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German Pages [298] Year 2011
Andreas Becker Napoleonische Elitenpolitik im Rheinland
Rheinisches Archiv Veröffentlichungen der Abteilung für Rheinische Landesgeschichte des Instituts für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn Gegründet von H. Aubin und Th. Frings Herausgegeben von M. Groten und C. Wich-Reif 156
Andreas Becker
Napoleonische Elitenpolitik im Rheinland Die protestantische Geistlichkeit im Roerdepartement 1802–1814
2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Evangelischen Landeskirche im Rheinland sowie des Landschaftsverbandes Rheinland
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Der Einzug Napoleons in Düsseldorf am 3. November 1811 (J. Petersen, Aquarell, Stadtmuseum Düsseldorf ) © 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem, säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-20655-0
Inhalt
Vorwort .....................................................................................................................
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1. Einführung .......................................................................................
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1. Einleitung.................................................................................................... 2. Rheinischer Protestantismus und napoleonische Herrschaft: Ein Forschungsüberblick ......................................................................... 3. Quellen und Methodik .............................................................................
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren ...................................................................... 30 1. 2. 3. 4. 5.
Institutionen .............................................................................................. Verflechtung ............................................................................................... Besatzungserfahrung................................................................................. Ein scheinbarer Konsens: Ansichten über Kirchen und Staat ........ Zusammenfassung ...................................................................................
30 38 44 60 65
3. Die zentralen Behörden ................................................................ 67 1. 2. 3. 4.
Das Kultusministerium ........................................................................... 68 Das reformierte Kommunikationsbüro in Paris ................................. 82 Das Generalkonsistorium Augsburger Konfession in Köln ............ 89 Zusammenfassung ................................................................................... 106
4. Zuckerbrot und Peitsche: Die sozialen Auswirkungen der Instrumente napoleonischer Elitenpolitik .................................. 109 1. Indienstnahme durch Aufgaben ............................................................ 2. Auf dem Weg zur Laufbahn: Gesetzgebung als Mittel formeller Einbindung ................................................................................................ 3. Verflechtung in napoleonischer Zeit (1802-1813) ............................. 4. Zusammenfassung ...................................................................................
112 119 130 142
Inhalt
2
5. Zwischen Konfrontation und Kooperation: Die Beziehungen zwischen den Kirchen ................................................................... 144 1. 2. 2. 3.
Einleitung .................................................................................................. Binnenprotestantische Konflikte .......................................................... Beziehungen zur katholischen Kirche .................................................. Zusammenfassung ....................................................................................
144 147 153 175
6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen .......................................................................... 177 1. 2. 3. 4. 5.
Das Verhältnis von Staat und Kirche aus pastoraler Sicht ............... Das Synodenverbot ................................................................................. Das Verbot des Heidelberger Katechismus 1812 .............................. Die Absetzung des Konsistorialpräsidenten Neumann in Kleve ..... Zusammenfassung ...................................................................................
178 182 185 198 208
7. Ein fliehender Wechsel: Das Ende der französischen Herrschaft ......................................................................................... 210 1. Öffentliche Kritik ..................................................................................... 211 2. Unter alliierter Besatzung......................................................................... 219 3. Zusammenfassung ................................................................................... 230
8. Ausblick ............................................................................................ 232 9. Anhang.............................................................................................. 236 1. Tabellen ....................................................................................................... 236 2. Chronologie ............................................................................................... 237
10. Quellen- und Literaturverzeichnis ............................................... 240 1. 2. 3. 4.
Ungedruckte Quellen ................................................................................ Gedruckte Quellen ................................................................................... Literatur ..................................................................................................... Karte des Roerdepartements ..................................................................
240 243 247 283
11. Register ............................................................................................ 284
Vorwort Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 2008/09 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie leicht überarbeitet. Ich danke sehr herzlich meiner Doktormutter, Frau Prof. Dr. Gudrun Gersmann (Paris), für ihr in mich gesetztes Vertrauen und ihr Engagement, mit dem sie das Werden und Wachsen meiner Arbeit begleitete. Ebenfalls Dank aussprechen möchte ich meinem Zweitgutachter Herrn PD Dr. Hillard von Thiessen (Köln) für seine stete Geduld, Kritik und intellektuelle Anregung. Danken möchte ich außerdem Herrn Prof. Dr. Manfred Groten (Bonn) für seine spontane Bereitschaft, meine Studie in seine Schriftenreihe „Rheinisches Archiv“ aufzunehmen. Für ihre stete Hilfs- und Erreichbarkeit möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Böhlau-Verlags danken. Für die großzügige Übernahme von Druckkostenbeihilfen danke ich Herrn Oberkirchenrat Georg Immel und der Evangelischen Kirche im Rheinland, dem Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande e.V. und Herrn Georg Mölich für den Landschaftsverband Rheinland. Hierfür möchte ich mich aufrichtig bedanken. Es sprengte den Rahmen dieser einleitenden Worte, würde ich jede Institution oder deren Vertreter namentlich nennen, die mich bei den Forschungsreisen und Archivstudien unterstützt haben. Stellvertretend hervorgehoben seien daher das Institut für europäische Geschichte (IEG) in Mainz, durch dessen Abschlussstipendium ich die Arbeit fertigstellen konnte, sowie Dr. Stefan Flesch, Dr. Andreas Metzing, Herrn Ulrich Dühr und Herrn Michael Hofferberth (Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland), Frau Dr. Heike Preuß und Herrn Dr. Olaf Richter (seinerzeit beide am damaligen Hauptstaatsarchiv Düsseldorf) sowie Herrn em. Univ.-Prof. Dr. Hansgeorg Molitor (Düsseldorf), dessen Anregungen einen Anstoß für diese Studie gaben. Danken möchte ich auch einigen Kollegen, die mich über weite Strecken begleitet und bei Bedarf korrigierend eingegriffen haben, nämlich Herrn PD Dr. Stephan Laux (Düsseldorf), Dr. Michael Kaiser (Köln) und Dr. Andreas Rutz (Bonn). Nicht zuletzt bedanke ich mich bei meinen Freunden und Kollegen, deren Anregungen und mannigfaltige Unterstützungen mir sehr geholfen haben, allen voran dem Team vom Lehrstuhl für Frühe Neuzeit an der Universität zu Köln; ferner Herrn Dr. Tobias Wulf (Bonn), stellvertretend für alle Mitstreiter am IEG Dr. Justus Nipperdey, Dr. Marcus Meier und Alexander Schlaak (Regensburg), Dr. Johannes Wischmeyer (Mainz). Reverenz erweisen
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möchte ich für ihre vielfältige freundschaftliche Unterstützung Herrn Martin Lätsch für seine originellen Beiträge sowie meinen Freunden anderer akademischer Disziplinen Michael und Dani, die - in gleicher Situation befindlich - Mühen und Strapazen zu genüge kennen. Ausdrücklich danken möchte ich Herrn Marcel Rotzoll, M.A., der eine mir schier unmenschlich scheinende Geduld, Verständnis und Sinnenfreude, wahrhaft epikureeisch, bewiesen hat. Besonders herzlich danken möchte ich Luma, die in der Abschluss- und Drucklegungsphase und darüber hinaus stets, mehr oder weniger geduldig, für mich da war. Meiner Familie gilt besonderer Dank, nämlich meinen Eltern Udo und Brigitte Becker und meinem Bruder Thomas, ohne deren vielfältige Unterstützung und entgegengebrachtem Verständnis während der letzten Jahre die Erstellung dieser Arbeit so nicht möglich gewesen wäre. Florenz, am 15. August 2010
Andreas Becker
1. Einführung 1.1. Einleitung „Wie flohen die Schatten des Todes, wie verschwand die Dunkelheit der Nacht, am Morgen des 18. Brumär! Wie flohen die Greuel der Verwüstung vor dem Retter - Bonaparte!“1 So jubelte Heinrich Simon van Alpen in seiner 1802 erschienen Schrift „Geschichte des fränkischen Rheinufers“. Geprägt war die Meinung des Predigers der reformierten Gemeinde Stolberg bei Aachen im eben eingerichteten Roerdepartement2 vor allem durch die beinahe konstantinische Wende in der staatlichen Kirchenpolitik, die dem Staatsstreich Napoleon Bonapartes am 9. November 1799 folgte: Die Revolution wurde per Dekret für beendet erklärt und die Regierung nahm den Kirchen gegenüber eine aufgeschlossenere Haltung ein. Auch außenpolitisch kehrte Frieden ein, denn das linke Rheinufer wurde im Frieden von Lunéville am 9. Februar 1801 der französischen Republik völkerrechtlich verbindlich angeschlossen. Einem aufgeklärten Theologen wie van Alpen schien es, dass er nun der aufgeklärtesten Nation der Erde angehörte. Völlig konträr klingen van Alpens Worte zwölf Jahre später: „Die ganze Natur feiert die Erlösung von hartem Sklaven-Joch. Man athmet gesunde, reine, deutsche Luft. […] Ein deutscher Himmel wölbt sich klar und schön über diese romantische Gegend. Holde deutsche Genien sind in den Lüften gelagert und feiern den Triumph zur Freiheit“.3 Sein alter Studienkollege Johann Arnold von Recklinghausen schrieb wenig später, dass es „auch für die hiesige evangelische Kirche ein höchst erwünschtes und erfreuliches Ereignis [war], als endlich im Jahre 1813 die Franzosen Deutschland verlassen mussten“.4 1
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Heinrich Simon van ALPEN, Geschichte des fränkischen Rheinufers: was es war und was es itzt ist, 2 Bde., Aachen 1802, Bd. II, S. III; vgl. Herbert Albert Laurens FISHERMAN, Studies in Napoleonic statesmanship, Oxford 1903 (ND New York 1969), S. 359 f. Ebenfalls zitiert bei Karl KRAFFT, Kritischer Ueberblick über die auf die Geschichte der evang. Kirche, ihrer Gemeinden und hervorragenden Persönlichkeiten im Gebiete des Niederrheins sich beziehende Literatur der letzten Jahrzehnte. In: TARWPV 3 (1877), S. 66-148, hier: S. 76. Der Terminus „Roërdepartement“ ist der in den verwendeten Quellen neben „Roerdepartement“ am weitesten verbreitete Ausdruck. Wenn diesen beiden und dem französischen „département de la Roër“ unter Aufgabe sprachlicher Stringenz gegenüber dem „Rurdepartement“ der Vorzug gegeben wird, geschieht dies zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr: Das „Ruhrdepartement“ bestand von 1806 bis 1814 im östlichen Ruhrgebiet als Teil des Großherzogtums Berg. Mitunter findet sich für die „Rur“ auch die Schreibweise „Ruhr“. Briefe über den Idealismus, I (1815), S. 1-24; vgl. Justus HASHAGEN, Der rheinische Protestantismus und die Entwicklung der rheinischen Kultur, Essen 1924, S. 199-200. Johann Arnold von RECKLINGHAUSEN, Reformations-Geschichte der Länder Jülich, Berg, Cleve, Meurs, Mark, Westfalen und der Städte Aachen, Cöln und Dortmund. Teil 1 und 2:
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1. Einführung
Während von Recklinghausen allerdings 1794 auf dem rechten Rheinufer eine Pfarrstelle übernommen hatte und im Großherzogtum Berg die napoleonische Zeit erlebte, hatte van Alpen unter Napoleon Karriere gemacht. Er war vom einfachen Landpfarrer zum Konsistorialpräsidenten aufgestiegen und in den Genuss eines Staatsgehalts gekommen.5 Über Zweifel an seiner grundsätzlich pronapoleonischen Gesinnung war er zu dieser Zeit sicherlich erhaben. Einen gewissen Opportunismus wird man ihm dennoch nicht in Abrede stellen können. Immerhin erwartete schlichtweg jede Regierung, dass Pfarrer sie bedingungslos unterstützten und genauso begriff die Mehrheit der Pfarrer ihr Amt auch, was in dieser Studie zu zeigen sein wird. Napoleon selbst sah in Pfarrern tatsächlich eine Art geistliche Gendarmerie.6 Damit nähern wir uns der der vorliegenden Studie zu Grunde liegenden Frage. Warum erfüllten die Pfarrer ihre ihnen zugedachten Aufgaben am Ende der napoleonischen Herrschaft nicht mehr zufriedenstellend? Oder anders formuliert: Weshalb misslang die Inkorporation protestantischer Geistlicher des Rheinlandes in den französischen corps pastoral? In der Forschungsliteratur wird nicht von einem grundsätzlichen Elitenaustausch in der napoleonischen Zeit gesprochen, hervorgehoben wird dagegen die Amalgamierung alter und neuer Eliten zu einer neuen „Notabelngesellschaft“.7 Wenn es keinen Elitenaustausch gegeben hat, muss die Oberschicht erhalten geblieben und in die neue napoleonische Gesellschaft eingegliedert worden sein. Das bedeutet auch, dass die bestehende soziale Gliederung der Funktionselite bewahrt blieb. Diese kontinuitätsbetonte Vorüberlegung dient als Ausgangsbasis für die These: Die Studie geht davon aus, dass in der Personalpolitik der Regierung und in der Gliederung der
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Elberfeld 1818, Teil 3: Solingen u. Gummersbach 1837 (ND Osnabrück 1977). Band I, S. 388; vgl. Dieter FROITZHEIM, Staatskirchenrecht im ehemaligen Großherzogtum Berg, Amsterdam 1967 (Kanonistische Studien und Texte; 23), S. 128. Auf einen biographischen Anhang wird verzichtet, stattdessen sei auf das „Neue Rheinische Pfarrerbuch“, hrsg. v. Jochen GRUCH verwiesen. Elisabeth WAGNER, Die Kirchenpolitik im napoleonischen Rheinland. Zur Indienstnahme der Geistlichen. In: Christof Dipper, Wolfgang Schieder, Reiner Schulze (Hg.), Napoleonische Herrschaft in Deutschland und Italien: Verwaltung und Justiz, Berlin 1995 (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte; 16), S. 201-223, hier: S. 222-223; Alfred KARLL, Französische Regierung und Rheinländer vor 100 Jahren. Ein Beitrag zur Geschichte der amtlichen Mache, Leipzig 1921 (Frankfurter Historische Forschungen; N.F. 4), S. 55; Paul Ernst LUCIUS, Bonaparte und die protestantischen Kirchen Frankreichs, Tübingen/Leipzig 1903, S. 18. Sehr ausführlich dazu Margot LÜHRS, Napoleons Stellung zu Religion und Kirche, Berlin 1939 (ND Vaduz 1965). Zu Napoleons eigener (retrospektivischer) Einschätzung, wie er dies gegenüber Graf Las Cases im Exil auf St. Helena geäußert haben soll vgl. Walter LEISNER, Napoleons Staatsgedanken auf St. Helena, Berlin 2006, S. 45-50. Etwa Peter KRIEDTE, Krefeld und die Notablengesellschaft der französischen Zeit. In: AHVN 208 (2005), S. 203-224, besonders S. 203-206. Grundsätzlich zur Problematik Werner GIESSELMANN, Die brumairianische Elite. Kontinuität und Wandel der französischen Führungsschicht zwischen Ancien Régime und Julimonarchie, Stuttgart 1977 (Industrielle Welt; 18).
1.1. Einleitung
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Pfarrerschaft die zentralen Divergenzen zu finden sind, die begründen, weshalb eine erfolgreiche und nachhaltige Einbindung protestantischer Pfarrer in das napoleonische System misslang. Diesem akteurszentrierten Ansatz geht die Studie in einem wichtigen Abschnitt mit dem Instrument der Verflechtungsanalyse nach; auf diese wird nach dem Forschungsüberblick näher eingegangen. Als Untersuchungsraum dient das 1798 eingerichtete Roerdepartement, das sich von Kleve bis Köln und zu seiner Hauptstadt Aachen erstreckte und mehr als 600.000 Menschen beherbergte. Es bietet sich bereits aufgrund der ausgezeichneten Überlieferungslage für eine Fallstudie an. Auch entsprachen die konfessionellen Verhältnisse eher denen in Südfrankreich als in Deutschland. Nur etwa 7-8% der Bevölkerung waren reformiert oder lutherisch, noch weniger jüdisch oder mennonitisch. 8 Die Mehrheit der Einwohner war katholisch. Ebenfalls ähnelten die kirchlichen Strukturen dieses Gebiets den französischen und niederländischen (ausführlich in Kapitel 2). Zunächst gilt jedoch die Frage zu klären, inwiefern Pfarrer in der revolutionären und der napoleonischen Ära überhaupt eine Funktionselite darstellten oder wenigstens so begriffen wurden. Pfarrer waren nicht per se Angehörige der napoleonischen Notabelngesellschaft, da diese auf fiskalischen, eher quantifizierbaren Kriterien beruhte, die Vermögende bevorteilte.9 Geistliche hatten aufgrund ihrer Gemeindeeinkünfte und des ihnen 1804/05 zugestandenen (relativ) niedrigen Staatsgehalts kaum eine Möglichkeit, in die höchsten Kreise der Notabeln aufzusteigen. Hingegen galten Geistliche im Ancien Régime als gesonderte soziale Formation, bildeten etwa in Frankreich den ersten Stand.10 Sie waren eine geistliche Elite, deren primäre Aufgabe in der Vermittlung göttlichen Willens durch Deutung der Heiligen Schrift bestand. Da die Obrigkeit im frühneuzeitlichen Europa als von Gott eingesetzt galt, war eine Exegese im Sinne der jeweiligen Landesherrschaft üblich.11 Aus dieser Aufgabe erwuchs Theologen eine wichtige Rolle als Stabilisatoren, aber auch als potenzielle Gefahr für Herrschaft. Im Sinne einer souveränen Machtentfaltung des Landesherrn war es für diesen wichtig, Pfarrer zu kontrollieren. Damit erhielt die Obrigkeit einen sakralen Umhang. Nachdem die göttliche Legitimation ihrer Herrschaft durch die Aufklärung bereits fadenscheinig geworden war, befreite sich die Revolution davon im Geiste
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11
Brigitte DUDA, Die Organisation der evangelischen Kirchen des linken Rheinufers nach den Organischen Artikeln von 1802, Düsseldorf 1971 (SVRKG; 40), S. 115-121. Walter DEMEL, Von den Notabeln von 1787/88 zu den Großnotabeln des Bürgerkönigtums. Ein Beitrag zur Folge der Elitentransformation in Frankreich zwischen Ancien Régime und Julimonarchie. In: Dieter Albrecht u. a. (Hgg.), Europa im Umbruch 1750-1850, München 1995, S. 137-154. Allgemein GIESSELMANN, Brumairianische Elite. Dieter SCHELER, Patronage und Aufstieg im Niederkirchenwesen. In: Günther Schulz: Sozialer Aufstieg: Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, München 2002 (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit; 25), S. 315-336. LUCIUS, Bonaparte, S. 2.
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1. Einführung
der Volkssouveränität. Erst Napoleon war bereit, sich diesen Mantel erneut anzulegen. Damit ist zwar die Legitimationsfunktion von Pfarrern umrissen. Dennoch bleiben Zweifel am Charakter einer Funktionselite am Ende des Zeitalters der Aufklärung:12 Während Pfarrer amtsgemäß Sachverhalte religiös interpretieren, besteht eine wiederholt beklagte Schwierigkeit darin, dass häufig das Bild einer religiös indifferenten Gesellschaft vor 1800 gezeichnet wird.13 Daraus erwächst das Problem, dass Pfarrer als Führungsgruppe innerhalb einer Gesellschaft mit zunehmend bürgerlichen Werten und Vorstellungen zu gelten haben, die als entsakralisiert begriffen wird.14 Geht man allerdings von einer zu weitgehenden Entkirchlichung aus, machen die Maßnahmen Napoleons zur Restituierung von Autorität der Geistlichen keinen Sinn. Hätten die Kirchen völlig leergestanden, hätte niemand die Worte eines Pfarrers hören können. Folgerichtig hätte kein Bedarf an der Verlesung von Gesetzen und Anordnungen von der Kanzel bestanden. Aus welchem Grund also hätte Napoleon sich der Pfarrer annehmen sollen? Zunächst ist die weltanschauliche Neutralität zu nennen, der sich Napoleon aus revolutionärem Geist heraus verpflichtet glaubte, sonst wäre der Katholizismus nicht nur zum Bekenntnis der Mehrheit der Franzosen, sondern zur Staatsreligion erklärt worden. Zudem ging Napoleon davon aus, dass etwa 10% aller Franzosen um 1801 Protestanten15 waren, obgleich dieser Wert deutlich zu 12
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Zum Verhältnis von Religiosität und Aufklärung auf Ebene des Individuums vgl. Anne CONRAD, Rationalismus und Schwärmerei. Studien zur Religiosität und Sinndeutung in der Spätaufklärung, Hamburg 2008 (Religionsgeschichtliche Studien; 1). Lucian HÖLSCHER, Die Religion des Bürgers. Bürgerliche Frömmigkeit und protestantische Kirche im 19. Jahrhundert. In: HZ 250 (1990), S.595-630. Auch ders., Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005. Inwieweit es in der Folgezeit zu einer Vertiefung religiöser Konflikte kam, wie Blaschke postuliert, bedürfte noch weiteren Untersuchungen. Vgl. Otto BLASCHKE, Das 19. Jahrhundert: Ein Zweites Konfessionelles Zeitalter? In: GuG 26 (2000), S. 38-75 und die kritische Auseinandersetzung bei Anthony J. STEINHOFF, Ein zweites konfessionelles Zeitalter? Nachdenken über die Religion im langen 19. Jahrhundert. In: GuG 30 (2004), S. 549-571. Siehe etwa Dale K. van KLEY, Les origines religieuses de la Révolution française, 1560-1791, Paris 2002. Ähnlich die Thesen bei Lucian HÖLSCHER, Religion des Bürgers und ders., Geschichte der protestantischen Frömmigkeit. In dieser Studie werden „evangelisch“ und „protestantisch“ als weitgehend äquivalente Termini für die beiden nichtkatholischen Großkonfessionen verwendet, auch wenn heutzutage unter Protestanten meist Lutheraner verstanden werden und selten Reformierte. Der Hauptunterschied zwischen beiden Begriffen ist m.E. die Betonung der Legalität auf einen und die der Gewissensfreiheit auf der anderen. Zur Zeit der Aufklärung fand „protestantisch“ weite Verbreitung im deutschen Sprachraum. Das Wöllnersche Religionsedikt von 1788 sprach von Protestanten. Erst ein königliches Dekret vom 30. Juni 1817 ersetzte in Preußen, dem größten und am dichtesten bevölkerten Staat des Deutschen Bundes, den freiheits- durch den legitimitätsbetonenden Begriff, indem in allen offiziellen Verlautbarungen nur noch von „Evangelischen“ gesprochen werden sollte. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. rief „alle protestantischen Gemeinen“ dazu auf, „die getrennten
1.1. Einleitung
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hoch angesetzt war.16 Beides zusammen bewirkte den Versuch, alle Konfessionen konsequent gleich behandeln zu wollen. Für die Umsetzung der Kultusneuordnung war das von erheblicher Bedeutung (siehe Kapitel 3 und 5). Aus staatlicher Sicht waren Pfarrer, wie erwähnt, durchaus ambivalente Säulen des Systems mit einem nicht unerheblichen Legitimationspotenzial. Angesichts der Vielzahl von Staatsauflösungen, -gründungen oder -erweiterungen zwischen 1792 und 1815 war dies von großer Relevanz für die jeweilige Regierung. Eine säkulare Legitimationsstrategie suchte Bonaparte in Frankreich in Fortführung revolutionärer Traditionen in Form eines Staatskultes durchzusetzen, musste jedoch letztendlich erneut auf religiöse Konstrukte wie den Karlskult oder des Heiligen Napoleon zurückgreifen.17 Dass Pfarrern aus Sicht Napoleons eine essentielle Rolle zukam, lag darin begründet, dass die Jahre ab 1789 für die Zeitgenossen verstörend wirkten. Seit April 1792 herrschte Krieg, ein Zustand, der mit nur kurzen Unterbrechungen über zwei Jahrzehnte andauerte. Europa erlebte durch massenhafte Aushebung eine Militarisierung in bisher unbekanntem Ausmaß.18 Ein in Krisenzeiten häufiges Phänomen ist der exponentielle Anstieg der Kirchgänger, die einen Sinn in der Unordnung finden wollen. Die in der frühen Neuzeit übliche Interpretation von Krieg als Strafe Gottes änderte sich um 1800 gravierend, wie Andreas Gestrich und Ute Planert nachgewiesen haben.19 „Das Aufkommen des Volkskrieges und der Mobilisierung der Massen im Zuge der Revolutions- und Befreiungskriege führte nicht nur zu Änderungen in der mili-
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protestantischen Kirchen, die reformierte und lutherische zu einer evangelisch-christlichen“ zu vereinigen. Bezeichnenderweise behielten die süddeutschen Verfassungsstaaten Baden und Bayern den Ausdruck „Protestanten“ bei. Ausführlich zur Etymologie der Begrifflichkeit vgl. Johannes WALLMANN, Art. ‚Protestantismus’. In: RGG 6 (2003), Sp. 1727-1733; Konrad RAISER, Art. ‚Protestantismus’. In: Erwin Fahlbusch; Jan Milic Lochmann; John Mbiti et al. (Hg.), Evangelisches Kirchenlexikon. Internationale theologische Enzyklopädie, Bd. 3: L-R, 3. Aufl. Göttingen 1992, Sp. 1351-1358. LUCIUS, Bonaparte, S. 4-6. Diese These vertritt Christopher BUCHHOLZ, Französischer Staatskult 1792-1813 im linksrheinischen Deutschland: mit Vergleichen zu den Nachbardepartements der habsburgischen Niederlande, Frankfurt a. Main [u.a.] 1997 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; 749). Zum kirchlichen Napoleonkult auch Ernstrichard CANNAWURF, Der Napoleonkult in den evangelischen Kirchen der Pfalz und der Provinz Rheinhessen. In: BlpfKG 32 (1965), S. 53-65. Zu den Blüten, die dieser Kult trieb, siehe Stephan LAUX, Das Patrozinium „Saint Napoléon“ in Neersen (1804-1856). Ein Beitrag zur Rezeption der napoleonischen Propaganda im Rheinland. In: Jörg Engelbrecht; Stephan Laux (Hg.), Festschrift für Hansgeorg Molitor zum 65. Geburtstag, Bielefeld 2004 (Studien zur Regionalgeschichte; 18), S. 351-383. Josef SMETS, Von Dorfidylle zur preußischen Nation? Sozialdisziplinierung der Rheinländer durch die Franzosen am Beispiel der allgemeinen Wehrpflicht (1802-1814). In: HZ (1996), S. 695-738. Andreas GESTRICH, Kirchliche Kriegsmentalität in Württemberg um 1800. In: JbHistFriedF 3 (1995), S. 183-202, hier: S. 188. Ute PLANERT, Der Mythos vom Befreiungskrieg, Paderborn 2007.
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1. Einführung
tärischen Taktik, sondern erforderte auch eine neue, positive Sicht des Kampfes und des Todes für das Vaterland. Dieser Wandel musste auch von den Kirchen nachvollzogen und dem Kirchenvolk theologisch vermittelt werden“.20 Die Erklärung für Krieg wandelte sich: Gott strafte nicht mehr die Sünder durch Krieg, sondern Kriege brachen nun einfach aus, ganz wie Naturgewalten. Das war allerdings die Sichtweise von Rationalisten, die sich allmählich durchsetzte. Pietisten wie Johann Heinrich Jung-Stilling lehnten eine solche Interpretation von Seiten „neumodischer Prediger“ rundweg ab, denn sie entfernte menschliches Handeln von göttlichem Willen.21 Niederrheinische Pfarrer bildeten also trotz der Entkirchlichung in den 1790er Jahren eine funktionale Elite: Da sie sowohl in der Legitimations- wie der Stabilisierungsfrage ein erhebliches ambivalentes Potenzial besaßen, bildeten Pfarrer eine soziale Formation, die die Regierung zur ideologischen Kontrolle der Bevölkerung benötigte. Dass das Volk aus anderen Gründen, reelle Frömmigkeit beispielsweise, Geistlicher bedurfte, spielt für diesen Aspekt keine Rolle, denn im Hintergrund dieser Studie steht das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen und nicht zwischen den Geistlichen und ihren Gemeinden, was eine eigene Schrift rechtfertigte. Für das Erreichen der geistlichen Aufgaben, von Legitimitätssicherung und Meinungsbildung, war damit eine Reglementierung der inneren und äußeren Kirchenordnung durch die Regierung unabdingbar. Damit wären Handlungsmotive aus Sicht der Obrigkeit umrissen. Aber welchen Zweck sollte eine Einbindung für die Einzubindenden haben? Dabei steht nicht die Frage im Vordergrund, mit welchem Recht die Obrigkeit besteht, sondern warum die Loyalität zur Obrigkeit für die untersuchte soziale Formation sinnvoll war, da jegliche Herrschaft eines Minimalkonsenses der Beherrschten bedarf. Zudem darf hierauf nicht ausschließlich ex negativo begründet werden, etwa durch die Androhung von Ausweisung, Gefängnis oder Tod bei Nichtbefolgung: Will eine Regierung nicht offenkundig als Diktatur dastehen, ist sie daher auf eine positive Begründung angewiesen. Eine neue Regierung, wie die der Rheinlande ab dem 9. Februar 1801, muss bestehende Strukturen brechen, um eine Ausrichtung auf das neue politische Zentrum zu erreichen. Um das überhaupt zu bewerkstelligen, ist eine Monopolisierung und Kontrolle der Außenkontakte durch Regierungsvertreter notwendig. Erst dadurch wird die Obrigkeit alternativlos und kann helfen, eine bestimmte Identität zu konstruieren. Dennoch bedeutet eine Alternativlosigkeit keineswegs zwangsläufig auch Unterstützung der betroffenen Personenkreise. Diese tritt erst in Erscheinung, 20 21
GESTRICH, Kriegsmentalität, S. 188. Johann Heinrich JUNG-STILLING, Sämtliche Schriften, Bd. 7, Stuttgart 1837, S. 51 ff; GESTRICH, Kriegsmentalität, S. 191. Speziell zu Jung-Stilling siehe auch Reiner VINKE, Das Verhältnis Jung-Stillings und der Erweckung zur Revolution. In: MEKGR 39 (1990), S. 59-85.
1.1. Einleitung
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wenn es eine Integrationsideologie gibt und zugleich Maßnahmen getroffen werden, der einzugliedernden Bevölkerungsgruppe zu materieller Wohlfahrt zu verhelfen, so dass diese Gruppen von der neuen Ordnung profitieren. Als der Integration in den Staat nützliche Ideologie, die das Warum eines Loyalitätstransfers beantworten sollte, können im Zeitalter der französischen Revolution zwei Ideen dienen, die unter dem alten Kampfbegriff der „Ideen von 1789“ vertretenen Forderungen wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität auf der einen und die Idee der Nation auf der anderen Seite. Birgit Emich geht für die europäische Vormoderne zusätzlich von der Konfession als ambivalentem Mittel der Integration aus. 22 Das religiöse Bekenntnis kann durchaus einigen, aber auch spalten. Konfessionelle Einheit fordert zudem ihren Preis: In Frankreich bedeutete die Durchsetzung der religiösen Einheit unter Ludwig XIV. einen Verlust von schätzungsweise 200.000 Menschen.23 Ebenso wenig garantiert die Idee der Nation die Unteilbarkeit einer Gesellschaft. Nationalismus im modernen Sinn musste zunächst entstehen und zwar durch einen Loyalitätstransfer vom „Monarchen“ auf den „Staat“.24 Wer dies nicht mittrug, lebte wie die Aufständischen in der Chouannerie in Lebensgefahr.25 Nicht ganz unwichtig bleibt die Tatsache, dass es nicht nur eine Nation gibt, sondern viele und damit einhergehend Konkurrenzmodelle vorhanden sind, die für ethnische oder kulturelle Minderheiten Alternativen darstellen können.26
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Birgit EMICH, Territoriale Integration in der frühen Neuzeit: Ferrara und der Kirchenstaat, Köln [u.a.] 2005, S. 16 f. Anna BERNARD, Die Revokation des Edikts von Nantes und die Protestanten in Südostfrankreich 1685-1730, München 2003 (Pariser Historische Studien; 59) unternahm den etwas glücklosen Versuch, die Durchsetzung der religiösen Konformität eher als Folge eines „absolutischen“ Regimes zu erklären, um den Aspekt einer Konfessionalisierung hinantzustellen. Zur Diskussion des Absolutismus-Begriffs vgl. den Bericht von Heinz DUCHHARDT, Barock und Aufklärung, München 2007 (Grundriss der Geschichte; 11), S. 169-176. Zur Relation der Zahlen siehe auch Christian HENKE, Coblentz: Symbol für die Gegenrevolution. Die französische Emigration nach Koblenz und Kurtrier 1789-1792 und die politische Diskussion des revolutionären Frankreichs 1791-1794, Stuttgart 2000 (Beihefte der Francia; 47), S. 31-33 geht mit etwa 150.000 Emigranten bei einer Bevölkerungszahl von 26 Millionen Menschen von „einem nicht außergewöhnlich hohen Anteil von 0,6%“ aus. Zur Konstruktion der Nation vgl. etwa Benedict ANDERSON, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 2005. Michael WAGNER, Vendée-Aufstand und Chouannerie im Lichte der neueren Forschung. In: Francia 15 (1987), S. 733-754. Eine Gesamtdarstellung des Themas bei Michel DESFORGES, La chouannerie: 1794-1832, Saint-Sulpice-les-Feuilles 2000 (Tranches d’histoire). Frankreich war zu diesem Zeitpunkt noch ein polyphones Land, nur etwa die Hälfte der Bevölkerung sprach überhaupt französisch. Dieser Zustand verstärkte sich durch die Annexionen anderssprachiger Regionen seit 1795. Vgl. Carsten WIELAND, Nationalstaat wider Willen. Politisierung von Ethnien und Ethnisierung der Politik: Bosnien, Indien, Pakistan, Frankfurt a. M. 2000 (Campus Forschungen; 814), S. 49. Auch: Gudrun CHAZOTTE,
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1. Einführung
Notwendig geworden war die Eingliederung der regionalen rheinischen Eliten als Folge des Friedensvertrages von Lunéville aus dem Jahr 1801. Anschlüsse von Territorien kamen und kommen seit der Entstehung eines territorialen Herrschaftsverständnisses immer wieder vor.27 Doch werden bei einem Anschluss nicht einfach nur Rechtsnormen, -vorstellungen oder -institutionen auf ein fremdes Territorium übertragen. Jeder Anschluss ist darauf angewiesen, mindestens in den Augen der regionalen Eliten legitimiert zu sein.28 Dies gilt insbesondere für die Rheinlande, die zu einem strukturell wichtigen Teil des Heiligen Römischen Reiches zählten. Hier gab es nicht nur den Kurfürsten von der Pfalz, auch die drei geistlichen Kurwürden Kurmainz, Kurtrier und Kurköln sowie im Norden die kurbrandenburgisch-preußischen Gebiete. 29 Die Eliten dieser Region, in der das Untersuchungsgebiet liegt, waren mit weiter östlich gelegenen Führungsgruppen teils eng verflochten. Jegliche Unterbrechung dieser Beziehungen setzte voraus, dass diese regionalen Eliten sich einen Nutzen vom Wechsel ihrer Bindungen mussten versprechen können. Somit beinhaltet Elitenpolitik bezogen auf die Rheinlande ein stark integratives Moment. Damit stehen wir vor dem Begriff der „Elitenpolitik“. Wir sehen, dass unter Elitenpolitik die Summe aller Handlungen zu verstehen ist, die von Regierungsseite unternommen werden, um die Loyalität führender oder nichtführender militärischer, politischer, wirtschaftlicher oder geistiger Oberschichten zu erwirken. Loyalität wird dabei begriffen als unbedingte Bereitschaft, eine fremde Prärogative anzuerkennen und sich für deren Interessen einzusetzen. Es geht im weitesten Sinne um Integration, um die Einbindung in ein bestimmes Gemeinwesen. Die Frage ist nun, zu welchen Mitteln eine Elitenpolitik greifen kann. Zu einer Elite zu gehören bedeutet auch, Zugang zu Ressourcen und Zugriff auf gesellschaftliche Verteilungsmechanismen zu haben. Genau das muss eine Elitenpolitik also ermöglichen oder eben effektiv verhindern können. Ein wichtiger Schritt ist das erwähnte Erzeugen einer neuen Grenze, der Schaffung einer Alternativlosigkeit, um einen Loyalitätstransfer zu erleichtern. Bonaparte ging insofern folgerichtig vor, als er den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen regulierte, beispielsweise durch Listen der Höchstbesteuerten. Diese Politik mündete im Zensuswahlrecht der Restauration. Durch solche Maßnahmen wird der Personenkreis, auf den eine Regierung bei ihrer Etablierung intensiv eingehen muss, beschränkt und damit staatliches Handeln zielgerichteter.
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Französische Sprachpolitik im Rheinland 1794-1814. Das Beispiel des Roerdepartements, Siegburg 1997 (Ortstermine; 9), S. 8-12. Zahlreiche Beispiele für die Zeit ab 1700 untersucht Jörg ROESLER, Der Anschluß von Staaten in der modernen Geschichte. Eine Untersuchung aus aktuellem Anlaß, Frankfurt a. M. [u.a], 1999. Ebd., S. 179-192. Zu diesem Aspekt siehe auch Johannes ARNDT, Die Verflechtung des Rheinlandes mit dem politisch-rechtlichen System des Alten Reiches 1648-1806. In: AHVN 208 (2005), S. 155-174.
1.1. Einleitung
13
Dass, wie Birgit Emich meint, das Ziel jeglicher Integrationsbemühungen eine kulturelle Standardisierung sei, die Angleichung der Werte und Verhaltensweisen, ist also nur eine Seite der Medaille.30 Als Mittel hierzu benennt sie das allgemeine Schulwesen, die allgemeinen Wehrpflicht, Bürokratie sowie eine integrative Großideologie. Unter napoleonischer Herrschaft fand das Schulwesen zwar eine gewisse Aufmerksamkeit, jedoch erfasste dieses mangels Schulpflicht nicht die Gesamtbevölkerung.31 Von der Wehrpflicht war das Gebiet des Generalkommissariats in Mainz bis September 1802 ausgenommen. Einmal eingeführt, bewirkte sie zwar eine Militarisierung und Anhänglichkeit der Veteranen an Napoleon,32 zugleich allerdings auch die Selbstwahrnehmung als Deutsche infolge der pauschalisierenden Identifikationszuordnung durch nichtdeutschsprachige Kameraden.33 Das heißt: Auch die Wehrpflicht diente nicht allein im Sinne einer Ausrichtung auf den (napoleonischen) Staat. Ohnehin benötigten Schulwesen, Wehrpflicht und Bürokratie eine gewisse Anlaufzeit, um ihre Integrabilität unter Beweis stellen zu können.34 Kurzfristig wären wahrscheinlich die modernisierte Rechtsprechung und die Freizügigkeit innerhalb des napoleonischen Kaiserreiches als dem Integrationsgedanken am förderlichsten zu nennen.35 Für das frühneuzeitliche Europa stellt Birgit Emich fest: „Statt einer konsensfähigen und integrationstauglichen Einheitsideologie, der sich alle anderen Identitäten unterordnen mussten, dominierte ein Netz vielfältiger Zugehörigkeiten ohne eindeutige Hierarchie, eine multiple und flexible Identität“.36 Parallel dazu bezeichnet Emich die „Schwäche des noch im Werden begriffenen Staates“ als Eigenheit der Frühen Neuzeit.37 Sie konstatiert damit einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen einem frühneuzeitlichen Identitätspluralismus, der verschiedene Handlungsmuster gleichberechtigt ermöglichte, und einer massiv von 30 31
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Birgit EMICH, Territoriale Integration in der frühen Neuzeit: Ferrara und der Kirchenstaat, Köln [u.a.] 2005, S. 18 f. Zum Schulwesen vgl. Wilhelm ZIMMERMANN, Lehrerbildung und Primärschulen zur Französischen Zeit 1794-1814: ein Beitrag zur Geschichte des Rheinischen Schulwesens, Köln 1957 (Die Anfänge und der Aufbau des Lehrerbildungs- und Volksschulwesens am Rhein; 2); CHUZOTTE, Französische Sprachpolitik. Walther KLEIN, Der Napoleonkult in der Pfalz. München 1934 (Münchener historische Abhandlungen. l. Reihe: Allgemeine und politische Geschichte, Heft 5). Bernhard SCHMITT, Armee und staatliche Integration: Preussen und die Habsburgermonarchie 1815-1866: Rekrutierungspolitik in den neuen Provinzen: Staatliches Handeln und Bevölkerung. Paderborn u.a. 2007 (Krieg in der Geschichte; 36), S. 76. Josef SMETS, Von der Dorfidylle, S. 738. Mit der Einschränkung, dass Juden ab 1808 sich nicht mehr frei im Empire bewegen durften. Vgl. Cilli KASPAR-HOLTKOTTE, Jüdischer Kultus in napoleonischer Zeit: Aufbau und Organisation der Konsistorialbezirke Krefeld, Koblenz, Bonn, Trier und Mainz, Wien [u.a.] 1997 (Aschkenas: Beiheft; 2). EMICH, Territoriale Integration, S. 16 f. Ebd., S. 17.
