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German Pages [190] Year 1975
Volker Schurig Naturgeschichte des Psychischen 1 Psychogenese und elementare Formen der Tierkommunikation
Studium Kritische Sozialwissenschaft Psychologie
Texte zur Kritischen Psychologie, Band 4/1 Psychologisches Institut der FU Berlin
Naturgeschichte des Psychischen 1 Die Evolution psychischer Prozesse von einfachsten tierischen Organismen bis zu den höheren Säugetieren wird in dieser Naturgeschichte auf materialistischer Grundlage in ihren wichtigsten Entwicklungsstufen systematisiert. Die Darstellung basiert auf einer Integration genetischer, physiologischer und ethologischer Theorien. Die phylogenetische Interpretation der naturwissenschaftlichen Grundlagen der Psychologie ermöglicht das Verständnis der Vorformen des Bewußtseins und deren biologischen Gesetze. Ebenso ergibt sich durch sie eine neue Sichtweise des psycho-physischen Problems. Die naturgeschichtliche Analyse ermöglicht eine präzisere Bestimmung der spezifischen gesellschaftlichen Charakteristika menschlicher Lebenstätigkeit und Subjektivität. Inhalt dieses Bandes: Naturwissenschaftliche Kriterien des Psychischen - Grundlagen der Tierkommunikation - Reizbarkeit, Signalbildung und Ritualisation als biologische Informationsebenen. Band II: Instinktverhalten und biologische Lernklassifikation - Abstraktionsleistungen bei Tieren - Traditionsbildung als soziales Lernen.
Volker Schurig studierte 1960-1966 Zoologie in Jena. 1969 Promotion am »Institut für philosophische Probleme der modernen Naturwissenschaften« der Humboldt-Universität Berlin über Probleme der Biokybernetik. Bis 1971 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Institutes für Hochseefischerei Rostock-Warnemünde. Seit 1971 Assistenzprofessor am Psychologischen Institut der FU Berlin. Veröffentlichung: Zusammen mit K. Holzkamp Herausgeber von Leontjew: Die Entwicklung des Psychischen.
Studium: Kritische Sozialwissenschaft Wissenschaftlicher Beirat: Franz Dröge, Bremen; Klaus Holzkamp, Berlin; Klaus Horn, Frankfurt/M.; Urs Jaeggi, Berlin; Ekkehart Krippendorff, Bologna; Hans Joachim Krüger, Gießen; Wolf-Dieter Narr, Berlin; Frieder Naschold, Konstanz; Claus Offe, Bielefeld; Jürgen Ritsert, Frankfurt/M.; Erich Wulff, Hannover Lektorat: Adalbert Hepp/Stefan Müller-Doohm
Volker Schurig Naturgeschichte des Psychischen 1 Psychogenese und elementare Formen derTierkommunikation
Texte zur Kritischen Psychologie, Bd. 3/1 Psychologisches Institut der FU Berlin
Campus Verlag Frankfurt/New York
ISBN 3-593-32518-2 Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1975 bei Campus Verlag, Frankfurt/Main Umschlagentwurf: Eckard Warminski, Frankfurt/Main Hersteller: Adolf Heinzlmeier Gesamtherstellung: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in Germany
Inhalt Einleitung 1. Allgemeine Aspekte des Verhältnisses von Biologie und Psychologie 1.1. Die Kausalität von Physischem und Psychischem als Gegenstand naturwissenschaftlicher Theorien 1.2. Die Bedeutung der Objektivitätsforderung in der Rekonstruktion psychischer Prozesse bei Tieren 1.3. Die gesellschaftlich-historische Dimension des psycho-physischen Problems 1.4. Das psycho-physische Verhältnis als empirisches Problem . . . 2. Biologische Grundlagen der Entwicklung psychischer Prozesse . . 2.1. Der Beginn der Psychophylogenese 2.1.1. Psychisches und Bewußtsein als unterschiedliche Entwicklungsformen des Ideellen 2.2. Biochemische und histologische Voraussetzungen des Psychischen 2.2.1. Psychische Prozesse bei Einzellern und pflanzlichen Organismen? 2.3. Das Nervensystem als materielle Grundlage tierischen Verhaltens 2.3.1. Das Neuron 2.3.2. Die Entwicklung des Nervensystems 2.3.3. Organisations- und Evolutionsprinzipien der Gehirnbildung 3. Physiologische Kriterien des Psychischen: Reizbarkeit und Erregungsfähigkeit 3.1. Die phylogenetische Entwicklung von Receptorsystemen . . . 3.2. Die physiologische Struktur der Reiz-Reaktionsbeziehung. . . 3.2.1. Das Receptorpotential. Die Sinneszelle als Transducer. . . 3.2.2. Das Aktionspotential. Die Kabeleigenschaften des Neurons 3.2.3. Die Erregungsübertragung an der Synapse 4. Die Struktur der Tierkommunikation 4.1. Der Ubergang von der Reizbarkeit zur Signalbildung 4.1.1. Schlüsselreize 4.1.2. Bedingte Reize
9 25 25 31 38 45 59 59 62 70 78 85 85 88 96 103 111 126 128 136 144 155 164 166 170 5
4.2. Die Ritualisation des tiit s tierischen Verhaltens in der Evolution und Probleme der >Semantisierung< biologischer Signale 178 Literaturverzeichnis
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Register
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Inhalt von Band 2
1. Das System des angeborenen Verhaltens 1.1. Zur Problematik von Angeborenem und Erworbenem . . . . . 1.2. Die >horizontale< und >vertikale< Organisationsstruktur instinktiven Verhaltens
9 9 16
2. Zur Phylogenese des tierischen Lernverhaltens 2.1. Ethologische, lernpsychologische und biokybernetische Taxonomien von Lernprozessen 2.1.1. Metatheoretische Klassifikationsprinzipien 2.2. Einige »Zwischenglieder der naturhistorischen Lernklassifikakation 2.2.1. Lernverhalten im psycho-physischen Grenzbereich: Habituation 2.2.2. Prägungsverhalten als limitierte Öffnung gegenüber Umwelteinflüssen 2.2.3. Problemlösendes Verhalten bei Tieren (Lernen durch Einsicht)
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3. Zur Naturgeschichte tierischer Abstraktionsleistungen 3.1. Isolierende Abstraktion als Diskriminationslernen 3.2. Generalisierende Abstraktionsleistungen 3.2.1. Klassenbildung als >unbenanntes Zählen< bei Vögeln . . . . 3.2.2. >Ich-Bewußtsein< bei nichtmenschlichen Primaten? 3.3. Relationales Lernen 3.4. Geometrisch-optische Täuschungen bei Tieren 3.5. Experimentelle Untersuchungen über die Entstehung von >averbalen Wertvorstellungen< bei niederen Affen und Schimpansen
89 96 105 110 115 118 123
4. Traditionsbildung bei Tieren
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29 37 50 50 61 75
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5. Spezielle Aspekte des Verhältnisses von Biologie und Psychologie. 143 5.1. Methodologische Implikationen des psycho-physischen Problems 143 5.1.1. Die Anthropomorphisierung des tierischen Verhaltens durch psychologische Begriffe 146 7
5.1.2. Die logische Struktur der historischen Methode in der Biologie 152 5.1.3. Maschinelle Systeme als technisches Kriterium der Höherentwicklung 162 5.2. Zur erkenntnistheoretischen Bestimmung des Terminus »naturwissenschaftliche Grundlagen der Psychologie< 166 Anhang: Biologische Fachterminologie . . Weiterführende Literaturauswahl Sachregister
.180 202 222
Einleitung
Das folgende Buch steht im Zusammenhang mit einer Reihe z. T. bereits erschienener, z. T. noch in Vorbereitung befindlicher »Texte zur Kritischen Psychologie« aus dem Psychologischen Institut der FU Berlin, in denen - aufbauend auf Ansätzen aus der »kulturhistorischen Schule« der sowjetischen Psychologie, besonders A. N. Leontjew - die Erforschung verschiedener Gegenstandsbereiche der Psychologie auf eine neue Ebene gehoben werden soll, indem diese als Momente der Lebenstätigkeit und Subjektivität des Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft konkretisiert werden. In einer (auf dem historischen und dialektischen Materialismus gegründeten) historischen Analyse werden wesentliche gesellschaftliche und biologische Bestimmungsstücke dieser Gegenständlichkeit herausgearbeitet, was auch eine neue Perspektive empirischer psychologischer Forschung eröffnen soll. Auf diese Weise wurden bisher von Holzkamp (1973) die menschliche Cognition, besonders die Wahrnehmung, von Ulmann (1975) der Einfluß der Sprache auf das Erkennen und von Holzkamp-Osterkamp (1975) die menschliche Motivation untersucht. Weitere entsprechende Arbeiten zum Beispiel über Denken, Lernen, Persönlichkeit usw. werden folgen. Ein wesentliches Charakteristikum der im kritisch-psychologischen Ansatz entwickelten historischen Methode besteht, wie von Holzkamp (1973) erstmals praktiziert und von Holzkamp-Osterkamp (1975) in präziserer und entwickelterer Weise dargelegt und umgesetzt, in der Einbeziehung derphylogenetisch-naturgeschichtlichen Dimension in die historische Analyse. Es wird theoretisch und forschungspraktisch gezeigt, daß die jeweils untersuchten Teilmomente der menschlichen Lebenstätigkeit wie Wahrnehmung, Motivation etc. nur dann in ihren wesentlichen Zügen wissenschaftlich erfaßt werden können, wenn man ihre gesellschaftlichen Charakteristika zu ihren biologischen in ein richtiges Verhältnis setzen kann, was aber die Herausarbeitung der Kontinuitäten und qualitativen Sprünge ihrer Entstehung in der phylogenetischen und gesellschaftlich-historischen Entwicklung unbedingt voraussetzt. In den teilweise sehr ausführlichen phylogenetischen Analysen der anderen Arbeiten innerhalb der »Texte« war die Art des dabei zu behandelnden Materials und die Weise, in der das Material in Zusammenhang gebracht wurde, notwendigerweise durch das besondere Gegenstandsgebiet, etwa die Wahrnehmung oder die Motivation, bestimmt, wobei, ausgehend vom Endprodukt der jeweiligen Funktionseigenart beim Menschen in der bür9
gerlichen Gesellschaft, die phylogenetische (und gesellschaftlich-historische) Entstehung der jeweiligen Funktion rekonstruiert und damit ein tieferes Verständnis der Endform angestrebt wurde. Diese von der Themenstellung her bedingte Selektion enthält aber die Gefahr bestimmter Vereinseitigungen und Verzerrungen, weil hier die einzelnen Teilmomente der Phylogenese in ihrem Gesamtzusammenhang weitgehend unberücksichtigt bleiben müssen und Verkürzungen der Problembehandlung durch die eingeengte Zielstellung teilweise unvermeidlich sind. Die Aufgabe der vorliegenden Arbeit im Zusammenhang mit den anderen Abhandlungen ist es, diesen Einseitigkeiten und Verkürzungen entgegenzuwirken, indem hier die phylogenetische Entwicklung des Menschen nicht »von oben«, vom Ende her festgelegt ist, sondern der gesamte phylogenetische Entwicklungsprozeß des Psychischen »von unten«, von den Anfängen her aufgearbeitet und dabei möglichst unverzerrt im Gewicht und Verhältnis seiner einzelnen Teilmengen auf den Begriff gebracht wird. Damit soll der Gesamtzusammenhang herausgestellt werden, von dem aus die kompensatorische Korrektur bestimmter Ergebnisse der bisherigen Arbeiten möglich ist und die phylogenetischen Analysen der späteren Arbeiten eine breitere und tragfähige Grundlage erhalten können. Die naturgeschichtliche Betrachtungsweise kann im Zusammenhang mit der Umsetzung naturwissenschaftlicher Sachverhalte in die psychologische Theorienbildung in sehr unterschiedlich strukturierten Argumentationszusammenhängen auftreten. Allgemein können dabei zwei Gruppen von Strategien unterschieden werden: Einmal eine partielle, bestimmte Abstraktionen und Verkürzungen einführende Rekonstruktion und zum anderen Versuche einer möglichst totalen Rekonstruktion der für die Psychologie relevanten naturgeschichtlichen Entwicklungsprozesse bei Tieren. Die naturhistorische Vorgehensweise kann in die psychologische Methodologie also sehr variabel eingebaut und den jeweiligen theoretischen Interessen angepaßt werden, um bestimmte methodische Vorteile auszunutzen. Die Spezialisierung auf bestimmte naturhistorische Entwicklungsaspekte, etwa der Motivation oder Cognition, ermöglicht es z. B., trotz des Verlustes der tatsächlichen Vielfalt der tierischen Evolution andererseits die Einheit von Naturgeschichte und menschlicher Geschichte durch die Einbeziehung eines längeren historischen Zeitraumes stärker herauszustellen. Bei den folgenden Überlegungen handelt es sich um den Versuch einer Einbeziehung möglichst vieler einzelner Entwicklungsaspekte, so daß besonders die allgemeine Eigengesetzlichkeit der Naturgeschichte gegenüber der menschlichen Entwicklung stärker hervorgehoben wird. Das Vorhaben dieses Buches, in dem die Naturgeschichte des Psychischen bis zu den Abstraktionsleistungen bei Säugetieren und der tierischen Traditionsbildung verfolgt wird, erfordert deshalb unter Beachtung der Spezifik des All10
gemeinen bei phylogenetischen Entwicklungsprozessen eine Fortsetzung des naturhistorischen Ansatzes in den Bereich der Anthropogenese hinein, da auch anthropologische Probleme aufgrund der kritisch-psychologischen Grundkonzeption zwingend innerhalb einer historischen Analyse der naturwissenschaftlichen Grundlagen der Psychologie mit behandelt werden müssen, was bisher den gleichen Beschränkungen unterlag wie die phylogenetischen Ableitungen selbst. Deshalb folgt auf das vorliegende Buch eine Fortschreibung des hier entwickelten Ansatzes, indem der Ubergang des psychischen Verhaltens der tierischen Primaten zum menschlichen Bewußtsein unter Berücksichtigung der konkreten phylogenetischen, anatomischen, physiologisch-funktionellen und ökologischen Situation systematisch verfolgt wird: »Die Entstehung des Bewußtseins im TierMensch-Ubergangsfeld«. Allgemeine erkenntnistheoretische Probleme, die sich aus der historischen Sicht auf das Psychische und das Bewußtsein ergeben, werden in einer grundsätzlichen Arbeit über das psycho-physische Problem von Keiler in einem späteren Band der »Texte« behandelt. Die arbeitsteilige und kooperative Behandlung verschiedener Teilbereiche der Psychologie, wie sie sich in den »Texten« dokumentiert, spiegelt auf idealisierte Weise die Ausbildungssituation und den Studienplan am Psychologischen Institut der FU wider, der den Versuch einer besonderen, wissenschaftlich entwickelten Erfüllung der Anforderungen der RahmenDiplomordnung für Psychologen darstellt. Das vorliegende Buch repräsentiert dabei unsere Vorstellungen über wesentliche Stoffgebiete und Lernziele des zum Vordiplom anstehenden Prüfungsfaches »physiologische Psychologie«. Damit befinden wir uns in unmittelbarer kritischer Konkurrenz zu anderen Unternehmungen zur Konkretisierung dieses Faches in der Prüfungsordnung, etwa dem Buch von Birbaumer (1975), dessen kompetente Darstellung gerade durch das konsequente Fernhalten des naturgeschichtlichen Aspektes bei der Behandlung biologisch-physiologischer Probleme innerhalb der Psychologieausbildung gekennzeichnet ist, womit auch der Zusammenhang zwischen Prozessen auf physiologischem Niveau und den mehr spezifischen Formen menschlicher Lebenstätigkeit einschließlich der Subjektivität notwendigerweise eingeschränkt wird. - Unser naturgeschichtlicher Ansatz ist gleichzeitig eine praktische Kritik an der neuen psychologischen Prüfungsordnung selbst, die die Biologie aus dem Fächerkatalog entfernt hat, allerdings von einer dedizierten theoretischen Gesamtkonzeption aus, in welcher die innere Einheit von der genetischen, physiologischen, ethologischen usw. Spezialisierung als biologischer Betrachtungsweise in der evolutionstheoretischen Analyse naturwissenschaftlicher Sachverhalte aufgehoben wird. Die »Texte«-Reihe ruht, wie an den letzten Bemerkungen schon deutlich wurde, nicht als eine bestimmte Forschungs- und Lehrkonzeption in sich, 11
sondern spiegelt selbst den historischen Stand des psychologischen Problembewußtseins wider, indem sie einerseits ein Teil der gegenwärtigen psychologischen Wissenschaftsentwicklung ist, andererseits in einem spezifischen Spannungsverhältnis dazu steht. Dies muß auch für das hier vorgelegte Buch gelten, das demgemäß die Aufgabe und den Anspruch hat, den gegenwärtigen wissenschaftlichen Bewußtseinsstand über den Zusammenhang zwischen Naturwissenschaft und Psychologie einerseits zu reflektieren, andererseits kritisch weiterzutreiben. Das besondere Interesse an dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Psychologie betrifft sowohl allgemein-theoretische als auch unmittelbar praktische Fragen. Theoretisch bedingt eine veränderte Systematik des Gegenstandes der Psychologie auch eine Veränderung ihres Verhältnisses zu naturwissenschaftlichen Theorien, das, wie die historisch veränderte Funktion der Psychophysik oder die unterschiedliche Interpretation der physiologischen Psychologie seit Wundt zeigt, nie eine Konstante gewesen ist. Deswegen erstreckt sich kritische Psychologie wie gesagt keineswegs nur auf gesellschaftswissenschaftliche Problemstellungen, sie berührt in ihrem historischen Selbstverständnis des Gegenstandes und der Methodik der psychologischen Erkenntnis auch deren naturwissenschaftliche Grundlagen, die in ihrer realen naturhistorischen Dimension erschlossen werden. In diesem Prozeß ist die Entwicklung psychologischer Theorien die abhängige Größe. Die phylogenetische Interpretation biologischer Sachverhalte ist seit ca. 100 Jahren, der Entstehung der Darwinschen Evolutionstheorie, identisch mit der wissenschaftlichen Entwicklung der Biologie, die durch die Herausbildung der Verhaltensforschung vor ca. 70 Jahren eine für die Psychologie wichtige Konkretisierung erfahren hat. Die Aktualisierung des historischen Charakters des psychologischen Bewußtseinsbegriffs als spezifisches Bewußtsein der bürgerlichen Gesellschaft, die über komplizierte soziale, wissenschaftstheoretische und gesellschaftlich-ökonomische Entwicklungsprozesse vermittelt wird, schafft in der Psychologie die theoretischen Voraussetzungen für das Verständnis auch der phylogenetischen Entwicklungsdimension ihrer naturwissenschaftlichen Grundlagen. Trotz aller Bedeutung für die psychologische Theorienbildung im einzelnen handelt es sich gegenüber der allgemeinen Wissenschaftsentwicklung jedoch nur um einen Nachholprozeß, der sich in Abhängigkeit von den besonderen Bedingungen in der anglo-amerikanischen, der deutschsprachigen und der sowjetischen Psychologie mit unterschiedlicher Intensität durchsetzt. Auf einen der kompliziertesten und interessantesten Widersprüche in diesem Umsetzungsprozeß, die Konfrontation der Pawlowschen Theorie der höheren Nerventätigkeit, erkenntnistheoretisch Repräsentant eines mechanischen Physiologismus, gesellschaftlich Element stalinistischer Wis12
senschaftspolitik, gegenüber der vom dialektischen Materialismus getragenen Konzeption Leontjews in der sowjetischen Psychologie kann hier nur hingewiesen werden (vgl. Leontjew 1973). In der amerikanischen Psychologie erwies sich der Behaviorismus als stärkste theoretische Barriere gegen eine phylogenetische Interpretation der Naturwissenschaft, eine Schranke, die sich in der davon mehr oder weniger beeinflußten deutschsprachigen Psychologie in unterschiedlicher Gestalt wiederfindet. Praktisch gesehen werden etwa im Psychologiestudium die Notwendigkeiten der Beschäftigung mit der phylogenetischen Dimension physiologisch-biologischer Sachverhalte je nach der Konkretisierung der Prüfungsordnung in den regionalen Studienplänen und den anderen örtlichen Bedingungen sehr unterschiedlich sein, wobei die verbreitete Praxis, die Ausbildung in der physiologischen Hilfswissenschaft den medizinischen und biologischen Fachbereichen bzw. Fakultäten zu überlassen, den theoretischen Zustand des bloß äußerlichen Zusammenhanges und der faktischen Desintegration zwischen Physiologie und Psychologie schon institutionell zum Ausdruck bringt. Abgesehen davon ergeben sich, mit der Weiterentwicklung der psychologischen Wissenschaft und ihrer physiologisch-biologischen Nachbardisziplinen immer mehr auch inhaltlich-sachliche Motivationen zur Beschäftigung mit den naturwissenschaftlichen Grundlagen der Psychologie, die man in drei Motivgruppen mit unterschiedlich entwickeltem Problembewußtsein und unterschiedlichem Zugang zur historischen Dimension der Naturwissenschaft einteilen kann. Einmal übt die Präzision und Objektivität z. B. physiologischer Daten immer noch eine spezifische erkenntnistheoretisch begründete Faszination aus. Die komprimierte Faktizität, die klare Entscheidungen für oder gegen Hypothesen gestattet, wird als wissenschaftlich-objektiv gegenüber der häufig wesentlich komplizierteren und auch differenzierteren psychologischen Methodendiskussion bewertet. Dazu kommt, daß Spezialgebiete wie die Neurophysiologie auch theoretisch gut ausgebaut sind und programmierte Lehrbücher die experimentelle Kausalität in ein logisches Aussagenkalkül umsetzen, das in kontrollierbaren Lernschritten schnell und einfach angeeignet werden kann. Kritische Fragen, inwieweit man damit einer bestimmten Wissenschaftsvorstellung folgt, treten zurück gegenüber dem Gefühl eines »positiven Wissenserwerbs< von Fakten, Theorien und Methoden. Eine zweite verbreitete Motivationsgruppe, die erkenntnistheoretisch gesehen genau auf der Gegenseite angesiedelt ist, wird durch Interessenten an Tierbeobachtungen gebildet. Gegenüber der ersten Interessengruppe, die sich überwiegend von abstrakten Erkenntnis- und Wissenschaftsvorstellungen leiten läßt, ist es eine >naive< Annäherung an den naturwissenschaftlichen Gegenstandsbereich. Methodisch handelt es sich zunächst 13
nicht um komplizierte experimentelle Anordnungen, sondern einfache Verhaltensbeobachtungen, die praktisch keine Vorkenntnisse erfordern. Durch den sinnlich-konkreten Erfahrungshintergrund wird dieser Ansatz aber auch zu einem methodischen Kampf gegen die subjektive Interpretation des tierischen Verhaltens, das auf frühere Erlebnisse oder bestimmte aktuelle introspektive Interpretationen reduziert wird. Eine dritte, allerdings häufig ambivalent getönte Motivationsgruppe, kann in Abhängigkeit von dem theoretischen Selbstverständnis der speziellen historisch-gesellschaftlichen Situation entstehen. Das Begreifen der eigenen Historizität bildet hier den Ausgangspunkt für eine spezifische Zuwendung zu den Ergebnissen der Naturwissenschaft. Dieses Verhältnis ist ein komplizierter Entwicklungsprozeß, der in Abhängigkeit von der Wissenschaftlichkeit der Gesellschaftsanalyse auf verschiedenen Zwischenstadien einfrieren kann. Besonders die subjektiv erlebte spontane Politisierung ohne tieferen theoretischen Hintergrund führt häufig ebenso direkt zu einer emotionalisierten Ablehnung naturwissenschaftlicher Theorien als >PositivismusHerrschaftswissen< bzw. einer Wissenschaft, die lediglich von den gesellschaftlich-ökonomischen Widersprüchen der bürgerlichen Gesellschaft ablenkt. Die entwickeltste theoretische Variante begreift dagegen nicht nur die Naturwissenschaft als allgemeinste Theorie der Naturgeschichte und das Verhältnis von Naturgeschichte und menschlicher Geschichte als Grundfrage jeder Entwicklungsvorstellung überhaupt, sondern auch die Funktion der Naturwissenschaft als wichtigste Produktivkraft innerhalb des gesellschaftlichen Reproduktions- und Produktionsprozesses. Die besondere Affinität zwischen einer Veränderung des gesellschaftlich-historischen Bewußtseins und dem Interesse an einer naturhistorischen Rezension der Naturwissenschaft läßt sich auch im allgemeineren Rahmen z. B. als Verhältnis von Evolutionstheorie und Geschichte der Arbeiterbewegung bis in die Frühgeschichte des Darwinismus zurückverfolgen. Die dritte Motivationsgruppe ist in vieler Hinsicht am kompliziertesten strukturiert. Das zeigt sich schon daran, daß hier zusätzliche theoretische Perspektiven, wie das besondere Interesse an der Geschichte der naturwissenschaftlichen Theorien, die Funktion der Naturwissenschaften in der bürgerlichen Gesellschaft usw., dazukommen, also Problemstellungen, die weit über die Wissenschaftsvorstellungen der ersten Motivationsgruppe hinausgehen. Dazu kommt, daß nicht nur zahlreiche Übergänge zwischen der >negativen< und >positiven< Variante existieren, sondern es sich mitunter auch im Gegensatz zu den ersten zwei Gruppen um eine >außengeleitete< Motivation handeln kann: Die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit biologischen Tatsachen ist zwar theoretisch begriffen, der Gegenstand selbst wird aber als uninteressant oder zu schwierig empfunden. 14
Die Systematisierung derartiger Motivationsgruppen, deren Aufzählung hier keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, und das Aufzeigen ihrer jeweiligen methodischen Grenzen, andererseits aber auch die Ausnutzung der spezifischen Interessenlage für den Ausbildungs- und Erkenntnisprozeß, könnten die Vermittlung naturwissenschaftlicher Sachverhalte im Psychologiestudium in vieler Hinsicht erleichtern. Die Schwierigkeit besteht hier darin, einerseits die bestehende Motivation als Dikussionsgrundlage zu verwenden, gleichzeitig aber auch auf die spezifischen erkenntnistheoretischen und methodischen Grenzen hinzuweisen, und damit die Voraussetzungen der Diskussion selbst in den Lernprozeß mit einzubeziehen. Im konkreten Fall wären das die Kritik bestimmter Formen der Wissenschaftsgläubigkeit und die Grenzen des methodischen Empirismus für die erste Gruppe, die Grenzen der Extrapolation der Subjektivität in der Tierbeobachtung und die wissenschaftshistorische Lösung dieses Problems in der Geschichte der Verhaltensforschung für einen tierpsychologisch orientierten Einstieg in die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Psychologie, und schließlich innerhalb der dritten Motivationsgruppe, daß metatheoretische Aussagen über Entstehung, Geschichte und Funktion naturwissenschaftlicher Theorien noch nicht das Problem des objektwissenschaftlichen Inhaltes dieser Theorien berühren. Derartige wissenschaftstheoretische Analysen besitzen für viele interdisziplinäre Grenzgebiete wie Biologie-Psychologie, Psychologie-Medizin usw. trotz ihres hohen Allgemeinheitsgrades eine unmittelbar praktische Relevanz und sind deshalb besonders in Ausbildungsfragen die Entscheidungsgrundlage. Institutionell spielt z. B. die wissenschaftstheoretische Interpretation des Verhältnisses Biologie-Psychologie für die Psychologieausbildung eine wichtige Rolle, da sich mit ihr entschieden hat, ob wie bisher die »Hilfswissenschaften Biologie und Physiologie selbständige Prüfungsfächer bleiben oder eine Begrenzung auf »Physiologie in für die Psychologie relevanten Ausschnitten bzw. auf physiologische Psychologie als sinnvoll angesehen wird. Für die letztere Lösung sprechen inhaltlich gesehen 1.) die Beschränkung des empirischen Tatsachenmaterials, 2.) die Tendenz zur Spezialisierung auch in den psychologischen Grundlagenwissenschaften und 3.) die Konzentration auf methodische Aspekte der angewandten Psychologie. Erkenntnistheoretisch sind für einen derartigen Änderungsvorschlag sicher die Vorstellungen, daß es sich bei der Physiologie um einen für die Psychologie inhaltlich gewichtigen Wissenschaftsbereich handelt, dessen Aussagen zudem einen hohen Präzisionsgrad besitzen, nicht ohne Einfluß. Trotzdem dürfte eine derartige, jetzt in der Rahmendiplomordnung vollzogene Lösung, wissenschaftstheoretisch für eine langfristige Entwicklung des Verhältnisses Biologie-Psychologie im Ausbildungsbereich mehr Probleme aufwerfen als bewältigen. Zum Bei15
spiel erscheint es unbegründet, warum Problemen der genetischen Determination des Verhaltens oder Problemen der Verhaltensforschung und ihrer Beziehung zu psychologischen Problembereichen eine geringere Bedeutung als der Physiologie zugemessen wird, und sie praktisch ausgeklammert werden. Es wäre deshalb zweifellos sinnvoller, Reduktionen auf allgemeinere wissenschaftstheoretische Formeln wie >Biologie< oder »naturwissenschaftliche Grundlagen der Psychologie< einzuführen, die dann entsprechend den lokalen Besonderheiten an den einzelnen Universitäten eine Spezialisierung z. B. auf physiologische Psychologie, Probleme der Evolutionstheorie, der Genetik, der Anthropologie, der vergleichenden Verhaltensforschung usw. ermöglicht, wie dies auch der tatsächlichen Ausbildungspraxis entspricht. Derartige >offene< Lösungen hätten außerdem ermöglicht, daß neue Tendenzen in den Biowissenschaften ohne Verzögerung in die psychologische Theorienbildung umgesetzt werden können. Beim gegenwärtigen Stand der Dinge bleibt zur Vermeidung von wissenschaftlichen Restriktionen durch die Eliminierung der Biologie nichts weiter übrig, als den Begriff der »physiologischen Psychologie« soweit auszuweiten, daß er die für die Psychologie relevanten biologischen Fragestellungen mitumfaßt - eine Lösung, die sich von unserem methodischen und theoretischen Standort aus durch die naturgeschichtliche Öffnung physiologischer Problembereiche zudem als von der Sache her ohnehin gefordert erweist. Wissenschaftstheoretische Analysen können auch auf verschiedene Widersprüche in voneinander abhängigen interdisziplinären Austauschbewegungen hinweisen. So würde die Reduktion der naturwissenschaftlichen Grundlagen der Psychologie auf Physiologie bzw. physiologische Psychologie einerseits die vergleichende Verhaltensforschung aus der Psychologieausbildung ausklammern, andererseits erscheint letztere als ein Element des Prüfungskataloges der medizinischen Psychologie, wenn Aspekte der psychologischen Methodik und Theorienbildung für die Medizinausbildung aktualisiert werden. Obwohl es sich bei den Gebieten Biowissenschaften-Psychologie und Psychologie-Medizin, um entgegengesetzte Austauschbewegungen handelt - einmal werden naturwissenschaftliche Aussagen auf Probleme der Psychologie bezogen, zum anderen psychologische Aussagen auf Bereiche der ärztlichen Tätigkeit - sind beide Prozesse nicht unabhängig voneinander. Um bei dem erwähnten Beispiel zu bleiben: Wenn Probleme der vergleichenden Verhaltensforschung im Rahmen der medizinischen Psychologie von der Psychologie an die Medizin weitergegeben werden, müssen sie ihrerseits von der Psychologie aus der Biologie übernommen werden, da Verhaltensforschung kein genuiner Gegenstandsbereich der Psychologie ist. Das Verhältnis von Biologie-Psychologie ist also kein isoliertes Problemgebiet, sondern auch inhaltlich von ande16
ren interdisziplinären Austauschbewegungen abhängig. Wenn, wie dies durch die Approbationsordnung geschehen ist, medizinische Psychologie instutionalisiert in den Wissenschaftsbetrieb eingeführt und in spezifischer Weise inhaltlich definiert ist, so wird dadurch natürlich auch das in bestimmter Weise grundlegendere, aber noch in der wissenschaftlichen Diskussion befindliche Verhältnis Biologie-Psychologie determiniert. Die phylogenetische Interpretation der naturwissenschaftlichen Grundlagen der Psychologie beansprucht auch unter diesen Gesichtspunkten deshalb besonderes Interesse, da sie am ehesten in der Lage ist, anthropologische, physiologische, genetische, ethologische usw. Perspektiven und Sprachsysteme in ein integratives, für die psychologische Theorienbildung relevantes Konzept umzusetzen. Dabei wurde eine >gemischte< Strategie eingeschlagen. Besonders im angelsächsischen Sprachbereich existieren bereits zahlreiche Reader und Lehrbücher der physiologischen Psychologie (Grossmann 1967, Thompson 1969, Deutsch & Deutsch 1973), die sich speziell durch eine detaillierte Darstellung psycho-physischer Sachverhalte auch bei verschiedenen Tierarten auszeichnen, in denen jedoch andererseits Hinweise auf die verallgemeinernde Funktion der naturhistorischen Denkweise gegenüber biologischen Spezialdisziplinen fehlen. Umgekehrt hat in der sowjetischen Psychologie Leontjew in der Entwicklung des Psychischen vor allem grundsätzliche philosophische und methodologische Aspekte der Psychophylogenese herausgearbeitet, denen gegenüber der empirische Bezug auf Daten der Verhaltensforschung oder Verhaltensphysiologie nicht immer befriedigen kann. Hier wurde versucht, durch eine Kombination von relevanten experimentellen Daten und theoretischen Problemstellungen ein tragbarer Kompromiß zu finden, was nicht ausschließt, daß in einzelnen Passagen stärker der empirische oder theoretische Aspekt dominieren kann. Auf der empirischen Seite erwies sich besonders der Ausschluß bzw. die Begrenzung und Auswahl der zu berücksichtigenden Fakten als ein zentrales Problem. Allgemein wurde versucht, von der >DurchschnittlichkeitNeuigkeitswert< der Daten auszugehen. Es wurde deshalb bewußt auf bestimmte physiologische und ethologische Experimente als >Standards< Bezug genommen, einmal, da z. B. die Untersuchungen über das Instinktverhalten des Stichlings oder die Traditionsbildung bei Makaken einen hohen Allgemeinheitsgrad besitzen, da in vieler Hinsicht >typische< Verhaltensstrukturen vorliegen, zum anderen kann gerade an ihrer Interpretation auch relativ einfach die Veränderung innerhalb des Erklärungswertes nachvollzogen werden. Aber nicht nur naturwissenschaftlich, sondern auch erkenntnistheoretisch erhalten immer mehr biologische Experimente und Theorien paradigmatischen Wert, ähnlich wie in der klassischen Mechanik die Versuche über den freien Fall von Galilei. Ein typi17
sches Beispiel aus der Ethologie für die Funktion derartiger Paradigmen ist das psycho-hydraulische Modell über die energetischen Grundlagen des Instinktablaufes von Lorenz. Uber den faktischen Inhalt der einzelnen Kapitel hinaus ist auch ihre theoretische Struktur untereinander von Bedeutung. Hier ging es zunächst einmal darum, überhaupt bestimmte Proportionalitäten zwischen den Kapiteln einzuhalten, wobei sich aber doch eine bestimmte Gewichtung auf die phylogenetische Entwicklung des Lern- und Abstraktionsverhalten ergeben hat. Um diese Disproportionalität nicht weiter zu verstärken, wurden die zwei Kapitel »Experimente zur Gedächtnisbildung bei Tieren« und »Nervennetzmodelle« nicht mit aufgenommen, obwohl sich sowohl aus der strukturellen Anordnung von Neuronenschaltungen im ZNS und in kybernetischen Modellen als auch aus der materiellen Struktur der biologischen Informationsspeicherung weitreichende Schlußfolgerungen für die Funktion psychischer Prozesse ableiten lassen. Umgekehrt ergaben sich Einschränkungen, z. B. bei der Instinktproblematik und der Frage der Handlungsbereitschaft bzw. der Motivationsgrundlage des Verhaltens, aus dem konkreten Arbeitszusammenhang heraus, da diese Seite der naturgeschichtlichen Grundlagen des menschlichen Verhaltens bei HolzkampOsterkamp (1975) ausführlich dargestellt wird. Die einzelnen Kapitel sind in der Art angeordnet, daß in ihrem logischen Nachvollzug die phylogenetische Entwicklung so rekonstruiert wird, daß allgemeinere Entwicklungsprozesse vor spezielleren erscheinen, die physiologischen Grundlagen des Verhaltens etwa vor den speziellen tierischen Verhaltensformen selbst. Die zeitliche Nachordnung demonstriert damit eine entwicklungsgeschichtliche Kausalität, die allerdings nur auf einer sehr allgemeinen Ebene durch die Unterscheidung etwa verschiedener tierischer Orientierungsmechanismen, verschiedener Instinkte und Lernformen usw. nachvollzogen werden kann. Natürlich ist die angegebene Struktur nicht nur logisch, sondern besitzt einen bestimmten Entscheidungsgehalt, der diskutiert werden muß. Z. B. erscheint das Kapitel »Die Struktur der Tierkommunikation« (4.) unmittelbar nach den elektrophysiologischen Grundlagen des Verhaltens, so daß sich hier ein relativ grober theoretischer Sprung ergibt, der allerdings zum Teil durch den qualitativen Unterschied zwischen der physiologischen Erklärungsebene und der tierischen Verhaltensbeschreibung mit bedingt ist. Generell gibt es hier zwei Lösungsmöglichkeiten. Entweder wird der Ubergang in der Art vollzogen, daß zunächst die Darstellung relativ einfacher Verhaltensformen wie Taxien, Reflexen usw. erfolgt, bis anschließend die verschiedenen Prinzipien der Tierkommunikation zusammengefaßt werden, oder allgemeine Gesetzmäßigkeiten der Tierkommunikation werden vorangestellt und anschließend etwa verschiedene Ausdrucksbewegungen, Lern- und Abstraktionsleistungen als 18
spezifische Formen der Kommunikation untersucht. Die zweite Lösung wurde hier deshalb vorgezogen, da in ihr deutlicher hervorgehoben wird, daß die inner- und zwischenartliche Verständigung nicht auf höher entwikkelte Tierarten beschränkt ist und erst nach einer längeren phylogenetischen Entwicklung möglich war, sondern der kommunikative Austausch von Information ein sehr basales Selektionsmerkmal ist, das biologisch besonders über das Funktionieren der Fortpflanzung und der Aufzucht des Nachwuchses auch bereits bei niederen Tieren wirksam wird. Einzelne Faktenbereiche wurden auch danach ausgewählt, inwieweit sich an ihnen allgemeine Probleme der Evolution psychischer Prozesse und erkenntnistheoretischer Fragestellungen erörtern lassen. Ist es z. B. für einen Psychologen wichtig, über die Ionenkonzentration an biologischen Membranen und ihre biochemischen und elektrophysiologischen Gesetzmäßigkeiten Bescheid zu wissen? Unter allgemein-methodologischen Gesichtspunkten spricht dafür, daß 1.) z. B. das Receptorpotential an der Lichtsinneszelle eine der experimentell genauesten Fassungen des psychophysischen Problems ist, 2.) die Kenntnis der mathematischen Gesetzmäßigkeiten des Ionendiffusionspotentials erkenntnistheoretisch zeigt, mit welcher Genauigkeit psycho-physische Beziehungen in einer Theorie abgebildet werden können, 3.) die Kenntnis der biochemischen Verhältnisse an biologischen Membranen erklären kann, warum an tierischen Zellen elektrische Potentiale entstehen, die materieller Träger psychischer Prozesse werden, bei Pflanzen aber nicht, und 4.) die Erhöhung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit von Aktionspotentialen in der Evolution des Nervensystems in einem ursächlichen Zusammenhang steht mit der Effektivität des tierischen und menschlichen Verhaltens. Trotz aller dieser äußerst wichtigen Fragen bleibt andererseits unbestritten, daß die Ubersetzung der Gesetzmäßigkeiten von der neurophysiologischen Ebene für das konkrete Verhalten z. B. einer Vp in einer bestimmten Situation nahezu keinen Erklärungswert besitzt. Die Auswahl naturwissenschaftlicher Daten für psychologische Theorien wird deshalb entscheidend mit davon abhängen, ob eine theoretische Spezialisierung auf allgemeine oder spezielle Gesichtspunkte vorliegt. Diese Entscheidung ist wiederum nicht willkürlich. In dem Augenblick, wo die Evolution des tierischen Verhaltens in die Interpretation der naturwissenschaftlichen Grundlagen der Psychologie mit eingeschlossen wird, tritt zwangsläufig auch eine Tendenz zur Verallgemeinerung stärker hervor, da hier sowohl die anfallende Datenmenge als auch Probleme der phylogenetischen Entwicklungsdimensionen selbst zu einer Generalisierung zwingen. Wenn dagegen eine Spezialisierung auf die psychophysiologischen Verhältnisse nur des Menschen erfolgt, können diese Sachverhalte auch konkreter, z. B. durch einen genauen Bezug auf Nervenbahnen, Funktionszentren und Hirnmechanismen, dargestellt werden. 19
Auf der theoretischen Ebene ergeben sich besondere Probleme vor allem aus der speziellen methodologischen Struktur der phylogenetischen Denkweise. Ein wesentliches Kennzeichen naturhistorischer Analysen ist die Suche nach dem entwicklungsgeschichtlich erstmaligem Auftreten von Merkmalen oder Prozessen. Je entfernter der Standpunkt des Erkennenden zeitlich von dem Untersuchungsobjekt ist, um so schwieriger wird dessen phylogenetische Rekonstruktion, desto allgemeiner werden aber auch die gefundenen Gesetzmäßigkeiten. Daß z. B. die Struktur und Funktion des menschlichen Nervensystems für die Psychologie sowohl von empirischem als auch erkenntnistheoretischem Interesse ist, wird kaum ernsthaft bestritten. Gilt dies aber auch für die Nervensysteme niederer Tiere, wie z. B. einer Qualle oder eines Plattwurmes, und ihrem Entwicklungsunterschied? Auch bei der Beantwortung dieser Frage kommt es entscheidend auf die theoretische Perspektive an. In der tierischen Evolution sind mehrere grundsätzliche Konstruktionstypen von Nervensystemen entstanden, die besonders bei den einzelnen Tierstämmen der niederen Tiere (Hohltiere, Plattwürmer, Anneliden, Insekten) auftreten. Jedes dieser Nervensysteme ermöglicht wiederum verschieden komplexe Verhaltensweisen, die dann mit über den Selektionserfolg der entsprechenden Tiergruppe entscheiden. Die Kenntnis derartiger Nervensystem typen ermöglicht nun seinerseits ein tieferes Verständnis der funktionellen Leistungsfähigkeit des menschlichen ZNS, das eine besonders erfolgreiche Variante innerhalb des Typs der zentralisierten Nervensysteme darstellt. Nicht das menschliche Nervensystem ist also der Maßstab und damit das Theoretisch-Allgemeine, sondern die Zahl der in der Phylogenese aufgetretenen Nervensystemarten, denen gegenüber das menschliche ZNS einen Spezialfall darstellt. Wie auch in diesem Beispiel ist die phylogenetische Denkweise häufig an eine Umpolung des Verhältnisses von Einzelnem und Allgemeinem gebunden, die mit einer Verkehrung der bisherigen Bewertungssysteme einhergeht und durch den weitergehenden Erklärungswert phylogenetischer Aussagen durchgesetzt wird. Aus diesen Überlegungen ergibt sich auch ein weiteres typisches Element der phylogenetischen Denkweise: Der wissenschaftliche Vergleich und damit die Aufstellung von Analogien und Homologiereihen (vgl. Bd. 2, 9.1.2.). Auch hier zwingt das naturhistorische Vorgehen zu einer Aufgabe des latenten Anthropozentrismus. Häufig erscheint z. B. der TierMensch-Vergleich als das Anliegen der naturgeschichtlichen Betrachtungsweise überhaupt, mitunter noch gekoppelt mit der Vorstellung, daß hier ein besonders großer Entwicklungssprung vorliege. Von biologischer Seite ist deshalb mehrmals darauf hingewiesen worden, daß man damit rechnen muß, daß die Entwicklungsunterschiede zwischen den einzelnen Tierstäm20
