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German Pages 283 [286] Year 2020
Rainer Fremdling
Nationalsozialistische Kriegswirtschaft und DDR Planungsstatistik 1933–1949/50
Geschichte Franz Steiner Verlag
VSWG – Beiheft 251
Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Herausgegeben von Mark Spoerer, Jörg Baten, Markus A. Denzel, Thomas Ertl, Gerhard Fouquet und Günther Schulz Beiheft 251
Rainer Fremdling
NATIONALSOZIALISTISCHE KRIEGSWIRTSCHAFT UND DDR Planungsstatistik 1933–1949/50
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: Ausschnitt der ersten Seite des Fragebogens zur „Produktionserhebung für das Kalenderjahr 1936“ über die „Zementindustrie“; Quelle: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde BA R3102 5956 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Layout und Herstellung durch den Verlag Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-515-12608-3 (Print) ISBN 978-3-515-12614-4 (E-Book)
Vorwort
Der Industriezensus von 1936 war der „Urknall“ für meine Forschung in letzter Zeit. Auch die gesonderten Publikationen zur Wirtschaftsstatistik im Nationalsozialismus und in der frühen DDR schöpften aus dieser unversieglichen Quelle. Mein Freund und Kollege Toni Pierenkemper ermunterte mich, diese beiden separaten Veröffentlichungen zu einem Buch zusammenzuführen. Neben zahlreichen Vorschlägen zur Überarbeitung, zuletzt Ende Mai 2019, regte er vor allem an, dem Leser deutlicher vor Augen zu führen, wie – scheinbar wertfreie – Statistiken von politischen Regimen und wirtschaftspolitischer Zielsetzung sehr unterschiedlich instrumentalisiert werden können. Dieser Kraft, die ein bloßes Zahlenwerk zur Abbildung eines bestehenden Wirtschaftsgefüges entfalten kann, wenn es zur Planung und Gestaltung neuer Systeme nutzbar gemacht wird, ist das einführende Kapitel gewidmet. Reiner Stäglin, mit dem ich seit 2002 eng in der Forschung zusammenarbeite, hat mir mit weiterführenden Kommentaren sehr geholfen. Große Teile des Buches sind aus der jahrelangen Arbeit mit Reiner Stäglin zur Input-Output-Tabelle Deutschlands für 1936 und zur Geschichte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hervorgegangen. Für die Veröffentlichung in den Beiheften zur VSWG habe ich die zusammengeführten Texte wesentlich überarbeitet, aktualisiert und erweitert. Meine Frau, Barbara Fremdling, hat das Buch sprachlich durchgesehen, und dem DIW danke ich, dass ich als Forschungsprofessor bzw. Senior Research Associate seine Infrastruktur nutzen konnte; insbesondere bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen der DIW-Bibliothek für ihre kompetente und freundliche Hilfe. Mark Spoerer hat das Manuskript gründlich durchgesehen. Seine zahlreichen Hinweise trugen wesentlich zur Verbesserung des Textes bei. Toni Pierenkemper starb am 19. Juli 2019, ihm widme ich das Buch. Rainer Fremdling, Borkum im September 2019
Inhalt
Vorwort
.........................................................
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Abstract: National Socialist War Economy and GDR: Planning Statistics 1933–1949/50 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Resümee: Nationalsozialistische Kriegswirtschaft und DDR: Planungsstatistik 1933–1949/50
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Einführung – Statistik zur Wirtschaftsplanung: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Input-Output-Rechnung, Mengenbilanzierung . . . . I
II
III
Die Mitwirkung des Statistischen Reichsamts an der Vorbereitung des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Statistische Reichsamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Industrieerhebungen des Statistischen Reichsamts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Industriezensus von 1933 und der Arbeitsplan von 1934 . . . . . . . . . . . . . Das Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung und die veröffentlichte Version des Industriezensus von 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt und technische Details der industriellen Produktionsstatistik von 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 29 29 37 40 52 61
Die Schätzung des jüdischen Vermögens durch das Statistische Reichsamt 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wagemann und das Institut für Konjunkturforschung – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gründung des Instituts für Konjunkturforschung 1925 . . . . . . . . . . . . . . . Weltwirtschaftskrise und der Plan Wagemanns zur Krisenüberwindung . . . . Exkurs: Der nationalsozialistische Wirtschaftsaufschwung . . . . . . . . . . . . . . . .
76 76 82 89
8
Inhalt
Wagemanns Doppelfunktion: Präsident des Statistischen Reichsamts und Direktor des Instituts für Konjunkturforschung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 . . . . . . . . . . . . . 96
Expansion und Funktion des Instituts in der Kriegswirtschaft
IV
V
Die Lenkung der Kriegswirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Friedensökonomie zur Kriegswirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planungsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Planungsamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Statistik und Planungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Statistische Leitstelle beim Statistischen Reichsamt und die Statistischen Schnellberichte zur Kriegsproduktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114 114 124 128 131 146
Das volkswirtschaftlich-statistische Informationssystem des Reichswirtschaftsministeriums 1944/45 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das volkswirtschaftliche Referat (Abteilung II/1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Initiative und Einbindung der deutschen Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftswissenschaftliche und wirtschaftsstatistische Sachverständige . . . Reichswirtschaftsministerium und Statistisches Reichsamt . . . . . . . . . . . . . . . .
156 156 162 167 171
VI
Wirtschaftsstatistik im Nachkriegsdeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 NS-Statistik und Kontinuität in Westdeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Die Sowjetische Militäradministration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Das Scheitern des Statistischen Zentralamts bei der Industrieberichterstattung in der Sowjetischen Besatzungszone . . . . . . . 194 Das Statistische Zentralamt und die NS-Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Das Statistische Zentralamt, die Deutsche Wirtschaftskommission und die statistischen Vorarbeiten zum Zweijahrplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik in der etablierten Planwirtschaft der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
VII
Das systemübergreifende Planungspotential des Industriezensus von 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
233
Biografische Skizzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
238
Anhang Anhang 1: Referat von Wilhelm Bauer (DIW) über Volkseinkommen, Kriegsfinanzierung und privaten Verbrauch 1942/43 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 2: Verzeichnis von Arbeiten des StRA, November 1944 . . . . . . . . . . .
248 252
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
Archiv- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Statistiken, Statistische Ämter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellen Tab. 1 Beschäftigung und Produktion der deutschen Industrie 1936 . . . . . . . Tab. 2 Das jüdische Vermögen in Deutschland, 1928–1933–1936 . . . . . . . . . Tab. 3 Jüdische Vermögensabgaben an die deutschen Länder und das Deutsche Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 4 Das DIW und seine Tochterinstitute 1942. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 5 Beitragszahlungen der Verwaltungsausschussmitglieder des DIW . . . . Tab. 6 Produktionszahlen aus den Statistischen Schnellberichten und industrielle Arbeitsproduktivität 1938–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 7 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der SBZ 1936–1947 . . . . . . . . . Abbildungen Abb. 1 Flussdiagramm: Holz-Industrie 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 2 Flussdiagramm: Eisen und Stahl 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
281 57 71 74 102 112 151 217 45 49
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Nationalsozialistische Kriegswirtschaft und DDR: Planungsstatistik 1933–1949/50
National Socialist War Economy and GDR: Planning Statistics 1933–1949/50 Abstract: The introductory chapter presents the concepts and methods for arranging economic
statistical data: national accounts, input-output analysis and quantity-balancing. In their theoretical-conceptual and empirical-methodological development German statisticians equalled their counterparts in other modern countries, including the highly advanced Anglo-Saxon systems. Immediately after taking power, Hitler’s National Socialist regime threw itself into preparing for the war. Therefore a major part of the book deals with economic statistics as a tool for war preparation and for the war economy itself. The German Statistical Office (Statistisches Reichsamt, StRA) was involved in this endeavour: as soon as in 1934, the StRA set out to conduct periodical industrial censuses. This means of a statistical information system was to meet the demands of a planned or commanded economy for warfare. The ensuing comprehensive industrial census of 1936 became the main source for this purpose. The original plan of compiling an input-output table was given up. Embroiled in the National Socialist regime the StRA even participated in Germany’s persecution of Jews. As asked for by the Ministry of Economics in 1936 the StRA estimated Jewish property. A separate case study here deals with this report. The advanced statistical reporting system profited from private industrial firms and their organizations being increasingly obliged to provide statistical data. Officially and privately organized economic statistics finally merged: during the war, the Ministry of Economics set up a statistical information system based on the collaboration between the StRA and the German Institute for Economic Research (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, DIW). A separate chapter is devoted to the coming into being of this DIW-institute, its involvement in the war economy and the role of its director Ernst Wagemann. In 1943, the responsible department of the Ministry of Economics was incorporated into the Planning Office (Planungsamt) of Speer’s Ministry of Armament. Within this centre of economic command economic statistics became the essential tool for controlling the German economy. During the last months of the war, the Ministry of Economics aimed at designing an institutional framework for centrally steering German empirical economic research and economic statistics after
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Nationalsozialistische Kriegswirtschaft und DDR: Planungsstatistik 1933–1949/50
the war. Even in view of the military defeat high ranked civil servants of the Ministry of Economics took for granted that Germany would continue to dominate the Continental European Economy after the war. Concerning Western Germany the use of the NS-statistics after 1945 is merely touched upon here. It is highlighted for Eastern Germany, however, where these statistics served for setting up its planned economy. Immediately after the war, the Soviet Military Administration for Germany (Sowjetische Militäradministration in Deutschland, SMAD) endeavoured to re-establish and increase production in the Soviet Zone of Occupation (Sowjetische Besatzungszone, SBZ). For short term economic planning, SMAD required regular statistical reports from the business firms. Not before 1948, however, did the Central Statistical Office (Statistisches Zentralamt, StZA) founded in the fall of 1945 succeed in standardizing and centralizing the statistics reported by the business firms. The federal structure of the SBZ with its strong independent statistical offices of the individual states was to blame for the delay. This was finally overcome when the StZA became a major department of the newly created German Economic Commission (Deutsche Wirtschaftskommission, DWK), the centralized political-economic governmental body of the SBZ. Right from the beginning, the StZA drew on economic statistics of NS-Germany to obtain complementary information for planning and controlling the East German economy. Since the insufficient statistical reporting system of East Germany itself failed to allow a comprehensive planning scheme, the German Economic Commission drew on the original files of the Industrial Census of 1936. In 1947/48 the census was rearranged and utilized for the Two-Years-Plan of 1949/50, the first elaborate planning scheme of the German Democratic Republic (GDR). The book concludes with commending the Industrial Census of 1936 as powerful reference system for the dissimilar economies of NS-warfare, DDR planning and West-German national accounts. Resümee: Im einleitenden Kapitel werden die Konzepte vorgestellt, mit denen wirtschaftsstatisti-
sche Daten methodisch eingebunden, analysiert und anwendungsbezogen umgesetzt werden: Es handelt sich um die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die Input-Output-Rechnung und die Mengenbilanzierung. Auf allen drei Gebieten waren deutsche Statistiker theoretisch-konzeptionell und empirisch-methodisch auf demselben Entwicklungsstand wie ihre Kollegen in anderen entwickelten Ländern, auch aus dem angelsächsischen Umfeld. Unmittelbar nach der Machtübernahme Hitlers stürzte sich das nationalsozialistische Regime in die Vorbereitung auf den Krieg. Daher beschäftigt sich ein großer Teil des Buches mit der Wirtschaftsstatistik für die Kriegsvorbereitung und in der Kriegswirtschaft selbst. Bereits 1934 entstanden im Statistischen Reichsamt (StRA) Pläne, periodische Industriezählungen durchzuführen, um die informationstechnische Grundlage für die Plan- oder Lenkungswirtschaft zur Kriegsführung zu schaffen. Der umfassende Industriezensus von 1936 wurde zur Hauptquelle für diesen Zweck. Die Konstruktion einer Input-Output-Tabelle dagegen wurde aufgegeben. Darüber hinaus beteiligte sich das StRA an der Verfolgung von Juden in Deutschland, indem es auf Anforderung des Reichswirtschaftsministeriums (RWM) 1936 das jüdische Vermögen schätzte. Eine eigene Fallstudie befasst sich hier mit dem entsprechenden Bericht.
Resümee
Die fortschrittliche statistische Berichterstattung wurde dadurch allumfassend, dass statistische Daten zunehmend durch die Meldepflicht privater Industrieunternehmen und ihrer Organisationen zu liefern waren. Offiziell und privat organisierte Wirtschaftsstatistiken wurden schließlich zusammengeführt: Während des Krieges richtete das Reichswirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Reichsamt und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ein statistisches Informationssystem ein. Ein gesondertes Kapitel widmet sich der Entstehung dieses Instituts, seinem Engagement in der Kriegswirtschaft und der Rolle seines Direktors Ernst Wagemann. 1943 wurde die zuständige Abteilung des Reichswirtschaftsministeriums in das Planungsamt des Rüstungsministeriums von Speer eingegliedert. In dieser Kommandozentrale der deutschen Kriegswirtschaft wurde die Wirtschaftsstatistik in den letzten Kriegsjahren zu einem unverzichtbaren Instrument für die gelenkte deutsche Wirtschaft. Die Pläne des Reichswirtschaftsministeriums in den letzten Kriegsmonaten zielten darauf ab, einen institutionellen Rahmen für die zentrale Steuerung der deutschen empirischen Wirtschaftsforschung und Wirtschaftsstatistik nach dem Krieg zu schaffen. Auch wenn sie inzwischen wohl von der militärischen Niederlage ausgingen, war es für die hochrangigen Beamten des Reichswirtschaftsministeriums selbstverständlich, dass Deutschland weiterhin die kontinentaleuropäische Wirtschaft dominieren würde. Die Nutzung der NS-Statistik nach 1945 wird kurz für Westdeutschland behandelt und dann ausführlich für Ostdeutschland dargestellt, wo sie für den Aufbau der Planwirtschaft verwendet wurde. Unmittelbar nach dem Krieg bemühte sich die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) um die Wiederherstellung und Steigerung der Produktion in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Für die kurzfristige Wirtschaftsplanung benötigte sie regelmäßige statistische Berichte von den Betrieben. Erst 1948 gelang es dem im Herbst 1945 gegründeten Statistischen Zentralamt (StZA), die von den Betrieben gemeldeten Statistiken zu standardisieren und zu zentralisieren. Schuld an der Verzögerung war die föderale Struktur der SBZ mit ihren starken unabhängigen Statistikämtern der einzelnen Länder. Dieses Problem wurde erst gelöst, als das StZA in die Planungsabteilung der 1947 neu geschaffenen Deutschen Wirtschaftskommission (DWK), des obersten wirtschaftsleitenden Staatsorgans der SBZ, eingegliedert wurde. Von Anfang an zog das StZA die Wirtschaftsstatistiken des nationalsozialistischen Deutschlands heran, um die unzulänglichen eigenen Erhebungen in der SBZ für die Steuerung und Planung der ostdeutschen Wirtschaft zu ergänzen. Das unzureichende statistische Berichtssystem Ostdeutschlands versagte allerdings darin, die ostdeutsche Wirtschaft umfassend zu planen. Zu diesem Zweck wurden 1947/48 die Originalakten des Industriezensus von 1936 für den Zweijahrplan von 1949/50, das erste aufwändige Planungsschema der DDR, neu geordnet und ausgewertet. Das Buch schließt mit der Würdigung des Industriezensus von 1936 als mächtiges Referenzsystem für die unterschiedlichen Ökonomien der NS-Kriegsführung und DDR-Planwirtschaft sowie die westdeutsche Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung.
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Einführung – Statistik zur Wirtschaftsplanung: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Input-Output-Rechnung, Mengenbilanzierung
Wie in Großbritannien und den USA, so konzipierte auch das Statistische Reichsamt (StRA) mit hochentwickeltem statistischen Instrumentarium1 schon in der Weimarer Republik Industrieerhebungen, um die Produktion mit der Wertschöpfung bzw. den Nettoproduktionswerten zu erfassen.2 Die Addition dieser Werte ist die Essenz des Bruttoinlandsproduktes (BIP). In einer einzigen Zahl umfasst das BIP die gesamtwirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft und bildet den Zentralbegriff der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR). Wegen der Sparpolitik Brünings verzögert, wurden die Weimarer Pläne, eine moderne VGR aufzubauen, erst mit den Industrieerhebungen 1933 und umfassend 1936 umgesetzt. In über 300 Industriezweige gegliedert, erfasste der 1936er Zensus den kriegswichtigen Teil des BIP. Die Ergebnisse wurden 1939 im Aggregat sogar korrekt veröffentlicht, wobei allerdings geschickte Gruppierungen, Zusammenfassungen der Wirtschaftsbranchen und Auslassungen (Importe) das kriegsvorbereitende Potenzial verschleierten.3 Mit der Industrieberichterstattung
Siehe die gegenteilige Behauptung in „Die Zahl, die Hitler besiegte“ von Ulrike Herrmann (2015) in der TAZ („Die Tageszeitung“). Sie sieht in der deutschen Wirtschaftsstatistik kriegsentscheidende Rückstände gegenüber den Alliierten und folgt in diesem Verdikt dem Argumentationsstrang Philipp Lepenies’, der ein kleines Buch über „Die Macht der einen Zahl – Eine politische Geschichte des Bruttoinlandsprodukts“ (BIP) veröffentlichte, Lepenies 2013. Die Fixierung auf das BIP („Die Zahl“) ist irreführend: Zur Wirtschaftsplanung sind einzelne Komponenten des BIP wichtig und somit die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR), nicht aber das BIP als Aggregat. 2 Tooze (2016, S. 366–371) hat herausgefunden, dass das Reichswirtschaftsministerium (RWM) bereits 1921 über die Verbände und andere Organisationen der deutschen Industrie umfassende Produktionsdaten erfragte, mit denen die Nettoproduktion (Wertschöpfung), aufgegliedert nach Wirtschaftszweigen, geschätzt wurde. Damit wurde die Forderung der Londoner Reparationskonferenz erfüllt, die deutsche Wirtschaftsleistung vor und nach dem Krieg einzuschätzen. Diese Daten wurden nie veröffentlicht. Versuche, daraufhin solche Zahlen regelmäßig zu erheben, scheiterten zunächst am Widerstand des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI). 3 Reichsamt 1939; dazu Fremdling/Stäglin 2012b. 1
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Einführung – Statistik zur Wirtschaftsplanung:
ging das StRA während des Krieges sogar so weit, Nettoproduktionswerte und Beschäftigung der Industriebetriebe in den einzelnen Lenkungsbereichen übersichtlich für die zentrale Steuerung der Kriegswirtschaft heranzuziehen.4 Die erste (von den Amerikanern im Rahmen des Marshallplans verlangte) Berechnung des BIP für Westdeutschland von Otto Schörry5 stützte sich denn auch auf eine interne – vorläufige – BIP-Zahl des Statistischen Reichsamts für 1936.6 Neben Schörry arbeitete vor allem Hildegard Bartels, die später im Statistischen Bundesamt (StBA) für die VGR verantwortlich war, an der BIP-Berechnung mit.7 Nach dem Zweiten Weltkrieg vereinbarten die marktwirtschaftlich ausgerichteten Volkswirtschaften durch internationale Verträge im Rahmen der Vereinten Nationen, der Organization for European Economic Cooperation (OEEC) und der europäischen Institutionen gemeinsame Regeln für die VGR. Sie basiert auf dem Kreislaufmodell einer Volkswirtschaft. Die in Geld bewerteten Güter- und Dienstleistungskreisläufe zwischen den in Gruppen zusammengefassten Akteuren (Unternehmen, private Haushalte, Staat und Ausland) werden in operationalisierten Konten der Produktion, der Einkommen und der Verwendung erfasst. Dieser Grundgedanke der VGR8 wurde völlig klar bereits in der 1932 veröffentlichten bahnbrechenden Studie des StRA über „Das deutsche Volkseinkommen vor und nach dem Kriege“ herausgearbeitet. Der einleitende Abschnitt bot die Begriffsbestimmung:9
„Beschäftigtenzahl und Nettoproduktionswerte der einzelnen Lenkungsbereiche“ 1941/42, BA R3 1964 F 108–110. Siehe auch in derselben Quelle „Absatzwerte in der Industrie“ 2. Vierteljahr 1942 (F 134–145) und „Strukturberichte der Lenkungsbereiche“ 1939–1941/42 (F 26 Inhaltsverzeichnis). Im Laufe des Krieges war die „Einrichtung dieser Erhebungen in weiteren europäischen Ländern […] vorgesehen, um so allmählich zu einer nach einheitlichen Grundsätzen ausgerichteten europäischen Industrieberichterstattung zu gelangen.“ (Hennig, Referatsleiter „Allgemeine Wirtschaftsstatistik“ 17.12.1941, BA R3102 3586 F 156 f.). Siehe zudem die umfangreichen „Statistiken“, die Wagenführ aus seiner Arbeit im Planungsamt über die NS-Kriegswirtschaft zusammengestellt hatte (Wagenführ 1963, S. 135–211). 5 Ehemaliger Mitarbeiter im Statistischen Reichsamt und nach dem Krieg im Statistischen Amt des Vereinigten Wirtschaftsgebietes – Vorläufer des Statistischen Bundesamtes (StBA). Siehe die biografische Skizze im Anhang. 6 Schörry 1949/50; Stahmer 2009 u. 2010. Zur Geschichte der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) in Deutschland vor Schörrys Berechnung siehe Grünig (1950) und Hoffmann/Müller (1959). 7 Stahmer 2009, S. 82; Reich/Lützel 2009 S. 506. Siehe die biografische Skizze im Anhang und das Interview mit Hildegard Bartels in Reich/Lützel 2009, S. 510–512. Bartels hatte von Dezember 1944 bis März 1945 in der von Otto Donner (siehe seine biografische Skizze im Anhang) geleiteten Wehrwirtschaftlichen Forschungsstelle der Vierjahresplanbehörde gearbeitet, die im Dezember 1944 vom RWM übernommen wurde (Roth 1996, S. 583). Donner, der u. a. im Institut für Konjunkturforschung (If K) und im StRA beschäftigt gewesen war, wurde vom Reichswirtschaftsministerium (RWM) im Herbst 1944 in die Organisation des „Wiederaufbaus“ nach dem Krieg einbezogen. Dazu gehörte das „Programm einer Bearbeitung von Wirtschaftsbilanzen“ (BA R3101 32131, F 24 f.). Bartels dürfte also mit der deutschen VGR-Tradition vertraut gewesen sein, auch wenn dies dem Interview mit Reich/Lützel nicht direkt zu entnehmen ist. 8 Zu den Grundlagen der VGR siehe Brümmerhoff/Grömling 2015. In Deutschland wurde die VGR meistens noch „Volkswirtschaftliche Bilanzierung“ genannt. Keller 1940; Wagenführ 1952c; Voy 2009. 9 StRA 1932, S. 11; teilweise gesperrt gedruckt. 4
Einführung – Statistik zur Wirtschaftsplanung:
Unter Volkseinkommen oder Sozialprodukt [Nettosozialprodukt, R. F.] wird die Gesamtheit der geldwerten Güter und Dienstleistungen verstanden, die in einer Volkswirtschaft nach Erhaltung des anfänglichen Vermögensstandes jährlich für Verbrauch und Kapitalbildung zur Verfügung stehen. Das Volkseinkommen tritt in drei Stadien des wirtschaftlichen Kreislaufs in Erscheinung: zunächst als Gesamtheit der produzierten Güter und Dienstleistungen sodann als Summe der aus der Produktion fließenden Einkommen und schließlich in Form von Verbrauch und Kapitalbildung Im ersten Stadium fällt das Volkseinkommen mit der „Wertschöpfung“ zusammen, d. h. der Nettoproduktion (net value added) unter Ausschaltung aller Doppelzählungen, die in der Bruttoproduktion der einzelnen Produktionsstufen enthalten sind. Die Wertschöpfung umfaßt außer der Güterproduktion sämtliche zur Versorgung der Bevölkerung beitragenden Dienstleistungen in Handel und Verkehr, in der öffentlichen Wirtschaft, den freien Berufen und den häuslichen Diensten.
Im Vorwort dieser umfangreichen Arbeit wies der Präsident des StRA, Ernst Wagemann10, darauf hin, dass die „Wertschöpfung“ (also die Produktion) und die „Einkommensverwendung (Verbrauch und Kapitalbildung) späteren Veröffentlichungen vorbehalten“ bleibe. Tatsächlich ermittelte das StRA noch in der Zwischenkriegszeit neben dieser Volkseinkommensrechnung auch die bereits erwähnten Wertschöpfungsdaten und die Investitionen empirisch.11 Außerhalb des StRA hatte bereits Ferdinand Grünig12 ein entwickeltes Kreislaufschema in seinem 1933 publizierten Buch nicht nur konzeptionell vorgestellt, sondern seine differenzierten Konten mit Daten zur VGR Deutschlands im Jahre 1929 gefüllt.13 Während des Krieges war Grünig für die Reichswirtschaftskammer (Abteilung für zentrale Wirtschaftsbeobachtung) tätig. Dort legte er im November 1944 einen ausführlichen Bericht mit zahlreichen quantitativen Anlagen über „Die Entwicklung von Erzeugung und Nettoeinkommen seit 1936“ vor.14 Für seine in den Textteil integrierten zusammenfassenden Tabellen benutzte er Größen der VGR. In derselben Akte des Bundesarchivs finden sich die VGR-Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) für die HaushaltsSiehe die Kurzbiografie im Anhang. StRA 1932; Jostock 1940; Benning 1940; Hoffmann/Müller 1959; Fremdling 1995; Ritschl/Spoerer 1997; Voy 2009. 12 Siehe die biografische Skizze im Anhang. 13 Siehe von Grünig (1933, S. 317 f.) die „Wertschöpfungsziffer der Deutschen Wirtschaft (1929) und den dazugehörigen mit zahlreichen Daten versehenen separaten Anhang: Das Wirtschaftsmodell. 24 Tabellen zu Ferdinand Grünig der Wirtschaftskreislauf “. Das von ihm für 1929 geschätzte Niveau der „Gesamten Wertschöpfung“ von 80 Mrd. Mark erscheint durchaus plausibel, wenn es mit der von Fremdling/Stäglin (2014a) für 1936 ermittelten BIP (Bruttowertschöpfung) von 82,7 Mrd. RM verglichen wird. 14 BA R3 1965 F 41–62. Die Anlagen fehlen in der Filmrolle. Die Originalquellen waren nach dem Krieg für die amerikanische Kommission (U. S. Strategic Bombing Survey) verfilmt worden. Den Quellenhinweis erhielt ich von Jonas Scherner. 10 11
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Einführung – Statistik zur Wirtschaftsplanung:
jahre 1939/40 bis 1942/43.15 Diese DIW-Berechnung des Volkseinkommens erfasste auch die Kriegsbeiträge des Auslands, den Matrikularbeitrag Böhmens und Mährens und den Wehrbeitrag des Generalgouvernements in Polen. Die „Kriegsausgaben in v. H. des Volkseinkommens“ stiegen nach diesen Angaben von 45 (1939/40) auf mehr als 68 (1942/43) Prozent. Das Konzept und die empirische Umsetzung des Kreislaufmodells waren schon vor den internationalen Absprachen nach dem Zweiten Weltkrieg weit verbreitet: In zahlreichen Ländern gab es lange zurückreichende Traditionen, die eigene Leistungskraft und den Volkswohlstand zu erfassen. Paul Studenski gibt die Geschichte der VGR hervorragend in seinem 1958 publizierten Buch, „The Income of Nations“16, wieder. Dieses Werk schlägt zudem systematisch die Brücke von der Vorkriegs- zur Nachkriegsentwicklung und zeigt in den Länderkapiteln17, dass sich das internationale System der VGR, wie wir es heute kennen, gleichzeitig und konvergierend durchgesetzt hat. Studenski begann seine Arbeit an dem Buch in den 1930er Jahren. Er stützte sich auf die Primärquellen zahlreicher Länder, wobei er seine Daten auch durch direkte Kontaktaufnahme mit den nationalen statistischen Büros ermittelte.18 Die VGR, wie sie dann für Westdeutschland nach dem Krieg im StBA fortgeführt wurde, beruhte also auf eigenen Erfahrungen aus dem StRA, zumal es nicht nur methodisch-empirisch, sondern auch personell eine ungebrochene Kontinuität zwischen beiden statistischen Büros gab.19 Zu nennen ist außer dem bereits erwähnten Schörry auch Kurt Werner20 aus dem StBA, der seine leitende Beschäftigung mit der Industriestatistik bis zu seiner Pensionierung in der Bundesrepublik fortsetzen konnte. In der NS-Zeit hatte er im StRA und im Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung (RWP) daran gearbeitet.21 Allerdings traten bei der Etablierung der VGR in Westdeutschland Verzögerungen auf: So wurde das Statistische Amt des Vereinigten Wirtschaftsgebietes nicht unmittelbar nach dem Krieg, sondern erst Anfang 1948 errichtet, des Weiteren konnten Statistiken für die Nachkriegszeit aus technisch-organisatorischen Gründen nicht unmittelbar erhoben werden und darüber hinaus erschwerte der veränderte
BA R3 1965 F 30–40. Studenski 1958. Siehe auch Vanoli 2005. Zu Deutschland siehe Studenski 1958, S. 374–390. Siehe das Dankschreiben Studenskis an das StRA vom 15.6.1936 (BA R3102 2427 F 78). Noch 1938 (Brief des Präsidenten des StRA an Studenski, 7.10.1938) hatte das StRA detaillierte Daten über Steuereinnahmen und die öffentliche Verschuldung für das Rechnungsjahr 1936/37 an Studenski geschickt. (BA R3102 2427 F 82, 157–169). 19 Dies traf ebenfalls für das Statistische Zentralamt (StZA) der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zu. Ludwig 2009. Er weist zudem darauf hin, dass es im StZA um 1947 Bestrebungen gab, nicht das sowjetische Konzept der Bruttoproduktion zu verwenden, sondern in der Tradition des StRA mit den Nettoproduktionswerten zu arbeiten. Siehe Richter 1949 (Kopie in BA DE2 43385). 20 Siehe die biografische Skizze im Anhang. 21 Werner 1940, 1958 und 1965. Werner war auch Koautor der Veröffentlichung zum Industriezensus von 1936, siehe Reichsamt 1939. 15 16 17 18
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Gebietsumfang eine Anknüpfung an die Reichsstatistik.22 Alexander Nützenadel charakterisiert die Einführung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in der Bundesrepublik als „nachholende Modernisierung“, wobei das Nachholen eher institutionell und nicht konzeptionell-methodisch belegt wird.23 Während des Krieges dienten in den USA und in Großbritannien schon gesamtwirtschaftliche Größen der VGR dazu, den Ressourcenbedarf für den Krieg gegenüber der bisherigen Inanspruchnahme der gesamtwirtschaftlichen Leistung abzuschätzen.24 Ähnliche Berechnungen stellten im Zug der NS-Aufrüstung auch das StRA und während des Krieges das DIW an, um die Einspannung der Volkswirtschaft für die staatlichen Investitionen, die Militärausgaben und die Privatwirtschaft zu bilanzieren.25 Nach dem Krieg entwickelte sich die Statistik der VGR und damit des BIP zum unerlässlichen Instrument für die makroökonomische Globalsteuerung, die sich mit der Wirtschaftspolitik nach dem Theoriegebäude von Keynes in den westlichen Ländern durchsetzte. Obwohl in der Bundesrepublik diese Umorientierung mit Karl Schiller als Wirtschaftsminister in der Großen Koalition und normativ im Stabilitätsund Wachstumsgesetz von 1967 relativ spät erfolgte, sind auch hier Kontinuitäten zur NS-Zeit nicht zu übersehen. Keynes’ grundlegendes Werk26, die „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ erschien 1936 in deutscher Übersetzung im selben Jahr wie die englische Originalausgabe. Es wurde in Deutschland ohne Verzögerung breit rezipiert.27 Keynes selbst ging im Vorwort der deutschen Ausgabe sogar so weit, die NS-Beschäftigungspolitik keynesianisch zu interpretieren und diente sein Werk explizit deutschen Ökonomen an. Nicht gerade schmeichelhaft attestierte er ihnen ein Theoriedefizit: „Wie hungrig und durstig müssen sich deutsche Ökonomen fühlen, nachdem sie während all dieser Jahre ohne eine solche [Theorie] gelebt haben! Es lohnt sich sicherlich für mich, den Versuch zu machen. Und wenn ich einige einzelne Brocken beitragen kann zu einem von deutschen Ökonomen zubereiteten Mahl, eigens auf deutsche Verhältnisse abgestellt, werde ich zufrieden sein.“ Seine Theorie, die hauptsächlich für die angelsächsischen Länder entwickelt worden sei, könne
Zur „Neuorganisation der Statistik in den westlichen Besatzungszonen“ siehe Stahmer 2010. Nützenadel 2005, S. 99–105. Siehe auch Stahmer 2009; Voy 2009. Vanoli 2005, S. 21–23. Siehe z. B. die „vertraulichen“ Unterlagen über „Statistische Grundlagen für die Finanzierung der Volkswirtschaft“ zur „Unterredung vom 28. März 1938“ beim „Reichs- und Preußischen Wirtschaftsminister“, BA R3102 2700, 6 Textseiten und 4 Tabellen; das „Referat Volkswirtschaftliche Bilanzen“ des StRA hatte am 12.8.1939 detailliert eine tabellarische Übersicht zu den „Investitionen der öffentlichen und privaten Wirtschaft“ zwischen 1924 und 1940 zusammengestellt. BA R3102 2731. Siehe auch Scherner 2013. Wilhelm Bauer, Abteilungsdirigent des DIW, referierte auf der Kuratoriumssitzung des DIW am 23.3.1943 über „Volkseinkommen, Kriegsfinanzierung und privater Verbrauch“, diese „Bilanz der deutschen Kriegswirtschaft“ ist als Quelle im Anhang 1 abgedruckt. Zur ausführlichen Biografie Bauers, der seit 1950 leitend im RWI arbeitete, siehe Pierenkemper/Fremdling 2018, S. 279–283. 26 Keynes 1936. 27 Nützenadel 2005, S. 51 ff.; Hesse 2010, S. 287 ff. 22 23 24 25
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„viel leichter den Verhältnissen eines totalen Staates angepaßt werden. […] Obschon ich sie also mit dem Blick auf die in den angelsächsischen Ländern geltenden Verhältnisse ausgearbeitet habe, wo immer noch ein großes Maß von laissez-faire vorherrscht, bleibt sie dennoch auf Zustände anwendbar, in denen staatliche Führung ausgeprägter ist“.28 Bei der großen Resonanz, auf die Keynes’ Werk in Deutschland stieß, verwies Bernhard Benning, der Direktor der Volkswirtschaftlichen Abteilung der Reichs-Kredit-Gesellschaft, in seinem Artikel von 1940 zur „Statistik der Sachkapitalbildung“ auf Keynes als Vertreter der modernen Volkswirtschaftslehre. Benning sah das „Investitionsvolumen als den wesentlichen dynamischen Faktor einer Nationalwirtschaft“ zur „Ankurbelung der deutschen Volkswirtschaft im Rahmen der zielbewußten nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik seit 1933.“29 Und Karl Schiller, von 1935 bis 1941 Leiter der Forschungsgruppe „Marktordnung und Außenwirtschaft“ am Kieler Institut für Weltwirtschaft, war bestens mit der NS-Wirtschaftspolitik vertraut, hatte er doch 1936 seine Dissertation „Arbeitsbeschaffung und Finanzordnung in Deutschland“ veröffentlicht.30 Die aggregierten Statistiken und Konten der VGR taugen allerdings nicht als Instrument zur direkten Ansteuerung der Betriebe in einer Wirtschaft mit zentraler Planung. Das Konzept der VGR setzt vielmehr ein marktwirtschaftlich orientiertes System mit dezentraler Koordination der betrieblichen Entscheidungen voraus, die im Prinzip von Knappheitspreisen gesteuert werden. Die betriebliche Wertschöpfung, also das erwirtschaftete Einkommen (Löhne und Gewinne) der im Marktverbund agierenden Unternehmen, entscheidet über das Produktionsergebnis dieser Wirtschaftseinheiten und somit letztlich über deren Erfolg oder Misserfolg. Die in die VGR eingehenden mit Geld bewerteten Produktionsfaktoren, Güter und Dienstleistungen reflektieren implizit das für die Marktkoordination verantwortliche Preisgefüge. Damit unterscheidet sich die VGR bzw. das heutige System of National Accounts (SNA) prinzipiell von der volkswirtschaftlichen Bilanzierung des Materialproduktsystems bzw. des Material Product System (MPS), wie es in Planwirtschaften des Ostblocks, also auch der DDR, gehandhabt wurde.31 In den zentral gesteuerten Mangelwirtschaften werden Input und Output zwar auch mit Geld bewertet, jedoch dienen die Bewertungseinheiten („Messwerte oder Abgabepreise“ in der DDR) als Pseudopreise häufig lediglich als Verrechnungseinheiten zwischen den Betrieben und zur Plankontrolle. Trotz ihrer Ableitung aus historischen Preisen erinnern sie kaum noch an ehemalige Knappheitspreise. Im Extremfall konn-
Keynes 1936, S. XIII. Benning 1940, S. 758 f. Schillers empirische Arbeit ist volkswirtschaftlich-theoretisch fundiert, u. a. greift er auf die einschlägige angelsächsische Literatur, darunter Keynes, zurück. Schiller 1936; Körner 2005; Take 2019, S. 231–236. 31 Ludwig 2009. 28 29 30
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ten diese Pseudopreise oder „Messwerte“ der DDR sogar dazu führen, dass der Input systematisch höher als der Output bewertet wurde.32 Hinzu kam, dass in der DDR nach sowjetischem Vorbild der Produktionserfolg mit dem Bruttokonzept erfasst wurde.33 Dadurch flossen die bezogenen Vorprodukte (also Leistungen anderer Betriebe) in die Planabrechnung des Weiterverarbeitungsbetriebes ein, wodurch ein wesentlicher Anreiz zur Effizienzsteigerung entfiel. In den marktwirtschaftlichen Überflusswirtschaften34 des Westens lässt sich die VGR mit dem BIP ohnehin nicht zur betrieblichen Steuerung instrumentalisieren. Es wäre ein Widerspruch in sich, weil die Konzeption der VGR auf einem sich selbst über Knappheitspreise koordinierenden System beruht. In einer zentral gelenkten Mangelwirtschaft35, wie der NS-Kriegswirtschaft und wie der DDR-Wirtschaft, ist der Preismechanismus außer Kraft gesetzt, Verrechnungspreise und Geldillusion verdecken nur scheinbar die Mengensteuerung über Rationierung und Zuteilung. Rolf Wagenführ36, der Chefstatistiker des Speerschen Planungsamts, ging nach dem Krieg sogar so weit, die „Rohstoffbilanzen als Hilfsmittel der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung“ zu empfehlen.37 Allerdings ordnete er diese Art der Bilanzierung klar Mangelwirtschaften zu: „Bei Engpaßsituationen […] muß die wertmäßige Betrachtung durch eine entsprechende m e n g e n m ä ß i g e B e t r a c h t u n g ergänzt werden.“ Als Beispiel für die mengenmäßige Rohstoffbilanzierung verwies er auf alle großen Volkswirtschaften während des Zweiten Weltkriegs und heute (um 1950) auf die Sowjetunion. Neben der VGR und ergänzend dazu entwickelte sich in den 1930er Jahren in Deutschland und in den USA die Input-Output-Rechnung als volkswirtschaftliches Analyse- und Steuerungsinstrument. Die Arbeiten des StRA an einer Input-Output-Tabelle, vor allem auf Basis des 1933er Industriezensus und der Wertschöpfungsdaten (Bruttoproduktionswerte, Vorleistungen etc.) für nichtindustrielle Sektoren
SPK, Methodische Grundsätze 10.3.1956, BA DE2 43951, S. 7. Siehe auch Steiner 1995, S. 275. Zur „Tonnenideologie“ siehe Steiner 2007, S. 95. In so einer Überflusswirtschaft, übrigens in der Regel gepaart mit einem Überschuss an Arbeitskräften (Arbeitslosigkeit), sind normalerweise für diejenigen, die die Preise bezahlen können, Waren und Dienstleistungen hinreichend vorhanden. Überfluss ist durchaus negativ im Sinne einer suboptimalen Allokation der Ressourcen konnotiert. Natürlich können auch Marktversagen oder Engpässe in der Überflusswirtschaft auftreten, wenn der Produktionszyklus, wie im Wohnungsbau, viel Zeit in Anspruch nimmt. Bei Marktversagen oder bei der Bereitstellung meritorischer Güter (z. B. öffentliche Schulen) gibt es weitgehende Zustimmung für staatliche Eingriffe zur Bedarfsdeckung. 35 In so einer Mangelwirtschaft, übrigens immer gepaart mit einem Mangel an Arbeitskräften, gibt es, scheinbar paradoxerweise, stets eine zu große Lagerbildung. Die Planungsinstanzen versuchen deshalb, mit aller Schärfe das sogenannte Hamstern zu verbieten. Daneben entstehen irreguläre Tauschwirtschaften und Schwarzmärkte. Geer (1961) beschreibt, wie im NS-System planwirtschaftliche („verwaltungswirtschaftliche“) Elemente durch marktwirtschaftliche („verkehrswirtschaftliche“) ergänzt oder ersetzt wurden. Zur Bewirtschaftung des Mangels in der NS-Kriegswirtschaft siehe Streb 2016, S. 570–595. Für die DDR-Wirtschaft siehe „Von Plan zu Plan“ von Steiner 2007. 36 Siehe die biografische Skizze im Anhang. 37 Wagenführ 1952b, Zitat S. 127. 32 33 34
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waren weit fortgeschritten. Im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde können heute die handschriftlichen Bearbeitungsbögen eingesehen werden.38 Die archivalischen Quellen zeigen, wie intensiv sich das Statistische Reichsamt in den 1930er Jahren bereits mit der Erstellung von volkswirtschaftlichen Umsatzrechnungen – nach heutigem Sprachgebrauch Input-Output-Tabellen – beschäftigt hat.39 Zur gleichen Zeit veröffentlichte Wassily Leontief 1936 seinen Input-Output-Artikel über die Struktur der amerikanischen Volkswirtschaft.40 Dass es derartige Bestrebungen auch in Deutschland gegeben hatte, blieb hingegen nach dem Krieg weitgehend unbekannt.41 Die Industrieerhebung von 1933, die von der Abteilung Industrielle Produktionsstatistik des StRA42, durchgeführt wurde, war aufgrund der Konjunkturlehre vom Präsidenten des StRA und des 1925 gegründeten Instituts für Konjunkturforschung (If K) Ernst Wagemann43 konzipiert worden und sollte die statistischen Grundlagen für Konjunkturanalysen und damit für die Konjunktursteuerung verbessern. Aus dem Anschreiben an die Unternehmen und aus weiteren Dokumenten ergibt sich die Priorität, die Daten der 1933er Erhebung für zivile Zwecke zu nutzen. So heißt es im Vorblatt des Zensus: „Die Produktionserhebungen erfolgen lediglich zu wirtschaftlichen Zwecken, um Aufschluß über die Verhältnisse der einzelnen Industriezweige und über deren Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft zu erlangen“.44 Nach Auffassung der Abteilung VI Allgemeine Wirtschaftsstatistik des StRA (Leiter: Paul Bramstedt) war die Industrieerhebung von 1933 eindeutig auf Konjunktursteuerung ausgerichtet. So war es das Ziel, mit Hilfe der Ergebnisse der Industrieerhebung eine Tabelle der volkswirtschaftlichen Umsatzverflechtung zu erstellen, um die direkten und indirekten Auswirkungen von Investitionen zu erfassen. Dazu war bereits eine Reihe von konzeptionellen und empirischen Vorarbeiten geleistet worden, unter anderem das umfassende Tabellen- und Kontenschema, das Otto Heinrich von der Gablentz mit Produktions-
Zu den Quellen im Bundesarchiv siehe Fremdling/Stäglin 2014a. Stäglin/Fremdling 2018a. Leontief 1936. Ein Notizzettel mit dem Hinweis auf diese Veröffentlichung liegt im Bundesarchiv in der umfangreichen Akte (BA R3102 2705 F 56), in der Berechnungsbögen zur Umsatzverflechtung (I/O-Tabelle) archiviert sind. Siehe den historischen Abriss bei Stäglin 1970; zur Originalität des Leontiefschen Ansatzes siehe auch Tooze (2001, S. 200 ff.). 41 Siehe Stäglin (1968a), der auf die Niederlande und Dänemark verweist, deren statistische Ämter bereits in den 1930er Jahren Input-Output-Tabellen im Zusammenhang mit der VGR erstellten. 42 Abteilung VII, ihr Leiter war Wilhelm Leisse (häufige Schreibweise auch Leiße, siehe die biografische Skizze im Anhang). Mit ihm als Präsidenten wurde 1938 diese Abteilung aus dem Statistischen Reichsamt herausgelöst und als Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung (RWP) verselbstständigt. 43 Wagemann 1928. 1941 wurde das If K in Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) umbenannt. 44 BA R3102 6175. Selbst für die Erhebung von 1936 wurden nicht „wehrwirtschaftliche“ Gesichtspunkte als Ziel erwähnt, stattdessen lautete der erste Satz ganz ähnlich: „Die Produktionserhebungen erfolgen ausschließlich zu volkswirtschaftlichen Zwecken“ (BA R3102 6124). 38 39 40
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konten für zahlreiche Industrien und mit Umsatzrechnungen für einzelne Industriezweige entworfen hatte.45 Zur Begründung der volkswirtschaftlichen Umsatzrechnung sei ein Entwurf der Abteilung Allgemeine Wirtschaftsstatistik des StRA herangezogen, der ein Gespräch mit der Abteilung Industrielle Produktionsstatistik am 4. November 1935 vorbereiten sollte und der auch den Brief an Leisse46 vom 31. Dezember 1935 bestimmte. Darin heißt es:47 Bei allen wirtschaftspolitischen Entscheidungen von größerer Tragweite macht sich das Bedürfnis geltend, eine möglichst umfassende Vorstellung davon zu haben, wie der zu regelnde Tatbestand mit allen übrigen Teilen der Volkswirtschaft zusammenhängt. Die Frage z. B. nach den Sekundärwirkungen von zusätzlichen Investitionen oder auch von Investitionsbeschränkungen kann nur dann mit annähernder Sicherheit beantwortet werden, wenn bekannt ist, wie sich die Gesamtkosten der betreffenden Investitionen in Ausgaben für Löhne, Anlagen, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, Zinsen, öffentlichen Lasten u. dgl. auflösen und an welchen anderen Stellen der Wirtschaft diese Kosten wiederum als Nachfrage in Erscheinung treten. […] Aus dieser Sachlage erwächst die Notwendigkeit, die Integration der einzelnen Wirtschaftsteile zu ermitteln, d. h. ein statistisches Bild von der gegenseitigen Verflechtung der Wirtschaftszweige und -bezirke zu entwerfen. Wesentliche Voraussetzungen liegen bereits vor. […] Es handelt sich nun darum, diese Ansätze zur gesamtwirtschaftlichen Betrachtung fortzusetzen, auszubauen und zu systematisieren. Das Ziel müssen Wirtschaftsrechnungen sein, die für jeden der großen Wirtschaftsbereiche Auskunft geben, aus welchen anderen Wirtschaftsbereichen die Einnahmen einfließen und wohin sie ausfließen.
Die Abteilung Allgemeine Wirtschaftsstatistik unter Bramstedt konnte sich in der Absicht, eine Umsatzverflechtungstabelle zur Konjunktursteuerung zu erstellen, letztlich nicht gegen Leisse durchsetzen. Mit der Rückendeckung Görings und des RWM wurden die Arbeiten an der Input-Output-Tabelle abgebrochen. Doch selbst in den USA fanden Leontiefs Arbeiten keinen direkten Eingang in die Kriegswirtschaft: Nach André Vanoli48 wurde Leontiefs Aufsatz von 1936 kaum beachtet („passed unnoticed“). Ganz anders sein Buch von 1941, wobei es jedoch nicht so sehr um die Anwendung der Input-Output-Analyse auf die Kriegswirtschaft selbst ging, als vielmehr darum, die Effekte der Demobilisierung, vor allem auf die Beschäftigung, zu erhellen.
Als Beispiel ist in Stäglin/Fremdling (2018, Tabelle 1.1) der im Bundesarchiv (BA R3102 2580a) gefundene Entwurf einer Umsatzrechnung der Fahrzeugindustrie für 1933 und (Tabelle 2) das Kontenschema wiedergegeben, das von der Gablentz entwickelt hatte. 46 Siehe die biografische Skizze im Anhang. 47 BA R3102 2705. 48 Vanoli 2005, S. 23. 45
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Nach dem Krieg kam es in Deutschland zu einer verzögerten Adaption des Input-Output-Ansatzes und zwar zunächst außerhalb des StBA, an Wirtschaftsforschungsinstituten und im universitären Bereich.49 Die Amtsstatistiker des StBA durften nämlich wegen politisch-ideologischer Vorbehalte nicht an der Erstellung der entsprechenden Tabellen arbeiten. In Ludwig Erhards Ministerium und damit in der Regierung waren der Input-Output-Ansatz und die VGR überhaupt als angeblich planwirtschaftliche Instrumente verpönt.50 Erhard, der am Ende des Krieges enge Kontakte zu Otto Ohlendorf, dem führenden Kopf im Reichwirtschaftsministerium, pflegte, teilte wohl Ohlendorfs Skepsis gegenüber dem Planungsamt des Speerschen Rüstungsministeriums. Dort hatte sich in Rivalität zum Reichswirtschaftsministerium unter Rolf Wagenführs Regie ein statistischer Planungsapparat zur Steuerung der Kriegswirtschaft entwickelt, dessen Grundlagen mit der Mengensteuerung auf die Abteilung Industrielle Produktionsstatistik des StRA bzw. auf das Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung (RWP) zurückgingen.51 An die Stelle volkswirtschaftlicher Umsatzrechnung war Mitte der Dreißigerjahre die Kriegsvorbereitung getreten. Die personellen Ressourcen der Abteilung Industrielle Produktionsstatistik und das Material des 1936er Industriezensus, der die Industrieerhebungen von 1933 umfassender fortführte, dienten nun gezielt der statistischen Vorbereitung des Krieges.52 Hier wurde nicht mehr die wertmäßige, sondern die stoffliche oder mengenmäßige Verflechtung (Input-Output) von einzelnen Wirtschaftssektoren anhand detaillierter Flussdiagramme und Materialbilanzen erstellt. Dafür erhielt die Abteilung Industrielle Produktionsstatistik des Statistischen Reichsamts von März 1938 bis Juni 1940 als Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung (RWP) einen Sonderstatus. Sogar schon bevor die Arbeiten zur Input-Output-Tabelle in der Abteilung Allgemeine Wirtschaftsstatistik abgebrochen werden mussten, hatte sich zeitlich parallel bereits seit 1934 die Abteilung Industrielle Produktionsstatistik des Statistischen Reichsamts systematisch auf den Kriegseinsatz vorbereitet. Mit dem Ausbau seiner wirtschaftsstatistischen Erhebungen und der totalen Erfassung aller Betriebe in einer Fabrikkartei wurde das StRA zügig für die Kriegsvorbereitung instrumentalisiert. Die privatwirtschaftlichen Kartelle und Verbände entwickelten ihre verbandsinternen Erhebungen weiter und brachten sie als zusätzliche statistische Grundlage in die nationalsozialistische Lenkungs- und Kriegswirtschaft ein. Stäglin 1968a,b. Stäglin 2009, S. 310–313; Bork 2009, S. 63–67; Nützenadel 2005, S. 106 ff. Siehe auch das Interview mit Hildegard Bartels, die im StBA für die VGR verantwortlich war, Reich/Lützel 2009, S. 508–510. 51 Nach dem Krieg war Wagenführ eher dem linken politischen Lager zuzuordnen: Er arbeitete u. a. in der SBZ im Statistischen Zentralamt an der Vorbereitung der Planwirtschaft und von 1948 bis 1952 leitete er das wirtschaftswissenschaftliche Institut der Gewerkschaften in Köln. Siehe die biografische Skizze im Anhang. 52 Stäglin/Fremdling (2018a) und Tooze (2001). 49 50
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Die „friedensmäßige Vorbereitung der Kriegswirtschaft“53 war auch von traumatischen Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg gespeist, in den man ohne ein zureichendes statistisches Informationssystem gestolpert war.54 Im Arbeitsplan für die Weiterführung der Industriestatistik von 1934 heißt es:55 Die Erfahrungen, die zu Beginn und während des Verlaufs des Weltkrieges hinsichtlich der unmittelbaren Deckung des Heeresbedarfs und der Versorgung des Inlands mit der Unzulänglichkeit der damals zur Verfügung stehenden statistischen Unterlagen für solche Zwecke gemacht worden sind, lassen den Wert einer rechtzeitigen, umfassenden und zugleich produktionswirtschaftlich tiefgreifenden statistischen Durchleuchtung der deutschen Industriewirtschaft, die auch für den Fall der Landesverteidigung wichtige Gesichtspunkte berücksichtigt, klar erkennen.
Im Jahr 1936 erschien eine Studie des Instituts für Konjunkturforschung (If K) zur „Industriellen Mobilmachung“. Im Vorwort wird betont, dass mit modernen statistischen Methoden eine Größenvorstellung der wirtschaftlichen Wehrhaftmachung zu erreichen sei. Die If K-Arbeit schätzte mit statistischen Übersichten das Kriegspotential zahlreicher Länder Mitte der 1930er Jahre ein.56 Wagemann hob im Jahresbericht für das Jahr 1937 hervor, dass das Institut sich verstärkt wehrwirtschaftlichen Problemen gewidmet habe, wobei er „die Arbeiten über den Welthandel in Kriegsmaterial, über Brennstoffversorgung und Bevorratung anderer Länder, über Vorbereitungen der industriellen Mobilmachung im Ausland, über die Rüstungen zur See und in der Luft“ benannte.57 Im Vorwort der Vorkriegsveröffentlichung des Reichsamts für Wehrwirtschaftliche Planung von 1939 über „Gesamtergebnisse der amtlichen Produktionsstatistik – Die Deutsche Industrie“58 wurde dann die militärpolitische Bedeutung des Industriezensus von 1936 unverblümt ausgesprochen: Auch besteht kein Zweifel darüber, daß angesichts unserer rohstoffwirtschaftlichen Lage eine etwaige Kriegswirtschaft für Deutschland in hohem Grade planwirtschaftlichen Charakter tragen muß und daß ihre Vorbereitung daher zu einem wesentlichen Teil auch auf gründlicher statistischer Planungsarbeit fußen muß.
Leisse 1940: Fußnote zum Titel des Aufsatzes: „Industriestatistik und wehrwirtschaftliche Planung“. Siehe Tooze (2016, S. 362–364) mit dem treffenden Zitat von Walther Rathenau, der Mitte August 1914 den desolaten Stand der deutschen Statistik beklagte. 55 Siehe die als Geheim klassifizierte Ausarbeitung des Statistischen Reichsamts (StRA) von 1934, BA R3102 2992, F 6 f. 56 Institut für Konjunkturforschung 1936. Siehe ebenda (S. 85–88) das Resümee über „Aufgaben und Grenzen der Statistik in der industriellen Mobilmachung“. 57 Siehe den „Jahresbericht des Instituts für Konjunkturforschung für das Jahr 1937“, Kiel Y5742; Siehe auch die Liste der Veröffentlichungen des Instituts für Konjunkturforschung zur Kriegswirtschaft vor 1939 in Stäglin/Fremdling 2016a, S. 15. 58 Reichsamt 1939. 53 54
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Die einzelnen Wirtschaftsstatistiken wurden zunächst nicht zielgerichtet für die deutsche Kriegswirtschaft gebündelt: Die organisatorische Schwachstelle in der Statistik wurde allerdings spätestens behoben, als Hans Kehrl59 im April 1942 vom Reichswirtschaftsminister den Auftrag erhielt, die gesamte Rohstoffbewirtschaftung zu reorganisieren. Kehrl gewann Wagemanns Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mit der gesamten Industrieabteilung unter der Leitung von Rolf Wagenführ als strategischen Partner für planungsstatistische Arbeiten. Die Industrieabteilung des DIW baute auf den zuvor geleisteten Arbeiten im StRA bzw. im RWP auf und entwickelte zusammen mit der Statistischen Leitstelle des StRA weiterführend mit mengenmäßigen Input-Output Koeffizienten ein schlagkräftiges Planungsinstrument zur kriegstauglichen Ressourcenverteilung. Grundlage waren Rohstoff- und Fertigwarenbilanzen. Mit mehrstufigen Bilanzen oder Flussdiagrammen wurde versucht, eine Kette von Verarbeitungsstufen darzustellen. Die Verbindung zwischen den Stufen wurde über die sogenannten Einsatzschlüssel (technische Input-Output-Koeffizienten), den Materialverbrauch pro Fertigungseinheit, erfasst. Dieser Zugriff auf den kompliziert verflochtenen Produktionsapparat einer Volkswirtschaft fußte nach Wagenführ60 auf Ferdinand Grünigs Arbeiten über den Wirtschaftskreislauf (1933)61 und einer volkswirtschaftlichen Bilanz der zentralstatistischen Verwaltung der Sowjetunion (1924).62 Zudem war das If K bzw. DIW hervorragend über die wirtschaftliche Lage und Planung in der Sowjetunion informiert, wovon die beiden Statistikbände von 1939/40 und die DIW-Schriftenreihe während des Krieges zeugen.63 Für die Planstatistik selbst stützte sich Wagenführs Abteilung nicht nur auf das Statistische Reichsamt, sondern auch auf die Statistikabteilungen der privatwirtschaftlichen Lenkungsbereiche. Um die Zweiteilung des Lenkungssystems in militärische und zivile Bereiche und damit das Nebeneinander und Überschneidungen der Planungsinstanzen zu beenden,
Siehe die biografische Skizze im Anhang. Wagenführ hatte durch eigene Forschung profunde Kenntnisse über das Wirtschaftssystem der Sowjetunion aufgebaut. Siehe Wagenführ 1929. 61 Grünig 1933. 62 Siehe in Wagenführs Dissertation (1929, S. 125–130) die Skizze über die „Methoden der planwirtschaftlichen Forschung“ in der Sowjetunion rückblickend von 1929 aus. Zur Bedeutung der sowjetischen Planung für die Entwicklung von Input-Output-Tabellen siehe Stäglin 1968a. Die sowjetische Planwirtschaft konnte allerdings nur begrenzt als Modell dienen. Im Gegensatz zu Deutschland ging es um eine unterentwickelte Volkswirtschaft, in der zudem das freie Unternehmertum durch allumfassende Staatsmonopole abgelöst worden war. Beide Elemente hätten zwar im Prinzip die Planung an sich erleichtern müssen. Jedoch konstatiert Jasny aus seiner Perspektive Ende der 1940er Jahre, dass es primär trotz gewaltiger Disproportionalitäten um die Steigerung der Produktion ging. Ein wohlausgewogener Plan kam deshalb nicht zustande, obwohl sehr viele (um 1940 zwei Millionen) Beschäftigte für Statistik und Buchhaltung eingespannt waren ( Jasny 1950). 63 Institut für Konjunkturforschung 1939 und 1940; Stäglin/Fremdling 2016a über die „Russlandforschung“ des If K/DIW. Siehe auch die Beilage zur Kuratoriumssitzung am 23.3.1943: „Die gegenwärtige Arbeitslage beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung“, dort wird auf die „Hefte über die Wirtschaft der Sowjetunion“ verwiesen, die „starke Beachtung gefunden haben.“ (BA R11 111 F 43). 59 60
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wurde die zivile Produktionssteuerung des Reichswirtschaftsministeriums (Hauptabteilung II Industrie) unter der Leitung Kehrls mit dem Führererlass vom 2. September 194364 komplett in die Verantwortung des Speerschen Rüstungsministeriums überführt. Diese Abteilung entwickelte sich mit den erweiterten Zuständigkeiten für die Waffenproduktion zum Planungsamt im Rüstungsministerium, das damit die Kommandozentrale der deutschen Wirtschaftslenkung bis zum Kriegsende bildete. Die Hauptabteilung Planstatistik leitete Wagenführ. Die umfassenden Zusammenstellungen für Wagenführs Abteilung im Planungsamt entstanden in der Statistischen Leitstelle beim Statistischen Reichsamt. Hier schlug sich das Zusammenwirken der Leitstelle mit den privatwirtschaftlichen Lenkungsbereichen und den anderen Abteilungen des Statistischen Reichsamts nieder. Die Leitstelle lenkte und verarbeitete den wirtschaftsstatistischen Informationsfluss und bot mit ihren Rohstoff- und Fertigungsbilanzen die Entscheidungsgrundlage für das Planungsamt. Ferner gehörte es zu den Aufgaben der Leitstelle, übersichtliches statistisches Informationsmaterial für übergeordnete Entscheidungsträger bis hinauf zu Hitler selbst bereitzustellen. Diese „Statistischen Schnellberichte zur Kriegsproduktion“, „Bearbeitet in der Statistischen Leitstelle beim Statistischen Reichsamt“ unter Verantwortung des „Planungsamts Hauptabteilung Planstatistik“ erschienen als geheime Reichssache monatlich mit aktuellen Zahlen für den Vormonat und weiteren rückblickenden Zahlenreihen.65 Die letzte, dünne schreibmaschinenschriftliche Ausgabe mit 15-seitigem Tabellenband wurde im April 1945 von der Statistischen Leitstelle mit noch teilweise geschätzten Zahlen für den Februar 1945 erstellt. Nach dem Krieg untersuchte die amerikanische Luftwaffe unter der Leitung des Ökonomen John Kenneth Galbraith, welchen Effekt die alliierte Bombardierung auf die deutsche Kriegswirtschaft gehabt hatte.66 Galbraith schreibt in seinen Memoiren67, bei Einsicht in ein Exemplar dieser Schnellberichte noch vor Kriegsende in London habe er darüber gestaunt, dass die Bombardierung die Produktion weniger eingeschränkt habe als erwartet. Galbraith schloss daraus, dass vor der gesteigerten Bombardierung keineswegs alle Produktionsreserven ausgeschöpft gewesen sein konnten. Wagenführs Statistik hatte ihm wohl ein zutreffendes Bild der deutschen Kriegswirtschaft vermittelt.68 Wagenführs Expertise war nach dem Krieg bei den Siegermächten höchst gefragt. In Berlin arbeitete er im Auftrag der Sowjetischen Militäradministration im neu ge-
Streb 2016, S. 548. Einzusehen im Bundesarchiv: BA R3102 3147. USSBS Oct. 1945. Galbraith 1984. Siehe allerdings die Kritik an Wagenführs Produktionsindex und damit dem Speerschen Rüstungswunder bei Scherner/Streb 2006. 64 65 66 67 68
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gründeten Statistischen Zentralamt die Wirtschaftsstatistiken aus der nationalsozialistischen Zeit für die Wirtschaftsplanung der SBZ auf.69 Ohne die Wirtschaftsstatistiken aus der NS-Zeit hätte man die Planungsgrundlagen für den Zweijahrplan der DDR 1949/50, und damit die Einführung der Planwirtschaft, gar nicht erstellen können. In Bad Nauheim verfügte die Galbraith-Gruppe über ausgelagerte Bestände des Statistischen Reichsamts. Um sich für einige Zeit der Mitarbeit Wagenführs zu bedienen, wurde er am 24. Juli 1945 von einem amerikanischen Kommando in Berlin entführt.70 Zehn Tage lang wurde er, durchaus kooperationswillig, von den Experten des United States Strategic Bombing Survey vor allem zur deutschen Statistik und Rüstungsproduktion befragt. Im Jahr 1946 erstellte Wagenführ als Leiter der Hauptabteilung A beim Statistischen Amt für die britische Besatzungszone in Minden Planungsgrundlagen zur Beherrschung der Mangelwirtschaft. Wagenführ krönte seine Karriere als Chef des statistischen Amts der europäischen Gemeinschaften, des Vorläufers von Eurostat. Die grundlegende statistische Erhebung für alle drei diskutierten Konzepte oder Instrumente zur Steuerung der Wirtschaft war dieselbe: Der Industriezensus von 1936 in Deutschland. Er lieferte das Basismaterial für eine Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, für eine Input-Output-Rechnung und eine mengenmäßige Bilanzierung. Die Auswertung der Statistik war abhängig von der politischen Zielsetzung. Methodisch-konzeptionell und empirisch waren die deutschen Statistiker und Statistiken auf der Höhe ihrer Zeit – von einem Rückstand gegenüber den Angelsachsen kann keine Rede sein.71 In diesem Buch geht es vor allem um die Instrumentalisierung der Statistik für die NS-Kriegswirtschaft und für die Anfänge der Planwirtschaft in der DDR.
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Fremdling 2016b. Fremdling 2016c. Siehe auch die Schlussfolgerungen in Tooze 2001, S. 290.
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Die Mitwirkung des Statistischen Reichsamts an der Vorbereitung des Krieges
Das Statistische Reichsamt
Das Statistische Reichsamt (StRA) ging aus dem 1872 gegründeten Kaiserlichen Statistischen Amt hervor und unterstand seit 1917 dem Reichswirtschaftsamt, von 1919 bis 1945 also dem Reichswirtschaftsministerium (RWM).1 Nachdem das StRA aufgrund der restriktiven Haushaltspolitik des Reiches zu Anfang der 1930er Jahre Personal eingebüßt hatte, stieg der Bestand Festangestellter von 1.257 (1933) auf 4.281 (1939) an. Hinzu kamen die befristet eingestellten Kräfte, die z. B. für die Volks-, Berufs- und Betriebszählungen noch mehrere Tausend ausmachen konnten.2 Als Präsidenten des StRA fungierten in der Betrachtungsperiode Ernst Wagemann (1923–1933), Wolfgang Reichardt (1933–1940) und Curt Godlewski (1940–1945).3 Bisher gibt es keine umfassende Geschichte des Statistischen Reichsamts, und Jutta Wietog stellte noch 2001 fest, dass die Leistungen des StRA „auf dem Gebiet der Wirtschaftsstatistik und die mögliche Bedeutung, die das Statistische Reichsamt hier im Zusammenhang mit der Plan- und Wehrwirtschaft besaß, […] nicht eingeschätzt“ werden konnten.4 In der kleinen Festschrift zum hundertjährigen Jubiläum der amtWietog, 2001, S. 23; Statistisches Bundesamt (StBA) 1972. Das Kaiserliche Statistische Amt war wiederum aus dem „Zentralbüro des Zollvereins“ erwachsen, das für die Abrechnung der Zolleinnahmen zwischen den Vereinsmitgliedern am 22.3.1833 geschaffen und am 31.3.1872 geschlossen worden war. Siehe die Akte (BA R3102 10001), die auch den ersten „Ausgabe-Etat“ von 1872 enthält. 2 Zahlen für alle Jahre, bis auf 1936, von 1923 bis 1939 bei Tooze 2001, S. 112, 185 f., 228. 1936 waren im StRA 3.907 (1.6.1936) bzw. 4.025 Personen (1.7.1936) insgesamt beschäftigt, BA R3102 4225 F 5. Ein Teil der Expansion war allerdings auf die 1934 erfolgte Fusion mit dem Preußischen Statistischen Landesamt zurückzuführen (Wilke 2011, S. 26). Darüber hinaus vgl. Wietog 2001, S. 25 und Reichardt 1940, S. 82. 3 Zu biografischen Angaben siehe Wietog 2001, S. 47 f., 242–244 (Reichardt) u. S. 208 f. (Godlewski); Fremdling/Stäglin 2020a (Wagemann). 4 Wietog, 2001, S. 15 f., 196. Siehe dazu allerdings Fremdling 2016a in Band 2 der Geschichte des „Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) und seiner Vorgängerinstitutionen“ hg. v. Ritschl (2016). Inhaltlich wird dieser Aufsatz hier umfassender weitergeführt. 1
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Die Mitwirkung des Statistischen Reichsamts an der Vorbereitung des Krieges
lichen Statistik in Deutschland von 1972 ging Gerhard Fürst5, der erste Präsident des Statistischen Bundesamtes (StBA), lediglich mit knapp zehn Seiten auf die Tätigkeit des StRA während der nationalsozialistischen Periode ein.6 In der einleitenden Passage diskutierte Fürst die Instrumentalisierung der Wirtschaftsstatistik für die Ziele des Regimes und stützte sich dazu auf einen 1940 erschienenen Aufsatz des Präsidenten des StRA: Der grundlegende Wandel ist von dem damaligen Präsidenten W. Reichardt auf die Formel gebracht worden: Von der Wirtschaftsstatistik zur Bewirtschaftungsstatistik. Während es bisher Aufgabe der Statistik war, die von den Einzelnen erhobenen Daten als Massenerscheinungen zu gruppieren und auszuwerten, also der Feststellung und Beobachtung von allgemeinen Wirtschaftsvorgängen zu dienen, sollten jetzt die Einzelangaben für die Verwaltung und Bewirtschaftung, die Zuteilungen und Genehmigungen an den einzelnen Betrieb und der Kontrolle seiner Leistung dienstbar gemacht werden.7
Für die folgende Abgrenzung seiner Darstellung hätte Fürst eigentlich noch den Tadel Reichardts anführen müssen, den dieser seiner Feststellung („Die Wirtschaftsstatistik ist hier zur Bewirtschaftungsstatistik geworden.“) unmittelbar folgen ließ:8 „Das ist nicht Aufgabe der fachstatistischen Stellen, die ihrer Natur nach nicht verwalten und bewirtschaften, sondern beobachten und feststellen sollen.“ Mit diesem programmatischen Satz brachte Reichardt seine idealtypische Charakterisierung der amtlichen Statistik auf den Punkt, gegen den er den tatsächlichen Zustand der Wirtschaftsstatistik während der nationalsozialistischen Periode, also den Realtypus, absetzte. Möglicherweise hatte Fürst Reichardt allerdings gründlich missverstanden9 und dessen Idealtypus (Beobachtung und Feststellung) der amtlichen Statistik für eine Beschreibung der Realität genommen. Denn Fürst gab sogar resümierend am Schluss seiner zehnseitigen Abhandlung vor, er habe die „tiefgreifenden Folgen des nationalsozialistischen Systems auf das amtliche statistische Programm“ nicht näher darlegen müssen, weil andere Ziele der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik nicht grundsätzlich auch ein anderes statistisches Programm verlangen. Die Sachverhalte, die statistisch gemessen werden müssen, bleiben vielfach die gleichen und unbeeinflußt von der Politik, für die die Statistik die Ausgangsdaten liefert. So ist auch im Zeitraum 1933 bis 1945, wenn man von den
Siehe die biografische Skizze im Anhang. StBA 1972, S. 43–52. Vgl. auch Fürst 2001. Reichardt 1940; Zitat: StBA 1972, S. 43. Diese Formel gebrauchte Reichardt bereits 1937 in einem internen Papier („Aufzeichnung“ vom 31.3.1937, BA Ko N1734 Bd.2 F 18), das er wahrscheinlich für den RWM Schacht geschrieben hatte. 8 Reichardt 1940, S. 83. 9 Tooze 2001, S. 217. 5 6 7
Das Statistische Reichsamt
Wirren der letzten Kriegsjahre absieht, das gesamte erreichte statistische Instrumentarium beibehalten und verbessert worden.10
Konsequenterweise beabsichtigte Fürst mit der Ausgrenzung der „Bewirtschaftungsstatistik“ seine zu behandelnden Themen einzuengen: „Die Darstellung dieses Zeitabschnitts beschränkt sich daher auf Entwicklungen, die das Arbeitsprogramm des Reichsamtes [StRA, R. F.] betrafen und die, wie sich später gezeigt hat, einen Dauerwert besaßen.“ Die Entwicklungen auf den einzelnen Sachgebieten wurden in dem Jubiläumsband des StBA nur umrissen: Unter den Wirtschaftsstatistiken waren die beiden mit Volkszählungen verknüpften Berufs- und Betriebszählungen von 1933 und 1939 hervorzuheben.11 Fürst führte immerhin einige Neuerungen mit „Dauerwert“ auf: Statistiken zum Agrarsektor wurden erstmals systematisch jährlich erhoben.12 Mit der reichseinheitlichen Regelung der Gewerbesteuer war die Grundlage für die Gewerbesteuerstatistik gelegt, die das StRA erstmals für das Rechnungsjahr 1937 erstellte.13 Ebenfalls neu tauchte die Handwerksstatistik als in der Ideologie der Nationalsozialisten verhaftete Erhebungskategorie seit 1936 und in der Betriebszählung von 1939 auf.14 Als Korrelat zur nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik war die intensive Beschäftigung des StRA mit der Preis- und Lohnstatistik zu werten.15 Die volkswirtschaftlichen Bilanzen wurden weiter entwickelt und waren der Vorläufer einer sich nach dem Krieg etablierenden Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung.16 Von den publizierten Statistiken erwähnte Fürst am Schluss das Statistische Jahrbuch des Deutschen Reichs (StJR), das mit durchschnittlich 527 Seiten zwischen 1933 und 1935 denselben Umfang wie in der Vorperiode 1929/32 beibehielt. Es „überschritt seit 1938 die Zahl von 600 Seiten (ohne den internationalen Teil).“17 Die Kriegsperiode blieb bei
Dieses und das folgende Zitat legen ein solches Missverständnis nahe. StBA 1972, S. 51, 43. Die Ergebnisse der 1939er Zählung wurden teilweise erst nach dem Krieg veröffentlicht. In derselben Erhebung wurden erstmals alle Arbeitsstätten erfasst. Zu Details siehe Fremdling/Stäglin 2014a; Fremdling 2007; Fritz 2001. 12 Vgl. u. a. Fremdling 2010. 13 Das StRA erhielt dazu die Durchschriften der Steuermess- und Zerlegungsbescheide. Für 1937 waren dies „nicht weniger als 2,4 Millionen“, davon waren allerdings mehr als 100.000 fehlerhaft. Das erschwerte ihre Verarbeitung mit den Hollerith-Maschinen erheblich. Siehe den internen Bericht des StRA, der wohl 1939 geschrieben wurde (BA R3102 4126 insbesondere S. 8 f.); Henrich 1940. 14 „Handwerksbetriebe“ waren eigentlich keine statistisch sinnvoll abgrenzbare, sondern eine rechtlich definierte Kategorie (Eintragung in die Handwerksrolle, Befähigungsnachweis). StR Bd. 566, S. 14 f.; Wildebrandt 1940 und auch Reichsamt 1939, S. 12 (Das RWP spricht „von der grundsätzlichen Schwierigkeit, irgendeine generell sinnvolle und statistisch brauchbare Abgrenzung zwischen „Industrie“ und „Handwerk“ zu finden“). 15 StBA 1972, S. 48 ff. 16 Keller 1940; Voy 2009; Stahmer 2010. 17 StBA 1972, S. 52. 10 11
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Fürst ausgeklammert.18 Wesentlich aufschlussreicher war die Bilanz, die Alfred Jacobs, ehemaliger führender Mitarbeiter des StRA, 1971, etwa zur gleichen Zeit wie Fürst, über den „Weg bis zum Ende der Reichsstatistik“ zog.19 Die letzte Ausgabe des Flaggschiffs des StRA, das Statistische Jahrbuch für das Deutsche Reich (Jahrgang 1941/42), war als „Geheimes“ der Öffentlichkeit entzogen.20 Schon vor dem Krieg waren kriegswichtige Statistiken über die Investitionen, die Bautätigkeit und öffentlichen Finanzen21 nicht mehr veröffentlicht worden. Von der Statistik des Deutschen Reichs erschienen 1944 die letzten beiden Bände mit 599 und 601 Seiten. Einige geplante Bände wurden nie publiziert, z. B. aggregierte Ergebnisse der Berufs- und Betriebszählung von 1939.22 Andere etablierte Periodika wurden ebenfalls im Laufe des Krieges eingestellt. Das betraf die Einzelschriften zur Statistik des Deutschen Reichs 1941, und von den Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reichs erschien noch Jg. 1943. Im Juli/September 1944 kam das letzte Heft von Wirtschaft und Statistik heraus. Die Frequenz interner Publikationen, die in sehr begrenzter Auflage für die Staatsführung und die Spitzen der Planungsinstanzen bestimmt waren, hatte während des Krieges allerdings zugenommen. Hier ging es vor allem um detaillierte monatliche Zahlen zur Industrieproduktion. Zwiespältig war Fürsts Haltung zu den Fortschritten bei der industriellen Produktionsstatistik, die faktisch mit der Bewirtschaftungsstatistik eng verknüpft war:23 Einerseits betonte er, dass hier nach angelsächsischem Vorbild eine Statistik der Industriewirtschaft erhoben wurde, die nach Plänen innerhalb des StRA24 schon damals in eine Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung für diesen Sektor hätte einmünden können. Dabei war ihm allerdings die Abhängigkeit dieser Statistik von staatlichen Vorgaben für die „Planung und Lenkung der Produktion und der Versorgung“ durchaus bewusst. Zudem relativierte er die Fortschritte mit folgender Behauptung: „In die Tat umgesetzt wurde allerdings nur, was für die wehrwirtschaftliche Planung als notwen-
Es erschienen noch zwei Jahrbücher: Der Jg. 58 für 1939/40 umfasste noch 655 Seiten ohne den internationalen Teil, Jg. 59 für 1941/42 679 Seiten. Der veränderte Gebietsumfang – teilweise bis hin zu annektierten Gebieten – wurde berücksichtigt. Siehe auch eine Anweisung des Präsidenten des StRA für das geplante StJR für 1939 vom 12.4.1939: „Die neue Ausgabe des Jahrbuchs soll in möglichst weitem Umfange Angaben für Österreich, das sudetendeutsche Gebiet und das Memelland sowie das Reichsprotektorat Böhmen und Mähren enthalten.“ BA R3102 4164 F 108 RS. 19 Jacobs 1971, siehe die biografische Skizze im Anhang. Zu den folgenden Ausführungen vgl. ebd. S. 307. Einen Überblick aus der Perspektive des Jahres 1941 über alle Arbeitsgebiete des StRA seit der Gründung im Kaiserreich mit Hinweisen zu den Veröffentlichungen findet sich im Vierteljahrsheft 50 des StRA von 1941, S. 3–28. Weiterhin siehe Roeske 1978 und 1985. 20 Schon der Jahrgang zuvor (StJR 1939/40) hatte nur für den Dienstgebrauch zur Verfügung gestanden, siehe die Verfügung Godlewskis vom 19.4.1941 zum letzten erschienenen Jahrgang, BA R3102 2389 F 137. Alle seit 1880 veröffentlichten StJR sind allgemein im Internet über das deutsche digitale Zeitschriftenarchiv zugänglich: http://www.digizeitschriften.de. 21 Schon ab 1935, Ritschl 2002, S. 274. 22 Vgl. Roeske 1985, S. 215 ff.; Fremdling/Stäglin 2014a. 23 Hierzu StBA 1972, S. 47. 24 Er zitiert den Aufsatz von Bramstedt 1940. 18
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dig erachtet wurde.“ Dieser Satz und der folgende inhaltlich substantielle Absatz zum Inhalt und Umgang mit dem Industriezensus von 1936 weisen Fürst als intimen Kenner der Materie aus, der weit mehr kannte als die veröffentlichte Version von 1939.25 Fürst verschwieg also den vom Standpunkt der Amtsstatistik (Reichardts Idealtypus) anrüchigen Umgang mit der Industrieerhebung nicht, er entzog sie jedoch dem Verantwortungsbereich des StRA. So ordnete er die industrielle Produktionsstatistik eher als illegitimes Kind des StRA, „zeitweilig außerhalb des Reichsamtes“, dem Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung (RWP) zu. Die distanzierende Betrachtung Fürsts war nichts anderes als der hilflose Versuch, die Verantwortung des StRA zu verschleiern: Denn auf dem Feld der Industrieerhebungen ging es um das Kerngebiet, auf dem das StRA durch seine Instrumentalisierung für die Ziele des nationalsozialistischen Herrschaftssystems und die Kriegswirtschaft seine Unschuld verlor. Schon in seiner Aufzeichnung vom 31. März 193726 ging Reichardt darauf ein, dass „sich seit 1–2 Jahren die Fälle [mehren], in denen alle möglichen Stellen – staatliche, ständische usw. – verlangen, dass ihnen Original-Einzelangaben der Befragten zugänglich gemacht werden“. […] „Die mit der industriellen Produktionsstatistik erstellte Fabrikkartei und die […] landwirtschaftliche Betriebskartei“ sollten „an Stellen – ausserhalb des statistischen Dienstes – ausgeliefert werden, die auf ihrer Grundlage die Mobilmachungsvorbereitungen treffen sollen. Geschieht dies, so ist damit das vom Präsidenten des Statistischen Reichsamts förmlich gegebene Wort und Versprechen gebrochen.“27 Und es geschah: Reichardt sah es allerdings Anfang 1937 als Kompromiss, als „eine einigermassen befriedigende Lösung“ an, dass „die Karten [150.000 Fabrikkarteikarten] […] nur an 16 rein staatliche, den Oberpräsidenten angegliederte Dienststellen gegeben [wurden], die dienstlich verpflichtet sind, auf Grund der Angaben gegen den einzelnen Betroffenen erst bei Eintritt des Mobilmachungsfalles Verwaltungsmassnahmen zu ergreifen, bis dahin allen gegenüber zu verschweigen, dass sie in Besitz der Einzelangaben sind“.28 Der damalige Präsident des StRA, Reichardt, hatte demnach 1937 die Einbindung des StRA in die nationalsozialistischen Planungen klar erkannt und diese in seinem Beitrag von 1940 sogar befürwortet. Reichardt hatte den von ihm herausgearbeiteten Idealtypus der Fachstatistik als Messlatte benutzt, um die Verstöße (Geheimhaltung) und den fundamental abweichenden Realtypus der Bewirtschaftungsstatistik schärfer hervortreten zu lassen. Ihm als Präsidenten des StRA waren um 1939/40 die faktischen Verhältnisse voll bewusst: So ging er in seinem Artikel z. B. auf den grundleReichsamt 1939. BA Ko N1734 Bd.2 F 15 ff. In der Fabrikkartei wurden Betriebe, wie im Fragebogen des Industriezensus von 1936, akribisch erfasst. Siehe BA R3102 3005: Vortragsmanuskript über „Wehrwirtschaftliche Planung“. 28 Bei den 1 ¾ Millionen „Landwirtschaftskarten“ wurde nach Reichardt keine befriedigende Lösung gefunden, da der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft angeordnet hatte, sie den Kreisbauernführern auszuhändigen, BA Ko N1734 Bd.2 F 16. 25 26 27
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genden Verstoß gegen das Statistikgeheimnis im Gesetz zur 1939er Volks-, Berufs- und Betriebszählung ein.29 Weiterhin sah Reichardt es geradezu als kennzeichnend für die Bewirtschaftungsstatistiken an, dass „gerade die Durchleuchtung der Einzelbetriebe […] [für] wirtschaftslenkende Maßnahmen […] auch nicht mit dem abgeschwächten statistischen Geheimnis umgeben werden kann; hier muß volle Freiheit in der Verwertung der Einzeltatsachen herrschen.“30 Ihm war klar, dass die Kopplung der Einzelerhebung an wirtschaftspolitische Maßnahmen unausweichlich zu Sanktionen bei Einzelbetrieben führen müsse. Reichardt bedauerte diese Abweichung von seinem Idealtypus zwar kurz, doch noch mehr trieb ihn die Sorge vor Falschangaben um.31 Regimetreu plädierte er deshalb für eine Beibehaltung der bereits bis 1939/40 entwickelten totalen Überwachung und Kontrolle: Zur Zeit sehe ich keine Möglichkeit, von diesem Verfahren abzugehen, und ich erblicke eine Abschwächung der Gefahr der Verfälschung der Statistik nur in dem beinahe lückenlosen Netz von Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten und Kontrollmaßnahmen, das jetzt über die wirtschaftenden Menschen ausgebreitet ist.32
Das StRA hatte sich sogar mit dem unter der Geschäftsführung seines Präsidenten stehenden „Statistischen Zentralausschuß“ die Aufsicht über den gesamten statistischen Kontrollapparat einverleibt.33 Der Ausschuss war im Februar 1939 eingerichtet worden, um alle nicht-amtlichen Erhebungen zu kontrollieren und zu genehmigen.34 Der ehemalige Präsident des Statistischen Bundesamtes, Gerhard Fürst, hatte seinen Amtsvorgänger im Statistischen Reichsamt, Wolfgang Reichardt, sicher nicht naiv missverstanden, als er dessen idealtypische Charakterisierung der amtlichen Statistik als Abbild der Realität darstellte. Fürst gab sich im Festschriftbeitrag vielmehr als profunder Kenner des Industriezensus von 1936 zu erkennen, und als Mitglied der Volkswirtschaftlichen Abteilung der IG Farben in Berlin während des Krieges wusste er sehr Reichardt 1940, S. 83. Siehe auch Wietog (2001, S. 187 ff.) zur Aufhebung des Statistikgeheimnisses. Reichardt 1940, S. 85. M. E. liegt Tooze (2001, S. 217) nicht richtig, wenn er Reichardts Artikel von 1940 mit der Charakterisierung der amtlichen Statistik folgendermaßen bewertet: „Reichardt’s piece deserves to be read as a brave defence of liberal principles.“ Reichardt (1880–1943) konnte vor 1933 durchaus dem liberalen Lager zugerechnet werden. Danach aber lag der Aufbau der Wirtschaftsstatistik zur Wirtschaftslenkung in seinen Händen, und er strebte eine zentrale Kontrolle statistischer Erhebungen durch das StRA an. Siehe Wietog 2001, S. 44 f., 242 ff. 32 Reichardt 1940, S. 86. 33 Siehe die vom Präsidenten des StRA, Reichardt, erlassene „Verfügung zur Einrichtung einer Geschäftsstelle des Statistischen Zentralausschusses“ vom 17.3.1939: Als Vorsitzenden hatte der RWM den Staatssekretär Posser ernannt, als Leiter der Geschäftsstelle bestimmte Reichardt einen seiner Direktoren, Grävell, der in der Folgezeit die entscheidenden Weichen stellte, BA R3102 2945 F 4, 11. Siehe beispielhaft das Protokoll einer Sitzung des Zentralausschusses vom 21.8.1939 an der auch Leisse teilnahm, BA R3102 8915 F 1–8. 34 Es ging um die „Verordnung zur Vereinfachung der Wirtschaftsstatistik vom 13. Februar 1939“, gez. vom Beauftragten für den Vierjahresplan, Göring, am 9.3.1939, BA R3102 2945 F 1 f.; Reichardt 1940, S. 88 ff.; Jacobs 1971, S. 292 f. 29 30 31
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wohl Bescheid über die kontinuierlichen industriellen Produktionserhebungen, die zur Statistischen Leitstelle des StRA und dann zum Planungsamt weitergegeben wurden. Ferner hatte er den etwa gleichaltrigen Kurt Werner gewiss nicht erst im StBA, sondern bestimmt schon bei seinem Eintritt in das StRA35 und während des Krieges kennen gelernt, d. h., Fürst konnte die Verwicklung des StRA in das Herrschaftssystem der Nationalsozialisten nicht entgangen sein. Doch in der 1972er Festschrift überging er die aktive Rolle des StRA bei der Überwachungs-, Kontroll- und Planungsstatistik. Denn dann hätte er als Vertreter der amtlichen Statistik der Bundesrepublik Deutschland dem Statistischen Reichsamt den Sündenfall sozusagen amtlich bescheinigen müssen. Doch genau die Einbindung des StRA in das Räderwerk des NS-Regimes soll hier in diesem Buch geschildert werden und damit ein Versäumnis in der Aufarbeitung der amtlichen Statistik Deutschlands beheben. Der nächste Abschnitt widmet sich den Industrieerhebungen in den 1930er Jahren und ihrer Instrumentalisierung für die „friedensmäßige Vorbereitung der Kriegswirtschaft“36. Zuvor ist allerdings noch zu skizzieren, wie sich der politische Wechsel Anfang 1933 auf das StRA auswirkte. Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 hatte sich das Regime eine legale Grundlage geschaffen, politisch oppositionelle oder missliebige Personen37 aus dem Staatsapparat zu entfernen, dasselbe galt für eine „nicht-arische“ Abstammung.38 Im Laufe des Jahres 1933 wurden aufgrund dieser gesetzlichen Grundlage etliche höhere Beamte aus dem StRA entlassen, u. a. Wagemann. Nationalsozialisten39 im StRA hatten allerdings schon zuvor, Ende Februar/März 1933, neben Wagemann die Entlassung von vier Direktoren gefordert.40 Jacobs (1971, S. 291, 310) führte Fürst und Werner bei den „jungen Wirtschaftswissenschaftlern“ auf, die 1921/22 in das StRA strömten und die nach dem Krieg im StBA unterkamen. Erst im geänderten Geschäftsverteilungsplan des StBA vom 19.2.1951 tauchte Werner im Hauptreferat „Produktionsstatistik“ als Beschäftigter des StBA auf, BA Ko B128 GVPL 1. Nach der Personalliste des StRA vom 1.12.1936 (BA R3102 3378) war Werner erst am 9.4.1934 in das Amt eingetreten. 36 Leisse 1940, S. 1006. 37 Allerdings konnten auf dieser Grundlage auch Beamte in andere Dienststellen abgeschoben werden. So wurde der „Ministerialrat Dr. Wilhelm Lautenbach“ vom RWM zum 1.11.1934 in das StRA versetzt. Siehe das Schreiben des RWM an den Präsidenten des StRA vom 27.10.1934, BA R3102 3577. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des StRA von Februar 1935 war „Dr. Lautenbach, Ministerialrat“ als Vertreter von Direktor Bramstedt in der Abteilung VI („Allgemeine Wirtschaftsstatistik“) tätig, für das Referat 10 („Zusammenfassende Statistik des Auslandes und der zwischenstaatlichen Wirtschaftsbeziehungen“) und als „Generalreferent“ für die Referate 10 bis 15 verantwortlich, BA R3102 3586 F 103 f. Nach den Geschäftsverteilungsplänen vom 1.2.1941 und 1.6.1943 hatte sich daran nichts Wesentliches geändert, BA R3102 3579 (2) F 144, 3579 (1) F 105. 38 Wietog 2001, S. 41 ff. Auch zum Folgenden ebd. Zum Gesetz siehe auch Fisch (2016, S. 29–31), in § 3 wurden „Juden“ aufgeführt, damit war es der „früheste rassistische ‚Arierparagraph‘ […] Jude war, wer mindestens einen Eltern- oder Großelternteil hatte, der Jude war.“ 39 „Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Beamter“ und „N. S. B. O.“ (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation). 40 Neben Wagemann waren der Direktor Wohlmannstetter und mit einer Verfügung vom 29.3.1933 vom „Kommissar des Reichswirtschaftsministers“ die leitenden Beamten Pusch, Eppenstein, Feilen und Mei35
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Trotz dieser vorauseilenden Aktionen wurde nach der Einschätzung von Wietog das StRA „nicht von heute auf morgen eine nationalsozialistisch ausgerichtete Behörde.“41 Dazu passt auch eine verwirrende Episode, die im Bundesarchiv mit der Bezeichnung: „Entlassung von jüdischen Angehörigen des StRA“ überliefert ist.42 In einem Rundbrief vom 31. März 1933 an alle Beschäftigten klagte der Kommissar des Reichswirtschaftsministeriums, Fritz Freiherr von Massenbach43, im Statistischen Reichsamt: „Die in letzter Zeit in Erscheinung getretene Unruhe innerhalb des Statistischen Reichsamts hat Formen angenommen, die nicht länger geduldet werden können.“ In der Erwartung, dass jeder Amtsangehörige „seine ganze Arbeitskraft einsetzt und sie dem Gelingen der großen Aufgabe widmet“, wurde gefordert: „Das Erfinden und Verbreiten von Gerüchten, die jeder Grundlage entbehren, hat zu unterbleiben. Alle Zusammenkünfte zur Erörterung von Angelegenheiten in dieser Richtung auf den Fluren oder in den Arbeitsräumen sind streng untersagt. […] Ich nehme an, dass dieser Hinweis genügt, die unbedingt notwendige Ruhe zum ungestörten Fortgang der Arbeiten des Amtes wiederherzustellen.“ Am selben Tag verfügte der Kommissar „sofort“: „Zur Unterstützung des Abwehrkampfes gegen die jüdische Greuel- und Lügenpropaganda im Auslande ordne ich hiermit an, dass sämtliche jüdischen Angehörigen des Statistischen Reichsamts vom 1. April 1933 ab bis zur Beruhigung des Abwehrkampfes dem Dienst fern bleiben.“ Die Liste für die am selben Tag herausgegangenen Beurlaubungsbriefe enthielt zunächst 21 Namen. Durchgestrichen war „Dr. Wolf, Eduard, Hilfsreferent“.44 Bei den anderen handelte es sich um Büroangestellte, zwei „Hilfs-Amtsgehilfen“ und mit „Dr. Goldschmidt, Else“45 um lediglich einen einzigen „Referenten“. Überraschend verzeichnet der maschinenschriftliche Entwurf des Entlassungsbriefes singer beurlaubt worden. Dem Verwaltungsamtmann Feicke war die „Ausübung der Amtsverrichtung vorläufig untersagt“. BA R3102 6210 F 232 f. 41 Wietog 2001, S. 49, Fußnote 102. Sie erwähnt Mitteilungen von Kindern, deren Väter dort unbehelligt arbeiteten, obwohl sie dem Regime ablehnend gegenüberstanden. Dasselbe wurde mir vom ehemaligen Botschafter der Bundesrepublik in den Niederlanden, Otto von der Gablentz, Ende der 1990er Jahre berichtet, dessen Vater im StRA führend mit der Entwicklung volkswirtschaftlicher Verflechtungstabellen (heute: Input-Output-Tabellen) beschäftigt war. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des StRA von April 1935 war „Dr. v. d. Gablentz“ als Referent in der Abteilung VI (Allgemeine Wirtschaftsstatistik, Abteilungsleiter Direktor Bramstedt) für das Referat 4 (Statistik der Unternehmungen etc. und „Volkswirtschaftliche Bilanzen“) verantwortlich, BA R3102 6210 F 227. 42 BA R3102 3466. Es handelt sich um eine dünne, übersichtliche Akte. Siehe auch Fisch (2016, S. 25–29), der dieselbe Akte heranzog. 43 Fisch 2016, S. 26–29. 44 Im Geschäftsverteilungsplan des StRA Ende September 1930 war „Dr. Wolf, Hilfsreferent“ unter Langelütke im Referat „Statistik der internationalen Verflechtungen“ beschäftigt (BA R3102 6210 F 245). Im Januar 1934 (12.1.1934) wurde er im StRA als „ausgeschieden“ vermeldet (BA R3102 3586 F 74). Er war 1934–1948 im If K/DIW Leiter der Abteilung „Auslandswirtschaft“ und danach bei der Bank Deutscher Länder/Deutsche Bundesbank (Direktoriumsmitglied) tätig. Vgl. Stahmer 2010, S. 186, Fußnote 70. Nützennadel 2005, S. 100 Fußnote 59; Krengel 1985, S. 77. 45 Sie wurde von Jacobs (1971, S. 291) bei der Gruppe junger Wirtschaftswissenschaftler erwähnt, die 1921/22 in größerer Zahl ins StRA eintraten. Im Geschäftsverteilungsplan des StRA Ende September 1930
Die Industrieerhebungen des Statistischen Reichsamts
einen handschriftlichen Vermerk vom 3. Mai 1933, dass alle, bis auf einen (Richard Note) fristlos Entlassenen, „vom Urlaub zurück berufen […] sämtlich ihren Dienst wieder aufgenommen“ hatten. Aus dieser kurzfristigen Wiedereingliederung kann keinesfalls geschlossen werden, dass „jüdische“ Mitarbeiter des StRA zunächst nicht weiter diskriminiert wurden. Vielmehr blieben nach dem Erlass des RWM vom 1. März 1934 „Beamte, die nicht reinarischer Abstammung oder mit Frauen nicht-arischer Herkunft verheiratet sind […] vorläufig von einer Beförderung ausgeschlossen“.46 In der Folgezeit wurden Einstellungen vom „Ariernachweis“ abhängig gemacht.47 Die Industrieerhebungen des Statistischen Reichsamts
Der Industriezensus von 1936 war die wichtigste wirtschaftsstatistische Basis Deutschlands zur Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges: Er war Planungsgrundlage und Entscheidungsinstrument für das Rüstungsprogramm, für die Mobilisierung und für die Lenkung der Kriegswirtschaft. Selbst für die alliierten Planungen nach dem Krieg und länger noch für die Implementierung der Planwirtschaft in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bzw. Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurde auf ihn zurückgegriffen.48 Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg sahen auch die früheren Kriegsgegner den Industriezensus von 1936 als statistische Grundlage für die Kriegsvorbereitung und die Kriegswirtschaft. In der von der amerikanischen Besatzung veranlassten ungemein umfangreichen Aufarbeitung von Statistiken des nationalsozialistischen Deutschland, die 1946 fertig gestellt war, heißt es im Vorwort: „the industrial production census of 1936 […] – the most comprehensive of German industries – was used as a basis in the planning of the armament program and the war economy in Germany.“49
war „Dr. Goldschmidt, Referent“ für „Volkseinkommen und Volksvermögen im In- und Ausland“ zuständig (BA R3102 6210 F 244). 46 BA R3102 3577. 47 Wietog 2001, S. 93 ff. Sie geht ausführlich auf hohe Beamte (Flechtheim und Plaut) im StRA ein, die 1935 aus dem Amt gedrängt wurden. Siehe auch Fisch 2016, S. 31–41. Zum Schicksal „jüdischer“ Statistiker im Allgemeinen siehe Wilke 2011, S. 30 ff. 48 Darüber hinaus wurde er als Referenzgröße und Datengrundlage für die alliierten Produktionsbeschränkungen, für die erste bundesrepublikanische volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, für den bundesrepublikanischen Produktionsindex bis in die 1950er Jahre und für grundlegende wirtschaftshistorische Arbeiten zur Rekonstruktion der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sowie für Produktions- und Produktivitätsvergleiche zwischen beiden deutschen Nachkriegsstaaten und der einzigen Input-Output-Tabelle für das Deutsche Reich im Jahre 1936 herangezogen. 49 StH1946, Vorwort Teil I Bevölkerung und Beschäftigung – Part I Population and Employment, S. 3. Diese Zusammenstellung liegt nur in primitiver hektographierter Form in wenigen Exemplaren vor und ist kaum bekannt. Sie ist nicht mit dem deutlich weniger umfangreichen Handbuch (StH1949) von 1949 zu verwechseln.
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Die Mitwirkung des Statistischen Reichsamts an der Vorbereitung des Krieges
Der Industriezensus von 1936 führte die erste umfassende Erhebung der deutschen Industrie von 1933 fort. Während bei der Planung und der Auswertung des 1936er Zensus „wehrwirtschaftliche“50 Zielsetzungen überwogen, hatte sich der 1933er Zensus ursprünglich in erster Linie aus der Weltwirtschaftskrise hergeleitet. Er war aufgrund der 1928 veröffentlichen Konjunkturlehre Wagemanns – Präsident des Statistischen Reichsamtes (StRA) und Leiter des 1925 von ihm gegründeten Instituts für Konjunkturforschung (If K) – konzipiert worden und sollte eine bessere Grundlage zur Konjunktursteuerung schaffen.51 Beispielsweise wollte man über die geplante Input-Output-Tabelle, nach dem damaligen Sprachgebrauch „Tabelle der volkswirtschaftlichen Umsatzverflechtung“, die Sekundärwirkungen von Investitionen erfassen. 1935 sollten die erhobenen Daten in eine Input-Output-Matrix umgesetzt sein. Dazu war eine Reihe von konzeptionellen und empirischen Vorarbeiten geleistet worden, unter anderem das umfassende Tabellen- und Kontenschema, das von der Gablentz mit Produktionskonten für zahlreiche Industrien, Umsatzrechnungen für einzelne Industriezweige (Fahrzeugindustrie52) und für die Landwirtschaft entworfen hatte. Obwohl die Auswertung 1938 immer noch nicht fertiggestellt war, wurde in einem vertraulichen Schreiben des StRA-Präsidenten an den Reichswirtschaftsminister vom 19. April 1938 behauptet, die Tabelle der Umsatzverflechtung für 1933 sei fast vollendet und könne in einigen Wochen vorgelegt werden. Sie umfasse 98 Wirtschaftszweige und 30 Einnahme- und Ausgabenposten.53 Jedoch haben weder Tooze noch Fremdling/Stäglin die volkswirtschaftliche Verflechtungstabelle für 1933 bei ihren intensiven Archivrecherchen gefunden.54 Höchstwahrscheinlich wurde diese Arbeit nie vollendet.55 Daran dürfte vor allem der schon angesprochene schwerwiegende Zielkonflikt innerhalb des Statistischen Reichsamts Schuld sein, der schon 1934 auftrat, als die Erhebungsbögen für den 1933er Zensus von den Firmen ausgefüllt wurden.56 Auf der einen Seite standen Verfechter der ursprünglichen Zielsetzung, eine Input-Output-Tabelle mit monetären Größen Zum Begriff „Wehrwirtschaft“ siehe Herbst 1982, S. 96 ff.; Boelcke 1983, S. 149 ff. Wagemann 1928; Tooze 2001, S. 200; Tooze 2008; Tooze 2016, S. 403; Fremdling/Stäglin 2003, 2014a u. 2014b; Stäglin/Fremdling 2018a. 52 Abgedruckt in Stäglin/Fremdling (2018a). 53 BA R3102 2700. Es ging um die Übersendung von Übersichten zu den „Statistischen Grundlagen für die Finanzierung der Volkswirtschaft“. In den Erläuterungen zu den beiliegenden Tabellen mit makroökonomischen Größen wurde die Fertigstellung der 1933er Tabelle angekündigt (S. 4 des Schreibens). In der Tat liegt eine entsprechend riesige Akte (BA R3102 2705) mit den Arbeitsblättern für die geplante Input-Output-Tabelle vor. Sie enthalten noch Bearbeitungseinträge von 1938 (z. B. die Konten 22 Großhandel und 23 Einzelhandel). Siehe darüber hinaus auch Tooze 2001, S. 200 ff. 54 Tooze 2001, S. 226; Fremdling 2005, S. 157 und Fremdling/Stäglin 2014a und 2014b. 55 Nach meiner Einschätzung gab es nie eine fertige Tabelle. Vermutlich war man nicht weiter gekommen als vor allem in der Akte BA R3102 2705 dokumentiert ist: Sie enthält die umfangreiche Materialsammlung mit zahllosen handschriftlichen Notizen und Berechnungsbögen und mit einigen rudimentären Tabellen. Neben den Archivalien in BA R3102 2705 siehe die ebenfalls riesige Akte BA R3102 2580a. 56 Der Zielkonflikt führte bis etwa 1936 zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb des StRA, die ausführlich bei Stäglin/Fremdling (2018a) und Tooze (2001, S. 215–223) dokumentiert und analysiert sind. 50 51
Die Industrieerhebungen des Statistischen Reichsamts
zu erstellen, bei denen Produktion und Vorleistungen dann mit Preisen bewertet und addiert werden, (Abteilung von Bramstedt57); auf der anderen Seite stand Leisses58 Industrieabteilung, die den Zensus von 1933 und die danach konzipierte Erhebung von 1936 über Mengenverflechtungen (Produktion und Vorleistungen werden physisch, z. B. in Tonnen, gemessen) ausschließlich für die militärische Planung nutzen wollte. Leisse, der auch als Kandidat für die Nachfolge Wagemanns als StRA-Präsident gehandelt worden war,59 wurde 1934 Chef der Abteilung für Industrielle Produktionsstatistik. Spätestens 1937 hatte seine Abteilung (sie arbeitete Görings Rohstoff- und Devisenstab zu) die Gesamtkontrolle über die Industriestatistik erlangt. 1938 wurde die Abteilung schließlich aus dem Statistischen Reichsamt herausgelöst und als Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung (RWP) verselbstständigt. Letztlich setzte sich die kriegswirtschaftliche Ausrichtung (Mengen) gegenüber der „zivilen“ (Werte, Preise) durch. Die statistische Vorbereitung des Krieges wurde schon 1934 mit dem „Arbeitsplan für die Weiterführung der Industriestatistik“ zum Programm erhoben. Der im Folgenden dokumentierte Arbeitsplan zeigt, dass die Gewinner des Konfliktes im StRA die 1933er Erhebung hauptsächlich als Vorläufer und Modell für die Statistik einer Wehrwirtschaft instrumentalisierten.60 Unabhängig von dieser Zielsetzung spiegelt der Arbeitsplan den methodischen Stand und den damaligen Umfang der deutschen Industriestatistik wider. Inhaltlich, methodisch und selbst personell (Kurt Werner61) knüpfte das Statistische Bundesamt nach dem Krieg an diese Tradition aus den 1930er Jahren an. Es gibt deshalb mehrere Gründe, auf dieses Schlüsseldokument aus dem Jahr 1934 ausführlich einzugehen.
Bramstedt war wie Leisse gleichrangiger Direktor im StRA und leitete die Abteilung VI (Allgemeine Wirtschaftsstatistik), BA R3102 3586 F 102 Geschäftsverteilungsplan 19.2.1935 (In diese Abteilung war auch Lautenbach als stellvertretender Abteilungsleiter und Referatsleiter, Referat: Zusammenfassende Statistik des Auslandes und der zwischenstaatlichen Wirtschaftsbeziehungen, abgeschoben worden, F 102 f.). Siehe zudem Bramstedts gegenüber den nationalsozialistischen Machthabern reichlich ehrerbietig geschriebenen Artikel (Bramstedt 1940) in der Zahn-Festschrift zur Statistik der Industriewirtschaft. Immerhin geht er kurz (ebd. S. 1000) auf die Möglichkeit ein, eine „Umsatzverflechtung“ oder „industriewirtschaftliche Umsatzrechnung“ zu erstellen: „dann wird es möglich, ein Zahlenbild von der Verflechtung der Industriezweige und der Wirtschaftsgruppen zu gewinnen und durch dieses Zahlenbild die Auswirkungen der von der nationalsozialistischen Wirtschaftsführung geplanten Ausgaben auf die Zweige und Gruppen der Industriewirtschaft zu verfolgen.“ 58 Leisse bereitete den ersten Industriezensus für 1930 vor, der allerdings im Zuge der Sparpolitik Brünings auf 1933 verschoben wurde. Im Dezember 1934 wurde Leisse Direktor im Statistischen Reichsamt (Leiter der Abteilung VII: Industrielle Produktionsstatistik, diese Abteilung war für den 1933er und 1936er Zensus verantwortlich). 59 Wietog 2001, S. 47. 60 So behauptete denn auch Werner noch 1958 (1958, S. 18), dass die „erste allgemeine Produktionserhebung für 1933 […] allerdings noch weitgehend den Charakter einer Probeerhebung“ trug. Kurt Werner war als enger Mitarbeiter Leisses Bearbeiter der 1939 veröffentlichten Version des 1936er Zensus und 1958 als leitender Regierungsdirektor im Statistischen Bundesamt beschäftigt. 61 Siehe auch die Kontinuität in Werners methodischen Ausführungen zum Produktionsindex (Werner 1940, 1953, 1958 bzw. 1965). 57
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Die Mitwirkung des Statistischen Reichsamts an der Vorbereitung des Krieges
Der Industriezensus von 1933 und der Arbeitsplan von 1934
Im Arbeitsplan für die Weiterführung der Industriestatistik62 von 1934 wurde einleitend auf die grundlegende Bedeutung der 1933er Erhebung verwiesen: „Damit wird zum ersten Mal die bereits seit langem als notwendig erkannte Um- und Ausgestaltung der noch aus der Vorkriegszeit überkommenen amtlichen Produktionserhebungen zu einer planmäßigen Statistik der gesamten Industriewirtschaft verwirklicht“. Statt der Spezialstatistiken einzelner Industriezweige63 wollte man erstmals eine Gesamterhebung. Darüber hinaus wurde für Deutschland neben der traditionellen Erfassung physischer Input- und Output-Indikatoren mit der umfassenden Erhebung von Wertgrößen das angelsächsische Konzept der Nettoproduktion bzw. der Wertschöpfung für sämtliche Industriezweige angewandt. Dieses für die moderne volkswirtschaftliche Gesamtrechnung unerlässliche Konstrukt war vor dem Ersten Weltkrieg bereits in Großbritannien und den Vereinigten Staaten zur Messung der gesamten Industrieproduktion eingeführt worden, verbreitete sich als internationaler Standard allerdings erst nach den Zweiten Weltkrieg mit den Konventionen der UN, OECD und der Europäischen Gemeinschaften (EU und Vorläufern). Dieses Konzept machte die Industrieproduktion über alle Zweige vergleichbar und aggregierbar. Nach dem Arbeitsplan von 1934 sollten mit der Erfassung der Zulieferungen (Inputs) von Roh-, Halb- und Hilfsstoffen für die Erzeugung (Output) nicht nur der einzelnen Industriezweige, sondern auch für die meisten Güterarten die statistischen Grundlagen für eine zu erstellende Input-Output-Tabelle, oder nach dem damaligen Sprachgebrauch die volkswirtschaftliche Verflechtungstabelle, geschaffen werden. Insbesondere erhoffte man sich wichtige Informationen zum Rohstoffbedarf und der Außenwirtschaftspolitik. Konkret ging es um „wichtige Unterlagen über die Ausfuhrquoten und das Ausmaß der Rohstoffabhängigkeit vom Ausland“, um „neben den primären in weitgehendem Ausmaß auch die sekundären Auswirkungen der Auslandsbeziehungen innerhalb der deutschen Industrie in ihrer Größenordnung“ zu erfassen.
