im Marcel Duchamp-Forschungszentrum und dem Kupferstichkabinett in Schwerin. Dort war sie Co-Kuratorin der Ausstellung »Marcel Duchamp: Das Unmögliche sehen«.

Patricia Bethlen

Marcel Duchamp und die Alten Meister Zu den Vorbildern des radikalen Kunsterneuerers

Diese Publikation wurde unter meinem Geburtsnamen Patricia Dick mit dem Titel »Altmeisterliche Rezeptionen im Werk von Marcel Duchamp« an der Universität Kassel im Fachbereich Kunstwisselenschaft eingereicht und angenommen. Die Disputation fand am 15. Januar 2019 statt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Marcel Duchamp, L.H.O.O.Q., 1919/1965, Bleistift und weiße Gouache auf farbigem Druck des Gemäldes Mona Lisa von Leonardo da Vinci, Inv.-Nr. 18320 Gr, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, © Association Marcel Duchamp / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5366-3 PDF-ISBN 978-3-8394-5366-7 https://doi.org/10.14361/9783839453667 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Vorwort ........................................................................................ 7 1. Einleitung: Duchamp und die Dimension der Vergangenheit.............................. 9 1.1. Begriffsdefinitionen ...................................................................... 13 1.2. Methode und Forschungsstand ............................................................ 16 Duchamp als Rezeptionist .............................................................. 27 PODE BAL = DUCHAMP – Eine Rezeptionsformel ........................................... 27 Das »ästhetische Echo« und die Kunst der »grauen Materie« ............................. 33 Altmeisterliche Rezeptionen der Avantgarde und museale Positionen im 19. und 20. Jahrhundert ................................................................ 38 2.3.1. Arnold Böcklin .................................................................... 38 2.3.2. Otto Dix ........................................................................... 41 2.3.3. Pablo Picasso .................................................................... 43 2.3.4. Die Ausstellung Fantastic Art, Dada, Surrealism 1936............................... 45 2.4. El Greco – Wiedergeburt des Manierismus ............................................... 49 2.5. Einen Rembrandt als Bügelbrett verwenden ............................................... 54 2.6. Die Duchamp-Sammlung Arensberg – Ein zusammenhängendes, organisches System ........................................... 61 2. 2.1. 2.2. 2.3.

3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6.

Vom Leben eines Werkes – Rezeptionen nach Hans Baldung Grien im Hauptwerk: Das Große Glas .................. Lebensalter-Darstellungen .............................................................. Emanation – Transformierter Ausfluss der Kunst ......................................... Arcimboldeske – Plastisch gewordenes, essbares Objekt.................................. Der Almanach Der Blaue Reiter .......................................................... Das Große Glas .......................................................................... Die Pferdeserie Hans Baldung Griens – Ein Ideen-Modell ................................. 3.6.1. Das Pferde-Motiv – Entwicklungen bei Dürer, Baldung und Duchamp ...............

65 65 70 80 86 89 93 97

3.7. 3.8. 3.9. 3.10. 3.11. 3.12. 3.13.

3.6.2. Die Pferdeserie von Hans Baldung Grien im Spiegel der deutschen Kunstliteratur zu Beginn des 20. Jahrhunderts .................................................. 101 Schöpfungsmetaphern...................................................................102 Schöpfungsmetaphern im Großen Glas ................................................... 107 Momente der Statik und der Bewegung ................................................... 118 Die Grüne Schachtel...................................................................... 122 Glas als (Hinter-)Grund................................................................... 124 Der behexte Stallknecht als ein Theatrum mundi ......................................... 129 Der Kamm – Ein Baldung-Zitat ...........................................................140

4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 4.6. 4.7. 4.8. 4.9.

Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés .............................. 143 Maschine-onaniste ...................................................................... 143 Grundformen ............................................................................155 Baldungs Adam und Eva im Katalog First Paper of Surrealism 1942 ........................162 Grafische Serie zu Étant donnés – Umrisszeichnungen ....................................164 Der Arm aus Étant donnés – Eine Motiv-Transformation ................................... 170 Dem gebrochenen Arm voraus ............................................................ 178 Exkurs: Tizians Himmlische und irdische Liebe ........................................... 183 Lichtinszenierungen ................................................................... 186 Das Sintflut-Bild Baldungs................................................................ 191

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen ........................................................... 207 5.1. Duchamp als »Nachschöpfer« – Erstellung einer Ahnengalerie .......................... 207 5.2. Duchamps Aneignung methodischer Vervielfältigung und Vergrößerungsverfahren – Konzeptuelles Rezeptionsverfahren ...................................................... 215 5.3. »As Stupid as a painter« ............................................................... 222 5.4. Der Wasserhahn – Ein Dürer Zitat ....................................................... 224 5.5. Die Melancholia I – Synthese von Psychologisierung und Genialität eines Künstlerindividuums .............................................................. 230 6. 6.1. 6.2. 6.3. 6.4.

Übernahmen aus dem Werk von Lucas Cranach dem Älteren .......................... 237 Duchamp als Adam .................................................................... 237 Die Kunsthaut – Materielle Weiterformung traditioneller Farbschichtung ................. 244 Schaumgeburten ....................................................................... 250 Die Nymphen-Darstellung – Sensueller Einsatz der Hand ................................ 253

7.

Leonardo da Vinci – Das zweite, weiblich-reproduktive Element im Künstler und vom interagierenden Kunstwerk ............................................................ 259 7.1. L.H.O.O.Q. .............................................................................. 259 7.2. Rrose Sélavy – Duchamps weibliches Alter Ego .......................................... 272 7.3. Das vermeintlich beschießende Kunstwerk ............................................. 275 8.

Resümee................................................................................ 281

9.

Anhänge............................................................................... 295

Vorwort

Jeder Künstler steht in Beziehung zu seinen Vorgängern, zu all jenen Künstlern der Vergangenheit oder der eigenen Zeit, die ihn zwangsläufig beeinflussen und durch die er – bewusst oder unbewusst – geprägt wird. In dieser Arbeit wird untersucht und nachgewiesen, welche altmeisterlichen Werke und Künstler inspirierend auf den Konzeptkünstler Marcel Duchamp gewirkt haben, und gefragt, welche Motive und Ideen daraus in seine Arbeiten eingeflossen sein könnten. Tatsächlich war Marcel Duchamp stets bemüht, den Eindruck zu stärken, ab den 1920er Jahren mit der Malerei, dem klassischen Medium der Kunst, abgeschlossen zu haben, zugleich behauptete er, sich von jeglichem Einfluss der Vergangenheit losgesagt zu haben. Duchamp hinterlässt jedoch sowohl sichtbare als auch unsichtbare inhaltliche altmeisterliche Spuren in seinem Werk. Diese Spuren greift die vorliegende Arbeit auf, reflektiert sie und untersucht sie unter dem Aspekt der altmeisterlichen Rezeption. Die Bezugnahme auf die Kunst der Alten Meister besitzt kein Alleinstellungsmerkmal im 20. Jahrhundert, sondern lässt sich bei vielen Künstlern, beispielsweise den Surrealisten, wiederfinden, oder auch im Hauptwerk Pablo Picassos: Guernica (1937). Dieser Umstand stützt die anfängliche These, dass auch der moderne »Bilderstürmer« Marcel Duchamp in seiner Kunst Vorbildnahmen aus der Kunst offensichtlich zu verbergen suchte. Die Vermutung der Existenz altmeisterlicher Rezeptionen im Werk von Marcel Duchamp zeigt eine wichtige Forschungsaufgabe auf, für welche die vorliegende Dissertation Grundlagenarbeit leistet. Herzlich möchte ich mich bei allen bedanken, die zum Entstehen dieser Arbeit beigetragen haben: bei denjenigen, die mir durch das Gewähren großer Freiheit überhaupt erst die Grundlage für die Anfertigung der Arbeit bereiteten und ihre Umsetzung begünstigten sowie mit Vertrauen das Projekt verfolgt und mich im Arbeitsprozess durch konstruktive Kritik und Anregungen gestützt haben. Insbesondere möchte ich Prof. Dr. Kai-Uwe Hemken aus dem Fachbereich Kunstwissenschaft an der Universität Kassel, dem Betreuer dieser Arbeit, von ganzem Herzen meinen Dank aussprechen: für die inspirierenden Gespräche, die Ermutigung und Anteilnahme bei der Entstehung der Arbeit. Ebenso bedanke ich mich ausdrücklich bei Prof. Dr. Alexis Joachimides für die bereitwillige Unterstützung und Betreuung der Dissertation als Gutachter. Des Weiteren danke ich Prof. Dr. Daniel Hess und Dr. Caroline Feulner für die fachlichen Anregungen,

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

dem Marcel Duchamp-Forschungszentrum in Schwerin, im Besonderen Dr. Kornelia Röder und Dr. Gerhard Graulich von den Staatlichen Schlössern, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern für ihre Unterstützung. Dr. Andrea Mesecke danke ich für die Mitwirkung bei der redaktionellen Durchsicht des Manuskripts. Mein tiefster Dank gilt meiner Familie. Schwerin, im Dezember 2019

1. Einleitung: Duchamp und die Dimension der Vergangenheit

Marcel Duchamp (1887−1968) wird wie kein anderer Künstler der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Innovation und einem visionären Gespür für wegweisende Inhalte und Werke von außerordentlicher geistiger Aussagekraft verbunden. Diese allgemein vorherrschende Meinung gegenüber seinem Œuvre postuliert Duchamp unter anderem selbst, indem er sein Werk in revolutionärer und radikaler Haltung von der Malerei abtrennt und sich neuen Materialien und Ausdrucksarten zuwendet. Er vollzieht die Öffnung seiner Kunst durch die Schöpfung neuer Gattungsformen: Objektarbeit, Installationen und Readymades. Auf diese Weise führt er den Kunstdiskurs weg von den traditionellen Ausdrucksformen und Auffassungen der bildenden Kunst hin zu seiner abstrakten Konzeptkunst. Tatsächlich aber leitet Duchamp sein Frühwerk mithilfe klassischer Gemälde, Zeichnungen und Karikaturen ein. Mit der radikalen Abwendung von der Malerei ab 1918 geht einher, dass Duchamp aktiv keine Malerei mehr produziert. Das bedeutet aber nicht, dass sich Duchamp auf theoretischer Ebene nicht weiter mit ihr auseinandersetzt – so die Annahme, welche die Arbeit verfolgt. Entgegen seiner offiziell bekundeten Abkehr von der Malerei lässt sich, wie die vorliegende Analyse aufzeigen möchte, seine genaue Beobachtung von Farbe, Material, Grundformen und Werkaufbau deutlich sichtbar innerhalb seines Werkes nachvollziehen. Seine Arbeiten schließen an die traditionelle Malerei und Grafik der italienischen und deutschen Renaissance wie auch an den Manierismus an. Der Bruch mit der klassischen Malerei ist für Duchamp notwendig, um traditionelle Abläufe, das heißt kunstgeschichtliche Entwicklungen geistig besser durchdringen zu können, indem er sich diesen gegenüber subversiv verhält und sich von ihnen abwendet, um so neue Formen für sich zu entwickeln. Auf diese Weise behält er sich die große Freiheit vor, auch nach den Maßstäben des Kunstmarktes einen individuellen Umgang zu finden. Der Bruch ist außerdem für ihn erforderlich, weil er prozess- und entwicklungsimmanente Automatismen in der Kunstgeschichte sichtbar machen möchte. Mit dieser Zäsur positioniert sich Duchamp durch die Verwendung von Readymades und Installationen selbst als Höhepunkt einer neuen Prozessualität der Objektkunst. Er knüpft an die Entwicklung des »vergangenen« Mediums der Malerei geradezu an und verbindet diese, traditionellen Maßstäben

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

der Kunstgeschichte folgend, mit seinem Werk, wie die vorliegende Arbeit aufzeigen wird. Auch wenn es sich bei den Ausgangsmaterialien für die Readymades wiederholt um käuflich erwerbbare und vervielfältigbare Gebrauchsgegenstände handelt, ist die Wahl dieser Art von Medium ein entscheidender Kunstgriff in seinem Werk. Überblickt man die bisherige wissenschaftliche Literatur zu Duchamp, lässt sich feststellen, dass das Thema der altmeisterlichen Rezeptionen bis dato noch nicht umfassend behandelt wurde. Duchamp verfügt aber, so die Hypothese dieser Arbeit, über profunde Kenntnisse der vergangenen Stile und spaltet die zyklische, theoretische Evolution der Kunst und seine aus der Kunst stammenden Ahnen nicht von seinem eigenen Werk ab. Duchamp unterlegt sein Werk tiefgründig und spielerisch durch die Kombination seiner Werkproduktion mit den Adaptionen von altmeisterlichen Rezeptionen: Er setzt sich selbst als ein vermittelndes Bindeglied zwischen Vergangenheit und Zukunft ein. Duchamp ist geprägt von der klassischen praktischen und traditionellen akademischen Lehre, die er an der renommierten französischen Académie Julian erfährt. Sie bestand wohl aus einer obligatorischen kunsttheoretischen Ausbildung und der Schulung im Kopieren von Gemälden, was Duchamp auch anfänglich noch selbst pflegt, so der Künstler zu seinem Münchner Aufenthalt 1912: »Ich malte, und ich ging jeden Tag in die [Alte] Pinakothek […].« Der Anspruch an eine solide handwerkliche Grundbildung erstreckt sich auch auf seine erste Ausbildung mit 18 Jahren, in deren Rahmen er in Rouen den Beruf eines »Kunstarbeiters« oder genauer: Druckgrafikers erlernt.1 1912/13 schreibt er sich kurzzeitig an der Hochschule École nationale des chartes in Paris ein, um sich als Bibliothekar und Archivar ausbilden zu lassen und um über Literatur und Reproduktionen verfügen zu können und gleichzeitig einen kleinen Verdienst zu erhalten.2 1913–1915 ist er als Bibliothekar in der Bibliothèque Sainte-Geneviève in Paris tätig, die über einen umfangreichen alten Buchbestand verfügt. Duchamp als buchaffiner Künstler hat sich hier – so kann angenommen werden – unter anderem umfangreiches Wissen über die Kunstgeschichte angeeignet.3 Vor diesem Hintergrund wird vermutet, dass er sich mit dem druckgrafischen Werk der Alten Meister in den grafischen Sammlungen der europäischen Städte intensiv beschäftigte, die er, so die Annahme, ab 1912 besucht. Er studiert die Originale, schult sich aber auch an schlichten Reproduktionen, welche er in den Kunstliteratur findet. Seine Schaulust und der Drang zur eigenen Bildung in der Kunst, so wird in der Arbeit hypothetisch vorausgesetzt, sind die Ursache der Beschäftigung mit der altmeisterlichen Kunst, welche sich dann in seinen Arbei-

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3

Vgl. LEBEL 1962, S. 11; VON BEYME 2005, S. 55; RADZIEWSKY 1993, (S. 45), S. 1. Vgl. FRANKLIN, Paul B.:»Schluss mit der Malerei, such Dir einen Job«, Vortrag auf der Tagung Renaissance der Moderne: Duchamp, Leonardo, Beuys, 8.– 9. September 2017 in dem Staatlichen Museum Schwerin/Ludwigslust/Güstrow. Ab dem 4. November 1912 war Duchamp für ein Seminar »Bibliographie et service des bibliothèques« eingeschrieben. Vgl. PEYRÉ/TOUSSAINT 2014, S. 18. Es war Duchamp somit möglich, diese für eigene Recherchen zu nutzen. Duchamp hatte Zugang zu Albrecht Dürers Unterweysung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheit von 1538, zu Salmon de Caus’ La Perspective avec la raison des ombres et mirroirs von 1612 und auch zu Schriften Leonardo da Vincis, ebenso zu zahlreichen antiken Philosophen wie beispielsweise Platon, welchen er in seinen Notizen zitiert.

1. Einleitung: Duchamp und die Dimension der Vergangenheit

ten widerspiegelt. Die Auseinandersetzung mit altmeisterlicher Kunst kann in dieser Arbeit für sein gesamtes Werk nachgezeichnet werden. Die Bildung an der Kunst der Alten Meister verhilft Duchamp unter anderem zur Bewusstwerdung des eigenen Künstlercharakters. Das Studieren und Kopieren alter Kunst im Rahmen der akademischen Ausbildung führt zudem zur Inspiration und schließlich zur Erschaffung eines neuen, eigenen Kunstwerks. Duchamp, gefragt, wie sein künstlerischer Werdegang verlaufe, antwortet: »To answer this I have to go first backwards and then forwards. You see, at that time movement in art, motion in art, had never really been exploited […].«4 Duchamp, ein humorvoller Bilderstürmer oder Ikonoklast, der die Malerei hinter sich lässt, nutzt einen »stillschweigend anerkannten Werkbegriff«, spricht kaum konkret über sein tatsächliches konzeptionelles Vorgehen und erstellt keine Kunsttheorie. Seine Aussagen bleiben weitestgehend kryptisch und widersprechen sich zu einem großen Teil.5 Er äußert sich wenig zu seinen Rezeptionsvorlagen, setzt sie vielmehr adaptierend und konsequent fortlaufend in seinem Werkaufbau ein. Dabei beschäftigt er sich in den meisten Fällen punktuell mit ausgewählten Künstlern der Renaissance, der Frühen Neuzeit und des Manierismus, welche ihn wohl besonders inspirierten, wie auch mit deren Techniken, Ideen und Formen.6 Das Schweigen sollte ihn wohl vor zu vielen Adaptionen seiner Künstlerkollegen schützen. So erklärt Salvador Dalí: »…Als Duchamp begriffen hatte, dass er seine jungen Ideen in alle Winde verstreut hatte, bis ihm keine einzige mehr geblieben war, hat er äußerst aristokratisch auf dieses Spiel verzichtet und angekündigt, dass die anderen jungen Männer sich auf das Schauspiel der zeitgenössischen Kunst spezialisieren sollten, und er hat sich daran begeben, Schach zu spielen.«7 Die taktisch verschleierte Rezeption seiner Werke kann unter anderem mit der Wahl der Motive, welche er rezipiert oder zitierend in sein Werk setzt, begründet werden. Sie sind Werken entnommen, welche er sich als Vorlagen wählt, die meist nicht vollkommen von der Wissenschaft erschlossen sind und viele Assoziationen in sich bergen. Oft sind es Werke, die nicht zu den »populärsten« der Alten Meister gehören, ausgenommen L.H.O.O.Q. (1919) (Abb. 121), welches ganz offensichtlich auf die Mona Lisa (beg. 1504) Leonardo da Vincis referenziert. Vielmehr handelt es sich bei den Kernstücken um unbekanntere Liebhaber-Blätter, Kenner- oder Sammler-Stücke wie die Hans Baldung Griens. Auf solche Arbeiten nimmt er Bezug für die Schaffung seines Hauptwerkes – The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even (The Large Glass ) / La mariée mise à nu par ses célibataires, même (Le Grand Verre) / Die Braut von ihren Junggesellen entblößt, sogar (Das Große Glas), 1915−1923, Philadelphia Museum of Art (Abb. 1) – und des großen Spätwerks – Étant donnés: 1° la chute d’eau, 2° le gaz d’éclairage / Given: 1. The Waterfall, 2. The Illuminating Gas / Gegeben sei: 1. Der Wasserfall, 2. Das Leuchtgas, 1946−1966, Philadelphia Museum of Art (Abb. 2). 4 5 6 7

ROBERT 1968, S. 1. Vgl. MÜLLER 1987, S. 40. Vgl. BOEHM, Gottfried: Renaissance der Moderne: Leonardo, Beuys, Duchamp, Tagung am 8.– 9. September 2017 in dem Staatlichen Museum Schwerin/Ludwigslust/Güstrow. MUTHESIUS/RIEMENSCHNEIDER/NÉRET 1998, S. 173.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Oft geht es Duchamp um die thematische Erfassung der Künstlernatur hinter dem Werk. So stammt von ihm der Ausspruch: »Aber Kunst interessiert mich nicht. Mich interessieren Künstler.«8 Durchgängig ist jedoch erkennbar, dass Duchamp sich hinsichtlich seiner Vorbilder auf die Suche nach einer Inspirationsquelle macht, welche ihm wiederum zu neuen Beschäftigungsfeldern verhilft oder ihn amüsiert und aus welcher er versucht, etwas Eigenes zu kreieren: sie im Kern als gedankliche Basis einzusetzen, um letztlich die Quelle zu überschreiben. Duchamp: »Es war nicht die Idee eines Kunstwerkes, es war die Idee, dass es ausgewählt wurde, und es ist geheiligt, weil es ausgewählt wurde.«9 Ziel ist es, durch den Einschluss des Wesensfremden innerhalb der Rezeption integrative Modelle für die Schaffung neuer Ausdrucksmöglichkeiten zu finden. Nur verdeckt lassen sich in Duchamps Aussagen Hinweise auf sein rezipierendes Vorgehen erkennen; er bekennt sich sogar zum Kopieren. Duchamp 1953: »(The Large Glass) it was not an original work, it was copying an idea, execution, technical execution, like a pianist executes a piece of music that he has not composed. The same thing with that glass, it was a more execution of an idea.«10 Auch wenn Duchamps quantitativ vergleichbar kleines Œuvre durch ein Reproduktionsund Rezeptionssystem in der technischen Erstellung geprägt ist, in welchem sich Reproduktion, Replik, Multiple, Original und Kopie durchmischen, schweigen seine Quellen zu einer altmeisterlichen Rezeption weitestgehend, nur wenige Namen werden genannt. So äußert er sich zu Lukas Cranach dem Älteren (s. Kapitel VI) ebenso wie zu Arnold Böcklin, Rembrandt und El Greco (s. Kapitel II). Da durchgängig nur wenige Quellen auffindbar sind, liegt die Vermutung nahe, dass Duchamp nicht nur seine Werke, sondern auch seinen Nachlass filterte, um einer Erschließung und somit dem werkentschlüsselnden Diskurs entgegenzuwirken, indem er teils widersprüchliche Aussagen zu seinem Werk gab. Die Untersuchungen der vorliegenden Arbeit setzen daher vergleichend bei visuellen Analysen, formalen Ideen und Techniken an und festigen die Ergebnisse vor dem Hintergrund der ikonografischen Traditionen von Malerei und Grafik vergangener Epochen. In der vorliegenden Abhandlung wird auf folgende Alte Meister in Duchamps Werk (von Duchamp unterschiedlich gewichtet) eingegangen: Albrecht Dürer (1471−1528), Hans Baldung Grien (1484/85−1545), Lucas Cranach den Älteren (1472−1553), Leonardo da Vinci (1452−1519), Tizian (Tiziano Vecellio) (um 1488−1576), Giorgione (1478−1510), Guiseppe Arcimboldo (1526−1593), Rembrandt von Rijn (1606−1669), El Greco (1541−1614) und weiter aus dem 18. und 19. Jahrhundert Jean Auguste Dominique Ingres (1780−1867), Gustav Courbet (1819−1877), Auguste Rodin (1840−1917) und Arnold Böcklin (1827−1901).

8 9 10

SEITZ (1967), in: Stauffer 1992, S. 147. DITTMAR 1993, o. S. OHNE AUTOR: [Copie Manuscript, Petit Robert I], André Gervais, Pseudonymie, Alexina and Duchamp Papers, Writings, Unpublished, Restricted, Marcel Duchamp Research Collection, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 13.

1. Einleitung: Duchamp und die Dimension der Vergangenheit

1.1.

Begriffsdefinitionen

Die Arbeit nutzt generell den Begriff Rezeption (lat. recipere = aufnehmen), um Einflüsse aus der bildenden Kunst zu umschreiben. Er umfasst im Kontext dieser Arbeit vor allem die geistige, ideelle und visuelle Aufnahme eines nicht regulär kenntlich gemachten Vorbildes aus der Vergangenheit und ferner die schlichte Wiederholung eines Motivs oder einer Idee in der bildenden Kunst, welches von einem Rezipienten visuell erkannt und kunstgeschichtlich verknüpft werden kann. Dabei können die rezipierten Themen aus allen Kunstgattungen der bildenden Kunst stammen, aber auch literarischen Vorlagen entnommen sein oder dem alltäglichen Umfeld entspringen. Die Wahl der Rezeption ist meist allein dem individuellen und schöpferischen Interesse des Künstlers unterworfen. Gleichzeitig bindet die Rezeption den Aufnehmenden, den Rezipienten, an eine kunstgeschichtliche Tradition: Caroline Kraft erinnert daran, dass mit dem Begriff der imitatio aus dem 16. Jahrhundert auch die Auf- und Übernahme von Gedanken und Kulturgütern nachträglich interpretiert wurde, er also einen positiven Aspekt für ein Weiterführen, ein »fortschreitendes Wachstum«, beinhaltet. Der Begriff verbindet damit ein produktives Verfahren und gleichzeitig die rezipierte künstlerische Tradition an sich und vermag dies sichtbar zu machen.11 Referenzsysteme bestehen seit Beginn der Kunst – und schon erst recht in der Kunstgeschichtsschreibung – und thematisieren unter anderem auch die Definition der Wertigkeit von Kunstgattungen und -techniken. Einen diesbezüglichen Nachteil sah Albrecht Dürer Ende des 15. Jahrhunderts im Falle von Marcantonio Raimondi, der nicht nur seine Kunst, sondern auch die Signatur kopierte. Den Nachteil erkannte Albrecht Dürer für sich weniger in der Verbreitung durch Reproduktion von fremder Hand als darin, dass seine Signatur gefälscht wurde und dieserart das Urheberrecht für die künstlerische Qualität und Eigenhändigkeit gefährdet war.12 Auch die Geschichte von Reproduktion und Kopie ist Schwankungen unterzogen: So wurden im 18. Jahrhundert nicht selten eindeutige Kopien als originale Werke verkauft. Infolge des Wechsels hin zu Kunstmanufakturen und produzierter Massenware änderte sich dies im 19. Jahrhundert, als die Werke mit dem Ziel, ein größeres Publikum zu erreichen, weiter gestreut wurden, allerdings unter dem Künstler- oder Werkstattnamen.13 Duchamp begegnet dieser Thematik in gewohnt spielerischer, humorvoller Weise. So legt er sich neue Identitäten zu, unterschreibt mit allerlei Künstlernamen, und dies auch oft auf seriell gekauften Gegenständen. Desgleichen fertigt er Repliken innerhalb seines eigenen Werkes an, wohl auch, um seinen Namen auf dem Kunstmarkt in einen größeren Umlauf zu bringen. Demgegenüber muss die Frage nach der Herkunft der Motivik in Duchamps Werk, auf deren Suche sich die Arbeit begeben hat, differenzierter untersucht werden. Im 20. Jahrhundert wird Rezeption meist mit Fälschung in Verbindung gesetzt; sie erhält dadurch eine negative Bewertung mit der impliziten Unterstellung, dass sie dem Betrachter eine gestohlene Kopie vor Augen führt, worüber mittlerweile, wie auch in

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Vgl. KRAFT 2007, S. 12. Vgl. Ausst.-Kat. Schwerin 2012, S. 7. Vgl. Ausst.-Kat. Schwerin 2012, S. 11.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

dieser Arbeit, differenzierter geurteilt wird.14 Duchamp ist stets darauf bedacht, bei seiner Motivik dem Rezipierten eine neue Idee oder Entdeckung hinzuzufügen oder es in einen neuen inhaltlichen Kontext zu setzen und die Rezeptionen durch den neuen Gehalt konzeptuell zu erweitern. Duchamp nutzt die Rezeption sozusagen als ein Ideen-Modell, als ein Referenzsystem für seine Inspiration und als Beschäftigungsgrundlage. Ihm wird daher keinerlei betrügerische Absicht als Nachahmer unterstellt. Er bildet nicht mimetisch 1:1 ab, arbeitet aber im Sinne der imitatio in einem traditionellen Rahmen der bildenden Kunst mit ausgewählten Vorbildern in seinem Werk. Von einer offensichtlichen Hommage Duchamps an die Alten Meister kann folglich nicht gesprochen werden, denn er geht praktisch zu selektiv vor und gibt vom Vorbild zu wenig zu erkennen. Eine Ausnahme bildet Duchamps L.H.O.O.Q. (1919, Abb. 121). Teils zerschneidet er die Ideen-Vorlage und begegnet dem Moment der Ehrerbietung des Vorgängers widersprüchlicherweise subversiv, oder er knüpft nur noch an einen geistigen Charakter im Sinne der Auseinandersetzung des Künstlers selbst an, der nicht sichtbar ist. Das rezipierte Identifizierungsobjekt verwendet er als ein Medium, welches im Kontext einer anderen Zeit steht und seinem Beschäftigungsfeld ein neues Display als Grundlage in sein Werk projiziert, das Alte transformiert und seine eigene Erfindung darin einfließen lässt. Dennoch kann Duchamps Vorgehen mit einer Form des Dialogs umschrieben werden, den er mit der altmeisterlichen Kunst führt. Duchamp wendet zu keinem Zeitpunkt nur ein einfach geartetes Copy-and-PasteVerfahren an. Dennoch werden Fragen hinsichtlich der Definition von Originalität aufgeworfen: Duchamp begegnet der Thematik der Eigenschöpfung dahingehend humorvoll, dass er innerhalb seines Werkes Formen entwickelt, bei denen er den freien handwerklichen Spuren seiner Hand elegant auszuweichen sucht. Geschickt umgeht Duchamp Fragen einer Jurisdiktion. Er gründet seine Kunst auf individuellen Entscheidungen und seiner künstlerischen Freiheit. Duchamp ist frei – er ist lediglich seinen Kunstmäzenen, dem Ehepaar Louise und Walter Arensberg verpflichtet, welche ihm jedwede künstlerische Freiheit zugestehen. Wenn der Begriff (Bild-)Zitat in der nachfolgenden Abhandlung verwendet wird, bezeichnet er die reflexive Verwendung eines existierenden Details aus einem Kunstwerk oder eines anderen Autors. Dieses Detail mag ursprünglich auch innerhalb einer anderen Gattung angewendet worden sein. Der erneute Einsatz im Kontext des neuen Werkzusammenhanges bezieht sich reflexiv und symbolisch auf das bereits bestehende Ursprungswerk und bemächtigt sich dessen Inhalts. Bei dem Bildzitat kann es sich sowohl um die sichtbare, exakte Übernahme des jeweiligen Objektes handeln als auch um separierte Formelemente, was eine Veränderung des Objektes voraussetzt. Bei kleineren Arbeiten wie beispielsweise Le Comb / The Peigne / Der Kamm (1916/1964, Abb. 58) gebraucht Duchamp direkte Zitate. Ein Bildzitat gibt sich in der Kunst nicht durch Anführungsstriche zu erkennen und muss demnach vom Betrachter definiert werden.15 Kopie und Zitat lassen sich insofern klar unterscheiden, als nur die Kopie den gesamten Bildinhalt übernimmt und von einer fremden Hand stammt, die das Ursprungswerk,

14 15

Vgl. KRAFT 2007, S. 11. Vgl. FEULNER 2013, S. 11.

1. Einleitung: Duchamp und die Dimension der Vergangenheit

auf welches sich die Kopie bezieht, nicht geschaffen hat; zudem können Format, Materialität und individuelle Angleichungen variieren.16 Das Zitat dagegen ist der selektierte Ausschnitt eines Bildes, die Auswahl eines bestimmten Motivs, das in einen eigenen, neuen Bildkontext eingesetzt wird, eine neue Stilsprache erhält und überdies in einen neuen inhaltlichen Bezugsrahmen gehoben wird. In der vorliegenden Arbeit werden unter anderem Motive wie die LebensalterDarstellungen angeführt, welche Duchamp zwar nach eigener Manier umsetzt, die aber nicht auf eine bildliche Rezeption zurückzuführen sind. Vielmehr handelt es sich hier allein um eine formale Analyse von verschiedenen Themen, die ihm, so ist anzunehmen, lediglich als Idee dienten, um sie, losgelöst vom Vorbild, in freier Motivik, Materialität und Technik umzusetzen. Diese Form von Rezeption bietet somit nur eine leitende Vorstellung, ein Ideen-Modell. Allerdings kann in der Arbeit dargelegt werden, dass es sich dabei um Themenkomplexe handelt, welche schon in der Frühen Neuzeit Anwendung fanden und die bei Duchamp ein spezielles Interesse daran hervorgerufen haben müssen, diese beständigen Themen der Kunst neu zu interpretieren. Der Schwerpunkt der vorliegenden Studie liegt nicht auf einem epochenübergreifenden Vergleich von Duchamps Werk und seinen Vorbildern, sie verfolgt vielmehr einen rezeptionsgeschichtlichen Ansatz. Die Arbeit setzt sich das Ziel, den weitestgehend verborgenen Charakter der Dimension der Vergangenheit in Duchamps Werken aufzudecken: einer Dimension, der eine pure Kunstsprache, im Sinne von »l’art pour l’art«, zugrunde liegt. Unter Transformation (lat. transformare = umformen) versteht die Untersuchung die Umwandlung oder Umformung eines Motivs in einem Kunstwerk, meist aus der Malerei oder Grafik einer anderen Epoche, sodass ihm durch diese individuelle Adaption ein neues Erscheinungsbild verliehen wird.17 Darüber hinaus ermöglicht die Transformation, unsichtbare Seins- und Imaginationsprozesse sichtbar werden zu lassen sowie Assoziationsschichten innerhalb eines Kunstwerkes, Übergangsstadien und Vielschichtigkeiten wie auch Denkprozesse zu differenzieren. In einem Gedicht erörtert Duchamp, was für ihn Transformation bedeutet – Transformation, die er in seinem Werk als Prinzip erkannt haben will. Der Künstler vollführt in dem Gedicht, ähnlich dem Alchemisten, als Transformator bestimmte Prozesse mit alltäglichen Materialien, Tätigkeiten und Gemütszuständen: »Transformator, der dazu dient, die kleinen vergeudeten Energien auszunutzen, wie: Übertriebenen Druck auf einen elektrischen Knopf. Ausatmung des Tabakrauchs. Das Wachsen der Haare und Nägel. Den Fall des Urins und der Exkremente. Bewegungen der Angst, des Erstaunens, des Überdrusses, des Zorns. Das Lachen. Den Fall der Tränen. Hinweisende Gesten der Hände, der Füße, die Tics. 16 17

Vgl. FEULNER 2013, S. 11. Vgl. AUSST.-KAT. Schwerin 2019, S. 34, Kornelia Röder umschreibt die Transformation in Duchamps Werk als »Übergang, Wandel, Umformung, Veränderung oder Wechsel«.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Die harten Blicke. Die vor Schreck herabfallenden Arme. Das Räkeln, Gähnen, Niesen. Das Ausspeien und Blutspucken. Das Erbrechen. Die Ejakulation. Die widerborstigen Haare und Büschel. Das Geräusch des Schneuzens, das Schnarchen. Das In-Ohnmacht fallen. Pfeifen, Gesang. Der Seufzer etc.«18 Die Arbeiten Duchamps beziehen einen aktiven Betrachter in die Kunst mit ein.19 Hier sei angemerkt, dass aus Gründen der besseren Lesbarkeit im vorliegenden Text die männliche Form des Betrachters gewählt wird, die im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral gelten soll. Duchamp gestattet also dem Betrachter, sich der Interpretation zu bemächtigen, indem er erklärt: »Es sind die Anschauer, die die Bilder machen.«20 Er folgt dabei Überlegungen, welche den Betrachter, der durch sein erkennendes Sehen den Diskurs ergänzt, seit der Renaissance als feste Referenz mit in das Kunstwerk einbeziehen. Durch eine Vielzahl von imaginären, im visuellen Gedächtnis verankerten Bildern kommt es zu einem vergleichenden Sehen, da der Betrachter über eine eingeprägte innere, traditionell und kulturell geprägte Bildersammlung verfügt. Es kann hier von einem kollektiven Bildgedächtnis gesprochen werden, welches die Vergangenheit integriert.21 Dem Betrachter wird durch Duchamps Kunst der Vorschlag eröffnet, das Sichtbare in einem Kunstwerk mithilfe des zerlegenden Sehens zu erkennen, um sie im Kontext der Kunstgeschichte verorten zu können. Demnach findet Duchamp, so die These, eine vermeintlich genuine Bildsprache und eine Form der Synthese mit dem jeweilig gewählten Vorbild, anhand derer er seine Werke individuell, technisch, ästhetisch und inhaltlich formt und über die Erfahrung des Rezipienten oder Kunsthistorikers erfahrbar werden lässt.

1.2.

Methode und Forschungsstand

Nach der Darlegung grundlegender Überlegungen und der Vorstellung Duchamps als Rezipierender im Kapitel II gliedert sich nachfolgend die Studie in fünf Hauptkapitel, in 18 19

20

21

GIRST 2011, S. 56. Vgl. Duchamp im Gespräch mit Charbonnier (ca. 1960), in: Stauffer 1992, S. 111; Mit »Betrachter« bezeichnet die Arbeit sowohl das allgemeine Publikum als auch das Fachpublikum und mit ihm die kunstgeschichtliche Forschung, unter deren Blick das Werk Duchamps hauptsächlich steht und betrachtet bzw. diskutiert wird. SPIES 2005, S. 44; LEBEL 1972, S. 165-167. In der Abhandlung befindet sich Duchamps Ansprache auf der Tagung der American Federation of Arts in Houston über den schöpferischen Prozess. SCHUSTER (1955), in: Stauffer 1992, S. 52. Duchamp : »Ce sont les regardeurs qui font les tableaux.« Der französische Regardeur ist ebenso ungewohnt wie der deutsche Anschauer. Vgl. FEULNER 2013, S. 9.

1. Einleitung: Duchamp und die Dimension der Vergangenheit

welchen jeweils ein Alter Meister im Zusammenhang mit den Rezeptionen Duchamps zum Thema erhoben wird. Die Ausnahme bilden Kapitel III und IV, die der komplexen Beziehung von Marcel Duchamp zu Hans Baldung Grien gewidmet sind. Duchamps Brückenschlag zu diesem Meister haben sein Werk am intensivsten geprägt. Im Fokus der Studien stehen das Das Große Glas und Étant donnés. Dass diese beiden Arbeiten als Haupt- und Spätwerk deklariert werden und von Duchamps Rezeption Alter Meister am stärksten beeinflusst sind, ist darin begründet, dass die Arbeiten im Gesamtwerk am stärksten thematisch mit den übrigen Arbeiten vernetzt sind, in den begleitenden Notizen, Interviews und der Forschung maximale Erwähnung finden und folglich die wichtigsten Schnittpunkte in Duchamps Schaffen bilden. Da diesen Arbeiten eindeutige Baldung-Rezeptionen zugrunde liegen, wird Baldung als dem wichtigsten Vorbild Duchamps der größte Anteil dieser Arbeit zugebilligt. Kapitel II verfolgt den Ansatz, die »konzeptuelle Rezeption« Duchamps, welche ihm als generelle Arbeitsgrundlage diente, als eine wissenschaftliche Methode vorzustellen. Punkt 2.1 widmet sich der von Duchamp eigens aufgestellten Formel PODE BAL = DUCHAMP und untersucht seine persönliche Haltung gegenüber der Rezeption bzw. gegenüber seinem bevorzugt gewählten Vorbild Hans Baldung Grien. Die Formel umschreibt komprimiert die methodisch zugrunde liegende künstlerische Praxis von Duchamps gesamtem Œuvre sowie seine künstlerische Haltung. In Baldung erkennt Duchamp ein Künstlerindividuum, eine eigens ausgesuchte historische Identifikationsfigur, und hinter Baldungs Werk ein Modell, eine geistige Dialogsituation, auf welche Duchamp sich bei seiner eigenen Werkerstellung stützt. So verschreibt Duchamp sich einer zeitentbundenen Künstlertradition, schließt sich gewissermaßen einer selbstgewählten »Künstler-Verwandtschaft« an und überwindet im Kontext der Kunst die Grenzen von Zeit und Raum. Duchamp, der sich a priori als freies Künstlerindividuum begreift und als solches wahrgenommen werden möchte, macht mit dieser Praxis unter anderem deutlich, dass er sich weder einer Künstlergruppierung noch einem »Ismus« anschließt22 – was aber die Frage aufwirft, welchen anderen Prinzipien er sich in seinem Konzept unterordnet. Als eine feste Konstante lässt sich die Erotik durchgängig in Duchamps Schaffen verorten. So erklärt er: » Ich glaube sehr an Erotik, weil das wirklich eine ziemlich allgemeine Sache ist auf der ganzen Welt, eine Sache, die die Leute verstehen. Sie ersetzt, wenn Sie wollen, das, was andere literarische Schulen als Symbolismus, als Romantik, bezeichneten. Das könnte sozusagen ein neuer ›Ismus‹ sein. Sie werden mir sagen, dass man auch in der Romantik Erotik haben könne. Aber wenn man sich der Erotik als Hauptgrundlage, als Hauptziel bedient, dann nimmt das die Form eines ›Ismus‹ im Sinne einer Schule [an].«23 Duchamp zeigt hier ein Thema auf, welches er mittels seines künstlerischen Alter Egos Rrose Sélavy selbst körperlich vorlebt, nämlich als Frau verkleidet (Abb. 115).

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23

Vgl. STAUFFER 1973, S. 45, Duchamp: »Ein Mensch ist ein Mensch; ein Künstler ist ein Künstler; wenn man ihn unter irgendeinem Ismus kategorisieren kann, ist er nicht mehr Mensch oder Künstler«; MOLDERINGS 2012, S. 22; VON BEYME 2005, S. 102. GRAULICH 2003a, S. 24.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abgesehen davon ist Erotik für alle Menschen jeder Kultur, Gesellschafts- und Bildungsschicht ein allgemein verständlicher Aspekt, der sich dementsprechend auch in anderen Werken wie denen von Hans Baldung Grien, der den Eros buchstäblich in sein Werk holt, als roter Faden beobachten lässt. Baldung24 , ein Meister der menschlichen Natur, drückt zwar humorvolle und frivole Situationen aus, aber stets so, wie es sein historisches Umfeld forderte: unter dem Deckmantel der Moral. Die Erotik steht ferner für die humanistische Haltung gegenüber der Kunst, der Liebe zur Kunst selbst, der Inspiration, der Beziehung zum Werk, dem Sammeln und der Kunstrezeption.25 In dieser wichtigen Hinsicht schließt sich Duchamp einer langen ikonografischen Traditionskette, den sogenannten Schöpfungsmetaphern in der bildenden Kunst an. Unter Rezeption versteht Duchamp ein System, ein Fließen, eine Bewegung, welches die Kunst, in einer bildhaft darstellenden Sprache, untereinander verbindet, wodurch sie das Potenzial einer Kommunikation erhält (Punkt 2.2 und 3.2). Darin wird auch Duchamps Haltung gegenüber Original und Kopie deutlich: Er schreibt von »ästhetischer Emotion«, die im neu gewonnenen Kunstwerk weitergegeben wird, niemals aber das Vorangegangene Eins zu Eins kopiert. Duchamp: »When you pick up something from an earlier period and adapt it to your own work, the approach can be creative. The result is not new but it is new in as much as it is a different approach.«26 Unter Punkt 2.3.3 wird aufgezeigt, dass bei Duchamps Zeitgenossen Pablo Picasso eine ähnliche Affinität zur altmeisterlichen Kunst zu finden ist, gegenüber dem Medium der Malerei und der Druckgrafik. Das zeigt die Wahl des gleichen Vorbildes Hans Baldung Griens, Der behexte Stallknecht (um 1534), in seinem Hauptwerk Guernica (1937, Abb. 6). Die »Rehabilitierung« El Grecos und die begriffliche Aufwertung des Manierismus Anfang des 20. Jahrhunderts wirken zusammen, und El Greco findet begeisterten Anklang in der Avantgarde und auch bei Duchamps Künstlerfreundin Katherine Dreier (siehe Punkt 2.4). 1913 kuratiert Dreier zusammen mit Duchamp in New York die Armory Show: Sie soll lebendig und voller Spannung die innere Bindung an die Vergangenheit bzw. die »Knechtschaft« dieser gegenüber auflösen, eine Knechtschaft, welche gemäß Dreier in der Renaissance ihren Höhepunkt findet. Diese Haltung, so Dreier, klinge bis heute nach. Auch der ungebrochene Höhepunkt der Kunst selbst liegt laut Dreier in der Renaissance, doch habe sich in der Société Anonyme Inc. eine Gruppe von Künstlern zusammengefunden, um einen neuen individuellen Ausdruck zu behaupten.27 Duchamp, der ab 1915 in New York wohnt, besucht Katherine Dreier ab dieser Zeit sehr häufig in ihrem Wohnhaus in Connecticut.28 Dreier beherbergt dort große Bücherbestände, welche Duchamp zur Verfügung stehen; generell stellt die Literatur eine essenzielle Quelle für den Kunstphilosophen Duchamp dar. Für Duchamp und Dreier ist die Rezeption 24 25 26 27 28

Hans Baldung Grien ist der volle Name des Künstlers. Grien (=Grün) ist ein Zusatz, ein Spitzname Dürers, der sich wohl aus der Wahl seiner meist grünen Kleidung erklärt. Vgl. PFISTERER 2014, S. 586f. REFF 1977, S. 92. Vgl. DREIER 1948, S. 2f. Vgl. DREIER, Katherine: [Kalender], Series III, Katherine S. Dreier: Subject Files, Art, Katherine S. Dreier Papers/Société Anonyme Archive, YCAL MSS 101, Box 59, Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale University.

1. Einleitung: Duchamp und die Dimension der Vergangenheit

bzw. das Suchen und Erstellen eines eigenen Traditionsweges grundlegend. Dreier beschreibt, dass es in der Rezeption nicht um die Kopie gehen solle, sondern stattdessen um eine Vision, die Suche nach dem persönlichen Ausdruck, um so zu weiteren Erkenntnissen vorzudringen. Durch das Kopieren, so Dreier, könne sich ein eigenständiger, sich absetzender Gedanke gegenüber dem Kopierten postulieren und eine Ästhetik offenbaren, in die das entstehende Werk gekleidet werde. Es könne so ein selbstständiger Beitrag in der Kunst geleistet werden. Dieser Gedankengang der Künstlerkollegin hat großen Einfluss auf Duchamp und scheint seiner eigenen Haltung nahezukommen. Gemeinsam greifen Dreier und Duchamp einen Aphorismus Franz Marcs auf, welcher der Société Anonyme, Inc.: Museum of Modern Art, die Duchamp, Man Ray und Dreier 1920 gründen, als Leitsatz dient: »Traditions are beautiful things, but only the creation of traditions, not living after them.« Auf dem Deckblatt des Ausstellungskataloges der Société Anonyme wird schließlich Franz Marcs Zitat abgewandelt angeführt: »Traditions are beautiful but to create them not to follow.«29 Unter Punkt 2.5 wird eine Rembrandt-Rezeption von Duchamp beleuchtet, eine geschriebene, virtuelle Rezeption, das reziproke Readymade Einen Rembrandt als Bügelbrett verwenden.30 Diese Rezeption in Form einer Notiz ist Teil von Duchamps Grüner Schachtel und hat dennoch die Funktion eines eigenständigen Kunstwerks inne. Mit der Referenz auf Rembrandt kann deutlich gemacht werden, dass sich Duchamp intensiv mit dem Individualisten und dessen technischen Fertigkeiten beschäftigte. Gleichzeitig können Duchamps Gedanken in Bezug auf Rembrandt in konzeptioneller Hinsicht nachvollzogen werden. Wichtig für die Entstehung von Duchamps Werk sind unter anderem seine Kunstmäzene Walter und Louise Arensberg. Walter Arensbergs Studienzeit in Harvard zeichnet eine enorme Wissbegierde aus, die sich auf Alte Kunst sowie auf Literatur und Philosophie erstreckt. Bereits während seiner Studienzeit wirkt er an Publikationen mit. Unter anderem verfasst er für die Zeitschrift Harvard Monthly zwei Essays über Dürers Melancholia I und über Leonardo da Vincis Mona Lisa.31 Duchamp, der das Ehepaar Arensberg mit eigenen Werken ausstattet und zu Kunstkäufen und Inhalten berät, ist stark daran interessiert, sein Werk zur Gänze in einem Museumsraum ausgestellt zu wissen. Er vergleicht eine solche, von dem Ehepaar Arensberg angestrebte umfassende Zusammenstellung mit einem Organismus, der, um seine volle Wirkung und Wirksamkeit entfalten zu können, als Gesamtwerk wirken müsse. Die Platzierung großer Teile seines Werkes in den hinteren Räumen des Philadelphia Art Museum kommt hinsichtlich dieser Idee, führt man sie weiter, dem Besucher vor wie ein inszenierter Höhepunkt der kunstgeschichtlichen Entwicklung: Das Werk präsentiert sich dem Betrachter nicht, bevor er nicht sämtliche vorangegangene Stile und Epochen durchschritten hat. In dem Raum, in dem die Kunst von Duchamp gezeigt wird, können die Werke selbstbezüglich wirken und miteinander kooperieren und so als Gesamtwerk in einen

29 30 31

Vgl. AUSST.-KAT. Springfield 1939, S. 4; LANGFELD 2011, S. 46. STAUFFER 1981/1994, S. 100; SANOUILLET 1979, S. 68. Duchamp : »Se servir d’un Rembrandt comme planche à repasser.« Vgl. ARENSBERG 1898, S. 23-25; SAWELSON-GORSE 1994, S. 17, siehe auch S. 56.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Dialog treten. Die einzigartige Dauerpräsentation, angelegt von Duchamp selbst, ermöglicht dem Betrachter, das Werk in großen Teilen und all seinen sich aufeinander beziehenden Spannungen zu erleben. Damit folgt Duchamp keiner neuen Idee: So entwickelte bereits Tizian seine programmatische Konzeption hinsichtlich seiner sensuellen Malerei, indem er die unterschiedlichen Schaffensphasen thematisch zusammenwirken ließ.32 Kapitel III nähert sich der Beschäftigung Duchamps mit seinem Hauptwerk Das Große Glas und unternimmt den Versuch, gemäß der These dieser Arbeit, die Verbindung zu Duchamps geistigem Vorbild Hans Baldung Grien und dessen Werk auf visueller Ebene offenzulegen. Eingangs werden die Lebensalter-Darstellungen Duchamps vorgestellt (Punkt 3.1). Sie thematisieren das Alter eines Kunstwerkes, seinen zyklischen Aspekt von Werden und Vergehen, Beobachtungen, die Duchamp in ebendiesen eigenen Lebensalter-Porträts pointiert. Die Werke von Baldung stellen vergleichbare Studien dar; sie bilden die Grundlage eines formalen Gestaltungsprinzips bei Duchamp und zeigen sein konzeptionelles Vorgehen auf. Der Begriff der Emanation (lat. Ausfluss, Ausstrahlung, Hervorgehen aller Dinge aus dem göttlichen Einen) wird unter Punkt 3.2 erläutert. Duchamp zeigt sich diesbezüglich wie ein Alchemist, welcher versucht, die zu bearbeitende träge Materie zu beleben und zur Bewegung zu führen.33 Der Begriff der Emanation verbindet Duchamps Gedanken zu scheinbar flüssig gewordenen Aggregatzuständen und Werkprozessen, die den Betrachter in das Geschehen einbinden und durch ihn lebendig werden lassen. Der Betrachter wird somit selbst Teil der Werkerstellung. Das Vorgehen der »Lebendigmachung« zeigt sich jedoch in allen Werkphasen, nicht nur in Nu descendant un escalier (No. 2) / Nude Descending a Staircase (No. 2) / Akt, eine Treppe herabsteigend (Nr. 2) von 1912 (Abb. 43) oder in Roue de Bicyclette / Bicycle Wheel / Fahrrad-Rad (1915) (Abb. 42), sondern auch in dem Werk Étant donnés, welches einen haptisch realistisch nachgeformten Körper präsentiert, vor einem Gewässer und einem motorbetriebenen Wasserfall liegend. Die Thematik der Emanation wird erneut im Kapitel V unter Punkt 5.4 aufgegriffen und in der Arbeit hinsichtlich einer Visualisierung bei Duchamp diskutiert, die in Verbindung mit einem Zitat aus Albrecht Dürers Männerbad steht. Punkt 3.3 widmet sich in einem Exkurs dem manieristischen Maler Giuseppe Arcimboldo. An ihn und den ästhetischen Anspruch dieses Vorbildes schließt Duchamp seine essbare, dreidimensional gewordene Kunst teilweise an, um sie in seinem Sinne weiterzuformen. Ab Punkt 3.4 wird der Einfluss Hans Baldung Griens auf Duchamps Hauptwerk Das Große Glas diskutiert. Eine wichtige Quelle bildet der Almanach Der Blaue Reiter von 1912, ein Künstlerbuch, welches Wassily Kandinsky und Franz Marc zusammen erarbeitet haben. In ihm sind Kunstwerke der Vergangenheit mit aktuellen Arbeiten der Künstlergruppe des Blauen Reiters sowie Hinterglasmalereien, afrikanische, asiatische und internationale Kunst und Kultur reproduziert. Die angeführten Alten Meister im

32 33

Vgl. SUTHOR 2014. Dem kann ein altgriechischer Gedanke des Philosophen Heraklit »panta rhei« zugrunde gelegt werden: »alles fließt«, in dem Sinne, dass alles, was sich bewegt, lebendig ist. Siehe dazu: AUSST.KAT. Schwerin 2019, S. 80.

1. Einleitung: Duchamp und die Dimension der Vergangenheit

Almanach sollen, so lautet der wesentliche Konsens ihrer Kunstauffassung, zur mystischen »Innenschau« verhelfen, um darin eine Art religiösen Kerns wiederzuerkennen. Der Almanach Der Blaue Reiter erscheint während Duchamps Münchener Zeit und liegt in allen Bücherläden aus. In ihm wird Duchamp wohl den abgebildeten Holzschnitt Baldungs gesehen haben; Duchamp selbst wird in diesem Buch namentlich erwähnt. Diese Serie von Hans Baldung Grien, die aus drei Blättern besteht, soll unter Punkt 3.6 als grundlegendes Konzept für Duchamps Hauptwerk Das Große Glas vorgestellt werden und wird auch in den darauffolgenden Punkten 3.7, 3.8 und 3.9 detaillierte Erläuterung finden. Das verbreitete Sujet des Pferdes, im Besonderen in der altmeisterlichen Kunst bei Dürer und Baldung, aber auch im Œuvre Duchamps, wird im Unterpunkt 3.6.1 herausgearbeitet, während der Unterpunkt 3.6.2 sich ausschließlich der Pferdeserie in Baldungs Œuvre widmet. In beiden Werken der Holzschnittserie Baldung Griens werden ebenso wie in Duchamps Großem Glas zugrunde liegende sexuelle Kreislaufsysteme einer Liebesmaschine erkannt, etwa die konkurrierenden Junggesellen, welche um die Gunst der Braut werben: Beide Geschlechter bedingen sich gegenseitig und versetzen sich in Bewegung umeinander herum, ohne sich wahrhaftig zu begegnen, so die Vorstellung, welche der Künstler erzeugen möchte. Nach einer grundlegenden Einführung in Das Große Glas Duchamps und in die Pferdeserie Baldungs werden schließlich die beiden Werke unter Punkt 3.7 übergreifend mit den sogenannten Schöpfungsmetaphern in Verbindung gebracht; Punkt 3.8 endlich untersucht das Große Glas dahingehend genauer. Die Beweisfindung fußt darauf, dass Duchamp hinter dem angedeuteten sexuellen Kreislaufsystem eine Metapher für physikalische und mechanische Automatismen sieht, welche einem organischen Prinzip in der Kunst gleichen. Dies gilt auch hinsichtlich seiner Werkerstellung und der Kunstliebe, die mit der Werkerzeugung verbunden ist. Wegweisende Literatur hinsichtlich des Nachweises von Schöpfungsmetaphern, vor allem im Bereich der italienischen Renaissance, erarbeitet Ulrich Pfisterer in seiner Habilitationsschrift Kunst-Geburten, Kunst-Liebe, Zeugung der Idee. Auch das Buch Animationen / Transgressionen unter seiner Herausgeberschaft wird diskutiert. Pfisterer weist die Schöpfungsmetaphern in der Kunst der frühen Neuzeit nach und zeichnet ein gattungsumschließendes Prinzip in ihnen auf. Dieses Thema verbindet Pfisterer mit Duchamp indes nur in punktuellen Ausführungen, wobei er auf eine forscherische Leerstelle verweist, welche mit der vorliegenden Arbeit gefüllt werden soll. Sabine Peinelt hingegen legt den Fokus beim Thema Schöpfungsmetaphern auf die Pferdeserie (Abb. 32, 33, 34) von Hans Baldung Grien, die als das zentral rezipierte Werk Duchamps im Hauptteil dieser Arbeit dem Großen Glas gegenübergestellt wird. Rosenbergs Artikel im Magazin The New Yorker (1963) beschäftigt sich unter anderem ebenfalls mit der Thematik Schöpfungsmetaphern im Kontext von Duchamp. Der Autor spricht darin über die kurze Lebensdauer eines Kunstwerkes, die Zufälligkeit, mit der dieses »geboren« werde, spricht von dessen Seele und erklärt eine Verbundenheit, die sich zwischen Künstler und Betrachter abspiele. Duchamp ist ihm zufolge der Ansicht, dass es letztlich besser sei, ein »totes Werk« zu haben – im Sinne des »Verstandenwerdens« durch das Publikum –, als das Werk nur in verhüllter Abstraktion zu halten; dies wird von Rosenberg anschaulich verdeutlicht. Er erkennt in der Unverkäuflichkeit des Kunstobjekts sogar eine Waffe

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

von Duchamp, mit deren Hilfe dieser die Sichtweise auf die Kunst als Ware abwenden könne. Rosenberg schafft somit bereits wertvolle gedankliche Grundlagen, auf welchen die vorliegende Arbeit aufbaut.34 Das Werk La Boîte verte / The Green Box / Die Grüne Schachtel von 1934 (Abb. 46) ist ein ungeordnetes Sammelsurium mit vielen technischen Zeichnungen und Notizen darin oder als eine Gebrauchsanweisung für das Große Glas zu betrachten, findet unter Punkt 3.10 eine Darlegung. Die Box selbst wird in ihrer ästhetischen Form und Farbgebung einer Analyse unterzogen, wodurch wichtige Rückschlüsse auf die Baldung-Rezeption innerhalb des Großen Glases gezogen werden können: Sie beinhaltet sämtliche Details des Gedanken-Apparates Duchamps zur Zeit der Erstellung des Glases. Punkt 3.12 stellt zunächst Baldungs Holzschnitt Der behexte Stallknecht vor, um sich schließlich dem Detail des Kamms zu widmen, in dem ein weiteres Baldung-Zitat in Duchamps Œuvre gesehen werden kann (3.13). Das Spätwerk Étant donnés (Kapitel IV) wird ebenfalls in Verbindung mit Baldung diskutiert. Zunächst beschreibt die Arbeit im ersten Unterpunkt Baldungs Zeichnung Neujahrsgruß mit drei Hexen (Abb. 60), um darauf Verbindungen und Überschneidungen zum Werk Étant donnés herauszuarbeiten. Der Diskurs wird hierbei nicht nur auf Duchamp bezogen, sondern durch die Beleuchtung einer Zusammenarbeit mit Breton am Surrealisten-Katalog First Papers of Surrealism von 1942 unter Punkt 4.3 erweitert. Für den Katalog wird von Duchamp eine Zeichnung des Ruhenden nackten Paares (1527, Staatsgalerie Stuttgart, Abb. 64 b) von Hans Baldung Grien ausgesucht und mit seinem eigenen Werk thematisch verbunden. Eine grafische Serie von Duchamp, welche teilweise auf Étant donnés Bezug nimmt, wird unter Punkt 4.4 vorgestellt. Ihr offensichtliches Rekurrieren auf Vorbilder muss in diesem Kontext Erwähnung finden. Die Radierungen der Serie The Large Glas and Related Works / Das Große Glas und verwandte Werke, die von Arturo Schwarz zwischen 1965 und 1968 herausgegeben wurde, nehmen visuell und inhaltlich teils Bezug auf Das Große Glas und auf Étant donnés.35 In der eben genannten Serie zitiert Duchamp andere Meister wie Lucas Cranach, August Rodin, Jean August Dominique Ingre und Gustav Courbet in etlichen Drucken. Offensichtlich stellt Duchamp hier eine Verbindung zwischen Vorbild und Schablonenmalerei her, wobei Letztere sich durch sein Werk zieht und sowohl bei seinen frühen Malereien als auch in seinen letzten Zeichnungen und Grafiken Verwendung findet und ein technisches Rezeptionsverfahren sichtbar macht. Unter Punkt 4.5 wird der nach oben gestreckte Arm des liegenden Torsos aus Étant donnés in den Fokus gerückt: Der Frauenarm ist angespannt, phallusartig dominant in die Mitte des Spätwerkes gerückt und hält ein Gaslicht in die Höhe. Die Hand oder der bewegte Arm stehen für das werkschaffende Organ, welches bei Duchamp den Pinsel als traditionelles Malerwerkzeug ablöst. Gleichzeitig sind Hand und Arm motivisch mit der Sündenfall-Darstellung verbunden, ebenso mit dem Readymade, und symbolisieren mit dem Licht den Gedanken der Auffindung des inspirierenden Funkens. Dabei erlaubt die Verbindung zu Lukas Cranach dem Älteren und zu dem Neujahrsgruß mit drei Hexen von Hans Baldung Grien erkenntnisreiche Rückschlüsse. Die Punkte 4.8 und 34 35

Vgl. ROSENBERG 1963, S. 76ff. Vgl. GRAULICH 2003p, S. 252f.; AUSST.-KAT. Schwerin 2019, S. 23f.

1. Einleitung: Duchamp und die Dimension der Vergangenheit

4.9 behandeln das Zusammenwirken von Lichtinszenierungen in Duchamps Œuvre, welche farbliche und auch ideelle Referenzen auf Baldungs Werk offenbaren. Kapitel V ist Albrecht Dürer gewidmet, der nachweislich einen Nachhall in Duchamps Werk findet. Dürer wird als Apelles bzw. als Albertus Magnus (1200–1280), als »Künstler-Philosoph« und »freier Schöpfer«, gefeiert, was ihn aus dem Rang des mittelalterlichen Handwerkers hebt und sich in seinem Schüler Hans Baldung Grien insofern fortsetzt, als dieser den Beruf des Künstlers bereits aus freier Berufung wählt.36 Der Künstlerberuf erfährt in der Renaissance eine Nobilitierung, und der HandwerkerKünstler erhebt sich zum geistig schaffenden »Künstler-Philosophen« oder gar gottesgleichen Schöpfer mit »emphatischen Vorstellungen« hinsichtlich der Autorenschaft.37 Duchamp reiht sich, wie im Unterpunkt 5.1 dargelegt, durch das Nachstellen von Dürers Selbstbildnis im Pelzrock (1500) in selbstgewählter Folge ein und erstellt damit eine virtuelle Ahnengalerie. Er kennt das Bild seit seinem Besuch der Alten Pinakothek in München im Jahr 1912. Unter Punkt 5.3 wird der von Duchamp verfasste Text »As stupid as a painter« vorgestellt. Darin spricht dieser sich für die interdisziplinäre Bildung des Künstlers aus, der die Verantwortung für die Herausbildung der nachfolgenden Künstlergeneration trägt. Dürer, der mit seinen Lehrbüchern eine Rezeptionsgrundlage der Kunst schafft, speist den eigenständigen, erfinderischen Geist des Künstlers, bildet damit einen Werkerstellungskanon für die folgende Generation und erstellt dieserart Bilder des Werkprozesses an sich. Einer der Schwerpunkte im Dürer-Kapitel wird unter Punkt 5.2, Duchamps Aneignung methodischer Vervielfältigung und Vergrößerungsverfahren – Konzeptuelle Transformation, dargelegt: Hierin wird die Relevanz für das Funktionsverständnis und das Vorgehen Duchamps aufgezeigt. Nicht nur der Motivausschnitt von Étant donnés ist ähnlich wie jenes Motiv, das Dürer in seinem Holzschnitt Der Zeichner des liegenden Weibes (1525) wählt (Abb. 101), sondern auch von Dürer vorgegebene Verfahren, hier das Vergrößerungsprinzip, werden von Duchamp eingesetzt. Ebenso wählt Duchamp in seiner New Yorker Schaufenstergestaltung des Buchladens Gotham Book Mart ein Zitat aus einem Holzschnitt Dürers und integriert es mit einer neuen ästhetischen und erweiterten Aussage in einen neuen Kontext. Er wahrt dabei dennoch einen sichtbaren Bezug zu dem gewählten Vorbild. Punkt 5.5 nimmt Bezug auf Dürers Melancholia I, die in sich versunkene, weibliche Gestalt. Ende des 19. Jahrhunderts sieht Freud eine Verbindung zwischen Weiblichkeit und Depression. Humor, der in Duchamps Werken omnipräsent ist, bezeichnet den Gegenpol der Melancholie und ist ohne diese nicht existent. Denn auch der Gemütszustand der Melancholie ist in Duchamps Werk sichtbar – ein Aspekt, dem unter diesem Punkt nachgegangen wird. Kapitel VI ist Duchamps Übernahmen aus Lukas Cranachs Œuvre gewidmet. Zunächst wird Duchamps Adam-und-Eva-Rezeption bei Cranach einer Analyse unterzogen; der Künstler selbst nimmt hierbei die Position von Adam in einem nachgestellten 36

37

Dürers Schüler Hans Baldung Grien wählt den Künstlerberuf aus freier Entscheidung, nicht etwa aus einer familiären Erbpflicht heraus. Baldung schafft vor allem intellektuelle Kunst in seiner Zeit, er bearbeitet profane, humanistische und religiöse Themen. Er arbeitet hauptsächlich für die humanistischen Bildungselite sowie für Auftraggeber beider Konfessionen. Siehe dazu: ZINKE 1998, S. 421. Vgl. SCHERBAUM 2004, S. 220; SCHMIDT 2010, S. 70; FEULNER 2010, S. 71.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Tableau vivant ein und wird von Man Ray in einer Fotografie abgelichtet (Punkt 6.1). Unter Punkt 6.2 wird auf die Kunsthaut eingegangen: Hier werden Duchamps theoretische Überlegungen bezüglich Lucas Cranach dem Älteren geschildert sowie Duchamps praktische Umsetzung nachvollzogen, die sich in der Aufspannung der Haut bzw. des Leders in Étant donnés äußert und auf ein Malereischichtprinzip der klassischen Maltradition rekurriert. Eine für das Kapitel wichtige Analyse stammt aus Nicola Suthors Augenlust bei Tizian.38 Suthors Untersuchung thematisiert grundlegende Aspekte der Kunsthaut, welche mit Duchamp in einen Kontext gesetzt werden. Suthor richtet das Augenmerk auf den Liebhaber, der in den Rollen sowohl des Künstlers als auch des Betrachters wiedererkannt werden kann und somit im Kunstwerk selbst inbegriffen ist. Hier lässt sich eine inhaltliche Verbindung feststellen, da der Betrachter oder Voyeur bei Duchamp aktiv in das Werkgefüge eingeplant ist. Er, oder der Künstler als erster Voyeur, muss selbst Hand an die Materie anlegen: Diese Verbindung zu Étant donnés wird vertiefend diskutiert werden. Unter Punkt 6.3 – Schaumgeburten – wird geschildert, wie Duchamp auf die traditionelle sexuelle Metapher des Schaumes zurückgreift, welche bereits Lukas Cranach der Ältere hinsichtlich der malerischen Werkerstellung metaphernhaft einbezieht. Der letzte Punkt des Cranach-Kapitels (6.4) ist der Nymphen-Darstellung gewidmet: Diskutiert wird der nackte Akt der liegenden Quellnymphe in der Landschaft, der in einigen Fällen mit einer Hand auf der Scham der Liegenden gezeigt wird. Diese Geste beinhaltet sowohl die Verhüllung des Geschlechtes vor dem voyeuristischen Blick des Betrachters als auch den Schutz vor aktiven und passiven Gesten oder Berührungen – ein auch von Duchamp visualisierter Aspekt, der bereits unter Punkt 4.1 diskutiert und an dieser Stelle vertieft wird. Verbindungen zu Leonardo da Vincis Kunst und dessen künstlerischer Haltung werden im Kapitel VII bearbeitet. Leonardo da Vinci als Universalgenie gilt als Vorreiter für die Einheit von Kunst und Wissenschaft und für das Geistesleben, die cosa mentale, das er mit dem empirischen menschlichen Fortschritt verbindet.39 Hier findet sich ein starkes Vorbild für Duchamps freien, erfinderischen, logisch denkenden Künstlergeist. Da Vinci erschafft mit der Mona Lisa das wohl berühmteste, dank seiner handwerklichen Meisterschaft unübertroffene Werk und gleichzeitig das am häufigsten rezipierte Gemälde der Welt, welches sich Duchamp in reproduzierter Form schlicht als Hintergrund wählt und in subversiver Form mit einem Bart versieht. Duchamp bekundet hier offensichtlich seine Haltung zur Rezeption Alter Meister, wie unter Punkt 7.1 diskutiert wird. Leonardo da Vinci befand, dass der Künstler bei der Erarbeitung eines Porträts darauf achten solle, keine eigenen Gesichtszüge mit in das Bild einfließen zu lassen. Es ist dieses Porträt der Mona Lisa von Leonardo, das mit Blick darauf diskutiert wird, dass sich in der weiblichen Physiognomie des Gesichtes auch männliche Züge erkennen lassen, und ebendieser Umstand steht in der Zeit der Bearbeitung durch Duchamp im Fokus des Interesses. Duchamp schließt letztlich diesen Gedanken ab und visualisiert ihn, indem er der Mona Lisa durch den aufgezeichneten Bart eine männliche Seite zuweist. Das weitreichend von Duchamp bearbeitete Genderthema, welches das Sujet 38 39

Vgl. SUTHOR 2004. Vgl. BEUYS-WURMBACH 1974, S. 41; TOMKINS 1999, S. 530.

1. Einleitung: Duchamp und die Dimension der Vergangenheit

umspannt, kann mit der Mona Lisa in Verbindung gebracht werden (Punkt 7.2), aber auch mit der vermeintlich weiblichen Seite da Vincis, wie Duchamp, vom Zeitgeist inspiriert, entdeckt und sichtbar macht. Punkt 7.3 diskutiert den lebendigen Blick der Mona Lisa: Das Kunstwerk fängt den Blick des Betrachters ein, verfolgt diesen wie eine lebendige Person im Betrachterraum und erzeugt so, fast schon auf magisch anmutende Weise, einen Flirt mit dem Betrachter. Duchamp, der an Erotik als eine entscheidende Kraft in der Kunst glaubt, erhebt den weiblichen Charakter Rrose Sélavy, seinen weiblichen Eros, zum Kunstwerk und setzt dieses Alter Ego in diversen Experimenten ein, um mithilfe des gleichen praktischen Vorgehens wie das Leonardo da Vincis den Blick zwischen Betrachter und Kunstwerk zu thematisieren. Theodor Reff verfasst 1977 den Aufsatz Duchamp & Leonardo: L.H.O.O.Q.-Alikes und erinnert darin an den Ausspruch Leonardos, Kunst sei als Erfindung zu betrachten, wobei Reff das große Interesse beider Künstler an optischen Phänomenen hervorhebt.40 In der Forschung findet die Verbindung zwischen Alten Meistern und Duchamp immer mehr Beachtung. So wird den Künstlern Marcel Duchamp, Joseph Beuys und Leonardo da Vinci vom Duchamp-Forschungszentrum der Staatlichen Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin im Jahr 2017 ein Symposium unter dem Titel Renaissance der Moderne: Duchamp, Leonardo, Beuys gewidmet. 1959 vermutet Robert Lebel eine Kunsttradition Duchamps, welche teils in bildlicher Abstammung von Hieronymus Bosch stehe.41 Michael Taylor beschäftigt sich in der Duchamp-Forschung im weiteren Sinne mit der Verbindung zu den Alten Meistern. Von ihm erscheint 2012 ein Aufsatz im Ausstellungskatalog Marcel Duchamp in München, in dem er im Hinblick auf Lukas Cranachs Liegende Quellnymphe (1518, Abb. 119) wertvolle grundlegende Analysen bereitstellt, wie auch schon im Ausstellungskatalog von Philadelphia 2009. Letzterer ist nicht allein auf Alte Meister bezogen, sondern erläutert dazu die allgemeinen technischen Vorgehensweisen des Künstlers Duchamp in seinem Werk Étant donnés. Taylors Ausführungen bilden eine wichtige Basis für die vorliegende Arbeit, die es sich im weiteren Verlauf zur Aufgabe macht, den technischen Entstehungsprozessen weiter nachzuspüren und diese zu extrapolieren, um sie schließlich zu dem Vorgehen der Alten Meister in Relation zu setzen. Einen wichtigen Stellenwert hinsichtlich Duchamp und seines rezeptiven Vorgehens Leonardo da Vinci und Arcimboldo betreffend, nimmt die Untersuchung Unpacking Duchamp von Dalia Judovitz ein. Sie analysiert bereits Duchamps Beschäftigung mit Arcimboldo weitreichend und stellt fest, dass Duchamp metaphorisch darauf bedacht ist, neue Elemente wie Zutaten für sein Werk zu finden, die bereits durch frühere Traditionen geprägt sind.42 Den Zusammenhang zwischen den Surrealisten und den Alten Meistern bearbeitet José Pierre in L’univers surréaliste 1983. Er sieht in der Wahl der Surrealisten, was alte Gemälde anbelangt, unter anderem einen offenen Konflikt zwischen den konkurrierenden

40 41 42

Vgl. REFF 1977, S. 92. Vgl. LEBEL 1959, S. 72. Vgl. JUDOVITZ 1995, S. 86.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Werken der Epochen.43 Pierre konstatiert, dass die Surrealisten nicht nur Interesse an den Italienern der Renaissance hatten, sondern auch an den Meistern nördlich der Alpen, darunter Dürer, Grünewald, Cranach, Altdorfer und Baldung Grien. Das Interesse an ihnen sieht Pierre in »l’empreinte des terreurs«44 und in der Mystik der Gotik bestätigt. Die bestehenden Forschungsthemen lassen jedoch weiterhin Raum; das Sujet Duchamp und die Alten Meister ist eine Forschungslücke, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit geschlossen werden soll.

43 44

Vgl. PIERRE 1983, S. 44. Dt. »Hinterlassenschaften des Grauens«.

2. Duchamp als Rezeptionist

2.1.

PODE BAL = DUCHAMP – Eine Rezeptionsformel

1921 erhält Marcel Duchamp von Jean Crotti (1878−1959) das Angebot, ein Exponat für die Ausstellung Salon Dada in der Galerie Montaigne in Paris zu stellen. Duchamp antwortet: »…Du weißt sehr gut, dass ich nichts auszustellen habe und außerdem ähnelt das Wort ›exposer‹ (ausstellen) dem Wort ›épouser‹ (heiraten) […].«1 Erzählungen Crottis damaliger Frau Lydie Fischer Sarazin-Levassor zufolge bleibt dieser aber hartnäckig, und schließlich telegrafiert Duchamp nach Neuilly-sur-Seine in die Rue Parmentier 5 die formelhafte Botschaft: PODE BAL = DUCHAMP2 Das Telegramm wird ausgedruckt und an die Ausstellungswand gehängt.3 Die Formel wird in phonetischer Weise und als französische Redewendung wie »peau de balle« gelesen, was übersetzt so viel heißt wie »nichts, rein gar nichts«, und könnte im entsprechenden Kontext gedeutet werden als »mit etwas nicht einverstanden sein«.4 Auch wird in der freien Übersetzung von »balls to you« gesprochen.5 Duchamp selbst verwendete nachträglich noch einmal den phonetischen Begriff. So schildert er: »Ja, Picabia zieht sich zuerst zurück. Ein ›Salon Dada‹, der 1921 stattfinden sollte, ist ein Fiasko. Man hatte mich gebeten, daran teilzunehmen, aber ich habe nie den Geist für Gruppen gehabt und ich antwortete, telegraphisch: Peau de balle. Dadas letzte Erhebung wird die ›Soirée du cœur à gaz‹ im Juli 1923 gewesen sein. Der Surrealismus beginnt.«6

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FISCHER SARAZIN-LEVASSOR 2010, S. 281. DUCHAMP, Marcel: [Telegramm an Jean Crotti], TZR C 1249, Bibliothèque Jacques Doucet; Ephemerides, 1993, 1 June 1921; Judovitz schreibt: Pode Bal – Duchamp [Balls – Duchamp], JUDOVITZ 2010, S. 37; ROTH/KATZ 1998, S. 24; FISCHER SARAZIN-LEVASSOR 2010, S. 281. Vgl. JEAN 1960, S. 16f. Vgl. TILKORN 2005, S. 92. Hier übersetzt mit »einen Dreck [kriegt ihr]«. Vgl. NAUMANN 1982, S. 15. PARINAUD (1966), in: Stauffer 1992, S. 211.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Von Parinaud wird »peau de balle« mit (männlicher) »Kugelhaut« übersetzt, was so viel bedeutet wie, dass »nichts zu machen« sei, eine Übersetzung, die Duchamp hier scheinbar vordergründig festhalten wollte.7 Zwischen Duchamp und Breton entwickelt sich eine intensive Zusammenarbeit, sie bezeichnen sich sogar als »Zwillinge«.8 1942 konzipieren sie gemeinsam die Ausstellung und den gleichnamigen Katalog First Papers of Surrealism, worin Duchamp eine Seite mit einem Hegel-Zitat gestaltet (siehe dazu Kapitel 4.3). Diese Seitengestaltung wird in der Forschung bereits als Vorüberlegung für das Werk Étant donnés: 1° la chute d’eau / 2° le gaz d’éclairage 1946−1966 verstanden.9 Hegels Konzept der dialektischen Systeme, und hier im Speziellen von These und Antithese, beeinflusst André Breton und Marcel Duchamp in den frühen 1920er Jahren. Die Zusammenfügung beider fungiert als eine dialektische Synthese und bildet eine »Resolutio der Gegensätze«.10 Auch Molzahns Schrift Zwitter der Epoche, welche sich in den Unterlagen von Katherine Dreier befindet und für Duchamp zugänglich ist, erinnert daran, dass gerade »wissenschaftlichen Thesen in vielen Fällen eine Antithese gegenüber gestellt« werden kann.11 Die Antithese steht in Opposition zu einer These, wohingegen eine Antipode, wörtlich ein »Gegenfüßler«, einer These spiegelbildlich entgegenläuft oder sich orthografisch auf der gegenüberliegenden Seite (der rezipierenden Welt), auf dem Gegenpol, befindet. Darüber hinaus kann eine Antipode aber auch in der Kunst als ein Gegenspieler oder Gegner gesehen werden. Wenn aber Duchamp PODE schreibt, stellt er sich mit dem sich anschließenden BAL auf die gleiche Seite, verbindet sich mit diesem. Angenommen wird, dass BAL für ein Namenskürzel steht. Diese Annahme bezieht sich auf Notizen Duchamps, die sich im Archiv des Philadelphia Museum of Art befinden: Er beschreibt hier 32 Künstler, deren Namenskürzel jeweils mit Großbuchstaben an der Seite handschriftlich vermerkt sind, wie beispielsweise Constantin Brancusi, den Duchamp mit dem Kürzel BRANC versieht, oder Georges Braque mit BRAQ (Abb. 3).12 Kurze Namen übernimmt er komplett, wie Giacomo Ballas Nachnamen, und auch Hugo Ball wäre sicher in ganzer Buchstabenfolge festgehalten worden. Berücksichtigt man die erhebliche Präsenz von Baldung in Duchamps beiden Hauptwerken das Große Glas und Étant donnés (ab Kapitel III), lässt sich bei dem Kürzel BAL auf Baldung schließen. Duchamp wendet somit ein formelhaftes Prozedere an, welches vor dem Hintergrund der Baldung-Rezeption sein geistiges Konzept formal offenlegt und in welchem er sich auf die Seite der künstlerischen Aussagen Baldungs stellt und diese rezipiente Verbindung damit selbst erschafft. Die PODE oder Pose ist eine Haltung13 , das Gegenteil der ANTIPODE. Im übertragenen Sinn bilden auch Duchamp und Baldung eine 7 8 9 10 11 12 13

Vgl. PARINAUD (1966), in: Stauffer 1992, S. 211. Diese Bezeichnung wurde im Frankreich der 1820er Jahre benutzt. Robert Lebel vertritt die Meinung, dass sich Duchamp und Breton erst nach 1921 kennenlernten; siehe dazu: PARINAUD (1966), in: Stauffer 1992, S. 211. Vgl. AUSST.-KAT. New York 1942, S. 11. Vgl. CHOUCHA 1991, S. 65. MOLZAHN 1934, S. 61. Vgl. DUCHAMP, Marcel: Fifty years ago, Box 39, Folder 4, MPD, Fragile restricted papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives. Mit dem Begriff Haltung ist laut Frauke Annegret Kurbacher eine »praktische Form […] selbstkonstituierender Reflexivität« gemeint. Siehe dazu: KURBACHER 2006; Klinkert erinnert daran, dass

2. Duchamp als Rezeptionist

Konstellation von PODE: Beide lassen sich zu einer imaginären surrealistischen Kausalkette eines assoziativen Prinzips zusammenfügen.14 Bezugnehmend auf die Kunst beschreibt der amerikanische Mathematiker Morse in einem Manuskript, welches sich im Bibliotheksbestand von Katherine Dreier befindet und für Duchamp zugänglich ist, dass eine Verwandtschaft zwischen der Mathematik und der Kunst, und zwar der vergleichenden Geschichte der Kunst, bestehe. Er weist außerdem darauf hin, dass die Geschichte der Kunst eine Geschichte von wiederkehrenden Zyklen und scharfen Antithesen sei.15 Morse sieht in der Kunst Zyklen, die sich aus Antithesen ergeben. Duchamp könnte sich, angeregt durch diese Schrift,erneut mit antizyklischen und zyklischen Kreisläufen sowie Antithesen beschäftigt haben. Indem aber Duchamp hinsichtlich der Aussage PODE BAL keine Antipode liefert, sondern sich namentlich mit dieser Aussage gleichsetzt, entscheidet er sich in seiner kunsttheoretischen Herangehensweise für ein antizyklisches Verhalten: Dadurch dass Duchamp sich an eine konzeptuelle und eine antithetische Kunst hält, verstrickt er den Betrachter weiter in vermeintliche Widersprüche. Johannes Molzahn bezeichnet den Surrealismus als eine »konstruktivistische Antipode« und die Kunst als einen »Lebensreflex« aus einer fernen Vergangenheit, welche sich am Beginn des 20. Jahrhunderts zeige. Er spricht weiter von einer ungeheuren Sehnsucht nach »Wieder-Kunst«, von welcher der Künstler durchdrungen sei, und erklärt: »Auf dem Boden äußeren Seins wächst nicht der Sinn, der seine Idee, – eine allumfassende Idee gebiert, – die die Kunst binden und nähren könnte […].«16 Die Bildlichkeit im Surrealismus wird gerade aus der intensiven dinglichen und somit auch inhaltlichen Ferne der ausgewählten Objekte erzeugt. Trotz der Unterschiedlichkeit werden die Elemente im Werk synthetisch miteinander vereint. Das Prinzip der Collage bildet die Grundlage der surrealistischen, beinahe fremdartig wirkenden Objekte und Malereien und erinnert an Comte de Lautréamonts »Begegnungen auf dem Seziertisch von einer Nähmaschine und einem Regenschirm«.17 Görgen führt aus: »Wie die Collagen beunruhigen die surrealistischen Objekte durch Wiederholung und Widerspruch.«18 Breton, der auch maßgebend an der Seitengestaltung des Katalogs beteiligt ist, belässt es nicht bei einem Zusammenstellen. Vielmehr soll die Collage auf der gemeinsamen Seite geradezu zur Kommunikation anstoßen, damit dieser Zustand von Fremde und Stummheit überwunden werden kann. So soll das Bekannte dem Unbekannten vorgestellt, zur Kommunikation miteinander angelei-

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die Haltung einerseits etwas Mentales wie auch etwas Körperliches ist, eine »praktische Form […] der selbstkonstituierenden Reflexivität«. Siehe dazu: KLINKERT 2014, S. 478f. Vgl. GÖRGEN 2008, S. 106. Vgl. MORSE o. D., S. 9, »The third type of evidence of the affinity of mathematics with the arts is found in the comparative history of the arts. The history of the arts is the history of recurring cycles and sharp antitheses. These antitheses set pure art against mixed art, restraint against lack of restraints, the transient against the permanent, the abstract against the non-abstract. These antitheses are found in all of the arts, including mathematics. In particular the antithesis of pure art and mixed art is very much in evidence in the relations between poetry and music […].« MOLZAHN 1934, S. 75. Vgl. Ausst.-Kat. Wien 2003, S. 13. GÖRGEN 2008, S. 113.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

tet werden.19 Max Ernst sieht auch in der Zusammenkunft von bildender Kunst und Poesie einen Konfliktstoff. Er spricht davon so »eine poetische Zündung [zu] provozieren«.20 Die Widersprüchlichkeiten bzw. Wahlverwandtschaften beflügeln die Phantasie, aktivieren das Denken, und erkennendes Sehen soll erprobt werden: »L’œil existe à l’état sauvage.«21 Dabei geht es Breton nicht, wie er 1924 äußert, um den Alltag und dessen Wesenheit in der Kunst, sondern vielmehr thematisch darum, »zur Lösung der hauptsächlichen Lebensprobleme« zu gelangen.22 Die Kunst-Formel, zu der man auch die oben aufgeführte Formel Duchamps zählen kann, ist, Duchamps Aussage nach, unmittelbar mit der »künstlerischen Geburt« des Werkes gekoppelt und verweist darauf, dass er nach einem rezipierenden System arbeitet und sich dessen bewusst ist: Es handelt sich um sein individuelles Modell, welches er als Konzeptkünstler entwirft. Duchamp führt aus, dass dieser Prozess nicht vorausgeplant werden kann; er mobilisiert die innere, mentale Kraft, die schließlich die eigene Kunstform erzeugt. Seine hoffnungsvolle Äußerung hierzu lautet folgendermaßen: »In the case of modern art we hope that the new genius is born who will impose his vision.«23 Es bedarf des Genies, mit einem derart weitgreifenden Blick diese Vision in neuer Form zu materialisieren und in einer Formel festzuhalten. 1921 arbeitet Duchamp intensiv am Großen Glas und offenbart in dem Werk seine generelle künstlerische Haltung, welche der Haltung und den Ideen Baldungs nahekommt. Duchamp, der von sich sagt, dass er nicht an Kunst, sondern an Individuen glaubt,24 hat in Baldung eine künstlerische Haltung gefunden, die er für sich als Modell wählt und bestätigt: »[W]as ich gemacht habe, ist übrigens eine einzige Sache, die zu machen mich interessierte: Elemente einzuführen, die eben gerade nicht dem retinalen Bereich angehörten […].«25 Auch in einer Rezeption können imaginäre Denkvorgänge sichtbar gemacht, aber wiederum erst durch den erkennenden Betrachter tatsächlich zum Vorschein gebracht werden. Dies wird deutlich am Prinzip Duchamps, welches in seiner Kunst Ausdruck findet. Eingeweiht in den Vorgang ist letztlich nur der Künstler selbst. Alles, was er sagt und tut, bezieht sich somit auf das erdachte Konzept und ist zweckmäßig abgestimmt, erscheint aber für den Betrachter zunächst kryptisch. Indem Duchamp und Breton im Surrealisten-Katalog First Paper of Surrealism Hegel anführen und sich an diesem orientieren, bedienen sie sich auch der Haltung des Philosophen, die da lauten würde, dass es nicht das Entscheidende oder, genauer, noch nicht die Intention sei, die unterschiedlichen Philosophen nach richtig und falsch zu beurteilen oder sie zu widerlegen, sondern die Nähe und Ferne voneinander festzustellen oder sie sogar zu trennen, sodass jeder in seiner Eigenständigkeit verstanden werden könne. Will man also etwas Eigenes gewinnen – so der Gedankengang Hegels – und

19 20 21 22 23 24 25

Vgl. AUSST.-KAT. Bonn 1994, S. 92. AUSST.-KAT. Nürnberg 2012, S. 14. Dt.: Das Auge lebt im Urzustand. AUSST.-KAT. Nürnberg 2012, S. 22. DUCHAMP, Marcel: o. T., [Fünfzehn Fragen an Marcel Duchamp], Box 2, Folder 19, Alexina and Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, Frage Nr.12. Vgl. Duchamp: »Aber Kunst interessiert mich nicht. Mich interessieren Künstler.« Zitiert nach: SEITZ (1967), in: Stauffer 1992, S. 147; siehe auch: SEITZ 1963, S. 129. Vgl. GRAULICH 2011, S. 6; CHARBONNIER (ca. 1960), in: STAUFER 1992, S. 101.

2. Duchamp als Rezeptionist

ihm folgen, sei es naheliegend zu versuchen, aus den inhaltlichen Gegensätzen zu den anderen Positionen seine eigene Haltung zu entwickeln. Hegel spricht weiter, dass zwischen den verschiedenen philosophischen Richtungen eine Verbindung bestehe. Auch wenn sich die einzelnen Philosophen voneinander absetzen möchten, wäre doch sonst die ganze Philosophie, seiner Meinung nach, ein Chaos in sich selbst.26 Dieses Prinzip ist übertragbar auf die Geschichte der Kunst, wie der Kunstphilosoph Duchamp wohl für sich entdeckt hat: Auch er baut durch subversive Mechanismen auf einem Prinzip von starken Thesen und Antithesen auf, indem er nach seinem gemalten Frühwerk, in welchem er sich durchaus traditionell am Kubismus und Futurismus orientiert, mit dieser Ausdrucksform bricht und sich gegen die Malerei und viele Ismen richtet, aber sich weiter an konkreten Künstlern und somit an traditionellem kunstgeschichtlichem Wissen orientiert. Ein Beispiel hierfür ist das Werk L.H.O.O.Q. (1919), in welchem er sich durch das Einzeichnen eines Bartes in das Abbild der Mona Lisa fast zerstörerisch gegen den großen Meister aus dem 15. Jahrhundert, Leonardo da Vinci, stellt und sich damit, so scheint es, über den Alten Meister subversiv erhebt. Er macht so seine Idee, das Männliche im weiblichen Gesicht zu zeigen, sichtbar. Der Gegensatz von Duchamp und Baldung ist nicht auf der Oberfläche des Sichtbaren zu erkennen, sondern bleibt hinter einer Patina der Zeitgeschichte größtenteils im Inhaltlichen verborgen. Duchamp lässt eine neue Patina entstehen und zeichnet die Spuren der Zeit in einer neuen Materialität ab: In Duchamps Werk ist es nicht die Oxidation von metallenen Gegenständen wie Rost oder Grünspan auf einer herkömmlichen Skulptur, sondern der Staub der Dust Breeding / Staubzucht (1920), die sich, von Man Ray fotografiert, in der Grünen Schachtel befindet.27 Die Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt eine schlichte, graue Staubdecke, welche sich auf dem unteren Teil des abstrakten Großen Glases, das auf Böcken im Atelier zur Bearbeitung liegt, auf der Oberfläche abgelegt hat. Duchamp scheint demnach weniger an den Themen, die die Kunst und ihr Prozess fordern, zu verändern als an der materiellen Umsetzung, die er transformiert. Von 1912 stammen Kandinskys Überlegungen Über die Formenfragen im Almanach Der Blaue Reiter. Kandinsky äußert sich dahingehend, dass die gegenständliche Darstellung, welche in seiner Malerei stark reduziert ist, in der Abstraktion dennoch als das real Erkennbare erhalten bleiben soll. So dekliniert Kandinsky verallgemeinernd, dass die Pole von Abstraktion und Realismus Antipoden gleichkommen: »Realistik = Abstraktion, Abstraktion = Realistik. Die grösste Verschiedenheit im Aeusseren wird zur grössten Gleichheit im Inneren.«28 Kandinskys Feststellung und der gleichzeitige Widerspruch in seiner Klarheit könnten Duchamp zu einer weiteren Idee für eine Baldung-Rezeption verholfen haben. Zudem wendet Duchamp zunächst die Abstraktion in seinen Hauptwerken an, gefolgt von einer realistisch darstellenden Arbeit in Étant donnés, ganz im Sinne Kandinskys, wie die Arbeit diskutieren wird. Er wahrt aber die »Gleichheit im Inneren«, indem er sich auf ein Vorbild bezieht, welches beide Arbeiten, das Große Glas und Étant donnés, betrifft.

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Vgl. GOTTFRIED 1973, S. 133. Vgl. DIACONU 2005, S. 438. KANDINSKY/MARC 1912, S. 85.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Letztlich führt die Verbindung der beiden Künstler Duchamp und Baldung zu einer spannungsvollen Öffnung in Duchamps Werk und eröffnet gleichzeitig ein neues Verständnis seines Konzeptes. Es drückt eine Neuentdeckung und Umsetzung einer Synthese, eine »Vermählung« aus, so der Interviewer: »But this sounds almost contradictory because a work of art is primarily a visual experience.« Duchamp darauf: »Yes. But this wedding of two different sources of inspiration gave me a satisfactory answer in my research for something that had not been previously attempted.«29 Duchamp weist konkret darauf hin, dass er sich an einem anderen Künstler orientiert hat. Auf die Frage, ob er sich wiederholt auf bestimmte Künstler beziehe – »Would I be interpreting you correctly if I said that you have returned repeatedly to the individual man of genius, whatever his calling?« –, antwortet Duchamp: »Exactly. After all, I believe in life being the expression of an individual today. Even if in two hundred thousand years we will be a mass conglomeration of souls having to do everything that the other fellow does. I don’t care for that society.« Und auf die Aussage »And your most powerful interest is not in art, but in great human beings« erwidert Duchamp: »Exactly, that’s right.«30 Duchamp nutzt Baldungs Werk, um sich dem Künstlerindividuum Baldung in einer PODE anzuschließen – in einer Art künstlerischer und geistiger Verwandtschaft −, und er übernimmt aus dessen Werk viele inhaltliche Momente, wie die vorliegende Arbeit diskutiert. Duchamp stellt anhand des Werks von Baldung generell Analogien zu diesem fest, drückt sie durch seine Formel aus und stellt sich in die Tradition von Baldungs Schaffen. Er gibt damit auch ein Geständnis ab und gewährt einen Einblick in sein Vorgehen. Aber er stiftet auch Verwirrung, da ein antipodisches Verständnis vorwiegend das am meisten verwendete ist. Duchamp, der sich an Baldung und dessen künstlerischer Haltung orientiert, »entblößt« sich indes nicht als Imitator von Baldungs Kunst, zielt vielmehr auf dessen künstlerische Intention ab und strebt nach einer objektiven Interpretation. Moraht-Fromm beispielsweise legt dar, dass Grünewald und Baldung nach wie vor als Antipoden zur Dürer-Renaissance gelten, im Sinne der künstlerischen Unterschiedlichkeit und Fortschrittlichkeit, und dass sie etwas »unverwechselbares Eigenes« entwickeln wollten.31 Duchamp nutzt Baldung als PODE, um die Wiederholung in der Rezeption als eine imaginäre Grundlage zu visualisieren, und wählt damit ein eigenes Vorbild oder sogar, wenn man so mag, einen Lehrer und entwickelt dieses Prinzip weiter im Sinne von Baldungs Künstlernatur. Doch warum wählt sich Duchamp das der Öffentlichkeit weniger bekannte Werk Baldungs? Baldungs Kunst kann als frivol umschrieben werden, mit einem »Hang zur Urnatur« und zum »Dämonischen«: Das, was die Kirche als sündhaft deklariert, wählt Baldung zum Thema.32 Desgleichen stellt er die Frau als Reflexionsgrund von Kunst und Gesellschaft vor und die Schöpfungsmetaphern in den Fokus seiner Arbeiten (siehe Kapitel 3.7). Der Künstler wird als Individuum sichtbar und setzt sich selbst in den un-

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HAMILTON 1992, S. 13. SEITZ 1963, S. 131. Vgl. AUSST.-KAT. Karlsruhe 2007, S. 40. Vgl. PINDER 1940, S. 380.

2. Duchamp als Rezeptionist

terschiedlichsten Rollen als Protagonist in seine Werke ein. Außerdem findet er sich in der experimentellen Umsetzung von Ideen wieder, welche nur durch das Sehvermögen des aktiven Betrachters entschlüsselt werden können.

2.2.

Das »ästhetische Echo« und die Kunst der »grauen Materie«

Duchamp äußert sich in einem schriftlichen Interview auf die Frage, wie unerlässlich es sei, dass Kunstwerke kommunizierten, wie folgt: »To say that a work of art must communicate is a tautology. All works of art, good, bad, and indifferent communicate and use, as means of communication, the aesthetic Echo«, und fügt hinzu: »…because art is a language in itself.«33 Tautologie beschreibt eine Wiederholung des bereits Gesagten, Getanen oder Gesehenen, auch hinsichtlich der Motive in der Kunst selbst. Darüber hinaus bezeichnet das Wort aber auch einen Wahrheitsgehalt, unabhängig von einer tatsächlich zugrunde liegenden Wahrheit, und könnte so als ein künstlerisches Dogma umschrieben werden, welches Duchamp gleichzeitig, wie es seine Eigenheit ist, anzweifelt.34 Die Tautologie gibt, wie Duchamp darlegt, ein ikonografisches Kommunikationsmittel vor und bildet so eine eigene Sprache innerhalb der Kunst. Serie und rezeptive Elemente werden damit von Duchamp in einen Zusammenhang gebracht. Auch bindet Duchamp so den Betrachter mit in die Durchführung der Tautologie ein, welche er erkennt, übersetzt, mit seinem aktuellen Verständnis abgleicht und kommuniziert. Dennoch kann sich eine Wiederholung in einer Übersetzung oder Interpretation, Duchamps Meinung nach, niemals unmittelbar gleichwertig und direkt ereignen: Da es sich um eine »ästhetische Emotion« handelt, die in einen materiellen Zustand übersetzt wird und sich bereits in einem transformierten Zustand befindet, kann dieser Prozess nur schwer nachempfunden werden. In der Wiederholung sieht Duchamp, wie auch in der Kunst, eine Suchtgefahr; er beschreibt sie als eine »Droge« und versucht, wie er sagt, sein Leben so weit wie möglich ohne Wiederholungen zu leben.35 Dennoch zeigt dieser Umstand eine Diskrepanz zur Kunst und zur Natur selbst auf, da beide generell auf Wiederholung basieren. Im Grunde ist in allem, wie wohl auch Duchamp erkennt, eine Tautologie enthalten: in den schlichten Tätigkeiten des Alltages an sich, in der Evolution, der Sexualität, der Metaphysik und der Religion, aber auch in der Kunst als einer zweiten Natur und in 33

34 35

DUCHAMP, Marcel: o. T., [Fünfzehn Fragen an Marcel Duchamp], Box 2, Folder 19, Alexina and Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, Frage Nr. 11; Duchamp : »Je crois que le mot art et le concept art est une mirage tautologie. L’art est une langue.« Zitiert nach: DUCHAMP, Marcel: Why did you stop painting?, Box 39, Folder 16/Box 2, Folder 28, restricted, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 3. Vgl. DUCHAMP 1945, S. I-2. Vgl. DUCHAMP, Marcel: Why did you stop painting?, Box 39, Folder 16/Box 2, Folder 28, restricted, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 3; Duchamp : »Pour en revenir à l’art en général ce semble être une forme de tautologie assez comparable à la situation du verbe être. Même la matière grise dans ses sanction esthétiques agit comme sous l’influence d’une drogue et cette drogue s’appelle art cette drogue est toxicomanogère. Par répétition pour l’habitude prise de cette drogue les regardeurs s’abondonnent à leur nirvana et se mystifient mutuellement. Mais si comme disait Brancusi l’art est une escroquerie. L’artiste lui n’est ni un mythe […].«

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

deren Entstehung. Folglich, denkt man es weiter, befindet sich alles in großen Kreislaufsystemen, die Duchamp seinem Großen Glas zugrunde legte. Auch in der seriellen Produktion der Readymades findet sich der Gedanke wieder.36 Umberto Eco erkennt weiter innerhalb der Erfassung der Kunst eine »natürliche und motivierte und zutiefst mit den Sachen verbundene« Wahrnehmung der Tautologie, basierend auf der Logik.37 Duchamp wählt für sich ein vergleichbar kleines, in sich aufeinander aufbauendes Œuvre, welches aus gezielten Entscheidungen heraus zusammengesetzt ist. In seiner Motivik wiederholt es sich offensichtlich kaum; er versucht damit, eine Verselbstständigung der Hand, mit der er beispielsweise das automatisierte Anstreichen eines Bildes meint, auszuschließen. Letztendlich soll jeder Pinselstrich in seiner Wiederholung überdacht sein – wofür Duchamp zahlreiche Hilfsmittel, vor allem Schablonen, anwendet, um so gegen die mechanischen Bewegungen der Hand versucht vorzugehen; er aber auch gleichzeitig, das Bewusstsein dahingehend schult, dass jeder wiederholte Pinselstrich im Grunde eine Kopie oder ein Massenprodukt ist und bewusst gesetzt wird.38 Dadurch dass er aber hauptsächlich Schablonen benutzt, spielt Duchamp bewusst und subtil mit dem Vervielfältigungs- und Rezeptionsgedanken an sich. Gleichermaßen steht der Gedanke der Wiederholung dem grundsätzlichen Konzept der Avantgarde, die das Neue, Innovative verkörpern will, entgegen. Das Kunstwerk soll vom Geist aktiv durchdacht und trotzdem nach einigen einheitlichen Grundthesen oder Formeln aufgebaut sein, welche sich stringent nachverfolgen lassen.39 Mit dem Prinzip der Tautologie oder Rezeption sieht Duchamp eine Möglichkeit, alte Kunstwerke zu beerben oder erneut mit seinem Geist wiederzubeleben. Das lässt ihn zunächst davon absehen, die »lebenden Kunstwerke« tatsächlich ausschließlich für den Kunstmarkt zu produzieren oder sich einer maschinellen oder automatisierten Kunstherstellung zu widmen.40 Dennoch sind der mechanische Automatismus und die sich wiederholende Rezeption Themen, die sich in widersprüchlicher Weise in Duchamps Werk diskutieren lassen und die vermeintlich im Widerspruch zur Kunstnatur stehen.

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Vgl. AUSST.-KAT. Frankfurt 1995, S. 397. Vor allem geht aber vom Readymade ein Rezeptionsimpuls aus, welcher sich durch anschließende Künstlergenerationen nach Duchamp abzeichnet ; siehe dazu : AUSST.-KAT. Schwerin 2019, S. 66ff. BERNDT 1999, S. 30. Vgl. AUSST.-KAT. Moyland 2014, S. 16; NAUMANN 1999, S. 15. Naumann erinnert daran, dass Duchamp die Wiederholung gleichsetzt mit Geldverdienen durch ein möglichst großes und seriell gefertigtes Œuvre; Schablonen setzt Duchamp sein ganzes Werk betreffend ein, beispielsweise in der Grafikserie The Large Glass and Related Works (Das Große Glas und verwandte Werke), The Mother – Should I come with You …today? / La Mère – Est-ce-que je monte avec toi …aujourd’hui? / Die Mutter soll ich heute mit Dir …hochkommen? (1908) und Anaglyphic Chimney / Cheminée anaglyphe / Anaglyphenbild (1968). Ein solches Vorgehen spricht der Kunsttheoretiker Roger de Piles bereits 1699 hinsichtlich Rembrandt an: »Und als man ihm [Rembrandt] eines Tages die Einzigartigkeit seines Farbauftrages, welcher die Gemälde holprig (raboteux) macht, vorhielt, antwortete er, dass er ein Maler sei und kein Anstreicher.«Zitiert nach : SUTHOR 2014, S. 8. Vgl. SEITZ 1963, S. 129f. Interviewer: »Do you feel there is now a capitulation on the part of the Artist to materialism?« – Marcel Duchamp: »Yes, it is a capitulation. It seems today that the artist couldn’t survive if he didn’t swear allegiance to the good old mighty dollar. That shows how far the integration has gone.«

2. Duchamp als Rezeptionist

Duchamp vertritt die Meinung, dass Kunst die Übersetzung einer Emotion ist und dass dieser Emotion bei der Übertragung in ein anderes Kunstwerk nie exakt nachgekommen werden kann.41 Überdies beklagt er eine »Massenpsychose«, welche auf Geschmack und Vorlieben basiert, aber nicht von einer ästhetischen Emotion angetrieben ist.42 Der Betrachter, so Duchamp, geht meist von der Ästhetik aus und beurteilt nur, ob ihm etwas als »schön« oder »hässlich« erscheint.43 Anhand dieser rein subjektiven Bewertung vergleicht Duchamp das »ästhetische Echo« mit einem Mann, der entweder liebt oder gläubig ist und sein eigenes Ego für das neue Wahrgenommene aufgibt, sich diesem sogar unterwirft und so einem mysteriösen, angenehmen Drang nachgeht.44 Dies ist vergleichbar mit einem religiösen Glauben oder einer »sexuellen Abstraktion«: Das interessante Moment liegt im Prozess der Bewusstwerdung, wenn die Inspirationsquelle differenziert und untersucht wird, worin der Ursprung der Wiederholung liegt. Duchamp meint, dass Geschmack, die individuelle Beurteilung, eine sinnliche Emotion auslösen kann, nicht aber eine »ästhetische Emotion«. Bei dieser sollten der Intellekt und das kunstgeschichtliche Wissen mit eingeschaltet werden, dass eine ästhetische Emotion unterbunden werden kann.45 Duchamp erhebt sich grundsätzlich gegen den Geschmack und versucht, einen zeitentbundenen ästhetischen Ausdruck zu finden. Er differenziert aber auch die Frage nach dem Geschmack (»Aroma«) oder der Ästhetik, um sie von der Kunstgeschichte oder -wissenschaft zu trennen und sich zu orientieren.46 Um festzustellen, ob es sich um innere Belange des Künstlers handelt oder ob diese materieller Art sind, kombiniert Duchamp diese Fragen mit der Tautologie als einer Überprüfungsmethode. So schreibt Duchamp: »[…] Positivist period of last 50 years (lack religion) go-getter vs. meditation force everything in you. Belief of the last 100 years scientific (2 plus 2 = 4) Religious creed being put all in science. Same things as belief in God (who can prove (2 + 2 = 4) (tautology – using scientific method to prove science) I believe that this belief is wrong.«47 Aber auch Wissenschaft und somit Rezeptionen betrachtet Duchamp nicht unkritisch und äußert sich so: »Ihre angeblichen Beweisführungen hängen von ihren Übereinkünften ab. Tautologien, all das! Man kehrt also ganz selbstverständlich zu den Mythen zurück. Ich sah das kommen. Nehmen Sie den Begriff der Ursache: Ursache und Wirkung getrennt und

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Die wahrgenommene »ästhetische Emotion« wiederum stellt, so Duchamp, meistens eine Übersetzung der Angst dar. Vgl. DUCHAMP, Marcel: Art for all or art for the few, Box 2, Folder 19, Lectures, Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 3. Duchamp bezieht die Ästhetik der Hässlichkeit – sofern man von ihr als einem ästhetischen Maßstab sprechen kann – in sein Werk mit ein. Vgl. DUCHAMP, Marcel: Art for all or art for the few, Box 2, Folder 19, Lectures, Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 2. Vgl. DUCHAMP, Marcel: Art for all or art for the few, Box 2, Folder 19, Lectures, Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 2. DUCHAMP, Marcel: Why did you stop painting?, Box 39, Folder 16, restricted, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives. Vgl. ROSENBERG 1963, S. 77. DUCHAMP 1945, S. I-2.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

gegeneinandergestellt. Das ist unhaltbar. Aus diesem Mythos hat man die Idee von Gott gezogen, aufgefasst als Modell jeder Ursache. Wenn man nicht an Gott glaubt, hat die Idee der Ursache keinen Sinn mehr. Entschuldigen Sie, ich glaube, Sie glauben an Gott…Merken Sie die Zweideutigkeit im Wort glauben in diesem Satz?« Er fährt fort: »Ich glaube an Gott, aber ich betrachte ihn als den Ursprung, nicht als die Wirkung von unserer Idee der Ursache […].«48 Duchamp beschreibt hier einen Ausgangszustand, einen Ursprung, der notwendig ist für ein wiederholbares Vorbild, auf dem aber eine neue, eigene Idee aufgebaut wird, und umschreibt damit sein eigenes Vorgehen. Auch der Glaube ist nicht greifbar, mit dessen Beschreibung Duchamp versucht, die Analogie herzustellen, wobei selbst dieser – seiner Anspielung nach – bei den meisten Menschen dogmatische Züge annimmt. In Duchamps Worten: »Meine Haltung gegenüber der Kunst ist die eines Atheisten gegenüber der Religion. Lieber würde ich erschossen, mich selbst töten oder jemand anderen töten, als nochmals zu malen.«49 Sein Vorgehen richtet sich immer wieder gegen die dekorative und seiner Meinung nach »oberflächliche«, also äußerliche, materielle Kunst, zum Beispiel die Werke der Impressionisten, die er erwähnt. Der dekorativen Kunst, in welcher hauptsächlich der »Sinneslust der Farben« nachgegangen wird, soll nicht gefrönt werden.50 Indem er sich gegen die nähere Vergangenheit, den Impressionismus, und gegen sämtliche Ismen stellt, wird der Blick der Forschung kaum auf eine etwaige kunstgeschichtliche Vergangenheit gerichtet. Obschon einige Rezeptionen Duchamps sichtbar sind, scheint er aber gerade diesen Sachverhalt wiederum infrage zu stellen, in dem Sinne, dass auch wissenschaftliche Konzeptionen ersonnen seien, die von außen auf Dinge und Themen projiziert würden. Obwohl er sich vordergründig gegen die Malerei ausspricht, bezieht er sich auf den seriellen Mechanismus oder die Wiederholung, welche sie mit sich bringt. Stattdessen versucht Duchamp in jeder Arbeit eine eigene individuelle Idee zu entwickeln, welche sich möglichst nicht wiederholt, so Duchamp: »Ich habe die Malerei längst aufgegeben und bin zum Schach übergegangen. Ich wurde ein professioneller Maler, und Professionalismus ist immer der Tod der Kunst. Die alten Meister waren Professionelle, was heißt, sie waren Ein-Mann-Fabriken. Kunst wird nicht in Fabriken gemacht.«51 Wenn Duchamp von zweien, »die ein ästhetisches Echo rufen«, spricht, ist davon auszugehen, dass er sich auf den Vergleich von zwei rezeptiven Aspekten bezieht und auf den belebten Widerhall oder die Zustände, die in Aktion und Reaktion in einer Folge aufeinander wirken.52 Die Rezeptionsästhetik seiner Kunst ist also eine zeitlich wahrgenommene Verzögerung der eigentlichen Quelle, welche sich in Form von Ausstrah-

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DE ROUGEMONT (August 1945), in: Stauffer 1992, S. 30f. TIME (1936), in: Stauffer 1992, S. 29. Vgl. PFISTERER 2014, S. 24. MILLER (1936), in: Stauffer 1992, S. 29. DUCHAMP, Marcel: Art for all or art for the few, Box 2, Folder 19, Marcel Duchamp Papers, Lectures, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 1.

2. Duchamp als Rezeptionist

lung oder Reflexion rehabilitiert fortsetzt und zu einem späteren Zeitpunkt, an einem anderen Ort, in einem anderen Medium aufgenommen wird. Den Ton des Echos beschreibt Duchamp als virtuell, da er nur ein Widerhall der ursprünglichen Quelle zu einem vergangenen Zeitpunkt sei, der durch eine neue Aktion zum Schwingen gebracht werde. Duchamp betont diesbezüglich, dass es ihm nicht um die anregenden, ausstrahlenden Sinnesreize, sondern um das wiederholende bildliche oder objektive Volumen geht: »Echo. Virtueller Ton/Virtualität als 4. Dimension=Nicht die Wirklichkeit in der sensorischen Erscheinung, sondern die virtuelle Darstellung eines Volumens. Vielfalt bis ins Unendliche der virtuellen Bilder des dreidimensionalen Gegenstandes.«53 Duchamp spricht also von einer 4. Dimension, in welcher Vergangenheit und Zukunft eingebunden und mit einem Vervielfältigungsmechanismus verbunden seien. Blunck weist auf das »ästhetische Echo« hin und merkt an, dass darin eine durch bedingungslose Hingabe geprägte »ästhetische Rezeptivität« gemeint sei. Blunck führt weiter aus, dass Ästhetik somit nicht ein Geschmacksurteil sei, sondern dass hier ein »affektiver Modus der Erfahrung« vorliege.54 Mit der Erstellung des Porträts seines Freundes Marcel Lefrancoise (1904) erklärt Duchamp, dass er sich gegen den impressionistischen Einfluss gewandt habe.55 Er schildert genau das technische Vorgehen der Renaissance-Maler, welches er anwendet, indem er eine aufwendige Schwarz-Weiß-Öllasur aufträgt und nach der Trocknung verschiedene transparent wirkende Schichten von Farben darüberlegt. Dadurch dass er sich jedoch spätestens ab 1912 zusehends von der Ölmalerei abwendet, verschafft er sich unverhofft Freiheit im Arbeitsprozess. Zeitgleich mit seiner Abwendung von der Leidenschaft für den reinen Pinselstrich, welche er wohl nie intensiv empfunden hat, wendet sich Duchamp von da an gezielt der Phantasie und dem Geist oder Intellekt als Werkzeug zu – und überdies der kunstgeschichtlichen Recherche altmeisterlicher Techniken. Er beobachtet, wie die Hand im Malprozess aus religiösen Zwecken oder zum Genuss der Malerei bei Künstlern früherer Jahrhunderte eingesetzt wird, und versucht, dem Pinselstrich seine Aufmerksamkeit zu entziehen und sich der Imagination zuzuwenden. Duchamp: »[…] For the last hundred years, we have been in an era of painting for the sake of painting such as was not known two hundred years, not yet four hundred years back. Fra Angelico, for instance, had no idea of painting for its own sake; he aimed merely at glorifying religion. Recently, however, we are almost totally absorbed in a love of brush stroke. Emotion, even, is today subordinated to the hand and everything is concentrated in the success of the brush stroke. What we refer to as sensibilité is in the brush stroke rather than through it. The imagination does not ask more than that… it is a sort of humility. It is not any more what I, the artist, feel… the head is there to translate what the eye sees.«56

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MOLDERINGS 2010, S. 33. Vgl. BLUNCK 2008, S. 278. Vgl. DUCHAMP 1964, a, S. 2. EGLINGTON 1933, S. 11; Duchamp nutzt Fra Angelico gerne als Beispiel für das Argument, dass sich dieser nur als ein reiner Handwerker verstand, aber dennoch in seine Kunst eigene Qualitäten einfließen ließ. So Duchamp: »Fra Angelico hielt sich nicht für einen Künstler, er malte keine Kunst.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Auch wenn Duchamp ab 1918 die Malerei in seiner Praxis komplett ausschließt, besteht sein Frühwerk aus Malerei: dem Medium, in dem er durchaus einen souveränen, talentierten Duktus erkennen lässt. Er schätzt die Malerei als grundlegenden Baustein der bildenden Kunst für erste künstlerische Gehversuche, betrachtet sie aber ausschließlich als eine Form von »Ausdrucksmittel« und nicht als »Endziel«, als ein zu durchlaufendes Stadium, das dazu diene, neue Ziele zu finden.57 Seine frühen Zeichnungen verwendet er hauptsächlich für den Verkauf an Zeitschriften; so arbeitet er als Karikaturist für Le Rire, Le Courier Français und im Salon des Artistes Humorist, wobei sich bereits sein überzeugender Humor herauskristallisiert, der sein gesamtes Schaffen begleiten wird.58 Demgegenüber sieht er seine multimediale Kunst als Angebot oder Erweiterung der Kunst; durch sie könne das Leben und die Kunstgeschichte mit dem Intellekt belebt werden, woraus sich ein größeres Einflussgebiet ergebe. Duchamp fügt aktiv den Geist, die »graue Materie«, zum Handwerkszeug eines Künstlers hinzu: Das Sehen soll vom Betrachter mit dem Denken verknüpft und übersetzt und nicht allein von der Retina geleitet werden.59

2.3.

Altmeisterliche Rezeptionen der Avantgarde und museale Positionen im 19. und 20. Jahrhundert

In den folgenden Abschnitten werden anhand der Künstler Arnold Böcklin, Otto Dix und Pablo Picasso sowie auf der musealen Seite Alfred Barr Junior Werke und Ansichten vorgestellt, die entweder parallel zum Wirken Duchamps entstehen und für das weitere Verständnis seines Œuvres wichtig sind oder die Duchamps Schaffen im Sinne der altmeisterlichen Rezeption beeinflussen.

2.3.1.

Arnold Böcklin

1912 erwähnt Duchamp die Kunst Arnold Böcklins (1827−1901), als er dessen Werken in Basel und München begegnet. Auch die Surrealisten interessieren sich grundlegend für die Kunst Böcklins.60 Die Elemente in Böcklins Werk sind allegorischer und mythologischer Art und sollen den Betrachter zur Auseinandersetzung und Debatte anregen.61 Herbert Molderings weist auf die Stationen hin, auf denen Duchamp 1912 mit Böcklin in Berührung kommt. Nach seinen Angaben war Duchamp in Basel und besuchte in München die Alte Pinakothek und die Schack-Galerie. Über Böcklin merkt Duchamp an:

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Er hielt sich für einen Handwerker, der für den lieben Gott arbeitete. Erst später hat man Kunst in seinem Werk entdeckt.« Zitiert nach: STAUFFER 1973, S. 22. Vgl. AUSST.-KAT. Haages 1965, S. 25. Vgl. GRAULICH 2003b, S. 44 Vgl. AUSST.-KAT. Haages 1965, S. 25; DUCHAMP et al. 1949, a, c, S. 41-a, Duchamp: »It is a metaphorical way of putting it. Nevertheless this retinal quality is actually the dominant quality in an impressionist, pointillist, expressionist, fauvist, cubist or abstract painting – only the surrealists have reintroduced the ›gray matter‹ quality in painting.« Vgl. HOFMANN 1966, S. 398. Vgl. AUSST.-KAT. München 2012, S. 58.

2. Duchamp als Rezeptionist

»What do I think of [my] painting [Bride]? I love it. [I’ll] tell you why. Because that was a real departure from any influence in my case. If you want to be yourself, you say, ›Well, this [shows] some influence that I don’t like to see.‹ In this case, there [was] no influence. But if you want to see an influence, I’ll tell you how it was done. It was Cranach [the Elder] and Böcklin. I was spending three months in Munich when I did it. Already the idea had come into my mind to paint. […] I was painting and I went to the Pinakothek [now Alte Pinakothek] in Munich every day. I love those Cranachs, I love them. Cranach, the old man. The tall nudes. [The] nature and substance of his nudes inspired me for the flesh color, there. At the same time, I went to Bern in Switzerland and studied Böcklin. In Böcklin I found that reaction against physical what I call painting, which I already had [the] idea of reacting against, which Impressionism, Pointillism, [and] Fauvism emphasized. I wanted to react against retinal painting, and that was my first [try]. Böcklin was the man who gave the possibility of [doing] it. Looking at [his work], but not copying. Not that I subscribe entirely to Böcklin, but there is something there. He is one of the sources of Surrealism, certainly.«62 Im Münchner Katalog 2012 weist Kornelia von Berswordt-Wallrabe auf Böcklins Malereien im Treppenhaus des Naturhistorischen Museums in Basel hin. Dort befinden sich das beeindruckendefünf Meter große Wandgemälde der Magna Mater von 1868 (Abb. 4) wie auch Klio thronend von 1869. Duchamp schreibt in einem Brief an seinen Freund Dumouchel am 19. Juni 1912 nach Paris über die Magna Mater und Klio thronend von Böcklin: »Sie sind merkwürdig und eindringlich berührend Schwebende. ›Morgen früh verlasse ich Basel und fahre nach Konstanz‹«, und fügt in Bezug auf das Naturhistorische Museum hinzu: »Ein sehr feines Museum«.63 Böcklins Bild Magna Mater zeigt eine Venus in einer Muschelschale stehend. In ihrer Gestalt überragend, wird sie von Tritonen getragen. In ihrer Rechten liegt eine Weltkugel, in der anderen Hand hält sie eine Fackel, den Arm nach oben gestreckt. Sie ist mit einem antikisierenden, langen, blassrosa Tuch umhüllt, umringt in den Lüften von kleinen Putti, welche sich lebhaft in den Wolken bewegen.64 Wie eine Perle in der Muschel steht die Venus selbst als Sinnbild für Liebe und sexuelle Magie im enthobenen Kontext.65 Duchamp deutet, indem er auf Böcklin verweist, erneut auf einen Künstler hin, der seine Figur ebenso wie Duchamp selbst einsetzt – in Étant donnés oder in der Couverture

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SAWELSON-GORSE 1993, S. 100f.; AUSST.-KAT. München 2012, Beilage Blatt »Ausgewählte Stücke zu Cranach«, Duchamp: »…es war eine echte Abkehr von jeglichem Einfluss für mich. In diesem Fall gab es keinen Einfluss. […] Aber wenn Sie einen Einfluss sehen wollen, dann kann ich Ihnen sagen, wie es entstand. Es waren Cranach und Böcklin. Ich verbrachte fast drei Monate in München, als ich es machte. […] Ich liebte diese Cranachs, ich liebe sie…« AUSST.-KAT. Venedig 1993, 19. Oktober 1949, Duchamp: »I tell you why. Because that was a real departure from any influence in my case. In this case there was no influence… But if you want to see an influence, I’ll tell you how it was done. It was Cranach and Böcklin. I was spending three months in Munich when I did it… Böcklin [19.6.1912] was the man who gave me the possibility of it. Looking at it. Looking at it, but not copying… He is one of the sources of Surrealism, certainly.« HERZ 2012, S. 178f. AUSST.-KAT. München 2012, S. 45; AUSST.-KAT. Venedig 1993, 19. Juni 1912. Vgl. AUSST.-KAT. München 2012, S. 45. Vgl. WEBER AM BACH 2006, S. 130.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

et titre pour ›Young Cherry Trees Secured Against Hares‹ / Cover and Jacket for ›Young Cherry Trees Secured against Hares‹ / Umschlag und Titel für ›Young Cherry Trees Secured Against Hares‹ von André Breton im Jahr 1946 –, indem er die Figuration wie im genannten Buchumschlag als Freiheitsstatue mit einem gehobenen Arm präsentiert. Böcklin stellt seine Figur aber vor das Meer, die »Ursuppe«66 – ein Motiv, welches Duchamp, wenn auch ohne Figur, in Stéréoscopie à la main / Hand-Stereoskopie (1918) (Abb. 63) wiederum als schlichten, naturalistischen Hintergrund nutzt. Kornelia von Berswordt-Wallrabe fasst im Zusammenhang mit Böcklins Bild gegenüber Duchamps Kunst zusammen: »Wasser und Feuer und die Triebkraft des Geistigen sind die Elemente des Kosmos, die Leben ermöglichen.«67 Böcklin gilt als ein »Erfinder«, der die Naturerscheinungen in der Kunst festzuhalten vermag.68 Duchamp wie Böcklin erkennen ihre individuelle Wahl, in der Umsetzung ihrer Sujets. Mit dem erhobenen Arm der Magna Mater kann eine kunstgeschichtliche Tradition sichtbar gemacht werden, welche durch verschiedene Künstler eine Wiederholung erfährt, beispielsweise durch Marcel Duchamp oder die Arbeiten weiterer Künstler, wie im Folgenden noch ausgeführt werden soll. Diese Figurationen fungieren wie Leuchttürme, vermeintliche Wahrheitsträger oder stehen für den Funken der Inspiration in der Kunst selbst, die »Idea«. Böcklin hat einen Hang zu maritimen Wesen und mythologischen Figuren. Im Fall der Magna Mater sind die Kentauren – Hybride, halb Mensch, halb Pferd.69 Das Bildnis der in der Muschel Stehenden, ein Sinnbild der Liebe, erinnert auch an Botticellis Geburt der Venus bzw. an das Thema Schaumgeburten (siehe dazu 6.3). Böcklin ist demnach einer derjenigen Künstler, die Duchamp inspiriert haben, die Freiheit in der Wahl der Symbolik und der Ikonografie sowie deren Kombinationen zu nutzen, den wissenschaftlichen Kunstdiskurs nicht zu verlassen und dennoch dem Weg der individualistischen Umsetzung zu folgen. Er führt Duchamp somit gedanklich vom Thema »Malerei über Malerei« zum weiter gefassten Thema »Kunst für Kunst«. Böcklin zeigt auch den Versuch einer wissenschaftlichen Herangehensweise an Kunst, Kultur und naturhistorische Anschauungen, die er gerade deshalb nutzt, um damit von gewissen Vorgaben innerhalb der Kunst abzuweichen; er paart sie aber mit der eigenen künstlerischen Phantasie. Das bringt ihm jedoch auch Kritik ein.70 Böcklin selbst hebt hervor, dass die »malerischen Rezeptbücher« der Alten Meister wie Leonardos Trattato della Pittura für das Studium sehr interessant seien.71

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Ursuppe: Ein Begriff aus dem Lexikon der Biologie, welcher in den 1950er Jahren geprägt wurde. Vgl. ANHÄUSER et al. [2018], (zuletzt aufgerufen: Februar 2018). AUSST.-KAT. München 2012, S. 50f. Vgl. THODE 1905. Vgl. BORCHARDT 2013, S. 46. Vgl. BORCHARDT 2013, S. 232; LINNEBACH 1991, S. 16; Eine bereits 1903 veröffentlichte Konversation zwischen Böcklin und einem Atelierbesucher spiegelt die Konventionslosigkeit Böcklins wider: So beschwerte sich der Besucher: »Wie können Sie nur so etwas Unglaubliches malen […] so hat doch nie im Leben ein Einhorn ausgesehen. Das Einhorn war ja doch ein Pferd mit einem Horne auf dem Kopf.« Böcklin dazu: »So – haben Sie denn einmal eins gesehen?« Siehe dazu: LASIUS 1903, S. 92. Vgl. SCHICK 1901, S. 39f.

2. Duchamp als Rezeptionist

2.3.2.

Otto Dix

Otto Dix (1891−1969) kristallisiert den Aspekt des Schockierenden und des ungeschönt Stilisierten als ein korrumpierendes Mittel in seinem Werk heraus, was den Betrachter fesselt. 1927 macht Katherine Dreier Alfred Barr, Direktor des Museum of Modern Art in New York, aufmerksam auf neue Strömungen innerhalb des Künstlerkreises um Otto Dix. Diesen beschreibt Dreier als den »Führer« der Neuen Sachlichkeit und des Neuen Realismus. Laut Dreier haben die Bezeichnungen der Bewegungen nichts mit dem Kern der Kunst selbst zu tun, sie sieht darin »a normal continuation out of the past«.72 Dreier rät Barr zu einem früheren Zeitpunkt, wie aus den Quellen hervorgeht, von Dix’ Kunst ab, da dieser ihr nicht kämpferisch genug auftritt und bereits Gehör – im Sinne von Anerkennung – beim kaufenden Publikum findet. Nur wenn das noch nicht zuträfe, würde er in die Gruppe der »Extreme Individualists« der Société Anonyme Inc., dem Wahlklientel, wie es Dreier darstellt, aufgenommen werden. Sie führt dazu aus: »He [Dix] had built up his reputation out of filth and in the second place his pictures are of such enormous monetary value that I need not handle them, as they do not fall under our point of view.«73 Zu einer Überbewertung neigend, setzt Dix die alte »nationale« Kunst nicht idealistisch, sondern eher bizarr und ungeschönt in Szene, was Dreier wohl mit »his reputation out of filth« meint.74 Bereits 1912 bekennt sich Dix nicht nur formal, sondern auch inhaltlich als Schüler Cranachs, Altdorfers, Dürers, Grünewalds, Rembrandts und insbesondere Hans Baldung Griens.75 Die Äußerungen von Dix bergen insgesamt eine ungeheure Fülle von Anspielungen und Verknüpfungen zu Alten Meistern, die, wie es Schmidt formuliert, von Dix zu den »Göttern seines Olymps« erklärt werden.76 »Alte« und »neue« Kunst sind für Dix kaum zu unterscheiden, da auch im Alten zu einer anderen Zeit, so Dix, wieder neue Ausdrucksformen erkannt werden können und es eher um eine Definition gehe, was überhaupt als neu gelten könne.77 Und so formuliert er 1912: »Es war mein Ideal so zu malen wie die Meister der Frührenaissance […].«78 Dies zieht sich durch sein Werk. 1961/67 vertritt Dix die Haltung, dass der Maler durch Kopieren der großen Meister lerne, die Methoden und Techniken zu studieren. Sind Originale nicht verfügbar, so der Künstler, könne man auch Reproduktionen verwenden.79 Mit phänomenologisch fachmännischem Blick sieht Dix zu seinen Vorgängern auf und antwortet wie folgt auf die Frage, wie er als junger Künstler zu seinem untypischen, pastosen Pinselstrich gekommen sei:

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DREIER 1927. DREIER 1927; KANTOR 2002, S. 115. Vgl. LANFELD 2011, S. 82. Vgl. SCHMIDT 1981, S. 18 und 251; TÄUBER 1991, S. 213; AUSST.-KAT. Stuttgart 1991, S. 229; SCHWARZ 1986. Dieses Streben nach ebendiesen künstlerischen Vorbildern erfolgt zeitgleich bei Marcel Duchamp. Vgl. SCHMIDT 1981, S. 18. Vgl. SCHMIDT 1981, S. 205f.; Dix äußert sich in der Berliner Nachtausgabe vom 3. Dezember 1927. WERNER 1999, S. 310. Vgl. SCHMIDT 1981, S. 235.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

»Einfach durch das Ansehen der Bilder in der Gemäldegalerie kam man zu der Überlegung: Wie ist das gemacht? Wie ist es möglich, so zu malen? Denn mit der üblichen Ölfarbe, die zu kaufen war, war es ausgeschlossen, die Feinheit des Lüsters, das Durchscheinende zu erreichen. Aber es gibt ja Aufzeichnungen, die Aufschluss geben. Von Dürer zum Beispiel. Im Grunde ist das Wissen darum nie ganz verloren gegangen.«80 Detailliert beschreibt Dix die phänomenologischen Begebenheiten bei dem Herstellungsprozess seiner Arbeiten auf Leinwand.81 Für junge Künstler gibt er damit gezielte Hinweise mit Blick auf die Wahl der Leinwand; er schreibt über das »erregende« Zusammenwirken von Farben, die Beschaffenheit der Pinsel und geht auf das Material betreffende Fragestellungen hinsichtlich der Erschaffung eines Kunstwerkes ein.82 Die Prozessualität, mit der sich der Künstler bei der Herstellung von Werken auseinandersetzt, wird so in den Fokus gerückt. Dix arbeitet mit einer Lasurentechnik der Alten Meister und setzt seit 1924 sogar authentische Öl-Tempera-Mischtechniken ein. Die Untermalungen gestaltet er in einer Schichttechnik, wie sie in der altmeisterlichen Malerei vorzufinden ist. Er bemerkt weiter, dass er oft kalte Farben verwendet, zum Beispiel Grün, das meist als unterster Farbton eingesetzt wird, und dass auch Tizian in dieser Technik gearbeitet habe (siehe auch 6.2).83 Dix beschreibt, dass er sich wie ein Sammler, welcher vielerlei Stücke auswählt und zusammenführt, fühle.84 1965 äußert er in einem Gespräch, es gehe ihm in seiner Malerei um die darunterliegenden Grundformen, welche das Gerüst bildeten und »groß und geschlossen« sein sollten.85 Er bekennt sich klar zu seinen Vorbildern, den Künstlern, die ihn berühren, darunter vor allem zu Hans Baldung Grien. Angesichts des Freiburger Hochaltars, des Hauptwerks von Baldung, spricht er geradezu verehrend über ihn: »Sehen Sie, das ist das, was ich immer sage, unmalerisch durch und durch. Im Vergleich dazu alles andere… Scheiße!«86 Und zu der Kreuzigungsdarstellung auf der Rückseite des Hochaltars: »Im Vergleich dazu ist alles ›Malerische‹ doch einfach Mist. Eigentlich möchte ich jetzt noch einmal in meine Ausstellung, um zu sehen, was neben diesem Baldung Grien bestehen bleibt. Man müsste das Malen aufgeben, nachdem man das gesehen hat.«87 Georg Grosz, der Otto Dix scherzhaft mit dem Namen Baldungs schmückt, beschreibt einen Atelierbesuch bei Dix wie folgt: »[…] Ich sah mal bei Otto Hans Baldung Dix in Dresden, wie der Haare, kräuselnde, malte, mit einer zurechtgeschnittenen Bürste und einem Malstock fest in der Hand, das ging wie der Deibel… das Ornament entstand im Handumdrehen (wie beim Dürer) – so soll auch das früher so beliebte, jetzt wieder zu Recht aufkommende Detail gemeistert werden – wie Korbflechten oder Weben, fast ohne hinzusehen und unheimlich fix

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Ebd., S. 267. Vgl. ebd., S. 129f. Vgl. ebd., S. 229ff. Vgl. ebd., S. 235. Vgl. ebd., S. 252 Vgl. ebd., S. 264. Ebd., S. 280. Vgl. ebd., S. 221.

2. Duchamp als Rezeptionist

(was sich ja auf Dix reimt, mit Recht)… Er war der einzigste alte Meister, dem ich zusah in dieser Technik.«88 Prostituierte und der Krieg sind die Hauptthemen von Dix. Mit Letzterem ist es Dix nach eigener Aussage möglich, den Menschen in einem »entfesselten Zustand« für die Kunst einzufangen und ihn bzw. den Krieg in seiner ganzen »Viehmäßigkeit« festzuhalten. Er findet so die Hässlichkeit als Thema für sich.89 Genauso verhält es sich bei dem Prostituierten-Sujet, zu welchem er aus ästhetischem Anlass greift, um es wahrheitsgemäß darzustellen, um moralisierend wie ein Alter Meister das »gesellschaftliche Übel zu geißeln« und die auf »Körper und Geist« einwirkenden Folgen überzeugend zu schildern.90 In Anbetracht der bevorzugten Sujets Krieg, Prostitution, dazu schwangere Frauen, lässt sich Dix’ Arbeit thematisch den Schöpfungsmetaphern zuordnen, denn er setzt, vereinfacht gesprochen, mit ihnen den Schwerpunkt in seinen Werken auf das Leben und den Tod (siehe dazu auch 3.7 und 3.8). Duchamp folgt diesem Entwicklungsschritt, den Otto Dix schon vor ihm vollzieht, wie anzunehmen ist. Was Dix erst andeutet, nämlich dass mit der Malerei nach Baldung ganz abgeschlossen werden müsse, vollzieht letztlich Duchamp, indem er tatsächlich die Malerei für abgeschlossen erklärt. Gleichwohl arbeitet Duchamp auch in der Objektkunst mit der altmeisterlichen Lasurentechnik weiter und beschäftigt sich nachhaltig mit den Arbeitsprozessen altmeisterlicher Kunst, wie in diesem Text noch diskutiert wird. Darüber hinaus schreibt auch Duchamp dem Thema der Hässlichkeit einen großen Stellenwert in seinem Werk zu, indem er neue Ästhetik-Prinzipien entwickelt.

2.3.3.

Pablo Picasso

Von Pablo Picasso (1881−1973) ist bekannt, dass er Cranach rezipiert hat. Spielmann erinnert in diesem Kontext daran, dass sich Picasso geradezu als einen Cranach-Erben sah und diesen unter anderem als Quelle seiner Imagination betrachtete.91 Vor allem Venus und Amor, aber auch Bathseba im Bade sind Arbeiten, welche Picasso an Cranach fesselten und die er wiederholt aufgriff. Hans Baldung Griens Werk Der behexte Stallknecht (Abb. 5) wählte er als Grundlage für sein Hauptwerk Guernica von 1937 (Abb. 6), welches 1939 in Los Angeles ausgestellt wird.92 Das schwarz-weiße, lang gezogene Leinwandbild mit den beachtenswerten Maßen von 349,3 x 776,6 cm erscheint in seiner Monumentalität wie ein Wandbild. Durch eine Fensteröffnung im Gemälde wird von einer hereinfahrenden Frau mit einem lang gestreckten Arm eine Lampe gehalten. Zentral unter der Lampe befindet sich ein Pferd, welches den Kopf gequält schreiend nach links wendet, hin zu einem Stier, der auf gleicher Höhe mit schwingendem Schweif aus dem Bild herausblickt. Zwischen Pferd und 88 89 90 91 92

AUSST.-KAT. Stuttgart 1991, S. 229; KNUST 1979, S. 324. Vgl. SCHMIDT 1981, S. 279. Vgl. ebd., S. 202. Vgl. AUSST.-KAT. Hamburg 2003, S. 10. Vgl. AUSST.-KAT. München 1981, S. 29: Spies wertet den Holzschnitt Der behexte Stallknecht von Baldung als den »Ausgangspunkt« für Guernica; VON BEYM 2005, S. 704; SAWELSON-GORSE 1990, S. 13.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Stier befindet sich ein Vogel, der sich mit geradezu verdrehtem Kopf und geöffnetem Schnabel nach oben reckt. Einen ebenso nach oben gestreckten Kopf zeigen die das Bild flankierende Frau rechts außerhalb der Architektur, die im brennenden Kessel zu stecken scheint, und eine Frau links mit einem toten Kind in den Armen. Über dieser steht ein Stier, den Betrachter direkt ansehend. Im Vordergrund befindet sich liegend eine große, sich über den ganzen Bildraum hinziehende männliche Figur mit einem abgebrochenen Schwert, aus dem eine Blume herausguckt. Abgebildet ist eine weitere Frau: Sie begibt sich schleichend von rechts in den Raum, den Blick über sich zum Licht erhoben, betritt das Innere des aufgebrochenen Bildraumes, wobei ihre klumpigen Beine ihre Bewegung zu erschweren scheinen. Guernica, die kleine baskische Stadt in Nordspanien, welche bei einem Angriff 1937 von der deutschen Luftwaffe vollkommen zerbombt wird, gibt Picasso durch den Titel als das Kernthema des Bildes Guernica vor.93 Einige Protagonisten sind offensichtlich aus dem Behexten Stallknecht von Hans Baldung Grien übernommen, etwa der rücklings liegende Stallknecht, der quer über den Bildvordergrund reicht, und die hereinfahrende Hexe, ein Licht am ausgestreckten Arm haltend. In Guernica ist die Szenerie aber mit weiteren Figuren angereichert, und die Räumlichkeit wird nicht mehr klar perspektivisch geschildert wie im Behexten Stallknecht. Vielmehr ist das Bild zu einem eigenen, raumgreifenden Wandbild geworden. Der Stallknecht hat, statt des Striegels, ein abgebrochenes Schwert in der Hand, aus dem eine Blume herauswächst. Dies deutet einen Moment der Transzendenz an: Aus den negativen, schattenhaften, traumatischen Erfahrungen des Krieges scheint etwas Neues herauszuwachsen. Picasso erklärt: »Ich möchte dem Betrachter etwas enthüllen, was er ohne mich nicht entdeckt hätte. […] Meine Absicht ist, die Dinge in Bewegung zu bringen, diese Bewegung durch widersprüchliche Spannungen durch gegnerische Kräfte zu provozieren […].«94 Suthor verweist darauf, dass in Spanien, auch wenn der Malprozess für den Besucher im Atelier zugänglich ist und verfolgt werden kann, die Zeichnung das Element ist, welches nur dem Künstler vorbehalten bleibt. Die Zeugen im Atelier werden somit hinters Licht geführt und können nicht Zeugen des »alchemistischen Wunders« sein, wie sich etwas aus einem anderen Medium heraus entwickelt, ohne dass sie den Prozess selbst verfolgen. Von der wirklichen, geistigen Entstehung der Idee und, wie Suthor schreibt, in dem Veredelungsprozess der Kunst bleibt der intime Prozess dem Künstler selbst vorbehalten, und der ästhetische malerische Glanz des Resultates ist es, welcher letztlich präsentiert wird.95 Picasso scheint das Prinzip umzudrehen: Nicht die Skizzen dokumentieren den Prozess und die dahinterliegende Idee des Werkes und geben einen Anhaltspunkt zu Baldung, sondern es scheint, als offenbarte sich dies erstmals im Mal-Akt selbst durch Fotografien. Picasso: »Man muß die Leute aufwecken. Ihre Art und Weise, die Dinge zu identifizieren, umkrempeln. Man müsste unannehmbare Bilder schaffen. Damit die Leute schäumen. Sie

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Vgl. BARR 1946, S. 11 f; FISCH 1990, S. 3. AUSST.-KAT. Bielefeld 1988, S. 189. Vgl. SUTHOR 2010, S. 153.

2. Duchamp als Rezeptionist

zwingen, zu verstehen, daß sie in einer verrückten Welt leben. In einer Welt, die nichts Beruhigendes hat. Eine Welt, die anders ist, als sie meinen.«96 Allein anhand der Vielzahl vorliegender Fotografien kann der malerische Akt in seinen Entwicklungsschritten nachvollzogen werden. So kristallisiert sich nur aus dem Schaffensprozess an der Leinwand das Vorbild des Stallknechtes von Hans Baldung Grien heraus, das Sujet, welches der Künstler in seinem Inneren abgespeichert hat wie in einer inneren Bildergalerie, auf die er im malerischen Vorgehen zugreifen kann. Ein geistiger Prozess wird sichtbar. Picasso äußert sich ganz allgemein zu der Verwandlung, die sich auf zahlreichen Fotografien abzeichnet: »Man sollte einmal nicht die Etappen eines Bildes, sondern seine Verwandlungen fotographisch festhalten. Dabei würde sich vielleicht herausstellen, welchen Weg ein Gehirn bei der Verwirklichung seines Traumes abschreitet. Wirklich seltsam aber ist die Beobachtung, dass die Vision des Anfangs allem gegenseitigen Anschein zum Trotz fast unversehrt bleibt.«97 Zur Rezeption merkt er Folgendes an: »Was soll es eigentlich heißen, daß ein Maler wie ein anderer malt oder einen anderen Maler imitiert? Was ist da Arges dabei? Es ist im Gegenteil etwas Gutes dran. Immer muss man versuchen, einen anderen nachzuahmen. Aber es stellt sich heraus, dass man es gar nicht kann. Man möchte es wohl tun. Aber es geht immer schief. Und in diesem Augenblick, wo man alles verpatzt, da gerade ist man man selbst.«98 Picasso legt hiermit, sein Hauptwerk betreffend, ein rezeptionistisches Vorgehen an den Tag. Im Schaffensprozess ist er bemüht, seine eigene Manier aus dem Vorbild heraus zu entwickeln. Auffallend ist, dass Picasso in Guernica nicht mit plakativen Farben, sondern mit reduziertem Schwarz-Weiß arbeitet – im übertragenen Sinne mit der Farbe der »grauen Materie«, wie es Duchamp bezeichnen würde – oder mit Farblosigkeit die Grafik dem Vorbild angleicht. Picasso wählt für dieses Werk, wie Kapitel III, insbesondere Punkt 3.12, vertiefend darlegen wird, das gleiche Vorbild, Hans Baldung Grien, wie Marcel Duchamp. Duchamp folgt mit seiner Rezeption Baldungs den Gedanken des Surrealismus, was sich im folgenden Kapitel zeigen wird.

2.3.4.

Die Ausstellung Fantastic Art, Dada, Surrealism 1936

Alfred H. Barr Jr. (1902−1981), Direktor des Museum of Modern Art in New York und Kurator der Ausstellung Fantastic Art, Dada, Surrealism im Jahre 1936, stellt mit dieser Ausstellung wegweisende Maximen für die Surrealisten auf. Im Ausstellungskatalog

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AUSST.-KAT. Bielefeld 1988, S. 188. STOLZENBURG 1997, S. 39. Vgl. AUSST.-KAT. Baden-Baden 1968, o. S., gegenüber Abb. 47.