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1. Einführung
der Großideologie des Nationalismus geprägten Identität des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die das individuelle Handeln nach einem dyadischen Schema unterteilte. „Aber während das ‚Wir’ im Zeichen des Nationalismus ‚das Andere’ bevorzugt jenseits der Grenze suchte, verliefen die Fronten zwischen Identitäten und Alteritäten in der Frühen Neuzeit meist quer durch das Staatsgebiet“.38 Für eine effektive Elitenpolitik, gerade bei Etablierung einer Herrschaft scheidet also aufgrund der benötigten Dauer die Massenintegration über Wehrpflicht oder Schulwesen aus. Ein geordnetes Rechtssystem und Freizügigkeit sind sicherlich positiv wirkende Faktoren, jedoch nicht mehr. Spezifischer konnte die Regierung hingegen in anderen Bereichen wirken. Beispielsweise in der Personalpolitik, indem sie bestimmte, welche Person in welches Amt gelangen und damit auch unmittelbaren Zugriff auf die Gesamtheit staatlicher Ressourcen haben durfte. Das praktizierte Napoleon Bonaparte durchaus mit einigem Erfolg.39 In gewisser Weise verbunden mit der Personalpolitik war die Einbindung über Institutionen, denn innerhalb dieser erfolgten schließlich die Beförderungen. Somit werden beide Bereiche – Personal und Institutionen – in der vorliegenden Studie im Hinblick auf protestantische Pfarrer eingehender betrachtet werden. Ein weiteres Instrument der Elitenpolitik waren Belohnungen und Bestrafungen, Zuckerbrot und Peitsche, wenn man so will. Diese Maßnahmen kamen den Wünschen und Vorstellungen der Pfarrer entgegen (Kapitel 4).
1.2. Rheinischer Protestantismus und napoleonische Herrschaft. Ein Forschungsüberblick Die Erforschung des Protestantismus in den Rheinlanden unter französischer Herrschaft fand im 19. Jahrhundert zunächst hauptsächlich über rechtshistorische Fragestellungen statt. 40 Später traten eher prosopographisch gehaltene 38 39 40
Ebd., S. 17 f. GIESSELMANN, Brumairianische Elite, S. 401 ff. Handbücher wie die von Karl Theodor Friedrich BORMANN, Alexander von DANIELS (Hg.), Handbuch der für die Königl. Preuss. Rheinprovinzen verkündigten Gesetze, Verordnungen und Regierungsbeschlüsse aus der Zeit der Fremdherrschaft, 8 Bde., Köln 1833-1845 oder Franz Paul HERMENS (Hg.), Handbuch der gesammten Staats-Gesetzgebung über den christlichen Kultus und über die Verwaltung der Kirchen-Güter und Einkünfte in den Königl. Preuß. Provinzen am linken Rheinufer, 4 Bde., Aachen [u.a.] 1833-1852, auch Philipp J. SERINI (Hg.), Chronologische Zusammenstellung der während der provisorischen französischen Verwaltung in den deutschen Rheinlanden publicirten älteren französischen Gesetze und Übersicht der daselbst bestandenen alten Statutarrechte, nebst Angabe der früheren Territorialverhältnisse, Mannheim 1848 stellen nicht nur historische Überblicke, sondern auch die (wenigstens teilweise) damals noch
1.2. Rheinischer Protestantismus und napoleonische Herrschaft.
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Studien zu einzelnen Pfarrern hervor, deren Aussagekraft allerdings aufgrund der in ihnen enthaltenen wertenden Einseitigkeit beschränkt ist.41 Es dauerte bis zu den Centenarfeiern der Organischen Artikel in den Jahren 1902/03, bis die Frage nach dem Verhältnis zwischen Napoleon und Protestantismus, namentlich seiner Amtsträger, auf wissenschaftlicher Ebene gestellt wurde. Bezeichnenderweise war es der elsässische Professor Paul Ernst Lucius, der protestantische Pfarrer erstmals zum Gegenstand akademischer Forschung machte. Im Reichsland Elsass-Lothringen galten die Bestimmungen des napoleonischen Kultusgesetzes immer noch, während sie in Frankreich bereits 1905 aufgehoben worden waren. Der Rückfall an Frankreich 1918 führte zu der Situation, dass die laizistische Regierung Frankreichs bis auf den heutigen Tag in den drei östlichen Departements Moselle, Bas-Rhin und Haut-Rhin den Geistlichen ein Staatsgehalt bezahlt.42 Wie Lucius das Verhältnis zwischen Napoleon und Pfarrern sah, gab er klar und deutlich an: „Ein volles Jahrzehnt hindurch hat Kaiser Napoleon I. im ganzen Umfange seines Reiches keine aufrichtigeren Bewunderer und Verehrer seiner Person gefunden, als die protestantischen Pfarrer“.43 Lucius sah die wichtigste Ursache für diese Haltung darin, dass Napoleon ein Staatsgehalt gewährt hatte. Gerade das Staatsgehalt, immer wieder Gegenstand vor allem rechtshistorischer Untersuchungen,44 trug den rheinischen Pfarrern allerdings von französischer Seite den Vorwurf ein, aus Habgier die napoleonische Regierung abgelehnt zu haben, weil ihnen die Besoldung zu niedrig erschienen sei.45 Da diese
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gültige Rechtslage dar. Die frühesten Gesamtdarstellungen bieten Heinrich Friedrich JACOBSON, Geschichte der Quellen des evangelischen Kirchenrechts der Provinzen Rheinland und Westfalen: mit Urkunden und Regesten, Königsberg 1844 (Geschichte der Quellen des Kirchenrechts des Preussischen Staates; Theil 4: Die Provinzen Rheinland und Westfalen; 3); ders., Urkunden-Sammlung von bisher ungedruckten Gesetzen nebst Uebersichten gedruckter Verordnungen für die evangelische Kirche von Rheinland und Westfalen, Königsberg 1844 sowie bei Max GOEBEL, Geschichte des christlichen Lebens in der rheinisch- westfälischen evangelischen Kirche. Bd. 3: Die niederrheinische reformierte Kirche und der Separatismus in Wittgenstein und am Niederrhein im 18. Jahrhundert, Koblenz 1860 (ND Gießen/Basel 1992). Etwa KRAFFT, Kritischer Ueberblick. Der französische Premierminister Dominique de Villepin und sein Innenminister Nicolas Sarkozy mussten aufgrund dieses Sonderstatuts durch Regierungsdekret vom 18. April 2006, also genau 204 Jahre nach Erlass der Organischen Artikel, im Namen des Staates ihre Zustimmung zur Vereinigung der lutherischen und reformierten Kirche im Elsass erteilen. LUCIUS, Bonaparte, S. 1. Etwa Wilhelm DIEHL, Zur Geschichte der Staatsgehalte der rheinhessischen evangelischen Pfarreien, Darmstadt 1917; Hans Georg JUNGBLUT, Das rheinische Pfarrzusatzgehalt, Köln 1964. Vgl. auch die Studie von Otto JUNG, Die pfälzische Kirche und die französische Herrschaft 1793-1814, Grünstadt 1939 (Veröffentlichungen des Vereins für Pfälzische Kirchengeschichte; 1). Philipp SAGNAC, Le Rhin français, Lille 1917, S. 311.
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1. Einführung
These während des „Historikerkrieges“ im Umfeld des Ersten Weltkrieges geäußert wurde, fand sie in Deutschland keinen Widerhall.46 Bevorzugt wurde in Deutschland eine allgemeinere Sichtweise, die „den“ Protestantismus in ein Verhältnis zur Regierung Napoleons zu bringen suchte. Hashagen musste 1909 für die napoleonische Zeit festzustellen, dass „[wir] über die Lage der Protestanten noch genauerer Aufklärung bedürftig“ seien. 47 Hashagens Thesen beschränkten sich daher im Wesentlichen darauf, dass die bedeutsamste „Errungenschaft der französischen Periode auf konfessionellem Gebiete“ in der Anbahnung „praktischer Toleranz“ bestanden habe.48 Unter dem „Mythos eines katholischen Rheinlandes“49 (Finger) stehend, ließ die institutionalisierte rheinische Landesgeschichte den Protestanten nur wenig Aufmerksamkeit zukommen.50 Aloys Schulte widmete dem rheinischen Protestantismus einen einzigen Satz und den auch noch im Komparativ: „Die protestantische Kirchenorganisation war weit weniger [als die der katholischen Kirche, A.B.] vom staatlichen Einflusse frei“.51 Sein Schüler Max Braubach gönnte ihm in 46
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Ausführlicher zum „Historikerkrieg“ Helmut MATHY, Die französische Herrschaft am Mittelrhein, 1792-1814. Vom Streitobjekt zur gemeinsamen Forschungsaufgabe deutscher und französischer Historiker. In: LdkdVjBll 15 (1969), S. 23-30, 65-74; Hansgeorg MOLITOR, Bewegungen im deutsch-französischen Rheinland um 1800. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 6 (1980), S. 187-209; ders., Vom Untertan zum Administré: Studien zur französischen Herrschaft und zum Verhalten der Bevölkerung im Rhein-Mosel-Raum von den Revolutionskriegen bis zum Ende der napoleonischen Zeit, Wiesbaden 1980 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; 99: Abteilung Universalgeschichte), S. 6-7. Zu den wissenschaftspolitischen Folgen der Auseinandersetzung siehe Peter SCHÖTTLER, Geschichtsschreibung in einer Trümmerwelt. Reaktionen französischer Historiker auf die deutsche Historiographie während und nach dem Ersten Weltkrieg. In: Ders., Patrice Veit, Michael Werner (Hg.), Plurales Deutschland – Allemagne Plurielle. Festschrift für Étienne François – Mélanges Étienne François, Göttingen 1999 (Beiträge zur deutsch-französischen Geschichte vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart), S. 296-313. Justus HASHAGEN, Die rheinische Kirche unter französischer Herrschaft. In: Studium Lipsiense. Ehrengabe Karl Lamprecht dargebracht aus Anlaß der Eröffnung des königlich sächsischen Instituts für Kultur- und Universalgeschichte bei der Universität Leipzig von Schülern aus der Zeit seiner Leipziger Wirksamkeit, Berlin 1909, S. 295-331, S. 319. Ebd., S. 320. Heinz FINGER (Hg.), Reformation und katholische Reform im Rheinland. Begleitheft zur Ausstellung der Universitäts- und Landesbibliothek zum 500. Geburtstag Konrad Heresbachs und zum 450. Todestag Martin Luthers; 7. Mai bis 22. Juni 1996 (Schriften der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf; 26), Düsseldorf, 1996. Einen Überblick bietet etwa Stephan LAUX, Rheinische Frühneuzeitforschung: Traditionen, Stand, Perspektiven. In: Manfred Groten, Andreas Rutz (Hg.), Rheinische Landesgeschichte an der Universität Bonn: Traditionen, Entwicklungen, Perspektiven, Göttingen 2007, S. 197-231. Aloys SCHULTE, Frankreich und das linke Rheinufer, Stuttgart 1918, S. 285. Vgl. auch Justus HASHAGEN, Die Rheinlande beim Abschlusse der französischen Fremdherrschaft. In: Joseph Hansen (Hg.), Die Rheinprovinz 1815-1915. Hundert Jahre preußischer Herrschaft am Rhein, Bonn 1917. 2 Bde., Bd. 1: S. 1-56, hier: S. 49. Zur Rechtfertigung von Schultes
1.2. Rheinischer Protestantismus und napoleonische Herrschaft.
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seiner lange Zeit als Standardwerk bezeichneten Geschichte „Vom Westfälischen Frieden bis zur Französischen Revolution“ nicht viel mehr Raum.52 Erst Wilhelm Janssens Überblickswerk zur rheinischen Geschichte brachte eine an aktuelleren Forschungsergebnissen orientierte Darstellung zur Geschichte des Protestantismus, die allerdings immer noch knapp gehalten war.53 Den entscheidenden Schritt in die Richtung einer systematischen Erforschung des rheinischen Protestantismus unter französischer Herrschaft vollzog Heinrich Storkebaum. Er bot hauptsächlich auf Basis der in der napoleonischen Zeit erlassenen Gesetze einen Überblick über die Entwicklung des rheinischen Protestantismus. Mit den Organischen Artikeln vom April 1802 anerkannte Napoleon die Gleichberechtigung aller Religionsausübung. Zudem schuf er für beide evangelischen Konfessionen die gleiche Basisstruktur in Form von Konsistorialkirchen zu jeweils 6.000 Gläubigen. Die lutherische Kirche war stärker hierarchisiert als die reformierte, welcher der französische Staat die Einberufung von Synoden verbot. Ergänzend zu Hashagen stellte Storkebaum kein aktives Auflehnen der Protestanten fest, denn sie hatten weniger Verluste als die Katholiken erlitten und waren - zumindest am Mittel- und Oberrhein - schon an staatliche Eingriffe gewöhnt.54 Storkebaum bewertete die Organischen Artikel prinzipiell positiv: „Was die rheinischen Protestanten aus sich nie erreicht hätten, eine Einheit, eine große kirchliche Verbindung über wesensgleiches, blutver-
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Schrift siehe die Ausführungen bei Max BRAUBACH (Hg.), Aloys Schulte und die rheinische Geschichte. Zum 100. Geburtstag des großen Bonner Historikers, Bonn 1957. Nicht anders in ders., Die linksrheinischen Lande unter Napoleon I.. In: Aloys Schulte (Hg.), Tausend Jahre deutscher Geschichte und deutscher Kultur am Rhein, Düsseldorf 1925, S. 319-323, hier: S. 321: „Nichtkatholiken, insbesondere also Protestanten und Juden, erfreuten sich einer früher nicht immer herrschenden Toleranz.“ Ähnlich zurückhaltend äußert sich auch Alexander CONRADY, Die Rheinlande in der Franzosenzeit, Stuttgart 1922. Auch Fritz Vollheim erwähnte in seiner Bonner Dissertationsschrift den Protestantismus nur am Rande, während er dem Katholizismus erheblich mehr Raum zuwies. Fritz VOLLHEIM, Die provisorische Verwaltung am Nieder- und Mittelrhein während der Jahre 1814-1816, Bonn 1912. Joseph Hansen sprach den Protestanten Verdienste um die Verbreitung aufklärerischen Gedankenguts zu, vgl. Joseph HANSEN, Das linke Rheinufer und die französische Revolution 1789-1801. In: Mitteilungen der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums 12 (1927), S. 421-455 hier: S. 421 f. Nichtsdestotrotz sind seine Quellenbände immer noch ein wichtiger Beitrag für die Zeit zwischen 1780 und 1801. Ders., Quellen zur Geschichte des Rheinlandes im Zeitalter der Französischen Revolution 1780-1801, 4 Bde., Bonn 1931-1938 (ND Düsseldorf 2004) (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde). Max BRAUBACH, Vom Westfälischen Frieden bis zur Französischen Revolution, München 1976 (Handbuch der deutschen Geschichte; 10). Wilhelm JANSSEN, Kleine rheinische Geschichte, Düsseldorf 1997 (Veröffentlichung des Instituts für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande der Universität Bonn). Heinrich STORKEBAUM, Die französische Fremdherrschaft und die Kirchenverfassung der Protestanten auf dem linken Rheinufer (1789-1814). (Ein Beitrag zur Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche). In: TARWPV N.F. 20 (1924), S. 57-95, hier: S. 65 f.
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1. Einführung
wandtes Land, hier wurde sie geschaffen von einem fremden Herrscher aus staatspolitischen Gründen“.55 Dieses Urteil hat im Prinzip bis heute Bestand. Im Wesentlichen behielt auch Brigitte Duda mit ihrer grundlegenden Studie über die Organischen Artikel diesen Tenor bei.56 Sie erkannte dabei, dass die napoleonische Epoche die freie Religionsausübung auch in den Gebieten ermöglichte, in denen sie am Ende des 18. Jahrhunderts noch nicht bestand. Damit präzisierte sie das frühere Urteil, denn in verschiedenen Territorien wie Kleve oder Moers war der protestantische Kultus auch schon vor Napoleon erlaubt. In dieser Zeit erfolgten die bürgerliche Gleichstellung der Protestanten mit den Katholiken und die Vereinheitlichung des territorial zersplitterten Kirchenwesens.57 In der französischen Forschung wird deshalb herausgestellt, dass die Organischen Artikel eine „institutionnalisation du pluralisme religieux“58 darstellten. Hingegen wird in der jüngeren deutschen Forschung das Urteil Storkebaums und Dudas wiederholt, wobei darauf hingewiesen wird, dass die Zeit der französischen Herrschaft am Rhein in institutioneller Hinsicht nur eine zu kurze „Episode“ oder ein „Zwischenspiel“59 gewesen sei, um historisch wirksam zu werden. Die Kolportierung dieses in rechtshistorischer Perspektive richtigen Urteils weist allerdings auf eine gewisse methodische Resistenz hin. Sämtliche aufgeführten Studien von Storkebaum, Duda bis hin zur jüngeren Forschung konzentrierten sich auf rechtliche Aspekte des Verhältnisses von Staat und protestantischen Kirchen. Wirkliches Innovationspotenzial besaß nur eine einzige Studie, nämlich die unzureichend rezipierte Untersuchung von Erich Schunk.60 Nachdem bereits Bernhard H. Bonkhoff auf die Bedeutung von Pfarrern als Akteuren in der Verbreitung oder auch Behinderung der Ausbreitung revolutionärer Ideen auf lokaler Ebene hingewiesen hatte,61 trat in Schunks Arbeit die Frage nach dem Wechselspiel zwischen institutionellen und mentalen Veränderungen der Pfarrer in den Vordergrund.62 Für die Pfalz geht Schunk davon aus, 55 56 57 58 59
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STORKEBAUM, Fremdherrschaft, S. 72. DUDA, Organisation. DUDA, Organisation, S. 97. Patrick CABANEL, Napoléon et les Protestants: l’institutionnalisation du pluralisme religieux. In: BLE CIV (Avril-Octobre 2003), N°. 2-3, S. 253-262. STORKEBAUM, Fremdherrschaft, S. 75; Johannes GRASHOF, Geschichte des Evangelischen Kirchenkreises Gladbach (1817-2000), Titz-Rödingen 2003, S. 14. Jüngst hierzu Andreas METZING, Die Organischen Artikel von 1802 in der Geschichte des rheinischen Protestantismus: epochaler Wandel oder historisches Zwischenspiel? In: MEKGR 53 (2004), S. 81-95. Erich SCHUNK, Französische Revolution und pfälzischer Protestantismus, St. Ingbert 1992 (Saarbrücker Hochschulschriften; 19). Bernhard H. BONKHOFF, Pfälzische Pfarrer als Betroffene und Akteure der Französischen Revolution. In: BlpfKG 56 (1988), S. 17-29. Siehe auch Erich SCHUNK, Institutionelle und mentale Veränderungen im pfälzischen Protestantismus zur Zeit der französischen Revolution. In: Karl Otmar Freiherr von Aretin,
1.2. Rheinischer Protestantismus und napoleonische Herrschaft.
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dass die revolutionären Veränderungen der Jahre zwischen 1789 und 1815 bei den traditionell obrigkeitlich orientierten Pfarrern eine Hinwendung zum theologischen Rationalismus und zum politischen Liberalismus begünstigt haben. Dass Napoleon die Geistlichen instrumentalisiert, für seine Zwecke in Dienst genommen habe, ist Tenor der Forschung.63 Als vom Staat besoldet seien Pfarrer zu Staatsdienern umgewandelt worden und hatten auf den Ersten Konsul respektive Kaiser einen Eid leisten müssen. Während für Verwaltungsbeamte seit längerem bekannt ist, dass die personelle Kontinuität in dieser Epoche sehr ausgeprägt war,64 fehlen jegliche sicheren Angaben über Pfarrer, die die genannte Literatur gerne als „Staatsdiener“ begreift.65 Als Gruppe sind sie prinzipiell sehr scharf konturiert, denn als Pfarrer galten nur die Pfarrstelleninhaber, die sich aus dem weiteren Kreis der Theologen rekrutierten. Für den französischen Protestantismus liegen bereits seit den 1960er Jahren empirische Studien vor, weil für
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Karl Härter (Hg.), Revolution und konservatives Beharren. Das Alte Reich und die Französische Revolution, Mainz 1990 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte, Beiheft 32), S. 105-112. So noch Elisabeth WAGNER, Die Kirchenpolitik im napoleonischen Rheinland. Zur Indienstnahme der Geistlichen. In: Christof Dipper, Wolfgang Schieder, Reiner Schulze (Hg.), Napoleonische Herrschaft in Deutschland und Italien: Verwaltung und Justiz, Berlin 1995 (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte; 16), S. 201-223; STORKEBAUM, Fremdherrschaft, S. 67-72. Ähnlich LUCIUS, Bonaparte, S. 6. Es ist der allgemeine Tenor bei Erich SCHUNK, Pfälzischer Protestantismus, KARLL, Französische Regierung und Georg MAY, Das Recht des Gottesdienstes in der Diözese Mainz zur Zeit von Bischof Joseph Ludwig Colmar (1802-1818), 2 Bde., Amsterdam 1987 (Kanonistische Studien und Texte; 36 und 37). Manfred KOLTES, Das Rheinland zwischen Frankreich und Preussen. Studien zu Kontinuität und Wandel am Beginn der preussischen Herrschaft (1814-1822), Köln/Wien 1992 (Dissertationen zur neueren Geschichte; 22), S. 123-169; Karl-Georg FABER, Verwaltungsund Justizbeamte auf dem linken Rheinufer während der französischen Herrschaft. In: Aus Geschichte und Landeskunde. Festschrift für Franz Steinbach, Bonn 1960, S. 350-388; Heiner HAAN, Kontinuität und Diskontinuität in der pfälzischen Beamtenschaft im Übergang von der französischen zur bayerischen Herrschaft (1814-1818). In: JbwestdtLG 2 (1976), S. 285-309; Gabriele B. CLEMENS, Diener dreier Herren – Die Beamtenschaft in den linksrheinischen Gebieten vom ‚Ancien Régime‘ bis zur Restauration. In: Helga Schnabel-Schüle, Andreas Gestrich (Hg.), Fremde Herrscher – fremdes Volk. Inklusions- und Exklusionsfiguren bei Herrschaftswechseln in Europa, Frankfurt a. M. [u.a.] 2006 (Inklusion/Exklusion. Studien zu Fremdheit und Armut von der Antike bis zur Gegenwart; 1), S. 73-102. Zur institutionellen Kontinuität vgl. Karl-Georg FABER, Die rheinischen Institutionen. In: Geschichtliche Landeskunde 1 (1964), S. 20-40. Jüngst auf lokaler Ebene auch KRIEDTE, Krefeld, S. 218. Das Bestreben seitens des Staates, aus Geistlichen Staatsdiener zu machen, macht besonders deutlich Manfred BALDUS, Französisches Staatskirchenrecht am Niederrhein. Ein Forschungsbericht aus dem Institut für Kirchenrecht der Universität zu Köln 1949-1969. In: ZRG KA 87 (1970), S. 411-418, besonders S. 414-415.
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1. Einführung
ihn die revolutionäre Ära den Fixpunkt für den Sprung in die Moderne bildete.66 Bis heute fußt die protestantische Kirchenorganisation in Frankreich, zumal im Elsass, auf den Prinzipien, die die Organischen Artikel im April 1802 festgeschrieben haben. In Deutschland hingegen ist empirische Grundlagenforschung für protestantische Pfarrer dieser Zeit weitgehend Mangelware, entgegen dem möglichen Ersteindruck der zahllosen Studien zur ‚Sattelzeit’. 67 Luise Schorn-Schütte konnte für die Frühe Neuzeit bis 1750 zeigen, dass auch Pfarrer an sozialer Mobilität partizipierten.68 Die Ergebnisse einzelner Regional- bzw. Territorialstudien zeigen die Einbindung der evangelischen Geistlichkeit in ein enges Netz mit akademisch geschulten, bürgerlichen Beamten der mittleren Entscheidungsebene mit einem hohen Grad an geistlicher Selbstrekrutierung.69 Von dieser Position heraus war es möglich, dass die unmittelbaren Nachkommen evangelischer Pfarrer sozial aufstiegen und beruflich Posititionen in der Landesverwaltung einnahmen. Das geistliche Amt erwies sich somit als so genanner „Plattformberuf“70, wobei bereits allein dieser Ausdruck unterstellt, das Pfarramt habe in der frühen Neuzeit in weniger hohem Ansehen gestanden als andere akademisch geschulte Eliten wie Juristen oder Mediziner. Bemerkenswert war sicherlich der Anteil derjenigen Pfarrer, die aus einem geistlichen Haushalt kamen, durchschnittlich immerhin mehr als 40% entstammten Pfarrhäusern.71 Im Umkehrschluss bedeutet dies aber, dass die restlichen Pfarrer anderen sozialen 66
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Maßgeblich die Studie von Daniel ROBERT, Les églises réformées en France (1800-1830), Paris 1961. Vgl. aber auch Claude LASSERRE, Le séminaire de Lausanne (1726-1812). Instrument de la restauration du protestantisme français; étude historique fondée principalement sur des documents inédits, Lausanne 1997. Den Begriff prägte Reinhart Koselleck in Otto BRUNNER, Reinhart KOSELLECK (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Stuttgart 2004 (Neuausgabe der Auflage von 1977). Luise SCHORN-SCHÜTTE, Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit, Gütersloh 1996 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte; 62); dies., Zwischen ‚Amt’ und ‚Beruf’: Der Prediger als Wächter, ‚Seelenhirt’ oder Volkslehrer. Evangelische Geistlichkeit im Alten Reich und in der Schweizerischen Eidgenossenschaft im 18. Jahrhundert. In: Dies., Walter Sparn (Hg.), Evangelische Pfarrer. Zur sozialen und politischen Rolle einer bürgerlichen Gruppe in der deutschen Gesellschaft des 18. bis 20. Jahrhunderts. Stuttgart [u.a.] 1997 (Konfession und Gesellschaft; 12), S. 1-36; dies., Evangelische Geistlichkeit und katholischer Seelsorgeklerus in Deutschland. Soziale, mentale und herrschaftsfunktionale Aspekte der Entfaltung zweier geistlicher Sozialgruppen vom 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. In: Paegagogica Historica 30,1 (1994), S. 39-81. SCHORN-SCHÜTTE, Evangelische Geistlichkeit, S. 97; Albrecht BEUTEL, Aufklärung in Deutschland. Göttingen 2006 (Die Kirche in ihrer Geschichte, Lieferung O2; 4), S. O370 geht von 40% aus. SCHORN-SCHÜTTE: Zwischen ‚Amt’ und ‚Beruf’, S. 6. SCHORN-SCHÜTTE, Seelsorgeklerus, S. 48; Bernard VOGLER, Le clergé protestant Rhenan au siècle de la réforme 1555-1619, Paris 1976, S. 46-78, nimmt an, dass am Oberrhein während der Reformationszeit etwa zwei Drittel der Pfarrer ihrerseits Pfarrerssöhne waren.
1.2. Rheinischer Protestantismus und napoleonische Herrschaft.
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Gruppen entsprangen. In den bisher untersuchten Territorien waren dies vor allem die mittlere Landesverwaltung, das Handel treibende Stadtbürgertum und das städtische Handwerk.72 Für die Eidgenossenschaft und kleinere deutsche Territorien bezeichnete Schorn-Schütte eine „begrenzte Kleinräumigkeit“ als vorherrschendes Charakteristikum geographischer Herkunft. 73 Ähnlich wie in den eidgenössischen Kantonen stammten in Gebieten wie Hessen-Darmstadt oder Hanau-Lichtenberg die Pfarrer überwiegend aus dem Territorium selbst. Der gleiche Befund ist für die Herzogtümer am Niederrhein auch zunächst einmal zu mutmaßen. In größeren Territorien wie Braunschweig-Wolfenbüttel und Württemberg gab es auch unter den Landpfarrern einen großen Anteil landfremder Geistlichkeit. Am ausgeprägtesten war die regionale Mobilität unter den Führungskräften wie den Superintendenten.74 Spätestens ab Beginn des 18. Jahrhunderts zeichnete sich auch eine Art geistliche Laufbahn ab, in einigen Territorien auch deutlich früher, seltener später. Nach dem Besuch einer Lateinschule folgte ein zwei- bis dreijähriges Studium, oftmals nur an der Artistenfakultät, während die theologische Fakultät denjenigen vorbehalten blieb, die später Karriere machten.75 Zu diesem Zeitpunkt waren die Studenten etwa 20 Jahre alt. Abschlussprüfungen im heutigen Sinne gab es erst seit dem späten 18. und besonders seit dem frühen 19. Jahrhundert. Stattdessen wurde ein Examen (tentamen theologicum) vor der jeweiligen höheren Kirchenbehörde, etwa den Oberkonsistorien, vorgenommen. 76 Danach folgte eine Phase praxisnaher Ausbildung, sei dies als Adjunkt eines älteren oder kranken Pfarrers, als Schullehrer oder auch als Feldprediger. Nach weiteren zwei bis fünf Jahren war die erste eigene Pfarrei erreicht.77 Ein ähnliches Bild wie in der sozialen Herkunft zeichnet sich auch im Bereich akademischer Bildung ab. In den kleineren Territorien besuchten etwa 90% die vorgeschriebene Landesuniversität; in Hessen-Darmstadt war dies beispielsweise Gießen. In größeren Territorien hatte zwar ebenfalls ein beachtlicher Anteil die jeweilige Landesuniversität besucht, doch hatten hier deutlich mehr Pfarrer an wenigstens einer weiteren Universität oder überhaupt nicht an der Landesuniversität studiert. Eine mögliche Erklärung hierfür ist die rigide Handhabung 72 73 74 75 76
77
SCHORN-SCHÜTTE: Zwischen ‚Amt’ und ‚Beruf’, S. 7. Ebd., S. 9. Ebd., S. 9. SCHORN-SCHÜTTE, Seelsorgeklerus, S. 55; SCHORN-SCHÜTTE, Evangelische Geistlichkeit, S. 191. SCHORN-SCHÜTTE, Seelsorgeklerus, S. 61 f. Paradoxerweise brachte die Einführung einer leistungsorientierten Zugangsregelung wie dem Abitur zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einer sozialen Stabilität und verhinderte soziale Mobilität, besonders ärmerer Schichten nach oben, vgl. ebd., S. 62. SCHORN-SCHÜTTE, Evangelische Geistlichkeit, S. 211 ff, 226. Parallel dazu Bernard VOGLER, Rekrutierung, Ausbildung und soziale Verflechtung: Karrieremuster evangelischer Geistlichkeit. In: AfR 85 (1994), S. 225-233.
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1. Einführung
entsprechender Vorschriften in kleineren Territorien. Laut Schorn-Schütte habe es daher überregionale Bildungskontakte nur entlang der konfessionellen Grenzen und zwar zumeist in deutsche Territorien gegeben.78 Solche Erhebungen sind für das Untersuchungsgebiet oder gar für die niederrheinische Generalsynode insgesamt nicht gemacht worden. Eine Ausnahme stellt die von Wilfried Reininghaus für die Grafschaft Mark erstellte Sozialbiographie dar. 79 Obgleich die Ausgangsbedingungen für das wie Kleve unter preußischer Herrschaft stehende Mark andere sind, bietet sie doch einen Anhaltspunkt für die Bedingungen im Rheinland. Angesichts der Verbreitung von Eheschließungen zwischen Pfarrerfamilien war die soziale Endogamie ausgeprägt; entsprechend hoch war die Selbstrekrutierung. Für das 18. Jahrhundert geht Reininghaus von über 50% Pfarrersöhnen aus.80 Etwa ein Fünftel der Pfarrer hatte mindestens einen Elternteil aus kaufmännischen Berufen. Andere Berufsgruppen spielten kaum eine Rolle. Auch die regionale Herkunft beschränkte Pfarrer weitgehend auf ihre Herkunftsgebiete, weshalb etwa 70% der märkischen Pfarrer auch aus der Grafschaft Mark stammten. Austausch mit anderen Regionen war eher selten. Reininghaus vermutet dahinter eine strukturelle Ursache, denn Kandidaturen auf eine feste Stelle ließen sich am besten dort platzieren, wo der betreffende Pfarramtsanwärter bereits über Verwandte, Freunde und Bekannte verfügte. 81 Für das Untersuchungsgebiet bieten diese Erkenntnisse eine Grundlage, die vor allem in Kapitel 2 und 4 überprüft werden wird. Zuletzt bleibt ein grundsätzliches Problem zu konstatieren, das den Erkenntniswert vieler Arbeiten zur napoleonischen Ära relativiert und daher zu erörtern ist. Es handelt sich dabei um ein unbewusstes Paradigma, nämlich dass nationale Grenzen zugleich Forschungsgrenzen sind. So behandelt etwa die umfassende Darstellung der napoleonischen Kultuspolitik durch Jacques-Olivier Boudon lediglich das Frankreich in den Grenzen, wie sie 1815 definiert worden sind.82 Die rheinischen Departements fallen ebenso aus der Untersuchung wie die italienischen und belgischen Departements. Damit erzeugt Geschichte zwar das Bild einer nationalen Vergangenheit, allerdings keines, das den tatsächlichen Gegebenheiten des napoleonischen Zeitalters völlig gerecht würde. Nach Roger Dufraisse († 1992) hat die französische Forschung bislang niemanden hervor78 79 80 81 82
SCHORN-SCHÜTTE, Seelsorgeklerus, S. 9 ff. Wilfried REININGHAUS, Pfarrer, Bürger und Obrigkeit in der Grafschaft Mark im 18. Jahrhundert. In: JbWestfKG 96 (2001), S. 121-155. Ebd., S. 129 und 154. Ebd., S. 132. Jacques-Olivier BOUDON, Napoléon et les cultes. Les religions en Europe à l’aube du XIXe siècle, 1800-1815, Paris 2002. Ähnlich auch die Studien von André ENCREVE, Les protestants en France de 1800 à nos jours, Paris 1985; ders., Protestantisme et bonapartisme. In: Revue d’Histoire du XIXe siècle 28 (2004), 1, S. 111-131.
23 gebracht, der sich mit der napoleonischen Peripherie im Kontext des Kaiserreiches so intensiv wie er beschäftigte: Das Hexagon bestimmt in diesem Bereich die Forschung. Dadurch wird das linke Rheinufer implizit als Besatzungsgebiet angesehen und somit die deutsche Sichtweise „bestätigt“: Das linke Rheinufer war deutsch und wurde es nach einer Zeit der „Fremdherrschaft“ wieder. Auch wenn der Terminus weitgehend verschwunden ist, behandelt die Forschung auf deutscher Seite die rheinischen Departements prinzipiell in diesem Sinne und bettet sie nicht oder ungenügend in den Kontext der französischen Republik ein, deren integralen Bestandteil die Departements seit 1801 bildeten. Ausnahmen gibt es nur wenige,83 vor allem im Vergleich mit der mittlerweile umfassenden Literatur zum Kulturtransfer in der Revolutionszeit.84 Damit erzeugt auch die deutsche Geschichtsschreibung ein mittlerweile zwar objektiveres Bild als die ältere Forschung, doch liefert sie eben kein Porträt im europäischen Rahmen, sondern steht immer noch unter unausgesprochenen nationalen Prämissen. Erschwert wird diese Situation durch die abnehmende Sprachkompetenz beiderseits des Rheins. Die jeweils anderen Erkenntnisse werden daher unzureichend rezipiert. Von einer „gemeinsamen Forschungsaufgabe“, wie sie noch Helmut Mathy postulieren konnte, kann also nach wie vor nur im Imperativ gesprochen werden.
1.3. Quellen und Methodik Mangels einschlägiger Vorarbeiten musste für die vorliegende Untersuchung der reformierte und lutherische Klerus auf dem nördlichen linken Rheinufer in seiner Sozialstruktur rekonstruiert werden. Als Datenmaterial wurde die Pfarrerdatenbank des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland herangezogen, welche die Angaben aus dem älteren Pfarrerbuch von Albert Rosenkranz teilweise deutlich abänderte und präzisierte.85 Vervollständigend wurden 83
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Christine MAYR, Zwischen allen Stühlen: Elementarschullehrer im 19. Jahrhundert im Spannungsfeld zwischen lokalen und staatlichen Machteinflüssen. Das Großherzogthum Luxemburg, Rheinpreußen, die bayerische Pfalz und das Département Meuse im Vergleich. In: Ruth Dörner (Hg.), Lokale Gesellschaften im historischen Vergleich: Europäische Erfahrungen im 19. Jahrhundert, Trier 2001, S. 379-398. Herausgegriffen seien nur Susanne LACHENICHT, Information und Propaganda: Die Presse deutscher Jakobiner im Elsaß (1791-1800), München 2004 (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution; 37); Hans-Jürgen LÜSEBRINK, Rolf REICHARDT (Hg.), Kulturtransfer im Epochenumbruch Frankreich-Deutschland 1770 bis 1815, Leipzig 1997 (Deutsch-französische Kulturbibliothek; 9). An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich Herrn Jochen Gruch danken, der mir sehr umfassend Auskunft aus der Datenbank erteilen konnte. – Zur Vorbereitung einer neuen
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1. Einführung
noch weitere personengeschichtliche Literatur und die Angaben aus den eingesehenen Quellen selbst berücksichtigt. Ergänzend zu dieser Datenerhebung stützt sich die Studie hauptsächlich auf zwei Quellengattungen, auf die Sitzungsprotokolle der Lokalkonsistorien und auf die teilweise sehr umfangreichen Korrespondenzen von Pfarrern. Diese sind mitunter bis heute noch niemals ausgewertet worden, daher stützt sich die Studie in weiten Teilen auf bislang unbekanntes Material. Quellenzitate sind stets in der ursprünglichen Schreibweise aufgeführt, auch wenn dies der heutigen deutschen oder französischen Orthographie widerspricht. Die Protokolle sind in gleicher Weise ausgefertigt: Zu Beginn eines jeden Protokolls sind die An- und Abwesenden aufgelistet, danach erfolgt die Sitzungseröffnung durch Gebet und Ansprache entweder durch den Konsistorialpräsidenten oder durch die Konsistorialpredigt eines im Vorjahr dazu bestimmten Geistlichen. Dann wird das Protokoll der vorherigen Sitzung verlesen, die offen gebliebenen Fragen angesprochen und danach die neuen Gegenstände verhandelt. 86 Dabei ist zu bemerken, dass der jeweilige Konsistorialpräsident auch die Sitzungsordnung inne hatte und Teilnehmer ausschließen konnte.87 Die Protokolle stellen meist eine Mischung aus Verlaufs- und Ergebnisprotokollen dar und enthalten in aller Regel Verhandlungsgegenstände aus den Kategorien Organisation, Pfarrer- und Lehrerwahlen, Examen von Theologiekandidaten, Vermögensverwaltung, Rechnungsabnahme der Einzelgemeinden, Beschwerden. Andere Gegenstände werden seltener behandelt, Fälle der Kirchenzucht für Laien finden sich nie, während Disziplinarmaßnahmen bei Pfarrern ab etwa 1810 zunehmen. Waren die Protokolle in den Jahren unmittelbar nach der Installation der Konsistorialkirchen noch von einer gewissen Euphorie geprägt, ändert sich das ab 1809 zunehmend in einen eher geschäftlich gehaltenen Ton. Die späteren Protokolle konzentrieren sich im Wesentlichen auf Wahlen und Rechnungsabnahme, was sich im Übrigen durch die in den Organischen Artikeln festgesetzten Kompetenzen der Konsistorialkirchen erklären lässt. Als Quelle sind die Protokolle zwar generell vertrauenswürdig für die reine Mitteilung von Informationen, etwa ob jemand ein Examen bestanden hat, wer gewählt wurde, welche Gemeinde finanzielle Schwierigkeiten hatte, usw. Allerdings, wie bei Protokollen üblich, enthalten sie keineswegs immer vollständig die abgehandelten Themen; und vor allem erfahren wir selten, wie sie verhandelt wurden. Ein sehr eindrucksvolles Beispiel für diesen Sachverhalt bietet die Sit-
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Auflage des „Rosenkranz“ siehe Jochen GRUCH, Das neue Rheinische Pfarrerbuch: ein Projektbericht. In: MEKGR 56 (2007), S. 73-88. Albert ROSENKRANZ, Das evangelische Rheinland, 2 Bde., Düsseldorf 1956-1958 (SVRKG; 3 und 7). Dabei konnte durchaus von diesem Idealfall abgewichen werden, denn mitunter sind Altbeantwortung und Neuanträge ohne Systematik gemischt. Generalpräsident Jacobi ordnete im Dezember 1808 für die ihm unterstellten lutherischen Lokalkonsistorien eine einheitliche Sitzungsordnung an, die so auch in die Tat umgesetzt wurde.