Siehe die als „Geheim“ klassifizierte Ausarbeitung des Statistischen Reichsamts (StRA) von 1934, BA R3102 2992. Aus der Akte geht nicht hervor, wer das ausgereifte Dokument verfasst hat und in welcher Abteilung des StRA es entstanden ist. Nach dem Inhalt und der Diktion dürfte die Ausarbeitung federführend von Wilhelm Leisse stammen. Tooze (2001, S. 191) ordnet sie selbstredend Leisse zu. Siehe auch den kurz vor Kriegsbeginn geschriebenen programmatischen Aufsatz Leisses in der Zahn-Festschrift: Industriestatistik und wehrwirtschaftliche Planung (Leisse 1940). In der Fußnote zum Titel heißt es: „Der Aufsatz ist vor Ausbruch des Krieges abgeschlossen und unter dem Gesichtspunkt der friedensmäßigen Vorbereitung der Kriegswirtschaft geschrieben worden.“ 63 Es handelte sich nach der Charakterisierung des StRA um „lediglich auf Teilgebieten der Industrie ohne größeren Zusammenhang […] überwiegend unter zoll- und handelspolitischen Gesichtspunkten stehende Erhebungen“. (BA R3102 2992 F 8). Gleichwohl waren sie Ausgangspunkt für die produktionsstatistischen Veröffentlichungen im Statistischen Jahrbuch des Deutschen Reichs (StJR). Vgl. auch von Roeder 1940 und Bührer/Wagner 2010. 62
Der Industriezensus von 1933 und der Arbeitsplan von 1934
Mit der außenwirtschaftlichen Flanke wurde bereits ein militärisch-strategisch sensibler Bereich der deutschen Wirtschaft angesprochen, der auch unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg diskutiert worden war.64 Mochten die ursprünglichen Intentionen des Industriezensus von 1933 primär dem wirtschaftspolitischen Motiv der Konjunktursteuerung unterlegen haben, so wurden folgende wehrwirtschaftliche Beweggründe doch schon hervorgehoben, als die Firmen noch dabei waren, die Fragebögen auszufüllen:65 Besonders groß ist die wehrpolitische Bedeutung der gegenwärtigen Arbeiten der Industriestatistik. Die Erfahrungen, die zu Beginn und während des Verlaufs des Weltkrieges hinsichtlich der unmittelbaren Deckung des Heeresbedarfs und der Versorgung des Inlands mit der Unzulänglichkeit der damals zur Verfügung stehenden statistischen Unterlagen für solche Zwecke gemacht worden sind, lassen den Wert einer rechtzeitigen, umfassenden und zugleich produktionswirtschaftlich tiefgreifenden statistischen Durchleuchtung der deutschen Industriewirtschaft, die auch für den Fall der Landesverteidigung wichtige Gesichtspunkte berücksichtigt, klar erkennen. Auch hier ist die weitgehende regionale Aufarbeitung der Ergebnisse nach einzelnen Gebietsteilen von großer Bedeutung, zumal künftig für diesen Fall nach menschlichem Ermessen in höherem Maße als 1914 mit Verlusten und Ausfällen der Produktionskraft einzelner deutscher Wirtschaftsgebiete gerechnet werden muß. Ebenso sind für den Fall einer verkehrswirtschaftlichen Abschnürung Deutschlands von seinen Rohstofflieferanten die oben genannten Ergebnisse über die Auslandsabhängigkeit von Wichtigkeit. Die Ermittlungen über Geschlechts- und Altersaufbau der beschäftigten Personen geben wertvolle Unterlagen für eine rechtzeitige Beurteilung der im Falle der Landesverteidigung für die Industrie entstehenden Personalfragen und ihre Bedeutung bei einer etwaigen Umstellung auf kriegswirtschaftliche Aufgaben. Von erheblicher wehrpolitischer Bedeutung sind endlich, namentlich auch in Verbindung mit der regionalen Aufgliederung, die von der Erhebung zu erwartenden Ergebnisse über die Produktionskapazität der einzelnen Betriebe und Industriezweige, da gerade auf diesem für kriegsplanwirtschaftliche Maßnahmen so wichtigen Gebiete bisher nur sehr rohe Größenvorstellungen vorhanden sind.66
Siehe hierzu die „stenographische Aufzeichnung über die Verhandlung des Wirtschaftlichen Ausschusses“ im Reichstag am 26.5.1914. Unter dem Vorsitz des Staatsministers Dr. Delbrück (Staatssekretär im Reichsamt des Innern) diskutierten führende Repräsentanten der deutschen Wirtschaft über die „wirtschaftliche Kriegsbereitschaft“ des Deutschen Reiches. In seiner Einleitung führte Delbrück u. a. aus: „Heute ist Deutschland ein Industriestaat, einer der ersten Industriestaaten der Welt. Unsere Industrie – und das gilt fast von allen ihren einzelnen Zweigen – ist in Bezug auf die Rohstoffversorgung in hohem Maße vom Auslande abhängig.“ BA R3101 7613 F 15. In den frühen 1930er Jahren wurden ca. 40 Prozent der Rohstoffe für die deutsche Industrieproduktion importiert. Wagenführ 1936, S. 7. Siehe auch Stäglin/ Fremdling 2018b. 65 In dem Vortrag Leisses vom Februar 1936 über die Wehrwirtschaftlichen Ergebnisse der industriellen Produktionserhebung von 1933 wurden die wirtschaftspolitischen Beweggründe nur noch nebenbei erwähnt, BA R3102 2999 F 4. 66 BA R3102 2992 F 6 f. 64
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Die Mitwirkung des Statistischen Reichsamts an der Vorbereitung des Krieges
Um die Erhebung von 193367 weiterzuführen und jeweils zu aktualisieren, wurde im Arbeitsplan als „zweckmäßigster Weg zur Durchführung einer stets aktuellen Industriestatistik“ vorgeschlagen, „daß die grundlegende Erhebung über 1933 zum Ausgangspunkt eines kombinierten Erhebungsplans gemacht wird, und zwar in der Weise, daß in mehrjährigen Abständen Generalerhebungen nach der Art der Erhebung über 1933 veranstaltet werden, die die strukturellen Veränderungen der gesamten Industrie erfassen, während in den dazwischenliegenden Jahren ein System von Zwischenerhebungen beschränkteren Umfangs dazu dient, eine mittel- und kurzfristige Beobachtung der industriellen Entwicklung durchzuführen und die wichtigsten Ergebnisse der Generalerhebungen aktuell zu erhalten.“68 In den folgenden Ausführungen wurde der Gesamtplan der Industriestatistik programmatisch dargestellt: 1. Periodische Generalerhebung, 2. Zwischenergebnisse aus Jahreserhebungen, Monatsstatistiken und Vorratserhebungen, 3. Pflege des 1933 gewonnenen Adressenmaterials und 4. Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Industriestatistik. Um neben der eher volkwirtschaftlichen Ausrichtung „insbesondere die großen Aufgaben der Industriestatistik auf wehrpolitischem und kriegswirtschaftlichem Gebiet zu lösen“, war eine totale Erfassung aller Betriebe in einer Fabrikkartei geplant: Diese nach Industriezweigen und nach verschiedenen regionalen Gesichtspunkten gegliederte, übersichtlich angeordnete Fabrikkartei würde jederzeit für jeden einzelnen Betrieb Aufschluß über Beschäftigungsverhältnisse, die Leistungsfähigkeit, Umfang und Art des Rohstoff- und Brennstoffbedarfs, die Vorräte sowie über Umfang und Art der Erzeugung zu geben vermögen.69
Auf den ersten Blick mag man vor dem Hintergrund der heutigen Informationstechnologie mit Computer und Internet bezweifeln, ob eine totale Erfassung informationstechnisch damals überhaupt umsetzbar gewesen wäre. Allerdings war das StRA seinerzeit mit der raschen Einführung des Hollerithverfahrens70 auf dem neuesten Stand der Zudem zeigte sich im Nachhinein, dass die Weltwirtschaftskrise in Deutschland 1932/33 ihren konjunkturellen Tiefpunkt erreichte. Schon deshalb war 1933 als Eichjahr ungeeignet, weil es untypisch für den Umfang und die Struktur der Produktion und Beschäftigung insgesamt und in den einzelnen Industriezweigen war. Als Eich- oder Normjahr hätte sich also ohnehin ein späteres Aufschwungsjahr angeboten, zumal für Nationalsozialisten, die ja die folgende wirtschaftliche Erholung ihrer Wirtschaftspolitik zuschrieben. Im Arbeitsplan von 1934 wurde bereits auf 1933 als „ein Jahr ausgesprochenen konjunkturellen Tiefstands und tiefgreifender staats- und wirtschaftspolitischer Umwälzungen“ hingewiesen. BA R3102 2992 F 12. 68 BA R3102 2992 F 9. 69 Ebd. F 9 f. 70 Das Lochkarten- oder Hollerithverfahren (der Amerikaner Hermann Hollerith, 1860–1929, gilt als Erfinder des Verfahrens) wurde seit den 1920er Jahren mit den Maschinen des amerikanischen IBM-Konzerns von der Dehomag (Deutsche Hollerith Maschinen GmbH, ab 1922/24 Tochtergesellschaft von IBM) in Deutschland betrieben. Schon bevor der Computer erfunden wurde, konnten mit der Lochkarte als Datenträger große Mengen numerischer Informationen maschinell ausgezählt und sortiert werden, z. B. bei Volkszählungen in den USA (1890) und in Deutschland (1910). Die Lochkarte war jahrzehntelang Eingabemedium für den Computer, bevor sie durch elektromagnetische Datenträger ersetzt wurde. Vgl. Black 2001. 67
Der Industriezensus von 1933 und der Arbeitsplan von 1934
Informationsverarbeitung. Im Krieg selbst wurden die monatlich gelieferten Daten der Betriebe zur statistischen Planungsgrundlage der Speerschen Kriegswirtschaft. Ohne Totalerfassung der Industrie, wie sie „durch die Generalerhebung 1933 erstmals für die gesamte deutsche Industrie gewonnen“71 und weitergeführt wurde, hätte dem Speerschen Planungsamt die statistische Infrastruktur gefehlt. Die informationstechnische Verfügbarkeit einzelbetrieblicher Daten sollte dem Staat direkt umsetzbare Eingriffe schnell ermöglichen: Mit Hilfe einer solchen Fabrikkartei […] würde die Staatsführung […] in die Lage versetzt sein, die Möglichkeiten für wirtschaftliche Notmaßnahmen, wie z. B. die Umlagerung der Produktion auf bestimmte Gebiete und andere Schritte auf wirtschafts- und wehrpolitischem Gebiet jederzeit zu übersehen und ohne die sonst monatelangen Vorarbeiten in kürzester Frist einzuleiten.72
Während wegen allgemeinwirtschaftlicher Aufgaben ein Erhebungsturnus „von etwa fünf Jahren“ als ausreichend erachtet wurde, sprachen „wehrpolitische Belange […] für einen zweijährigen Turnus“ der Generalerhebungen. Eine solche Erhebung wurde für 1935, also zwei Jahre nach der vorherigen, avisiert, fand aber tatsächlich erst 1936 statt. Die Firmen füllten die Fragebögen jeweils im Folgejahr aus: 1934 für die 1933er Erhebung, d. h. im selben Jahr, als der Arbeitsplan verfasst wurde, und 1937 für den Industriezensus von 1936. Die Auswertung des Zahlenmaterials dauerte natürlich erheblich länger. Die 1933er Erhebung dürfte letztlich gar nicht oder kaum zur direkten statistischen Kriegsvorbereitung herangezogen worden sein, obwohl Leisse im Februar 1936 in seinem Vortrag über wehrwirtschaftliche Ergebnisse der industriellen Produktionserhebung eine weitgehende Auswertung des Zensus nach kriegswirtschaftlichen Erwägungen vorstellte.73 Er präsentierte detaillierte tabellarische Ergebnisse u. a. über strategische Rohstoffe und Standortkarten mit Stabdiagrammen über die geografische Lage von Industriebetrieben bzw. Ressourcen. Schon damals ordnete er die Betriebe „A- und B-Gebieten“ zu: „Unter dem B-Gebiet wird dabei der innere, von Räumungen im Ernstfalle nicht betroffene, unter A-Gebiet dagegen die wahrscheinliche Räumungszone verstanden.“74 Methodisch interessant ist, dass Leisse schon die Materialbilanzen, die das Speersche Planungsamt später zur Produktionssteuerung ver-
„Bei der Generalerhebung 1933, die sich erstmalig auf die gesamte Industrie erstreckte, konnten außer den berufsgenossenschaftlichen und Verbandsadressen infolge des zeitlichen Zusammenfallens auch die durch die Betriebszählung vom Juni 1933 gewonnenen Adressen der Betriebe mit mehr als 5 beschäftigten Personen herangezogen werden.“ (beide Zitate: BA R3102 2992 F 34 f.) 72 BA R3102 2992 F 12. Ebd. das folgende Zitat. 73 BA R3102 2999, leider geht aus der Akte nicht hervor, wer im Zuhörerkreis saß. Siehe auch Tooze 2001, S. 196 ff. 74 Das B-Gebiet im Osten lief entlang der Oder bis zur Mündung der Görlitzer Neisse und weiter nach Süden. „Die Westgrenze bilden der Niederrhein bis Koblenz, der Taunus, die Rhön, der Main, die Frankenhöhe, der schwäbische Jura, der Hegau.“ BA R3102 2999 F 9. 71
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wendete, also Mengen statt Wertgrößen, über Roh- und Hilfsstoffe entwickelt hatte. Darüber hinaus präsentierte Leisse mit den Industriestammbäumen oder Flussdiagrammen mehrstufige physische Produktionsverflechtungen, die implizit natürlich die danach vom Planungsamt verwendeten Einsatzschlüssel zur Lenkung der Produktionsfaktoren enthielten (siehe Abbildung 1). Die im Arbeitsplan von 1934 avisierte Fabrikkartei wurde mit 150.000 Karten nach 300 auf die einzelnen Industriezweige zugeschnittenen Entwürfen angelegt.75 Im Arbeitsplan von 1934 wurde ebenfalls das System der Zwischenerhebungen, die später im Planungsamt Grundlage für laufende kurzfristige Entscheidungen werden sollten, ausführlich diskutiert:76 Neben breit angelegten jährlichen Erhebungen (von ca. 40.000 bis 50.000 größeren Industriebetrieben)77 wurden eine „monatliche Beobachtung der Produktionsentwicklung in den wichtigsten Industriezweigen“78 (80–120 produktionsstatistische Einzelreihen) und eine halbjährige Vorratserhebung79 vorgeschlagen. Vor allem die Jahreserhebungen sollten auf den Kriegseintritt vorbereiten: Sie sollen insbesondere auch unter wehrpolitischem Gesichtspunkt in Verbindung mit der Vorratserhebung eine zahlenmäßige Unterlage über die Größenverhältnisse der deutschen Industriewirtschaft liefern, auf der in den zwischen den Generalerhebungen liegenden Jahren in einem Kriegsfall unverzüglich planwirtschaftliche Maßnahmen für die hierfür in erster Linie in Betracht kommenden Teile der Industrie eingeleitet werden können, ohne nur auf die in einem solchen Falle unter Umständen bereits mehrere Jahre alten Ergebnisse der Generalerhebung angewiesen zu sein.80
Genauso wurde im Arbeitsplan, sogar noch ausführlicher, die Erfassung der Vorratshaltung begründet.81 Diese Kartei wurde vor Kriegsbeginn verwirklicht. Siehe das Vortragsmanuskript über Wehrwirtschaftliche Planung (BA R3102 3005), ohne Datum und Verfasser. Wahrscheinlich stammt es von Leisse, der vermutlich 1939, vor Kriegsbeginn, diesen Vortrag vor Industriellen hielt. 76 BA R3102 2992 F 13 ff. 77 Von der Generalerhebung 1933 wurden rund 150.000 Betriebe erfasst, BA R3102 2992 F 17. 78 Bei den monatlichen Erhebungen stand noch die Konjunkturbeobachtung mit der Entwicklung eines Produktionsindex im Vordergrund (BA R3102 2992 F 21 ff.). Der Index des Instituts für Konjunkturforschung (If K) wurde als unzureichend kritisiert (F 25 ff.). Hier sollten keine neuen Erhebungen vorgenommen werden, sondern es sollte auf die (zum Teil geheim gehaltenen) Verbandsstatistiken, zentralisiert beim StRA, zurückgegriffen werden (F 20). Im „autoritären Staat wohl auch erreichbar“ wären diese Statistiken „gegen die Zusicherung, daß sie vertraulich behandelt“ würden, dem Statistischen Reichsamt zur Verfügung zu stellen. Die „gegenwärtige Neuorganisation der Industrie (Zwangsmitgliedschaft) [böte] eine günstige Gelegenheit“ dazu (F 27); alle Quellen BA R3102 2992. 79 „im Einklang mit der Tätigkeit der Überwachungsstellen“ (F 30), die wegen der „Zuspitzung der Devisen- und Rohstoffeinfuhrfrage […] bereits ihrerseits in weitem Umfang zur Durchführung statistischer Bestandsaufnahmen über Rohstoffe, Halbfabrikate und Fertigwaren übergegangen“ waren (F 29); alle Quellen BA R3102 2992. 80 BA R3102 2992 F 15 f. 81 Unter wehrpolitischen Gesichtspunkten sollte die Erhebung mindestens halbjährlich geschehen; alle Quellen BA R3102 2992 F 31 ff. 75
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Abb. 1 Flussdiagramm: Holz-Industrie 1933 Quelle: BA R3102 6255
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Der letzte Abschnitt des Textteils82 erörterte die Rechtsgrundlagen der Industriestatistik. Mit einer komplett ausformulierten „Verordnung zur Durchführung der industriellen Produktions- und Vorratserhebungen durch das Statistische Reichsamt“ wollte das Amt die Schwächen beheben, die es in den geltenden Regeln ausgemacht hatte. Die reichsgesetzlichen Bestimmungen von 1923 (Auskunftspflicht) und die Bestimmungen von 1933 zur Volks-, Berufs- und Betriebszählung galten ihm vor allem wegen des Mangels an ausreichenden Zwangsmitteln als unzulänglich. Nach dem Vorbild des britischen Census of Production Act von 1906 wollte das StRA Wege eröffnen, analog zu den Zugriffsmöglichkeiten der Finanzverwaltung in Deutschland Ordnungsstrafen zu verhängen und noch weitergehend nach dem Modell der Vereinigten Staaten und Australiens externe Sachverständige einzuschalten, falls Unternehmen nicht adäquat kooperierten.83 Darüber hinaus enthielt der Anhang planerische Aufstellungen zu den Jahreserhebungen, zur monatlichen Produktionsstatistik und zu den Vorratserhebungen: Die Jahreserhebung war nach der Klassifikation der 1933er Erhebung für 80 Industriebranchen mit insgesamt fast 36.000 auszufüllenden Fragebögen für die einzelnen Firmen bzw. Betriebseinheiten geplant. 35 Branchen wurden schon nach der geltenden Praxis erfasst.84 Von den Monatsstatistiken u. a. für den Produktionsindex standen dem StRA bisher schon Reihen für 23 Erzeugnisse unterschiedlicher Branchen [einige wie Roheisen (4), Rohstahl (7) und Walzwerksfertigerzeugnisse (16) mit mehrfachen Reihen] zur Verfügung. Neben dem StRA fungierten Verbände, Fachgruppen und das preußische Wirtschaftsministerium (Erdöl) als Erhebungsstelle. Für ca. 40 weitere Produkte sollten die privatwirtschaftlich organisierten Fachgruppen und Verbände ihre schon erfassten Daten dem StRA liefern. Neu aufzunehmende Monatsproduktionserhebungen betrafen 11 Branchen mit 30 bis 40 Erzeugnissen, häufig noch mit zahlreichen Unterreihen, für die an fast 8.000 Betriebseinheiten Fragebögen zu verteilen waren. Die geplante Vorratserhebung umfasste 27 Rohstoffgruppen. Die Rohstoffe, aber auch Halbfabrikate, sollten stark untergliedert nach Sorten und Qualitäten erhoben werden: Z. B. waren sämtliche Textilrohstoffe und –halbfabrikate von Tierhaaren bis Flachs und von Baumwoll-Linters bis Kunstspinnfasern „als Spinnstoffe bzw. daraus hergestellte Garne und Zwirne, unterschieden nach Sorten und Qualitäten“ zu dokumentieren.85 Über Zusammenschlüsse wie Kartelle oder die sogenannten Reichs-
BA R3102 2992 F 38 ff. „Bereits der Hinweis auf diese Zwangsmittel wird in den meisten Fällen zu dem gewünschten Erfolge führen, wenn eine Firma auch im autoritären Staat, wie es leider nicht selten geschieht, die Anfragen des Amtes etwa mit folgender Wendung beantwortet: ‚Wir müssen daher eine bestimmte Frist ablehnen und gegen evtl. Zwangsmaßnahmen werden wir uns zu wehren wissen‘“. (BA R3102 2992 F 39 ff.). 84 Es waren u. a. Unternehmen des Bergbaus und der Kohlenindustrie (Kürzel des StRA: BK), der Eisen-, Stahl- und Metallverhüttung (E und Met), der Motorfahrzeuge (Fa), der Elektrizitätsindustrie (Elt), der Chemieindustrie (Ch), der Kunstseidenindustrie (T 13), der Ledergerberei (L1) und der Bereifungsindustrie (Gu 1). BA R3102 2992 F 39 f. 85 BA R3102 2992 F 43–51. 82 83
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vereinigungen ließ sich die Berichtspflicht der Firmen durchsetzen, zumal der Reichswirtschaftsminister bereits mit dem Gesetz über die Errichtung von Zwangskartellen vom 15. Juli 1933 diese Organisationsform anordnen konnte.86 Der Arbeitsplan von 1934 macht deutlich, dass der „autoritäre Staat“87 über das StRA die totale Informationskontrolle der deutschen Industrieproduktion, aufgegliedert nach ihren Unternehmen mit den einzelnen Betriebsstätten, anstrebte. Vor allem mit dem Industriezensus von 1936 und den darauf aufbauenden weiterführenden Statistiken wurde dies auch erreicht. Somit widmete das StRA sich bereits 1934 systematisch der Kriegsvorbereitung. Nach dem Krieg, im Herbst 1945, wurde im Statistischen Zentralamt (StZA) der Sowjetischen Besatzungszone von der Abteilung für industrielle Produktionsstatistik eine umfangreiche (zehn eng beschriebene A4-Seiten) Darstellung über die Durchführung produktionsstatistischer Jahreserhebungen des ehemaligen Statistischen Reichsamts verfasst.88 Rückblickend zeigte sich, dass der hier diskutierte Arbeitsplan für die Weiterführung der Industriestatistik tatsächlich weitgehend umgesetzt worden war. Mit der 1936er Erhebung war die von 1933 für kriegsstrategische Auswertungen obsolet geworden.89 Der Reichswirtschaftsminister wies in seinem Brief vom 28. Dezember 1937, also im selben Jahr, in dem die Firmen die Fragebögen auszufüllen hatten, das StRA klar an, dass bei der Auswertung des 1936er Zensus die Kriegsvorbereitung Priorität habe und alle anderen Aktivitäten zurückzustellen seien, falls dieses Ziel verletzt würde: „Das bei der Produktionserhebung 1936 gewonnene Material bildet eine wichtige Unterlage für die Vorbereitung der Bewirtschaftung im Mob [Mobilisierungs, R. F.]-Fall und für die zu diesem Zwecke aufgestellten Bewirtschaftungspläne auf den einzelnen Stoffgebieten.“90 Umgesetzt wurde die statistische Planung und Auswertung des Industriezensus von 1936 vor allem in der Abteilung VII, Industrielle Produktionsstatistik des StRA bzw. verselbständigt im Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung. Sein Leiter, Leisse, gab die Forderung des RWM, der Kriegsvorbereitung Priorität einzuräumen, unmittelbar in präzisierenden Anweisungen (Schreiben vom 28. Dezember 1937) weiter: Neben der statistischen Auswertung wurden Schaubilder, Fließbilder und Industrie-
Streb 2016, S. 543. Zur Berichtspflicht siehe die Erlasse des RWM Mitte der 1930er Jahre, BA R3101 31274 F 28; BA R3102 10003 F 64. 87 Dieser Begriff taucht mehrfach ohne negative Konnotation im Arbeitsplan auf. 88 BA DE2 43397. 89 Leisse wies schon in seinem Vortrag darauf hin, dass „das statistische Material heute dazu verurteilt“ sei „in noch kürzerer Zeit zu veralten, als dies schon unter normalen Verhältnissen der Fall ist.“ BA R3102 2999 F 36. 90 BA R3102 2993 F 12–14. „Ausarbeitung für Veröffentlichungen, die Durchführung von neuen Erhebungen sowie Arbeiten, die nicht der MOB-Vorbereitung dienen, sind zurückzustellen, wenn dadurch diese wehrwirtschaftlichen Arbeiten irgendwie behindert werden.“ 86
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stammbäume mit textlichen Darstellungen erarbeitet.91 Anstelle der mit Preisen bewerteten Input-Output-Ströme erstellte die Abteilung Leisses in der Folgezeit (mit 840 Mitarbeitern im Jahre 1938 und 707 Mitarbeitern im Jahre 1939)92 Materialbilanzen in Form von Fluss- und Baumdiagrammen über den physischen Materialeinsatz im Produktionsprozess verschiedener Verarbeitungsstufen, z. B. separat für 384 Rohmaterialien (siehe Abbildung 2).93 Für den Mobilisierungsbedarf der Wehrmacht wurden detaillierte Zahlen über die benötigten Mengen und die vorhandenen Vorräte an zahlreichen Rohstoffen im Kriegsfall aufgestellt.94 Nicht nur die Erhebung von 1936, sondern weitere danach auch für die annektierten und besetzten Gebiete erhobenen Daten wurden somit ganz der Kriegsvorbereitung untergeordnet.95 Eine weitere Generalerhebung für 1939 war bereits umfassend vorbereitet worden:96 Der detaillierte handschriftliche Erhebungsplan mit den Branchen und der voraussichtlichen Zahl der zu erfassenden Betriebe und den ausführlichen Fragebögen zur Produktionserhebung in der gewerblichen Wirtschaft für das Kalenderjahr 1939 trägt den Genehmigungsstempel des Statistischen Zentralausschusses vom 13. März 1939.97 Für die Ausarbeitung des Gesamtplans war eine vierköpfige Kommission zuständig gewesen, in der Langelütke98 (Referat: Wehrwirtschaftliche Planung) und Werner
Darüber hinaus wurden auch Karten mit Räumungszonen und der Klassifizierung kriegswirtschaftlicher Gebiete ausgearbeitet. BA R3102 5875. Kurz nach Kriegsbeginn, am 30.10.1939, kam es zu einer Besprechung zwischen dem Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft (GBW = RWM) und dem RWP über „eine Erweiterung des Freimachungsgebietes“. Das RWP hatte u. a. militärisch wichtige Produktionsanlagen erfasst, die gegebenenfalls zu verlagern wären (BA R3102 3095). Siehe Räumungstabellen, in denen auch detailliert für einzelne Orte „die zum Abtransport bestimmte Bevölkerung“ aufgelistet war, BA R3102 4135. 92 Tooze 2001, S. 228. 93 Siehe die vom RWP erstellten Unmengen von Industriebilanzen für 1936 (BA R3102 6228, 6227, 6229, 6230), die im Laufe des Jahres 1938, also zwei Jahre nach dem Erhebungsjahr, fertig geworden waren. Im Wagenführ-Archiv (WABW N10 Bü36) liegt der 39 Seiten lange Bericht des Referats Rohstoffversorgung über die Bilanzen 1936 des RWP vom Dezember 1938, allerdings ohne Anlagen mit den ausgearbeiteten Bilanzen. Fertiggestellte Bilanzen nach Bezugsjahren: 1933 228; 1934 14; 1935 37; 1936 384. „Für 1937, für das nur Zwischenerhebungen durchgeführt wurden, ist mit etwa 200 Bilanzen zu rechnen.“ (ebd. S. 4). Zu den „Rohstoffplänen für den Mob-Fall […] Berichterstatter: Ob.-Re.-Rat Dr. Langelütke“ vom 6.12.1938 siehe BA R3102 4165 F 1–13. Siehe die Abbildungen 1 und 2 für Holz 1933 und Eisen u. Stahl 1936. 94 BA R3102 3070, detaillierte Zusammenstellung auf vier Seiten mit dem Monatsbedarf und den Wehrmachtsvorräten von ca. 50 Rohstoffen vom 5.8.1938; Werner 1958, S. 18. Siehe auch die aufwändige Ausarbeitung der Mob-Bilanz für Zement 1939/40, BA R3102 5959. 95 Siehe auch den Vermerk über die Aufgaben des RWP im Mob-Fall, Besprechung zwischen dem RWM und dem RWP vom 21.9.1938, BA R3102 3045 F 12. 96 Der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft (GBW) hatte den Umfang der Erhebung mit einer Verfügung vom 5.7.1939 bereits festgelegt, BA R3102 3090 F 63. 97 Erhebungsplan Mai 1938, BA R3102 3618 F 1–8. Fragebogen, BA R3102 4164 F 69–80. Verfügung, BA R3102 3618 F 44 f. mit RS. Zu den Plänen des RWP siehe ebenfalls BA R3102 3596 F 28. Ursprünglich war diese Erhebung bereits für 1938 geplant worden, BA R3102 3090 F 1–16 mit Erhebungsplan. 98 Siehe die biografische Skizze im Anhang. 91
Der Industriezensus von 1933 und der Arbeitsplan von 1934
Abb. 2 Flussdiagramm: Eisen und Stahl 1936 Quelle: BA R3102 6255
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(Referat: Allgemeine Auswertung) saßen.99 Trotz dieser akribischen Vorbereitung im RWP kam diese weitere Generalerhebung nach 1936 nicht mehr zustande. Der Kriegsbeginn, aber auch die Rivalität zwischen dem StRA und dem RWP, vereitelten die Durchführung.100 Das StRA konnte über den unter seiner Federführung stehenden Statistischen Zentralausschuß nicht genehme statistische Erhebungen blockieren.101 Auf der anderen Seite erhielten die privaten Wirtschaftsorganisationen (Ringe, Ausschüsse, Arbeitskreise, Reichsstellen etc.) die Erlaubnis zu sehr vielen Befragungen.102 Die im Arbeitsplan von 1934 avisierten Zwischenerhebungen wurden systematisch ausgebaut:103 Das StRA bzw. RWP zeichnete für die produktionsstatistischen Jahreserhebungen verantwortlich, während die kurzfristigen, meistens monatlichen, Statistiken von den Fachabteilungen der Reichsgruppe Industrie zusammengestellt wurden. Die Zahl der von der Jahreserhebung erfassten Betriebe, 1937 waren es rund 58.000, stieg ständig an: „Von den 321 den Generalerhebungen unterliegenden Industriezweigen wurden für 1935 bei 92 und für 1937 bei 128 (1938 bei 145) Jahreserhebungen durchgeführt.“104 Der Erfassungsgrad sank, je höher ein Betrieb nach der Produktionsstufe angesiedelt war; umfassend wurden folglich vor allem Roh- und Grundstoffindustrien einbezogen.105 Das RWP bzw. die Abteilung VIII des StRA stellten die
BA R3102 3618 F 10. Siehe in derselben Akte auch die ausführliche Begründung im Schreiben des RWP an den Führungsstab GBW (RWM) vom 31.3.1939, ebd. F 21–23 mit RS. 100 Nach Tooze (2001, S. 242–245) soll es fundamentale Konflikte gegeben haben. Lediglich Gerangel, aber keine fundamentale Auseinandersetzung, zeigte sich jedoch z. B. in der umfangreichen Korrespondenz über die Zuständigkeit bei nicht-amtlichen Erhebungen Ende 1938/Anfang 1939 bei der Uhrenindustrie, BA R3102 3471 F 1–17. Zum Handel vgl. BA R3102 3572 F 1 f. Auch nach dem Sitzungsprotokoll des Statistischen Zentralausschuss kurz vor Kriegsbeginn vom 25.8.1939 wurde die bereits genehmigte Generalerhebung als solche nicht in Frage gestellt: Leisse und Grävell, der den Vorsitz führte, diskutierten mit den Branchenvertretern (Mühlenindustrie) lediglich, wie unterschiedliche Ansprüche an die parallelen Erhebungen zu koordinieren seien. Ein fundamentaler Dissens lässt sich mit der Quelle folglich nicht belegen, BA R3102 8916 F 1–8. 101 Der Ausschuss war im Februar 1939 geschaffen worden, um den Wildwuchs statistischer Erhebungen drastisch zu beschneiden. Wietog (2001, S. 68) spricht vom „Drang der Nationalsozialisten, alles und jedes zu erfassen und auf Karteikarten festzuhalten“. Schon vor 1939 hatte es Maßnahmen gegen den Erhebungsdrang gegeben. Siehe Details bei Reichardt 1940, S. 87 ff.; Rompe 1940, S. 514 f.; Tooze 2001, S. 239 ff.; Wietog 2001, S. 243. Siehe die entsprechenden Verordnungen in BA R3102 2945 F 1 ff. Im Bestand des Bundesarchivs zum StRA (R3102) finden sich unter anderen Archivnummern weitere umfangreiche Akten zur Tätigkeit des Zentralausschusses, die ich gesichtet habe, aber hier nicht weiter aufführe. 102 Im Jahr 1944 umfasste der genehmigte Katalog zehn eng beschriebene Seiten, BA R3102 10961 November 1944. Ähnlich umfangreich war das Verzeichnis für 1943, BA R3102 2948 F 22–31. Dort auch (F 32–47) die Korrespondenz zu einzelnen Genehmigungen in den Jahren 1940 und 1941. Allein im Juli 1943 waren 41 Erhebungen genehmigt worden, BA R3102 3343. 103 Von Roeder 1940, S. 1017 f. 104 Von Roeder 1940, S. 1017. 105 Von Roeder (1940, S. 1020 ff.) markierte mit Stern die Zweige aus dem Gesamtverzeichnis zum Erhebungsplan 1936, die danach jährlich erhoben wurden. 99
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Monatszahlen der Reichsgruppe Industrie, fast bis zum Kriegsende lückenlos, systematisch in tabellarischen Übersichten für alle erfassten Industriezweige zusammen.106 Die Wirtschaftsstatistiken dienten bereits 1937 unter Federführung von Leisses Abteilung zusammen mit dem Reichskriegsministerium als Grundlage für kriegsstrategische Szenarien.107 Im Bericht über das Manöver im Mai 1937 heißt es (Vermerk des StRA Abteilung VII vom 9. August 1937) im ersten Satz: „Das im Mai d. Js in Godesberg abgehaltene wehrwirtschaftliche Kriegsspiel verfolgte den Übungszweck, den Teilnehmern vor Augen zu führen, dass im Totalkrieg der Zukunft das Handeln der militärischen Führung in hohem Masse auch von wirtschaftlichen Momenten beeinflusst wird.“ Zweimal ist vom ‚totalen‘ Krieg die Rede. Folgende Verknüpfungen zwischen Krieg und (Regional-)Wirtschaft wurden hergestellt: „Ein Verlust des Ruhrgebietes und Süddeutschlands würde wegen des damit verbundenen Ausfalls der wichtigsten wehrwirtschaftlichen Versorgungsbetriebe und Rohstoffquellen dem Verlust des Krieges gleichkommen.“ Die Ausschaltung des sächsischen Industriegebiets würde zwar bei weitem nicht die Auswirkungen nach sich ziehen wie die des Ruhrgebiets, ein Ausfall der Region um Halle und Leipzig jedoch sei mit dem des Ruhrgebiets durchaus vergleichbar. „Beim Eindringen in feindliche Gebietsteile“ war „eine organisierte Ausplünderung dieser Gebiete“ vorgesehen.108 Auch wurden Maßnahmen diskutiert wie die Verlegung von Betrieben oder deren Unbrauchbarmachung im Falle einer Besetzung. Mehrfach wurde die Bedeutung der Statistik hervorgehoben, zum Beispiel bei der Beschreibung des Vorlieferantenproblems.109 Ohne zu erläutern, was sich dahinter verbirgt, galt die Methode Bader als brauchbare Darstellung der deutschen Statistik für den kriegswirtschaftlichen Zweck. Im nächsten Absatz heißt es weiter: „Bereits ohne die Vollendung dieser Unterlagenbeschaffung [Meth. Bader] steht jedoch fest, dass unsere wehrwirtschaftliche Lage zur Zeit nicht die Möglichkeit bietet, einen längeren Krieg mit Erfolg durchzuhalten, sondern dass unsere Erfolgsaussichten allein in den ersten Kampfwochen liegen, in denen die vorhandene Bevorratung den Nachschub sichert.“ So lagen nicht nur der Kriegsvorbereitung an sich, sondern selbst einer Entscheidung für die Strategie des Blitzkriegs wirtschaftsstatistische Vorüberlegungen zugrunde.110 Siehe z. B. Monatszahlen über die industrielle Produktion Mai bis August 1939, 13 Seiten mit Zahlen nur in physischen Größen, d. h. keine Werte, BA R3102 6056. In derselben Akte und in den Folgeakten (BA R3102 6057–6060) sind weitere monatliche Erzeugungs- und Absatzzahlen bis Dezember 1944 verzeichnet. Bei diesen Zusammenstellungen handelte es sich nicht um die ähnlich aufgebauten, allerdings kompakteren, Statistischen Schnellberichte, die für einen engeren politischen Führungskreis u. a. für Hitler bestimmt waren. Den Hinweis auf die Monatszahlen erhielt ich von Arnd Plagge. 107 BA R3102 3001. 108 So geschah es in der Tat. Siehe den von Scherner und White (2016) herausgegebenen Sammelband mit den umfassenden Länderstudien. 109 BA R3102 3001, S. 6. 110 Ob diese Überlegungen für die spätere Kriegsstrategie ausschlaggebend waren, steht hier nicht zur Debatte. Siehe dazu zusammenfassend Tooze (2005, S. 440 ff.) und Spoerer/Streb (2013, S. 180 ff.). 106
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Der 1936er Zensus eignete sich deshalb für die kriegswirtschaftliche Planung, weil z. B. der mengenmäßige Verbrauch über mehrere Produktionsstufen erfasst werden konnte. Wie wichtig dies war, zeigt ein Schreiben des Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft (GBW) vom 5. Dezember 1938 an das Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung (RWP). Danach wurden für die Exportplanung die Verbrauchsmengen sämtlicher Roh- und Hilfsstoffe zur Erzeugung der Ausfuhr über mehrere Produktionsstufen erfasst.111 Der deutsche Außenhandel im Kriegsfall war der Titel einer mehr als hundertseitigen akribischen Ausarbeitung des RWP mit vielen Tabellen. Der Außenhandel wurde zudem mit verschiedenen Szenarien verknüpft: Z. B. wurde die Einfuhrbilanz mit und ohne Sowjetunion als Feind erörtert.112 Mithilfe der ungemein umfangreichen Länderberichte des RWP z. B. über die Wirtschaftsstruktur der Niederlande von November und Dezember 1939 wurde für den Kriegsfall das Ausbleiben von Futtermitteleinfuhren und die Zufuhr von Brotgetreide diskutiert.113 Das Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung und die veröffentlichte Version des Industriezensus von 1936
In einschlägigen Publikationen zur Wirtschaftsgeschichte der nationalsozialistischen Periode wird das Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung (RWP) überhaupt nicht oder nur beiläufig erwähnt.114 Allein mit seiner relativ kurzen Existenz als selbstständige Institution, von März 1938 bis Juni 1940, erklärt sich diese Vernachlässigung wohl nicht. Hinzu kommt, dass es vorher und danach als Abteilung in das StRA eingebettet war, also in eine Institution, die zwar mehr Personal als das ihm übergeordnete RWM umfasste,115 jedoch in den einschlägigen Publikationen stiefmütterlich behandelt wird.
BA R3102 3095. BA R3102 3149; BA R3102 3149. Siehe die mit zahlreichen Karten und Tabellen versehenen Berichte, BA R3102 3121 und 3122. Petzina 1968; Eichholtz 1971; Herbst 1982; Boelcke 1983. Petzina (1968, S. 71) erwähnt kurz, allerdings unter dem falschen Namen „Reichsstelle“ statt „Reichsamt“, dass „die Erhebung von 1936 […] als Grundlage für die industriellen Vierjahrespläne und die Kriegswirtschaftspläne für 200 Materialien“ diente. Die „Gesamtplanung des Vierjahresplanes“ (BA R3112 199) vom 27.5.1937 enthält in der Tat z. B. eine detaillierte Zahlenprojektion über die Investitionen, Rohstoffe und industriellen Erzeugnisse 1937 bis 1940 mit 1936 als Referenzjahr. Es wäre allerdings erstaunlich, wenn die detaillierten Zahlen für 1936 schon aus der 1936er Erhebung stammten, denn die Daten wurden erst 1937 gesammelt. Allerdings gab es schon zu der Zeit einen dichten Informationsfluss von Leisses Abteilung Industriestatistik zu Görings Stab der Vierjahresplan-Behörde. Siehe Tooze 2001, S. 220. 115 Das RWP bzw. die Abteilung VII des StRA war „der Aufsicht des Reichswirtschaftsministers unmittelbar unterstellt“ (BA R3102 10003 F 31 RS). 1939 waren im StRA 3.689 und im RWP 592 Personen fest beschäftigt (Tooze 2001, S. 228). Nach dem Kriegsgeschäftsverteilungsplan (BA R3102 3079) waren im RWP dem Amtsleiter (Dr. Leisse, Direktor) und seinem Stellvertreter (Dr. Stehen Meyer, ORR) drei Personen direkt unterstellt: Langelütke, Frhr. von Roeder und Werner. Zum Verzeichnis der Sachbearbeiter des RWP (Stand August 1938) siehe BA R3102 4164 F 62–64. Langelütke und Werner leiteten als Referenten jeweils 111 112 113 114
Das Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung
Ohnehin scheint die Verzahnung des StRA mit der Kriegswirtschaft bei breiter angelegten Arbeiten zur nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik bisher nicht erkannt worden zu sein. In der Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Statischen Reichsamts mit seiner Nachfolgeorganisation in der Bundesrepublik qualifizierte Fürst das wehrwirtschaftliche Planungsamt verschwommen als etwas „außerhalb des Statistischen Reichsamts“. Ganz unerwähnt konnte man es nicht lassen, weil ihm die innovative Weiterentwicklung der Industriestatistik in den 1930er Jahren zu danken ist.116 Die Vernachlässigung des RWP könnte auch damit zusammenhängen, dass man es nach Tooze letztlich als gescheitert sehen müsse.117 In der Tat kam die unter Leisses Federführung vom RWP geplante erneute Generalerhebung der deutschen Industrie für 1939 nicht zustande, und zudem verlor das RWP mit der Reintegration in das StRA seinen Status als gleichrangiges Reichsamt. Dort wurde es wieder als Abteilung der Industriellen Produktionsstatistik (statt VII jetzt VIII) geführt.118 Sowohl inhaltlich nach dem Aufgabengebiet Industrielle Produktionsstatistik als auch personell mit Leisse und Werner gab es jedoch trotz wechselnder organisatorischer Hüllen eine ungebrochene Kontinuität.119 Hierzu war schon die Anordnung des RWM vom 6. August 1938 eindeutig, die sämtliche Erlasse und Verordnungen, die zuvor über produktionsstatistische Erhebungen und Meldepflichten zugunsten des StRA ergangen waren, auf das RWP übertrug: Das Reichsamt für wehrwirtschaftliche Planung führt die Arbeiten der bisherigen Abt. VII des Statistischen Reichsamts in vollem Umfange fort. Es hat demgemäß die produktionsstatistischen Erhebungen auf dem gesamten Gebiet der Industrie sowie die wehrstatistischen Vorratserhebungen bei Handwerk, Handel und Lagereigewerbe weiterzuführen. Zu diesem Zweck übertrage ich die Befugnis zur Anwendung der Verordnung über Auskunftspflicht vom 13. Juli 1923 […] auf das Reichsamt für wehrwirtschaftliche Planung. Meine Erlasse vom 5. Januar 1935 […] an sämtliche Überwachungsstellen und vom 3. Mai
zwei der zwanzig Fach- bzw. Sonderreferate, Werner das Sonderreferat Allgemeine Auswertung der Produktionsstatistik, Produktionsindex und das Fachreferat Papierindustrie, Lederindustrie. Als wiss. Hilfsarbeiter beim Fachreferat Nahrungs- und Genußmittelindustrie wurde „Dr. Gleitze“ aufgeführt. 116 Statistisches Bundesamt 1972, S. 47, 51. 117 Tooze (2001, S. 222–247) hat sich eingehend mit dem RWP beschäftigt. 118 Im Erlass des RWM vom 23.3.1938 mit Wirkung zum 1.4.1938 wurde die Abteilung VII des StRA (Industrielle Produktionsstatistik) zum RWP; mit dem Erlass des RWM vom 5.5.1940 wurde das RWP wieder als Abt. VIII (Industrielle Produktionsstatistik) in das StRA eingegliedert (BA R3102 3045). Tooze (2001, S. 222) verweist auf dieselbe Quelle. Nach Wietog (2001, S. 243) basierte die Verselbstständigung der Abt. VII allerdings auf einem Führererlaß vom 31.10.1938. Zur Namensgebung siehe R3102 3045 F 2 f.; zur Wiedereingliederung siehe die Verfügung des Präsidenten des StRA vom 4.6.1940 ebd. F 21. 119 Zur inhaltlichen Abgrenzung zwischen den StRA und dem RWP siehe den Erlass des RWM vom 6.8.1938, BA R2102 3045 F 4. In seiner Verfügung vom 13.6.1938 hatte der Präsident des StRA geregelt, dass die „Angelegenheiten der industriellen Produktionsstatistik […] für den Bedarf des Statistischen Reichsamts bis auf weiteres im Geschäftsbereich der Abteilung VI [Allgemeine Wirtschaftsstatistik, Abteilungsleiter Bramstedt] bearbeitet“ werden. „Direktor Dr. Bramstedt, an den sämtliche Anfragen der Abteilung aus dem fachstatistischen Gebiete der industriellen Produktionsstatistik zu richten sind, vermittelt auch den Verkehr mit Direktor Dr. Leiße.“ BA R3102 10003 F 31 RS.
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1935 […] an die Reichswirtschaftskammer (betreffend Meldung von Erhebungen) gelten, soweit sie sich auf die industrielle Produktionsstatistik beziehen, sinngemäß nunmehr für den Leiter des Reichsamts für wehrwirtschaftliche Planung. Im Zusammenhang damit haben entsprechend meinen Erlassen vom 20. Februar 1937 […] und vom 27. April 1937 […] die Überwachungsstellen und Wirtschaftsorganisationen die Ergebnisse der von ihnen durchgeführten Erhebungen, soweit es sich um Ergebnisse industrieller Produktionsstatistik handelt, nunmehr dem neuen Amt regelmäßig zu liefern.120
Weiterhin verordnete der RWM das Prinzip der Reziprozität zwischen dem RWP und dem StRA: So müsse das „neue Amt“ dem StRA die „erforderlichen Unterlagen“ für die „amtlichen Veröffentlichungen und sonstigen dienstlichen Zwecke […] auf dem Gebiet der industriellen Produktionsstatistik, auch soweit sie intern noch nicht veröffentlicht sind, zur Verfügung stellen.“ Umgekehrt galt dasselbe für das StRA. Die Abteilungen VII und VIII des StRA auf der einen und das RWP auf der anderen Seite müssen als funktionale Äquivalente für den wirtschaftsstatistischen Input zur kriegswirtschaftlichen Lenkung gesehen werden.121 Wird Leisses Aufbau der wirtschaftsstatistischen Infrastruktur für die Kriegswirtschaft nicht mehr rechtlich-institutionell, sondern materiell-funktional beurteilt, kann keine Rede von einem Scheitern sein. Dem StRA bzw. dem RWP fehlte vorerst jedoch die adäquate Nachfrage nach seinem Produkt. Die wurde erst geschaffen, als Kehrl die Industrieabteilung des DIW unter der Leitung von Rolf Wagenführ für die Organisation der Planstatistik zunächst in das RWM und schließlich mit dem Planungsamt in das Speersche Rüstungsministerium einband. Dann brachte letztlich die Statistische Leitstelle des StRA als organisatorisches Scharnier zwischen dem Planungsamt und dem StRA das nach jahrelangen Vorarbeiten aufgebaute Angebot wirtschaftsstatistischer Expertise mit der Nachfrage von Wagenführs Abteilung im Planungsamt adäquat zusammen.122 Im Kern fungierte die Leitstelle als erfolgreiches Exekutivorgan des RWP bzw. der Abteilung Industrielle Produktionsstatistik des StRA.123 Allerdings stünde dann Kurt Werner, und nicht mehr Wilhelm Leisse, für die fachliche und personelle Kontinuität. Das wichtigste Produkt, das mit dem Namen des Reichsamts für Wehrwirtschaftliche Planung verknüpft wurde und wird, war die im Jahre 1939 veröffentlichte Auswer-
BA R3102 10003 F 64. BA R3102 4161 (Brief StRA an RWM) enthält ein Verzeichnis der bereits 1938 erstellten Industriebilanzen und Schaubilder. 122 Zur gleichen Zeit, als Speer das Planungsamt einrichtete, erteilte RWM Funk am 10.9.1943 seine Anweisung zur „Errichtung einer Statistischen Leitstelle für die Lenkungsbereiche beim Statistischen Reichsamt“, siehe den Brief Funks an den Präsidenten des StRA Godlewski, BA R3102 3589 F 48. 123 So kann auch Werners (1958, S. 19) kurzer Absatz über die „Industriestatistik im Kriege“ interpretiert werden, den er 1957/58, also lange nach dem Krieg, geschrieben hatte. In der zweiten Auflage seines Buches (Werner 1965, S. 17) ist der korrespondierende Absatz allerdings merklich kürzer. Seine eigene Führungsfunktion in der Leitstelle erwähnt Werner nicht. 120 121
Das Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung
tung des Industriezensus von 1936. Leisse war als Leiter des RWP verantwortlich für die Publikation, während er „Dr. Werner“ und „Dr. Römermann“ als Bearbeiter nannte.124 Im Vorwort der „Gesamtergebnisse der amtlichen Produktionsstatistik – Die Deutsche Industrie“ wird die militärpolitische Bedeutung des Industriezensus von 1936 unverblümt ausgesprochen: Die Erhebung aus dem Stichjahr 1936 diene zur planwirtschaftlichen Vorbereitung des Krieges. Im zweiten Absatz des Vorwortes heißt es: Im Zuge der Wiederaufrüstung Deutschlands traten dann die wehrwirtschaftlichen Gesichtspunkte immer mehr in den Vordergrund. Wie die Erfahrungen des Weltkrieges gezeigt haben, ist gerade für ein Land wie Deutschland eine rechtzeitige Klärung der wirtschaftlichen Probleme für den Ausgang eines Krieges von entscheidender Wichtigkeit. Auch besteht kein Zweifel darüber, daß angesichts unserer rohstoffwirtschaftlichen Lage eine etwaige Kriegswirtschaft für Deutschland in hohem Grade planwirtschaftlichen Charakter tragen muß und daß ihre Vorbereitung daher zu einem wesentlichen Teil auch auf gründlicher statistischer Planungsarbeit fußen muß.125
Zu fragen bleibt allerdings, warum derart heikle Daten nicht geheim gehalten werden mussten. Das Vorwort begründet die Veröffentlichung der Ergebnisse damit, dass die sehr eingehenden Erhebungen den Industriefirmen erhebliche Opfer und Mühen abverlangt hätten, so dass der Wunsch nach Bekanntgabe zumindest summarischer Ergebnisse verständlich sei. Obwohl der Schwerpunkt naturgemäß bei den der Öffentlichkeit entzogenen wehrwirtschaftlichen Auswertungsarbeiten liege, böten sich wegen der eingehenden Erhebungsweise auch für rein volkswirtschaftliche Fragen etliche wertvolle Ergebnisse. Daher sei eine Veröffentlichung von Teilausschnitten gerechtfertigt.126 Im Vorwort wird also klar ausgesprochen, dass die wehrwirtschaftlich sensiblen Daten nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Trotz der offen zugegebenen teilweisen Geheimhaltung war die Veröffentlichung des Rests nicht unumstritten. In der archivierten Akte (Beschränkungen und Verbote von Statistischen Veröffentlichungen wirtschaftlicher Art) wird dokumentiert, dass das Oberkommando der Wehrmacht dem Reichsamt vorwarf, Geheimnisse preisgegeben zu haben und forderte es auf, die publizierten Daten einzuziehen. In dem Briefwechsel zwischen Reichsamt und Oberkommando wies Leisse als Leiter des Reichsamts diese Vorwürfe zurück.127 Er hob hervor, dass vor allem durch die Zusammenfassung vergleichbarer Industriezweige die Leistungsfähigkeit einzelner unkenntlich gemacht sei. Es lägen viel detailliertere Daten vor, und im Übrigen seien die meisten der moReichsamt 1939, Vorwort. Werner hatte auch die Federführung für die im Frühjahr 1938 geplante Schriftenreihe. Nach Bd. 1 zur gesamten Industrie sollten Monografien zu den einzelnen Industriegruppen folgen (BA R3102 4164 F 103). Siehe ausführlicher zur Diskussion der Veröffentlichung Fremdling/Stäglin 2003 und 2012. 125 Reichsamt 1939, Vorwort. 126 Reichsamt 1939, S. 5. 127 BA R3102 3082 Brief vom 18.8.1939, Antwort Leisses vom 25.8.1939. 124
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Die Mitwirkung des Statistischen Reichsamts an der Vorbereitung des Krieges
nierten Ergebnisse über einzelne Industriezweige schon vom Statistischen Reichsamt veröffentlicht worden. In derselben Akte wird belegt, dass das Reichswirtschaftsministerium aus kriegswirtschaftlichen Gründen immer weitergehende Anordnungen traf, um die Publikation statistischer Daten zu verbieten.128 Diese einzige Veröffentlichung des Reichsamts durfte ohnehin nicht mehr im Ausland vertrieben werden und war seit dem 10. Februar 1940 nur noch öffentlichen Stellen zugänglich.129 So gab es zwar erschwerte Publikations- und Zugangsbeschränkungen für Statistiken generell, doch untersagte das Reichswirtschaftsministerium, gefälschte Daten zu veröffentlichen. In den Richtlinien von Februar 1939 heißt es: „Dennoch sollen sämtliche Veröffentlichungen nach wie vor der Wahrheit entsprechen. In Zweifelsfällen soll die Veröffentlichung statistischer und sonstiger Angaben eher unterbleiben als daß falsche Angaben gemacht werden.“130 Wie steht es nun um den Wahrheitsgehalt der Veröffentlichung, deren Daten nach dem Krieg häufig unkritisch übernommen wurden? Wurden Ergebnisse des Industriezensus nicht vielleicht verschleiert oder doch gar verfälscht dargestellt? Nach den umfangreichen Archivrecherchen von Fremdling/Stäglin sind die unveröffentlichten Materialien des Industriezensus von 1936 im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde auf detaillierter sektoraler Ebene für 29 Industriegruppen, untergliedert nach 326 Industriezweigen, dokumentiert.131 Tabelle 1 stellt die Beschäftigungsdaten und die Produktionsgrößen als Bruttowertschöpfung bzw. Nettoproduktionswert für die Industriegruppen im Quellenvergleich zusammen. Der Desinformation dienten mehrere Strategien: 1. Verschweigen: In der Veröffentlichung erscheinen an keiner Stelle die Importe, obwohl sie bei den Betrieben detailliert für jedes im Produktionsprozess verwendete Produkt erhoben wurden. In den internen Zusammenfassungen bzw. aggregierten Größen für die Industriezweige und -gruppen hat das Statistische Reichsamt sie explizit ausgewiesen. Die Importabhängigkeit der deutschen Industrie war natürlich kriegsstrategisch sensibel und spielte bei der statistischen Simulierung des Mobilisierungfalles in den „wehrwirtschaftlichen Kriegsspielen“, also den Manövern, eine wichtige Rolle.132 Gleichfalls bleiben die erhobenen Vorräte unveröffentlicht. Und die Beschäftigtenzahlen erscheinen nur für den Stichmonat Juni, nicht aber für den ebenfalls erfassten Dezember.
Das Veröffentlichungsverbot vom 2.10.1939 galt „für alle Darstellungen bis zurück zum August 1914“. BA R3102 3082. Den vorliegenden ersten Band und einen weiteren in der Schriftenreihe, der allerdings nicht zustande kam, hatte der Generalbevollmächtigte der Wirtschaft (GBW), also der RWM, mit seinem Schreiben vom 17.1.1939 an das RWP genehmigt, BA R3102 4164 F 102 RS. 129 BA R3102 3082 F 49, Schreiben des RWP an den Verlag vom 10.2.1940. 130 BA R3102 3082 F 9, Schreiben des Reichswirtschaftsministers an die Reichswirtschaftskammer vom 13.2.1939. 131 Ausführlich dazu Fremdling/Stäglin 2014a. 132 Siehe hierzu Fremdling/Stäglin 2003, S. 427, mit den Quellenhinweisen zu den Archivalien im Bundesarchiv. Weiterhin vgl. Fremdling 2005. 128
Das Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung
Tab. 1 Beschäftigung und Produktion der deutschen Industrie 1936 Beschäftigung
Bruttowertschöpfung/ Nettoproduktionswert
1000
1000 RM
Publikation
Archiv
Abweichung Publ. =100
Publikation
Archiv
Abweichung Publ. =100
565,7
579,2
102,4
2234,8
2222,5
99,5
29,4
36,7
124,9
245,0
274,0
111,8 105,7
1
Bergbau
2
Kraftstoffindustrie
3
Eisenschaffende Industrie
201,6
205,7
102,0
1173,6
1240,0
4
Nichteisenmetallindustrie
74,8
76,6
102,4
536,3
517,6
96,5
5
Gießerei-Industrie
173,6
179,1
103,2
710,6
710,5
100,0
6
Eisen- u. Metallwarenindustrie
440,0
453,4
103,0
1790,3
1776,7
99,2
7
Maschinenbau
556,6
572,8
102,9
2615,3
2562,2
98,0
8
Stahl- u. Eisenbau
146,4
149,6
102,2
558,2
556,3
99,7
9
Fahrzeugindustrie
166,5
302,3
181,5
836,4
1358,0
162,4
10
Elektroindustrie
294,2
309,8
105,3
1502,6
1464,1
97,4
11
Feinmech. u. optische Industrie
97,1
100,4
103,4
367,8
370,2
100,7
12
Metallwarenind. u. verwandte Gewerbe
223,1
228,0
102,2
771,1
733,6
95,1
13
Industrie der Steine u. Erden
406,2
360,5
88,8
1231,1
1218,4
99,0
14
Keramische Industrie
87,5
88,6
101,3
255,3
248,4
97,3
15
Glasindustrie
73,6
74,4
101,0
237,5
233,2
98,2
16
Sägeindustrie
107,5
101,4
94,3
316,3
343,3
108,5
17
Holzverarb. Industrie
256,3
262,3
102,4
720,8
708,4
98,3
18
Chemische Industrie
181,0
177,7
98,2
1533,9
1514,8
98,8
19
Chemisch-technische Industrie
90,4
87,6
97,0
742,1
721,8
97,3
20
Kautschukindustrie
57,1
58,1
101,7
270,4
304,9
112,8
21
Papier-, Pappe-, Zellst.u. Holzstoffind.
99,9
100,2
100,3
461,5
463,3
100,4
22
Druck- u. Papierverarb. Industrie
283,6
287,8
101,5
1001,5
1026,2
102,5
23
Lederindustrie
196,0
196,9
100,4
647,4
680,3
105,1
24
Textilindustrie
911,7
914,3
100,3
2839,7
2828,1
99,6
25
Bekleidungsindustrie
229,7
233,2
101,5
754,0
776,7
103,0
26
Ind. d. Öle u. Fette, Futterm. u. tier. Leime
38,0
37,9
99,7
402,8
726,2
180,3
27
Spiritusindustrie
28
Nahrungs- u. Genußmittelindustrie
29
Bauindustrie und sonstige Industriezweige
30
Energiewirtschaft Insgesamt
Quelle: siehe Fremdling/Staeglin 2014a
29,4
25,9
87,9
228,6
207,4
90,7
549,7
513,2
93,4
2961,5
3182,7
107,5
1220,0
1075,7
88,2
4267,0
3634,0
85,2
163,8
180,9
110,4
1972,1
1876,4
95,1
7950,2
7970,2
100,3
34185,5 34480,4
100,9
57
58
Die Mitwirkung des Statistischen Reichsamts an der Vorbereitung des Krieges
2. Aggregation: Auf diese Strategie verwies schon der Leiter des Reichsamtes, Leisse, zur Entkräftung der Anschuldigungen des Oberkommandos der Wehrmacht. So wird die Produktion der kriegswichtigen eisenschaffenden Industrie nur als Aggregat angegeben, das die Angaben der unveröffentlichten Zählungen bei den einzelnen Betriebsstätten auf mittlerer Ebene zu vier Industriezweigen oder Subsektoren (Hochofenwerke – E1, Flussstahlwerke – E2, Schweißstahlwerke – E3 und Warmwalzwerke – E4) zusammenfasst. Noch ausgeprägter ist die verschleiernde Aggregation bei der chemischen Industrie: Auf mittlerer Ebene wurden 38 Subsektoren unterschieden, während sie sich in der veröffentlichten Version auf lediglich sieben Subsektoren aggregiert wiederfinden.133 Zur chemischen Industrie gehören die Sprengstoffindustrie und die Herstellung von Zündstoffen und Sprengkapseln. Mit der Kategorie „Bauindustrie und sonstige Industriezweige“ kam allerdings eine zusätzliche Industriegruppe hinzu. Die Bauindustrie selbst hingegen wurde gar nicht erhoben.134 So spiegelt die veröffentlichte Version scheinbar umfassende Informationen für Industriegruppen sowie die Feingliederung nach Industriezweigen lediglich vor. 3. Zahlenmanipulation: Gemäß der zitierten Richtlinie des Reichswirtschaftsministeriums sollten keine falschen oder erfundenen Zahlen veröffentlicht werden, doch können unvollständige oder fehlende Informationen durchaus irreführend sein. Vergleicht man die von Fremdling/Stäglin aus dem Archiv gewonnenen und aggregierten Zahlen135 mit denen der Veröffentlichung in Tabelle 1, so ergeben sich für die Industrie insgesamt zwar nahezu identische Werte. Anders aber sieht es bei den gruppierten Werten aus: Bei der Beschäftigung und der Produktion zeigen sich Abweichungen, manchmal sogar gegenläufige. Bei 13 Industriegruppen betragen die Abweichungen mehr als fünf Prozent.136 Da die Aggregate für die gesamte Industrie übereinstimmen,
Für die Gliederung in (Sub-)Sektoren siehe BA R3102 2994 und Reichsamt 1939, S. 50. „Über die Werte der Bauindustrie liegen allerdings nur rohe Schätzungen vor.“ Reichsamt 1939, S. 35. Unsere Verarbeitung der archivalischen Quellen konnten wir auf zweifache Weise kontrollieren: Einerseits verwendeten wir Originaldaten, die aus den Betriebsstättenerhebungen für Subsektoren in mehreren hundert einzelnen Quellenbeständen zusammengestellt wurden. Sie sind konform dem Fragebogen der Betriebsstätten eingetragen. Diese Daten benötigten wir, um die Vorleistungen den Sektoren zuzuordnen. Andererseits hat das Statistische Reichsamt (BA R3102 5922) zum internen Gebrauch selbst für alle Subsektoren aggregierte Kennziffern für z. B. Lohnsumme und Netto- bzw. Bruttoproduktion in einem einzigen Dokument zusammengefasst. Diese Daten sind nahezu identisch mit unseren Berechnungen. Für unsere Input-Output-Tabelle benötigten wir allerdings die zuvor erwähnten nicht-aggregierten Originaldaten für Subsektoren bzw. Industriezweige. Ferner wurden für unsere Input-Output-Tabelle die Klein- und Kleinstbetriebe hinzu geschätzt, die 1936 nicht erhoben worden waren. Hier haben wir dieselbe Methode angewendet, die das Statistische Reichsamt für seine volkswirtschaftliche Verflechtungstabelle vorhatte (siehe BA R3102 2705 F 41). Die Veröffentlichung des Reichsamtes zeigt detailliert auf, mit welchen – übrigens unterschiedlichen – Schwellenwerten Betriebe nicht erfasst wurden. Zu unserer Schätzung der Beschäftigten siehe Fremdling 2007. 136 Bei den hier nicht aufgeführten Werten für die Lohnsumme und für den Bruttoproduktionswert/ Absatz ergeben sich teilweise noch größere Abweichungen als in Tabelle 1 aufgeführt. 133 134 135
Das Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung
müssen die von uns ermittelten Abweichungen in jeweils anderen Industriesektoren kompensierend verborgen worden sein. Wir wissen jedoch nicht im Einzelnen, welchen anderen Sektoren diese Differenzen untergeschoben wurden. Den Schlupfwinkel für die Flugzeugindustrie hingegen hatten Fremdling/Stäglin entdeckt, bevor eine kaum bekannte Nachkriegspublikation von Werner – dem Bearbeiter der Veröffentlichung von 1939 – auftauchte, in der er die Verschleierung erläuterte. Zu seiner Umrechnung des 1936er Zensus auf das spätere Bundesland Niedersachsen bemerkte er: In dem Restposten ‚Bauindustrie und sonstige Industriezweige‘ mit dem erheblichen Nettoproduktionswert von 401 Mill. RM137 hat die Veröffentlichung der Produktionserhebung aus Tarnungsgründen mehrere in der bisher betrachteten Systematik fehlende und sehr verschiedenartige Industriezweige zusammengefaßt, insbesondere die Bauindustrie, die Luftfahrtindustrie und die Wasserwerke. Dieser Restposten hat also keinen selbständigen Erkenntniswert, sondern dient nur dazu, die Ergebnisse für die einzeln ausgewiesenen Industriezweige zu vervollständigen, so daß auch Summen für die gesamte Industrie gebildet werden können. Es ist daher auch unerheblich, daß die darin enthaltenen Zahlen für die Bauindustrie, deren Abgrenzung gegenüber dem sonstigen Baugewerbe ein schwieriges methodisches Problem gebildet hätte, im Unterschied von allen sonstigen Industriezweigen nicht auf der Produktionserhebung von 1936, sondern auf Schätzungen für diesen Zweck der Vervollständigung beruhen und demgemäß nur in grober Annäherung gelten. Bei der Verwendung des Restpostens ist jedoch zu beachten, daß die gesamte Flugzeugproduktion künftig durch die Siegermächte verboten ist.138
Bei der Veröffentlichung der Ergebnisse für die Flugzeugindustrie leuchtet die verschleiernde Absicht unmittelbar ein. Sie ist das wichtigste Beispiel dafür, dass Subsektoren mit ihrer Produktion und den Beschäftigtenzahlen unter irreführenden Aggregaten eingeordnet wurden. Nach der verwendeten Systematik gehören Flugzeuge zur Fahrzeugindustrie, jedoch umfasste der Flugzeugbereich schon im Juni 1936 mit 176.149 Personen mehr Arbeitskräfte als die veröffentlichten Zahlen für die gesamte Fahrzeugindustrie nachweisen.139 Das heißt, beim Bau von Flugmotoren und Flugzeugzellen arbeiteten bereits Ende Juni 1936 mehr Beschäftigte als in der gesamten Automobilindustrie des Deutschen Reichs.“140
Nur für Niedersachsen, Werner 1948, S. 61. Werner 1948, S. 59. Hervorhebung R. F. In Quelle BA R3102 5922 wird explizit auf die Verschleierung in der veröffentlichten Version hingewiesen. In der Veröffentlichung von 1939 umfasst die Fahrzeugindustrie lediglich die Kraftfahrzeugindustrie, die Herstellung von Kraftfahrzeuganhängern und Kraftfahrzeugaufbauten sowie die Fahrradindustrie und Herstellung von Kinderwagen. Reichsamt 1939, S. 46. 140 Vgl. BA R3102 5866, wonach Ende Juni 1936 im Flugzeugbereich 49.493 + 126.656 = 176.149 Personen beschäftigt waren, während die Veröffentlichung (Reichsamt 1939, S. 46, 132) für die Fahrzeugindustrie 137 138 139
59
60
Die Mitwirkung des Statistischen Reichsamts an der Vorbereitung des Krieges
Festzuhalten aber bleibt, dass die in der Flugzeugindustrie Beschäftigten im Aggregat keineswegs unterschlagen wurden, sondern, wie auch Werner schrieb, der Rubrik Bauindustrie und sonstige Industriezweige zugeschlagen wurden. Sie machten etwa 14 Prozent dieser Sammelkategorie aus. Weitere kleinere militärisch wichtige Industriezweige, die versteckt wurden, waren die Zündererzeugung, die Schusswaffenindustrie, die Herstellung von Zündstoffen und Sprengkapseln und die Sprengstoffindustrie.141 Neben dieser Manipulation zur Geheimhaltung statistischer Ergebnisse aus kriegsstrategischen Erwägungen gab es die für ein diktatorisches Regime typischen Eingriffe in die Veröffentlichungspraxis amtlicher Statistiken. Der Präsident des StRA, Reichardt, beklagte sich in einem internen Schriftsatz Anfang 1937 über „die zunehmende Einflussnahme politischer Stellen auf die Bekanntgabe statistischer Ergebnisse.“142 Reichardt arbeitete die politische Einflussnahme auf nicht nur die Wirtschaftsstatistiken in ihrer ganzen Spannweite heraus: In einer „Art Vorzensur“ verlange das „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“, also das Goebbels-Ministerium, „dass ihm die Druckfahnen der Halbmonatsschrift „Wirtschaft und Statistik“ vorher vorgelegt werden. Auf Grund freiwilliger Vereinbarung sind Pressenotizen über statistische Ergebnisse auch anderen Ministerien und Dienststellen vorgelegt worden. Wünsche, die sich auf einzelne Wendungen des die Zahlen begleitenden Textes bezogen, sind immer berücksichtigt worden. Neuerdings mehren sich aber die Fälle, in denen Wünsche auf Unterdrückung bestimmter Zahlen geäußert werden. So wurde kürzlich die Bekanntgabe der Zahlen über Ehescheidungen, ein anderes Mal über Selbstmorde beanstandet, weil diese Zahlen eine periodische Zunahme dieser Erscheinungen zeigten: das widerspreche der Linie der Regierungspolitik und namentlich Äusserungen, die früher einmal der Führer getan habe. […] Der Reichsführer SS. beansprucht, dass nur er die Zahlen über Strassenverkehrsunfälle, der Reichsfremdenverkehrsverband, dass nur er Zahlen über den Fremdenverkehr in seinen Organen veröffentlichen dürfe. Im allgemeinen Interesse notwendige Veröffentlichungen über die Methode des Lebenshaltungsindex und seine Unanfechtbarkeit müssen unterbleiben, weil der Hinweis auf auch im Index zum Ausdruck kommende Preissteigerungen dem Reichskommissar für die Preisbildung nicht erwünscht erscheint. Die Ergebnisse der vierteljährigen Lohnerhebungen sollen nicht mehr veröffentlicht werden, weil die Angaben über die Entwicklung der tatsächlichen Verdienste einmal unbequem werden könnten. Die Kriminalstatistik darf nicht mehr die vom Volksgerichtshof abgeurteilten Straftaten, also in der Hauptsache die Hoch- und Landesverratsverbrechen, ausweisen.143
166.534 Beschäftigte und für die Kraftfahrzeugindustrie lediglich 110.148 Beschäftigte zum Zähltermin Ende Juni 1936 angibt. 141 Siehe hierzu auch Sleifer 2001, S. 135. 142 BA Ko N1734 Bd.2, Aufzeichnung vom 31.3.1937 F 12 RS u. pass. 143 Ebd.
Inhalt und technische Details der industriellen Produktionsstatistik von 1936
Reichardt wies darauf hin, dass es nicht nur um die Priorität oder das Monopol der Veröffentlichung der Zahlen ging, sondern auch um verbrämende Begleittexte bis hin zur manipulativen Auswahl der Zahlen. Er führte Viehzählungsangaben an, die der Reichsnährstand vorzeitig bekannt gab, bei denen „durch tendenziöse Wahl der Vergleichszahlen das Resultat in sein Gegenteil verkehrt wurde“. Reichardt bedauerte zudem, dass „Zahlen über Russland […] am liebsten überhaupt nicht mehr veröffentlicht werden [sollten], besonders nicht, wenn sie einmal eine günstige Entwicklung anzeigen.“ Er verteidigte die wissenschaftliche Kompetenz seiner Mitarbeiter, denn „dem Statistischen Reichsamt stehen […] durch Gegenüberstellung und Vergleiche soviel Mittel zur Verfügung, die Wahrscheinlichkeit statistischer Zahlen über russische Verhältnisse nachzuprüfen, dass über wichtige Gebiete einwandfreies Material gegeben werden kann.“ Was ihm letztlich besondere Sorgen bereitete, war die gefährdete Reputation des StRA im In- und vor allem Ausland: Bisher ist in die Richtigkeit der vom Statistischen Reichsamt veröffentlichten Ergebnisse Zweifel kaum gesetzt worden, im Ausland hat nur die Emigrantenpresse die Objektivität des Amts hie und da angezweifelt; sonst wird der hohe Stand der deutschen amtlichen Statistik, ihre Vielseitigkeit, wissenschaftlich und methodisch einwandfreie Arbeit und ihre Objektivität unumwunden anerkannt. […] Auffällige Lücken in der Bekanntgabe von Zahlenreihen, schönfärberische Begleittexte, Veröffentlichungen anstatt durch das Statistische Reichsamt durch politische Behörden und ähnliches sind aber geeignet, das Ansehen der amtlichen Statistik zu beeinträchtigen, was nicht im Interesse der Staatsführung liegen kann; denn sie wird häufig in besonderem Mass Wert darauf legen müssen, dass die Objektivität ihrer statistischen Veröffentlichungen im In- und Ausland anerkannt bleibt.144
Vermutlich hat die veröffentlichte Version des Industriezensus von 1936 unverdient noch von dieser ungerechtfertigten Reputation auch in der Nachkriegszeit gezehrt. Inhalt und technische Details der industriellen Produktionsstatistik von 1936
Der Erhebungsplan der industriellen Produktionsstatistik – Generalerhebung für das Jahr 1936145 umfasste auf 70 großformatigen Seiten (DIN A3) jeweils 7 Rubriken (Spalten): Kennzeichen (1), genaue Bezeichnung des zu erhebenden Industriezweigs (2), systematische und methodische Abgrenzung der Erhebung146 (3), Zuordnung des BeEbd. Aufgestellt Mai 1937 in der Abteilung VII (Industrielle Produktionsstatistik), BA R3102 3036. Es geht um den Deckungsgrad („sämtliche“ oder Auswahlkriterium) und die inhaltliche Abgrenzung bzw. Zuordnung der zu erfassenden Betriebe nach Produkten. 144 145 146
61
62
Die Mitwirkung des Statistischen Reichsamts an der Vorbereitung des Krieges
triebes nach der Systematik der gewerblichen Betriebszählung 1933 (4), statistisches Warenverzeichnis (zugehörige Nummern für Erzeugnisse) (5), die zugehörige Fachorganisation der Wirtschaft mit der Nummer der Wirtschaftsgruppe (6) und der Fachgruppe bzw. Untergruppe (7). Die Industriezweige bzw. die übergeordneten Industriegruppen waren im StRA jeweils insgesamt 14 Fachreferaten zugeordnet. Ein Referent konnte bis zu drei Referaten zugeteilt sein. In diesem Erhebungsplan ging man zunächst von der Klassifizierung des Zensus von 1933 aus. Sie wurde im selben Jahr allerdings noch geändert, und in der systematischen Ordnung der Industriegruppen und –zweige für die industrielle Produktionsstatistik (Generalerhebung 1936) vom November 1937147 finden sich 30 Industriegruppen, unterverteilt in über 330 Industriezweige. Jedoch wurde das Baugewerbe nicht erhoben, so dass korrekterweise nur von 29 Industriegruppen als Objekt des 1936er Zensus gesprochen werden kann.148 Die Firmen mussten die Fragebögen im Jahre 1937 ausfüllen. Im Prinzip waren diese in den Hauptfragen und der Gliederung gleich gestaltet: Für jede Industriegruppe gab es jedoch spezifische Anpassungen, z. B. war die für chemische Betriebe vorgegebene Liste der eingesetzten Rohstoffe und Halbfabrikate vergleichsweise umfangreich.149 Ein recht einfacher und daher klar nachvollziehbarer Fragebogen betraf die Zementindustrie.150 Die hier angegebene Quelle zeigt den Fragebogen mit den im StRA aggregierten Ergebnissen für alle erhobenen Betriebsstätten dieses Industriezweigs. Der erste Absatz des Fragebogens behandelte das Ziel und nach der Verordnung von 1923 den Rechtsgrund des Zensus.151 Kriegswirtschaftliche Gesichtspunkte wurden nicht erwähnt, stattdessen lautete der erste Satz: „Die Produktionserhebungen erfolgen ausschließlich zu volkswirtschaftlichen Zwecken“.152 Zugesichert wurde in der für solche Befragungen üblichen Klausel, dass individuelle Ergebnisse der Firmen geheim gehalten würden. Auf Seite 2 des Fragebogens wurde u. a. Folgendes erfragt: Anschrift des Betriebes und seines „Führers“, Rechtsform der Firma und Mitgliedschaft in Berufsverbänden etc. Auf den nächsten Seiten wurden detaillierte quantitative Angaben erfragt, u. a.:
BA R3102 2994. In Tabelle1 werden die Gruppen einzeln aufgeführt. BA R3102 3270. BA R3102 5956; reproduziert in der Quellendokumentation von Fremdling 2018 und Fremdling/Stäglin 2003. 151 Siehe das Beispiel für die optische, fein- und medizinmechanische Industrie, BA R3102 6124. 152 Offensichtlich sollte die Instrumentalisierung des Zensus für die Kriegsvorbereitung verschleiert werden. Einen inhaltlich identischen Wortlaut gab es in der Einleitung zum Fragebogen für 1933: „Die Produktionserhebungen erfolgen lediglich zu wirtschaftlichen Zwecken, um Aufschluß über die Verhältnisse der einzelnen Industriezweige und über deren Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft zu erlangen.“ (BA R3102 6175). 147 148 149 150
Inhalt und technische Details der industriellen Produktionsstatistik von 1936
Anzahl und Geschlecht der Beschäftigten, Bruttolohnsumme (einschließlich des geldwerten Äquivalents nichtmonetärer Vergütungen), Verbrauch an jeweils einzeln aufgeführten Rohstoffen, Halbfabrikaten und Hilfsstoffen (gesondert auch nach Importen) nach Menge und Wert zu Bezugs- oder Käuferpreisen bzw. zu internen Verrechnungspreisen.153 Entsprechende Angaben wurden auch für den Absatz aller einzelnen Produkte (gesondert nach dem Export), bewertet nach Produzentenpreisen bzw. internen Verrechnungspreisen, erfragt.154 Die Lagerbestände am Anfang und am Ende des Jahres wurden lediglich mit dem Gewicht registriert. Firmen geringerer Bedeutung wurden bei der 1933er Erhebung in einem vereinfachten Verfahren befragt. Der 1936er Zensus erfasste im Prinzip jede Betriebsstätte von militärisch-strategischer Bedeutung.155 Ausgeklammert wurden lediglich viele kleinere Firmen: Die Erhebungsschwelle lag i. d. R. bei fünf Beschäftigten. Darüber hinaus wurden alternativ auch Untergrenzen nach Umsatz, Produktion und Kapazität gezogen. Militärisch-strategische Relevanz aber war das entscheidende Auswahlkriterium.156 Im Prinzip wurden die Daten für einzelne Betriebsstätten oder technische Einheiten, und nicht notwendigerweise für einzelne Firmen oder Unternehmen erhoben. Z. B. waren vertikal integrierte Unternehmen etwa Spinnerei und Weberei in der Textilindustrie in getrennte Erhebungseinheiten aufzuspalten. Die Betriebe wurden 1937 befragt. Das StRA erteilte detaillierte Anweisungen157, wie mit den ausgefüllten Fragebögen umzugehen sei. Von Anfang an waren Rückfragen bei den Betrieben eingeplant, um die Korrektheit der Antworten sicherzustellen. Mitarbeiter des StRA besuchten sogar Firmen, holten telefonisch Auskünfte ein oder schrieben Briefe, um Details zu klären.158
„Die Werte sind nach den tatsächlichen Einkaufspreisen frei Werk (einschl. bezahlten Zolls und bezahlter Verpackung, abzügl. Rabatt) zu berechnen. Für die aus eigenen Werken bezogenen Mengen ist der Marktpreis, falls dieser nicht zu ermitteln ist, der Werkverrechnungspreis zugrunde zu legen“. BA R3102 5956 und 6124, Fußnote 6. Für den Flugzeugbau lautete der Bezugspreis „Gestehungspreis frei Werk“, BA R3102 5866 Fußnote 7. 154 „Die Werte sind nach den tatsächlich in Rechnung gestellten Verkaufspreisen ab Werk (einschl. berechneter Verpackung, abzüglich Rabatt) zu berechnen. [Die Ausgangsfrachten (Transportkosten von der Fabrik bis zum Bestimmungsort) sind stets – gegebenenfalls schätzungsweise – abzusetzen. BA R3102 6124, Fußnote 11]. Eine für Auslandslieferungen etwa gewährte Ausfuhrvergütung bleibt außer Betracht. Für an eigene Betriebe abgegebene Erzeugnisse ist der Marktpreis, falls dieser nicht zu ermitteln ist, der Werkverrechnungspreis zugrunde zu legen“. BA R3102 5956, Fußnote 11. 155 BA R3102 2993. 156 Hierzu und zum Folgenden siehe Reichsamt (1939, S. 12 f.). In der Akte BA R3102 3036 sind der Erfassungsgrad und die Kriterien für die Nichterfassung von Firmen im Detail geschildert. Das StRA wollte die Lücken mit der Extrapolation der Beschäftigtenzahlen schließen (BA R3102 2705 F 41). 157 Siehe z. B. die 14 Seiten umfassenden Anweisungen für die Metallwarenindustrie, BA R3102 3642. 158 BA R3102 2734; 6276; 4142; 2629. Auch für andere Erhebungen, z. B. bei der Ermittlung der Investitionen oder Lagerbestandsveränderungen war es üblich, direkten Kontakt mit den Firmen aufzunehmen, Geheimhaltung war zugesichert. Siehe z. B. den Briefwechsel mit der AEG (F 12) und weiteren Betrieben Mitte der 1930er Jahre in: BA R3102 2704. 153
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Die Mitwirkung des Statistischen Reichsamts an der Vorbereitung des Krieges
Das Statistische Reichsamt erfasste und verarbeitete nicht nur Daten, sondern ließ sich auch in die Diskriminierung und Verfolgung der deutschen Juden einbeziehen. Im folgenden Kapitel geht es um ein Gutachten, welches das Reichswirtschaftsministerium vom StRA über die Vermögensverhältnisse dieser Bevölkerungsgruppe anforderte.
II
Die Schätzung des jüdischen Vermögens durch das Statistische Reichsamt 1936
Das nationalsozialistische Herrschaftssystem nutzte die Kompetenz des StRA auch zu gutachterlichen Stellungnahmen, die der Öffentlichkeit entzogen waren. Das StRA selbst befasste sich mehr und mehr mit auswertenden Arbeiten, die vorher noch unter Wagemann in seiner leitenden Doppelfunktion pionierhaft vom Institut für Konjunkturforschung (später DIW) entwickelt worden und in Arbeitsteilung dort auch angesiedelt waren.1 Vor allem während des Krieges wurde das StRA mit „Sonderaufträgen“ nicht zuletzt über die besetzten Gebiete und Feindstaaten überhäuft, während gleichzeitig eingearbeitetes Personal zur Wehrmacht eingezogen wurde.2 Wie stark das StRA mit auswertenden Gutachten für Ministerien und andere Behörden tätig war, zeigt das Verzeichnis von Arbeiten einer Abteilung des StRA vom November 1944.3 Hier wird ausführlich eine gutachterliche Tätigkeit des StRA im Auftrag des RWM aus der Vorkriegszeit belegt, und zwar die Schätzung des jüdischen Vermögens.4 Vor der systematischen Ermordung der deutschen Juden erzwang der Staat mit einer ganzen Reihe von diskriminierenden Maßnahmen von Juden höhere Abgaben.5 Dazu brauchte er Informationen über die Höhe des jüdischen Vermögens. Diese AufJacobs 1971, S. 311. BA R3102 3586 F 225–227. Sachgebiet VI.4 (Statistik des Volkseinkommens u. Volksvermögens) z. B. „Eingehende Untersuchung über die Höhe des belgischen Volkseinkommens als Unterlage für die Erhöhung der Steuern und zur Beurteilung der Fähigkeit Belgiens, Besatzungskosten zu zahlen. […] des griechischen Volkseinkommens als Unterlage für die Verhandlung über die Besatzungskosten.“ 3 Siehe Anhang 2: Verzeichnis von Arbeiten des StRA, Zentralreferats für die Auslandsstatistik und Auslandsforschung, November 1944, BA R3101 32121 F 173–179; zu den Arbeiten des StRA über die Wirtschaftsstatistiken der besetzten Gebiete im Mai 1941 vgl. BA R3102 3583 F 5–7. 4 Ritschl hat auf verschiedenen Konferenzen auch zu diesem Thema referiert und im März 2019 ein Arbeitspapier darüber vorgelegt (Ritschl 2019). 5 Zur nationalsozialistischen Politik gegenüber Juden vor dem Krieg siehe Herbst 1996, S. 200 ff.; Banken 2018, S. 487 ff.; Fisch 2016, S. 63 ff.; Ritschl 2016b, S. 658–664; ausführlich zur Rolle des RWM in der „nationalsozialistischen Judenverfolgung“ Loose 2016. 1 2
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gabe, die das RWM dem StRA stellte, steht in einem Zusammenhang, der für das Reichsfinanzministerium erforscht wurde. Christiane Kuller hat in ihrer grundlegenden Arbeit über „Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland“ Folgendes herausgearbeitet: „Die „nichtarischen“ Steuerpflichtigen sollten rechtlich schlechter gestellt, sie sollten aus Deutschland vertrieben, und ihnen sollte ein möglichst großer Teil ihres Vermögens abgepresst werden.“6 Mit der Volkszählung von 1933 konnten die „Glaubensjuden“ zwar hinreichend erfasst werden,7 jedoch war es schwierig, die Juden nach den rassistischen Grundsätzen des NS-Regimes, wie sie 1935 in den Nürnberger Gesetzen festgeschrieben wurden, zu registrieren. Vor 1938 waren Steuergesetze noch nicht ausdrücklich gegen Juden gerichtet, jedoch legten die Finanzbehörden sie diskriminierend aus.8 So instrumentalisierten sie die Reichsfluchtsteuer von 1931 zunehmend zur verschärften Vermögensabgabe von emigrierenden Juden.9 Von 1937 an wurde darüber hinaus Vermögen schon geflohener oder ausgewanderter Juden beschlagnahmt.10 In der Verordnung vom 21. November 1938 wurde schließlich eine Judenvermögensabgabe auf eine Milliarde Reichsmark festgesetzt.11 Bereits kurz zuvor, im April 1938, waren Juden aufgefordert worden, ihr Vermögen, soweit es 5.000 Reichsmark überstieg, anzumelden.12 Diese Erklärungen liefen nicht über die Reichsfinanzverwaltung, sondern über regionale Verwaltungsbehörden, und
Kuller 2013, S. 134. Jüdische Einrichtungen wurden im NS-Regime von Anfang an steuerlich benachteiligt (ebenda, S. 170 ff.). Siehe auch die grundlegenden Arbeiten von Banken (2018, S. 487 ff.) und Genschel 1966. Zur Haltung des RWM zur „völligen Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft“ siehe Boelcke 1983, S. 210 ff.; Genschel 1966, S. 142 ff.; siehe auch den Abschnitt über Deutschland bei Junz 2001, S. 69 ff. 7 Umfassend zur Volkszählung siehe Wietog 2001, Abschnitt C; darüber hinaus siehe Aly/Roth 2005, S. 67 ff. und Junz 2001, S. 71 ff. Für die halbe Million „Glaubensjuden“, wie auch für Ausländer, wurden die erhobenen Daten weitergehend als für den Rest der Bevölkerung ausgewertet. „Dafür waren von den allgemeinen Zählkarten, die für die Volkszählung insgesamt gebraucht wurden, für die Juden Abschriften hergestellt worden, zusätzlich versehen mit den Angaben aus der Berufszählung und mit dem Geburtsort.“ (Wietog 2001, S. 67). Jedoch waren die „Rassejuden“ noch keine statistisch erfassbare Kategorie. 8 Aber ab 1935 hatte sich der Begriff „nichtarisch“ als steuerrelevante Auslegungskategorie bereits fest etabliert. (Siehe Kuller, 2013, S. 133 ff., 143, 149). Die Verordnung zum Reichsbürgergesetz von November 1935 führte eine statistisch ermittelbare Definition von Juden vor allem nach ihrer Abstammung ein. Die Verordnung ist bei Aly/Roth (2005, S. 68) abgedruckt. Erst im Einkommensteuergesetz von 1938 fand sich für Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze eine spezielle steuerliche Kategorie. Dazu und zur steuerlichen Ungleichbehandlung siehe Kuller 2013, S. 168 ff. 9 Kuller 2013, S. 185 ff.; Banken 2018, S. 487 ff. u. 2009, S. 268 ff. Nach Banken (2009, S. 275) übertraf die Praxis der Devisen- und Zollstellen selbst die sich verschärfenden Vorschriften über die Mitnahme edelmetallhaltiger Gegenstände. Trotz hoher Strafen wurden zwischen 1936 und 1938 erhebliche Vermögenswerte „illegal“ ins Ausland transferiert (Banken 2009, S. 276 ff.). 10 Banken 2009, S. 279 ff. 11 Kuller 2013, S. 151 ff., 160. Das Vorhaben, Juden gesondert zu besteuern, lässt sich spätestens mit Hitlers Denkschrift zum Vierjahresplan vom August 1936 belegen. Siehe auch Banken 2018, S. 526–540 u. Banken, 2009, S. 314 ff., insbesondere Fußnote 364 auf S. 315. 12 Genschel 1966, S. 151 f., 204 ff. Die entsprechenden Verordnungen sind ebd. (S. 294–306) abgedruckt. Loose 2016, S. 382. 6
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das RWM übernahm die Auswertung der Anmeldeformulare.13 Nach Junz wurde im „Altreich“ ein Vermögen von 6,236 Milliarden Reichsmark angemeldet.14 Die Quelle, die Junz angibt, führt allerdings nur Zahlen für das gesamte Reichsgebiet mit Österreich (außer den sudetendeutschen Gebieten) auf.15 Danach ergaben sich für das Deutsche Reich (zusammen mit Österreich) folgende Millionenwerte für das „greifbare Vermögen“:16 „Land- und forstwirtschaftliches Vermögen“17 112 Millionen Reichsmark (72 Millionen Reichsmark),18 „Grundvermögen“ 2.343 Millionen Reichsmark (1.822 Millionen Reichsmark), „Betriebsvermögen (nach Abzug der Betriebsschulden)“ 1.195 Millionen Reichsmark (874 Millionen Reichsmark) und „Sonstiges Vermögen19“ 4.881 Millionen Reichsmark (3.468 Millionen Reichsmark).20 Als „Bruttovermögen“ errechneten sich 8.531 Millionen Reichsmark (6.236 Millionen Reichsmark) und nach Abzug der Schulden, ohne die schon abgezogenen Schulden des Betriebsvermögens, blieb ein „Nettovermögen“ von 7.123 Millionen Reichsmark (5.081 Millionen Reichsmark). Es waren 138.019 Anmeldungen von inländischen und staatenlosen Juden eingegangen. Der „Begleitbericht“ der Quelle versuchte die Liquidität, d. h. die direkte Zugriffsmöglichkeit auf die Werte auszuloten.21 Danach wurden das Land- und forstwirtschaftliche Vermögen, das Grundvermögen und das Betriebsvermögen als illiquide angesehen, während das sonstige zum größten Teil als liquide, also dem Zugriff zugängliche Masse galt. Wieviel davon allerdings „im Interesse einer Befriedigung der Gläubiger bei einem Zugriff auf das sogenannte „Sonstige Vermögen“ vorher hätte abKuller 2013, S. 155 f. Kuller sieht in der Vermögensanmeldung „keine unmittelbar vorbereitende Maßnahme zur Einziehung der Judenvermögensabgabe“, weil der Finanzverwaltung erst im Nachhinein die Anmeldungen zugeleitet worden waren. Hinzu kommt, dass ein weiter gefasster Vermögensbegriff als bei der Vermögenssteuer gehandhabt wurde (Ebd. S. 160). 14 Junz 2001, S. 76, Tabelle IV.3.4. Kuller (2013, S. 153 f.) stützt sich auf Junz. Siehe auch Banken (2009, S. 318), der allerdings keine desaggregierten Zahlen vorlegt. 15 Schreiben des Reichswirtschaftsministers an andere Ministerien und Institutionen vom 21.11.1938 „Betr.: Anmeldung des Vermögens von Juden“, BA R3101 34740 F 35–38. Wie Junz Österreich aus den Daten herausgerechnet hat, bleibt unklar. 16 Auf dieses Vermögen der „inländischen und staatenlosen Juden“ in Deutschland glaubte man zugreifen zu können. Wohl erfasst, aber als „nicht angreifbar wird das Vermögen der nichtjüdischen Ehegatten“ und als „nichtantastbar wird auch das inländische Vermögen ausländischer Juden mit Sitz im Inland zu gelten haben.“ BA R3101 34740 F 36. 17 Bezeichnungen wie in der Quelle BA R3101 34740 F 36. Kuller (2013, S. 154) benutzt eigene Übersetzungen der von Junz gewählten englischen Bezeichnungen. 18 In Klammern sind die Werte angegeben, die Junz (2001, S. 76, Tabelle IV.3.4.) für das „Altreich“ (Deutsches Reich ohne Österreich) aufzählt. 19 Diese Position („Financial assets“, Junz 2001, S. 78) umfasst nach Junz auch kapitalisierte Werte von Renten- und anderen Versorgungsansprüchen. In Österreich machten die „grossed-up pensions and salaries“ 50,1 Prozent aus. In der Quelle (BA R3101 34740 F 37) heißt es lediglich, „daß als „Sonstiges Vermögen“ auch nicht fällige Lebensversicherungen sowie Nießbrauch- und Rentenrechte erfaßt sind.“ 20 Aus dieser Position von 3.468 Mio. Reichsmark hat Junz noch 343 m Reichsmark an Sachvermögen („tangible assets“) gesondert herausgerechnet. 21 BA R3101 34740 F 36 f. 13
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gesetzt werden müssen, ist aus der Erhebung nicht zu entnehmen.“22 Der Reichswirtschaftsminister schloss sein Schreiben von November 1938 mit einer Spekulation über den Werteverfall des jüdischen Vermögens seit der Erhebung: Schließlich ist noch zu bemerken, daß die obenstehenden Zahlen auf einer statistischen Erhebung vom 27. April 1938 beruhen, daß aber inzwischen beachtliche Werte, die zahlenmäßig auch nicht einmal geschätzt werden können, unter dem wahren Wert an nichtjüdische Gewerbetreibende veräußert worden sind. Es besteht daher durchaus die Möglichkeit, daß das liquide Vermögen infolge der inzwischen vorgenommenen Entjudung größer, das illiquide Betriebsvermögen dagegen kleiner geworden ist.23
Diese zynische Erörterung passt zu Gedankengängen, wie sie das StRA und selbst noch Junz anstellten, um einen Wert für das jüdische Vermögen für 1933 zu schätzen. Nach Junz besaßen Juden im „Altreich“ einen Netto-Vermögensbetrag von 5,081 Milliarden Reichsmark, und ohne den von ihr geschätzten kapitalisierten Wert der Pensions- und Rentenansprüche (781 Millionen Reichsmark) blieben 4,3 Milliarden Reichsmark. In einem weiteren Schritt rechnete Junz diese Beträge auf das Niveau von 1933 hoch, indem sie Annahmen über den Wertverlust zwischen 1933 und 1938 und eine Verschleierung bei der Vermögensdeklarierung machte: Danach ergaben sich Schätzwerte von 9,4 bzw. acht Milliarden Reichsmark für das jüdische Vermögen im Jahre 1933. Am Schluss ihres Beitrags über Deutschland diskutierte Junz, wieviel Kapital das Land legal und illegal verlassen hatte. Dies eingerechnet hob sie das 1933er Niveau des jüdischen Vermögens sogar auf 16 Milliarden Reichsmark an.24 Obwohl das RWM erst im November 1937 „den radikalen Richtungswechsel in der Judenpolitik“25 zur Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft vollzog, hatte es das StRA bereits fast zwei Jahre zuvor, Ende Januar 1936, beauftragt, „die Größe des jüdischen Anteils am deutschen Volksvermögen“ zu schätzen.26 Dieser Abschnitt hier ist nicht daraf angelegt, möglichst umfassende Schätzungen des jüdischen Vermögens aus neuen Quellen zu dokumentieren. Hierzu kann z. B. die gründliche Aufarbeitung von Junz herangezogen werden.27 Die Schätzungen, darunter die von Junz aufgeführten und die hier vorgestellten, divergieren enorm. Ziel meines Beitrags ist es vielmehr, BA R3101 34740 F 37. Nach den Zahlen etwas weniger als ein Viertel. Ebd. Junz 2001, S. 78, 79. Dies geschah nach der Entlassung Schachts als Minister. Boelcke 1983, S. 210 f.; Genschel 1966, S. 144 ff. Erlaß IV 1811/36 vom 31.1.36 (BA R3102 4239). Die fragmentarische Akte im Bundesarchiv umfasst 12 Seiten: unvollständiger Briefentwurf („nicht weitergegeben“), Berechnungsbögen, eine kommentierende „Abschrift, Betr. Jüd, Vermögen“ mit handschriftlichen Ergänzungen gez. „Jst“ (möglicherweise Paul Jostock, siehe die biografische Notiz im Anhang) und ein Brieffragment ohne Adressaten gez. Ministerialdirektor (möglicherweise Antwort an das RWM). Nach Auskunft von Stefan Fisch hatte Reichardt (Präsident des StRA) seine frühere Amtsbezeichnung als Ministerialdirektor beibehalten. 27 Junz 2001, S. 76 ff. Sie wertet nicht die hier vorgestellte Quelle aus, sondern stützt sich auf Informationen aus der Sekundärliteratur und weiteren archivalischen Quellen. 22 23 24 25 26
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das methodische Vorgehen exemplarisch mit den kalten und zynischen Abwägungen staatlicher Behörden über die Wertentwicklung zu belegen.28 Die im Folgenden zugrunde gelegte Akte des StRA im Bundesarchiv29 enthält keine vollständige Kopie des Briefes an den RWM, der Ende März 1936 geschrieben sein dürfte. Die Spannweite und Unsicherheit bei der Schätzung des Judenvermögens lässt sich jedoch aus dem unvollständigen Briefentwurf (Variante III), dem Brieffragment zusammen mit den detaillierten Berechnungsbögen (Variante II) und aus der Abschrift eines Kommentars (Variante I) zu den Berechnungen des StRA weitgehend rekonstruieren. Allerdings sind die Ergebnisse der im Prinzip nachvollziehbaren Kalkulationen widersprüchlich. Die geschätzten Beträge weichen weit voneinander ab: Variante I „Die Aufzeichnung“, also Berechnung des jüdischen Vermögens war nach dem Kommentator „methodisch unanfechtbar aufgebaut. Danach scheinen zwei Tatsachen festzustehen: 1) daß eine einigermaßen zuverlässige Schätzung nicht möglich ist; 2) daß der in Betracht kommende Höchstbetrag für 1933 2 ½ Milliarden nicht übersteigen kann.“ Sodann geht der Kommentator darauf ein, wie das geschätzte Ergebnis für 1933 in die „Jetztzeit“, also 1936, extrapoliert werden könne. Ausgangspunkt seien die in der Volkszählung von 1933 registrierten Juden (499.682 Personen). Bei ihnen handle es sich allerdings lediglich um die sogenannten „Glaubensjuden“. Das seien weniger als die 1933 noch nicht erfasste und daher unbekannte Zahl der sogenannten „Rassejuden“. Bis 1936 sei durch Sterbeüberschuss und Auswanderung die Zahl der registrierten Juden wahrscheinlich um 25 Prozent auf 390.000 gesunken. Der Kommentator mutmaßt erstaunlicherweise zunächst, dass die Vermögensverminderung nicht im gleichen Ausmaß eingetreten sein müsse. Allerdings sei zu beachten, daß das Vermögen der hier zurückgebliebenen Juden in sich wesentlich entwertet und zusammengeschrumpft ist: der dingliche Besitz hat, infolge der großen Zahl der Abwanderungsfälle und der dadurch notwendig gewordenen plötzlichen Versilberung, an Wert stark eingebüßt; eine große Zahl von Handelsgeschäften ist aus jüdischer Hand in anderen Besitz übergegangen, ohne daß auch nur der gemeine Wert erzielt werden konnte […]; das mobile Kapital kann ohne erhebliche Verluste nicht veräußert werden; Einrichtungen, Sammlungen, Gemälde usw. sind überhaupt nicht verwertbar.30
28 29 30
Zu vergleichbaren Überlegungen bei der Reichsbank im Jahre 1938 siehe Banken 2009, S. 316 f. BA R3102 4239. Ebd.
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Aufgrund dieser prekären Situation der Juden glaubt der Kommentator schließlich „doch eine Vermögensverminderung seit 1933 bis jetzt in Höhe jener 25 % unterstellen“ zu können, so „daß als Höchstbetrag des jüdischen Vermögens in Deutschland jetzt [1936] nur 2 Milliarden angenommen werden dürften“.31 Handschriftlich wurden, gezeichnet mit „Jst 26/3.36“,32 Schätzwerte hinzugefügt, deren Angaben der Präsident des StRA in einer „privaten Zuschrift“ erhalten hatte: Ebenfalls zwei Milliarden, zuvor hatte derselbe Briefschreiber drei Milliarden genannt, allerdings beruhten beide Angaben auf einer anderen (nicht genannten) Berechnungsmethode als derjenigen des StRA; fünf Milliarden eines nicht genannten namhaften Volkswirts; 10–12 Milliarden im Leitartikel der Zeitschrift „Der deutsche Volkswirt“ Nr. 18 Januar 1936 (in diesem Leitartikel wird darauf verwiesen, dass andere Schätzungen bis 20 Milliarden gingen). Variante II Die Variante II habe ich aus dem Brieffragment, das die Berechnungsmethode des StRA erörtert, und den detaillierten Zahlen der drei Seiten umfassenden Berechnungsbögen hergeleitet. Tabelle 2 fasst die Ergebnisse geordnet zusammen. Abweichend von den bisher aufgeführten Zahlen betrug das jüdische Vermögen im Jahre 1936 überschlägig 2,5 bis drei Milliarden Reichsmark an „Erwerbsvermögen“ (Betriebsvermögen und Rentenkapital) sowie 1,5 Milliarden Reichsmark an „Gebrauchsvermögen“. Der fragmentarische Brief enthält eine verschlungene Präsentation von Zahlen und Argumenten zur Ableitung und Interpretation der quantitativen Angaben:33 Ausgangspunkt zur Berechnung sind die in der Berufszählung von 1933 erfassten „Glaubensjuden“.34 Da für 1933 aus der Finanzverwaltung keine Angaben je Steuerpflichtigen vorliegen, wird auf Daten der Jahre 1928 und davor zurückgegriffen. Jeweils wird ein durchschnittliches Betriebsvermögen mit einer Spanne zugeordnet. Diese
Im Jahr 1938, als die Juden zunehmender offener Diskriminierung und Verfolgung (Pogromnacht im November) ausgesetzt waren, wurde allen Beteiligten klar, dass in den Monaten nach der Vermögenserklärung (April 1938) die Vermögenswerte substantiell gefallen waren (Kuller 2013, S. 164). Banken (2009, S. 314 ff.) belegt in seinem Abschnitt über die „Leihhausaktion 1939–1941“ vielfach, dass die erzwungene Abgabe von Schmuck und Edelmetallen bei den Leihhäusern zu weit niedrigeren als den offiziellen Preisen erfolgte. 32 Es könnte sich um Paul Jostock handeln. 33 Die handschriftlichen Berechnungsbögen in der Akte (BA R3102 4239 F 3–5) sind Grundlage der im Textteil teilweise übernommenen Zahlen. 34 In der Einleitung zum nicht weitergegebenen Briefentwurf vom März 1936 (BA R3102 4239 F 6) wird die Frage diskutiert: „Welcher Volksteil soll hier unter „Juden“ verstanden werden?“ Dargelegt wird, dass lediglich „die Anhänger der jüdischen Religion zu erfassen [sind], weil nur diese durch die Volks- und Berufszählung als jüdische Bevölkerung festgestellt worden sind.“ […] „An sich wären wohl alle einzubeziehen, die der jüdischen Rasse zugehören. Die Zahl dieser Juden und ihre Eingliederung in die Wirtschaft läßt sich jedoch durch die Statistik nicht ermitteln.“ 31
II. Erwerbsvermögen 19282) (a) pro Kopf (RM) (b) gesamt (Mio. RM)
1,5
200 400 5 40 10 6 1742
1081
III. Gebrauchsvermögen 1933 (a) pro (b) gesamt Kopf (RM) (Mio. RM)
Durchschnitt Min. Max. Durchschnitt Min. Max. Selbständige3) 108132 15140 14000 15000 1637 1514 1622 10000 Rentner4) 60941 vom eigenen Vermögen lebend 20000 50000 75000 1000 1500 10000 5) nicht vom eigenen Vermögen lebend 40000 10000 5) Beamte 2275 2000 5) Angestellte 80559 500 5) Arbeiter 20921 500 5) Hausangestellte 2903 2000 Gesamt1) 275731 2514 3122 zum Vergleich: Schätzung StRA 1936 (Mrd. RM) 4–4,5 2,5 3 Legende: 1) nach der Berufszählung 1933, 2) nach der Vermögensteuerstatistik 1928, 3) Betriebsvermögen 1924–1928, 4) Rentenkapital 1934, 5) Minimalwerte nicht ermittelbar
Erfasste „Glaubensjuden“1)
I. Anzahl 1933
Tab. 2 Das jüdische Vermögen in Deutschland, 1928–1933–1936 Die Schätzung des jüdischen Vermögens durch das Statistische Reichsamt 1936
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Angaben werden nach 1933 und in die Gegenwart (1936) hinein mit argumentativen Korrekturfaktoren extrapoliert: Die Zahlen müssten erhöht werden, weil der durchschnittliche jüdische Selbstständige weniger bei den kleinen Handwerkern als vielmehr bei den mittleren und großen Kaufleuten zu finden sei, und er außerdem überproportional über städtisches Grundvermögen verfüge. Diese Unterschätzung der Vermögensposition aufgrund der Durchschnittszahlen entspreche der Wertminderung des jüdischen Vermögens durch die Wirtschaftskrise bis 1933. An den 1928er-Zahlen könne also für 1933 festgehalten werden. Durch die „Auswanderung bzw. den Übergang in nichtjüdische Hände“ sei zwar das Erwerbsvermögen stark gesunken, jedoch könnten mit der Einbeziehung der durch die Berufszählung nicht gekennzeichneten „Rassejuden“ die geschätzten Zahlen für 1928 genommen werden. Bei den Rentnern wird ausgehend vom Eckwert für 1933 ähnlich argumentiert. Allerdings versteigt sich der zeichnende Ministerialdirektor noch zu einer kühnen Aufstockung, indem er den Durchschnitt des gesamten Betriebsvermögens, die juristischen Personen eingeschlossen, als Referenzgröße heranzieht35 und auch das Rentenkapital weit nach oben korrigiert: „Man kommt also zu dem Schluß, daß das gesamte Erwerbsvermögen der Glaubensjuden vor der Wirtschaftskrise vielleicht auch das Zwei- oder Dreifache der oben genannten Mindestsumme betragen haben kann.“ Bei dem Gebrauchsvermögen wurde lediglich „nach typischen Durchschnitten“ für 1933 geschätzt und dieses Ergebnis auf alle „Rassejuden“ von 1936 übertragen. Diese Berechnungen relativieren den vom zeichnenden Ministerialdirektor (also wahrscheinlich vom Präsidenten des StRA, Reichardt) genannten Höchstbetrag von 2,5 Milliarden jüdischen Vermögens für 1933, und implizit für die Gegenwart (1936): Nach der tabellarischen Auswertung wurden ohne das Gebrauchsvermögen 2,5 bis drei Milliarden geschätzt. Darüber hinaus schließt der Verfasser nicht aus, dass mit dem Zwei- bis Dreifachen, also fünf bis 7,5 Milliarden, zu rechnen sei. Für das restliche Vermögen (Gebrauchsvermögen) ergäben sich 1,5 Milliarden. Der unvollständige Brief von (wahrscheinlich) Reichardt schließt damit, daß die vorstehenden Ausführungen lediglich eine Beantwortung der Frage nach dem Vermögensanteil der Juden näher führen, daß sie jedoch nicht als ein Ergebnis der amtlichen Statistik zu betrachten sind. Da die Statistik zu einer genaueren Feststellung des jüdischen Vermögens keine Handhabe bietet, ist es mir auch nicht möglich, zu den verschiedenen, teilweise viel höheren Zahlen, die in der Öffentlichkeit gelegentlich genannt worden sind, Stellung zu nehmen.36
50.000 RM 1924–1928 (1928 = 51.976 RM). Eine weitere Berechnung findet sich im selben Aktenbestand (BA R3102 4239 F 1) mit 54.460 RM zurechenbarem durchschnittlichen „Reinvermögen“ aus der Vermögensstatistik von 1928. Ein handschriftlicher Kommentar dazu lautet: „Diese Berechnung wurde nicht weitergegeben, da methodisch zu ungenau“. 36 BA R302 4329 F 11. 35
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Variante III In dem Briefentwurf, der dem RWM nicht weitergegeben wurde (er liegt ebenfalls nur unvollständig vor)37, heißt es dagegen: „Zusammenfassend kann daher nach der vorstehenden Methode das gesamte Vermögen der jüdischen Bevölkerung (Glaubensjuden) in Deutschland vielleicht mit rund 8,5 Mrd. RM angenommen werden.“ Relativierend wird ergänzt: Es sei aber noch einmal ausdrücklich betont, daß dieses Ergebnis keinerlei statistische Feststellung, sondern nur eine vage Schätzung darstellt, für die eigentlich keine zuverlässigen Unterlagen vorhanden sind und die deshalb allenfalls die Größenordnung andeuten mag. Die wirkliche Größe des jüdischen Vermögens kann ebensowohl um einige Milliarden höher oder niedriger sein.38
Die drei Varianten ergeben folgende widersprüchliche Werte für das geschätzte jüdische Vermögen im Jahr 1936: I 2–2,5 Milliarden Reichsmark II 4–4,5 Milliarden Reichsmark III 8,5 Milliarden Reichsmark Das StRA war demnach im Jahr 1936 auch nach eigener Einschätzung offensichtlich nicht in der Lage, die Höhe des jüdischen Vermögens stichhaltig zu schätzen.39 Variante II ist allerdings m. E. argumentativ und mit statistisch gesicherten Ausgangszahlen am besten unterbaut. Die bereits erwähnte erzwungene Deklarierung jüdischen Vermögens im April 1938 ergab rund 4,3 Milliarden Reichsmark Nettovermögen ohne kapitalisierte Versorgungsansprüche. Das scheint Variante II ebenfalls zu stützen. Jedoch dürfte zwischen 1936 und 1938 aus Gründen, die das StRA bei der 1936er-Schätzung für die Jahre zuvor schon angeführt hatte (Wertverlust, Abnahme der jüdischen Bevölkerung, Vermögensübertragungen etc.), das jüdische Vermögen bereits erheblich abgenommen haben, so dass die besser unterbaute Variante II das jüdische Vermögen wahrscheinlich unterschätzt und es tatsächlich näher an den Wert von Variante III heranreichte. Nach dem Krieg, im Herbst 1947, veranlasste die „Zentrale Kommission für Sequestrierung und Beschlagnahme in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands“ eine detaillierte Aufstellung der Abgaben, die der Staat den Juden abgepresst hatte.40 Quel-
BA R302 4329 F 2. Ebd. Auch die Reichsbank schätzte 1938 das jüdische Vermögen mit einer erheblichen Varianz ein: 2,4–11,5 Milliarden Reichsmark. Es wurde allerdings angenommen, „daß das jüdische Vermögen bei seiner Flüssigmachung insgesamt auf die Hälfte seines Wertes zusammenschrumpft.“ Siehe Banken 2009, S. 316 f., dort auch das Zitat, Fußnote 369. Siehe überdies die Zusammenstellung bei Ritschl 2019, Table 8. 40 BA R2 Anhang Nr. 84. Aus demselben Bestand im Bundesarchiv (BA R2 Anh. Restverwaltung des 37 38 39
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len waren Aufzeichnungen der Finanzverwaltung der Länder und des Reiches. Das fünfseitige Dokument stellt zusammenfassend Folgendes fest:41 „Das Vermögen der Juden 1938 (1933) betrug schätzungsweise […] 4,5 Milliarden RM. […] An jüdischem Vermögen wurde seit 1933 erfasst [eingezogen]: […] Insgesamt 2 035 000 000 RM“.
In Tabelle 3 ist diese Summe untergliedert. Tab. 3 Jüdische Vermögensabgaben an die deutschen Länder und das Deutsche Reich 1933–1945 in Millionen RM Länder
1
Reich Judenvermögensabgabe Beschlagnahmungen
1200 55
Verkauf von Wertpapieren
187
Verwertung von sonstigem Vermögen
592
Insgesamt
2035
Quelle: BA R2 Anhang Nr. 84 Bl. 29, RS
Das Dokument gliedert die Zahlen detailliert auf und nennt die entsprechenden Verordnungen und Gesetze. Bei der Judenvermögensabgabe ergibt sich die zehn Prozent höhere Zahl von 1,1 Milliarden Reichsmark.42 Die Berechnung des jüdischen Vermögens von 4,5 Milliarden Reichsmark stützt sich auf die Hochrechnung der Abgabe, die letztlich mit 25 Prozent des jüdischen Vermögens angesetzt war. Nach Einschätzung der Autoren des 1947er-Berichtes lagen die Zwangsabgaben der Juden „vermutlich noch etwas höher“. Geht man von einer Abgabenquote bei allen Beträgen von durchschnittlich 25 Prozent aus, dann lässt sich das jüdische Vermögen auf sogar acht Milliarden Reichsmark veranschlagen, womit Variante III des StRA eine zu verteidigende Schätzung würde. Welches volkswirtschaftliche Gewicht kam dieser Zwangsabgabe allein quantitativ zu? Für die Schätzung des jüdischen Vermögens griff das StRA auf die Vermögenssteuerstatistik von 1928 zurück:43 Das Reinvermögen betrug demnach 117,3 Milliarden
ehem. Reichsfinanzministeriums nach 1945) zieht Ritschl (2019) weitere quantitative Angaben über die Beschlagnahme jüdischen Vermögens heran. 41 BA R2 Anhang Nr. 84 F 29, RS. 42 Kuller (2013, S. 167 Tabelle 8) zitiert Mehls Arbeit von 1990 mit denselben Zahlen für die Jahre 1938 bis 1940. 43 BA R3102 4239 F 1.