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dankt er Marcel Duchamp, Katherine Dreier und André Breton für ihre Unterstützung. Von Duchamp sind sechs Werke abgebildet und elf weitere aufgelistet.99 Barr bringt mit der Ausstellung zum ersten Mal ein Bild des Surrealismus zur Anschauung, indem er die Bewegung auf die »Vor-Surrealisten« bezieht, das heißt den Surrealismus mit der alten Kunst kontrastiert. So wird die Dimension der Vorbilder aus der Vergangenheit real sichtbar. Dieses innovative Ausstellungskonzept wirkt auf die Avantgarde überaus inspirierend. Barr führt auch die Ahnengalerie ein, auf welche in der kunstgeschichtlichen Literatur im weiteren Sinne bereits hingewiesen wird, und öffnet damit den Blick für »Kontinuitäten bildlicher Formulierungen«.100 Die Ahnen stammen vorwiegend aus der Epoche des Manierismus.101 Hans Baldung Grien wird durch den Holzschnitt Der behexte Stallknecht repräsentiert, der auch im Katalog erscheint.102 Weiter wird auf seinen Hexensabbat von 1510 verwiesen sowie auf die Kämpfenden Hengste inmitten einer Gruppe von Wildpferden im Wald (Pferdeserie, Blatt III), 1545 (Abb. 34), einen Holzschnitt, der schon im Almanach Der Blaue Reiter von 1912 abgebildet ist (Abb. 27). Auch auf Paolo Uccello, phallische Münzen und ein ägyptisches Symbol wird hingewiesen, um nur einige Beispiele zu nennen. Arcimboldos Der Sommer aus dem Jahr 1563, dem Kunsthistorischen Museum in Wien entliehen, findet sich in der Ausstellung. Im Katalog ist zusätzlich die Abbildung seines Werks Tradition of: Landscape-head zu sehen.103 Von Bosch wird Study for a Temptation of St. Antony (ca. 1500−1525, Louvre, Paris) gezeigt, ein Detail daraus ist im Katalog collagenhaft abgebildet.104 Boschs Descent into hell (erstes Viertel 16. Jahrhundert) ist ebenfalls zu sehen.105 Weiter ist von Dürer das Werk Man in despair (ca. 1515, Museum of Fine Arts, Boston) in den Katalog aufgenommen.106 Vertreten sind ferner Leonardo da Vincis Holzschnitte von 1509 und The carcass (1490) von Agostino Veneziano, eine Allegorie auf die Malerei.107 Nicht zuletzt enthält der Katalog Bilder von Schongauer, Breughel, Holbein und Jamnitzer.108 Barr sucht in dieser Ausstellung intensiv nach surrealistischen Ursprüngen in der kunstgeschichtlichen Vergangenheit, um thematisch den Bogen von der Frühen Neuzeit bis zu der phantastischen Kunst des Surrealismus in der Gegenwart zu spannen.109 99

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Vgl. AUSST.-KAT. New York 1936, S. 260f. Die Ausstellung reiste noch an sechs weitere Orte in den USA. Der behexte Stallknecht von Hans Baldung Grien ist in der Ausstellung zu sehen, drei weitere Bilder des Künstlers sind im Katalog aufgeführt, darunter auch Die kämpfenden Hengste. Vgl. AUSST.-KAT. Nürnberg 2012, S. 62. Vgl. ebd., S. 63. Vgl. AUSST.-KAT. New York 1936, Tafel 7; ELDER 2012, S. 449; RUBIN 1968, S. 123. Der Autor weist auch auf Giovanni Battista Bracelli, Guiseppe Arcimboldo, Nicolas Larmessin und Hieronymus Bosch hin, welche im Katalog aufgenommen sind, und bezieht die Überlegung mit ein, dass die genannten Künstler die Bilderinhalte mehr aus ihrer eigenen Phantasie speisen würden als sie von Texten oder folkloristischen Vorstellungen abzuleiten. Vgl. AUSST.-KAT. New York 1936, Tafel 5. Vgl. ebd., Tafel 14. Vgl. ebd., Tafel 15. Vgl. ebd., Tafel 20. Vgl. ebd., Tafel 39. Vgl. ebd., S. 246f. Vgl. AUSST.-KAT. Basel 2011, S. 26. CLEAVER/LEPINE 2012, S. 140. Barr entschied sich nicht sofort für einen Titel und schwankte zwischen »marvellous« und »painter of the irrational«.

2. Duchamp als Rezeptionist

Die einbezogenen phantastischen Elemente aus spätmittelalterlichen, apokalyptischen Darstellungen, auch biblische Themen und heilige Wunder, verdeutlichen, wie eng die Klammer um die epochenübergreifenden künstlerischen Manifestationen tatsächlich ist. Barr stellt indes heraus, dass das Phantastische aus der Vergangenheit stets von einem traditionellen handwerklichen Künstlerkollektiv erschaffen wurde. In Boschs Werk sieht er schließlich den Ausgangspunkt für eine stärker personalisierte Kunst, welche aus der Transformation der Tradition hervorgeht.110 Der Hauptteil der Ausstellung zeigt Dada und die surrealistische Kunst mit ihren »Pionieren«. Zwischen neuer und alter Kunst sieht Barr Berührungspunkte unter formalen Gesichtspunkten, entdeckt technische Analogien und versucht, diese in der Ausstellung systematisch zu erschließen. Barr schätzt die alte Kunst als rational begründet ein, worin er einen Unterschied zu den Surrealisten erkennt, die ihrem Bekunden nach versuchen, unbewusst vorzugehen.111 Mit dem Beitrag »Die wiedergefundene Magie: der Surrealismus« wird die Verbindung zur altmeisterlichen Malerei aufgezeigt und der Katalog abgeschlossen.112 Barr ist es, der nach Langenfeld die von Giorgio Vasari ins Leben gerufene Vorstellung als irrig entlarvt, dass nämlich die »unklassische Gotik auf die Deutschen und nicht auf die Franzosen zurückzuführen sei«.113 Auch korrigiert er die fälschliche Annahme, wonach die deutsche Architektur des 20. Jahrhunderts nach wie vor »groß, barbarisch und plump« sei, angelehnt an das seit dem Mittelalter kursierende Klischee, die Deutschen seien stark, kriegerisch und unzivilisiert.114 Barr ist der einzige amerikanische Mitarbeiter der Berliner Kunstzeitschrift Museum der Gegenwart. Er betont, dass es auch in der deutschen Kunst einen nationalen Anteil gebe, die französische Kunst Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch für die Norm stehe. Barr weist darauf hin, dass die deutschen Künstler Leben und Kunst miteinander »verwechselten«, diese beiden Aspekte also vermischten, und dass daraus keine reine Kunst entstehen könne. Er versucht, kunsthistorisch zu argumentieren und verweist auf Dürer, den beispielsweise Wissenschaft und Metaphysik interessiert hätten, auf Holbein, der menschliche Charaktere, und auf Grünewald, der Gefühlsäußerungen in Werken sichtbar gemacht habe.115 Duchamp besucht die Ausstellung nicht persönlich, sondern sieht sie ausschließlich auf Fotografien. Er äußert in einem Brief an Breton: »J’ai eu d’autres échos de l’exposition de New York.«116 Dieser Kommentar Duchamps zur Ausstellung ist positiv zu werten, denn wenn er von den »échos« spricht, nimmt er vermutlich auf die »ästhetischen Echos« Bezug, die einen Hinweis auf Wiederholung bergen. Breton dagegen verwehrt sich Barrs Ausstellung und ist damit nicht der einzige Künstler unter den Surrealisten und Dadaisten, bei denen die Konzeption der Schau starke Reaktionen auslöst.117 Noch 110 111 112 113 114 115 116 117

Vgl. AUSST.-KAT. New York 1936, S. 9. Vgl. AUSST.-KAT. Nürnberg 2012, S. 62. Vgl. ebd., S. 54. LANGFELD 2011, S. 82. Ebd., S. 82. Vgl. LANGFELD 2011, S. 81. DUCHAMP 1936. Vgl. AUSST.-KAT. Basel 2011, S. 26; ELLIGOTT 2016: »[…] the French Surrealist André Breton was to write the catalogue preface. For their part, Breton and French Surrealist poet Paul Éluard disap-

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im selben Jahr der Veranstaltung, 1936, tritt Duchamp schließlich schlichtend zwischen Barr und die Surrealisten.118 Duchamp bleibt bei seiner Rezeption der Alten Meister, die Barr als Konzept der »Prä-Surrealisten« in Fantastic Art wissenschaftlich fundiert.119 1942 organisiert er in New York zusammen mit Breton eine weitere Ausstellung mit dem Titel First Paper of Surrealism und setzt, auch wenn Breton das Konzept zunächst kritisiert, diese Linie fort: Alte Meister wie Blake, Bosch und Uccello werden erneut präsentiert und von Sidney Janis im Vorwort des gleichnamigen Katalogs anschaulich beschrieben. Die genannten Künstler stehen Janis zufolge für eine spirituelle Station, die den Rezipienten in die Vergangenheit führe.120 In Bretons Notizen finden sich Aufzeichnungen, in denen er die Vor-Surrealisten aufführt: Uccello, Bosch, Leonardo da Vinci, Dürer und Baldung. Weiter zählt er aus dem 18. Jahrhundert auf: Füssli, Goya, Blake. Aus dem 19. Jahrhundert nennt er Moreau, Rousseau, Redon, um dann fortzufahren mit Filinger, Gauguin, Seurat, Munch, Kubin, de Chirico und zuletzt Duchamp.121 Im Katalog selbst schreiben Duchamp und Breton: »Auf dem Gebiet der Kunst war die surrealistische Perspektive stets gegenwärtig, Blake, Bosch, Uccello sind nur einige der geistigen Stationen, die sie weit zurück in der Vergangenheit verorten. Diese Männer arbeiteten isoliert voneinander im 20. Jahrhundert, jedoch befindet sich die Fackel in den Händen einer ganzen Schar von Künstlern, die sich als Gruppe dem leidenschaftlichen Engagement für den Geist des Surrealismus verschrieben haben.«122 Aus der Namensliste der vergangenen Künstlergenerationen wird eine Folge ähnlich einem »historischen Stammbaum« erstellt.123 Breton gibt nicht vor, die Werke der Alten Meister vollkommen erschlossen zu haben, um sie auf dieser Grundlage nutzen zu können. Duchamp wählt demgegenüber zielsicher und nur sparsam Zitate der genannten Künstler aus, nutzt die Rezeption als ein Prinzip und führt den Betrachter in seinen Diskurs ein. Weiter beschreiben Breton und Duchamp in ebendiesem Ausstellungskatalog, inwiefern Alte Meister wie Bosch und Uccello in der Kunst der Surrealisten präsent

proved of the final format of the exhibition; they wanted it to be an ficial Surrealist ›manifestation‹. Critical response to the exhibition was mixed. In 1937, when the show circulated around the country, lender Katherine Dreier withdrew her artworks and feuded with Barr over his inclusion of works by children and ›the insane‹ […]«; DREIER 1937. 118 Vgl. GÖRGEN 2008, S. 28. 119 Vgl. SCHMIDT-BURGHART 2005, S. 255. 120 Vgl. ebd., S. 255. 121 Vgl. BRETON o. D. 122 AUSST.-KAT. New York 1942: »The Surrealist point of view has always been present in the province of Art. Blake, Bosch, Uccello are but a few of the spiritual stations that carry it deep into the past; these men were isolated from each other, but in the 20s of the century the torch is in the hands of a considerable body of artists that has devoted itself as a group to a passionate espousal of the Surrealist spirit. They have identified its essential nature, which is multifold and ever-changing, and given it a name.« 123 Vgl. SCHMIDT-BURKHART 2005, S. 136f.; AUSST.-KAT. Nürnberg 2012, S. 10. Eine nicht ganz zufällige Begegnung Man Rays mit Dürer.

2. Duchamp als Rezeptionist

sind; auch sie vermuten eine Spiritualität in ihrer Kunst, welche tief in die Vergangenheit reiche und die sie wie eine wegweisende Fackel in die Höhe hielten, um so ihre wahrhafte Natur herauszustellen.124

2.4.

El Greco – Wiedergeburt des Manierismus

Um 1900 wird El Grecos Werk von der Kunstgeschichtsschreibung wiederentdeckt und bald als »Manierismus der Moderne« betitelt. Aurenhammer verweist auf die »expressiv-spiritualistische Sicht« auf den Manierismus des 16. Jahrhunderts, für den das Interesse in Zeiten des Expressionismus im 20. Jahrhundert erneut entfacht und der daraufhin »rehabilitiert« wird. Der Begriff Manierismus steht für »Art und Weise« und umschreibt im Besonderen den individuellen Stil, hebt die persönliche Handschrift, Arbeitsweise bzw. das Handwerk oder auch das genuine Experimentieren an der Arbeit des einzelnen Künstlershervor.125 Bellori beschreibt die Kunstrichtung eloquent als »nicht auf die Nachahmung, sondern auf die künstlerische Übung [practica] gestützte Idee«.126 Aurenhammer datiert das Auftreten des Begriffs Manierismus in der Kunstliteratur auf das 17. Jahrhundert. Der Begriff des Manierismus, zunächst negativ unterlegt, erfährt Anfang des 20. Jahrhunderts eine radikale Umpolung, und der moderne Duktus, der in dem Stil erkannt wird, erfährt zunehmend Anklang.127 Auf Seiten der Avantgarde entflammt die Begeisterung für El Greco noch vor dem Ersten Weltkrieg:128 Er fasziniert die Künstler aufgrund seiner fast expressionistischen Wirkung und des mystisch wirkenden Lichtes, in das er seine überlängten Figuren hüllt, und es scheint, als setzte er sich stilistisch über den Ausdruck der Zeit hinweg.129 Der Kölner Sonderbund organisiert als Hommage an El Greco im Jahr 1912 Ausstellungen in Düsseldorf und Köln.130 Für Franz Marc ist der geheimnisvolle griechisch-spanische Künstler der imaginäre Mitbegründer des Expressionismus, wie er im Almanach Der Blaue Reiter schreibt: »[…] Wir weisen gerne und mit Betonung auf den Fall Greco, weil die Glorifizierung dieses großen Meisters im engsten Zusammenhang mit dem Aufblühen unserer neuen Kunstidee steht. Cézanne und Greco sind Geistesverwandte über die trennenden Jahrhunderte hinweg. Zu dem ›Vater Cézanne‹ holt Meier-Graefe und Tschudi im Triumphe den alten Mystiker Greco; beider Werke stehen heute am Eingang einer neuen

124 Vgl. AUSST.-KAT. New York 1942. 125 Vgl. AUSST.-KAT. Frankfurt 2016, S. 16ff.; Vasaris ordnet die maniera moderna der nachmittelalterlichen Kunstgeschichte zu, welche mit Cimabue und Giotto einsetze, eine prima éta der Frührenaissance. GOMBRICH 1962; Gombrich kritisiert in einer Einführung der New Yorker Sektion die Manierismus-Forschung, die sich in seinen Augen mehr selbst bestätige, als dass sich Analysen anhand von Werken bewahrheiten würden. 126 AUSST.-KAT. Frankfurt 2016, S. 15. Von Raffael ist bekannt, dass er bemüht war, das Studium der Natur aufzugeben, um sich der Phantasie zu widmen. 127 Vgl. AUSST.-KAT. Frankfurt 2016, S. 16. 128 Vgl. AUSST.-KAT. Frankfurt 2016, S. 15; SCHOLZ-HÄNSEL 2014, S. 89. 129 Vgl. BOURDEAU 1978, S. 2. Bourdeau bezieht den Manierismus auf eine geistige Krise. 130 Vgl. PADBERG 2015, S. 106.

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Epoche der Malerei. Beide fühlten im Weltbilde die mystisch-innerliche Konstruktion, die das große Problem der heutigen Generation ist.«131 Rezeption wird als eine lebendige Neufassung wahrgenommen, und Itten erklärt zu El Greco: »Das Publikum malt seine Bilder dreihundert Jahre, nachdem ihr eigentlicher Urheber sie gemalt hat.« Und im Hinblick auf Überlegungen zu Platon folgert er: »Ein Kunstwerk erleben heißt, dieses wieder erleben.« Und: »Das Kunstwerk wird in mir wieder geboren.«132 Eine Idee wird in diesen Zitate Ittens besonders deutlich: Es geht bei der Rezeption nicht ausschließlich um die persönliche Auseinandersetzung mit dem anderen Werk. Indem Itten von Wiedergeburt spricht, wird offensichtlich, dass er sich auch der Kraft bewusst ist, mit der erneut zu einem anderen Zeitpunkt dem Werk El Grecos eine neue Plattform geboten wird, um vom Publikum wahrgenommen zu werden. Auch Pablo Picasso identifiziert sich schon während seiner »Blauen Periode« stark mit El Greco, als er einmal sogar mit »Yo El Greco« (Ich El Greco) signiert.133 1910 charakterisiert Meier-Graefe El Greco in der Spanischen Reise. Er beschreibt seinen Individualstil, ordnet ihm aber keine Nationalität zu und spricht von seinem Werk als einem, das seit 400 Jahren auf ein wirklich interessiertes Publikum warte.134 1920 macht Max Dvořák in einem Vortrag über El Greco erneut auf den Manierismus-Begriff im 20. Jahrhundert aufmerksam. Er beschreibt El Greco als Künstler und »ersten Gelehrten«, der sich mit einem innovativen, manieristischen Stil in Opposition zur Renaissance hervortue.135 Dvořák erkennt eine Wiederholung der historischen Situation El Grecos, indem er diese mit der Zeit um den Ersten Weltkrieg mit ihren Lebensumbrüchen und ihrem »Chaos« vergleicht. Er schließt seinen Vortrag mit dem Verweis darauf, dass »in dem ewigen Ringen zwischen Materie und Geist […] die Waage zum Sieg des Geistes« sich bereits neigen würde. El Greco und mit ihm der Manierismus gelten als Vorboten eines »neuen, geistigen, antimaterialistischen Weltalters«.136 Duchamps Künstler-Freundin Katherine Dreier ist eine bekennende Anhängerin El Grecos. Sie sieht die Moderne als das ausführende Organ des Manierismus, indem sie diesen wieder aufgreife und wiederbelebe; ihrer Meinung nach wäre El Greco ohne die 131

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KANDINSKY/MARC 1912, S. 3. August Macke bringt bereits 1907 von einem Aufenthalt im Pariser Louvre eine Reproduktion eines El Greco-Porträts mit nach München; siehe dazu: AUSST.-KAT. Düsseldorf 2015, S. 107. El Greco ist im Almanach Der Blaue Reiter abgebildet in der Gegenüberstellung mit Robert Delaunays Tour Eiffel und lässt formale Vergleiche mit dem Hl. Johannes von ca. 1605 zu. WICK 2009, S. 179; Auch Duchamp äußert sich ähnlich zu El Greco: »Es sind immer die ›Aschauer‹, die die Bilder machen. Heute entdeckt man El Greco: das Publikum malt seine Bilder dreihundert Jahre, nachdem ihr eigentlicher Urheber sie gemalt hat.« Siehe dazu: WENDT 1970, S. 73. Schmitz fasst die dahinterliegende Forderung von Itten und Kandinsky in einer »erneuerten Kunstwissenschaft« zusammen mit dem »großen Geistigen«, da die Avantgarde sich bewusst darüber sei, »dass der Zugriff der Wissenschaft für die Durchsetzung der eigenen Geltungsansprüche entscheidend war«. SCHMITZ 2009, S. 200. Vgl. RAPHAEL 2009, S. 11; SCHOLZ-HÄNSEL 2014, S. 90. Auch Baldung bezeichnet sich in einer Signatur mit »Io BALDUNG«, was die Forschung dazu veranlasst, seinen zweiten Namen, Johannes, darin zu sehen, es könnte auch als »Ich« verstanden werden. Siehe: GRENSER 1878, S. 7; BARTSCH 1808, S. 304. Vgl. SCHOLZ-HÄNSEL 2014, S. 9. Vgl. BOURDEAU 1982, S. 2; AUSST.-KAT. Frankfurt a.M. 2016, S. 15. AUSST.- KAT. Frankfurt a.M. 2016, S. 15.

2. Duchamp als Rezeptionist

Moderne in Vergessenheit geraten.137 Bei Burliuk heißt es sogar, dass Dreier aus El Grecos Kunst die Essenz für ihr eigenes Werk ziehe und sich in ihrem Schaffen mit ihm intensiv auseinandersetze.138 Dreier widmet dem Thema El Greco einige Vorträge: In der Academy of Allied Arts sprich sie unter dem Titel From El Greco to Kandinsky. Sie erläutert: »A new approach in Art revealed masters [have] already sown the seed which is only being reaped centuries later […].« Für diese symbolische »Aussaat« solle der Boden aufgebrochen werden. Den Keim der Alten Meister aufzuspüren und metaphorisch in neu bearbeiteten Boden zu pflanzen, erklärt Dreier in besagtem Vortrag sogar als einen eigenen Ansatz ihrer Kunst.139 Dreier deutet die »fluidity«, also die fließenden Formen und Figuren von El Greco als eine »Gnade der Linie«, die sich aus dem gebundenen Material befreie, wie sie erklärt, um vom Geist durchdrungen und erschaffen zu werden und zeitentbunden immer in der Kunst zu fließen.140 Dreier betont die Affinität von Fluidity-Form und Materie und weist darauf hin, dass diese Ende des 16. Jahrhunderts mit dem erweiterten Bewusstsein gegenüber dem Leben zusammentrifft.141 Die überlangen Figuren in El Grecos Werk wertet sie als einen »Defekt des physischen Auges« und Ausdruck einer inneren Bewegung. Durch die überlangen Körper veräußere sich die Emotion des Künstlers, sodass sie einer verbildlichten Ekstase gleichkomme, einer Gefühlswallung, welche beispielsweise durch rituelle Akte, das Einwirken auf den physischen Körper und dadurch auf die Psyche des Teilnehmers herbeigeführt werden könne. Der Zustand der Ekstase lässt sich nach Dreiers Aussage nur schwer in Bildern festhalten, da Ekstase einen Zustand des Geistes beschreibe, den der Laie nicht erfahre: Kunst werde nicht durch den Verstand erfahrbar, sie sei immer noch ein »visuelles Erlebnis«.142 El Greco ist für Dreier der erste Künstler, der mit »Fluidität« arbeitet, eine Fließbewegung in der Materie der Malerei ausdrückt – eine Innovation in der Kunst. Sie spricht dem Künstler des 16. Jahrhunderts sogar das Bewusstsein darüber zu, zu wissen, dass alles aus Flüssigem, Bewegtem bestehe, aus Elektronen, woraus alles zusammengesetzt sei.143 Wurde zuvor ausschließlich mit geraden, nüchternen Linien gearbeitet, lassen sich in El Grecos Werken eine vitale Energie, ja Emotionen ablesen, wie Dreier bemerkt.144 Generell vertritt sie die Meinung, dass die Samen vergangener Künstler, die

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Vgl. DREIER 1933, S. 3; BURLIUK 1933, S. 3f. Vgl. BURLIUK 1933, S. 3. Vgl. DREIER 1933, S. 3. Vgl. ebd., S. 3f. Vgl. ebd., S. 6. Vgl. DREIER 1948, S. 9. Vgl. DREIER 1928, S. 7; Dreier: »Before El Greco there was no fluidity. There was grace of line. But that is something else. Fluidity in modern chemistry is the theory that in place of solids everything is made up of electrons − alive and moving − which through an inner power of differentiation adhere together (giving the SEMBLANCE OF SOLIDITY). El Greco at the end of the sixteenth century was conscious of the fluidity of life and expressed it in his paintings. And we who feel that the art of music and painting preceed the art of speech and science − believe [sic!] that el Greco was intuitively conscious of what science is only discovering today. This also explains that during the last century when MATTER and the SOLIDITY OF MATTER were given such importance − El Greco was lost to the world − hanging silent and hidden in the churches and museums.« 144 Vgl. DREIER 1933, S. 6.

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bis dato unbekannt waren, jederzeit in Rezeptionen wiederentdeckt werden können – die Werke Alter Meister.145 1912 trifft Duchamp in München in der Alten Pinakothek auf El Grecos Werke und nennt sein Gemälde Laokoon, das dort ausgestellt ist, ein »wundervolles Ding«.146 El Greco dürfte ihm aber schon aus dem Louvre, dessen spanische Galerie 1838 neu eröffnet wird, bekannt gewesen sein.147 1909 wird in der Gazette des Beaux-Arts von einer Ausstellungseröffnung mit einem Werk von El Greco in der Akademie San Fernando in Madrid berichtet, und 1938 erscheint eine Extraausgabe der Cahiers d’Art über Picasso–El Greco.148 Vor allem wird, so Duchamp, El Greco von der Avantgarde wiederentdeckt, um daraufhin »zu sterben«, ein Zyklus, der sich nach Duchamp bei jedem Kunstwerk etwa alle 50 Jahre wiederhole: Der Wiederentdeckung eines Werkes folgt das Desinteresse des Publikums und mit ihm der Tod.149 Duchamp äußert sich vermehrt über das Leben eines Kunstwerkes oder auch über den Entstehungsprozess. Letzterer dauert in der Regel an, bis das Kunstwerk im Museum ausgestellt ist und »an Frische einbüßt«: Es stirbt. Dieser Prozess dauert etwa 30 bis 50 Jahre. Es bestehe aber die Option, so die Vorstellung des Künstlers, von Kunsthistorikern oder einem Publikum wiederentdeckt und im Diskurs wiederbelebt zu werden.150 Kunstwerke hätten oft ein kürzeres Leben als ein Mensch.151 Aber auch die Haltung des Publikums einem Künstler gegenüber ändere sich Duchamp zufolge alle 50 Jahre.152 Ein impressionistisches Bild lebt seiner Meinung nach ca. 20 Jahre, da sich das Material verändert und schneller zu »lebloser Materie« wird: Das Auge des Betrachters hat sich an der Farbe »abgesehen«, sodass es in seinem Bilderkanon Einzug findet und nicht mehr sonderlich wertgeschätzt wird.153 Dieser Impuls gehe vom Betrachter aus: »Es sind immer die ›Anschauer‹, die die Bilder machen.«154 Und El Grecos Kunst wird, so Duchamp, immer wieder dem »Geschmack des Tages« angepasst oder transformiert, wie alle Arbeiten, welche »überleben« und weiterhin im Kunstdiskurs stehen und von Künstler zu Künstler zu neuem Leben erweckt werden.155 Seiner Meinung nach vollziehen sich Überformung bzw. Transformation durch die Interpretation des Betrachters, aber auch durch die Wissenschaft. Er bezeichnet diesen Vorgang als »neue Belebung«.156 Dazu äußert sich Duchamp auch in einem Brief an Jehan Mayoux vom 8. März 1956 : »…Évidemment toute œuvre d’art ou littéraire, dans le domaine public, est forcément le sujet ou la victime de telles transformations – et ceci va beaucoup plus loin que le cas particulier Courrouges. Tous les 50 ans, El Greco est révisé et adapté au goût du jour, en 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156

Dreier erkennt darin sogar einen Trend in der Wissenschaft, welcher zunehmend Intuition in die Überlegungen mit einbezieht; siehe dazu: DREIER 1928, S. 9. Vgl. DUCHAMP 1945, S. XXV. Vgl. SCHOLZ-HÄNSEL 2014, S. 89. Vgl. LAFOND 1909, S. 338; DUTHUIT 1938. Vgl. DUCHAMP 1945, S. I-3; AUSST.-KAT. Berlin 2008, S. 16. Vgl. NAUMANN 1982, S. 17. Vgl. ANTOINE 1993. Vgl. NAUMANN 1982, S. 17. Vgl. BLUNCK 2008, S. 276. AUSST.-KAT. Haages 1965, S. 27. GERVAIS 2000, S. 52. Vgl. ebd., S. 51; ASTHON o. D., S. 4.

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plus ou en moins. Il en va de même de toutes les œuvres qui survivent. Et ceci m’amène à dire qu’une œuvre est faite entièrement par ceux qui la regardent ou la lisent et la font survivre par leurs acclamations ou même leur condamnation.«157 Duchamp sieht in der Moderne eine verbreitete Entwicklung von Ismen, wohingegen er die zeitgenössische Kunst bzw. die Avantgarde, zu welcher er selbst gehört, direkt mit den kunstgeschichtlichen Traditionen verbunden sieht.158 Als Grund für das erweiterte Leben eines Kunstwerkes durch den Betrachter nennt Duchamp den Zufall, der sein Werk bzw. den Künstler erfolgreich werden lasse. Dahinter stünden eine methodische Logistik, welche das Werk konstituierend errichte, und eine zufällige Eingebung. So begründet Duchamp den Erfolg folgendermaßen: »Weil sie Glück gehabt haben…« Und weiter: »Es ist der einzige Grund, den ich mir denken kann. Einige haben sofort Glück, wie Picasso, andere erst nach dreihundert Jahren, wie El Greco. Es ist ein aussichtsloses Unterfangen, sich künstlerische ›Größe‹ erwerben zu wollen, genauso unmöglich, wie hinzugehen und sich den höchsten Losgewinn zu kaufen. In beiden Fällen handelt es sich um Zufall. Wer beim Kauf eines Loses die Zahlenmystik zu Hilfe nimmt, wird abergläubisch genannt und ausgelacht. Aber der Künstler, der methodisch an seiner ›Größe‹ arbeitet, wird immer noch ernst genommen. Verstehen Sie nun, weshalb ich finde, daß die moderne Kunst religiös ist?«159 El Greco wird 1949 von The Western Round Table on Modern Art der San Francisco Art Association, an der Duchamp teilnimmt, ebenfalls thematisiert. Goldwater wirft hier die kontroverse Frage auf, ob das Kunstwerk tatsächlich immer nur seiner Entstehungszeit verpflichtet sei.160 Er stellt fest, dass wichtige Kunst von den Kritikern kenntlich gemacht gehöre, nicht selten aber komme Kunst erst nach ihrer Zeit zur eigentlichen Wirkung, beispielsweise wenn sie als Grundlage für ein anderes Schaffen zu einer anderen Zeit genutzt werde. Duchamp stimmt dieser rezeptionsbezogenen Haltung zu, und Milhaud fügt ergänzend an, dass der Begriff »modern« sehr vage sei, schließlich befänden sich auch in der Kunst des 15. Jahrhunderts durchaus moderne Elemente.161 In einem weiteren Gedankenexperiment legt Duchamp dar, dass El Grecos Werk wie eine »optische Illusion« sei und somit vom Betrachter zu unterschiedlichen Zeitpunk157 158

GERVAIS 2000, S. 51f. Vgl. DUCHAMP, Marcel: Ohne Titel, [Fünfzehn Fragen an Marcel Duchamp], Box 2, Folder 19, Alexina and Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, o. D., Frage Nr. 1. 159 LINDE (1961), in: Stauffer 1992, S. 123. 160 Vgl. DUCHAMP et al., 1949, b, c, S. 26-d. 161 Vgl. DUCHAMP et al. 1949, b, c, 27-d. Goldwater: »…of a work of art for a given period within our lives is not at all related to the survival, even in its relative sense, because it is possible that there are a great many works of art which are exploratory, innovating, and, at the same time, completely tentative, and that they may disappear in the larger public sense, within a very short time; that, however, they will have furnished the necessary basis for the creation of more important works; and it would be unjust to the artist as well as unjust to the whole development of art in the larger sense if the critic, in any given year or season, was to ignore those works, he should point to those works which are significant in the immediate present whether or not they are going to be significant in the future.« Duchamp: »I agree completely.«

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ten immer wieder unter einem neuen Blickwinkel zusammengesetzt werden könne, was dazu führe, dass jeweils neue Aspekte des Werks wichtig würden. Die Werkaussage variiert demnach, und ein Künstler kann angesichts dieses Umstands sogar nachträglich »erfunden« werden.162 Für Duchamp scheint sich gerade dann eine Systematik aus einem offenen Kunstwerk herauszukristallisieren, wenn das Kunstwerk immer wieder zu unterschiedlichen Zeiten von Künstlern aufgegriffen wird und vom Betrachter unter der Prämisse seines individuellen Zuspruchs interpretiert werden kann.163 Auch Raffael zählt er dazu, der erst nachträglich, so Duchamp, zu einem großen Künstler stilisiert und zu einer Wiederentdeckung nach seiner Zeit wird.164 Duchamp sieht es als ein Qualitätsmerkmal der Kunst an, wenn ein Kunstwerk am Leben bleibt und von einer späteren Epoche wiederentdeckt werden kann. Blunck deutet Duchamps wiederholte Auseinandersetzung mit El Greco als einen »Präzedenzfall« dafür, dass die Nachwelt die Themen El Grecos immer wieder neu aufrolle, um sie neu zu interpretieren oder zu rehabilitieren.165 So können dem Betrachter selbst künstlerische Qualitäten zugeschrieben werden.

2.5.

Einen Rembrandt als Bügelbrett verwenden

Duchamp besucht, wie er selbst schildert, im Sommer 1962 Amsterdam, um sich »viele originale Rembrandts«, den großen Meister des 17. Jahrhunderts, anzusehen. Im Gespräch mit Linde weist Duchamp auf einen Aspekt hin, wonach Rembrandt ein Künstler war, dessen Werk von der Nachwelt vielfach interpretiert und so legendenhaft weitergestaltet wurde. Duchamp: »Rembrandt könnte niemals alle die Gedanken ausgedrückt haben, die in seinem Werk aufgefunden wurden. Im religiösen Zeitalter war er der große religiöse Maler, eine andere Epoche entdeckte in ihm einen tiefsinnigen Psychologen, eine andere einen Dichter, und nochmals eine andere – die jüngste – einen meisterhaften Handwerker. Dies beweist, daß die Leute den Bildern mehr geben als sie von ihnen nehmen. Sicherlich kann kein Mensch gleichzeitig ein tiefsinniger Psychologe und ein großer Religionsprediger sein. Rembrandt mag was auch immer gemeint haben – wenn er groß ist, dann ist er groß trotz alledem.«166 Duchamp beschreibt hier die kreierende Macht des Betrachters, welcher im Nachhinein interpretatorisch von seinem jeweiligen Standpunkt aus das Werk weiter formt, wie

162

Vgl. ASHTON 1960, S. 30. Duchamp: »We make El Greco what we want him to be. An œuvre by itself doesn’t exist, it’s an optical illusion. It’s only made to be seen by the people who look at it. The poor medium is only gratuitous. You could invent a false artist.« 163 Vgl. GERVAIS 2000, S. 52. 164 Vgl. EGLINGTON 1933, S. 11. 165 Vgl. BLUNCK 2008, S. 275. Weiter verweist Blunck darauf, dass die Gegenwart die künstlerischen Entstehungsschritte nicht mehr ganz herstellen kann und von eigenen Beweggründen geprägt ist; SCHUSTER (1955), in: Stauffer 1992, S. 52; SAWELSON-GORSE 1993, S. 98. Duchamp erinnert daran, dass El Greco über Jahrhunderte geradezu vergessen war. 166 LINDE (1961), in: Stauffer 1992, S. 123f.; DIMKE 2011, S. 92ff.

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er sich das auch für sein eigenes Werk wünscht. Auch entlarvt er das Verhalten eines Künstlers, der sich wie er selbst in unterschiedlichsten Rollen in sein Werk begibt, als ein Spiel der Täuschung, ein Wechselspiel der Perspektive aus der Situation des Künstlers heraus. Rembrandt ist nicht nur der Meister des Selbstporträts, weil er sich selbst in einer ungewöhnlich großen Fülle malt, sondern auch, weil er darin eine intensive Selbstreflexion als Individuum offenbart. Dazu präsentiert er sich in den unterschiedlichsten Affekten, in welchen er versucht, sein Innerstes, die komplexe Künstlerpersönlichkeit, in allen Facetten widerzuspiegeln. Die psychologischen Studien geben sein gedankliches Innenleben wieder und machen es nach außen hin sichtbar. Auch nimmt er, genau wie Duchamp es später tun wird, die unterschiedlichsten Rollen ein: Rembrandt zeigt sich beispielsweise als Bettler, als Adliger oder als König. In seiner Imagination ist Rembrandt frei – so wie Duchamp – und kann nach Belieben wählen, wie er sich sehen und gesehen werden will, und er kann diese Bilder von sich in seiner Kunst real werden lassen, auch wenn die Rollen (wie bei Duchamps weiblichem Alter Ego: einer Frau, oder bei Rembrandt der noble Herr) über seine eigene Natur hinausgehen.167 Wie Rembrandt stellt auch Duchamp sich als König dar, mithin in einer Rolle, welche traditionell über die Geburt erlangt wird. Dasselbe gilt für den Adelstitel.168 Der Künstlerberuf erhält durch dieses Wechselspiel ein ganz neues Selbstverständnis und eine Freiheit oder Entwicklungsmöglichkeit, die bereits in der Renaissance als solche verstanden wird. So tritt Rembrandt mit eigenen souveränen Interpretationen des Künstlers als Künstler auf.169 In einer Renaissance-Verkleidung erhebt er einen retrospektiven Anspruch – so die Vorstellung des zeitlich gesehen rückwärts gerichteten Blicks –, welcher das »ewige Leben« im Rahmen der Kunst sichert.170 Zugleich wird deutlich, dass Rembrandt als Künstler-Erfinder gesehen werden kann, der nicht nur verschiedene Rollenbilder auswählt, sondern sich auch hinsichtlich der Grafik durch Experimentieren größte technische Freiheiten im Produktionsverfahren erarbeitet. In der Rembrandt-Forschung lassen sich sogar Fingerspuren des Künstlers nachweisen. Die große künstlerische Freiheit schlägt sich nicht zuletzt in der Verspieltheit seiner Selbstdarstellung nieder, da er multiple Identitäten sogar des anderen Geschlechts annimmt. So auch in seinem Selbstportrait als Zeuxis (1663), in dem er sich mit weiblichen Gesichtszügen malt, oder in dem Selbstbildnis, welches heute in der Karlsruher Kunsthalle zu betrachten ist, mit den weiblichen Attributen der Ohrringe.171 Rembrandt offenbart sich uns mit seinen zahlreichen Selbstporträts als Künstlerindividuum, was zu seiner Zeit für ein ausgeprägtes künstlerisches Selbstverständnis spricht – eine Tatsache, die Duchamp sicherlich angesprochen hat. Auch Duchamp verweist auf sich selbst und hinterlässt in seinem Werk individuelle Spuren, beispielsweise in der mit der Vernis-Mou-Technik erstellten Grafik Study for Portrait of Chess Player / Étude pour les joueurs d’echecs / Studie für Schachspieler (1911/1965). In dieser Radierung setzt er seine eigenen Handabdrücke in den Weichgrund, der aus einem geringen Anteil Honig besteht. Duchamp weist auch auf seine Tätigkeiten als Filmschauspieler hin sowie auf 167 168 169 170 171

Vgl. HAMMER-TUGENDHAT 2010. Vgl. AUSST.-KAT. Schwerin 2019, S. 76. Auch Duchamp verkleidet sich häufig als König. Vgl. HAMMER-TUGENDHAT 2010. Vgl. SUTHOR 2014, S. 176. Vgl. SUTHOR 2014, S. 177 und 179.

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diverse Identitätsvervielfältigungen, wie sein weibliches Alter Ego Rrose Sélavy demonstriert. Rembrandt thematisiert in seinem Schaffen nicht nur das Werk im Werk, sondern auch seine von ihm vorgenommene Verortung des Werkes in der Kunstgeschichte. Samuel van Hoogstraten, ein Schüler Rembrandts, berichtet, dass der Künstler das Darzustellende erst einmal schaustellerisch erproben musste, um den Darstellungsmoment zu finden. Rembrandt ist also Schauspieler und beobachtender Betrachter in einem. Das Sehen und die Selbstdarstellung werden zusammengeführt. Hoogstraten empfiehlt: »Wenn man in diesem vornehmsten Teil der Kunst [der Historienmalerei] Ehre erlangen will, muss man sich vollständig in einen Schauspieler verwandeln.«172 Rembrandt »gebiert« sein Werk und sieht gleichzeitig in seinem Selbstbildnis ein Zeugnis seines eigenen Zerfalls und sein Ende, aber auch wesensfremde Identitäten. Ist es bei Rembrandt die verlebendigte Farbe, so sind es bei Duchamp die verlebendigte mimesis bzw. imitatio und die Meisterschaft des Geistes, die ihre Spuren in seinem Werk hinterlassen haben.173 Rembrandt verfügt über eine große private und gut aufgestellte grafische Sammlung von Drucken – oft in mehreren Druckzuständen – von Mantegna, Reni, Ribera, auch Grafiken nach Tizian und Raffael, dazu Stiche und Holzschnitte von Schongauer, Cranach, Dürer, Leyden sowie Nachstiche von Breughel, mit all denen er arbeitet. Offensichtlich interessiert er sich für den druckgrafischen Prozess. Die Sammlung dient ihm als Vorbild. In der Imitatio erkennt er nicht den Mangel an Erfindungsreichtum, sondern die vertiefte Kenntnis und Bildung des Künstlers.174 Rembrandt ist ebenso ein großer Lehrmeister wie generell ein Künstler für Künstler; er steht mit seinem Werk dauerhaft für Wissen, Wahrhaftigkeit und Inspiration. In der Literatur wird die Rembrandt’sche Malerei anhand ihres pastosen, »rauen« Farbauftrags charakterisiert. Die Körperlichkeit seiner Kunst wird mit dem imaginären Charakter des Künstlers in Verbindung gebracht. Durch die schriftliche Beschreibung des körperlichen Farbauftrages in der Kunstgeschichte erhält diese Kunstfertigkeit auch eine schriftliche Dimension.175 Geistvolle Inszenierung und lebendige Umsetzung durch das pastose Material der Malerei und die Technik im Werk lassen sich in Einem denken, sind wie ein lebendiger, sinnlicher »Kunstkörper« zu verstehen und zu lesen, der sich als etwas Drittes herauslöst. Der grobe Farbauftrag, welcher bei Fernsicht verschwindet, gibt in vergrößerter Nahsicht erneut die Materialität und die Spuren des Werkzeuges zu erkennen. Das illusionistische Spiel des Künstlers mit dem groben Farbauftrag lässt sich vermehrt in der Kunstliteratur ab dem 19. Jahrhunderts nachverfolgen, es wird von Suthor in Rembrandts Rauheit als Thema herausgegriffen. Bereits 1916 äußert sich Georg Simmel über die Technik Rembrandts. So erkennt Simmel im jüngeren Rembrandt eher eine Ausdrucksbewegung als eine bloße Außensicht, im Spätwerk aber setze ein seelischer

172 173 174 175

Vgl. ebd., S. 179; ALPERS 1989, S. 84. Vgl. ebd., S. 181. Vgl. AUSST.-KAT. Berlin 1997, S. 8f. Vgl. SUTHOR 2014, S. 13ff.

2. Duchamp als Rezeptionist

Bewegungsmoment ein, welcher von innen heraus sich zu bilden scheine.176 Simmel entdeckt eine phänomenologische Methode hinter dem Gemalten: »Dass man die Beseeltheit des Porträts aus der Psychologie empirischer Assoziationen erklärt, ist der roheste Versuch innerhalb der vielfach bestehenden Tendenz: die innere Wirkung, die tatsächliche Bedeutung für den Beschauer, nicht in dem Kunstwerk, wie es unmittelbar innerhalb seiner Grenzen dasteht, zu suchen, sondern es nur als Brücke und Hinweis auf etwas gleichsam hinter ihm Liegendes gelten zu lassen, auf eine im Beschauer zustande gebrachte Vorstellung, die noch anderes enthält, ja vielleicht etwas anderes ist, als die auf sich selbst beschränkte, mit dem Rahmen abschließende Schauung eben dieses Kunstwerks.«177 Houbraken schildert Rembrandts Technik sogar leicht abwertend als mit der Malerkelle hingeschmiert.178 Die Nahaufnahme ermöglicht es dem Betrachter, die technische Umsetzung nachzuvollziehen, die Pastosität der Farben und ihre Bearbeitung zu erfassen.

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Vgl. SIMMEL 1985, S. 5; SUTHOR 2014, S. 154. Der Begriff der Haptik wurde von Gilles Deleuze eingeführt, der in der Nahsicht eine Plastizität, das Material der Farbe und die Verarbeitung derer sichtbar, erfahrbar macht und beschreibt. Siehe dazu: YOSHITAKA 2013, S. 13-24. Die mechanische Bewegung innerhalb der Kunst Rembrandts wird von Bergson betont. In Un jour de pluie chez M. Bergson zitiert Maurice Verne Bergson in einem Interview, vor dem Bild des Lesenden Philosophen von Rembrandt sitzend, in dem er sagt: »Rembrandt wusste die Bewegung zu fixieren, die Bewegung, welch Wunder!« ( KOLB 2005, S. 32f. : »Rembrandt a su fixer le Mouvement, le Mouvement. Quel miracle!«) Kolb verweist in ihrer Dissertation ebenfalls in einem direkten Bezug auf Duchamp, der zu dieser Zeit (Dezember 1911/Januar 1912) mehrere Gemälde zum Thema der Bewegung anfertigt, wie 1912 den Akt, die Treppe herabsteigend (Nr. 2). Die Autorin spricht hier den Philosophen bei der Meditation von Rembrandt (1632) an, welcher sich im Louvre befindet und Duchamp bekannt ist. Auch in Rembrandts Bild findet sich eine Treppe, die sich tief in die höhlenartige Behausung des Philosophen schraubt. Kolb zieht hier einen Vergleich zu dem Bild Akt, die Treppe herabschreitend. Der Akt steigt von der Perspektive entblößt in die Sphäre des Alltags zum Betrachter hinab, also aus den künstlerischen Sphären in die reale Welt hinein. Der Akt Duchamps schreitet hinab oder hinein in die Ebene des Betrachters. Leben und Kunst werden im weiteren Verlauf von Duchamps Werk immer perfider miteinander verwoben. So Duchamp: »Using painting using art, to create a modus vivendi, a way of understanding life; that is for the time being, of trying to make my life into a work of art itself instead of spending my life creating works of art itself, instead of spending my life creating works of art in the form of paintings or sculptures. I now believe that you can quite readily treat your life, the way you breath, act, interact with other people as epicure, a tableau vivant or a film scene so to speak. These are my conclusions now: I never set out to do this when I was twenty or fifteen, but I realize, after many years, that this was fundamentally what I was aiming to do.« ( ANTOINE 1993). Gleichzeitig liegt in der Entkleidung der Psyche in spiritueller Hinsicht auch ein Moment des Umbruchs, der Transformation. Schreitet man den Weg hinab in die Psyche, so die Vorstellung, entkleidet diese darin den Moment der Erkenntnis und des Umbruches. Dieser kann erkannt und übersetzt werden in die Kunst und steht für den mystischen, alchemistischen, magischen Moment. Duchamp erläutert diesen magischen Moment auch hinsichtlich der Bewahrung einer Parareligon des Künstlers, der so das Mysterium der Kunst bewahrt. (DUCHAMP, Marcel: As stupid as a painter, Box 2, Folder 12, Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 3). SIMMEL 1985, S. 23; SUTHOR 2014, S. 155. Vgl. SUTHOR 2014, S. 17; HOUBRAKEN 1753, S. 211ff.

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Der Sehsinn wird durch haptische Assoziationen des pastosen Farbauftrags angesprochen, erfasst nachvollziehbare Spuren der Künstlerhand und steigert den Bildgehalt durch das Erfassen der technischen Umsetzung. Dies lässt die Künstlerhand nachvollziehen, wie auch vermeintlich den Tastsinn, der das Gesehene mit den Augen befühlt und somit die von Picasso geschilderte Nähe zu dem Künstler für den Betrachter erfahrbar werden lässt.179 Der Aspekt des Duktus erklärt aber auch die Bemühung, sich ab dem 19. Jahrhundert der Zuschreibungsfrage hinsichtlich Rembrandts Werkes zu widmen. Die wortwörtlich unscharfe Vorstellung vom Umfang des Werkes über eine lange Zeit hinweg und die komplizierte Zu- und Abschreibung der Stücke erschweren es bis heute, die Eigenhändigkeit Rembrandts von der seiner Werkstatt zu unterscheiden. Zudem schufen auch noch im 18. Jahrhundert viele Künstler »im Stile Rembrandts«, womit nach den vielen Zu- und Abschreibungen bis heute die Frage weiterhin offenbleibt, ob es sich bei der jeweiligen Rezeption tatsächlich um einen originalen Rembrandt handelt. Mithin lässt sich festhalten, dass die Stilfrage um Rembrandt gleichzeitig Fragen nach Originalität und Zuschreibung aufwirft und dass die Kunstgeschichtsschreibung – so auch eine Andeutung Duchamps – durch die Klärung all dieser Fragen hinsichtlich Provenienz, Technik und Persönlichkeit an sich selbst wächst; so schreibt jede Zeit ihre eigene Geschichte und gestaltet die Gegenwart.180 1915 lernt Duchamp Man Ray kennen, der ab diesem Zeitpunkt zum engen Künstlerkreis um Duchamp gehört.181 Beide arbeiten in mehreren Werken zusammen, etwa in der Fotografie von Man Ray Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter) (1924, Abb. 7), in welcher Marcel Duchamp und Bronja Perlmutter in der Rolle von Cranachs Adam und Eva in Picabias und Saties Ballett Ciné-Sketch in einer Relâche auftreten. Man Ray hält Marcel Duchamp fotografisch in einer Reihe fest, die als Vorstudien für das Werk Obligation pour la roulette de Monte Carlo / Monte Carlo Bond / Obligation für das Roulette von Monte Carlo (1924) zu sehen sind. Im Druck von Obligation für das Roulette von Monte Carlo ist der kreisrunde Ausschnitt einer Fotografie enthalten, in der sich Marcel Duchamp mit Seifenschaum bedeckt hat ablichten lassen (Abb. 8). Die beiden Männer verbindet ihre Freundschaft auch über örtliche Distanzen hinweg;182 häufig kommt es überdies zu Kooperationen mit anderen Künstlern. So entsteht das Werk Le Rayon Vert / The Green Ray / Der grüne Strahl (Abb. 9) im Auftrag Duchamps, von Friedrich Kiesler umgesetzt. Duchamp fertigt zudem verschiedene Dinge, die von dritter Hand vervollständigt, signiert oder in Assistenz erarbeitet werden, etwa 35 Drucke im Jahr 1959, bei denen Dalí mitwirkt. Dalí ist sehr versiert im Umgang mit der collotype machine und unterstützt Duchamp. Dieser hält den Vorgang auf dem Verso wiederum genauestens fest und signiert mit »M Duchan [sic!] / tirée le 1-9-59 / fini a 35

179 Vgl. ebd., S. 21. 180 Vgl. SEELIG 2010, S. 47ff. 181 Vgl. FISCHER SARAZIN-LEVASSOR 2010, S. 97; Fischer Sarazin-Levassor schreibt, dass der eigentliche Freundeskreis um Duchamp sehr klein war; Henri Pierre Roché, Man Ray, Desnos und Max Jacob listet sie auf. SCHWARZ 1974, S. 38; JEAN 1960, S. 14. Duchamp berichtet von der ersten Begegnung mit Man Ray; LIEBS 2008. 182 Vgl. CROS 2006, S. 81.

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feuilles / Dalí«.183 In der Art der Signatur spiegelt sich eine Eigenheit altmeisterlicher Signaturen wider: Auch Rembrandt oder Hans Baldung Grien haben beispielsweise mit »Rembrandt fec.« oder »BALDVNG FECIT« signiert, wenn noch einmal zusätzlich darauf hingewiesen werden sollte, dass alle Arbeitsschritte von eigener Hand stammen. Dalí und Duchamp nutzen die ihnen eigene Vorgehensweise, um die klare Trennung der Arbeitsschritte zu verdeutlichen. Auf eine Notiz aus der Grünen Schachtel, welche als ein eigenständiges Werk gezählt werden kann, schreibt Duchamp: »Einen Rembrandt als Bügelbrett verwenden«184 , und erklärt in einem Interview, wie ein reziprokes Readymade funktioniert, die Wechselwirkung zwischen Kunst und Alltag. Inhaltlich beschreibt Duchamp in dem genannten Readymade eine fiktionale Begebenheit, welche sich an die Phantasie des Betrachters richtet. Es beschreibt die Vorstellung, ein originales Gemälde Rembrandts als materielle Grundlage zu benutzen, auf der die gedachte mechanische Bügelbewegung stattfindet. Der imaginierte Bügelvorgang lässt die pastosen Farbspuren unter enormer Hitzeeinwirkung zu einem neuen Aggregatzustand verschmelzen und begradigt die Pinselspuren. Der Bügler wirkt subversiv, verändernd und direkt auf die historische Grundlage ein – als würde die Kunst eines alten Künstlers durch eine Rezeption erneut aufgelegt, um wieder neu interpretiert zu werden. Demgegenüber befestigt Man Ray an seiner skulpturalen Darstellung Cadeau / Iron / Bügeleisen von 1921 (Abb. 10) eine Nagelreihe auf der Unterseite und bringt damit eine andere subversive Note ein: Benutzte man das Bügeleisen tatsächlich, so die Vorstellung, würden durch die mechanische Bewegung dieser Plättmaschine tiefe Furchen in den Farbauftrag und die Leinwand gezogen. Das Bügelbrett bzw. die Leinwand würde schlicht aufreißen. Man Ray bietet in der Ausführung des Gedankens eine ironische Antwort, wohl auf die gleiche Frage, welche auch das reziproke Readymade Duchamps zur Grundlage hat. Das Kratzen könnte aber auch zu Rembrandts Kratztechnik in Bezug gesetzt werden. Rembrandt ist nicht nur bekannt für seine raue, grobe Manier, sondern auch dafür, seine feine Manier meisterhaft umzusetzen.185 Büglerinnen-Bilder haben vor allem in der französischen Kunst eine lange Tradition und wurden von Ingres, Degas, Picasso als Motiv genutzt. Die weibliche Tätigkeit der mechanischen Bewegung des Bügeleisens wird von Man Ray und Duchamp ironisch-imaginär auf das mechanische Anstreichen einer Leinwand übertragen und mit der alltäglichen Bewegung eines Künstlers verknüpft. Statt eines Pinsels fungiert hier ein Bügeleisen; das Konzept birgt dieserart nur noch die Idee von der malerischen, anstreichenden Bewegung. Es steht nicht nur für eine meditative und somit auch inspirierend wirkende Tätigkeit, sondern auch für den Widerspruch dazu – für eine geistlose, 183 Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 90. 184 STAUFFER 1981/1994, S. 100; SANOUILLET 1979, S. 68. Duchamp : »Se servir d’un Rembrandt comme planche à repasser.« [dt. Übersetzung nach : KOLB 2015, S. 33]. Die Grüne Schachtel entstand 1934, die meisten Notizen sind undatiert. 185 Vgl. SUTHOR, 2014, S. 9f. und 177. Rembrandt benutzt auch andere Hilfsmittel wie den Pinselstiel, um z. B. Haare aus der Farbe herauszukratzen und so untere Farbschichten zum Vorschein zu holen. Den Pinselstiel benutzte Rembrandt beispielsweise in dem Kasseler BildBildnis mit verschatteten Augen, nach 1631; siehe dazu: http://altemeister.museum-kassel.de/33769, (zuletzt aufgerufen: Januar 2019).

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mechanische Tätigkeit. Die subversive Verrichtung, welche vermeintlich mit Man Rays Cadeau vollzogen wird, und imaginär mit Duchamps Readymade, indem das potentielle Vorbild oder die zugrunde liegende Basis »heruntergebügelt« wird, wird mit der malerischen Tätigkeit des »Anstreichers« also gleichgesetzt. Mithilfe der Analysen der Mechanik und des Geistes kann so zu einer differenzierten Sicht auf empirische Werte in der Kunst und in dem Prozess gelangt werden.186 Die Grundlage der von Man Ray aufgenommenen Idee Duchamps beschreibt damit ein mechanisches Moment, das des geistlosen Malens, und die intellektuelle Resonanz einer kunstgeschichtlichen Diskussion um einen Künstler der Vergangenheit. Die mechanische Bewegung des Bügeleisens birgt die Wiederholung in sich. Duchamp äußert sich beschwichtigend über Rembrandt, das Genie: dass auch dieser nicht jedes Mal, wenn er an der Staffelei arbeitete, ein Meisterwerk erschuf.187 Ähnlich bekundet dies auch Picasso, unabhängig von Duchamp, wenn er die technische und seiner Meinung nach fehlerhafte Bearbeitung von Rembrandts Arbeiten schildert und anmerkt: »Stellen Sie sich vor, ich habe ein Rembrandt-Bildnis gemacht! Es handelt sich wieder um die Sache mit dem gesprungenen Firnis. Ich hatte eine Tafel, bei der mir das auch passiert war. Ich sagte mir: jetzt ist sie verdorben, und ich würde irgendetwas darüber machen. Ich fing also an zu kritzeln, und es wurde Rembrandt! Es begann mir zu gefallen, und ich habe weitergemacht. Ich habe daraufhin sogar noch ein anderes angefangen: Rembrandt mit seinem Turban, seinem Pelz und seinem Blick, dem Elefantenblick. Sie wissen schon.«188 Picasso erkennt auch Parallelen zu Rembrandt, die den Ausdruck und das technische Vorgehen seiner Kunstsprache betreffen, aber auch im Nachleben des selbstgewählten Vorbildes. So sagt er: »Jeder Mensch hält sich für Rembrandt […]. Alle leiden an demselben Wahn.«189 Duchamp führt dies weiter aus und spricht von dem Moment der künstlerischen Geheimnisse des historischen Rembrandt, Geheimnisse, die wohl niemals wirklich preisgegeben würden, und dass demzufolge der in der Kunstgeschichte geschilderte Rembrandt eine Art fiktive Persönlichkeit sei. Duchamp scheint damit auf die Psychologisierung der Kunst Rembrandts zu antworten, der nie an Aktualität eingebüsst habe, wie er befindet: »Weil eben Rembrandt nichts von all dem war, was die Nachwelt ihm zugeschrieben hat, bleibt er.«190 Über all dem darf das Licht in Rembrandts Werk nicht unberücksichtigt bleiben. Dreier nennt diesbezüglich neben Rembrandt auch Correggio. Das Licht ist in Correggios Gemälden wie in Rembrandts Kunst unnatürlich inszeniert, geht beispielsweise

186 Vgl. CELAN 1957, S. 46. Picasso äußert sich einmal zur Wiederholung in einem anderen Zusammenhang: »Möchte er gern glauben, dass der Mensch sich nicht wiederholen könne? Sich wiederholen bedeutet den Gesetzen des Geistes zuwiderhandeln. Es bedeutet vor allem Eskapismus.« 187 Vgl. SEITZ 1963, S. 129. Duchamp: »I saw many Rembrandts last summer in Amsterdam and they are remarkable compared to that thing here. Even Rembrandt didn’t paint a masterpiece every time he went to his easel.« SEITZ (1963), in: Stauffer 1992, S. 148. 188 SEDDA 2013, S. 198; CELAN 1957, S. 119f. 189 SEDDA 2013, S. 198; GILOT/LAKE 1980, S. 38. 190 ARTS AND DECORATION (1915), in: Stauffer 1992, S. 9.

2. Duchamp als Rezeptionist

vom Christuskind direkt aus und stützt so die Bildaussage.191 Dies zeugt, laut Dreier, vom Licht als Symbol für die Spiritualität. Sie bemerkt weiter, dass El Greco sogar den Lichtstrahl zu einer bewegten Linie werden lässt, zu einer »vitale[n] Form«.192 Licht und Schatten in ihrer herkömmlichen Funktion würden weiter aufgebrochen und variiert. Auch bei Duchamp ist der gezielte Umgang mit Licht zu beobachten. Er versucht, mithilfe des Lichts zu »malen«, und inszeniert immer wieder den (von dem Kunstwerk selbst ausgehenden) Lichtstrahl, etwa in Le Rayon Vert, in Das Große Glas oder in Étant donnés. Die Herleitung des haptischen und psychologisierenden Moments kann im Werk Rembrandts selbst erkannt werden: als eine Differenzierung, welche es ermöglicht, die einzelnen Schritte der Entwicklung von Technik, Kunstinterpretation und Legendenbildung im Werk aufzuzeigen. Rembrandt der Künstler-Künstler leitet selbst – wie Duchamp – den Betrachter zu einem aktiven Sehen und Erkennen der Künstlerperson an, die er hinter dem Werk zum Ausdruck bringen will. Dies macht aber gleichzeitig auf die Komplexität und Erzeugung eines »Kunstkorpus« aufmerksam und auf die vielschichtigen Bedingungen und Fragestellungen um diesen einen imaginären Kunstkörper, der auch die Person des Künstlers selbst mit einschließt und in welchem der Künstler die Freiheit hat, sich in allen Rollen selbst wiederzugeben und neu zu erfinden.

2.6.

Die Duchamp-Sammlung Arensberg – Ein zusammenhängendes, organisches System

Im Philadelphia Museum of Art, einem Kunstmuseum aus dem 19. Jahrhundert dessen historisierende Architektur einem antiken Tempel nachempfunden ist, sind diverse vergangene Epochen vertreten, darüber hinaus Kunsthandwerk, Textilien und asiatische Kunst. Zum etwas außerhalb des Stadtzentrums gelegenen Museum, das 1877 gegründet wurde, kann man auf dem langen, geraden Franklin Parkway geradewegs zu Duchamps Kunst »pilgern«, zu dem Tempel, der sein künstlerisches Vermächtnis beherbergt.193 Vor allem das Ehepaar Arensberg ist die treibende Kraft hinter der Idee, die beiden Sammlungen zusammen in einem Museum zu präsentieren; Katherine Dreier schließt sich dieser Idee an.194 Duchamp verkauft sein Werk in großen und wichtigen Teilen an das Sammlerehepaar Walter und Louise Arensberg und an Katherine Dreier. Ab den 1950er Jahren befindet sich Duchamp mit dem damaligen Direktor Fiske Kimball vom Philadelphia Museum of Art im Gespräch über eine mögliche Platzierung der Sammlungen seiner Arbeiten. Hier finden die Arensbergs unter Beratung von Duchamp schließlich den geeigneten Platz für ihre Duchamp-Sammlung, welche einen großen Teil seines Œuvres beinhaltet. Um in die Ausstellungsräume Duchamps zu gelangen, muss man zunächst die kunstgeschichtlichen Abteilungen sämtlicher Epochen durchschreiten, bis man schließlich im rechten Flügel des Museums im letzten Saal zu der Sammlung von Louise und Walter Arensberg gelangt. Die Arensbergs sind nicht 191 192 193 194

Vgl. VOLL 1911, S. 7; DREIER 1933, S. 5. Vgl. DREIER 1933, S. 5. Vgl. HAMILTON/KITAJ 1966, S. 5. Vgl. SAWELSON-GORSE 1994, S. 264.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

bereit, ihre Sammlung der modernen Kunst und präkolumbianischer Kunst zu trennen. Wenn überhaupt, dann sollen die Werke in benachbarten Galerien untergebracht sein.195 Dieser Gedanke wird 1947 noch einmal beim Western Round Table der San Francisco Association, wo Duchamp ebenfalls Teilnehmer ist, von Richi in einem anderen Kontext formuliert. Richi merkt an: »…More and more, we are coming to believe that art museums are not simply storehouses of the art of the past. They must exhibit both past and present art together, if the one is to illuminate the other.«196 In einem Raum könnte, so die Vorstellung, das ganze Werk als eine Einheit, als ein zusammengehörender Körper betrachtet werden. Damit wird deutlich, dass Duchamp die Abtrennung von Werken quasi als »Amputation« begreift und die Werke in ihrer Gesamtheit erfasst werden sollen.197 Auch wenn das Museum nach Aussagen Duchamps »am Ende der Welt« liegt, befürwortet er den Ort, »weil die Leute, wenn sie sich wirklich für mich interessieren, sich dorthin begeben werden […]«.198 In eine Außenmauer des Ausstellungsraums wird nach Duchamps Anweisung ein Durchbruch für das Große Glas gerissen, damit der Blick durch das Kunstwerk in die Natur freigegeben wird und das Licht von außen durch die Materialität des Kunstwerks hindurchscheinen kann. In der vor dem Durchbruch angelegten Grünfläche blickte man in der Anfangszeit der Aufstellung des Großen Glases auf eine Skulptur von Maria Martin: Yara, eine nackte Wassergöttin, welche in einer vegetabilen Schale aus Fischen steht, die Hände gefaltet und den Blick nach oben gerichtet. An den Beinen und am Rücken rinnen Wassertropfen herab.199 Walter Arensberg, ein großer Kunstliebhaber, beschäftigt sich während seiner Studienzeit mit altmeisterlicher Literatur und verfasst für Harvard Monthly ein kurzes Essay über Dürers Melancholia I und Leonardo da Vincis Mona Lisa. Er befasst sich lange Zeit mit Poetik und publiziert The cryptography of Dante (1921) und The cryptography of Shakespeare (1922).200 Duchamp, der Walter Arensberg 1915 kennenlernt, berichtet, dass dieser in Dichterkreisen verkehrt und sich für die Schule der englischen »Imagists« interessiert. Er beschreibt ihn als ängstlichen Mann, der sich zugleich aber sehr ambitioniert dem Studium der Kryptologie verschrieben hat und Dantes Werk genauestens nach Anagrammen untersucht.201 Duchamp fungiert für die Arensbergs als Berater, Ästhetiker, Vermittler und Kurator.202 Er übernimmt Tätigkeiten als Abgesandter und

195 Vgl. SAWELSON-GORSE 1987, S. 179. 196 DUCHAMP et al., 1949, a, c, S. 2-c. 197 Vgl. NELSON 1958, S. 90. Sweeney: »It must be a great satisfaction to you to have so many versions and so much of your work in one collection here in the Philadelphia Museum.« Duchamp: »Wonderful! I always felt that showing one painting in one place and another place is just like amputating one finger each time, or a leg. Here I feel at home. This is my house. I have never had such a feeling of complete satisfaction.« SAWELSON-GORSE 1987, S. 179. Sawelson-Gorse spricht hier hinsichtlich der Sammlung Arensberg von einer »physical possession«. 198 CABANNE (1966), in: Stauffer 1992, S. 194. 199 Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 28. 200 Vgl. SAWELSON-GORSEN 1994. S. 17; ARENSBERG 1898, S. 23−25; TSAI 2016, S. 1. 201 Vgl. NELSON 1958, S. 95; DUCHAMP 1964, S. 40; SAWELSON-GORSE 1993, S. 83. 202 Vgl. SAWELSON-GORSE 1987, S. 178.

2. Duchamp als Rezeptionist

Fürsprecher der Arensberg-Sammlung, führt Verhandlungen für die Arensbergs und hat vor allem beratenden Einfluss auf das Ehepaar.203 Nicht nur dem Betrachter spricht Duchamp eine Kraft zu, welche auf das Werk selbst Einfluss ausübt, sondern auch dem Händler und dem Sammler. Das Ehepaar Arensberg wünscht, dass seine Sammlung als etwas Körperliches betrachtet wird, als »their children«, und spricht in diesem Zusammenhang auch von einem »living memorial«.204 Zugleich soll die Sammlung als »corporal, psychological and emblematic representation of their selves« gesehen werden.205 Das Sammlerpaar Arensberg bekundet damit eine starke Haltung und verdeutlicht, dass seine Sammlung mit Leidenschaft zusammengestellt wird: Die beiden leben in ihrer Sammlertätigkeit eine Form der Schöpfungskraft und Rezeptivität aus.206 Die Zusammensetzung der Werke vergleichen sie mit biologischen Funktionen und verwandtschaftlichen Geflechten. So eröffnet die Vereinigung der Sammlung Duchamp ganz neue Qualitäten in ihrer bewussten Zusammenführung und Aussagekraft: Es kann eine Art vollständiger Organismus präsentiert werden.207 Der Gedanke vom organischen, zusammenhängenden System, welches die Arensbergs hinter dem Werk Duchamps erkennen und dem sie mit der Zusammenführung eine persönliche Aufwertung verleihen, steht im direkten Zusammenhang mit Duchamps Denken im Hinblick auf die Schöpfungsmetaphern (Kapitel 3.7). Seinem Werk wird nicht nur allegorisch eine lebende Körperlichkeit zugesprochen, es wird vielmehr auch ein zusammenhängendes Werkverständnis suggeriert – ein Gedanke, der von altmeisterlichen Werken ausgeht wie beispielsweise dem Tizians. Auch dessen Wirken fußt auf der Idee von einem ineinandergreifenden Werk, das durch Schöpfungsmetaphern an reale Körperlichkeit und den Prozess gebunden ist.208 Das Umfassende ist ein Prinzip der Schöpfungsmetapher, welches nicht zuletzt auch von Hans Baldung Grien in vielen seiner Gemälde und Grafiken zur Geltung kommt und so in das Werkverständnis Duchamps einfließt.

203 Vgl. SAWELSON-GORSE 1987, S. 178; Sawelson-Gorse benennt Duchamp als den »aesthetician« der Arensbergs; DUCHAMP 1964, S. 15. 204 Vgl. SAWELSON-GORSE 1987, S. 178; SAWELSON-GORSE 1990, S. 4; SAWELSON-GORSE 1993, S. 89. 205 Vgl. SAWELSON-GORSE 1994, S. VIII. 206 Vgl. BOCKEN 2010, S. 106. Die Sammlertätigkeit sieht bereits Cusanus (1401–1464) als sammelndes Gestalten oder Zusammenwerfen (lat. con-icere). 207 Die allumfassende Sicht Platons, welcher alles auf eine Urquelle bezieht und untereinander verbindet und als einen einzigen Organismus beschreibt, beinhaltet eine geradezu esoterische Perspektive, mit der Duchamps Ansichten übereinstimmen. Sie ist somit nicht nur für ein Sammlungsgefüge vorstellbar, sondern kann für die gesamte Kunst gelten. 208 Bezugnehmend auf Tizians Werk wurde von Suthor erkannt, dass sich das Bild durch den Geist des Künstlers ausdrückt und zur eigentlichen lebendigen Anschauung wird. Auch durch die Kunstfertigkeit des Künstlers wird die tote, zunächst wertlose Materie zu etwas Kostbarem, scheinbar Lebendigen transformiert. Suthor zeigt das Vermögen Tizians auf, die Kunsthaut seiner Akte so lebendig ins Gemälde zu setzen, dass sie nahezu den Betrachter auffordert oder gar dazu verführt, sie zu berühren. Damit bezieht Tizian den Betrachter aktiv in das Bilderlebnis ein. Siehe dazu: SUTHOR 2004.

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3. Vom Leben eines Werkes – Rezeptionen nach Hans Baldung Grien im Hauptwerk: Das Große Glas

3.1.

Lebensalter-Darstellungen

Hans Baldungs Griens Bild Die sieben Lebensalter des Weibes von 1544 (Museum der Bildenden Künste, Leipzig) ist, so wird angenommen, Teil eines Flügels von einem Diptychon (Abb. 11).1 Die fünf Frauen und unten links ein Kind sind leicht versetzt nebeneinander aufgestellt, mit entblößten Oberkörpern und nur von Tüchern bedeckt. Sie werden vor einem dunkelblauen Himmel gezeigt. Hinter dem letzten Frauenpaar, welches sich von den anderen farblich absetzt, da es in dunkle, nicht helle Tücher gehüllt ist, befindet sich ein weiß gehaltener Frauenkopf. Der Blick dieser Figur scheint auf die Weinrebe links im Bild und auf den Feigenbaum, der für Sinnesfreuden und Fruchtbarkeit steht, gerichtet. Ihr Blick ergibt einen imaginären Bogen zu den Gewächsen auf der anderen Bildseite und führt zum Anfang der Frauenkette, zu dem jungen Mädchen zurück. Die dritte Frau in der Folge, die zusätzlich mit einem Kopfband, geflochtenem Haar und einem Schleier versehen ist, blickt mit zur Seite gedrehtem Kopf aus dem Bild heraus den Betrachter an, ebenso die letzte in der Reihe, die ein schwarzes Tuch über dem Haupt trägt.2 Unterhalb der ersten Frauen sitzt ein Kleinkind in ebenfalls dunkler Gewandung; es blickt den Betrachter direkt an. In seinen Fingern hält es eine Perlenkette, welche in Analogie steht zu der Aufreihung der Frauen hinter ihm, deren Arme untereinander eingehakt sind. Neben dem Kleinkind ist mittig ein Vogel im Bild festgehalten.3 Mög-

1 2 3

Das Bild entsteht als letztes Gemälde vor dem Tod Hans Baldung Griens. Vgl. BOUDREAU 1978, S. 208; VON DER OSTEN 1983, S. 248. In Hans Baldung Griens Gemälde der Papageien-Madonna von 1533 (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg) bringt sich der Künstler selbst mit diesem Motiv des Vogels in Verbindung. Auch Duchamp zeigt sich als Vogel in der Grafikserie The Large Glas and Related Works in dem Blatt Selected Details after Courbet/Morceaux Choisis d’après Courbet / Ausgewählte Stücke nach Courbet (1967), wo er in der Metapher des Falken (faucon=false cunt) zwischen Betrachter und dem eigentlichen hervorgetanen Detail der »falschen Fotze« zum Sehen und Erkennen anleitet.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

licherweise wird hier mit dem Vogel die »Idea«, die künstlerische Freiheit symbolisiert oder geistige Höhenflüge, die den Künstler in kreative Sphären führen. Das Werk, mit dessen Figuren Baldung einen spielerischen Umgang findet, scheint von ihm wie aus Kinderaugen betrachtet. Baldung bildet die Frauen nach genauesten naturalistischen Beobachtungen ab und untergliedert sie motivisch in Jungfrauen, Ehefrauen und Witwen. Durch Art und Farben der Lendentücher werden sie thematisch in diese drei Gruppen unterschieden. Der Künstler kennzeichnet die beiden Witwen mit schwarzen Schals. Die Braut ist durch einen Schleier und hochgesteckte Haare gekennzeichnet. Die Jungfrau links daneben trägt gelöstes Haar, ebenso das Mädchen neben ihr. Das Aussehen der Frauen ist dem jeweiligen Lebensabschnitt und Alter angepasst und zeigt auch den Verlust der Schönheit im Alter.4 Das Element der Gleichgeschlechtlichkeit in diesem Werk und die formal angepasste Bedeckung und Freilegung ihrer Körper lassen sie zu einer Einheit verschmelzen. Während das erste Mädchen noch fast jünglingshaft ohne weibliche Rundungen dargestellt ist, werden die beiden an das Mädchen anschließenden Frauenfiguren in ihrer körperlichen Blüte und Fruchtbarkeit präsentiert.5 Jungfrauen, Bräute und Witwen sind auch in Duchamps Werk ein wichtiger und vielgenutzter Topos; er setzt ihn nicht nur metaphernhaft ein, vielmehr macht er auch Veränderungen der geschlechtlichen Funktionen sichtbar: Vierge (No. 1) / Virgin (No. 1) / Jungfrau (Nr. 1) von 1912 (Abb. 28 a), Vierge (No. 2) / Virgin (No. 2) / Jungfrau (Nr. 2) von 1912 (Abb. 28 b), Le Passage de la Vierge à la Mariée / The Passage from Virgin to Bride / Der Übergang von der Jungfrau zur Braut, von Juli/August 1912 (Abb. 30), Mariée / Bride / Braut von 1912 (Abb. 29) und Fresh Widow / Veuve récente / Frische Witwe von 1920/1964 (Abb. 54). Witwen genossen in der Frühen Neuzeit aufgrund ihrer Weisheit hohes Ansehen.6 Doch darüber hinaus wurden ihnen, den sogenannten Alten, den Vetteln oder Hexen, Negativität wie auch ein starkes Triebwesen nachgesagt. Lundt erläutert, dass man in der Frühen Neuzeit das Alter als relativ wahrnahm: Man betrachtete es als eine »flüssige«, magische, metaphorische Größe, was auch die Sexualität mit einbezog.7 Sexuelle Aktivität und Wertigkeit wird einer Frau für die Phase ihres Lebens zugesprochen, in der sie reproduktionsfähig ist.8 Richard van Dülmen verweist darauf, dass man zunehmend Abstand davon nahm, die Natur ausschließlich als die Schöpfung Gottes zu verstehen. Stattdessen wurde das Werk selbst und dessen Materialität – wie auch die des Körpers – mehr und mehr als eine selbstständige Maschinerie verstanden. In diesem Fall wird ein Regelwerk in ein künstliches, zyklisches Werden und Vergehen der Frau projiziert und verbildlicht.9 Das »Lebensprinzip des Körpers«10 , präziser: das Lebensprinzip des Aktes und gleichzeitig

4 5

6 7 8 9 10

Vgl. KNÖLL 2009, S. 182. Vgl. BOUDREAU 1978, S. 208. In der Frühen Neuzeit galt die Lebensdauer einer Frau erst gesichert, wenn sie die Phase der »Reproduktion« überstanden hatte, dann konnte sie wie der Mann ein hohes Alter erreichen. Vgl. LUNDT 2009, S. 85. Vgl. ebd., S. 84. Vgl. FUHRER 2009, S. 51. Vgl. VAN DÜLMEN 1977, S. 65; LUNDT 2009, S. 86. Vgl. VAN DÜLMEN 1977, S. 65.

3. Vom Leben eines Werkes

das des Werkes selbst, welches Baldung hier in einer großen Frauenstudie metaphorisiert, zeigt die Zeit und die Veränderung im Lebenszyklus einer Frau im Allgemeinen sowie die innere und äußere Reifung und den Verfall eines Werkes. Hier kommt die präzise Beobachtungsgabe des Künstlers zum Ausdruck, die sich insbesondere in der Wiedergabe der Geschlechterphysiologie und -psychologie manifestiert. Im weiblichen Akt wird der äußerliche Verfall deutlicher sichtbar, als dies am männlichen Körper zu erwarten ist, doch geht mit dem Altern auch eine innere Veränderung der Protagonistinnen einher. In einem anderen Gemälde führt Baldung die männlichen Lebensalter zusammen, und gleichzeitig verbindet er ein Selbstporträt mit dem Bildgeschehen: Die Rede ist von seinem Hauptwerk, dem Freiburger Hochaltarretabel von 1516 (Abb. 12). Das zu beachtende Detail befindet sich in der Kreuzigungsszene auf der Haupttafel der Rückseite zwischen dem rechten Kreuzbalken und der aufrecht gehaltenen Lanze des Schächers. In diesem kleinen Ausschnitt befinden sich der Schächer, der Künstler und ein kleiner Junge. Baldung inszeniert sich rechts hinter dem Schächer derart, dass nur sein Kopf zu sehen ist. Mit wachem Ausdruck blickt er den Betrachter direkt an; der Rest seines Körpers wird vom Pfeiler des rechten Kreuzes bzw. durch den davor stehenden Schächer verdeckt. Letzterer, welcher ganz in Grün, die bevorzugte Farbe Baldungs, gehüllt ist, reckt seinen Kopf weit nach vorn, sodass der Kopf des Künstlers wie abgeschnitten auf dem Rücken des Schächers ansetzt und doch auf seltsame Weise mit diesem zu einer Figur verschmilzt. Etwa in Bauchhöhe des Schächers späht hinter ihm der kleine Junge hervor: Er hält Baldungs Signaturtafel. Er kann seinen mitfühlenden Blick nicht von der leidklagenden Maria Magdalena abwenden. Entscheidend ist hier, dass sich die Dreiergruppe, wie Söll-Tauchert erkannt hat, vom weiteren Geschehen im Bild abhebt.11 Baldung verknüpft sein Selbstporträt mit roter Kappe mit den beiden Personen vor sich: dem Schächer und dem Knaben. Er nimmt die reife, böse Seite des Schächers, der Jesus mitten ins Herz gestochen hat, und den Knaben mit seiner kindlichen, emotionalen Sicht auf das Geschehen in die Szene mit auf. So verschafft sich der Künstler in seinem künstlerischen Selbstverständnis Raum im Bild; er verdeutlicht seine Stellung durch die Inszenierung, welche ihn vom Geschehen distanziert und aus der historischen Szenerie löst. Baldung weist damit auf seine künstlerische Haltung hin, die ihn zwar mitten auf die Bühne des Geschehens holt, ihn gleichzeitig aber in der künstlerischen Freiheit seiner Position erstarken lässt, ihn nämlich in vielfältiger, zeitentbundener Individualisierung festhält und entgrenzend in das Gemäldes einbindet. Nicht nur Lebewesen, sondern auch Kunstwerke sind dem Zeitgeist und Moden unterworfen; durch Produktion und Reproduktion spiegeln sie Epochen und Stile wie auch Leben und Tod, Niedergang und kulturelles Wachstum.12 Nicht nur bei Michel11

12

Vgl. SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 179f. Der kinderlose Baldung könnte einen Neffen abgebildet haben, so die Vermutung Söll-Taucherts; auch in der Figur des Schächers wird eine historische Figur, die des Bürgermeisters, vermutet. (Diese Figur hat darüber hinaus auch Ähnlichkeiten mit älteren Selbstporträts, z. B. in den Noten eines Notenabdruckes des Epicedion Thomas Sporeri 1534 [heute in der Augsburger Staats- und Stadtbibliothek], aber auch in dem Bildnis, in welchem er sich im Alter von 49 Jahren im Louvre im Cabinet des Dessins zeigt.) Vgl. RUMP 1982, S. 106; PARNES/VEDDER/WILLER 2008, S. 10ff.; PFISTERER 2012, S. 57f.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

angelo und Leonardo ist es ein üblicher Kunstgriff, das Hässliche neben das Schöne zu setzen, um die Gegensätze zu akzentuieren, oder das Alte neben das Junge, um beides in größerer Intensität herausstellen zu können.13 Max Beckmann setzte, nach eigenen Worten, alte wie hässliche Körper ein, um die Dramaturgie zu steigern.14 Dix wiederum verband das Hässliche mit der Sinnlichkeit, um das Leben »ohne Verdünnung« zu präsentieren.15 Eco betrachtet diese Thematik philosophisch: »Da das Häßliche [bei den Griechen] als Mangel an Harmonie das Gegenteil des seelisch Guten sei, empfahl Platon in Hippias maior, vor der Jugend nichts Häßliches darzustellen, gab aber zu, daß im Grunde alle Dinge in dem Maße eine eigene Schönheit besäßen, in dem sie mit der entsprechenden Idee übereinstimmten; deshalb könne man ein Mädchen schön nennen, eine Stute und ein Gefäß, aber jedes einzelne sei häßlich gegenüber dem vorausgehenden.«16 Gemäß einer langen christlichen Tradition ist das Alter gleichzeitig mit dem »Sündigen« verbunden. Diese Negativität scheint auf der Schöpfung in ihrer Vergänglichkeit geradezu zu lasten.17 So wenden sich Cranach wie auch Baldung dem Thema der ungleichen Paare moralisierend zu; in den entsprechenden Werken ist jeweils ein junges Mädchen mit einem lüsternen Alten zu sehen. Der Alte weist meist einen Bezug zum Geld auf, mit dem er die Zugewandtheit des jungen Mädchens herbeiführen will. Äußerliche Gegensätze klaffen auf und werden spannungsvoll sichtbar gemacht. Bei Cranach liebäugelt die Frau gar mit dem Mann im Bild oder scheint mit dem Betrachter zu kokettieren. In Baldungs Werk gibt es eine ganze Reihe von Darstellungen, welche wie das Gemälde Die Sieben Lebensalter des Weibes das Reifen und Vergehen der Frau thematisieren. Diese Bilder weisen auf die Vergänglichkeit auch der Kunst und des einzelnen Werkes hin, in ihnen wandelt sich das Alter zum personalen Tod, der einer schönen Jungfrau gegenübersteht, wie etwa in dem Gemälde Tod und die Frau von ca. 1520 (von dessen Sujet in Baldungs Werk eine ganze Reihe existiert) oder in Die drei Lebensalter und der Tod, 1509/10. In Letzterem hält der Tod allegorisch ein Stundenglas über das Mädchen. Die greise Hexe aber versucht, seinen Arm und das Glas abzuwehren, um noch etwas Zeit herauszuholen. Derart drastische Gegensätzlichkeit äußert sich auch in Baldungs Holzschnitt Aristoteles und Phyllis (Abb. 13), auf dem sich die jugendliche, schöne Phyllis reitend auf dem alternden Aristoteles einem erotischen Spiel hingibt, bei dem sich der Mann ihr im Vierfüßlerstand und mit angelegtem Zaumzeug unterwirft. Marcel Duchamp findet in einem Selbstporträt die Möglichkeit, seine eigene Vergänglichkeit und den Verfall künstlich wie künstlerisch zu inszenieren. Der betagte Duchamp präsentiert sich in Pasadena im Ausstellungssaal mit einer nackten, weiblichen Schönheit (Abb. 14) – eine Inszenierung, auf die an anderer Stelle (Kapitel 3.12)

13 14 15 16 17

Vgl. ROECK 2013, S. 110. Vgl. PIPER 1979, S. 181. Vgl. SCHMIDT 1981, S. 228. ECO 2007, S. 30. Vgl. JACKE 2014, S. 248. Jacke äußert diese Vermutung hinsichtlich eines Films von Lars von Trier, der auch Elemente von Baldung-Rezeptionen in seinem Film »Melancholia« einfließen lässt.

3. Vom Leben eines Werkes

noch ausführlicher eingegangen wird. Der Künstler und das jung wirkende Modell sitzen am Tisch einander gegenüber und spielen Schach vor dem Großen Glas. Duchamp führt die weibliche Materie – in lebendiger Figuration der jungen Frau – und die weißen Schachfiguren, die er benutzt, als rauchender »Spielleiter« seines Werkes durch das Geschehen. Dem weiblichen »Akt« an Erfahrungsreichtum hinsichtlich der Spielstrategie überlegen, erinnert Duchamp an den Tod im Spiel mit der Frau vor der Schachuhr, welche abläuft – und das Ende der beiden Spielenden ist vorhersehbar. 1945 zeigt sich Duchamp auf dem Foto Selfportrait at the Age of 85, no. 2 / Selbstporträt im Alter von 85, Nr. 2 (1945) in dem virtuellen Alter von 85 Jahren (Abb. 15), obwohl er zum Zeitpunkt der Fotografie erst 58 Jahre alt ist. Dabei bedient er sich eines Zahlendrehers – 58/85 – und ist seiner Zukunft durch das Werk voraus.18 Von der Fotografie gibt es zwei Versionen: Eine zeigt ihn mit, die andere ohne Brille (Abb. 15, Abb. 16). Das mit Brille wurde in der März-Ausgabe von VieW veröffentlicht und war im surrealistisch gestalteten Schaufenster des New Yorker Buchladens Gotham Book Mart zu sehen (siehe dazu 5.4).19 Duchamps Blick ist nach unten gerichtet, die Augenhöhlen wirken verschattet. Über die hohe Stirn, die von einer nach hinten gezogenen Mütze freigegeben wird, ziehen sich tiefe, lange Falten, die teilweise aufgemalt und mithilfe der Lichtführung künstlich verstärkt erscheinen. Duchamp gelingt es auf diesem Lebensalterfoto, mit seiner Person einen Zeitraum zu antizipieren, in dem er selbst legendenhaft einen alten, weißen Mann vorstellt: er, der junge Konzeptkünstler, welcher seine Werkplanung über Jahre antizipiert. Er selbst ist es, der seine Zukunft in seinem Werk vorausgedenkt und künstlich erschafft, der den Beginn ebenso wie seinen Verlauf, sein eigenes Ableben und auch das Ende seines Schaffens aktiv bestimmt. Im Blick des Künstlers auf Duchamps Lebensalterfoto – vergleichbar Baldungs »weißer Frau« – liegt gewissermaßen der Schlüssel, der das Werk rückschauend in seiner Gesamtheit erfassen lässt und in einem Handlungsstrang zu verstehen erlaubt. Darin manifestiert sich die innere Reife eines weisen Mannes, Duchamps Weitsicht mit Blick auf das zum damaligen Zeitpunkt noch entstehenden Werkes. Tatsächlich wird er im real fortgeschrittenen Alter noch aktiv »gebärend« sein im Gegensatz zu der vom biologischen Lebenszyklus abhängig alternden Frau.20 Lundt erinnert an das Lebensalter der Alten Meister und merkt an, dass sie oft ein geradezu legendär hohes Alter erreichten und sich in diesem präsentierten, wie etwa Michelangelo, Leonardo da Vinci und Tizian: als greise, vom Leben gezeichnete, weise Männer, die mit ihrem hohen Alter selbstbewusst ihr künstlerisches Vermögen unterstreichen.21 Dennoch wird das Lebensalterbild beim Mann in der bildenden Kunst generell zugunsten des sich durchsetzenden Frauenaktes vernachlässigt, was wohl dem Interesse der meist männlichen Auftraggeberschaft einer patriarchalen Gesellschaft geschuldet ist. Lebensalter ist nicht nur im Sinne des Alters der abgebildeten Protagonistinnen zu verstehen, denn es symbolisiert auch die Vergänglichkeit und den Zyklus allen Lebens ganz allgemein. So spiegelt es auch Leben und Tod des einzelnen Werkes in der Kunst und

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Vgl. BANZ 2014, S. 81. Vgl. MOLDERINGS 2013, S. 11. Vgl. PFISTERER 2012, S. 57f. Vgl. LUNDT 2009, S. 84.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

ist damit allegorisch an die Stilisierung der jeweiligen Künstlerperson gekoppelt sowie an die Systematisierung des in die Zukunft gerichteten Werkaufbaus. Das Lebensalter basiert außerdem auf spannungsvollen ästhetischen Werten, wenn Schönheit und Hässlichkeit, Alter und Jugend in einem dualistischen Verhältnis nebeneinanderstehen. Duchamp zeigt sich seinem Alter gegenüber indifferent und kokettiert mit den kindlichen Anteilen in sich selbst: »Wie alt bin ich jetzt? So alt wie immer. Fünfundsiebzig, bald sechsundsiebzig, um genau zu sein. Ein reines Kind, so wie die Dinge in unserer Familie verlaufen. Mein Bruder Jacques Villon ist mit siebenundachtzig immer noch prächtig am Malen; kürzlich noch sah ich ein Gemälde auf der Staffelei in seinem Atelier in Puteaux, sehr lebendig, sehr stark…«22 Die Kindheit wird von Künstlern wie Cézanne oder Klee oft als Ursprung ästhetischer Erfahrungen gesehen, denen nachgespürt wird und die es in sich zu erhalten gilt.23 Dies umfasst auch den Wunsch, sich vom kulturellen und gesellschaftlichen Ballast zu befreien, um schließlich wieder zum Anfang des Lebens und zur primitiven Einfachheit der Dinge zurückkehren zu können. Hier liegt das Prinzip des »befreiten« Künstlers, welcher allein um sich selbst kreißt, »sich selbst gebiert« und, wie Duchamp, sein künstlerisches Ego, seine künstlerische Individualität, seine eigene Ausdrucksform, aber auch sein Genie am besten erwecken und freisetzen kann, wenn er seinen zur Schau gestellten, kindlichen und spielerischen Charakter im Werk zulässt. Darin liegt die Antriebskraft, die mit dem Ego und der eigenen künstlerischen Schöpfungskraft gleichzusetzen ist. Duchamp rekurriert mit dem Lebensalterfoto auf Baldungs Werk weniger in formaler Hinsicht als unter konzeptionellen Gesichtspunkten, an denen er sich orientiert und denen er sich inhaltlich anschließt. Er nutzt die Auseinandersetzung mit Baldung, um sich mit seiner eigenen Künstlernatur oder seinem eigenen Künstlersein befassen und dies reflektieren zu können: seine männlichen und seine weiblichen Züge, die sichtbaren und die unsichtbaren Seiten. Auf diese Weise gelingt es Duchamp, einen Weg zu finden, wie seine Vorstellungen von einer Werkgenese mit einer visuellen Form der Künstlerbiografie zu verbinden und zu reflektieren wären.

3.2.

Emanation – Transformierter Ausfluss der Kunst

Das Wort »Ausfluss« oder der aus dem Griechischen stammende Begriff Emanation wird von Duchamp auf die Werkentstehung angewandt wie der »ästhetische Geruch«

22 23

STEEGMULLER (1963) in: Stauffer 1992, S. 138. Oder wie Picasso den Verlauf der Zeit rückwärts gesehen ausdrückt: »Man braucht viel Zeit, um jung zu werden.« In ihrem Vortrag Art in Relation to Life spricht Katherine Dreier über die kindliche Seite in einem Künstler, welcher nie erwachsen wird. Nur das »kleine Kind sein« mache die Größe aus und beinhalte die Kraft im Wachstum und das Festhalten an Visionen »von einer unbefleckten Welt«; siehe dazu: DREIER o. D., S. 24.

3. Vom Leben eines Werkes

oder der »ästhetische Orgasmus«.24 Emanation ist ein Terminus der Philosophie und der Religionswissenschaft der insbesondere auf den Neuplatonismus zurückzuführen ist.25 Er bezeichnet nicht nur das Hervorgehende aus etwas, sondern auch das bereits Hervorgegangene im Sinne der Ontologie. Dennoch sind Ausfluss und Riechen (»ästhetischer Geruch«) zwei konträre Vorgänge, wobei das Erstere eine physische Bewegung beschreibt und das Zweite eine sinnliche Wahrnehmung. Beide finden durch Analogien Eingang in Duchamps Kunst und werden dort zusammengeführt. Duchamp spricht von der Zyklushaftigkeit der Emanation: »[…] Jahrhundert nach Jahrhundert, Jahr nach Jahr, Bewegung nach Bewegung usw. Dies ist eine phantastische Klassifizierung für den Menschen in der Welt, in der wir uns befinden. Aber wenn wir die Idee eines ästhetischen ›Geruchs‹ in der einer ›Emanation‹ des Kunstwerks akzeptieren… Angenommen, wir akzeptieren das: eine Aura, fast wie ein Geruch; eine materielle Transsubstantion. Eine Emanation: ja.«26 Duchamp vergleicht die Aura eines Kunstwerks oder dessen Umwandlung mit einem natürlichen Ausfluss, der ein »Aroma« oder auch einen »ästhetischen Geruch« mit sich führe und sich dann verflüchtige. Bereits die davon ausgehende »aureole Vibration« könne zeitversetzt wie ein »ästhetische[r] Orgasmus« von der Kunstgeschichte oder vom Betrachter wahrgenommen werden, indem die Rekonstruierung der Werkentstehung versucht werde.27 Die Verflüchtigung des Geruches, so der Künstler, sei überdies gefährdet durch einen zu langen Diskurs oder Austausch über die Kunst.28 Duchamp, der den Betrachter mithilfe seiner Konzeptualisierung zeitgleich leitet, hat das Ziel, ihn über den künstlerischen Input zu einem »ästhetischen Orgasmus« zu führen.29 Dazu muss das Kunstwerk im Laufe seines Lebens enthüllt und von der Interpretation durchdrungen werden, und das nicht erst in der Phase seines Todes, dem Zustand der Interpretationslosigkeit. »Der Geruch der Blume ist weg«30 – oder »die Seele der Sache«31 –, so beschreibt Duchamp den beginnenden Tod des Kunstwerkes. Rosenberg versteht das »Aroma« als Phantasie oder Seele des Kunstwerks, und Duchamp äußert sich selbst dahingehend, dass ihm diese Gedankenbrücke geholfen habe, zwischen Kunstgeschichte 24

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Vgl. SEITZ 1963, S. 131; DUCHAMP o. D., b, S. 1, Marcel Duchamp : »Si on accepte l’idée de séparer l’esthétique de l’histoire de l’art qui sont 2 facettes différentes de l’œuvre, on peut concevoir l’idée d’une émanation d’ordre physique applicable à l’œuvre d’art dès sa naissance un arôme, une auréole, une vibration. Je considère que cette émanation est capable de produire l’orgasme esthétique chez le regardeur mais en même temps je crois que cette auréole, cette émanation physique disparait très vite dans un nombre d’années difficile à déterminer mais fait place à l’entrée de l’œuvre parmi les documents de l’histoire de l’art du arôme a disparu – Car les soi-disant orgasmes à la vue du Panthénon ou de la Joconde ne sont peu moins que des masturbations apprises par cœur…« Vgl. LINDBERG 1987, S. 27. Aristoteles ist der Meinung, dass das Sehen keinen Sehstrahl aussendet und das Licht kein körperlicher Ausfluss ist. DUCHAMP o. D., b, S. 1. SEITZ (1963), in: Stauffer 1992, S. 149f. Vgl. ROSENBERG 1963, S. 77; SEITZ 1963, S. 131; DUCHAMP o. D., b, S. 1. Vgl. GRAY 1969, S. 6. Duchamp: »The minute you talk too much about something it destroys the emanation, the smell.« Vgl. DUCHAMP o. D., b, S. 1. BLUNCK 2008, S. 277. Vgl. Ebd., S. 277.

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und Ästhetik zu unterscheiden.32 Wie das Aroma einer Blume verliere auch das Kunstwerk im Tod seine ästhetische Qualität und »vertrockne« in vielen Fällen.33 Auch der Tod des Kunstwerks sei unabdinglich, das im »Mausoleum der Kunstgeschichte« (gemeint sind die Museen) seinen letzten Ort finde. Diesen letzten Ort charakterisiert Duchamp als ein »Fegefeuer«, denn das Kunstwerk sei dort Öffentlichkeit und Kritik direkt und vollständig ausgesetzt.34 An Pierre Cabanne schreibt Duchamp: »For me, the history of art is what remains of an epoch in a museum… [I] almost never [go to museums]. I haven’t been to the Louvre for twenty years. It doesn’t interest me, because I have these doubts about the value of the judgments which decided that these pictures should be presented at the Louvre, instead of others which weren’t even considered, and which might have been there.«35 Duchamp erläutert die Aura seines Werks und die Wichtigkeit des Betrachters, welcher aktiv in das Kunstwerk einbezogen sei und durch dessen Vorstellungskraft und Reflexion das Kunstwerk sich zu einer Imagination wandle und eine Überhöhung erfahre. Die Reflexion ist an den kunstgeschichtlichen Erfahrungsschatz des Betrachters gekoppelt, mit welchem er das Werk im Rahmen seiner individuellen Rezeption bespielt. Die Rezeption ist das Hinzugefügte des Betrachters, für den der Künstler die Grundlagen konzeptualisierend gelegt hat, sodass er, der Künstler, das erkennende Sehen leitet.36 Blickt man wieder zurück auf den Begriff der Emanation, den Ausfluss, gewinnt das Wasser an Bedeutung; es wird nicht nur verbildlicht, sondern auch diskursiv gezeigt.37 Wasser und Gas sind die Grundelemente, denen Duchamp in seinem Werk große Relevanz zukommen lässt. Dies wird beispielsweise in der Arbeit Water & Gas on Every Floor / Eau & Gaz à tous les étages / Wasser & Gas auf allen Etagen (1959) deutlich:38 Wasser sinkt ab, Gas steigt nach oben. Sie sind einander entgegenwirkende Kräfte, Materien, Aggregatzustände oder »sich zur Totalität ergänzende Kräfte«, wie Duchamp sie beschreibt.39 Er spielt auch humorvoll mit ihnen, wenn er 1938 ganze 1200 mit Papier ausgestopfte Kohlesäcke an die Decke des Ausstellungsraumes der Exposition Internationale du Surréalisme hängt und zugleich Wasserlachen in Mulden aus Plastikfolien auf dem Boden verteilt sind. Es ist ein Spiel der Umformung: Schweres wird ganz leicht, so die Vorstellung, und an die Decke gehängt. Der physische Bezug zum alltäglichen Leben ist ein begleitendes Element Duchamps unter realem Einbezug von Personen, welche wie Darsteller im Ausstellungsraum der Surrealisten fungieren, oder von Werken, die Assoziationen bei den Künstlern selbst auslösen. Gleichzeitig können an dieser Stelle geistige Bezüge in der Werkproduktion aufgezeigt werden. Eine künstliche, physiologische Befruchtung, eine Art Erschütterung, innere Berührung ist gemeint, die im Betrachter ausgelöst wer-

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Vgl. ROSENBERG 1963, S. 77; SEITZ 1963, S. 131. Vgl. DUCHAMP 1945, S. II-5. Vgl. BLUNCK 2008, S. 277. Blunck beschreibt es mit »Purgatorium«. FILIPOVIC, o. D., S. 3. Vgl. TÜRR 2007, S. 231. Vgl. AUSST.-KAT. Schwerin 2019, S. 80. Vgl. RÖDER 2003b, S. 178. Vgl. HELMS 1965, aus dem Institut für Moderne in Nürnberg.

3. Vom Leben eines Werkes

den soll und mit seiner Person zeitgleich gekoppelt ist: So kann die Ausstellung selbst förmlich als Kunstwerk betrachtet werden.40 Im Hinblick auf den Ausfluss spricht Dürer in seinem Malerbuch von 1512 von einem guten Maler, der sein Werk einfach nur »ausgießen« müsse in dem Sinne, dass ein Maler während der Vorarbeit unterschiedliche Bilder in der Art eines visuellen Gedächtnisses in sich trage, in seinem »Gemüt« aufgezogen habe und dass dieses Gedächtnis, quasi ein Sammlungsschatz, zitierbar oder abrufbar sei, wie Bausteine, die ihm zur Verfügung stünden bei der Errichtung seines Werkes. Bediene er sich hierbei einer Kopie, entspringe dies dem individuellen Willen.41 40

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Vgl. HEMKEN 2011, S. 42. Die Leitidee der Ausstellung als Kunstwerk geht somit bereits Duchamp voraus: 1920 die Dada-Messe, 1923 der Prounenraum von El Lissitzky, 1924 Friedrich Kieslers Theaterausstellung, 1926 der Salon de Madam B… von Piet Mondrian, 1926–28 das Abstrakte Kabinett von El Lissitzky und 1930 der Raum der Gegenwart von László Moholy-Nagy. Letztlich ist auch 1933 der Merzbau von Kurt Schwitters zu nennen, in welchem nicht die Ausstellung, sondern das Atelier zum Ausstellungsraum wird, womit Étant donnés von Marcel Duchamp naheliegt, welches dieser auch vom Atelier aus konzipierend dachte. Vgl. HINZ 2011, S. 310, »[…] den ein Mensch eigens vornimmt, der in seinem Willen steht.« Auch die Romantik erkennt in der Phantasie, wie Weltzien es darlegt, ein flüssiges Prinzip, welches keine Form ergibt und das »produktive Organ« in einem »flüssigen Aggregatzustand« zeigt. Darüber hinaus stellt Weltzien dar, wie Leonardo sich selbst mit dem Medium Wasser befasste und diesem physische Eigenschaften beimaß (vgl. WELTZIEN 2015, S. 19). Goethe setzt das Prinzip in einer »sündhaften Hybris« gleich mit einer Figur der Selbsterzeugung, der Autogeneration, hinsichtlich des Ausspruches des »Leben[s] Fackel wollen wir entzünden«. Wellbery stellt dar, inwiefern es Goethe um eine »Erotik des künstlerischen Mediums« geht und er seine Liebesbeziehungen als eine Quelle der Inspiration nutzt, welche ihn durch das Auge in die Hand befruchte und die nicht durch das Herz gehe (WELLBERY/BEGEMANN 2002, S. 24f.). Die androgyne Wesenheit des Künstlers ist keine Seltenheit in der Zeit Goethes und bringt das gewollte diskursive Spektrum mit sich, erweitert und vervollkommnet die Sicht auf die Kunst (vgl. BEGEMANNN 2001, S. 29). Auch hinsichtlich der methodischen Herangehensweise im Sinne der sexuellen Anschauung der Kunst lösen sich die Geschlechter auf, und es kommt zu einer Anschauung, welche schließlich auch vom Geschlecht des Betrachters mitbestimmt ist. »Zwischen Künstler, Instrument und Gegenstand zirkulieren Kräfte, die den Schaffensvorgang zu einem erotischen machen. Nur wenn man die fundamentale Bedeutung dieses der Kunstproduktion zugrunde liegenden erotischen Fluidums in Betracht zieht, läßt sich der Sinn von Goethes Insistenz auf formale Zweckmäßigkeit verstehen. Die immanente Stimmigkeit des gelungenen Werkes ergibt sich aus einem erotischen Triebüberschuss, einer freigewordenen Energie, die das Element des Kunstwerks zur Textur verwebt und in diesem Sinne ›belebt‹.« (Zitiert nach: WELLBERY/BEGEMANN 2002, S. 25). Jung erinnert an Sperma und gleichzeitig an »Fruchtbarkeits-« und »Lebenstrank«. Die Seele wird vom Intellekt befruchtet und findet Jung zufolge bereits in frühen ägyptischen Vorstellungen ihr Äquivalent. (Vgl. JUNG 1912, S. 140). Nietzsche sieht im Genie ein ausströmendes Prinzip, den Überschuss an Kraft, welchen er darin verschwendet sieht. Er schreibt: »Er strömt aus, er strömt über, er verbraucht sich, er schont sich nicht, … wie das Ausbrechen eines Flusses über sein Ufer unfreiwillig ist.« (Zitiert nach: JAMMERS 2000, S. 248). Henri Bergson, welcher 1927 den Nobelpreis für Literatur erhielt, beschreibt um 1907 in einem Essay l’evolution creatice und zeichnet die Existenz als ein Lebens- und Bewegungsprinzip durch den Geist nach. Er weist auf zwei geistige Bewegungen hin; die eine ist die fatalistische, pessimistische, nach innen gerichtete, die andere ist die positive und vitalisierende, freie Bewegung. Die passive wird mit einem geometrischen Grad beschrieben, wohingegen das aktive Prinzip zielgerichtet ist. Der »élan vital« kommt somit einer künstlerischen Schöpfung gleich. (Vgl. JAMMERS 2000, S. 248). Für Adorno verändert sich die Rezeption nicht, sondern nur »das Werk selbst« und seine »innere Zusammensetzung«. Er tritt für die Idee der Emanation ein, indem er das »Zeithafte

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1931 nennt Katherine Dreier in einem Vortrag einige Künstler, welche ihrer Meinung nach einen neuen Ansatz der zeitgenössischen Kunst sichtbar machten: Sie benutzten ihr zufolge eine Metapher, die den Boden der künftigen Erde für die Aussaat präparieren würde. Dreier sieht in der Form an sich die daraus folgende Frucht und führt weiter aus, dass es möglich sei, dadurch die Fluidität eines Cézanne oder eines Matisse auf El Greco zurückzuführen. »And so it is now possible to trace back the fluidity of a Cezanne or a Matisse back to El Greco.«42 Diese drei wandten demnach laut Dreier ein ähnliches Verfahren der Fließfähigkeit an. Auch Molzahn äußert sich in einer Schrift, sie sich im Nachlass von Katherine Dreier befindet, zu dem ursprünglich triebhaften Wesen, welches in seinen Augen das von Beginn an leitende Prinzip des Künstlers zu sein scheine. So erläutert er, wie in einem systematischen Werkaufbau von Anfang an eine Zelle, ein Samen als ein »erster Baustein« gelegt werden müsse, der sich dann im Ganzen widerspiegele. Gleichzeitig umschreibt er diese Tat als »diebische« Fähigkeit der »Ahnen«, die das erbeutete Gut immer nur in neue, schillernde und das Auge blendende Tarnung hüllten.43 Weiter schildert er: »…Es ist nicht die Schuld der Künstler, daß diese Quellen des Seins so spärlich fließen und vielleicht manchmal versagen; er ist dennoch diesem Sein verpflichtet und den Quellen, aus denen es fließt.-/denn es sind die einzigen Quellen künstlerischen Seins. Wir wissen es wohl,- die Quellen des Scheins ernähren recht gut manchen Künstler im äußeren Sein;/wir wissen es wohl mein lieber Zeitgenosse, wie sehr Dich der Schein immer wieder blendet/und doch mein lieber Zeitgenosse:/Das KÜNSTLERISCHE SEIN NÄHRT SICH NICHT AN DEN QUELLEN DES SCHEINS. Die Lüge nährt nicht das innere Sein./Alles was ist,- das ist und weil ES ist,- daraus bezieht es seinen Sinn und sei SEIN./Es gibt nicht Kunst an sich; es gibt nur eine Kunst, in der die Gegenwart sich wieder begegnet und in den IHR EIGENEN ZEICHEN SPRICHT in der ihr alleine zugehörigen Sprache./Denn, die Kunst ist kein Genußmittel; sie ist lebensverpflichtend,- sie ist produktives Sein./Sie ist nicht ein Kadaver, aus dem wir uns ein passendes Stück herausschneiden um es am Spieß zu braten./Sie ist ein Lebensorganismus, der gepflegt und ernährt werden muss, damit er seiner Funktion am Ganzen gerecht werde./Die Kunst ist ein soziales Gut./Sie ist die Substanz, die die Kette unserer Ahnen in uns speicherte, damit sie durch uns verwirklicht werde;/sie ist ein Erbgut, aus dem uns die Pflichten vor der Geschichte entstehen: es in funktionales Gut umzusetzen.«44

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aus dem Zeitlosen« umschreibt und meint, dass sich immer »weitere Schichten« von einem Werk lösen müssen, sie birgt somit in sich die Idee einer Differenzierung der Kunstentwicklung im Laufe der Zeit. Vgl. DREIER 1933, S. 3. Vgl. MOLZAHN 1934, S. 29. Vgl. MOLZAHN 1934, S. 45. Generell wird das fließende Element auch von weiteren Künstlern in der Zeit Duchamps diskutiert. Bei Kandinsky findet man Gedanken zum Ausfluss und zu Leben und Kunst: So tätigt er Überlegungen darüber, ob der Ausfluss im Diktat höherer Mächte stehe. Siehe dazu: HOFMANN 1966, S. 313. Picasso kommentiert von künstlerischer Seite eine Art von Ein- und Ausfluss und koppelt das visuelle Erleben mit einem physischen Prozess der Nahrungsaufnahme; Einnahme und Ausscheidung. Für ihn ist letzterer Aspekt der Entscheidende und auch das Ziel im künstlerischen Prozess: »Ich gehe in dem Wald von Fontainebleau spazieren. Dort ziehe ich mir

3. Vom Leben eines Werkes

Duchamps Überlegungen der Emanation führen den Künstler schließlich dahin, dass er trockene und nasse Kunst im wörtlichen Sinne sowohl der Körperfunktionen als auch der materiellen Manifestation im Werk selbst thematisiert. Beginnend mit dem Readymade Fountain / Fontaine / Springbrunnen von 1917 (Abb. 17), das »wet art« symbolisch im Brunnen umfasst, und zuletzt mit dem Werk Étant donnés (1946–1966), in dem fließendes Wasser durch einen Motor angetrieben und so ein Wasserfall simuliert wird. Das Thema findet sich auch im Großen Glas (1915–1923); das Werk bezieht einen realen Brunnen im Außenbereich des Museums mit ein, der, direkt hinter dem Glas platziert, sinnfällig auf das Kunstwerk Bezug nimmt.45 Aber auch zirkulierende Körperflüssigkeiten und Gase im Großen Glas, welche von den einzelnen Sphären ausgesondert und zwischen Aktion und Reaktion zum Gegengeschlechtlichen hin geleitet werden, sind zu beobachten. Auch in Fountain vereint Duchamp das Thema der Körperflüssigkeiten und des Brunnenwassers mit dem Geschlechterthema, welches sich in der Form des umgedrehten Urinals wiederfindet: Es erinnert formal an ein weibliches Becken. Fountain, heute nicht mehr im Original erhalten, ist mit dem Namen R. Mutt signiert, weil es auf diese Art – dem Künstler nicht zuschreibbar – entpersonalisiert werden sollte. Die Signatur bezieht sich auf den ursprünglichen Produzenten des Objektes, die Firma Mott Works Ltd. Dessen Namensassoziation R. Mutt (Richard Mutt) erlaubt gewisse Wortspiele: So kann das Kürzel als »Mongrel Art« übersetzt werden, als »Straßenköterkunst«.46 Die englischsprachige Form erinnert an »rich art«, während »Mott« in amerikanischem Englisch ausgesprochen »matt« – »schachmatt« bedeutet.47 Duchamp wählt den Namen unter anderem deshalb – wie er in einem Interview mit Hamilton darlegt –, weil er die Jury nicht beeinflussen und mit dem Kunstnamen unsichtbar bleiben will.48 Fountain stellt nicht nur zur körpereigenen Energieverwertung und der Absonderung von Körperflüssigkeiten Assoziationen her, sondern auch zu dem Ort der Befruchtung, dem Ort des Zusammenflusses und der Transformation in einem quasi alchemistischen Prozess.49 Denn alles, was sich bewegt, ist lebendig, und Duchamp ist bemüht, die tote Materie in Bewegung zu versetzen, sei es real durch beispielsweise das

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eine Verdauungsstörung/eine Übersättigung an Grün zu. Ich muss diese Empfindung auf ein Bild abführen. Das Grün dominiert dort. Der Maler macht seine Malerei wie eine dringende Notdurft, um sich von seinen Empfindungen und Versionen zu erleichtern.« (Zitiert nach: SUTHOR 2005, S. 127) Picasso vertritt somit die Haltung, Kunst zu produzieren wie durch einen natürlichen Kanal, der das Leben bzw. die Natur selbst in neuer Form ausrichtet; das Leben wird zeitgleich wie durch eine natürliche Transformation oder biologische Begebenheit durch eine Werkgewinnung innerhalb eines Prozesses nachvollzogen. (Vgl. SUTHOR 2005, S. 127). Vgl. DANIELS 1992, S. 282f. Vgl. JUDOVITZ 2010, S. 133f.; WOLF 2010, S. 231. Das Werk wurde von der Jury der Society of Independent Artists in New York zurückgewiesen; BUTIN 2013, S. 396. Vgl. AUSST.-KAT. Moyland 2014, S. 91. Vgl. HAMILTON/KITAJ 1966, S. 29. Duchamp: »No, I did not want to make my name, being on the Committee; my name could influence one way or another. I only think to navigate freely.« Paracelsus erinnert an ewig umgeformte Stoffe im Körper: »Unser ganzes Leben lang wandeln wir Materie um und erhöhen sie: Alles, was wir essen, wird in Nerven, Blut, Fleisch, Knochen, Nägel, Zähne und Haare verwandelt. Stoffe werden aufgelöst (solve) und neu zusammengesetzt (coagula).« (Zitiert nach: BÜRGEL 2008, S. 62; DELEUZE/GUATTARI 1988, S. 7.) Sinnbildlich wird in der Antike aus dem »Erbrechen« ein »pissender Homer«, in der Renaissance zur »ewigen Quelle«, das Symbol für Erneuerung und Wiederholung.

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sich drehende Rad im Fahrrad-Rad oder mental, indem er den Betrachter zum Denken anregt. Rotation hingegen koppelt Duchamp unter anderem an Eingriffe in körperliche Funktionen wie die Onanie; Duchamp beschreibt dies so: »Always there has been a necessity for circles in my life, for, how do you say, rotation. It is a kind of narcissism, this self-sufficiency, a kind of onanism.«50 Auch mit Pharmacie / Pharmacy / Apotheke nimmt Duchamp 1914 Bezug auf die Emanation (Abb. 18). Das Readymade, ein Blatt, das einem anderen Kontext entnommen ist, stammt von fremder Hand bzw. aus einem fremden Druckzusammenhang und wird von Duchamp nachträglich signiert, datiert und so in einem intellektuellen Akt vereinnahmt.51 Das Blatt zeigt die kommerzielle Chromolithografie einer Winterlandschaft und stammt aus einem Geschäft für Künstlerbedarf in Rouen. Duchamp fügt ihm drei übereinanderliegende grüne und rote Punkte in Form von »Lampen« hinzu, wie der Künstler sie nennt, links und rechts des mittig verlaufenden Flusses. Sie stehen für die Polarität im übertragenen Sinne der Geschlechter, welche in Spannung versetzt, so die Vorstellung, leuchten; aber auch für die Essenz der Farben. Die Farbflecken lassen an eine altertümliche Apotheke denken, in welcher die natürlichen, reinen Essenzen verkauft werden, die der Druck in dem grünen und dem roten Punkt widerspiegelt. Der Fluss symbolisiert die Entladung der Spannung oder das (Aus-)Fließen der Körperflüssigkeiten. Offiziell aber wendet sich Duchamp von der Malerei und damit einer »nassen« Kunst ab; die Fotografie kann als sein bevorzugtes Medium genannt werden – auch eine »nasse« Kunst, da bei den Herstellungsprozessen Entwicklerflüssigkeit eine signifikante Rolle spielt.52 Die »fließende Intelligenz« (oder auch nasse Gedanken) sind generell Sinnbilder für das Denken oder die Phantasie, welche als »flüssig« gilt und durch weitere bewegte Metaphern wie etwa den Rauch sichtbar gemacht wird.53 Die Flüssigkeit im Kunstwerk ist mit der Idee von den fruchtbaren Körperflüssigkeiten verbunden, über die Duchamp äußert: »Flüssigkeit, aus der Liebe gemacht wird« – Liebe im übertragenen Sinne, auch die Liebe zur Kunst und ihrer Erzeugung.54 Nicht nur die Malerei kann durch eine »nasse« und eine »trockene« Arbeitsmethode charakterisiert werden. Die Arbeitsmethode und mit ihr auch die Idee, die auf der Leinwand reflektierend thematisiert wird, lässt sich nun auch auf die Kunstobjekte Duchamps übertragen.55 In der »trockenen« Plastik der Objektarbeit findet der Künstler seinen Weg; man denke an die Staubzucht, an Traveler’s Folding Item / …Pliant… de Voyages / Faltbarer Reiseartikel (1917/1964), oder gar an die negativ gegossenen Ausgussfilter, die sogenannten Sink Stopper / BoucheÊvier / Ausgussstopfen (1964) in dreifacher Ausführung.

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ROBERTS 1968, S. 4. Vgl. BUTIN 2013, S. 396. Vgl. BANZ 2014, S. 255. Jeff Wall beschreibt in diesem Text das Werk Milk im Hinblick auf fließende Prozesse. Vgl. WELTZIEN 2015, S. 34; BANZ 2014, S. 255. JANIS 1953, S. 11. Duchamp: »Then, they went into a liquid and the gas went through and became liquid, and the liquid would have fallen on the toboggan, and the splashing of that liquid. Of course, they all are connotations of semen, etc…, liquids, you know that love is made of, etc.[…].« Hofmann erkennt in dem zunächst pastosen Farbauftrag ab 1911 eine »Verhärtung«, auf welche er die spätere »trockene Manier« zurückführt; siehe dazu: HOFMANN 1966, S. 330.

3. Vom Leben eines Werkes

Offiziell bekundet Duchamp, dass er gegen die einfache »Spritzwasser-Art und Weise«, also die Malerei, wie auch gegen die mechanische künstlerische Hand ankämpfe; er wolle zurück zu einer, wie er es nennt, »trockenen, mechanischen Zeichnung«, welche vom Intellekt und von Hilfsmitteln wie etwa Schablonen geleitet werde, also auch von der Hand, die aber nicht von einer »easy splashing way« oder von einer automatisiert ausgeführten Tätigkeit geleitet werde, sondern vom Geist.56 Duchamp ist grundsätzlich der Meinung, mit einer radikalen Haltung und über einen individuellen, narzisstischen Weg zu einer sinnvollen Reaktion gelangen zu können, indem er gleichzeitig die Kunst vom konventionellen Medium der Malerei zu lösen beginnt und zunehmend versucht, die am Kunstwerk arbeitende Hand zu kontrollieren.57 Er erklärt dazu: »I couldn’t go into the haphazard drawing or the paintings, the splashing of paint. I wanted to go back to a completely dry drawing, a dry conception of art… And the mechanical drawing for me was the best form for that dry conception of art.«58 Im Werk Duchamps kommt zum Ausdruck, dass nicht nur ein konkreter Rezeptionsweg innerhalb seiner Kunst dadurch beschrieben wird, dass beide Geschlechter in ihrer Spannung aufeinander wirken, sondern auch, dass die Ausscheidung oder das Fließen der Emanation letztlich die Essenz des bereits Aufgenommenen und Verwerteten darstellt und Duchamps Prinzip der Rezeption an sich widerspiegelt (siehe dazu 5.4). Das Thema Flüssigkeit zieht sich weiter durch sein Werk. In der Pariser Ausstellung Exposition international du surréalisme von 1947, in der auch die Salle de Pluie präsentiert wird, arbeitet Duchamp mit anderen Künstlern und Künstlerinnen zusammen. Die Salle de Pluie beruht auf seiner Idee, es regnen zu lassen (Abb. 19).59 Friedrich Kiesler bemüht sich, die Anweisungen Duchamps umzusetzen: Er lässt unter die Decke eine Rohrkonstruktion montieren, welche auf der Unterseite mit Löchern versehen ist, sodass Wasser austreten kann und ein gleichförmiger Regenvorhang entsteht. Zur Entwässerung lässt Kiesler einen zweiten Boden aus Holzplatten einbauen. Neben einigen Leinwandarbeiten, zum Beispiel von Arshile Gorky, sind in der Salle de Pluie die Bronzeskulptur der Bildhauerin Maria Martins, einer Künstlerin und Botschaftergattin, mit der Duchamp zu der Zeit eine Affäre unterhält, ausgestellt. Eine Skulptur von Martins wird untypischerweise auf dem Billardtisch positioniert. Ein weiteres Objekt der Bildhauerin, in Gestalt einer Amazone und einer Schlangengöttin, steht frei im Raum.60 Im Sockel dieser zweiten Skulptur befindet sich ein mit Erde gefüllter Trog, aus dem Gras wächst. Der Wunsch Duchamps, im Raum Regen herzustellen, ist schlicht der Vorstellung geschuldet, dass der »Regen« in dem Moment der Berührung oder des »Ergusses« über die Bronzefiguren von Maria Martins eine doppeldeuti-

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Vgl. ROBERTS 1968, S. 4. Roberts: »Your experiments in mechanical drawing, then, are not based on any physical laws as, say, Leonardo’s were.« Duchamp: »No, no it was a reaction against the easy, splashing way. I was fighting against the hand, so to speak. Mechanical drawing was the closest thing I could use. This was a way to get a new idea without changing the means. From the bottom up. My approach to the machine was completely ironic […].« Vgl. AUSST.-KAT. Moyland 2014, S. 93; ROBERTS 1968, S. 4. JUDOVITZ 2010, S. 126. Vgl. KRAUS 2010, S. 117. Vgl. KRAUS 2010. S. 117.

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ge Konnotation erhalten würde: Das Wasser als elementares Lebenselixier und zugleich befruchtender Samen, der von der weiblichen Natur aufgenommen würde, erzeugte in diesem Kontext die Assoziation von L’art pour l’art und somit das metaphorische Zusammenwirken einer Schöpfungsmetapher.61 Die gleiche allegorische Erfahrung weitet Duchamp auf den Betrachter selbst aus, den er ebenfalls mit seiner Idee, die der Betrachter in Form des Regengusses »zu spüren« bekäme, befruchten würde. Kraus nimmt an, dass der Regenguss eine »Reinwaschung« des Besuchers bewirken solle, sodass dieser wie in einem Inkarnationsritus durch die Ausstellung geführt werde – eine Idee, die auf Überlegungen André Bretons beruhe.62 Der Billardtisch, auf den der Ausstellungsbesucher trifft, wird zum Ausstellungsbeginn von den Künstlern selbst bespielt, später vom Besucher, der den Spieltisch bei der Betrachtung des Raumes umrunden muss.63 Generell geht es den Surrealisten darum, den bourgeoisen Ausstellungsbesucher nicht nur geistig anzuregen, sondern auch direkt »anzustoßen«: Die physische Präsenz des Regens greift den Betrachter förmlich an, und der umständlich zu umrundende Billardtisch erfordert Aufmerksamkeit, was ihn unnachgiebig in den Moment des unmittelbaren Erlebens mit einbezieht. Der Besucher soll erwachen und als sensibilisierter und »erneuerter« Mensch die Ausstellung wieder verlassen.64 Während Duchamps Affäre mit der verheirateten Maria Martins dient diese ihm als Inspirations- und Energiequelle, was unter dem Blickwinkel, dass Martins selbst Künstlerin ist, heißen könnte, die personifizierte Kunst wäre Muse und Geliebte des Künstlers.65 Es ist ein Bild der Renaissance, dass die Kunst selbst die Muse des Künstlers sei, in der Malerei inspirierend wirke und in den Werken der großen Meister, beispielsweise von Raffael, als erotische Muse die Malerei inkarniere.66 Indem Duchamp sich mit seiner Inszenierung Salle de Pluie sogar des Werkes von Maria Martins bedient, kommt ein weiterer Abstraktionsgrad zur Geltung, da er über ihre Skulptur sinnbildhaft die Regenanimation laufen lässt. Dieses Vorgehen zeigt deutlich, dass es ihm nicht nur darum geht, das Werk seiner realen Geliebten und Kollegin vorzustellen, sondern darum, den Betrachter geradezu an der Aktivität des (Schaffens-)Aktes, in welchem Kunst durch Kunst inspiriert wird, teilhaben zu lassen. Ein weiteres signifikantes »Spermawerk« von Duchamp im Sinne eines vergeudeten oder befruchtenden Samens ist Paysage fautif / Faulty Landscape / Sündige Landschaft (Abb. 20) von 1946, in dem er auf schwarzem Atlasstoff unterlegt seinen eigenen Samen als Fleck präsentiert. Das Kunstwerk befindet sich heute im Museum in Toyama

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Pfisterer macht darauf aufmerksam, dass Wasser hinsichtlich der Narziss-Metaphorik auch eine spiegelnde Funktion besitzt, in welcher der sich Beschauende in Selbstliebe entbrennt; siehe dazu: PFISTERER 2014, a, S. 589. Vgl. KRAUS 2010, S. 115. Vgl. ebd., S. 118. Nach Duchamps Wunsch hätte es auf den Billardtisch regnen sollen. Vgl. KRAUS 2010. S. 118. Vgl. CROS 2006, S. 161. Vgl. PFISTERER 2012, S. 64.

3. Vom Leben eines Werkes

(Japan). Die Originalität des Sekrets wurde durch eine gentechnische Analyse im Jahr 1989 nachgewiesen.67 Das Bild verpackt er als Geschenk für Maria Martins als »Original« in der Luxusedition Boîte-en-valise, seinem Miniaturmuseum, welches er in mühsamer Reproduktionsarbeit erstellt und ihr mit den Worten widmet: »Maria, enfin arrivée«. Das Werk versteht sich demnach als eine Hommage an die begehrte, aber verheiratete Geliebte, die ihren Mann für Duchamp nicht verlassen möchte, mit der ihn eine distanzierte Leidenschaftlichkeit verbindet. Dies erinnert an die im Mittelalter kursierende schwärmerische Liebeskonzeption der Minnekultur: die Inspiration einer Liebe, die unerfüllt bleibt.68 Meist wird um die Liebe einer dominanten und überwiegend höhergestellten Frau geworben oder gar gebuhlt, was die betroffenen Männer zu einem unablässigen, kreativen Minnegesang beflügelt – einer Art Kunst um der Kunst willen oder Spiel um die Liebe. Vergleichbar ist nun Duchamps Situation, in Anbetracht seines hoffnungslosen Liebesabenteuers mit Maria Martins, das an Duchamps Schwärmerei für Gabrielle Picabia, die Frau des befreundeten Künstlers Francis Picabia, im Jahr 1912 erinnert. Auch die Braut im Großen Glas erscheint jedweder Sehnsucht entrückt und den Junggesellen unerreichbar zu sein. Der Museumskoffer de ou par Marcel Duchamp ou Rrose Sélavy (La Boîte-en-valise) / From or by Marcel Duchamp or Rrose Sélavy (The Box in a Valise) / Von oder durch Marcel Duchamp oder Rrose Sélavy (Die Schachtel im Koffer), (1941/1966) ist ein Laboratorium und zugleich Miniatursammlung seines Werkes, die Duchamp selbst umfassend zusammensetzt und reproduziert. Schon 1940 scheint er sich mit der Metapher eines Labors auseinanderzusetzen: »…Spirit quite different quite a bit of activity in…rity, nothing very public broadening of publicity spoils it. Advantage of that period was that it was laboratory work now diluted for public consumption.«69 So befruchtet der Same hier ein Bild oder das ganze Werk des Miniaturmuseums, das damit die Stelle der weiblichen Physis einnimmt, und setzt darüber hinaus ein Zeichen der Autorenschaft. Taylor sieht ihn als geistigen »Splash« oder als die humoristische Haltung des Künstlers gegenüber den genital überladenen Bildern der Surrealisten in den 1940er Jahren.70 In Paysan fautif ergießt sich der Eros im Wortsinn ins Werk, das mithin zum Erinnerungsspeicher der Liebe wird, und dennoch bleibt der Eros geistiger Natur. Solche Überlegungen schließen an das Große Glas an und erinnern gleichzeitig an Darstellungen der Renaissance, in welchen es förmlich zu einer Verschmelzung des Jägers mit dem Gegenstand der Jagd kommt, so etwa von Duchamp mit der Braut in seinem Großen Glas praktiziert, wo die Einschüsse der Junggesellen die Braut im oberen Bereich treffen.71 Gleichwohl lässt sich hier auch eine Entsprechung zur Erregtheit des männlichen Betrachters konstatieren. Der Dichter, so Beccadelli, zeichnet sich als der Beste aus, da er »Experte darin [ist], den letzten Tropfen aus Penissen herauszuholen«, und es gilt als ein Authentizitätsund Qualitätsmerkmal der Kunst, wenn diese beim Betrachter die gewollte Wirkung 67 68 69 70 71

Vgl. NAUMANN, Francis M.: The Bachelor’s Quest, in: Art in America, Calvin Tomkins Papers, IV.D.38, The Museum of Art, Archives, New York, S. 78; PFISTERER, 2014, S. 19. Vgl. HARTMANN 2012, S. 47 f; SUTHOR 2004, S. 77. DUCHAMP 1945, S. 1−4. Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 30. Vgl. CULIANU 2001, S. 120.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

erzielt.72 Bei Octavie heißt es pathetisch: »Ich bin gekommen, um dir zu sagen, wenn der Same der Sitz der Seele ist […] ist ergo jeder Tropfen, der sie verlässt, ein Teil davon.«73 Findlen weist darauf hin, dass es für Poeten nicht untypisch sei, die erotische Kraft in der Zeit der Renaissance als den entscheidenden Indikator dafür zu sehen, inwieweit sich auch die literarische Kraft als überzeugend darstelle. Ein Beispiel sei Niccolò Franco, der seinen Penis sozusagen zu seiner »Feder« mache.74 Das befruchtende Körpersekret kommt bei Duchamp als Farbersatz zum Einsatz. Es vollzieht sich ein Paradigmenwechsel innerhalb der Materialien und der Technik. So erkennt Pfisterer die schon seit Cicero bekannte Metapher, dass der Phallus als Werkzeug, das Pinsel und Feder ersetzt, der Phantasie und als solcher dem Künstler als leitende Kraft dient.75 Das Ejakulat zeigt eine Ästhetik, die weniger auf ein realisiertes Ereignis angelegt ist als auf die »Eröffnung eines Raumes der Möglichkeiten«, schreibt Begemann. Weiter meint er: »Wenn der lebendige Same ins Bild gelenkt wird, wird ihm eine Verwirklichung und in ihm steckende Potentialität entzogen, gleichzeitig aber auch konserviert. Diese scheinbare Potentialität wird im Werk im Grunde widersprüchlich perpetuiert. Der Same wird verschwendet und verweist darin auf den Überfluss von Möglichkeiten bzw. Produktion, auf die unermessliche Potenz möglichen Lebens.«76 Begemann sieht im Samen etwas »Ungeborenes«, einen Speicher. Er ist vermeintlich entkräftete »Kunst für Kunst« und doch voller phantastischer Lebenskraft, was hier inspirierend wirkt und wodurch Rezeption und Zusammenarbeit unmittelbar miteinander verwoben sind. »Verbreitung« der Kunst kann als ein Ausfluss bzw. Einfluss der künstlerischen Schöpfung gesehen werden, nicht nur als Impuls gegenüber der Gegenwart, sondern auch als Impuls, sich künstlerisch auf die Ikonografie der Vergangenheit zu besinnen.77

3.3.

Arcimboldeske – Plastisch gewordenes, essbares Objekt

Mit einer Rezeption in Sculpture-Morte von 1959 (Abb. 21), welche sich visuell auf Giuseppe Arcimboldo bezieht, eröffnet Duchamp erneut das Feld bildsprachlicher Konventionen. Arcimboldo bietet mit seinen Themenporträts ein Lustspiel, ein manipulatives Spiel der Sinne, indem er die vier Elemente, Jahreszeiten oder Professionen jeweils thematisch kohärent aus tierischen Geschöpfen und Pflanzen zu Porträts (um-)formt. Statt vereinheitlichend und reglementierend sind die Werke materiell verdichtet und symbolisch aufgeladen. Viele kleine Details aus organischen Bestandteilen, lebendigen Körpern, kleinstem Getier, Früchten, Blättern, Getreidehalmen sind zu einer Melange komponiert, die in der Summe einen größeren, umfassenden Körper, die Verkörperung 72 73 74 75 76 77

FINDLEN 1994, S. 80. Vgl. JACOB 1994, S. 147. Vgl. FINDLEN 1994, S. 80. Vgl. PFISTERER 2005, S. 54. BEGEMANN 2002, S. 44−61. Vgl. AUSST.-KAT. Schwerin 2019, S. 66ff.

3. Vom Leben eines Werkes

eines abstrakten Begriffs bildet und das Auge ob der überbordenden Fülle fast dabei überfordert, jede Einzelheit separiert zu erfassen. Der Künstler beherrscht einen eminenten Variationsreichtum, mit dem es ihm gelingt, geschickt wie die Natur selbst, alle Jahreszeiten, beispielsweise, an sein Werk zu binden und sie in dem jeweiligen Porträt treffend zu charakteriseren. Judovitz erinnert daran, dass die konventionelle Anschauung der Gemälde Arcimboldos kaum noch zu gelten scheint, da auch allerlei Gegenstände im Bild wie in einem visuellen Spiel auf den Kopf gestellt sind: Die Blickwinkel können innerhalb des Bildes variieren, die Bildregeln werden aufgebrochen. Gleichzeitig sind die Themenporträts angereichert mit Kuriositäten, welche ein Spiel von technischer wie auch mechanischer Dimension mit der Bildtradition sichtbar machen und eine Vorstellung von der Kreativität des Künstlers geben, die sowohl Humor als auch Poesie beinhaltet.78 Technisch, weil der Künstler sein Können unter Beweis stellt; mechanisch, weil er ebendieses Können durch die Rezeption der Natur immer und immer wiederholend in seinem Œuvre umsetzt. Duchamps Sculpture-Morte aus der Kollektion von Jean-Jacques Lebel in Paris besteht aus farbigem Marzipan und Insekten auf Papier, montiert auf Holz. Das Marzipan ist zu verschiedenem Gemüsearten und Baguette-Miniaturen geformt.79 Die einzelnen Teile sind frei zu einem deformierten Kopf in Profilansicht zusammengefügt und zeichnen kein konkretes Bild Arcimboldos nach. Ein Blumenkohl als leicht nach oben versetzter Mittelpunkt gekennzeichnet das Gehirn; darüber krabbelt ein schwarzer Käfer. Die Nase des männlich wirkenden Gesichtes auf der linken Seite ist leicht nach unten gezogen und kaum zu identifizieren. Duchamp hat hier das aus der essbaren Masse geformte Antlitz aus dem zweidimensionalen Kontext der Leinwand seines Vorbilds Giuseppe Arcimboldos geholt und in eine skulpturale Dreidimensionalität gesetzt. Genauso wie in den Referenzbildern ist die Vielzahl von Gegenständen zu einer Einheit zusammengesetzt: Sie ergeben ein Bildnis. Die reale Materialität der Details macht den Reiz der jeweils in Marzipan nachgeahmten Stofflichkeit der verschiedenen Objekte im Bild aus. Und wie bei Arcimboldo scheint Duchamps Porträt die Elemente oder Jahreszeiten zu thematisieren. Auch offenbart Duchamps arrangiertes Stillleben aus Naturalien bzw. die physiognomische Nachformung eines Kopfes ähnlich den phantasievollen malerischen Ausführungen Arcimboldos, die durchaus nicht ohne Witz sind, eine humoristische Haltung. Duchamp hält das Auge des Betrachters an, hinter die scheinbar reale Beschaffenheit der alltäglichen Nahrungsmittel im Bild bzw. in der Skulptur zu blicken und dem arcimboldesken Verfahren zu folgen, aus den Einzelteilen im Geiste das Porträt zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Das Auge sucht die Realität hinter dem Such- und Assoziationsspiel und wird irritiert durch die materielle Fülle, und letztlich auch durch die vorgetäusche Stofflichkeit mithilfe des Marzipans. Judovitz erklärt im Hinblick auf Arcimboldos Konzept, dass hinter dem Witz ein abstraktes Schema stecke.80 Falchetta weist überdies darauf hin, dass Arcimboldo der Erste gewesen sei, der sich in einer so exponierten Weise mit Kompositionstechniken von unterschiedlichsten Gegenständen beschäftigt habe, einschließlich deren alchemistische Umdeutung,

78 79 80

Vgl. JUDOVITZ 2010, S. 86. Vgl. JUDOVITZ 2010, S. 81. Vgl. JUDOVITZ 2010, S. 86.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

sodass alles in seinen »komponierten Köpfen« kongruiere.81 Diese Art der Kombination von unterschiedlichsten Dingen zu einem neuen Ganzen, indem die Einzelteile aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst werden, und umgekehrt die Entdeckung, dass Bekanntes aus unerwarteten Einzelteilen zusammengesetzt ist, schafft einen wahrhaftigen Moment der Irritation für das Betrachterauge.82 Arcimboldo wird etwa zeitgleich mit El Greco83 von den Surrealisten als eine »Wiederentdeckung« des 20. Jahrhunderts wahrgenommen. Auch in Duchamps unmittelbarem Umkreis erhält Arcimboldo große Aufmerksamkeit. Er ist nicht nur in der Ausstellung Fantastic Art, Dada, Surrealism im Jahr 1936 von Alfred Barr mit zwei Bildern vertreten, auch die Zeitschrift Minotaure reproduziert 1937 eine anonyme Replik von Arcimboldo aus dem 16. Jahrhundert.84 1952 bezeichnet Breton Arcimboldo in L’art magique neben Hieronymus Bosch als Vorläufer des Surrealismus und erwähnt ihn in Verbindung mit seiner eklektischen Wunderkammer, seinem Atelier.85 Dalí nutzt Arcimboldo in den 1930er Jahren in »double configurations« als Inspirationsquelle.86 1937 erscheint im Cahiers d’art ein Aufsatz von Tristan Tzara über die Jahreszeiten-Bilder von Arcimboldo.87 Und Max Ernst erhält von Man Ray zu seiner Hochzeit mit Dorothea Tanning eine selbstgemalte Kopie von Arcimboldos Winter. Ironischerweise handelt es sich bei dem Bild Man Rays »um die Kopie nach einer Kopie, die wiederum selbst nach einer Kopie entstand«.88 Am habsburgischen Hof war Arcimboldo in vielfältigen Funktionen tätig. So organisierte er (Hochzeits-)Feste und betätigte sich als künstlerischer Berater für die kaiserlichen Sammlungen. Angesicht seiner vielfältigen Aufgaben ähnelt er Duchamp, der ebenfalls Kunsthändler war, Berater und Vermittler gegenüber seinen Mäzenen.89 Judovitz bezeichnet Arcimboldos Kunst als Spiel mit der Rhetorik, wobei der Künstler seine rhetorischen Attitüden verbildliche. Die Sinnlichkeit, welche sonst aus den arrangierten Nahrungsmitteln und anderen Objekten resultiere, werde durch die Beanspruchung des Auges bei dem Versuch, in dem Arrangierten ein Gesicht zu entdecken, verdoppelt und potenziere demzufolge die Lust am Bild.90 Bei Duchamp wird das Stillleben letztlich durch das essbare Material real. Die Virtuosität der erfassten Details honoriert der Betrachter durch Zustimmung beim Erkennen, ebenso wie den Erfindungsreichtum hinsichtlich der neuen Zusammensetzung der Teile zu einem Gesicht. So wird nicht nur das Auge versorgt, sondern auch eine gewisse Leidenschaft in Bezug

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Vgl. AUSST.-KAT. Venedig 1987, S. 207. Vgl. GENDOLLA 1990, S. 62. Vgl. AUSST.-KAT. Venedig 1987, S. 55. Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2013, S. 248; AUSST.-KAT. New York 1936, S. 82−83. Vgl. PIEYRE DE MANDIARGUES 1978, S. 22. Pieyre de Mandiargues, der surrealistische Schriftsteller, war es auch, welcher die Vergleichbarkeit von Bretons Kunstsammlung zu einer eklektischen Wunderkammer beschrieb; siehe dazu; AUSST.-KAT. Wien 2013, S. 248; siehe auch: OPFERKUCH 2010. Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 98. Vgl. TZARA 1937. AUSST.-KAT. Wien 2013, S. 248. Heute befindet sich das Bild im Nationalmuseum Stockholm, nachdem es bei Sotheby’s am 2. Juni 2008 in Paris verkauft wurde. Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2013, S. 248. Vgl. JUDOVITZ 2010, S. 85.

3. Vom Leben eines Werkes

auf den geschmacklichen Genuss geweckt. Der Speichelfluss wird womöglich angeregt und trägt dazu bei, dass Lust und Appetit des Betrachters durch das humoristische Arrangement des Marzipans angeregt werden, also der von Duchamp skeptisch gesehene Geschmackssinn angesprochen und der Betrachter umso mehr an das Kunstwerk gebunden wird.91 Bei Ficino heißt es dazu: »Zudem ist die Begierde eines jeden befriedigt, wenn er besitzt, was er begehrte. So sind Hunger und Durst durch Speisen und Trank zu stillen.«92 Die Libido, die hier buchstäblich visuell genährt wird durch den Anblick der Nahrungsmittel, steht im Wechsel zur Begierde des schauenden Betrachters. Da es sich bei dem Objekt um Kunst handelt und nicht um eine Mahlzeit, birgt das Werk wohl eine symbolische Funktion insofern, als es Appetit auf die Kunst machen soll – und damit steht bei der Sculpture-Morte der intellektualisierte Wissenshunger, repräsentiert durch die Vermischung von geistiger Idee und körperlichem Genuss, im Vordergrund: »Painting should not be exclusively visual or retinal. It must interest the gray matter, our appetite for intellectualization. It is thus with everything I love […].«93 Diese Vorstellung dürfte auch mit der Idee der surrealistischen Ausstellungen in Verbindung stehen, auf denen möglichst viele Sinne angeregt werden sollen und sich der Geruch von frisch bereitetem Kaffee in den Räumlichkeiten verteilt.94 Für die Exposition Internationale du Surréalisme ist jeder Künstler angehalten, ein Bildnis von einer Person auszuwählen, welches ihn als Ersatzporträt im Ausstellungskatalog vertritt. Duchamps Wahl fällt auf das Foto einer sehr dürren, ausgezehrten Frau (Abb. 22).95 Diese Frauenfigur könnte seine disziplinierte Haltung bezüglich seines eigenen Essverhaltens widerspiegeln. Die Nahrungsaufnahme wird damals von vereinzelten Künstlern gegenzyklisch praktiziert, da sie durch reduziertes Essen in einen dissoziativen Zustand gelangen wollen, welcher sie wiederum in einen kreativen Zustand versetzt. Joan Miró beschreibt diesen Zustand wie folgt: »Damals kam es vor, dass mir während der Arbeit vor Hunger schwindelte. Manchmal war meine Ermattung so stark, dass ich nicht mehr über die Straße gehen konnte. Gelegentlich hatte ich sogar Halluzinationen, und ich verzichte darauf, sie festzuhalten, um sie für meine Malerei nutzbar zu machen. Solche Halluzinationen wollte ich zum Beispiel im Bild ›Carneval d’arlequin‹ (Arcchinos Karneval) wiedergeben.«96 Duchamps Torture-Morte (Abb. 23) entsteht 1959 zeitgleich mit Sculpture-Morte und dem Selbstporträt With my Tongue in my Cheek im katalanischen Cadaqués. Torture-Morte stellt einen lebendig anmutenden männlichen Fuß vor. Er befindet sich separiert in einer

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Hofmann beschreibt, wie sich bereits bei Arcimboldo das »Künstliche«, das »Gewordene« mit dem »Gemachten« verbindet und sich die Grenzen vermischen. Siehe dazu: HOFMANN 1966, S. 145. FICINO 1994, S. 143; SUTHOR 2004, S. 21 f. Ferner beschreibt Suthor auf Speroni bezugnehmend, wie dieser erklärt, dass man ein »Dummkopf in der Liebe« sei, wenn man nur seinen Bedürfnissen folge, aber nicht seinem Appetit. GRAY 1969, S. 2. Vgl. GÖRGEN 2008, S. 119. Vgl. GÖRGEN 2008, S. 150; Görgen vertritt die Meinung, dass die Aufnahme eine alte Frau zeigt, eine Aufnahme von Ben Shahn. VALLIER 1961, S. 36.

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gläsernen Kiste; auf die nach außen zeigende Fußsohle sind Fliegen montiert. Eine Zeichnung Duchamps, Untitled (Drawing of a Foot), die schon 1946 gefertigt wurde, zeigt in Bleistift auf Papier ebenfalls einen Fuß, in Unteransicht gezeichnet.97 Die bemalte Gipsplastik der dem Betrachter hingestreckten Fußsohle in Torture-Morte ist mit darauf sitzenden Fliegen bestückt, was den Eindruck verstärkt, das realistisch dargestellte Körpersegment sei tatsächlich aus »Fleisch«. Der abgeschnittene Körperteil, so die Vorstellung, hat wegen seines sich verbreitenden Verwesungsgeruchs bereits Fliegen angezogen, welche sich auf dem bewegungslosen Fuß niedergelassen haben. Allerdings spielt der Titel des Kunstwerkes mit der Idee, dass Fliegen auf totem menschlichen Fleisch sitzen. Normalerweise fordern Fliegen ihr Opfer durch ihre Penetranz zu einer mechanischen Abwehr auf, oder sie sitzen zuhauf auf Kadavern und nähren sich von diesen, während sie ihre Larven in dem Gewebe ablegen. Der tote Körper wird damit zu einem Ort der Transformation, und das Starre, Unbelebte wird wiederbelebt. Doch gleichzeitig steht die Fliege als Sinnbild für herumschwirrende, konfuse, sich wiederholende Gedanken, für die Melancholie, oder auch für schlechte Gerüche, die das Kunstwerk durch sie evoziert: So wird der durch zu viel Phantasie, Rauschmittel oder Melancholie in Verwirrung geratene »unreine« Geist sichtbar gemacht.98 Bereits in Dürers Rosenkranzfest aus dem Jahr 1506 findet sich eine Fliege im Bild: Sie steht für die Virtuosität des Malers, dem Betrachter den Kunstgegenstand täuschend echt vorführen zu können – als säße diese Fliege zufällig und real auf dem Bild.99 Im Sebastiansaltar von Hans Baldung Grien in Nürnberg (Abb. 24) ist ebenfalls eine Fliege zu entdecken, die täuschend echt auf der Wade eines der dargestellten Bogenschützen sitzt. Etwas weniger auffällig scheint eine zweite Fliege wie ein spitzfindiges Detail aus der blutenden Beinwunde des heiligen Sebastian zu trinken (Abb. 25).100 Die Fliege saugt das Blut auf und berührt so das Innere des Heiligen. Durch sie scheint das Gemälde eine tiefere Ebene der Lebendigkeit zu erhalten. Die Vergänglichkeit des Lebens wird in flüssiger Form, durch die blutende Wunde, ins Bild gebracht, das Blut von der Fliege aufgespürt und durch ihre Aufnahme transformiert. Metaphorisch mag in der Wunde des passiv wirkenden Heiligen sogar eine Analogie zur Weiblichkeit gesehen werden, die durch die Fliege beschmutzt wird. Die Wunde evoziert eine Liebeswunde oder die Wundmale Jesu. Dies unterstreicht die Intimität der Berührung, die Empathie des Künstlers in seiner Bearbeitung der Materie im Schöpfungsprozess.101 In der Vanitas-Symbolik steht die Fliege für Verwesung, Beschmutzung und die Vergänglichkeit des Fleisches. Gleichzeitig wird durch die Fliege auf die Leibhaftigkeit des Kunstwerkes verwiesen und, nicht zuletzt, auf den Wettbewerbsgedanken im Kunstschaffen von Dürer, Arcimboldo, Baldung oder auch Duchamp, nämlich das Sujet möglichst nachspürbar und real nachzubilden oder, anders betrachtet, das Sehen mit dem Kunstwerk herauszufordern und anzuregen, das Gesehene zu hinterfragen. Dem Betrachter zugewandte Fußsohlen gibt es in zahlreichen Gemälden wie in Andrea Mantegnas Die Beweinung Christi von 1480, auf die schon Taylor hinweist. In dem 97 98 99 100 101

Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 303. Vgl. EISENHAUER 1994, S. 43. Vgl. SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 163. Vgl. SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 166. Vgl. VINKEN 2002, S. 269.