men erheblich größer sind als die Unterschiede zwischen verschiedenen Vertretern eines Stammes. Die unbestreitbare Entwicklungsdifferenz in der psychischen Organisation etwa zwischen tierischen Primaten und dem Menschen darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in der Psychophylogenese noch wesentlich größere Unterschiede gibt. Nur wenn man vom Menschen rückblickend ausgeht, erscheint seine Differenz zum tierischen Verhalten als einmalig. Wenn man dagegen die Evolution des tierischen Verhaltens von den Protisten und Schwämmen ausgehend betrachtet, stellen bereits die Lern- und Gedächtnisleistungen von Plänarien eine Revolution innerhalb der psycho-physischen Organisation dar, der Ubergang innerhalb der Primatenordnung von den Menschenaffen des Tier-MenschÜbergangsfeldes zum Homo sapiens erscheint aber nur als ein Glied in einer Kette von Entwicklungssprüngen. Durch Homologien werden dabei die verschiedenen stammesgeschichtlichen Verwandtschaftsverhältnisse aufgefunden, wobei bisher nur bestimmte Bruchstücke dieser Entwicklungslinien genauer bekannt sind. Erkenntnistheoretisch gesehen ist eine Theorie der psychischen Entwicklung bei Tieren das Gesamtsystem der wissenschaftlichen Vergleiche zwischen den einzelnen Tierarten bzw. eine Systematik der Tier-Tier-Vergleiche. Ein weiteres methodisches Element phylogenetischen Denkens ist die Erschließung von >Vorformen< und damit die Erklärung z. B. einer tierischen Verhaltensform aus ihrer Entstehung heraus unter Voraussetzimg der Kenntnis ihrer menschlichen >Endform und diese Abhängigkeit kausal aus dem tatsächlichen Entwicklungsverlauf begründet werden kann, was für das umgekehrte Vorgehen nicht möglich ist. Aus methodologischer Sicht kommen ihm deshalb auch nur heuristische und propädeutische Merkmale zu. Einige allgemeine Probleme, die die weitere Darstellung mitbestimmen, sollen hier zusammenfassend vorangestellt werden: 1. Empirisch: Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Psychologie beziehen sich auf Tier und Mensch. Wenn man ihren phylogenetischen Entwicklungsunterschied in der morphologischen und physiologischen Organisation anerkennt, ergibt sich daraus die Schlußfolgerung, daß entsprechende Entwicklungsunterschiede auch in der Widerspiegelungsfähigkeit der Umwelt vorliegen müssen. Terminologisch wird dieser Unterschied durch die Begriffe >Psychisches< und >Bewußtsein< gekennzeichnet, die damit, entgegen einer verbreiteten Version, nur insofern identisch sind, wie das Bewußtsein als Spezialfall des Psychischen verstanden wird. Ebenso wie sich das menschliche Bewußtsein in einem komplizierten historischen Entwicklungsprozeß, z. B. mit dem Ubergang vom magischen zum logisch-diskursiven Denken oder dem Bewußtsein der bürgerlichen Gesellschaft und dem der Ubergangsgesellschaften, in ständiger Veränderung befindet, existieren auch in der Evolution der Tiere verschiedene Ebenen der psycho-physischen Organisation, die vor allem in den Kapiteln 4.-8. systematisiert werden sollen. Die Psychophylogenese ist damit die Theorie, die erklären kann, wie es möglich war, daß über die Evolution des Psychischen bei Tieren im Tier-Mensch-Übergangsfeld erstmalig menschliches Bewußtsein entstehen konnte. 2. Theoretisch: Unter Anerkennung der empirischen Selbständigkeit und 22
Spezialisierung verschiedener biologischer Einzelwissenschaften (z. B. Physiologie, Genetik, Ethologie) und psychologischer Disziplinen (z. B. Lernpsychologie, Entwicklungspsychologie) wird versucht, die Trennung von Biologie und Psychologie in der wissenschaftlichen Abstraktion durch eine integrierende Metatheorie (die Theorie der Psychophylogenese) in empirisch und theoretisch sinnvollen Grenzen aufzuheben. Über den spezialisierten einzelwissenschaftlichen Sachverhalt hinaus soll die Theorie der Psychophylogenese eine umfassendere naturhistorische Interpretation liefern, die dann ihrerseits Element einer über die spezifisch biologischen Evolutionsproblematik hinausgehenden Theorie der Naturgeschichte ist. Neben dem System spezialisierter gleichwertiger empirischer Theorien, existiert noch eine Spezialisierung der wissenschaftlichen Theorienbildung auf verschiedenen Abstraktionsebenen der Verallgemeinerung, die bisher für die Erkenntnis vor allem durch mangelnde Integration nur unzureichend ausgenutzt worden ist. Der Begriff des Psychischen ist - ebenso wie der des Physischen - von seiner Stellung in der Theorienbildung her ein metatheoretischer Terminus und damit allgemeiner als der Begriff des Psychologischen oder Physiologischen, die aber ebenfalls wieder verschiedene speziellere einzelwissenschaftliche Sachverhalte generalisieren. 3. Methodisch wird mit dem kritisch-psychologischen Ansatz tendenziell eine Relativierung der für die psychologische Theorienbildung verhängnisvollen Trennung von Natur- und Gesellschaftswissenschaften angestrebt. Die historische Methode wird z. B. nicht nur als ein Verfahren zur Analyse des Zusammenhanges spezifisch gesellschaftlich-ökonomischer Faktoren, wie z. B. der Produktionsverhältnisse, auf die Bewußtseinsbildung verstanden, sondern vielmehr als eine allgemeine wissenschaftliche Methodologie, die zwar entsprechend der Spezifik des Untersuchungsgegenstandes Veränderungen erfährt, aber auch unabhängig von dem naturoder gesellschaftswissenschaftlichen Charakter in ihrer allgemeinen Vorgehensweise erhalten bleibt. Innerhalb der biologischen Evolutionstheorie ist z. B. die historische Vorgehensweise durch die Homologieforschung in ihrer logischen Struktur wesentlich weiterentwickelt als in zahlreichen gesellschaftswissenschaftlichen Bereichen, andererseits ist die Existenz einer besonderen historischen Methodik der Naturforschung in der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie bisher nur vereinzelt zur Kenntnis genommen worden. 4. Philosophisch. Die über dem empirischen Datenmaterial lagernde Ebene allgemein-philosophischer Modellvorstellungen, z. B. als psychophysisches Problem oder Widerspiegelungstheorie usw., wird explizit in die Entwicklung der Problem struktur mit eingeschlossen und damit auch die Trennungvon Einzelwissenschaft und Philosophie in ihrer einseitig-mechanischen Form am Beispiel der Interpretation des psycho-physischen Ver23
hältnisses problematisiert. Anhand zahlreicher empirischer Beispiele läßt sich zeigen, daß die experimentelle Forschung sowohl im molekularen als auch im psycho-physischen Bereich in ihren Aussagen einen philosophischen Allgemeinheitsgrad erreicht hat, durch den andererseits eine schärfere Trennung zwischen naturphilosophischen (entscheidbaren) und metaphysischen (nichtentscheidbaren, bzw. sinnlosen) Problemformulierungen möglich ist. Ähnliches gilt für die Begriffe >Psychisches< und »Bewußtseins die sowohl eine einzelwissenschaftlich-psychologische als auch eine philosophisch-erkenntnistheoretische Dimension besitzen. Die Rehabilitation des Begriffs des Psychischen, der von der modernen Psychologie bis auf einzelne Ausnahmen systematisch eliminiert wurde, hat primär empirische Gründe: Für die Integration der ungeheuren Datenmenge naturwissenschaftlicher Sachverhalte, denen gegenüber die Kapitel 1 bis 4 nur einen einführenden Uberblick vermitteln, und die Betonung des besonderen Entwicklungscharakters des tierischen Verhaltens als System naturhistorischer, sich vom menschlichen Bewußtsein in spezifischer Weise unterscheidender Vorformen scheint er gegenüber anderen möglichen Begriffen trotz seiner belastenden Problemgeschichte durch seinen hohen Allgemeinheitsgrad besonders geeignet, so daß die Argumente, die zunächst für seine Elimination vorgebracht wurden, heute durch die veränderte empirische Situation seine Wiedereinführung als notwendig erscheinen lassen, wenn nicht von vornherein ein bestimmter Allgemeinheitsgrad der psychologischen Theorienbildung ausgeschaltet werden soll. Darüber hinaus dokumentiert sich in der Rehabilitation und Wiedereinführung des Begriffes des Psychischen u. U. eine allgemeinere Tendenz des dialektischen Materialismus: Die grundsätzlichen Probleme, die die bürgerliche Wissenschaft als von ihrem Punkt aus unlösbar ausgeschieden, bzw. als Scheinprobleme abgetan hat, als echte Probleme wiederzuentdecken, aufzugreifen und einer wissenschaftlichen Lösung näherzubringen.
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1. Allgemeine Aspekte des Verhältnisses von Biologie und Psychologie 1.1. Die Kausalität von Physischem und Psychischem als Gegenstand naturwissenschaftlicher Theorien Nicht jeder Erkenntnisfortschritt in der Physiologie, Genetik oder Verhaltensforschung findet eine entsprechende Reaktion in der psychologischen Theorienbildung, sondern bedarf einer methodisch gezielten Integration. Eine wichtige erkenntnistheoretische Motivation derartiger systematischer Umsetzungsversuche ist die Ausnutzung eines >natürlichen< Erkenntnisgefälles: Unabhängig von dem konkreten Erkenntnisstand zoologischer Disziplinen und der psychologischen Theorienbildung beschreiben erstere immer allgemeinere Gesetzmäßigkeiten ähnlich wie die Physik und Chemie gegenüber der Biologie, so daß sich hier die Möglichkeit einer materiellen Begründung psychischer Prozesse ergibt. Die einzelnen Gebiete der naturwissenschaftlich orientierten Psychologie wie z. B. die Psychophysik, Informationspsychologie oder physiologische Psychologie stellen dabei aber keineswegs ein methodologisch homogenes System dar, sondern setzen sich aus zahlreichen Definitionsversuchen, empirischen Abgrenzungen (z. B. G. F. Fechners Reiz-ErlebenBeziehung als >äußere Psychophysik< gegenüber der Beziehung physiologischer Prozesse zu geistigen Inhalten als »innere Psychophysikabstrakter< und >konkreter< Entwicklungsmodelle und -theorien in der Interpretation der naturwissenschaftlichen Grundlagen der Psychologie. Als >konkrete< Entwicklungstheorien können die Vorstellungen bezeichnet werden, die sich um den experimentellen Nachweis der Abhängigkeit psychischer Prozesse bei den Tieren und den Menschen von der Evolution ihrer biologischen Grundlagen bemühen. Die theoretische Basis der Klassifikation der verschiedenen Verhaltensmechanismen ist das natürliche System der Organismen und die Abstammungstheorie. Auch das Psychische selbst wird als ein Anpassungsmechanismus verstanden, der unter Selektionsdruck und durch Auslese verschiedener mutativer Änderungen entstanden ist und durch schnelles Reagieren sowie eine vorteilhaftere Informationsauswertung ein genaueres Einstellen auf neue Umweltbedingungen ermöglicht. Über die Evolution des Psychischen - z. B. als tierisches Lernverhalten oder spezifische Abstraktionsleistungen - entscheidet der jeweilige artspezifische Selektionswert. Häufig erscheinen auch in der zoologischen Systematik gelegentlich noch umgekehrt intuitiv vermutete und implizit unterstellte Annahmen über das Ausmaß der psychischen Evolution bei den einzelnen Tierarten als Kriterien von Trends der allgemeinen Höherentwicklung. Auf die Vielzahl der Versuche, die Ergebnisse der biologischen Evolutionstheorie auch auf die Entwicklung psychischer Prozesse bei verschiedenen Tierstämmen und den Menschen zu übertragen, kann hier nur hingewiesen werden. Eickstedt (1959) z. B. hat sich um die Rekonstruktion der psychischen Prozesse verschiedener Anthropoiden bemüht und dieses Vorgehen als >Palaeopsychologie< bezeichnet, während Rensch (1968,1973) aus stärker tierpsychologischer Sicht die Evolution des psychischen Verhaltens bei Tieren als >Psychophylogenese< bezeichnet und damit auf die allgemeine stammesgeschichtliche Verwandtschaft der einzelnen Verhaltensformen Bezug nimmt. Die Notwendigkeit der Aufstellung derartiger >konkreter< Entwicklungskonzeptionen, die immer die Struktur der real durchlaufenen Phylogenese zum Ausgangspunkt nehmen, ergibt sich aus verschiedenen Bedingungen des gegenwärtigen Erkenntnisprozesses. Historisch hat sich gezeigt, daß die verschiedenen logischen Zuordnungsmodelle von Physischem und Psychischem lediglich in die Metaphysik führen. Ihr kausaler Zusammenhang muß vielmehr einer empirischen Lösung zugeführt werden. Die phylogenetische Entwicklung der Organismen bietet hier eine Möglichkeit. Es gibt eine nicht mehr zu überblickende Fülle von physiologischen, ethologischen usw. Fakten, die die Aufstellung integrierender phylogenetischer Gesamtkonzeptionen erleichtern, ohne daß diese trotz zahlreicher spezieller methodischer Schwierigkeiten, die sich aus der ideellen Natur des Untersuchungsgegenstandes ergeben, in die Naturphilosophie psycho-physischer Beziehungen als bloße Spekulation abgleiten müssen.
Einige Problemgebiete der Psychophylogenese, die bei dem gegenwärtigen Erkenntnisstand weniger den Charakter einer einzelwissenschaftlichen 28
Theorie als vielmehr noch einer allgemeinen methodologischen Konzeption besitzt, sollen in der folgenden Darstellung dann ausführlicher behandelt und in eine logische Form gebracht werden. Die wichtigsten von ihnen sind: a. Die phylogenetische Entstehung psychischer Prozesse innerhalb der Evolution der Organismen; Zeitpunkt und biologisch-funktionelle Bedeutung; Fragen eines möglichen zeitlichen Zusammenfallens von Biogenese und Psychogenese oder Argumente für ihre Trennung; biologische Kriterien für die Entstehung psychischer Organisation: Z. B. das Verhältnis von Ein- und Mehrzelligkeit, der unterschiedliche biochemische und morphologische Aufbau pflanzlicher und tierischer Zellen, seine reizphysiologischen Konsequenzen usw. b. Allgemeine physiologische Grundlagen der psychischen Reaktionsfähigkeit wie z. B. Reizbarkeit von Organismen; die Entstehung von Receptor- und Nervensystemen bei mehrzelligen Tieren und die Evolution des Verhaltens in Abhängigkeit von der Entwicklung dieser Organe; biochemische und elektrophysiologische Struktur der physiologischen Informationsträger psychischer Prozesse wie den verschiedenen Potentialformen und Transmittersubstanzen sowie ihre Evolution bei den einzelnen Tiergruppen. c. Entwurf einer Taxonomie des tierischen Verhaltens unter Berücksichtigung ihrer natürlichen Verwandtschaft. Als globalste Verhaltenskategorien können hier angeborenes Verhalten, erlerntes Verhalten und tierische Traditionsbildung unterschieden werden. Jede dieser Bezeichnungen ist wieder der Oberbegriff, z. B. für ein spezifischeres System besonderer Lernformen wie Habituation, bedingte Reflexe, Prägung, Lernen durch Einsicht usw., durch die dann wieder z. B. spezielle Formen von bedingten Reflexen usw. zusammengefaßt werden. In der Theorie der Psychophylogenese muß sowohl der Zusammenhang zwischen den spezifischen als auch den generellen Verhaltenskategorien hergestellt und eine Verallgemeinerung ihrer Klassifikationsprinzipien vorgenommen werden. Wichtigste Kriterien sind dabei die verschiedenen Selektionsvorteik und -nachteile, aus denen heraus etwa begründet werden muß, warum z. B. tierisches Lernverhalten noch keine optimale Verhaltensanpassung darstellt und damit zwangsläufig zur Traditionsbildung führt, bei der verschiedene Selektionseigenschaften von nur ontogenetisch begrenzten Anpassungsmechanismen kompensiert und überwunden werden. d. Erschließung der >inneren< Struktur der psychischen Prozesse durch entsprechende experimentelle Anordnungen. Hier interessieren vor allem Art und Umfang der averbalen logischen Klassenbildung und die Evolution der entsprechenden Hirnpartien. Wichtige Fragestellungen sind außerdem der phylogenetische Prozeß verlauf der Herausbildung besonderer biologi29
scher Bedeutungen und Zeichensysteme im Ritualisationsprozeß und die Evolution von elementaren Reizbewertungen, wie sie beim Diskriminationslernen untersucht wird, bis zur Entstehungen selbständiger averbaler Wertsysteme bei den verschiedenen Primatenarten. e. Die biologischen Voraussetzungen der Entstehung des Bewußtseins im Tier-Mensch-Ubergangsfeld aus entsprechenden tierischen Vorformen und die Rekonstruktion der anatomischen, psycho-physischen und ökologischen Voraussetzungen dieses Umschlages. Der allgemeine TierMensch-Vergleich wird hier unter den Bedingungen der Primatenevolution für spezifische Aspekte wie der innerartlichen Kommunikation, der Leistungsfähigkeit der einzelnen Sinnesorgane oder des Sozialverhaltens präzisiert. Die Entstehung des Bewußtseins ist zugleich der objektive Abschluß des Prozesses der Psychophylogenese, die ja lediglich die verschiedenen Selektionsfaktoren und Trends der biologischen Evolution auf die Veränderung des psychischen Verhaltens bei den einzelnen Tierarten überträgt. Die Entwicklung des menschlichen Bewußtseins selbst ist ein wesentlich komplizierterer Prozeß der Umsetzung biologischer und gesellschaftlichökonomischer Veränderungen, der auch ein verändertes methodisches Vorgehen erfordert, die Psychologie. Die >abstrakten< Entwicklungsmodelle des (psychischen) Verhaltens versuchen im Gegensatz zu der phylogenetischen Darstellung das psychophysische Problem in möglichst einfache Funktionsbeziehungen aufzulösen. Ein klassisches Beispiel sind die verschiedenen Reiz-Reaktions-Theorien in der Lernpsychologie, die nur noch ein abstraktes Abbild der realen psycho-physischen Entwicklung liefern. Die eingeführten Kategorien dienen dabei als apriorische Begriffsmodelle, außerhalb derer jede theoretische Entwicklung negiert wird. Die Abstraktheit rein physiologischer oder behavioristischer Theorienmodelle hat sich dabei in vieler Hinsicht als noch zu konkret erwiesen und wird gegenwärtig durch eine erfolgreichere Terminologie und Betrachtungsweise ersetzt: Der informationstheoretischen Beschreibung der Reiz-Reaktions-Beziehung durch input-output-Analysen, so daß streng genommen drei verschiedene Beschreibungsebenen unterschieden werden können. Auf der einen Seite steht die >konkrete< Terminologie der phylogenetischen Betrachtungsweise, der die vermittelnde behavioristische Systembeschreibung folgt, die dann zu der extrem abstrakten kybernetischen bzw. informations theoretischen Ebene überleitet, auf der mathematische Modelle eine zunehmende Bedeutung gewinnen. Das folgende Schema kan nur einen groben Überblick über die verschiedenen Gruppen und Untergruppen der >abstrakten< Entwicklungsmodelle geben, die sich auf eine gemeinsame empirische Basis als absoluten Geltungsrahmen beziehen. Die einzelnen Begriffspaare haben sich dabei je30
weils auf verschiedene biologische Organisationsebenen spezialisiert, von denen hier nur die innerorganismische (physiologische), die Verhaltensebene des Einzelorgansmus und die zwischenorganismische (kommunikative) Betrachtungsebene angeführt sind. psychophysiologische Begriffssysteme
informationstheoretische Begriffssysteme
zwischenartliches tierisches Verhalten Reiz - Reaktion Receptor- -Aktions— Endplattenpotential
Sender - Empfänger input - output kontinuierlich— impulsfrequenzanaloge modulierte Codierung
empirische Bezugsstruktur: Sinnesorgan - Nervenzelle - Muskel
Es steht außer Frage, daß sowohl die Begriffsmodelle der einzelnen Strukturebenen etwa als Reiz-Reaktionstheorien als auch die jeweiligen Gesamtsysteme spezifische Seiten der phylogenetischen Entwicklung sehr genau abbilden können. Klix (1973) hat so z. B. für die einzelnen tierischen Lernformen und des Wahrnehmungsprozesses informationstheoretische und mathematische Modelle aufgestellt, die eine formale Behandlung verschiedener Seiten der psycho-physischen Entwicklung ermöglichen. Andererseits sind Reiz-Reaktions-Beziehungen oder spieltheoretische Modelle des Verhaltens Organismus-Umwelt viel zu einfach, um die Totalität der Psychophylogenese in ihrer Eigengesetzlichkeit zu erfassen. Das Verhältnis von >abstrakten< und >konkreten< Entwicklungsmodellen wird im weiteren so behandelt, daß in spezifischen Details möglichst quantifizierte Aussagen psycho-physiologischer Einzeltheorien und biokybernetischer Modellvorstellungen herangezogen werden, die aber immer nur dazu dienen, allgemeine Aspekte der phylogenetischen Entwicklung psychischer Prozesse bei Tieren zu präzisieren. Beide Abstraktionsrichtungen sind also jeweils notwendige Betrachtungsweisen der realen Gegenstandsentwicklung. 1.2. Die Bedeutung der Objektivitätsforderung in der Rekonstruktion psychischer Prozesse bei Tieren Außer der besonderen ideellen Natur psychischer Prozesse stellt auch der Strukturverlauf der Psychophylogenese selbst mit der Unterscheidung verschiedener psychischer Entwicklungsstufen bei Tieren, wie etwa zwischen 31
angeborenen, erworbenen und tradierten Verhaltensweisen, zahlreiche spezifische Probleme, die sowohl den Prozeß der theoretischen Rekonstruktion als auch die Terminologie betreffen. So werden die verschiedenen Tieruntersuchungen gegenüber der phylogenetischen Zeitperspektive nahezu gleichzeitig gemacht und setzen immer die Existenz des Bewußtseins bzw. eines interessierten Erkenntnissubjektes voraus, andererseits muß aber der Beobachter eben gerade wieder von dieser Gleichzeitigkeit abstrahieren und die Untersuchungsergebnisse in eine phylogenetische Reihung überführen, die dem tatsächlichen Entwicklungsverlauf entspricht. Die einzelnen aktuell untersuchten Tierarten und -Stämme sind empirische Repräsentanten eines Entwicklungsstandes in der Psychophylogenese, der mehrere hundert Millionen Jahre zurückliegen kann. In eine derartige theoretische Rekonstruktion gehen natürlich immer zahlreiche Vereinfachungen mit ein. So interessiert zwar primär das erstmalige phylogenetische Auftreten einer bestimmten tierischen Verhaltensweise, also ihre Neuartigkeit, in der Evolution, die aber nicht immer identisch ist mit den besten experimentellen Untersuchungsbedingungen. Bedingte Reflexe wurden z. B. zwar umfassend bei Hunden untersucht, womit aber noch keineswegs die Frage geklärt war, bei welchen Tierarten phylogenetisch erstmals bedingte Reflexe ausgebildet werden. Eine >strukturalistische< Betrachtungsweise geht in der Theorienbildung deshalb häufig der historischen Analyse voraus, die die einzelnen Strukturbeziehungen dann in die Darstellung des allgemeinen Entwicklungsprozesses überführt. Außerdem müssen bestimmte Konstanten eingeführt werden, um die Rekonstruktion des realen Evolutionsvorganges nicht unnötig zu komplizieren. Wenn z. B. eine tierische Lernform bei einer Tierart untersucht wird, von der angenommen werden kann, daß sie auch phylogenetisch erstmals hier auftrat, bedeutet das noch nicht, daß sie während dieser Zeit selbst keine Entwicklung mehr durchlaufen hat. Im strengen Sinn ist die phylogenetische Rekonstruktion des tierischen Verhaltens eine Theorie, die aus den aktuell nachweisbaren Organisationsunterschieden abgeleitet ist. Innerhalb der Verfolgung spezieller Entwicklungstendenzen der Psychophylogenese ist es deshalb wichtig, daß die verschiedenen Vertreter auch recent noch vollständig vertreten sind. Die Möglichkeit der Rekonstruktion der unmittelbaren Vorgeschichte des menschlichen Bewußtseins aus der Evolution des psycho-physischen Verhaltens der Primaten stößt hier auf gute empirische Bedingungen, da die Vertreter der einzelnen Entwicklungsstufen Spitzhörnchen, Tarsier, Lemuren, Hundsaffen, Menschenaffen und der Mensch - innerhalb dieser Entwicklungsreihe auch gegenwärtig noch existieren und damit vergleichende Studien ermöglichen. Wenn man von zahlreichen inhaltlichen Kontroversen absieht, so besteht 32
doch Einigkeit darin, daß in der logischen Struktur der phylogenetischen Entwicklung die primitivere und zuerst entstandene Verhaltensanpassung vor der späteren und komplizierteren stehen sollte. Der Prozeß einer derartigen Vor- und Nachordnung ist identisch mit einer objektiven Beschreibung der realen historischen Entwicklung, der sich aber auf verschiedenen integrierten Verhaltensebenen wiederholt, und dadurch zu komplizierten theoretischen Strukturen führt. Einmal ist klar, daß, wenn in der Logik der Theorienbildung nicht gegen die Logik der Gegenstandsentwicklung verstoßen werden soll, instinktives Verhalten in seiner Struktur und Funktion begründet werden muß, bevor eine Diskussion des Entwicklungsstandes des tierischen Lernverhaltens erfolgt, innerhalb dessen Objektivierung sich dann die Problematik historischer Darstellung wiederholt, da es wieder einfachere gegenüber komplizierteren Lernformen gibt, die nun in ihrem spezifischen Entwicklungszusammenhang begründet werden müssen. Neben einer >molaren< Beschreibungsebene etwa als Verhältnis von angeborenem und erlerntem Verhalten existiert so noch eine >molekulare< Beschreibungsebene, wenn z. B. der Instinktbegriff auf Termini wie Erbkoordination bzw. Instinkthandlung zurückgeführt wird. Ein Mechanismus, mit dem die Objektivität phylogenetischer Rekonstruktion immer wieder durchbrochen wird, ist die Einführung bestimmter Bewertungen der einzelnen Entwicklungsstufen. Das wohl frappierendste Beispiel dafür ist die >Ideologisierung< des Instinktbegriffes in der psychologischen Theoriebildung, die aus verschiedenen Quellen gespeist wird. Keine Rolle spielen dabei die Auseinandersetzungen um die empirische Definition instinktiven Verhaltens in der Ethologie selbst, da hier Lorenz, Tinbergen und Leyhausen variierende Vorstellungen entwickelt haben, die aber, unabhängig von der spezifischen inhaltlichen Bestimmung, die arterhaltende Leistung angeborener Verhaltensweisen voraussetzen. Zwei wesentliche Faktoren der negativen Bewertung des instinktiven Verhaltens sind einmal eine empirische Grenzziehung zwischen Verhaltensforschung und Psychologie, die vereinfacht zwischen angeborenem und erworbenem Verhalten gezogen werden kann, und die negative Bewertung instinktiven Verhaltens als methodische und theoretisch notwendige Abgrenzung, zum anderen aber auch die Begrenzung eminent praktischer Interessen. Das Auftreten instinktiver Verhaltensweisen beim Menschen bedeutet ja immer die Existenz objektiver Grenzen der Bemühungen z. B. des Therapeuten, die nur sehr ungern zur Kenntnis genommen werden und schnell zum Biologismusvorwurf als Abwehrstrategie führen. Im Hintergrund derartiger Vorstellungen steht die durch nichts begründete Annahme vom Menschen als eines vollständig manipulierbaren Wesens, das nur des entsprechenden Kontrolleurs bedarf. Jede, neuerdings detailliert vor allem durch die Humanethologie nachgewiesene Funktion 33
von Instinkthandlungen und angeborenen Auslösemechanismen in der embryonalen und frühkindlichen Entwicklung des Menschen stößt deshalb auf heftige Abwehr, die theoretisch aber nicht anders als in Abwertung ausgedrückt werden kann. Tatsächlich sind derart nur scheinbar emanzipatdorische psychologische Menschenbilder unreflektierter Ausdruck eines Idealismus, durch den die naturgeschichtliche Herkunft des Menschen in spezifischer Weise geleugnet wird, und er deshalb früher oder später in Gegensatz zu den Ergebnissen der darwinistischen Biologie gelangt. Zweifellos wirft dabei die Konsequenz, daß der Mensch nicht nur anatomisch und physiologisch, sondern auch in den Mechanismen der Widerspiegelung der Außenwelt in einem phylogenetischen Verwandtschaftsverhältnis zu verschiedenen tierischen Vorformen steht, noch besondere methodische und theoretische Probleme auf, die einer grundsätzliche Lösung bedürfen. Vor allem müssen aber zunächst die biologische und die psychologische Sichtweise klar voneinander getrennt werden. Instinkthandlungen, angeborene Orientierungsmechanismen und unbedingte Reflexe sind arterhaltende Anpassungen, die ein Uberleben auch in den folgenden Generationen ermöglichen und durch ihre langfristige Selektionswirkung funktionell ebenso wichtig sind wie die ontogenetisch begrenzten Lernformen. Das entscheidende Kriterium ist in jedem Fall der Verlauf der Phylogenese und damit die Arterhaltung selbst. Der therapeutische Eingriff, der als Spezialfall des kontrollierten Lernverhaltens begriffen werden kann, beschränkt sich immer nur auf ein Individuum oder eine Gruppe von Individuen, aber nicht auf die Art insgesamt, und ist in seiner Wirkung individualgeschichtlich begrenzt, da die Wirkungsebene des angeborenen Verhaltens eben nicht erreicht wird. Der >Ideologisierung< des Instinktbegriffes in der psychologischen Theorienbildung ist biologisch vor allem durch die vorschnelle Postulierung instinktiver Mechanismen im Aggressions- und Sexualitätsbereich, über die auch bei hochentwickelten Säugetieren im Einzelfall häufig noch keine Klarheit besteht, Vorschub geleistet worden. Eine Übertragung der etwa bei Buntbarschen gefundenen Verhältnisse auf andere Tierarten oder den Menschen bleibt hier problematisch, da nicht davon ausgegangen werden kann, daß gerade diese für die Arterhaltung wichtigen Funktionsbereiche in der Evolution des Verhaltens konstant geblieben sind. Das Problem der Psychophylogenese besteht hier darin, relativ stabile Verhaltensmechanismen von denjenigen Verhaltensanpassungen zu unterscheiden, die unmittelbar an den Prozeß der Artbildung selbst gebunden sind. Der hohe Selektionswert des Aggressions- und Sexualverhaltens macht es wahrscheinlich, daß gerade in diesen Funktionskreisen für viele Tiergruppen individuelle Verhältnisse vorliegen, so daß die Extrapolation eines spezifischen Sachverhaltes immer zu starken Vereinfachungen führt. 34
Die einzelnen tierischen Instinktsysteme sind also auch selbst keine Konstanten, sondern unterliegen ebenso wie etwa das Lernverhalten in sich evolutiven Änderungen, die um so nachhaltiger sind, je wichtiger der jeweilige Funktionskreis für die Selbst- und Arterhaltung wird. Hassenstein (1972) nennt z. B. neun verschiedene Verhaltensanpassungen bei Säugetieren, an deren Ablauf Aggressionen in spezifischer Form beteiligt sind, die eine zunehmende Variabilität des Verhaltens ermöglichen. Da die Psychophylogenese gerade die Veränderung psychischer Prozesse innerhalb der tierischen Entwicklung beschreibt, wird die von ihr dargestellte Entwicklung um so modellhafter, je mehr sie sich nur auf exemplarische Verhältnisse bei niederen Tieren bezieht. Jürgens & Ploog (1974) bezweifeln aus ähnlichen Überlegungen heraus die verbreitete Vorstellung, daß sich der Anteil des Instinktverhaltens mit der Höherentwicklung einfach reduziere, sondern nehmen vielmehr an, daß es zu einer inneren Differenzierung des Triebverhaltens kommt, für deren Beschreibung so globale Termini wie >Aggressionsverhalten< zu einfach werden. Ein Psychologiekonzept, in dem das instinktive Verhalten bei Tieren und dem Menschen zu einem objektiven, ohne Ressentiments verwendeten Begriff geworden ist, muß vor allem von einer sinnlosen Negativierung zur Ausnutzung des Erklärungswertes angeborenen Verhaltens für höhere psychische Leistungen und einer Darstellung der Möglichkeiten für einen günstigen Sozialisationsprozeß während der menschlichen Entwicklung übergehen. So ist es etwa für den therapeutischen Ansatz zweifellos wichtig zu wissen, ob eine spätere soziale Fehleinstellung durch frühkindliches Prägungslernen determiniert ist, und die Eigenarten dieser Lernform zu kennen, da aus dieser Kenntnis heraus auch ein erfolgversprechender Eingriff zum richtigen Zeitpunkt vorgenommen werden kann. Einige derartige >Nahtstellen< naturgeschichtlicher Verhaltenselemente und gesellschaftlicher Entwicklung in der menschlichen Individualentwicklung sind: a. Angeborenes Verhalten als Voraussetzung für menschliches Lernverhalten, dessen >Rohmaterial< sie bilden. Daß Lernprozesse nicht isoliert, sondern an physiologische und angeborene Prozesse gebunden ablaufen, zeigt modellhaft die Ausbildung bedingter Reflexe, die immer nur auf der Grundlage unbedingter (angeborener) Reaktionen entstehen. In einigen Fällen wie der Sprache werden die angeborenen Verhaltenselemente zu völlig neuen Bewegungsgestalten zusammengesetzt, in zahlreichen anderen Fällen liegt jedoch eine wesentlich größere Starrheit der Verhaltensmuster vor. Ungeklärt ist noch, inwieweit einige bei Tieren nachgewiesene Lernformen wie die Nachfolgeprägung zur Interpretation der Mutter-KindBeziehung in den ersten beiden Lebensjahren herangezogen werden können, da hier auch grundsätzliche Einstellungen und soziale Bindungen gelernt werden (Spitz 1965). 35
b. Beschreibung und kausale Begründung von angeborenen Ausdrucksbewegüngen im mimischen Bereich (z. B. Lächeln) und die Reaktion auf Schlüsselreize. Humanethologische Untersuchungen an taubstummen und blind geborenen Kindern haben gezeigt, daß zahlreiche menschliche Ausdrucksbewegungen wahrscheinlich eine angeborene Grundlage besitzen (Eibl-Eibesfeldt 1972). Die beschreibenden Aussagen der Ausdruckspsychologie können hier durch Ergebnisse der Verhaltensforschung präzisiert werden. c. Inventarisierung angeborener motorischer Reaktionsmuster wie Schreitbewegung, Greifreaktionen, Kletterbewegungen usw. (Peiper 1964). Einige von ihnen wie das Kopfpendeln bei der Brustsuche des Neugeborenen sind phylogenetisch sehr alt und werden bei allen Säugetierarten gefunden. Die Berührung der Brustwarze dient als Schlüsselreiz, die dann eine andere angeborene motorische Reaktion, den Saugvorgang, einleitet. Komplexe motorische Erbkoordinationen finden sich beim Menschen vergleichsweise selten und meist in direktem Zusammenhang mit selbst erhaltenden Funktionskreisen wie der Nahrungsaufnahme. d. Auch zahlreiche scheinbar rein sozial bestimmte Verhaltensweisen wie das Grußverhalten, das sexuelle Werbeverhalten usw. besitzen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine angeborene verhaltensbiologische Grundlage, die dann durch biologische und kulturelle Ritualisationsprozesse überlagert wurden. So lassen sich bestimmte menschliche Körper- und Kopfbewegungen auf die Ritualisierung angeborener Fluchtreaktionen zurückführen, Elemente des männlichen Werbeverhaltens auf Strukturen des Imponierverhaltens oder die Umarmung auf ritualisierte Mutter-KindBeziehungen. Besonders wichtig ist hier die Aufdeckung homologer Verhaltensweisen bei tierischen Vorformen. So ist das menschliche Grußverhalten eine submissive Reaktion, die in homologer Form auch bei Schimpansen auftritt und sich wahrscheinlich von Futterbetteln ableitet. Obwohl gerade die humanethologische Begründung zunächst als rein gesellschaftlich-historisch angesehene Verhaltensweisen auf heftige Kritik gestoßen ist und einige Interpretationen die tatsächliche kausale Abhängigkeit von angeborenen Lerndispositionen auch zweifellos überzeichneten, kann die biologische Basis zahlreicher komplexer Verhaltensmuster bei der innerartlichen Verständigung des Menschen kaum noch ernsthaft bestritten werden. Ähnliche Schwierigkeiten wie eine objektive Bewertung des Instinktproblems, das seiner Problematik wegen auch von einigen Ethologen als falsche Fragestellung betrachtet wird, ergeben sich auch für den >Endabschnitt< der Psychophylogenese, dem Problem der Entstehung des Bewußtseins. Stammesgeschichtlich ist seine Ausbildung an die Entstehung des Menschen im Tier-Mensch-Übergangsfeld vor 10-5 Millionen Jahren 36
und die spezifischen Prozesse der Hominisation gebunden. Gerade die Evolution ideeller Strukturen ist mehr als die phylogenetische Verwandtschaft im Körperbau und bei physiologischen Prozessen geeignet, den Menschen zum Maßstab der Theorienbildung zu machen, damit aber auch die Objektivität wissenschaftlicher Darstellung zu verlassen. Die Theorie der Psychophylogenese ist also nicht als eine permanente Rückprojektion des eigenen Entwicklungsstandes zu betrachten, die nur zu einer systematischen Quelle des Anthropomorphismus oder - in naturwissenschaftlich verbrämter Form- zur Grundlage biologischer Konzeption über eine vermeintliche Sonderstellung des Menschen innerhalb der Evolution der Organismen führt, sondern eine Theorie der Vorgeschichte des Bewußtseins. Zwei Aspekte sind für sie wesentlich: 1.) das menschliche Bewußtsein wird in den realen Prozeßverlauf eingeschlossen, indem der Zeitpunkt seiner phylogenetischen Herausbildung exakt bestimmt wird und 2.) die unterschiedlichen Entwicklungsgesetzmäßigkeiten psychischer Prozesse bei Tieren und der Bewußtseinsprozesse des Menschen werden klar gegenübergestellt. Die Objektivität einer naturhistorischen Beschreibung gerade psychischer Entwicklungsprozesse hängt entscheidend davon ab, inwieweit die subjektiven Vorstellungen des Erkenntnisakteurs von der Gegenstandsentwicklung getrennt werden können. Begreiflicherweise ist die Versuchung, in der Vorgeschichte der Entstehung des Bewußtseins sich selbst in antizipatorischer Form zu entdecken, besonders groß. Die Mehrzahl der tierischen Verhaltensformen, die im weiteren genauer dargestellt werden, sind phylogenetisch lange vor der Herausbildung des Menschen entstanden und müssen in einer objektiven Entwicklungstheorie deshalb auch so dargestellt werden. Das häufig praktizierte Verfahren, die psycho-phylogenetische Entwicklung als einen permanenten Tier-Mensch-Vergleich zu begründen, ist lediglich eine psychologisierende Antizipation des tatsächlichen Entwicklungsverlaufs, in der alle die tierischen Verhaltensanpassungen entfallen, die sich in keinen direkten Bezug zum gegenwärtigen menschlichen Verhalten setzen lassen. Ein wichtiges Kriterium für die Objektivität tierischer Verhaltensbeschreibung ist deshalb auch die Berücksichtigung von Anpassungen, die zu einer Stagnation der Evolution oder direkt zum Aussterben der betreffenden Tiergruppe geführt haben, aber einen faktischen Baustein in der psychischen Höherentwicklung darstellen. Eine Vereinfachung, der in diesem Zusammenhang schwierig zu entgehen ist, entsteht durch die Darstellung des tatsächlichen Hvolutionsprozesses in linearen Abläufen. In Wirklichkeit ist die Psychophylogenese ebenso wie die stammesgeschichtliche Abstammung der Organismen selbst, an die sie ja materiell gebunden ist, ein polyphylogenetischer Prozeß mit zahlreichen netzartigen Verzweigungen, dessen Kompliziertheit zugunsten einer 37
systematischen Ubersicht zurückgestellt wurde. Die Psychophylogenese ist deshalb kein Vorgang, der geradlinig von einfachen tierischen Lernformen zur Bewußtseinsbildung führt, sondern setzt sich aus zahlreichen parallelen, miteinander konkurrierenden Einzelsträngen zusammen, innerhalb derer die Evolution über die Wirbel- und Säugetiere eine besonders erfolgreiche Tendenz darstellt. Eine andere psycho-phylogenetische Entwicklungslinie stellt z. B. die Evolution der Insekten dar, innerhalb der die biologisch gesehen kompliziertesten Tiersozietäten auf angeborener Grundlage entstanden sind. Da es aber nicht Ziel der Überlegungen war, die Menge der parallelen psycho-physischen Entwicklungsstränge innerhalb der verschiedenen Tierstämme zu systematisieren, sondern lediglich einen Uberblick über die allgemeinen Entwicklungsstufen der Psychophylogese zu geben, erscheinen in einigen Tabellen die psychischen Leistungen der verschiedenen Tierarten nach der absoluten Informationskapazität angeordnet. Die sensorischen und Lernleistungen von Hautflüglern (Bienen, Ameisen) nehmen deshalb häufig nur eine Mittelstellung ein, während sie in der Evolution der Arthropoden selbst Spitzenleistungen sind. Andererseits wurde gelegentlich versucht, die Linearität durch die Ausklammerung bestimmter Untersysteme zu relativieren, indem etwa gezeigt wird, daß von der optischen Leistungsfähigkeit her das Primatauge durch seine Farbentüchtigkeit und das streoskopische Sehen zwar sehr hoch entwickelt ist, insgesamt aber innerhalb der Wirbeltiere z. B. durch das Auge der Vögel übertroffen wird. Auch ein insgesamt hoher psycho-physischer Entwicklungsstand schließt also nicht aus, daß einzelne Strukturen von primitiveren Tierarten funktionell übertroffen werden können.