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Reichsmark. Zieht man davon Doppelzählungen (Aktien und Körperschaftsvermögen) von etwa 15 Milliarden Reichsmark ab, dann bleiben etwa 100 Milliarden Reichsmark an gewerblichem und landwirtschaftlichem Reinvermögen, städtischem Grundvermögen und sonstigem Vermögen (Geldkapital). Die jüdische Zwangsabgabe dürfte demnach ein bis zwei Prozent ( Judenvermögensabgabe alleine ein Prozent) des in der Vermögenssteuerstatistik erfassten Reinvermögens von 1928 betragen haben (1936/38 war das Reinvermögen sicherlich nicht höher). Die Bundesrepublik Deutschland kennt keine Vermögensteuer und damit keinen vergleichbaren Wert zum Reinvermögen. Um das Ausmaß der jüdischen Zwangsabgaben vorstellbar zu machen, ziehe ich hilfsweise eine Strömungsgröße heran: Nach neuesten Berechnungen betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Deutschen Reichs 1936 82,6 Milliarden Reichsmark.44 Die Zwangsabgaben (ein bis zwei Milliarden Reichsmark) umfassten folglich 1,2 bis 2,4 Prozent des BIP von 1936. Zum Vergleich: Im Jahr 2018 betrug das bundesrepublikanische BIP 3.344,4 Milliarden Euro,45 d. h. eine analoge Zwangsabgabe für einen den damaligen jüdischen Bürgern entsprechenden Bevölkerungsteil läge gegenwärtig zwischen 40 und 80 Milliarden Euro.
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Fremdling/Stäglin 2014b. StJB GENESIS-Online Datenbank, Stand 10.9.2019.
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III
Wagemann und das Institut für Konjunkturforschung – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
An der Person Ernst Wagemanns1 und dem von ihm gegründeten und geführten Institut für Konjunkturforschung (If K, ab 1941 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, DIW) zeigt sich die Verwobenheit eines in der Weimarer Republik unabhängig von der NS-Ideologie entstandenen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituts mit dem NS-Regime. Die Gründung des Instituts für Konjunkturforschung 1925
Schon vor der Gründung des If K hatte Wagemann auf der Sitzung des Hauptausschusses des Deutschen Industrie- und Handelstages am 10. Dezember 1924 Ziele und Inhalte des geplanten Instituts programmatisch dargelegt: Ausgehend von den großen Umwälzungen der Kriegs- und Nachkriegszeit und den vielfachen krisenhaften Erschütterungen der Weltwirtschaft sei die Konjunkturforschung als besonderer Zweig der Nationalökonomie immer mehr in den Vordergrund des wissenschaftlichen und vor allem des praktischen Interesses getreten. „Die Konjunkturforschung […] sucht die gesetzmäßigen Zusammenhänge auf, welche die Produktions- und Absatzverhältnisse auf den verschiedenen nationalen und internationalen Märkten verbinden und das Auf und Ab der Waren-, Effekten- und Geldumsätze bestimmen.“2 Den Lebenslauf Wagemanns haben Reiner Stäglin und ich für die Neue Deutsche Biographie (Fremdling/Stäglin 2020a) erarbeitet, darauf stützen sich die biografischen Notizen im Anhang und hier im Haupttext die Passagen, in denen Wagemann als Person, als Wissenschaftler und Institutsleiter, hervortritt. 2 Siehe Wagemanns Vortrag über die „Konjunkturforschung und ihre Nutzbarmachung für die Wirtschaft“ vor dem Hauptausschuss des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) am 10.12.1924, BA R2501 6834 (64,1), abgedruckt in den „Verhandlungen des Deutschen Industrie- und Handelstages“, Heft 34, 1924. Dazu auch Kulla 1996, S. 33 ff. In der Anlage zur Sitzung des DIHT wurde als Kennzeichen der amerikanischen Forschung noch stärker die „neue Methode zur Feststellung ökonomischer Gesetzmäßigkeiten“ herausge1
Die Gründung des Instituts für Konjunkturforschung 1925
Nachdem Wagemann auf entsprechende Forschungsinitiativen in England und Schweden sowie des Völkerbundes hingewiesen hatte, pries er diese Konjunkturforschung geradezu an: Es liegt auf der Hand, welche ungeheure Überlegenheit der Geschäftswelt eines Landes zufällt, in welchem der Produktion und der Marktgestaltung mittels eines solchen wirtschaftlichen Wetterdienstes der Weg gewiesen wird. Steht doch zu hoffen, daß auf diese Weise die schweren periodischen Krisen, welche die Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten immer wieder um Jahre zurückgeworfen hat, sich abmildern und damit die Verluste und toten Unkosten der nationalen Wirtschaften sich in großem Ausmaße verhindern lassen.3
Wagemann bemängelte, dass Deutschland auf dem Gebiet der Konjunkturforschung „methodisch […] noch verhältnismäßig weit zurück“ stehe.4 Um die empirische Konjunkturforschung voranzubringen, habe er als Präsident des Statistischen Reichsamts (StRA) in seinem Amtsbereich seit dem Frühjahr 1924 bereits zwei besondere Konjunkturreferate – eines für die inländische, das andere für die ausländische Wirtschaft – mit der ersten Materialsammlung und der ersten Verarbeitung eingerichtet. Neben der Darstellung von Marktbewegungen über die Großhandelsindexziffer des Statistischen Reichsamts, zusammengesetzt aus mehreren Gruppenindexziffern, werde „nach dem Vorbilde des Harvard – Barometers eine Indexziffer von zehn Waren berechnet, deren Preise auf die Bewegung der Marktlage besonders empfindlich reagieren.“5 Wagemann hatte Erfolg: Das Institut für Konjunkturforschung (If K) wurde am 16. Juli 1925 in den Räumen des StRA gegründet.6 Das If K war als Ergänzung und in Arbeitsteilung zum StRA konzipiert, da „das Statistische Reichsamt gewisse im Interesse der Allgemeinheit, insbesondere der Wirtschaft, liegende notwendige Aufgaben der Auswertung der Statistik für Wissenschaft und Praxis nicht übernehmen könne.“7 In der konstituierenden Sitzung des If K konzentrierte sich Wagemann auf Satzungsfragen und führte aus, dass das Institut sich formaljuristisch als ein „unselbstänstellt. Brief von Most (HK Duisburg) an den DIHT, 21.11.1924, WWA K1 Nr. 571. In der Einführung zum ersten Heft der Vierteljahrshefte zur Konjunkturforschung stellte Wagemann allerdings fest, dass das If K „es zunächst als seine vorwiegende Aufgabe“ ansah „Symptomatik zu treiben. Schon deswegen, weil es glaubt, daß es heute wohl kaum möglich ist, die Ursachen der Konjunkturbewegung in befriedigender Weise aufzuzeigen: an diese Arbeit […] wird man mit vollem Erfolge erst herantreten können, wenn über die Erscheinungsformen der Konjunkturbewegung umfassendere Untersuchungen vorliegen.“ (VjhK 1, 1926, S. 5). 3 BA R2501 6834. 4 Wagemann erwähnte nicht die universitäre Forschung auf diesem Gebiet in Deutschland. Spiethoffs (Spiethoff, 1873–1957) vielgerühmter Artikel „Krisen“ im Handwörterbuch der Staatswissenschaften von 1925 lag bereits 1923 in gedruckter Form vor. Darüber hinaus siehe neben dieser einschlägigen Abhandlung im Handwörterbuch Spiethoffs 1955 erschienenes Buch. Zur Rivalität zwischen Spiethoff und Wagemann siehe Kulla 1996, S. 111–135. 5 BA R2501 6834. 6 Protokoll über die […] Sitzung zwecks Gründung eines Instituts für Konjunkturforschung, BA R2501 6834; siehe auch BA R101 2587. 7 BA R2501 6834.
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Wagemann und das Institut für Konjunkturforschung –
diges Zweckvermögen“ darstelle. In dieser losen Form sei es schnell zu gründen, aber bei Bedarf unschwer in eine andere Rechtsform zu überführen. § 1 der „Verfassung des Instituts für Konjunkturforschung“8 bzw. der Satzung brachte den Gründungsgrund mit einem einzigen Begriff auf den Punkt: „Für Zwecke der Konjunkturforschung wird das: „Institut für Konjunkturforschung“ errichtet. Sitz des Instituts ist Berlin.“ Und in § 2 heißt es weiter: „Der Erfüllung des in § 1 angegebenen Zweckes dient ein Vermögensfonds, der sich aus Beiträgen des Reichs, der Länder, öffentlicher Körperschaften, von wirtschaftlichen Verbänden, Einzelfirmen und Einzelpersonen sowie aus Einnahmen des Instituts zusammensetzt.“ Das wichtigste Organ des Instituts war neben der Leitung9 (dem Präsidenten des Statistischen Reichsamts, also Wagemann) das Kuratorium. Dieses Aufsichtsorgan hatte die üblichen Kontrollfunktionen inne, z. B. über den Haushalt. Über den Arbeitsplan hingegen war es lediglich vor der Aufstellung zu hören. Vor allem repräsentierte das Kuratorium die wichtigsten Geldgeber und zunehmend auch die Auftraggeber für die Gutachtertätigkeit. Die Zusammensetzung dieses Gremiums10 zeigt, von welch breitem gesellschaftlichen Konsens das If K getragen wurde: Unter dem Vorsitz Wagemanns bestand es nach dem Gründungsprotokoll aus jeweils zwei Vertretern der Reichsregierung (Reichswirtschaftsministerium und Reichsarbeitsverwaltung); der Länder; der Reichsbank; der Deutschen Reichsbahngesellschaft; der Landwirtschaft; des Deutschen Industrieund Handelstages; des Reichsverbandes der Deutschen Industrie; aus jeweils einem Vertreter des Zentralverbandes des Deutschen Grosshandels; der Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels; des Zentralverbandes der Deutschen Konsumgenossenschaften; des Zentralverbandes des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes und drei Vertretern der Arbeitnehmer (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund, Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften Deutschlands und Gewerkschaftsring Deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände). Das Kuratorium des If K bestand somit aus Vertretern des Staates, der Tarifparteien und wirtschaftlichen Interessenverbänden und war zudem nach den Namenslisten durchgängig mit Personen aus der Leitungsebene dieser Institutionen besetzt.11 Wagemann war es damit gelun-
Siehe Protokoll der Gründungsversammlung und in derselben Akte die bereits vorliegende Satzung. Ebd. 9 Nach § 9 der Satzung: „Verfassung des Instituts für Konjunkturforschung“ war der Leiter des Instituts der jeweilige Präsident des Statistischen Reichsamts. (BA R2501 6834). Diese Personalunion brachte Wagemann als Leiter des If K in eine prekäre Situation, als er 1933 vom Reichswirtschaftsminister als Präsident des StRA „beurlaubt“ und schließlich (22.5.1933) entlassen wurde. Siehe Stäglin/Fremdling 2016b. 10 Mitglieder waren juristische Personen. Auf Vorschlag des Präsidenten konnten neue Mitglieder mit drei Viertel Mehrheit kooptiert werden. Zur Vertretung der Länder siehe Kulla 1996, S. 38 f. 11 Für den bereits ernannten Vertreter des Reichswirtschaftsministeriums, Ministerialdirektor Schäffer, nahm stellvertretend Ministerialdirigent Reichardt teil (Gründungsprotokoll BA R2501 6834). Reichardt wurde 1933 nach der Entlassung Wagemanns dessen Nachfolger als Präsident des StRA. 8
Die Gründung des Instituts für Konjunkturforschung 1925
gen, auf wissenschaftlichem Gebiet außerhalb des Hochschulwesens eine Koalition zu schmieden, die es im politischen System Weimars in dieser Breite und diesem Konsens sonst nicht gab. Ein Dokument mit zwei eng bedruckten Seiten aus dem Jahr 1928 nennt nicht nur die Mitglieder des Kuratoriums, sondern enthält eine lange Liste von unterstützenden Verbänden. Nach Orten (von Aachen bis Zittau) sortiert, erklärten die Verbände, dass „die Wege und Ziele des Instituts für Konjunkturforschung ihre Zustimmung finden“. Neben den Industrie- und Handelskammern wurden durchweg Branchen- und Arbeitgeberverbände und andere Interessenvertretungen aufgeführt. Während der Deutsche Gewerkschaftsbund Mitglied des If K-Kuratoriums war, fehlten bei den zustimmenden Verbänden allerdings die Einzelgewerkschaften.12 An die Gründungssitzung schloss die erste Kuratoriumssitzung13 unmittelbar mit einem einleitenden Vortrag Wagemanns an, in dem er „eingehend über die verschiedenartigen Gründe, die ein Konjunkturinstitut zum dringenden Bedürfnis für Staat und Wirtschaft gemacht hätten“ referierte. Das Protokoll zitierte seine Beschreibung des Aufgabenkreises und ersten Arbeitsplans minuziös: Das Arbeitsgebiet des Konjunkturinstituts gliedert sich zunächst nach den beiden Zwecken der Konjunkturwissenschaft überhaupt. Es handelt sich einmal um die Entwicklung einer ausreichenden Konjunkturbeobachtung, d. h. um die systematische Sammlung und Veröffentlichung des für die Beurteilung des für den Konjunkturverlauf massgebenden statistischen und sonstigen tatsächlichen Materials. Um der Wirtschaft möglichst bald brauchbare Arbeitsergebnisse vorlegen zu können, ist geplant, vom Herbst d. Js. ab dieses Material in periodischen Sonderveröffentlichungen bekanntzugeben. In kleinen Wochenübersichten sollen, von einem ganz kurzen erläuternden Text begleitet, die allwöchentlich anfallenden Zahlen bekanntgegeben werden. In Monatsberichten soll dieses Material ergänzt von einem ausführlichen erläuternden Text begleitet werden. Die Monatsberichte sollen sich sowohl auf die inländische Wirtschaft wie auf die Wirtschaft der grösseren außerdeutschen Länder beziehen. Schließlich sollen vom nächsten Jahr an in Vierteljahrsberichten eingehende Textdarstellungen über die größeren Konjunkturzusammenhänge unterrichten.14
Zur „Konjunkturforschung“ hob Wagemann auf „die Aufdeckung der grösseren Gesetzmäßigkeiten im wirtschaftlichen Kreislauf und die allmähliche Entwicklung der Konstellationsbeschreibung zu Prognosen“15 ab und nannte mehrere geplante Forschungsfelder (Untersuchungen zu saisonalen Schwankungen, Beziehung des Außenhandels zur Konjunktur, Entwicklung eines Weltmarktpreisindex und die Zusammenhänge der Betriebs-
WWA K1 Nr. 571. In der Quelle wird nicht angegeben, in welchem Organ das Dokument publiziert wurde. 13 Siehe das Protokoll in BA R2501 6834. 14 Ebd. 15 Siehe auch Wagemanns Ausführungen zu „Diagnose und Prognose“ in seiner 1928 publizierten „Konjunkturlehre“, Wagemann 1928, S. 184 ff. 12
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Wagemann und das Institut für Konjunkturforschung –
wirtschaft mit der Konjunktur).16 Insgesamt waren Wagemanns protokollierte Ausführungen auf der Versammlung selbst sowohl programmatisch als auch inhaltlich weniger spezifisch als ein halbes Jahr zuvor vor dem Deutschen Industrie- und Handelstag. Von haushaltstechnischer und zugleich inhaltlicher Bedeutung waren Wagemanns Aussagen über das Verhältnis zwischen dem If K und dem StRA: Zwar sei eigentlich für das If K ein verhältnismäßig großer Apparat erforderlich, jedoch könnten die Haushaltsvoranschläge wegen der organisatorischen Verbindung des Instituts mit dem Statistischen Reichsamt niedrig gehalten werden: „Die statistische Zentralstelle ist in der Lage, die wichtigsten Tatsachen verarbeitungsbereit zur Verfügung zu halten, ohne dass auf einer Seite Mehrkosten entstehen.“ In der Diskussion ergänzte Wagemann diese Aussage wesentlich: Es müsse betont werden, dass dem Institut ein wissenschaftlich sowohl als auch pekuniär hoch einzuschätzender Vorteil daraus erwachse, dass ihm ohne weiteres die riesige Fülle von Material, wie es im Statistischen Reichsamt zusammenlaufe, zur Verfügung stehe; wäre das nicht der Fall, so könne mit derartig geringen Mitteln, wie der vorgelegte Etat ausweise, eine so umfangreiche Arbeit garnicht denkbar sein. Die Sache liege also so, dass sich das Reich nicht nur mit einem erheblichen Jahresbeitrag beteilige, sondern auch eine ungeheure Materialfülle kostenlos zur Verfügung stelle, wobei nicht übersehen werden dürfe und solle, dass auch die anderen bei der Gründung beteiligten Körperschaften usw. sich in dankenswerter Weise ebenfalls bereit erklärt hätten, das Konjunkturinstitut durch Lieferung bei ihnen anfallenden Materials zu unterstützen.17
Unerwähnt blieb, dass in der Folgezeit auch personell, nicht nur bei Wagemann selbst, die Abgrenzung zwischen beiden Institutionen unscharf war. Genau diese von Anfang an unklare haushaltstechnische Grenzziehung zwischen dem If K und dem StRA monierte der Reichssparkommissar18, der zugleich Präsident des Reichsrechnungshofs war, und lieferte später, 193319, einen sachlichen Grund, Wagemann aus seinem Amt als Präsident des StRA zu entlassen.
Als Beilage zum Gründungprotokoll (BA R2501 6834) findet sich eine Liste mit einem Arbeitsplan des Instituts, der acht Themen umfasste: „1. Ausgestaltung eines Konjunkturbarometers, 2. Index der Weltmarktpreise, 3. Untersuchungen über die Kapitalbildung, 4. Grundsätze der Emissionspolitik und Diskontpolitik bei den verschiedenen Zentralbanken, 5. Einflüsse der Goldproduktion und Goldbewegung auf den Geldwert, 6. Einflüsse der Umsatzsteuer auf die Konjunkturgestaltung in verschiedenen Ländern, 7. Die Entwicklung der Handels- und Zahlungsbilanz (Ausschaltung der Saisonschwankungen des Außenhandels) 8. Untersuchungen über die Frachtlage, Frachtenpolitik im Verhältnis zur Konjunkturgestaltung.“ 17 Ebd. 18 Die Aufgabe des Reichssparkommissars „war es, den gesamten ordentlichen und außerordentlichen Etat und die Implementation desselben zu prüfen und der Reichsregierung Vorschläge für Einsparungen, Vereinfachung der Verwaltungsstrukturen, Personalreduzierungen und die Abschaffung überflüssiger Behörden zu unterbreiten.“ Bögershausen 2009, S. 88. 19 1.4.1933, Beiträge des Reichssparkommissars zum Aufbau des Statistischen Dienstes. BA R2301 2234. In den Erläuterungen zur Rolle des Statistischen Dienstes behandelte der Reichssparkommissar auch die 16
Die Gründung des Instituts für Konjunkturforschung 1925
In der Diskussion auf der Gründungssitzung 1925 hatte Wagemann die inhaltliche Abgrenzung zwischen dem If K und dem StRA spezifiziert: Aufgabe des Statistischen Reichsamts sei es in der Hauptsache, Zahlen zu produzieren, während es nur in sehr beschränktem Masse dazu berufen und in der Lage sei, das Material nach allen Seiten auszuwerten. Weiterhin müsse beachtet werden, dass das Statistische Reichsamt nur in der Lage sei, exakte Feststellungen zu machen, dass es sich als höchste statistische Behörde des Reichs dagegen bei der Anwendung von Schätzungsmethoden Zurückhaltung auferlegen müsse. Hier solle das Institut eingreifen. Die Aufgaben des Instituts gingen alle weit hinaus über die, die dem Statistischen Reichsamt vorgeschrieben seien; sie überschritten die Grenze der blossen statistischen Feststellung.20
Aus dem ersten Haushaltsplan des If K (Geschäftsjahr 1925/26, 1.7.1925–31.3.1926) werden hier die geplanten Einnahmen aus den Jahresbeiträgen aufgeführt, wie sie den Teilnehmern der ersten Kuratoriumssitzung vorgelegen hatten:21 Das Reich, die Reichsbank, die Reichsbahngesellschaft, der Deutsche Industrie- und Handelstag und der Reichsverband der deutschen Industrie trugen jeweils 30.000 RM bei, auf die Banken entfielen 10.000 RM und auf die Arbeitnehmer 16.000 RM. Insgesamt wurde ein Haushaltsvolumen von 200.000 RM veranschlagt, für den vom Großhandel, Einzelhandel und den Konsumgenossenschaften noch ein Beitrag von zusammen 25.000 RM erwartet wurde. Daraus wurden u. a. ständige Mitarbeiter und Angestellte mit 38.100 RM und auswärtige nichtselbständige Mitarbeiter mit 30.000 RM vergütet. In seiner 1954 posthum herausgegebenen Theoriegeschichte wies Schumpeter auf das If K als Beleg für die Amerikanisierung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung und die Verbreitung moderner statistischer Methoden in Deutschland hin: „This institute was perhaps the most important single influence in spreading knowledge of modern statistical methods (as then understood).“22 Die Gründung des If K lässt sich aber über den amerikanischen Einfluss hinaus in eine breitere Zeitströmung einordnen. Kultur- und zeithistorisch passt Wagemanns Plädoyer zu dem Begriff der „Neuen Sachlichkeit“ oder dem Aufbruch in die „Klassische Moderne“. Gemeinhin Abgrenzung der statistischen Tätigkeit gegenüber der wissenschaftlichen Forschung und dabei die Trennung des Instituts für Konjunkturforschung vom Statistischen Reichsamt: „aus sachlichen, finanziellen und verwaltungsorganisatorischen Gründen [sollte] eine Trennung der beiden Verwaltungskörper in Erwägung gezogen werden […] Dieser Auffassung wird umsomehr zuzustimmen sein, als sich die gegen die Lösung geäusserten Bedenken durch entsprechende Richtlinien für die Zusammenarbeit des Statistischen Reichsamts und des von ihm getrennten Instituts für Konjunkturforschung beheben lassen müssten.“ Die Dernburg- Kommission hatte schon seit 1930 Einsparungen bei den statistischen Diensten untersucht und das If K ins Visier genommen. Ausführlich dazu Tooze 2001, S. 161–165 und Tooze 2016, S. 408–410; Kulla 1996, S. 59–61. 20 BA R2501 6834. 21 BA R2501 6834 F 26–27. 22 Schumpeter 1954, S. 1155, Fußnote 3. Siehe auch Schumpeter 1939, S. 21–25; vgl. zudem den kritischen Artikel von Kuschmann (1940) zur Konjunkturstatistik.
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wird dieser Aufbruch in Deutschland auf die Kunst, Architektur und Literatur in der Weimarer Republik reduziert, jedoch ging er weiter gefasst mit dem Glauben an die „unbegrenzten Möglichkeiten der modernen Technik“ und der Rationalisierungsbewegung des Fordismus einher. In den 1920er Jahren herrschte in Deutschland eine „ausgeprägte Fortschritts- und Rationalisierungseuphorie“.23 Daher sind Wagemanns Hinwendung zum amerikanischen Empirismus in der Konjunkturforschung (Harvard-Barometer), die Betonung der Nützlichkeit, seine Einforderung harter, objektiver Fakten, untermauert mit neuen statistischen Erhebungen und Methoden und die funktionalistische Überzeugung, die Konjunktur sei zu steuern, als technokratischer Aufbruch in die Moderne zu verstehen, der in die Zeitströmung der „Neuen Sachlichkeit“ eingeht.24 Auf wirtschaftlichem Gebiet manifestierte sie sich in Deutschland sowohl in der Neuorientierung des Statistischen Reichsamts wie in dem neu gegründeten If K, beides Institutionen unter der Leitung Wagemanns.25 Deutschland erlebte einen ähnlichen technokratischen Zugriff auf die Wirtschaftspolitik erst wieder in den 1960er Jahren, als der Sachverständigenrat eingerichtet wurde und sich mit dem Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik der Keynesianismus durchsetzte.26 Weltwirtschaftskrise und der Plan Wagemanns zur Krisenüberwindung
Die Entlassung Wagemanns als Präsident des Statistischen Reichsamts im März 1933 wird begreifbar, wenn neben den aktuellen Ereignissen Anfang 1933 die Rolle des If K und Wagemanns Agieren als bekanntester Ökonom Deutschlands während der Weltwirtschaftskrise herangezogen werden. Sein umstrittener Plan zur Krisenbekämpfung trug ihm nicht nur die Feindschaft nationalkonservativer Kreise und die Ablehnung durch die etablierte Ökonomenzunft ein, sondern soll ihn, wie Tooze meint, in die Fänge der wichtigsten Oppositionspartei, der Nationalsozialisten getrieben haben.27 Das Berliner If K war in der Überzeugung gegründet worden, Konjunkturschwankungen ließen sich mit den neuen Methoden der empirischen Wirtschaftsbeobachtung erfassen und prognostizieren. Wagemann dachte allerdings zunächst nicht an Prognosen aufgrund einer kausalgesetzlichen Erklärung des Konjunkturphänomens.
Spoerer/Streb 2013, S. 51–67. Sie weisen auf die Imitation/den Nachbau amerikanischer Werkzeugmaschinen hin (ebd. S. 55). 24 Peukert 1987, S. 166–190; siehe z. B. auch Borscheids Aufsatz zur „Beschleunigung der Arbeits- und Lebenswelten“, Borscheid 2001. 25 Siehe dazu auch den Überblick bei Tooze 2016, S. 398–404. 26 Zum 1964 eingerichteten Sachverständigenrat siehe Nützenadel 2005, S. 152–174; Hesse 2016, S. 427– 435. Erster Vorsitzender war der wissenschaftliche Direktor des RWI, Wilhelm Bauer, der unter Wagemann im DIW gearbeitet hatte. Zum Keynesianismus und Karl Schillers Wirken siehe auch Nützenadel 2005, vor allem S. 307–352. 27 Tooze 2016, S. 418. 23
Weltwirtschaftskrise und der Plan Wagemanns zur Krisenüberwindung
Vielmehr strebte er analog zu ärztlichen Heilmaßnahmen an, aus erkennbaren Symptomen eine Therapie, also eine erfolgreiche Konjunkturbeeinflussung, zu entwickeln. Prognosen sollten aus Konstellationsbeschreibungen der Phasen eines Konjunkturzyklus und aus dem Aufspüren von Wendepunkten über vorauseilende bzw. nachhinkende Konjunkturindikatoren abgeleitet werden.28 Die Brücke zur wirtschaftspolitischen Beeinflussung oder gar Beherrschung des Konjunkturzyklus war damit gebaut, bevor der Keynesianismus zum Synonym für eine antizyklische Krisenbekämpfung aufstieg. Gemessen an Wagemanns eigenen Ambitionen kreideten rückblickende Darstellungen dem If K und seinem Präsidenten ein untaugliches diagnostisches Instrumentarium für die Weltwirtschaftskrise an. Durch die keynesianische Brille betrachtet, erschien die Weltwirtschaftskrise als Paradebeispiel für das Versagen der nationalökonomischen Wissenschaft und damit verbunden der Wirtschaftspolitik. Rolf Krengel, Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), legte 1986 die Geschichte seines Hauses, des If K/DIW, vor und resümierte noch: „Das Institut für Konjunkturforschung hat […] den Beginn der großen Krise und die verhängnisvolle Funktion des Börsenkraches [im Oktober 1929 an der New Yorker Börse R. F.] ebenso wenig erkannt wie die Regierung und die Nationalökonomen schlechthin.“29 Erstaunlicherweise hat sich Krengels Interpretation oder besser die US-amerikanische Sichtweise über den Krisenbeginn hartnäckig gehalten.30 Gemeinhin gilt folglich heutzutage der Kurssturz der Aktien an der New Yorker Börse im Oktober 1929 als Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929–1933.31 Auch im Jubiläumsband des DIW zur 90-Jahrfeier 2015 steht der „25. Oktober 1929 […] der Schwarze Freitag“, markiere den „folgenreichste[n] Börsencrash des 20. Jahrhunderts“ und damit „den Beginn der Weltwirtschaftskrise“.32 Den damaligen Forschern am If K in Berlin und Essen dagegen hatte sich dieser Börsencrash nicht als epochal aufgedrängt, sie hielten ihn nicht einmal für bemerkenswert: In den Wochenberichten des If K wurde
Siehe Wagemanns Ausführungen zum ersten Heft der Vierteljahrshefte zur Konjunkturforschung (VjhK 1, 1926, S. 5). Vgl. auch Kulla 1996, S. 44–48, 100–110. 29 Krengel 1986, S. 21. 30 Neuerdings wird selbst dieser Begriff in Anlehnung an die amerikanische Bezeichnung „Great Depression“ für die Weltwirtschaftskrise auch im deutschen Sprachraum verwendet. Siehe die Titel der Bücher von Meister (1991): „Die große Depression“ mit dem Untertitel „Zwangslagen und Handlungsspielräume der Wirtschafts- und Finanzpolitik in Deutschland 1929–1932“ und Hesse/Köster/Plumpe (2015): „Die große Depression“ mit dem Untertitel „Die Weltwirtschaftskrise 1929–1939“. In der von Wolfram Fischer herausgegebenen Reihe zur „Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert“ lautete der Titel des einschlägigen Bandes von Charles Kindleberger (1973) noch selbstverständlich: „Die Weltwirtschaftskrise“, nur die englischsprachige Ausgabe trug den Titel: „The World in Depression: 1929–1939“. Die letzte „Große Rezession“ 2008 war ebenfalls Anlass, die klassische Weltwirtschaftskrise neu zu betrachten. Siehe Ritschl 2012 und Spoerer/Streb 2014. 31 Hesse/Köster/Plumpe 2015, S. 11. 32 DIW 2015, S. 11. 28
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er vielmehr beiläufig,33 in den Essener Konjunkturberichten überhaupt nicht erwähnt. In der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, Deutschland, sanken die Aktienkurse im Herbst 1929 zwar auch stark, jedoch im Gegensatz zu den USA setzte sich hier nur eine Tendenz fort, die schon viel früher begonnen hatte: In Deutschland war der Aktienindex schon seit Mitte 1927 fast ununterbrochen von über 130 auf unter 60 (1926/27 = 100) bis Ende 1930 gesunken.34 Und von einem Konjunkturabschwung war die deutsche Gesamtwirtschaft schon seit dem Frühjahr 1928 und in zunehmendem Maße seit Herbst 1929 betroffen.35 Als viel beunruhigender als die dramatischen Kursbewegungen der Wall Street im Herbst 1929 stellte sich dem If K die Lage auf den Aktienmärkten ein Jahr später dar. Im Gleichklang fast aller Länder waren nach einer leichten Belebung Anfang 1930 seit dem Frühjahr die Kurse außerordentlich scharf gesunken.36 Krengel belegte seinen Tadel über die Prognosefähigkeit des If K mit Zitaten aus den damaligen Analysen und Konjunkturberichten des If K, die in den Wochenberichten und den Vierteljahrsheften des Instituts erschienen waren. Er übersah in seiner retrospektiven Sichtweise, dass das If K den Konjunkturabschwung zwar sicher diagnostizierte, jedoch nicht sofort seine Schwere erkannte. Und die hatte strukturelle Ursachen. Aus denselben Publikationen des If K lässt sich jedoch auch belegen – deshalb nicht ganz widerspruchsfrei –, dass Wagemann in Berlin und Däbritz37, der Leiter der Essener Zweigstelle des If K, bereits Anfang 1930 neben den erwarteten, auch andersartige Elemente dieser Wirtschaftskrise erkannt hatten.38 Im Gegensatz zu den eher kurzfristig orientierten Aussagen in den Konjunkturberichten des If K und seiner Abteilung Westen waren in Berlin wie auch in Essen Zweifel geäußert worden, ob man einem üblichen Konjunkturzyklus ausgesetzt sei. Dort hielt man schon 1930 einen andersartigen Abschwung für möglich und zog sowohl die Theorie der langen Wellen als auch strukturelle weltwirtschaftliche Erklärungen dafür heran. Die griffen räumlich über Deutschland und zeitlich über 1930 hinaus. Beim Vergleich des „gegenwärtigen“ Zyklus mit den „Depressionsphasen des Jahres 1926 und der Vorkriegszeit“39 wurde in Essen spekuliert, ob sich der Rhythmus der langen Wellen durchsetze. Es könnte sein, daß dadurch auch der Charakter der einzelnen Zyklen beeinflußt würde. Sollte auf die lange Aufschwungswelle der beiden Jahrzehnte vor dem Weltkrieg jetzt eine Krengel 1986, S. 21. Siehe das Schaubild in KB 1930, H. 6, S. 13. KB 1931, H. 1, S. 3. WB 20.11.1930. Siehe die umfangreiche Biografie zu Walther Däbritz in Pierenkemper/Fremdling 2018, S. 162 ff. Siehe dazu ausführlich Pierenkemper/Fremdling 2018, S. 51–57; Fremdling/Stäglin 2008, S. 170 f. Darüber hinaus mit Belegen aus den Konjunkturberichten des If K Kulla 1996, S. 88–100. Siehe auch Tooze 2016, S. 405–407. 39 KB 1930, H. 2, S. 10–13.
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Weltwirtschaftskrise und der Plan Wagemanns zur Krisenüberwindung
lange Abstiegswelle folgen, so würde dies dazu führen müssen, das Vorbild für die künftige Entwicklung in dieser Hinsicht eher den 1870er und 1880er Jahren als der unmittelbaren Vorkriegszeit zu entnehmen.40
Das If K und explizit Wagemann hatten in den Wochenberichten schon seit Anfang 1930 länger wirkende Faktoren für den mehr als üblichen Abschwung des Konjunkturzyklus verantwortlich gemacht. Die sinkende Grundtendenz der Preise, die seit mehreren Jahren in fast allen Ländern zu beobachten war,41 wurde mit regelmäßigen Phasen von etwa 25 bis 30 Jahren Dauer in den letzten 150 Jahren in Verbindung gebracht. Mit dem Verweis auf Wagemanns Konjunkturlehre (1928) wurden diese Phasen im Wochenbericht vom 3. September 1930 über die sinkenden Rohstoffpreisen noch sehr vorsichtig mit den langen Wellen der Konjunktur erklärt.42 Der letzte Wochenbericht im Jahre 193043 brachte unter der Überschrift „Die weltwirtschaftlichen Depressionsherde“ eine klare Analyse und zeitliche Abfolge der sich selbst verstärkenden Schrumpfung der Weltwirtschaft: Neben dem Konjunkturrückgang in den Industrieländern wurde auf die 1927/28 einsetzende Preisbaisse auf den Rohstoffmärkten hingewiesen. Schrumpfende Kaufkraft in den Rohstoffländern und verminderter Importbedarf der Industrieländer hätten die Spirale nach unten gezogen. In dem ersten namentlich mit „E. W.“ gezeichneten Beitrag der Wochenberichte vom 1. April 1931 verknüpfte Ernst Wagemann Strukturtendenzen der Weltwirtschaft“ und Lange Wellen.44 Er wollte darauf hinweisen, dass einem künftigen konjunkturellen Aufschwung durch strukturelle Abwärtstendenzen Grenzen gesetzt seien. Die Weltwirtschaftskrise stellte sich Wagemann und Däbritz also nicht nur als der übliche Abschwung eines Konjunkturzyklus, sondern daneben auch als langfristig angelegte Strukturkrise dar. Wagemann selbst hätte dem Verdikt Krengels also vehement widersprochen45, und er wäre damit posthum sogar durch eine neue Interpretation der Weltwirtschaftskrise gestützt worden, die nicht zufällig in den 1980er Jahren mit der Borchardt-Kontroverse in der deutschen Historiografie aufkam, als weite Kreise der Nationalökonomie und damit die Wirtschaftspolitik vom keynesianischen Paradigma abgerückt waren.46
KB 1930, H. 2, S. 12 f. WB 12.2.1930. Wagemann 1932, S. 368 ff. WB 24.12.1930. Zum Konzept der „langen Wellen“ siehe auch Wagemann 1928, S. 69 ff. In einer seiner letzten Veröffentlichungen, brachte Wagemann (1954, S. 251) ein Schaubild mit dem monatlichen Verlauf des „Beschäftigungsgrades der Industriearbeiter“ und der „Produktionsindexziffer“ des If K von 1925 bis Mitte 1935. Dem jeweiligen Kurvenverlauf zugeschrieben sind die damaligen „Diagnosen“ aus den Vierteljahrsheften zur Konjunkturforschung. Er wollte damit belegen, „wie vorzüglich sich die Diagnosen und Prognosen [des If K] im allgemeinen bewährten“. Wagemann 1954, S. 250. 46 Spoerer/Streb 2013, S. 96. 40 41 42 43 44 45
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Der 1979 veröffentlichte Aufsatz des Münchner Wirtschaftshistorikers Knut Borchardt über „Zwangslagen und Handlungsspielräume in der großen Wirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre“ löste die nach ihm benannte Kontroverse aus.47 Im Kern bezweifelte Borchardt, dass Heinrich Brüning (Reichskanzler vom 31. März 1930 bis zum 30. Mai 1932) eine realistische Alternative zu seiner deflationären und damit prozyklischen Haushaltspolitik gehabt hätte. Als tieferliegende Ursache der spezifisch deutschen Krisenausprägung, als „Krise vor der Krise“, machte Borchardt das zu hohe Lohnniveau aus. Seit 1918 hätten politisch motivierte Lohnsteigerungen über die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität hinaus eine Umverteilung zu Lasten der Gewinne verursacht, die sich am Ende der Weimarer Republik in privater Investitionsschwäche und hoher Arbeitslosigkeit niederschlugen.48 Über die strukturellen Probleme der Weimarer Wirtschaft, welche die Krise in Deutschland verursachten oder sie doch über die weltwirtschaftlichen Einflüsse hinaus verschärften, gibt es keine Einigung in der von Borchardt ausgelösten Debatte; Konsens scheint jedoch darüber zu bestehen, dass der Handlungsspielraum der deutschen Regierung deutlich geringer war als jahrzehntelang naive Verfechter einer von Keynes inspirierten antizyklischen Wirtschaftspolitik geglaubt hatten.49 Es wäre allerdings genauso naiv anzunehmen, es hätte überhaupt keine Alternativen zur tatsächlich verfolgten Wirtschaftspolitik gegeben. Von den zahlreichen Vorschlägen der Zeitgenossen50 gegen Brünings rigide Sparpolitik eines ausgeglichenen Haushalts und für eine expansive Geldpolitik ist hier auf den Plan Wagemanns von Januar 1932 zu verweisen – er war der bekannteste Ökonom Deutschlands:51 Wagemanns öffentlichkeitswirksames Plädoyer52 für eine aktive Konjunkturpolitik machte ihn zum Gegner der Spar- und Deflationspolitik des Borchardt 1982a. Der Aufsatz mit dem Untertitel „Zur Revision des überlieferten Geschichtsbildes“ war ursprünglich 1979 im „Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften“ erschienen. Bündig zusammengefasst ist die Kontroverse von Spoerer/Streb 2013, S. 96; Tilly 2001, S. 174–178; Balderston 2002, S. 93–98 und von Hesse/Köster/Plumpe 2015, S. 194–199. Siehe zudem die Beiträge im Sammelband von Krüdeners 1990 und die Dissertation von Meister 1991. 48 Methodisch verwendete Borchardt mit der „kumulierten Reallohnposition“ ein Konzept, das der Sachverständigenrat ( Jahresgutachten 1977/78) für die Bundesrepublik entwickelt hatte. Über die Berechnungsmethode der Arbeitsproduktivität und der Lohnentwicklung entspann sich eine Diskussion. Siehe Holtfrerich 1984, S. 131; Ritschl 1990, S. 377; Ritschl 2002, S. 240; siehe auch Ritschl 2016a und Tilly (2001, S. 177 f.) mit einem Verweis auf eine frühere Arbeit Ritschls. 49 Siehe Hesse/Köster/Plumpe 2015, S. 196; Spoerer/Streb 2013, S. 96. 50 Ausführlich dazu Holtfrerich 2016c und Ritschl 2016a, S. 621 ff.; siehe auch Kroll 1958, S. 375–406 und Meister 1991, S. 280 ff. 51 Wagemann 1932. 52 Noch bevor die Reichsregierung von Wagemann am 20.1.1932 zwei Exemplare der Broschüre erhielt, hatte der „Berliner-Börsen-Courier in seiner gestrigen Abendausgabe“ darüber berichtet (Brief Wagemanns an Staatssekretär Pünder von der Reichskanzlei vom 20.1.1932, BA R43I 2438 F 41). Im Antwortschreiben vom 21.1.1932 (ebenda F 42 f.) bedauerte Pünder, dass „die Presse durch eine Indiskretion bereits in der Lage war, über Ihre Pläne eingehende Ausführungen zu veröffentlichen. Zweifellos ist dadurch eine – von Ihnen natürlich in keiner Weise beabsichtigte und verschuldete – Beunruhigung der Öffentlichkeit geschaffen 47
Weltwirtschaftskrise und der Plan Wagemanns zur Krisenüberwindung
Reichkanzlers Brüning und der restriktiven Geldpolitik der Reichsbank. Sein Plan sah neben einer Strukturreform des Bankwesens (Regulierung der Giralgeldschöpfung über Mindestreserven)53 eine Ausweitung des Geldvolumens (Banknoten) über eine Lockerung der Gold- und Devisendeckungsvorschriften vor.54 In der Besprechung in der Reichskanzlei zum Plan Wagemann am 28. Januar 1932 sorgte sich Reichskanzler Brüning, dass „durch die Wirkungen, die der Plan in der Öffentlichkeit auslöse, die Politik der Reichsregierung gefährdet“ würde. Es sei nicht möglich, „die sozialen Reformen durchzuführen, wenn die Arbeitnehmerschaft glaube, […] durch künstliche Schöpfung von Krediten in Höhe von 2 Milliarden RM eine Besserung der Lage“ zu erreichen. Ferner sah Brüning „reparationspolitisch […] schwere Gefahren“, denn das „Ausland werde glauben, daß Deutschland nun versuchen werde, durch künstliche Kreditschöpfung seine Wirtschaft zu verbessern um den Reparationszahlungen zu entgehen.“ Nach Auffassung des Kanzlers sei „die Besserung der Wirtschaft auf anderen Wegen zu erreichen. Insbesondere müßten Maßnahmen zur Krediterweiterung, gegebenenfalls mit äußerster Vorsicht und unauffällig getroffen werden.“ Schließlich solle auf Wagemann eingewirkt werden, den für den 1. Februar vorgesehenen Vortrag abzusagen. Der Reichsbankpräsident Luther sah „in dem Plan von Wagemann die Inflation.“ Das Vertrauen sehe er schwer gefährdet, so dass „von der Reichsbank aus gegen die Veranstaltung von Wagemann eine Gegenkundgebung erfolgen“ solle.55 Einen Tag später (am 29. Januar 1932) berichtete Brüning auf der Chefbesprechung56, dass „der Versuch des Reichswirtschaftsministers, Professor Wagemann von seinem für den 1. Februar geplanten Vortrag abzuhalten, misslungen sei. Es beständen auch Bedenken dagegen, den Vortrag gleichsam zu verbieten, weil sich daraus die Gefahr ergäbe, dass die Gerüchte Nahrung fänden, nach denen die Regierung dahinter stände.“ Wagemann habe sich allerdings „bereit erklärt, zu Beginn seines Vortrages eine mit der Reichsregierung formulierte schriftliche Erklärung zu verlesen, nach der es sich bei seinem Plan lediglich um eine Privatarbeit handelt, an der die Reichsregierung nicht beteiligt sei.“ Eine Abgrenzung von den beunruhigenden Vorschlägen Wagemanns sei geboten, denn „Angeblich sollen sich die Nationalsozialisten für den Plan Wagemann einsetzen.“
worden, die gerade in Währungsfragen und bei den gegenwärtigen Spannen [sic] in der Wirtschaft recht bedauerlich ist.“ 53 „in Höhe von mindestens 10 v. H. durch unverzinsliche Guthaben auf Girokonto bei der Reichsbank (Reservedepositen)“, Wagemann 1932, S. 27. 54 Regul 1981; Kroll 1958, S. 397 f.; Meister 1991, S. 343–351; Holtfrerich 2016c, S. 669–671; Tooze 2016, S. 412–418. 55 Quelle der Zitate und Paraphrasen: Vermerk über eine Besprechung in der Reichskanzlei unter dem Vorsitz des Reichskanzlers über den Plan Wagemanns am 28.1.1932, BA R43I 2438 F 54 f. 56 Quelle der Zitate und Paraphrasen: Ebd. F 63.
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Wagemann trug unbeirrt bereits am 30. Januar 1932 seinen Plan einer Geld- und Kreditreform „im kleinsten Kreise“ auf Einladung des Deutschen Industrie- und Handelstags vor.57 Zwei Tage später, am Montag, dem 1. Februar 1932, stellte er seinen Plan sogar mit öffentlicher Diskussion auf einer Veranstaltung der Studiengesellschaft für Geld- und Kreditwirtschaft im preußischen Herrenhaus vor.58 Die zitierten internen Dokumente belegen die politische Brisanz und die Zwickmühle, in der sich die Reichsregierung gegenüber der Aktion Wagemanns befand.59 Die aktuelle politische Wirkung seines Verhaltens sprengte deutlich den Kern der eigentlichen wirtschaftspolitischen Botschaft seines Plans. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass die exponierende Präsentation in einem öffentlichen Vortrag gegen den Willen der Reichsregierung und die breite Resonanz in der Presse als illoyaler Affront eines hohen Reichsbeamten gegen seine Regierung gewertet wurden.60 Wegen der vermeintlichen inflationären Konsequenzen61 seines Plans rief Wagemann über die offizielle Distanzierung der Regierung hinaus die vehemente Ablehnung prominenter Ökonomen (z. B. von Franz Eulenburg, Wilhelm Gerloff, Albert Hahn, Walther Lotz, Konrad Mellerowicz, Bruno Moll, Wilhelm Röpke, Fritz Terhalle und Ernst Walb)62, wie auch die Feindschaft nationalkonservativer Kreise (Alfred Hugenberg, Paul Reusch vom Reichsverband der Deutschen Industrie, RDI)63, die seinen Rücktritt
In dem Dokument ist eine ausführliche „Notiz“ über den Vortrag und die Diskussion überliefert (BA R11 1371 F 93–103). 58 BA R43I 2438 F 52, 57. 59 Siehe weitere Dokumente und Verweise auf Archivalien in Stäglin/Fremdling 2016b, S. 53–56. 60 Tooze 2016, S. 416 f. 61 Der Plan war widersprüchlich, denn er sah einerseits vor, über zusätzliche Banknotenzirkulation Geld zu schaffen, andererseits beim Buchgeld (Giralgeldschöpfung durch die privaten Banken) über erstmals eingeführte Mindestreserven Schranken einzubauen. Siehe Wagemann (1932, S. 54 ff.) zur Rolle der Reichsbank bei der Steuerung des Kreditvolumens. Nach Kroll (1958, S. 398) war Wagemanns Plan sogar „alles andere als inflationistisch, er hätte vielmehr in Zukunft das genaue Gegenteil bewirkt“, hätte er doch „in Zukunft jede Kreditexpansion der Banken außerordentlich erschwert“. 62 Siehe das Schreiben, verfasst von M. J. Bonn von der Handelshochschule Berlin, das 27 Hochschullehrer unterzeichneten. Nach einer Auseinandersetzung mit den Thesen des Wagemann-Plans wird folgende Schlussfolgerung gezogen: „Wir fühlen uns darum verpflichtet, die für die Währungs- und Finanzleitung des Deutschen Reiches verantwortlichen Stellen darauf hinzuweisen, dass nach unserer Überzeugung Programme von der Art des Wagemannschen nicht geeignet sind, der gegenwärtigen Lage abzuhelfen oder ‚die Überwindung der Kreditkrise‘ auch nur zu beschleunigen. Vielmehr können der Leitung der Notenbank in der freien Handhabung ihrer Mittel durch derartige Veröffentlichungen schwere Hemmnisse auferlegt werden.“ BA R43I 2438 F 86–102, 103. 63 Brief des Centralverbandes des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes, des Deutschen Industrie- und Handelstages, des Reichsverbands der Deutschen Industrie und des Reichsverbands des Deutschen Grossund Überseehandels an den Reichskanzler vom 3.11.1932 zu den Thesen Wagemanns zur Währungs- und Kreditpolitik: Die Verbandsvertreter waren besorgt, „dass dieses notwendige Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens [in die Währungs- und Kreditpolitik] durch die Propaganda ernstlich beeinträchtigt und gefährdet wird, die der Präsident des Statistischen Reichsamts und Direktor des Instituts für Konjunkturforschung, Herr Prof. Dr. Wagemann, für eine von den programmatischen Erklärungen der Reichsregierung und der Reichsbankleitung durchaus abweichende Währungs- und Kreditpolitik entfaltet“. (BA R43I 2438 57
Exkurs: Der nationalsozialistische Wirtschaftsaufschwung
forderten, hervor.64 Im Laufe des Jahres 1932 dürfte Wagemann Kontakte zu nationalsozialistischen Kreisen, zu Gottfried Feder dem führenden Ökonomen der NSDAP, und zu dem Wirtschaftsjournalisten Walther Funk, dem späteren Wirtschaftsminister, aufgebaut haben.65 Vermutlich traf er in dieser Zeit auch Hitler.66 Exkurs: Der nationalsozialistische Wirtschaftsaufschwung
Mit der Beschäftigungspolitik und vor allem den enormen Ausgaben für die Aufrüstung verschwand in Deutschland der systemimmanente Konjunkturzyklus. Das If K und auch seine Abteilung Essen verloren damit ihren eigentlichen Forschungsgegenstand. Dennoch expandierte das If K ungebrochen als Wirtschaftsforschungsinstitut unter dem neuen Regime mit Dienstleistungen und Forschungsgutachten, die sich in Essen vor allem der Raumforschung widmeten. Sichtbares äußeres Zeichen der Umorientierung war die überfällige Namensänderung in Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung.67 Um die Neuausrichtung des If K verständlich zu machen, wird hier der nationalsozialistische Wirtschaftsaufschwung in einigen Aspekten geschildert und historiografisch eingebettet. Teilweise noch unter Brüning selbst und dann unter seinen Nachfolgern als Reichskanzler, Franz von Papen (1.6.–3.12.1932) und Kurt von Schleicher (3.12.1932–28.1.1933), waren Arbeitsbeschaffungsprogramme beschlossen worden, die vor allem unter der Kanzlerschaft Adolf Hitlers umgesetzt wurden.68 Wenngleich schon zuvor beschlossen, werden die Beschäftigungspolitik und damit die Arbeitsbeschaffungsprogramme der 1930er Jahre heute zuweilen immer noch Hitler zugeschrieben, der am 30.1.1933 zum Kanzler ernannt wurde. 1933 erreichte die Arbeitslosigkeit in Deutschland ungekannte Ausmaße, und das Investitionsniveau war so tief gesunken, dass noch nicht einmal der Verschleiß des Kapitalstocks (Abschreibungen) kompensiert wurde.69 Im Jahresdurchschnitt waren 4,8 Millionen Menschen als arbeitslos registriert mit Tiefpunkten von etwa sechs Millionen in den Monaten Januar und Februar.70 Nach einem vertraulichen Bericht des Statistischen Reichsamts
F 277–279.) In derselben Akte finden sich noch zahlreiche Presseberichte, die sich kritisch mit dem „Konjunkturpapst Wagemann“ (hier BA R43I 2110) auseinandersetzen. 64 Tooze 2016, S. 417; Fremdling/Stäglin 2020a. 65 Tooze 2016, S. 417 f. 66 Siehe den Brief Wagemanns an Hitler vom 23.3.1933 (BA R43II 1157e), der unten in der biografischen Notiz zu Wagemann abgedruckt ist. 67 Ausführlich dazu Pierenkemper/Fremdling 2018, S. 106–157. 68 Buchheim 2008. 69 Abelshauser 1999, S. 505. 70 StJR 1941/42, S. 426.
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für das Reichswirtschaftsministerium von 1938 verursachten 1933 lediglich die öffentlichen Investitionen einen Nettozuwachs der Kapitalanlagen.71 Eine Einschätzung des Konjunkturaufschwungs unter der nationalsozialistischen Herrschaft hat nicht nur zu berücksichtigen, dass die Maßnahmen zur Überwindung des bisher nicht gekannten Konjunktureinbruchs in der Weltwirtschaftskrise schon vor dem Regierungsantritts Hitlers eingeleitet worden waren, sondern auch, dass die konjunkturelle Wende bereits im Jahr zuvor eingetreten war.72 Dies hatte die Abteilung Westen des If K sogar schon Anfang 1933 in ihrem Bericht zur „Konjunkturlage im rheinisch-westfälischen Industriebezirk Ende Januar 1933“ festgestellt: Erst Mitte des Jahres 1932 konnte diese Krise als überwunden und der wirtschaftliche Schrumpfungsprozeß im großen und ganzen als abgeschlossen gelten. Nach einem mehr als drei Jahre dauernden Rückgang lenken allem Anschein nach die Kurven der Konjunktursymptome in eine Horizontalbewegung ein. Diese Wendung und diese neue Haltung auf dem allerdings überaus tiefliegenden Niveau kennzeichnen den Konjunkturverlauf im zweiten Semester 1932.73
Die Umsetzung der zuvor konzipierten Arbeitsbeschaffungsprogramme ist fraglos dem Kabinett Hitler zuzurechnen.74 Die NS-Wirtschaftspolitik war allerdings primär auf die Vorbereitung des Krieges ausgerichtet, so dass, neben den übernommenen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Konjunkturbelebung, die Rüstungsausgaben mehr und mehr die öffentlichen Ausgaben dominierten. Fremdling/Stäglin haben über die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen hinaus die Beschäftigungswirkungen für die privaten Investitionen und die anderen staatlichen Ausgaben (öffentliche Investitionen und
BA R3102 2700, 19. April 1938; siehe auch StRA 1935, S. 689; für Zeitreihen über die Investitionstätigkeit vgl. die beiden Konjunkturstatistischen Handbücher If K 1933, S. 48 und Wagemann 1935, S. 61; StJR 1938, S. 539 f.; StH1949, S. 604; Ritschl 1992, S. 160; Fremdling/Stäglin 2016. 72 Borchardt 1984; Spree 2004 und Buchheim 2008. Dies lässt sich mit Daten des If K belegen. Das If K war für die Industrieberichterstattung verantwortlich und erhob von ausgewählten Firmen die Zahl der Beschäftigten, kombiniert mit Daten zur Kapazitätsauslastung (Gierth 1941). Die monatlichen Zahlen zum „Arbeitsvolumen: geleistete Arbeitsstunden in Prozent der Stundenkapazität“ zeigten den Tiefpunkt des Konjunkturzyklus im Jahr 1932 und einen deutlichen Aufschwung seit Januar 1933 an. Zu den entsprechenden monatlichen Daten für über 100 Industriezweige vgl. Wagemann 1935, S. 17–45. Mit einer anderen Methode, einem autoregressiven Modell, kommt Ritschl (2003, S. 134 ff.) zum selben Ergebnis. Abelshauser (1999, S. 505) allerdings bezweifelt diesen frühen Wendepunkt. Siehe auch die zeitgenössischen quantitativen Studien im Sammelband von Raab (u. a. von Wagenführ, v. der Gablentz, Weigert, Goldschmidt, Benning, Wolff, Jostock und v. der Decken), deren Daten bis in den Winter 1932/33 reichen, Raab 1933. 73 Das Heft wurde redaktionell am 24.1.1933 abgeschlossen. Letzter Satz des Zitates gesperrt gedruckt Siehe dort zu den Konjunktursymptomen die Tabelle über die „Bewegung wichtiger Wirtschaftsvorgänge des rheinisch-westfälischen Industriebezirks seit Juni 1931“. KB 1932, H. 4, S. 3 f. 74 Zu den Details der zeitlichen Umsetzung und der Höhe der Ausgaben siehe Grebler 1937, S. 418–421 und darauf aufbauend Buchheim 2008, Tabelle 3, S. 391; weiterhin Schiller 1936, S. 54 ff.; Spree 2004, S. 112 ff.; Spoerer/Streb 2013, S. 104 ff.; zur Erläuterung und Diskussion dieser Programme siehe ebenfalls Kroll 1958, insbesondere die Kapitel 10 bis 13. 71
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Rüstungsausgaben) modellhaft erfasst.75 Demnach sorgte die Aufrüstung bereits 1934 für mehr zusätzliche Arbeitsplätze als die Arbeitsbeschaffung. Zwischen 1933 und 1938 flossen mehr und mehr Ressourcen der deutschen Wirtschaft in die Vorbereitung des Krieges. Weder die Krisenbekämpfung noch der inhärente Konjunkturzyklus bestimmten die NS-Wirtschaft, sondern die „wehrwirtschaftliche“76 Umgestaltung der gesamten deutschen Volkswirtschaft. Ohne den fragwürdigen Zweck hier zu diskutieren, bleibt festzuhalten, dass der enorme Anstieg der öffentlichen Ausgaben nach den Ergebnissen von Fremdling/Stäglin die Beschäftigung wesentlich stärker ankurbelte als bisher in der neueren historiographischen Literatur angenommen wurde.77 Dort wird nach wie vor kontrovers diskutiert, ob die Wirtschaftspolitik des NS-Regimes notwendig war, um die Arbeitslosigkeit der Weltwirtschaftskrise zu überwinden und bis 1936/37 Vollbeschäftigung zu erzielen. Sicherlich kann man mit Ritschl über ein kontrafaktisches Szenario spekulieren:78 Danach sei die Defizitfinanzierung zu gering gewesen, um die Geschwindigkeit des Aufschwungs zwischen 1933 und 1936 zu erklären. Mit seiner Modellrechnung glaubt er dagegen belegen zu können, dass ein vergleichbarer Aufschwung auch ohne Hitler zustande gekommen wäre.79 Zweifellos lag der untere Wendepunkt des Konjunkturzyklus vor dem Regierungsantritt Hitlers im Jahr 1932, und möglicherweise waren die Arbeitsbeschaffungsprogramme, die ansteigenden öffentlichen Investitionen und die Aufrüstung keine notwendigen Bedingungen, um bis 1936/37 Vollbeschäftigung zu erreichen. Aufgrund der Berechnungen von Fremdling/Stäglin kann allerdings behauptet werden, dass diese Maßnahmen für diesen Zweck eine hinreichende Bedingung waren. Das stützt die Auffassungen von Abelshauser, Cohn und Overy.80 Overy schrieb dem NS-Regime eine Vielzahl wirtschaftspolitischer Maßnahmen zu, welche die angebahnte wirtschaftliche Entwicklung erweiterten und beschleunigten. Allerdings sollte Overys Chronologie modifiziert werden, die der Aufrüstung erst seit 1936 zunehmende Bedeutung zuer-
Siehe Details in Fremdling/Stäglin 2016 und 2020b. Zum Begriff „Wehrwirtschaft“ siehe Herbst 1982, S. 96 ff. Eine Zusammenfassung der Diskussion bieten Ritschl 2003, S. 126–128; Spree 2004; Spoerer 2005 und Spoerer/Streb 2013, S. 114 ff. 78 Ritschl 2003; ähnlich Buchheim 2008. 79 Ritschl 2003, S.126. „that public deficits were too small to account for the speed of recovery between 1933 and 1936“ und „An upswing under selffulfilling expectations would have had exactly the same vigor without Hitler and without deficit spending.“ 80 „Der Erfolg [Vollbeschäftigung im Laufe des Jahres 1936] wurde von der öffentlichen Meinung – durchaus zu Recht – der NS-Krisenpolitik gutgeschrieben.“ (Abelshauser 1999, S. 511). „In contrast to the United States and Britain, fiscal policies undertaken by the Nazis helped to promote a quick and complete economic recovery from the Great Depression in Germany.“ (Cohn 1992, S. 318). „a wide range of government policies designed to augment and speed up the existing recovery“. (Overy 1982, S. 65; Overy 1975). Siehe dagegen Ritschl: „Deutschland hatte nicht wegen Hitler und der Arbeitsbeschaffung eine Sonderkonjunktur, sondern nahm trotz Hitler am internationalen Konjunkturaufschwung ab 1933 teil.“ (2003, S. 138). 75 76 77
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kannte. Tatsächlich dürfte schon ab 1934 die Aufrüstung an die erste Stelle gerückt sein.81 Wagemanns Doppelfunktion: Präsident des Statistischen Reichsamts und Direktor des Instituts für Konjunkturforschung
Die spektakuläre vorläufige Beurlaubung Wagemanns als Präsidenten des StRA und Direktor des Instituts für Konjunkturforschung (If K) am 17. März 1933 durch RWM Alfred Hugenberg82 ist inzwischen vielfältig, durch Archivrecherchen abgesichert, dokumentiert.83 Das StRA war dem Reichswirtschaftsministerium schon in der Weimarer Republik zugeordnet gewesen, und RWM Hugenberg war Wagemann nicht wohlgesonnen. Im Februar/März 1933 und verstärkt nach dessen Beurlaubung von seinen Ämtern wurden aus dem StRA u. a. von der Nationalsozialistischen Betriebsorganisation (NSBO) und anderen internen Widersachern Wagemanns (z. B. Wilhelm Leisse84) bis hin zu einigen seiner Direktoren schwerwiegende Vorwürfe gegen Wagemann und weitere Führungskräfte im StRA erhoben.85 Wagemanns Amtsführung, insbesondere die unzureichende Abgrenzung zwischen dem StRA und dem If K, seine Personalpolitik, seine mangelnde Verwaltungsfähigkeit und sogar Korruption wurden ihm angelastet. Exemplarisch ist das Schreiben der Nationalsozialistischen Betriebsorganisation (NSBO) im Statistischen Reichsamt an Reichsminister Göring vom 28. Februar 1933:86 „Die unterzeichneten Führer der N. S. B. O. […] im Statistischen Reichsamt sprechen hierdurch die Bitte aus, die bisher in preussischen Staatsstellen begonnene Säuberungsaktion nunmehr auch für unsere Reichsbehörde veranlassen zu wollen.“ Dem Schreiben beigefügt war ein Schriftsatz, in dem sie das Verhalten und die Rolle von sechs Beamten schilderten und deren Entlassung forderten: An erster Stelle
Herbst (2016, S. 637) wies darauf hin, dass bereits im Jahr 1934 „das im Dezember 1933 beschlossene große Aufrüstungsprogramm seine Wirkung“ entfaltete. „Diese tiefgreifende Zäsur, die das Jahr 1934 darstellt und die ebenso wichtig ist wie die Zäsur im Jahre 1933, ist in der historischen Forschung unterbelichtet worden.“ 82 Hugenberg (Parteivorsitzender der Deutschnationalen Volkspartei [DNVP] und bis 26.6.1933 RWM) hatte schon vor seinem Ministeramt im Kabinett Hitlers wirtschaftspolitische Auseinandersetzungen mit Wagemann gehabt. Zum umstrittenen Wagemann-Plan von 1932 siehe die Verweise zu den Quellen in Stäglin/Fremdling 2016b. Tooze (2001, S. 178) verweist auf eine Arbeit von Krohn. Vgl. auch Wissler 1954, S. 32 ff.; Kulla 1996, S. 70 ff. 83 Wietog 2001, S. 44 ff.; Tooze 2001, S. 177 ff.; Fisch 2016, S. 26–28. Siehe zum gesamten Vorgang Auszüge und Paraphrasen aus dem Schriftverkehr in Stäglin/Fremdling 2016b, S. 59 ff. 84 Siehe die biografische Skizze im Anhang. Leisse war leitender Beamter im StRA und bereits seit März 1932 Mitglied der NSDAP. 85 Fisch 2016, S. 27. 86 BA R43II 1157e F 3–8. 81
Wagemanns Doppelfunktion
stand Wagemann, der wegen seines politischen Opportunismus („Die politische Entwicklung Wagemanns reicht vom Linken demokratischen Flügel bis (seit Mitte 1932) hart an die politische Einstellung unserer Bewegung“), seines Verhaltens gegenüber den Untergebenen (er habe „sich niemals um das Wohl und die Arbeit seiner Untergebenen gekümmert“), seiner vielen Posten, seines hohen Nebeneinkommens („pro Vortrag mitunter ca. 600 Mark“) und seiner „undurchsichtigen Verschiebungen“ von Personal zwischen dem Statistischen Reichsamt und dem Institut für Konjunkturforschung angegriffen wurde. „Hierdurch ergibt sich automatisch auch eine staatsrechtliche Verquickung der Reichsbehörde mit dem als Privatunternehmen aufgezogenen Institut. Es finden somit unzweifelhaft Reichsgelder Verwendung für rein privatwirtschaftliche Zwecke.“ Nicht weniger heftig waren die Anschuldigungen gegen Wagemann in einer „Denkschrift“ über „Korruption im Statistischen Reichsamt“, die Wilhelm Leisse im März 1933 verfasst hatte:87 Auch hier wurden Wagemann wegen der personellen Verflechtung zwischen dem StRA und dem If K Fehlverhalten und Korruption vorgehalten; er wurde für den geldlichen Nutzen, den er aus seiner an sich ehrenamtlichen Tätigkeit als Institutsdirektor mit geringer Aufwandsentschädigung zog und für seine Besetzung der Etat- und Personalstelle im Statistischen Reichsamt und im Institut mit derselben Person (Oberregierungsrat Pusch) gerügt. Eine Reihe höherer Beamter und Angestellter ist für das Reichsamt überhaupt kaum noch tätig, sondern arbeitet zu 90–95 % nur für das Institut, bezieht aber neben den Einnahmen aus dem Institut das Reichsgehalt. […] Die Beträge, die höhere Beamte neben ihrem Beamtengehalt monatlich vom Institut beziehen, haben in den letzten Jahren zwischen 200 und 650 RM je Person und je Monat geschwankt. Der Präsident hat ein Mehrfaches dieses Betrages monatlich aus dem Institut neben seinem Monatsgehalt bezogen.88
Es müsse geprüft werden, wem die Abonnementseinnahmen aus den Wochenberichten zuflössen und wie der Vertrag mit dem Verlag Reimar Hobbing gestaltet sei, der für den Vertrieb aller Veröffentlichungen des Reichsamts und des Instituts zuständig war. Präsident Wagemann betrachte „das Statistische Reichsamt als Mittel für seine BA R43II 1157e F 14–23, die Denkschrift war nicht unterzeichnet. Sie war dem Brief des Staatssekretärs im Reichsministerium des Innern an Staatssekretär Dr. Lammers in der Reichskanzlei vom 10.3.1933 beigefügt. Zur Urheberschaft siehe die Äußerung von Wagemann (BA R43II 1157e F 34–38, Anlage zum Brief des RWM an den Staatssekretär in der Reichskanzlei vom 3.5.1933): „Die Schmähschrift ‚Korruption im Statistischen Reichsamt‘ [ist] nach eigenem Zugeständnis von Oberregierungsrat Dr. Leisse verfasst“. Wagemann nahm zu den Vorwürfen Stellung und schloss: „Als besonders betrüblich muss ich es sehen, dass der Denunziant sich öffentlich als Mitglied der N. S. D. A. P. bezeichnet und als solcher im Reichswirtschaftsministerium meine Beurlaubung betrieben hat, obwohl in eingeweihten Kreisen bekannt ist, dass ich seit Jahren in freundschaftlicher Beziehung zur nationalsozialistischen Bewegung stehe.“ 88 Wagemann erhielt vom If K jährlich 24.000 RM. Siehe Bericht des Sonderkommissars (Freiherr von Massenbach) des Reichswirtschaftsministers für Personal- und Organisationsangelegenheiten des Statistischen Reichsamts über das vorläufige Ergebnis seiner Ermittlungen vom 8.4.1933 (BA R43II 1157e F 46). 87
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persönlichen Zwecke. […] Verantwortungsbewusstsein für sparsame Verwendung der öffentlichen Mittel“ sei nicht vorhanden, „sonst wäre das Reichsamt nicht von 600 Köpfen auf 3 500 Köpfe aufgebläht worden, bis es durch die Not der Zeit wieder auf 1 500 Köpfe verkleinert wurde“; die Personalpolitik habe bei der Besetzung von Stellen bis heute „nur SPD-Leute, Zentrumsangehörige und Juden“ berücksichtigt, es sei eine ausgesprochene Linkspolitik betrieben worden; in der „Denkschrift“ wurden neun jüdische Beamte namentlich aufgeführt, von denen Wagemann einige zur Beförderung vorgeschlagen hatte. Begründet wurde die „Korruption auf so breiter Linie“ damit, dass der Präsident „eine Kamarilla getreuer Helfer um sich geschart hat, die fast als einzige Beamte Zutritt zu ihm hatten“. Seine politische Einstellung wurde so gekennzeichnet, „dass er es immer verstanden hat, sein Mäntelchen nach dem Winde zu hängen“; nicht verkannt wurde sein wissenschaftliches Können: „W. ist durchaus ein Mann mit Ideen, wenn er auch von seiner eigenen Fakultät an der Universität Berlin als ‚Null‘, betrachtet wird.“ Allerdings habe er auch „die Objektivität in der Amtsarbeit oft […] vermissen lassen“, wofür drei zweifelhafte Beispiele angeführt wurden. Erstens wurden Bewertung und Verbuchung der Reparationsausfuhr angeführt, die von der „Rechtspresse“ als „zur Rechtfertigung der Erfüllungspolitik erfunden“ gerügt wurde. Zweitens sei die Publikation von „Zahlen über die Investitionstätigkeit der deutschen Industrie […] im französischen Parlament als Kronzeuge für die Zahlungsfähigkeit Deutschlands“ zitiert worden. Drittens habe er in seiner Broschüre „Was ist Geld?“ […] „als Beamter die damalige Regierung von Papen und den Reichsbankpräsident Dr. Luther“ angegriffen. Der Angriff gegen Luther sei nicht der „Sache wegen“ erfolgt, „sondern um den Reichsbankpräsidenten zu stürzen und sich an seine Stelle zu setzen. Auch dabei ist für ihn nur das hohe Einkommen […] von Interesse“. Zum Schluss der „Denkschrift“ heißt es: Erst wenn das Amt mit eisernem Besen ausgekehrt wird und Präsident W. verschwindet, wird Sauberkeit in der Verwaltung des Statistischen Reichsamts geschaffen werden können. Auf seinen Posten gehört eine starke Persönlichkeit. […] Zwischen Institut und Reichsamt muss eine scharfe Trennung vollzogen werden, oder das Institut wird in das Reichsamt als Konjunkturabteilung eingegliedert. Die jahrelangen Betteleien bei Industrieverbänden und Gewerkschaften usw. zur Beschaffung von Mitteln für das Institut müssen aufhören, weil sonst die Objektivität der wissenschaftlichen Forschung leidet. Jedenfalls gilt es, hier keine halben Maßnahmen zu ergreifen. Erfolg kann nur beschieden sein, wenn das Statistische Reichsamt von oben nach unten „durchgekämmt“ wird.89
Dementsprechend entließ RWM Hugenberg am 22. Mai 1933 Wagemann, nunmehr endgültig, als Präsidenten des StRA.90 Hugenberg begründete seine Entscheidung BA R43II 1157e F 14–23. Brief von RWM Hugenberg an den Präsidenten des StRA, Wagemann, vom 22.5.1933 (BA R43II 1157e, Abschrift): „Nach dem Ergebnis der Ermittlungen über Ihre Amtsführung ist es im dienstlichen Interesse 89 90
Wagemanns Doppelfunktion
gegenüber der Reichskanzlei damit, dass Wagemann „seine Pflichten bei der Leitung des Statistischen Reichsamts vernachlässigt“ habe. Diese Tatsache ist auch durch die Äusserungen der Direktoren erwiesen. […] Aus den dienstlichen Äusserungen der Direktoren ergibt sich, daß das zu einem reibungslosen Zusammenarbeiten zwischen dem Präsidenten und der Beamtenschaft unbedingt notwendige gegenseitige Vertrauen nicht vorhanden ist und daß daran lediglich die Art der Amtsführung des Präsidenten Wagemann schuld ist.91
In ausführlichen Stellungnahmen hatten die Direktoren des StRA Grävell, Platzer, Reiner, Bramstedt, Burgdörfer, Wohlmanstetter und Meisinger sich klar gegen Wagemann ausgesprochen. Die Zusammenfassung der Stellungnahmen und der Gegenäußerung Wagemanns („Auszugsweise Aufzeichnung über den Bericht betreffend Wagemann“) vom 18. Mai 1933 schließt mit der Stellungnahme: „Der Herr Reichskanzler überläßt die Entscheidung im Falle Wagemann dem Herrn Reichswirtschaftsminister.“92 Nach seiner Entlassung erhielt Wagemann jedoch seine Funktion als Leiter des If K am 17. Juni 1933 vor allem durch die Unterstützung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) wieder zurück.93 Im Wochenbericht des If K vom 2. August 1933 verknüpfte Wagemann sein öffentliches94 Treuebekenntnis zum Regime mit seiner These von 192695, dass der Liberalismus eines Adam Smith obsolet geworden sei. Er zitierte auf der Kuratoriumssitzung notwendig, Sie von dem Amt des Präsidenten des Statistischen Reichsamts abzulösen.“ Hugenberg berief sich auf „§ 5 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933“. Alternativ konnte Wagemann zwischen einer Versetzung in das RWM oder in den Ruhestand wählen. 91 Brief des RWM an den Staatssekretär in der Reichskanzlei vom 3.5.1933, BA R43II 1157e F 49. 92 Anlagen zum Brief des RWM an den Staatssekretär in der Reichskanzlei vom 3.5.1933 und Aufzeichnung vom 18.5.1933, BA R43II 1157e F 59–82. Siehe auch (ebenda F 83) den Brief der Reichskanzlei an RWM Hugenberg in dem steht, dass der „Herr Reichskanzler“ von den „Äusserungen der Direktoren des Statistischen Reichsamts und [der] Gegenäusserung des Präsidenten dieses Amtes … Kenntnis genommen“ habe. 93 „Pg.Wagemann wird mit 28 Stimmen zum Leiter des Instituts für Konjunkturforschung gewählt (dagegen stimmt weisungsgemäß Ministerialdirektor Reinhardt [als Vertreter der Reichsregierung] mit 1 Stimme; der Stimme enthalten sich das Reichsarbeitsministerium (1), der Deutsche Industrie- und Handelstag (2), die Reichsbank (2)).“ Bericht über die Sitzung des Kuratoriums des If K, BA R2501 6835. Die institutionelle Trennung zwischen dem If K und dem StRA hatte wegen der Interessenkollision auch der Reichssparkommissar empfohlen. Dies stünde einer Zusammenarbeit nicht entgegen. BA R2301 2234 F 229 ff.; siehe auch Tooze 1999, S. 538; Kulla 1996, S. 58 ff. 94 Intern auf der Kuratoriumssitzung am 17.6.1933, auf der er wieder zum Leiter des If K gewählt wurde, hatte sich Wagemann in seiner Dankesrede ähnlich geäußert: Er sei „insbesondere der Deutschen Arbeitsfront zu tiefstem Dank verbunden […] Das Konjunkturinstitut ist eine Einrichtung, deren Konstruktion durch den berufsständischen Aufbau gekennzeichnet ist, und deren Funktionen hauptsächlich in der Erforschung des Arbeitsmarktes liegen. So ist sie besonders berufen, Geist und Wesen des neuen Staates zu verkörpern. An ihrer Zerstörung könnte nur reaktionärer Liberalismus ein Interesse haben. Der neue Staat aber kann sie nicht entbehren. Das Institut für Konjunkturforschung wird unter meiner Leitung bestrebt sein, seine Träger, die großen Körperschaften und Verbände, in ihren großen Arbeiten für den neuen Staat und die Neugestaltung der deutschen Wirtschaft nach Kräften zu unterstützen“ BA R2501 6835 F 408. 95 „Einführungswort“ zum 1. Jahrgang der VjhK, WB 2.8.1933.
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am 16. Januar 1934 aus dem Wochenbericht, dass die „Konjunkturforschung […] im Kern die Ablehnung eines Liberalismus […] in der vollen Ellenbogenfreiheit für den einzelnen“ bedeute. „Nicht Ellenbogenfreiheit, sondern Tuchfühlung zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen, zwischen Privatwirtschaft und Volkswirtschaft, mit anderen Worten: Ausrichtung der Einzelinteressen auf das Gesamtwohl fordert der Geist der neuen Staatsführung.“ Es sei „vornehmste Aufgabe“ des If K, „dem einzelnen den Blick über den engeren Kreis seiner eigenen Interessen hinaus auf die Gesamtwirtschaft zu erleichtern[…] Diese Aufgabe stehe im Einklang mit den grossen wirtschaftspolitischen Zielen, die der Führer Adolf Hitler der nationalsozialistischen Regierung gesteckt habe.“96 Auch später distanzierte sich Wagemann ausdrücklich von liberalen Ideen. Auf einer „Sonderveranstaltung der Arbeitsgemeinschaften der N. S.-Betriebszelle des Instituts für Konjunkturforschung“ am 14. April 1934 wurde von einem Beobachter der volkswirtschaftlichen und statistischen Abteilung der Reichsbank Folgendes aus seinem Vortrag über die „Krisenbekämpfung im nationalsozialistischen Staat“ protokolliert:97 „Einleitend stellte der Redner dem Defaetismus des Liberalismus […] den Gestaltungswillen des Nationalsozialismus gegenüber, der durch eifrige staatliche Aktivität der Krise Herr zu werden versuche.“ Expansion und Funktion des Instituts in der Kriegswirtschaft
Das If K wurde nicht nur weiterhin u. a. von zahlreichen Ministerien, wie dem RWM, finanziell getragen, sondern war als Gutachter, nicht zuletzt in der Person Wagemanns, nach wie vor sehr gefragt.98 Höhepunkt der Dienstleistung für die Regierung war zweifellos die direkte Einbindung der Industrieabteilung des Instituts in die Lenkung der Kriegswirtschaft zunächst im RWM und danach im Rüstungsministerium. Da die Konjunkturforschung in der NS-Wirtschaft obsolet geworden war, hatte das If K auf die fundamental geänderten Bedingungen für seine Gutachter- und Beratertätigkeit zu reagieren. Als erstes fällt die relativ späte Namensänderung auf, die als GSPK I. HA Rep. 120 CVIII 2a Nr. 33, Bd. 2. In den VjhK (1933 7. Jg., H.4 u. 8. Jg., Juni 1933) gibt es keine entsprechende Passage. Nach Krengel (1986, S. 54 f.) sei Wagemann zu diesem „Bekenntnis mit Sicherheit vom Propagandaministerium gezwungen“ worden. Die Veröffentlichungen des If K wurden in der Tat vom Ministerium vorzensiert. Warum aber zitierte Wagemann den Wochenbericht fünf Monate später in der Kuratoriumssitzung wörtlich und ergänzte ihn mit der Bemerkung über Hitler, die Krengel, wie das gesamte Protokoll der Sitzung, nicht kannte? 97 BA R2501 6509 F 309. Der Vortrag und Zusammenfassungen in der Presse (Berliner Börsenzeitung) wurden von der Reichsbank als diskussionswürdig angesehen, weil Wagemann behauptete, dass eine Erhöhung der kreditfinanzierten öffentlichen Ausgaben um eine Milliarde RM zur Arbeitsbeschaffung keine inflationären Wirkungen habe, falls gleichzeitig eine weitere Milliarde zur Steuersenkung und damit Kostensenkung bei den Betrieben diene. Die Reichsbank bat, ihr Material zuzusenden, das Wagemanns These untermauere. Siehe den siebenseitigen Briefentwurf, ebenda F 313–316. 98 Stäglin/Fremdling 2016a (siehe dort die Übersicht S. 28–52); Tooze 1993; Tooze 2001, S. 181. 96
Expansion und Funktion des Instituts in der Kriegswirtschaft
sichtbares Zeichen die Abwendung von der Konjunkturforschung dokumentiert. Die überfällige programmatische Umbenennung in Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wurde auf der Kuratoriumssitzung99 vom 18. Juni 1941 vollzogen.100 Wagemanns Ausführungen dazu sind folgendermaßen protokolliert: Schon seit vielen Jahren trage sich die Institutsleitung mit dem Gedanken, den Namen des Instituts abzuändern, da das Wort „Konjunktur“ mehr und mehr in der öffentlichen Meinung seines wissenschaftlichen Charakters entkleidet und zu einem politischen Begriff geworden sei. Das habe, zumal in den ersten Jahren der Machtübernahme, wiederholt zu Angriffen gegen das Institut von verschiedenen Seiten her geführt. Dazu komme aber noch, daß in der Tat der Begriff „Konjunktur“ nicht mehr den tatsächlichen Arbeitsbereich des Instituts umreiße. Das habe in letzter Zeit, wie erwähnt, auch dem Herrn Reichswirtschaftsminister wieder Anlaß zu der Anregung gegeben, den Namen des Instituts jetzt abzuändern, und es als „Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung“ zu bezeichnen. Präsident Wagemann glaubt, daß diese Änderung nicht nur aus rein formalen Gründen, sondern auch aus sachlichen Erwägungen zweckmäßig sei; denn die Arbeiten des Instituts umfaßten doch den Bereich der öffentlichen und privaten Wirtschaft in weitestem Umfange. Der neue Name werde daher geeignet sein, auch den Kreisen, denen nicht durch eine laufende Zusammenarbeit oder aus regelmäßigem Studium der Veröffentlichungen die Institutsarbeiten genauer bekannt seien, eine richtige Vorstellung von den Aufgaben und Zielen des Instituts zu vermitteln.101
Wagemann konnte so vage bleiben, weil allen Kuratoriumsmitgliedern klar war, dass die aktuelle Kriegswirtschaft, oder die auf Kriegsvorbereitung ausgerichtete Kommandowirtschaft102 zuvor, im Wesentlichen durch administrative Organe, also durch eine staatliche Lenkung und durch die privatwirtschaftlichen Zwangskörperschaften (die Reichs- und Wirtschaftsgruppen) gesteuert und reguliert wurde. Der klassische Konjunkturzyklus, der zu einer primär marktwirtschaftlich-kapitalistischen Wirtschaftsordnung gehört, war damit in Deutschland verschwunden. Auch nach der institutionellen Trennung im Frühjahr 1933 arbeiteten das If K und das StRA weiter eng zusammen,103 zum Beispiel in der Agrarstatistik.104 Das StRA ließ sich in der Folgezeit vom If K sogar bereitwillig bitten, für das Konjunkturstatistische
Im Kuratorium, das nach der Satzung nur juristische Personen umfasste, saßen u. a. mehrere Ministerien, öffentlich-rechtliche Banken, die Reichwirtschaftskammer, die Deutsche Arbeitsfront, die I. G.-Farbenindustrie A.-G. sowie mehrere der in den Wirtschaftsgruppen zwangszusammengeschlossenen Wirtschaftsverbände. BA R11 111 F 93. Die Satzung des DIW vom 14.7.1941 ist im Vereinsregister des Registergerichts beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg (Gesch. Nr. 581) einzusehen. 100 Protokoll über die Sitzung des Kuratoriums des Instituts für Konjunkturforschung, BA R11 111 F 88–89. 101 Ebd. 102 Petzina 1968, S. 11. 103 Jacobs 1971, S. 311. 104 Vgl. Fremdling 2010, S. 220. 99
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Wagemann und das Institut für Konjunkturforschung –
Handbuch 1933 „beigefügte Übersichten ausfüllen lassen zu wollen“, von übersandten Tabellen „die Reihen prüfen zu lassen und fehlende Zahlen zu ergänzen“ sowie Steuerdaten zu übermitteln.105 Auf der anderen Seite war das Generalreferat „Ausländische Wirtschaftsstatistik“ des StRA „auf die Veröffentlichungen des I. f. K. mitangewiesen“ da es selbst nur in grösseren Zeitabständen umfassendere Berichte über die Entwicklung der Weltwirtschaft gebe, und die räumliche Trennung eine engere Zusammenarbeit stark erschwere. Es bat im Dezember 1934, in den Verteiler für Veröffentlichungen des If K aufgenommen zu werden.106 Zwar lassen sich Fälle belegen, in denen das StRA dem Institut den Zugang zu nicht veröffentlichten Statistiken verweigerte,107 was nach den Geheimhaltungsvorschriften und dem Veröffentlichungsverbot möglich war.108 Jedoch dürfte dies das If K kaum behindert haben, denn das Institut expandierte nach der Trennung enorm. Ohne umfassenden Zugriff auf statistisches Basismaterial über die Ministerien, die Wirtschaftsverbände und das StRA hätte es seine umfangreiche, empirisch ausgerichtete Gutachtertätigkeit überhaupt nicht leisten können.109 Über die während des Krieges noch veröffentlichten Schriften und vor allem über die vertraulichen und geheimen, also nicht veröffentlichten, Arbeiten des Instituts haben Stäglin und Fremdling 2016 ein Arbeitspapier vorgelegt, das detailliert Themen und Auftraggeber auflistet.110 Hier sei deshalb lediglich auf ein anderes sichtbares Zeichen für die zunehmende Bedeutung des Instituts während der NS-Zeit eingegangen, nämlich die Steigerung seines Budgets: Im Haushaltsjahr, 1934/35, verzeichnete das If K Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen von 300.546 RM. Davon entfielen auf die Es-
Siehe die entsprechenden Briefwechsel zwischen 1934 und 1937, BA R3102 2391 (1) F 55–61, 70 f., 134–141. 106 BA R3102 3586 F 95. 107 Siehe den Briefwechsel zwischen dem Österreichischen Institut für Konjunkturforschung, das 1938 vom If K übernommen wurde, und dem RWM bzw. dem Ministerium für Wirtschaft und Arbeit in Wien im Februar/März 1939 (BA R3101 31275 F 153–160). Dem Institut wurde der Zugriff auf Bergbaudaten zunächst verweigert: „Das Konjunkturforschungsinstitut ist auch heute noch eine Vereinigung, der ein amtlicher Charakter nicht zukommt“ (F 157). Der Konflikt wurde ausgeräumt, als das Institut „nunmehr dem Stabe des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Oesterrreichs mit dem Deutschen Reich angeschlossen“ war (F 160). 108 Vgl. die Akte BA R3102 3082: „Beschränkungen und Verbote von Statistischen Veröffentlichungen wirtschaftlicher Art“. Siehe auch die umfangreiche Akte (BA R3101 31275), die sich mit Richtlinien und spezifischen Veröffentlichungsverboten zwischen 1939 und 1941 für den Bereich Bergbau befasst. Dort (F 33- F 44) finden sich die umfangreichen „Zusammenfassenden Richtlinien für die Beschränkung von Veröffentlichungen im Bereich der gewerblichen Wirtschaft“ des RWM vom Februar 1939 zu den gesetzlichen Bestimmungen über „fahrlässigen Landesverrat“ vom 24.4.1934. Danach wurde schon allein „die Bekanntgabe von Zahlen und Daten an […] wissenschaftliche Institutionen“ als Veröffentlichung gewertet (F 36). 109 Das If K und das StRA konkurrierten allerdings auch um Aufträge aus den Ministerien. Aufschlussreich war hier die Abwerbung eines Experten im StRA. Er sollte im If K einen Auftrag des Reichverkehrsministeriums bearbeiten. B. A. Behrendt war im StRA für die Eisenbahnbeförderungskosten zuständig und hätte nach Auffassung seiner Abteilung den Auftrag auch im StRA bearbeiten können. BA R3102 3577 Brief vom 3.10.1935. 110 Stäglin/Fremdling 2016a. 105
Expansion und Funktion des Instituts in der Kriegswirtschaft
sener Abteilung mit 32.825 RM gut zehn Prozent. Zusammen mit den sonstigen Einnahmen des If K wurden damit insgesamt Ausgaben von 638.893 RM finanziert.111 Im letzten Kriegshaushaltsjahr 1944/45 hatte sich der veranschlagte Etat des DIW, ohne die Tochterinstitute, auf 1.576.900 RM mehr als verdoppelt.112 Anfang 1939 beschäftigte das Institut in Berlin 115 Personen (davon waren 42 Wissenschaftler), danach, bis 1942, wuchs es dort auf über 180 Beschäftigte an. Anfang Oktober 1944 arbeiteten dann allerdings nur noch 133 „Gefolgsschaftsmitglieder“ in der Berlin Zentrale.113 Wagemanns Institutsgeflecht, er war schließlich in Personalunion Präsident der Muttergesellschaft DIW und aller im ganzen deutschen Herrschaftsgebiet gegründeten Tochterinstitute, expandierte durch die kriegswirtschaftlichen Aufträge stark. Ohne inhaltlich auf die Tätigkeiten abzustellen, wird dieser Zuwachs allein durch die gewaltig gesteigerten Haushaltsvolumina während der NS-Zeit belegt, und dies in besonderem Maße bei den Tochterinstituten. Von Anfang des Krieges an wurde das Institut in die „Großraumpolitik“ Deutschlands eingebunden. Im Jahresbericht für 1940 erklärte Wagemann: Im Berichtsjahr, dem ersten vollen Kriegsjahr, wurde das Institut für Konjunkturforschung noch stärker zur Bearbeitung der Aufgaben herangezogen, die den obersten wirtschaftlichen und militärischen Führungsstellen bei der Planung, Kontrolle und Anpassung der kriegswirtschaftlichen Maßnahmen zunächst im Reich selbst, dann aber auch in den neu eingegliederten und besetzten Gebieten gestellt waren. Ein Teil der Arbeiten des Instituts umfasste die Vorbereitungen für den geplanten Aufbau des kontinentaleuropäischen Wirtschaftsraumes. Da derartige Untersuchungen naturgemäß für eine Veröffentlichung während der Kriegszeit zumeist nicht geeignet sind, verlagerte sich das Schwergewicht der Institutsarbeiten immer mehr auf vertraulich erstattete Gutachten.114
Die Gründung von Tochterinstituten115 in Deutschland, in befreundeten Ländern sowie in den besetzten Gebieten belegt den wachsenden Aufgabenbereich des expandierenden If K/DIW eindrucksvoll. Einhergehend mit der räumlichen Ausdehnung des deutschen Herrschaftsgebietes knüpfte Wagemann „auf Wunsch der zuständigen
Haushaltsplan des If K 1935/36, siehe BA R2501 6835 F 413–414. Haushaltsplan des DIW 1944/45, BA R3601 216 F 28–31. Die 1943 verselbstständigte Essener Abteilung als Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) hatte für dasselbe Haushaltsjahr ein Volumen von 224.900 RM veranschlagt. Es hatte seinen Etat in den zehn Jahren also noch stärker als das Mutterinstitut in Berlin gesteigert. RWI, Tätigkeitsbericht für das Geschäftsjahr 1943/44 und Arbeitsplan für das Geschäftsjahr 1944/45 vom 19.9.1944, WWA K1 Nr. 2080, S. 10 f. Zum Hauhalt des DIW während des Krieges siehe auch Stäglin/Fremdling 2016a, S. 24–27. 113 Stäglin/Fremdling 2016a, S. 16–20. U. a. wegen des Militärdienstes sank danach die Mitarbeiterzahl. 114 Kuratoriumssitzung vom 25.4.1940, BA R11 111. Vollständig mit Zitaten und Paraphrasen wiedergegeben in Stäglin/Fremdling 2016b, S. 106–108. 115 Siehe die Quellenverweise zu den Außen- und Zweigstellen des If K/DIW als jeweils gesonderten Gliederungspunkt in Stäglin/Fremdling 2016b. 111 112
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Wagemann und das Institut für Konjunkturforschung –
Reichsbehörden“116 ein Netz von Außenstellen des If K/DIW. Er band lokale Initiativen ein: Regional und lokal verankerte staatliche und semistaatliche Stellen, Zweckverbände von Gebietskörperschaften, Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft und nicht zuletzt ortsverbundene Unternehmen waren bereit, die neuen Institute großzügig zu finanzieren und in Organen der meist als eingetragene Vereine verfassten Institute mitzuwirken. Abweichend von diesem eigenständigen Finanzierungs- und Mitwirkungsmodell war, wie sich aus dem Pariser Beispiel ableiten lässt, in den besetzten Gebieten das Reichswirtschaftsministerium wohl vollständig für den Etat verantwortlich.117 So wurde nicht nur das Mutterinstitut „überwiegend aus Reichsmitteln“118 finanziert, sondern auch die neuen Institute in den besetzten Gebieten. Damit nahm die Verzahnung des DIW mit der Reichsregierung während des Krieges noch zu. Für das Pariser DIW-Institut ist der Schriftwechsel zwischen dem Reichsfinanzministerium und dem RWM, kurz bevor Paris Ende August 1944 von der deutschen Besetzung befreit wurde, überliefert.119 Am 1. August 1944 hatte das RWM vom Reichsfinanzministerium noch „150 000 RM für die Außenstelle Paris des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung“ angefordert. Zwar sei „die Tätigkeit der Außenstelle des Instituts zur Zeit infolge der militärischen Ereignisse eingeschränkt, jedoch kann damit gerechnet werden, daß sie ihre Arbeit in absehbarer Zeit wieder in vollem Umfange aufnimmt.“ Im Antwortschreiben vom 8. August 1944 hielt es jedoch der Reichsfinanzminister „mit Rücksicht auf die inzwischen eingetretene Entwicklung […] zunächst für ausreichend, wenn […] der Vorjahresbetrag von 60 000 RMzur Verfügung steht.“120 Die neuen Institute wurden im vergrößerten Reichsgebiet (Breslau, München, Braunschweig, Danzig, Kattowitz, Halle, Magdeburg, Hamburg und Reichenberg) und in den besetzten Ländern (Paris, Prag, Amsterdam) errichtet.121 Mit der „Anglie-
So Däbritz rückblickend 1941: RWI-Archiv Akte Chronik: Professor Dr. Däbritz, Essen, Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung, in: Rheinisch-Westfälische Zeitung, Nr. 12, 13.1.1944. 117 Das RWM wies den Leiter der Pariser Zweigstelle, „Reg.Präsident Sommer“, darauf hin, „daß das Reichswirtschaftsministerium, das die beträchtlichen Gelder zur Verfügung stelle, einen Anspruch darauf habe, auch seinerseits die einzelnen Gutachten und sonstigen Arbeiten zu erhalten.“ BA R2 21483, Vermerk des RWM vom 11.7.1944. 118 Siehe das Schreiben des Reichsfinanzministeriums vom 8.7.1943 zur Anforderung der Steuerakten Wagemanns, BA R2 21483. 119 BA R2 21483. Es handelt sich um mehrere Dokumente, datiert zwischen dem 7.7.1944 und dem 8.8.1944, darunter der „Jahresvoranschlag 1944/45“ für das Pariser DIW-Institut mit einem Haushaltsvolumen von 150.000 RM. 120 In den Erläuterungen zum Voranschlag wies „Dr. Becker“ darauf hin, dass im Vorjahr die RM 60.000 nur deshalb ausgereicht hätten, weil „das Institut erst im September 1943 gegründet wurde“ und „die Hauptarbeit erst im November“ angelaufen sei. 121 Krengel (1986, S. 48 f.) zählt mit dem Gründungsjahr die zwischen 1938 und 1943 eingerichteten Außenstellen, i. d. R. als eingetragene Vereine mit Wagemann als Präsidenten, auf. In anderen Quellen gibt es leichte Abweichungen bei den Jahreszahlen, weil z. B. Gründung und Eintragung ins Vereinsregister nicht im selben Jahr lagen. Die Münchner Zweigstelle wurde gegen den hartnäckigen Widerstand des 116
Expansion und Funktion des Instituts in der Kriegswirtschaft
derung der Ostmark“ kam 1938 in Wien das 1927 nach dem Modell des Berliner If K gegründete Österreichische Institut für Konjunkturforschung (umbenannt in Wiener Institut für Wirtschaftsforschung) hinzu. Wagemann fungierte als Alleinvorstand und Präsident auch aller Tochterinstitute und überließ die laufenden Geschäfte den lokal installierten Geschäftsführern.122 Für das Jahr 1942 erlaubt die Steuererklärung123 Wagemanns eine Bestandsaufnahme der bis dahin gegründeten selbstständigen Tochterinstitute. Über die Vergütung seiner Funktion kann zudem die relative Bedeutung der Töchter untereinander und gegenüber der Mutter eingeschätzt werden. Wagemann deklarierte 1942 insgesamt (brutto) ein Arbeitseinkommen von 111.272 RM. Das DIW zahlte ein Gehalt von über 19.000, und vom Reich erhielt er als ehemaliger Präsident des StRA ein Ruhegehalt von über 12.000 RM.124 Beträchtlich höher waren Wagemanns „Einkünfte aus selbständiger Arbeit“: Neben einem geringen Universitätshonorar (123,84 RM) und Einnahmen aus Zeitschriftenartikeln (450 RM) wurde seine vielfache Präsidentschaftsfunktion mit zusätzlich insgesamt über 63.000 RM honoriert, hinzu kamen über 16.000 RM an nicht zu versteuernden Dienstaufwandentschädigungen.125
Bayerischen Statistischen Landesamtes gegründet (Satzung vom 1.12.1940, Eintragung ins Vereinsregister am 4.2.1941). Siehe die Briefwechsel, Dokumente und Notizen von 1937–1941 in der Akte BayHStA MHIG 1074. Nach Knoche (2018) war die Münchner Zweigstelle nicht der Vorläufer des IfO-Instituts. Das Pariser DIW-Institut sollte ursprünglich bereits im Frühjahr 1943 installiert werden: „Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung wird mit Zustimmung des AA und des RWiM am 1.4.1943 in Paris eine Zweigstelle errichten.“ (siehe Vermerk des Reichsfinanzministeriums vom 29.3.1943, BA R2 21483). In dem Vermerk ging es darum, den ursprünglich vorgesehenen Etat von 140.000 RM auf 200.000 RM zu erhöhen. Mit diesem genehmigten erhöhten Haushaltsvolumen hätte die Pariser Zweigstelle aus Reichsmitteln selbst die regulären Einnahmen des RWI von 150.000 RM in seinem ersten Haushaltsjahr 1943/44 nach der Verselbstständigung der „Abteilung Westen“ des DIW übertroffen. Siehe Pierenkemper/Fremdling 2018, S. 82. Das Prager Institut sollte im Juni 1941 die Arbeit aufnehmen. Bemerkenswert ist die Einbindung von Tschechen in leitender Stellung: „Die tschechischen Mitglieder der einzelnen Gremien des Institutes, sowie der tschechische Direktor und die tschechischen Angestellten werden nur mit Genehmigung des Herrn Reichsprotektors bestellt.“ Siehe Schreiben des „Reichsprotektors in Böhmen und Mähren“ an den „Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“ vom 19.6.1941, BA R4901 2616 F 10. 122 Siehe beispielhaft die Satzung des RWI („§ 6 Der Präsident“) und die Rolle von Däbritz als Geschäftsführer. RWI Archiv Akte Chronik: Satzung des RWI, 6.1.1943; ausführlich dazu Pierenkemper/Fremdling 2018, S. 92–95. 123 Wagemann hatte „einen Zuschuß zu seinem Beamtenruhegehalt beantragt“. Daraufhin hatte das Reichsfinanzministerium seine Steuerakten angefordert. Siehe die Schreiben vom 8.7.1943 und vom 29.7.1943 mit der beiliegenden Abschrift der Steuererklärung für das Kalenderjahr 1942. Im Dezember 1943 war der Vorgang noch nicht abgeschlossen, da Ende Oktober 1943 die Unterlagen bei einem Bombenangriff (Terrorangriff, so Wagemann) verbrannt waren. BA R2 21483, handschriftlicher Brief Wagemanns vom 14.12.1943. 124 17.600,04 RM Gehalt und 1.430,86 RM „Gefolgschaftsversicherung“; 12.042,12 RM Ruhegehalt. Ebd, Ein Referent erhielt im Berliner Mutterinstitut zwischen 7.200 und 10.800 RM Jahresgehalt. Siehe den detaillierten Gehaltsrahmen des DIW, BA R2 21483. 125 Das zu versteuernde „Reineinkommen“ aus selbst- und unselbstständiger Arbeit betrug 83.114,35 RM. Neben Sachkosten gab Wagemann Kosten für eine Sekretärin (2.700 RM) und Assistenten (3.600 RM) an. BA R2 21483.
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Tab. 4 Das DIW und seine Tochterinstitute 1942 Honorare (H) und Dienstaufwandentschädigungen (D) für den Präsidenten H
D
RM
RM
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
20000
2400
Wiener Institut für Wirtschaftsforschung
12000
2400
Ostsee-Institut für Wirtschaftsforschung
4700
1800
Braunschweigisches Institut für Wirtschaftsforschung
3600
2400
Niederschlesisches Institut für Wirtschaftsforschung
3600
2400
Institut für Wirtschaftsforschung in Prag
9600
2400
Oberschlesisches Institut für Wirtschaftsforschung
6600
2400
Niederländisches Institut für Wirtschaftsforschung
3325
Zusammen
63425
16200
Quelle: BA R2 21483
Tabelle 4 zeigt, dass neben der Zentrale in Berlin die Wiener Dependence und danach die Neugründung in Prag hervorragten. Während die Zweigstelle in Kattowitz eine mittlere Stellung einnahm, weist der Indikator Honorarzahlung den Instituten in Danzig, Breslau Braunschweig und Amsterdam im Kriegsjahr 1942 eine untergeordnete Bedeutung zu. In der Denkschrift zu den Aufgaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von November 1944126 wurden den regional verankerten Tochterinstituten organisatorisch ähnliche Aufgaben wie der „Mittelstufe der Reichsverwaltung“ zugeordnet. Sie hätten „dabei dem Zentralinstitut bei der Bearbeitung regionaler Wirtschaftsfragen und zentraler Sonderprobleme (Kohle, Eisen, Südosteuropa, Handel usw.) wertvolle Hilfe geleistet.“ Allerdings hatte Wagemann noch im Monat zuvor, im Oktober 1944, die Aufgabenerfüllung einiger Zweigstellen durchaus unterschiedlich beurteilt: „In Westdeutschland nehme das Essener Institut eine besondere Stellung ein. Es habe sich eine Art Monopol für seinen Bezirk erobert.“ Das Wiener Institut arbeite ähnlich erfolgreich für Südosteuropa, das schlesische Institut in Kattowitz, sowie das Ostseeinstitut in Danzig seien sehr arbeitsfähig, während das „Institut in Braunschweig […] fast völlig in seiner Arbeitsfähigkeit gehindert“ und das „Münchner Institut […] in seinen Arbeiten hinter den anderen Instituten zurück“ sei.127 Die Gründung von Außenstellen des If K/DIW außerhalb des erweiterten Reichsgebietes war Teil der deutschen Strategie, die Wirtschaftsforschung KontinentaleuroSiehe Auszüge und Paraphrasen in Stäglin/Fremdling 2016b, S. 153 f.; BA R3601 216. Bericht über die Besprechung im Institut für Wirtschaftsforschung am 4. Oktober 1944, BA R3101 32126, F 68. 126 127
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pas zu beherrschen. Nach einem „streng vertraulichen Vermerk“ des DIW vom 20. April 1942128 hatten der Reichsmarschall [Göring] und der Reichswirtschaftsminister [Funk][…] Präsident Wagemann, als Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, den Auftrag gegeben, die auf dem Kontinent bestehenden Konjunktur- und Wirtschaftsforschungsinstitute organisatorisch zu einer europäischen Vereinigung zusammen zu schließen. Zweck dieser Vereinigung ist es, die Arbeit der wirtschaftswissenschaftlichen Konjunktur- und Forschungsinstitute in Europa, die in Zeiten der staatlichen Wirtschaftslenkung immer mehr an Bedeutung gewinnt, auf eine möglichst breite internationale Basis zu stellen. […] die in den einzelnen Ländern angewandten wissenschaftlichen Methoden [sollen] vereinheitlicht, Erfahrungen und Material ausgetauscht werden, um […] die Leistungen der Institute zu steigern und vor allem die Ergebnisse der Forschung für die Bedürfnisse der wirtschaftlichen Großraumpolitik nutzbar zu machen.129
Unumwunden ging es um deutsche Dominanz, denn die Vereinigung soll an die Stelle der früheren internationalen Vereinigung der Konjunkturinstitute treten, die ganz unter englischem und französischem Einfluß stand. Bei der neuen Vereinigung soll sich der deutsche Führungsanspruch deutlich durchsetzen, freilich in Formen, die einer wissenschaftlichen Vereinigung entsprechen.130
Bestehende Kontakte sollten intensiviert werden, jedoch „soweit es erforderlich und zweckmäßig ist, werden neue Institute ins Leben gerufen, so in den besetzten Westgebieten (Niederlande, Frankreich).“131 Die allen selbstständigen Tochterinstituten gemeinsame starke Stellung Wagemanns, der als Präsident auch den Vorsitz der weiteren Organe, des Verwaltungsausschusses und des Kuratoriums (Mitgliederversammlung) innehatte, war dem Mutterinstitut in Berlin nachempfunden. Allerdings war es selbst erst 1935 von einem unselbstständigen Zweckvermögen in einen eingetragenen Verein umgewandelt worden.132 Ein Vergleich
Beilage zum Brief Wagemanns an Heinrichsbauer, den Hauptgeschäftsführer der Südosteuropa-Gesellschaft in Wien vom 21.4.1942, in dem Wagemann erklärte, dass er den „Herrn Botschafter von Hassel“ als „ständigen Delegierten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung für den Ausbau und die Pflege der Beziehungen zu den ausländischen Konjunkturinstituten eingesetzt habe.“ BA R63 176 F 199 ff. Mit dem Briefwechsel sollte der Interessenkonflikt in Südosteuropa zwischen dem Wiener Instituts für Wirtschaftsforschung und der Südosteuropa-Gesellschaft ausgeräumt werden. Siehe auch den Antwortbrief Heinrichbauers über die „Reichsaufgabe“ in Südosteuropa an Wagemann vom 25.4.1942, ebenda. Zur weiteren Entwicklung der Beziehung zwischen den rivalisierenden Instituten siehe die Quellenverweise in Stäglin/Fremdling 2016b. 129 BA R63 176 F 199 ff. 130 Ebd. 131 Ebd. 132 Beschluss des Kuratoriums am 29.11.1935, Eintragung ins Vereinsregister am 24.3.1936; siehe das Protokoll der Kuratoriumssitzung und die Satzung: Registergericht beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg: Vereinsregister Gesch. Nr. 581; vgl. auch Krengel 1986, S. 40 f. Mit der Namensänderung in „Deutsches In128
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der If K-Satzung von 1935 mit der späteren des RWI133, die stellvertretend für die Tochterinstitute steht, zeigt große Übereinstimmungen, aber auch signifikante Abweichungen: Beim If K wurde der Präsident auf unbestimmte Zeit gewählt, beim RWI jedoch lediglich für die Dauer von 5 Jahren.134 Das Führerprinzip galt beim If K/DIW konsequent, denn alle Angelegenheiten standen ausschließlich unter seiner eigenen Verantwortlichkeit. Anders als das RWI135 verzichtete das Berliner Institut auf die Wahl eines Vertreters des Präsidenten. Einen entsprechenden Vorschlag auf der Kuratoriumssitzung des If K, bei der die Satzung verabschiedet wurde, hatte Wagemann abgeblockt. Im entsprechenden Paragraphen hieß es dezidiert: „Im Falle der Behinderung bestellt der Präsident einen oder mehrere Stellvertreter.“ Da Wagemanns Anwesenheit in Essen eher selten war, reichte für die laufenden Geschäfte eine solche ad-hoc-Vertretung nicht aus. Aber auch hier sicherte er sich die Kontrolle, indem er als Präsident befugt war, sich in der wissenschaftlichen Leitung sowie der laufenden Verwaltungsgeschäfte durch einen oder mehrere von ihm berufene Geschäftsführer vertreten zu lassen. Unterschiede gab es in der Mitgliedschaft: In beiden Satzungen sollten zwar die Mitglieder juristische Personen sein: nur im If K oder in der Regel im RWI; immer jedoch mit zulässigen Ausnahmen. Allerdings sollte das RWI-Kuratorium aus Vertretern der privaten Wirtschaft und der öffentlichen Hand im Verhältnis 2 : 1 bestehen, während im If K von Anfang an staatliche Institutionen (Reich) oder Körperschaften des öffentlichen Rechts (Wirtschaftskammern) dominierten.136 Eine der Satzung des RWI entsprechende Bestimmung fehlte, doch wurde eine Auflösung des Vereins If K nach § 11 an die Zustimmung der Reichsregierung und der Körperschaften des öffentlichen Rechts gekoppelt. Die von Wagemann als Präsidenten des DIW zu verantwortende Haushaltsgestaltung und Rechnungsführung des Instituts war nicht unumstritten. Da vor allem das Mutterhaus überwiegend mit öffentlichen Mitteln finanziert wurde, verfügte das aufsichtführende RWM 1942 eine Prüfung der Einnahmen und Ausgaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung für die Rechnungsjahre 1939/40 und 1940/41 durch den Rechnungshof des Deutschen Reichs.137 Im Schreiben Wagemanns an den RWM
stitut für Wirtschaftsforschung“ wurde lediglich § 1 der Satzung angepasst, siehe die Satzung in BA R4701 13655 (2) F 399 und zum Beschluss des Kuratoriums BA R11 111, Protokoll der Kuratoriumssitzung vom 18.6.1941. 133 Damit auch indirekt mit der des Breslauer Instituts, welche die Vorlage für die RWI-Satzung bildete. 134 Also nach der konstituierenden Kuratoriumssitzung vom 26.2.1943 bis zum 25.2.1948. 135 Helmuth Poensgen dürfte allerdings als stellvertretender Präsident nicht neben Däbritz in die laufenden Geschäfte des RWI einbezogen worden sein. 136 Siehe die Liste der Mitglieder mit ihren Beiträgen im Haushaltsplan für das Geschäftsjahr 1935/36, BA R2501 6835 F 413 RS. Private Unternehmen waren über die Wirtschaftsgruppen, z. B. Reichsgruppe Industrie, indirekt vertreten. Selbst nach dem Krieg wollte das DIW ausdrücklich nicht „privatwirtschaftliche Unternehmen im eigentlichen engeren Sinne“ (Präsident Friedensburg) aufnehmen, Ausnahme Kommunalunternehmen wie die Berliner „Bewag“. Siehe die Diskussion auf der Kuratoriumssitzung des DIW nach dem Protokoll vom 21.2.1947, BA DY34 20402. 137 Siehe die Dokumente in der Akte BA R2 21483.