1.3. Quellen und Methodik
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zung des reformierten Lokalkonsistoriums Kleve aus dem Jahr 1812, dessen Verlauf ausnahmsweise durch einen polizeilichen Geheimbericht parallel überliefert ist und einige Diskrepanzen aufweist (Kapitel 5). Die Konsistorialprotokolle lagen nur im Fall des reformierten und des lutherischen Lokalkonsistoriums Stolberg als maschinenschriftliche Transkription vor.88 Die Protokolle aller übrigen Konsistorialkirchen – die reformierten Lokalkonsistorien in Kleve, Moers, Krefeld und Odenkirchen sowie das lutherische Lokalkonsistorium in Krefeld – sind lediglich handschriftlich überliefert und noch dazu über zahlreiche Archive längs des Rheins verstreut.89 Deren Überlieferungszustand variiert stark. Das kann von einer umfangreichen, vollständigen und lesbaren Überlieferung wie für die Konsistorialkirche Moers bis hin zu einer nur lückenhaft erhaltenen Überlieferung wie für Odenkirchen reichen.90 In anderen Departements scheinen die Protokolle sogar völlig vernichtet zu sein.91 Wo es angebracht war, verweist die vorliegende Studie auch auf Protokolle in anderen Departements. Eine interessante Nebenquelle bilden die Kirchenratsprotokolle auf lokaler Ebene, die zum Teil äußerst umfangreiche Informationen über Sachverhalte, Personen oder Geschehnisse enthalten und nur vereinzelt im Druck vorliegen. 92 Sie können in unserem Kontext helfen, eine mögliche Parellelüberlieferung darzustellen. Ergänzend zu dieser umfangreich überlieferten Quellengattung wurden Korrespondenzen von Pfarrern oder anderen Akteuren wie dem Generalkon88
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Hermann KORTH (Bearb.), Die Protokolle der reformierten und lutherischen Consistorialkirche Stolberg und der Kreissynode von 1804-1844., 2 Bde., Grundlsee 1981-1983 (Typoskript). Ausführlich zur Problematik Andreas METZING, Die Überlieferung der linksrheinischen evangelischen Lokalkonsistorien der napoleonischen Zeit. Archivische Nachwirkungen eines historischen Zwischenspiels. In: Aus Evangelischen Archiven 43 (2003), S. 99-107. Die Zitation erfolgt nach dem Schema „Protokoll XY reformiert/lutherisch, Datum, Paragraph“. Die genauen Fundorte sind im Verzeichnis der verwendeten Quellen aufgeführt. Auf dem Gebiet der pfälzischen und hessen-naussauischen Landeskirchen haben sich oftmals lediglich die Regesten erhalten, die nach 1815 erstellt wurden. Völlig verloren scheinen allerdings auch die Protokolle aus Trarbach und Birkenfeld lutherisch zu sein. Hermann KLEINHOLZ, Protokolle des Presbyteriums der lutherischen Gemeinde Wesel 1690-1818, Düsseldorf 1982 (SVRKG; 66); Rudolf LÖHR, Protokolle der hochdeutsch-reformierten Gemeinde in Köln von 1599-1794, 3. Teil, Köln 1983 (Inventare nichtstaatlicher Archive; 27); ders., Protokolle der niederländisch-reformierten Gemeinde in Köln von 1651-1803, 2. Teil, Köln 1971 (Inventare nichtstaatlicher Archive; 13). Wichtig auch Hermann KELM, Die Lutherische Kirche von Jülich-Berg: Synoden und Konvente 1701 bis 1812, Köln 2001 (SVRKG; 151) und Wolfgang MOTTE, Register der Protokolle der Reformierten Bergischen Provinzialsynode von 1701 bis 1812. In: MEKGR 52 (2003), S. 297-387. Nicht zuletzt auch noch Albert ROSENKRANZ, Generalsynodalbuch. Die Akten der Generalsynoden von Jülich, Kleve, Berg und Mark 1610-1793. 1. Teil: Die Akten der Generalsynoden von 1610-1755, Abt. 1: 1610-1698, Düsseldorf 1966 (SVRKG; 20); Abt. 2: 1701-1755, Düsseldorf 1970 (SVRKG; 34); 2. Teil: 1763-1793, hrsg. v. Walter Hollweg, Düsseldorf, 1923.
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1. Einführung
sistorialpräsidenten Jacobi herangezogen. Die Korrespondenzen befinden sich in aller Regel in den Archiven der Kirchengemeinden. Insbesondere wurden die Handakten der Konsistorialpräsidenten eingesehen. Eine besondere Ausnahme stellen die Akten des Generalpräsidenten dar, die im nordrhein-westfälischen Landesarchiv, Abteilung Rheinland, Standort Düsseldorf, lagern. Sie enthalten neben äußerst umfangreichen handschriftlichen Korrespondenzen gelegentlich Drucke mit Anordnungen oder Gesetzestexten der Pariser Regierung, mitunter auch Werbung für Buchprodukte. Jacobis Briefe, die fast vollständig erhalten geblieben und durch sein Briefjournal zugänglich sind, bilden als ein nahezu geschlossenes Quellencorpus von bedeutendem Umfang einen Schlüssel für den Zugang zur kirchengeschichtlichen Erforschung der französischen Herrschaft. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil der Parallelbestand seines Mainzer Kollegen Balthasar Pietsch im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört wurde. Im Fokus der Untersuchung steht weniger die Eingliederung einer geographisch an der Peripherie gelegenen Region in eine Zentrale, sondern die Frage nach der Einbindung einer definierten sozialen Formation in bestehende Strukturen Frankreichs und die Auswirkungen auf die soziale Zusammensetzung der Geistlichkeit. Zahlreiche Studien haben verstärkt auf den abhängigen Charakter des napoleonischen Regimes gerade auf lokaler Ebene hingewiesen. Michael Rowe geht sogar davon aus, dass „the most important characteristic of Napoleonic government was less its centralisation and more its dependence upon local elites“. 93 Auf den Kompromisscharakter von entstehender Herrschaft durch eine Zentrale weist auch Emich hin.94 In besonderer Weise muss diese Schwäche der Zentralregierung gerade auf die départements nouveaux zutreffen. Von Anfang an suchten französische Stellen Kontakt zu einheimischen Mitarbeitern. Ein grundsätzliches Problem zeigte sich darin, dass die eingerichteten Behörden von der Aachener Zentralverwaltung für die eroberten Lande zwischen Maas und Rhein bis hin zu den im Januar 1798 eingerichteten Departements grundsätzlich schwach waren und zusätzlicher äußerer Stützen bedurften, um ihre Entscheidungen durchzusetzen. Zwar war Militär vor Ort, um im Konfliktfall als Druckmittel zu dienen, doch fehlte den Institutionen die Anerkennung und damit die Grundvoraussetzung für funktionierende Staatlichkeit. Daher sahen sich alle Generalregierungskommissare von François-Joseph Rudler bis Jeanbon Saint-André und alle Präfekten sämtlicher rheinischer Departements dazu gezwungen, Unterstützerkreise zu erschließen. 93
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Michael ROWE, From Reich to State, S. 114. Ähnlich argumentiert John DUNNE, Power on the Periphery: Elite-State Relations in the Napoleonic Empire. In: Philip G. DWYER, Alan FORREST (Hg.), Napoleon and His Empire. Europe, 1804-1814, Chippenham and Eastbourne 2007, S. 61-79, hier: S. 61 ff. Ein innerfranzösisches Beispiel untersucht Marie-Cecile THORAL, The limits of Napoleonic centralization: notables and local government in the departement of the Isere from the consulate to the beginning of the July monarchy. In: French History, December 2005, vol. 19, no. 4, S. 463-481. EMICH, Territoriale Integration, S. 18.
1.3. Quellen und Methodik
27
Dadurch war Rudler darauf angewiesen, einen Mittelweg zwischen den Vorgaben des Direktoriums und den Bedürfnissen des Landes zu erreichen: Das Direktorium hatte Rudler zwar mit der Rechtsangleichung beauftragt, gab ihm jedoch weitgehend freie Hand, die entsprechenden Maßnahmen auch anzuordnen. Als sich die Institutionen als zunehmend kompetent erwiesen und die Arbeit der Verwaltung und vor allem die Justiz transparenter, nachvollziehbarer und vor allem schneller wurde, nahm auch deren Ansehen zu und damit die Akzeptanz ihrer Entscheidungen. Vor einem ähnlichen Problem standen nicht nur die lokalen und mittleren, also regionalen Behörden, sondern auch die höheren und selbst die Ministerien in Paris. Sie mussten sich und ihren Anweisungen Geltung verschaffen. Zugleich mussten sie die Bereitschaft ihres „rheinischen“ Personals stimulieren, mit Kreisen in Innerfrankreich zum Zwecke einer Homogenisierung der administrés in engeren Kontakt zu treten. Eine engere soziale Bindung nach Frankreich böte ein starkes Mittel, alte Loyalitäten dauerhaft zu unterminieren. Der Versuch, dies über besonders einflussreiche Rheinländer zu bewerkstelligen, setzt die einzelnen Akteure in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. Daher bilden Pfarrer und ihre jeweiligen Netzwerke einen Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Da das Erkenntnisinteresse sich hauptsächlich auf eine im kirchlichen Bereich verortete, akademisch ausgebildete soziale Formation richtet, bieten verflechtungstheoretische Überlegungen einen geeigneten Ansatz, um die sozialen Strukturen und Handlungskategorien innerhalb der Pfarrerschaft zu analysieren. Für die Geschichtswissenschaften hat Wolfgang Reinhard diesen Ansatz durch die Übernahme soziologischer und ethnologischer Theorien fruchtbar gemacht. 95 Wolfgang Reinhard unterscheidet „vier Gattungen persönlicher Beziehungen, die als potentielle Träger von Interaktion eine besonders hervorragende Rolle spielen, weil [sie] nachweislich nicht nur Einzeltransaktionen, sondern sogar Gruppenbildung ermöglicht haben“.96 Diese Beziehungstypen sind Verwandtschaft, Landsmannschaft, Freundschaft und Patronage. Sie sind nicht per se wirksam, sondern stellen latente Beziehungen dar, die einer Aktivierung bedürfen.97 Verwandtschaft stellt eine durch Geburt erworbene Beziehung dar,
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Wolfgang REINHARD, Freunde und Kreaturen: „Verflechtung“ als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen Römische Oligarchie um 1600, München 1979 (Schriften der Philosophischen Fachbereiche der Universität Augsburg; 14), S. 35. REINHARD, Freunde und Kreaturen, S. 35. Vgl. auch seine spätere Zusammenfassung: ders., Amici e creature. Politische Mikrogeschichte der römischen Kurie im 17. Jahrhundert. In: QFIAB 76 (1996), S. 308-334, besonders S. 312-314. Nicole Reinhardt setzt eine Hierarchie, indem sie geht davon ausgeht, dass „Verwandtschaft, Freundschaft und Landsmannschaft in der Regel nur dann relevant sind, wenn sie in einem Klientelzusammenhang aktualisiert werden.“ Nicole REINHARDT, „Verflechtung“ ein Blick zurück nach vorn. In: Peter Burschel u.a. (Hg.), Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhard zum 65. Geburtstag am 10. April 2002, Berlin 2002, S. 235-262, hier: S. 242.
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1. Einführung
kann aber auch durch eine Patenschaft erzeugt werden, so dass eine künstliche Verwandtschaft entsteht. Zusätzlich besteht teilweise ein Gefälle im Nutzungsgrad dieser Bindungen. Während unter Freunden98 ein mehr oder weniger reziprokes Verhältnis zwischen Geben und Nehmen steht, darf in der Patronage ausdrücklich keine Reziprozität herrschen.99 Da jede Führungsgruppe durch diese Beziehungstypen in spezifischer Weise konstituiert ist, lässt sich ein Wandel anhand dieser Parameter am anschaulichsten darstellen. Inwiefern die französische Regierung helfen konnte, Netzwerke zu entfalten oder deren Grenzen aufzuzeigen, ist Gegenstand dieser Studie. Für die territoriale Frage, gemeint ist die Inkorporation einer regionalen Elite in ein neues Staatwesen, scheint der Typ des „brokers“ ein gewisses Erklärungspotenzial zu bieten. Sharon Kettering hat die Bedeutung solcher Makler für die Staatsbildung im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts hervorgehoben.100 Ein Makler „brings people and opportunities together“ 101 und das über eine räumliche Distanz hinweg. In gewisser Weise sind auch neu annektierte, also zu integrierende Gebiete dessen bedürftig. Da am Rhein diese neuen Landstriche völkerrechtlich verbindlich zu Frankreich gehörten, musste die Regierung auch dort die institutionellen und kulturellen Standards durchsetzen, die im übrigen Staatsgebiet herrschten. Eine solche Standardisierung sieht Emich als Voraussetzung jeglicher Integrationsmöglichkeiten an. 102 Besondere Bedeutung erhält dabei der Makler. Seine eigene materielle Unabhängigkeit und seine ausgezeichneten Beziehungen erlauben es ihm, Kontakte und damit den Zugriff auf Ressourcen zwischen zwei räumlich getrennten Akteuren herzustellen. Ein Makler verfügt bereits über Prestige und über ein funktionierendes Netzwerk in der jeweiligen Region. Für die Rheinlande der napoleonischen Ära wird eine Analyse der So-
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Zur terminologischen Differenzierung jüngst Johannes F. K. SCHMIDT (Hg.), Freundschaft und Verwandtschaft: Zur Unterscheidung und Verflechtung zweier Beziehungssysteme, Konstanz 2007. REINHARD, Freunde und Kreaturen, S. 39. Zur Frage der Bedeutung von Patronage für die Frühe Neuzeit vgl. Heiko DROSTE, Patronage in der Frühen Neuzeit – Institution und Kulturform. In: ZHF 30 (2003), S. 555-590 und als Replik Birgit EMICH, Nicole REINHARDT, Hillard von THIESSEN, Christian WIELAND, Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste. In: ZHF 32 (2005), H. 2, S. 233-265. Sharon KETTERING, Patrons, brokers, and clients in seventeenth-century France, New York u.a. 1986; dies., The Historical Development of Political Clientelism. In: Journal of Interdisciplinary History XVIII, 3 (Winter 1988), S. 419-447. KETTERING, Political Clientelism, S. 427. EMICH, Territoriale Integration, S. 18 f.
1.3. Quellen und Methodik
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zialbeziehungen protestantischer Pfarrer mit der vorliegenden Studie erstmals vorgestellt.103
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Zwar hat Marschke bereits eine Netzwerkanalyse an Theologen des 18. Jahrhunderts durchgeführt, allerdings nur im Bereich des Halleschen Einflusses auf das preußische Militärkirchenwesen. Siehe Benjamin MARSCHKE, Absolutely pietist. Patronage, fictionalism, and state-building in the early eighteenth-century Prussian army chaplaincy, Tübingen 2005 (Hallesche Forschungen; 16).
2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren Nach dem Sieg der französischen Truppen über die kaiserlichen Verteidiger bei Fleurus in den österreichischen Niederlanden am 26. Juni 1794 eröffnete General Jean-Baptiste Jourdan mit seiner neu geschaffenen Sambre-Maas-Armee eine Sommeroffensive – jene Offensive, die schließlich den Franzosen für zwanzig Jahre die Herrschaft über das linke Rheinufer gewinnen sollte. Am Niederrhein dauerten die Kampfhandlungen nur wenige Wochen.1 Ende September wurde Aachen eingenommen. Am 2. und 3. Oktober kam es zwischen der Festung Jülich und der Stadt Linnich zu schweren Kämpfen, in deren Verlauf die Österreicher die Brücke über die Rur zerstörten, um die Franzosen am Vormarsch zu hindern, und aus diesem Grund kurzerhand den halben Ort in Brand setzten. Hierbei ging die reformierte Infrastruktur – Kirche, Pfarr- und Schulhaus – in Flammen auf. Danach zogen sich die Verteidiger rascher zurück, als die Angreifer nachrücken konnten. Bereits am 6. Oktober erreichte französische Kavallerie Köln, am 7. Oktober Bonn, am 9. Oktober Krefeld, am 14. Oktober Moers und am 19. Oktober Kleve. 2 Damit war das nördliche linke Rheinufer unter französischer Kontrolle. Im folgenden Kapitel werden die institutionellen und sozialen Grundlagen der protestantischen Geistlichkeit dargestellt. Ziel ist es, den Transformationsprozess von rechtlichen Veränderungen in soziale Folgen nachzuvollziehen. Damit werden die Ausgangsbedingungen evangelischer Kirchlichkeit zu Beginn der französischen Herrschaft umrissen, die die Sichtweise der Pfarrer auf Napoleon nachvollziehbar werden lässt.
2.1. Institutionen Als die Sambre-Maas-Armee das nördliche linke Rheinufer eroberte, bestand dort noch ein vollständig intaktes Kirchenwesen. Die niederrheinischen Struk-
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Zur Eroberung des linken Rheinufers siehe die zwar quellenorientierte, aber zu detailverliebte Darstellung von Günter SCHNEIDER, 1794 - Die Franzosen auf dem Weg zum Rhein, Aachen 2005. Zur Sambre-Maas-Armee vgl. Peter WETZLER, War and Subsistence: The Sambre and Meuse Army in 1794, New York 1985. HANSEN, Quellen, III, S. 254-256. Ein Augenzeugenbericht sah ein „riesiges Flammenmeer“, vgl. Hans KRAMP, Kantonshauptstadt Linnich, ein Höhepunkt in der Stadtgeschichte. In: Leo Dolfen (Hg.), Linnich im Wandel der Zeiten, Linnich 1992, S. 80-123, hier: S. 82-83.
2.1. Institutionen
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turen bildeten eine Ausnahme im ganzen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und das aus mehreren Gründen. Mit dem Aussterben der klevischen Dynastie 1609 erhoben unter anderem Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg und Herzog Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg gleichermaßen Anspruch auf die ehemals vereinigten Herzogtümer Jülich, Kleve und Berg sowie die Grafschaften Mark und Ravensberg.3 Zunächst hatten beide Mächte sich auf eine gemeinschaftliche Verwaltung geeinigt, doch wurde mit dem klevischen Erbvergleich von 1666 aus dem Provisorium eine dauerhafte Teilung. Ein Religionsvergleich von 1672 legte den Umfang der christlichen Gemeinden in Jülich-Berg und Kleve-Mark fest.4 Das wäre insgesamt wenig Aufmerksamkeit erregend, denn zu ähnlichen Abkommen war es zwischen Erben immer wieder im Alten Reich gekommen.5 Doch waren beide Fürsten vor dem Xantener Vertrag von 1614 zum Calvinismus beziehungsweise Katholizismus konvertiert.6 Der Gedanke des Kondominiums wurde danach insoweit aufrecht erhalten, als beide Fürsten jeweils als Protektoren ihres Bekenntnisses die Untertanen im jeweils anderen Teil der klevischen Erblande beschützen sollten. Rechtlich war eine konfessionelle Gleichberechtigung beabsichtigt, konnte jedoch in keinem Teilterritorium voll verwirklicht werden. Duda fasst die sich ergebende Rechtslage so zusammen: „In Gegensatz zu den übrigen deutschen Territorien bestand am Niederrhein kein landesherrliches Kirchenregiment, sondern nur ein zwischen den beiden Regierungen vertraglich festgelegter Schutz, unter dem die evangelischen Kirchen
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Zum Gesamtkomplex Heinz OLLMANN-KÖSLING, Der Erbfolgestreit um Jülich-Kleve (1609-1614): ein Vorspiel zum Dreissigjährigen Krieg, Regensburg 1996 (Theorie und Forschung; 442: Geschichte; 5). Text bei Johann Josef SCOTTI, Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in den ehemaligen Herzogthümern Jülich, Cleve und Berg und in dem vormaligen Großherzogthum Berg über Gegenstände der Landeshoheit, Verfassung, Verwaltung und Rechtspflege ergangen sind: Vom Jahr 1475 bis zu der am 15. April 1815 eingetretenen Königlich Preuß. Landes-Regierung, 4 Bde., Düsseldorf 1821-1822, Band I, S. 496 ff. Am bekanntesten wohl die 1444 erfolgte gemeinsame Verwaltung der Grafschaft Sponheim durch Pfalz-Zweibrücken und die Markgrafschaft Baden-Durlach. Fast die gesamte frühe Neuzeit hindurch bildete dieses Gebiet ein Kondominat, bevor 1776 die tatsächliche Realteilung vollzogen wurde. Vgl. dazu Winfried DOTZAUER, Geschichte des Nahe-Hunsrück-Raumes von den Anfängen bis zur Französischen Revolution, Stuttgart 2001. Ute LOTZ-HEUMANN (Hg.), Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit, Gütersloh 2007 (SVRG; 205). Eric-Oliver MADER, Staatsräson und Konversion: politische Theorie und praktische Politik als Entscheidungshintergründe für den Übertritt Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg zum Katholizismus. In: Heidrun Kugeler (u.a.) (Hg), Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit, Münster [u.a.], 2006. S. 120-150.
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
ihre Verfassung im großen und ganzen ungestört durch obrigkeitliche Eingriffe entwickeln konnten“.7 Man darf hinzufügen, dass diese Aussage in der Hauptsache die Protestanten beiderlei Bekenntnisses in Jülich-Berg betraf. Noch um 1800 lebten im Roerdepartement nur 40.000 Reformierte und rund 4.000 Lutheraner bei einer Gesamtbevölkerung von über 600.000.8 In den Herzogtümern Jülich-Berg war der pfälzische Kurfürst seit dem späten 17. Jahrhundert tatsächlich nicht mehr bereit, in diesen Nebenlanden nochmals die konfessionelle Gretchenfrage aufzuwerfen. Diese Entscheidung fiel weniger aus freiheitlicher Überzeugung als vielmehr aus fiskalischen Gründen: Da politische Tätigkeit behindert wurde, mussten Protestanten aus Jülich-Berg eine entsprechende soziale Nische finden, wo sie ihre Energien einsetzen konnten. Konsequenterweise taten sie das in der Wirtschaft und zählten daher zum vermögenderen Bevölkerungsteil.9 Das evangelische Kirchenwesen wurde in diesen Territorien nur im Rahmen der allgemeinen Verdichtung von Staatlichkeit Gegenstand landesherrlicher Normierung. Die ältere Literatur spricht in diesem Zusammenhang immer wieder von den niederrheinischen Kirchen als „Freikirchen“, wie etwa Bredt oder Brämik.10 Beide begründen dies, gerade für Jülich-Berg, mit der schwachen Stellung des Landesherrn durch das vertragliche Regime zwischen beiden Mächten. Während 1654 die Generalsynode für Jülich-Berg eine Kirchenordnung erlassen hatte, erreichten die Reformierten unter preußischer Herrschaft nur eine beschränkte Version dieser Kirchenordnung. In Kleve und Mark verfügte der Landesherr über das Bestätigungsrecht für Kirchenordnungen und für neu gewählte Pfarrer und die Aufsicht über die Verwaltung des Kirchengutes. Die brandenburgischen Kurfürsten zahlten allen bedürftigen evangelischen Geistlichen der vier Territorien durch das 1654/62 eingesetzte Aerarium ecclesiasticum einen Gehaltszuschuss. 11 Zudem übernahm Brandenburg die Kosten für die Tagung der reformierten Generalsynode.12 Diese Position hat 7
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DUDA, Organisation, S. 4. Vgl. Johann Victor BREDT, Die Verfassung der reformierten Kirche in Cleve - Jülich - Berg - Mark, Neukirchen-Vluyn 1938 (Beiträge zur Geschichte und Lehre der Reformierten Kirche; 2), S. 281. DUDA, Organisation, S. 115-121. Jörg ENGELBRECHT, Die bergische protestantische Ethik und der bergische Geist des Kapitalismus. In: Burkard Dietz, Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Drei Konfessionen in einer Region. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Köln 1999 (SVRKG; 136), S. 469-480. Auch BREDT, Verfassung, S. 310. BREDT, Verfassung, S. 281. Heinrich ENGELBERT, Das Aerarium ecclesiasticum der reformierten Kirchen in Kleve, Mark, Jülich und Berg, Düsseldorf 1966 (SVRKG; 21). Generalsynodalbuch, 2. Teil, S. 10* schließt aus der Nichterwähnung des Todes von Friedrich II. von Preußen auf der Synode von 1787 auf eine Abneigung der Reformierten, vor allem Jülich-Bergs, gegenüber dem preußischen König. Dass er zumindest als reeller Akteur begriffen wurde, zeigt ein Brief des Präses Nicolaus Coenen von 1781 an Heinrich
2.1. Institutionen
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Martin Lackner dahingehend interpretiert, dass die Kirche eher nach konsistorialen Prinzipien geleitet worden sei.13 Er zeichnete das Bild einer reformierten Kirche, die unter einem „ständigen Abbau der synodalen Einflussrechte“14 zu leiden hatte, weil hier ein starker „Druck in Richtung Absolutismus“15 bestanden habe. Dass dies zu normativ gedacht war, kristallierte sich in der jüngeren Forschung heraus, als deren Resultat dem Absolutismus sogar die Namensgebung für die Epoche von Barock und Aufklärung streitig gemacht wird.16 Somit lag, bei einem grundsätzlichen Konsens über die organisatorischen Fragen, im niederrheinischen Protestantismus eine Scheidung im Detail entlang der Grenzen zwischen hohenzollernschen und wittelsbachischen Territorien vor. Ähnlich berichten diejenigen, die noch die Spätphase der alten Synodalverfassung persönlich miterlebt hatten. Prediger Engels aus Hochemmerich beschrieb etwa die Kirche in Jülich-Berg als weitgehend staatsfrei: „In den zum Herzogthum Jülich gehörenden Pfarren war der Landesherr nicht Patron, und die Verfassung der Gemeinden war fast durchaus republikanisch“.17 Mehr noch: „Die Regierung des Jülichschen in Düsseldorf musste ihren Urtheilen und Aussprüchen sogar Krafft geben, ohne sich darum bekümmern zu dürfen, ob recht oder unrecht geurtheilt war“.18 Ähnlich sah dies aufgrund des so genannten Oranischen Reglements im Fürstentum Moers aus, wo sich der Landesherr allerdings das Präsentationsrecht vorbehalten hatte. 19 Kleinere Gemeinden wie Rheinberg, Issum oder die Reformierten im Raum Aachen gehörten gar zu niederländischen Klassen. Für niederrheinische Pfarrer war damit das Bewusstsein konstitutiv, in einer Kirche zu wirken, die ihre inneren Angelegenheiten ähnlich wie die katholische Kirche weitgehend selbst verwaltete. Diese Form der Selbstverwaltung bestand sowohl für Lutheraner wie für Reformierte aus einer synodalen Kirchenorganisation. Als Dachorganisation fungierte auf reformierter Seite die niederrheinische Generalsynode, die alle drei Jahre zusammentrat und meist in Duisburg tagte, zuletzt 1793.20 Den Vorsitz
13 14 15 16 17 18
19 20
Jacob Schuchard in Kleve. Vgl. Heinrich MÜLLERS, Der Otzenrather Prediger Nicolaus Coenen über Friedrich den Großen und Kaiser Joseph II. In: BJGbll 6 (1929), S. 109-110. Martin LACKNER, Preußische Kirchenpolitik am Niederrhein im 17. und 18. Jahrhundert. In: MEKGR 31 (1982), S. 133-142, hier: S. 139. LACKNER, Preußische Kirchenpolitik, S. 139. Ebd., S. 137. Zur Literatur vgl. Heinz DUCHHARDT, Barock und Aufklärung, 4. Aufl., München 2007 (Oldenbourg-Grundriß der Geschichte; 11). Albert ROSENKRANZ, Kirchenverhältnisse der Konsistorialkirche vor 1816. In: MRKG 36 (1942), S. 122-128, hier: S. 124. Ebd. Eine Anspielung auf den Weseler Vergleich von 1677, der den Schutzmächten Preußen und Pfalz-Neuburg Enthaltsamkeit in Fragen der Kirchenzucht auferlegt und ihnen zugleich gebot, kirchlichen Beschlüssen Hilfe zu leisten. ROSENKRANZ, Kirchenverhältnisse, S. 125. BREDT, Verfassung, S. 191-209.
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
hatte ein regelmäßig neu gewählter Präses inne, der als Moderator fungierte.21 Alle Mitglieder der Generalsynode mussten bei jedem Tagungsbeginn die für Jülich-Berg geltende Kirchenordnung unterzeichnen, auch die Vertreter aus Kleve und Mark, obwohl dort, wie erwähnt, eine abgeänderte Form galt.22 Desweiteren hatte die Generalsynode bereits im 17. Jahrhundert für jedes teilnehmende Territorium Provinzialsynoden durchgesetzt, die die Angelegenheiten innerhalb dieser Provinz regelten. Jede der vier Provinzen war in mehrere Klassen unterteilt, die in einem eng umgrenzten Raum Gegenstände von übergemeindlichem Interesse behandelten.23 Den Klassen stand jeweils ein Inspektor vor, der jährlich alternierte. Aufgrund seiner Synodalstruktur ähnelte die Kirchenorganisation stark derjenigen in Frankreich oder in den Niederlanden, von wo tatsächlich jeweils bedeutende Anleihen getätigt worden waren.24 Strukturell ähnelten sich die lutherischen und die reformierten Kirchen stark. 25 Auch in den Kirchen der Augsburger Konfession bildeten Einzelgemeinde und Klassikalverfassung die Ausgangsbasis. Für jedes Territorium bestand ebenfalls eine Provinzialsynode. Allerdings fehlte ihnen eine alle Territorien umfassende Generalsynode. Die Organisation war insgesamt autoritärer. Der Inspektor amtierte beispielsweise über mehrere Jahre hinweg. Laien durften nicht an den Synoden teilnehmen, die daher eher den Charakter von Pfarrkonventen trugen.26 Diese Strukturen reagierten auf die französische Invasion erstaunlich flexibel und robust zugleich. Im Gegensatz etwa zu Kurpfalz, Pfalz-Zweibrücken, der Wildund Rheingrafschaft und anderen gab es im Untersuchungsgebiet keine zentrale Behörde, deren Wegfall eine Neuordnung des kirchlichen Gefüges notwendig gemacht hätte. In der Pfalz erlangten die protestantischen Kirchen erst durch die Desintegration des landesherrlichen Kirchenregiments in der Revolutionszeit einen „gesetzlich fundierten, teilautonomen Status“. 27 Der Niederrhein hatte diesen Zustand bereits im späten 17. Jahrhundert erreicht und nun versuchten die Pfarrer, ihn zu bewahren. Nach dem französischen Einmarsch traten keine Synoden mehr zusammen.28 Hans-Wilhelm Rahe geht davon aus, daß die Synoden deshalb nicht zusam21 22 23 24 25 26 27 28
Zur auf Ebene der Generalsynode kollegial gehaltenen Leitung im so genannten Moderamen vgl. BREDT, Verfassung, S. 197-199. BREDT, Verfassung, S. 199. Zur rechtlichen Organisation vgl. detailliert BREDT, Verfassung, S. 171-210, und BRÄMIK, Verfassung, S. 218-234. So die Thesen bei BREDT, Verfassung und BRÄMIK, Verfassung. DUDA, Organisation, S. 8-9. KELM, Lutherische Kirche, S. 1 ff. SCHUNK, Pfälzischer Protestantismus, S. 369. Die letzte Synode aus dem Raum Jülich tagte am Tag der Schlacht von Fleurus in Roetgen. Vgl. Ferdinand MAGEN, Die Erste Klasse der Jülicher Provinzialsynode am Ende des Alten Reichs. In: MEKGR 55 (2005), S. 232-252, S. 236.
2.1. Institutionen
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mentraten, weil daran „die jahrelangen Kriegszeiten und Kriegsnöte, die Invasion und Einquartierung fremder Truppen, die Eintreibung von Kriegssteuern, von sogenannten Kontributionen, zur Unterhaltung der Besatzungstruppen und die Einziehung von Kirchengütern“ schuld gewesen seien.29 Daher wären die Kosten für Synodaltagungen für die Gemeinden nicht mehr tragbar gewesen. Ein Zeitgenosse, Prediger Gottfried Wilhelm Roß, hielt in dieser auch finanziellen Krisensituation sogar die Beseitigung traditioneller Rechte der reformierten Laien, wie die Teilnahme von weltlichen Mitgliedern an Synoden, für möglich. Aktiv könne nur ein Prediger- oder Brüderkonvent werden.30 Das Nichtzusammentreten der traditionellen Synoden bedeutete zugleich aber auch, dass die Inspektoren nicht neu gewählt werden konnten und daher die amtierenden bis auf weiteres im Amt bleiben mussten. Während die lutherische Kirche seit dem 17. Jahrhundert an längere Amtszeiten der Inspektoren gewöhnt war, bedeutete dies für die reformierte Kirche ein kriegsbedingtes Provisorium. In Ausnahmefällen, etwa beim Tode eines Inspektors, übernahm ein anderer Pfarrer dessen Aufgaben kommissarisch. So war der Frechener Pfarrer Johann Andreas Gottfried Charlier 1797 Inspektor geworden, nachdem sein Vorgänger verstorben war.31 Obwohl es immer schwieriger wurde, hielt Charlier den regionalen kirchlichen Amtsbetrieb auf niedrigem Niveau aufrecht. 32 Dies gelang ihm, einschließlich der Abnahme theologischer Examina, unmittelbar bis zur sukzessiven Einführung der neuen Kirchenordnung ab 1802.33 Aus dem Bereich der Klasse Moers sind parallele Vorgänge überliefert.34 Auch hier fanden keine Synoden oder Klassenkonvente nach 1797 mehr statt. Der danach gewählte Inspektor Jonas Heilmann aus Krefeld blieb ungewöhnlich lange, bis 1803, im Amt35 und nahm weiterhin Prüfungen ab.36 Ein Sonderkonvent der moersischen Klasse tagte am 15. Mai 1800, um über Examina und notwendige Stellenneubesetzungen zu sprechen.37 Obgleich an regelmäßige Tagungen nicht zu denken war, blieben dennoch die Kirchen als solche durch ihre dezentrale Organisation weitgehend funktionsfähig. Allerdings wuchs den Klassikalinspektoren in dieser Aufweichung traditioneller Ordnung eine größere Rolle für das Überleben des gesamten Kirchenwesens zu, als dies für gewöhnlich der Fall gewesen war.
29 30 31 32 33 34 35 36 37
Hans-Wilhelm RAHE, Bischof Ross. Vermittler zwischen Rheinland-Westfalen und Preussen im 19 Jahrhundert, Köln 1984 (SVRKG; 77), S. 77. Ebd., S. 78. MAGEN, Provinzialsynode, S. 247 ff. Allgemein hierzu STORKEBAUM, Fremdherrschaft, S. 64. MAGEN, Provinzialsynode, S. 248-249. RAHE, Bischof Ross, S. 78 ff. Paul MAST, Geschichte der Kreissynode Moers, 2 Bde., Moers 1955-1965, hier: Bd. I, Heft 8, S. 606 f. Ebd., S. 633. Ebd., S. 632.
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
Eine wichtige Änderung trat beim Wahlrecht ein. Pfarrerwahlen waren seit 1795 zunehmend in die freie Hand der Gemeinde gefallen.38 Generalkommissar Rudler führte 1798 die Bestätigung durch die Regierung (confirmation) als Voraussetzung ein.39 Dadurch drohte sich das bisherige Machtgefüge erheblich zu verändern: Bislang leitete der jeweilige Inspektor einer Klasse oder im Abwesenheitsfall ein benachbarter Pfarrer die Wahlen für den Nachfolger auf einer Pfarrstelle. Dabei kannten nur er und die für die Wahl abgestellten Gemeindevorsteher die Wahlergebnisse.40 Diese Form der Wahl bot Raum für Manipulationsmöglichkeiten, deren Konsequenzen aber offenbar von den Gemeinden auch nicht als zu einschränkend empfunden wurden.41 Pfarrer hatten damit unmittelbaren Zugriff auf die Verteilung der zu vergebenden Ressourcen, nämlich der Pfarrstellen und ihrer Einkünfte. Es waren in den 1790er Jahren im Fürstentum Moers von zwölf reformierten Gemeinden fünf bereits mindestens in der zweiten Generation innerhalb derselben Familie. So waren Friemersheim, Baerl, Homberg, Vluyn und Krefeld gerade im späteren 18. Jahrhundert im „Besitz“ einer Pfarrdynastie. Berücksichtigte man die Zahl der Schwiegerväter oder Übergänge von Onkel auf Neffen, stiege diese Zahl nochmals an. Den Zugriff auf die Pfarrstellenbesetzung wollten Pfarrer, um Verwandte oder Freunde platzieren zu können, nicht verlieren. Zwar kamen noch einzelne Gemeinden hinzu, wie in Kelzenberg, das sich nach jahrzehntelangem Streit mit Erlaubnis der zivilen Behörden von Jüchen trennen durfte. 42 Dennoch blieb prinzipiell die Zahl der zur Verfügung stehenden Pfarrstellen relativ konstant. In der Pfarrei Moers setzte sich die alte Obrigkeit bei den Wahlen nochmals durch. Bereits 1784 hatte der Kirchenrat in Moers selbst eine Petition an die preußische Landesregierung gerichtet, worin er bat, das Wahlgremium für die Pfarrerwahl auf eine breitere Basis zu stellen. Speziell die ländliche Bevölkerung forderte eine Gleichbehandlung mit den Stadtbewohnern.43 Auch bei der Positionierung Johann Heinrich Diergardts als erstem Pfarrer unter der im März 1797
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Wolfgang SEIBRICH, Linksrheinische (revolutionäre) Pfarrerwahlen 1795-1802. In: AmrhKg 43 (1991), S. 211-254. Zur Wahlbestätigung von Friedrich Haas zum Pfarrer von Roetgen durch Pruneau vgl. LANRWR Lande zwischen Maas und Rhein 2596, fol. 21, Lambrichs-Pruneau, 10. Brumaire V (31.10.1796). KRAFFT, Kritischer Ueberblick, S. 71 meint, dass bereits mit seinem Vorgänger Türck „die Aufklärung“ in Roetgen eingezogen sei. BRÄMIK, Verfassung, S. 169-170; BREDT, Verfassung, S. 118-121. Vgl. BRÄMIK, Verfassung, S. 170. ROSENKRANZ, Rheinland II, S. 267, S. 269; allgemein STORKEBAUM, Fremdherrschaft, S. 65. Klaus MÜLLER, Moers in preußischer und französischer Zeit (1702-1815). In: Margret Wensky (Hg.). Moers. Die Geschichte der Stadt von der Frühzeit bis zur Gegenwart, Bd. 2: Von der preußischen Zeit bis zur Gegenwart (ab 1702), Köln [u.a.] 2000. S. 1-143, hier: S. 121.
2.1. Institutionen
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für einige Monate durch General Lazare Hoche wiederhergestellten alten Obrigkeit, gelang es der alten Regierung in dieser Phase, ihre Wahl durchzusetzen.44 Die Wahl des lutherischen Pfarrers von Kirschseiffen 1798 fand unter dem Vorsitz von Johannes Altena, Pfarrer der Nachbargemeinde Schleiden, statt.45 Bei dieser Wahl wurde mit Friedrich Wilhelm Hesse ein Studienfreund des im benachbarten Monschau amtierenden Pfarrers Maximilian Friedrich Scheibler gewählt. Hesse machte sich 1802 überregional bekannt, indem er sich für eine verständliche Sprache bei Predigten einsetzte.46 Das Bestreben der etablierten Pfarrer, den traditionellen und ordnungsmäßigen Geschäftsgang aufrechtzuerhalten, wird anhand solcher Beispiele deutlich: Bei Wahlen pochten Inspektoren oder benachbarte Pfarrer unbedingt darauf, dass diese nach dem Herkommen durchgeführt würden. Damit bewahrten die Geistlichen am Niederrhein ihren Zugriff auf die Pfarrstellenbesetzung. Der Wechsel in die Verfassung der Organischen Artikel mit ihrem den Gemeinden entzogenen, und Pfarrern und ausgewählten Notabeln zugesprochenem Wahlrecht sollte also den Bedürfnissen der Geistlichen sehr entgegen kommen. Die reformierten und lutherischen Institutionen im Roerdepartement stellten eine Ausnahme im ganzen Heiligen Römischen Reich dar. Ähnlich wie das katholische Kirchenwesen war auch das protestantische überterritorial organisiert. Zudem hatten aufgrund des vertraglichen Regimes zwischen Brandenburg und Pfalz-Neuburg beide Mächte einen Zustand festgeschrieben, der keine Abänderung mehr durch die Landesherren zuließ. Innerhalb dieses Rahmens entwickelten sich vor allem im Herzogtum Jülich die protestantischen Kirchen sehr eigenständig, „fast durchaus republikanisch“, wie dies der Hochemmericher Pfarrer Engels feststellte. Mangels eines festen Zentrums erwies sich diese presbyterial-synodale Organisationsform als flexibel genug, um die Revolutionszeit weitgehend funktionsfähig zu überstehen. Die aufgetretenen Auflösungserscheinungen im kirchlichen Gefüge waren insgesamt eher gering. Zwar tagten nicht mehr die Synoden, doch blieben die Klassikalinspektoren bis auf weiteres im Amt und stärkten somit die Autorität eines Einzelnen gegenüber den kollegial strukturierten Provinzialsynoden. Bei Pfarrerwahlen bemühten sich die Inspektoren darum, diese nach dem Herkommen zu organisieren, das heißt unter der Wahlleitung eines Inspektors oder eines benachbarten Pfarrers. Damit wahrten sie die Einflussmöglichkeiten der Geistlichkeit auf das Wahlergebnis.
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Ebd. Wilhelm HERMANN, Hirt und Herde. 150 Jahre Evangelische Gemeinde Kirschseiffen 1787-1937, Aachen 1937, S. 25. Friedrich Wilhelm HESSE, Über Popularität und Simplicität im Predigen, Göttingen 1802.