1.3. Die gesellschaftlich-historische Dimension des psycho-physischen Problems Die bisher gemachten Aussagen und Einschränkungen betreffen lediglich die reale Entwicklung des Untersuchungsgegenstandes, lassen aber die Logik der Theorienbildung über diesen Gegenstand selbst - die Geschichte des psycho-physischen Problems in der biologischen und psychologischen Theorienbildung - außer acht. Für ein derartiges Vorgehen lassen sich mehrere Gründe anführen. Einmal entspricht es dem normalen materialistischen Vorgehen, sich zunächst der Entwicklungsgeschichte des Gegenstandes zuzuwenden, da die Geschichte der Theorienbildung - darunter auch der eigene Erkenntnisstand - immer eine von den objektiven Existenzbedingungen des Gegenstandes abhängige Größe ist, ohne den sie als spezifisches Bewußtsein über seine Entwicklung überhaupt nicht existieren würde. Andererseits ist na38
türlich die Entwicklung der entsprechenden Theorien maßgeblich von der historischen Situation des Erkenntnissubjektes mitbestimmt, das entsprechend seiner jeweiligen gesellschaftlich-ökonomischen Bedingungen verschiedene Sichtweisen entwickelt, die in ihrer Gesamtheit eine charakteristische Logik der Theorienbildung ergeben, deren Ziel eine immer genauere Abbildung des Gegenstandes ist. Insgesamt ist aber die Geschichte des Gegenstandes gegenüber der Geschichte der Theorienbildung über diesen Gegenstand das Primäre, da seine Entwicklung erst die absoluten Werte liefert, die dann in der Theorienbildung eine jeweils historisch-relative und subjektiv-psychologische Form annehmen. Außerdem sind die Gesetzmäßigkeiten der Gegenstandsentwicklung und der Geschichte der Theorienbildung, obwohl sie beide in einer allgemeinen Methodologie der historischen Erklärung ihren Platz finden, in zahlreichen spezifischen Aspekten so unterschieden, daß eine >geschlossene< Theorie der Gegenstands- und Theorienbildung für die Problematik der Psychophylogenese mehr Schwierigkeiten bringt als löst. Streng genommen muß dieses Verhältnis von Gegenstands- und Theoriengeschichte für jeden Abschnitt der psychischen Entwicklung bei Tieren und den Menschen neu gelöst werden, da die Veränderung des Gegenstandes auch immer neue Untersuchungsstrategien erfordert. Für aktuelle Probleme der Bewußtseinsentwicklung ist die methodische Einheit der Gegenstands- und Theorienbetrachtung unumgänglich, da hier die Entwicklung des gesellschaftlichen Bewußtseins und die Theorie über diese Bewußtseinsentwicklung, die Psychologie, zusammenfallen, (vgl. Holzkamp 1973). Jeder Akt der psychologischen Theorienbildung ist zugleich Moment der gesellschaftlich-historischen Weiterentwicklung des Bewußtseins selbst, die sich beide nur noch in ihrem Umfang, aber nicht mehr zeitlich unterscheiden (der Psychologe betrachtet als individualisiertes Erkenntnissubjekt die allgemeine Bewußtseinsentwicklung, der er zugleich als ein Element angehört). Wenn man die historische Betrachtungsweise konsequent auf die Gegenstandsentwicklung der Psychologie anwendet ergibt sich, daß das Zusammenfallen von Gegenstandsentwicklung und Geschichte der Theorienbildung selbst wieder ein historisches Ereignis ist, das mit der Verselbständigung der Einzelwissenschaft Psychologie beginnt. Je weiter die Entwicklung des Bewußtseins in seine gesellschaftlich-historische und schließlich an die tierische Evolution gebundene Vorgeschichte zurückverfolgt wird, desto sinnvoller wird jedoch eine partielle methodische Trennung von der Betrachtung der realen Objektgeschichte und der Geschichte der Theorienbildung über dieses Objekt, da sie zeitlich und damit inhaltlich immer stärker divergieren. So beträgt die Geschichte des psychophysiologischen Problems in seiner wissenschaftlichen Form ca. 400 Jahre, die Geschichte der menschlichen Gesellschaft ca. 39
50 000 Jahre und die Geschichte psychischer Prozesse bei Tieren, damit aber die reale Evolution der psycho-physischen Beziehungen überhaupt, mehrere hundert Millionen Jahre. Erkenntnistheoretisch ist es dabei relativ gleichgültig, ob das aktuelle Zusammenfallen von Gegenstands- und Theorienbildung, das mit dem Begriff >Psychologie< immer, wenn auch in meist nicht durchschauter Form ausgesprochen wird, oder die phylogenetische Rekonstruktion psychischer Prozesse in der Evolution der Organismen als theoretischer Spezialfall betrachtet wird. Beide Extrem Situationen der Entwicklung des Gegenstandes -einmal das maximale Auseinanderfallen von der historischen (phylogenetischen) Reproduktion des Gegenstandes und der historisch-gesellschaftlichen Situation des Erkenntnissubjektes, wie es sich in der Problematik der Theorie der Psychophylogenese darstellt, zum anderen das direkte Zusammenfallen von Gegenstandsentwicklung und Theorienbildung in der aktuellen Situation der menschlichen Bewußtseinsbildung - sind letztlich zwei Punkte auf einer Linie der Evolution ideeller Prozesse, die mit der Entstehung psychischer Reaktionen bei Tieren ihren naturgeschichtlichen Ursprung nimmt und kontinuierlich in die Entwicklung des menschlichen Bewußtseins, die einen primär gesellschaftlichökonomischen Charakter besitzt, übergeht. Die Anwendung der historischen Methode auf den Gegenstand und die Theorien der Psychologie ist kein mechanischer Raster, sondern selbst wieder ein differenzierter Umsetzungsprozeßy der gleichermaßen eine Trennung wie die Forderung von methodischer Einheit von Gegenstands- und Theorienbildung enthält. Die Entscheidung dafür oder dagegen ist letztlich kein voluntaristischer Akt des Erkenntnissubjektes, sondern durch die empirischen Bedingungen der Gegenstandsentwicklung determiniert. Zweifellos ist die Aufstellung einer Theorie über die naturhistorische Entwicklung psychischer Prozesse bei Tieren nur als Bestandteil eines hochentwickelten gesellschaftlichen Bewußtseins möglich, absolut aber eben davon abhängig, daß sich ein derartiger Prozeß real in der Natur auch tatsächlich vollzogen hat. Die subjektive Dialektik der Theorienbildung ist letztes und am höchsten spezialisiertes Glied eines Entwicklungsprozesses, dessen phylogenetischer Beginn die elementaren tierischen Verhaltens- und Lernformen sind, deren Verlauf möglichst objektiv beschrieben werden muß, um die Bedingungen und Gesetzesmäßigkeiten der eigenen Entstehungsgeschichte zu begreifen. Nur einige allgemeine Bezugspunkte, die das Verhältnis der Theorie der Psychophylogenese zur Entwicklung des allgemein-gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Bewußtseins bestimmen, können hier angeführt werden. a. Die Konzeption einer Psychophylogenese ist nur aus der Geschichte der psycho-physiologischen Theorienbildung heraus zu verstehen. Im 40
gleichen Maße, wie sie sich von historischen Fassungen des psychophysiologischen Problems etwa als Leib-Seele-Problem unterscheidet, ist sie jedoch auch der in dieser Geschichte angereicherten Erkenntnis verpflichtet. Der sicher in vieler Hinsicht problematische Begriff des Psychischen wurde hier unter anderem deshalb synonym mit dem Verhaltensbegriff verwendet, da er im besonderen Maße geeignet ist, an die Geschichte des psychophysiologischen Problems in der wissenschaftlichen Theorienbildung anzuknüpfen. b. Eine naturwissenschaftliche Voraussetzung für die Formulierung der Psychophylogenese ist die Existenz allgemeinerer biologischer Theorien wie der Evolutionstheorie, der Physiologie, Genetik usw., deren Aufstellung selbst wieder von einem bestimmten Entwicklungsstand der gesellschaftlich-ökonomischen Strukturen und Faktoren wie dem Stand der Produktivkräfte abhängig ist. Relativ transparent sind dabei die Verhältnisse in der Geschichte der Darwinschen Abstammungstheorie, für die die Verhältnisse des englischen Kapitalismus aus zwei Gründen von besonderer Bedeutung waren: Einmal ermöglichte der technische Entwicklungsstand praktisch eine mehrjährige Sammler- und Forschertätigkeit auf einer Weltumseglung, zum anderen erleichterte die soziale Erfahrung des gesellschaftlichen Konkurrenzverhaltens theoretisch die Entdeckung ähnlicher Kausalbeziehungen in der belebten Natur (Kampf ums Dasein). Da die Psychophylogenese eine spezielle Beschreibung allgemeiner biologischer Entwicklungsgesetzmäßigkeiten darstellt, ist sie indirekt auch von den gesellschaftlich-historischen Bedingungen der Entstehung allgemeinerer biologischer Theorien abhängig. c. Weil die Psychophylogenese eine spezifische Interpretation der naturwissenschaftlichen Grundlagen der Psychologie ist, wird für ihre Entwicklung auch die Situation in der psychologischen Theorienbildung, die in vieler Hinsicht ein viel direkterer Reflex auf die gesellschaftlich-ökonomische Weiterentwicklung ist etwa als die biologische Theorienbildung, ein maßgeblicher Faktor. In dieser Abhängigkeit können drei allgemeine Entwicklungsetappen unterschieden werden. Wenn die Psychologie als reine Humanpsychologie betrieben wird, geht auch das theoretische Interesse an naturhistorischen Vorformen bei Tieren gegen Null. (1). Komplizierter werden die Zusammenhänge bereits im Behaviorismus, der die Bedeutung tierischen Verhaltens für die psychologische Erkenntnis thematisiert, aber die biologischen Prozesse faktisch als Naturkonstanten (>OrganismusReizReaktion< usw.) einführt (2). Die Psychophylogenese ist die Uberwindung des abstrakten Naturbegriffs durch die Auflösung in den realen Prozeß der Naturgeschichte. (3). Der allgemeine Reiz- bzw. Stimulusbegriff wird z. B. sinnesphysiologisch als >adäquater< oder >nichtadäquater Sinnesreiz, ethologisch als >SchlüsselreizAuslöser< usw. präzisiert und 41
ermöglicht die Beschreibung konkreter psycho-physischer Entwicklungsverhältnisse. Aus dieser Sicht heraus ist das Interesse an einer naturhistorischen Interpretation der naturwissenschaftlichen Grundlage der Psychologie eine abgeleitete theoretische Reflektion auf ein verändertes theoretisches Selbstverständnis der Psychologie, die sich zunehmend ihres historischen Charakters bewußt wird (Holzkamp 1973) Jede der erwähnten einzelnen Abhängigkeiten bedarf einer genaueren Analyse, die hier nicht geleistet werden kann. Nur einige grobe Etappen aus der Geschichte des psycho-physischen Problems selbst können angeführt werden. Unter allgemeinen Gesichtspunkten hat das psycho-physische Problem zwei Etappen des Problembewußtseins durchlaufen: Eine mystische und eine rationale. Die mystische Fassung ist in ihrer begrifflichen Fassung als Leib-Seele-Problem leicht zu erkennen, dessen rationalisierter Kern das psycho-physiche Problem ist, das in dieser Gestalt bereits aus einer naturphilosophisch-spekulativen Form geschlüpft und eine wissenschaftlich entscheidbare Fassung angenommen hat. Der Begriff des Leiblichen ist entweder in die Bestimmung des Körperlichen im Sinne von somatisch oder noch enger auf physiologische Prozesse zurückgeführt worden, während das Psychische als das rationalisierte Seelische zu verstehen ist. Dieser Ubersetzungsprozeß, der mit dem cartesianischen Dualismus beginnt und einen einen Höhepunkt mit der Verselbständigung der Zoologie und Psychologie als Einzelwissenschaften findet, ist auch nach der Herausbildung der modernen Naturwissenschaften nicht abgeschlossen, sondern findet hier seine Fortsetzung in dem Verhaltens- und dem Informationsbegriff. Zu den schon durch seine Verbreitung wichtigsten Lösungsversuchen des psycho-physischen Problems gehört die dem cartesianischen Denken verpflichte Dopplung der Realität in einen stofflich-faktischen Teil als >res extensa< und einer seelisch-geistigen Welt (>res cogitansausgeschwitztmetaphysischen< und »positivistischem Fassungen des psycho-physischen Problems erweisen sich als Scylla und Charybdis einer adäquaten Problemlösung, die häufig in einem negativen Stimulationsverhältnis zueinander stehen. Unmittelbar einsichtig ist dieser innere Zusammenhang bei den durch die Ausschaltung des Bewußtseinsbegriffes ausgelösten metaphysischen Implikationen im Behaviorismus, die sich hier unter dem Mantel eines positivistischen Empirismus verbergen. Auch die traditionell metaphysischen Problemlösungen als Leib-Seele-Problem sind immer zugleich auch in einer besonderen Weise positivistisch, nur daß diese Vereinseitigung entsprechend der naturphilosophischen Denkebene eine spezifische Erscheinungsform als Dogmatismus annimmt, indem für das eigene Modell ein apodiktischer Ausschließlichkeitsanspruch erhoben wird. Inwieweit eine phylogenetische Problemlösung als eine dritte theoretische Dimension die verschiedenen metaphysischen und positivistischen Vereinseitigungen des psycho-physischen Problems in sich auflösen und als Pseudoalternativen entschlüsseln kann, muß die weitere Darstellung zeigen. Das gleiche trifft für die in 1.3. angeführten Modellgruppen als Vorstellung des Physischen und Psychischen als zwei Substanzen, der Verallgemeinerung der verschiedenen Möglichkeiten der relationalen Abhängigkeit zwischen ihnen und der metatheoretischen Klassifikation des psycho-physischen Problems zu, aus denen rationale Elemente wie etwa das Verständnis von Physischem und Psychischem als einem besonders intensiven Wechselwirkungsverhältnis übernommen werden. Andererseits ist eine intensive theoretische Abgrenzung von jeder einzelnen Modellgruppe notwendig. Dies kann nur kurz an der substantialistischen Interpretation des psycho-physischen Verhältnisses demonstriert werden, die zu der verbreiteten, aber grundmechanistischen Vorstellung geführt hat, dem Physischen, also dem biologischen Körper, stehe im ZNS ebenfalls eine wie auch immer geartete »ideelle Substanz< gegenüber zwischen denen dann eine Wechselwirkung stattfinde. Diese Vorstellungen sind jedoch empirisch unhaltbar und eine erkenntnistheoretische Quelle des objektiven Idealismus. Derartige Wechselwirkungen finden immer nur zwischen materiellen Körpern, im allgemeinsten Sinn zwischen der Umwelt und den Organismus, statt. Je höher entwickelt diese materiellen Systeme sind, um so intensiver wird die Wechselwirkung zwischen ihnen. Die Annahme ideeller Substanzen ist deshalb eine überflüssige erkenntnistheoretische Konstruktion. Den vielfältigen Einwirkungen der 55
Umgebung setzt der Organismus die Evolution des 2NS gegenüber, das gewissermaßen eine Antenne für die von der Umwelt ausgestrahlten Informationen darstellt und sie in besonderer Weise bündelt. Aus dieser Sichtweise heraus ist das Psychische nichts anderes als eine besonders intensive Form der Wechselwirkung zwischen Umgebung und Organismus, die auf einer bestimmten Entwicklungsstufe eigengesetzlichen Charakter annimmt. Wesentlich für das Zurückdrängen der Zwei-Substanzen-Vorstellung ist dabei das Aufzeigen allgemeiner phylogenetischer Entwicklungsstufen, die die Eigenarten des Psychischen als ideeller Struktur in die Geschichte seiner Vorstufen zurückführen. a. Die einfachste Form des an bestimmte Substanzen gebundenen biologischen Informationsaustausches sind stoffwechselphysiologische Prozesse.Der Substanzaspekt dominert hier gegenüber dem informellen Aspekt, da im Vordergrund die Sicherung der Nahrung und der Ausgleich des energetischen Defizites steht. Trotzdem ist jede der Substanzen auch bereits in bestimmten Grenzen Informationsträger. b. Innerhalb des physiologischen Prozeßgefüges bilden sich Substanzen mit besonderen Informationsqualitäten heraus, die im Zell- und Körperstoffwechsel zunehmend spezialisiertere Funktionen vornehmen. Derartige Botenstoffe sind z. B. Hormone, deren Wirkung an ein besonders physiologisches Milieu gebunden bleibt. Andere Substanzen (Pheromone) haben sich dagegen auf die innerartliche Informationsübertragung spezialisiert. Derartige Duftstoffe bilden vor allem durch die Stabilität der Information, die ja als Träger biochemische Substanzen benutzt, für die Nahrungsaufnahme und die Sexualfunktionen eine wichtige Grundlage für die Tierkommunikation. c. Bereits auf einem sehr frühen Stadium der Biogenese sind hochmolekulare Substanzen (DNA, RNA) entstanden, die sich ausschließlich auf die Weitergabe von genetischer Informationen spezialisiert haben. Inwieweit elementare Nucleinsäuresätze Voraussetzung der Höherentwicklung sind oder sie selbst als Entwicklungsprodukt hochkomplizierter Stoffwechselsysteme entstanden sind, ist noch ungeklärt. Die genetische Ebene der Informationsweitergabe stellt gegenüber den physiologischen Prozessen in jedem Fall aber eine eigensetzliche Form des biologischen Informationswechsels dar. d. In dieser phylogenetischen Kette der biologischen Informationsebenen stellen psychische Prozesse die höchste Entwicklungsstufe dar. Der substantielle Aspekt ist hier gegenüber dem informatiellen weitgehend zurückgedrängt, aber natürlich immer vorhanden, da psychische Vorgänge an konkrete biochemische und elektrophysiologische Erscheinungen gebunden sind. Bereits die genetische Codierungsebene zeigt aber die Eigenart, daß hier der biochemische Aufbau einer Substanz praktisch unendlich viele Informationen übertragen kann. Deshalb führt die Kenntnis allein der materiellen Struktur ohne den genetischen Code auch nicht mehr zur Kenntnis der genetischen Information. Auf der psychischen Informationsebene wird der Zusammenhang zwischen materiellem Träger und informellem Gehalt noch wesentlich unbestimmter. Das Verhältnis von materiell-substantieller Grundlage und psychischer Information ist also selbst ein phylogenetisches Verhältnis, das verschiedenen Entwicklungsstufen unterliegt und damit zwingt, den abstrakten Stoffbegriff als Repräsentant des Psychischen in die verschiedenen konkreten biochemischen Substanzen aufzulösen, 56
und auf der anderen Seite die Vorstellung einer >ideellen Substanz< als Psychischem vollkommen aufzugeben. Das Psychische ist lediglich eine durch Selektion entstandene besonders intensive Form des Informationsaustausches zwischen biologischen Systemen und der Umwelt. Der Inhalt dieser Relation ist nichts anders als die jeweilige Außenwelt des biologischen Systems.
In der hier nun im weiteren genauer auszuführenden Theorie des psychophysischen Problems wird das Verhältnis von Physischem und Psychischem als ein Entwicklungsproblem dargestellt. Jede einzelne Tierart löst das Verhältnis von Physischem und Psychischem in einer phylogenetisch jeweils einmaligen Weise, deren gesetzmäßiger Zusammenhang untereinander dann die kausale Struktur der Psychophylogenese ergibt. Der theoretische Gehalt der empirischen Fassung des psycho-physischen Problems erscheint damit in der Theorie als Geschichte der Gegenstandsentwicklung. Sowohl die Anzahl der Tierarten als auch die Komplexität der stammesgeschichtlichen Abhängigkeiten macht es erforderlich, daß die phylogenetische Entwicklung des Psychischen bereits durch integrierende Kategorien wie z. B. den Instinkt- oder Lernbegriff beschrieben wird, die von den jeweils individuellen Verhältnissen der einzelnen Arten abstrahieren und sich auf besonders typische Fälle beziehen. Auf zwei Darstellungsebenen, obwohl sie nicht streng getrennt werden, sei noch gesondert hingewiesen. a. Der spezifisch naturwissenschaftliche Gehalt des psycho-physischen Problems wird als Theorie der Psychophylogenese verallgemeinert. Ihre methodische Grundlage ist eine historische Erklärung der Gegenstandsentwicklung, die sich damit auch erkenntnistheoretisch von der lediglich beschreibenden Verhaltensterminologie unterscheidet. Sie stellt zugleich einen Versuch dar, die spezialisierte zoologische und psychologische Betrachtung der gleichen Gegenstandsentwicklung in einem gemeinsamen theoretischen Konzept zusammenzufassen, ohne jeweils eine der Abstraktionsweisen als allein wissenschaftlich auszugeben. Die Trennung von Biologischem und Psychischem existiert nur im menschlichen Kopf und ist auch notwendig, um zu präzisen empirischen Fakten zu kommen, gleichzeitig ist die phylogenetische Entwicklung des Psychischen als abhängige Größe der Evolution der Organismen aber ein kontinuierlicher Prozeß und muß auch in dieser Einheit theoretisch reflektiert werden. Streng genommen ist eine Trennung der psycho-physischen Einheit in der wissenschaftlichen Abstraktion, bei der die Zoologie sich dann auf den physischen, die Psychologie auf den psychischen Aspekt spezialisiert, selbst nur eine Durchgangsphase der Erkenntnis, die mit zunehmender Datenfülle integrierende psycho-physische Konzeptionen notwendig macht. Die Möglichkeit der historischen Betrachtungsweise beschränkt sich dabei nicht auf die Geschichte der Gegenstandsentwicklung, sondern kann, was sie grund57
sätzlich von den bisherigen Fassungen des psycho-physischen Problems unterscheidet, auch die Logik der Theorienbildung, und damit die eigene theoretische und gesellschaftlich-historische Situation, in den Prozeß der Problemlösung mit einbeziehen. b. Die Theorie der Psychophylogenese, die gegenüber der Zoologie und Psychologie in vieler Hinsicht als Metatheorie, gegenüber Einzelwissenschaften wie der Verhaltensforschung oder Entwicklungspsychologie als Met am etatheorie fungiert, besitzt außerdem noch eine spezifisch naturphilosophische Ebene, die hier als Naturgeschichte des Psychischen bezeichnet wird. Wesentliche Problemaspekte, wie das Verhältnis von Abbild- und Widerspiegelungsprozeß oder die Funktion der Naturdialektik als methodologische Grundlage der phylogenetischen Betrachtung, erhalten ihren heuristischen und theoretischen Wert aber erst auf der empirischen Ebene.
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2. Biologische Grundlagen der Entwicklung psychischer Prozesse
2.1. Der Beginn der Psychophylogenese Psychische Prozesse bei Tieren sind einerseits als eine naturhistorische (biologische) Vorform des menschlichen Bewußtseins zu verstehen, andererseits verfügen sie aber auch selbst wieder über eine physikalische Vorgeschichte, die in ihren allgemeinen Gesetzmäßigkeiten von der Informationstheorie beschrieben werden kann. Es lassen sich deshalb drei qualitativ unterschiedliche Entwicklungsstufen unterscheiden: der Informationsaustausch anorganisch-physikalischer Systeme, die Entstehung psychischer Prozesse bei hochentwickelten nichtmenschlichen Organismen und die Entstehung des Bewußtseins als ideeller Ausdruck einer besonderen gesellschaftlich-ökonomischen Geschichte des Menschen. Die Informationsverarbeitung in und zwischen physikalischen Strukturen (z. B. astronomischen, geophysikalischen, technisch-maschinellen Systemen) basiert immer auf konkreten stofflichen und energetischen Prozessen, kann aber nicht auf sie reduziert werden. Aus diesem Grund ist es auch möglich, die gleiche Information durch physikalisch sehr verschiedene Signalformen (mechanische, elektrische usw.) zu übertragen. Informationen existieren als Merkmale von Klassen äquivalenter Signalmengen, die ihrerseits physikalische Sachverhalte wie Lichtwellen, Töne oder elektrische Spannungen sind. Der Informationsgehalt einer derartigen Signalfolge ist dabei um so höher, je größer die Unbestimmtheit des Empfängersystems vor dem betreffenden Ereignis war. Im Sinne der Wahrscheinlichkeitstheorie ist die Information dehalb auch eine Maßgröße für die Ungewißheit des Eintretens von Ereignissen unabhängig von ihrer konkreten materiellen Gestalt. Die Frage nach dem faktischen Zeitpunkt der Entstehung des Psychischen in der Naturgeschichte der Organismen als ihrem materiellen Träger kann nur hypothetisch beantwortet werden. Da psychische Prozesse bereits selbst wieder hochentwickelte biologische Formen des Informationsaustausches voraussetzen, ist es sehr unwahrscheinlich, daß die Entstehung des Lehens (Biogenese) und die Entstehung des Psychischen (Psychogenese) zusammenfallen, sondern letztere setzt sicher wesentlich später ein und tritt erst auf einer ganz bestimmten Organisationsstufe biologischer Systeme auf. Die Herausbildung von 59
Organismen mit einer spezifisch psychischen Widerspiegelungsfähigkeit ihrer Umgebung ist das Ergebnis einer Evolutionswirkung, die bereits auf präzelluärem Niveau einsetzt. Andererseits ist das Psychische als ein besonders genereller Anpassungsmechanismus biologischer Systeme auch selbst wieder in seiner weiteren Entwicklung dann der Selektionswirkung unterworfen, und tritt in phylogenetisch jeweils sehr verschiedenen Erscheinungsformen auf, deren kausaler Zusammenhang hier als Psychophylogenese bezeichnet werden soll. Das Stadium der biologischen Evolution, in der die unmittelbaren materiellen Voraussetzungen für das Entstehen einer besonderen ideellen Widerspiegelung biologischer Systeme entstanden, bildet ein sich über längere Zeiträume erstreckendes psycho-physisches Übergangsfeld (in der Abb. 4a mit I bezeichnet), dessen Durchlaufen die Voraussetzung für das Auftreten selbständiger Entwicklungsformen des Psychischen ist. Phylogenetisch kann dieser Ubergang in einem Zeitraum von vor ca. 1 Milliarde Jahren vermutet werden, so daß die Evolution biologischer Strukturen seit ihrem Auftreten als erste präzelluäre Aggregate schon 3 Milliarden Jahre durchlaufen hatte, ehe der Prozeß der Psychogenese einsetzte. Aufgrund ihrer besonderen Natur ist es nicht möglich, die materiellen biologischen Träger früher Entwicklungsformen des Psychischen zu rekonstruieren. Lediglich am Beispiel einfachster noch lebender Organismen, die aber nicht als Beweise für den tatsächlichen Ablauf der Psychogenese herangezogen werden können, sondern nur als indirekte Hinweise und Modellbeispiele dienen, sind einige allgemeine materielle Voraussetzungen reproduzierbar. Die spätere Psychophylogenese führt zu einer mannigfachen Variation der psychischen Organisation, in der zwei qualitative Sprünge von besonderer Bedeutung sind und zu zahlreichen theoretischen und methodologischen Kontroversen in der Frage ihrer naturwissenschaftlichen Untersuchbarkeit geführt haben: der Wechsel von Physischem und Psychischem, der in gewisser Weise die Grundfrage der Naturgeschichte des Psychischen ausmacht, und zum anderen die Entstehung des menschlichen Bewußtseins aus den höheren psychischen Funktionen bei Säugetieren im TierMensch-Ubergangsfeld. Obwohl die Herausbildung des Bewußtseins als einer besonderen, gesellschaftlich-ökonomisch bedingten Erscheinungsform des Psychischen, die nur für den Menschen spezifisch ist, das besondere theoretische Interesse beansprucht, ist seine Entstehung doch nur über die Kenntnis der jahrmillionenlangen Vorgeschichte in der psychophylogenetischen Entwicklung bei tierischen Organismen verständlich, in der die physiologischen, morphologischen, genetischen und ethologischen Prädispositionen einer möglichen Bewußtseinsbildung erworben werden. Die Entwicklung des Bewußtseins selbst in seiner gesellschaftlichen Spezifik ist nicht mehr mit 60
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Bild 4 (a). Lage des psycho-physischen Übergangsfeldes (I), in der sich die Psychogenese vollzogen hat, und des Tier-Mensch-Übergangsfeldes (II) innerhalb der wichtigsten Entwicklungsebenen der Evolution der Organismen, (b) Geologisches und biologisches Koordinationssystem der Psychophylogenese. (a) verändert nach Kaplan (1972)
Trilobilen Erste Reptilien
Erste NacktErste Farne
Marine Wirbellose
Marine Pflanzen
b)
den Kategorien der Naturgeschichte des Psychischen beschreibbar, die ihrerseits bereits komplizierte biologische Anpassungsprozesse beipräzelluären Aggregaten, Protobionten und Eobionten voraussetzt. Die Psychophylo61
genese kann damit auch dadurch definiert werden, daß sie ihren spezifisch tierischen Charakter dort verliert, wo die Wirkung biologischer Entwicklungsfaktoren durch das Auftreten ökonomischer Gesetzmäßigkeiten überlagert wird und damit auch die Widerspiegelung der Außenwelt einen spezifisch humanen Charakter annimmt, der generell als Bewußtsein bezeichnet wird. 2.1.1. Psychisches und Bewußtsein als unterschiedliche Entwicklungsformen des Ideellen. Obwohl die Entstehung des Bewußtseins und seine Abhebung vom tierischen Verhalten für die psychologische Theorienbildung bereits ein sehr basales Problem ist, besitzen die phylogentisch davor liegenden Entwicklungsstufen des Psychischen bei Tieren durch ihre Stellung im Evolutionsprozeß in einer objektiven Theorie der Naturgeschichte des Psychischen eine noch grundsätzlichere Bedeutung, da die Genese späterer und damit höherentwickelter psychischer Strukturen als ein Spezialfall vorausgegangener Differenzierungen angesehen werden muß. Der Übergang vom Psychischen zum Bewußtsein wird so sinnvollerweise als eine Weiterentwicklung des tierischen Lernverhaltens betrachtet werden, das aber seinerseits die Differenzierung z. B. von angeborenem und erlerntem Verhalten bei Tieren voraussetzt, die damit wieder auch eine allgemeinere Bedeutung besitzt als die Entwicklung der cognitiven Komponente innerhalb des Lernverhaltens selbst. Die einzelnen Entwicklungsstufen in der Psychophylogenese, unabhängig von ihrem Allgemeinheitsgrad, bleiben immer innerhalb der besonderen Qualität der ideellen Widerspiegelung der Umgebung im ZNS, unabhängig von ihrer spezifischen Ausprägung als angeborenes Verhalten, tierisches Lernverhalten oder Bewußtsein. Der eigentliche Qualitätsumschlag in der Entwicklung informeller Prozesse auf der materiellen Grundlage biologischer Strukturen, der in seiner theoretischen Bedeutung weit über das Verhältnis von Psychischem und Bewußtsein hinausgeht, vollzieht sich damit in der Psychogenese, da hier die rein materiell-biologische Abbildung von Umweltveränderungen, etwa durch spezialisierte physiologische Reaktionen, verlassen wird und der Informationsaustausch zwischen zwei biologischen Systemen erstmals einen qualitativ neuen -psychischen - Charakter erhält. Das hier als dritte generelle Entwicklungsebene angeführte menschliche Bewußtsein ist die höchstentwickelte Form des Informationstausches überhaupt. Ihre inhaltliche Charakterisierung ist weder auf allein informationstheoretischer noch naturwissenschaftlicher Ebene möglich. In seiner Struktur unterscheidet sich das Bewußtsein in zahlreichen qualitativen 62
Merkmalen von dem tierischen Lernverhalten. Dazu zählen z. B. eine hochentwickelte operative Intelligenz, die Werkzeuggehrauch und Herstellung ermöglicht, die Subjekt-Objekt-Trennung und damit eine gegenständliche Welterfassung, die Subjektivität der Empfindung und Wahrnehmunguni die Existenz eines Ichbewußtseins, in der sich die eigene Stellung innerhalb der jeweiligen Umwelt mehr oder weniger real spiegelt. Als ein besonders generelles Merkmal der Humanisierung des Psychischen als Bewußtsein ist die Existenz der menschlichen Sprache anzusehen, da über sie verschiedene individualpsychologische Unterschiede des Einzelnen in der Wahrnehmung und dem Denken in einer allgemein verbindlichen d. h. gesellschaftlichen Form vermittelt werden können (vgl. Ulmann 1975). Die materiellen Ursachen der Entstehung eines besonders strukturierten Psychischen als Bewußtsein sind 1) die Existenz eines hochentwickelten biologischen Organs, des Gehirns, 2) die Herausbildung der Arbeit im Tier-Mensch-Ubergangsfeld als qualitativ neuer, für den Menschen spezifischer Verhaltensweise, aus deren Organisation 3) jene soziale Systembildung entsteht, die dann als Gesellschaft bezeichnet wird. Die ökonomisierung des Naturverhältnisses erzwingt eine neue Form des Informationsaustausches, in dem jedes Mitglied dieses Kommunikationssystems sowohl eigene, vor allem aber auch die Handlungen anderer ideell vorwegnehmen kann, was die individuelle Präsenz allgemeiner (gesellschaftlicher) Zielvorstellungen voraussetzt. Die Entstehung des Bewußtseins ist damit kein individuelles, sondern ein Gruppenphänomen der gesellschaftlichen Organisation früher Hominidenpopulationen. Methodisch ergeben sich aus der Cäsur zwischen psychischen Prozessen bei Tieren (im weiteren kurz als das Psychische bezeichnet) und dem Bewußtsein einige wichtige Konsequenzen für die Struktur der Psychophylogenese. Einmal muß notwendigerweise von der physikalischen Vorgeschichte des Psychischen abstrahiert werden. Das bedeutet aber nicht, daß die in der Informationstheorie, Bionik und Biokybernetik entwickelten Methoden nicht auch unter Beachtung ihrer methodischen Grenzen, die sich aus der Allgemeinheit der Vorgehensweise ergeben, auf Probleme der tierischen Kommunikation, des Verhältnisses von Psychischem und Bewußtsein usw. sinnvoll angewendet werden können. Ihr methodischer Vorteil liegt vor allem auf der Seite einer Quanitfizierung und mathematischen Formulierbarkeit von Informationsprozessen, die auch Rückschlüsse auf die Spezifik des Psychischen bzw. des Bewußtseinsinhaltes zulassen. Neurokybernetische Analysen haben z. B. gezeigt, daß der Mensch über die peripheren Sinnesorgane maximal 109 bit/s Informationen aufnimmt, andererseits 107 bit/s über verschiedene Kanäle an die Umgebung wieder abgibt (Keidel 1973). Einmal ergibt sich daraus, daß während dieses Informationsstromes ein bestimmter Anteil über die Selbsterhaltung der biologischen Organisation abgezweigt werden 63
muß. Andererseits werden aus diesem Informationsstrom lediglich ca. 100 bit/s bewußt verarbeitet. Auch von den 102 bit/s im Organismus werden im Kurzzeitgedächtnis nur 10 bit/s, im Langzeitgedächtnis nur 1 bit/s gespeichert. Von seinen quantitativen Werten her ist die Stellung des Bewußtseins in den tatsächlichen Informationsflüssen des menschlichen Organismus gering. Vor allem über die Motorik werden wesentlich größere Informationsmengen wieder an die Umgebung abgegeben. Das Bewußtsein bildet offensichtlich nur die äußerste Spitze eines komplizierten mehrschichtigen Informationswechseis zwischen System und Umgebung, in dem es die letzte entscheidende Kontrollinstanz darstellt und über die Fähigkeit der Selbstreflektion gezielten Einfluß auf niedere Organisationsebenen nehmen kann, von deren Informationszustrom es wiederum abhängig ist. Der von Keidel als >optimalisierende Informationsselektion< bezeichnete Prozeß, dessen Zahlenwert ca. 10 Millionen : 1 beträgt, hat vor allem die Aufgabe, das menschliche Gehirn vor einer Reizüberflutung zu schützen. Andererseits ist es denkbar, daß Bewußtsein gerade als Integral einer derartig intensiven Informationsverdichtung entsteht (vgl. Birbaumer 1975). Die prozentualen Anteile der qualitativ verschiedenen Möglichkeiten der Informationsverarbeitung im ZNS sagen aber noch nichts über den funktionellen Wert im Verhalten aus. Ebenso wie der bewußte Informationsaustausch repräsentieren z. B. Erbkoordinationen ebenfalls nur einen Bruchteil der im Organismus ablaufenden Informationsprozesse. Durch ihre phylogenetische Stellung als - im Vergleich zucognitiven Informationsleistungen - elementare Formen einer psychischen Reaktionsfähigkeit, treten sie in der ontogenetischen Entwicklung des Menschen in den ersten Tagen nach der Geburt z. B. als Saugreflex, Kletter- und Greifbewegungen gehäuft auf und erfüllen hier lebenserhaltende Funktionen, bis sie in sozialisierte Verhaltensweisen integriert werden. Entscheidend über den funktionalen Anpassungswert des angeborenen Verhaltens ist hier ebenfalls nicht der prozentuale Anteil am Informations Wechsel System-Umwelt, sondern die basale Stellung innerhalb der Informationsprozesse und die qualitative innere Struktur. Die besondere Bedeutung der Basis und der Spitze der Informationspyramide psychischer Prozesse wird methodologisch dann als Verhältnis von angeborenem und erlerntem Verhalten diskutiert (zur Kritik dieser Begriffe vgl. Holzkamp-Osterkamp 1975).