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vom 19. Mai 1942 verwahrte er sich gleich im ersten Satz jedoch dagegen, da der Prüfungsbericht des Rechnungshofs von der irrigen Voraussetzung ausgehe, dass das Institut eine öffentlich-rechtliche Körperschaft sei. Umstritten waren u. a. die Vergütungen (Gehälter, Honorare, Werkverträge), die das DIW zahlte. Gestützt auf einen Prüfungsbericht der Revisions- und Treuhandgesellschaft138 und der Ansicht des Reichstreuhänders für den öffentlichen Dienst vertrat Wagemann die Auffassung, dass das Institut ein Privatinstitut sei und die weitaus meisten Mitteilungen des Rechnungshofs damit seines Erachtens eine „grundsätzliche Erledigung“ fänden: „Die gesetzlichen und Verwaltungsvorschriften, von denen sie ausgehen, finden auf das Institut keine Anwendung.“ Wagemann lenkte aber letztlich ein: So wurden u. a. eine neue Betriebsordnung und klare Besoldungsverhältnisse mit einem Gehaltsrahmen für die wissenschaftlichen Angestellten und mit einer Honorarordnung beschlossen. Das RWM bestand zudem darauf, dass die „Rechnungsprüfung […] weiterhin durch den Rechnungshof des Deutschen Reichs zu erfolgen hat.“139 Als Ergebnis der Querelen um die Haushaltsführung dürfte noch wichtiger gewesen sein, Wagemanns Institutsleitung stärker zu kontrollieren. Um „für die Zukunft die aufgetretenen Schwierigkeiten nach Möglichkeit auszuschalten und die Rechnungsprüfung zu erleichtern“, so der RWM am 12. Februar 1943 an den Rechnungshof, wurden „weitere Vertreter der Reichsverwaltung in das Kuratorium des Instituts“ entsandt und „darüber hinaus [wurde] eine stärkere Heranziehung des Verwaltungsausschusses bei der Geschäftsführung des Instituts in Aussicht genommen.“140 Die Funktionselite der Reichsregierung und Reichsbank war damit voll in den DIW-Gremien vertreten. Wagemanns persönliche Stellung und die Einbindung seiner Institute in das Machtgefüge der NS-Herrschaft erreichten ihren Höhepunkt mit seiner Ernennung zum Leiter der „Arbeitsgemeinschaft für empirische Wirtschaftsforschung im Reichsforschungsrat“ durch Göring141 im August 1944. Hiermit beauftrage ich Sie, die von mir gegründete Arbeitsgemeinschaft für empirische Wirtschaftsforschung im Reichsforschungsrat zu übernehmen und als mein Bevollmächtigter zu leiten. Ich bitte Sie, das von Ihnen geleitete Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung mit seinen ihm angeschlossenen Zweiginstituten als Basis für Ihren neuen Arbeits-
Siehe den vollständigen Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft über die Jahresrechnung und der Kassen- und Buchführung für das Rechnungsjahr 1942/43 des DIW, BA R8135 7274. 139 Brief des RWM an den Präsidenten des DIW vom 1.10.1943, BA R2 21483. 140 Der Verwaltungsausschuss bildete nach der Satzung unter dem Vorsitz des Präsidenten das erweiterte Exekutivorgan des DIW. Siehe die Namensliste der prominenten Vertreter der Regierung im Brief des RWM vom 12.2.1943 an den Rechnungshof, BA R2 21483. Die Mitglieder des ein Jahr später am 30.3.1944 gebildeten Unterausschusses des Verwaltungsausschusses sind unten am Ende dieses Abschnitts aufgeführt. 141 Vor allem mit seiner Ernennung zum Beauftragten des Vierjahresplans im Oktober 1936 konnte Göring neben seinen zahlreichen anderen Ämtern und Funktionen auch formal in allen Wirtschaftsbereichen seine Pläne und Vorstellungen durchsetzen. 138
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auftrag anzusehen und entsprechend auszugestalten. Als Bevollmächtigter für das Gebiet der empirischen Wirtschaftsforschung unterstehen Sie mir unmittelbar.142
Diese Ernennung, die eine zusätzliche personelle und sachliche Unterstützung einschloss, wurde von Wagemann in einer Serie von gleichlautenden Briefen Kuratoriumsmitgliedern und mit dem DIW verbundenen Reichsbehörden mitgeteilt.143 Der 1937 gegründete Reichsforschungsrat sollte parallel zum Vierjahresplan die Forschung, zunächst vor allem auf natur- und technikwissenschaftlichem Gebiet, verstärkt auf die Kriegsvorbereitung ausrichten. Dieses neue Gremium, das nahezu sämtliche Grundlagenforschung wie auch die angewandte Forschung zentral planen sollte, war mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft verknüpft. Nach seiner Reorganisation im Jahr 1942 wurde es unter der Leitung Görings organisatorisch dem Speerschen Rüstungsministerium zugeordnet und entwickelte sich in der Endphase des Zweiten Weltkrieges zur bedeutendsten staatlichen Forschungsförderungsstelle.144 Wagemanns Ernennung fiel unter die Anordnung Görings vom 24. August 1944 zum „Erlass des Führers über die Konzentration der Rüstungs- und Kriegsproduktion“:145 Um „neben der auch im Kriege unbedingt zu betreibenden Grundlagenforschung möglichst viele für die Kriegsentscheidung wesentliche Forschungsergebnisse kurzfristig zu erhalten“, ordnete Göring an, dass „zu diesem Zweck […] sämtliche staatlichen forschungstreibenden Institute namentlich in einer We h r f o r s c h u n g s – G e m e i n s c h a f t innerhalb des Reichsforschungsrates zusammenzuschließen“ seien. U. a. zur „Überwachung und Konzentration der Forschung auf vordringlichste durch Erfordernisse der künftigen Kriegführung diktierte Aufgaben“ sollte sich der „Präsident des Reichsforschungsrats eines wissenschaftlichen Führungsstabes […] aus den vorhandenen und in nächster Zeit noch zu berufenden Fachspartenleitern, Bevollmächtigten und Sonderbeauftragten des Reichsforschungsrates“ bedienen. Mit der Anordnung Görings wurde auch der „Führerbefehl, zur Sicherstellung der für die Kriegführung unentbehrlichen Forschung 5000 Fachkräfte aus der Truppe zu entlassen“, bekräftigt. Nach der Denkschrift über Aufgaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von November 1944 glaubte Wagemann, die zusätzlichen Res-
Brief des Reichsmarschalls des Grossdeutschen Reiches (gez. Göring) vom 26.8.1944 an den Präsidenten des DIW, Professor Dr. Ernst Wagemann, BA R3 156 F 27. 143 Wagemann an Kehrl vom 21.10.1944 BA R3 156. Der Erlass Görings war als Abschrift beigefügt. Siehe die gleichen Briefe an Ministerialrat Dr. Lorenz, Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft vom 30.10.1944 (BA R3601 216); Ministerialdirektor Dr. Körner, Reichspostministerium vom 30.10.1944 (BA R4701 13655 (2) F 386); den Leitenden Geschäftsführer der Reichswirtschaftskammer Dr. Erdmann und den Abteilungsleiter der Reichswirtschaftskammer Hickmann vom 31.10.1944 (BA R11 111). 144 Flachowsky 2008, S. 9–11, 232 f., 280 ff.; Federspiel 2002, S. 76–81; Engels 2007, S. 346. 145 Siehe die Anordnung von Reichsmarschall des Grossdeutschen Reiches vom 24.8.1944, BA R26 III-51 F 15 f. 142
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sourcen könnten zu erweiterter Grundlagenforschung verhelfen:146 So interpretierte „die Institutsleitung den neuen Forschungsauftrag, der ihr im Rahmen des Reichsforschungsrates übertragen“ wurde in „Analogie zu der Grundlagenforschung bei den Naturwissenschaften, deren Daseinsberechtigung im Kriege unbestritten“ sei.147 Wagemann konnte sich auf jeden Fall auf konkrete Zusagen im Ernennungsbrief stützen: „Die notwendigen Mittel für die Durchführung Ihrer Forschungsarbeiten sowie sonstige personelle und sachliche Unterstützung stehen Ihnen beim Leiter des Geschäftsführenden Beirats, Ministerialdirektor Professor Dr. Mentzel, zur Verfügung.“148 Mit dem Brief Görings in der Hand gelang es Wagemann, noch in den letzten Kriegsmonaten den Reichsforschungsrat als neues Mitglied des DIW-Kuratoriums zu gewinnen und umfangreiche Gelder über dieses Gremium direkt für das DIW zu mobilisieren:149 Als jährlicher Mitgliedsbeitrag waren 100.000 RM vorgesehen. Daneben bitte ich [Wagemann], für das Institut im Wege des Werkvertrages einen weiteren Betrag von RM 150.000,– bereitzustellen. Zur Begründung darf ich ausführen: Der Reichsmarschall hat mich zugleich mit meiner Ernennung zum Bevollmächtigten für empirische Wirtschaftsforschung gebeten, in erster Linie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung als Basis für den neuen mir erteilten Arbeitsauftrag zu benutzen und zu diesem Zweck entsprechend auszugestalten. Ich bitte, diesen Auftrag zum Gegenstand des vorgeschlagenen Werkvertrages zu machen und für die dadurch erwachsenen neuen Ausgaben den genannten Betrag vorzusehen.150
Da nach den Bestimmungen der Reichshaushaltsordnung die Hortung von Reichsgeldern untersagt war, sollten nur Beträge angefordert werden, die etwa im Zeitraum eines Vierteljahres benötigt wurden. Obwohl im März 1945 die technische Abwicklung (Einrichtung eines Bewilligungskontos) noch nicht vollzogen war, wurden die von DIW-Direktor Pusch als dringend angemahnten RM 75.000 im Rahmen der jetzt laufenden Überweisungsaktion des Reichsforschungsrates als Vorschuss am 24. März 1945 bewilligt.151
BA R3601 216 F 57. Während des Krieges wurde der Spielraum des DIW immer enger, Forschung unabhängig von Auftraggebern zu betreiben. Auf den Kuratoriumssitzungen und in den Arbeitsberichten beklagte sich Wagemann regelmäßig über die zunehmenden Einschränkungen. Siehe z. B. die Kuratoriumssitzung von 1940 (8.4.1949 BA R11 111) und den Arbeitsbericht von 1944 (15.7.1944 BA R3 156; BA R3101 32126; BA R4701 13655). 148 26.8.1944, Göring an Wagemann, BA R3 156 F 27. 149 Siehe den Briefwechsel: Wagemann (Antrag) an Mentzel (Leiter des Geschäftsführenden Beirates des Reichsforschungsrates) vom 8.10.1944; Mentzel an Wagemann vom 27.1.1945; Mentzel an Görnnert (Stabsamt Görings) vom 27.1.1945; Reichsforschungsrat an Wagemann (Bewilligung) vom 27.1.1945; Reichsforschungsrat an Wagemann (Vorschuss) vom 23.3.1945, BA R73 15434. 150 Zusammen mit den RM 150.000 also mehr als 15 Prozent des veranschlagten DIW-Haushalts für das Haushaltsjahr 1944/45. 151 BA R73 15434. 146 147
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Mit der Bevollmächtigung Wagemanns im August 1944 waren die Weichen gestellt, dass das DIW mit seinen Tochterinstituten die Kontrolle über die gesamte mit Staatsgeldern geförderte empirische Wirtschaftsforschung übernehmen und „für die Kriegführung fruchtbar gestalten“152 sollte. Mit den Mitteln des Reichsforschungsrates war ein Schritt dazu bereits getan. Allerdings war die NS-Herrschaft neun Monate nach der Bevollmächtigung Wagemanns zu Ende. Wagemann hatte durchgesetzt, dass nicht nur das DIW als Institut,153 sondern er als Person, als kriegswichtig eingestuft wurde: Dies geschah, obwohl der Leiter der Partei-Kanzlei, Martin Bormann, Wagemann im Einklang mit dem Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, noch 1943, nach unbedachten Äußerungen Wagemanns „das Recht, Leiter eines bedeutenden Wirtschaftswissenschaftlichen Institutes zu sein“ abgesprochen hatte.154 Nach einem Bericht der Gauleitung Süd-Hannover-Braunschweig vom September 1943 soll Wagemann nach einem Vortrag im Rahmen einer kleinen Gesellschaft geäußert haben, „daß es jetzt richtig wäre, Frieden zu schließen. Wir würden dann halb Polen, halb Italien und den Balkan behalten und könnten im übrigen auf die Ukraine verzichten. Es ist nicht das erste Mal, daß sich Prof. Wagemann in dieser bezw. ähnlicher Weise äussert“.155 RWM Funk lehnte jedoch den von Bormann geforderten Rauswurf Wagemanns ab: Nach einer eingehenden Prüfung der Verhältnisse und der Aufgaben des von Professor Wagemann gegründeten Institutes für deutsche Wirtschaftsforschung komme ich zu dem Ergebnis, dass die vorhandenen personellen und materiellen Kräfte des Institutes von den verschiedenen Reichsressorts für kriegswichtige Zwecke so völlig eingespannt sind, dass das Institut lediglich durch die Autorität und die Wirkungskraft des Professor Wagemann zusammengehalten wird. Dieser Zusammenhalt ist aber notwendig, da sonst das Institut in den einzelnen Teilen den jeweiligen Ressorts zufallen würde. Damit aber würde sowohl die Gesamtleistung des Institutes für die Kriegswirtschaftsforschung wegfallen als auch praktisch die Arbeit für die einzelnen Ressorts unbrauchbar werden, da die Teilarbeit nur im Zusammenhang mit der Gesamtarbeit des Institutes denkbar ist. Die Arbeit des Professor Wagemann ist daher als kriegswichtig anzusehen und ein Ersatz für ihn im Augenblick
Im Erlass Hitlers vom 9.6.1942 lautete der ganze Satz: „Führende Männer der Wissenschaft sollen auf ihren Sondergebieten in Gemeinschaftsarbeit in erster Reihe die Forschung für die Kriegführung fruchtbar gestalten.“ Siehe Flachowsky 2008, S. 288. 153 Als Anfang 1943 die Vierjahresplanbehörde (Göring) und das RWM eine „Rationalisierung des Wirtschaftlichen Nachrichtenwesens“ planten, war das DIW „als kriegsnotwendiges bzw. kriegswichtiges Institut auf dem Gebiet wirtschaftlicher Forschung“, als „zu erhalten“ eingestuft worden. Siehe Notiz und Denkschrift vom 27.1. und 8.2.1943, BA R3 1943 F 17, 22. 154 Brief Bormanns am 14.9.1943 an RWM Funk und Himmler. Himmlers Antwort an Bormann vom 27.10.1943: „Meiner Ansicht nach muß Wagemann seines Postens enthoben und in Pension geschickt werden. Ich habe außerdem vor, ihn auf die Dauer eines halben Jahres in einem Konzentrationslager unterzubringen und ihn dort als Buchhalter oder in einer ähnlichen Beschäftigung zu verwenden“. BA NS19 2053. 155 Ebd. 152
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nicht zu stellen. Eine formelle Abberufung von Professor Wagemann käme auch nicht in Frage, da es sich um sein eigenes Institut handelt. Es müsste ihm dann schon jede Betätigung auf diesem Gebiet untersagt und das Institut auf eine völlig neue Basis gestellt werden. Ich möchte Sie daher bitten, noch einmal zu prüfen, ob die Äusserungen von Professor Wagemann wirklich so schwerwiegend gewesen sind, dass trotz der gegebenen Umstände eine Ablösung unbedingt notwendig erscheint. Heil Hitler! Ihr Walther Funk.156
Als Antwort teilte Himmler mit, dass er keinen Wert auf eine Ablösung Wagemanns lege. Er sei aber dafür, „daß dieser intellektuelle Schwätzer, der unter dem Eindruck des Alkohols seinen inneren Pessimismus zeigt, endlich erzogen wird, […] Ich glaube, es in diesem Fall ausnahmsweise mit vier Wochen Arrest in einer Einzelhaftzelle, in der Wagemann arbeiten kann, bewenden lassen zu können“.157 Wagemann blieb bis zum Kriegsende Präsident des DIW. Schon im Februar 1945 war er, nachdem er die stellvertretende Institutsleitung an Rolf Wagenführ übergeben hatte, mit einigen Mitarbeitern nach Clausthal-Zellerfeld gezogen.158 Der Harz war mit seinen Bergwerken in den letzten Kriegsmonaten Ausweichquartier zahlreicher Reichsbehörden. Wagenführ übertrug nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 seine Vollmachten an Ferdinand Friedensburg als den ersten Nachkriegspräsidenten des DIW.159 Die insgesamt offenkundige Verkettung des If K/DIW und seiner Tochterinstitute mit dem NS-System wurde im Nachhinein in Selbstdarstellungen des DIW bis heute heruntergespielt. Ausgeprägt geschah das in der „Übersicht über die Entwicklungsgeschichte des Instituts“160, die Rudolf Pusch161 am 15. Januar 1949 an das DIW-Mitglied, Ebd. Er war aber weiterhin von der SS „sehr scharf zu beobachten“. BA NS19 20531. Siehe die Briefe des DIW an die Reichswirtschaftskammer und die Wirtschaftskammer Hildesheim vom 28.2.1945 und 1.3.1945, BA R11 111 F 1, 3. 159 Krengel 1986, S. 74, 78 f.; siehe auch Wardecki (2017, S. 4 f.) mit Quellenhinweisen zum Neubeginn nach 1945. 160 BA DY34 21459. Es wird kein Verfasser genannt, auf dem Schreibmaschinenmanuskript steht unten links „Ki.“. Im gleichen Jahr erklärte der FDGB allerdings seinen Austritt aus dem DIW, siehe den Brief von Friedensburg an den FDGB vom 4.2.1949, ebenda. 161 Bis 1952 langjähriger Mitarbeiter des DIW u. a. als einer der drei Direktoren unter Wagemann (Verwaltungsdirektor, Krengel 1986, S. 45) und enger Vertrauter Wagemanns. Auf der Kuratoriumssitzung zur Umwandlung des If K in einen eingetragenen Verein stellte „Oberregierungsrat Pusch“ die Satzungsänderungen und den Haushaltsplan für das Geschäftsjahr 1935/36 vor. Er fungierte auch bei längerer Abwesenheit Wagemanns als dessen Vertreter, siehe Protokoll der Kuratoriumssitzung vom 29.11.1935, Registergericht beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg: Vereinsregister Gesch. Nr. 581. Pusch war als Oberregierungsrat im StRA eng mit Wagemann verbunden, als dieser noch bis 1933 das StRA und das If K in Personalunion leitete. (Siehe den Bericht des Reichssparkommissars vom 1.4.1933, BA R2301 2234 F 230). Pusch gehörte auch zu den hohen Beamten des StRA, die im März 1933 vom Kommissar des RWM, „Frhr. von Massenbach“, im Gefolge der Beurlaubung Wagemanns, ebenfalls beurlaubt wurden. Siehe die Verfügung Platzers „für den beurlaubten Präsidenten“ vom 29.3.1933, BA R3102 6210 F 232. Zu Massenbachs Rolle im StRA siehe Fisch 2016, S. 25–29. 156 157 158
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den Bundesvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes für die sowjetische Zone, schickte. Die Arbeit des DIW in der NS-Zeit wird darin verharmlosend beschrieben: Von 1933 an und später etwa bis zum Kriege fand die Tätigkeit des Instituts hauptsächlich in dessen Veröffentlichungen ihren Niederschlag. Seit Ausbruch des Krieges traten die Veröffentlichungen jedoch mehr und mehr in den Hintergrund, da auch die damalige Institutsleitung nicht zu den Konzessionen bereit war, die in Hinblick auf die politische Prüfung des gesamten deutschen Veröffentlichungswesens hätten gemacht werden müssen und wiederholt vom Institut gefordert worden waren. Das Schwergewicht der Arbeit wurde statt dessen auf die interne Forschungsarbeit und auf Materiallieferungen für die verschiedenen planwirtschaftlichen Stellen gelegt. Die internen Forschungsarbeiten während des Krieges hatten u. a. Probleme der Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahrhunderte, die Theorie der Verkehrspolitik, Fragen der mathematischen Statistik und die Stellung des Einzelhandels im Rahmen der Gesamtwirtschaft zum Gegenstand.162
Nach den Protokollen der Kuratoriumssitzungen mit den dort vorgelegten schriftlichen Tätigkeitsberichten, die Pusch kannte und möglicherweise selber geschrieben hatte, las sich die interne Forschungsarbeit im Krieg dagegen anders: Im Arbeitsbericht des DIW163 zur Kuratoriumssitzung am 23. März 1943 wurde im einleitenden Absatz herausgestellt, dass „unter den gegenwärtigen Verhältnissen […] die Tätigkeit des Instituts nahezu ausschliesslich auf die Durchführung der kriegswirtschaftlich wichtigen Arbeitsaufträge namentlich der Reichsressorts ausgerichtet [sei], zumal nach der erfolgten scharfen Auskämmung seiner wehrfähigen Gefolgschaftsmitglieder.“ Auch ein Jahr später stand im Arbeitsbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (April 1943 bis Juni 1944): „Im Zeichen des totalen Krieges war das Institut im Berichtszeitraum wieder ganz überwiegend für die Ausführung unmittelbar kriegswichtiger Aufträge der wirtschaftspolitisch interessierten obersten Reichsbehörden und Wehrmachtsdienststellen eingesetzt.“164 Einige Monate später, im November 1944, beschrieb das DIW in der Denkschrift über Die Aufgaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in der Exekutive des NS-Staates seine Funktionen. Dem DIW sei die Rolle eines ‚wirtschaftswissenschaftlichen Referenten‘, der staatlichen Wirtschaftsführung zugefallen. In dieser Eigenschaft steht es besonders seit Kriegsbeginn in einem Arbeitsverhältnis mit den Reichsressorts, die wirtschaftliche Belange wahrzunehmen haben. Zu seinen Auftraggebern gehören während der letzten Jahre insbesondere das Stabsamt
BA DY34 21459. Beilage: „Die gegenwärtige Arbeitslage beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung“, BA R11 111 F 41. Ausführlich werden dort die einzelnen Arbeitsgebiete erläutert. 164 BA R3 156 F 9–25. Siehe dort die detaillierte Beschreibung der Aktivitäten des DIW im Berichtsjahr 1943/44 und das Arbeitsprogramm für das nächste Jahr. Der Bericht wurde Mitte Juli 1944 an die Mitglieder des Verwaltungsausschusses geschickt. Siehe auch Stäglin/Fremdling 2016a, S. 36, 96–99. 162 163
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des Reichsmarschalls, das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, der Generalbevollmächtigte für die Rüstung (Planungsamt), das Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, das Reichswirtschaftsministerium, die Deutsche Reichsbank, das Oberkommando der Wehrmacht, das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (bzw. der Werberat der deutschen Wirtschaft), das Reichsverkehrsministerium, das Auswärtige Amt und das Reichspostministerium.165
Neben den Auftraggebern wurde die inhaltliche Einbindung in einer umfangreichen Anlage mit 40 ausgewählten Projekten von den „zurzeit in Bearbeitung befindlichen Themen“ spezifiziert.166 In der aus einer Ausstellung im Foyer des DIW in der Berliner Mohrenstraße hervorgegangenen Broschüre zur 90-Jahrfeier des Instituts im Jahr 2015 fehlt jeder Hinweis auf Rolf Wagenführ, der mit der gesamten Industrieabteilung des DIW 1942 zunächst im RWM und dann ab 1943 im Planungsamt des Rüstungsministerium für die zur Lenkung der Kriegswirtschaft erforderliche Planstatistik167 verantwortlich war.168 Unter der verharmlosenden Überschrift „Opportunismus im Zweiten Weltkrieg“169 wird die Einbindung des DIW in die Kriegswirtschaft und Eroberungspolitik Deutschlands allerdings durchaus behandelt. Wie eng das DIW auch formal und personell in der Kriegswirtschaft mit den Machtzentren des NS-Staates verflochten waren, zeigt die Zusammensetzung eines Unterausschusses des DIW-Verwaltungsausschusses170, der am 30. März 1944 gebildet wurde. Folgende Personen bzw. Institutionen gehörten ihm an:171
BA R3601 216, F 53. BA R3601 216, F 58 f. Das DIW erhob die statistischen Daten nicht selbst (wie manchmal der Eindruck erweckt wird, DIW 2015, S. 21); sie kamen vielmehr von den privatwirtschaftlichen Lenkungsbereichen und vom StRA. Die Statistische Leitstelle im StRA lieferte sie an das Planungsamt, wo sie unter Wagenführs Leitung für den Planungsprozess aufbereitet wurden. Siehe Fremdling 2016a. 168 DIW 2015. 169 Mit dem verbrämenden Begriff „Opportunismus“ schließt sich der Kreis von der ersten zitierten Selbstdarstellung von 1949, über Krengel, bis zur heutigen Broschüre: Nach wie vor weist sich das DIW eine eher passive Rolle zu. „Das DIW arrangierte sich zu sehr mit dem NS-Staat“ und „Im Zweiten Weltkrieg ließ sich das Institut zum Unterstützer des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges machen“ (so der Vorstand des DIW im Vorwort zur Jubiläumsbroschüre). Eine historisch-kritische Bestandsaufnahme dagegen würde ohne Beschönigungen wie „Arrangement“ und „Unterstützung“ nüchtern feststellen, dass der NS-Staat funktionierte, weil Institutionen wie das DIW und Menschen wie sein damaliger Präsident aktiver, integraler Bestandteil des Regimes waren. 170 „Die Mitglieder des Verwaltungsausschusses des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bekleiden durchweg führende und besonders verantwortungsvolle Posten in Staat, Partei, und Wirtschaft.“ Zitat aus dem Brief des RWM (gez. Dr. Rollenhagen) an den Präsidenten des DIW vom 20.12.1944 (BA R3 146 F 168), in dem es darum ging, wegen der Arbeitsüberlastung regulärer Mitglieder einen „Beauftragten“ einzusetzen. Das Kuratorium (Mitglieder) des DIW war während des Krieges noch viel breiter aufgestellt: 1943 waren 33 Ministerien, Fachgruppen, Unternehmen und andere Wirtschaftsverbände vertreten. Siehe die Liste in Stäglin/Fremdling 2016a, S. 7 f. 171 Brief Wagemanns an Körner, Reichspostministerium vom 15.6.1944, BA R4701 13655 (2) F 321. Siehe 165 166 167
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112
Wagemann und das Institut für Konjunkturforschung –
Ministerialdirektor Ohlendorf vom RWM als Vorsitzender Ministerialrat Dr. Schrötter als Vertreter des Stabsamts des Reichsmarschalls Staatsminister Riecke als Vertreter des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft Präsident Kehrl als Vertreter des Planungsamts im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion Ministerialdirektor Dr. Körner als Vertreter des Reichspostministeriums Ein noch zu benennender Vertreter des Propaganda-Ministeriums Ministerialrat Fröhling als Vertreter der Parteikanzlei
Wagemann führte in einem Brief an Mentzel, den faktischen Leiter des Reichsforschungsrats, vom 8. Oktober 1944172 die im Verwaltungsausschuss, „dem entscheidenden Gremium des Instituts […] vertretenen Körperschaften“ mit ihren Mitgliedsbeiträgen auf. Tab. 5 Jährliche Beitragszahlungen der Verwaltungsausschussmitglieder des DIW Oktober 1944 in 1000 RM Reichsernährungsministerium
270
Reichspostministerium
150
Reichswirtschaftsministerium
140
Parteikanzlei
100
Deutsche Arbeitsfront
60
Reichsbank
50
IG-Farben
25
IG-Farben*
25
Speer-Ministerium
20
Speer-Ministerium**
280
Reichsforschungsrat***
100
Reichsforschungsrat*
150
* sowie für einen Werkvertrag ** Werkvertrag, wohl Vergütung für die Dienstleistung der Industrieabteilung des DIW (Wagenführ) für das Planungsamt *** geplant
Quelle: BA R73 15434
auch das Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsausschusses vom 30.3.1944, auf der die Einrichtung dieses Unterausschusses und seine Zusammensetzung diskutiert wurde, BA R3 156 F 4–7. 172 Wagemann an Mentzel vom 8.10.1944, BA R73 15434. Zu Mentzel siehe Flachowsky 2008, S. 300.
Expansion und Funktion des Instituts in der Kriegswirtschaft
Derart vielfältig mit den staatlichen Institutionen verzahnt waren die DIW-Institute direkt oder indirekt integraler Bestandteil des NS-Staates und trugen inhaltlich mit ihrer empirischen Wirtschaftsforschung zum Funktionieren des nationalsozialistischen Herrschaftssystems bei.173
Zwischen „wahrer und guter“ Grundlagenforschung auf der einen Seite und einer dem Regime dienenden Anwendungsforschung auf der anderen Seite trennen zu können, ist ein Wunschdenken, in dem nach 1945 weite Bereiche der Forschungstätigkeit in der NS-Zeit entlastet werden sollten. Flachowsky (2008, S. 10) bringt diese irreführende Immunisierung in seiner Arbeit über die Wissenschaftspolitik während der NS-Zeit auf den Punkt: „Das Dogma einer nur erkenntnisgeleiteten deutschen Wissenschaft und der damit einhergehende Topos von ihrem Missbrauch durch die Nationalsozialisten verstellen jedoch den Blick auf eine hochgradige „Selbstmobilisierung der Wissenschaft“ für die verbrecherischen Ziele des Nationalsozialismus.“ 173
113
IV
Die Lenkung der Kriegswirtschaft
Von der Friedensökonomie zur Kriegswirtschaft
Die kriegswirtschaftliche Umgestaltung der deutschen Volkswirtschaft war eng mit der nationalsozialistischen Autarkiepolitik und ihren lenkungswirtschaftlichen Maßnahmen verknüpft.1 Schon vor dem Vierjahresplan von 1936 stellten die zur Importkontrolle seit 1934 eingesetzten Überwachungsstellen2 die Weichen zur Steuerung der industriellen Produktion unter Federführung des RWM.3 Die zunehmende Ressourcenbewirtschaftung begann mit einer Rohstofflenkung. Parallel und komplementär wurden Preise und Löhne, aber auch der Arbeitsmarkt, zunehmend staatlich kontrolliert und gesteuert.4 Für das Funktionieren der NS-Herrschaft war die Einbindung und Instrumentalisierung der privaten Unternehmerschaft ein genialer Schachzug. Damit konnte die Vorbereitung des Krieges durchgezogen werden, ohne dass eine unwillige private Unternehmerschaft durch einen bürokratischen Staatsapparat hätte vollständig ersetzt werden müssen.5 Zwar sei nach Plumpe mit dem Nationalsozialismus die liberale Wirtschaftsordnung weitgehend beseitigt worden, jedoch habe das Regime die Autonomie der Privatunternehmen gleichzeitig noch respektiert. Gegen die Ziele der NS-Politik konnten die Unternehmen jedoch nicht handeln, zumal das Regime „im Konfliktfalle nicht vor der Anwendung brutaler Gewalt zurückschreckte.“6 So wurden zwar private Firmen und ihre monopolistischen Interessenverbände in neue Zwangsverbände, z. B.
Siehe hierzu die grundlegende Arbeit von Petzina (1968). Speziell zu den Lenkungsmaßnahmen vgl. S. 153 ff.; vgl. auch Wagenführ 1963, S. 18 ff. Zur Rolle des RWM siehe vor allem Streb (2016). 2 Zu Schachts „Neuem Plan“ siehe Boelcke 1983, S. 100 ff.; Streb 2016, S. 534 ff. In den Überwachungsstellen, die seit 1939 Reichsstellen genannt wurden, arbeiteten Beamte des RWM mit Vertretern der Wirtschaftsverbände zusammen, Tooze 2001, S. 188; Ebi 2004, S. 130 ff. Nach Banken (2016) bestanden die Strukturen der Überwachungsstellen schon vor dem „Neuen Plan“. 3 Geer 1961, S. 30. Ebd. (S. 28 ff.) werden die rechtlichen Grundlagen und die Praxis erörtert. 4 Siehe Donges (2014, S. 95 ff.) vor allem für die Montanindustrie. 5 So ähnlich argumentiert auch Spoerer 1996, S. 166 f. 6 Plumpe 2018, S. 30. 1
Von der Friedensökonomie zur Kriegswirtschaft
die fachlich-gewerblichen Wirtschaftsgruppen, überführt,7 letztlich kooperierten sie jedoch höchst bereitwillig mit dem Regime.8 Es ging nicht lediglich um ein „Mitmachen der Unternehmer“9, sondern um integrative Mitwirkung im NS-Herrschaftssystem. Ohne bewusste Teilhabe hätte das komplizierte statistische Informationssystem für eine zielgerichtete Aufrüstung und Kriegswirtschaft gerade auf betrieblicher Ebene nie so schnell organisiert werden können, wie z. B. die in diesem Buch behandelte anders verlaufende Vorgeschichte der Planwirtschaft in der DDR zeigt. Im Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Autonomie und Konflikten mit dem Regime waren jedoch nicht brutale Gewalt oder weitere zwangswirtschaftliche Maßnahmen, sondern überhöhte Gewinne das probate Schmiermittel, um die privaten Firmen und ihre Interessenverbände in die Aufrüstung einzubinden.10 Bei Rüstungsprojekten, die einzelwirtschaftlich nicht lohnend waren, wurden die beauftragten Firmen mit Preis- und Abnahmegarantien sowie Sonderabschreibungen geködert.11 Genau dies zeigt Scherner detailliert in einer Reihe repräsentativer Fallstudien und widerlegt damit die Zwangshypothese.12 Nach dieser Hypothese sei mit der „Implementierung des Vierjahresplans 1936 […] der Übergang zu einer Befehlswirtschaft erfolgt, in der es keine Vertragsfreiheit mehr gegeben, keine Rechtssicherheit bestanden und das Eigentumsrecht nur pro forma existiert habe.“13 Scherner weist demgegenüber nach, dass die privatwirtschaftlichen Investitionen in die Autarkie- und Rüstungsindustrie durchaus dem unternehmerischen Kalkül nach Gewinnmaximierung und damit freiwillig erfolgten, zumal in vielen Fällen der Staat bei gewünschten riskanten Investitionsentscheidungen vorab vertraglich ganz oder teilweise das unternehmerische Risiko absicherte.14 Dass die erwartete Rentabilität der in die Aufrüstung eingebunden Industrien im Nachhinein erfüllt wurde, belegt Spoerer mit seiner quantitativen Analyse der Profitabilität der Industrieunternehmen. Danach lagen die industriellen Renditen zwischen 1933 und 1939 fast zehn Prozentpunkte über denen festverzinslicher Wertpapiere.15 Das StRA ermittelte 1941 für verschiedene Ministerien die Ertragslage der Rüstungs- und Grundstoffindustrien.16 Nach der Bilanzanalyse von 52 Großunternehmen betrugen die „sichtbaren Reingewinne (Gewinne einschl. Rücklagenbildung, jedoch ohne Rückstellungen) Geer 1961, S. 32, 36. Zur „Nazifizierung der Wirtschaftsverbände“ siehe Kopper 2016, S. 82 ff. Priemel 2018; Donges 2014, S. 38 ff. und sein „Resumé“ S. 401 ff. Plumpe 2018, S. 127. Spoerer 1996, S. 161 ff.; Plumpes (218, S. 126 f.) gewundene Argumentation über die Rolle der Gewinne dagegen ist nicht schlüssig, zumal er mit seiner unternehmenshistorischen Perspektive die Gesamtwirtschaft nicht rückkoppelnd im Blick hat. 11 Spoerer 1996, S. 162. 12 Scherner 2006 u. 2008. 13 Scherner 2006, S. 166. 14 Selbst in die größte „Autarkiebranche des Dritten Reichs“ (Hydrierwerke für synthetisches Benzin) investierten private Unternehmen mit geringfügigen Ausnahmen freiwillig. Scherner 2008, S. 108 ff. 15 Spoerer 1996, S. 122 ff., 163. 16 Vgl. die umfangreiche Akte zur Ertragslage der Industrie, 5.5.1941, BA R3102 2701 F 20 ff. 7 8 9 10
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Die Lenkung der Kriegswirtschaft
[…] im Gesamtdurchschnitt der erfaßten Unternehmungen im Jahre 1937 6,4 vH, und in den Jahren 1938 und 1939 6,7 vH des bilanzmäßigen Eigenkapitals.“17 Das StRA korrigierte diese sichtbaren Reingewinne äußerst behutsam nach oben und kam mit den „vorsichtig geschätzten übermäßigen Abschreibungen und Rückstellungen“ zusammen zu dem Ergebnis, dass die Reingewinne „in den Jahren 1937 bis 1939 wenigstens 15 vH des eingezahlten Aktienkapitals oder wenigstens 10 vH des bilanzmäßigen Eigenkapitals“18 ausgemacht hatten. Spoerer kommt zu vergleichbar hohen Werten: „Von 1936 bis 1941 betrug demnach die durchschnittliche Eigenkapitalrendite der deutschen Industrieaktiengesellschaften nach steuerlicher Rechnung fast 15 %.“19 Die einzige volkswirtschaftliche Gesamtrechnung für diese Vorkriegsperiode, die von der Produktionsmethode, also der aggregierte Wertschöpfung ausgeht, ermittelte für das repräsentative Stichjahr 1936 die enorme Profitquote (Kapitaleinkommen als Anteil des Volkseinkommens) von 48 Prozent für Deutschland.20 Aus einzel- und gesamtwirtschaftlicher Sicht zeigt sich somit, dass die Aufrüstung für die Privatwirtschaft höchst profitabel war. Letztlich ist ein Streit darüber müßig, ob nach Petzina „eine staatlich reglementierte ‚Kommandowirtschaft‘ auf der Grundlage eines privatkapitalistischen Systems“ errichtet wurde, oder ob eher eine gelenkte Wirtschaft, getragen von bereitwillig kooperierenden, hochprofitablen Unternehmen entstand.21 Entscheidend war das tatsächliche Handeln der Unternehmer. Es ging dabei nicht einfach um das unternehmerische „Mitmachen“, was immerhin als Steigerungsform des „Mitlaufens“ gewertet werden kann, sondern um das Vorgehen einer „belasteten“ Unternehmerschaft als nutznießender, integrativer Teil der NS-Herrschaft. Deshalb wird die strategische Position und Verantwortung der Unternehmerschaft im nationalsozialistischen Deutschland verharmlost, wenn man Plumpe folgt, wonach ihr Verhalten „dem Durchschnittsverhalten der deutschen Bevölkerung entsprach, dessen Mehrheit sich […] im Bereich des mehr oder weniger zustimmenden Opportunismus befand.“22 Die Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik und die Umorganisation der deutschen Wirtschaft spiegelten sich in einer enormen Zunahme wirtschaftsstatistischer Erhebungen wider:23 Für die Orientierung und Handlungsfähigkeit der neugeschaffenen Ebd. F 25. Ebd. F 20. „Stille Reserven“ wie unterbewertete Vorräte wurden gar nicht eingerechnet, ebd. F 25 f. Spoerer 1996, S. 150. Siehe dort (S. 146 f.) die Renditen nach verschiedenen Berechnungsmethoden, z. B. die des StRA. 20 Fremdling/Stäglin 2014a,b. 21 Petzina 1968, S. 11. Geer (1961, S. 122, 171 f. u. pass.) lehnt denn auch Begriffe wie „Planwirtschaft“ oder „Verwaltungswirtschaft“ zur Kennzeichnung der Wirtschaftsform ab, er schlägt „Programmwirtschaft“ für diese eher nach politischen Zielsetzungen gelenkte Wirtschaft vor. 22 Plumpe 2018, S. 127. 23 Reichardt 1940, S. 80 f. Siehe auch Rompe 1940, S. 511 ff. Rompe arbeitete beim Reichskommissar für Preisbildung. Unabhängig vom StRA kam es in allen möglichen Bereichen zu einer Flut von Erhebungen. Das RWM versuchte sie einzudämmen. Siehe Wietog, 2001, S. 101 ff.; BA R3102 3623 F 3 f.; Tooze 2001, S. 207 ff., 232 ff. 17 18 19
Von der Friedensökonomie zur Kriegswirtschaft
amtlichen, halbamtlichen und privatwirtschaftlichen Stellen bot die amtliche Statistik keine hinreichenden Fachstatistiken an. „Die Entwicklung führte dann dazu, daß zahlreiche Organe des Staates und der ständischen Organisationen [neben den statistischen Ämtern] zur Erstellung eigener Statistiken schritten.“24 Nach Reichardt, dem Präsidenten des Statistischen Reichsamts, koordinierten diese Stellen ihre Erhebungen nur unzulänglich untereinander und stimmten sie nicht hinreichend mit der amtlichen Statistik ab. So „entstand eine Unzahl von Doppelbefragungen, von Erhebungen, die methodisch-technisch mangelhaft angelegt und durchgeführt, auch nur mangelhafte Ergebnisse zeitigen konnten.“25 Dieses harsche Urteil aus der Sicht der amtlichen Statistik wäre nur berechtigt gewesen, wenn die genannten Unzulänglichkeiten die zuständigen Stellen bei der Kontrolle und Lenkung der Ressourcen nennenswert beeinträchtigt hätten. Vertreter der privaten Branchenstatistik sahen ihr Wirken natürlich in einem anderen Licht als die Amtsstatistiker. Die Verbandsstatistik hatte sich vor allem aus den teilweise schon im Kaiserreich gegründeten Interessenverbänden und den Kartellen der deutschen Wirtschaft entwickelt. In den 1930er Jahren wurde sie kräftig ausgebaut, tiefer gegliedert und auf immer mehr Branchen ausgedehnt, weil die Selbstverwaltungsorganisationen der deutschen Wirtschaft als Steuerungsorgan der nationalsozialistischen Wirtschaftslenkung instrumentalisiert wurden. So standen die Organisationen der gewerblichen Wirtschaft beispielsweise für „Rohstoffbewirtschaftung, Erzeugungslenkung, Leistungssteigerung, Arbeitseinsatz, Qualitätsarbeiterschulung, Nachwuchslenkung und Wehrwirtschaft, […] für die in besonders großem Umfange statistische Unterlagen benötigt“26 wurden, bereit. Erhebungseinheit war der Betrieb, dessen Daten mit branchenspezifischen Ausprägungen in einer Kartei erfasst wurden. Als Gruppenstatistik, also dezentral nach dem branchenorientierten Gliederungsprinzip der Wirtschaftsorganisationen27, wurden die Angaben zur speziellen Wirtschaftsstatistik aggregiert. Exemplarisch wird hier die Statistikarbeit der großen und einflussreichen Reichsgruppe Industrie vorgestellt.28
Reichardt 1940, S. 80. Ebd. Schon 1937 hatte Reichardt in einem internen Papier („Aufzeichnung“ vom 31.3.1937) „eine Hypertrophie und eine Zersplitterung“ der deutschen Statistik beklagt, BA Ko N1734 Bd. 2 F 12, 18 ff. Bereits 1935 hatte das StRA einen Gesetzentwurf vorbereitet, um die alleinige Kontrolle über statistische Erhebungen zu erhalten. Tooze 2001, S. 208 ff., 248. 26 Bickert 1940, S. 1030–1038. Zitat ebd., S. 1031. 27 Die Reichsgruppen waren fachlich oder regional untergliedert, so dass die erste Aggregationsstufe überschaubar lediglich einige hundert oder tausend Betriebe umfasste. Die Reichsgruppe Industrie setzte sich aus 31 Wirtschaftsgruppen zusammen, Bickert 1940, S. 1036. 28 Für die Zitate und Paraphrasen siehe Bickert 1940, S. 1032 ff. Siehe auch BA R3102 3586 F 159. Die Akte BA R3102 3625 enthält ein achtseitiges „Verzeichnis der Statistischen Erhebungen der Reichsgruppe Industrie und ihrer Gliederungen (Stand August 1939)“. Siehe auch die Artikel zu den Wirtschaftsgruppen Papier (Mirus 1940) und Maschinenbau (Geer 1940), darüber hinaus für die Eisenkontingente ebenfalls Geer (1961, S. 116–119). 24 25
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Die Lenkung der Kriegswirtschaft
1.
2. 3. 4.
Sie befasste sich vor allem mit folgenden Arbeitsgebieten: Beschäftigung, a) Zahl der Beschäftigten, unterteilt nach männlichen und weiblichen Beschäftigten, Arbeitern, Angestellten und Lehrlingen, b) Arbeitsstunden und Lohnsummen, Rohstoffbedarf und –verbrauch, unterteilt nach Materialsorten (Mengen), Erzeugung, unterteilt nach Erzeugnissen (Mengen), Auftragseingang, Versand oder Umsatz, unterteilt nach Erzeugnisgruppen einerseits, In- und Ausland andererseits; Ausfuhr nach Ländern (Werte, möglichst auch Mengen).29
Dieser Katalog gleicht verblüffend dem Fragebogen, der für den Industriezensus von 1936 eingesetzt wurde. Allerdings waren im Zensus die Mengenangaben in der Regel durch Wertangaben ergänzt. Wie sich auch bei der Auswertung des 1936er Zensus durch das Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung zeigte, dominierte bei der nationalsozialistischen Ressourcenlenkung die Mengenplanung, so dass sich das Aggregationsproblem nicht lösen ließ. Nur über Wertgrößen mit Preisen, welche die relative Knappheit widerspiegeln, hätte man physisch unterschiedliche (Zwischen)produkte aggregieren können.30 Bei der Mengenplanung konnte die Erzeugung von Endprodukten lediglich indirekt über Schlüsselzuweisungen bzw. Kontingentierung auf unteren, noch relativ homogenen Produktionsstufen (z. B. Eisen und Stahl) gesteuert werden. Planung und Bewirtschaftung bedingten zudem eine immer weitergehendere übergeordnete Kontrolle und statistische Erfassung der betrieblichen Produktionsabläufe und der Lagerhaltung. So wurde mit dem Ausbau der Rohstoffbewirtschaftung ein neuer Typ der Statistik geschaffen, die sogenannten Bewirtschaftungsstatistiken. Sie dienten der Regelung des Verbrauchs von Roh- und Hilfsstoffen und beruhten auf der zu Bewirtschaftungszwecken eingerichteten Buchführung über Lagerbestände, Zu- und Abgänge sowie der sogenannten Kontingentsbuchführung. Implizit sprach Bickert, der in der Reichsgruppe Industrie das statistische Sonderreferat leitete, das nicht gelöste Aggregationsproblem bzw. die Grenzen der Mengenplanung an, wenn er herausstellte, dass die statistische Erfassung bei den Sektoren der Urproduktion (Eisenschaffende Industrie, Bergbau, Kraftstoffindustrie, Metallindustrie, Papier-, Pappen- und Zellstoffindustrie, Steine und Erden) noch über die Erzeugung laufen könne, während in „Industriezweigen mit einer längeren Fertigungsdauer, wie Maschinenbau, Stahl- und Eisenbau und Schiffbau […] die genaue Ermittlung der Erzeugung den Betrieben so viel Arbeit verursachen [würde], daß sie praktisch nicht lohnt. In der Statistik dieser Industriezweige tritt der Auftragseingang oder Absatz an die Stelle Bickert 1940, S. 1032. Die DDR-Planwirtschaft versuchte vergeblich dies Problem mit Verrechnungspreisen zu lösen, die aus historischen Knappheitspreisen abgeleitet waren. Siehe unten Kapitel VI. 29 30
Von der Friedensökonomie zur Kriegswirtschaft
der Erzeugung.“31 Mit der längeren Fertigungsdauer gingen eine längere Fertigungstiefe sowie zunehmende Produktionsstufen und Zwischenprodukte einher. Bickert hob hervor, dass die Bewirtschaftungsstatistiken nicht primär der genauen statistischen Erfassung, sondern der Zuteilung der Inputs über leicht erfassbare Indikatoren dienten. Die Überwachungsstellen und Wirtschaftsorganisationen waren verpflichtet, dem StRA die Ergebnisse ihrer produktionsstatistischen Erhebungen zur Verfügung zu stellen.32 Letztlich arbeiteten die Wirtschaftsorganisationen sogar eng mit den Trägern der amtlichen Statistik zusammen. Als das Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung und das StRA dasselbe fachliche Gliederungsprinzip wie die Wirtschaftsgruppen anwendeten, ließen sich die Ergebnisse der Produktionserhebungen ohne methodische Schwierigkeiten austauschen. Die statistischen Erhebungen der Gliederungen der gewerblichen Wirtschaft gingen regelmäßig Leisses Abteilung VII im StRA (Industrielle Produktionsstatistik) und dann dem RWP zu.33 Ende der 1930er Jahre konzentrierte sich das RWP auf die Jahreserhebungen der industriellen Produktionsstatistik, während die Wirtschafts- und Fachgruppen der Reichsgruppe Industrie die Monatsstatistiken führten.34 Hier bahnte sich die spätere enge Verzahnung zwischen der Reichsgruppe Industrie und dem StRA bzw. der Statistischen Leitstelle mit Kurt Werner auf der einen Seite und der Planstatistik des DIW im Auftrag des RWM und dann des Planungsamtes mit Rolf Wagenführ auf der anderen Seite an. Darüber hinaus hatte das Statistische Reichsamt der Reichsgruppe Industrie 1938 die vor allem aus der Beschäftigtenstatistik entstandene Industrieberichterstattung35 übertragen, die einige Jahre unnötigerweise parallel geführt worden war.36 Das StRA
Bickert 1940, S. 1033. Die Überwachungsstellen übermittelten ihre statistischen Erhebungen über den Produktionsumfang und die Bestände an das StRA. Siehe Schreiben des RWM vom 27.5.1936 an „sämtliche Überwachungsstellen“ (BA R3101 31274 F 28) und die Erlasse des RWM vom 5.1. und 3.5.1935 (BA R3102 10003 F 64). Entsprechende Erlasse, die ebenfalls an die Wirtschaftsorganisationen gerichtet waren, datieren vom 20.2. und 27.4.1937 (ebd.). Offensichtlich gab es auch schon vor den Erlassen eine große Bereitschaft, dem StRA produktionsstatistische Daten mitzuteilen. So schrieb die Fachgruppe Metallhalbzeugindustrie am 6.3.1937 als Antwort auf die Meldeverpflichtung durch den RWM vom 20.2.1937, dass sie „bereits seit Januar 1933“ ihre monatliche Produktionsstatistik dem StRA mitgeteilt habe (BA R3102 3006 F 2). 33 Siehe Brief Leisses an den Präsidenten des StRA vom 6.9.1937 (BA R3102 3572 F 1 f.) und mehrere Aktenstücke zu den Monatserhebungen (BA R3102 3625). 34 Bickert 1940, S. 1035; BA R3102 3586 F 162; zur Rolle des RWP siehe Leisse 1940 und von Roeder 1940, S. 1018. Leisse (als Leiter) und von Roeder arbeiteten im RWP. Auch Bramstedt (1940, S. 1004 f.) vom StRA diskutierte die Kooperation mit der Reichsgruppe Industrie. 35 Das Kaiserliche Statistische Amt hatte die Industrieberichterstattung 1903 als Ergänzung der Arbeitsmarktstatistiken begonnen. 1920 bis 1928 war das Reichsarbeitsministerium bzw. die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zuständig. Nachdem das Institut für Konjunkturforschung (If K) die Berichterstattung von 1928 bis 1932 durchgeführt hatte, übernahm dies das StRA (Gierth 1941). Der Verein Deutscher Maschinenbau-Anstalten (VDMA) versorgte das If K mit seinen Verbandsstatistiken, vor allem mit der Auftragsstatistik. Geer 1940, S. 1040. 36 Tooze 2001, S. 187 ff.; BA R3102 3586 F 155 ff., siehe dort auch den „Vermerk über die Besprechung wegen Fortführung der Industrieberichterstattung“ (27.9.1939) am 11. und 13.9.1939 beim Reichwirtschaftsminister 31 32
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hatte die in den Wirtschaftsgruppen mit den Erhebungsarbeiten betrauten Arbeitskräfte in besonderen Kursen geschult, „um einen ungestörten Fortgang der statistischen Arbeiten und damit die Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu sichern.“37 Im Jahr 1938, als die Reichsgruppe Industrie das erste Mal für die Berichterstattung verantwortlich war, berichteten 16.000 Firmen monatlich über die Zahl der Arbeitskräfte, die geleisteten Arbeitsstunden, die Lohnsumme und den Absatz. 1938 repräsentierten die Berichtsfirmen 60 Prozent der Industriebeschäftigten, im Herbst 1940 war der Anteil auf über 93 Prozent angewachsen. Die Reichsgruppe Industrie, in 31 Wirtschaftsgruppen und über 300 Industriezweige gegliedert, zählte die Angaben mit dem Lochkarten- oder Hollerithverfahren aus, und das StRA rechnete sie anschließend aufgrund vorheriger Totalerhebungen in den einzelnen Industriezweigen auf Gesamtzahlen hoch.38 Die monatliche39 Industrieberichterstattung, die vor allem einen Beitrag „zu den vom Statistischen Reichsamt aufgestellten Gesamtbilanzen der menschlichen Arbeitskräfte“ lieferte, war regional nach Wehrkreisen tief gegliedert und wurde nach und nach – wie von Gierth in seinem Anfang 1941 geschriebenen Artikel angekündigt – auf den gesamten deutschen Herrschaftsbereich ausgedehnt.40 Im Herbst 1941 veranlasste das Oberkommando der Wehrmacht die Reichsgruppe Industrie zudem, „die Beschäftigungsstatistik regelmäßig durch die Fragen nach den Einberufenen, den beschäftigten Ausländern, den Juden und den in der Industrie eingesetzten Kriegsgefangenen zu erweitern.“41 (F 162). Es ging um die Umstellung von der repräsentativen Erhebung bei einer Reihe von Wirtschaftsgruppen auf eine Totalerfassung aller Betriebe. Vertreten waren: GB, OKW, Reichsarbeitsministerium, Reichskommissar Preisbildung, Stat. Zentralausschuss, StRA, RWP, Reichswirtschaftskammer u. Reichsgruppe Industrie. 37 BA R3102 3586 F 155. 38 Im StRA (Abteilung VI „Allgemeine Wirtschaftsstatistik“) wurde bereits im August 1935 (Brief an das Referat „Technische Aufbereitung“, unterschrieben von Lautenbach) die „Aufbereitung der Absatzstatistik im Hollerithverfahren“ gefordert, um so im „Rahmen der Industrieberichterstattung[…] die Ergebnisse pünktlich jeden Monat“ erstellen zu können, BA R3102 3586 F 136 f. 39 Sie wurde zu Beginn des Krieges einhellig als besonders relevant für die Wehrwirtschaft erachtet, denn „die Industrieberichterstattung [war] die einzige Quelle […], die monatlich über den Stand der Beschäftigung, die Produktion und die Lohnsumme Auskunft“ gab. Siehe den Vermerk einer Besprechung vom 27.9.1939 unter Federführung des RWM zwischen den Vertretern mehrerer Ministerien, dem OKW, StRA, RWP, der Reichswirtschaftskammer und Reichsgruppe Industrie, BA R3102 3586 F 162 f. 40 Gierth 1941: „Mit dem Fortschreiten der Kampfhandlungen wurde die Industrieberichterstattung auf die neu gewonnenen oder zurückgegliederten Gebiete ausgedehnt […] Die Einrichtung dieser Erhebungen in weiteren europäischen Ländern ist vorgesehen, um so allmählich zu einer nach einheitlichen Grundsätzen ausgerichteten europäischen Industrieberichterstattung zu gelangen.“ Berichterstatter Hennig (Referatsleiter „Allgemeine Wirtschaftsstatistik“ StRA Abt. VI) verwies in seinem Papier vom 17.12.1941 darauf, dass sowohl das RWM als auch das Oberkommando der Wehrmacht die „kriegswirtschaftliche Bedeutung der Industrieberichterstattung […] wiederholt anerkannt“ hatten. Das RWM wurde mit folgender Feststellung zitiert: „Die Industrieberichterstattung ist die einzige kurzfristige Industriestatistik, die […] den für die zentrale Wirtschaftslenkung erforderlichen geschlossenen Überblick über die Beschäftigungslage der gesamten Industrie gibt.“ BA R3102 3586 F 156 f. 41 Brief des Oberkommandos der Wehrmacht (Wi Rü Amt) an StRA 22.10.1941, BA R3102 3586 F 161.
Von der Friedensökonomie zur Kriegswirtschaft
Bei der weitgehenden Zusammenarbeit zwischen der privaten Verbandsstatistik und der amtlichen Reichsstatistik teilte Bickert42 die Zweifel des StRA-Präsidenten, Reichardt, an der Qualität der privatwirtschaftlichen Wirtschaftsstatistiken begreiflicherweise nicht. Zu Bickerts optimistischer Darstellung standen allerdings die Probleme bei der Einführung des maschinellen Berichtswesens im Widerspruch.43 Um das Lenkungssystem zu koordinieren, waren die anfallenden Informationen über die Zuteilung, den Verbrauch und die Vorräte adäquat als Entscheidungsgrundlage für übergeordnete Lenkungsstellen aufzuarbeiten. Die damals modernste Form der Verarbeitung war das sogenannte „maschinelle Berichtswesen“.44 Sowohl im StRA45 als auch im Reichskriegsministerium wurde dieses Lochkartenverfahren zunehmend zur Informationsverarbeitung eingesetzt. Das Heereswaffenamt richtete im November 1937 seine Lochkartenstelle ein. Im Frühjahr 1942 wurden alle Lochkartenabteilungen der Wehrmacht dem Speerministerium zugeteilt, und seither konnte man nach Lauersen von einer erfolgreichen Etablierung der maschinellen Berichterstattung (MB) sprechen. Nach Tooze jedoch wurden die technischen Probleme der Datenerhebung und –verarbeitung letztlich nicht befriedigend gelöst.46 Der Verfasser der benutzten Quelle, Lauersen, war als Leiter der statistischen Abteilung des maschinellen Berichtswesens selbst verantwortlich in diese Organisation eingebunden und damit als Berichterstatter befangen.47 So führte er die lange auftretenden technisch-organisatorischen Probleme lediglich verschleiert an, obwohl er seinen Bericht erst nach Kriegsende verfasste. Die dezentrale Berichterstattung erforderte „einheitliche Erhebungsmethoden, einheitliche Nummerungen und ein einheitliches technisches Verfahren“.48 Bei den erhobenen Daten mit reichseinheitlicher Betriebsnummerung, Warennummerung und Berufsnummerung mussten die betroffenen Betriebe, die statistischen Zentralstellen der Wehrmachtsteile, der Statistische Zentralausschuss, die Reichsgruppe Industrie und die obersten Reichsbehörden für eine einheitliche Erhebung unter Ausschaltung
Georg Bickert war als Leiter des statistischen Sonderreferats der Reichsgruppe Industrie allerdings in seinem Urteil befangen. 43 Auch Tooze (2001, S. 248 ff.) hebt eher die Unzulänglichkeiten der im Sommer 1939 von den Lenkungsbereichen gelieferten Statistiken hervor. 44 Zum Folgenden siehe vor allem den umfangreichen (98 Seiten, der Anhang fehlt) Bericht: „Organisation und Aufgaben des maschinellen Berichtwesens des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion“, Berichterstatter Walther Lauersen (5.12.1945), WABW N10 Bü37 (Archiv Rolf Wagenführ). Zum Stand der „Maschinenverwendung in der Statistik“ Ende der 1930er Jahre siehe Madlé 1940. Siehe auch Tooze 2001, S. 255 ff. 45 Vgl. den langen Bericht über die Eignung des Lochkartenverfahrens zur Aufbereitung der Produktionsstatistik von 1933 und dann des Industriezensus von 1936, BA R3102 3037. 46 Tooze 2001, S. 257 ff. 47 Siehe den Geschäftsverteilungsplan des Planungsamtes von Juni 1944, BA R3 108 F 32. 48 WBW N10 Bü37, Organisation, S. 1. Zu den Problemen siehe auch den Aktenvermerk von September 1944, der die Entwicklung und Probleme seit 1938 nachzeichnete und aufzeigte, dass selbst gegen Ende des Krieges noch erhebliche Probleme bei der MB nicht gelöst waren. BA R3 74 F 32 ff. 42
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von Doppelarbeiten eng zusammenwirken.49 Neben den aus rein technisch-organisatorischen Gründen auftretenden Problemen war nach Lauersen den Betroffenen aber selbst daran gelegen, die Berichterstattung zu behindern: Wie mehrfach betont, wurde die Arbeit der MB vielfach erschwert durch mangelnde Bereitschaft zur Mitarbeit und mangelndes Vertrauen der beteiligten Dienststellen. Dieses war teilweise zurückzuführen auf die klare Erkenntnis der Tatsache, dass die Einschaltung des MB manche Mängel aufdecken würde, die dann verantwortet werden mussten, und zwar begründet in der nicht unberechtigten Befürchtung, dass nach Einsatz des MB manch ein Bearbeiter[,] der an seinem Posten hing, überflüssig werden würde.50
Neben dieser umständlich gewundenen Begründung räumte Lauersen ein, dass die Mitarbeiter der MB selbst nicht immer kompetent waren oder übertriebene Erwartungen an die neue Technik der Datenverarbeitung knüpften. Ohne die maschinelle Berichterstattung hätte man die während des Krieges für den engsten Führungszirkel zusammengestellten „Statistischen Schnellberichte zur Kriegsproduktion“51 allerdings nicht so zeitnah herstellen können. Jedoch wäre es nach Ansicht von Lauersen möglich gewesen, die maschinelle Berichterstattung früher erfolgreich zu etablieren, wenn die Abteilung VII (Industrielle Produktionsstatistik) des StRA (später verselbstständigt als Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung, RWP) 1938/39 mit ihrem umfangreichen technischen Apparat in die MB hätte eingebunden werden können. Ihr Leiter, Wilhelm Leisse, soll sich geweigert haben, die Aufgabe zu übernehmen, obwohl seine Abteilung personell und sachlich mit der größten Lochkartenabteilung die besten Voraussetzungen geboten hätte, diese Funktion zu übernehmen.52 Die MB soll erst unter Wagenführs Verantwortung reibungslos gelaufen sein.53 So war es denn letztlich die Statistikabteilung im RWM und schließlich im Planungsamt, die unter der Leitung Wagenführs vom DIW zusammen mit der Leitstelle im StRA die Daten erhob und zu Wirtschaftsstatistiken für die
Lauersen schildert am Beispiel der Rohstoffbilanzen, wie 1939 unter Federführung des RWM und der Rohstoffabteilung des OKW die an unterschiedlichen Stellen erhobenen Statistiken über eine konsistente Systematik vereinheitlicht wurden (WBW N10 Bü37, Organisation, S. 81–83). Wie kompliziert die Bedarfsplanung für Zwischenprodukte war, zeigen die Erfassungsbögen für Eisen- und Stahlmaterial aus dem Herbst 1943: Die Matrix eines Bogens für einen Zeitpunkt überstieg 200 Zellen, (vgl. BA R3 74 F 10). Siehe in derselben Akte die umfangreichen Tabellen für die vierteljährliche Verteilung der Kontingente bzw. der Bezugsrechte. Entsprechend kompliziert fielen denn auch Entwürfe für die betreffenden Lochkarten aus, siehe die Abbildung BA R3 74 F 24. 50 WBW N10 Bü37, Organisation, S. 92. 51 Siehe die Hefte mit den Daten sogar noch für Februar 1945 in BA R3102 3147. 52 WBW N10 Bü37, Organisation, S. 94. Zum Einsatz von „Hollerithmaschinen“ im RWP siehe BA R3102 3596 F 18. 53 Tooze 2001, S. 263. Allerdings weisen die Unterlagen der Reichsstelle Eisen und Metalle noch für den Herbst 1944 auf erhebliche Friktionen hin. BA R3 74 F 26 ff. 49
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Lenkung der Kriegswirtschaft aufbereitete.54 Dies geschah bei der Leitstelle vor allem mit Kurt Werner, dem langjährigen Mitarbeiter Leisses. Mit einer Verordnung vom 13. Februar 1939 schuf Göring als Beauftragter des Vierjahresplans den Statistischen Zentralausschuss, der die wirtschaftsstatistischen Erhebungen zu genehmigen hatte.55 Dem Ausschuss gehörten unter dem Präsidenten des StRA Vertreter der an wirtschaftsstatistischen Erhebungen hauptbeteiligten Stellen an. Mit dieser Maßnahme sollten statistische Dienste rationalisiert, Doppelerhebungen vermieden, Firmen weniger zu Erhebungen verpflichtet und die dezentrale Erhebung mit standardisierten Fragebögen vereinheitlicht werden. Schließlich würde „bei dem geschäftsführenden Statistischen Reichsamt […] allmählich ein umfassendes Material zusammenlaufen.“56 Dieses Zitat aus Reichardts Artikel – noch vor Beginn des Krieges verfasst – stellte sich in der Folgezeit als Wunschdenken heraus: Unter seinem Nachfolger Godlewski als Präsidenten des StRA und dem RWM mit Ohlendorf scheiterten weitere Versuche, wirtschaftsstatistische Ergebnisse gepaart mit entsprechender Verfügbarkeit für die Handelnden zu zentralisieren. Auf jeden Fall kann aus Görings Verordnung geschlossen werden, dass Reichardts Bedenken gegen den Wildwuchs wirtschaftsstatistischer Erhebungen wohl berechtigt waren. Für die gelenkte Wirtschaft gab es keinen zentral erstellten Plan, und anfänglich überwogen eher indirekte Eingriffe, jedoch wurden die Kompetenzen der Überwachungs- bzw. Reichsstellen ständig erweitert:57 Zur devisentechnischen Kontrolle kam die Rohstoffbewirtschaftung, zur Rohstoffzuteilung kam der Einfluss auf die Investitionen. Einkaufs-, Verarbeitungs- und Veräußerungsgenehmigungen und schließlich Verwendungsbeschränkungen waren Einzelinstrumente der zahlreichen nach Branchen organisierten Stellen und Kommissare.58 Die zunehmende Ressourcenbewirtschaftung setzte mit einer Rohstofflenkung ein. Die bot mit dem Zugriff an der untersten Stufe der Wertschöpfungskette ein indirektes Steuerungsinstrument für die nachgelagerten Produktionsprozesse bis hin zum Endprodukt. Unter Rohstoff wurden auch Zwischenprodukte auf einer unteren Produktionsstufe, z. B. Eisen und Stahl, gefasst. Mit dem Vierjahresplan ab 1936 wurde die indirekte Rohstoffbewirtschaftung zunehmend durch direkte Maßnah-
Siehe z. B. das ausgeklügelte Organisationsschema (Flussdiagramm) für die Beschäftigtenmeldung, den Erhebungsbogen und die Lochkarte während des Krieges, zum Schreiben vom 8.4.1943, BA R3 25 F 23, 40 u. 88. 55 Reichardt 1940, S. 88 ff.; Rompe 1940, S. 514 f. und ausführlich Tooze 2001, S. 233 ff. 56 Reichardt 1940, S. 89. 57 Siehe die Ausführungen von Petzina (1968, S. 154 ff.), Wagenführ (1963, S. 42 ff.) und Geer (1961) vor allem zur Eisenkontingentierung. Geer war seinerzeit als Statistiker für den Verein Deutscher Maschinenbauanstalten (VDMA) bzw. die Wirtschaftsgruppe Maschinenbau tätig. 58 Siehe beispielhaft die Untersuchung von Höschle (2004) für die Textilindustrie, sie war der erste bedeutende Industriezweig mit einer umfassenden Regulierung und war 1939 noch zu 70 % von Rohstoffeinfuhren abhängig (ebd. S. 318). 54
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men abgelöst. Als Beispiel dafür kann die – allerdings letztlich gescheiterte – Kontingentierung des Eisens als zentraler „Grundstoff “ oder „Leitrohstoff “ (Kehrl) der Industrieproduktion dienen. Nach Petzina „war die Geschichte der Rohstofflenkung zwischen 1936 und 1942 weitgehend mit der Geschichte der Eisenkontingentierung identisch.“59 Die Unzulänglichkeiten waren von Anfang an darauf zurückzuführen, dass sich keine klare und verbindliche Prioritätenliste durchsetzen ließ, die mit der tatsächlichen Produktion kompatibel war. Andauernd wurden Vorräte gehamstert, und im Vergleich zur Erzeugung waren immer zu viele Kontingente im Umlauf. Neue und verfeinerte Dringlichkeitsstufen änderten nichts an dem grundsätzlichen Dilemma.60 Die Unternehmen hatten ständig Reibungen und Veränderungen hinzunehmen. Für ein und dasselbe Unternehmen konnte eine Vielzahl von Lenkungsstellen zuständig sein, so dass das System komplizierte, widersprüchliche und selbst chaotische Ausprägungen zeigte. Um die Mängel zu beseitigen, wurden immer weitergehendere Lenkungsmaßnahmen eingeführt. Neben die Kontingentierung der Rohstoffe traten organisatorische Neuerungen wie die Reduzierung und Zentralisierung der Stellen. Gleichzeitig wurden aber unter Mitwirkung der Industrie (anfänglich allerdings auch gegen ihren Widerstand) weitere branchenorientierte Reichsvereinigungen zur Produktionslenkung geschaffen. Reichsbeauftragte führten und kontrollierten, während die Organisationen der gewerblichen Wirtschaft die Ausführungen verantworteten. Während des Krieges zeigte sich, dass eine grundlegende Reorganisation der Rohstofflenkung und vor allem der Rohstoffbewirtschaftung überfällig war. Planungsorganisation
Im Folgenden geht es darum, das gleichzeitige und verzwickte Neben-, Durch- und Gegeneinander der Planungsarbeit61 in den letzten Kriegsjahren und der damit verbundenen Statistiken chronologisch, aber auch gezielt systematisch mit ausgewählten Schwerpunkten und detaillierten Quellenverweisen, zu entwirren. Die aus dem Petzina 1968, S. 154. Siehe ausführlich dazu Geer (1961) und die kritische Studie von Hensler (2008). Müller 1988, S. 621 ff. Siehe auch die von Wagenführ geschilderte Bewertung Kaldors, Wagenführ 1963, S. 124. Drastisch auch die Kennzeichnung des bekennenden, allerdings befangenen Marktwirtschaftlers Welter (1954, S. 11), der im letzten Kriegsjahr im Planungsamt gearbeitet hatte: „Daß der Dilettantismus Orgien gefeiert hat, daß sich das ganze sogenannte Lenkungssystem bis zum Jahre 1943 als ein Fiasko erwiesen hat, ist eine Tatsache. […] Erst im letzten Kriegsjahr […] wich das ahnungslose Herumimprovisieren dem Bemühen, des Durcheinanders Herr zu werden“. Erich Welter (1900–1982) war u. a. Wirtschaftsjournalist und Professor für Volkswirtschaftslehre in Mainz, Gründer (1949) und langjähriger Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Welter, in: Hessische Biografie 2013. Siehe den Geschäftsverteilungsplan des Planungsamtes von Juni 1944 mit der merkwürdigen Maßgabe im dazu gehörenden Brief: „Prof. Welter soll im Geschäftsverteilungsplan nicht erwähnt werden.“ BA R3 108 F 31 f. 59 60 61
Planungsorganisation
Knäuel auseinandergezogenen Fäden lassen das Planungssystem allerdings planvoller erscheinen, als es tatsächlich war. Die folgende Darstellung hebt auf die Arbeitsweise der Planstatistik unter der Leitung Wagenführs im RWM und dann im Planungsamt des Speerschen Ministeriums ab. Die übergeordnete Organisation der Planung wird lediglich als Bezugsrahmen behandelt, um die Planstatistik verständlich zu machen. Anfang 1942 trat zutage, dass das Bewirtschaftungs- und Lenkungssystem62 für die Rüstungsplanung nicht mehr hinreichend funktionierte. Daraufhin wurde, initiiert von Speer (RBuM, Reichsministerium für Bewaffnung und Munition, seit September 1943 mit erweiterten Kompetenzen RMRuK, Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion)63, im April 1942 eine neue Planungsorganisation für die Kriegswirtschaft, die „Zentrale Planung“ bei der Vierjahresplanbehörde geschaffen.64 Mit dem übergeordneten Ausschuss „Zentrale Planung“ verfügte Speer über ein Instrument zur Lenkung der Rüstungswirtschaft. Im Ausschuss war auch das RWM vertreten, das für die zivile Produktion verantwortlich war. Die zentrale Planung wurde in gemeinsamen Sitzungen des Rüstungsministeriums, des RWM und der Vierjahresplanorganisation abgestimmt. Die zivile Produktionssteuerung lag also zunächst noch beim RWM, und zwar in der Hauptabteilung II (Industrie). Im April 1942 beauftragte Reichswirtschaftsminister Funk auf Veranlassung Speers Hans Kehrl,65 der die Textilindustrie erfolgreich bewirtschaftete, die Kontingentierung der kriegswichtigen Eisen- und Stahlindustrie zu reorganisieren.66 Unter der „Zentralen Planung“ wurde die Verteilung bzw. Kontingentierung von Eisen und Stahl zum Hebel, um die Kriegswirtschaft insgesamt zu lenken.67 Zugleich übertrug das RWM Kehrl die Befugnis, die gesamte Rohstoffbewirtschaftung ebenfalls neu zu regeln.68
Welter wies darauf hin, dass diese Begriffe nichts anderes als euphemistische Bezeichnungen für die „Rationierung“ auch der Produktionsmittel waren. Welter 1954, S. 85. 63 Speer übernahm das am 17.3.1940 geschaffene Ministerium nach dem Tod von Todt am 8.2.1942. Formell war Speer als „Generalbevollmächtigter für Rüstungsaufgaben im Vierjahresplan“ Göring unterstellt. Geer 1961, S. 151 ff.; Müller 1988, S. 466 ff. Ausführlich zu Speer siehe Brechtken 2017, Tooze 2008a, S. 634 ff.; Naasner 1994, S. 447 ff. und Streb 2016, S. 570 ff. 64 „Erlaß des Reichsmarschalls des Großdeutschen Reiches über Errichtung einer ‚Zentralen Planung‘ im Vierjahresplan“, von Göring am 22.4.1942 unterzeichnet. Zitiert nach Eichholtz 1985, S. 82. Inhaltlich hatte sich dieser Ausschuss nach Geer schon lange vorher als „Kollegialgremium“ zur Aushandlung von Kompromissen bei der Bewirtschaftung gebildet. Dennoch sieht Geer im Jahre 1942 einen Wendepunkt bei den Lenkungsmethoden. Geer 1961, S. 120 f., 128. 65 Streb 2016, S. 542 ff.; Tooze 2008a, S. 655 ff. Zu Hans Kehrl siehe die biografische Skizze im Anhang. 66 Hensler 2008, S. 59 ff.; Donges 2014, S. 229–231, 357–359. Zur Einschätzung der Aufgabe Kehrls kann ein internes Papier des DIW mit „Stichworten“ für eine Sitzung mit Wagemann herangezogen werden. Darin hatte Wagenführ am 14.7.1943 u. a. folgende Punkte notiert: „Ausgangspunkt der Kehrlarbeiten, a) Organisationswirrwarr, […] b) Wirrwarr der Planung c) Wirrwarr der Statistik“. Danach folgten Stichworte zur Neuordnung: „je Betrieb eine Lenkungsstelle, […] Keine Rohstoffplanung sondern Fertigwarenplanung, […] Einschaltung erfolgreicher Unternehmer“. BA R3 1796 F 34. 67 Eichholtz 1996, S. 126 ff. 68 Wagenführ 1963, S. 43 ff.; Eichholtz 1985, S. 84; Tooze 2001, S. 260. 62
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Die Lenkung der Kriegswirtschaft
Eine Schwäche des Lenkungssystems war die organisatorische Zuordnung der Betriebe seit Schachts Neuem Plan von 1934:69 Die Reichsstellen (vorher Überwachungsstellen) waren jeweils für Betriebe zuständig, die nach Rohstoffgruppen zusammengefasst waren. Um das organisatorische Durcheinander bei der Rohstoffbewirtschaftung zu entwirren, sollte jeder Betrieb nur einem Lenkungsbereich angehören, der wiederum unter einheitlicher Leitung straff geführt wurde. Tatsächlich aber blieben in den beiden Lenkungsbereichen70 des RWM (Reichsstellen und Wirtschaftsgruppen) Betriebe trotz der Reorganisation gleichzeitig mehreren Organisationen angeschlossen.71 Weiterhin war vorgesehen, eine fachbereichsübergreifende Zuteilung von Rohstoffen über die Kooperation der jeweiligen Spitzenorganisationen, „von Lenkungsbereich zu Lenkungsbereich“, mit Globalkontingenten zu regeln. Die Verteilung auf die Betriebe sollte dann wieder innerhalb der Hierarchie des Fachbereichs ablaufen. Unter Beachtung des gesamten Wirtschaftskreislaufs waren nicht nur Rohstoffe, sondern alle Inputs mengenmäßig zu steuern. Die Lenkung der verarbeitenden Industrie oblag den Wirtschaftsgruppen mit den nachgeordneten Fach- und Fachuntergruppen. Diese Gruppen waren aus der Selbstorganisation der Wirtschaft, den Verbänden und Kartellen hervorgegangen und deshalb nach gemeinsamen Betätigungsfeldern, Aktivitäten, wie sie sich in der Industrieklassifikation des StRA spiegelten, organisiert. Das geschah in Abstimmung mit dem RWM und die Kartelle waren jetzt also auch noch staatlich sanktioniert.72 Zur weitgehenden Akzeptanz der Zwangsorganisationen trug zudem bei, dass sie der privat organisierten Wirtschaft glänzende Gewinne bescherten: Nach der kürzlich fertig gestellten Berechnung des Bruttoinlandprodukts für Deutschland im Jahre 1936, die zum ersten Mal nach der Entstehungsmethode erfolgte (also aufgrund der Wertschöpfungsdaten), zeigte sich bereits für dieses Stichjahr eine enorme Schieflage der Einkommensverteilung zugunsten der Gewinne.73 Für die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern waren die regional verankerten Landeswirtschaftsämter zuständig, die dem RWM unterstanden.74
Boelcke 1983, S. 100 ff.; Tooze 2001, S. 264 f. Die organisatorischen Schwächen hatte Wagenführ herausgearbeitet. Siehe zur Außenhandelspolitik zudem Kopper 2016, S. 91–107 und ausführlich Banken 2016. 70 Darunter fielen Reichs- und Bewirtschaftungsstellen mit unterschiedlichen Bezeichnungen, siehe Wagenführ 1963, S. 43. 71 Siehe Beispiele für ausufernde Zuordnungen bei Wagenführ 1963, S. 41. 72 Geer 1961, S. 34 ff. Mit der Einbeziehung der Arbeitskräfte, des Energie- sowie des Verkehrssektors und der Investitionssteuerung hätte dann fast die gesamte Wirtschaft unter Kontrolle gestanden. Siehe auch Tooze 2008a, S. 137. 73 Die Profitquote lag bei 48 Prozent, Fremdling/Stäglin 2014a,b. Das StRA führte solche Berechnungen nicht durch, seine internen Untersuchungen über die Gewinne der Rüstungsindustrie bestätigen dieses Ergebnis: BA R3102 2702 F 1, 250 und 2701 F 23 ff.; siehe auch Spoerer 2005, S. 423, 426–428; Spoerer 1996 und Donges 2014, S. 106 ff. Zur Steuerbelastung der Unternehmen siehe Banken 2018, S. 404–456. 74 Siehe Streb 2016, S. 538 ff. 69
Planungsorganisation
Parallel zu den Lenkungsbereichen des RWM schuf das Speersche Ministerium 1942 für die Rüstungsfertigung eine neue und andersartige Gliederung in Ausschüsse und Ringe.75 Jeweils für die drei Wehrmachtsteile konzentrierten sich Ausschüsse auf Rüstungsendprodukte (Panzer, Schiffe, Waffen etc.), Ringe auf vorgelagerte Produktionsstufen (Eisenverarbeitung, Elektrotechnik etc.). Die Metapher „Ring“ erschließt sich, wenn man sich die Ausschüsse als Säulen vorstellt, die geschichtet aus allen vorgelagerten Fertigungsstufen für das an die Wehrmacht abzuliefernde Rüstungsgut aufgebaut waren. Jede Schicht (Fertigungsstufe) war von Ringen (Betrieben) umschlossen, die das für die Produktionsstufe notwendige Zwischenprodukt (z. B. Kugellager, Schmiedestücke usw.) herstellten und lieferten.76 Nach diesem Organisationsprinzip77 wurden die Industrieunternehmen in neue zusätzliche Bezugseinheiten umgruppiert. „Das waren Zusammenschlüsse von Betrieben bzw. Betriebsabteilungen gleicher Fertigung unter autoritativer Führung eines anerkannten Industriefachmanns aus dem betreffenden Fertigungsgebiet.“78 Das heißt, sie agierten unter der Selbstverantwortung der Industrie, und führende Industrielle, Wirtschaftsleute – und nicht Militärs – waren verantwortlich für die Organisation der Ausschüsse und Ringe.79 Lenkungstechnisch waren sie wiederum in eine Hierarchie von Haupt- und Unterausschüssen bzw. Ringen eingebunden. Die beiden Organisationsmodelle des RWM und des Rüstungsministeriums waren nicht kompatibel. Da beide Gliederungssysteme weiter nebeneinander bestanden, war eine eindeutige und ausschließliche Zuordnung der Betriebe im Lenkungssystem prinzipiell unmöglich. Bereits bestehende Organisationen, wie die Wirtschaftsgruppen, blieben erhalten und viele Einzelbetriebe konnten gleichzeitig einer Vielzahl von Ausschüssen, Ringen und Wirtschaftsgruppen und den jeweilig hierarchisch geordneten Untergliederungen angehören. Dazu kamen noch eine Aufspaltung nach regionalen Gesichtspunkten und schließlich wechselnde Zuordnungen im Zeitablauf, so dass unübersichtliche Zustände und Verwicklungen programmiert waren.80
Siehe „Speers Schema für die Reorganisation der Rüstungswirtschaft vom Februar 1942“ bei Müller 1988, S. 681; siehe das Verzeichnis der Ausschüsse und Ringe (Stand Mitte Juli 1943) bei Eichholtz 1985, Beilage 2; Geer 1961, S. 93, Anm. 8. 76 Müller 1988, S. 682. 77 Tatsächlich wurde das Organisationsprinzip nicht konsequent durchgesetzt: „In Wirklichkeit liefen Ringe und Ausschüsse durcheinander.“ Wagenführ 1963, S. 41, dort konkrete Beispiele. 78 Wagenführ 1963, S. 40. 79 Eichholtz 1996, S. 12; Geer 1961, S. 151 ff. 80 Wagenführ 1963, S. 40 ff.; Geer 1961, S. 136 ff.; Streb 2016, S. 545 ff.; Welter (1954, S. 115 ff.) gibt anschauliche Beispiele. 75
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Die Lenkung der Kriegswirtschaft
Das Planungsamt
Im Herbst 1943 wurde mit dem „Planungsamt“ die Kriegswirtschaft, die ja die Produktion für zivile Zwecke einschloss, organisatorisch vollständig zentralisiert, um sie ganz auf die militärischen Bedürfnisse zuzuschneiden. Schon vorher hatte sich zwar die Rüstungsproduktion als Kern der Kriegswirtschaft und Ausgangspunkt aller Lenkungsmaßnahmen herausgeschält; doch hatte es im zivilen Bereich unter der Verantwortung des RWM vor 1943 lediglich begrenzte organisatorische Änderungen gegeben.81 Seine Verlagerung in das Rüstungsministerium und damit vollständige Unterordnung unter die militärische Zielsetzung hing auch mit dem Scheitern des Krieges gegen die Sowjetunion zusammen.82 Im militärischen Bereich war die Reorganisation eher geschehen: Anfangs lag die Beschaffung von Kriegsgerät in der Verantwortung der Wehrmacht, wurde ihr aber organisatorisch und fertigungstechnisch nach und nach entzogen.83 Seit 1942 fiel sie in den Zuständigkeitsbereich des Speerschen Rüstungsministeriums (RBuM).84 Die Verlagerung der Verantwortung trat deutlich zutage, als das Rüstungsamt des Oberkommandos der Wehrmacht im Laufe des Jahres 1942 in das RBuM verschoben wurde.85 Um die Zweiteilung des Lenkungssystems in militärische und zivile, aber auch überlappende Zuständigkeiten beider Ministerien und damit das Nebeneinander und Überschneidungen der Planungsinstanzen zu beenden, wurde die zivile Produktionssteuerung des RWM (Hauptabteilung II Industrie) unter der Leitung Kehrls mit dem Führererlass vom 2. September 1943 komplett in die Verantwortung Speers überführt.86 Diese Abteilung wurde mit den erweiterten Zuständigkeiten für die Waffenproduktion zum Planungsamt im Rüstungsministerium, das damit die Kommandozentrale der deutschen Wirtschaftslenkung bis zum Kriegsende bildete. Im Kern wurde damit also auch die Lenkung der „zivilen“ Zulieferindustrien (Rohstoffe, Industrie) für die Rüstungsproduktion dem Speerschen Ministerium einverleibt.87 Müller, der Biograf von Kehrl, spricht vom „Bündnis Kehrls mit Speer“.88 Die Reorganisation der deutschen
Streb 2016, S. 544 ff. Siehe dazu den Aufsatz von Müller 1983: „Das Scheitern der wirtschaftlichen ‚Blitzkriegsstrategie‘“. Siehe dazu Wagenführ 1963, S. 39 ff.; Eichholtz 1985, S. 64 ff.; Müller 1988, S. 664 ff.; Welter 1954, S. 115 ff. Zum Folgenden Herbst 1982, S. 255 ff.; siehe auch das Kapitel „Entmachtung des Reichswirtschaftsministeriums“ bei Boelcke 1983, S. 297 ff. 85 Erlass Hitlers vom 7.5.1942, der gänzliche Übergang fand schließlich ein halbes Jahr später mit der Entmachtung von General Thomas statt, siehe Eichholtz 1985, S. 70 f. 86 Roth 1996, S. 522 ff.; Tooze 2005, S. 442. Nach Kehrl soll sie mehr als die Hälfte des Personals im RWM umfasst haben. Diese Angabe korrigierte Boelcke: Danach verlor das RWM mit dieser „Amputation“ 170 Mitarbeiter, d. h. lediglich sieben Prozent seiner 2.398 Personen umfassenden Gesamtzahl. Boelcke 1983, S. 297 und Fußnote Nr. 65 S. 381. 87 Boelcke 1983, S. 297 f. Nach dem Urteil von Herbst entsprach dieser formale Kompetenzverlust des RWM lediglich längst praktizierter Handhabung, Herbst 1982, S. 256. 88 Müller 1999, S. 118 ff. 81 82 83 84
Das Planungsamt
Kriegswirtschaft war damit abgeschlossen.89 Nach Müller wurde Kehrl „in der letzten Kriegsphase als quasi ‚Generalstabschef ‘ Speers der eigentliche Organisator der deutschen Kriegswirtschaft und Rüstung.“90 Der weiterhin bestehende Ausschuss für „Zentrale Planung“, dem auch RWM Funk wegen der Außenhandelsplanung angehörte, war dem Planungsamt zwar übergeordnet, musste sich letztlich aber an die Vorgaben des Planungsamtes halten.91 Das RWM kann daher als Vollzugsorgan des Rüstungsministeriums angesehen werden. Allerdings gewann, nach Herbst, das RWM Kompetenz bei wirtschaftspolitischen Grundsatzfragen hinzu.92 Auf der einen Seite verlor das RWM mit der Gründung des Planungsamtes zwar Zuständigkeiten, jedoch war es das RWM mit Kehrls Abteilung, welche die planungstechnische Infrastruktur für das Planungsamt erst entwickelte. Überdies gewann das RWM auf der anderen Seite indirekt Kompetenzen mit dem ihm zugeordneten StRA im Planungsamt hinzu. Denn mit der „Errichtung einer Statistischen Leitstelle für die Lenkungsbereiche beim Statistischen Reichsamt“ war das RWM über das StRA in den Informationsfluss des Speerschen Planungsamtes eingebunden.93 Mit dem Erlass vom 16. September 1943 umriss Speer die Aufgaben und Kompetenzen des Planungsamtes, das mit dem Erlass Görings, als „Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches“ am 4. September 1943 „zum Zwecke einer zusammenfassenden Behandlung aller grundsätzlichen Fragen der kriegswirtschaftlichen Planung“ errichtet worden war. Unter I. wurden folgende Punkte abgehandelt: 1)
Das Planungsamt bereitet die Entscheidungen der Zentralen Planung vor und überwacht deren Durchführung. 2) Es hat hierzu insbesondere die Verteilung der Grundstoffe (z. B. Eisen, Metalle, Kohle, Mineralöl, Stickstoff und andere wichtige Rohstoffe) auf die Bedarfsträger vorzubereiten. 3) Das Planungsamt hat – als Arbeitsgrundlage für die Zentrale Planung – für die gesamte Kriegswirtschaft Erzeugungs- und Verteilungsplanungen aufzustellen, wobei die Bedarfsplanung für den gesamten deutschen Machtbereich die Grundlage bilden soll. […] Das Planungsamt hat laufend das notwendige statistische Material zusammenzufassen und auszuwerten.94
Abelshauser 1999, S. 529. Müller 1999b, S. 196. Der Außenhandel blieb auch nach der Übersiedlung der Abteilung II in das Speersche Ministerium im Kompetenzbereich des RWM. Herbst 1982, S. 256 f. Siehe die Bestimmungen des Speer-Erlasses zu den Aufgaben des Planungsamtes vom 16.9.1943, BA R3102 3589 F 46 f. 92 Herbst 1982, S. 257, 261 ff. Naasner (1994, S. 447) teilt diese Einschätzung von Herbst nicht und sieht das RWM als wirtschaftspolitische Lenkungsinstanz für „erledigt“ an. Siehe auch Streb 2016, S. 548. 93 Funks Anweisung vom 10.9.1943, BA R3102 3589 F 48. 94 BA R3102 3589 F 46 f. oder BA R3102 3569. Siehe Herbst (1982; S. 255 ff.) zu den Hintergründen über die „Konzentration der Kriegswirtschaft“ und den Führererlass vom 2.9.1943, der Grundlage des hier vorgestellten Speerschen Erlasses war. Zudem vgl. Naasner 1994, S. 445 ff. 89 90 91
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Die Lenkung der Kriegswirtschaft
Unter 4) ging es um die Zuweisung der Arbeitskräfte und deren statistische Erfassung, unter 5) um die frühzeitige Mitteilung von „Gefahrenmomenten, die den Ablauf der allgemeinen deutschen Kriegswirtschaft stören könnten“, an die Zentrale Planung und unter 6) um die „Festlegung der Ein- und Ausfuhr“ für die Kriegswirtschaft, die das Planungsamt beim RWM „zu vertreten“ hatte.95 Schließlich wurde unter 7) noch einmal die zentrale Rolle des Planungsamtes als letzte Koordinierungsinstanz für den sektoralen Ressourceneinsatz betont: „Alle Dringlichkeitseinstufungen, die die Rangfolge der Zuweisungen von Material und Arbeitskräften zwischen den einzelnen Großsektoren der Kriegswirtschaft regeln, sind vor ihrem Vollzug dem Planungsamt zur Kenntnis zu bringen“. Die letzte Entscheidung lag bei der Zentralen Planung. Unter II. wurden die Aufgaben des Planungsamtes für die gesamte gewerbliche Wirtschaft konkretisiert: […] „für meinen Geschäftsbereich als Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion“ hatte das Planungsamt „1) Die von den Hauptausschüssen und Ringen, Wirtschafts- und Fachgruppen (bzw. Bewirtschaftungsstellen) in eigener Verantwortung erstellten Planungsgrundlagen nach einheitlichen Gesichtspunkten auszurichten und in ihren Ergebnissen zusammenzufassen.“ Unter 2) ging es um die Unterrichtung des Planungsamtes über Veränderungen auf der operationalen Ebene, den Ringen etc. Mit 3) wurde die statistische Erfassung angesprochen: Das Planungsamt hat für alle in der gewerblichen Kriegswirtschaft erzeugten Fertigungen für Geräte und Ausrüstung eine ausführliche Produktions- und Verbrauchsstatistik zu führen, sich über die Lagerbestände Aufschluß geben zu lassen und mir gleichzeitig die Unterlagen zu einer Lenkung dieser Produktion zu erstellen.96
Punkt 4) dehnte die Zuständigkeit des Planungsamtes auf das gesamte deutsche Herrschaftsgebiet aus: „Das Planungsamt hat die gewerbliche und kriegswirtschaftliche Produktion der im großdeutschen Machtbereich befindlichen oder der dem Reich verbündeten Staaten statistisch zu erfassen und daraus Vorschläge für einen gemeinsamen Produktionsaustausch zur Erhöhung der gegenseitigen Kriegsproduktion zu entwickeln.“ Unter 5) wurde die Genehmigungspflicht von Investitionen behandelt, wenn sie den Schwellenwert von 5 Millionen Reichsmark oder die Produktionsreife erst nach einem Jahr erreichen würden. Abschnitt III hob noch einmal hervor, dass die untergeordnete Planungsebene (Reichsstellen und Reichsvereinigungen) dem Planungsamt weisungsgebunden zuarbeiten müsse, soweit nicht das RWM zuständig war. Außerdem konnte das Planungsamt „von allen deutschen Dienststellen und Organisationen auch außerhalb des Reichsgebietes Auskünfte über wirtschaftliche Verhältnisse […] verlangen.“ Nach Der Außenhandel blieb zwar dem RWM zugeordnet. Jedoch zog sich die endgültige Regelung der Koordination zwischen beiden Ministerien bis Juli 1944 hin, als nicht mehr viel zu regeln war. Siehe Herbst 1982, S. 258, Fußnote 18. 96 BA R3102 3589 F 46 f. 95
Statistik und Planungstechnik
dem Erlass von Speer (II. 1 u. 3) war das Planungsamt also gehalten, die Planung der Lenkungsbereiche (Reichs- und Bewirtschaftungsstellen) zu koordinieren und eine ausführliche Produktions-, Verbrauchs- und Lagerbestandsstatistik zu führen. Hier konnte sich das Planungsamt auf die Berichtspflicht der Lenkungsbereiche stützen, wie sie die Richtlinien des RWM unter Federführung Kehrls und Wagenführs schon am 16. Juni 1943 eingefordert hatten.97 Mit der Zentralisierung der Lenkung im Planungsamt war die Reorganisation im Ministerium selbst noch nicht abgeschlossen. Um das Nebeneinander und die Überschneidungen bei den nachgeordneten Lenkungsbereichen zu überwinden, zog sich das Rüstungsministerium selbst eine zusätzliche Kontrollebene ein, auf der formal auch das Planungsamt organisatorisch angesiedelt war. So entstanden Ende Oktober 194398 sechs übergeordnete Strukturen für den Gesamtbereich der Produktion im Ministerium: Die Ämter für Rohstoffe (Kehrl), für Rüstungslieferung99 (Schieber), für Rüstungsendfertigungstechnik (Saur), für Verbrauchsgüterproduktion (Seebauer), für Bau (Stobbe-Dethleffsen) und für Energie (Schulze-Fielitz). Die jeweils zuständigen Reichsvereinigungen, Wirtschaftsgruppen, Hauptringe, Hauptausschüsse etc. waren diesen Ämtern zugeordnet.100 Neben der vertikalen Gliederung wurden für Querschnittsaufgaben horizontale Zuständigkeiten (Spezialaufgaben aller Ämter) geschaffen. Ferner befasste sich der Erlass über die Einrichtung der Ämter auch noch mit Aufgaben der Hauptausschüsse und Hauptringe und beabsichtigten organisatorischen Effizienzsteigerungen, so dass trotz der Würdigung in einer zeitgenössischen Quelle101 eher der Eindruck entstand, dass organisatorische Probleme nicht grundsätzlich gelöst werden konnten. Tatsächlich hat nach Wagenführ die „enge Verzahnung zwischen allen Organisationsträgern der gewerblichen Wirtschaft“ bis Kriegsende nie richtig funktioniert.102 Statistik und Planungstechnik
Anders als ein dezentrales sich selbst über Knappheitspreise regulierendes Marktsystem erfordert ein zentralisiertes Planungs- und Bewirtschaftungssystem prinzipiell andere Mechanismen. Für die planungstechnische Bewältigung der Aufgabe engagierte
BA R3102 3589 F 75 ff. Der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion. Generalbevollmächtigter für Rüstungsaufgaben im Vierjahresplan: „Erlass über die Aufgabenverteilung in der Kriegswirtschaft“, 29.10.1943. 99 Es wurde am 12.11.1944 aufgelöst und in das Technische Amt eingegliedert. 100 „Diesen Ämtern waren unterstellt: 14 Hauptausschüsse, 12 Hauptringe, 5 Reichsvereinigungen […] und 16 Wirtschaftsgruppen.“ Geer 1961, S. 153, Anm. 31; siehe auch Wagenführ 1963, S. 43 und die Beilage 3 über die Aufgabenverteilung (29. Oktober 1943) im Rüstungsministerium bei Eichholtz 1985. 101 BA R3102 3589 F 43 (Zeitungsausschnitt, wahrscheinlich Herbst 1943). 102 Wagenführ 1963, S. 42 ff. 97 98
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Die Lenkung der Kriegswirtschaft
Kehrl neben Fachleuten aus der Ministerialbürokratie technokratische Manager aus der mittleren und oberen Führungsebene großer Unternehmen.103 Darüber hinaus arbeiteten aber auch Wissenschaftler (Statistiker und Ökonomen) aus angegliederten oder selbstständigen Forschungseinrichtungen wie Ferdinand Grünig von der Reichswirtschaftskammer und Bernhard Benning104, der Leiter der Volkswirtschaftlichen Abteilung der Reichs-Kredit-Gesellschaft, mit. Vor allem wurde Wagemanns DIW mit der gesamten Industrieabteilung unter der Leitung von Rolf Wagenführ als strategischer Partner gewonnen.105 Wagenführ brachte zusammen mit seinen Mitarbeitern die jahrelange Erfahrung des If K bzw. des DIW auf dem Gebiet der Industriestatistik ein. Kehrls Zusammenarbeit mit dem DIW hatte bereits vor seinem Eintritt in das Rüstungsministerium, also noch im RWM, begonnen.106 Aus einem Schreiben des Reichsbankpräsidenten Funk, der zugleich Wirtschaftsminister war, vom 30. Juli 1942 an den DIW-Präsidenten, Wagemann, geht hervor, dass die gesamte Industrieabteilung des DIW mit Wagenführ an der Spitze „dem Reichswirtschaftsministerium für planungsstatistische Arbeiten zur Verfügung“ gestellt wurde. Kehrl und Wagemann sprachen ab, dass „die Herren […] Angestellte des Instituts [blieben] jedoch in den Aufbaustab für die Neuordnung der Bewirtschaftung im Reichswirtschaftsministerium […] eingereiht“ wurden.107 Wie Müller ausführte, hatte sich Kehrl damit ein Team jüngerer Spezialisten herangezogen, die sich nicht scheuten, planwirtschaftliche Konzeptionen sowjetischen Typs anzuwenden.108 Wagenführs Selbstdarstellung über sein Wirken im DIW bestätigt diese Aussage.109 Letztlich entwickelte die Gruppe mit mengenmäßigen Input-Output-Koeffizienten ein Planungsinstrument zur Ressourcenverteilung. Grundlage waren Rohstoff- und Fertigwarenbilanzen. Mit mehrstufigen Bilanzen oder Flussdiagrammen wurde versucht, eine Kette von Verarbeitungsstufen darzustellen.