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
2.2. Verflechtung Der folgende Abschnitt thematisiert die Beziehungen innerhalb der niederrheinischen Pfarrerschaft, um die sozialen Ausgangsbedingungen für die napoleonische Herrschaft darzustellen. Dargestellt werden im Anschluss an Wolfgang Reinhard die soziale und landsmannschaftliche Herkunft, natürliche und künstliche Verwandtschaft sowie die Ausbildung, die konstitutiv für die Genese von Netzwerken werden konnte. 1801 amtierten 63 reformierte und 17 lutherische Pfarrer im Untersuchungsgebiet. Geographisch lässt sich ein hoher Grad an Indigenität feststellen.47 Mehr als 81% aller reformierten und etwa zwei Drittel aller lutherischen Geistlichen stammten aus dem Gebiet der niederrheinischen Generalsynode, also aus den Herzogtümern Jülich, Kleve, Berg, der Grafschaft Mark und dem Fürstentum Moers. Damit entsprach dieser Grad etwa den Verhältnissen in Hessen-Darmstadt oder anderen kleineren Territorien. 48 Im Einzugsgebiet lagen eher Nachbarregionen mit ähnlicher Kirchenorganisation, etwa die Niederlande, als Territorien mit ausgeprägt konsistorialer Kirchenordung. Größere Varianz zeigten die lutherischen Pfarrer; bei ihnen gab es einen neben den Einheimischen auch einen größeren Anteil von Theologen aus anderen preußischen Provinzen. In der westfälischen Grafschaft Mark lag der Grad der Selbstrekrutierung bei über 50%, das heißt mindestens jeder zweite Pfarrer hatte entweder einen Vater, der selbst im Pfarramt war, oder eine Mutter, die ihrerseits Tochter eines Pfarrers war.49 Für die rheinischen Territorien der Generalsynode geht Flesch für die gesamte Frühe Neuzeit von einer Quote bis zu 54% aus, was deutlich höher lag als in Vergleichsterritorien.50 In Staatsdiensten standen etwa 17% der Väter.51 Ungefähr ein Fünftel stammte aus kaufmännischen Familien. Auf diese drei Gruppen entfielen demnach knapp 88% aller Pfarrer. Parallele Strukturen fanden sich auch bei den Lutheranern, allerdings bei einer höheren Dunkelziffer. Zudem waren dort 12% Söhne von Militärangehörigen. Für lutherische Theologen sah die preußische Gesetzgebung das Studium in Halle vor. Dieser Universitätszwang war 1737 durch Regierungsedikt verordnet 47
Die folgenden Zahlen beruhen auf eigenen Erhebungen. SCHORN-SCHÜTTE, Zwischen ‚Amt’ und ‚Beruf’, S. 9. 49 REININGHAUS, Grafschaft Mark, S. 129 und 154. 50 Stefan FLESCH, Die Ausbildung rheinischer Pfarrer an der Universität Duisburg. In: Duisburger Forschungen 53 (2007), S. 125-141, hier: S. 127. Vgl. für andere Territorien etwa SCHORN-SCHÜTTE, Seelsorgeklerus, S. 9 ff. 51 Das kurpfälzische Verbot der Übernahme öffentlicher Ämter durch Protestanten wurde mindestens auf kommunaler Ebene relativ locker gehandhabt. Vgl. etwa die Bemerkungen bei ENGELBRECHT, Ethik, S. 471 ff. In Kleve-Mark und Moers gab es keine derartigen Beschränkungen. Auch stammten nicht alle Pfarrer aus dem Untersuchungsgebiet und sind daher anderen Sozialisationstraditionen zuzuordnen. 48
2.2. Verflechtung
39
worden. Es ist nahe liegend, hier einen Einfluss pietistischer Kreise zu vermuten, die erst wenige Jahre zuvor das preußische Militärkirchenwesen unter ihre Kontrolle bekommen hatten.52 Dem obligatorischen Studium in Halle folgten allerdings bei weitem nicht alle Prediger. So studierten zahlreiche angehende Pfarrer auch in Göttingen oder Jena, also in Zentren der Aufklärungstheologie. Die reformierten Theologiestudenten wandten sich zu mehr als 81% zum Studium nach Duisburg. Sie erfüllten damit den seit dem 17. Jahrhundert bestehenden Universitätszwang in hohem Maß. Seltener besuchten sie andere Universitäten, die dann entsprechend breit gestreut waren: Heidelberg, Marburg, Bremen, die niederländischen Universitäten und das Seminar in Herborn.53 Anhand dieser empirischen Daten erscheint die Geistlichkeit am Niederrhein homogen. Die Pfarrer stammten ganz überwiegend aus den Territorien Moers, Berg, Kleve, Jülich und der Mark; zudem studierten sie ebenfalls mehrheitlich an denselben Universitäten. Während also eine enge landsmannschaftliche Tradition bestand, setzte gerade das Studium Friktionen für künftige Bekanntschaften und Tätigkeiten, worauf nun eingegangen werden wird. Dabei sollen die akademischen Voraussetzungen für die Bildung von Netzwerken beleuchtet werden. Die Universität Duisburg galt zwar nicht unbedingt als ein Hort der Aufklärung, aber an ihr lehrten im späten 18. Jahrhundert mit den Professoren Heinrich Adolph Grimm und Johann Peter Berg Vertreter eines theologischen Rationalismus. Grimm unterrichtete alte Sprachen und übernahm nach Bergs Tod 1800 auch Theologie. Wenn über den reformierten Konsistorialpräsidenten Heinrich Simon van Alpen noch im fortgeschrittenen Alter berichtet wird, er habe sich rege den „römischen und griechischen Classiker[n], und de[n] orientalischen Sprachen“ gewidmet, mag dies eine ferne Reminiszenz an den alten, aufgeklärten Universitätslehrer sein.54 Die beiden Professoren Berg und Grimm prägten maßgeblich die in den späten 1770er Jahren immatrikulierten Theologiestudenten, darunter Johann Arnold von Recklinghausen (imm. 1775), Johann Heinrich Höfer (imm. 1778), Friedrich Carl Grimm (imm. 1778), Arnold Koenig (imm. 1779) und Heinrich Simon van Alpen (imm. 1779), die letzten drei zudem Kommilitonen des Juristen und Dichters August von Kotzebue, dessen Ermordung die Karlsbader Beschlüsse 1819 zur Folge hatte.55
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Ausführlich hierzu MARSCHKE, Absolutely pietist. FLESCH, Ausbildung, S. 127. Leo PETERS, Heinrich Simon van Alpen (1761-1830). In: Rheinische Lebensbilder 13 (1993), S. 73-96, hier: S. 92. Vgl. die Matrikel online unter www.uni-duisburg.de/Institute/CollCart/matrikel/00-index.htm, zuletzt eingesehen am 4.10.2008.
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
Nachdem sie alle bereits etwa zehn Jahre im Amt waren, gaben sie im Jahre 1794 zusammen mit dem in Heidelberg ausgebildeten Johann Heinrich Diergardt und dem in Frechen amtierenden Johann Andreas Gottfried Charlier eine gemeinschaftliche Publikation heraus. Es handelte sich dabei um eine seit Jahren gewünschte neue Agende. 56 Höfer und van Alpen waren dank gemeinsamer Schul- und Studienzeit sogar Duzfreunde.57 Es handelt sich bei diesem Kreis um eine rationalistisch beeinflusste, weitgehend durch gemeinsame Studien in Duisburg einander bekannte Gruppe von Pfarrern, die bei Beginn der französischen Herrschaft im mittleren Alter waren. Gemeinsame Überzeugung bedeutet nicht zwangsläufig ein intensiveres Geflecht von Beziehungen, besonders wenn das Kriterium der Nachhaltigkeit angelegt wird, denn Überzeugungen können sich im Laufe des Lebens wandeln. Dann wäre die gemeinschaftliche Herausgabe eines Buches lediglich eine punktuelle, mithin eher geschäftliche Beziehung. Verstanden als Unterart einer Integrationsideologie, würde die gemeinsame Überzeugung die soziale Verflechtung allerdings untereinander stärken können, weil die Teilnehmer des Kreises über eine gewisse Überschneidungsmenge an Interessen verfügten. Diese Gruppe verfügte insgesamt über nur schwache natürliche Verwandtschaft, die ohnehin erst 1804 durch die Eheschließung der Nannette Charlier, Tochter des Frechener Pfarrers, mit Johannes Lauffs aufgebaut wurde. Im Übrigen dominieren künstliche Verwandtschaften, wie das Beispiel des Arnold König aus Lövenich zeigt. Bei seinen Kindern waren Johann Heinrich Höfer aus Linnich, Johann Arnold von Recklinghausen aus Eschweiler (bis 1794) und Johannes Lauffs aus Schwanenberg Taufpaten.58 Blieb König mit seiner Auswahl noch in den Grenzen seines Berufsstandes, so war Johannes Lauffs bis in höchste Kreise vernetzt. Zwar traten mit seinem Schwager Heinrich Walter Faber aus Friemersheim und dem Onkel seiner Ehefrau, Jakob ‘t Hoost aus Wadenoyen bei Tiel (Niederlande) auch Prediger als Taufpaten auf. Hinzu gesellten sich allerdings auch illustre Persönlichkeiten lokaler Provenienz: Wilhelm Anna Ludwig Graf von Gronsfeld, der Herr zu Endegeest bei Leiden und sogar Gräfin Anna Constantia von Quadt zu Wickrath. Dass Lauffs Kinder für adlige Patenschaften geeignet waren, lässt sich über die Verwandtschaft seiner Großmutter erklären: Agneta Kämmerling war eine Nachfahrin von Otto Heinrich von Bylandt,
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Anhang zur Kirchen-Agende der Evangelisch-Reformirten Gemeinen in den vier vereinigten Ländern Jülich, Kleve, Berg und Mark, gesammelt von der Jülichschen Synode und herausgegeben mit Genehmhaltung einer Hochehrwürdigen General-Synode der obgedachten vereinigten Länder, Mülheim a. Rhein 1794. Generalsynodalbuch, Teil 2, S. 320 f.; CHARLIER, Frechen, S. 6; PETERS, van Alpen, S. 81 f. KRAFFT, Kritischer Ueberblick, S. 75 sah in diesem Zusatz einen entscheidenden „Sargnagel“ für die 1789 erlassene Gottesdienstordnung. Beispielsweise AEKRD 3MB 003 C-213, Höfer-van Alpen, 14. Vendemiaire XIII (6.10.1804). Reformiertes Kirchenbuch Lövenich, Taufen, 23.9.1792, 25.1.1795 und 14.8.1796.
2.2. Verflechtung
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Freiherrn zu Rheydt.59 Dieser war in erheblichem Maße dafür verantwortlich, dass der brandenburgische Kurfürst Johann Sigismund zum Calvinismus konvertierte.60 Adelige amtierten im späten 18. Jahrhundert nur selten als protestantische Pfarrer, wie Johann Arnold von Recklinghausen. Wilhelm Gottfried Roß, Prediger in Budberg, hielt seine adelig-schottische Herkunft ebenso wie seine Zeitgenossen für real. Als Generalsuperintendent in Berlin (1828-1854) trug er aufgrund dieser Annahme einen Grafentitel. Wahrscheinlicher scheint jedoch eher eine missverstandene Familienüberlieferung katholischer Kleinbürger aus Kempen zu sein.61 Patenschaften boten auch kinderlosen Pfarrern die dauerhafte Bindung an bestehende Familienbeziehungen. Diese Möglichkeit nutzten vor allem ledige Pfarrer, zu denen Adolf van Essen (Kleve), Gottfried Daniel Krummacher (Baerl), Friedrich Wilhelm Conrad Peill (Jülich) und Peter Gisbert Faber (Repelen) zählten. Peill glich beispielsweise sein Fehlen in direkten ehelichen Verbindungen durch häufigere Patenschaften in lokalen Beamten- und Kaufmannsfamilien aus.62 Eine ähnliche Strategie verfolgte Peter Gisbert Faber, der nach dem Tod seiner den Haushalt führenden Schwester Maria Magdalena 1795 nacheinander zwei Kandidaten, Heinrich van Hüls aus Moers und ab 1800 Peter Tönnes aus Elberfeld, als Vikare in sein Haus holte. Faber stand wiederholt bei seinen Kollegen Pate. Auch bei einer anderen, kleineren Gruppe zeigt sich, wie erfolgreich ein gemeinsamer Universitätsbesuch Verwandtschaft stützen konnte. Der Pfarrersohn Heinrich Esch, der Moerser Rektorensohn Jakob Hermann Riema und der ebenfalls aus Moers stammende Apothekersohn Johann Wilhelm Trappen hatten an der Landesuniversität Duisburg studiert. Matthias Daubenspeck, Pfarrer von Odenkirchen, empfahl 1788 seinen Cousin Trappen nach Wevelinghoven, wo er auch gewählt wurde. Daubenspeck selbst übernahm 1795 die Pfarrstelle in Homberg nach dem Aussterben der Pfarrerdynastie Vinmann. Trappen wurde dann als standesamtlicher Zeuge bei der Geburt von Heinrich Eschs Tochter Helena Wilhelmina aufgeführt. Bei weiteren Kindern übernahm diese Aufgabe wiederholt Prediger Johann Christoph Heinrich Rappard aus Neukirchen, der seinerseits aus einer einflussreichen klevisch-märkischen Beamtenfamilie stammte. Seine Gattin Johannetta Bösken war Taufpatin bei einem Kind von Christian Franz Werlemann, dem zeitweiligen Prediger in Repelen. Bemerkenswert ist, dass Konfessionsgrenzen sowohl bei Eheschließungen wie bei Patenschaften selten überschritten wurden.
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Wilhelm ROTSCHEIDT, Pfarrer aus dem Geschlecht Lauffs. In: MRKG 24 (1930), S. 65 f., 125 und 253. LACKNER, Preußische Kirchenpolitik, S. 136. RAHE, Bischof Ross, S. 8. Vgl. die Aufführungen bei Willi DOVERN (Bearb.), Familienbuch der Evangelischen Kirchengemeinden in Jülich, 1611-1798, Frankfurt a. M. 1999.
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
Ein weiteres Beispiel für die Vielfältigkeit der Beziehungsgeflechte, die Pfarrer haben konnten, waren die familiären Beziehungen des Pastors Nicolaus Coenen von Otzenrath, der Sprach- und Landesgrenzen, jedoch keine Konfessionsgrenzen überschritt. Geboren 1725, hatte er in Duisburg und Bremen studiert und einen höheren Studienabschluss erlangt. Danach war er in Hünshoven und Otzenrath Pfarrer, bevor er auf eigenen Wunsch 1810 emeritiert wurde und im Februar 1815 im Alter von knapp 90 Jahren verstarb. Coenen war der Cousin von Anna Theresia von Auw, einer entfernten Verwandtschaft der Familie von Palandt, deren Mann Johan Matthias Kemmerling Maire in Gulpen bei Maastricht war, nachdem dieser dort nacheinander die Ämter des Friedensgerichtsschreibers und des Notars innegehabt hatte.63 Damit besaß Coenen zugleich verwandtschaftliche Kontakte bis an den Hof des niederländischen Erbstatthalters Wilhelm V., mit dem die Palandts und Auws verwandt waren. Kemmerlings Sohn wurde im Alter von gerade einmal 18 Jahren Sekretär bei der Munizipalverwaltung zu Heerlen, 1800 Notar und 1805 sogar Maire von Heerlen. Napoleon ernannte ihn 1808 zum Präsidenten der Assemblée Cantonale von Heerlen. Verheiratet war er mit Maria Elisabeth König, einer Verwandten des Pfarrers Arnold König in Lövenich. Kemmerling war entfernt mit Agneta Kämmerling verwandt und somit zugleich mit der Pastorenfamilie Lauffs. Nicolaus Coenens Sohn Martin war Pfarrer in Urmond, Sittard, Gement (ab 1791), Geldorp und Gendt bei Nijmegen, wo er 1835 verstarb. Seine Ausbildung hatte er unter anderem bei einem Studienkollegen des Vaters, Johannes Lauffs, erhalten, bevor er selbst die Duisburger Universität besuchte.64 Verheiratet war Martin Coenen mit seiner Großcousine Johanna Clara Wilmar, mit der er zahlreiche Kinder hatte. Mehrere Söhne ergriffen den väterlichen Beruf, die übrigen wurden Kaufleute; die Töchter heirateten in kaufmännische Familien ein. Martin Coenen war ein Schwager des Notars von Meerssen. Ein Schwager von Nicolaus Coenen war mit einer Tochter aus der Pfarrerfamilie Heymans aus Otzenrath verehelicht. 65 Deren gemeinsame Tochter Wilhelmina Magdalena von Auw heiratete am 20. Januar 1789 den Wevelinghovener Pfarrer Johann Wilhelm Trappen. Die Familie Coenen war sehr gut in die führenden Kreise vor allem der benachbarten Region Limburg eingebunden und verfügte über beste Kontakte in höchste weltliche Kreise. An ihrem Beispiel wird die enge verwandtschaftliche Bindung zwischen unteren Verwaltungs- und Justizbeamten einerseits und Pfarrern andererseits deutlich, die allerdings konfessionelle Grenzen nicht überschritt. 63 64 65
Peter BOCKMÜHL, Martin Coenen, Pastor in Wickrathberg, Grevenbicht, Roetgen, Sittard, Geldorp, Gendt, 1757-1842 : ein Lebensbild. In: MRKG 7 (1913), S. 48-52, hier: S. 50. Ebd., S. 48. Und damit wiederum mit Wilhelm Gottfried Roß verwandt.
2.2. Verflechtung
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Zuletzt soll noch ein Fall lutherischer Provenienz aufgeführt werden, um die soziale Einbindung von Pfarrern zu verdeutlichen. Das sicherlich eindrucksvollste Beispiel der wechselseitigen Bindungen zwischen Pfarrern und Bürgertum bildete die lutherische Familie Scheibler. Seit dem frühen 17. Jahrhundert waren Vertreter dieser Familie in der Grafschaft Mark anzutreffen, bereits 1654 wird ein Johannes Scheibler Pfarrer im bergischen Lennep und damit in rheinischen Gefilden. Aus ihr entstammten 24 Pfarrer und mindestens zwölf Töchter ehelichten ihrerseits wiederum Pfarrer. 66 Der Pfarrersohn Johann Heinrich Scheibler (1705-1765) ging bei dem weitläufig verwandten Tuchfabrikanten Offermann in die Lehre und heiratete 1723 dessen verwitwete Tochter mit gerade einmal 18 Jahren. Durch Produktionswechsel von grobem zu feinem Tuch wurden seine Stoffe in ganz Europa, von Spanien bis England und Böhmen, bekannt. Bei seinem Tode beschäftigte er 4.000 Arbeiter, seine Söhne weitere 2.000. Einer von ihnen, Bernhard Georg (1724-1786), wurde 1781 sogar vom pfälzischen Kurfürsten Karl Theodor nobilitiert, „eine Ehre, die nur ganz wenigen rheinischen Unternehmerfamilien zuteil wurde“.67 Die Familie Scheibler war mit der von der Mosel stammenden Unternehmerfamilie Böcking liiert. Ein Sprössling dieser Linie, Adolph Böcking, erwirkte in Kurtrier die Einführung beschränkter Toleranz.68 Der einzige Pfarrer Scheibler auf dem linken Rheinufer, Maximilian Friedrich Scheibler, heiratete Susanne Seitter, die Tochter des Tuchfabrikanten Johann Bartholomäus Seitter in Brünn (Böhmen). Er übernahm 1789 die Pfarrei in Monschau, in der seine Cousins, unter ihnen die Kinder von Bernhard Georg von Scheibler, als Tuchfabrikanten tätig waren. Die Heirat mit Kaufmannstöchtern war nicht selten: Der erwähnte Matthias Daubenspeck war seit 1783 mit Anna Margarethe Poensgen aus Kaldenkirchen verheiratet. Ein Sohn aus dieser Verbindung wurde Tabakfabrikant und heiratete seinerseits zu Beginn des 19. Jahrhunderts Johanna Christina Margarethe Hoesch aus einer bekannten und vermögenden rheinischen Unternehmerfamilie. Jonas Heilmann, Pfarrer in Krefeld, war mit Petronella Hoesch aus Moers verheiratet. Auch der aus dem Bergischen stammende Peter Neumann, Pfarrer in Kleve, hatte mit Johanna Wilhelmina Teschemacher die Tochter eines Elberfelder Kaufmanns geheiratet. Ein ebenfalls kaufmännischer Verwandter des Pfarrers
66 67 68
ENGELBRECHT, Ethik, S. 472. KELM, Lutherische Kirche, S. 836 f. führt allerdings nur 18 rheinische Pfarrer namentlich auf. ENGELBRECHT, Ethik, S. 473. Dokumente hierzu bei Joseph HANSEN (Hg.), Quellen zur Geschichte des Rheinlandes im Zeitalter der Französischen Revolution 1780-1801, 4 Bde., Bonn 1931-1938 (ND Düsseldorf 2003-2004) I, Nr. 8-15. zur Person und Tat Böckings vgl. Hermann van HAM, Adolph Böcking. Der erste Protestant im Erzstift Trier. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte des ausgehenden Kurstaates. In: MRKG 27 (1933), S. 48-56.
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
Karl Philipp Altgelt in Krefeld wurde als „materialist“ in Notariatsakten geführt.69 Die niederrheinischen Pfarrer waren durch enge Verwandtschaft untereinander und mit unteren und mittleren Verwaltungs- und Justizbeamten verbunden. Adlige Herkunft war selten, ermöglichte aber die Vernetzung bis in höchste Regierungskreise. Verwandtschaft war ein wichtiges Instrument zur Stabilisierung der Pfarrerschaft als Kollektiv. Konfession spielte dabei eine wichtige Rolle, denn die konfessionellen Grenzen wurden in der Regel nicht überschritten. Dass Kaufleute bei der sozialen Herkunft ebenfalls eine wichtige Rolle spielten, hing mit der diskriminierten Position von Protestanten in Jülich und Berg zusammen. Sie durften keine höheren öffentlichen Ämter übernehmen. Aus dieser Diskriminierung resultierte eine mangelnde gesellschaftliche Integration.70
2.3. Besatzungserfahrung Die erste Erfahrung mit der französischen Besatzung, nach fast dreißig Jahren Frieden, geschah noch vor dem eigentlichen Kontakt mit der Revolutionsarmee. Im September 1792 richten hannoveranische Truppen in der reformierten Kirche in Goch ein Lazarett ein.71 Mit dem Herannahen der französischen Truppen zog sich die preußische Landesverwaltung über den Rhein zunächst nach Wesel, dann nach Hamm zurück. Hinter dieser schlichten Formulierung steht allerdings ein demografisches Problem: Die Flucht der Regierung bedeutete zugleich den Fortzug preußischer Beamter, die überwiegend reformierter oder lutherischer Konfession waren. Die evangelischen Gemeinden am Niederrhein verloren dadurch Mitglieder. So bewirkte die Verminderung der französisch-reformierten Gemeinde in Kleve ihre 1803 beschlossene Selbstauflösung.72 In Geldern waren die beiden ohnehin relativ kleinen protestantischen Kirchengemeinden so schwer getroffen, dass sie sich 1808 zu einer einzigen Gemeinde vereinigten, um 69 70 71
72
Dieter HANGEBRUCH (Bearb.), Notariatsurkunden aus den Kanzleien Volkhard Heinrich Schmidt und Johann Nepomuk Courth, Krefeld 1994 (Krefelder Archiv; N.F., 3), Nr. 753. ENGELBRECHT, Ethik, S. 470. Vgl. auch Werner SOMBART, Der Bourgeois. Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen, Berlin 1987, S. 289-293. Berichte über das im September 1792 auf Anweisung des preußischen Königs eingerichtete Lazarett der Hannoveraner in der Gocher Kirche, AEKRD 4KG 055 Nr. 51, fol. 3-6. Vgl. hierzu Peter OETKEN, 300 Jahre Evangelische Kirche am Markt zu Goch, Goch 2000, S. 47. Parallele Vorgänge gab es in Alzey durch preußisches Militär, vgl. Wilhelm DIEHL, Baubuch für die evangelischen Pfarreien der Provinz Rheinhessen und die kurpfälzischen Pfarreien der Provinz Starkenburg, Darmstadt 1932 (Hassia sacra; 6), S. 10. ROSENKRANZ, Rheinland I, S. 316; Walther BÖSKEN, Die französische Gemeinde zu Cleve. In: MRKG 4 (1910), S. 161-191, hier: S. 185 ff.
2.3. Besatzungserfahrung
45
überhaupt einen einzigen Pfarrer unterhalten zu können. 73 Die dortige reformierte Gemeinde bestand im Jahr 1801 nur noch aus 75 Mitgliedern, was zugleich für jeden Pfarrer schwindende Gebühren für Taufen, Hochzeiten und Sterbefälle bedeutete und damit die Kandidaturbereitschaft schwächte. 74 In Moers schrumpfte die lutherische Gemeinde so stark, dass ihre Pfarrstelle seit 1796 nicht mehr besetzt werden konnte, weil das Gehalt so niedrig war.75 Ausgerechnet in diesen durch demografische Verluste geschwächten Gemeinden setzte die französische Besatzungsmacht die Verpflegung aus dem Lande selbst besonders durch. Als im Oktober 1794 die Franzosen einmarschierten, nahmen sie in Goch das reformierte Waisenhaus in Besitz und nutzten es fortan als Kaserne und Exerzierplatz, während die Kirche zum Pferdestall umgewandelt wurde. Eine Bitte von Pfarrer Heinrich Vielhaber an die Kommunalverwaltung um Rückgabe, da die Kirche aufgrund ihrer Holzverkleidung nicht als Pferdestall tauglich sei, blieb vorerst unbeantwortet.76 Als Strohspeicher diente die reformierte Kirche in Geldern im Winter 1794/95.77 Auch in Kleve,78 Moers79 und Kalkar80 wurden die Kirchen in den ersten Monaten der französischen Besatzung für verschiedene Zwecke verwendet. In Krefeld fielen die evangelischen Kirchen unmittelbar nach der Besetzung der Beschlagnahme anheim. Von Oktober 1794 bis Mai 1795 dienten die lutherische und die katholische Kirche als Heudepot.81 Pfarrer Jonas Heilmann bot seinem lutherischen Kollegen Johann Heinrich Nesselrath die zeitweilige Mitnutzung der Kirche an, verwahrte sich allerdings dagegen, dass das Abendmahl an den höchsten Feiertagen nach nicht-reformiertem Ritus ausgeteilt werden sollte. 82 Das Angebot dehnte Heilmann auch auf die mennonitische 73
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79 80 81 82
ROSENKRANZ, Rheinland I, S. 308 f.; Johann Friedrich Gerhard GOETERS, Neubegründung evangelischer Gemeinden in der Rheinprovinz während der Franzosenzeit. In: MEKGR 39 (1990), S. 19-35, S. 32-33; Protokoll Special-Comité Kleve reformiert vom 15./16.6.1808, § 8; MOHN, Krefeld, S. 229. Vgl. auch die ausführlichen Korrespondenzen des Generalpräsidenten Jacobi über diese Maßnahme in LANRWR Roerdepartement 224, v.a. fol. 22 ff. und 34 ff. Jakob IMIG, Die klevischen reformierten Gemeinden in der napoleonischen Zeit. In: Kalender für das Klever Land auf das Jahr 1977, S. 36-42, hier: S. 38 f. MÜLLER, Moers, S. 125. OETKEN, Evangelische Kirche, S. 48. ROSENKRANZ, Rheinland I, S. 308. ROSENKRANZ, Rheinland I, S. 316. Sowohl die reformierte als auch die lutherische Kirche dienten 1794/95 als Magazin, vgl. Gustav von VELSEN, Die Stadt Kleve, ihre nächste und entferntere Umgegend, vormals und jetzt: Mit besonderer Berücksichtigung des Alterthümlichen nebst der Mineralquelle im Thiergarten, Kleve/Leipzig 1846, S. 117 f. Otto OTTSEN, Die Geschichte der Stadt Moers, 3 Bde., Moers 1950 (ND 1977), S. 181-182. ROSENKRANZ, Rheinland I, S. 313. MOHN, Krefeld, S. 145. Jonas Heilmann hatte 1775 überregional Aufsehen erregt und sich den Vorwurf der Heterodoxie eingehandelt, vgl. ANONYM, E. v. Bruck: Etwas von dem Werth der Symbolen,
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
Gemeinde aus, als deren Kirche zum Magazin umgewandelt wurde.83 Nach einigen Monaten wurden die Kirchengebäude zurückgegeben. Allerdings unterbrach die Besatzungsmacht nochmals vom August 1798 bis März 1799 die kontinuierliche Nutzung der lutherischen Kirche, weil sie Stauraum benötigte. Diesmal boten die Mennoniten den Lutheranern Unterkunft an.84 Der gemeinsame äußere Druck zwang die Kirchengemeinden zur Kooperation und nicht unbedingt so sehr ein abgeschwächtes konfessionelle Bewusstsein. Dagegen spricht vor allem, dass Heilmann Nesselrath das Abendmahl nach nicht-reformiertem Ritus untersagte. Dass es sich bei der Zweckentfremdung von Kirchengebäuden um eine gezielt gegen Preußen gerichtete Maßnahme gehandelt hätte, kann nicht nachgewiesen werden. Manche nichtpreußischen Gemeinden, wie Hünshoven, hatten gar keine Kirche, sondern nur einen Teil des Predigerhauses für gottesdienstliche Verrichtungen.85 In anderen Gemeinden konnten hohe Festtage nicht wie üblich mit Abendmahl begangen werden, wie dies in Vluyn der Fall war.86 Französische Soldaten verursachten aus Fahrlässigkeit einen Großbrand in Mörmter, durch den das Schul-, Armen- und Gemeinshaus der kleinen reformierten Gemeinde zerstört wurde.87 Als Folge der Kampfhandlungen verfügten verschiedene lutherische wie reformierte Gemeinden nicht mehr über funktionsfähige Kirchen, wie in Jülich und Linnich. Die bisher heimlichen Gemeinden in Aachen und Köln besaßen gar keine festen Kirchen, sondern wurden von auswärtigen Predigern betreut.88 So stellte sich an vielen Orten, vor allem ehemals jülichschen und reichsstädtischen, gar nicht die Frage, evangelische Kirchen in Magazine umzuwandeln. So schlimm die Zweckentfremdung auch durch protestantische Gemeinden empfunden worden sein mag, es waren, allein durch die Größenverhältnisse bedingt, tendenziell eher katholische als reformierte oder lutherische Kirchen, die zweckentfremdet wurden. Seit Herbst 1794 waren massiv Truppen im Land einquartiert: Die Sambre-Maas-Armee überstieg mit ihrem Tross mühelos hunderttausend. 89 Außerdem erhoben die Besatzer von jedem Haushalt Kontributionen und
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88 89
zur Beförderung der Toleranz: Rezension. In: Allgemeine deutsche Bibliothek 33 (1778), 2, S. 600-602, hier: S. 600-601. MOHN, Krefeld, S. 148. MOHN, Krefeld, S. 171. ROSENKRANZ, Rheinland I, S. 293. Ebd., S. 462. Die Gebäudeversicherung zahlte zwar 350 Reichstaler Entschädigung, jedoch betrugen die Kosten für den Neubau aufgrund der Kriegssituation das Doppelte, vgl. MAST, Kreissynode Bd. I, Heft 8, S. 608. Die kleine Gemeinde wurde 1805 an die in Xanten angeschlossen, vgl. ROSENKRANZ, Rheinland I, S. 319. CHARLIER, Frechen, S. 255 f. Zur Frage der Verpflegung dieser Ende Juni 1794 errichteten Armee siehe WETZLER, War and Subsistence.
2.3. Besatzungserfahrung
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nahmen keine Rücksicht mehr darauf, ob zuvor eine Privilegierung bestanden hatte oder nicht. Unangenehm trat dabei hinzu, dass es gelegentlich zu einer zu hohen Veranschlagung bei Pfarrern kam.90 Die übrige Bevölkerung leistete zwar die Kontributionen, stellte allerdings parallel dazu mitunter weitere Zahlungen an Pfarrer ein. Ohne entsprechende Anweisung der Landesherrschaft konnte ferner die städtische Obrigkeit kein Gehalt auszahlen, so dass sich Pfarrer verschulden mussten, um ihre Kontribution aufbringen zu können. Der reformierte Prediger Heinrich Esch schrieb dem Moerser Magistrat über die seiner Meinung nach zu hohe Einschätzung: „Ob es billig und verhältnißmäßig sei, daß man von einem Prediger, der keine liegenden Gründe noch eigene Mittel hat, sondern allein von seiner Besoldung leben muß, 120 Livres zur Brandschatzung fordert, will ich gern von einem unparteiischen Richter entscheiden lassen. Himmelschreiend aber ist die Ungerechtigkeit, daß man diese Summe von mir fordert und sich gleichzeitig weigert, mir die längst fällig gewesenen Besoldungsgelder auszahlen zu lassen“.91
Esch legte wenig später sein Amt nieder und zog bei seinem Sohn, der in Vluyn Pfarrer war, ein. Hingegen beließ die Besatzungsverwaltung zunächst, im Gegensatz zu Innerfrankreich, das Kirchenwesen in seinem gegenwärtigen Bestand, wie dies die Volksrepräsentanten bei Beginn der Invasion auch verkündet hatten.92 Anordnungen betrafen das Kirchenwesen anfänglich nur indirekt, insofern sie mit dem Feudalsystem verbunden waren. Daraus resultierten zum Teil sehr hohe Einkommensverluste für die Pfarrer, die in Verbindung mit den ebenfalls zu leistenden Kontributionszahlungen93 und der galoppierenden Teuerung94 die materielle Existenz der Geistlichkeit ernsthaft bedrohten. Im elsässischen Departement Bas-Rhin betrugen die Gehaltsverluste zwischen 1789 und 1803 im Durchschnitt fast 53%.95 Größer waren die Einbußen mit über 66% hingegen im weiter nördlich gelegenen Donnersbergdepartement. Dies traf besonders die Landgeistlichen.96 Ein ähnliches Bild zeigten die Reformierten des Niederrheins. Im Bereich der späteren Konsistorialkirche Moers hatten die Pfarrer durchschnittlich 70% ihrer Vorkriegseinkünfte eingebüßt. Die 90 91 92 93 94 95
96
OTTSEN, Moers, S. 179-181. Ebd., S. 180. HANSEN, Quellen III; OTTSEN, Moers, S. 3 f.; MAST, Kreissynode, Bd. I, Heft 8, S. 589; STORKEBAUM, Fremdherrschaft, S. 62 und S. 64 f. RAHE, Bischof Ross, S. 77; MAST, Kreissynode, Bd. I, Heft 8, S. 592 ff.; OTTSEN, Moers, S. 179-181. MOHN, Krefeld, S. 151. Eine repräsentative Auswahl bei Marcel SCHEIDHAUER, Les églises luthériennes en France 1800-1815: Alsace, Montbeliard, Paris, Strasbourg 1975, S. 226. Dort heißt es unter anderem, die Einbußen seien „assez sensible“. Wilhelm DIEHL, Zur Geschichte der Staatsgehalte der rheinhessischen evangelischen Pfarreien, Darmstadt 1917, S. 15-27.
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wenigsten Verluste hatte der Budberger Pastor Wilhelm Gottfried Roß 97 mit 18,4%, die meisten der Moerser Pfarrer Heinrich Diergardt mit 88%.98 Johann Adam Wimmar Heymans in Hörstgen klagte über sein „Kuhhirtengehalt“, mit dem man ihn „abspeisen“ wolle. 99 Daubenspeck in Homberg verlor 73,5%, Rappard in Neukirchen 78% und Johann Peter Tönnes bezog von nur noch 14% der Einkünfte der Pfarrstellen.100 Dessen kränklichen Vorgänger Peter Gisbert Faber forderte seine Gemeinde Repelen nach 45 Dienstjahren zum Rücktritt auf und wollte ihm bloß eine kümmerliche Pension zugestehen. Pfarrer Roß fragte, wie „gefühllos“ eine Gemeinde sein könne, ihren verdienstvollen und langjährigen Prediger „mit einer solchen Nachtwächterpension abzuspeisen“? „Aber so sind die Bauern. Kyrie eleison!“101 Gegen einen Kompromissvorschlag sträubte sich die Gemeinde weiterhin. Erst als Präses Jonas Heilmann mit einem Interdikt drohte und künftige Pfarrerwahlen verweigerte, lenkte die Gemeinde ein und zahlte, allerdings nur noch einen Bruchteil, den dann Tönnes als reguläres Gehalt übernehmen musste. Aus dieser finanziellen Knappheit heraus sah Tönnes sich gezwungen, bereits zwei Jahre später die Gemeinde zu verlassen, um einen Ruf nach Neviges im Herzogtum Berg anzunehmen. Ähnlichen Streit mit seiner Gemeinde musste der Wassenberger Prediger Johann Christoph Vielhauer erleben, dem seine Gemeinde drei Monate vor seinem Tod das Gehalt streichen wollte, weil er seine Vertragsleistungen nicht mehr erfüllt hätte, die Vielhauer mit seiner schweren Erkrankung entschuldigte.102 Der Rheinberger Prediger Hermann Gempt verlor sogar sein Gehalt vollständig.103 Bei Gempt rührten die Verluste jedoch nicht von der Aufhebung der Zehnten oder der Beschlagnahme von Pfarrgütern her. Seine Gemeinde im 97
98 99 100 101 102
103
Roß musste wegen Fortfalls seiner Einkünfte Viehzucht betreiben. So Wilhelm ROTSCHEIDT, Bischof Roß. In: Rheinisch-Westfälisches Gustav-Adolf-Blatt 57,3 (1913), S. 33-42 und in seiner Folge Hans-Wilhelm RAHE, Wilhelm Johann Gottfried Roß: ein Pfarrer aus der Grafschaft Moers als Vermittler zwischen Rheinland-Westfalen und Preußen im 19. Jahrhundert. In: Heimatkalender des Kreises Wesel 9 (1988), S. 63-72. Eine jüngere Darstellung der Person des späteren Generalsuperintendenten Roß bei Hermann-Peter EBERLEIN, Wilhelm Johann Gottfried Roß (1772-1854). Bischof zwischen Budberg und Berlin. In: Joachim Conrad, Stefan Flesch, Nicole Kruopka, Thomas Martin Schneider (Hg.), Evangelisch am Rhein. Werden und Wesen einer Landeskirche, Düsseldorf 2007, S. 153-157. Auf S. 153 und 157 Bilder von ihm; ferner bei MAST, Kreissynode, Bd. I, Heft 8, S. 55. Zur Biographie vgl. auch die Skizze bei Walter GÖBELL, Die rheinisch-westfälische Kirchenordnung vom 5. März 1835, 2 Bde., Duisburg, 1948, S. 156-158. Auch RAHE, Bischof Ross. Vgl. auch MÜLLER, Moers, S. 123. RAHE, Bischof Ross, S. 95. MAST, Kreissynode, Bd. I, Heft 8, S. 10. Alles zitiert nach RAHE, Bischof Ross, S. 95. Andreas KNORR, Geschichte der evangelischen Gemeinde Wassenberg-Dalheim. Von den Anfängen im Jahr 1572 bis zum Jahr 1972. Mit einem Nachtrag 1972-1982, Wassenberg 1982, S. 90-99. MAST, Kreissynode, Bd. II, Heft 2, S. 66.
2.3. Besatzungserfahrung
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kurkölnischen Rheinberg gehörte zur niederländischen Klasse Arnheim. Weil die Gemeinde so arm gewesen war, hatte die Klasse Arnheim das Gehalt für den Pfarrer von Rheinberg übernommen, was ebenso bei einigen reformierten Gemeinden wie Roetgen (bei Stolberg) der Fall gewesen war.104 Waren die Zahlungen bereits durch die Besetzung ins Stocken geraten, so endeten sie vollends mit der Angliederung Rheinbergs an Frankreich durch den Friedensschluss von 1801. Gempt lebte bis 1805 ausschließlich auf Kredit.105 Ähnlich sah die Situation bei den lutherischen Geistlichen aus. Eine Übersicht aus dem Jahr 1803 zeigt, dass mehr als ein Drittel der lutherischen Pfarrer bedeutende Verluste an Einkünften hatte. Der lutherische Pfarrer von Kleve, Friedrich Wilhelm Offelsmeyer, büßte 81% seiner Einkünfte ein. Er fügte erklärend hinzu, dass zunächst die Feudalrenten entzogen worden seien und Ende 1802 die preußische Regierung mit ihren bisher kontinuierlich geleisteten Zahlungen aufhörte. 106 Das niedrige Gehalt war für den ehemaligen preußischen Feldprediger Offelsmeyer auch der Grund 1805 nach Westfalen zu wechseln.107 Von dort zog er sich einige Jahre später nach Potsdam zurück. Offelsmeyer spielte später in den Befreiungskriegen als antifranzösischer Prediger in Brandenburg eine zentrale Rolle.108 Die lutherische Gemeinde in Kleve klagte gegenüber dem Generalpräsidenten Jacobi in einer Bittschrift ihr Leid. Sie sei „verängstigt durch die fortdauernden Schläge des Schicksals der gewaltsamen Umkehrung aller vorhin bestandenen für uns so glücklich gewesenen Einrichtungen im eigentlichen Sinn des Worts – verwayst!“109 Die Gefährdung der materiellen Existenz musste jedoch nicht in allen Fällen zu einer antifranzösischen Stimmung beitragen, wie dies bei Offelsmeyer der Fall war. Umgekehrt gab es auch Fälle, in denen Pfarrer trotz Gehaltseinbußen der Umgestaltung der Verhältnisse zustimmen konnten, wie etwa bei dem prorevolutionären Stolberger Pfarrer Johannes Reisig.110 Es gab sowohl ländliche wie 104 105 106
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Eine Auflistung bei Johann Arnold von RECKLINGHAUSEN, Reformations-Geschichte I, S. 391-394. MAST, Kreissynode, Bd. II, Heft 2, S. 66. LANRWR Roerdepartement GAK Nr. 220 I, fol. 80. Vgl. hierzu auch Heinrich ENGELBERT, Das Aerarium ecclesiasticum der reformierten Kirchen in Kleve, Mark, Jülich und Berg. Eine Übersicht über seine geschichtliche Entwicklung, seine Verwaltung sowie seine Einnahmen und Ausgaben, Düsseldorf 1966 (SVRKG; 21), S. 142; vgl. IMIG, Die klevischen reformierten Gemeinden in der napoleonischen Zeit, S. 36-42. Laut VELSEN, Kleve, S. 126 diente er beim Regiment v. Eckartsberg in Wesel. Über die Bedeutung und Rolle von Feldpredigern in Preußen vgl. MASCHKE, Absolutely Pietist, S. 69-92. Vgl. Gerhard GRAF, Gottesbild und Politik: eine Studie zur Frömmigkeit in Preußen während der Befreiungskriege 1813-1815, Göttingen 1993 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte; 52). LANRWR Roerdepartement 231, fol. 3. Reisig büßte etwas mehr als ein Fünftel seines Gehalts ein, vgl. die Auflistungen in LANRWR Roerdepartement GAK Nr. 220 I.