Zum zweiten muß aber in dem weiteren Vorgehen auch von der Nachgeschichte der Psychophylogenese - der Entstehung des menschlichen Bewußtseins - abstrahiert werden, da sowohl inhaltlich wie auch methodologisch zwischen der Entwicklung des Psychischen bei Tieren als einem Teil der biologischen Naturgeschichte und der Entstehung des Bewußtseins als Ergebnis dieser phylogenetischen Entwicklung unter Einfluß besonderer sozial-ökonomischer Gesetzmäßigkeiten als >zweiter< materieller Wirklichkeit ein klar definierbarer Entwicklungssprung besteht. Die spezifischen Kausalitätsverhältnisse der Bewußtseinsgenese im Tier-MenschUbergangsfeld können hier nicht mit betrachtet werden, sondern ergeben sich erst aus der Klärung der allgemeinen Struktur einer Theorie der Naturgeschichte des Psychischen. Andererseits muß die Entstehung des Bewußtseins als eine Faktizität vorausgesetzt werden, die erst eine Diskussion um 64
den Verlauf und die verschiedenen Entwicklungsstufen über seine an die Existenz von Tieren gebundenen natürlichen Vorformen ermöglicht. Die Entstehung unterschiedlicher Bewußtseinsformen unter dem Einfluß verschiedener ökonomischer Produktionsverhältnisse nimmt dann wieder einen spezifischen Einfluß auf die theoretische Interpretation der Entwicklung des Psychischen, da sich in ihr auch das jeweilige historische Selbstverständnis des Erkenntnissubjektes bricht. Die qualitative Unterschiedlichkeit zwischen Psychischem und Bewußtsein, die zugleich auch eine empirisch-historische ist, hat in der wissenschaftlichen Literatur zu zahlreichen begrifflichen Abgrenzungsversuchen geführt. 2. B. ist es sinnvoll, die besondere ideelle Natur des Bewußtseins als >geistig< von dem allgemeinen Begriff des Ideellen, der auf alle an ein ZNS gebundenen Widerspiegelungsformen bei Organismen angewendet werden kann, zu unterscheiden. Ebenso können die zwischen Menschen ausgetauschten Informationen, die direkt oder indirekt die Kennzeichen des Bewußtseinszustandes des Senders bzw. Empfängers tragen, als Nachrichten und damit als eine Teilklasse der Klasse der Informationen betrachtet werden, die von den Signalen als auch den Tieren eigenen Informationsträgern unterscheidbar sind.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß in der objektiven Realität eine qualitative Stufung des Informationsaustausches zwischen physikalischen, biologischen und gesellschaftlichen Systemen besteht, die auch zu einer entsprechend hierarchischen Ordnung der erkenntnistheoretischen Fragestellungen und des naturphilosophischen Problembewußtseins führt. Das philosophische Grundproblem ist dabei das Verhältnis von Materiellem und Ideellem, das in drei konkrete Fassungen überführt werden kann, die untereinander entsprechend der historischen Stellung des zugrunde liegenden empirischen Sachverhaltes auch in einem spezifischen theoretischen Unterordnungsverhältnis stehen. 1. Physikalisch hat sich die Information neben der Stofflichkeit und der Energie als eine dritte Grundgröße der Natur herausgestellt. Aber auch hier ist die Entstehung und Verarbeitung von Informationen immer an die Existenz materieller Systeme gebunden. Das philosophische Verhältnis von Materie und Information ist noch weitgehend ungeklärt, auch wenn verschiedene Lösungsvorschläge existieren (Günther 1957, Klaus 1965). In der psychologischen Theorienbildung hat die Entstehung der Informationstheorie und der Theorie der lernenden Automaten zu einer Wiederbelebung verschiedener Positionen der Psychophysik geführt (Klix 1973), die von Steinbuch (1971, 7) besonders radikal (physikalistisch) formuliert worden sind: »Jedes subjektive Erlebnis entspricht einer physikalisch beschreibbaren Situation des Organismus, vor allem des Nervensystems, z. T. auch der humoral usw. wirkenden Organe . . . Es wird angenommen, daß das Lebensgeschehen und die psychischen Vorgänge aus 65
der Anordnung und physikalischen Wechselwirkung der Teile des Organismus im Prinzip vollständig erklärt werden können.« 2. Die auf der biologischen Ebene des Informationsaustausches aufbauende Fragestellung ist das psycho-physische Problem, in dem verschiedene Seiten des Kausalzusammenhanges zwischen Physischem und Psychischem verallgemeinert werden. Hier existieren sowohl verschiedene Formulierungen als auch alternative Lösungsvorschläge. Die in 1.4. vorgeschlagene empirische Fassung, die in den folgenden Abschnitten realisiert werden soll, führt in ihrer theoretischen Konsequenz zu einer Auflösung der spekulativen Problem Schicht in die reale Stufung der Psychophylogenese. 3. Die für die gesellschaftliche Ebene spezifische Frage des Verhältnisses von Sein und Bewußtsein ist nur auf der Grundlage des psycho-physischen Problems zu beantworten, von dem es sich durch die zusätzliche Spezifik der Subjekt-Objekt-Trennung unterscheidet. Die Entstehung des »bewußten Seins< mit der Dominanz cognitiver Informationsverarbeitung durch eine logische Operationalisierbarkeit der Handlungen ist das Ergebnis in langen psycho-physischen Vorgeschichten tierischer Lern- und Abstraktionsleistungen (vgl. Bd. 2., 2. 3. und 4.) mit denen es eine Reihe grundsätzlicher physiologischer und ethologischer Gesetzmäßigkeiten gemeinsam hat. Ebenso unterliegen das Bewußtsein und die Evolution des Psychischen bei Tieren wieder umfassenderen physikalisch-informationstheoretischen Gesetzmäßigkeiten. Die logische Struktur der einzelnen naturphilosophischen Fragestellungen untereinander kann dabei nur, zumindest wenn sie Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, die reale naturhistorische Entwicklung theoretisch widerspiegeln. Aus dieser Sicht muß dann auch die gelegentlich vertretene These von dem Verhältnis von Sein und Bewußtsein als allgemeinstem philosophischen Problembewußtsein von dem Kopf auf die Füße gestellt werden. Innerhalb der umfassenden theoretischen Klammer als der Frage von dem Verhältnis von Materiellem und Ideellem ist die Seins-BewußtseinProblematik sowohl die naturgeschichtlich jüngste als auch die komplizierteste Fassung, die naturphilosophisch nur dann befriedigend gelöst werden kann, wenn neben der ihr eigentümlichen Spezifik der kausale Zusammenhang mit ihren psycho-physischen Vorformen hinreichend genau berücksichtigt wird. Der kausale Zusammenhang zwischen den einfacher strukturierten psychischen Prozessen bei Tieren und dem menschlichen Bewußtsein ist in den einzelnen psychologischen Konzeptionen sehr unterschiedlich gelöst worden. Neben der einfachen Tatsachenbeschreibung stehen Ausklamm erungsversuche und spekulativ-hypothetische Erklärungsversuche. Nur einige besonders grundsätzliche Interpretationen können hier angeführt werden. 66
Besonderes Interesse verdient z. B. der von der Psychoanalyse eingeführte Begriff des >UnbewußtenTriebrepräsentanzen< und verschiedene psychische Verarbeitungsmechanismen (z. B. >VerdichtungVerdrängung< usw.) charakterisiert werden kann. Das Unbewußte wird danach allein nach dem Lust-Unlust-Prinzip reguliert und besitzt keinen Zweifel, keine Negation, keine Sicherheit sowie eine Gleichgültigkeit der Realität gegenüber. Uber die Beweglichkeit in verschiedenen >Besetzungen< versucht das Unbewußte sich Zugang zu dem System Vorbewußtes-Bewußtes zu verschaffen. Der psychoanalytische Begriff des Unbewußten ist wissenschaftstheoretisch auch deshalb interessant, da er nicht mit der Elle theoretischer Präzision, sondern - wie die Psychoanalyse selbst - an ihrer praktisch-therapeutischen Wirksamkeit gemessen wird. Bei einer kritischen Aufarbeitung der psychoanalytischen Konzeptionen unter naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten ist nicht auszuschließen, daß sich hier intuitive Ansätze finden, die mit hirnphysiologischen und ethologischen Sachverhalten in Beziehung gesetzt werden können. Physiologisch trifft dies z. B. auf das >Prinzip der NeuronenträgheitTriebmischung< und >-entmischungTriebziel< usw. zu. Mit Sicherheit wird so der Sachverhalt des menschlichen Sexualtriebes mit seinen physiologischen und ethologischen Grundlagen naturwissenschaftlich noch genauer untersucht werden. Die mitunter kritisch vermerkte >unheilige Allianz< von psychoanalytischen Vorstellungen und ethologischen Theorien z. B. bei Lorenz hat also durchaus eine tiefere inhaltliche Gemeinsamkeit, da das Unbewußte als eine andere theoretische Interpretation psychischer nicht-bewußter Prozesse beim Menschen verstanden werden kann, die durch die Ergebnisse der Humanethologie immer mehr in ihrer faktischen Gestalt aufgezeigt werden. Eine zweite methodische Vorgehensweise, die in der psychologischen Theorienbildung eine große Bedeutung erlangt hat, ergibt sich aus der Abstraktion der ideellen Besonderheiten des menschlichen Verhaltens als Bewußtsein. Zentraler Untersuchungsgegenstand werden die psychischen Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier. Am radikalsten ist dieser Ansatz in der Lernpsychologie vom Behaviorismus entwickelt worden, der unter Abstraktion ihrer naturgeschichtlichen und gesellschaftlich-ökonomischen Verschiedenheit beide mit den gleichen organismischen und psycho-physischen Kategorien beschreibt. In der theoretischen und praktischen Konsequenz führt ein derartiger Ansatz zu einer systematischen Dehumanisierung der psychologischen Spezifik des Menschen, wie sie besonders in den Vorstellungen 67
Skinners (1973) über die Verhaltenskontrolle hervorgetreten ist. Die methodischen Grenzen des Behaviorismus liegen aber nicht nur in der Abstraktion von der Spezifik der menschlichen Geschichte als allgemeinstem materiellen Entwicklungsfaktor, der die Bewußtseinsveränderungen bestimmt, sondern auch in der eigentümlichen Ahistorizität des tierischen Lernverhaltens. Daß die behavioristische Auslegung der Psychophylogenese, der man den Versuch einer konsequenten Objektivierung des Psychischen nicht absprechen kann, letztlich doch nicht die methodologische Basis wurde, aus der sich ein naturhistorischer Ansatz der Untersuchung des psychologischen Gegenstandes hätte entwickeln können, ist allgemein in ihrem unhistorischen Naturbegriff begründet, dem Analogon zu dem ebenso abstrakten Gesellschaftsund Sozialbegriff der klassischen Bewußtseinspsychologie. Eine methodische Konfrontation des Behaviorismus mit der Verhaltensforschung, in der die Entwicklung des tierischen Verhaltens unter evolutionstheoretischen Gesichtspunkten untersucht wird, war deshalb unvermeidlich, und ist eine Ursache für den Abstieg der behavioristischen Tieranalyse in der gegenwärtigen Psychologie, mit dem sich auf der theoretischen Ebene ein Ubergang von >abstrakten< zu >konkreten< Entwicklungsmodellen verbirgt. Die mangelnde Orientierung des Behaviorismus an der darwinistischen Evolutionstheorie, deren Aufstellung er andererseits als funktionalistischer psychologischer Theorienansatz seine wissenschaftshistorische Entstehung verdankt, ist eine wichtige Ursache dafür, daß die Naturgeschichte des Psychischen gegenwärtig überwiegend von naturwissenschaftlichen und nicht psychologischen Spezialdisziplinen untersucht wird. Inhaltlich unterscheidet sich die Theorie der Psychophylogenese vom Behaviorismus vor allem in drei Punkten: a. Zwischen der psychischen Informationsverarbeitung bei Tieren und Menschen bestehen qualitative Unterschiede, die es nicht gestatten, tierexperimentelle Techniken direkt auf die Untersuchung des menschlichen Verhaltens zu übertragen oder eine gemeinsame Terminologie aufzustellen. Ebenso wie die Evolution psychischer Prozesse bei Tieren nicht einfach negiert werden kann, ist es umgekehrt nicht möglich, die einfacheren tierischen Verhältnisse bei Ratten, Primaten und anderen Vt als exemplarische Modelle für menschliches Verhalten zu interpretieren. Die Psychophylogenese schließt aufgrund der Eigengesetzlichkeit des tierischen und menschlichen Verhaltens eine direkte Fortschreibung der Naturgeschichte des Psychischen für die menschliche Bewußtseinsentwicklung aus. b. Das tierische Lernverhalten ist kein konstanter Mechanismus, der in unterschiedlichen Ausprägungen funktioniert, sondern eine Entwicklungsform des tierischen Verhaltens, die wieder in zahlreiche für die einzelnen Tierarten typischen besonderen Lernmechanismen zerfällt. Der inhaltlichen Konformität behavioristischer Tieruntersuchungen, die sich vor allem auf die Funktion der klassischen und instrumentellen Konditionierung konzentrieren, steht die faktische Vielfalt der tatsächlichen tierischen Lernformen gegenüber (vgl. Bd. 2, 2.). c. Das angeborene Verhalten wird nicht ausgeschlossen, sondern ist integraler Bestandteil psychophylogenetischer Entwicklung, der auch zu kausalen Erklärung der Struktur des Lernverhaltens mit herangezogen wird. Von Holzkamp (1973) ist im Zusammenhang mit einer kritischen Analyse psychologischer Theorieninhalte und der experimentellen Methodik die Begrenztheit klassischer und gegenwärtiger Psychologiekonzeptionen dadurch nachgewiesen 68
worden, indem 1.) die Konsequenzen des Fehlens konkret-historischer Bezüge im gesellschaftlich-sozialen Bereich und 2.) die Abstraktion von der naturhistorischen Grundlage menschlichen Denkens und Wahrnehmens aufgezeigt wurden. Beide Punkte hängen unmittelbar zusammen: Um die historische Spezifik der bürgerlichen Gesellschaft zu verstehen, ist diese aus ihrer Vorgeschichte heraus zu begründen. Gleiches gilt auch für den Gegenstand der psychologischen Theorienbildung selbst. Das Bewußtsein der bürgerlichen Gesellschaft ist einmal an diese besonderen gesellschaftlich-ökonomischen Produktionsbedingungen gebunden, andererseits kann es in seiner allgemeinen Struktur nur verstanden werden, wenn seine Entwicklung aus elementareren psychischen Prozessen bei Tieren und ihre Veränderung im TierMensch-Ubergangsfeld in die Kausalanalyse mit eingeschlossen wird. Gelegentlich wird dieser integrative Ansatz jedoch wieder durch unzureichende theoretische Reflektion zerbrochen und die Anerkennung von 1.) benutzt um 2.) zu negieren. Die Kenntnis der Entwicklungsgesetze der bürgerlichen Gesellschaft wird dazu ausgenutzt, die reale Entwicklungsgeschichte des Psychischen auf den Kopf zu stellen und sie als ein besonderes Bewußtseinsproblem der bürgerlichen Gesellschaft darzustellen. Jede Erkenntnis psychischer Prozesse bei Tieren sowie der Begriff des Tieres selbst ist danach nur als Moment der Weiterentwicklung des Bewußtseins in der bürgerlichen Gesellschaft zu verstehen. Man darf sich dabei aber nicht durch den vordergründigen Glanz der Historisierung des Gegenstandes der Psychologie mit gesellschaftlich-ökonomischen Kategorien darüber hinwegtäuschen lassen, daß hier in der Anerkennung der Bedeutung gesellschaftlich-historischer Entwicklungsprozesse für die psychologische Theorienbildung andererseits die Funktion einer objektiven Theorie der naturhistorischen Entwicklung des Psychischen in spezifischer Weise negiert wird. Damit reduziert sich natürlich auch wieder das inhaltliche Verständnis der gesellschaftlich-ökonomischen Entwicklung selbst, indem das Verhältnis der naturgeschichtlichen Entwicklung psychischer Prozesse zu ihrer Veränderung durch jeweils spezifische gesellschaftlich-ökonomische Faktoren als Grundfrage psychologischer Theorienbildung verkannt wird. Die besondere Entwicklung des gesellschaftlichen Bewußtseins in der bürgerlichen Gesellschaft wird zum theoretischen Vehikel, durch das die objektive Bedeutung vorhergehender Entwicklungsstufen des psychologischen Untersuchungsgegenstandes negiert wird. Die Aufarbeitung eines speziellen Entwicklungsabschnittes wird gleichzeitig benutzt, um die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Naturgeschichte des Psychischen einer subjektiv-idealistischen Interpretation zu unterwerfen. Im Gegensatz zu der Anthropomorphisiemng des tierischen Verhaltens wird hier die Subjektivierung des Psychischen nicht mehr über individuelle, sondern allgemeine gesellschaftliche Kategorien vorangetrieben. Es ist unbestritten, daß die Kenntnis des tierischen Verhaltens an die ökonomischen und bewußtseinspsychologischen Bedingungen einer jeweils konkreten Gesellschaftlichkeit des Erkenntnissubjektes gebunden ist, sich aber eben nicht in dessen historischer Relativität erschöpft, sondern auch einen transformatorischen Charakter besitzt, der erkenntnistheoretisch den objektiven Gehalt des naturhistorischen Verständnisses bestimmt. Das tierische Verhalten ist in seiner Materialität nicht nur aus den besonderen Produktions- und Lebensbedingungen des Naturwissenschaftlers oder Psychologen erklärbar, obwohl diese einen erheblichen Einfluß auf die Beobachtung des Gegenstandes ausüben, sondern primär aus der 69
Kenntnis der Umweltbedingungen des Tieres. Mit der Entkopplung der gesellschaftlich-historischen und naturhistorischen Betrachtungsweise des psychologischen Gegenstandes kommt es zu einer nur scheinhistorischen Betrachtung des tierischen Verhaltens als einem Spezialfall des gesellschaftlichen Selbstverständnisses. Ähnlich wie sich der anthropomorphe Tierfreund nicht vorstellen kann, daß etwa der Hund nicht in seinen bewußtseinspsychologischen Kategorien denkt, bleibt bei einer derartigen gesellschaftswissenschaftlichem Betrachtungsweise unvorstellbar, daß das Tier auch objektiv außerhalb der spezifisch menschlichen Geschichtssituation existiert. Zwei Ethologen können sich aber gerade deshalb über das Verhalten eines Vt verständigen, da sie von ihrer eigenen individuellen, sozialen und gesellschaftlich-historischen Situation abstrahieren und die Existenzbedingungen des Tieres zum Inhalt ihrer Theorienbildung machen. Umgekehrt wird die Begründung der Psychophylogenese allein durch gesellschaftlich-ökonomische Kategorien die erkenntnistheoretische Grundlage einer systematischen Subjektivierung der Naturgeschichte des Psychischen, die zum Projektionsfeld psychologischer und ökonomischer Gesellschaftsprobleme wird. Die Anerkennung der Objektivität naturwissenschaftlicher Aussagen ist deshalb ein relativ leicht handhabbares Kriterium, an dem nun andererseits die Wissenschaftlichkeit der Gesellschaftskonzeption überprüft werden kann.
2.2 Biochemische und histologische Voraussetzungen des Psychischen. In der Biologie existiert das psycho-physische Problem in einer >weiteren< und in einer >engeren< Formulierung. Erstere wird aus erkenntnistheoretischen Gründen heraus z. B. von M. Hartmann (1959) und Rensch (1968, 1973) vertreten. Danach besteht zwischen Physischem und Psychischem eine allgemeine phylogenetische Parallelität in der Entstehung: Auch elementarste biologische Systeme wie Viren, Bakterien usw. verfügen deshalb bereits über >protopsychische< Merkmale (Rensch 1968). Gegen eine >weitere< Fassung des psycho-physischen Problems sprechen zwei Argumente: a. Eine derartige theoretische Lösung ist mit naturwissenschaftlichen Methoden gegenwärtig nicht entscheidbar und führt neben einem System hypothetischer erkenntnistheoretischer Annahmen zu zahlreichen methodologischen Schwierigkeiten. Durch eine empirisch nicht überprüfbare theoretische Fassung werden erneut alle die Mängel des psycho-physischen Problems reproduziert, denen hier mit einer logischen Nachordnung des allgemeineren Problembewußtseins gegenüber den biologischen Fakten begegnet werden soll. b. Eine direkte Identifizierung von Physischem und Psychischem sowohl in der Entstehung als auch in der weiteren phylogenetischen Ent70
wicklung ist theoretisch mit einer an der Darstellung der inneren Widersprüchlichkeit der Naturgeschichte des Psychischen orientierten Entwicklungskonzeption nur schwer zu vereinbaren, da die Annahme >protopsychischer< Eigenschaften sowohl bei physikalischen wie primitiven biologischen Systemen in eine Negation qualitativ neuer Entwicklungsformen in der Psychophylogenese umschlägt. Rensch begründet die Entscheidung für eine >weitere< Fassung des psycho-physischen Problems mit der Einfachheit der Erklärung: Das Auftreten von vorher nicht vorhandenem Psychischen in den Hirnen von Lebewesen sei sehr viel hypothetischer als die Integration von jeher existierenden >protopsychischen< Eigenschaften der Materie während der biologischen Evolution. Als Folge dieses mechanischen Entwicklungsmodells bestreitet Rensch (1968,238) theoretisch sowohl das Auftreten des Psychischen als etwas fundamental Neuem in der Phylogenese der einzelnen Tierstämme als auch die Entstehung psychischer Prozesse während der Embryonalentwicklung des Menschen, obwohl er selbst empirisch zahlreiche quantitative und qualitative Veränderungen der psychischen Leistungsfähigkeit überzeugend nachgewiesen hat. Die >engere< Interpretation des psycho-physischen Problems, die im weiteren in ihren verschiedenen Einzelheiten noch genauer begründet wird, geht davon aus, daß die Entstehung des Psychischen ein relativ spätes Produkt der Evolution biologischer Systeme ist und an die Exisenz hochentwickelter Organismen gebunden. Zwischen der Entstehung des Lebens und der Psychogenese besteht nicht nur ein zeitlicher, sondern auch ein biologischer Entwicklungswiderspruch, der es als problematisch erscheinen läßt, das naturhistorische Abhängigkeitsverhältnis von Physischem und Psychischem theoretisch als ein eindeutiges Abbildungsverhältnis zu interpretieren. Die Kausalität von Physischem und Psychischem ist vielmehr als ein allgemeines Widerspruchsverhältnis anzusehen, das in der Psychophylogenese sehr verschiedene Organisationsformen annimmt. Vor dem Erwerb psychischer Merkmale, die neben anderen Evolutionsfaktoren dann auch zu einer erheblichen Beschleunigung der Entwicklung der Organismen führten, lag die Ausbildung so wichtiger Struktureigentümlichkeiten biologischer Systeme wie Stoffwechsel und genetischer Reduplikation in noch relativ einfach gebauten Protobionten, die biochemisch aus Protein- und Nukleinsäuremolekülen bestanden und damit bereits über einen elementaren Gensatz und einen bestimmten Systemcharakter verfügten. »Stoffwechsel, Zellreproduktion und Mutation sind die Schlüsselprozesse der Lebendigkeit. Sie erschließen den mit ihnen ausgestatteten, individualisierten begrenzten Stoffsystemen eine Evolution, die automatisch zu zunehmender Typenvielfalt, Organisationshöhe (Kompliziertheit) und Anpassung im Laufe von Generationen führt«. Diese Lebensdefinition von Kaplan (1972,26) führt Reizbarkeit nicht als unmit71
telbares Kriterium lebender Systeme auf, da sie als Spezialisierung des Stoffwechsels verstanden werden kann. Auf der Basis des biochemischen Austausches mit der Umwelt entstehen zunächst energetisch positive Stoffwechselprozesse, von denen sich einige zunehmend auf die Informationsaufnahme spezialisieren und zur Reizbarkeit des biologischen Systems führen, die dann schließlich auf einer weiteren Entwicklungsstufe zur physiologischen Grundlage des psychischen Verhaltens von Organismen wird. Der Begriff des Lebens ist also umfassender als der der Reizbarkeit und dieser wieder weiter als der des Psychischen. Durch die Ausbildung einer genetischen und einer physiologischen Reaktionsebene sind lebende Systeme in der Lage, die aus der physikalischen Umwelt einströmenden Informationen zu sammeln und die wichtigsten von ihnen über genetische Speichersubstanzen und verschiedene Vermehrungsmechanismen an die Nachkommen weiterzugeben. Leben ist unter diesen Gesichtspunkten eine Systemeigenschaft von Materieeinheiten, die in einer geeigneten Umwelt einen pro Zeiteinheit reduzierten Zuwachs von Entropie verursacht. Durch die intensivierte Wechselwirkung zwischen den Elementen innerhalb des biologischen Systems nimmt auch der Informationsaustausch mit der Umwelt besondere Züge an. Zu den wichtigsten Systemmerkmalen des Lebens gehört die Charakterisierung der Organismen als offene Systeme, die über ein Fließgleichgewicht in einem ständigen Stoff- und Energieaustausch mit der Umwelt stehen. Der Stoffwechsel als ein Wesensmerkmal des Lebens ist eine aus dem offenen Systemcharakter abgeleitete spezielle physiologische Konsequenz. Biologische Systeme sind ohne eine ständige Stoff- und Energiezufuhr aus der Umwelt nicht existenzfähig, sondern würden sich nach kurzer Zeit deren niedrigeren energetischen Niveau durch Zerfall anpassen. Die innere Struktur des Organismus kann deshalb als ein Kontrollsystem angesehen werden, das diese Systemvernichtung verhindern soll. In der Natur existieren zwei Prozeß typen mit einer grundsätzlich entgegengesetzten Richtung. In den geschlossenen Systemen der Physik und Chemie gelten die Erhaltungssätze der Energie, der Masse, des Impulses sowie der Entropiesatz, der besagt, daß in geschlossenen Systemen die Differenzen der Konzentration, der Temperatur und der Energie sich ausgleichen, so daß sich das Gesamtsystem mit seinen Veränderungen schließlich einem Endgleichgewichtszustand nähert. Die Entropie ist ein Maß für den augenblicklichen Abstand von diesem Gleichgewichtszustand, der auch als thermodynamisches Gleichgewicht bezeichnet wird und die allgemeine Richtung physikalischer Entwicklungsprozesse bestimmt. Offene Systeme wie die Organismen zeichnen sich gerade umgekehrt durch einen ständigen Zufluß von Substanzen und Energie aus,so daß z. B. die funktionell wichtigen Stoffe des ZNS innerhalb weniger Wochen erneuert werden (vgl. 2.3.1.). Da in ihnen nicht die Substanzen sondern nur die Struktur konstant bleibt, befinden sie sich in einem permanenten 72
Zustand des Fließgleichgewichtes. In offenen Systemen kann die Entropie zwar vermindert oder niedrig gehalten werden, aber die Beibehaltung bzw. Vergrößerung des Abstandes vom thermodynamischen Gleichgewicht (der letztere Fall wird biologisch als Höherentwicklung bezeichnet) bedarf ständiger Erhaltungsarbeit und der Ausbeutung des Informations- und Energievorrates in der Umwelt, dessen zentralster Mechanismus die Entwicklung des Nervensystems und der psychischen Reaktionsfähigkeit ist, durch den prinzipielle Überlegenheit gegenüber dem Verhalten der Umwelt und damit ein schnelles Ausweichen, Ortsveränderungen usw. gegeben sind. Fließgleichgewicht und offener Systemcharakter des Organismus sind die biophysikalischen Eigenschaften, mit denen sich lebende Systeme partiell dem energetischen Ausgleich mit der Umgebung entziehen können. Die physikalische Entwicklungsrichtung zwingt biologische Systeme zu einer Selbstorganisation, deren allgemeine Zusammenhänge als biologische Evolution beschreibbar sind und nicht nur zu einer Erhaltung, sondern auch zu einem immer vollkommeneren Ausweichen durch eine Anzapfung immer neuer physikalischer Energie- und Informationsquellen führen.
Sowohl der allgemeine wie auch der spezielle Systemcharakter des Organismus hat in der Evolution sehr verschiedene Organisationsstufen durchlaufen. Zu ihnen gehört das Auftreten subzelluärer Differenzierungen (Kompartimentierungen) mit wichtigen Organellen (z. B. Nucleus, Golgi-Apparat, Mitochondrien, endoplasmatisches Reticulum) und unterschiedlicher Zelltypen. Aus der - hypothetischen - Kette der phylogenetischen Organisationsformen der Systembildung - praezelluäre, Aggregate, Protobionten, Eobionten, Prokaryonten und Eukaryonten sind die letzten zwei Formen der zelluären Systembildung noch recent und führen zur Unterteilung der Organismen in diese zwei Gruppen. Eukaryontische Zellen sind wesentlich reichhaltiger differenziert als der primitivere prokaryontische Typ> bei dem energieliefernde Prozesse (Atmung, Photosynthese) noch in komplexen Plasmamembraneinstülpungen ablaufen und ein >echter< Zellkern fehlt. Die für die psychische Entwicklung wichtigen höheren Organismen gehören alle zu den Eukaryonten. Nach einer gegenwärtig an Bedeutung gewinnenden Hypothese sind eukaryontische Zellen aus Prokaryonten entstanden, indem ein größerer anaerober Prokaryont einen kleineren Prokaryonten als Symbionten in sich aufgenommen hat. Die damit verbundene Leistungssteigerung - zwischen Pro- und Eukaryonten bestehen 2,6mal mehr genetische Differenzierungen als zwischen den eukaryontischen Organismen (Kaplan 1972) - , läßt erstmals auch die Existenz eines Informationsaustausches auf der psychischen Ebene in den Bereich des objektiv Möglichen rücken. Wahrscheinlich war aber dazu eine nochmalige Organisationssteigerung durch den Zusammenschluß mehrerer eukaryontischer Zellen - der eigentliche Ubergang von der Ein- zur Vielzelligkeit - notwendig. Immerhin können bei Bakterien als einer Organismengruppe der Prokaryonten bereits einfache Reizerscheinungen beobachtet werden. Obwohl hier noch eine sehr basale Ebene der psycho-physischen Organisation 73
angesprochen ist, ist ihre Problematik selbst für die höheren psychischen Funktionen des Menschen nicht unwesentlich, wie zwei Sachverhalte zeigen. So besitzen z. B. die Mitochondrien, die als Nachkommen der symbiotischen Prokaryonten interpretiert werden können, einen wichtigen Einfluß auf die biochemischen Leistungen des Neurons, da hier z. B. das Enzym Monoaminoxydase produziert wird, das die Regulation der Transmittersubstanzen an den Synapsen mit beeinflußt. Außerdem besitzen Mitochondrien gegenüber dem Zellkern eigenes genetisches Material, was durch ihre besondere phylogenetische Herkunft erklärt werden kann. Dieser Aspekt ist besonders für die Zwillingsforschung interessant, da die Gleichheit der Chromatinausstattung des Zellkernes durch die bei einigen Species nachgewiesene Ungleichheit des genetischen Materials in den Mitochondrien relativiert werden würde. Eineiige Zwillinge weisen bei Schizophrenie teilweise eine Konkordanz von nur 40% auf. Die Vorstellungen über eine extrachromosomal ungleich verteilte Vererbungsstruktur, die bisher allerdings noch sehr vage ist, könnte auch eine Erklärungsmöglichkeit für das spontane Auftreten von Psychosen in erblich bisher noch unbelasteten Familien und die fehlende Konkordanz und andere Fragen der Vererbung psychischer Eigenschaften geben, obwohl damit das Problem von Anlage und Umwelt nicht einfacher wird (Kanig 1973).
Die wichtigsten Schritte in der Evolution des Stoffwechsels vor der Entstehung des Psychischen sind unter anderem Gärung und Erwerb der C02-Assimilation und eine primitive ATP-Gewinnung. Da die Atmosphäre zu dem Zeitpunkt der Biogenese wahrscheinlich sauerstoffrei war, erfolgte die Wasserstoff-Oxydation zu H 2 0 in der anaeroben Gärung, bis die Freisetzung von 0 2 durch aerobe Photosynthetiker schließlich die allgemeine Evolution der aeroben Atmung ermöglichte, die für Tiere und den Menschen typisch ist. Die Orientierung in der Umwelt und die Reaktion auf potentielle Nahrungsstoffe war in dieser frühen Phase der biologischen Evolution noch stark biochemisch ausgerichtet. Bevor ein so komplizierter Prozeß wie die psychische Reaktionsfähigkeit entstehen konnte, mußte der Stofftransport im biologischen System, die Energiegewinnung und die Regulation der Enzym- und Genfunktion, durch die alle erst die materiellen Ressourcen der energie- und informations verbrauchenden psychischen Prozesse sichergestellt werden, in mannigfacher Weise spezialisiert sein. Die Aufnahme und Abgabe von Stoffen erfolgt im Organismus teilweise passiv durch Wärmebewegungen der Moleküle (Osmose), wenn etwa die Salzkonzentration in dem biologischen System höher ist als in der Umgebung (Hypertonie), so daß Wasser durch die semipermeable Zellwand eindringt. Bei gleichen Konzentrationswerten (Isotonie) erfolgt kein Flüssigkeitsaustausch, da der hohe osmotische Druck gegen Null geht. Der Aufnahme und dem Umbau fremder in körpereigene Stoffe (Assimilation, Anabolismus) folgt der energetische Abbau und die Exkretion (Dissimilation, Katabolismus). Stoffaufnahme und Einbau lebensnotwendiger Substanzen in den Organismus wird in der Physiologie als Baustoffwechsel den Mechanismen der Energiegewinnung (Betriebsstoffwechsel) gegenübergestellt. Die Phylogenese 74
des Stoffwechsels hat bei mehrzelligen Organismen zu poikilosmotischen Systemen geführt, in denen physiologische Reaktionen bei verschiedenen Konzentrationsbedingungen ablaufen können. In homoiosmotischen Stoffwechselsystemen wird die Konzentration der Körpersäfte durch die Ausbildung von Exkretionsorganen (pulsierenden Vakuolen, Nieren) annähernd konstant gehalten. Die in geringen Mengen in der Umgebung der Zelle vorhandenen Nährstoffe (Aminosäure, Zucker) werden durch spezifische Transportproteine (Permeasen) in die Zelle gepumpt. Die Entstehung eines ausgeglichenen »inneren Milieus< ist eine wichtige stoffwechselphysiologische Voraussetzung für die Entstehung psychischer Prozesse. Die meisten Stoffwechselprozesse der biologischen Zelle werden von spezifischen Proteinen (Enzymen) katalysiert, die sowohl Reaktionsgeschwindigkeit als auch Reaktionsart mitbestimmen (z. B. als Proteasen, Hydrolasen, Desmolasen). Nach einer Zerlegung der Nahrungsstoffe werden in komplizierten Reaktionsketten die Bausteine der körpereigenen Makromoleküle zu organismusspezifischen Polymeren zusammengefügt. Derartige Syntheseketten sind jedoch nur als Umwegreaktionen möglich, da es sich um Gleichgewichtsreaktionen handelt, bei denen die Rückreaktion als Zerfall des Polymers schneller erfolgt als die Synthese. Der Reaktionsverlauf erfolgt deshalb über verschiedene Zwischenstufen, wo den zu aktivierenden Stoffgruppen energiereiche Atomgruppen angehängt werden, deren Energie dann zur Synthese benutzt wird. Der wichtigste derartige biologische Energieträger ist das Adenosintriphosphat (ATP). Beim Menschen wird jedes ATP-Molekül während eines Tages ca. 2400mal auf- und abgebaut. Die biologische Oxydation erfolgt nicht als schnelle Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff, da die hier freiwerdende Energie nur als Wärme auftreten würde, sondern in einem mehrstufigen Prozeß als Atmungskette, in der mehrere Enzyme nacheinander wirken und der Wasserstoff von Enzym zu Enzym weitergereicht wird, bis die Verbindung zu Wasser erfolgt. Während bei niederen Tieren durch die Energieumsetzung häufig nur Wärme frei wird, ist die Speicherung bei Warmblütlern für eine allgemeine Intensivierung der Lebensprozesse notwendig. Sowohl motorische Reaktionen als auch die Erzeugung elektrischer Signale beruhen in letzter Konsequenz auf der beim Stoffabbau gewonnenen und im ATP gespeicherten Energie.