Siehe die Namensliste bei Eichholtz 1985, S. 149. Siehe den Geschäftsverteilungsplan des Planungsamtes von Juni 1944, BA R3 108 F 32. Roth 1996, S. 523 ff.; Tooze 2001, S. 261 ff.; Kehrl 1973, S. 267 ff. Zum DIW siehe auch Krengel 1985. In Krengels Institutsgeschichte bleibt Wagenführs Rolle für die Kriegswirtschaft unterbelichtet. Krengel (1985, S. 86–94) beschränkte sich in dessen Darstellung im Wesentlichen auf eine Reihe langer Zitate aus Wagenführs Buch (1954/63) über „Die deutsche Industrie im Kriege“. 106 Zum folgenden Absatz vor allem Müller 1999, S. 88 ff. 107 Es bestanden keinerlei Bedenken, dass das DIW die bei diesen Arbeiten gewonnenen Erkenntnisse „wissenschaftlich und publizistisch“ auswertete. Die Dienstleistung des DIW wurde mit 120.000 RM für das laufende Jahr vergütet. BA R3 1969 F 150. 108 Wagenführ gehörte wohl zu der im Jahr 1931 von Friedrich Lenz und Arvid Harnack (Widerstandskämpfer in der „Roten Kapelle“, siehe Fisch 2016, S. 67–70) gegründeten „Arplan“, der Arbeitsgemeinschaft zum Studium der Planwirtschaft. Jedenfalls war er als Angehöriger des If K dabei, als die Arplan-Gesellschaft im Sommer 1932 in einer dreiwöchigen Studienreise die Sowjetunion besuchte (Kettelhake 2008, S. 267). Die Beobachtung und Analyse der sowjetischen Planwirtschaft, z. B. des Preissystems, gehörte zu den regelmäßigen Aktivitäten des DIW. Siehe den Arbeitsbericht des DIW (April 1943 bis Juni 1944) BA R3101 32126 F 33–40. 109 Wagenführ 1963. 103 104 105
Statistik und Planungstechnik
Die Verbindung zwischen den Stufen wurde über die sogenannten „Einsatzschlüssel“, den Materialverbrauch pro Fertigungseinheit, erfasst. Dieser Zugriff auf den kompliziert verflochtenen Produktionsapparat einer Volkswirtschaft war nach Wagenführ von Grünigs Arbeiten110 über den Wirtschaftskreislauf (1933) und einer „volkswirtschaftlichen Bilanz“ der zentralstatistischen Verwaltung der Sowjetunion (1924) beeinflusst worden. Das DIW hatte in seiner beratenden Tätigkeit für die Industrie bereits 1941 diese neuen Lenkungsmethoden erprobt und z. B. zusammen mit der neugeschaffenen Reichsvereinigung Kohle einen Kohlenplan konzipiert, der die Förderung, den Absatz nach Inland und Ausland sowie die Aufteilung des Inlandsverbrauchs einbezog, um „von da aus den Gesamtkohlenplan durchzurechnen“. Kehrl hatte das DIW Anfang/ Mitte 1942 beauftragt, Pläne für die einzelnen Rohstoffe und Fertigwaren aufzustellen. „Mit Hilfe von sog. Rohstoffbilanzen, die eine Art volkswirtschaftliche Einnahmeund Ausgabenrechnung darstellen und zeigen, wie der einzelne Rohstoff aufkommt (Quelle der Herkunft, ob aus Inlandserzeugung, Einfuhr, Lagerabbau usw.) und wie er verwendet wird (Wehrmacht, sonstige Kriegswirtschaft, Ausfuhr)“ waren nach Wagemann einheitliche Ansätze für die Lenkung der Rohstoffe im gewerblichen Sektor geschaffen worden. „Größter Wert wird auch hier darauf gelegt, eine vernünftige Rückschau mit einer möglichst detaillierten Vorschau zu koppeln. Aus dem Vergleich von Ist und Soll lassen sich dann allmählich Verbesserungen in den Methoden der Rohstoffvoranschläge finden“. Gleichzeitig wurden auch methodische Grundlagen für die komplizierteren Fertigwarenbilanzen entwickelt. Auch sie mussten die Produktionsvoraussetzungen für die Versorgung der Zivilbevölkerung anzeigen können. Schließlich kam es Wagemann darauf an, den Gesamtprozess der deutschen Volkswirtschaft zu bilanzieren: Sind Rohstoffbilanzen und Fertigwarenbilanzen erst einmal in größerem Umfange verfügbar, dann ist damit auch ein wichtiger Schritt getan, um den Gesamtkreislauf der deutschen Wirtschaft in seiner konkreten Form besser zu erkennen. Der wichtigste Grundsatz der Wirtschaftsforschung, wie sie in meinem Institut betrieben wurde, war immer der, dass die Wirtschaft ein Gesamtprozess ist und es darauf ankommt, den Zusammenhang der einzelnen Teilerscheinungen zu begreifen. Mitten im Kriege nähern wir uns in gewaltigen Schritten diesem Arbeitsziel. Mehr denn je wird daran gearbeitet, eine Gesamtbilanz der Volkswirtschaft aufzustellen. Erst dann kann eine Lenkung der Wirtschaft – ob es sich
Grünigs Einfluss auf den „Wirtschaftsstab“ innerhalb der NSDAP erwähnt Geer 1961, S. 113. Grünig leitete die Abteilung für Zentrale Wirtschaftsbeobachtung bei der Reichswirtschaftskammer. In einem Vortrag vom 15.1.1943 über „Die volkswirtschaftliche Bilanz als Hilfsmittel der Wirtschaftslenkung“ wies Grünig darauf hin, dass sich die von ihm geleitete Abteilung „schon seit Jahren mit dem Problem der volkswirtschaftlichen Bilanzierung mit dem Ziel, die für die wirtschaftspolitischen Entscheidungen erforderlichen Zahlenunterlagen in übersichtlicher Form bereitzustellen“ beschäftigte. Siehe das Vortragsmanuskript mit Zahlen zur VGR für die unmittelbare Vorkriegszeit, BA R11 118 F 22–42. 110
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Die Lenkung der Kriegswirtschaft
nun um die Regelung des Arbeitseinsatzes, des Rohstoffverbrauchs, der Lagerbewegung, der Investitions- und Verbrauchslenkung usw. handelt – einsetzen.111
Das DIW dürfte schon vor dem Engagement seiner gesamten Industrieabteilung für das RWM von Kehrl mit planerischer Entwicklungsarbeit beauftragt worden sein, die vom Kreislaufgedanken für die Gesamtwirtschaft ausging. Nach Welter wäre eigentlich das RWP, die frühere Abteilung des StRA für industrielle Produktionsstatistik, für diese Aufgabe zuständig gewesen.112 Für die wirtschaftsstatistische Grundlagenarbeit griff Kehrl über das RWM selbstverständlich auf das StRA zurück. Dort und in seiner zwischenzeitlich als RWP (1938–1940) verselbstständigten Abteilung für Industriestatistik (VII bis 1938, VIII ab 1940) war bereits im Jahrzehnt zuvor eine zentralisierte Erfassung mit umfassenden Informationen über die gesamte deutsche Wirtschaft bis hinab zu den einzelnen Betrieben (Fabrikkartei) aufgebaut worden. Die Ergebnisse des Industriezensus von 1936 – sie lagen allerdings erst 1939 vor113 – ergänzt durch seinen Vorläufer von 1933114 und periodisch weiter durchgeführte Teilerhebungen115 bildeten das statistische Rückgrat für die Totalerfassung der deutschen Wirtschaft, vor allem der Industrie.116 Wenn auch im StRA die begonnene moderne Input-Output-Tabelle als Planungsinstrument letztlich scheiterte,117 so boten die unter Leisses Führung im StRA bzw. im RWP ausgewerteten Ergebnisse der Erhebungen mit Tabellen und Diagrammen über den genauen mengenmäßigen Materialfluss zahlloser Produktionsprozesse durchaus die Informationsgrundlage für die Zuteilung von Rohstoffen und Zwischenerzeugnissen in der Kriegswirtschaft. Auf den untersten Stufen der Fertigung,
BA R3 1796, Vortrag Wagemanns ohne Datum, wohl Mitte 1942. Zitiert nach Stäglin/Fremdling 2016b, S. 122. 112 „Zu den großen Rätseln jener Zeit gehört es, daß dieses Amt für wehrwirtschaftliche Planung zu Beginn des Krieges aufgelöst wurde. Ein sachlicher Grund ist nicht zu finden.“ (Welter 1954, S. 111 ff.). Welter hat offensichtlich übersehen, dass die im StRA und im RWP aufgebaute statistische Expertise als „Zentralstelle“ bzw. „Statistische Leitstelle“ schließlich doch eingebunden wurde. Siehe dagegen Tooze (2001, S. 231 f., 244 f.), der das Scheitern der Industriestatistiker, vor allem des RWP, für die kriegswirtschaftliche Planung herausstreicht. 113 Geer 1961, S. 50, Anm. 31. 114 Schon im Februar 1936 hatte Leisse in einem umfangreichen Vortrag die „Wehrwirtschaftlichen Ergebnisse der industriellen Produktionserhebung“ von 1933 vorgestellt, BA R3102 2999. 115 Siehe z. B. die detaillierte Verbrauchsaufstellung in Werten und Preisen der Bereifungsindustrie für 1940. Für diese und weitere aktualisierte Erhebungen wurde das erprobte Schema des Industriezensus von 1936 verwendet. Wagenführ Archiv WABW N10 Bü 33. 116 Z. B. schickte Werner im November 1943 an Wagenführ eine „Übersicht mit bereinigten Bruttoproduktionswerten für die Wirtschaftsgruppen nach dem Stand von 1936, die auf Grund der amtlichen Produktionserhebungen ermittelt wurden.“ BA R3102 3588 F 5. Siehe vor allem auch den langen Brief vom 2.9.1943 (3589 F 49), Zentralreferat für die Planung und Statistik der gewerblichen Wirtschaft (Werner) an Abteilung VIII des StRA (Leisse). „Für die kriegswirtschaftliche Produktionsplanung [ging es um] Richtzahlen […] aufgrund der Produktionserhebung von 1936 [über] Produktionsleistung pro Kopf der Gefolgschaft“. Siehe ebenfalls Tooze 2001, S. 265 ff. 117 Fremdling/Stäglin 2014a,b und Stäglin/Fremdling 2018a. 111
Statistik und Planungstechnik
also bei weitgehend homogenen Grundstoffen (z. B. Steinkohle) und noch nicht ausdifferenzierten Vor- und Zwischenprodukten (z. B. Roheisen oder Walzstahl), die als Input für zahlreiche verschiedene Produktionsprozesse einsetzbar waren, konnte die Produktion bis ins Detail zentral gelenkt werden. Folgerichtig wurden aus den sogenannten Rohstoffbilanzen mit ihren physischen Input-Output-Koeffizienten Kennziffern, Richtzahlen oder Einsatzschlüssel entwickelt, um den Materialfluss zu lenken.118 Konkret wies der RWM das StRA im September 1942 an, für Kehrls Abteilung frühere und aktuelle Ergebnisse der amtlichen Produktionsstatistik aufzubereiten: Die vom Aufbaustab des Herrn Präsidenten Kehrl für die Neuordnung der Bewirtschaftung durchzuführenden Arbeiten auf dem Gebiete der Planung und Statistik sowie der Ausrichtung der Fachstatistiken sollen sich u. a. auf Erfahrungen und Auswertungsergebnisse der amtlichen Produktionsstatistik stützen und mit Hilfe der in der Abteilung VIII des Statistischen Reichsamts vorhandenen technischen Einrichtungen angefertigt werden. Aus der Produktionsstatistik werden in diesem Zusammenhang zunächst benötigt: Fließbilder, die die produktionstechnischen Zusammenhänge erkennen lassen, Rohstoffbilanzen, monatliche Zahlenunterlagen über Erzeugung, Einfuhr, Ausfuhr, Lagerbewegung und Verbrauch für einzelne Rohstoffe, ferner Zahlenmaterial auf dem Gebiet der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft sowie der Kohlegewinnung und des Kohleverbrauchs.119
Leisse (Leiter der Abteilung VIII im StRA) schickte den zugrundeliegenden Brief (gez. Dr. Tetzlaff) an sämtliche Referenten seines Bereichs weiter. Für die Planstatistik selbst stützte sich Wagenführs Abteilung nicht nur auf das StRA, sondern auch auf die Statistikabteilungen der Lenkungsbereiche. Dort wurden unabhängig vom StRA unter eigener Verantwortung der privatwirtschaftlichen Selbstorganisationen umfangreiche Wirtschaftsstatistiken auf betrieblicher Ebene erhoben und verarbeitet. Schon unter Kehrls Ägide im RWM konzipierte und führte Wagenführ die Statistik der Lenkungsbereiche auf neue Weise.120 Für jeden Bereich (z. B. Kohle, Eisenerzeugung, Maschinenbau, Textilien, insgesamt 21 Arbeitskreise) wurde im Herbst 1942 ein statistischer Arbeitskreis gegründet, in dem neben dem Leiter der zentralstatistischen Abteilung des Lenkungsbereichs jeweils ein Vertreter des RWM, des Rüstungsministeriums, der Abteilung VIII des StRA und des DIW saßen.121 Kehrl gab detaillierte Anweisungen zur
Nach dem Krieg hat Wagenführ im Dienst der britischen und sowjetischen Besatzungsverwaltungen genau mit solchen Einsatzschlüsseln versucht, die Ressourcen zu lenken. Siehe WABW N 10, Bü 51, 54, Nachlass Wagenführ. Siehe Kapitel VI. 119 Brief des RWM an das StRA 8.9.1942, BA R3102 3589 F 89. Mit der Einrichtung des „Zentralreferats“ im Juli 1943 wurde die Einbeziehung des StRA für planungsstatistische Unterlagen bekräftigt. BA R3102 3588 F 29. 120 Tooze 2001, S. 265 f. Siehe die ausführlichen „Arbeitsgrundlagen für die Planung“ vom 19.10.1942. „Die Planung soll sich in jedem Lenkungsbereich auf das Gebiet des Großdeutschen Reiches erstrecken“, BA R3102 3589 F 61–68. Den Auftrag des RWM zum organisatorischen Aufbau und der Abgrenzung der Lenkungsbereiche erhielt das DIW zunächst bis zum 1.12.1943, BA R4701 13655 und BA R11 111. 121 Siehe die Liste im Schreiben des RWM an das StRA vom 30.10.1942, BA R3102 3589 F 86–88. 118
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„Planung und Statistik in den Lenkungsbereichen“, die, wie der anschließend zitierte Arbeitsbericht des DIW anführt, aus Wagenführs Abteilung stammten.122 In den Richtlinien vom 16. Juni 1943 hieß es: „Um die Planung in einem Lenkungsbereich richtig anzusetzen, ist zunächst ein statistischer Gesamtüberblick notwendig.“ Damit forderte Kehrl von den letztlich privaten Wirtschaftsgruppen eine erstaunlich umfangreiche Zulieferung von Daten: „Außer dem ‚Leitrohstoff ‘, der bisher vielfach als alleinige Planungsunterlage verwendet wurde, sind daher die sonstigen Roh-, Hilfsund Betriebsstoffe ebenso laufend zu beobachten wie der Einsatz von Kapazitäten, Arbeitskräften, Verkehrsmitteln und Energieträgern.“ Für die praktische Planungsarbeit sollten aus den Angaben Rohstoff- und Fertigwarenbilanzen erstellt werden. Wagenführs Handschrift ist daran erkennbar, dass in den Richtlinien der Wirtschaftskreislauf explizit als Gliederungskonzept für die weitergehende Detaillierung diente. In Anlehnung an den wirtschaftlichen Kreislauf läßt sich dieser statistische Gesamtüberblick wie folgt gliedern: A. Allgemeine Produktionsvoraussetzungen (Kapazität der Anlagen, Beschäftigung, Lagerbestände an Rohstoffen, Bedarf an Laderaum) B. Versorgung mit Energieträgern (Kohle, Elektrizität, Gas, Mineralöl, Holz, Torf) C. Rohstoffaufkommen und Rohstoffeinsatz (z. B. Inlandsaufkommen, Einfuhr usw.) D. Erzeugung und sonstige Versorgung (z. B. Erzeugung, Einfuhr, Entnahme aus Lagerbeständen) E. Verwendung (Lagerzugang, Verteilung an Wehrmacht, sonstige öffentliche Bedarfsträger, Kriegswirtschaft, Versorgung des Generalgouvernements, der besetzten und abhängigen Gebiete, Ausfuhr).123
Der Überblick sollte Jahres- oder Vierteljahreszahlen zurück bis 1939 enthalten,124 „für die neuere Zeit aber […] vierteljährliche oder monatliche Daten“. Weil diese Richtlinien wohl als Maximalforderung anzusehen waren, wurde Flexibilität bzw. eine Anpassung an die jeweiligen Erfordernisse eingeräumt, und es wurden auch annähernde Schätzungen zugestanden. Eine Zusammenfassung der „Statistischen Monatsberich-
BA R3102 3589 F 75 ff. oder 3588 F 30 ff. bzw. 4162. Vollständig abgedruckt in Wagenführ 1963, S. 193– 205. Dieser Abdruck ist allerdings nicht in allen Details identisch mit der von mir benutzten Quelle. Siehe zudem das Anschreiben Kehrls an die Reichsstellen BA R3102 3588 F 30. 123 Die Anlage I enthält den entsprechenden Fragebogen von 7 Seiten, davon 2 mit den Erläuterungen. 124 Die späteren Jahreshefte der „Statistischen Schnellberichte zur Kriegsproduktion“ enthielten in der Tat Produktionszahlen zurück bis 1938. Siehe das „Jahresheft […] 1938 bis 1944“, BA R3102 3147. 122
Statistik und Planungstechnik
te“ war zwar erwünscht, jedoch nicht unabdingbar, denn hierzu stünde auch „die Abteilung VIII des Statistischen Reichsamts zur Verfügung“.125 Offensichtlich sollten auch Erfahrungswerte aus dem Industriezensus von 1936 herangezogen werden, denn die letzte Seite enthält ein Schema für die „Materialbewegung 1936 zum und vom Lenkungsbereich“, nach Input („Stoff “) und Output („Erzeugnis“) gegliedert.126 Der restliche Teil der umfangreichen Richtlinien (acht Seiten Text und neun Seiten Anlagen) befasste sich mit der eigentlichen (vierteljährlichen) Planung.127 Statt einer Zusammenfassung aller Punkte werden hier lediglich zwei Aspekte hervorgehoben: Erstens das strikte Verbot, „‚Stille Reserven‘ anzulegen, wie es in vielen Reichsstellen üblich war“;128 zweitens die Funktion der Lagerbestände als Planungspuffer, um die „Aufkommens- und Verwendungsseite“ auszugleichen. Auf jeden Fall hing die eigentliche Plankontrolle von der monatlichen oder zumindest vierteljährlichen Meldung und Überwachung der „Soll-Ist-Vergleiche“ ab. Schon allein diese Aufgabe stellte Wagenführs Gruppe vor eine enorme Herausforderung. Informationstechnisch gab es nicht nur Probleme bei der Bereitstellung der statistischen Daten für die Planung, sondern auch bei der Verarbeitung des Informationsflusses. Für die Koordinierung und Aufbereitung der Wirtschaftsstatistiken konnte Wagenführs Abteilung im RWM und dann im Planungsamt jedoch auf ein neu geschaffenes Zentralreferat und schließlich auf die Statistische Leitstelle des StRA zurückgreifen. Die dafür nötige enge Zusammenarbeit mit dem StRA hatte das RWM bereits im Juli 1943 mit der Einrichtung eines „Zentralreferats für Planung und Statistik der gewerblichen Wirtschaft“ beim StRA eingefordert, „dessen Sachbearbeiter als ständiger Verbindungsreferent zum Referat GRA 3 [Kehrls Abteilung im RWM] meines Hauses (Dr. Wagenführ) wirksam wird“. Im internen Anschlussschreiben des Präsidenten des StRA, Godlewski, hieß es: „Mit der Leitung dieses Zentralreferats beauftrage ich Regierungsrat Dr. Werner.“129 Offensichtlich handelte es sich um den Vorläufer der Statistischen Leitstelle, nach deren Gründung das Zentralreferat daneben mit personeller Überlappung bestehen blieb.130 Zur gleichen Zeit, als Speer das Planungsamt einrichtete, erließ RWM Funk am 10. September 1943 seine Anweisung zur „Errichtung einer
Siehe die zusammengestellten „Monatszahlen über industrielle Produktion“ der Abteilung VIII (Industrielle Produktionsstatistik) des StRA für fast alle Kriegsmonate, BA R3102 6056–6060. 126 In der von Wagenführ (1963, S. 204 f.) abgedruckten Version fehlt der Bezug auf das Referenzjahr 1936. 127 Die Planung erstreckte sich auf das gesamte deutsche Herrschaftsgebiet. 128 Das Hamstern, eine überzogene Vorratshaltung, war ursächlich mit der Rationierung bzw. Kontingentierung verknüpft. Exemplarisch dafür war die Eisen- und Stahlindustrie, Hensler 2008, S. 58 ff. 129 Abschrift RWM 13.7.1943, BA R3102 3589 F 50. StRA (Godlewski) 3.8.1943 BA R3102 3588 F 29. 130 Siehe BA R3102 3588 F 7–9. Im Briefkopf eines Schreibens des StRA, unterzeichnet von Werner (Kürzel), vom 8.6.1944 an das „Produktionsamt für Verbrauchsgüter“ stand untereinander „Statistische Leitstelle“ und „Zentralreferat“, BA R3102 3472 (1) F 33. 125
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Statistischen Leitstelle für die Lenkungsbereiche beim Statistischen Reichsamt“, die dort eine Informationsbündelung vorsah:131 Um die zusammenfassende Bearbeitung und beschleunigte Auswertung aller bei den Lenkungsbereichen anfallenden statistischen Daten sicherzustellen bestimme ich: 1. Beim Statistischen Reichsamt wird mit sofortiger Wirkung eine Statistische Leitstelle für die Lenkungsbereiche errichtet. 2. Die Statistische Leitstelle hat die Aufgabe, a) alle bei den Lenkungsbereichen, insbesondere bei den Reichsstellen und ihren Bewirtschaftungsstellen (Wirtschaftsgruppen, Fachgruppen, Kartellen usw.) anfallenden statistischen Daten systematisch zu sammeln, b) die statistischen Ergebnisse laufend zu überprüfen und untereinander sowie mit den Ergebnissen der übrigen beim Statistischen Reichsamt usw. durchgeführten einschlägigen Erhebungen abzustimmen, c) eine Zentralkartei mit den erforderlichen graphischen Darstellungen zu erstellen und fortzuführen sowie d) die statistischen Unterlagen für die zentrale Führungskartei des Reichswirtschaftsministeriums (Generalreferat Kehrl) zu liefern.132
Unter 3. wurde Tetzlaff (Sachbearbeiter für Statistik im RWM, direkt weisungsabhängig von Kehrl) zum Leiter bestimmt. Das StRA hatte das Personal und die materielle Ausstattung zu stellen (4.). Godlewski, Präsident des StRA, leitete den Erlass wenige Tage später, am 15. September 1943, an alle Abteilungen seiner Behörde. Am 1. November. 1943 trat die Leitstelle in Kraft. Die Zentralstelle und Leitstelle wurden faktisch von Kurt Werner geführt, dem engen Mitarbeiter Leisses und besten Kenner des Industriezensus von 1936 und weiterer Produktionserhebungen im StRA bzw. RWP.133 Werner und auch weitere Mitarbeiter des StRA wurden gleichzeitig dem Planungsamt zugeordnet.134 Hier war es aber bei der Aufgabenverteilung zunächst zu Unstimmigkeiten gekommen. In einem Brief an den Leiter des Planungsamtes „über den Leiter der Hauptabteilung Planstatistik, Herrn Dr. Wagenführ“ vom 12. November. 1943 beklagte sich Werner darüber, dass Siehe den Brief Funks an den Präsidenten des StRA, Godlewski, BA R3102 3589 F 48. Mit dem Führererlass vom 2.9.1943 war allerdings schon vor diesem Erlass Funks vom 10.9.1943 beschlossen worden, Kehrl mit seiner Abteilung in das Speersche Ministerium zu überführen. 133 Zum 20.6.1944 wurde die Leitstelle aus der Abteilung VIII herausgelöst und bildete ein der Abteilung I angeschlossenes Arbeitsgebiet mit Werner als stellvertretendem Leiter, BA R3102 3588 F 7; zum Geschäftsverteilungsplan vom 28.6.1944 siehe BA R3102 3589 F 19. Nach einem Brief von Werner an Tetzlaff (24.5.1944) stand Tetzlaff an der Spitze der Leitstelle und arbeitete zugleich im Planungsamt, BA R3102 3588 F 8. Siehe auch den „Geschäftsverteilungsplan der Statistischen Leitstelle“ vom 28.6.1944 mit Tetzlaff als Leiter und Werner als seinem Stellvertreter, BA R3102 10003 F 194. 134 Im Geschäftsverteilungsplan des Planungsamtes vom 1.10.1944 wurde Wagenführ als Leiter der Hauptabteilung V Planstatistik geführt. Zugeordnet waren vom StRA u. a. Werner und Langelütke, BA R3102 3589 F 15 RS. 131 132
Statistik und Planungstechnik
unter dem Eindruck der gestrigen Eröffnungsansprache von Herrn Präsidenten Kehrl […] die Abgrenzung meiner Arbeitsgebiete […] „Statistik der besetzten Gebiete, Statistik des Auslandes“ […] meinen Arbeitsmöglichkeiten und auch dem Sinn der mit Herrn Dr. Wagenführ geführten Vorbesprechungen nicht entspricht. […] Meine Haupttätigkeit und meine wissenschaftlichen Arbeiten seit langen Jahren erstrecken sich jedoch in erster Linie auf das Gebiet der deutschen Industriestatistik. […] Hierfür steht mir auch in den teilweise von mir selbst geleiteten einschlägigen Referaten des Statistischen Reichsamts ein geeigneter Apparat für die Durchführung der im Planungsamt nur grundsätzlich zu behandelnden Arbeiten zur Verfügung. Es war daher auch mit Herrn Dr. Wagenführ abgesprochen, daß der Schwerpunkt meiner Tätigkeit im Planungsamt auf diesen Gebieten liegen solle.135
Offensichtlich konnte sich Werner mit seinem Wunsch durchsetzen und war dann auch in den letzten Kriegsjahren der Verbindungsmann vom Planungsamt zur Statistischen Leitstelle.136 Die Personalausstattung der Leitstelle,137 die im Vergleich zu Lücks Referat II.1 im RWM ein Jahr später ausgesprochen üppig ausfiel, stand allerdings, zumindest anfänglich, nicht ausschließlich dem neuen Aufgabenbereich zur Verfügung, denn Godlewski bestimmte, dass die „vorstehend genannten Beamten und Angestellten […] bis auf weiteres die ihnen vom Statistischen Reichsamt zugewiesenen Aufgaben“ beibehielten. Die Anforderungen des RWM und schließlich des Planungsamtes banden Wagenführs DIW-Abteilung fast vollständig. Der Arbeitsbericht des DIW von April 1943 bis Juni 1944 schilderte die Einspannung dieser Abteilung: Die industriewirtschaftlichen Arbeiten des Instituts dienten im abgelaufenen Jahr fast ausschließlich der organisatorischen Vervollkommnung der deutschen Rüstungswirtschaft, und zwar zunächst im Auftrage des Generalreferats des Reichswirtschaftsministeriums und später im Auftrage des Planungsamts beim Generalbevollmächtigten für Rüstungsaufgaben. Hauptaufgabe des Instituts war es dabei, zur einheitlichen Ausrichtung der Len-
BA R3102 3472 (2) F 304. Da er „als statistischer Referent im Stabe des Militärbefehlshabers in Frankreich“ Spezialkenntnisse gesammelt habe, könne er zusätzlich auf die Bearbeitung der Statistik Frankreichs bzw. der besetzten Westgebiete angesetzt werden. Als Bearbeiter für die „Statistik der anderen besetzten Gebiete und des Auslandes“ schlug er Langelütke vor. 136 Zur Korrespondenz zwischen Werner und Wagenführ siehe BA R3102 3472 (2) (zahlreiche Briefe und Notizen). Im Geschäftsverteilungsplan des Planungsamtes (Hauptabteilung V Planstatistik, Leiter Wagenführ) vom 1.10.1944 wurde Werner in zwei Abteilungen geführt. Damit ist die Überlappung zwischen dem Planungsamt und der Leitstelle belegt (BA R3102 3589 F 15 RS); siehe auch BA R3 108 F 37 und den Geschäftsverteilungsplan des Planungsamtes, abgedruckt bei Kehrl 1973, S. 500: Werner war neben der „Systematisierung der Statistik“ auch für die „besetzten Westgebiete“, Langelütke für die „übrigen besetzten Gebiete“ zuständig. 137 Sie bestand aus u. a. 7 promovierten Referenten, 4 Gruppenleitern, 29 männlichen sowie einer weiblichen Bürokraft, 6 weiblichen Kanzleikräften und 5 Zeichnern. BA R3102 3589 F 3. 135
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kungsbereiche, insbesondere der Reichsstellen, allgemein verwendbare Methoden und Richtlinien für die Planung und Statistik aufzustellen. Zu diesem Zweck wurden unter dem Titel: „Die Planung und Statistik in den Lenkungsbereichen“ in Zusammenarbeit mit anderen Dienststellen Anweisungen ausgearbeitet und im Sommer 1943 vom Reichswirtschaftsministerium herausgegeben. Darüber hinaus wurde ein einheitliches Schema für die Erstellung von Rohstoffbilanzen entworfen, die unter genauer Aufgliederung der Aufkommens- und Verwendungsseite die Möglichkeiten der Erzeugungslenkung und der Zuteilung über längere Zeiträume hinweg erkennbar machen. Im Rahmen der Rohstoffplanung wurden für besondere Engpassprodukte (z. B. Kautschuk, industrielle Fette, Schmierseife, Bekleidung, Schuhe) auch eingehendere Gutachten angefertigt, die die Grundlage für entsprechende Maßnahmen der wirtschaftspolitischen Führung bildeten. In Weiterführung dieser industriewirtschaftlichen Arbeiten handelt es sich nach deren weitestgehender Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Planungsamts vor allem darum, Gesamtüberblicke über Bedarf und Erzeugung auf den wichtigsten Gebieten des industriellen Bereichs in der Form von Bilanzen zu gewinnen und die Entwicklung der Fertigung bei den einzelnen Rüstungsgütern in ihren bestimmenden Faktoren zu verfolgen. Die Aufstellung der Indexreihe für die gesamte deutsche Rüstungsproduktion wurde vervollständigt und laufend ergänzt. Zur laufenden Unterrichtung des Herrn Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion werden regelmässig Schnellmeldungen mit den wichtigsten statistischen Daten abgefasst.138
In einem methodischen Aufsatz, der nach dem Krieg, 1952, erschien, behandelte Wagenführ die von ihm im Planungsamt verwendeten Mengenbilanzen in einer resümierenden Rückschau. Er versuchte sie als nützliche Ergänzung der sich nach dem Krieg auch in Deutschland durchsetzenden Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf Wertgrößen basierend darzustellen. Die mengenmäßige Betrachtung sah er als Ergänzung bei „Engpaßsituationen“ und betonte, dass „während des zweiten Weltkrieges […] praktisch alle großen Volkswirtschaften auf dem Gebiet der mengenmäßigen Rohstoffbilanzierung weitreichende Erfahrung gesammelt“ hätten.139 Alle Zahlenbeispiele, die Wagenführ in seinem Beitrag für die verschiedenen Bilanztypen anführte, stützten sich auf den Industriezensus von 1936 und damit auf die Arbeit des RWP, das „nicht weniger als 384 [Rohstoff]Bilanzen“ erstellt hatte. Die einfachste Form einer Rohstoffbilanz erfasste auf der Aufkommensseite die Erzeugung und die Einfuhr und auf der Verwendungsseite den Verbrauch und die Ausfuhr. Die Mengenbilanz glich BA R3101 32126 F 34 f. Zu den Rohstoffbilanzen siehe die noch im Februar 1945 zusammengefassten „Rohstoffbilanzen der deutschen Kriegswirtschaft 1942 bis 1944“ im Wagenführ-Archiv WABW N10 Bü 32. Zu den Indexziffern siehe Wagenführ 1963 S. 178 ff., 208 ff.; zu den aus den Unterlagen des Planungsamtes übernommenen Indexziffern der Wagenführ-Abteilung (in anderer Zusammenstellung und auch leicht abweichend) siehe USSBS Oct. 1945, S. 140 (Graphic), 275 (Table 100), 286 (Table 115). Zu den „Statistischen Schnellberichten zur Kriegsproduktion“ im Bundesarchiv siehe BA R3102 3147. 139 Wagenführ 1952. 138
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sich über die Vorratsänderung und den ungeklärten Saldo aus. Beim Aufkommen nach Erzeugungsquellen ergaben sich Untergliederungen nach Werken und Sorten, bei der Verwendung nach Verbrauchern wurden Branchen erfasst, beim Außenhandel wurde nach Ländern differenziert. Wenn verschiedene Branchen dasselbe Produkt erzeugten oder wenn Roh- und Grundstoffe über zahlreiche Zweige verteilt verbraucht wurden, erschwert das die bilanzmäßige Erfassung. Zudem nahm „mit aufsteigender Produktionsstufe […] die Anzahl der verschiedenartigen Erzeugnisse rasch zu“.140 Hier versuchte man dann mit mehrstufigen Bilanzen oder „Fließbildern“ bzw. Flussdiagrammen, eine Kette von Verarbeitungsstufen darzustellen.141 Die Verbindung zwischen den Stufen wurde über die sogenannten Einsatzschlüssel erfasst. Dieser Materialverbrauch pro Fertigungseinheit142 war nichts anderes als ein technischer Input-Output-Koeffizient. Wagenführ wies selbst darauf hin, dass diese technischen Produktivitätsmaße „im Laufe der Zeit nicht unbeträchtlichen Veränderungen unterliegen können“. Tatsächlich dürfte Wagenführ im Planungsamt mit den Koeffizienten des Industriezensus von 1936 gearbeitet haben, denn in dem hier herangezogenen Artikel verwies er auf seine Arbeit für die britische Zone mit 1936er Einsatzschlüsseln.143 In den Fertigungsbilanzen ging man den umgekehrten Weg, um die Einsatzschlüssel für Endprodukte zu bestimmen. Bei der oft verwirrenden Vielzahl von verschiedenartigen Materialien, die bei einer Fertigung zusammenzuwirken haben, wurde zwischen „Leit- und Nebenrohstoffen“ einerseits und „Vorlieferungen, Unterlieferungen und Zulieferungen“ andererseits unterschieden. Schließlich grenzte Wagenführ noch „konstruktionsgebundene“, einseitig einsetzbare Zulieferungen (z. B. Motoren für Schiffe) von solchen „mit allgemeinem Verwendungszweck“ (z. B. Schrauben, Wälzlager) ab, die „sich in der Regel einer bilanziellen Betrachtung entziehen“. Das Aggregationsproblem war über die Mengenbetrachtung nicht lösbar. Die Frage bleibt, ob Wagenführ und seine Mitarbeiter wenigstens annäherungsweise eine Gesamtplanung versucht hatten. In der Tat dürften sie angestrebt haben, die umfangreichen Einzelbilanzen für Branchen und Sektoren zu einem „Gesamtaufwandsplan“ oder dem „Schachbrett“ für die deutsche Wirtschaft zu verdichten, um Ressourcenengpässe zu überwinden.144 Nach Welter soll es allerdings erst Ende 1944 einen „notdürftigen güterwirtschaftlichen GeSiehe die Beispiele bei Wagenführ 1952, S. 128 ff. Wagenführ (1952, S. 135) zeigt das Flussdiagramm für Kali. Vom RWP gezeichnete Diagramme sind reproduziert in Fremdling/Stäglin 2003 für Kalk; in Fremdling 2005 und in Fremdling/Stäglin 2007 für Papier und Holz. Siehe dazu hier in Kapitel I die Flussdiagramme (Abbildungen 1 und 2) für Holz (1933) und Eisen und Stahl (1936). 142 „In unserem Beispiel [Lederwirtschaft] würde man also errechnen, wieviel Häute gebraucht werden, um beispielsweise ein Kilo Leder herzustellen; ebenso wieviel Kilo Leder – und damit wiederum ebenso wieviel Kilo Häute – für ein Kilo Schuhe benötigt werden usw.“ Wagenführ 1952, S. 134 ff. (dort auch alle folgenden Zitate). 143 Wagenführ 1952, S. 134 Anm. 1. 144 Tooze 2001, S. 276 ff. Siehe dort (S. 277) die Ende Mai 1944 entwickelte Tabelle des m. E. eher dürftigen Gesamtplans für das dritte Vierteljahr 1943. 140 141
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samtplan“ gegeben haben.145 Dieser Gesamtaufwandsplan war allerdings noch weit von einer ausgereiften Input-Output-Tabelle entfernt.146 Zwar konnten einige Inputmengen (Arbeitskräfte, Stahl und Kohle in Tonnen, Strom in kWh) für Endprodukte noch quantifiziert werden, jedoch ließ sich mit diesem physischen Ansatz die Zwischenproduktion mit ihrer Verflechtung nicht erfassen. Wagenführ selbst war sich dieser Unzulänglichkeit bewusst. Im September 1944 thematisierte er dieses Erfassungsproblem auf einer Arbeitskreissitzung mit Industriellen:147 „Eine von den Wirtschaftsgruppen angestellte Analyse (Beispiel: Maschinenbau) kann im allgemeinen nur angeben, in welche Kanäle die Vor-, Unter- und Zulieferungen fließen; nicht aber, wieviel dieser Lieferungen mengenmäßig und arbeitsstundenmäßig im Enderzeugnis stecken.“ Er fuhr fort, dass sich für Kriegsgeräte „unter Umständen wert- und mengenmäßige Anteile der Vor-, Unter- und Zulieferungen im Enderzeugnis ermitteln lassen.“ Allerdings gäben sie keinen „Aufschluß über die Kanäle, woher diese Lieferungen fließen“. „Als letzte Möglichkeit ergibt sich die Schaffung von Bedarfsgruppennummern“, um die Lieferströme zu erfassen. Wagenführ verwarf jedoch die Möglichkeit der maschinellen Datenverarbeitung (Hollerith-Verfahren), weil „in zwischengeschalteten Lägern bei Erzeugern und Verteilern“ und „insbesondere von den Klein- und Mittelbetrieben die exakte Durchführung der Nummerung nicht zu erwarten ist.“ Wagenführ schloss zwar nicht aus, dass eine Kombination der aufgezeigten Wege schließlich das gewünschte Ergebnis erbringen könnte, schlussfolgerte allerdings: „Augenblicklich kann sich die Planung nur auf die unvollkommenen Angaben der Industrieberichterstattung stützen.“148 Nicht nur im Herbst 1944, sondern überhaupt wäre es unmöglich gewesen, ein umfassendes Mengengerüst über alle Produktionsstufen hin zu berechnen.149 Die Verbindung zwischen dem Bewirtschaftungskreis „Urproduktion“ und dem Bewirtschaf-
Welter 1954, S. 95. Werner hatte allerdings im Dezember 1943 Berechnungen über den Arbeitseinsatz in Zulieferindustrien vorgelegt. Die Berechnungen seiner Abteilung stützten sich auf sukzessive Lohnquoten, also Wertgrößen, immer weiter vorgelagerter Industriezweige. Seine „deduktive“, somit hypothetische, „Beleuchtung“ verknüpfte er mit beispielhaften Berechnungen anhand des Zahlenmaterials des Industriezensus von 1936. Im Anschreiben bezweifelt Werner die Übertragbarkeit der 1936er-Zahlen auf die Gegenwart, weil die Endfertigung der Rüstungsindustrie „immer mehr den Charakter einer bloßen Montage“ angenommen hatte und weil „die zahlreichen Neubauten an Fertigungswerkstätten in der Rüstungsindustrie“ nicht „durch die verwendete Rohstoffquote“ berücksichtigt werden konnten (BA R3102 3472 (2) F 473 ff.; siehe auch BA R3102 3589 F 49, 53 f.). Vermutlich scheiterten weitergehende Versuche oder wurden im StRA nicht mehr unternommen. 147 „Protokoll über die Sitzung des Arbeitskreises Dr. Krähe am Mittwoch, den 20.9.44“, BA R3 1847 F 176. 148 Ebd. Alle Zitate. 149 Welter 1954, S. 68 ff. Siehe ebenfalls die knappe Zusammenfassung über diese entscheidende Schwäche des Planungssystems, wie sie unmittelbar nach dem Krieg durch die Briten (Kaldor war federführend) analysiert worden war (Wagenführ-Archiv WABW N 10 Bü 48). Nach Tooze (2001, S. 231 f.) war daran schon zuvor, 1939, das RWP gescheitert. 145 146
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tungskreis „Fertigwaren“ konnte nicht lückenlos geschlossen werden.150 Damit fehlten der Planung die schlüssigen Glieder zwischen der Lenkung der Grundstoffe und der Endprodukte.151 Im Erinnerungsband der DIW-Mitarbeiter nach dem Krieg wies Wagenführ auch auf neue Forschungsergebnisse hin: Neuartig im Rahmen der industriewirtschaftlichen Forschung waren aber einige Zusammenhänge, die besondere Erwähnung verlangen. Das eine ist ein bis dahin unmöglicher Einblick in die liefermäßigen Beziehungen zwischen den einzelnen Industriezweigen. Einer meiner Mitarbeiter verbrachte mehrere Monate im Volkswagenwerk, um dort die Zulieferbeziehungen zu studieren. Das Ergebnis war, wie wir damals sagten, graphisch betrachtet ein wahrhafter ‚Weihnachtsbaum‘ und ein dickes Buch, die beide leider im Bombenkrieg verlorengegangen sind.152
Durch die neue Forschung ließen sich die Lieferbeziehungen in Unterlieferungen als verlängerte Werkbank des Produktionsbetriebes, in ‚konstruktionsgebundene Zulieferungen‘ und in ‚Zulieferungen mit allgemeinem Verwendungszweck‘ klassifizieren, um damit entsprechende Dispositionen für die Produktionsplanung ermöglichen. „Ein ingeniöser Versuch, durch Nummerierung (‚Kriegswarennummerung‘) die Zulieferbeziehungen aufzuhellen und quantitativ zu systematisieren. […] war zum Einsatz erst bereit, als die kriegerischen Ereignisse den Zusammenbruch auch der Wirtschaft herbeigeführt hatten“.153 Schließlich erwähnte Wagenführ als zweiten wissenschaftlichen Fortschritt die Entwicklung des „Schachbretts“ als eine Spezialform der volkswirtschaftlichen Bilanz:154 Die vielfachen statistischen Arbeiten verlangten nach einer Zusammenfassung – sie sollte gefunden werden im sogenannten „Gesamtaufwandsplan“ (Schachbrett). Dieser entstand
Geer (1961, S. 88–95, 114 ff.) schildert dieses Problem detailliert für die Zwischenprodukte zwischen der Eisenschaffung („Urproduktion bis zur ersten Verformungsstufe“) und Eisenverarbeitung („Letztverbraucher der Fertigwaren bis zum Eisen- und Stahlhandel“). Für Zwischenprodukte bildete sich pragmatisch allerdings ein eigener kreativer Bewirtschaftungskreis als Puffer heraus, den Geer als Befangener (er war für die Eisenbewirtschaftung mitverantwortlich) als „Lösung des Problems“ sah, ebd., S. 93 ff. und Anm. 8. 151 Tooze 2001, S. 278 ff. Auch das maschinelle Berichtswesen (MB) mit dem Hollerith-Verfahren und der „Nummerung der Produktion“ konnte die Informationslücke nicht schließen, Wagenführ 1963, S. 64. 152 Wagenführ 1966, S. 112. 153 Ebd. 154 In der Nachkriegszeit hat Wagenführ einen Artikel über „Die Volkswirtschaftliche Bilanz (II): Das Schachbrett“ in den Mitteilungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften (1952) veröffentlicht. In diesem Artikel beschreibt er drei Formen des Schachbretts: das Schaltbrett in der Gestalt von Grünigs Wirtschaftskreislauf, das Schachbrett der Kriegszeit mit einer Tabelle über den „Verbrauch der deutschen Wirtschaft an wichtigen Produktionsmitteln 1943“ und das Schachbrett in amerikanischer Sicht mit der Input-Output-Tabelle für die Vereinigten Staaten von Amerika 1947 von Leontief. 150
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von der statistischen Seite her in der Industrieabteilung des Instituts, in der wirtschaftspolitischen Auswertung war vor allem Baudisch daran beteiligt. […] Der Gesamtaufwandsplan konzentrierte sich daher auf ausgesprochene Engpaßfaktoren (diese Faktoren konnten von Zeit zu Zeit wechseln) und ließ, angesichts der unausgewogenen Fertigungsprogramme, eine Versachlichung der Diskussion über die Realisierbarkeit dieser Produktionsprogramme zu. Ob dieser Aufwandsplan jemals praktisch zum Zuge gekommen ist, entzieht sich meiner Kenntnis; die berühmt-berüchtigten Sitzungen der „Zentralen Planung“ blieben den Politikern mit den lautstärksten Organen vorbehalten. Die Parallele, um zur wissenschaftlichen Betrachtungsweise zurückzukehren, dieser Betrachtungsweise mit den „technischen Koeffizienten“ Wassily Leontiefs in seiner Input-Output-Tabelle ist aber offensichtlich.155
In dem Arbeitsprogramm des DIW von Juli 1944 wurde auch auf die Bedeutung des Schachbretts hingewiesen: Für die Industriepolitik erscheint die Erarbeitung von „Methoden der Plankoordination“ und der „Aufbau eines Schaltbretts der deutschen Industrieproduktion“ besonders dringlich. Diese Arbeiten, die im besonderen Auftrag für die Zwecke des Planungsamts erstellt werden, sollen systematisch und statistisch den organisatorischen Aufbau und die Arbeitsteilung innerhalb der Industriewirtschaft durchleuchten.156
Die beschriebenen Tätigkeiten der Industrieabteilung des Instituts im 2. Weltkrieg lassen sich treffend durch den Rückgriff auf die Anlage zur Denkschrift über die Aufgaben des DIW vom 8. November 1944 zusammenfassen, welche die in Arbeit befindlichen Themen aufführte: 1. Aufstellung von Rohstoffbilanzen für die wichtigsten Gebiete der Industrieproduktion. 2. Anfertigung von Grundbüchern zur Darstellung der Struktur und der Planungsvoraussetzungen für wichtige industrielle Produktionsgebiete (zurzeit in Arbeit für: Elektroindustrie, Schwefelsäure, Leder). 3. Aufbau einer sogenannten Koordinationsstatistik zur Darstellung der gegenseitigen Verzahnung bei den Produktionsplanungen der einzelnen industriewirtschaftlichen Bereiche (zurzeit in Arbeit für: Schuhe, industrielle Fette, Kautschuk, Soda, Elektroden). 4. Statistische Schnellberichterstattung über die Produk-
Zitiert nach DIW 1966, S. 113. Baudisch war im Planungsamt der Leiter der Hauptabteilung III Gesamtplanung. Zur Gesamtaufwandsplanung siehe die Vermerke über zwei Sitzungen des Planungsamtes am 16. Juni und 18. November 1944 im Archiv des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion: BA R3 1788. Auf jeden Fall sind Teilgebiete des Gesamtaufwandsplans realisiert worden, wie ein Vermerk von Wagenführ an Baudisch vom 1. August 1944 zeigt, bei dem es um eine Gliederung der Bauinvestitionen nach dem Gesamtaufwandsplan geht. Siehe Archiv des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion: BA R3 1960. Eine Input-Output-Tabelle für das Deutsche Reich 1936 wurde von Fremdling und Stäglin berechnet, die damit den ursprünglichen Plan des Statistischen Reichsamts realisierten. Siehe Fremdling/Stäglin 2014a und Stäglin/Fremdling 2018a. 156 BA R3601 216 F 10. 155
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tionsentwicklung auf den wichtigsten Gebieten der Rüstungsfertigung und der zivilen Bedarfsdeckung (zur Kriegsproduktion monatlich etwa 200 Reihen, zur Rüstungsendfertigung monatlich 300 Reihen). 5. Organisation von Schnellmeldungen für bestimmte Engpassgebiete der Rohstoffproduktion (zurzeit für Eisen und Mineralöl). 6. Berechnung einer Indexziffer der Rüstungsendfertigung und monatliche Darstellung der Rüstungsendfertigung in Kurven. 7. Zusammenfassende Ermittlungen über die Produktionsentwicklung in den Bereichen der einzelnen Ämter des Rüstungsministeriums (Rohstoffamt, Rüstungslieferungsamt, Produktionsamt) und Berechnung einer Indexziffer für die Gesamtproduktion. 8. Berichterstattung über die Luftkriegsschäden in der Industrie.157
Eichholtz betont das erstaunliche Niveau in der Produktion von Waffen und Kriegsgerät bis weit in den Herbst 1944 hinein, so dass das Miltär „auch unter katastrophalen Bedingungen mit dem Allernötigsten“ versorgt werden konnte.158 Allerdings habe sich nach Wagenführ in den beiden letzten Kriegsjahren die Produktions nicht weiter steigern lassen, so dass sich die Lenkung auf kaum mehr als die Beseitigung wechselnder Engpässe richtete. Prioritäten für die Zuteilung setzte Wagenführs Gruppe durch die bereits geschilderte analytische Trennung der Zulieferströme nach allgemein verwendbaren Vor- oder Zwischenprodukten und konstruktionsgebundenen, einseitig verwendbaren Produkten. Um die Effizienz der Gesamtplanung heute abschließend beurteilen zu können, müssten die Planvorgaben der letzten Kriegsjahre mit dem Produktionsergebnis verglichen und das Zurechnungsproblem gelöst werden. Ausgangspunkt könnte Nicolas Kaldor sein, der in der Gruppe von Galbraith die Auswirkungen der alliierten Bombardierung auf die deutsche Rüstungswirtschaft untersuchte.159 Die Bilanz der USSBS-Kommission über die deutsche Industriekapazität unmittelbar nach dem Krieg ergab, dass die Bomben weit weniger Industrieanlagen als erwartet zerstört hatten.160 Durch eine zügige Reparatur der beschädigten Anlagen und den Rückgriff auf Sitzung des Verwaltungsausschusses des DIW, 8. November 1944, Quelle: BA R3601 216. Eichholtz 1996, S. 5. Fremdling 2016c.; USSBS Oct. 1945. Ergebnisse der Untersuchung sind neben diesem gedruckten „summary report“ der Galbraith-Gruppe in zahlreichen weiteren „special reports“ und zusammenfassenden Darstellungen dokumentiert: „Some two hundred detailed reports were made. […] The Table of Organization provided for 300 civilians, 350 officers and 500 enlisted men. The Survey operated from headquarters in London and established forward headquarters and regional headquarters in Germany immediately following the advance of the Allied armies.“ Ebd, aus dem Vorwort. Siehe die digitale Bibliothek „Hathi Trust“ unter: http:// catalog.hathitrust.org/Record/001890646. Dort können alle Ergebnisse des USSBS aufgerufen werden. In deutschen wirtschaftshistorischen Arbeiten sind diese Berichte, die sich auf umfangreiche Primärquellen aus der NS-Zeit und Befragungen nach dem Krieg stützen, bisher kaum herangezogen worden. In seinem Aufsatz zur Produktionsentwicklung während des Krieges wertete Tooze (2005) lediglich einige dieser Spezialstudien aus. 160 Siehe allerdings Scherner (2010 u, 2013), der aufgrund seiner berechneten Investitionstätigkeit schlussfolgerte, dass die Bombardierung deutlich mehr Industrieanlagen zerstört habe als bisher angenommen wurde. 157 158 159
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Lagerbestände konnten Produktionsverluste zudem in großer Anpassungsfähigkeit zunächst ausgeglichen werden. Kaldor sah die Unterauslastung der deutschen Kriegswirtschaft allerdings als Zeichen von Ineffizienz: As it happened, the reluctance or inability of Germany to engage her resources to the utmost brought her undoubted (and largely unexpected) compensations, and not only disadvantages. It was largely due to the limitations in her war effort, that the German economy proved so elastic and resilient and showed such high adaptability to unforeseen changes in requirements caused by changes in strategy and in military fortunes. The high degree of administrative and industrial inefficiency with which the German economy was initially conducted constituted a vast reserve on which to draw (a reserve that was never properly exhausted) which time and again enabled the German leaders to parry the enormous unforeseen blows to which they were subjected. It acted as a kind of shock absorber both as regards the Allied air attack and the military defeats in Russia.161
Die Statistische Leitstelle beim Statistischen Reichsamt und die Statistischen Schnellberichte zur Kriegsproduktion
Das wohl bedeutendste Instrument der Informationsaufbereitung für die politische Führung waren die „statistischen Schnellberichte“. Wie die umfassenderen Zusammenstellungen für Wagenführs statistische Abteilung im Planungsamt162, entstanden auch sie in der Statistischen Leitstelle beim StRA. In den Schnellberichten schlug sich das Zusammenwirken der Leitstelle mit den Lenkungsbereichen und den anderen Abteilungen des StRA nieder. Über die Leitstelle musste der wirtschaftsstatistische Informationsfluss gelenkt und verarbeitet werden und für das Planungsamt war die Entscheidungsgrundlage mit den hier bereits behandelten Rohstoff- und Fertigungsbilanzen zu erstellen. Ferner gehörte es zu den Aufgaben der Leitstelle, übersichtliches statistisches Informationsmaterial für übergeordnete Entscheidungsträger163 bis hinauf zu Hitler selbst zu liefern. Diese statistischen Schnellberichte wurden über die Bilanzen hinaus zügig und informativ ausgearbeitet.
Kaldor 1945/46, S. 34. Im Planungsamt selbst verfasste Wagenführs Abteilung detaillierte Wochenberichte. Sie können als interne Arbeitsberichte betrachtet werden und enthielten quantitatives und qualitatives Material, BA R3 1792 F 36–40 (Wochenbericht 13. bis 18. März 1944), zum Verteilungsplan der 40 Exemplare, ebd. F 580. Siehe auch die umfangreichen von Wagenführ zusammengestellten Statistiken, die nach dem Krieg veröffentlicht wurden, Wagenführ 1963, S. 135 ff. 163 Für die „Führungsstellen der Wirtschaft“ sollten „Vierteljahrshefte“ mit Statistiken der Lenkungsbereiche, ähnlich aufgebaut wie Schnellberichte, regelmäßig erstellt werden. BA R3102 3472 (2) F 478 ff.; siehe dort den Vorschlag von Werner für die „Vierteljahrshefte“ im Brief an Wagenführ vom 28.10.1943 und den Entwurf der Richtlinien vom 29.10.1943. 161 162
Die Statistische Leitstelle beim Statistischen Reichsamt
Nachdem der RWM im September 1943 seine Anweisung zur Einrichtung der Statistischen Leitstelle gegeben hatte, die zum 1. November 1943 in Kraft trat, wies Kehrl in seinem Schreiben164 vom 20. November 1943 alle Reichsstellen und Reichsvereinigungen darauf hin, dass die Leitstelle „für die Arbeit der Hauptabteilung Planstatistik [des Planungsamtes] […] – Leiter Dr. Wagenführ – zur Verfügung“ stehe. Ihre Aufgabe ist es, alle bei den Dienststellen der Lenkungsbereiche und bei anderen Stellen anfallenden wirtschaftsstatistischen Daten über Erzeugung, Verbrauch, Ein- und Ausfuhr, Lagerhaltung, über Erzeugungspläne, über Herstellungsanweisungen und deren Erfüllung usw. systematisch zu sammeln, zu überprüfen, untereinander abzustimmen und zusammenfassend auszuwerten.“165
Kehrl bat darum, „daß den Sachbearbeitern der Leitstelle auf Anforderung alle statistischen Daten zugänglich gemacht werden.“ Zur Beschleunigung sollten Daten selbst „unverzüglich fernmündlich – erforderlichenfalls unter Tarnbezeichnungen –“ übermittelt werden.166 „Das anfallende Zahlenmaterial ist systematisch […] zu statistischen Monats- oder Vierteljahresheften zusammenzustellen.“167 Die Vertreter des Planungsamts, der Lenkungsbereiche und der Statistischen Leitstelle trafen sich in der Folgezeit regelmäßig, um z. B. den „Ausbau und [die] Verbesserung der statistischen Berichterstattung an Speer in Form der Schnellberichte“ abzusprechen. Bei einer Sitzung im Rohstoffamt wurde am 26. Januar 1944 Folgendes klargestellt: „Die Zustellung des Zahlenmaterials an Speer erfolgt ausschließlich durch die Leitstelle. An die Leitstelle geben die Reichsstellen, Wirtschaftsgruppen usw. das Material zur Zusammenstellung.“168 Allerdings funktionierte die Kommunikation nicht reibungslos, teilweise blieben Meldungen längere Zeit aus,169 oder sie wurden nicht in der von der Leitstelle BA R3102 3589 F 39. Kurz zuvor, nahezu parallel zu Funks Anweisung vom 10.9.1943 zur Einrichtung der Leitstelle, hatte Kehrl mit dem Erlass vom 16.9.1943 die Lenkungsbereiche („Hauptausschüsse, Hauptringe bzw. Wirtschaftsgruppen“) zu monatlichen „Eilmeldungen der Soll- und Ist-Produktionszahlen“ verpflichtet. Abgedruckt bei Wagenführ 1963, S. 206 f. 165 BA R3102 3589 F 39. 166 Zu einigen Quellen für das Zahlenmaterial der Schnellberichte mit genauen Adressen, Telefonnummern und den Namen der Bearbeiter siehe für mehrere Erzeugnisse BA R3102 3589 F 6 f. 167 BA R3102 3472 (1) F 1 f. 168 BA R3102 3589 F 23. Behandelt wurden die Sachgebiete Papier, NE-Metalle, Chemie, Textilien und Bergbau. Dabei wurde auch abgesprochen, welche Erzeugnisse ersetzt (Zechen- statt Hüttenkoks, für Zechenkoks gab es Tagesmeldungen) oder neu (Schwefelkies) aufgenommen wurden. Es ging um den „Februar-Schnellbericht an Speer“. Wagenführ nahm selbst teil, er lieferte allerdings auch Zahlenreihen an die Leitstelle, vgl. BA R3102 3472 (1) F 28 f. 169 Siehe den Brief Werners an Luger 28.2.1944 (Wirtschaftsgruppe Papier). Er mahnte an, dass seit September 1943 „trotz dringender fernmündlicher Anmahnungen und Zusagen“ die Ergebnisse der Statistik der Wirtschaftsgruppe nicht bei der Statistischen Leitstelle für die Lenkungsbereiche eingegangen seien. BA R3102 3589 F 1. Die Reichsvereinigung Eisen klagte, dass für die Schnellmeldungen zum 15.3.1944 „bei Firmen mit größerer Produktion“ die Fragebögen nicht pünktlich eingetroffen seien. Über Sanktionen, wie „die Betriebsführer nach Berlin kommen lassen, um sie […] zu belehren“, wurde im Planungsamt diskutiert. BA R3 1792 F 37. 164
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erwarteten Qualität geliefert.170 Gegen Ende des Krieges wurden die Meldungen aus den Fachgruppen nicht mehr in den Lenkungsbereichen bzw. den übergeordneten Ämtern zusammengestellt, sondern direkt an die Leitstelle weitergeleitet.171 Die „Statistischen Schnellberichte zur Kriegsproduktion […] bearbeitet in der Statistischen Leitstelle beim Statistischen Reichsamt“ unter Verantwortung des „Planungsamts Hauptabteilung Planstatistik“ erschienen als „geheime Reichssache“ monatlich mit aktuellen Zahlen für den Vormonat.172 Die letzte, dünne auf Schreibmaschinen getippte Ausgabe mit 15-seitigem Tabellenband wurde im April 1945 von der Statistischen Leitstelle mit noch teilweise geschätzten Zahlen für den Februar 1945 erstellt. Der vermutlich letzte umfassende tabellarische Schnellbericht mit 52 Seiten bezog sich auf den „Stand Januar 1945“ und trägt den Druckvermerk „Statist. Leitstelle 20.2.1945“.173 Die meisten Angaben zum Monatsdurchschnitt Januar waren „vorläufige“, „geschätzte“ „Annäherungszahlen“. Für Dezember 1944 hielten sich Berichtszahlen und Schätzwerte in etwa die Waage. Die Monatsbände waren folgendermaßen aufgebaut:174 Räumliche Bezugseinheit war „Großdeutschland“, das die „unter Zivilverwaltung stehenden Gebiete […] sowie das Protektorat“ (Böhmen und Mähren) einschloss.175 Die Erzeugung der „besetzten Gebiete“ und die Einfuhr von außerhalb des deutschen Herrschaftsgebietes176 wurden in der Regel noch gesondert ausgewiesen. In den Zeilen stand die Produktion (Mengen oder physische Einheiten) und in den Spalten die zeitliche Bezugseinheit (Monat). In derselben Zeile wurde der aktuelle Monatsdurchschnitt mit den jeweiligen Vergleichszahlen für sechs davorliegende Monate angegeben. Die Zeile darunter enthielt zum Vergleich die Monatszahlen des gesamten Vorjahres. In einer vorgeschalteten Spalte standen die durchschnittlichen Monatszahlen des laufenden Jahres und des Vorjahres. Neben der Produktion des
BA R3102 3472 (1) F 26. Zu den Schnellberichten Stand Mai 1944 schrieb die Leitstelle: „Für die Zahlen des Technischen Amtes übernimmt die Statistische Leitstelle keine Verantwortung“, die Gebietsabgrenzung für die Produktionszahlen war nicht klar. 171 Siehe „Statistische Schnellberichte, Umstellung der Beschaffung des Zahlenmaterials des Rüstungslieferungsamts auf die Statistische Leitstelle“, Brief vom 3.1.1945 an die Mitarbeiter der Leitstelle von Werner, BA R3102 3589 F 13. Siehe z. B. den Lieferbericht vom 6.4.1945 über „Bordfunkgeräte für Flugzeuge“ für Februar 1945 direkt an die Leitstelle, BA R3102 3589 F 93 f. 172 Siehe die Akte im Bundesarchiv BA R3102 3147. Die Januarausgabe von 1945 wurde in „12 Ausfertigungen“ gedruckt. Ebd. F 136. Siehe daneben weitgehend mit denselben Zahlen die wohl eher für interne Zwecke zusammengestellten „Monatszahlen über industrielle Produktion“ der Abteilung VIII (Industrielle Produktionsstatistik) des StRA für fast alle Kriegsmonate, BA R3102 6056–6060. Siehe auch Kehrl 1973, S. 321. 173 BA R3102 3147 F 136–192. 174 Das dünne im April 1945 zusammengestellte Heft hatte eine andere Einteilung und kaum neue Zahlen für Februar 1945. 175 Zur Gebietsabgrenzung siehe Wagenführ 1963, S. 135 f. 176 Während des Krieges blieb Deutschland trotz des Ausbaus der Autarkieindustrien schon vor dem Krieg und der Ausbeutung der besetzten Länder auf „die Einfuhr von Waren aus dem neutralen und befreundeten Ausland angewiesen“. Streb 2016, S. 596 ff. 170
Die Statistische Leitstelle beim Statistischen Reichsamt
Bergbaus und der Industrie wurden die Energieerzeugung (Gas, Elektrizität), der Verkehr mit der „Wagenstellung der Reichsbahn“ und die Bauwirtschaft mit dem Zementversand erfasst. Weiterhin wurde der monatliche „Arbeitseinsatz“ (Monat November 1944: 28,6 Millionen) wiedergegeben, und dies sehr differenziert: Man unterschied u. a. nach Geschlecht, In- und Ausländern und Kriegsgefangenen, „Einberufungen zur Wehrmacht“. Uk-Gestellte177 waren differenziert nach Branchen und Kohorten zusammengefasster Jahrgänge angegeben, und die „Beschäftigten in Rüstungsbetrieben“ (im Monat Dezember 1944 fast sechs Millionen) wiederum waren wie die Gesamtbeschäftigten untergliedert.178 Der Katalog der erfassten Produkte war sehr umfangreich: Ohne Energie gab es 17 Hauptgruppen von Erzeugnissen von Kohle und Erz über Metalle, Chemie bis Glas, Keramik, Holz. Nur bei gleicher Bezeichnung konnte die übliche Klassifikation mit den Industriegruppen und –zweigen des StRA genommen werden, weil Erzeugnisse, und nicht die produzierende Branche im Vordergrund standen.179 Z. B. wurden für die Sammelgruppen Mineralöl (unterteilt nach Rohöl, Flugvergaserkraftstoff, sonstigem Vergaserkraftstoff, Dieselkraftstoff, Heizöl, Schmierstoff), Pulver und Sprengstoff (unterteilt nach Nitrocellulose, Pulver, Sprengstoff, Edelsprengstoff, Zusatzsprengstoff, Streckmittel) und Elektrotechnik (unterteilt nach elektrischen Maschinen, Akkumulatoren, galvanischen Batterien, schwachstromtechnischen Bauelementen und Messinstrumenten, Scheinwerferanlagen, Infrarot-Geräten, Bodenfunkgeräten einschließlich Funkmessgeräten, Bordfunkgeräten) gezielt kriegswichtige Spezialerzeugnisse erhoben. Naheliegende Rüstungsendprodukte wie Panzer und Flugzeuge tauchten bei diesen hier aufgefundenen Schnellberichten jedoch nicht auf.180 Unter höchster Geheimhaltungsstufe ordnete Speer allerdings an, „daß entgegen den bisherigen Widerständen des Technischen Amtes, nunmehr auch
Uk = unabkömmlich, vom Wehrdienst freigestellt. Diese Statistiken über die Arbeitskräfte wurden detailliert in der Abteilung VI (Kriegswirtschaftliche Kräftebilanz) des StRA geführt. Siehe z. B. die überformatigen handschriftlichen Tabellen für die Jahre 1939–1942 (Stichtag jeweils 31.5.) und den Textbericht für 1943, BA R3102 10919; grafische Zusammenstellungen 1939–1943, BA R3102 5918. 179 Siehe dazu die Input-Output-Tabelle von Fremdling/Stäglin 2014a,b oder die Einteilung in: Die deutsche Industrie 1939. 180 Ein 24-seitiger Bericht Speers vom 27.1.1945 gab einen Überblick mit detaillierten Zahlen über die jährliche Erzeugung 1940–1944, (BA R3102 2969 S. 12–22). Dieses Schreiben Speers (300 Ausfertigungen) an „den kameradschaftlichen Kreis meiner Mitarbeiter“ ist eigentlich nichts anderes als ein langer Abschiedsbrief. Er strich in einer Bestandsaufnahme die enorme Leistung seines Ministeriums, quantitativ belegt, heraus und schloss, allerdings ohne Endsiegrhetorik, eher düster mit einem pathetischen Appell, „auf eine höhere Gerechtigkeit“ zu vertrauen, „um […] unserem Volke die Voraussetzungen zu seinem Leben zu erhalten.“ Zitate im Original gesperrt getippt. Quellennahe Daten über die Rüstungsproduktion finden sich auch in USSBS Oct. 1945, S. 145 ff.; Eichholtz 1996, S. 163–208 und in Wagenführ 1963, S. 178 ff. 177 178
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die Rüstungsendfertigung (Panzer, Waffen, Munition usw.) in diese Schnellberichte aufgenommen werden sollen.“181 Zudem gab es noch Hefte mit grafischen Darstellungen und die Textberichte.182 Neben den periodischen Monatsheften wurden auch Jahreshefte erstellt, die zusammenfassende Zahlen für den Jahresdurchschnitt enthielten.183 Das Manuskript des Jahreshefts 1938 bis 1944 verzeichnete in der Tat Zahlen für einige Erzeugnisse rückwirkend bis 1938.184 Tabelle 6 enthält die Monatsdurchschnitte für ausgewählte Erzeugnisse aus den Schnellberichten für die Kriegsspanne und für 1938.185 Zusätzlich ist eine Zeile über die industrielle Produktivitätsentwicklung („Wertschöpfung in der verarbeitenden Industrie Deutschlands, Wert in RM je Kopf “) aus den Berechnungen des Planungsamtes hinzugefügt.186 Die Arbeitsproduktivität stieg danach von 1939 bis 1943 um mehr als ein Drittel, und der erläuternde Text wies auf die noch eindrucksvollere Zunahme der „Rohstoffproduktivität“ hin, nämlich „daß von Anfang 1942 bis Mitte 1944 bei praktisch kaum veränderter Rohstoffproduktion die Rüstungsendfertigung auf das Dreifache gesteigert werden konnte.“ Wagenführ – der Wochenbericht trägt seine Unterschrift – glaubte sogar noch Ende November 1944 eine Prognose über die zukünftige Arbeits- und Rohstoffproduktivität abgeben zu können oder zu müssen: „Es ist vorstellbar, daß diese Entwicklung in der Zukunft fortgesetzt wird, so daß durch systematische Materialeinsparung bei gegebener Rohstoffproduktion ein höherer Produktionseffekt erzielt wird als bisher.“187 Die branchenspezifischen Produktionszahlen aus den Schnellberichten weisen zum Teil bis weit in das vorletzte Kriegsjahr hinein erstaunliche Leistungen aus. Streb stellte allerdings fest, „dass der Anstieg der deutschen Rüstungsproduktion während des Zweiten Weltkriegs mit einem weitgehenden Zusammenbruch der deutschen Konsumgütererzeugung erkauft wurde.“188 BA R3102 3472 (1) F 30, Brief der Leitstelle an den Präsidenten des Planungsamts 10.6.1944. Siehe auch den Brief Werners von der Leitstelle an das Planungsamt 15.6.1944. Ebd. F 25. Bei den hier vorgestellten Exemplaren der Schnellberichte handelte es sich vermutlich immer um „Heft 1“, siehe ebd. F 26. 182 BA R3102 3472 (1) F 30, Brief der Leitstelle an den Präsidenten des Planungsamts 10.6.1944. Textberichte: BA R3102 3589 F 8 ff. 183 Auch die viel detaillierteren Monatsübersichten, welche die Abteilung VIII (industrielle Produktionsstatistik) für die Leitstelle und damit das Planungsamt zusammenstellte, enthielten Zahlenreihen zurück bis 1938. BA R3102 6060. Siehe die „monatlichen Rohstoffübersichten“ für Eisenerze im Archiv Wagenführs WABW, Bestand N10 Bü32. 184 BA R3102 3147 F 1–36. 185 Der von Scherner (2007) edierte und kommentierte „Bericht zur deutschen Wirtschaftslage 1943/44“ bringt weitgehend identische Zahlen, allerdings für weniger Stichjahre oder –monate. 186 Um nicht in die „Rüstungswunderdebatte“ einsteigen zu müssen, wird die Qualität der hier vorgestellten Zahlen nicht diskutiert. Vielmehr geht es um typische Zahlen, die den damals Handelnden vorgelegt wurden. Zur historisch-kritischen Vorstellung eines umfassenden Dokumentes mit zahlreichen Produktionsstatistiken zur „deutschen Wirtschaftslage 1943/44“ siehe Scherner 2007. Er verweist auf die Rüstungswunderdebatte und revisionistische Arbeiten u. a. von Scherner/Streb, Budraß und Tooze (2005). Siehe zudem Streb (2016, S. 570 ff.) zur Rüstungswunderdebatte und Ritschl (2016b, S. 652 f.). 187 BA R3 1966 F 114, Wochenbericht (13. bis 18.11.1944) der Abteilung Wagenführ, Anlage S. 3. 188 Streb 2016, S. 595. 181
Großdeutschland besetzte Gebiete Großdeutschland besetzte Gebiete Großdeutschland davon aus Hydrierung, Synthese, Schwelung etc. besetzte Gebiete Einfuhr von Fertigprodukten Großdeutschland besetzte Gebiete
Großdeutschland besetzte Gebiete Großdeutschland besetzte Gebiete Großdeutschland davon aus Hydrierung, Synthese, Schwelung etc. besetzte Gebiete Einfuhr von Fertigprodukten Großdeutschland besetzte Gebiete
4. Viert.jahr 44 23,5*
825*
991 5 260* 158* 9* 22* 20,5*
Quellen: BA R3102/3147 Bl. 1–36 BA R3102/3147 Bl. 136–192 BA R3102/3147 Bl. 193–211 BA R3/1966 Bl. 114
3400
145 79,6 25,4 806
1942 22,3 6,6 2395 282 539 410
8,0*
Februar 45
Statistische Schnellberichte zur Kriegsproduktion, Jahresheft (Manuskript) 1938 bis 1944 Statistische Schnellberichte zur Kriegsproduktion, Stand Januar 1945 Statistische Schnellberichte zur Kriegsproduktion, Stand März 1945 Wochenbericht (13. bis 18.11.1944) der Abteilung Wagenführ, Anlage S. 3.
12,9*
Januar 45 11,8*
3300
1171
200 85,1
Dezember 44 14,3*
3000
2900 1944 20,8 4,9** 2154 220 457 317 30 80 55,7 21,3 921
968
1309
190 84,8
1344
458
529
85,0
2110
1944
in Monatsdurchschnitten 1940 1941 21,0 21,3 6,8 1930 2353 300 392 468 279 343
76,3
1939 17,2
1938 15,6
Stickstoff 28,2* 9,3* 1000 TN Zementversand 719* 512* 1000 Tonnen * Annäherungswert, ** Januar bis Juli, ***Wertschöpfung = Bruttoproduktionswert minus Wert der eingesetzten Rohstoffe
Steinkohlenförderung Millionen Tonnen Rohstahl 1000 Tonnen Mineralöl insgesamt 1000 Tonnen
Stickstoff 1000 TN Zementversand 1000 Tonnen Arbeitsproduktivität in der verarbeitenden Industrie Wertschöpfung (RM) pro Kopf***
Erzeugnis Steinkohlenförderung Millionen Tonnen Rohstahl 1000 Tonnen Mineralöl insgesamt 1000 Tonnen
Tab. 6 Produktionszahlen aus den Statistischen Schnellberichten und industrielle Arbeitsproduktivität 1938–1945
3900
1943 23,2 6,4 2550 337 625 479 48 160 76,7 30,5 958
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Die Steinkohlenförderung steigerte sich im Vergleich zum letzten Friedensjahr deutlich.189 Selbst im letzten Vierteljahr von 1944 erreichte sie noch den Höchststand des Jahres 1943. Die geschätzten Zahlen für Dezember 1944 und Januar 1945 spiegeln dann den enormen Rückgang der Produktion. Das oberschlesische Revier war inzwischen Kampfgebiet, während es zuvor zum überproportionalen Anstieg der Förderung beigetragen hatte, nachdem die polnischen Steinkohlereviere von „Großdeutschland“ annektiert worden waren.190 In der zitierten Studie des DIW wurde der Kohleversand – gerade bei wechselndem Gebietsumfang – als Indikator für die Entwicklung der gesamten Industrieproduktion vorgeschlagen und verifiziert. Folgt man der Argumentation und unterstellt eine hohe Korrelation zwischen Kohleversand191 und –förderung, dann zeigen die Zahlen in Tabelle 6 eine erstaunlich hohe Industrieproduktion bis in das Jahr 1944 an. Ähnliches weist auch die Zeitreihe über Rohstahl, den „Leitrohstoff “ der gesamten Industrieproduktion und universellen Input für Rüstungsgüter, aus.192 Der Höhepunkt der Produktion wurde 1943 erreicht und 1944 noch lange gehalten, bevor die Rohstahlerzeugung ab September/Oktober 1944 nach den Luftangriffen auf die Ruhrindustrie gegenüber dem Vorjahr drastisch einbrach.193 Wegen der bescheidenen Ausstattung Deutschlands mit Erdöllagerstätten, hatte man schon vor dem Krieg die Herstellung von Ersatzstoffen aus heimischer Kohle vorangetrieben.194 Die Kraftstoffproduktion durch Synthese oder Hydrierung errang denn auch höhere Anteile als Erdölderivate. Die Erzeugung fiel aber nach den Monatszahlen schon seit Mitte 1944 erheblich ab. Hier wirkte sich das Bombardement der Produktionsstätten im Frühjahr 1944 aus.195 Davon war die als Kuppelprodukt anfallende Stickstofferzeugung ebenso betroffen.196 Beim Stickstoff, Input für die Erzeugung von Sprengstoff, wurde der Höhepunkt 1939 im ersten Kriegsjahr erreicht, ein deutlicher Rückgang ist auch hier im Laufe des Jahres 1944 zu erkennen. Beachtlich war bis zuletzt der Beitrag der besetzten Gebiete. Der Zementversand sagt etwas über die Bautätigkeit aus, die seit 1940 um ein deutlich niedrigeres Niveau als 1938/39 pendelte und erst gegen Ende 1944 einbrach.197
Ausführlich zur Kohle, Eichholtz 1996, S. 118–126. Zur Produktionsentwicklung im Krieg siehe auch die Spezialstudie des DIW: „Die deutsche Industrieproduktion im Kriege und ihre Messung, Juni 1942“, BA R3 1837 F 11 ff. oder BA R3112 197 F 1–20; Wagenführ 1963, S. 99 ff. 191 Wegen der verstärkten Bombardierung der Transportinfrastruktur seit September 1944 konnte die geförderte Kohle allerdings nicht mehr so wie vorher zu den Verbrauchern geschafft werden, USSBS Oct. 1945, S. 13; Wagenführ 1963, S. 93 ff.; BA R3 1854 F 239, 243. 192 Ausführlich zu Eisen und Stahl, Eichholtz 1996, S. 126–135. 193 Siehe die Monatszahlen im Detail BA R3102 3147 F 146 (S. 6 des Schnellberichtes Stand Januar 1945). USSBS Oct. 1945, S. 13; Wagenführ 1963, S. 107 ff.; Tooze 2008a, S. 685 ff. (Schaubild 22, S. 688). 194 Ausführlich zum Mineralöl, Eichholtz 1996, S. 135–150; Donges 2014, S. 158 ff. 195 USSBS Oct. 1945, S. 12. 196 Zu kriegswichtigen Chemikalien siehe Eichholtz 1996, S. 150 ff. 197 Für 1944 sah das Planungsamt einen Rückgang der Bautätigkeit vor: Neben der „nochmaligen Drosselung der Konsumgüterproduktion [müsse] ebenso […] die Bauwirtschaft zugunsten der Rüstungsferti189 190
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So kündigte nicht nur der Frontverlauf die kommende Kriegsniederlage an; auch die wirtschaftsstatistischen Daten der Schnellberichte, die Hitler vorlagen, signalisierten seit Mitte 1944 einen unaufhaltsamen Einbruch der deutschen Industrieproduktion und damit der Rüstungsbasis.198 Da nicht nur die nackten Zahlen archivalisch dokumentiert sind, sondern z. B. auch Begleitschreiben, erfahren wir im Nachhinein etwas mehr über das Zustandekommen und den Adressatenkreis der in limitierter Auflage gedruckten Schnellberichte. Das Mai-Heft 1944 wurde lediglich in 15 Exemplaren gedruckt:199 „Nr. 1 Exemplar in Großformat für den Gebrauch des Führers“. Wegen der Sehschwäche Hitlers wurde die sogenannte „Führertype“ für die Druckvorlage benutzt. Nr. 2 bis 4 gingen an Speer, Kehrl und Stoltze vom Rohstoffamt. Weiterhin geht aus dem Brief hervor, dass einige „auswärtige Bezieher“ nicht mehr, auch nicht mit Teilen beliefert wurden, darunter auch das RWM („Teilstück Chemie“). Das Technische Amt für Rüstungsendfertigung (Dahms) und das Produktionsamt für Verbrauchsgüter (Seebauer) erhielten kein Gesamtheft mehr. Der Empfängerkreis war anscheinend nicht konstant, z. B. wurde Generalfeldmarschall Keitel neu aufgenommen. Nach der vollständigen Liste gingen die in 12 Exemplaren verteilten Oktober-Hefte an Hitler, Speer (Rüstungsminister), Keitel (Chef des OKW), Milch (Staatssekretär im Luftfahrtministerium, Generalinspekteur), Kehrl (Präsident/Chef des Planungsamtes), Fischböck (Preiskommissar), Stoltze (Rohstoffamt und Planungsamt), Dorn (Generalreferent für Sonderaufgaben im Planungsamt), Dahms (Technisches Amt für Rüstungsendfertigung), Baudisch (Planungsamt) und Wagenführ (DIW; Planungsamt). Ein Schnellbericht wurde als Aktenexemplar verwahrt:200 Der Empfängerkreis außerhalb des Planungsamtes war mit wohl nur einem halben Dutzend also ausgesprochen exklusiv. Das hebt die Bedeutung dieser Informationsquelle für den inneren politisch-militärischen Zirkel um Hitler hervor. Trotz der sehr begrenzten Verbreitung gelangte schon vor Ende des Krieges ein Exemplar nach London: Galbraith berichtet in seinen Memoiren von seiner erschreckenden Erkenntnis, dass er über den Schnellbericht gewahr wurde, wie wenig die alliierten Bombenangriffe die Rüstungsproduktion beeinträchtigt hatten.201 gung weiter zusammengepresst werden.“ Schlussfolgerung aus dem Lagebericht 1943/44, BA R3 1965 F 104. Siehe auch Wagenführ 1963, S. 37 f. und 56 f. 198 Wagenführ 1963, S. 113 ff. 199 BA R3102 3472 (1) F 23, 31, 34. Brief Statistische Leitstelle (Werner) an das Planungsamt (Tetzlaff) 15.6.1944. Unter den 15 waren 2 Reserveexemplare. Bei der für Hitler vorgesehenen großen Mappe hatte man großformatig das falsche Datum (26.4.44 statt 15.6.44) gedruckt. Kehrl musste entscheiden, ob ersatzweise die in letzter Minute gefertigte „braune Mappe“ vorgelegt werden sollte. 200 BA R3 1966 F 108, Wochenbericht (13. bis 18.11.1944) der Abteilung Wagenführ S. 3. Zur Funktion der Empfänger siehe folgende Quellen: Keitel (Herbst 1982, S. 207); Milch (Who’s who 1944, S. 95; Scherner 2007, S. 501); Fischböck (Herbst 1982, S. 416); Stoltze (BA R3 108 F 32); Dorn (Herbst 1982, S. 405); Baudisch (BA R3 108 F 32). 201 Galbraith 1984, S. 207.
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Die Informationsbeschaffung für das November-Heft 1944 verlief nicht mehr reibungslos: Das Zusammentragen der Zahlen begegnet wachsenden Schwierigkeiten – insbesondere in den Sparten, bei denen das Schwergewicht der Produktion in Westdeutschland liegt. Die Meldungen von dort verspäten sich immer mehr. Die mit der Erhebung befaßten Dienststellen (Sonderringe, Arbeitsringe usw.) sind aus Mangel an Erfahrung oder Überblick auch nicht in der Lage, ausstehende Firmen-Meldungen durch Schätzungen zu ersetzen.202
An den Schnellberichten wurde im Februar, März und April 1945 noch weitergearbeitet, obwohl bei der Informationsbeschaffung und -verarbeitung zunehmend improvisiert werden musste. In den letzten Kriegsmonaten spiegelten die beigefügten Textberichte den Produktionsrückgang aufgrund der Luftangriffe und der kriegerischen Auseinandersetzungen auf deutschem Territorium wider. Am 8. Februar 1945 schrieb Werner an die Sachbearbeiter, dass „außer den bisherigen Positionen auch noch die Bestände aufgenommen werden“ sollten. Ihm war klar, „daß dies unter den gegenwärtigen Verhältnissen nur bei einem verhältnismäßig kleinen Teil der Erzeugnisse, insbesondere einigen wichtigen Rohstoffen, durchführbar sein wird. […] Im Übrigen ist lt. Anweisung des Planungsamts […] auch in diesem Monat der Schnellbericht […] unbedingt fertigzustellen.“203 Am 19. Februar 1945 lagen „Textberichte zum Schnellbericht für Januar 1945“ vor. Bei Steinkohle wurde ein „scharfer Rückgang der Förderung infolge der Kämpfe in Oberschlesien“ und bei der Elektrizität „verstärktes Ansteigen der Einschränkungen“ vermeldet. Im Bereich Elektrotechnik wurden „als Folge von Fliegerschäden beim Haupthersteller in Hagen“ ein „starker Rückgang […] bei KKM-Batterien (um rd. 45 %)“ und „im Dezember in der Herstellung von Panzer- und Kraftfahrzeug-Batterien um ca. 25 vH wegen 4-wöchentlichen Betriebsstillstandes aus Kohlenmangel bei einem Hersteller im Westen“ sowie ein „Rückgang bei den Scheinwerfern von 200 cm [Durchmesser] im Januar um 50 % infolge Totalschadens beim Haupthersteller durch Fliegerangriff “ festgestellt.204 Im Text zum Schnellbericht von Februar 1945 wurden für noch mehr Wirtschaftsbereiche vergleichbare oder höhere Produktionsausfälle wegen der „Gebietsverluste“ (Steinkohle in Oberschlesien, Braunkohle im Rheinland und im Frankfurt/Görlitzer Revier), wegen der „Fliegerschäden und Feindbesetzung“, aber auch wegen „Kohlenmangel“ und „Ausfall von Rohstofflieferanten“ (Elektrizität, Akkumulatoren, galvanische Elemente, Kondensatoren, Bildröhren, Bodenfunkgeräten etc.) vermeldet. Andererseits gab es aber auch freiwillige Produktionseinschränkungen: Die Erzeugung von elektrischen Maschinen und Sehrohren für U-Boote wurde „wegen des Produktionsüberschusses aus früheren Monaten“ gedrosselt.205 202 203 204 205
BA R3 1966 F 108, Wochenbericht (13. bis 18.11.1944) der Abteilung Wagenführ S. 3. BA R3102 3589 F 11. BA R3102 3589 F 10. BA R3102 3589 F 8 f.
Die Statistische Leitstelle beim Statistischen Reichsamt
In der Leitstelle (Standort Berlin) bereitete man sich Anfang Februar offensichtlich auf die Niederlage und drohende Besetzung des Amtes vor: Im Brief vom 8. Februar 1945 wies Werner die Mitarbeiter an, das Material nach Geheimhaltungsstufen zu sortieren. Das in Bearbeitung befindliche Zahlenmaterial der höchsten Geheimhaltungsstufe war „von den Sachbearbeitern dauernd mit sich zu führen“. Geheimes Zahlenmaterial grundlegender Bedeutung, das „z. Zt. entbehrt werden kann […] ist griffbereit von dem anderen Material auszusondern, so daß es im Bedarfsfall in 1–2 Stunden vernichtet werden kann. […] Die einzelnen Sachbearbeiter tragen die Verantwortung dafür, daß auf ihrem Sachgebiet kein nach diesen Gesichtspunkten geheim zu haltendes Material dem Feinde in die Hände fällt.“206 Im Februar 1945 wurde der größte Teil der Unterlagen der Leitstelle durch „Sprengbombenvolltreffer“ zerstört.207 „Trotzdem erschien es in Hinblick auf die gegenwärtigen Verhältnisse angebracht, die bisher vorliegenden Ergebnisse […] Rohstoffbilanzen der deutschen Kriegswirtschaft 1942 bis 1944 […] auch in dieser teilweise noch unvollkommenen Form herauszubringen und die Vervollständigung und Beseitigung der noch vorhandenen Mängel späteren Ausgaben vorzubehalten.“208 Der Band mit den Rohstoffbilanzen umfasste 57 Seiten detaillierter Tabellen von „Kohle und Erz“ über „Steine und Erden, Metalle, chemische Erzeugnisse, Holz, textile Rohstoffe, Leder“.209 Angesichts der prekären Lage in Berlin forderte Werner seine Mitarbeiter im Vermerk vom 6. April 1945 zu etlichen Vorkehrungen auf:210 „Die gesammelten Nachrichten sind jeweils bei schnellster Gelegenheit nach Wernigerode durchzugeben.“ Dort im Harzer Bergwerksrevier gab es eine Ausweichstelle des StRA. Es ging Werner um die „Zahlensammlung für den Schnellbericht“, aber auch um „die Vervollständigung und Aktuellerhaltung des Quellenverzeichnisses, insbesondere Sammlung aller Nachrichten über Ausweichstellen der das Material liefernden Stellen.“ Auf der einen Seite schien Werner noch damit zu rechnen, dass die Leitstelle weiter arbeiten würde, auf der anderen Seite musste „in den nächsten Tagen […] die Ordnungs- und Vernichtungsaktion des Geheimmaterials durchgeführt werden.“ Beim langjährigen Mitarbeiter des StRA, Alfred Jacobs, kann in seinem 1971 veröffentlichten Aufsatz eindringlich nachgelesen werden, wie das Kriegsende des StRA am Standort Berlin verlief.211
BA R3102 3589 F 12. Schon im Mai 1944 hatte Werner in einem Brief an Tetzlaff wegen der zunehmenden Luftangriffe auf Berlin eine Ausweichstelle zur Auslagerung des geheimen Materials und zur konzentrierten Arbeit erbeten. Die Leitstelle befand sich im Zentrum Berlins, in der Klosterstraße. Offensichtlich wurde seine Bitte nicht erfüllt. BA R3102 3588 F 8. 208 Ebd. Werner im Februar 1945. 209 Den Band habe ich nicht im Bundesarchiv gefunden. Im Wagenführ-Archiv (BWB N10 Bü32) sind Teile vorhanden. 210 BA R3102 3589 F 5. 211 Jacobs (1971, S. 308 f.) verwendete u. a. auch Marie Stössels (Beschäftigte im StRA) Aufzeichnungen zwischen dem 13. und 21. April 1945. 206 207
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V
Das volkswirtschaftlich-statistische Informationssystem des Reichswirtschaftsministeriums 1944/45
Die Pläne, die seit dem Spätsommer/Herbst 1944 zur „Gestaltung einer künftigen nationalsozialistischen Friedenswirtschaft“1 im RWM entwickelt wurden, gingen davon aus, dass die Reichsregierung und damit auch das RWM als politische Institutionen selbst im Fall einer totalen Niederlage weiter bestehen würden. Erst ab Ende Januar/ Anfang Februar 1945 wurde nach einer bedingungslosen Kapitulation mit dem Ende einer deutschen Zentralregierung gerechnet.2 In diesem Kapitel geht es vor allem um das Vorhaben des RWM, mit Blick auf die Nachkriegszeit die gesamte deutsche Wirtschaftsforschung unter der Ägide des Ministeriums zu zentralisieren. Mit seinem volkswirtschaftlich-statistischen Informationssystem sollte letztlich die europäische Wirtschaftsordnung, auch nach dem Krieg selbstredend unter deutscher Oberhoheit, gelenkt werden. Diese volkswirtschaftliche Lenkungszentrale des Ministeriums wäre allerdings schwerlich mit einer Wiedereinführung der Marktwirtschaft vereinbar gewesen, wie sie dem RWM unter Ohlendorf vorgeschwebt haben soll.3 Das volkswirtschaftliche Referat (Abteilung II/1)
Mit der Gründung des Planungsamts4 und der Übersiedlung der Hauptabteilung II des RWM in das von Speer geleitete Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion (RMRuK) büßte das RWM wesentliche der seit Mitte der 1930er Jahre erworbenen Mitwirkungskompetenzen in der Kriegswirtschaft ein. Jedoch hebt Herbst
Naasner 1994, S. 446. Herbst 1982, S. 346; Roth 1996, S. 596 f. Streb 2016, S. 610. Zur Diskussion über wirtschaftspolitische Konzeptionen für die Nachkriegszeit siehe Abelshauser 2004, S. 89 ff. 4 Führererlass vom 2. September 1943. Boelcke 1983, S. 297. Zu den Aufgaben des Planungsamts siehe den Erlass des zuständigen Ministers (Speer) vom 16.9.1943, BA R3102 3589 F 46 ff. 1 2 3
Das volkswirtschaftliche Referat (Abteilung II/1)
hervor, dass nach der Neuorganisation des Ministeriums im November und Dezember 1943 alle klassischen wirtschaftspolitischen Zuständigkeiten, über die das Ministerium am Ende der Weimarer Republik, also zu Friedenszeiten, verfügt hatte, erhalten geblieben waren. Aus der Perspektive der künftigen Friedenswirtschaft sei der Kompetenzbereich des Ministeriums sogar gestärkt worden, da ihm mit dem Erlass vom 2. September 1943 explizit die Zuständigkeit für wirtschaftspolitische Grundsatzfragen übertragen wurde.5 Im reorganisierten RWM übernahm der SS-Brigadeführer Ohlendorf6 (Chef des SD-Inland und Hauptabteilungsleiter im RSHA) parallel zu seinen bisherigen Funktionen bei der SS als stellvertretender Staatssekretär ab November 1943 die neue Hauptabteilung II, die alle Grundsatzreferate des RWM zusammenfasste.7 Mit dem Septembererlass war das RWM zudem für alle annektierten und besetzten Gebiete zuständig, so dass es sich unter Ohlendorfs Führung konsequenterweise grundsätzlich auch mit der Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene befasste.8 Ordnungspolitisch wurde im RWM zwar ein Gegenpol zur straffen staatlich gelenkten Kriegs- und Planwirtschaft Speerscher Prägung aufgebaut.9 Jedoch ging auch das RWM als Führungsministerium10 selbstverständlich von einer staatlichen Lenkungskompetenz11 unter seiner Federführung bei der Organisation der Nachkriegswirtschaft12 aus, so dass erklärbar wird, warum im Ministerium trotz der absehbaren Kriegsniederlage zukunftsorientiert mit einer „Zentralstelle für Wirtschaftsforschung“13 an einem volkswirtschaftlich-statistischen Informationssystem als wirtschaftspolitisches Lenkungsinstrument geschmiedet wurde. Im RWM steuerte man im Herbst 1944 also keineswegs eindeutig auf eine „Wiedereinführung einer marktwirtschaftlichen Ord-
Herbst 1982, S. 261. Zu Details siehe ebd. S. 261 ff.; Streb 2016, S. 548 f. Im RWM selbst gab es allerdings sehr wohl die begründete Furcht, dass das Ministerium dem totalen Kriegseinsatz zum Opfer fallen und ganz aufgelöst werden könnte. Boelcke 1983, S. 306 f.; Herbst 1982, S. 344. 6 Zur Biografie Ohlendorfs siehe Herbst 1982, S. 182 ff., 259, 269 u. pass.; Boelcke 1983, S. 300 ff.; Boberach 1999; Wistrich 1983, S. 200 f. Nach einer Aktennotiz des RWM vom 13.12.1944 (BA R3101 32119) wird Ohlendorf als „SS-Gruppenführer“ bezeichnet. Er war also in der Rangordnung der SS aufgestiegen. 7 Nach Herbst (1982, S. 187) wurde Ohlendorf heimlicher RW-Minister. Seine Vorgesetzten, der Minister Funk und Staatssekretär Hayler, gelten gemeinhin als schwach. 8 Herbst 1982, S. 272. Ohlendorfs Grundsatzreferat hieß: „Grundsätzliche Fragen der Wirtschaftspolitik im Reich und im europäischen Raum“. Ebd. S. 291. Siehe auch Boelcke 1983, S. 305 f. und Streb 2016, S. 549. 9 Herbst 1982, S. 276 ff.; siehe auch Roth 1996, S. 580 ff. und Naasner 1994, S. 446. 10 Siehe Lücks Ausführungen vom 18.8.1944, BA R3101 32131 F 5. 11 Zu den ordnungspolitischen Vorstellungen im RWM siehe Herbst 1982, S. 300 ff.; 337 ff.; 437 ff. Dagegen die Auffassung des Planungsamtes (Kehrl), ebd. S. 339; 437 ff. Zur ordnungspolitischen Diskussion und zur Fortführung der NS-Bewirtschaftungsmaßnahmen nach 1945 in den Westzonen siehe Abelshauser 2004, S. 89 ff. 12 „Auch der Ordoliberalismus der Freiburger Schule um Franz Böhm und der Reformliberalismus eines Alfred Müller-Armack oder Ludwig Erhard, der schon 1933 die Umrisse der später so genannten sozialen Marktwirtschaft erkennen ließ, sahen nach der Katastrophe der frühen dreißiger Jahre in einem « starken Staat » die Voraussetzung, um der von ihnen konzipierten Ordnungspolitik die notwendige Geltung zu verschaffen.“ Abelshauser 2004, S. 59, 92 ff. 13 Siehe die Akte BA R3101 32119. 5
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Das volkswirtschaftlich-statistische Informationssystem des Reichswirtschaftsministeriums
nung in der Nachkriegszeit“14 zu, vielmehr sollte das RWM zu einem „Wirtschaftsforschungsministerium“ entwickelt werden, um „Aufgaben einer wirklich zentralen Wirtschaftsplanung und Wirtschaftsforschung“ nachzukommen.15 Neben dem Aufbau einer Forschungsinfrastruktur mit einer umfassenden Bibliothek und einem Wirtschaftsarchiv sollte in Kooperation mit allen einschlägigen Wissenschaftlern an den Universitäten und Forschungsinstituten, mit anderen staatlichen Stellen und Privatunternehmen das Grundsatzreferat des RWM zur volkswirtschaftlichen Lenkungszentrale Deutschlands und der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unter deutscher Führung fortentwickelt werden.16 Der Einbindung des StRA kam besondere Bedeutung zu, weil sie den umfassenden Zugriff auf fast alle relevanten Wirtschaftsstatistiken sicherte. Damit konkurrierte das RWM natürlich mit dem Speerschen Planungsamt, das in der Endphase des Regimes auf die laufende Zulieferung der Planungsdaten vom StRA angewiesen war. Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung, und damit zentrale Figur für Ohlendorfs auf die Nachkriegszeit gerichtete Pläne wurde Willy Lück (zugleich Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung in Leipzig).17 Der „Arbeitsbericht des Referats II/1 Dr. Lück von Mitte August bis Mitte Oktober 1944“, der am 21. Oktober 1944 verfasst wurde,18 gibt beredt Auskunft über die weitgesteckten Ambitionen. Als oberste Zielsetzung galt die „Erforschung der Probleme und wissenschaftlichen Fundierung der zentralen Wirtschaftslenkung in Gegenwart und Zukunft“19 und die „Herstellung einer Verbindung von Wissenschaft und Praxis.“ Acht Einzelziele und konkrete Aufgaben wurden genannt: 1. 2. 3. 4.
Schaffung eines zentralen Forschungsarchivs im RWM20, Ausbau der Bibliothek als Bücherei einer für die Wirtschaftspolitik zentral führenden Obersten Reichsbehörde, Zentrale Lenkung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsarbeit und Schaffung eines Überblicks über den Stand der Forschung, Herstellung von Verbindungen mit Forschungsinstituten und Wissenschaftlern.21
So Streb 2016, S. 610. Herbst (1982, S. 447) zitiert Ohlendorf aufgrund der Akten im Januar 1945. Herbst 1982, S. 279, 445 ff. Herbst 1982, S. 445; Roth 1996, S. 573, 582 ff. Siehe die biografische Skizze über Lück im Anhang. BA R3101 32121 F 49–50. Siehe an anderer Stelle auch Lücks langen „systematisch methodischen Aufriß“ vom 29.8.1944 zur „Wirtschaftslenkung als wirtschaftswissenschaftliche Forschungsaufgabe“. BA R3101 32131 F 9–16. 20 Siehe die umfangreichen Ausführungen von Lück vom 20.11.1944 (BA R 3101 32121 F 77–81). Hier wird gefordert, die Mitarbeit des StRA zu klären, „wie weit das dortige Material einen Grundstock“ für das geplante „Wirtschafts- (Forschungs-) Archiv“ abgeben könne. Zudem sei Eile geboten, damit „das Rüstungsministerium uns nicht zuvorkommt.“ 21 BA R3101 32121 F 49–50. 14 15 16 17 18 19
Das volkswirtschaftliche Referat (Abteilung II/1)
Die weiteren Punkte betrafen die Schaffung von Querverbindungen im RWM, eigene Mitarbeit bei wirtschaftspolitischen Fragen, die Zuarbeit für Ohlendorf und selbst zu vergebende „konkrete einzelne Forschungsaufträge“. Werden die in der Folgezeit getroffenen Absprachen mit dem StRA hier mitgedacht,22 dann schälten sich schon die Konturen eines Reichsmonopols für die Lenkung der gesamten deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Forschung, gestützt auf ein neu zu schaffendes zentrales volkswirtschaftlich-statistisches Informationssystem (Bibliothek, Archiv, Ressourcen des StRA) deutlich heraus. Diese großsprecherischen Pläne des RWM im Herbst 1944 sind kaum mit der personellen Ausstattung des Referats und mit der bis Mitte Oktober 1944 geleisteten Arbeit in Einklang zu bringen: Es bestand aus dem Leiter (Lück) und zwei gerade eingestellten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen (Pichmann und Hane, beide „Frl. Dipl. Volkswirt“) unterstützt von nicht einmal zwei Schreibkräften.23 Aus der bisherigen Tätigkeit des gerade geschaffenen Referatswird als mitteilenswert erachtet, dass die Zimmer eingerichtet, Akten und sonstige Mappen für die laufende Korrespondenz angelegt und rund 115 Briefe nach auswärts gegangen waren. Bisherige Ergebnisse der Arbeit in Hinblick auf die konkreten Aufgaben umfassten eine Reihe von engen Verbindungen oder Fühlungnahme mit wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten (z. B. Institut für Weltwirtschaft Kiel, Institut für Großraumwirtschaft Heidelberg, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin). Obwohl das Referat II/1 dürftig ausgestattet war, entfaltete es unter Führung Lücks und des umtriebigen Ohlendorf eine auf den ersten Blick merkwürdige Sogwirkung auf Wissenschaftler, Universitäten und Forschungsinstitute, Wirtschaftsführer und andere Reichsbehörden wie das StRA.24 Bevor auf diese Außenkontakte eingegangen wird, ist zunächst das RWM selbst zu betrachten.25 Während das Referat II/1 konkret die Totalerfassung und Sammlung sämtlicher Wirtschaftsdaten und wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsergebnisse aller relevanten Institutionen („Institute, Behörden, wirtschaftliche Selbstverwaltungen, Firmen usw.“)26 plante, wurde an anderer Stelle des RWM eine umfassende InstruAus Lücks Entwurf für das Wirtschaftsarchiv vom 20.11.1944 (BA R 3101 32121 F 77) geht hervor, dass im Herbst 1944 noch keine Kontakte mit dem StRA aufgenommen worden waren. 23 Herbst (1982, S. 445, Fußnote 404, S. 446) zieht allerdings den Arbeitsbericht 9.1.45 heran: „Lück verfügte über einen kleinen Stab von akademisch vorgebildeten Volkswirten“. Zum 1. Dezember hatte das Referat allerdings noch Mitarbeiter von Otto Donner, dessen Funktion bei der französischen Regierung sich aufgrund der Befreiung Frankreichs erledigt hatte, übernommen. 24 In den drei Monaten vom 23.12.1944 bis zum 22.3.1945 weist das Verzeichnis 128 eingegangene Briefe aus. BA R3101 32126. 25 Dazu auch Herbst (1982, S. 446 ff.), der teilweise dieselben Archivalien heranzog. 26 Entwurf Lücks für das „Wirtschafts- (Forschungs-) Archiv“ vom 20.11.1944 (BA R 3101 32121). Ähnliche Pläne unter dem Stichwort „Volkswirtschaftlicher Nachrichtendienst“ wurden zuvor auch schon im Planungsamt des Speerschen Ministeriums entwickelt. Mit Donner, Jacobs, Langelütke waren zum Teil dieselben Personen angesprochen wie im RWM. Siehe den Entwurf vom 12.1.1944. BA R3 1658 F 14 f. 22
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Das volkswirtschaftlich-statistische Informationssystem des Reichswirtschaftsministeriums
mentalisierung der „nationalökonomischen Wissenschaft […] für die Zwecke der Wirtschaftspolitik“ konzipiert.27 Dabei trat Min. Rat Josten stark für eine empirische Fundierung zu Lasten der Wirtschaftstheorie ein. Als Problem stellte sich für ihn dann die Datenmobilisierung heraus: Durch „Geheimhaltungspflichten [seien] ganze Wirtschaftsbereiche ihrem [der Wissenschaft] Einblick entzogen. […] [Wenn] ihr überhaupt statistisches Material zur Verfügung steht, bezieht es sich in der Regel auf tatsachenmäßig bereits weit überholte Zeiträume. Eine enge Berührung mit der Praxis […] fehlt ihr.“ Auf der anderen Seite beklagte Josten das Theoriedefizit des „wirtschaftspolitischen Praktikers“. Nicht zuletzt sei dieser Mangel auch der Wissenschaft selbst anzukreiden, denn: „Die Dynamik von Lenkungsmaßnahmen innerhalb einer totalen staatlich gelenkten Wirtschaft hat die Wissenschaft noch nicht erforschen können.“ Aus den diagnostizierten Defiziten leitete Josten einen Allmachtanspruch zur Lenkung und Kontrolle ab: „Um ein Hand-in-Hand-Arbeiten von Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftspolitik allmählich zu erreichen und so beider Wirkungsgrad im Interesse des Volksganzen zu erhöhen, bedarf es einer Einrichtung, die nach Art eines Katalysators Theoretiker und Praktiker zu gegenseitiger Ergänzung und Befruchtung zusammenführt.“ Danach beschreibt er etliche konkrete Aufgaben, u. a.: „Durchleuchtung und Rationalisierung der wissenschaftlichen Tätigkeit […] durch Einführung eines Meldewesens, dem alle wissenschaftlichen Einrichtungen angeschlossen sind und das die wirtschaftlichen Themen zum Gegenstand hat, mit denen Wissenschaftler, Institute, Fakultäten usw. aus eigenem Antrieb oder in fremdem Auftrag befaßt sind, einschließlich der Doktoranden gestellten Aufgaben. […] Anbahnung einer Arbeitsteilung und Spezialisierung der bestehenden Institute usw. auf volkswirtschaftlichem Gebiet. […] Ausrichtung der Grundlagenforschung auf wirtschaftspolitisch dringliche Aufgaben in der Weise, daß der Forschung bestimmte Aufgaben gestellt werden.“28 Vor allem durch die Zusammenarbeit mit dem StRA wurden noch kurz vor Kriegsende die Pläne des Referats II/1 vorangetrieben: Am 10. Februar 1945 hatten sich Ohlendorf und Lück mit den Vertretern des StRA Jacobs29 und Hartmann getroffen, um über „die Wissenschaftliche Abteilung und das Generalarchiv des RWM“ zu sprechen.30 Das Protokoll beginnt mit einem beschwörenden Appell: Das Endziel einer Erhaltung und Förderung der deutschen Wirtschaftsforschung und einer Zusammenführung dieser Forschung mit den wirtschaftspolitischen Führungsaufgaben, um die Forschung mit den wirtschaftspolitischen Problemen der Führung vertraut
Siehe die Ausarbeitung des Ministerialrats Josten vom 9.11.1944. BA R3101 32121 F 66–67. Ebd. Zu Jacobs siehe die biografische Skizze im Anhang. Im Geschäftsverteilungsplan des StBA vom 26.2.1951 tauchte Hartmann in der Abteilung II, Referat 5 „Auslandsstatistik“ als leitender Referent auf, BA Ko B128 GVPL 1. 30 Siehe Vermerk vom 13.2.1945 (BA R3101 32121 F 140–142). 27 28 29
Das volkswirtschaftliche Referat (Abteilung II/1)
zu machen und sie zu Untersuchungen anzuregen, welche der Führung als informatorische Unterlagen für ihre Entschließungen dienen können, darf keinen Augenblick aus dem Auge verloren werden.31
Zugleich ging es um praktische Dinge, wie die Aufforderung zum baldigen Vorsprechen eines Sachverständigen des „geltenden deutschen Konzernrechts“ beim „Gruppenführer“ Ohlendorf. Im Folgenden seien zwei weitere Maßnahmen angeführt: Auf dem Gebiet des Informations- und Archivwesens wird als Schwerpunktaufgabe die Fortführung und Intensivierung der Auslandsinformation durch Presse, Zeitschriften und Buchauswertung sowie Ausnutzung der Abhördienste, Agentenmeldungen usw. anerkannt. Für diese Aufgabe soll der augenblicklich in Wünsdorf untergebrachte Apparat (Auslandsarchiv des Stat. Reichsamts) herangezogen und sinnvoll verstärkt werden. Besonderes Gewicht ist u. a. auf die Beobachtung der Entwicklung in den vom Feind beherrschten Ländern Europas zu legen. Als eine dieser Schwerpunktaufgaben [der Wissenschaftlichen Abteilung und des Generalarchivs des RWM, R. F.] wird die deutsche regionale Statistik anerkannt. Es muß durch Zusammentragung der bei den einzelnen Abteilungen des Stat.Reichsamtes und bei anderen Dienststellen vorhandenen Daten ein tabellarisches Handbuch geschaffen werden, aus dem im Fall plötzlich auftretender Gebietsverluste oder aber Gebiets-Rückeroberungen sofort zu ersehen ist, was diese Gebiete bevölkerungsmäßig, ernährungswirtschaftlich und gewerblich bedeuten.32
Als Datenzulieferer könne die Außenstelle Weimar des StRA dienen, für den gewerblichen Bereich müssten die Selbstverwaltungskörperschaften der gewerblichen Wirtschaft herangezogen werden. Auch das Planungsamt sei „an einer regionalen Industriestatistik hervorragend interessiert.“ Weder die Statistische Leitstelle noch die Planstatistik Wagenführs verfüge über aktuelle Regionaldaten. Kernstück des letztlich nicht mehr verwirklichten33 volkswirtschaftlich-statistischen Informationssystems sollten Wirtschaftsstatistiken sein, so dass die Kooperation mit dem StRA hier ausführlicher dargelegt wird, nachdem Partner mit ihrer Vorgeschichte kurz angesprochen werden.
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Ebd. Ebd. Roth 1996, S. 584.
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Das volkswirtschaftlich-statistische Informationssystem des Reichswirtschaftsministeriums
Initiative und Einbindung der deutschen Industrie
Planungen für die Nachkriegszeit waren eigentlich in den letzten beiden Kriegsjahren verboten.34 Im Frühjahr 1944 hatte sich aber ein Arbeitskreis unter Federführung des stellvertretenden Leiters der Reichsgruppe Industrie Rudolf Stahl (Stahl-Kreis) gebildet, der sich mit dem Übergang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft beschäftigte. Ludwig Erhard, der spätere Wirtschaftsminister und Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, war Mitglied des Arbeitskreises. Er hatte im Frühjahr 1944 eine umfangreiche Denkschrift über „Kriegsfinanzierung und Schuldenkonsolidierung“ vorgelegt, wahrscheinlich war die Arbeit daran seit Sommer 1943 von der Reichsgruppe Industrie angeregt worden.35 Ausgehend von dieser Denkschrift erörterte der Stahl-Kreis die wirtschaftliche Demobilisierung.36 Ergebnisse des Arbeitskreises wurden führenden Industriellen Ende August/Anfang September 1944 zugänglich gemacht.37 Gegenüber Behörden war der Stahl-Kreis dagegen wegen der untersagten Beschäftigung mit Nachkriegsproblemen zunächst zurückhaltend. Zu tastenden Annäherungen des Kreises an Ohlendorf kam es erst im November/Dezember 1944.38 Einige Monate vorher, im August 1944, hatte der Leiter der Außenwirtschaftsabteilung der Reichsgruppe Industrie, Karl Albrecht, allerdings schon Besprechungen mit dem RWM (Ohlendorf und Lück) über Außenwirtschaftsfragen geführt, ohne dass der Stahl-Kreis als solcher erwähnt worden war.39 Aus dem Stahl-Kreis waren schon Arbeitsgruppen mit kompetenten Vertretern aus Politik und Wirtschaft hervorgegangen, z. B. der Arbeitskreis für Außenwirtschaftsfragen (AAF).40 Er wurde im März 1944 gegründet; seine letzte Sitzung fand im Februar 1945 statt. Ihm gehörten prominente Vertreter der Privatwirtschaft an, auch solche, die später die Wirtschaft im Nachkriegsdeutschland prägten, z. B. die Bankiers Hermann Josef Abs und Karl Blessing. Das
Erneut im Führererlass vom 25.7.1944 bekräftigt, Herbst 1982, S. 389. Zu den folgenden Ausführungen siehe ebd. S. 387 ff.; zum Stahl-Kreis siehe mit anderer Akzentuierung als Herbst auch Roth 1996, S. 585 ff. 35 Herbst 1982, S. 385. Dort ist auch der Verweis auf die Veröffentlichung (Faksimiledruck) im Jahr 1977. 36 Zur Rolle Ludwig Erhards siehe Herbst (1982, S. 383 ff.) und Roth (1996, S. 548 ff.; zur Denkschrift, ebd. S. 556 ff.). Siehe das Protokoll einer Besprechung zwischen Stahl, Erhard und Grünig vom 5.5.1944 (BA R11 2171 F 431–433): Es ging um eine Stellungnahme zur Erhardschen Denkschrift und Beratung über die „spätere Umstellung der Kriegswirtschaft auf die Friedenswirtschaft.“ In der Akte befindet sich auch ein langer Brief (Kommentar) von Pietzsch (Reichswirtschaftskammer) an seinen Mitarbeiter Grünig über dieses Protokoll (ebd. F 429 f.). 37 Herbst 1982, S. 387. Siehe (ohne Datum) „Reichsgruppe Industrie Programm für die Bearbeitung wirtschaftlicher Nachkriegsprobleme vom Standpunkt der Industrie“ BA R11 2171 F 434–436 RS. Der zweiseitige Arbeitsplan verzeichnet als Bearbeiter u. a. Erhard und Grünig. 38 Herbst 1982, S. 389; Roth 1996, S. 588. Stahl leitete im November 1944 weitere Ausarbeitungen der Erhardschen Denkschrift und zusätzliches Material des Arbeitskreises an Ohlendorf weiter und vermittelte direkte Kontakte zwischen Ohlendorf und Erhard. Siehe Brief Stahls an Ohlendorf vom 14.11.1944, BA R3101 32131 F 44. 39 Herbst 1982, S. 388; Roth 1996, S. 573. 40 Herbst 1982, S. 352 ff.; Roth 1996, S. 537 ff. 34
Initiative und Einbindung der deutschen Industrie
RWM wünschte, dass die Privatwirtschaft ihre außenwirtschaftlichen Kontakte zur Vorbereitung von Vertragsverhandlungen mit anderen Ländern nutzte. Darüber hinaus sollte in Ländermappen alles Wissenswerte, z. B. Wirtschaftsstatistiken, zusammengetragen werden, Ländersachverständige sollten ihre Expertise einbringen und kompetente Wirtschaftswissenschaftler (z. B. vom DIW und dem Institut für Weltwirtschaft in Kiel) sollten die Industrieentwicklung im Ausland beobachten und die Rohstofflage analysieren. Die volkswirtschaftliche Abteilung der IG Farben, die schon seit 1929 Statistiken gesammelt hatte, sollte diese auch dem RWM zur Verfügung stellen. Diese Einbindung der Privatwirtschaft passte genau in Ohlendorfs und Lücks Konzept eines volkswirtschaftlich-statistischen Informationssystems. Darüber hinaus fällt beim Außenwirtschaftskreis (AAF) die verblüffende Parallelität zu Kehrls (Leiter des Planungsamtes im Speer-Ministerium) Europakreis auf.41 Dieser Kreis existierte schon länger als der AAF und überschnitt sich sowohl personell (Abs, Blessing)42 als auch thematisch mit Plänen und Aktivitäten des AAF bzw. des RWM. In einer Ausarbeitung, wohl von Kehrl selbst, „für Europakränzchen am 16.12.43 im Esplanade“ heißt es u. a. stichwortartig über das Ausland:43 „Ziele: Sammeln präziser Informationen. […] Für die Arbeit notwendig: 1.) Sammlung und Auswertung allen statistischen Materials in Instituten, Dienststellen, Stat. Reichsamt, Lenkungsstellen, OKW, Rü-Amt.“ Wie beim AAF wurden Experten für die einzelnen Länder benannt, z. B. Abs für Holland.44 Somit waren Ohlendorfs und Lücks Ambitionen weder originell noch war ihre Orientierung auf die Nachkriegswirtschaft einzigartig, denn auch Kehrls Europakreis konzipierte seine europäische Wirtschaftsordnung kriegsüberschreitend, selbstredend unter deutscher Führung.45 Zum Arbeitsplan des Stahl-Kreises für die Nachkriegswirtschaft gehörte die Materialbereitstellung mit der Aufarbeitung von Wirtschaftsstatistiken.46 Hierfür war als
Ausführlich dazu Roth 1996, S. 532–536, 538. Siehe „Protokoll Nr. 4 der Monatsbesprechung“ des Arbeitskreises vom 30.4.1944 mit Blessing und Abs als Teilnehmern (BA R3 1941 F 29). 43 BA R3 1941 F 173–178. 44 Siehe den „Arbeitsplan für Europakreis“ BA R3 1941 F 245–250. Nach einer Bereisung der Niederlande klagte Abs am 30.5.1944 im Arbeitskreis: „Nach wie vor gibt es in den Niederlanden ein Heer von „untergetauchten“ Arbeitslosen, die sich mit Erfolg einem Einsatz in Deutschland zu entziehen verstehen und aus denen sich die in letzter Zeit gelegentlich aufgetauchten Terrorbanden rekrutieren.“ Ebd. F 32. 45 Siehe die umfangreiche Akte mit weiteren Protokollen und weiteren einschlägigen Schriftstücken (BA R3 1941), z. B. auch den Vortrag von Funk über „Das wirtschaftliche Gesicht des neuen Europa“ vom 15.1.1942, also noch vor der Gründung des Europakreises. (BA R3 1941 F 213–243). In der Sitzung von Ende Mai 1944 wurde diskutiert, wie die mit Deutschland Handel treibenden Unternehmen aus neutralen Staaten, verzeichnet in „schwarzen Listen der Feindstaaten“, nach dem Krieg vor alliierten Repressionen geschützt werden könnten. Selbstverständlich wurde davon ausgegangen, dass es nach dem Krieg einen „unter deutscher Kontrolle stehenden kontinentaleuropäischen Raum“ gäbe, ebd. F 33. Siehe dazu auch Roth 1996, S. 524 ff. (zum „Europa-Kreis“, S. 532 ff.). Zu entsprechenden Äußerungen Hitlers bereits 1934 siehe Kilian 2017, S. 38 ff. 46 Roth 1996, S. 591 f. Siehe auch die Liste mit präzise definierten Aufgaben, die Stahl im November 1944 Ohlendorf überreicht hatte. Grünig war betraut mit dem „Aufbau des deutschen Staatshaushalts nach dem 41 42
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Das volkswirtschaftlich-statistische Informationssystem des Reichswirtschaftsministeriums
Mitglied dieses Kreises vor allem Ferdinand Grünig von der Reichswirtschaftskammer zuständig, der sich mit der Konzeption und Erstellung von volkswirtschaftlichen Bilanzen, einer Art volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung, für das Deutsche Reich beschäftigte.47 Grünig bestand darauf, dass der Weg zu einer Friedenswirtschaft neben den wirtschaftspolitisch-konzeptionellen Vorstellungen Erhards empirisch durch die Erhebung statistischer Daten für eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung abgesichert und gestützt sein müsse.48 Grünig trug sein Anliegen im November 1944, unabhängig vom Stahl-Kreis, direkt der Abteilung II/1 des RWM vor.49 Seine Vorstellungen trafen bei Ohlendorf und Lück sicherlich auf offene Ohren, denn Ende Oktober 1944 hatten die beiden das „Programm einer Bearbeitung von Wirtschaftsbilanzen“ erörtert, das für den „Wiederaufbau“ in der Nachkriegszeit zwar von Otto Donner konzipiert gewesen sein dürfte, jedoch mit dem Instrument der wirtschaftsstatistischen Bilanzen deutlich an Grünigs Ansatz zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung angelehnt war.50 Das Gespräch mit Grünig51 „betraf das Problem, wie die Statistik in Deutschland so einheitlich zu lenken ist, dass sie für die wirtschaftspolitischen Planungen brauchbar wird“. Weiterhin führte Grünig aus: Gegenwärtig bestehen folgende Hauptstellen der zentralen Wirtschaftsstatistik: 1) Das Planungsamt im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, das sich im Wesentlichen mit der Industriestatistik (Produktionsstatistik) befasst (Dr. Wagenführ). 2) Das Statistische Reichsamt, das gegenwärtig ohne wirtschaftspolitische Führung arbeitet. 3) Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung von Professor Wagemann. 4) Die volkswirtschaftliche Abteilung der Reichsbank. 5) Die Industrieberichterstattung der Reichsgruppen der gewerblichen Wirtschaft.
Kriege, mit denen der Autor gleichzeitig eine schätzungsweise Aufgliederung der Erzeugungs- und Verbrauchsstruktur vorzunehmen sucht.“ BA R3101 32131 F 46 f. Nach Herbst (1982, S. 389, Fußnote 166) soll es sich um ein Exposé von Erhard gehandelt haben, das Stahl im Brief vom 14.11.1944 an Ohlendorf angekündigt hatte. 47 Grünig arbeitete auch mit dem Planungsamt des RMRuK zusammen, Herbst 1982, S. 385, 397; siehe auch Roth 1996, S. 554, 559, 592 ff. 48 Roth 1996, S. 559 f.; siehe Grünigs Entwurf vom 29.6.1944 über „vorbereitende Arbeiten für die wirtschaftliche Demobilmachung und für die Ordnung der Friedenswirtschaft“ (BA R11 2171 F 452–462), die er am selben Tag an Präsident Pietzsch von der Reichswirtschaftskammer mit einem Begleitbrief geschickt hatte (ebd. F 437). 49 Siehe hierzu den „Vermerk“ über die Besprechung vom 9.11.1944 BA R3101 32131 F 42; Herbst 1982, S. 389 f. zieht dasselbe Dokument heran. 50 BA R3101 32131 F 24 f. 51 BA R3101 32131 F 42.
Initiative und Einbindung der deutschen Industrie
Alle diese Stellen arbeiten teilweise nach eigenen Methoden, sowohl in der Erhebung wie in der Aufbereitung des Materials. […] Es wird zum Teil den wirtschaftspolitischen Zielen, insbesondere den Fernzielen der Nachkriegszeit noch zu wenig Beachtung geschenkt. Es mangele an Zusammenarbeit, so dass Doppelarbeit nicht zu vermeiden ist.52
Entsprechende Klagen über die Zersplitterung der Wirtschaftsstatistik gab es schon in den 1930er Jahren. Deshalb war als Koordinierungsinstanz schon 1939 der bereits angesprochene „statistische Zentralausschuss“ gebildet worden. Allerdings bemängelte Grünig: „Der statistische Zentralausschuss, der seit 1939 besteht und die Aufgabe hat, sämtliche statistische Erhebungen zu überwachen und aufeinander abzustimmen, konnte hier bisher keine Abhilfe schaffen.“53 Einige der Aussagen sind natürlich Grünigs eigenem Profilierungsstreben zuzurechnen. Darüber hinaus setzten die genannten Stellen zu Recht abweichende Schwerpunkte mit ihrem unterschiedlichen Umgang mit Wirtschaftsstatistiken: Während das StRA vor allem Daten erhob und für Nutzer aufbereitete, war z. B. das DIW primär mit der Analyse und Auswertung der von anderen bereitgestellten wirtschaftsstatistischen Daten beschäftigt.54 Die Tätigkeit des Instituts [DIW, R. F.] grenzt sich scharf gegenüber der Arbeit der statistischen Erhebungsstellen ab. Es ist im Allgemeinen nicht Aufgabe des Instituts, selbst statistische Erhebungen durchzuführen, und auch nur in Ausnahmefällen hat es statistisches Urmaterial aufzuarbeiten. Eine solche Ausnahme bilden die umfassenden und methodisch verfeinerten Statistiken, die das Institut im Auftrage des Planungsamtes zu bearbeiten hat. Es ist hier zum Teil für die statistische Behörde in die Bresche gesprungen.55
Ebd. Ebd. Der Ausschuss wurde zur Vereinfachung und Vermeidung von Doppelarbeit und wohl auch zur zentralen Kontrolle der wirtschaftsstatistischen Erhebungen am 13.2.1939 gebildet. Unter der Leitung des StRA waren in diesem Ausschuss Spitzenverbände der Wirtschaft vertreten: Er musste alle geplanten wirtschaftsstatistischen Erhebungen von Behörden und Organisationen genehmigen. Jacobs 1971, S. 292 f. Siehe das umfangreiche (10 eng beschriebene Seiten) Verzeichnis der genehmigten Erhebungen vom Herbst 1944: „Mitteilungen des Statistischen Zentralausschusses“, BA R3102 10961. 54 Herbst (1982, S. 435) gibt für das DIW selbst ein Beispiel. Es verglich im Juli 1944 die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen Deutschlands mit „England und Amerika“ und stellte fest, dass man in den „Feindländern“ methodisch und empirisch weiter als in Deutschland sei. „Im Augenblick besteht daher der paradoxe Zustand, dass wir z. B. über die Struktur des Volkseinkommens und der volkswirtschaftlichen Ausgaben bei unseren Feinden sehr gut, im eigenen Lande aber nur recht mangelhaft unterrichtet sind.“ (So das DIW, zitiert nach Herbst 1982, S. 435; das Zitat stammt aus dem Arbeitsprogramm des DIW, Juli 1944, siehe BA R3101 32126 F 44). Diese überzogene Aussage kann so nicht stimmen, denn das DIW berechnete schon das Volkseinkommen und seine Zusammensetzung bzw. Struktur (siehe im Anhang 1 das Referat von Bauer). Allerdings war in Deutschland das Konzept der Wertschöpfung (value-added) noch nicht für die Berechnung der volkswirtschaftlichen Gesamtgrößen angewendet worden. Siehe Fremdling/ Stäglin 2014a. 55 Aus „Arbeitsprogramm des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Juli 1944“, BA R3101 32126 F 41 f. Siehe auch das Gründungsprotokoll des If K bzw. DIW vom 16.7.1925: „zu der von einigen Kurato52 53
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Allerdings befasste sich das StRA selbst bald mehr und mehr mit auswertenden Arbeiten, die vorher noch unter Wagemann (er war bis 1933 Präsident beider Institutionen) pionierhaft vom Institut für Konjunkturforschung (später DIW) entwickelt worden waren.56 Vor allem während des Krieges wurde das StRA mit Sonderaufträgen nicht zuletzt über die besetzten Gebiete und „Feindstaaten“ überhäuft, obwohl gleichzeitig eingearbeitetes Personal zur Wehrmacht eingezogen wurde.57 Wie stark das StRA mit auswertenden Gutachten für Ministerien und andere Behörden tätig war, zeigt das Verzeichnis von Arbeiten einer Abteilung des StRA vom November 1944, das als Quelle (Anhang 2) beigefügt ist.58 Außerdem arbeitete das StRA als Zulieferer von Daten für das Planungsamt. Schließlich suchte auch das RWM eine Zusammenarbeit mit dem StRA. Im Übrigen dürften Grünigs Klagen aus dem autoritären Zeitgeist erwachsen sein, der eine totale technokratische Beherrschung durch eine Zentralisierung auch auf dem Gebiet der Wirtschaftsstatistik für machbar und erstrebenswert hielt. Vorstellungen von Arbeitsteilung zwischen konkurrierenden, aber auch kooperierenden Institutionen nach dem Muster komparativer Vorteile waren den Technokraten der Ohlendorf-Generation, die kollektiv in jungen Jahren Karriere im totalitären Regime gemacht hatten, offensichtlich fremd. Am 14. November 1944, nur wenige Tage nach der Besprechung, schrieb Grünig einen Brief an Ohlendorf, in dem er ihm seine Dienste anbot.59 Dem Schreiben hatte Grünig eine Ausarbeitung über die „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und das Volkseinkommen“ beigefügt.60 Lück hatte Grünig offensichtlich ermutigt, Ohlendorf die methodisch-statistischen Grundlagen der Berechnungen vorzustellen: Ohlendorf hätte „unter Umständen auch an dem Hauptteil der Arbeit, der methodischen Abhandlung, Interesse […], da ja der Volkseinkommensbegriff heute noch in der Wissenschaft und der Praxis völlig ungeklärt ist und es wohl zu den grundlegenden Aufgaben der Fertigung künftiger Wirtschaftsübersichten gehören wird, hier klare Begriffe zu schaffen.“ Grünig verwies in dem Schreiben darauf, dass er auch „die Herren des Planungsamtes riumsmitgliedern gestellten Frage nach der Abgrenzung der Aufgaben des neuen Instituts von derjenigen des Statistischen Reichsamts führt Präsident Wagemann aus, dass die Notwendigkeit der Schaffung des Instituts u. a. daraus erwachsen sei, dass das Statistische Reichsamt gewisse im Interesse der Allgemeinheit, insbesondere der Wirtschaft, liegende notwendige Aufgaben der Auswertung der Statistik für Wissenschaft und Praxis nicht übernehmen könne.“ BA R2501 6834 (64,4). 56 Jacobs 1971, S. 311. 57 BA R3102 3586 F 225–227. Sachgebiet VI.4 (Statistik des Volkseinkommens u. Volksvermögens) z. B. „Eingehende Untersuchung über die Höhe des belgischen Volkseinkommens als Unterlage für die Erhöhung der Steuern und zur Beurteilung der Fähigkeit Belgiens, Besatzungskosten zu zahlen. […] [und] des griechischen Volkseinkommens als Unterlage für die Verhandlung über die Besatzungskosten.“ 58 BA R3101 32121 F 173–179; zu den Arbeiten des StRA über die Wirtschaftsstatistiken der besetzten Gebiete im Mai 1941 vgl. BA R3102 3583 F 5–7. 59 BA R3101 32131 F 57. 60 Nicht in dieser Akte auffindbar. Möglicherweise handelte es sich um die Ausarbeitung im Bestand R3 des Reichsministeriums für Rüstungs- und Kriegsproduktion: BA R3 1965 F 30–62 (mir mitgeteilt von Jonas Scherner).