3. Vom Leben eines Werkes

Werk streckt der aufgebahrte, senkrecht bzw. frontal in den Perspektivraum platzierte Christus dem Betrachter die Füße entgegen, sodass die detailliert dargestellten Wundmale erkennbar sind.102 Auch die beschuhten Füße des Behexten Stallknechts von Hans Baldung Grien sind dem Betrachter zugekehrt (siehe dazu 3.12). Generell ist das Moment von Händen und Füßen im Werk von Baldung ausgeprägt, vor allem in den Grafiken. Die Handhaltungen dienen oft der Hervorhebung der Bildaussage oder Dialogsituation. Surreale Fußsituationen scheinen geradezu ein Eigenleben zu entwickeln. In Jean Auguste Dominique Ingres Ödipus und die Sphinx von 1808 (Abb. 73) ragt der einzelne linke Fuß eines Toten aus einer Höhle hervor und bildet im Bild ein separiertes, ja humorvolles Detail, welches Duchamp in Torture-Morte schließlich zum alleinigen Bildsujet erhebt. Tod, Leben, Verfall, Hässlichkeit und sogar Ekel sind seine Themen.103 Fußsohlen finden sich indes auch in der Fotografie, etwa von Jindřich Štyrský in der Prager Schaufenstergestaltung des Konvoluts aus der Serie Froschmann von 1934, zu dem 74 Fotografien gehören (Abb. 26). Es ist der Blick in ein Schaufenster, womöglich einer orthopädischen Praxis oder eines Schumachers, in dem verschiedene Fußmodelle ausgestellt sind, darunter auch ein einzelnes Modell, das dem Betrachter die Fußsohle zuwendet. Es ist anzunehmen, dass Duchamp diese Fotografie kennt, da er selbst Reisen nach Prag unternimmt und zudem ein reger künstlerischer Austausch zwischen den Surrealisten in Paris und Prag, unter ihnen Štyrský, stattfindet.104 Des Weiteren mag man hinsichtlich Objektwahl und Darstellungsart an die Möglichkeit einer ironischen Anspielung auf einen künstlerischen Hand- und Fuß-Fetischismus denken. Der begehrte Fetisch wird als Sujet herausgegriffen und zum gesammelten oder diffamierten (Kunst)Gegenstand.105 »Der Fetischismus ist ein absoluter Realismus: Er bringt reale Wünsche ins Spiel, an realen Plätzen, mit realen Objekten. Nicht einen Moment lang stellt Bataille, so wie das die Marxisten tun, den Fetischismus und den Gebrauchswert (für ihn gibt es keinen Fetischismus der Ware) einander gegenüber: Wenn er sich auf den Fetischismus beruft, so ist es, im Gegenteil, immer gegen die Ware. Der Fetischismus ist das entsetzliche, nicht übertragbare Objekt.«106 In den Ateliers der Surrealisten kommt es vielfach zur Produktion von Fetisch-Werken. Dies bezieht sich nicht nur auf die Frau, an welcher sich zweifellos die Vereinbarkeit des Disparaten zeigen lässt. Bataille: »…kein Kunstliebhaber [kann] ein Bild so sehr lieben wie ein Fetischist einen Schuh.«107 Vielmehr wird vor allem die Begierde humorisiert, und das mobilisierte Kunstwerk, das ein Verlangen auslösen soll, wird ad absurdum geführt.

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Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 97. Vgl. ebd., S. 99. Vgl. AUSST.-KAT. Ludwigshafen 2009, S. 299. Vgl. AUSST.-KAT. München 1994, S. 85. Ebd., S. 85. AUSST.-KAT. München 1994, S. 85.

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3.4.

Der Almanach Der Blaue Reiter

Duchamp sieht vermutlich den Holzschnitt Hans Baldung Griens aus der dreiblättrigen Pferdeserie Kämpfende Hengste inmitten einer Gruppe von Wildpferden im Wald (Pferdeserie, Blatt III) von 1534 (Abb. 34) das erste Mal in der Neuerscheinung des Almanachs Der Blaue Reiter, der 1912 in den Münchner Buchhandlungen ausliegt (Abb. 27).108 Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Duchamp für dreieinhalb Monate, vom 21. Juni bis zur ersten Oktoberwoche 1912, in der pulsierenden bayerischen Kunstmetropole.109 Die Herausgeber des Almanachs, Wassily Kandinsky und Franz Marc, werden vermutlich durch ihren Verleger Reinhard Piper auf Hans Baldung Grien aufmerksam gemacht.110 Piper ist Baldung-Liebhaber und besitzt eine Vielzahl von Drucken in seiner privaten Grafiksammlung. Außerdem findet sich zwischen den Dokumenten in seinem Nachlass eine Reihe von lose kopierten Pferdedrucken aus der Pferdeserie Hans Baldung Griens, was auf eine Verbreitung und Auseinandersetzung schließen lässt.111 Von Piper stammt der Ausspruch: »…So habe ich mit Vorliebe (gesammelt) die Meister des altdeutschen Holzschnitts, Dürer, Holbein, Weiditz, Cranach, vor allem Baldung Grien. Von Baldung konnte ich nicht genug bekommen…«112 Dennoch ist die Aufnahme Baldungs in den Almanach gewiss auf die alleinige Entscheidung von Marc und Kandinsky zurückzuführen, die ihre Redaktion unabhängig betreiben. Duchamp wird von Robert Allard als wichtiger zeitgenössischer Künstler im Almanach Der Blaue Reiter erwähnt.113 Der Almanach ist als ein eigenständiges Kunstwerk, wenn nicht als virtuelle Ausstellung in Form eines Kunstbuches zu verstehen. Zugleich ist er eine Art Katalog der imaginierten Ausstellung, in der alle Kunstgattungen frei

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Vgl. MARC/KANDINSKY 1912, S. 45; SELLO 1978, S. 1. Vgl. AUSST.-KAT. München 2012, S. 11; MOLDERINGS 2009, S. 225. Vgl. MENDE 1978, S. 13; MÜLLER 2007, S. 19. Vgl. PIPER 1918, Piper: »Reise nach Leipzig. Bei C. G. Börner Grafik gekauft, darunter der große ›Sebastian‹ Holzschnitt von Baldung, ein Hauptstück meiner Sammlung.« Piper: »Ich kam zu Besuch des Kupferstichkabinetts mit dem Konservator Hans Wolfgang Singer ins Gespräch und sagte ihm, dass ich auch solche Holzschnitte habe. Er besuchte mich in meinem Laden, um sie sich dort anzusehen. Er kramte jedoch in den Blättern hochnäsig herum und sagte, die meisten seien wertlos, denn sie seien an den Rändern beschnitten. Dass der Rand nicht überall vollständig war, wusste ich längst. Aber bestand der Wert der Blätter denn in ihrem Rand? War nicht trotzdem noch genug Schönes darauf zu sehen? Herr Moser, der dabeigestanden hatte, sagte nachher zu mir: ›Hat der sich aber dumm benommen! Er hätte Ihnen doch erst einmal etwas Freundliches darüber sagen können, dass sie überhaupt solche Sachen besitzen.‹« PIPER 1918a, Marc und Kandinsky sind nicht die einzigen Künstler, welche er mit seiner Leidenschaft der altmeisterlichen Grafik ansteckte und dazu animierte, Baldung zu illustrieren. Auch Alfred Kubin wird von Piper beauftragt, für die Sonderedition der Geburtstagsausgabe des Verlages einen kleinen Beitrag über Baldung zu leisten. KUBIN 1973, S. 62ff. Kubin stellt Baldung 1924 als den »prachtvollsten Typus« des 16. Jahrhunderts dar, der es schafft, im Inneren des Betrachters lebendig zu bleiben mit seiner Kunst. Er weist aber gleichzeitig auf seinen Besuch 1904 in Wien hin, wo er »hingerissen« von den Breughel-Bildern ist, wie auch von Bosch und Grünewald, dessen Altar er 1914 in Colmar besucht. Vgl. MARC/KANDINSKY 1912, S. 41.

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nach Interessensgebiet und Kriterien der beiden herausgebenden Künstler zusammengebracht werden.114 Franz Marc schreibt diesbezüglich im Nachwort: »Die Kunst geht heute Wege, von denen unsere Väter sich nicht träumen ließen. Man hört die apokalyptischen Reiter in den Lüften: man fühlt eine künstlerische Spannung über ganz Europa – überall winken neue Künstler sich zu: Ein Blick, ein Händedruck genügt, um sich zu verstehen… Ich begrüßte diesen Blauen Reiter als eine Gelegenheit, neuen, unverbrauchten Stoff unter die Leute zu bringen. Er wirkte revolutionär.«115 Nicht nur die Historizität des Blauen Reiters meint Franz Marc, wenn er von Vätern und apokalyptischen Reitern spricht und wohl auch an Dürers Grafik Die vier apokalyptischen Reiter (um 1497/98) denkt. Er hat eine zeitliche Folge künstlerischer Verwandtschaft im Sinn, eine künstlerische Ahnenschaft. Kandinsky und Marc äußern sich auch zu der »künstlerischen Sprache«, welche ohne Worte Verständigung herbeiführt, ein Gedanke, der stark an Duchamps Idee von der nonverbalen Kunstsprache der Kunstwerke erinnert.116 Der französische Essayist Marcel Brion formuliert es wie folgt: »Der Blaue Reiter war eine Bewegung von wahrhaft historischer Bedeutung und befruchtender Kraft… die bildnerischen Einsichten, die damals formuliert wurden, sind heute noch genauso gültig wie vor einem halben Jahrhundert.«117 Der Almanach gestattet dem Leser Einblicke in den geistigen Überbau des Blauen Reiters und vereinigt darin den Gattungspluralismus der losen Künstlergruppierung; er verbindet die internationalen Künstler in einer Zeit des ungebundenen Kontinuums, mit welchem sich die Künstlergruppe identifiziert und das den Individuen Nähe und Gemeinsamkeit suggeriert.118 Der Almanach ist die »programmatische Schrift« einer losen Formierung von gleichgesinnten Künstlern und wird von Marc sogar als »Organ« bezeichnet.119 In ihm wird alte Kunst neben neue gestellt. Kandinsky erläutert den Bezug: »[Ich] wurde immer durch Behauptungen, dass ich die alte Malerei umstoßen wolle, in Missstimmung gebracht. Ich empfand dieses Umstoßen in meinen Arbeiten nie: Ich fühlte in ihnen nur den innerlich logischen, äußerlich organischen, unvermeidlichen weiteren Wuchs der Kunst.«120 114 115 116

Vgl. HULTEN 1996, S. 46. MARC/KANDINSKY 1912, Nachwort. Vgl. MARC/KANDINSKY 1912, S. 103. Kandinsky: »Jede Kunst hat eine eigene Sprache, d. h. die nur ihr eigenen Mittel. So ist jede Kunst etwas in sich Geschlossenes. Jede Kunst ist ein eigenes Leben. Sie ist ein Reich für sich.« 117 MARC/KANDNISKY 1912, Nachwort. In der Forschung um den Blauen Reiter, im Besonderen im Werk Franz Marcs, wurde bereits der Bezug zur Romantik nachgewiesen. So gibt es nicht nur im Titel Analogien zur »blauen Blume«, welche aus Novalis 1799 publizierter Novelle Heinrich von Ofterdingen stammt, sondern auch Parallelen zu der zeitgleich aufkommenden Idee des »Geistigen in der Kunst« als einer »inneren Notwendigkeit«, aus welcher ein Kunstwerk entsteht. Hugo von Tschudi, Direktor der Münchner Alten Pinakothek, welchem der Almanach gewidmet ist, ist nicht nur ein Mäzen zeitgenössischer Kunst, sondern auch romantischer Malerei, die er als einer der Ersten wiederentdeckt. Siehe dazu: SCHULZE-HOFFMANN 1974, S. 172. 118 Vgl. AUSST.-KAT. Wiesbaden 2011, S. 23 und 34. 119 Vgl. GÖBEL 2013, S. 19. 120 DZIERSK 1995, S. 9; KANDINSKY 1955, S. 31.

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Die Künstlergemeinschaft verfolgt ein international verbindendes Bestreben und vermittelt das Bemühen, dass eine Erweiterung der Werte, um die Kunst gattungsüberschreitend verbinden zu können, von Interesse sei. Marc sieht im Almanach das Bild von einem Wind, der die (pflanzlichen) Samen über Europa trägt und verteilt. Ein Bild, welches Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur Künstler des Blauen Reiters beanspruchen. Auch Ernst, Klee, Miró und Arp kreieren biologische Symbole für Eizellen, Embryonen und Spermien in ihrer Kunst und setzen sich mit dieser Symbolik auseinander.121 Weiter verdeutlicht Marc im Almanach, dass es nur eine wirkliche Verständigung in der Kunst gebe, und das sei der »ehrliche Vergleich«; wobei er die deutschen Bilder seiner Zeit mit den französischen Bildern vergleicht und erstere als deutlich »leerer« ansieht. Marc stellt ferner die deutschen Romantiker in eine imaginäre Folge mit den modernen Franzosen. Seiner Meinung nach büßten die alten Künstler dennoch nichts ein, denn nach Marc behalte »echte Kunst« immer ihren Wert.122 Die Münchener expressionistischen Werkstätten erstreben den internationalen Zusammenschluss aller im Geiste und in der Weltanschauung des Expressionismus schaffenden Kräfte zu einer sich gegenseitig befruchtenden Arbeitsgemeinschaft – so kann man es den Unterlagen von Katherine Dreier entnehmen.123 Franz Marc sieht im »Vergleich« eine »ehrliche Verständigung« zwischen französischer und deutscher Kunst. Zwar bezeichnet er die französische Kunst wegen ihres »dekorativen Gehalts« der deutschen Kunst gegenüber als überlegen, er lobt jedoch den »innerlichen« Gehalt der Deutschen seit der Romantik.124 Marc weist im Subskriptionstext im Januar 1912 auch darauf hin, dass die »Grundideen« der Künstlerschrift in »ihrem Wesen nicht neu sind«. Er sieht Verbindungen zur Gotik, zu den »Primitiven«, dem Orient, der Volkskunst und der Kunst von Kindern, aber letztlich auch zur mittelalterlichen Hinterglasmalerei, zu dem Manieristen El Greco und zu Baldung.125 Hugo von Tschudi erläutert 1911 das Projekt des Almanachs so: »Das Buch soll so reich im vergleichenden Illustrationsmaterial sein, als der Wert in der Vergleichung nicht im einzelnen Bilde liegt.«126 Die visuelle Heranführung an eine gesehene Bilderkartografie nimmt den höheren argumentativen Rang ein als die Schrift. Der interessierte Betrachter kann dank seines Wissens anhand der Bilder noch weitere inhaltliche Verknüpfungen herstellen, welche von den Machern gleichsam vorbestimmt werden, da sie ungleiche Größenverhältnisse oder Ausschnitte aus den reproduzierten Werken einsetzen.127 Das »synthetische Buch«, von dem Kandinsky bei der Erstellung spricht, »welches alte, enge Vorstellungen auslöschen und die Mauern zwischen den Künsten zu Falle bringen soll[te]«, birgt gleichwohl das Moment in sich, in welchem es konkret am Alten ansetzt, um aus diesem das Neue hervorgehen zu lassen.128 Die Aufarbeitung einer portablen, ortsentbundenen Kunstausstellung in einem Kunstbuch hat sicher das Interesse Duchamps geweckt, der seine Ideen nicht nur in

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Vgl. KRÜGER/OTT/PFISTERER 2012, S. 15. Vgl. MARC 1911, S. 75ff. Vgl. SACHS/HOFFMANN/SCHRIMPF/WALDVOGEL u. a. 1920, S. 2. Vgl. MARC 1911, a, S. 75ff. Vgl. BEYER 2016, S. 18f. Vgl. Ebd., S. 19. Vgl. BEYER 2016, S. 19. Ebd., S. 21.

3. Vom Leben eines Werkes

Form einer portablen Box, der Grünen Schachtel, anstatt in einem Buch veröffentlicht und folglich den Gedanken noch weiter auskostet, als es der Almanach bereits tut. Duchamp kreiert sein eigenes mobiles Museum in der Schachtel im Koffer, um es aus Europa ins Exil nach Amerika zu transportieren. Duchamp gelingt auf diese Weise, sich einem wertenden, weitestgehend zunächst desinteressierten oder nicht kaufenden Kunstpublikum, dem Kunstmarkt und den Kunstmuseen zu entziehen. Er findet seinen Weg, indem er sich mit meisterhaften Werken präsentiert und provoziert, und sich dennoch rarmacht. Die Pferdeserie wird, so die These der Arbeit, als grundlegendes Vorbild des Großen Glases von Duchamp im nachfolgenden Textteil beleuchtet. Dessen ungeachtet ist der Blaue Reiter für Duchamp, nicht zuletzt mit Blick auf die Hinterglasmalerei, die als ein altes Medium in die Avantgarde neu eingeführt wird, von großem Interesse. Katherine Dreier und, wie angenommen werden kann, auch Duchamp sind nachhaltig beeinflusst von Wassily Kandinskys Buch Über das Geistige in der Kunst von 1912, welches sich mit ihrem eigenen religiösen, spirituellen und theosophischen Gedankengut verbinden lässt.129 In ihren Unterlagen, die auch Duchamp zugänglich sind, findet sich eine Ausführung über die Sinnlichkeit, mit welcher Franz Marc sich quasi die Haut der Natur im Sinne seines eigenen Duktus aneignet und umwandelt, um den Betrachter einzuladen, diese durch seine Augen wahrzunehmen.130 Marc, der das Pferd als Hauptsujet nutzt, wird hierbei von einer starken Kolorierung geleitet wie auch von einer romantischen Sucht, auf »die Welt durch die Augen des Tieres zu sehen«. Für den Betrachter ist der Zugang mithin abstrakt und intellektualisiert. Der Künstler geht von seinem eigenen Vorstellungs- und Schöpfungsvermögen aus.131 Kant wird in einem Abschnitt zitiert, in dem er eine »synthetische Einheit« mit allem sehen möchte, bis hin zu der eigenen »Objektivierung«.132

3.5.

Das Große Glas

Marcel Duchamps fast drei Meter hohes Hauptwerk, Das Große Glas, die Braut von ihren Junggesellen entblößt, sogar (Abb. 1), an welchem er acht Jahre lang arbeitet (1915–1923) und unvollendet lässt, legt der Künstler bereits ab 1911 in Notizen und Zeichnungen an.133 Das Große Glas besteht aus zwei großen, querrechteckigen, übereinander in einem Rahmengestell eingefassten Glasplatten. Als weitere Werkstoffe benutzt Duchamp Silber, Blei, Draht, Staub und Farbe, die er allesamt direkt auf das Glas malt oder mon-

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Vgl. WÜNSCHE 2011, S. 196. Dreier ist grundsätzlich überzeugt von der »geistigen Dimension« der Kunst. 130 Vgl. JAECKEL 1923, Blatt 1. 131 Vgl. JAECKEL 1923, Blatt 1. 132 Vgl. ebd., Blatt 1. 133 Vgl. AUSST.-KAT. München 2012, S. 148; GRAULICH 2003j, S. 124. Zunächst entstehen die Zeichnung Die Braut von ihren Junggesellen nackt entblößt, Jungfrau Nr. 1, Nr. 2, Die Braut, Der Übergang von der Jungfrau zur Braut und die Mechanische Scham.

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tiert.134 Das Original befindet sich heute im Philadelphia Museum of Art. Dort ist es frei im Raum vor einer nach Duchamps Wunsch in der Außenmauer angelegten Fensteröffnung aufgestellt, sodass der Museumsbesucher das Objekt umrunden und gleichzeitig durch dieses hindurch aus dem Museum blicken kann. Sowohl in der Vorder- als auch in der Rückansicht ist der Farbauftrag der Braut zu sehen,135 während im unteren Glas der Männischen Gussformen die Rückseite mit Silberblei überzogen ist. Bei einem Transport zersprangen beide Gläser, aber sie zerfielen nicht. Die Sprünge ziehen sich zusammenhängend über beide Glasplatten. Duchamp akzeptiert die Beschädigung und entscheidet sich für eine Reparatur.136 Kiesler erkennt in den Sprüngen eine tektonische Bewegung und vergleicht deren Dynamik mit Venen, welche sich durch das Große Glas ziehen. Er deutet sie als ein lebendiges, physisches Merkmal.137 Das Große Glas kann als ein Kreislaufsystem interpretiert werden, das durch das körperliche Prinzip der Anziehung zwischen dem männlichen und dem weiblichen Teil in Bewegung gerät. Die Bewegung basiert auf Aktion und Reaktion der beiden Geschlechter, wobei es aufgrund der Teilung des Werks in zwei Platten aber bei der Trennung der Geschlechter bleibt. Anhand der Notizen aus der Grünen Schachtel können die Tätigkeiten der verschiedenen angebrachten Apparaturen aufgezeigt und nachvollzogen werden, durch sie wird das Große Glas in der Phantasie des Betrachters in eine Bewegung versetzt. Neben dem erotisch aufgeladenen Kreislaufsystem kann in dem Großen Glas eine religiöse Überhöhung erkannt werden. Eine psychoanalytische wie auch symbolistische Deutung wurde auf das Glas bereits angewandt. Richard Hamilton und Jean Suquet fertigten eine nummerierte und jeweils betitelte Version des Glases an, sodass den diversen Objekten Funktionsbeschreibungen zugeordnet werden können, anhand derer eine beinahe physische Bewegung des Glases für den Betrachter plausibel nachvollziehbar wird.138 Judovitz bezeichnet das Große Glas als die »Hochzeit von mentalen und visuellen Konzepten«.139 Es sei eine Liebesmaschine, bei der es nicht zu einer tatsächlichen Vereinigung der Protagonisten komme. Von Bogen bezeichnet es als »das Begehren einer Hochzeitsnacht und des damit verbundenen Geschehens, das von (einer) ›Braut‹ und (mehreren) ›Junggesellen‹ ausgeht und in einer Art doppelten Selbstbefriedigung stecken bleibt«. Weiter schreibt er: eine »moderne Allegorie der Liebe«.140 Duchamps Notizen verweisen auf die voneinander abgetrennten Bereiche, den der Braut oben und den der Junggesellen unten.141 Im Brautbereich sieht man ein organisches, fleischfarbenes, ovales Gebilde – den »weiblichen Gehängten« –, welches quer an vier Häkchen am Rahmen aufgehängt ist. Das Gebilde erinnert an ein Auge, Gedankenblasen, einen Schleier, eine Vagina oder an »cinematic blossoming«; es befindet sich mit drei aufgereihten quadratischen Leerstellen in einem Abschnitt, der als »Milchstraße«

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Vgl. GRAULICH 2003j, S. 124. Vgl. GRAULICH 2003j, S. 124. Vgl. CROS 2006, S. 118. Thematisch fand Duchamp Gefallen an den Brüchen der Scheiben, da sie, durch beide Scheiben sich ziehend, scheinbar eine Verbindung der beiden Scheiben suggerieren. 137 Vgl. KIESLER 1937, S. 54. 138 390Vgl. CAUMONT/GOUGH-COOPER 1977, S. 107ff. 139 Vgl. JUDOVITZ 2010, S. 59. 140 AUSST.-KAT. München 2012, S. 75. 141 Vgl. Ebd., S. 150.

3. Vom Leben eines Werkes

oder auch die »3 Durchzugskolben« bezeichnet wird, im oberen Bereich des Glases.142 Daran anschließend ist am linken Rand ein zur Braut gehörender, grau-schwarzer, an eine »Wespe« erinnernder Körper gefügt, der aus stabartigen Elementen und Haken komponiert ist. Nach den Beschreibungen des Künstlers sendet die Braut ein »Liebesbenzin« mit einem nach unten zeigendem Fühler oder, wie Duchamp es nennt, mit einer vibrierenden »Puls-Nadel« aus.143 Diese Vibrationsbewegungen werden von den sich im unteren Bereich befindlichen Junggesellen »wahrgenommen« und lassen sie in Bewegung geraten. Neun Junggesellen befinden sich im Bereich der unteren Glasplatte; sie sind in einer Art Kreis mittig am linken Rand angeordnet und produzieren »flüssiges« Leuchtgas, welches schließlich in die obere Sphäre der Braut geschossen wird.144 Acht Einschüsse verfehlen die Braut, nur ein Junggeselle hat die sogenannte Milchstraße getroffen.145 Die Junggesellen oder Neuf Moules Mâlic / Nine Malic Moulds / Neun männische Gussformen werden auch als »Bachelor Apparatus« oder »Hohlformen« bezeichnet. In dem von Duchamp benannten »Friedhof der Uniformen« stehen sie für verschiedene Berufsgruppen wie Priester, Warenhausjunge, Piccolo, Stationsvorsteher, Schutzmann, Gendarm, Lakai, Polizist, Bestatter.146 Die verschiedenen Berufsgruppen sind in einem Halbrund angeordnet und wegen ihrer Berufs(ver)kleidung, der Uniformen, einheitlich gekleidet. Der Schienengleiter / Glider / Glissère, auch Gleitapparat, Wagen und Schlitten genannt, wird im Hintergrund auf der linken Seite im unteren Bereich rhythmisch bewegt und ist im Zusammenhang mit »Onanismus« genannt.147 Mittig befindet sich The Chocolate Grinder / La Broyeuse de chocolat et Ciseaux / Schokoladenmühle. Diese Apparatur steht auf einem Gestell im Stil Louis XV. Duchamp schildert ihre Funktion folgendermaßen: »Der Junggeselle reibt [mahlt] seine Schokolade selber.«148 In einem Halbrund senkrecht darüber platziert sind die Haarsiebe / The Sieves / Les Tamis, bestehend aus sieben Trichtern. »Die Haarsiebe des Junggesellen-Apparates sind ein umgekehrtes Bild der Porosität«, so Duchamp in einer Notiz der Grünen Schachtel.149 Das bedeutet, dass sich die Haarsiebe, wenn sich die Dichte verändert, in einem großen Phallus nach oben hin aufrichten können. Am rechten Rand sind die »Okultisten« in Kreisen angeordnet:150 Les Témoins oculistes / The Oculist Witnesses / Augenzeugen. Duchamp erklärt, dass

142 Vgl. GRAULICH 2003d, S. 56; STAUFFER 1981/1994, S. 52, 55, 139; JUDOVITZ 2010, S. 62. Judovitz zieht in Erwägung, die Blüte mit dem weiblichen Geschlecht in Verbindung zu bringen (S. 63). Auf Deutsch filmische Blüte. 143 Vgl. STAUFFER 1981/1994, S. 49. 144 Vgl. GRAULICH 2003e, S. 58; STAUFFER 1981/1994, S. 85, 76. Duchamp gibt unterschiedlich neun und acht Junggesellen an, zählt man die Junggesellen allerdings objektiv nach, sind es neun. 145 Vgl. AUSST.-KAT. München 2012, S. 150. 146 Vgl. GRAULICH 2003e, S. 58; MOLDERINS 2006, S. 85. 147 Vgl. GRAULICH 2003e, S. 58; RAPPE 2012; AUSST.-KAT. München 2012, S. 150, LEBEL 1962, S. 96. 148 LEBEL 1962, S. 96; GRAULICH 2003m, S. 222; STAUFFER 1981/1994, S. 69. 149 Vgl. GRAULICH 2003j, S. 126. 150 Duchamp über die Augenzeugen: »Es stimmt, dass diese Partie etwas mit dem Auge zu tun hat. Die Okultisten-Zeugen dachte ich mir als die drei Schichten des Auges. Aber das Auge ist ja kein vollständiges Organ; es ist armselig, eine Kunst darauf aufzubauen zu wollen. Der Sehsinn – wie auch die übrigen Sinne – erfaßt von der Wirklichkeit nur, was dem Auge angepaßt oder faßbar ist – oder dem Ohr oder dem Tastsinn usw. Wofür wir keinen Sinn haben, das geht in der Wirklichkeit

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sie für die drei Schichten im Auge stehen, aber er empfinde es als schwierig, Kunst rein auf dem Visuellen aufzubauen.151 Bis zu den Augenzeugen reicht die Schere, welche von Le Moulin à eau / The Water Mill / Wassermühle und dem sich rythmisch bewegenden Schienengleiter angetrieben und in Bewegung versetzt wird. Das Quietschen der Kufen und die Bewegung der maschinellen Apparaturen findet allerdings nur in der Phantasie des Betrachters statt.152 Den Ablauf sieht Duchamp wie folgt vor: Die Spritzer werden geblendet, damit sie durch die Okultisten hindurchgeschossen werden können. Dies plant Duchamp auch noch mit einem theoretischen »Boxkampf« zu verbinden, von einer »Schmetterlingspumpe« angetrieben, wie es in den Notizen der Grünen Schachtel heißt. Dieses Vorhaben wird letztlich aber nicht mehr umgesetzt, das Objekt bleibt unabgeschlossen und wird für unfertig erklärt.153 In der Forschung wird oft der Vergleich zwischen der Braut und einer Gottesanbeterin gezogen. Letztere wird bei den Surrealisten häufig aufgegriffen, um die Femme fatale zu symbolisieren: die untreue Frau, die nach dem geschlechtlichen Akt das männliche Tier verspeist und deswegen für die unselige Sequenz Heirat–Kopulation–Kastration–Tötung steht.154 Das Auge, an welches ein Element der Braut erinnert, ist für die Surrealisten das Organ, welches die Blindheit zu überwinden vermag und das den Grenzraum zwischen innen und außen andeutet. Das Auge funktioniert wie ein Gedächtnis, speichert die Bilder im Inneren ab, wo sie wie in einer Camera obscura projiziert werden. Im Sinne der dargestellten Vagina (bzw. einem Auge) steht die Braut weniger für das Sehen als für das Fühlen, womit sie einen Grenzbereich zwischen Innenund Außenleben repräsentiert.155 Eine lose Zeichnung von dem oberen Teil des Großen Glases bezeichnet Kiesler mit »for the Bride: called by Barr: organic or biomorphic abstraction«.156 In der Zeitschrift VieW ist im März 1945 eine von Friedrich Kiesler kreierte Schwarz-Weiß-Fotomontage abgedruckt (Abb. 31). Sie zeigt in drei Teilen Ansichten aus dem New Yorker Atelier Duchamps. In der Mitte ist die Braut des Großen Glases in einer Lichtinstallation oberhalb des am Schreibtisch sitzenden Künstlers an die Atelierwand projiziert – wie das Gehirn des Künstlers. In Duchamps Genitalbereich ist der »Schienengleiter« der Junggesellen montiert. Um den Künstler herum sind das ungeordnete Chaos des Ateliers und vereinzelte Werke zu erkennen.157 Die beiden seitlichen Fotomontagen, ebenfalls

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an uns vorbei. Man könnte sich vorstellen, daß unsere Sinnesorgane ganz anders wären, dann wäre auch die Wirklichkeit anders«. Zitiert nach: GRAULICH 2003l, S. 220. Vgl. GRAULICH 2003o, S. 236. Vgl. GRAULICH 2003l, S. 220. Vgl. GRAULICH 2003n, S. 225. Die Funktionen erläutert Stauffer; siehe dazu: STAUFFER 1981/1994, S. 27. Vgl. SAUER 2015, S. 49. Vgl. AUSST.-KAT. Nürnberg 2012, S. 71f. Vgl. KIESLER, Friedrich J.: o. T., Box 14, Folder 8, Kiesler Research Materials, Kiesler Writings, Marcel Duchamp Research Collection, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 1. Vgl. KIESLER, Friedrich J.: o. T., Box 14, Folder 8, Kiesler Research Materials, Kiesler Writings, Marcel Duchamp Research Collection, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 1. Vgl. KIESLER 1945, S. 26−27. Ebenfalls ist das Bild in einem mit André Breton gemeinsam konzipierten Schaufenster 1945 ausgestellt, im Lazy Hardware. Schaufenster für André Bretons Arcane

3. Vom Leben eines Werkes

in der Zeitschrift abgebildet, formen das Bild vom Künstleratelier zu einem Triptychon. Wegen Kieslers Signatur im linken Bild mit dem Zusatz »dédié à H(ieronymus) Duchamp« sieht Taylor einen metaphorischen Zusammenhang zu Hieronymus Boschs Triptychon Der Garten der Lüste (ca. 1500–1505), einem Liebes-Paradies, in welchem alles in Bewegung und voll von Erotik und Wollust ist; zugleich scheint die Signatur auf Duchamps vollen Namen »Henri Robert Marcel Duchamp« zu weisen.158 Das Gehirn oder auch die zur Schau gestellte Vagina im Mittelbild, die die Braut visuell evoziert, hängt bewegungslos im oberen Bereich, vergleichbar mit einer Gedankenblase, angefüllt mit den Ideen des Künstlers. Dem Betrachter gegenüber offenbaren sich diese Gedanken, sind sie nackt, und wehrlos ausgeliefert. Die Vagina, das sexuelle weibliche Gehirn des Künstlers, ist im Umkehrschluss gleichermaßen die intellektuelle, fruchtbare Gebärmutter des Mannes.159 Taylor erkennt darin eine meditative Pose des reflektierenden Künstlers vor seinem Kunstwerk. So phantastisch und surreal, wie Bosch seine teuflisch-dämonischen Wesen im Flügelaltar ins Bild setzt, genauso surreal drapiert Kiesler Duchamp in dessen dreiteilig montiertem Atelier vor vereinzelten Objekten und Readymades (Abb. 31).160 Duchamp schließt den Vorgang des Experimentierens mit den Gegenständen in den Produktionsvorgang mit ein und lässt so die Dinge lebendig werden. Indem seine Readymades von Kiesler in der Fotomontage an die Atelierwand projiziert werden, erhalten sie durch Licht und Schatten eine veränderte Form – so wäre auch Duchamp selbst vorgegangen –, dadurch dass sie teilweise verkehrt herum von der Wand herabhängen und angestrahlt werden. So entsteht ein Negativ von dem bestrahlten Positiv wie auch – in der projizierten Form – eine Vergrößerung. Alle Protagonisten, Symbole, Maschinenteile, Alltagsgegenstände, Farben und geometrischen Anordnungen im Großen Glas umschreiben in Metaphern letztlich sexuelle Kreislaufsysteme, die beide Sphären – die männliche und die weibliche – antreiben, in Bewegung halten, sie aber nicht verbinden.

3.6.

Die Pferdeserie Hans Baldung Griens – Ein Ideen-Modell

In der dreiblättrigen Pferdeserie von 1534 stellt Hans Baldung Grien die Abfolge des erfolglosen Werbens eines zentral gestellten, flehmenden Hengstes um eine sich verwehrende, abschlagende Stute dar (Abb. 32, 33, 34). Bei der Serie handelt es sich um eine genuine Bildfindung ohne Auftraggeber, und die drei Blätter variieren leicht durch voneinander abweichende Größen.161 Wie in einem Comic werden Aktion und Reaktion jeweils auf einem Holzschnitt anschaulich, in einer narrativen Serie durch Aneinanderreihung der drei Momentaufnahmen. Die rossige Stute lockt zuerst den Hengst, 17, 19.−26. April 1945, Gotham Bookmart, E. 57th St. New York, Fotografie (Maya Deren), Philadelphia Museum of Art, Marcel Duchamp Archive; AUSST.-KAT. Philadelphia 1998, S. 63 und 250. 158 Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 63. 159 Vgl. KOSCHORKE 2002, S. 93. 160 Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia, S. 63. 161 Vgl. SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 234.

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indem sie »blitzt« und ihren Schweif zur Seite schwingt, um ihre Paarungsbereitschaft zu signalisieren.162 Der Hengst reagiert bereits; geradezu paralysiert treten seine Augen hervor. Seinen Kopf hat er in den Nacken geworfen zum sogenannten »Flehmen«. Die augenscheinlich noch nicht bereite Stute schlägt den Hengst im zweiten Holzschnitt ab, um wohl daraufhin davonzulaufen. Der Zurückgewiesene ejakuliert auf den Boden, woraufhin die übrigen Junghengste über ihn herfallen. Der dritte Holzschnitt zeigt den wilden Machtkampf und ein Chaos aus Pferdekörpern. Jeder Holzschnitt baut auf dem Zusammenspiel von Aktion und Reaktion auf. Die Erzählung entsteht durch die Abfolge der Szenen in drei Blättern. Dabei ist jedes Narrativ autonom und kann für sich selbst stehen. Die Pferdeserie präsentiert ein meisterhaft durchdachtes und brillant sichtbar gemachtes Regelwerk von Liebeslust und -sucht in drei Holzschnitten, in dem der werbende Hengst als Metapher für den Menschen fungiert. Pfisterer erkennt in dem stattfindenden Spiel um die zurückgewiesene oder »verbotene Liebe«, verkörpert in dem wilden, rauschhaften Begehren, methaphorisch die Quelle von Inspiration und Kreativität in der Kunst. Hier haben die Auswüchse der Phantasie Gestalt angenommen und zeugen in einem einzigen Moment von großer künstlerischer Freiheit: Sie rufen die unerschöpfliche, nie endende Originalität und das wunderbar Phantastische der künstlerischen Schaffenskraft ab, im Ringen um die Kunst und deren Produktion selbst.163 Liebe und Erotik oder Anziehungskraft lassen sich hier unterscheiden, sind aber, ihrer Entstehungszeit entsprechend, als moralische Warnung für den männlichen Betrachter formuliert: Liebe als ein Seins-Zustand, welcher nach der Bewusstwerdung der Transformation die Möglichkeit im humanistischen Sinne eröffnet, vom Schlechten zum Guten zu finden, in dem Hässlichen das Schöne zu erblicken, zur göttlichen Liebe zu gelangen und aus den triebhaften Kreisläufen herauszutreten oder sie gar zu verbannen. Das Bild von den Leidenschaften steht in der Tradition des Neuplatonismus und folgt dem antiken Gleichnis Platons über den »Seelenmythos«. Darin wird ein zweispänniger Pferdewagen, der für die Seelenanteile steht, von einem Lenker, der die Ratio repräsentiert, geführt; der Wagenlenker ist herausgefordert, die unterschiedlichen Seelenanteile oder Temperamente der Pferde zu zügeln. Genauer stehen die Pferde dabei für die Affekte: Gehorsam, Scham und Besonnenheit auf der einen Seite; Ausschweifung, Ungehorsam, Genusssucht und Libido auf der anderen.164 Pfisterer verweist in diesem Zusammenhang auch auf die seit der Antike existierende Sprichwörtlichkeit, dass die Triebhaftigkeit des Pferdes nicht durch die Ratio gezügelt werden kann.165 Insofern könnte die Pferdeserie mit der mittelalterlichen Minne oder auch mit Petrarcas Laura-Porträts verglichen werden, da die Frau in einen nahezu heiligen, unerreichbaren, oft mit Schönheit besetzten Zustand gehoben ist, der in seiner Überhöhung niemals durchbrochen wird, um Realität zu werden. Der in seiner Verehrung oder Begierde angetriebene Mann wird nie zum Ziel kommen.166

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Vgl. PEINELT-SCHMIDT 2013, S. 160. Vgl. PFISTERER 2014, S. 127. Vgl. SROKA 2004, S. 256; HILDEBRANDT 1998, S. 53−55. Vgl. PFISTERER 2014, S. 138. Pfisterer verweist auch auf Veranstaltungen in Florenz Anfang des 16. Jahrhunderts, wo die Deckung von Pferden öffentlich zur Schau gestellt wurde. 166 Vgl. HARTMANN 2012, S. 47f.

3. Vom Leben eines Werkes

In der Frühen Neuzeit waren Paradoxien ob ihres erkenntnisreichen Moments besonders beliebt. So steht etwa die Caccia d’amore (dt. Liebesjagd) für die Liebespirsch. Das in der Renaissance überaus geschätzte Liebesspiel endet meist tödlich. Es lebt von der wechselseitigen Spannung, Anziehung und Abstoßung, und agiert mit passiven und aktiven Kräften, welche sich gegensätzlich bedingen. »Es ist das erotische Begehren, das heißt die erotische Phantasie, und keineswegs der Zustand unschuldiger Jungfräulichkeit…«167 Der Jagende selbst wird in der »verkehrten Welt« des letzten Holzschnitts der Pferdeserie selbst zum Opfer, als die übrigen Hengste über ihn herfallen: In seiner Figur bündeln sich Liebe und Tod. Bewusste und unbewusste Faktoren rufen einander hervor und werden einander gleichgesetzt. Der gesamte Pferdekörper des Protagonisten verrenkt sich durch die Bewegung des Flehmens in einer gewaltigen Pose, die das Begehren offenbart, und steht bedeutungsvoll im Vordergrund des Holzschnittes.168 Begehren und Scheitern werden in ihrem Widerspruch sichtbar, wie auch Erotik und Gewalt, Spannung und Entladung, Anziehung und Abstoßung; alle diese Vorgänge richten sich zur selben Zeit an den Betrachter. Auch der Betrachter, dessen Blick die Serie ausgesetzt ist, wird zum Opfer. Denn, so Baumgärtel, »Scham entsteht in der Anschauung des begehrten Objekts und des Sichbewusst-Werdens der Begierde« bzw. des Sich-bewusst-Werdens des eigenen Standpunktes dazu.169 Der Holzschnitt beeinflusst das Auge des Betrachters geradezu, wirkt auf seine Phantasie – und die reduzierte Formgebung prägt sich in sein visuelles Gedächtnis. Die Pferde, gleichrangig menschlichen Protagonisten im Bild, sind geeignet, innere, psychische Bilder sichtbar zu machen, unterstützt von den ästhetischen Qualitäten des ansonsten rustikalen Holzschnitts.170 Baldung porträtiert sich in vielfältiger Weise in den drei Holzschnitten – wie in seinem übrigen Œuvre auch – oder deutet in Metaphern auf sich. Im ersten zeigt er sich als Voyeur hinter dem letzten Baum links im Hintergrund des Bildes hervorlugend. Er ist buchstäblich distanziert von dem bühnenhaften Geschehen im Vordergrund der Waldlichtung. Als Schöpfer des Dargestellten bringt sich der Künstler mit der Signaturtafel »Io. Baldung fecit 1534« hingegen gut sichtbar mittig im Vordergrund in den Bilddiskurs ein.171 Mit fecit bindet Baldung den kompletten künstlerischen Prozess an seine Person, das heißt, nicht nur die Idee der Bildumsetzung stammt von ihm, sondern auch der handwerkliche Schnitt im Holz ist eigenhändig von ihm gefertigt. Auf der Kante des Signaturschildchens hockt etwas befremdlich ein Äffchen, Symbol der Nachahmung und verschiedener Laster, dem hier das wollüstige, triebgesteuerte Fehlverhalten, das zum Sündenfall führte, angelastet werden könnte und der insofern den Hengst bzw. Menschen repräsentiert. Der Affe ist gefangen in seiner Nachahmung

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BAUMGÄRTEL 2008, S. 35. Baumgärtel äußert sich im Kontext von Tizians Diana und Actaeon. BAUMGÄRTEL 2008, S. 35. Vgl. SROKA 2004 S. 251 und 260. F. oder fec. bezeichnet, dass alle Handlungen von einer Künstlerhand stammen oder der Anschein erweckt werden soll. Fecit bedeutet: hat »alles gemacht« oder »selbst gefertigt«; ist dies nicht extra gekennzeichnet, waren generell mehrere Formschneider an der Ausführung der jeweiligen Grafik oder des Holzschnitts beteiligt.

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der Welt und der triebhaften Natur seiner selbst.172 Im ersten Holzschnitt hockt er direkt unter dem erigierten Glied des Hengstes auf dem Schildchen, wo dann im zweiten Blatt just das tierische Sperma zu Boden fällt und das Schildchen zur Seite gerückt ist. Brinkmann weist auf die untypisch gesetzten Hände und Füße des Tieres hin.173 Angesichts der langen Zehenglieder scheint es, als hätte er drei Hände, die auf der Signaturplatte aufliegen. Die beiden Hände erinnern an Zwingen, die statisch geformt sind und eine Masturbation des Hengstes mimen, angeregt durch die »erregte und erregende Kunst«.174 Der Affe selbst steht in seiner eigenen nachahmenden Natur für die Kunst (ars simila naturae). Im linken mittleren Bereich des Holzschnittes befindet sich ein Hirsch. Er scheint dem idealisierten trabenden Pferd, auf der gleichen Ebene, bewundernd nachzublicken und die Gefahr des Menschen im Hintergrund sowie die Spannung im Vordergrund des Bildes nicht zu bemerken. Peinelt zitiert in diesem Zusammenhang Plinius den Älteren und kann damit aufzeigen, dass der Hirsch nicht in der Lage ist, das Unwichtige vom Wichtigen zu unterscheiden: Er lässt sich durch Schönheit blenden und verliert den Blick für das Wesentliche.175 Der zentrale Hengst, der Hauptprotagonist, ist in der Pferdeserie letztlich in einem geistlosen und unfruchtbaren Akt verharrend gezeigt: Er kann vor den übrigen Junghengsten bzw. Junggesellen nicht bestehen, da er es nicht schafft, die Braut erfolgreich zu umwerben, und aus dem Kreis der Junggesellen ausscheidet. Peinelt sieht in dem Scheitern der biologischen Paarung ein künstlerisches Moment, den geistig-phantastischen Akt, welcher ausgelöst wird durch die körperliche Mechanik, hier mit dem »Blitzen« der Stute. Durch den Erguss, der für den rezeptorischen Akt steht, wird die alleinige Rezeption der Kunst gleichzeitig abgewertet und mit der Phantasie verbunden. Peinelt differenziert mit Hengst und Affe in dieser Holzschnittserie zwischen der geistlosen und der geistvollen Rezeption der Kunst, indem Baldung sie nebeneinander platziert.176 Baldung thematisiert nicht nur die nachahmende Natur hinsichtlich der mentalen Ebene in seiner Kunst, sondern auch seine Vorbilder wie Dürer.177 Diesbezüglich fällt im zweiten Holzschnitt ein dressiert trabendes Pferd auf der mittleren Ebene des Bildes durch seine klassische Darstellung auf. Es hebt sich so von den übrigen Pferden ab und trabt stolz und unbeeindruckt von der Szenerie im Vordergrund. Peinelt weist in Bezug auf dieses Pferd auf Dürers Proportionsstudien in Das Kleine Pferd (1505, Abb. 36) hin, die hier als Vorbild aufgegriffen sind.178 Auch Koerner und DaCosta Kaufmann weisen auf die auffallend gezierte und statische Haltung hin, welche bereits im italienischen Figurenkanon von beispielsweise Leonardo da Vinci zu finden ist und in der Darstellung Das Kleine Pferde von Dürer. Auch laut

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Vgl. PEINELT-SCHMIDT 2013, S. 168; EISLER 1996, S. 274f. Vgl. Primus (der Erste); er bezieht sich auf den Menschen als »Krone der Schöpfung« (Menschenaffe). Vgl. LAQUEUR 2008, S. 367. Laqueur verweist unter anderem auch darauf, dass auch Pferde und andere Tierarten onanieren; PFISTERER 2014, S. 127. Vgl. PEINELT-SCHMIDT 2013, S. 170f. Vgl. ebd., S. 166. Vgl. ebd., S. 174. Vgl. ebd., S. 138.

3. Vom Leben eines Werkes

Peinelt ähneln sich die beiden Darstellungen, da das Pferd hier im Widerspruch steht zu den übrigen:179 Ihm liegen somit Studien zugrunde. Die »klassische Monumentalität« des klein dargestellten Pferdes auf der mittleren Ebene wird so »ad absurdum« geführt. Hierin offenbart sich eine humorvolle Haltung Baldungs gegenüber Dürer und begründet den Kontrast zu dem zentralen Hengst, der eine starke Vergrößerung in allen drei Holzschnitten erfahren hat.180 Die Baldung-Anekdote der Pferde zeigt gemäß Pfisterer »nicht die Täuschung«, sondern die »Ent-täuschung«; nämlich, dass Baldung nicht nur eine besondere Art von Ironie mit dem Betrachter teilt, sondern sich auch auf dessen Kunstwissen und Gabe der Kombinationsfähigkeit des betrachtenden Blickes beruft, welcher rezeptive Kunstfertigkeit und veräußerlichte Sexualität zu kombinieren und zu entschlüsseln vermag.181

3.6.1.

Das Pferde-Motiv – Entwicklungen bei Dürer, Baldung und Duchamp

Ab 1904 finden sich Pferde im Werk Marcel Duchamps. Max Bergmann, der Münchner Tiermaler, lernt Duchamp in Frankreich kennen, bevor dieser ihn 1912 in München besucht. Bergmann berichtet, wie er abends mit Duchamp und Freunden in Neuilly »petits cheveaux« spielt. Für das Spiel hat Duchamp eigens Pferde-Figuren gefertigt, sechs collageartig ausgeschnittene, galoppierende Rennpferde mit Reitern, sowie ein Rennbahn-Spielbrett.182 Zwei der Pferde sind erhalten; eines, in ausgestreckter Galopp-Pose, ist mit einem Schachbrettmuster bemalt und mit Gambit bezeichnet. Ein gekrümmter Reiter presst sich an den Pferderücken und hält das Zaumzeug, welches durch eine Schnur angedeutet ist (Abb. 35 a und b). Die Pferde sind teils mit Rollen versehen, damit sie auf den nummerierten Rennbahn-Feldern bewegt werden können.183 Angeregt vom gemeinsamen Pferderennbahnspiel setzt Villon-Duchamp die Idee in seinem Atelier um. Ob Villon-Duchamp sich hierbei an Reproduktionen orientiert oder an Fotografien, kann seiner Aussage nicht entnommen werden: »Manchmal nahm ich Spielzeuge, eine Rennbahn oder ein kleines Flugzeug in mein Atelier mit: sie dienten mir als Gewährsobjekt für meine Bilder. Ich hatte sie gerne vor Augen, wenn ich Pferderennen oder, wie in der letzten Zeit, Flugzeuge machte. Sicher habe ich richtige Pferderennen und richtige Flugzeuge gesehen.«184 Auch Duchamps Bruder, Raymond Duchamp-Villon, befasst sich im Rahmen seiner kubistischen Skulpturen mit dem Sujet Pferd und entwirft »Kleine« und »Große Pfer-

179 180 181 182

Vgl. DA COSTA KAUFMANN 1985, S. 30; KOERNER 1981, S. 5−8. Vgl. PEINELT-SCHMIDT 2013, S. 170. Vgl. PFISTERER 2014, S. 140. Ein mögliches Vorbild könnte Eadweard Muybridge, Transverse gallop, Animals in Motion, 1887 gewesen sein; siehe dazu: AUSST.-KAT. Venedig 1997, 8.− 9. April und S. 56. 183 Vgl. CAUMONT/GOUGH-COOPER 1977, S. 62. 184 Ebd., S. 94.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

de«.185 Tomkins schildert die differenzierte Arbeit am Objekt des Pferdes, bei der komplexe Gedankengänge konzeptualisiert werden: »In den aufeinanderfolgenden Versionen seines Meisterbildwerks ›Das Pferd‹, an dem er 1913 zu arbeiten begann, gelang Duchamp-Villon eine Verschmelzung multipler Perspektiven, von neuer Form, die aus früherer Form hervorging, welche zur Wirkung hatte, daß sein Bild eines halb abstrakten Pferdekopfes sich sowohl durch die Zeit wie durch den Raum zu bewegen schien und darüber hinaus zugleich als Tier wie als Maschine funktionierte.«186 1966 äußert sich Duchamp ausführlich bei der Enthüllung der Plastik Le Cheval majeur / The Large Horse / Das große Pferd von Raymond Duchamp-Villon: »Ach, nicht wahr, die Bildhauer sind verschieden von den Malern, sie sind nicht gehalten, einmalige Werke zu machen. Die Originale können bei ihnen multipel sein. Mein Bruder begann seine Pferde-Studien um 1913. Er schuf zu diesem Thema zahlreiche Plastiken, um dann beim Großen Pferd anzulangen, das er 1914 beendete. Eine im Krieg aufgelesene Krankheit raffte ihn 1918 hinweg; er war 42jährig. Von diesem Großen Pferd hat man gesagt, es zeige einen Einfluss des Futurismus. Aber der Futurismus war die Wiederholung, die Beschreibung der Bewegung. Dieses Große Pferd beruht auf ganz anderen Prinzipien: es ist ein Dynamismus in der Schwebe, unbewegt. Boccioni hat sich übrigens sehr für die Untersuchungen meines Bruders interessiert. Nach dem Gips war schon ein Bronzeabguss hergestellt worden. Ich fand es gut, eine größere Version davon zu machen, die gestatten wird, die Kraft dieser Skulptur besser zu spüren. Schließlich hat mein Bruder nur wenige Werke hinterlassen, und es ist nur gerecht, wenn man sie verbreitet, um ihre Bedeutung besser bekannt zu machen. Was die gewählte Dimension betrifft, nun, ich mochte diese Höhe von 1m 50, die auf dem Sockel die Dimension und das Volumen eines Pferdes bei seiner Arbeit wiedergibt.«187 Das Pferd weist kubistische Bestrebungen auf. Villon-Duchamp wollte sich »von den Modellierungen entfernen und seine Skulptur wie eine Architektur aufbauen«. Jacques Villon erklärt dazu: »Ist denn der Kubismus nicht die leidenschaftliche Überzeugung, mit bestimmten, in der Renaissance aufgestellten Grundgesetzen, vor allem mit der Perspektive aufzuräumen? Sobald sich diese erbitterte Überzeugung zu ihrer Freiheit durchgedrungen hat, kann sie mit einer für den Angriff ersonnenen Forschungsmethode nichts mehr anfangen und lässt sie fallen.«188 Duchamp-Villon erkennt eine Wechselbeziehung zwischen Objekt, Alltagswelt und Künstler, die zu etwas Drittem, Neuem verschmelzen und für ihn die künstlerische Schöpfung darstellen, die von Kräften außerhalb der Künstlerperson beeinflusst 185

Vgl. DUCHAMP 1965, S. 1. Duchamp: »My brother Duchamp-Villon worked on the project for 2 years before 1914 – you can see here the different sketches, small and large, which lead to the final version of Cheval.« 186 KOLB 2005, S. 28; TOMKINS 1999, S. 84. 187 DESCARGUES (1966), in: Stauffer 1992, S. 207. 188 VALLIER 1961, S. 101.

3. Vom Leben eines Werkes

ist.189 Er merkt dazu an: »Ich glaube nicht, dass sich eine Epoche ihr ästhetisches Credo zur Gänze selbst schafft. Sie findet den Keim dazu in der Kunst vergangener Generationen, die ganz unbewußt das ihre zur Vorbereitung taten.«190 DuchampVillons Bestrebungen sind, sich spielerisch mit den Prinzipien der vergangenen Kunst auseinanderzusetzen und zu versuchen, sich gleichzeitig vom voraufgehenden Stil abzusetzen. Es sind Überlegungen, welche auch Marcel Duchamp im Fortgang seines Werkes berücksichtigt und ausbaut. In einem Brief an Walter Arensberg, in dem er sich zum Kopf des Großen Pferdes seines Bruders äußert, das aus dem Museum entliehen werden sollte, schreibt Duchamp 1952: »The Museum of Modern Art has accepted to lend the large Horse in bronze by Raymond. That means that the Head of a Horse which you accepted to lend would be very similar to the head of the large Horse. In other words we could leave the Head of a Horse in its stable.«191 Die Andeutungen Duchamps vom Museum als Stall und den Pferdeköpfen darin, welche diesen verlassen könnten, wirken kryptisch und metaphernhaft. »Klein« und »groß« im Titel kann im Sinne der Relevanz von Werken nur mäßig differenziert werden.192 Bezieht man jedoch »klein« und »groß« auf die bestimmten Interessengebiete, zu denen gearbeitet wird oder zu denen das Hauptwerk entsteht, kann man auch bei Duchamp ein Konzept erkennen. »Groß« beschreibt ein Resultat als Hauptprodukt der Werkserie aus vorausgegangenen Überlegungen, nach denen zuvor mit den »kleinen« Versionen experimentiert wurde. Das Hauptwerk vereint viele theoretische und praktische Gedankengänge um das Resultat wie im Fall des Großen Glases und steht für eine Zusammenführung von Konzepten und Erfahrungen vieler Schaffensperioden. Es repräsentiert damit ein geistig aufgeladenes Objekt. Albrecht Dürer beschäftigte sich in einer Folge von Grafiken ebenfalls mit dem Pferd, etwa in Das Kleine Pferd (Abb. 36) und Das Große Pferd (Abb. 37), beide von 1505. Das Kleine ist von Dürer gemäß seinen Proportionsschemata angelegt. Stolz schreitet es nach exakten Maßstäben vor einer architektonischen Kulisse, und wurde bereits von Leonardo da Vinci studiert. Das Große Pferd, das dem Kleinen Pferd in Anbetracht des Titels überlegen scheint, präsentiert sich als nicht mehr junge Mähre. Sie kehrt ihre Kruppe dem Betrachter zu und schielt diesen mit leicht seitwärts gewandtem Haupt aus müden Augen an. Dennoch scheint das Pferd belebt zu sein, denn es nimmt Kontakt zum Betrachter auf. Dürer lädt das Sujet dadurch auf, dass er die schräge Seitenstellung des Tieres meisterhaft in Szene setzt. Diese abgewandte Pose des Pferdes, das seinen Blick dem Betrachter zuwendet, ist ein wiederkehrendes Motiv; so auch im Fall der Stute in Baldungs Pferdeserie oder dessen Holzschnitt vom Behexten Stallknecht. Baldung akzentuiert in dieser Stellung nicht nur die weibliche Kehrseite durch das darauf scheinende Licht, die Feinheiten der Muskulatur herausstellend und das Tier durch seinen Blick belebend. Baldung fast den flirtenden Blick der Stute in der Pferdeserie

189 190 191 192

Vgl. TRIER 1992, S. 290. TRIER 1992, S. 24. DUCHAMP 1952, S. 2. Vgl. SEEGERS 2017, S. 475.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

durch die Stute auf und erneut im Behexten Stallknecht, dahingehend, dass sich Letztere nun gegenüber dem Betrachter mit aufforderndem Blick positioniert, den Schweif dabei schwingend. Für den leidenschaftlichen Schachspieler Duchamp war die Figur des Pferdes bzw. die Schachfigur des Springers von großer Relevanz in seinem Werk (siehe auch Abb. 38). Er fasst das Motiv oft gezielt heraus und durchzieht sein Schaffen: Horse / Cheval / Pferd (1904−05), Letterhead of the Société Anonyme / Briefkopf der Société Anonyme (1912), Red Knight / Roter Springer (1930), Study for the Bishop and Knight of the »Pocket Chess Set« / Studie für den Bischof und Springer des »Taschenschachspiels« (1943), Study for the Knight of the »Pocket Chess Set« / Studie für den Springer des »Taschenschachspiels« (1943), Chess Knight / Schachspringer (1943), The Knight/Der Springer (ca. 1945), L’Ombre sans Cavalier / The Shadow Without Its Knight / Der Schatten ohne Reiter (1949), Un Pochoir d’une de mes Pièces d’échecs / A Pochoir of One of My Chess Pieces / Ein Pochoir von einer meiner Schachfiguren (24. Juni 1950), Knight of the Société Anonyme / Springer der Société Anonyme (1951) (Abb. 39), Marcel Duchamp Cast Alive / Marcel Duchamp lebendig gegossen (Frühjahr 1967). Bei etlichen Pferdefiguren orientiert sich Duchamp bezüglich der Präsentationsform des Pferdes an der Schachfigur, welche hauptsächlich aus dem Kopf und dem Hals des Tieres besteht. Das Pferd dreht den Kopf immer zur Seite, den Betrachter somit stets über die Schulter anschielend. Diese Stellung erinnert an Hans Baldung Griens Stute in Der behexte Stallknecht (ca. 1534), dem Kapitel 3.12 gewidmet ist. Das Pferd, das auch mit dem gedanklichen »Rösselsprung« in Verbindung gebracht werden kann, ist im Schachspiel eine Figur, welche sich um eine Ecke fortzubewegen vermag. Typischerweise ist die Zugfolge des Springers im Schach zwei Felder geradeaus, dann ein Feld nach links oder rechts. Der Springer scheint demnach geradezu einer Denkweise ein Bild zu verleihen, die sinnbildlich auch immer einmal den Blick um die Ecke wagt, so Duchamp: »[...] in der Kunst ist es eine Sache des Springens von einem Kliff zum nächsten, was sehr schwierig ist, wenn man sich immer noch auf dem Gras befindet.«193 Duchamp benutzt den Begriff »Perspective Chevalier«, um seinen Standpunkt gegenüber den Roto-Reliefs zu beschreiben. Generell ist dieser Standpunkt des Künstlers in Bezug auf das Werk oder die inspirierende Frau oder, in metaphorischer Sprache, die Stute entscheidend.194 Der Chevalier kann als Kavalier, Ritter, Edelmann, aber auch, vom Lateinischen abgeleitet, als caballarius, Pferdeknecht, Hengst oder Pferd begriffen werden. Etliche italienische Maler sind auch als Cavaliere in die Kunstgeschichte eingegangen. Die Begriffsintension sieht unter anderem die Bedeutung eines Begleiters von Frauen vor, als der sich Duchamp gerne versteht, oder die des Springers, die immer dann zutrifft, wenn er mit bereits liierten Frauen in eine Art Dreiecksbeziehung (Ménage-à-trois) eintritt.195

193 STAUFFER 1973, S. 33. 194 Vgl. HAMILTON/KITAJ 1966, S. 19. 195 Dies erinnert auch an das von Duchamps Freund Henri-Pierre Roché herausgegebene Buch Jules et Jim, welches von einer Ménage-à-trois handelt und 1953 erscheint; die Handlung des Buches spielt jedoch um 1912 und bezieht sich auf ein wahres Erlebnis des Freundes Roché.

3. Vom Leben eines Werkes

3.6.2.

Die Pferdeserie von Hans Baldung Grien im Spiegel der deutschen Kunstliteratur zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Die Pferdeserie Hans Baldung Griens, 1534 entstanden, wird 1575 vom Basler Formschneider Christoffer van Sichem mit einer neuen Aufschrift erneut in den Druck gegeben (Abb. 41): »Vilerley herliche vnd Kunstiche wolgerissene Pferd mit allem verstand auff mancherley weyss gestelt vnd fürgebildet/Durch denn weytberümbten Johan Baldung/zu nutz allen Molern/Goltschmiden, Bildhauweren vnd andren der kunstliebenden ins Werck gebrocht, dessgleichen vor nie aussgangen.«196 Sichem bekräftigt nicht nur die überragende künstlerische, ebenso geistvolle wie handwerkliche Leistung Baldungs, sondern verweist in der Inschrift darauf, dass die Pferdeserie in allen künstlerischen Gattungen und zeitentbunden eingesetzt und als Ideenmodell verwendet werden könnte.197 Der Gebrauch, den Sichem für die Pferdeserie vorsieht, zeigt nicht nur ein Studienmodell auf, an welchem sich der Künstler in seiner Gattung rezipierend üben kann, sondern weist auch inhaltlich auf eine Kunstidee von sich wiederholenden Themen wie auf den Wettstreit zwischen Künstlern und die Suche nach Inspirationsquellen hin. Gut erhaltene Exemplare der Pferdeserie befinden sich in den Grafischen Sammlungen von Erlangen, Berlin, Coburg, Freiburg, Hamburg, Karlsruhe, München, Nürnberg, Basel, Zürich, New York und Wien. An vielen dieser Orte hält sich Duchamp auf, sodass er die Drucke durchaus gesehen haben kann.198 Wo die Holzschnitte aufbewahrt werden, wird in der Literatur des 19. Jahrhunderts mehrfach erwähnt, ist also bekannt.199 1935 werden die Grafiken Baldungs von Otto Bensch in der Albertina in Wien zum ersten Mal museal ausgestellt, nachdem sie 1912 auch im Almanach Der Blaue Reiter erschienen waren.200 Baldungs Kunst wird generell ab dem frühen 19. Jahrhundert wieder vermehrt von der Kunstgeschichte wahrgenommen, von der Avantgarde verstärkt nach dem Abdruck im Almanach 1912 und insbesondere nach der Herstellung des Großen Glases von Duchamp ab 1923, nachdem es im 17. und 18. Jahrhundert um die Rezeption des Baldung’schen Œuvre ruhiger geworden war.201 1936 bemerkt Priebsch Closs eine Affinität der Expressionisten zu Baldung. Es werden auch Verbindungen zwischen 196 AUSST.-KAT. Karlsruhe 1959, S. 279; EISENMANN 1878, S. 634. Bereits 1878 weist Eisenmann im Allgemeinen Künstler-Lexikon mit Hugo von Tschudi als Mitherausgeber auf die Beschriftung am oberen Rand der Pferdeserie Baldungs in Basel hin. 197 Vgl. SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 234; EISENMANN 1878, S. 634; SCHMITZ 1922, S. 73; SCHMITZ 1937, S. 73; AUSST.-KAT. Karlsruhe 1959, S. 279. 198 Vgl. SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 234. 199 Vgl. WOLTMANN 1876, S. 292; KANDINSKY/MARC 1912, S. 47; GRENSER 1878, S. 7; HELLER 1823, S. 92; JANITSCHEK 1890, S. 408. Janitschek verweist auf den Standort der Albertina in Wien; PASSAVANT 1860, S. 77; PASSAVANT 1862, S. 319; SCHADE 1983, S. 80f.; KOERNER 1981, S. 5. 200 Vgl. AUSST.-KAT. Wien, 1935. Bensch ist mit Barr, dem Direktor des Museums of Modern Art in New York, im Austausch; auch Duchamp steht mit Barr im engen Kontakt. 201 Vgl. CURJEL 1923, S. 2. Curjel: »Die tierischen Impulse seiner Werke haben ihn der jungen Generation deutscher Maler im Kreis des ›Blauen Reiters‹ nahegebracht; mit der Zeit Grünewalds ist zu-

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

der Person Baldung und dem Wesen der Tiere hergestellt, vor allem mit Blick auf die Holzschnitte der Pferdeserie (siehe dazu 3.6). Priebsch Closs stellt deutlich heraus, dass es Baldung im Gegensatz zu Dürer nicht länger um die Stofflichkeit von Fell oder um Maße und Proportionen geht, sondern um das Innenleben der Tiere. Wie kein anderer Künstler bis zum Aufkommen des Expressionismus widmet sich Baldung dem Triebwesen von Tieren, ihrem Instinkt und ihrer Lebensdynamik.202 Wie in der neuen Aufschrift des Formschneiders van Sichem dargelegt, ist auch Duchamp daran interessiert, Gattungsgrenzen aufzuweichen oder gar ganz aufzulösen, um seinem Kunstausdruck einen spielerischen Zusammenklang der Gattungen zu verleihen. Allein seine Familie vereint viele Kunstgattungen um Duchamp: Er ist Enkel des Malers und Graveurs Emile-Frédéric Nicolle (1830–1894), sein Bruder Raymond Duchamp-Villon (1876–1918) ist ein überaus erfolgreicher Bildhauer, zwei weitere Geschwister reüssieren in der Malerei. Auch sein Freundeskreis besteht aus Malern, Objektkünstlern, Dichtern, Musikern, Fotografen und Philosophen, und oft arbeitet man zusammen. Duchamp erkennt in ihnen insbesondere das gemeinsame Moment der Produktionsprinzipien im Hinblick auf Rezeption und kreative Denkweisen, welche die Basis des Kunstschaffens darstellen, die sich wiederholen und ihm helfen, ein Bewusstsein für die eigene Werkerrichtung und die Produktionsmechanismen zu entwickeln. Ganz in dem Sinne, wie es Proudhon ausdrückt: »Der Künstler muss nicht nur in Verbindung mit Ideen und Prinzipien seiner Kollegen, sondern all seiner Zeitgenossen stehen. Er muss den Gedanken erst noch ganz durchschauen, dass die industrielle Schöpfung sich von der künstlerischen nicht unterscheidet. Der Künstler schöpft in der Tat nichts aus dem Nichts. […] je mehr er beobachtet, desto mehr entdeckte er. […] Je besser er gesehen hat, umso mehr kann er es darstellen. Die Inspiration steht in ihm proportional zur Beobachtung. Deswegen verblasst die Inspiration beim echten Künstler, Schriftsteller oder Philosophen niemals; sie ist konstant, sie ist auf Abruf.«203

3.7.

Schöpfungsmetaphern

Die Eros-Thematik in Baldungs Pferdeholzschnitten (Abb. 32−34), so Peinelt, verleitet fälschlich zu einer eindimensionalen Deutung der Sexualität, und er konstatiert, die vermeintlich erkannte moralische Unterweisung sei zu schlicht und unbefriedigend. Vielmehr sollte zu einem metaphorischen Rückschluss ausgeholt und diese zu kurz gefasste Deutung mit kunsttheoretischen Gegenbildern verglichen werden. Der Betrachter solle sich den Blick nicht von der paralysierenden Sexualität verschleiern lassen, die unbestritten von der Holzschnittserie ausgehe.204 So gelingt es Peinelt, die Pferdeserie hinsichtlich der Schöpfungsmetaphern in den neuplatonischen Diskurs zu überführen,

gleich die Zeit Baldungs angebrochen. Wenn das Werk Grünewalds die Generation Franz Marcs in tiefster Seele erschütterte, so hegt sie zu Baldung eine heimliche Liebe.« 202 Vgl. PRIEBSCH CLOSS 1936, S. 22. 203 PROUDHON 1865. 204 Vgl. PEINELT-SCHMIDT 2013, S. 166.

3. Vom Leben eines Werkes

an dem in der frühen Neuzeit neu angeknüpft wird. Der erfinderische Künstler wird zum »Schöpfer«, der eine geistige, theoretische Kreativität erzeugt. Aufgrund des Interesses an seinem Ruhm wird er selbst das Opfer von Rezeption. Um schöpferisch tätig zu sein, braucht er geistige Fähigkeiten: Ideen, Inspiration, Erkenntnis und die Passion für seinen Berufsstand, für den selbst häufig Metaphern gefunden werden. Generell wird vor allem die Thematik der sexuellen Reproduktion auch geschlechterübergreifend diskutiert. Dazu kommt die handwerkliche, mechanische Kunstproduktion, welche aus der immerwährenden Reibung mit dem Material zutage tritt. Oft wird dem Betrachter eine geradezu mechanisierte Funktionalität vor Augen geführt, das heißt die Entwicklungsschritte des Künstlers und die Entstehungsphasen des gesamten Werkes: das Werden und das Vergehen. Die Schöpfungsmetaphern haben in der Frühen Neuzeit Hochkonjunktur; sie stellen ein Bindeglied zwischen der geistigen Ebene der Werkfindung und dem materiellen Herstellungsprozess dar. Der kreative Akt der Ideenfindung, die Affinität zum Material und die mechanische Werkproduktion – somit der Zeugungsakt – und das Werk, welches die nackte Wahrheit des Kunstwollens beispielsweise in einer Geburt präsentiert,205 wonach sich »Werkentstehung und Herausbildung eines Lebewesens entsprechen«, verbinden sich in der Überhöhung durch die Metapher.206 Der Künstler nimmt in diesem Vorgang eine verwandtschaftliche Position zum Werk ein, wie die Position der Mutter, der Gebärenden, oder die des Erzeugers und Liebhabers, auch die des sexuellen Schänders seines Werkes.207 Darüber hinaus unterliegt dieses Werk auch dem Kreislauf als grundlegendem Prinzip, das als ein Regelwerk sich selbst antreibt und die Wiederholung fordert, die mit einem rezeptorischen Verfahren hinsichtlich biologischer und sexueller Kreisläufe als Erweiterung gesehen werden kann. Dies wiederum ist übertragbar auf die traditionelle Schule der Malerei, in der Malerei durch das Rezipieren des bereits Vorhandenen, also meist der Werke Alter Meister, erlernt und weitergegeben wird, sie also auf dem Prinzip der Wiederholung basiert. Die Schöpfungsmetaphern werden Anfang des 16. Jahrhunderts von der humanistischen Bildungselite aufgegriffen und auf die bildende Kunst übertragen. Wiederaufgelegt werden die Schöpfungsmetaphern zunächst in der Literatur beispielsweise des Pietro Aretino, der die Erfindungsgabe mit literarischer Produktion von Frühgeburten vergleicht, oder mit den Dialoghi d’amore von Leone Ebreo von 1535, der schreibt, dass es die Zunge sei, welche mit Worten »geistige Kinder« versende, und ebendiese Zunge mit dem männlichen Geschlechtsteil parallelisiert.208 Pfisterer legt in seiner Abhandlung über Kunst-Geburten 2014 ausführlich dar, wie sich seit der Antike die Analogien von Kunst und Liebe in der bildenden Kunst abzeichnen und in breiter Variation in der Renaissance in der Darstellung der biologischen Genese wiederfinden. Die Humanisten und Kunstmäzene finden Gefallen daran, die »Parallele von biologischem und künstlerischem Produzieren« zu ziehen.209 Antike Texte, welche in der Frühen Neuzeit und in der Renaissance wie auch Anfang des 20. Jahr205 Vgl. PFISTERER 2014, S. 8f. und 19. Hinsichtlich Duchamp spricht Pfisterer von einem Werk voller »Schöpfungs-Laboratorien«. 206 PFISTERER 2005, S. 50. 207 Vgl. BEGEMANN 2005, S. 268. 208 Vgl. KRÜGER/OTT/PFISTERER 2013, S. 12. 209 Vgl. PFISTERER 2014, S. 9.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

hunderts wiederbelebt werden, bilden hier einen Zugang. Pfisterer stellt grundsätzlich fest: »[…] die zugrunde liegende Vorstellung vom ›Gebären‹ der Künste oder Kunstwerke, von deren ›Familienleben‹ mit ›Müttern‹, ›Vätern‹ und ›Kindern‹ und insgesamt: von der Parallele zwischen künstlerischer Kreativität und biologischer Prokreativität war in der Frühen Neuzeit allgegenwärtig.«210 Der Künstler visualisiert vor allem die Zeugungskraft, die er mithilfe des Eros geschlechterunabhängig in sinnlicher, zyklischer Macht an sich bindet. Platon sieht die Zeugung nicht nur biologisch, sondern auch geistig und verbindet die Ideen mit hermaphroditischen Wesen, welche einer rein biologischen Funktion entbunden sind. Er findet so einen metaphorischen Weg, dem gleichzeitig eine Abstammungsreihe bzw. Ahnenkette zugrunde gelegt ist und der dem Rezipienten eine Bewusstseinsbildung verspricht.211 Hinsichtlich des Themas der Triebkraft im Menschen kommt es in der Aufklärung zu einem Paradigmenwechsel, indem Vernunft und Verstand nicht mehr nur mit einem hohen Seelenvermögen verbunden, sondern auch dem Leben zugeschrieben werden. Dennoch sind die Prinzipien noch unerforscht und gehören zu den »dunklen Regionen des Menschen«. Nicht nur die Kunst, auch ihre Theorie wird aus der genetischen Kraft ab- und hergeleitet. Sie wird metaphorisch verarbeitet und mit einer »Biologie der Kunst« parallelisiert. Betroffen sind alle kreativen Prozesse, aber auch Werk, Technik, Religion, Ideen und damit einhergehend die Rezeptionsvorgänge.212 Der Sachverhalt birgt ein künstlerisches Selbstverständnis, und Begemann fasst zusammen, inwiefern der Fokus jetzt auf eine individuelle Autorenschaft gerichtet ist, das heißt auf die Erschaffung von Originalen. Nur so kann der Künstler auf sich selbst verweisen und sich in dem Konzept von »Selbsterzeugung und Selbstgeburt« erfassen; gleichzeitig ist der Künstler sein eigener »Stammvater«.213 Der künstlerische Prozess ist nicht ausschließlich ein geistiger, sondern wird tatsächlich durch körperliche Energien geleitet. In dem Akt, in dem sich das Selbstgebären des Künstlers durch originale Schöpfung vollzieht, handelt dieser eigenhändig und befreit von Heteronomie, er ist nicht nur in der Nähe der Natur, sondern agiert mit ihr zusammen, baut auf ihr auf.214 Dies beinhaltet in letzter Konsequenz auch den Körper des Künstlers, der das vermittelnde Organ ist und den Eros mit einschließt. Nutzt etwa ein Künstler die Liebe zu einer Frau, um den kreativen Prozess, welcher sich im Eros steigert, in das Werk zu übertragen, werden die Paradigmen von der genetischen zu einer prokreativen Kraft umgestürzt: Eine »rezeptive Kunsterotik« wird geboren, die zirkulär und narzisstisch motiviert ist. Die Intention wird im »Kunstwerk gespeichert« und »bleib[t] bis in ihre Form hinein Spiegelung[en]« der Aufladung, des Ursprungsgedankens.215 Derjenige, der mit den Kon210 211 212 213 214 215

PFISTERER 2014, S. 8f. Vgl. PFISTERER 2005, S. 61; FICINO 1994, S. 173. Vgl. BEGEMANN 2002, S. 46. Vgl. BEGEMANN 2002, S. 46f. Vgl. ebd., S. 58. Vgl. ebd., S. 60f. Genauso muss berücksichtigt werden, dass dies ein alter Topos ist, welcher der Romantik zugeschrieben wird, dessen Wurzeln aber schon in der mittelalterlichen Minne zu fin-

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ventionen bricht, muss zu diesem Ursprungsgedanken werden. »Der Bezug auf Tradition und Vorbilder, der bislang die poetische Generation und Erfolge sichern sollte, vereitelt nun gerade jede künstlerische (Selbst-)Geburt und macht impotent.«216 1430 werden von Guerino da Verona die »Kinder als die Abbilder ihrer Väter mit Kunstwerken als den künstlichen Abbildern ihrer Schöpfer« verglichen. Auch Petrarca spricht an, dass die Söhne schattenhaft ihre Väter widerspiegeln.217 Nördlich der Alpen scheint um 1500 die Metapher vom Mutter-Dasein des Künstlers für seine Kunst bereits präsent zu sein, wie am Beispiel Baldung diskutiert wird und bereits im Kapitel über die Lebensalter-Darstellungen (3.1) angedeutet wurde.218 In der Forschung kann ein dichtes Netz über das 17. Und 18. Jahrhundert hinweg gespannt werden, in welchem der Künstler sich meist selbst weibliche Züge, Merkmale einer Jungfrau oder Schwangeren zuschreibt und mit der »sexuellen Empfangsbereitschaft« die bevorstehende biologische Empfängnis andeutet bzw. die Fruchtbarkeit im Werk selbst diskutiert. In einem Beispiel zeigt Begemann, wie sich der Künstler nicht nur einer weiblichen Figur bedient, sondern sich auch in einer Tiergestalt zeigt und, durch den natürlichen Trieb motiviert, instinkthaft die Materie in einem Liebesakt bearbeitet. Letztlich sind die Kunstwerke schließlich »Organismen«, »lebendige Wesen«, »Kinder ihres Künstlervaters«, welche aus der Künstlerhand heranwachsen.219 Dabei ist vor allem die »Trennung nach inniger Vereinigung« der Akt, welcher als das »Gebären« durch den Geist des Mannes im Vordergrund steht: Der Künstler eignet sich die biologische Fähigkeit an und verbindet die damit einhergehende Aggregatveränderung bzw. alchemistische Phänomene.220 In der Materie kreuzen sich die fleischliche Geburt, welche in ihrem reproduktiven Verhalten weiblich ist, und die geistige Durchdringung, die als die männliche beschrieben wird. Der Diskurs über das genetische Kunsterzeugnis entspringt in erster Linie einem Gedanken, welcher der Literaturgeschichte entstammt.221 Hegel greift mit seiner Vorlesung über die Ästhetik in diesen Diskurs ein und demonstriert, dass sich die Zeugung wie ein roter Faden durch die Entstehungsgeschichte zieht und mit dem geistigen Schaffen konkurriert.222 Für Hegel repräsentiert der Geist die menschliche Produktivität,

den sind, in welcher der Künstler durch das Entbrennen zu einer Frau zum Künstler wird. Meist war sie Frauen gewidmet, welche aus hierarchischen Gründen nicht besessen bzw. geheiratet werden konnten. Nähern sich in der Vorstellung Mann und Frau an, werden beide ein »ganzer Mensch« und kommen somit einem »androgynen Ideal« nahe, welches sich im anderen Geschlecht ergänzt und die Polaritäten auflöst, wobei ein »Liebes-Akt« erzeugt wird. 216 BEGEMANN 2002, S. 50. 217 PFISTERER 2002, S. 64. 218 Siehe hierzu den HolzschnittKinderaue 1512/13 von Hans Baldung Grien: Die Grafik ist überfüllt mit kleinen Knaben und zwei stillenden Müttern. Aus der Bildmitte tritt ein Knabe mittleren Alters hervor, welcher ein Signaturschildchen schultert. Söll-Tauchert erkennt darin einen Bezug zum Künstler selbst. Verbildlicht könnte die fruchtbringende und wiederholende Produktion an sich sein, welche mit der Kinderzeugung und damit den Kunstgeburten gleichgesetzt ist. 219 Vgl. BEGEMANN 2002 S. 268. 220 Vgl. WELLBERY/BEGEMANN 2002, S. 18. 221 Vgl. ebd., S. 9. Wellbery nennt hier: Sokrates Maieutik, Kants Selbstgebärung unseres Verstandes und Sloterdijks Poetik der Entbindung. 222 Vgl. WELLBERY/BEGEMANN 2002, S. 9.

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das »Wahrhaftige«, und er stellt die Kunstschönheit über die Naturschönheit, da erstere »aus dem Geist geboren und wiedergeboren« werde, wohingegen das Naturschöne eher einem »Reflex des dem Geist angehörigen Schönen« erscheinen wolle und daher unvollkommen sei.223 Im Zentrum des Interesses steht die kreative Potenz des eigenen Körpers. Das Kunstwerk zeigt somit nicht nur das Verhältnis zum Werk an sich auf, sondern auch das Verhältnis zu sich selbst und dem eigenen (Kunst-)Körper und beruft sich selbstbezüglich auf die Autorenschaft.224 Wellbery erläutert, dass das System der Zeugungs- und Kunstsemantik allerdings »nicht mehr auf das Streben eines kulturellen Tiefensubjekts nach befriedigender Objektivierung zurückführbar«, sondern nur noch auf eine Hinwendung zu »Exterioritäten« beschränkt sei. Er stellt heraus, wie sich das Prinzip vielmehr fächerübergreifend auswirke und somit das Themenfeld weitläufig ausdehne, jedoch meist auf dem literarischen Kontext beruhe. Wenn man sich an das Hegel-Modell hält, lässt dessen Überformung kulturelles Gedankengut erkennen, und man kann feststellen, dass das Konzept daran scheitert, dass es das eigene Wesen über sich selbst stellen will, weil es sich auf die Zeugung im Allgemeinen beruft. Auf der anderen Seite wird gleichzeitig, zum Beispiel von Hegel, die sexuelle Metaphorik durch geistiges Schaffen entschlüsselt, da sie in den Prozessen der bildenden Kunst immer in neue Darstellungen von gleichem Inhalt transformiert wird und folglich die »theogonische Imagination« beibehält.225 Aber nur das sichtbare Schaffen kann die Grenze des geistigen Schaffens hervorbringen, indem es versucht, durch die Abstrahierung von Symbolik und Grundformen an den Erinnerungsspeicher, den Geist zu appellieren. Erst die geistige Hinwendung, befreit vom Körperlichen und Sexuellen, scheint den Menschen für die höhere Schönheit einnehmen zu können – wie die Welt der Ideen seit Platon. Herder vertritt die Meinung, dass jede Erfindung eine Erzeugung, ein Gebären sei und auf der Grundlage physischer und geistiger Effekte oder der Lebenskraft basiere.226 Hufland, der Weimarer Hofmedikus, spricht in diesem Kontext von einer »Summe von Lebenskraft« eines jeden, verbindet diese Lebenskraft indes mit der Sexualität in einem doppelten Zusammenschluss von Sexualität und Kunst. Er beschreibt dies so: »Es scheint, dass diese beyden Organe, die Seelenorgane (Gehirn) und Zeugungsorgane, so wie die beyden Verrichtungen, des Denkens und der Zeugung (dies ist eine geistige, das andre physische Schöpfung) sehr genau mit einander verbunden sind, und beyde, den veredelsten und sublimirtesten Theil der Lebenskraft verbrauchen. Wir finden daher, dass beyde mit einander im umkehrten Verhältnis verbrauchen. Wir finden daher, dass beyde mit einander im umgekehrten Verhältniß stehen, und einander gegenseitig ableiten. Je mehr wir die Zeugungskräfte reizen und ihre Säfte verschwenden, desto mehr verliert die Seele an Denkkraft, Energie, Scharfsinn, Gedächtniß.«227 Nietzsche vergleicht die Idealisierung mit einem gewaltsamen und sexuell aufgeladenen Zustand, durch welchen das begehrte Objekt indirekt belastet werde. Das dionysi223 224 225 226 227

PRANGE 2004, S. 79. Vgl. BEGEMANN 2002, S. 61. Vgl. WELLBERY/BEGEMANN 2002, S. 12. Vgl. BEGEMANN 2002, S. 57. BEGEMANN 2002, S. 57; HUFLAND 1805, S. 50.

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sche Erlebnis wird von ihm als ein Gebärvorgang beschrieben, aber auch als autoerotische Verwandlung. Jammers erklärt, Nietzsche würde den Begriff gegen das Weiblichkeitsideal der Romantik wenden und die Verwandlung im Sinne der Selbststilisierung dem Zustand der Hysterie zuordnen; er unterscheide so den apollinischen Künstler vom dionysischen Schauspieler.228 Bei den Surrealisten wird jedoch das Prinzip allgemein dionysisch gedeutet, der Künstler ist vom apollinischen Einfluss eingenommen, in dem, so die Vorstellung, auf der einen Seite das Auge angeregt ist, auf der anderen die Affekte einbezogen werden. Dies wird auf das Kunstwerk übertragen unter Einbezug des Nachbildens, der Rezeption, welche als Potenz des Schaustückes verstanden und auf den Betrachter übertragen wird.229

3.8.

Schöpfungsmetaphern im Großen Glas

Anfang des 20. Jahrhundert kommen die Schöpfungsmetaphern in der bildenden Kunst erneut zur Geltung. Liebe und Sexualität bilden die Kerngedanken in Duchamps Werk: Diese Zweiheit betrachtet er als existenzielle Impulse, welche auch weitreichende Erkenntnismomente mit sich führen. Sie sind meist gepaart mit Spannung, Energie und Affekten, die bewegen und somit einen Zustand erzeugen, der für die Kunst als fruchtbare Metapher genutzt wird. Des Weiteren handelt es sich um ein verallgemeinerndes Prinzip, welches für jeden Menschen erfahrbar ist: Von jedem Wissensstand ausgehend kann ein Zugang zu diesem Prinzip gefunden werden.230 Duchamp vermutet dahinter sogar einen eigenen »Ismus«. So erklärt er: »Ich glaube sehr an die Erotik [érotisme], weil das wirklich eine ziemlich allgemeine Sache ist auf der ganzen Welt, eine Sache, die die Leute verstehen. Sie ersetzt, wenn Sie wollen, das, was andere literarische Schule als Symbolismus, als Romantik bezeichneten. Das könnte sozusagen ein neuer ›Ismus‹ sein. Sie werden mir sagen, dass man auch in der Romantik Erotik haben könne. Aber wenn man sich der Erotik als Hauptgrundlage, als Hauptziel bedient, dann nimmt das die Form eines Ismus an im Sinne einer Schule.«231 Duchamp sieht sein Werk mit objektivem Blick bzw. mit Bewusstheit als seine eigene künstlerische Geburt. Er erklärt, dass ein Künstler spürt, wann er geboren wird.232 Die Geburt könne aber, so Duchamp, nicht vorausgeplant werden, sondern sei eine »innere Kraft«, welche die neue Kunstform in einer Vision bilde und das neue Genie gebäre.233 Eine zweite Geburt, die man aus den Religionen und Mythologien kennt, wird, wie

228 229 230 231 232

Vgl. JAMMERS 2000, S. 246. Vgl. JAMMERS 2000, S. 246. Vgl. PFISTERER 2014, S. 15. CABANNE (ca. Mai−Juni 1966) in: Stauffer 1992, S. 195. Vgl. DUCHAMP, Marcel: o. T., [Fünfzehn Fragen an Marcel Duchamp], Box 2, Folder 19, Alexina and Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, Frage Nr. 12. 233 Vgl. DUCHAMP, Marcel: o. T., [Fünfzehn Fragen an Marcel Duchamp], Box 2, Folder 19, Alexina and Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, Frage Nr. 12.

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Vinken erläutert, durch eine »geistige Geburt überhöht«.234 Die »Eigengeburt« eines Künstlers erklärt sich aus dem eigenen Geist herrührend. Duchamp setzt das wohl eher mit der künstlerischen Inspiration gleich, dem Zeitpunkt, an welchem sich die grundlegende Werkaussage herauskristallisiert und der bei Duchamp schon früh in seinem Schaffen eintritt. Duchamps metaphorische Selbstbezeichnung ist: »Ich bin der Vater von rein nichts!«235 Im Hinblick auf Surrealismus und Dada galt er immer als »Großvater« und »Vater«, was er belustigend fand, doch er benennt sich auch selbst als solchen.236 Er spricht von einem verwandten Geist, von »un air de famille«.237 Der Vater wirkt grundlegend auf Kunst, Erziehung und Formgebung, auf die »maternale-natürliche Matrix« ein.238 Aber nicht nur durch seine Familie, sondern auch mit der klassischen Malerei an sich und allen herkömmlichen künstlerischen Mitteln möchte er neue Gegensätze entwickeln, aufbauend auf traditionellen Maßstäben der bildenden Kunst früherer Zeiten, der Objektkunst. Parallel bildet Duchamp aber auch Bezeichnungen hinsichtlich künstlerischer Familienzusammenhänge aus. In einem Dialog, welchen Duchamp 1912 mit Picabia über die Braut / Mariée / Bride führt, sprechen die beiden Künstler über das »girl born without a mother«.239 Apollinaire sagt unabhängig von Duchamp: »Machines, the daughters of man who have no mother live a life without passions of feelings«; seine Worte scheinen dem Gedanken von Duchamp zu entsprechen.240 Des Weiteren bezeichnet Duchamp den Künstler selbst als die Mutter seiner Kunstwerke. Der Künstler ist demnach Ursprung der Werke und gleichzeitig – würde man es weiter denken – Tochter, und er hat ein rezeptorisches Verfahren angewendet.241 Duchamp versteht sich als ein ausführendes Organ, welches seine Kunstwerke erschafft und belebt, indem er sie ans Licht und die tote Materie in Bewegung versetzt. In einem Gespräch der Western Round Tables of Modern Art gibt Frank Lloyd Wright sein Bedauern darüber kund, dass immer alle von »Ausgrabung« sprächen, aber nicht von »Geburt«, und alles, auch die Inspiration, seiner Meinung nach auf der Vergangenheit beruhen würde.242 Duchamp umschreibt die Geburt des Künstlers wie folgt: »[…] an Artist now and then is born who possesses the inner power that creates a new art form. In the case of modern art we hope that the new genius is born who will impo[sed] his vision […].«243 Nach Duchamps Vorstellung befindet sich das Kunstwerk bereits in der

234 Vgl. VINKEN 2002, S. 251. 235 DERON (1967), in: Stauffer 1992, S. 220. Begemann erinnert an Lessing, der ebenfalls von der Geburt von Werken spricht, welche er als »Kinder« anspricht. Als Vater ist somit nicht der physische, sondern ein »geistiger Erzeuger« gedacht. BEGEMANN 2002, S. 52f. Aus dem platonischen Verständnis heraus bringt eine Geburt etwas noch nie Dagewesenes. 236 Vgl. TOVAR (1965), in: Stauffer 1992, S. 188. 237 Vgl. CABANNE (1966), in: Stauffer 1992, S. 192. 238 Vgl. WELLBERY/BEGEMANN 2002, S. 22. 239 CROS 2006, S. 149. 240 Vgl. TAYLOR 1959, S. 869. 241 Vgl. DUCHAMP et al. 1949, a, c, S. 23-d. 242 Vgl. DUCHAMP et al. 1949, a, c, S. 33-c. 243 Vgl. DUCHAMP, Marcel: Ohne Titel, o. D., [Fünfzehn Fragen an Marcel Duchamp], Box 2, Folder 19, Alexina and Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, Frage Nr. 12.

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Imagination des Künstlers und muss in einer »Geburt« aus dem Künstler »herausgezogen« werden.244 Diese Annahme hält Duchamp aber nicht davon ab, widersprüchlich die Entstehung des Großen Glases als einen Selbstausdruck abzustreiten, was mit Blick auf den vordergründigen Rezeptionsvorgang in diesem Werk erklärbar ist.245 Duchamp vergleicht also Rezeptionsvorgänge mit Verwandtschaftsverhältnissen wie zwischen Vater und Sohn. So kann der Sohn, welcher den Vater zwar als Vorbild habe, sich dennoch über ihn hinwegsetzen, um seinen eigenen Weg zu gehen. Duchamp reflektierend über die Väter bzw. Vorbilder: »The modern artist must hate Picasso in order to make something new, just as Courbet hated Delacroix. The son must hate the father in order to be a good son. Such hatred seems to be the only means of producing that necessary reaction against the achievements of the previous period. You don’t see anything of Delacroix in Courbet, nor aught Ingres in Delacroix.«246 Dies erklärt auch Duchamps subversives Moment in vielen Werken wie in L.H.O.O.Q. oder auch in dem Readymade Einen Rembrandt als Bügelbrett verwenden. Das Moment richtet sich nicht nur gegen die Ahnenreihung, sondern manifestiert sich nachvollziehbar auch durch die sich formal zeigende visuelle Angleichung, die simultan geschieht. Es gibt zudem einen Augenblick der Bewusstwerdung hinsichtlich theoretischer Ideen, die aufgegriffen und in neuer Form und in neuem Bezug angebunden werden. Einem solchen Verfahren geht eine bewusste Entscheidung voraus. Es wird umgesetzt durch die visuelle Aufnahme des Rezipierten und durch die Anknüpfung an den theoretischen, geistigen Arbeitsstrang des Ursprungskünstlers. In der Pferdeserie werden der Künstler und dessen intime Bildsprache der Kunstproduktion gegenübergestellt. Die Ideengrundlage der Holzschnitte geht komplett in Duchamps Interessengebiet über. Allgemein spricht Duchamp von einem Kunstwerk als einem »physical and optical product«.247 Sein Schaffen ist dem Thema der Kunsterzeugung und dem Leben und Sterben der Kunst gewidmet. Er bildet mit seinen Kunstwerken scheinbar lebende Organismen ab, welche er mit einem sexuellen Kreislaufsystem gleichsetzt. Generell könnte man sagen, wie Duchamp selbst einmal anmerkt, der Künstler ist die »Mutter« der Werke, er gebiert neue Kunstformen als geistig Zeugender und materiell Gebärender seines Kunstwerks.248 Dies macht für Duchamp den Unterschied zwischen Ästhetik und Kunstgeschichte aus, mit dem er sein gesamtes Œuvre systematisiert. Duchamp fasst seine künstlerische Position hinsichtlich des Großen Glases folgendermaßen zusammen: »Ich würde sie als ›viszeral‹, als organisch bezeichnen.«249 Wei-

244 Vgl. KARLSTROM o. D., S. 32. 245 Vgl. TOMKINS (1965) in: STAUFFER 1992, S. 185. DUCHAMP et al. 1949, a, c, S. 31-a. Batson: »Now, Mr. Duchamp, what you are saying is that artist is the picture’s way of getting itself painted. That is a very serious and reasonable thing to say, but that implies that in some sense, the work of art exists before it is there on canvas.« Duchamp: »Yes, it has to be pulled out.« 246 EGLINGTON 1933, S. 11. 247 Vgl. DUCHAMP 1960, a, S. 5. 248 Vgl. DUCHAMP et al. 1949, a, c, S. 23-d. 249 Vgl. GRAULICH 2003j, S. 124.

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ter stellt Duchamp in einem Interview mit seinem ersten Monografen Robert Lebel das Große Glas vor, indem er Maschinenfunktionen eines männlichen und, separat, eines weiblichen Kreislaufes erläutert; sie befänden sich ohne direkten Kontakt zueinander in getrennten Sphären und zögen sich durch Spannungen und sinnliche Reize an. Duchamp präzisiert, dass es ihm um die narrativen Zusammenhänge geht und nicht um Anekdotisches.250 Weitere Aussagen, in denen Duchamp verdeutlicht, dass das Große Glas mehr eine Kopie als ein Original darstelle, weil er vermeiden wolle, dass die Hand freien Lauf habe, verdichten die Vermutung einer Rezeption des Großen Glases.251 Baldung vollzieht mit der Pferdeserie eine genuine Bildfindung und zeigt mit ihr die erste grafische »Junggesellenmaschine« auf. »Junggesellenmaschine« ist eine Begriffsschöpfung Duchamps, welche er zu Beginn seiner Überlegungen hinsichtlich des Großen Glases ersinnt.252 Die Junggesellenmaschine ist ein erotischer Mythos, deren Akteure die Junggesellen sind. Sie haben sich die Zeugungsfunktion eines verbindlichen Liebeswerbens und – das Ego stärkend – die Jagd nach der Frau versprochen. Demgegenüber entzieht sich ihr Gegenpol, die nicht zeugungswillige Frau, die Femme fatale oder auch Femme fragile, dem klassischen Bindungsmechanismus und scheint diesem erhaben und spielerisch verführend gegenüberzustehen. Gleichzeitig bekommt sie aber durch diese Bezeichnung ein Alleinstellungsmerkmal, das sie zu der zur Hochzeit auserwählten Frau erhebt. Der Katalog Junggesellenmaschinen von 1976 erläutert vielerlei Assoziationen zur Junggesellenmaschine Duchamps: eine historische, soziologische, marxistische und theologische Sicht auf diesen Teil des Glases. So verweist er auch auf die biblische Jungfrauengeburt, in deren Zusammenhang sich der Schöpfungsbegriff, ausgehend vom Mittelalter, von der analogia naturae hin zur creatio ex nihilo wandelt. Die Interpretation nähert sich dabei der Aussage an, dass sich manche Künstler dem göttlichen Schöpfungsakt anzunähern versuchen – in einer Nachahmung der natürlichen Evolution – und verweist in diesem Kontext auf Duchamps Großes Glas.253 Angeführt sind im Katalog Zitate von Lautréamont, etwa sein Ausspruch »…wie die zufällige Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirmes auf einem Seziertisch«.254 Die »Liebes-inspirier-Maschine« aus dem Roman Supermann von Alfred Jarry und der Locus Solus von Raymond Roussel, ebenso der Negativkreislauf der Hinrichtungsmaschine in Franz Kafkas In der Strafkolonie werden in diesem Zusammenhang genannt. Als Bildbeispiel dient das Ölgemälde La Maschine à coudre électro-sexuelle aus dem Jahr 1935 von Óscar Domínguez, welches gleichermaßen den Aspekt der Junggesellenmaschinen aufgreift.255 In Bezug auf Duchamp weist der Katalog auf die Maschinenmetapher hin, die man bereits in der Renaissance findet, etwa bei Leonardo da Vinci und Dürer, deren von ihnen entwickelten Zeichensysteme die Auf- und Abnahme von Akten und Objekten 250 Vgl. HAMILTON/KITAJ 1966, S. 10. 251 Vgl. Ohne Titel, unpublished Writings, MDR, restricted, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 13. 252 Die Begriffsdefinition »Junggesellenmaschine« ist aus Szeemanns Katalog über die Junggesellenmaschinen (AUSST.-KAT. Venedig 1976) entnommen. 253 Vgl. AUSST.-KAT. Venedig 1976, S. 75f. 254 Vgl. ebd., S. 22. 255 Vgl. ebd., S. 26f.

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begünstigen.256 Auch auf Maschinengleichnisse wird hingewiesen, an Dampfmaschinen und Lokomotiven erinnert, welche auch als »fire horse« und »Dampfross« benannt werden und die das Pferd ablösen. Maschinenmetaphern verlieren im 20. Jahrhundert schließlich an Wirkung infolge des aufkommenden Interesses an der Erforschung des Innenlebens.257 In der Moderne zeigen die Schöpfungsmetaphern einen abweichenden Spielraum gegenüber jenen der Frühen Neuzeit, anhand der Werbung um das Begehrte, das Intuitiv-Emotionale, der bewussten und unterbewussten Ebene, der inneren psychischen Begebenheiten, welche man mithilfe psychoanalytischer Prozesse zu ergründen versucht. Aber dem gegenüber stehen die körperlichen Abläufe, die in ihrer sichtbaren Materialität beschrieben werden.258 Die Junggesellenmaschine hat einen Abstraktionsgrad, in welchem nicht nur die Geschlechter in ihren elementaren Kategorien zueinander diskutiert werden können. Es besteht auch die Möglichkeit, eine Trennung von körperlicher Zeugung und kreativer Schöpfung festzuhalten; die Differenzierung von Trieb und Liebe bzw. Zeugung und Erotik kann offenkundig werden.259 Die Schöpfungsmetaphern bergen eine Möglichkeit in der Darstellung von Stimulation, der Übersteigerung der Kräfte in sich, sie können ein geschlossenes Kreislaufsystem der Kreation sichtbar machen, welches ein künstliches ewiges Leben im Kunstwerk selbst, also über das Leben des Künstlers hinaus, erzeugt. Ein ewiges Leben nach den Maßstäben des natürlichen Lebens steht in einer Parallele zu einer Prokreation der erzeugten Kunst. Die Femme fatale oder auch Femme fragile als ein sexuell unabhängiger Frauentypus im oberen Teil des Großen Glases, dem Bereich der Braut, spielt das Spiel von Annäherung und Distanz der Junggesellen im unteren Bereich mit; sie bedingen sich gegenseitig, ein Leben nach der Libido, welches laut Szeemann von den Surrealisten bevorzugt wird. Das freie Erzeugen, kreative Erschaffen oder Phantasieren erzeugt eine Obsession, vergleichbar mit einer Zwangsschöpfung, einem Suchtverlangen nach der Entwicklung von Ideen, deren transformierendes Pathos der unsichtbaren Gedankenwelt einen unnahbaren, religiösen Charakter verleiht.260 Das sexualisierte, mechanisch gesteuerte Gehirn oder die Gedankenblase des Künstlers, welche in der Braut in der oberen Sphäre im Großen Glas erkannt werden kann, umfasst die drei leeren Quadrate, die freigelassenen Durchzugskolben, die imaginär mit den drei unterschiedlich großen Holzschnitten Baldungs gefüllt werden und auf diese hinweisen könnten: Hier ist es möglich, dass der Künstlergedanke, die Rezeptionsidee sichtbar gemacht wurde, welche somit eine bildliche Übertragung erfahren hätte, die der Künstler bei der Herstellung des Großen Glases im Kopf trug. Das menschliche Handeln und Lernen und ebenso das der Kunst basieren auf Rezeption, Aktion und Reaktion, Abstoßung und Annahme. Nur Kunst, welche einen anderen Künstler visuell und inhaltlich berührt, wird abermals durch eine Rezeption in 256 Vgl. ebd., S. 106. 257 Vgl. ebd., S. 53ff. 258 Vgl. PFISTERER 2014, S. 14 und 18f. Pfisterer bezieht seine Untersuchungen mit wenigen Verweisen hauptsächlich auf die Frühe Neuzeit. 259 Vgl. AUSST.-KAT. Venedig 1976, S. 35. 260 Vgl. AUSST.-KAT. Venedig 1976, S. 8. Dalí hat in seinen Arbeiten die »kritisch-paranoische Methode« im Zusammenhang mit der »sexuellen Zwangsidee und der bildnerischen Phantasie« behandelt.

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einem weiteren Werk transformiert, wieder aufgenommen, wiederbelebt und somit ans Licht gebracht.261 Die für Duchamp wichtigen Elemente aus dem rezipierten Vorbild fokussiert er, zoomt sie im Detail heran. Es kommt zu thematischen Überlagerungen von Bild und Inhalten, denn in der Braut, in der gerade noch das Gehirn erkannt wurde, kann auch die vergrößerte Aufnahme der Vagina der Stute erkannt werden. Mit den vielfältigen Interpretationsebenen lädt Duchamp das Werk auf und schafft eine narrative Ebene. Für das Interesse an Fokussierung und Vergrößerung sprechen die Protokolle Dreiers aus den Vorlesungen von Gustaf Britsch in München von 1911/12. Hierin liest man, dass die Bedeutsamkeit der Objekte in den Werken an ihrer Größe festgemacht werden können.262 Das Vergrößerungsverfahren findet man auch in Étant donnés; es basiert ebenfalls auf traditionellen Anwendungen im Spätwerk, wie im Kapitel 5.2 vorgestellt wird. Bei dem Junggesellen oder »Bachelor Apparatus« vollzieht Duchamp laut Herban einen Aufriss gemäß einem Vorbild nach. Nach einer Vorzeichnung auf der Wand, folgte nach Herbans eine Vorzeichnung der Braut auf dem Glas.263 Dass sich Reproduktionen der Pferdeserie, welche Duchamp rezipiert hat, unter den Glasscheiben befinden, bleibt spekulativ; angenommen wird, dass er sich einen rezeptiven Mechanismus wie die Abpausung aneignet. Dies stünde in der altmeisterlichen Tradition der Notizbücher von Leonardo da Vinci und Albrecht Dürers Underweysung der Messung, in denen die Übertragungsfunktion und Vergrößerungsfunktion der Abpausung eines abzubildenden Gegenstandes erläutert werden. In der Unterweysung hält Dürer am »Türchen«, wie Szeemann das Fenster nennt und über welches die Maße des zu übernehmenden Gegenstandes abgenommen und übertragen werden, fest (siehe dazu 5.2).264 Dürer empfiehlt den Malern die Zuhilfenahme von Fenstern oder eben »Türchen« (Duchamp wählt sie selbst als Objekte in seinem Werk), um das zu rezipierende Objekt durch eine Glasplatte oder ein Transparent auf eine feste Unterlage übertragen zu können. Das transparente Große Glas könnte eine kongruente Abpausung ermöglicht haben, sodass Duchamp sich an perspektivische Einteilungen hätte halten können. Er würde damit gleichzeitig die Vordergrundhaftigkeit seines Mediums, des Glases, infrage stellen.265 Duchamp: »The glass being transparent was able to give its maximum effectiveness to the rigidity of perspective […].«266 Auf der Grundlage dieses Prinzips scheint Duchamp auch den unteren Teil seines Glases erstellt zu haben. Nicht nur die Anzahl der Junggesellen gleicht der Menge der Hengste aus der Pferdeserie. Auch zeichnen die Junggesellen im Großen Glas beispielsweise die Rippen nach und bilden damit formal den gesamten Korpus eines Hengstes ab; die Verbindungsstäbe, welche an gezeichnete

261 Vgl. RUHS 2012, S. 40. 262 DREIER 1911/12, IV. Vortrag, S. 1. In der Vorlesungsreihe von Britsch werden auch ägyptische Reliefs behandelt, in welchen der Herrscher als die wichtigste Figur am größten darstellt ist. Bereits Platon weist auf das Verwirrende von Größenverhältnissen hin, wenn er schreibt, dass das Auge sich leicht davon täuschen lässt und dass das beste Maß immer die Vernunft darstelle. HUB 2009, S. 8. 263 Vgl. HERBAN/FORMAN o. D., S. 18. 264 Vgl. AUSST.-KAT. Venedig 1976, S. 167. 265 Vgl. AUSST.-KAT. Venedig 1976, S. 166. 266 Vgl. NAUMANN, Francis M.: The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even and Related Works on Glass by Marcel Duchamp, Calvin Tomkins Papers, IV.D.26, The Museum of Modern Art Archives, New York.

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Striche erinnern, wiederholen zudem Dürers gespannten Schnüre aus der Underweysung der Messung, die wie Sehnen das Werk verbinden (siehe auch Punkt 5.2). Im Fall der Junggesellen gibt Duchamp an, dass er sich zur Erarbeitung Tricks überlegt habe, um die Eigenhändigkeit herauszunehmen, und dass er dafür Senklot und teils Drähte benutzt habe.267 »The lead wire I used could take you any shape you wanted«, erklärt er das Verfahren, »as you pleased; precise and not so controlled by your hand.«268 In dem unteren Bereich des Großen Glases kann der flehmende und ejakulierende Hengst aus dem ersten und zweiten Holzschnitt Baldungs in seiner Kontur schemenhaft nachvollzogen werden. Wichtig sind dabei die sich imaginär bewegenden Elemente des Halses, welcher aus Haarsieben zusammengesetzt ist. Verbindet man die Köpfe der Junggesellen bzw. der »männischen Gussformen« im Großen Glas zu einer Linie, ergibt sich das Rückgrat eines Pferdes. Die Haarsiebe, angeordnet in einem Halbrund, wurden ursprünglich von Duchamp als »Wasserfall« und »Springbrunnen« bezeichnet, der sich ergießt, sich erheben und senken kann. Sie sind nun der Hals des Pferdes, das daraufhin teils spiegelverkehrt gegenüber dem Pferd des ersten der Holzschnitte Baldungs dargestellt ist. Bezüglich des zweiten Holzschnitts ist das Große Glas mit dem Baldungs kongruent. Dieses Arrangement der Haarsiebe mit der entsprechenden Umschreibung evoziert einen Phallus, welcher sich generativ in die Richtung der Braut aufrichten kann. Die gebogene Form könnte gleichzeitig einen gebogenen Pferdehals nachzeichnen, wie in den Holzschnitten Baldungs, der den gehobenen und den gesenkten Hals des flehmenden Hengstes über zwei Holzschnitte hinweg zeigt. Zwei Holzschnitte werden von Duchamp auf einen reduziert. Duchamp äußert sich zu der Reduktion und dem Pferdekopf bzw. zum Hals des Pferdes: »Die Reduktion eines Kopfes in Bewegung auf eine bloße Linie schien mir vertretbar. Eine durch den Raum führende Form würde eine Linie durchstoßen, und während die Form sich bewegt, würde die Linie, die sie durchstößt, durch eine andere Linie ersetzt – und diese durch eine andere, und so weiter. Daher fühlte ich mich berechtigt, eine Figur in Bewegung eher auf eine Linie zu reduzieren als auf ein Skelett. Reduzieren, reduzieren, reduzieren, das war mein Gedanke, – aber gleichzeitig richtete sich mein Ziel mehr nach innen als auf äußere Dinge.«269 Die Bewegung des Pferdehalses geht von dem Schienengleiter / Glider / Glissère, Schlitten oder auch der Wassermühle / The Water Mill / Le Moulin à eau und La Broyeuse de chocolat et Ciseaux / The Chocolate Grinder / Schokoladenmühle aus: Der Schienengleiter gibt die rhythmisch, onanistische Bewegung vor, die Schokoladenmühle zeichnet einen sinnlichen Moment nach, da die geriebenen Kakaobohnen nach ihrem Genuss eine aphrodisierende Wirkung besitzen. Die Nine Malic Moulds / Neuf moules mâlic / Neun männischen Gussformen (oder Junggesellen) in Duchamps Großem Glas decken sich in der Summe mit dem dritten 267 Vgl. DUCHAMP 1966, S. 10. Marcel Duchamp: »I found a trick; instead of drawing a line, I took a plumb line and plucked it. It made a line. I also had a trick for the circle. Always in order to discredit the idea of the hand-made [...].« 268 NAUMANN, Francis M.: The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even and Related Works on Glass by Marcel Duchamp, Calvin Tomkins Papers, IV.D.26, The Museum of Modern Art Archives, New York, S. 1. 269 SWEENEY (1946), in: Stauffer 1992, S. 37.

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Holzschnitt, welcher die meisten Figuren der Pferdeserie Baldungs enthält. In den ersten beiden Teilen befinden sich sieben bzw. sechs Pferde in der Grafik. Das Entdecken aller neun Pferde im dritten Holzschnitt verlangt einen scharfen Blick, da sich zwei von ihnen im Wald bei den mit Flechten verhangenen Bäumen verstecken. Duchamp thematisiert die Problematik in einem Interview mit Cabanne: »Es waren neun [männische Gussformen]. […] Ich hatte zunächst acht Formen vorgesehen, stellte dann aber fest, daß acht ja keine Vielzahl von drei ist und deshalb nicht in mein Dreier-Konzept paßt. So habe ich noch eine dazugesetzt, und das ergab dann die Zahl neun. Neun männische Formen.«270 Duchamp fasst im unteren Teil des Glases zwei Zustände aus den Holzschnitten Baldungs in einen zusammen bzw. komprimiert die Aussage der drei Holzschnitte auf zwei Glasplatten, verringert aber nicht die Bildaussage. Duchamp äußert sich einmal zu der Zahl Drei: »Die Zahl 3 interessiert mich, weil ich sie als eine Art Architektur für das Glas verwendete. Für mich ist es eine Art magische Zahl, aber nicht magisch im gewöhnlichen Sinne. Wie ich einmal sagte, ist die Zahl 1 die Einheit, die Zahl 2 ist das Paar und 3 ist die Menge. Mit anderen Worten, zwanzig Millionen oder drei ist für mich dasselbe.«271 Und an anderer Stelle sagt Duchamp: »Die Zahl Drei ist für mich wichtig. Eins steht für Einheit, zwei für das Doppelte, die Dualität, und Drei ist der Rest« – oder noch anders von ihm ausgedrückt: »1 ist Einheit/2 Opposition/3 Serie.«272 Duchamp umschreibt mit der Zahl Drei den geistigen Raum oder Hintergrund, der nicht unbedingt im Bild selbst festgehalten sein muss und die Serie mit den Junggesellen dupliziert. Angesichts der Angabe Duchamps, die Glasscheiben hätten während der Herstellung im Atelier »auf Pferden« gelegen, gibt Duchamp noch einen weiteren Hinweis bezüglich der Produktion, durch den die Überlegung hinsichtlich der Pferde aus Baldungs Serie als Vorbild bekräftigt wird.273 Die Platten lagerten auf Tapeziergestellen, auf Französisch »des tréteaux« (Böcke), auf amerikanischem Englisch »sawhorses« (Sägeböcke). Man Ray hielt in seiner Fotografie aus den 1920er Jahren eine dicke Staubschicht auf dem Schienengleiter und der Schokoladenmühle fest. Duchamp verwendet umgewandelte Böcke auch bei der Montierung seiner Roto-Reliefs 1920 und bei dem Werk Rotative Plaque Verre (Optique de Précision) im selben Jahr; sie ähneln in diesem Zusammenhang tatsächlich einem Tier (Abb. 40). Die dreieckig im spitzen Winkel aufgeklappten Holzbeine formen die Beine nach, der waagerecht verwendete Spieß bildet das Rückgrat des angedeuteten Tieres.274 Das »Pferd«, wie Duchamp das Konstrukt auf einer vorbereitenden Zeichnung nennt, »ist platziert auf zwei Holzbalken, die einander kreuzen«, und er betont, dass das »Pferd« männlich und aus Eisen ist.275 270 271 272 273 274 275

CABANNE 1972, S. 68; MOLDERINGS 2006, S. 45; AUSST.-KAT. Venedig 1976, S. 75. SCHWARZ (1967−68), in: STAUFFER 1992, S. 233f. GIRST 2013, S. 58. Vgl. DUCHAMP 1964, a, S. 14. Vgl. LEBEL 1959, Pl. 92; AUSST.-KAT. Venedig 1993, S. 70. Vgl. DUCHAMP, Marcel: [Vorbereitende Zeichnungen zu Duchamps Roto-Reliefs], The Museum of Modern Art Archives, NY, Tomkins Collection, IV. D. 68.

3. Vom Leben eines Werkes

1966 erklärt Duchamp in einem Interview, dass er die schamlose »perspective cavalière« einnahm, um das Roto-Relief zu erstellen. Er befindet, dass diese wiederhergestellte Perspektive keine Schande sei und er sich konkret auf Objekte beziehe: »Yes, of course, it is, it is not very pure, it is adulterated. No but it is. I mean you must admit it. There is no shame in that at all. No, the point is that from abstract spirallic movement I finally tried to get back to… to objects. To reconstitute the object to a sort of special perspective, where a ‹perspective cavaliere›, which you see from the top, instead of seeing the point as the vertical, you see it a little off the vertical, and when it turns and it begins to give you the feeling of a certain dimension, which amused me.«276 »Die Verspätung aus Glas«, wie Duchamp das Werk das Große Glas in seinen begleitenden Notizen bezeichnet, beinhaltet den Rezeptionsgedanken.277 Er entnimmt Momente aus Baldungs Werk, um sie in einem neuen Medium herauszustellen, und sagt diesbezüglich: »Das Wort ›retard‹ hatte einen nicht-physischen Sinn, es ist eine poetische Assoziation. Es bezieht sich nicht auf die Tatsache, daß die Bilder auf dem Glas Ihre Sicht eher bremsen als [x] sie durchlassen. Jedes Bild auf dem Glas ist wegen einer bestimmten Absicht hier, und nichts wurde eingesetzt, um nur eine blanke Stelle auszufüllen oder um dem Auge zu gefallen. Ich verwendete Glas, weil in seiner Hinsicht keine Vorurteile herrschen. Ein Maler, der die Leinwand blank läßt, setzt dem Betrachter immer noch etwas vor, das als Objekt an sich aufgefaßt wird. Bei Glas ist das anders: außer im Bezug zum Raum und zum Betrachter, verweilt man nicht bei den blanken Stellen.«278 Er gibt auf sein Vorbild Baldung – ohne den Namen zu nennen – einen ebenso verschlüsselten Hinweis: »You mark that point with something and you get an exact translation on the glass… that way, you have nothing to fear. It was absolutely, perfectly, accurately transposed.«279 Duchamp äußert sich bekanntermaßen meist widersprüchlich zu dem Erschaffungsakt. So sagt er bei der Konferenz The Western Round Table on Modern Art 1949 in San Francisco, dass man, um ein Kunstwerk zu verstehen, zunächst den Mann (Künstler) wie sich selbst begreifen muss, um dem Werk durch den Kunstdiskurs Leben verleihen zu können. Des Weiteren wehrt er die Annahme ab, dass man den Künstler aus dem Kunstwerk heraus aufspüren könne.280 Er äußert sich eher verallgemeinernd zu künstlerischen Phänomenen: »…Dieser [Betrachter] sieht, was der Künstler nicht sieht – oder zu sehen glaubt, aber nicht sieht. Und ich glaube, daß diese Blindheit für mich wichtig ist und den Künstlern sehr mißfällt, die sich völlig bewußt darüber wähnen, was sie tun. Weil das, was

276 277 278 279

Vgl. HAMILTON/KITAJ 1966, S. 19. GRAULICH 2003j, S. 124. GOLD (1958), in: STAUFFER 1992, S. 69. NAUMANN, Francis M.: The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even and Related Works on Glass by Marcel Duchamp, Calvin Tomkins Papers, IV.D.26, The Museum of Modern Art Archives, New York, S. 1. 280 DUCHAMP et al. 1949, a, c, S. 23-d.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

sie tun, das ist sehr gut, das ist klar! Sie befriedigen sich selbst, sie befriedigen ihre Lust am Produzieren, aber der Wert, die Gültigkeit oder die Wichtigkeit von dem, was sie produzieren, ist gar nicht notwendigerweise das, was ihre Absicht produziert hat. Während der ›Anschauer‹, die Nachwelt, andere Mittel hat, um ein Etikett auf das zu setzten, was produziert wurde.«281 Duchamp macht sich zum Prinzip, nichts in seinem Werk zu wiederholen, um es aus der Willkür zu befreien. Der untere Teil des Großen Glases verkörpert dennoch die darzustellende »Idee von Masturbation«. Außerdem weist er auf die Sucht eines Malers nach dem Terpentin- oder Öl-Geruch hin, welche er ebenfalls umgehen möchte, indem er sich Objekten widmet.282 Duchamp bezeichnet die Malerei als eine natürliche, »olfaktorische Masturbation« und als das »Bedürfnis, den Tag wiederzubeginnen, das heißt eine Form der großen einsamen Lust, onanistisch fast […]«; und weiter konstatiert er: »Es ist diese funktionärshafte Seite des Künstlers, der täglich für sich selbst arbeitet, statt für die Regierung, verstehen Sie?«283 Er spricht von einer großen Lust, unter welcher der Künstler jeden Tag seine Arbeit wiederaufnimmt mit Blick auf den Geruch der Farben und die Wiederholung der Tätigkeit, und er beschreibt sie als eine »sinnliche«, »sensorische Lust«. Duchamp möchte diesen Mechanismus aufzeigen, wie er erklärt, und spricht in seiner Vorstellung verallgemeinernd auf alle Künstler bezogen. Er verbindet die Sucht mit dem künstlerischen Akt, wie dem Akt-Malen, und führt aus: »…je crois que le mot art et le concept art est une mirage tautologe d’art est une drogue, toxicomanogère […].«284 Drogen und Medikamente werden in der Kunst oft als Stimulanzmittel anerkannt, wenn es einer Bewusstseinserweiterung dienlich ist. Duchamp spricht dem Künstlercharakter zwei weitere Süchte zu, die des Fabulierens und die Mythomanie. Er plädiert nicht dafür, Süchte nicht zu leben und durch die Vermeidung auf ein tieferes Verständnis für das eigene künstlerische Schaffen zu verzichten.285 Doch ist er sich der natürlichen Wiederholung in allen Dingen zutiefst bewusst; dies dürfte ihn vor eine schwierige Herausforderung gestellt haben. So liest man an anderer Stelle, dass er auch in der »grauen Substanz« eine Sucht erkannt hat, also im geistigen Akt der Erstellung der Kunst selbst.286 Jammers meint in einem anderen Zusammenhang, dass das Umlenken eines erotischen Themas, welches mit der Wiederholung verbunden ist, auch eine Art Sublimation

281 282 283 284

CHARBONNIER (ca. Oktober 1960), in: STAUFFER 1992, S. 112f. Vgl. SPIES 1966. CHARBONNIER (ca. Oktober 1960), in: STAUFFER 1992, S. 90. Vgl. DUCHAMP, Marcel: Why did you stop painting?, Box 39, Folder 16/Box 2, Folder 28, restricted, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 3. 285 Vgl. CHARBONNIER (ca. Oktober 1960), in: STAUFFER, 1992, S. 90. 286 Vgl. DUCHAMP, Marcel: Why did you stop painting?, Box 39, Folder 16/Box 2, Folder 28, restricted, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 3. Duchamp : »…Pour en revenir à l’art en général ce semble être une forme de tautologie assez comparable à la situation du verbe être. Même la matière grise dans ses sanctions esthétiques agit comme sous l’influence d’une drogue et cette drogue s’appelle art cette drogue est toxicomanogène. Par répétition par l’habitude prise de cette drogue les regardeurs s’abandonnent à leur nirvana et se mystifient mutuellement…« [Es handelt sich um ein Zitat aus einer Abschrift aus den Archivalien.]

3. Vom Leben eines Werkes

gegenüber der Kunst selbst ist. Es reicht nicht mehr aus, sich als Alter Ego in das konträre Geschlecht des Künstlers zu versetzen, denn der Künstler möchte das eigene Erlebnis der Kunstproduktion selbst und den Augenblick des intimen Zusammentreffens und der Reibung mit dem Material, die Verbindung selbst spüren und hervorbringen. Die sensuelle Auseinandersetzung mit dem Produkt selbst wird zum Thema gemacht und der Akt als Schöpfungsakt kontinuierlich wiederholt.287 Duchamp zeigt im Großen Glas in Verbindung mit der Pferdeserie Baldungs eine narrative Erzählstruktur auf, in der die Junggesellen die Braut im oberen Teil beschießen. Die Anordnung ergibt sich aus der Logik heraus, da die Braut in einem phantastisch überhöhten Moment dargestellt ist und der Trieb der Junggesellen nach dem Akt immer wieder erneut angestrebt wird, denn sie konkurrieren ohne Unterbrechung um den Platz bei der Braut. Duchamp fasst die drei Holzschnitte in nur zwei Glasplatten zusammen, indem er die Aussagen auf die Braut und die Junggesellen minimiert und auf die Dinge reduziert, welche ihm von Bedeutung erscheinen. Er versucht stets, möglichst viele Bildfunktionen und Assoziationen aus mehreren Quellen und Gedankensträngen oder mehrere Bildszenen in einer Aussage zu komprimieren und sie zu reduzieren. Der untere Teil des Großen Glases präsentiert sich mit der angedeuteten Linie des Pferdehalses oder Phallus, welcher sich aufrichten kann als ein Sinnbild männlicher Potenz in einer der Braut entgegenstrebenden Formkraft. Die Themen Ausdruckstrieb und Kunstverstand scheinen hier in Ironie gehüllt und hinsichtlich Duchamps Vorbildes nicht nur wiederbelebt, sondern auch überboten zu werden, wodurch sich das Konfliktfeld von Leben und Kunst erweitert und aktualisiert.288 Das Kunstwerk mit dem Oberthema des künstlerischen Ausflusses und die starren Formen des Urtriebes sind, bezogen auf das Kunstwerk, mit dem geistigen Ansatz der Rezeption selbst verbunden und mit der materiellen Steigerung in neuer Freiheit umgesetzt. Das unfertige Große Glas oder nonfinito hält den Prozess noch weiter offen und thematisiert diesen selbst. Oder, wie es Baldung in seiner Bildsprache ausdrückt: Es bleibt weitestgehend dem weiteren künstlerischen Prozess überlassen, ob der Same in der Pferdeserie auf fruchtbaren Boden fällt. Es wird stattdessen ein Moment gezeigt, ein Stillstand in einer Bewegung, einer inneren Bewegung, welche mit dem Ejakulat eine äußere Form einer fruchtbringenden Gestalt gefunden hat. Der Moment der Inspiration selbst, die Idee, welche dem Prozess vorausgeht, hat in dem Werk eine Form gefunden.

287 Vgl. JAMMERS 2000, S. 243. 288 Hofmann stellt die Frage von »Ausdruckstrieb und Kunstverstand« schon einmal im Zusammenhang mit Kandinsky, dessen Kunst den Künstler auch als ein höheres Vollzugsorgan sieht, das dem Gesetz der Natur unterliegt. Und er ergänzt sie mit einem Zitat von 1912 aus dem AlmanachDer Blaue Reiter: »Der undefinierbare und doch bestimmte Seelenvorgang (Vibration) ist das Ziel der einzelnen Kunstmittel.« Hofmann zitiert Kandinsky weiter: »Diese Seele ist kein elektrischer Scheinwerfer, der jeden Augenblick angedreht und ausgeschaltet werden kann, und der der wollenden, drehenden Hand gehorcht und sein Licht gleichgültig auf jeden gewünschten Gegenstand wirft, in dem ihm von außen angegebenen Maße.« Siehe dazu: HOFMANN 1966, S. 313f.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

3.9.

Momente der Statik und der Bewegung

Duchamp fasst die sexuelle Spannung und emotionale Bewegung in einem aus mehreren Momentaufnahmen bestehenden Gesamtbild im Großen Glas zusammen. Indem der Betrachter das Geschehen in Worte fasst, setzt sich nicht nur dessen Phantasie in Bewegung, vielmehr scheint auch die Maschine bzw. der Kreislauf sich imaginär in Bewegung zu setzen. Duchamps Interesse schließt als wichtigen Punkt die Bewegung mit ein, so sagt er: »Mein Ziel war eine statische Abbildung der Bewegung, eine statische Komposition von Angaben verschiedener Positionen, die von einer bewegten Form eingenommen werden – ohne jeden Versuch, durch die Malerei Kino-Effekte wiederzugeben […].«289 Duchamp übernimmt nicht den filmischen, szenenhaften Effekt der drei Blätter Baldungs, sondern führt in einem einzigen Kreislaufsystem das Prinzip des sexuellen Spannungsmechanismus und der geistigen Bewegung in einer komprimierten Bildaussage zusammen. Die filmhafte, szenische Erzählung der Pferde im comicartigen, bewegten Aufbau der drei aufeinander bezugnehmenden Holzschnitte Baldungs erwecken zwar die Illusion von einer fließenden Erzählung, doch bieten die einzelnen Holzschnitte Augenblicke der Statik, in welcher festgefrorene Bewegungsmomente gezeigt sind: Starr sind die außergewöhnlichen Positionen des zunächst flehmenden, dann ejakulierenden Hengstes im Vordergrund herausgebildet. Der Bildaufbau ist jeweils einer abgestimmten Komposition unterstellt. Gewisse Bewegungsmomente sind ausgespart; so ist nur die Reaktion anhand der Ejakulation gezeigt. Baldung lotet genau die darstellerischen Grenzen aus und nötigt die Phantasie des Betrachters, die Leerstellen selbstständig auszufüllen. Im letzten Holzschnitt, in welchem der Kampf nach der erfolglosen Buhlschaft ausbricht, ist zwar ein großes Chaos dargestellt, doch auch diese Szene ist unter die Regie einer genauen Bildkomposition gestellt. Der hereinkippende Hengst ist in seiner Form statisch gezeigt: Seine Kruppe wird auf der gegenüberliegenden Seite ein zweites Mal durch einen weiteren Hengst gespiegelt und wohl von Baldung entweder mittels Schablonen oder Pferdemodellen im Atelier abgeformt. Dualistisch zeigen sich Zustände von »ständiger Bewegung« und »bewegtem und unbewegtem Stand« bzw. »motus stabilis et status mobilis«.290 Somit ist die Idee der geistigen und körperlichen Bewegung nur illustrativ im Bild festgehalten und beruht letztlich auf der rein geistigen Vorstellung des Betrachters. Bereits in der Proportionslehre Dürers wird im vierten Buch erläutert, wie Figuren in Bewegung festgehalten werden können. Dürer zeigt darin, wie Körper durch Kuben nachgeformt werden: Indem die Kuben in sich verschoben werden, ergibt sich visuell die gewollte Bewegung des Körpers, und doch bleiben sie in ihren abstrakten Skizzierungen Denkfiguren. Die Denkmuster schließlich werden in der Bildräumlichkeit umgesetzt.291 1911 beschäftigt sich Duchamp bereits mit der Idee, »die fortlaufende Bilderabfolge eines sich bewegenden Körpers« darzustellen. Gegenstände wie das Fahrrad-Rad / Roue

289 Vgl. SWEENEY (1946), in: STAUFFER 1992, S. 37. 290 Vgl. BEIERWALTES 1985, S. 327. Hierbei wird geradezu auf das Gottesprinzip Bezug genommen, welches durch Cusanus als »in-sich-stehen und bewegt aus-sich-herausgehend« beschrieben wird. 291 Vgl. RATH 2016, S. 331f.

3. Vom Leben eines Werkes

de Bicyclette / Bicycle Wheel von 1913 (Abb. 42) und Nude Descending a Staircase (No. 2) / Nu descendant un escalier (Nr. 2) / Akt, die Treppe herabsteigend (Nr. 2) (Abb. 43) entstehen unter dem Aspekt, die Bewegung darin zu integrieren.292 Zunächst teilt er sie – um durch Zerstörung der Bewegung selbige einzufangen – im zweidimensionalen Bild in Akt, die Treppe herabsteigend (Nr. 2) durch kubistische Zerschneidung auseinander. Präzisierend erklärt Duchamp, dass er sich »Reminiszenzen« hinsichtlich seines »Formen-Blicks« bedient.293 Duchamp erläutert: »From Munich on, I had the idea of the Large Glass. I was finished with Cubism and with movement at least movement mixed up with oil paint. The whole trend of painting was something I don’t care to continue. After ten years of painting I was bored with it.«294 Im Roue de Bicyclette / Bicycle-Wheel / Fahrrad-Rad (1913), einem dreidimensionalen Objekt, entsteht – während sich die Speichen drehen – innerhalb der Drehung noch einmal ein eigener optischer Moment, welcher die Speichen zu einer wahrnehmbaren, statischen Fläche zusammenschmelzen lässt. 1911 spricht sich Duchamp vage für eine Arbeitsmethode zwischen neuer und alter Malerei aus. So liest man: »Ja, es ist der Anfang eines neuen Lebens, 1911. Und dieser Anfang ist wirklich der Übergang zwischen der alten Malerei meines Lebens…«295 Es klingt fast wie eine Entscheidung hin zu vergangenen Arbeitsmethoden, theoretisch sie in seinem Werk zu bearbeiten, die Tradition des Geistes fortzusetzen und zu versuchen, mit Objekten das Malen zu ersetzen. In einem selbstgeschriebenen Dokument meint Duchamp: »Idea of ›Chromo-photography‹ at time (horse in movement) composition in movement fencing tears showing all positions (decomposed drawings) with interpretation of cubist painter Composition not intention of giving idea of movement as in Delamaringy simultaneity wheels which moved static representation movement more static than a portrait static representation of movement […] not attempt to do camera in painting […].«296 Bei den Pferden oder im Akt aus Akt, die Treppe herabsteigend steht nicht das Ziel im Vordergrund, die Bewegung darzustellen. Vielmehr bekräftigt Duchamp sein Bestreben, ein »static representation movement« festhalten zu wollen, also die Darstellung eines statischen, für sich stehenden Bewegungsmomentes, welches für ihn von Interesse ist.297 292 OBST 1988, S. 15. Duchamp: »Ende 1911 bin ich darauf gekommen, Bewegung darzustellen, besser gesagt: die fortlaufende Bilderabfolge eines sich bewegenden Körpers. Das war zuerst der ›traurige junge Mann im Zug‹, ein autobiografisches Bild […]. Dann der ›Akt, eine Treppe herabsteigend‹ – nach dem gleichen Prinzip: kein bewegtes Bild, sondern einfach die Idee des Schreitens… Im Grunde ist die Bewegung im Auge des Betrachters, der sie in das Bild hineinträgt.« 293 Vgl. DUCHAMP, Marcel: Formation Years, Lectures, Box 2, Folder 25, Philadelphia Museum of Art, Archives, S. 5. 294 JUDOVITZ 2010, S. 59. 295 DROT (1963), in: STAUFFER 1992, S. 162. 296 DUCHAMP 1945, II-3. 297 Vgl. KIESLER, Friedrich J.: Trends in Art, Kiesler Zitate von Marcel Duchamp, Kiesler Research Materials, Kiesler Writings, Correspondence Kiesler, Marcel Duchamp Research Collection, Box 14, Folder 9, Philadelphia Museum of Art, Archives, S. 2.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Gertrude Stein äußert sich einmal: »Seit Cézanne wollte jeder, der malte, ein Gefühl der Bewegung im Bild haben, nicht das Bild eines sich bewegenden Gegenstandes, sondern den gemalten Gegenstand, der in sich die Existenz der Bewegung hat.«298 Auch bei den Surrealisten wird der Zustand von Bewegung und Stillstand thematisiert. Daran interessieren sie besonders der Zustand der inneren Bewegung, der psychischen Spannung wie auch der Zustand von Begehren und Verdrängen, Anziehung und Ablehnung als konträre Bewegungsabläufe. Diese werden beispielsweise durch Fotografien von an Hysterie leidenden Frauen festgehalten, bei denen – so die Vorstellung – die innere, krankhafte Spannung in Bewegungen des Körpers ausgetragen wird. Beispiele findet man in Le Cinquantenaire de l’hystérie, einem Artikel von André Breton und Louis Aragon in Révolution Surrealist Nr. 11, 15 vom 15. März 1928. Generell sind es beliebte Sujets, Patienten in Psychiatrien in verschiedenen körperlichen und geistigen Erregungszuständen zu zeigen, wie in Arcade de Cercle und der Grafik für einen Prospekt von Max Ernst (Abb. 44). Arcade de Cercle wird 1931 in der Buchhandlung José Cortis in Paris im Schaufenster ausgestellt. Hier wird ein von inneren, psychischen Spannungen zu einem Bogen aufgebäumter Körper einer psychisch erkrankten Patientin, im statischen Medium festgehalten, gezeigt. Die krankhafte geistige Bewegung äußert sich hier, so die Vorstellung, in einer spannungsreichen Geste. Freud verbindet den Begriff der Libido mit dem Psychotischen und vertritt die Auffassung, dass gegen die Verdrängung der Sexualität der Frau angegangen werden soll. Jung erklärt: »Hysterische Libidotransversion führt zu Autoerotismus« und bildet letztlich ein »intrapsychisches Realitätsäquivalent«.299 Eine Umwertung vollzieht sich in den psychisch krankhaften Belangen, welche als Anmut und Würde entdeckt werden, als Bruch gegen die vorherrschend deklarierten, hässlichen und pathologischen »normalen Bilder«, die der Ergänzung dienen können.300 In der Ausstellung Exposition International du Surréalisme 1938 wird von Duchamp eine Schauspielerin eingesetzt, eine an Hysterie erkrankte Frau zu mimen, indem sie schreit und die Arme in die Höhe streckt.301 Die ausfahrenden Bewegungen und überstreckten Glieder erinnern an die Hexen in Baldungs Holzschnitten, welche oft die Arme nach oben reißend gezeigt sind. Eine sexuelle Metapher verbildlicht das aufgestellte Bett neben künstlich angelegten Wasserstellen, an welchen wieder mit den vermeintlich brennenden Öfen eine mysteriöse Wirkung erzielt wird. Obwohl die allgemeine Meinung der Surrealisten ist, Hysterie sei ein Frauenleiden, wird vor allem in der Zeit des Krieges festgestellt, dass auch Männer von dem Symptom betroffen sein können. Die Surrealisten und ihr Blick auf Frauen greifen vor allem folgende Themen heraus: ihren natürlichen Mangel an Vernunft, ihre Hysterie, ihr Erbe inhärenter Fleischlichkeit, ihre Affinitäten mit dem Körper, Sexualität und ihre psychologische, geistige und körperliche Passivität.302 Die inneren Affekte und die dargestellten Protagonisten im Bild einzufangen, ist jedoch kein neues Bestreben in der Kunst. So ist es beispielsweise Rembrandts größtes 298 299 300 301 302

BAYL 1964, S. 54. Vgl. JUNG 1912, S. 130f. Vgl. BRASSAT, Wolfgang: Vorlesung Surrealismus, WS 2016/17, Universität Bamberg. Vgl.Souter 2019. Vgl. LYFORD 2007, S. 132.

3. Vom Leben eines Werkes

Bestreben und Meisterhaftigkeit, seinen Figuren durch die Darstellung von Emotion Leben einzuhauchen. Es ist seine Könnerschaft, ein ewiges Bestreben, das bewegte Innere seiner Figuren in ihrer äußeren, im Bild festgehaltenen Erscheinung sichtbar zu machen. Die statisch, passiv gehängte Braut steht auch mit dem Kreislaufsystem im Widerspruch und zeigt gleichzeitig die von den Surrealisten erwähnten weiblichen Funktionen auf. Neumann stellt grundsätzlich in seiner Untersuchung der Ursprungsgeschichten des Bewusstseins heraus, wie das Statische das Moment des Ewigen in sich trägt, wie eine Keimzelle der Ursprungsort selbst ist.303 Die Braut scheint geradezu einer solchen Keimzelle, dem urweiblichen Prinzip, gleichzukommen, welches aus des Künstlers eigener Imagination entspringt. Das ewig kreisende Leben (er)schöpft sich in seiner ewig bewegenden Zyklushaftigkeit. Das alte Thema des Eros zeigt sich in der Jagd nach der Braut bei Baldung, aber auch in dem »Junggesellenzyklus« der Pferdeserie und ebenso in Baldungs Bild Eva, die Schlange und der Tod von 1510. Im Letzteren beißt sich eine Schlange selbst in den Schwanz und bildet so einen Kreis, der als ein sich selbst erzeugendes Prinzip steht, ein sich selbst heiratendes und sich selbst befruchtendes Ursymbol.304 Auch hier wird die triebgesteuerte Anziehung von dem unbedarften Mädchen durch den Liebhaber, welcher der Tod selbst ist, als eine Lösung der ewigen Spannung und Anziehung herausgestellt, als ein funktionierender Kreislauf, welcher sich immer durch die Menschheit wiederholt und gleichzeitig in Liebe und Tod ein Ende findet. Auch das Fahrrad-Rad Duchamps beruht gerade auf diesen Überlegungen. So bringt es nicht nur das statisch Runde mit sich, sondern auch die Bewegung, das in sich geschlossene Prinzip der ewigen Wiederholung. Auch Fluttering Hearts / Cœurs volants / Flatternde Herzen von 1936/61 (Abb. 45) gerät in Bewegung, ein Siebdruck auf Papier, der für die Umschlaggestaltung von Cahiers d’Art 1936 entsteht. Die Form des Herzens wird durch die beiden sich abwechselnden Farben Rot und Blau in chromatischer Anordnung gezeigt, wodurch optisch tatsächlich eine pulsierende Bewegung hervorgerufen wird. Durch konträre Farbkombination vermischen sich die Farben in der Anschauung des Betrachters, geraten in Bewegung, und ein drittes, neues Bild entsteht, kann aber im Druck nur zweidimensional als statisches Medium vervielfältigt werden.305 Wehr erinnert daran, dass sich anhand von Symbolen Verbindungen zwischen gnostischen Mysterien und Bewusstseinserweiterungen ergeben, welche die Gegenwart mit einbeziehen und auch ein alchemistisches Moment enthalten, so auch in der Kunst Duchamps.306 Auch Duchamp geht experimentell mit dem Thema von Bewegung und Statik um, indem er materialisierend innere Kreisläufe manifestiert, in denen er der prima materia zu einer neuen Materialität verhilft und wie im Falle des Großen Glases auf die jeweilige Gegenwart des Betrachters wirkt.307 303 304 305 306 307

Vgl. NEUMANN 1949, S. 24. Vgl. NEUMANN 1949, S. 24; AUSST.-KAT. Venedig 1976, S. 168. Vgl. FETT 2003, S. 116f. Vgl. WEHR 1968. Vgl. WEHR 1986, S. 111. Wehr beschreibt, wie Religion und Kulturgeschichte als eine Bewusstseinsgeschichte gesehen werden können.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

3.10.

Die Grüne Schachtel

Die theoretischen Aufzeichnungen Duchamps zur Grünen Schachtel (1934) stammen mehrheitlich aus den Jahren 1912–1915 (Abb. 46).308 Sie wurden demnach in mehreren Etappen angefertigt und komplett reproduziert.309 1934 erscheint die Grüne Schachtel in einer Auflage von 320 Exemplaren, nummeriert und signiert im Selbstverlag, elf Jahre nach dem Großen Glas. Es ist eine Schachtel mit einem Überzug aus grünem Velourspapier. Sie enthält 93 handschriftlich verfasste technische Texte sowie Freihandzeichnungen, dazu aus dem Notizbuch gerissene Zettel und Fotos, welche im Lichtdruckverfahren faksimiliert sind.310 Von Marcel Duchamp existiert keine Kunsttheorie, er gibt aber begleitend zum Großen Glas die Grüne Schachtel heraus, welche anstelle eines Kataloges als Kommentarwerk dienen soll.311 Sie beinhaltet alle Gedanken und Zeichnungen rund um das Große Glas. Duchamp: »Das Glas soll nicht für sich betrachtet werden, sondern bloß in Abhängigkeit des Katalogs, den ich nie gemacht habe.«312 In der Grünen Schachtel gibt Duchamp seinen scheinbar zusammenhangslosen Ideen einen gemeinsamen Raum und erweitert dieserart das Skizzenbuch in dem Sinne, wie es beispielsweise Leonardo da Vinci tut: Es geht um das Abwägen von Ideen im Hinblick auf seine Erfindungen; in der Grünen Schachtel gibt er den Ideen Form und Farbe.313 Duchamp zu der Konzeption der Grünen Schachtel: »Ich wollte … ein Buch hinzufügen, oder vielmehr einen Katalog im Stil von ›Armes et Cycles de Saint Étienne‹, in welchem jede Einzelheit erklärt, katalogisiert worden wäre. Und diese Idee, beide Dinge zu mischen, hat nach meiner Meinung überhaupt keinen literarischen Charakter.«314 Pontus Hulten beschreibt die Grüne Schachtel als etwas völlig Neues und als konkreten Eingriff in das (Kunst-)Buch.315 Das lose Konglomerat verschiedenster Ideen lässt nur schwer eine durchgängige, strukturierte Leseweise zu; Duchamp bestätigt dies, indem er erklärt, dass es sich um ein Gewirr von Ideen handele.316 Reff konstatiert, dass es nicht neu sei, Verbindungen zwischen Leonardo da Vinci und Duchamp herzustellen, doch rücke ein Zusammenhang ab den 1930er Jahren vermehrt in den Fokus. In diesem Kontext erinnert Reff daran, dass auch Duchamp sich mit Leonardos Schriften beschäftigte, nachdem sie um 1900 veröffentlicht worden waren. Auch der florentinische Meister wollte, so Reff, seine Pläne in mehreren Abhandlungen sammeln und veröffentlichen, wie Duchamp es mit den Notizen für die Grüne Schachtel tat.317 Selbst die Signa308 309 310 311 312 313 314 315 316 317

Vgl. LEBEL 1962, S. 28, ZANETTI 2006, S. 211. Vgl. ZANETTI 2006, S. 207. Vgl. GRAULICH 2003h, S. 104; ZANETTI 2006, S. 211. Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2003, S. 11. Zeiller zieht hier den Vergleich zu Leonardo da Vincis Notizbüchern; JUDOVITZ 1995, S. 56. Vgl. LEBEL (1959), in: STAUFFER 1992, S. 74. Vgl. HOLZHEY 2009, S. 66. Von Leonardos Manuskripten erschien im späten 19. Jahrhundert eine französische Faksimile-Ausgabe. GRAULICH 2003h, S. 102. Vgl. HULTEN 1996, S. 26. Vgl. LECCI 2014, S. 10. Vgl. REFF 1977, S. 83 und 91.