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
städtische Gemeinden, in denen die Pfarrer keine Verluste erlitten, wie etwa in Menzerath oder in Krefeld, wo Johann Heinrich Nesselrath amtierte.111 Einige Kirchengemeinden erklärten sich sogar bereit, ihren Pfarrern mehr Besoldung zu zahlen. 112 Demnach trafen Besoldungsverluste meist die Pfarrer, deren Dienstemolumente eng mit dem alten Feudalsystem verbunden waren, während kleinere Gemeinden eher dazu bereit waren, ihre Pfarrer finanziell stärker zu unterstützen als bisher. Einen Pfarrer zu „besitzen“, galt als Prestigefrage.113 Den Verlust des Status als Pfarrei bezeichnete beispielsweise Johann Friedrich Jacobi als einen „vor Gott und [der] Welt […] großen Schandfleck“.114 Von der in Frankreich teilweise massiven Entchristlichung, der déchristianisation, blieben die Rheinlande verschont.115 Zwar hatten einige örtliche Militärs während der Einquartierungen zeitweilig das Läuten der Kirchenglocken untersagt, 116 doch war das kirchliche Leben insgesamt zunächst weitgehend ungehindert weitergegangen. Das lag einerseits daran, dass die schlimmsten Folgen einer Zurückdrängung der christlichen Kirchen aus dem öffentlichen Raum bereits abebbten, als die Rheinlande erobert wurden. Andererseits bestand ab Februar 1795 ein System der Trennung von Staat und Kirche in Frankreich.117 Der Nationalkonvent hatte verfügt, dass die Republik weder Geistliche irgendeiner Konfession besoldete, noch ihnen Räumlichkeiten für Gottesdienst oder Unterkunft bereitstellte. Religiöse Zeremonien durften nur noch innerhalb der Kirchen stattfinden. Es war Geistlichen verboten, öffentlich in ihrer Amtstracht zu erscheinen.118 In der Öffentlichkeit angebrachte religiöse Symbole mussten
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Ebd. So in Düren und in den 1803 zusammen versehenen Gemeinden Pfalzdorf, Goch und Kalkar, vgl. ebd. Freimut HEIDERICH, Geschichte der evangelischen Kirche im oldenburgischen Fürstentum und Landesteil Birkenfeld: Organisation und Verwaltung von 1871 bis zum Ende der Birkenfelder Landeskirche 1934, Birkenfeld 1998 (SAEKR; 19) (MVHLB, Sonderheft; 63), S. 42-43. AEKRD 3MB 003 Nr. C-150, „Anmerkungen zu der Rechnung von 1812 von Zweyfall“ durch Jacobi, 30.7.1813. Zu den mentalen Folgen der Entkirchlichung siehe Michelle VOVELLE, Religion et révolution. La déchristianisation de l'an II, Paris 1976 (Le temps et les hommes). Vgl. auch die Darstellung der Vorgänge in Frankreich bei Bernard PLONGERON, Eine Revolutionsregierung gegen das Christentum (1793-1795). In: Ders. (Hg.), Aufklärung, Revolution, Restauration (1750-1830), Freiburg [u.a.] 2000 (Die Geschichte des Christentums: Religion, Politik, Kultur; 10), S. 369-430. MOHN, Krefeld, S. 145. Eine zeitgenössische Übersetzung des Dekrets vom 3. Ventôse III (21.02.1795) aus der Zeitung „Aachener Zuschauer“ ist abgedruckt bei HANSEN, Quellen, III, Nr. 126, S. 400-401. STORKEBAUM, Fremdherrschaft, S. 61. Vgl. auch STORKEBAUM, Fremdherrschaft, S. 63.
2.3. Besatzungserfahrung
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entfernt werden.119 Die Republik bot den Geistlichen nur dort Schutz, wo unmittelbar die Religionsausübung behindert wurde. Trotz dieser sehr einschneidenden Maßregeln sorgte das System einer Trennung von Staat und Kirche für eine gewisse gesellschaftliche Stabilisierung, insbesondere nach der terreur und ihrer öffentlich propagierten déchristianisation. Es war nun ein modus vivendi für beide Seiten geschaffen worden.120 Da die Pariser Regierungen die Rheinlande allerdings zunächst als zeitlich befristetes Besatzungsgebiet ansahen, erfolgte keine systematische Umsetzung des entsprechenden Dekrets zur Trennung von Staat und Kirchen. Ferner standen die Rheinlande von Ende 1797 an unter einem besonderen Besatzungsstatut, das die zwar de facto, aber nicht de jure annektierten Gebiete vor der vollständigen Umsetzung der in Frankreich gültigen Rechtslage schützte. Mit der Assimilierung des Rechts beauftragte das Direktorium den Generalkommissar François Joseph Rudler.121 Er teilte das westliche Rheinufer in die Departements Roer (mit Amtssitz in Aachen), Rhein-Mosel (Koblenz), Saar (Trier) und Donnersberg (Mainz), die rheinischen Departements, ein. Die Einrichtung des Generalkommissariats bestand bis zum September 1802, als die nunmehr auch völkerrechtlich anerkannte Angliederung des linken Rheinufers vollzogen wurde. Eine wichtige Veränderung folgte diesem Schritt im Zusammenhang mit der Umsetzung der französischen Gesetzgebung in den rheinischen Departements. Volksrepräsentant Frécine führte am 14./16. Januar 1795 für die eroberten Lande zwischen Maas und Rhein die zunächst fakultative Zivilehe ein. 122 Sie wurde allerdings von der einheimischen Bevölkerung kaum genutzt, in der Regel nur bei Ehen zwischen Soldaten und Rheinländerinnen.123 Am 1. Mai 1798 (12. Floréal VI) publizierte Generalkommissar Rudler das französische Gesetz von 1792 für die rheinischen Departements, nachdem die Kölner Munizipalität und die Aachener Zentralverwaltung beim Generalkommissar darum gebeten hatten. Damit wurden die Zivilehe und der Zivilstand als solcher obligatorisch.124 Die Ausführungsbestimmungen ließen allerdings noch mehrere Monate auf sich
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Über die bei der mehrheitlich katholischen Bevölkerung auftretenden Unruhen beispielsweise Leo SELS, Die Franzosenzeit. In: Ders., Josef Gaspers (Hrsg.), Geschichte der Stadt Erkelenz, Erkelenz 1926, S. 51-70, hier: S. 65 f. Zu den Auswirkungen des Regimes vgl. André LATREILLE, L'église catholique et la Révolution française, 2 Bde., Paris 1970 (Foi vivante; 131 und 132). Auch Bernard PLONGERON, Des Résistances religieuses à Napoléon (1799-1813), Paris 2006 (Mémoire Chrétienne au présent). Text des Ernennungsdekrets bei HANSEN, Quellen, IV, Nr. 55, S. 300-302. HANSEN, Quellen, III, S. 351, Anm. 2. Ebd., S. 794 ff. Systematische Studien zu dieser Art der „sozialen Integration“ stehen noch aus. Ebd., IV, S. 829.
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
warten.125 Erst seit August 1798 wurden die Pfarrer aufgefordert, die Kirchenbücher ihrer jeweiligen Munizipalität einzureichen. Gleichzeitig wurde ihnen untersagt, separate Register ihrer Kirchengemeinden weiterzuführen. Das Verbot entstand aus dem Bewusstsein des Individuums, wie es in der frühen Revolutionszeit auch in der Loi Chapelier126 deutlich wurde: Neben dem Staat sollte keine weitere eigenständige Körperschaft existieren. Das Registrierverbot wurde erst 1804 aufgehoben. Dennoch hatten Geistliche, unabhängig von ihrer Konfession, zu diesem Zeitpunkt ihre Funktion als zentrale personenstandliche Registratoren eingebüßt. Die Kirchenbücher dienten als Grundlage für die neu entstehenden Zivilstandsregister, beispielsweise als Nachweise bei der Ausstellung von Geburtsoder Trauungsurkunden. Von Seiten des katholischen Klerus gab es einigen Widerstand, auch die Bevölkerung stand der Einführung des Zivilstandes zunächst distanziert gegenüber. Sie fand sich aber schließlich damit ab, als sich erwies, dass der Staat die kirchliche Trauung als solche nicht abschaffen wollte.127 Die protestantischen Pfarrer, sowohl lutherische wie reformierte, bemühten sich, innerhalb der ihnen gesetzten Abgabefrist die Kirchenbücher wenigstens der letzten Jahre abzuschreiben, um so eine gleichwertige Kopie zu besitzen, wie Heilmann und Nesselrath in Krefeld sowie Friedlieb Wilsing in Süchteln.128 Folgen hatte der neu eingeführte obligatorische Zivilstand für das Verhältnis von Pfarrer und Gemeindegliedern. Etwa ein Jahrzehnt nach dessen Einführung erläuterte Konsistorialpräsident Nikolaus Leonhard Heilmann dem Krefelder Maire die Auswirkungen des Zivilstandes: „Ich muß allerdings feststellen, daß die Taufregister nicht alle Kinder enthalten, die in meiner Gemeinde geboren worden sind. Zahlreiche Eltern lassen ihre Kinder erst 2-6 Monate nach der Geburt taufen, und es gibt einige, die ihre Kinder 125
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MOHN, Krefeld, S. 171; Andreas BECKER, Funktionaler Laizismus? Die Protestantische Kirchenpolitik der napoleonischen Staaten im Vergleich: Frankreich, des Großherzogtums Berg und das Königreich Westphalen. In: Veit Veltzke (Hg.), Napoleon. Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser, Köln 2007, S. 325-340, hier: S. 326. Dieses Gesetz besagte das Verbot von Zusammenschlüssen von Individuen zu eigenständigen Körperschaften. Im 19. Jahrhundert fielen darunter auch jahrzehntelang Gewerkschaften und Parteien, vgl. Hans Peter BULL, „Freiheit der Arbeit“ als Unterdrückung der Koalitionsfreiheit: die loi Le Chapelier von 1791 und ihre Folgen. In: Staat - Wirtschaft - Gemeinde: Festschrift für Werner Frotscher zum 70. Geburtstag, Berlin 2007 (Schriften zum öffentlichen Recht; 1069), S. 129-143. Max BRAUBACH, Vom Westfälischen Frieden bis zur Französischen Revolution, München 1976 (Handbuch der deutschen Geschichte; 10), S. 335; BECKER, Funktionaler Laizismus, S. 326. So etwa in Krefeld, wo der lutherische Pfarrer Heilmann die Herausgabe zunächst unter Hinweis auf traditionelle rechtliche Bestimmungen verweigerte, die Abgabe jedoch binnen drei Tagen versprach. In Süchteln hatten der reformierte Pfarrer Wilsing und der Schulmeister eine Abschrift angefertigt, vgl. MOHN, Krefeld, S. 171. Ähnlich in Randerath, vgl. Kirchenbuch Randerath, 391/1, 1770-1840, fol. 25.
2.3. Besatzungserfahrung
53
erst bei der Ablegung des Glaubensbekenntnisses [d.h. der Konfirmation] taufen lassen. Unter dem alten Regime war man gezwungen, die Geburten in Register einzutragen, die der Pastor oder, wie in meiner Gemeinde, der Schulmeister führte. Seit dieses Register bei dem Bürgermeister geführt wird, teilt man uns nur noch die Kinder mit, die getauft werden sollen“.129
Pfarrer spürten die Folgen infolge der Kasualien denn auch in der eigenen Tasche: Wenn weniger Kinder getauft werden sollten, erhielt der Pfarrer entsprechend weniger Gebühren. Durch die freiwillige Registratur verloren die Pfarrer den Zugriff auf die persönlichen Daten der Pfarrkinder und damit auch auf deren Sozialleben. Ohne Registratur auf dem Pfarramt kannte der Pfarrer nicht mehr das soziale Umfeld der von ihm betreuten Menschen, wie etwa Verwandtschaftsverhältnisse oder Patenschaften. Das Verhältnis von Pfarrer und Gemeinde wandelte sich eher in eine Art Dienstleistung, als dass es eine seelsorgerische Verbindung blieb.130 Da auch der Zwang zum regelmäßigen Gottesdienstbesuch weggefallen war, leerten sich Kirchen spürbar, wenn man zeitgenössischen Berichten Glauben schenken darf.131 In Folge der nun üblich gewordenen förmlichen Besoldungsakkorde 132 wurde den Pfarrern die neue Situation von ihren Gemeinden sehr deutlich gemacht. So schrieb der reformierte Homberger Pfarrer Matthias Daubenspeck133 im September 1801, „daß ein großer Theil der Gemeinden ihre Religionslehrer als ihre Knechte ansieht, denen sie alles zuzumuthen zu dürfen glauben; denen sie alles, auch das Unvernünftigste glauben befehlen zu dürfen; denen sie wenige Achtung bezeigen; von denen sie sich nicht ermahnen und erinnern laßen“.134 Diese Situation war neu: Die Gemeindemitglieder stellten in bisher nicht ge129 130 131
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Zit. n. MOHN, Krefeld, S. 172. Ebd., S. 172. Johann Friedrich Jacobi schrieb 1808: „Das Kirchenbesuchen, die Abendmahlsfeyer und die häuslichen Religionsübungen sind bey den Protestanten keine Zwangspflichten: aus innerm Trieb sollen sie religiös seyn, nicht es blos scheinen. Gott richtet das Herz, und d a r u m soll die Gewissensfreyheit auf keine Weise eingeschränkt seyn.“ Johann Friedrich JACOBI, Ueber Bildung, Lehre und Wandel protestantischer Religionslehrer, Frankfurt a. M. 1808, S. 77 Eine Tendenz, die bereits vor der „Franzosenzeit“ begonnen hatte, vgl. Walter SCHEIBLER, Geschichte der Evangelischen Gemeinde Monschau 1520-1939, Aachen 1939 (ND 1998), S. 253-254; vgl. die abgedruckten Akkorde für die Gemeinde Kirschseiffen bei HERMANN, Hirt und Herde, S. 20-22, 25 und 53. Beispiele für einen Besoldungsakkord etwa für Pfarrer Felderhoff in Zweifall siehe das Besoldungsangebot der Gemeinde Zweifall vom 5. Juli 1807. AEKRD 3MB 003 C-196 und für die Gemeinde Kirschseiffen AEKRD 3MB 003 C-124, Entwurf vom 16.12.1809. Auch MAST, Kreissynode, Bd. I, Heft 8, S. 634-636. Ein Bild Daubenspecks bei MAST, Kreissynode, Bd. II, Heft 2, S. 56. Wilhelm ROTSCHEIDT, „Wie kann die Verbeßerung des Gottesdienstes am zweckmäßigsten erwirkt werden?“: eine Antwort aus der Zeit der Fremdherrschaft (1801). In: MRKG 4 (1910), S. 301-313, hier: S. 305.
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kanntem Umfang Forderungen an ihre geistlichen Vorsteher und beharrten auf der Einhaltung der durch die Unterzeichnung des Besoldungsakkords eingegangenen Verpflichtungen, auch der später abgeschafften Feiertage. Erst im Frühsommer 1798 ordnete Generalkommissar Rudler die Umsetzung des Gesetzes vom 3. Ventôse III (21. Februar 1795) an. Entsprechend verkündete die Aachener Zentralverwaltung für das neu geschaffene Roerdepartement am 27. Juni 1798 (9. Messidor VI), dass alle religiösen Zeremonien in der Öffentlichkeit nunmehr untersagt seien.135 Dies führte zu Unruhe insbesondere bei der katholischen Bevölkerung, Laien wie Geistlichen, die nun keine Prozessionen und öffentliche Bittgänge mehr praktizieren konnten.136 Insgesamt war hiervon deutlich stärker die katholische Konfession betroffen.137 Möglicherweise war es gerade diese, das traditionelle Kirchenwesen einschränkende Bestimmung, die in Verbindung mit dem Bauernaufstand in Luxemburg zu den Ausschreitungen im Großraum Linnich im Herbst 1798 führte.138 Doch auch für die protestantischen Pfarrer bedeutete das Verbot, nicht mehr in der geistlichen Tracht in der Öffentlichkeit erscheinen zu dürfen, durchaus einen Einschnitt: Denn damit wurden religiöse Handlungen, wie das feierliche Begräbnis, aus dem öffentlichen Raum entfernt und somit privatisiert. Auch das Halten von Grabreden, eine typisch protestantische Erscheinung,139 untersagte die Regierung. Dabei war es bis dahin üblich gewesen, dass die Leichenpredigt gedruckt und der Verkaufserlös an Bedürftige verteilt wurde. 140 Bezeichnenderweise tauchten sie nach 1804, nachdem diese Predigtgattung wieder zugelassen worden war, erneut auf und wurden abermals für die Armenfürsorge verwendet.141 Wenige Tage später folgte die Anweisung, Symbole der alten Lehnsherrschaft ebenso zu entfernen wie kultische Zeichen, womit Artikel VII des Gesetzes über
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MOHN, Krefeld, S. 165 f.; Alois NIEßNER, Zwanzig Jahre Franzosenherrschaft am Niederrhein, 1794-1814, Aachen 1907, S. 101. CARDAUNS, Schnorrenberg, S. 169. MOLITOR, Untertan, S. 208. Timothy C.W. BLANNING, The French Revolution in Germany. Occupation and Resistance in the Rhineland 1792-1802, Oxford 1983, S. 297. Zu Leichenpredigten vgl. Rudolf LENZ, De mortuis nil nisi bene? Leichenpredigten als multidisziplinäre Quelle unter besonderer Berücksichtigung der historischen Familienforschung, der Bildungsgeschichte und der Literaturgeschichte, Sigmaringen 1990 (Marburger Personalschriften-Forschungen; 10). SCHEIBLER, Monschau, S. 125 u. S. 129. Der Druck von Predigten war weiterhin üblich, etwa an bestimmten Anlässen wie der Antrittspredigt (z.B. van Alpen 1799) oder den Predigten anlässlich von Kirchweihen wie in Köln 1802 (Wilsing und Scheibler 1802) oder der Druck der Reden bei der Einführung des gemeinschaftlichen Gesangbuchs in Stolberg (van Alpen und Reisig). SCHEIBLER, Monschau, S. 128.
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die Trennung von Staat und Kirche Folge geleistet wurde.142 Die protestantischen Gemeinden zögerten nicht, die Anordnung auf eigene Kosten durchzusetzen wie in Krefeld oder in Monschau.143 Letztlich stellten die Maßnahmen der abgeschwächten und verzögerten déchristianisation die katholische Bevölkerung der evangelischen gleich und nicht umgekehrt. Hansgeorg Molitor geht im Anschluss an Brigitte Duda davon aus, dass die revolutionäre Besatzungsmacht mit Protestanten einfacher umgehen konnte, denn: „Die Bestimmungen gegen Prozessionen und kirchliche Begräbnisse, die das katholische Volk so erregten, waren für die protestantischen Kirchen nicht gleich bedeutsam“.144 Hingegen differenziert Timothy Blanning diese allgemeine Aussage, indem er die Bedeutung des vorrevolutionären sozialen, wirtschaftlichen und politischen Status für die Wahrnehmung der französischen Besatzung hervorhebt. 145 Ähnlich nimmt Erich Schunk an, dass die Grundhaltung von Geistlichen vor allem durch bestehende lokale Machtverhältnisse geprägt war und der Durchsetzungsfähigkeit der Betroffenen.146 Zusammenfassend erklärt Horst Carl, dass die Frage nach der konfessionellen Perspektive der Besatzung in der Forschung strittig sei.147 Es kann nicht als Beleg gewertet werden, dass die „protestantische Minderheiten im Rheinland gelegentlich eine größere Affinität zur Besatzungsmacht zeigten“. Zum einen nivellierte die „kirchenfeindliche Ausrichtung der Revolutionäre konfessionelle Unterschiede“.148 In einigen Gebieten, wie etwa in der Eifel, lebte zudem die lutherische Minderheit in enger Verbindung mit der katholischen Mehrheit und teilte auch gewisse Bräuche.149 142 143 144 145
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HANSEN, Quellen, IV, S. 653-655 und speziell S. 846. Das Beispiel Erkelenz bei SELS, Erkelenz, S. 65. Für Monschau siehe SCHEIBLER, Monschau, S. 120-122; für Krefeld vgl. MOHN, Krefeld, S. 167 f. MOLITOR, Untertan, S. 208; vgl. DUDA, Organisation, S. 22-26. BLANNING, French Revolution, S. 245-246. Vgl. auch Thomas R. KRAUS, Auf dem Weg in die Moderne. Aachen in französischer Zeit 1792/93, 1794-1814. Handbuch-Katalog zur Ausstellung im „Krönungssaal“ des Aachener Rathauses vom 14. Januar bis zum 5. März 1995, Aachen 1994 (Beihefte der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins; 4), S. 38, 43. SCHUNK, Pfälzischer Protestantismus, S. 236 ff. Horst CARL, Französische Besatzungsherrschaft im Alten Reich. Völkerrechtliche, verwaltungs- und erfahrungsgeschichtliche Kontinuitätslinien französischer Okkupationen am Niederrhein im 17. und 18. Jahrhundert. In: Francia 23, 1996 (1997), S. 33-64, hier: S. 61. Ebd. So führt Hermann für die Eifelgemeinde Kirschseiffen die Auffassung der katholischen Kirmes als Volksfest, das Tageszeiten-Läuten und das Umwickeln des Schlägels um Gründonnerstag herum als Ausprägungen lutherisch-katholischen Zusammenlebens. Andererseits beanspruchte der katholische Pastor von Lutheranern die Zahlung von Taufund Kopulations-Kasualien, die in der Franzosenzeit versandet seien. HERMANN, Hirt und Herde, S. 20-21. Solche Ansprüche waren auch in der Besatzungszeit üblich: So verpachtete der katholische Pastor Arntz aus Düsselward Güter der reformierten Gemeinde Keeken. Die auf französisch, deutsch und niederländisch geführte Korrespondenz hierzu vgl. LANRWR Lande zwischen Maas und Rhein 2421, fol. 1-19.
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
Hingegen meint Alfred Minke, dass sich die konfessionellen Beziehungen durch die kirchenfeindlichen Maßnahmen verschlechtert hätten.150 Wie deutlich sich die Situation zwischen den Konfessionen zuspitzte, zeigen die Ausläufer des Klöppelkrieges vom Spätherbst 1798. Im Großraum Linnich kam es zu Ausschreitungen, die konfessionellen Charakter annahmen.151 An den Häusern reformierter Einwohner in Jüchen waren höhnische und drohende Plakate aufgehängt worden. In Lövenich und in Teveren152 hatten Unbekannte die Fenster der dortigen reformierten Kirchen eingeworfen. Ein Munizipalagent der Gemeinde Neukirchen, der dem protestantischen Bekenntnis anhing, wurde durch katholische Mitbürger eingeschüchtert. In Waldniel wurde während einer Messe ein Stein durch ein Fenster einer katholischen Kirche geworfen, woraufhin es zu antiprotestantischen Ausschreitungen kam. Es stellte sich bei der folgenden Untersuchung allerdings heraus, dass es ein katholischer agent provocateur gewesen war, der den Stein geworfen hatte. Dazu passt die Tatsache, dass gerade Ende 1798 und im Krisenjahr 1799 sich Beschwerden über katholische Priester häuften, die das Volk aufwiegelten. In Köln wurde über längere Zeit hinweg Erde vom protestantischen Friedhof des Nachts gestohlen, so dass die Leichen „in kurzem ganz blos dastehen würden“. 153 Am pietätlosesten ging es in Linnich selbst zu, wo mit dem reformierten Pfarrer Höfer erstmalig ein protestantischer Bürgermeister amtierte. Dieser leitete den Wiederaufbau der durch die österreichischen Verteidiger 1794 zerstörten Stadt. In Linnich hatten Unbekannte, denen man behördlicherseits die katholische Konfession unterstellte, eine Reihe von Särgen des reformierten Friedhofes ausgegraben und die Leichenteile verstreut.154 150
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Alfred MINKE, Religion, Revolution und Konterrevolution in Belgien und den Rheinlanden. In: Bernard Plongeron (Hg.), Aufklärung, Revolution, Restauration (1750-1830), Freiburg [u.a.] 2000 (Die Geschichte des Christentums: Religion, Politik, Kultur; 10), S. 437-443, hier: S. 443. Für die folgenden Fälle vgl. HANSEN, Quellen, IV, S. 962, Anm. 1 und BLANNING, French Revolution, S. 245. Zu Priesterverfolgungen in diesem Zusammenhang siehe Thomas R. KRAUS, Die französische Kirchenpolitik und das katholische Rheinland. In: Veit Veltzke (Hg.), Napoleon. Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser, Köln [u.a.] 2007, S. 269-290, hier: S. 273. Dort auch weitere Literatur. Organisatorisch gehörte Teveren als Filial zur reformierten Pfarrei Hünshoven. Jakob TORSY, Geschichte des Bistums Aachen während der französischen Zeit (1802-1814), Bonn 1940, S. 45. Ausführlich hierzu Justus HASHAGEN, Das Rheinland und die französische Herrschaft, S. 273 ff. Wie kritisch die französische Regierung die Situation 1799 einschätzte, zeigt ihre Überreaktion auf die regelmäßigen Treffen überwiegend protestantischer Pfarrer zum geselligen Beisammensein in Martinstein (Rhein-Mosel-Departement). Vgl. Heinrich ENGELBERT, Aus den evangelischen Gemeinden des Rhein-MoselDepartements unter der französischen Verwaltung 1797/98 bis zur Durchführung der Organischen Artikel von 1802. In: MRKG NF 9 (1960), S. 7-21, 48-54, 65-73, 139-158, 187-192. Zum Fall Köln siehe HAStK 350, Nr. 1780, fol. 2, Johann Gottfried Spies-„Herr Peuschen“, 6. Frimaire VII (26.11.1798). BERS, Freiheit, S. 33.
2.3. Besatzungserfahrung
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Der „Linnicher Munizipalagent“ hat im unmittelbaren Auftrag des Justizministers Lambrecht eine Untersuchung durchgeführt,155 woraufhin sich ergeben haben soll, dass in Linnich rund 400 Personen zu einer „Association Protectrice de la Foi Catholique“ existiere, der in der gesamten Region 30.000 Katholiken angehörten. 156 Dass ausgerechnet der ehemalige Kleriker und überzeugte Republikaner Anton Joseph Dorsch ihre Existenz für bare Münze nahm und das Schlimmste von ihr erwartete, macht die eminente Bedeutung von Gerüchten deutlich.157 War zuvor nie von einer solchen katholischen Verbindung die Rede, so taucht sie im Zuge einer Untersuchung plötzlich im Krisenjahr 1799 als wahre Massenorganisation auf. Rückgriff auf staatliche Stellen oder geistliche Synoden konnten Pfarrer nicht mehr nehmen. Die neue Regierung war nicht bereit wie früher, den „Urtheilen und Aussprüchen [von Pfarrern] sogar Krafft [zu] geben, ohne sich darum bekümmern zu dürfen, ob recht oder unrecht geurtheilt war“.158 Möglicherweise war es gerade diese Erkenntnis, die einige Pfarrer dazu brachte, sich politisch zu betätigen, um Einfluss zu bewahren. In den Konstitutionellen Zirkeln, die meist im Sinne einer Angliederung an Frankreich agitierten, waren Pfarrer zwar nicht en masse vertreten, aber es gab sie dennoch.159 In der früheren Reichsstadt Aachen gehörte zwar der lutherische Pfarrer Dr. Johannes Reisig aus dem etwa zehn Kilometer entfernten Stolberg dem Zirkel an, nicht aber dessen Aachener Amtskollegen Johann Peter Grünewald und Karl Wilhelm Vetter. Reisig unterstützte die Anschlussbestrebungen durch Zeitungsartikel.160 Zahlreiche solcher Zirkel rekrutierten sich gerade aus den Schichten, mit denen Pfarrer am häufigsten verwandt waren.161 Auch die aus der Arbeit der Zirkel resultierenden Reunionsadressen zeigen, dass immer wieder protestantische Pfarrer zu denjenigen zählten, die eine Angliederung an Frankreich unterstützten. So zählten neben dem späteren Konsistorialpräsidenten Johannes Reisig auch noch die nachmaligen Krefelder Konsistorialpräsidenten Johann Heinrich Nesselrath und Nikolaus Leonhard Heilmann ausdrücklich zu den Unterzeichnern.162 155 156 157 158 159
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HASHAGEN, Das Rheinland und die französische Herrschaft, S. 151-152, Anm. 3. Ebd., S. 153. Ebd., S. 153, Anm. 4. Ebd. Zu den konstitutionellen Zirkeln vgl. Manfred WÜSTEMEYER, Jakobinertum und Bonapartismus an Rhein und Weser. In: Veit Veltzke (Hg.), Napoleon. Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser, Köln [u.a.] 2007, S. 113-133, hier: S. 119-122; Axel KUHN, Jakobiner im Rheinland. Der Kölner konstitutionelle Zirkel von 1798, Stuttgart 1976 (Stuttgarter Beiträge zur Geschichte und Politik; 10). HANSEN, Quellen, IV, S. 539. WÜSTEMEYER, Jakobinertum, S. 119. HANSEN, Quellen, IV, S. 689.
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Nach der Verwaltungsreform von 1798 übernahmen Pfarrer neben ihren geistlichen Ämtern auch weltliche Tätigkeiten. So saß Johannes Lauffs im Gemeinderat von Schwanenberg, 163 während Johann Heinrich Diergardt im Moerser Stadtrat saß.164 Lauffs Mitpate bei den Kindern von Arnold König und Diergardts Freund Johann Heinrich Höfer hatte gar das Amt des Munizipalpräsidenten und unter Napoleon des Maires übernommen.165 In dieser Funktion konnte Höfer den Wiederaufbau des Ortes leiten. Für die Stadt waren protestantische Pfarrer als Gemeindevorstand etwas Besonderes: Im kurpfälzischen Linnich war es Protestanten aus konfessionellen Gründen bis zur französischen Besetzung untersagt, politische Ämter zu führen. Kurz nachdem die letzte Jülicher Synode dort getagt hatte, 166 war der Ort von österreichischen Truppen niedergebrannt worden, um einen französischen Rurübergang zu verhindern. Höfer gehörte zu den ersten Protestanten, die politische Verantwortung bewusst übernahmen. Anlässlich der Pflanzung eines Freiheitsbaumes im Frühjahr 1799 zeigte Höfer Verständnis für die Angst vor dem Neuen. Er machte aber auch die konstitutive Rolle der Religion für das Selbstverständnis der Bevölkerung deutlich: „Aber nicht wahr, meine Mitbürger! Bei den Freuden, die ihr an diesem Feste fühlt, mischt sich ein ängstlicher Gedanke mit ein? Der Gedanke, daß vielleicht so wie dieser Baum blühen und seine Früchte bringen wird, eure Religion, euer Trost im Leben und im Tode verblühen, und zu Grunde gehen wird? O Bürger! Hätten wir Ursache so was zu befürchten, dürften wir der Französischen Nation solche menschenfeindliche Absichten zumuthen? – Wahrlich! Dann würde ich mich schämen, ein französischer Patriot gewesen zu sein, aber nein, Bürger, ich selbst bin Diener der Religion, die keinem unter euch heiliger sein kann als mir, aber ich zittre nicht. Die französische Nation ist nicht Feindin, nein! Sie ist Freundin aller Religionen, nicht blos ausschließlich der christlichen allein, nein! Auch der, zur Schande der Menschheit, nur allzu lange verachtete Saame Abrahams wird wieder anerkannt! Nur Bosheit und Verleumdung konnte der großmüthigsten Nation der Erde absichtliche Untergrabung der Religion andichten. – Ihre, in Gegenwart des höchsten Wesens entworfene Konstitution – jenes ewig schätzbare Heiligtum – sichert es uns nicht, so wie die vor und nach ergangenen Beschlüsse, Religionsund Gewissensfreiheit zu? Drohet nicht das Gesetz schwere Strafen dem, der es wagen würde, irgend einen Gottesdienst oder Religionsdiener zu beschimpfen? 163 164 165
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Gustav VOSS, Schwanenberg 1558-1958, Schwanenberg 1958, S. 131. MAST, Kreissynode, Bd. I, Heft 8, S. 620; OTTSEN, Moers, S. 215. ROSENKRANZ, Abriss, S. 77 bzw. 667; Günter BERS, Wo die Freiheit wurzeln sollte: Ein „Freiheits“ baum für Linnich im Jahre 1799, Jülich 2002 (Forum Jülicher Geschichte; 34), S. 39. Den wenigen Lutheranern in Linnich gegenüber verhielt er sich aufgeschlossen und hielt ihnen vor der Revolution die Leichenpredigten, vgl. BERS, Freiheit, S. 21, Anm. 32. Wolfgang MOTTE, Register der Protokolle der Reformierten Bergischen Provinzialsynode von 1701 bis 1812. In: MEKGR 52 (2003), S. 297-387, S. 370.
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Zittert also nicht, Bürger! Freilich alle die religiösen menschlichen Anordnungen, welche die eingebildete Frömmigkeit gestiftet und der Aberglaube genährt und befestigt hat, werden, müssen, bei der immer und mehr zunehmenden Aufklärung vergehen, aber dadurch leidet das wahre Wesen der Religion nicht, sie erhält vielmehr ihre wahre Würde -, eigentliche reine Religion – Gotteswerk vergeht nie; für sie hat der Franke Achtung, er schätzt sie“.167
Als Vertreter der neuen Regierung vor Ort hatte Höfer, seit Anfang 1798 im Amt als Munizipalpräsident, auch genau die Maßnahmen zu vermitteln, die die Rudler als notwendig erachtete, nämlich das Prozessionsverbot, die Nichtöffentlichkeit religiöser Kultusausübung und die Abnahme religiöser Zeichen aus dem öffentlichen Raum. Dass ausgerechnet ein bislang politisch weitgehend rechtloser reformierter Pfarrer als Gemeindevorstand eingesetzt wurde, musste der katholischen Bevölkerung als Zumutung erscheinen und erklärt teilweise die Intensität der Ausschreitungen im Großraum Linnich. Dennoch bildeten die Kollaborateure, wohlweislich wertneutral verstanden, nur eine kleine Minderheit. Noch geringer war allerdings die Gruppe derjenigen Pfarrer, von denen eine Verweigerungshaltung überliefert ist. Die Mehrheit der Pfarrer wartete zunächst einmal ab. Einer der ganz wenigen Fälle einer Verweigerung ist der des Krefelder reformierten Predigers Karl Philipp Altgelt. Er lehnte ein Jury-Amt ab, um nicht den „Eid des Hasses“ gegen das Königtum leisten zu müssen und wurde dafür zehn Tage inhaftiert.168 Doch die Haft stärkte nur seinen Unwillen: Als er entlassen wurde, sei er „plus entêté, plus fanatique, mieux accueilli et considére par des gens faibles et fanatiques comme lui“.169 Dass Altgelt im ehemals preußischen Krefeld Pfarrer war, ist bezeichnend: Mit Ausnahme der Textilstadt Krefeld sind aus den preußischen Gebieten keine wesentlichen Äußerungen bekannt, die die Revolution offen unterstützten. Dort wartete man vielmehr ab, ob denn die Preußen nicht doch wiederkämen. Erst 1801 wurde diese Frage endgültig entschieden. In den nichtpreußischen Gebieten hingegen, wo eine konfessionelle Ungleichbehandlung geherrscht hatte, finden sich Belege für die Zustimmung zu einem Gemeinwesen, das sich explizit von konfessionellem Hader distanzierte und stattdessen die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit propagierte.
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Gesamter Redetext bei BERS, Freiheit, S. 39 f. und KRAMP, Linnich, S. 91-93. Parallel dazu der Bericht des Maires Mertens aus Rurich bei KRAMP, Linnich, S. 93; Ausführlich zitiert auch SELS, Erkelenz, S. 56. HASHAGEN, Rheinland und die französische Herrschaft, S. 252; HANSEN, Quellen, IV, S. 1101; BLANNING, French Revolution, S. 247; MOHN, Krefeld, S. 176. Zitiert nach HASHAGEN, Rheinland und die französische Herrschaft, S. 252, Anm 4.
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
2.4. Ein scheinbarer Konsens: Ansichten über Kirchen und Staat Fast wehmütig blickte der reformierte Stolberger Pfarrer Heinrich Simon van Alpen 1802 zurück in die Zeit vor der Revolution: „Sanft und weise waren die letzten Regenten des linken Rheinufers gewesen […] Bei ihrer großen Regentenkunst lächelte eine Morgenröthe der Vernunft, kämpften Wahrheit und Tugend, Humanität und Liebe schon manch glücklichen Kampf, errangen schon manchen entscheidenden Sieg, stürzten manchen Götzen der Finsterniß, bei ihrer guten Verwaltung blühete das köstliche Rheinufer“.170 Es handelt sich hier keineswegs um eine Propaganda im Sinne des alten Herrschaftssystems, sondern um Propaganda zur Verbreitung von Aufklärung. Die Entwicklung hin zu einer Gesellschaft von mündigen Menschen schien auf dem besten Wege, als naturgewaltig der Krieg hereinbrach und diesen sittlichen und wirtschaftlichen „Fortschritt“ unterbrach: „Da kam der Grund der Verwüstung; da kam der Würgeengel des Schreckens; da wüthete das bluthtriefende Schwerdt; da schwang der grausamste Krieg seine Geissel über die guten, stillen, industriösen und der Vollendung entgegenreisenden Bewohner“.171 Das Bewusstsein, einen grundlegenden Bruch mit der Vergangenheit unmittelbar zu erleben, war verbreitet. Es mag eine Idealisierung der letzten Jahre vor der Revolutionszeit darstellen, aber nichtsdestotrotz ist diese Sicht im Rahmen unserer Fragestellung konstitutiv. Ohne die Kenntnis der in den vorangehenden Unterkapiteln geschilderten Ereignisse und deren Bewertung durch Pfarrer selbst, ist kaum verständlich, weshalb evangelische Geistliche Napoleon unterstützen sollten. Daher werden im nachfolgenden Abschnitt die Bewertungen der Zeit seit der französischen Besetzung bis in die frühe Konsulatszeit durch die Pfarrer dargestellt und die Erwartungshaltungen der Pfarrer gegenüber Napoleon Bonaparte skizziert. Das wohl schwärzeste Urteil gab der 1794 in Uedem in Dienst stehende Prediger Gottfried Menken ab, der kurz darauf die Region verließ. Er deutete in seiner im folgenden Jahr publizierten Schrift „Glück und Sieg der Gottlosen“ den Krieg und die Hegemonie des revolutionären Frankreich als himmlische Strafe. Er übte scharfe Kritik an der Leichtigkeit, mit der sowohl Theologen als auch Laien im 18. Jahrhundert Gott an den Rand ihres Denkens, Handelns und Fühlens gestellt hätten.172 Die „Philosophie des gegenwärtigen Zeitalters“ sei nach Menken die „des entschiedenen Unglaubens an alle positiven göttlichen Offenbarungen und 170 171 172
ALPEN, Geschichte II, S. II. Ebd. Gottfried MENKEN, Über Glück und Sieg der Gottlosen, Frankfurt/Leipzig 1795; Arlie J. HOOVER, The gospel of nationalism. German patriotic preaching from Napoleon to Versailles, Stuttgart 1986, S. 26.
2.4. Ein scheinbarer Konsens: Ansichten über Kirchen und Staat
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Anstalten“.173 Noch schlimmer: „Irrthum für Wahrheit gilt, und die Wahrheit für Irrthum und Unsinn gehalten wird“.174 Die Menschen seien dadurch hochmütig geworden und hätten Gott verlacht. Die militärischen Erfolge der französischen Revolutionstruppen pauschalisierte er zu einem „Sieg dieses Heydenvolkes […], das mit Blut und Sünden beladen ist, das alle Bande der Wahrheit und Ordnung zerrissen, alle göttliche und menschliche Gesetze mit Füssen getreten, alle göttliche und menschliche Heiligthümer entweyhet“. 175 Die Franzosen hätten ihren eigenen König hingerichtet und hätten den geringsten mit dem höchsten gleichgesetzt. Statt ein weltimmanentes Paradies zu schaffen, gebe die Revolution „der Hölle Freyheit“.176 „Kurz, man that alles, was Illuminaten, d.h. höllischgesinnte Menschen nur thun können“.177 Menken glaubte, das Wirken des alttestamentarisch-strafenden Gottes geoffenbart zu sehen. Gott greife dann wieder ein, „wenn aller Stolz der Menschen gedemüthiget ist, wenn sich die Gottlosigkeit ganz in ihrer nakten Abscheulichkeit gezeigt hat, wenn alle gezüchtigt sind, die gezüchtigt werden sollen“.178 Es handele sich dabei um eine „Prüfung unsers Glaubens“.179 Dabei stünde das Ergebnis durchaus noch nicht fest: „Er kann nachsehen; Er läßt Zeit und Raum zur Buß, zur Demüthigung, denn er will auch den Tod des Gottlosen nicht“.180 Menken interpretierte die in Frankreich ab 1792 stattgefundene Entchristianisierung als göttliches Werkzeug zur Läuterung: „Gott gebraucht die Bösen, wozu er die Guten nicht gebrauchen kann. Die Bosheit der Bösen muß den Guten zum Besten dienen“.181 Somit ergibt sich auch für Revolutionäre und Revolutionssympathisanten immer noch die Hoffnung auf Rettung, aber um den Preis einer vollständigen Demütigung vor Gott. „Wenn dieses Volk nicht Buße thut und eben so laut und öffentlich und demüthig sich vor Jesu Christo beuget, als es ihn laut und frech gelästert hat, so entgehet es seiner Strafe, seinem Verderben nicht“.182 Sein Ratschlag ist zugleich Programm: „Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre!“183
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MENKEN, Sieg der Gottlosen, S. 29. Ebd., S. 5. Ebd., S. 17. Ebd., S. 14. Ebd., S. 23. Ebd., S. 15. Ebd., S. 15. Ebd., S. 28 f. Ebd., S. 31. Ebd., S. 57. Ebd., S. 45. Menken hatte ganz genaue Vorstellungen von, was unter einem „Glauben an den gerechten Gott“ zu verstehen sei: „Wer einen andern als diesen lebendigen und also wahren Gott anbetet, der verehret einen Götzen; denn es ist kein anderer Gott ausser diesem, und so und nicht anders ist er, denn nur so und nicht anders hat Er selbst sich offenbaret.“ Ebd., S. 11.