Phylogenetisch ebenfalls vor der Ausbildung des Psychischen lag der Erwerb so wichtiger Merkmale hochorganisierter lebender Systeme wie Genaustausch, Chromosomenrekombination, Mutation, sexuelle Vermehrung und Diploidie des Gensatzes. Die Reproduktion mit der Vererbung auf der Grundlage der identischen Reduplikation bildet nach den System eigenschaften und dem Stoffwechsel damit ein weiteres Organisationsmerkmal, dessen Entstehung erst den Eintritt in die Psychogenese ermöglichte. Biologische Systeme besitzen eine begrenzte Lebensdauer und können nur dann innerhalb phylogenetischer Zeiträume existieren, wenn eine genaue Kopie des vorhandenen Orginals angefertigt und diese im Prozeß der Fortpflanzung auf die Nachkommen übertragen wird. Die Vermehrung geschieht dabei durch Zellteilung, da die Tochtersysteme bei unveränderten inneren physiologischen Reaktionsmu75
stern und konstanter Umwelt sich durch Wachstum wieder dem stationären Zustand des Elternsystems nähern. Die Voraussetzung einer derartigen Merkmalsidentität zwischen Eltern und Nachkommen ist die Existenz von Erbanlagen, ihre identische Verdopplung und anschließende Verteilung. Die Vermehrungsprozesse als Zellteilung schließen eine genetische Informationsweitergabe ein, die bei höheren Organismen über sexuelle Fortpflanzung realisiert wird. Seit den Untersuchungen von Avery, MacLeod und McCarty (1944) weiß man, daß die Erbsubstanzen biologischer Systeme Nucleinsäuren sind. An ihre identische Reduplikation, die über einen besonderen biochemischen Aufbau als Doppelhelix realisiert wird, schließt sich die Teilung der Chromosomen an, deren Verteilungsgesetzmäßigkeiten als Mitose und Meiose dann zu einer Gleichverteilung der Erbanlagen auf die Tochterzellen führen. Biochemisch sind Desoxyribonucleinsäure (DNA) und Ribonucleinsäure (RNA) hochmolekulare Verbindungen, die aus Ketten von mehreren tausend Nucleotiden bestehen können. Die RNA, die meist nur aus einer Kette besteht, kommt als genetischer Informationsträger bei Pflanzen- und Tierviren sowie Bakteriophagen vor, während die DNA als zwei in gegensinniger Richtung gewundene Polynucleotidstränge, die über Wasserstoffbrücken als Nebenvalenzbindungen verknüpft sind, die charakteristische Erbsubstanz der höheren Organismen bildet. Die Informationsübertragung von der Parietal- zur Filialgeneration wird dadurch gewährleistet, daß vor der Gametenausbildung eine identische Reduplikation der DNA erfolgt und anschließend jede Keimzelle einen vollständigen Satz erhält. Wenn die Verdopplung der Erbsubstanz nicht erfolgt, tritt keine Vermehrung über mehrere Generationen ein. Zwischen einfacher Vermehrung und Vererbung besteht deshalb ein wichtiger Unterschied, da nur solche Zellbestandteile als Erbsubstanz in Frage kommen, die entsprechende biochemische Matritzeneigenschaften besitzen, während Vermehrungsvorgänge anderen, meist biophysikalischen und stoffwechselphysiologischen Gesetzen unterliegen.
Zusammenfassend können in biologischen Systemen drei Ebenen des Informationsaustausches mit der Umgebung unterschieden werden, die jeweils auch unterschiedlichen biologischen Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Die elementarste Form ist der Austausch von Informationen über chemische Substanzen als Stoffaufnahme und -abgabe (1). In der phylogenetischen Entwicklung des Stoffwechsels kommt es zur Spezialisierung auf immer energie- und informationsreichere Makromoleküle, die günstigere Voraussetzungen für die Selbsterhaltung liefern. Der Endpunkt des Stoffwechselplus ist entweder die vollständige Stoffabgabe an die Umgebung als Individualtod oder phylogenetisch das Aussterben der Art. Damit erfolgt wieder eine Annäherung an den Entropiegrad der Umgebung. Biophysikalisch erhält sich das lebende System dadurch, daß es den Entropiegehalt seiner Umgebung erhöht, jedoch selbst Energien und Informationen in einem hohen Konzentrationsgrad speichert, was Schrödinger zu der Bemerkung veranlaßte, daß sich Organismen von der Entropie ihrer Umwelt ernähren. Aus dem Stoffwechsel, in dem der energetische Aspekt noch gegenüber 76
der Bedeutung des Informationsgehaltes einer Substanz dominiert, entwikkeln sich als zweite Ebene des Informationsaustausches schließlich komplizierte Molekülkonfigurationen (DNA, RNA), die sich bereits auf die Informationsübertragung zwischen biologischen Systemen spezialisiert haben (2). Die Ebene des genetischen Informationsaustausches, bei dem der energetische und substantielle Aspekt nun zurückgetreten ist und durch andere Stoff Wechselprozesse gewährleistet wird, ist phylogenetisch die elementarste und in der weiteren biologischen Evolution wichtigste Form eines selbständigen Informationswechsels biologischer Systeme. Die genetische Informations weitergäbe verhindert, daß der Organismus bereits mit dem Individualtod vollständig auf das energetische Niveau seiner Umgebung zurückfällt, sondern die Fähigkeit der Erneuerung der offenen System organisation besitzt. Erst die Ausbildung von Erbsubstanzen ermöglicht die Evolution des biologischen Systems in phylogenetischen Zeitdimensionen. Leben basiert damit nicht nur auf der Proteinbiosynthese, sondern auch auf der autokatalytischen Fähigkeit der Nucleinsäuren. Der Schlüssel für die Umsetzung ineinander ist der genetische Code, durch den die Vierbuchstabenschrift der DNA, die durch die lineare Sequenz der vier Basensorten Adenein, Guanin, Cytosin und Thymin gebildet wird, in die Zwanzigbuchstabenschrift der Aminosäuren des Organismus übersetzt werden kann. Der Selbstreproduktionsfähigkeit der DNA wird deshalb auch ihre heterokatalytische Funktion, die Steuerung des Aufbaues von Eiweißen, gegenübergestellt. Transkription als identische Wiederherstellung der eigenen Makromolekülstruktur, die Kornberg (1960) auch in vitro gelang, und Translation als Übertragung der genetischen Information in den Zellstoffwechsel sind zwei wichtige Aspekte der qualitativ besonderen Ebene des genetischen Informationsaustausches biologischer Systeme. Die Bedeutung der genetischen Informationsebene zeigt sich auch in zwei anderen Sachverhalten: einmal in der verhältnismäßig großen Sicherheit der Informationsweitergabe und zum anderen in dem hohen Informationsgehalt von Keimzellen (z. B. 1011 bit in der menschlichen Keimzelle gegenüber dem Kernspeicher des IBM 360 mit 6 • 107 bit). Die höchstentwickelte und phylogenetisch jüngste Art des biologischen Informationswechsehy der im weiteren genauer untersucht werden soll, ist die Entstehung von Signalen, Signalhandlungen, tierischen Kommunikationssystemen, des tierischen Lernverhaltens, dessen besondere ideelle Widerspiegelungsfähigkeit hier global mit dem Begriff des Psychischen charakterisiert werden soll. (3) Die elementaren Buchstaben dieser Ebene sind nicht nur biochemische Substanzen, sondern auch materielle Träger als Reize, Signale usw. die über ihren physikalischen Informationsgehalt hinaus für die entsprechende Tierart noch eine besondere biologische Bedeutung besitzen. Das Besondere der psychischen Informationsebene gegen77
über dem physiologischen Stoffwechsel oder der genetischen Informationsweitergabe besteht darin, daß hier erstmals verschiedene materielle Substanzen als Träger der Informationen auftreten können, während sonst der Informationsaustausch streng stofflich definiert werden kann. Als materielle Grundlage des Psychischen haben sich nicht Makromoleküle oder andere Stofformen am günstigsten erwiesen, sondern elektrische Felder. Von den drei angeführten allgemeinen Kriterien des Lebens - eine spezifische Systemorganisation, Stoffwechsel und identische Reduplikation soll nun der Einfluß der Systembildung der frühen organismischen Evolution auf die Psychogenese genauer betrachtet werden. 2.2.1. Psychische Prozesse hei Einzellern und pflanzlichen Organismenf Von den Protozoen, den für die psychische Entwicklung interessantesten einzelligen Organismen, besitzen einige Arten bereits ein differenziertes Verhalten gegenüber ihrer Umwelt, obwohl Reizaufnahme, Reizleitung und Reizreaktion noch in der gleichen Zelle ablaufen. Die Reizbeantwortung besteht meist aus einer Ortsveränderung. Je nach der Reizart können Phototaxien, Mechanotaxien (hier speziell bei dem Pantoffeltierchen Paramecium die Thigmotaxis als Berührungsreaktion z. B. beim Zusammentreffen mit anderen Einzellern), Thermotaxien und Chemotaxien unterschieden werden. Die Struktur der Erregungsleitung vom Reizort bis zur Reaktion sind ebenso wie die energetische Grundlage noch wditgehend unbekannt. Obwohl die meisten Reaktionen von Einzellern in einem direkten Zusammenhang mit der Veränderung ihrer spezifischen Umweltbedingungen stehen, können wahrscheinlich auch bereits spontane Erregungsmuster auftreten. Durch die mechanischen Reize werden vor allem Druckunterschiede gemeldet, die bei >haptischen< Arten, die auch sessil leben, zu Gestaltverformungen führen können. Zahlreiche Protozoen reagieren positiv oder negativ chemotaktisch auf bestimmte Reizstoffe sowie auf eine Änderung des für sie optimalen ph-Bereiches von 5,4-6,4. Außerdem ist das chemotaktische Reaktionsvermögen biologisch für die Fortpflanzung und die Orientierung nach bestimmten Gewebetypen bei parasitisch lebenden Arten wichtig. Pantoffeltierchen (Paramecium caudatum) schwimmen unter experimentellen Bedingungen je nach Stromstärke durch die den Wimpern aufgezwunger ., Schlagumkehr zu einem Pol der Stromquelle. Unter natürlichen Verhältnissen erfolgt die Fortbewegung in Form einer Schraubenbahn. Außer Rückwärtsschwimmen, Vorwärtsschwimmen und Seitwärtsdrehen können Paramecien auch auf der Stelle wenden, wenn an der Zelloberfläche durch entsprechende Reize eine unterschiedliche Aktivität der Wimpern ausgelöst wird. Bei einer Anreicherung des Wassers mit Sauerstoff erhöht sich die Schwimmgeschwindigkeit und die Paramecien 78
b
C
Bild 5 Paarungsspiel des hypotrichen Ciliaten Stylonychia mytilus vor der Konjugation, (a) im Uhrzeigersinn verlaufende ruckartige Teildrehung von jeweils 45-60°, Aneinanderaufrichten und Berühren mit dem Peristom (b). Dieses Verhalten kann mehrmals wiederholt werden, bevor es zu einer endgültigen Verklebung der Peristome und der Verschmelzung der Zellen kommt (c). Nach Grell (1968). schwimmen entweder senkrecht nach oben (negative Geotaxis) oder senkrecht nach unten (positive Geotaxis). Am ausführlichsten ist bei Einzellern das Vermögen untersucht, gerichtet auf eine optische Reizquelle zu reagieren, das für Rhizopoden (Amoeba proteus), Ciliaten (Stentor coerulus) und Flagellaten nachgewiesen ist. Während das gewöhnliche (und farblose) Pantoffeltierchen (Paramecium caudatum) unter normalen Bedingungen nicht auf Licht reagiert, ist das Verhalten des grünen Pantoffeltierchens (Paramecium bursaria), das seine Grünfärbung der Symbiose mit grünen Algen verdankt, auf die Ausnutzung des Sonnenlichtes ausgerichtet. Viele autotrophe Flagellaten besitzen Augenflecken (Stigmen), die zwar keine direkten Lichtsinnesorgane sind, aber doch wichtige Funktionen bei der Reaktion auf Licht erfüllen. Bei den positiv phototaktischen Flagellaten kann eine Erhöhung der Lichtintensität in Fluchtverhalten umschlagen. Eine allgemeine Reaktion auf den Wechsel von Licht und Schatten besteht in der Herabsetzung der Frequenz des Geiselschlages.
Die für die Evolution des Psychischen entscheidende Frage besteht darin, inwieweit Protozoen lernen können und ob sie in der Lage sind, die durch Reize hervorgerufenen Erregungszustände als Engramme zu speichern. Im 79
positiven Fall müßten sich zwischen den gespeicherten Informationsmustern Verbindungen (Assoziationen) herstellen lassen, die eine Übertragung auf neue ähnliche Situationen ermöglicht. Als gesichert kann bisher angesehen werden, daß einige Ciliatenarten für spezifische Reize sensibilisiert werden können. Dieser Frage, die seit Beginn dieses Jahrhunderts (Jennings 1906) experimentell gestellt, bisher aber noch nicht eindeutig beantwortet werden konnte, wird in einem speziellen Abschnitt ausführlich nachgegangen (vgl. Bd. 2, 2.2.1.). Die einfachsten mehrzelligen Tiere (Metazoa) sind Schwämme (Porifera), die entweder als eigene Unterabteilung (Parazoa) den übrigen Tieren gegenübergestellt werden oder als eine primitive Form der Coelenterata angesehen werden. Die ca. 5000 Schwammarten, von denen einige auch im Süßwasser vorkommen, zeigen noch kein hochentwickeltes Verhalten, da sie eher eine Agglomeration von Zellen als ganzheitliche Organismen darstellen, die aber trotz ihrer Primitivität bereits eine erstaunliche Größe erreichen können. Durch die lose Systemorganisation zwischen den einzelnen teilweise unspezialisierten Zellen verfügen sie über ein bemerkenswertes Regenerationsvermögen. Gegenüber den höherentwickelten Tieren ist das Verhalten der Schwämme vor allem durch seine Armut an Reaktionsmöglichkeiten von theoretischem Interesse. Andererseits zeigen diese Tiere, über welche Verhaltensmöglichkeiten Organismen bereits ohne ein zentralisiertes Nervensystem verfügen. Schwämme können, wenn auch relativ langsam, ihre Ausfuhröffnungen, die Poren und das Kanalsystem zusammenziehen. Wahrscheinlich beruht dieser Kontraktionsmechanismus auf einem System gleitender Filamente, die sich ähnlich wie beim Muskel ineinanderziehen, so daß eine gewisse Veränderung der Körpergestalt möglich ist. Der ca. 1 cm dicke Schwamm Hymeniacidon braucht für die Uberbrückung dieser Strecke bei der Reizleitung bis zu 10 min, was aber ausreicht, um den Schwamm zu schließen, wenn die Ebbe kommt. Wesentlich schneller ist die Reizleitung des 4-8 cm langen schwammes Tetia, der bei einer Reizung an der Basis ca. 30 s bis zum Schließen der Ausfuhröffnung benötigt (Wells 1973). Die Primitivität der Schwämme zeigt sich auch darin, daß sie nur über ein geringes Bewegungsvermögen verfügen und meist sessil leben. Nach dem Festsetzen erfolgt nur selten noch eine weitere Ortsveränderung. Lediglich der Organismus selbst zieht sich noch zusammen oder dehnt sich aus, um den Nahrungsstrom zu regulieren. Aber auch für diese elementaren Operationen ist bereits eine Koordination von mehreren tausend Zellen notwendig. Einige junge Schwammarten reagieren sogar auf Lichteinfall mit Kriechbewegungen von der Reizquelle weg (z. B. der heimische Süßwasserschwamm Ephydatia fluviatilis) oder zum Licht hin (z. B. Heromyeria). In diesem Punkt ist das Verhalten der Hohltiere gegenüber den Schwämmen, obwohl sich sonst beide Tiergruppen in mehrfacher Hinsicht ähneln, deutlich unterschieden, da bei ihnen bereits Muskelzellen auftreten, die von Nervenzellen aktiviert werden und so ein kompliziertes Verhalten wie das Überwältigen einer Beute ermöglichen, die freibeweglich 80
gefangen wird. Aufschlußreich für die elementare Verhaltensorganisation sind auch die beobachteten Fälle einer Desorganisation, indem sich z. B. der Hauptausfuhrgang des Schwammes schließt, ohne daß sich die Aktivität der davon abhängigen Zellsysteme (z. B. die Geißelkammern) ändert, so daß ein Teil des Tieres den Reaktionen eines anderen Teiles entgegenarbeitet. Eine starke Reizung mit fortdauernder Kontraktion kann den Schwamm durch weiteres Aufpumpen deshalb unter Umständen zum Platzen bringen.
Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand ist es sinnvoll, den Übergang von der Ein- zur Mehrzelligkeit als eine wichtige auf der Steigerung der Systemorganisation beruhende Voraussetzung der Psychogenese aufzufassen. Sowohl bei hochentwickelten Einzellern als auch bei primitiven mehrzelligen Organismen entsteht erstmals ein gegenüber den physiologischen Prozessen verselbständigtes Verhalten. Eine derartige phylogenetische Lokalisation des psycho-physischen Übergangsfeldes ist lediglich als eine Arbeitshypothese zu verstehen, die sowohl subjektive bzw. historische, vom konkreten Stand der biologischen Erkenntnis abhängende, als auch objektive Komponenten enthält. Einmal sind die gegenwärtig als materielle Kriterien verwendeten Merkmale einer psycho-physischen Organisation biologischer Systeme wie Mehrzelligkeit, Auftreten eines spezifischen Verhaltens oder die Existenz histologisch differenzierter Receptoren und Effektoren relativ grobflächige Indikatoren möglicher psychischer Prozesse, durch deren Netz feiner strukturierte psychische Reaktionen hindurchfallen können. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, daß sich mit einer Verfeinerung der Meß- und Beobachtungsbedingungen auch der historische Zeitraum des psycho-physischen Ubergangsfeldes noch zurückverlagern läßt. Dazu kommt, daß der Begriff des Psychischen trotz einer strengen Kopplung an naturwissenschaftliche Sachverhalte doch noch stark phänomenologisch ausgerichtet bleibt und es kein absolutes systemtheoretisches, stoffwechselphysiologisches oder genetisches Kriterium für den Eintritt in die Psychophylogenese gibt, so daß immer ein bestimmter subjektiver Ermessensspielraum für den phylogenetischen Zeitpunkt des psycho-physischen Ubergangsfeldes bleibt. Trotz dieser Relativität besitzt das Verhältnis von Ein- und Mehrzelligkeit für das psycho-physische Problem aber auch einen unverrückbaren empirischen Stellenwert. Bereits durch den Übergang von prokaryontischen Zellen mit einem Radius von ca. 1 ^im - 2 Jim zu dem eukaryontischen Zelltyp, deren durchschnittliche Zellgröße bis zu 20 (im betragen kann, entstehen völlig neue Organisationsprobleme. Z. B. wird es durch die Systemvergrößerung biophysikalisch unabdingbar, auch ein neues System der gleichmäßigen Verteilung der in der DNA gespeicherten Information, den Mitose-Apparat, für den Prozeß der Zellteilung zu entwickeln. Es ist 81
deshalb denkbar, daß die Folgen der Vielzelligkeit, die räumliche Ausdehnung des Organismus auf Zentimeter und Meterdimensionen, eine Ursache für die Entstehung neuer Informationsmöglichkeiten gewesen sind. Eine weitere wichtige Organisationsstufe, die für den Verlauf des psycho-physischen Übergangsfeldes von objektiver Bedeutung gewesen ist, kann in dem Ubergang von der sessilen Lebensweise zur freien Fortbewegung im Raum gesehen werden, da hier Informationen über Nahrung, Fortpflanzungspartner usw. über noch größere Entfernungen übermittelt werden. Ein spezifisches Problem des Beginns der psychischen Entwicklung während des Uberganges einzellig/vielzellig betrifft die Frage der konkreten phylogenetischen Zuordnung der einzelnen Tiergruppen. Wenn hier z. B. die verschiedenen Reaktionen des Pantoffeltierchens mit dem Verhalten der Schwämme verglichen wurden, so bedeutet das nicht unbedingt auch eine entwicklungsgeschichtliche Kontinuität zwischen beiden Organismengruppen, sondern sie werden lediglich aufgrund ihrer hohen Entwicklung innerhalb der Einzeller und der Primitivität unter den vielzelligen Tieren als Beispiele ausgewählt. Es ist also nicht auszuschließen, daß die komplizierten Reaktionen z. B. von Ciliaten nur das Endglied einer für die Protisten typischen Entwicklungslinie sind und innerhalb der vielzelligen Tiere die Schwämme nur einen Seitenzweig der Psychophylogenese darstellen, der weder mit den entsprechenden hochentwickelten Protistengruppen noch mit der weiteren psychischen Höherentwicklung über die einzelnen Tierstämme in kausalem Zusammenhang stehen muß. Das psycho-physische Ubergangsfeld ist deshalb wahrscheinlich als ein mehrsträngiger Prozeß zu verstehen, dessen genauere Struktur von der Klärung der phylogenetischen Verwandtschaft zwischen hochentwickelten Einzellern und primitiven Mehrzellern abhängt. Eine weitere Präzisierungsmöglichkeit des psycho-physischen Problems begrifft die Frage, ob die Entstehung der Mehrzelligkeit selbst bereits eine ausreichende Organisationsgrundlage für die Psychogenese ist, oder ob weitere bestimmte Spezialisierungen des Zellaufbaues vorliegen müssen. Dieses Problem betrifft vor allem den Unterschied zwischen pflanzlichen und tierischen Organismen. Überlegungen über den Unterschied zwischen pflanzlicher und tierischer Reizbarkeit sind so alt wie die Biologie selbst. Aristoteles erkannte den Pflanzen zwar eine >Seele< zu, aber keine Empfindungsfähigkeit. Linne nahm an, daß sich Pflanzen von Tieren lediglich durch ihre Bewegungsunfähigkeit unterscheiden. Tatsächlich gibt es Beobachtungen, die auf eine besondere Reaktionsfähigkeit schließen lassen. So drehen einige Arten wie Siliphinium lacinatum ihre Kanten der Blattflächen so, daß sie mit den Kanten zur Zeit der höchsten Strahlungsintensität genau in Strahlungsrichtung zeigen. Die physiologische Grundlage derartiger Kom82
paßpflanzen ist die phototrophische Reaktionsfähigkeit, die postiv oder negativ ausgebildet sein kann. Eine andere Art, die indische Krautpflanze Arbus precartarius, ist empfindlich gegenüber der Änderung elektromagnetischer Einflüsse und reagiert auf das Eintreffen von Zyklonen. Die Reizphysiologie als Teilgebiet der Pflanzenphysiologie basiert auf einigen elementaren Begriffen und Gesetzmäßigkeiten, die analog auch in der Nervenphysiologie verwandt werden. Die Zeit vom Beginn der Reizeinwirkung bis zum Beginn der sichtbaren Reaktion wird ebenfalls als Reaktionszeit bezeichnet. Sie beträgt bei der phototrophischen Reaktion der Hafer-Coleoptile 25-60 min, bei der Mimose 0,08 s. Die danach einsetzende Latenzzeit wird beendet, wenn durch den Reiz wieder eine entsprechende Reizschwelle erreicht wird, bei der Hafer-Coleoptile 3-25 lx/s. Der Reizerfolg ist dabei eine Funktion der Reizmenge, also das Produkt aus Reizintensität und Reizdauer: R = f(i t) Auch in der Pflanzenphysiologie gilt das Reizmengengesetz nur in der Nähe der Reizschwelle,da es bei Dauerreizen zu einer Empfindlichkeitsänderung kommt. Aufgrund derartiger Adaptationsprozesse reagieren längere Zeit im Dunkeln gehaltene Haferkeimlinge viel empfindlicher phototroph als aus dem Licht kommende. Außer in den Fällen, wo die Intensität einer pflanzlichen Reaktion von der Reizintensität abhängt, treten auch Alles-oder-Nichts-Reaktionen auf. Hier erfolgt in jedem Falle eine volle Reaktion unabhängig davon, wieweit die Reizschelle überschritten ist. Allgemein können bei Pflanzen drei Arten komplizierter Bewegungen unterschieden werden: Tropismen wie z. B. der Phototropismus sind Krümmungsbewegungen, die durch einseitig wirkende Reize induziert werden; Nastien, die ebenfalls Krümmungsbewegungen sind, deren Bewegungen aber nicht wie bei den Tropismen durch den Reiz, sondern durch die Struktur des reagierenden Organs bestimmt sind, und endogene Bewegungen, die nicht durch äußere Reize, sondern durch innere Mechanismen verursacht werden. Eine pflanzenphysiologische Reaktion ist durch ihre hohe Spezialisierung von besonderem Interesse; die seismonatische Reaktion des tropischen Unkrauts Mimosa pudica, bei der sich nach Erschütterung durch schnelle Turgorbewegungen die Fiederblättchen 1. und 2. Ordnung zusammenfalten und die Blattstiele, die besondere Blattstielgelenke besitzen, senken. Aufgrund dieser Eigenart erhielt die Mimose auch den Namen >SinnpflanzeNervensystem< ist also so zu verstehen, daß die Nervenzellen zusammen mit anderen Zelltypen, die teilweise embryonal aus dem gleichen Gewebematerial entstehen, einen histologischen und funktionellen Verband bilden, innerhalb dessen sie eine besondere Spezialisierung darstellen. Eine wichtige, für die Leitungsfunktion notwendige Aufgabe, die von Gliazellen geleistet wird, ist die Isolierung der extrazelluären Flüssigkeit des Nervensystems mit seinen besonderen Ionenkonzentrationen (vgl. 3.2.2.) gegenüber der restlichen Körper88
flüssigkeit sowie die Verbindung zu anderen Organen wie dem Blutgefäßsystem, die bei Wirbeltieren über die Astrocyten hergestellt wird. b. Auch die Nervenzellfortsätze werden zu verschiedenen Systemverbänden zusammengefaßt, die phylogenetisch unterschiedliche Formen annehmen. Während bei den primitiven Hohltieren die einzelnen Leitungsmaschen nur aus Nervenfortsätzen bestehen, werden sie bei den Plattwürmern zu Marksträngen zusammengefaßt. Bei Wirbeltieren werden die Axone zu Nervenfasern gebündelt. Markstränge, die nur bei Wirbellosen vorkommen, sind von den Nervenfasern der Wirbeltiere dadurch unterschieden, daß bei ihnen nicht nur die Zellsätze, sondern auch das Perikaryon selbst in der Leitungsbahn mit auftritt. c. Auch verschiedene Perikarya schließen sich innerhalb des Nervensystems zu funktionellen Untersystemen zusammen. Eine bei Wirbellosen verbreitete Konzentrationsform von Nervenzellen ist die Ganglienbildung. Auch im menschlichen Gehirn kommen ca. 150 besonders dichte Ansammlungen von Nervenzellen vor, die dann als Kerne bezeichnet werden (z. B. N. ruber, N. supraopticus, Putamen usw.) und häufig auf besondere psychische Funktionen spezialisiert sind. Die Ursachen für den Zusammenschluß von Neuronen zu Nervensystemen zeigen die universelle Bedeutung des Systemprinzips in der biologischen Organisation. Mit dem Übergang von der Ein- zur Mehrzelligkeit erreicht die räumliche Ausdehnung bei der Konstruktion des Organismus Ausmaße, die auch neue Varianten für die Überbrückung dieser bis zu mehreren Metern großen Entfernungen bei der Informationsübertragung notwendig macht. Das Nervensystem, stellt dann das Hauptkoordinationsinstrument der Systemintegration dar, das die Funktion fast aller anderen Organe kontrolliert und reguliert. Den räumlichen Konsequenzen der Mehrzelligkeit wird hier wieder mit dem Mittel mehrzelliger neuronaler Organisation begegnet. Einige Entwicklungsstufen der Nervensystembildung bei niederen Tieren können diesen Konzentrationsprozeß veranschaulichen. Das am einfachsten gebaute Nervensystem, das zugleich den einzigen dezentralisierten Konstruktionstyp darstellt, ist das diffuse Nervensystem der Schwämme (Porifera) und Hohltiere (Coelenterata). Die räumliche Anordnung der Nervenzellen im Organismus unterliegt nur in einem sehr geringen Maße lokalen und funktionellen Zentralisationstendenzen (z. B. Quallen, die bereits Nervennetzverdichtungen am Schirmrand besitzen). Das diffuse Nervensystem ist ein einheitliches, netzartiges Gerüst von Neuronen, das aus dem Ecto- und Endoderm gebildet wird, und in dem die Reizleitung gleichmäßig nach allen Seiten erfolgt. Trotzdem lassen sich auch auf dieser Organisationsstufe, die für die Nesseltiere (Cnidaria) typisch ist, aber auch bei Plattwürmern (Plathelminthes), Stachelhäutern 89
(Echinodermata) und Wirbeltieren vorkommt, bereits elementare Gesetzmäßigkeiten der Erregungsübertragung wie z. B. die Differenzierung der Reaktionsgeschwindigkeit nach der biologischen Bedeutung des Reizes nachweisen, die im Vergleich zu den höheren Tieren mit ca. 4-15 cm/s zwar relativ langsam ist, bei Schutzreaktionen von mitringförmigenNervenverbindungen ausgestatteten Nesseltieren aber auch bereits 1m/s erreicht. Beim Menschen kommen dezentralisierte Nervennetzstrukturen in der Wand des Magen-Darm-Kanals vor (Auerbachscher Plexus). Das Verhalten der Nesseltiere, zu denen verschiedene Arten von Polypen, Quallen und Korallen gehören, ist entsprechend der Organisation ihres Nervensystems noch vergleichsweise einfach, obwohl auch in der Entwicklung des diffusen Nervensystems selbst wieder Entwicklungsunterschiede auftreten. Die Seerose Anemonia besitzt noch kein durchgehendes nervales Leitungssystem, so daß Umwelteinflüsse auf dem Weg der lokalen Reaktion beantwortet werden, bei der es mit zunehmender Entfernung der Erregungsübertragung zu einer Abschwächung kommt (Dekrement). Die Abnahme des von einem Reizpunkt sich ausbreitenden Erregungsmusters erfolgt in einer Serie von Sprüngen, die mit zunehmender Ausbreitung auftreten. Die bahnende Wirkung einzelner Erregungsimpulse zeigt das Verhalten der Seerosen Calliactis und Metridium, deren Nervensystem bereits eine durchgehende leitende Struktur darstellt. Ein erster Reiz bahnt hier den Weg im Nervennetz, ohne aber einen Effekt auszulösen, während ein zweiter Reiz dann zu einer Muskelkontraktion führen kann, für die der räumliche Ausgangspunkt der Reizung wahrscheinlich bedeutungslos sein kann, so daß sich bereits ein einziger Impuls über die ganze Seerose ausbreiten kann (Wells 1973). Das diffuse Nervennetz einer Seerose ermöglicht aber auch bereits integrierte Verhaltensweisen, die über das bloße Funktionieren einer Reflexmaschine hinausgehen und z. B. den Schließreflex als Alles-oder-Nichts-Reaktion in längerdauernde synchronisierte Verhaltensabläufe integrieren. So erfolgt bei der Nahrungsaufnahme das Einsaugen von Wasser, indem es durch peristaltische Körperbewegungen angesaugt wird und erst nach mehreren Stunden nach einer erheblichen Körperausdehnung wieder zu einer Schrumpfung kommt und das Wasser mit den Uberresten der Nahrung ausgestoßen wird. Die Seefeder Cavernularia zeigt unter konstanten Laborbedingungen noch wochenlang Aktivitätsrhythmen in Phase mit den Gezeiten (Wells 1973). Wichtig ist auch der Nachweis, das auf der Grundlage diffuser Nervensysteme bereits einfache spontane Aktivitäten auftreten. Z. B. konnten für die Einzelpolypen vonTubulariaund die Meduse Cladonema Spontanpotentiale abgeleitet werden. Bei der letzten Art entstehen im Schirmrand Schrittmacher-Potentiale, die von den rhythmischen Schirmkontraktionen unabhängig sind. Obwohl das Verhalten der Hohltiere bereits komplizierter ist als bei Schwämmen, da viele Arten nicht nur frei beweglich leben, sondern sich sogar auf einen räuberischen Nahrungserwerb spezialisiert haben, bleibt die Frage, ob in dieser Tiergruppe bereits Lernprozesse auftreten können, umstritten. Für einige Arten wie Tealia ist nachgewiesen, daß sie ein mit Fischsaft getränktes Stück Filterpapier nach mehrmaligen erfolglosen Freßversuchen zurückweisen. Dabei muß es sich aber nicht bereits um assoziatives Lernen handeln, sondern es kann auch eine einfache sensorische 90
Adaptation oder eine Muskelermüdung vorliegen. Die Entscheidung für oder gegen die Existenz von Lernverhalten ist auf dieser Organisationsebene wesentlich von dem jeweiligen theoretischen Verständnis des Lernvorganges abhängig (vgl. Bd. 2, 2.2.1.)
Bei den Tierstämmen der vielzelligen Tiere (Metazoa), die phylogenetisch höherentwickelt sind als die Schwämme und Nesseltiere, verliert das diffuse Nervensystem als Netz von Nervenzellen seine funktionelle Bedeutung und wird durch zentralisierte Nervensysteme abgelöst. Von der Lage im Organismus her können dabei zwei Grundtypen unterschieden werden. Bei den Urmündern (Protostomier), deren Urmund auf dem Gastrulationsstadium der Embryonalentwicklung in den späteren definitiven Mund übergeht und der After neu entsteht, liegt das Nervensystem auf der Bauchseite, so daß die Tierstämme dieser phylogenetischen Entwicklungslinie auch als Bauchmarktiere bezeichnet werden. Zu ihnen gehören unter anderem die Ringelwürmer (Annelida) und die Gliederfüßer (Arthropoden). In der zweiten phylogenetischen Entwicklungsreihe entsteht das Nervensystem dorsal durch die Einfältung eines Neurairohres. Da hier der Urmund der Gastrula als After erhalten bleibt und der definitive Mund am anderen Ende des Urdarms neu entsteht, werden die entsprechenden Tierstämme, zu denen die Stachelhäuter und die Chordatiere gehören, als Deuterostomier zusammengefaßt. Der Mensch ist der, von der psychischen Seite her gesehen, höchstentwickelte Vertreter der Rückenmarktiere. Ob die Lage des Nervensystems auf dem Bauch oder dem Rücken für die Entwicklung des Psychischen bestimmte generelle Vor- oder Nachteile gebracht hat, ist schwierig zu entscheiden. Die meisten verschiedenen Tierstämme und -arten sind innerhalb der ersten Entwicklungslinie entstanden, psycho-physisch hochentwickelte Arten gibt es in beiden Richtungen. Hier soll zunächst nur die weitere Entwicklung verschiedener Nervensysteme der Bauchmarktiere kurz verfolgt werden, die, obwohl häufig auch kurz als »niedere Tiere< bezeichnet, besonders für die Lernpsychologie von experimentellem Interesse sind, da sie basale Modelle für biochemische und strukturelle Probleme reversibler Verhaltensprozesse darstellen. In diffusen Nervensystemen war bereits eine Variation der Systemelemente dadurch möglich, daß die Neurone eine unterschiedliche Länge besaßen, was unmittelbar auf die Struktur ihrer Leitungsfunktion durchschlägt oder die Bahnungsbereitschaft wurde durch unterschiedliche Transmittermengen reguliert. Auch für die Strudelwürmer (Turbellaria) und die Plattwürmer (Plathelminthes) bleiben die Nervennetzstrukturen eine wichtige Grundlage des Nervensystems. Die in dem diffusen Nervensystem einsetzende Differenzierung zwischen Receptoren einerseits und uniund multipolaren Nervenzellen andererseits setzt sich fort und führt bei den Strudelwürmern zur Entstehung zentralisierter nervaler Strukturen. Bei primitven Gruppen 91
der Turbellaria (z. B. den Acoela), bei denen das Nervensystem noch aus einem diffusen epithelialen Nervengeflecht ohne Stränge besteht, kommt es am vorderen Körperende, wo lebenswichtige Receptoren (z. B. Statocysten) liegen, zu einer Verdichtung der Neurone, die Grundlage der Bildung eines cerebralen Ganglions wird, wie es bei höheren Strudelwürmern auftritt, zu dem dann netzartig miteinander verbundene Längsstränge ziehen. Die Konzentration von Receptorsystemen an einer bestimmten Stelle des Organismus muß deshalb als ein wichtiger Faktor angesehen werden, der zu einer Zentralisation des Nervensystems zwingt. Die Anhäufung von Nervenzellen in besonderen Ganglien, die bei einer noch umfassenderen Konzentration zu Gehirnen werden, führt zur Entstehung qualitativ neuer Assoziationsverbindungen, die auf die Verknüpfung besonderer Neuronen untereinander spezialisiert sind und damit materiell auch eine höhere Stufe der psychischen Koordination ermöglichen. Niedere Tiere, die diese 1. Integrationsphase als Bildung eines elementaren Zentralnervensystems durchlaufen haben, zeichnen sich häufig bereits durch komplizierte angeborene Verhaltensweisen, differenzierte Reflexmuster und einfaches Lernverhalten aus. Die einfachste Form eines zentralisierten Nervensystems sind die Markstrangnervensysteme, bei denen die in den Körper führenden Nervenzellen zu Längssträngen (Konnektiven) zusammengefaßt werden, die untereinander durch Querstränge (Kommissuren) verbunden sind. Die verschiedenen Gruppen der wirbellosen Tiere unterscheiden sich außer in der Struktur des oralen Ganglienkomplexes, der in einem unterschiedlichen Grad zentralisiert ist, vor allem auch in der Zahl und Anordnung der Längsstränge in dem Markstrangsystem. Bei den Plattwürmern kommen ein peripheres Nervennetz neben dem Ganglienkomplex, im Kopfbereich ebenfalls netzartig verbundenen Längssträngen vor. Das Markstrangnervensystem der Saugwürmer besteht außer dem Gehirn aus 3 paarigen Längssträngen, während bei den Bandwürmern ein zweistrahlig-symmetrisches Nervensystem dominiert. Die Fadenwürmer (Nematoda) besitzen dagegen einen unpaaren ventralen Längsstrang und zwei dorsale Nervenstränge, wobei die Gesamtzahl der Längsnervenstränge bei einigen Nematoden aber auch bis zu 6 Paar ansteigen kann. Das Gehirn, das bei dieser Tiergruppe nur aus wenigen Nervenzellen besteht, wird durch eine vordere Ringkommissur (Commissura cephalica) gebildet, von der aus die Längsstränge abzweigen. Die zahlreichen Abwandlungen zeigen, daß in der Evolution der einzelnen Tierstämme sehr verschiedene Systemformen der Nervenzellanordnungen durchprobiert wurden. Dies gilt auch für die Gehirnbildung bei wirbellosen Tieren, die sich über die Konzentration des Cerebralganglions, des Supraösophangialganglions usw. durchsetzen kann. Die Konzentration von Nervenzellen in Ganglien ist aber nicht nur auf den Kopfbereich beschränkt, sondern entwickelt sich auch in anderen Körperregionen, in denen dann Bewegungsabläufe koordiniert werden (z. B. in der Thorakalregion bei Insekten, Krebsen, Spinnen). Langfristig hat sich aber die Kopfregion durch ihre Ansammlung verschiedener Sinnesorgane für die Cerebralisation als den innerhalb der Entwicklung des Psychischen weitaus wichtigsten Prozeß anderen Lokalisationen als überlegen erwiesen. Gegenüber der Anordnung von Nervenzellen in Marksträngen stellt das Strickleiternervensystem z. B. der Anneliden und Insekten einen höheren Organisationsgrad dar, der von dem Auftreten besonderer Orientierungs- und Lernleistungen sowie 92
e)
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Bild 7 Die Evolution des Zentralnervensystems bei verschiedenen Tiergruppen. (a) Ganglienzellenplexus einer Aktinie (Coelenterata) als Beispiel eines diffusen Nervensystems, (b) diffuses Nervensystem eine Strudelwurms, (c) Strangförmiges Nervensystem eines Strudelwurmes, (d) Nervensystem eines Molluscen (Napfschnecke Patella) (e) Zentralnervensysteme von Arthropoden, (f) Strickleiternervensystem eines Ringelwurms (g) Verschmelzung der Ganglienpaare im Strickleiternervensystem einer Fliegenlarve (h) Hauptnervenbahnen der zu dßn Stachelhäutern (Echinodermata) gehörenden Seegurke. eines komplizierten Sozialverhaltens begleitet ist. Aus den Kopfganglien entstehen bei den Anneliden gesonderte motorische und sensorische Gehirnzentren sowie pilzhutförmige Körper (Corpora penduculata), die in engem Zusammenhang mit der Komplikation des psychischen Verhaltens stehen. Während bei primitiveren Vertretern der Ringelwürmer (z. B. Polychaeten) das Strickleiternervensystem ähnlich wie bei den Weichtieren (Molluscen) noch aus vier Längssträngen besteht (Tetraneurie), existiert bei den hochentwickelten Vertretern der Anneliden wie dem Regenwurm 93
(Lumbricus terrestris) nur noch ein zweisträngiges Nervensystem ohne besondere laterale Podialganglien. Auch bei den Arthropoden ist die Bauchganglienkette zahlreichen Konzentrationsprozessen unterworfen. Z. B. bilden bei Spinnen die Bauchganglien häufig eine nach vorn verlagerte Ganglienmasse, die bei einigen Milben außerdem mit dem Gehirn verschmelzen kann. Das Oberschlundganglion (Archicerebrum) und drei Rumpfganglien bilden das Komplexgehirn, in dessen vorderen Teil die Assoziationszentren eine besondere Stellung einnehmen. Sie bestehen aus den Pilzkörpern, den Zentralkörpern und der Protocerebralbrücke und stehen in Verbindung mit den Lobi optici als Integrationsstelle der über die Facettenaugen einlaufenden sensorischen Informationen. Der morphologische Aufbau des Strickleiternervensystems spiegelt ein wichtiges Organisationsprinzip wider, das sich in der Evolution von Nervensystemen bei niederen Tieren in verschiedener Weise niederschlägt. Eine Leistungssteigerung wird hier dadurch erreicht, indem mehrere gleichartige Strukturen hintereinander geschaltet werden und sich dadurch eine Addition der Funktionfähigkeit auch ohne besondere Spezialisierung ergibt. Entsprechend der Körpersegmentierung kommt es zu einer Vervielfachung der Ganglien, die in ihrer summativen Anhäufung dann übergeordnete Koordinationszentren als Gehirne notwendig machen. Auch in der Organisation des menschlichen Nervensystems sind embryonal in der Somitenbildung des Gehirns und im adulten Zustand in der segmentalen Anlage sensibler und motorischer Nerven derartige meristische Einflüsse noch präsent.