3. Vom Leben eines Werkes

tur, die Duchamp in die Grüne Schachtel setzt – ». POSSIBLE . [MANUSC RIT]/MARC EL DUCHAMP/PARIS 1913« –, erinnert an die autorisierte Verifizierung der Originalität von Bildern und Grafiken in der Frühen Neuzeit, welche mit Versalien vorgenommen wurde. Bedenkt man die zugrunde liegende Baldung-Rezeption im Großen Glas, fällt die Bezeichnung »Grün« hinsichtlich der Grünen Schachtel ins Gewicht. Farbe nutzt Duchamp insgesamt sparsam; wenn er Farbe wählt, ist es oft Grün, Rot oder Blau. Der Künstler selbst äußert sich zur Farbe dahingehend, dass sie aus Gründen des Geschmacks eingesetzt werde, was wohl den sparsamen Einsatz durch den ausgesprochenen Geschmacksverweigerer erklärt.318 Die Farbe umhüllt die Grüne Schachtel, wird in Boîte Alerte / Die muntere Schachtel (1959, Abb. 113) aufgenommen und in Le Rayon Vert / The Green Ray / Der Grüne Strahl (1947, Abb. 9) eingesetzt. Weiter begegnet der Betrachter ihr in Obligation pour la roulette de Monte Carlo / Monte Carlo Bond / Obligation für das Roulette von Monte Carlo (1924, Abb. 114) als Hintergrundfarbe, ebenso in Couverture et titre pour ›Young Cherry Trees Secured Against Hares‹ / Cover and Jacket for ›Young Cherry Trees Secured against Hares‹ / Umschlag und Titel für ›Young Cherry Trees Secured Against Hares‹ von André Breton (1946, Abb. 47).319 Den Umschlag dieses Buches versieht Duchamp mit einer grünen Freiheitsstatue, deren Gesicht durch das des Autors ersetzt wird. So wird Breton wie ein »Leuchtturm« präsentiert: wegweisend für die Künste, hilfreich für das Auffinden eines Weges der Freiheit, wie Duchamp es an Bretons fünfzigstem Geburtstag 1946, als das Buch erscheint, ausdrückt. Die Darstellung Bretons, des »Leitsterns« des Surrealismus, »Leuchtturm« und »Fackelträger« der Bewegung, antizipiert hier die Figur des kommenden Werks Étant donnés, welche ebenfalls eine Lampe halten wird.320 Und schon in dieser ersten Darstellung setzt Duchamp beide Geschlechter in eins: den Mann Breton und die Göttin der Freiheit. Der Schweriner Katalog weist in diesem Zusammenhang auf die Verbindung von Neuer und Alter Welt hin, die durch die Collage Duchamps zum Ausdruck kommt. Die Freiheitstatue, ein Geschenk der Franzosen an die Amerikaner und 1886 im New Yorker Hafen eingeweiht, ist das Symbol des Exils bzw. der Einwanderung in die USA, das Land von Freiheit, Unabhängigkeit und Demokratie. Grün ist die bevorzugte Farbe Hans Baldung Griens, weshalb Dürer ihm den Beinamen Grien verlieh (allerdings auch, um die drei »Hänse« in seiner Werkstatt unterscheiden zu können).321 Das mag wohl auf Baldungs Vorliebe für die Farbe Grün zurückzuführen sein, in der er sich in Gemälden gerne zeigte.322 Die Anfertigung einer Grünen Schachtel muss auch im Zusammenhang mit weiteren Schachteln von Duchamp gesehen werden: etwa der »Weißen Schachtel« À l’infinitif (La

318 319

Vgl. DUCHAMP 1964, S. 37. Vgl. DUCHAMP 1964, S. 37. Duchamp nennt auch ein Grünes Hotel, in welchem eine große Champagner-Party stattfand, an der er teilnahm. In einem Interview gibt er den humorvollen Einwand, dass, wenn er zu diesem Zeitpunkt 50 Jahre jünger gewesen wäre, er aus dem Hotel Grün ein Readymade gemacht hätte. Auch das Licht, welches sich in Bec Auer in Étant donnés befindet, sollte gemäß ersten Überlegungen als grünliches Licht brennen. 320 Vgl. FETT 2003, S. 156. 321 Vgl. BRINKMANN/KEMPERDICK 2005, S. 22; BERNHARD 1978, S. 20. 322 Vgl. SPRINGER 1896, S. 124.

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boîte blanche) / In the Infinitive (The White Box) / Im Infinitiv (Die Weiße Schachtel), 1966) oder der »Roten Schachtel« (Von oder durch Marcel Duchamp oder Rrose Sélavy (Die Schachtel im Koffer), 1941/1966. Duchamp komprimiert in den Schachteln nicht nur seine Gedankengänge zu den jeweiligen Gegenständen in dem jeweiligen Kunstwerk, sondern fertigt damit auch eine portable Zusammenstellung im Koffer an. Letzteres trifft insbesondere auf die Rote Schachtel zu, bei der es vorrangig um die Fertigung eines portablen Miniaturmuseums im Koffer geht.

3.11.

Glas als (Hinter-)Grund

Schon Ficino, und mit ihm Platon, weist darauf hin, dass Glasfenster wie Augen fungieren, wie diese stehen sie für eine Grenzzone zwischen innen und außen. Glasfenster visualisieren den Weg aus dem Innen- zum Außenbereich und sind in der Lage, den Betrachter in farbiges Licht zu hüllen und emotional unmittelbar zu berühren.323 So etwa wird farbiges Glas für das Schauspiel der Religion im Kirchenraum eingesetzt, um den Besucher aus seinem Alltag in eine andere, himmlische Sphäre zu entheben.324 Dabei erscheint das Licht dreidimensional mit einer immateriellen Körperlichkeit, die den Betrachter umfängt. Kiesler erinnert in dem Katalog der Internationalen Ausstellung neuer Theatertechnik daran, dass sich schon die Kirche künstlerischer Mittel bedient habe, um die Menschen in ihren Bann zu ziehen. Sie habe beispielsweise Gesang und Schauspiel zur höchsten Entfaltung verholfen, wozu auch die farbig erstrahlenden Kirchenfenster gehörten. In seinen Überlegungen wird deutlich, auf welche Weise ein Publikum zu erobern ist: durch Schönheit, die durch Umwandlung und Umformung der Umwelt bzw. einzelner Elemente geschaffen wird, um spektakulär im neuen Licht präsentiert zu werden.325 Das traditionelle Mimesis-Konzept der Renaissance beinhaltet das Ziel, die materielle Grundlage eines Werks so einzusetzen, dass dieses die genaue Fiktion einer Wirklichkeit vorstellt. Im 20. Jahrhundert geht es Duchamp in seinem Bestreben nicht mehr um Farbe und Pinselduktus, sondern um die Rahmenbedingungen sowie darum, die Objekte im Anschluss an die Malerei für die Malerei einzusetzen und zur Aussage zu bringen und den Betrachter als Referenz mit in das Kunstwerk einzubeziehen. So wird in Duchamps Großem Glas das spiegelnde Glas zum »Malgrund« selbst326 und lässt die reale Natur, welche durch die durchbrochenen Museumsmauern zu sehen ist, zum wirklichen, bewegten, natürlichen Hintergrund des Bildes werden. Der Betrachter, der vor dem Großen Glas steht und durch es hindurch in die Landschaft schaut, wird von dem eindringenden Tageslicht getroffen und spiegelt sich so in der Glasplatte: Er sieht das Werk, sich selbst und die Natur. Wirklichkeit, die Fiktion der Kunst, Raum und Zeit scheinen hier regelrecht zu verschmelzen. Duchamp wird wohl auch aus praktischen Gründen zu der Wahl des Glases als »Malgrund« veranlasst. So meint er: »After a short while, paintings always get dirty, yellow or old, because of oxidation«; und weiter: 323 324 325 326

Vgl. FICINO 1994, S. 321. Vgl. KIESLER 1924, S. 10. Vgl. KIESLER 1924, S. 5 und 14. Vgl. GRAULICH 2003h, S. 124.

3. Vom Leben eines Werkes

»Now (with glass) my own colors were completely protected the glass being a mean for keeping them both sufficiently pure and unchanged for rather a long time.«327 Der Reiz des Glases liegt unter anderem darin, Vorder- und Hintergrund vereinen zu können. Die transparente Arbeitsgrundlage bietet Raum für die Gedankenwelt, dafür, diese mit bekannten, bereits rezipierten Bildern anzureichern. Zu diesem Zweck – so ist anzunehmen – lässt Duchamp in der Braut bewusst Leerstellen frei. Gleichzeitig bietet das Glas die Möglichkeit, die Figur markant auf dem transparenten Material hervorzuheben.328 Duchamp nutzt das Medium der Glasmalerei und damit den frühesten Ausgangspunkt der kinetischen Kunst für sich: Der dynamisch hereinströmende Lichtstrahl ist als gestaltendes Element fest in das Werk integriert und erweitert es dreidimensional.329 Das Große Glas wird vom Lichtstrahl zwar durchströmt, bricht sich aber nicht wie ein traditionelles Glasgemälde in farbliche Werte, sondern lässt den tatsächlichen Hintergrund unangetastet.330 Kiesler legt in der Zeitschrift VieW 1945 dar, dass die Bleibänder oder -stege in der Glasmalerei wie Pinselstriche in konturierender Funktion eingesetzt sind. So vergleicht Kiesler, der sich mit mittelalterlicher Glasmalerei auseinandersetzt, die Sehnen eines Laubblattes mit den schwarzen Stegen der Glasbilder (Abb. 48): Es sind Stege oder Adern, die sich im Sinne Duchamps durch das Werk ziehen und es fast körperlich und organisch wirken lassen.331 An Malerei oder Glasmalerei erinnern die wenigen farbigen Flächen, welche im oberen Bereich des Kunstwerks direkt auf das Glas aufgetragen sind. In der Zeitschrift VieW gibt Friedrich Kiesler bezüglich Duchamps Eigenhändigkeit der Arbeit einen Hinweis (Abb. 49), indem er einen Ausschnitt der Junggesellen aus dem Großen Glas mit einem Abdruck der Innenseite von Duchamps Handfläche hinterlegt, in welcher sich sichtbar die Handfalten abzeichnen. Die Hand des Künstlers, welche für Authentizität steht, wird seit der Renaissance unzählige Male selbst zum Thema in der Kunst erhoben.332 Kiesler verweist in seinem Text auf die individuelle Künstlerhand und verbindet sie mit dem sich wiederholenden Mechanismus, für den die Junggesellen stehen.333 Die zerfurchte Hand wiederum erinnert an das Pflanzenblatt, welches ebenfalls durch seine Adern individualisiert ist. In anderen Publikationen Kieslers findet man die Beschreibung von Herstellungsverfahren frühneuzeitlicher Glasmalerei. Illustrierend wird sie in Fotografien präsentiert. Darunter findet sich auch die Abbildung eines durchleuchteten Pflanzenblatts, dessen Adern und Chlorophyll-Segmente sichtbar werden – vergleichbar mit der auf der gegenüberliegenden Seite wiedergegebenen Glasmalerei.334 Im begleitenden Text nimmt Kiesler auf Duchamp Bezug und erklärt, dass sich Duchamp

327 Vgl. NAUMANN, Francis M.: The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even and Related Works on Glass by Marcel Duchamp, Calvin Tomkins Papers, IV.D.26, The Museum of Modern Art Archives, S. 1. 328 Vgl. JUDOVITZ 1995, S. 60. 329 Vgl. AUSST.-KAT. Los Angeles 2000, S. 5. 330 Vgl. HESS 1963, S. 101. 331 Vgl. KIESLER 1937, S. 59. 332 Vgl. FEULNER 2010, S. 166. 333 Vgl. KIESLER 1945, S. 25. 334 Vgl. KIESLER 1937, S. 59.

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auf die antiquierten Techniken der Glasmalerei zwar bezieht, jedoch in andersartiger Weise dank seines »konstruktiven Geist[es]«.335 Dieser Gedanke der Erneuerung reicht bis zu Baldung zurück, der Malerei, Holzschnitt und Glasmalerei nicht nur gleichzeitig betreibt, sondern die einzelnen Gattungen auch weiterentwickelt. Baldung entwirft eine Vielzahl von Visierungen für Glasbilder und leistet so die konzeptualisierende Vorarbeit für die Glasmaler in seiner Werkstatt.336 Auch die scharfen Umrandungen der geschlossenen Formen in seinen Holzschnitten erinnern an die schwarzen Stege in der Glasmalerei. Letztere übernimmt Baldung in vielen Fällen auch eigenhändig und ohne Auftraggeberschaft.337 Auch von Dürer sind verschiedene Entwürfe für Glasgemälde bekannt.338 Die Kabinettscheibe für den privaten Bereich ist deutlich kleiner als die üblichen Glasformate, und die Farben sind stark reduziert. Die große Vielfalt der Darstellungsmöglichkeiten fördert die Weiterentwicklung der Glasmalerei. Die Vorzeichnungen waren unter anderem durch den Holzschnitt begünstigt.339 In der Glasgemälde-Forschung wird vermutet, dass ab Mitte des 16. Jahrhunderts auch die Malereien direkt auf das Glas aufgetragen wurden, um so bestimmte malerische Effekte zu erzielen. »Malerei auf Glas löste die Malerei mit Glas ab.«340 In einem Interview am Kunsthistorischen Institut der Universität Yale spricht Duchamp 1960 davon, dass Kunst seiner Meinung nach vor allem »zusammenpassen« sollte: In erster Linie werde sie zusammengebaut aus Farbe, Form und Material. In Duchamps Worten: »…the esthetic product is always the ›fitting together‹ whether it applies to old oil painting or to new techniques.« Er betont ferner, wie wichtig es sei, dass der Betrachter diese ästhetische Qualität erkenne.341 Unter Duchamps Archivalien im Philadelphia Museum of Art befindet sich eine Publikation von 1937 von Friedrich Kiesler, in welcher er das Foto von einer Glastrennwand im Alltagsgefüge einer Wohnung von Mies van der Rohe aus dem Jahr 1931 zeigt (Abb. 50). Es erinnert an das Foto des Großen Glases an seinem ersten Aufstellungsort im Haus von Katherine Dreier in Connecticut (Abb. 51): Dort hatte das Große Glas eine Trennwandfunktion, indem es die Bibliothek von Dreiers Arbeitsbereich abteilte. Das Große Glas verbindet mithin die Kunstgattungen Architektur, Skulptur und Malerei.342 Kiesler hebt hervor, dass der Rahmen des Kunstwerks wie ein »Gelenk« von der Füllung abhängig sei, als »Illusionsraumgelenk« fungiere und auch eine Form vorgebe.343 Die Multifunktionalität im Zusammenwirken aller Kunstgattungen, wie sie Duchamp herbeiführt, spiegelt somit die Rezeptionsdichte wider. 335 Vgl. KIESLER 1937, S. 59. 336 Vgl. AUSST.-KAT. München 2012, S. 22. 337 Er arbeitete mit den sogenannten Kabinettscheiben, kleinformatigen Glasgemälden für den privaten Gebrauch, die sich in Straßburg, dem hauptsächlichen Wohnsitz Baldungs, gegenüber der Monumental-Glasmalerei im sakralen Bereich (meist mit schwarz-gräulicher Bemalung) behaupteten. 338 Vgl. AUSST.-KAT, Karlsruhe 2009, S. 21. 339 Vgl. HESS 1995, S. 46. 340 AUSST.-KAT. Karlsruhe 2009, S. 13. 341 DUCHAMP 1960, a, S. 1. 342 Vgl. KIESLER 1937, S. 60. 343 Vgl. KIESLER 1937, S. 59.

3. Vom Leben eines Werkes

Im Deutschen Werkbund erwacht Anfang des 20. Jahrhunderts ein erneutes Interesse an Glasfenstern für den öffentlichen und den privaten Bereich.344 Schulze betont, dass Heinrichsdorff und Fischer um 1912 versuchen, die Glasmalerei aus der Verbannung der Kartonzeichner zu erlösen, um einen freieren Umgang mit dem Medium einzuleiten. Sie wenden sich in ihren Bestrebungen dem Verband deutscher Glasmalerei in München zu, da sie sich erhoffen, dort Glaskünstler für die Zusammenarbeit zu gewinnen. Heinrichsdorff verspricht sich davon eine Verbesserung bei der technischen Umsetzung.345 1911 wird in Berlin der Künstlerbund für Glasmalerei und Glasmosaik gegründet, ein Zusammenschluss von Malern und Architekten mit dem Anliegen, in »der Zusammenarbeit von Entwerfen und Ausführen eine neue Tradition« zu erzielen, und zwar in dem Wissen, dass das Glasgemälde, so der Künstlerbund, mehr der Architektur angehöre als der Malerei.346 Doch auch Letztere ist präsent, wenn Osborne 1912 auf die Verwandtschaft der Verbleiungen im Glasgemälde zur Zeichnung verweist.347 Generell kann in der Zeit zwischen 1911 und 1923 eine Tendenz in Deutschland festgestellt werden, die Glasmalerei neu zu beleben und sie als eigenständiges kreatives Medium zu fördern. Dieses erwachte Interesse wird von der Faszination für das magische Licht, die Kraft der immateriellen Illusion und die Aufwertung der Farbe begleitet und getragen.348 Dennoch missbilligt Osborne 1912 einfach produzierte »farbige Lichtbilder«. Hier missverstünden seiner Meinung nach die Glasmaler ihr Handwerk, wenn sie versuchten, Glasmalerei lediglich auf das Glas zu übertragen. Nach seiner Auffassung müsse sich dieses Metier weiterhin auf die von der Gotik vorgegebene Handwerklichkeit berufen und in Erinnerung an die Präraffaeliten und Melchior Lechter weitergetragen werden.349 Schulz erinnert an weitere Glasarbeiten von Duchamp: zum einen das Glas À regarder (l’autre côté du verre) d’un œil, de près pendant Presque une heure / To Be Looked at (from the Other Side of the Glass) with One Eye, Close To, for Almost an Hour von 1918 (Abb. 52) und zum anderen die Rotative plaques de verre / Rotary glass plates / Rotierende Glasplatten von 1920 (Abb. 53) mit separaten kleinen Scheiben, auf denen Details aus dem Großen Glas bearbeitet sind.350 Ein Vergleich der Glasmalerei aus dem kirchlichen Kontext und der Hinterglasmalerei, wie sie durch den Almanach Der Blaue Reiter 1912 wieder auflebt, sollte mit Blick auf das Große Glas vorgenommen werden.351 Kandinsky und Marc illustrieren im Almanach Der Blaue Reiter mittelalterliche Hinterglasbilder aus Bayern, die eine bis in die Antike zurückreichende Tradition aufweisen und Anwendung im kirchlichen wie profanen Bereich fanden.352

344 345 346 347 348 349 350

Vgl. SCHULZ 1987, S. 31. Vgl. ebd., S. 27; HEINRICHSDORFF 1912, S. 126−128; FISCHER 1912, S. 136; FISCHER 1911, S. 150−156. Vgl. FISCHER 1911, 150f. Vgl. OSBORNE 1912, S. 123. Vgl. SCHULZ 1987, S. 27. Vgl. OSBORNE 1912, S. 122−127. Vgl. SCHULZ 1987, S. 29. Schulz erinnert daran, dass die Expressionisten ihre Ausstellungsräume mit Fenstern in »stimmungsvolle Kulträume« verwandelten. 351 Vgl. GRAULICH 2003h, S. 124. Er belässt es bei der Erwähnung, sieht aber im Glas eher eine poetische Metapher; DICKEL 2014, S. 97f. 352 Vgl. GRAULICH 2003h, S. 124.

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Auch die Brücke-Künstler arbeiten mit scharfen, schwarzen Umrahmungslinien, welche an die Stege der Glasmalerei erinnern und auf diese Weise visuell auf die Glasgemäldeästhetik rekurrieren. In gleichem Maße beleben die Mitglieder der Künstlergruppe Brücke Anfang des 20. Jahrhunderts den Holzschnitt als eines ihrer wesentlichen Ausdrucksmedien neu. Ein bekanntes, seiner Funktion als Glasträger enthobenes Fenster ist Veuve récente / Fresh Widow / Frische Witwe von 1920 (Abb. 54). Die Glasscheiben dieses Fensters sind mit schwarzem Leder verhängt, die Sprossen, die das hohe Rechteck des Rahmens in acht Quadrate unterteilen, türkis-grün gestrichen. Duchamp empfiehlt, das Leder, statt des Fensterglases, wie »Schuhe« jeden Tag zu »wichsen«.353 Arturo Schwarz weist, indem er einen Vergleich zu den »body openings« zieht, auf Freud hin, grundsätzlich sind aber auch die nicht selten von Duchamp eingesetzten sexuellen Assoziationen in Betracht zu ziehen. Damit die Geschmeidigkeit des Leders bewahrt wird, soll der mechanische Akt des Polierens jeden Tag vorgenommen werden; das Leder soll nicht eintrocknen. Duchamp wählt hier erstmals Leder als Arbeitsmaterial; er setzt es später auch in Étant donnés ein, wo er daraus die Haut des liegenden Aktes formt. Das Leder scheint für den Künstler eine Anspielung auf die lebendige menschliche Haut zu sein, weshalb es geschmeidig gehalten werden soll. Schwarz weist auf die assoziative Funktion des Titelwortes »widow« hin, das auf Französisch »la veuve« heißt und synonym für Guillotine steht. In diesen »alchemistical words«, wie es Moffitt formuliert, komme die Dramatik der Kehrseite der verlorenen Liebe deutlich zum Ausdruck bzw. die Kehrseite der Liebe und des Lebens.354 Den auffallend türkisen Farbton verwendet Duchamp in seinem Œuvre nur in Fresh Widow, und auch in altmeisterlichen Malereien wird er nur selten eingesetzt. So findet man Türkis bei Hans Baldung Grien lediglich in der weiblichen, detailliert ausgearbeiteten Schlange in der lebensgroßen Adam-und-Eva-Darstellung (1525), die sich in Budapest befindet. Leonardo da Vinci benutzt Türkis als Hintergrundfarbe in der Landschaft der Mona Lisa. Die mit dem Leder bespannten Fensterflächen, welche dadurch ihre eigentliche Funktion verloren haben, richten sich in ihrer Verkehrung auch gegen Leon Battista Albertis Theorietraktat, in dem dieser das Gemälde mit einem offenen Fenster vergleicht und den Künstler als denjenigen beschreibt, der durch das innere Fenster sein zu malendes Werk sieht.355 Fresh Widow erscheint in diesem Zusammenhang als ein Fenster, das Duchamp aus dem Bild der Renaissance dreidimensional entwickelt hat – er nimmt durch die Dysfunktion eine Umwertung vor. Werner Hofmann stellt schließlich in seiner Untersuchung den Zusammenhang zu der Madonna von Most, um 1350, her, auf dessen Rückseite ein Fenster dargestellt ist.356 Diese Doppelansicht eines Gemäldes übersetzt Duchamp in ein Objekt, genauer: in La Bagarre d’Austerlitz / Die Schlägerei von Austerlitz (1921), welches kurz nach Fresh Widow entsteht. Die Schlägerei von Austerlitz stellt ebenfalls ein Fenster vor; es wurde nach Anleitung Duchamps von einem Schreiner gefertigt. Die eine Seite präsentiert eine Außenansicht mit Backsteinrahmung, die andere

353 354 355 356

GRAULICH 2003g, S. 86. Vgl. MOFFITT 2003, S. 326; HERSHBERG 1987, S. 28. Vgl. GOTTLIEB 1976, S. 54; CAUMONT/GOUGH-COOPER 1977, S. 128. Vgl. HOFMANN 2014, S. 109−118.

3. Vom Leben eines Werkes

ein Interieur mit grauem Anstrich. Das Werk visualisiert verallgemeinernd Themen wie Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Innen- und Außenraum oder transformatorische Zustände von Körper, Psyche und Material. Der hindurchdringende Blick ist in Duchamps Fresh Widow wegen des schwarzen Leders nicht möglich, und der Illusion ist dadurch real wie metaphorisch ein Ende gesetzt. Der Blick wird nicht durch das Objekt hindurchgeführt, sondern auf das Material gerichtet, auf die zunächst nicht sichtbare Idee dahinter und auf den Prozess, dessen es bedarf, das Leder geschmeidig zu halten. Der Geist des Betrachters ist angeregt, die Dimension des Materials, dessen Umfunktionierung und die Sichtweise des Künstlers zu hinterfragen und eine eigene Sichtweise zu entwickeln. Duchamp erklärt in diesem Sinne seiner damaligen Frau Lydie Fischer Sarazin-Levassor: »Ein Kunstwerk darf dem Betrachter niemals eine einzige Lösung aufzwingen, sondern soll eine Türe zum Vorstellungsvermögen jedes einzelnen öffnen.«357

3.12.

Der behexte Stallknecht als ein Theatrum mundi

Der undatierte Holzschnitt Der behexte Stallknecht (Abb. 5) von Hans Baldung Grien entsteht vermutlich ohne Auftraggeberschaft 1544 als letztes Werk Baldungs in Straßburg.358 Dem Betrachter strecken sich die großen Schuhsohlen des auf einem hölzernen Boden auf dem Rücken liegenden Stallknechtes entgegen. Er ist zeitgemäß gekleidet mit Wams, Hemd, eng anliegender Hose und gewölbter Schamkapsel. Quer unter seinen Beinen liegt eine Heugabel, und aus seiner linken Hand ist ihm ein Striegel gerutscht. Sein Daumen berührt noch den Knauf.359 Das Bild ist horizontal in zwei übereinander angeordnete Räume gegliedert. Eine am rechten unteren Rand eingeschnittene Stufe, auf deren Trittfläche ein Signaturtäfelchen mit den Initialen »HB« aufgestellt ist, führt zu der unteren Ebene des Stallknechtes hin. Der zweite Raum öffnet sich mit dem angeschnittenen und mit Pfeilern, Voluten und Blattwerk verzierten Rundbogen eines Tordurchgangs. Zentral im Durchgang steht eine Stute, die Kruppe dem Betrachter zugekehrt, den Schweif zur Seite schwingend, und sieht den Betrachter mit zurückgewandtem Kopf und wachem Blick direkt an. Aus einem Fenster an der rechten Seite beugt sich eine alte Frau, eine Fackel in die Höhe haltend, in die Räumlichkeit des Stallknechts hinein.360 Ihr Haar ist durch ein Tuch verhüllt, ihre Brust ist entblößt. Mit geöffnetem Mund blickt sie auf den Liegenden. Der behexte Stallknecht gehört zu den berühmtesten grafischen Werken der Frühen Neuzeit in der Folge der »Denkbilder« Dürers, und stellt ein Sujet dar, welchem Hans

357

FISCHER SARAZIN-LEVASSOR 2010, S. 108. Hier agiert Duchamp folglich mit der gegenläufigen Position von Öffnung/Sichtbarem gegenüber dem Geschlossenem/Unsichtbarem wie bei seiner Ateliertür, welche er zwischen zwei Türdurchbrüchen einsetzt. 358 Der behexte Stallknecht wird unterschiedlich datiert, entweder auf das Jahr 1534 oder auf 1544 und von Hans Bosamer auf 1550−54. Siehe dazu: AUSST.-KAT. Freiburg 2001, S. 100; BORRIES 1986/87, S. 76; KOCH 1941, S. 220; CURJEL 1923, S. 300. 359 Vgl. SROKA 2003, S. 90f.; MESENZEVA 1981, S. 57. 360 Fast 30 Jahre vorher zeigt Baldung in der Zeichnung für das Gebetsbuch von Kaiser Maximilian bereits eine solche Fackel. Siehe dazu: BORRIES 1986/87, S. 76.

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Baldung Grien in seinem Werk in vielfältiger Weise nachgeht und das in der Forschung noch immer Fragen offenlässt.361 Der Holzschnitt Baldungs ist schon mehrfach interpretiert worden: Darunter findet sich der Ansatz der Allegorie des Zornes, personifiziert durch das Pferd, welches sich von der Knechtschaft des Menschen befreit; oder der Gedanke von der Verzauberung der Stute durch die Hexe. Auch wird von der Forschung im Stallknecht immer wieder ein Selbstbildnis des Künstlers erkannt; dies wird mit einer vorbereitenden Zeichnung begründet, welche in der Figur des Stallknechtes wohl ähnliche Gesichtszüge erkennen lässt.362 Hinsichtlich des Zustandes des Stallknechtes wird in der Forschung diskutiert, ob dieser träumt, schläft oder sich im Zustand der Ohnmacht befindet – entsprechend der Rolle des Künstlers in der nachreformatorischen Gesellschaft als Spielball der Konventionen. Des Weiteren wird in der Darstellung die Auflösung der »Ross-Reiter-Symbiose« erkannt, wonach für das Sujet des Reitens und für das Pferd als Symbol des Reitens neue Paradigmen gelten würden.363 Der Bildraum ist kulissenhaft und perspektivisch angelegt; alle Fluchtpunktlinien enden auf dem Geschlecht der Stute.364 Auch das Einhorn im Familienwappen Baldungs am Torbogen zeigt auf die Kruppe der Stute. Die Szene enthält demnach mehrere erotische Verweise. Die Protagonisten wirken zunächst wie zusammenhanglos gesetzte Schaustücke einer empirischen Welt: der Handwerker, das Tier, die unwirkliche Gestalt der Hexe bzw. Magie, Männlichkeit und Weiblichkeit nehmen in einem rahmengebenden architektonischen Bildaufbau aufeinander Bezug. Der Künstler als Urheber ist somit selbst ein Magier, welcher sich einer verrätselten Darstellungsart bedient. Er zieht den Betrachter durch seine Fragestellungen in den Bann, agiert mit technischen Errungenschaften seiner Zeit und ist dem weiblichen Geschlecht unterlegen.365 Ficino, der immer versucht, den Ruf eines christlichen Autors zu wahren, strebt auch eine Aufwertung des Magiers (magus), des Weisen (sapiens), des Priesters (sacerdos) als eines von Gott eingesetzten und legitimierten Weltbauers (mundicola) an und prägt damit das frühneuzeitliche Gelehrtenverständnis.366 Platon stellt Überlegungen hinsichtlich eines Pferdes an, die zu dem Schluss führen, dass der Maler nicht über die 361

362 363 364 365

366

Vgl. AUSST.-KAT. Schwäbisch-Gmünd 2000, S. 100; TÉREY 1900, Nr. 22; STIASSNY 1893, S. 13; CURJEL 1923, S. 132; KOCH 1941, S. 40f.; AUSST-KAT. Karlsruhe 1959, S. 85; MENDE 1978, S. 48; MESENZEVA 1981, S. 57; SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 253; HEISE/WUNDRAM 1961, S. 22; SCHAUERTE 2012, S. 16 und 20. Schauerte führt bezüglich der Grafiken Dürers wie Melancholia I oder Ritter, Tod und Teufel den Begriff der »Denkbilder« an und verweist auf den Abbruch der Folge wie auch der Selbstbildnisse Dürers. Baldung scheint an dem Punkt anzusetzen und setzt die Reihe der »Denkbilder« z. B. mit dem Behexten Stallknecht fort. Der Begriff des »Denkbildes« wird auch von Peter-Klaus Schuster prägend verwendet. Vgl. SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 253ff. Vgl. BAUM 1991, S. 82f. und 207. Vgl. HARTLAUB 1961, S. 14 und BAUM 1991, S. 197. Vgl. SCHADE 1983, S. 46; SROKA 2003, S. 112; HOAK 1985, S. 494. Hoak ist der Meinung, dass die alte Hexe eine jüngere Hexe in die Stute verwandelt habe, wie ein gängiger Volksglaube besagt, um so den Stallburschen zu verführen. Vgl. OTTO 2009, S. 436. Dies geht auf Platon zurück, welcher bereits den Künstler bezichtigte, nur Traum- bzw. Phantasiebilder zu kreieren und somit ein »Gaukler« bzw. »Wunderkünstler« zu sein. Siehe dazu: HUB 2009. Dennoch impliziert die Bezeichnung Magie etwas Dämonisches. Ficino tritt hingegen dafür ein, die dual besetzte Magie der Hexen abzulehnen, die Astrologie und Medizin indes als nützlich anzuerkennen.

3. Vom Leben eines Werkes

Handhabung des Zaumzeugs aufgeklärt sei, wenn er es nicht selbst beim Reiten ausprobiert habe.367 Nur durch praktisches Imitieren kann eigene Erfahrung gewonnen werden, die der Künstler bereits im Werk umgesetzt hat, wodurch er eine theoretische Reflexionsgrundlage für den Betrachter schafft. Die passive weibliche Materie braucht als Gegenpart, so Aristoteles, die aktive Formkraft des männlichen Prinzips, was hier im Holzschnitt geradezu umgedreht erscheint.368 Zuvor hat bereits Platon seinen Handwerker-Demiurgen als »Architekten des Kosmos« apostrophiert – und er hat das Zusammenwirken von Form und Materie mit einer sozialen Dimension versehen, indem er diese als Vater und Mutter bzw. männliches und weibliches Prinzip bezeichnet. Das Zusammenspiel der beiden Prinzipien zeigt laut Aristoteles auf ihr gemeinsames Erzeugen von bildlichen Metaphern hin, sodass es nur konsequent ist, wenn allein der Künstler es vermag, in seiner Kunst Dinge zum Leben zu erwecken und sie miteinander in Verbindung zu setzen. Daraus kann die Vorstellung entstehen, bei den Erschaffungen des menschlichen Geistes handelte es sich um echte Nachkommen, um »Werk-Kinder«.369 »Der innere Mensch besteht aus Geist und Seele; der Geist – so heißt es – sei männlich, die Seele weiblich. Wenn sie in Einklang sind, erzeugen sie Kinder, nämlich die Ideen und nützliche Gedanken.«370 Hier sind es verbildlichte Gedankenspiele, welche die Idee um die Kunst zum Vorschein bringen. Die Disziplin des bildenden Künstlers beruht auf der Erfassung von Wissenschaft und Magie und wird in weiß und schwarz unterteilt und geschieden.371 Es scheint ein Bild geschaffen zu sein, welches Erkenntnis zu präsentieren versucht und nicht nur Kreativität selbst diskutiert, die auf dem Handwerkertum und dem Künstlergeist beruht, die Magie dabei aber nicht ausklammert. Der Stallknecht ist durch eine Heugabel gekennzeichnet, die auch in den Hexengrafiken Baldungs als Instrument eingesetzt wird. Somit erweckt der Stallknecht in gewisser Weise Assoziationen eines Gauklers oder Zauberers, ganz im Sinne Platons, der der Kunst eine Realitätsferne zuschreibt, der Vernunft entronnen. Der Künstler wird hier zum einfachen »Nachahmer des Wirklichen« (griech. Mimetes) abgewertet.372 Denn das Unbewusste, Triebhafte, welches durch Tier und Hexe in zwei gegenläufigen Paradigmen dargestellt ist, variiert von dem vermeintlich Hellen, das von der Stute ausgeht, zu dem Dunklen, das durch die Hexe verkörpert ist und einen Gegenpart bildet.373 Es kann zwischen Gut und Böse differenziert werden: Erst aus der Aufhebung der Dualität der konträren Anteile, die der Betrachter auch auf sich selbst projizieren kann, ergibt sich eine Art alchemistische Wandlung, eine res simplex, eine Zweiheit der »geeinte[n] Zwienatur«.374 Seit der Antike sind anthropomorphe Figuren, welche durch Tiere dargestellt werden, nachzuvollziehen: Sie können sowohl das Männliche als auch das Weibliche in sich vereinen; im Behexten Stallknecht ist es

367 368 369 370 371 372 373 374

Vgl. HUB 2009, S. 13. Vgl. PFISTERER 2014, S. 24. Vgl. PFISTERER 2014, S. 25. PFISTERER 2014, S. 25, Pfisterer zitiert In Genesim 1,15. Vgl. AUSST.-KAT. Nürnberg 2011, S. 25. Vgl. AISSEN-CREWETT 2000, S. 78. Vgl. JUNG 1993, S. 34. Vgl. JUNG 1993, S. 39.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

wohl in erster Linie die Frau, die in dem Pferd metaphorisiert wird. Da das Einhorn im Wappen des Künstlers, welches an der Stallwand hängt, direkt auf die Kruppe der Stute hindeutet, verbindet es sich auch assoziativ mit ihr. Aufgrund des direkten Blicks der Stute als Referenzfigur zum Betrachter sieht der Betrachter die Stute direkt an. Zeitgleich besteht eine Verbindung zu dem darunter Liegenden, der keinen aktiven Blick auf sie wirft, aber dem Blatt einen sodomistischen Charakter verleiht. Pferden werden nicht nur hellsehende und -hörende Fähigkeiten zugeschrieben, ihnen wird auch nachgesagt, sie könnten Gespenster und Dämonen – wie die Hexe – wahrnehmen. Des Weiteren sind Pferde »Quellen-Finder« oder entspringen geradewegs aus künstlerischer Inspiration – wie zum Beispiel Pegasus.375 Da das Pferd Unsichtbares sieht und den aktiven Blick auf den Betrachter richtet, kann eine Verbindung zu Duchamp hergestellt werden, der sich selbst 1958 als Gespenst oder Geist darstellt in Le Fantôme / The Ghost / Das Gespenst (Abb. 55). Die Verbindung zum Künstler lässt sich geradewegs vollziehen, da dieser in den Binnenformen des Geistes mit Marcel signiert.376 Wie der Geist, welcher für die »graue Substanz« oder schattenhafte Gestalt steht, so hüllt sich auch Duchamp in seiner Kunst in vage Assoziationen und kryptische Aussagen. Nicht von ungefähr nimmt C. G. Jung das Bild des Stallknechts in seiner Untersuchung über die Symbole des Menschen erläuternd auf, indem er das Bild der Hexe mit der weiblichen, »negativen Anima« in Beziehung setzt. Dieser Aspekt gilt als das Rätsel des Mannes, das er in sich selbst ergründen muss.377 Es ist also ein Bild, nach Jung, welches das Angebot offeriert, dem Inneren des Mannes näherzukommen. Somit würde die Stute für die »positive Anima« stehen und es gelten, beide Pole abzuwägen. Jung sieht im Pferd sowohl ein Muttersymbol als auch das der Libido.378 1912 äußert er sich dahingehend, dass das phantastische Denken nicht als ein bewusstes gesehen werden könne; stattdessen erklärt er den unbewussten Anteil zu einem Halbschatten.379 Im selben Jahr, 1912, trennt sich Jung in seiner Haltung von Freud und entwickelt seine eigenen Ansätze weiter, nach denen die Libido eine allgemeine psychische Energie darstellt, welche auch kulturell beeinflusst ist. Wie das Unbewusste kann sie nicht nur auf der persönlichen Ebene, sondern ganz allgemein als Prinzip erkannt werden.380 Die dargestellte Verkürzung des Liegenden in Der behexte Stallknecht ist eine aus unterschiedlichen Vorlagen erwachsene Figur: beispielsweise aus Dürers Der tote Christus von 1505, der gleichfalls mit den Füßen zum Betrachter liegt, oder aus Mantegnas Druckgrafik Die Beweinung Christi von ca. 1480 (die nachweislich von Dürer kopiert wurde) oder auch aus Vorgaben von Uccello.381

375 376 377 378 379 380 381

Vgl. JUNG 1912, S. 269ff. Vgl. VON BERWORDT-WALLRABE 2003, S. 173. Vgl. JUNG 1912 S. 181 Vgl. JUNG 1912, S. 274. Vgl. JUNG 1912, S. 44. Vgl. JUNG 2012. Vgl. GRADMANN 1957, S. 44. Weitere Beispiele sind: Orazio Borgianni, Die Beweinung Christi, 1615; Annibale Carracci, Der Körper Christi und die Werkzeuge seines Martyriums, 1583−85. Hier stechen die Füße des Liegenden ins Auge, ein Detail, an welchem sich Duchamp in Torture-morte bedient.

3. Vom Leben eines Werkes

Im Gefolge von Dürers theoretischem Malereitraktat Die Underweysung der Messung (1525) erscheinen einige Bücher wie das von Erhard Schön (1542), welches die Lehre Dürers durch praktische Herangehensweisen ergänzt. Bebilderte Anleitungen geben dem Lernenden zur Erfassung der menschlichen Gestalt Konstruktionsschemata an die Seite, die ihn zum eigenständigen Arbeiten befähigen sollen. Schön demonstriert auch die Methodik an liegenden Körpern und Pferden und erläutert damit illustrativ den Körper im Raum in der ganzen Vielfalt seiner Darstellbarkeit.382 Der Traum wird in der Frühen Neuzeit nicht als ein privater Ruheschlaf verstanden. Man hat vielmehr die Vorstellung, dass die Seele, von den Körpersäften genährt, sich in sich selbst zurückzöge, Erkenntnisse gewänne und diese für wissenschaftliche und kulturelle Fragen von höchster Wichtigkeit wären. Oft sind es höchst »unterschiedliche Situationen, welche mit dem Traum dargestellt werden und nicht als Vorhersehung genutzt werden, sondern oftmals für die Liebesmetaphorik«.383 Die phantastische, durch den Traum inspirierte Bildproduktion ist vor allem für den Künstler ein wichtiger Zustand.384 Das Bild des Behexten Stallknechts wird in der Ausstellung Fantastic Art, Dada, Surrealism 1936 der modernen Avantgarde erneut gezeigt.385 Der Traum ist für die Surrealisten insofern von Gehalt, als sie darin zukunftsweisende Visionen zu finden hoffen. Der Künstler gewinnt bei den Surrealisten die Rolle eines Mediums; er wird zu gemeinsamen Sitzungen gerufen. Er kann in Trance, Hypnose oder im Schlaf Erkenntnisse über Symbole oder Handlungsweisen gewinnen, ebenso wie in dem frühneuzeitlichen Beispiel des Stallknechtes angedeutet, welcher im entrückten Zustand gezeigt wird, sodass die Szene eine surreale Phantasie vorstellen könnte. Die Surrealisten praktizieren ab 1922 sogenannte sommeils, in denen sie künstliche Schlafzustände erzeugen. Die Anwesenden werden in Hypnose versetzt, um dann von den Beisitzenden befragt zu werden.386 Die Befragungen zielen auch immer wieder auf geschlechterspezifische Fragestellungen hin, damit Phantasien offengelegt werden.387 Der Begriff eines »Wachschläfers«, wie ihn Aragon einführt, kann in der Person des Stallknechtes wiedererkannt werden, der ja zwischen Passivität und Spannung dargestellt ist.388 So berührt er mit einer gewissen Spannung des Daumens den Knauf des Striegels und mit der anderen Hand die Heugabel. Vielleicht ist es ein wahr gewordener Traum des Stallknechtes, welcher ihn mit der Stute zusammengeführt und somit im übertragenen Sinne die Phantasie zum Leben erweckt hat. Die Triebe und verführerische Pose des Pferdes einerseits stehen im Gegensatz zu der alten Frau andererseits, die das Böse verkörpert, den Liebeszauber versinnbildlicht und durch die Fackel, die sie hochhält, Licht auf das Ereignis wirft. Gleichwohl steht die Fackel auch für die

382 Vgl. RATH 2014, S. 114. Rath übersetzt Posse ins italienische Bossen; bozze bedeutet Dame. Eine Gliederpuppe nennt Schön »Possen«: Puppen, die in Posen in das Bild eingesetzt werden. 383 GANTET 2010, S. 71. 384 Hier sei auch auf Cranach verwiesen, bei dem es die Quellnymphe ist, welche in einem inspirierenden Kurzschlaf gezeigt ist (siehe dazu 6.4). 385 Vgl. AUSST.- KAT. New York 1936, S. 246. 386 Vgl. HÖRNER 1996, S. 41. 387 Vgl. HÖRNER 1996, S. 46. 388 Vgl. ARAGON 1996, S. 74.

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Wahrheit und ebenso für die »Lampe des Teufels«, den Tod.389 Licht, Erleuchtung und Zerstörung, aber auch das Licht des Bösen, die Magie, sind miteinander verwoben. In der Baldung-Literatur wird häufig auf den Eindruck der Bühnenhaftigkeit in seinem Werk hingewiesen.390 Im Stallknecht ist ein Bühnenraum angedeutet, und der Betrachter wird in das Bildgeschehen einbezogen. Er ist zunächst durch den auffordernden Blick des Pferdes und dann durch die Treppenstufe eingeladen, den Bühnenraum des Bildes zu betreten. Der Betrachter wird von diesem Raum wie in einem Theater assoziativ angesprochen und ermuntert, sich ein eigenes Bild zu machen. Damit wird die Konzeption des Bildes erweitert, es wird aus seiner Zweidimensionalität in die Dreidimensionalität gehoben.391 Die überirdische Herrlichkeit erfährt der Mensch, so Ficino, durch das Erblicken der Dinge, durch die reine Anschauung im Akt des Sehens.392 »Theastai«, das griechische Wort für das Sehen, bezeichnet zugleich den Schauplatz (das Theater), den Ort, an dem menschliche Sezierungen dargeboten werden.393 Gleichzeitig werden in den Traktaten des 16. Jahrhunderts Überlegungen darüber angestellt, welche Verbindungen und Gemeinsamkeiten zwischen Theatrum und Museum bestehen. Beide haben zum Ziel, bei dem Betrachter Befriedigung durch Anschauung der präsentierten Objekte oder des Schauspiels zu erzielen; beide Schauplätze sind einem Bildungskanon unterstellt.394 Das Kunstkabinett selbst wird schließlich ab dem Ende des 16. Jahrhunderts als ein Theatrum bezeichnet, welches sich nur an ein spezielles, humanistisch gebildetes Publikum, den Adel und den Klerus, richtet.395 Diese Kunstkammern sind demnach sowohl Versammlungsort als auch Ort der Gelehrten; er existiert parallel zur Natur und bildet den Mikrokosmos einer künstlichen Ordnung.396 In diesem »Täuschungstheater« werden nur noch vermeintliche Erkenntnisse vorgespielt. Und im 17. Jahrhundert sind es kleine Guckkästen, welche als illusionistische (Theater-)Räume nachgebaut werden.397 Anhänger der phantasia sind Ficino und Philostrat. Sie schätzen die Phantasie als einen kreativen Impuls, durch den bis dahin Ungehobenes zur Ansicht gebracht werden kann. Plotin hingegen meint, die Phantasie müsse unterdrückt werden, damit der Weg frei sei, um zur Ratio aufzusteigen. Für den Künstler kann sie bedeuten, von konventionellen Maßstäben abzuweichen, Gut und Böse erleben zu können, sich aber auch zunehmend von der Naturnachahmung zu distanzieren, und so birgt die Phantasie eine Geringschätzung des mit dem Handwerk in Verbindung stehenden Kunstbegriffs.398

389 Vgl. FISCH 1990, S. 12f. Fisch spricht über die Rezeption des Behexten Stallknechts in Guernica von Picasso. 390 Vgl. KOERNER 1988, S. 316; SÖLL-TAUCHERT, 2010, S. 157. 391 Vgl. AUSST.-KAT. München 2003, S. 13. 392 Vgl. ROECK 2013, S. 95 393 Vgl. AUSST.-KAT. Bonn 1994, S. 24. 394 Vgl. ROTH 2000, S. 12ff. 395 Vgl. ROTH 2000, S. 37. 396 Vgl. ROTH 2000, S. 2. 397 Vgl. AUSST.-KAT. Bonn 1994, S. 141. Beispielsweise die von Samuel van Hoogstraten, vergleichbar mit den Boîts von Duchamp, welche eine eher realistische Projektion seines Werkes behanden. Siehe dazu: BLUNCK 2003, S. 52. 398 Vgl. ROECK 2013, S. 95.

3. Vom Leben eines Werkes

Dem gegenüber gibt es auch Vorbehalte, denn die alte, vorherrschende Kritik des Augustinus lastet der Phantasie an, alles lebendig werden zu lassen.399 Doch seit Bonaventura ist die Phantasie fester Bestandteil der Devotio moderna.400 Mithilfe der Imagination soll das christliche Nachleben erdacht und ins gegenwärtige eigene Leben transformiert werden.401 Die innere Bühne als Schauplatz der Einbildung (compositio loci) wird dabei objektiv wachgerufen und spiegelt gleichsam die äußere Bühne des Lebens wider. Die erweckten Sinne gehen in geistige Affekte (spirituales affectus) über, und durch die Anschauung erfolgt das Überdenken, die meditatio.402 Darüber hinaus kommt es aber auch zu einem Abgleich mit der eigenen Welt und zur Aneignung des Schauplatzes für die individuelle innere Welt. Es verquickt sich der Schauplatz der Welt gewissermaßen mit der eigenen Bühne der Phantasie, welche durch die Religion und den Glauben gespeist ist und damit eine Art »Seelenführung« bereitgestellt wird. Die traditionelle christliche Anschauung der Welt, mit ihren Kernthemen des Leides und des Todes, entwirft eine Sicht auf das Leben des Einzelnen, wie es auf der Bühne des Theaters geschieht.403 Auch wenn sich die Welt unter historischen Maximen verändert, baut sie sich doch in ständiger Wiederkehr aus immerzu ähnlichen inneren Bildern auf. Spannungsreich sind diejenigen Bilder, welche assoziative Fragen an den Betrachter offenlassen, wie etwa die Grafik des Stallknechtes von Baldung. Dies betrifft auch Werke, in denen negative Kreisläufe erkannt werden könnten, etwa im Großen Glas von Duchamp, in dem die Braut einer Gedankenblase über den sich in sexuellen Träumen verstrickten Junggesellen ähnelt. Auf der einen Seite ist es ein Machwerk der Phantasie, auf der anderen Seite wird der menschliche Narzissmus hervorgehoben. Der Holzschnitt des Stallknechtes findet im Betrachter seine Referenzperson und lädt diese sinnbildlich auf die Bühne ein, um eigene Bildideen zu produzieren. Die Idee, mit der der Künstler seine Natur auf dem Bühnenraum präsentiert, unterliegt allein seiner Welt und der Welt der Kunst. Dies lässt an die Magie in Form der Hexe oder an die Natur, verkörpert durch die Stute, denken und an die beiden Geschlechter, die sich im Begehren des Eros bedingen, wodurch sich die Szenerie im Holzschnitt spannungsvoll auflädt. Letztlich können diese Aspekte als allgemeingültige, anwendbare Prinzipien vom Einzelfall auf die ganze Gesellschaft übertragen werden; dies trifft auch auf die Pferdeserie Baldungs oder das Große Glas Duchamps zu. Die Szenerie schafft eine Distanz zur Wirklichkeit: Die Lichtführung erscheint unreal, gibt es doch keine Schatten; die Räumlichkeiten sind ausgeleuchtet, und das Lichtspiel zeichnet sich vor allem auf der Kruppe des Pferdes ab. Die Ausleuchtung des Holzschnitts enthält aber dem Betrachter entgültige Erklärungen vor, zu denen der Betrachter nur über den aktiven geistigen Nachvollzug gelangen kann – darin gleicht das Werk dem Großen Glas von Duchamp, welches sogar durch reales Licht beschienen wird, sich aber immer wieder einer Interpretationslösung entzieht. Auf den Holzschnitt hätte der Ausspruch Dürers bezogen sein können: »Doch hüte sich ein jeder davor, etwas Unmögliches zu machen, das die Natur nicht gestattet, es sei denn er wolle ein Traumwerk 399 400 401 402 403

Vgl. ROECK 2013, S. 95. Vgl. JAUMANN 2016, S. 736; BONAVENTURA 1898 (Prologus, 68). Vgl. HEUSINGER VON WALDEGG 1989, S. 18f. Vgl. JAUMANN 2016, S. 737; RAHNER 1957, S. 434−456. Vgl. KOERNER, 1988, S. 316.

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[etwas Phantastisches] machen, in diesem Fall mag er verschiedene Kreaturen miteinander mischen.«404 Die surrealistischen Ausstellungen zwischen 1938 und 1960, von Breton und Duchamp gemeinsam gestaltet, knüpfen an theatralische Inszenierungen an:405 Alle Sinne werden über Geräusche, Gerüche, Licht mit eingebunden. Das Interesse der Surrealisten ist insofern von dem Bühnenhaften, Miniaturhaften der Puppenhausbühne oder des Schaukastens distanziert, als es sich lebensgroßen Schaufensterpuppen zuwendet. Die Puppen, welche in einer Reihe aufgestellt sind, begegnen dem Betrachter auf Augenhöhe, erwecken bei ihm den Eindruck, einer (Bordell-)Szenerie beizuwohnen, haben aber auch einen Aufruf- oder Manifestcharackter.406 Als »Schwellenräume« schätzen die Surrealisten das »Theater der Straße«: Schaufenster, Wachsfigurenkabinette oder auch das Volkstheater. Sie lehnen sich in ihren eigenen Ausstellungsinszenierungen an diese an. Sogar der Surrealismusbegriff wird von Apollinaire in Verbindung mit dem Bühnenbild, der choreografierten Handlung und der Ausstattung als eine »übergeordnete Wirklichkeit« verstanden. Ohne Trennung von Bühne und Publikum ist der Betrachter Bestandteil des Gesamtwerkes.407 So bezieht sich der Surrealismus fast konfessionshaft auf vernachlässigte Assoziationsformen, indem selbst der als übernatürlich geltende Traum mit auf die Realitätsebene gehoben wird, auf das (zweck-)freie Spiel des Denkens, unter dem im Jahr 1938 die Rückübertragung vom Innerlichen ins Theatralische verstanden wird.408 Mithin steht Baldung, welcher in der Ausstellung als »VorSurrealist« gezeigt und in den Katalog aufgenommen wird, an wichtiger Position für die Surrealisten. Das außergewöhnliche Aufeinandertreffen von Duchamp und Baldung wirkt – an Lautréamonts Worte erinnernd – »schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirmes auf einem Seziertisch«.409 In der Exposition International du Surréalisme 1947 erkennt Kraus eine künstliche »Parallelwelt«, deren »Erlebbarkeit« sich wie in einer »Narration« auf einem »Parcours« durchschreiten lasse; das Konzept beruhe auf der Idee eines spirituellen »Initiationsprozess[es]«.410 Der Ausstellungsraum, den Man Ray als »Herr[en] der Beleuchtung« oder Dramaturg lichttechnisch in Szene setzt, vertieft den Theateraspekt und repräsentiert gleichzeitig mit den sich in ihm aufhaltenden Besuchern und Künstlern das Moment eines eigenen Makrokosmos.411 Duchamp, welcher sich keiner Künstlergruppierung zuordnet, ist dem Surrealismus stark zugetan. So ist er es letztlich auch, der bei der Ausstellungskonzeption viele Aufgaben übernimmt.412

404 405 406 407

408 409 410 411 412

Vgl. AUSST.-KAT. Nürnberg 2012, S. 60. Vgl. CROS 2006, S. 98; GÖRGEN 2008, S. 29. Vgl. GÖRGEN 2008, S. 29 Vgl. GÖRGEN 2008, S. 19 und 55. Der Begriff »Schwellenraum« stammt von Walter Benjamin, der Überlegungen hinsichtlich des Schaufensters anstellt, dass dieses nämlich ein öffentlicher innerer Raum städtischen Lebens sei, in dem sich das intime bürgerliche Interieur präsentiere und das durch die Blicke von außen durchkreuzt werde. Vgl. GÖRGEN 2008, S. 72f. SCHNEEDE 2006, S. 48. Vgl. KRAUS 2010, S. 192. Vgl. GÖRGEN 2008, S. 68. Vgl. ebd., S. 19.

3. Vom Leben eines Werkes

Im Jahr 1921 führen Duchamps Schwester Suzanne Duchamp und Jean C rotti eine Show in dem von den Brüdern Perret erbauten Theater an den Champs-Élysées auf. Theater und Galerie sind in diesem modernen Bau innovativ vereint. Die Präsentation der DADA-Show ist laut Duchamp im Wesentlichen abstrakt und von metaphysischem Charakter. Er sieht im Dadaismus eine eigene Bewegung, die um 1922 ihr Ende findet, während der Surrealismus an Bedeutung gewinnt.413 Dreier beschäftigt sich mit dem Avantgardetheater, wie aus ihren Unterlagen hervorgeht. In ihrem Besitz befinden sich die Schriften von Oskar Schlemmer über die Bühne am Bauhaus, aber auch Schriften der Dadaisten, russischen Konstruktivisten sowie Kandinskys, der Futuristen und Surrealisten wie Dalí, Masson und de Chirico, die sich allesamt mit der Bühne befassen; außerdem Schriften von Breton, der hinter der Bühnenkunst eine »Kommerzialisierung« vermutet.414 Auch der Expressionismus erfährt eine Blütezeit, was die Bühnenkunst anbelangt: So entwirft Campendonk, der im Briefkontakt mit Dreier steht und sie sogar einmal in Connecticut besucht, beispielsweise Bühnendekorationen für das Krefelder Stadttheater.415 Dem Expressionismus eigen ist, dass er das Theater stark in das Konzept des Gesamtkunstwerkes einbezieht. Das Theater wird zu einem Zentrum der Konversation, in welchem sich die unterschiedlichen Kunstgattungen begegnen und miteinander in einen Gedankenaustausch treten können; es wird gleichzeitig als beeinflussendes oder erzieherisches Instrument genutzt.416 Für Kiesler stellt der »sphäroide Raum« eine Urform des Wohnens dar, einen kontinuierlichen Raum mit innerem Kern, in dem Kräfte und Energien sich ständig austauschen. Der Besucher ist ein zentrales Element, denn er vollendet die Spannung innerhalb des energetischen Systems im Raum, während er durch Rezeption mit dem Kontinuum der Zeit in Kontakt gerät.417 1923 tritt Kiesler in Berlin das erste Mal mit einem elektromechanischen Bühnenbild mit Film öffentlich auf.418 1924 entsteht die Publikation zur Internationalen Ausstellung neuer Theatertechnik. Darin erklärt Kiesler in einem Beitrag sein utopisches Railway-Theater, das eine offene Konstruktion darstellt, in welcher die Zuschauer sich um den Bühnenkern herumbewegen. Der Schauspieler wird ebenfalls in den mechanischen Prozess eingebunden: als lenkbare Typenform.419 1925 war Kiesler für die Internationale Kunstgewerbeausstellung in Paris zuständig. Schließlich wird er von der Stadt Wien als Leiter für die Internationale Ausstellung neuer Theatertech-

413 Vgl. DUCHAMP 1962, S. 3. 414 Vgl. VON BEYME 2005, S. 308. Beyme erinnert in diesem Kontext daran, dass viele Künstler der Renaissance, allen voran die Hofkünstler, manchmal auch zu ihrem Leidwesen vielfach mit Tätigkeiten hinter der Bühne betraut und in die Planung von »Events« einbezogen wurden. 415 Vgl. SCHUPETTA 2001, S. 82; MARZI 2015, S. 318; SCHLEMMER 1924. 416 Vgl. AUSST.-KAT. Houston 1977, o. S. 417 Vgl. KRAUS 2010, S. 196. 418 Vgl. LUYKEN 2011, S. 130. Hans Richter, El Lissitzky, Theo van Doesburg und László Moholy-Nagy sind davon begeistert und werden zu weiteren Arbeiten angeregt. 419 Vgl. KIESLER, Friedrich: Das Railway-Theater, in: Internationale Ausstellung neuer Theatertechnik Konzerthaus, unter Mitwirkung der Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst, Musik und Theaterfest der Stadt Wien, 1924, S. 1.

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nik eingesetzt.420 Er stellt in der oben genannten Publikation das Prinzip der »Guckkastenbühne« vor, die für ihn weniger als Raum denn als Relief funktioniert, da sie zweidimensional wahrgenommen wird. Dabei sind die Hauptelemente neben der Projektion des Hintergrundes die Bewegung auf der Bühne und das plastische Moment der Bühne. Nicht der Raum an sich ist bedeutsam, sondern der Mensch, welcher durch seine Positionierung die Bewegung erzeugt, da der Raum selbst nur durch ihn (als Referenz) erkannt wird: durch das Studium des Schlagschattens, durch den Grundriss oder das Nachvollziehen der Fluchtlinien. Dieses Prinzip scheint Kiesler unter anderem kunstgeschichtlichen Beobachtungen zu verdanken, denn in der Kunst findet er Anleihen verschiedener Medien wieder, beispielsweise bei Giotto. Dessen Figuren besitzen eine Architekturhaftigkeit, während sich in seiner Architektur eine Menschlichkeit wiederfinden lässt, weshalb Kiesler Giotto als dreigliedrigen Künstler bezeichnet: als Maler, Architekt und Bildhauer – vereint in der Dreieinigkeit, wie Kiesler es nennt. Solche Verschmelzungen findet man auch im Werk Michelangelos, dessen Malereien, laut Kiesler, im Grunde transformierte Skulpturen sind.421 Für Kiesler liegen dem Theater somit folgende sieben Bühnenelemente zugrunde: Fläche, Raum, lebendes Material, totes Material, Licht, Farbe und Klang.422 Weiter berichtet er, dass seiner Meinung nach das Individuum zurücktreten und phantastische Bilder schaffen solle. Lothar Schreyer, der 1919 die Kunstbühne in Berlin betreut, konstatiert in einem Aufsatz, dass das ganze Werk eine Bühne ist und einem geistigen Zustand gleichkomme. Der Mensch »gebiert« demnach aus sich heraus das Material und ist an sich schon eine geistige Kraft, genauer: Der Geist ist das Material und der Körper das Instrument. »Der Körper wird gebildet, der Geist wird befreit« – und in der Meisterschaft kommt es zu einem Gleichklang.423 Die Protagonisten im Behexten Stallknecht stehen für die einzelnen Rollenbilder von Männlichkeit, Weiblichkeit, Natur, Magie und ungezügeltem Trieb. Jeder erhält einen eigenen Raum zugewiesen und wirkt doch auf die anderen Protagonisten ein, und so bilden sie zusammen ein Werk. Dies erinnert an Duchamps Großes Glas: Hier ist der Raum der Junggesellen unten und derjenige der Frau oben im Bildgefüge positioniert; oder in hintereinander angeordneten Räumen in Étant donnés, in welchen auch dem Betrachter ein fester Raum zugeordnet ist. Im Großen Glas wird das Geschlecht der Stute proportional vergrößert im oberen Bereich der Braut gezeigt, und der Phallus, welcher durch die Schamkapsel des Stallknechtes bei Baldung akzentuiert ist, wird im Großen Glas durch die aufrichtbaren Haarsiebe erneut aufgegriffen. Alle Werkteile wirken damit in sich fast wie ein hermaphroditisches Wesen zusammen und scheinen sich zu bedingen. Das »Wesen« treibt sich unter dem Blick des Betrachters, der als eine feste Größe einkalkuliert ist, selbst an. Die geschlechterspezifische Aufteilung bleibt aber bestehen, der Betrachter ist angehalten, in seiner Phantasie die Teile zu verbinden. Das Licht oder die Fackel, wodurch das Präsentierte mit dem Geist oder der Logik und somit

420 Vgl. LUYKEN 2011, S. 126. Er entwarf dort eine runde »Raumbühne«; sie war umgeben von spiralförmigen Rampen und dem Publikum. 421 Vgl. KIESLER 1996, S. 104. 422 Vgl. KIESLER 1924, S. 57. 423 SCHREYER o. D., S. 47.

3. Vom Leben eines Werkes

der Wahrheit abgeglichen werden kann, bringt buchstäblich Licht in das Dunkel. Vergleichbares ereignet sich auch in Étant donnés, in welchem die Liegende mit erhobenem Arm eine Lampe hält. Duchamp zeigt sich als allumfassender Schöpfer seiner philosophischen, rezeptionellen Kreationen: als Glasmaler, Architekt, Objektkünstler und Philosoph. Die Alltagswelt des Künstlers, die er jeden Tag wie ein Lebenskünstler beschreitet, um sich darin zu inszenieren, macht ihn gleichzeitig zu einem Schauspieler und zu dem ersten Betrachter seiner Kunst. Des Weiteren inszeniert sich Duchamp 1963 in Pasadena, wo seine erste Retrospektive stattfindet, auch real vor seinem Hauptwerk wie auf einer Bühne (Abb. 14). Hier platziert sich der Künstler vor dem Großen Glas auf der Höhe des Hengstes im unteren Bereich des Kunstwerks an einem Tisch sitzend, zusammen mit dem Modell Eve Babitz. Mit ihren entblößten weiblichen Rundungen hat sie den Platz gegenüber Duchamp eingenommen, der sich rauchend auf das Schachspiel fokussiert. Duchamp gibt damit einen Verweis auf die Spannung zwischen Mann bzw. Künstler und Frau bzw. dem Akt, mit dem er spielerisch umgeht wie ein Junggeselle, um seine geistigen Kreationen zu formen. Ein weiteres Mal zeigt Duchamp 1967 eine Zigarre haltende Hand, wie es scheint seine eigene, im Affiche pour l’exposition Ready-mades et Éditions de et sur Marcel Duchamp / Plakat der Ausstellung Ready-Mades et Editions de et sur Marcel Duchamp / Plakat der Ausstellung Ready-Mades et Editions de et sur Marcel Duchamp (Abb. 56). Die Finger sind abgespreizt, zu einem V geformt halten sie die rauchende Zigarre. Assoziativ erinnert dies an ein weibliches Geschlecht, die Zigarre bildet dabei den Phallus und wird durch den Künstlermund entfacht. So ist es hier bei Duchamp die Zigarre und generell in seinem Werk das Rauchen, welches auch für das Denken des Künstlers steht (siehe auch 7.1). Der blaue oder hier graue Rauch der Gedanken ist mithin das magische Moment, das Infra-mince, welches als natürliches drittes, magisches Element aus den Komponenten hervorgeht. Duchamp äußert sich: »Wenn/der Tabakrauch/auch nach/dem Mund riecht/der ihn ausbläst/vermählen sich die/zwei Gerüche durch/INFRA-dünn/Marcel Duchamp.«424 Auch das Titelblatt der Zeitschrift VieW zeigt dieses Motiv: eine Weinflasche, aus welcher der magische Rauch austritt (Abb. 57). Hier wird die Form der Flasche als männliches Prinzip gezeigt: Das Flüssige ist das Weibliche, und der Rauch beschreibt das Ergebnis der beiden Komponenten, die beim Konsumenten den magischen, inspirierenden Impuls auslösen. Bei Baldung ist es schlichtweg der Rauch der von der Hexe gehaltenen Fackel, welcher vermeintlich von der Luft im Bild bewegt wird. Der unter den Surrealisten bekannte und geschätzte Holzschnitt Der behexte Stallknecht wird von Duchamp in seinem Werk nicht direkt in das Große Glas übernommen. Vielmehr sind es einzelne Motive, wie beispielsweise das des Pferdes, welche in seinem Werk anklingen; zudem bietet der Werkaufbau der beiden Raumteile, die er vom Behexten Stallknecht übernimmt, weitere Assoziationen, die gegenüber denen in Baldungs Werk vergleichbar ist. Dazu kommt, dass die Einbeziehung des Betrachters und das Moment der Magie oder des Eros die Spannung der dargestellten Protagonisten in beiden Raumteilen oder Gläsern verbindet. Darüber hinaus kann Duchamp in Baldungs Holzschnitt erneut eine visuelle Metapher hinsichtlich seines Denkens zwischen Handwerk und dem geistig schöpfenden Künstler oder 424 Vgl. RÖDER 2003d, S. 247.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Künstler und Akt erkannt haben. Duchamp erläutert die Spaltung von Malerei durch folgende Worte: »[…] aber ich bin nicht ein Maler auf lebenslänglich, und seit die Generäle nicht mehr zu Roß [cheval] sterben, sind die Maler nicht mehr gezwungen, bei ihrer Stafellei [chevalet] zu sterben.»425 So kann gezeigt werden, dass Duchamp für sein Werk Themen wählt, welche bereits in profanen Werken der Frühen Neuzeit existieren, die Duchamp aber in ein abstraktes, zeitgemäßes Äußeres übersetzt. Deutlich wird hier, dass Baldungs Holzschnitt Duchamp als ein rein gedankliches Vorbild dient, die Rezeption sich auf ausgesuchte Momente beläuft und sonst nur in reduzierter Form aufgegriffen wird.

3.13.

Der Kamm – Ein Baldung-Zitat

Der Stallknecht in Baldungs Holzschnitt Der behexte Stallknecht, dem der Pferdestriegel aus der Hand gerutscht ist, geht im übertragenen Sinn nicht mehr seinem Handwerk nach, sondern widmet sich geistigen, künstlerischen Tätigkeiten oder seinen Träumereien.426 Duchamp wählt den Striegel als Baldung-Zitat für sein Readymade Le Peigne / The Comb / Der Kamm von 1916/1964 (Abb. 58); in den Kammrücken ist die Inschrift »3 OU 4 GOUTTES DE HAUTEUR N’ONT  RIEN A FAIRE AVEC LA SAUVAGERIE« (3 oder 4 Höhentropfen haben nichts mit der Wildheit zu tun) eingraviert.427 Im Schweriner Katalog von 2003 finden sich mehrere Abbildungen von einem solchen Kamm, der aus Metall gefertigt ist und zu dem eine Holzvorrichtung gehört: So ist dieser Kamm auch als Pferdestriegel zu benutzen, zusammengesetzt aus zwei Teilen.428 Die beiden kleinen Löcher im Metallkamm dienen als Schraubenlöcher, an denen das Holzteil wie ein Griff befestigt ist; so erweitert nähert sich der Kamm also dem Striegel im Holzschnitt des Behexten Stallknechts formal an. Girst gelangt in seinem Aufsatz Von Ready-mades und ›Asstricks‹ (2003) zu der Auffassung, dass man nicht mehr allein von einem Hundekamm sprechen könne, und verweist auf die gängigen Modelle von Pferdestriegeln aus den Warenhauskatalogen der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts, in denen ebendiese Nutzung als Pferdestriegel erläutert ist.429 Auf dem Cover von Transition 1937 Nr. 26 (mit dem Titel ist ein Readymade bezeichnet) ist der Eisenkamm – perspektivisch fotografiert, sodass die winzige Inschrift auf dem schmalen Kammrücken erkennbar ist – vor einem grüngrauen Hintergrund mit Silberfarbe abgebildet. Mit Transition, so Zeiller, stellt Duchamps die Analogie zwischen »je peigne« (ich streiche an / ich kämme) und »je peins« (ich male) heraus.430 Duchamp verbindet so die mechanische Tätigkeit des Kämmens mit der mechanischen Tätigkeit des Malens. Der wie eine Spiegelung des Kamms arrangierte Schriftzug »Transition«,

425 STAUFFER 1973, S. 60. 426 Ein weiteres Mal zeigt Baldung in Mädchen mit Tod von 1515 einen solchen Kamm, wie ihn auch Duchamp benutzt. In einer völlig verdrehten Armhaltung setzt das Mädchen gerade am Ansatz ihres langen Haares an, um sich in den Spiegel blickend zu kämmen. 427 Vgl. JUDOVITZ 1995, S. 102. 428 Vgl. GIRST 2003, S. 31. 429 Vgl. GIRST 2003, S. 30f. 430 Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2003, S. 16.

3. Vom Leben eines Werkes

übersetzt: Übergang, ziert ebenfalls den grüngrauen Bucheinband.431 Duchamp betont mit dieser Komposition, dass die »Tropfen« nichts mit »Wildheit« zu tun haben, sondern mit einer kontinuierlichen sinnlichen, streichenden Tätigkeit, und dass diese Tätigkeit zu einer Transformation oder einer Art Essenz bzw. Ordnung des Haares oder der Materie führt. Die Tropfen der herabrinnenden Flüssigkeit, welche Duchamp in der Gravur mit dem Wort Wildheit koppelt, beschreiben wohl das nasse Fell des schwitzenden Tieres. Pferde gelten generell als mitfühlend, sie sind überdies sehr ängstlich und schwitzen leicht im Zustand der Erregung oder bei starker Bewegung. In diesem Fall geht es Duchamp folglich nicht nur um eine spezifische, vielleicht sexuelle Wildheit, wie ja auch in seiner Inschrift deutlich wird. Duchamp merkt 1964 zum Readymade an: »…this little iron comb had kept the characteristics of a true Readymade: no beauty, no ugliness, nothing particularly aesthetic about it…«432 Im Jahr 1939, als Picassos Guernica in Los Angeles ausgestellt wird, äußert sich Langsner, ironisch zum »Kampf der Bürsten«, womit er auf das Zusammenspiel von zahlreichen Malerpinseln anspielen könnte.433 Duchamp spricht von einem Qualitätsmerkmal, wenn er sagt: »Das betrifft nur 3 oder 4 Personen auf der Welt…« – zum Tier im Künstler äußert er sich 1963: »Alle Künstler, seit Courbet, sind wilde Tiere«.434 Diese Sichtweise lässt sich auch auf den Behexten Stallknecht von Hans Baldung Grien beziehen, welcher in einem Zustand festgehalten ist, in dem ihm der Striegel aus der Hand fällt, während der Daumen noch in Spannung auf dem Knauf aufliegt – dies zeigt an, dass er halbwach ist und Inspiration durchaus erfahren könnte. Das haptische Empfinden, welches sonst nur der Künstler während der Produktion des Werkes fühlt, indem er mit der Materie interagiert, wird nun durch das Objekt des Striegels sichtbar gemacht. Mit dem Striegel werden sich wiederholende mechanische Bewegungen am Pferd vollzogen, die Materie wird bearbeitet und kultivierend in Form gebracht. Im Behexten Stallknecht ist der Striegel aus der Hand des Stallknechtes gerutscht, der sich in einer Traumwelt befindet und nun von seiner Tätigkeit entbunden ist. Für Duchamp, der sich immer gegen die mechanische Tätigkeit der Hand ausspricht, könnte dies ein Sinnbild sein, da auch er als Künstler versucht, sich von der malenden Tätigkeit zu befreien, um sich in einen ersonnenen innerlichen Raum seiner Kunst zu begeben, mit dem Ziel, neue Konzepte, Techniken und Objekte in seinem eigenen Kunstausdruck zu finden und sich so des Tradierten zu entledigen. Bei Hegel ist evident, dass Kunstwerke sich an das breite Publikum und nicht nur an die Gelehrten richten, also der gesamten Gesellschaft ein »unmittelbarer Genuss« sein sollten. Dennoch verweist er auf die »sterbliche Seite« der Kunst, deretwegen das Rezipierte immerzu der Zeit und den Umständen angeglichen und umgearbeitet werden müsse. Beispielhaft führt er die Dramen Shakespeares an, die über die Zeit nicht an Kraft eingebüßt hätten, weshalb an »echten« Kunstwerken festgehalten werden müsse, doch müssten auch diese dem aktuellen Zeitverständnis angepasst werden, wollte man sie der Welt zugänglich machen.435 Solche Worte sind nicht nur im Sinne Duchamps, 431 432 433 434 435

Vgl. JUDOVITZ 1995, S. 16 und 102. AUSST.-KAT. Wien 2003, S. 16. Vgl. SAWELSON-GORSE 1987, S. 198. Vgl. ZAUNSCHIRM 1982, S. 151. Vgl. ULLRICH 2008, S. 234.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

sondern entsprechen auch dessen selbsternanntem Zwilling Breton, dessen Devise lautete, »nicht nur das Sehen, sondern das Leben zu verändern«.436 Die Überlegung, den Kamm oder den Stallknecht von seiner Funktion bzw. der vorausgegangenen Tätigkeit zu lösen, entspringt einer spielerischen Umwertung von traditionellen Gerätschaften und Handlungen und macht Duchamps Idee sichtbar, zwar visuell an dem Überkommenen anzuknüpfen, aber dennoch von den herkömmlichen Techniken der Malerei durch die Künstlerhand abzulassen. Ungeachtet dieser Loslösung vermag der Striegel für das domestizierte, ehemals freie Pferd zu stehen, für den zwingend schwitzenden Pferderücken nach der Anstrengung dort, wo zuvor der Sattel auflag. Der Striegel evoziert das mechanische Streichen durch das nasse Fell des Tieres, das in feinen Rillen wieder glattgekämmt wird. Wie Duchamp anhand der Inschrift im Kamm klarstellt, deutet er damit nicht notwendig auf die Wildheit des Pferdes hin.

436 GÖRGEN 2008, S. 85.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

4.1.

Maschine-onaniste

Das Raum-Objekt Étant donnés: 1° la chute d’eau, 2° le gaz d’éclairage / Given: 1° The Waterfall, 2° The Illuminating Gas / Gegeben sei: 1° der Wasserfall, 2° das Leuchtgas, 1946–1966, ist in einem abgedunkelten Vorraum des Philadelphia Museum of Art in eine Blendwand eingelassen. Der Betrachter kommt vor einer hölzern-rustikalen spanischen Hoftür zum Stehen.1 Die verschlossene Tür präsentiert sich dysfunktional ohne Türgriff; sie ist mit zwei kleinen Löchern versehen, die den Betrachterblick in das Innere des Kunstwerkes erlauben. Der Betrachter muss sich leicht bücken, um einen winzigen Einblick in das abgeschlossene, aber erleuchtete Innere des Kunstwerkes zu erhalten. Der Blick wird zuerst durch einen schwarzen Zwischenraum geleitet, dessen begrenzendes Mauerwerk eine aufgebrochene Öffnung mit freier Sicht in einen vermeintlichen Außenraum aufweist. Hier trifft der Blick des Betrachters auf die unnatürlich geformte Vagina eines nackten, blassrosafarbenen weiblichen Körpers, der auf dem Rücken im Gras liegt. Die Schenkel sind geöffnet, die beiden Unterschenkel vom Mauerwerk verdeckt. Der Körper wirkt teilweise schlaff und mit dem verrenkten linken Bein geradezu verkeilt am Rand, das zum Betrachter hingestreckte rechte Bein scheint nach vorne ins Dunkel hinabzufallen. Der augenscheinlich deformierte Leib ist auf dürres, trockenes Gestrüpp gebettet, in welchem sich einige der blonden Haare verfangen haben. Das Gesicht ist nicht sichtbar, da es zur linken Seite aus dem Sichtfeld herausgedreht ist. Der diagonale, mit Spannung aufgerichtete linke Arm wirkt wie auf einem erhöhten Felsvorsprung aufgelegt, die Hand hält eine entzündete Gaslampe in die Höhe. Die Baumkronen im Hintergrund haben eine herbstlich leuchtende Färbung. Rechts darunter, in einer tieferen Ebene hinter dem Akt, befindet sich ein See, über dem Nebel steht. In den sonst unbewegten Hintergrund ist ein Wasserfall integriert. Hinter der in die Blendwand eingelassenen Tür, welche das Werk zum Betrachterraum hin abschließt, liegt der aus einem mit Leder überzogenem Drahtgestell gestaltete

1

Vgl. GIRST 2011, S. 48; ZAUNSCHIRM 1986, S. 80.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Torso auf einer tischähnlichen Vorrichtung. Der Hintergrund besteht aus einer bearbeiteten Fotocollage. Den Wasserfall betreibt ein maschineller Mechanismus.2 Die Installation ist nach dem Peephole-Prinzip gestaltet, das oft im Zusammenhang mit diesem Werk genannt wird.3 Das Guckloch gibt den Blick in eine nachgeformte illusionäre Kunstwelt nur teilweise frei. Die durch diese Begrenzung entstehende Abgeschlossenheit schafft Nähe und Intimität. Die Distanz zum Objekt bleibt jedoch in Anbetracht nicht einsehbarer Bereiche im Werk bestehen.4 Diese uneinsehbaren dunklen Winkel muten geheimnisvoll an, weil das Objekt sich auf kaum einer Abbildung fotografisch in seiner Gesamtheit reproduzieren lässt – und angesichts der Gucklöcher ist die Einschränkung des intimen Blicks immer gewahrt. Nicht einmal, so der Eindruck, bei der direkten Begegnung mit dem Kunstwerk vor Ort im Museum vermag der Betrachter es komplett zu erfassen. Schon das Eintreten in den abgedunkelten Vorraum, in welchem er auf die vorgeblendete Holztür trifft, lässt den Museumsbesucher unmerklich eine angespannte Haltung einnehmen, da er sich einer neuen, nicht vorhersehbaren Situation gegenübersieht. Sein Blick auf das Geschehen hinter der Tür wird durch ein schwarzes Nichts und das grobe Loch in der Mauer geleitet und trifft auf eine nachgeformte Vagina in einem dreidimensionalen Raum. Unnatürlich bescheint das Licht das freigelegte Genital wie auch die Täler und Hügel im Hintergrund – es scheint hier eine Analogie zu bestehen. Die Elemente der Szenerie sind entsprechend den unterschiedlichen Jahreszeiten eingefärbt: dürres Gestrüpp im Vordergrund, herbstlicher Nebel über dem Wasser und Färbungen in den Bäumen im Hintergrund, die sogar eine leichte Schneeschicht andeuten könnten. Der Hintergrundprospekt ist collagenhaft mit bemalten Versatzstücken und Fotografien beklebt. Als Grundlage benutzte Duchamp die aufwendig reproduzierte Fotografie einer Quelle im französischen Jura, die sich in einen kleinen Wasserfall ergießt. »Der passionierte Blick versenkt sich im Transformationsprozess in die abgelichtete Wirklichkeit.«5 Die nachgebildete Wirklichkeit wird mit ihm eins. Nur der geschulte Blick kann die Fiktion der Kunst durch mentale Gegenüberstellung von Natur und Reproduktion trennen und wird nicht vollständig vom Bild selbst assimiliert. Das ganze Objekt, welches aus Ausschnitten und Entlehnungen kunstgeschichtlicher Motive zusammengefügt ist, wie wir an späterer Stelle sehen werden, wird zu einer »Krücke« der Wirklichkeit.6 Duchamps Werk bindet multimedial Malerei, Objektkunst, Fotografie und Architektur in eine künstlich geschaffene Realität ein, welche mit sensuellen Effekten angereichert ist. Die »woman with open pussy«, so Duchamps Worte, erarbeitete er in einem von der Öffentlichkeit vollkommen abgeschiedenen Raum in seinem New Yorker Atelier in der 14th Street.7 Der Künstler legte für Étant donnés eine Mappe an; darin befinden sich 116 kleinformatige Farbfotos und schwarz-weiße Fotografien und Polaroids. Sie ergeben die Manual Instructions von 1965. Darüber hinaus beinhaltet die Mappe 35 handge2 3 4 5 6 7

Die Fotografie stammt aus den schweizerischen Orten Cully und Bellevue-Chexbres; siehe dazu: ZAUNSCHIRM 2014, S. 60; BANZ/JUDOVITZ 2010, S. 11. Vgl. AUSST.-KAT. München 2012, S. 67. Vgl. CROS 2006, S. 160. Vgl. ZAUNSCHIRM 2014, S. 60; BANZ/JUDOVITZ 2010, S. 11. Vgl. SUTHOR 2006, S. 8. Vgl. CROS 2006, S. 160.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

schriebene Seiten, Notizen, Pläne und Skizzen, welche Duchamps Spätwerk im Detail beschreiben. Ferner sind 15 »opérations«, die eine präzise Montageanleitung für den richtigen Aufbau im Museum darstellen, enthalten.8 Das Werk kann somit, erweitert gedacht, auch von anderer Hand montiert werden. Dass die Frau in Étant donnés eine liegende Position einnimmt, war nicht von Anfang an vorgesehen; die Pose ergab sich offenbar erst im Arbeitsprozess. So besteht für Étant donnés eine Vorzeichnung, Maria, la Chute d’eau et le Gaz d’éclairage / Gegeben sei: Maria, der Wasserfall und das Leuchtgas von 1947, welche die zentrale weibliche Figur stehend zeigt (Abb. 59). Der nackte Torso der Liegenden in Étant donnés und die Stehende der Zeichnung (1947) stimmen in ihren Umrissen (auch wenn der Körper in Étant donnés größer ist und die Zeichnung statischer) mit dem stehenden Hexen-Körper in der Zeichnung Neujahrsgruß mit drei Hexen (1514) von Hans Baldung Grien überein (Abb. 60). Sie befindet sich in der Albertina in Wien und, so die These, diente für Étant donnés als ursprüngliches Vorbild.9 In dem Ausstellungskatalog des Palazzo Grassi von 1993 wird Hans Baldung Griens Neujahrsgruß mit drei Hexen zum ersten Mal unkommentiert in den Kontext des nackten Körpers von Étant donnés gebracht.10 Girst nimmt den Hinweis 2009 auf.11 Baldungs Zeichnung Neujahrsgruß mit drei Hexen trägt die Aufschrift DER. COR CADEN. EIN GVT IAR und ist als Karte an einen befreundeten Kleriker adressiert. Abgebildet sind drei nackte weibliche Körper in der geschlossenen geometrischen Komposition eines Dreiecks.12 Die Zeichnung ist monogrammiert und mit der Weißhöhung des Clair-obscur geziert.13 Die drei Hexenkörper sind in dem spitzen Dreieck geradezu ineinander verschränkt dargestellt. Sie sind in unterschiedliche Altersphasen unterschieden und nehmen auf dem undifferenzierten Boden mit weit auseinander gespreizten Beinen den Bildraum ein. Das querrechteckige Signaturschild Baldungs befindet sich hochkant aufgerichtet am unteren Bildrand in der senkrechten Linie des feuersprühenden Topfes, welcher mittig am oberen Bildrand in die Höhe gehalten wird. Das Signaturschild ist um 90 Grad nach links gedreht. Baldung scheint damit die Möglichkeit einer gedrehten Blickrichtung für den Betrachter auf untypische Weise vorzugeben. Das Bild kann auch gedreht betrachtet werden. Wird es auf den Kopf gestellt, sieht man in der Ebene die kauernde Hexe, die dem Betrachter ihr entblößtes Hinterteil entgegenreckt, und die auf ihrem Rücken aufgesetzte Hand löst Assoziationen an einen Koitus aus. Weiter wird durch diese verkehrte Sicht ein Intimbereich im Übergang von Oberschenkel zum Lendenbereich mit großflächigen Falten deutlich, der an ein großes weibliches Geschlecht 8 9 10

11 12 13

Vgl. BANZ 2014, S. 106. Vgl. STIX 1933, S. 37 und 40. Es wird berichtet, dass es zu Baldungs Zeichnung Neujahrsgruß mit drei Hexen Faksimiles gibt. Vgl. AUSST.-KAT. Venedig 1993, September 1912, S. 136. 1990 gibt Zimmermann in seiner Abhandlung bereits an, dass man die Handzeichnungen Baldungs besonders in Wien, Berlin, Basel und Karlsruhe begutachten könne. Siehe dazu: ZIMMERMANN 1990, S. 592. Vgl. GIRST 2011, S. 48. Vgl. AUSST.-KAT. Frankfurt 2007, S. 60; KOERNER 1981, S. 7. Der Berliner Katalog erläutert, wie Baldung das Clair-obscur einsetzt, um die Atmosphäre in seinen Hexenblättern zu steigern. AUSST.-KAT. Berlin 2006, S. 126; SCHADE 1983, S. 112, AUSST.-KAT. Wien 2013, a, S. 49.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

erinnert, an welches die obere Hexe zu fassen scheint. Dass das Bild auch aus anderer Perspektive betrachtet werden kann, offenbart den unglaublichen Variationsreichtum in der spielerischen Herangehensweise an den Perspektivraum in Baldungs Kunst. Den Blick des Betrachters fängt als Referenzfigur diejenige Hexe ein, welche kopfüber unter ihren Beinen hindurch dem Betrachter mit kreisrunden Augen entgegenblickt, für die »verkehrte Welt« stehend.14 Die Referenzfigur ist den beiden anderen stehenden Hexen räumlich vorangestellt; sie rückt mit ihrer Fußsohle am weitesten zum Betrachterraum hin, nur das Signaturschild steht noch weiter im Vordergrund. Ihr Blick leitet zu dem Dreiecksgefüge hin, in welchem die Körper arrangiert sind, und führt hin zu der darüberliegenden Vagina der alten Hexe. Diese, links stehend, wird anhand ihres Alters und mit fast schon geschlechtslosem Gesicht und männlicher Muskulatur kontrastierend zu den beiden jüngeren Körpern präsentiert. Zupackend und vornübergebeugt scheint sie das akrobatisch wirkende Gebilde zu halten und gibt ihr Geschlecht dabei schamlos dem Betrachterblick frei. Seit der Frühen Neuzeit zeugen Überlieferungen von dem Aberglauben, dass Frauen, wenn sie kopfüber durch ihre Beine schauen, den Teufel sehen, sodass der Betrachter selbst zum Teufel wird, welchen die Hexe erblickt.15 Das hier behandelte pornografische Blatt ist an einen befreundeten Kleriker gerichtet, die Inschrift im Bild bezeichnet den sogenannten »Chor-Kappen«, einen Chorherrn.16 Durch Verhöhnung des – wie angenommen werden kann – katholischen Klerikers wird mit der Zeichnung in verdeckt wie offen ironischer Weise ein weiteres Mal seine Keuschheit geprüft.17 Auch Baldung bedient sich des Betrachters in dieser Weise: Er spricht ihn nicht nur an, er weist ihm sogar eine Rolle zu. Der Blick des Betrachters trifft im Neujahrsgruß mit drei Hexen auf die verdeckte Scham der stehenden Hexe, welche durch die »fahrige Geste« einer (wenig) bedeckenden Hand mit zwei ausgestreckten Fingern, fast wie ein Zeigegestus, den Blick weiterleitet zu der freigelegten Scham der alten Hexe hin.18 Die beiden Finger können als

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18

Ein Vorbild für die Hexe, welche durch ihre Beine hindurch den Betrachter anblickt, dürfte der Putto aus Albrecht Dürers HexendarstellungRückwärts reitende Hexe auf einem Ziegenbock (um 1500) sein. Der Putto blickt sowohl den Betrachter als auch sein eigenes Geschlecht an und repräsentiert die auf den Kopf gestellte Welt. Siehe dazu: SCHADE 1983, S. 74 und 114. Hans Baldung Grien behandelt auch in weiteren Beispielen das Thema der »verkehrten Welt« hinsichtlich der Umwertung der Geschlechterrollen, etwa in Aristoteles und Phyllis von 1513, wo der den Mann als Opfer unter der sexuellen Dominanz der Frau darstellt. Schade verweist darüber hinaus darauf, dass die fast Purzelbaum schlagende Hexe ein Hinweis auf die Jahreswende sei, nach antiker Tradition die Feier der »verkehrten Welt«, während derer die Frauen über die Männer herrschten. Findlen erinnert daran, dass Pornografie in der Frühen Neuzeit oft zum Ausdruck kommt, um die »verkehrte Welt« darin widerzuspiegeln. Siehe dazu: FINDLEN 1994, S. 49. Vgl. KOERNER 1988, S. 353. Zum Jahreswechsel wurde stets das Zölibat der Priester erneuert. Begleitend wurden parodistische Liturgien in der Kirche abgehalten und u. a. Spiele gespielt. Vgl. SCHADE 1983, S. 54. Vor allem standen die Kleriker unter Kritik im Hinblick auf das Nichteinhalten ihres Zölibats. Unter den ersten Reformatoren entwickelte sich eine Heiratsbewegung, die sich an Luthers Ehevorstellungen anschloss. Vgl. AUSST.-KAT. Frankfurt 2007, S. 114.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

Symbol des Verbergens, aber auch als eine Selbstberührung der jungen Hexe interpretiert werden, die den Blick zur Seite geneigt hat und wie weggetreten erscheint. Die Finger bieten eine führende Funktion für den Blick des Betrachters. Duchamp könnte den Neujahrsgruß mit drei Hexen bei einem Besuch in der Albertina ab 1912 gesehen haben. Die Blickführung der durch die Beine sehenden Hexe ist vergleichbar mit jener in Étant donnés: Dort sind es die beiden Türlöcher, welche den Betrachter »ansehen«. Durch die vielen Museumsbesucher hat sich über die Ausstellungszeit hinweg der Schatten eines Gesichtsabdrucks im Holz der Tür abgezeichnet, der dem Betrachter nun entgegenzublicken scheint (Abb. 61).19 Nur jeweils eine Person kann in den intimen Kontakt mit dem Kunstkorpus – durch die Gucklöcher schauend – treten und in ihn hineinblicken. Duchamp fertigt ca. 1966 ein Pappmodell für Étant donnés (Abb. 62), in welchem er nicht die Tür selbst herausstellt, sondern die Betrachterlöcher in Form von Augen durch schwarze Punkte hervorhebt: Schon hier sind die Augen für »Tous de voyeurs«, wie Duchamp es nennt, markiert bzw. die Augen des Werkes selbst, wie die schwarzen Punkte assoziieren.20 Im Pappmodell von Étant donnés folgt die Mauer (»Brique«) hinter der Tür (»Doors«), das Loch in der Mauer scheint gewaltsam aufgebrochen, um dem Blick das Vordringen in das Innere des Werkes zu gestatten.21 Der Neujahrsgruß mit drei Hexen kann ebenso wie Duchamps Pappmodell als dreidimensional hintereinander angeordnet gesehen werden. Bei dieser Sichtweise würde der Betrachter wie auch der Künstler an erster Stelle stehen: als der Sender, der mit seinem Blick auf einen Empfänger bzw. das Opfer, die nackte Gestalt, zielt. In dem Neujahrsgruß mit drei Hexen, welcher sich strukturell auf Étant donnés projizieren lässt, kann eine Parallele zum gestaffelten Aufbau des Letzteren gezogen werden. In Duchamps Werk wird der Betrachter mit der entblößten Scham der Frau konfrontiert, wenn er durch die Schichten des Kunstwerkes von Löchern, Zwischenraum und Mauerdurchbruch zur Landschaft (»Paysage«) vorgedrungen ist. Hier sind es die Tür und das im Mauerwerk verengte Sichtfeld, die den Blick leiten. Die Scham der Liegenden erwidert sozusagen den Blick des Betrachters. Mit diesem Phänomen spielt auch Duchamp im Großen Glas, wenn die Braut, die Vagina oder das augenförmige Gebilde der Braut mit den drei Durchzugskolben, welche wie Pupillen wirken, dem Betrachter gegenübersteht. In Étant donnés nimmt somit die Vagina ostentativ als ein Referenzzentrum den Blick des Betrachters im Werk auf. Bei dem Fragment des nackten Unterkörpers in Étant donnés handelt es sich um den Unterleib der stehenden jungen Hexe aus Hans Baldung Griens Neujahrsgruß mit drei Hexen. Die bloßgelegte Scham in Étant donnés und die »Leerstellen« des Körpers von Arm, Kopf und Beinen, welche in Étant donnés weggelassen sind, werden aber im Weiteren diskursiv ergänzt.22 Der Torso des weiblichen nackten Aktes, der ja Aspekte von der Hexe aus Baldungs Neujahrsgruß mit drei Hexen aufgreift, ist in Étant donnés spiegelverkehrt zum Körper der Hexe wiedergegeben. Dies entspricht dem Verfahren, das Duchamp als die »grafische Abpausung« 19 20 21 22

Vgl. HARALAMBIDOU 2013, S. 68. Begemann beschreibt bei Young, wie die Frau durch das Kunstwerk ersetzt wird und die Kunstwerke zu Organismen, lebendigen Wesen werden. Siehe dazu: BEGEMANN, 2005, S. 268. Vgl. AUSST.-KAT. Venedig 1993, S. 132; HALADYN 2010, S. 32. Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2006, S. 84.

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bezeichnet.23 Spiegelungen verhalten sich zu dem Original wie ein Positiv zum Negativ und werden häufig bei Reproduktionen angewendet. Es entsteht etwas Gleichartiges, das eine Variation erfahren hat. So wird der Körper der jungen Hexe in gleicher Form kopiert, nur dass Duchamp den Kopf und die Hand individuell behandelt, indem er sie entfernt. An die ursprüngliche Gestalt der Vorlage wird demnach mit Étant donnés zwar erinnert, die Gestalt selber hat aber eine neue materielle Körperlichkeit: durch den entfernten linken Arm und den fehlenden Kopf. Duchamp macht mit der Negierung auf die Fehlstellen aufmerksam, gewichtet sie und bietet sie gezielt dem Betrachter zur Interpretation an.24 Gerhard Graulich beschreibt ein solches Verfahren wie folgt: »Duchamps vielschichtige Provokation erweist sich als Destruktion traditionellästhetischen Bewusstseins, da es zur Konsequenz hat, dass die Intervention gleichsam die Freisetzung eines neuen ästhetischen Bewusstseins eröffnet. Die Negation ist prinzipiell notwendig, um neue Wege der inhaltlichen, formalen, materiellen und gattungsmäßigen Formulierung des Ästhetischen zu beschreiten. Notwendige Voraussetzung dazu ist die Abkehr vom Schema. Erst diese Entscheidung ermöglicht es, zu einer Erweiterung der Reflexion zu finden.«25 Dass Duchamp sich aber nicht nur für Leerstellen interessiert, sondern auch die alte Form mit neuen Inhalten füllt, zeigt das folgende Beispiel. Julien Levy schildert im Februar 1927, wie Marcel Duchamp den ersten vorbereitenden Gedanken zu Étant donnés festhält und eine weitere Idee darin preisgibt: »Marcel toyed with two flexible pieces of wire, bending and twirling them, occasionally tracing their outline on a piece of paper. He was, he told me, devising a mechanical female apparatus…a life-size articulated dummy, a mechanical woman whose vagina, contrived of meshed springs and ball bearings, would be contractile, possibly self-lubricating, and activated from a remote control, perhaps located in the head and connected by the leverage of the two wires he was shaping. The apparatus might be used as a sort of ›machine-onaniste‹ without hands.«26 Die Figur, eine Art Puppe bzw. mechanische Vagina oder Maschine, die Levy beschreibt, soll nicht per Hand betrieben werden, sondern »kontraktil« mit einer Fernbedienung steuerbar sein.27 Die den Mechanismus verbindenden Drähte könnten mechanisch betrieben werden und würden gleichzeitig eine Linie bilden, welche an etwas Gemaltes erinnern ließe.28 Levy erkennt in dieser Beschreibung ein typisches Abstraktionsmuster Duchamps. Beim Betrachten der verbindenden Linien bilden diese eine innere Form, die von der äußeren Materie bestimmt wird. Duchamp macht demnach, so könnte man

23 24 25 26 27

28

Vgl. LUYKEN, 2011, S. 140. Vgl. ebd., S. 18. Ebd., S. 18. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 32; LEVY 1977, S. 20; ZAUNSCHIRM 2014, S. 92. Vgl. LEVY 1977, S. 20. Levy erinnert sich: »I fell in love with this fantasy and suggested that she could be equipped with a mechanism by which the lower portion of her body was activated by one’s tongue thrust into the mouth in a kiss. It was then that Marcel unbent, giggled for the first time, and admitted me to his inner circle of intimate friends.« Vgl. ebd., S. 20.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

verstehen, auf die weibliche Masturbation im Neujahrsgruß mit drei Hexen aufmerksam, die durch die Hand in ihrer Tätigkeit autark, aber unfruchtbar bleibt. In Étant donnés hingegen ist der Arm entfernt. Einzig der innere Mechanismus ist jetzt für die sexuelle Erregung der Frau zuständig, genauso wie die inneren Triebe und Kraftimpulse für die Umsetzung in der Kunst wesentlich sind. Die Eigenhändigkeit, welche vor allem die Malerei für sich beansprucht, kommt in Duchamps Kunst nicht länger zur Geltung – es vollzieht sich eine Ablösung durch den von der Hand befreiten Geist, welcher die Hand gezielt mit Phantasie führen soll und den Betrachterblick »antreibt«. Die körperliche, eigenzyklische Funktionalität deutet auf die Künstlertätigkeit selbst hin und ist somit geschlechtslos. Meret Oppenheim erinnert in einem Brief vom 6. Juli 1975 an Szeemann daran, dass die Femme fatale in der männlichen Phantasie der Hexe gleichkomme. Sie benutzt diese Bezeichnung zur Charakterisierung der Braut in Das Große Glas und auch der weiblichen Figur in Étant donnés. Wegen der mechanischen, selbstregulierenden Funktion des Aktes in Étant donnés wird die Erregung im übertragenen Sinne durch den Sehstrahl des Betrachters ausgelöst, als antreibende Kraft der »machine-onaniste«. Das »selbstschmierende« Prinzip, wie es von Duchamp genannt wird, ist durch den stetig fließenden, maschinenbetriebenen Wasserfall im Hintergrund, der sich in einen See ergießt, visualisiert. Mit dem Titelzusatz 1° Der Wasserfall manifestiert Duchamp, dass das mechanische Prinzip die Inspiration oder »die Spritzwasserkunst« bzw. die Masturbation hervorbringt, welche damit in der Erzeugung der Kunst an erster Stelle steht. Durch das Licht, 2° Das Leuchtgas, folgt die Erhellung, die Idee eines Betrachters, der die Erkenntnis aus dem Dargestellten während des Sehmoments bezieht. Duchamp visualisiert also einen aktiven Prozess; gleichzeitig nötigt er den Betrachter geradezu zu einem intimen Seh-Akt hinsichtlich des Kunstwerks: Er soll die Herstellungsprozesse des Kunstwerkes, welche mit dem Vorbild der Rezeption gekoppelt sind, selbst nachvollziehen. Mit dem lebensgroßen, »onanistischen Gelenk« eröffnet Duchamp den Diskussionsraum hin zu lebensnahen, sexuellen und somit physischen Assoziationen des Betrachters und auch hin zu der gleichtuenden Hexe im Neujahresgruß von Hans Baldung Grien. In der Publikation Faux vagin verweist Zaunschirm nicht nur auf die Wortspiele und den von Duchamp verwendeten Begriff hin, sondern auch darauf, dass der Ausdruck in der Pornoindustrie verwendet wird und dass er überdies eine gedoubelte Vagina umschreibt, welche im Sinne einer Vortäuschung als ein »Feigenblatt« eingesetzt wird und vergleichbare Züge mit der immer mechanischen Vagina, wie für Étant donnés vorgesehen, zeigt. Mit dieser wird auch mehr eine geistige, illusionistische Apparatur nachgestellt und nicht eine technische, automatisch funktionierenden Vagina vorgestellt, die nur in der Phantasie eines Betrachters dank fremdgesteuerter Mithilfe funktioniert.29 Das Werk Female Fig Leaf / Feuille de vigne femelle / Weibliches Feigenblatt (1961) von Duchamp verwehrt nicht länger den voyeuristischen Blick, sondern deckt geradezu das Negativ einer intimen Stelle der Frau auf. Dazu nutzt Duchamp auch eine Faux vagin, die Nachformung einer Vagina, von der er schließlich einen galvanisierten Gipsabdruck abnimmt.30 29 30

Vgl. ZAUNSCHIRM 2014, S. 92. Vgl. GRAULICH 2003k, S. 164.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Die Onanie wird in verschiedenen Schriften der Zeit reflektiert, so in einem 1912 erschienenen Buch der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, worin zu lesen ist: »Die Onanie hat eine Reihe von Vorwürfen übernommen, die bewusstseinsfremd sind, weil sie viel peinlicher sind, als die Vorwürfe wegen der Onanie. Die Onanie ist ein Nährboden für alle Vorwürfe. Sie ist das Schuldreservoir für alle Schuld. Sie ist gewissermaßen das Symbol der Schuld.«31 Dadurch dass Duchamp in gekonnter Weise das Thema der Onanie mithilfe des Hexenkörpers in Étant donnés übernimmt, entsteht die Möglichkeit, das Thema erneut zu betrachten. 1912 stellt Alfred Döblin heraus, dass er in jeder Beziehung von Mann und Frau Prostitution erkenne, wie ein naturgegebenes »Dirnentum«. Jedes Geschlecht wende sich in den meisten Fällen dem anderen zu, um sich zu vervollständigen und sich wie ein Positiv mit einem Negativ zusammenzufügen. Döblin vermittelt damit, dass Sexualität wie ein Organ auch den Menschen reifen lässt, oder dass der Masturbant in die natürliche Sexualität eingreifen würde – genauso wie die »Jungfrau«, welche sich wiederum auf die Sexualität nur widerstrebend einlasse. Er weist auf eine Künstlichkeit des Geschlechtes hin, in welchem die Organe keinem natürlichen Drang nachgingen, und erkennt, dass es sich um einen toten Punkt, einen künstlichen Punkt handelte.32 Die fehlende Hand deutet im Sinne Duchamps auf die innere, mechanische Wirksamkeit und Bewegung im surrealistischen Sinne hin. Der Geist wird angetrieben durch die inspirierende Phantasie, welche erweiternd und frei auf ihn einwirkt und zu einem Zustand innerer Erregtheit führt, die wiederum geistige Kreationen hervorbringt. Die narzisstisch-zirkuläre Autoerotik steht für die Selbsterfahrung in der Kunst und erhält durch den pornografischen Neujahrsgruß mit drei Hexen eine ironische Überspitzung, indem Baldung, wie auch Marcel Duchamp, die weibliche Masturbation herausgreift und selbst zum Thema erhebt.33 Auch das zirkuläre Große Glas gilt der Lust am eigenen Selbst und an dem Betrachter- oder auch Künstlerblick. Auf die Frage hin, was Duchamp von zeitgenössischen Künstlern halte, antwortet er: »Akrobaten, nichts als Leinwandspritzer! Ich denke natürlich, die Leute sollten schockiert sein.«34 Duchamp stellt damit den Künstler als einen Akrobaten dar, der masturbierend aktiv und unabhängig und frei, aber verdeckt agiert. Paul Valéry (1871–1945) erläutert das Problem Narzissmus anhand des Gedichtes Die junge Parze: Die weibliche Verkleidung des Helden bewirkt eine Distanzierung der Person zum Künstler selbst. Valéry beschreibt dies als ein Ringen mit der Außenwelt: Indem er sich von dieser absondert, findet er im Alleingang zu seinem eigenen Bild. Die Narziss-Metapher gewinnt im Manierismus in Literatur und Kunst an Beliebtheit.35

31 32 33

34 35

DATTNER 1912, S. 38. Vgl. DÖBLIN 1912, S. 121f. und 141. Begemann erklärt anhand eines Gedichtes, wie sich die Künstlerin durch Selbstbezug in ihrem eigenen Eros begründet, und setzt es gleich mit der »Auto(r)erotik« des Dichters. Siehe dazu: BEGEMANN 2005, S. 270. NEWSWEEK (1959), in: STAUFFER 1992, S. 85. Vgl. HAUSER 1973, S. 118f.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

Die Hexe, der als einem Mittlerwesen mit wechselndem Äußeren eine ambigue Physis zugeschrieben wird, steht sowohl für die irdische als auch für die himmlische Sphäre.36 Baldung hält sie beinahe als eine Akrobatin fest, vergleichbar mit einer Künstlerin, die sich selbst zugewandt und aus ihrer künstlerischen Pose heraus ihren Eros nährt und belebt. Durch Baldungs Neujahrgruß mit drei Hexen wird der Diskurs metaphernhaft zum Leben erweckt.37 Bezüglich des Masturbationsprozesses, welcher ja auch schon mit dem Hengst im unteren Teil des Großen Glases vorgeführt wird, kann festgehalten werden, dass das Werk dem Betrachter gegenüber passiv interagiert, dass das Innere des Kunstwerkes durch dessen Blick vermeintlich animiert und die Masturbation im Werk zur Wirkung gebracht wird. Sie findet also unsichtbar, lediglich in der Phantasie des Betrachters statt. Hinzu kommen in Étant donnés eine Exklusivität und dadurch eine besondere Intimität, da immer nur das Augenpaar eines einzelnen Betrachters, dessen Phantasie angeregt wird, dem Kunstwerk begegnen kann. Dennoch bleibt das Unterfangen narzisstisch.38 Für einen Dandy, als welchen sich Duchamp selbst inszeniert, einen Aristokraten ohne Stammbaum, der sich nicht dem Triebkreislauf unterwirft, sondern die sinnliche Liebe sucht und diese mit dem Geist zu bändigen weiß, ist die »Dauerbefriedigung« das angestrebte Ziel. Dies steht für das Bild der Kunst selbst mit dem Wunsch, den künstlerischen Trieb stetig erneut zu entfachen. Begemann begründet die Kunst im Eros und dessen onanistisch darstellbare Form im eigenen Kunst-Können, und er hält es gleichsam für ein sich selbst genügendes Verfahren.39 Pfisterer spricht über akrobatische Stellungen von Liebenden als Ausdruck der Erfindungskraft, die gespeist werde aus der Phantasie.40 Im Hinblick auf die Akrobatin oder die Kunstfigur der Hexe ist nicht nur das kunstgebärende Prinzip der Inspiration das zentrale Thema, sondern auch der Akt der Schöpfung und der Mechanismus der Wiederholbarkeit. Der Künstler, welcher um sich selbst kreißt, sich selbst gebiert und durch den Betrachter (er)lebt, weckt die Liebe zum erotischen Ausdruck durch sich selbst und aktiviert den ursprünglichen künstlerischen Formungswillen im Menschen. Paul Klee formuliert diesbezüglich: »Die Genesis als formale Bewegung ist das Wesentliche am Werk./Im Anfang das Motiv, Einschaltung der Energie, Sperma./Werk als Formbildung im materiellen Sinne: urweiblich./Werk als formbestimmendes Sperma: urmännlich.«41 Der Ursprung des materiellen Kunstwerks ist demnach schon in der Formbildung das organische, urweibliche Element, wie es Paul Klee ausdrückt.

36 37

38

39 40 41

Vgl. VON ROSEN 2012, S. 17. BEGEMANN 2005, S. 270. So besagt eine männliche Fantasie über eine Akrobatin: »…Bettine wird immer geschickter, immer beweglicher wird jegliches Gleichen an ihr; Endlich bringt sie das Züngelchen noch ins zierliche F… [Fötzchen] Spielt mit dem artigen Selbst, achtet die Männer nicht viel.« Vgl. BEGEMANN 2005, S. 270. Begemann schildert den Zustand ausgehend von Goethe, der in seinen Werken den Eros so beschreibt, dass er nur durch die Frau inspiriert werde, dann aber ohne sie imaginär im Mann weiterwachse. Vgl. ebd., S. 269f. Vgl.ebd., S. 54. KLEE 1987, S. 320; ZIMMERMANN 2003, S. 98 und 100; BEGEMANN, 2005, S. 273; MUTHESIUS/RIEMENSCHNEIDER/NÉRET 1998, S. 35.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Hegel beschreibt den Spielraum der Künste als eine »Außengestalt des Geistes und der Naturdinge«, welche nach Bereinigung ihres Gehalts von meist religiösen und weltlichen Themen des Lebens einen neuen Kunstgehalt erlangen müsse.42 Weiter merkt er an: »Es ist das Innere des Geistes, das sich in den Widerscheinen der Äußerlichkeit als Inneres ausdrücken unternimmt.«43 Wenn sich das Thema im Großen Glas generell auf die männliche Masturbation bzw. konkret auf die der Hengste und Junggesellen fokussiert, richtet sich der Fokus in Étant donnés auf eine weibliche Selbstbefriedigung. Masturbation wird seit der Antike erwähnt, die weibliche allerdings kaum, da die Frau immer nur als die Empfängerin des Männlichen gilt, wohingegen dem Mann Formkraft zugeschrieben wird.44 Der befruchtende oder animierende Blick wird über den Sehstrahl des Betrachters dem Kunstwerk zugeworfen, welches durch diesen in Bewegung gerät und wegen des ewigen Interesses oder Verlangens des Betrachters nicht mehr zum Stillstand kommt, wie die Lampe oder der Wasserfall versinnbildlichen. Duchamp sagt, dass nur eine begrenzte Zahl Blicke auf ein Kunstwerk treffen soll45 te. Die Imitatio ist demzufolge nicht nur das Greifen nach Vorbildern und Ideen, sondern auch der aktive Einbezug eines kennerschaftlichen Publikums. Die Kunst besteht darin, ein bekanntes Vorbild durch die eigene Handschrift zu verschlüsseln, zu verdecken und somit ein Spiel der verästelten Rezeption mit dem Fachpublikum zu spielen.46 Der Disput über das Kunstwerk trägt in Duchamps Augen zu der Erzeugung des Kunstwerks selbst bei und ist einkalkuliert. Die Imitatio Duchamps bedient sich sowohl eines rezeptiven als auch eines produktiven systematischen Vorgehens. Alte Bildtraditionen werden aufgenommen und gleichzeitig weitergeführt im Hinblick auf ein neues Ergebnis und ein neues Ziel »…im Glauben an ein fortschreitendes Wachstum der Kunst in ihrem stetigen geschichtlichen Vollzug« dieser Traditionen.47 Der Trieb der Kunsterzeugung, welcher durch das Publikum motiviert wird, manifestiert sich in der Technisierung, der reproduzierenden Mechanisierung. Geist und Körper sollen durch die Intellektualisierung wiedervereint werden und so der automatisierten Mechanisierung der Kunstschaffung entgegenwirken.48 Duchamp scheint mit dem Vorhaben, ein lebendes Kunstwerk zu kreieren, über Platons Beschreibung hinauszugehen. Kruse fasst die Theorie Platons zusammen: »Der Maler macht nicht das Seiende, sondern nur ein dem Seienden Ähnliches, das aber selbst kein Sein hat«.49 Platon vernichtet jegliche Illusion von neuen Bildern, indem er feststellt, dass alle Ideen nur Abbilder sind von Urbildern und alles nur »Abbild eines Abbilds« ist und deshalb nie zur »herrlichen Idee, der absoluten Schönheit« gelangen könne. Nur die Liebe habe schließlich das Verlangen erzeugt, denn »wer das Schöne

42 43 44 45 46 47 48 49

HEGEL 1970, S. 223. Vgl. ebd., S. 22f. Vgl. PFISTERER 2014, S. 57. Vgl. DUCHAMP 1964, S. 27. Vgl. AUSST.-KAT. Nürnberg 2011, S. 29. Die Imitatio wird hinsichtlich des Werkes von Dürer beschrieben. Vgl. KRAFT 2007, S. 12. Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2006, S. 10. KRUSE 2010, S. 275.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

begehrt, begehrt das höchste Schöne«.50 Ficino, der den Gedanken Platons in seiner Liebesphilosophie aufgreift, übernimmt nicht konkret die Vorgaben aus dessen Symposium, welches er in De amore (um 1469) übersetzt; es handelt sich bei ihm vielmehr um eine Zusammenfassung, einen Kommentar und eine Transformation von Platons Botschaft.51 Ficino erkennt in den sinnlichen, materiellen Dingen ebenfalls nur Abbilder der Ideen von Urbildern. Der Mensch im abgeschlossenen Unterbewusstsein eines düsteren Raumes, so in Platons Höhlengleichnis, sieht die Welt nur in ihrer Unwirklichkeit, beleuchtet durch Licht von einer äußeren Quelle. Und der Künstler ist immer gefesselt in dem Zustand, das Abbild eines Abbildes zu produzieren. Das Nachahmen der Nachahmung, an welches die Kunst gebunden ist, ist somit ein täuschendes Medium und wird von Platon abgewertet.52 Er wandelt das dämonische Orgiastische und geht »schwanger« mit der daraus gewonnenen Idee. Die Nachahmung zeigt den Weg aus der Höhle in das Licht. Erst in der Liebesphilosophie Platons erkennt Ficino mit der Neuauflage von Platons Schriften in der Renaissance den Anknüpfungspunkt zum Höchsten und Schönsten, welches in der Liebe das schönste Verlangen nach dem Göttlichen selbst erzeuge, sodass »göttliche Güte« erlebt werden könne.53 Duchamp bezieht sich nicht konkret darauf, aber es gelingt ihm in seiner Kunst stets, Referenzobjekte herzustellen, und dazu entnimmt er Objekte und auch Teile aus bereits bestehenden Werken. Sein geistiges Handwerk äußert sich also dahingehend, dass er einen Weg der Erkenntnishaftigkeit skizziert, im abgewandelten Abbild des Abbildes, dass aber die Idee der Nachahmung selbst rezipiert wird, während das Abbild durch die Variation und durch die Zeit Veränderung erfährt. Das Wissen kann durch die Multiplikation der Rezeption an sich verdoppelt werden. Die Schönheit rekurriert also nicht auf die abbildhafte Schönheit, sondern knüpft an die Schönheit der aktiven Liebesfindung am künstlerischen Selbst an, welches es immerzu aktiv, kreativ und individuell zu entfachen gilt. Diese Liebesfindung gilt es hinsichtlich der nur scheinbar zum Leben erweckten altmeisterlichen Materie wachzuhalten, um zu dieser immer wieder in einen Liebesakt zu treten. 1955 äußert sich Stauffer über die unüberwindbare Passivität bzw. über die begrenzte Identifikationsmöglichkeit mit Alten Meistern wie folgt: »[…] einerseits schauen wir alle rückwärts und bewundern die größe der alten. wir übersehen aber nicht, dass es sich hierbei um ein ziemlich passives vergnügen handelt, denn wir spüren oft die grenzen der identifikation mit den früheren [Meistern]. Es ist uns wahrscheinlich unmöglich, die schraube zurückzudrehen, das heisst uns z. b. wie menschen der barockzeit zu gebärden. Was uns möglich ist, bleibt die wahrheit dieser alten formen zu erleben, weiter nichts. Gewiss ist das schon viel – und gern begebe ich mich in diese klangliche raumwelt, welche diese alten in klarer, einfacher eindeutigkeit uns hinterlassen haben.«54

50 51 52 53 54

Vgl. ROECK 2013, S. 94. Vgl. BEHRENS 2014, S. 112. Ficino macht auf die Harmonisierung des platonischen und christlichpatristischen Liebeskonzeptes aufmerksam. Vgl. ROECK 2013, S. 94. Die Malerei wurde von keinem antiken Autor als Erkenntnissystem anerkannt. Vgl. ROECK 2013, S. 94. STAUFFER 2013, S. 29. Brief an Frey (über John Cage) vom 14.7.1955.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Dieses grundsätzlich Zitat hinsichtlich der Alten Meister könnte im Kontext von Étant donnés als eine nachträgliche Kontroverse gesehen werden, denn es enthält einen aufschlussreichen Gedanken zu Duchamps Werk: Die Vergangenheit in der Rezeption, in diesem Fall der Hexenkörper, wird durch den in der Gegenwart stattfindenden Seh-Akt aktiviert. Die Passivität des bereits Vergangenen in Étant donnés, und somit der altmeisterliche weibliche Akt Baldungs, wird durch den aktiven Einbezug der Rezeption von Duchamps männlichem Geist geradezu neu belebt und in kreativer Schöpfung neu formuliert: Aktive und passive Materie sowie Gegenwart und Vergangenheit verschmelzen miteinander. Und in Hinsicht auf ebendiese Situation bietet das Werk Duchamps einen Spielort, betrachtet man seinen Akt als eine solche Liebesmaschine im Sinne der beschriebenen Verbindung von Werk und Betrachter, also des innerbildlichen Spiels von Rezeption und Werkerzeugung. Duchamp macht das Auslöschen von Axiomen unmöglich, gleiches gilt für das Abwenden des Blickes von seiner Kunst. Gezielt dirigiert er den Blick des Betrachters auf vermiedene Themen, um einer kulturhistorischen Verdrängung entgegenzuwirken und das Sehen zu stärken, zu sensibilisieren, und so das Hinterfragen moralischer Paradigmen anzuregen. Es handelt sich in Duchamps Kunst um eine große Transformation, ein Hinüberführen oder einen Transport von vergangener Kunst in die Gegenwart des Schaffenden; eine Gegenwart, die das orgiastische Mysterium in Hegel’scher Art aufhebt und damit konserviert. In der vollzogenen Aufhebung kommt es zu einer Reflexion wie auch zur erneuten Speicherung von Bildinhalten. Das Dämonische hat seit jeher Präsenz, Duchamp schafft es aber, mit dem Angebot seiner Nackten einen Reflexionsort zu schaffen, an welchem eine grundlegende Hinterfragung der Handlungen und Gedanken möglich ist, sodass der Betrachter für seine eigene Position Verantwortung übernehmen kann. Duchamp unterzieht den Betrachter auf diese Weise einer Art Schulung. Er greift in Étant donnés einen Realismus auf, der gleichwohl das dualistische Moment des Illusionistischen wie des Realen im dargestellten Körper wahrt und das Bild zu einem lebendigen, dreidimensionalen Tafelbild werden lässt. Die Irritation hierin zeigt sich in der Materialität, die den Betrachter an eine Vergewaltigung des Körpers denken lässt. Duchamp überzieht das hohle Drahtgerüst des Torsos mit Schweinsleder. Dieses imitiert die Haut der Liegenden und versinnbildlicht ihre tierische, vielleicht auch »unreine« Seite.55 Duchamp arbeitet mit sehr vielen Wortspielen und mit Sprachwitz. Zu einem Wortspiel könnte Duchamp auch durch die Inschrift der Zeichnung von Baldung inspiriert worden sein. In der Aufschrift DER . COR CAPEN . EIN GVT IAR in Baldungs Neujahrsgrußkarte könnte Duchamp phonetisch in französischer Sprache »corps qui a peine« gelesen haben, was soviel bedeutet wie der »Körper, der Schmerzen hat«. Schmerzen haben und leiden hat auf Französisch die gleiche Bedeutung (avoir de la peine). Nach Magritte ist nicht nur das Denken ein unsichtbarer Zustand, sondern auch das durch die Malerei Ausgedrückte und sichtbar Gemachte: Er lässt somit das Denken

55

Vgl. TAYLOR 2008, S. 41. Taylor weist auf das Schweinsleder hin, mit welchem der Torso in Étant donnés überzogen ist.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

durch die Kunst zu Figuren werden.56 Duchamp scheint dies dadurch deutlich machen zu wollen, dass der Körper in Étant donnés neben dem erotischen Charakter des Kunstkörpers auch immer wieder einer geschundenen Leiche oder einem vergewaltigten Menschen gleichkommt – ein Kunstgedanke per se, an dem mit realen Assoziationen und teilweise visuellen Rezeptionen der Brückenschlag zu Baldung in Ausschnitten erkennbar ist. Duchamp bezieht somit ausgewählte Körperteile der rezipierten Figuration mit ein. Darüber hinaus halten Assoziationen die Phantasie gegenüber dem Werk wach und beziehen sich auch auf das Bildergedächtnis hinsichtlich der Rezeption, welche an das Werk gebunden ist. Tatsächlich wird der Körper in einer sehr unnatürlichen, kränklich erscheinenden grünlichen Färbung gezeigt, und die teilweise geöffnete Haltung des unteren Körperabschnitts an dem unbequem wirkenden Ort erscheint wie eine durch und durch künstliche Pose.57 Der Akt, den er mit seinen eigenen Händen geformt hat, wird demnach als der geschundene Leib geschaffen, an dem sich die Spuren des Künstlers im Werk niederschlagen.58

4.2.

Grundformen

Die Hexenkörper im Neujahrsgruß mit drei Hexen von Hans Baldung Grien sind wie unter Punkt 4.1 beschrieben in einem spitzen Dreieck angeordnet und nehmen auf dem undifferenzierten Boden und Hintergrund den Bildraum in seiner Breite ein. Das hochkant ausgerichtete Signaturschild Baldungs unten steht unmittelbar in der senkrechten Achse des hochgehaltenen, feuersprühenden Topfes am oberen Bildrand. Mit diesem zentral gesetzten Signaturschild gibt Baldung die Blickrichtung für den Betrachter vor. Verbindet man das durch die Hexenkörper geformte, nach oben zulaufende spitze Dreieck mit dem Signaturschildchen, ergibt sich imaginativ ein weiteres Dreieck, welches mit seiner Spitze nach unten zeigt. Beide Dreiecke bilden zusammen eine auf die Spitze gestellte Raute. Der Neujahrsgruß mit drei Hexen sticht aus Baldungs übrigen Hexenbildern heraus, da er komplett von Beiwerk befreit ist – mit Ausnahme des Feuertopfs, den die junge Hexe in die Höhe hält.59 Brinkmann erinnert in diesem Zusammenhang an die mittelalterlichen Figurenalphabete in der Baldung-Forschung, welche dem zeitgenössischen Betrachter bekannt gewesen sein mussten. Vom Meister E. S. sind am Oberrhein, wo Baldung tätig war, solche Figurenalphabete erhalten. Sie zeigen durch Figuren nachgestellte Symbolbilder und Buchstaben, die »naturalistische« und »abstrakte, reine Formen« darstellen.60 Brinkmann vermutet, dass sich Baldung im Neujahrsgruß mit drei Hexen humorvoll auf ein derartiges Alphabet bezieht. Marcel Duchamps Stéréoscopie à la main / Handmade stereopticon Slides / HandStereoskopie von 1918/19 (Abb. 63) aus der Sammlung Dreier (Museum of Modern Art, 56 57 58

59 60

Vgl. BLAVIER 1986, S. 532f. Vgl. BAYL 1964, S. 60. Von Baldung gibt es eine Vergewaltigungsdarstellung – Mann, eine Frau mit dem Dolch bedrohend (1524) (Staatliche Kunsthalle Karlsruhe) –, in welcher er den geschundenen Körper oder Akt tatsächlich nur noch als ein Stück Fleisch darstellt. Vgl. AUSST.-KAT. Frankfurt 2007, S. 56ff. Vgl. AUSST.-KAT. Frankfurt 2007, S. 58ff; BRINKMANN/KEMPERDICK 2005, S. 31.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

New York) besticht durch seinen Minimalismus: Der Hintergrund besteht aus Meer und Himmel in gleichmäßigem Weiß mit einer geraden Horizontlinie dazwischen und einem Boot. Leicht verrückt auf der rechten Bildhälfte ist ein schlanker geometrischer Körper eingezeichnet, bestehend aus einer spitzwinkligen, nach oben gerichteten pyramidalen Form und einer kleineren, nach unten gerichteten Pyramide. Die jeweiligen quadratischen »Bodenflächen« der beiden Körper sind mittig zusammengefügt und bilden mit den diagonalen Verbindungslinien der Eckpunkte ein Kreuz. Das Bild ist zweifach nebeneinandergestellt, seriell verdoppelt, um beim Betrachter die dreidimensionale Wahrnehmung der zweidimensionalen Bilder zu ermöglichen, wenn er durch ein Stereoskop blickt. Durch das Stereoskop werden die beiden Bilder zu einem, und das erinnert an den geführten Betrachterblick in Étant donnés, welches erst Jahre später entstehen sollte. Duchamps Werk Stéréoscopie à la main erinnert an die Grundstruktur, die schon Baldungs Neujahrsgruß mit drei Hexen zugrunde liegt: das Dreieck, welches bei Duchamp erneut gespiegelt bzw. nach unten hin in eine Rautenform verdoppelt ist. Was bei Baldung die Hexenkörper sind, ist bei Duchamp allein das gespiegelte Dreieck in Form der Raute. Das obere Dreieck ist nach oben hin etwas verjüngt. Das gedoppelte Dreieck in Stéréoscopie á la main verbindet also zwei Sehstrahlen in einer Form: ein Hinweis auf die serielle Vervielfältigung, welche der Rezeption als Quelle zugrunde liegt. Ferner erinnert das Dreieck auch an die Grundform des Feuers aus den vier Elemente und erinnert an jenes, welches die stehende Hexe nach oben hält. Das Wasser im Hintergrund steht für das bewegte Prinzip und erinnert an die innere masturbatorische Bewegung des Hexenkörpers. Jahre später verwendet Duchamp erneut die Motive in Étant donnés, indem er sie tatsächlich dreidimensional umsetzt und der Wasserfall den Hintergrund bewegt. In Stéréoskopie à la main bleibt es beim statischen Motiv des Wassers. Stéréoscopie à la main ist in Buenos Aires entstanden und mit der Aufschrift »Original« versehen, ansonsten unsigniert und undatiert.61 Das frühe Entstehungsdatum 1918 verrät, dass dies bereits im Zusammenhang mit dem Erscheinen der altmeisterlichen Kunst in Duchamps Werk zu verstehen ist, auf die er ab 1911 verstärkt rekurriert und die sich ab 1912 im Zuge der Bearbeitung des Großen Glases einen dominanten Platz erobert. Duchamp hat zu diesem Zeitpunkt bereits alle Kernideen theoretisch durchdacht; die Rautenform, welche er als geübter Seher entdeckt hat, fügt sich gut in sein zunehmend Gestalt annehmendes Konzept ein. Aus literarischer Sicht prägt Goethe das Formdenken. Er erklärt, dass die äußeren Formen nicht etwas von außen Zugetragenes sind, sondern etwas sichtbar gemachtes Lebendiges.62 Im Hinblick auf die Stéréoscopie à la main wirft dies die Frage auf, ob tatsächlich das Meer der thematische Hintergrund ist oder ob diese Wahl als Analogie zu dem Weiblichen verstanden werden könnte. Wilhelm Worringer spricht 1911 in seinem Aufsatz in Der Sturm von einem Dualismus aus Form und Inhalt, die er in einem Kunstwerk vereint haben wolle. Der »äußere Symbolismus« solle in das Innerste des Kunstwerkes eindringen. Worringer plädiert angesichts der, seiner Ansicht nach, seit der Renaissance verarmten Kunst dafür, dass 61 62

Vgl. BLUNCK 2008, S. 123. Vgl. KULTERMANN 1990, S. 162.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

diese sich wieder in die Tradition der Erkenntnisse stelle und sich der Suggestion und dem »kultivierte[n] Illusionismus« ergebe. Er weist auf eine »entwicklungsgeschichtliche« Verantwortung hin, der sich die Museen zu stellen hätten, anstatt dem Geschmack nachzugeben.63 Dalí prophezeit formelhaft: »All that which will not be terribly important shall be pitilessly swept away, all that which will not have form shall perish!«64 Schon Leonardo da Vinci spricht von Kraft, welche den Körper und somit auch das Kunstwerk durchfließe. Er schreibt: »Kraft […] ist eine geistige Macht, eine unsichtbare Energie, die durch beseelte Körper in unbeseelten durch erworbene Gewalt geschaffen und ins Leben gerufen wird, indem sie diesen Körpern den Anschein von Leben verleiht; dieses Leben besitzt eine unglaubliche Energie, die alles Geschaffene von seinen Plätzen zwingt und verwandelt.«65 Duchamp geht einen Schritt weiter, wenn er tatsächlich von »Kraftlinien« spricht, welche das Kunstwerk durchlaufen: »Ich erinnere mich – um 1911 herum – kam uns zum Beispiel in den Sinn zu sagen: Wenn die Büste Beaudelaires zerplatzte, würde sie entsprechend ihrer Kraftlinien zerplatzen: die Kraftlinien stellen folglich das Objekt in seinem Mittelpunkt dar, sie bestimmen die Form.«66 Diese Kraft geht nicht nur vom Kunstwerk aus, sondern sie wird in der Literatur um 1900 auch auf den Künstler selbst übertragen. So liest man bei Zimmermann in der Beschreibung der Künstlerperson von der »kraftgenialen Natur« des Künstlers, welcher nach »dramatischer Bewegungsfülle« strebe, die er vor allem in seinem Medium des Holzschnittes zeige. Solcherlei Ausführungen verleiten wohl den Autor, auch generell Maler am Mittel- und Oberrhein und in der Schweiz wie auch in südwestlichen, deutschsprachigen Regionen als »kraftvolle Künstlernaturen« zu titulieren.67 1904 bereits beschreibt Baumgarten Baldungs Hexen (also 1912 schon für Duchamp verfügbar): »Sie boten dem Künstler Gelegenheit, die Formen des nackten Körpers zur Darstellung zu bringen…«68 Der Körper ist zum künstlerischen Objekt geworden. Verspätet und in neuer Form arbeitet also auch Duchamp, für den der Akt immer von großer Bedeutung ist, mit dem Körper. So Apollinaire: »Duchamp ist der einzige moderne Maler, der sich heute [im Herbst 1912] noch um Akte kümmert.«69 Maß, Platz und Blickführung sind genau konstruiert, der Akt ist präzise in Raumkonzept und Form platziert und eingepasst.70 Der Körper gibt somit organische Formen wieder, in welchen eine Selbstreflexion möglich ist. Duchamps Étant donnés kann hierfür als Beispiel gelten. Die Zweifel, welche Dürer noch hinsichtlich des Idealen, des Schönen hat, überwinden

63 64 65 66 67 68 69 70

Vgl. WORRINGER 1911, S. 598. Vgl. LEVY 1941, S. 1. HOLZHEY 2009, S. 63. VALLIER 1961, S. 100. Vgl. ZIMMERMANN 1900, S. 590f. SCHADE 1984, S. 100; BAUMGARTEN 1904, S. 246ff. LEBEL 1972, S. 27. Vgl. SCHADE 1984, S. 102.

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Baldung und später dann auch Duchamp, indem sie den Betrachter dazu einladen, das, was der Künstler tut und sieht, ebenfalls zu sehen, wenn nicht sogar zu berühren und nachzuempfinden.71 In altmeisterlichen Bildern lassen sich oft Grundformen imaginieren, die mit Interesse auch im Bauhaus bearbeitet wurden. Dort erscheint 1921 Utopia. Dokumente der Wirklichkeit, herausgegeben von Bruno Adler. In diesem Künstlerbuch sind Bilder von Alten Meistern mit den zugrunde liegenden Formen überzeichnet. Begleitet sind die Illustrationen von einem Textausschnitt aus Marsilius Ficinus’ De vita coelitus comparanda, in dem beschrieben wird, dass bereits in Ägypten Statuen von Göttern mit den Planeten verbunden waren, welche den irdischen Abbildern ähnlich sahen, und dass die himmlischen Ebenbilder zu den irdischen hinabstiegen, um den Menschen zu nutzen oder zu schaden. Überirdische Verbindungen stellte man sich wie Sternstrahlen vor, Linien, die wiederum Formen bildeten, wenn sie sich mit den irdischen Abbildern verbanden. Die irdischen Abbilder wurden auf diese Weise in gedachten Verbindungen und sich beeinflussender Wirksamkeit mit den himmlischen Vorbildern verbunden; ihnen wurde »lebendige Kraft« zugeschrieben.72 1912 befasst sich Wassily Kandinsky in Über die Formfrage im Almanach Der Blaue Reiter mit dieser Thematik. Er plädiert dafür, dass jeder Künstler nicht nur »Nachempfinder« sei, sondern durch »innerste Notwendigkeit« seine Form als sein eigenes Ausdrucksmittel finden solle.73 Im gleichen Kapitel präzisiert Kandinsky diese Aussage, indem er schreibt: »Die Formfrage ist für die Kunst oft schädlich auch darum, weil unbegabte Menschen, sich der fremden Formen bedienend, Werke vortäuschen und danach eine Verwirrung verursachen.«74 Kandinsky wendet aber ein: »Eine fremde Form zu gebrauchen, heißt in der Kritik im Publikum und oft bei den Künstlern ein Verbrechen, ein Betrug. Das ist aber in Wirklichkeit nur dann der Fall, wenn der ›Künstler‹ diese fremde Form ohne innere Notwendigkeit braucht und dadurch ein lebloses, totes Scheinwerk schafft. Wenn aber der Künstler zum Ausdruck seiner inneren Regungen und Erlebnisse sich der ein oder der anderen ›fremden‹ Form der inneren Wahrheit entsprechend bedient, übt er sein Recht aus, sich jeder ihm innerlichen nötigen Form zu bedienen – sei es ein Gebrauchsgegenstand oder eine durch einen anderen Künstler schon künstlerisch materialisierte Form. Und wirklich: je weiter wir unseren Blick der Vergangenheit zuwenden, desto weniger finden wir Vortäuschungen, Scheinwerke. Sie sind geheimnisvoll verschwunden. Nur die echten künstlerischen Wesen bleiben, d. h. die, die in dem Körper (Form) eine Seele (Inhalt) besitzen.«75

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Zu denken ist hier an den von Duchamp gestalteten Umschlag des Ausstellungskataloges Le Surrealisme en 1947. Auf der Vorderseite prangt eine weibliche Brust. Auf der Rückseite wird der Betrachter geradezu mit einem Pière du touche zur Berührung aufgefordert. So sind in etlichen Werken Duchamps haptische Momente für den Betrachter konzeptuell erdacht. Vgl. ADLER [1921] 1980, S. 20f.; PFISTERER 2014, S. 72. Pfisterer verweist auf »Asclepius 37«, eine Passage, welche wohl bei Ludovico Lazzarelli in Crater Hermetis 1464 kommentiert wurde. Vgl. KANDINSKY/MARC 1912, S. 76f.; DZIERSK 1995, S. 10f. Vgl. KANDINSKY/MARC 1912, S. 90. Vgl. KANDINSKY/MARC 1912, S. 91f.

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Er beschreibt, wie sich jeder Individualismus im Geist des jeweiligen Künstlers widerspiegelt und so die Form den »Stempel der Persönlichkeit« trägt und auch das »Nationale im Werk bezeichnet«. Jede Kunst hat ihre eigene Sprache und spricht durch ihre eigenen Mittel, so beschreibt es Kandinsky an anderer Stelle im Almanach: »Jede Kunst ist ein eigenes Leben.«76 Das Bearbeiten anderer Werke ist kein neuer Inhalt, sondern ein traditioneller Einsatz von Ikonografie und gleichzeitig die Einordnung in einen Kunstkanon, welcher wiederum von der Kunstgeschichte erschlossen wird. Des Weiteren knüpfen seit jeher alle Schulen mit dem Studieren und Kopieren an die Alten Meister an. So erwähnt Kandinsky genauso wie Duchamp viele Besuche in der Alten Pinakothek in München zu Beginn seines Studiums, wo er die Alten Meister studierte.77 Auch Macke bezeugt den künstlerischen Akt durch das individuelle Ausdrucksmittel des Materials: »Formen sind starke Äußerungen starken Lebens. Der Unterschied dieser Äußerungen untereinander besteht im Material, Wort, Farbe, Klang, Stein, Holz, Metall. Jede Form braucht man nicht zu verstehen, man braucht auch nicht jede Sprache zu lesen.«78 Kandinsky umschreibt, dass eine äußerliche Form, wenn sie einer Quelle entnommen werde, oft den Anschein erwecke, als wären beide miteinander »verwandt«, als wäre eine äußerliche Ähnlichkeit vorhanden, woraus eine »Bewegung« erzeugt würde.79 Er meint weiter, dass jede Form seine Richtigkeit hat, wenn sie von innen herauskommt, und wenn die Seele des Künstlers in die Form einwirkt. Die Form des Dreieckes wird von Kandinsky gesondert behandelt: »Es ist natürlich, dass der Mensch sich in einem solchen Falle an das Regelmäßigste und zugleich Abstrakteste wendet. So sehen wir, dass durch verschiedene Kunstperioden das Dreieck als Konstruktionsbasis gebraucht wird. Dieses Dreieck wurde oft als ein gleichseitiges angewendet, und so kam auch die Zahl zu ihrer Bedeutung, d. h. das ganz abstrakte Element des Dreiecks. In dem heutigen Suchen nach abstrakten Verhältnissen spielt die Zahl eine besonders große Rolle. Jede Zahlenformel ist wie ein eisiger Berggipfel kühl und als höchste Regelmäßigkeit wie ein Marmorblock fest. Das Suchen in einer Form, die manchmal bis zum letzten Grade der Vernichtung des materiellen Zusammenhanges der Teile des Dinges führen muss und in konsequenter Anwendung führt. Das letzte Ziel auch auf diesem Wege ist, ein Bild zu schaffen, das durch eigene, schematisch konstruierte Organe zum Leben gebracht wird, zum Wesen wird…«80 Das Dreieck kann nach Kandinskys Vorstellung von Künstlern unterschiedlich genutzt werden: Diejenigen, die »niederen Bedürfnissen« nachgingen, betrögen diese Art von Künstler. Kandinsky stellt sie mit einem »toten schwarzen Fleck« gleich; sie bringen letztlich das geistige Dreieck zum Zerfall. Des Weiteren macht Kandinsky darauf aufmerksam, dass, wenn man eine fremde Form nutze, dies auch bedeuten könne, dass 76

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KANDINSKY/MARC 1912, S. 103 und 22ff. August Macke: »Wie der Mensch, so wandeln sich auch seine Formen« und »Der Mensch äußert sein Leben in Formen. Jede Kunstform ist Äußerung seines inneren Lebens« oder »Das Äußere der Kunstform ist ihr Inneres.« Vgl. DZIERSK 1995, S. 10. Vgl. KANDINSKY/MARC 1912, S. 24. Vgl. ebd., S. 77. Vgl. ebd., S. 96.

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dieses Vorgehen vom Publikum als Betrug gewertet werde und das Ergebnis dann nur noch ein totes Kunstwerk sei. Wenn man sie aber mit seinem eigenen Inneren verbinde, könne man die fremde Form mit der eigenen verknüpfen, und es ergebe sich ein Gebrauchsgegenstand, ein Himmelskörper. Kandinsky verweist auf eine natürliche Selektion in der Kunst, indem er anmerkt: »Das Lebende bleibt. Das Tote verschwindet.«81 Auch Franz Marc spricht im Almanach über die Formen, welche von der Vergangenheit her noch nicht aufgearbeitet seien: »…Heute ist in Kunst und Religion diese lange Entwicklung durchlaufen. Aber noch liegt das weite Land voll Trümmer, voll alter Vorstellungen und Formen, die nicht weichen wollen, obwohl sie schon der Vergangenheit angehören. Die alten Ideen und Schöpfungen leben ein Scheinleben fort, und man steht ratlos vor der Herkulesarbeit, wie man sie vertreibt und freie Bahn schaffen soll für das Neue, das schon wartet. Die Wissenschaft arbeitet negativ, au détriment de la religion – welch schlimmes Eingeständnis für die Geistesarbeit unserer Zeit.«82 1933 äußert Dreier in einem Vortrag, dass nicht nur die abstrakte zeitgenössische Kunst auf Formenkonstruktionen basiere, sondern auch die Alten Meister ihre Struktur auf Unterkonstruktionen aufgebaut hätten, auf The Invisible Line – ein Thema, zu dem Dreier einen Beitrag verfasst hat. Sie führt aus, dass die alten Formen sogar zu einem »Wesen« werden könnten.83 1931 spricht sie von einer konkreten Herangehensweise, um Kunstwerke durch das eigene Sehen befragen zu können. Dieses Herangehen solle, so Dreier, auf alter bzw. auf vorhandener Substanz aufbauen. Sie erläutert: Erstens sollte es eine »mechanische Erinnerung« und zweitens eine »historische Erinnerung« geben, welche für die Ideen und Assoziationen des Kunstwerkes zuständig sind, und zuletzt sollte die »visuelle Erinnerung« angeregt werden. Das visuelle Auge hält sie für wichtig, weil es das »geistige Auge«, welches die Dinge wiedererkennt, trainiert.84 Dieses »künstliche Gedächtnis« wurde bereits von Cicerone im Lehrbuch der Gedächtniskunst, Ad Herennium, beschrieben. Ein locus, ein Ort, an den man sich generell leicht erinnern kann, ist gleichzeitig ein Ort, der dafür geeignet ist, zu Erkenntnissen zu gelangen, wofür Symbole wie ein Pferd und andere frei gewählte Sinnbilder als Referenzobjekte dienen können.85 Dreier erwähnt an anderer Stelle Hegel, der sage, dass es einer Einheit von Form und Idee bedürfe; je perfider beides sich miteinander verbinde, desto besser sei die Kunst.86 Picasso erklärt, dass er ein Thema leicht wiederholend und das ursprüngliche Vorbild etwas verändernd aufzugreifen vermag: »Es gibt keine abstrakte Kunst. Man muß immer mit etwas beginnen. Nachher kann man alle Spuren des Wirklichen entfernen. Dann besteht ohnehin keine Gefahr mehr, weil die Idee des Dinges inzwischen ein unauslöschliches Zeichen hinterlassen hat. Es

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Vgl. ebd., S. 91. Ebd., S. 9. Vgl. DREIER 1933, S. 9f. Vgl. DREIER 1931, a, S. 17. Vgl. AUSST.-KAT. Bonn 1994, S. 26. Vgl. DREIER 1931, a, S. 16.

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ist das, was den Künstler ursprünglich in Gang gebracht, seine Ideen angeregt, seine Gefühle in Schwung gebracht hatte. Ideen und Gefühle werden schließlich Gefangene innerhalb seines Bildes sein. Was auch mit ihnen geschehen mag, sie können dem Bild nicht mehr entschlüpfen. Sie bilden ein inniges Ganzes mit ihm, selbst wenn ihr Vorhandensein nicht länger unterscheidbar ist. Ob es dem Menschen passt oder nicht, es ist das Werkzeug der Natur. Sie zwingt ihm ihren Charakter und ihre Erscheinungsform auf.«87 So äußert sich auch Duchamp hinsichtlich der Erschaffung seines Großen Glases ganz ähnlich: »In the ›Bride‹, in the ›Glass‹, I tried constantly to find something which would not recall what had happened before. I have had an obsession about not using the same thing. One has to be on guard because, despite oneself, one can become invaded by things of the past. Without wanting to, one puts in some detail. There, it was a constant battle to make an exact and complete break.«88 Dies zeigt, dass er innerhalb der Rezeption – auch wenn er exakt darauf aufbaut – versucht, so Duchamp, mit einem Bruch fortzufahren, um ihn im eigenständigen Sinn im Großen Glas zu vollziehen und im Hinblick auf die eigene Zeit anzupassen. 1918 entstehen neben Stéréoscopie à la main weitere Bilder, welche Zeugnisse dafür sind, dass sich Duchamp nicht nur mit Umrissformen, sondern auch mit Grundformen: Dreiecken, runden und geraden Formen, auseinandersetzt, zum Beispiel À regarder (l’autre côté du verre) d’un œil, de près, pendant presque une heure von 1918 (Abb. 52). Es liegen Überlegungen zugrunde, welche thematisch zum Großen Glas gehören, für dessen unteren Teil er sich ausführlich mit technischen Zeichnungen befasst. Diese geometrisch-abstrakten Formen sind immer von einer konkreten, materiellen Idee abgeleitet und im Sinne einer ästhetischen Formensprache zu deklinieren. Sie setzen in ihrer Formgebung dem aufgerichteten, generativen Prinzip der Geraden auch sexuelle Konnotationen frei, wecken etwa phallische Assoziationen und deuten auf runde oder breite geometrische Formen im oberen Teil der genannten Glasplatte hin: In der oberen Hälfte, in welcher Duchamp den weiblichen Teil verbildlicht, wird der männliche Teil aufgenommen. Auch in weiteren Werken Duchamps sind solche Grundformen zu erkennen: im Fahrrad-Rad, den Roto-Reliefs, in Fountain, aber auch zum Beispiel in Fresh Widow. Bei Dreier heißt es: »To learn therefore to discriminate between essence and form is one of the most important functions of the spectator when considering any expression of art. Art is an expression of feeling and must be absorbed through the senses. Therefore those who would appreciate art through the mind only are quickly led astray for if feeling is left out of either the production of a work of art or in studying a work of art the essence is lost and the response will be given to the outer shell which is forever changing and passing.«89

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AUSST.-KAT. Baden-Baden 1968, o. S., Text gegenüber Abb. 18. JUDOVITZ 1995, S. 72. DREIER 1931, a, S. 13.