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
Nicht ganz so scharf wie Menken, aber dennoch als Negativum äußerte sich Maximilian Friedrich Scheibler aus Monschau über die Jahre ab 1794/95. Er erklärte in einer Predigt aus dem Jahr 1802: „Abgeschafft, das läßt sich nicht läugnen, abgeschafft war das Christenthum in unserm Vaterlande; jene unsinnige Schwärmerey, die alles ohne Unterschied umstürzen und neu machen wollte, was bisher bestanden hatte, hat auch das nicht verschont, was uns das Ehrwürdigste und Heiligste seyn mußte. […] Allein wenn es dahin kommt, daß diejenigen, die über das Volk herrschen, sich von dem Bekenntniß der christlichen Religion öffentlich lossagen, […] daß man allem, was mit ihr in Verbindung steht, öffentlich Hohn spricht und insonderheit den Stand, der die Stütze derselben ist, herabwürdigt und seine pflichtmäßige Wirksamkeit hemmt, daß Kinder aufwachsen ohne christlichen Unterricht […] Wenn es so weit kommt […]: so kann man, wenn man nicht mit Worten spielen, sondern jede Sache mit ihrem rechten Namen belegen will, dieß wohl nicht anders als eine Beeinträchtigung, eine Verdrängung, eine wirkliche Abschaffung des Christenthums nennen“.184
Scheibler deutet bereits die negativen Folgen an, „wenn es dahin kommt, daß diejenigen, die über das Volk herrschen, sich von dem Bekenntniß der christlichen Religion öffentlich lossagen“, „den Stand, der die Stütze derselben ist, herabwürdigt“ und selbst „Kinder aufwachsen ohne christlichen Unterricht“. Eine Folge dieser „entchristlichten“ Gesellschaft war aus Sicht von Matthias Daubenspeck, dass jedermann „glaubte, den Predigern alles zumuten zu dürfen“.185 Ähnlich sah dies sein Krefelder Kollege Jonas Heilmann, den die neue Situation abstieß: „Die Gemeinden werden gesetzlose Horden und die Lehrer und sogenannten Prediger des Evangeliums zu feilen Waren einiger stolzphärisäischer Unruhestifter“.186 Zweifelsohne entsprachen hier die Erwartungen der Pfarrer nicht denen der Gemeinde. Stattdessen mussten sie mit widerstrebendem Verhalten von Seiten sowohl der Ältesten als auch der einzelnen Gemeindeglieder rechnen. Das war auch für aufgeklärte Theologen wie die genannten durchaus ein Schock. Über den Staatsstreich, den Napoleon am 18. Brumaire VIII (9. November 1799) durchführte, äußerte sich fast kein Pfarrer. Erst gut zwei Jahre später, nachdem der Erste Konsul seine Herrschaft gesichert hatte, folgten die ersten schriftlichen Äußerungen durch Geistliche. So schrieb Heinrich Simon van Alpen in einer dem Mainzer Generalkommissar Jeanbon Saint-André gewidmeten Schrift: „Wie flohen die Schatten des Todes, wie verschwand die Dunkelheit der Nacht, am Morgen des 18. Brumär! Wie flohen die Greuel der Verwüstung vor dem Retter 184 185 186
SCHEIBLER, Zweite Predigt, S. 5-7. ROTSCHEIDT, Verbeßerung, hier: S. 305. Abdruck des gesamten Briefes bei MAST, Kreissynode, Bd. II, Heft 1, S. 17.
2.4. Ein scheinbarer Konsens: Ansichten über Kirchen und Staat
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Bonaparte!“ 187 Ähnliches bemerkte der Lutheraner Maximilian Friedrich Scheibler im zweiten öffentlichen Gottesdienst der evangelischen Gemeinden in Köln. Für ihn war Napoleon „der Retter, der Wiederhersteller, der Erhalter und Beglücker seines Vaterlandes, wodurch Er, wie die Bewunderung, so auch die Liebe und das Vergnügen des menschlichen Geschlechts geworden ist, und es noch mehr werden wird“.188 Die Tatsache, dass Napoleon durch den Staatsstreich einen eklatanten Rechtsbruch beging, verblasste gegenüber dem, was er in kurzer Zeit erreichte. Durch den Frieden von Lunéville gelang es Napoleon, den Nimbus eines Friedefürsten zu erreichen. Mit dem 9. Februar 1801 herrschte Klarheit über die zukünftigen Machtverhältnisse. Keine der alten Dynastien würde zurückkehren, jede Loyalität musste sich auf die Regierung in Paris ausrichten, Alternativen entfielen. Pfarrer van Alpen äußerte sich froh über das Ende der zehnjährigen „Kriegsdrangsalen, die mit dem Luneviller Frieden erst aufhörten“.189 Diese Deutung manifestierte sich in der Feier des Friedensfestes 1801. In einer Predigt äußerte sich Scheibler aus Monschau sehr entschieden: „Es ist geendigt das große Trauerspiel, das der Erdkreis seit so vielen Jahren mit Schauder und Entsetzen angesehen hat. Sie sind vorüber, die brausenden Stürme der Revolution, die alles ergriffen, alles erschüttern und in ihren gewaltigen Wirbel zogen, die Throne niederwarfen, überall Gebäude bürgerlicher Verfassungen umstürzten und unter ihren Ruinen das Leben und die Wohlfahrt vieler Tausende begruben. Es ist verstummt, das wilde Getöse eines langwierigen, mit beyspielloser Erbitterung und Hartnäckigkeit geführten Krieges, in welchen fast alle Nationen verwickelt waren, der seine furchtbaren Paniere fast in jeden Winkel der Erde aufpflanzte, der Land und Meere mit Strömen von Blut färbte und überall Schrecken, Greuel, Verwüstung und Jammer ausbreitete. Geendigt sind diese grauenvollen Auftritte und ein neues und erfreuliches Schauspiel stellet sich unseren entzückten Blicken dar. Entzweite Völker reichen einander wieder Hand, und ziehen den Ölzweig des Friedens dem zweideutigen Glück des Sieges vor. Die Schaaren der Streiter kehren in ihre lange nicht mehr gesehene Heimat zurück und überlassen dem friedlichen Landmann das Feld, das ihn nähren muß; […] Über alle Völker des Erdkreises schwingt der holde Friede seine goldenen Flügel, unter seinem erquickenden Schatten ruht und erholt sich die erschöpfte und geängstigte Menschheit, mit ihm kehrt überall Ordnung, Wohlstand und Segen zurück, mit ihm öffnet sich die reizendste Aussicht in eine bessere Zukunft, die uns alles Ungemach der Vergangenheit versüßen soll. Ja, wir verstehen sie, die Bedeutung dieses Tages, wenn wir ihn als Freudenfest betrachten“.190
187 188 189 190
ALPEN, Geschichte II, S. III. SCHEIBLER, Zweite Predigt, S. 27. ALPEN, Geschichte, S. 544. Einleitung zur Predigt, abgedruckt bei SCHEIBLER, Monschau, S. 126. Weitere längere Auszüge aus der Predigt und der Einleitung bei SCHEIBLER, Monschau, S. 125-127.
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
Lebendiger und für seine Zuhörer greifbarer hätte Scheibler seine Wahrnehmung kaum ausdrücken können. Mit etwas größerem Abstand rief Konsistorialpräsident Diergardt aus Moers am 15. August 1806 die Bedeutung Napoleons den versammelten Pfarrern und Notabeln seiner Konsistorialkirche ins Gedächtnis: „Diese Tage der Trübsale, die mancher mündige Prediger durchleben mußte – sie sind verschwunden. Die Vorsehung, die stäts alles weise und gut lenkt, rief Napoleon Bonaparte auf den Thron und schenkte Ihm, dem ersten der Erden-Götter, einen Portalis zum Geülfen (!), der selbst durchdrungen von der Wichtigkeit der Religion, auch das Amt der Lehrer derselben zu schätzen weiß“.191
Napoleon erschien als der geeignete Mann, den die Vorsehung zum rechten Zeitpunkt an die Macht gebracht habe. Der Rückgriff auf diese Vorstellung stellte einen theologisch fundierten Verarbeitungsversuch dar. Protestantische Pfarrer erkannten in ihm den Mann, der die Ordnung wiederherstellte und von dem die Wiederherstellung des Kirchenwesens und des alten Status als respektable Geistliche zu erwarten war. Der den Protestanten so wohlgesonnene Kultusminister Portalis war die rechte Hand des Ersten Konsuls auf diesem Weg. Seit 1795 existierte ein Regime der Trennung zwischen Staat und Kirche, das seit 1798 auch in den rheinischen Departements umgesetzt wurde. Diese weltliche Form der Zwei-Regimenten-Lehre, dass also zwei separate Sphären geistlicher und weltlicher Natur existierten, in der die jeweils andere Institution keine Ansprüche anmelden konnte, erschien als der gemeinsame, unantastbare Grundkonsens zwischen Staat und Kirchen. Damit verbunden war allerdings auch die Vorstellung, dass die weltliche Macht die geistliche benötigte. Um die Aufgaben, für die sie die weltliche Obrigkeit bedurfte, erfüllen zu können, würde die Regierung auch auf die Forderungen der Geistlichen eingehen müssen. Matthias Daubenspeck formulierte im Namen der Geistlichen etwa des ehemaligen Fürstentums Moers seine Wünsche sehr direkt: Der reformierte Pfarrer verlangte vom Staat Schutz. Er forderte „anständige Besoldung“ und „Anerkennung der Geistlichen als Staatsdiener“, im Übrigen aber evangelische Freiheit, keine religiösen Edikte. Er wünschte Glaubensfreiheit, keine Hierarchie, keinen Glaubenszwang. Dann erst versprach er sich „Nutzen für den Staat“, dann erst komme die staatsbürgerliche Gesinnung von selbst. „Doch sind solche Behörden selten“.192 In der Hervorhebung der eminenten Bedeutung von „Religionslehrern“ für den Bestand von Staat und Gesellschaft traf sich die Argumentation des aufgeklärten Kreises der Geistlichen um Scheibler, Daubenspeck und van Alpen mit den Überlegungen Napoleons. Bonaparte sah in den Kirchen in erster Linie ein Instrument zur dauerhaften und kontinuierlichen Stabilisierung von Herr-
191 192
Protokoll Moers reformiert vom 15.08.1806, § 1. STORKEBAUM, Fremdherrschaft, S. 69; ROTSCHEIDT, Verbeßerung, S. 303 ff.
2.5. Zusammenfassung
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schaft. 193 Seine grundsätzlich positive Haltung gegenüber Protestanten leitete sich nicht von einer religiösen Überzeugung her, sondern vor allem von taktischen Überlegungen. Ein protestantischer Herrscher könnte einer protestantischen Kirche die Ordnung vorschreiben, weil ihm die Rechte als Notbischof zustünden. Außerdem sprach er Protestanten eine große Affinität zur Obrigkeit zu.194 Diese in ihrer Motivation grundsätzlich verschiedene Haltung erkannten evangelische Geistliche noch nicht. Sie signalisierten aber deutlich ihre Bereitschaft, sich von dem Wiederhersteller der öffentlichen Ordnung und dem „Friedefürsten“ in Dienst nehmen zu lassen.
2.5. Zusammenfassung Im Heiligen Römischen Reich bildeten die Territorien der niederrheinischen Generalsynode – in der Hauptsache Jülich, Kleve, Berg, Mark und Moers – eine Ausnahme. Während im übrigen Reich generell eher konsistoriale Landeskirchen bestanden, existierte im nördlichen Rheinland ein vertraglich abgesichertes Regime, das eine staatsferne kirchliche Selbstverwaltung ermöglichte. Es stand in seinen Strukturen den niederländischen und auch den französischen Kirchen näher, als denen im Heiligen Römischen Reich. Damit herrschte nicht nur in organisatorischer Hinsicht eine Synodalstruktur vor, sondern auch faktisch eine Trennung von weltlicher und geistlicher Sphäre. Das geistliche Personal der beiden protestantischen Hauptkonfessionen bildete innerhalb dieser Generalsynode nach den rein empirischen Aggregatdaten eine relativ homogene Gruppe, was Verwandtschaft, Landsmannschaft und berufliche Ausbildung anging. Tatsächlich wies die Pfarrerschaft allerdings auch Friktionen auf, die im Rahmen des bestehenden Systems nicht aufbrachen: Die gemeinsame Ausbildung, namentlich der Reformierten, resultierte zwar in einem Bewusstsein der Gemeinsamkeit im Pfarramt, aber zugleich auch in der Trennung in zwei Gruppen: Aufklärer und „Orthodoxe“, d.h. eher konfessionell und traditionell gestimmte Pfarrer. Zum Zeitpunkt der französischen Besetzung 1794 befanden sich mehrheitlich aufklärerisch gesinnte Geistliche in den Führungspositionen. Im Rahmen einer 1801, bereits unter napoleonischem Vorzeichen, initiierten Umfrage zeigte sich eine große Geschlossenheit der Pfarrer in der Frage nach dem Verhältnis von Staat und Kirche. Von einer staatlichen Besoldung versprachen sie sich durch Anerkennung als „Staatsdiener“ die Wiederherstellung ihres in den 1790er Jahren verloren gegangenen Sozialprestiges – eine Zeit, die seitens der Pfarrer als Agonie empfunden wurde. Während die Regierung sich 193 194
DUDA, Organisation, S. 30 ff. Hans-Otto BINDER, Art. ‚Napoleonische Epoche’. In: TRE 24 (1994), S. 1-10, hier: S. 3.
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2. Napoleon, der Retter? Der niederrheinische Protestantismus in den 1790er Jahren
mit Eingriffen in kirchliche Belange zurückhalten sollte, erwarteten Pfarrer als Gegenleistung für ihre traditionellen systemstabilisierenden Aufgaben eine Mithilfe des Staates bei einer „Verkirchlichung“ einer entchristianisierten Gesellschaft. Diese Vorstellung lässt sich durchaus unter dem Begriff der Trennung von Staat und Kirchen subsumieren. Folgenschwer wirkte dabei, dass die französische Regierung am 21. Februar 1795 ein Gesetz zum ausdrücklichen Laizismus verabschiedet hatte. Aus Sicht der protestantischen Geistlichen konnte dies als weltliche Form der Zwei-Reiche-Lehre interpretiert und damit als Grundkonsens angenommen werden. Erklärtermaßen wollte Napoleon die Kirchen wieder in die Öffentlichkeit zurückholen, allerdings unter Dominanz des Staates, wie dies zu den Ideen der Aufklärung zählte. Da der Erste Konsul bereit war, Pfarrer als Staatsdiener anzuerkennen und den kirchlichen Bedürfnissen vor dem Hintergrund des von der Geistlichkeit implizit als existent angenommenen Grundkonsenses Rechnung zu tragen, glaubten die protestantischen Pfarrer des Niederrheins in ihm den Mann der Ordnung zu sehen.
3. Die zentralen Behörden Institutionen sind zumindest in ihrer Anfangsphase hilfsbedürftig. Die rechtliche Lage in den Rheinlanden war klar: „le thalweg du Rhin“ bildete die Ostgrenze Frankreichs, wie der Lunéviller Frieden in Artikel 6 eindeutig definierte.1 Zur Durchsetzung von Anordnungen musste womöglich Waffengewalt eingesetzt werden: Militär stand im Land und ergänzte die eigentliche Polizei. Dennoch würde dies lediglich eine Diktatur bezeichnet haben, denn die Legitimationgrundlage fehlte. Um dauerhaft akzeptiert zu werden, müssen die Entscheidungen von Institutionen nachzuvollziehbar sein und mindestens den vorhandenen Eliten einen Vorteil bringen. Dank der Justizreform von 1798 hatte sich das Rechtswesen beschleunigt und waren gerade Eigentumsfragen einigermaßen berechenbar geworden. Die Vertreter von zentralen Behörden sind darauf angewiesen, dass ihren Anordnungen Folge geleistet wird und sie im Zweifelsfall Druck anwenden können. Bei Einrichtung des Kultusministeriums verfügte der zuständige Minister außer über seine persönlichen Beziehungen, dem Ansehen des Staatsoberhauptes und der Amtshilfe bei anderen Institutionen über keine Mittel, um die ihm zugewiesenen Personen zu lenken. Zunächst musste ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, innerhalb dessen das künftige Kirchenwesen organisiert werden würde. Ferner war der Aufbau von Kontakten mit besonders gut vernetzten Personen notwendig. Wie dieses Instrument der Elitenpolitik handzuhaben versucht wurde, soll Gegenstand dieses Kapitels sein. Für die protestantischen Pfarrer des Roerdepartements waren vor allem drei französische Behörden bedeutsam. Allen voran das Kultusministerium, zunächst unter Jean-Etienne-Marie Portalis, dann unter Félix-Julién-Jean Bigot de Preameneu. Für die Lutheraner war ein weiteres Institut bedeutsam, nämlich das Generalkonsistorium Augsburger Konfession (consistoire général de la confession d’Augsbourg) in Aachen. Den Reformierten hingegen stand keine offizielle Oberbehörde zur Seite, vielmehr entwickelte sich das Pariser Konsistorium zu einem informellen Zentrum reformierter Aktivitäten in Paris.
1
Joseph HANSEN, Das linke Rheinufer und die französische Revolution 1789-1801. In: Mitteilungen der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums 12 (1927), S. 421-455, hier: S 421.
3. Die zentralen Behörden
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3.1. Das Kultusministerium 3.1.1. Die Einrichtung des Kultusministeriums Zu Beginn der napoleonischen Herrschaft gehörten sämtliche Kultusfragen in das Portefeuille des Innenministers Chaptal. Mit der Unterzeichnung des Konkordats mit der katholischen Kirche richtete Bonaparte am 7. Oktober 1801 eine direction général des cultes ein, die dem Innenministerium unterstellt blieb. Erst am 10. Juli 1804 wurde ein offizielles ministère des cultes eingerichtet.2 An die Spitze sowohl der Generaldirektion als auch des Kultusministeriums setzte Napoleon mit Jean-Etienne-Marie Portalis (1745-1807) einen Provençalen.3 Erste Bekanntheit hatte Portalis als junger Anwalt unter Ludwig XVI. erlangt, als er mit der Scheidung der Ehe des Grafen Mirabeau beauftragt war. 1770 publizierte er die Schrift „Consultation sur la validité des mariages protestants en France“, worin er sich für eine Rechtssicherheit in Eigentumsfragen für protestantische Ehen aussprach. Er gehörte auf königlicher Seite auch dem Kreis an, der die Verhandlungen mit dem einflussreichen reformierten Pfarrer Paul Rabaut über den Zivilstand der Protestanten führte. Das Ergebnis war das Toleranzedikt vom November 1787 gewesen, das Eigentumsrechte auch für Protestanten garantierte und damit auch den Umgang von Katholiken mit Protestanten rechtlich absicherte.4 Während der Terreur war er inhaftiert und nach Robespierres Sturz amnestiert worden. 1796 wurde er für die Stadt Paris in den conseil des Anciens gewählt. Portalis hatte nach dem Fructidor-Staatsstreich Frankreich verlassen müssen und war zunächst in Richtung Venedig gezogen, als ihn ein Brief seines alten Freundes Mathieu Dumas erreichte, der dem Emigranten mitteilte, dass Friedrich Heinrich Jacobi ihm Unterkunft anbiete. Im Januar 1798 kam Portalis mit seinem Sohn in Holstein an.5 Dort war es der Pempelforter Philosoph Friedrich Heinrich Jacobi, der den unter dem Namen „Darsilmont“ reisenden Exilierten bei Karl Friedrich von Reventlow in Emkendorf unterbrachte.6 Dessen Sohn 2
3 4 5 6
Zur Verwaltungsgeschichte und den wichtigsten Beamten vgl. Pierre-François PINAUD, L’administration des Cultes, de 1800 à 1815. In: Revue de l’Institut Napoléon, 1976, S. 28-36; Jean-Michel LENIAUD, L’administrations des cultes pendant la période concordataire, Paris 1988. Biographien bieten Jean-Luc A. CHARTIER, Portalis, le père du Code civil, Paris 2004 und Joël-Benoît D’ONORIO, Portalis, l’esprit des siècles, Paris 2005. ROBERT, Réformées, S. 59 f. Charles Auguste SAINTE-BEUVE, Casueries du Lundi, 5. Bd., Paris 1853, S. 348-378, hier: S. 368. So Friedrich Heinrich Jacobis Aussage gegenüber Geheimrat Heinrich Schenk in München. Friedrich Heinrich Jacobi’s auserlesener Briefwechsel, 2 Bde., Leipzig 1827, Bd. 2, Brief 250, S. 284-289, hier: S. 288. Vgl. auch Jacobis Brief an Goethe vom 21.10.1801 in GoetheJb 8 (1943), S. 64: „Ich nahm [Quatremere de Quenci], während seiner Deportation, so wie M.
3.1. Das Kultusministerium
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Johann Friedrich Jacobi war Munizipalpräsident in Aachen und sollte in napoleonischer Zeit zum Präsidenten des auch das Roerdepartement umfassenden Generalkonsistoriums Augsburger Konfession aufsteigen. Als solcher unterstand er unmittelbar dem Kultusminister. Portalis’ Sohn schloss mit Reventlows Pflegetochter Ina Gräfin Holck wenig später die Ehe.7 Napoleons Machtübernahme im November 1799 begrüßten alle Emigranten im Kreis um Jacobi. Portalis schrieb: „Tout le monde y est fatigué du régime révolutionnaire. La lassitude, qui termine toutes les révolutions, a ramené tous les esprits et tous les cœurs à la monarchie. Je ne parle point des Jacobins, qui ne sont qu’une poignée d’hommes qu l’apparence même de la justice peut faire disparaître“.8
Als Napoleon nach dem Brumaire-Staatsstreich nach Mitarbeitern rief, folgten Portalis und Dumas. Doch auch als Staatsrat, der die Verhandlungen mit dem Papst für das Konkordat führte, vergaß er nicht die Rettung, die Jacobis Angebot bedeutet hatte.9 Portalis war dankbar für die Hilfe, die Jacobi ihm so bereitwillig gewährt hatte und das vergaß er so schnell nicht. Im Mai 1800 erkundigte er sich bei Friedrich Graf Stolberg: „Comment se porte notre philosophe Jacobi? Quelquefois on voudrait voir marcher la philosophe sans les philosophes: quant à lui, je voudrais voir marcher le philosophe sans la philosophie“.10 Bereits im September 1800 ernannte Napoleon ihn zum Staatsrat und berief Portalis zugleich in die Kommission, die den Code civil ausarbeiten sollte. Zu dieser – unter Leitung des zweiten Konsuls Jean-Jacques Régis de Cambacérès stehenden – Kommission gehörte neben Jacques de Maleville auch Portalis’ Freund Félix-Julien-Jean Bigot de Preameneu. Wie Portalis hatte Maleville 1797 das Land verlassen müssen, während Bigot de Preameneu und Tronchet, der Verteidiger Ludwigs XVI., während der Terreur verhaftet wurden. Schließlich nahm Portalis federführend an den Verhandlungen sowohl zum Konkordat als auch bei den Gesprächen zu den Organischen Artikeln teil. Am 7. Oktober 1801 wurde Portalis mit der Leitung des Kultuswesens als Generaldirektor betraut und schließlich am 10. Juli 1804 zum Kultusminister erhoben. Auf diesem Posten starb er, nach Krankheit erblindet, im August 1807. Bonaparte war zuletzt nicht sehr zufrieden mit Portalis’ Tätigkeit, denn er erklärte sarkas-
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Dumas und Portalis bey mir auf.“ Die französischen Forscher CHARTIER, Portalis, S. 103 und D’ONORIO, Portalis, S. 164 folgen der Aussage Jacobis gegenüber Schenk. Arndt SCHREIBER (Hg.), Wilhelm von Humboldt. Briefe an Christine Reinhard-Reimarus, Heidelberg 1956, S. 180. SAINTE-BEUVE, Casueries, S. 371. Dumas bezeichnete Jacobi in seinen Memoiren als „Schutzengel“. Mathieu DUMAS, Memoirs of his own time, 2 Bde., London 1839. Bd. 2, S. 140. SCHREIBER, Briefe, S. 180.
3. Die zentralen Behörden
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tisch: „Les affaires des Cultes marchent très lentement. M. Portalis, avec la meilleure volonté, ne voit pas clair“.11 Wie sein Herr und Meister verfügte auch Portalis über einen „véritable esprit de famille“ und im Gegensatz zu ihm zusätzlich über einen ausgesprochenen Sinn für Landsmannschaften. Wichtige Vertrauensmänner waren Provençalen und mit ihnen sprach er selbst im Ministerium in Paris provençalisch.12 Sein Chefsekretär Joseph Jauffret stammte aus Aix-en-Provence, sein Geheimsekretär war Maurice Giry, „le fils de son amourette aixoise de jadis“.13 Zuvor hatte der Sohn seiner Schwester, Paul-Thérèse David d’Astros, diesen Posten innegehabt, bevor er im Jahre X (1801/02) das Ministerium verließ und Pariser Generalvikar wurde.14 Von den etwa 60 Beamten im Kultusministerium stammte ein Großteil aus der Provence und wies verwandtschaftliche Beziehungen zum Kultusminister auf. Leniaud spricht in diesem Zusammenhang gar von einem „clan Portalis“.15 Für Portalis gehörten Nepotismus und die berufliche Förderung von Landsleuten zum selbstverständlichen Alltag.16 Was Personalpolitik betraf, gehörte sie zu einem Grundprinzip Portalis‘. Sie stellt damit einen klassischen Fall von Mikropolitik dar.
3.1.2. Die Genese der Organischen Artikel Für die Genese der Organischen Artikel war Portalis‘ Arbeit von essentieller Bedeutung. Zwar war das Kultusgesetz kein Vertrag wie etwa das Konkordat,17 doch gingen dem Erlass durchaus Gespräche mit Spitzenvertretern der Betroffenen voraus. Diese galten offiziell nicht als Verhandlungen, sondern als Besprechungen. Robert geht davon aus, dass Portalis selbst seine Gesprächspartner für die Vorschläge eines Organisationsentwurfes bestimmt hatte.18 Bei diesen Gesprächen spielte Charles d’Arbaud-Jouques eine entscheidende Rolle; zeitweilig hatte er die Leitung des Büros für die nichtkatholischen Kulte inne. 1806 wurde d’Arbaud für seine Dienste mit einem Posten als Unterpräfekt in seiner Heimat Aix-en-Provence belohnt.19
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Alfred FIERRO, André PALLUEL-GUILLARD, Jean TULARD (Hg.), Histoire et dictionnaire du consulat et de l’empire, Paris 1995, S. 1027. D’ONORIO, Portalis, S. 280. Ebd. PINAUD, L’administration des cultes, S. 32-34. LENIAUD, L’administration des cultes, S. 88, Anm. 232. D’ONORIO, Portalis, S. 281; CHARTIER, Portalis, S. 249 f. Vgl. DUDA, Organisation, S. 47-48. ROBERT, Réformées, S. 60. D’ONORIO, Portalis, S. 166.
3.1. Das Kultusministerium
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Auf Seiten der Lutheraner vertraten zwei Elsässer jeweils zwei sehr unterschiedliche Standpunkte. Der eine war der angesehene, 1777 geadelte Straßburger Jurist Christoph Wilhelm Koch. Er hatte 1790 zwei Dekrete erwirkt, welche die protestantischen Kirchengüter im Elsass als Privateigentum definierten und daher der potenziellen Säkularisierung entzogen waren. 1791/92 hatte er gemeinsam mit Bigot de Preameneu in der Assemblée législative gesessen. Wie sein Mitdeputierter war auch Koch während der Schreckensherrschaft inhaftiert gewesen und wie dieser kehrte er nach dem Sturz Robespierres in seine Heimatstadt zurück, wo er einige Zeit als Privatmann lebte. 1797 war er als Berater auf dem Rastatter Kongress, während sein Bruder als Deputierter beim Immerwährenden Reichstag in Regensburg anwesend war.20 Koch betonte in seinem Entwurf im Namen der Straßburger Geistlichen vom 23. November 1801 sehr stark das kollegiale Prinzip, dass also anstelle einer verantwortlichen Person ein Kreis von mehreren gleichberechtigten Personen entscheidet.21 Entscheidungen sollten gemeinschaftlich stattfinden und zwar in kirchlichen Selbstverwaltungsgremien, die zu einem Drittel mit Geistlichen und zu zwei Dritteln mit Laien besetzt waren. „Die Rechte des Staates beschränken sich einmal auf eine Anzeigepflicht der Kirche vom Ergebnis der Wahlen, zum andern sollte ein Regierungskommissar über die Vereinbarkeit der Konsistorialbeschlüsse mit den Gesetzen und dem Interesse des Staates wachen“.22 Selbst der Begriff „Nachtwächterstaat“ wäre in diesem Fall ein Euphemismus gewesen. Genau diese Sichtweise vertrat für das Roerdepartement auch Matthias Daubenspeck, als er im Mai 1801 seine Pläne zur Verbesserung des Gottesdienstes darstellte.23 Weder die Kontrolle der Lehre noch die Pfarrstellenbesetzung wollte Daubenspeck der Regierung überlassen. Was er hingegen beabsichtigte, war tatsächlich eine Art Rückkehr zu verbesserten vorrevolutionären Zuständen, was zwei eindeutig getrennte Kompetenzbereiche zwischen weltlicher und geistlicher Macht bedingte. In diesem Sinne ist auch Portalis‘ Bemerkung in seinem „Rapport sur les Protestants des départements réunis“ vom 1. Ventôse X (20.02.1802) zu verstehen, dass die dortigen Protestanten die vorherige kirchliche Organisation wiedererrichtet sehen möchten. 24 Die fundamentalen Veränderungen, die zwischenzeitig gerade in den ehemals pfälzischen Gebieten stattgefunden hatten, ließ er außen vor: Der Übergang von einer obrigkeitlich orien20
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Eine ausführliche Biographie bei Friedrich BUECH, Christoph Wilhelm Koch (1737-1813). Der letzte Rechtslehrer der alten Straßburger Hochschule. Ein Bild aus dem elsässischen Gelehrtenleben (Schriften des Wissenschaftlichen Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich an der Universität Frankfurt, N.F. 17), Frankfurt 1936. Zur Rolle der protestantischen Geistlichen im Straßburger Jakobinerclub siehe Daniel SCHÖNPFLUG, Der Weg in die Terreur: Radikalisierung und Konflikte im Straßburger Jakobinerclub (1790-1795), München 2002 (Pariser historische Studien; 58). DUDA, Organisation, S. 42 f. Abdruck der Denkschrift bei ROTSCHEIDT, Verbeßerung, S. 301-313; vgl. OTTSEN, Moers, S. 122. DUDA, Organisation, S. 45.
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3. Die zentralen Behörden
tierten Landeskirche hin zu einer sich durch Konvente selbst verwaltenden und vom Staat grundsätzlich unabhängigen Kirche.25 Der andere Ansprechpartner war Hans-Ulrich Metzger aus Colmar. 26 Metzger hatte sich nach den Theologiestudien den Rechtswissenschaften zugewandt. Seit 1801 war er Mitglied im Gesetzgebenden Körper. Paul Leuilliot bemerkte, er sei „très lié avec Portalis“. 27 Scheidhauer spricht ihm gar ohne Zögern persönliche „grandeur“28 zu. Dem Konzept einer unabhängigen, von Einzelgemeinden getragenen Kirchenorganisation Kochs setzte Metzger ein eng staatlichen Bedürfnissen untergeordnetes und vollständig vom Staat abhängiges Kirchenregiment entgegen. In dessen stark hierarchischen Entwurf konnten Geistliche keine leitenden Funktionen übernehmen, sondern diese sollten ausschließlich durch die Regierung ausgewählte Laien übernehmen. Ohne Einvernehmen mit der Regierung wäre das protestantische Kirchenwesen vollständig blockiert gewesen. Beide Entwürfe widersprachen den Vorstellungen Bonapartes und Portalis. Kochs Vorschlag fand keine Zustimmung, weil er dem im napoleonischen Frankreich bereits seit 1800 beseitigten kollegialen Prinzip anhing und dem Staat nahezu keine Einflussmöglichkeiten gab.29 Somit hätte die lutherische Kirche nicht die Aufgaben wahrnehmen können, die Bonaparte den Kirchen zuwies, nämlich eine Art „geistliche Gendarmerie“ für die Regierung zu sein. Metzgers Ideen gingen jedoch der Regierung zu weit. Die Verwirklichung eines völlig abhängigen Kirchenwesens hätte ebenfalls den Interessen der Regierung widersprochen: Es war Absicht gewesen, durch die Ausgliederung kirchlicher Funktionen aus dem staatlichen Aufgabenbereich letzteren zu entlasten und sowohl Staat als auch Kirche eine größere Legitimation zu verschaffen. Portalis schätzte die Mentalität der protestantischen Gläubigen offenbar so ein, dass sie ihrer Kirche distanziert gegenüber stünden, wenn sie zu offen von der Regierung abhängig wäre. Ähnliche Erlebnisse waren nach der Einführung der Zivilkonstitution des (katholischen) Klerus in ganz Frankreich beobachtet worden. Gerade die Verhinderung einer Staat und Gesellschaft destabilisierenden Situation war die Ursache für die Aussöhnung zwischen Staat und Kirche gewesen, wie sie Konsul Bonaparte betrieben hatte. Am 15. November 1801 traf der aus einer einflussreichen Pastorenfamilie stammende Kaufmann Pierre-Antoine Rabaut-Dupui in Paris ein und nahm ab dem 22. November an den Beratungen teil, eben weil er zwar ohne offizielles 25 26 27
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Hierzu vgl. SCHUNK, Pfälzischer Protestantismus, S. 304-308. Ein Bildnis bei SCHEIDHAUER, L’église lutherienne, S. 97. Paul LEUILLIOT, L'Alsace au début du XIXe siècle: essais d'histoire politique, économique et religieus: 1815-1830, vol. III: Réligions et cultures, Paris 1960, S. 160; Henri STROHL, Le protestantisme en Alsace, Strasbourg 1950, S. 336. DUDA, Organisation, S. 43. SCHEIDHAUER, L’église lutherienne, S. 94. Vgl. ebd., S. 99.
3.1. Das Kultusministerium
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Amt, aber mit ausgezeichneten Kontakten und Kenntnis über die allgemeine Meinung versehen war.30 Bereits ab Ende Oktober hatte Portalis mit einigen Reformierten gesprochen.31 Während auf lutherischer Seite mit Metzger nur ein Vertreter zu näheren Gesprächen geladen wurde, wählte Portalis auf reformierter Seite zwei Personen aus, Paul-Henri Marron und eben Rabaut-Dupui.32 Beide bildeten gemeinsam mit einem kleinen Kreis von führenden Pariser Reformierten eine Art Ausschuss, mit dem sie regelmäßig Rücksprache hielten.33 Marron und Rabaut-Dupui waren zwar die beiden wichtigsten Verhandlungsführer, doch mochten sie nicht über so folgenreiche Dinge allein entscheiden. Zu diesem Kreis zählten die Theologen Benjamin-Sigismond Frossard, Jacques-Antoine Rabaut-Pommier sowie Pierre Lombard-Lachaux, Jean-Scipion Sabonadière und Antoine de Chabaud-Latour. Zentraler Verhandlungspartner für den Kultusminister war Pierre-Antoine Rabaut-Dupui aus Nîmes (Gard). Gemeinsam mit seinem Vater hatte er Portalis bereits bei den Verhandlungen über das Toleranzedikt vom November 1787 gegenübergestanden. Seit 1799 gehörte er dem conseil des Anciens, ab 1799 dem corps législatif an. Sein Bruder, Jacques-Antoine Rabaut, der besseren Unterscheidung wegen Rabaut-Pommier genannt, war Mitglied des Nationalkonvents gewesen. Während Portalis’ Amtszeit im conseil des Anciens hatte er dessen Sekretariat geführt. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen war Rabaut-Pommier Unterpräfekt im südfranzösischen Vigan (Gard).34 Auch Benjamin-Sigismond Frossard war aus dem geistlichen Dienst ausgeschieden. Er war Vikar der französischen Gemeinde im pfälzischen Zweibrücken und danach Pfarrer in Lyon gewesen.35 Nach der Schreckensherrschaft war er im Schulwesen und als Kaufmann tätig. 1809 übernahm er die Leitung der theologischen Fakultät in Montauban. Ähnlich lag dies bei Pierre Lombard-Lachaux und Jean-Scipion Sabonadière, die beide in der Finanzverwaltung beschäftigt waren. Der aus einer Nîmeser Familie stammende Antoine de Chabaud-Latour war Mitglied im Tribunat. Paul-Henri Marron war zum Zeitpunkt der Verhandlungen nicht mehr offiziell Pfarrer. Er stammte aus den Niederlanden und nach einigen Jahren in Leiden war er 1782 Gesandtschaftsprediger in Paris geworden. Marron blieb auch während der Schreckensherrschaft in Paris und 30 31 32
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SCHEIDHAUER, L’église lutherienne, S. 97. Ebd., S. 91. Die zeitgenössisch häufigere Form Rabaut-Dupuis ist in der französischen Forschung der aktualisierten Orthographie Rabaut-Dupui gewichen. Er trug auch den Namen Rabaut le jeune. SCHEIDHAUER, L’église lutherienne, S. 91. ROBERT, Réformées, S. 569. Zu seiner Person Robert BLANC, Un pasteur du temps des lumières. Benjamin-Sigismond Frossard (1754-1830) (Vie des Huguenots; 7), Paris 2000. Er erwähnt die Zweibrücker Episode nicht, die Georg BIUNDO, Pfälzisches Pfarrerbuch, Nr. 1453, S. 127 auf die Jahre 1778/80 legt.
3. Die zentralen Behörden
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sammelte ab 1795 die Reformierten der Stadt zur seelsorgerischen Betreuung um sich. Dass er in Paris blieb und weitgehend unbeschadet diese kritische Phase überstand, ist umso erstaunlicher, als er zu den führenden Köpfen des so genannten „Club des Feuillants“ gezählt wurde. Diese traten für eine gemäßigte Monarchie ein und sprachen sich entgegen allen Widerständen für die Verfassung von 1791 aus.36 Sie wurden politisch während der Schreckensherrschaft kaltgestellt und mussten ins Exil gehen oder wurden hingerichtet.37 Mit Ausnahme des Marquis de La Fayette machte deren Führungsgruppe unter Napoleon Karriere. So bereitete Abbé Sièyes Bonapartes Staatsstreich 1799 vor und wurde dafür zum Senatspräsidenten ernannt; später wurde er comte d’Empire. Ihm folgte 1801 Lacépède, der ebenfalls zu den Feuillants gezählt wurde. Das Amt des Vizepräsidenten des corps législatif übernahm mit de Carbonnières ebenfalls ein Angehöriger der Feuillants. Er hatte La Fayettes Entscheidung, 1792 zum Feind überzulaufen, verteidigt und war dafür beinahe guillotiniert worden. Als Präfekt des Puy-de-Dôme wurde er baron d’Empire. Von dieser Gruppe wurde für die rheinischen Departements nur einer auch vor Ort bedeutsam, nämlich Alexandre Théodore Victor de Lameth. Er war 1792 mit La Fayette zum Feind übergegangen, wurde begnadigt und musste 1797, wie Portalis und Bigot de Preameneu, Frankreich erneut verlassen. Nach seiner Rückkehr übernahm er verschiedene Präfekturen, unter anderem im Rhein-Mosel-Departement (1805-1806) und danach im Roerdepartement bis zum Jahre 1809. Auch er erhielt den Titel eines baron d’Empire.38 Lameth galt als ausgezeichneter und erfahrener Präfekt, der mit Umsicht seine Aufgaben wahrnahm. Portalis schrieb am 24. Oktober 1801 an Bonaparte: „Les protestants se sont empressés de me donner les renseignements que je leur ai demandés. Ils ont tenu des apporteront le 4 (26 octobre) le résultat de leurs observations. Nous craignions de trouver en eux des contradicteurs, nous n’en aurons fait, je l’espère, que des obligés et des amis“.39
36
37 38 39
Zu den Feuillants vgl. Ran HALÉVI, Die Feuillants. In: François Furet/Mona Ozouf (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. I, Frankfurt a. M. 1996, S. 573-583. Dieses traurige Schicksal ereilte etwa Barnave, den Kopf der Feuillants. Zur Person Lameths vgl. GRAUMANN, Verwaltung, S. 50-51; eine Lithographie von ihm ebd., S. 52. Zit. n. SCHEIDHAUER, L’église lutherienne, S. 91. Siehe auch Antoine Jacques Claude Joseph BOULAY DE LA MEURTHE (Hg.), Documents sur la négociation du concordat et sur les autres rapports de la France avec le Saint-Siège en 1800 et 1801, 6 Bde., Paris 1891-1905, Band IV, Nr. 941, S. 195.
3.1. Das Kultusministerium
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Der Kreis um Rabaut-Dupui setzte sich vehement für eine eigenständige, reformierte, presbyterial-synodale Kirchenordnung ein. Insbesondere RabautDupui selbst widersprach entschieden dem Vorschlag Metzgers eine gemeinsame protestantische Organisation zu entwickeln. 40 Dieser Kreis begriff die reformierten Kirchen Frankreichs als Vereinigung von gleichberechtigten Pastoren und Gemeinden; eine Hierarchie, wie das Luthertum sie kannte und praktizierte, war ihnen fremd. Schließlich sah der letzte Regierungsentwurf vor, jeweils fünf Einzelgemeinden zu Synoden zusammenzufassen. Die von den Reformierten erbetene Nationalsynode fehlte hingegen.41 Während die Lutheraner Koch und Metzger beide sehr stark in ihrer Heimatregion verortet waren, standen zwar die reformierten Verhandlungspartner in Kontakt mit ihrer Heimatregion zwischen Aix und Nîmes, wodurch sie landsmannschaftlich mit Portalis verbunden waren. Die Ideen und Kontakte bündelte jedoch ein enges Gremium der Gebrüder Rabaut und Paul-Henri Marron. Diese Gruppe verfügte über Kontakte bis in die höchsten gesetzgebenden Organe und war nicht darauf angewiesen, ihre Vorstellungen nahezu ausschließlich schriftlich einzuhändigen, sondern hatte den Vorteil räumlicher Nähe. Verwirklicht wurde eine Mischfassung beider Vorschläge und einiger reformierter Konzepte. Die Basis bildeten die noch als Einzelgemeinden begriffenen Lokalkonsistorien, von denen jeweils fünf zu einer Inspektion zusammengefasst waren und wiederum jeweils fünf ein lutherisches Generalkonsistorium bildeten. Von diesen sollte es drei geben: in Straßburg, Mainz und Köln. Die Lokalkonsistorien waren für Stellenbesetzungen, Vermögensverwaltung und die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung vor Ort zuständig. Den höheren Ebenen oblag die jeweilige Oberaufsicht in ihren Bezirken. Auf allen Ebenen war das Laienelement deutlich ausgeprägt. Auf der unteren Ebene sollten sechs bis zwölf Laien als Notabeln in der Selbstverwaltung mitwirken. Den Inspektoren waren zwei Laien beigeordnet und dem Generalpräsidenten sollte ein Direktorium aus Pfarrern und Laien zur Seite stehen. Das Kultusministerium ging von zwei eindeutig trennbaren Bereichen weltlicher und geistlicher Macht aus, wie die Liste der zulässigen Notabeln nahe legt. Pro Departement wurden Listen mit den Namen von 550 Höchstbesteuerten erstellt, aus deren Kreis die Amtsträger gewonnen wurden.42 Sie bildeten die Grundlage der allgemeinen Notabelngesellschaft. Im kirchlichen Bereich bestanden hingegen kleine, aber wirkungsvolle Unterschiede. Für die kirchlichen Notabeln griff der Kultusminister nicht auf die allgemeine Liste zurück, sondern auf von den Unterpräfekten gemeinsam mit den designierten Konsistorialprä40 41 42
Details zum Vorschlag siehe SCHEIDHAUER, L’église lutherienne, S. 95 f. DUDA, Organisation, S. 38. Zur Problematik der Ein- und Zuordnung von Notabeln als soziale Elite vgl. DUNNE, Power on the Periphery, S. 61 ff.