Die Konsequenzen der phylogenetischen Entwicklung verschiedener Nervensystemtypen lassen sich in einigen Verallgemeinerungen zusammenfassen: a. Die Entwicklung des Neurons-kann nicht von der Entwicklung des umfassenderen Systemganzen, getrennt werden, sondern bildet den Entwicklungsprozeß des Nervensystems selbst wieder in spezifischer Weise ab. Die morphologischen und funktionellen Veränderungen des Neurons als des Einzelnen stehen zu der Entwicklung des Allgemeinen, in der es zur Konstruktion immer neuer Systemformen kommt, in einem widersprüchlichen Verhältnis. Einmal stellt es selbst einen Teil des Allgemeinen dar und ist mit seiner Veränderung identisch, zum anderen fehlen dem Neuron aber wichtige, für das Systemganze typische qualitative Eigenschaften. So ist z. B. die morphologische Form des System dementes von der Gestalt des Nervensystems verschieden, erfüllt aber ähnliche Leitungsfunktionen. Die besondere räumliche Anordnung der Neurone ist eine Voraussetzung, über die sich die Integration des Systemganzen als funktionelle Einheit von Erregungsfortleitung und synaptischer Übertragung zwischen den Systemelementen realisiert. Die Entstehung des Psychischen ist eine Systemleistung besonderer Art, die erst nach der morphologischen, biochemischen und physiologischen Integration mehrerer Nervenzellen möglich war. Insofern ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. 94
b. Die verschiedenen Organisationsformen von Neuronen und Nervensystemen stellen sowohl System- wie Entwicklungsgesetzmäßigkeiten dar. Der Begriff >Nervensystem< selbst ist nur eine idealisierende Zusammenfassung phylogenetisch sehr verschiedener Formen der Konzentration und Zentralisation von Nervenzellen. In der phylogenetischen Aufeinanderfolge der verschiedenen Nervensysteme, die in ihren spezifischen Konstruktionen nur als komplizierte Widerspiegelungen jeweils ganz besonderer Lebens- und Umweltbedingungen zu verstehen sind, vollzieht sich die Entwicklung als Produktion immer neuer und besser angepaßter Nervensystemtypen, in denen verschiedene allgemeine Organisationsprinzipien wie der diskrete zelluäre Aufbau, Konzentration der einzelnen Elemente usw. variiert werden. Auch die Anlage des menschlichen Nervensystems ist als phylogenetisches Ergebnis der Konkurrenz verschiedener System typen anzusehen. Neben dem Zentralnervensystem, häufig als >das< Nervensystem verstanden, da es als wichtigste Teile Gehirn und Rückenmark umfaßt, gibt es aber noch das Eingeweidenervensystem das zur Unterscheidung von dem ZNS auch als vegetatives (im Gegensatz zu dem somatischen ZNS) oder als autonomes Nervensystem bezeichnet wird, und diffuse Nervennetze, so daß verschiedene Organisationsprinzipien der Systembildung mit einer unterschiedlichen funktionellen Gewichtung nebeneinander existieren. Ein Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Nervensystemorganisation und Entwicklung psychischer Strukturen ist die qualitative Unterschiedlichkeit zwischen somatischem (die Bezeichnung Zentralnervensystem ist insofern ungenau, da auch das vegetative Nervensystem einen zentralisierten Anteil besitzt) und vegetativem Nervensystem, da die Prozesse des ersteren zu einem Teil dem Bewußtsein und der willkürlichen Kontrolle unterliegen, die des vegetativen Nervensystems jedoch nicht, was zu der Bezeichnung »unwillkürliches Nervensystem< geführt hat. Praktisch handelt es sich um den einzigen Fall, wo morphologische Strukturen anhand ihrer verschiedenen psychischen Organisation unterschiedlich benannt werden. c. Ein wichtiger Evolutionstrend, der sowohl für die Entwicklung des Nervensystems als auch für die Anordnung von Sinnesepithelien gilt, ist die Tendenz, mit fortschreitender Entwicklung lebenswichtige Organe in das Körperinnere zu verlagern. Bei Strudelwürmern sind z. B. Teile des Hautnervengeflechtes in das Körperinnere abgesunken und haben zur Gehirnbildung beigetragen. Auch in der Evolution einiger Receptorsysteme ist es zu einer Versenkung des Sinnesepithels in das Körperinnere gekommen, wenn die damit verbundene Schutzleistung nicht die Reizsensibilität als dominierenden Selektionsfaktor beeinträchtigt hat. So ist das Trommelfell, daß bei den Amphibien noch an der Oberfläche liegt, bei den Reptilien be95
reits teilweise überdeckt und bei den Wirbeltieren ebenso wie die Sinneszellen noch weiter in das Körperinnere verlagert worden. Die Existenz derartiger allgemeiner Systemprinzipien in der Entwicklung des Nervensystems kann in der weiteren Darstellung, die sich auf die Evolution des Nervensystems bei Rückenmarktieren bezieht, insofern herangezogen werden, da die einzelnen, teilweise sehr komplizierten und für die Psychologie im Detail nicht wichtigen morphologischen Veränderungen des Nervensystems in Gesetzmäßigkeiten zusammengefaßt werden können. Ihre Geltung ist nicht nur auf die Gehirnbildung der Wirbeltiere beschränkt, sondern verallgemeinert generelle Bedingungen der Organisation von Nervensystemen. Im weiteren Sinne handelt es sich um phylogenetische Entwicklungsprinzipien der psycho-physischen Evolution. 2.3.3. Organisations- und Evolutionsprinzipien der Gehirnbildung. Ein erster morphologischer Indikator der psycho-physischen Höherentwicklung in der Stammesgeschichte der Organismen ist die Steigerung der Zahl der Neuronen, die ein Nervensystem bilden. In den Ganglien der niederen Tiere ist die Menge der Nervenzellen noch abzählbar. So besteht z. B. die Ringkommissur einer Ascaris-Art (Nematoda) aus 162 Zellen. Die Ganglien im Nervensystem der Meeresschnecke Aplysia enthalten bereits mehrere tausend Neurone. Die Anzahl der Neurone im Oberschlundganglion der Biene wird bereits auf 850000 ± 1 5 % geschätzt. Die Angaben für die Zahl der Neuronen im menschlichen Nervensystem divergieren. Die unteren Zahlenwerte liegen bei 9-11 Milliarden, die oberen bei 15 Milliarden Einzelzellen. Bereits im 19. Jahrhundert versuchte Dubois, die Hirngröße als eine exponentiale Funktion der Körpergröße mathematisch darzustellen: E = C • Sr E = Hirngewicht, S = Körpergewicht, C = Cerebralisationsfaktor
Die Annahme eines für die Warmblüter konstanten Relationsexponenten r = 0,56 hat sich jedoch als unhaltbar erwiesen und damit den Vergleich der einzelnen Cerebralisationsfaktoren unmöglich gemacht. Portmann (1968) hat dann für einige Tierarten intracerebrale Indices berechnet, die auch quantitative Angaben über die psycho-physische Höherentwicklung ermöglichen. Der Index ergibt sich hier aus dem Quotient der höher zu bewertenden Gehirnteile wie z. B. dem Neocortex ( = Neopallium) der Säuger gegenüber dem entwicklungsgeschichtlich älteren Resthirn. Die Ausbildung einer bestimmten Hirngröße, die als globales Kriterium für Steigerung der Neuronenzahl herangezogen werden kann, ist außer in ihrer Abhängigkeit von der Körpergröße von verschiedenen allgemeinen 96
Hemisphären-Indices von Vögeln im Mittelgewicht von etwa 1200 g. Reihe steigender Cerebralisation Ara-Papagei (Ära chloroptera) Kolkrabe (Corvus corax) Habicht (Accipiter gentilis) Stockente (Anas platyrhynchos) Seidenreiher (Egretta alba) Silbermöwe (Larus argentatus) Seetaucher (Colymbus stellatus) Ringfasan (Phasianus torquantus)
27,61 18,95 7,24 6,08 5,32 4,31 3,69 3,18
Neopallium-Indices von Säugern, die alle ca. 1 kg Körpergewicht aufweisen Lemur (Lemur mongoz) Iltis (Mustela putorius) Kaninchen (Oryctolagus cuniculus) Bisamratte (Ondatra zibethica) Igel (Erinaccus europaeus)
13,5 12,9 4,6 2,75 0,77
Neopallium-Indices einiger Primatgruppen Mensch Menschenaffen (Ponginae) Meerkatzen (Cercopithecinae) Halbaffen (Prosimia)
170 49 33,9 13,5
Tab. 2 Indexwerte für die Hemisphären einiger Vogelarten und für den Neocortex bei verschiedenen Säugetieren. Der Vergleich von Arten mit gleichem Gewicht zeigt den unterschiedlichen Zentralisationsgrad der einzelnen Nervensysteme. Die Ergebnisse dieser Berechnungen können dann weiter mit den Daten über Abstraktions- und Gedächtnisleistungen im Dressurversuch korreliert werden, um eine weitergehende Differenzierung in der Entwicklung der psycho-physischen Organisation zu erreichen. Bei den Vögeln stimmt die dominierende Stellung von Papageien und dem Kolkraben mit den Ergebnissen in >Zählversuchen< überein (vgl. Bd. 2, 3.2.1.) Nach Portmann (1968).
Entwicklungstrends abhängig. Ein wichtiger Faktor ist die phylogenetische Stellung des betreffenden Tieres. Die Größenentwicklung des Gehirns divergiert dabei nicht nur zwischen höheren taxonomischen Einheiten wie Klassen (z. B. Fische, Vögel, Säugetiere) - das Gehirngewicht eines Karpfens beträgt 0,18% des Körpergewichtes, bei dem Löwenäffchen steigt dieser Wert auf 3,9% (Rensch 1972) sondern auch innerhalb verschiedener Säugetierordnungen (z. B. Raubtiere, Primaten). Selbst bei sehr nahe verwandten Arten wie Hauskatze und Löwe treten erhebliche Unterschiede in dem Anteil des 97
Hirngewichtes am Körpergewicht auf (0,8% gegenüber 0,18%). Allgemein gilt die Regel, daß bei verwandten Arten Tiere mit einem kleineren Körpergewicht ein höheres relatives Hirngewicht besitzen als die größeren Artverwandten. Von zwei gleichgroßen Tieren besitzt die psycho-physisch höher organisierte Art im allgemeinen auch ein massenmäßig größeres und komplizierter gebautes Zentralnervensystem. Die ständige Vermehrung der Neuronenzahl und damit auch der Masse des Nervensystems insgesamt führt nowendigerweise aus sich heraus zu gegenläufigen Entwicklungstendenzen, die einer übermäßigen Raumausdehnung entgegenwirken. Die quantitative Steigerung der Neuronenmenge wird so zum Teil durch Konzentrations- und Zentralisationsprozesse in der Gehirnbildung abgefangen, die zu einer Verdichtung der Neuronenmenge pro Raumeinheit führen. In dem Neocortex des Menschen sind z. B. in einer oberflächlichen Schicht von 5-8 mm Dicke 50-100 übereinanderliegende Zellen angeordnet. Außerdem entstehen makroskopisch besondere Strukturbildungen des Gehirns. Bei gleich großen Arten mit unterschiedlichem Gehirngewicht kommt es zu einer differierenden Raumausnutzung, bei der die Verringerung der Ausdehnung bei gleichzeitiger Steigerung der Elementenzahl mit erheblichen Selektionsvorteilen verbunden ist. Die Zentralisierungstendenz führt zu einer Minimierung der räumlichen Ausdehnung des Nervensystems im Organismus, ohne daß dadurch phylogenetisch aber ein allmählicher Anstieg der Hirngröße abgefangen werden kann. Dieser Selektionsdruck war so stark, daß für eine technische Schaltung, die in ihrer Komplexität etwa dem menschlichen Gehirn vergleichbar ist, Raumausdehnungen von der Größe eines Hauses benötigt werden (vgl. Bd. 2, 9.1.3.). Die Zentralisationswirkung setzt an den einzelnen Teilen des Nervensystems sehr unterschiedlich an. In dem vegetativen Nervensystem werden zwischen den einzelnen Vertretern der Wirbeltiere die vergleichsweise geringsten Unterschiede gefunden, obwohl auch in den basalen psychischen Verhaltenskomplexen wie Schlafrhythmen, Sättigung und Verdauung, Exkretion und Wechsel der verschiedenen motivationalen >Stimmungen< zwischen den Arten bereits ein starker Wechsel auftritt. Die zentralen Zentren des vegetativen Nervensystems liegen in dem verlängerten Mark (Medulla oblongata), dem Rückenmark und als übergeordnetes Stoffwechselzentrum im Hypothalamus des Zwischenhirns. Der Zentralisationsausdruck hat zwar zur Entstehung eines hierarchisch organisierten funktionellen Systems geführt, aber noch keine Repräsentanz in der materiellen Organbildung erfahren. Durch seine lebenswichtigen Regulationsaufgaben (bei einer operativen Entfernung des Cortex kann das Vt zwar physiologisch überleben, nicht jedoch 98
bei der Zerstörung vegetativer Zentren) erreicht das vegetative Nervensystem auch bei einfachen Wirbeltieren einen hohen Organisationsgrad und wird bei allen Arten in der ontologischen Entwicklung sehr früh ausgebildet. Bei den höheren Wirbeltieren verlaufen die Zentralisationsprozesse des Nervensystems nicht einheitlich. Bei den Fischen ist z. B. das Kleinhirn seiner Masse nach zum Großhirn geworden, das bei den landlebenden Wirbeltieren zwar ebenfalls einem starken Konzentrationsprozeß unterliegt, der aber von dem des Vorderhirns (Telencephalon) bei weitem übertroffen wird. Besonders stark werden bei Vögeln und Säugern die Basalkerne (Corpora striata) vergrößert. Bei den Amphibien tritt phylogenetisch der Neocortex auf, der bei den Säugetieren dann zum dominierenden Integrationszentrum der höheren psychischen Leistungen wird. Zwei Konsequenzen der starken Vergrößerung des Gehirns in der Wirbeltierrevolution sind die Steigerung der Faserzahl und die Ausdehnung der Hemisphären.
Bild 8 Vergrößerung und Konzentration verschiedener Anteile des Wirbeltiergehirns (a) Hai, (b) Frosch, (c) Alligator, (d) Gans, (e) Pferd. C = Kleinhirn, B. o. = Bulbus olfactorius, H = Hemisphäre, L. o. = Lobus olfactorius, Mes = Dach des Mittelhirns, N. t. Nervus terminalis, 4. V. = vierter Ventrikel.
Da die Hirnmasse in der dritten Potenz der linearen Ausdehnung bei allgemeiner Größenzunahme wächst, die Hirnrinde aber nur in der zweiten Potenz, hat das massigere Gehirn bei ähnlicher Gestalt die relativ kleinere Oberfläche, was aber durch Faltenbildung kompensiert werden kann. Die Faltung der Hirnrinde, die durch Windungen (Gyri) und Furchenbildung (Sulci) entsteht, kann ein morphologisches Anzeichen einer höheren psychischen Organisation sein, muß es aber nicht, da die Faltung auch von dem Verhältnis Körpergröße/Hirngröße abhängt. Eine höhere psychische Differenzierungsstufe, z. B. eine verfeinerte Repräsentation sensibler Regio99
nen in der Hirnrinde, kann zwar zu einer vermehrten Rindenbildung führen, ohne daß aber auch die gesamte Hirngröße entsprechend zunehmen muß. Es gibt also zwei Faktoren der Faltenbildung des Gehirns, die wachsende Körpergröße und die Hirngröße, die nur dann zu verläßlichen Aussagen führen, wenn beide zusammenfallen, was in der Säugerevolution mehrfach der Fall ist. Bei den Beuteltieren ist das Gehirn der (primitiven) Opossums ungefurcht (lissencephal), das des Kängeruhs jedoch gefurcht (gyrencephal). Auch in der Evolution des Primatengehirns tritt dieser morphologische Entwicklungsunterschied auf. Das Gehirn des primitiveren Löwenäffchens ist ungefurcht, das des Schimpansen jedoch gefurcht. Portmann (1968) leitet daraus die Regel ab, daß in der gleichen taxonomischen Gruppe die kleinere Form häufig auch die primitivere, die größere jedoch die höherorganisierte mit einem gyrencephalen Gehirn ist. Ein weiteres wichtiges biologisches Entwicklungsgesetz, das aber nicht nur für das Nervensystem, sondern auch für andere Gewebetypen gilt, besagt, daß ursprünglich gleichartige (primitive) Systeme mit fortschreitender Entwicklung immer ungleichartiger werden. Die wichtigste histologische Differenzierung innerhalb des Nervensystems, die Entstehung besonderer Receptorzellen als spezialisierte Neurone, wird noch ausführlich diskutiert (vgl. 3.). Aber auch in der Beschränkung auf die Leitungsfunktion treten wieder verschiedene Spezialisierungen und morphologische Abwandlungen der einzelnen Nervenzellen ein. In der Kleinhirnrinde des Menschen gibt es z. B. histologisch 6 verschiedene Neuronentypen, die jeweils unterschiedliche Funktionen erfüllen. Die Moos- und Kletterfasern sind die afferenten Leitungen, die den Dendritenbaum der efferenten Purkinje-Zelle innervieren. Uber die keinen Körnerzellen werden Informationen aus dem Rückenmark und den Vestibularapperat in das Kleinhirn vermittelt, die dann an die Purkinje-Zellen weitergeleitet werden. Korbzellen und Golgi-Zellen übernehmen inhibitorische Funktionen.
Auch der Neuronbegriff ist also nur eine idealisierende Abstraktion, in der die morphologischen und funktionellen Invarianzen sehr verschieden differenzierter Nervenzellen zusammengefaßt werden. Als Folge der anwachsenden Gehirnmasse und der einsetzenden Konzentrationsprozesse, von denen der Cerebralisationsvorgang am wichtigsten ist, kommt es zwangsläufig auch zu einer Steigerung der konnektivistischen Verbindungen zwischen den Neuronen. Von den ca. 10 Milliarden Neuronen des menschlichen ZNS sind 9 Milliarden Interneurone, die nur Verbindungen zwischen den Nervenzellen herstellen. Die Konzentration führt also gleichzeitig auch zu einer intensiven Integration auf mehreren Organisationsebenen. Zelluär werden die einzelnen Neurone von mehreren tausend synaptischen Kontakten in ihrer Erregungsbildung beeinflußt. Die Entstehung zahlreicher Kerngebiete, funktionell unterschiedlich orga100
KORTIKALE NEURONE Cerebrum Cerebellum Lobt optici INTERNEURONE sekundäre Sinneszellen Zelltypen mit kurzem Axon
zentral gelegene Somata
ZENTRALE EFFEKTORNEURONE Motoneurone autonome Neurone Hypophysen-Neurone PERIPHERE EFFEKTORNEURONE autonome Ganglien
peripher gelegene Somata
Bild 9 Verschiedene Neuronentypen bei Säugetieren. Nach Bodian aus Florey (1970).
nisierter Hirnteile sowie der beiden Hemisphären macht die Verschaltung durch zahlreiche Faserzüge notwendig. Die für die Entstehung der höheren psychischen Funktionen zentralen morphologischen Korrelate, in denen sich die Integrationsleistung wiederspiegelt, sind Assoziationsfelder ( = höhere Rindenfelder, sekundäre Projektionsfelder) im Cortex. Ihre Entwicklung ist neben der Furchenbildung, wie sie bei Raubtieren, Ungulaten, Walen und Primaten auftritt, ein weiterer Hinweis auf einen differenzierten psycho-physischen Status. Phylogenetisch hat sich der Anteil der Assoziationsfelder am Gesamtgehirn mit dem Ubergang von tierischen Primaten zum Menschen zwar außerordentlich vergrößert, sie sind aber kein gehirnanatomisches Merkmal, das nur für den Menschen spezifisch ist. Im Unterschied zu den primären Projektionsfeldern der Sinnesorgane z. B. im Hinterhaupts- oder Schläfenlappen, besitzen die Assoziationsfelder keine direkten Verbindungen zu den Sinnesorganen oder Muskeln, sondern werden über die Kerne des Thalamus mit Erregungsimpulsen versorgt. Uber die Assoziationsfelder, die gnostische Areale der Großhirnrinde darstellen, werden die Daten verschiedener primärer Projektionsfelder miteinander verknüpft und an den Thalamus wieder zurückgeleitet. Da die Assoziationsfelder durch ihre übergeordnete integrative Funktion labiler sind als die primären sensorischen Projektionsfelder, entstehen Ausfallerscheinun101
gen, die auch medizinisch genutzt werden. 2. B. kommt es bei der Inhalation bestimmter Narkotika, die zum Ausfall der Assoziationszentren führen, auch zu einem Verlust des Verständnisses der Sinneseindrücke und der bewußten Wahrnehmung. Die wichtigsten klinischen Ausfallerscheinungen der Assoziationsfelder sind die Agnosie als Störung der Erkenntnisfunktion und die Apraxie als Handlungsunfähigkeit bei weitgehender Bewegungsfähigkeit. Bei der optischen und akustischen Agnosie sind die entsprechenden Projektionsfelder nur in einem geringen Maße zerstört; die eigentliche Störung liegt im Bereich der Assoziationsfelder. Gegenstände werden bei der optischen Agnosie nicht mehr erkannt, sondern durch Betasten oder andere Kontaktformen identifiziert. Wie Ausschaltversuche zeigen, besitzen Assoziationsfelder im Gegensatz zu den primären Projektionsfeldern keine scharf umrissene Lokalisation und sind auch funktionell sehr plastisch. Die auf ihrer materiellen Grundlage möglichen psychischen Integrationsleistungen sind unter anderem die Ausbildung komplizierter bedingter Reflexe, Generalisationsleistungen, Informationsspeicherung und beim Menschen auch die Sprache.
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3. Physiologische Kriterien des Psychischen: Reizbarkeit und Erregungsfähigkeit Diejenigen energetischen Zustandsänderungen in der Umwelt, auf die der Organismus physiologisch reagiert - im weiteren Sinne alle einlaufenden Informationsparameter aus der Umgebung des biologischen Systems - können als Reize bezeichnet werden, wie umgekehrt sich der Umgebungsbegriff eines biologischen Systems aus der Gesamtheit möglicher Reizeinflüsse ergibt. Ein biologischer Reiz ist allgemein als eine Energieänderung in der Umgebung des Organismus definiert, die im biologischen System eine analoge energetische Veränderung hervorruft. Eine derartige physiologische Zustandsänderung des biologischen Systems nimmt eine charakteristische Form an, die als Erregung von anderen physiologischen Zellveränderungen unterschieden wird. Der Erregungsvorgang entspricht dabei einer reversiblen Zustandsänderung, die als elektrisches Potential auftritt, in dem die entsprechende Reizinformation nun organismusintern abgebildet ist. Die besondere funktionelle Leistung der physiologischen Reiz- und Erregungsbeziehung, die sowohl die wichtigste wie auch allgemeinste materielle Voraussetzung jeder psychischen Reaktion ist, zeigt sich unter anderem daran, daß dieser Prozeß die Dimension einer »biologischen Arbeit< besitzt, d. h. für seinen Ablauf durch spezialisierte Stoffwechselprozesse zusätzliche Energien bereitgestellt werden müssen. Unter einem Reiz können deshalb auch solche Energieänderungen in der Umgebung verstanden werden, die im Organismus Prozesse auslösen, in denen mehr Energie verbraucht wird, als durch den Reiz selbst bereitgestellt werden kann. Die Notwendigkeit eines derartigen Energiedefizites ergibt sich aus dem Charakter der Reiz-Erregung-Beziehung als einem Informationsprozeß. Wenn der Organismus in seiner Umwelt überleben soll, so muß er über den Wechsel ihrer Zustände Informationen aufnehmen, die dann die Grundlage für Anpassungsreaktionen an die Entwicklung der Umwelt sind. Ein wesentlicher Teil der physiologischen Organisation des Tieres ist deshalb darauf ausgerichtet, Informationen über die Außenwelt zu erhalten, zu verstärken und über eine spezifische Informationsverarbeitung im ZNS zu Entscheidungen zu kommen, die das eigene Verhalten gegenüber der Umwelt möglichst langfristig bestimmen. Aus der defizitären energetischen Struktur des Reiz-Erregungs-Verhältnisses ergibt sich auch eine Bestätigung der in 2.1. diskutierten Annahme einer partiellen Trennung von Biogenese und Psychophylogenese, da der Organismus kein Perpetuum mobile ist, sondern seine in der Erregung ver103
brauchte Energie wieder auf andere Weise gewonnen werden muß. Für die phylogenetische Entwicklung der Reiz-Erregung-Beziehung ergibt sich daraus die Schlußfolgerung, daß sich vor ihrer Ausbildung genügend stoffwechselphysiologische Prozesse mit einer positiven Energiebilanz herausgebildet haben müssen, um die informelle Ausbeutung der Umgebung vorzubereiten, in der dann der über biochemische Reaktionen erzielte Energieüberschuß zum Teil wieder an die Umgebung zurückgegeben wird, dafür aber Informationen erhalten werden, die ihrerseits die Bedingungen des Energiestoffwechsels verbessern. Die Entstehung eines biologischen Informationswechsels ist keineswegs ein besonderer physiologischer Luxus, sondern ergibt sich aus der Tatsache, daß Tiere die gesamte Energie zur Aufrechterhaltung ihrer Funktionen aus der Umgebung aufnehmen, die an zum Teil hochspezialisierte Nahrungsobjekte gebunden ist, für deren motorischer Erwerb die Reiz-Erregung-Beziehung die Voraussetzung ist. Das Beispiel des Lichtes zeigt, daß die Bereitstellung besonderer Energie- und Informationsressourcen in der Umgebung vor allem eine Frage der biologischen Spezialisierung des Organismus ist. In der Photosynthese wird über die Chloroplasten der pflanzlichen Zelle primär der Energiegehalt der elektromagnetischen Strahlung ausgenutzt, wobei sich die Spezialisierung auf Chlorophyll als grünem Farbstoffträger als besonders günstig erwiesen haben muß, da sich andere Farbstoffe in der Entwicklung der höheren Pflanzen nicht generell durchsetzen konnten. In der visuellen Reizung dagegen ist der Energiegehalt des Lichtes von untergeordneter Bedeutung und wird lediglich als Auslöser für komplizierte bioenergetische Prozesse genutzt, deren Energiebilanz die materielle Grundlage psychischer Prozesse ist. Im Zentrum verschiedener funktioneller Differenzierungen des optischen Systems steht die Ausnutzung des Informationsgehaltes des Lichtes. Phylogenetisch ist die Verwertung des Lichtes als Informationsträger in der Psychophylogenese nur nach der stoffwechselphysiologischen Ausnutzung des Energiegehaltes durch photosynthetische Prozesse möglich, auf deren positiver Bilanz in letzter Konsequenz alle Energiereserven des biologischen Systems, auch die für die menschliche Wahrnehmung bereitgestellten, beruhen.
Die Ubersetzung verschieden komplexer Energiedifferenzen in der Umgebung in physiologische Prozesse macht es notwendig, mehrere Reizbegriffe zu unterscheiden. In ihrem wechselseitigen Einschluß werden zugleich allgemeine phylogenetische Entwicklungsstufen des Psychischen mit abgebildet. a. Der biologische Reizbegriff beschreibt den Sachverhalt, daß alle Zellen in der Lage sind, in besonderer Weise zu reagieren. Insofern sind Reizbarkeit (Irritabilität) und Erregungsfähigkeit biologischer Strukturen ein Kennzeichen des Lebens, dem jedoch innerhalb der verschiedenen Lebenskriterien deshalb nur ein sekundärer Stellenwert zuerkannt wird, da ihr Auftreten von allgemeineren, in diesem Fall heißt das auch zugleich von 104
phylogenetisch früher auftretenden energetischen, biochemischen und biologischen Bedingungen abhängig ist (z. B. Stoffwechsel, genetische Reproduktion). Die allgemeine Reizbarkeit ist wiederum ein umfassenderer physiologischer Prozeß als die Entstehung der psychischen Reaktionsfähigkeit und allen Zellformen (z. B. BakterienPflanzenTierzellen usw.) eigen. Die materielle Grundlage der verschiedensten Reizeffekte ist die Ausbildung einer elektrischen Potentialdifferenz in der Zelle. Die Entstehung des Psychischen ist als eine nochmalige funktionelle Spezialisierung von Sinnes- und Nervenzellen auf besondere Formen der Biopotentiale anzusehen. Die allgemeinen Reizbarkeit biologischer Systeme ist damit, wie Leontjew (1973) ausführlich begründet hat, nicht mit der Entstehung des Psychischen identisch, sondern bleibt ein biologisches Phänomen. Reizbarkeit und Erregungsfähigkeit bilden jedoch eine unmittelbare physiologische Voraussetzung, auf der sich psychische Prozesse entwickeln. b. Innerhalb des vielzelligen Organismus kommt es über die arbeitsteilige Spezialisierung in verschiedene Zelltypen auch zu einer Differenzierung der verschiedenen elektrischen Potentialdifferenzen und damit zu spezifischen Formen der Reizbarkeit. Eine erste qualitative Spezialisierungsebene ist darin zu sehen, daß sich einige Zelltypen mit besonders hohen Potentialdifferenzen herausbilden. So besitzt das Riesenaxon des Tintenfisches z. B. ein Ruhepotential von 70-80 mV, während das der roten Blutzelle nur 10 mV beträgt. Die Zellen mit einem großen Biopotentialwert, die häufig unter Abstraktion der Entwicklungsebene a.) auch als >erregbar< bezeichnet werden, sind die ReceptorNerven-, Muskel- und Drüsenzellen, die alle auf verschiedene Seiten der innerorganismischen Informationsverarbeitung spezialisiert sind. Auch innerhalb der funktionell ähnlichen Zellen treten dann wieder verschiedene Biopotentiale als Ausdruck einer weitergehenden Differenzierung auf. Das Ruhepotential an einem quergestreiften Muskel des Frosches beträgt so 92 mV, das Potential einer glatten Muskelzelle aber nur 52 mV. Eine zweite, phylogenetische, Spezialisierungsebene stellen dann die unterschiedlichen Potentialwerte etwa der Muskel- oder Nervenzelle bei verschiedenen Tierarten dar. Der spezielle (sinnesphysiologische, neurophysiologische, muskelphysiologische usw.) Reiz- und Erregungsbegriff, der häufig identisch mit dem allgemein-biologischen Reizbegriff verwendet wird, reflektiert die Besonderheiten der jeweiligen histologischen Differenzierungen. Ihre faktische Unterschiedenheit zeigt die Reizfunktion des Lichtes, die in jedem Fall wirkt, einmal unspezifisch bei allen Zellen z. B. als Sonnenbrand, auf der Grundlage besonderer Sinneszellen jedoch als Lichtsinn. Auch der sinnesbzw. neurophysiologische Reizbegriff ist trotz seiner Spezialisierung nicht identisch mit psychischen Prozessen, sondern bleibt die Beschreibung eines 105
physiologischen Sachverhaltes. c. Der komplizierteste biologische Reizbegriff liegt dann vor, wenn durch den entsprechenden Terminus ein Zusammenhang zwischen spezialisierten sensorischen Einflüssen und dem ausgelösten Verhalten beschrieben wird. Die wichtigsten derartigen überwiegend in der Verhaltensforschung gebrauchten Termini sind die Begriffe Auslösemechanismus (AM), Auslöser und Signalreiz (bzw. Kennreiz). Wenn ein Außenreiz ein bestimmtes tierisches Verhalten verursacht, so wird diese besondere Reizkonstellation deshalb als Signal- bzw. Schlüsselreiz bezeichnet, da der Reiz hier für den Organismus einen wesentlich höheren Informationsgehalt besitzt als der Durchschnittsreiz (vgl. 4. 1.1.). Wenn Signalreize im Laufe der Stammesgeschichte z. B. als Lautäußerung oder Duftstoff erworben wurden, werden sie dann als Auslöser bezeichnet, wenn sie besondere Kommunikationsaufgaben im innerartlichen Bereich (bei einzelnen Fällen auch zwischenartlich z. B. in der Symbiose) übernehmen. Die Vorstellung des Auslösemechanismus geht von besonderen Leistungen des Nervensystems als Filtermechanismen gegenüber der einströmenden Reizflut aus, aus der einige Informationsmuster als Schlüsselreize herausgehoben werden und dann ein spezifisches Verhalten auslösen. Der Auslösemechanismus (vgl. Bd. 2,1.) ist kein einheitlicher Vorgang, sondern beruht auf einer Kette nacheinandergeschalteter Einzelschritte bei der sensorischen Informationsaufnahme. d. Der Reizbegriff reflektiert durchaus, wie die Differenzen zwischen a. - c. als biologischer, sinnes- bzw. neurophysiologischer und ethologischer Reizbegriff zeigt, entwicklungsgeschichtlich verschieden hoch organisierte Stufen der Informationsaufnahme des Organismus. Die Psychologie hat unter Abstraktion von der Entwicklung in der biologischen Reiz-Reaktion-Beziehung diese in eine quasi-kybernetische stimulus - responseBeziehung aufgelöst, in der jeder naturhistorische Entwicklungsunterschied, etwa zwischen Tier und Mensch, verlorengegangen ist. »Das Bild vom >organismischen Menschenhorizontale< physiologische Kausalebene zwischen Außenreiz-Erregung-Reaktion besitzt deshalb noch eine >vertikale< psycho-physische Dimension, die von der Neurophysiologie nur partiell abbildbar ist. Es ist deshalb auch sinnvoll, zwischen einem >dogmatischen< und einem (positiven) >tendentiellen< Physiologismus zu unterscheiden. Ersterer formuliert das psycho-physische Problem ausschließlich als physiologische Reiz-Erregung-Beziehung, die unbestreitbar einer vollständigen naturwissenschaftlichen Kausalanalyse unterworfen werden kann, aber immer die besondere qualitative Beziehung zwischen Physischem und Psychischem gerade ausklammert. Der >tendentielle< Physiologismus betont ebenfalls die Einsetzung objektiver Methoden besonders der Elektrophysiologie, sieht aber die methodischen Grenzen seiner Vorgehensweise und damit die besondere psychische Qualität eines Sinnesreizes als Empfindung, obwohl er bestrebt sein wird, die naturwissenschaftliche Methodik möglichst umfassend anzuwenden. Zu den sogenannten subjektiven Verfahren der physiologischen Psychologie gehören vor allem die psycho-physische Methode z. B. bei Schwellenwertmessungen oder die Introspektion. Der >tendentielle< Physiologismus ist keineswegs eine Hintertür für eine agnostizistische Interpretation des psycho-physischen Problems, sondern die Verhinderung seiner mechanischen Fassung auf der physiologischen Ebene (auf der Verhaltensebene entspricht ihr die Reiz-Reaktions-Beziehung des orthodoxen Behaviorismus) durch die Anerkennung der empirischen und methodischen Spezifik des psychischen Aspektes, der eine eigenständige psychologische Behandlung notwendig macht. Die etwas unglücklichen, aber gebräuchlichen Bezeichnungen >objektiv< und >subjektivphysiologisch< und »psychologisch interpretiert werden. Die Kausalrelation zwischen Reiz und Erregung> die im weiteren ausführlich betrachtet wird, da sie den naturwissenschaftlichen Grundlagen des psycho-physischen Problems entspricht, ist also nicht identisch mit dem Übergang zentralnervöser Erregungsvorgänge zu psychischen Prozessen. Reiz-Erregung-Vorgänge können, müssen aber nicht zu bewußten Empfindungen oder Wahrnehmungen führen. Die Widerspiegelung von Sinnesreizen im Bewußtsein ist keine eindeutige Abbildung, da die Bewußtseinsphänomene sowohl unter normalen physiologischen Bedingungen (z. B. Schlaf) ebenso wie unter künstlichen Bedingungen (Narkose) fehlen können. Die bisher bekannten neurophysiologischen Korrelate subjektiver Empfindungen sind noch recht allgemeine Faktoren wie die Spezifität des Sinnessystems für eine besondere Qualität, Entladungsfrequenz und Anzahl der erregten Receptoren oder die Ort- und Zeitmuster neuronaler 109
Interaktion mit Sinnesorgan
geeignete funktionierende Subjekt Subjekt mit Receptoren, Gehirnzentren, mit Erfahrungen, Uberschwell. überschwell. Bewusstsein Vernunft , Receptorpot. Erregungen Personalität
>< objektive
a)
subjektive
Sinnesphysiologie Reiz vor gang
Erregungsablauf im Rezeptor
Impulsentladungen der Nervenfaser
Bewußtseinsinhalt : Empfindung
im 111 b)
Bild 10 »Horizontale« und »vertikale« Dimension der Sinnesphysiologie, (a) zeigt den Stellenwert der physiologischen Kausalanalyse zwischen Reiz und Erregung innerhalb des psycho-physischen Zusammenhanges (objektive Sinnespsychologie). Ihre besondere Bedeutung resultiert daraus, daß sie den Beginn der Umsetzung der Reizenergie aus der Umwelt in einen körpereigenen Informationsprozeß bildet (b) Der Übergang von dem Reiz und der Receptorerregung sowie der Impulsfrequenz von Aktionspotentiale in die Empfindungsqualität des Bewußtseins stellt verschiedene qualitative Codierungsebenen dar. Der kontinuierlich andauernde Reiz wird in eine durch Adaptation abklingende Erregung als Receptorpotential umgewandelt, das zu entsprechenden Impulsfolgen auf den afferenten Nervenfasern führt. Die problematischste Codierungsebene ist die Übersetzung der Impulsfrequenz der Aktionspotentiale in eine entsprechende Empfindungsqualität, die in der subjektiven Sinnesphysiologie untersucht wird. Nach Dudel (1973) und Adrian (1928)
Entladungen, die keine Aussagen über spezifische Bewußtseinsinhalte ermöglichen. Auch Reiz und Empfindung stehen zwar einem engen Zusammenhang, sind aber nicht identisch, da z. B. schwache Reize in ihrer Inten110
sität physikalisch zwar gemessen werden können, sie aber keine Empfindung auszulösen brauchen.