Wirtschaftswissenschaftliche und wirtschaftsstatistische Sachverständige
auf die grosse praktische Bedeutung klarer Begriffsfeststellungen bei volkswirtschaftlichen Bilanzrechnungen hingewiesen“ habe. Er glaubte, „dass neben dem Planungsamt das Reichswirtschaftsministerium, vielleicht auch die Reichsbank sowie das Reichfinanzministerium, Interesse an derartigen für die Kriegs- und Friedenswirtschaft gleichbedeutenden Aufgaben haben dürften.“ Grünig schloss den Brief mit: „Ich stehe für die Bearbeitung eines entsprechenden Auftrags persönlich gern zur Verfügung.“ Grünig, der Vorfechter einer wirtschaftsstatistischen Unterbauung der Nachkriegsplanung im Stahl-Kreis, kam bei der weiteren Einbringung wirtschaftswissenschaftlicher und wirtschaftsstatistischer Expertise in die Pläne des RWM allerdings nicht mehr zum Zuge.61 Für sein Sachgebiet hatten Ohlendorf und Lück Otto Donner vorgesehen. Bevor Vertreter des Stahl-Kreises an das RWM herantraten, hatte das RWM schon selbst die Initiative zur Einbindung einschlägiger Institute und Wissenschaftler in seine weitreichenden Pläne ergriffen. Zunächst sollen hier diese institutionellen und personellen Kontakte exemplarisch skizziert werden. Danach wird die Verbindung zum StRA ausführlich dargestellt. Wirtschaftswissenschaftliche und wirtschaftsstatistische Sachverständige
In diesem Abschnitt werden die volkswirtschaftlich-statistischen Forschungsinstitutionen und Forscher vorgestellt, mit denen die von Ohlendorf geleitete Grundsatzabteilung des RWM zusammen arbeiten wollte.62 Nach Roth war die „Frontstellung gegen das Planungsamt“ eine wesentliche Antriebsfeder, um die von Speer noch nicht eingebundene wirtschaftswissenschaftliche Expertise für das RWM zu gewinnen.63 Neben diesen Außenkontakten des RWM hatte Ohlendorf schon ausgewiesene Sachkenner in seine Abteilung geholt.64 So im Januar 1944 Wilhelm Lautenbach65, den Schacht 1934 aus dem RWM entfernt hatte, woraufhin er im StRA untergekommen war.66 Im RWM schrieb Lautenbach die berühmte Königsberger Rede, in der sich sein Dienstherr, Minister Funk, am 7. Juli 1944 mit der Bretton Woods Konferenz auseinandersetzte, die die Weichen für die Weltwirtschaftsordnung nach dem Krieg stellte.67 Roth 1996, S. 583. Das RWM konkurrierte auch hier mit dem Planungsamt, das die „empirische Wirtschaftswissenschaft“ seit dem Herbst 1943 im großen Stil für die Nachkriegsplanung einband. Siehe Roth 1996, S. 531 f. 63 Roth 1996, S. 583. 64 Boelcke 1983, S. 306. 65 Zur Biografie Lautenbachs siehe den Artikel von Jaeger 1982, S. 726 f. 66 Siehe den Brief des Reichswirtschaftsministers vom 27.10.1934 an den Präsidenten des StRA, in dem Lautenbach nach „§ 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 […] mit Wirkung vom 1. November 1934 in ein Amt der Besoldungsgruppe A 2 a beim Statistischen Reichsamt versetzt“ wurde. BA R3102 3577. 67 Boelcke vermutete die Autorenschaft Lautenbachs lediglich, sie lässt sich jedoch belegen. Ein Verzeichnis von Arbeiten, die im RWM (Abt. II/1; BA R3101 32121 F 32 RS) archiviert waren, führt Folgendes 61 62
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Schon im Winter/Frühjahr 1944 hatte Ohlendorf Otto Donner, der damals die Reichsregierung für Wirtschafts- und Finanzfragen bei der französischen Regierung in Paris vertrat, aufgefordert, sich Gedanken über ein zu gründendes „Weltwirtschaftsinstitut“ an der Berliner Universität zu machen. Im Schreiben vom 24. April 1944 nannte Donner sieben Themenkomplexe dafür: Beschäftigungspolitik, Währungsfragen, Aussenhandel, Öffentliche Finanzen, Kreditpolitik, fremde Volkswirtschaften und als Sofort-Arbeit eine gründliche Analyse der Zahlungsbilanz mit der Clearingproblematik.68 Die Kreditpolitik galt ausdrücklich als Instrument der Wachstums- und Konjunktursteuerung in der Nachkriegszeit: „Welche Möglichkeit bietet die Kreditpolitik für die Beherrschung des Investitionsvolumens nach dem Kriege und demgemäss als Mittel der Beschäftigungs- und Konjunkturpolitik?“ Donner schlug auch drei Wissenschaftler vor: Neben seinem eigenen Mitarbeiter, Erwin Dähne, waren das Eduard Wolf und Otmar Emminger69, beide vom DIW. Wolf „(Anfang 40, einer der wichtigsten derzeitigen Mitarbeiter von Wagemann; mit dem er sich aber nicht allzu gut steht)“ war damals als einziger kein aktiver Soldat. Im Herbst 1944 wurden im Referat II/1 konkrete Projekte zur Organisation des Wiederaufbaus erwogen, mit denen Otto Donner ebenfalls an hervorragender Stelle betraut werden sollte. Dazu gehörte das „Programm einer Bearbeitung von Wirtschaftsbilanzen“ im Oktober 194470 mit folgenden spezifischen Themen: Volkseinkommen und Volksverbrauch (Entwicklung der Gliederung des Sozialprodukts und seiner Verteilung auf die einzelnen Bedarfsträger); Kritik unserer Kriegsfinanzierung unter besonderem Hinweis auf die Konsequenzen der enormen Staatsverschuldung; Wege zur Liquidation des Geldüberhangs, sowohl gütermäßig als auch geldmäßig; Bilanzen über die sachliche Leistungsfähigkeit des Produktionsapparates für die Ernährung und für die Versorgung mit industriellen Gütern. Für den Wiederaufbau sollten die Ansprüche an den Produktionsapparat sektoral (Landwirtschaft, Industrie, Verkehrswesen und Wohnungswesen) und nach drei Dringlichkeitsstufen berechnet werden. Schließlich seien die wirtschaftspolitischen Folgerungen (Prinzipien und Etappen)
auf: „Dr. Wilhelm Lautenbach, 29. Juni 1944, „Entwurf einer Ansprache für den Herrn Reichswirtschaftsminister und Präsident der Deutschen Reichsbank Dr. Walther Funk, anlässlich der 400-Jahr-Feier der Universität Königsberg am 7. Juli 1944“: „Grundbemerkungen zur Ratio und Technik des Keynes-Planes und des neuen Währungsplanes der Feindmächte.“ Siehe dazu auch Herbst 1982, S. 306, Fußnote 226. Nach Roth (1996, S. 546, Fußnote 130) wurde die Rede allerdings von der volkswirtschaftlichen Abteilung der Reichsbank entworfen. 68 BA R3101 32121 F 1. 69 Nach dem Krieg war Emminger (geboren 1911) jahrzehntelang bei der Deutschen Bundesbank (zuletzt 1977–1979 als Präsident) tätig. Wolf war von 1929–1933 beim StRA und von 1934–1948 beim DIW. Danach arbeitete er bei der Bank deutscher Länder und der daraus hervorgehenden Bundesbank (Direktoriumsmitglied). Zu Wolf siehe Krengel 1985, S. 138 und Nützenadel 2005, S. 100, Fußnote 59. Bei Erwin Dähne handelt es sich möglicherweise um den Autor des 1965 im Knapp Verlag erschienenen Buches über „Inflationsbekämpfung in unserer Zeit“. 70 7.10.1944, BA R3101 32131 F 24 f.
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des Wiederaufbaues zu konzipieren. An der Art, wie hier auf umfassende Wirtschaftsstatistiken und davon abgeleitete Aggregate der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als Planungsgrundlage abgestellt war, ist die Handschrift Ferdinand Grünigs zu erkennen. Donners wissenschaftlicher und beruflicher Hintergrund71 und sicherlich auch ein persönlicher Kontakt zu Grünig erklärten seine Affinität zu dieser empirisch auf Wirtschaftsstatistiken fundierten volkswirtschaftlichen Rahmenplanung. Im Laufe des Frühjahrs und Sommers 1944 nahm das RWM Kontakte zu bestehenden Lehrstühlen und Instituten der Universitäten auf, um sie für wirtschaftspolitische Arbeiten einzubinden: Aus einem Vermerk vom 24. Juli 1944 ist ersichtlich, dass es neben „volkswirtschaftlichen Aufgaben“ auch um „betriebswirtschaftliche Themen“ und das „Wirtschaftsrecht“ ging.72 Konkret sollten z. B. Prof. Walb von der Universität Köln u. a. die „Verwendung der aufgelaufenen Bankguthaben nach dem Kriege“, Prof. Henzler von der Universität Frankfurt/Main „Kapital- und Gewinnbeteiligung der Gefolgschaft“ und die „Welthandelshochschule Wien“ neben dem „Großraum Amerika“ auch die „Stellung des Unternehmers in der gelenkten Wirtschaft“ sowie praktische „Clearing- und Währungsfragen, Verkehrsfragen“ untersuchen. Aus den fragmentarisch überlieferten Dokumenten lässt sich schlussfolgern, dass es erstens schon vor der förmlichen Etablierung des Referats II/1 unter der Leitung von Lück und zweitens vor der Kontaktaufnahme mit dem Stahl-Kreis vielfältige Ansätze aus dem RWM gab, das wirtschaftswissenschaftliche und wirtschaftsstatistische Potential anderer Institutionen und auswärtiger Sachverständiger auszuschöpfen. Allerdings stieß das RWM bei Wagemann und dem DIW eher auf hinhaltenden Unwillen zu einer engen Kooperation.73 Wagemann hatte offensichtlich auf die schon beschriebene konkurrierende Verbindung zu Göring gesetzt, die im August 1944 mit seiner Ernennung zum Leiter der „Arbeitsgemeinschaft für empirische Wirtschaftsforschung im Reichsforschungsrat“ gekrönt wurde und die ihm auch weitreichende Kompetenzen für eine vom RWM unabhängige Forschung des DIW in der Nachkriegszeit bot. Andererseits diente sich dem RWM im Herbst 1944 eine Reihe von Instituten und Wissenschaftlern für Forschungsaufgaben geradezu an.74
In seiner Tätigkeit für das StRA hatte er nach dem Geschäftsverteilungsplan von Februar 1935 in der Abteilung VI (Allgemeine Wirtschaftsstatistik, Abteilungsleiter: Bramstedt) als Referent u. a. die Zuständigkeit für die „Statistik der volkswirtschaftlichen Bilanzen“ übernommen, BA R3102 3586 F 102. 72 BA R3101 32131 F 3 f. 73 Im Sommer 1944 gab es z. B. einen regen Briefwechsel zwischen Wagemann (Präsident des DIW) und Ohlendorf, in dem das RWM gegen hinhaltenden Widerstand Zugriff auf die Arbeiten des DIW beanspruchte. Siehe BA R3101 32126 F 49 ff. Zu den Spannungen zwischen dem DIW und dem RWM, die sich vor allem aus dem unorthodoxen Vorgehen Wagemanns (z. B. bei der Finanzierung des DIW) aufluden, siehe den internen Bericht des RWM an Ministerialdirektor Illgner vom 8.1.1944, ebd. F 19–21. 74 „Dabei brauchten sie sich nicht sonderlich anzustrengen, denn die Institutsleiter und Experten gaben sich bei ihnen aus eigenem Antrieb die Türklinken in die Hand.“ Roth 1996, S. 583. 71
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Professor Karl C. Thalheim (Direktor des Weltwirtschafts-Instituts der Handels-Hochschule Leipzig) schlug in einem Schreiben vom 30.10.1944 vor, sein Institut „in die vom Reichswirtschaftsministerium gewünschte regionale Berichterstattung über die wirtschaftliche Entwicklung im Auslande“ einzubinden.75 Konkret ging es um „Regionen“ wie die Schweiz, Italien, Ungarn etc. Beigefügt ist eine Ausarbeitung Thalheims vom Dezember 1942, die postuliert, dass in „der wirtschaftlichen Neuordnung Europas […] auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung […] eine solche Führung Deutschlands besteht.“ Konkret solle die „wissenschaftliche Zentralstelle für die europäische Industriewirtschaft […] alles einschlägige Material“ sammeln: u. a. „sämtliche in Buchform in allen europäischen Ländern erscheinende Literatur zur Industriewirtschaft. […] Sammlung des gesamten statistischen Materials in Zusammenarbeit mit den statistischen Ämtern aller europäischen Länder.“ Weiterhin sollten schlechthin alle „Spezialzeitschriften“, „Veröffentlichungen der Industrie–Organisationen aller europäischen Länder“ und „Geschäftsberichte und Bilanzen der führenden europäischen Industrieunternehmungen“ in einem „Archiv“ gesammelt werden. Für die anderen Wirtschaftsbereiche verwies Thalheim auf schon bestehende Parallelinstitutionen bzw. Initiativen. Die Vorstellung eines zentralistischen volkswirtschaftlich-statistischen Informationssystems war also weit verbreitet und traf sich mit dem Selbstverständnis einer gelenkten Wirtschaft: „Es herrscht Einigkeit darüber, dass die den Zielsetzungen einer Grossraumwirtschaft entsprechende Entwicklung der einzelnen europäischen Volkswirtschaften nur unter der Voraussetzung staatlicher Lenkung erfolgen kann.“76 Die Akte77 enthält weitere Schreiben an oder von Ohlendorf bzw. Lück, in denen es im Herbst 1944 um die Mitarbeit verschiedener Institute und Wissenschaftler an der vom RWM gelenkten und zentralisierten Forschung ging. In einem Brief an Ohlendorf vom 5. September 1944 z. B. begrüßte Lück die avisierte Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW, Prof. Wagemann) und dem Kieler Weltwirtschaftsinstitut.78 Nach der Feststellung, dass das „Wagemannsche Institut doch recht beachtliche Arbeit geleistet hat und auch weiterhin leisten kann“ fuhr Lück fort: „Für uns dürfte das Wagemannsche Institut […] insbesondere im Rahmen der Aufgaben einer intensivierten Wirtschaftsbeobachtung und Wirtschaftsanalyse mitarbeiten können.“ Trotz der Wagemannschen „Ausflüchte und Vorbehalte“ hoffte Lück bei einem Besuch die Zusage zur Zusammenarbeit sowie die Herausgabe von
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BA R3101 2131 F 28, 38. BA R3101 2131 F 28. BA R3101 2131. BA R3101 32121 F 17.
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Unterlagen zu erreichen.79 Gleiches gilt auch für das Kieler Institut (Prof. Predöhl80), von dem neben einer Auslandsberichterstattung, wie vom DIW, eine Zulieferung für das geplante Archiv erwartet wurde.81 Beim abzusehenden Kriegsende war die Überlebensstrategie ein wesentliches Motiv, sich unter den Schutzschirm des RWM zu begeben. Roth hebt denn auch hervor, dass „die mit dem Inland-SD in Personalunion [Ohlendorf war seit 1937 Leiter des gesamten Inlands-Nachrichtendienstes des Sicherheitsdienstes (SD) der SS] verwobenen Sonderressorts des Reichswirtschaftsministeriums Uk-Stellungen und Fronturlaub durchsetzen“ konnten und damit neben materiellen Anreizen besonders attraktiv waren.82 Reichswirtschaftsministerium und Statistisches Reichsamt
Das StRA war nachgeordnete Behörde des RWM. Offenbar war es dennoch nötig, mitten im Krieg den Informationsfluss vom StRA an das RWM zu regeln:83 Der einschlägige Erlass vom 21. Dezember 1942 bestimmte, dass dem Reichswirtschaftsminister „Arbeiten des Statistischen Reichsamts (auch nicht veröffentlichte) laufend gemeldet werden.“ Um diese Meldungen überhaupt ausführen zu können, ordnete der Präsident des StRA an, ein Zentralarchiv über die Arbeiten des Hauses im Amt selbst einzurichten. Nicht zuletzt war diese Maßnahme auch deshalb notwendig, weil innerhalb des StRA „die gegenseitige Kenntnis der verschiedenen Arbeiten des Amtes für die einzelnen Referate außerordentlich nutzbringend und geeignet ist, Doppelarbeit und unnötige Überschneidung von statistischen Arbeiten auszuschalten.“ Die laufenden Meldungen sollten in Monatsübersichten gebündelt werden.84 Über dieses interne Zentralarchiv des StRA hinaus gab es im Frühjahr 1943 vom Zentralreferat für Auslandsstatistik und Auslandsforschung des StRA und dem RWM85 Siehe den Berichtsentwurf Lücks über den Besuch beim DIW am 27.9.1944 (BA R3101 32126 F 64–66). Wagemann bemerkte gegenüber Lück „Es sei erstaunlich, […] dass das RWM, das in seiner Stellung als Träger der deutschen Wirtschaftspolitik wie als Träger des Reichsanteils am Institut in besonderem Masse auf die Arbeit des Instituts Wert legen müsste, in nur ganz geringem Umfang Untersuchungen angeregt habe.“ (ebd. F 64). Siehe die ausführlichen Belege (Zitate und Paraphrasen aus den Berichten Lücks vom 30.9. und 12.10.1944 über seine Besuche beim DIW) bei Stäglin/Fremdling 2016b, S. 156 f. 80 Predöhl war von 1934 bis 1945 Direktor des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Take 2018, S. 263, 292 ff.; Take 2019, S. 101 ff. 81 Zur Einbindung des Kieler Instituts in die Kriegswirtschaft siehe Take 2018, S. 298 ff.; Take 2019, S. 311 ff. 82 Roth 1996, S. 583. Siehe z. B. den Brief Wagemanns an Ohlendorf vom 4.10.1944, in dem es um den Personalstand im DIW ging, BA R3101 31126 F 69 f. 83 BA R3102 2989 F 1. Interne Anweisung des Präsidenten des StRA vom 30.4.1943. 84 Die Monatsübersicht von Mai/Juni 1943 umfasst sieben eng beschriebene Seiten. BA R3102 10961 oder 2989 F 2 ff. 85 Diese „Bemühungen“ gab es also schon längere Zeit, bevor sich Ohlendorf und Lück schließlich damit befassten, im RWM ein volkswirtschaftlich-statistisches Informationssystem aufzubauen. 79
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„Bemühungen zur Schaffung einer Zentralmeldestelle für Wirtschaftsforschung“86. Hartmann vom StRA führte dazu in einem Vermerk vom 6. Februar 1944 aus: Der Gedanke, eine Stelle zu schaffen, die eine zentrale Übersicht über die Wirtschaftsforschung ermöglicht, ist von den Herren ORR Dr. Tetzlaff (RWM), ORR Dr. Langelütke (Stat. Reichsamt) und Referent Dr. Hartmann (Stat. Reichsamt) seit langer Zeit erwogen worden. Ende Mai 1943 wurde der Letztgenannte von Herrn ORR Dr. Tetzlaff beauftragt, eine Denkschrift hierüber zu verfassen […] Die Gedankengänge der Denkschrift wurden auch Herrn Staatssekretär Landfried vorgetragen und von diesem die grundsätzliche Anweisung zur Schaffung einer solchen Stelle gegeben.87
Die Stelle sollte, relativ selbstständig, organisatorisch im StRA mit einem Beirat oder Direktorium unter Federführung des RWM angesiedelt werden. In Hartmanns Vermerk folgte eine Auflistung bereits geleisteter Vorarbeiten, die teilweise in der Akte überliefert sind. Demnach gab es bereits Vorarbeiten für ein Register der einschlägigen Wirtschaftsforschungsinstitute, da das RWM schon früher entsprechende Forschungsstellen befragt habe. Hartmann und Deutelmoser (RWM) hatten bereits die wichtigsten Interessenten für eine zentrale Meldestelle besucht: u. a. das Hauptsicherheitsamt der SS, das Arbeitswissenschaftliche Institut der DAF und den Wehrwirtschafts-Stab. Die dem Vermerk beigefügte Denkschrift und weitere Schreiben bis hin zum „Entwurf einer Ministerialverfügung zur Errichtung der Zentralmeldestelle von Anfang Oktober 1943“ bezeugen das fortgeschrittene Stadium des Vorgangs. Hartmann schloss seine Ausführungen vom 4. März 1944 allerdings damit, dass diese Bemühungen aus dem Jahr 1943 am Kompetenzgerangel mit dem Speerschen Ministerium zunächst gescheitert waren: „Infolge vordringlicherer Arbeiten und nicht zuletzt auch deshalb, weil mit dem Übergang wesentlicher Kompetenzen vom Reichswirtschaftsminister auf den Munitionsminister die ressortmässige Konstruktion der Zentralmeldestelle erneuter Erwägung bedurfte, sind die Entwürfe vom Oktober noch nicht verwirklicht worden.“ Allerdings scheint der Vorgang im RWM selbst ungenügend vorbereitet gewesen zu sein, denn in einem Brief von Hartmann (StRA) an seinen Kontaktmann Tetzlaff (RWM) vom 28. Oktober 1943 wird deutlich, dass „der Herr Reichswirtschaftsminister durch Herrn ORR Dr. Rigler vom Ministerbüro sein Erstaunen ausdrücken lasse, dass er eine Ausarbeitung des Zentralreferats [des StRA, Auslandsstatistik] vom Juli
Zu den folgenden Ausführungen siehe die Akte BA R3101 32121 F 150 ff. („Handakten betreffend die Errichtung einer Zentralmeldestelle für Wirtschaftsforschung“). Etwa zur gleichen Zeit (Besprechung mit Min.Rat Janke am 29. Mai 1943) gab es wohl vom Speerschen Ministerium ausgehend eine Initiative zur Zentralisierung der Wirtschaftsstatistik im StRA selbst: „Es erscheint zweckmässig, im Statistischen Reichsamt eine Hauptabteilung Wirtschaftsstatistik zu schaffen, der die 4 Abteilungen Leiße, Bramstedt, Grävell und Jacobs anzugehören hätten. Werner vorläufig als Hauptreferent in dieser Abteilung. Die Frage des Direktorenpostens noch unklar, evtl. Benning.“ BA R3 1943 F 10. 87 BA R3101 32121 F 152. Zu Langelütke siehe die biografische Skizze im Anhang. 86
Reichswirtschaftsministerium und Statistisches Reichsamt
d. J. erst jetzt zu Gesicht bekomme.“88 Es ist nicht auszuschließen, dass die Einrichtung der Zentralmeldestelle im Herbst 1943 auch an der gleichzeitigen Umstrukturierung des RWM scheiterte. Bei Eintritt in das RWM zur selben Zeit muss Ohlendorf den Vorgang noch nicht gekannt haben. Ein Jahr später allerdings, im Herbst 1944, griffen Ohlendorf und Lück das Anliegen und die Zusammenarbeit mit dem StRA wieder auf, so dass es sinnvoll ist, hier auf die konzeptionellen Vorstellungen einzugehen, wie sie schon konkret 1943 formuliert waren. Die umfangreiche Denkschrift „Zur Rationalisierung der Wirtschaftsforschung“ vom 31. Mai 1943 bietet dafür den geeigneten Ansatz.89 Bei der „Dringlichkeit der Aufgabe“ wurden die üblichen Argumente (Vermeidung von Doppel- bzw. Mehrfacharbeit und die damit verbundene Ressourcenverschwendung) aufgeführt, um sodann die Rationalisierung der Wirtschaftsforschung als ressortübergreifende Aufgabe unter Federführung des RWM herauszustellen. Neben einschlägigen Ministerien (Erziehung, Aussen, Propaganda, Ernährung, Innen, Ost und Munition) führte die Denkschrift – in dieser Reihenfolge – SS, Partei, DAF, Wehrmacht, Vierjahresplanbehörden, Organisation Todt und den Reichsarbeitsdienst auf. Die umfassende, meldepflichtige Registrierung von Instituten und Denkschriften, ein Denkschriftenarchiv, ein Katalog zu Auslandsperiodika, ein Auslandslesesaal in Berlin und „Aufschließungsmaterial“ (Zeitschriftenbibliographie, Zeitungsausschnitte) sollten einen zentralisierten Informationszugriff bieten. „Die vorstehend besprochenen Funktionen eines Institutsregisters […] könnten sehr gut von einer einzigen, neu zu schaffenden Zentralmeldestelle für Wirtschaftsforschung wahrgenommen werden.“ Als Standorte wurden u. a. das StRA oder das RWM avisiert, auf jeden Fall sollte die Zentralmeldestelle in Berlin, und nicht bei den Weltwirtschaftsinstituten in Kiel bzw. Hamburg sein. Als Ergänzung zur Denkschrift vermerkte das StRA am 6. Juli 1943, welche Zentralkarteien nach seiner (wohl Hartmanns) Kenntnis schon vorhanden waren:90 Forschungskartei der Wehrmacht (technologische und wehrwirtschaftliche Arbeiten), Kartei der Forschungsaufträge (an der Technischen Hochschule im Auftrag des Reichserziehungsministers und des Reichsforschungsrates, „betrifft wohl nur das Technologische“), Kartei der Forschungsaufträge für den chemischen Sektor (im Auftrag des Reichsamts für Wirtschaftsausbau) und eine Kartei der Auslandsliteratur beim Sicherheitshauptamt der SS, Abteilung C IV 3 (chemische, wirtschaftswissenschaftliche, medizinische, geisteswissenschaftliche und weitere Literatur; die SS hatte „meldepflichtige Stellen bestimmt“).91
BA R3101 32121 F 168. BA R3101 32121 F 154–162. BA R3101 32121 F 163. Ende Oktober 1943 wurde in der Sache zudem noch Kontakt mit Prof. Bechtel (TH München), dem Vorsitzenden des Vereins Deutscher Wirtschaftswissenschaftler, aufgenommen. BA R3101 32121 F 170. 88 89 90 91
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Der sensible Bereich geheimer Informationsweitergabe im RWM selbst sollte durch eine Ministerialverfügung zur „Einsammlung vertraulicher Wirtschaftsdenkschriften“ geregelt werden. Im Entwurf vom 6. Oktober 1943 versprach der Minister als Angehöriger des Planungsamtes, dafür zu sorgen, dass „sämtliche Stellen meines Ressorts die unter Verschluss befindlichen Ausarbeitungen und Spezialberichte“ zur Wirtschaftsforschung der Zentralmeldestelle zuleiten.92 Im „Entwurf einer Ministerialverfügung zur Errichtung der Zentralmeldestelle von Anfang Oktober 1943“, den Hartmann für das RWM ausgearbeitet und an den Präsidenten des StRA adressiert hatte, wurden auf zwei Seiten die „Motive“, „Aufgaben“ und die „Oberleitung und Aufsicht“ wie schon in der Denkschrift entworfen zusammengefasst.93 Die Zentralmeldestelle sollte beim StRA allerdings „im Einvernehmen mit dem Leiter des beim Herrn Generalbevollmächtigten für Rüstungsaufgaben und Minister für die Rüstung und Kriegsproduktion gebildeten Planungsamt“ eingerichtet werden. Die gewünschte einvernehmliche Zusammenarbeit zwischen RWM, Planungsamt und dem StRA schlug sich auch im paritätisch besetzt geplanten Direktorium nieder. Bei der Aufgabenstellung fällt der anmaßende Anspruch auf, die Wirtschaftsforschung institutionell und personell total zu registrieren und physisch durch eine Ablieferungspflicht der Arbeiten zu erfassen. Zunächst scheiterten die Pläne zur Einrichtung der Zentralmeldestelle im Herbst 1943. Die ein Jahr später von Ohlendorf und Lück unter Einbindung des StRA verfolgten Ambitionen, dann allerdings ohne Abstimmung mit dem Planungsamt, waren also in einem wesentlichen Bestandteil vorgedacht und früher konzipiert. Im Februar 1944 nahm der Präsident des StRA, Godlewski, direkten Kontakt zu Ohlendorf auf, um ihm „Arbeiten des Zentralreferats für die Auslandsstatistik und Auslandsforschung“ auf Anregung von „Herrn Ministerialdirektor Illgner“ auszuhändigen.94 In der Akte finden sich zwar nicht die überreichten Arbeiten, jedoch gibt der Brief selbst und ein beiliegendes Verzeichnis Auskunft über die Einspannung des StRA, wirtschaftsstatistische Daten und Analysen über das Ausland und die besetzten Gebiete für Ministerien und den militärischen Apparat zu erstellen: Das genannte Zentralreferat wurde von mir im Mai 1942 [es muss 1941 heißen, R. F.95] unter Zusammenfassung auslandsstatistischer Referate zur zentralen Beobachtung des Aus-
BA R3101 32121 F 166 f. Bei unentbehrlichen Ausarbeitungen, die in nur einem Stück vorhanden seien, wäre eine umfassende Beschreibung abzuliefern gewesen. 93 BA R3101 32121 F 164 f. 94 Brief vom 18.2.1944, BA R3101 32121 F 172. Den Brief dürfte Langelütke, Leiter dieses Referats im StRA, verfasst haben. Hans Illgner, zugleich SS-Oberführer im Stab des Reichsführers SS Himmler, stand der Hauptabteilung I (Personal- und Verwaltungsabteilung) im RWM vor. Boelcke 1983, S. 305. 95 Die Verfügung des Präsidenten des StRA zur Einrichtung dieses Zentralreferates stammt vom 19.4.1941 (BA R3102 3583 F 2). Die Aufforderung vom RWM an das StRA (gez. Illgner), ein „Statistisches Referat für die besetzten und unter den Schutz des Reiches gestellten Gebiete“ einzurichten, war am 21.3.1941 ergangen (ebd. F 2 RS). Siehe darüber hinaus den Brief des RWM an das Auswärtige Amt vom 15.8.1941, mit der Bitte, 92
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landes und der besetzten Gebiete in ländermässiger Sachgebietsaufteilung eingerichtet. Mit seiner Leitung ist der Oberregierungsrat Dr. Langelütke beauftragt. Die im Auslande anfallenden Statistiken sowie das wichtigste wirtschaftspolitische Tatsachenmaterial wird hier gesammelt, ausgewertet und für internationale Vergleiche abgestimmt und zusammengestellt. Das Referat befindet sich in der Ausweichstelle Langenburg/Schloß [Hohenlohe] in Württemberg. Ein kleiner Verbindungsstab ist hier [im StRA R. F.]. Dem Verzeichnis der mit diesem Bericht vorgelegten Arbeiten des Zentralreferats füge ich eine Zusammenstellung der wichtigsten, in den letzten Jahren gefertigten sowie der in Vorbereitung befindlichen Arbeiten bei. Auftraggeber der Arbeiten waren in erster Linie das Reichswirtschaftsministerium, das Oberkommando der Wehrmacht und der Beauftragte für den Vierjahresplan. Die seit 1943 laufend erscheinenden „Mitteilungen über Planungsund Lenkungsmassnahmen des Auslandes“ sowie die Berichte über ausländische Wirtschaftsmassnahmen (A. W.-Berichte) werden im Auftrage des Planungsamtes gefertigt.96
Das beiliegende Verzeichnis vom November 1944 enthüllt, in welchem Umfang allein das „Zentralreferat für die Auslandsstatistik und Auslandsforschung“ des StRA nicht nur in der Datenerhebung und -verarbeitung, sondern darüber hinaus gutachterlich wie ein rühriges Wirtschaftsforschungsinstitut tätig war. Das Verzeichnis ist als Anhang 2 beigefügt.97 Zusammenfassend sei lediglich auf Schwerpunkte und exemplarische Aufgaben verwiesen. So konzentrierten sich die laufenden Arbeiten auf die Erfassung und Archivierung ausländischer Wirtschaftsstatistiken, Lenkungs- und Planungsmaßnahmen und einschlägiger Publikationen, darunter das statistische Archiv mit der Sammlung und Registrierung aller monatlich und jährlich publizierter Daten von wirtschafts- oder bevölkerungspolitischem Interesse a) nach Ländern b) nach Fachgebieten. Die letzten Publikationen des Zentralreferats im November 1944 umfassten das Handbuch der Sowjetunion von 1944 und Monatszahlen zur Wirtschaftsentwicklung Kontinentaleuropas von 1943. Publiziert wurden die „Mitteilungen über Lenkungs- und Planungsmaßnahmen des Auslands, Teil A: Gewerblicher Teil, Teil B: Agrarischer Teil (in 4–6 wöchentlicher Folge), Ergänzungshefte ( Jahresberichte nebst Kalendarium).“98 Das Wirtschaftliche Nachrichtenarchiv bot einen kurzgefassten Informationsdienst „über das Ausland aus Presse, Zeitschrift und Geheimdiensten“ an.
Langelütke als Referatsleiter bei einem Besuch in Kopenhagen zu unterstützen. Im Brief steht, dass das RWM bereits zuvor das StRA angewiesen hatte, „ein statistisches Zentralreferat für die besetzten und unter den Schutz des Reiches gestellten Gebiete einzurichten“. BA R3102 10766. 96 BA R3101 32121 F 172. 97 BA R3101 32121 F 173–179. 98 Die außerordentlich ausführlichen Darstellungen für 1943, 1944 und noch für Januar 1945 sind in folgenden Akten einzusehen: BA R3102 10715, 10717, 5938 und BA R3101 3216.
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Die Sonderarbeiten berichteten über ausländische Wirtschaftsmaßnahmen zu folgenden Themen: Organisation der Kohlenbewirtschaftung in Großbritannien; kurzgefasste Übersicht zur Textilwirtschaft in Italien; die Industrie-Kontrollkörperschaften in Japan; das Planamt des Kabinetts in Japan; zur Organisation der italienischen Kriegsindustrie; Organisation der Eisen- und Stahlbewirtschaftung in Großbritannien; die schwedische Lebensmittelrationierung und Vergleich der schwedischen mit den deutschen Lebensmittelrationen; die Kriegswirtschaft der Schweiz; die Organisation der Lebensmittelverteilung in Spanien; Organisation der Bewirtschaftung von Maschinen, Maschinenanlagen und Handwerkszeug in Großbritannien. Für Mitte November 1944 wurden folgende Themen und der Auftraggeber genannt: 1. Statistische Beiträge aus sämtlichen Wirtschaftsgebieten und deren laufende Ergänzung für die Mappen der Länderbearbeiter im Reichswirtschaftsministerium (RWM); 2. Untersuchungen über den Zuwachs des feindlichen Kriegspotentials auf wirtschaftlichem Gebiet durch die feindliche Besetzung von Rumänien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Belgien-Niederlande (Planungsamt); 3. Die Erdölverarbeitung und Mineralölraffinerien in der Sowjetunion (Feldwirtschaftsamt); 4. Die Kohlenversorgung der UdSSR (Planungsamt); 5. Die Binnenschiffahrt in der UdSSR (Reichsverkehrsministerium); 6. Preisbildung und Preispolitik in der Sowjetunion (Planungsamt); 7. Die Außenhandelszusammensetzung der Schweiz nach Mächtegruppen (Rüstungsamt); 8. Der Außenhandel Ungarns 1943 (Planungsamt); 9. Die Verkehrsleistungen Ungarns (Planungsamt); 10. Ungarns Preise und Finanzen (Planungsamt); 11. Warenproduktion und Rüstungswirtschaft franz. Nordafrikas (OKW); 12. Produktion und Ausfuhr franz. Nord- und Westafrikas 1943 (Feldwirtschaftsamt); 13. Potentialvergleich mit den Feindmächten über die NE-Metalle (Planungsamt).99
Darüber hinaus wurde für alle Länder neben ihrer Wirtschaftsentwicklung seit Kriegsbeginn untersucht, wie sich der Ausfall einzelner Länder auf den deutschen Außenhandel auswirken würde. Das RWM gab weitaus weniger Arbeiten in Auftrag als das Planungsamt. Die Ambitionen von Ohlendorf und Lück gingen weit über eine Meldestelle hinaus, wie sie im Herbst 1943 konzipiert war. Möglicherweise regten die vielfältigen Aktivitäten des StRA das RWM dazu an, eine Kooperation mit dem Amt anzustreben. Seit dem Herbst 1944 gab es jedenfalls erneute Bemühungen, das StRA in die Volkswirtschaftliche Abteilung des Ministeriums unter der Leitung Lücks einzubinden.100 Es ging dabei letztlich nicht nur um einen Austausch von Informationen und den
BA R3101 32121 F 173–179. 10.11.1944 Lück an Ohlendorf, BA R3101 3219. Derselbe Vorgang wird mit einigen anderen Archivstücken überlappend in BA R3101 32121 dokumentiert. 99 100
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Aufbau des Wirtschaftsarchivs,101 sondern darüber hinaus sollte Personal des StRA für den „Ausbau der Wissenschaftlichen Abteilung“ des Ministeriums an das RWM delegiert werden.102 Das RWM konkurrierte bei seinen Plänen zur Zusammenarbeit mit dem StRA offensichtlich mit dem Speerschen Ministerium. Im November 1944 wies Lück Ohlendorf darauf hin, dass sich das „Planungsamt bezw. Rüstungsministerium überhaupt des St. Reichsamtes in starkem Maße bedient und auch Referenten des Reichsamts an sich gezogen hat.“103 Namentlich erwähnt wurde Langelütke. Auch im Aktenstück zum Aufbau des zentralen Wirtschaftsarchivs schrieb Lück, ebenfalls im November 1944: Damit das Rüstungsministerium uns nicht zuvor kommt, müßten wir wahrscheinlich verhältnismäßig schnell handeln und uns über die Verwirklichung unserer Pläne alsbald entscheiden. Was die Frage betrifft, ob und wieweit das Statistische Reichsamt miteingeschaltet bezw. wie weit das dortige Material einen Grundstock abgeben kann, sind Schritte zu einer weiteren Klärung eingeleitet.104
Im Übrigen habe er, Lück, aus Gesprächen mit dem StRA erfahren, dass das RWM im Gegensatz zum Rüstungsministerium sich „auffallend wenig der Forschungs- und Auskunftsmöglichkeiten […] [des StRA] bedient.“105 Aus dem Schreiben Lücks an Ohlendorf geht weiterhin hervor, dass die „Wissenschaftliche Abteilung“ des RWM sich noch Anfang November 1944 lediglich im Planungsstadium befand. Um Widerständen des Planungsamtes106 gegen die Einbindung des StRA in das RWM begegnen zu können, schlug Lück Folgendes vor: „Nicht zuletzt mit Rücksicht hierauf würde es mir zweckmäßig erscheinen, wenn möglichst bald in irgendeiner Form die wissenschaftlichen Referate oder die Wissenschaftliche Abteilung beim RWM […] formgerecht konstituiert würden.“107
Ausführlich hierzu die von Lück verfasste „Niederschrift über den Aufbau des zentralen Wirtschafts-(Forschungs-)Archivs beim RWM“ vom 20.11.1944, BA R3101 32121 F 77–81. 102 Das StRA hoffte durch Zusammenarbeit mit dem RWM bei sich auch „Abbaumaßnahmen […] abbremsen“ zu können. BA R3101 32119 F 2. Siehe auch den Brief Langelütkes an Lück vom 8.3.1945, in dem er um „eine gesonderte Uk-Stellung“ (Freistellung vom Kriegsdienst) für zwei seiner Mitarbeiter bittet. Ebd. F 14. 103 10.11.1944 Lück an Ohlendorf, BA R3101 3219 F 2. 104 BA R3101 32121 F 77. 105 BA R3101 32119 F 2. Ein Verzeichnis der laufenden Arbeiten des StRA (Zentralreferat für Auslandsstatistik und Auslandsforschung) vom November 1944 führt von 13 spezifischen Aufträgen („Sonderarbeiten“) nur eines für das RWM auf („Statistische Beiträge aus sämtlichen Wirtschaftsgebieten und deren laufende Ergänzung für die Mappen der Länderbearbeiter im Reichswirtschaftsministerium“), das Planungsamt hatte davon sechs Aufträge vergeben. BA R3101 32121 F 173–175. 106 Das Planungsamt wollte wie das RWM auf Hartmann vom StRA zurückgreifen, um ein zentrales Wirtschaftsarchiv aufzubauen. Siehe Brief Lücks an Ohlendorf vom 15.11.1944: „Betr.: Aufbau des Informationsdienstes und Einrichtung des zentralen Wirtschaftsarchivs“ (BA R3101 32119). Hartmann arbeitete bereits im Planungsamt, siehe den Geschäftsverteilungsplan vom 1.10.1944 (BA R3102 3589 F 14). 107 BA R3101 32119 F 3. 101
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Als „Verbindungsmann und Vertrauensmann“ zum StRA sollte Jacobs (Leiter der Abteilung III, Sozialstatistik, des StRA) gewonnen werden: „Unter den Direktoren des Reichsamtes ist […] Direktor Dr. Jacobs wissenschaftlich besonders hervorgetreten und wissenschaftlich neben seiner praktischen Arbeit stärkstens interessiert.“108 In der Besprechung Ohlendorfs mit Jacobs vom 13. Dezember 1944 wurde ein erweitertes Aufgabenfeld für Jacobs abgesteckt:109 „Direktor Jacobs tritt in die volkswirtschaftliche Abteilung des RWM unter Beibehaltung seiner bisherigen Aufgaben ein. Er übernimmt die zusammenfassende leitende Bearbeitung aller Fragen, welche die Nutzbarmachung der Statistik, insbesondere den Einsatz des Statistischen Reichsamts für die volkswirtschaftlichen Untersuchungen des RWM betreffen.“ Mit der Personalabteilung des RWM und dem Präsidenten des StRA (Godlewski) mussten diese Pläne allerdings noch abgestimmt werden. Lück übernahm die weitere Abhandlung und entwarf für das Schreiben an den Präsidenten des StRA im Januar 1945 ein detailliertes Aufgabenprofil für Jacobs.110 Besonderer Wert wurde außerdem auf eine Zusammenarbeit mit der Auslandsabteilung des StRA („Zentralreferat für Auslandsstatistik und Auslandsforschung des St. Reichsamts“, Kontaktperson: Langelütke) gelegt. Für das in seiner Volkswirtschaftlichen Abteilung aufzubauende „zentrale Forschungsarchiv“ hoffte Lück, sich der Expertise Hartmanns vom StRA bedienen zu können, „der im Zentralreferat (offenbar auch im Rahmen der wissenschaftlichen Beratungsstelle des Planungsamts?) das Archiv betreut.“111 In der Endfassung des Briefes (RWMinister an den Präsidenten des StRA, 30. Januar 1945)112, wurde nicht nur für Jacobs um Zustimmung gebeten, die Doppelfunktion sowohl im StRA als auch im RWM zu ermöglichen, sondern auch für Langelütke und Hartmann. In der vergleichbaren Doppelfunktion sollten Langelütke für „auslandswirtschaftliche und zwischenstaatliche Fragen“ und Hartmann für den „Aufbau eines umfangreichen zentralen Wirtschaftsarchivs für praktische Zwecke der Wirtschaftspolitik und zum Zwecke einer entsprechenden wirtschaftswissenschaftlichen For-
BA R3101 32119 F 1. Jacobs hoffte wahrscheinlich, dass durch die Zusammenarbeit mit dem RWM die weitere personelle Ausdünnung aufgehalten werden könnte. Jedenfalls beklagte er die desolate Personallage: „Durch die neuen Vereinfachungsmaßnahmen ist die Tätigkeit des Statistischen Reichsamts auf vielen Gebieten lahmgelegt oder doch stark beeinträchtigt. Insbesondere macht sich der Mangel an wissenschaftlichen Hilfskräften fühlbar bemerkbar; die wissenschaftliche Auswertung der Statistik musste fast völlig eingestellt werden. Umfassende Sachgebiete sind nur noch mit einem einzigen Sachbearbeiter besetzt, dem für die wissenschaftliche Arbeit kaum noch Zeit bleibt.“ 109 BA R3101 32119 F 6 f. 110 BA R3101 32119 F 11 ff. 111 BA R3101 32119 F 3; siehe auch BA R3101 32121 F 77 ff. 112 Diese Endfassung (BA R3101 32119 F 12 f.; 32121 F 135 f.) wurde im StRA selbst im Auftrag des Präsidenten Godlewski verfasst. Dem Schreiben Godlewskis an Rollenhagen (RWM) vom 13.1.1945 ist die Funktionsbeschreibung für Langelütke und Hartmann beigefügt. BA R3101 32119 F 9 f. 108
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schung“ in das RWM integriert werden. Am 16. Februar 1945 stimmte der Präsident des StRA, Godlewski, zu.113 Aufgrund der Luftangriffe auf Berlin machte sich Lück große Sorgen über den Standort des Archivs. Nach der Aktennotiz Lücks vom 30. Januar 1945 war mit den Betroffenen (Godlewski, Jacobs, Langelütke und Hartmann vom StRA) „vereinbart, daß das vom RWM geplante zentrale Wirtschaftsarchiv zum Teil gemeinsam aufgebaut und benutzt werden soll. Es handelt sich dabei sowohl um die Erfassung inländischen als auch ausländischen Informationsmaterials etc. Zur Unterbringung und zur Bearbeitung ist ein gemeinsamer Archiv- und Arbeitsraum im Bunker vorgesehen. […] Da durch die besonderen Kriegsumstände […] die eigentlich vorgesehenen Bunkerräume wohl erst in einigen Monaten fertiggestellt sein dürften, wäre zu prüfen und zu entscheiden, ob ein anderer Bunkerraum verfügbar gemacht werden könne, damit die in Frage stehenden Arbeiten unverzüglich aufgenommen werden können.“114 Das ursprüngliche Dienstgebäude des RWM (Unter den Linden/Behrenstraße) war bereits mehr als ein Jahr zuvor nach einem schweren Luftangriff am 22. September 1943 zerstört worden, so dass der Ministerialapparat in das Gebäude des StRA in der Neuen Königsstraße umgezogen war.115 Der Führungswechsel im RWM war also mit der Zerstörung seines Dienstgebäudes einhergegangen, die engere Zusammenarbeit zwischen RWM und StRA sollte dann fast anderthalb Jahr später zunächst im Bunker stattfinden. Nur wenige Tage später, am 10. Februar 1945, als sich Ohlendorf und Lück mit den Vertretern des StRA Jacobs und Hartmann getroffen hatten, wurde gar über eine Verlagerung der „sicherzustellenden Materialien […] und der zugehörigen Archivkräfte in die Gegend von Göttingen“ gesprochen.116 Für diesen Standort sprachen u. a. „die Nähe eines Kalischachtes als Bergungsort“, „die verhältnismäßige Nähe des Harzes, als Sitzes der Ausweichstellen des Reichministeriums Speer“, sowie die Nähe zu Wernigerode, wo „die Statistische Leitstelle ihr Material deponieren“ werde. Ende Februar 1945 schließlich sorgte sich Lück aufgrund der Luftangriffe in einem Schreiben an Ohlendorf um die „sichere Unterbringung des Archiv- und sonstigen Aktenmaterials im Bunker des Hauses bis zum endgültigen Abtransport“.117 Das zentrale Wirtschaftsarchiv des RWM war noch verwirklicht worden. Es wurde in den Tagebuchaufzeichnungen einer Mitarbeiterin des StRA von Mitte April 1945 mehrfach erwähnt. In dem fast leeren, von Bomben schon erheblich beschädigten Gebäude in der Neuen Königsstraße wurden in der Tat noch Materialien zur Weiterleitung an das „Volkswirtschaftliche Archiv“ des RWM bereit gehalten, kopiert und gesammelt.118
113 114 115 116 117 118
BA R3101 32119 F 13. BA R3101 32121 F 137. Boelcke 1983, S. 305; Jacobs 1971, S. 290. Siehe Vermerk vom 13.2.1945 (BA R3101 32121 F 140–142). Brief vom 27.2.1945 (BA R3101 32121 F 146). Jacobs (1971, S. 308 f.) zitiert Marie Stössels Aufzeichnungen zwischen dem 13. und 21. April 1945.
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Boelcke119 bezeichnete die Koinzidenz zwischen dem „Führungswechsel“ (Amtsantritt Ohlendorfs) und dem Umzug des RWM aus seinem zerstörten Dienstgebäude in das Haus des StRA im Herbst 1943 als „symbolträchtiges Ereignis“. Die folgende Zusammenarbeit zwischen dem RWM und StRA im Luftschutzbunker oder im Bergwerk im Februar/März 1945 verwies sicherlich ebenso „symbolträchtig“ auf das nahe unrühmliche Ende der NS-Herrschaft.120 Die Vorgänge im Herbst 1944 und Winter 1944/45, zweifellos keine Routinehandlungen, wurden hier eingehend dargelegt. Die Sogwirkung, die Ohlendorf und Lück mit ihrem eher kleinen Referat entfalteten, basierte auf der einen Seite auf einem bereits vorhandenen hochentwickelten Angebot: Wirtschaftsstatistiken und andere sozial-ökonomische Informationen waren z. B. schon vor dem Amtsantritt Ohlendorfs und Lücks im StRA auf hohem Niveau erfasst, archiviert und gutachterlich ausgewertet worden. Ähnliches galt für andere etablierte Forschungsinstitute, wie das Kieler Weltwirtschaftsinstitut und das DIW, die schon vor der Zeit des Nationalsozialismus und ungebrochen weiter nach dem Krieg in der Bundesrepublik eine tonangebende Rolle in der Wirtschaftsforschung spielten bzw. spielen sollten. Diese Institutionen und die sie vertretenden Personen ließen sich offenbar gern in die hochfliegenden Pläne des RWM einspannen. Warum waren sie dazu bereit? Zum einen ließ sich Personal unmittelbar vor einem Kriegseinsatz (Uk-Stellung) schützen. Vorausschauende Pläne, die auf die – nahe – Nachkriegsordnung abzielten, waren sicherlich eine weitere Triebfeder. Dass der Krieg verloren war, dürfte den hier Handelnden damals nur zu bewusst gewesen sein. Angesichts der Verstrickungen bis hin zur indirekten oder gar direkten Teilhabe an den Verbrechen des Regimes (Ohlendorf) waren es somit vielfältige Beweggründe bis hin zu Überlebensstrategien, die zur Mitarbeit im RWM motivierten. Zahlreichen der hier genannten Personen gelang eine herausgehobene Karriere in der Bundesrepublik Deutschland. Offenbar stellte ihre auf die Nachkriegszeit gerichtete Schreibtischtätigkeit in den letzten ein bis zwei Kriegsjahren in den meisten Fällen jedenfalls kein Hindernis dafür dar.
Boelcke 1983, S. 305. Langelütke schrieb allerdings am 8.3.1945 einen Brief an Lück mit dem Absendeort „Aussenstelle Langenburg, Schloss Hohenlohe“ in Württemberg (BA BA R3101 32119 F 14). Aus dem Schreiben Godlewskis an Ohlendorf vom 18.2.1944 geht hervor, dass Langelütkes „Zentralreferat für Auslandsstatistik und Auslandsforschung“ bereits von Berlin nach dorthin ausgelagert worden war (BA R3101 32121 F 172). Siehe auch Jacobs (1971, S. 302 f.) mit dem Verzeichnis der kriegsbedingten Außenstellen des StRA. Es handelte sich um zehn über ganz Deutschland verstreute Orte. 119 120
VI
Wirtschaftsstatistik im Nachkriegsdeutschland
NS-Statistik und Kontinuität in Westdeutschland
In den westdeutschen Besatzungszonen und anfänglich auch in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) griffen Politiker, Ökonomen und Statistiker auf die NS-Statistiken zurück. Der nahtlose Übergang lässt sich zum einen an der Person Wagenführs, Chefstatistiker der Kriegswirtschaft, und zum andern am zugrunde gelegten Industriezensus von 1936 festmachen.1 Wagenführ arbeitete für alle drei Siegermächte, für die Amerikaner musste er dazu allerdings entführt werden. Die amerikanische Luftwaffe unter der Leitung des renommierten Ökonomen Galbraith2 untersuchte, welchen Effekt die alliierte Bombardierung auf die deutsche Kriegswirtschaft gehabt hatte.3 In Bad Nauheim griff die Gruppe auf ausgelagerte Bestände des StRA, u. a. dessen Statistische Schnellberichte zur Kriegsproduktion zurück. Zur Interpretation dieser NS-Statistiken wurde Wagenführ dort befragt.4 Die amerikanische Kommission stellte fest, dass die Bombardierung weniger Schaden als geplant verursacht hatte. Dem stand das hypothetische Argument gegenüber, dass ohne Bombardierung die Produktion von Rüstungsgütern im
Zur personellen Kontinuität mit der NS-Zeit siehe die biografischen Notizen zu einzelnen Statistikern, die in der BRD ihre berufliche Karriere in den statistischen Ämtern oder in Wirtschaftsforschungsinstituten fortsetzten. 2 Zu der Gruppe gehörten auch der britische Ökonom Kaldor und der deutsche Wirtschaftshistoriker Jürgen Kuczynski, siehe Abelshauser 1998 (S. 122 f.) u. 2004 (S. 679). Biografische Angaben zu Jürgen Kuczynski (1904–1997) gibt Malycha 2016, S. 36. Im zusammenfassenden Bericht der Gruppe (USSBS Oct. 1945, Acknowledgment) taucht der Name Kuczynski nicht auf. In dem Exemplar, das mir vorlag, steht handschriftlich mit Fragezeichen sein Name neben „Samuel J. Dennis“. Möglicherweise handelte es sich wie bei Tibor Scitovsky, dessen Name handschriftlich neben „Thomas Dennis“ steht, um einen Decknamen. Kuczynski leitete später in der DDR das wirtschaftshistorische Institut an der Akademie der Wissenschaften und war mit der politischen Führung der DDR eng verbunden. 3 Abelshauser 1999 u. 2004, S. 67 ff.; siehe den zusammenfassenden Bericht der Kommission: USSBS Oct. 1945. 4 Ausführlich Fremdling 2016c. 1
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Wirtschaftsstatistik im Nachkriegsdeutschland
ersten Halbjahr 1944 um bedeutsame zehn Prozent höher gewesen wäre.5 Wichtigste Einzelursache für den wirtschaftlichen Zusammenbruch sei es jedoch gewesen, dass die Bombenangriffe das deutsche Transportsystem am Ende des Krieges in weiten Bereichen lahmgelegt hatten, z. B. für den Kohletransport.6 Auch der seit Mitte 1944 deutliche Rückgang der Industrieproduktion, der in den Statistischen Schnellberichten dokumentiert ist (Tabelle 5), sei vor allem auf das zerbombte Transportnetz zurückzuführen. Freiwillig hatte Wagenführ nicht nur für die sowjetischen Besatzer gearbeitet, sondern danach (1946) auch für die britischen.7 Kurz nach dem Krieg hatten diese die Produktionslenkung während der deutschen Kriegswirtschaft untersucht. Im persönlichen Archiv Wagenführs8 befinden sich aus seiner Zeit im „Statistical Office for the British Zone of Occupation“ in Minden Unterlagen, nach denen die Briten, ähnlich wie im bekannten „United States Strategic Bombing Survey“, versuchten, die Arbeitsweise und Effizienz der deutschen Kriegswirtschaft einzuschätzen. Die Briten stützten sich dabei wie die US-Amerikaner auf die Statistiker der deutschen Kriegswirtschaft.9 In dem Wagenführ-Bestand findet sich auch ein Briefwechsel zwischen Nicolas Kaldor („British Bombing Survey Unit“) und Rolf Wagenführ: In den auf Deutsch in vertraulichem Ton geschriebenen Briefen („Lieber Herr Wagenführ […] Lieber Herr Kaldor“) erkundigte sich Kaldor nach Einzelheiten, wie Wagenführ den Index der Rüstungsproduktion berechnet hatte. Kaldor bezog sich auch auf mündliche Gespräche in Bad Nauheim nach Wagenführs Entführung durch die Amerikaner.10 Im „Statistischen Amt für die Britische Besatzungszone“ in Minden wurden unter Wagenführs Anleitung Planungsunterlagen für die Bewirtschaftung der britischen Besatzungszone erstellt, die an seine profunde Erfahrung aus dem Planungsamt anknüpften.11 Bei den Berechnungen der „Einsatzschlüssel“ und dem „Verbrauch von Rohstoffen je Produktionseinheit in wichtigen Fertigungen“ stützte sich Wagenführ auf amtliches Material aus der Vorkriegszeit (Industriezensus von 1936 und korrespondierende Folgeerhebungen) und Informationen der Reichsstellen aus der Kriegszeit. Um produktionstechnische Veränderungen zu berücksichtigen, wurden aktuelle Nach Kaldor sogar um 20 bis 30 Prozent, nach Wagenführ wäre man dann aber an die „zu enge Rohstoffdecke gestoßen“, siehe Wagenführ 1963, S. 127 f. 6 USSBS Oct. 1945, S. 11 ff. 7 Am 14.10.1946 war Wagenführ Leiter der Hauptabteilung A beim Statistischen Amt für die Britische Besatzungszone in Minden (WABW N10 Bü 29). 8 Es befindet sich im Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg (WABW), Stuttgart Bestand N 10. 9 Siehe WABW N 10, Bü 48, Field Information Agency, Technical Control Commission for Germany (FIAT) Economic Branch: Der Bericht über die deutsche Kohleindustrie vom 4.7.1946 (Statistics oft the German Coal Industry during the War) wurde mit der Hilfe der früheren Mitarbeiter der Reichsvereinigung Kohle und der Wirtschaftsgruppe Bergbau unter der Leitung von Regul zusammengestellt. 10 WABW N 10 Bü 29, Brief Kaldors vom 25.2.1946 aus London mit umfangreichen Beilagen über Kaldors Berechnungen, Antwort Wagenführs vom 15.3.1946 aus Berlin. 11 Oktober 1946, Wagenführ-Archiv WABW N 10 Bü 51. 5
NS-Statistik und Kontinuität in Westdeutschland
Verbrauchsrechnungen einzelner Betriebe herangezogen. Weiterhin fasste die Quelle auch Grundsätze oder Techniken der Wirtschaftsplanung zusammen. Offensichtlich stützte sich Wagenführ auch auf umfangreiches Material aus seiner Tätigkeit in der sowjetischen Zone: Die Einsatzschlüssel „sind überwiegend aus den beim Statistischen Zentralamt [der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) R. F.] verfügbaren Unterlagen ermittelt.“12 In der Akte finden sich Briefe und Tabellen dieses Amtes von Ende 1945, in denen es um die Verwendung von Einsatzschlüsseln bei der Produktionsplanung in der SBZ ging. Die angegebene Akte enthält darüber hinaus eine Kopie des „Runderlasses Nr. 6“ vom 29. Mai 1946 des Präsidenten des Statistischen Zentralamts der „Deutschen Verwaltung für Statistik in der sowjetischen Besatzungszone“ (gestempelt „Dr. Rolf Wagenführ“), in dem die „monatliche Berichterstattung über die industrielle Produktion“ angemahnt wurde. Aus dem Erlass und den Briefen lässt sich ohne Zweifel entnehmen, dass die Bewirtschaftung im sowjetischen Machtbereich direkt an die Erfahrungen des Planungsamtes für die deutsche Kriegswirtschaft, nun auf die Friedenswirtschaft der Nachkriegszeit übertragen, anknüpfte. Wagenführ tauschte seine Berechnungen aus dem „Statistischen Amt für die Britische Besatzungszone“ mit seinen Kollegen in der amerikanischen Besatzungszone aus: Am 8. Januar 1947 bedankte sich H. Eickmeyer vom Generalsekretariat, Abt. Wirtschaft, des Länderrats des amerikanischen Besatzungsgebietes für die zusammengestellten Einsatzschlüssel und sicherte zu, entsprechende „Material-Einsatzgewichte“ für die Fahrzeugindustrie, den Maschinenbau und die Elektroindustrie zuzusenden. Ein mehrtägiger Konsultationsbesuch in Minden war ebenfalls angekündigt.13 Mit der Berechnung von Einsatzschlüsseln war Wagenführs Einsatz für die Besatzer nicht erschöpft: Für die amerikanische Zone und schließlich für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet erstellte er darüber hinaus Indices der Industrieproduktion. Die aus Wert- und Mengenreihen aufgebauten Indices wurden auf die Werte und Gewichte der Nettoproduktion aus dem Industriezensus von 1936 basiert. Die letzte im Wagenführ-Archiv gefundene Zusammenstellung (Stand 15.9.1948) nennt für Januar bis Juni 1948 für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet Monatsindices (1936 = 100) über 37 Zeitreihen zusammengefasst sowie für einzelne Branchen (12 für Investitionsgüter, 6 für allgemeine Produktionsgüter und 8 für Verbrauchsgüter).14 Die Ergebnisse des Industriezensus von 1936 fanden darüber hinaus über die Veröffentlichung von 1939 ihren Weg in weiterführende Statistiken und schlugen sich in wirtschaftspolitischen Maßnahmen nieder. Die Manipulationen in der veröffentlich-
WABW N 10 Bü 51. WABW N 10 Bü 51. WABW N 10, Bü 6 und 7. Siehe auch BA DE2 1940 (Statistisches Zentralamt) mit den Wirtschaftsstatistiken der vier Besatzungszonen bis 1947, z. B. „Index der Industrieproduktion“, Januar 1946 bis November 1947 mit „1936 = 100“ oder „Monatliche Nettoproduktionswerte einzelner Industriezweige […] 1947 in % von 1936“, ebd. F 19 f. 12 13 14
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ten Version von 1939 müssen so geschickt getarnt gewesen sein, dass die Desinformationen nach dem Krieg nicht mehr erkannt wurden. In kaum nachvollziehbarer Naivität, wenn nicht gar Dreistigkeit, haben die jeweiligen statistischen Ämter in beiden Teilen Deutschlands15 die veröffentlichten Daten des Zensus unbesehen als Referenzgröße für einen neuen weiterführenden Produktionsindex verwendet.16 Das Zensusmaterial gelangte in mehrere einschlägige Statistiken: Am bekanntesten dürfte das vom Länderrat des amerikanischen Besatzungsgebiets im Jahre 1949 veröffentlichte „Statistische Handbuch von Deutschland 1928–1944“ sein, dem der Industriezensus von 1936 als eine Hauptquelle diente. „Geheimes“ oder nicht-veröffentlichtes Material wurde allerdings nicht herangezogen.17 Wegen der regionalen Gliederung in der 1939 veröffentlichten Version des Industriezensus18 eigneten sich die Angaben für die deutsche Industrie des Jahres 1936 nicht nur zur Umrechnung auf die späteren Besatzungszonen, sondern auch zur statistischen Fortführung in der künftigen BRD und DDR: Bis in die frühen 1950er Jahre war der Index der industriellen Produktion für die BRD auf den „veröffentlichten“ Industriezensus von 1936 basiert. Erst mit der Auswertung der Industrieerhebung von 1950 wurde ein neues Wägungsschema eingeführt.19 Im ersten „Statistischen Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland“ von 1952 wurden Vergleichszahlen der Vorkriegszeit in den Zeitreihen herangezogen: „Soweit wie möglich sind – trotz aller methodischen Bedenken – Zahlen der Vorkriegszeit auf das heutige Bundesgebiet umgerechnet worden, oder der Vergleich wurde durch Prokopfberechnungen oder die Angabe von Zahlen für das Reichsgebiet erleichtert.“ Während bei den Preisen sogar jährliche und teilweise monatliche Daten von 1924 bis Anfang 1945 mit 1913 (=100) als Basis zusammengestellt sind, wurden beim Volkseinkommen und anderen Komponenten der VGR Nachkriegsjahre immer mit dem Vorkriegsniveau von 1936 verglichen.20 Für die Praxis relevant wurde der Industriezensus im Nachkriegsdeutschland zuerst für die alliierten Produktionsbeschränkungen. Bei der Festlegung der zukünftigen Industrieproduktion orientierten sich die Besatzer Deutschlands an der Situation von 1936: „Die Daten des Jahres 1936 sind für die künftige Planung auch insofern besonders bemerkenswert, als sie die Basis für wichtige Entscheidungen der Alliierten über das Für die umfassende Wirtschaftsplanung (Zweijahrplan 1949/50) in der SBZ/DDR wurden allerdings die Originaldaten von 1936 herangezogen. 16 „Zuletzt bringt der Industriezensus von 1936 (vgl. Reichsamt Wehrwirtschaftliche Planung 1939) die notwendige Gewichtsgrundlage für einen breiteren Index der industriellen Produktion in Fortschreibung der Wagenführschen Arbeiten, der später zur Grundlage der Produktionsstatistik in beiden Teilen Nachkriegsdeutschlands wird.“ Ritschl 2002, S. 289 Anhang B (Textteil): Das Sozialprodukt. 17 StH1949, S. 270 ff.; siehe auch die Statistiksammlung von 1946, StH1946. 18 Reichsamt 1939, S. 127 ff.; Sleifer (2006), der die Originaldaten des Industriezensus von 1936 aus dem Bundesarchiv verarbeitete, benutzte die regional differenzierten Daten, um bei seinem Vergleich für 1936 eine hypothetische Basis für beide Teile Deutschlands zu konstruieren. 19 Wirtschaft und Statistik 1949/50, S. 371, 880 f.; 1950, S. 1337; 1951, S. 54; Fremdling/Stäglin 2007, S. 48 f. 20 StJB1952: Vorwort; XIX. Preise, S. 388 ff.; XXII. Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, S. 452 ff. 15
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künftig zugelassene Produktionsniveau der deutschen Wirtschaft bilden. So wurde im sogenannten ‚ersten Industrieplan‘ im großen und ganzen das Industrieniveau auf zwei Drittel des Standes von 1936 festgelegt.“21 Bis heute wird für langfristige Wirtschaftsanalysen in der wirtschaftswissenschaftlichen und historischen Forschung auf das Werk von Walther G. Hoffmann et al. zurückgegriffen. Über Angus Maddisons Arbeiten gingen Hoffmanns Zeitreihen auch in die international vergleichende Forschung ein. Vor verzerrenden Ergebnissen sind diese Forschungen nicht gefeit, wenn sie für die Zwischenkriegszeit und das Kaiserreich nach wie vor den industriellen Produktionsindex der Hoffmannschen Prägung verwenden. Zwar zogen Hoffmann et al. die verschleiernde Veröffentlichung des Reichsamts für Wehrwirtschaftliche Planung aus dem Jahr 1939 für ihre Schätzung des Wertschöpfungsniveaus nicht heran, benutzten diese aber, um die Gewichte für die Indexziffern über die Industrieproduktion zwischen 1850 und 1959 auf der Basis von 1936, modifiziert durch die Beschäftigten aus den Gewerbezählungen, festzulegen. Implizit wurden damit konstante Verhältnisse der Arbeitsproduktivität zwischen den industriellen Branchen von 1850 bis 1959 unterstellt.22 Leider haben Hoffmann et al. im Übrigen die außerordentliche Relevanz des umfassenden Industriezensus von 1936 völlig verkannt. Sie schrieben: „Allerdings handelt es sich auch bei dieser Statistik nur um eine Repräsentativerhebung“.23 So schlich sich die Desinformationspolitik des Reichsamts für Wehrwirtschaftliche Planung weit über die Zeit des Nationalsozialismus hinaus in die offiziellen Statistiken Nachkriegsdeutschlands und sogar in die selbst heute noch vielfach verwendeten Hoffmannschen Schätzungen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ein. Die Sowjetische Militäradministration
Im Folgenden geht es um die Anbahnung der Planwirtschaft in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bzw. in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Als Planungsgrundlage waren Statistiken des nationalsozialistischen Deutschlands unverzichtbar, denn in der SBZ bzw. DDR gelang es anfänglich nicht, eine eigene für die Einführung der Planwirtschaft hinreichende statistische Basis aufzubauen. Für diesen
Grünig 1948, S. 6; im Einzelnen siehe Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel et al. 1947. Eingehende Kritik an dieser Vorgehensweise, Fremdling 1988. Ein erstaunlicher Irrtum, wenn man bedenkt, dass Hoffmann während der NS-Zeit im Institut für Weltwirtschaft in Kiel gearbeitet hatte. Hoffmann et al. nahmen bei ihrer Hochrechnung auf die gesamte Industrie sogar die durchschnittliche Arbeitsproduktivität der „repräsentativen“ Arbeitskräfte (Hoffmann et al. 1965, S. 389). Dies ist eine kühne Annahme, da wie bei jedem Industriezensus die große Zahl der Kleinbetriebe mit niedriger Arbeitsproduktivität nicht (oder in diesem Fall nur für kriegswichtige Branchen) miterfasst worden war. Siehe dazu ausführlich Fremdling/Stäglin 2014a. 21 22 23
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Zweck kam deshalb vor allem der Industriezensus von 193624 zum Zuge. Die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK), seit Februar 1948 oberstes wirtschaftsleitendes Staatsorgan der SBZ,25 begründete diese Wahl treffend: Das Jahr 1936 [muss] als Grundlage für die Erhebungen und statistischen Arbeiten […] angenommen werden, da dieses Vorkriegsjahr einigermaßen normale Friedensverhältnisse aufweist und für das brauchbare statistische Erhebungen vorliegen. Aus diesem Grund wird das Jahr 1936 auch von der sowjetischen Besatzung für Vergleichszwecke herangezogen.26
Selbst das Statistische Jahrbuch der DDR (StJDDR), das ab 1956 erschien, zog anfänglich noch 1936 als Referenzjahr für die Bruttoproduktion der Industrie und die Produktion ausgewählter Erzeugnisse heran.27 Die DDR-Forschung hat den Rückgriff der SBZ/DDR-Planer auf die Wirtschaftsstatistiken und das planerische Instrumentarium der nationalsozialistischen Lenkungswirtschaft allenfalls kurz angesprochen, jedoch nicht adäquat thematisiert.28 Die einschlägigen Arbeiten Zanks29, Mühlfriedels30 und Roeslers31 zur SBZ/DDR-Planwirtschaft vernachlässigten diesen Aspekt. Während Zank und Mühlfriedel die unmittelbaren Nachkriegsjahre, also die SBZ-Zeit, abdeckten, konzentrierte sich Roesler auf die „Ausgangsbedingungen und Zielstellungen für den Aufbau des Sozialismus in der DDR zu Beginn der fünfziger Jahre“. Zu zahlreichen Aspekten der Wirtschaftsplanung in der SBZ kann auch die grundlegende Arbeit Halders32 über Sachsen herangezogen werden.
Fremdling/Stäglin 2014a, S. 212 ff. Siehe den „Befehl Nr. 32“ des „Obersten Chefs“ der SMAD vom 12.2.1948, abgedruckt in: Ministerium 1968, S. 585 f.; über die rechtlichen Kompetenzen vgl. S. 623 f. 26 BA DC15 6 F 8, DWK-Arbeitsprogramm der Abteilung für Wirtschaftsfragen (Entwurf) 5.8.1947. Den Statistikern der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) diente der Industriezensus von 1936 geradezu als Modell für die Industrieberichterstattung. WABW, N 10/Bü54, Brief vom 24.5.1946 an von Roeder (StZA). 27 StJDDR 1955, Jg. 1. 28 Steiner (2007, S. 45 f.) weist allerdings auf eine personelle Kontinuität hin, und Halder (2001, S. 116 ff.) widmet dem Thema, bezogen auf Sachsen, einen längeren Abschnitt. Siehe auch Schneider (1996, S. 42 ff.), der den Übergang von der NS-Zeit zur SBZ/DDR mit Verweisen auf Arbeiten von Thalheim, Lütge und Winkel anspricht. Schwarzer (1999, S. 56 ff.) bietet eher eine apologetische Ablehnung der „Zentralplanung“ als eine nüchterne Analyse. Tooze (2001, S. 288) verweist auf die Leipziger Dissertation von Starke und Supke von 1988, in der die Kontinuität des DDR-Planungssystems mit den NS-Praktiken thematisiert wird. 29 Zank 1984. Er konnte sich zudem nur auf das „im Westen zugängliche Material“ stützen. Zank (S. 490– 491) verweist lediglich auf die „Unzulänglichkeiten des statistischen Materials“. 30 Mühlfriedel 1985/2, 1985/3 und 1987. In dem Aufsatz von 1987 (S. 35) verweist Mühlfriedel allerdings auf Arbeiten des StZA zur Industriestruktur der SBZ vor dem Krieg. Dort wird auch eine Ausarbeitung Baars von 1967 zu diesem Thema erwähnt. 31 Roesler 1978, Zitat, S. 1. 32 Halder 2001. 24 25
Die Sowjetische Militäradministration
In diesem Kapitel hier geht es weniger um die Wirtschaftspläne und die Planwirtschaft an sich, sondern vielmehr um die wirtschaftsstatistischen Grundlagen dafür. Die Analyse stützt sich im Wesentlichen auf Akten des Statistischen Zentralamts (StZA) im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde,33 und fast ausschließlich auf die Wirtschaftsstatistik für die Industrie.34 Zeitlich liegt der Schwerpunkt in den Nachkriegsjahren und in der Gründungsphase der DDR. Damals wurden die Weichen für die wirtschaftsstatistische Aufarbeitung der DDR und die Etablierung der Planwirtschaft gestellt. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD)35 regierte in ihrem Besatzungsgebiet mit „Befehlen“ und mit der von ihr geschaffenen Verwaltung.36 Unter der Zentralbehörde in Berlin-Karlshorst gab es Einrichtungen der SMAD auf der Ebene der Länder oder der ehemaligen preußischen Provinzen und weiter darunter bei regionalen bzw. lokalen Gebietskörperschaften. Parallel zu den deutschen Länder- sowie Provinzialverwaltungen hatte der SMAD-Befehl Nr. 17 vom 27. Juli 1945 mit Wirkung zum 10. August 1945 mit zahlreichen Zentralen deutsche Behörden der Zivilverwaltung37 geschaffen, unter anderem die Deutsche Zentralverwaltung der Industrie (DZVI). Bis Mitte 1946 wurden noch weitere derartige Behörden eingerichtet, darunter mit dem Befehl Nr. 105 vom 19. Oktober 1945 die „Deutsche Zentralverwaltung für Statistik in der Sowjetischen Besatzungszone“, kurz Statistisches Zentralamt (StZA) genannt.38 Unmittelbar nach dem Krieg ging es den Behörden lediglich um „kurzfristige Pläne“, die nur wenige strategische Wirtschaftszweige betrafen: „die schnelle Beseitigung der Kriegsschäden und die langsame Normalisierung des Wirtschaftslebens […], BA DE2. Das Findbuch erfasst den Bestand bisher nur oberflächlich. Die Blätter der Archivalien sind nicht foliiert, also nicht durchnummeriert. In den unsortierten Beständen, vor allem zur SBZ, finden sich nicht selten Materialien aus dem Statistischen Reichsamt (StRA), die eigentlich unter BA R3102 einzuordnen wären. Teilweise muss das geschehen sein, denn unter BA R3102 tauchen auch Archivalien, vor allem zum Industriezensus von 1936, auf, die mit der Aufschrift „Bureau Leuschner“ gestempelt oder eingebunden sind. Ein anderes Beispiel ist die umfangreiche tabellarische Zusammenstellung vom 20.12.1945 über „Das Volksvermögen der sowjetischen Zone im Jahre 1937/38“ im Bestand des StRA (R3102 3422 F 65 f.). Siehe auch die Aufstellung von 1957 über „Altschriftgut des ehemaligen Statistischen Reichsamts“, das „dem Verwaltungsarchiv“ übergeben wurde oder noch „als Arbeitsunterlage weiterhin in der HA Industrie“ verblieb. 30.7.1957, BA DE2 43387. 34 Für andere Bereiche, wie den Arbeitsmarkt, siehe Zank 1987 und Hoffmann 2002. 35 Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) wurde am 9.6.1945 eingerichtet, einen Monat später wurden Militärverwaltungen (SMV bzw. SMA) in den drei Ländern und zwei Provinzen etabliert. Wille 1995, S. 142. Zur Organisationsstruktur siehe vor allem Foitzik 1999, S. 97 ff. 36 Zum Folgenden siehe Niedbalski 1985; Foitzik 1995, 1999; Malycha 2016; Hoffmann 2016, S. 428 ff.; exemplarisch für Sachsen Halder 2001, S. 50 ff. 37 Im Juli 1945 wurden Ämter für Wirtschaft bei den Landes- und Provinzialverwaltungen gegründet, Roesler 1978, S. 3. 38 „Einige Zentralverwaltungen, wie die für […] Statistik wuchsen sehr bald über die Rolle von ‚Hilfsorganen der SMAD-Zentrale‘ […] hinaus und nahmen die Funktionen ehemaliger oberster Reichsbehörden für das Gebiet der Ostzone wahr.“ Niedbalski (1985, S. 457) beruft sich auf die Einschätzung Weißleders. 33
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d. h. die schnelle Wiederaufnahme volkswirtschaftlich wichtiger Produktionen, die Mobilisierung und Lenkung von Rohstoffreserven, die Erfassung und der Einsatz von Arbeitskräften.“39 In der Mangelwirtschaft war die Bevölkerung zu versorgen. Darüber hinaus lag den sowjetischen Besatzern unmittelbar daran, die Produktion wieder zu aktivieren, um ihre Reparationsforderungen zu befriedigen. Diese wurden nicht nur mit der Demontage vorhandener Anlagen umgesetzt, sondern auch mit Reparationen aus der laufenden Produktion, was schließlich mit der Einführung der Sowjetischen Aktiengesellschaften (SAG) perfektioniert wurde.40 Eine planvolle staatliche Lenkung oder Verwaltung der Wirtschaft war für die politisch Handelnden selbstverständlich und war zudem von einem breiten Konsens getragen.41 Bis in das Jahr 1948 hinein gab es lediglich eine vierteljährliche Gesamtplanung.42 Diese gelenkte Wirtschaft mit Preiskontrollen und Güterbewirtschaftung stützte sich allerdings nicht, wie die Kriegswirtschaft zuvor, auf die privatwirtschaftlich organisierten Wirtschaftsgruppen als Lenkungsorgane. Nach Steiner wurden deren Ambitionen, im planerischen Bereich wieder an die alte Funktion anzuknüpfen, „schnell unterbunden.“43 Gleich nach der Besetzung hatten sowjetische Armeekommandeure befohlen, die Produktion in ihrem jeweiligen Einflussbereich wieder anzukurbeln. Diese lokalen Initiativen wurden durch den „Befehl Nr. 9“ vom 21. Juli 1945 des „Oberbefehlshabers der Sowjetischen Kriegsadministration in Deutschland […] Zum Zwecke der Beschleunigung der Abwicklung von Industrieunternehmen in der Sowjet-Zone des besetzten Deutschlands“ und durch weitere zentrale Produktionsbefehle ergänzt bzw. abgelöst.44 Faktisch enthielt der Befehl Nr. 9 Anweisungen und Regelungen, um vor allem die Industrieproduktion zu aktivieren.45 Darüber hinaus bot er Ansätze, von der Befehlsund Lenkungswirtschaft zur Planwirtschaft überzuleiten.46 Die statistische Erfassung der Produktion und der Vorräte sowie die Berichterstattung an die Lenkungs- bzw. Planungsorgane wurden inhaltlich (Erfassungskriterien, Fragebogen) mit zeitlichen Zielvorgaben „befohlen“. Hiermit sollte von Anfang an das Informationsproblem an-
Zitate von Bruno Leuschner, nach Roesler 1978, S. 2; siehe auch Zank 1984, S. 485. Baar et al. 1993; Karlsch 1995, insbesondere S. 58 ff.; Karlsch 1993, S. 110 ff.; Wille 1995, S. 150 ff.; Foitzik 1999, S. 187–191; Boldorf 2015, S. 71–81, 88–108. 41 Halder 2001, S. 166; Steiner 2007, S. 44 f. Siehe Boldorf 2016, S. 150 ff. („Wirtschaftsregulierung: Von der Kommandowirtschaft zur zentralen Planbarkeit“) und Boldorf 2015, S. 22 ff. zur „ordnungspolitischen Weichenstellung“. 42 Holzwarth 1995, S. 253. Ausführlich dazu der Aufsatz von Mühlfriedel 1985/2. 43 Steiner 2007, S. 45. 44 Eine Kopie des Befehls findet sich zusammen mit weiteren Unterlagen zur gelenkten Wirtschaft der SBZ in den Anfangsjahren (1945/46) in: BA DE2 43397. Zum Folgebefehl Nr. 43 siehe Halder 2001, S. 77 ff. 45 Steiner 2007, S. 45; Halder 2001, S. 62 ff.; Mühlfriedel 1985/2, S. 9 ff.; Roesler 1978, S. 2. 46 Für Mühlfriedel war der Befehl Nr. 9 deshalb auch die „Geburtsurkunde“ der DDR-Planwirtschaft. Mühlfriedel 1985/2, S. 9. 39 40
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gegangen werden, dessen Lösung neben dem Anreizproblem zu einer funktionierenden Planwirtschaft gehört.47 Im Einzelnen führte der Befehl Nr. 948 auf 2,5-Schreibmaschinenseiten (ohne die umfangreichen Anlagen) elf spezifische Punkte auf. Er richtete sich an die „Präsidenten der Provinzial-Verwaltungen und den Oberbürgermeister der Stadt Berlin“, also an die Spitzen der regional gegliederten Zivilverwaltung der SBZ.49 Ihnen und selbst den „Bürgermeistern der Selbstverwaltungen“ (unter Punkt Drei) räumte er sogar das Recht ein, „die eingeteilten vorhandenen Vorräte an Heizstoffen und Materialien umzudisponieren“, d. h. von den vorherigen Vorgaben „der Vorgesetzten der sowjetischen Kriegsadministration in den Provinzen“ abzuweichen. Im Punkt Eins wurden die „Betriebe“ oder besser die Branchen benannt, deren Produktion bis zum „15.8.1945“ wieder zu beleben sei. Dabei wurden vier deutliche Schwerpunkte gesetzt: In erster Linie auf die Produktion von synthetischem Brennstoff, Kunstdünger, Kohle und Elektrizität, danach auf „Ausbesserungswerkstätten“ und die Ersatzteilproduktion für Transportmittel und landwirtschaftliche Maschinen, an dritter Stelle folgten die Konsumgüterindustrien des unmittelbaren Bedarfs (Nahrungsmittel, Kleidung und Schuhe) und schließlich Baustoffbetriebe. In Punkt Zwei wurde die „Führung der Industrie-Betriebe“ geregelt und zudem (2.c) die Erfassungs- und Berichtspflicht eingefordert, nämlich den bestehenden Vorrat an Rohmaterial, Materialien, Heizmaterial und Halbfabrikaten [festzustellen], exakten Abgang darüber [zu] führen – in erster Linie für Ausführungen von Bestellungen für die Besatzungstruppen, Eisenbahnen, Elektro-Stationen, Kohle-Brikett-Industrie, Betriebe der flüssigen Heizstoffe und der künstlichen Düngemittel. Berichte über die vorhandenen Vorräte dieser Materialien und Heizstoffe sind zum 10.8.45 an die Leiter der sowjetischen Kriegsadministration in den Provinzen laut Formular Nr. 1 einzureichen.50
Steiner 2007, S. 13. Der Übersetzer des Befehls ins Deutsche ging offensichtlich etwas eigenwillig mit der deutschen Syntax um. Bei den Zitaten ist der Satzbau beibehalten. Nach Halder (2001, S. 63 f.) gibt es zudem sprachlich verschiedene Versionen des Befehls Nr. 9. Die Version in der 1968 erschienenen Dokumentensammlung (Ministerium 1968, S. 72) ist nicht nur sprachlich geglättet, sondern auch inhaltlich verändert. Z. B. lautet der von mir zitierte Punkt 3, Satz 2 in der 1968er Version: „um im Einvernehmen mit der Sowjetischen Militäradministration eine planvolle Verteilung der Vorräte aller Materialien und Treibstoffe vorzunehmen.“ 49 Das Zusammenwirken der Militär- und Zivilverwaltung auf regionaler und lokaler Ebene in Sachsen-Anhalt zur Umsetzung des Befehls Nr. 9 beschreibt Wille (1995, S. 144 ff.). Am 15.8.1945 und am 13./14.11.1946 fanden Konferenzen „über den Vollzug des Befehls Nr. 9“ zwischen der Obersten Führung der SMAD und den Präsidenten der Landes- bzw. Provinzialverwaltungen statt, im November nahmen auch die Präsidenten der Deutschen Zentralverwaltungen teil (Foitzik 1995, S. 17). 50 Das Formular (Anlage Nr. 1 zum Befehl Nr. 9. BA DE2 43397) „über das Vorhandensein von Rohmaterial, Materialien und Heizstoffen bei Industrie-Unternehmen und Absatzlägern, nach dem Stand vom 1. August 1945“ führte 102 Produkte vorwiegend geordnet nach Produktgruppen bzw. Industrien auf (z. B. Heizstoffe, Metalle, Baumaterialien, Chemikalien, Textilien, Lebensmittel-Rohmaterialien), die nur mit 47 48
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Diese Berichtspflicht direkt an die Militäradministration galt auch noch im Januar 1946, obwohl das im Oktober 1945 gegründete StZA, und die Statistische Abteilung der SMAD in Berlin parallel dazu eine monatliche Industrieberichterstattung mit anders konzipierten Fragebögen auferlegten. Schon allein die weiterbestehende Berichtspflicht aufgrund des Befehls Nr. 951 wurde als so arbeitsaufwändig gesehen, dass die Statistischen Landesämter beide Pflichten zusammen als nicht durchführbar erachteten. Die zusätzlich vom StZA aufgebürdete Arbeit wurde, wenn nicht offen abgelehnt, so doch faktisch nicht geleistet. Damit scheiterte der im Januar 1946 verkündete Ansatz zur Zentralisierung der Wirtschaftsstatistik unter der Verantwortung des StZA im Februar 1946 zunächst.52 Punkt Drei des Befehls Nr. 9 galt dem Einsatz von Arbeitskräften. Priorität hatten „die Betriebe, die Aufträge der Besatzungstruppen auszuführen haben“ und danach die Erzeugung von Heizstoffen, Kunstdünger und Elektrizität. Hier wurden der Zivilverwaltung gegenüber den Militärbehörden, wie bereits angesprochen, weitgehende Rechte eingeräumt. Punkt Vier setzte allerdings Kompetenzen zwischen der Militärund Zivilverwaltung bei der Zuteilung von Vorräten und Erzeugnissen der laufenden Produktion anhand detaillierter Listen fest: Bis auf „Baumaterialien, Torf, Glas, Sanitär- und technische Anlagen, Wegebau- und Bauanlagen“ blieb alles der SMAD vorbehalten.53 Grundsätzlich hatten die Versorgung der Besatzungstruppen und die bereits genannten strategischen Industrien bzw. Produkte Vorrang. Der Befehl Nr. 9 gab mit der Fixierung der Preise und einem Zeitschema für Planungsvorgaben schon klare Anweisungen für die angebahnte Lenkungs- bzw. Planwirtschaft: In Punkt Fünf wurden die Verkaufspreise auf den Stand von 1944 eingefroren. Unter Punkt Sieben wurde „von Firmen, Betrieben und Unternehmen, die sich mit dem Absatz von flüssigen und Hart-Brennstoffen (Elektro-Energie), künstlichem Dünger, Rohstoffen und wichtigsten Materialien beschäftigen […] ein Verzeichnis […] mit ihrer technisch-ökonomischen Charakteristik“ verlangt, das zum 15. August 1945 beim „Oberkommandierenden“ der SMAD und den „Vorgesetzten“ der SMAD in den Provinzen einzureichen war. Schließlich war nach Punkt Acht ein „Projekt eines Planes der im 4. Quartal 1945 vorgesehenen Produktion – nach Unternehmen und
Gewicht anzugeben waren. Nach Halder waren die Landräte und Oberbürgermeister in Sachsen damit überfordert (Halder 2001, S. 71). 51 Dazu gehörten wohl auch folgende darauf basierende weitergehende Anweisungen und „Befehle“, wie Nr. 72. Siehe die Befehlsliste bei Mühlfriedel 1985/2, S. 13. 52 Siehe den dramatischen Brief Müllers, Leiter des Statistischen Amtes des Landes Thüringen, vom 22.1.1946 an das StZA. BA DE2 43397. 53 Siehe die Anlagen Nr. 2 und 3 zum Befehl Nr. 9. BA DE2 43397. Anlage Nr. 3 trägt fälschlicherweise dieselbe Überschrift wie Anlage Nr. 2 „Anlagen und Materialien, die durch die Vorgesetzten der sowjetischen Militäradministration geregelt werden“. Im Punkt Drei des Befehls Nr. 9 sind diese Bereiche der Zivilverwaltung zugeordnet. Die Wirtschaftsministerien der Länder waren für die Verteilung, die nicht unter die SMAD fiel, verantwortlich. Siehe Zank 1984, S. 488.
Die Sowjetische Militäradministration
Provinzen“ auszuarbeiten, und die vorgegebenen Formulare waren zum 10. August 1945 bei den schon genannten Stellen der SMAD einzureichen. Vermutlich ging es um die unter Punkt Sieben genannten Betriebe, denn für die restlichen Betriebe wurde unter Punkt Elf ein Absatz- bzw. Produktionsplan für das 4. Quartal zum 20. September 1945 verlangt. Die Formulare, ergänzt durch ein Blatt mit kurzen Hinweisen, waren knapp und einfach gehalten.54 Die einzeiligen Formulare 4a bis 4c sollten jeweils für das „4. Quartal 1945“ den „Bedarf “ der Betriebe an Vorleistungen (Input), an Arbeitskräften zu den Stichtagen 1. Oktober 1945 und 1. Januar 1946 und an „Fuhren“ für den Transport aufführen. Ähnlich simpel waren die Formularvorgaben für den „Plan der Produktionslieferung“ und die „Mitteilungen“ über die Erzeugung, jeweils nicht in Wertgrößen, sondern „in Tonnen oder anderen Maßen des metrischen Systems“. Im „Formular Nr. 4“ erfragte die „Industrie-Abtlg.“ der SMAD von den „Provinzialselbstverwaltungen“ zum 10. August 1945 Planvorgaben mit „Absatzpreisen“ und Vergleichswerten für das Jahr 1944 und das erste Halbjahr 1945. Das Formular Nr. 4 forderte auch eine monatliche Berichterstattung ein: Jeweils „am 5. eines jeden Monats für den verflossenen Monat, für jeden Industriezweig55 separat.“ Der Befehl Nr. 7256 vom 25. September 1945 zur „Registrierung der Industrieunternehmen in der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland“ trieb den weiteren Aufbau der wirtschaftsstatistischen Informationsbasis für das Planungssystem wesentlich voran. Die Inventarisierung der industriellen Produktionskapazität wurde in diesem Befehl offensichtlich auch als Voraussetzung oder zumindest Nebenbedingung gesehen, um „zur schnellsten Wiederaufnahme einer normalen Tätigkeit der Industrieunternehmen“ zu kommen.57 Adressaten des Befehls waren, wie schon bei Befehl Nr. 9, die regionalen und örtlichen Zivilverwaltungen der SBZ: die Präsidenten der Provinzen und Länder, die Bürgermeister und Landräte.58 Zu registrieren waren alle Betriebe nach dem Stand vom 10. Oktober 1945 (auch nicht arbeitende Industrieunternehmen) mit mehr als 10 Beschäftigten oder deren Produktion 1944 höher als 100.000 RM war.59 Erhebungseinheit waren also die Betriebe selbst, deren Besitzer oder Direktoren die Registrierungsformulare, zweisprachig, auch in russischer Sprache, bis zum 25. Okto-
54 55
den.
Halder (2001, S. 64), der die Existenz der Anlagen bezweifelte, ist somit zu korrigieren. Größere Betriebe („Produktionslieferung über RM 500 000.-“) mussten gesondert ausgewiesen wer-
BA DE2 43397. Auch abgedruckt in Foitzik 1995, S. 181 f. Zu den Schwierigkeiten, die Industriebetriebe überhaupt adäquat zu erfassen, geschweige denn die Produktionsvorgaben umzusetzen, siehe Wille 1995, S. 145 ff. und Halder 2001, S. 119 ff. 58 Siehe auch Steiner (1993, 2000), der auf die regionalen bzw. zentralen Zuständigkeiten in der SBZ bis 1947 eingeht. Für die Zeit danach bis Anfang 1949, siehe Holzwarth (1995). 59 Von der Registrierung wurden u. a. Kohleförderungs- und Verarbeitungsanlagen, die bereits mit dem Befehl Nr. 7 vom 14.7.1945 (abgedruckt in Foitzik 1995, S. 177 ff.) erfasst waren, ausgenommen. BA DE2 43397, Anlage Nr. 2 zum Befehl Nr. 72, Punkt I.9. 56 57
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ber 1945 auszufüllen hatten; „zum 1. November 1945 ist das gesamte Registrierungsmaterial der Deutschen Industrieverwaltung und der Industrieabteilung der sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland vorzulegen.“ Konkrete Personalanforderungen wurden für die Dauer der Registrierung vor allem für den „Chef der Industrieabteilung der Sowjetischen Militärverwaltung“ gestellt: 100 bzw. 200 Ingenieure und Techniker je Provinz bzw. Land. Der „Erfassungsvordruck der Industrieabteilung der SMV in Deutschland“ war wesentlich umfangreicher, detaillierter und systematischer aufgebaut als die einfachen des Befehls Nr. 9: Neben den selbstverständlichen Angaben zur Identifizierung der einzelnen Betriebe musste die höchstmögliche Produktionsleistung im Monat mit Vergleichszahlen für 1939, 1944 und 1945 in physischen Größen, aber auch in Preisen von 1938 angegeben werden. Detaillierte Auskunft über die Belegschaft und vor allem über die vorhandenen Produktionsanlagen des „Unternehmens“60 und deren technischen Zustand mit Vergleichsangaben zum Stand 1939 und 1944 wurde verlangt. Die beigefügten Anweisungen zum Ausfüllen des Registrierungsformulars vom „Chef der Industrieabteilung der sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland G. Alexandrow“ umfassten zweieinhalb eng beschriebene Seiten. In der vorliegenden Akte war der Fragebogen beispielhaft für das Werk der Adam Opel AG in Brandenburg (Havel) ausgefüllt: Damit hatte man merkwürdigerweise eine Betriebsstätte ausgewählt, die demontiert worden war, so dass zwar Angaben für die Kriegszeit, aber natürlich keine mehr über die eigentlich interessierende „Gegenwart“ von 1945 gemacht werden konnten. In den Anweisungen wurden unter Punkt I.5. die Empfänger der vier weitergegebenen Exemplare aufgeführt: Die Sowjetische Militärverwaltung (SMV) der Provinzen, die Provinzialverwaltung, die Industrieverwaltung der SMV in Deutschland und die Zentralverwaltung der Deutschen Industrie (ZVDI). An dieser Verteilung wird der noch stets vorherrschende zweigleisige (Militär- und Zivilbehörden) und dezentral (regional) gegliederte Aufbau verantwortlicher Stellen deutlich.61 Eine zentrale Institution, die den Erhebungs- und Verarbeitungsprozess sachkundig und zwingend steuern und vor allem das wirtschaftsstatistische Material informationstechnisch adäquat für die verwaltenden und lenkenden Stellen verarbeiten hätte können, wie es das StZA werden sollte, war offensichtlich anfänglich noch nicht vorgesehen. Jedoch hatte sich im November 1945 der „Chef der Statistischen Abteilung
Der Begriff „Unternehmen“ ist irreführend: gemeint sind Betriebe oder besser örtlich erfassbare Betriebsstätten. 61 Zu den Schwierigkeiten, den „Befehl Nr. 103 Aufstellung von Wirtschaftsplänen für 1946 (19. Oktober 1945)“ tatsächlich umzusetzen, siehe Mühlfriedel 1985/2, S. 13 f.; Halder 2001, S. 155 ff.; Niedbalski 1985, S. 467 ff. und Boldorf 2016, S. 155. 60
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der SMA in Deutschland gez. Logatschew“62 an das „deutsche Statistische Büro“63 gewandt, um die von seiner Abteilung entworfenen Formulare für die Aufarbeitung der Rechenschaftsberichte der Industrie zu benutzen. Offensichtlich war das Statistische Zentralamt (StZA) damit betraut worden, die monatlichen Berichte aus den Provinzen und Ländern zusammenzustellen und sorgfältig analysiert der „Statistischen Abteilung der SMA zum 20sten jeden Monats“ zuzustellen. Logatschew hielt es zudem „für zweckmäßig, Ihre Vertreter [des StZA] mit Instruktionsvorschriften in die Provinzen und föderativen Länder zu entsenden.“ Die beiden Formulare mit dem Datum 26. November 1945 bezeichneten das „Statistische Zentralamt“ als verantwortliche Stelle für die zusammenzustellenden Rechenschaftsberichte: „Einteilung I Herstellung der Haupterzeugnisse mengenmäßig“ und „Einteilung II Festgestellte Produktion wertmäßig“. Die Produktion sollte monatlich im Vergleich zum Vormonat, zu Anfang des laufenden Jahres und zum Soll aufgeführt werden. Darüber hinaus war die Zahl der Betriebe und der Arbeitskräfte anzugeben. Mit diesem Brief wuchs dem StZA eine Aufgabe zu, die in der NS-Kriegswirtschaft das Statistische Reichsamt (StRA) zusammen mit den privatwirtschaftlich organisierten Lenkungsbereichen (Wirtschafts- bzw. Fachgruppen, vor allem der Reichsgruppe Industrie) wahrgenommen hatte. Diese Initiative und die Gründung des StZA im Oktober 1945 kamen offensichtlich zu spät, um eine koordinierte und in sich schlüssige Erhebung auf Zonenebene zu erreichen. Denn trotz der relativ einfach aufgebauten Erhebungsbögen des Befehls Nr. 9 und der weitergehenden Anweisungen des Befehls Nr. 72 misslang eine konsistente Berichterstattung. Im Nachhinein stellte sich dieses Versäumnis als schwerwiegender Fehler heraus. Auf der zweiten Tagung des „Statistischen Zentralausschusses“ vom 16. bis 18. Januar 1946 kam zur Sprache, dass das StZA nicht in der Lage gewesen sei, den von der SMA geforderten Gesamtüberblick über die wirtschaftliche Entwicklung in der gesamten Zone für 1945 zu geben, weil „ein Zusammenbau“ des „statistischen Materials von den Provinzial- und Landesverwaltungen […] unmöglich ist.“64 Nun zeigte sich, dass die Befehle Nr. 9 und Nr. 72 in den einzelnen Ländern nicht hinreichend umgesetzt worden waren.
Foitzik 1999, S. 448, 468. BA DE2 43397 Stab der SMAD, Statistische Abteilung 22. November 1945. Es dürfte sich um die „Deutsche Zentralverwaltung für Statistik in der Sowjetischen Besatzungszone“ gehandelt haben, kurz Statistisches Zentralamt (StZA) genannt, die am 19. Oktober 1945 gegründet worden war. 64 BA DE2 43397, Niederschrift, S. 18 f. 62 63
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Das Scheitern des Statistischen Zentralamts bei der Industrieberichterstattung in der Sowjetischen Besatzungszone
Die „Deutsche Zentralverwaltung für Statistik in der Sowjetischen Besatzungszone“ bzw. das Statistische Zentralamt (StZA)65 führte seit Oktober 1945 in demselben Berliner Gebäude66 die Arbeiten fort, die unter der Leitung Gleitzes67 mit der Reorganisation des Statistischen Reichsamts und 500 Mitarbeitern im Juni 1945 begonnen worden waren.68 Im Befehl Nr. 105 wurde der Etat mit lediglich 150 Mitarbeitern genehmigt. Eine hinreichende statistischen Basis für die Lenkungs- und Planungsorgane in der SBZ musste zweigleisig entwickelt werden: Zum einen ging es um die bereits geschilderte informationstechnische Aufbereitung der laufenden Berichterstattung, zum anderen musste auf Statistiken und Erhebungstechniken aus der NS-Zeit zurückgegriffen werden. Mit diesen beiden Feldern war der künftige Aufgabenbereich des StZA abgesteckt. Bevor das StZA in die im Juni 1947 gegründete Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) eingegliedert wurde, verhinderte vor allem die föderative Struktur der sowjetischen Zone, dass das StZA die zentrale Stellung bei der Erhebung und planungstechnischen Verarbeitung der Wirtschaftsstatistiken gewann. Im Folgenden wird dieser Misserfolg belegt. Das Scheitern des StZA, für das Vorjahr einen Gesamtüberblick über die wirtschaftliche Entwicklung in der gesamten Zone zu erstellen, überschattete die zweite Tagung69 des Statistischen Zentralausschusses vom 16. bis 18. Januar 1946. Im Dienstgebäude und unter der Leitung Bruno Gleitzes als Präsident des StZA beschäftigte man sich neben organisatorischen Fragen des statistischen Dienstes (Referent Gleitze) mit der Bevölkerungsstatistik, u. a. mit der Aufbereitung der Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 1. Dezember 1945, (Referent Kruse), mit der Betriebsberichterstattung der Industrie, des Handwerks, des Handels und des Agrarsektors (Referent Gleitze), mit der Wirtschaftsstatistik, u. a. der Industrieberichterstattung, Lohnerhebungen und Preisstatistik (Referent v. Roeder) und schließlich mit der Landwirtschaft (Referent Reuber) und der Finanzwirtschaft (Referent Hötte).70 Neben den Sitzungen einzelner Arbeitsausschüsse war zum Abschluss der Tagung eine Führung durch die Holle-
Manchmal auch „Zentralstelle“ statt „Zentralverwaltung“. Parallel zum Statistischen Zentralamt (StZA) entstanden Statistische Landesämter und ab Frühjahr 1946 Statistische Kreisämter. Siehe den einleitenden Text zum Findbuch dieses Bestandes im Bundesarchiv, BA DE2. Der kurze Gründungsbefehl Nr. 105 vom 19. Oktober 1945 ist abgedruckt in Foitzik 1995, S. 185. Siehe auch Ludwig 2009. 66 Berlin C 2, Klosterstraße 80–85. Ehemaliger Sitz der „industriellen Produktionsstatistik“ bzw. des RWP, das Hauptgebäude des StRA in der Neuen Königsstraße war im Krieg zerstört worden. 67 Siehe die biografische Skizze im Anhang. 68 Gleitze 1956, S. XIV. 69 BA DE2 43397. Zur ersten Tagung lagen mir keine Unterlagen vor. 70 Zu den Anfängen der amtlichen Statistik in der SBZ und DDR siehe die knappe Einführung in StBA 1999. 65
Das Scheitern des Statistischen Zentralamts bei der Industrieberichterstattung
rithabteilung angesetzt. Die umfangreiche Teilnehmerliste weist Vertreter der SMAD (mit Logatschew, dem Leiter der statistischen Abteilung), des Magistrats der Stadt Berlin, der Länder und Provinzen mit den statistischen Landesämtern, der Wissenschaft, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW, u. a. Grünig) und der Zentralverwaltungen71 auf. Aus der Niederschrift geht hervor, dass nach den Aussagen Gleitzes die Zusammenarbeit des StZA mit den statistischen Ämtern der Länder und Kommunen Konflikte auslöste, weil „die Herren der Deutschen Verwaltungen […] in unserer Hilfe einen Eingriff in die Hoheitsbefugnisse ihres Landes“ sahen. Lediglich der Leiter des Statistischen Landesamtes in Thüringen, Müller, konnte auf der Tagung unwidersprochen ausführen, dass „die Produktionserhebungen für 1944 und das 4. Quartal 1945 auf Grund des Shukow-Befehls Nr. 9“ durchgeführt worden seien. Er habe keine Probleme bei der monatlichen Industrieberichterstattung, denn „Wir besitzen ein Statistisches Amt mit fester Grundlage, daß [sic] sich nach dem Zusammenbruch nicht zu verändern brauchte.“ Hier zeigte sich also auch eine institutionelle Kontinuität mit der NS-Zeit. Auf die Konflikte und unklare Kompetenzverteilung72 zwischen dem StZA und den regionalen Ämtern war der Vertreter der SMAD Logatschew offensichtlich vorbereitet, und die SMAD hatte bereits entsprechende Befehle in der Schublade. Er erklärte u. a.: Die angeschnittene Planungsfrage ist […] eine der wichtigsten und für uns Sowjet-Menschen sehr klar und sehr verständlich. Wir treiben seit 20 Jahren wissenschaftlich begründete Planung, deren wichtigste Stütze die Statistik ist und bleibt. Aber bei uns hat die Statistik Ordnung, bei Ihnen nicht, solange Sie dem Statistischen Zentralamt die Gefolgschaft versagen. Ein Befehl des Marschalls Shukow wird das ändern, er wird lauten: 1. Das Statistische Zentralamt ist das höchste statistische Organ der deutschen Selbstverwaltung, das die gesamte statistische Arbeit der deutschen Selbstverwaltungen und der Statistischen Landesämter vereinigt. 2. Das Statistische Zentralamt arbeitet unter der Leitung eines verantwortlichen Präsidenten und seines Stellvertreters. Es bekommt die Weisungen von der SMA und gibt sie weiter an die Statistischen Landesämter, welche die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stellen. Einzelaufgaben des Zentralamts sind: Organisierung aller Erhebungen und Berichterstattungen in allen Wirtschaftszweigen der sowjetischen Besatzungszone, Formularentwürfe, Ausrichtung der Erhebungsmethoden, Kontrolle aller Aufträge, die von anderer Seite den Landes- und Kommunalämtern gestellt werden, und ihre Durchführung. Die SMA hat auf Grund ihrer Erfahrungen sehr genaue
In der Liste des StZA fehlt Wagenführ. Zur unklaren Kompetenzverteilung zwischen den Deutschen Zentralverwaltungen und den Ländern von Anfang an siehe Foitzik 1995, S. 34 ff. 71 72
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Vorstellungen von der Leistungsfähigkeit und der rechtmäßigen Berufung des Statistischen Zentralamtes für alle diese Aufgaben.73
Für diese Klärung der Kompetenzverteilung zeigte sich Gleitze natürlich dankbar: Auf dem Gebiet der Statistik wurde also schon Anfang 1946 versucht, die Zuständigkeiten gegenüber den Ländern zu zentralisieren. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 1. Dezember 1945 stand noch zur Aufbereitung an. Der Referent Kruse war sich nicht sicher, ob die Erhebung geglückt sei, zumal man aus Ersparnisgründen versucht habe, „die notwendigen statistischen Daten aus der Personenstandsaufnahme zu gewinnen“, d. h. es fand keine Erhebung bei den Betrieben74, sondern nur bei den Haushalten statt. Tatsächlich wurden die Ergebnisse bereits im Dezember 1946 veröffentlicht:75 Im Titel des schmalen Bändchens war nur noch von „Volkszählung“ die Rede. Die zur Bevölkerung (ohne Umsiedler) gehörenden Beschäftigten wurden „soweit sie in Arbeit stehen, nach Wirtschaftsabteilungen und nach Stellung im Beruf “ erfasst. Die Betriebe wurden in ihrer Anzahl nach Wirtschaftszweigen mit den Beschäftigten erhoben. Indirekt ergab sich allerdings daraus eine Gewerbe- und Landwirtschaftszählung, da die Inhaber oder Leiter eines landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betriebes eine kurze Bestandsaufnahme der Betriebstätte geben mussten.76 Die früheren periodischen Berufs- und Gewerbezählunge des Statistischen Reichsamts waren allerdings auch nicht weit über diesen Informationsstand hinausgegangen. Grundlegend weitergehende Wirtschaftsstatistiken hatten erst die an angelsächsische Vorbilder angelehnten Produktionserhebungen von 1933 und 1936 gebracht. Zur Betriebsberichterstattung führte Gleitze aus, dass die meisten Betriebe wohl überfordert gewesen seien, denn „seit Monaten ergießt sich eine Flut von Fragen über die Betriebsleiter“.77 Gleitze mahnte vor allem auch für sein eigenes Amt eine planvolle Vorgehensweise an und führte aus:
Niederschrift über die 2. Tagung des Statistischen Zentralausschusses beim Statistischen Zentralamt vom 16. bis 18. Januar 1946, BA DE2 43397, S. 5 f. 74 Allerdings wollte man mit dieser Erhebung einheitliches Adressenmaterial als Grundlage künftiger Industrieberichterstattung gewinnen, so von Roeder am 17.1.1946 auf der 2. Tagung des Statistischen Zentralausschusses beim Statistischen Zentralamt, BA DE2 43397, Niederschrift, S. 17. 75 StZA 1946. Zu Details und Schwierigkeiten bei der Aufbereitung der Erhebung siehe das Protokoll der Diskussion im Statistischen Zentralausschuss vom 17.1.1946, BA DE2 43397, Niederschrift, S. 20 ff. Im internen, als vertraulich klassifizierten Statistischen Informationsdienst wurden 1947 tabellarische Zusammenstellungen mit dem Vergleich zur Berufszählung von 1939 verbreitet. BA DE2 44708. 76 Siehe das Erhebungsformular in BA DE2 43397. Zu den Ergebnissen der ca. ein Jahr später folgenden Volks- und Berufszählung am 29.10.1946 siehe StZA 1948 und 1949. 77 Niederschrift über die 2. Tagung des Statistischen Zentralausschusses, BA DE2 43397, S. 15 ff. Dieses Protokoll ist auch die Quelle aller folgenden Zitate. 73
Das Scheitern des Statistischen Zentralamts bei der Industrieberichterstattung
Im Grunde haben alle Berichterstattungen dieselbe Grundlage. Aber wir müssen durch die einheitliche Fragestellung den Aufbau der Berichterstattung unter dem Gesichtswinkel der dringendsten Bedürfnisse erreichen. Das ist Planwirtschaft. Die Praxis wird so sein, daß wir ein Netz von Berichterstattungen über die Betriebe legen und alles einfangen, was heute und früher unter „Industrie-, Handwerks-, Handels- und Agrarberichterstattung“ zu verstehen ist. Die Erhebungen werden als Repräsentativ- oder auf einen bestimmten Sektor beschränkte Teilerhebungen unter bewußter Ausschaltung der Kleinbetriebe aufeinander abgestimmt und unter sich komplettiert werden.78
Auch hier wurde also an die Tradition des Statistischen Reichsamts angeknüpft, das selbst im sonst umfassenden Produktionszensus von 1936 die Kleinbetriebe (häufig irreführend als Handwerksbetriebe bezeichnet), soweit sie nicht militärstrategisch bedeutend waren, ausgeklammert hatte. Unter dem Thema Wirtschaftsstatistik befasste sich v. Roeder mit der fehlgeschlagenen Industrieberichterstattung. Das StZA habe sich zur Abhilfe mit den hauptbeteiligten Zentralverwaltungen Industrie, Brennstoff und Energie, Handel und Versorgung zusammengetan, um mit einer einheitlichen Systematik (wirtschaftliche und technische Begriffe, Warennomenklatur, Produktionswerte und Mengeneinheiten, Methodik der Erhebung und Aufbereitung) eine nachträgliche Befragung für 1945 und die künftige monatliche Erhebung zu gewährleisten. Der dazu entwickelte Berichtbogen sollte nach Gleitze nicht nur die Ansprüche der russischen Administration, sondern auch die Ansprüche der Deutschen Zentralverwaltungen abdecken.79 „Tagtäglich werden wir durch die Ansprüche der Deutschen Verwaltungen, die da planen sollen, geradezu überrannt.“80 Für die Nacherhebung sollten noch die Provinzial-und Landesvertretungen zuständig sein, für die monatliche Erhebung ab 1946 beanspruchte das StZA die Zuständigkeit, die allerdings von Müller aus Thüringen bestritten wurde: „Nach Auffassung von Professor Müller gilt der Befehl Nr. 9 weiterhin. Danach erfolgt die Aufbereitung in den Provinzen bzw. Ländern.“ Thüringen dürfte wohl für eine Übergangszeit seine Sonderstellung noch behauptet haben, da dort die Arbeiten schon vergleichsweise weiter fortgeschritten waren. „Für die anderen Länder handelt es sich darum, […] das Material dem Statistischen Zentralamt sofort zur Verfügung zu stellen.“ Es war also geplant, die föderativen Verantwortlichkeiten für die Wirtschaftsstatistiken weitgehend aufzuheben und die Erhebungen dem StZA mit der Einschaltung der statistischen Landesämter als Hilfsorgane zu unterstellen.81 Im Januar und FebEbd. Dies war auch der Inhalt eines Briefes von Gleitze (Präsident des StZA) an Logatschew (Chef der Statistikabteilung der SMAD) vom 12.12.1945 gewesen. BA DE2 43397. 80 BA DE2 43397, S. 15 ff. Dieselbe Quelle für die beiden folgenden Zitate. 81 Siehe z. B. das Schreiben Gleitzes an den Magistrat der Stadt Berlin vom 3.1.1946 über „eine produktionsstatistische Nacherhebung über das Jahr 1945 […] wie auch die künftige Betriebsberichterstattung“. Siehe ebenso zu der Sache den „Vermerk über die Sitzung vom 8.1.1946 mit Vertretern der Zentralverwal78 79
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ruar 1946 arbeitete das StZA intensiv an der Organisation der Produktionsstatistik:82 Neben dem Ablaufschema war in Verbindung mit der „Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 1.12.1945“ die „Systematik der gewerblichen Wirtschaft im Rahmen der Personenstandsaufnahme“83 mit 231 Industriezweigen erstellt worden.84 In der Akte liegen offensichtlich verschiedene Entwürfe des StZA für die Monatsberichterstattung: Das einseitige Formular für Betriebe mit mehr als 10 Beschäftigten war an die zuständige Provinzial- bzw. Landesverwaltung abzusenden. Es enthielt Fragen zu den Absatzwerten und Produktionsmengen jeweils für den Berichtsmonat, den Vormonat und zu den geplanten Größen. Darüber hinaus wurden die Beschäftigten erfasst, und es sollten Planzahlen für das laufende Quartal und das ganze Jahr 1946 angegeben werden. Ein zweiseitiges Formular war vor allem um die Berichterstattung über die Lagerbestände (Vorratsbewegung der Roh- und Hilfsstoffe) und den Energieverbrauch (Kohle, Elektrizität und Gas) erweitert worden. Mit diesen Daten ließ sich die Wertschöpfung nicht ermitteln, da die Vorleistungskosten nicht erfasst wurden. Das Verzeichnis der Roh- und Hilfsstoffe war zwar sehr umfangreich, die angegebenen Erfassungseinheiten waren aber lediglich Mengeneinheiten, keine Geldgrößen. Im StZA wurden weitere Erhebungsdetails und -verfeinerungen ersonnen, welche die praktische Umsetzung der Befragungen wohl eher erschwerten. Die vollmundige Ankündigung Logatschews und die entsprechenden Erklärungen Gleitzes auf der Tagung des Statistischen Zentralausschusses im Januar 1946 konnten allerdings so nicht umgesetzt werden: Die vom StZA konzipierte und gemeinsam mit der statistischen Abteilung der SMAD geforderte monatliche Industrieberichterstattung und Nacherhebung für 1945 scheiterten zunächst kläglich unter durchaus dramatischen Umständen. Wie schon auf der Tagung zuvor preschte Müller vom Statistischen Amt Thüringens vor. Im Brief vom 22. Januar 1946 an das StZA zitierte er zunächst sein einen Tag vorher geschicktes Telegramm, in dem er die vom StZA eingeforderte „Industrie-Berichterstattung für 1946 in wesentlichen Teilen, für 1945 in weitestem Umfang für undurchführbar“ hielt.85 Die im Telegramm angekündigte schriftliche Stellungnahme schilderte auf mehr als drei einzeilig beschriebenen Seiten eindruckstungen für die Industrie, Brennstoffindustrie, Handel und Versorgung des Magistrats Berlin und des Deutschen Normenausschusses“ und den „Runderlaß Nr. 4“ des StZA an die Präsidenten der Provinzial- bzw. Landesverwaltungen und deren statistische Ämter vom 28.2.1946. BA DE2 43397. 82 Die umfangreichen Unterlagen liegen, leider unfoliiert und zeitlich ungeordnet, in der Akte BA DE2 43397. 83 Die Zählung wurde in den privaten Haushalten, und nicht in den Betrieben durchgeführt. 84 In der Akte taucht auch noch ein „Erhebungsplan“ für die „Betriebsberichterstattung 1946“ auf, der Kennziffern der Fragebögen benutzt, die das StRA für den Industriezensus von 1933 gebraucht hatte. Das StRA hatte für den Industriezensus von 1936 332 Industriezweige erhoben, siehe die Liste bei Fremdling/ Stäglin 2014a, S. 212 ff. 85 „Auch Wirtschaftskammer Thüringen hält vorgeschlagene Industrie-Berichterstattung für 1946 in wesentlichen Teilen, für 1945 in weitestem Umfang für undurchführbar. Schlagen Befragung auch übriger Wirtschaftskammern sowie Festlegung des endgültigen Erhebungsplanes in gemeinsamer Beratung der
Das Scheitern des Statistischen Zentralamts bei der Industrieberichterstattung
voll das planerische Desaster der Berliner Zentrale. Vor allem im ersten Punkt86 wurde der monatliche zeitlich-technische Ablauf so detailliert dargestellt, dass in der Tat „wegen der kurzen Fristen des Befehls Nr. 9“ eine parallele „Industrie-Berichterstattung in Umfang und Ausgestaltung der vom Statistischen Zentralamt vorgeschlagenen […] nicht möglich [ist], solange der Befehl Nr. 9 in Kraft bleibt. […] Die Firmen sind nun wohl in der Lage, den kurzen, gegenwärtig verwandten Fragebogen innerhalb 24 Stunden nach Ablauf des Berichtsmonats auszufüllen, nicht aber einen so umfangreichen wie den dort vorgesehenen“ des StZA. Im zweiten Punkt begründete Müller gar, dass die vom StZA geforderte „ausführliche monatliche Industrie-Berichterstattung […] nicht erforderlich zu sein“ scheine, weil die „Übersichten der Planerhebung 1946 und die gegenwärtig laufenden monatlichen Fertigungsberichte“ ausreichend seien. Müller fügte selbst „Vordrucke der Übersichten der Planerhebung bei“ und erläuterte sie. Offensichtlich glaubte er, dass das StZA in Berlin sie nicht kannte.87 Im 3. Punkt beanstandete Müller, dass die Systematik der Planerhebungen, abgestimmt „auf das russische System der Industriezweige“, nicht mit der des StZA kompatibel sei und bei den Firmen „die grösste Verwirrung“ erzeuge: „Auf jeden Fall wird es falsche Zahlen geben.“ Unter Punkt 4 wies Müller darauf hin, dass die meisten mittleren und kleineren Betriebe, die schon jetzt mit „unserem einfachen Fragebogen“ Schwierigkeiten hätten, die geforderte umfangreiche Industrie-Berichterstattung überhaupt nicht leisten könnten. Schließlich begründete er in einem fünften Punkt ausführlich, warum die statistischen Landesämter die Industrie-Berichterstattung in keiner Weise adäquat aufarbeiten könnten. Eindringlich schilderte Müller, wieviel Personal mit welchem Sachverstand für einzelne Industriezweige nötig sei. Es werde „unter keinen UmWirtschaftskammern und statistischen Landesämter vor.“ Müller (StA Thüringen) an StZA, 22.1.1946, BA DE2 43397. 86 „1. Eine Industrie-Berichterstattung in Umfang und Ausgestaltung der vom Statistischen Zentralamt vorgeschlagenen ist nicht möglich, solange der Befehl Nr. 9 in Kraft bleibt. Wir haben schon während der Verhandlungen in Berlin darauf hingewiesen, dass es wegen der kurzen Fristen des Befehls Nr. 9 nicht durchführbar sei, die für diesen Befehl erforderlichen Angaben aus der vorgeschlagenen Industrieberichterstattung zu entnehmen. Die gemäß Befehl Nr. 9 aufzustellenden Übersichten müssen spätestens am 10. jeden Monats bei der SMA abgeliefert werden. Um diesen Termin zu ermöglichen, müssen die Firmen am 1. des Monats den ausgefüllten Fragebogen beim Bürgermeister abliefern, dieser schafft ihn am 2. zum Landrat, dieser am 3. zu der statistischen Abteilung der Wirtschaftskammer. Da für die Reinschrift der Übersichten und für die Ausfertigung des allgemeinen Konjunkturüberblickes mindestens 3 Tage erforderlich sind, stehen also für die Bearbeitung in der statistischen Abteilung nur 4 Tage, vom 4.–7. des Monats zur Verfügung, wobei ein etwaiger Sonntag grundsätzlich als voller Arbeitstag ausgewertet werden muss. Es muss sogar weitgehend Nachtarbeit zu Hilfe genommen werden, um den Termin überhaupt einhalten zu können. Die Firmen sind nun wohl in der Lage, den kurzen, gegenwärtig verwandten Fragebogen innerhalb 24 Stunden nach Ablauf des Berichtsmonats auszufüllen, nicht aber einen so umfangreichen wie den dort vorgesehenen. Solange der Befehl Nr. 9 in Kraft bleibt, würde die von dort vorgesehene Industrie-Berichterstattung also eine Doppelarbeit darstellen. Eine solche muss aber unter allen Umständen vermieden werden.“ Müller (StA Thüringen) an StZA, 22.1.1946, BA DE2 43397. 87 Nach einer der handschriftlichen Randnotizen („Von Formblatt 4 bitte ich um 3 Abschriften!“) war dies in der Tat nicht auszuschließen.