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Es wird deutlich, dass es Duchamp nicht schlicht um geometrische Formen geht, sondern dass er bemüht ist, diese mit eigenen Metaphern und Gedanken regelrecht mit Sinn zu füllen. Auch wenn die Formen teilweise aus der Kunst Baldungs abgeleitet sind, verlieren sie nicht an ikonografischem Sinn durch die Rezeption. Die Herausbildung ist somit eine Kristallisation in Duchamps Sinne, indem er seine eigenen Schlüsse aus den Formen Baldungs zieht. Die Konkretisierung der Form ist die grundlegende künstlerische Aufgabe, die den Geist dahinter sichtbar werden lässt. In der plastischen Umsetzung in Stéréoscopie à la main, und letztlich in Étant donnés, wird die Lebendigkeit im gestaltenden Akt selbst sichtbar, indem die alten Formen und Inhalte neu belebt werden. Er lässt darin die Lust, die geistige Idee selbst sichtbar werden und damit auch eine kunsttheoretische Reflexion, die selbst zum Gestaltungsakt wird. Bereits bestehende, konzeptualisierende Gedanken werden damit erneut lebendig. Durch die technische Umsetzung haben sie ein neues Aussehen erhalten und sind so von höchster Aktualität und plastisch herausgearbeitet.

4.3.

Baldungs Adam und Eva im Katalog First Paper of Surrealism 1942

In dem von Duchamp und Breton gemeinsam erstellten Katalog First Paper of Surrealism für die gleichnamige Ausstellung in New York im Jahr 1942 findet sich eine aus zwei Abbildungen zusammengestellte Seite (Abb. 64 a). Die Seite bezieht sich auf Duchamps Étant donnés und beinhaltet einen altmeisterlichen Kupferstich, der hier vorgestellt wird, und zwar das Ruhende Liebespaar von 1527 (Stuttgart, Staatsgalerie) von Hans Baldung Grien (Abb. 64 b). Die Abbildung wird im Surrealisten-Katalog indes mit Adam und Eva bezeichnet und trägt als Bildunterschrift ein Hegel-Zitat: »L’histoire de la Chute met en lumière le retentissement universel de la connaissance sur la vie spirituelle.«90 Sie zeigt ein Paar (oder im Sinne der Autoren: das Urelternpaar) in einer ungewöhnlichen Darstellungsform nebeneinander liegend.91 Das nackte Paar weist keinerlei Attribute der Erzählung von Adam und Eva auf, wie beispielsweise den Baum der Erkenntnis oder einen Apfel, weswegen es nicht eindeutig ist, ob es sich um das Urelternpaar handelt. Die Frau hat sich vom Mann, der sie im Arm hält, scheinbar teilnahmslos weggedreht. Die von ihnen gestreckten Beine beider Protagonisten scheinen in gleichartiger Weise leicht angezogen zu sein, wobei die dem Betrachter zugewandte Frau ihr linkes, das obere Bein über das andere geschlagen hat, sodass dessen Knie zum Betrachter zeigt, während das linke, äußere Bein des auf dem Rücken liegenden Mannes angewinkelt aufgestellt ist.

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AUSST.-KAT. München 2012, S. 68. Dt.: »[Der] Mythos vom Sündenfall [drückt] […] das allgemeine Verhältnis des Erkennens zum geistigen Leben [aus].« Vgl. AUSST.-KAT. Karlsruhe 1959, S. 82. In der Baldung-Forschung wird das Adam- und Eva-Thema angezweifelt und ein mythologisches Thema angedacht; RÖDER 2003a, S. 140. Röder umschreibt die dargestellte Seite von Duchamp und Breton im Surrealisten-Katalog; BALDAß 1926, S. 34. Baldaß befindet, dass die Frau schläft und der Mann mit geöffneten Augen daliegt; darüber hinaus merkt Baldaß das »Zusammen- und Auseinanderlaufen ihrer Linien« an; AUSST.-KAT. Venedig 1993, 12.-13. Oktober.

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Auf derselben Katalogseite findet sich unter Baldungs Kupferstich eine Fotocollage. Sie setzt sich aus einem kreisrund ausgeschnittenem Bild mit einem gerahmten Detail darin zusammen. Das Detail ist an ein Bild von Paul Delvaux angelehnt, das nachgestellt und fotografisch festgehalten wurde. Die Kompositon hat die Bildunterschrift »M. D. À la manière de Delvaux« (Abb. 65). Die gesamte Katalogseite ist mit »Le Péché Originel« (dt.: die Erbsünde) untertitelt (Abb. 64 a). Das Detail rekurriert auf einen Bildausschnitt aus dem Ölbild L’Aurore von Paul Delvaux aus dem Jahr 1937 (Venedig, The Peggy Guggenheim Collection, Abb. 66 a und b). In Delvaux’ Gemälde ist das Detail eine gemalte weibliche Brust, die in Duchamps Collage durch ein lebendes Modell ersetzt wurde: Die nachgestellte Szene ist in einer Schwarz-Weiß-Fotografie festgehalten und in einen ähnlichen Rahmen wie das Vorbild montiert, sodass die abgebildete Brust den Anschein erweckt, als wäre sie ein Spiegelbild.92 Kornelia Röder weist auf die spezifische Eigenschaft von Delvaux hin, der dafür stehe, dass er seine »weiblichen Akte in magisches Licht tauchte und ihrer Körperlichkeit dadurch eine besondere Magie verlieh«.93 Duchamp greift indes auch hier in die Rezeption ein und entfernt den rechten Armansatz im fotografierten Bildausschnitt des nachgestellten Aktes. Das zugehörige Kapitel im Ausstellungkatalog haben Duchamp und Breton mit »On the Survival of Certain Myths and on Some Other Myths in Growth or Formation« betitelt.94 Duchamp visualisiert auf der hier diskutierten Seite erste vorbereitende Ideen zu Étant donnés und verrät damit abrisshaft seine Gedanken den Inhalt des Werks betreffend und sein theoretisches Vorgehen.95 Der Vorentwurf auf der Katalogseite birgt annähernd folgenden kreativen Gedanken: Der runde Collage-Ausschnitt steht im Fokus des Betrachterblicks und deutet bereits auf die Peephole- bzw. Schlüssellochperspektive, welche Duchamp schließlich in Étant donnés herausarbeiten wird.96 In der Collage ist der rechte Armansatz, der in der Vorlage von Delvaux noch deutlich zu erkennen ist, weggelassen – wie letztlich auch beim Torso von Étant donnés. Weiter wird angedeutet, dass das entstehende Werk auf Hans Baldung Grien Bezug nehmen wird, genauer: eine Szene nach einem Akt von Baldung und die Auseinandersetzung mit der Einswerdung oder Entzweiung von Mann und Frau bzw. zwischen Kunstwerk und Künstler. Es wird auch ein erotisches Detail näher in Augenschein genommen werden, das ausschnitthaft einem anderen Werk entstammt. C. G. Jung macht auf eine ähnliche Verbindung bzw. Verschlingung eines Paares in der Kunst aufmerksam, und zwar auf die im alchemistischen Holzschnittzyklus des mittelalterlichen Rosarium Philosophorum. Er erklärt, dass das Paar durch die Verschmelzung im Moment des Todes zu einem zweigeschlechtlichen, hermaphroditischen Wesen werde.97 Dass das Urelternpaar im Surrealisten-Katalog von Duchamp und Breton zwar wie nach einem Liebesakt gezeigt wird, wenngleich es eher in gegenseitiger Abkehr zusam92 93 94 95 96 97

Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2003, S. 17. Vgl. RÖDER 2003a, S. 140. Vgl. AUSST.-KAT. München 2012, S. 67. Vgl. AUSST.-KAT. New York 1942, nach dem Vorwort, S. 11. Vgl. METKEN 1997, S. 56; AUSST.-KAT. London 2008, S. 169. Vgl. JUNG 1993, S. 86ff.

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menliegt, lässt auf eine gewisse Abgeklärtheit und emotionale Abgeschlossenheit des Paares schließen – ein Detail, welchem Duchamp interessiert nachgeht. So findet man in der grafischen Serie, auf die sich Étant donnés bezieht und die im Folgenden behandelt wird, in der Radierung Aprés l’amour / After Love / Nach der Liebe (Abb. 67) ein Liebespaar, welches einander zugekehrt und umschlungen dargestellt wird.98

4.4.

Grafische Serie zu Étant donnés – Umrisszeichnungen

1967 erstellt Duchamp begleitend zu Étant donnés eine grafische Serie mit neun Radierungen. Sechs der Radierungen enthalten Reminiszenzen an Alte Meister und sollen im Folgenden vorgestellt werden. Im Schweriner Katalog von 2003 wird bereits auf die rezipierten Gemälde und eine Skulptur der Künstler Cranach, Rodin, Ingres und Courbet in der grafischen Serie hingewiesen.99 Bei Duchamps Grafiken handelt es sich um formal reduzierte Umrisszeichnungen, die in blassen Linien im Abpausverfahren – wie bei den Alten Meistern üblich – mit geringen individuellen Änderungen erstellt wurden. Die Vorlagen sind daher deutlich identifizierbar; nur vereinzelte Partien sind in Schwarz ausgemalt. Duchamp notiert dazu: »Die richtige Verwendung suchen. Man kann bis dahin gelangen: Problem: eine gerade Linie ziehen auf dem ›Kuss von Rodin‹, durch ein Visier betrachtet.«100 In Le Bec Auer ‒ Play on words with: The Bachelor / Jeu de mots avec: Le célibataire / Wortspiel mit: der Junggeselle von 1967 (Abb. 68), einer Grafik, zeigt Duchamp abermals die Nackte aus Étant donnés, hier mit einem hinzugefügten Mann. Der Mann blickt der Nackten entgegen, mit dem leicht angehobenen Rücken zum Betrachter. Die Figuren sind in der Radierung in feinen Umrisslinien auf weißem Papier festgehalten. Der rechte Ellbogen der männlichen Figur, die beide Hände hinter dem erhobenen Kopf verschränkt hat, erzeugt die Assoziation eines Phallus, der den Unterleib der Frau überlagert und in die gleiche Richtung schräg nach oben zeigt wie der Arm der Liegenden, die eine Lampe hält. Der Arm in seiner exponierten Position wird betont durch ihren parallel verlaufenden Oberschenkel, der zur Seite wegfällt.101 In Anbetracht der reduzierten Darstellungsweise mit nur wenigen angedeuteten Linien und der Tatsache, dass der männliche Kopf von hinten zu sehen ist, während das Gesicht der Frau vom linken Ellbogen des Mannes verdeckt wird, ist das Motiv nicht sofort zu erfassen; seine Wirkung beruht in erster Linie auf seiner verhaltenen Ästhetik und auf dem Spiel mit Assoziationen. Gerhard Graulich erklärt: »Ob mit dem Licht auf die Bereitschaft der Frau hingewiesen werden soll, oder schlechterdings Licht in die erotische Beziehung von Mann und Frau gebracht werden soll, sei dahin gestellt.«102 Diese Frage steht in Verbindung mit dem Betrachterblick in Étant donnés, den der Torso auf sich zieht, stets bereit, so die Vorstellung, die Leuchte zwischen Kunstwerk und Betrachter zu entzünden. Hier, im 98 Vgl. GRAULICH 2003p, S. 254. 99 Vgl. ebd., S. 252ff. 100 BLUNCK 2010, S. 30; »Chercher la bonne utilisation. On peut arriver jusqu’à : Problème : tracer une ligne droit sur le ›baiser de Rodin‹ vu d’un viseur.« HULTEN 1980, S. 184. 101 Vgl. GRAULICH 2003a, S. 25. 102 GRAULICH 2003p, S. 258.

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Falle der Radierung Le Bec Auer, ist es wohl eher die Spannung in der Zusammenkunft des amourösen Paares, welche Duchamp hier festzuhalten versucht und im brennenden Licht versinnbildlicht. Dreier spricht in einem Vortrag 1933 im Heterodoxy Town Hall Club überaus aufschlussreich über die brennende Flamme: »He [the artist] must express himself or burn up, for the living flame is within him. And it is only the living flame which carries the torch of art the ages down. As no candle is lessened by lighting another candle, so no true art is lessened by a new art springing up. It is the continuation of art not the destruction. Art is only destroyed by the imitators, not by the men of vision.«103 Sie bemerkt hinsichtlich des Lichtes eine Kontinuität innerhalb der Kunst, eine Flamme, welche im Künstler brennt und die von Künstler zu Künstler entzündet wird, ohne das Licht des anderen zu überstrahlen. Dreier meint damit, dass künstlerische Arbeiten sich im Laufe der Jahrhunderte rezeptiv aufeinander beziehen oder aufeinander aufbauen. Duchamp spricht von dem grünen Licht der Gaslampe, welche er ursprünglich für Le Bec Auer entwirft (von »bec de gaz« und dem von Carl Auer erfundenen Auer-Glühstrumpf) (siehe Kapitel 4.5, Abb. 82). Grün, die Farbe der Natur, ist die Lieblingsfarbe Baldungs, worauf Duchamp hier an zentraler Stelle zu erinnern scheint, da die liegende weibliche Figur ursprünglich auf die rezipierte Hexe von Baldung weist. Duchamp erklärt: »[…] is more finished, and was painted by gaslight. It was a tempting experiment. You know, that gaslight from the old Auer yet is green; I wanted to see what the changing of colors would do. When you paint in green light and then, the next day, you look at it in day light, it’s a lot more mauve, gray, more like what the Cubists were painting at the time. It was an easy way of getting a lowering of tones, a grisaille.«104 In einem weiteren Blatt der Serie, Morceaux choisis d’après Ingres I / Selected Details after Ingres I / Ausgewählte Stücke nach Ingres I von 1967 (Abb. 69), findet sich ein Detail des Bildes Le Bain turc (ca. 1860) von Dominique Ingres (Abb. 70). Duchamp zitiert in der Radierung die Umrisse des vorne links sitzenden Rückenaktes mit Laute und Turban. Diesem weiblichen fügt er einen männlichen Akt hinzu. Er sitzt erhöht links im Bild, hält das Ende einer Mandoline in der rechten Hand und hat die Linke zum Gruß erhoben. Sein Blick ist nach rechts aus dem Bild hinaus gerichtet. Charakter und Pose des Mannes sind an ein weiteres Bild von Ingres, das Gemälde Augustus écoutant la lecture de l’Enéide / Vergil liest Augustus die »Aeneis« vor aus dem Jahr 1812 (Musées Royaux des Beaux-Arts, Brüssel), angelehnt (Abb. 71). Duchamp zitiert die männlich Figur typischerweise spiegelbildlich – ein häufiges Verfahren, wenn er eine Figur rezipiert, wenn auch nicht im Fall des weiblichen Rückenaktes.105 Bei den Worten Vergils »Tu Marcellus eris« (dt. Du wirst Marcellus sein), die in Duchamps Bild nicht vorkommen, da der Künstler den Vorlesenden, der in einer Variante des Themas von Ingres am linken Bildrand dargestellt ist (Vergil liest Augustus

103 DREIER 1931, S. 11. 104 JUDOVITZ 1995, S. 40. 105 Vgl. AUSST.-KAT. Venedig 1993, S. 146; GRAULICH 2003p, S. 260.

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die »Aeneis« vor, 1812, Musée des Augustins, Toulouse) nicht übernimmt, sinkt Octavia in Ohnmacht, denn darin wird der Mord an ihrem Sohn beschworen; Livia, die sitzende weibliche Person, hat bereits eine Intrige geplant. Der eigentlichen Signatur hat Duchamp in der Radierung noch »Marcellus D.« unter dem Rückenakt hinzugefügt, was auch als »Marcel Duchamp« interpretiert werden kann. Dieser Umstand verweist wohl erneut auf ein Rollenspiel Duchamps und seine Identifikation mit einem zu dem Zeitpunkt bereits Verstorbenen oder Geist. Duchamps Bild setzt sich aus Fragmenten zweier Gemälde von Ingres zusammen, der sich selbst auf mehrere Vorbilder beruft, sodass Duchamp schon wiederholt kopierte Malschablonen für sich nutzt. Ingres fertigte im Vorfeld unzählige Skizzen und ging offenbar auch der »Manie« nach, Gemälde zu überarbeiten und sich dabei stets streng nach Vorbildern aus dem 17. Jahrhundert zu orientieren. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass seine Figuren schweigen und ausdrucksvolle, statische Posen und Gesten für sie sprechen, sie aber zugleich unlebendig dargestellt sind. Geradezu eingefroren wirken die Gesten, insbesondere die erhobenen Arme des Protagonisten, Teile des Körpers, die für Duchamp von großem Interesse sind.106 Duchamp wählt die statischste Variation des Augustus aus dem Gemälde der Musées Royaux in Brüssel als Vorlage, neben dem weiblichen Rückenakt aus dem Türkischen Bad. In seiner Grafik hält Marcellus mit einer Hand den Lautenknauf statt wie im Bild von Ingres die in Ohnmacht gesunkene Octavia auf seinem Schoß. Diese wiederum stellt nun den Rückenakt dar und spielt auf ebender Laute. Das Musikinstrument verbindet die beiden zusammengerückten Figuren in Duchamps Radierung. Damit kombiniert der Künstler zugleich die Themen miteinander und ergänzt so das Medium der Rethorik um die Musik. Auch wenn sich die Blicke der Figuren nicht begegnen, geht das Bein des Mannes in den Körper der Frau visuell über. In Morceaux choisis d’après Ingres II / Selected Details after Ingres II / Ausgewählte Stücke nach Ingres II von 1967 (Abb. 72) sind die Akte aus Ingres’ Gemälde Ödipus und die Sphinx (Musée du Louvre, Paris) entnommen (Abb. 73). In Ingres’ Gemälde sind die Protagonisten in sexuell aufgeladener Zuneigung einander zugewandt.107 Duchamp fügt die Figuren in tatsächlicher Berührung zusammen, er verändert lediglich die Handhaltung der männlichen Figur. Bei Ingres’ Sphinx ist es ein aufforderndes Strecken des Oberkörpers, wodurch das Gegenüber verführt werden soll.108 Für den Katalog Le Surréalism en 1947 fertigt Duchamp ein Cover mit einer plastisch sich abhebenden künstlichen Brust darauf und nötigt so den Betrachter geradezu, sie zu berühren, wenn er das Buch in den Händen halten möchte (Abb. 74). Schwarz erkennt in dieser Radierung erneut eine Rezeption aus Ingres Das türkische Bad (Abb. 70), aus dem sich Duchamp eines Details bedient. Es handelt sich dabei um die zweite Frau vorne rechts, welche eine weitere Frau umfängt, wobei ihre linke Hand an ihre Brust greift, mit eben der Handhaltung wie sie in der Radierung von Duchamp zu erkennen ist (Abb. 72).109

106 Vgl. VIGNE 1995, S. 108f. 107 Vgl. VIGNE 1995, S. 72; GRAULICH 2003p, S. 264. Hier ragt in der unteren linken Ecke der einzelner Fuß eines Toten heraus und erinnert ebenfalls an Torture-morte, allerdings, anders als in Duchamps Darstellung, ein rechter Fuß. 108 Vgl. GRAULICH 2003p, S. 264. 109 SCHWARZ 2000, S. 881.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

In Gustave Courbets (1819–1877) Frau mit weißen Strümpfen von 1864 (Abb. 75), das von Duchamp in seiner Radierung Morceaux choisis d’après Courbet / Selected Details after Courbet / Ausgewählte Stücke nach Courbet von 1967 (Abb. 76) rezipiert wird, ist ein sitzender Akt in der Natur dargestellt: Die sich einen Strumpf abstreifende (oder überziehende), leicht nach hinten gebeugte Frau zeigt sich dementsprechend frontal mit sichtbarem Geschlecht und einem verträumten Gesichtsausdruck. Das linke Bein ist mit Strumpfband und Schuh noch (oder bereits) vollständig bekleidet. Courbets Gemälde befindet sich seit 1926 in der Sammlung von Dr. Albert C. Barnes in Philadelphia, welche Duchamp 1933 zum ersten Mal besucht.110 In Duchamps Radierung ist das Geschlecht mittels Schraffuren stärker verschattet dargestellt als im Vorbild. Auch die Brust ist, im Gegensatz zum Gemälde, nicht eindeutig hervorgehoben; Courbet hebt sie unter dem sie quetschenden Arm ein wenig an. Der übergestreifte Strumpf ist in Duchamps Rezeption im Grunde nur dank des Vorbilds zu denken, denn zu erkennen sind nur noch das durch wenige Striche angedeutete Strumpfband und der Schuh am linken Bein. Weiterhin abweichend ist in der Grafik Duchamps rechts unterhalb der Frau, die von keinem Tiefenraum umgeben ist, ein Falke hinzugefügt. Duchamp, der sich, wie angenommen, selbst als der neugierige Vogel im Werk tarnt, setzt sich somit als Voyeur an eine Stelle mit intimem Blick auf das weibliche Genital. Der Künstler merkt dazu an: »He’s curious, and furthermore he’s a falcon, which in French fields an easy play on words; so that there you can see a false cunt and a real one.«111 Duchamp spielt hier phonetisch mit dem französischen »faucon« und dem englischen »false cunt« und macht sich anscheinend einen Spaß daraus, auf die falsche Vulva (den Falken) im Bild hinzuweisen. Courbet schuf auch das berühmte Gemälde L’origine du monde / Der Ursprung der Welt (1866, Musée d’Orsay, Paris, Abb. 77), mit dem er abermals einen Bezug zu der Vagina in Duchamps Spätwerk Étant donnés herstellt. Es ist das Skandal-Bild des 19. Jahrhunderts, welches lange Zeit nur einem begrenzten Besucherkreis zugänglich ist. In Auftrag gegeben wird es von dem türkischen Diplomaten Khalil Bey.112 Neuartig ist der freizügige, direkte Blick auf den vergrößerten Ausschnitt einer behaarten Vulva als des alleinigen, zentralen Darstellungsgegenstands.113 Aber nicht nur durch dieses Wagnis vollzieht Courbet eine Grenzüberschreitung: Er verstößt überdies gegen das akademische Gebot, dass ein Akt in einer geschlossenen Konturform gezeigt wird und nicht mit geöffneten Schenkeln. Courbet bricht diese Regel auf drastische Weise in seiner Darstellung mit gespreizten Beinen. Durch die realistische Wiedergabe bringt er aber auch Natur und Sexualität spannungsreich zusammen.114 Der Katalog Eros in der Kunst weist ferner darauf hin, dass das weibliche

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Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 109. Vgl. AUSST.-KAT. Venedig 1993, 6.−7. Juni. Der letzte private Besitzer war der Psychoanalytiker Jacques Lacan. Siehe dazu: BADELT 2008, S. 199; AUSST.-KAT. Wien 2006, S. 148. Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2006. Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2006. Der Katalog weist darauf hin, dass die Männlichkeit für den Geist und die Kultur steht. Badelt stellt dar, wieso sich eine haarlose Tradition letztlich durchsetzt: Der Blick wird auf diese Weise auf einen bloßgelegten, weiblichen Körper gelenkt. Dieser wird infolgedessen auch gleichzeitig als lustspendendes Objekt denunziert, von dem sowohl Schrecken als auch Faszination ausgehen. BADELT 2008, S. 199.

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Geschlecht ein dumpfer Abklatsch der Realität sei, da es alles und nichts präsentiere. Es sei ein Ort, dessen Magie sich nur in der Realität enthülle und folglich der Geheimhaltung unterliege, ein Schatzkästchen bzw. ein magischer Ort bleibe. Das Geschlecht der Frau als Ursprung und Schlüssel des Lebens wird nicht nur von Courbet, sondern in der Folge auch von vielen Künstlern des 20. Jahrhunderts zum Sujet erhoben.115 In dem Bild Maria mit Kind und Papageien (1533, Abb. 78) von Hans Baldung Grien, das sich heute im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg befindet, wird das religiöse Thema mit profanen sinnlichen Werten zusammengeführt, wie Weber am Bach ausführlich diskutiert. Ein kleiner dunkelgrüner Papagei, der an den Falken von Duchamp denken lässt, allerdings mit weggedrehtem Kopf, sitzt unten links im Bild, verschattet, kaum auf den ersten Blick sichtbar, in Richtung Maria blickend. Ein weiterer Vogel, ein größerer Graupapagei, hockt im langen Haar der Maria und zwickt diese in den Hals. Damit berührt er die jungfräuliche Maria unsittlich. Verstärkt wird die sexualisierte Unterlegung des Geschehens zudem durch den roten Schwanz des Vogels, welcher einen Phallus evoziert.116 Der Graupapagei wie auch der grüne Sittich stehen nicht nur für die rezeptiven Sprechkünste, sie haben auch eine lange ikonografische Tradition und stehen genauso wie der Affe für die Imitatio.117 Weber am Bach vermutet, dass das doppelte Auftreten im Bild die Bedeutung des Papageis als »Liebesvogel« stützen soll. Anhand der Jungfrau, welche am Hals von einem Graupapagei geradezu angefallen wird, werden hier Keuschheit und Jungfräulichkeit thematisiert.118 Erneut ist auf Baldungs Lieblingsfarbe Grün hinzuweisen, in welcher der kleine, am Rand sitzende Sittich gemalt ist; diese Wahl könnte die beobachtende, distanzierte, aber doch nahe Position des Künstlers vor dem Werk ausdrücken, der sich mit dem Tier identifiziert. Weber am Bach verweist im Zusammenhang mit Baldungs Gemälde auf Freuds Geierphantasie, die auf eine Kindheitserinnerung von Leonardo da Vinci (siehe dazu 7.1) zurückzuführen ist; Freud sieht darin die stillende, nährende Mutter-Figur mit einer geschlechtlichen Anziehung gekoppelt. Im Gemälde der Papageien-Madonna von Baldung wird die Jungfräulichkeit Marias durch den Papagei, der sie unsittlich in den Hals beißt, infrage gestellt. Generell wird der Vogel in der frühantiken Lyrik als ein Symbol der Liebe gesehen, das von jeder räumlichen Begrenzung losgelöst ist. Der Lo-

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Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2006, S. 148. Der Vogel wird von Muthesius mit dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht gleichgesetzt, MUTHESIUS/RIEMENSCHNEIDER/NÉRET 1998, S. 163. Von Borries verweist darauf, dass Baldung auch immer Abweichungen vom Naturvorbild vorgenommen hat. Papageien dominieren sein zeichnerisches Werk mit acht Blättern, gefolgt von fünf Pferde-Zeichnungen, siehe dazu: VON BORRIES 1986/87, S. 70f. Vgl. OY-MARRA 2012, S. 312. Sie erwähnt den Papagei im Zusammenhang mit Annibale Carraccis Werken bzw. mit KLIEMANN Julian: Kunst als Bogenschießen, München 1996, S. 293; WEBER AM BACH 2006 S. 133, Luther (1540): »Ego credo Diabolum esse in psittacis vel papgulis, simiis et cercopithecis, quia sic imitari possunt homines.« [Ich glaube, in den Sittichen oder Papageien, Affen und Meerkatzen steckt der Teufel, weil sie die Menschen so nachahmen können.]; EISLER 1996, S. 274. Eisler weist auf den Sachverhalt hin, dass sowohl Affen als auch Papageien den Menschen imitieren. Luther sind die Sprechkünste unheimlich: Er sieht in Affen, Papageien und Meerkatzen den Teufel. Vgl. WEBER AM BACH 2006, S. 131.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

gos der Liebe soll sich über alle Grenzen hinweg verstreuen; er trägt zur Überwindung der Räumlichkeit bei.119 Auch in der Duchamp-Literatur wird der Vogel als ein Voyeur erkannt, welcher stellvertretend für den Betrachter oder den Künstler im Bild erscheint.120 Analog kann dies auf die Papageien-Madonna zutreffen. Dennoch sind vom Ideengehalt her betrachtet rezeptive Verbindungen nachzuvollziehen, die ein weiteres Mal eine verwandte künstlerische Haltung Duchamps und Baldungs offenbaren. Diese Haltung zeigt sich nicht nur in der künstlerischen Freiheit, den eigenen Raum im Werk zu kreieren, sondern auch darin, dass der Künstler seinen thematischen Fokus frei wählt und auf eine rein konzeptionelle Rezeption rekurriert. Im Sinne Duchamps ist die kühne Nahaufnahme der Vagina demnach ein Spiel zur Überprüfung einer moralischen Femme fatale oder Femme fragile. In Morceaux choisis d’après Rodin / Selected Details after Rodin / Ausgewählte Stücke nach Rodin von 1967 (Abb. 79) zeigt ein sich küssendes Liebespaar nach Der Kuss von August Rodin von 1886 (Abb. 80). Die Frau sitzt im Vordergrund auf dem Schoß des Mannes und ist diesem ganz zugewandt, mit ihrer Linken umschlingt sie seinen Hals, um den Liebhaber zu küssen. Ihr rechtes Bein ist leicht angezogen, als wollte sie es über seine Beine schlagen. Seine rechte Hand fasst ihr zwischen die Beine.121 Nur eine geringe Veränderung wird von Duchamp im Vergleich zum Original vorgenommen, indem er die bei Rodin auf dem Oberschenkel platzierte Hand des Mannes zwischen die Beine der Frau führt.122 Gerhard Graulich sieht darin einen Hinweis auf die Form, in der Duchamp seine eigene künstlerische Freiheit artikuliert: Er entzieht sich dem Zwang zur Distanz, dadurch dass er die bei Rodins Kuss noch auf dem Oberschenkel liegende Hand umplatziert, und befindet: »[...] that must have been Rodins original idea. It is such a natural place for the hand to be.«123 Bayl erinnert in einem anderen Zusammenhang daran, dass der Maler seine Hand in die nasse Farbmasse greifen lässt und diese in Analogie zu dem weiblichen Geschlecht sieht. Die Hand, die unter anderem für das Erfühlen des Materials eingesetzt wird, nimmt eine liebende Haltung gegenüber dem Material ein. Letztlich kommt es bei einem Schaffensakt zu einem orgiastischen Ausfließen und Verströmen seiner Idee und des Materials.124 Begleitend zu Man Rays Fotografie Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter) von 1924 (Abb. 7) fertigt Duchamp die Grafik Morceaux choisis d’après Cranach et Relâche / Selected Details after Cranach and Relâche / Ausgewählte Stücke nach Cranach und Relâche von 1967 an (Abb. 81) (siehe dazu auch 6.1).125 Er nimmt für die Radierung das Foto als Vorlage und nicht dessen Vorbild, Lucas Cranach des Älteren zweiteiliges Gemälde vom Sündenfall: Adam und Eva (um 1510/20, Kunsthistorisches Museum Wien). Nur noch die Umrisslinien gehen auf das altmeisterliche Vorbild zurück. In Man Rays Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter) sind wie 119 120 121 122 123 124 125

Vgl. MOST 2002, S. 48; WEBER AM BACH 2006, S. 135. Vgl. GRAULICH 2003p, S. 268. Vgl. GRAULICH 2003p, S. 256. Vgl. ebd., S. 256. Ebd., S. 256. Vgl. BAYL 1964, S. 56. Vgl. GRAULICH 2003p, S. 252; HERZ 2012, S. 226−229.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

in Morceaux choisis d’après Cranach et Relâche daher beide Akte nicht mehr in getrennten Bildräumen wie noch bei Cranach dem Älteren, sondern in einem Bild direkt miteinander verbunden. Auch ist der Hintergrund, welcher auf dem Foto Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter) schwarz ist wie im Gemälde, nun in der Radierung hell, sodass das Paar in Anbetracht des vervielfältigbaren Mediums in einer ganz neuen Körperlichkeit präsentiert wird. In Morceaux choisi d’après Cranach et Relâche wird die Scham Adams nicht mehr mit einer Rose oder einem Apfel am Zweig wie im Fall der Fotografie respektive des Gemäldes, sondern traditionell mit einem einfachen Zweig bedeckt – und nähert sich damit dem Original wieder an. Auch verzichtet Duchamp auf die Details von Uhr und Schmuck, die in der Fotografie zu erkennen sind, zeichnet aber den Bart, den auch das Original enthält, grob ein. Bei Eva ist die Verdeckung der Scham durch ihre bloße Hand vom Vorbild exakt übernommen. Ihr Haar ist schlicht gestaltet und liegt an, anders als die langen, davonspringenden Locken im Sündenfall. Die Zerrissenheit des Paares wird von Duchamp nicht mehr verbildlicht: Eva richtet fragend die leere Hand ohne Frucht in Adams Richtung. Sie selbst scheint geradezu die Frucht zu sein, welche sich in einer tänzelnden, einladenden Pose im Gespräch mit Adam anbietet. Mit der Radierung wird eine neuartige Renaissance des Sujets eingeleitet, indem die Zerrissenheit des Urelternpaares aufgelöst und dieses in abgewandelter Form zusammengeführt wird, wobei allerdings die Eigenbezüglichkeit Adams mit Blick auf dessen Gesten bestehen bleibt. Duchamps visuell deutliche, wenn auch fragmenthafte Übernahmen in die grafische Serie zu Étant donnés veranschaulichen seinen unstrittigen Rückgriff auf die Kunstgeschichte. Das schablonenhafte Vorgehen bei der Übertragung der Umrissformen der Vorbilder deutet darauf hin, dass er versucht, der frei zeichnenden Hand keine künstlerische Freiheit einzuräumen. Vielmehr hält er sich präzise an die Umrandungen der Figuren, deren jeweilige Form er so übernimmt, wie sie im Original vorzufinden sind, ergänzt durch kleinste, individuelle Zusätze im Rahmen der Binnenform. Es sind die Übernahmen von frei gewählten Künstlern der Vergangenheit wie Ingres, Courbet, Cranach und Rodin, die Duchamp sinnhaft mit seinem eigenen Werk verbindet.

4.5.

Der Arm aus Étant donnés – Eine Motiv-Transformation

Der nach oben gestreckte linke Arm des Torsos in Étant donnés, welcher die Lampe in die Höhe hält, ist im Zentrum der Installation platziert, wohingegen der rechte Arm wie auch der Kopf der Figuration fehlen. Letzterer ist lediglich durch eine im Gestrüpp liegende Perücke angedeutet. Der Arm ist phallusartig emporgerichtet und durch die über der Installation angebrachte sekundäre Lichtsituation in den Fokus gerückt. Die Lampe entzündet sich symbolisch durch den Liebesfunken für die Kunst und soll auf den Betrachter überspringen, um von ihm, so die Vorstellung, erneut entzündet zu werden; sie brennt, um ihn zum Diskurs, zur geistigen Auseinandersetzung mit der Kunst aufzufordern, aber auch um die zwielichtige Szenerie an sich zu beleuchten. Duchamp selbst spricht vom Künstler, welcher eine »parareligiöse Mission« verfolgt,

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

indem er ein »Licht bewahrt«, die »Flamme von neuer Vision« trägt.126 Die Leuchte sollte zunächst, wie in den Manual Instructions beschrieben, grün brennen (Abb. 82). Letztlich ist es der Künstler, der sich selbst mit dem liegenden weiblichen Akt in Verbindung setzt, sich einfühlt, ihn formt und dieserart das männliche und das weibliche Prinzip in eines fasst. Duchamp erklärt hinsichtlich Étant donnés, dass sich das Werk aus dem Arbeitsprozess heraus entwickelt hat und »lebendig« geworden ist.127 Geist und Arm, welche entweder in defizitärer Weise oder gar als Leerstelle dargestellt sind oder aber detailreich bearbeitet wurden, sind wichtige Merkmale in der Kunst Duchamps. Sowohl der fehlende als auch der erhobene Arm sind Baldung-Zitate aus dem Neujahrsgruß mit drei Hexen und über das Ideen-Modell, welches Duchamp aus Baldungs Kunst bezieht, tatsächlich plastisch geworden, sodass sie nachvollziehbar bleiben. Duchamp ist stets darauf bedacht, loszukommen von dem Kult um die malende Hand im Sinne einer Massenproduktion das eigene Werk betreffend, wie er es bei vielen Malerkollegen, allen voran Picasso, beobachtet. Er strebt ein Werk an, welches geistvoll durchdrungen ist. Duchamp: »Nein, ich wünsche mir keine anonyme Kunst. […] Ich glaube immer noch an den Individualismus in der Kunst. Aber, von einem rein technischen Blickwinkel aus betrachtet, wollte ich stets loskommen vom überlebten Kult der Hand.«128 Indem jedes Symbol, jedes Material und jedes Werk für sich selbst steht und zur allgemeinen Werkaussage beiträgt, konzipiert Duchamp seine Kunst bis in jedes Detail, ohne dass er sich in seiner Darstellungsweise wiederholt. So macht er sein Werk exklusiv und bemisst es auf dem Kunstmarkt konzeptuell. Dazu passt seine Aussage, dass er nicht an die »Magie der Hand« glaube.129 Hier unterstreicht er seine gern negativ formulierten Aufrufe und den in seiner Philosophie liegenden Widerspruch, welchen er stets schürt und der ihn auch zu der Aufforderung veranlasst, die »Idee der Hand in Verruf zu bringen«.130 Schon Leonardo da Vinci sieht hinsichtlich des Geistes und der Hand eine unweigerliche Einheit in ihrem Ausdruck: »In allen ihren Verrichtungen sollen die Hände und Arme so viel als nur möglich die Absicht des sie Bewegenden verdeutlichen, denn mit ihnen begleitet, wer lebhaft empfindenden Geistes ist, in allen Bewegungen, was seine Seele ausdrücken will….«131 Duchamp wählt sich eigene Materialien und Werkzeuge und benutzt nicht mehr Pinsel und Ölfarbe. Stattdessen sind es jetzt neue Hilfsmittel, welche nicht mehr von der mechanischen Hand geleitet werden sollen, damit automatisches und selbstvergessenes Arbeiten verhindert und geistloses Auftragen von Farbe unterbunden wird – beides wirft er der Malerei vor.132 Er thematisiert aber auch auf wi-

Vgl. DUCHAMP, Marcel: As stupid as a painter, Marcel Duchamp Papers, Box 2, Folder 12, Philadelphia Museum of Art, Archives, S. 3. 127 Vgl. KIESLER 1945, S. 21. 128 ZANETTI 2006, S. 209; Duchamps Gespräch mit Katharina Kuh vom März 1961, STAUFFER 1992, S. 119. 129 Vgl. CONNER [Ende Februar 1964], in: STAUFFER 1992, S. 172 130 Vgl. HAHN (1966), in: STAUFFER 1992, S. 205. 131 LUDWIG 1882, S. 367ff. 132 Kornmann erinnert in einem anderen Kontext an die Werkzeuge des Künstlers und erwähnt den Wechsel von Werkzeugen im Laufe der Zeit. Siehe dazu: KORNMANN 1949, S. 98. 126

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dersprüchliche Weise den Zufall: durch das Fallenlassen von Bändern in Stoppage Étalon; die Bänder werden nach dem freien Fall auf dem Bildkörper fixiert. Duchamp: »[…] with your hands: you can cut off the artists hand and still end up with something which is a product of the artist’s choice since, on the whole, when an artist paints using a palette he is choosing the colours. So choice is the crucial factor in a work of art. Paintings, colours, forms, even ideas are an expression of the artist’s choice […].«133 Hier beschreibt Duchamp den Prozess dessen, wie der Künstler mithilfe des Intellekts die Wahl der Mittel trifft oder den Zufall nutzt oder, den malerischen Akt umgehend, auf seine Weise dirigiert. Aber auch die Bewegung, welche die Kunst letztlich mechanisch oder einfühlsam durchdacht lenkt, muss nach Duchamp nicht länger manuell sein. Wie Duchamp befindet Arp, dass sich der Künstler spitzer Arbeitsgeräte wie der Säge, des Meißels und des Pinsels entledigen solle, um sich dem Schöpfungsprozess, welcher dem pflanzlichen Wachstum gleichkomme, auf feinfühlige Weise anzupassen.134 Molzahn, dessen Schriften sich in den Unterlagen von Katherine Dreier befinden, spricht von einem natürlichen Gang der Zeit, in dem sich auch die Werkzeuge ihrer Epoche angleichen und somit zu den kulturellen Werkformen beitragen würden. Die Hand verliere durch zunehmend qualitativ höherwertige technische Geräte selbst an Kraft. Molzahn spricht von der Hand als dem Werkzeug der Kultur: Dies habe sich verändert, es gehe nicht mehr um die Hand, sondern um den Muskel des ganzen Armes, der die Kraft verdopple. Molzahn schildert, wie das Werkzeug in der kulturellen Evolution stets mitgewachsen sei und sich angepasst habe. Er zeigt auf, wie sich Industrie und traditionelles Handwerk im Laufe der Zeit immer mehr von natürlichen Stoffen getrennt haben: »Hand-Werk« wird von »Maschinen-Werk« abgelöst, so Molzahn.135 Die Hand hat ein Eigenleben angetreten, doch dies dürfte schwerlich für die Kunst gelten, da diese auf Formtraditionen beruhe und, so Molzahn, immer »nur schamvoll verhüllt« sein und auch im 20. Jahrhundert nicht auf das »historische Feigenblatt« verzichten werde. Hinter dem Feigenblatt befürchtet er die Angst des Künstlers, sein Werk wie im Mittelalter zu verhüllen. Nur wenn, so Molzahn, das Material und die Form sich nicht behindern, können »lebendige Formen« entstehen, Formen, in denen Kräfte wirken. Molzahn merkt weiter an, dass auch diese gewachsen seien, wie »echte Kinder des Jahrhunderts«.136 Indem er andere Medien wie das Theater anspricht, erinnert er daran, dass alles auf der Reproduktion vergangener Leistungen beruht und dass die mechanisierte Wiederholung die Kultur ausmacht. Kunst werde nicht nur über das »Können« definiert. Vielmehr müsse ihr das richtige materielle Sein gegeben werden, damit sie zu einem zivilisatorischen Produkt werden könne. Kunstprodukte definiert Molzahn als Bausteine, die mit Werkzeugen der Kunst bearbeitet würden. Er erinnert daran, dass die Kunst selbst wachse, dass sie aus der Religion geschaffen worden sei und dass letztlich primitive Themen irdischen Triebkräften gleichkämen.137 Er spricht sich für

133 134 135 136 137

ANTOINE 1993. Vgl. AUSST.-KAT. München 1994, S. 72. Vgl. MOLZAHN 1934, S. 37. Vgl. ebd., S. 37. Vgl. ebd., S. 42.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

das Erforschen der Vergangenheit aus, welches, seiner Meinung nach, bis in die Gegenwart reicht.138 Er bezeichnet Leonardo da Vinci, Dürer und Baldung als Künstler, die bei »zunehmender Naturnähe der Formfassung des Stoffes« in diesem Sinne gearbeitet hätten.139 Die Darstellung Molzahns spiegelt eine Haltung wider, welche auch für Duchamp stehen könnte. Auch wenn Duchamp oft versucht, die Künstlerhand und deren mechanisch auf das Kunstwerk einwirkende Bewegungen auszuschalten, nutzt er die Hand in Étant donnés. Er stellt Hand und Berührung in einen direkten Zusammenhang und koppelt das Berühren mit sensuellen Aspekten. Die Hand ist das Element, welches als Werkzeug das Material berührt. Sie wird aber auch sinnbildhaft als Fetisch und Vorlage eingesetzt, und zwar nicht nur die Hand, sondern auch der Arm. Und aus Duchamps Sicht sind Hand und Arm zuständig für das zyklische Wachstum der Kunst und lassen sich als die wichtigsten »Werkzeuge« des Künstlers nicht leugnen. 1922 äußert sich Breton in einem Text, der den Händen gewidmet ist: »Et les peintres des mains sont les peintres modèles.«140 1942 erscheint der Aufsatz von Boehm, in dem dieser die »blinde« Hand angesichts ihrer Fähigkeit eines fühlenden, künstlerischen Organs beleuchtet, das in dynamischer Auseinandersetzung wie ein Sinn fungiere und mit dem Sehen gekoppelt sei.141 Duchamp ist indes immer darauf bedacht, die Hand vom sensuellen Fühlen zu lösen und sie vielmehr rein vom Intellekt her leiten zu lassen. Duchamp denkt in großen Maßstäben an die Befreiung des Künstlers: weg von dem traditionellen handwerklichen Verfahren des Malens, hin zu einer Umsetzung mit freien und neuen bildnerischen Mitteln. Durch das Mittel der Rezeption, welches sich auf vergangene Kanons in der Geschichte der Kunst bezieht, werden der »alte« Geist und »neue« Materialien zusammengeführt, dadurch transformiert und belebt. Duchamp erläutert, dass die ganze Malerei durch die Liebe zum Pinselstrich vollkommen absorbiert werde, ein Umstand, den er auflösen möchte. Stattdessen soll die Liebe zur Hand des Kunstschaffenden gelten: Die Hand und der Kopf sollen übersetzen, was das Auge sieht.142 Kunst hat die Möglichkeit, sich medial weiterzuentwickeln und so ein rezeptorisches Verfahren in Bewegung zu setzen. Dem Künstler dient seine Hand schöpferisch, zugleich befleckend und auch zerstörend. Die Hand formt die Idee des Künstlers, greift in die organische Materie ein und wird dabei vom Geist geleitet, der von allen Automatismen befreit werden müsse – wie auch die Hand. Die Baldung-Rezeption des Armes mit der Lampe in Étant donnés erhält durch ihren plastischen Aufbau eine lebendig anmutende Darstellungsform. Die Motivwahl in Duchamps Hauptwerken sind orgiastischen Szenen und die Ausdrucksformen beider Geschlechter: energiegeladene Augenblicke, die, angeregt durch die Rezeptionsvorlagen, wiedergeboren werden und gleichzeitig den fixierten Moment der Inspiration selbst darstellen. Duchamp glaubt nicht an die Heiligkeit oder Unberührbarkeit der Kunst, sondern an die Magie, den Eros. Er spricht der Hand des Künstlers in diesem Sinne eine große Macht zu. Sie entfalte diese Macht, wenn sie autark, handwerklich, systematisch, geistvoll und nicht 138 139 140 141 142

Vgl. ebd., S. 56. Vgl. ebd, S. 67. Vgl. BRETON/SOUPAULT 1922, S. 5. Vgl. BOEHM 1980, S. 127. Vgl. EGLINGTON 1933, S. 11.

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wiederholend eingesetzt werde, nicht automatisiert, intuitiv, wie es die Malerei fordere. Er differenziert des Weiteren nachformbare Medien, etwa die schablonenbasierte Malerei, Grafik und Skulptur, die ebenso wie Musik nachgespielt werden können, und unterscheidet diese Künste von der konzeptionellen, traditionellen, erkenntnishaften, kreativen Idee eines schöpferischen Individuums.143 In C ranachs Darstellung der Eva lässt sich im Besonderen der Arm als variables Körpersegment bzw. Figurenrepertoire erkennen, das generell an den Figuren nachvollzogen werden kann, da Cranachs Figuren stets nach einem ähnlichen Muster aufgebaut sind. Die Gestalt der Eva wird beispielsweise häufig mit nach oben gestrecktem Arm dargestellt: Cranach inszeniert sie, sich am Baum räkelnd oder den Apfel pflückend.144 Durch die Systematisierung der Onlinedatenbank Corpus Cranach der Universität Heidelberg, in welcher ganze Werkgruppen motifisch zusammengestellt sind, wird der Vergleich von Bildtypen erleichtert.145 Dabei wird deutlich, dass der Köperbau des Urelternpaares beispielsweise in nur wenigen Variationen präsentiert wird. Die Protagonisten werden, vereinfacht gesagt, wie in einem Baukastensystem verwendet, in welchem meistens die Schrittposition, Attribute, Hände und die Armhaltung verändert eingesetzt werden.146 Die Akte unterscheiden sich somit in wenigen Details voneinander. In der CranachWerkstatt wurden somit offensichtlich Schablonen eingesetzt. Orientiert sich ein Künstler an den in Cranachs Akten vorgefundenen Formen, an seinen charakteristischen Gesichtern und der flächigen Farbgebung, ist der Wiedererkennungswert sehr hoch. 1909 wird in der Gazette des Beaux Arts auf Wölfflins DürerMonografie (1905) hingewiesen. Wölfflin schildert schon damals das »skrupellose Kopieren von Akten«, wie man in der Zeitschrift lesen kann, als ein generelles Prinzip der nordeuropäischen Künstler.147 Hierzu Duchamp: »…ich weigere mich, die philosophischen Klischees von jeder Generation seit Adam und Eva renovierend zu denken, in jedem Winkel des Planeten. Ich weigere mich, zu

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Vgl. HAMILTON/KITAJ 1966, S. 30, Duchamp: »That is another question which is very important and I do not know what to say about it because I do not believe in the sacrosanct …. sanctity of the thing that Holbein painted himself …. and copy of Holbein. I understand it is the old story.… is there any magic about art? And I have tried to get away from that too, from the easy approach to art in the form of magic or religious something …. that cannot be replaced, because the man himself touched it in 1635 and we have it today as it was when he made it. This is the thing that only painting has because music is not like that. You pick music from a score or even sculpture, you can cast at any time and have a perfect copy of it. Sculpture is never original, it is always a plaster that has been cast by a professional caster. So where are we?« 144 Vgl. Ausst.-Kat. Hamburg 2003, S. 118. Foister erinnert daran, dass die Eva-Figuration mit nach oben gestrecktem Arm auch in eine Herkules-Darstellung umgekehrt wurde. Die Autorin spricht weiter davon, dass aus Cranachs Œuvre nicht unbedingt ein neues Thema mit neuen Kompositionen hervorging, und erinnert daran, dass auch darstellende Zeichnungen aus variierenden Themen dem Zeitgeschmack neu angepasst wurden und Verwendung fanden (siehe auch: ebd. S. 120). 145 CORPUS CRANACH o. D. 146 Vgl. CORPUS CRANACH; STEWART 1978: Folgt man den Bildbeispielen des Katalogs, wird deutlich, wie sich ganze Themengruppen wiederholend unter den verschiedenen Werkstätten durchsetzten. 147 Vgl. RÉAU 1909, S. 117; WÖLFFLIN (1905) 1984, S. 26, 57; LEHMANN 1900, S. 248.

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denken und zu denken, und darüber reden, weil ich nicht die Sprache habe, zu denken.«148 Auch wenn Duchamp geradezu ein Klischee und die technische Verfahrensweise anspricht, die vergangenen Zustände »nicht renovierend« denken zu wollen, tut er doch genau das. Duchamp richtet sein Werk ebenfalls an künstlerischen Traditionen aus, indem er nämlich die Herangehensweisen für die Adam-und-Eva-Darstellungen von Dürer, Baldung und Cranach nachvollzieht und an seine eigenen Mittel angepasst umsetzt. Er setzt hierbei einen figurativen Akzent auf die Adam-Figur. Auch wenn er die Figur nicht aus ihrem narrativen Kontext gelöst hat, verkörpert er sie nun selbst und akzentuiert sie gleichzeitig damit.149 Im Übrigen macht Duchamp mit seinem Readymade En avance du bras cassé / In Advance of the Broken Arm / Dem gebrochenen Arm voraus, 1915/1964 (Abb. 83) ein Bildzitat erneut sichtbar (das des hölzernen Armes aus Baldungs Grafiken von Adam und Eva), und abermals in Étant donnés. Um dies nachvollziehen zu können, ist, wie im Folgenden dargelegt wird, ein Blick auf die drei Adam-und-EvaDarstellungen Baldungs – Lapsus Humani Generis (Der Fall der Menschheit) (1511), Sündenfall (1514) und Sündenfall (1519) – erforderlich: Der Einblattholzschnitt von 1511, Lapsus Humanis Generis (Der Fall der Menschheit) (Abb. 84), hebt die klassische Aufstellung des Urelternpaares links und rechts vom Baum der Erkenntnis auf. Das Paar ist zusammengerückt und steht unmittelbar vor dem Baum der Erkenntnis, die Schlange windet sich um einen weiteren Baum rechts im Bild.150 Das Pflücken der verbotenen Frucht wird in diesem Holzschnitt von Adam auf ungewöhnliche Weise vollzogen: Adams rechter Arm, versteckt und daher einem Ast ähnelnd, außerdem überlang und verdreht wirkend, greift mit offener Handfläche nach oben in die Baumkrone – eine Bewegung, welche sonst Eva ausführt. Der Arm zeichnet sich durch eine ausgeprägte Muskulatur aus, er wirkt durchfurcht. Gleichzeitig fasst Adam mit seiner linken Hand an Evas linke Brust. Beide blicken dem Betrachter direkt entgegen.151 Die synchrone Berührung an Brust und verbotener Frucht ist klar sexuell konnotiert und zudem parallel gesetzt zu dem Wunsch nach Erkenntnis durch die Frucht. Das physische Begehren, von der Kirche verdammt, wird in der Sündenfall-Erzählung Baldungs abgewandelt wiedergegeben. Durch die Hybris angetrieben, greift Adam selbstständig

148 GERVAIS 2000, S. 52. Duchamp : »Autant que je me rappelle ce que j’ai écrit dans la lettre parue dans Médium, je refuse de penser aux clichés philosophiques, remis à neuf par chaque génération depuis Adam et Eve, dans tous les coins de la planète. Je refuse d’y penser et d’y penser et d’en parler parce que je ne crois pas au langage. Le langage, au lieu d’exprimer des phénomènes subconscients, en réalité crée la pensée par et après les mots (je me déclare ›nominaliste‹ très volontiers, au moins dans cette forme simplifiée).« 149 Krieger weist daraufhin, dass die Adam-Figur ausschließlich als ein zyklischer Teil narrativ in die Schöpfungsszenerien eingesetzt wird und ab dem 15. Jahrhundert nur selten auch herausgelöst erscheint, um zu einem autonomen Bildgegenstand zu werden. KRIEGER 2012, S. 29. 150 Vgl. BARTUM 1995, S. 71f. Der Baum, welcher von der Schlange umschlungen wird, zeigt eine zweideutige Anspielung des Künstlers, dessen Bäume oft vulvaähnliche Öffnungen aufweisen, wie z. B. in Der Stallknecht mit einem Pferd (1510–1512). 151 Baldung stellte schon früher Bäume in Analogie zu dem menschlichen Körper; siehe dazu: Pferd mit Knecht, 1510–1512, Grafische Sammlung Albertina, Wien.

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und eigenmächtig, also ohne von Eva verführt zu werden, zum höheren göttlichen Wissen und zur Sexualität. Mithin wird eine zweifache Bewegung in den Fokus gerückt: die körperliche Bewegung in geschlechtlicher Hinsicht und die geistige Bewegung mit der Aussicht auf Erkenntnis, darauf, gottgleich zu werden und Gut und Böse unterscheiden zu können.152 Damit würde Baldung nicht nur den Schöpfungsakt in sexueller Hinsicht versinnbildlichen, sondern auch den ersten künstlerischen Akt der Selbstbestimmung im Hinblick auf die Erkenntnis; diesem Akt muss eine Idee vorausgegangen sein, in deren Folge Kreativität und Aktivität haben stattfinden können. Bei Paulus 5,12 liest man, wie Gott dazu aufruft, zu einem sich selbst verwirklichenden Handeln zu streben, denn die Schöpfung dränge immer zu Werken der Liebe. Generell untersteht seit dem Sündenfall das Schaffen der Selbstsucht und der Selbstzuneigung und folglich dem individuellen Weg zur Erkenntnis, dem Weg des Egos. Das Gesetz der göttlichen Liebe des Menschen wurde durch den Sündenfall im Christentum geradezu widerlegt, ohne dass eine positive Umkehr des getauften Menschen möglich wäre.153 Das mit dem Schöpfungsakt verliehene Gute und das immerwährende Anhalten kreativer Energien im Menschen ist mit dem Sündenfall vermeintlich, gemäß der christlichen Botschaft, verloren gegangen, und der Mensch scheint zur ewigen Arbeit – oder Kunst – verpflichtet zu sein. Indes zeigt die Geschichte, Kunst wird betrieben und wissenschaftliche Anstrengungen unternommen, um dem verschütteten Schöpfungsplan wieder näherzukommen.154 Mit dem Sündenfall, so die Annahme, kamen also nicht nur Tod, Sünde und Nacktheit auf die Menschheit, er steht auch für die geistige und körperliche Eigendynamik und den Ursprung der Schöpfungskraft des Menschen. Dazu gehört gleichzeitig der Beginn von kreativer und mechanischer Bewegung, die in der Idee ihren Ursprung nimmt und somit generell für das Auftreten der Kunst steht und ebenso für den Beginn der bis in die Ewigkeit sich wiederholenden physischen Reproduktion, die gleichgesetzt wird mit dem männlichen Drang zur geistigen Werk-Schöpfung und der anschließenden Umsetzung des physischen Werkes. Prange hält hierzu fest: »In Adam liege der Ursprung aller Kunstfertigkeit und menschlicher Fähigkeiten, der Sündenfall war Anlaß zur Entfaltung von Gelehrsamkeit, Neugier und Erfindergeist. Von dieser optimistischen Anthropologie war es kein weiter Weg zu der Auffassung, gerade der Künstler, Inbegriff des schaffenden und schöpferischen Menschen, setze das Werk Gottes fort […].«155 Der zweite Sündenfall-Holzschnitt Baldungs, aus dem Jahr 1514 (Abb. 85), bezieht sich auf die klassische Darstellungsform der Sündenfall-Geschichte: Adam ist hier gealtert und wieder am herkömmlichen Platz links vom Baum zu sehen. Eva, rechts im Bild, ist nach wie vor jung, mit weiblichen Rundungen ausgestattet, von großer Statur, Adam 152

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Das Signaturschildchen ist auch in die Richtung der Greif-Bewegung des Adam gerichtet; es scheint eine Eigenheit Baldungs, dass er die Signaturschildchen immer auf die Bildaussage ausrichtet, der er sich anschließt. Vgl. RANKE-HEINEMANN 1962, S. 34. Vgl. LINDENMANN/GLASER 1996, S. 295. Vgl. AUSST.-KAT. München 2000, S. 70. In früheren italienischen Beispielen wird der Sündenfall nicht nur als unvermeidbar, sondern auch als begrüßenswert empfunden, da er den Beginn der menschlichen Erkenntnisfähigkeit bedeutet; siehe auch Masaccio und Masolino.

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überragend. Die Hand Adams weist, den Disput unterstützend, in Richtung ihres Geschlechts, wobei die Finger unnatürlich abgespreizt sind. In seiner Linken hält er hinter seinem Rücken bereits eine kleine Frucht von der Sorte, wie sie am Baum der Erkenntnis hängt. Eva fällt durch ihren Arm und die linke Handhaltung auf: Sie hält das Feigenblatt in einer Weise, dass ihr Geschlecht gerade nicht verdeckt wird. Mit ihrem rechten, auffallend verlängerten, durchgestreckten Arm ist dieses Mal sie diejenige, die von hinten um den Stamm herumgreifend in den Wipfel des Baumes fasst. Eva steht für die körperliche Fruchtbarkeit. Baldung verbindet das Bild mit einem neuen Themenkomplex, dem der »Weibermacht« und der »ungleichen Liebe«.156 Es wird nicht mehr ausschließlich auf den heilsgeschichtlichen Zusammenhang Wert gelegt, sondern auch auf die erörterte Kontrastierung von männlichem und weiblichem Prinzip und der daraus resultierenden Liebesdynamik des Paares.157 In einigen Bibelstellen wird der Arm als der Ort der Kraft und als ein »Machtzeichen« beschrieben (Jes. 44,12). Der gestreckte Arm ist der machtvolle Arm, ein häufig gebrauchtes Motiv für Gott im Kampf gegen das Chaos.158 Die Frucht, welche Adam in der Grafik Baldungs bereits gepflückt und in der Hand hält, wodurch er Eva schon einen Schritt voraus ist, erinnert überdies an eine mythologische Hochzeitsdarstellung, welche unter anderem im Gemälde Primavera von Botticelli dargestellt ist und nicht zuletzt schon in antiken und mythologischen Schriften erläutert wird. Wie Poliziani ab 1893 bearbeitet auch Aby Warburg das Thema in seiner Dissertation, in der er auf die unterschiedlichen Fruchtbarkeitsgrade der reifen bis unreifen Früchte vom Baum der Erkenntnis hinweist.159 In dem Sündenfall von Baldung aus dem Jahr 1519 (Abb. 86) ist der in den Baum greifende Arm tatsächlich nur noch ein starrer Ast, welcher an einer Stelle abgeknickt ist wie ein Armgelenk. Er erinnert nur noch schwach an einen Arm. Der Ast entspricht in seiner Ausrichtung sowohl dem Arm der Eva in der vorherigen Sündenfall-Darstellung (1514) als auch dem des Adam in der erstgenannten (1511). Indes sind beide, Adam und Eva, in dieser dritten Sündenfall-Variante bereits mit zwei Armen dargestellt; auf Evas linker Schulter ruhen die fünf Finger der linken Hand Adams. Eva hält in beiden Händen eine gepflückte Frucht; den lüsternen Ambitionen des Adam ist sie, ihren zusammengezogenen Augenbrauen nach zu urteilen, nicht gewogen. Letztlich scheint es diesem eher um die fleischlichen Gelüste zu gehen und weniger um Erkenntnis. Frontal präsentiert sich Eva vor dem Baum und überdeckt fast komplett die Figur Adams. Auffallend sind die unnatürlich gesetzten Fußpositionen beider Figuren. Mit ihrem linken Fuß hält Eva – wie mit einer Hand – das Signaturschildchen etwas nach oben und erlaubt so dem Betrachter, einen Blick darauf zu werfen. Die Forschung vertritt zu diesem Bild die Meinung, dass in der Figur Adams auch der Tod angedeutet wird und sich hier ein Übergang zu der Thematik Der Tod und das Mädchen (1517, Abb. 87) oder Der Tod und die Frau (um 1520/25) vollzieht.

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Vgl. SCHOEN 2001, S. 185. Vgl. SCHOEN 2001, S. 184f. Vgl. WAGNER 2017, S. 140. Vgl. WARBURG 1893.

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In Schönheit und der Tod, um 1513, treten die Arme kunstvoll ineinander verkeilt in den Vordergrund und bilden ein eigenes Muster, vergleichbar mit Baldungs Werk Eva, die Schlange und der Tod von 1510–1512, in welchem Adam sich nunmehr in den Tod verwandelt hat. Der Tod ist als Folge der Ursünde und im Einklang mit der Wollust zu sehen. Der Baum samt Frucht sowie Eva als die Erkenntnissuchende rücken hier in den Vordergrund des Holzschnittes und wirken mit zeigender Geste auf Künstler und Betrachter. Dagegen kann der alleinig enthüllende, lüsterne Blick von Adam mit dem Tod in Verbindung gebracht werden. Klischeebeladen ist Eva fruchtbar und potentielle Trägerin der reifen Früchte. Baldung vermengt hier profane und alttestamentarische Inhalte in ironischer Weise und fordert gleichsam den Betrachter auf, das Dargestellte mit dem Wissen zu verbinden. Das schöpferische Moment wird einerseits akzentuiert, aber auch mit dem der Sexualität gleichgesetzt. Baldung zeitigt genuine Bildfindungen in einem ikonografisch vorgegebenen Genre. Adam wird in erotischer Spannung gezeigt; selbstbezüglich fasst er ebenfalls an den Baum der Erkenntnis und ist Eva bereits Schritte voraus. Darüber hinaus sind die verschlungenen Arme des Urelternpaares in Analogie zu dem Schlangenkörper zu sehen, der sich um den Baum der Erkenntnis windet und damit das tierische, triebhafte Prinzip versinnbildlicht. Die organischen Bewegungen fassen hier Mensch und Tier in ihrem triebhaften Tun zusammen. Anhand der verschiedenen Armhaltungen der Protagonisten in den verschiedenen Sündenfall-Darstellungen im Werk Baldungs kann auf das Interesse des Künstlers an visuellen Fragestellungen und ihrer Weiterentwicklung geschlossen werden. Indem Baldung den Arm des Adam herausstellt, ihn zu einem regelrechten Holzarm verfestigt, kann die reale Eigenbezüglichkeit mit der Sexualität auf der einen Seite gekoppelt werden, auf der anderen Seite spielt Baldung mit den Sehgewohnheiten der Betrachter. Damit begibt er sich in eine intellektuelle, sich narrativ entwickelnde freie Form innerhalb seiner Werkaussage, ein Schritt, der auch für Duchamp von großer Bedeutung ist. So kann man bei Duchamp in gleichem Maße von einer außerordentlichen Abstrahierung der Motive sprechen: Er entlässt sie aus ihrer ursprünglichen Materialität, um sie in einem vollkommen neuen Zusammenhang und in neuer Materialität ein weiteres Mal zu präsentieren. Das nachfolgende Beispiel wird eine Vorstellung davon geben, wie Duchamp Bild-Assoziationen bearbeitet und umformt.

4.6.

Dem gebrochenen Arm voraus

In dem Manual of Instructions aus dem Jahr 1965 führt Duchamp aus, wie die Montage der Installation Étant donnés in einzelnen Schritten erfolgen soll. Dies gewährleistet, dass sein Werk auch nach seinem Tod von anderer Hand in seinem Sinne aufgebaut werden kann. In mehreren Schritten erläutert Duchamp insbesondere den Aufbau des Armes, der die Lampe hält, und beschreibt, wie ein hölzerner Stab durch den Unterarm zu verläuft (Abb. 88):160 Der Holzstab wird in den zuvor geformten Hohlraum des Armes 160 Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 137f. Duchamp: »[…] Places l’avant-bras voir détails du dessous – consolider au-dessous du coude avec des petits bouts comment la barre de bois sincère dans

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gelegt, was sich anhand eines Polaroidfotos nachvollziehen lässt, das Duchamp 1966 für die Anleitung anfertigt. Für die Anwendung vermerkt er explizit auf dem Foto, dass er das Material Holz (»le bois«) dafür gewählt hat.161 Der Holzstab in der Hohlform des Armes von Étant donnés ist an zwei Stellen durchtrennt und wird mit einem kleinen Verbindungsteil zusammengehalten, sodass eine Art Armgelenk entsteht und die Abwinkelung des Armes nach oben nachgeformt werden kann (Abb. 89). Bemerkenswert ist, dass der verarbeitete Holzstab an einen Besen- oder einen Schneeschaufelstiel erinnert.162 Zusätzlich wird der Arm von einem unterlegten Holzbrett gestützt.163 In dem Manual of Instructions sind zahlreiche Detailfotos eingeklebt und beschriftet. Der Körper der Installation Étant donnés ist in allen Einzelheiten aufgenommen: Die Dokumentation erinnert an eine Tatortszene. Der leblose Körper ist genau verortet. Gewissermaßen ist der Künstler selbst derjenige, der als einziger an dem in dem Manual of Instructions gesicherten Objekt hantiert hat und somit der einzige »Tatverdächtige« ist bezüglich der Be- oder Misshandlung des Materials im Zuge seiner Erschaffung. Die Fotos vom »Tatort« gewähren Einblicke in die Tat und erlauben ein Nachvollziehen. Die Handgreiflichkeit der vorangegangenen Situation wird auch durch das geschundene Material anschaulich. Die Hand des »Täters« und die Spuren sollen so für die Ewigkeit festgehalten werden. Am Körper von Étant donnés scheinen die Abdrücke der ihn erschaffenden Hand sowie die der Werkzeuge, welche der Künstler zur Bearbeitung benutzt, geradezu ablesbar zu sein. Duchamp leitet so ganz bewusst die Aufmerksamkeit auf den Prozess selbst, auf die handwerkliche Umsetzung, die Platzierung und die Stofflichkeit. Hierin kommt eine Kritik zum Ausdruck, mit der bereits die Künstler der Renaissance konfrontiert waren: Danach liegt der Fokus der Kreation zu sehr auf der Lebendigkeit, die sich am Inneren, der Anatomie der dargestellten Körper orientiert. Dadurch sähen die Figuren aus wie sezierte Leichen, so Bohde in einer Abhandlung: »Wer also detailliert die Muskeln erforscht, versucht die Knochen an ihrem Platz zu zeigen. Das ist löblich, aber oft stellt er den Menschen geschunden, ausgetrocknet und hässlich dar. Wer aber den zarten Typus malt, deutet die Knochen an, wo es notwendig ist, bedeckt sie aber auf liebliche Art mit Fleisch und erfüllt den Akt mit Anmut.«164 Duchamp scheint ebenfalls nach diesem Prinzip vorzugehen. Er zeigt in der Anleitung die strukturell nachgeformten Knochen, das Skelett der Frau oder kurz: die »trockene« Objektkunst (etwa anhand eines Holzstabes im Inneren des Armes).165 Im Hinblick auf den zusammengehaltenen Bruch des Holzstabes kann thematisch auf den Titel seines Readymade Dem gebrochenen Arm voraus von 1915 (Abb. 83) rückgeschlossen werden.

l’avant-bras depl de fer − la jointure… au coude pas est par invisible et sera cachée pas le Brisson no. 4.« 161 Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 140. 162 Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 248. Auf die Assoziation des Besengriffs weist Melissa S. Meighan hin. 163 Vgl. ebd., S. 248. 164 BOHDE 2002, S. 324. 165 Hinsichtlich »trockener« Kunst handelt es sich um eine Kritik von Vasari, der die Körper aus der Quattrocento-Malerei als »geschundene« Körper bezeichnet. Siehe dazu: BOHDE 2002, S. 324.

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Duchamp erwirbt das Ausgangsobjekt des Readymade in einer Eisenwarenhandlung in New York und signiert dann 1964 die neu gekaufte Replik einer herkömmlichen Schneeschaufel, als das Original verloren geht.166 Die Schneeschaufel besteht aus einem Holzstiel mit Griff und einer rechteckigen, gebogenen Eisenschaufel. Duchamp hängt das Readymade in den Raum, löst es so aus seiner ursprünglich vorgesehenen Situation und überhöht es buchstäblich, indem er es von der Decke herabhängen lässt. Duchamp äußert sich zu seinem Readymade wie folgt: »Das war eine Schneeschaufel, und diesen Satz hatte ich tatsächlich daraufgeschrieben. Er sollte aber gar keinen spezifischen Sinn haben, doch leider bekommt ja alles immer eine Bedeutung…trotzdem dachte ich, dieser Satz sei, zumal auf Englisch, ganz bedeutungslos und stände in keinerlei Verbindung zum Gegenstand. Eine Ideenassoziation ist hier allerdings doch sehr naheliegend: man kann sich beim Schneeschaufeln den Arm brechen. Da aber diese Deutung wirklich sehr simpel ist, hielt ich es für unmöglich, dass jemand eine solche Bedeutung anstellen könnte.« Und an seine Schwester Suzanne schreibt er: »Ich habe beispielsweise eine große Schneeschaufel, auf die ich unten Folgendes schrieb: ›In advance of the broken arm‹ – Gib dir keine Mühe, dies im romantischen oder impressionistischen oder kubistischen Sinne zu verstehen. – Es hat nicht das Geringste damit zu tun.«167 Dieses frühe Readymade, welches in Verbindung zu Baldung steht, denkt man an den hölzernen Arm von Adam, der wie ein großer, steifer, unbewegter Arm wirkt, wird laut Duchamps Erklärungen wie ein verlängerter Arm zum Schneeschaufeln eingesetzt und ist im bildlichen, nachparadiesischen Zustand gebrochen. Im Schnee werden Schichten abgetragen, und so gibt die Schaufel eine ironisch reduzierte Antwort auf die Eigenhändigkeitsdebatte von Duchamp: Dieser trägt im übertragenen Sinne in seinem Werk rückblickend historische Schichten ab, um zur letzten Schicht, dem Ursprung von Kreativität und Inspiration, zu gelangen. Der Schnee ist ein bereits verwandelter Aggregatzustand von geometrisch geformten Kristallen: umgewandeltes Wasser. Assmann verbindet das Bild mit Ausgrabung und Archäologie, mit einem Weg in die Vergangenheit: Man muss Schichten abtragen, um Verborgenes sichten zu können.168 Oder, um in einem neuen Bild zu sprechen, es geht um die Wiederbelebung des bereits versiegten Weges, indem man ihn frei räumt. Steif wie die Schaufel ist der Arm nur für eine stupide, mechanische Tätigkeit einsetzbar. Durch den bewusst in englischer Sprache gewählten Titel In advance of the broken arm gewährleistet Duchamp, dass er international verstanden wird und der Hinweis auf den Bruch des Armes nicht untergeht. Durch den ungebrochenen Zustand macht er auf einen früheren, paradiesischen Zustand auf-

166 Die Wahl des Gegenstandes soll frei sein, so Fett, »von sensualistischer und geschmacklicher, also kunstrelevanter Beeinflussung…«, der industriell produzierte Gegenstand sollte allein durch die Wahl zur neuen Zuständigkeit eines Readymade berufen werden. FETT 2003, S. 60. 167 FETT 2003, S. 60; TOMKINS 1999, S. 187; SCHWARZ 1997, S. 190. 168 Vgl. ASSMANN 2018, S. 172.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

merksam, in welchem der Arm noch gestreckt, intakt, also ungebrochen war wie die Schaufel. Duchamp deutet in dem vermeintlich gebrochen Arm, der die Lampe in Étant donnés hochhält, eine Bewegung an. Der Knick oder bewegte Arm ist wie ein Gelenk und erinnert an den schamvollen Griff an die Frucht der Erkenntnis in der Paradies-Geschichte. Es ist die erste freigewählte Handlung und deutet damit den Beginn von Kreation und Erkenntnis an und verweist auf einen aktivierten Geist und Sexualität, aber auch den Beginn der Erzeugung von Kunst im nachparadiesischen Zustand, in welchem dem Menschen die Augen geöffnet sind. Knick, Gelenk oder Bruch implizieren eine Bewegung. Dank des Knicks oder Bruchs, der die Bewegung des Armes andeutet, kann dieser als Werkzeug für das geistvolle Streben nach Erkenntnis im Alltag eingesetzt werden. Der Arm des Künstlers, der herkömmlich mit Pinsel und Feder die Bewegung kanalisiert, gebraucht jetzt neue Werkzeuge wie die rustikale Schaufel: Manuelles Handwerkertum wird nun in Duchamps Kunst tatsächlich durch die Tätigkeit des Geistes vollständig abgelöst.169 Nur noch für die Umsetzung seiner Ideen wird der Arm benutzt, aber in genau berechneter Bewegung, welche nur durch das Streben nach Erkenntnis angetrieben wird. Der Arm ist dabei von seiner herkömmlichen Beweglichkeit befreit. Der aus dem Bildgefüge separierte Arm wird sowohl in Baldungs als auch in Duchamps Werk zu einem Attribut. Aufgrund der Verknüpfung mit einer Baldung-Rezeption wird das Readymade mit Sinngehalt aufgeladen oder einer »Transsubstantion« unterzogen und kann deshalb mit Étant donnés in Verbindung gebracht werden. Die Diskussion um den Arm aus dem Œuvre Baldungs wird gleichzeitig weiterbelebt und mit neuem Sinngehalt gefüllt. Sie lädt es gleichzeitig mit Wissen auf, das vom Betrachter wiedererkannt werden kann. Deutlich wird dadurch, dass die Reproduktion des Readymade nicht das Ausschlaggebende ist. Vielmehr gilt die Idee, welche das Readymade in sich birgt. Letztlich kommt es Duchamp nicht auf die Kopie oder Replik des Readymade an, sondern auf die bleibende Erinnerung an dieses: auf das Wiederauffinden und Beleben seiner Idee und damit auf die geistvolle Findung seines dem Alltag entnommenen Objekts, hier der Schaufel, und auf die Umsetzung seiner Gedanken in der Kreation von Étant donnés. Das Thema des toten bzw. absterbenden Armes wird auch im mythologischen Kontext im Bild Herkules und Antäus (Gemäldegalerie Kassel, Abb. 90) von Baldung behandelt: Antäus wird gerade in dem Moment präsentiert, als er seine Kraftquelle, die Erde, verliert und von Herkules hochgestemmt und schließlich erdrückt wird. Das Erlöschen des Lebens und das Schwinden der Körperkräfte werden nicht nur durch das Blut, welches ihm aus dem Ohr rinnt, akzentuiert, sondern auch durch die zum Stehen kommende Blutzirkulation im linken Arm, sichtbar gemacht durch die hervortretenden Sehnen. Zugleich hängt der Arm aber auch leblos und schlaff herunter wie in einer PhallusAssoziation. Herkules scheint im Begriff zu sein, den rechten Arm des Antäus mit einer Art Zangengriff brechen zu wollen. Aus schlaffen und gespannten Muskeln entsteht in diesem Kasseler Gemälde durch die ineinander verkeilten Körper ein Formenspiel, das durch die unterschiedlichen Hautfärbungen betont und kontrastiert wird.

169 Vgl. PEINELT-SCHMIDT 2013, S. 173.

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Sigmund Freud erklärt 1893 in seiner Schrift Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene, wie durch das Krankheitsbild der Hysterie eine Lähmung entstehen kann: Sie wird durch ein psychisches Trauma ausgelöst, welches zeitlich nicht unmittelbar mit der Hysterie bzw. Lähmung in Verbindung steht. Die Lähmung, so Freud, welche sich auf den Arm bezieht, ist über den Zugriff auf den Geist im Unterbewusstsein wieder lösbar, genauso wie sie auch zustande gekommen ist.170 Die Lähmung oder der Bruch eines Armes entbinden den Künstler scheinbar von seinem Beruf. Duchamp belebt das alte Material der Kunst in neu bespielter Weise wieder, ohne dabei die Malerei für sich in Anspruch zu nehmen. Er spricht vom Wert einer Künstlerhand, welche das Kunstwerk in vergangener Zeit erarbeitet hat, und dass es die eine Berührung ist, die den Wert des Gegenstandes ausmacht. Er betont dabei den besonderen Wert, welcher von der manifestierten Hand im Gemälde ausgeht, die sich in der Malerei abzeichnet, und drückt die Besonderheit aus, die seiner Ansicht nach aus der bildenden Kunst entspringt. Die Musik hingegen, variiert als eine künstlerische Gattung nach Duchamp, ist vom Komponisten wiederholbar, da ein Stück beliebig oft wiederaufgeführt werden kann und dabei nicht an einen bestimmten Künstler gebunden ist. Duchamp scheint einen Künstler X bei seiner Argumentation vor Augen zu haben, einen Künstler, der um »1485« sein Werk geschaffen hat, wie Duchamp genau angibt. Dieses Datum fällt mit dem Geburtsjahr Hans Baldung Griens zusammen.171 Es ist daher vorstellbar, dass Duchamp einen verdeckten Hinweis auf sein künstlerisches Vorbild gibt. Im Falle des Readymade Dem gebrochenen Arm voraus kann nicht von einer direkten Übernahme einer Rezeption gesprochen werden. Vielmehr scheint die Wahl nach der thematischen Auseinandersetzung mit dem Thema des stilisierten Motivs des Armes in den Sündenfall-Darstellungen Baldungs und ihrer unkonventionellen Darstellungsweise getroffen worden zu sein. In diesen Darstellungen wird der Arm tatsächlich nur noch als ein hölzerner Ast angedeutet, erinnernd an den Holzgriff der Schaufel oder an den Holzstab im Arm, der eine Lampe in Étant donnés nach oben hält, der gebrochen oder abgewinkelt erscheint und damit eine vorangegangene Bewegung evoziert. Nicht ohne Entdeckungsfreude und Humor scheint Duchamp auf das Detail in Baldungs exponierten Armen in den Sündenfall-Grafiken gestoßen zu sein. Dies führt inhaltlich schließlich zu einem ergründenden Sehen des Motivs und einem Vergleich mit der Schneeschaufel, in der eine steife Armhaltung vor dem Bruch erkannt wird, also vor einer Bewegung, in der der Arm abgewinkelt wird. Die Form der Schneeschaufel erinnert lediglich an einen steifen, hölzernen, gestreckten Arm, der eine mechanische, immer gleiche Bewegung tätigen kann, wie das Schneeschaufeln oder das Malen. Erneut findet Duchamp darin eine Form, auf die mechanische (malende) Tätigkeitsform der Hand humorvoll aufmerksam zu machen, die mit der statischen Schneeschaufel angedeutet ist und jetzt durch ein Objekt ein neues Sinnbild gefunden hat. Der gebrochene Arm ist schließlich in die Zeit nach dem Sündenfall einzuordnen, als dem Menschen die Augen der Erkenntnis geöffnet werden und er nun seinem eigenen freien Handeln unterstellt ist, so die Erzählung vom Paradies, in die Zeit, seit es Bewegung, 170 Vgl. FREUD 1893. 171 Vgl. ROBERTS 1963, S. 11. Das Jahr 1484 oder 1485 ist das Geburtsjahr Baldungs.

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Arbeit, Kunst, Sexualität und nicht zuletzt den aktiven Geist gibt. Ein Thema, für das Duchamp innerhalb seiner Werke immer wieder neue Ausdrucksformen findet, um den Brückenschlag hin zu einer geistvollen Konzept-Kunst zu vollziehen: weg von der klassischen, mechanischen Bewegung der Malerei als der vorherrschenden Kunstform, so das Klischee, welches er evoziert.

4.7.

Exkurs: Tizians Himmlische und irdische Liebe

Der mit einem brennenden oder rauchenden Gefäß in der Hand nach oben gehaltene Arm begegnet dem Betrachter auch in Tizians Frühwerk Himmlische und irdische Liebe, einem Hochzeitsbild (Abb. 91).172 Das Werk zählt zu den am häufigsten kopierten Bildern der Renaissance.173 Es ist Bestandteil einer Reihe von koloristischen Bildern, welche ca. 1514 entstehen, und wird zuerst von Carlo Ridolfi beschrieben als ein Bild mit »zwei Frauen an einer Quelle, in der sich ein Kind spiegelt«. 1787 erhält das Gemälde durch den deutschen Kunstschriftsteller Friedrich Wilhelm Basilius seinen aktuellen Titel, lange bevor es ab der Mitte des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts in den Fokus der deutschen Literatur gelangt.174 Ein rechteckiger, antikisierender Sarg oder Brunnen bildet leicht verrückt das Zentrum des Bildes. An den beiden Enden des Brunnens sitzt jeweils eine Frau. In der Mitte des Brunnens spielt Amor bzw. Cupido mit dem Brunnenwasser. Die Frau, vom Betrachter aus gesehen links, eine Braut, trägt ein ausladendes Kleid und hält einen Strauß Rosen in ihren behandschuhten Händen. Die Frau rechts im Bild hingegen präsentiert sich beinahe nackt, nur ihr Unterleib ist lose mit einem Tuch bedeckt. In ihrer linken, nach oben gerichteten Hand hält sie, die Venus, ein Öllämpchen. Im rechten hinteren Bildausschnitt liegt ein See, an dessen Ufer sich die Umrisse einer kleinen Siedlung mit hervorstechendem Kirchturm abzeichnen. Links im Hintergrund befindet sich eine Festung, durch deren Tor Menschen ziehen. Davor tummeln sich Kaninchen im Grün. In der neueren Tizian-Forschung herrscht Konsens über das dargestellte Thema: Es handelt sich um ein Bild anlässlich der Hochzeit des venezianischen Staatsbeamten Niccolò Aurelio mit der Paduanerin Laura Bagarotto am 17. Mai 1514. Diese Heirat sorgt in Venedig für großes Aufsehen, da die Braut zu diesem Zeitpunkt bereits die Witwe eines politischen Rebellen ist und die Hochzeit aufwendig vom Dogen genehmigt werden musste.175 Auch Rona Goffen sieht in der Frau mit Kleid Laura Bagarotto, die Braut des Auftraggebers: Das Bild, in dem die Venus ihren Segen gibt, könnte nach Goffen ein Vermählungsgeschenk sein. Die entsprechende Segensgeste ist allerdings nicht zu ent-

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Vgl. BOHDE 2002, S. 135. Vgl. AUSST.-KAT. Schwerin 2012, S. 83f. In der Schweriner Sammlung befindet sich eine Kopie der Himmlischen und irdischen Liebe Tizians von Stanislaus Scamossi. Vgl. REIMANN 2007, S. 226. Das Gemälde war in der deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts aktuell. In Hugo von Hofmannsthals Erzählung Sommerreise aus dem Jahre 1903 bezieht sich dieser auf die Beschreibung von Tizians Himmlische und irdische Liebe (S. 232). Vgl. REIMANN 2007, S. 225f.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

decken.176 Charles Hopes sieht darin eine literarische Interpretation bzw. es erinnert ihn an die esoterische Romanze Hypnerotomachia Poliphili von 1499 aus Venedig.177 1917 erscheint in der Gazette des Beaux Arts ein Aufsatz über die Himmlische und irdische Liebe von Tizian.178 Darin wird darauf hingewiesen, dass die Liebesdichtung der Antike im Gemälde wie heidnische und romantische Mythologie verarbeitet wurde. Es wird des Weiteren auf Tizians Porträt der Liebesgöttin Flora aus derselben Zeit (1515) verwiesen – Duchamps damalige Frau Lydie Fischer Sarazin-Levassor wurde wegen ihrer Schönheit mit der Flora verglichen.179 Die Themen Verhüllung und Entblößung, Jungfrau und Braut sind hier allegorisch angereichert bzw. mit gleichnishaften Anspielungen zusammengestellt. Dies täuscht aber das Auge nicht darüber hinweg, dass es sich bei der Braut und der Venus um ein und dieselbe Frau handelt. In einer Novelle über Tizian aus dem Jahre 1884/85 liest man hierüber bereits, sie »sind beinahe ein und dieselbe Person«.180 Reimann erörtert die Begegnung und den Umgang mit der Liebe, die er in den beiden Personen dargestellt sieht. Reimann resümiert ihre Überlegungen dahingehend, dass die beiden Frauen zwei Entwicklungsstufen eines Menschen darstellten und die zu deutende Zukunft des Betrachters somit bei diesem selbst liege; die beiden Stadien treffen sich in der Darstellung, werden diskutiert und narrativ durch die symbolische Aufsplitterung in zwei Personen veranschaulicht.181 Borggrefe erkennt in der Unbekleideten eine Venus, deren Zeichen als ein Symbol der göttlichen Liebe die Fackel ist, und eine jungvermählte Braut. Die rote Rose vor dem Brunnen erachtet er ferner als eine vormals weiße Rose, die durch das Blut des Adonis, dem unglücklich Geliebten der Venus, gefärbt wurde.182 Klinkert weist darauf hin, dass in der Renaissance-Literatur seit Ficino und zuvor schon bei Petrarca Vergeistigung und körperlich-sinnliches Begehren in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen, da das Sinnliche einem natürlichen Begehren kontrazyklisch gegenübersteht, und in der damaligen Zeit auch gleichgeschlechtliche Liebe anerkennendes Interesse findet.183 Erwin Panovsky hingegen sieht in der Darstellung eine neuplatonische Allegorie zweier gegensätzlicher Arten der Liebe in der Zwillings-Venus, venus coelestis, umgesetzt. Eine weitere Interpretation zielt auf die Allegorie Felicità breve ab: die ewige Glückseligkeit mit der Flamme der ewigen Liebe in der Hand.184 Es kann angenommen werden, dass letztere Sichtweisen, also die Liebe

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Vgl. GOFFEN 1997a, S. 33f. Vgl. HOPE 1980, S. 34. Vgl. HOURTICQ 1917. Vgl. FISCHER SARAZIN-LEVASSOR 2010, S. 103. Die Flora von Tizian wird einmal von Duchamp noch gesondert genannt. In der Gazette des Beaux Arts wird vor allem das blonde Haar vieler TizianFrauen als ein stilisierendes Moment erwähnt, welches den »femininen Typ« herausstelle. Auch Duchamp zeigt sich in einer Fotografie von Man Ray ironisch mit einer platinblonden Perücke und bestückt auch die Figuration in Étant donnés mit einer solchen; siehe dazu: AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 119. Flora wurde durch ihren Blumenschmuck sowohl als Braut wie auch als Kurtisane identifiziert; siehe dazu: BOHDE 2002, S. 106. 180 REIMANN 2007, S. 233f. 181 Vgl. REIMANN 2007, S. 236. 182 Vgl. BORGGREFE 2001, S. 331. 183 Vgl. KLINKERT 2014, S. 486f. 184 Vgl. PANOVSKY 1980, S. 217f.; PANOVSKY 1969, S. 115.

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und die Liebesgöttin in einer Person wie auch die neuplatonische Sicht Panovskys, im Interessengebiet Duchamps liegen und beide Figuren mit der nackten Frau mit hochgestrecktem Arm der Installation Étant donnés sinnbildlich verbunden werden können. Duchamp orientiert sich nämlich auch in seinen übrigen Rezeptionen an neuplatonisch geprägter Kunst sowie an dem Diskurs über die Themen Jungfrau, Witwe und Braut, welcher in der Interpretation mitschwingt. In dem Kommentar De amor zu Platons Symposium verarbeitet Ficino unter anderem Schriften von Pseudo-Dyonisius Areopagita und orphische, aber auch neuplatonische Schriften von Jamlichos, Plotin und natürlich Platon selbst. Das wichtigste Merkmal aber ist die Verbindung mit der Seelenlehre, die in der Theologia platonica, einer »Liebeslehre«, erarbeitet ist. Sie beinhaltet mythologische Schriften über die Geburt des Eros und der Venus sowie über Medizin und Verhaltensregeln außerhalb des Hofes. Die Liebe wird der Empirie unterzogen, das Seelenleben durchleuchtet, die Liebe als Idee, als ein philosophisches Medium behandelt.185 Liebe bedeutet bei Ficino amor spiritualis, also eine vom Körper entbundene Liebe, eine »Seelenliebe«: Der Impuls des Guten ist göttlich und führt auch wieder zurück zu Gott. Zur amor spiritualis gehört unter anderem auch geistiges Erkennen, der Sehsinn und das Gehör führen zu ihr. Darüber hinaus ist sie mit der Dichtkunst gekoppelt. Eros ist der Meister der Künste, welcher mithilfe der Sinnlichkeit einen Weg zur Erkenntnis weist, genauso wie die Kunst, welche nicht nur das Sinnliche, sondern auch das intelligible Verständliche vermitteln kann.186 Tizian zeigt ein Geistes- bzw. Denkbild auf, das ihn antreibt: das Bild sprunghaft zusammensetzen in mehreren »Gedankenbildern«.187 Was Platon als Eros bezeichnet, ist eine Selbsttranszendenz, die durch die Liebe ein Sich-selbst-Erkennen bzw. einen Weg zur Erkenntnis ermöglichen kann. Das Erinnern hilft dabei, das Gesehene mit dem bereits Dagewesenen zu verknüpfen, um zur Erkenntnis zu gelangen.188 Das Bild spielt mit dem möglichen Abgleich des Lebens mit dem Bild und der Poesie, mit der Einheit von Geliebter und göttlicher Geliebter, dem irdischen und dem überhöhten Blick auf diese. In dem Werk sind die irdische und die himmlische Erfahrung ineinander verwoben in Körpern, welche sich gegenseitig spiegeln wie Erinnerungskörper und wie »Materie als transskriptives Signifikat«.189 Krüger erinnert daran, dass der Akt für die Schönheit der Malerei selbst steht.190 In der Duchamp-Forschung wird von Wohl auf die Verbindung zum hochgehaltenen Gefäß der Venus in Tizians Bild hingewiesen: Wohl sieht darin eine pastorale Geste.191 Die hochgehaltene Lampe in Étant donnés könnte von Duchamp als Bildzitat aufgenommen worden sein. Panovsky interpretiert das in die Höhe gehaltene Licht als einen

185 Vgl. PFLAUM 1926, S. 22. 186 Vgl. NEHR 2014, S. 238f. 187 Vgl. PFISTERER 2014, a, S. 606. Pfisterer benutzt das Wort der Gedankenbilder oder vis imaginativa, um die kreativen Prozesse, die im 15. und 16. Jahrhundert beginnen, näher zu umschreiben. 188 Vgl. WILBER 2003, S. 403. 189 Vgl. KRÜGER 2001, S. 224. 190 Vgl. KRÜGER 2001, S. 185, 220 191 Vgl. WOHL, Helmut: Marcel Duchamp and the pastoral landscape, PMA, Writings, Unpublished, Restricted, Boston University, Philadelphia Museum of Art, Archives, S. 9.

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Hinweis auf das »himmlische Feuer«, auf die ewige Liebe Gottes, amor dei, findet diese aber auch gleichzeitig allegorisch umgedeutet in der irdischen Venus.192 Duchamp übersetzt dieses Licht in seinem Werk als die Liebe zur Kunst; er weist auf die Kommunikation innerhalb der Kunst hin, welche in Bezug auf die Kunst um der Kunst willen steht. Und auch Matisse sieht die Lampe allgemein als ein äußeres Licht, welches der Künstler brauche, um es in sich selbst zu zünden. So äußert er: »Die meisten Maler brauchen den direkten Kontakt mit den Gegenständen, um zu helfen, dass es sie gibt, und sie wiederzugeben. Sie brauchen ein äußeres Licht, um in sich selbst klar zu sehen. Dagegen besitzt der Künstler oder der Dichter ein inneres Licht, das die Dinge umformt, um eine neue Welt daraus zu machen, sinnlich wahrnehmbar und geordnet, eine lebendige Welt, die in sich selbst das unfehlbare Wahrzeichen des Göttlichen, der Abglanz des Göttlichen überhaupt ist. So könnte man übrigens die Rolle der durch die Kunst geschaffenen Realität erklären und sie der objektiven Realität gegenüberstellen – mit ihrem nicht materiellen Wesen.«193 Die gedoppelte Figurenvariation einer Frau in Tizians Himmlischer und irdischer Liebe zeigt also eine Braut und eine Venus in zweifacher Identität. Die rechte der beiden Figuren, welche ein Gefäß nach oben hält, erinnert an den alten Kanon einer Figuration mit gehobenem Arm, den Duchamp in seinem Werke Étant donnés als Motiv aufgreift. Es kann fest davon ausgegangen werden, dass Duchamp Tizians Bild kannte. Allerdings kann nur auf eine wenig konkrete Auseinandersetzung mit dem Motiv spekuliert, nicht aber auf eine gesicherte Motivübernahme geschlossen werden. Das Gemälde stützt Duchamps Haltung und Suche nach einer ähnlich gearteten Kunst in Form und Inhalt, welche den Intellekt des Betrachters anregt. Er findet darin erneut spezielle Gesten und ein Rollenspiel vor, die er immer wieder in sein Werk einfließen lässt.

4.8.

Lichtinszenierungen

Erst durch Hell und Dunkel entsteht überhaupt der Kontrast im Bild, durch Licht und Schatten, welche die Dramatik unterstützen. Durch den oft künstlichen Licht-Spot wird sich der Betrachter der eigentlichen Bildhaftigkeit bewusst: Ein künstlicher Raum entsteht, ein bildinterner Innenraum – oder das Atelier, welches für Installationen oft als erster Versuchsraum dient.194 Giordano Bruno (1548–1600), italienischer Philosoph und Astronom, legt dar, dass die Phantasie nicht von äußeren Sinnen abhängt oder das »innere Licht löscht«, sondern dass es einen »inneren Bildraum gibt, der einem Atelier gleicht«.195 Aus christlicher Sicht sei auch an das »unendliche Licht« erinnert, welches auf Christus und auf den Heiligen Geist und den eigenen göttlichen Grund in sich selbst verweist.196 Dante begreift das Licht als transzendente Erfahrung. Aristoteles Vgl. WOHL, Helmut: Marcel Duchamp and the pastoral landscape, PMA, Writings, Unpublished, Restricted, Boston University, Philadelphia Museum of Art, Archives, S. 9 193 FLAM 1937, S. 115. 194 Vgl. VON SAMSONOW 2010, S. 126. 195 Vgl. VON SAMSONOW 2010, S. 126. 196 Vgl. BEIERWALTES 1985, S. 332, und HAMM 1993, S. 49.

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und Thomas von Aquin sehen im Licht nichts Körperliches, aber dennoch eine aktuelle Form, welche auf Sinnesorgane wirkt und als Ursache, Kraft und Form umrissen werden kann.197 Das von Petrarca erwähnte Bild der kulturellen »Dunkelheit« sollte wieder mit »Licht« erfüllt werden. Die durch die Dunkelheit verschütteten Ideen, das Wissen, die Künste sollten von neuem ans Licht geführt werden, ebenso die Wahrheit.198 Alberti bringt das verlorene Wissen durch das Lebendighalten der kunsttheoretischen Schriften wieder ans Licht. Es birgt den Charakter einer »Wiedererweckung« zum ewigen Leben in der Kunst. Kunst fungiert somit wie ein der Zeit entbundener Wissensspeicher, in welchem assoziativ die ikonografische Kunstsprache, die persönliche Wahrheit der Künstlerindividuen mit ihrer Logik parallelgeschaltet werden können; durch Assoziationsketten innerhalb der Kunst über Epochen hinweg vermag ein Künstler sich an andere Künstler anzuschließen und an diese zu erinnern. Hierin bekräftigt sich die Aussage L’art pour l’art, welche durch die nach oben gehaltene Fackel eine Art Symbol erhält. Goethe sagt: »Licht und Geist, jenes im Physischen, dieser im Sittlichen herrschend, sind die höchsten denkbaren unteilbaren Energien.«199 Das Licht, so Leonardo da Vinci, unterstütze das Ordnungshafte eines Bildes. Durch die Geradlinigkeit des Lichtstrahles unterstreiche es den Kunstraum und mache so Raum und Grundformen besser erfahrbar.200 Leonardo ist es, der die Begrifflichkeiten hinsichtlich des Beleuchtungslichtes (Licht und Schatten) maßgeblich beeinflusst.201 Licht und Schatten bedingen sich gegenseitig und stehen sich dualistisch gegenüber.202 Meist kann das Beleuchtungslicht nicht so klar wie in dem abgesonderten Raum von Marcel Duchamps Étant donnés wahrgenommen werden, da es mit dem Eigenlicht des Museumsraums zusammenfällt. Es wird daher möglich, die Installation wie ein Gemälde hinsichtlich Licht, Schatten und Farbe zu befragen und systematisch zu betrachten. Auffallend in genanntem Werk ist der Frauenkörper, welcher eine Gaslampe hält, die nicht alleinig für die Helligkeit im Objekt sorgt. Im Katalog von First Paper of Surrealism von 1942 spricht Sidney Janis von »a passionate espousal of the surrealist spirit«, welche als Zeichen für die Kunst mit einer Fackel in der Hand (der Surrealisten) den Künstler leiten soll.203 Er verweist in diesem Zusammenhang auf Blake, Bosch und Uccello, bei denen er eine ähnlich geartete Einstellung wiederfindet, die sie selbst für ihre Kunst wählen.204 Weiter beschreibt Janis, dass es kein Faktor der Zeit an sich ist, sondern ein Feuer, welches er von den Collagen im Kubismus ausgehen sieht. Er spricht von einer fortlaufenden Metamorphose, die sich in einer schöpferischen Energie zwischen 1910 und 1913 in Bewegung gesetzt habe.

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Vgl. MÜNCHBERG 2005, S. 52f. Vgl. PFISTERER 2011, S. 51. SCHÖNE 1954, S. 10. Vgl. FEHRENBACH 1997, S. 127. Vgl. SCHÖNE 1954, S. 83. Leonardo findet Begriffe für Lichtquelle = luce (das ursprüngliche Leuchtlicht), das beleuchtende Licht = lume (appliziertes Licht, Körperlicht); und hinsichtlich des Schattens: Schatten auf Fläche = primitiver Schatten = (ombra derivativa, Schatten) und Schatten, der die Luft füllt = abgleitender Schatten (ombra derivativa, Schlagschatten). 202 Vgl. SCHÖNE 1954, S. 109. 203 Duchamp stellt Breton dar als Freiheitstatue mit Fackel auf dem Deckblatt von dessen Publikation Young Cherry Trees Secured against Hares (1946). 204 Vgl. AUSST.-KAT. New York 1942, Foreword by Sidney Janis.

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Der Surrealismus sieht sich aber als Beginn dieser Bewegung und den Schlüssel der »revolution in consciousness« für die Wissenschaft.205 Das Licht fungiert für die Surrealisten letztlich als eine Art Leuchtturmlicht, welches den Weg der Künstler und auch den der Besucher in der Ausstellung Exposition international du Surréalisme im Jahr 1947 weisen, aber auch generell durch die Kunst führen soll. Ein Leuchtturm ist daher in der Ausstellung neben der Treppe aufgebaut und reicht vom Erdgeschoss bis in den ersten Stock. Rotierend erhellt das Leuchtturmlicht, unruhig auf sich aufmerksam machend, den Raum.206 Katherine Dreier weist auf den Lichteinsatz in El Grecos Kunst hin. Sie sieht im Einsatz von Licht und Schatten bei den Gestalten von El Greco eine Vitalität, welche die Figuren aus der Statik befreit und, Dreiers Meinung nach, »real« werden lässt. Sie hebt in ihrem Vortrag den Einsatz des Lichtes hervor, führt aus, wie dieses die Muskeln der Figuren dramatisch betont und verweist auf El Grecos Progressivität im Bereich der Lichtregie in seinen Gemälden. Darüber hinaus legt Dreier dar, wie El Grecos Kunst sie anzuregen vermag und dass dies in Bezug auf die Thematik der Lichtführung geradezu inspirierend wirke. Sie erläutert, wie bei den Impressionisten der Lichteinsatz sowohl mittels Lampen als auch durch natürlich eingesetztes Sonnenlicht erfolgt.207 Auch die phänomenologische Grundidee Rembrandts beschreibt Dreier am Beispiel des Lichtes in einem Vergleich mit El Grecos Anbetung der Hirten von 1596, in welchem das Licht aus dem Bild selbst hervorzugehen scheint. Bei Rembrandt verweist sie in diesem Kontext auf den Einsatz des Lichtes, welches nicht von dem Subjekt abhängt, sondern »eine Botschaft unabhängig« davon ist. In Dreiers Augen liegt die Neuheit in der Subjekthaftigkeit, die bis dato immer an religiöse oder historische Szenen gebunden war. Rembrandt setzt das Licht und den Schatten als eigenes Thema ein, als ein Subjekt, das über das Material reflektiert; das Licht selbst erhält materielle Züge.208 Bei Hans Baldung Grien wird das Licht im Gemälde wie auch in der Grafik als ein eigenes Element eingesetzt. Man findet es in der Clair-obscur-Technik, mittels derer er mit Weißhöhungen in Holzschnitten und Zeichnungen arbeitet und so Stimmungen des Lichtes erzeugt.209 Ebenfalls setzt er Schlaglicht ein, um thematisch zu akzentuieren. So hebt er ähnlich wie El Greco das Jesuskind, von welchem die Lichtstrahlen aus-

205 AUSST.-KAT. New York 1942, Foreword by Sidney Janis; RYLANDS 2014, S. 144. »This communion, a sort of festive ceremonial dedicated to the imagination, has already persisted for two decades. It is not the factor of time, itself, that is so impressive, for the pure fire of Cubism and collage, which has set in motion continuing metamorphose of creative energy, was brief in duration, lasting from 1910 to 1913. The imposing fact is that Surrealism from its inception, became and has ever since remained the cardinal germination source for many of the most gifted and far-seeing artists on the international scene.« 206 Vgl. KRAUS 2010, S. 76. Er ist eigens von Zigoto gefertigt und mit einem alten Victrola-Motor versehen. 207 Vgl. DREIER 1933, S. 6f. 208 Vgl. DREIER 1933, S. 7. 209 Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2013, a, S. 49. Im Gegensatz zu Baldung befasst sich Cranach, worauf Perrig hinweist, nicht mit dem Licht, sondern setzt dies nur als ein diffuses Fluidum ein, indem er ausleuchtet. Siehe dazu: PERRIG 1986, S. 54; BAUMGARTEN 1904, a, S. 28f.; Baumgart weist darauf hin, dass sich Baldung intensiv mit dem Thema des Helldunkels auseinandersetzte.

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gehen, auch in seinem Werk Geburt Christi im Freiburger Altar hervor.210 Vor allem in Gemälden des 16. und 18. Jahrhunderts ist die Lichtinszenierung essenziell; erst danach läuft die Farbe dem Licht den Rang ab.211 Nicht nur Baldung zeigt in seinem Neujahrsgruß mit drei Hexen eine Figur mit hochgehaltener Fackel (Abb. 60), sondern zeitgleich auch Annibale Carracci, Jacopo Zucchi südlich der Alpen und nördlich beispielsweise Urs Graf.212 Katherine Dreier äußert sich mehrfach in Vorträgen zu diesem Thema und erwähnt darin auch Rubens, Rembrandt und Frans Hals.213 Licht steht für die Wahrheitssuche, die Freiheit, die Liebe zur Kunst und deren Wiederbelebung, ferner für die Erkenntnis, Offenbarung, Erschließung, Enthüllung: Maximen, welchen sich auch Duchamp in seiner Kunst verschrieben hat. Ähnlich wie von Alexander Archipenko beschrieben, ist daher auch Duchamp zu verstehen. Archipenko meint: »Seit dem Jahre 1912 habe ich die Ungreifbaren: Raum, Transparenz, Licht und Reflexion in einer Form vereinigt. Dies hat sich zur modernen Skulptur entwickelt, zusammen mit der Konkaven (negativen Form). Alles, was negativ ist, kann schließlich im schöpferischen Sinne positiv werden.«214 Duchamps Licht aber wird als Kritik am Pastoralen verstanden.215 Bei Duchamp sind es schließlich das mit Farbe verbundene sichtbare Licht, das projizierte Licht, der Sehstrahl oder die Ejakulation sowie der Strahl an sich, durch die plastische Werte erzeugt und als Momente in seine Kunst eingesetzt werden. Hierin verfolgt Duchamp einen Gedanken seines Bruders Villon-Duchamp.216 Laut Vallier stellt dieser in seiner Malerei eine Gleichung auf, wonach das Licht der unsichtbare Teil der Leidenschaft ist, welchen Duchamp versucht, sichtbar zu machen.217 1912 wird ein Aufsatz mit dem Titel Sur les tendences actuelles de la peinture von Jacques Rivère veröffentlicht, der das Licht im Kubismus behandelt. Rivère befindet, dass der Kubist zwar auf eine Beleuchtung verzichten soll, nicht aber auf das Licht. Er ist daran interessiert, den Schatten so gleichmäßig zu verteilen, dass Licht und Schatten kontrastfrei zu den anderen Gegenständen im Bild wirken können. Dies soll einen Zusammenklang ermöglichen und »Vielheit und Ein-

210 Vgl. SPATH 1990, S. 10 und 31. Siehe auch die Abbildung im gleichnamigen Band: Hans Baldung Griens Portrait von Martin Luther von 1521, ein Bildnis, in welchem er über Luthers Haupt die Taube als Symbol des Hl. Geistes darstellt. Hans Baldung Grien verbindet Licht, das biblische Geist-Symbol und die Taube miteinander. 211 Vgl. SCHÖNE 1954, S. 109f. 212 Vgl. Jacopo de Zucchi (1541–1589), Psyché surprend l’Amour, Galeria Borghese, Rom, in: BATAILLES 1961; Annibale Carracci: Apollo and Minerva, 1674, Etching and enraving. Ulrich Pfisterer erwähnt das Bild auf der Tagung »Renaissance der Modere: Duchamp, Leonardo, Beuys« in den Staatlichen Museum Schwerin/Ludwigslust/Güstrow, 8.−9. September 2017, hinsichtlich der Kopie von Carlo Maretti und der Tendenz der Wiedererstarkung der Renaissance-Kunst durch die Neorenaissance im 19. Jahrhundert. 213 Vgl. DREIER1931, S. 6f.; DREIER 1928, S. 9f. Licht, welches sie als eine Flüssigkeit in der Malerei beschreibt. 214 TRIER 1992, S. 91; WIESE 1955. 215 Vgl. WOHL o. D. 216 Vgl. VALLIER 1961, S. 104f. Bei Villon-Duchamp wird bereits das Licht, das Unsichtbare zum Farbraum und dennoch gilt für die Malerei, so Villon, die Gleichung »das Licht = das Unsichtbare«. 217 Vgl. VALLIER 1961, S. 103.

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heit gleichermaßen befriedigen.«218 Das Objekt wird demnach nicht realistisch gezeigt, sondern so, wie es der Künstler selbst sieht: hell und dunkel und in seiner »Form eines geometrischen Volumens, das der Beleuchtung entzogen ist«. Erleuchten heißt bei den Kubisten enthüllen: Die geschlossene Form aufbrechen.219 Duchamp setzt in Étant donnés Licht und Schatten plakativ nebeneinander. Er benutzt auch Lichtwerte, um die Bildsituation geradezu auszuleuchten, wohingegen das vermeintlich reale Licht der gehaltenen Lampe keine nachvollziehbare Beleuchtung erkennen lässt. Der Sehstrahl des Betrachters ist ein erdachter, welcher ausschließlich in der Phantasie eine Plastizität erhält. Duchamp bedient sich also des Lichts, des Schattens und der Form. Er scheint darauf zu achten, den Kontrast mit Hell und Dunkel zu setzen. Die höhlenartige Struktur der Wand ist durchstoßen, und das helle, gleißende, künstliche Tageslicht lässt das Auge fast blinzeln. Ähnliches schildert Leonardo da Vinci, als er einmal vor einer Höhle steht: »Furcht vor dem Dunkel der Höhle und Verlangen nach dem Geheimnis, das darin verborgen war.«220 Das Licht als ein Archetyp erscheint zum ersten Mal bei der Erschaffung der Welt; es ist eine Grundvoraussetzung für das Leben und auch für die Kunst. Licht ist nicht nur ein visuelles Phänomen, sondern tritt allgemein physikalisch in Erscheinung. Duchamp setzt sich in Première Lumière / First Light / Erstes Licht 1959 mit ihm auseinander (Abb. 92). Die Buchstaben NON sind in dünnen Strichen über den gesamten Druckstock gezogen und als blaue und schwarze Radierung umgesetzt. In der Forschung werden sie im Zusammenhang mit dem Thema der Negation angesprochen. Judovitz verweist auf die Ambivalenz zwischen Benennung und Negierung durch das Wortspiel und den ausgewählten Titel.221 Die Abkehr oder Verneinung beinhaltet die Trennung von Licht und Schatten bzw. von Helligkeit und Finsternis; dennoch gehören beide Polaritäten zusammen und machen sich im Kontrast sichtbar.222 Wie das erste Licht die Schöpfung bejaht, ist mit dem NON die nicht erzeugende, nur eingesetzte künstliche, geistige Abkehr gemeint, welche das natürliche Licht umgehen kann. Wie Gott kann auch der Künstler ureigene Gedanken und Ideen ins Licht gebären: »Erst wenn diese Gestalt des sich als frei wissenden Geistes erreicht ist, wird eine authentische Versöhnung zwischen Geist und Sinnlichkeit möglich: im Schönen.«223 Durch das In-Erscheinung-Treten des immateriellen Lichtes kommt es zu der Analogie, dass sich Geist und Sinnlichkeit geradezu vereinen. Das Licht verleiht dem Auge die Sehkraft und bringt Denkvermögen und das Erkennen der Sinnlichkeit zusammen.224 Begemann weist darauf hin, dass die Materie erst durch den Strahl des Lichtes zum Leben erweckt wird. Die Kunst wird mithin ans Licht gebracht, emporgehoben, »gebo-

218 FRY 1966, S. 83. 219 Vgl. FRY 1966, S. 83 und 167; RIVÈRE 1912, S. 384−406. 220 Vgl. BELTING 1998, S. 172. Belting weist im Gesicht der Mona Lisa auf die meisterschaftlich festgehaltene Muskelbewegung aus gründlicher Naturstudie heraus hin, welche das Lächeln zwischen Auge und Mundwinkel einfängt. 221 Vgl. JUDOVITZ 1995, S. 89; RÖDER 2003c, S. 184; ZAUNSCHIRM 1982, S. 122. 222 Vgl. BAUMGART 1999, S. 61. Baumgart erwähnt, dass innerhalb der Entstehungsgeschichte Tag und Nacht, Helligkeit und Dunkelheit, zeitlich nacheinander gesetzt wurden. 223 WELLBERY/BEGEMANN 2002, S. 12. 224 Vgl. FICINO 1994, S. 267.

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ren«; was vorher im dunklen Chaos lag, ist nun befruchtet und geformt.225 Humorvoll bedient Duchamp sich sogar selbst einer Schatten-Figur, dem Fantôme / Ghost / Geist, in dessen Umriss er seinen Namen setzt (Abb. 55).226 Schatten sind im Sinne der Surrealisten Bestandteile des Unbewussten, des noch nicht Sichtbaren, das es in das Licht zu rücken gilt. Der Schatten, der ein Infra-mince in Duchamps Kunst darstellt, der rezipierte Bereiche der Kunstgeschichte beleuchtet als den Schatten der Vergangenheit, der durch das Licht vertrieben wird und erneut vom Geist durchdrungen werden kann.227

4.9.

Das Sintflut-Bild Baldungs

Hans Baldung Griens Gemälde Die Sintflut von 1516 (Abb. 93) befindet sich im Historischen Museum in Bamberg.228 Seit 1892 ist es im Lichtdruck-Verfahren in einer Publikation von C. C. Buchner abgedruckt und auch für Duchamp zugänglich.229 Ursprung, Abbild, Inspiration und Vergänglichkeit stehen im Mittelpunkt der Bildaussage: Alle Menschengruppen, die keinen Platz in der Arche haben, sind in den Wassermassen gefangen und werden von diesen hinweggespült. An die linke vordere Kante der kastenförmigen Arche im Zentrum des Bildes klammert sich eine männliche Figur in Rückenansicht. Von dem Gesicht existieren zwei Vorzeichnungen im Karlsruher Skizzenbuch. Eine Person mit weißem Kopftuch schwimmt von der Arche weg. Das Vorbild für dieses Motiv findet man in Dürers Grafik Rückwärts reitende Hexe auf einem Ziegenbock (um 1500). Der Mann auf dem Fass links im Mittelgrund beruht auf Vorzeichnungen eines Bacchus von Mantegna.230 Das Spektrum der Tiere im vorderen linken Bereich beinhaltet Pferd, Hund, Katze und Ratte. In der Luke der Arche sitzen eine schwarze Eule und typischerweise die Tauben, welche zur biblischen Geschichte gehören. Das versinkende Pferd hat im Gegensatz zur Pferdeserie den Hals hier nicht zum Flehmen, sondern mehr zu einem Schrei nach oben gestreckt. Damit wird das Wehklagen als emotionale Haltung der Figuren ausgedrückt. Zusammengefasst handelt es sich um eine Vielzahl von Rezeptionen sowohl von italienischen Vorbildern wie auch Albrecht Dürers, der mit seinen italienischen Einflüssen sein Umfeld und seine Mitarbeiter nördlich der Alpen prägte.231 Von Baldung, von dem selbst keine Italienreise dokumentiert ist, ist bekannt, dass er in der Nürnberger Zeit italienische Stiche besaß. Außerhalb der Dürer-Werkstatt erwarb Baldung italienische Stiche direkt von Jacob und Hans Wechtlin in Straßburg, die 225 Vgl. BEGEMANN 2002, S. 48. 226 Vgl. KIESLER 1945, Duchamp: »Yes, but that came, after the commission was accepted, you see. I began working and in working these things became alive, you see the ideas which were not latent in no, they blossomed after the time the commission was accepted. I began working about 3, 4, or 5 months on it. I bought a special lamp to project shadows and so forth. It was a kind of way of using new ideas at that time. It is only 40 years later that these things appear, and you see them.« 227 Vgl. WEHR 1986, S. 161. Bereits die Kubisten experimentierten mit dem Licht, so ist in ihrem Sinne das Erleuchten ein Enthüllen; siehe dazu: FRY 1966, S. 115. 228 Vgl. AUSST.-KAT. Bamberg 1988; SCHAWE 2014, S. 15. 229 Vgl. TÉREY 1900, S. 11; BUCHNER 1892, S. 79. 230 Nach Aussage von Wolfgang Brassat in einem Vortrag über das Sintflut-Bild von Hans Baldung Grien an der Universität Bamberg am 9. November 2016. 231 Vgl. AUSST.-KAT. Bamberg 1988, S. 34.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

sie aus Venedig importierten. Dieses Formengut bzw. diese Motive aus Italien eignet sich Baldung, angepasst an seine Intentionen, an.232 Das Gemälde Die Sintflut ist ohne Auftraggeber entstanden, sodass angenommen werden kann, dass es sich hierbei um ein Schauwerk handelt, welches im Rahmen des Freiburger Altars entstanden ist.233 Es könnte sich aber auch um ein spezifisches Sammlerwerk handeln, da es ein Gemälde ist, welches den ästhetischen Diskurs fordert. Auch Schawe schließt sich dieser Vermutung an, indem er den letzten Aufenthaltsort des Bildes in einer Gelehrtenstube wähnt.234 Baldung macht mit dem kleinen Jungen im Gemälde, der an einen Putto erinnert, auf seine eigene Künstlerperson aufmerksam: Er ist in ein grünes Gewand gehüllt, welches, wie eine Flagge vom Wind ergriffen, zur Seite weht. Der Rücken und sein blankes Hinterteil sind dem Betrachter entgegengestreckt. Geradezu ironisch nutzt Baldung diesen Charakter als seine Referenzfigur. Hoffnungsvoll und mit verkniffenem Blick umklammert der Knabe die Bugspitze des Bootes. Mit der Farbe Grün, der Farbe der Hoffnung, gibt sich Baldung in seinen Bildern oft in den unterschiedlichsten Figuren zu erkennen – hier also in der Person des Jungen.235 In den Wassermassen um ihn herum befindet sich eine Vielzahl von einzelnen Händen und Füßen. Solche hebt Baldung in vielen seiner Bilder in ihren individuellen Stellungen und Ausprägungen besonders hervor. Eine gewisse Ironie liegt darin, wenn er die Hand links neben dem Knaben nach dem letzten Strick greifen lässt. Auffallend sind die Männer auf dem Floß schräg links neben der Arche: Der bis auf ein Untergewand entkleidete Priester mit Tonsur hebt seine Arme, wohl um Erlösung bittend, zum Himmel. Der Mann neben ihm wird von einem aus dem Himmel niederfahrenden, funkensprühenden grünen Lichtstrahl am Hinterkopf getroffen.236 Er scheint den Aufprall deutlich zu spüren – ein Moment der Erleuchtung. Es fährt ihm wohl eine Inspiration, Idee oder Erkenntnis in den Kopf.237 Unter der aufreißenden Lichtregie im rechten Hintergrund treiben auf einem Holzfloß nackte Frauen; eine davon steht aufrecht und erinnert wie eine Parodie an Botticellis Geburt der Venus. Die Frau steht im Kontrapost, fährt sich mit den Armen wie die antike Göttin durch ihre langen blonden Haare, erstrahlt »visionsartig« mit weißer Haut und scheint von dem Chaos im Vordergrund des Bildes ausgeschlossen zu sein. Sie verkörpert den aus dem Zeitalter der Renaissance stammenden Gedanken der Wiedergeburt.238 Die in Baldungs Werk verwendeten Figuren wie Hexen, Putten, Pferde, Marien und Venus werden wie auch die männlichen und weiblichen Protagonisten stets als leicht variierende Werkbausteine eingesetzt. Hierin zeigt sich Baldungs künstlerisches 232 233 234 235 236

Vgl. BUSSMANN 1966, S. 177. Vgl. MECKEL 2005, S. 13. Vgl. SCHAWE 2014, S. 16. Baldung zeigt sich bereits als Knabe in seinem Holzschnitt Die Kinderaue und im Sebastiansaltar. Vgl. SCHAWE 2014, S. 18. Schawe sieht darin einen herabfallenden Stern aus der Johannesapokalypse oder ein das Ende der Welt ankündigenden Lichtblitz in Form eines herabfallenden Sterns (Apokalypse 8,5). 237 Der in den Nacken gelegte Kopf und der überlange Hals erinnern an die Tierschicksale von Franz Marc. Darin wird das Tier von den einbrechenden Strahlen erschossen. Auch in Baldungs Bild berührt der brennende Sonnenstahl, wie es scheint, sowohl den Pferdekörper als auch den Hinterkopf des alten Mannes. 238 Die junge Frau oder Venus im Sintflut-Gemälde Hans Baldung Griens erinnert auch an das Mädchen aus der Darstellung Tod und das Mädchen von 1517.

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Vermögen, die Figuren an den Bildort anzupassen und die Leidenschaftlichkeit in der Hervorbringung des Aktes mit den elementaren Kräften im Bild zu verbinden.239 Platon sieht eine Ähnlichkeit zwischen einem Philosophen und dem Künstler, welcher die Fähigkeit besitze, das Wesen der einzelnen wahren Dinge zu erkennen. Die Künstler trügen, so Platon, ein Urbild aller Dinge in ihrer Seele.240 So wie der Künstler durch genaue Beobachtung immer wieder zum Ursprung und Prototypen findet, kann auch der Philosoph über die bestehenden Gesetze wachen; der Maler ist in der Lage, Dinge nach ihrem göttlichen Musterbild zu entwerfen.241 Seit der frühchristlichen Zeit werden Symbole als heilige Bilder verstanden oder als »Zugangswege« zur spirituellen Praxis, zur Imagination, Inspiration und Erkenntnis. Die Symbole sind selbst Schlüssel, welche aber nicht nur durch Wort und Schrift zu verstehen, sondern mit der eigenen Erfahrungspraxis zu verknüpfen sind. Ferner müssen sie mit der Logik und mit den Bildern des Alltags abgeglichen werden.242 Die Glaubensgeheimnisse in der Religion werden auf diese Weise materialisiert und damit für jedermann greifbar.243 Dem in Baldungs Sintflut aufgezeigtem intuitiv schöpferischen Wirken Noahs gelingt es, sich über die »schlechten« Naturen hinwegzusetzen und die Prototypen bzw. Urformen von Menschen und Tieren zu retten, um den Fortbestand der Lebewesen und der Natur durch Reproduktion zu sichern.244 Die Sintflut ist eine Reinigung von allen menschlichen Dingen, Zerwürfnissen und Verirrungen, um auf den Grund, den Kern oder die Essenz der Natur zu gelangen und sich somit auf ihre Wurzeln zu besinnen. Alle weiteren Rezeptionen bzw. Überflüssiges werden hinweggespült. Die Arche ist seit der Frührenaissance ein häufiges Sujet.245 Ihre Darstellung lässt sich bis in frühchristliche Traditionen zurückverfolgen.246 Die Arche als kastenförmiges Objekt findet man nicht nur in mittelalterlichen Darstellungen, sondern hauptsächlich auch in italienischen Stichen.247 Nördlich der Alpen begegnet man der Arche in Form eines schmalen Kastens, der an einen Sarg erinnert, beispielsweise in Lucas Cranachs

239 Vgl. AUSST.-KAT. Bamberg 1988, S. 62. Ruß erwähnt, dass »künstlerische Interessen begannen«. Auch Michelangelo stellte bereits in einem Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle die Sintflut dar. Die darin dargestellte Arche hat die Form einer Truhe. Seine Akte zeichnen Virtuosität in der Umsetzung aus. Siehe dazu: AUSST.-KAT. Bamberg 1988, S. 34. Auf das Können oder Baldungs »welsche Art« verweist SCHAWE 2014, S. 17. 240 Vgl. HUB 2009, S. 34. 241 Vgl. HUB 2009. Dennoch wertet Platon den Künstler nicht auf, da er seiner Meinung nach immer nur der Nachahmung verpflichtet ist. Für Platon ist es gegen die Logik, sich mit Abbildern zu beschäftigen, wenn die Ideen seiner Meinung nach den Originalen nahestehen. 242 Vgl. COUTIN 2013, S. 77. 243 Vgl. MOLZAHN 1934, S. 84. 244 Vgl. BAUMGART 1999, S. 267. 245 Vgl. AUSST.-KAT. Bamberg 1988, S. 68; SCHAWE 2014, S. 15. Schawe verweist auf weitere italienische Darstellungen, welche hier zusammengefasst knapp aufgelistet sind: Ghibertis Paradiestür (1425–1452), Uccello in der Santa Maria Novella in Florenz (1446–1448), Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle (1508−1412), Rafael in den Loggien des Vatikans (1517–1519), Leonardo da Vincis Die Sintflut, heute eine Zeichnung in Windsor, und Lorenzo Lotto. 246 Vgl. AUSST.-KAT. Bamberg 1988, S. 32. Die Arche wird als »Schatzkästchen« bezeichnet, wohingegen Térey darin einen Schrank sieht. Siehe dazu: TÉREY 1900, S. 11. 247 Vgl. TÉREY 1900, S. 11; LINDAU 1994, S. 108.

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Werk Die Sintflut von 1534 sowie in der Wittenberger Bibel und aus der Cranach-Werkstatt im Schneeberger-Altar, 1539, sowie im Kembacher Altar von 1565.248 Das Wort Arche stammt aus dem Altgriechischen, es bedeutet so viel wie Ursprung, Anfang, Prinzip. Es steht für die ureigenen Grundideen, für die Urmaterie und in seiner Form auch für das Prinzip des Werdens und Vergehens und für die Wurzeln des Lebens. Die Arche, welche in der Forschung auch mit »Schatzkästchen« oder »Schrank« bezeichnet wird, wird als arca mit Kiste oder als tabah mit Kasten übersetzt, kann auch abstrakt als eine »Gedächtniskiste« oder ein »Speicherplatz« verstanden werden.249 Der »kleine Weltraum Arche«250 soll der Natur das Überleben ermöglichen und beherbergt von allen Arten den »Archetypus«, so die Erzählung der Genesis. Baldungs Arche ist mit aufwendigen Beschlägen geschmückt, die zentral positioniert und dem Betrachter zugewandt ein Tiergesicht bilden; ein Schloss versperrt die Arche. Die Öffnungen sind mit Brettern vernagelt, nur eine Luke im Erker ist offen. Die Arche erinnert Baumgart an ein Wohnhaus mit Türen und Fenstern, das sich autark versorgt.251 Perrig, der die Arche zur »Gattung Architektur« zählt, geht noch einen Schritt weiter. In seinem Aufsatz erinnert er an die Verbindung von Körper und Architektur, an Tempel, Haus bzw. Kirche und somit an Dei Christi selbst. Er verfolgt konsequenterweise den Gedanken weiter, dass »die von Gott persönlich diktierten arche-typischen Proportionen bereits der Konstruktion Adams zugrunde« liegen.252 Nicht nur die Arche, sondern auch die Körper von Adam und Eva, so Perrig, bilden das Ebenbild ihres Schöpfers. Die Arche als ein historischer Mikrokosmos treibt in Baldungs künstlerisch geschaffenem Durcheinander des Makrokosmos: ein Samenkorn oder eine Lebenszelle der Welt, ohne die das irdische Leben versiegen würde. Es ergibt sich ein Entwicklungsmodell, welches sich immer wieder erneuernd aufbaut. Der Mensch, der sich im Mittelalter lediglich als einen Teil des ganzen Kosmos wahrnimmt, dessen Schicksal ihm bis zum Jüngsten Gericht verborgen ist,253 erobert sich als Individuum in der Renaissance einen eigenen Mikrokosmos, um in der Moderne schließlich auf den Makrokosmos auszustrahlen. Die Genesis, die Urgeschichte der primären Erschaffung der Welt, birgt die Geschichte eines schöpferischen Potenzials, ein Prinzip, welches in der Religion beheimatet ist. Die Religion richtet die Vorstellung der Schöpfung nicht nur an den einen Schöpfer, sondern bringt diese mit einer mythischen Vorstellung des schöpferischen Aktes im Menschen in Verbindung.254 Hinsichtlich der Figuren im Gemälde von Baldungs Sintflut wird jedoch auch deren kanonische Entwicklung sichtbar: Die Venus Baldungs erscheint tatsächlich als eine

248 Vgl. AUSST.-KAT. Bamberg 1988, S. 72; SCHAWE 2014, S. 15. Nördlich der Alpen war es außerdem Hartmann Schedel in der Buchillustration der Weltchronik. Allerdings ist die Arche hier nicht in Kastenform dargestellt. 249 Vgl. ASSMANN 2018, S. 114; PERRIG 1989, S. 143. Perrig spricht sich ebenfalls für »arca« aus, einen »Kasten«, in welchem der Mosesknabe gefunden wurde. 250 Vgl. BAUMGART 1999, S. 267. 251 Vgl. BAUMGART 1999, S. 267 und 533. 252 Vgl. PERRIG 1989, S. 143. 253 Vgl. COUTIN 2013, S. 25. 254 Vgl. GOLDAMMER 1957, S. 29.

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profane Venus, und die Mutter, welche ihr Kind säugt, erinnert an eine Mariendarstellung. Erstere Figur knüpft referenziell an den bekannten Figurenkanon von Venus und Eva an und erinnern auch an den der Cranach-Werkstatt. Baldung zeigt hier seine Könnerschaft, der »imitatio«, und verbindet mit dieser die »Freiheit der künstlerischen Erfindung«.255 Victor Hugo nutzt das Bild der Arche als eine moralische Unterweisung des Betrachtenden und als »Gedächtnisschulung«. Er fasst zusammen: »In jedem Menschen aber, solange das Leben währt in dieser gefallenen Welt… befindet sich die Flut. Die Guten sind wie die, die in einem Boot sicher übers Wasser getragen werden, die Schlechten wie die, die Schiffbruch erleiden und ertrinken müssen. Nur das Schiff des Glaubens steuert sicher durch das Meer, nur die Arche trägt über diese Flut, und wenn wir gerettet werden wollen, dann reicht es nicht, die Arche im Herzen zu tragen, wir müssen auch in ihr wohnen.«256 Baldung scheint offen damit umzugehen, dass sein ganzes Werk wie das Sintflutbild verbildlicht in die Fluten geflossen ist. Er zeigt sein Werk als endlich, deutet dessen Vernichtung bzw. Tod an und mit der Arche eine Keimzelle des Lebens. Baldung, der nicht nur seine Rezeptionen offenlegt durch seine Figuren im Gemälde und das rezeptive Leben durch die Arche anspricht, macht auch auf einen kulturellen Speicherort aufmerksam, welcher eine Grundbedingung der Renaissance-Kunst ausmacht. Darüber hinaus aber ist die Arche eine Ressource der Erneuerung, des Wandels und Erhalts des kulturellen Wissens.257 Ein Wandel, der sich wiederholt vollzieht und der Transformation im schöpferischen Prozess unterliegt.258 Jacke weist darauf hin, dass der Mann die Natur, welche von ihm im Äußeren bekämpft wird, im Kern in sich trägt, das Natürliche aber abzuschütteln bemüht sein sollte, um zum Geistigen zu gelangen.259 Mit der Verbindung von geschichtlichem Kontext und dem rezeptiven Verhalten im Werk bildet Baldung eine Metapher mit kunstphilosophischem Fundament, welche die Künstlernatur selbst beleuchtet.260 Kahnweiler schreibt 1968 in seinen Ästhetischen Betrachtungen, dass, wenn man sich auf seine Sehtheorie beruft, das Sehen immer lebendiger wird, je mehr Erinnerungsbilder man in sich sammelt und mit Neuschöpfungen vergleichen kann. Außerdem können die Erinnerungsbilder mit der Kunst und der Natur abgeglichen werden und stehen über die bildende Kunst zur Verfügung.261 Der Künstler kann laut Kahnweiler selbst ein Sammler werden und das Kunstwerk zum Erinnerungsort. An dieser Stelle sei auf die Diskussion Platons hingewiesen, welcher in seinem philosophischen Hauptwerk mit

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Vgl. HALDEMANN 2010, S. 21. ASSMANN 2018, S. 118. Vgl. ebd., S. 140. Assmann erklärt den Speicherort als ein »Funktionsgedächtnis«. Vgl. JUNG 1980, S. 67ff. und S. 181. Jung weist auf die »Archetypen« hin und bildet Hans Baldung Griens Der verhexte Stallknecht ab. Der Begriff Archetyp umfasst den aus dem Unterbewusstsein heraus entstehenden Ursprung wie auch den Abdruck. 259 Vgl. JACKE 2014, S. 289. 260 Vgl. ASSMANN 2018, S. 141. Assmann spricht das Prinzip in einem allgemeinen Zusammenhang an, indem er das kulturelle Gedächtnis im geschichtlichen Kontext reflektiert. 261 Vgl. KAHNWEILER 1968, S. 42.

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dem Höhlengleichnis das bewusste Sehen als Weg der Erkenntnis bezeichnet, weil es dazu befähige, Ur- und Trugbild zu unterscheiden. Kisten werden meist für den Büchertransport oder als Grafikschrank genutzt und stellen einen wichtigen Platz des Gedächtnisses für den Künstler dar, einen rettenden inneren Ort im Welt-Exil und einen persönlichen Schatz. Alfred Kubin nennt seinen Grafikschrank »Arche«. Er lebt seit 1906 abseits von der Welt an einem Ort, den er als sicher bezeichnet. Aus der kulturellen Welt holt er sich Kunstwerke in Form von Büchern und Grafiken zu sich nach Hause. Sie bieten ihm Inspiration und ein fruchtbares Fundament für seine eigene Kunst.262 Der Topos der Arche wird auch im ersten Band der Zeitschrift VVV, in welcher André Breton, Max Ernst und David Hare zusammenarbeiten, vom Juni 1942 erwähnt. Darin ist eine Arca Noë von Athanasius Kirchner (1602–1680) mit dem Titel Diluvii ane dimunitionem Aquarium abgebildet. Nicht nur der Satz »[…] c’est l’APRÈS NOUS qui vient nous délivrer du DÉLUGE« (dt. »[…] es ist das NACH UNS, das von der SINTFLUT erlöst«) von George Heine wirft das Thema im VVV-Aufsatz Life and Death of the Amorous Umbrella wieder auf: » Orthodoxe Juden beten mehrmals am Tag, weil der menschliche Körper viele Öffnungen besitzt. Wenn eine dieser Öffnungen verschlossen wäre oder zu weit geöffnet würde, wäre es uns unmöglich, weiter zu existieren. Es wird gesagt, die Sintflut sei eine von Gott gesandte Bestrafung für Habgier und Liederlichkeit in einer Zeit großen Reichtums gewesen: Wird eine Öffnung geschlossen, so tut sich eine andere weit auf.«263 Gerade für Max Ernst scheinen die Topoi Sintflut und Exil einer Bearbeitung wert. So entstehen nicht nur Vox Angelica (1943), welches Werner Spies der Arche-Thematik zuschreibt, sondern auch Europa nach dem Regen I (1933) und Europa nach dem Regen II (1940–1942). In den Werken werden die Unwägbarkeiten des Exils zum Ausdruck gebracht.264 Hier sind die Titel vorrangig, welche die Bilder mit der Thematik der Arche Noah verbinden, mit der aus dem Bild sprechenden Symbolik. Aber auch sinnbildlich wird die Arche Noah oft in der Literatur erwähnt. So bezeichnet beispielsweise Werner Spies Max Ernsts Vox Angelica immer wieder als Arche, in welche Max Ernst »alle Erinnerungen, Techniken und Themen aufnimmt«.265 Im Sammelband Der internationale Surrealismus von 1947 erscheint ein Aufsatz von André Breton mit dem Titel Die zweite Arche.266 Breton spricht darin geheimnisvoll von »unberührten Thesen«, welche sich der Surrealismus bewahrte, und befürwortet die »bedingungslose Freiheit der Kunst« in den Nachkriegswirren.267 Molzahn offenbart seine Sicht auf die Thematik in seiner Schrift Zwitter der Epoche. Darin beschreibt er, wie der Künstler seine »Eigengesetzlichkeit der Materie« in einer samenhaften Zelle auffindet. Das Leben der Zelle beherbergt das ganze weitere Leben, 262 263 264 265 266 267

Vgl. AUSST.-KAT. Linz 2015, S. 7 und S. 17. SPIES 2012, S. 331f. Vgl. FLECKNER/STEINKAMP/ZIEGLER 2015, S. 253. Vgl. SPIES 2012, S. 319. Vgl. AUSST.-KAT. Bad Frankenhausen 2001, S. 3. Vgl. AUSST.-KAT. Bad Frankenhausen 2001, S. 3.

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die Zelle ist der nötige Baustein für das weitere Wachstum. So muss immer wieder an die künstlerischen Wurzeln angeknüpft werden, an die Keimzelle, an das Urelement, welches mit der Arche verglichen werden kann. Die Erkenntnis kann letztlich nur gestillt werden, so Molzahn, wenn der Künstler zurück »zu den Quellen der Erscheinung« geht.268 Der Text Molzahns erinnert im weiteren Verlauf daran, dass die Materie immer an die »Väter« anschließt und folglich nicht aus des Künstlers eigener Generation stammt, jeder Künstler also ein Glied im Wachstum der Kultur ist.269 Duchamps Interesse für »traditionelle Theorien« und Symbolik ist bekannt.270 Im Großen Glas etwa, in welchem die »Verzögerung aus Glas« abstrakte Formen verarbeitet.271 Das ist im Sinne der Surrealisten, welche mit den Symbolen nicht nur dahingehend spielen, dass sie, wie René Magritte, diese ihrer ursprünglichen Bedeutung entfremden, sondern auch in dem Sinne, dass sie die Symbole als »übergeordnete Persönlichkeiten« ihrer selbst nutzen. Dies erfolgt in Mythen und Träumen, in denen die Symbole dann in vielerlei Figurenbildern auftreten: nicht nur als Könige, Magier, Stallknechte und Propheten, sondern auch als Vögel, Pferde, Adam oder Eros-Figuren, weibliche wie männliche Figuren, um nur einige Beispiele zu nennen. Es werden auch geometrische Darstellungsmöglichkeiten genutzt.272 Was die ausgewählten Figuren verbindet, ist eine auswechselbare, transempirische Beziehung, welche aus einer gemeinsamen Quelle des Geistigen hervorgeht und ikonografische Referenzen bildet.273 Die erste Museographia im 18. Jahrhundert von Caspar Friedrich Neickel unternimmt den Versuch, Raritätenkammern auf die Funktion der Arche Noah zurückzuführen.274 Die Arche gewinnt in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts erneut an Bedeutung, da das Sujet der Arche in der Zeit des Exils außerhalb Europas für die Künstler in Amerika ein existenzielles Muster darstellt.275 Die Arche an sich wird nun in ihrer Form mit ihren Archetypen wieder eingesetzt. Wie die Kiste, die Black Box, ist die Arche ein Ort des vergangenen Unbewussten, ein kulturelles Gedächtnis, welches die Urform und beide Geschlechter beherbergt und in neuer Form durch den Künstler in dessen Werk in die Welt gebracht wird, so die Vorstellung.276 Im übertragenen Sinn steht das Atelier des Künstlers oder auch Étant donnés für einen solchen Ort der Keimzelle der Kunst: einen Ort der inneren Kämpfe, des Schaffens, der Rezeption, des Sammelns und der Auseinandersetzung, einen Ort voller Selbstreflexion. Die Kunst- und Wunderkammer – das Künstleratelier beispielsweise von Breton – besteht aus einer Vielzahl von aus aller Welt zusammengetragenen Gegenständen, die der Künstler zu seinen persönlichen Prototypen gemacht hat. So ist die Wand seines Ateliers übersät mit Dingen, welche er sein Leben lang gesammelt hat. Das Atelier Bretons in der Nr. 42 der Rue Fontaine in

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Vgl. MOLZAHN 1934, S. 25. Vgl. ebd., S. 28. Vgl. DOEPEL 1988, S. 4. Vgl. STAUFFER 1981/1994, S. 36, »un retard en verre«. Vgl. ZUCH 2004, S. 39f. Vgl. HOFMANN 1966, S. 88. Vgl. SPIES 2014, S. 328; NEICKEL 1727. Spies diskutiert, dass hinsichtlich Flucht, Rettung, Exil die Vox Angelica von Max Ernst in Analogie zu der Arche Noah zu verstehen ist. 275 Vgl. SPIES 2014, S. 328. 276 Vgl. GRAESER 1975.

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Paris ist ein Ort der Inspiration und der Begegnung: eine »Fabrik des Surrealismus«.277 Viele Ateliers sind mit Kunst afrikanischer »Urvölker«, Volkskunst oder gar mit Kunst von Kindern bestückt, so etwa die Ateliers der Brücke-Künstler und die des Blauen Reiters. Diese Kunstwerke sind im Almanach abgebildet oder in der Kunst Picassos aufgenommen. Kahnweiler äußert sich einmal in Bezug auf die damals so benannte »Negerkunst« dahingehend, dass diese nicht nur dem Kubismus zu einer »Umwälzung« verholfen habe, sondern dass sie aufgrund ihrer Andersartigkeit auch eine »Ermutigung« zu größerer künstlerischer Freiheit sei.278 Die Kisten, Schachteln und der Miniaturmuseumskoffer von Duchamp sind Gedächtnisträger, Archetypen seiner Kunst, welche er in sein Exil mitnimmt oder dort erstellt als ein fruchtbares Samenkorn, das an die europäischen Traditionen anschließt. Eine formale Anleihe an die Arche ist die »Tür« von Étant donnés, deren Gucklöcher den Betrachter selbst ansehen – vergleichbar mit dem Tierkopf, der als Teil des Türbeschlags von Baldungs Arche eingesetzt ist. Der Kasten deutet das Atelier oder den Raum an, welcher das Kunstwerk darin verbirgt wie einen Schatz in einer Schatztruhe. An der Tür des Spätwerkes von Duchamp befindet sich keine konkrete Türklinke, welche die Tür als solche auszeichnete. So, wie sich in der Arche ein mit Holzbalken verschlossenes Fenster befindet, befindet sich auch in der Holztür von Étant donnés ein ähnlich angedeutetes vernageltes Fenster. Für die Tür in Étant donnés steht eine große Hoftür aus Cadaqués Vorbild, das Tor eines traditionellen spanischen Gutes bzw. eines in sich abgeschlossenen Selbstversorgungshofes – meist quadratische, nach außen hin geschlossene Höfe, in deren Innenhöfen sich Brunnen befinden.279 Die Tür wird in einem kleineren Maßstab zu einem Readymade nachgebaut, wie es Zaunschirm beschreibt, und im Philadelphia Museum of Art in einem Ziegelrahmen in die Wand eingelassen.280 Die Holztür lässt Assoziationen zu einem verschlossenen Kunstschrank oder einer Wunderkammer, aber auch zu dem Eingang einer Kunsthöhle zu. Weil Türgriffe fehlen, ist weder das Öffnen noch das Schließen der Arche und ebenso wenig der Tür von Étant donnés möglich. Man kann nur einen Blick hineinwerfen – oder das Kunstwerk selbst wirft dem Betrachter einen Blick zu: durch das Tiergesicht, welches sich im Türknauf des Sintflut-Bildes befindet, oder die Gucklöcher, die den Besucher aus dem Gesichtsabdruck auf der Tür von Étant donnés anblicken (Abb. 61). Das Werk Duchamps, der es mit den Archetypen eines anderen Werkes und mit seinem Unterbewusstsein befragt und erschafft, weitet sich schließlich zu einem dreidimensionalen Raum aus. Duchamp kreiert ein kleines Paradies aus den ausgewählten und von ihm belebten Archetypen der bildenden Kunst und gewährt so dem Besucher einen Blick in sein Innerstes, einen Ort der Kunst-Geburt. Nur noch eine Figur liegt somit in Duchamps »Arche«, der Körper, inspiriert durch altmeisterliche Kunst und das weibliche Geschlecht, absorbiert durch Duchamps weibliches Alter Ego, welches er selbst in seiner Künstlerfigur angenommen 277 MÜLLER 2002, S. 29; AUSST.-KAT. New York 1942, Erstes Einlegeblatt. 278 Vgl. KAHNWEILER 1968, S. 107. 279 Die spanischen Innenhöfe sind quadratisch geschnitten, mit einem Tor versehen, umgeben von Wohngebäuden. In der Mitte befinden sich Brunnen; BOURDIEU 2008, S. 39. Bourdieu spricht von dem Wohlstand der Junggesellen, den die Mädchen an der Größe der Tore ablesen können. 280 Vgl. ZAUNSCHIRM 1986, S. 80; AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 116. Mit Abbildungen der originalen Tür aus Spanien, welche in einem kleineren Maßstab für Étant donnés nachgebaut wurde.