3.1. Die phylogenetische Entwicklung von Receptorsystemen Die generellste Informationsquelle des biologischen Systems ist seine Umgebung. Die Funktion der Informationsverarbeitung ist dabei widersprüchlich: Einmal muß der Informationsgehalt maximal ausgebeutet werden, andererseits ist dies nur dadurch möglich, daß eine Konzentration auf sinnvolle Informationsparameter erfolgt. Als solche können die verschiedenen Sinnesbereiche angesehen werden, die jeweils nur auf spezifische Reize ansprechen, so daß hier eine erste grundsätzliche Differenzierung eintritt, die begrifflich in der Unterscheidung von Reizen und adäquaten Reizen reflektiert wird. Die Ausgliederung adäquater Reize aus dem allgemeinem Reizspektrum der Umwelteinflüsse wird über besonders spezialisierte Sinneszellen realisiert, die bei höher entwickelten Tieren zu funktionellen Systemverbänden, den Sinnesorganen, zusammengefaßt werden. Insgesamt ist dies aber nur ein erster allgemeiner Schritt in der Kette der innerorganismischen Informationsverarbeitungsprozesse, der weitere Spezialisierungen folgen. Dabei entsteht eine systematische Erhöhung des Informationsgehaltes des Reizes, deren einzelne Entwicklungsstufen auch unterschiedlich bezeichnet werden. Umgebung des Organismus
Trotz dieser Differenzierung ist kein tierischer Organismus in der Lage, die Struktur der Umgebung vollständig zu erfassen, auch wenn er durch den Selektionsdruck gezwungen ist, sich immer genauer an ihre spezifischen Bedingungen anzupassen. Diese Möglichkeit ist schon durch die 111
Bauplaneigenarten eingeschränkt, denen immer Spezialisierungen auf ganz besondere Umgebungseigenschaften zugrunde liegen. Die Spezifik derpsychischen Widerspiegelungliegt darin, daß die Begrenzung der materiellen Abbildung von Umweltstrukturen im Organismus z. B. in dem Erbmaterial oder den morphologischen Bauplänen partiell aufgehoben werden kann und nicht nur eine Differenzierung der inneren Informationsverarbeitung stattfindet, sondern sich diese auch in einer Akzentuierung der Umgebung niederschlägt. Die homogene Umgebung wird sensorisch unterschiedlich bewertet und erfährt auch über die motorischen Verhaltensmöglichkeiten eine plastischere Widerspiegelung. Allgemein wird der tierische Organismus dabei in die Bereiche der Umgebung am tiefsten eindringen, die funktionell am wichtigsten sind, während Umgebungsstrukturen, die für andere Tierarten wieder sehr wichtig sein können, nur eine geringe Berücksichtigung finden. Diese Ausgliederung einzelner Umgebungsbereiche muß auch terminologisch berücksichtigt werden. a. Der Umgebungsbegriff beschreibt die Gesamtheit der physikalischen und biologischen Faktoren für die Existenz eines Tieres. Erkenntnistheoretisch ist er identisch mit dem Begriff der objektiven Realität. Der Umgebungsbegriff ist damit eine spezifisch menschliche Widerspiegelung, in der die objektiven Parameter der biologischen Systembildung zusammenfassend verallgemeinert und in die Theorienbildung eingebracht werden. Die entsprechende biologische Spezialdisziplin ist die Ökologie. b. Aufgrund seines Bauplanes kann der tierische Organismus aus der Totalität der Umgebungsfaktoren nur einen spezifischen Ausschnitt aufnehmen, der dann als Umwelt bezeichnet wird. Die Umwelt kann entsprechend der Tierart dann wieder sehr differenziert sein. v. Uexküll (1921) unterscheidet zwischen einer Merkwelt, die alle für das Tier perceptiv erfaßbaren Objektmerkmale einschließt und der Wirkwelt als der motorisch bestimmten Kontaktzone zwischen Organismus und Umgebung. In dieser habituellen Umwelt werden auch die verschiedenen biologischen Bedürfnisse des Tieres wie Nahrung, Sauerstoff usw. befriedigt. Die Merkwelt kann selbst bei einer Spezialisierung der Kommunikation und Reizaufnahme auf einen besonderen Sinneskanal sehr verschieden sein. So liegt die obere Hörgrenze des Menschen bei 20 kHz, die der Ratte bei 40 kHz, während Hunde Töne mit einer Frequenz von 80-100 kHz aufnehmen und bei Fledermäusen der Ohrmuschelreflex noch bei 175 kHz ausgelöst werden kann. Selbst die akustischen Umwelten einer Art können wieder verschieden sein. So hören die männlichen Stechmücken der Art Aedes aegypti im Bereich von 350-360 Hertz dicht in der Nähe der Flügelgeräuschfrequenz der weiblichen Mücken (385 Hz), während die eigenen Flügelgeräusche nicht gehört werden können, da sie ca. 150 Hz höher liegen. Das Flug112
geräusch des Weibchens ist für die männliche Mücke das wichtigste Kennzeichen zur Identifizierung des Geschlechtspartners. c. Die verschiedenen äußeren Systembedingungen können als Innenwelt in das biologische System abgebildet werden. Dieser Prozeß kann sowohl materiell wie ideell realisiert werden. Ein Beispiel für die physiologische Abbildung der Außenwelt ist der Ubergang von der Poikilothermie zur Homoiothermie sowie allgemein die Ausbildung eines »inneren MilieusUmwelt der Umwelt Geschmack^y 3 Zentral2-10 W> Geruch Q- 5 Nerven - Bild 13 Informationskapazität der ' 5-10 1 Druck O- 6 6 System einzelnen Sinnesbereiche beim 310 -10 SchmerzQ104 Wärme QMenschen 10* \ (
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e)
Da es im allgemeinen durch die subjektive Selbstbefangenheit um so schwieriger ist, die Existenz von Sinnesbereichen anzuerkennen, je mehr sie von den biologischen Möglichkeiten der Informationsaufnahme des Menschen unterschieden sind, gehören die Magnetreceptoren, deren Existenz durch die Orientierungsreaktionen in Magnetfeldern erst vermutet werden kann, und Elektroreceptoren zu den erst in jüngerer Zeit untersuchten Sinnesbereichen. Sie sind deshalb von allgemeinerem theoretischen Interesse, da sie zeigen, daß Tiere über sehr verschiedene Sinnesorgane ein genaues Abbild der Umgebung erhalten können. Die Spezialisierung auf einen besonderen Receptortyp hat deshalb nur indirekten Einfluß auf die cognitive Verarbeitungsfähigkeit der Information. 2. B. verfügen Delphine unter den Säugern über sehr hohe Lernleistungen, gleichzeitig aber über eine Kommunikationsstruktur (Sonarsystem), das sich von den receptorischen Möglichkeiten anderer Säugetierarten in grundlegender Weise unterscheidet. Elektroreceptoren sind bisher von Knochenfischfamilien (Gymnotidae, Mormyridae) und verschiedenen Knorpelfischarten (z. B. Haie, Rochen) bekannt. Ihre Besonderheit liegt darin begründet, daß sie einmal dem Menschen vollständig fehlen, zum anderen handelt es sich um ein Beispiel von Selbstreizung. Durch ein elektri116
sches Organ baut der Fisch in seiner Umgebung ein schwaches elektrisches Feld auf, dessen Impulse alle erregbaren Strukturen reizen, die sich in der Reichweite des Feldes befinden. Die wichtigsten von ihnen sind die eigenen für elektrische Impulse empfindlichen Sinnesorgane. Bei den Nilhechten (Gymnotidae) sind das mit Gallerte gefüllte Einsenkungen der Haut, die entweder tonisch auf langanhaltende elektrische Reize reagieren oder schnell adaptierende tubuläre Receptoren sind. Bei den Haien fungieren die hier als Lorenzinische Ampullen bezeichneten elektrischen Sinnesorgane gleichzeitig auch als Temperaturfühler. Sinnesphysiologisch ist dabei weniger die Fähigkeit etwa der Zitterrochen (Torpedinidae) oder des afrikanischen Zitterwelses (Malapterus electricus) interessant, mit starken elektrischen Entladungen zwischen 50 und 600 Volt ihre Beutetiere zu töten, sondern die Orientierungsleistungen der schwachelektrischen Fische (z. B . Gymnarchus niloticus), die auch als »aktive Elektroortung< bezeichnet wird. Dabei werden intermittierende (bei anderen Arten auch kontinuierliche) Stromstöße ausgesendet, die teilweise nur 0,1 V stark sind und je nach Fischart 0,1-10 ms dauern. Die Schwanzspitze ist dabei negativ gegenüber dem Kopf aufgeladen. Wenn andere Objekte mit einer vom Wasser verschiedenen Leitfähigkeit in dieses Dipolfeld geraten, wird dies durch die Elektroreceptoren registriert. Dadurch können Bewegungen der Beutetiere festgestellt werden. Bei den Zitterrochen und dem Zitterwels dienen die in den elektrischen Organen erzeugten starken Wechselströme auch als Signale der innerartlichen Kommunikation. Außerdem besteht eine Orientierungsmöglichkeit durch eine »passive ElektroortungTrivialitätpattern theory< verallgemeinert worden, nach der die Unterscheidung von Sinnesqualitäten auf unterschiedlichen zeitlichen und örtlichen Erregungsmustern von Receptorgruppen beruhen soll. Auch wenn sich bei entwicklungsgeschichtlich verschiedenen Tieren gleiche Receptorsysteme herausbilden, so sind diese häufig wieder durch verschiedene Schwellenreizstärken getrennt. Darunter ist die Reizstärke zu verstehen, deren Betrag noch eine Empfindung auslöst. Besonders hoch ist die Schwellenreizstärke des menschlichen Drucksinns, die bei 2-0,2 erg liegt. Niedrige Schwellenreizstärken besitzen die funktionell wichtigen Fernsinne, die teilweise die Grenze des objektiv Möglichen erreicht haben. Das menschliche Ohr reagiert noch auf Schallreizenergien von 10~17 Watt/s, während das Trommelfell bereits durch Brownsche Molekularbewegungen mit einer Energie von 10" 1 8 Watt/s bewegt wird. Die Schwellenreizstärke liegt hier nur wenig oberhalb des physikalischen Störpegels. Für das optische Sinnesorgan des Menschen existiert andererseits ein adäquater Reiz weder für das Ultraviolettlicht, Ultrarotlicht noch für Radiowellen, obwohl sie ebenso wie das sichtbare Licht elektromagnetische Strahlungen sind. Funktionell wichtiger als die absoluten Reizschwellen sind für die organismusinterne Informationsverarbeitung die relativen Unterschiedsschwellen, mit denen 118
Intensitätsunterschiede innerhalb adäquater Reize erfaßt werden können. Das Kriterium, an dem die Leistungen verschiedener Sinnesbereiche unterschieden werden, ist dabei die Differenz zwischen zwei Reizen, auf die das Sinnesorgan noch reagiert. Während das Auge noch Intensitätsunterschiede von 1-2% wahrnimmt, beträgt die relative Unterschiedsschwelle bei der Druckempfindung 3%. Druckreize können auf der Haut noch unterschieden werden, wenn das Verhältnis ihrer Reizstärke 103 : 100 beträgt. Das psycho-physische Grundgesetz (Weber-Fechnersche Gesetz) nimmt an, daß die Empfindung proportional zum Logarithmus der Reizstärke wächst: ¥ = k • log — R0 = EmpfindungsinuiiMtät, R = Reizstärke, R 0 = Schwellenreizstärke, k = Proportionalitätsfaktor. Die psychologischen Untersuchungen von Stevens (1961) haben jedoch gezeigt, daß derartige logarithmische Beziehungen zwischen Empfindung und Reizstärke nur selten gefunden werden. Er geht deshalb davon aus, daß die Potenzfunktion eine bessere theoretische Grundlage für die psycho-physische Formel ist (Steven'sche Potenzfunktion). T=k
(R-R0)n
Die phylogenetische Differenzierung in verschiedene Receptorbereiche ist zunächst noch eine sehr grobe Spezialisierung, da die Zahl der für den tierischen Organismus sinnvollen Informationskanäle zur Umwelt 10 kaum sehr viel übersteigen dürfte. Da die Artenzahl auf ca. 1,5 Millionen Tiere geschätzt wird, ist klar, daß der entscheidende Selektionsdruck vor allem innerhalb der Leistungsfähigkeit in einem Sinnesbereich einsetzt. Eine Möglichkeit besteht dann hier z. B. in der Ausbildung extrem niedriger Schwellenreizstärken. Aale reagiern etwa noch auf bestimmte olfaktorische Substanzen, wenn sie in einer Verdünnung von 1 : 3 Trillionen vorliegen. Auch einige Säuger, die als Makrosmaten zusammengefaßt werden, besitzen für olfaktorische Reize einen niedrigen Schwellenreizwert. Neben den bereits erwähnten unterschiedlichen Informationseigenschaften der einzelnen Sinnesbereiche, die in einem entscheidenden Maße auch von der physikalischen Struktur des Reizes etwa als Schalldruck, Temperaturdifferenz oder unterschiedliche elektrische Spannungen abhängen, sind auch die energetischen Reizeigenschafen von funktioneller Bedeutung. Allgemein besteht bei der Informationsverarbeitung biologischer Systeme die Tendenz, die durch die Reize transportierte Energie für den Decodierungsvorgang mit auszunutzen. Besonders geeignet dafür sind die akustischen und elektromagnetischen Reize, da sie bereits energiereich sind. Trotzdem bleibt auch hier vor allem bei extrem niedrigen Reizschwellen ein Energiedefizit, das durch stoffwechselphysiologische Prozesse wie119
der ausgeglichen werden muß. Dazu kommt, daß die bei der Reizübertragung zum ZNS mit transportierte Energie bei den verschiedenen Decodierungsvorgängen an der Synapse (vgl. 3.2.3.) allmählich in Warme verwandelt und damit gleichzeitig Energie zerstört wird. Dieser Energieverlust ist zusammen mit der Übertragungssicherheit des Informationsgehaltes eine Ursache dafür, daß die Reizmannigfaltigkeit der verschiedenen Sinnesbereiche bei der innerorganismischen Fortleitung im Nervensystem auf einen Modus, die Codierung in elektrischen Impulsen, reduziert wird. Der theoretisch günstigste Fall wäre dann gegeben, wenn die Reizaufnahme und -Verarbeitung zugleich mit einer positiven Energiebilanz abschließen würde. Diese Möglichkeit ist jedoch dadurch eingeschränkt, da energiereiche Umsetzungsprozesse meist über einen geringen Informationsgehalt verfügen. Phylogenetisch hat sich deshalb eine allgemeine Spezialisierung einmal auf den Gewinn von Energie in Oxydations- und Reduktionsvorgängen bei der Zellatmung und zum anderen die Ausnutzung von Informationsparametern bei den verschiedenen Reizvorgängen herausgebildet. Die von Brillouin (1962) eingeführte Unterscheidung zwischen >toter< und »lebenden Information erweist sich gegenüber der biologischen Reizaufnahme als Idealisierung, da keiner der beiden möglichen Fälle - daß ein Signal die zum Auffinden der in ihm vorhandenen Information selbst mit bereitstellt (»lebende Information^ oder nicht (>tote Information^ - >rein< verwirklicht ist. Bei der Differenzierung innerhalb der einzelnen Sinnesbereiche handelt es sich um eine Spezialisierung 2. Ordnung, durch die nun z. B. verschiedene Informationsparameter des Lichtes Grundlage einer weitergehenden Empfindungsfähigkeit werden. Trotz gleicher Sinnesbereiche entstehen bei den einzelnen Tierarten häufig nichtkongruente Umwelten, da die jeweiligen konkreten Umweltbedingungen eine spezifische Anpassung erzwingen. Die Umwelt der Bienen ist für den Menschen nicht nur deshalb schwierig zu erschließen, da sie auf ultraviolettes Licht und die Polarisationsrichtung reagieren - beides Informationsgrößen, die dem menschlichen Auge verschlossen sind-, sondern in Dressurversuchen hat sich gezeigt, daß sie auch chemische Substanzen aufnehmen, die für den menschlichen Geschmackssinn ohne jede Empfindungsqualität sind. Die Möglichkeiten einer internen Differenzierung der verschiedenen Sinnesbereiche sollen nun am Beispiel des Lichtsinnes genauer verfolgt werden. Allgemein kann unter dem Lichtsinn die Fähigkeit verstanden werden, durch Vermittlung spezialisierter Sinneszellen auf elektromagnetische Strahlung im Frequenzbereich von 750-800 nm als dem roten Ende des Lichtspektrums bis nahe dem ultravioletten Spektralbereich bei 300 nm zu reagieren. Bei vielen Tierarten und beim Menschen liegt die größte Licht120
empfindlichkeit im gelb-grünen Bereich zwischen 500 und 550 nm in der Nähe des Maximums der Sonnenstrahlung. In der Regel sind die Lichtreceptoren nochmals in besonderen Organen als Augen zusammengefaßt, die durch ihre Konzentration eine bessere funktionelle Ausnutzung des Informationsgehaltes des Lichtes ermöglichen. Der Energieaufwand zur Auslösung einer Lichtempfindung ist in der Regel sehr gering. Bereits die Energie eines Lichtquanten genügt, um die Umwandlung eines Sehfarbstoffmoleküls einzuleiten. Für eine minimale Lichtempfindung des menschlichen Auges werden ca. 10 Lichtquanten benötigt, was einer Energie in der Größenordnung von 10" 17 -10~ 18 Wattsekunden entspricht. Dazukommt, daß durch das Auge Lichtreize innerhalb eines großen Intensitätsbereiches verarbeitet werden können, da durch Adaptationsvorgänge die Schwellenreizstärke verstellbar ist. Bereits durch eine Änderung der Pupillenöffnung kann die Stärke des Lichtreizes um das Sechzehnfache verändert werden. Als weitere Regulationsmechanismen kommen unterschiedliche Schwellenreizstärken für Stäbchen und Zapfen sowie die Vergrößerung des Einzugsbereiches retinaler Ganglienzellen bei niedrigen Lichtintensitäten hinzu. Derartige Leistungen - wobei man hinzufügen muß, daß das menschliche Auge im Vergleich zu der Leistungsfähigkeit tierischer Lichtsinnesorgane keineswegs funktionell am höchsten entwickelt ist - konnten sich nur in einem komplizierten Evolutionsprozeß herausbilden. Dabei sind aber zwei Besonderheiten noch zu erwähnen: Obwohl die natürliche Lichtquellen die Sonne, Mond und Gestirne sind, gibt es zahlreiche Tierarten, die auch selbst in der Lage sind, Lichtreize durch besondere Leuchtorgane als kaltes Licht zu produzieren. Außerdem besitzen zahlreiche Tiergruppen eine Photosensibilität an der Hautoberfläche, deren Receptoren noch nicht bekannt sind. Ein derartiger Hautlichtsinn, dessen ausgelöste motorische Reaktionen langsamer sind als die von spezialisierten Photozellen, sind bei Coelenteraten, Krebsen und Seeigeln nachgewiesen, aber auch bei Wirbeltieren gibt es Hinweise auf eine generalisierte Lichtempfindung. Ein Lichtsinnesorgan besteht nicht nur aus Photoreceptoren, sondern auch aus verschiedenen Hilfseinrichtungen wie stark lichtbrechenden Zellen (Linsen), die die Lichtstärke des Auges erhöhen, Zellen mit lichtabsorbierenden Pigmenten, die die Photoreceptoren vor seitlich einfallendem Licht schützen oder Zellschichten (z. B. Tapetum lucidum im Katzenauge), die durch Reflektion die Lichtausbeute erhöhen. Die Konstruktion des dioptrischen Apperates ist dabei auch von Bedeutung für die Qualität der Lichtempfindung. Wenn z. B. beim Menschen die Augenlinse entfernt wird, kann auch Licht im Bereich von 350 nm wahrgenommen werden. Innerhalb der Evolution des Lichtsinnes sind verschiedene optische Abbildungssysteme entstanden, deren Variationen mit einer allmählichen 121
funktionellen Leistungssteigerung verbunden sind. Einige dieser morphologischen Formen des Auges sind die Grubenaugen als einfache mit Photoreceptoren ausgefüllter Vertiefung der Haut ohne Linse, Blasenaugen, Lochkameraaugen, Linsenaugen und die Facettenaugen der Insekten. Da die Typen des Grubenauges, des Lochkameraauges und des Linsenauges in verschiedenen systematischen Tiergruppen auch bei nahe verwandten Arten nebeneinander auftreten, kann angenommen werden, daß ihre jeweilige Höherentwicklung in den verschiedenen Tierstämmen wahrscheinlich unabhängig voneinander erfolgte. Die höchste Ausbildung der Lichtsinnesorgane bei Wirbeltieren - deren funktionelle Leistungen allerdings zum Teil wieder von den Komplexaugen der Gliedertiere (Arthropoden) übertroffen werden, die sich aus mehreren Einzelaugen (Omnatidien) zusammensetzen, erreicht das Auge bei den Vögeln. Die Akkomodationsfähigkeit wird hier im Gegensatz zu dem Auge der Säuger nicht nur durch eine Veränderung der Linsengestalt, sondern auch der Hornhautkrümmung erreicht. Durch ein besonderes Hartgebilde der Augenkapsel (Skleralknochen) wird die Form des Augapfels konstant gehalten. Mit zunehmender Dichte der Photoreceptoren, die bei einigen Tagvögeln ca. 7mal größer ist als beim Menschen, nimmt auch die Versorgung durch die Blutgefäße ab, so daß ein spezielles Organ (Pecten) zur Versorgung der Retina mit Sauerstoff und mit Nährstoffen notwendig wird. Außerdem besitzen Vogelaugen zwei Stellen des schärfsten Sehens für jeweils monoculares und binokulares Sehen. Die verschiedenen Informationsparameter des Lichtes haben in der Evolution zu mehreren verschieden hoch bewerteten funktionellen Eigenschaften des Lichtsinns geführt. a. Eine relativ primitive Leistung stellt die Reaktion auf Hell-Dunkel-Unterschiede dar. Obwohl die visuellen Receptoren zu den leistungsfähigsten Informationskanälen des tierischen Organismus gehören, gibt es doch auch Tiere, die keine optische Umwelt besitzen. Die Reaktion auf einen Wechsel der Umgebungshelligkeit ist sowohl für den jahreszeitlichen Rhythmus als auch den Tag-Nacht-Wechsel wichtig, durch den die Aktivität des Tieres mit der Umgebung synchronisiert wird. Besonders bei niederen Tieren löst ein schneller Intensitätswechsel des Lichtes Schutzreflexe aus. So orientieren sich z. B. Insektenlarven durch pendelnde Bewegungen ihres lichtempfindlichen Vorderendes. Auch bei Tieren mit hochentwickelten Augen existiert mitunter noch ein extraokularer Lichtsinn (bei niederen Wirbeltieren z. B. im Bereich des Zwischenhirndaches als >ScheitelaugeTransducerprozeß< einzuleiten. Beim Lichtreiz beträgt der Verstärkungsfaktor für die Ausbildung eines Receptorpotentials über 1000. Einige Sinneszellen reagieren so empfindlich, daß bereits spontane physiologische Prozesse im Zellinneren zur Ausbildung eines Receptopotentials führen, so daß das Problem entsteht, diese Nonsense-Informationen, die keine Daten über Umweltverhältnisse vermitteln, während der Weiterleitung in das ZNS zu reduzieren. Dies wird durch eine Konvergenzschaltung erreicht, bei der mehrere Sinneszellen in synaptischen Kontakt mit einer afferenten Nervenzelle stehen, so daß derartige Spontanaktivitäten zu keinem fortgeleiteten Aktionspotential führen, andererseits aber die Spezifität der Receptorzelle gegenüber bestimmten Energiedifferenzen in der Umgebung bis an die Grenze des Möglichen gesteigert wird. Für mehrere Sinnesorgane des Menschen (inneres Ohr, Kältereceptoren bei bestimmten Temperatureinstellungen) ist eine spontane Rhythmizität nachgewiesen, die, wie beim Maculaorgan, das auf Schwerkrafteinwirkungen reagiert, durch Dauerreize ausgelöst wird. Ein extrem niedriger Schwellenwert oder eine oscillatorische Rhythmizität der Sinneszelle ist nur unter erheblichem Energieverbrauch aufrechtzuerhalten, besitzt aber den Vorteil, daß Reize immer auf einen sofort reaktionsfähigen Transducer treffen. Der Anpassungsdruck an besondere Umwelten hat zu der erstaunlichen Reizspezifität für einzelne Informationsparameter geführt, die bei der Lichtempfindung an zwei Bedingungen geknüpft ist: Einmal muß das unter Lichteinwirkung entstandene all-trans-Retinal abtransportiert und biochemisch wieder zu 11-cis-Retinal regeneriert werden, das sich dann spontan mit Opsin (Skotopsin) verbindet. Außerdem müssen die durch den Erregungsvorgang entstandenen Ionenkonzentrationsunterschiede in der Receptorzelle wieder ausgeglichen werden, indem Ionen aktiv gegen das Ionenkonzentrationsgefälle transportiert werden. Im Auge der Wirbeltiere erlischt die Erregbarkeit der Stäbchen bereits nach 60 s, wenn die Ionenpumpe blockiert wird. Beide Prozesse laufen nur unter erheblichem Energieverbrauch ab, der nicht über die Reizenergie, sondern über den Stoffwechsel gedeckt wird. Die Sinneszelle wird damit so unter Spannung gesetzt, daß auch auf geringfügige Reizänderungen reagiert werden kann, andererseits wird der die Entstehung eines Receptorpotentials begleitende zelluäre Energieumsatz wesentlich größer als die Reizenergie selbst. Dieser 134
Energieaufwand ist aber notwendig, um die in den Reizen enthaltenen Informationen mit einer für das Uberleben der jeweiligen Art angemessenen Schärfe auf das Receptorpotential abzubilden. Unter natürlichen Bedingungen kommen letztlich alle im ZNS verarbeiteten Informationen aus den Receptorpotentialen der Sinneszellen. Eine andere wichtige Frage der >TransducerQuantisierungKondensator< entstehende elektrische Potential ist proportinal der Zahl der Ladungen, die an den Zellmembranflächen festgehalten werden. Wahrscheinlich ist der unterschiedliche biochemische Aufbau der Zellmembran in der tierischen und pflanzlichen Zelle auch eine wichtige materielle Ursache für ihre unterschiedliche Reiz- und Erregungsfähigkeit, obwohl es sich in beiden Fällen um vielzellige Organismen handelt. Während pflanzliche Zellen neben anderen Merkmalen wie großen Vakuolen, Chloroplasten usw. feste Zellwände aus Polysacchariden, bei Pilzen aus Chitin, bilden, besitzt die tierische Zelle in der Regel keine feste Zellwand. In der pflanzlichen Zelle lagert sich auf die Primordialmembran die Primärwand und dann verschiedene Schichten von Sekundärwänden, in der Tüpfel als Verbindungswege zwischen den Zellen ausgespart bleiben. Außerdem sind pflanzliche Zellen durch eine große Zahl feinster Öffnungen (Plasmodesmen) untereinander stoffwechselphysiologisch verbunden. Alle tierischen Zellen sind dagegen von einer Membran mit nahezu identischer biochemischer Struktur umgeben (>unit-membrane-structureAusdrucksverhalten< bezeichnet werden. Zu ihm gehören z. B. Droh- und Beschwichtigungsbewegungen im Sozialverband oder die Bettelbewegungen von Jungtieren. Die phylogenetische Entwicklung der bidirektionalen Struktur der Informationsübermittlung als Kommunikation ist von mehreren Faktoren abhängig: der Fähigkeit, Signale auszusenden, der Empfangsmöglichkeit von Signalen und dem Wechsel zwischen Sender- und Empfängerfunktionen. Das biologische System sendet ebenso wie physikalische Objekte ständig Informationen an die Umgebung ab. Derartige Erregungsäußerungen, die sich zunächst in einfachen Bewegungen oder einer Veränderung der Körperstellung zeigen können, sind für den Sender entweder positiv oder negativ. Die positive Belohnung durch die Umweltreaktion führt dann über die Selektion des Verhaltens zu einer immer stärkeren Konzentration des Informationsgehaltes, bis die Bewegung aus ihrem ursprünglichen Funktionszusammenhang her ausgelöst wird und zu einem besonderen Informationsträger bzw. zu einem Signal wird. Zunächst ist aber überhaupt die Fähigkeit der Rückkopplung wichtig, die zwischen den einzelnen Systemumgebungen sehr verschieden gestaffelt ist und bei unbelebten Objekten gegen Null geht, unter den biologischen Systemen bei den Duplikationen der eigenen Organisation aber maximal wird, da dieses System die gleiche Information aussendet und über die gleichen Sende- und Empfängerfähigkeiten verfügt. Außerdem ist die Fähigkeit der Signalgebung nicht von vornherein gegeben, sondern bei den Gebrauchssystemen des Stoffwechsels oder der Fortbewegung sind Sender und Empfänger noch identisch und es werden keine besonderen raum-zeitlichen Entfernungen überbrückt. Die Möglichkeit 179
der Distanzüberwindung zwischen Sender und Empfänger bestimmt dann die Signaleigenschaften. Die absolute Identität zwischen Sender und Empfänger geht verloren, da auch verschiedene Vertreter einer Art biologisch individuell unterschieden sind und hier wieder die Selektionswirkung einsetzt. Die positive Auslese von Auslösern während des Ritualisationsprozesses zielt vor allem auf die Beibehaltung der gemeinsamen Informationseigenschaften des Kommunikationssystems, da diese Einheitlichkeit die materielle Voraussetzung des wechselseitigen Verstehens ist. Dieser Prozeß setzt auf drei Ebenen an: a. Der Trennung zwischen Empfängern und Nichtempfängern. Im Fall der sozialen Auslöser ist diese Scheidung häufig identisch mit der Unterscheidung verschiedener Arten. Der typische Empfänger von sozialen Signalen in tierischen Kommunikationssystemen ist der Artgenosse. Während aber bei der genetischen Informationsweitergabe über die Matritze des DNA-Moleküls diese Information noch materiell an biochemische Verbindungen gebunden ist, besitzt der Informationsgehalt der tierischen Kommunikation bereits ideelle Qualitäten. In beiden Fällen wird aber eine identische Reduplikation angestrebt, deren Unmöglichkeit, in einem Fall durch Mutationen, in der Kommunikation durch Redundanzen und Nonsense-Inform ationen, der Hebel der Selektionswirkung der Umwelt wird. Der Selektionsvorteil einer besonderen ideellen Ebene der Informationsverarbeitung biologischer Systeme dürfte darin zu sehen sein, daß der Austausch gegenüber genetischen Prozessen in einer außerordentlich kurzen Zeit erfolgt und damit die Anpassungsfähigkeit an die Umwelt erheblich erhöht. Außerdem können kommunikativ Informationen über räumliche Entfernungen vermittelt werden, die größer sind als die Ausdehnung vielzelliger Organismen. b. Die Herstellung einer maximalen Identität zwischen Sende- und Empfängereigenschaften, die über den gemeinsamen genetischen Bauplan von Tieren einer Art realisiert wird. Eine Spezialisierung auf besondere Sende- und Empfängereigenschaften findet damit innerhalb des gleichen Organismus statt und wird von den verschiedenen Artangehörigen identisch wiederholt. c. Das System der sozialen Signale wird einheitlich weiterentwickelt. Bei angeborenen Auslösern verstehen sich die Vertreter einer biologischen Art blind, ohne daß sie jemals vorher in Kontakt gestanden haben müssen. Bei hochentwickelten Tieren können soziale Signale auch gelernt werden, was nur dann möglich ist, wenn auch der Empfänger diesen Lernprozeß nachvollzieht. Individuelle Änderungen des Kommunikationssystems, die zunächst die Einheitlichkeit der Informationsübertragung in Frage stellen, sind biologisch nur dann sinnvoll, wenn sie auch von den anderen Artange180
hörigen aufgenommen werden. Der Ritualisationsbegriff, das ergibt besonders der letzte Punkt, beschreibt allgemein die Veränderung von Verhaltensweisen im Dienste der Signalbildung, er sagt aber noch nichts darüber aus, ob es sich bei der Entstehung sozialer Signale um eine phylogenetische oder um eine ontogenetische Ritualisierung handelt. Experimentell ist es in einigen Fällen auch gelungen, das Sendesystem durch einen elektronischen Kommunikationspartner zu ersetzen, der mit dem entsprechenden Code der Tiersprache programmiert ist. Phylogenetisch verläuft der Ritualisierungsprozeß nicht spiegelbildlich, obwohl die Sendeeigenschaften ständig auf dem Empfänger abgebildet werden, sondern die biologische Funktion des Signalwertes wird primär von dem Empfänger bestimmt, der mit seiner Rückmeldequote auch die Leistungsfähigkeit des Senders definiert. Langfristig hängt die Entwicklung eines tierischen Kommunikationssystems von der Intensität der Rückkopplung ab, die unter anderem von dem gezielten Ansprechen des Adressaten und der Eindeutigkeit der übermittelten Information bestimmt ist. Durch die permanent« raum-zeitliche Veränderung der biologischen Systeme sind für die Übertragung sozialer Signale deshalb besonders materielle Informationsträger und Ortungsmechanismen notwendig. Vögel haben sich z. B. in ihrer Kommunikation auf die Übertragung akustischer Signale spezialisiert, die dann wieder als Störungsrufe, Schwarmrufe, Nestrufe, Bettelrufe der Jungvögel, Angriffsrufe, allgemeine und spezielle Alarmrufe variiert werden. Allgemein unterliegt die Evolution sozialer Signale drei verschiedenen Arten von Gesetzmäßigkeiten. Die physikalischen Gesetze bestimmen vor allem die energetischen Bedingungen der Signalübertragung. Wichtige Struktureigentümlichkeiten akustischer Signale sind deshalb z. B. die Abnahme der Schallintensität mit wachsender Entfernung von dem Sender. Um weitere Entfernungen zu überbrücken, müssen Geräusche mit einer größeren Lautstärke produziert werden. Der bei der Ausbreitung von Schallwellen auftretende Energieverlust ist je nach der Tonhöhe unterschiedlich. Da der größte Energieverlust bei höheren Frequenzen auftritt, sind bei der Kommunikation über weite Entfernungen niedrigfrequente Töne günstiger. Eine andere physikalische Eigenschaft akustischer Signale, die sie z. B. von Gerüchen unterscheidet, ist die Reaktionsfähigkeit von Schallwellen, die um so stärker ist, je größer der Durchmesser des entsprechenden Gegenstandes gegenüber der Wellenlänge des Schalls ist. Die Evolution der entsprechenden physikalischen Signalträger ist deshalb nicht nur an Arten, sondern auch an bestimmte Biotope gebunden, in denen deshalb häufig ein besonderer Selektionsdruck auf einen spezifischen Informationskanal besteht. In Waldgebieten dominiert z. B. die Kommunikation über chemische und akustische Signale, da ihre Ausbreitung hier optischen Signalen überlegen ist. Der Vorteil akustischer Kommunikation besteht dann gegenüber chemischen Signalen vor allem in der Schnelligkeit, die eine rasche Kontaktaufnahme 181
ermöglicht, während die Nachteile auf der Dämpfung durch die zahlreichen Brechungsvorgänge beruhen. Insgesamt ist der Lautreichtum tropischer Urwälder jedoch kein Zufall, sondern Ergebnis der Evolution sozialer Signale unabhängig von der jeweiligen Art. Für andere Biotope gelten entsprechende Überlegungen. Außerdem muß die physikalische Struktur des Signals sich für die Übertragung sehr verschiedener Informationen eignen, so daß die Entstehung sozialer Signale auch informationstheoretischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Auch hier kommt es durch gleiche Anforderung an den Signalcharakter zur Entstehung konvergenter Signalformen bei phylogenetisch unterschiedlichen Tieren. So besteht zwischen vielen Drohlauten (z. B. Fauchen, Zischen) oder Warnrufen unabhängig von der Tierart eine allgemeine strukturelle Gemeinsamkeit. Die Warnrufe zeichnen sich durch einen engen Frequenzbereich und das Fehlen von Unregelmäßigkeiten im Frequenzband aus. Die verschiedenen Informationsleistungen führen dann auch zu einem unterschiedlichen physikalischen Aufbau des Signals. Zahlreiche Vogelarten, aber auch Säugetiere warnen z. B. unterschiedlich vor Luft- und Bodenfeinden. Marler (1956) hat die Hypothese aufgestellt, daß die Luftwarnrufe, die aus langgezogenen reinen Tönen bestehen, eine Ortung des Rufers erschweren sollen, der nicht nur seine Artgenossen warnen, sondern sich auch selbst in Sicherheit bringen soll, während die Warnrufe vor Bodenfeinden eine genaue Lokalisation gewährleisten, da hier auch die Information sinnvoll ist, in welche Richtung eine Flucht möglich ist. Die biologischen Gesetzmäßigkeiten stellen das entscheidende Kriterium dar, durch das die verschiedenen physikalischen und informationstheoretischen Möglichkeiten an ihrem Beitrag zur Arterhaltung gemessen werden. Die Verschiedenheit der sozialen Signale ist ein Ergebnis der natürlichen Auslese, die zu einer strengen Artspezifität der Kommunikation führt, von der bisher nur die Funktion der Sexuallockstoffe bei Schmetterlingen eine partielle Ausnahme bildet. Im allgemeinen ist jedoch die Tierkommunikation zugleich ein Mechanismus der sexuellen Isolation. Bei stammesgeschichtlich sehr nahe verwandten Arten, durch deren gemeinsames ökologisches Vorkommen die Möglichkeit einer Bastardierung gegeben ist, sind die Signale der innerartlichen Kommunikation deshalb deutlich voneinander unterschieden.