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ständen möglich sein, derartig umfangreiche Arbeiten monatlich durchzuführen.“ Da Müller grundsätzlich „mit dem Statistischen Zentralamt“ der Meinung war, „dass eine aufschlussreiche Industrie-Berichterstattung eine der wichtigsten Aufgaben ist, die der deutschen Statistik überhaupt gestellt werden kann“, bringt er am Schluss seines Briefes eine Reihe konstruktiver Vorschläge: Eine erneute Beratung zwischen der SMA, der DZVI, dem StZA, den Wirtschaftskammern88 und den STA der Länder; eine Abwandlung des Befehls Nr. 9 (umfangreiche Berichterstattung nur vierteljährlich) und eine Klassifizierung der Erzeugnisse, welche russische und deutsche Gesichtspunkte berücksichtige. Obwohl nicht alle Akten der Monate Februar und März 1946 vollständig vorlagen, ließ sich der weitere Umgang mit der Berichterstattung weitgehend nachvollziehen: Der Vermerk des StZA vom 5. März 1946 besagt, dass der Runderlass Nr. 489 des StZA vom 28. Februar 1946 von der SMAD noch am selben Tag „gesperrt“ wurde und „die beabsichtigte Nacherhebung 1945 unterbleibt“. Darüber hinaus kündigte die SMAD „die näheren Ausführungsbestimmungen zur Verwirklichung der engeren Zusammenarbeit und Ingangsetzung der monatlichen Berichterstattung über die Industrieproduktion“ an. Der Präsident des StZA hatte von diesen Maßnahmen „die Präsidenten der Länder und Provinzen und die Präsidenten der Zentralverwaltungen, die Statistischen Landesämter und die Präsidenten der Zentralverwaltung Industrie, Brennstoff und Energie, Handel und Versorgung“ in Kenntnis zu setzen.90 Damit war das von der Statistikabteilung der SMAD und dem StZA Mitte Januar angekündigte Vorgehen zur Zentralisierung der Berichterstattung gescheitert. Weitere Dokumente in der konsultierten Akte91 belegen während der folgenden Monate das weitere Ringen um die monatliche Berichterstattung sowie um die Kompetenzverteilung zwischen der Berliner Zentrale (StZA) und den statistischen Landesämtern, die sich wiederum mit den regionalen Planungs- und Bewirtschaftungsstellen auseinandersetzen mussten: Das StZA bemängelte, die eingereichten Unterlagen seien nach wie vor unvollständig und uneinheitlich, die gesetzten Fristen würden nicht eingehalten, die Erhebungsformulare der Länder/Provinzen und der Stadt Berlin seien „nicht nur in der Größe und äußeren Gestalt, sondern insbesondere in Aufbau und Inhalt verschieden und recht mangelhaft“, die Anzahl der Fragebögen (42) sei für die laufenden Erhebungen zu groß, es komme zu Doppelzählungen (aus Unkenntnis der Produktionsprozesse erhielten Betriebe verschiedene Fragebögen), die Betriebe würSiehe zur „Neubildung der Industrie- und Handelskammern“ Halder 2001. S. 151 ff. Der Runderlass bezog sich auf die Ankündigung „gelegentlich der Tagung des Statistischen Zentralausschusses vom 16.–18.1.46“ und sah „die beschleunigte Durchführung dieser Erhebung [für 1945], deren Ergebnisse bereits Anfang März d. J. vorliegen sollen“, vor. Siehe Runderlaß Nr. 4 (gez. Gleitze) vom 28.2.1946, BA DE2 43397. 90 Schreiben der Statistischen Abteilung der SMAD Nr. 5/244, siehe Vermerk des StZA vom 5.3.1946, BA DE2 43397. 91 BA DE2 43397. 88 89
Das Scheitern des Statistischen Zentralamts bei der Industrieberichterstattung
den mit den Schlüsselzahlen der zu umfangreichen Warenkataloge überfordert, und die Frage der preislichen Bewertung sei nach wie vor ungeklärt. Ein internes Positionspapier (18. März 1946) des StZAstellte fest: Die letzte Ursache für die zutage tretenden Mängel der Statistik liegt in dem Fehlen einer zentralen Führungspersönlichkeit des Statistischen Zentralamts auf dem Gebiet des statistischen Erhebungswesens. Die Möglichkeiten einer Einflußnahme des Statistischen Zentralamts in dieser Richtung sind beschränkt und erschöpfen sich in der Beratung und Hilfeleistung, da eine Rechtsgrundlage für die dringend erforderliche Führung der gesamten Statistik fehlt. Die Organisation des Statistischen Apparates ist so unterschiedlich wie der Erhebungsvordruck und die angewandte Nomenklatur. So wird Statistik, insbesondere auf dem Gebiet des industriellen Berichtswesens kaum in den Statistischen Landesämtern betrieben. Die Monatserhebungen liegen vielmehr zumeist bei den mit der Planung und Bewirtschaftung betrauten Stellen der Landes- und Provinzialverwaltungen, die außerhalb der Einflußsphäre des Statistischen Zentralamts liegen.92
Die Vorschläge zur Behebung dieser Schwierigkeiten zielten wiederum auf die Bündelung der Verantwortlichkeit beim StZA mit Weisungsbefugnissen selbst gegenüber den örtlichen Stellen der SMA. Aus den Akten ist nicht eindeutig zu entnehmen, in welchem Umfang das StZA tatsächlich mit Weisungsrechten ausgestattet wurde. Die im Mai gegebenen „vorläufigen Richtlinien zur Vereinheitlichung der monatlichen Industrieberichterstattung in den Ländern und Provinzen der sowjetischen Besatzungszone“93 und der Runderlaß Nr. 694 zu demselben Punkt verweisen zwar auf die Zuständigkeit des StZA für die zentrale Aufbereitung und Berichterstattung auf Zonenebene, doch lag offensichtlich nach wie vor die Verantwortung für die eigentliche Erhebung auf der Ebene darunter. Und gegenüber diesen Länder- und Provinzialverwaltungen trat das StZA lediglich als Bittsteller auf: „Im Einvernehmen mit dem SMAD bitte ich, Ihre Statistischen Landesämter in die Arbeit der Erstellung der statistischen Ergebnisse fortan in vollem Umfang und mit voller Verantwortung einzuschalten.“95 Die Umsetzung der vom StZA erarbeiteten Richtlinien ging demnach nicht über eine Empfehlung hinaus. Doch auch wenn das StZA mit weitergehenden Kompetenzen ausgestattet gewesen wäre,96 hätten die Statistischen Landesämter wahrscheinlich keine adäquaten Daten liefern können; denn selbst die Planungsinstanzen der Länder waren nur unzulänglich informiert. So war nach Halder im Mai 1946 das Wirtschaftsressort in Sachsen „noch
BA DE2 43397. StZA, 6.5.1946, BA DE2 43397. StZA, 29.5.1946, BA DE2 43397. Der Erlass befindet sich auch im Wagenführ-Archiv, WABW N10 Bü54. Ebd. Im Runderlass Nr. 6 wurde Folgendes angekündigt: „Eine neue einheitliche Regelung des Erhebungsverfahrens durch die SMAD Karlshorst steht bevor.“ WABW N10 Bü54. 92 93 94 95 96
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immer weit davon entfernt, Zahl und Art aller in Sachsen vorhandenen Produktionsbetriebe zu kennen.“ Die dafür zu schaffende „Wirtschaftskartei“ war gerade begonnen worden und die Abteilung Industrie-Planung bemängelte: „die vorhandenen Unterlagen sind unzureichend und so unvollständig, dass die gestellten Planungsaufgaben weder operativ laufend noch perspektivisch auf einen längeren Zeitraum gelöst werden können“.97 Selbst wenn die Klagen auch der Verschleierung der eigenen Unzulänglichkeit dienten, dürften sie im Kern jedoch auch nach der Einschätzung Halders grundsätzlich begründet gewesen sein. Die Stellung des StZA veränderte sich in den Folgemonaten kaum grundlegend. Es bemühte sich weiterhin, den Erhebungsbogen zu verbessern: Im September 1946 z. B. wurde dem „Chef der Statistischen Abteilung der SMAD in Karlshorst“ ein neuer zusammen mit der DZVI98 entwickelter Erhebungsbogen vorgestellt, der u. a. „unter dem Gesichtspunkt hollerithmäßiger Aufrechnungen ausgearbeitet worden“ war.99 Die nach wie vor schwache Stellung der StZA belegt der Beschwerdebrief Gleitzes im November 1946 an den Präsidenten der DZVI: „In zunehmenden Maße führen deutsche Dienststellen in der sowjetischen Besatzungszone eigene statistische Erhebungen durch, von denen ich oft nur verspätet und dann nur durch Zufall unterrichtet werde.“ Zur Abhilfe forderte er „Mitwirkung des Statistischen Zentralamts an den Vorarbeiten zu der von Ihrer Verwaltung gemeinsam mit den Ländern und Provinzen beabsichtigten Industrie-Inventur“ und bat kleinlaut, „dem Statistischen Zentralamt künftig zumindest von den in Aussicht genommenen größeren Erhebungen Mitteilung zu machen“.100 Im Dezember 1946 schließlich beanstandete das StZA für seinen Jahresbericht, dass die Länder und Provinzen den „Erhebungskreis der meldepflichtigen Betriebe verschieden zogen“, sie handhabten unterschiedliche Schwellenwerte.101 Zudem beklagte sich das StZA intern darüber, dass „russischen Betriebe“ („einige wenige in russisches Eigentum übergeführte Großbetriebe“) „die Produktionsmeldungen an die deutschen Verwaltungsstellen verweigerten.“102
Zitate Halder oder nach Halder 2001, S. 199. Die zur gleichen Zeit und im Herbst 1946 (Ausarbeitung des Wirtschaftsplanes für 1947) ebenfalls schwache Stellung der DZVI gegenüber den Ländern schildert Halder (2001, S. 285 ff., 310 ff.). Vgl. Zank 1984, S. 493. 99 StZA an SMAD, 13.9.1946, BA DE2 43397. Sie wurde durch Sonderbefehle der SMAD allerdings unterlaufen (Halder 2001, S. 320). 100 StZA an DZVI, 6.11.1946, BA DE2 43397. 101 Die Einflussnahme der Statistikabteilung der SMAD in Karlshorst selbst dürfte auch begrenzt gewesen sein, weil nach Foitzik (1995, S. 33) die Kontrolle der Berichterstattung bei den Landesverwaltungen der SMAD lag. Es ging um die monatliche Berichtspflicht zunächst für die Lebensmittelindustrie (Befehl Nr. 108, 8.4.1946, abgedruckt in Foitzik 1995, S. 193), die mit Befehl Nr. 357 (26.12.1946, abgedruckt in Foitzik 1995, S. 203 f.) auf alle anderen Betriebe übertragen wurde. 102 StZA, Erläuterung zum Jahresbericht 12.12.1946, BA DE2 43397. Zur Stellung der SAG im Planungssystem siehe Halder 2001, S. 321. 97 98
Das Scheitern des Statistischen Zentralamts bei der Industrieberichterstattung
Im Befehl Nr. 357103 vom 26. Dezember 1946 „Zwecks Regelung der statistischen Industrieberichterstattung […] vom 1. Januar 1947 ab“ wurden „einheitliche Vordrucke für die laufende Industrieberichterstattung“ vorgegeben. Die Zuständigkeit für die Berichterstattung (Berichtspflicht und Vordrucke) lag exklusiv bei der SMAD: „Die Chefs der fachlichen Industrieverwaltungen der SMAD, die Chefs der Verwaltungen der SMA der Provinzen und Länder haben selbst keine statistischen Berichte, die nicht durch meine Befehle genehmigt sind, von den Betrieben anzufordern und müssen ihrerseits den Kreis- und Bezirkskommandanten sowie den deutschen fachlichen Industrieverwaltungen untersagen, derartige Berichte anzufordern.“ Weiterhin wurde festgelegt, dass neue oder abgeänderte Berichtsvordrucke vorher von den „Statistischen Büros der Plan-ökonomischen Abteilung der SMA“ zu begutachten seien. Den regionalen SMA (Länder/Provinzen) oblag allerdings die Kontrolle der Berichterstattung. Von den „Chefs der fachlichen Industrieverwaltungen“ der SMAD und dem „Chef der Verwaltung“ der SAG mussten allmonatlich die summierten Berichte dem „Statistischen Büro der Plan-ökonomischen Abteilung“ der SMAD vorgelegt werden, das „zusammengefasste Daten über die Arbeit der Industrie“ in der SBZ dem „Obersten Chef “ der SMAD zu unterbreiten hatte. In dem Befehl und in den beiden anderen bei Foitzik abgedruckten Dokumenten wird das StZA nicht erwähnt. Entweder hatte die SMAD die gesamte Weiterverarbeitung der Industrieberichterstattung auf Länder- bzw. Provinzebene und darüber hinaus vollständig an sich gezogen oder, was wahrscheinlicher ist, der Befehl Nr. 357 regelte nur den Informationsfluss innerhalb der verschiedenen Ebenen der SMAD. Um dies beurteilen zu können, lag allerdings kein begleitendes Archivmaterial vor. Die insgesamt schwache Stellung des StZA zu dieser Zeit scheint jedoch bestätigt.104 Auch danach dürfte das StZA seine Kompetenzen nicht grundlegend ausgeweitet haben, wenn die folgende Episode Mitte 1947 als typisch gelten kann. Nach dem Protokoll „über die dritte Sitzung des Arbeitsausschusses Statistik der DZVI [Deutsche Zentralverwaltung der Industrie] am 23. und 24. Juli 1947“105 scheinen die Länder noch stets federführend bei der Abgabe der monatlichen Berichte zur Industrieberichterstattung gewesen zu sein, die gleichzeitig der DVZI und dem StZA zugestellt wurden.106 Auf der Sitzung wurde ausführlich über Schwächen, Vereinheitlichung und die monatlichen Abgabetermine für die ausgefüllten Formulare diskutiert, als sei dies allein Sache der Länder und der DZVI. Im Protokoll heißt es anmaßend: „Landesregierung Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gaben bekannt, daß demnächst Abgedruckt mit „Erläuterungen“ und „Richtlinien“ in Foitzik 1995, S. 203–208. Siehe auch Boldorf 2016, S. 162. BA DE2 43397. Von den 28 Sitzungsteilnehmern vertraten lediglich drei das StZA. Die Abteilung „Planung und Statistik“ des DZVI war mit vier Vertretern auf der Tagung. Die meisten kamen aus den Ländern, einer von der DWK und der Rest aus anderen Abteilungen der DZVI. 106 Zum Verhältnis zwischen Ländern und den Zentralverwaltungen Anfang 1947 siehe Halder 2001, S. 415 ff. 103 104 105
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bei ihnen eine Anweisung ergehen wird, die den Firmen verbietet, Berichte zu geben, deren Erteilung nicht ausdrücklich von der planökonomischen Abteilung des Landes genehmigt ist.“ Die auf der Tagung getroffenen Absprachen behandelten das StZA eher als Hilfsorgan der DZVI und der Länderverwaltungen: „Es wurde beschlossen, die Arbeit für die Aufstellung des neuen Warenverzeichnisses […] in Gemeinschaftsarbeit zwischen den beteiligten Zentralverwaltungen und den Länden durchzuführen. […] Das Statistische Zentralamt wird bis dahin [30.7.1947] die Nomenklaturen der Erhebung des Jahres 1936 zur Verfügung stellen. Die DZVI […] übernimmt die redaktionelle Bearbeitung.“107 Das Statistische Zentralamt und die NS-Statistik
Sehr wahrscheinlich hat das StZA eine Reihe von Mitarbeitern nahtlos vom Statistischen Reichsamt übernommen.108 Nach dem vorläufigen Geschäftsverteilungsplan vom 27. Dezember 1945 gliederte sich die „Abteilung D Wirtschaft“ einmal in „fachliche Unterabteilungen, die so weit als möglich den Zuständigkeitsbereichen der Deutschen Zentralverwaltungen“ entsprachen, und zum andern in „zentrale und übergeordnete […] Generalreferate“.109 Für die personelle Kontinuität mit der NS-Zeit seien die beiden Leiter von Generalreferaten, von Roeder und vor allem Wagenführ aufgeführt.110 Sie hatten das wirtschaftsstatistische Informationssystem der deutschen Kriegswirtschaft maßgeblich mitgestaltet und mitverantwortet. Freiherr von Roeder war in der Abteilung für Industrielle Produktionsstatistik des Statistischen Reichsamts tätig gewesen.111 Diese AbteiBA DE2 43397, Niederschrift über die dritte Sitzung des Arbeitsausschusses Statistik der DZVI 23./24.7.1947, S. 5. An anderer Stelle des Protokolls (S. 1) war die Vergleichbarkeit des Warenverzeichnisses mit 1936 als wünschbar herausgestellt worden. 108 In der Regel wird dies ohne konkrete Verweise auf namentlich bekannte Personen behauptet: „Das Statistische Zentralamt knüpfte an Personal und Aufgaben des Statistischen Reichsamtes an, wurde aber maßgeblich von der SMAD reglementiert“. Aus dem einleitenden Text zum Findbuch dieses Bestandes im Bundesarchiv, BA DE2. Im Befehl heißt es unter Punkt 3.: „Die Statistische Abteilung der Wirtschaftlichen Verwaltung der SMA wird verpflichtet, die allgemeine und methodische Führung und Kontrolle über die Arbeiten der Deutschen Zentralverwaltung für Statistik zu übernehmen.“ Foitzik 1995, S. 185. Zur personellen Kontinuität in der Industrie (Stahl, Textil) siehe Boldorf 2015, S. 40 ff., 251 ff. 109 BA DE2 43397. Ihre Leiter mit Vertretern waren: Dr. Winkler, Dr. v. Roeder, Dittus, Lampka, Dr. Wagenführ, Dr. Paschke und Dr. Homann. Hinzu kamen noch ein Verwaltungsleiter (Dr. Renner) und zwei wissenschaftliche Hilfsarbeiter: „Frau Dipl.Volkswirt Gerth“ und „Herr Bossart“. 110 Siehe die biografische Skizze im Anhang. Wagenführs Einbindung in den nationalsozialistischen Herrschaftsapparat war offensichtlich kein Hinderungsgrund für seine Beschäftigung. Ihm wurde sogar eine Affinität zum sowjetischen Planungssystem nachgesagt. 111 Abt. VII, von März 1938 bis Juni 1940 als Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung (RWP) vorübergehend verselbstständigt, danach Abt. VIII. Siehe den „Kriegsgeschäftsverteilungsplan“ (BA R3102 3079) des RWP: Dem Amtsleiter (Dr. Leiße, Direktor) und seinem Stellvertreter (Dr. Stehen Meyer, ORR) waren drei Personen direkt unterstellt: Langelütke, Frhr. von Roeder und Werner. Zum „Verzeichnis der 107
Das Statistische Zentralamt und die NS-Statistik
lung hatte mit ihren hochentwickelten Produktionserhebungen die zentrale Informationsquelle für die statistische Vorbereitung des Krieges gestellt. Im Krieg selbst hatte sie mit den aufbereiteten eigenen Erhebungen und den verarbeiteten Informationen aus den privatwirtschaftlichen Lenkungsbereichen das statistische Gerüst für Speers Planungsamt geliefert, die Kommandozentrale der deutschen Kriegswirtschaft. Das Reichswirtschaftsministerium hatte 1942 das zur Lenkung der Kriegswirtschaft notwendige statistische Informationssystem eingerichtet, das sich auf die totale informationstechnische Kontrolle und Berichtspflicht der privaten Betriebe stützte. Hier hatte das Statistische Reichsamt mit der Industrieabteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die von Wagenführ geleitet wurde, zusammengewirkt. Die gesamte zuständige Abteilung des Reichswirtschaftsministeriums war im Herbst 1943 in das im Rüstungsministerium geschaffene Planungsamt übergesiedelt. Gegenüber den Fragebögen und Zusammenstellungen des Statistischen Reichsamts für die Produktionserhebungen während der NS-Zeit waren die SBZ-Formulare des Jahres 1945 so dürftig,112 dass man unter der Federführung des StZA gleich nach seiner Gründung Erhebungsformulare des Statistischen Reichsamts als Vorbild oder sogar Vorlage zu nehmen begann. Die fachliche Kontinuität zwischen den wirtschaftsstatistischen Methoden und Erhebungen der NS-Zeit und den statistischen Aktivitäten der frühen DDR/SBZ bahnte sich mit dem Brief vom 27. Oktober 1945 an, den Schweda (stellvertretender Leiter des StZA)113 an die Abteilungsleiter seines Amtes richtete: Herr Oberstleutnant Ostroumoff hat den Wunsch geäußert, einen schematischen Überblick über die Zusammensetzung des ehemaligen Statistischen Reichsamts nach Abteilungen und Arbeitsgebieten zu erhalten; insbesondere liegt ihm daran, von den wichtigsten Arbeiten jeder Abteilung – es ist dabei an 1–2 der wesentlichsten Erhebungen gedacht – eine kurze Darstellung gleichfalls in schematischer Form über den Gang der Erhebungen zu bekommen: Erhebungsformulare, Verteilung, Ausfüllung, Einsammlung, Sammelstellen, Bearbeitungsstellen, Prüfung, Aufbereitung, Zusammenstellung und Auswertung der Ergebnisse. Kurz: einen gedrängten Überblick über Durchführung einer Erhebung.
Sachbearbeiter“ des RWP (Stand August 1938) siehe BA R3102 4164 F 62–64. Gleitze wurde als „wiss. Hilfsarbeiter“ beim Fachreferat „Nahrungs- und Genußmittelindustrie“ aufgeführt. 112 In der kontroversen Diskussion auf der „Sitzung des Arbeitsausschusses für die „Betriebsberichterstattung“ am 17. Januar 1946“ qualifizierte Gleitze den von Thüringen verwendeten „Fertigungsbericht als zu primitiv und für die Dauer nicht tragbar […], da er keinesfalls für die Wirtschaftslenkungsmaßnahmen ausreiche.“ BA DE2 43397, Statistischer Zentralausschuss, Niederschrift, S. 18 f. 113 Schweda, Robert, stellvertretender Leiter des StZA, DC 15/236. Nach dem Hauptorganisationsplan von 1948 war das StZA in der von Leuschner geleiteten Planungsabteilung mit Gleitze als Leiter und Bondi bzw. Schweda als Vertreter angesiedelt (BA DC15 236 F 313). Zu Leuschner siehe die biografische Skizze im Anhang.
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Ich bitte die Herren Abteilungsleiter, zu prüfen, welche Erhebungen im Rahmen ihrer Abteilungsarbeiten für diese kurzgedrängte Zusammenstellung in Frage kommen können.114
Die Akte enthält eine von der Abteilung für industrielle Produktionsstatistik des StZA verfasste umfangreiche (zehn eng beschriebene A4-Seiten) Darstellung über „Die Durchführung produktionsstatistischer Jahreserhebungen des ehemaligen Statistischen Reichsamts“. Beschrieben wird das „System sich ergänzender, wechselweise zur Durchführung kommender General- und Zwischenerhebungen“115 für die „annähernd 300 Industriezweige“, die von der Abteilung VIII (v. Roeders ehemalige Wirkungsstätte) regelmäßig erfasst worden waren. Rückblickend zeigte sich, dass der 1934 im Statistischen Reichsamt konzipierte „Arbeitsplan für die Weiterführung der Industriestatistik“116, der programmatisch auf die Instrumentalisierung des Statistischen Reichsamts für die nationalsozialistische Kriegsvorbereitung und Kriegswirtschaft abzielte, damals im Wesentlichen verwirklicht worden war. Neben der „Erhebungsfolge“ wurden in dem Bericht des StZA über die Jahreserhebungen des Statistischen Reichsamts „Umfang und Abgrenzung“ und die „Erhebungseinheit“ (Betriebsstätten der Industrie ohne das Handwerk, gemeint waren Kleinbetriebe), der „Aufbau der Erhebungsbögen“117 und die „Durchführung der Erhebung“ (das Drehbuch der „technischen Abwicklung des Erhebungsganges“) mit der Funktion der „Versandkartei“ dargestellt. Methodisch waren die Erhebungen so abgestimmt und vereinheitlicht, dass die damals modernste Version der maschinellen Datenverarbeitung, das lochkartengesteuerte Hollerith-Verfahren, eingesetzt werden konnte. Weiterhin enthält die Akte grafische Darstellungen über den Informationsfluss zwischen dem Statistischen Reichsamt und den privatwirtschaftlichen Lenkungsbereichen:118 Die Erhebungen der einzelnen Wirtschaftsgruppen waren dem Statistischen Reichsamt als Lochkarten, –streifen und Rechenbänder gebündelt übergeben worden. Das im StZA zusammengestellte „Schema der Erhebung zur kriegswirtschaftlichen Kräftebilanz vom 31. Mai 1944“ demonstrierte die Stellung des Statistischen Reichsamts im wirtschaftsstatistischen Informationssystem als zentrale Schalt- und Verarbeitungsstelle zwischen den „Betrieben aller Fachbereiche der deutschen Volkswirtschaft (Wirtschaft und Verwaltung)“ und den „Auftraggebenden Stellen“: „Reichsm. f. Rüstg. u. Kriegsprodt.“, „Generalbvollm. f. d. Arbeitseins.“ und dem „Reichswirtschaftsministerium“.119
Schweda an alle Abteilungsleiter, Berlin 27.10.45, BA DE2 43397. Nach 1933 und 1936 gab es allerdings keine umfassende Generalerhebung mehr für andere Jahre. Siehe hier in diesem Buch in Kapitel I die ausführliche Erörterung des „Arbeitsplans“. Ein Erhebungsbogen ist in Fremdling/Stäglin 2003 dargestellt. Im Wesentlichen war er analog zu einem Produktionskonto der nach 1945 für Marktwirtschaften entwickelten volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gestaltet: Output und Input, eingesetzte Produktionsfaktoren und zugelieferte Vorprodukte, Lohnsumme. Neben Werten wurden auch physische Größen und der Lagerbestand erfragt. 118 „Die Industrie-Berichterstattung“, BA DE2 43397. 119 „Schema“, BA DE2 43397. 114 115 116 117
Das Statistische Zentralamt und die NS-Statistik
Die Vorbemerkung zur Zusammenstellung über die „Entwicklung des deutschen Volkseinkommens 1935–1946 (Altreich)“ spricht die Einspannung des StZA für die sowjetische Besatzungsmacht kurz an. Die schnell zusammengestellten Daten aus leicht zugänglichen Quellen (Statistische Jahrbücher des Deutschen Reichs) und einfachen Schätzungen wurden lediglich als „ein erster Versuch“ gesehen, denn wegen „umfangreicher anderer Untersuchungen für die SMA [war] eine wissenschaftliche Vertiefung“ ausgeschlossen.120 Daneben wurden auch Branchenstudien angefertigt, die neben aktuellem Material (SBZ Oktober 1945) vor allem Statistiken des Statistischen Reichsamts heranzogen, so z. B. die umfangreiche Abhandlung über die „Glasindustrie der sowjetischen Besatzungszone um die Jahreswende 1945/46“.121 Parallel zu den Bemühungen des StZA um die aktuelle Berichterstattung griff das Amt also auf das statistische Material aus der NS-Zeit zurück.122 Hier war vor allem der Chef der früheren Statistikabteilung im Speerschen Rüstungsministerium und ehemalige Leiter der Industrieabteilung des DIW, Wagenführ, gefragt. Unter seiner Verantwortung wurden die NS-Produktionsstatistiken nach den späteren Besatzungszonen neu (und mit verschiedenen Varianten bzw. Berechnungen) zusammengestellt: Eine typische Variante mit Wagenführ selbst als Bearbeiter betraf die „Produktionswerte der deutschen Industrie 1933 bis 1944“:123 Die 30 Industriegruppen der veröffentlichten Version124 des Industriezensus wurden, ohne Elektrizitäts- und Gasversorgung, zu 14 Gruppen zusammengefasst. Die Brutto- und Nettoproduktionswerte (Wertschöpfung) in laufenden und in Preisen von 1936 für das Altreich und die Besatzungszonen (insbesondere für die sowjetische) wurden in 13 Tabellen zusammengestellt. Ohne auf die methodischen Details einzugehen sei nur angemerkt, dass im Wesentlichen die Strukturquoten der 1936er-Erhebung auf die anderen Stichjahre übertragen wurden. Im Gegensatz zu späteren Berechnungen für die DWK zog Wagenführ hier nicht die Originaldaten heran, sondern die verschleiernde veröffentlichte Version von 1939. Diese korrigierte er lediglich um den Flugzeugbau, indem er ihn von der „Bauindustrie“, wo er versteckt worden war, in den „Maschinen-, Stahl- u. Fahrzeugbau“ einordnete.125 Selbst die Überarbeitung der im gelben Heft126 zusammengefaßten Übersichten über die industrielle Produktion 1933–1944 stützte sich noch auf die 1939er Veröffent-
18.9 1946, BA DE2 2080. Februar 1946, BA DE2 44708. Gleitze 1956, S. XIV. Berechnungen des StZA, 27.5.1946, BA DE2 42059 oder 44706. Eine etwas frühere Version befindet sich im Nachlass Wagenführs: 13. und 18.5.1946, WABW N10 Bü22. 124 Reichsamt 1939. 125 Zu den Manipulationen bei der veröffentlichten Version siehe Fremdling/Stäglin 2012 u. 2015a, S. 204 ff. 126 Unveröffentlichtes Informationsmaterial für die SBZ-Zivilverwaltungen und – mit zusätzlichen Statistiken versehen– für die SMAD in Karlshorst. Siehe den Brief Schwedas (Vizepräsident des StZA) an Legatschew (Chef der Statistischen Abteilung der SMAD) vom 12.9.1947. BA DE2 45086. 120 121 122 123
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lichung.127 Noch im Jahr 1962 nahm das StZA sogar eine „Umrechnung der Bruttoproduktion 1936“ auf das Gebiet der DDR mit den 1962 geltenden „unveränderlichen Planpreisen“ vor.128 Außer dieser Quelle von 1939 dürfte das StZA bereits 1945 detaillierte Berechnungen des Statistischen Reichsamts und des Reichsamts für Wehrwirtschaftliche Planung herangezogen haben. Neben einer Tabelle über den „Kohleverbrauch der Industrie 1936“ des Reichsamts für Wehrwirtschaftliche Planung befinden sich in derselben Akte129 mehrere umfangreiche Zusammenstellungen (ohne Quellenangabe), über den „Verbrauch von Rohstoffen, Halbfabrikaten und Hilfsstoffen in der deutschen Industrie 1936 nach Industriestoffen.“ Die Industriegruppen entsprachen der damaligen Klassifizierung des Statistischen Reichsamts, also auch der 1939 veröffentlichten Version130 des Industriezensus: Die Elektrizitäts- und Gasversorgung war herausgenommen, die Flugzeugindustrie war gesondert neben dem Baugewerbe ausgewiesen. Jeweils für die einzelnen Industriegruppen waren die Verbrauchsmengen (z. B. Tonnen Steinkohle oder Benzin) eingesetzt. Im November und Dezember 1945 hatte das StZA zahlreiche Einsatzschlüssel (physische Input-Output-Koeffizienten) berechnet, für die nicht nur die 1936er, sondern auch spätere Erhebungen des Statistischen Reichsamts wie auch Datenmaterial von Wirtschaftsgruppen (z. B. Maschinenbau 1937), herangezogen wurden. Wagenführ dürfte spätestens vom Herbst 1946 an nicht mehr für das StZA, sondern für die Briten gearbeitet haben.131 Im „Statistischen Amt für die Britische Besatzungszone“ in Minden stützte er sich auf seine profunde Erfahrung aus dem Planungsamt sowie dem StZA der SBZ, um Planungsunterlagen für die Bewirtschaftung in der britischen Zone zu erstellen.132 Da er vor seinem Wechsel zu den Briten hauptverantwortlich direkt an vielen statistischen Zusammenstellungen des StZA beteiligt gewesen war, die weiterhin benutzt wurden133, konnte er wohl noch bequem als Sündenbock dienen, wenn Unstimmigkeiten bei den Statistiken moniert wurden. Im Juli 1947 be-
Brief der StZA Abteilung D – Wirtschaft – an alle Referenten der Abteilung vom 14.6.1947, BA DE2 44706. Dort auch die von Wagenführ bereits im Herbst 1945 (16.10.1945) angegebenen Quellen und Umrechnungsmethoden für die Besatzungszonen bzw. Länder, sowie Material der „central statistical unit“ von OMGUS. Das StZA stellte weitere Tabellen mit Zeitreihen aus der NS-Zeit und davor neu zusammen: Die Sammlung „Produktionszahlen 1929–1944 Altreich“ befindet sich in BA DE2 45086. 128 BA DE2 43116. 129 BA DE2 43389. 130 Reichsamt 1939. 131 Die Tabelle „Zahl der in der Industrie beschäftigten Personen 1933“ weist „Dr. Wagenführ“ als Bearbeiter mit dem Datum 7.6.1946 aus. BA DE2 45086. Für den 14.10.1946 ist dies belegt (WABW N10 Bü 29). 132 Oktober 1946, Wagenführ-Archiv WABW N 10 Bü 51. 133 Anfang 1947 wurden noch zahlreiche Tabellen (z. B. „Bruttoproduktion und Beschäftigte im Reich im Jahre 1943 und in der sowjetischen Besatzungszone im Jahre 1944 und 1945“) nach „einer handschriftlichen Aufzeichnung von Herrn Dr. Wagenführ“ erstellt. Einige handbeschriebene Blätter von Wagenführ und selbst Briefe vom und an das StRA zu Produktionserhebungen sind in der Akte erhalten. BA DE2 44706. 127
Das Statistische Zentralamt und die NS-Statistik
schwerte sich der „Chef des Statistischen Büros der SMAD“, Sbarsky, beim StZA darüber, „dass das von Ihnen gelieferte Material öfters mit dem vorhergehenden nicht übereinstimmt.“ Daraufhin bekämen „wir häufig folgende inoffizielle Antworten […] „das Material ist nicht von mir zusammengestellt, und ich bin dafür nicht verantwortlich.“ […] „Besonders häufig sind diese Antworten in Bezug auf die Arbeiten, die von Herrn Dr. Wagenführ gefertigt sind und gerade immer als offizielles Material von der Leitung der Deutschen Verwaltung für Statistik (mit Ausnahme von 2–3 speziellen Arbeiten) benutzt werden.“134 Auch ohne die Mitwirkung Wagenführs war das StZA 1946/47 weiter mit der Aufarbeitung von Wirtschaftsstatistiken aus der nationalsozialistischen Periode beschäftigt: Im Laufe des Jahres 1947 war für alle Industriezweige eine 160 Seiten umfassende statistische Zusammenstellung umgesetzt worden.135 Aufgegliedert für die Nachkriegszonen, enthielten sie Produktionsdaten nicht nur für 1936, sondern auch für weitere Stichjahre. Neben anderen amtlichen Erhebungen des Statistischen Reichsamts wurde auch der Vorläufer des Produktionszensus von 1936, die weniger umfassende Erhebung von 1933, herangezogen. Daneben wurde statistisches Material vom Reichswirtschaftsministerium und vor allem das der privatwirtschaftlichen Lenkungsbereiche (Reichsvereinigungen, Wirtschaftsgruppen) aufgearbeitet, das die Wirtschaftsorganisationen von ihren Mitgliedern zur Planung der deutschen Rüstungsindustrie und Kriegswirtschaft angefordert hatten. Diese Sammlungen des StZA für die „gelben Hefte“ gehen weit über die Statistiken hinaus, die das Statistische Reichsamt in seinen einschlägigen Publikationen bereitgestellt hatte. Vor allem aber wandte sich das StZA dem Industriezensus von 1936 zu. Nun aber stützte es sich fast ausschließlich auf Urmaterial der Originalunterlagen des Statistischen Reichsamts bzw. des Reichsamts für Wehrwirtschaftliche Planung. Im Mai 1946 hatte es aus den Originalfragebögen bestimmter Firmen der „optischen und feinmechanische Instrumente“ von 1936 den Absatzwert einzelner Produkte aufgelistet.136 Im Juni 1946 waren für 991 (von 4796) namentlich aufgeführte „Betriebe der Maschinen-, Apparate-und Kesselbauindustrie 1936“, regional aufgeteilt für die Nachkriegszonen, „Schlüsselzahlen“ (Beschäftigte, Absatzprodukte und -werte, Metallbearbeitungsmaschinen etc.) ermittelt.137 Im Frühjahr 1947 stellte das StZA zahlreiche großformatige Tabellen mit Materialbilanzen einzelner Wirtschaftszweige zusammen, die ganz ähnlich das Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung Ende der 1930er Jahre zur VorbeSMAD, Statistische Abteilung an StZA, Gleitze, 3.7.1947, BA DE2 43397. Um diese Zeit arbeitete Wagenführ nicht mehr im StZA, denn für die Briten berechnete er schon im Oktober 1946 „Einsatzschlüssel“, physische Input-Output-Koeffizienten zur Produktionssteuerung. WABW N10 Bü51. 135 BA DE2 45086. 136 Z. B. „Siemens & Halske A. G. Berlin-Siemensstadt“, „Franz Kochmann, Dresden“ etc. Sie waren weiter nach den Besatzungszonen bzw. Berlin, „Polnische Zone, Königsberger Gebiet“ eingeteilt. StZA, Feinmechanische, 24.5.1946, BA DE2 43388. 137 StZA, 14.6.1946, BA DE2 45098. 134
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Wirtschaftsstatistik im Nachkriegsdeutschland
reitung der Kriegswirtschaft verfasst hatte. Z. B. waren der Rohstahlverbrauch und der Kohlenverbrauch 1936 in Tonnen detailliert nach Verbrauchergruppen verzeichnet.138 Für die sowohl im Krieg als auch in der SBZ strategisch wichtige „Kraftstoffindustrie“ waren aus den „Angaben der Betriebe zu den amtlichen Produktionserhebungen“ (1936–1938, 1943) die Beschäftigten und die Erzeugung einzelner Firmen für die Nachkriegszonen aufgeführt. Zusätzliche Tabellen mit analytischen Textberichten waren beigefügt. Die „Pharmazeutische Industrie 1936“ wurde akribisch nach einzelnen Produkten und den Nachkriegszonen erfasst.139 Somit hatte das StZA schon vor seiner Einbindung in die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) und vor der Vorbereitung des Zweijahrplans kontinuierlich wirtschaftsstatistisches Material des Statistischen Reichsamts für die Wirtschaftsplanung der SBZ erschlossen. Das Statistische Zentralamt, die Deutsche Wirtschaftskommission und die statistischen Vorarbeiten zum Zweijahrplan
Das StZA hatte bis 1947/48 keine entscheidende Kompetenz gegenüber den Landes/Provinzialverwaltungen und damit den Statistischen Landesämtern gewinnen können. Sein Einfluss auf die Bewirtschaftungspläne bzw. auf die Ansätze zur Planwirtschaft dürfte darüber hinaus auch deshalb gering gewesen sein, weil der Planungszeitraum mit einem Quartal recht kurz bemessen war,140 und vor allem, weil sich die föderative Struktur der sowjetischen Zone besonders in der Wirtschaftsverwaltung als hinderlich erwies. Zwar wurden im Juli 1945 parallel zu den planökonomischen Abteilungen der SMAD die ihnen unterstellten deutschen Zentralverwaltungen für die verschiedenen Wirtschaftsbereiche geschaffen,141 bestimmend waren jedoch die ebenfalls im Juli 1945 gegründeten Ämter für Wirtschaft bei den Landes- und Provinzialverwaltungen:142 „Es war den Zentralverwaltungen […] nicht möglich auf formalem Wege von den Ländern bestimmte Maßnahmen und Verfahrensweisen einzufordern“. Halder schildert am Beispiel Sachsens die starke Stellung der Länder: Im Herbst 1945 führte Sachsen z. B. mit Bayern offizielle Handelsgespräche und vereinbarte ein formelles Handelsabkommen. „Die Landes- bzw. Provinzialverwaltungen neigten schon
StZA, Rohstahl, 30.4.1947; eine weitere Tabelle dort für die verbrauchten „Eisen- und Stahl- Walzwerkfertigerzeugnisse“, BA DE2 43388; „Kohlenbilanz 1936“ (sehr umfangreich), BA DE2 43387. 139 StZA, Kraftstoffindustrie, 15.4.1947; siehe auch dort die Firmenerhebung für die „Zementindustrie 1943“ und die „Leichtbauplattenindustrie 1943“, BA DE2 43388. 140 „Bis 1948 wurde zunächst jeweils für den überschaubaren Zeitraum von einem Quartal geplant.“ Steiner 2007, S. 46; Niedbalski 1985, S. 467 ff. 141 Z. B. die DZVI. Niedbalski 1985, S. 456 ff.; Nach Roesler (1978, S. 3) spielten sie allerdings „eine wichtige Rolle bei der Aufstellung der ersten Wirtschaftspläne“. 142 Holzwarth 1995, S. 248 ff.; ausführlich auch Halder 2001, S. 142 ff. 138
Das Statistische Zentralamt, die Deutsche Wirtschaftskommission
frühzeitig dazu, ihr jeweiliges Territorium als „abgeschlossenes Wirtschaftsgebiet“ zu verstehen“.143 Nach Holzwarth führte der Länderpartikularismus noch bis Anfang 1948 zur Abschottung, zu quasi autarkischen Bestrebungen, wie z. B. zum Aufbau eigener Verarbeitungsindustrien, obwohl es Überkapazitäten in anderen Ländern gab. Statt eines „zonal einheitlichen Bewirtschaftungssystems“ bestand das „System einer abgeschlossenen Kontingentierung jeder einzelnen Provinz“.144 Mag der Einfluss der Zentralverwaltungen auch unterschiedlich eingeschätzt werden,145 unbestreitbar fehlte es auf übergeordneter zonaler Ebene zunächst an einer gemeinsamen Leitung und gesetzgeberischen Kompetenz. Sie war der Besatzungsmacht vorbehalten oder lag bei den Länderorganen.146 Die im Juni 1947 gegründete Deutsche Wirtschaftskommission (DWK)147 fasste die Zentralverwaltungen zusammen. Sie erhielt ihre entscheidenden Befugnisse, Gesetzgebungskompetenz und „allgemeines und verbindliches Weisungsrecht“ als oberstes wirtschaftsleitendes Staatsorgan der SBZ allerdings erst im Februar 1948.148 Bereits zuvor, im November 1947, hatte die Wirtschaftsabteilung der DWK mit einer Gesamtplanung für die SBZ/DDR begonnen: Daraus erwuchs der Plan für das zweite Halbjahr 1948 und der Zweijahrplan 1949/50.149 Das StZA wurde in die DWK eingegliedert. Der Hauptorganisationsplan von 1948 siedelte das Amt in der von Leuschner geführten Planungsabteilung mit Gleitze als Leiter und Bondi150 und Schweda als Vertretern an.151 Es wurde in vielfältiger Weise in die Wirtschaftsplanung eingebunden.152 Die DWK beschloss am 12. Mai 1948 auf Halder 2001, S. 140 f. Die Kontrolle über die Handelsbeziehungen lag natürlich bei der SMAD. Gregor nach Holzwarth 1995, S. 249; Steiner 1993, passim; Boldorf 2016, S. 160; Halder 2001, S. 140 ff.; Zank 1984, 493–494; zu Thüringen mit quasi-autarkischen Planungen siehe Fußnote 47 in Mühlfriedel 1985/2. Siehe auch die Dokumente zu Vereinbarungen zwischen den Ländern und den Zentralverwaltungen, z. B. eine „Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen den Landes- und Provinzialregierungen und den Deutschen Zentralverwaltungen“ vom 10.2.1947. Die Dokumente belegen mit den Eingriffen der SMAD den Weg zur DWK und zur Entmachtung der Länder. BA DC15 232 F 1 ff.; siehe insbesondere F 22 (22.12.1947 Auftrag Neue Ländervereinbarung: „Die alte Ländervereinbarung vom 10.2.47 war von vornherein unzulänglich.“) 145 Siehe Niedbalski 1985, S. 460 ff.; Malycha 2016, S. 20 ff. 146 Zur Vereinbarung vom 10.2.1947 zwischen den Ländern und den Zentralverwaltungen siehe Halder 2001, S. 415 ff., 450 ff., 475 ff. 147 Siehe Befehl Nr. 138 des Chefs der SMAD, 4.6.1947 und weitere Unterlagen (Geschäftsordnung, Statut, Personallisten, Abteilungsstruktur, Arbeitsprogramm etc.), BA DC15 236 F 1 ff. 148 Siehe Befehl Nr. 32 des Chefs der SMAD, 13.2.1948, BA DC15 236 F 211. Der Präsident des StZA wurde als Mitglied der DWK aufgeführt. Siehe auch die Diskussion zur rechtlichen Ausgestaltung dieser Machtbefugnisse der DWK: Neue Ländervereinbarung 22.12.1947, BA DC 15 232 F 22–34. Steiner 2000 u. 2007, S. 54 f.; Halder 2001, S. 537 ff.; Foitzik 1995, S. 40 ff.; Foitzik 1999, S. 384 ff.; Niedbalski 1985, S. 458 f., 476; Karlsch 1993, S. 108. 149 Niedbalski 1985, S. 476; Mühlfriedel 1987; Boldorf 2016, S. 175 ff. 150 Zu Gerhard Bondi siehe Malycha 2016, S. 34. 151 BA DC15 236 F 313. 152 Siehe z. B. die Arbeitspläne der DWK, Hauptabteilung für Wirtschaftsplanung, im Jahr 1948, BA DC15 6 F 30 ff. 143 144
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ihrer Vollsitzung: „Die Hauptverwaltung Wirtschaftsplanung und das Statistische Zentralamt werden mit der sofortigen Aufnahme der notwendigen Vorarbeiten für die Aufstellung des Zweijahresplanes beauftragt.“153 Das StZA hatte typische Querschnittsaufgaben mit Zulieferfunktion: „Da das Zahlenmaterial die Grundlage bildet für die Gesamtarbeit [der Abteilung für Wirtschaftsfragen bei der Deutschen Wirtschaftskommission], ist es notwendig, in engster Weise mit der Zentralverwaltung Statistik zusammen zu arbeiten, und deren Arbeit entsprechend den Notwendigkeiten der Abteilung für Wirtschaftsfragen zu beeinflussen. Es muss erreicht werden, dass das gesamte Zahlenmaterial, welches von allen Abteilungen für Wirtschaftsfragen benötigt wird, in kürzester Frist beschafft werden kann.“154 Unter der Kategorie volkswirtschaftliche Bilanzen sah der „Arbeitsplan der Abteilung III – Bedarfsplanung“155 der DWK als statistische „Grundlage für die langfristige volkswirtschaftliche Aufbau- und Entwicklungsplanung […] Strukturbilanzen der Sowjetischen Zone“ vor. „Die Basis für die Strukturbilanzen bildet das Jahr 1936. Als weitere Vergleichsjahre sind heranzuziehen das Jahr 1944, um die durch die Aufrüstung und die Kriegswirtschaft bedingte Strukturveränderung klarzulegen.“ Damit konnten dann auch die nach 1936 entstandenen industriellen Kapazitäten in der Chemieindustrie und Energiewirtschaft, „z. B. Buna, Treibstoffwerke, Zellstoffwerke“ erfasst werden. „Als drittes Vergleichsjahr ist das Jahr 1946 heranzuziehen, das die Grundlage für die volkswirtschaftliche Eröffnungsbilanz für den Neuaufbau der Wirtschaft bildet. Eine weitere Strukturbilanz ist als Planbilanz für ein kommendes Normalfriedensjahr zu erstellen, das in Planwerten die wirtschafts- und sozialpolitische Zielsetzung konkretisiert.“156 Diese Aufgabe war äußerst ambitioniert:157 Mit Güter-, Geld- und Leistungsbilanzen sollten nicht nur alle Wirtschaftsbereiche im engeren Sinne (Erzeugerwirtschaft), sondern auch der Raum, die produktiven Flächen (Land-, Wasser-, Forstwirtschaft und Bergbau) sowie die Standortflächen für alle Wirtschafts-, Verwaltungs- und Wohnbereiche und die Bevölkerung erfasst werden. Bei der Erzeugerwirtschaft waren sämtliche Sparten von der Landwirtschaft über die Industrie bis zu den Dienstleistungssektoren detailliert mit Mengen- und Wertbilanzen zu erheben, z. B. Industriebetriebe mit allen Vorleistungen, Reparatur- und Ersatzteilbedarf, Beschäftigten, Erzeugnissen, Kapazitäten, Investitionen etc. Zudem sollten Brutto- und Nettoproduktionswerte er-
Ministerium 1968, S. 640. Arbeitsprogramm der Abteilung für Wirtschaftsfragen bei der DWK, 5.8.1947, BA DC15 6 F 10 f. (auch in BA DC15 236 F 57 ff.). 155 DWK, 7.8.1947, BA DC15 6 F 15 ff. 156 Ebd. 157 Siehe die Quelle: Arbeitsplan DWK 7.8.1947 (Volkswirtschaftliche Bilanzen), BA DC15 6. Im April 1948 waren die Pläne mit Tabellenvorgaben allerdings deutlich weiter ausgearbeitet. Auftrag der Wirtschaftskommission und Vermerk („Arbeiten zur Bereitstellung statistischer Grundlagen für eine volkswirtschaftliche Gesamtplanung in der sowjetischen Besatzungszone“) BA DE2 43394. 153 154
Das Statistische Zentralamt, die Deutsche Wirtschaftskommission
rechnet werden. Die Nahrung, Kleidung, Wohnung und kulturellen Bedürfnisse beim „Bevölkerungsverbrauch“ waren nach Verbrauchergruppen und Verbrauchernormen zu gliedern. Die DWK hatte sich demnach wohlweislich für die Originaldaten des Industriezensus von 1936 entschieden.158 In den begrenzten, durchnummerierten Kopien des Zensus im Bundesarchiv mit dem Bestandsverzeichnis des Statistischen Reichsamts159 tauchen häufig Akten auf, deren Deckel den Vermerk „Bureau Leuschner“ tragen. Dazwischen finden sich manchmal Dokumente mit handschriftlichen Berechnungen etwa für die Kapazität der Elektrizitätsbetriebe zwischen Ost- und Westberlin oder für die Metallurgie. Neben diesen zufälligen Belegen, die in den Archivbestand des Statistischen Reichsamts statt des DWK oder des StZA geraten sind, lassen sich die Anfänge der Planwirtschaft aus den Akten der SBZ bzw. DDR rekonstruieren: Die Archivalien des Industriezensus von 1936 wurden durchgängig verwendet.160 In den „Statistischen Grundlagen für eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung in der sowjetischen Besatzungszone“ vom April 1948 hieß es dazu: Für das Jahr 1936 ist beabsichtigt, die zahlenmäßigen Grundlagen in der Ausführlichkeit der damaligen ca 300 Einzelerhebungen zu erstellen. Voraussetzung ist die Hollerithmäßige Aufbereitung des vorliegenden Fragebogen- notfalls Karteikartenmaterials, durch die die gleichzeitige Erstellung von Länderergebnissen ermöglicht wird. Teilweise vorhandene Materiallücken (Textil-, Holzindustrie) müssen, soweit möglich, durch Schätzungen geschlossen werden.161
Diese Umrechnungen der NS-Statistiken auf das Gebiet der SBZ/DDR sind bisher von der wirtschaftshistorischen Forschung nicht genutzt worden. Sleifer (2001, 2006) hatte die Umrechnung des 1936er-Zensus auf das SBZ/DDR-Gebiet mit den Originaldaten selbst vorgenommen. Siehe auch den Aufsatz von Ritschl/Vonyó (2014), der sich u. a. auf Sleifer und Gleitze (1956) stützt. Die Arbeit Gleitzes war im DIW entstanden, wo er seit dem Frühjahr 1949 eine Abteilung für Regionalforschung leitete (Gleitze 1956, S. XIV). Als früherer Präsident des StZA kannte Gleitze natürlich die Arbeiten seines Amtes. Inwieweit er Zahlen seines ehemaligen Amtes verwendete, die aus den Archivalien des StRA zusammengestellt waren, ist nicht klar. Neben der Veröffentlichung des RWP von 1939 verweist er lediglich pauschal auf unveröffentlichte Quellen: „Unterlagen des Statistischen Reichsamts; Berechnungen des Statistischen Zentralamts, Berlin, und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Berlin.“ Gleitze 1956, S. 173. 159 BA R3102. 160 BA DE2 22415, 2115, 2080, 2065, 1867–1869 (Staatliche Zentralverwaltung für Statistik); DC15 72 (Deutsche Wirtschaftskommission). DC15 474 enthält eine Neuaufbereitung der Statistik von 1936 mit einer anderen Systematik und DC15 498 führt eine Gesamttabelle auf, welche die 1936er Daten auf 1948 umrechnet. 161 Als Termin wurde der 15.5.1948 angesetzt. „Die Darstellung soll die Jahre 1936, 1938, 1943 (gegebenenfalls 1942), 1946 und 1947 umfassen.“ (BA DE2 43394). Zu den 300 Einzelerhebungen siehe die „Schlüsselliste der Erhebung 1936 nach Industrie-Plangruppen 1948“. Die über 300 Industriezweige werden mit dem Kurzzeichen des StRA (übrigens übernommen aus der 1933er Erhebung) der SBZ-Systematik zugeordnet. (BA DE2 43387). Siehe auch Fremdling/Stäglin (2014a, S. 215) mit der Liste und Systematik, wie sie das StRA handhabte. Teilweise wurden die Originalfragebögen der 1936er Erhebung für einzelne Industriezweige genommen, um die SBZ-Ergebnisse für 1936 einzutragen, z. B für den Braunkohlenbergbau. BA DE2 44719. 158
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Wirtschaftsstatistik im Nachkriegsdeutschland
Im Mai 1948 legte das StZA eine fundierte Arbeit über „Die Industrie der sowjetischen Besatzungszone 1936–1947 (Statistische Grundlagen)“162 vor und knüpfte damit an frühere Arbeiten (z. B. von Wagenführ) gleich nach der Gründung des StZA an. Bezugspunkt dieser Arbeit war ebenso der Industriezensus von 1936, jedoch wurden die Daten für 1936 nicht, wie Wagenführ es noch getan hatte, aus der Veröffentlichung von 1939 übernommen. Für die Heranziehung des unveröffentlichten Originalmaterials zeugen auch großformatige (DIN A3) Tabellen des StZA vom Januar 1947, die für einzelne Industriegruppen (z. B. Steine und Erden) nach den untergeordneten Industriezweigen (z. B. Kalkindustrie, Zementindustrie … Magnesitwerke etc.) Kernzahlen (Beschäftigte, Lohnsummen, Erzeugnisse, Brutto- und Nettoproduktion) aufführten. In derselben Akte163 wurden die Statistiken zudem nach Ländern, preußischen Provinzen und sodann Besatzungszonen untergliedert. Methodisch fußen die im Mai 1948 vorgelegten Berechnungen auf einer Arbeit vom 19. September 1947, welche die Industriezweige nach der Nomenklatur des Plans für das II. Quartal 1947 zusammengefasst hatte. Mit ein paar Umstellungen in einigen Branchen ließ sich eine Annäherung an die Nomenklatur der volkswirtschaftlichen Grundsystematik der SBZ von 1948 erreichen. Nach den vom StZA 1947 ermittelten Preisindices wurde die Umrechnung auf Preise von 1936 vorgenommen. Die Errechnung der Nettoproduktionswerte (Wertschöpfung) erfolgte für alle Jahre mangels anderer Unterlagen an Hand der Nettoquoten für 1936. Dies wurde als problematisch erkannt, weil 1947 im Vergleich zu 1936 z. B. der stärkere Einsatz menschlicher Arbeitskraft an Stelle von Maschinen, nicht berücksichtigt wurde. In den umfangreichen Tabellen mit den Stichjahren 1936, 1938, 1943 und 1947 waren durchgängig die Daten für 1947 ohne die SAG.-Betriebe verzeichnet. Die Industrie gliederte sich in 14 Gruppen mit fünf Untergruppen bei der Eisen und Metall verarbeitenden Industrie; neben Wertgrößen164 (Brutto- und Nettoproduktion jeweils in Millionen Reichsmark (RM): 1936 = 14.911; 1947 = 7.483; 1936 = 7.710; 1947 = 3.984) wurden Mengen angegeben. Die Beschäftigtendaten für 1936 (1.769.674) und 1947 (1.515.396) wurden durch die Arbeitsproduktivität (Nettoproduktion pro Beschäftigten: 1936 = 4.357 RM; 1947 = 2.629 RM) und den Arbeitskoeffizienten165 (Beschäftigtenbedarf je Mill. RM Produktionswert: 1936 = 230; 1947 = 380) ergänzt. Für 39 Industriezweige, und damit für noch mehr als in der Klassifikation des Statistischen Reichsamts, wurden (nach den Ländern der SBZ und dem sowjetischen Sektor Berlins) die Absatzwerte, auch Auslandsabsatz, für 1936 verzeichnet. Ein ge-
DWK, StZA 24.5.1948, BA DE2 42059; ebenfalls in der Akte BA DE2 1869. Der sowjetische Sektor Berlins ist eingeschlossen. 163 BA DE2 44710. 164 Alle folgenden Zahlen beziehen sich auf die gesamte Industrie ohne Luftfahrt, Papierverarbeitung und Druck, Bauindustrie; Werte in Preisen von 1936. 165 Allerdings nicht wie üblich bezogen auf die Brutto-, sondern auf die Netto-Produktion. 162
Das Statistische Zentralamt, die Deutsche Wirtschaftskommission
radezu sensationelles Ergebnis erzielten die Statistiker, als sie für die in der SBZ besonders stark vertretene Eisen und Metall verarbeitende Industrie eine rudimentäre Input-Output-Tabelle mit Wertgrößen auf der Grundlage des Industriezensus von 1936 erstellten166: Aufgeteilt in die sechs Industriegruppen Maschinenbau, Fahrzeugbau (mit fünf Zweigen), Elektroindustrie (mit sechs Zweigen), Feinmechanik und Optik (mit zwei Zweigen), Stahlbau und der Eisen- und Metallwarenindustrie (mit zwei Zweigen) wurde der Input von 24 zuliefernden Branchen für den Verbrauch von Rohstoffen, Halbfabrikaten, Hilfsstoffen aufgezeichnet. Damit verfügte die DWK über ein Planungsinstrument, das der NS-Kriegswirtschaft nie bereitgestanden hatte. Auch sechs Mengenbilanzen für metallurgische Zwischenprodukte, die ähnlich von der Abteilung VII des Statistischen Reichsamts bzw. dem Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung für das gesamte Reichsgebiet erstellt worden waren, errechnete das StZA, zugeschnitten auf das Territorium der SBZ/Ost-Berlin, neu: z. B. für Walzstahl (Erzeugung und 15 Verbraucher in Tonnen). Der Textteil umfasste elf Seiten: „Das Kernstück der Industrie der Zone ist die Eisen und Metall verarbeitende Industrie, die 1936 einen Anteil am Nettoproduktionswert von 27 % hatte. […] Der führende Industriezweig innerhalb dieses Produktionsbereiches ist der Maschinenbau.“167 Nach weiteren Vergleichen zur Position der SBZ-Industrie gegenüber den Befunden des Reiches von 1936 wurde die Verbindung zur Gegenwart gezogen, wobei sich die prekäre Versorgung mit metallurgischen Vorleistungen für die Kernindustrie der SBZ, die in der Zone selbst produziert wurden, herausstellte. Weil die „Materialversorgung der Eisen und Metall verarbeitenden Industrie […] für Reparationsleistungen und die Wirtschaft der Zone eine so wichtige Aufgabe“ war, wurde „ihre Untersuchung als vordringlich angesehen und mit der statistischen Darstellung der Materialverbrauchsstruktur und der Verflechtung der Industriezweige bei der Versorgung“ begonnen.168 Nach einer weiteren Beschreibung der industriellen Produktionsstruktur wurde die gegenüber 1936 gesunkene Arbeitsproduktivität behandelt. Das sei in der Planung des Arbeitskräftebedarfs entweder als Mehreinsatz an Beschäftigten oder als Leistungssteigerung zu berücksichtigen. Weiterhin wurde die regionale Struktur der Industrie mit Sachsen als Schwerpunkt169 erörtert, die starke Importabhängigkeit und damit die Planung der Exporte betont und schließlich die Materialversorgung ausführlich an wichtigen Beispielen dargestellt. Die Schwächen einer reinen Mengenplanung waren der DWK bewusst. Nach den Protokollnotizen zur Gründung eines Instituts für Wirtschaftsplanung im Mai 1948 wurde denn auch erörtert, dass die „Wirtschaftsplanung […] in der SBZ bisher vorwiegend mengenmässige Realplanung [war]. Sie bedarf für die weitere Entwicklung 166 167 168 169
BA DE2 42059. Ebd. Ebd. Zur Bedeutung Sachsens als Industriestandort schon vor 1945 ausführlich Halder 2001, S. 33 ff.
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Wirtschaftsstatistik im Nachkriegsdeutschland
der Ergänzung durch die Werteplanung und der Orientierung an einem gesamtwirtschaftlichen Generalplan.“170 Tatsächlich erstellte 1948 das StZA eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung über „Gesamterzeugung und Gesamtverbrauch in der sowjetischen Besatzungszone 1936, 1938, 1943, 1947“.171 Gestützt auf umfangreiches Quellenmaterial und ausgefeilte konzeptionelle Vorarbeiten172 war die Gesamterzeugung (Nettoproduktionswert bzw. Wertschöpfung)173 für zehn Wirtschaftsbereiche und der Verbrauch nach acht Gruppen geschätzt worden (siehe Tabelle 7). Im Jahre 1947 erreichte die Wertschöpfung insgesamt und pro Einwohner etwa 60 Prozent des Niveaus von 1936. Die Besatzungsmacht beanspruchte den hohen Anteil von fast vierzig Prozent für sich. Mit der Zusammenstellung vom Mai 1948 war die mühevolle Kleinarbeit zur Ausschöpfung des Industriezensus von 1936 keineswegs abgeschlossen. Vielmehr ließen sich aus dessen Daten weitere Schlüsselinformationen als Planungsgrundlage für den Zweijahrplan 1949/50 gewinnen. Zur Erstellung von Planungsunterlagen für die Vorbereitung des Zweijahresplanes beschloss nämlich das Sekretariat der Deutschen Wirtschaftskommission am 19. Mai 1948 u. a. Folgendes: Da das vorhandene statistische Material für die Vorbereitung des Zweijahresplanes nicht ausreicht, müssen folgende statistische Unterlagen durch das Statistische Zentralamt vordringlich geschaffen werden: 1. Für den Plan der Industrie-Entwicklung und den Investitionsplan Unterlagen über die Produktionskapazitäten 1936 und 1947, Produktion, Absatz und Materialverbrauch der Industrie. Dazu sind erforderlich: a) Neuaufbereitung und Auswertung der Produktionsstatistik 1936 für die sowjetische Besatzungszone174.
BA DY34 20402, Anlage zum Protokoll über die Sitzung am 10.5.1948, Betr.: Institut für Wirtschaftsplanung. Das Protokoll enthält auch die Ziele für den Zweijahresplan. 171 BA DE2 1867. 172 Im Auftrag der DWK war im StZA bereits ein umfangreicher Arbeitsplan zur volkswirtschaftlichen Gesamtplanung entworfen worden, der inhaltlich und methodisch durchaus mit dem System der VGR, wie es zur gleichen Zeit für westliche Marktwirtschaften konzipiert wurde, mithalten konnte. Vgl. den Vermerk („Arbeiten zur Bereitstellung statistischer Grundlagen für eine volkswirtschaftliche Gesamtplanung in der sowjetischen Besatzungszone“) vom 6.4.1948 und den Arbeitsplan vom 20.4.1948 in BA DE2 43394. 173 Mit der Erfassung dieser Größen folgten die ostdeutschen Statistiker dem StRA, das dieses Konzept („value added“) von den anglo-amerikanischen Produktionserhebungen übernommen hatte (siehe Reichsamt 1939 und programmatisch eine interne Ausarbeitung des StRA von 1927/28 mit einem Kommentar von Leisse, dem späteren Präsidenten des RWP, BA DE2 43385 – eigentlich gehört die Akte zu BA R3102 StRA). Siehe auch Ludwig (2009, S. 444 f.), der darauf hinweist, dass es im StZA um 1947 Bestrebungen gab, nicht das sowjetische Konzept der Bruttoproduktion zu nehmen, sondern in der Tradition des StRA mit den Nettoproduktionswerten zu arbeiten. In der SBZ/DDR wurde versucht, den „value added“ im Sinne der Marxschen Wertlehre als „v + m“ zu interpretieren. Siehe Richter 1949 (Kopie in BA DE2 43385). 174 DWK, Beschluss S. 50/48, 19.5.1948, BA DE2 43394. 170
Das Statistische Zentralamt, die Deutsche Wirtschaftskommission
Tab. 7 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der SBZ 1936–1947 Gesamterzeugung und Gesamtverbrauch in der sowjetischen Besatzungszone Mrd. RM – Kaufkraft 1936 (Schätzung) Gesamterzeugung (Nettoproduktionswert) I.
II.
1936
1938
1943
1947
Landwirtschaft
3,04
Industrie
7,03
3,47
2,05
1,10
8,95
11,39
4,57
Handwerk
1,03
1,26
1,62
0,64
Handel*
1,09
1,31
1,36
1,09
Verkehr
1,03
1,42
2,08
0,55
1,10
1,09
0,90
0,64
Banken, Versicherungen
0,34
0,39
0,30
0,13
Freie Berufe
0,38
0,49
0,38
0,36
Häusliche Dienste
0,32
0,33
0,22
0,16
0,84
0,97
1,55
1,19
Erzeugung
Verteilung
III. Wohnung IV. Dienstleistungen
V.
Öffentl. Dienstleistungen (Verwaltung, Wehrmacht)
Gesamterzeugung
16,20
19,68
21,85
10,43
RM je Einwohner****
1069
1298
1442
602
Gesamtverbrauch
1936
1938
1943
1947
1. Nahrungs- u. Genussmittel
5,20
5,25
4,85
3,20
2. Kleidung
1,75
2,68
1,98
0,37
3. Hausrat, hauswirtschaftl. Bedarf u. sonstige industrielle Verbrauchsgüter
1,90
1,34
1,08
0,39
4. Wohnung
1,10
1,09
0,90
0,64
5. Dienstleistungen
1,06
1,23
0,94
0,69
6. Öffentlicher Bedarf, Wehrmacht, Rüstung**
2,16
3,89
7. Investitionen*** (Neuanlagen, Ersatzinvestition)
3,03
4,20
28,11
1,90
16,20
19,68
37,86
11,18
-16,01
-0,75
1069
1298
2498
645
8. Reparationen, Besatzungskosten u. dgl. Gesamtverbrauch
3,99
Mehrverbrauch (-) RM je Einwohner****
* Einschl. Gaststättenwesen, ** ohne Investitionen der öffentlichen Hand, *** einschl. Investitionen der öffentlichen Hand, **** Einer anderen Tabelle („Übersicht 3b“) aus derselben Quelle entnommen. Die Tabelle steht im Wesentlichen so im Original; für 1947 wurden die handschriftlichen Korrekturen übernommen. Bei der Erzeugung handelt es sich um den Nettoproduktionswert (Wertschöpfung).
Quelle: StZA, BA DE2 1867, Übersicht 2 u. 3b
217
218
Wirtschaftsstatistik im Nachkriegsdeutschland
Die anderen Punkte betrafen die Aufarbeitung der Produktionsstatistik von 1947, Fertigstellung eines Preiskatalogs für alle Waren, Preisbasis 1936, Struktur- und Richtziffern, z. B. Materialverbrauchsnormen, Planung und Versorgung der Bevölkerung, Planung der Landwirtschaft, Planung der Entwicklung des Verkehrs. „Für die Durchführung dieser Arbeiten bis zum 1.8.1948 ist insgesamt ein Betrag von RM 220 000,– erforderlich.“175 Schon einen Monat später listete ein Vermerk176 des StZA bzw. der Hauptabteilung Statistik der DWK zur Neuaufbereitung der Produktionsstatistik 1936 detaillierte Arbeitsanweisungen mit einem Ablaufschema auf, wie der auf Lochkarten gespeicherte Datensatz des Industriezensus von 1936 auf die Planungssystematik der SBZ umzuarbeiten sei, soweit dies nicht bereits geschehen war: „Die Systematisierung der einzelnen Zählbelege wurde von den Fachreferenten des Zentralamts durchgeführt“, um sie „nach der Systematik von 1936 und nach der Planungssystematik“177 aufzubereiten. Das Urmaterial war bereits neu abgelocht und die einzelnen Zählbelege so systematisiert, dass nach der Systematik von 1936 und nach der Planungssystematik (der SBZ) die Aufbereitung durchzuführen war. Neben weiteren technischen Arbeitsschritten, vor allem für die Hollerith-Abteilung178 des StZA (Vereinheitlichung der Warennummern und des Lochkartenschemas) wurde das Urmaterial zunächst auf Kreisebene zusammengestellt und für die Länder und schließlich die Zone aggregiert. „Eine besondere Schreibgruppe erhält geordnet nach einzelnen Industriezweigen die Ergebnisse zugestellt und braucht diese nur abzuschreiben, da sämtliche Eintragungen in die Hollerith-Liste vorhanden sind.“179 Für die Erstellung von Bilanzen mussten allerdings noch Anweisungen für die nicht vollständigen Werteintragungen erteilt werden. Schließlich übersandte das StZA dem stellvertretenden Vorsitzenden der DWK, Leuschner, im September 1948 zur „Erstellung von Planungsunterlagen für die Vorbereitung des Zweijahresplanes als Schlußlieferung die Ergebnisse der Produktionserhebung 1936 für die Länder der Sowjetzone und für Berlin“.180 Um aus diesen UnterIn der Akte befindet sich ein detaillierter Arbeitsplan mit Kostenvoranschlägen vom 14.5.1948. Siehe dort auch Arbeitsrichtlinien, Formblätter in Deutsch und Russisch, DWK-Nomenklatur. BA DE2 43394. 176 Siehe die Quelle: DWK, HV für Wirtschaftsplanung, HA Statistik 18.6.1948, BA DC15 474 F 1–2. Dort sind die konkreten Arbeitsschritte angegeben. Die zweiseitige Akte enthält keine Ergebnisse. Siehe auch den „Vermerk zur Aufbereitung der Lochkarten für die Produktionserhebung 1936“ vom 25.6.1948, BA DE2 43394. Zum selben Thema siehe dort zahlreiche weitere Vermerke, Notizen etc. 177 „Der Zweijahresplan gliedert erstmalig die Industriezweige entsprechend der neuen, von der SMAD bestätigten Gewerbesystematik.“ DWK, Arbeitsrichtlinien, 27.7.1948, BA DE2 43394. 178 Das vielfältige Urmaterial der 1936er Erhebungen mit seinen industriespezifischen Fragebögen war allerdings lückenhaft überliefert und uneinheitlich abgelocht. Siehe den Vermerk des Hollerith-Referats vom 7.6.1948, BA DE2 43394. 179 BA DC15 474 F 1–2. 180 Es ging um die letzten siebzig der ca. 330 Industriezweige des 1936er Zensus. Brief Gleitzes an Leuschner, 24.9.1948, BA DE2 43394. Siehe dort auch das Besprechungsprotokoll vom 4.8.1948 über die Ablieferungstermine. Für vorherige Teillieferungen siehe in derselben Akte das Anschreiben vom 11.8.1948 (3. Lieferung). Für die Planung wurden im StZA darüber hinaus „tabellarische Vorlagen als Schemen-Entwürfe“ 175
Das Statistische Zentralamt, die Deutsche Wirtschaftskommission
lagen die für die Planung wichtigen Materialbilanzen bzw. Einsatzschlüssel berechnen zu können, war allerdings „eine nochmalige maschinelle Auswertung der 36er Fragebogen erforderlich.“181 Nur über die Einsatzschlüssel („Russisch Normativ“) ließen sich die Produktionsfaktoren im Rahmen einer volkswirtschaftlichen Gesamtplanung zielgerichtet und im Detail lenken und zuteilen. Einsatzschlüssel sind nichts anderes als physische oder mengenmäßige Input-Output-Koeffizienten oder „Mengen- oder Naturalkennziffern“182, z. B. die Menge Eisenerz pro Tonne Roheisen. Wie bereits erwähnt, hatte das StZA, auch unter dem Einfluss von Wagenführs kriegswirtschaftlichen Erfahrungen, von Anfang an angestrebt, diese Schlüsselgrößen zu ermitteln. Im Laufe des Jahres 1947 wurde diese Arbeit nicht zuletzt auf Drängen der Statistikabteilung der SMAD verstärkt fortgesetzt. Weitgehend ergebnislos waren im März 1947 über 100 Industriebetriebe befragt worden, für etwa 300 Positionen (Waren) den unmittelbaren und mittelbaren Bedarf, gemeint waren die Vorleistungen, anzugeben. Trotz dieses Fehlschlags legte das StZA nach der Intervention der SMAD im Juni 1947 vorläufige Ergebnisse über Einsatzschlüssel für den Verbrauch an Hauptrohstoffen bei wichtigen industriellen Grundstoffen und Fertigwaren vor.183 Zur Erläuterung schrieb Schweda (StZA) dazu an Logatschew (SMAD): „Die Aufgabe bestand darin, ‚Einsatzschlüsselmaterial‘ der DZVI zu überprüfen und gegebenenfalls mit früher bereits im Statistischen Zentralamt erarbeitetem Material (Wagenführ v. 17. III.1945) zu vergleichen und möglichst zu einem nunmehr brauchbaren Schlüsselwert daraus zu gelangen. […] Dem von der DZVI überreichten Material lag keine generelle Erhebung […], sondern nur eine Probe-Erhebung in beschränktem Umfange zugrunde.“184 Die Vorbemerkung der 22 Seiten umfassenden Ausarbeitung hebt den Versuchscharakter und ihre beschränkte Anwendungsmöglichkeit185 hervor. „Der Versuch eines einge-
z. B. für die Landwirtschaft entwickelt, siehe Gleitze an Leuschner (Brief und Tabellenentwürfe), 16.6.1948, BA DE2 43394. 181 Siehe Materialbilanzen und Besprechungsprotokoll vom 4.8.1948, BA DE2 43394. 182 StBA 1999, S. 15 f. 183 Aktenvermerk, Besprechung im Haus des Z. V. I. am 8.5.1947; Mündlich erteilter Sonderauftrag vom 30.4.1947 durch Herrn Oblt. Sbarsky über „Einsatzschlüssel“ (Normativ); BA DE2 44706. 184 Briefe vom 20.5.1947 u. 5.6.1947, BA DE2 44706. Beim im StZA erarbeiteten Material ging es um die riesige systematische Sammlung von Einsatzschlüsseln, die das StZA aus den Unterlagen des StRA und der NS-Lenkungsbereiche zusammengestellt hatte: z. B. „Deutsche Einheitsblätter April 1943“ zur „Rohstoffbewirtschaftung“, „Amtliche Produktionserhebung 1938“ und für andere Jahre, „Wigru Glasindustrie 1942“, „Enquetebericht […]1928/29“ für Porzellan, „Reichsstelle für Holz […] 1938“ für Papier etc. Insgesamt umfasst diese Quelle fast 120 Seiten Tabellenmaterial für alle Industriebranchen. BA DE2 45086. In den Vorbemerkungen zu den Einsatzschlüsseln (Normativ) steht: „Die nachfolgende Zusammenstellung ist eine Erweiterung der in der Zeit 1945/1946 hauptsächlich auf Grund von Untersuchungen von Herrn Dr. Wagenführ im Statistischen Zentralamt veranlaßten und durchgeführten Arbeiten.“ StZA 16.6.1947, BA DE2 45086. 185 „Die Schlüssel müssen mit technisch sachverständigen Stellen sowie mit den Fachreferenten der Zentralverwaltung Industrie auf ihre Richtigkeit für die heutige Zeit überprüft werden.“ BA DE2 44706. Vgl. auch die Bemerkung in der Akte BA DE2 45086 (F 86) über die „Aufstellung von Einsatzschlüsseln für die
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Wirtschaftsstatistik im Nachkriegsdeutschland
henden Vergleichs mit dem Material der DZVI mußte ergebnislos bleiben, weil die DZVI-Unterlagen unzulänglich waren. Die Ermittlung eines Einsatzschlüssels, der die heutigen Anforderungen (operative Lenkung) in befriedigender Form unterstützen könnte, war mit geringen Ausnahmen nicht zu erreichen.“186 Die anschließenden definitorischen, methodischen und praktischen Hinweise zweifelten diese Art der Mengenplanung187 nicht grundsätzlich an, wenn auch am Beispiel der Fahrradfabrik das Problem mehrstufiger Produktionsverfahren angesprochen wurde. Danach griff das StZA direkt auf Formblätter aus der Kriegswirtschaft (Deutsche Einheitsblätter, April 1943, Rohstoffbewirtschaftung von Eisen, Metallen und Edelmetallen, Gewichtbegriffe) und Daten des Statistischen Reichsamts (u. a. vom Industriezensus 1936) zurück. Meistens blieb die für Zahlen vorgesehene Spalte der DZVI, bis auf einige DZVI-Probeerhebungen, leer.188 Aus all den Belegen ist abzuleiten, dass die planerische Durchdringung der real existierenden SBZ-Wirtschaft Mitte 1947 noch recht bescheiden war. Die meisten ökonomischen Kennzahlen stammten noch aus der NS-Zeit. Selbst ein Jahr später, 1948, konnte die DWK in der Neuberechnung von Einsatzschlüsseln immer noch nicht auf diese Zahlen verzichten. In einer weiteren Akte der DWK findet sich ein „Verzeichnis über statistisches Material, das kurzfristig zusammengestellt werden kann.“189 Auf den über 90 Seiten bezog man sich durchgängig auf Wirtschaftsstatistiken des Statistischen Reichsamts und auf eigene Erhebungen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die „statistischen Grundlagen für eine volkswirtschaftliche Gesamtplanung“ sollten zum „Termin: 15. Mai 1948 […] die Jahre 1936, 1938, 1943 (gegebenenfalls 1942), 1946 und 1947 umfassen.“190 Neben den Statistiken aus der NS-Zeit arbeitete das StZA auch weitere Datensammlungen der Reichsstatistik auf: z. B., aufgegliedert nach strategischen Industriezweigen, die Beschäftigten und Betriebe von „Industrie und Handwerk nach den gewerblichen Betriebszählungen von 1875 bis 1939“191. Das beschriebene Dokument über die statistischen Grundlagen der Industrie der sowjetischen Besatzungszone 1936–1947 und weitere Aufbereitungen des StZA belegen eindrucksvoll, wie stark der Industriezensus von 1936 für die Konzeption der SBZ/DDR-Planwirtschaft Ende der 1940er Jahre instrumentalisiert wurde. Die im August 1947 von der DWK eingeforderte volkswirtschaftliche Bilanz mit Strukturbilan-
Textil- und Bekleidungsindustrie“, in der erwähnt wird, dass die DZVI noch nicht in der Lage war, diese Einsatzschlüssel zu liefern. 186 Vorbemerkungen zu den Einsatzschlüsseln (Normativ), StZA 16.6.1947, BA DE2 45086. 187 Nach Roesler war die „Produktions- (Mengen-) planung […] Herzstück des Planungssystems“. Roesler 1978, S. 41. 188 BA DE2 44706. 189 BA DC15 498 F 23 ff, 190 BA DC15 499 F 12. 191 Vorgelegt am 22.9.1948, BA DE2 44706.
Das Statistische Zentralamt, die Deutsche Wirtschaftskommission
zen der Sowjetischen Zone192 als statistische Grundlage für die langfristige volkswirtschaftliche Aufbau- und Entwicklungsplanung war demnach mit Hilfe der NS-Zahlen geleistet worden. Über die Einbindung des StZA in die DWK gelang auch eine Neuordnung und Zentralisierung der Industrieberichterstattung. Nach Halder wurde die gebotene Vereinheitlichung der Industrieberichterstattung erst mit dem umfangreichen SMAD-Befehl Nr. 132 vom 2. August 1948 festgelegt.193 Das Kompetenzgerangel zwischen den Ländern und der DWK war beendet: Im Laufe des Jahres 1948 dürfte die DWK und damit das StZA die zentrale Verantwortung für Berichterstattung der Betriebe gewonnen haben.194 Das schließt nicht aus, dass an der Erhebungsprozedur noch geschlüsselt wurde195 und Maßnahmen der DWK flankierend mit Befehlen der SMAD abgesichert oder vielleicht sogar erst durchgesetzt werden mussten. Einen Genehmigungsvorbehalt der Besatzer gab es ohnehin. So ist auch der Befehl Nr. 132 (2. August 1948) zu sehen, er selbst war denn auch weder umfangreich noch setzte er die Berichterstattung grundlegend neu fest.196 Dieser Befehl zur Abänderung der statistischen Berichterstattungstabelle über die Arbeit der Industrie in der sowjetischen Besatzungszone verfügte, eine neue Tabelle einzuführen: Sie regelte die Berichterstattung nicht inhaltlich – hierzu wurde auf bereits vorhandene Formblätter verwiesen –, sondern bestimmte nur, wer, bei wem, wann die Monatsberichte einzureichen oder (zusammengestellt bzw. z. B. auf Lochkarten übertragen) weiterzureichen hatte. Auf einzelnen Stufen wurden die Informationen auf leicht unterschiedlichen Wegen durch die Instanzen geleitet, je nach Betriebstyp (zonal oder von den Ländern verwaltete volkseigene Betriebe, Privatbetriebe oder SAG). Der Informationsfluss wurde übersichtlich in einem grafischen Ablaufschema dargestellt:197 Der Hauptstrang lief von den Betrieben über die Statistischen Kreisämter und die Statistischen Landesämter zum StZA. Aufbereitet landete das Material bei den Sekretariaten Planung, Industrie, Versorgung und den Fachabteilungen der Hauptverwaltung Wirtschaftsplanung. Die Länderverwaltungen erhielten natürlich ebenfalls aufbereitete Informationen. Der folgenschwerste Seitenstrang führte vom StZA zur Statistikabteilung der SMAD. Sie verfügte zudem noch direkt oder indirekt über parallele Informationskanäle zu allen vorgelagerten Stufen.
DWK, Arbeitsplan der Abteilung III – Bedarfsplanung, 7.8.1947, BA DC15 6 F 15 ff. Halder 2001, S. 569. Siehe hierzu die „Deutsche Wirtschaftskommission Anordnung über die Waren-Aufkommens-Anzeigepflicht und das Verteilungsverfahren […] mit Wirkung zum 1. Juli 1948“. Einfacher formuliert ging es u. a. um die monatliche Produktionsmeldung der Betriebe. Zentralverordnungsblatt Nr. 34, 30.8.1948, BA DE2 4319. 195 Dies war danach, wie auch Halder bemerkt, der DWK vorbehalten. Halder 2001, S. 569. 196 Siehe den Befehl mit Anlagen in BA DE2 4319. Dies ist auch die Einschätzung von Foitzik, 1995, S. 33, Anm. 153. 197 DWK, StZA, Industrieberichterstattung – Organisations- und Terminplan für die Monatsmeldung, BA DE2 4319. 192 193 194
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Wirtschaftsstatistik im Nachkriegsdeutschland
Der wichtigste der vier weiteren Punkte war der Befehl „Der Deutschen Wirtschaftskommission innerhalb von 2 Monaten Vorschläge zur grundlegenden Abänderung und Regelung der statistischen Berichterstattung innerhalb der Industrie der Zone auszuarbeiten und mir zur Bestätigung vorzulegen.“198 Dazu schlug Leuschner (stellvertretender Vorsitzender der DWK) in Absprache mit dem StZA in einem Schreiben an den Chef der Planökonomischen Abteilung der SMAD (Chmelewski) im September 1948 vor, die ausgearbeitete Nomenklatur für den Zweijahrplan 1949/50 auch auf die Planabrechnung des zweiten Halbjahres 1948 anzuwenden und die Produktionsergebnisse des Jahres 1936199 ebenfalls nach dieser Einteilung und Klassifikation (Nomenklatur) zusammenzustellen.200 Aus dem „Arbeitsplan September 1948, hier: Termine HA Statistik“201 geht hervor, dass diese Hauptabteilung die Statistiken zum Zweijahresplan für die Planrückschau und zudem vorausschauend die statistischen Zahlen zum Plan 1949 in der von der SMAD vorgeschriebenen Form zusammenzustellen hatte. Im Oktober 1948 legte schließlich das StZA für die DWK eine Ausarbeitung zum „Projekt für die Neugestaltung der Industrieberichterstattung“ (ab 1. Januar 1949) vor.202 Danach seien die bisherigen monatlichen Industrieberichterstattungen in verschiedener Beziehung unzureichend. Sie gestatteten z. B. nicht, Nettoproduktionswerte bzw. teilweise bereinigte Bruttoproduktionswerte zu ermitteln. Bei Vergleichen mit volkswirtschaftlichen Werten aus der Vorkriegszeit müsse deshalb bis heute oft mit der Nettoquote aus dem Jahr 1936 gerechnet werden. Andererseits würden mit dem verwandten Formblatt von den Betrieben und den bearbeitenden Dienststellen bereits so zahlreiche Angaben und statistische Aufrechnungen verlangt, dass die erforderlichen kurzen Termine kaum noch eingehalten werden können. Abhilfe sollten eine erleichterte monatliche Kurzberichterstattung, eine umfassende vierteljährliche Statistik und eine jährliche schon für das Jahr 1948 rückwirkend zu erstellende Statistik schaffen. Die sollte die Errechnung des betrieblichen Nettoproduktionswertes ermöglichen sowie den Wert des Absatzes, nach Abnehmergruppen gegliedert, erbringen. Die ausführlichen Neuerungsvorschläge enthielten schon entworfene Formblätter der Fragebögen im Detail. Die monatliche Kurzberichterstattung passte nicht nur auf eine Postkarte, vielmehr sollte diese knappe Postkartenmeldung203 auch so versandt werden. Die ausführliche vierteljährliche Erhebung sollte mit einem für die gesamte
Ebd. Arbeitsanweisungen unter der Überschrift: „Durchführung der Planwirtschaft 1936 für den Zweijahresplan“, BA DE2 43394. 200 14.9.1948, BA DE2 43394. Zur Diskussion über die Nomenklatur und die Einigung zwischen der DWK und der SMAD siehe den Aktenvermerk vom 17.9.1948, BA DE2 43394. 201 DWK HA Statistik, 7.9.1948, BA DC15 6 F 40. 202 DWK, StZA Abteilung I, Oktober 1948, BA DE2 4319. 203 Drei Fragen zur Produktion (Produktion an Fertigerzeugnissen, Lohnarbeiten, Reparatur für fremde Rechnung) und eine zu den Beschäftigten (ohne Heimarbeiter) jeweils für den Berichts- und Vormonat. 198 199
Das Statistische Zentralamt, die Deutsche Wirtschaftskommission
Zone einheitlichen Fragebogen für alle Betriebe204 geschehen. Die Systematik der Industriegruppen entsprach der Planungssystematik. Der Jahresbericht war so gestaltet, dass aus den erfragten Angaben der Nettoproduktionswert ermittelt werden sollte. Die von der Hauptverwaltung Wirtschaftsplanung vorgeschlagenen Nomenklaturen, Strukturen und Formulare für Pläne und Bilanzen des Jahres 1949 wurden für den Volkswirtschaftsplan 1949 formal von der DWK am 26. November 1948 bestätigt.205 Die statistische Berichterstattung ab 1. Januar 1949206 war auf der Grundlage der bestätigten Nomenklaturpositionen einzuführen.207 Das 111 Seiten umfassende gedruckte Exemplar enthält eine Vielzahl von Formblättern über die Industrieproduktion, über technische Wirtschaftsnormen z. B. Herdflächenleistung von Siemens-Martin-Öfen mit auszufüllenden Mengeneinheiten („kg/m2h“) für 1943, 1947 sowie den vorläufigen Resultaten von 1948, darunter Normen, die von führenden Betrieben, Werkabteilungen und Kolonnen erreicht wurden und den Plan für 1949 bis zum Plan für die Kulturentwicklung (Anzahl Schulen, Schulkinder nach Schultypen etc.). Das abschließende Formblatt für die volkswirtschaftliche Bilanz war demgegenüber relativ einfach gehalten. Selbst Ende der vierziger und Anfang der 1950er Jahre wurde der Industriezensus von 1936 weiterhin als Vergleichsmaßstab benutzt: So waren auf einem Formblatt mit der monatlichen Isterzeugung im Jahr 1948 noch Vergleichssummen der Vorjahre 1945–1947 und 1936 eingetragen. Das StZA hatte eine detaillierte Aufstellung für den Fahrzeugbau 1936 auf dem Territorium der DDR nach Ländern gegliedert am 31. Dezember 1949 fertiggestellt.208 Im Formblatt von 1951 über Plan und Erfüllung für Elektro-Energie, Steinkohle und Braunkohle, „Roheisen, […] Personenkraftwagen etc. ist die Zeile für 1936 mit mengenmäßigen Produktionszahlen gefüllt.209 1948 hatte sich die Zentralisierung der Industrieberichterstattung in der SBZ mit der Zuständigkeit bei der DWK und damit dem StZA wirksam durchgesetzt.210
Mit der Betriebsnummer konnten die Ergebnisse nach Industriezweig und Eigentumsform aggregiert werden. 204 Der Kreis der Meldepflichtigen war bei allen Erhebungen gleich: „Anzeigepflichtig für die Produktionsaufkommen sind sämtliche Produktionsbetriebe.“ Anordnung der DWK vom 30.8.1948 (§ 3 Abs. 3). Aus Anlage 6 der Ausarbeitung geht allerdings hervor, dass für zahlreiche Industriezweige Kleinbetriebe (Schwellenwert 3 oder 5 Beschäftigte) von der Meldepflicht befreit waren. 205 Volkswirtschaftsplan 1949. Siehe dort auch die „Gliederung der 9-stelligen Plan-Warenposition, Hilfsschlüssel-Nummer“ des Produktionsplanes 1948. BA DE2 44706. 206 Zur Berichterstattung 1948 siehe ein relativ einfach aufgebautes Arbeitsblatt, mit dem für „Niederdruckkessel“, nach Ländern gegliedert, lediglich der Wert nach Plan, die tatsächliche Erzeugung ( Juni 1948) und die des Vormonats erfragt wurde. VEB-Ergebnisse wurden gesondert registriert. BA DE2 44740. 207 Siehe auch den Brief Leuschners vom 14.9.1948 an die SMAD (Planökonomische Abteilung), in dem er um Zustimmung zur vorgeschlagenen Nomenklatur bat. BA DE2 43394. 208 StZA, BA DE2 45098. 209 StZA, Plan und Produktion wichtigster Erzeugnisse, BA DE2 43390. 210 Dazu passt auch der Befehl Nr. 90 vom 23.7.1949, nach dem „alle nicht durch Befehle der SMAD oder Beschlüsse der Deutschen Wirtschaftskommission bestätigten Vordrucke der statistischen Berichterstattung […] aufgehoben“ wurden. Für die DWK war in dem Befehl das StZA in allen Fragen der Bericht-
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Wirtschaftsstatistik im Nachkriegsdeutschland
Die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik in der etablierten Planwirtschaft der DDR
Die DWK, das StZA (seit 1952 Staatliche Zentralverwaltung für Statistik, SZS) und die SMAD hatten natürlich schon vor 1948 gezielt auf die Einführung der Planwirtschaft hingearbeitet. Davon zeugen neben den geschilderten Arbeiten des StZA zahlreiche Arbeitsbesprechungen über Planungsfragen im Laufe des Jahres 1947 z. B. zwischen Vertretern der Landesregierungen und DZVI, auf denen ausführliche Referate Bestandsaufnahmen einzelner Industriesektoren lieferten.211 Die Weichen für eine Planwirtschaft nach dem Vorbild der Sowjetunion wurden allerdings vermutlich erst im Laufe des Jahres 1948 gestellt, als die Hierarchie der Wirtschaftslenkung vereinheitlicht und zentralisiert und die Wirtschaftsverwaltung der Länder an die Weisungen der DWK gebunden worden waren. Nach Karlsch hatten sich die Lenkungsmaßnahmen zuvor noch im Rahmen der üblichen Bewirtschaftungsmaßnahmen wie in anderen Ländern Westeuropas gehalten.212 Am 30. Juni 1948 verkündete die SED den Zweijahrplan 1949/50. Sowohl die Planziele als auch die planerische Durchdringung der Wirtschaft waren im Juni 1948 durchaus noch bescheiden, wie im Monat der Planverkündung ein Vortrag zur „Zielsetzung und Methodik der volkswirtschaftlichen Gesamtplanung“213 bei der DWK deutlich machte. Der nicht genannte Referent, vermutlich Gleitze, legte Folgendes dar: Die gegenwärtigen gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone sind dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht mehr kapitalistisch, aber auch nicht sozialistisch sind. Und die Wirtschaft ist nach den Eigentumsverhältnissen in einen a) volkseigenen, b) privaten Sektor gegliedert. […] Die gegenwärtige Wirtschaftsplanung ist […] als parzielle Planung mit volkswirtschaftlicher Ausrichtung und Zielsetzung […] durch das Nebeneinanderbestehen von einem marktwirtschaftlichen und einem planwirtschaftlichen Sektor […] gekennzeichnet. […] Dem jetzt von der Deutschen Wirtschaftskommission aufzustellenden Zweijahresplan [kann] keine generelle Zielsetzung, wie z. B. die Erreichung eines bestimmten Lebensstandards und die dazugehörige Produktion gegeben werden, da der Wirtschaftsplan real sein muß, d. h. daß er unter den gegenwärtigen Verhältnissen verwirklicht werden kann. Dieser Plan wird also nur beschränkte Zielsetzungen aufweisen.214
erstattung federführend. Vgl. den Befehl bei Foitzik 1995, S. 217 ff. Bis zum Februar 1950 war der statistische Dienst noch nicht vollständig zentralisiert, weil die Statistischen Landesämter bis dann formal den einzelnen Landesregierungen unterstanden. Siehe Vorlesung über Industriestatistik, 23.10.1951, BA DE2 43401. 211 Wichtige Punkte waren neben der Besprechung des Produktionsplans 1948 die Einführung einheitlicher Planpreise und die Erstellung von Rohstoffbilanzen zur Bedarfsplanung. Niederschrift, 24./25.9.1947, BA DE2 43394. 212 Steiner 2004, S. 53; Karlsch 1993, S. 108–109; Mühlfriedel (1985/3) sieht die Zäsur mit dem „Wirtschaftsplan für 1948“ allerdings schon ein Jahr eher. 213 2.6.1948, BA DC15 499 F 21–25. 214 Ebd.
Die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik in der etablierten Planwirtschaft der DDR
Dennoch wurden in einem internen Papier aus dem StZA konkrete Ziele verkündet: „Der Produktionsplan ist als verwirklicht zu betrachten, wenn es gelungen ist, die Arbeitsproduktivität um 30 v. H. gegenüber 1947 zu erhöhen, bei gleichzeitiger Senkung der Selbstkosten der volkseigenen Betriebe um 7 v. H. Für die Gesamtlohnsumme ist ein Steigerungssatz von 15 v. H. vorgesehen.“215 Zwar blieben nach Steiner „die Pläne der 40er Jahre lückenhaft und die Planungspraxis hinter den Erwartungen der Verantwortlichen zurück“, dennoch wurde die „Etablierung der Planwirtschaft sowjetischen Typs in der DDR […] schließlich 1949/50 […] mit der Arbeit an einem Fünfjahrplan 1951 bis 1955 abgeschlossen.“216 Da die einschlägige Literatur217 diese etablierte Planwirtschaft der DDR hinreichend beschrieben und analysiert hat, werden im abschließenden Abschnitt hier lediglich noch die Aspekte beleuchtet, die spezifisch mit der Arbeit, Stellung und Funktionsweise des StZA und damit der Wirtschaftsstatistik zusammenhingen. Anders als in den Nachkriegsjahren der SBZ hatte das etablierte StZA in den 1950er Jahren im Wesentlichen nur noch Routineaufgaben zu leisten.218 Bis zum Februar 1950 war der statistische Dienst noch aufgespalten, wobei die Statistischen Landesämter bis dahin den einzelnen Landesregierungen unterstanden.219 Nach der Reorganisation bildeten die Statistischen Kreisämter die unterste Einheit. Sie sammelten und kontrollierten die betrieblichen Fragebögen (eine Korrektur erfolgte in Zusammenarbeit mit den Betrieben). Die nächsthöheren Dienststellen, die Statistischen Landesämter (später Bezirksämter220) trugen die Ergebnisse zusammen und lochten die Erhebungsformulare für die maschinelle Datenverarbeitung ab, die als Summenkarten an das StZA weitergeleitet wurden. Große Industrien berichteten direkt an das StZA. Das Berliner Amt hatte Sonderkontrollrechte für Großbetriebe und für sämtliche SAG. Die SAG waren damit wie andere Betriebe in das Meldesystem einbezogen. Aus den Unterlagen für die Tagung der Statistiker am 31. März 1953 lässt sich, vermutlich repräsentativ für die Phase des Ersten Fünfjahrplans 1951 bis 1955, der Aufgabenbereich des StZA rekonstruieren.221 Der Rückgriff auf Material der Reichsstatistik und auf Planungsunterlagen der Kriegswirtschaft spielte nun keine Rolle222 mehr für Vorwiegend wurden Probleme erörtert, wie die Arbeitsproduktivität und die Selbstkosten in vergleichbaren Werten zu messen seien. StZA Abteilung III, ohne Datum, BA DE2 43394. 216 Steiner 2004, S. 62–63. 217 Siehe vor allem Roesler 1978 und Steiner 2004. 218 Siehe auch den Überblick in StBA 1999, S. 1–41. 219 Vorlesung über Industriestatistik (wohl vor Mitarbeitern des StZA), 23.10.1951, BA DE2 43401. 220 Im Juli 1952 wurde die DDR mit der Abschaffung der Länder administrativ neu gegliedert, Roesler 1978, S. 31. 221 Siehe auch den Abschnitt über „Leitung von Rechnungsführung und Statistik“ in StBA 1999, S. 28–41. In diesem Abschnitt wird deutlich, dass sich die Routineaufgaben des StZA bzw. der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik, wie hier beschrieben, danach nicht mehr grundsätzlich geändert hatten. 222 Selbst die Basierung einiger veröffentlichter Zeitreihen auf das Jahr 1936 und der implizite Bezug der „Messwerte“ auf die Preise des Referenzjahres 1944 war eine Routineangelegenheit geworden. 215
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Wirtschaftsstatistik im Nachkriegsdeutschland
die Routinearbeiten des StZA, das vielmehr hauptsächlich in die aktuelle Statistik und Kontrolle der etablierten DDR-Planwirtschaft bei der Staatlichen Plankommission (SPK)223 eingebunden war: Die Hauptaufgabe der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik ist die Abrechnung des Volkswirtschaftsplanes. Die Abrechnung dient aber nicht nur der Feststellung der Erfüllung des durchgeführten Planes, sondern auch als Grundlage für die Aufstellung des nächsten Planes. Weitere wichtige Aufgaben der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik sind die Schaffung eines Systems von Erhebungskennziffern, die Lenkung der fachlichen Berichterstattung und die Durchführung spezieller Erhebungen von gesamtvolkswirtschaftlicher Bedeutung.224
Nach dem Statut war zudem eine der Hauptaufgaben die Veröffentlichungen über die Erfüllung der Quartals- und Jahrespläne zur Entwicklung der Volkswirtschaft und der Kultur der DDR. Doch selbst 1953 waren noch nicht alle Kinderkrankheiten225 der Planwirtschaft überwunden. Noch stets wurde die unterschiedliche Systematik in den Erhebungen beklagt, was die Aufstellung der volkswirtschaftlichen Gesamtbilanz und der drei Teilbilanzen (materielle Güter, Finanzen und Arbeitskräfte) erschwerte. Allerdings konnte das StZA selbst diese Schwäche abstellen, weil es für die gesamte Berichterstattung die Programme und Formblätter (Kennziffern, Berichterstattung, Aufbereitungssystem, Berechnungs- und Durchführungsmethodologie usw.) zu prüfen und zu bestätigen hatte. Darüber hinaus waren im Gegensatz zur Zeit der SBZ die Anweisungen, Anträge und Aufgaben des StZA im streng zentralisierten System in Fragen des Erhebungswesens und der Statistik für alle Dienststellen und Organisationen der DDR bindend. Auf Anforderung des StZA waren die Dienststellen verpflichtet, Unterlagen über alle statistischen und Erhebungsarbeiten in einem beliebigen Aufbereitungsstadium vorzulegen. Der Leiter des StZA war zugleich stellvertretender Vorsitzender der Staatlichen Plankommission (SPK). Die Kontrollfunktion des StZA ging sehr weit: Nach dem Statut226 umfasste sie auch Stand und Umfang der Berichterstattung in den Ministerien, Staatssekretariaten und anderen Dienststellen in den Organisationen und EinSiehe das Statut der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik (SZS) bei der SPK 31.3.1953, BA DE2 43386. Bei der Gründung der DDR war das StZA zunächst eine Hauptabteilung im Ministerium für Planung, das im November 1950 zur SPK umgewandelt wurde (Ausführlich zur SPK siehe Malycha 2016). Mit der Verwaltungsreform 1952 wurde das StZA eine der SPK unterstellte selbstständige Stelle und in SZS umbenannt. Der Aufgabenbereich der amtlichen Statistik bis Mitte der 1960er Jahre wird mit den Verweisen auf die Gesetze, Verordnungen und Statuten ausführlich in StBA 1999 (S. 4 f.) beschrieben. Zur Rolle der SPK und zur Wirtschaftslenkung der DDR in den 1950er Jahren siehe Steiner 1995. 224 Unterlagen 31.3.1953, BA DE2 43386. Wenn es nicht anders angegeben wird, stammen auch alle folgenden Belege aus diesem Dokument. 225 Damit sind nicht die systemimmanenten Planungsdefizite gemeint. Siehe dazu Boldorf 2016, S. 180 ff. 226 Die Kontrollfunktion war auch jeweils in den „Durchführungsbestimmungen zum Volkswirtschaftsplan“ festgelegt, der wiederum Gesetz war. Vorlesung über Industriestatistik, 23.10.1951, BA DE2 43401. 223
Die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik in der etablierten Planwirtschaft der DDR
richtungen der DDR. Die Hauptabteilung Industrie des StZA sollte nicht nur die Erfüllung des Produktionsplanes kontrollieren, sondern auch die Gründe und Faktoren feststellen, die einen positiven oder negativen Einfluss auf den Verlauf der Produktion ausübten. Die wenigen Belege aus dem 17-seitigen Statut der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik bei der Staatlichen Plankommission der DDR zeigen, dass das StZA als wesentlicher Teil der Staatlichen Plankommission (SPK) zur zentralen Erfassungs- und Kontrollbehörde der DDR-Volkswirtschaft aufgestiegen war.227 Erfasst und kontrolliert wurde vor allem die Industrie. Maßgebend war dem sowjetischen Modell folgend die Ermittlung der „industriellen Bruttoproduktion“.228 Diese wurde in Mengen (Kennziffern) und zu Werten monatlich, pro Quartal und Jahr jeweils mit Vergleichen zur Vorperiode erfasst; Vergleichswerte zum Vorquartal wurden durch kumulierte Jahreswerte ergänzt.229 Berichtspflichtig waren sämtliche volkseigenen und privaten Industriebetriebe, sowie die Produktionsbetriebe der Konsumgenossenschaften. Darüber hinaus wurden aufgrund telegrafischer Meldung monatliche Schnellberichte ausgewählter Betriebe zusammengestellt. Ein grundsätzliches, nicht allein technisch-statistisches Problem ergab sich aus der in Geldgrößen bewerteten Produktion. Nach den auszufüllenden Formularen der Industrieberichterstattung für den ersten Fünfjahrplan 1951–1955230 wurde bei der mit Geld bewerteten Erzeugung keine Nettoproduktion oder die Wertschöpfung, wie noch 1948 von der DWK geplant, erfragt, sondern Bruttowerte der Produktion. Diese schlossen auch die Vorleistungen, wie den Materialverbrauch, ein, den andere Betriebe zugeliefert hatten.231 Die verkaufte Erzeugung, also der Absatz, wurde als „Warenproduktion“ erfasst.232 Für beide Größen wurden zwei unterschiedliche „Produktionswerte“ bestimmt: Der „Bruttoproduktionswert“ und „Warenproduktionswert“ jeweils in „Meßwerten“ und „Abga-
Dort wurde auch die fachlich-operative Statistik erwähnt, die mit täglich telefonischen Meldungen, 5-Tage-Meldungen, 40-Tagemeldungen arbeitete. 227 Dennoch kam es am StZA vorbei zu ausufernder, nichtgenehmigter, Berichterstattung. Vgl. Beschlussentwurf des DDR Ministerrats „über die Regelung, Vereinfachung, Einschränkung und Kontrolle des Berichtswesens.“ 30.3.1953, BA DE2 43386. 228 BA DE2 43386. Daneben wurden natürlich auch die Einsatzfaktoren, vor allem die Arbeitskräfte, erfasst. Eine Berechnung der Nettoproduktion oder Wertschöpfung, wie noch in der SBZ angestrebt, war offensichtlich kein Thema mehr. 229 Quartalsbericht der Staatlichen AG der Brennstoffindustrie, 15.1.1952, BA DE2 43392. 230 Im Bestand BE2 des Bundesarchivs Berlin (BA) findet sich kaum überblickbares Material zur Industrieberichterstattung. Exemplarisch für spätere Jahre sind z. B. die „Richtlinien zur Industrieberichterstattung für die volkseigene und ihr gleichgestellte Industrie im Jahre ab 1960“ (BA DE2 43418) und der „Bericht über den Planablauf 1961“ (BA DE2 43400) in dem detailliert (14 eng beschriebene Seiten) die Planerfüllung (Bruttoproduktion) im Januar 1961 und im Vergleich zum Vormonat erfasst wurde. Es wurden selbst Ursachen für Produktionsschwankungen erläutert. 231 Zur Problematik dieses Maßstabs für den Planungsprozess siehe Steiner 2006, S. XVI–XIX. 232 Siehe z. B. bei Fremdling 2018 in der Quellendokumentation das ausgefüllte Formular über die „Industrieberichterstattung 1953“ der „Staatl. Aktiengesellschaft für Mineraldüngemittel Leuna-Werke „Walter Ulbricht““, BA DE2 43386.