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hat. Die Figur, als Keimzelle der Kunst, wird vom Betrachterblick berührt und erneut zum Leben erweckt. Baldungs Sintflut löst zu dessen Entstehungszeit eine große wissenschaftliche Debatte aus, in welcher es um die Wahrheit der Prognose des Weltuntergangs geht, der zwischen 1521 und 1525 erwartet wird.281 Nicht nur die 15 Holzschnitte des apokalyptischen Werkes Dürers von 1498, die auf dem Weltuntergangsszenarium aufbauen, sind Baldung bekannt, sondern auch sein um 1492 entstandenes Bild vom Aufprall eines ausgeglühten Meteoriten.282 Schon ab der Mitte des 15. Jahrhunderts kommt es zu einer Vielzahl von Schriften der Astrologie und der antiken Hermetik mit »Prognostiken, […] Weissagungen, Kalender[n] und Almanache[n]«.283 Lichtenbergs Pronosticatio von 1488 illustriert auf Deutsch und Latein das »Ungemach«, welches über die Kirche vorausgesagt wird. Tatsächlich geht es aber unter anderem, wie Sandl erläutert, um eine Medientheorie, die »verstentliche wahrheit durch das ußerliche werck begrifft«.284 Der Leser nutzt die Kunst zur Erkenntnisbildung, indem er den Zusammenhang in Übertragungsverhältnissen liest und die Holzschnitte werden zu einem »Ort der Erkenntnisbildung«. Alles kann demnach als transzendentale Übertragung gelesen werden, nach der damaligen Vorstellung: Sowohl die Planeten stehen mit der Erde in Verbindung wie auch Gott mit den Propheten. Die Propheten wiederum sollen als »Botschafter, Träger bzw. Medium« dem Menschen gegenüber fungieren und die Holzschnitte in vergleichbarer Weise gegenüber ihrem Betrachter. Lichtenberg sieht sich selbst als das Medium, welches die Botschaft von Gott empfängt. Der Prophet nimmt einen Mittlerstatus ein, indem er von Gott erhaltene Botschaften dem Menschen übersetzt und weitergibt.285 Dies erinnert an den Status eines Künstlers, der die von ihm empfangenen Botschaften über die transformierte Information im Werk an den Betrachter ebenfalls weitergibt. Im 16. Jahrhundert treten viele Propheten in Erscheinung. Selbst Luther wurde als Mönchsprophet bezeichnet.286 Für 1484 ist ein Mönch als »cleyner Prophet« angekündigt.287 Baldung schafft es, mit dem Sintflut-Bild ein Moment der prophetischen Zukunftsvision an sich zu binden, eine Verbindung von Makro- und Mikrokosmos, von Welt und Arche, und die »Autonomie der Bekräftigung der Künste« durch die Rezeption, um deren Fortleben zu sichern.288 Das Bild kann gesehen werden als eine frühzeitige Warnung vor dem Niedergang der Menschheit, durch einen »haymlich verborgenen einfluß des himels«, der zur »ubertretung göttlicher und

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Vgl. TALKENBERGER 1990, S. 154. Luther prophezeite eine Sintflut ab 1522. Sandl datiert die vermutete Sintflut um 1524. Vgl. JACKE 2014, S. 266; FEULNER 2013, S. 145. Ferner Dürers Aquarell von 1525, Das Traumgesicht, welches er unmittelbar nach einem Albtraum malte. Vgl. SANDL 2011, S. 151. SANDL 2011, S. 153. Vgl. SANDL 2011, S. 154. Vgl. SANDL 2011, S. 164. Die Rose war das Symbol des Reformators. Auch Duchamp nutzt für sich das Symbol in dem Namen seines weiblichen Alter Ego Rrose Sélavy, und es taucht erneut auf in der Fotografie Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamps und Bronia Perlmutter). Vgl. SANDL 2011, S. 160. Auch Baldungs Geburtsjahr 1484 oder 1485 ist nicht gesichert und lässt ihn fast legendenhaft wirken. Duchamp weist einmal auf das Datum 1485 hin, eines der beiden angenommenen Geburtsjahre von Hans Baldung Grien; siehe dazu: ROBERTS 1963, S. 11. Vgl. BRASSAT, Wolfgang: Vortrag über das Sintflut-Bild, WS 2016/17, Universität Bamberg.

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menschlicher gesetze geführt habe«.289 Es handelt sich um Zeichenprozesse, so Sandl, welche auf eine Folgewirkung bezogen sind und somit einen transformatorischen Prozess in den Vordergrund rücken, in dem sich wiederum Baldung in Verbindung mit seinem Werk gesehen haben dürfte. Die neue Erkenntnisform, so Sandel, ist losgelöst von einem zeitlichen Index und vermischt sich in den Darstellungen »menschlicher sinreychigkeyt/der himelischen kunst/vnd der götlichen haymlichen offenbarungen«.290 Zwar bleibt die erwartete Sintflut 1524 aus, aber Sandl verweist, übertragend auf die »große Wässerung« in jenem Jahr, auf das Einsetzen einer Flut von druckgrafischen Erzeugnissen, das wie ein »Verbreitungsstrom« wirkt.291 »Die Prophezeiung schließt den Propheten mit anderen Worten mit ein. Sie entfaltet sich in einem Zwischen von ›genitivus subiectivus‹ und ›genitivus obiectivus‹. Der Diskurs des Propheten, also die Prophezeiung, ist immer auch ein Diskurs des Propheten, seines Auftauchens, seiner performativen Kraft und seiner gegenwärtigen und zukünftigen Wirklichkeit.«292 Je assoziativer der Maler an die Gefühle des Betrachters herangeht und je mehr dieser von der Darstellung gefesselt werden kann, desto größer ist der Erinnerungswert eines Kunstwerkes und desto höher die Resonanz des Werkes im Betrachter selbst. Leonardo da Vinci äußert sich über die Verantwortung der Leserichtung, welche der Künstler durch sein Werk vorgibt: »Diejenigen, welche sich in Praxis ohne Wissenschaft verlieren, sind wie Schiffer, die ohne Steuerruder und ohne Kompass zu Schiffe gehen, sie sind nie sicher, wohin sie gehen. Die Praxis soll stets auf guter Theorie aufgebaut sein.«293 Auf das »Beleuchtungsstück« in dem Sintflut-Bild Baldungs weist bereits Baumgarten im Jahr 1904 hin. Es könnte somit in Duchamps Hände gefallen sein, da es zu seiner Zeit bereits mehrfach publiziert war.294 Die Arche als ein Kasten oder eine Box ist gleichzeitig ein jungfräulicher Erkenntnis- und Erinnerungsort, welcher die Archetypen von Mensch und Tier in sich trägt wie Bausteine oder Samen, die eine neue, zweite Welt erzeugen sollen,295 und Grundzüge behandelt, die Duchamp auch in seinem Werk benutzt. Der Künstler überträgt mithin eine Erkenntnishaftigkeit auf das »Beleuchtungsstück«, mit dessen Hilfe sich dann der Betrachter rezipierend an das Vergangene erinnern kann. Er verknüpft es mit dem Gegenwärtigen, und so wird gleichzeitig das Vergangene im Gegenwärtigen wiederentdeckt und -belebt.296 Assmann legt dar, dass es einer nekromantischen Kraft oder eines Funkens bedarf, um das Vergangene wiederzuerwecken, und verweist hier auf Platon: »Plötzlich, wie der springende Funken

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SANDL 2011, S. 155. SANDL 2011, S. 156. Vgl. SANDL 2011, S. 158f. SANDL 2011, S. 149. KÜNSTLERLEXIKON, o. D. Vgl. BAUMGARTEN 1904, S. 70. Im Katalog von 1988 wird ein übernatürlicher Lichtstrahl erwähnt; siehe dazu: AUSST.-KAT. Bamberg 1988, S. 68. 295 Vgl. SCHAWE 2014, S. 19. Schawe erinnert an Maria, auf deren Jungfräulichkeit auch im Kontext der »Arche« verwiesen wird (»Porta clausa«; Ezechiel 44,2) und die sinnbildlich für die Kirche steht. 296 Vgl. ASSMANN 2018, S. 173.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

das Feuer entzündet, so entsteht in der Seele das Urbild der Sache.«297 Im Grunde wird hier von Platon ein inspirierendes Moment oder eine Idee beschrieben, die im Geist plastisch wird. Ebenso kann aber auch das Werk im Betrachter zu Erkenntnissen führen, wie bei einem greisen Mann, der von etwas Höherem »beschossen« wird. Auch der Maler zeigt somit ein Wirkungsgefüge, in welches er sich selbst einbringt zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in Verstrickung mit seinem eigenen Werk. Duchamp versteht sich als wissenschaftlicher, in die Zukunft blickender Künstler, der nach eigenen Aussagen ein mönchsähnliches Leben führt.298 Wie das Erinnern und Vergessen immer nur im Zenit des Lebensalters in Gänze erreicht wird, während es in Jugend und Alter zu- bzw. wieder abnimmt, können auch in großen kulturellen Maßstäben im Makrokosmos unbewusstes kulturelles Erinnern und Erneuerungsbewegungen zyklusartig nachvollzogen werden.299 Duchamps Le Rayon vert / The Green Ray / Der Grüne Strahl von 1947 (Abb. 9) ist ein Kunstwerk, welches im Kontext der Exposition Internationale du Surréalisme von 1947 entsteht. Die Idee dazu stammt vom Künstler selbst, umgesetzt wird sie von Friedrich Kiesler.300 In der Ausstellung sind mehrere Künstler vertreten, die in unterschiedlichen Kunstgattungen tätig sind und hier multimedial zusammenwirken. Auch in diesem Werk Duchamps muss der Betrachter etwa in Augenhöhe durch ein ausgeschnittenes, kreisrundes Loch blicken; es weist also einen ähnlichen Peephole-Charakter auf wie Étant donnés mit den Gucklöchern in der Tür. Als Hintergrundprospekt von Le Rayon vert fungiert die Fotografie einer schräggestellten Horizontlinie über dem Meer mit wolkenlosem Himmel. Auf der Höhe der Horizontlinie ist ein grüner Lichtstrahl ausgebildet, eigentlich ein Punkt, welcher direkt in das Betrachterauge trifft. So vereint sich der Lichtstrahl des Werkes mit dem Blick des Betrachters. In den Notizen, die Kiesler anfertigt und mit »Tongue à Marcel« signiert, erklärt er den Aufbau des Bildes. Daraus geht deutlich hervor, dass die zwei in einer kleinen hölzernen Box angebrachten Fotografien zwischen den Ausschnitten von Himmel und Meer einen Spalt frei lassen. Im Inneren der Box befinden sich zwei Scheiben, in denen sich gelbe und blaue Gelatine befindet, die im Auge des Betrachters zu einem grünen Licht verschmilzt, eine Art Diffusion der Flüssigkeiten, was die Farbe erzeugt.301 Das Ganze wird von einer flackernden Glühbirne beleuchtet, die den Betrachter »anblinkt«. Dadurch dass die Horizontlinie in einen leicht schrägen Winkel versetzt ist, trifft das Auge zwar auf Bekanntes, seine Einordnung des Gesehenen ist aber durch die Schrägstellung herausgefordert. Die naturalistische Szenerie ist durch die kleinen Eingriffe gleichsam leicht abgewandelt. Das Betrachterauge wird angeregt, die eingesetzten Materialien und die Situation zu erfassen. Der Strahl oder »grüne Blitz«, wie ihn Taylor nennt und der auch in der Natur zu beobachten ist, könnte somit der erste oder der letzte Sonnenstrahl sein, der bei Betrachtung des Kunstwerkes direkt ins Auge trifft. Der Saal, in dem Le Rayon vert in der Surrealisten-Ausstellung gezeigt wird, ist abgedunkelt und erweckt, laut Kraus,

297 298 299 300 301

Vgl. ebd., S. 173. Vgl. STROUHAL 2003, S. 55. Vgl. ASSMANN 2018, S. 173. Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 73. Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 73.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

die mysteriöse Stimmung eines alchemistischen Labors. Bewusst eingesetzte punktuelle Lichtquellen unterstützen nicht nur die Dramatik des Raumes, sie führen auch das Auge des Betrachters und geben ihm eine Lesart für den Raum vor.302 Der Sehstrahl des Auges wird geradewegs vom grünen Strahl aufgenommen, er vermischt sich mit ihm und wird so plastisch sichtbar. Das gleiche Prinzip findet sich in Étant donnés, wo der Blick gewissermaßen in der Funktion eines Schlüssels quasi durch das Schüsselloch und damit auf die Vagina fällt. Das Durchdringen oder Aufschließen steht hier für das Prinzip der Erkenntnis, das auch das Vordringen in tiefere Systeme ermöglicht. Zusammenfassend schreib Suthor aus den Ovid-Beobachtungen: »Schließe deine Kammertür; was zeigst du verräterisch das noch unfertige Kunstwerk? Es schickt sich, daß Männer vieles nicht wissen; die meisten Dinge können Anstoß erregen, wenn man die Kunstgeheimnisse nicht verbirgt.«303 Kraus weist in ihrer Untersuchung auf Jules Vernes Buch Le Rayon Vert von 1882 hin: Verne schildert darin eine Liebesgeschichte, in der die zwei Protagonisten, ein Wissenschaftler und ein Maler, der von beiden begehrten Frau das Phänomen des grünen Leuchtens erklären. Der Wissenschaftler beschreibt das Phänomen als eine »optische Täuschung mit dem Ergebnis des Nachbildeffekts und der Komplementärfarbenmischung im Auge«. Obwohl diese Erklärung fachlich korrekt ist, fühlt sich die Frau von der Beschreibung des Malers angezogen, der das Phänomen in eine romantische Geschichte einkleidet. Kraus gelangt hierbei zu der Ansicht, dass es Duchamps Ziel war, die Wissenschaft etwas abzuwandeln und ihr humorvoll zu begegnen, um dem »Leben eine spielerische Dimension« zurückzugeben.304 Sie macht aber auch auf die Kunstpassion des Künstlers aufmerksam, der innerhalb eines Werkes die Spielregeln aufstellt und es schafft, den Betrachter emotional zu erreichen. Darüber hinaus mag der Strahl als der befruchtende, formgebende Strahl der Erkenntnis gesehen werden, welcher in das nasse, flüssige Element des Wassers wie auch in die Retina des Auges eindringt. Das Grün, das wie zuvor bei Jules Verne ein Naturphänomen nachahmt, sticht hier als ein künstlich hervorgerufenes Spektakel aus dem schwarzen Himmel heraus. Obwohl es sich eigentlich um eine natürliche Farbe handelt, lassen nur der Ort und der Raum sowie ein neuer chemischer Zustand das Licht zu einem Phänomen werden. Zaunschirms Erläuterung, dass das Phänomen des aufblitzenden grünen Lichtstrahls zwischen Tag und Nacht zu finden sei, verleiht ihm die besondere Position eines einzelnen Reflexes.305 Grün ist die Farbe der Natur, die sich immerzu erneuert und wiedergeboren wird, eine Farbe der Transformation; es ist Baldungs Hauptfarbe, mit der sich auch Marcel Duchamp an einzelnen Stellen seines Werkes identifiziert.306 Bereits Platon beschreibt das Sehen als einen Lichtstrahl, welcher auf die Gegenstände trifft, wobei auch der Gegenstand selbst eine Ausstrahlung besitzt. Die Sichtbarkeit der Gegenstände, so Aristoteles in De anima, ist von der »Erregung« eines Auges, 302 303 304 305 306

Vgl. KRAUS 2010, S. 84. SUTHOR 2004, S. 53. Vgl. KRAUS 2010, S. 107; MOLDERINGS 1997, S. 85f. Vgl. ZAUNSCHIRM 1986, S. 88. Grün wertet Goethe als eine kühle Farbe des Geistes; er umgibt sich in seinem Arbeitszimmer in Weimar mit dieser Farbe.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

dem »Sehfeuer« abhängig. Materie und Farbe wirken zusammen und werden durch das Medium des Lichts sichtbar gemacht.307 Duchamp gelingt es, mit dem grünen Lichtstrahl nicht nur das Licht und dieserart den bewussten, sichtbaren Augenblick anzusprechen, sondern darüber hinaus die Farbe und das ikonografisch rezeptive Moment zu bündeln und beides in einer materiellen Aussage miteinander zu verbinden. Münchberg erläutert: »Die Farbe, die sich auf der Oberfläche der Gegenstände befindet, bewegt das aktualisierte durchsichtige Medium und trifft auf das aufnehmende Sehvermögen. Der Potentialität nach ist das Medium dunkel, farblos und unsichtbar. Der Aktualität nach ist das Medium vom Licht erfüllt und erregt durch die Farbe das Auge.«308 Das Zitat macht darauf aufmerksam, dass das Medium nur durch Licht, Farbe und Bewegung überhaupt sichtbar gemacht werden kann. Gleichzeitig weist die Augenfarbe, wenn man so will, darauf hin, dass der Lichtstrahl dem Werk selbst entspringt und dies somit ein den Betrachter anblickendes Moment mit sich bringt. Münchberg erinnert daran, dass Aristoteles aufzeigt, »dass die Sinneswahrnehmung auf einem passiven Erleiden beruht«. Dank einer gesehenen Form kann eine bessere Einfühlung vonstattengehen, sodass das Sehen eine Angleichung und Aktualisierung erfährt.309 Eine weitere Theorie, diesmal von Dante, besagt, dass das Licht und das Sehen sogar eine physische Kraft besitzen – wie ein Augenfeuer, welches – als göttliches Sein bezeichnet – sich »mit dem äußeren Licht zu einem Körperbild vereint« und infolgedessen das undurchsichtige Seh- und Denkvermögen (das zunächst diese Vorstellung freisetzt) sichtbar macht. Die Ausstrahlung des Gegenstandes und der Sehstrahl treffen sich im Medium selbst, an einem festgelegten Ort: Dort verschmelzen sie miteinander und befruchten sich. Der Sehstrahl dringt bis in die Seele ein und erzeugt das »Sehen« – und die Erkenntnis im Sinne Platons.310 Augustinus beschreibt den Sehstrahl wie einen Ausfluss, an die Emanation erinnernd.311 In Ficinos lateinischer Übersetzung wird Platons Politeia (dt. Der Staat) in der Frühen Neuzeit erstmals gedruckt. Platon erklärt darin das Licht des Geistes als schöpferisches Prinzip der Dinge. Dabei vergleicht er das Gute (als Quelle des Wissens) mit der Sonne und zieht den Schluss, dass die Sinne die Augen hervorbringen und ihnen die Sehkraft verleihen. Erst das Licht fördere aus dem Dunkel Farbe und Formen zutage: »[…] wo der Blick zum Licht erstarrt, wo das Licht das leuchtende Absolute eines Auges ist, das man nicht sieht, das man dennoch nicht aufhört zu sehen, da es unser eigener Blick im Spiegel ist […].«312 Eriugena, ein theologischphilosophischer Schriftsteller des 9. Jahrhunderts, äußert sich dahingehend, dass er das Schaffen mit dem Akt des Sehens verbindet. Das Sehen befreit den Menschen aus der Passivität, und so sieht Eriugena im Sehen einen aktiven, hervorbringenden Akt. 307 308 309 310

311 312

Vgl. REHKÄMPER 2002, S. 16. MÜNCHBERG 2005, S. 45. MÜNCHBERG 2005, S. 52. Vgl. MÜNCHBERG 2005, S. 52; LINDBERG 1987, S. 22f.: Lindberg beschreibt den Sehstrahl als Lichtoder Feuerstrahl, welcher auch mit dem Sonnenlicht verschmilzt, und erwähnt Empedokles, der den Sehstrahl sogar ausdrücklich mit einem Lichtstrahl gleichsetzt. Vgl. LINDBERG 1987, S. 166. Vgl. SUTHOR 2014, S. 184: Suthor führt das Zitat im Zusammenhang mit Rembrandts Werk an.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Denn es komme darauf an, sich selbst zu erkennen, bevor ebendie Erkenntnis in ein Sich-selbst-Erschaffen kanalisiert werden könne, das mit seiner »ursprunghaften Ursache« identisch sei.313 Das Auge, so formuliert es Ficino, sieht das reflektierte Licht aller Dinge. Das Seelenvermögen lasse zu, dass die gesehenen Dinge mit den Urbildern in Verbindung gebracht und das Göttliche erkannt würde. Deswegen sei es immer die Idee des Ursprünglichen, so Ficino, die in allen Bildern wiederentdeckt werde.314 Der »Geistesblitz« bzw. der Erkenntnisstrahl erfährt in der Avantgarde Anfang des 20. Jahrhunderts eine Renaissance. Breton betont die Verbreitung von Blitzen, Funkenschlag oder »Geistesblitzen«, die besonders effektvoll in der Dunkelheit wirkten und deren Ausdehnung die »surrealistische Atmosphäre« bedingten. »Die schönste aller Nächte, die Nacht der Blitze: neben ihr ist der Tag Nacht.«315 In der Ausstellung Exposition International du Surréalisme von 1947 ist Man Ray für die Beleuchtung zuständig. Er spielt dort mit der Dunkelheit als einem Moment der Verunsicherung, um bei dem Besucher den Eindruck von Gefahr zu evozieren. Für die Bühnenbeleuchtung inszeniert er Effekte wie den »Lichtausfall«, um im Umkehrschluss auf das Licht aufmerksam zu machen.316 Alle Besucher bekommen für diesen Abend Taschenlampen (franz. torche = Fackel) ausgehändigt.317 Sie werden benutzt, um einen Spot auf gewisse Kunstwerke zu werfen bzw. um den »persönlichen Erleuchtungsmoment« selbst zu inszenieren. Insofern stehen die Taschenlampen für den Blick des Besuchers und erzeugen mit den sich dynamisch durchkreuzenden Strahlen eine irritierende Lichtregie im Raum; gleichzeitig führen sie mitten ins »Herz« der Ausstellung, in den surrealistischen Organismus. Dieses Spektakel beruht auf einer abgemilderten Idee Duchamps, den »magic eyes«, die Marcel Jean kommentiert: »Duchamp had thought of installing ›magic eyes‹ so that the lights would have gone on automatically as soon as the spectator had broken an invisible ray when passing in front of the painting.«318 Duchamp zeigt sich auch selbst als der vom Lichtstrahl Getroffene, als ein Erleuchteter mit einer fünfeckigen Stern-Tonsur am Hinterkopf und einem weiteren Streifen darüber, an der Stelle, an der ihn der Strahl getroffen hat – wie den Priester im Sintflut-Gemälde Baldungs. Man Ray fotografiert ihn 1919 mit diesem einrasierten Stern am Hinterkopf: Torsure (Duchamp with the comet haircut shaved) / Tonsure (Duchamp mit rasiertem Kometen-Haarschnitt) (Abb. 94).319 Duchamp ist somit Empfänger und Sender in einer Person: Empfänger seiner Werke und Inhalte, welche er weiterformt, und Sender dieser Werke an sein eigenes Publikum. Überdies assoziiert Duchamp den Kometen (den Stern mit einem Strahl auf seinem Hinterkopf) mit einem Fruchtbarkeitstrahl. Er erklärt: »This headlight child could, graphically, be a comet, which would have its tail in front, this tail being an appendage of the headlight child appendage which absorbs by crushing (gold dust, graphically) this Jura-Paris road.«320

313 314 315 316 317 318 319 320

Vgl. BEIERWALTES 1985, S. 321. Vgl. FICINO 1994, S. 267. GÖRGEN 2008, S. 132. Vgl. GÖRGEN 2008, S. 132. Vgl. AUSST.-KAT. Ludwigshafen 2009, S. 20. FILIPOVIC o. D., S. 13; GÖRGEN 2008, S. 68. Vgl. MOLDERINGS 2013, S. 41. AUSST.-KAT. Venedig 1993, S. 35, vom 30. Oktober, 1. November.

4. Ein Hexenblatt Baldungs als Grundlage für Étant donnés

Die Surrealisten knüpfen ihre künstlerischen Ziele an die »profane Erleuchtung«, wie Ehlers es formuliert, »als materialistische, anthropologische Inspiration«.321 Schneede schildert, dass auch Magritte die plötzliche Erleuchtung dahingehend begründet, dass nicht miteinander verwandte Dinge miteinander kombiniert werden, zwei Dinge, welche sich optisch wesensfremd sind. Durch die überraschende Verbindung ergibt sich eine »mimetische Korrespondenz der Natur«. Duchamp folgt insofern den surrealistischen Aussagen von Max Ernst und Lautréamont, hinsichtlich der Kombination von sich wesensfremden Motiven.322 Die Arche aus Hans Baldungs Griens Sintflut-Gemälde ist ein Erkenntnis- und Speicherort von Prototypen beider Geschlechter. In diesem Kapitel wird das Gemälde als eine formale Rezeption Duchamps angeführt, der mit Étant donnés sein Werk ebenfalls im abgeschlossenen Raum seines Ateliers erbaut und es mit persönlichen Prototypen seiner ausgewählten Rezeptionen versieht, genauso wie sie sich auch in den Fluten auf dem Bild Baldungs befinden. Die Literatur der Zeit verbindet wiederholt die Moderne Kunst dieser Zeit mit dem Sinnbild der Arche, für die sich die Moderne Kunst als beständig erweisen muss. So benutzt auch Duchamp in Étant donnés traditionelle europäische Motive, welche er mit in das amerikanische Exil rettet. Dieser Gedanke des Exils wohnt auch den Koffern und Schachteln inne, welche er – wie eine Arche − als Medium seiner Kunst verwendet. Eine Person in Baldungs Sintflut-Gemälde wird von einem grünen Strahl, der aus dunklen Wolken hervorbricht, am Hinterkopf getroffen. Duchamp setzt alle diese Elemente in transformierter Form in seinem Werkgefüge ein, etwa in Rayon Verte. Darin verbindet er meisterhaft den grünen Sehstrahl des Betrachters mit dem Lichtstrahl der Erkenntnis. Der Betrachter ist der Adressat, der durch das Werk zur Erkenntnis bewogen werden soll. Nicht zuletzt zeigt sich auch Duchamp in den Fotografien von Man Ray als ein von einem Stern Getroffener mit einem in seinen Hinterkopf einrasierten Stern – Zeichen eines Inspirationsmoments (Abb. 94).

321

Vgl. EHLERS 1997, S. 72: »Profane Erleuchtung« stammt aus Walter Benjamins SurrealismusEssays. Er sieht die Intention des Surrealismus darin, »[d]ie Kräfte des Rausches für die Revolution [zu] gewinnen«. KAUFMANN 2002, S. 273: Eine »profane Erleuchtung« im Sinne der Surrealisten kann auch durch Liebe, so Kaufmann, eintreten. 322 Vgl. SCHNEEDE 2006, S. 117.

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5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

5.1.

Duchamp als »Nachschöpfer« – Erstellung einer Ahnengalerie

Im Jahr 1912 begegnet Duchamp in der Alten Pinakothek in München dem Selbstbildnis im Pelzrock von Dürer aus dem Jahr 1500 (Abb. 95). Schon vorher dürften ihm aber Reproduktionen des bekannten Gemäldes geläufig gewesen sein, beispielsweise aus einem Artikel über die Dürer-Porträts, der 1909 in der Gazette des Beaux-Arts erscheint.1 Das Selbstbildnis im Pelzrock gilt in Kunstkreisen als »herausragendes Monument individuellen und künstlerischen Selbstbewusstseins« der Frühen Neuzeit.2 Dürer zeigt sich darin frontal dem Betrachter zugewandt. Seine langen, separierten Strähnen fließen in gleichmäßig geformten kleinen Wellen an seinem symmetrischen Gesicht entlang bis über die Schultern herab. Das Gesicht ist rechts leicht verschattet, der Mund geschlossen. Dürer trägt einen dünnen Oberlippenbart, dessen Ausläufer gezwirbelt sind. Sein Körper ist in einen braunen Mantel gehüllt, welcher mit einem Fellkragen geschmückt ist, an den seine rechte Hand etwas geziert greift, um das Fell leicht zwischen Zeigefinger und Mittelfinger zu fassen. Die dabei gestreckten wie auch gekrümmten Fingersegmente machen auf die helle rechte Künstlerhand aufmerksam, die sich von dem Braun des Mantels abhebt. Der Hintergrund ist schwarz gehalten. In Höhe der Augenpartie findet sich rechts auf dem Schwarz des Hintergrundes die Inschrift»Albertus Durerus Noricus/ipsum me propriis sic effin/gebam coloribus aetatis/anno XXVIII«, der links vom Kopf die Initialen des Künstlers mit der Jahreszahl 1500 gegenüberstehen.3 Das Selbstporträt weist auf eine komplexe Synthese zahlreicher Assoziationen hin. So erkennt der Betrachter darin einen »Salvator-mundi-Typus«, welcher für Dürer wohl für die imitatio Christi steht, einer eigentlichen Antithese von Schöpfergott und

1 2 3

Vgl. RÉAU 1909, S. 103, 113. Vgl. SCHMIDT 2010, S. 65. Dt.: »So malte ich, Albrecht Dürer aus Nürnberg, mich selbst in naturgetreuen Farben im Alter von 28 Jahren.«

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Mensch.4 Er bindet also den Sohn Gottes durch die christusähnliche Inszenierung in seinem Selbstporträt an seine Person. Mit dieser Assoziation folgt Dürer der Idee eines zweiten, diesmal irdischen Schöpfers, der innerhalb seines, Dürers Wirkens dank der göttlichen Begabung ebenso wie Gott in der Genesis den Menschen nach seinem, Gottes Abbild formen kann. Gleichzeitig deutet Dürer damit auf sein »Alter Ego« als Christus hin und erhöht sich durch diesen ideellen Wert in seiner Künstlerposition.5 Des Weiteren soll diese imitatio Christi, so Feulner, eine Demutshaltung vorstellen, eine geistig geprägte dignitas hominis.6 Das Bildnis zeugt von dem Ruhm und der geistigen Führung, welche sich Dürer als Künstler selbst zuspricht; ihm dient die Christus-Ähnlichkeit als Diskussionsmittel. Die Konzeption und die hintergründige Idee hingegen stehen für einen Künstler, der sich dem »Handwerkerstand entbunden hat«.7 Durch die überhöhte Darstellungsform erhebt sich Dürer zum Schöpfer im eigenen Werk oder genauer: zum »Nach-Schöpfer« einer weiteren »Natur« in seiner durch seine Hände entstehenden Kunst.8 Zu Dürers Zeit sollte die Malerei als das achte Element in den Kreis der sieben freien Künste aufgenommen werden. Zitzelsperger erinnert an die Verschmelzung von göttlichem Künstlerideal und der platonischen »Idea«: In solcher Verschmelzung zeigt sich Dürer im Münchner Selbstporträt durch die Rolle seines »Alter Deus«, die er theoretisch und metaphorisch durchdrungen hat und die ihn mit dem göttlichen Urbild zu einer Synthese verschmilzt.9 Dürer ist bemüht, sein in großen Teilen malerisches und grafisches Werk zu vermarkten; hierzu setzt er seine Person werbewirksam innerhalb des Werkes ein, wie im Münchner Selbstbildnis im Pelzrock zu beobachten ist. Er präsentiert sich als vornehme, nobilitierte Künstlerpersönlichkeit, die sich an ein ausgewähltes Käuferpublikum richtet, und setzt geschickt sein virtuoses Können in Szene.10 Mit den verschiedenen Materialien im Selbstbildnis im Pelzrock (Stoffe, Fell, Haare, Inkarnat) werden Kontraste und der Anschein von Stofflichkeit erzeugt, die dem Auge eine haptische Echtheit vortäuschen. Der direkte Blickkontakt zwischen dem Künstler im Bild und dem Betrachter evoziert dazu Nähe. Die realistische Darstellungsweise, in der Dürer sich selbst als begehrten, ja gottgleichen Künstler präsentiert, sprechen auch die Sinne des Betrachters an.11 4

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6 7 8

9 10 11

Vgl. SCHMIDT 2010, S. 74; FEULNER 2013, S. 71f.; HESS 1990, S. 65f., FILIPPI 2008, S. 160f. Wölfflin weist bereits 1905 auf das »Christusmäßige« im Portrait hin; siehe dazu: WÖLFFLIN (1905) 1984, S. 163. Vgl. SCHMIDT 2010, S. 68 und 74; CASSIRER 2013; FILIPPI 2008, S. 161. »Quasi pictor, qui diversos temperat colores, ut habeat sui ipsius imaginem.« FEULNER 2013, S. 72: Feulner erinnert daran, dass das »Alter Deus« als Vorstellung in der Neuzeit auf Nicolaus Cusanus zurückgeht, demzufolge der schöpferische Mensch zum zweiten Gott wird. Vgl. FEULNER 2013, S. 72. Vgl. ebd., S. 72; HESS 1990, S. 64, 70f. Grebe setzt den Begriff des »Nach-Schöpfers« für diejenigen, welche sich an Dürer orientieren. In der vorliegenden Arbeit soll der Begriff den Gedanken unterstreichen, dass, auch wenn Dürer sich selbst als einen Schöpfer inszeniert, seine Werke immer an Vorbilder geknüpft sind. Siehe dazu: GREBE 2013, S. 171. Vgl. ZITZELSPERGER 2008, S. 101. Vgl. SCHMIDT 2010, S. 77. Vgl. KOOS 1998, S. 63f. Koos diskutiert eben dieses affektiv Sinnliche an Tizians Porträts. Sie erinnert daran, dass oft Handschuhe parfümiert und dadurch auch weitere Sinne wachgerufen wur-

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

Es ist zu beobachten, dass Dürer für die Darstellung seiner Person eine Präsentationsform wählt, welche auf mit der weiblichen Schönheit konnotierte Attribute rekurriert: etwa das glänzende, lange Haar mit exakt geformten Locken oder die verschönten, beinahe symmetrischen Gesichtszüge, welche das Bildnis besonders harmonisch wirken lassen, oder auch die langen, schlanken Finger, mit denen er den Pelzkragen berührt.12 Das spätere Bild Mädchen im Pelz von Tizian (1535–1537) zeigt die Porträtierte in ähnlicher Haltung, wenn auch im Dreiviertelprofil, während sie in ihren Pelzumhang greift. Dies unterstreicht, dass Dürer im Selbstbildnis im Pelzrock beinahe unmerklich geschlechterpotenzierende bzw. -angleichende Elemente einflicht. Er bedient sich dank seiner Kunstfertigkeit eines fast magischen Momentes. Indem er derartige Referenzen integriert, will er womöglich ein bestimmtes Kunstpublikum erreichen. Nicht nur Dürer ist bemüht, als pictor doctus den Berufsstand des Künstlers gegenüber der Auftraggeberschaft aufzuwerten: Auch Jacopo de’ Barbari verfolgt ein solches Anliegen. Im Jahr 1501 verfasst er an Friedrich den Weisen, Kurfürst von Sachsen, für den er seit 1505 als Hofmaler tätig ist, einen Brief, in dem er den Stand des Künstlers als interdisziplinär und hochgebildet darstellt: »Neuerdings ist für diese Wissenschaften [die Malerei] die Kenntnis der Philosophie nötig, wie sie in Aristoteles Schrift über die Seele dargelegt ist, wo der Philosoph die Frage behandelt, wie die Formen zu den Augen gelangen und wie die Natur der Strahlen beschaffen ist, um zu wissen, wie man die Materie auf die Oberfläche der leeren Tafel zu setzen hat.«13 De’ Barbari fügt in seinem Schreiben die Kunst bzw. die Malerei den sieben anerkannten Künsten (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) als achte Disziplin hinzu. Er bezeichnet die Kunst sogar als die höchste Disziplin, da sie bereits in den sieben bestehenden Künsten vorhanden sei. Sie stellt nach seiner Auffassung ebenfalls eine Wissenschaft dar, denn sie gebe Einsichten in die Natur, auch wenn sie eine unbelebte und entseelte Natur (natura exanimata) nachahme und gerade nicht die sonst gerühmte Lebendigkeit hervorhebe.14 In Dürers Selbstbildnis ist es nicht länger Gott, der Adam berührt und ihm Leben einhaucht. Vielmehr formt nun der Künstler die Materie und beansprucht deshalb die göttliche Geste des Schöpfungsaktes für sich selbst: Die Hand als Topos wird vom Geist des Künstlers geführt. Der Künstler deutet dies an, indem er selbst mit schlanken Fingern durch das feine Marderfell fährt.15 Jeder einzelne Strich dieser Berührung

12 13

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den. Dies lässt an Dürers Selbstbildnis mit Landschaft von 1498 denken, in welchem er sich auch mit hauchdünnen Handschuhen, durch welche sich die Hände abzeichnen, und in seinerzeit äußerst vornehmer, aktueller Kleidung präsentiert. Vgl. AUSST.-KAT. Osnabrück 2003, S. 19. BAADER 2003, S. 177: »Ma da po’ queste sciencie noviter necessita la philosophia secondo li testi di Aristotele de anima, dove trata come le specie pervengono ali occhi e como la natura de’ razi, per saper ponere le materie su le superficie de le tabule raxe.« Vgl. BAADER 2003, S. 178. Um die Natur abzubilden, nutzt der Künstler an erster Stelle die Kenntnisse der Geometrie. Zitzelsperger verweist darauf, dass es sich um Marderfell handelt; siehe dazu: ZITZELSPERGER 2010, S. 176f. Der Rückenmarderpelz als Standesinsignie reiht Dürer, nach Zitzelsperger, in die städtische Hierarchienordnung von Ratsmitgliedern und Patriziern ein und erweitert den Topos

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wird bewusst von der Künstlerhand gelenkt, die den Pinsel führt, dessen Schlieren sich in der Ölfarbe niederlassen. Die unterschiedlichen Haartrachten und die jeweils eigenen Strukturen in Haupthaar, Bart und Pelz bringen Dürers präzises handwerkliches Können zur Anschauung. Naturalistisch sind einzelne Härchen separiert und in höchst feiner Manier aufgetragen.16 Jeder Pinselstrich im Gemälde macht zugleich den Prozess, »eine Transformation von Berührung«, selbst sichtbar – im Farbauftrag und dem sich einprägenden Pinselhaar.17 Die realistisch-naturalistische Darstellungsweise erzeugt ein affektives Begehren beim Betrachter. Die leuchtenden Künstleraugen im Gemälde schlagen eine »pulsierende«, illusorische Brücke zum Betrachter, so wie wir es von Leonardos Mona Lisa kennen (vgl. Punkt 7.1). Zeitlich vor dem Selbstbildnis im Pelzrock präsentiert sich der junge Dürer um 1493 in traditioneller Wamstracht im Selbstbildnis mit Eryngium, das sich heute im Louvre befindet. Es handelt sich wohl um ein Festtagsgewand, das ihn als freien, gut situierten Künstler darstellt. Er hebt sich so vom Handwerkerstand, dem sein Vater, ein Goldschmied, noch angehörte, ab. In einem weiteren Selbstbildnis trägt Dürer weiße Handschuhe und kennzeichnet sich damit als elitär und elegant: Selbstporträt mit Landschaft (auch Selbstporträt mit Handschuhen) aus dem Jahr 1498 (Prado, Madrid). Er führt die traditonell als Handwerk bezeichnet Arbeit, nicht mehr aus, sondern erschafft Kunst, einem modernen, intellektuellen Anspruch folgend. Das Porträt seines Vaters aus dem Vorjahr, Albrecht Dürer d. Ä. (1497, National Gallery, London), deutet in der Gegenüberstellung symbolisch die generationsbezogene Entwicklung innerhalb der Kunst an, welche teils weitervererbt, teils weiterentwickelt wird.18 In dem Bildnis vom Vater vermerkt Dürer am oberen Rand dessen Alter zum Zeitpunkt der Entstehung: ALBRECHT THURER DER ELTER VND 70 JOR. Die Kleidung des alten Herrn ist der Handwerkerzunft angemessen und unterstreicht die Würde seiner Person. Dürer zeigt sich demgegenüber im Selbstporträt elegant mit hauchdünnen weißen Handschuhen, die für das geistige Können stehen, welches durch die Hand, die er damit akzentuiert, in das Werk fließt.19 In dem Selbstbildnis als Akt (um 1509, Weimarer Stadtschloss), eine Zeichung in Mischtechnik, stellt Dürer die Verbindung zwischen mentaler Schöpfung und Körperkraft dar, deren Quelle der Künstler selbst ist.20 Die Selbstbildnisse veranschaulichen die Auseinandersetzung mit sich selbst als Künstlerindividuum und sind Zeichen der Individualisierung in der Renaissance. Dürer greift dabei zu einem ungewöhnlich großen Repertoire an Techniken und Darstellungsweisen, innerhalb derer er sich als experimentierfreudig und innovativ erweist.

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des Künstlers als Schöpfer. Zander-Seidel legt für Nürnberg dar, dass für die freie Reichsstadt 1530 zwar eine reichsunabhängige Kleiderordnung herrscht, es aber auch keine Anarchie in diesem Bereich gibt. So dürfen z. B. Frauen nur »schlechten belz« tragen von Lämmern und Ziegen. ZANDERSEIDEL, Jutta: Kleidergesetzgebung und städtische Ordnung. Inhalte, Überwachung und Akzeptanz frühneuzeitlicher Kleiderordnungen, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, 1993, S. 176−188. Vgl. KOOS 1998, S. 64f. Koos bezieht die Beschreibung der technischen Stofflichkeit des Materials auf Tizian. Vgl. BOHDE, 2002, S. 339. Vgl. ZITZELSPERGER 2008, S. 11f. und S. 20. Vgl. SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 260f. Vgl. PFISTERER 2014, S. 51f.

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

Mit einem starken Selbstbewusstsein nutzt Dürer seine künstlerische Fertigkeit zur Glorifizierung der eigenen Person oder zumindest des eigenen Könnens, um Aufmerksamkeit zu erregen und Neugierde zu wecken.21 Die kostbaren Farben, die er verwendet, sind wie Schminke auf die Leinwand aufgetragen. Sie tarnen sich hinter dem realistisch erscheinenden, gefälligen Anblick: Sie betören das Betrachterauge und erscheinen als verzaubernde künstlerische Fähigkeit.22 Der Künstler spielt in der freien Selbstinszenierung mit der Kunst und dem Handwerk bravourös und verbindet sie in der perfekten »Augentäuschung« oder »Lüge«, was die »Schaulust« des Betrachters steigert.23 Somit dienen Dürer Selbstporträts nicht nur der Selbsterhöhung, sondern auch der Maskierung seiner Person – und der Künstler hat all das in der Hand. Der schwarze Hintergrund lässt das Selbstbildnis als Akt überdies noch stärker hervortreten, eine italienische Tradition, die er sich aneignet.24 Die Selbstinszenierung Dürers im Gemälde Selbstbildnis im Pelzrock stößt bei Marcel Duchamp auf Interesse; er bezieht sich darauf: Duchamp zeigt sich in ähnlicher Pose mit Pelzmantel auf einigen Ablichtungen, die der Fotograf Georg Grantham Bain, Gründer einer Nachrichtenagentur, im Jahr 1927 von ihm aufnimmt und veröffentlicht, zusammen mit dem Ehepaar Hartz vor einem Einwandererschiff in New York stehend (Abb. 96). Unter dem Pelz trägt er die für ihn typische Kleidung: Hemd, Anzug und Krawatte. Selbstbewusst lächelt er, in die Ferne blickend, die rechte Hand versteckt in der Manteltasche, mit der Linken einen Hut haltend. Der Pelz zeichnet ihn als extravagantes Individuum aus, doch gleichzeitig setzt Duchamp damit eine avantgardistische Kleidungstradition fort. Dies wird unterstützt durch die selbstbewusste Pose auf dem Foto und den Erfolg, welchen Duchamp in der New Yorker Kunstszene bereits ab 1913 genießt.25 Duchamp kleidet sich gepflegt, edel und klassisch.26 Das Bild des formvollendet auftretenden Dandys drängt sich auf: Als begehrter Junggeselle wirkt Duchamp wie ein Magnet für das Betrachterauge. Konträr zum Pelz erscheinen Anzug und Kravatte, die aus dem V-förmigen Mantelkragen herausschauen, adrett und strukturiert, verorten ihn in der männlichen Berufswelt New Yorks und gliedern ihn damit in die Welt der Rechtsanwälte, Juristen, Banker oder auch Geistlichen ein. Gleichzeitig betritt er mit dieser Erscheinung jeden Tag die Welt als eine Bühne, als den Schauplatz des Seins; er macht, wie Foucault 1975 beschreibt, den

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Vgl. KOOS 1998, S. 64. Vgl. MÜLLER 2008, S. 174f.; SUTHOR 2004, S. 52 TEMPESTI 1975, S. 145ff.; KRÜGER 2001, S. 227f. Im Jahr 1360 äußert sich bereits Cennino Cennini in seinem Malereitraktat hierzu, indem er die Schminke der Frau mit der Malereifarbe vergleicht. Vgl. SUTHOR 2004, S. 7. Vgl. BUSSMANN 1966, S. 20. Bussmann erwähnt, dass die Tradition der Aktfiguren vor schwarzem Grund aus Italien stammt, an Botticelli und Lorenzo di Credi erinnert und von de’ Barbari über die Alpen gebracht wurde. Vgl. BUFFET-PICABIA 1980, S. 1. Vgl. KRAUS 2010, S. 208. Kraus benutzt den Begriff »Vorväter« im Hinblick auf Alte Meister als Vorbilder der Surrealisten, zwischen denen Beziehungslinien gezogen werden.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Körper selbst immer mehr zum »Gegenstand und zur Zielscheibe der Macht« innerhalb seiner Kunst.27 Ein früheres Porträt Marcel Duchamps (Abb. 97) nimmt am 11. Oktober 1912 der Fotograf Heinrich Hoffmann (der spätere Porträtist Adolf Hitlers) in seinem Fotostudio in der Schellingstraße 33 in München auf. Die Fotografie gehört zur Sammlung David und Marcel Fleiss in der Galerie 1900-2000 in Paris.28 Der Künstler positioniert sich hier in Anlehnung an Dürers Selbstbildnis im Pelzrock zwar ohne Pelz, aber in der gleichen frontalen Haltung, den Betrachter gerade anblickend. Im Selbstportrait von 1915 positioniert sich Duchamp ebenso wie in dem von 1913, variierend trägt er hier eine Fliege mit Punkten darauf. Mit ihr bringt er sein Selbstbewusstsein zum Ausdruck und zeigt sich für seine Zeit adäquat gekleidet. Die Fliege verleiht der Fotografie eine gewisse Verspieltheit, der direkt ausgerichtete Blick Zielstrebigkeit und Selbstsicherheit, all das dient in dieser ästhetischen Aufbereitung der Aufwertung des Berufsstands des Künstlers. Die strenge Formalität des Porträts wird vom schlichten Schwarz-Weiß einer typischen Aufnahme der Zeit unterstützt. Duchamp grenzt sein Selbstbildnis insofern ab, als er dem Betrachter seine eigene Künstleridentität in einer neuen, zeitgemäßen Form als Fotografie und von ähnlicher Nähe wie das Selbstbildnis Dürers präsentiert. Auch Duchamps Mund ist geschlossen, sein Blick offen en face auf den Betrachter gerichtet.29 Duchamp, auf der Abbildung 25 Jahre alt, ist drei Jahre jünger als sein Vorbild Dürer zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildnisses. Er präsentiert sich mit nach hinten gekämmten Haaren, rasiert, im schwarzen Anzug mit weißem Hemd und Fliege. Duchamp verfolgt das Format der Fotografie weiter; so existiert eine weitere Fassung der Fotografie von 1915, in der sich Duchamp in einem ähnlichen schwarzen Anzug präsentiert. Allerdings besitzt diesmal die angelegte Fliege weiße Tupfen. Das Gesicht ist hier stärker ausgeleuchtet, während sich ein leichter Schatten über seine linke Gesichtspartie zieht.30 Der Hintergrund ist deutlich heller und zeigt eine leichte Verdunkelung auf der linken Seite. Ausrichtung und Mimik sind ansonsten im Bild identisch mit dem zuvor beschriebenen fotografischen Porträt Duchamps. Duchamp knüpft damit geschickt an bereits von Dürer praktizierte Vermarktungsund Inszenierungsstrategien an. Auf seine Art und Weise will er diese auf das neue Medium der Fotografie anwenden, es dieserart geistig durchdringen, um so als neuer Schöpfergott der Kunst Altes neu zu gebären. Hierin sieht er gleichzeitig eine empirische Maßnahme, die sich mit einer von seinem Geist neu durchdrungenen, traditionellen Kunst an die Gesellschaft richtet, während das darin zu erkennende historische Vorbild noch durchscheint.31 Indem Duchamp die Abbildung aber in seinem Sinne variiert, verweist er auf sich selbst als Quelle, auch wenn er sich maßgeblich an Vergan-

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Hackspiel-Mikosch stellt die Tradition der Uniform aus dem 18. Jahrhundert als eine symbolische Kommunikationsform innerhalb des soldatischen Umfelds dar. Siehe dazu: HACKSPIEL-MIKOSCH 2010, S. 79. Vgl. AUSST.-KAT. München 2012, S. 11; AUSST.-KAT. Venedig 1993, 10-11-12 Oktober; HERZ 2012, S. 108. Vgl. FEULNER 2013, S. 67. Beuys präsentiert sich in Joseph Beuys im Pelzmantel 1974 ebenfalls in Anlehnung an Dürers Selbstbildnis im Pelzrock und führt diese Tradition weiter. Vgl. AUSST.-KAT. Venedig 1993, 27−28 Juli. Vgl. FEULNER 2013, S. 77.

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

genem orientiert. Es macht eindeutig die Kunst Duchamps aus, der alte Bildsujets in eine neue Formensprache gehüllt wiederentstehen lässt. Er versieht sie mit einer neuen künstlerischen Ästhetik und präsentiert sie wie Reliquien, die originäre Spuren des Vergangenen in sich tragen und so die von Duchamp gewählten Verbindungen zur Tradition offenbaren. Auch Baldung führt die künstlerische Tradition der Selbstinszenierung Dürers fort, wenngleich mit geringerem zeitlichen Abstand. Söll-Tauchert arbeitet das Thema der Selbstbildnisse in Baldungs Werk auf und kommt damit seiner individuellen Kunstsprache näher. Besonders hebt sie das gezeichnete Selbstbildnis Baldungs von ca. 1503, das er als 18-Jähriger von sich anfertigt, hervor (Abb. 98). Es befindet sich heute im Kunstmuseum in Basel. Baldung präsentiert sich üblicherweise nicht in Pelztracht, bedingt durch seinen Stand, außer in dieser Zeichnung in Form einer Pelzmütze; erst seine Aufnahme in den Straßburger Rat im Jahr 1545, seinem Todesjahr, verschafft ihm die offizielle Möglichkeit, sich mit Pelzen zu schmücken.32 Die Pelzmütze, mit der sich Baldung 1503 als junger Mann ziert, ist punktuell mit hellrosa Lichthöhungen akzentuiert und wirkt in Form und Beschaffenheit ungezwungen. Dieses Bild folgt auf das früheste bekannte Selbstbildnis nördlich der Alpen, das Dürer als 13-Jährigen (1484) zeigt (Kunstmuseum, Basel). Das Bemühen Baldungs mit Blick auf das kindliche Selbstbildnis, seine Kreativität und sein Können möglichst vorteilhaft zu präsentieren, steht im Vordergrund. So lässt die gewählte Silberstiftzeichnung keine Korrekturen zu und bezeugt großes handwerkliches Geschick.33 Die Zeichnung ist auf grünem Papier festgehalten, was wohl auf seine Vorliebe für diese Farbe, die ihm später den Beinamen Grien (Grün) beschert, hindeutet, und weist keine Signatur auf. Weiße und außergewöhnliche rosa Höhungen, als lichtreflektierende Farbeffekte eingesetzt, schmücken die Pelzmütze und den Hals des damals 18-jährigen Künstlers.34 Frontal ist der Blick selbstsicher dem Betrachter zugewandt. Die Frontalität erinnert an das Münchner Selbstportrait im Pelz von Dürer. Baldung aber stellt sich mit der extravaganten Kopfbedeckung individuell heraus. Die Darstellungsweise spricht für Selbstironie, Selbstsicherheit und eine selbstkritische Haltung des jungen Künstlers hinsichtlich seines Selbstverständnisses. Gagel betont im Hinblick auf Baldungs Selbstbildnis als Jugendlicher um 1503 die weiche, verspielte, sensible und sinnliche Seite im Ausdruck des jungen Künstlers, in welchen er auch weibliche Elemente einbezieht. Nach einem Jahr Tätigkeit in der Werkstatt Dürers hat er sich diesen Aspekt, den der Meister in seinem Selbstporträt heranzieht, nämlich auch weibliche Attribute zu integrieren, angeeignet.35 32 33

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Vgl. ZITZELSPERGER 2008, S. 52, 56f. und 61. Baldung nutzt wohl für die Erstellung einen Konvexspiegel. Einen Konvexspiegel zeigt Baldung auch in weiteren Bildern wie in der Vanitas-Zeichnung (Weiblicher Akt, sich kämmend mit Spiegel und Tod) von 1515 aus dem Berliner Kupferstichkabinett, in dem Bild Die drei Lebensalter im Wiener Kunsthistorischen Kabinett und der Prudentia aus der Münchner Bayerischen Staatsgemäldesammlung, ferner in Schönheit und Tod ca. 1509–1511 aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum. Vgl. SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 30. Die Rosahöhungen kommen im Œuvre Baldungs nur noch ein weiteres Mal in dem Portraitkopf eines bärtigen alten Mannes von 1518 vor, welches sich in London im British Museum befindet und mit A. D. gezeichnet ist. Der Einsatz von farbigen Flecken für Lichtreflexe lässt sich seit der italienischen Renaissance nachvollziehen, ist aber vor allem im Werk Baldungs als Clair-obscur-Effekt zu benennen. SUTHOR 2010, S. 144. Vgl. GAGEL 1984, S. 94f.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Die oben vorgestellten fotografischen Porträts von Duchamp lassen sich unter dem Gesichtspunkt der formalen Präsentation mit denen von Dürer und Baldung in eine Reihe einordnen. Fügt man die Selbstbildnisse von Dürer, Baldung und Duchamp aneinander wie eine virtuelle Ahnengalerie künstlerischer »Vorväter«, können formale Bezüge ausgemacht und Traditionslinien in Bezug auf die Inszenierung der Künstler nachvollzogen werden. Der Bezug zwischen den Porträts von Dürer und Duchamp wird 2012 von Herz illustrativ untermauert.36 In der vorliegenden Abhandlung soll diese Reihe durch das Porträt von Baldung erweitert werden. Jeder der Künstler präsentiert sich in unterschiedlichen Medien, jeder gibt mit seinem Selbstbildnis der eigenen Kunst unwillkürlich ein Gesicht und präsentiert sich obendrein geistvoll nach spezifischen darstellerisch-technischen Verkaufsstrategien, die darauf ausgerichtet sind, das Betrachterauge einzufangen und zu fesseln. Duchamp, welcher die Malerei ablehnt, verlagert seine formale Herangehensweise auf das Medium der Fotografie, wobei er sich einer manuellen Erarbeitung des Porträts entledigt und Zufälligkeiten in der Aufnahme in die Verantwortung des Fotografen legt. Er sagt zur Fotografie: »Für mich ist die Malerei veraltet. Sie ist Energieverschwendung, keine gute Mache, nicht praktisch. Wir haben jetzt die Photographie, das Kino – so viel andere Wege, um das Leben auszudrücken.«37 Durch dieses Medium gelingt es Duchamp, das Bild in seinem Kontext noch konkreter an die Wirklichkeit anzubinden; er erinnert so an die rezeptive Erarbeitung des Dürer-Vorbildes und nutzt die Kamera in einem historischen Kontext.38 Duchamp stellt sich mit der Aufnahme und seiner Beschäftigung mit Vorbildern in eine selbst gewählte Reihe von Verwandtschaften und wertet seine Werke vom Beginn seines Schaffens an auf, indem er sich an der Traditionsabfolge in der Kunst orientiert und sich seiner eigenen künstlerischen Person im Rahmen einer Entwicklungsfolge vergewissert. Duchamp findet also in Dürers Kunst, auf welche er sich durch formale Bezüge assoziativ bezieht, viele Anknüpfungspunkte für seine eigene Kunst, ohne dass aber diese jeweils eine klar ersichtliche Rezeption darstellten. Vielmehr geht es Duchamp um eine Modernisierung, um das Infragestellen von funktionalen Paradigmen, anhand derer er seine eigene Stellung reflektiert. Dürer, der sich in seinem Münchner Selbstbildnis mit ikonenhaftem Selbstverständnis frontal präsentiert, könnte ein assoziatives Vorbild für den jungen Duchamp gewesen sein, an welches dieser sich mit einfachen formalen Bezügen anlehnt, indem er sich kess mit ebeneinem solchen kraft- und ausdrucksvollen und vermeintlich aufgeladenen frontalen Blick zeigt. In der aktualisierten ästhetischen Neuformulierung versucht Duchamp, sich seines Vorbilds mit den bewährten Ausdrucksmechanismen zu bedienen und diese gleichzeitig in neuer Form zu überschreiben. Dennoch bleiben die Zeichen eines Traditionsbezugs zu Dürer sichtbar. Darüber hinaus lassen die Rezeptionen Duchamps auf eine Wahl von »inneren Wahlverwandtschaften« schließen.

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Vgl. HERZ 2012, S. 106−107. BUNGE 2001, S. 22. Vgl. DICKEL 1993, S. 121.

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

5.2.

Duchamps Aneignung methodischer Vervielfältigung und Vergrößerungsverfahren – Konzeptuelles Rezeptionsverfahren

In Anbetracht der seinerzeit zunehmenden Anzahl von Kopisten, vor allem hinsichtlich seines druckgrafischen Werkes, versucht Albrecht Dürer, das Kopieren durch die Angabe seiner Initialen zu schützen. Tatsächlich ist er der erste Künstler, der im Jahr 1509 einen Urheberrechtsprozess führt.39 Gleichzeitig ist er sich der Wirkung bewusst, die die Verbreitung vor allem von Grafiken unter seinem Namen und mit seinen Bildideen auf seine Bekanntheit hat, und so nutzt Dürer dieses Phänomen aus wirtschaftlichen Gründen strategisch für sich aus.40 Die traditionelle Ausbildung in den Malerwerkstätten beinhaltet auch bei Dürer, dass die Lehrlinge das Rezipieren der meisterlichen Hand erlernen und nach Vorlagen aus dem Bestand arbeiten, die Handschrift des Meisters übernehmen sowie Aufträge in dessen Namen, seine Hand ersetzend, ausführen. Mit seinen Lehrbüchern und den darin enthaltenen Kunsttheorien, in denen er sich italienische Künstler zum Vorbild nimmt, macht Dürer seine Lehre nördlich der Alpen anderen Künstlern als Arbeitsgrundlage zugänglich. Er schult den angehenden Künstler in der Fähigkeit, einen idealen, schönen Akt oder eine idealisierte Pferdedarstellung zu erstellen. Dürer wendet sich damit einem Kunstdiskurs zu, der ihn gleichsam zum Botschafter einer Erneuerung für andere Künstler macht. Zu seiner Zeit wird von Italien ausgehend darüber diskutiert, inwieweit darstellerische Aspekte von der Antike abgeleitet und vom Humanismus bzw. der Renaissance adaptiert werden sollten und ob diese als »neue Erfindung« gälten.41 Leonardo da Vinci dient Dürer bereits als Rezeptionsvorbild, beispielsweise in seinen Pferdedarstellungen. Dürer ist wie Leonardo vor ihm an den wissenschaftlichen Elementen der Kunst interessiert und nicht ausschließlich an mathematischen Beweissystemen.42 Das Zeichnen, das von der italienischen Schule empfohlen wird, gilt in den zahlreich erscheinenden Traktaten des 16. und 17. Jahrhunderts als künstlerische Grundlage, um erste Formen festhalten und die Ordnung des künstlerischen Blattes geistig vornehmen zu können.43 Gängig ist die Verbreitung der Sujets durch Grafiken oder Schablonen, welche weitergegeben und auch unter Zuhilfenahme von Gliederpuppen im Atelier rekonstruiert und vervielfältigt werden. Die Ideen der Rezeption werden von Dürer und Jacopo de’ Barbari über die Alpen gebracht und dort aufgegriffen und weiterentwickelt.44 Dürers theoretisches Hauptwerk Die vier Bücher von menschlicher Proportion (Proportionslehre, 1528) werden erst postum, im Jahr seines Todes veröffentlicht. Die Lehrbü39 40 41 42

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Vgl. AUSST- KAT. Schwerin 2012, S. 7. Vgl. AUSST.-KAT. Zürich 2003, S. 11. Vgl. AUSST.-KAT. Frankfurt 2002, S. 379; SCHERBAUM 2004, S. 220. Scherbaum verweist darauf, dass Dürer natürlich ausgestattet ist mit einem ausgeprägten Sinn für Innovation. Vgl. AUSST.-KAT. München 1981, S. 352. Stauffer bildet die Underweysung der Messung von Albrecht Dürer ab und verweist auf die Installation Étant donnés, die er als eine beinahe grausige Parodie auf Dürers »Starren auf das Loch« sieht. Siehe dazu: STAUFFER 1981/1994, S. 31f; CAUMONT 1977, S. 174f. und 159; AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 216; GAEHTGENS 2006, S. 38. Vgl. GAEHTGENS 2006, S. 34. Vgl. BONNET 2006; RATH 2016, S. 325. Gliederpuppen sind in Italien seit dem Quattrocento in Gebrauch. Dass lebende Modelle im Atelier als alleinige Vorlage dienten, kann ausgeschlossen werden.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

cher sind ein Konglomerat aus in über 30 Jahren erarbeiteten Studien und Exzerpten seiner kunsttheoretischen Schriften. Die Schwerpunkte liegen auf der Geometrie, der Konstruktion der menschlichen Figur – oder auch der des Pferdes – und auf deren Eingliederung in den Bildraum.45 Der Proportionslehre voraus geht die Underweysung der Messung aus dem Jahr 1525, einem Lehrbuch, in dem es um Zeichentechnik geht. Hierin enthalten ist der Holzschnitt mit dem Titel Der Zeichner der Laute (Abb. 99), anhand dessen Dürer dem Leser bzw. Betrachter erläutert, wie ein dreidimensionales Objekt auf Papier übertragen werden kann.46 Dies wird folgendermaßen illustriert: Es ist ein an der Wand befestigter Faden abgebildet, der auf das darzustellende Objekt gerichtet ist.47 Der Faden führt durch einen offenen Fensterrahmen, aperta finestra, hindurch. An einem am Rahmen zusätzlich angebrachten, beweglichen Klappfenster, zur Seite hin aufgeklappt, ist eine transparente Zeichenfläche aufgespannt, auf welche die abgenommenen Punkte der Laute übertragen werden. Die Abmessung kann so unmittelbar vom Betrachter über den Faden nachvollzogen werden, indem der Faden, wie der Blick des Betrachters, durch die offene Bildfläche des Fensters hindurch zum Objekt, hier die Laute, gespannt wird. Das Objekt wird so »Punkt für Punkt abgetastet«. Mit dieser Erfindung soll die möglichst genaue Übertragung von dreidimensionalen Objekten und deren Position im Raum im korrekten Größenverhältnis auf die zweidimensionale Fläche gewährleistet werden. Dies erfolgt über eine transparente Fläche durch Abstrahierung des Dreidimensionalen in das Zweidimensionale, sozusagen in einen Transferzustand zwischen Rezeptionsobjekt, Künstler und entstehendem Kunstwerk. Auf den Betrachter wirkt schließlich die gedeckte Fläche des Bildes wie eine Sehpyramide, eine ästhetische Illusion des Objekts.48 Anders verhält es sich mit dem Holzschnitt Der Zeichner des liegenden Weibes (Abb. 101), ebenfalls aus der Underweysung der Messung von 1525. Hier findet sich ein transparentes Gitternetz quasi als Schranke zwischen dem Künstler und dem Objekt, hier der liegenden Frau. Der Künstler orientiert sich an dem Gitter und überträgt die entsprechenden Partien des Malgegenstandes auf das Papier. Dürer veranschaulicht die Sachlichkeit der im Übrigen intimen Situation zwischen Modell und Künstler nach: Die Frau auf der anderen Seite der Gitterschranke ist nackt, nur leicht bedeckt mit einer losen Stoffbahn. Ihr Becken hat sie leicht angehoben, die Knie sind angezogen. Der Künstler sieht mit einem Auge durch das Hilfsobjekt, eine Art Visier, um den auf der liegenden Frau anvisierten Punkt auf dem Gitterfenster zu bestimmen und auf dem Papier vor sich, auf dem das gleiche Raster eingezeichnet ist, einzutragen. Leon Battista Alberti rühmt sich im Italien des 15. Jahrhunderts damit, die Verwendung des Velums, der gerasterten Zwischenlage, verbreitet zu haben.49 Oft gilt dieses Verfahren auch als eine Erfindung Leonardo da Vincis. Dieser bezieht sich ab 1492 vielfach auf Albertis Velum, empfiehlt es auch zum Zeichnen und Kopieren weiblicher Modelle50 und schreibt diesbezüglich: 45 46 47 48 49 50

Vgl. SCHERBAUM 2004, S. 222. Vgl. RUPPRICH 1966, S. 385 f; KEMP 1990, S. 172f.; FRIEß 1993, S. 56f.; AUSST.-KAT. Boston 1971, S. 219. Vgl. HERLES 1997, S. 6. Vgl. BÜTTNER 2005, S. 137. Vgl. BÄTSCHMANN 2002, S. 16. Vgl. AUSST.-KAT. Nürnberg 1971, S. 354.

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

»Willst du dich gut an richtige und gute Stellungen der Figuren gewöhnen, so stelle zwischen dein Auge und den nackten Körper, den du abzeichnest, ein Viereck oder einen Rahmen mit quadratisch angeordneten Fäden. Ebensolche Quadrate ziehst du zart auf das Papier, auf dem du den nackten Körper zeichnen willst.«51 Vasari weist ebenfalls auf Albertis Erfindung hin und koppelt das Verfahren der beliebigen Vergrößerung bzw. Verkleinerung mit der Buchdruckerkunst. Er schreibt: »Im Jahre 1457 als der deutsche Johann Gutenberg die äusserst nützliche Buchdruckerkunst erfand, wurde von Leon Battista etwas Ähnliches entdeckt, wie nämlich mittels eines Instruments natürliche Perspektiven darzustellen und die Figuren zu verkleinern seien, wie gleicherweise kleine Dinge in eine grössere Form zu bringen und zu vergrössern seien: alles ausgeklügelte Dinge, der Kunst nützlich und wirklich schön.«52 Sichtbar im Holzschnitt Dürers ist vor allem das Dreiecksverhältnis zwischen Betrachter, Modell und technischer Vorrichtung mit den Sichtachsen, die dazu dienen, zum eigentlichen neuen Kunstobjekt zu gelangen. Hier sind alle drei Elemente eines Kunstwerks – das Werk, der Werkinhalt und der Prozess – als solche abgebildet und werden zum Bildthema selbst erhoben. Sie stehen miteinander in Beziehung, da sie sich gegenseitig bedingen und bilden den eigentlichen Prozess objektiv ab. Der Mikrokosmos im gezeichneten Bildraum ist aus dem erweiterten Bildraum zwischen Künstler und Modell heraus festgehalten, befindet sich innerhalb des Ateliers, um schließlich aus dem Makrokosmos des Betrachters erfasst und mit einer realen Situation abgeglichen zu werden. Das Bild beleuchtet die werkschöpfenden Grundmaximen an sich: Aufbauten in geometrischer Kalkulation, Messbarkeit des Werkes und Einbeziehung des Raumes. Dürer merkt an, dass mit diesem Prinzip auch kleine Vorbilder beliebig einer Vergrößerung unterzogen und sogar in Wandbildformate umgeändert werden können. Hinsichtlich des Einsatzes des Vergrößerungsverfahrens bei einem Objekt nennt Dürer in der Underweysung der Messung das »Delische Problem« bei Platon, das darin besteht, dass er das Problem, die Würfel in ihrem Volumen zu verdoppeln, in der mechanisch-mathematischen Zeichnung nicht lösen kann.53 Dürer und vor ihm Alberti übertreffen somit in dieser Hinsicht das antike Vorbild, da sie einen Lösungsvorschlag zur Vergrößerung eines Objektes bieten. Ausgaben der Lehrbücher von Dürer befinden sich in der Bibliothèque SainteGeneviève in Paris, in der Duchamp arbeitet, sodass er Gelegenheit hat, sie dort einzusehen. Davon abgesehen wird eine Doppelseite aus der Underweysung der Messung 1912 in München, wo er für drei Monate verweilt, im Deutschen Museum, damals im alten Gebäude des Bayerischen Nationalmuseums an der Maximilianstraße präsentiert. Die zu diesem Zweck in die Museumswand eingelassene Schauwand erläutert Die Entwicklung der Lehre von der Perspektive und ihre Anwendungen (Abb. 100) mit etlichen Bildbeispielen.54

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ASEMISSEN/SCHWEIKHART 1994, S. 107. BÄTSCHMANN 2002, S. 17. Vgl. SCHAUERTE 2015, S. 125. Vgl. HERZ 2012, S. 224f.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Sie führt dem Besucher die Anfänge des perspektivischen Zeichnens sowie die Erläuterungen der Perspektive in der Kunst vor Augen, zeigt ferner die Prinzipien des perspektivischen Konstruktionsverfahrens anhand von Dürers Underweysung der Messung auf und schließt mit perspektivischen Reliefdarstellungen ab. Zur gleichen Zeit wie Duchamp weilt auch dessen Künstler-Freundin Katherine Dreier 1911/1912 in München. Das verraten Mitschriften von Vorträgen von Gustav Britsch aus diesem Zeitraum, welche dieser offenbar im Institut für theoretische und angewandte Kunstwissenschaft gehalten hat. In den Mitschriften ist festgehalten, dass es nicht nur für den Akt wichtig ist, diesen zu erfassen, sondern dass dieser auch in die richtige Umgebung eingebettet werden muss, sodass ein Gesamtkomplex erschaffen wird und sich neben der richtigen Komposition die geistige Eigenleistung des Künstlers zwischen der Farbästhetik zeigt.55 Des Weiteren führt Britsch aus, wie auch mit kleinen Dingen eine Vergrößerung vorgenommen werden kann, und dass es möglich ist, ein Detail in seiner Wertigkeit in einem Kunstwerk zu steigern, indem es vergrößert dargestellt wird, ganz im Sinne der frühneuzeitlichen Überlegungen. Den Akt des Malens versteht er im übertragenen Sinne als einen geistigen Akt, welchen man beliebig in ein Kunstwerk integrieren kann, genauso wie andere Objekte, ein Pferd, ein Baum oder ein Mensch, die frei dafür ausgewählt werden können.56 Britsch erklärt den Geist zur Grundlage der bildenden Kunst, den er wieder aktivieren möchte. Seiner Meinung nach kann etwas »Begriffenes«, geistig Durchdrungenes in der Kunst dann im weiteren Schritt auf alles projiziert werden.57 1926 nimmt Britsch in einer Publikation Bezug auf die Underweysung der Messung. Anhand eines Glastafelbildes erläutert er das zentralperspektivische Verfahren, das es möglich macht, ein Bild zu gewinnen.58 Damit überträgt Britsch das System der perspektivischen Übertragung auf das Medium Glas. Zudem fügt er mit seinen Überlegungen der Bedeutung des Geistes einen neuen Aspekt hinzu. So erklärt er, wie wichtig der Geist ob seiner Erkenntnisfähigkeit hinsichtlich der angewandten Materie selbst ist und inwieweit diese vom Künstler durchdrungen werden sollte. Das Vermessungssystem ist beispielsweise mit Blick auf das Medium Glas interessant für Duchamp, der in Das Große Glas ein ähnliches Verfahren anwendet: Hier bildet das Medium Glas nicht nur die Grundlage, es werden auch Formen im Vergrößerungsverfahren übernommen – etwa die Braut: In ihrem Fall wird das weibliche Geschlecht, oder die Wolke, in der sich die Durchzugskolben befinden, überdimensional in die obere Sphäre gesetzt. Der daran anschließende insektenartige Körper dargegen ist klein. In der unteren Ebene der Junggesellen hingegen ist der Hengst der Pferdeserie Baldungs mit beweglichem Hals festgehalten, der sich in Form von Haarsieben als ein variables Phallussymbol erweist und relativ groß und separiert dargestellt ist. Hier überschneiden sich offensichtlich zwei Holzschnitte aus Baldungs Pferdeserie, die Duchamp übereinandergeblendet festhält: den ersten Holzschnitt, Flehmender Hengst und rossige Stute

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Vgl. DREIER 1911/1912, Vortrag VII. S. 1f. Vgl. ebd., S. 2f. Vgl. ebd., S. 2. Vgl. BRITSCH 1966, S. 70.

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

inmitten einer Gruppe von Wildpferden im Wald (Abb. 32), und den zweiten, Hengst und abschlagende Stute inmitten einer Gruppe von Wildpferden im Wald (Abb. 33, siehe Kapitel 3.6 und 3.8). Dürers Vorrichtung übertrifft die mathematisch-geometrische Herangehensweise insofern, als das Modell durch die Kombination von Augenmaß und technischer Vorrichtung in seine ganzheitlichen physiologischen Bedingungen einbezogen und in das künstlerische Medium transformiert werden kann. Dürer spricht aber in der Underweysung der Messung gleichzeitig den Widerspruch des künstlerischen Genies an, der nämlich darauf beruht, dass ein Künstler sich mit Zirkel, Richtscheit oder sonstigen technischen Vorrichtungen Fertigkeiten dank äußerer Hilfmittel schlichtweg aneignen kann. Ein Gedanke, dem sich Duchamp womöglich anschließt, da er ja zeitlebens die Haltung vertritt, er befreite die Hand vom Handwerk, und den Anschein zu erwecken sucht, er kreierte die Kunst aus dem reinen Zufall heraus und ohne den Einsatz seiner Hand in einem ganz eigenen Stil. Um dies zu bewerkstelligen, nutzt Duchamp in den meisten Fällen Gegenstände, welche die Hand leiten und von dem Automatismus des Malens befreien. Auch in dem Werk Étant donnés kann die Arbeitsweise Duchamps mit der Dürers verglichen werden. Denn Duchamp konstruiert mit Étant donnés einen ähnlichen Raum wie Dürer in dem Holzschnitt Der Zeichner des liegenden Weibes aus der Underweysung der Messung. In Étant donnés wird der Betrachter als Museumsbesucher real, also physisch mit der Installation Duchamps konfrontiert, sein Blick genauso wie der des Künstlers in Dürers Der Zeichner des liegenden Weibes durch eine Vorrichtung geleitet – direkt auf eine weibliche Scham hin. Die Position des Betrachters hat Duchamp vorbestimmt, er selbst, Duchamp, wird vorstellbar im Besucher, wie dieser im Herstellungsprozess das Material formt und den ersten jungfräulichen Blick auf seine Kreation wirft. Der Akt liegt in einem eigenen, separaten Raum, der in Form und Volumen annähernd wie ein realer Körper wirkt, und wird vom Betrachterauge unweigerlich mit dem wirklichen Leben abgeglichen. Der Eindruck täuscht, und das einzig Lebendige ist der Gedanke des Betrachters, welcher den Prozess im vorgegebenen Verfahren zeitunabhängig nachvollzieht. Eine Arbeitsskizze von Marcel Duchamp auf Plexiglas von ca. 1950 (Abb. 104 a und b) macht eine Überlegung des Künstlers und des Erarbeitungsprozesses sichtbar. Er zeichnet darin mit Punktlinien und Gruppierungen von Punkten den Torso aus Étant donnés auf einem Plexiglas nach, wobei die Wölbungen etwa von Brüsten und Bauch freigelassen sind. Dadurch ergeben sich Schattierungen und eine scheinbare Plastizität des Körpers.59 Die Punkte auf dem Plexiglas erwecken den Anschein, als wären sie genauso wie in Dürers Anschauungsbeispiel Der Zeichner der Laute mithilfe eines Transparents im Rahmen übertragen worden. In einer weiteren Körperstudie für den Torso in Étant donnés sind Einkerbungen im Material zu erkennen, die wohl zunächst in den Putz selbst eingedrückt wurden, um dann erneut in dem darauf gespannten Leder vertieft zu werden (Abb. 105).60 Dieses 59 60

Ramírez hält dazu fest, dass Duchamp hierin eine Technik findet, die ihm hilft, Flächiges in ein Relief umzuformen; RAMÍREZ 1998, S. 235. Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 249.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Verfahren bezieht sich nur auf die skulpturalen Studien Duchamps, da das Werk Étant donnés selbst keine Einkerbungen aufweist. Sie sind nicht mit den Schraublöchern zu erklären, welche am Rand angebracht und auf einer Röntgenaufnahme deutlich zu sehen sind.61 Allgemein rekurriert Duchamp für den Torso der Nackten auf eine Vorlage Hans Baldung Griens: Ein Ausschnitt des Neujahrsgrußes mit drei Hexen (vgl. Kapitel IV) wird mithilfe des Vermessungsverfahrens von Dürer in die Skulptur transformiert, gleichsam in umgekehrter Vorgehensweise. Dass er mit der Überlagerung von perforierten Plastikschablonen arbeitet, zeigt das Photographic overlay of the perforated plastic sheet ›template‹ on the figure in the tableau-construction, sketch (Abb. 104), das von Duchamp direkt auf den Torso übertragen wird. Hierin liegt die offensichtliche Parallele zu Dürers Vergrößerungsverfahren, bei dem der Zeichner ebenfalls von dem vor sich befindlichen Akt Punkte auf das Konstruktionspapier überträgt. Dank dieser Methode macht Duchamp sein systematisches Vorgehen bei der Rezeption tatsächlich prozessual nachvollziehbar, indem er das theoretische Verfahren Dürers praktisch auf die Plastikschablone anwendet, um Baldungs Vorlage schöpferisch zu transformieren, also in neuer Form und in neuem Material räumlich umzusetzen. Mit dem System Dürers verdeutlicht Duchamp, dass er sein Werk aus einem traditionellen Verfahren dem zweidimensionalen Bildmedium in die Dreidimensionalität überführt, das heißt die Zeichnung Baldungs in ein körperliches Objekt, nämlich den Torso, transformiert hat. In der Duchamp-Forschung gibt es bezüglich der Technik einen Hinweis: Sie erinnere an Fresken-Malerei oder an »die [Technik] von Bildhauern«. Das gattungsüberschreitend eingesetzte Verfahren bestehe darin, dass der Künstler das Flache später in etwas Reliefhaftes bzw. ein Objekt selbst formt.62 Des Weiteren wird in einer Untersuchung die Annahme formuliert, dass schon ab Beginn der Überlegungen zu Étant donnés bezüglich der Studien zum Torso eine Schablone oder ein Muster eingesetzt wurde, was letztlich zu der »Tableau-Konstruktion« führte.63 Dieser Methode legt Meighan nicht nur den Gedanken einer Rezeption zugrunde, sondern auch den einer nachahmenden Konstruktion von »etwas«, was nicht näher bestimmbar sei.64 Im Falle von Duchamps Étant donnés gaukelt das vorhandene Volumen des Objekts dem Betrachter eine Lebensechtheit vor. Es wird zudem suggeriert, dass die oben erwähnte Plastikschablone tatsächlich als zugrunde liegende Vorlage von Duchamp verwendet wurde. Duchamp nutzte wohl, so Meighan, ein Pigmentpulver, mit welchem er die Löcher oder Punkte auf der Plastikfolie bestäubte, um diese dann auf die Haut zu übertragen.65 Zu erkennen ist hier, dass Duchamp bemüht ist, ein Verfahren zu benutzen, welches mit den technischen Gegebenheiten versucht, die traditionellen Verfahren nachzuahmen und auf neuen Medien anzuwenden. Eine asymmetrisch ausgeschnittene, schwarz-weiß gerasterte Bodenfläche, wie sie teilweise in Duchamps Atelier in der East Eleventh Street vorzufinden ist (Abb. 103),66 61 62 63 64 65 66

Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 243. Vgl. RAMÍREZ 1998, S. 235. Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 249. Vgl. ebd., S. 249. Vgl. ebd., S. 249. Vgl. ebd., S. 384f.

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

legt Duchamp auch auf dem Museumsboden unter dem Kunstwerk Étant donnés aus. Dieser Boden wird erst anhand der Fotos in dem Manual of Instructions für den Betrachter sichtbar (Abb. 102) und weist nicht nur ein Schachbrettmuster auf, sondern auch einen auf den Raum bezogenen Raster. All dies scheinen Anspielungen auf das gerasterte Zeichenblatt in Dürers Holzschnitt Zeichner des liegenden Weibes (Abb. 101, 102 und 103) zu sein. Diese schachbrettartig gemusterte Unterlage nutzt Duchamp nicht ohne Humor für die geometrische Einteilung des Raumes. Für Duchamp, den Konzeptkünstler, ist der Atelierboden die Arbeitsgrundlage und nicht wie bei einem Maler oder Zeichner das Papier oder die Leinwand. Dennoch richtet sich Duchamp nicht direkt nach der Symmetrie seines Bodens, sondern arbeitet frei und knüpft nur generell assoziativ in einem, so scheint es, pseudo-wissenschaftlichem Charakter an das Vorbild an. Für den begnadeten Schachspieler Duchamp hat das Schachspiel einen fast so hohen Stellenwert wie die Kunst: für ihn ist das Spiel eine geistig-räumliche Tätigkeit; es konstruiert genauso wie die Kunst ein »schönes Problem« und muss mit Händen und Kopf durchdacht und geformt werden.67 Judovitz ist es, welche das Prinzip des Schachspielens in Duchamps Kunst mit einem Verfahren von Produktion und Reproduktion vergleicht: Das Produktionsverfahren seiner Kunst beruht auf einem strategischen Spiel, welches Künstler untereinander schweigend spielen;68 und im Bereich seiner Kunst spielt er mit den von ihm gewählten Altmeistern sein Spiel der Rezeption und der Ergründung ihrer Werke und gleichzeitig das Spiel der Erstellung seines eigenen Werkes. Zurückgezogen wie ein Mönch in seiner Klause ist der Künstler in seinem Atelier, um neue Schachzüge innerhalb seines Kunstschaffens zu ersinnen.69 Eigentlich ist es immer Duchamp, der sich gegen Wiederholungen im Werk ausspricht, obwohl er sie selbst anwendet – nicht zuletzt beim Schachspiel, das er sogar als eine Droge bezeichnet.70 Für Duchamp ist das Schachspiel eine Befreiung des Geistes, es schenkt ihm »Flüge der Imagination«.71 Das Rezeptionsverfahren, welches bereits umschrieben wurde und Duchamp hier, angelehnt an Dürer, wählt, um eine Baldung-Zeichnung in ein räumliches Objekt umzusetzen, ist im Grunde eine klassische Art der Rezeption Alter Meister. Diese Art der Rezeption kann, so könnte man sagen, auch generell konzeptuell genutzt und immer wieder in den Werken eingesetzt werden. Duchamp eignet sich so durch Rezeption ein System an und versetzt dieses in seine Zeit. Form und Ausdrucksweise entwickelt er in einem freien, individuellen und künstlerischen Verfahren weiter, basierend auf einer traditionellen, künstlerischen Herangehensweise. Die Neuumsetzung der Rezeptionen Duchamps erscheint nie wie eine exakte Kopie, vielmehr sind die Rezeptionen innovative Erweiterungen seiner Kunst. Dabei zeichnet sich ab, dass Duchamp vor allem die Prozesse in der Werkerstellung faszinierten. Er bedient sich traditioneller Verfahren aus der Dürer-Lehre und findet dabei ein Werkzeug, um gattungsübergreifend objektbezogen zu arbeiten und die Werke transformieren zu 67 68 69 70 71

Vgl. GRAULICH 2003c, S. 52; JUDOVITZ 2010, S. 41. Vgl. JUDOVITZ 2010, S. 41. Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2003, S. 55. Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2003, S. 53. DUCHAMP 1952, a, S. 2.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

können im Sinne einer Übersetzung oder Umwertung. Nur noch wenige Ansatzpunkte dieses Vorgehens Duchamps werden von ihm in seinen Werken sichtbar gehalten. In Étant donnés ist es der Blick des Betrachters, welcher durch das Werk geleitet wird, wie in Dürers Hilfskonstruktion, die den Blick durch den Raster hin zum Modell lenkt. Beide Verfahren legen sowohl die Perspektive des Künstlers als auch die des Betrachters fest. Duchamp gibt der technischen Umsetzung ein Bild, nimmt den Prozess selbst als Motiv ernst und hinterlegt es mit einem kulturhistorischen Wissenshorizont: So ist der rezipierte Körper der Figuration Baldungs letztlich von seiner Zweidimensionalität befreit und wird selbst objekthaft ins Bild gesetzt. Duchamp, der in der Alten Pinakothek sicher auf den bekanntesten deutschen Künstler Albrecht Dürer trifft, nutzt ihn als eine Inspirationsquelle bei der Auseinandersetzung mit seinem Werk. Dürer, der am meisten rezipierte deutsche Künstler, ist somit für Duchamp ein wichtiger inspirierender Künstler, ein künstlerischer Vorfahre einer früheren Epoche.

5.3.

»As Stupid as a painter«

1950 verfasst Duchamp die Schrift »As Stupid as a painter«.72 Der Text ist für den Künstler selbst von großer Relevanz, wie er im selben Jahr in einem Brief an Fiske Kimball, den Direktor des Museum of Modern Art in Philadelphia, beteuert.73 Duchamp stellt in dem Text generelle Überlegungen darüber an, dass er dem Künstler mehr Gehör verschaffen und seinen Beruf gesellschaftlich aufwerten möchte. Dazu gehört auch die für ihn typische Destruktion der Malerei bzw. der reinen Malertätigkeit; der Maler leidet, dem Titel nach zu urteilen, laut Duchamp, schlichtweg unter mangelndem Verstand, da er nur seinem manuellen, mechanischen Handwerk folgt. Duchamp sieht in der Kunst seiner Zeit einen klaren Paradigmenwechsel gegenüber der Vergangenheit, da der Künstler keinem Mäzenatentum mehr unterliegt, sondern hauptsächlich der Gesellschaftskritik oder, genauer: seinem Betrachter ausgesetzt ist. Der Künstler übt als ein freier Bürger seine Arbeit in »freier Profession« aus. Bei Duchamp bedeutet das gleichzeitig, dass sein Werk seiner eigenen, individuellen Ordnung unterstellt ist, ferner seinem individuellen Geist, welchen er sich zunächst eigenständig erschafft. 72

73

Vgl. DUCHAMP, Marcel: As stupid as a painter, Box 2, Folder 12, Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives; JUDOVITZ 2010, S. 78; ROBERT 1968, S. 49f. Duchamp: »In France there is an old saying, ›Stupid like a painter‹. The painter was considered stupid, but the poet and writer very intelligent. I wanted to be intelligent. I had to have the idea of inventing. It is nothing to do with what your father did. It is nothing to be another Cézanne. In my visual period there is a little of that stupidity of the painter. All my work in the period before the Nude was visual painting. Then I came to the idea. I thought the ideatic formulation a way to get away from influences.« Vgl. DUCHAMP 1950. Duchamp am 31. März 1950 an Fiske Kimball : »Malheureusement je me suis fait une règle de ne jamais parler ›en public‹ depuis une expérience déplorable qui date de 1916. J’ai accepté de prendre part au symposium de San Francisco parce que les séances étaient privées et réduites à une discussion amicale dont d’ailleurs le texte ne pourrait être publié sans de nombreuses retouches. Je reste fidèle à l’usage : ›Bête comme un peintre‹ et je l’applique volontiers aux artistes qui croient pouvoir dire quelque chose autrement.« Ein weiteres Mal wird der Text erläuternd erwähnt in : DUCHAMP 1960, S. 1.

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

Duchamp spricht sich für eine umfangreiche, interdisziplinäre Bildung des Künstlers aus und fordert, dass der Künstler umfassend »Denken erlernt«, um Themen extrapolieren zu können, welche gesellschaftsübergreifend gelten. Duchamp spricht in seiner Schrift von einem missionarischen Licht, der »Flamme einer neuen Vision«, welche entzündet werden muss. Diese Mission, so Duchamp, erfordert die höchste Bildung des Künstlers.74 Für ihn zählt die Idee der Erfindung.75 Er rät dem Künstler, in seiner Ausbildung die Universität zu besuchen, um sich eine grundlegende Bildung zu verschaffen, welche ihm, nach Duchamp, als Werkzeug dienen soll.76 Des Weiteren spricht sich Duchamp dafür aus, dass die Ausbildung des Künstlers so ausgerichtet sein soll, dass sie gattungsauflösend betrieben werden kann, was bedeutet, dass der Künstler über seine anfänglich gewählte Gattung im Laufe seines Schaffens hinausgehen und sich verändern soll. Die Komposition des zu bearbeitenden Werkes soll als Wissenschaft gelehrt werden können mit dem Ziel der Erkenntnis – ein Anspruch, den auch Dürer schon an sich selbst stellt.77 Generell sind der Geist und die Bildung die erklärten grundlegenden Voraussetzungen, mit der an die Theorie und Praxis der Frühen Neuzeit angeknüpft werden kann, indem sie, in Duchamps Kunst, systematisiert wird. In diesem Zusammenhang sei hier auch auf Savadskys Äußerung zur künstlerischen Befähigung in der Eröffnungsrede von Katherine Dreier 1933 hinzuweisen. Seiner Ansicht nach ist eine technisch perfekte Umsetzung einer künstlerischen Arbeit erlernbar, eine geniale Neuschöpfung aber bedarf einer geistigen Inspiration. Diejenigen Werke, welche unter diesen Bedingungen entstehen, vermögen dem Betrachter wiederum eine emotionale Erfahrung zu bieten. Deutlich wird das geistig eigenständige Moment der Kreation herausgestellt, das dennoch einer praktischen Umsetzung bedarf.78 Marcel Duchamp beschreitet hinsichtlich der Bestrebungen, die Kunst gesellschaftlich aufzuwerten, einen ähnlichen Weg wie Albrecht Dürer zuvor. Dabei wählt er bewusst nicht eine objektiv gefällige, dekorative Kunst, sondern macht das Reflektieren über die künstlerischen Grundlagen und Rezeptionen selbst zum Gegenstand seiner Kunst, die er so erneut »in den Dienst des Geistes« stellt – desjenigen Geistes, welchen er auch als »graue Substanz« bezeichnet und der das göttliche Moment in einer noch nicht dagewesenen Form ausdrückt und so in die Welt bringt, wie er im Folgenden beschreibt: »[…] ich glaube, es gibt einen Unterschied zwischen einer Malerei, die sich zunächst nur an die Retina, an den retinalen Eindruck wendet, und einer Malerei, die über die Retina hinausgeht und sich der Farbtube als Sprungbrett bedient, um weiter zu gehen, das ist der Fall bei den Mönchen der Renaissance. Die Farbtube interessiert sie nicht. Was sie interessierte, war, ihre Vorstellung der Göttlichkeit in der einen oder anderen 74 75 76 77

78

Vgl. DUCHAMP, Marcel: As stupid as a painter, Box 2, Folder 12, Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 3. Vgl. ROBERT 1968, S. 5. Vgl. GAEHTGENS 2006, S. 142. Vgl. BLAVIER 1986, S. 117. Auch René Magritte fordert »einen systematischen und anwendungsbezogenen Technik-Lehrgang für den Maler«. Darüber hinaus wünscht er sich, dass das Verlangen nach Erkenntnis und Forschung geweckt wird, freundschaftliche Diskussionsrunden auch mit Künstlern anderer Gattungen stattfinden und dass Komposition als Wissenschaft gelehrt wird. Vgl. DREIER 1933 a, S. 2.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Form auszudrücken. Also, ohne das zu wiederholen, gibt es jedenfalls bei mir diese Idee, dass die reine Malerei nicht an sich, als Ziel, interessant ist. Für mich ist das Ziel ein anderes: Es ist eine Kombination oder zumindest ein Ausdruck, den nur die graue Substanz wiederzugeben vermag […].«79 Deutlich wird, dass es sowohl Duchamp als auch Dreier in den Ausführungen nicht um eine Diskreditierung der traditionellen handwerklichen Ausbildung geht und auch nicht um eine Abwertung der Rezeption, sondern darum, dass das Genie nur aus der wirklichen Verinnerlichung der Kunst und der kunstgeschichtlichen Erzeugnisse hervorgehen kann und diese neu im Werk verlebendigt wird. Bei dem Genie-Kult oder bei der Aufwertung des Künstlerberufes positioniert sich Duchamp – an Dürer anknüpfend − selbst in der Reihe seiner Vorgänger und stilisiert so sein persönliches Erscheinungsbild innerhalb der Kunstwelt; ebenso setzt er sein theoretisches Denken in eine geistige Folge.

5.4.

Der Wasserhahn – Ein Dürer Zitat

Der Ort der Inszenierung Lazy Hardware von Marcel Duchamps ist das Schaufenster des Gotham Book Mart in New York. Duchamp und André Breton gestalten darin ein bühnenhaftes Arrangement anlässlich der Veröffentlichung von Bretons Buch Arcan 17, auf die das große Plakat auf der linken Seite hinweist (Abb. 106).80 Die Inszenierung wird von der Fotografin Maya Deren, einer Filmtheoretikerin und Schauspielerin, 1945 fotografisch festgehalten. Wegen feministischer Proteste bezüglich der Fensterdekoration muss der Ausstellungsraum vom ursprünglich geplanten Ausstellungsort in der Fifth Avenue in die East 57th Street verlegt werden.81 Es bestehen verschiedene Versionen der Aufnahmen. Eine zeigt das Schaufenster ohne Spiegelung der Künstler in der Fensterscheibe (Abb. 107 a), eine mit den Spiegelungen von Breton und Duchamp (Abb. 106), eine nur mit Breton (Abb. 107 b), und eine weitere Aufnahme dokumentiert, wie Duchamp im Schaufensterraum den Wasserhahn an die darin aufgestellte Schaufensterpuppe montiert (Abb. 108). Die Puppe ohne Kopf steht mit einem aufgeschlagenen Buch in den Händen, mit einer knappen Schürze bedeckt, im Zentrum der hinter dem Glas präsentierten Räumlichkeit. Eine Neonröhre beleuchtet sie von oben. An ihrem rechten Oberschenkel ist ein Wasserhahn montiert. Um sie herum sind Bücher, Zeitschriften und Porträts von Breton und Duchamp arrangiert. Auch die Fotocollage Friedrich Kieslers, welcher Fotografien von Duchamp in seinem Atelier als ein Diptychon anordnet, wird doppelseitig gezeigt. Eine Reihe kunstgeschichtlicher Monografien über Picasso, Seurat, der Titel Painting and Painters, die Zeitschriften Minotaure, Circle, Cahiers d’art, um nur einige zu nennen, werden präsentiert, und Duchamp und Breton stehen so gleichsam für ein »epicenter cultural milieu«, das kulturelle Milieu der Surrealisten. Zu Füßen der Puppe wurde ein getrockneter Seestern platziert, zu einem Stifthalter umfunktioniert: In der 79 80 81

HAMILTON [27. September 1961], in: STAUFFER 1992, S. 131f.; DICKEL 2014, S. 98f. Vgl. DAUß 2003, S. 199. Vgl. SCHLEIF 2004, S. 194f.

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

Mitte des Sterns steckt eine Schreibfeder.82 Kunst und kunstgeschichtliche Literatur werden in diesem Schaufenster-Arrangement zusammengeführt. Eine Anspielung auf die Kopflosigkeit der Puppe findet man in Bezug auf die Schrift Arcan 17: Breton behandelt in seinem Werk Ansichten über die Liebe, eines der grundlegendsten Themen in etlichen gemeinschaftlichen Überlegungen von Breton und Duchamp. Die Liebe wird nicht über das Bewusstsein gesteuert und wahrgenommen, demnach nicht vom Kopf geleitet, und ist ein allgemein verständliches Prinzip, das keiner besonderen intellektuellen Leistung bedarf. Auf dem Foto, welches die Spiegelung der beiden Künstler einfängt, nimmt deren Position auch Bezug auf den Aufbau hinter dem Glas (Abb. 107): Die Gesichter werden links und rechts auf der Höhe des Geschlechtes der dahinterstehenden Puppe gespiegelt, sie sind einander zugewandt und rahmen die Körpermitte der Puppe gewissermaßen ein. Sie wirken dadurch gleichzeitig auf der zweiten, inneren Ebene des Schaufensterraumes mit. Der Wasserhahn, welcher aus dem bestrumpften Oberschenkel der Puppe ragt, weist direkt in Richtung Duchamps Mund. Der Wasserhahn ist phallusartig etwas tiefer als das weibliche Geschlecht der Puppe angebracht und kanalisiert im übertragenen Sinne das erlesene Wissen in unverarbeiteter Form. Dies geschieht gewissermaßen im Hinblick auf den nicht vorhandenen Kopf der Puppe in einer Umkehrung, nämlich durch das Innere des weiblichen Körpers. Der Wasserhahn weist auf das androgyne Wesen oder eine Doppelgeschlechtlichkeit der Puppe hin. Der Mund Duchamps, der den Wasserhahn in der Spiegelung zu berühren oder anzuzapfen scheint, nimmt die tropfenartige Essenz der Inspirationsquelle auf, um sie schließlich künstlerisch wiederzuverwerten oder zu transformieren. Der sexuelle »Einfluss« des Frauenaktes, wie es Dauß formuliert, bringt das Innere im Ausfluss hervor, um von Duchamp erneut verinnerlicht zu werden.83 Dieser kann den Zufluss und die Dosis der Aufnahme somit durch den Wasserhahn kanalisieren. Puppen als Nach-Schöpfungen legen ein lebloses Abbild an den Tag, eine leere Hülle des Menschen, und sie bergen oft gleichzeitig eine naive Note in sich. Diese vermeintlichen Körper, welche die Phantasie auffordern, sie zu verlebendigen und zu erfahren, beinhalten einen skurrilen, verrückten Moment. Die Puppe steht im Surrealismus als »poetisch überhöhtes Objekt erotischer Phantasien und Sinnbild kapitalistischer Dekadenz«.84 Die Puppen, die im Werk Duchamps eingesetzt werden, fungieren stellvertretend als Allegorien, Zwischenwesen und für Duchamp als weibliches Alter Ego Rrose Sélavy selbst:85 So präsentiert er diesen weiblichen Charakter während der surrealistischen Ausstellung Exposition internationale du Surréalisme 1938 in Form einer Schaufensterpuppe. Dort sind in einem langen, dunklen Gang sechzehn Puppen an der Wand aufgereiht, die Szene erinnert an einen Straßenstrich. Jede einzelne Puppe wird von einem Künstler auf seine Weise verändert gezeigt.86 Duchamp verkleidet seine mit ei82 83 84 85 86

Vgl. DAUß 2003, S. 199. Vgl. DAUß 2003, S. 199. Vgl. AUSST.-KAT. Burgrieden-Rot 2011, S. 11. Vgl. AUSST.-KAT. Burgfrieden-Rot 2011, S. 5. Vgl. AUSST.-KAT. Nürnberg 2012, S. 129. Im Innenhof der Surrealisten-Ausstellung 1938 befindet sich das Regentaxi Dalís, in welchem zwei Schaufensterpuppen sitzen.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

nem männlich wirkenden Blazer und Hut. Die Puppe verkörpert im Surrealismus den Grenzraum sowohl zwischen den Geschlechtern, dem Menschenalter und dem Sinnbild des Eros, eine fetischartige Projektion an sich, Traum und Unbewusstes wie auch die subversive und kapitalistische Dekadenz.87 Die Tatsache, dass Frauen lesen bzw. sich frei, kreativ und wissenschaftlich bilden, ist, wie durch die Puppe angedeutet, Anfang des 20. Jahrhunderts noch wenig ausgeprägt, das heißt nur vereinzelt möglich, etwa in intellektuellen Kreisen, denen die Künstlerfreundinnen Duchamps Maria Martins, Mary Reynolds oder Katherine Dreier angehören. Sie sind lesende und gebildete weibliche Inspirationsquellen für Duchamp und darüber hinaus in der Kunst oder im Publikationswesen der Kunst tätig.88 Duchamp, der ein belesener, philosophischer Künstler ist, arbeitet als Bibliothekar in Paris. Katherine Dreier stellte ihre Bibliothek dem Künstler stets zur Verfügung, in welcher auch das Große Glas eine Zeitlang seinen Aufstellungsort fand. Der Wasserhahn in Duchamps Werk ist ein Zitat, so die These, aus Albrecht Dürers Männerbad von 1496 (Abb. 109). Gezeigt wird ein offener und undifferenzierter Raum, der die spärliche Bekleidung der Badenden rechtfertigt.89 Innerhalb der Komposition ist an zentraler Stelle der an einem Holzpfahl installierte Wasserhahn zu sehen, welcher, Mende zufolge, ein Spiel mit der Männlichkeit darstellt. Die Grafik wird sogar als ein homoerotisches Blatt beschrieben; in der neueren Forschung werden bisexuelle Züge Albrecht Dürers in Erwägung gezogen.90 Dennoch äußert Mende Zweifel daran, dass es um eine Untersuchung der privaten Neigung des Künstlers gehe. Für ihn ist es vielmehr ein Hinweis auf den genderorientierten Handlungs- und Grenzraum, den es zu erforschen gilt, um die Künstlernatur an sich zu entdecken. Der Wasserhahn, welcher als Phallussymbol gedeutet werden kann, ist mit dem dahinterstehenden Mann humorvoll verbunden. Gezeigt ist dieser in der lungernden, leicht verträumten Haltung eines melancholicus.91 Der träumende Delinquent, wie er in der Literatur bezeichnet wird, blickt den Flötenspieler, welcher erhöht in der Mitte steht, versonnen an. In ihm wird ein Selbstporträt Dürers vermutet. Der Musiker erwidert seinen Blick und genießt jenen des lüsternen Beobachters.92 Gleichzeitig wird das Flötenspiel, welches ebenfalls auf die Berührung eines Phallus hindeutet, mit diesem verbunden. Schauerte bezieht den Hahn auf Gallus, eine andere Bezeichnung der Humanisten für die Syphilis (mala frantzos), auf Latein morbus Gallicus. Der Hahn steht seit der Antike auch in Verbindung mit der medizinischen Diagnostik der Harnschau, 87 88 89

90

91 92

Vgl. AUSST.-KAT. Burgfrieden-Rot 2011, S. 11. Bereits ab 1925 findet man bei Man Ray Arbeiten mit Schaufensterpuppen, welche André Vigneau entwickelt hat. Vgl. MÜLLER-OBERHÄUSER 2009, S. 347. Frauentoilette ist ein häufiges Sujet, so bei Dürer beispielsweise in seinem Frauenbad thematisiert. Auch Baldung fasst das Thema auf, aber vor allem mit einem besonderen Interesse an spezifischen Themen wie der Körperenthaarung und der Betrachtung des eigenen Geschlechtes, von denen Kopien 1959 wiederentdeckt wurden, siehe dazu: AUSST.-KAT. Frankfurt a. M. 2007, S. 115ff. Vgl. MENDE 2011. Der Humanist und Freund Dürers Willibald Pirckheimer besaß antike Werke in seiner privaten Bibliothek, wie Erotisches des Griechen Lukian, der neben der Frauenliebe auch zu der von Knaben rät, welche ihm als wahre Liebe scheint. Pirckheimer, wie bekannt ist, hat Dürer aus vielen antiken Werken vorgelesen. Vgl. SCHAUERTE 2015, S. 109. Vgl. ebd., S. 106.

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

wobei auf das entsprechende Ausscheidungsorgan verwiesen wird.93 Dürer pointiert den Hahn insofern humorvoll, als da tatsächlich ein Hahn auf der Schraube angebracht ist und für die Koketterie der Männlichkeit steht.94 Schauerte geht schließlich in seiner Diskussion so weit, dass er in den rechts im Bildvordergrund sitzenden Männern Platon und Sokrates erkennt, welche für den Übergang der philosophischen Schriftkultur stehen.95 Die zwei Philosophen bilden zusammen mit dem Flötenspieler eine Dreieckskonstellation.96 Bindet man den am Wasserhahn Stehenden und den Trinkenden am rechten Rand mit ein, kann ein noch größeres Dreieck festgestellt werden, welches schließlich außen in dem Giebel des Hauses im Hintergrund mündet. Diese ausdifferenzierte innerbildliche Komposition ist schon immer in der Literatur herausgehoben worden, wie beispielsweise 1905 von Heinrich Wölfflin, der dazu anmerkt: »Form mit Form zu ruhiger Gegenwirkung gebracht, stehen diese Körper im Bilde. Man bemerkt, wie die Zentralfiguren zum Dreieck sich fügen und wie die Strenge des Tektonischen im weiteren zur Freiheit gemildert ist. Hier liegt eine große Absicht zugrunde.«97 Es ist vorstellbar, dass Duchamp, der die deutsche Sprache in ihren Grundzügen beherrscht, einen solchen Kommentar in einer Münchner Buchhandlung 1912 bei seinem Aufenthalt gelesen hat oder schlichtweg gesehen hat. Im Männerbad geht es, wie auch in anderen Bäderdarstellungen, um eine Inszenierung von männlicher Sexualität und Schönheit, welche mit der Darstellung von Muskulatur und Turbanen inszeniert wird, eine materielle Selbstpräsentation und Reflexion, die der Vervielfältigung der Kunstgattungen gleichkommt. Sie stehen im sinnlichen Kontext zu ihrem männlichen Gegenüber und gleichzeitig individuell für ihre unterschiedlichen Disziplinen und Neigungen. Das Gefäß im Vordergrund, welches sich zwischen den beiden Protagonisten außerhalb der Architektur befindet, symbolisiert, so Schauerte, das geistig gefüllte oder noch ungefüllte Gefäß im »Verhältnis zwischen Körper und Welt«.98 Gleichzeitig steht es auch für die Kunst selbst, welche immer wie ein Gefäß ist, das zum Gefülltwerden durch den interpretatorischen Beitrag des Betrachters bereitsteht. Dies kommt den Überlegungen Duchamps nahe, der den sinngebenden Betrachter konstant als einen festen Parameter in seine Kunst einkalkuliert. Gleichzeitig kann das Gefäß aber auch auf ein Maßhalten und auf Enthaltsamkeit hindeuten, Aspekte, die bei dem Trinkenden im Bad rechts außen nicht gewahrt werden. In Verbindung mit dem Schabeisen in der rechten Hand der linken Figur im Vordergrund, welches auf den Becher gerichtet ist, wird auf die innere und äußere Reinlichkeit hingewiesen, wohingegen der Trinker für die körperlichen und geistigen Beschwerden steht. Künstler, Kunst und Quelle trachten sich zu vereinen bzw. spielen in ihrer Produktion zusammen. 93 94 95 96 97 98

Vgl. ebd., S. 116. Vgl. ebd., S. 116. Vgl. ebd., S. 117, 152. Vgl. ebd., S. 106. WÖLFFLIN (1905) 1984, S. 74. Vgl. SCHAUERTE 2015, S. 118; MENTZEL 2013, S. 64, 73.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Der Raum ist nach außen hin aufgebrochen, der nackte männliche Körper präsentiert sich frei und unverstellt dem Betrachterblick wie auch die voyeuristische Figur im Hintergrund des Holzschnittes. Sie befindet sich – am Oberkörper sichtlich unbekleidet − außerhalb der Räumlichkeit und macht zusätzlich auf die Transparenz des Raumes und die ihn durchkreuzenden Blicke aufmerksam. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den meisten Darstellungen von Frauen bei der Toilette: Diese werden grundsätzlich in geschlossenen Räumlichkeiten gezeigt, beispielsweise im Frauenbad Dürers, das im gleichen Jahr entsteht. Gattungsübergreifend treffen im Männerbad die verschiedenen Disziplinen wie Musik, Poetik, Schauspiel und Kunst aufeinander. Das Männerbad präsentiert in anderer Form das Labor des Künstlers, genauso wie dies in Damentoiletten-Darstellungen der Fall ist, die als Ort der Verklärung angeführt werden.99 Auch in Duchamps Schaufenstergestaltung sind verschiedene Gattungen wie Kunst, Literatur und Architektur durchmischt. Ist es bei Dürer der männliche Akt, welcher im Zentrum steht, verbindet Duchamp beide Geschlechter miteinander. Sowohl der Urin als auch das Fließen der Flüssigkeit sind in Duchamps Werk von hoher Präsenz, wie sich beispielsweise durch das umgekehrte Urinal Fountain zeigt. Während in der Dürer-Forschung noch versucht wird, die Figuren historischen Porträts zuzuordnen, umgeht Duchamp diese Diskussion, indem er die Schaufensterpuppe durch ihre Kopflosigkeit entindividualisiert; nur die sich in der Scheibe spiegelnden Selbstporträts lassen sich zuordnen und sind klar konzeptionell in das Gesamtgefüge eingegliedert. In der Fotografie, in der Duchamp sich selbst beim Aufbau innerhalb des Schaufensters zeigt (Abb. 108), präsentiert er sich gleichzeitig auch als Urheber und verknüpft sich mit der künstlerischen Idee. Unterschrieben hat er dieses Bild mit dem begleitenden Satz: »…welcher aufhört zu fließen, wenn man ihm nicht zuhört«.100 In dem Satz weist Duchamp auf die Macht des Zuhörens hin, der Frauen, welche er als seine Inspirationsquelle nutzt, aber auch des Betrachters. Indem er das Verb »écouter« (zuhören) benutzt, kann ein Bezug zu dem lauschenden Trinker Dürers gezogen werden. Er zeigt damit eine Transformation auf, denn der Zuhörer nimmt die Musik auf, verwertet sie in transformierter Form, um sie dann wieder in Worten ausfließen zu lassen. Duchamp hingegen nimmt bereits die Essenz des Ausflusses auf, um diesen erneut zu rezipieren oder in transformierter Form darzustellen. Rezeption und Kreation bedingen sich demnach in kreativer Form in seinem Werk. Er stellt also die Überlegung an, dass er derjenige ist, der zum einen mit bereits vorhandenen Inhalten seine Kunst belebt, zum anderen aber auch aufhören würde, sich künstlerisch zu ergießen, wenn kein Rezipient mehr die Kunst weiter diskutieren würde und die Kunstwerke (Gefäße) nicht mehr mit Bedeutung, Inhalten und Ideen gefüllt 99

Vgl. SUTHOR 2004, S. 74. Suthor bezieht das Thema der weiblichen Toilette-Szenen von Tizian auf Themen wie Selbstspiegelungssituationen oder sieht darin eine Metapher zum »Labor des Künstlers«. 100 »... qui s’arrête de couler quand on ne l’écoute pas. Marcel 12.4.1945«. Ein Zitat, welchem man in abgewandelter Form in Duchamps Grafik Mirrorical Return / Renvoi Miriorique / Spieglerische Zurückwerfung 1964 erneut begegnet: Hier heißt es: »UN ROBINET QUI S’ARRETE DE COULER QUAND ON NE L’ECOUTE PAS.« Siehe dazu: DAUß 2003, S. 199.

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

werden könnten. Genauso wie auch seine Inspiration durch erotische Themen und Gedanken erfüllt wird. Duchamp benutzt 1959 in einem Brief an Mayaux die Metapher des »Wasserhahns von Wörtern«, welcher generell für Kritik, so seine Vorstellung, geöffnet wird, und meint sogar, dass das Kunstwerk auch Opfer einer solchen Art von Ausfluss werden kann.101 Dies gilt für »alle Arbeiten, die überleben«. Duchamp spricht damit Arbeiten an, welche noch im kunstgeschichtlichen Diskurs stehen und somit auch in der Kritik des Betrachters verhaftet sind, was er wiederum befürwortet. Dieses Prinzip betrifft Duchamp zufolge auch Rezeptionen wie etwa die El Grecos, dessen Werke laut Duchamp alle 50 Jahre wieder neu von Künstlern oder der Kunstgeschichte angepasst, überarbeitet und wiederbelebt werden. Beifall und Kritik sorgen für das Überleben der künstlerischen Arbeiten.102 Das Prinzip in Duchamps Werk ist ein Wiederbeleben der alten Kunst und somit die Verfolgung eines natürlichen Prinzips des Ausflusses. Es ist ein organisches, zyklisches, fruchtbares, rezipierendes oder aufnehmendes Prinzip, wie in dem Aufgreifen des Motivs des Wasserhahnes sichtbar wird. Bezüglich des Wasserhahnes im Schaufenster belebt er nicht nur den Gehalt der rezeptorischen Dimension, Duchamp entwirft auch die eigene Neuinszenierung der von ihm bestimmten interpretatorischen Vorzeichen, welche seine Werkaussage stützen und beispielsweise die Glasscheibe als Arbeitsmaterial einbeziehen: ein deutlicher Verweis auf sein Hauptwerk Das Große Glas. Duchamp kreiert durch das Einsetzen von Symbolen Assoziationen, welche die Phantasie anregen und Interpretationen daraus entstehen lassen. Der Künstler steuert somit den Ausfluss selbst, welcher im Diskurs vom Betrachter wiedergegeben wird, und wird gleichzeitig selbst vom Ausfluss der Kunst geleitet. Der Betrachter wird zur aktiven Mitwirkung und Reflexion aufgerufen und in das Kunstwerk mit einbezogen, einkalkuliert. Dadurch dass Duchamp auf ein Vorbild eines nicht gängigen und somit nicht am Kunstmarkt kursierenden Werkes, dem Männerbad Dürers, zurückgreift, kann gefolgert werden, dass sich Duchamp hier nur an ein spezielles Fachpublikum wendet und sich auch nicht dem gängigen Image Dürers als eines Vermarkters anschließt. Duchamp meint räsonierend, dass vielen – nicht ausschließlich den besten – Arbeiten weltlicher Ruhm zuteil wird, weil sie den Weg in ein Museum gefunden haben, dass aber eine Aufnahme in ein Museum kein Kriterium für qualitative Kunst sei. Für ihn sind viele interessante Arbeiten, darunter auch dem breiteren Publikum unbekannte wie das Männerbad von Dürer, nur einer bestimmten Kennerschaft zugänglich. Er ist der Meinung, dass vor allem mittelmäßige oder auch unschöne Arbeiten überleben, wohingegen Arbeiten, welche auf der Schönheit beruhen, dies nicht schaffen. Um das 101 DUCHAMP 1959. 102 Vgl. DUCHAMP 1959, S. 1. Duchamp: »I am a great enemy of written criticism, because I see these interpretations and these comparisons with Kafka and others only as an occasion to open a faucet of words, the sum of which is Carrouges idea. […] As far as I can remember, what I wrote in the letter published in Medium was that I refuse to think about philosophical clichée renovated by each generation since Adam and Eve in all the corners of the planet. I refuse to think of it and to speak of it because I do not believe in language, which instead of explaining subconscious thoughts, in reality creates the thought by and after the word. (I willingly declare myself a ›nominalist‹, at least in that simplified form).«

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Werk zu manifestieren, ist es für ihn wichtig, sich auf einige wenige Werkaussagen zu beschränken, welche seine Zeit betreffen, und das ganze Werk prägen.103 Duchamp verweist mit der Wahl des Männerbades auf die eigene Tiefgründigkeit seiner Kunst und auf seinen kunstgeschichtlichen Dialog mit dem wichtigen altdeutschen Meister und stellt sich damit in die Tradition der Darstellung.

5.5.

Die Melancholia I – Synthese von Psychologisierung und Genialität eines Künstlerindividuums

Albrecht Dürers Melancholia I von 1514 ist eines seiner bekanntesten druckgrafischen Werke, welches die Wissenschaft indes immer wieder vor neue Fragen stellt (Abb. 110) und dessen Interpretation deshalb weiterhin lebendig ist. Es handelt sich zudem um ein Werk, das bereits unzählige Male von Künstlern in ihren Werken rezipiert wurde.104 Melancholia I gehört neben Hieronymus im Gehäus und Ritter, Tod und Teufel zu Dürers Reihe komplexer Denk- oder Rätselbilder.105 Aufgrund der Verästelung des Bild-Sujets ist der »räsonierte Betrachter« herausgefordert, aktiv den Prozess und die literarische Rezeption nachzuvollziehen und sich geistig mit dem Bild auseinanderzusetzen, will er sich einer befriedigenden Erklärung annähern.106 Dieses Prinzip ist ganz im Sinne Duchamps, der bekannt dafür ist, sein Werk nicht klar zu entschlüsseln; es gefällt ihm, den Betrachter in einem rätselnden Zustand zurückzulassen. Der Kupferstich zeigt eine sitzende weibliche Gestalt in einem ungeordneten Laboratorium voller wissenschaftlicher Apparaturen und geometrischer Körper. Sie sitzt zusammengesunken, den Kopf in die Hand gestützt, und scheint trübsinnig über die Fragen der Welt zu sinnieren.107 Thomas DaCosta Kaufmann und Erwin Panovsky sehen beide in der Figur Melancholia I ein spirituelles Selbstporträt Dürers – das eines frustrierten Genies.108 In jedem Fall kann hinsichtlich der Melancholia I festgehalten werden, dass Dürer der melancholischen Seite im Künstler Gestalt gibt; er zeichnet gleichzeitig einen Künstlercharakter nach – den Geist bzw. die Vernunft des Künstlers, die gleichzeitig als sein Handwerkszeug eingesetzt wird.109 Im selben Zusammenhang werden Grenzen des Geistes zwischen Genie und Wahnsinn der Künstlernatur sichtbar. Hegel sieht als Quelle von Kunstwerken eine freie Tätigkeit der Phantasie, »welche in ihren Einbildungen selbst freier als die Natur ist« und dann der Vernunft dienlich ist.110 Vasari umschreibt das Genie als gottbegnadet, aber auch als trübsinnig, einsam nach

103 Vgl. ANTOINE 1993, S. 16. 104 Vgl. FEULNER 2013. 105 Vgl. SCHAUERTE 2012, S. 20. Die Gattung des Denkbildes geht nach Schauerte nach 1514, dem Jahr der Entstehung des Kupferstiches, zu Ende. Die Meinung, welche diese Arbeit vertritt, ist es, dass das Denkbild Dürers im Werk Hans Baldung Griens, wie im Behexten Stallknecht, eine Fortführung findet. 106 Vgl. AUSST.-KAT., S. 14. 107 Vgl. FEULNER 2013, S. 240. 108 Vgl. DACOSTA KAUFMANN 1985, S. 23. 109 Vgl. CULIANU 2001, S. 86. 110 UNGER 1995, S. 51.

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

Inspiration suchend,111 und verbindet so mit der Künstlernatur einen kontemplativen Charakter, der ihm visionär den Zugang zur Welt eröffnet. Einem solchen Charakter gelingt es, wenn ihn nicht die starre, depressive Seite der Melancholie gefangen hält, mittels Rezeption Zeit in Räumen zusammenzuschließen, welche zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft liegen, denn alles geschieht sub specie aeternitatis, unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit. Gleichzeitig liegt hier auch der Aspekt der Melancholie, desHellsehens und der Vorahnung.112 Dürer inszeniert seinen weiblichen Charakter als Personifizierung der Kunst und enttarnt diese innere Figur dabei als »fantasiebegabten Erfinder«. Er setzt die Figur aber mit dem fachspezifischen Hintergrund des Humanismus seiner Zeit in Verbindung. Ende des 19. Jahrhunderts ist es Freud, der sich mit dem Melancholiker beschäftigt. Er erkennt in ihm die Spiegelung der Frau, die der Melancholie erliegt und darin die »Regression der Libido ins Ich« erfährt. In der Manie wird die Libido vertrieben, und der Schmerz wird ein unausweichlicher Zustand, will man den schmerzhaften Gedanken verlieren und die Libido wieder in das eigene Ich setzen.113 In der Forschung wird mit Hegel die Genius-Figur dahingehend erklärt, dass die Mutter für ihr Kind den Genius darstellt.114 Das Geniebesitzt die Fähigkeit, seelisch-psychologische Prozesse aufzuspüren und ist dabei der reglementierenden Natur unterworfen; das Genie vermag es, dadurch ein Tor für»nicht kodifizierbare« Dinge aufzutun und neue »kulturelle Codes« zu eröffnen, für welche es zuvor noch keine Ordnung gab.115 Seit dem 19. Jahrhundert wendet sich der Künstler zunehmend Konzeptionen zu, die ihn als psychisch und physisch angegriffenen, depressiven und vom Wahnsinn befallenen Kranken zeigen. Die Melancholie ist seit Freud nicht mehr ein Zustand von Trauer: »…bei Melancholie ist es das Ich selbst«.116 Die Offenlegung von verdeckter Phantasie und Intuition bewirkt eine veränderte Sicht in der Gesellschaft, für welche der dem Wahnsinn und der Melancholie bezichtigte Künstler, der die Themen in Bildern visualisiert, allgemein steht. Es kann dem Künstler teilweise gelingen, diese Seelenzustände in Form von Werken auszudrücken, sichtbar zu machen. Diese Bestrebungen finden einen Höhepunkt im Neuplatonismus der Renaissance. Ein Moment, an dem sich nach Duchamp auch Beuys orientiert, der an empirische Ideen anknüpfend schöpferische Ideen für sein Werk transformierend ableitet.117 Des Weiteren nutzt Anselm Kiefer das Thema der Melancholia I von Dürer, um das Oberthema »alchemistische Transformationsprozesse« an den humanistischen Genie-Begriff zu binden.118 Duchamp macht im Künstlercharakter die Fähigkeit des Hellsehens und der Vorahnung, des einsamen, strukturierten, wiederholenden Denkens, aber auch der Vernunft und Belehrbarkeit fest. Diese Eigenschaften können im Zustand des Schlafes, bei Ohnmacht oder Einsamkeit durch einen mönchsartigen Rückzug ins Atelier klassifiziert

111 112 113 114 115 116 117 118

Vgl. ROECK 2013, S. 43. Vgl. CULIANU 2001, S. 86. Vgl. PICABIA 2016, S. 172. Vgl. WELLBERY 2002, S. 15. Vgl. WELLBERY 2002, S. 15f. FEULNER 2013, S. 212. Vgl. FEULNER 2010, S. 14f. Vgl. FEULNER 2010, S. 240.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

und erreicht werden. Rückblickend äußert sich Duchamp in einem Interview, dass er sich um 1910 in einer Krise befand, und merkt skeptisch an, dass es für ihn vordergründig von besonderer Bedeutung war, einen eigenen Stil zu kreieren.119 Ein Prozess, welcher sich nicht sofort einstellte: So lässt sich ab 1911 beispielsweise mit dem Gemälde Jeune homme triste dans le train / Sad Young Man in a Train / Junger trauriger Mann im Zug (1911–1912, Abb. 111) eine gewisse Art melancholischen Zustands schon allein aufgrund der Titelvergabe festhalten. Der zu jener Zeit 24-jährige Duchamp hat ein uneheliches Kind und stellt sich auch wegen seiner bereits in der Kunstwelt etablierten großen Brüder unter beruflichen Druck. Im Übrigen ist Duchamp zu dieser Zeit aussichtslos und leidenschaftlich in die Frau seines Künstlerfreundes Francis Picabia verliebt.120 Dieser »ohnmächtige« Zustand des jungen Künstlers lässt die Intention nachvollziehen, mit der er sich 1912 auf die Reise in die europäischen Kunstmetropolen begibt, um neue Anregungen zu finden. Er versucht aber auch, sich aus seinem depressiven Zustand und von den Einflüssen des ihn umgebenden festgefahrenen Kunstkreises zu befreien – was ihm gelingt, da er in München von einer »Befreiung« spricht. Dennoch begleitet ihn die melancholische Stimmung auch noch nach 1913.121 In den Unterlagen Katherine Dreiers, welche Duchamp zugänglich sind, befindet sich ein Dokument von Marston Morse, einem amerikanischen Mathematiker. In der Schrift Reflections on Evolutions in Mathematics and the Arts reflektiert er die Verwandtschaft von Mathematik und Handwerk in der Kunst. Als Beispiel hierfür führt er Albrecht Dürer an, welcher in der Mathematik mehr als die »Dienerin« der Kunst sehen möchte und ihr eine hohe Stellung in seinem Werk zuspricht. Einzigartig für seine Zeit arbeitet Dürer mit Perspektive, Symmetrie und Proportion und hält dieses Vorgehen in seinen Schriften fest;122 Morse fügt hinzu, dass sich die Künstler nicht zu streng unter eine Dogmatik stellen sollen. Weiter beschreibt er die Melancholia I Dürers als ein psychologisches Selbstporträt, in dem der Künstler verwirrt und nachdenklich über die Geometrien sinniert. In diesem Zusammenhang zitiert er Erwin Panovsky, wie dieser sich über die Melancholia I äußert: »…typifies the artist of the Renaissance who respects practical skill, but longs all the more fervently for mathematical theory – who feels ›inspired‹ by celestial influences

Vgl. DUCHAMP, Marcel: Formation Years, o. D., Box 2, Folder 25, Lectures, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 1. Duchamp: »Around 1908, 1909, 1910, after the years of training in art schools in Paris, I found myself passing through various influences, impressionism Fauves and mainly Cezanne. In spite of some success obtained at the Salon d’automne 1910 with the ›Chess Players‹ (my two brothers playing chess in a garden). […] I was not satisfied and had not reached any real personality, knowing already that one has to create one’s own style instead of following in the path of great creators. I did not want to be a pseudo-Cezanne and began to use my mind instead of my brush.« 120 Vgl. HERZ 2012, S. 105. 121 Vgl. NAUMANN 1989, S. 37. Marcel Duchamp, 2. Juli 1913: »Dear Mr. Pach, […] I am very depressed at the moment and I do absolutely nothing. These are short unpleasant moments. I will leave in August to spend some time in England.« 122 Vgl. MORSE o. D., S. 3. 119

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

and eternal ideas, but suffers all the more deeply from his human frailty and intellectual finiteness… Dürer was an artist-geometer, and one who suffered from the very limitations of the discipline he loved. In his younger days, when he prepared the engraving Adam and Eve, he has hoped to capture absolute beauty by means of a ruler and a compass. Shortly before he composed the Melancholia I he was forced to admit: ›But what absolute beauty is, I know not. Nobody knows it except God.‹«123 Melancholia I, so Morse weiter, typisiere den Künstler der Renaissance und thematisiere die mathematischen und geometrischen Theorien, welche ihn somit aus anderen Disziplinen inspirieren.124 Des Weiteren wird von Morse in der Literatur, welche Duchamp über Dreier zugänglich ist, Melancholia I als ein psychologisches, weibliches Selbstporträt des Künstlers charakterisiert,125 das somit im Kontext mit Duchamp steht, der ein weibliches Alter Ego hat, und dieser Zusammenhang muss in seinem größten Interesse gestanden haben. Duchamp kann als Denker, Kunstphilosoph, Seher, Priester oder Mönch betrachtet werden, welcher in seiner Zelle bzw. seinem Atelier aus der Quelle seines Geistes schöpft und sinniert, in seinem schöpferischen Chaos umfangen ist (Abb. 31).126 Henri-Pierre Roché beschreibt in einem Roman, wie er Duchamp in seinem Atelier in New York erlebt. Er nimmt den Ort als ein »Kloster« und Duchamp als einen »Einsiedler, einen Grübler« wahr, der in den ausgewählten Objekten »Meditationsobjekte« sieht.127 Hierin wird erneut der Widerspruch deutlich, welchen Duchamp oftmals in der Öffentlichkeit verkörpert. Und auch Friedrich Kiesler zeigt in der Zeitschrift VieW eine Fotocollage von Duchamp, sitzend vor dem Chaos seines Studios, und fügt der Fotografie den Zusatz »H(ieronymus) Duchamp« als Bildunterschrift an. Die dreiteilig aufgegliederte Fotografie erinnert auch an Hieronymus Boschs Flügelaltar Der Garten der Lüste (ca. 1450–1516), worauf die Bildunterschrift anspielt.128

123 124 125 126

127 128

MORSE o. D., S. 3f. Vgl. ebd., S. 3. Vgl. ebd., S. 3. Vgl. LEBEL 1962, S. 68; DUCHAMP, Marcel: Formation Years, o. D., Box 2, Folder 25, Lectures, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 4. Duchamp: »My decision was made: I would be a monk and not a monkey. I would not, like a monkey, cater to influences, copy others, or repeat myself nor would I bow to any taste, even my own. […] The monk or the esoteric painter ignores taste and expresses himself from within, letting loose his imagination as if in a timeless vacuum. He seems never to be concerned with the time he lives in, and this is illustrated in the inverse direction by the fact that we admire, for example, pre-Columbian sculpture without knowing much of the circumstances in which this sculpture was produced. Admiration for it is based on a timeless reaction, an esoteric reaction. Such a response is evident today in the case of the music of Erik Satie who actually lived like a monk.« STOUHAL 2003, S. 55. Vgl. MOLDERINGS 2010, S. 28. Bezüglich der Readymades ist hier die Rede von »ses jouets et ses objets de méditation«. Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 63. Taylor verweist auch auf das Gemälde von Antonella da Messina Saint Jerome in His Study (ca. 1475): Es zeigt eine strukturierte Arbeitssituation. Dennoch entstehen beispielsweise von Thomas Wijck in der niederländischen Malerei in der Mitte des 17. Jahrhunderts Gemälde wie der Alchemist im Laboratorium, welches ebenfalls einen Alchemisten oder den Künstler selbst im Laboratorium zeigt, wiederum ein Chaos. Dieses knüpft nicht mehr an ein wissenschaftliches Interesse der Alchemie an, sondern ironisiert die Szene.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Duchamp hält vieles hinter dem Konzept seiner Kunst verborgen und komponiert strategisch wie in einem Schachspiel für den Betrachter nachvollziehbare Spielzüge – man könnte meinen, es wäre ein großes Gesellschaftsspiel, welches er mit seinen Betrachtern oder, noch weiter gefasst, mit der Gesellschaft spielt. Und zwar im Sinne eines großen Erziehungs- bzw. Erkenntnismodells, an welchem sich der jeweilige Betrachter schulen kann. Eine Geniehaftigkeit klassifiziert Duchamp insofern in seinem Werk, als Bezüge aus Alltag und Rezeption als ein freies Anliegen gewählt werden können.129 In den wichtigsten Aussagen seiner Hauptwerke bezieht sich Duchamp, wie die vorliegende Arbeit darlegt, auf unbekanntere Grafiken, denen durch seine Rezeption neue Aspekte hinzugefügt werden und wodurch mittels seiner Position ein Dialog zu den älteren Werken aufgenommen wird. Für ihn ist es wichtig, den tatsächlichen geistigen Gehalt der Werke zu beurteilen sowie den geistig-schöpferischen Anteil der Werke zu messen, um zu einem tatsächlichen Werturteil über die Kunst zu gelangen. So Duchamp: »[…] and I do not feel not see any sign of a deep change [or the] (…) of a genius capable of upsetting our conception of art – At the same time I must not forget that in the event of a young new genius, it is practically impossible to recognize him as much, after you have spent most of your life in a certain conception – it takes very young eyes to see the blinding light of a new genius.«130 Dennoch ist er in der Wertung seines eigenen Werkes sehr zögerlich, wenn er sagt, dass kein Künstler von sich selbst behaupten kann, dass er ein Genie ist und ein Meisterwerk malen wird. Mit der Feststellung, »dass ein Monsieur namens ›Genie‹ jedes Mal eine geniale Sache macht, wenn er den Bleistift berührt, ist ein Schwachsinn von heute«, gibt Duchamp humorvoll den Mythos eines einmaligen Kunstkönnens zu überdenken.131 Gleichzeitig spricht Duchamp von sich als Künstler als von einem »unverantwortlichen Medium« und erwähnt, dass das Kunstwerk wie durch einen medialen Prozess, also wie durch eine Eingebung, in einem unbewussten Zustand ins Leben geboren wird.132 Dies sei ein Zustand wie in einer Meditation, einer Trance, einem Rauschzustand oder Traum nahe, im Sinne des Surrealismus, in welchem sich die Gedanken, die 129

Vgl. SEITZ 1963, S. 130. Marcel Duchamp: »Yes, Artists very often are, because they are not intelligent enough, to make sense of the life they live or the society they were born in. I feel that there are many, many geniuses that are lost by that, you see. In other words a genius could very well be corrupted. So he won’t be a genius anymore. He’ll be lost; he won’t come through.« 130 DUCHAMP 1960, a, S. 6. 131 CABANNE (1966), in: Stauffer 1992, S. 194. »…In der Produktion eines Künstlers gibt es nur vier oder fünf Bilder, die zählen, selbst wenn der Künstler Leonardo da Vinci heißt. Aus der Tatsache, dass da Vinci sich einen großen Namen machte, ist dann alles, was er gemacht hat, wichtig geworden. Aber in Wirklichkeit ist es das nicht so sehr, es gibt einfach ein paar wichtige Dinge, die seinen Namen ausmachen. Das ist bei jedem Individuum der Fall, das drei oder vier wichtige Bilder produziert…« 132 Vgl. Ohne Autor: [Textausschnitt bezieht sich auf die Konferenz Western Round Table on Modern Art 1949], Tomkins Collection, IV.D. 21, The Museum of Art, Archives, New York, S. 32. Der Begriff des Mediums wurde von Bischlager verwendet, er sieht im Medium einen neutralen Boten, der durch eine neue Reflexionsebene ein Geschehen betrachten kann und somit den Status eines Dritten. Eine Art Mittler, welcher eine Verbindung zwischen heterogenen Welten zu stiften vermag. Siehe hierzu: BISCHLAGER 2016, S. 76f.

5. Albrecht Dürer-Rezeptionen

Inspiration im Unterbewusstsein zeigen, mit welchen Duchamp seine sonst gänzlich konstruierten Arbeiten stützt. Damit gibt er auch an, dass er sich teils konkret von der Handwerklichkeit, aber auch von der ernsthaften Wissenschaftlichkeit in seinem Schaffen befreit. Doch grundsätzlich vertritt er die Meinung, dass das Kunstwerk so konkret durchdacht sein muss, dass es dann im metaphorischen Sinne aus dem Künstler herausgezogen werden kann.133 Dies zeigt den hohen Stellenwert und Anspruch Duchamps an seine Kunst: In der Abgeschlossenheit seines Ateliers behandelt er sie mit größter Ernsthaftigkeit. Es verbinden sich verschiedenartige Zustände in Duchamps Künstlerpersönlichkeit: die des künstlerisch kreativen, humorvollen, offenen, aber auch melancholisch separierten, grüblerischen Konzeptkünstlers und auch die eines geradezu intuitiven Künstlergenies, das in sich selbst imaginativ die Ideen gebiert und in dem die Bilder oder Objekte aus dem Unterbewusstsein aufsteigen.

133

Vgl. Ohne Autor [Textausschnitt bezieht sich auf den Western Round Table on Modern Art 1949], Tomkins Collection, IV.D. 21, The Museum of Art, Archives, New York, S. 32.

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6. Übernahmen aus dem Werk von Lucas Cranach dem Älteren

6.1.

Duchamp als Adam

Das Foto Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter), von Man Ray aufgenommen, bildet ein Tableau vivant (Abb. 7). Es entsteht im Zuge der Ballettaufführung Francis Picabias am 31. Dezember 1924 in Paris. In Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter) zeigen sich Duchamp als Adam und das Modell Bronja Perlmutter als Eva nackt auf der Bühne stehend. Eva ist im Begriff, Adam die verbotene Frucht zu reichen. Adam, mit braunem, kurzgelocktem Haar und Vollbart dargestellt, neigt Eva den Kopf entgegen. Sein linker Arm ist zwar angehoben, aber auf sich selbst verweisend nimmt er die Frucht nicht an. In der rechten Hand hält er eine Rose, deren Blätter sein Geschlecht verdecken. Beide Figuren bewegen sich in ihrer Schrittposition aufeinander zu. Eva wirkt dabei fast tänzerisch auf Zehenspitzen stehend, ihre Beine sind überkreuzt. Begleitend zu der Fotografie fertigt Duchamp die Grafik Morceaux choisis d’après Cranach et Relâche an, ein Blatt aus einer Serie, die sich auf Étant donnés bezieht (siehe dazu 4.4, Abb. 81).1 Taylor ist der Meinung, dass Duchamp die Anregung zu der Fotografie von Adam und Eva in München fand. So äußert sich Duchamp über seine Begegnung mit Cranach in der Alten Pinakothek: »Ich malte, und ich ging jeden Tag in die Pinakothek in München. Ich liebte diese Cranachs, ich liebte sie. Der alte Cranach. Diese hochgewachsenen Akte. [Die] Natürlichkeit und stoffliche Wirklichkeit seiner Akte inspirierten mich beim Inkarnat [der gemalten Braut von 1912].«2 In der Fotografie Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter), 1924, die dem Bühnenstück Ciné-Sketch entstammt, zeigt sich Duchamp als Adam mit enthaartem Körper, das Gesicht ist rasiert und mit einem aufgeklebten Bart versehen. Er steht in einer angespannten Position, der rechte Arm verdeckt das Geschlecht mit einer Rose, am linken Unterarm trägt er eine Armbanduhr. Der linke Arm ist angehoben, der 1 2

Vgl. GRAULICH 2003p, S. 252. AUSST.-KAT. München 2012, S. 57. Siehe dazu auch: SAWELSON-GORSE 1993, S. 100.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Ellenbogen gebeugt, sodass die Hand auf die Brust gerichtet ist. Der Ellbogen weist in Richtung Eva. Das Modell in der Rolle der Eva, mit einer Kette geschmückt, steht in einer fragileren Pose mit übereinandergeschlagenen Beinen auf der rechten Seite im Bild. Mit ihrer Linken verdeckt sie ihre Scham, mit der Rechten reicht sie Adam die sündhafte Frucht entgegen. Im Hintergrund befindet sich auf einem Leinwandprospekt ein angedeuteter Baum, von dem sich eine Schlange in Richtung Eva herabwindet: eine deutliche Bezugnahme auf Cranachs Gemälde. Diese nachgestellte Inszenierung wird den Zuschauern nur im kurzen Moment des aufleuchtenden Bühnenlichtes präsentiert – in ebendiesem Moment hält Man Ray die Szene fotografisch fest.3 Rudolf Herz stellt in seiner Publikation illustrativ Cranachs Personifizierungen von Venus, Lucretia, Adam und Eva neben die Fotografie Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamps und Bronia Perlmutter). Es lassen sich in der Tat Ähnlichkeiten der Figuren in ihrer Körpersprache nachvollziehen. So hat die Figur Evas in Duchamps Tableau vivant ebenfalls eine tänzelnde Pose eingenommen und hält Adam auffordernd ihre Hand entgegen.4 Ihre Körperhaltung ist in einer leichten Bewegung mit einem vorangestellten Bein im Bild festgehalten. In der Personifikation der Eva wird meist ein Arm verdeckend vor die Scham gehalten, der andere reckt sich nach oben oder ist in einer räkelnden Haltung auf Adam gerichtet. Marcel Duchamp und Bronja Perlmutter imitieren präzise die Position, die im Gemälde Sündenfall 1510/20 (Abb. 112) von Lucas Cranach abgebildet ist. Dieses Bild, welches als Vorbild dient, stammt aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien.5 Cranach wendet im Rahmen der manufakturhaften Herstellung in seiner Werkstatt ein Verfahren der seriellen Produktion an. Die Werkstatt folgt einem bewährten Darstellungstypus: Es wiederholen sich immer wieder ganze Figurenkanons und die gleiche Stilisierung seiner Figurationen, sodass die jeweiligen Darstellungen nur leichte Abwandlungen erfahren. Der Grundtypus des Körpers ist in der Regel gleichbleibend, nur gewisse Haltungen weichen im Detail ab. Meistens sind es die Arme oder der Kopf oder bestimmte kleinere Attribute der Figur, welche an ein jeweiliges Thema neu angepasst oder ausgewechselt werden. Die Figuren werden also wie ein Bildkanon als ein Modell für unterschiedliche Themen verändert, zum Beispiel für den Frauentypus von Maria, Eva, Lucretia und Venus.6 Eine Vielzahl von Adam-und-Eva-Darstellungen Cranachs offenbart den distinguierenden Aspekt erst bei sehr genauem Hinsehen, vor allem mithilfe von Datenbanken über sein Œuvre ist der systematisierende Blick möglich. Eine solche analysierende Gegenüberstellung macht innerhalb des Gesamtœuvres das schablonenhafte Vorgehen der Cranach-Werkstatt sichtbar. Der Betrachter kann den wiederholten Gebrauch von Arbeitsschritten und von seriell eingesetzten Figuren nachvollziehen; wiederkehrende Arm-, Bein- oder Kopfhaltungen können im Vergleich

3 4 5 6

Vgl. GRAULICH 2003p, S. 252. Vgl. HERZ 2012, S. 226−229. Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2013, S. 127. Pfisterer führt Pietro Aretino an, der in seiner Schrift Vita di S. Tommaso d’Aquino beschreibt, wie sich eine »Versucherin des Heiligen in der Haltung einer der antiken, nackt daliegenden Kleopatrastatuen präsentierte«. PFISTERER 2012, a, S. 48.

6. Übernahmen aus dem Werk von Lucas Cranach dem Älteren

ausfindig gemacht werden.7 Cranach nutzt gewisse Merkmale für sich wie Adams Vollbart, den flächenhaften Farbauftrag der Haut und den Moment der Armhaltung. Der Bart wird von Duchamp aufgegriffen, indem er sich für die Fotografie Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter) einen solchen in das Gesicht klebt. Durch das Haarimitat macht er auf dessen Künstlichkeit und auf männliche Haarmoden aufmerksam. Bei Cranachs Akten kommt diese Künstlichkeit durch ein oft einheitliches, flächenhaft aufgetragenes Inkarnat zum Vorschein, das durch starke Umrissformen definiert ist und den Körper stilisiert.8 Spielmann nennt dies »Form-Modernitäten in Werkreihen«, die Cranach mit Phantasie zu einem seriellen Formen-Repertoire herausarbeitet und in einem eigenständigen, flächigen Cranach-Stil kolorierend umsetzt, oft mithilfe seiner großen Werkstatt im Hintergrund, die den Künstler unterstützt.9 Molderings weist darauf hin, dass Duchamp seinen dreimonatigen Aufenthalt in München 1912 nach zwei Monaten für drei Wochen unterbricht, um auf einer Reise die Museen in Wien, Prag, Leipzig, Dresden und Berlin zu besuchen.10 In Dresden sieht Duchamp demnach, wie anzunehmen ist, die weltweit größte Cranach-Sammlung.11 Dank der Kenntnis des umfangreichen Bestands der einzelnen Sammlungen kann nun der geübte und aufmerksame Kunstbetrachter Duchamp den changierenden Gebrauch der Figurationen im Werk Cranach entdeckt haben. In der Fotografie Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter) befinden sich die beiden Akte – wie noch bei Cranach dem Älteren – nicht mehr in getrennten Bildräumen, sondern sind in einem Bild vereint. Der Ton des Inkarnats lässt sich in der Schwarz-Weiß-Fotografie Man Rays nicht mehr erkennen, doch bekundet Duchamp ja eine generelle Inspiration durch den besonderen Einsatz der Hautfarbe bei Cranach, durch welche die Geschlechter unterschieden werden. Im originalen Gemälde in der Alten Pinakothek zu München (Abb. 116) ist Evas Inkarnat wie in vielen Adam-und-Eva-Gemälden von Cranach in einem helleren Beige als das Inkarnat Adams wiedergegeben. Evas hellerer Farbton scheint ganz vom Licht ausgeleuchtet zu sein. Dagegen wirkt Adams Hautton natürlicher; er wird in einem leicht rötlichen Beigeton gezeigt. Man Ray (1890–1976), Fotograf der Aufnahme Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter) und enger Künstlerfreund Duchamps, hegt wie dieser

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Vgl. BUTIN 2013, S. 403. Corpus Cranach, welcher von der Universität Heidelberg zu Verfügung gestellt wird, zeigt die Vielfalt des Sujets mit nur geringen Variationen in der Haltung. Vgl. AUSST.-KAT. Hamburg 2003, S. 12. Vgl. AUSST.-KAT. Hamburg 2003, S. 8. Vgl. AUSST.-KAT. München 2012, S. 21. Laut einer Aussage von Jacques Caumont ist eine Karte erhalten, welche Duchamp 1912 aus Wien verschickte, darauf zu sehen eine Stadtansicht (Privatbesitz der Familie Candel). Weiter wird im Ausst.-Kat. Venedig 1993 eine Wiener Postkarte von Duchamp aus den 1930er Jahren erwähnt, welche er an Brancusi verschickte. MOLDERINGS 2009, S. 234. Es kann vermutet werden, dass Duchamp nicht nur die Gemäldesammlungen besuchte, sondern sich auch die Grafiken und Handzeichnungen in den bedeutenden Grafischen Sammlungen vorlegen ließ, um sie zu studieren und sein Wissen zu erweitern.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

große Bewunderung für die Alten Meister.12 Er arbeitet mit »klassischen« Methoden und beschreibt sein Arbeitsprinzip wie folgt: »Wenn ich mir ein Gesicht photographisch anverwandle, arbeite ich wie die alten Meister. Ich habe die Gemälde der Alten sehr ausführlich studiert. […] Alle alten Meister waren es. Sie beherrschten die Farbe, die Zeichnung, die Perspektive, die Inszenierung – alle technischen Mittel, die sie brauchen, um ihre Portraits auszuführen. Durch die Begegnung mit ihnen habe ich sehr viel mehr gelernt, als wenn ich Photoschulen besucht hätte.«13 Man Ray verwendet entsprechende Verfahren der Vergrößerungen und benutzt Filter, was ihn eher zu einem »Parteiengänger der Alten als der Modernen« macht.14 Das traditionelle Feigenblatt, welches die Scham des Urelternpaares verhüllt, ist im Fall von Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter) durch eine Rose ersetzt. Das ursprüngliche Feigenblatt soll vor Blicken schützen und zur Selbstdisziplinierung der Triebe anhalten, wohingegen die Rose auf dem Foto die Aufmerksamkeit des Blickes geradezu auf sich zieht.15 Die Rose kann als ein Verweis auf Duchamps weibliches Alter Ego Rrose Sélavy gesehen werden, in deren Rolle er sich selbst als Frau inszeniert. Adam bzw. der Künstler ist in Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter) selbstreflexiv und autark gegenüber dem Angebot von Eva dargestellt: Er zeigt sich unberührt von der weiblichen Verführungskraft bzw. gegenüber dem weiblichen Geschlecht im Schöpfungsakt selbst. Ihm wird nicht, wie in vielen Sündenfallszenen, die Entscheidung abgenommen. Adam ist nicht, der Darstellungstradition folgend, das Opfer der Verführung. Die Rose, mit der sich Duchamp als Adam das Geschlecht bedeckt, dürfte eine fleur du mal darstellen, wie sie Breton und Soupault 1922 in Littérature, Nouvelle Série erwähnen.16 In dem Gedicht, welches Breton und Soupault auf das weibliche Alter Ego Rrose Sélavy von Marcel Duchamp beziehen, spricht Breton davon, dass Les Fleurs du Mal sich an den Sittenkodex des Phallus angepasst hat.17 Auf der anderen Seite kann die Rose als Zeichen der Liebe und des Todes und auch des Paradieses im weitesten Sinn für die geistige Schönheit der Minne stehen.18 Die Rose als ein romantisches Zeichen, meist für das Weibliche stehend, ist das Symbol, in dem sich manifestiert, dass sich der Eros im Mann offenbart hat. Doch auch durch 12

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Vgl. CHÉROUX 2010, S. 44. »Ich hatte die Gemälde der alten Meister studiert und immer bewundert, wie sehr sie die Proportionen des menschlichen Gesichts respektierten«, schreibt Man Ray 1957. Ebd., 2012, S. 54. Vgl. ebd. Vgl. AUSST.-KAT. München 2000, S. 68f. Vgl. BRETON/SOUPAULT 1922, S. 14. Vgl. ebd., S. 14. Breton : »…Rrose Sélavy demande si les Fleurs du Mal ont modifié les mœurs du phalle…« ; es ist aber auch an den Gedichband Les Fleures du Mal (1957) von Charles Baudelaire zu denken. Die erotische Liebe wird in der Minne erkannt und mit der religiösen Minne verbunden; die private Liebe erhält so eine Aufwertung. In der Minne wird die Bedeutung der Jungfrau unermesslich erhöht. Siehe dazu: OTTE 1997, S. 40.