Das stammesgeschichtliche Rohmaterial des Ritualisationsprozesses sind die verschiedenen Gebrauchssysteme. Zu ihnen zählen z. B. der Nahrungserwerb, Ruhe, Schlaf und Rekelbewegungen aus dem Bereich des stoffwechselbedingten Verhaltens, Geburt und Brutpflege im Fortpflanzungsverhalten, Nestbau oder Gehäusebau aus dem Bereich der tierischen Bautätigkeit sowie verschiedene Verhaltensweisen des Erkundungsverhaltens, der Komfortbewegungen oder des Territorialverhaltens. Auch diese ungerichteten Bewegungsfolgen, die ohne Einschaltung eines Kommunikationspartners ablaufen und allein der Selbsterhaltung dienen, besitzen bereits einen elementaren, unterschiedlichen Informationsgehalt, an dem dann der Ritualisationsvorgang ansetzt, durch den die Gebrauchshandlungen in Signalhandlungen umgewandelt werden. Neben dem stofflich-materiellen Kontakt mit der Umwelt tritt zunehmend der Austausch von Informationen als intensivere Form der Kontaktmöglichkeit, wobei dann 182
sekundär auch der umgekehrte Prozeß, die Rückverwandlung von Signalhandlungen in Gebrauchssysteme, für einige Tierarten nachgewiesen ist. Die besondere Informationsleistung ritualisierten Verhaltens ergibt sich dort zwingend, wo stammesgeschichtlich eng verwandte Tiergruppen über ein gemeinsames Bewegungsrepertoir verfügen, das in der phylogenetischen Entwicklung dann in einem unterschiedlichen Maße ritualisiert wurde. Dabei kann es zu einer unterschiedlichen Stereotypisierung oder einem Einschluß verschiedener zusätzlicher Signalmerkmale gekommen sein. Immer dienen diese Auslöser der Regulierung des innerartlichen sozialen Verhaltens wie der Eltern-Kind-Verständigung, der Paarbildung oder der Abgrenzung des Territoriums gegenüber Rivalen. Entsprechend der Allgemeinheit des Funktionswandels, den die Herausbildung verschiedener Signalhandlungen in der Phylogenese darstellt, existieren zahlreiche konkrete Mechanismen. Die Ritualisation von Gebrauchshandlungen kann zunächst dadurch erreicht werden, daß die für den Rezepienten normale Verhaltensweise im Sinne einer statistischen Norm durch einzelne Änderungen von Strukturelementen modifiziert wird. Eine Möglichkeit ist hier z. B. die besondere Betonung einzelner Komponenten des Verhaltensablaufes, indem die Bewegung in einer spezifischen Stellung etwa erstarrt oder in der Reaktionsgeschwindigkeit erheblich herabgesetzt wird, so daß eine Unterscheidung für den Empfänger zum normalen Ablauf der ursprünglichen Gebrauchshandlung möglich ist. So kann die Andeutung bestimmter Verhaltensweisen als >Intensionsbewegung< als Stimmungssignal für den Artgenossen wirken und zu entsprechenden Gegenreaktionen führen. Derartige Bewegungseinleitungen, die nicht vollendet werden, kommen häufig am Beginn ortsverändernder Bewegungen wie dem Ansatz zum Auffliegen oder dem Sprung, aber auch in dem Funktionsbereich von Schutz und Verteidigung, der Nahrungsaufnahme, dem Nestbau oder der Kopulation vor. Die pantomimisch übertriebenen Bewegungsintensionen dienen dann als prägnantes Signal gegenüber dem Artgenossen. Andere Möglichkeiten der Signalbildung durch Verhaltensänderung bestehen durch den Ausfall einzelner Komponenten innerhalb eines geschlossenen Reaktionsablaufes, die rhythmische Wiederholung einzelner Elemente, die Änderung der Bewegungsfolge in der Ablaufstruktur oder die Ausbildung komplizierter Muster durch Neukombination. Häufig werden mehrere Möglichkeiten kombiniert, um die Gebrauchshandlung besser an die Erfordernisse des Signalisierens anzupassen. Besonders bei optischen Signalen hat sich dabei eine Prägnanz der Muster als Kontrast zu dem Reizumfeld herausgebildet, die meist auch zu einer Auffälligkeit und Unverwechselbarkeit des Signals für den Empfänger führt. Auffälligkeit und mimische Übertreibung eines Signals sind aber keineswegs die einzigen Selektionskriterien, da auch der 183
Freßfeind von der Prägnanz des Signalwertes profitiert. Bei komplizierten Informationsprozessen genügt häufig eine bloße Verhaltensänderung nicht mehr, zumal nur relativ wenige Reizkanäle zur Verfügung stehen, so daß auch bestimmte Körperstellen in die Musterbildung einbezogen werden. Der Haubentaucher besitzt z. B. eine auffällige Gesichtskrause, die als Signalverstärker verstanden werden kann, die Lachmöwe (Larus ridibundus) eine dunkle Gesichtsmaske, der Fregattvogel (Fregata aquila) einen roten Kehlsack, die Enten (Anatinae) ein besonderes Spiegelmuster usw. Dabei dienen bei den Vögeln nicht nur auffallende Gefiederzeichnungen wie der Federschopf des Fischreihers (Area cinerea), sondern auch farbige Rachenmuster bei Jungvögeln oder der rote Fleck auf dem Schnabel der Silbermöwe (Larus argentatus) als Signalverstärker. Bei den Fischen haben sich neben farbigen Mustern auch besondere Segelflossen bei einigen Arten als morphologischer Informationshintergrund der Signalübertragung herausgebildet, während bei Säugern häufig Mähnen, Gehörne, Schwellkörper den Signalwert einer Verhaltensweise erhöhen. Eine besondere Gesetzmäßigkeit des Ritualisationsprozesses ist hier darin zu sehen, daß sich die Musterbildung auf bestimmte Körperpartien konzentriert, die sich für eine Sendefunktion besonders günstig eignen wie die oralen und analen Körperpartien. Ein weiterer grundlegender Wechsel, der mit der Ritualisation der Informationsübertragung verbunden ist, betrifft die Änderung des ursprünglich der Bewegung zugrunde liegenden Antriebes, durch die es wiederum zu
Bild 26 Aufeinanderfolge ritualisierter Verhaltensweisen beim Buntsprecht (Dendrocopos major). Der artspezifische Trommelwirbel wirkt ate Signal. Dem näherkommenden Weibchen wird in einem gering ritualisierten Schauflug die Höhle gezeigt, bei der ein demonstratives Klopfen in nicht getakteter Schlagfolge einsetzt. Nach Blume (1973). 184
einer Änderung z. B. des Schwellenwertes gegenüber bestimmten Reizkonfigurationen kommen kann. In dem Maße, wie sich die ritualiserte Bewegung von ihrem Ursprung innerhalb des Gebrauchssystems entfernt, kann es dabei zu der Ausbildung einer eigenen Motivation kommen. Darüber hinaus können ritualisierte Verhaltenweisen aber auch selbst bei dem Partner zu einer Steigerung des Antriebs führen, auf die sie eine stimulierende Wirkung ausüben. Das Ergebnis derartiger stimmungsmäßiger Synchronisierung ist dann z. B. die Aktivierung der Abwehrreaktion eines Sozialverbandes oder die Gleichstimmung der Sexualpartner im Rahmen der Fortpflanzung. Bei Vögeln sammeln sich balzlustige Männchen wie Kampfläufer (Philomachus pugnax) oder Birkhähne (Lyrurus tetrix) auf oft länger beibehaltenen Balztennen und führen Schauturniere auf, während die Laubenvögel (Ptilonorhynchidae) ritualisierte Tänze vor ihren Symbolnestern aufführen. Die Kombination besonderer motivationaler Zustände an Signalbewegungen ist deshalb verständlich, da diese besonders häufig dem Funktionskreis der Fortpflanzung und des agonistischen Verhaltens entstammen. Bei dem >Demutverhalten< handelt es sich um ein aggressionshemmendes intraspezifisches Verhalten unterlegener Individuen, während die >Beschwichtigungsgebärde< ein innerartliches aggressionshemmendes Verhalten gleichrangiger Individuen darstellt. Auch das >Imponierverhalten< als eine Resultante der Uberlagerung von Angriff und Flucht stellt eine Verhaltensbasis dar, die als Material für den Ritualisierungsprozeß dient, wobei dann rückkoppelnd wieder die Evolution geeigneter Körperpartien zur Demonstration gefördert wird. Die begriffliche Fassung des Ritualisationsprozesses ist durchaus nicht einheitlich, sondern durch eine teilweise komplizierte und nuanciert angewendete Terminologie geprägt. Zahlreiche Verhaltensweisen wie die Balzzeremonien von Enten und Rauhfußhühnern fallen dem menschlichen Beobachter durch ihre eigentümliche Kombination von Form-, Laut- und Farbmusterdarbietungen auf. Huxley (1914) hatte in dem Paarungsverhalten des Haubentauchers (Podiceps cristatus) einige derartige typische Verhaltenselemente beschrieben, die offensichlich für den Fortpflanzungspartner eine besondere mitteilende Funktion besitzen, und für die Ausbildung dieser Signalmerkmale den Begriff >Ritualisation eingeführt (1923). Besonders häufig treten ritualisierte Verhaltensweisen in der Balz und im Aggressionsverhalten auf, da es hier zur unmittelbaren Konfrontation zweier Individuen kommt und damit ein besonderer Kommunikationszwang vorliegt. Die Signalfunktion steht dabei meist in einem einsichtigen Zusammenhang mit dem zugrunde liegenden Gebrauchssystem. Bei einigen Prachtfinken-Arten haben sich die Weibchen auf den Nestbau spezialisiert, während die Männchen das Nistmaterial herbeitragen. Aus diesem Funktionszusammenhang hat sich die >Halmbalz< entwickelt, in der das Männchen mit dem Halm im Schnabel ritualisierte Nestbaubewegungen macht. 185
Blockierungssituation: Dem Reizmuster gegenüber keine eindeutig zugeordnete Reaktion vorhanden [„Akute" Situation] - Neuro-humorale Reaktion
Blockierung: Konfliktspannung zwischen unstimmigen und widerstreitenden Aktionssystemen bzw. Emotionen oder Affekten (Begegnungs-, Platzbehauptungs-, Aggressionsund Sexualtendenzen), Aktivierung regulatorischer und gegenregulatorischer Systeme
-Neuro-muskuläre Reaktion
Anpassungsversuch: Primfire Reaktionen zur Erregungsregulierung und Situationsbewältigung, formlabiles Verhalten
—Vegetative Vorgänge: (Aktionsvorbereitung) a) Einstellung auf Energieverbrauch, Aktivierung des pathico-adrenalen Systems, Mobilisierung von Reaktionen. b) Einstellen auf Energieeinsparung, Aktivierung des parasympathischen Systems, Beharrung, Hemmung, Rüdezug. '-•'Änderung der Drüsentätigkeit Sekretion der Darmperistaltik Defäkatlon des Blasentonus Urinieren der Blutzirkulation - -Färbung nackter Stellen der Atmung HZIIZ -Halsblähen -Lautäußenangen der Wärmeregulation' -Haarsträuben -Federsträuben —Neuromuskuläre Vorgänge: (Aktionsdurchführung) Körperbewegungen und -haltungen • Intentionsbewegungen Ubersprungbewegungen Ambivalente Bewegungen Übergangshandlungen Fehllaufhandlungen -
Psychische Vorgänge: (Aktionssteuerung? Begleitung?) • Emotionen, AffektAllmähliches Schwinden konflikte (Wutder nervösen Gereiztheit, Angst, Kontaktund affektivcL. -PsychischeAbwendung), Ver-— .emotionelle Umfärbung in Richtung Reaktion legenheit. Frustauf situationsspeziftsche rierung. nervöse Erregung Gereiztheit Bild 27 Schematische Darstellung der verschiedenen Möglichkeiten der Ritualisierung von Gebrauchssystemen. Nach Blume (1973).
C
Gelungene Anpassung: Formfeste autonome Erbkoordination, optimal wirksames Ausdrucksmuster, eindeutige Zuordnung von Reiz- und Reaktionsmuster [„Chronische" Situation]
Ritualisierung: Zunehmende Formung der Ausdrudesbewegungen, mimische Übertreibung, primäre Reaktion wird sekundär bedeutsame Signalhandlung
C * 3 !
Ritualisiertes Ausdrucksverhalten in Form olfaktorischer, optischer und akustischer Signale bzw. Zeremonien zur Reviermarkierung Einschüchterung Vertreibung Beschwichtigung Anlockung, Werbung ' Stimmungsübertragung Stimulation Synchronisation Lokalisation Sexuellen Isolation Begrüßung Brutablösung Fütterung und sozialen Mitteilung verschiedener Art zum Verleiten
Da die wichtige Funktion des Signalempfängers zunächst nicht berücksichtigt worden war, hat Wickler (1967) eine Unterscheidung zwischen Ritualisierung und Semantisierung vorgeschlagen. Die Ritualisation würde danach einer sendeseitigen Semantisierung entsprechen, während der Semantisierungsbegriff generell alle Vorgänge am Sender und Empfänger erfaßt, durch den das soziale Signal seine - biologische - Bedeutung erhält. Obwohl der Semantisierungsbegriff die dialogische Struktur der tierischen Kommunikation reflektierter beschreibt, hat er sich gegenüber dem Ritualisationsbegriff nicht durchsetzen können, dessen Bedeutung auch identisch mit dem grundsätzlicheren Semantisierungsvorgang gefaßt wird. Morris (1956) hat für die ontogenetisch ritualisierten Signalbewegungen, z. B. die Bettelbewegungen der Zootiere, die sich aus Nachahmung oder Intensionsbewegungen der Annäherung und des Greifens entwickeln, die Bezeichnung >Stilisierung< eingeführt. Die umfassende Klammer der verschiedenen Mechanismen und Formen der Entstehung einer spezifisch biologischen Bedeutung sozialer Signale bildet die Zoosemiotik (Sebeok). Die wichtigsten Probleme der biologischen Signalübertragung sind danach der syntaktische Aspekt der tierischen Kommunikation, bei dem es um die Genauigkeit der biologischen Signalübertragung sowie die raum-zeitliche Struktur innerhalb der einzelnen Signalkomponenten geht, der semantische Aspekt der Signalübertragung, da die sozialen Signalmuster auch immer eine spezifische Bedeutung vermitteln, die von der Signalgestalt materiell getragen wird und der pragmatische Aspekt der Signalwirkung, da in dem Signalempfänger auch eine bestimmte Verhaltensänderung ausgelöst werden soll, die wiederum von dem Bedeutungsgehalt der Signalfolge abhängig ist. Lorenz (1935) hat die im Ritualisationsprozeß neu entstandenen Informationsstrukturen als Auslöser oder Signale bezeichnet. Eibl-Eibesfeldt (1973) nennt die zu
(1) source; ( 2 ) destination; (3) designation; (4) channel; (5) message; (6) code. Bild 28
Strukturmodell der Kommunikation. (Nach Sebeok 1968) 187
Signalen differenzierten tierischen Verhaltensweisen Ausdrucksbewegungen, während Tinbergen (1951) von Signalhandlungen spricht. Da in der Neurophysiologie und Biokybernetik der Signalbegriff in der weiteren (informationstheoretischen) Bedeutung Verwendung findet und auch Schlüsselreize gegenüber Auslösern eine allgemeinere Signalfunktion erfüllen, werden die hier in der zwischen- und innerartlichen Kommunikation verwendeten Zeichen als soziale Signale bezeichnet.
Sowohl die dialogische Struktur der tierischen Kommunikation selbst als auch der Abbildcharakter von sozialem Signal gegenüber der Umwelt funktionieren wie die Evolution der tierischen Signalsysteme über zahlreiche Widerspruchsprinzipien: a. Signalselektion über das Verhältnis der zurückgelegten Weglänge zu der für die Übermittlung benötigter^Zeit. Signalformen im taktilen Bereich, von denen der Ferntastsinn bei Fischen allerdings eine Ausnahme darstellt, besitzen schon deshalb einen beschränkten Kommunikationsbereich, da die Ausbreitung von Druck- und Wasserwellen sowohl mit einem großen Energieaufwand verbunden ist und in der Fortpflanzungsgeschwindigkeit begrenzt bleiben. Besonders für die Kommunikation höherer Tierarten werden deshalb Licht und Schall als Signalformen gegenüber taktilen Mechanismen oder den ebenfalls sich nur langsam ausbreitenden olfaktorischen Signalen funktionell zunehmend wichtiger. b. Bei der Überwindung räumlicher Entfernungen wirkt eine Tendenz zur Distanzverringerung, die für die Kontaktaufnahme notwendig ist, gegenüber der Distanzvergrößerung unter Beibehaltung gleichbleibender Kommunikationsmöglichkeiten. Die Einhaltung definierter räumlicher Entfernungen ist vor allem für territorial lebende Tierarten wichtig, die einen bestimmten Raum zur Selbsterhaltung benötigen. In diesem Fall ist es günstiger, das Gebiet mit relativ stabilen Duftmarken zu kontrollieren als über die kurzlebigen visuellen und akustischen Signale. c. Innerhalb der tierischen Signalsysteme wirkt ein Trend der Vereinheitlichung der Kommuniktion gegenüber der Individualisierung der Informationsübermittlung. In anonymen Kommunikationssystemen sind Einzelindividuen noch beliebig austauschbar, ohne daß sich der Gesamtkontext ändert. 2. B. sind Rattenpopulationen und Verbände von Honigbienen durch einen bestimmten Gruppengeruch individualisiert, so daß Gruppenfremde der gleichen Art angegriffen werden. In sozial organisierten Säugetierverbänden kommt es über die Entstehung von Rangordnungen auch zu einer individualisierten Kommunikation und einem persönlichen Kennenlernen zwischen den einzelnen Artmitgliedern. Die Signalübermittlung wird hier von Tier zu Tier variiert, während die Gleichheit der Signale eine wichtige Voraussetzung für die Arterkennung ist. Neben der auf Artspezifität gerichteten Selektion, die notwendigerweise zu einer Vereinheitlichung der Signalformen einer Art führt, existiert jedoch 188
auch die Möglichkeit, daß es biologisch sinnvoll ist, wenn sich die verschiedenen Artgenossen individuell untereinander kennen. 2. B. lernen sich Singvögel untereinander am Gesang erkennen und vermeiden so Kämpfe mit dem Reviernachbarn. d. In der tierischen Kommunikation stehen sich außerdem die Genauigkeit der Information und die Kürze der Signalfolge alternativ gegenüber. Ein zu rasches Verklingen des Signales verhindert unter Umständen die Decodierung durch den Empfänger, was durch ein mehrmaliges Senden des Signals ausgeglichen werden kann. Die Redundanz als Folge der notwendigen Signalwiederholungen ist deshalb ein Maß für die Verständlichkeit der Informationsübermittlung. Auch in der phylogenetischen Entwicklung der tierischen Kommunikation hat sich wahrscheinlich entsprechend der neuronalen Codierung von Informationen - ein Ubergang von analog zu diskret übermittelten Signalfolgen vollzogen, da diskrete Codierungen eine präzisere Informationsweitergabe ermöglichen. In entwickelten tierischen Kommunikationssystemen werden nicht nur einzelne Informationen, sondern über die Kombination von Signalen auch bereits ein spezifischer Kontext übermittelt (z. B. in der >Bienensprache Leipzig Penfield, W. (1958): The exitable Cortex in conscious man, Liverpool Perret, E. (1973): Gehirn und Verhalten. Neuropsychologic des Menschen. Bern/Stuttgart/Wien Pickenhain, L. (1959): Grundriß der Physiologie der höheren Nerventätigkeit, Berlin Ploog, D. & P. Gottwald (1974): Verhaltensforschung. Instinkt-LernenHirnfunktion, München/Berlin/Wien Portmann, A. (1968): Einführung in die vergleichende Morphologie der Wirbeltierey Basel Rein, H. & M. Schneider (1971): Physiologie des Menschen, Berlin/Heidelberg/New York Reenpää, Y. (1973): Über das Ky ^er-Seele-Problem. In: Gadamer, H.-G. & P. Vogler (Hrsg.): Neue Anu opologie, Bd. 5 Psychologische Anthropologie, 14-49, Stuttgart Remane, A., V. Storch & U. Welsch (1974): Kurzes Lehrbuch der Zoologie, Stuttgart Rensch, B. (1968): Biophilosophie auf erkenntnistheoretischer Grundlage (Panpsychistischer Identismus), Stuttgart Rensch, B. (1972): Fischer Lexikon Biologie 2 Zoologie, Frankfurt/M. Rensch, B. (1973): Gedächtnis, Begriffsbildung und Planhandlung bei Tieren, Berlin/Hamburg Rohracher, H. (1967): Die Arbeitsweise des Gehirns und die psychischen Vorgänge, München Rüdiger, W. (1971): Lehrbuch der Physiologie, Berlin Schade, J. P. (1973): Die Funktion des Nervensystems, Jena Schleidt, W. M. (1964): Wirkungen äußerer Faktoren auf das Verhalten. Fortschr. Zool. 16, 469-499 Schmidt, R. F. (Hrsg.) (1972): Grundriß der Neurophysiologie, Berlin/ Heidelberg/New York Schmidt, R. F. (Hrsg.) (1973): Grundriß der Sinnesphysiologie, Berlin/Heidelberg/New York Sebeok, T. D. (Hrsg.) (1968): Animal communication, Bloomington 194
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195
Sachregister Abbildung 71, 116, 124, 153 - biologische 62 f., 113, 153 - ideelle 62 f. - materielle 112 Abstraktionsleistung 18, 21 Aggressionsverhalten 34 f., 185 Alles-oder-Nichts-Gesetz 140f., 150 Analogie 153 Angriffsverhalten 185 Anneliden 153 Anthropomorphismus 37ff., 69f. Arterhaltung 33, 35 Arthropoden 153 Assoziationen 173, 176 - verbale 175 Assoziationsfeld 101 Attrappe 166 f. - überoptimale Attrappe 167 f. - Experimente 168 ff. Auge 120 ff. - Blasenauge 122 - Facettenauge 122 - Grubenauge 122 - Linsenauge 122 - Lochkameraauge 122 Auslese, positive 180 Auslösemechanismus 35, 106f. Auslöser 106, 178 Bahnung 151 - räumliche 151 f. - zeitliche 151 f. Bauchmarktiere 91 Bedeutung 77 - biologische 77, 187 Behaviorismus 26, 41, 67f., 173 Beschwichtigungsgebärde 179, 185 Bewegungsintension 183 Beute-Räuber-Funktionskreis 115 Bewußtsein 22, 30, 65 - Begriff 47f., 51 f. - cartesianisches B. 44 196
- Entstehung aus dem Psychischen 38, 63 - Entwicklung 39, 60 - gesellschaftliches B.39f. - Ich-Bewußtsein 63 - Problembewußtsein 12f., 65 - Störungen 51 f. Bewußtseinsformen 62 Bewußtseinsinhalt 63 f. Biogenese 29, 56, 59ff., 103 Biologie und Psychologie 15 f., 23f., 41 biologische Organisation 31 Biologisches und Psychologisches 27,57 Biologismus 33 Blut-Hirn-Schranke 51 Brutpflege 182 Cerebralisation 95 ff., 100 - Cerebralisationsfaktor 96 f. Code 135 ff. - Dualcode 135 - genetischer Code 77, 135 - geschützter Code 154, 159 - neuronaler Code 136, 154f., 189 - Redundanz des Codes 142 - Sicherheit des Codes 189 Codierungsebenen 110, 120, 135, 153 - genetische 55 - psychische 55, 153 Decodierung 119, 150, 152 ^ - physiologische Grundlagen 146 Delphin 157 Dendriten 85 ff. Denken 22f., 26ff. - logisch-diskursives Denken 22 - magisches Denken 22 - Abstraktionsleistungen des D. 18, 21 Depolarisation 139 f. - physiologische Grundlagen 148 ff. - postsynaptische Depolarisation 148 - praesynaptische Depolarisation 148
Dialektik
-
- Naturdialektik 58 - subjektive Dialektik 40 Drohbewegungen 179 Drohlaut 182 Echo-Ortung 115, 157 Empfindung 109f., 118, 130 - Empfindungsqualität 109 - Farbempfindung 108 - Schmerzempfindung 108 empirisch 45 - Bestimmung des Begriffs 54f., endogene Bewegung 85 Engramm 79 Entropie 72, 76 Entwicklungsgesetzmäßigkeiten 100 - allgemeine 38, 69 - spezielle 69 Entwicklungsmodelle 28 - abstrakte 28f., 69 - konkrete 28f., 69 Entwicklungsprozesse 22, 39ff. - biologische 37 - psychische 17f., 22f., 28, 47 Epilepsie 53 EPSP 148f., 152 f. Erbkoordination 33, 36, 49 Erbsubstanz 76 f. - DNA 77f., 87 - RNA 77f., 87 Erkenntnissubjekt 65 Erkundungsverhalten 182 Erregung 103 ff., 109 - Ablauf des Erregungsprozesses - Definition des Begriffes 103 - physiologische Grundlagen Reizbarkeit 103ff., 136ff. Erregungsfähigkeit 104, 139ff. Erregungsleitung 78, 104 - Geschwindigkeit 142 - saltatorische 141 f., 143f. Ethologie 25, 49, 177 - Bioakustik 25 - Ethologie und Psychologie 33,
70f.
69 f.,
139 f. und
49
Ethoökologie 25 Humanethologie 33, 36, 49 Neuroethologie 25 Tiersoziologie 25 vergleichende Verhaltensforschung 25 Eukaryonten 73 f., 81 Evolution 39 f. - des Nervensystems 143 - der Organismen 51 - Höherentwicklung, psycho-physische 42, 96f. - tierische 10, 38 Familienbildung, tierische 22 Fledermaus 157 Fließgleichgewicht 72 Flimmerverschmelzungsfrequenz 125 Flucht 36, 79 - angeborene Fluchtreaktion 36 - Fluchtverhalten 79 - Flucht und Angriff 183 Funktionskreise 34 - biologische 34 - der Sexualität und Aggression 34, 75 Futterbetteln 36 Gebrauchshandlungen 179, 182 f. Gebrauchssysteme 185 f. Gedächtnis 65 - Kurzzeitgedächtnis 65 - Langzeitgedächtnis 65 Gegenstandsentwicklung 38 f. - Geschichte 39, 57 - Logik 33, 37f. Gehirn 89, 98ff. - Großhirn 101 f. - Kleinhirn 99f. - Zwischenhirn 98 f., 122 Genaustausch 75 Genetik 41 - genetische Grundlagen des Verhaltens 36 Gesellschaft 21 - bürgerliche 69 197
- sozial-ökonomische Entwicklungsbedingungen 35 - Ubergangsgesellschaft 22 Gesetz der spezifischen Sinnesenergien 118 Gesetzmäßigkeiten - informationstheoretische 135, 182 - ökonomische 61 - physikalische 135, 157ff. - psycho-physische 117, 182 - der Ritualisation 180, 184 f. - sinnesphysiologische 46 Grußverhalten 36 Hemmung 149 - physiologische Grundlagen 140 ff. - postsynaptische Hemmung 149 f. - praesynaptische Hemmung 149 f. historische Betrachtungsweise 10 ff. - ahistorische Betrachtimgsweise 70 - naturhistorische Betrachtungsweise 12, 70 gesellschaftlich-historische Betrachtungsweise 70 Hohltiere (Coelenteraten) 89, 107, 121 Hominisation 37 Homologie 20 Hormone 153 Hyperpolarisation 152 ideell 31 f., 65 - ideelle Natur des Psychischen 31 ff. - ideell und geistig 65 Individualentwicklung 35 Imponierverhalten 36 Impulsfrequenz 15 f., 150 - Impulsfrequenzmodulation 153 Information 65, 72, 103, 135 - Begriff 49, 59, 65 - Informationsaustausch 57, 161 - Informationsebenen, biologische 56 - des Neurons 141 f. - Informationseigenschaften 159 - der Sinneszelle 135 ff. - Informationsgehalt 116,153ff., 163 ff. - Informationskanal 119, 159, 165 198
- Informationsübertragung am Neuron 136f., 159f. Informationsübertragung an,der Synapse 144 ff., 148 - Informationsübertragung an dem Receptor 128 ff. - Informationsverarbeitimg 112 - Informationswechsel, biologischer 77, 104 Innen-Außen-Gliederung 44, 113 Insekten 153 Instinkt 32 - Begriff 32, 36f. - Ideologisierung des Instinktbegriffes 33 ff. - Instinkthandlung 33 f. Invarianzen, funktionelle 127 Intensionsbewegung 183 IPSP 148 ff. - physiologische Grundlagen 149 Isomorphic 43 Kabeleigenschaften des Neurons 141 ff. Kampf um das Dasein 41 Kausalität 18, 43 - psycho-physische 25, 42ff., 71, 109 - Rückkopplung 179 - Wechselwirkung 43 f. Klassifizierung des Verhaltens 155 Kommunikation 178 ff. - Begriff 155 ff. - dialogische Struktur 158, 178 - Gesetzmäßigkeiten 180f., 187 - innerartliche Kommunikation 188 - Kommunikationssysteme 189 - tierische Kommunikation 178 ff. - zwischenartliche Kommunikation 188 Kopplung - informelle 163 Kybernetik 63 f. - Biokybernetik 63 - Neurokybernetik 63 Lebensprinzip, teleologisches 47 Leib-Seele-Problem 42 f.
- Geschichte 42 ff. - metaphysischer Gehalt 45 Lernformen 32, 38 - Assoziationslernen 165, 177 - Habituation 29 - Lernen durch Einsicht 29 - Prägung 29 Leukotomie 51 Lichtsinnesorgan 78, 105, 120 - morphologischer Aufbau 12Iff. - phylogenetische Entwicklung 78 f. - physiologische Funktion 105, 120 - Reizbarkeit des Lichtsinnes 78f., 122 f. Makrosmaten 119 Meiose 76 Materialismus 65 - dialektischer 9, 24 - historischer 9 materiell und ideell 66 Membran 130 ff. - Membranaufbau, biochemischer 130, 137 - Membranpotential 136 ff. - postsynaptische Membran 148 ff. - praesynaptische Membran 148ff. - Zellmembran 138ff. Mensch, phylogenetische Herkunft 37f. Mitose 76, 81 Modell 31 - informationstheoretische Modelle 31 - mathematische Modelle 31 Molluscen 153 Motivation 9, 10, 185 - Motivationskonflikt 185 - physiologische Motivationsgrundlagen 185 Mutation 71, 75 Mutter-Kind-Beziehung 35 Nachfolgeprägung 35 Nachrichten 65 Natur 12 ff. - Naturbegriff, abstrakter 41, 68
Naturgeschichte 10ff., 23 - Begriff 12 ff. - Naturgeschichte des Organischen 59 - Naturgeschichte des Psychischen 11 ff., 23 ff., 59 Naturwissenschaft 12, 14 - Natur- und Gesellschaftswissenschaft 23 - Naturwissenschaft und Psychologie 12, 19, 43 f. Nervensystem 20f., 97ff. - autonomes Nervensystem 95 - diffuses Nervensystem 89 f. - Markstrangnervensystem 88, 92 - Strickleiternervensystem 93 - vegetatives Nervensystem 95ff., 175 - zentralisiertes Nervensystem 91 f. Nestbauverhalten 182, 185 Neuron - adrenerges 147 - afferentes 86 - bipolares 87 - efferentes 86 - markhaltiges 142 ff. - markloses 142 ff. - multipolares 87 - Ultrastruktur des Neurons 88 - unipolares 87 Neurosekretion 152 Nucleinsäure 76, 87f. Objektivität der tierischen Verhaltensbeschreibung 37 Objektivitätsforderung 31, 118 Organismus 113 - pflanzlicher Organismus 82 ff. - tierischer Organismus 82 ff. - Organismus und Umwelt 31 Pantoffeltierchen 79, 82 Pheromone (Duftstoffe) 56 Phylogenese 10f., 20, 179 Physiologie 175 f. - Atmungsphysiologie 175 - Neurophysiologie 25 f., 53, 87, 107 199
- Sinnesphysiologie 27, 53, 107, 115 - Stoffwechselphysiologie 71 f., 74 physiologische Reaktionen 26, 175 - Atemfrequenz 26, 175 - Blutdruck 26 - elektrischer Hautwiderstand 26, 175 - Muskelkontraktion 26, 175 Physiologisches und Psychisches 27f., 42 f. - Entwicklungszusammenhang 23 - quantitative Verfahren 55, 109 Physiologismus 12, 108ff. Potential 136ff. - Aktionspotential 136 f. - Biopotential 137f. - evoziertes Potential 175 - Ionendiffusionspotential 19, 139 ff. - Ruhepotential 139, 148 - Spannung des Biopotential 141 Primaten 32, 97 Primatologie 47 Primer-Effekt 159 Projektionsfelder 101 f. - primäre Projektionsfelder 101 - sekundäre Projektionsfelder 102 Prokaryonten 73 Protobionten 71 Protozoen 78f., 107 psychische Entwicklungsstufen 33 - bei Tieren 21 ff. Psychisches und Bewußtsein 22, 62 Psychologie 40 ff. - Humanpsychologie 41 - Informationspsychologie 25 - Lernpsychologie 67, 91, 177 - medizinische Psychologie 26 f. - Neuropsychologic 26 f. - physiologische Psychologie 25 ff. Psychophysik 25, 65 Tierpsychologie 25, 46 Psychopharmaka 52 f. Psychophylogenese 22, 60ff., 103, 157 - Eigengesetzlichkeit 10, 22, 47 - psychische Höherentwicklung 22f., 34 ff. - Psychogenese 59f., 75
200
psycho-physisches Problem 10ff., 38 - Geschichte 39ff., 49 - metaphysischer Gehalt 55 - psycho-physische Entwicklungsproblematik 45 ff. - qualitative Verschiedenheit 46 ff. - Untersuchungsmethodik 55,109, 118 Reaktionen 170, 175 - bedingte 170 f. - emotionale 175 - vegetative 175 - vasomotorische 175 Receptor 108, 115 - äußere Receptoren (Exteroreceptoren) 115 - innere Receptoren (Interoreceptoren) 115 - Mechanoreceptoren 116 - Nociceptoren 108 - Proprioreceptoren 115 Receptorzelle 128 - biochemische Grundlagen 130 f. - morphologischer Aufbau 130 f. - physiologische Funktion 131 Reduplikation, identische 71, 75 Reflexe 18 - bedingte 32, 173 f. - unbedingte 173 f. Reize 41, 103ff., l l l f f . , 119 - adäquate l l l f . , 117 - Kennreize 167 - Schlüsselreize 106, 166ff. - Signalreize 106 - Sinnesreize 109 Reizbarkeit der Organismen 29, 71, 104 f., 164 Reiz-Reaktionsbeziehung 109, 128 f., 145 Reizschwelle 119 Reizsummenregel 168 Releaser-Effekt 159 Ritualisation - biologische 35 - kulturelle 35 - ontogenetische 181
- phylogenetische 181 Rückenmark 85, 95 Rückenmarktiere 91 Rufe 181, 184 - Bettelruf 181 - Angriffsruf 181 - Störungsruf 181 Schutzreflexe 175 Schwämme 21, 80, 89 Schwellenreizstärke 118f. Sehen - Bewegungssehen 124 - binokulares Sehen 122 - Farbensehen 125, 130 - Formensehen 124 - monokulares Sehen 122 - Richtungssehen 124 Sehpurpur 130 f. Selbstorganisation, biologische 73 Selektion 29f., 116 - Selektionswert 34 - Selektionswirkung 29 Semantisierung 187 Sender-Empfänger 31, 156ff., 179ff. - ethologische Grundlagen 179 - Gesetzmäßigkeiten 159, 163 - informationstheoretische Struktur 158 - phylogenetische Entwicklung 157f. Sexualverhalten 34 Sinnesphysiologie 110 - objektive Sinnesphysiologie 110, 117 - subjektive Sinnesphysiologie 110 Sinneszelle 108 - primäre 107f., 129 - sekundäre 107f. Signal 65, 135, 165, 176, 183 - akustische Signale 135, 181 - biologische Signale 165 - Signalfälschungen 189 Signalfunktion 173, 179ff. - Signalhandlung 183 - Signalübertragung 135, 187 - Signalwert, selektionsspezifischer 181, 187
Sprache - Metasprache 23, 47, 163 f. - Objektsprache 164 - Tiersprache 162 f., 164 Stimulus-response-Beziehung 106 Subjekt-Objekttrennung 63, 66 Synapse - axo-axonische 145 - axo-dentritische 145 - axo-synaptische 145 - chemische Synapse 127, 145 ff. - elektrische Synapse 127, 145 - erregende Synapse 147 - hemmende Synapse 149 - synaptischer Endknopf 147f. - synaptischer Spalt 148 - synaptische Vesikel 147 System 72, 155 - biologisches System 65, 72, 119, 155 ff. - geschlossenes System 72 f. - offenes System 72 f. - physikalisches System 155f., 160 Tag-Nacht-Wechsel 122 Taxien 18, 78 - Chemotaxis 78 - Mechanotaxis 78 - Phototaxis 78 - Thigmotaxis 78 Taxonomie des psychischen Verhaltens 29f. Territorialverhalten 182 Theorie 22f., 39ff. - biologische Evolutionstheorie 23 - Gestalttheorie 49 - Theorie der höheren Nerventätigkeit 12, 174, 177 - Theorie der Naturgeschichte des Psychischen 23 ff. - Widerspiegelungstheorie 23 Tierkommunikation 155 ff. - ethologische Grundlagen 156, 179 - Gesetzmäßigkeiten 18, 155 - informationstheoretische Grundlagen 159ff. 201
- phylogenetische Entwicklung 178 ff. Tier-Mensch-Ubergangsfeld 21 f., 60f. Tier-Mensch-Vergleich 20, 30, 37, 40 f. Tier-Tier-Vergleich 20 Transducerprozeß 129 f. - informationstheoretische Grundlagen 135 ff. - physiologische Grundlagen 130 ff. Transmitter 29, 52, 146ff. - Acetylcholin 146 f. - Adrenalin 146 - Glutaminsäure 146, 153 Tropismen 83 Umwelt - Merk- und Wirkwelt des Tieres 113 - ökologische Struktur der Umwelt 113 - Umwelt als Umgebung 113 Unbewußtes 67ff. Variabilität des Verhaltens 35 Verhalten 48ff. - abstrakter Verhaltensbegriff 48 - angeborenes Verhalten 29,32f., 49,67 - erworbenes Verhalten 29, 32 f., 49
202
- genetischer Verhaltensbegriff 48 - intensionaler Verhaltensbegriff 48 Verhaltensbeobachtungen 15, 37 Verhaltensuntersuchungen 166 Vererbung 76 Vorformen 20 f. - Vorformen der Lern- und Abstraktionsfähigkeit 66 f. - Vorformen des Psychischen 63 f. Wahrnehmung 9, 21, 108 Warnruf 168, 182 Warntracht 189 Weber-Fechner-Gesetz 119 Werbeverhalten, sexuelles 36 Werkzeugverhalten 63 Widerspiegelung, ideelle 58, 62, 77, 112 Zelle 72, 75 - einzellig 29, 73, 81 f. - mehrzellig 29, 73, 81 f. - pflanzliche Zelle 29, 82f., 105 - tierische Zelle 29, 82f., 105, 137 Zoologie 42, 57 Zwei-Substanzen-Vorstellung des psycho-physischen Problems 55
Kritische Sozialwissenschaft
Ute Holzkamp-Osterkamp Grundlagen der psychologischen Motivationsforschung (Bd. 520)
Campus Studium
Campus Paperbacks
Jörgen Ritsert Wissenschaftsanalyse als Ideologiekritik (Bd. 501)
Jörgen Ritsert (Hg.) Grunde der Ursachen gesellschaftlichen Handelns
Gisela Ulmann Sprache und Wahrnehmung (Bd. 503)
Johann August Schulein Das Gesellschaftsbild der Freudschen Theorie
Blanke .Jürgens, Kastendiek Kritik der Politischen Wissenschaft (Bd. 504.505) Klaus Jörgen Gantzel (Hg.) Herrschaft und Befreiung in der Weltgesellschaft (Bd. 506) Ekkehart Krippendorff Internationales System als Geschichte (Bd. 507) Brigitte Geissler. Peter Thoma (Hg.) Medizinsoziologie (Bd. 509) Rolf-Richard Grauhan (Hg.) Lokale Politikforschung (Bd. 510.511) Klaus Börner Diagnosen der Psychiatrie (Bd. 513) Josef Esser Einführung in die materialistische Staatsanalyse (Bd. 514) Jörgen Ritsert. Elmar Stracke Grundzöge der Varianz- und Faktorenanalyse (Bd. 516) Volker Schurig Naturgeschichte des Psychischen (Bd. 518.519)
Peter Schlotter Röstungspolitik in der Bundesrepublik Andreas Treppenhauer Emanzipatorische Psychologie Peter Weingart (Hg.) Wissenschaftsforschung
Campus Diskussion Dirk Hölst Erfahrung - Gültigkeit - Erkenntnis Klaus Peter Japp Krisentheorien und Konfliktpotentiale Stefan Kirchberger Kritik der Schichtungs- und Mobilitätsforschung
(SiffipE 6 Frankfurt 1. Oederweg 100
Campus Sozialwissenschaften Kritische Sozialwissenschaft Brigitte Geissler, ReterThoma (Hg.)
Paul Schulz Drogenscene
Ursachen und Folgen Paul Schulz Drogentherapie
Analysen und Projektionen
Medizinsoziologie
Einführung in ihre Grundbegriffe und Probleme Ute Holzkamp-Osterkamp Grundlagen der psychologischen Motivationsforschung I
Irmgard Vogt Drogenpolitik
Zum Konsum von Alkohol Beruhigungsmitteln und Haschisch
Psychologisches Institut der FU Berlin, Texte zur Kritischen Psychologie
Edwin M. Schur
Volker Schurig
Abweichendes Verhalten und Soziale Kontrolle
Naturgeschichte des Psychischen
Psychologisches Institut der FU Berlin, Texte zur Kritischen Psychologie (2 Bände) Gisela Ulmann Sprache und Wahrnehmung
Psychologisches Institut der FU Berlin, Texte zur Kritischen Psychologie
Etikettierung und gesellschaftliche Reaktionen Alfred Bellebaum, Hans Braun (Hg.) Reader Soziale Probleme
I: Empirische Befunde
Alfred Bellebaum, Hans Braun (Hg.) Reader Soziale Probleme
Reihe Soziale Probleme
IL* Initiativen und Maßnahmen
Paul iiith Sprechende und stumme Medizin
Über das Patienten- Arzt-Verhältnis G&Wendt
Vererbung und Erbkrankheiten
Ihre gesellschaftliche Bedeutung
6 Frankfurt 1 * Oederweg 100