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3. Die zentralen Behörden
sidenten für jede Konsistorialkirche erarbeiteten Namenslisten der 25 höchstbesteuerten Familienväter der jeweiligen Konfession. 43 Kirchliche Notabeln waren per definitionem verheiratet und zählten innerhalb des Konsistorialsprengels zu den Höchstbesteuerten. Damit erfuhr das Notabelnwesen im kirchlichen Raum eine Ausdehnung in tiefere Schichten. Von den namentlich bekannten kirchlichen Notabeln stand nur ein Bruchteil zugleich auch auf der Liste der Meistbesteuerten eines Departements. Folglich muss auch jede Studie über das napoleonische Notabelnwesen, wie sie etwa John Dunne vorschlägt,44 eine Unterscheidung zwischen allgemeinen und kirchlichen Notabeln treffen. Mit der Kultusneuordnung erfuhren alle Verhandlungsteilnehmer Beförderungen. Marron, Lombard-Lachaux und Sabonadière kehrten als Konsistorialpräsidenten in den geistlichen Beruf zurück. Rabaut-Pommier wurde zweiter reformierter Pfarrer in Paris. Die übrigen Teilnehmer übernahmen Ämter im öffentlichen Bereich. Christoph Wilhelm Koch war von 1802 bis 1807 Mitglied im Tribunat und hatte am 14. Juli 1804 aus der Hand Napoleons das Ritterkreuz der Ehrenlegion erhalten. Eine Berufung als Minister ins neugegründete Königreich Westphalen lehnte er jedoch unter Verweis auf sein hohes Alter ab, unterzeichnete allerdings dessen Verfassungsurkunde. Im Sommer 1813 erkrankte er und verstarb am 24. Oktober 1813. Hingegen gehörte Antoine Georges François Chabaud-Latour nach seiner Ernennung zum chevalier de l’Empire, was zugleich die Zugehörigkeit zum Reichsadel bedeutete, dem corps législatif an. Unter der Restauration stand er auf Seiten der liberalen Opposition. Napoleon ernannte Benjamin-Sigismond Frossard 1809 zum Dekan der neuen theologischen Fakultät in Montauban. Pierre-Antoine Rabaut-Dupui ließ sich zum Sekretär des Pariser Lokalkonsistoriums wählen und bemühte sich um eine bessere Vernetzung der reformierten Einzelkirchen. Im Sommer 1807 scheint er einer Intrige zum Opfer gefallen zu sein, denn er musste sein Amt als Mitglied im corps législatif niederlegen und wurde als Conseiller an die Unterpräfektur im südfranzösischen Montpellier geschickt. Bereits im September 1808 starb er bei einem Unfall in Nîmes.45 Kurz vor dem Tod des Kultusministers Portalis im August 1807 sah sich Kaiser Napoleon im Zusammenhang mit der Versetzung Rabaut-Dupui nach Montpellier zu der öffentlichen Garantie der „liberté et l’intégrité“ des reformierten Kultus genötigt.46 Obwohl sich die Umstände nicht vollständig klären lassen, vermutet Robert, dass eine konfessionelle Intrige der Hintergrund für
43 44 45 46
Ein Beispiel hierfür etwa in LHAK 256 Nr. 7782, fol. 25, Liste des notables, 1. Ventôse XII (21.2.1804). Erläuterung des Plans bei DUNNE, Power on the Periphery, S. 61. ROBERT, Réformées, S. 202. Jacques-Paul MIGNE, Dictionnaire de Biographie chrétienne et anti-chrétienne, Bd. 3, Paris 1851, Sp. 636 nennt einen Sturz vom Pferd als Todesursache. ROBERT, Réformées, S. 200.
3.1. Das Kultusministerium
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Rabaut-Dupuis Amtsniederlegung war und dieser Verdacht scheint sich durch die öffentliche Garantie zu erhärten.47 Zu einem anderen Schluss kommt hingegen André Encrevé: Er konnte feststellen, dass Protestanten überdurchschnittlich in öffentlichen Ämtern vertreten waren. Beispielsweise waren während der gesamten napoleonischen Ära im Senat, also „aus sommet de la hiérarchie“, 6,25%, im Tribunat 9% und bei den Präfekten 10,5% bei einem nationalen Bevölkerungsanteil von etwa 2% Protestanten.48 Zugleich betonte er allerdings, dass es gerade protestantische Eliten gewesen seien, die die politische Unfreiheit des napoleonischen Regimes auch öffentlich kritisiert hätten. Rabaut-Dupui war beispielsweise bekannt gewesen „pour avoir adhéré avec éclat à la Constitution de l’an VIII“.49 Weitere bekannte, vorwiegend reformierte Spitzenköpfe sprachen sich für mehr Freiheit aus, so beispielsweise Benjamin Constant für die Unabhängigkeit des Tribunats und es überrascht wenig, dass er sofort bei der ersten Erneuerung der Mitglieder 1802 aus diesem Gremium entfernt wurde. Die nächsten Jahre lebte er als Publizist und veröffentlichte einige Schriften, die ihn zum Mitbegründer des politischen Liberalismus im 19. Jahrhundert avancieren ließen. Er kehrte 1815 auf ausdrückliche Bitte Napoleons zurück und verfasste den „Acte additionnel aux constitutions de l’empire“, der am 1. Juni 1815 öffentlich verkündet wurde.50 Darin erhielten auch die Grundrechte unmittelbaren Verfassungsrang (Art. 59-67), unter anderem ausdrücklich die Religionsfreiheit (Art. 62). Gerade dieser „Acte“, obwohl wahrscheinlich nicht als Dauerlösung gedacht, brachte Napoleon einen beträchtlichen Popularitätsgewinn und trug entscheidend zur Entstehung des nachnapoleonischen Personenkultes bei.51 Constants ebenfalls protestantische Dauergeliebte Germaine de Staël, Tochter des ehemaligen Finanzministers Jacques Necker, war Napoleon hingegen von Beginn seines Konsulats an unsympathisch und wurde verbannt.52 Ihr Werk „De l’Allemagne“ fiel der Zensur anheim und musste Ende 1813 in London erstmalig erscheinen. De Staël prägte das französische Deutschlandbild für mehrere Jahrzehnte. Encrevé sieht in der relativen Häufigkeit von öffentlichen Unmutsäußerungen durch Protestanten eine Manifestation protestantischer Grunddispositionen, namentlich der Idee eines allgemeinen Priestertums, das der politischen Gleichheit entsprach, sowie der beiden Prinzipien sola scriptura und sola fide, von 47
48 49 50 51 52
ROBERT, Réformées, S. 198-199. Er nennt zwar Namen, die zur Diskreditierung Rabaut-Dupuis beigetragen haben sollen, offenbart jedoch keine weiteren Details oder Quellen. ENCREVE, Protestantisme et Bonapartisme, S. 116. Ebd. Textabdruck bei FIERRO, PALLUEL-GUILLARD, TULARD, Histoire, S. 467-471. Sudhir HAZAREESINGH, The legend of Napoleon, London 2005, S. 151-183. Zur Beziehung der beiden vgl. Henri GUILLEMIN, Madame de Staël et Napoléon, ou Germaine et le Caïd ingrat, Paris 1987.
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3. Die zentralen Behörden
denen er unter anderem den Wunsch nach einer Verfassung herleitete. 53 Es waren religiöse Überzeugungen, die Protestanten nach Ansicht Encrevés in Opposition zur autoritären Regierungsform Bonapartes setzten.
3.1.3. Ein gewolltes Druckmittel: Das napoleonische Staatsgehalt Aus dem weltanschaulichen Pluralismus leiteten sich die ersten Schritte in Richtung eines paritätischen Staates ab, der sich in dogmatische Fragen nicht einmischte. Zwangsläufig forderte dies Verhaltensänderungen aller Beteiligten. Vor allem aber war es nun mehr unmöglich, einer Religion den Vorrang gegenüber einer anderen zu gewähren. Welche Bedeutung dabei die aus dem revolutionären Gleichheitsideal erwachsenen paritätischen Vorstellungen in höchsten Regierungskreisen hatten, zeigt der Umgang des Staatsrates mit den Regierungsentwürfen Portalis´ über die Organischen Artikel. Der conseil d’état war mit der Verfassung des Jahres VIII, die am 24. Dezember 1799 in Kraft trat, eingeführt worden; dabei handelte es sich um ein den Konsuln beigesetztes Beratungsgremium. Nach dem Staatsstreich vom 18. Brumaire ernannte Bonaparte 29 Staatsräte, die den Bereichen Finanzen, Gesetzgebung, Krieg, Marine und Inneres zugeordnet waren. Den Mitgliedern des Staatsrates oblag die Prüfung der Gesetze, ob diese gegen Grundprinzipien des Staatswesens verstießen, bevor diese verabschiedet wurden.54 Auch im Fall der Organischen Artikel erfüllte der Staatsrat dem ordentlichen Geschäftsgang gemäß und aus seiner Logik heraus zwingend seine Pflicht. Portalis reichte den Gesetzentwurf vom 25. Februar 1802 zur Beratung in den Staatsrat ein. Die Beratungen über die Organischen Artikel fanden in den Sitzungen vom 2. und 3. April 1802 statt.55 Während der eher kursorisch gehaltenen Beratungen veränderten die Staatsräte den Regierungsentwurf jedoch folgenschwer. Die Begriffe „église“ und „paroisse“ wurden, allerdings nicht durchgängig, durch den Terminus „église consistoriale“ ersetzt.56 Zur Begründung erklärte der Staatsrat, dass eine Ungleichbehandlung von Katholiken und Protestanten vorläge. 57 Der katholischen Kirche gestand die Regierung lediglich die Besoldung von jeweils einem Pfarrer pro Kanton (dem so genannten Kantonspfarrer) sowie den Bischöfen und Erzbischöfen zu. Wollten Kirche oder Gläubige zusätzliche Pfarrer, mussten sie diese selbst besolden. Somit erhielten etwa 3.500 katholische Weltgeistliche ein Staatsgehalt, die für 53 54 55 56 57
ENCREVE, Protestantisme et Bonapartisme, S. 112 ff. Zur französischen Verfassungsorganisation vgl. Jacques GODECHOT, Les institutions de la France sous la Révolution et l'Empire, Paris 1985. DUDA, Organisation, S. 46. Ebd., S. 46; JUNG, Pfälzische Kirche, S. 118-119. DUDA, Organisation, S. 47.
3.1. Das Kultusministerium
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etwa 35 Millionen Katholiken zuständig waren. Während der Besprechungen zwischen Portalis und Rabaut-Dupui hatte letzterer seine Auffassung durchsetzen können, dass die Regierung als Rechtsnachfolger der Regierung Ludwigs XIV. Entschädigung für die seit 1685 entzogenen protestantischen Güter zu leisten habe. Die Regierung folgte dieser rechtlichen Argumentation, die zugleich ein nunmehr als Unrecht empfundenes Verhalten des Rechtsvorgängers zu kompensieren suchte. Der conseil d’état sah allerdings eben genau darin die Ungleichbehandlung. Dem Gesetzentwurf zufolge würde jeder protestantische Pfarrstelleninhaber besoldet werden. Dabei hatte es sich um eine Forderung gehandelt, die die Reformierten um Rabaut-Dupui von Anfang an als Grundlage jeglicher kultischen Neuordnung gestellt hatten.58 Das hieße, dass bei den ungefähr 1,25 Millionen Protestanten beider Konfessionen über 1.100 Pfarrer in den Genuss eines Staatsgehaltes kämen. Somit würde ein katholischer Priester auf 10.000 Gläubige, ein staatsbezahlter protestantischer Pfarrer dagegen nur auf etwa 1.100 kommen.59 Die Gleichbehandlung der Konfessionen durch den Staat wäre in diesem Fall einer Bevorzugung der Protestanten gleichgekommen. Aus diesem Grund konnte der Staatsrat nicht anders, als den Entwurf abzuändern. Das Ergebnis war die Schöpfung der Konsistorialkirchen. Diese sollten 6.000 Konfessionsangehörige umfassen, somit der Durchschnittsgröße eines Kantons entsprechen und daher den protestantischen Pfarrer seinem katholischen Kollegen gleichstellen. Es sollte also nur der Pfarrer am Hauptort der Konsistorialkirche besoldet werden. Dass bei einer solchen Regelung der Staatshaushalt geringer belastet werden würde, als bei einem generellen Staatsgehalt und daher ökonomische Faktoren ausschlaggebend waren, wie Otto Jung konstatiert,60 war demnach nur eine Seite der Medaille. Das ausschlaggebende Motiv für die Abänderung im Staatsrat waren paritätische Überlegungen. Die bloße Existenz der napoleonischen Konsistorialkirchen als solchen ist bereits ein Beleg für das staatliche Bemühen um konfessionelle Neutralität. Wenn das Staatsgehalt letztlich doch allen Pfarrern in den rheinischen und den meisten französischen Departements61 zu Gute kam (und teilweise heute noch kommt), ist die Ursache darin zu finden, dass es Rabaut-Dupui gelang, seinem alten Bekannten Portalis klarzumachen, dass eine bewusste finanzielle Ungleichbehandlung innerhalb der Pfarrerschaft protestantischen Traditionen völlig widerspräche. Außerdem würde die Regierung bereits seit den 1790er Jahren denjenigen Ordensgeistlichen eine Pension zahlen, die nicht mehr amtieren
58 59 60 61
ROBERT, Réformées, S. 102. Jung, Pfälzische Kirche, S. 118-119. Ebd., S. 120. Vgl. SCHEIDHAUER, L’église lutherienne, S. 222-243; ROBERT, Réformées, S. 104, Anm. 5.
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3. Die zentralen Behörden
dürften.62 Die Entscheidung zur Konsistorialkirche von 6.000 Seelen entsprang egalitären Vorstellung einer durch Gewissensfreiheit gesicherten staatlichen Parität; das protestantische Staatsgehalt hingegen war die Kombination von Tradition und kompensatorischer Rechtsnachfolge. Allerdings dauerte es bis in die Zeit des frühen Kultusministeriums, dass das Staatsgehalt auch als Rechtstitel verbindlich wurde. Im Juni 1803 hatte die Gruppe um Rabaut-Dupui ihr Ziel im Wesentlichen erreicht: Portalis hatte Ende April in einem Bericht erklärt, „un traitement est prévu pour tous“.63 Bonaparte verordnete durch Dekret vom 22. Juni 1803 den drei neuen Pariser Pfarrern Marron, Rabaut-Pommier, Mestrezat - ein Staatsgehalt und erzeugte somit einen Präzedenzfall. Durch Bonapartes persönliche Entscheidung war dem dritten Konsul Charles-François Lebrun, einem Kritiker der Besoldung für protestantische Pfarrer, die Oppositionsgrundlage entzogen worden.64 Ein weiterer ungünstiger Entwurf Lebruns wurde zurückgewiesen. Stattdessen griffen Bonaparte und Portalis den Plan des Senatspräsidenten und Mitunterhändlers beim Konkordat, Jean-Jacques-Régis Cambacérès, auf.65 Der daraus resultierende Regierungsbeschluss vom 15. Germinal XII (5. April 1804) führte in Altfrankreich das Staatsgehalt in drei Gehaltsklassen ein. Dank Kochs Erfolg aus dem Jahr 1790 waren die elsässischen Departements von der Zahlung des Staatsgehalts ausgenommen, denn ihre Kirchengüter waren weder nach 1685 noch nach 1789 eingezogen, sondern als Privatgüter angesehen worden. Sie erhielten erst 1819 das Staatsgehalt zugesprochen. Im Elsass bestanden bereits enge Verbindungen mit anderen französischen Stellen, die so in den soeben annektierten Rheinlanden nicht existierten. Es bestand auch keine Erfahrung über die Loyalität der neuen administrés. Gerade den départements nouveaux als erst 1801 offiziell angegliederten Bestandteilen Frankreichs wollte die Regierung besondere Aufmerksamkeit erweisen, um sie enger einbinden zu können. Bei der Entscheidung über das Staatsgehalt führte Portalis am 14. November 1803 gegenüber Bonaparte in erfreulicher Offenheit aus, was der Hintergrund eines Staatsgehalts sein sollte: „En rétribuant les pasteurs nous avons voulu les mettre sous la dépendance immédiate du gouvernement qui pourra avec facilité arrêter, suspendre ou supprimer le traitement de tel ou tel pasteur, et s’assurer ainsi la soumission et l’obeïssance de tous“.66 62 63 64 65 66
ROBERT, Réformées, S. 102, Anm. 4. Nach: Ebd., S. 103; vgl. Armand LODS, Le traitement des pasteurs au lendemain de la loi du 18 germinal an X (avril 1802). In: BSHPF 41 (1892), S. 35-42, speziell S. 37 ff. ROBERT, Réformées, S. 103. Ebd., S. 104. Cambacérès wurde später als Erzkanzler des französischen Reiches auch Berater Bonapartes. DUDA, Organisation, S. 63; Armand LODS, L’église réformée de Paris pendant la Révolution. In: BSHPF 38 (1889), S. 357-368, 465-474, S. 469.
3.1. Das Kultusministerium
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Das Staatsgehalt war aus dem Blickwinkel von Portalis keineswegs allein als Entschädigung gedacht,67 sondern als Druckmittel für das neue Kultusministerium. Der massive Wunsch einer staatlichen Besoldung, wie ihn Rabaut-Dupui, aber auch Matthias Daubenspeck naiverweise ausdrückten, gab dem Kultusministerium als Behörde ein existenzielles Machtmittel gegenüber Geistlichen an die Hand, die wie in Innerfrankreich keine anderen Einkünfte besaßen. Konsequenterweise erschien das Dekret vom 15. Germinal XII (5. April 1804) nie offiziell im Bulletin des lois.68 Folglich bestand kein offizieller Rechtsanspruch auf ein Gehalt und es konnte bei Bedarf entzogen werden. Folgerichtig lautet ein retrospektives Fazit über die Konsequenzen des Staatsgehaltes: „Aber es entsteht erstmals auch eine Abhängigkeit vom Staate“.69 Für die rheinischen Departements stellte sich zusätzlich das Problem, dass dort weder 1685 noch 1789/90 irgendwelche protestantischen Kirchengüter zu Nationalgütern erklärt oder eingezogen worden wären. Eine Rechtsgrundlage für das Staatsgehalt schuf damit erst die im November 1804 verordnete Nationalisierung der linksrheinischen Heidelberger Güteradministration. 70 Als am 13. Fructidor XIII (31. August 1805) das Staatsgehalt auch in den Departements eingeführt wurde, die von dieser Verstaatlichung betroffen waren,71 lagen die dortigen Gehaltsstufen allerdings um die Hälfte niedriger als in Innerfrankreich. Der Wert der Kirchengüter war für jede Gemeinde pauschal mit 500 Francs angesetzt worden, so dass auch das rheinische Staatsgehalt in der III. Klasse nur mit dieser Summe beginnen konnte.72
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So hieß es in einem Bericht des Kultusministeriums über die Einkommensverhältnisse der reformierten Konsistorialkirche Krefeld: „Les pasteurs privés de salaires sont réduits à la misère.“ Über die Kirchen des lutherischen Generalkonsistoriums Köln hielt der Bericht fest: „Depuis la réunion de cette contrée à la France, la situation était devenue très pénible et très précaire; mais leur sort commence à s’améliorer, par la protection du Grand Napoléon, qui a daigné accorder une petite pension aux pasteurs protestants.“ Vgl. Félix KUHN, Les préliminaires de la loi de Germinal. In: BSHPF 48 (1899), S. 201-214, 419-433, hier: S. 209. ROBERT, Réformées, S. 104, Anm. 4. Hermann JEUDE, 400 Jahre Evangelische Kirchengemeinde Geilenkirchen-Hünshoven: 1586-1986, Geilenkirchen 1986, S. 12. Eine kompakte Zusammenfassung rechtlicher Aspekte bietet Andreas METZING, Der linksrheinische Protestantismus und die französische Säkularisationspolitik. In: Georg Mölich (Hg.), Klosterkultur und Säkularisation im Rheinland, 2. Aufl., Essen 2002, S. 197-204. Ferner DUDA, Organisation, S. 63-67. Für das Donnersbergdepartement detailliert bei JUNG, Pfälzische Kirche, S. 120-129 und DIEHL, Staatsgehalte. Namentlich wurden ausdrücklich die rheinischen Departements aufgeführt. DUDA, Organisation, S. 65; Pirmin SPIESS, Vom Stand zur Klasse. Artikel 14 des Konkordates von 1801 über die Pfarrbesoldung (eine Exegese). In: Walter G. Rödel, Regina E. Schwerdtfeger (Hg.), Zerfall und Wiederbeginn. Vom Erzbistum zum Bistum Mainz (1792/97-1830); ein Vergleich; Festschrift für Friedhelm Jürgensmeier, Würzburg 2002 (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte; 7), S. 213-230.
3. Die zentralen Behörden
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Während der Amtszeit von Kultusminister Portalis erfolgte der Ausbau der materiellen Versorgung der Geistlichen. Am 5. Mai 1806 verordnete Kaiser Napoleon in einem Dekret „relatif au logement des ministres du culte et à l’entretien des temples“, dass in Gemeinden mit gemischtkonfessioneller Bevölkerung die Zivilgemeinde für freie Wohnung und Garten des Pfarrers sorgen musste. Zudem verpflichtete dieses Dekret die Gemeinden zur Kostenübernahme bei Renovierungsarbeiten an Kirchengebäuden. Generalpräsident Jacobi erkärte hierzu, die Prediger müssten „supplicando beim Maire und Kommunalrat einkommen, sie [seien] aber keineswegs berechtigt, einen Zuschuß von der Zivilgemeinde zu fordern“.73 Im September 1807 wurde gar eine Art Zehnter wieder eingeführt: Zehn Prozent der Erträge jedes öffentlichen Grundeigentums sollte in einen Unterstützungsfond fließen, um Beihilfen zur Bestreitung der Kultuskosten zu gewähren.74 Im Übrigen bestand seit 1804 eine nationale Kleiderordnung für Pfarrer.75 Damit war der geistliche Beruf auch wieder öffentlich als solcher erkennbar und uniformiert. Die letzte große Maßnahme war die Befreiung der Theologen vom Militärdienst, auf die später eingegangen werden wird. Nach dem Tod von Kultusminister Portalis erfolgten unter seinem Nachfolger Bigot de Preameneu keine weiteren fördernden Maßnahmen zu Gunsten protestantischer Pfarrer: Der Handlungsrahmen und das Druckmittelpotenzial waren bereits abgesteckt.
3.2. Das reformierte Kommunikationsbüro in Paris 3.2.1. Die Synodenfrage Traditionell bildeten Synoden die verbindenden Instanzen für die protestantische Gemeindeorganisation in Frankreich. Napoleon hatte in den Organischen Artikeln versprochen, dass zwar keine Nationalsynode, aber doch regionale Synoden stattfinden dürften. Jeweils fünf Konsistorialkirchen, jeweils also etwa 30.000 Reformierte umfassend, sollten dem Gesetzestext zu Folge eine Synode bilden. In die Synoden sollten die Lokalkonsistorien jeweils einen Pfarrer und einen Notabeln entsenden. Zu den Aufgaben der Konsistorien gehörten alle kirchlichen Angelegenheiten sowie die Aufsicht über die Reinheit der Lehre.76
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Zitiert nach DUDA, Organisation, S. 66. Ebd. Georg BIUNDO, Zur Geschichte der geistlichen Tracht (Zweibrücken). In: BlpfKG 17 = (26) (1950), S. 101. Ders., Zur Geschichte der Geistlichen-Tracht. In: BlpfKG 4 (1928), S. 124-125. Siehe auch Mohn, Krefeld, S. 214. DUDA, Organisation, S. 89.
3.2. Das reformierte Kommunikationsbüro in Paris
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Wichtig wurde die Klausel, dass die Synoden nur nach staatlicher Genehmigung und im Beisein des Präfekten oder Unterpräfekten zusammentreten durften. Der Konflikt zeichnete sich sehr früh ab, als nämlich die reformierten Lokalkonsistorien des Departements Drôme die Zusammenkunft ihrer gerade neu installierten Konsistorialkirchen zu einer Synode beantragten. Marie-Louis-Henry Descorches, Präfekt des Departements Drôme und Freimaurer, erteilte seine Zustimmung zu diesem Schritt, den er in seiner Kompetenz sah. Trotzdem wurde er von Kultusminister Portalis scharf zur Ordnung gerufen. Der Argumentation halber sei Portalis’ Schreiben vom 23. Frimaire XII (15. Dezember 1803) ausführlich zitiert: „Citoyen préfet, je ne reviens point de l’étonnement qu’a produit la lecture de votre arrêté du 9 frimaire. […] Cet arrêté est un attentat aux lois, une infraction manifeste du droit public et un acte dérisoire à l’égard des droits du gouvernement. […] Il n’y a que le gouvernement qui puisse autoriser même des assemblées préparatoires. […] Quand la loi a parlé des synodes pour les protestants, comme elle a parlé des conciles pour les catholiques, son objet principal a été de consacrer le principe qu’aucune de ces assemblées ne pourrait avoir lieu sans l’autorisation du gouvernement. Mais on a été bien loin de donner à entendre qu’il n’y avait qu’à demander l’autorisation […] pour l’obtenir. Ce n’est pas d’après dix années de tourmente révolutionnaire, que l’on peut autoriser des assemblées ecclésiastiques, et exposer l’État au danger de voir renaître des controverses de parti, ou de voir reproduire des délibérations ambitieuses. […] Votre religion a été évidement surprise par des hommes qui se cachent […] Les Protestants, comme les Catholiques, doivent se borner à prècher la bonne morale et la soumission aux lois. Ils doivent mériter […] la protection que le Gouvernement leur accorde au lieu de projeter des assemblées que les circonstances ne comportent pas“.77
Kultusminister Portalis untersagte die Synoden dieser Argumentation nach, weil er im Genehmigungsfalle auch der katholischen Kirche solche Versammlungen zugestehen hätte müssen und der Staat durch mögliche konfessionelle Streitigkeiten in Gefahr hätte gebracht werden können. Es waren daher auch in diesem Fall paritätische Überlegungen sowie die Furcht vor erneuter „tourmente révolutionnaire“ seitens der Regierung, die eine Umsetzung des Gesetzestextes verhinderten. Das Verbot galt generell und damit auch in den rheinischen Departements. Von Versuchen der innerfranzösischen Reformierten, die Regierung zur Freigabe der Synode zu bewegen, war auch das reformierte Lokalkonsistorium in Krefeld unterrichtet, denn in einer Dankadresse an „Staats Rath Bürger Portalis“ verknüpfte das Lokalkonsistorium geschickt Dank mit Bitte. Denn „in dem sonst so schönen Gesetze vom 18. Germinal 10 Jahres“, fänden sich „einige Mängel, 77
ROBERT, Réformées, S. 93 f.; DUDA, Organisation, S. 89 f.; BOULAY DE MEURTHE V, S. 333, Anm. 1; JACOBSON, Urkundensammlung, S. 785 ff.
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3. Die zentralen Behörden
die unsere Kirchendisziplin und selbst die Existenz mancher Reformirten Gemeinden zu bedrohen scheinen; aber dies macht uns keine Furcht; denn wir sind schon unterrichtet, daß unsere Glaubensbrüder im Innern die Regierung in einem Memoire auf diese Mängel aufmerksam gemacht“ hätten.78 Die Glieder des Konsistoriums glaubten auch, dem Kultusminister „versichern zu dürfen, daß alle Protestanten Frankreichs von der Reformirten Confession hierin einstimmig denken“. Man zeigte sich überzeugt, „daß alles (!) Wohltaten, die den Protestanten des Innern und den katholischen Glaubensgenossen im Roerdepartement bewilligt sind, oder noch bewilligt werden mögten, auch auf die Protestantischen Gemeinden dieses Departements ausgedehnt werden mögen“. Auch wussten sich die unterzeichnenden Neu-Franzosen die Gleichheit vor dem Gesetz zu Nutze zu machen: „Sie [die unterzeichneten Pfarrer und Notabeln] haben als Bürger eines Vaterlandes gleiche Rechte mit ihren Mitbürgern und - wir sind stolz darauf, daß wir es sagen dürfen - sie verdienen eben das Wohlwollen und eben die Sorgfalt, womit die Regierung ihre übrigen Kinder beglückt; denn unter ihnen wird das scharfsichtige Auge derselben die größte Aufklärung, die weise Moralität, die größte Thätigkeit und die wärmste Anhänglichkeit an ihr neues Vaterland und von deßen Gesetzen und Regierung entdecken“.79
Diese scheinbare Dankadresse war tatsächlich eine massive Instrumentalisierung, die letztlich eine Petition darstellte und sehr selbstbewusst Rechte einforderte. Als jedoch keine Reaktion durch den Kultusminister hierauf erfolgte und auch dessen Nachfolger Bigot de Preameneu bei der Verweigerung einer gesetzlich zugesicherten Einrichtung blieb, unterließen die rheinischen Lokalkonsistorien weitere Schritte, mit dem zentralen Kultusministerium eine Einigung anzustreben. So hieß es im pfälzischen Freinsheim, wo man ähnliche Maßnahmen bereits von der kurpfälzischen Regierung kannte: „Was die Bemerckung wegen dem Synod betrift, will das Consistorium die Sache einsweilen auf sich beruhen lasen“.80 Stattdessen gab es nun Versuche, die gesetzliche Regelung durch informelle Konferenzen zu umgehen. Nachdem bereits am 30. September 1806 die Konsistorialpräsidenten des Arrondissements Speyer sich in Freinsheim zu einer größeren Zusammenkunft getroffen hatten,81 gab es auch im Roerdepartement parallele Versuche. In Krefeld traten am 24. Juni 1807 die reformierten Konsistorialpräsidenten des Roerdepartements zusammen. Teilnehmer waren die 78 79 80 81
AEKRD 4KG 008 Nr. 23, Dankadresse des „Consistoriums der Konsistorialkirche zu Creveld“ an Portalis vom 7. Frimaire XII (29.11.1803). Dort auch die weiteren Zitate. Ebd. Protokoll Freinsheim reformiert vom 3.1.1809, § 2. DUDA, Organisation, S. 91. Text des Protokolls teilweise abgedruckt bei MÜLLER, Vorgeschichte, S. 211, Anm. 278.
3.2. Das reformierte Kommunikationsbüro in Paris
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Konsistorialpräsidenten und jeweils ein weiterer Pfarrer aus ihrem Ressort. Diese „Krefelder Konferenz“ verabredete, dass alle Konsistorien sich ein einheitliches Konsistorialreglement geben sollten. Zugleich griff man auf eine vorrevolutionäre Tradition zurück: Wie zu Zeiten der Jülicher Provinzialsynode, beschloss man, sich gegenseitig die Protokolle zuzusenden.82 Dies war wie die Einführung formeller Reglements eine spezifisch niederrheinische Angelegenheit.83 Tatsächlich entstand in Moers ein Konsistorialreglement, das sehr detailliert das Funktionieren der Konsistorialkirche gewährleisten wollte.84 Dieses Reglement wurde auch in anderen Lokalkonsistorien diskutiert, fand aber vermutlich nur in Stolberg, Moers und Kleve dauernden Anklang. Die Stolberger Kirche unter Präsident van Alpen gab sich allerdings eine eigene Ordnung, die ausdrücklich Bezug auf die früheren Kirchenordnungen nahm: „Die ehemals in unseren Kirchen bestandene Kirchenordnung bleibt, insofern sie den Organischen Artikeln nicht widerspricht“, hieß es im Ersten Artikel dieses Reglements.85 Weder kam es in der Folge zu weiteren Konferenzen in den rheinischen Departements, noch wurden Versuche von Seiten rheinischer Akteure unternommen, die Diskrepanz zwischen Norm und Wirklichkeit mit dem Kultusminister zu bereden. Das Hauptanliegen der Reformierten wurde nicht erfüllt; es blieb ein „unerfülltes Erbe“ (Schunk) der napoleonischen Zeit, oder wie Robert es formulierte, „synodes-fantômes“.86
3.2.2. Pierre-Antoine Rabaut-Dupui: Ein verhinderter Makler? Das Synodenverbot brachte Rabaut-Dupui in arge Bedrängnis. Immerhin war es sein massiver Einsatz für das presbyterial-synodale Kirchenwesen gewesen, aufgrund dessen die Reformierten eine hierarchiearme Organisation zugesprochen bekamen. Die kirchliche Struktur blieb rudimentär, denn die erste Synode konnte erst während der übernächsten Revolution 1848 zusammentreten.87 Das reformierte Kirchenwesen wäre ohne weitere Strukturen auskommen, wenn es wie vorgesehen implementiert worden wäre. Angesichts der neuen 82
83 84 85 86 87
Protokoll Stolberg reformiert vom 7.7.1807, § 12, der zugleich das Protokoll der Konferenz vom 24. Juni 1807 ist. Das Reglement wird thematisiert in Moers (Protokolle vom 17.11.1803, § 2; 16.1.1804, § 12; 17.4.1805, § 6) und Kleve (Protokoll des Spezial-Comités vom 4.6.1807, § 1), möglicherweise auch in Odenkirchen (20.6.1810, § 4). DUDA, Organisation, S. 72. Abdruck des gesamten Reglements bei DUDA, Organisation, S. 124-141. Bei auch die rechtshistorische Diskussion. Abdruck bei JACOBSON, Urkundensammlung, S. 614 ff. Vgl. DUDA, Organisation, S. 72, Anm. 123. SCHUNK, Pfälzischer Protestantismus, S. 338; ROBERT, Réformées, S. 71. Johann Karl Ludwig GIESELER, Die protestantischen Kirchen Frankreichs. Von 1787 bis 1846, Göttingen 1848, S. VII f.
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3. Die zentralen Behörden
Situation schlug Rabaut-Dupui auf der Konsistorialpräsidentenkonferenz 1804 vor, ein Pariser Büro unter seiner Ägide zu errichten. Ziel des Projekts war die Bündelung des Informations- und Kommunikationsflusses zwischen den Konsistorialkirchen und dem Kultusminister. Rabaut-Dupui zeigte sich bereitwillig, diese schwierige Aufgabe zu übernehmen. War er damit bereits Aspirant auf eine Rolle als Makler, wie sie Sharon Kettering klassisch definiert hat? „Brokers mediated between the provincial power structure and the national government in Paris, performing the critical function of linkage in a state with a weak government“.88 Zu berücksichtigen ist dabei die Feststellung Michael Rowes, dass „the most important characteristic of Napoleonic government was less its centralisation and more its dependence upon local elites“.89 Diese Maklerfunktion setzte einen gewissen Grad von Unabhängigkeit voraus, damit er einerseits gegenüber der Regierung nicht als Bittsteller auftreten musste. Andererseits musste er bereits über Einfluss und Klienten verfügen, deren Gebrauch er anbieten und vermitteln konnte. Dabei vertrat er keineswegs eine neutrale Durchgangsposition, sondern durchaus auch eigene Interessen: Er vermochte Einfluss zu nehmen auf die Qualität und Intensität des Austausches. Oft warf er sein eigenes Gewicht zusätzlich mit in die Waagschale, um einen Transfer zu begründen, zu beschleunigen oder zu verlangsamen. „Brokers are usually important individuals in their own right with independent resources and numerous dependents, which is why they become brokers“.90 Ein Makler vermittelt also einen Austausch von Ressourcen zwischen zwei Akteuren, die aufgrund ihrer räumlichen Entfernung nicht in Kontakt miteinander geraten wären. Rabaut-Dupui befand sich offenbar in einer guten Ausgangslage: Er war dem Kultusminister Portalis persönlich bekannt, hatte mit ihm erfolgreich verhandelt. Rabaut-Dupui verfügte über Kontakte zu Theologen, Verwaltungsbeamten und Kaufleuten in ganz Frankreich. Seine Familie war Opfer der Revolution geworden, als sein Vater guillotiniert worden war. Das bedeutete im napoleonischen Frankreich durchaus einen Bonus, wenn man sich für Stellen im öffentlichen Dienst bewarb. Durch seine kaufmännische Tätigkeit hatte er ein beachtliches Vermögen erworben, das ihm persönliche Unabhängigkeit erlaubte. Somit sind die Voraussetzungen für die Wahrnehmung des politischen Klientelismus gegeben. Allerdings machte Rabaut-Dupui einen folgenschweren Fehler, der das gesamte Projekt eines reformierten Synodensubstituts existenziell gefährdete: Er forderte einen zu großen Profit zu offenkundig für sich selbst. Auf der Konsistorialkonferenz von 1804 rechnete er vor, dass diese Kontaktstelle jährliche Ausgaben in Höhe von 13.400 Francs haben würde. Gemäß seinem Verteilungsschlüssel lagen die Anteile für jede einzelne Konsistorialkirche abgestuft 88 89 90
Ebd., S. 5. Michael ROWE, From Reich to State. The Rhineland in the Revolutionary Age, 1780-1830, Cambridge 2003, S. 114. Ähnlich John DUNNE, Power on the Periphery, S. 61 ff. KETTERING, Political Clientelism, S. 425-426.
3.2. Das reformierte Kommunikationsbüro in Paris
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zwischen 13,3% und 18% der jeweiligen Jahreseinkünfte. Die Einnahmen waren vor allem für Miete eines Büros und Sekretariatskosten bestimmt. So schloss das Protokoll: „Die Summen, welche durch eine allgemeine Subscription die hieroben angesetzte übersteigen sollten, sollen theils zur Verbesserung des Gehalts des Herrn Rabaut, welches jedoch nicht über 8.000 Franken gehen kann, und theils zur Erleichterung des Schicksals der ausgedienten Prediger und deren Wittwen verwendet werden“.91
Das war das zweite Problem. Überschüssige Gelder sollten Rabaut-Dupui zur persönlichen Gehaltsaufbesserung dienen. Bei Entzug eines so hohen Prozentsatzes der Einkünfte wäre der Aufbau eines eigenen allgemeinen kirchlichen Vermögensbestandes zugunsten eines lokalen Vermögens erheblich erschwert worden. Offenbar scheinen die Vertreter der Konsistorialkirchen eine Bereicherung des Kaufmanns Rabaut-Dupui einkalkuliert zu haben, denn obgleich der Beschluss zur Einrichtung des Büros auf der Konsistorialpräsidentenkonferenz im Dezember 1804 gefasst wurde, kam es nicht zu dessen offizieller Einrichtung. In den Protokollen der niederrheinischen Konsistorialkirchen findet sich allerdings kein Hinweis darauf, dass der Vorschlag der Schaffung eines Kommunikationsbüros in Paris diskutiert oder wenigstens vorgestellt worden wäre. Die Person Rabauts war sogar noch 1807 unbekannt, denn ein Krefelder Protokoll sprach von „dem Wunsch eines Herrn Rabaut le jeune“.92 Das deutet darauf hin, dass die Mitglieder der niederrheinischen Lokalkonsistorien kein Interesse an intensiveren Verbindungen in die französische Hauptstadt hegten. Nachdem sein Dezemberplan nicht akzeptiert worden war, schlug Rabaut-Dupui vor, die lutherische Hierarchie zu übernehmen, was ihm jedoch scharfe Kritik einbrachte. Sein Plan war gut gemeint, bedeutete allerdings eine Wendung um 180 Grad, denn gerade unter Verweis auf die spezifisch reformierte Tradition hatte er den ursprünglichen Vorschlag Portalis‘, eine einheitliche Organisation sowohl für Reformierte wie Lutheraner durchzusetzen, abgelehnt. Diese völlige Meinungsänderung bewirkte, auch angesichts des gescheiterten Kommunikationsbüros, dass Rabaut-Dupui Ansehen und Kredit verspielte. Wie erwähnt, wurde er 1807 geschasst.93 Da auch sein „lutherischer“ Plan scheiterte, schlug Rabaut-Dupui Anfang 1806 vor, die reformierten Konsistorialkirchen Frankreichs mögen erwägen, den Konsistorialpräsidenten Marron und ihn selbst „zu ihren Agenten anzunehmen
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92 93
AEKRD 3MB 006 Nr. 64. Vgl. dazu auch Rabaut-Dupuis September-Denkschrift bei Daniel ROBERT, Textes et Documents relatifs à l’histoire des églises réformées en France (période 1800-1830), Genève 1962, S. 113-115. Protokoll Krefeld lutherisch vom 25.6.1807, § 5. ROBERT, Réformées, S. 202.