6. Übernahmen aus dem Werk von Lucas Cranach dem Älteren

Eros c’est la vie ist im Leben vieles durch die Liebe schicksalshaft vorgezeichnet. Bereits Luther setzt die Rose ein, um sich selbst in Bildern als Prediger zu kennzeichnen, wobei er oftmals in der anderen Hand eine Sense hält.19 Alle diese Bedeutungsstränge dürften für Duchamp von Interesse gewesen sein. Die vielen diskursiven und sichtbaren Verbindungsstränge der zusammenarbeitenden Künstler werden in diesem Werk zusammengeführt und mit assoziativer, traditioneller Symbolik aufgeladen. Die Rose steht also vor allem für die Attitüde des Adam oder des Künstlers selbst und verweist auf seine eigene künstlerische Haltung, seine Liebe zur Kunst selbst hin. Das Paradies als der Ursprungsort der menschlichen Sexualität wird in Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter) (Abb. 7) zu einem gleich mehrfach konnotierten Ort der Kunst, der in gewisser Art verlebendigt wird und damit konkretisiert und nicht mehr von Ort und Zeit entbunden ist.20 Man Ray und Duchamp wählen in dem Tableau vivant zum wiederholten Mal die gleiche Ausgangssituation wie Cranach der Ältere, adaptieren diese aber an die eigene ästhetische Zeitsprache. Die Künstler definieren das Paradies als ihren Ausgangsort und kreieren diesen in einem zeitgemäßen technischen Medium neu. Das lebendig gewordene Bild entsteht durch die Leibhaftigkeit der Protagonisten selbst. Das Paradies steht so nicht nur für das erste sexuelle Zusammentreffen des Urelternpaares, sondern ebenfalls für die Zerrissenheit von Mann und Frau und die gegenwärtige Vereinigung in der Fotografie. Hier erfährt die Kunst eine lebendig gemachte Renaissance als ein frei gewählter Ort. Dies geschieht mit einer selbstbezüglichen Geste, da das Geschehen im kurzen Augenblick der Aufnahme angehalten und eingefroren wird und zugleich ein Moment der Kunstgeschichte noch einmal in Bewegung gebracht wird. Allein in seinem Werk Female Fig Leaf / Feuille de vigne femelle / Weibliches Feigenblatt (1950/1951) rückt Duchamp ein anders geartetes Feigenblatt in den Fokus: Es ist ein bemalter Gipskeil, dessen Form eine vom realen Vorbild abweichende weibliche Vagina als negativen Abdruck darstellt. Das Weibliche Feigenblatt steht seinem eigentlichen Anspruch des sittlichen Verdeckens der Genitalien ironisch gegenüber und führt dem Betrachter das Verbotene geradezu vor. In Duchamps Grafik Morceaux choisis d’après Cranach et Relâche (Abb. 81) ist das Feigenblattsubstitut wieder durch einen einfachen Zweig ausgetauscht. In der Theologie wird der Begriff der Erkenntnis gemäß dem biblischen Sprachgebrauch als aktiv gestaltender Vorgang verstanden. Das hebräische Wort für »erkennen« ist dem geschlechtlichen Zeugungsakt gleichgesetzt, sodass Erkenntnis den Inbegriff der paradiesischen Geschichte darstellt.21 Mit dem autonomen Griff Adams nach der Frucht der Erkenntnis geht das umfassende Wissen mutmaßlich durch menschliches Tun auf ihn über, woraufhin er sich selbst gestalten und entfalten kann. Mit fatalen Folgen, wie man weiß, denn dieser Akt des Sich-Aneignens steht konträr zu Gottes Schöpfungsauftrag und ist obendrein mit den irdischen, animalischen Bedürfnissen

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Vgl. SANDL 2011, S. 164. Luther sah sich selbst als Prophet und verstand sich als praedicator. Sandl: ... der »Vorhersagen macht, indem er Gottes Wort auslegt und verkündet«. Schneyder beschreibt das Paradies als einen Kunstort, der geprägt ist von Kunst, Technik und Magie, und nennt diesen Ort als entbunden von einer Zeit. SCHNEYDER 2010, S. 74. Vgl. SANDLER 2009, S. 95.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

wie dem der Sexualität verknüpft.22 Das Erkenntnisthema stößt auch im Humanismus auf Interesse; diese Geistesströmung basiert auf der Überzeugung, dass der Mensch vom Willensakt angetrieben wird und sich so zum Guten und Schönen hin zu entwickeln vermag.23 Krauss weist darauf hin, dass laut christlicher Lehre der Mensch seit dem Sündenfall nicht mehr vollkommen, sondern geschwächt ist und wegen der »Ursprungssünde« (lat. peccatum originale) bzw. der »Erbsünde« (die bis in alle Ewigkeit vererbt wird) eine Versöhnung mit Gott niemals erreichen kann.24 Für den christlichen Glauben bedeutet dies, dass die sexuelle Verführung seit dem Alten Testament eine nicht veränderbare Gesetzlichkeit darstellt, was die Wehr- und Wahllosigkeit des Menschen gegenüber Gut und Böse betrifft, die somit analog zu dem Konzept der Libido betrachtet werden kann.25 Über Adam ist in der Abhandlung des Humanisten Giovanni Pico della Mirandola aus dem Jahr 1486 zu lesen, als Gott zu ihm sagt: »In die Mitte der Welt habe ich dich gestellt, damit du von da aus leichter betrachten kannst, was in der Welt geschaffen ist. Weder himmlisch noch irdisch, weder sterblich noch unsterblich haben wir dich gemacht, damit du gleichsam mit eigenem Verständnis und zu eigener Ehre dein Schöpfer und Bildner seiest, in welcher Form immer du dich ausgestaltest. Du kannst dich aus eigenem Willensentschluss in die höheren, das heißt die göttlichen Regionen wiedergebären.«26 Hiernach repräsentiert die Gestalt des Adam eine Figur, welche zwischen den Welten steht und in ihrem irdischen Tun den Schöpfer nachformen kann, wie Pico hervorhebt. Mit seinem eigenen Willen vermag Adam sich in göttliche Sphären zu befördern. Cranachs Zeitgenosse Albrecht Dürer erschafft eine neue Selbstbezüglichkeit des Adam, die im Kontext eines Umbruchs in der ikonografischen Tradition steht, indem er die Figur im Jahr 1507 in voller Lebensgröße darstellt.27 Das Œuvre Cranachs des Älteren versammelt zahlreiche vergleichbar »hochgewachsene[n] Akte«, auf welche Duchamp interessiert weist, etwa die Venus (1,70 m), welche allein oder mit Amor dargestellt ist und in nur wenig variierenden Posen gezeigt wird.28 Hans Baldung Grien ist es schließlich, der in der Budapester Version Adam und Eva sogar überlebensgroß (2 m) darstellt und vor allem den Adam in kraftstrotzender Haltung zeigt, eng verbunden

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Vgl. SANDLER 2009, S. 96. Vgl. SPERL 1959, S. 103. Sperl steht auf dem Standpunkt, dass dieses Vorhaben des Humanismus nicht aufgehen könne, da die Affekte des Menschen, von welchen Tugend und Laster abhingen, immer im Dienste der Selbstbehauptung, des Egoismus stünden und sich einer eigenen Kontrolle entzögen. Allein im jüdischen Glauben ist es möglich, dem Bösen aktiv zu widerstehen und eine »Neigung zum Guten [hin zu] entwickeln«. Vgl. KRAUSS 2004, S. 51. Duchamp beschäftigt sich intensiv mit dem jüdischen Glauben und sucht einen jüdischen Namen für sich, bevor ihm der Gedanke kommt, den Namen und auch das Geschlecht seines Alter Ego komplett zu verändern; er nennt sich daraufhin Rrose Sélavy. Siehe dazu: DUCHAMP 1964, S. 14. LINDENMANN/GLASER 1996, S. 19. Vgl. WERNER 2013, S. 245. Dahingegen ist es Cranach d. Ä., der, wie Werner darlegt, das erste Mal eine Venus lebensgroß darstellt. Von Cranach d. J. gibt es Reformatoren-Bilder auf der Veste Coburg, die überlebensgroß sind. AUSST.-Kat. München 2012, S. 57.

6. Übernahmen aus dem Werk von Lucas Cranach dem Älteren

mit der irdischen, nachparadiesischen Sexualität.29 Man könnte darin einen logischen Entwicklungsschritt erkennen, wenn die lebensgroßen Figuren der Gemälde in einem weiteren Schritt durch wahrhaftige, lebende Körper ersetzt werden, nämlich von Marcel Duchamp. Duchamp vollführt genau das und gestaltet die Szenerie mit lebenden Personen, also lebensecht und lebensgroß nach. Generell stehen seine Tableaux vivants für Wiederholungen, welche mithilfe real posierender Menschen ein Gemälde nachstellen. In ihnen kreuzen sich Vorstellungen von Präsenz und Abwesenheit, sie werden belebt durch eine erneute Zeigehaltung und greifen in den Zeitverlauf ein, um erneut in einer Pose zum Stillstand gebracht zu werden.30 Duchamp hat ein solch klassisches Sujet von Cranach als Vorbild gewählt, damit das nachgestellte Bild von dessen Wiedererkennungswert profitieren kann. Das Tableau vivant unterscheidet sich nur durch einige individuelle Attribute. Ein fundiertes kunstgeschichtliches Wissen muss im Moment der Betrachtung abrufbar sein, es muss den Moment der Aufnahme und den Zeitpunkt der Betrachtung hinsichtlich der Motivik miteinander verknüpfen, damit die Dimension des Tableau vivant in ihrer Gesamtheit wahrgenommen werden kann. Wie oben dargelegt, entsteht das Bild Duchamp und Bronja Perlmutter als Adam und Eva im Rahmen einer Ballett-Aufführung auf der Bühne, die Szene wird nur kurz beleuchtet, um fotografisch festgehalten zu werden. Das Auge des Betrachters ist folglich wie die Performer selbst gefordert, darauf vorbereitet zu sein, den Augenblick, das Bild zwischen Bewegung, Stillstand und dem nachgestellten Vorbild, in Windeseile zu erfassen und einzuordnen. Ein Paradox dieses Geschehens ist, dass Sekundenbruchteile der zeitlichen Verzögerung nötig sind, damit die Momentaufnahme des lebenen Bildes in ihrer ganzen Komplexität erfasst werden kann. Gleichzeitig wird der Betrachterblick durch die leibhaftige Darstellung des Künstlers selbst positiv überrascht.31 Auch in der Baldung-Literatur manifestiert sich, dass nicht nur die Selbstdarstellung einen wichtigen Anteil im Œuvre Hans Baldung Griens bildet, wie anhand des Sebastiansaltars und des Holzschnitts Der Behexte Stallknecht aufgezeigt wurde. In den Bildern findet sich ein schmaler, bühnenhafter Bereich, die theatralische Wirkung der darin aufgestellten Figuren ist erkennbar und erinnert an die Präsentation eines Tableau vivant.32 Letzteres ist nun vor einem wahrhaftigen Publikum »aufgebaut«, und der Künstler agiert quasi in der Rolle eines Schauspielers. Auch wenn die Selbstinszenierung hier nicht wie beispielsweise bei Baldung oder Cranach auf das malerische und grafische Medium begrenzt ist, weist Duchamp in einem Kommentar darauf hin, dass

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Krieger beobachtet treffend, dass in der Sündenfall-Erzählung traditionell dem Adam viel weniger Beachtung zukommt als der Figur der Eva, da »Männlichkeitskonzepte« grundlegend den »Weiblichkeitsentwürfen« in der Wissenschaft noch nachstehen (KRIEGER 2012, S. 36). Wilson interpretiert den Auftritt Duchamps als Adam in Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter) dahingehend, dass er einem »Geschlechteraustausch« gleichkomme. Der Autor erinnert im Kontext der Autarkie des Adam an die Befreiung bzw. die Homosexuellen-Bewegung und den Ausdruck von Androgynität, Themen, die erst ab den 1970er Jahren in Westeuropa und den USA Verbreitung finden. Siehe dazu: WILSON 2003, S. 134. Vgl. BRANDL-RISI 2012, S. 64. Vgl. BRANDL-RISI 2012, S. 62. Vgl. SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 157.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

er nicht den philosophischen Klischees folgt und diese auch nicht »renovierend« denken möchte, was er in seiner Kunst demonstriere. Vielmehr strebe er eine innovative Form seiner eigenen Darstellbarkeit und der traditioneller Themen an.33 Nicht nur das experimentelle Arbeiten an der Vervielfältigung interessiert Duchamp, welches nun an den eigenen Werkkontext angeglichen und an das Individuum an sich gebunden ist. Zusätzlich beschäftigt ihn das Motiv der Bewegung, das er in der in Bewegung gesetzten Materie berücksichtigt. Darüber hinaus vermag Duchamp mit der Motivwahl des Tableau vivant Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verbinden und die Vergangenheit wiederzubeleben.

6.2.

Die Kunsthaut – Materielle Weiterformung traditioneller Farbschichtung

Das »Inkarnat« – vormals auch die »Fleischfarbe« – ist für Duchamp ein wichtiger Themenkomplex.34 Der Begriff »Haut« wurde anfangs nicht nach dem heutigen Verständnis verwendet; vielmehr benutzt man in der Malerei im Zeitraum zwischen 1400 und 1700 den Begriff »Fleisch«.35 Im 16. Jahrhundert sieht Ludovico Dolce südlich der Alpen die größte Aufgabe und Meisterschaft der malerischen Oberflächengestaltung darin, die Haut möglichst weich und lebendig darzustellen. Das größte Lob in der Kunst gebührte demjenigen, dem bei der Erarbeitung eines fleischigen Aktes die wahrhaftige Umsetzung der Weichheit von Haut und Anatomie gelang.36 In der Herstellung einer »Farbhaut« erwirbt vor allem Tizian große Meisterschaft: Er wird als der Beste in der Umsetzung gelobt. »Haut« oder »Fleisch« als Thema der Malerei zeigt das Innere des Menschen als eine Substanz des Lebens, mit der meisterlich dargestellten Haut kann Lebendigkeit im Bild erzeugt bzw. imaginiert werden, sodass letztlich (durch die Malerei) »Fleischlichkeit« und Natur an sich dargeboten werden.37 Bei fleischlichen Darstellungen wird in der Regel (außer bei Darstellungen des Hl. Sebastian und bei Mariendarstellungen) von der Wiedergabe geschundener Körper abgesehen. Das Fleisch wird immer als transparent begriffen, es repräsentiert das Leben; durchscheinend offenbart es Adern, Schönheit und Feinheit, und so wird auch Sinnlichkeit durch das Fleisch oder

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Vgl. GERVAIS 2000, S. 52. »Autant que je me rappelle ce que j’ai écrit dans la lettre parue dans Médium, je refuse de penser aux clichés philosophiques, remis à neuf par chaque génération depuis Adam et Éve, dans tous les coins de la planète. Je refuse d’y penser et d’en penser et d’en parler parce que je ne crois pas au langage […].« AUSST.-KAT. München 2012; siehe dazu auch: SAWELSON-GORSE 1993, S. 100. Vgl. WITT-BRASCHWITZ 2012, S. 60. Vgl. SUTHOR 2004, S. 56 f; DOLCE 1888, S. 67. Vgl. BOHDE/FEND 2007, S. 15; WITT-BRASCHWITZ 2012, S. 60; SUTHOR 2004, S. 48, 57 und 190, Suthor: »…Der hier zentrale Begriff ›carne‹, mit dem sich die künstlerische Zielvorstellung par excellence der Frühen Neuzeit identifiziert: die Erweckung der formlosen Materie zum Leben verbindet, suggeriert dank der Homonymie (Carne: ital. Fleisch, Inkarnatsfarbe) die Wirklichkeit evozierende Potenz der Farbe.«

6. Übernahmen aus dem Werk von Lucas Cranach dem Älteren

die Haut zum Ausdruck gebracht.38 Die Darstellung der Haut legt offen, ob der Maler das Studium der Anatomie durchdrungen hat.39 Tizian ist bekannt für seinen lasierenden Farbauftrag und seine Farben; die Malerei soll aus sich selbst heraus leuchten, fast so, wie es die Kirchenfenster tun.40 Für Tizian ist das Übereinandersetzen von ausgesprochen vielen Malschichten ein wichtiger Prozess im Herstellungsverfahren: Die Schicht- oder Lasurentechnik besteht darin, dass mehrere, nahezu transparent gehaltene Farbschichten übereinander aufgetragen werden, sodass ein schleierhafter Effekt mit einer Art Tiefenwirkung entsteht. Ein besonders lebendig wirkendes Inkarnat basiert schon seit der Antike auf einer Grundierung sowie meist drei weiteren darauf aufbauenden Farbtönen.41 Malschicht und Farbauftrag, die im Falle der Lasurentechnik die feinen, transparent wirkenden Hautschichten nachbilden, sind zusammengefasst. Gleichwohl sieht Tizian die Hautfarbe als etwas Flächiges, als gesamten Körper.42 Der Künstler erhebt sich damit vom einfachen Handwerker zum gottähnlichen Schöpfer, der das Werk aus schlichten Farben zu wirklichem Fleisch zu transformieren scheint.43 Hegel beschreibt die Haut in seiner Vorlesung über die Ästhetik zu Beginn des 19. Jahrhunderts als eine lebende Oberfläche, als turgor vitae, welche das Innere nach außen scheinen lässt. Die Haut oder die Oberfläche tritt bei Hegel in einer »Nervenfarbe« in Erscheinung, die durch ihre Transparenz das Innenleben deutlich durchscheinen lässt und als ein »ideelles Ineinander aller Hautfarben« charakterisiert ist; thematisch einbezogen sind auch Haare, Falten, Adern und ähnliche Erscheinungen, welche das betreffende Lebensalter ausdrücken.44 1912 erscheint eine Publikation von Maria Grunewald über Die Entwicklung des Karnationskolorites in der venezianischen Malerei von den Anfängen bis auf Tiepolo. Diese Schrift kann Duchamp möglicherweise während seines Aufenthalts in München 1912 gelesen haben. Hierin wird das Herstellen des Inkarnates erläutert, das heißt wie mithilfe von transparenten Schichtungen der Eindruck erweckt wird, in den Körper beinahe hineinsehen zu können. Bei den verschiedenen Lagen spricht die Autorin von »Schatten«, die meist durch einen grünen und roten Unterton erstellt werden.45 Eine grundlegende Wendung tritt auch mit der Analyse von Theodor Hetzer 1935 ein. Hetzer erklärt hinsichtlich der Kunst von Tizian, dass die Farbe hier als ein eigenständiger Wert gefasst werden könne, da sie als Materie auftrete, die von Tizian mit dem Geist gekoppelt und sinnhaft eingesetzt worden sei. So symbolisiert sie nicht nur den Urgrund der Malerei, 38 39 40 41

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Vgl. WITT-BRASCHWITZ 2012, S. 60: BOHDE 2002, S. 338. Vgl. WITT-BRASCHWITZ 2012, S. 63; BOHDE 2002, S. 310. Vgl. HETZER 1992, S. 48f. Vgl. WEHLTE 2010, S. 174. Die Sieneser Malschule baute ab dem Trecento auch GrünerdeUntermalungen auf, die Farbe wurde bewusst als ein Kontrastton zum Inkarnat gewählt. Die Technik wurde verdaccio (von verde = grün) benannt. Paolo Uccello erstellte einen Freskenzyklus nach diesem Prinzip, BOHDE 2002, S. 14; BOHDE/FEND 2007, S. 10f.; GRUNEWALD 1912, S. 33f. Vgl. BOHDE 2002, S. 338. Bohde bezieht sich hier auf Tizians Marsyas-Gemälde. Vgl. BOHDE/FEND 2007, S. 10. Vgl. HEGEL 1970, S. 78; BOHDE/FEND 2007, S. 11. Marcel Duchamp weist unter anderem mit dem Werk Unbetiteltes Original für Matta’s Schachtel im Koffer (1949, Abb. 124) auf seine Affinität zu Haaren und Alterungsprozessen hin. Vgl. GRUNEWALD 1912, S. 10 und 34ff.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

sondern auch die wirkende Natur: »Sie wird ihm [Hetzer] dabei zu etwas quasi Lebendigem, Naturhaften, das ein Geschlecht hat und einem Lebenszyklus von Blüte, Reife und Verfall unterliegt«.46 1966 wird Duchamp in einem Interview auf Tizian angesprochen, genauer auf dessen Gemälde Mariä Himmelfahrt. Duchamp antwortet interessiert, dass ihm gefällt, was passiert, wenn Vergleiche angestellt werden, und dass er stolz auf solche möglichen Vergleiche mit Alten Meistern ist.47 Ein weiteres Mal erläutert er ein eigenes Gemälde von 1904, in welchem er mit der oben beschriebenen Lasurentechnik der Renaissance arbeitet. Dies zeigt, dass er sich in seinem Schaffen früh mit altmeisterlichen Techniken auseinandersetzt. Duchamp schreibt: »Portrait of Marcel Lefrançoise painted (two years later) around 1904, this portrait of a young friend of mine was already a reaction against the impressionist influence. In this painting, I wanted to try out a technique of the Renaissance painters consisting in painting first a very precise black and white oil and then, after it was thoroughly dry, adding thin layers of transparent colors. This technique of precision was deliberately in contrast with my first attempts at oil painting and it helped me to keep my freedom of development instead of sticking to one formula. Nevertheless, I abandoned it very soon to direct my research towards all sorts of unsuccessful tries marked by indecision and finally discovered the importance of Cézanne.«48 Duchamp, dem die Lasurentechnik, die das Inkarnat transparent erscheinen lässt, bekannt ist, versucht in seinem letzten Werk Étant donnés, das Inkarnat wirklich lebensecht umzusetzen. Dabei ist er jedoch nicht bemüht, die Haut durch das Auftragen von Malschichten lebendiger zu machen, sondern er erstellt die Haut, welche über den Akt, das Körpergerüst, gespannt ist, aus authentischem organischem Material, aus Schweinsleder. Eine Auseinandersetzung mit der Haut im Zusammenhang mit der traditionellen Schichttechnik ist hingegen früher zu verzeichnen. Das Interesse zieht sich durch sein komplettes Werk, denn auch in der Glasmalerei im Großen Glas sind bei der Ausmalung der Binnenformen der Braut verschiedene Malschichten in Hauttönen zu entdecken, welche übereinander in feinen Abstufungen aufgetragen wurden. Duchamp äußert sich zum Inkarnat: »[Die] Natürlichkeit und stoffliche Wirklichkeit seiner Akte inspirierten mich beim Inkarnat [der gemalten Braut von 1912].«49 Sein Interesse an Haut kann auch durch die Inkarnat-Wahl in folgenden Bildern, welche in Bezug zum Großen Glas entstanden sind, bestätigt werden: Braut (1912, Abb. 29), Le Passage de la Vierge à la Mariée / The Passage from Virgin to Bride / Der Übergang von der Jungfrau zur Braut vom Juli–August 1912 (Abb. 30).50 Durch die Variation des Hauttones scheint Duchamp auf

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BOHDE/FEND 2007, S. 11. Vgl. HAMILTON/KITAJ 1966, S. 5. Vgl. DUCHAMP 1964, a, S. 3. AUSST.-KAT. München 2003, S. 57. Die Assoziation einer dargestellten Vagina bleibt angesichts der Farbwahl des Inkarnates nicht aus. Dabei bezieht Duchamp sich auch thematisch auf die »nasse« Haut, das Geschlecht, und auf den Topos des lebendigen Werkes. Dabei kommt er auch noch einer Forderung Vasaris nach, wonach im übertragenen Sinne »ausgetrocknete« Körper vermieden werden sollen. Bohde und Fend beschreiben, dass physisch wirkende Malschichten mit trockener, rauer Haut oder bluttriefender

6. Übernahmen aus dem Werk von Lucas Cranach dem Älteren

verschiedene Hautpartien beispielsweise in der Braut verweisen zu wollen. Cranach variiert die Farbtöne zwischen dem weiblichen Akt der Eva und dem männlichen Akt des Adam, demer einen dunkleren Hautton verleiht. Dies nimmt auch Duchamp wahr, der gesondert visuell darauf hinweist. Seine männlichen Akte unterscheiden sich von den weiblichen durch einen weniger rötlichen Farbton, er tendiert hin zu erdigeren, dunkleren Nuancen, nachzuvollziehen etwa in den Gemälden Le Roi et la Reine traversés par des nus vites / The King and Queen Surrounded by Swift Nudes / König und Königin von schnellen Akten umgeben (1912), Nu descendant un escalier (No. 2) / Nude Descending a Staircase (No. 2) / Akt eine Treppe herabsteigend (Nr. 2) (1912) und Jeune homme triste dans le train / Sad Young Man on a Train / Junger trauriger Mann im Zug (1911–1912).51 In den genannten Gemälden wählt Duchamp hauptsächlich Haut- und Erdtöne und variiert diese in abstrakten Formen miteinander. Das Auftragen eines grünlichen Untertones der Haut wurde genutzt, um möglichst viele Variationen der Hautfarbe erzeugen zu können. Auch Duchamp trägt auf das Schweineleder in Étant donnés weitere Malschichten auf wie eine grünlich wirkende und verleiht dieser Oberhaut einen ungesund wirkenden Farbton.52 Dieser Aspekt erweckt den Eindruck, man stünde möglicherweise am Schauplatz eines Verbrechens, an einem Tatort, der oft im Werk erkannt wird. Gleichzeitig lässt der Gebrauch von Tierhaut beinahe den Gedanken zu, es handelte sich um einen hybriden Tiermenschen. Duchamp nutzt organische Materialien für den Aufbau des Körpers, wie auch das darunter liegende Holz, welches wie eine Art Gerippe angelegt ist. Diese Struktur ist mit Gips ummantelt und schließlich mit der ledernen Haut überspannt. So hält sich Duchamp im eigenen Werk an die theoretische Anordnung des italienischen Cinquecento, wenn es heißt, dass in einem ersten Arbeitsschritt ein Skelett erstellt werden soll, welches dann mit Fleisch zu überziehen ist, über das eine Haut gelegt werden muss, damit möglichst realistische Resultate in der Malerei erzielt werden.53 Duchamp erfüllt ironisch die traditionellen kunsttheoretischen Anforderungen in einem neuen Medium, wenn er sich tatsächlich für eine Lederhaut entscheidet und versucht, das eigentlich unstrukturierte Innere des Aktes mit Leben anzureichern, indem er in dem Arm in Étant donnés ein Holzskelett andeutet (siehe Punkt 4.6).54 Ebensolche Einblicke in seine Arbeitsweise werden insbesondere durch Duchamps Fotografien aus den Manual Instructions möglich: Hier kann der Betrachter einzelne Arbeitsschritte beobachten und Einblicke in das Innere des Korpus gewinnen und die »Knochenbildung« des Armes im Kunstkorpus nachvollzogen werden. Durch die darüber gespannte Schweinshaut entsteht eine Kontur, wodurch sich die Wirkung eines Äquivalents zur realen Menschenhaut ergibt: Sie

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Haut der Renaissance-Kunst verglichen wurden. Dies gipfelte wohl bei Dubuffet darin, dass er sich in der Rolle des Künstlers auch in der eines Metzgers wiederentdeckte. BOHDE/FEND 2007, S. 14; BOHDE 2002, S. 324. Letzteres Werk hat Duchamp bereits vor seinem Besuch in München angefertigt, was auf eine frühere Auseinandersetzung mit dem Inkarnat schließen lässt. Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 242f. Vgl. BOHDE 2002, S. 310. Bohde und Fend resümieren, dass die Begrifflichkeitsdefinition von Fleischfarbe im Fokus der Renaissance-Kunst stand und auch das Füllen des Körperinneren mit Substanz und Lebendigkeit umfasste. Siehe dazu: BOHDE/FEND 2007, S. 15.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

schließt den Körper nach außen hin ab, auch die genitale Körperöffnung der Frau ist mit Leder überzogen. Die vielen Details, welche durch die Fixierung und Straffung dieser Haut hervortreten – etwa am Rand angebrachte Nägel –, betonen abermals den Charakter eines geschändeten Körpers. Das Betrachterauge nimmt die unruhige, bearbeitete Hautstruktur wahr, sieht den bearbeiteten Hautton wie auch die abgeschnittenen Stellen. Gerade der ungesund aussehende Farbton der Haut und die unnatürlich wirkenden Arbeitsspuren am Körper lassen die Interpretation, es handelte sich um einen geschundenen Körper, augenfällig werden. Mit dem skelettartigen Unterbau (siehe Punkt 4.5 / 4.6) setzt sich Duchamp über sein Vorurteil gegenüber der dekorativen, oberflächlichen Malerei hinweg und gibt seiner Objektkunst tatsächlichen Tiefgang. Er nutzt hierzu Organisches nachahmende Schichten, welche ohne den Weg über die Rezeption früherer Herangehensweisen in der Kunst, insbesondere der Malerei, nicht nachvollziehbar wären. Weitere Überlegungen zur Kunsthaut lassen sich in Duchamps Werk beispielsweise anhand der Strumpfhose in der Boîte Alerte / Box Alert / Die muntere Schachtel von 1959 anstellen (Abb. 113 a).55 In dieser Box in Form eines Briefkastens befindet sich ein schwarzer Nylonstrumpf, an dessen Bund groß die weiße Aufschrift HAUT (frz. Hoch / oben) aufgeprägt ist (Abb. 113 b). Der Begriff lässt sich auf die Bewegung des Nach-ObenStreifens dieses erotisch Kleidungsstückes beziehen. Gleichzeitig wird angesichts der Homographie zum deutschen Wort »Haut« ein weiterer Bogen zu dieser zweiten Haut, der künstlichen Nylonhaut, die einen Fetischcharakter besitzt, gespannt. De Piles bringt im 17. Jahrhundert in Dialogue sur les Coloris zur Sprache, dass der Maler seine Kunst so wie ein Verliebter seine Mätresse behandeln solle.56 In den Manual Instructions lässt Duchamp spürbar werden, wie eng der Künstler selbst bei der Herstellung mit dem Objekt in Verbindung steht. Aber auch der Betrachter ist in die Installation mit einbezogen und kann von ihr emotional berührt werden. Dies erfährt der Betrachter unter dem Vorzeichen der »Zärtlichkeit«, in der erkennenden Hingabe an die Kunstbetrachtung, welche er dadurch gewinnt, dass er das Prozesshafte der Herstellung nachvollzieht.57 Die Emotion ist mit dem Sehen und dem Erkennen verbunden, entsprechend der Werkberührung durch die Künstlerhand im Herstellungsprozess: Beides kann durch den Betrachter sinnlich nachempfunden werden.58 Paul Valéry äußert sich zu diesem Aspekt, und es ist zu vermuten, dass Duchamp diesen Text kannte: »Wenn Tizian eine Venus gibt, schimmernden Leibes schwelgerisch auf Purpur gebettet, ebenso herrlich als Gattin wie vollkommen als Malerei so hat man das Gefühl, dass für ihn Malen ein Liebkosen war, die Verbindung zweier Formen von Wollust in einem erhabenen Akt, darin der Besitz seiner selbst und seiner Mittel und der mit allen Sinnen erlebte Genuss der Schönen einander durchdringen.«59

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Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 100. Vgl. SUTHOR 2004, S. 50. Vgl. SUTHOR 2004, S. 50. Vgl. SUTHOR 2004, S. 49. SUTHOR 2004, S. 50.

6. Übernahmen aus dem Werk von Lucas Cranach dem Älteren

Die sinnliche Berührung der Haut steht in Analogie zu der Kunst und ihrem Herstellungsprozess, in welchem durch Pinsel, Werkzeug oder dieHand des Künstlers die Farbe auf die Leinwand aufgetragen wird in meist mechanischer, subtiler Bewegung.60 Die Verführung als reale und sensuelle Erfahrung wird mit dem Auf- und Abbau der künstlichen und somit künstlerischen Welt begriffen. Sie bietet dem Künstler das Moment der Spiegelung und des Erkennens seiner eigenen Inkarnation, seiner schöpferischen Kraft durch die Liebesgabe des Künstlers gegenüber der Kunst.61 Die Hauptbedeutung kommt dabei dem Inkarnat zu bzw. der incarnazione, dem malerischen Prozess hin zur Fleischwerdung.62 In Duchamps Kunst ist es die Künstlerhand selbst, welche die künstliche Lederhaut auf Gips und Draht aufspannt und fixiert. Der Künstler, der Étant donnés im abgeschlossenen, geradezu geheimen Atelier kreiert, erzeugt durch diesen besonderen Entstehungsprozess eine besondere Nähe, ja Intimität zu seinem Akt im Werk: Er ist es selbst, der das Material wie ein Liebhaber berührt. Die Haut ist als ein Schwellen- oder Grenzkörper der inneren Welt des Menschen zum Außenraum zu betrachten. Duchamp spricht in Bezug auf Cranachs Akte vom »Inkarnat« und den »hochgewachsene[n] Akten« Cranachs und stellt damit heraus, wo sein Interesse liegt.63 Bei Cranach sind die Akte in einem fast schon monotonen, kräftigen Inkarnat gehalten, welches sich grundlegend von der lasierenden Technik Tizians unterscheidet. Bei Cranach sind es viel mehr die stilisierten Figurenformen, welche die Haut als eine Fläche sichtbar machen. Sie bieten dem Maler eine Grundform, in welcher er seine Fertigkeit der Hautmalerei innerhalb der Form und durch den Einsatz der Farbe präsentieren kann. In Étant donnés schließlich ist nicht nur die Form durch die Rezeption der Hexe aus dem Neujahrsgruß mit drei Hexen in der Grundform des Torsos von Hans Baldung Grien gewahrt (siehe Kapitel IV), vielmehr wird dieses Element von Duchamp, vergrößert auf lebensnahe Abmessungen, auch nachempfunden. Die Technik der Herstellung der Haut erfolgt in Anlehnung an Tizian, allerdings in einer individuellen Transformation. Trotzdem orientiert sich Duchamp dabei an traditionellen Verfahren. Dalí erklärt, auf sein eigenes Werk bezogen, den Hang zur Tradition wie folgt: »…Meine Metamorphose ist die Tradition, denn Tradition heißt ja nichts anderes als: Wechseln der Haut, Wiederfinden einer neuen, ursprünglichen Haut, die eben die unausweichliche Folge der ihr vorausgegangenen biologischen Form ist. Sie ist weder Chirurgie nicht Verstümmelung, noch Revolution – sie ist Renaissance. Ich gebe nichts auf; ich setze fort. Und ich fahre mit dem Anfang fort, da ich beim Ende begonnen hatte, damit mein Ende wieder ein Anfang sein könne, eine Renaissance.«64

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Vgl. BOHDE 2002, S. 339. Vgl. SUTHOR 2004, S. 48f. Vgl. BOHDE 2002, S. 48f. »Le tinte delle carni«: Italienische Kunsttraktate des 15. bis 17. Jahrhunderts diskutieren die Begrifflichkeit von Haut und Fleisch. Die Fleischwerdung findet ihren Ausdruck in der Figur Christi, sie wird aber auch auf weitere Prozesse einzelner Körperteile übertragen, wie beispielsweise auf Eingeweide, Brust und Gebärmutter. AUSST.-KAT. München 2012, S. 57. sSiehe dazu auch: SAWELSON-GORSE 1993, S. 100. DALÍ 1984, S. 485.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Dalí sieht diesen transformatorischen Prozess als eine Fortsetzung der Tradition und reiht sich in logischer Folge in diese Tradition ein: Er hat am Ende begonnen, also in dem ihn betreffenden Jetzt, am Ende der bis dahin andauernden Entwicklungsgeschichte der Kunst.65 Auch Duchamp fertigt durch Farbauftrag in Étant donnés real wirkende Hautschichten an, eine abgewandelte Form des Lasurenauftrags, welche an die Erstellung der »Farbhaut« Tizians erinnert: Er trägt mehrere Schichten Ölfarbe in zwei unterschiedlichen Farbnuancen auf das Leder auf.66 In einem beinahe ironisch eingesetzten traditionellen malerischen Verfahren – dem der Lasurentechnik Alter Meister – versucht er, dem organischen Grundstoff Leder durch Farbschichtung einen malerischen Ausdruck zu verleihen. Die Haut, die er in ähnlichen, schichtartigen Verfahren wie in den Malereitheorien der italienischen Renaissance behandelt, transferiert er in die Objekthaftigkeit seiner Kunstlederhaut-Schichtung in Étant donnés. Durch die intensive Auseinandersetzung Duchamps mit beispielsweise dem Medium der Haut, deren kleinste Details er aufspürt, macht er seine Überlegungen für den Betrachter am Objekt nachvollziehbar. Aber auch wenn er sich von der Malerei befreit, schafft er es in dem begleitenden Band zu Étant donnés, den Manual Instructions, das Kunstwerk wie einen Tatort erscheinen zu lassen, an dem seine Hand maßgeblich wirkte. Durch die greifbare Hand des Künstlers an dem Kunstkorpus selbst versetzt er sich in die Rolle eines Kunstliebhabers oder besser: Kunstschänders. Die Idee des Künstlers oder Betrachters als Kunstliebhaber stammt aus der Renaissance. Also wählt sich Duchamp gleichsam traditionelle Verfahren der Kunst, die er erneut wandelt und in einer bis dahin noch nie dagewesenen Weise für seine Objektkunst anwendet, sie dabei durch eigene Ideen erweitert und mit seiner Ästhetik versieht.

6.3.

Schaumgeburten

Die Bildinschriften bei zwei Venus-Darstellungen von Lucas Cranach dem Älteren sind im Kontext des Themas Schaumgeburten in den Fokus zu nehmen: zum einen die der Venus in Hannover (Landesmuseum), zum anderen diejenige der Venus in Princeton (University Art Museum). Auf dem letzten Gemälde heißt es: »Einst wurde ich, Venus, aus dem Schaum des Meeres geboren und ans Ufer getragen.//Jetzt bin ich, oh Lukas, dank Deines Schaumes wiedergeboren.«67 In Hannover liest der Betrachter: »Ich,

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Vgl. DALÍ 1984, S. 485. Vgl. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 248. Auch Magritte arbeitet mit Hautschichten insofern, als er diese mit dem Außenraum, einer Landschaft oder Holz, verschmelzen lässt und so die Hautschicht infrage stellt und gleichzeitig wieder heraushebt, etwa in den Bildern Das doppelte Geheimnis (1927), The thought which sees (1965) oder La bella sociedad (1965–1966). »OCEANI QVONDAM SPVMIS VENVS ORTA FEREBAT/NVNC SPVMIS LVCA VI[V]O RENATA TVIS.« Zitiert nach: KRÜGER/OTT/PFISTERER 2013, S. 10; KOCH 1969, S. 54−57; AUSST.-KAT. Basel 1974/1976, S. 655; AUSST.-KAT. Frankfurt 2007, a, S. 104f. Der Ausst.-Kat. 2007 verweist hinsichtlich der Inschrift auf den unmittelbaren Rückgriff auf die Geburt der Venus aus dem Meer, welche Cranach demnach mit der Wiedergeburt der Kunst gleichsetzt.

6. Übernahmen aus dem Werk von Lucas Cranach dem Älteren

Venus, trieb einst, aus dem Schaum des Ozeans geboren, dahin, jetzt lebe ich, wieder geboren, Lucas, aus deinem [Farbschaum].«68 Der Schaum des Meeres tritt hier in Analogie zum Farbschaum und erhält letztlich eine weitere Konnotation durch das männliche Sperma, welches als die Schaumkrone des Meeres – eine scheinbar künstliche Zutat bzw. Zierde – mit der Malerei selbst verglichen und gleichgesetzt werden kann. Die Venus oder die Malerei entsteigt also nach des Künstlers eigenem Dafürhalten dem Meer, das wiederum durch seine Schaffenskraft entstand, durch die künstlerische Potenz des Spermas, die Farbe im Bild, die das Wasser des Meeres evoziert.69 Die ironische Anspielung dürfte bereits dem damaligen Publikum, der Auftraggeberschaft und der Kirche, verständlich gewesen sein.70 Die Venus ist bei Lucas Cranach meist auf dunklem Hintergrund festgehalten und nicht wie zuvor in Botticellis Geburt der Venus vor dem Hintergrund eines gemalten wirklichen Meeres dargestellt.71 Das Motiv des Spermas ist auch in das Werk von Duchamp eingeflossen, etwa in das Blatt Paysage fautif / Faulty Landscape / Sündige Landschaft (Abb. 20, siehe dazu 3.2), welches von der Forschung bereits mit der Schaum-Metaphorik Cranachs in Beziehung gesetzt wurde.72 Die weitere Untersuchung soll jedoch noch ein Spermawerk in den Diskurs der Arbeit einführen, welches in einer »man-to-man collaboration« von Man Ray aufgenommen wurde. Es zeigt ein Porträt Duchamps, in dem seine Haare und Hände vollkommen bedeckt sind von weißem Seifenschaum (Abb. 8). Durch den voluminösen, fixierenden Schaum steht sein Haar in zwei zur Seite stehenden Hörnchen geformt nach oben. Auch Duchamps Mund ist vom Schaum verdeckt, sein weißes, hochgekrempeltes Hemd lässt er mit dem weißen Schaum auf den Händen und Armen auf dem Schwarz-Weiß-Foto verschmelzen. Das mit dem Schaum präparierte Gesicht wird ein weiteres Mal in einem runden Ausschnitt – wie in einem Medaillon – in dem Druck Obligations pour la Roulette de Monte-Carlo / Monte Carlo Bond / Obligation für das Roulette von Monte Carlo 1924 (Abb. 114 / Abb. 8) gezeigt. Genau genommen befindet sich das aus der Fotografie von Man Ray ausgeschnittene Gesicht Duchamps, mit Seifenschaum überdeckt und seitenverkehrt, im oberen Teil des Bildes in dem sogenannten Kessel des Roulettes. In einem Interview spricht Duchamp das Roulette-Spiel zwischen Betrachter und Künstler selbst an,73 ebenso die Frage hinsichtlich des Kunstmarktes. Duchamp geht es offensichtlich nicht darum, mit seiner Kunst Geld zu verdienen, auch nicht um die offizielle Akzeptanz eines Laienpublikums, sondern darum, in einen Diskurs mit der Kunstgeschichte zu treten, wegweisende Aussagen für die Zukunft in seinem Werk zu treffen und eine möglichst große Freiheit im Schaffensprozess zu erreichen. Dennoch ist es ihm auch wichtig, auf dem Kunstmarkt mit seinem Werk 68 69 70 71

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AUSST.-KAT. Hamburg 2003, S. 112. »OCEANI QUONDAM SPUMIS VENUS ORTA FEREBAR/NUNC SPUMIS LUCA VIVO RENATA«, AUSST.-KAT. Basel 1974/76, S. 655. Vgl. KRÜGER/OTT/PFISTERER 2013, S. 10. Vgl. KRÜGER/OTT/PFISTERER 2010, S. 10. Baldung zeigt in seinem Sintflut-Bild eine Venus auf den schwarzen Wogen. Statt auf einer Muschel steht sie auf lose aneinandergefügten Holzbalken und offenbart einen Moment des schwarzen Humors Baldungs. Vgl. KRÜGER/OTT/PFISTERER 2013, S. 8ff. Im genannten Text wird auch auf Galen hingewiesen, welcher bereits das Sperma als »eine Art Schaum entstanden aus der besten Hitze des Körpers« beschrieben hat. Vgl. DUCHAMP 1964, S. 13.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

zu bestehen. Er ist auf den Zuspruch des Fachpublikums angewiesen, um den Fortbestand seiner Kunst zu sichern. Diesen Fragen begegnet er mit der Konzeptualisierung seines Werkes, wodurch er versucht, den Zufall in sein Werk einzuladen, was jedoch das Konzept mindert.74 Im weiteren Interview kommt Duchamp im Zusammenhang mit dem Spiel auch auf die Kunst als Droge zu sprechen, da die Beschäftigung mit ihr seiner Auffassung nach Ähnlichkeiten mit der Spielsucht aufzeigt. Nicht zuletzt kommt er zum Thema der Mechanisierung der Kunst, indem er einzelne Herstellungsverfahren anspricht.75 Duchamp ist allzeit bemüht, geistvolle, intellektuelle Kunst zu erstellen und richtet sich gegen eine automatisierte oder serielle Kunstproduktion von sich stets wiederholenden, dekorativen Sujets. Nichtsdestotrotz gleichen sich Spiel und Kunst auf dem Kunstmarkt in einem Punkt, nämlich hinsichtlich des Aspekts des zufälligen Treffers, der den Gewinn darstellt. Auf dem Kunstmarkt muss sich die Kunst wie auf einem Spielfeld beweisen. In dem Katalog zur Ausstellung im Palazzo Grassi in Venedig 1993 wird in diesem Zusammenhang das »System« als »experimentally based on one thousand rolls of the Ball« angeführt.76 Letztlich ist der Duchamp-Kopf im Bild von Monte Carlo Bond (Abb. 114) im Roulette-Kessel die treibende, befruchtende Kraft, welche die Bälle im Spiel zufällig in alle Richtungen schießt. Duchamp und dem homosexuellen Man Ray geht um den sich gegenseitig befruchtenden künstlerischen Austausch in der produktiven Zusammenarbeit – einerseits der beiden Künstler-Kollegen und anderseits der unterschiedlichen Medien, welche aufeinandertreffen und sich gegenseitig bedingen. Sie transportieren die dadurch potenzierte Aussage durch das Werk. Der Schaum ist an die Stelle des Mediums der Malerei, die Farbe, getreten und in neuer Form materialisiert. Der aus Seife gewonnene Schaum wird zu Beginn des 16. Jahrhunderts auch in anderen Werkstätten in Bildern verarbeitet, was sich beispielsweise in dem Gemälde von Bartholomäus Bruyn von 1525/1530, Knabe mit Seifenblase (Homo bulla) (Abb. 117), ausdrückt. Man könnte in der bunt schimmernden, zarten, transparenten Blase und dem Strohhalm nicht nur ein Vanitas-Symbol, sondern auch ein verdecktes Genderspiel sehen. Es erinnert stark an Duchamps signiertes Werk Bilboquet / Geschicklichkeitsspiel aus Holz: Eine Holzkugel muss von einem Holzstäbchen aufgespießt werden (Abb. 118).77 Allgemein sind in Duchamps Gemälden weder Farbe noch Pinsel als weibliches und männliches Prinzip zu finden, sondern die Formen von Stab und Kreis, welche sich bedingen. Hinsichtlich des Seifenblasen-Spieles werden das nasse und das trockene Prinzip augenfällig; hier ist es der Künstler selbst, welcher von dem Kunstwerk vollkommen bedeckt ist und sich in das Spiel mit der Kunst einbringt. Mit Blick auf die Verwendung

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Vgl. JANIS 1953, S. 71. Duchamp: »[…] I didnt lose anything because I hardly played so I couldn’t even risk any money. I didnt have any capital to risk. It never was really a success of any kind – you know those things I always had kind.« Vgl. DUCHAMP 1964, S. 13. Vgl. AUSST.-KAT. Venedig 1993, siehe: 1924. Vgl. HERZ 2012, S. 80f. Dieses Geschenk macht Duchamp seinem Künstlerfreund Max Bergmann nach dem München-Aufenthalt 1912.

6. Übernahmen aus dem Werk von Lucas Cranach dem Älteren

von Seifenschaum im Porträt des Künstlers, das Man Ray fotografiert, lässt sich überdies leicht von einer »Schaumschlägerei« zwischen zwei Künstlern sprechen, die sich in ihren jeweiligen Medien zu profilieren suchen, insbesondere aber auch miteinander spaßen und dies visualisieren. Zwar arbeiten die Künstler in der visuellen Kunstsprache ihrer Zeit, zugleich aber mit historischen Themen, welche sie für ein Fachpublikum erneut und humorvoll umsetzen.

6.4.

Die Nymphen-Darstellung – Sensueller Einsatz der Hand

Seit dem Quattrocento wird von Malern und Bildhauern vor allem im italienischen Raum mit außerordentlicher Beliebtheit das Sujet der Quellnymphe aufgegriffen. Das Thema des Aktes in der Natur hat im Besonderen Cranach der Ältere nach Vorbildern nördlich der Alpen erarbeitet, um es dann schließlich für seine Belange gegenüber den Auftraggebern individuell anzupassen.78 Dem mythologischen Thema der Nymphe widmet Cranach eine ganze Folge von siebzehn Bildern, wobei sich alle Nymphen motivisch auf die erste von 1518 beziehen (Abb. 119).79 Transferprozesse sind zu seiner Zeit von großer Bedeutung, nicht nur im Sinne der Rezeption der italienischen Kunst. Diese verlangt es nicht mal vom Künstler, selbst nach Italien zu reisen. Er kann über theoretische Diskurse und rezipierte Grafiken die italienische Renaissance-Kunst auch nördlich der Alpen studieren.80 Die Auftraggeberschaft, das venezianische Patriziat, ruft die Maler und Dichter des späten 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts regelrecht zu einem Wettstreit der Künste auf und stellt dabei die Frage in den Mittelpunkt, welches Medium am treffendsten zum Ausdruck der imaginatio, zur »Belebung der Einbildungskraft« eingesetzt werden könne. Die Maler erhalten die Aufgabe, ein rezeptives Bild, basierend auf einer Textgrundlage, anzufertigen, und sind des Weiteren angehalten, die technische Raffinesse der ästhetischen Vollkommenheit der Malerei mit der idealen weiblichen Schönheit zu verbinden.81 Das Bild Liegende Quellnymphe von Lucas Cranach dem Älteren aus dem Jahr 1518 (Abb. 119) reiht sich in eine lange Tradition der mythologischen Aktdarstellungen ein. Das Bildsujet selbst steht für die verführerische Malerei, welche versucht, den Betrachter mit allen Sinnen zu entzücken, um sich dann doch als unzulänglich und als schlichte Materie zu entpuppen. Die aufreizende Gestik wie auch die sich aufdrängende Körperlichkeit der Nymphe scheinen geradezu die Berührung durch den Betrachter provozie-

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Giorgiones sowie Tizians Venus, welche ein Schlüssel für Cranachs Verständnis und Beschäftigung sind, sind in der zeitgenössischen italienischen Kunsttheorie aktuelle Themen. Duchamp dürfte Giorgiones Schlummernde Venus von 1510 gekannt haben, die sich in der Dresdner Staatsgemäldesammlung befindet. Siehe auch: MÜLLER 2008, S. 178. Vgl. BIERENDE 2002, S. 226. Vgl. WERNER 2013, S. 243 und 251. Über Buchillustrationen wurden die Grafiken ins Tafelbild versetzt und erhielten so eine Nobilitierung. Vgl. MÜLLER 2008, S. 174. Genauso, wie sich Dichter der idealisierenden Überhöhung durch die poetische Sprache bedienen.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

ren zu wollen.82 Taylor verweist auf diesen Aspekt mit Blick auf Duchamps Étant donnés und vergleicht das Werk mit Cranachs Liegender Quellnymphe mit folgenden Worten: »Sowohl Duchamp wie Cranach war offenkundig bewusst, dass der zeitlose Mythos des in eine idyllische, an fließenden Gewässern reiche Waldlandschaft eingebetteten Frauenakts eine Identifizierung des weiblichen Körpers mit den Kräften der Natur bedeutete. Und für beide Künstler waren damit eindeutig sexuelle Konnotationen verbunden, die sie noch steigerten, um die in traditionellen Darstellungen des Themas vorherrschende arkadisch träge Stimmung zu durchbrechen.«83 »Archetypisch gelagert« ist der weibliche Akt der Liegenden Quellnymphe auf roten Samt, den Betrachter anblickend, eingebettet in eine hyperrealistische Naturszenerie, dessen Prospekt sich im hinteren, rechten Bereich zu einem eingefärbten Himmel hin öffnet, der die Farbe des Frauenkörpers im Vordergrund wieder aufnimmt. Im linken Mittelgrund befindet sich ein rechteckiger Brunnen mit einer antikisierenden Säule in der Mitte. Am Brunnenrand ist eine Inschrift zu lesen: »FONTIS NIMPHA SACRI SOMNVM NE RVMPE QVIESCO« (»Ich ruhe hier, Nymphe des heiligen Quells, störe meinen Schlaf nicht«).84 Dieser Appell kommt jedoch einer Täuschung gleich, denn auch wenn der Betrachter angesprochen ist, wird er die Nymphe im Bild nicht in seine Gegenwart holen können.85 Es handelt sich bei dem Bild um eine »Zusammenschau« von überkommenen, zum Teil antiken Bildüberlieferungen, die von Cranach im zeitgenössischen kulturgeschichtlichen Kontext des kursächsisch-wittenbergischen Hofes herangezogen werden. Darüber hinaus ist das Bild ein althergebrachtes, moralisierendes Lehrbild unter Berücksichtigung christlicher Regenten-Ethik.86 Das Tuch, rot eingefärbt, verweist auf die körperliche Befleckung oder auf die geschlechtliche Reife der Nymphe. Der Akt lagert in einer Landschaft von »auffallend antirealistischem« Grün mit wenig Integration in das natürliche Umfeld.87 Die sinnlich schlummernde Nymphe Cranachs personifiziert die Inspirationsquelle durch sich selbst und tritt zugleich als deren Hüterin auf. Zudem ist sie in einem Zustand festgehalten, in welchem sie träumend die Ideenfindung repräsentiert, inspiriert durch den Blick des Betrachters, mit dem sie mit halb geschlossenen Augen zu flirten scheint. Schon in der Antike gelten Nymphen als Personifikation von Naturkräften, und in der italienischen Renaissance sind sie ein beliebtes Sujet, welches in absoluter Anschauung den schönen, wahrhaftigen Körper und auch innere Anspannung und Bewegung birgt. In gleichem Maße verkörpert die Nymphe den Aspekt der Mahnung vor der Verführungskraft.88 »Das Werk der Liebe ist Zeugung im Schönen«, so der Glaube seit der

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Vgl. MÜLLER 2008, S. 176. AUSST.-KAT. München 2012, S. 67. Im Sinne der schlafenden Venus in der Natur verweist Taylor auch auf Giorgiones Schlummernde Venus. MÜLLER 2010, S. 210; MÜLLER 2008, S. 162. Vgl. PATAKI 2002, S. 129. Vgl. MÜLLER 2008, S. 170 Vgl. MÜLLER 2008, S. 163. Vgl. HINZ 1993, S. 104 und 106. Hinz weist darauf hin, dass der liegende Akt eine lange Hochzeitsikonografie im 15. Jahrhundert hat und durch Giorgiones Venus zum großen Thema der Malerei der Neuzeit wurde.

6. Übernahmen aus dem Werk von Lucas Cranach dem Älteren

Antike, und kann erfahrbar werden beispielsweise durch die Schönheit eines Körper, mit dem man sich physisch und seelisch verbunden fühlt und durch den man vielleicht sogar Göttlichkeit erfährt. Wer aber die wahre Tugend kennenlernen möchte, muss selbst zur höchsten Erkenntnis gelangen und diese dann weitergeben, um so zum Guten und Wahren zu gelangen.89 Dies umschreibt die Vorstellung, welche in der Frühen Neuzeit von Ficino wieder aufgegriffen wurde: dass das Streben zu Schönheit und Liebe sowohl über einen Körper als auch über den Weg des theoretischen Lehrens möglich sei und beides eine erkenntnisreiche Entwicklung eröffnen könne. Durch Schönheit oder die »Idee« dieser Entwicklung kann in Reflexion oder durch physische Erfahrung abermals an die Schönheit erinnert und ein mentales Wachstum hervorgerufen werden.90 Hinsichtlich der Liegenden Quellnymphe von Lucas Cranach dem Älteren verweist Pfisterer auf die Parodie von »Kunstliebe und Kunstkompetenz« zum Zweck des Überwindens der Grenzen der Kunst. Der Künstler führt also dem Auftraggeber das erotische Wunschbild vor Augen, vergleichbar mit einem »Liebes-Fetisch«, einer Art »KunstFrau« für den Auftraggeber, wie es Pfisterer formuliert, welche sich in seinem visuellen Gedächtnis festsetzt und damit sein Denken und Fühlen dominiert.91 Baumgärtel merkt an, dass die Nymphe auch in der Moderne nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Psychoanalyse zu einer zeitweiligen Identifikationsfigur, die Freud durch eine männliche Figur ersetzt, aufsteigt.92 Auch für Warburg ist die Nymphe eine Figur, welche zur Erkenntnis verhilft. Weissagungen wurden gerade in der frühen Neuzeit gerne zur Entscheidungsfindung an deutschen Fürstenhöfen genutzt und fanden auch am Wittenberger Hof großen Zuspruch. So wurden Wälder und einzelne Bäume als heilige Orte verehrt, mit der Nymphe als der schönen, weiblichen Repräsentantin heidnischer Bräuche in ihrer Mitte.93 Typischerweise werden keusche jugendliche Quellnymphen bei einer Quelle dargestellt, die meist in Form eines antiken Sarkophags oder eines einfachen Brunnenbeckens eingefasst sind. Brunnen stellen in der damaligen Zeit Orte der Orakelpraxis dar und werden als heilige Orte, an denen Visionen auftreten können, betrachtet. In den mythologischen Erzählungen wachen Nymphen hier als Lebensgeister der Natur oder als Gottheiten der Fruchtbarkeit. In ihrem Wasser, so der Humanist und sächsische Kanzler Georg Spalatin, entdeckt man Glück oder Unglück in dessen Beschaffung.94 Die Chronik des Thietmar von Merseburg dürfte eine zweite Quelle aus der Zeit Cranachs sein. Beide Quellen geben Einblicke in die Sitten und Bräuche der Meißener Lande und verdeutlichen den Einfluss der Weissagungen, die an Quellen und Brunnen

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Vgl. SCHNEIDER 1908, S. 27. In Platons Symposion, in welchem der Eros debattiert wird, erläutert Sokrates, was er von der Priesterin und Gelehrten Diotima aus Mantineia über den Gott der Liebe gelernt hat. Die Liebe sei danach das Verlangen, die Schönheit für immer zu besitzen, und sei Zeugung im Schönen, sowohl physisch als auch seelisch. Vgl. FICINO 1994, S. 269. Vgl. PFISTERER 2012, a, S. 37. Vgl. BAUMGÄRTEL 2008. Vgl. MÜLLER 2008, S. 169. Vgl. MÜLLER 2008, S. 170.

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ausgesprochen werden. An den humanistischen Fürstenhöfen etwa finden sie großen Zuspruch.95 Die oben dargelegten Überlegungen zu Cranachs Nymphe führen zu Étant donnés, in dem ebenfalls ein Akt in die weitgehend realistisch nachvollzogene Natur drapiert ist.96 Ironischerweise lagert dieser Leib auf stacheligem, dürrem Gras, und der in gewissem Maße naturalistisch erscheinende Körper mit angedeuteten Extremitäten scheint sich auf genau die oben beschriebene Weise dem Betrachter anzubieten – insofern ist er beinahe nicht mehr als ein Erkenntnisort im klassischen Sinne zu bezeichnen. Und dennoch lässt sich das Gezeigte an persönliche Erlebnisse des Betrachters anbinden und mit seinem visuellen historischen Gedächtnis vernetzen. Bereits Aristoteles zieht Rückschlüsse vom Erlebnis zum Gedächtnis: »Das Erlebnis, dessen Vorhandensein man Gedächtnis nennt, ist wie ein Gemälde, weil die ablaufende Bewegung gleichsam einen Eindruck des Wahrnehmungsbildes zurücklässt, wie wenn man mit einem Ring gesiegelt hat.«97 Je näher das Bild oder Zeichen an das Urbild herankommt, »desto mehr Licht und Wahrheit hat das Gemälde«, so liest man in der Literatur zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Hofmann resümiert, dass jedes Kunstwerk ein Symbol ist, dem eine Erfahrungswelt zugrunde liegt, sodass wir es wiedererkennen: in dem Scheinbild, »worin ein anderes erkannt wird«.98 Der Begriff der Nymphomanie existiert bereits in der Antike. Die Nymphen sollen in Zeiten der Dürre für die andauernde Fruchtbarkeit der Vegetation sorgen. Der Begriff ist aber vor allem hinsichtlich seiner Auslegung als »Mannstollheit«, als gesteigerter und als krankhaft bezeichneter sexueller Trieb der Frau bekannt, welcher im Gemälde den Betrachterblick geradezu auf sich zu ziehen scheint. Die Nymphe vermag »einen Mann zum nymphios, das heißt zum Glücklichen, am Ziel seiner Männlichkeit angelangten Bräutigam« zu machen.99 In dem Hochzeitsbild für Girolamo Marcello, der Schlummernden Venus von Giorgione (Abb. 120), wird in der Forschung eine Verführerin erkannt, gleichzeitig ist es nur der Augenschein leblosen Materials. Nicht nur die augenscheinliche Materialität evoziert eine Berührung, auch die Venus selbst berührt sich in der vermeintlich ruhenden Position des Schlafes: So wird doch in ihrer Pose höchste sexuelle Spannung erkannt: »Unlike the ancient Venus pudica, she does not merely conceal, she caresses herself.«100 Laqueur ist der sicheren Auffassung, dass die Auftraggeber bei Tizian und Giorgione eine Venus mit Hand auf der Scham als masturbierend erkennen. Ersonnen sei diese Pose für die intimen Träume des Auftraggebers.101 In Giorgiones Gemälde wird 95 96

Vgl. BIERENDE 2002, S. 233. Vgl. AUSST.-KAT. München 2012, S. 66. Das Bild der Liegenden Quellnymphe ist 1938 in der Zeitschrift Minotaure abgedruckt; siehe dazu: RAYNAL 1938. 97 BERNDT 1999, S. 29. Berndt merkt an, dass das »…Gemälde in einer ästhetischen Hierarchie wurzelt, die Bilder als vermeintlich natürliche Zeichensysteme gegenüber Texten als konventionellen Zeichensystemen bevorzugt«. 98 Vgl. HOFMANN 1966, S. 89. 99 GAZZETTI 1993, S. 21; BAUMGÄRTEL 2008, S. 33. Baumgärtel erwähnt die erektionstreibende Macht einer Nymphe. Pataki spricht hinsichtlich der Quellnymphe ein Berührungsverlangen (noli me tangere) an, welches noch nicht vollzogen ist. Siehe dazu: PATAKI 2002, S. 125. 100 GOFFEN 1997a, S. 77; MÜLLER 2008, S. 176. 101 Vgl. LAQUEUR 2008, S. 292.

6. Übernahmen aus dem Werk von Lucas Cranach dem Älteren

zwar keine Quellnymphe dargeboten, dennoch können anhand eines Vergleichs mit dem ebenfalls liegenden Frauenakt weitreichende Rückschlüsse auf Cranachs Liegende Quellnymphe gezogen werden: Im Bild von Cranach wird die Hand der Quellnymphe zwar nicht zum eigenen Geschlecht geführt, in Anbetracht der aufgespreizten Zehen oder der linken Hand, die eingekrümmte Finger aufweist, wird aber eine innere Belebtheit oder Spannung des Körpers ausgedrückt. Darüber hinaus erkennt man blinzelnde Augen bzw. einen liebäugelnden Blick, welcher dem Betrachter auffordernd begegnet. Liegend empfängt die Nymphe so den Betrachterblick oder den des (Kunst-)Liebhabers auf dem improvisierten, zufällig erscheinenden Lager. In dieser Geste liegt aber immer auch eine Kehrseite: Der Blick des Betrachters begutachtet die Figur voyeuristisch und gar schänderisch, wenn der Betrachter von der »gottlosen Begierde« eingenommen wird und das ihm Dargebotene somit »masturbando« konsumiert.102 Genauso wie die Venus im Hinblick auf Sinnlichkeit, Illusion und voluptas die Malerei selbst verkörpert, kann auch das Motiv der Nymphe als Kunstfigur gewertet werden, als »eine Kunstfigur par excellence, ein aufweckbares Bild« und somit lebendiges Bild. In den augenscheinlichen Verführungskünsten durch die Kunst zeigt Lucas Cranach der Ältere seine Meisterschaft. Sie rekurriert auf die Automatismen der Imagination des Betrachters, der sich durch die Figurationen im Kunstwerk angeregt fühlt; er reagiert, so die Vorstellung, auf diese Verführung und wird so in das Bild mit einbezogen. Dies wird anhand zahlreicher Frauendarstellungen deutlich, in welchen die weiblichen Figuren ganz offensichtlich mit dem Betrachter aus den Augenwinkeln heraus flirten, oder auch in den Darstellungen zum Thema Ungleiches Paar, da die Frauen nicht nur den Mann neben sich verführen möchten, sondern auch den Betrachter komplizenhaft anblicken. Hier drückt sich ein Widerspruch aus, den das vermeintliche Einbeziehen des Betrachters in das Bildgeschehen durch die Figur angesicht der Unmöglichkeit für den Betrachter, am Geschehen – nicht mehr als ein Augenschein – real teilzunehmen, verursacht. Étant donnés lässt in Anbetracht des scheinbar lebendigen Aktes und seiner Positionierung in der Landschaft an Beispiele wie das der Schlummernde Venus von Giorgione denken. Hyperrealistisch lagert der Akt Duchamps auch in Étant donnés in der Landschaft, allerdings in widersprüchlicher Weise, nämlich im dürren Gestrüpp; der bewaldete Hintergrund findet seine Entsprechung erst in dem sich inmitten der Landschaft befindenden, reich gefüllten See, der von einem Wasserfall gespeist wird. Wie in anderen Aktdarstellungen, beispielsweise von Cranach, die in diesem Kapitel reflektiert wurden, zeigt auch in Étant donnés die umliegende Landschaft die Vielschichtigkeit des weiblichen Geschlechtes und spiegelt sie wider. Die Nacktheit und die intime Position der Liegenden lassen den Betrachter geradewegs die Rolle des Liebhabers einnehmen, welcher sein Auge auf den Akt geworfen hat. In dem fast lebendig wirkenden Kunstkörper oder dessen Öffnungen lässt Duchamp gleichsam »yeux de corps«, Körperaugen, entstehen. Mithin wird der Blick des Betrachters, so scheint es, von den »yeux de

102 Vgl. HINZ 1993, S. 104. Die Verführung in der Kunst kommt somit einer Sinnestäuschung gleich und schließt sich an das Thema der »Weibermacht« und »Liebessklaverei« an (ebd. S. 106), S. 104ff.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

corps« dadurch erwidert, dass er, der Museumsbesucher, in der Tür des Kunstwerks seinen eigenen Gesichtsabdruck hinterlässt.103 Anhand der ausgewählten Beispiele von Quellnymphen-Darstellungen Cranachs wird versucht, die Sicht Duchamps auf Cranachs Kunst mit dem Fokus auf die eigenen Intentionen des Künstlers nachzuvollziehen und dem analytischen und konzeptionellen Gehalt der altmeisterlichen Kunst näherzukommen, und zwar auf dem Weg einer indirekten Rezeption Duchamps. Ebenso soll auf diese Weise die Prozesshaftigkeit des Prinzips von Aktion und Reaktion herausgestellt werden, mit dem der Betrachter beispielsweise im Hinblick auf die angedeutete Masturbation und die innere Angespanntheit der liegenden Frau oder Nymphe konfrontiert wird, sodass er den Dialog mit dem Kunstwerk aufnehmen kann. Tatsächlich erinnert die Masturbation an das Vorbild für Étant donnés, die masturbierende Hexe im Neujahresgruß mit drei Hexen von Hans Baldung Grien (Abb. 60), wie auch an das Große Glas und mit dem Vorbild aus der Pferdeserie: Darin wiederholt sich erneut das thematische Muster Duchamps (s. Kapitel 3.8 / 4.1). Des Weiteren lotet er die Grenzen der Kunst auf Betrachterebene aus und interessiert sich dafür, inwiefern diese Ebene mit ihrem Anteil des Schauens auf die Kunst einwirkt. Dem Schauenden wird dadurch ebenso wie dem Künstler selbst eine Rolle zugesprochen, die Kunstliebe und -kompetenz an den Tag legt und sich inhaltlich in den Diskurs um das Kunstwerks einbringt. Und letztlich stellt der Künstler Überlegungen an, welche sich auf den automatisierten Kunstkörper, den Akt selbst beziehen, auf dessen belebten wie unbelebten Körper. Es sind Reflexionen, die sich in angespannten und abgeschlafften Körperteilen widerspiegeln. Hier könnten die Gedanken Patakis weitergeführt werden: Der Anreiz, der aufgrund der Suggestion des bewegten Inkarnats des Kunstkörpers entsteht, und letztlich auch die sexuell gesteigerte Erscheinung des Körpers kann jeweils als ein »haptisches Sehen« begriffen werden.104

103 Vgl. SUTHOR 2004, S. 49. 104 Vgl. AUSST.-KAT. Hamburg 2003, S. 111; PATAKI 2002, S. 127.

7. Leonardo da Vinci – Das zweite, weiblich- reproduktive Element im Künstler und vom interagierenden Kunstwerk

7.1.

L.H.O.O.Q.

Unübersehbar deutet Marcel Duchamp mit seinem Werk L.H.O.O.Q. (1919), in dem er als Hintergrund eine Reproduktion der Mona Lisa verwendet, auf eine Rezeption Leonardo da Vincis hin (Abb. 121). Zahlreich wird aus diesem Grund in der Duchamp-Literatur auf die Verbindung zwischen Duchamp und Leonardo, die Ähnlichkeit der beiden Künstler in ihrer Art der Sichtbarmachung intellektueller Prozesse in der Kunst, hingewiesen; diese trifft gleichermaßen auf den innovativen Erfindergeist beider Charaktere zu. Duchamp arbeitet daher im Sinne Leonardos, der wie kein anderer Künstler vor ihm Wissenschaft und Kunst verbindet und die Kunst in den Dienst des Geistes stellt.1 Darüber hinaus ist das Künstlerindividuum Leonardo da Vinci für Duchamp deshalb wichtig, weil sich dessen Wirken auf die Zusammenhänge der Welt- und Menschheitsgeschichte richtet. Leonardo verfolgt verantwortungsbewusst einen fortschrittlichen Zweck, und dies strebt auch Duchamp mit seiner Kunst an: Er gewährt nicht nur im Hinblick auf sein Künstler-Ich Einblicke über seine Kunstwerke, sondern agiert mit und durch seine Arbeiten sogar als Spiegel der Gesellschaft.2 Duchamp geht in diesem Tun meist von zunächst individuellen, mit seiner Person in Verbindung stehenden Zusammenhängen aus, die er in seiner Kunst aufbereitet und in einem größeren ikonografischen Diskurs durch gezielte Rezeption einbringt. Das Vergeistigte in Duchamps Kunst ist eine von ihm konzeptualisierter Wert. 1924 im Manifest der Surrealisten von Breton und Duchamp als dessen »Künstler-Zwilling« verfasst, wird der Geist als zur obersten Maxime der Bewegung deklariert, der zufolge sich die Logik durch ein denkendes Sehen erschließen könne. Der Geist gilt allgemein bei den Surrealisten als Grundprinzip für die innovative wissenschaftliche Erforschung des Menschen.3

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Vgl. VALLIER 1961, S. 88. »Malerei ist eine Angelegenheit des Kopfes.« Vgl. HOLZHEY 2009, S. 31. Vgl. BRETON 2009, S. 15.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Genauso wie es bei Leonardo da Vinci der Fall war, bilden Aufzeichnungen von Ideen, Notizzettel und Skizzen auch in Duchamps Œuvre eine eigene Größe; die notierten Überlegungen und Einfälle werden von Duchamp in Schachteln aufbewahrt, wie beispielsweise das reziproke Readymade Einen Rembrandt als Bügelbrett verwenden, und als eigenständige Werke begriffen.4 Duchamp bindet sich an Leonardo durch seine Affinität zur Wissenschaft, Mathematik, zu den Naturwissenschaften und natürlich zu der Kunst.5 In John Canadays Aufsatz Leonardo Duchamp hebt der Autor in einem visuellen Vergleich hervor, dass es sich bei beiden Künstlern vornehmlich um einen Bruch handele, den sie in ihrer jeweiligen Position in ihrer Zeit vollzögen. Er betont, dass beide weniger in der Malerei verwurzelt seien, vielmehr lebten sie ihre künstlerische Stärke vor allem intellektuell. Die Überschneidungen lassen sich hauptsächlich anhand ihrer Notizen nachvollziehen: ästhetische Theorien, wissenschaftliche Analysen und Systematiken, welche sich teils auf maschinelle Apparaturen beziehen und in technischen Zeichnungen festgehalten sind.6 Duchamp trifft bereits zu Beginn seines künstlerischen Schaffens auf Schriften Leonardo da Vincis, welche in den heimischen Künstlergruppen, die Duchamp frequentiert, besprochen werden. So beteuert Duchamps Bruder Villon-Duchamp, dass er Leonardos Abhandlung der Malkunst gelesen habe. Diese beeinflusst beispielsweise die Section D’Or hinsichtlich späterer Schriften zum Prinzip des Goldenen Schnitts, dem große Bedeutung beigemessen wird. Von Villon-Duchamp ist zudem zu erfahren, dass in den Diskussionen viel »miteinander bestimmt«, also konstruktiv überlegt wird.7 Duchamps L.H.O.O.Q. (1919), auf Französisch homonym gelesen: »Elle a chaud au cul«8 (dt. Ihr ist warm am Hintern), ist eine offensichtliche Leonardo-Rezeption.9 Eine herkömmliche Reproduktion des Gemäldes Mona Lisa bildet die Basis und den Hintergrund für diese Arbeit.10 Duchamp nimmt darin nur einen kleinen Eingriff vor, indem er der porträtierten Dame mit Bleistift einen Bart in das Gesicht zeichnet. Das wohl berühmteste Bild der Welt nutzt Duchamp für seine Überlegungen hinsichtlich der Renaissance-Malerei. Er weist außerdem mit seinem Eingriff auf die Sentimentalität hin, welche der Mona Lisa in fast ikonenhafter Verehrung zukommt, und mindert damit das Prestige des originalen Gemäldes.11 Durch den kleinen, subversiven Eingriff spiegelt Duchamp seine persönliche Sichtweise auf das weltberühmte Werk Leonardos in einer ironischen, bildstürmerischen Weise wider und setzt seine eigene Handschrift über die Malerei des künstlerischen Vorfahren. Die Mona Lisa gilt wegen der körperlich aufgeladenen Projektionen als ein Fetisch-Produkt. Dies drückt sich in den belebten Augen und dem geheimnisvollen Lächeln aus, welches auf ihren vermeintlich lebendigen Geist zurückgeführt wird, der im Gegensatz zu den inaktiven, schwer auf der Leh4 5 6 7 8 9 10 11

STAUFFER 1981/1994, S. 100; SANOUILLET 1979, S. 68. Duchamp : »Se servir d’un Rembrandt comme planche à repasser.« CANADAY 1965, o. S.; CANADAY 1965, a, o. S. Vgl. REFF 1977, S. 91. Vgl. CANADAY 1965, o. S. Vgl. VALLIER 1961, S. 102. Vgl. GRAULICH 2003a, S. 18. Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2003, S. 7. Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2003, S. 7. Vgl. JANIS 1945, S. 24; WOLF 2010, S. 57. Hier wird ein Vergleich gezogen zwischen Dürers Selbstbildnis im Pelzrock und der Mona Lisa Leonardo da Vincis.

7. Leonardo da Vinci

ne lagernden Armen der Dargestellten im Kontrast steht. Durch die homonyme Lesart »Ihr ist warm am Hintern« spricht Duchamp nicht nur das scheinbar nach innen gerichtete Lächeln der Mona Lisa an, welches mehr zu wissen vorgibt, sondern legt der Figur ein lebendiges Innenleben zugrunde, das sowohl intellektuell als auch sexuell eine innere Lebendigkeit andeutet und damit ein Leben vor dem festgehaltenen Zustand versichert.12 Dabei offenbart die Kunst bzw. stellvertretend die Mona Lisa immer nur so viel von ihrem Geheimnis, wie vom Betrachter mit seinem Leben abgeglichen werden kann. Der Kult um La Gioconda (Mona Lisa) ist anfang des 20. Jahrhunderts groß und erfasst vor allem die Avantgarde, Dichter und Theoretiker im Umfeld Duchamps.13 Der Bart ist für Duchamps L.H.O.O.Q. ab diesem Zeitpunkt genauso wie für Dalí ein wesentliches Merkmal. Dalí zwirbelt sich einen auffälligen Schnurrbart, was als wichtiger Kunstgriff und entscheidendes Individualisierungsmerkmal gesehen werden muss. Duchamp, der immer rasiert in Erscheinung tritt, trägt keinen Bart und klebt sich in Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter) (Abb. 7) sogar einen künstlichen Vollbart an. Durch den schlichten Zusatz eines Bartes gelingt es Duchamp, in der Mona Lisa von Leonardo als seine eigene, innovative, kreative Leistung das andere Geschlecht sichtbar zu machen. Dalí äußert sich entsprechend respektvoll über die Sichtbarmachung des analytischen Problems. Er schreibt: »Ich bewundere dagegen Marcel Duchamp, der der Gioconda den ersten Schnurrbart aufgemalt hat, und damit ihre Ambivalenz aufgezeigt hat. Ist sie das von einem Ödipuskomplex diktierte Porträt der Mutter Leonardos oder das trügerische Bild seiner Bettgenossin? Jedenfalls hat Duchamp das wahre Problem mit der Unterschrift zu seiner schnurrbärtigen Mona Lisa dargestellt: LHOOQ (Elle a chaud au cul).«14 Aus dem Kontext von L.H.O.O.Q. stammt eine später bearbeitete Spielkarte von Duchamp, die ebenso mit der Mona Lisa hinterlegt ist: L.H.O.O.Q. shaved / L.H.O.O.Q. rasée / L.H.O.O.Q. rasiert (1965, Abb. 122). Sie wurde der Einladungskarte zu einem Dinner anlässlich einer Ausstellung in der New Yorker Galerie Cordier & Ekstrom aufmontiert. Der Künstler fügt unter der Spielkarte humorvoll den erweiterten Titel L.H.O.O.Q. »rasée« an. Denn nun ist die Mona Lisa ohne den aufgezeichneten Bart, also im Urzustand belassen. Außerdem existiert ein Frontispiz zu dem Gedicht Marcel Duchamp von Georges Hugnet mit dem Titel Moustache et barbe de L.H.O.O.Q. / Mustache and Beard of L.H.O.O.Q. / Schnurrbart und Bart der L.H.O.O.Q. (1941, Abb. 123). Auf einem weißen Zeichenblatt werden hier von Duchamp mit wenigen Strichen in Pochoir und Graphit ein Kinn- und ein Schnurrbart dargestellt. Der Titel erinnert daran, dass auch dieser Bart zur Mona Lisa mit Bart von 1919 in Beziehung steht bzw. »ein Faktum nach der Intervention« ist.15 Gerhard Graulich erklärt, in seinem Readymade spiele Duchamp mit dem

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Vgl. JUDOVITZ 2010, S. 142. Vgl. GRAULICH 2012j, S. 125. DALÍ 1976, S. 293. Vgl. GRAULICH 2012, S. 126, AUSST.-KAT. Wien 2003, S. 7. Darin verwendet Duchamp die Metallschablone, die er für die Anfertigung der verkleinerten L.H.O.O.Q.-Replik für die Boîte-en-valise (1933–1941) heranzieht.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

»Substantiellen und Akzidentiellen«16 bzw. mache er den Bart ohne Mona Lisa selbst zu einem Readymade. In Untitled Original for Mattas’s Box in a Valise / Unbetiteltes Original für Matta’s Schachtel im Koffer von 1946 (Abb. 124) sind nun auf einem weißen Blatt mit transparentem Klebeband kleine, abgeschnittene Haarbüschel aufgeklebt. Eine zarte Bleistiftzeichnung welche einen menschlichen Körper andeutet, lässt die Vermutung zu, dass es sich hier um eine Abstrahierung handelt: Kopfhaare; zwei Haarsträhnen, die für die paarigen Achselhaare stehen und etwas unterhalb der Kopfhaare angeordnet sind; zuunterst das Schamhaar. Hier werden die Variationen der Materialität von Behaarung an einem menschlichen Körper thematisiert, einem offensichtlichen, verpönten Thema, welches somit von ihm sichtbar gemacht wird. Was das Werk L.H.O.O.Q. anbetrifft, macht er also durch den eingezeichneten Bart im Porträt auf eine männliche Dimension hinter der Figur der Mona Lisa aufmerksam. Duchamp erklärt dazu, dass es keine Option gewesen wäre, den Schnurrbart auf das Original zu malen, da er entfernt worden und eine kunsttheoretische Debatte damit unterbrochen worden wäre, nun aber die Kunst für die »Graue Substanz«, also den Intellekt des Betrachters, offen stünde.17 Mit dem eingezeichneten Bart nimmt Duchamp nicht zuletzt auf den Künstler Leonardo da Vinci hinter dessen Kunst Bezug, denn er macht dessen unsichtbare weibliche Komponente sichtbar und gibt dies als seine innovative Leistung aus. Duchamp merkt dazu an: »Das Kuriose an diesem Schnurrbart und dem Ziegenbärtchen ist, dass die Mona Lisa, wenn man sie anschaut, zu einem Mann wird. Es ist nicht eine als Mann verkleidete Frau; es ist ein wirklicher Mann, und das war meine Entdeckung, ohne das damals zu bemerken.«18 Im Jahr 1911 macht die Mona Lisa nicht nur Furore, weil sie aus dem Louvre gestohlen wird,19 sondern ihr Antlitz kursiert auch in verschiedensten psychoanalytischen Kreisen, wie bei Oskar Wilde und Sigmund Freud, in Verbindung mit der These, ob Leonardo – von seiner Homosexualität geleitet – eine androgyne Seite in der nach außen auf den ersten Blick hin weiblich erscheinenden Figur sichtbar gemacht habe.20 Das Künstlerindividuum Leonardo da Vinci und seine Sexualität geraten in das Blickfeld des öffentlichen Interesses, und auch die Avantgarde entflammt für das Thema.21 Dalí sieht darin sogar die Geburt einer neuen Ära, einen »morphologischen Morgen«.22 1910 erscheint die Publikation Eine Kindheitserinnerung von Leonardo da Vinci von Sigmund Freud, in der es heißt: »Die Geierphantasie Leonardos hält uns noch immer fest. In Worten, welche nur allzu deutlich an die Beschreibung eines Sexualaktes anklingen ›und hat viele Male mit seinem Schwanz gegen meine Lippen gestoßen‹, betont Leonardo die Intensität der erotischen Beziehungen zwischen Mutter und Kind.«23 Pfisterer 16 17 18

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Vgl. GRAULICH 2012, S. 126. Vgl. HAMILTON/KITAJ 1966, S. 18. GRAULICH 2003f, S. 80; STAUFFER 1992, S. 128; CREHAN 1961, S. 37. Duchamp: »The smile in them is even more evident than in the Mona Lisa. The curious thing about that moustache and goatee is that when you look at it the Mona Lisa becomes a man. It is not a woman disguised as a man; it is a real man, and that was my discovery, without realizing it at the time.« Vgl. BELTING 1998, S. 311. Vgl. GRAULICH 2003a, S. 18. Vgl. CREHAN 1961, S. 36. Vgl. LEVY 1941, S. 1. FREUD 1969, S. 69.

7. Leonardo da Vinci 263

untersuchte bereits ausführlich die etymologische Wurzel von Penis, Feder und Pinsel (lat. penis, penna, pennellus) und kommt zu dem Schluss, dass die Begriffe den gleichen Wortstamm haben und miteinander in Verbindung gebracht werden können. Pfisterer gibt des Weiteren zu überlegen, dass Wortspiele mit ähnlich lautenden Begriffen im 16. und 17. Jahrhundert gängig gewesen seien, und verweist auf Pietro Aretino, der 1534 in den Sei giornate den Geschlechtsverkehr mit »den Pinsel ins Farbtöpfchen tauchen« assoziiert.24 Die Geierphantasie von Sigmund Freud über Leonardo löst, wie angenommen wird, in Duchamp die Assoziationen eines entgegengesetzten Geschlechtes des Muttervogels aus.25 Die sexuelle Anspielung Freuds gegenüber dem Schwanz ist so, im übertragenen Sinne, (neben der konkret sexuellen) die gedankenvolle Geste eines Künstlers, der vor seinem Kunstwerk den Pinsel an seine Lippen bewegt, wodurch der Entstehungsakt selbst mit dieser Geste in den Diskurs einbezogen wird. So ist bei ihm diese Geste von Pinsel und Mund angedeutet und lässt Bezüge zu dem säugenden Kind an der Brust der Mutter herstellen oder auch homosexuelle Anspielungen erahnen. In der symbolhaften Anspielung auf die Geierphantasie findet Duchamp erneut ein Moment des Nachdenkens und der Inspiration. Er merkt dazu an: »Freuds Ausgangspunkt war, die Homosexualität der Persönlichkeit Leonardos zu zeigen, was nicht heißen sollte, dass er notwendigerweise ein aktiver Homosexueller war, aber dass, soweit die medizinische Wissenschaft dies zu bestimmen vermag, er die Charakteristika eines solchen zur Schau stellt. Freud berichtet die Anekdote mit dem Geier […].«26 An anderer Stelle befindet er: »Das ist die ganze Geschichte von Schlüssen, die Freud über Leonardo zeigt, und meiner Meinung nach leicht übertrieben, aber doch sehr interessant.«27 Duchamp bekundet Interesse an der Überlegung Freuds, welche sich für ihn schließlich durch den aufgemalten Bart visualisiert, und zeigt, dass er Freuds Ansatz für weiterführende Überlegungen für sich nutzt und nicht nur auf den homosexu-

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Vgl. PFISTERER 2014, a, S. 607, und PFISTERER 2014, S. 48 f. Hier verweist Pfisterer auf Ciceros Wortspiel der ähnlich klingenden Wörter von Penis (penis) und Pinsel (penellus/penicillus). GORMANS 2010, S. 197. Die Kinderphantasie oder Geierphantasie Leonardo da Vincis besagt zusammenfassend, dass die Mutter, die das Kind säugt, sich in einen Geiervogel verwandelt und dem Kind den Schwanz in den Mund steckt. Max Ernst setzt das Thema in seinem Werk um. Werner Spies untersucht Max Ernsts Werkaussagen dahingehend, dass er das Geierkind und den Jesusknaben und des Weiteren den Vogel mit dem Künstler gleichsetzt. Siehe dazu: SPIES, 2008, S. 391. Spies weist in diesem Text darauf hin, dass Max Ernst auch seine Phantasie anregte und ihn u. a. zu der Kunstfigur Loplop finden ließ. GRAULICH 2003f, S. 80. Duchamp: »Freud’s point of view was to demonstrate the homosexuality of the personality of Leonardo, meaning not that he was necessarily an active homosexual but that as far medical science could determine he displayed the characteristics of one. Freud relates the anecdote of the vulture …«. Siehe auch Crehan 1961, S. 36. GRAULICH 2003f, S. 80.

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ellen Diskurs beschränkt ist, das heißt, für ihn ist die weibliche Seite nicht mit Homosexualität gleichzusetzen, sie gewährt ihm vielmehr eine tiefere Einsicht in die Kunst.28 Die frühen Anzeichen eines Malergenies in jungen Jahren werden oft legendenhaft vom Künstler selbst in die Welt gesetzt, indem er sich mit seiner Begabung rühmt, und nicht selten wird das geniale Kind selbst zum Gegenstand populärer Literatur in der Avantgarde. Bereits bei Vasari liest man über die Legende vom früheren Hirtenjungen Giotto, dessen Begabung im Vorbeigehen von Cimabue entdeckt wird; ab da wächst Giotto mit dem Pinsel in der Hand heran. Ein weiteres Beispiel ist die Darlegung einer mythenhaften Begabung von Rivera, der bereits als Kind alle Wände bemalt haben will,29 was ebenfalls die Vorstellung evoziert, er habe das Malerhandwerk »mit der Muttermilch aufgenommen«. Die Affinität eines Künstlers zu seiner Ausrüstung wird auch von Dalí beschrieben: »Die Malerei tritt wie die Liebe durch die Augen ein und fließt durch die Haare des Pinsels wieder aus…Mein erotisches Delirium treibt mich, meine sodomistischen Neigungen bis zum Paroxysmus zu steigern.«30 An der Mona Lisa interessiert Duchamp nicht nur die klar konzeptualisierte Genderfrage, sondern besonders auch ihr aktiver, geradezu lebendig wirkender illusionistischer Blick,31 der den Betrachter direkt ins Auge fasst und, so scheint es, ihn im Raum verfolgt. Duchamp selbst hinterfragt wahrscheinlich, wie angenommen wird, die funktionierende Breitenwirkung des Kunstwerkes wegen des meisterhaft gemalten Blicks und die vielen offenen Fragen, welche sich um das Gemälde ranken. Unter anderem sind es die natürlich belebten Augen, welche das Bild bekannt gemacht haben und nach wie vor Besucherströme zum Original locken. Ein konventionalisierendes Gedankenmodell aus der Vergangenheit, welches sich daraus für Duchamp ergibt, wird demnach auch heute noch sichtbar. Auch für Duchamp sind die Augen ein unentbehrliches Sinnesorgan, dank dessen die Kunst auf- und wahrgenommen werden kann. So widmet er sich der Thematik der Augen und des Schauens innerhalb des Großen Glases im Bereich der Okkultisten-Zeugen. Sie fokussieren aus dem unteren Bereich des Glases das begehrte Objekt, nämlich die Braut im oberen Bereich, und richten ihre (visuellen) Schüsse genau auf sie. Duchamp dazu: »Es stimmt, daß diese Partie etwas mit dem Auge zu tun hat. Die Okkultisten-Zeugen dachte ich mir als die drei Schichten des Auges. Aber das Auge ist ja kein vollständiges Organ; es ist armselig, eine Kunst darauf aufbauen zu wollen. Der Sehsinn – wie auch die übrigen Sinne – erfaßt von der Wirklichkeit nur, das was dem Auge angepaßt oder faßbar ist – oder dem Ohr oder dem Tastsinn usw. Wofür wir keinen Sinn haben,

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Vgl. CREHAN 1961, S. 37. Der homosexuellen Szene gegenüber, welche Duchamp als rezeptives Publikum bezeichnet und die ihm zufolge ein Interesse an neuen Bewegungen mit sich bringt, ist er aufgeschlossen. Vgl. VON BEYME 2005, S. 46. Beyme erinnert daran, dass ein voraussetzungsloses Genie die Grundlage des Künstlerwerdeganges ist und oft nicht die eigentliche Lehre vom Meister abhängt, sondern vom Talent des Künstlers selbst (ebd. S. 49). MUTHESIUS/RIEMENSCHNEIDER/NÉRET 1998, S. 164. Vgl. BELTING 1998, S. 183. Belting verweist auf den lebendigen Blick wie auch auf den Selbstausdruck von Leonardo da Vinci in der Figur der Mona Lisa.

7. Leonardo da Vinci

das geht in der Wirklichkeit an uns vorbei. Man könnte sich vorstellen, dass unsere Sinnesorgane ganz anders wären, dann wäre auch die Wirklichkeit anders.«32 Während der Bearbeitung seiner Roto-Relief -Scheiben entstehen die an Augen erinnernden Corolles – wie das Corolle von 1934, welches nach Robert Lebel an rollende, riesige, blutunterlaufene Augen erinnert,33 vielleicht sogar an die Augen des Minotaurus, welche von Duchamp sinnfällig 1935 für das Cover der Zeitschrift Minotaure (6. Ausgabe) ausgesucht werden. Es zeigt ein Corolle, rot unterlegt mit seiner Staubzucht. Der Künstler als Narziss, der sich immer selbst darstellt, ist zu einem gewissen Anteil auch in einem Akt enthalten. Mit der Transparenz, in welcher er sein eigenes Porträt bewusst oder unbewusst durchscheinen lässt, zeigt der Künstler den Wunsch nach der intellektuellen Durchdringung des anderen Geschlechts auf; durch die Abspaltung von diesem kann er schließlich auch sich selbst wieder tiefer ergründen und sichtbarer werden.34 Auch Leonardo da Vinci beschäftigt sich mit dem Anteil des Individuellen im Künstler selbst in seiner Kunst. Er möchte jedoch dieses Verfahren eher unterbinden, wenn er in seinen Traktaten schreibt: »Es ist ein sehr grosser Fehler an den Malern, wenn sie die nämlichen Bewegungen, Gesichter und Gewandzüge in einer und derselben Historie wiederholen und den grössten Teil der Gesichter so machen, dass sie ihrem Meister selbst ähnlich sind. Es hat oftmals meine Verwunderung erregt. Denn ich habe Einige gekannt, da sah es aus, als hätten sie sich in allen ihren Figuren nach der Natur portraitiert, und man sieht in diesen Figuren die Bewegungen und Manieren dessen, der sie gemacht. Ist dieser rasch und lebhaft in reden und Bewegung, so sind seine Figuren von der gleichen Lebhaftigkeit. Ist der Meister fromm, die Figuren schauen mit ihren gekrümmten Hälsen ebenso aus, liebt er nicht viel Anstrengung, die Figuren scheinen die Faulheit nach der Natur portraitiert zu sein. Und ist er schlecht proportioniert, die Figuren sind’s desgleichen, ist er aber gar ein Narr und Tollkopf, so zeigt sich das auf’s Ausgiebigste in seinen Historien, die sind aller Geschlossenheit und Bündigkeit feind, Keiner gibt auf seine Verrichtung acht, im Gegenteil, der Eine schaut hierhin, der Andere dorthin, als wären sie im Traum. Und so folgt ein jeder Seelen- und Körperzustand im Bilde der eigenen Art des Malers.«35 Es zeigt ein widersprüchliches Verhalten bei Leonardo auf, dass jedes Kunstprodukt im Grunde auf seinen eigenen Schöpfer zurückweist. Dies folgt einer langen Tradition seit Aristoteles. Körner erwähnt in dieser Abhandlung das Diktum von Savonarola, das besagt: »Jeder Maler male sich selbst«, was weniger auf die Bewunderung des Schaffens als vielmehr auf die Reflexion des Künstlers selbst hindeutet und den Aspekt des künstlerischen Selbstausdrucks einbringt.36 Bocchi erklärt, wie das Schaffen eines Bildhauers 32 33 34

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BERSWORTH-WALLRABE 2003, S. 220. Vgl. FETT 2003, S. 108. Vgl. MUTHESIUS/RIEMENSCHNEIDER/NÉRET 1998, S. 35; RÜHLE 2010, S. 36. Rühle schildert, dass gerade im 15. und 16. Jahrhundert ein großes Bewusstsein für philosophisches Denken in und durch Bilder ausgeprägt war. DA VINCI 1882, S. 159. KÖRNER 2003, S. 236; PFISTERER 2002, S. 65. Es mehrt sich der Verweis auf das Selbstporträtieren bei Künstlern, so auch bei Savonarola, wie Körner vermerkt.

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nicht nur mit dem Erlernten zusammenhängt, im Kunstwerk die Lebendigkeit einzufangen, sondern dem »hohen Talent im Geiste« geschuldet ist, welcher das Kunstwerk vollkommen »erfassen« kann und zum »Ausdruck bringt«; es kann nicht durch einen Meister erlernt werden.37 Auch Marsilio Ficino äußert hierzu, dass jede Seele danach strebe, »sich selbst zu malen«. Leinkauf beschreibt, dass das »Seelengemälde« nicht nur die Persönlichkeit zeigt, sondern das Seelische allgemein: »…so ist das Malen der Seele, also ihr geistiges, denkendes Tätigsein wesentlich entwickelnd-entfaltend tätig: Es entfaltet die Möglichkeit des im intuitiven Zugriff erfassten Wesens des Seelischen.«38 Die Seele wird auch als Schatten (umbra) festgehalten, so Leinkauf weiter: »Da sie aber auch Schatten eines Schattens ist und zwar ein beweglicher Schatten in einem unbewegten Schatten, so wird über den Kontrast Licht-Schatten auch das ›Malen‹ oder Sichselbstmalen als ein Prozess der Strukturierung nicht des Nicht-Lichtes, das wäre ja reine Dunkelheit, kontradiktorische Negation, sondern des privativ verstandenen Lichtes, das verstehbare, als eine, wenn man es positiv formulieren will, Kolorierung des Lichtes. Denn auch die Farben sind ›Schatten‹ des Lichtes.«39 1921 formuliert C. G. Jung hinsichtlich seiner Untersuchungen von Persönlichkeitsstrukturen die These: »Jeder Mann hat eine Frau in sich«.40 Laut Jung, der das Seelenbild als Anima bezeichnet, trägt jeder Mensch beide Geschlechteranteile, sowohl männliche als auch weibliche, in sich. Dies umfasst den »verheimlichten« femininen Aspekt, welchen jeder Mann in sich hat. Er beschreibt weiter, dass dieser Teil der unsichtbare Teil im Mann, die »innere Frau« sei, das Unbewusste im Mann, während das äußere Erscheinungsbild weiterhin den Mann zeige. Die innere Dualität der beiden Geschlechter wird durch eine Zwitterfigur symbolisiert oder auch als psychische Bisexualität im Menschen durch alchemistische Symbole festgehalten.41 Des Weiteren schildert Jung Träume als Seelenschwangerschaften, in welchen die junge Seele noch keine ausgeprägte Individualität und somit auch keine Geschlechterzugehörigkeit besitzt. Jung beschreibt in einem imaginären Bild, dass jeder Mann mit einem unbestimmten Bild von einer Frau in sich schwanger geht.42 »Dasselbe gilt auch für die Frau… Ein Bild von Männern, während beim Manne es eher ein Bild von der Frau ist.«43 Dies beruht seiner Meinung nach auf einer Erbmasse, ein »Typus« des Archetypus.44 In diesem Zusammenhang weist Jung sogar auf die Mona Lisa hin.45 Jung erinnert daran, dass unterschiedliche Stufen zur Mentalreifung der Frau gehören, zu dem auch das Anima-Bild gehört, ebenso der Eros. Er schildert die erste Stufe der Eva als einen »Schlichtweg«, 37 38 39 40 41 42 43 44

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Vgl. KÖRNER 2003, S. 235. LEINKAUF 2010, S. 59. LEINKAUF 2010, S. 60. JUNG 1980, S. 31. Vgl. JUNG 1980, S. 31; JUNG 1997, S. 176f. Vgl. JUNG 1997, S. 177f. Vgl. JUNG 1991, S. 181. Archê ist ein Ur-Wort und in der griechischen Philosophie an vielen Stellen präsent. Es steht für Anfang und Ursprung. Rapp stellt dar, wie Platon mit »unveränderlichen Formen und Ideen operiert«, in einer Art von Urtypus – alle Menschen werden zur Idee des Menschen gezählt, alle Pferde zur Idee des Pferdes. Siehe dazu: RAPP 2012, S. 97. Vgl. JUNG 1991, S. 182.

7. Leonardo da Vinci

ein zu befruchtendes Prinzip, wie er es darlegt. Die zweite Stufe fasst das ästhetische, romantische Niveau auf; hin zur dritten Stufe, die fast schon religiöse Wertschätzung birgt und schließlich zu einer Vergeistigung des Eros führt.46 Wie in der sogenannten »chymischen Hochzeit«, in der sich »animus« und »anima« vereinigen, kommt es schließlich zum Prozess der Selbstwerdung, zu einer schöpferischen Begegnung zwischen dem Ich und dem Unbewussten der Anima oder des Animus. Dies setzt das Zusammenfinden oder die Bewusstmachung des gegengleichen Geschlechtes voraus und könnte somit, so die Vorstellung, zu einem Zusammenwirken in einem »Ereignisraum« zum Ganzwerden und zur Wiederherstellung des geteilten Menschen führen.47 Duchamp, der die Traktate Leonardos wie auch die Schriften Freuds und Jungs kennt, zeigt – dem zeitgeistlichen Interesse folgend – die weibliche, geistige, künstliche Seite in der Mona Lisa bzw. des Künstlers dahinter auf. Dabei lenkt er das Interesse der Anschauung ebenso auf das künstlerische Vermögen, sich beide Geschlechter und somit auch die weibliche, reproduktive Seite anzueignen, um sich in der Kunst zu vervollkommnen. Assmann erinnert an eine Veröffentlichung des irischen Dichters William Butler Yeats von 1902, der ein bereits geschriebenes Gedicht über die Mona Lisa von Walter Pater aus dem Jahr 1873 erneut veröffentlicht. Die »Bild-Meditationen« von Pater gehen von einem unbewussten Kollektivgedächtnis aus, aus dem der Künstler als ein Individuum schöpft; sich des großen Bildgedächtnisses bedienend, lässt er dieses auch innerhalb der »Magna Mater« der Kunstgeschichte aufgehen. Das Urbild des Weiblichen wird von Assmann beschrieben als eines, welches verschiedene Kulturstufen, also auch viele verschiedene Frauenbilder verbindet und sogar Linien zu den Zügen des Künstlers selbst zieht.48 Duchamp lädt mit der Einbeziehung des Schnurrbartes in L.H.O.O.Q. folglich den männlichen Anteil in der Mona Lisa zusätzlich auf. Fiktion, Geschichte, Realität und Phantasie vermischen sich zunächst im Blick des Künstlers, dann in dem des Betrachters, und schließlich wird das Allgemeine in den Status des Individuellen gehoben. Kunst wird vom Leben überblendet, vergangene Kunst von der neueren: Reproduktion wird zum Original. Auch der Bildhintergrund im Gemälde der Mona Lisa steht, so kann angenommen werden, im Interesse Duchamps und ist ihm sicher nicht entgangen. Er legt in seinem Werk Étant donnés ebenfalls besondere Sorgfalt auf die Landschaftsgestaltung.49 Wie in der Leonardo-Forschung durch Holzhey bereits dargelegt, steht der lebendige, von Wasserläufen durchzogene Hintergrund des Bildes aus dem frühen 16. Jahrhundert für

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Vgl. JUNG 1991, S. 18. Vgl. WEHR 1986, S. 156; SCHWARZ o. D., S. 3. Die Wurzeln dieser »Heiligen Hochzeit« oder Unio Mystica reichen bis in das alte Ägypten zurück. Die Ganzwerdung der Gegensätze ist nicht als ein Symbolgeschehen zu sehen, sondern als eine Synthese im Menschen. Vgl. ASSMANN 2018, S. 229 und 233f. Parallelen hinsichtlich der Landschaft im Hintergrund in Leonardo da Vincis Mona Lisa und Étant donnés erarbeitet bereits HARALAMBIDOU 2013, S. 25ff.

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die Figur im Vordergrund und durchfurcht das Bild wie Adern in einem Blutkreislauf.50 Das vermeintliche Innere der abgebildeten Frau wird so bei Leonardo ins Äußere überführt; er versucht damit, das Wesen der Dinge zu benennen bzw. zu malen. In der Renaissance besteht ein großes Interesse am psychischen wie physischen Innenleben des Menschen. Die ersten Sektionen werden von Künstlern wie Leonardo da Vinci in Zeichnungen und Holzschnitten festgehalten.51 Leonardo bezeichnet sich sogar selbst als Pittore anatomista, als Maler anatomischer Bilder, und konstatiert: »Es sind mehr als zehn Kadaver erforderlich, um einen Körper zu zeichnen.«52 Eine wesenhafte Darstellung von verborgenen und unsichtbaren Kräften wird in der Renaissance, verallgemeinernd gesprochen, angestrebt und in den Blick genommen.53 Dies beinhaltet nicht nur das geistige Durchdringen, sondern auch das tatsächliche Sehen sonst verborgener Dinge, die beispielsweise in einer sammelnden Tätigkeit hervorgehoben werden, wodurch dann die einzelnen Teile des Gesehenen zu einem Großen und Ganzen zusammengesetzt werden können. Darin kann sich eine Selbstreflexion begründen oder eine neue Aussage sichtbar gemacht werden, wofür auch die Wunderkammern der Renaissance stehen, welche meist nur einem kleinen, ausgewählten Kreis zugänglich waren.54 Duchamp nimmt in der Schöpfung seiner Werke die Rolle der Mutter ein, wobei die Werke allerdings, denkt man an die angewendete Rezeption, in einer Folge stehend und so der Mutter-Künstler selbst zum Kind eines anderen Mutter-Künstlers wird.55 Duchamp sieht sich darüber hinaus aber auch als Genius und Vater seiner Kunst, enthebt sich mithin nach außen hin scheinbar einer Rezeption und befruchtet selbst sein Werk, indem er die Mutter- und die Vater-Rolle innehat. Man beachte das Bild der Mona Lisa, welches er mit dem bis dahin noch nicht sichtbaren männlichen Attribut, dem Bart, versieht, wodurch der männliche und der weibliche Part sich im Bild vereinen.56 Duchamp reiht sich so nicht nur in die Folge einer selbstgewählten familiären Situation von Künstlervorfahren ein, sondern ergänzt das Bild mit seiner eigenen Erfindung, dem Bart, der feinfühlig die andersgeschlechtliche Tendenz im Bild aufnimmt und sichtbar macht und auf diese Weise das ursprüngliche Bild beeinflusst, erweitert, beherrscht. Er greift zeitentbunden in den künstlerischen Organismus des Werkes ein und äußert sich spielerisch zu den Genderfragen, welche sich auch durch sein übriges Werk ziehen. Man Ray »berichtigt« augenzwinkernd die Urheberschaft der Mona Lisa, indem er in The Father of the Mona Lisa von ca. 1967 in einer Lithografie die gezeichneten

50

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Vgl. HOLZHEY 2009, S. 49; SCHMITZ 1937, S. 49. Schmitz weist darauf hin, dass auch Baldung Natur und die Protagonisten im Bild, wie in Schönheit und Tod aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien, poetisch verbindet. Vgl. LINDENMANN/GLASER 1996, S. 238. Von Hans Baldung Grien sind Holzschnitte von Obduktionen bekannt. AUSST.-KAT. Bonn 1994, S. 24. AUSST.-KAT. Bonn 1994, S. 24. Vgl. LINDENMANN/GLASER 1996, S. 255f. Vgl. AUSST.-KAT. Bonn 1994, S. 24. Vgl. DUCHAMP et al. 1949, c, S. 23-d. Vgl. DUCHAMP et al. 1949, c, S. 23-d.

7. Leonardo da Vinci

Gesichtszüge von Leonardo da Vinci mit einer Zigarre versieht,57 ein Attribut Marcel Duchamps: Er verbindet so das Alte mit dem Neuen. Spätestens seit Leonardo da Vinci werden Wissenschaft und künstlerische Phänomene zusammengeführt, erprobt und verdichtet.58 Das schließt auch den Gedanken Duchamps ein, der in einem im Museum hängenden Bild unbewegtes Material sieht, in dem keine Bewegung mehr zu erwarten ist, das also tote Materie darstellt. Da er aber wie ein Alchemist die Lebendigkeit im Schöpferischen selbst wahrnimmt, darin die Quelle der Lebendigkeit im Kunstwerk sieht und bemüht ist, dieses mit Leben und Bewegung anzureichern, möchte er das auch für den Betrachter erlebbar machen. Er wählt dafür als Grundlage das Bild der Mona Lisa, welche durch Augenkontakt einen Dialog zum Betrachter herstellt. Duchamp regt diesbezüglich durch seinen künstlerischen Eingriff in L.H.O.O.Q. einen Diskurs an und begibt sich in ebendiesen, wodurch auch sein Werk in einer Art geistiger Bewegung gehalten wird. Körner gibt in seiner Abhandlung über eine kunsttheoretische Diskussion von Bocchi bis Donatello Einblicke darüber, wie auch in der Zeit der Renaissance bei der Gestaltung von Statuen bereits bewusst versucht wurde, Lebendigkeit einzufangen und einzubinden, weil »Lebendigkeit als künstlerische Qualität und Lebendigkeit als mimetische Qualität transzendiert«.59 Der gesamte Aufbau des Kunstkorpus von Étant donnés vermittelt dem Betrachter auf diese Art den Eindruck, als dränge der Blick tief in ihn ein, was wiederum in einer sexuellen Analogie steht und durch den motorbetriebenen Wasserfall im Hintergrund des Werkes in Bewegung gesetzt wird. Durch die Blickführung gelingt es Duchamp, die Blicke der Betrachter geradezu sichtbar zu machen. Duchamp erklärt, dass er sich maschinellen künstlerischen Verfahren und assoziativen allegorischen Gedankenmodellen von Künstlern vergangener Zeiten bedient, jedoch auf unwissenschaftliche und ironische Weise. So erläutert er: »My approach to the machine was completely ironic. I made only the hood. It was a symbolic way of explaining. What was really beneath the hood, how it really worked, did not interest me. I had my own system quite tight as a system, but not organized logically. My landscape begins where da Vinci’s ends.«60 Unsichtbare psychische und gedankliche Kreisläufe, welche nicht nur ihre Grundlage in allgemeinen psychischen Prozessen im Menschen haben, werden dargelegt und mit neuen, erweiterten darstellerischen Möglichkeiten wie auch experimentell umgesetzt, zum Beispiel im Großen Glas. So macht Duchamp Unsichtbares sichtbar, wie sich aus den Untersuchungen der Arbeit ergibt. Duchamps Motivation besteht darin, vorwiegend an verschlüsselten Werken Alter Meister anzuknüpfen, um sie in seine eigenen zu transformieren, wodurch sich ein Verästelungsverfahren ähnlich einer Vermarktungsstrategie in seiner Kunst auftut. In der Folge kann ein Diskurs über seine Werke aufrecht und die Kunstwerke selbst vermeintlich am Leben erhalten werden. 57

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Vgl. FRANKLIN, Paul B.: »No more painting, you get a job«, Marcel Duchamp and the Bibliothèque Sainte-Geneviève, Vortrag auf der Tagung: Renaissance der Moderne: Duchamp, Leonardo, Beuys, 8.−9. September 2017, Staatliche Museum Schwerin/Ludwigslust/Güstrow. Vgl. FEHRENBACH 1997, S. 122. KÖRNER 2003, S. 237; HAZARD 1974/75, S. 410. HARALAMBIDOU 2013, S. 37.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Durch die Augen, so die herkömmliche Meinung seit der Frühen Neuzeit, erhält man einen Zugang in das Innere zu einem anderen Menschen. Marsilio Ficino schildert dies – laut Koerner − wie folgt: »Enters the eyes of the fascinated person and penetrates his heart«. Koerner legt dar, dass solche Blicke in der Zeit Dürers als »körperlich ansteckend« galten. Ficino: »Emit through his pupils so much spirit mixed with blood that he will waste away through ocular hemorrhage.«61 Die Aktivierung des Blickes oder des Kunstwerkes scheint gerade der Moment zu sein, an dem sich Duchamps künstlerische Fragen anschließen. Er setzt sie in Étant donnés durch die sich körperlich anbietende Geste der liegenden Frau selbst um, statt einen festen Augenkontakt wie bei der Mona Lisa in Szene zu setzen. Der puppenhafte Aufbau des Torsos erzielt auch ohne Blickkontakt durch die bloßgelegte Vagina eine ähnliche Wirkung wie ein Auge und aktiviert den Betrachterblick. In L.H.O.O.Q. greift Duchamp mit marktstrategischem Kalkül auf die Mona Lisa zurück. Je mehr Besucherblicke die Mona Lisa empfängt, desto größere Verbreitung und Bekanntheit erfährt das Bild in der Zukunft. Vergangenheit und Gegenwart hallen in L.H.O.O.Q. wider, und Duchamp vermag an die »Vorgeschichte« des Gemäldes von Leonardo anzuknüpfen und auf die Dimension des Vergangenen zu verweisen. Original und Reproduktion sind wichtige Paradigmen, welche im Werk angesprochen werden und sich bedingen. Der liebäugelnde sinnliche Blick der porträtierten Frau zielt auf die Verführung des Betrachters und steht im übertragenen Sinne für die reproduzierenden Vorgänge des Bildes, welches mit seiner Hybridität und der in L.H.O.O.Q. erweiterten Geschlechtlichkeit noch mehr Besucher jeder sexuellen Orientierung ansprechen und fesseln soll. Die Mona Lisa steht beispielhaft für ein Werk, dessen Originalität die Aura des Werkes selbst ausmacht. Die Lebendigkeit, die durch den Blick der Figur erzeugt wird, lässt den Betrachter geradezu spüren, dass sie malerisch wohl durch keine Reproduktion in einer 1:1-Entsprechung imitiert werden kann. Des Weiteren profitiert das Gemälde der Mona Lisa von einem Erinnerungswert, welcher durch die Verbreitung in Reproduktionen unterschiedlicher Medien bestärkt wird und auf die Aura oder Ausstrahlungskraft des Originals hinweist bzw. dem Original vorausgeht. An dieser Stelle sei auf Walter Benjamin verwiesen, der das Thema in seinem Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit behandelt, wo er auf die Aura des Originals hinweist.62 Rauh umschreibt die Aura der Mona Lisa als eine Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart. Die Historizität, die das Objekt durch seine Materialität erlangt und in sich trägt, wird mit dem aufgenommenen Blick des Betrachters in den Moment der Gegenwart geholt. Dennoch bleibt eine zeitliche Distanz zu der zu erfolgenden Interpretation bestehen. Die Gegenwärtigkeit verleiht dem historischen Gemälde ein magisches Moment und visualisiert das künstlerische Können. Doch es erfolgt eine Abkehr von einem naturalistischen Abbild, sodass der Betrachter aus dem Alltäglichen enthoben werden kann.63 Die Aura eines Werkes bleibt im Sinne Duchamps dann gewahrt, wenn es me-

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KOERNER 1995, S. 281. Vgl. RAUH 2012, S. 37. »Aura« definiert Rauh als »eine diffuse, im naturwissenschaftlichen Sinne nicht objektivierbare, oft jedoch intensiv empfundene physische, materielle Ausstrahlung«. Vgl. RAUH 2012, S. 46.

7. Leonardo da Vinci

dial nicht ausgeschöpft werden kann und wenn der Blick in Bezug auf das Kunstwerk nicht seinen intimen C harakter verliert, wenn nicht zu viele Blicke auf das Werk geworfen werden. Duchamp erklärt: »I had the idea that a painting cannot, must not be looked at too much. It becomes desecrated by the very act of being seen too much. It reaches a point of exhaustion. In 1919, when Dada was in full blast, and we were demolishing many things, the Mona Lisa became a prime victim. I put a moustache and a goatee on her face simply with the idea of desecrating it.«64 Mit Étant donnés schafft Duchamp schließlich ein Kunstwerk, dessen Zugang – die Gucklöcher in der Tür – nur für jeweils einen Betrachter ausgelegt ist, wodurch die Anzahl der Blicke von sich aus begrenzt ist. Duchamp erzwingt also einzelne, zielgerichtete Blicke auf sein Werk. Alles andere empfindet er geradezu als »entweihend«.65 Das Werk Étant donnés betreffend bestehen nur erschwerte Reproduktionsmöglichkeiten. Es ist ein exklusives, intimes Zusammentreffen zwischen Kunstwerk und Betrachter. Fotografien können nur aufwendig den vollständigen Kunstkorpus über verschiedene Raumebenen wiedergeben, weshalb die Wirkung des Werkes im Ganzen nur eingeschränkt in Fotografien eingefangen werden kann. Rauh konstatiert: »[…] von der Aura kann kein Abbild geschaffen werden«.66 Duchamp ist der Meinung, dass es hier um ein physikalisches Gesetz geht, dass nämlich einem Werk durch zu viele Blicke an Substanz genommen wird, und er ergänzt, dass diese Tatsache nur von Wissenschaftlern oder Chemikern zu verstehen sei. Es ist etwas Fragiles, Empfindliches gemeint, ein Gespür wie das der ersten Begegnung zwischen Mann und Frau, welches ebenfalls kaum visuell eingefangen und konserviert werden kann.67 Die Mona Lisa, so Duchamp, vermag aber auch aufgrund ihrer Systematisierung durch ihre Popularität, die Kommerzialisierung und unzähligen Blicke, welche auf sie gerichtet werden, ihren Glanz zu verlieren. Er erklärt dieses Phänomen folgendermaßen: »[…] the poor Mona Lisa is gone because no matter how wonderful her smile may be, it’s been so looked at, that the smile has disappeared. I believe that a painting, when a million people look at a painting, they change the thing by looking alone. Physically. See what I mean? They change the physical image without knowing it. There is an action, transcendental, of course, that absolutely destroys whatever you could see when it was alive. Sometimes it’s an embellishment. With El Greco, for example, it became a rebirth a hundred years ago.«68 Rauh sieht in L.H.O.O.Q. eine Zertrümmerung der Aura durch das Schaffen Duchamps, da die Hülle des Originals ins Lächerliche gezogen wird.69

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CREHAN 1961, S. 36. GRAULICH 2003a, S. 18; STAUFFER 1992, S. 127. RAUH 2012, S. 37. Vgl. DUCHAMP 1945, I-3. DUCHAMP 1964, S. 27f. Vgl. RAUH 2012, S. 61f.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

All die neu aus dem Diskurs um die Mona Lisa gewonnenen Erkenntnisse bindet Duchamp schließlich in veränderter Form und in neuem Diskurs an sein Werk Étant donnés und baut seine Überlegungen weiter aus: Eine Übertragung oder Wiederholung der Aura der Mona Lisa ist zwar nicht möglich, kann aber durch die Reproduktion nachvollziehbar gemacht werden und unter neuen Paradigmen auf die bestehende »Aura-Erfahrung« am Original Bezug nehmen.70 Duchamp errichtet im neuen Kontext in Étant donnés unter den individuellen Vorzeichen der eingeschränkten Betrachtermöglichkeiten, der Rezeption im Kunstkörper und der lebendigen Hintergrundgestaltung eine neue Aura im Werk.

7.2.

Rrose Sélavy – Duchamps weibliches Alter Ego

An die vorher angeführten Argumente anknüpfend, dass zwei Geschlechter in der Mona Lisa Leonardo da Vincis erahnt werden können, was sich in Duchamps L.H.O.O.Q. konkretisiert, soll hier auch das Thema des weiblichen Alter Ego Rrose Sélavy von Duchamp Beachtung finden – eine Figur, welche er selbst verkörpert. In der Literatur liest man scherzhaft, dass Duchamp 1920 Rrose Sélavy selbst »geboren« habe.71 Serge Stauffer entwickelt für die Phantasiegeburt Duchamps sogar einen Lebenslauf.72 Zudem nutzt Duchamp den weiblichen Alternativnamen, der seine Künstlerperson erweitert, zum Signieren von Werken und Briefen, etwa in Why not Sneeze, Rose Sélavy? / Pourqui ne pas éternuer, Rose Sélavy? / Warum niest du nicht, Rose Sélavy? (1921/1964) und Veuve récente / Fresh Widow / Frische Witwe mit der Signatur Copyright Rrose Sélavy.73 Das zweite »R« in Rrose wird der Figur 1921 zugeteilt. Dazu Duchamp: »…I wanted to change my identity, and the first idea that came to me was to take a Jewish name. I was Catholic, and it was a change to go from one religion to another! I didn’t find a Jewish name that I especially liked, or that tempted me, and suddenly I had an idea: why not change sex? … The double R comes from Picabias’s painting, you know, the Œil cacodylate, which is at the Boeuf sur le Toit cabaret.«74 Der Mädchenname Rrose (Rose) steht in Duchamps Kunst für den Eros: Rrose ist die Vermittlerin erotischer Botschaften und eine »Bewusstseins-Macherin« der Sinnlichkeit in der Kunst. Laut Cros wird sie als »Mistress of the art of transforming« benannt.75 »Éros, c’est la vie« – Für Duchamp ist es die erotische Liebe, die er in persona aufnimmt und die der Erkenntnisort selbst ist.76 Gleichzeitig ist die amouröse eine allgemein ver70 71 72 73 74

75 76

Vgl. RAUH 2012, S. 70. Vgl. CROS 2006, S. 151. Vgl. ZIMMERMANN 1981, S. 177. Vgl. AUSST.-KAT. Wien 2003, S. 18. Siehe dazu: BÜRGEL 2014. CROS 2006, S. 151; DUCHAMP 1964, S. 14, Duchamp: »Then, the two r’s - Picabia had made a big painting, called L’Œil Cacodylate, that was all the signatures of his friends. He asked me to sign it, and I put a sentence in which the word arroser came in - to water - I just sort of continued the word Rose, so the two r’s appeared there without my knowing it, do you see? So the two r’s appeared, and I immediately kept the word and kept the two r’s.« Vgl. CROS 2006, S. 151; DUCHAMP 1964, S. 14. Vgl. GRAULICH 2003a, S. 21.

7. Leonardo da Vinci

ständliche Sprache, auf die Duchamp setzt. Er spricht hier das Thema des Spiegelns an, welches ein »Instrument zur Selbsterfahrung« sein kann und folglich von der eigenen Künstlerfigur verkörpert wird; das Genderspiel in L.H.O.O.Q. beruht somit unter anderem auf Leonardos Mona Lisa bzw. hat Duchamp in der Mona Lisa ein Äquivalent gefunden. Vor allem in der älteren Kunst stellt der Eros eine gängige Personifizierung da. Meist ist Eros hier allerdings ein männlicher Putto und steht im Hintergrund als Begleiter beispielsweise der Venus, welcher die Liebespfeile mit Pfeil und Bogen verschießt. In Platons Symposium und später in Ficinos Abhandlung De Amore, welche der philosophischen Liebestheorie gewidmet ist, ist Eros ein Dämon und Mittlerwesen bzw. personifiziert er die Liebe selbst als »ein vermittelndes« und »verbindendes Prinzip«, das von jedem Geschlecht zu verstehen ist. In dem Symposium wird dieser Eros zudem als »Giftmischer, Sophist«, aber vor allem als »Zauberer« (magus) betitelt: Den Hintergrund hierfür stellt die »Macht der Zauberei« dar, welche auf Liebe beruht und auf wesensfremden Dingen. Ficino hinterfragt dies in seiner Platon-Rezeption: »Weshalb wird Eros Zauberer genannt? Weil alle Macht der Zauberei auf der Liebe beruht. Die Wirkung der Magie besteht in der Anziehung der Liebe, welche einen Gegenstand auf einen anderen auf Grund einer bestimmten Wesensverwandtschaft ausübt. Die Teile dieser Welt hängen, wie Gliedmaßen eines Lebewesens, alle von einem Urheber ab und stehen durch die Gemeinschaft ihrer Natur in Zusammenhang. Wie also in uns das Gehirn, die Lunge, das Herz, die Leber und die übrigen Körperteile voneinander etwas empfangen, sich gegenseitig fördern und untereinander in Mitleidenschaft stehen, so hängen die Teile dieses großen Lebewesens, d. h. alle Weltkörper in ihrer Gesamtheit, untereinander zusammen und teilen einander ihr Wesen mit. Aus dieser allgemeinen Verwandtschaft entspringt gemeinsame Liebe, aus dieser die gegenseitige Anziehung: und dies ist die wahre Magie.«77 Er beschreibt die Liebe als eine transformierende, illusorische »Ein-Bildung« in seiner ambitonierten Analyse von Seele, Körper und Emotion. Die Vernunft, so Ficino, formt ein Bild, aus dessen Anblick die Liebe entspringt, dieses knüpft aber an ein »ritratto« (ital. Porträt) und nicht an eine abstrakte, verallgemeinernde Idee an.78 Eros schließlich ist das künstlerische Element, welches es schafft, Körper und Seele befruchtend zu verbinden, um den Erkenntnisprozess im Betrachter auszulösen und die Liebe innerhalb der Kunst auf eine reale Ebene zu heben. Ein Foto von Rrose (also von Duchamp) mit Hut ziert den Parfumflakon Belle Haleine – Eau de Voilette ЯS / Beautiful Breath – Veil Water / Schöner Atem – Schleierwasser (Abb. 125) der Firma Rigaud, eine Schöpfung aus dem Frühling 1921. Der leere Flakon macht unter anderem auf verschiedene Aggregatzustände im Inneren des Flakons und auch auf das Pseudonym Duchamps aufmerksam.79 Mit der

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OTTO 2009, S. 426. Vgl. SUTHOR 2004, S. 23; FICINO 1994, S. 321f. Vgl. Neue Nationalgalerie Berlin: Drei Tage schöner Atem, in: Monopol, 1/2011, o. S. Der Artikel weist darauf hin, dass der Flakon 2009 bei der Versteigerung der Sammlung von Yves Saint-Laurent und Pierre Bergé für 7,9 Millionen Euro bei Christies von einem Unbekannten ersteigert wurde.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Bezeichnung »Schöner Atem« weist der Künstler auf das Infra-mince-Prinzip der Umwandlung von Aggregatszuständen und somit auf ein magisches Moment seiner Kunst hin. Zugleich magischer Moment, der den Riechsinn anspricht, soll der angenehme Geruch das Gegenüber mit dem »Schönen Atem« für einen Augenblick verführen. Der Parfumduft soll Körpergerüche normalerweise verschleieren und die Person künstlich aufwerten, das Parfum steht in der Kunst für ein »nasses Medium«.80 Des Weiteren repräsentiert auf dem Flakon diese weibliche Figur, die von Duchamp verkörpert wird, seinen »weiblichen Blick« auf die Kunst. Duchamp: »It was not to change my identity, but to have two identities.«81 Bereits bei Ovid liest man über den männlichen Liebhaber, der sich durchaus an künstlicher, vorgetäuschter Schönheit erfreuen kann, aber nicht die kosmetischen Produkte des begehrten Objektes sehen möchte, welche zu der Verschleierung geführt haben.82 Kunst als eine Art des Verbergens, Verschleierns und Verführens der Sinne steht somit in Analogie, im Falle eines Parfums, zu einem transparenten, flüchtigen Stoff – ganz im Sinne Duchamps, der bevorzugt mit Transparenz, Unsichtbarkeiten und Sinnlichkeit arbeitet. Im Zuge der Hervorhebung des weiblichen Aktes im 15. und 16. Jahrhundert kommt es vermehrt zu einer Verweiblichung des männlichen Körpers. »Alles, was mit Körper, Sexualität, Erotik und Natur verbunden ist, wird mit der Frau identifiziert. Der Mann (der männliche Künstler, Auftraggeber und Betrachter) sieht diese von sich abgespaltenen Bereiche in seinem Spiegelbild des weiblichen Aktes thematisiert.«83 Jammers weist auf die Subjekt-Identität hin, welche auch mit einem weiblichen Anderen möglich sei. Der weibliche Körper steht somit rein für die Wahrheit, ist die Reflexionsfläche und zweite Seite des Künstlers und auch des männlichen Betrachters. So wird bei der Betrachtung des Werkes Étant donnés durch eine weibliche Person vorrangig ein Identifikationsprozess hervorgerufen, während bei einem männlichen Betrachter ein »WirGefühl« entsteht, das gleichzeitig die »subjektbildende Norm« bestimmt.84 Anhand des Großen Glases und Duchamps Alter Ego Rrose Sélavy wird deutlich, dass diese Kunstkomplexe jeweils eine zweite, andersgeschlechtliche Seite in sich tragen, welche auch zu spalten vermag wie im Großen Glas, in dem die weibliche und die männliche Sphäre nicht zusammenfinden. Duchamp dient dieser Umstand dazu, sich und seinem Gegenüber, dem Betrachter, ein möglichst offenes Prinzip vorzuführen, welches beide Geschlechter in der Interpretation widerspiegelt und damit einen breiten Wiedererkennungseffekt in seiner Kunst erzielt. Duchamp: »Ich glaube an den Künstler als ›Medium‹; er macht etwas, wird durch die Mitwirkung des Publikums, des Betrachters bekannt und geht deshalb in die Nachwelt ein. Jedes Kunstwerk ist ein zweipoliges Produkt, wobei der eine Pol derjenige ist, der es macht und der andere, der es betrachtet.«85

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Vgl. JUDOVITZ 2010, S. 132. KACHUR 2014, S. 145. Vgl. SUTHOR 2004, S. 52. KNÖLL 2009, S. 185. Vgl. JAMMERS 2000, S. IX. CABANNE 1972, S. 105; GÖRNER 2005, S. 138.

7. Leonardo da Vinci

Eine imaginäre Verbindung zum anderen Geschlecht macht auch Kiesler in einer Fotocollage nachvollziehbar, die er in der Zeitschrift VieW 1945 ablichtet; sie zeigt Marcel Duchamps Atelier (Abb. 31). Duchamp sitzt in dieser Montage am Schreibtisch, über ihm ist die Braut aus dem Großen Glas auf die Atelierwand projiziert. Sie wird über Duchamp »schwebend« zu einem riesigen weiblichen Gehirn, das somit im übertragenen Sinne eine »Geistesgeburt« oder einen Inspirationsmoment vorstellt bzw. das fruchtbare Gehirn, das sich offen zeigt wie eine mystische Innenschau der Idee des Künstlers selbst. Indem Duchamp in anderen Objekten die Braut selbst zum Prinzip erklärt, befruchtet er diese selbstbezüglich als Bräutigam. Diesen Gedanken gilt es mit Giovanni Pico della Mirandola, welcher 1487 festhält, dass der Geist die unsterbliche Seele befruchtet, zu verknüpfen: »Wenn sie (die Seele) sich eines so erhabenen Gastes (des Königs – des Geistes) würdig gezeigt hat, wie groß ist dann dessen ungeheure Milde! Mit einem goldenen Gewand wie mit einem Brautkleid angetan … empfängt sie ihren schönen Gastfreund, aber nicht wie einen Gast, sondern wie einen Bräutigam.«86 Die Selbstdarstellung als Frau in seinem Alter Ego Rrose Sélavy und Duchamps Interesse an den verborgenen Künstler-Individualisierungen – wie in Leonardo da Vincis Mona Lisa, in Albrecht Dürers Selbstbildnis im Pelzrock oder Melancholia I, welche allesamt ebenfalls genderübergreifende Aspekte thematisieren – gilt es in diesem Kontext gleichfalls zu beachten: Alle verbindet eine stark ausgeprägte weibliche Komponente oder Verschmelzung zu einer Androgynität mit dem Künstler selbst. Dennoch ist eine klare Abkehr von der Realität in den Darstellungen festzuhalten und als eine Hommage auf die Kunstfertigkeit, die Produktion und die Reibung mit der Materie selbst zu werten, als eine Hommage auf die Kunst in der Liebe und auf die Kunst an sich, welche aus einer Dualität heraus lebt.

7.3.

Das vermeintlich beschießende Kunstwerk

Kiesler zeigt in einer Fotografie, welche er mit seinem Aufsatz Design-Correlation veröffentlicht, den Nachbau des Großen Glases als ein einfaches Holzmodell (Abb. 126).87 Beide Bereiche des Glases sind angedeutet mit einer einfachen Glasplatte oben und einer Holzplatte unten, sodass insgesamt die Umrisse des Hauptwerkes in groben Zügen nachgezeichnet sind.88 Duchamp steht hinter dem mit einer Rahmenvorrichtung in einem landschaftlichen Umfeld aufgestellten Modell des Großen Glases und richtet eine Spielzeugpistole auf den Bereich, der im Kunstwerk der Braut zugedacht ist. Man sieht den Künstler hinter dem Modell, also in frontaler Stellung. So nimmt der Künstler durch die Glasscheibe hindurch den Betrachter ins Visier und zielt mit der Waffe auch auf ihn. Es sind bereits weiße Einschüsslöcher in der Höhe der Braut oder seines eigenen Oberkörpers und um seinen Kopf herum zu sehen. Sie erinnern an die Einschüsse,

86 87 88

COUTIN 2013, S. 183. Vgl. KIESLER 1937, S. 60. Vgl. KIESLER 1937, S. 60.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

die im Großen Glas von den Junggesellen auf die Sphäre der Braut abgegeben werden. Die »Zufallstreffer«, die das sexuelle Verlangen der »männischen Gussformen« in der Domäne der Braut markieren, sollen nach Duchamp das Glas »durchschlagen« und also zum Betrachter hin vordringen.89 Duchamp nimmt selbst die Rolle des Eros ein, welcher mit einer Spielzeugwaffe aus Plastik anstatt mit Pfeil und Bogen ausgerüstet ist; die Waffe ist auf den Betrachter gerichtet und weist Duchamp, den Eros also, als »Liebes-Künstler« aus.90 Die schießende Tätigkeit des Künstlers analogisiert das Erzeugen, Befruchten, Entfachen eines Funken im Auge des Betrachters, den der Künstler (unter anderem) durch das Glas hindurch zu treffen versucht. Das Glas fungiert als das Fenster zum Inneren des Betrachters. Duchamps Schuss, der sich gegen die angedeutete Sphäre der Braut richtet, steht demnach für die befruchtende Tätigkeit des Künstlers gegenüber der Braut und dem Betrachter.91 Duchamp stellt das Modell zwischen sich und den Betrachter, und während die Waffe auf das Werk und den Betrachter gerichtet ist, erweitert er aktiv den Bildraum des Großen Glases.92 Die auf die Braut zielende Schusswaffe wendet sich sowohl gegen den Betrachter, zielt aber auch auf den Künstler selbst, der ja auf der Fotografie in der Höhe der Braut erscheint. Die Braut steht unter doppeltem Beschuss: durch den Künstler selbst und durch den Betrachterblick auf der gegenüberliegenden Seite. Blick und Schussrichtung sind eins geworden, werden zu einer imaginären, aufgeladenen Kraftlinie. Duchamp stellt sich im Bild als der Erzeuger des Werkes dar wie auch als Schießender, der, vermeintlich subversiv, gegen das Werk vorgeht. Gleichzeitig wird der Künstler von sich selbst beschossen, da er im Foto genau im Visier steht. Der Künstler ist immer der erste Betrachter und der größte Kritiker des eigenen Werks. Magritte schreibt zu diesem Thema: »Das Gelingen eines Werkes scheint recht wenig von seinem Ausgangspunkt und den Schwierigkeiten der Ausführung abzuhängen. Das fertiggestellte Bild ist eine Überraschung und sein Autor der erste, den es überrascht. Man will einen immer packenderen, unvorhergesehenen Effekt erzielen […].«93 Kieslers Fotografie von Duchamp, schießend hinter der Apparatur eines Modells vom Großen Glas, erinnert an die Grafik von Jacques de Gheyn II, Bogenschütze und Milchmagd, von 1610 aus dem Rijksmuseum in Amsterdam (Abb. 127).94 Darin zielt der Protagonist mit der Armbrust auf den Betrachter der Grafik. Gleichzeitig ist das erigierte Geschlecht des Bogenschützen wie die Schusswaffe auf den Betrachter gerichtet. Auge, Pfeil und das männliche Geschlecht fallen somit bei Gheyn in eins.95

89 90 91 92

93 94 95

Vgl. MOLDERINGS 2006, S. 45. Vgl. PFISERER 2014, S. 13. Pfisterer erläutert hier einen ähnlichen Umstand in einem anderen Kontext anhand der Grafik Sine Cerere et Baccho friget Venus von Hendrick Goltzius. Vgl. PFISERER 2014, S. 13. Das Motiv, dass sich Duchamp hinter einem seiner Gläser inszeniert, ist durch etliche Fotos bekannt. So auch in der Fotografie von Man Ray, Marcel Duchamp mit Glissière, aus den 1920er Jahren. BLAVIER 1986, S. 27. Vgl. OY-MARRA 2015, S. 191. Vgl. OY-MARRA 2015, S. 190f.

7. Leonardo da Vinci

Durch das Modell Duchamps hindurch durchquert der Schuss des Künstlers die Bildräume. Der Künstler ist in der Lage, den Betrachter auch außerhalb der Bildgrenzen imaginär zu »berühren«. Genauso wie Duchamp das Gehirn oder die Vagina der Braut mit seiner Pistole oder sogar seinem Geschlecht trifft, zum Opfer macht und befleckt, tut er dies auch mit seinem Betrachter, der von Duchamp dazu angehalten ist, seinen Bildmaximen zu folgen, um die transzendierende Intention zu erkennen. Denn erst dann beginnen sich die dargestellten Areale und Akteure im Werk zu offenbaren und, beispielsweise im Großen Glas, sich die Maschinen in der Imagination des Betrachters zu bewegen oder die gesetzten Blicke und Schüsse ihr Ziel zu erreichen. Der Künstler, welchermit der Erscheinung eines bewaffneten Eros im Bild übereinstimmt, stellt so eine Verbindung mit dem betroffenen, sehenden und interpretierenden Betrachter her, der dem lebendig gewordenen Bild ohnmächtig gegenüber steht.96 Abermals thematisiert Duchamp diesen Grundgedanken, der ihn als Opfer und Beschossenen mit einbezieht, in einer Fotografie von 1942. Nun inszeniert sich der Künstler – wie das Dargestellte annehmen lässt – in der Rolle des Heiligen Sebastian (Abb. 128). Der Künstler zeigt sich an einen Baum gelehnt, bekleidet mit Wollpullover und Schal. Leere Glasflaschen sind an seinen Schultern befestigt und stehen wie ein Kranz aus Pfeilen von dem beschossenen Duchamp ab. Die Sonne strahlt ihn aus der Betrachterrichtung an. Ein Schatten schlägt sich quer auf seinem Gesicht nieder.97 Die Fotografie sandte Duchamp ursprünglich in einem Paket an den französischen Schriftsteller und Sammler Henri-Pierre Roché. Darin befand sich nicht nur die Fotografie, sondern auch das Buch Die Gesänge des Maldoror des Dichters Lautréamont und eine Maschine der Firma Siemens zum Schärfen von Rasierklingen der Marke Gillette. In dem Geschenk an den Kunstsammler steckt wohl eine gezielte Aussage des Künstlers: Indem er die Rasierklingen selbst schleift, könnte er sie aktiv für böse Taten einsetzen. Das Schleifen der Klingen erinnert überdies an das Schleifen des »Schienengleiters« im Junggesellen-Apparat des Großen Glases, der das Beschießen der Junggesellen gegenüber der Braut rhythmisiert. Demgegenüber ist der androgyne Heilige Sebastian oder Duchamp, welcher auf dem Foto abgebildet ist, den zumeist männlichen Blicken passiv ausgeliefert.98 Duchamp setzt sich bereits 1909 in dem Gemälde Saint Sébastien / Saint Sebastian / Heiliger Sebastian mit der Figuration des Heiligen auseinander. So malt er ein frühes Bild zu diesem Thema (Abb. 129). Lebel nennt den Heiligen Sebastian sogar den Patron Duchamps.99 Das Vorbild für das Gemälde des Heiligen Sebastian findet Duchamp in einer Statue aus der Kirche Saint-Martin in Rouen. Dieser Heilige gehört zu den wenigen religiösen Themen, die der Künstler aufgreift.100

In der Einladungskarte Announcement for the exhibition »Through the Big End of the Opera Glas«, 1948, bedient sich Duchamp ebenfalls des Motivs eines Eros-Knabens mit Pfeil und Bogen, welcher sich über einem Schachspiel auf der gegenüberliegenden Seite befindet; dies wird nur sichtbar, wenn man das Blatt gegen das Licht hält. 97 Vgl. AUSST.-KAT. Venedig 1993, 29.−30. April, Abbildung 29.4.1942. 98 Ebd. 99 Vgl. LEBEL 1968, S. 20. 100 Vgl. CAUMONT/GOUGH-COOPER 1977, S. 59. Zu den religiösen Themen zählen auch das Tauf-Bild von 1911 und die Grafik der Betenden. 96

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Pietro Aretino differenziert die Metamorphorik der Pfeile und vergleicht unter Bezugnahme auf Tizian die Pfeile im Körper des Heiligen Sebastian mit Amors Pfeilen und dem Pinsel des Künstlers: Er bemerkt, dass der entscheidende Pfeil nicht in der Brust des Heiligen steckt, sondern erst in der Phantasie des Betrachters abgeschossen wird. Dem Künstler wird damit eine gewisse Macht zugeschrieben, die Wirkung in das Kunstwerk zu legen und diese zu leiten und so als Liebender oder Liebhaber oder Betrachter in der Anschauung zu entflammen. Der Betrachter, der den Pinsel bzw. Amors Pfeil als liebesbringender Mittler bedient und der die Imagination anregenden Kraft des Kunstwerkes unterliegt, schafft es auf diese Weise, eine Liebe zwischen Kunstwerk und Künstler entbrennen zu lassen. Diese Methodik ist nicht nur ein »Wirkungsmodell« aus der Liebestheorie der Kunstgeschichte selbst, sondern auch die eigene Manie(r) und die erkennende Wertschätzung des Betrachters selbst, die kreativ mitwirken.101 Der Heilige stellt masochistische Züge zur Schau, indem er sich augenscheinlich dem Schmerz hingibt.102 Die Bilder des Heiligen Sebastian gelten immer als erotisch aufgeladen, da sie das Begehren oder das Kunstbegehren in Blick und Pfeil vereinen, während sie im Hinblick auf den schänderischen Aspekt abschrecken.103 Die Fotografie, in welcher sich Duchamp, wie angenommen wird, als Heiliger Sebastian präsentiert, ist hinsichtlich der Pfeile bzw. der Flaschen noch einmal genau zu betrachten (Abb. 128). Das Foto erinnert mit den aufrecht angebrachten Glasflaschen an das Readymade Porte-bouteilles / The Bottle Dryer Rack / Flaschentrockner von 1914 (Abb. 130). Auf der Fotografie vom Heiligen Sebastian ist es, wie es scheint, der Körper Duchamps selbst, von dem die Haken für die Flaschen abgehen. Die Flaschenkörper stecken gewissermaßen mit dem schlanken Flaschenhals an den Haken, was in der Vorstellung einem festsitzenden Pfeil mit Spitze und Federn am Ende entspricht. Anhand des Flaschentrockners, der wie üblich ein Metallgestell mit nach oben gerichteten Haken vorstellt, über welche die zu trocknenden Flaschen gestülpt werden, wird eine gegensätzliche Wirkung sichtbar. Im Heiligen Sebastian erhalten die Elemente des Flaschentrockners (Haken und Flaschen) nämlich eine neue Konnotierung, indem sie sich zusammen mit dem Künstler zu einer neuen Aussage verbinden. Der Flaschentrockner selbst vereint ein aufnehmendes und ein ausrichtendes Moment. Dies hat nicht nur eine anstößige Konnotation, sondern stimmt mit der Auffassung Duchamps überein, dass ein Künstler lernen sollte, mit Kritik umzugehen, in dem Moment wenn ihn die Pfeile treffen sollten sie gar als Ermutigung verstanden werden und aufzeigen, dass der Künstler gegenüber

101 Vgl. BOHDE 2002, S. 243f. 102 Vgl. APELVICH 2005, S. 134. Im Theaterstück D’Annunzios Martyre äußert sich der Heilige: »Celui qui profondément me blesse, plus profondément m’aime…« 1910 wird in Paris Le Martyre de SaintSébastien von Claude Debussy aufgeführt, inspiriert von mittelalterlichen Mysterienspielen. Dies könnte zur Anregung gedient haben. Das Stück entstand in Verehrung der androgynen Tänzerin Ida Rubinstein aus dem russischen Ballett von Serge Diaghilew. Es wurde ein Skandalerfolg, sowohl wegen des erotischen Bilds der Tänzerin als auch aufgrund der Verbindung mit dem impressionistischen Klangbild von Debussy. Die Kirche versuchte sogar, das Stück zu verbieten. Siehe dazu: HEUSINGER VON WALDEGG 1989, S. 19f. 103 Vgl. BOHDE 2002, S. 242.