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bepreisen“. Während Abgabepreise vom Abnehmer wirklich gezahlt wurden, dienten die Messwerte als ein reines Planungsinstrument, um die Planvorgaben mit fixierten Werten vergleichbar abrechnen zu können.233 Diese virtuellen Preise waren ursprünglich mit den „Stoppreisen“ des Eichjahres 1944 im Befehl Nr. 9 der SMAD von 1945 vorgeschrieben worden. Als Messwerte waren sie maßgebend für den Bruttoproduktionsplan aller Erzeugnisse eines Betriebes, unabhängig von dem Verwendungszweck (Absatz, Weiterverarbeitung oder Lager, Reparaturen etc.). Der Warenproduktionsplan führte alle Erzeugnisse auf, die den Betrieb verließen, also den Absatz. Dieser betraf allerdings nicht nur den Endverbraucher, sondern auch die Zwischenlieferung an andere Betriebe.234 Das Konstrukt „Meßwerte“ war wesentlich komplexer, als es die Referenz zu dem historischen Preisniveau von 1944 nahelegt. Das erste Statistische Jahrbuch der DDR gibt eine umfangreiche Definition und Erläuterung:235 Bei der Bewertung der Produktion zu Meßwerten wurde nicht jeder Artikel für sich mit dem in einer bestimmten Zeit geltenden durchschnittlichen Abgabepreis der Betriebe bewertet, sondern wurde jeweils eine Anzahl Artikel zu einer Warenart zusammengefaßt, für die man einen einheitlichen konstanten Preis festlegte. Jeder Artikel einer Warenart ist daher mit dem gleichen Preis, dem Meßwert der betreffenden Warenart, bewertet. Ausgangspunkt für die Festlegung der Meßwerte waren 1944er Preise mit zum Teil 1947/48er Abgabepreisen der Betriebe, die im Jahre 1948 gesondert für jede der etwa 1200 Planpositionen zu Planpreisen zusammengefaßt wurden. Im Jahre 1951 wurden für rund 40 000 Warenarten Meßwerte zunächst nach 1950er Preisen berechnet und dann, von einer Anzahl Ausnahmen abgesehen, den Planpreisen so angepaßt, daß der Durchschnitt der Meßwerte in einer Planposition, gewichtet entsprechend der Zusammensetzung der Produktion 1950, den Planpreis dieser Position ergab.
Bei der internen Evaluierung des „1. Fünfjahrplanes“ durch die SPK („Plankoordinierung“) am 10. März 1956236 wurde Folgendes zur Bewertung der Brutto- und Warenproduktion ausgeführt: Die Bruttoproduktion wurde in der Periode des 1. Fünfjahrplanes zu Meßwerten bewertet, die im Jahre 1950 auf der Basis von Planpreisen, die auf den Effektivpreisen von 1947/48 beruhten bzw. auf den Stoppreisen von 1944 basierten, aufgestellt […] und für alle Jahre des 1. Fünfjahrplanes Gültigkeit hatten. Dadurch sollte eine Vergleichbarkeit des Produktionsvolumens erreicht werden.
Siehe zur Erklärung dieser Praxis auch StBA 1999, S. 177–184; Steiner 1995, S. 275. Vorlesung über Industriestatistik (wohl zur internen Schulung von Mitarbeitern des StZA), 30.10.1951, BA DE2 43401. 235 StJDDR 1955, S. 120. 236 BA DE2 43951. Das Dokument fasst „Methodische Grundsätze für die Ausarbeitung der Volkswirtschaftspläne in der Periode des 1. Fünfjahrplanes“ (10.3.1956) systematisch zusammen und erörtert für jeden Punkt die „Mängel“. 233 234
Die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik in der etablierten Planwirtschaft der DDR
Diese kaum noch begreifbare237 Ermittlungstechnik der Messwerte entsprang dem simplen Bestreben, die Ergebnisse des Produktionsprozesses für die Planungsautoritäten intertemporal vergleichbar zu halten und vor allen, die Planerfüllung an den Planungsvorgaben messen zu können. In der „Anleitung zur Überarbeitung der Meßwerte des Allgemeinen Warenverzeichnisses“ (November 1950)238 steht Folgendes: Nach dem „Rücklauf des Gegenplanes 1951“ habe sich herausgestellt, dass beim „Gebrauch der Meßwerte des Allgemeinen Warenverzeichnisses die vorgesehene Planhöhe überschritten wurde.“ Es seien erhebliche Korrekturen vorgenommen worden, um die beiden Preise („Meßwert 1951“ und „Planpreis 1950“) in Übereinstimmung zu bringen. Bei der Neuzusammenstellung der Messwerte nach 1950er Preisen seien, um die Vergleichbarkeit (konstante Preise) zu erhalten, die „unveränderliche[n] Messwerte“ je Warennummer so konstruiert worden, dass sie sich im Aggregat mit denen aus der gröberen Klassifizierung zuvor deckten.239 1951 wurde in einer Schulung für Mitarbeiter des StZA der Fehler beklagt, dass nicht mehr das Wertverhältnis z. B. zwischen Autoreifen und Karosserie widergespiegelt werde. Im Jahre 1956 bestätigte die SPK die Existenz dieses Problems bei dem der Input fiktiv sogar höher als der Output bewertet sein konnte: „Die Hauptmängel der bisherigen Messwerte bestanden […] in dem falschen Verhältnis der Messwerte der einzelnen Warengruppen zueinander. Die Messwerte lagen teilweise bei den verarbeiteten Erzeugnissen niedriger als die Messwerte der Ausgangserzeugnisse“.240 Diese den Planern schon zu Beginn des Fünfjahrplanes bewusste Inkonsistenz der Bewertung führte zwangsläufig zu falschen Anreizen und damit schließlich zu einer tendenziellen Fehlallokation der Ressourcen. Denn die Messwerte waren schließlich Entscheidungsgrundlage für die Planer.241 So standen die durchschnittlichen Messwerte zur Bewertung der Produktion in vielen Fällen der weiteren Verbesserung der Qualität und der Erweiterung des Sortiments entgegen. Ohne auf die Planwirtschaft an sich einzugehen seien hier noch zwei Fehlentwicklungen aus der Liste der 1956 von den Planern selbst festgestellten Mängel beschrieben, in denen eine unzulängliche statistische Messung und Erfassung die Effizienz des Planungssystems beeinträchtigten: Erstens war durch die Mengenplanung und Bruttoerfassung der Produktion eine saubere Trennung von Input und Output der betrieblichen Erzeugung nicht möglich. Das Bruttokonzept verhinderte eine richtige Materialbilanzierung der Erzeugnisse und
Derselbe Einwand gilt übrigens für die Umrechnung von Langzeitreihen, etwa des Bruttoinlandproduktes (BIP) zu konstanten Preisen, wie sie z. B. Angus Maddison (2003, S. 46–47) vorgenommen hatte. Siehe dort das BIP von 12 westeuropäischen Ländern in den Jahren 1500, 1600, 1700, bewertet mit „1990 international Geary-Khamis dollars“. 238 StZA, 6.11.1950, BA DE2 4319. 239 Vorlesung über Industriestatistik, 30.10.1951, BA DE2 43401. 240 SPK, Methodische Grundsätze 10.3.1956, BA DE2 43951, S. 7. Siehe auch Steiner 1995, S. 275. 241 Im Prinzip sollten die „Preise“ eigentlich die Produktionskosten reflektieren. Eine kurze Diskussion des DDR-Preissystems bietet Sleifer 2006, S. 31–37. Siehe vor allem auch Steiner 1999, S. 187–190. 237
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erschwerte die Bildung von Materialeinsatzschlüsseln für die Zuteilung von Rohstoffen und Zwischenprodukten. Mit dem ausschließlichen Bruttokonzept hatten sich frühere Ansätze zur Erfassung der Nettoproduktion bzw. der Wertschöpfung nicht durchgesetzt. Beim Bruttokonzept flossen die bezogenen Vorprodukte (also Leistungen anderer Betriebe) in die Planabrechnung des Weiterverarbeitungsbetriebes ein. Damit entfiel ein wesentlicher Anreiz zur Effizienzsteigerung. Zweitens war durch die Koexistenz verschiedener Bewertungssysteme und durch die Zusammenfassung gleichartiger Erzeugnisse eine Abstimmung der Produktionspläne mit den Arbeitskräfte-, Finanz- und Investitionsplänen nicht möglich. Mit der Industrieberichterstattung war das StZA also Monat für Monat und Jahr für Jahr damit beschäftigt, gigantische instabile Zahlenpyramiden aufzutürmen. Die inkonsistent konstruierten Baupläne wurden in Kauf genommen, obwohl sie zu gebrechlichen Fundamenten und Bausteinen in unterschiedlicher Qualität führten, die zudem unzulänglich zusammengefügt waren. Nach den Erfahrungen aus dem ersten Fünfjahrplan erscheint es kurios, dass sich das StZA sogar als vehementer Hüter der unveränderlichen „Planpreise“ erwies.242 1960 drang die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik auf Einhaltung der „Planpreise“.243 Es ging um die Abrechnung der industriellen Bruttoproduktion. Einige Betriebe wollten aufgrund technologischer Verbesserungen oder Qualitätssteigerungen die Preise anpassen. Das StZA hielt dagegen: „Die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik hat u. a. die Aufgabe, die Entwicklung des Produktionsvolumens real nachzuweisen. Der reale Nachweis der Entwicklung des Produktionsvolumens ist aber nur möglich, wenn die Erzeugnisse mit unveränderlichen Planpreisen bewertet werden, weil dadurch Einflüsse auf die Höhe des Produktionsvolumens durch Preisveränderungen ausgeschaltet werden.“244 Die statistische Erfassung selbst war also zum Argument geworden, sich an eine Bewertungs- und Erhebungspraxis zu klammern, von der man wusste, dass sie falsche Anreize erzeugte. Der entscheidende Schritt zur Weiterentwicklung des statistischen Informationssystems oder der volkswirtschaftlichen Bilanzierung war der Versuch, gesamtwirtschaftliche Verflechtungsbilanzen oder zumindest materielle Teilverflechtungsbilanzen zu erstellen. „Im Interesse der Schaffung eines einheitlichen Systems der Erfassung von Produktion, Lieferungen, Bezügen und Verwendungen“245 wurden solche Verflechtungsbilanzen Anfang der 1960er Jahre in Angriff genommen.246 Dieser Versuch fällt nicht mehr in die hier bis in die 1950er Jahre begrenzte Betrachtungsperiode, so dass der folgende Verweis auf vergleichbare Unternehmungen andernorts die Rele-
Zu den reformierten „neuen“ Preisen siehe „Einführung neuer Planpreise […] im 2. Fünfjahrplan“ und die „Liste einheitlicher Planpreise“ Juli 1955 (BA DE2 43418). 243 StZA (SZS) an alle Industriebetriebe, April 1960, BA DE2 43418. 244 Ebd. 245 StZA, Weiterentwicklung der Statistik des Absatzes, 19.5.1962, BA DE2 4319. 246 Siehe auch Roesler 1978, S. 169–171. 242
Die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik in der etablierten Planwirtschaft der DDR
vanz dieses Vorhabens nur umreißen kann: In den westlichen Ländern arbeitete man schon etwas eher erfolgreich mit der volkswirtschaftlichen Verflechtung in Form von Input-Output-Tabellen. In ihrer wertmäßigen Erfassung der Verflechtung unterscheiden sie sich grundsätzlich von dem DDR-Versuch, das Ineinandergreifen aller Produktionsstufen materiell oder stofflich in Mengeneinheiten zu bestimmen. Daran war schon Wagenführ trotz der hochentwickelten Berichterstattung während des Zweiten Weltkriegs im Planungsamt gescheitert, und in keiner der sozialistischen Planwirtschaften gelang dies jemals hinreichend.247 Auch wenn die Stopppreise von 1944 sich noch in den Messwerten des Ersten Fünfjahrplans wiederfanden, spielte der Rückgriff auf Wirtschaftsstatistiken der NS-Zeit für analytische und planerische Aspekte in den 1950er Jahren grundsätzlich kaum noch eine Rolle. Für die deskriptive Statistik blieb 1936 allerdings weiterhin das Referenzjahr. So stellte das StZA in seinem ersten Statistischen Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik (StJDDR) von 1955248 Zeitreihen mit dem Basisjahr 1936 vor: Die Bruttoproduktion der Industrie nach Erzeugnisgruppen 1936 und 1946 bis 1955 und die Produktion ausgewählter Erzeugnisse 1936, 1946, 1948 und 1950 bis 1955. Auch Statistiken zur Landwirtschaft und zum Außenhandel erschienen mit Referenzzahlen aus der NS-Zeit. Im darauf folgenden Jahrbuch von 1956 wurden zudem noch Indexwerte (1950 = 100) präsentiert: Einzelhandelspreise waren nach Hauptwarengruppen aufgeführt, Dienstleistungspreise für 1936 und 1950 bis 1956 und der Pro-Kopf-Verbrauch wichtiger Nahrungsmittel für 1936 und 1950 bis 1956. Diese Zahlen im Statistischen Jahrbuch waren allerdings nur noch ein blasser Abglanz jener üppigen Wirtschaftsstatistiken aus der NS-Zeit. Erst nach der Gründung der DWK 1947 hatte das StZA als Hauptabteilung der DWK schließlich die nötigen zentralen Kompetenzen erlangt. In Ermangelung hinreichender SBZ-Daten ließ sich mit NS-Daten die Planungsgrundlage für den Zweijahrplan 1949/50 berechnen, wobei das StZA seit 1947/48 wohlweislich vor allem aus dem verlässlichen Urmaterial des 1936er Zensus schöpfte. Ohne diesen Rückgriff auf das NS-Material hätte die DDR nicht schon 1949/50 die Planwirtschaft einführen können. Dieser Einsatz des nationalsozialistischen wirtschaftsplanerischen Rüstzeugs wurde in der DDR-Forschung nicht angemessen thematisiert. In diesem Kapitel ging es um die Rolle der Statistik der SBZ/DDR auf dem Weg zur Planwirtschaft: Gedrängt und gesteuert von den Befehlen der sowjetischen Militäradministration (SMAD), die Produktion schneller wieder in Gang zu setzen, wurde gleich nach dem Krieg eine regelmäßige statistische Berichterstattung der Betriebe für
Kornai stellt in seiner einschlägigen Arbeit über das sozialistische Planungssystem heraus, dass die Prioritäten im Planungssystem über Bilanzen (Material-, Zwischenprodukt- und Produktbilanzen) gesteuert wurden: „ihr Gleichgewicht wird als eines der Hauptkriterien zur Beurteilung der Stimmigkeit des Planes gewertet.“ Doch selbst mit dem späteren Rückgriff auf Computer konnten die Probleme des Plans („System simultaner Gleichungen“) nicht gelöst werden. Kornai 1995, S. 123, 140. 248 StJDDR 1955. 247
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Wirtschaftsstatistik im Nachkriegsdeutschland
eine zunächst nur kurzfristig angelegte Wirtschaftsplanung in der SBZ eingefordert. Dem im Herbst 1945 gegründeten Statistischen Zentralamt (StZA) gelang es jedoch jahrelang nicht, die Wirtschaftsstatistik und die Berichterstattung trotz Unterstützung durch die SMAD vereinheitlicht bei sich bündeln. Das lag an der föderativen Struktur der SBZ und der starken Stellung der Statistischen Landesämter. In der seit den 1950er Jahren etablierten Planwirtschaft agierte die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik bei der Staatlichen Plankommission (SPK) der DDR schließlich routinemäßig als – wirklich zentrale – Instanz für die Kontrolle bzw. Abrechnung des Volkswirtschaftsplanes und für die Schaffung der wirtschaftsstatistischen Grundlagen für die Folgepläne. Planwirtschaftliche Fehlallokationen durch unzureichende oder falsche Anreize waren nun konzeptionellen Mängeln wie der Bruttoabrechnung der Produktion mit den in Messwerten fixierten Festpreisen anzulasten, und nicht mehr einem unzulänglich ausgebauten statistischen Informationssystem.
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Das systemübergreifende Planungspotential des Industriezensus von 1936
Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) der jüngeren deutschen Geschichte fußte in drei ungleichen politischen Gesellschaftsformen weitgehend auf dem Industriezensus von 1936, der somit epochen- und systemübergreifend die wichtigste wirtschaftsstatistische Quelle bildete. Diese Statistik wurde höchst unterschiedlich umgesetzt: In der NS-Zeit diente sie zur Vorbereitung und Lenkung der Kriegswirtschaft, in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zur Etablierung der Planwirtschaft und in Westdeutschland und der Bundesrepublik Deutschland (BRD) zur Implementierung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nach dem westeuropäischen und US-amerikanischen Standard. So verknüpft diese Statistik ungleiche Volkswirtschaften und das hier vorgelegte Buch zeichnet diese Verknüpfungen nach, die sich auch in personeller Kontinuität von Führungskräften in den statistischen Zentralämtern des Deutschen Reichs, der DDR und der BRD zeigte. Unter der Präsidentschaft von Ernst Wagemann beschritt das Statistische Reichsamt (StRA) in der Weimarer Republik den Weg zu einer modernen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Das Volkseinkommen hatte man bereits mit den bekannten Einkommen der Steuerstatistiken erfasst; neu war nun, die gesamtwirtschaftliche Leistung über die Produktion mit der Wertschöpfung zu messen. Erprobt wurde diese Methode für die Industrie mit einer Erhebung für das Jahr 1933 und gemeistert wurde sie 1936 schließlich umfassend für einzelne Betriebsstätten in dreißig Industriegruppen mit über 330 Industriezweigen. Die Vorleistungen in Werten und Mengen erfassten einzelne Produkte, die sich nach der Industrieklassifikation des StRA den Herkunftsbranchen zuordnen ließen. Die Bruttoproduktion wurde ebenfalls in Wertgrößen und Mengen erhoben. Die Nettoproduktion oder Wertschöpfung (value-added) ergab sich als Differenz zwischen dem Wert der Bruttoproduktion und dem der Vorleistung. Die Industrieerhebung von 1933 war eindeutig auf Konjunktursteuerung ausgerichtet. Dazu sollte eine „Tabelle der volkswirtschaftlichen Umsatzverflechtung“ – nach heutigem Sprachgebrauch eine Input-Output-Tabelle – erstellt werden, um z. B. die
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Das systemübergreifende Planungspotential des Industriezensus von 1936
direkten und indirekten Auswirkungen von Investitionen zu erkennen. Bis ins Jahr 1938 arbeitete die Abteilung VI (Allgemeine Wirtschaftsstatistik) des StRA an dieser Tabelle, für die sie neben den Wertgrößen für die Industrie auch Vorleistungs- und Produktionsdaten der Landwirtschaft und des Dienstleistungssektors heranzog. Die Verflechtungsstruktur basierte also, wie die zur selben Zeit in den Vereinigten Staaten erarbeitete Input-Output-Tabelle von Leontief, auf monetären Größen. Das zuständige Reichswirtschaftsministerium (RWM) verfügte schließlich, dass die Abteilung die Arbeiten an der Tabelle einzustellen habe, denn wegen der verstärkten Mitwirkung des Statistischen Reichsamts an der Vorbereitung des Krieges sei der personelle Einsatz für eine derartige arbeitsintensive Tabelle nicht mehr zu rechtfertigen. Sachlich ließ sich diese Abkehr darauf zurückführen, dass in der gelenkten Kriegswirtschaft die Allokation der Ressourcen nicht vom Markt mit Knappheitspreisen, sondern über eine zentralisierte Zuteilung nach Mengenkontingenten gesteuert wurde und dafür waren Statistiken über Mengenverflechtung und nicht über Wertgrößen vonnöten. Innerhalb des StRA hatte schon seit 1934 die Abteilung VII (Industrielle Produktionsstatistik), welche die Industrieerhebungen leitete und über die Datensätze in erster Linie verfügte, das Kommando übernommen und begonnen, mit mengenmäßigen Verflechtungsdiagrammen die NS-Kriegswirtschaft statistisch zu untermauern. Vor allem wurde der Industriezensus von 1936 ausgewertet, um separat für hunderte Branchen die stofflichen oder mengenmäßigen Input-Output-Relationen in detaillierten Fluss- oder Baumdiagrammen aufzuzeichnen. Die daraus abgeleiteten physischen Input-Output-Koeffizienten wurden als „Einsatzschlüssel“ bezeichnet und für die Zuteilung der Ressourcen bei mehrstufigen Produktionsprozessen in der gelenkten Wirtschaft als Richtschnur verwendet. Die wirtschaftsstatistischen Erhebungen des StRA wurden durch laufende Erhebungen der privatwirtschaftlichen Lenkungsbereiche vervollständigt. Die Abteilung Industrielle Produktionsstatistik, von März 1938 bis Juni 1940 zeitweise außerhalb des StRA verselbstständigt als Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung (RWP), konnte ihre statistische Expertise allerdings erst voll in die Kriegswirtschaft einbringen, als im September 1943 mit dem Planungsamt im Rüstungsministerium die Zweiteilung des Lenkungssystems in militärische und zivile Bereiche und damit das Nebeneinander und Überschneidungen der Planungsinstanzen beendet wurde. Die Planstatistik dieser Kommandozentrale der deutschen Wirtschaftslenkung bis zum Kriegsende leitete Rolf Wagenführ mit der gesamten Industrieabteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Das DIW war das 1941 umbenannte Institut für Konjunkturforschung (If K), das Wagemann 1925 für auswertende Arbeiten neben dem StRA gegründet hatte. Nach der Trennung beider Institutionen 1933 errang das weiter unter der Leitung Wagemanns stehende If K kriegswichtigen Status und war mit seinen zahlreichen Tochterinstituten im gesamten deutschen Herrschaftsbereich gutachterlich und schließlich operational in das NS-Herrschaftssystem integriert. Über das Sammeln und Aufbereiten von
Das systemübergreifende Planungspotential des Industriezensus von 1936
Statistiken hinaus war auch das StRA zunehmend mit auswertenden Gutachten beschäftigt. Eines davon, die Schätzung des jüdischen Vermögens, wird in diesem Buch eingehend dargestellt, während die umfangreichen Arbeiten über die Wirtschaft der besetzten Gebiete und der „Feindstaaten“ lediglich aufgelistet sind. Dazu entsandte das StRA Kommissionen z. B. nach Belgien und Griechenland, um den Umfang des Volkseinkommens und davon abgeleitet die Beiträge für die deutsche Kriegsmaschinerie zu bestimmen. Die umfassenden Zusammenstellungen für Wagenführs Abteilung im Planungsamt entstanden in der faktisch von Kurt Werner geleiteten Statistischen Leitstelle beim Statistischen Reichsamt. Gleichzeitig dem Planungsamt zugeordnet, gehörte Werner seit 1934 im StRA zur Abteilung Industrielle Produktionsstatistik und war einer der besten Kenner des Industriezensus von 1936 und weiterer Produktionserhebungen im StRA oder RWP. Die Leitstelle lenkte und verarbeitete den wirtschaftsstatistischen Informationsfluss und bot mit ihren mengenmäßigen Rohstoff- und Fertigungsbilanzen die Entscheidungsgrundlage für das Planungsamt. Der aussagekräftige Industriezensus von 1936 blieb mit den daraus abgeleiteten Einsatzschlüsseln die wichtigste Datenquelle für die gelenkte NS-Kriegswirtschaft und nach dem Krieg für Einführung der Planwirtschaft in der DDR. Kaum begründbar ist dagegen die Karriere der 1939 veröffentlichten Version dieses Zensus. Maßgeblich von Werner im RWP verantwortet und bearbeitet wurden die Ergebnisse im Aggregat zwar korrekt wiedergegeben, jedoch verschleierten geschickte Gruppierungen, Zusammenfassungen der Wirtschaftsbranchen und Auslassungen (Importe) das kriegsvorbereitende Potenzial. Die Manipulationen müssen für Außenstehende so geschickt getarnt gewesen sein, dass die Desinformationen nach dem Krieg nicht mehr erkannt wurden. So gelangte das Zensusmaterial der veröffentlichten Version in mehrere einschlägige Statistiken: Am bekanntesten dürfte das vom Länderrat des amerikanischen Besatzungsgebiets im Jahre 1949 herausgegebene „Statistische Handbuch von Deutschland 1928–1944“ sein. Wegen der regionalen Gliederung in der 1939 veröffentlichten Version des Industriezensus eigneten sich die Angaben nicht nur zur Umrechnung auf die späteren Besatzungszonen, sondern auch zur statistischen Fortführung in der künftigen BRD und DDR. So verwendeten die statistischen Ämter in beiden Teilen Deutschlands die fragwürdigen veröffentlichten Daten des Zensus bis in die 1950er Jahre unbesehen als Referenzgröße für einen neuen weiterführenden Produktionsindex. Erst nach der Industrieerhebung von 1950 wurde in der Bundesrepublik ein neues Wägungsschema eingeführt. Unbegreiflich, dass die Führungspersonen im Statistischen Bundesamt (StBA) der Öffentlichkeit bis dahin diese manipulierte Version des Index in den offiziellen Publikationen des StBA zumuteten. Dazu gehörte Werner, der als Experte für den Zensus von 1936 und für die manipulierte Veröffentlichung nach dem Krieg seine Karriere im Statistischen Bundesamt in leitender Stellung fortsetzte und zudem einschlägig über die Produktionsstatistik der Bundesrepublik Deutschland publizierte. Möglicherweise war einigen Führungskräften im StBA an-
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fänglich durchaus daran gelegen, sich nicht in der Tradition des StRA und seiner Rolle im NS-System zu sehen, sondern sich nach dem Krieg mit der modernen VGR so zu befassen, als habe man sie erst von den Angelsachsen lernen müssen. Gerhard Fürst, der erste Präsident des StBA, und Hildegard Bartels, Leiterin der Abteilung Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen und von 1972 bis 1980 nach Fürst Präsidentin des Amtes, müssen mit den Aktivitäten des StRA voll vertraut gewesen sein. Ein offener Umgang mit der deutschen Amtsstatistik hätte sicherlich auch dazu beigetragen, dass die Leistungen des StRA auf dem Gebiet der VGR (z. B. Berechnung der Industrieproduktion über die Wertschöpfung) und zur Input-Output-Rechnung nicht in Vergessenheit geraten wären. Für langfristige Wirtschaftsanalysen in der wirtschaftswissenschaftlichen und historischen Forschung bis heute ist es höchst bedauerlich, dass es die manipulierte Version des Industriezensus von 1936 war, die in das als Standard häufig benutzte Werk von Walther G. Hoffmann et al. eingegangen ist. Das 1965 publizierte Buch versuchte, die VGR für Deutschland (ohne die Weltkriegsjahre und die DDR) seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu rekonstruieren. In ihm werden als Gewichte für die Indexziffern über die Industrieproduktion Deutschlands zwischen 1850 und 1959 die manipulierten Daten der 1939er Veröffentlichung des RWP verwendet. Um in der Sowjetischen Besatzungszone und dann in der Deutschen Demokratischen Republik die Planwirtschaft zu etablieren, kam man nach eigenständigen Fehlversuchen nicht umhin, auf Originalakten des Industriezensus von 1936 zurückzugreifen. Sie mussten für den Zweijahrplan von 1949/50, das erste aufwändige Planungsschema der DDR, neu geordnet und ausgewertet werden. Der Weg zu dieser exklusiven Verwendung der NS-Statistik verlief weder geradlinig noch war von Anfang an geplant, von einer Datenbasis auszugehen, die mehr als zehn Jahre zuvor in einem anderen Wirtschaftssystem vor dem Krieg erhoben worden war. Diese Lösung war vielmehr der letzte Ausweg, nachdem alle Versuche gescheitert waren, in der SBZ zeitnah ein adäquates statistisches Informationssystem für einen Volkswirtschaftsplan aufzubauen. Unmittelbar nach dem Krieg hatte sich die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) um die Wiederherstellung und Steigerung der Produktion in der Sowjetischen Besatzungszone bemüht. Für die kurzfristige Wirtschaftsplanung benötigte sie regelmäßige statistische Berichte von den Betrieben. Zur Verarbeitung dieser Daten hatte die SMAD im Herbst 1945 das Statistische Zentralamt (StZA) gegründet, um die von den Betrieben erhobenen Statistiken zu standardisieren und zu zentralisieren. Das StZA scheiterte zunächst kläglich, zumal es nicht wie das StRA zuvor die ausgefeilte Verbandsstatistik der privatwirtschaftlich organisierten Wirtschaftsgruppen einbeziehen konnte. Schuld am Scheitern oder an der verzögerten Umsetzung war jedoch vor allem die föderale Struktur der SBZ mit starken unabhängigen Statistikämtern der einzelnen Länder, die sich einer Zentralisierung widersetzten. Dieses Problem wurde erst 1948 gelöst, nachdem das StZA in die Planungsabteilung
Das systemübergreifende Planungspotential des Industriezensus von 1936
der 1947 neu geschaffenen Deutschen Wirtschaftskommission (DWK), des obersten wirtschaftsleitenden Staatsorgans der SBZ, eingegliedert worden war. Als Ergänzung für das aufzubauende eigene statistische Berichtssystem musste sich das StZA von Anfang an auf die Wirtschaftsstatistiken des nationalsozialistischen Deutschlands stützen. Sehr wahrscheinlich hatte das StZA auch eine Reihe von Mitarbeitern nahtlos vom Statistischen Reichsamt übernommen. Für die personelle Kontinuität mit der NS-Zeit seien die beiden Leiter von Generalreferaten des StZA, Ernst Freiherr von Roeder und vor allem Wagenführ aufgeführt. Unter der Verantwortung Wagenführs, dem Chef der früheren Statistikabteilung im Speerschen Rüstungsministerium und ehemaligen Leiter der Industrieabteilung des DIW, wurden die NS-Produktionsstatistiken nach den späteren Besatzungszonen neu (und mit verschiedenen Varianten bzw. Berechnungen) zusammengestellt. Wagenführ trug dazu bei, dass der unverfälschte Industriezensus von 1936 die Grundlage des Zweijahrplanes von 1949/50 bildete. Anders als in den Nachkriegsjahren der SBZ hatte das etablierte StZA in den 1950er Jahren in der DDR im Wesentlichen nur noch Routineaufgaben zu leisten. Der Rückgriff auf Material der Reichsstatistik und auf Planungsunterlagen der Kriegswirtschaft spielte nun keine Rolle mehr für das StZA, das vielmehr hauptsächlich in die aktuelle Statistik und Kontrolle der etablierten DDR-Planwirtschaft bei der Staatlichen Plankommission (SPK) eingebunden war. Die ambitionierten Pläne des Reichswirtschaftsministeriums, einen institutionellen Rahmen für die zentrale Steuerung der deutschen empirischen Wirtschaftsforschung und Wirtschaftsstatistik nach dem Krieg zu schaffen, wurden weder in der DDR noch in der BRD umgesetzt. Der erste Wirtschaftsminister der BRD, Ludwig Erhard, hatte am Ende des Krieges zwar noch enge Kontakte mit dem Reichswirtschaftsministerium gepflegt, jedoch dürften ihn jegliche planwirtschaftliche Ansätze im RWM und auch im Planungsamt, die er zweifellos kannte, eher abgeschreckt haben. So erklärt sich, dass die VGR und die Input-Output-Analyse als moderne Instrumente und als Informationsbasis für eine volkswirtschaftliche Globalsteuerung vom Bundeswirtschaftsministerium unter Erhard stiefmütterlich oder ablehnend als planwirtschaftlich kontaminiert behandelt wurden. Ganz anders verhielt sich der spätere Wirtschaftsminister Karl Schiller. Er hatte ähnlich wie Erhard profunde Kenntnisse über das NS-Wirtschaftssystem, neigte aber wahrscheinlich schon in den 1930er Jahren einer von Keynes inspirierten Wirtschaftspolitik zu, die eine entwickelte VGR voraussetzt.
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Biografische Skizzen
Die biografischen Skizzen decken nicht alle genannten Personen ab und unterscheiden sich vor allem wegen der Quellenlage im Umfang und in der Darstellung. Zudem werden einige Akteure nicht im Anhang, sondern lediglich kurz in Fußnoten vorgestellt oder es wird eine einschlägige Quelle zitiert. Auf diese Fußnoten wird hier mit der Seitenzahl verwiesen. Bartels, Hildegard (1914–2008); 1934 bis 1944 Studium in Marburg, Leipzig, Köln und Berlin, zuerst Mathematik und Naturwissenschaften, dann Wirtschaftswissenschaften; November 1944 Promotion zum Doktor rer. pol. in Berlin. Von Dezember 1944 bis März 1945 arbeitete sie in der von Otto Donner geleiteten Wehrwirtschaftlichen Forschungsstelle der Vierjahresplanbehörde, die im Dezember 1944 vom RWM übernommen wurde (Roth 1996, S. 583). Ab 1946 war sie im Hessischen Statistischen Landesamt und ab 1948 im Statistischen Amt des Vereinigten Wirtschaftsgebietes in der Abteilung „Allgemeine fachliche Koordination, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen“ tätig. Ab 1949 leitete sie diese Abteilung (seither) des Statistischen Bundesamtes. 1967 wurde sie Vizepräsidentin und von 1972 bis 1980 Präsidentin des Statistischen Bundesamtes. (Quelle: Statistisches Bundesamt; https://www.destatis.de/DE/ Uebe rUns/Geschichte/Praesidenten/Bartels.html). Bauer, Wilhelm (1904–1974); siehe Pierenkemper/Fremdling 2018, S. 279–282. Däbritz, Walther (1881–1963); siehe Pierenkemper/Fremdling 2018, S. 162–171. Donner, Otto (1902–1981); 1925 bis 1933 Institut für Konjunkturforschung in Berlin (1928 Betreuer des gerade in das If K eingetretenen „wissenschaftlichen Hilfsarbeiters“ Rolf Wagenführ, Wagenführ 1966, S. 90; Krengel 1985, S. 49, 58); 1933/1934 Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel; 1935 bis 1937 Statistisches Reichsamt. In seiner Tätigkeit für das StRA war er nach dem Geschäftsverteilungsplan von Februar 1935 in der Abteilung VI (Allgemeine Wirtschaftsstatistik, Abteilungsleiter: Bramstedt) als Referent zuständig für die „Statistik der volkswirtschaftlichen Bilanzen“(BA R3102
Biografische Skizzen
3586 F 102). 1937 Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik; 1938/1939 Reichsaufsichtsamt für das Kreditwesen; Mitglied in der NSDAP seit 1.4.1940 (BA R1 3200 D0039, 31XX F0015); 1940 bis 1943 Leiter der Forschungsstelle für Wehrwirtschaft der Dienststelle Vierjahresplan bei Hermann Göring, dem Beauftragten für den Vierjahresplan. Im Winter/Frühjahr 1944 vertrat Donner die Reichsregierung für Wirtschafts- und Finanzfragen bei der französischen Regierung in Paris. Im Dezember 1944 wurde er mit der von ihm geleiteten Wehrwirtschaftlichen Forschungsstelle der Vierjahresplanbehörde vom RWM übernommen (Roth 1996, S. 583). Nach dem Krieg arbeitete er für die amerikanische Besatzungsbehörde. 1947 erhielt Donner die US-Staatsbürgerschaft und eine Professur in Washington. Von 1952 bis 1956 war er stellvertretender, dann geschäftsführender Direktor für die Bundesrepublik Deutschland (anfangs auch für Jugoslawien) beim Internationalen Währungsfonds (IWF). 1954 bis 1968 Exekutivdirektor für die Bundesrepublik bei der Weltbank; 1956–1958 in gleicher Funktion bei der International Finance Organization und ab 1960 bei der International Development Association. (Aly/Heim 1993, S. 54–57; BA Edition Kabinettsbeschlüsse 46. Kabinettssitzung am 23. Sept. 1954 TOP A, Kabinettsprotokolle 1954, S. 405 f.: Prof. Donner nominiert und zum deutschen Weltbankdirektor gewählt; BA Edition „Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung“ Biographien. Online http://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/k/z/z1960a/kap1_10/para2_2. html). von Eynern, Gert; Anfang 1935 im StRA in der Abteilung VI „Allgemeine Wirtschaftsstatistik“ „Hilfsreferent“ in den Referaten Gruppe 13 Statistik zwischenstaatlicher Wirtschaftsbeziehungen (Aussenhandel und Handelspolitik, Grossraumwirtschaft, Zahlungsbilanzen, Transfer), (BA 3102 3586, F. 104). In derselben Abteilung, geleitet von Bramstedt (Vertreter Lautenbach) waren ebenfalls Donner, Langelütke, Jostock und vor 1935 v. d. Gablentz tätig (BA R3102 3586, F 101–104; BA R2 21328 F 7). Nach dem Krieg war von Eynern „Abteilungsleiter in der Hochschule für Politik, Berlin“ (Friedensburg 1950). Fürst, Gerhard (1897–1988); 1914–1920 Studium der Staats- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin, 1923 Promotion zum Dr. rer. pol.; 1923–1930 Mitarbeiter im Statistischen Reichsamt; 1930–1939 Sekretär des „Ausschusses Statistischer Sachverständiger“ beim Völkerbund in Genf; 1940–1945 Mitarbeiter in der Volkswirtschaftlichen Abteilung der IG Farben in Berlin; ab 1945 Aufbau und Leitung des Hessischen Statistischen Landesamtes; 1948 Leiter des Statistischen Amts des Vereinigten Wirtschaftsgebietes und 1949–1964 Präsident des Statistischen Bundesamtes. Quellen: Der Bundeswahlleiter, Dr. Dr. h. c. Gerhard Fürst – Präsident und Bundeswahlleiter von 1948/1953 bis 1964 online unter: http://www.bundeswahlleiter.de/de/ueber_uns/der_bundeswahl leiter/fuerst.html (abgerufen am 21.9.2015); Bartels 1967.
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Biografische Skizzen
Gleitze, Bruno (1903–1980); Studium der Wirtschaftswissenschaft und Statistik an der Berliner Universität; bis 1933 Sozialstatistiker beim ADGB, 1933 Entlassung; politische Haft; 1935–1945 Statistiker bei der AEG; Promotion 1940 an der Berliner Universität, Thema der Dissertation: „Die konjunkturellen und demographischen Einflüsse auf die Kriminalitätsentwicklung“, Referenten: Wagemann und von Stackelberg; 1945–1948 Präsident des StZA; 1946 Ordinarius für Statistik an der Berliner Universität; 1948 Aufgabe aller Ämter in Ostdeutschland; 1949–1953 Abteilungsleiter beim DIW; 1955–1968 Leiter des wirtschaftswissenschaftlichen Instituts des DGB; 1966– 1967 Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen. Quellen: Thalheim 1978; Friedrich Ebert Stiftung 2006, S. 136–137. Grünig, Ferdinand (1890–1960); Offizier im 1. Weltkrieg; danach Promotion und Arbeit als Ingenieur; Misserfolg als Unternehmer während der Weltwirtschaftskrise; danach Wirtschaftsforscher (1933 „Der Wirtschaftskreislauf “); 1933 gehörte Grünig zum Stab von Rudolf Hess („Wirtschaftsstab“ innerhalb der NSDAP: Geer 1961, S. 113); bis 1945 war Grünig in der Abteilung „Wirtschaftsbeobachtung“ der Reichswirtschaftskammer tätig und nach dem Krieg bis 1959 im DIW. In einer Reihe von DIW-Publikationen nutzte er „sein“ volkswirtschaftliches Rechnungswesen und verglich makroökonomische Gesamtgrößen der Nachkriegszeit mit Daten des nationalsozialistischen Deutschlands, vor allem aus dem Jahr 1936. Siehe Grünig 1948 u. 1949. Zu seiner Rolle in den 1930er Jahren siehe auch Tooze 2001, S. 202; zu Grünigs Nachkriegswirken und wissenschaftlicher Einordnung Krengel 1985, S. 142 f.; Nützenadel 2005, S. 105 ff. und Arndt 1960. Jacobs, Alfred (1897–1975); 1922–1945 Wirtschaftswissenschaftler im StRA; seit 1939 Direktor der Abteilung Sozialstatistik; Mitglied in der NSDAP seit dem 1.5.1933 (BA R1 3200 J0020); 1947–1963 Leiter des Bremer Ausschusses für Wirtschaftsforschung; 1961 Honorarprofessor und Lehrbeauftragter für Wirtschaftsstatistik an der Technischen Universität Hannover ( Jacobs 1971; BA Edition „Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung“, Biographien, online http://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/k/z/ z1960a/kap1_10/para2_2.html). Jostock, Paul (1895–1965); 1927–1944 im StRA, Anfang 1935 dort als Referent in der Abteilung VI „Allgemeine Wirtschaftsstatistik“ des Referats Gruppe 4: Statistik des Volkseinkommens und Volksvermögens; nach dem Krieg (1945/46–1961) Direktor bzw. Präsident (ab 1953) des (Baden-) Württembergischen Statistischen Landesamtes, Stuttgart (BA R3102 3586 F 102; BA R2 21328 F7; Jostock 1950; Reich/Lützel 2009). Kehrl, Hans (1900–1984); Tuchfabrikant und Mitglied zahlreicher Aufsichtsräte, seit 1934 führend in der Rohstoffbewirtschaftung (Textilreferat im Vierjahresplan); seit 1938 leitete er im RWM die Textilabteilung und ab November 1942 die Hauptabteilung
Biografische Skizzen
II (Industrie). Im Rüstungsministerium (RMRuK) stand er ab September 1943 dem Planungsamt vor. 1939 wurde er SS-Oberführer und 1944 SS-Brigadeführer. Nach der Internierung und Verurteilung als Kriegsverbrecher wurde er 1951 begnadigt und war als Wirtschaftsberater in der BRD tätig. (Herbst 1982, S. 257, Fußnote 8; ausführlich Müller 1999 u. 1999b). Lautenbach, Wilhelm (1891–1948); siehe Jaeger 1982. Langelütke, Hans (1892–1972); 1910–1913 kaufmännische Lehre; 1913/14 Studium an der Handelshochschule Berlin; 1914–1919 Militär- und Kriegsdienst; 1920 Abitur und 1920/21 Philosophiestudium an der Universität zu Berlin; 1921–1923 Studium der Staatswissenschaften an der Universität Freiburg; 1923 Dr. rer. pol.; 1920–1924 im Dienst der Reichsbank (zum Studium beurlaubt); 1924 mit Pension in den Ruhestand entlassen; 1924/25 Privatstudium und 1925/26 Assistent im volkswirtschaftlichen Seminar an der Universität Freiburg; ab 25.5.1926 als „wissenschaftlicher Hilfsarbeiter“, ab 31.3.1927 als „Hilfsreferent“, ab 31.10.1927 als „Referent“ beim StRA beschäftigt, am 29.3.1932 zum Regierungsrat ernannt (Quelle bis hier eine „Aufzeichnung über die Dienstlaufbahn und Berechnung des Besoldungsdienstalters“ des StRA BA R3102 4216 F 13); bis 1945 im StRA: bis Anfang 1935 leitete er als Referent in der Abteilung VI (Allgemeine Wirtschaftsstatistik, Abteilungsleiter Direktor Bramstedt) das Referat 6. „Allgemeine Statistik des Auslands und der Weltwirtschaft“ (BA R3102 6210 F 227), dem Geschäftsverteilungsplan vom 19.2.1935 zufolge war Langelütke in Leisses Abteilung VII gewechselt (BA R3102 3586 F 101), im RWP leitete er 1939 das Referat „Wehrwirtschaftliche Planung“ (BA R3102 4164 F 62–64), im StRA führte er das im Mai 1942 geschaffene „Zentralreferat für Auslandsstatistik und Auslandsforschung“, das dem StRA-Präsidenten direkt unterstellt war (BA R3101 32121 F 143; 32119 F 5; BA R3102 3579 (2) F 114). Daneben erfüllte Langelütke Aufgaben im Planungsamt (bei der „wissenschaftlichen Beratungsstelle“ zusammen mit Hartmann und in Wagenführs Hauptabteilung „Planstatistik“), siehe den Geschäftsverteilungsplan vom 1.10.1944 (BA R3102 3589 F 14 f.); 1945–1947 war Langelütke Mitarbeiter des Stuttgarter Wirtschaftsministeriums und des Länderrats; 1947–1954 Bayerisches Statistisches Landesamt; 1949 Mitbegründer und 1955–1965 Präsident des Ifo-Instituts (Nützenadel 2005, S. 90 f.; Strigel 1992). Leisse, Wilhelm (1886–1944, Schreibweise häufig Leiße); Promotion 1912 mit einer Arbeit über die deutsche Eisenindustrie. Seit Anfang der 1920er Jahre war er im StRA u. a. als enger Mitarbeiter Wagemanns beschäftigt. Wegen Plagiatsvorwürfen wurde er aus dem Stab Wagemanns in eine technische Abteilung des StRA versetzt. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des StRA, Ende September 1930, war „Dr. Leiße, Ob.-Reg.Rat“ als Vertreter Burgdörfers in der Abteilung IV („Bevölkerungs-, Betriebs- und Produktionsstatistik“) in einer hohen Position (BA R3102 6210 F 241). Er bereitete den
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ersten Industriezensus für 1930 vor, der allerdings im Zuge der Sparpolitik Brünings auf 1933 verschoben wurde. Im Dezember 1934 wurde Leisse Direktor im Statistischen Reichsamt (Leiter der Abteilung VII: Industrielle Produktionsstatistik, die für den 1933er und 1936er Zensus verantwortlich war). Zwischenzeitlich war er von März 1938 bis Juni 1940 Präsident des RWP (Herauslösung der Abteilung VII des StRA, Wiedereingliederung als Abteilung VIII). Am 29.2.1944 wurde er in den Ruhestand versetzt. Mit seiner Beschwerdeschrift „Korruption im Statistischen Reichsamt“ war er mitverantwortlich für die Kampagne, die zur Amtsenthebung („Beurlaubung“ 17.3.1933) Wagemanns als Präsident des StRA und des If K führte. Leisse war seit März 1932 Mitglied der NSDAP, 1934/35 lief allerdings ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn, u. a. weil er Parteigenossen bei Einstellungen nicht bevorzugte. (Tooze 2001, S. 178 f.; Wietog 2001, S. 44 f.; BA R3102 4218; Stäglin/Fremdling 2016b, insbesondere zur Wagemann-Affäre mit zahlreichen Verweisen auf die Originalquellen). Leuschner, Bruno (1910–1965); 1931 KPD, 1946 SED; bis 1936 kaufmännischer Angestellter in der Textilindustrie; 1933–1936 kommunistischer Widerstand; 1936–1945 Zuchthaus und KZ Sachsenhausen bzw. Mauthausen; 1945 Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung des ZK der KPD; 1946 Leiter d. Wirtschaftsabteilung PV SED; 1948–1949 Leiter der HV Wirtschaftsplanung DWK; 1949–1950 Staatssekretär im Ministerium für Planung; 1950–1952 Stellvertretender Vorsitzender der SPK; 1952–1961 Vorsitzender SPK; 1961–1963 Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates für die Koordinierung der volkswirtschaftlichen Grundfragen; 1953 Kandidat, 1958 Mitglied des SED-Politbüros. (Malycha 2016, S. 21). Lück, Heinrich Willy (1908–1960); 1944–1945 Reichswirtschaftsministerium; 1946 Zentralamt für Wirtschaft in der britischen Zone; 1946–1949 Abordnung nach Berlin als volkswirtschaftlicher Berater im deutschen Stab der Economic Subcommission; 1950–1952 Bundesministerium für Angelegenheiten des Marshallplanes (BMM); 1952–1953 in der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Mutual Security Agency (MSA) in Washington; 1953–1954 in der Delegation der Bundesrepublik Deutschland bei der Foreign Operations Administration (FOA) in Washington; 1954–1956 Alternate Executive Director bei der Weltbank und beim Weltwährungsfonds; ab 1957 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bzw. (ab Okt. 1957) Bundesministerium für wirtschaftlichen Besitz des Bundes (BMBes). (BA Edition „Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung“, Biographien, online http://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/k/z/z1960a/kap1_10/ para2_2.html). Ohlendorf, Otto (1907–1951); siehe Herbst 1982, S. 182 ff.; Boberach 1999.
Biografische Skizzen
Schörry, Otto (*1902); Promotion 1934; Eintritt in das StRA 26.11.1934 als wiss. Hilfsarbeiter, 1.4.1935 Hilfsreferent, 9.8.1937 Referent (Quelle: Eintragung in die Beschäftigtenliste des StRA vom 1.11.1938, BA R3102 10962); nach dem Krieg im Statistischen Amt des Vereinigten Wirtschaftsgebietes – Vorläufer des Statistischen Bundesamtes (StBA). Wagemann1, Ernst (1884–1956); wurde am 18. Februar 1884 als Sohn deutscher Emigranten in Chanarcillo (Chile) geboren. Er besuchte bis 1898 die deutsche Schule in Valparaiso, danach bis 1903 das Realgymnasium in Lüneburg. Anschließend studierte er Nationalökonomie in Göttingen, Berlin und Heidelberg, wo er 1907 zum Dr. phil. promovierte. Von 1908 bis 1910 war Wagemann Dozent am Hamburger Kolonialinstitut und von 1911 bis 1913 unternahm er eine Forschungsreise durch Südamerika (Brasilien, Argentinien, Chile). Er habilitierte sich 1914 an der Berliner Universität mit dem Thema „Die Wirtschaftsverfassung der Republik Chile“, handschriftlich begutachtet von Adolph Wagner und Gustav Schmoller. Seine Probevorlesung ging über den „Bankzinsfuss in Papierwährungsländern“ und seine Antrittsvorlesung über „Die deutschen Kolonisten in Südamerika“. Von 1915 bis 1919 las er als Privatdozent u. a. über die Wirtschaftsverfassung von Kolonialländern, Nahrungswirtschaft im Kriege, Statistik, Wert- und Preislehre sowie über Geldwesen und Währungspolitik, ein Thema, das ihn sein Leben lang beschäftigte. Am 16. April 1919 wurde er zum unbesoldeten außerordentlichen Professor an der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität ernannt. Von 1916 bis 1918 war er Referent im Kriegsernährungsamt in Berlin, 1919 wurde er Regierungs- und Landesökonomierat im Preußischen Landwirtschaftsministerium und von 1920 an arbeitete er als Geheimer Regierungsrat (Vortragender Rat) im Reichswirtschaftsministerium. Von Dezember 1923 an (formale Amtsübernahme als Nachfolger von Ernst Delbrück im März 1924) war Wagemann Präsident des Statistischen Reichsamtes (StRA), ab April 1928 zugleich Reichswahlleiter. Im Juli 1925 gründete er das Institut für Konjunkturforschung (If K). Er entwickelte mit seinen wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten (Allgemeine Geldlehre 1923, Konjunkturlehre 1928, Struktur und Rhythmus der Weltwirtschaft 1931) makroökonomische Ansätze, die dem Statistikprogramm in der Weimarer Republik theoretisch zugrunde lagen. Das StRA setzte Wagemanns Kreislaufanalyse empirisch in den Berechnungen des Volkseinkommens und der volkswirtschaftlichen Investitionen sowie in der Konzeption des ersten umfassenden Industriezensus nach anglo-amerikanischem Vorbild (Wertschöpfungsansatz) um. Darüber hinaus sollte zur Konjunktursteuerung eine „Volkswirtschaftliche Verflechtungsta-
Der größte Teil dieser biografischen Angaben wurde zusammen mit Reiner Stäglin für die Neue Deutsche Biographie der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften erarbeitet. Ausführlich zu den Quellen siehe Fremdling/Stäglin 2020a. Im Sinne einer lückenlosen Darstellung an dieser Stelle wurden biografische Informationen aus einschlägigen Passagen zuvor hier noch einmal knapp zusammengefasst. 1
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belle“ (Input-Output-Tabelle) erstellt werden, um z. B. die Sekundärwirkungen von Investitionen zu erfassen. Wegen der haushaltspolitischen Sparmaßnahmen am Ende der Weimarer Republik kamen der entsprechende Industriezensus mit einer Vorerhebung 1933 und der umfassende Zensus 1936 erst nach der Amtszeit Wagemanns als Präsident des StRA zustande. Die Vollendung der arbeitsintensiven Input-Output-Tabelle scheiterte, weil auch das StRA im Zuge der Aufrüstung zunehmend in die statistische Vorbereitung des Krieges eingebunden wurde. Wagemanns vorausschauende theoriegeleitete Konzeption und deren Umsetzung im StRA nahm wesentliche Elemente der modernen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (Wertschöpfungsansatz als Grundlage des Bruttoinlandsproduktes) vorweg, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch internationale Vereinbarungen Standard in den marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften wurde. Die viel beachteten Publikationen des StRA („Wirtschaft und Statistik“ seit 1920) und vor allem des If K („Vierteljahrshefte zur Konjunkturforschung“ seit 1926, „Wochenberichte“ seit 1928) lagen wichtigen Erörterungen von Wirtschaftsfragen in der Presse zugrunde. Wagemann stieg damit in der Spätphase der Weimarer Republik zum bekanntesten, hochgeschätzten Ökonomen auf. Im Februar/März 1933 wurden aus dem StRA schwerwiegende Vorwürfe gegen Wagemann und weitere Führungskräfte im Amt lanciert. Die vielstimmigen verschiedenartigen Beschuldigungen kamen von derart vielen Seiten, dass sie sich nicht auf den einfachen Nenner bringen lassen, Wagemann als Regimegegner auszumachen. Mag seine öffentlich bekundete Hinwendung zum nationalsozialistischen Gedankengut auch von opportunistischen Motiven getrieben gewesen sein, wie einige seiner damaligen Widersacher unterstellten,2 so steht doch andererseits fest, dass er seit Mai 1933 nicht nur Mitglied der NSDAP3 war, sondern sich in Briefen und Stellungnahmen an hohe Partei- und Regierungskreise bis hin zu Hitler mit der nationalsozialistischen Politik identifizierte:4 Massenbach führte in seinem Bericht vom 8.4.1933 aus, „dass der Präsident auch seiner wissenschaftlichen Überzeugung nach, wenigstens bis zum politischen Umschwung, durchaus nicht auf dem Boden der jetzigen Regierungsinhaber gestanden hat. Seine Vorliebe für planwirtschaftliche Konstruktionen ist zwar von Anhängern der Hitlerbewegung als ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus aufgefasst worden, und der Präsident hat diese Auslegung, wie jeder Eingeweihte weiß, mit Rücksicht auf die politischen Zukunftsmöglichkeiten trotz gegenteiliger Ansicht stillschweigend geduldet; wer aber sein letztes größeres Werk ‚Struktur und Rhythmus der Weltwirtschaft‘ (Berlin 1931) […] gelesen hat, weiß, wie sehr er die Planwirtschaft des russischen Systems bewundert. Das Wirtschaftssystem des Faschismus, das auf den gleichen Grundlagen aufbaut wie der Nationalsozialismus, entbehrt hingegen ‚der konjunkturpolitischen Zweckmäßigkeit‘, wie Wagemann auf Seite 273 seines Buches schreibt.“ BA R43II 1157e. 3 NSDAP-Mitgliederkartei: BA R1 31XX T0011, „Eingetr. 1. Mai 1933“. Siehe zudem Wagemanns Karteikarte: „Parteistatistische Erhebung 1939“, BA R9361/I 3776. 4 Wietog 2001, S. 46. Nach Wietog hatte er vor seinem Parteieintritt als Präsident des StRA und damit als Reichswahlleiter politisch neutral zu sein. Krengel (1985, S. 73 ff.), der selbst Mitarbeiter des DIW war, stellt in der Institutsgeschichte heraus, dass nach Meinung der damals (1925–1945) beschäftigten Mitarbeiter des Instituts „Wagemann kein Anhänger der Nationalsozialisten war.“ 2
Biografische Skizzen
Hochzuverehrender Herr Reichskanzler ! Durch Herrn Reichswirtschaftsminister Hugenberg bin ich ohne jede vorherige Ankündigung und ohne Angabe von Gründen auf unbestimmte Zeit beurlaubt worden. Gleichzeitig wurde mir die Leitung des Instituts für Konjunkturforschung entzogen. […] Jedoch ist der mich besonders kränkende Anwurf nicht aus der Welt geschafft, dass ich mich im letzten Augenblick an die NSDAP ‚anzuhängen‘ versucht hätte. Wie Sie, Herr Reichskanzler, wissen, habe ich in den Staatswissenschaften schon sehr früh Gedanken und System entwickelt, die auf Ihre Grundideen zurückgehen. Dieser Umstand führte mich schon vor Jahr und Tag zu engem Gedankenaustausch mit Männern wie Feder und Funk und zu der besonderen Ehre persönlicher Beziehungen zu Ihnen, dem Führer selbst […] Ich, der ich seit Jahren auf die wirtschaftspolitischen Gefahren und Fehler des alten Systems immer wieder hingewiesen und durch meine Veröffentlichungen der nationalsozialistischen Bewegung unter Einsatz meiner ganzen Person und unter heftigen Anfeindungen wissenschaftliche Dienste zu leisten versucht habe, gerade ich soll offenbar von fremden Kräften der weiteren Mitarbeit an den großen nationalen Aufgaben entzogen werden. […] In grösster Ehrerbietung.5
Trotz dieser Anbiederung wurde er von RWM Hugenberg am 22. Mai 1933 endgültig als Präsident des StRA entlassen, erhielt sein Amt als IfK-Direktor jedoch am 17. Juni 1933 vor allem durch die Unterstützung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) wieder zurück. In der Folgezeit übernahm Wagemann weitere Funktionen in der NSDAP und im NSStaat: 28. August 1934 Berufung als Sachverständiger für „Konjunkturforschung“ in den „Sachverständigenbeirat der NSBO in der Obersten Leitung der PO“; nach eigenen Angaben in einer parteistatistischen Erhebung von 1939 Mitglied im „NSD.-Dozentenbund, NSD.-Volkswohlfahrt, NS.-Rechtswahrerbund, Reichsluftschutzbund“; Ernennung zum Leiter der „Arbeitsgemeinschaft für empirische Wirtschaftsforschung im Reichsforschungsrat“ durch Göring im August 1944. Wagemann hatte durchgesetzt, dass nicht nur das DIW als Institut, sondern er als Person, als „kriegswichtig“ eingestuft wurden. Mit dem Kriegsende verlor Wagemann seine Funktion im DIW. Schon im Februar 1945 war er, nachdem er die stellvertretende Institutsleitung an Wagenführ übergeben hatte, mit einigen Mitarbeitern nach Clausthal-Zellerfeld gezogen. Der „Entnazifizierungs-Hauptausschuß der Stadt Göttingen“ stufte ihn am 11. Oktober 1948 in „Kategorie V“ ein, als „entlastet festgestellt“. Die vorhandene Aktenkopie überging Wagemanns Rolle als Präsident des kriegswichtigen If K/DIW und führte stattdessen etliche Entlastungsgründe auf. Hervorgehoben wurde seine internationale Reputation bei Fachkollegen (1936 war er Vizepräsident des Internationalen Statistischen Insti-
Brief Wagemanns an Hitler 23.3.1933, BA R43II 1157e; Siehe weitere Auszüge aus den einschlägigen Briefen und die Quellenverweise bei Stäglin/Fremdling 2016b. 5
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tuts gegen „die Stimmen der Nationalsozialisten“ geworden). Der Ausschuss hielt ihm ferner zugute, dass die Gestapo ihn verhört bzw. überwacht hatte. Gewürdigt wurden die unbedachten aktenkundigen Äußerungen in Braunschweig im September 1943, weswegen „eine Verweisung auf einige Wochen in das KZ Dachau vom Reichssicherheitshauptamt in Aussicht genommen“ worden war. Der Ausschuss stellte zwar Wagemanns Mitgliedschaft in der NSDAP fest, schenkte aber seiner Aussage Glauben, dass er „von einem jungen Beamten seines Amtes, wie er angibt, ohne sein Wissen und Wollen, bei der Partei gemeldet worden“ sei. Zugunsten Wagemanns wurde weiterhin angeführt: „Er hat kein Amt in der Partei bekleidet und hat keiner ihrer Gliederungen angehört.“ […] „Seiner inneren ablehnenden Einstellung zu dem Nationalsozialismus“ habe Wagemann „im engeren Kreis seiner Mitarbeiter sehr häufig Ausdruck verliehen“. Der Ausschuss schlussfolgerte, dass Wagemann „nur dem Namen nach der Partei angehört hat“, dass er sogar „von der Partei als Gegner erkannt“ worden sei und eine „ablehnende äussere Haltung der Partei gegenüber“ gezeigt habe. Darüber hinaus schrieb man es Wagemann persönlich zu, dass im If K/DIW Führungskräfte beschäftigt wurden, die „durch die NSDAP von ihren Staatsämtern entfernt worden“ waren. Dazu gehörte der ehemalige deutsche Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell (1881–1944), „der im Verlauf der Ereignisse des 20. Juli 1944 als führendes Mitglied der deutschen Widerstandsbewegung hingerichtet worden ist.“6 1948 gründete Wagemann das ‚Instituto de Economia‘ in Chile. Von 1949–1953 war er Professor an der Universität in Santiago de Chile. Nach Deutschland zurückgekehrt, lebte er in Frankfurt, Hamburg und Kiel, bevor er 1955 nach Bad Godesberg übersiedelte. Dort starb er am 20. März 1956. Wagenführ, Rolf (1905–1975); Dipl. Volkswirt (1927), Dr. rer. pol. 1928 (Dissertation: Geschichte und Theorie der Konjunktur in Rußland); 1928–1945 Mitarbeiter des If K, zunächst „wissenschaftlicher Hilfsarbeiter“ später Leiter der Industrieabteilung; Mitglied der NSDAP seit dem 20.2.1940 (BA R1 31XX T0034, 3200 Y006); mit Wagenführ an der Spitze wurde die gesamte Industrieabteilung des DIW „dem Reichswirtschaftsministerium für planungsstatistische Arbeiten zur Verfügung“ gestellt (Schreiben des BA R9361 V 153574. Dort alle Zitate aus der Entnazifizierungsakte. Nach Hänze (1989, S. 9 f., 15), dem Schwiegersohn Wagemanns, war Wagemann nach eigenen schriftlichen „Äußerungen […] nach dem Kriege“ nicht „in die Pläne der Verschwörer [u. a. v. Hassell] eingeweiht […] WAGEMANN meinte hierzu, daß die Verschwörer ihn schon für viel zu stark gefährdet hielten, als daß sie ihn noch in ihrem Kreis hätten aufnehmen können.“ „Verschwörer“: Johannes Popitz (preuß. Finanzminister) und Jens Jessen (Prof. für Nationalökonomie an der Berliner Universität) wurden, wie von Hassell, nach dem 20.7.1944 hingerichtet. Ferdinand Friedensburg (Präsident des DIW nach dem Krieg) wurde als bekannter Oppositioneller des NS-Regimes als Mitarbeiter des DIW im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 fristlos entlassen. Friedensburg schreibt in seinen Lebenserinnerungen (1969, S. 300 f.) über sein Verhältnis zu Wagemann: „[…] ich mußte die sechs Jahr ausgeübte Tätigkeit […] fristlos aufgeben; nicht einmal zur Verabschiedung wollte mich Wagemann empfangen. Wir ahnten nicht, daß ich fast genau ein Jahr später seine Nachfolge antreten und daß er im weiteren Verlauf von mir ein Zeugnis für seinen „aktiven Widerstand“ erbitten würde.“ 6
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Reichsbankpräsidenten Funk, der zugleich Wirtschaftsminister war, vom 30.7.1942 an den DIW-Präsidenten Wagemann, BA R3 1969 F 150). Ab September 1943 war Wagenführ mit der Verlagerung der zivilen Produktionssteuerung des RWM (Hauptabteilung II Industrie) in das Speersche Rüstungsministerium Leiter der Hauptabteilung V Planstatistik des Planungsamtes (BA R3102 3589 F 15 RS). Nach dem Krieg arbeitete er für die Statistischen Behörden in der sowjetischen („Statistisches Zentralamt“ in Berlin, BA DE2 43397) und in der britischen Besatzungszone („Statistisches Amt für die Britische Besatzungszone“ in Minden); seit Mitte 1948/49 bis 1952 Leitung des wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften in Köln; 1952–1958 Direktor der Statistischen Abteilung der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahle (EGKS) und von 1958 bis 1966 Generaldirektor des Statistischen Amtes der Europäischen Gemeinschaft (EGKS, EWG und Euratom, später Eurostat) in Brüssel und Luxemburg; ab 1957 ordentlicher Professor für Statistik an der Universität Heidelberg (Einleitung zum Findbuch N 10 Nachlass Rolf Wagenführ (privater Nachlass Wagenführs, Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg (WABW), Stuttgart-Hohenheim); BA R1 NSDAP-Mitgliederkartei, R3 Reichswirtschaftsministerium, R3102 Statistisches Reichsamt, DE2 Statistisches Zentralamt; Wagenführ 1963; Krengel 1985; Tooze 2001; De Michelis/Chantraine 2003; Stahmer 2002 u. 2010). Werner, Kurt, (*1899); Promotion 22.12.1927, Eintritt in das StRA am 9.4.1934 als wiss. Hilfsarbeiter, Hilfsreferent 1.11.1934, Referent 1.8.1935, im Personalverzeichnis des StRA vom 1.12.1936 unter „Pol“ kein Eintrag wie bei den meisten anderen als „Pg.“ oder „SA“ mit Jahreszahl (BA R3102 3378); Mitglied in der NSDAP seit dem 1.5.1937 (BA R1 31XX T0090, 3200 Y0073; siehe zudem Werners Karteikarte: „Parteistatistische Erhebung 1939“, BA R9361/I 3889). Nach dem „Kriegsgeschäftsverteilungsplan“ von August 1943 war Werner mit dem „Zentralreferat für die Planung zur Statistik in der gewerblichen Wirtschaft“ direkt dem Präsidenten unterstellt (BA R3102 3579 (1) F 100). Im Kriegs-Geschäftsverteilungsplan der Abteilung VIII („industrielle Produktionsstatistik“) wurde Werner dort „Stand Juli 1944“, nicht mehr geführt, BA R3102 3579 (2) F 203. Brief des Hessischen Statistischen Landesamtes vom 7.11.1947 an Wagenführ (Stat. Amt der Britischen Zone) mit der Randnotiz „Dr. Werner“, WABW N10 Bü 33. In einer Veröffentlichung von 1948 (Werner 1948) hatte er den Industriezensus von 1936 auf das spätere Bundesland Niedersachsen umgerechnet. Wahrscheinlich war Werner nach dem Krieg zeitweise im „Niedersächsischen Amt für Landesplanung und Statistik“ beschäftigt. Im Geschäftsverteilungsplan des StBA vom 19.2.1951 tauchte er in der „Abt. IV Hauptreferat B – Produktionsstatistik- Hpt.-Ref. Herr Dr. Werner“ als Beschäftigter des StBA auf (BA Ko B128 GVPL 1), wo er bis zu seiner Pensionierung in leitender Stellung arbeitete. Welter, Erich, (1900–1982); siehe Seite 124, FN 61. Wolf, Eduard; siehe Seite 36, FN 44.
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Anhang
Anhang 1: Referat von Wilhelm Bauer (DIW) über Volkseinkommen, Kriegsfinanzierung und privaten Verbrauch 1942/43
Quelle: BA R11 111 F 44-F 48, Schreiben des Präsidenten des DIW (Wagemann) mit Anlagen vom 7. April 1943 an Dr. E. Hickmann, Reichswirtschaftskammer. Anlage 3. Referat des Abteilungsdirigenten Dr. Bauer auf der Kuratoriumssitzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) am 23.3.1943 Volkseinkommen, Kriegsfinanzierung und privater Verbrauch ========================================== Eine Bilanz der deutschen Kriegswirtschaft in den letzten zwölf Monaten Wie gross ist die Summe aller wirtschaftlichen Leistungen des letzten Jahres, d. h. wieviel ist im letzten Jahr erarbeitet und produziert worden? Wieviel hat von diesem Sozialprodukt der Krieg für sich in Anspruch genommen? Wieviel stand für den zivilen Verbrauch zur Verfügung? Diese drei Fragen sollen in aller Kürze im folgenden beantwortet und damit zugleich eine Bilanz über die kriegswirtschaftlichen Leistungen der deutschen Volkswirtschaft während der letzten zwölf Monate gegeben werden. Das Nationalprodukt oder, um den gebräuchlicheren Ausdruck zu verwenden, das Volkseinkommen ist, nach den im Frieden üblichen Begriffsbestimmungen berechnet, für das Rechnungsjahr 1942/43 auf ungefähr 125 Mrd. RM zu schätzen. Die Zahl gilt für das Reich in seinem gegenwärtigen Gebietsumfang mit einer Bevölkerung von etwa 93 Millionen Menschen. Darüber hinaus standen aber zur Deckung des kriegswirtschaftlichen Aufwands noch andere Beträge zur Verfügung: 1) Zugänge aus dem Ausland, und zwar in der Höhe von etwa 15 Mrd. RM. Die ergeben sich einmal dadurch, dass das Ausland einen Teil der militärischen Kosten für die
Referat von Wilhelm Bauer (DIW)
Besatzungstruppen trägt, dass Matrikularbeiträge an das Reich geleistet werden, sodann durch die Lieferungen der befreundeten und neutralen Mächte, die nicht durch Ausfuhren gedeckt sind (und daher zu einer Zunahme der Clearingsalden führen) und schließlich dadurch, dass das Ausland einen Teil der Reichsanleihen übernimmt. 2) Der Verzehr an Volksvermögen. Hierunter ist zu rechnen der gesamte Verschleiss an Produktionsmitteln, der nicht durch Ersatzinvestitionen gedeckt ist, der Verbrauch der Lagervorräte, der Verschleiss des Verkehrsapparats, der Wohngebäude, die Inanspruchnahme privaten Vermögens durch die Wehrmacht, z. B. Beschlagnahme von Kraftfahrzeugen usw. Zwar wird auch jetzt im Kriege neues Sachkapital gebildet, etwa in Form von Investitionen für die Rüstungsindustrie. Im ganzen war aber doch der Vermögensverschleiss grösser als die Neukapitalbildung, und zwar um etwa 5 bis 10 Mrd. RM. 3) Gewisse Steuern, die sogenannten Kostensteuern. Sie werden üblicherweise im Volkseinkommen nicht mitgezählt, weil sie im Frieden zur Deckung volkswirtschaftlicher Produktionskosten dienen, also keinen volkswirtschaftlichen Reinertrag darstellen, jetzt im Kriege aber ganz zur Deckung des Kriegsbedarfs zur Verfügung stehen. Zählt man alle diese Posten zum Volkseinkommen hinzu, so ergibt sich für das Rechnungsjahr 1942/43 eine Gesamtausgabe von rd. 170 Mrd. RM, die für den öffentlichen und privaten Aufwand zur Verfügung stand. Für das letzte Friedensrechnungsjahr 1938/39 lässt sich die gleiche Grösse auf 99 Mrd. RM berechnen. Die Steigerung um nicht weniger als rd. 70 Mrd. RM ist auf die Preis- und nominellen Einkommenserhöhungen, auf die Erweiterung des Reichsgebiets (damals 69 Millionen, jetzt 93 Millionen Einwohner) und auf die Zuflüsse aus dem Ausland zur Kriegsfinanzierung zurückzuführen. Zum einen Teil spiegelt sich in dieser Steigerung aber auch die erhöhte Leistung der Kriegswirtschaft, die Mobilisierung neuer Arbeitskräfte, längere Arbeitszeit usw. wider. Wie verteilt sich diese Summe auf den öffentlichen und privaten Aufwand? Über den öffentlichen Aufwand geben uns die öffentlichen Einnahmen Auskunft, die sich in der Hauptsache aus 35 Mrd. RM Steuereinnahmen des Reichs, 54 Mrd. RM Netto-Einnahmen des Reichs aus Krediten, 14 Mrd. RM Verwaltungseinnahmen des Reichs und anderen Posten, so den Einnahmen aus der Hauszinssteuerablösung, den Einnahmen der Länder und Gemeinden und der Sozialversicherung zusammensetzen. Im ganzen betrugen im jetzt auslaufenden Rechnungsjahr die gesamten öffentlichen Einnahmen und damit auch die gesamten öffentlichen Ausgaben 128 Mrd RM. Bei einer Gegenüberstellung des öffentlichen und privaten Aufwands sind von den öffentlichen Ausgaben die sogenannten öffentlichen Einkommensübertragungen abzusetzen. Sie stellen im öffentlichen Haushalt nur durchlaufende Posten dar, die unmittelbar dem privaten Verbrauch zufliessen. Zu den öffentlichen Einkommensübertragungen sind zu zählen die Familienunterstützungen, der Wehrsold der Einbe-
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rufenen (beide zusammen machen heute den grössten Posten aus), ferner die Sachund Geldleistungen der Sozialversicherung, Kriegsrenten usw. Alle diese öffentlichen Einkommensübertragungen belaufen sich zusammen gegenwärtig auf rd. 25 Mrd. RM. Als netto öffentlicher Aufwand ergibt sich demnach eine Summe von 103 Mrd. RM. Zum Vergleich sei hinzugefügt, dass diese Summe sich seit 1938 verdreifacht hat. Der öffentliche Aufwand im damaligen Reichsgebiet (Altreich) hat rd. 34 Mrd. RM betragen. Von den 103 Mrd. RM öffentlichem Aufwand entfallen etwa 20 Mrd. RM auf die nichtmilitärischen öffentlichen Bedürfnisse, so dass der militärische Aufwand in den letzten zwölf Monaten mit rd. 83 Mrd. RM zu beziffern ist. Die militärischen Kriegskosten haben daher im Durchschnitt der letzten zwölf Monate etwa 7 Mrd. RM oder rd. 230 Mill. RM pro Tag betragen. Die Höhe des privaten Verbrauchs ergibt sich, wenn man nun von der Gesamtsumme der für den öffentlichen und privaten Aufwand zur Verfügung stehenden Mittel (rd. 170 Mrd. RM) den öffentlichen Aufwand abzieht. Es bleiben dann für den privaten Verbrauch rd. 65 Mrd. RM. Der öffentliche Aufwand nimmt also heute mit 61 v. H. nicht ganz zwei Drittel der Gesamtmittel, die der Volkswirtschaft zur Verfügung stehen, in Anspruch; für den privaten Verbrauch verbleibt mit etwa 39 v. H. ein reichliches Drittel. Die Relationen haben sich gegenüber dem Frieden annähernd umgekehrt. Im letzten Friedensjahr hat der öffentliche Aufwand 35 v. H. in Anspruch genommen, für den privaten Aufwand standen damals 65 v. H. zur Verfügung, und zwar rd. 58 v. H. für den Verbrauch und 7 v. H. für die privaten Investitionen. Der Zufall will es, dass in seinem absoluten Betrag, nämlich mit rd. 65 Mrd. RM, der private Aufwand gegenwärtig annähernd so hoch ist wie im Frieden. Dieses Gleichbleiben verblüfft auf den ersten Blick, ist aber sehr leicht dadurch zu erklären, dass sich erstens die Friedenszahlen auf ein Reichgebiet mit, wie erwähnt, 69 Millionen, die Zahlen für 1942/43 aber auf ein Gebiet mit 93 Millionen Einwohnern beziehen, und dass zweitens im Kriege Preis- und nominelle Einkommenssteigungen eingetreten sind. Um ein zutreffendes Bild von der tatsächlichen Höhe des Verbrauchs zu geben, muss man deshalb auf die pro Kopf-Berechnung und Realberechnung zurückgreifen. Auf die Problematik, die beiden Berechnungen innewohnt, soll hier nicht eingegangen werden. Ich möchte nur kurz die Ergebnisse vorführen: Je Kopf der Bevölkerung und real berechnet, d. h. unter Berücksichtigung der Preisentwicklung und der durch die Qualitätsverschlechterung bedingten Verteuerung der Lebenshaltung, beträgt der Rückgang des Verbrauchs gegenüber dem letzten Friedensjahr mit 31 v. H. etwa ein Drittel. Die Preissteigerung und die Qualitätsverschlechterung sind dabei sehr vorsichtig geschätzt worden, man wird eher annehmen können, dass der reale Verbrauch je Kopf der Bevölkerung um 35 bis 40 v. H. zurückgegangen ist.
Referat von Wilhelm Bauer (DIW)
Angesichts der mannigfachen Entbehrungen, die der Krieg dem einzelnen auferlegt, mag dieser Rückgang um, wie gesagt, 35 bis 40 v. H. gering erscheinen. Man muss bei der Bewertung dieser Zahl aber folgendes im Auge behalten: Das Jahr, das der Berechnung zugrunde liegt, umfasst auch noch die im Vergleich zu heute relativ günstigen Monate des Frühjahrs 1942; heute würde das Bild also wahrscheinlich schon wesentlich ungünstiger aussehen. Noch wichtiger aber ist folgendes: Wenn man feststellt, dass der Verbrauch real und je Kopf der Bevölkerung insgesamt um ein Drittel oder um 35 bis 40 v. H. gesunken ist, so bedeutet das nicht, dass sich für alle Schichten der Bevölkerung und für alle Sachgebiete des Verbrauchs der Rückgang in dieser Stärke durchgesetzt hat. Denn es handelt sich dabei ja um einen Durchschnitt. Der Verbrauchsrückgang hat sich vielmehr sachlich und personell gesehen sehr stark differenziert. So gut wie unverändert sind die Wohnungsnutzungen für alle Teile der Bevölkerung geblieben. Verhältnismässig wenig eingeschränkt ist der Selbstverbrauch der Landwirtschaft. Auch in Teilen der städtischen Bevölkerung, so bei einem Teil der Schwer- und Schwerstarbeiter und den Familien mit Kindern, ist, wie unsere Berechnungen immer wieder ergeben, der Nahrungsmittelverbrauch trotz der Rationen nicht wesentlich niedriger als im Frieden. Der Verbrauchsrückgang drängt sich also auf einige Gebiete des Verbrauchs zusammen und trifft auch einige Teile der Bevölkerung besonders stark. Nimmt man ganz roh an, dass die Wohnungsnutzung, der Selbstverbrauch der Landwirtschaft und die Hälfte des Nahrungsmittelverbrauchs der städtische Bevölkerung nicht oder unwesentlich eingeschränkt worden sind, so ergibt sich für die übrigen Teile des Verbrauchs ein Rückgang um mehr als die Hälfte. Dass die Massnahmen, die in den letzten Monaten getroffen worden sind, eine weitere Einschränkung des Verbrauchs mit sich bringen, dass sich mit anderen Worten das Verhältnis zwischen öffentlichem Aufwand und privatem Verbrauch in Zukunft noch stärker zugunsten des öffentlichen Aufwands verschieben wird, steht ganz ausser Zweifel.
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Anhang 2: Verzeichnis von Arbeiten des StRA, November 19441
Quelle: BA R3101 32121 F 173–179 Das Arbeits- und Aufgabengebiet des Zentralreferats für die Auslandsstatistik und Auslandsforschung Stand: November 1944 A. Laufende Arbeiten
I. Statistisches Archiv Sammlung und Registrierung aller monatlich und jährlich publizierter Daten von wirtschafts- oder bevölkerungspolitischen Interesse a)nach Ländern b)nach Fachgebieten Letzte Publikationen: Handbuch der Sowjetunion 1944 und Monatszahlen zur Wirtschaftsentwicklung Kontinentaleuropas 1943, Publikationsorgan vor dem Kriege: Statistisches Handbuch der Weltwirtschaft sowie Internationaler Teil des Statistischen Jahrbuchs. II. Planungsarchiv Sammlung aller publizierten Lenkungs- und Planungsmaßnahmen des Auslands Publikationsorgan: Mitteilungen über Lenkungs- und Planungsmaßnahmen des Auslands, Teil A: Gewerblicher Teil, Teil B: Agrarischer Teil (erscheinen in 4–6 wöchentlicher Folge), Ergänzungshefte ( Jahresberichte nebst Kalendarium), I I I . W i r t s c haf t l i c h es Nac h r i c htenarc h i v zur Information über das Ausland aus Presse, Zeitschrift und Geheimdiensten nach beiliegender Systematik (s. Anl.) Publikationsorgan im Frieden: Wirtschaft und Statistik, halbjährliche synoptische Übersichten zur Wirtschaftslage in der Welt. Ein kurzgefaßter Informationsdienst über die wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Ereignisse ist ab Dezember 1944 in monatlicher Folge (für Zwecke des Planungsamtes) in Aussicht genommen.
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Kursiv, handschriftliche Notizen.
Verzeichnis von Arbeiten des StRA, November 1944
I V. W i r t s c h a f t s b i b l i o g r a p h i e Über die wichtigsten Aufsätze und Neuerscheinungen des Auslands (in Verbindung mit der Bibliographie der Sozialwissenschaften). [… mit EuropaBibliographie??] ------------------------------------------------------------------------------------------------------------2174 B. Sonderarbeiten Ein Verzeichnis der in letzter Zeit hier gefertigten Untersuchungen und Niederschriften liegt an. C. In Arbeit bzw. in Auftrag gegebene Untersuchungen [Um die Grundlage u. Arbeitsmethode des Referats Dr. Langelütkes beurteilen zu können, sind noch ungefähr … Für die Fertigstellung ?… ?erfragen? Lück] I. Mitte November befinden sich nachfolgend ausgeführte Themen in Arbeit, bzw. sind zur Bearbeitung in Auftrag gegeben worden. Thema 1. Statistische Beiträge aus sämtlichen Wirtschaftsgebieten und deren laufende Ergänzung für die Mappen der Länderbearbeiter im Reichswirtschaftsministerium
Auftraggeber RWM
2. Untersuchungen über den Zuwachs des feindlichen Kriegspotentials auf wirtschaftlichem Gebiet durch die feindliche Besetzung von Rumänien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Belgien-Niederlande
Planungsamt
3. Die Erdölverarbeitung und Mineralölraffinerien in der Sowjetunion
Feldwirtschaftsamt
4. Die Kohlenversorgung der UdSSR 5. Die Binnenschiffahrt in der UdSSR 6. Preisbildung und Preispolitik in der Sowjetunion 7. Die Außenhandelszusammensetzung der Schweiz nach Mächtegruppen 8. Der Außenhandel Ungarns 1943 9. Die Verkehrsleistungen Ungarns 10. Ungarns Preise und Finanzen 11. Warenproduktion und Rüstungswirtschaft franz. Nordafrikas
Planungsamt Reichsverkehrsministerium Planungsamt Rüstungsamt Planungsamt Planungsamt Planungsamt OKW
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12. Produktion und Ausfuhr franz. Nord- und Westafrikas 1943 Feldwirtschaftsamt 13. Potentialvergleich mit den Feindmächten über die NE-Metalle Planungsamt II. Außerdem läuft für alle Länder eine generelle Untersuchung 1. über die Bedeutung des Ausfalls der einzelnen Länder für den deutschen Außenhandel 2. die Wirtschaftsentwicklung der einzelnen Länder von Kriegsbeginn bis zur Gegenwart sowie 3. der unter A III aufgeführte wirtschaftspolitische Informationsdienst. -3-
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D. Personelle Zusammensetzung des Zentralreferats 1 Referatsleiter 12 Sachbearbeiter (davon abgeordnet zur Wissenschaftlichen Beratungsstelle [beim Planungsamt, 2 RR, Referenten, 1, Stabs, 4 wissenschaftl. M.] 1 ROI (als Gruppenleiter) 1 ROI (als Lektor und Archivleiter in der Wissenschaftlichen Beratungsstelle) 30 technische Angestellte (davon abgeordnet zur Wissenschaftlichen Beratungsstelle 6) 176 Verzeichnis der Arbeiten des Zentralreferats für die Auslandsstatistik und Auslandsforschung 1 Berichte über ausländische Wirtschaftsmassnahmen: Organisation der Kohlenbewirtschaftung in Großbritannien Kurzgefasste Übersicht zur Textilwirtschaft in Italien Die Industrie-Kontrollkörperschaften in Japan Das Planamt des Kabinetts in Japan
Verzeichnis von Arbeiten des StRA, November 1944
Zur Organisation der italienischen Kriegsindustrie (vorläufige Fassung) Organisation der Eisen- u. Stahlbewirtschaftung in Großbritannien Die schwedische Lebensmittelrationierung und Vergleich der schwedischen mit den deutschen Lebensmittelrationen Die Kriegswirtschaft der Schweiz (Stand Ende 1942) Band I Die Organisation der Lebensmittelverteilung in Spanien Organisation der Bewirtschaftung von Maschinen, Maschinenanlagen und Handwerkszeug in Großbritannien Organisation der Bewirtschaftung von Holz in Großbritannien Die bulgarische Papierversorgung Wirtschaftsbehörden, Planungsmassnahmen und Warenbewirtschaftung in Spanien Die Schuh- und Lederwirtschaft in Schweden Die Staatliche Plankommission beim Rat der Volkskommissare der UdSSR (Gosplan) Die kriegswirtschaftliche Organisation in Schweden Organisation der interalliierten Zusammenarbeit im gewerblichen Sektor Arbeitseinsatz in der UdSSR nach Industriezweigen (in Vorbereitung) Organisation und Bewirtschaftungsmassnahmen der italienischen Textil- und Bekleidungswirtschaft im gegenwärtigen Kriege Die Bewirtschaftung von Schuhen und sonstigen Lederwaren in Italien Die Textilbewirtschaftung in der Schweiz Die Textilbewirtschaftung in Ungarn (in Vorbereitung) Die Textilbewirtschaftung in Rumänien Neueinrichtung der Verwaltung in Japan (in Vorbereitung) Die Textilbewirtschaftung in der Slowakei Die kriegswirtschaftliche Organisation in der Slowakei Die Versorgung Schwedens mit flüssigem Treibstoff u. Schmieröl Die Textilbewirtschaftung in Rumänien 2. Einzelarbeiten: Großbritannien Dänemark
Norwegen
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Organisation der Kohlebewirtschaftung in Großbritannien Die Produktionsstatistik Vergleich 1939 : 1942 Die dänische Industrie 1939, Erzeugung und Außenhandel Sonderbericht über die Leistungsfähigkeit der dänischen Industrie (Reisebericht) Sonderbericht über metallische Mineralien Sonderbericht über Wasserkraft und Elektrizität (mit Karte)
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Anhang
Schweden
Die Treib-, Brenn- und Schmierölversorgung Schwedens (2. Fass.) Die Versorgung Schwedens mit Eisen und NE-Metallen (2. Fass.) Sonderbericht über wichtige Mangelstoffe Schwedens
Schweiz
Aussenhandel wertmässig 1938, 1942, 1943 (2 Graphiken)
Spanien
Die Versorgung Spaniens in Treibstoffen (2. Fass.) Die Versorgung Spaniens mit wehrwirtschaftlich wichtigen Rohstoffen (2. Fass.) m. Graph. Die Kohlenversorgung Spaniens (Schlussfass.) Die Auslandsabhängigkeit der spanischen Nahrungsmittelversorgung
Italien
Das italienische Wirtschaftspotential im deutschen Machtbereich Die italienische Landwirtschaft: 1937–42 Der Außenhandel Italiens 1939–1943
Ungarn
Die ungarische Industrie ab 1939 Die ungarische Landwirtschaft
Vereinigte Staaten Neueste Daten zur Entwicklung rüstungswichtiger Industriezweige v. Amerika Der Arbeits- und Kräfteeinsatz in den USA Kanada Mächtegruppen
Wirtschaftslage und Rüstungspotential Kanadas Das Menschenpotential der Mächtegruppen
3. Strukturberichte usw. : UdSSR Europäischer Teil Gebietsübersicht I Die Landwirtschaft der Sowjetunion UdSSR Wirtschaftsatlas Teil I Rohstoffe UdSSR Wirtschaftsatlas Teil II Binnenschiffahrt -3-
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Wehrwirtschaftszonen der UdSSR Produktionskapazitäten im Angelsächsischen und im Europäischen Wirtschaftsraum Aluminium, Gegenwärtige Versorgungslage des Angelsächsischen Wirtschaftsraumes und Ausbaupläne
Verzeichnis von Arbeiten des StRA, November 1944
Allgemeiner Wehrwirtschaftsatlas für Großbritannien und Nordirland Monatszahlen der industriellen Produktion in Norwegen ( Januar bis Juli 1942) Die Wirtschaftsstruktur Schwedens Versorgung des europäischen Wirtschaftsraumes (ohne UdSSR) in wichtigen Nahrungsmitteln und Rohstoffen (Zahlenangaben) 1938 Wirtschaftsbehörden, Planungsmassnahmen und Warenbewirtschaftung in Spanien (Vorläufige Fassung) 4. Periodisch erscheinende Veröffentlichungen: Mitteilungen über Planungs- und Lenkungsmassnahmen des Auslandes (2 Hefte) Monatszahlen zur Wirtschaftsentwicklung Kontinentaleuropas Zusammenstellung weiterer Arbeiten des Zentralreferats für die Auslandsstatistik und Auslandsforschung 1. Großraumwirtschaftliche Untersuchungen: Grossdeutsche Rohstoffversorgung nach der Eingliederung Böhmens und Mährens Rohstoffversorgung des mitteleuropäischen-großdeutschen Wirtschaftsraumes nach dem Kriege Die Holz- und Erzversorgung Dänemarks, Belgiens und der Niederlande Die rohstoffwirtschaftliche Bedeutung des Südostraumes für die deutsche Wehrwirtschaft Der Nahe Osten … Versorgung mit Lebensmitteln und gewerblichen Rohstoffen Afrika als Lieferant von Rohstoffen und Nahrungsmitteln 2. Länderberichte: Beiträge zur Wehrwirtschaftsstruktur Polens Die Wehrwirtschaftsstruktur Belgiens Die Wehrwirtschaftsstruktur der Eisenindustrie in Belgien und Luxemburg Die Wirtschaftsstruktur des Großherzogtums Luxemburg Beiträge zur Wehrwirtschaftsstruktur Frankreichs (6 Bände nebst Departementsübersichten) Die Wirtschaftsstruktur Dänemarks -4Die Wirtschaftsstruktur Norwegens Die wehrwirtschaftliche Lage Schwedens Die Wirtschaftsstruktur Finnlands Die Wirtschaftsstruktur Spaniens
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Anhang
Die Wirtschaftsstruktur Portugals Die Wirtschaftsstruktur Ungarns Die Wirtschaftsstruktur Albaniens Die Wirtschaftsstruktur Bulgariens Rumäniens Rohstoffwirtschaft und ihre Bedeutung für das Deutsche Reich Griechenlands Wirtschaftsstruktur und die deutsch-griechischen Handelsbeziehungen Die Wirtschaftsstruktur Griechenlands Die Wirtschaftsstruktur Jugoslawiens Die Wirtschaftsstruktur der Türkei Die Wirtschaftsstruktur Ägyptens Beiträge zur Wehrwirtschaftsstruktur Großbritanniens und Nordirlands (6 Bände) Die britische Rohstoffversorgung in Zahlen Die wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Ostseeblockade für Großbritannien Die Wirtschaftsstruktur der Sowjetunion Die Erdölwirtschaft in der UdSSR Die regionale Versorgung der UdSSR in wichtigen mineralischen Rohstoffen und Getreide 3. Organisation der Statistik in den besetzten Gebieten: Der Stand der statistischen Organisation und der statistischen Arbeiten in Frankreich Die Organisation der Statistik in den Niederlanden Der gegenwärtige Stand der Organisation des statistischen Dienstes und der statistischen Arbeiten im Generalgouvernement.
Abkürzungsverzeichnis
AA AAF ARPLAN BA BA Ko BDC BIP BRD DAF Dehomag DDR DIW DIHT DWK DZVI F FDGB GBW (GB) GDP GGDC GSPK GVPL HA GSPK HK If K I/O KB
Auswärtiges Amt Arbeitskreis für Außenwirtschaftsfragen Arbeitsgemeinschaft zum Studium der sowjetrussischen Planwirtschaft Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde Bundesarchiv Koblenz Berlin Document Center (jetzt im BA) Bruttoinlandsprodukt (=GDP) Bundesrepublik Deutschland Deutsche Arbeitsfront Deutsche Hollerith Maschinen GmbH Deutsche Demokratische Republik Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, früher If K Deutscher Industrie- und Handelstag Deutsche Wirtschaftskommission Deutsche Zentralverwaltung der Industrie Folio (vom Archivdienst durchnummerierte Blattzahl, -seite) Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Generalbevollmächtigter für die Kriegswirtschaft bzw. seit 1938 für die Wirtschaft (=RWM bis März 1940, Todt/Speer neues Ministerium) Gross Domestic Product (=BIP) Groningen Growth and Development Centre Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin Geschäftsverteilungsplan Hauptabteilung Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin Handelskammer Institut für Konjunkturforschung, seit 1941 DIW Input-Output Konjunkturberichte der Abteilung „Westen“, Essen, des If K
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Abkürzungsverzeichnis
m M MB MPS MOB NS NSDAP OEEC OKW OMGUS Pg. RBuM RDI RM RMRuK RS RSHA RWI RWM RWP SA SAG SBZ SD SED SMA SMAD SMV SNA SPK SS StA StBA StH1946 StH1949 StJB StJDDR StJR StR StRA
Millionen Mark maschinelle Berichterstattung (Hollerithverfahren) Materialproduktsystem bzw. des Material Product System Mobilisierung Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-Partei Organization for European Economic Cooperation Oberkommando der Wehrmacht Office of Military Government for Germany (US) Parteigenosse (NSDAP) Reichsministerium für Bewaffnung und Munition, seit September 1943 mit erweiterten Kompetenzen RMRuK Reichsverband der Deutschen Industrie Reichsmark Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion Rückseite Reichssicherheitshauptamt Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung Reichswirtschaftsministerium bzw. Reichswirtschaftsminister Reichsamt für Wehrwirtschaftliche Planung Sturmabteilung, Organisation der NSDAP Sowjetische Aktiengesellschaft Sowjetische Besatzungszone Deutschlands Sicherheitsdienst der SS Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Militäradministration (in den Ländern und Provinzen) Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sowjetische Militärverwaltung System of National Accounts Staatliche Plankommission Schutz-Staffel, paramilitärische Organisation der NSDAP Statistisches (Landes) Amt Statistisches Bundesamt Statistisches Handbuch von Deutschland 1946 Statistisches Handbuch von Deutschland 1928–1944 Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reichs Statistik des Deutschen Reichs Statistisches Reichsamt
Abkürzungsverzeichnis
StZA SZS (St. Z. f. St. b. d. St. Pl.) Uk USSBS VDMA VEB VGR VH VjhK VS WABW WB WS WWA ZVI bzw. ZVDI
Statistisches Zentralamt (Staatliche Zentralverwaltung für Statistik) Staatliche Zentralverwaltung für Statistik bei der Staatlichen Plankommission der DDR (hier abgekürzt: StZA) Unabkömmlichstellung (UK), Freistellung von der Ableistung des Wehrdienstes The United States Strategic Bombing Survey Verein Deutscher Maschinenbau-Anstalten Volkseigener Betrieb Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs Vierteljahrshefte zur Konjunkturforschung Vorderseite Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg Wochenberichte des If K Wirtschaft und Statistik Stiftung Westfälisches Wirtschaftsarchiv Zentralverwaltung der (Deutschen) Industrie
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Archiv- und Literaturverzeichnis
Archivalien
Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHStA) MHIG 1074 If K Außenstelle München Bundesarchiv Berlin (BA) Bestand NS19 Persönlicher Stab Reichsführer-SS Bestand NS26 Hauptarchiv der NSDAP Bestand R1 NSDAP-Mitgliederkartei (Zentralkartei 31 XX, Ortskartei 32 00) Bestand R2 Anh. Restverwaltung des ehem. Reichsfinanzministeriums nach 1945 Bestand R11 Reichswirtschaftskammer Bestand R101 Reichstag Bestand R2301 Rechnungshof des Deutschen Reiches Bestand R2501 Deutsche Reichsbank Bestand R26 III Reichsforschungsrat Bestand R3 Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion Bestand R3101 Reichswirtschaftsministerium Bestand R3102 Statistisches Reichsamt Bestand R3112 Vierjahresplanbehörde Bestand R3601 Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Bestand R43 Reichskanzlei Bestand R4701 Reichspostministerium Bestand R4901 Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bestand R63 Südosteuropa Gesellschaft Bestand R73 Deutsche Forschungsgemeinschaft Bestand R8135 Deutsche Revisions- und Treuhand Bestand R9361/1 BDC: NSDAP Bestand DE1 Staatliche Plankommission (SPK) Bestand DE2 Staatliche Zentralverwaltung für Statistik/Statistisches Zentralamt (StZA) Bestand DC15 Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) Bestand DY34 Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) FDGB-Bundesvorstand-Verwaltungsarchiv
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Archiv- und Literaturverzeichnis
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Personenregister
Abelshauser, Werner 91 Abs, Hermann Josef 162 f. Albrecht, Karl 162 Alexandrow, G. 192 Bartels, Hildegard 16, 236, 238 Baudisch 144, 153 Bauer, Wilhelm 238, 248 Benning, Bernhard 20, 132 Bickert, Georg 119, 121 Blessing, Karl 162 f. Boelcke, Willi A. 180 Bondi, Gerhard 211 Borchardt, Knut 85 f. Bormann, Martin 108 Bramstedt, Paul 22 f., 39, 95, 238 f., 241 Brüning, Heinrich 16, 86 f., 89, 242 Burgdörfer, Friedrich 95, 241 Chmelewski 222 Cohn, Raymond L. 91 Däbritz, Walther 84 f., 238 Dahms 153 Dähne, Erwin 168 Delbrück, Ernst 243 Deutelmoser 172 Donner, Otto 164, 167–169, 238 f. Dorn 153 Eichholtz, Dietrich 145 Eickmeyer, H. 183 Emminger, Otmar 168 Erhard, Ludwig 24, 162, 164, 237 Eulenburg, Franz 88 Eynern, Gert von 239 Feder, Gottfried 89, 245 Fischböck, Hans 153 Fremdling, Barbara 5
Fremdling, Rainer 38, 56, 58 f., 90 f., 98 Friedensburg, Ferdinand 109 Fröhling 112 Funk, Walther 89, 103, 108 f., 125, 129, 132, 137, 167, 245, 247 Fürst, Gerhard 30–35, 53, 236, 239 Gablentz, Otto Heinrich von der 22, 29, 239 Galbraith, John Kenneth 27 f., 145, 153, 181 Gerloff, Wilhelm 88 Gierth, Erich 120 Gleitze, Bruno 194–198, 205, 211, 224, 240 Godlewski, Kurt 29, 123, 137–139, 174, 178 f., 202 Goldschmidt, Else 36 Göring, Hermann 23, 39, 92, 103, 105–107, 123, 129, 169, 239, 245 Grävell, Walter 95 Grünig, Ferdinand 17, 26, 132 f., 164–167, 169, 195, 240 Hahn, Albert 88 Halder, Winfrid 186, 201 f., 210, 221 Hartmann 160, 172–174, 178 f., 241 Henzler 169 Herbst, Ludolf 129, 156 Hess, Rudolf 240 Hickmann, E. 248 Himmler, Heinrich 108 f. Hitler, Adolf 89–91, 96, 146, 153, 244 f. Hoffmann, Walther G. 185, 236 Holzwarth, Klaus 211 Hötte 194 Hugenberg, Alfred 88, 92, 94, 245 Illgner, Hans 174 Jacobs, Alfred 32, 155, 160, 178 f., 240 Josten 160
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Personenregister
Jostock, Paul 239 f. Junz, Helen B. 67 f. Kaldor, Nicolas 145, 182 Karlsch, Rainer 224 Kehrl, Hans 26 f., 54, 112, 124 f., 128 f., 131–139, 147, 153, 163, 240 f. Keitel, Wilhelm 153 Keynes, John Maynard 19 f., 237 Körner 112 Krengel, Rolf 83–85 Kruse 194, 196 Kuczynski, Jürgen 181 Kuller, Christiane 66 Landfried 172 Langelütke, Hans 48, 175, 177 f., 239, 241 Lauersen, Walther 121 f. Lautenbach, Wilhelm 167, 239, 241 Leisse, Wilhelm 23, 39, 43 f., 47, 51, 53–55, 58, 92 f., 119, 122 f., 134 f., 241 f. Leontief, Wassily 22 f., 144, 234 Leuschner, Bruno 211, 218, 222, 242 Logatschew 193, 195, 198, 219 Lotz, Walther 88 Lück, Willy 139, 158–160, 163 f., 167, 169 f., 173 f., 176–180, 242, 253 Luther, Hans 87, 94 Maddison, Angus 185 Massenbach, Fritz Freiherr von 36 Meisinger 95 Mellerowicz, Konrad 88 Mentzel 107, 112 Milch, Erhard 153 Moll, Bruno 88 Mühlfriedel, Wolfgang 186 Müller (St. Landesamt Thüringen) 195, 197–200 Müller, Rolf-Dieter 128 f., 132 Note, Richard 37 Nützenadel, Alexander 19 Ohlendorf, Otto 24, 112, 123, 156–164, 166– 168, 170 f., 173 f., 176–180, 242 Ostroumoff 205 Overy, R. J. 91 Papen, Franz von 89, 94 Petzina, Dietmar 116, 124 Pierenkemper, Toni 5 Platzer, Wolfgang 95
Plumpe, Werner 114, 116 Predöhl, Andreas 171 Pusch, Rudolf 93, 107, 109 f. Reichardt, Wolfgang 29 f., 33 f., 60 f., 72, 117, 121, 123 Reiner 95 Reuber 194 Reusch, Paul 88 Riecke 112 Rigler 172 Roeder, Ernst Freiherr von 194, 197, 204, 206, 237 Roesler, Jörg 186 Römermann 55 Röpke, Wilhelm 88 Roth, Karl Heinz 167, 171 Saur, Karl-Otto 131 Sbarsky 209 Schacht, Hjalmar 126, 167 Scherner, Jonas 115 Schieber, Walther 131 Schiller, Karl 19 f., 237 Schleicher, Kurt von 89 Schmoller, Gustav 243 Schörry, Otto 16, 18, 242 f. Schrötter 112 Schulze-Fielitz, Günther 131 Schumpeter, Joseph A. 81 Schweda, Robert 205, 211, 219 Seebauer, Georg 131, 153 Shukow 195 Smith, Adam 95 Speer, Albert 125, 128 f., 131, 137, 147, 149, 153, 156 f., 167 Spoerer, Mark 5, 115 f. Stackelberg, Heinrich Freiherr von 240 Stäglin, Reiner 5, 38, 56, 58 f., 90 f., 98 Stahl, Rudolf 162 Steiner, André 188, 225 Stobbe-Dethleffsen, Carl 131 Stoltze 153 Streb, Jochen 150 Studenski, Paul 18 Terhalle, Fritz 88 Tetzlaff 135, 138, 172 Thalheim, Karl C. 170 Tooze, Adam 38, 53, 82, 121
Personenregister
Vanoli, André 23 Wagemann, Ernst 11, 13, 17, 22, 25, 29, 35, 38 f., 65, 76–89, 92–97, 99, 101, 103–109, 112, 132 f., 164, 166, 168–170, 233 f., 240–247, 249 Wagenführ, Rolf 21, 24, 26–28, 54, 109, 111 f., 119, 122, 125, 131–133, 135–143, 145, 147, 150, 153, 161, 164, 181–183, 204 f., 207–209, 214, 219, 231, 234 f., 237, 241, 245–247 Wagner, Adolph 243
Walb, Ernst 88, 169 Welter, Erich 124, 134, 141, 247 Werner, Kurt 18, 35, 39, 48, 53–55, 59 f., 119, 123, 137–139, 154 f., 235, 247 Wietog, Jutta 29, 36 Wohlmannstetter 95 Wolf, Eduard 36, 168, 247 Zank, Wolfgang 186
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v i e rt e l ja h r s c h r i f t f ü r s o z i a l u n d w i rt s c h a f t s g e s c h i c h t e – b e i h e f t e
Herausgegeben von Mark Spoerer, Jörg Baten, Markus A. Denzel, Thomas Ertl, Gerhard Fouquet und Günther Schulz.
Franz Steiner Verlag
ISSN 0341–0846
237. Wolfgang König Das Kondom Zur Geschichte der Sexualität vom Kaiserreich bis in die Gegenwart 2016. 233 S., kt. ISBN 978-3-515-11334-2 238. Janis Witowski Ehering und Eisenkette Lösegeld- und Mitgiftzahlungen im 12. und 13. Jahrhundert 2016. 340 S. mit 2 Abb. und 2 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11374-8 239. Jann Müller Die Wiederbegründung der Industrie- und Handelskammern in Ostdeutschland im Prozess der Wiedervereinigung 2017. 284 S., kt. ISBN 978-3-515-11565-0 240. Hendrik Ehrhardt Stromkonflikte Selbstverständnis und strategisches Handeln der Stromwirtschaft zwischen Politik, Industrie, Umwelt und Öffentlichkeit (1970–1989) 2017. 317 S. mit 4 Abb. und 4 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11624-4 241. Beat Fumasoli Wirtschaftserfolg zwischen Zufall und Innovativität Oberdeutsche Städte und ihre Exportwirtschaft im Vergleich (1350–1550) 2017. 580 S. mit 15 Abb. und 6 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11803-3 242. Gerhard Fouquet / Sven Rabeler (Hg.) Ökonomische Glaubensfragen Strukturen und Praktiken jüdischen und christlichen Kleinkredits im Spätmittelalter 2018. 162 S. mit 2 Abb. und 8 Tab., kt. ISBN 978-3-515-12225-2 243. Günther Schulz (Hg.) Ordnung und Chaos Trends und Brüche in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte 2019. 262 S. mit 21 Abb. und 12 Tab., kt. ISBN 978-3-515-12322-8
244. Günther Schulz / Mark Spoerer (Hg.) Integration und Desintegration Europas Wirtschafts- und sozialhistorische Beiträge 2019. 230 S., mit 16 Abb. und 8 Tab., kt. ISBN 978-3-515-12350-1 245. Sabrina Stockhusen Hinrik Dunkelgud und sein Rechnungsbuch (1479 bis 1517) Lebensformen eines Lübecker Krämers an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert 2019. 472 S., mit 6 Abb. und 7 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11697-8 246. Janina Salden Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband zur Zeit des Nationalsozialismus 2019. 385 S., mit 10 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12340-2 247. Johannes Bracht / Ulrich Pfister Landpacht, Marktgesellschaft und agrarische Entwicklung Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser, 16. bis 19. Jahrhundert 2020. 364 S., mit 57 Abb. und 38 Tab., kt. 978-3-515-12444-7 248. Heinrich Lang Wirtschaften als kulturelle Praxis Die Florentiner Salviati und die Augsburger Welser auf den Märkten in Lyon (1507–1559) 2020. 728 S., mit 25 Abb. und 10 Tab., kt. 978-3-515-12491-1 249. Mechthild Isenmann Strategien, Mittel und Wege der inner- und zwischenfamiliären Konfliktlösung oberdeutscher Handelshäuser im 15. und ‚langen‘ 16. Jahrhundert 2020. 450 S., mit 15 Tab., geb. ISBN 978-3-515-12574-1 250. Arnd Kluge Die deutsche Porzellanindustrie bis 1914 2020. 440 S., mit 12 Abb. und 7 Karten, kt. 978-3-515-12677-9
Unmittelbar nach der Machtübernahme Hitlers stürzte sich das nationalsozia listische Regime in die Kriegsvorbe reitung. Seit 1934 beteiligte sich das Statistische Reichsamt (StRA) daran. Als Hauptquelle diente der umfassende Industriezensus von 1936. Rainer Fremd ling zeichnet hierbei auch die Rolle des Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor schung (DIW) nach. Durch Meldepflicht und bereitwillige Kooperation privater Industrieunternehmen und ihrer Organi sationen erstellte das StRA umfassende Wirtschaftsstatistiken für die Planung und Lenkung der Kriegswirtschaft. Das StRA wirkte sogar an der Verfolgung
isbn 978-3-515-12608-3
9
7 83 5 1 5 1 26083
von Juden mit, deren Vermögen es 1936 auf Anforderung des Reichswirtschafts ministeriums schätzte. Fremdling spürt die Nutzung der NSStatistiken auch nach 1945 auf und geht besonders ihrer Rolle beim Aufbau der Planwirtschaft in Ostdeutschland nach. Dafür waren die Originalakten des Industriezensus von 1936 für den Zweijahrplan von 1949/50 neu zu ordnen und auszuwerten. Der In dustriezensus von 1936 erwies sich somit als wirksames Referenzsystem für die unterschiedlichen Ökonomien der NS Kriegsführung und DDRPlanwirtschaft sowie für die westdeutsche Volkswirt schaftliche Gesamtrechnung.
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