7. Leonardo da Vinci

anderen Künstlern und deren Werk auch selbst schnell in die Rolle des Kritikers verfällt.104 Sinnlichkeit scheint nicht nur vom Körper des Heiligen Sebastian oder, wie in Duchamps Werk, vom Künstler auszugehen, sondern ist mehr auf den aktiven sinnlichen Akt des Sehens und Fühlens beim Betrachter verlagert, womit gleichzeitig der Sieg über Schmerz, Erniedrigung und Tod symbolisiert wird. Der Künstler bemächtigt sich dieses Aktes und lenkt den Blick und die Gefühle des Betrachters auf sich selbst. Duchamp ist sich der Gefühle, die durch sein Werk wachgerufen werden – auch der negativen – bewusst. Von der Betrachterseite her wird so dem Künstler und dem Kunstwerk ein analysierender Blick zugeworfen, bis das Werk vollkommen durchdrungen ist. Nicht nur die Pfeile-Metamorphorik und der Moment des Schießens werden von Duchamp wiederbelebt, auch das Element der Selbstinszenierung des Künstlers als Heiliger wird präsentiert. Schon Baldung inszeniert sich 1507 als der Titel-Heilige im Sebastiansaltar (Abb. 24).105 Man findet ihn in diesem Werk zunächst dicht hinter der Figur des Sebastian, schräg nach hinten versetzt, in einen grünen Mantel gehüllt auf der linken Seite des Bildes. Er bezieht damit die vor ihm stehende Person, den Heiligen Sebastian, in den Betrachterblick mit ein. Köpfe und Positionen beider Figuren sind leicht diagonal hintereinandergesetzt, ähneln sich aber in der Wiederholung der Gesichtszüge: Die formale Nähe der beiden deutet auf sie als eine Person.106 Baldung verschmilzt mit dem Protagonisten zu einem Kunstkörper. Er suggeriert damit die höchste Einfühlung in den zum Tode Verurteilten, was ihn, den Maler, zu der meisterhaften Umsetzung befähigt. Dabei nimmt er sich die künstlerische Freiheit, sich selbst in das Werk mit einzubinden, und demonstriert, dass er die Fäden im Hintergrund des Bildes zieht. Dem spärlich bekleideten Sebastian steckt bislang nur ein Pfeil im Bein, er wird demnächst nicht nur von den weiteren Pfeilen der Soldaten beschossen werden, sondern ist in frontaler Haltung zudem den Blicken des Betrachters ausgeliefert; auch diese scheinen ihn schmerzhaft zu treffen.107 Auf der Rückseite des Retabels zeigt sich Baldung abermals in persona, diesmals als der an höchster Stelle platzierte König, als einer der Heiligen Drei Könige, mit grüner Kappe kenntlich gemacht.108 Baldung betritt also in

104 Vgl. DUCHAMP, Marcel: o. T., [Fünfzehn Fragen an Marcel Duchamp], Box 2, Folder 19, Alexina and Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, Frage Nr. 10; DUCHAMP et al. 1949, a, c, S. 31-d. 105 Vgl. SÖLL-TAUCHERT 2010. S. 153ff. Baldung inszeniert sich in vielerlei Weise kreativ in seinen eigenen Werken. Meist kleidet er sich dabei Grün, wie sein Name Grien andeutet. Er wechselt aber auch die Rollen u. a. in Schächer, Kinder und Tiere. 106 Vgl. SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 139f. 107 Vgl. SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 160. Im humanistischen Umfeld, wie es auch Baldung bekannt war, wird, so Söll-Tauchert, der Hl. Sebastian auch als Apoll verstanden, der nicht nur der Gott der Schönen Künste ist, sondern auch der Rächende, welcher mit den Pfeilen die Sünden der Menschen bestraft und somit zurückschießt. Er wird so in der italienischen Kunst des 15. Jahrhunderts nicht mehr länger nur als alter Soldat dargestellt, sondern wird als junger, schöner Mann in den Diskurs gerückt, welcher die Blicke an sich fesselt. 108 Vgl. WALTHER 1975, S. 1; SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 120.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

eigener Person als Referenzfigur jeweils wie in einem Tableau vivant den Bildraum wie eine Bühne.109 Im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts vermehren sich die Anspielungen von Künstlern auf die homoerotische Figuration des Heiligen Sebastian, die zumeist einen jungen, androgyn wirkenden Mann mit beinahe weiblichen Zügen vorstellt, indem sie beide Geschlechter in seiner Person vereinen. Überdies weist der Heilige Sebastian auf die Erzählung von Liebe und Verrat innerhalb der christlich-patriarchalen Domäne hin. Der Heilige, der von dem Pfeil, einer Phallus-Analogie, durchdrungen wird, ist obendrein dem (begehrlichen) Blick des Betrachters ausgesetzt. So wird die Schönheit der Darstellung durch das Morbide verunklärt und beschädigt.110 Die Weiblichkeit des Sebastian ist sicher ein Moment, welches für den genderorientierten Künstler Duchamp von Interesse ist, was er in seiner eigenen Inszenierung als Heiliger Sebastian verdeutlicht. In dem von ihm geliebten Rollenspiel stellt Duchamp in seinen Werken immer wieder Verschmelzungen dar zwischen der dargestellten, meist abstrahierten Figur und seiner eigenen Person. Dazu kommt es vor, dass er sich auf Fotografien mit Bestandteilen seiner Werke als Einheit inszeniert. Im Werk Leonardo da Vincis können ähnliche Prozesse zwischen dem Künstler und den Protagonisten festgestellt werden, da beide im Werk zu einem Körper verschmelzen, wie etwa in der Darstellung der Mona Lisa. Duchamp vollzieht diese Vorgänge in seinem Werk nach, indem er der Mona Lisa einen Bart aufzeichnet oder sich selbst als Frau im weiblichen Alter Ego Rrose Sélavy inszeniert. Er versucht, sich in das andere Geschlecht einfühlend hineinzuversetzen, indem er, gottähnlich, beide Geschlechter greifbar macht. Der Mona Lisa wird ein lebendiger Blick nachgesagt, mit dem sie den Betrachterraum einnehmend verfolgt. Duchamp knüpft an solche Überlegungen an und schafft selbst auf den Betrachter bezogene, mit ihm interagierende Kunstwerke. Gleichzeitig warnt er davor, ein Kunstwerk nicht zu sehr dem Betrachterblick auszusetzen, und versucht, die Darbietung des Kunstobjekts einzuschränken und intim zu halten. Das gelingt ihm vollends bei Étant donnés, bei dem jeweils nur ein einziger Betrachter mit dem Kunstwerk in Kontakt treten kann. In Bezug auf Leonardo da Vinci bedient sich Duchamp im Werk L.H.O.O.Q. einer direkten visuellen Rezeption. An dieses Werk knüpft Duchamp mit weiteren Überlegungen an, indem er Leonardo als eine Ideengrundlage für die Konzeptualisierung seines Werkes heranzieht.

109 Vgl. SÖLL-TAUCHERT 2010, S. 157. Der Sebastiansaltar erweckt nicht nur die Illusion eines bühnenhaften Raumes, sondern auch den eines Tableau vivant. 110 Vgl. BOHDE 2002, S. 223ff.

8. Resümee

Marcel Duchamps Werk basiert, wie die vorliegende Arbeit darlegt, im Wesentlichen auf den unterschiedlichsten Rezeptionen Alter Meister. Die konzeptuelle Adaption der jeweiligen Rezeptionen durch den Künstler bedeutet indes, dass es hierbei nicht um einfaches Kopieren geht, vielmehr ist es des Künstlers eigener Ansatz, die Dimension der Vergangenheit intellektuell in sein Werk zu integrieren. Die sich bei Duchamp abzeichnende intensive konzeptuelle Auseinandersetzung mit ausgewählten Künstlerindividuen zieht sich durch seine gesamte Schaffensphase. Sein Werk ist retrospektiv aufgebaut, sodass angenommen werden kann, dass der grundlegende Inspirationszeitpunkt für das Hauptwerk Das Große Glas am Beginn seines Wirkens liegt. Dieses Werk ist gegenüber dem zugrunde liegenden Vorbild stark abstrahierend umgesetzt, wohingegen im Spätwerk Étant donnés ein bildhafter, realistischer Ausdruck gefunden ist, der in seiner Gegenständlichkeit sichtbar auf das Vorbild zurückgreift. Étant donnés steht damit im harten Kontrast zu Duchamps Frühwerk. Die vorliegende Arbeit konnte nachweisen, dass Haupt- und Spätwerk inhaltlich auf den gleichen Rezeptionsgrundlagen beruhen und gewisse Kernthemen – wie der Aspekt der sexuellen Kreisläufe – Duchamp über seine gesamte Schaffenszeit hinweg begleitet haben. Mit der hyperrealistischen Darstellung im Spätwerk ermöglicht der Künstler dem Betrachter einen leichteren Einstieg in die Interpretation seines Werkes. Denn mit Étant donnés werden dem Betrachter kaum mehr »visuelle Übersetzungen« abverlangt. Duchamp hat dafür diese Worte: »As years went by, the ideas became less and less frequent or valid, and very often I would not even try a visual translation…«1 Duchamp schult seinen ausgeprägten Sehsinn anhand der Analyse von Vorbildern ständig weiter; indem er die kreativen (Denk-)Prozesse der Alten Meister in nahezu kunstwissenschaftlicher Präzision nachvollzieht, erarbeitet er sich sein visuelles Bildverständnis. Darauf aufbauend, also unter Berücksichtigung der zuvor gewonnenen Erkenntnisse, gestaltet den Herstellungsprozess seiner Werke. Duchamp ermöglicht überdies dem Betrachter, die von ihm, dem Künstler, vorgegebenen Rezeptionswege durch eigenes logisches Denken individuell nachzuvollziehen. In seinem Werk tritt ein 1

DUCHAMP, Marcel: o. T., Box 2, Folder 14, Lectures, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives.

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

rationales Erfassen der kunstgeschichtlich relevanten Werke in ihren künstlerischen und ikonografischen Strängen zutage, ebenso ein starkes Interesse an dem individuellen Künstlercharakter, auf den Duchamp sich bezieht. Das durch intensive Anschauung gewonnene Wissen, indem er beinahe wie ein Kunstwissenschaftler an den Objekten forscht, und durch die Inspiration, welche Duchamp daraus zieht, werden von ihm angewandt oder transformiert und zu neuen Inhalten verarbeitet. Er setzt damit auf höchst individuelle Weise, wie anhand der vorliegenden Arbeit zu erkennen ist, den Kunstdiskurs in einem evolutionären Sinne fort – den Diskurs, der, aus der Vergangenheit kommend, bis in die Zukunft nachvollzogen und weiterentwickelt wird. Gleichzeitig bindet Duchamp den traditionellen Diskurs inhaltlich und teils motivisch an sein Werk. Dabei ist nur ein Teil der ausgewählten Arbeiten, welche Duchamp für Rezeptionen heranzieht, im allgemeinen Bildergedächtnis verankert, denn viele Werke sind von der Wissenschaft bislang nicht vollkommen erschlossen und stellen das Fachpublikum auch weiterhin vor neue Fragestellungen. Mit der Rätselhaftigkeit der Rezeptionen, entnommen aus Bildern, Grafiken und Zeichnungen der Renaissance, des Manierismus und der Frühen Neuzeit, gewährleistet Duchamp ein Fortleben seines eigenen Werkes, das er an den kunstgeschichtlichen, aber auch künstlerischen Diskurs anbindet. Da sich der Disput über manche der rezipierten Werke noch nicht erschöpft hat, wird die Auseinandersetzung weiterhin im rezeptiv sehenden und erkennenden Sinn durch den Betrachter belebt und erneut geöffnet – ganz im Sinne des Künstlers. Das rezipierte Motiv, welches in ausgewählten Details im neu geschaffenen Werk von Duchamp zitiert wird, wird sowohl auf inhaltlicher Ebene hinsichtlich des früheren Kontexts als auch mit Blick auf die neue Interpretationsweise der nun zugrunde liegenden Werkaussage erweitert. Duchamp entdeckt in dem auf diese Art weitergeführten Diskurs eine Möglichkeit, die Themen lebendig zu halten, dem Betrachter eine aktive, nachvollziehende Rolle in seinem Werk zuzuschreiben und sein Werk mit einer interpretierenden Sinnhaftigkeit anzureichern. Dies geschieht auch im Fall einer Hommage wie bei L.H.O.O.Q., einem Werk, welches sich in widersprüchlicher Weise gegenüber seinem Vorbild subversiv ausdrückt, sich selbst an ein altmeisterliches Werk anbindet und den »Geniestreich« unverhohlen visualisiert. Die Untersuchungen ergeben, dass die Bildzitate in Duchamps Werk, die auf Alte Meister verweisen, immer ein individuelles Identifizierungsmoment hinsichtlich des jeweilig rezipierten Künstlers beinhalten, sei es durch die Grundlage, welche übernommen wird, oder durch ein technisches Verfahren, das Duchamp adaptierend anwendet, sodass sich die jeweiligen Zitate eindeutig dem als Grundlage fungierenden Original zuordnen lassen. In Anbetracht der verwendeten Rezeptionen beziehen sich die einzelnen Werke visuell und thematisch insgesamt auf ein übergreifendes Bilderrepertoire, in dem sich ähnliche, rezeptive Beschäftigungsfelder eröffnen und nachgewiesen werden konnten. In der Rezeption zeigt sich keinesfalls eine Inspirationsarmut Duchamps, vielmehr offenbaren sich im Gegenteil dahinter inhaltliche Wiederholungen im Kontext der Kunstgeschichte, die er dank genauester Beobachtung und intensiver Analyse aufspürt, aufdeckt und mit großem Interesse weiterverfolgt. Die Rezeptionen bieten ihm den Rückbezug auf die kunstgeschichtliche Vergangenheit, um sie zu reflektieren und etwas Neues daraus zu entwickeln, sein künstlerisches Selbstverständnis zu stärken und das fachinterne Wissen in diesem Zusammenhang auch im Sinne des Credos L’art

8. Resümee

pour l’art weiterzubearbeiten. Gleichzeitig sichert er so die Kunstgeschichtsschreibung über sein eigenes Œuvre. Die Verbindungen zwischen Kubismus, Surrealismus und weiteren Ismen seiner Zeit, die – obschon von Duchamp abgelehnt – bestehen, bilden eine wesentliche Grundlage für sein Werk. Diese Bezugnahme zu zeitgenössischen Kunstrichtungen offenbart Duchamp als ein Kind seiner Zeit, das nicht nur genuin um sein eigenes Schaffen kreißt, sondern auch im künstlerischen Umfeld seiner Zeit verwurzelt und durch dieses beeinflusst ist. Ferner verweist seine Haltung zu der Kunst seiner Generation darauf, dass er das Verfahren der Rezeption auch in Bezug auf seine eigene Gegenwart anwendet: So drücken sich Kubismus und Futurismus dahingehend in seinem Werk aus, dass Duchamp in den Jahren um 1912 zunächst noch im Medium der Malerei nach seinem Verständnis auf diese Strömungen rekurriert, wie in Akt die Treppe herabsteigend (Nr. 2). Dann aber auch in Objekten wie dem Fahrrad-Rad, das er zerschneidet, ganz im kubistischen Sinne und setzt es in neuen Kombinationen mit einem Hocker zusammen, unter Berücksichtigung der tatsächlichen Bewegung durch das sich drehende Rad. Duchamp lässt das kubistische Zerteilen und erneute Zusammensetzen zum Experimentierfeld seines Schaffens werden. Dieses Prozedere gibt ihm die nötige Freiheit im Geiste, Rezeption abstrakt, im zerschnittenen Zustand konzipierend, zu denken und frei mit etwas anderem zu kombinieren, so auch mit Motiven aus Werken Alter Meister. Das kunstgeschichtliche Wissen, welches aus den Werken spricht, werden durch die neuen Kombinationen in einem alchemistischen Sinn wiederbelebt und in seinem Werk erneuert, da sie in den rezipierten Originalen bereits Ausdruck finden. In der Auseinandersetzung mit den Alten Meistern und mit der Methode der Adaption ist Duchamp kein Einzelgänger, denn auch Dalí, Man Ray, Pablo Picasso oder Katherine Dreier, um nur einige seiner Zeitgenossen zu nennen, beschäftigen sich mit altmeisterlicher Kunst. Der Versuch, als Künstler sein eigenes Werk intellektuell und konzeptuell zu durchdringen, steht einem emotionalen malerischen Verfahren teilweise konträr gegenüber; es ist eine Herangehensweise, wie sie auch in Pablo Picassos Kunst erkannt werden kann und die in der vorliegenden Arbeit am Gemälde Guernica erläutert wird. In Guernica, welchem Hans Baldung Griens Motiv des Behexten Stallknechts zugrunde liegt, kann ein intuitives Vorgehen im Rahmen der Rezeption durch den Maler nachvollzogen werden. Der rezipierende Künstler hat bereits zu Beginn des Prozesses das Vorbild in seinem Gedächtnis mental abgespeichert und versucht während des malerischen Prozesses, die Rezeption abstrahierend zu gestalten und mit seinen individuellen Themen malerisch zu verknüpfen. Über Original und Kopie, über Intuition und Konzeption sowie über die Wirksamkeit auf dem Kunstmarkt wird sich Picasso nach eigener Aussage während der Schaffung des Werkes bewusst. Das Vorgehen Duchamps weicht von der eben beschriebenen Abfolge ab: Er ist bewusst darauf bedacht, seine Wiederholungen in den Rezeptionen detailliert zu reflektieren, zu ergründen und neu in individueller, persönlicher Ästhetik umzusetzen. So erklärt Duchamp in einem Brief an Jean Crotti: »…diese Originalität [ist] selbstmörderisch, in dem Sinne, als sie Dich von einer ›Kundschaft‹ entfernt, die an die ›Kopien der Kopisten‹ gewöhnt ist, was man oft ›die Tradition‹ nennt. Eine andere Sache: Deine Technik ist nicht die ›erwartete‹ Technik. Sie ist

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Deine persönliche Technik, die Du niemandem entliehen hast, und auch dadurch wird die Kundschaft nicht angelockt.«2 Duchamp verfolgt mit seiner Wahl von Rezeptionen, welche nur zum Teil auf populären Vorlagen beruhen, demnach nicht die Absicht, einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen, vielmehr ist hierin eine Beschäftigungs- und Erkenntnisgrundlage für ihn selbst gegeben. Diese Grundlage gibt er nicht preis, und so tritt er damit im Stillen – und ganz für sich allein im amerikanischen Exil – der kunstgeschichtlichen Traditionslosigkeit des 20. Jahrhunderts entgegen, die im drohenden Zerfall der europäischen Kunsttradition bedingt ist, der sich mit den Kriegswirren des Zweiten Weltkriegs in Europa abzeichnet. Dies gelingt ihm, da er sich durch die Rezeption auf seinen eigenen, selbst angeeigneten Wissensschatz beruft, den er nicht publik macht und lediglich verschlüsselt in seinen Werken ausdrückt, in denen er dieses Wissen festhält und speichert. Duchamp vermeidet es, seine potentiellen Vorbilder zu erwähnen. Unsere Kenntnis beschränkt sich auf ein Hintergrundwissen, welches er in nur wenigen seiner Kommentare übermittelt. Feststellen lässt sich dies etwa bei seinen kryptischen Äußerungen über Cranach den Älteren, dessen Gemälde er 1912 in der Alten Pinakothek besichtigt; er macht uneindeutige Aussagen über das Inkarnat der »großen Akte« von Cranach, ein Thema, welches er innerhalb seines Werkes malerisch im Frühwerk und später in Étant donnés verarbeitet. Visuell ist der Gebrauch von Rezeptionen in Duchamps Werk oft nicht klar erkennbar. Eine Ausnahme bildet L.H.O.O.Q. (1919), die eklatante DaVinci-Rezeption, in der Duchamp weitere Fragen hinsichtlich Konstruktion und Rezeption aufwirft. Indem Duchamp bei Leonardo subversive Veränderungen vornimmt, bindet er sich an Fragestellungen zu Identitäts- und Geschlechtervervielfältigungen an, welche sich auch auf sein weibliches Alter Ego Rrose Sélavy beziehen. Die am stärksten ausgeprägten Rezeptionen lassen sich in Duchamps Hauptwerken Großes Glas und Étant donnés finden, die beide als Hommage an Hans Baldung Grien zu lesen sind. Er adaptiert Baldung wie ein Gedankenmodell, an welchem er sich maßgeblich orientiert. Baldung, der sich selbst ein hohes Maß an künstlerischer Freiheit in seinem Werk erarbeitet hat, spricht Duchamp mit seinem Schaffen an. Duchamp findet in Baldungs Œuvre ein historisches Vorbild für sein eigenes Wirken. Der feinsinnige Charakter Baldungs ermöglicht ihm, eine große künstlerische Freiheit in der Themenwahl um den Eros zu erlangen, sei es durch provokante, frivole Themen, welche bereits sein Vorbild bearbeitete, oder durch humorvolle Scherze, die er sich in seiner Kunst erlaubt, und sich damit innerhalb der Kunsttradition zu legitimieren. Aus Baldungs Werk übernimmt Duchamp Motive, welche nur in Fragmenten visuell nachvollziehbar sind und Duchamp zu eigenen Stil- und Themenfindungen verhelfen. Baldung ist ein Künstler, der, geprägt durch sein humanistisches Umfeld, seine Werke ebenfalls mittels narrativer Interpretationsebenen aufbaut und sich an Vorbildern orientiert. Er strukturiert seine Kunst bereits als eine Kunst um ihrer selbst willen in der Vielschichtigkeit mehrerer Interpretationsebenen und weist dem Betrachter in seinem Werk einen eindeutigen Platz zu: Dieser kann durch reflektierte Kunstbetrachtung eine Deutung

2

GRAULICH 2003a, S. 15.

8. Resümee

vornehmen. So ist auch das Thema Hässlichkeit Bestandteil von Baldungs Werk und findet Eingang in Duchamps Schaffen. Darüber hinaus erhalten sexuelle Kreislaufsysteme eine metaphernreiche Sichtbarkeit und machen gesellschaftliche, psychische und physische Muster in ihrem Innersten sichtbar. Mechanismen von Aktion und Reaktion beider Geschlechter im sexuellen Kontext sind Thema. Baldung ist nicht nur für Duchamp eine wichtige Künstlergröße, sondern auch, wie gezeigt werden konnte, für Pablo Picasso und untermauert damit seine Bedeutsamkeit. Ferner arbeiten Künstler wie Matthew Barney oder auch Joseph Beuys mit Hans Baldung Grien in ihrem Werk und untermauern damit die Bedeutsamkeit Baldungs. Die vorliegende Arbeit leistet Grundlagenforschung und eröffnet hinsichtlich der altmeisterlichen Rezeptionen im Werk von Duchamp ein neues Forschungsfeld. Diese Arbeit konnte zeigen, dass Duchamp zu Denkbildern findet, über die Erschließung der Werke von Dürer und Baldung, deren Abfolge er nach eigens gewählten Schwerpunkten weiterverfolgt, erweitert, aktualisiert und die er anhand von Zitaten mit neuen Kontexten verbindet und neu in seinem Werk konnotiert. Zu einem kleinen Teil arbeitet Duchamp in seinem Werk mit den populärsten europäischen Gemälden wie Dürers Selbstbildnis im Pelzrock oder Leonardo da Vincis Mona Lisa. Er unternimmt damit den Versuch, subversiv seine großen Vorgänger zu überschreiben, mit ihnen in einen imaginären oder visuellen Wettstreit zu treten und sich als ein neuer Kunstschöpfer in ihrer Reihe zu inszenieren, um sich in der Kunstgeschichtsschreibung in ihrer Werteskala zu positionieren. Duchamp nutzt Dürers Kunsttheorie, um sich in Kombination mit der eigenen Praxis Vervielfältigungs- und Vergrößerungsverfahren anzueignen und damit in seinem Werk den Medienwechsel von der Grafik zum Objekt vorzunehmen. Damit kann seine Kunst vom Zweidimensionalen ins Dreidimensionale verwandelt werden und dabei traditionellen Gesetzmäßigkeiten folgen. Durch den künstlerischen Prozess der Rezeption verleiht Duchamp seinem Werk zusätzliche bildliche und diskursive Ebenen, was ihn als tiefsinnigen Künstler auszeichnet. Dies unterstützt ihn gleichzeitig dabei, sein Ego und kunstgeschichtliches Vorgehen hinsichtlich strategischer Aufgabenstellungen zu differenzieren. Das Zitat dient ihm dazu, sich Motive der Großmeister anzueignen und sich im eigenen Schaffen auf einen inspirierten Weg durch diese zu begeben und sie unter einem vollkommenen neuen Aspekt, geprägt durch seine Werkaussagen, zu inszenieren und zu kontextualisieren. Dabei verfolgt er verschiedene Fragestellungen, beispielsweise, wie es gelingen kann, den Blick und die Aufmerksamkeit des Betrachters an das Werk zu binden sowie Ein- und Mehransichtigkeiten in einem Werk zu erzeugen, und dies nicht nur durch bloße Anschauung, sondern auch reflektiert im Spiegel der kunstgeschichtlichen Tradition. Im New Yorker Exil knüpft Duchamp an das europäische Kunst- und Traditionsgut an und errichtet innerhalb seines Werkes, durch die Rezeptionen begründet, einen Wissensspeicher der europäischen altmeisterlichen Kunst, um konservierend das kunstgeschichtliche Wissen bis nach Amerika zu exportieren. So fertigt Duchamp Werke – man könnte sie fast als Kunstaltäre bezeichnen –, die wie Schatzkästchen in Form von Schachteln, Koffern und ganzen Kammern fungieren und alles Wichtige für sein Werk beinhalten, um dessen Fortleben wie in einer Arche zu sichern. Die Rezeptionen, mit welchen er seine Kunst anreichert, helfen ihm dabei, an seine eigenen künstleri-

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schen, europäischen Traditionen zu erinnern, diese zu verarbeiten, sie wie einen eigenen Wissensschatz zu hüten und visuell nur wenig von ihnen preiszugeben. Dabei ist er immer bemüht, sich nicht inhaltlich innerhalb seines eigenen Werkes zu wiederholen. In widersprüchlicher Weise, so könnte man meinen, feiert er sich in Amerika als einen Vertreter einer neuen modernen Kunst, der alte Traditionen hinter sich gelassen und offensichtlich zu einer neuen Freiheit in der Themenwahl gefunden hat. Das komprimierte Wissen in einem derartigen Assoziationsspektrum, welches er als Konsequenz der Rezeptionen in seinem Werk vereint, deutet auch auf das generelle Wissen hin, welches sich Duchamp im Laufe seines Lebens erworben hat. Es lässt auf seinen großen Willen schließen, sich ein eigenes thematisches Feld auf dem Kunstmarkt zu erarbeiten, welches sich an kunstgeschichtliche Traditionen anbindet und dadurch eine Überhöhung erfährt. Die Aneignung der Kunst aus der Vergangenheit in Duchamps Werk erfolgt über: Fortschreibung, Bemühung um eine genaue Rekonstruktion, formale Orientierung, inhaltliche und visuelle Angleichung, das Auffinden von Wesensverwandtschaften, das Anknüpfen an erprobte Erfolgsmechanismen sowie über die Idee und den Willen, das Werk aus der Vergangenheit wieder erneut zum Leben zu erwecken.3 Die Übergänge von alter und neuer Kunst sind in Duchamps Werk visuell letztlich so harmonisch fließend, dass sie nur teilweise für das bloße Auge wahrnehmbar sind und man von Meisterschaft in der Verschleierung der Rezeption oder der Dialogführung sprechen kann. Duchamps Gedankengänge manifestieren sich einerseits in seinem konzeptuellen Werk und werden andererseits parallel von ihm verschlüsselt. Duchamp spricht seinen Gedanken einen eigenen Raum in den Schachteln zu: Kleinste Notizen sollen als eigenständige Werke wahr- und ernstgenommen werden; kleine Zeichnungen werden überlebensgroß wie in Étant donnés in Objekte transformiert. Sich loslösend von dem Handwerk der Malerei, um eine möglichst große künstlerische Freiheit zu erlangen, nutzt er den Kunstgriff der Rezeption raum- und zeitüberschreitend für sich. Inspiration, Ideenfindung, Konservierung und die Geburt eines Kunstwerkes werden innerhalb seiner Werke thematisiert und in einen internationalen Kunstdiskurs gebracht und so erweitert. Die Themen werden vom Künstler in einer alchemistischen Weise thematisch angepasst und in neuen Materialien und Kontexten transformiert. Duchamp setzt sich bewusst an das Ende der alten Tradition und bildet somit gleichzeitig den Beginn und Aufbruch in eine neue Prozessualität. Durch die bewusst gewählte Historizität in seinem Werk weist er sich selbst innerhalb seiner Epoche und in der Folge der großen Meister der Vergangenheit einen eigenständigen Platz zu; er gestaltet ein Bezugssystem und setzt sich damit in deren Nachfolge, gleichsam eine künstlerische Ahnenkette bildend. Die Alten Meister stellen in diesem Sinne einen Stimulus für sein künstlerisches Selbstverständnis und seine Selbstverortung dar, welche ihn in eine Traditionsabfolge einreiht. Der Ich-Bezug im Selbstbildnis bildet dabei ein Übereinkommen mit seinem Ego, welches Duchamp herausstellt, nicht zuletzt im Hinblick auf sein weibliches Alter Ego Rrose Sélavy. Vom Künstler wird seine gefühlte weibliche, parallele Natur selbst zum 3

Schmitz verweist darauf, dass die Herangehensweise hinsichtlich der Werke alter Meister nicht neu ist und in der Zeit Duchamps auch grundsätzlich am Bauhaus gelehrt wurde. Siehe dazu: SCHMITZ 2009, S. 196ff.

8. Resümee

Kunstwerk stilisiert. Zum Vorbild nimmt sich Duchamp unter anderem Baldung und Rembrandt, die mit vielen Rollenbildern arbeiten, in welchen die Frau immer als eine Reflexionsgrundlage ihrer selbst eingesetzt ist. Auch Dürer knüpft in seinem Gemälde Selbstbildnis im Pelzrock an eine beinahe weiblich erscheinende Eitelkeit an. Wichtig ist aber ebendieses Selbstbildnis von Dürer für Duchamp vor allem mit Blick auf die erstarkte künstlerische Selbstbehauptung in seinem Werk, die in gleicher Weise schon bei Dürer ein hohes Maß an Sichtbarkeit der Künstlerperson, gottgleich inszeniert, ausdrückt. Duchamp befasst sich mit dem Vorbild und wandelt es auf seine persönliche Weise um. Acimboldo, Dürer, Baldung, Rembrandt, Da Vinci, Cranach der Ältere und andere sind ausgewählte Künstler, die Duchamp für seine Rezeptionen heranzieht. Sie sind allesamt Großmeister der Alten Kunst und stehen im Werk Duchamps jeweils für bestimmte Aussagen, für welche sie der Künstler eigens ausgewählt hat. Bei der Erarbeitung der altmeisterlichen Bezüge geht er dabei gewissenhaft und mit dem gebotenen Ernst vor. Er lenkt gleichzeitig die kunstgeschichtliche Interpretation und fügt sie mit der bildenden Kunst zusammen. Die Schöpfungsmetaphern, welche im Werk Duchamps nachweisbar sind und thematisch den Hauptteil der Arbeit einnehmen, spiegeln dem Betrachter eine biologische, evolutionäre Weltsicht wider, die parallel zu der Kunstschöpfung gedacht ist. Analogien zum alltäglichen Leben und zu der technisch-materialistischen Erarbeitung durch den Künstler lassen sich darin nachvollziehen. Prozesse können somit in sexuellen Kreislaufsystemen metaphorisiert und sichtbar gemacht werden; sie ergeben ein Bild, das für das künstlerische Schaffen und die Entwicklungsprozesse der Kunst steht, und die Kunst scheinbar selbst wie ein fühlendes Wesen zum Leben erweckt wird. Diese einfühlsame Haltung findet Duchamp über sein Vorbild Baldung, welcher bereits die Ebenen der Inspiration, der Ideenfindung sowie Leben und Tod eines Kunstwerkes sichtbar gemacht hat. Es kann darin ein Vorgehen Duchamps erkannt werden, welcher zyklische Themen innerhalb der Kunst sensibel aufspürt, diese aktualisiert und mithilfe gesellschaftlicher Themen seiner Zeit in seine Kunstsprache einwebt. Duchamp setzt das im Werk um, indem er innerhalb des zyklischen, rezeptorischen Verhaltens die Wiederkehr thematisiert, wie er auch versucht, einen ganzen Kunstkörper und die der alten Kunst zugrunde liegenden Formen wiederzubeleben, um so an die Alten Meister zu erinnern. Die wiederkehrenden Kreisläufe beziehen sich im Großen Glas und in Étant donnés auf sexuelles Triebverhalten zwischen Mann und Frau bzw. Kunstwerk und Betrachter. Diese, sich ewig wiederholenden Prozesse, die wiederum unter anderem aus Hans Baldung Griens Werk entnommen sind, stimulieren den Betrachter. Die Objekte sind damit Erkenntnisorte, welche sich aktiv im Augenblick der reinen Anschauung scheinbar (re-)produzieren. Der weibliche Korpus wird in Étant donnés einerseits naturalistisch nachempfunden, lehnt sich als Motiv andererseits an altmeisterliche Werke an und transformiert diese. Das Körperimitat in Étant donnés ist nicht nur mit Kunsthaut überzogen, auch befindet sich im Arm ein Holzskelett, welches »das Licht der Kunst hochhaltend« Hülle, Skelett, Vielschichtigkeit und Formgebung andeutet und beinahe den Betrachter selbst zu mechanisieren scheint. Symbolisch wird hierin das Streben nach Wahrheit, für sich geltend, dargestellt sowie die Wandlung des geistigen, intellektuellen Moments der Erleuchtung oder die Inspiration des Künstlers vom Gedachten zum Wesentlichen in

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Form der Installation, indem die Kunst zu einem allgemeinen Ausdruck findet. Symbolisch steht es also für das Streben nach Wahrheit und das geistige »Ans-Licht-Bringen« von Ideen, in der Installation und in der Kunst im Allgemeinen. Dies geschieht unter dem Aspekt des ewigen Ringens zwischen natürlichen Prozessen und künstlicher Maxime, welche die Kunst einfordert. Im Hintergrund fließt in dauerhafter, motorisierter Bewegung das Wasser des Wasserfalls, der mit der bewegten, kreativen und somit erzeugenden Kraft des schöpferischen Geistes des Künstlers gleichgesetzt werden kann. Darauf verweist bereits der Titel von Étant donnés: 1° der Wasserfall, 2° das Leuchtgas, der sich erstens auf die Inspiration, die Ideen bezieht und zweitens auf die Erkenntnis, welche schließlich durch den Künstler ans Licht gebracht wird und im Werk ihre bildliche Umsetzung erfährt. Mit dieser Arbeit konnte aufgezeigt werden, dass Duchamp als Grundlage für seine Ideen konkrete Vorbilder nutzt und auch der Prozess der Werkgenese auf traditionellen Verfahren der Kunstproduktion beruht. Duchamp verbindet sich durch die Prozessualität der Werkerstellung mit den altmeisterlichen Vorbildern gewissermaßen als ein neuer Alter Meister, indem er sich in Hommagen minutiös an dem vermeintlich Alten orientiert, sich des Alten für sein Werk bedient und die Inhalte erneut in seinem eigenen Werk hervorbringt. Duchamp bleibt, auch wenn dies subjektiv kaum wiederzuerkennen ist, meist bei einem vergleichbaren Bildgehalt. Er formt dahinterliegende Grundformen wie auch Kunstkörper schablonenhaft in seinem Sinne nach und macht sie haptisch fassbar, erweckt sie vermeintlich erneut zum Leben. Die »Kunstprothesen« seines Werkes – man denke besonders an Étant donnés – bilden eine parallele, künstliche Natur nach und verleihen den künstlich nachvollzogenen, physischen Mechanismen der hybriden Künstlerfigur eine Idee, welche sich materiell in dem Kunstkörper niederschlägt. Der Betrachter ist vom Kunstwerk erfasst und wird von ihm in einen sinnlichen Sog gezogen. Die Kunstgeburt, die durch die Rezeption und den Nachvollzug des Betrachters wiederbelebt wird, setzt die Konzepte Kunst, Leben und Zeit in einen gemeinsamen Kontext. Duchamp spielt immer wieder, sei es verbal oder auch in visuellen Metaphern, mit Kunstproduktionen an sich, welche er mit physischen und biologischen Funktionalitäten gleichsetzt. Bilder der inneren Reifung des alternden Künstlers oder auch Bilder vom Lebensalter eines Werkes, die vom Werden und Vergehen des Werkes berichten, werden von Duchamp gefunden bzw. wiedergefunden. »Mutter-Künstler« werden erwähnt, die die Vorstellung eines verwandtschaftlichen Verhältnisses zu anderen Künstlern erzeugen. Das Thema von familiären Verwandtschaftsverhältnissen unter Künstlern und von biologisch-weiblichen Funktionen eines Kunstwerkes und des Künstlers selbst fasst die Arbeit übergreifend mit den sogenannten Schöpfungsmetaphern zusammen, welche in der Frühen Neuzeit eine Hochkonjunktur erfahren. Sie bilden eben jenes Brückenglied zwischen der materiellen und der geistigen Ebene der Werkfindung und ermöglichen der Kunst eine freie, narrative Form der Kommunikation. Der Akt, ein wiederholt in Duchamps Werk aufgenommenes Motiv, steht auch für die kreative Ideenfindung, die Nähe zum Material, die mechanische Werkproduktion, für den Zeugungsakt und das Werk, welches im weiteren Sinne die nackte Wahrheit des

8. Resümee

Kunstwollens, beispielsweise in einer Geburt, präsentiert.4 Der Künstler schreibt sich durch seine Rezeptionen gegenüber den übrigen Künstlern die Position eines Familienmitglieds zu. Er initiiert mit ihnen die Vorstellung eines gemeinsamen Aktes bzw. einer intimen Begegnung, in der sich Rezeption und Werk verbinden. Duchamp ist somit weiblicher und männlicher Erzeuger in einer Person, gleichzeitig Liebhaber der Materie, aber auch sexueller Schänder seines Werkes.5 Michel Leiris setzt Kopie mit Erfindung gleich und umschreibt sie als eine Lebendigmachung der Kunst. Er schreibt: »Von einem Bild von Manet, Greco, oder Cranach auszugehen […], um daraus etwas Neues zu machen – ist das wirklich ein anderes Vorgehen als die ständige Erfindung neuer Zeichen für die Transfiguration derselben Dinge? Das Werk eines älteren Malers neu zu erschaffen – heißt das nicht, es als etwas zu behandeln, das zum Leben gehört, das man nicht schlafen lassen kann und das man in gewisser Weise dazu bringen muss, seine natürliche Entwicklung zu vollenden? Nichts (so muss man annehmen) könnte reglos verharren, wenn es Picasso einmal unter die Augen und in die Hände gekommen ist.«6 Sinnbildhaft lässt sich formulieren, dass Duchamp die technische Erarbeitung seines Werkes aus den rohen und gekauften Grundstoffen zum eigentlichen Kunstwerk erhebt, er ist der Liebhaber und Alchemist des weiblichen Werkstoffes, der die Materie mit seinen Händen formt und mit seinem Geist, einem Phallus vergleichbar, durchdringt, mit der Rezeption belebt und den Geist sichtbar macht. Auch hier stimmt Duchamp mit traditionellen Umsetzungen und theoretische Überlegungen insofern überein, als der Künstler der eigentliche Liebhaber der Materie der Kunst ist – eine Idee, welche ebenfalls in der Renaissance lebendig ist. Diese Rolle übernimmt Duchamp nicht ohne Humor. Dieser Humor durchzieht sein gesamtes Schaffen und manifestiert sich in seinen Werken als ein eigenes Merkmal. Humorvoll bemüht Duchamp sich letztlich auch, den großen Meistern der Vergangenheit entgegenzutreten und ihnen in seiner Kunst nachzufolgen, unter Einbezug von Zufall und Scheitern in der Werkerstellung; beides berücksichtigt er als nicht einkalkulierbare Umstände. Es zeichnet sich eine allgemeine Haltung und das Interesse des Künstlers an Momenten der Alten Meister ab, sich in große Künstlerindividuen, die er in seinem Prozess heranzieht, präzise hineinzufühlen. Dabei ist immer auch die eigene Inszenierung mit bedacht, bei welcher er den Anschein erweckt, als sei er ein Schauspieler in seinem eigenen Werk, in welchem er humorvoll seine eigene Person in allerlei Rollenbildern inszeniert. Beispiele hierfür sind das Tableau vivant Adam und Eva aus Ciné-Sketch, in welchem er den statischen Moment des rezipierten Bildes für einen Moment zum wirklichen Leben führt, oder sein weibliches Alter Ego Rrose Sélavy, mit dem er versucht, sich durch die Verkleidung in eine Frau hineinzuspüren. So durchmischt Duchamp seine Kunstwelt vermeintlich mit

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Vgl. PFISTERER 2014, S. 8f. und 19. Hinsichtlich Duchamp spricht Pfisterer von einem Werk voller »Schöpfungs-Laboratorien«. Vgl. BEGEMANN 2005, S. 268. WIDMAIER PICASSO 2005, S. 8.

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dem reellen Leben und holt die Kunst damit sprichwörtlich auf die Bühne des Lebens, aber immer unter Berücksichtigung von Zeitfaktoren und der Rezeption. Baldungs Hexe rezipiert Duchamp in abgewandelter Form. Sie ist für den Betrachter noch fragmentarisch sichtbar als ein Kunstkörper in Étant donnés und ist gleichsam eine geöffnete Venus, Eva oder wird zum Abbild der Kunst selbst transformiert. Das variable Motiv aus Baldungs Hexen-Zeichnung gewinnt Duchamp, indem der das traditionelle Kopier- und Vergrößerungsverfahren anwendet, welches bereits Dürer in der Underweysung der Messung erläutert. Duchamp nutzt ebendieses Verfahren, um den Hexenkörper aus der Zeichnung zu vergrößern und in die Dreidimensionalität einer Skulptur zu transformieren, die er seiner raumgreifenden Installation anpasst. Auch hier wird die Verwendung konkreter Vorbilder augenfällig. Mit dem gehobenen Arm in Étant donnés weist Duchamp geschickt auf einen Figurenkanon hin, welcher bereits in der Frühen Neuzeit in der Werkstatt Cranachs nachweislich seriell genutzt wurde. Gekonnt deutet Duchamp damit auf die Auseinandersetzung mit einem traditionellen Gegenstand hin und macht den dahinter liegenden seriellen Werkstattcharakter nachvollziehbar. Dieser zeigt, dass hauptsächlich der Kopf und die Arme sowie die Attribute, welche die Figuren tragen, den Kunstkörper individualisieren und variiert eingesetzt wurden. Besonders aber wird auf die Figur der Eva, der Venus oder der Hexe verwiesen, die typischerweise mit erhobenem Arm präsentiert wird. Der Arm bildet ein enorm wichtiges Körpersegment für den Künstler, da er im künstlerischen Prozess die hauptsächlich ausführende Extremität ist. Indem Duchamp den Arm in Étant donnés das Licht bzw. die Leuchte halten lässt, visualisiert er gleichzeitig den Moment der Erleuchtung des Kunstwerkes als auch des Betrachters bei dessen Anschauung. Für Duchamp weist diese Form der Rezeption in Anlehnung an den Werkstattgedanken auf den seriellen Charakter seiner eigenen Readymades hin. Auch in seinen Schachteln hallt dieser Charakter wider, da sie als eine Art von Multiplen in unterschiedlich großen Auflagen erstellt wurden. Nicht zuletzt ist auch sein Werk, welches in einem nicht zu unterschätzenden großen Teilen aus druckgrafischen Verfahren erstellt wurde, ein Medium, das den Rezeptionsgedanken birgt. Fehlende Körpersegmente in Duchamps Étant donnés, in diesem Fall der rechte Arm, lassen weitere Rückschlüsse auf die zugrunde liegende Rezeptionsidee Duchamps zu. Der masturbierende Arm bei Hans Baldung Grien im Neujahrsgruß, auf welchem die Rezeption beruht, wird in variierender Form von Duchamp aufgenommen. Visuell ist der masturbierende Arm bei Duchamps Figuration ausgelassen und bildet somit eine Leerstelle, doch ist die Funktion in das Innere des Kunstkörpers verlegt, indem der Künstler diesen, für den Betrachter nur imaginär, mit dem Mechanismus einer »maschine-onaniste« ausstattet. Damit greift er das Prinzip der Masturbation in variierter Form abermals auf und verweist auf sein Vorbild. Duchamp verlegt die manuelle Bewegung der Hand in das Innere der Figuration und erläutert einen sich selbst antreibenden Mechanismus der Masturbation, der sich imaginativ und eigenständig im Körper aktivieren lässt, angetrieben durch den Blick und die Phantasie des Betrachters. Er verleiht damit dem Kunstkörper sogar sinnliche und sensorische Fähigkeiten. Jeder Betrachter, so die Vorstellung, kann mithin diesen masturbatorischen Kreislauf imaginativ, im Moment des intimen Zusammentreffens mit dem Kunstwerk, aufs Neue entfachen. Dennoch bleibt es bei der bloßen Vorstellung des Aktes. Das Kunstwerk

8. Resümee

lebt durch seine eigene Aura und durch die belebende Interpretation des Betrachters. Duchamp entnimmt somit Momente, welche für ihn für die Abkehr von der mechanischen und vormals malenden Hand stehen, und findet immerzu neue Ausdrucksformen, um diese zu visualisieren. Angesichts der verschiedenen Anpassungsmethoden ist im Grunde auch der Korpus in Étant donnés im erweiterten Sinne zu einem Readymade stilisiert, welches, die Rezeption wiederholend, erneut eingesetzt wird. Duchamp hat sich den Korpus über eine Rezeption und die anschließende Transformation wie ein Readymade als ein bereits fertiges Produkt angeeignet und setzt ihn so ein, dass er maschinell durch den Betrachterblick angetrieben wird. Thematisch kann darin ein großer Bogen hin zum masturbierenden Mechanismus im Großen Glas geschlagen werden, welcher ebenfalls das zugrunde liegende Kreislaufsystem nutzt, um gleichermaßen einen masturbierenden Mechanismus zu umschreiben. Auch hier liegt eine Rezeption Hans Baldung Griens zugrunde. Duchamp wählt dafür die Pferdeserie des Künstlers, dessen sexuelle Kreislaufsysteme ebenfalls mit der Schaulust des Betrachters und der imaginären Präsenz des Künstlers selbst im Werk gekoppelt sind. Alles scheint in Baldungs comichaften Holzschnitten in Bewegung zu geraten. Generell bilden die Pferde ein wichtiges Motiv: Die edlen und sensiblen Tiere stehen für das Triebhafte, aber auch für den Maschinengedanken, der sich viele Hundert Jahre lang an sie band. Dieses Rezeptionsmotiv ist im Großen Glas fragmentarisch sogar noch im unteren Teil des Glases in Form eines Pferdekörpers sichtbar. Das Pferd ist aber auch ein häufig verwendetes Studienmotiv der Frühen Neuzeit und wurde bei Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer genauen perspektivischen Analysen unterzogen. Baldung aber beginnt, mit ihnen menschlich erscheinende Effekte einzufangen. In mehreren Grafiken hat sich auch Dürer intensiv mit dem Topos beschäftigt. Seine Grafiken unterscheiden sich, wie die Titel Großes Pferd (1505) und Kleines Pferd (1505) andeuten, nicht nur in der Intensität seiner Auseinandersetzung mit dem Sujet, sondern auch in der Inszenierungsform. Auch Duchamp wählt für sein Œuvre ebendiese Titel wie Kleines Glas und Großes Glas, um die Fülle von Beschäftigungssträngen, die in das Werk eingeflossen sind, zu verdeutlichen. Er drückt mit dem Attribut »groß« eine ausdrückliche Wertsteigerung in der Position im eigenen Œuvre aus, wobei »kleine« Werke meist einen Ausschnitt oder eine Studie zeigen und trotzdem einen eigenständigen Funktionsumfang besitzen. Der stetige Bewegungstrieb und das Springen, welche für das Pferd im Allgemeinen stehen, dienen in Duchamps Werk als Synonyme für sein künstlerisches Arbeiten, geben also seiner geistigen Tätigkeit ein weiteres Bild. Das Pferd verleiht der lebendigen inneren und geistigen Bewegung des Künstlers Ausdruck und beschreibt auch die Wachsamkeit von Auge und Geist, die der Betrachter aufbringen muss, um des Künstlers Intention nachvollziehen zu können. Das Pferd metaphorisiert die Geistessprünge, die Bewegung und den Prozess. Und darüber hinaus ist die Pferde-Metaphorik, wie schon bei Hans Baldung Grien, mit einem Triebwesen und einem erotischen Spiel verbunden, was nun Duchamp erneut im Großen Glas sichtbar macht. Étant donnés erklärt den Frauenkörper bzw. das weibliche Geschlecht zum Erkenntnis- und Erinnerungsort, wohingegen die Braut im Großen Glas – eine Vagina – eher zu einem Gehirn des Kunstwerkes mutiert. Die Werke Duchamps werden so zu einem Speicherort der rezipierten Bilder und Gedanken, welche durch die masturbierende Reaktion der Junggesellen oder des Betrachters automatisiert und mit

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diesen selbst verbunden werden, sich gegenseitig bedingen und in mechanische, sich ewig wiederholende Bewegungen versetzt werden. Duchamp kreiert – für sich als Künstler stehend – Bilder der Erleuchtung oder der Inspiration, beispielsweise in Form des Lichtstrahls etwa in Tonsure (Duchamp with the comet haircut shave), dem Werk, in dem der Lichtstrahl oder Komet ihn selbst imaginär am Kopf getroffen hat. Auch dieser Strahl ist wieder mit sexuellen Konnotationen verbunden und beinhaltet ein befruchtend inspirierendes Prinzip. Vorbilder dafür findet Duchamp unter anderem im Œuvre Baldungs, etwa im Bild von der Sintflut von 1516, wie in der vorliegenden Arbeit ausführlich anhand der Visualisierung eines Inspirationsmomentes diskutiert wurde. Anhand des genannten Sintflut-Bildes von Baldung kann darüber hinaus nachvollzogen werden, dass Duchamp das Kunstwerk als solches als eine Schatztruhe und einen Speicher betrachtet, ein Gedanke, welcher sich in seinen Schachteln und Boxen fortsetzt. Die humanistischen Überlegungen der Frühen Neuzeit, in der die platonischen Schriften über das Triebwesen und unsichtbare Mechanismen von Marsilio Ficino übersetzt wurden, finden ihren Niederschlag in den Bildern der Renaissance. Die ewigen Themen von Urtrieben und Uremotionen wie auch von der Liebe zur Kunst büßen niemals ihre Aktualität ein und bieten gleichzeitig ein Bildungsmodell zur Befragung sowohl das Schaffen des Künstlers als auch die eigene Realität des Betrachters betreffend. Alte und neue Kunst treffen in einem geschlechtlichen Akt in Duchamps Kunstkörpern aufeinander und werden vom aktivierten Betrachterblick und -intellekt befruchtet. Grundsätzlich ist das pornografische Moment ein Phänomen, das vermehrt in der Renaissance auftritt und anhand dessen die »Geschlechterdifferenzierung« unter Einbezug des Aspektes der Lust und des Triebes ausführlich betrachtet werden kann.7 Das pornografische Moment oder die Erotik, welche eine weitere Ebene eröffnet und ein »repressives«, aber auch rezeptives Realitätsprinzip schafft, wird von Duchamp als maßgeblich angesehen. »Eros, c’est la vie« – oder wie Breton sagt: »Wir führen die Kunst auf ihren einfachsten Ausdruck zurück: die Liebe.«8 Duchamp versteht die Erotik als ein Mittel der Inspiration, aber auch der kulturellen Befreiung.9 Er polarisiert sein Publikum, schockiert durch seine Kunst auf der einen Seite, ruft sogar Hass hervor und löst auf der anderen Seite absolute Faszination, Heiterkeit und Empathie aus. So gelingt es ihm, den eingeschränkten Sehsinn mit Emotionen zu erweitern, etwa mit Sinnlichkeit oder Schockierendem, um den Betrachterblick hinsichtlich seiner Kunst sinnlich zu vertiefen. Suthor erklärt, dass Traditionen nur belastend auf die Gesellschaft wirkten, wenn sie nicht aufgearbeitet oder verarbeitet würden bzw. sich als »normative Geltungen« verfestigt hätten und nicht angefasst werden dürften.10 Duchamp scheint diesen Verfestigungen auf seine Art entgegenzuwirken. Darin lässt sich ein transformierender Ansatz des Künstlers entdecken, der die alte Kunst wiederbelebt, um sie durch neue Aspekte, welche sein Werk spiegeln, mit neuartigen Impulsen zu versetzen, die als maß-

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Vgl. SUTHOR 2004, S. 77. SCHMITZ-EMANS. Vgl. GRAULICH 2003a, S. 24. Vgl. SUTHOR 2005, S. 104.

8. Resümee

geblich für einen Fortschritt in der Kunstproduktion zu verorten sind und somit das Alte in einem »ästhetischen Echo« fortsetzen. Duchamp dehnt die Reichweite seiner Betrachtungsweise dahingehend aus, dass er die Moderne als eine »Genese« sieht, welche sich immerzu weiterentwickelt, verfeinert und gegenseitig bedingt. Seine Arbeit, die durch die Rezeption erneut geformt und künstlerischer Befragung unterzogen wird, wird somit unmittelbar mit der Renaissance oder dem bevorzugten Manierismus gekoppelt. Duchamp verbindet die Kunst seiner Zeit mit der Geschichte der Kunst in kreativer Weise und lässt sie daran anschließen.11 Maßgeblich beeinflusst Duchamp die Präsentationsform seiner Hauptwerke im Philadelphia Museum of Art. Dort werden seine Arbeiten, räumlich betrachtet, am Ende der Reihe der kunstgeschichtlichen Epochen präsentiert, mit dem Blick durch das Große Glas hindurch und das dahinterliegende Fenster: Der Blick des Betrachters zielt hinaus in die Natur, in die Gegenwart. Indem der Betrachter die Realität der Gegenwart dank des Ausblicks auf die Landschaft durch das Glas hindurch und über die Museumsmauern hinaus erblickt, verschmilzt sie mit Duchamps Werk, wodurch abermals Zeitebenen parallel geschaltet werden. Duchamp hat einen Mechanismus der immerwährenden Aktualisierung seines Werkhintergrundes gewählt. Der in der Zukunft liegende Moment wird damit konzeptuell in seine Kunst mit eingebunden und verbunden sowohl über die rezipierte Vergangenheit als auch über die erkennende Gegenwart des Seins. Die einzelnen Werke und Readymades umfassen einige verbindende Kernaussagen, welche sich im Gesamtwerk miteinander verflechten lassen und sich meist auf die Hauptwerke beziehen. Aus diesem Grund kann davon ausgegangen werden, dass Duchamp sein gesamtes Werk in umfassenden Begrifflichkeiten denkt und dabei die Verbindung zu den Rezeptionen der Alten Meister stets aufrechterhält.Erst dadurch, dass der Betrachter von den rezeptiven Bezugsrahmen der Renaissance und der Kunst Duchamps Kenntnis hat, wird das Wissen über die Rezeptionen lebendig. Er artikuliert damit die Haltung des Künstlers als Erzeuger, welcher seinen Ursprung aus der altmeisterlichen Kunst zieht, sein Werk erweitert, sodass es durch die jeweils aktuelle Gegenwart des Betrachters eine Aktualisierung erfährt. Er wählt dabei immer neue und doch sich im Kern wiederholende Themen, in denen er Metaphern und Techniken findet, welche der Negierung der freien Hand ein Bild verleihen, um die konzeptuelle Kunst weiter zu legitimieren. Hierfür verwendet er, indem er sich die Rezeption zunutze macht, geistige Vorlagen wie auch materielle Schablonen (beispielsweise Drähte und Umrisse von Gemälden anderer Autoren), um der Willkür der Hand entgegenzuwirken und sie weitestgehend auszuschalten. Letztlich kann so die Begrifflichkeit der seriell und ohne den manuellen Einsatz der Hand gewonnenen Readymades auch in Bezug auf Duchamps freie Objektkunst gedacht werden. Duchamp entwickelt eine Methodik für die Konzeptkunst, um diese verbindlich zu machen, sie grundlegend in der Geschichte der Kunst zu etablieren und mit Blick auf die Malerei geltend zu machen. Auch wenn er zu konstruktiven, manuell entbundenen Mechanismen greift, schafft 11

Vgl. DUCHAMP, Marcel: Art for all or art for the few, Box 2, Folder 19, Lectures, Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, S. 3.

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es Duchamp, in seinem Werk Kunstkörper, Kunstsegmente und Körpermechanismen, welche unweigerlich mit den vorausgegangenen Epochen der Kunst in Verbindung stehen, nachzuformen und ihnen vermeintliches Leben einzuhauchen. Seine Kunst lässt sich angesichts der intellektuellen Schaulust des Betrachters geistig abtasten und sogar durchdringen, um scheinbar eins zu werden mit dem Werk, entweder durch die Möglichkeit, sich darin zu spiegeln, oder gar, um mit ihm in eine intime Zweisamkeit zu treten. Duchamp gelingt mit dem Einführen der Readymades ein Kunstgriff, der es erlaubt, auch einfache, gekaufte, vom Künstler signierte und gesondert platzierte Objekte zu Kunstwerken zu erheben. Damit öffnet Duchamp auch generell das Feld für Objektkunst und deren Kombinationen. Durch den Einbezug von Rezeptionen vergangener Zeiten und das Einreihen seiner Kunst in Kausalketten kunstinterner Themen ermöglicht er die Grundlage der Anschauung für den Betrachter, Fragen an das Kunstwerk offen zu lassen, welche nach der Fertigstellung des Kunstwerks zum Nachdenken inspirieren können. Das vermag, so die Vorstellung, seine Kunst tatsächlich unsterblich zu machen, da er sich an Ikonografien, Lehren und Techniken anbindet, welche fordern, vom Betrachter kontinuierlich neu analysiert zu werden. Die ausgewählten rezeptiven Motive übersetzt Duchamp in Motive, Zitate oder Ideen einer neuen Kunstsprache und einer zeitgemäßen Ästhetik. Er kreiert so seinen ganz eigenen Ansatz der Transformation in seinem Schaffen, als ein »Künstler für Künstler«. Und entwirft damit ein Beschäftigungsfeld für Rezeptionen und Hommagen, welche in seiner Kunst entdeckt werden möchten. Dabei lädt er den Betrachter in das Metier als Rezipienten dazu ein, durch Anschauung seiner Kunst, welche mit der Sprache der Wiederholung, mit Doppelsinnigkeiten und Symbolen angereichert ist, sein Sehen und Erkennen der Kunst zu erweitern. Somit ist es der Betrachter selbst, der in Duchamps Kunst die Bühne der Kunst betreten darf und gar selbst zum Künstler wird, welcher das ewig sich erneuernde Feld von Rezeption und Assoziation stetig über seine Kunst inspirierend neu gebären kann.

9. Anhänge 9.1 Abbildungen Abb. 1) Marcel Duchamp, La Mariée mise à nu par ses célibataires, même (Le Grand Verre) / The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even (The Large Glass) / Die Braut von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar (Das Große Glas), 1915–23, Öl, Lack, Blei-Folie, Bleidraht und Staub auf zwei Glasplatten, 277,5 x 177,8 x 8,6 cm, Philadelphia Museum of Art, Inv.-Nr. 1952-98-1

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Abb. 2) Marcel Duchamp, Étant donnés: 1° La chute d’eau, 2° Le gaz d’éclairage / Given: 1. The Waterfall, 2. The Illuminating Gas / Gegeben sei: 1. Der Wasserfall, 2. Das Leuchtgas, 1946-66, MixedMedia-Assemblage: Holztür, Ziegel, Samt, Holz, Leder über eine Armatur gespannt, Zweige, Aluminium, Eisen, Glas, Plexiglas, Linoleum, Baumwolle, elektrisches Licht, Gaslampe (Bec Auer Type), 242,6 x 177,8 cm x 124,5 cm, Philadelphia Museum of Art, Inv.-Nr. 1969-41-1

Abb. 3) Marcel Duchamp, handschrif tlich und Schreibmaschinen geschriebenes Dokument, ohne Datum, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives

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Abb. 4) Arnold Böcklin, Magna Mater, 1869, Fresko, 475 x 269 cm, Wandbild im Treppenhaus des Museums an der Augustinergasse in Basel, Naturhistorisches Museum

Abb. 5) Hans Baldung Grien, Der behexte Stallknecht, um 1545, Holzschnitt, 34,4 x 19,8 cm, Wien, Albertina, Inv.-Nr. DG1931/100

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Abb. 6) Pablo Picasso, Guernica, 1937, Öl auf Leinwand, 349,3 x 779,6 cm, Museo Reina Sofia, Inv.-Nr. DE00050

Abb. 7) Man Ray, Ciné-Sketch: Adam and Eve (Marcel Duchamp and Bronia Perlmutter) / Ciné-Sketch: Adam und Eva (Marcel Duchamp und Bronia Perlmutter), in Relâche, 1924, 35 x 24 cm, Philadelphia Museum of Art, The Lynne and Harold Honickman Gif t of the Julien Levy Collection, 2001, Inv.-Nr. 2001-62-784

9. Anhänge

Abb. 8) Man Ray, ohne Titel, Detail aus: Water & Gas on Every Floor / Eau & Gaz à tous les étages / Wasser & Gas auf allen Etagen, 1959 [1924], Reproduktion, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19345 Gr O

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Abb. 9) Denise Bellon, Marcel Duchamps Le Rayon Vert / The Green Ray / Der Grüne Strahl, Salle de Superstition, Exposition International du Surréalisme, 1947, Paris, nach einer Idee von Marcel Duchamp ausgeführt durch Friedrich Kiesler

Abb. 10) Man Ray, Cadeau / Iron / Bügeleisen, 1921, Replik von 1972, Bügeleisen und Nägel, 178 x 94 x 126 cm, Tate Modern London, Tate Collectors Forum 2002, Inv.-Nr. T07883

9. Anhänge

Abb. 11) Hans Baldung Grien, Die sieben Lebensalter des Weibes, 1544, Öl auf Holz, 97 x 74 cm, Museum der bildenden Künste, Leipzig

Abb. 12) Hans Baldung Grien, Rückseite des Hochaltars im Freiburger Münster mit der Kreuzigung Christi und Detail, 1516, Öl auf Tannenholz, 288,5 x 237 cm, Freiburg im Breisgau

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Abb. 13) Hans Baldung Grien, Aristoteles und Phyllis, 1515, Holzschnitt, 33,3 x 24 cm, Rijksmuseum, Amsterdam, Inv.-Nr. RP-P-OB-4120

Abb. 14) Julian Wasser, Marcel Duchamp und Eve Babitz schachspielend vor dem Großen Glas, während der Duchamp Retrospektive im Museum in Pasadena 1963, Fotografie, Norton Simon Museum of Art, Pasadena, CA

9. Anhänge

Abb. 15) Percy Rainford, Marcel Duchamp at the Age of 85, no. 2 / Marcel Duchamp im Alter von 85 Jahren, Nr. 2, 1945, SilbergelatineAbzug, Philadelphia Museum of Art, Inv.-Nr. 13-1972-9(764)

Abb. 16) Percy Rainford, Marcel Duchamp at the Age of 85 / Marcel Duchamp im Alter von 85, 1945, Detail aus der Zeitschrif t VieW, Reproduktion, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 18700 Gr B

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Abb. 17) Marcel Duchamp, Renvoi Miriorique / Mirrorical Return / Spieglerische Zurückwerfung, 1964 [1917], 25,5 x 20 cm, Radierung, Abbildung der Fountain / Fontaine/ Springbrunnen, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 18699 Gr

9. Anhänge

Abb. 18) Marcel Duchamp, Pharmacie / Pharmacy / Apotheke, 1914/1945, Handkolorierter Druck, 22 x 15,6 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19311 Gr

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Abb. 19) Willy Maywald, Einblick in die Salle de Pluie, im Raumzentrum Maria Martins Bronzeskulptur, Le Chemin, l‘ombre, trop longs, trop étroits / Der Weg, der Schatten, zu lang, zu eng, 1946, Paris, Exposition internationale du Surréalisme, Paris

Abb. 20) Marcel Duchamp, Paysage fautif / Faulty Landscape / Sündige Landschaf t, Detail aus: Der Schachtel im Kof fer, Edition Nr. XII/XX, 1949, 21 x 16,5 cm, The Museum of Modern Art, Toyama, Japan

9. Anhänge

Abb. 21) Marcel Duchamp, Sculpture-morte, 1959, Marzipan-Obst und Gemüse, Insekten, Papier auf Holz montiert, in einer Glasbox, 33,8 x 22,5 x 9,9 cm, Collection Robert Lebel, Paris, Inv.-Nr. AM1993-121

Abb. 22) Ben Shahn, Marcel Duchamp, »Compensation Portrait«/ »Ersatzportrait« für Marcel Duchamp im Katalog Exposition Internationale du Surréalisme, 1942, New York

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 23) Marcel Duchamp, Torture-morte, 1959, Fliegen kleben auf bemaltem Gips, Papier auf Holz, in einer Glasbox, 29,5 x 13,4 x 10,3 cm, Collection Robert Lebel, Paris

Abb. 24) Hans Baldung Grien, Sebastiansaltar, Mitteltafel, 1507, 121,2 x 78,6 cm, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Inv.-Nr. Gm 0193

Abb. 25) Hans Baldung Grien, Pfeil mit Fliege (Detail) des Sebastiansaltar, 1507, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg

9. Anhänge

Abb. 26) Jindřich Štyrský, aus der Serie Froschmann, 1934, Silbergelatine, 32, 3 x 29,6 cm, Kunstgewerbemuseum, Prag

Abb. 27) Franz Marc und Wassily Kandinsky, Doppelbuchseite mit den Kämpfenden Hengsten Hans Baldung Griens, rechts (Pferdeserie, Blatt III) im Almanach Der Blaue Reiter, 1912

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Abb. 28 a) und b) Marcel Duchamp, Virgin No. 1 / Jungfrau Nr. 1 und Virgin No. 2 / Jungfrau Nr. 2, [Juli 1912], beide Details aus: Die Schachtel im Kof fer, 1941/1966, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg, Inv.-Nr. 19316 Gr

Abb. 29) Marcel Duchamp, Mariée / Bride / Braut, August 1912, Blatt 48/200, Aquatinta und Pochoir auf Papier, 49,5 x 31 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19326 Gr

9. Anhänge

Abb. 30) Marcel Duchamp, The Passage from Virgin to Bride / Übergang von der Jungfrau zur Braut, Detail aus: Die Schachtel im Kof fer, 1941/1966 [Juli‒August 1912], Reproduktion, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19316 Gr

Abb. 31) Fredrich Kiesler, Triptychon in VieW: Les Larves d‘Imagie. D‘Henri Robert Marcel Duchamp, März 1945, S. 54, 30,5 x 23 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen MecklenburgVorpommern, Inv.-Nr. 18700

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 32) Hans Baldung Grien, Flehmender Hengst und rossige Stute inmitten einer Gruppe von Wildpferden im Wald, (Pferdeserie, Blatt I), 1534, 22,7 x 33,5 cm, sign. Jo • BALDUNG / FECIT / 1534, The Metropolitan Museum, New York, Inv.-Nr. 22.67.58

Abb. 33) Hans Baldung Grien, Hengst und abschlagende Stute inmitten einer Gruppe von Wildpferden im Wald, (Pferdeserie, Blatt II), 1534, Holzschnitt, 23,9 x 34,7 cm, sign. BALDVN[G] / FECIT / 1534, Zürich Graphische Sammlung ETH Zürich, Inv.-Nr. D 8475

9. Anhänge

Abb. 34) Hans Baldung Grien, Kämpfende Hengste inmitten einer Gruppe von Wildpferden im Wald, (Pferdeserie, Blatt III), 1534, Holzschnitt, 21,2 x 32,0 cm, sign. BALDVNG /1534, Zürich, Grafische Sammlung, Inv.-Nr. D 1148

Abb. 35 a) und b) Marcel Duchamp, Gambit, Spielfigur und Pferderennbahn, Brettspiel , 1911, Privatsammlung

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Abb. 36) Albrecht Dürer, Das Kleine Pferd, 1505, 16,0 x 10,6 cm, Kupferstich, ETH, Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. D 7746

9. Anhänge

Abb. 37) Albrecht Dürer, Das Große Pferd, 1505, 16,8 x 11,9 cm, Kupferstich, Zürich, Graphische Sammlung ETH Zürich, Inv.-Nr. D 1369

Abb. 38) Marcel Duchamp, Echiqier de poche / Pocket Chess Set / Taschenschachspiel, 1943, Leder, Zelluloid und Kunststof f figuren, 16 x 21 cm (of fen), 16 x 10,5 cm (gefaltet), Staatlichen Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 25 O

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 39) Marcel Duchamp, Knight of the Société Anonyme / Springer der Société Anonyme, 1951, Bleistif t und Wasserfarbe auf Papier, 15,6 x 12 cm, Yale University Art Gallery, Inv.-Nr. 1953.6.43

Abb. 40) Marcel Duchamp, Notizen zum Roto-Relief, undatiert, Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale University

9. Anhänge

Abb. 41) Hans Baldung Grien, Kämpfende Hengste, 1534, Holzschnitt mit Schrif tzug am oberen Rand 25,5 x 32,4 cm, Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett, Amerbacher-Kabinett 1662, Inv.-Nr. 1823.3662

Abb. 42) Marcel Duchamp, 33 West 67 th. New York (1917−1918), Atelieransicht, Detail aus: Die Schachtel im Kof fer, Rechts das Readymades Roue de Bicyclette / Bicycle Wheel / Das Fahrrad-Rad, 1941/1966 [1913/64], Reproduktion, Inv.-Nr. 19316 Gr 3495

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Abb. 43) Marcel Duchamp, Nu descendent un escalier [No. 2] / Nude Descending a Staircase [No. 2] / Akt, eine Treppe herabsteigend [Nr. 2], 1937 [1912], Farbige Kollotypie, 35 x 19,8 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19314 Gr

9. Anhänge

Abb. 44) Max Ernst, Umschlag für einen Prospekt der Librairie José Corti, aus: Les Livres Surréalistes, 1931, Paris

Abb. 45) Marcel Duchamp, Fluttering Hearts / Cœurs volants / Flatternde Herzen, 1936/1961, Siebdruck, 32,4 x 51 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19351 Gr

Abb. 46) Marcel Duchamp, La Boîte verte / The Green Box / Die Grüne Schachtel, 1934, Pappschachtel mit faksimilierten Blättern, 33,2 x 28 x 2,5 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen MecklenburgVorpommern, Inv.-Nr. 18701

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 47) Marcel Duchamp, Cover and Jacket for »Young Cherry Trees Secured Against Hares« by André Breton / Couverture et titre pour »Young Cherry Trees Secured Against Hares« de André Breton / Umschlag und Titel für »Young Cherry Trees Secured Against Hares« von André Breton, 1946, Papierband, Buchformat, 23,7 x 16 cm, Exemplar 196/1000, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen MecklenburgVorpommern, Inv.-Nr. 18703 Gr B

9. Anhänge

Abb. 48) Friedrich Kiesler, Erläuterungen zur Technik der Glasmalkunst, in: Design-Correlation, Reprinted from May 1937, Issue of the architectural records, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives

Abb. 49) Friedrich Kiesler, Seite aus der Zeitschrif t VieW, New York, 1945, Reproduktion einer Fotocollage, 30,5 x 65,8 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 18700 Gr

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 50) Friedrich Kiesler, Raumteiler aus Glas von Ludwig Mies van der Rohe, 1931, in: Design-Correlation, Reprinted from May 1937, aus: The architectural records, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives

Abb. 51) Walter Buschmann, Katherine S. Dreier und Marcel Duchamp vor dem Große Glas in der Bibliothek Katherine S. Dreiers, 30. August 1936, Courtesy, Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale University

9. Anhänge

Abb. 52) Marcel Duchamp, À regarder (l’autre côté du verre) d’un œil, de près pendant presque une heure / To Be Looked at (from the Other Side of the Glass) / Mit einem Auge (auf der anderen Seite des Glases) aus der Nähe fast eine Stunde lang zu betrachten, Detail aus: Die Schachtel im Kof fer, Reproduktion, 1941/1966 [1918], Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19316 Gr

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 53) Man Ray, Rotative plaque de verre / Rotary glass plates / Rotierende Glasplatten, 1920, Fotografie, 40,5 x 30,3 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. F 41

9. Anhänge

Abb. 54) Marcel Duchamp, Veuve récente / Fresh Widow / Frische Witwe, 1920/1964, Modell eines französischen Fensters, türkisfarben bemaltes Holz mit Scheiben aus poliertem Leder, 79,5 x 53 x 10 cm, Exemplar 196/1000, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen MecklenburgVorpommern, Inv.-Nr. O 13

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 55) Marcel Duchamp, Le Fantôme / The Ghost / Das Gespenst, 1958, Bleistif t auf Papier, 27,6 x 21,3 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen, Inv.-Nr. 7344 Gr

9. Anhänge

Abb. 56) Marcel Duchamp, Af fiche pour l‘exposition Ready-mades et Éditions de et sur Marcel Duchamp / Poster for the exhibition Ready-mades et Editions de et sur Marcel Duchamp / Plakat der Ausstellung Ready-mades et Editions de et sur Marcel Duchamp, 1967, Farb-Of fset, 69,5 x 48 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 18298 Gr

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 57) Marcel Duchamp, Cover for »VieW«/ Couverture pour »VieW«/ Umschlag für »VieW«, 1945, Farb-Of fset, 30,5 x 23 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 18700 Gr B

Abb. 58) Marcel Duchamp, Le Peigne / The Comb / Der Kamm, 1916/1964, Exemplar 5/8, 16,6 x 3 x 0,2 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. O 21

9. Anhänge

Abb. 59) Marcel Duchamp, Étant donnés: Maria, la Chute d’eau et le Gaz d’éclairage / Gegeben sei: Maria, der Wasserfall und das Leuchtgas, 1946, Bleistif t auf Papier, 40 x 29 cm, Moderna Museet, Stockholm, Inv.-Nr. MOMB 114

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 60) Hans Baldung Grien, Neujahrsgruß mit drei Hexen, 1514, Federzeichnung, teilweise grau laviert, weiß gehöht, braun grundiertes Papier, 30,9 x 21 cm, Albertina Wien, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 3220

Abb. 61) Marcel Duchamp, Türe aus Étant donnés mit Gucklöchern und dem Negativabdruck von Gesichtern im Holz (Detail), 1946‒1966, Philadelphia Museum of Art, Inv.-Nr. 1969-41-1

9. Anhänge

Abb. 62) Marcel Duchamp, Pappmodell von Étant donnés, 1966, Graphit- und Kugelschreiber-Tinte auf geschnittenem Karton, zusammengesetzt mit Klebstof f und klarem Haf tklebeband, 30,5 x 11,1 x 5,1 cm, Philadelphia Museum of Art

Abb. 63) Marcel Duchamp, Stéréoscopie à la main / Handmade stereopticon Slides / Hand-Stereoskopie, ca. 1918/19, 6,8 x 17,2 cm, The Museum of Modern Art, New York

Abb. 64 a) und b) André Breton und Marcel Duchamp, Katalogseite First Papers of Surrealism, 1942 und Hans Baldung Grien, Ruhendes Liebespaar, 1925, Feder, 16 x 31,1 cm, Kupferstichkabinett, Stuttgart

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 65) Marcel Duchamp, À la manière de Delvaux / In the Manner of Delvaux, 1964 [1942], Buchhüllen Rückansicht, Marcel Duchamp: Ready-mades, etc. (1913-1964), hrsg. von Arturo Schwarz, Staatlichen Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 18300 Gr B

Abb. 66 a) und b) Paul Delvaux, L’Aurore, 1937, 120 x 150 cm, Öl auf Leinwand, rechts Paul Delveaux, Detail aus dem Gemälde L’Aurore, Peggy Guggenheim Collection, Venedig,

9. Anhänge

Abb. 67) Marcel Duchamp, Aprés l’amour / After Love / Nach der Liebe, 1967, Radierung, 50,5 x 32,5 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19338 Gr

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 68) Marcel Duchamp, Le Bec Auer - Play on words with: The Bachelor,/ Jeu de mots avec: Le célibataire / Wortspiel mit: Der Junggeselle, 1967, Radierung, 50,5 x 32,5 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19340 Gr

9. Anhänge

Abb. 69) Marcel Duchamp, Morceaux choisis d’après Ingres I / Selected Details af ter Ingres I / Ausgewählte Stücke nach Ingres I, 1967, Radierung, 50,5 x 32,5 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19341 Gr

Abb. 70) Jean Auguste Dominique Ingres, Le Bain turc / Das türkische Bad, 1862, Ölmalerei, Leinwand auf Holz aufgezogen, 108 x 110 cm, Musée du Louvre, Paris

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Abb. 71) Jean Auguste Dominique Ingres, Auguste écoutant la lecture de l’Enéide (»Tu Marcellus eris«), 1812, Öl auf Leinwand, 138 x 142 cm, Musées Royaux des Beaux-Arts, Brüssel, Inv.-Nr. 1836

Abb. 72) Marcel Duchamp, Morceaux Choisis d’après Ingres II / Selected Details after Ingres II / Ausgewählte Stücke nach Ingres II, 1967, Radierung, 50,5 x 32,5 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19343 Gr

9. Anhänge

Abb. 73) Jean Auguste Dominique Ingres, Ödipus und die Sphinx, 1808, Öl auf Leinwand, 144 x 189 cm, Musée du Louvre, Paris

Abb. 74) Marcel Duchamp, Cover for the catalogue »Le Surréalisme en 1947« / Couverture de catalogue »Le Surréalisme en 1947« / Umschlag des Kataloges »Le Surréalisme en 1947«, 23,5 x 20,5 cm, Exemplar 167/999, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen MecklenburgVorpommern, Inv.-Nr. 19317 Gr B

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 75) Gustave Courbet, Frau mit weißen Strümpfen, 1861, 65 x 84 cm, Barnes-Merian Foundation, Pennsylvania, Inv.-Nr. BF810

Abb. 76) Marcel Duchamp, Morceaux Choisis d‘après Courbet / Selected Details after Courbet / Ausgewählte Stücke nach Courbet, 1967, Radierung, 50,5 x 32,5 cm, erster Zustand, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19344 Gr

9. Anhänge

Abb. 77) Gustave Courbet, L’origine du monde / Der Ursprung der Welt, 1866, Öl auf Leinwand, 46 x 55 cm, Musée d’Orsay, Paris

Abb. 78) Hans Baldung Grien, Maria mit Kind und Papageien, 1533, Malerei auf Lindenholz, 91,5 x 63,3 cm, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Inv.-Nr. Gm1170

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 79) Marcel Duchamp, Morceaux Choisis d’après Rodin / Selected Details after Rodin / Ausgewählte Stücke nach Rodin, 1967, Radierung, 50,5 x 32,5 cm, erster Zustand, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19339 Gr

9. Anhänge

Abb. 80) Auguste Rodin, Le Baiser / Der Kuss, 1888-1898, 181,5 x 112,5 x 117 cm, Marmor, Musée Rodin, Paris, Inv.-Nr. HL003

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 81) Marcel Duchamp, Morceaux Choisis d’après Cranach et Relâche / Selected Details after Cranach and Relâche / Ausgewählte Stücke nach Cranach und Relâche, 1967, Radierung, 50,5 x 32,5 cm, Exemplar 25/30, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19337 Gr

9. Anhänge

Abb. 82) Marcel Duchamp, Notiz zu Bec Auer, mit grünen Licht, Detail aus: Manual Instructions, 1965, Bleistif t, Kugelschreiber und Farbstif t, Philadelphia Museum of Art, Inv.-Nr. 1969-41-2

Abb. 83) Marcel Duchamp, En avance du bras cassé / In advance of the broken Arm / Dem gebrochenen Arm voraus, 1915/1964, Replik einer Schneeschaufel, Holz, galvanisiertes Metall und Eisen, 132 x 35 x 11 cm, Exemplar 2/8, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommer, Inv.-Nr. 27 O

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 84) Hans Baldung Grien, Lapsus Humani Generis (Der Fall der Menschheit), sign., 1511, Chiar-oscuro-Holzschnitt in zwei Platten (graubraun), 37,1 x 25,6 cm, Aufschrif t: »LAPSVS HVMA / NI GENERIS», Wien, Albertina, Inv.-Nr. DG1931/50

Abb. 85) Hans Baldung Grien, Sündenfall, 1514, I/I, Holzschnitt, sign., 21,9 x 15,2 cm, Grafische Sammlung ETH, Zürich, Inv.-Nr. D 1032

9. Anhänge

Abb. 86) Hans Baldung Grien, Sündenfall, 1519, Holzschnitt, 25,5 x 9,8 cm, I/I, Zürich, Graphische Sammlung ETH Zürich, Inv.-Nr. D 12901

Abb. 87) Hans Baldung Grien, Der Tod und das Mädchen, 1517, Gefirnißte Tempera auf Lindenholz, 30,3 x 14,7 cm, oben beschrif tet und datiert: HIE•MV•ST•DU•YN•1517, Kunstmuseum Basel, Inv.-Nr. 18

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 88) Marcel Duchamp, Detail-Aufnahme des Holzarmes aus Étant donnés, Seite aus: Manual of Instructions, 1965, Philadelphia Museum of Art, Inv.-Nr. 1969-41-2

Abb. 89) Marcel Duchamp, Detailzeichnung des Armes aus Étant donnés mit Verbindungsstück, Bleistif t, Kugelschreiber und Buntstif t, in: Manual of Instructions, 1965, Philadelphia Museum of Art, Inv.-Nr. 1969-41-2

9. Anhänge

Abb. 90) Hans Baldung Grien, Herkules und Antäus, 1531, Lindenholz, 153,5 x 65,3 cm, Staatliche Gemäldesammlung Kassel, Inv.-Nr. GK 7

Abb. 91) Tizian, eigentlich Tiziano Vecellio, Himmlische und irdische Liebe, 1515, Öl auf Leinwand, 118 x 279 cm, Galleria Borghese Rom, Inv.-Nr. AKG97985

Abb. 92) Marcel Duchamp, Première Lumière / First Light / Erstes Licht, 1959, Radierung, 12,2 x 15 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19320 Gr B

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Abb. 93) Hans Baldung Grien, Die Sintf lut, 1516, Öl auf Leinwand, 81,9 x 65,2 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlung, Staatsgalerie in der Neuen Residenz Bamberg, Inv.-Nr. L 1549

Abb. 94) Man Ray, Tonsure (Duchamp with the comet haircut shaved) / Tonsure (Duchamp mit rasiertem Kometen-Haarschnitt), Detail aus: Wasser & Gas auf allen Etagen, 1959 [1919], Reproduktion, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19435 Gr

9. Anhänge

Abb. 95) Albrecht Dürer, Selbstbildnis im Pelzrock, 1500, Öl auf Lindenholz, 67,1 x 48,9 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlung, Alte Pinakothek München, Inv.-Nr. 537

Abb. 96) Marcel Duchamp, Marcel Duchamp vor einem Einwandererschif f, United Press International, Nachrichtenagentur George Grantham Bain, Fotografie, 26. Februar 1927, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives

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Abb. 97) Heinrich Hof fmann, Portrait Marcel Duchamp, München 1912, Private Sammlung, Galerie 1900-2000, Paris

Abb. 98) Hans Baldung Grien, Selbstbildnis, um 1503, Feder und Pinsel in Schwarz auf blaugrünem grundiertem Papier, weiß und rosa gehöht, 22 x 16 cm, Kunstmuseum, Kupferstichkabinett, Basel, Inv. U.VI.36

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Abb. 99) Albrecht Dürer, Der Zeichner der Laute, aus der Underweysung der Messung, 1525, 13,2 x 18,2 cm, Holzschnitt, Wien, Albertina, Inv.-Nr. DG1960/948

Abb. 100) Deutsches Museum, München, Die Entwicklung der Lehre von der Perspektive und ihre Anwendungen, Schauwand, Abteilung Mathematik, rechts Detail mit einem Auszug der Underweysung der Messung von Albrecht Dürer, 1912, Inv.-Nr. BA-E 0002698

Abb. 101) Albrecht Dürer, Der Zeichner des liegenden Weibes, aus der Unterweysung der Messung, 1525, Holzschnitt, Wien Albertina, Inv.-Nr. DG1934/503

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 102) Marcel Duchamp, Detail aus: Manual of Instructions, 1966, Photocollage, 29,5 x 25 x 4,4 cm, Philadelphia Museum of Art, Inv.-Nr. 1969-41-2

Abb. 103) Denise Brown Hare, Detail-Aufnahme von Marcel Duchamps Atelier, 80 East Eleventh Street New York, 1968

9. Anhänge

Abb. 104 a) und b) Marcel Duchamp, Photographic overlay of the perforated plastic sheet ›template‹ on the figure in the tableauconstruction, sketch, Gouache auf Plexiglas, ca. 1950, Privatsammlung und b) Marcel Duchamp, Polaroid photograph of the lef t arm of the mannequin, showing the wire that runs up the back, sketch, 1966, Privatsammlung

Abb. 105) Marcel Duchamp, Nahaufnahme des Unterleibes einer Studie zu Étant donnés, Pergament mit Wachs, Graphit und Harz, 29,8 x 29,8 cm, Philadelphia Museum of Art, Geschenk von Marcel Duchamp, Inv.-Nr. 1969-97-5

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 106) Maya Deren (Eleonora Derenkowsky), Marcel Duchamps Installation im Lazy Hardware mit der Spiegelung von Marcel Duchamp und André Breton, Buchhandlung des Gotham Book Store, New York, (anlässlich des Erscheinens von André Bretons ‚ARCANE 17‘), 1945, Silbergelatine-Abzug, 8 x 10, Alexina and Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, Inv.-Nr. 13-1972-9(46)

Abb. 107 a) und b) Maya Deren (Eleonora Derenkowsky), Marcel Duchamps Installation im Lazy Hardware, links ohne Spiegelung, rechts mit der Spiegelung von André Breton, Buchhandlung Gotham Book Store, New York, (anlässlich des Erscheinens von André Bretons ‚ARCANE 17‘), 1945, Silbergelatine-Abzug, Fotografie von Alexina and Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, Inv.-Nr.

13-1972-9(45) und 13-1972-9(44)

9. Anhänge

Abb. 108) Maya Deren, (Eleonora Derenkowsky), Marcel Duchamps Installation im Lazy Hardware, Marcel Duchamp an der Montage des Wasserhahns an der Schaufensterpuppe, Buchhandlung Gotham Book Mart Store, New York, (anlässlich des Erscheinens von André Bretons ›ARCANE 17‹), 1945, Alexina and Marcel Duchamp Papers, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives

Abb. 109) Albrecht Dürer, Männerbad, 1496, Holzschnitt, 38,9 x 28,3 cm, Albertina Wien, Inv.-Nr. DG1934/496

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Marcel Duchamp und die Alten Meister

Abb. 110) Albrecht Dürer, Melancholia I, 1514, Kupferstich, 24 x 18,5 cm, The Metropolitan Museum, New York, Inv.-Nr. 43.106.1

Abb. 111) Marcel Duchamp, Jeune homme triste dans le train / Sad Young Man in a Train / Junger trauriger Mann im Zug, [1911], Detail aus: Die Schachtel im Kof fer, 1941/1966, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19316 Gr

9. Anhänge

Abb. 112 a) und b) Lucas Cranach der Ältere, Sündenfall, 1510/20, 150,5 x 67,5 (Adam), 150,5 x 67,7 cm (Eva), Kunsthistorisches Museum Wien, Inv.-Nr. 861 und 861a

Abb. 113 a) und b) Marcel Duchamp, Boîte Alerte / Box Alerte / Die muntere Schachtel, b) Detail aus: Die muntere Schachtel, 1959, 28,6 x 18,1 x 6,4 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. O 26

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Abb. 114) Marcel Duchamp, Obligation pour la roulette de Monte Carlo / Monte Carlo Bond / Obligation für das Roulette von Monte Carlo, 1924, imitiertes korrigiertes Readymade: Fotocollage auf Buchdruck, montiert auf Karton, 31 x 19,5 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19321 Gr

9. Anhänge

Abb. 115) Man Ray, Marcel Duchamp verkleidet als Rrose Sélavy, Detail aus: Wasser & Gas auf allen Etagen, 1959 [ca. 1921], Reproduktion, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19345 Gr O

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Abb. 116) Lucas Cranach der Ältere, Adam und Eva, 1510/16, Lindenholz, 47,2 x 35,3 cm, Alte Pinakothek München, Inv.-Nr. 720

Abb. 117) Bartholomäus Bruyn, Knabe mit Seifenblase (Homo Bulla), 1525/30, Öl auf Eichenholz, 46,3 x 35,3 cm, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Leihgabe aus Privatbesitz, Inv.-Nr. Gm2317

Abb. 118) Marcel Duchamp, Bilboquet / Geschicklichkeitsspiel, 1910, Holz, 10,2 x 22,23 cm, Aufschrif t: »Bilboquet / Souvenir de Paris / A mon ami M. Bergmann / Duchamp printemps 1910«, Klaus-Peter Bergmann, Courtesy Moeller Fine Art, Berlin

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Abb. 119) Lucas Cranach der Ältere, Liegende Quellnymphe, 1518, Öl auf Lindenholz, 59 x 92 cm, Museum der bildenden Künste, Leipzig

Abb. 120) Giorgione, Schlummernde Venus, um 1508–10, Öl auf Leinwand, 108,5 x 175 cm, Inv.-Nr. Gal.-Nr. 185

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Abb. 121) Marcel Duchamp, L.H.O.O.Q., 1919/1965, Bleistif t und weiße Gouache auf farbigem Druck des Gemäldes Mona Lisa von Leonardo da Vinci, 30,1 x 23 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 18320 Gr

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Abb. 122) Marcel Duchamp, L.H.O.O.Q. rasée / L.H.O.O.Q. shaved / L.H.O.O.Q. rasiert, 1965, Reproduktion der Mona Lisa, Spielkarte, 8,8 x 6,2 cm, 21 x 13,8 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19324 Gr

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Abb. 123) Marcel Duchamp, Moustache et barbe de L.H.O.O.Q. / Mustache and Beard of L.H.O.O.Q. / Schnurrbart und Bart der L.H.O.O.Q., 1941, Graphit auf Papier, 9,5 x 14,6 cm, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19350 Gr

Abb. 124) Marcel Duchamp, Untitled Original for Mattas’s Box in a Valise / Unbetiteltes Original für Matta’s Schachtel im Kof fer, Edition Nr. XIII/XX, 1946, Haare, Bleistif t auf Papier, 19,1 x 14,6 cm, Private Sammlung

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Abb. 125) Man Ray, Marcel Duchamp, Cover / Couverture der Ausstellung New York Dada mit Abbildung der Belle Haleine – Eau de Voilette ЯS / Beautiful Breath – Veil Water / Schöner Atem – Schleierwasser, Detail aus: Wasser & Gas auf allen Etagen, 1959 [1921], Reproduktion, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19316 Gr_018

Abb. 126) Friedrich Kiesler, Marcel Duchamp schießend auf das Holzmodell des Großen Glases, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives

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Abb. 127) Jacques de Gheyn II, Bogenschütze und Milchmagd, 1610, Kupferstich von Andries Stock, 41,2 x 32,8 cm, Rijksmuseum, Amsterdam

Abb. 128) Fotograf unbekannt, Marcel Duchamp vor einem Baum stehend, Fotografie, 29. April 1942, Privatsammlung

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Abb. 129) Marcel Duchamp, Saint Sébastian / Saint Sebastian / Heiliger Sebastian, 1909, Öl auf Leinwand, 24,8 x 18,4 cm, John and Mable Ringling Museum of Art, Florida, Inv.-Nr. MF79.1.5

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Abb. 130) Man Ray, Marcel Duchamps Porte-bouteilles / Bottle Dryer / Flaschentrockner Reproduktion, 1914, Detail aus: Die Schachtel im Kof fer, 1941/1966, Reproduktion, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. 19316 Gr

9.2 Abbildungsnachweis Sofern trotz sorgfältiger Recherchen Rechtsinhaber nicht berücksichtig wurden, bitten wir um eine Nachricht. Ansprüche werden in üblicher Weise abgegolten. Abb. 1) © Philadelphia Museum of Art: Vermächtnis von Katherine S. Dreier, © Association Marcel Duchamp, VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Abb. 2) © Philadelphia Museum of Art: Geschenk der Cassandra Foundation, © Association Marcel Duchamp Abb. 3) © Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, DUCHAMP, Marcel: o. T., Lectures, Box 2, Folder 14, © Association Marcel Duchamp Abb. 4) © Kantonale Denkmalpf lege Basel-Stadt, Fotografie: Ruedi Walti Abb. 5) © Albertina, Wien, CC0 Public Domain Dedication 1.0, https://www.graphikportal.org/document/gpo00079492 (zuletzt aufgerufen am: Januar 2020) Abb. 6) WARNCKE, Carsten-Peter: Pablo Picasso 1881 ‒ 1973, hrsg. von Ingo F. Walther, Teil 1, Köln 2004, S. 340 f, © Museo Reina Sofia, VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Abb. 7) © Philadelphia Museum of Art: Erwerb zum 125-jährigen Jubiläum. Ein Geschenk von Lynne und Harold Honickman aus der Julien Levy Collection, © Association Marcel Duchamp Abb. 8) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 9) © 2020 Österreichische Friedrich und Lilian Kiesler-Privatstiftung, Wien, Fotografie: Denise Bellon Abb. 10) BRUGGER, Ingrid; ORTNER-KREIL, Lisa (Hg.): Ausst.-Kat.: Man Ray, im Kunstforum Wien, 14. Februar bis 24. Juni 2018, S.  4, © Tate Modern London © Man Ray Trust/ADAGP, Paris and DACS, London 2020 Abb. 11) LEEKER, Joachim; LEEKER, Elisabeth: Text – Interpretation – Vergleich, Berlin 2005, S. 517, Museum der bildenden Künste, Leipzig Abb. 12) SÖLL-TAUCHERT, Sabine: Hans Baldung Grien (1484/85‒1545), Selbstbildnis und Selbstinszenierung, (Dissertation, Universität Bonn 2006), Köln 2010, Abb. 9 und 10, Freiburg i.Br., Münster Abb. 13) © Rijsmuseum, Amsterdam, http://hdl.handle.net/10934/RM0001.COLLECT.30882, Public Domain Dedication CC0 1.0 Universal (CC0 1.0) (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 14) © Fotografie: Julian Wasser Abb. 15) © Philadelphia Museum of Art: Geschenk von Jaqueline, Paul and Peter Matisse in Erinnerung an ihre Mutter Alexina Duchamp, © Association Marcel Duchamp

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Abb. 16) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 17) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 18) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 19) © 2020 Österreichische Friedrich und Lilian Kiesler-Privatstiftung, Wien, Fotografie: Willy Maywald Abb. 20) TOUMAZIS, Yiannis: Marcel Duchamp, Artiste androgyne, Paris 2013, S. 346, © The Museum of Modern Art, Toyama, Japan, © Association Marcel Duchamp Abb. 21) © Centre Pompidou, Paris, © Association Marcel Duchamp Abb. 22) AUSST.-KAT. New York 1942: First Papers of Surrealism, Hanging by André Breton, his twine Marcel Duchamp, Coordinating Council of French Relief Societies, New York 1942, Fotografie: Ben Shahn, SCHWARZ, Arturo: The Complete Works of Marcel Duchamp, Volumen 2, New York 1997, S. 766, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 23) © Centre Pompidou, Paris, © Association Marcel Duchamp Abb. 24) © Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Abb. 25) © Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Abb. 26) AUSST.-KAT. Ludwigshafen 2009: Gegen jede Vernunf t, Surrealismus ParisPrag, hrsg. von Barbara Auer und Reinhard Spieler, Eine Kooperation der Stadt Ludwigshafen und der BASF SE, Wilhelm-Hack-Museum und Kunstverein Ludwigshafen am Rhein, 14. November 2009 bis 14. Februar 2010, S. 299, © Kunstgewerbemuseum, Prag Abb. 27) MARC, Franz; KANDINSKY, Wassily: Almanach des Blauen Reiters, München 1912, S. 45, Fotografie: Patricia Bethlen Abb. 28) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 29) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoargentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 30) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gerald Freyer, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 31) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 32) © The Metropolitan Museum, New York, CC0 1.0 Universal, Public Domain Dedication, https://www.metmuseum.org/art/collection/search/381347?searchField=All&sortBy=Relevance&deptids=9&where=Germany&ft=hans+baldung+grien&offset=0&rpp=20&pos=5 (zuletzt aufgerufen: Januar 2020)

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Abb. 33) © ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung/CC0 1.0, Dieses Objekt bei Graphische Sammlung ETH Zürich (info:isil/CH-000511-9), https://www.graphikportal.org/document/gpo00222399, (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 34) © Graphische Sammlung ETH Zürich (info:isil/CH-000511-9), https://www. graphikportal.org/document/gpo00218692, ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung/CC0 1.0, (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 35 a) und b) AUSST.-KAT. Venedig 1993, S. 56, © Association Marcel Duchamp Abb. 36) © ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung/CC0 1.0, https://www.graphikportal.org/document/gpo00225232 (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 37) © ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung/CC0 1.0 https://www.graphikportal.org/document/gpo00218560 (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 38) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 39) © Yale University Art Gallery, © Artists Rights Society (ARS), New York/ADAGP, Paris, © Association Marcel Duchamp Abb. 40) © Yale University Art Gallery, © Artists Rights Society (ARS), New York/ ADAGP, Paris, © Association Marcel Duchamp Abb. 41) © Kunstmuseum Basel, Kunstsammlung, online: http://sammlungonline. kunstmuseumbasel.ch/eMuseumPlus?service=direct/1/ResultDetailView/result.inline.list.t1.collection_list.$TspTitleLink.link&sp=13&sp=Sartist&sp=Sfilt e rD e f i n i t i o n & s p = 0 & s p = 1 & s p = 1 & s p = S d e t a i l V i e w & s p = 9 & s p = S d e tail&sp=0&sp=T&sp=0&sp=SdetailList&sp=75&sp=F&sp=Scollection&sp=l39161, (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 42) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 43) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 44) AUSST.-KAT. Bern 1988, Tafel 332, Max Ernst © 2020 Artist Rights Society (ARS)/New York/ADAGP, Paris Abb. 45) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 46) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 47) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gerald Freyer, VG-Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 48) KIESLER, Friedrich J.: Design-Correlation, Architectural Records Marcel Duchamp, Mai 1937, Kiesler Research Materials, Kiesler Writings, Writings about Duchamp, Marcel Duchamp Research Collection, Box 14, Folder 1, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives

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Abb. 49) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 50) KIESLER, Friedrich J.: Design- Correlation, Architectural Records Marcel Duchamp, Mai 1937, Box 14, Folder 1, Kiesler Research Materials, Kiesler Writings, Writings about Duchamp, Marcel Duchamp Research Collection, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives Abb. 51) MOURE, Gloria: Marcel Duchamp, Works, Writings and Interviews, Barcelona 2009, S. 133, © Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale University, Fotografie: Walter Buschmann, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 52) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, © Association Marcel Duchamp/VG BildKunst, Bonn 2020 Abb. 53) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 54) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 55) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 56) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 57) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 58) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 59) © Moderna Museet, Stockholm, © Association Marcel Duchamp Abb. 60) © Albertina, Wien, https://www.graphikportal.org/document/gpo00087139, CC0 Public Domain Dedication 1.0, (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 61) © Philadelphia Museum of Art, © Association Marcel Duchamp Abb. 62) © Philadelphia Museum of Art, © Association Marcel Duchamp Abb. 63) © Museum of Modern Art, New York, © Scala Archives, Florenz, © Association Marcel Duchamp Abb. 64 a) und b) AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 51, b) © Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, © Association Marcel Duchamp Abb. 65) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 66) © 2018 Artists Rights Society (ARS), New York/SABAM, Brussels

9. Anhänge

Abb. 67) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 68) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 69) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 70) © 2020 Musée du Louvre/Angèle Dequier, © BPK-Bildargentur, Berlin Abb. 71) © Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique, Bruxelles/photo: J. Geleyns – Art Photography, © BPK-Bildargentur, Berlin Abb. 72) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 73) © Musée du Louvre, Paris, © BPK-Bildargentur, Berlin Abb. 74) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 75) © Barnes-Merian Foundation, Pennsylvania, Public Domain Mark 1.0 Abb. 76) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 77) © Musée d’Orsay, Paris, © BPK-Bildargentur, Berlin Abb. 78) © Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Abb. 79) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoargentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 80) © Musée Rodin, Paris, Fotografie: Hervé Lewandowski Abb. 81) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 82) © Philadelphia Museum of Art: Geschenk von Cassandra Foundation, © Association Marcel Duchamp Abb. 83) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 84) © Albertina, CC0 Public Domain Dedication 1.0, https://www.graphikportal. org/document/gpo00079474 (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 85) © ETH-Bibliothek Zuerich, Graphische Sammlung/CC0 1.0, Dieses Objekt bei Graphische Sammlung ETH Zürich (info:isil/CH-000511-9), https://www.graphikportal.org/document/gpo00218371, (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 86) © ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung/CC0 1.0, Dieses Objekt bei Graphische Sammlung ETH Zürich (info:isil/CH-000511-9), https://www.graphikportal.org/document/gpo00222849, (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 87) © Kunstmuseum Basel, Kunstsammlung online: http://sammlungonline.kunstmuseumbasel.ch/eMuseumPlus?service=direct/1/ResultDetailView/

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result.inline.list.t1.collection_list.$TspTitleImageLink.link&sp=13&sp=Sartist&sp=SfilterDefinition&sp=0&sp=1&sp=1&sp=SdetailView&sp=9&sp=Sdetail&sp=0&sp=T&sp=0&sp=SdetailList&sp=0&sp=F&sp=Scollection&sp=l1031, (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 88) © Philadelphia Museum of Art: Geschenk der Cassandra Foundation, © Association Marcel Duchamp Abb. 89) © Philadelphia Museum of Art: Geschenk der Cassandra Foundation, © Association Marcel Duchamp Abb. 90) © Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister, Fotografie: Ute Brunzel Abb. 91) © Galleria Borghese Rom, https://galleriaborghese.beniculturali.it/en/opere/ sacred-and-profan-love/ (zuletzt aufgerufen: Januar 2020), Abb. 92) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 93) © Bayerische Staatsgemäldesammlung, https://www.sammlung.pinakothek. de/de/artist/hans-baldung-gen-grien/die-sintflut (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 94) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 95) © Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek München, https:// www.sammlung.pinakothek.de/de/artist/albrecht-duerer/selbstbildnis-im-pelzrock, (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 96) © Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, Papers, Box 27, Folder 37, United Press International, Fotos, Portraits Marcel Duchamp, New York, Alexina and Marcel Duchamp, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives, © Association Marcel Duchamp Abb. 97) AUSST.-KAT. München 2012, S. 11, © Sammlung David und Marcel Fleiss, Galerie 1900-2000, Paris, Fotografie: Heinrich Hoffmann Abb. 98) © Kunstmuseum, Basel, Kunstsammlung online: http://sammlungonline.kunstmuseumbasel.ch/eMuseumPlus?service=direct/1/ResultDetailView/ result.inline.list.t1.collection_list.$TspTitleImageLink.link&sp=13&sp=Sartist&sp=SfilterDefinition&sp=0&sp=1&sp=1&sp=SdetailView&sp=9&sp=Sdetail&sp=0&sp=T&sp=0&sp=SdetailList&sp=25&sp=F&sp=Scollection&sp=l12025, (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 99) © Albertina, Wien, CC0 Public Domain Dedication 1.0, https://www.graphikportal.org/document/gpo00080329, (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 100 a und b) © Deutsches Museum, München, Archiv Abb. 101) © Albertina, Wien, CC0 Public Domain Dedication 1.0, https://www.graphikportal.org/document/gpo00079152 (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 102) © Philadelphia Museum of Art: Geschenk der Cassandra Foundation, © Association Marcel Duchamp Abb. 103) © Philadelphia Museum of Art, © Association Marcel Duchamp Abb. 104a) und b) Ausst.-Kat. Philadelphia, S. 300 und 248, © Philadelphia Museum of Art, Steven Crosset, © Association Marcel Duchamp, Fotografie: Denise Brown Hare

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Abb. 105) © Philadelphia Museum of Art, © Association Marcel Duchamp, Fotografie: Melissa S. Meighan Abb. 106) © Philadelphia Museum of Art: Geschenk von Jacqueline, Paul and Peter Matisse in Erinnerung an ihre Mutter Alexina Duchamp, © Association Marcel Duchamp, Fotografie: Maya Deren (Eleonora Derenkowsky) Abb. 107 a) und b) © Philadelphia Museum of Art: Geschenk von Jaqueline, Paul und Peter Matisse in Erinnerung an ihre Mutter Alexina Duchamp, © Association Marcel Duchamp, Fotografie: Maya Deren (Eleonora Derenkowsky) Abb. 108) SCHWARZ, Arturo: The Complete Works of Marcel Duchamp, Volumen 2, New York 1997, S. 781, © Association Marcel Duchamp, Fotografie: Maya Deren (Eleonora Derenkowsky) Abb. 109) © Albertina, Wien, CCo Public Domain Dedication 1.0, https://www.graphikportal.org/document/gpo00079110 (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 110) © The Metropolitan Museum, New York, CC0 1.0 Universal CC0 1.0) Public Domain Dedication, https://www.metmuseum.org/art/collection/search/336228?searchField=All&sortBy=Relevance&deptids=9&where=Germany&ft=d  %c3  %bcrer  %2c+melancholia+I&offset=0&rpp=20&pos=1 (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 111) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gerald Freyer, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 112 a) und b) © Kunsthistorisches Museum Wien Abb. 113 a) und b) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen MecklenburgVorpommern, Fotografie: Gerald Freyer / Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 114) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 115) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 116) © Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek München, https:// www.sammlung.pinakothek.de/de/artist/lucas-cranach-d-ae/adam-und-eva, (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 117) © Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Abb. 118) © Klaus-Peter Bergmann, Courtesy Moeller Fine Art, Berlin, Fotografie: www. moellerfineart.com/about/past-exhibitions/the-bilboquet-room, (zuletzt aufgerufen: Januar 2020) Abb. 119) © Museum der bildenden Künste, Leipzig Abb. 120) © Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Fotografie: Elke Estel/Hans-Peter Klut Abb. 121) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 122) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp

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Abb. 123) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Thomas Häntzschel, Frank Hormann, Fotoagentur nordlicht, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp Abb. 124) AUSST.-KAT. Philadelphia 2009, S. 302, © Association Marcel Duchamp Abb. 125) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gerald Freyer Abb. 126) © Philadelphia Museum of Art, © Association Marcel Duchamp Abb. 127) © Rijksmuseum, Amsterdam Abb. 128) AUSST.-KAT. Venedig 1993, S. 113, © Association Marcel Duchamp Abb. 129) © John and Mable Ringling Museum of Art, Florida, © Association Marcel Duchamp Abb. 130) © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Fotografie: Gabriele Bröcker, VG Bild-Kunst, Bonn 2020, © Association Marcel Duchamp

9.3 Literatur- und Quellenverzeichnis Quellen ANTOINE 1993 ANTOINE, Jean: Life is a game, in: The Art Newspaper, No. 27, April 1993, Calvin Tomkins Papers, IV.D.34, The Museum of Modern Art Archives, New York. ARENSBERG 1898 ARENSBERG, Walter: Da Vinci’s ›La Gioconda‹ and Dürer’s ›Melancholia‹, März 1898, in: Harvard Monthly, (S. 23–25). ASHTON 1960 ASHTON, Dore: Studio Interview, Juni 1960, Marcel Duchamp Reference Material, Interviews, Marcel Duchamp Exhibition Records, Box 13, Folder 42, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives. AUSST.-KAT. Haages 1965 AUSST.-KAT. Haages 1965: Marcel Duchamp schilderijen tekeningen ready-mades documenten, Stedelijk van Abbemuseum Eindhoven, Haages Gemeentemuseum, Scrapbook 7/8, Philadelphia Museum of Art, Library and Archives. AUSST.-KAT. Springfield 1936 AUSST.-KAT. Springfield 1936: Some New Forms of Beauty, 1909-1936: A selection of the Collection of the Société Anonyme – Museum of Modern Art, 1920, Exhibited at the George Walter Vincent Smith Art Gallery, Springfield, Massachusetts, U.S.A., Katherine S. Dreier Papers / Société Anonyme Archive, Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale University. BRETON/SOUPAULT 1922 BRETON, André; SOUPAULT, Philippe: Littérature, Nouvelle Série, März 1922 – Juni 1924, Archive BRET 162 1 à 13, Bibliothèque Jacques Doucet, Paris. BRETON o. D. BRETON, André: M. Dorival nous la Baille Belle, Bibliothèque Kandinsky, Archive BRET 2.23, Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou, Paris.

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Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn, München/Berlin/New York/ London 1994. AUSST.-KAT. Burgfrieden-Rot 2011 AUSST.-KAT. Burgfrieden-Rot 2011: Puppen, Projektionsfiguren in der Kunst, hrsg. von Stefanie Dathe, im Museum Villa Rot in Burgfrieden-Rot, Biberach 2011. AUSST.-KAT. Düsseldorf 2015 AUSST.-KAT. Düsseldorf 2015: El Greco und der Streit um die Moderne: fruchtbare Missverständnisse und Widersprüche in seiner deutschen Rezeption zwischen 1888 und 1939, hrsg. von Beat Wismer und Michael Scholz-Hänsel, im Kunstpalais Düsseldorf, Berlin/München/Boston 2015. AUSST.-KAT. Düsseldorf 2008 AUSST.-KAT. Düsseldorf 2008: Diana und Actaeon, Der verbotene Blick auf die Nacktheit, hrsg. von Beat Wismer und Sandra Badelt, Museum Kunst Palast Düsseldorf, Ostfildern 2008. AUSST.-KAT. Frankfurt 2016 AUSST.-KAT. Frankfurt 2016: Maniera: Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici, hrsg. von Hans Aurenhammer u.a., im Städel Museum in Frankfurt a. M., München/London/New York 2016. AUSST.-KAT. Frankfurt 2013 AUSST.-KAT. Frankfurt 2013: Dürer, Kunst-Künstler-Kontext, hrsg. von Jochen Sander, im Städel Museum, Frankfurt a. M., München/London/New York 2013. AUSST.-KAT. Frankfurt 2007 AUSST.-KAT. Frankfurt 2007: Hexenlust und Sündenfall. Die seltsamen Phantasien des Hans Baldung Grien, hrsg. von Bodo Brinkmann u.a., im Städelschen Kunstinstitut und der Städtischen Galerie, Städel Museum Frankfurt a. M., Petersberg 2007. AUSST.-KAT. Frankfurt 2007, a AUSST.-KAT. Frankfurt 2007: Cranach der Ältere: anlässlich der Ausstellung Cranach der Ältere, hrsg. von Bodo Brinkmann, Städel Museum, Frankfurt a. M. und der Royal Academy of Arts London, Ostfildern 2007. AUSST.-KAT. Frankfurt 2002 AUSST.-KAT. Frankfurt 2002: Friedrich Kiesler: art of this century, hrsg. von Eva Kraus und dem Friedich-Kiesler-Zentrum Wien, anlässlich der Ausstellung Art of This century, im MMK-Museum für Moderne Kunst Frankfurt, Ostfildern 2002. AUSST.-KAT. Freiburg 2001 AUSST.-KAT. Freiburg 2001: Hans Baldung Grien in Freiburg, hrsg. von Ulrich Söding und Saskia Durian-Ress, Ausstellung im Augustinermuseum Freiburg im Breisgau, Rombach 2001.

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AUSST.-KAT. Hamburg 2003 AUSST.-KAT. Hamburg 2003: Lucas Cranach - Glaube, Mythologie und Moderne, hrsg. von Werner Schade, Beiträge von Susan Foister, Dieter Koepplin, Heinz Spielmann u.a., im Bucerius-Kunst-Forum Hamburg, Ostfildern-Ruit 2003. AUSST.-KAT. Houston 1977 AUSST.-KAT. Houston 1977: Deutscher Expressionismus-German expressionism: Toward a new humanism, Texte von Peter W. Guenther, Sarah Campbell Blaffer Gallery, Houston 1977. AUSST.-KAT. Karlsruhe 2009 AUSST.-KAT. Karlsruhe 2009: Leuchtende Beispiele; Zeichnungen für Glasgemälde aus der Renaissance und Manierismus, hrsg. von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, Wasmuth 2009. AUSST.-KAT. Karlsruhe 2007 AUSST.-KAT. Karlsruhe 2007: Grünewald und seine Zeit, hrsg. von der Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, München/Berlin 2007. AUSST.-KAT. Karlsruhe 1959 AUSST.-KAT. Karlsruhe 1959: Hans Baldung Grien, hrsg. von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, Karlsruhe 1959. AUSST.-KAT. Kassel 2001 AUSST.-KAT. Kassel 2001: Der junge Rembrandt, Rätsel um seine Anfänge, Staatliche Museen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister, Schloss Wilhelmshöhe, Kassel und im Museum het Rembrandthuis, Amsterdam, Wolfratshausen 2001. AUSST.-KAT. London 2008 AUSST.-KAT. London 2008: Duchamp, Man Ray, Picabia, in der Tate Modern in London und das Museu Nacional d’Art de Catalunya, Barcelona, London 2008. AUSST.-KAT. Los Angeles 2000 AUSST.-KAT. Los Angeles 2000: Painting on Light, Drawings and stained glass in the age of Dürer and Holbein, hrsg. von Barbara Butts und Lee Hendrix, J. Paul Getty Museum in Los Angeles und Saint Louis Art Museum in St. Louis, Los Angeles 2000. AUSST.-KAT. Ludwigshafen 2009 AUSST.-KAT. Ludwigshafen 2009: Gegen jede Vernunf t: Surrealismus Paris-Prag, hrsg. von Barbara Auer und Reinhard Spieler, Eine Kooperation der Stadt Ludwigshafen und der BASF SE, Wilhelm-Hack-Museum und Kunstverein Ludwigshafen am Rhein, Stuttgart 2009. AUSST.-KAT. Moyland 2014 AUSST.-KAT. Moyland 2014: Das Schweigen der Junggesellen, Caroline Bachmann, Stefan Banz (Text), hrsg. von der Stiftung Museum Schloss Moyland, Sammlung van der Grinten, Joseph Beuys Archiv des Landes Nordrhein-Westfalen, Nürnberg 2014.

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AUSST.-KAT. Moyland 2001 AUSST.-KAT. Moyland 2001: Heinrich Campendonk, Die zweite Lebenshälfte eines Blauen Reiters, von Düsseldorf nach Amsterdam, Museum Schloß Moyland, Zwolle 2001. AUSST.-KAT. München 2012 AUSST.-KAT. München 2012: Marcel Duchamp in München 1912, hrsg. von Thomas Girst, Helmut Friedel, in der Städtische Galerie und Kunstbau München, München 2012. AUSST.-KAT. München 2008 AUSST.-KAT. München 2008: Hans Arp – Fritz Winter: Dialog ohne Begegnung, Cathrin Klingsöhr-Leroy (Ausstellung und Katalog), hrsg. von der Bayerischen Staatsgemäldesammlung, Fritz-Winter-Stiftung, in der Pinakothek der Moderne München, Köln 2008. AUSST.-KAT. München 2003 AUSST.-KAT. München 2003: Theatrum Mundi: Die Welt als Bühne, hrsg. von Ulf Küster, Haus der Kunst München, Wolfratshausen 2003. AUSST.-KAT. München 2000 AUSST.-KAT. München 2000: Das Feige(n)Blatt, hrsg. von Peter Prange und Raimund Wünsche, Millenniumausstellung der Glyptothek München, in der Staatlichen Antikensammlung und Glyptothek, München 2000. AUSST.-KAT. München 1981 AUSST.-KAT. München 1981: Pablo Picasso: Eine Ausstellung zum hundertsten Geburtstag, Werke aus der Sammlung Marina Picasso, hrsg. von Werner Spies, im Haus der Kunst München, Josef-Haubrich-Kunsthalle Köln in Zusammenarbeit mit dem Museum Ludwig und in der Städtischen Galerie im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt a. M., München 1981. AUSST.-KAT. München 1994 AUSST.-KAT. München 1994: Elan Vital oder Das Auge des Eros, Kandinsky, Klee, Arp, Miró, Calder, hrsg. von Hubertus Gaßner, im Stiftungs Haus der Kunst GmbH, München 1994. AUSST.-KAT. New York 1942 AUSST.-KAT. New York 1942: First Papers of Surrealism, hrsg. von André Breton und Marcel Duchamp, Whitelaw Reid Mansion New York, New York 1942. AUSST.-KAT. New York 1936 AUSST.-KAT. New York 1936: Fantastic art Dada Surrealism, hrsg. von Alfred Barr, Jr., The Museum of Modern Art New York, New York 1936. AUSST.-KAT. Nürnberg 2012 AUSST.-KAT. Nürnberg 2012: Tagträume – Nachtgedanken: Phantasie und Phantastik in Graphik und Photographie, hrsg. von Yasmin Doosry, Ausstellung im Germani-

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schen Nationalmuseum Nürnberg, Ausstellung in der Fundación Juan March, Madrid, Nürnberg 2012. AUSST.-KAT. Nürnberg 2011 AUSST.-KAT. Nürnberg 2011: Die gottlosen Maler von Nürnberg, Konvention und Subversion in der Druckgrafik der Beham-Brüder, hrsg. von Jürgen Müller und Thomas Schauerte, Albrecht-Dürer-Haus Nürnberg, Emsdetten 2011. AUSST.-KAT. Nürnberg 1971 AUSST.-KAT. Nürnberg 1971: Albrecht Dürer 1471, 1971, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, München 1971. AUSST.-KAT. Osnabrück 2003 AUSST.-KAT. Osnabrück 2003: Albrecht Dürer, Das große Glück, Kunst im Zeichen des geistigen Auf bruchs, hrsg. von Thomas Schauerte, im Kulturgeschichtlichen Museum Osnabrück, Bramsche 2003. AUSST.-KAT. Philadelphia 2009 AUSST.-KAT. Philadelphia 2009: Marcel Duchamp, Étant donnés, Michael R. Taylor, Beiträge u.a., von Andrew Lins, hrsg. vom Philadelphia Museum of Art und der Yale University Press, im Philadelphia Museum of Art, New Haven 2009. AUSST.-KAT. Schwäbisch Gmünd 2000 AUSST.-KAT. Schwäbisch Gmünd 2000: Hans Baldung Grien – Holzschnitte, Monika Boosen, Gabriele Holthuis, Schwäbisch-Gmünd 2000. AUSST.-KAT. Schwerin 2019 AUSST.-KAT. Schwerin 2019: Marcel Duchamp, Das Unmögliche sehen, hrsg. von Gerhard Graulich, Kornelia Röder, Patricia Dick, Staatlichen Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Dresden 2019. AUSST.-KAT. Schwerin 2012 AUSST.-KAT. Schwerin 2012: Kopie, Replik und Masssenware, Bildung und Propaganda in der Kunst, Staatliches Museum Schwerin – Kunstsammlungen, Schlösser und Gärten, hrsg. von Dirk Blübaum und Kristina Hegner, Petersberg 2012. AUSST.-KAT. Schwerin 1995 AUSST.-KAT. Schwerin 1995: Rembrandt fecit, 165 Rembrandt-Radierungen aus der Sammlung des Staatlichen Museums Schwerin, hrsg. von Kornelia von BerswordtWallrabe, bearb. von Kornelia Röder und Hela Baudis, im Staatlichen Museum Schwerin, Ludwigshaften am Rhein 1995. AUSST.-KAT. Stuttgart 1991 AUSST.-KAT. Stuttgart 1991: Otto Dix, Zum 100. Geburtstag: Bilder und Graphik zu religiösen Themen aus den Jahren von 1938 bis 1968, hrsg. von Herzogenrath Wulf, Galerie der Stadt Stuttgart und in der Nationalgalerie Berlin, Stuttgart 1991.

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AUSST.-KAT. Venedig 1993 AUSST.-KAT. Venedig 1993: Marcel Duchamp, Ephemerides on and about Marcel Duchamp and Rrose Sélavy, 1887-1968, hrsg. von Pontus Hulten, Texte von Jeniffer GoughCooper und Jaques Caumont, im Palazzo Grassi Venedig, London 1993. AUSST.-KAT. Venedig 1987 AUSST.-KAT. Venedig 1987: The Arcimboldo Ef fect, Transformations of the Face from the 16th to the 20th Century, hrsg. von Pontus Hulten, im Palazzo Grassi in Venedig, New York 1987. AUSST.-KAT. Venedig 1976 AUSST.-KAT. Venedig 1976: Junggesellenmaschinen, hrsg. von Harald Szeemann, in der Kunsthalle Bern, Biennale di Venezia, Museum des 20. Jahrhunderts Wien, Wien/New York 1976. AUSST.-KAT. Wien 2013 AUSST.-KAT. Wien 2013: Max Ernst – Retrospektive, hrsg. von Werner Spies und Julia Drost, in der Albertina Wien und in der Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Ostfildern 2013. AUSST.-KAT. Wien 2013, a AUSST.-KAT. Wien 2013: In Farbe! Clair-obscur-Holzschnitte der Renaissance, Meisterwerke aus der Sammlung Georg Baselitz und der Albertina Wien, hrsg. von der Albertina Wien, Kuratiert von Achim Gnann, in der Albertina Wien, München 2013. AUSST.-KAT. Wien 2006 AUSST.-KAT. Wien 2006: Eros in der Kunst der Moderne, Konrad Paul Liessmann; Ernst Beyeler, Fondation Beyeler, Riehen/Basel, 8. Oktober 2006 bis 18. Februar 2007 und BA-CA Kunstforum, Wien, Ostfildern 2006. AUSST.-KAT. Wien 2003 AUSST.-KAT. Wien 2003: Marcel Duchamp, Druckgraphik, hrsg. von Martin Zeiller und der Universität für angewandte Kunst Wien, Ausstellungszentrum Heiligenkreuzer Hof Wien, Wien 2003. AUSST.-KAT. Wien 1935 AUSST.-KAT. Wien 1935: Hans Baldung Grien, Ausstellung im 450. Geburtsjahr des Meisters, Otto Bensch, Albertina Wien, Wien 1935. AUSST.-KAT. Wiesbaden 2011 AUSST.-KAT. Wiesbaden 2011: Das Geistige in der Kunst, Vom Blauen Reiter zum Abstrakten Expressionismus, hrsg. von Volker Rattenmeyer, im Museum Wiesbaden, Wiesbaden 2011.

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DÖBLIN 1912 DÖBLIN, Alfred: Jungfräulichkeit und Prostitution, in: Der Sturm, hrsg. von Herwarth Walden, September, Vol. 3, Berlin 1912. DOEPEL 1988 DOEPEL, R.T.: Marcel Duchamp’s Bottlerack (1914/1964), Abstract, Department of the History of Art, University of South Africa, 1988. DOLCE 1888 DOLCE, Lodovico: Dialog über die Malerei, hrsg. von Eitelberger v. Edelberg, Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance, Wien 1888. DROST 2013 DROST, Julia: Weder Jäger noch Sammler – Artefakte bei Max Ernst, in: Ausst.-Kat. Wien 2013, (S. 242–257). VAN DÜLMEN 1977 VAN DÜLMEN, Richard: Die Entdeckung des Individuums, 1500–1800, Frankfurt a. M. 1977. DUTHUIT 1938 DUTHUIT, Georges: Picasso – Le Greco, in: Cahier d’art, No. 3–10, 1938. DZIERSK 1995 DZIERSK, Hans-Martin: Abstraktion und Zeitlosigkeit, Wassily Kandinsky und die Tradition der Malerei, Ostfildern 1995. ECO 2007 ECO, Umberto: Die Geschichte der Hässlichkeit, München 2007. EHLERS 1997 EHLERS, Katrin: Mimesis und Theatralität, Dramatische Ref lexionen des modernen Theaters im ›Theater auf dem Theater‹ (1899–1941), (Diss. Humboldt-Univ., Berlin 1997), Münster 1997. EISENHAUER 1994 EISENHAUER, Gregor: Die Fliege, die Kunst und der Tod, Zur Geschichte eines humoristischen Motivs, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Vol. 68, 2, 1994, (S. 369–390). EISENMANN 1878 EISENMANN, Otto: Hans Baldung Grien, in: Allgemeines Künstler-Lexikon, hrsg. von Hugo von Tschudi u.a., Bd. 2, Leipzig 1878.

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EISLER 1996 EISLER, Colin: Dürers Arche Noah, Tiere und Fabelwesen im Werk von Albrecht Dürer, München 1996. ELDER 2012 ELDER, R. Bruce: DADA, Surrealism, and the Cinematic Ef fect, Waterloo 2012. ERFURTH 1997 ERFURTH, Eric: Marcel Duchamp, Flaschentrockner, Doxographie, Obernburg am Main 1997. FALCHETTA 1987 FALCHETTA, Piero: Anthology of Twentieth-Century Texts, in: Ausst.-Kat. Venedig 1987, (S. 207–234). FEHRENBACH 1997 FEHRENBACH, Frank: Licht und Wasser, Zur Dynamik naturphilosophischer Leitbilder im Werk Leonardo da Vincis, (Diss. Universität Tübingen 1995), Berlin 1997. FETT 2003 FETT, Sabine: Fluttering Hearts, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia Berswordt-Wallrabe, Staatliche Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 116–118). FETT 2003 FETT, Sabine: Cover and Jacket for ›Young Cherry Trees Secured Against Hares‹ by André Breton, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia BerswordtWallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 156–158). FETT 2003 FETT, Sabine: In Advance of the Broken Arm, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 60–63). FEULNER 2013 FEULNER, Karoline: Auseinandersetzung mit der Tradition – Die Rezeption des Werkes von Albrecht Dürer nach 1945, Am Beispiel von Joseph Beuys, Sigmar Polke, Anselm Kiefer und Samuel Bak, (Schriften zur Kunstgeschichte, 41), Univ. Diss. Mainz 2010, Hamburg 2013. FEULNER 2010 FEULNER, Gabriele: Mythos Künstler, Konstruktionen und Destruktionen in der deutschsprachigen Prosa des 20. Jahrhunderts, Berlin 2010.

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FILIPPI 2008 FILIPPI, Elena: Im Zeichen des Timaios, Cusanus, Alberti, Dürer, in: Das europäische Erbe im Denken des Nikolaus von Kues, Geistesgeschichte als Geistesgegenwart, hrsg. von Harald Schwaetzer und Kirstin Zeyer, Münster 2008, (S. 147–173). FINDLEN 1994 FINDLEN, Paula: Humanismus, Politik und Pornographie im Italien der Renaissance, in: Die Erfindung der Pornographie, Obszönität und die Ursprünge der Moderne, hrsg. von Lynn Hunt, Frankfurt a. M. 1994, (S. 44–114). FISCH 1990 FISCH, Eberhard: Bilder des Bösen, Picassos »Guernica« und das ikonographische Umfeld, Bonn 1990. FISCHER 1912 FISCHER, Joseph Ludwig: Stilharmonie, in: Zeitschrift für alte und neue Glasmalerei und verwandte Gebiete, Band 1, München 1912, (S. 134–136). FISCHER 1911 FISCHER, Joseph Ludwig: Glasmalereiausstellung des Berliner Künstlerbundes für Glasmalerei und Glasmosaik, in: Mitteilungen des Verbundes Deutscher Glasmalereien, Band 11, München 1911, (S. 150–156). FISCHER SARAZIN-LEVASSOR 2010 FISCHER SARAZIN-LEVASSOR, Lydie: Meine Ehe mit Marcel Duchamp, Bern 2010. FLAM 1937 FLAM, Jack D. (Hg.): Henri Matisse über Kunst, Paris 1937. FLECKNER/STEINKAMP/ZIEGLER 2015 FLECKNER, Uwe; STEINKAMP, Maike; ZIEGLER, Hendrik (Hg.): Der Künstler in der Fremde, Migration – Reise – Exil, Berlin 2015. FREUD 1972 FREUD, Sigmund: Sexualleben, in: Studienausgabe, Band 5, Frankfurt a.M. 1972. FREUD 1969 FREUD, Sigmund: Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci, in: Studienausgabe, Band 10, Frankfurt a. M. (1910) 1969. FREUD 1893 FREUD, Sigmund: Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene, in: The virtual laboratory, Essays and resources on the experimentalization of life, Leipzig 1893.

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FRIEß 1993 FRIEß, Peter: Kunst und Maschine, 500 Jahre Maschinenlinien in Bild und Skulptur, (Diss. Universität München 1991/92), München 1993. FRY 1966 FRY, Edward: Der Kubismus, hrsg. von Werner Haftmann, Köln 1966. FUHRER 2009 FUHRER, Therese: Alter und Sexualität, Die Stimme der alternden Frau in der horazischen Lyrik, in: Alterstopoi, Das Wissen von den Lebensaltern in Literatur, Kunst und Theologie, hrsg. von Dorothee Elm von der Osten, Thorsten Fitzon, Kathrin Liess, Sandra Linden, Berlin 2009, (S. 49–69). GAEHTGENS 2006 GAEHTGENS, Thomas W. (Hg.): Kunst als Experiment, Marcel Duchamps »3 Kunststopf-Normalmaße«, München/Berlin 2006. GAGEL 1984 GAGEL, Hanna: Wie unvernünf tig ist Evas Bedürfnis nach sinnlicher Erkenntnis?, Wie unvernünftig sind Baldungs Frauen?, in: Frauen, Kunst, Geschichte, Zur Korrektur des herrschenden Blicks, hrsg. von Cordula Bischoff, Brigitte Dinger, Irene Ewinkel, Ulla Merle, Gießen 1984, (S. 79–97). GANTET 2010 GANTET, Claire: Der Traum in der Frühen Neuzeit, Ansätze zu einer kulturellen Wissenschaftsgeschichte, Berlin/New York 2010. GAZZETTI 1993 GAZZETTI, Maria (Hg.): Das selten glückliche Zusammentref fen von weiblicher Maßlosigkeit und männlicher Attacke, in: Der Liebesangriff – »Il dolce assalto«, Von Nymphen, Satyrn und Wäldern. Von einer Möglichkeit, über die Liebe zu sprechen, (Literaturmagazin, Ausgabe 32), Hamburg 1993, (S. 21–42). GENDOLLA 1990 GENDOLLA, Peter: Maschinen der Hölle und Attrappen des Menschen, Magische Mechanik bei Bosch, Brueghel und Arcimboldo, in: Die Mechanik in den Künsten, Studien zur ästhetischen Bedeutung von Naturwissenschaft und Technologie, hrsg. von Hanno Möbius und Jörg Jochen Berns, Marburg 1990, (S. 57–66). GERVAIS 2000 GERVAIS, André: Lettres sur l’art et ses alentours 1916–1959, Amsterdam 2000. GILOT/LAKE 1980 GILOT, Françoise; LAKE, Carlton: Leben mit Picasso, Zürich 1980.

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GIRST 2013 GIRST, Thomas: The Indefinite Duchamp, in: Poiesis, Schriftenreihe des Duchamp-Forschungszentrums am Staatlichen Museum Schwerin, hrsg. von Katharina Uhl, Ostfildern 2013. GIRST 2011 GIRST, Thomas: Marcel Duchamp, Eine Hagiografie, in: Impuls Marcel Duchamp, Where Do We Go From Here?, Poiesis, Schriftenreihe des Duchamp-Forschungszentrums am Staatlichen Museum Schwerin, hrsg. von Antonia Napp und Kornelia Röder, Ostfildern 2011, (S. 40–59). GIRST 2003 GIRST, Thomas: Von Ready-mades und ›Asstricks‹, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 30–35). GOFFEN 1997 GOFFEN, Rona: Titian’s Women, Yale University Press, New Haven/London 1997. GOFFEN 1997a GOFFEN, Rona (Hg.): Sex, Space and Social History in Titian’s »Venus von Urbino«, in: Titian’s »Venus of Urbino«, Cambridge 1997, (S. 63–90). GÖBEL 2013 GÖBEL, Anja: Der Blaue Reiter – Schönberg und Kandinsky im Wandel der Zeit, Berührungspunkt zwischen Musik und Malerei zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Hamburg 2013. GÖRGEN 2008 GÖRGEN, Annabelle: Exposition Internationale du Surréalisme, Paris 1938, Bluff und Täuschung – Die Ausstellung als Werk, Einf lüsse aus dem 19. Jahrhundert unter dem Aspekt der Kohärenz, (Braunschweig, Hochschule für Bildende Künste, Diss., 2003), München/Paris 2008. GÖRNER 2005 GÖRNER, Veit: Der Betrachter als Akteur, Partizipationsmodelle in der frühen Kunst des 20. Jahrhunderts, (Braunschweig, Hochschule für Bildende Künste, Diss.), Braunschweig 2005. GOLDAMMER 1957 GOLDAMMER, Kurt: Das Schöpferische in der Religion, in: Studium Generale, Jahrgang 10, Heft 1, Berlin 1957, (S. 29–36). GOMBRICH 1962 GOMBRICH, Ernst: Recent concepts of Mannerism introduction, in: Renaissance and Mannerism, Princeton 1962, (S. 163–173).

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GORMANS 2010 GORMANS, Andreas: Argumente in eigener Sache – Die Hände des Künstlers, in: Die Hand, Elemente einer Medizin- und Kulturgeschichte, hrsg. von Mariacarla Gadebusch Bondio, 2010, (S. 189–224). GOTTFRIED 1973 GOTTFRIED, Martin: Platons Ideenlehre, Berlin 1973. GOTTLIEB 1976 GOTTLIEB, Carla: Something else: Duchamp’s Bride and Leonardo, in: Konsthistorik tidskrift, Band 45, Abingdon 1976, (S. 52–57). GRADMANN 1957 GRADMANN, Erwin: Phantastik und Komik, Bern 1957. GRAESER 1975 GRAESER, Andreas: Platons Ideenlehre, Sprache, Logik und Metaphysik, Eine Einführung, Bern 1975. GRAULICH 2012 GRAULICH, Gerhard: »Das Image der Mona Lisa. Über Duchamps Konzept graphischer Reproduktion«, in: Kristina Hegner: Kopie, Replik und Massenware, Bildung und Propaganda, Ausst.-Kat. Staatliches Museum Schwerin, Petersberg 2012, (S. 124–129). GRAULICH 2011 GRAULICH, Gerhard: »Fresh Widow als Paradigma – Zu Marcel Duchamps Transformation des Bildbegrif fs«, in: Impuls Marcel Duchamp, Where Do We Go From Here?, Poiesis, Schriftenreihe des Duchamp-Forschungszentrums am Staatlichen Museum Schwerin, Bd. 1, Antonia Napp, Kornelia Röder (Hg.), mit Beiträgen von László Beke, Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Dirk Blübaum, Ana Dimke, Thomas Girst, Gerhard Graulich, Anne Leibold, Gunda Luyken, Didier Ottinger, Ostfildern 2011, (S. 60–85). GRAULICH 2003a GRAULICH, Gerhard: »Marcel Duchamps Ästhetik der Negation«, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 15–29). GRAULICH 2003b GRAULICH, Gerhard: Accident, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 44). GRAULICH 2003c GRAULICH, Gerhard: Study for Portrait of Chess Players, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 52).

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GRAULICH 2003d GRAULICH, Gerhard: Draf t Pistons, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 56). GRAULICH 2003e GRAULICH, Gerhard: Nine Malic Moulds, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 58). GRAULICH 2003f GRAULICH, Gerhard: L.H.O.O.Q, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 78–81). GRAULICH 2003g GRAULICH, Gerhard: Fresh Widow, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 86–88). GRAULICH 2003h GRAULICH, Gerhard: The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even/The Green Box, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 102–104). GRAULICH 2003i GRAULICH, Gerhard: Nude Descending a Staircase, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 121–122). GRAULICH 2003j GRAULICH, Gerhard: The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even/The Large Glass, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 124–126). GRAULICH 2003k GRAULICH, Gerhard: Female Fig Leaf, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 164). GRAULICH 2003l GRAULICH, Gerhard: The Occultist Witnesses / The Water Mill, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 220).

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GRAULICH 2003m GRAULICH, Gerhard: The Chocolat Grinder / The Large Glas, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 222). GRAULICH 2003n GRAULICH, Gerhard: The Large Glass Completed, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 225). GRAULICH 2003o GRAULICH, Gerhard: The Sieves, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Staatliches Museum Schwerin, Stuttgart 2003, (S. 236–238). GRAULICH 2003p Graulich, Gerhard: Zu den Einzelgrafiken The Large Glass and Related Works II, in: Marcel Duchamp, Die Schweriner Sammlung, hrsg. von Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Stuttgart 2003, (S. 250–269). GREBE 2013 GREBE, Anja: Dürer, Die Geschichte seines Ruhms, Petersberg 2013. GRENSER 1878 GRENSER, Alfred: Hans Baldung genannt Grien und seine heraldische Thätigkeit, Zwanzig Wappen-Entwürfe des Meisters im Besitz der »Albertina« zu Wien, Mit 20 Heliogravuren von Albert Franz, Wien/Graz 1878. GRUNEWALD 1912 GRUNEWALD, Maria: Die Entwicklung des Karnationskolorites in der venezianischen Malerei von den Anfängen bis auf Tiepolo, (Diss. Universität Berlin), Berlin 1912. HACKSPIEL-MIKOSCH 2010 HACKSPIEL-MIKOSCH, Elisabeth: Die Theorie der Uniform – Zur symbolischen Kommunikation einer männlichen Bekleidungsform am Beginn der Moderne, in: Zweite Haut, Zur Kulturgeschichte der Kleidung, Berner Universitätsschriften, Bern 2010, (S. 66–89). HALADYN 2010 HALADYN, Julian Jason: Marcel Duchamp, Étant donnés, London 2010. HALDEMANN 2010 HALDEMANN, Matthias: Die zweigesichtige Linie, Von Butades bis Fischli/Weiss, in: Ausst.-Kat. Zug 2010, Ausstellung vom 21. November 2010 bis 27. März 2011.

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HAMM 1993 HAMM, Berndt: Von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation, Der Prozeß normativer Zentrierung von Religion und Gesellschaft in Deutschland, in: Archiv für Reformationsgeschichte, Bd. 84, 1993, (S. 7–82). HARALAMBIDOU 2013 HARALAMBIDOU, Penelope: Marcel Duchamp and the Architecture of Desire, Dorchester 2013. HARTLAUB 1961 HARTLAUB, Gustav Friedrich: Der Todestraum des Hans Baldung Grien, in: Antaios, Bd. 2, Nr. 1, Stuttgart 1961, (S. 13–85). HARTMANN 2012 HARTMANN, Sieglinde (Hrsg): Deutsche Liebeslyrik vom Minnesang bis zu Oswald von Wolkenstein, Oder die Erfindung der Liebe im Mittelalter, Einführung in die deutsche Literatur des Mittelalters, Band 1, Wiesbaden 2012. HAUSER 1973 HAUSER, Arnold: Der Ursprung der modernen Kunst und Literatur, Die Entwicklung des Manierismus seit der Krise der Renaissance, München 1973. HAZARD 1974/75 HAZARD, Mary E.: The Anatomy of »Liveliness« as a Concept in Renaissance Aesthetics, in: Journal of Aesthetics and Art Criticism 33, 1974/75. HEGEL 1970 HEGEL, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. III, Frankfurt 1970. HEINRICHSDORFF 1912 HEINRICHSDORFF, Gottfried: Die Trennung zwischen Kartonzeichner und Glasmaler, in: Zeitschrift für alte und neue Glasmalerei und verwandte Gebiete, 1/1912, (S. 126–128). HEISE/WUNDRAM 1961 HEISE, Georg; WUNDRAM, Manfred (Hg.): Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek, Stuttgart 1961. HELLER 1823 HELLER, Joseph: Geschichte der Holzschneidekunst, Von den ältesten bis auf die neuesten Zeiten, nebst zwei Beilagen, enthaltend den Ursprung der Spielkarten und ein Werkverzeichnis der sämtlichen graphischen Werke, Bamberg 1823. HELMS 1965 HELMS, Dietrich: Die Erfindung des Ready-Made, Marcel-Duchamp-Ausstellung in der Kestner-Gesellschaft, Archivalien aus dem Institut für Moderne Nürnberg, Hannover 1965.

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KNÖLL 2009 KNÖLL, Stefanie: Der weibliche Körper als Sinnbild des Alters, Zur Naturalisierung der Altersdarstellungen im 16. Jahrhundert, in: Alterstopoi, Das Wissen von den Lebensaltern in Literatur, Kunst und Theologie, hrsg. von Dorothee Elm von der Osten, Thorsten Fitzon, Kathrin Liess, Sandra Linden, Berlin 2009, (S. 165–186). KNUST 1979 KNUST, Herbert (Hg.): George Grosz, Briefe 1913–1959, Reinbek 1979. KOCH 1969 KOCH, Robert A.: »Venus and Amor by Lucas Cranach the Elder«, in: Princeton University Art Museum, Records 28, Princeton 1969, (S. 54–57). KOCH 1941 KOCH, Carl: Die Zeichnungen Hans Baldung Griens, in: Deutscher Verein für Kunstwissenschaften, Nr. 134, Berlin 1941, (S. 215–270). KÖRNER 2003 KÖRNER, Hans: Die enttäuschte und die getäuschte Hand, Der Tastsinn im Paragone der Künste, in: Der stumme Diskurs der Bilder, Ref lexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der Frühen Neuzeit, hrsg. von Valeska von Rosen, Klaus Krüger, Rudolf Preimesberger, Berlin 2003, (S. 221–241). KOERNER 1995 KOERNER, Joseph Leo: The Fortuna of Dürer’s ›Nemesis‹, in: Fortuna Vitrea, Arbeiten zur literarischen Tradition zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert, hrsg. von Walter Haug, Burghart Wachinger, Tübingen 1995, (S. 239–294). KOERNER 1988 KOERNER, Joseph Leo: Self portraiture and the crisis of interpretation in German Renaissance art, Albrecht Dürer, Hans Baldung Grien, and Lucas Cranach the Elder, (Dissertation University of California), Berkeley 1988. KOERNER 1981 KOERNER, Joseph Leo: Hans Baldung Grien und die entstellte Renaissance in Deutschland, in: Hans Baldung Grien, prints & drawings, hrsg. von James H. Marrow und Alan Shestack, New Haven 1981, (S. 5–8). KOLB 2005 KOLB, Sarah: Malerei im Dienste der Metaphysik, Marcel Duchamp und das Echo des Bergsonismus, in: Lecture notes No. 2, hrsg. vom Duchamp-Forschungszentrum, Staatliches Museum Schwerin/Ludwigslust/Güstrow, Schwerin 2005. KOOS 1998 KOOS, Marianne: Titian’s Women, Giorgione’s Men?, in: Kritische Berichte, 2, 1998, (S. 63–72).

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SROKA 2003 SROKA, Jens Joachim: Das Pferd als Ausdrucks- und Bedeutungsträger bei Hans Baldung Grien, (Diss. Universität Zürich), Zürich 2003. STAUFFER 2013 STAUFFER, Serge: Kunst als Forschung, Essays, Gespräche, Übersetzungen, Studien, hrsg. von Helmhaus Zürich, Bd. 8, Schriftenreihe des Instituts für Gegenwartskunst, Züricher Hochschule der Künste, Zürich 2013. STAUFFER 1992 STAUFFER, Serge: Marcel Duchamp, Interviews und Statements, Gesammelt, übersetzt und annotiert von Serge Stauffer, hrsg. von Ulrike Gauss, Stuttgart 1992. STAUFFER 1981/1994 STAUFFER, Serge: Marcel Duchamp, Die Schriften, Zu Lebzeiten veröffentlichte Texte, Übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Serge Stauffer, Zürich 1981/1994. STAUFFER 1973 STAUFFER, Serge: Marcel Duchamp, Ready Made!, 180 Aussprüche aus Interviews mit Marcel Duchamp, herausgegeben von Serge Stauffer, Zürich 1973. STEEGMULLER (1963) STEEGMULLER (1963), in: Stauffer, Serge: Marcel Duchamp, Interviews und Statements, hrsg. von Ulrike Gauss, Stuttgart 1992, (S. 137−141). STEWART 1978 STEWART, Alison G.: Unequal Lovers, A Study of Unequal Couples in Northern Art, (Diss. University New York 1976), New York 1978. STIASSNY 1893 STIASSNY, Robert: Baldung-Studien I, Zeichnungen, in: Kunstchronik, Neue Folge, 5, Sp.13, Berlin 1893. STIX 1933 STIX, Alfred: Beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der graphischen Sammlung Albertina, Wien 1933. STOLZENBURG 1997 STOLZENBURG, Andreas: Picasso und die Lithographie, »Ich mache ein Bild und zerstöre es«, Leipzig 1997. STROUHAL 2003 STROUHAL, Ernst: Spiel im Spiel, Präzisionsmalerei, Pataphysik und Strategien der Visualisierung in »L’oppostion et les cases conjuguées sont réconciliées par Duchamp et Halberstadt« (1932), in: Ausst.-Kat. Wien 2003, (S. 51–62).

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Kunst- und Bildwissenschaft Elisa Ganivet

Border Wall Aesthetics Artworks in Border Spaces 2019, 250 p., hardcover, ill. 79,99 € (DE), 978-3-8376-4777-8 E-Book: 79,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4777-2

Artur R. Boelderl, Monika Leisch-Kiesl (Hg.)

»Die Zukunft gehört den Phantomen« Kunst und Politik nach Derrida 2018, 430 S., kart., 21 SW-Abbildungen, 24 Farbabbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4222-3 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4222-7

Chris Goldie, Darcy White (eds.)

Northern Light Landscape, Photography and Evocations of the North 2018, 174 p., hardcover, ill. 79,99 € (DE), 978-3-8376-3975-9 E-Book: 79,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3975-3

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Kunst- und Bildwissenschaft Julia Allerstorfer, Monika Leisch-Kiesl (Hg.)

»Global Art History« Transkulturelle Verortungen von Kunst und Kunstwissenschaft 2017, 304 S., kart., 45 SW-Abbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4061-8 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4061-2

Claus Gunti

Digital Image Systems Photography and New Technologies at the Düsseldorf School March 2020, 352 p., pb. 44,99 € (DE), 978-3-8376-3902-5 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation, ISBN 978-3-8394-3902-9

Monika Leisch-Kiesl (Hg.)

ZEICH(N)EN. SETZEN. Bedeutungsgenerierung im Mäandern zwischen Bildern und Begriffen März 2020, 420 S., kart., eingelegte Faksimiles 50,00 € (DE), 978-3-8376-5128-7 E-Book: 49,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5128-1

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