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3. Die zentralen Behörden
für die Summe jährlicher 200 francs“.94 Diesen Betrag für zwei Agenten, der niedriger lag als die 1804 geforderten Summen, war zumindest das Lokalkonsistorium in Stolberg nachweislich bereit zu investieren. Dabei handelte es sich nicht nur um eine fiktive Einrichtung, sondern sie bot durchaus Anlass bei Unsicherheiten nachzufragen. Als sich die Vertreter der Gemeinden Aachen, Burtscheid und Düren bei Präsident van Alpen über die großen Geldverluste an die die kirchliche Sozialfürsorge ersetzenden staatlichen Wohltätigkeitbüros beklagten, beauftragte dieser in Abstimmung mit dem Konsistorium, „an Rabaut le jeune zu schreiben, um sich zu erkundigen, ob es rathsam sey, jene Summen zu reclamiren“.95 Ebenfalls in administrativen Fragen holte Präsident van Alpen bei Rabaut-Dupui Rat ein.96 Umgekehrt beeilten sich die Konsistorien in Moers und Odenkirchen, Anfragen Rabauts für sein 1807 erschienenes Annuaire 97 möglichst rasch und präzise zu beantworten.98 Mögliche Antworten Rabauts haben sich in den umfangreichen kirchlichen Korrespondenzen nicht erhalten, daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass Rabaut-Dupui auch tatsächlich antwortete. Ebenso wenig vermittelte Rabaut-Dupui freie Stellen. Als mit Johann Peter Charlier der Sohn des Frechener Pfarrers als erster evangelischer Pfarrer nach Brüssel berufen wurde, geschah dies aufgrund bestehender Kontakte zwischen den unmittelbar Beteiligten. Der ältere Charlier erwirkte von seiner alten Universität Leiden ein Empfehlungsschreiben für seinen Sohn, die ihn als Nachfahren wallonischer Flüchtlinge nach Brüssel präsentierten.99 Obwohl rheinische Konsistorialpräsidenten Rabaut-Dupui persönlich kannten, wie Heinrich Diergardt, oder bereit waren, ihm für Informationen und Ratschläge auf Basis einer Art Beratervertrag Geld zu geben, wie Heinrich Simon van Alpen für sein Stolberger Konsistorium, konnte Rabaut sein Potenzial als Mittler zwischen regionaler und zentraler Ebene doch nicht ausnutzen. Einerseits lag das an seinen nur partiell ausgebildeten Kontakten ins Rheinland, die zudem nicht hinreichend aktiviert wurden. Andererseits sah er sich nicht in der Lage, Stellen oder sonstigen Zugriff auf andere Ressourcen zu verteilen. Damit fehlte den reformierten Pfarrern im Roerdepartement eine grundsätzliche Integrationsfigur, die wirksam hätte werden können, um nachhaltig Loyalitäten auf die französische Regierung zu lenken. 94 95 96 97
98 99
Protokoll Stolberg reformiert vom 1./2.7.1806, § 19. Protokoll Stolberg reformiert vom 1./2.7.1806, § 21. Protokoll Stolberg reformiert vom 5.7.1808, § 2. Pierre-Antoine RABAUT LE JEUNE, Annuaire ou répertoire ecclésiastique à l’usage des Églises réformées et protestantes de l’Empire français, Paris 1807. Die Neuauflage sollte 1810 erscheinen. Protokoll Moers reformiert vom 16.01.1804, § 7; Odenkirchen reformiert vom 19.12.1809, § 5. BRAEKMAN, Le Protestantisme à Bruxelles, S. 94.
3.3. Das Generalkonsistorium Augsburger Konfession in Köln
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3.3. Das Generalkonsistorium Augsburger Konfession in Köln 3.3.1. Ein Unternehmer an der Spitze: Johann Friedrich Jacobi Nach Portalis’ Tod übernahm mit Bigot de Preameneu ein Revolutionsgegner und Mann aus altem Adel den Posten des Kultusministers.100 Ähnlich wie sein provençalischer Freund Portalis hatte der Bretone eine Juristenlaufbahn eingeschlagen. Als die assemblée législative im April 1792 den Krieg gegen den „König von Böhmen und Ungarn“ erklärt hatte, hatte ihr Bigot de Preameneu präsidiert. Der Guillotinierung aufgrund seiner gemäßigten Ansichten entging der bereits inhaftierte Bigot de Preameneu nur durch den Sturz Robbespierres. Er kehrte im März 1797 aus seiner Heimatstadt Rennes nach Paris zurück, wo er Präsident einer Zivilgerichtskammer wurde. Aktiv unterstützte er den Staatsstreich Bonapartes und wurde wie sein Freund Portalis zunächst mit einer Stelle als Regierungskommissar am Kassationsgerichtshof belohnt. 1805 beauftragte der Kaiser ihn mit der Reorganisation des Justizwesens in Ligurien. Vom 4. Januar 1808 bis zum 6. April 1814 war er Kultusminister. Als comte de l’empire war er mit Domänen in Lilienthal und Ottersberg bei Bremen ausgestattet worden und Träger zahlreicher Auszeichnungen und Orden. Bigot de Preameneu gehörte zu den unbedingten Anhängern Napoleons. Er begleitete dessen Frau Marie-Louise im April 1814 nach Blois und übernahm während der Hundert Tage den Posten eines Generaldirektors für das Kultuswesen. Nach Waterloo trat er zurück und bekleidete nur noch kleinere Ämter. Mit dem lutherischen Generalpräsidenten Jacobi verbanden ihn Animositäten.101 Es ist nicht sicher, ob es sich um eine rein persönliche Antipathie handelte oder ob sachliche Aspekte den Ausschlag gaben. So hielt der Kultusminister dem Generalpräsidenten Jacobi noch 1811 in einem Bericht an den Kaiser vor, dieser habe das Generalkonsistorium immer noch nicht organisiert.102 Im Gegensatz dazu hatte Jacobi bereits 1807 dem weniger scharf mahnenden Portalis erklärt, er sei „l’inspecteur naturel“ seiner Kirchen.103 Immerhin gab es in seinem Bezirk mit 4.000 im Roer- und 22.000 im Rhein-Moseldepartement objektiv so wenige Lutheraner, dass er nicht einmal eine einzige Inspektion, die 30.000 Gläubige verlangte, einrichten konnte.104 Das vorgesehene Direktorium des Generalkonsistoriums ließ sich nicht aufbauen, weil Jacobi keine finanzielle Unterstützung für seine Tätigkeit erhielt. Hinzu kam, dass Bigot ihn mehrfach anhielt, endlich 100 101 102 103 104
Zur Biographie vgl. Jules PEPIN, Bigot de Préameneu, jurisconsulte (1747-1825). In: Bulletin de la Société d’Archéologie de Bretagne (1986), S. 169-173. DUDA, Organisation, S. 96; GRAUMANN, Verwaltung, S. 217. Ausführlich dazu LIMBERG, Organisation, S. 75-76. LIMBERG, Organisation, S. 75-76. LANRWR Roerdepartement 3, Nr. 523, Brief vom 25.9.1807. Die Zahl bei HASHAGEN, Die Rheinlande beim Abschluss der französischen Herrschaft, S. 49 ist mit 100.000 Protestanten in den beiden Departements völlig überzogen.
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3. Die zentralen Behörden
das Generalkonsistorium vollständig einzurichten. Dies veranlasste Jacobi sogar seinem Freund Darbaud, Chef des Büros für nichtkatholische Kulte, gegenüber mit Amtsniederlegung zu drohen, was er dann jedoch unterließ: „Je suis à bout de ma patience et je veux quitter la partie. Je vois qu’on ne sait pas apprécier les Principes et les sentiments qui dirigent ma manière d’administrer que l’on s’informe peu du succès de mon activité sur la moralité publique et qu’on a l’air de se moquer de mon zèle et mon bonhomie“.105
Im Übrigen war das Straßburger Generalkonsistorium das einzige, das vollständig errichtet wurde und daher in diesem Bereich keine Schwierigkeiten mit dem Kultusministerium hatte. Kurzum, die vormals persönlich geprägten, positiven Beziehungen zwischen Kultusminister Portalis und dem Generalpräsidenten Jacobi wichen einem nurmehr geschäftlichen Gang zwischen Jacobi und Bigot de Preameneu, der keinen Raum für persönliche Nähe ließ, sondern rein formal war. Der Kultusminister strebte nach Professionalisierung und Verrechtlichung der Beziehungen, die Jacobi ohne hinreichende materielle Ausstattung so nicht bieten konnte. Wer war dieser Johann Friedrich Jacobi, der Leiter der lutherischen Oberbehörde der Departements Roer und Rhein-Mosel? Geboren wurde er 1765 als Sohn des Philosophen und Goethefreundes Friedrich Heinrich Jacobi in Düsseldorf.106 Er absolvierte eine kaufmännische Ausbildung bei der Firma Clermont in Vaals bei Aachen, mit dessen Inhabern er verwandt war. Er heiratete schließlich die Tochter seines Oheims Johann Arnold von Clermont. Von Vaals aus entwickelte er intensive Kontakte zu anderen Textilfabrikanten im Raum Aachen, wie den Familien Clermont, Scheibler, Heydweiller, Hipp sowie ins Bergische Land und bis nach Braunschweig und Berlin. Als Tuchfabrikant verfügte er zwar über ein ansehnliches Vermögen, das ihn unabhängig machte, doch konnte er mit seiner Freiheit nur wenig anfangen, denn als Lutheraner war Jacobi von politischer Betätigung in der Reichsstadt Aachen ausgeschlossen. Das wurde ihm durch den öffentlichen Streit um die Religionsfreiheit von Protestanten in Aachen nochmals deutlich vor Augen geführt.107 Im 105 106
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LIMBERG, Organisation, S. 76. Auch GRAUMANN, Verwaltung, S. 217. Über Jacobi gibt es keine zusammenhängende Biographie, daher müssen Informationen von verschiedener Stelle zusammengetragen werden, etwa Franz OPPENHOFF, Die Beziehungen Friedrich Heinrich Jacobis und seiner Familie zu Aachen. In: ZAGV 16 (1894), S. 132-162 oder Gabriele B. CLEMENS, Immobilienhändler und Spekulanten: die sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung der Großkäufer bei den Nationalgüterversteigerungen in den rheinischen Departements (1803-1813), Boppard 1995 (Forschungen zur deutschen Sozialgeschichte; 8). Jüngst erschienen die knappe Biographie im Biographisch-bibliographischen Kirchenlexikon (2010). Zum Streit siehe Horst CARL, Die Aachener Mäkelei 1786-1792. Konfliktregelungsmechanismen im Alten Reich. In: ZAGV 92 (1985), 103-187.
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Dezember 1794 ernannte ihn Volksrepräsentant Frécine zum Mitglied der französischen Zentralverwaltung für die eroberten Lande zwischen Maas und Rhein, 1798 wurde er Munizipalpräsident in der Departementshauptstadt Aachen. Ein interner französischer Verwaltungsbericht charakterisierte ihn als „probe et estimé“.108 Der Bildungspolitiker Wilhelm von Humboldt, der ihn seit dessen Jugendjahren kannte, hingegen sprach aus privater Kenntnis, Jacobi sei „lustig und nicht unwitzig, spielt aber manchmal den Spaßmacher“.109 1800 erfolgte die Berufung zum Präfekturrat, in dessen Eigenschaft er mehrfach, unter anderem von August 1801 bis September 1802, also auch als die Organischen Artikel verkündet wurden, die Aachener Präfektur interimistisch leitete.110 Jacobi war demnach nicht nur bereit öffentliche Aufgaben zu übernehmen, sondern verfügte durch seine vielfältigen Tätigkeiten auch über entsprechend umfangreiche Kontakte zwischen Paris und Berlin. Gottfried Herder schrieb zu dieser Zeit an Friedrich Heinrich Jacobi über dessen Sohn: „Deine Familie in Aachen, Sohn und Tochter, haben wir trefflich, ja vortrefflich gefunden; der Präfekt würdig, brav, verständig; er macht Dir und allen den Seinigen Ehre“.111 Johann Friedrich Jacobi nahm wie der reformierte Konsistorialpräsident Diergardt an der von Portalis organisierten Kaiserkrönung 112 Napoleons im Dezember 1804 teil. Er war Mitglied der Ehrenlegion113 und seit 1810 Mitglied im corps législatif.114 Seine älteren Kontakte zu führenden rheinischen Unternehmern baute er aus, als er unter anderem für die Familie Heydweiller im Raum Krefeld als Immobilienmakler bei den Nationalgüterverkäufen betätigte.115 Es gelang ihm, Ende 1813 in Paris von der Regierung die Zustimmung für den Zusammenschluss der beiden Generalkonsistorien Köln und Mainz zu einem gemeinsamen Generalkonsistorium für die rheinischen Departements zu erwirken. 116 Der politische Wechsel machte jedoch diese Pläne obsolet und 108 109 110 111 112 113
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GRAUMANN, Verwaltung, S. 60. Max HECKER, Goethe und Fritz Jacobi. Achtunddreißig Briefe Jacobis an Goethe (Teil 1). In: GoetheJb 61 (1941), S. 32-69, hier: S. 38. GOETERS, Neubegründung, S. 29. OPPENHOFF, Beziehungen, S. 156, Fußnote 1. Ausführlich zur Organisation der Kaiserkrönung vgl. D’ONORIO, Portalis, S. 282-288. Die Ernennung war bereits 1805 erfolgt. Am 12.11.1811 bat er beim Kultusminister um das Goldene Kreuz der Ehrenlegion. Noch Anfang 1814 bat er, auf eigene Kosten das Kreuz erwerben zu dürfen. KARLL, Französische Regierung, S. 70; LIMBERG, Organisation, S. 77. Zu den Ehrenlegionären des Roerdepartements vgl. Sabine GRAUMANN, Honneur et patrie. Napoleonische Ehrenlegionäre im Rheinland. In: Neue Beiträge zur Jülicher Geschichte 4 (1993), S. 26-44. Die Ernennung ins corps législatif war eine typische Eigenschaft von Angehörigen der französischen Elite, die nicht gebürtige Franzosen waren, sondern es erst im Zuge der Eroberungen ab 1792 wurden. GIESSELMANN, Die brumairianische Elite, S. 39. CLEMENS, Immobilienhändler, S. 76. DUDA, Organisation, S. 94.
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enthob Jacobi seiner öffentlichen Ämter. Doch scheint er Geschmack an diesen gefunden zu haben, denn 1815 vermittelt ihm sein alter Freund Wilhelm von Humboldt den Posten des Präsidenten der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, den er bis 1830 bekleidete.117 Er starb im Dezember 1831 in Bonn.
3.3.1.1. Der Makler Jacobis Bedeutung wird allerdings nicht unbedingt allein durch seinen Lebenslauf deutlich. Man kann ihm entnehmen, dass er von den Veränderungen unter französischem Einfluss profitierte. Es erschien daher für ihn persönlich nahe liegend, sich möglichst rasch den neuen Verhältnissen anzupassen. Dennoch war er umgekehrt von zentraler Bedeutung sowohl für die Regierung als auch für die Pfarrer aller evangelischen Konfessionen im Roerdepartement. Jacobi übte zwei Funktionen aus: Als Amtsträger stand er offiziell im Staatsdienst und hatte auch den Staat und damit die Regierung zu vertreten und ihre Interessen durchzusetzen. Andererseits eröffnete er für die zentrale wie für die lokale Ebene auch einen informellen Kanal. Letzterer Aspekt soll in diesem Abschnitt behandelt werden, ebenfalls unter dem Gesichtspunkt eines möglichen Maklers, wie er weiter oben im Zusammenhang mit Rabaut-Dupui geschildert wurde. Von Kindesbeinen mit deutschen Intellektuellen wie Goethe, Herder, Claudius, Jung-Stilling und anderen persönlich bekannt, gelang es Jacobi sein eigenes Kapital, seine Kontakte durch Beruf und Heirat auszubauen. Durch die Eheschließung mit seiner Cousine festigte er familiäre Bindungen und verschaffte sich durch seine Tuchfabriken zugleich eine große materielle Unabhängigkeit. Bis zur französischen Invasion stand er bereits in Geschäftskontakten mit allen führenden Unternehmerfamilien des nördlichen Rheinlands und spätestens seit Dezember 1794 auch mit den Spitzen der französischen Besatzungsmacht, Resultat seiner Tätigkeit in der Zentralverwaltung für die eroberten Lande zwischen Maas und Rhein. Dass er im Jahre 1804 „unter Nichtbeachtung der von den Präfekten eingesandten Vorschläge auf Anraten des Kultusministers Portalis“ 118 zum Präsidenten des Generalkonsistoriums Augsburger Konfession für die Departements Roer und Rhein-Mosel ernannt wurde, ist vermutlich auf die Dankbarkeit zurückzuführen, die Portalis seinem ehemaligen Retter, dem Vater Johann Friedrich Jacobis, entgegenbrachte. Dass dies „in Unkenntnis der Gegebenheiten“ geschehen sei, insbesondere der nummerischen Größe der Lutheraner in diesem Bezirk, wie Sabine Graumann vermutet,119 mag möglicherweise zusätzlich zu117
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Auf der Rückreise von Berlin machte er eine Stippvisite bei Goethe in Weimar, den er in seinem ganzen Leben wohl nur bei drei Gelegenheiten gesehen hat. Möglicherweise ging es dabei um Aussichten einer Anstellung. Max HECKER, Goethe und Fritz Jacobi. Achtunddreißig Briefe Jacobis an Goethe (Teil 3). In: GoetheJb 63 (1943), S. 66. GRAUMANN, Verwaltung, S. 217. Ebd.
3.3. Das Generalkonsistorium Augsburger Konfession in Köln
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treffen. Wesentlicher scheint jedoch ein Fall dessen zu sein, was wir in der Moderne Begünstigung im Amt bezeichnen würden: Portalis bewies dem alten Jacobi seine Dankbarkeit, indem er dessen Sohn zum Oberhaupt der Lutheraner in einem wichtigen Teil der französischen Republik machte. Angesichts der Festigkeit, mit der Portalis an seinem Generalpräsidenten festhielt, zeigt sich zudem die schon bei der Besetzung des Kultusministeriums unter Beweis gestellte Fähigkeit zur Netzwerkbildung und -pflege durch einen Minister, der sehr erfahren in diesen Fragen war. Die Jacobis waren in gewisser Hinsicht also Teil des „clan Portalis“. Nicht nur ernannte der Kaiser Jacobi 1805 zum Mitglied der Ehrenlegion,120 sondern Napoleon war im Sommer 1802 bereit, eine direkte Ablehnung dieser exponierten Persönlichkeit des Roerdepartements hinzunehmen. Innenminister Chaptal hatte ihm die Präfektur des Departements Aisne angetragen. Jacobi lehnte sie mit dem Datum des 14. Juli 1802 ab: „Durch den äußerst liebenswürdigen Brief, mit dem Sie mich am 21. d.M. beehrten, erfahre ich, daß der Erste Konsul mich zum Präfekten des Aisnedepartements ernannt hat. Da ich niemals mich um eine öffentliche Stellung beworben habe, so werden Sie mit mir, Bürger Minister, es empfinden, daß dieser neue Beweis der Zufriedenheit und des Vertrauens mir den höchstmöglichen Grad der Ergebenheit und Erkenntlichkeit einflößen muß. Gott fürchten und die Regierung achten - das ist mein Wahlspruch und ich werde ihm während meines ganzen Lebens treu bleiben. Im übrigen erlaubt es mir, Bürger Minister, meine Stellung nicht, ein Amt zu übernehmen, das einen Wechsel des Wohnsitzes bedingt, da ich die dauernde Leitung einer Tuchfabrik, an der ich selbst mit meinen nächsten Verwandten beteiligt bin, nicht im Stiche lassen kann, aber wenn ich auch auf die Präfektur des Aisnedepartements Verzicht leiste, so ist meine Dankbarkeit doch die gleiche, als wenn ich in der Lage gewesen wäre sie anzunehmen“.121
Seine Ernennung war bereits bekannt geworden, als Jacobi sie ablehnte.122 Selbst dieser Aspekt war nicht in der Lage, die ausgezeichneten Beziehungen zwischen Jacobi und der Regierung Napoleons zu unterminieren. Im Gegenteil: Bald folgte die Berufung zum Generalpräsidenten und man war in Paris sogar bereit, darüber hinweg zu sehen, dass Jacobi nicht das in den Organischen Artikeln vorgesehene 120 121 122
MOHN, Krefeld, S. 209. Zitiert nach August PAULS, Studien zur Geschichte des Roerdepartements. In: ZAGV 66/67 (1954/55), S. 182-192, S. 183 f. und MOHN, Krefeld, S. 204. Dass Jacobi Präfekt in Bourges werden sollte, sprach sich rasch herum. Der Physiker und Mathematiker André-Marie Ampère schrieb am 16. Juli 1802 an Julie Carron-Ampère: „Le préfet de Bourg est nommé; c'est M. Jacobi, qui vient d'Aix-la-Chapelle, dans les nouveaux départements conquis sur l'Empereur; il était là conseiller de préfecture du département de la Roère“. Vgl. Louis de LAUNAY, Correspondance du Grand Ampère, tomé I, Paris 1936. S. 175-176, hier: S. 175.
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3. Die zentralen Behörden
Generalkonsistorium von Köln, sondern von seiner Wohn- und Arbeitsstätte in Aachen leitete. Jacobi zählte zu den Bewohnern des Roerdepartements, die bei der Regierung höchstes Ansehen genossen und sich weit über das übliche Maß hinaus Dinge erlauben konnten, wie eben die Ablehnung der Aisne-Präfektur. Diese ungewöhnlich große Hochachtung war es auch, das ihn vor Anfeindungen des neuen Kultusministers Bigot de Preameneu einigermaßen schützte. Dennoch bewirkten die persönlich gehaltenen Angriffe von Kultusminister Bigot de Preameneu, dass dieser und Jacobi sich auf kaiserliches Geheiß aussöhnen mussten.123 Dass Jacobi gut vernetzt war, zeigt sich an seiner Korrespondenz. Jacobis Briefjournal verzeichnet für den Zeitraum von 1803 bis 1814 knapp 1.900 Briefe. 124 Als Briefpartner seien nur einige genannt: der katholische Bischof Marc-Antoine Berdolet, 125 der Lütticher Appellationsgerichtspräsident Toussaint Dandrimont, Generalpräsident Balthasar Pietsch aus Mainz oder der Chef der zweiten Division des Kultusministeriums Darbaud, mit dem Jacobi befreundet war. 126 Zugleich stand er in hohem Ansehen bei den Pfarrern des Roerdepartements wie Maximilian Friedrich Scheibler in Monschau oder Christian Gottlieb Bruch in Köln. Durch beide stand Jacobi in Verbindung mit dem Kölner Kunstmäzen Ferdinand Franz Wallraff. Bruch riet seinem Neffen Johann Friedrich Bruch, seine theologische Dissertationsschrift dem Generalpräsidenten Jacobi zu widmen - ein Ratschlag, den der Neffe annahm.127 Wenig später, im Jahre 1811, erhielt er eine Stelle als Hauslehrer bei Kölner Verwandten Scheiblers,128 die er bis zu seinem Wechsel nach Straßburg als Theologieprofessor im Jahr 1821 innehielt. Von zahlreichen Pfarrern ist bekannt, dass sie mit Jacobi in freundschaftlicher Verbindung standen, wie etwa der Kirschseiffener Pastor Friedrich Wilhelm Hesse.129 Ausdrücklich als „Gönner und Freund“ bezeichnete Friedrich Wilhelm Reinhardt ihn nach seinem Wechsel von Jülich nach Geldern, wo er auf Empfehlung Jacobis die Leitung der vereinigten evangelischen Gemeinde übernahm. 130 Die Pfarrer Johann Heinrich Nesselrath aus Krefeld und Johannes Reisig aus Stolberg ernannte Napoleon auf Vorschlag Jacobis 1806 bzw. 1809 zu 123 124 125 126 127
128 129 130
Vgl. die Andeutungen Nesselraths in LANRWR Roerdepartement 244, fol. 144-145, Nesselrath-Jacobi, 22.11.1813. LANRWR Roerdepartement 218 und 219. Zu Berdolet siehe KRAUS, Die französische Kirchenpolitik, S. 277-280. Hierauf weist hin GRAUMANN, Verwaltung, S. 217. Seine eigene Übersetzung der Schriften Beauforts widmete Christian Gottlieb Bruch ebenfalls dem Generalpräsidenten Jacobi. Christian Gottlieb BRUCH, Vorschlage zur Vereinigung aller christlichen Kirchen. Sr. K. Majestät von Frankreich vorgelegt durch Herrn von Beaufort. Übersetzt, mit Anmerkungen und Anhängen vermehrt von Christian Gottlieb Bruch, Evangel. Pred. zu Köln am Rhein, Leipzig 1808, 2. Aufl., Köln 1809, S. IV. MOHN, Krefeld, S. 187. HERMANN, Hirt und Herde, S. 39 f. LANRWR Roerdepartement 239, fol. 33-39, Reinhardt-Jacobi, 11.10.1811.
3.3. Das Generalkonsistorium Augsburger Konfession in Köln
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Konsistorialpräsidenten. Jacobi verschaffte ihnen dadurch durchaus zufriedenstellende Einkünfte. Bei Reisig dürfte seine Unterstützung des Konstitutionellen Zirkels 1798 im Raum Aachen eine Rolle für beider Bekanntschaft gespielt haben, bei Nesselrath die Geschäftskontakte nach Krefeld. Neben ihren Pfarreinkünften sicherte er ihnen durch die Ernennung ein Staatsgehalt von jährlich 1.500 Francs. Doch auch „normalen“ Pfarrern versuchte er die Einkünfte zu stärken. Am 12. November 1806 wandte sich Jacobi in einem gedruckten, also unter besonderem Aufwand hergestelltem, Zirkularschreiben verärgert „an die evangelisch lutherischen Gemeinden des cöllnischen general Consistorii“. Er habe vernommen, einige Gemeinden seien der Meinung, „ihre verträglichen Verpflichtungen gegenüber“ dem Pfarrer hätten aufgehört, seit Napoleon „die Geistlichkeit bezahlt“. Jacobi erklärte, dass - im Gegensatz zu den katholischen Geistlichen - die protestantischen Geistlichen sich verheiraten dürfen und somit für eine Familie aufzukommen hätten. Daher drohte Jacobi mit einer der ältesten Waffen der Kirchen, dem Interdikt: Gemeinden würden solange keinen neuen Pfarrer mehr erhalten, „bis sie nicht die vertragliche Zusatzbesoldung erhöht aufbringen“. Gleiches gelte für die Drohung der Gemeinden, das Gehalt nicht zu bezahlen, wenn sie den Pfarrer nicht wählen dürften. Gegen diesen traditionellen Einwand, gerade in den niederrheinischen Kirchen, entgegnete Jacobi brüsk: „Das ist gegen das Gesez“.131 Zusätzlich legte er im September 1809 fest, dass neue Besoldungsverträge in Abschrift dem Lokal- und dem Generalkonsistorium eingehändigt werden müssten.132 Nebenbei ordnete er an, dass das neue Gehalt dasjenige von 1789, über dessen Höhe er systematische Auskunft erwartete, wenigstens um 500 Francs übersteigen, also das Gehalt der dritten Klasse verdoppelt werden müsse.133 Jedem Pfarrer wollte Jacobi ein Minimalgehalt von 1000 Francs garantieren, den Standard der dritten Klasse in Innerfrankreich. So baute Jacobi seine Beziehungen dadurch aus, dass er sich für die materielle Sicherheit einsetzte. Pfarrern verhalf er zu vermehrten Einkünften, soweit ihm das sein Amt – und damit der Zugriff auf staatliche Ressourcen – ermöglichte. Auch gab er manchmal Wahlempfehlungen aus, wie im Fall Geldern, wo sein Kandidat auch gewählt wurde.
131 132
133
Vgl. JACOBSON, Geschichte der Quellen, S. 781. Dort alle Zitate. Diese Anweisung wurde befolgt, vgl. etwa die Besoldungsverträge von Johann Georg Claussen (Neuss), LANRWR Roerdepartement 237, fol. 12-15, und Johann Friedrich Neuhaus (Pfalzdorf), LANRWR Roerdepartement 243, fol. 136-137, sowie des Schullehrers Cornelius Feldermann in Neuss, LANRWR Roerdepartement Nr. 243, fol. 39-40r. AEKRB 3MB 013B Nr. 52, Anhang zum Druck, 18.9.1807.
3. Die zentralen Behörden
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3.3.1.2. Der Amtsträger Eine solche Ressourcenvermittlung und -sicherung war Jacobi nur durch seine eigene Anstellung als Generalkonsistorialpräsident und Präfekturrat möglich. Mit der Ernennung Jacobis zum Generalpräsidenten erhielten die lutherischen Kirchen eine regionale Dachorganisation, die den Reformierten infolge des Synodenverbots verwehrt war. Kurz nach seiner Ernennung zum Generalpräsidenten verfasste Jacobi unter dem 1. Thermidor XII (19. Juli 1804) ein Zirkularschreiben an die Pastoren seines Sprengels. Die Ernennung zum Generalpräsidenten habe ihm „devoirs sacrés“ auferlegt. Der Kern seines Schreibens bezieht sich auf die Pflichten der Protestanten gegenüber der Person Napoleons: „En nous reposant sur sa collicitude paternelle, bénissons la Provindence de ce que dans le caste Empire auquel nos contrées viennent d’être réunies, la liberté des consciences et des cultes est une loi fondamentale; et dans l’exercice paisible d’un droit aussi inestimable, rappellons-nous sans cesse que ce insigne des grâces, sous nos anciens Gouvernemens, est devenu notre propriété et l’héritage de nos enfans sous les auspices de Napoleon! Aussi je suis convaincu, messieurs, que tous nos devoirs de fidélité et d’obéissance, que tous les sentimens de reconnaissance et d’amour que nous luis avons voués déjà, auront acquis un nouveau degré d’énergie et de sainteté par les bienfaits que nous luis devons comme Protestans“.134
Sehr deutlich machte Jacobi, was er von seiner Arbeit und den Pfarrern „dans l’état comme Chrétiens protestans“ erwartete, nämlich „d’établir dans notre communion cet ordre extérieur si nécessaire pour la stabilité de toutes les institutions humaines“.135 Jacobi sah in der lutherischen Kirche eine Einrichtung, deren hervorragendste Aufgabe die Stabilität der bestehenden Ordnung war, denn diese garantierte die Gewissens- und damit Religionsfreiheit. Der designierte Präsident Nesselrath aus Krefeld hielt es für notwendig, hierauf zu antworten. Da dieser Brief die Stimmung deutlich macht, die 1804 noch über den „Retter Napoleon“ herrschte, sei die entscheidende Passage ausführlich zitiert: „Mit vielem Vergnügen habe ich das Circulaire vom 1. Thermidor gelesen. Es wird stets eine heilige Pflicht für mich bleiben, Ihre auf das Wohl der sonntäglichen Gemeine136 unserer Augsburgischen Confessions Verwandten abzweckenden werten Bemühungen nach allen meinen Kräften mit Freuden zu 134
135 136
AEKRB 3MB 013B Nr. 52, Druck vom 1. Therm. XII. Das französische Original ohne Quellenangabe abgedruckt bei DUDA, Organisation, S. 113-115; vgl. dazu die deutsche Übersetzung bei JACOBSON, Urkundensammlung, S. 780, auf die sich MOHN, Krefeld, S. 209 bezieht. DUDA, Organisation, S. 209. Am Niederrhein war es üblich, von „Gemeinen“ zu reden und nicht von „Gemeinden“.
3.3. Das Generalkonsistorium Augsburger Konfession in Köln
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erleuchten. Dem Zweck der Religion gemäß werde ich nie unterlassen, meinen Zuhörern bei Verkündigung der Warheiten zur Gottseligkeit die Befolgung des Grundsatzes der Religion, der Menschenliebe zu verkünden, um sich dadurch zur höchsten Ähnlichkeit mit Gott, zur höchsten Menschenwürde zu erheben und willige Erfüllung aller unserem weisen und besten Landesvater und dem Staat schuldigen Pflichten aufs beste zu empfehlen und durch eigenes Beispiel dazu zu ermuntern; denn was ist Glaube ohne Tugend und Tugend ohne Liebe?“137
Obwohl Nesselrath Jacobi durchaus in der Erfüllung der „dem Staat schuldigen Pflichten“ übereinstimmt, stand für ihn als Pfarrer der „Zweck der Religion“, nämlich die „Verkündigung der Warheiten zur Gottseligkeit“, mindestens neben den Aufgaben, die ihm von Staats wegen zugewiesen worden waren. Seine eigene Aufgabe sah Jacobi in einer effizienten Führung der lutherischen Kirche, damit sie auf diese Art und Weise ihre Pflichten gegenüber Konsul und Kaiser erfüllen konnte. Bereits mit der ersten Sitzung des Lokalkonsistoriums Krefeld wurde deutlich, wie stark Jacobi an einer engen Betreuung, aus Sicht der Konsistorien einer Gängelung, gelegen war. Jacobi fügte dem Protokoll einige „Bemerkungen“ bei, bevor er es wieder an Nesselrath zurücksandte. 138 Dies wiederholte sich bei jeder Einsendung von Protokollen. Besonders ärgerte sich Jacobi über die Nachlässigkeit, mit der die Konsistorialglieder an den Sitzungen der Lokalkonsistorien teilnahmen. Das Krefelder Protokoll vermerkte: „Es wurde mit Misfallen bemerckt, daß von den 12 Notablen nur drei, nemlich die Herren Hasselbach von Aachen, Flügel von Düren und Lamert von Schleiden gegenwärtig wären und deshalb die Prediger, deren Notablen ausgeblieben waren, aufgetragen, deshalb ernstliche Vorstellungen zu machen“139. Jacobi stellte hierzu fest: „Die Regierung kann es übrigens auch nicht anders als übel vermercken, wenn gesezliche Einrichtungen, die zum besten der Protestanten gemacht wurden, schon gleich von Anfang, wenn nicht mit strafbarer Geringschätzung, doch mit tadelnswerther Gleichgültigkeit behandelt werden, und es ist daher zum mindesten dem Anstande angemeßen, daß jedes Mitglied des Consistorii welches durchaus abgehalten wird zu erscheinen, seine Gründe Ihnen, mein werther Herr Consistorial President in Zeiten schriftlich melde“.
Jacobi forderte den Konsistorialpräsidenten Nesselrath sogar auf, die Grenzen des Rechtsstaates bewusst in Grauzonen auszuweiten:
137 138 139
Nach MOHN, Krefeld, S. 210. Originaltext Stadtarchiv Krefeld, Best. 2,6, Nr. 525. AEKRD 4KG 008 Nr. 34, Bemerkungen Jacobis zum Protokoll vom 25.6.1807. Protokoll Krefeld lutherisch vom 25.6.1807, § 11.
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3. Die zentralen Behörden
„[A]uch möchte es nüzlich seyn, bei der nächsten Erneuerung der weltlichen Mitglieder keines der dermaligen Glieder auf’s neue zu erwählen, mit dem Vorbehalt, daß wenn einer oder anderer von denen neu erwählten Gliedern abgehalten würde zu erscheinen, derselbe eines der ausgetrettenen Glieder willig machen dürfe, ihn zu suppliren. Ich weiß wohl, daß dieses nicht vollkommen in Ordnung geht, doch beßer wenn von 24 Personen 12 erscheinen, als wenn von 12 neun ausbleiben. Ich ersuche Sie, diese meine Klagen und Vorschläge an die dermaligen weltlichen Mitglieder des Consistorii gelangen zu laßen, damit ich nicht noch einmahl das Leid haben möge, ein an Unterschriften so mageres Protocoll zu erhalten“.140
Jacobi verstand offenkundig unter dem Konzept der Selbstverwaltung der Kirchen etwas anderes als diese selbst, namentlich deren Gemeinden. Im Sinne einer effizienten Amtsführung ging Jacobi von einem Recht der höheren Ebenen aus, Anordnungen zu erteilen, selbst wenn diese auf unterer Ebene nicht oder nicht auf diese Weise gewünscht waren. Zwar hatten auch die frühneuzeitlichen Synoden der niederrheinischen Territorien Beschlüsse gefasst, die die unteren Ebenen berührten. Der Unterschied lag jedoch in den Umständen: Oft waren die zu lösenden Probleme von unten an die Synoden herangetragen worden. Zudem bestellten jeweils die niedrigeren Ebenen die Amtsträger der nächst höheren. Das protestantische Kirchenwesen folgte damit letztlich dem Prinzip der Subsidiarität.141 Jacobi hingegen versuchte, das Kirchenwesen auf eine vereinheitlichende Entscheidungsprärogative des Generalkonsistoriums hin auszurichten. Das Urteil Storkebaums, unter napoleonischer Herrschaft habe die evangelische Kirche im Rheinland eine einheitliche Form gefunden, fußt auch auf dem regelmäßigen Eingreifen des Generalpräsidenten. Jacobi hatte Pfarrer Müller in Düren angewiesen, die Lutheraner in Maubach zu versorgen. Dieser erklärte jedoch unter Verweis auf seine „schwächliche Gesundheit“, die Aufgabe nicht wahrnehmen zu können. Das Konsistorium beschloss daher, ein Reglement zu entwerfen, „wonach verschiedene Prediger die Gemeinde versehen werden“. Hierzu erklärte Jacobi, dessen ursprüngliche Entscheidung damit unterminiert wurde, er betrachte das „Reglement nur als Vorschlag“, aber die Frage, wie und auf welche Art eine Aufteilung unter den Predigern zu geschehen habe, sei „kein Gegenstand der Berathschlagung der
140
141
AEKRD 4KG 008 Nr. 34, Bemerkungen Jacobis zum Protokoll vom 25.6.1807. Das lutherische Lokalkonsistorium in Kastellaun (Rhein-Moseldepartement) war trotz rechtzeitigem Rundschreiben am 11. August 1808 nicht beschlussfähig, weil weniger als die Hälfte der Mitglieder erschienen waren, vgl. AEKRB 3MB 013B Nr. 52, Protokoll Kastellaun lutherisch vom 11.8.1808. Auch die Inspektoren stellten im 18. Jahrhundert nicht mehr die Ausnahme dar, die sie noch bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts gehalten hatten. Letztere waren in Kleve-Mark durch den Landesherrn berufen worden, erst seit den 1650er Jahren gingen die Synoden zur Wahl über.
3.3. Das Generalkonsistorium Augsburger Konfession in Köln
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Consistorien“. 142 Jacobi bestritt den Lokalkonsistorien seines Bezirks bei Amtsbeginn selbst kleinste Aufgaben, wie die Erstellung eines simplen Vertretungsplans. Ähnliche Schwierigkeiten traten bei einer weiteren innerkirchlichen Angelegenheit auf. Das Krefelder Konsistorium hielt fest: „Ein allgemeiner Buß- und Bettag soll am ersten Sonntag im September gehalten werden“. Dazu erklärte Jacobi: „Ist auch kein Gegenstand zu einem Beschluß des Local-Consistorii und ich reservire mir, über die zu haltenden Feste, ein für die ganze Diocèse gültiges réglement anzufertigen. Für dieses mahl kann aber am 6ten Sept. der Bus- und Bät-Tag in der Crevelder Consistorial-Kirche gefeiert werden“143. Sein Zirkularschreiben vom 31. Juli 1807 war dazu bestimmt, bei allen Lutheranern in Frankreich eine Einheitlichkeit der Feiertage zu gewährleisten.144 Er wünschte von jedem Pfarrer den Kenntnisnachweis, indem er in dem Rundschreiben die Prediger aufforderte, „ihre Visa [zu] bemerken“. Präsident Nesselrath, der dies zirkulierte, teilte darin das Dekret mit: „Festtage sind der Neujahrstag, der grüne Donnerstag, der Charfreitag, der 1. und 2. Ostertag, der Himmelfahrtstag, der 1. und 2. Pfingsttag, der 15te August als der Geburtstag Sr. K.K. Majestät, der 1. Sonntag im December als Jahr-Gedächtnistag der Krönung und des Sieges bei Austerlitz und schließlich der 1. und 2. Christtag. […] Das Reformationsfest und das Erndtefest sollen am 1. Sonntag im September gehalten werden“.145
Jacobi begründete seinen Entschluss damit, dass „durch denselben den häufigen Klagen der protestantischen und katholischen Pfarrer abgeholfen wird und wir nun mit den Elsässern pari passu gehen“.146 In dieser Situation regte Pfarrer Scheibler an, dass Nesselrath und Jacobi sich über ihre jeweiligen Kompetenzen einigen sollten, damit nicht erneut ein Beschluss vom Lokalkonsistorium gefasst und wieder aufgehoben werden möge. Im Übrigen wolle das Konsistorium am ersten Sonntag im September als Bußtag festhalten. Eine Diskussion über seine Zuständigkeiten lehnte der Generalpräsident allerdings rundweg ab. Der „selige Portalis“ selbst habe ihm dargelegt, wie seine Aufgaben aufzufassen seien: „Einzurichten, zu ordnen und zu schlichten,
142
143 144 145 146
Protokoll Krefeld lutherisch vom 25.6.1807, § 3; AEKRD 4KG 008 Nr. 34, Bemerkungen Jacobis zum Protokoll vom 25.6.1807. In Jacobis Entwurf war lediglich ein Pfarrername ausgetauscht. AEKRD 4KG 008 Nr. 34, Bemerkungen Jacobis zum Protokoll vom 25.6.1807. Vgl. MOHN, S. 223. Details hierzu bei MOHN, Krefeld, S. 224. BUCHHOLZ, Staatskult, S. 262 erwähnt nur, dass es Vereinheitlichungstendenzen gegeben habe. AEKRB 3MB 013B Nr. 52, Zirkular Jacobis an die Konsistorialpräsidenten vom 31.7.1807. Vgl. MOHN, Krefeld, S. 225. MOHN, Krefeld, S. 225. Vgl. hierzu auch HERMANN, Hirt und Herde, Aachen 1937, S. 45 f.
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3. Die zentralen Behörden
was dem Gesetz gemäß und was demselben nicht zuwider ist“.147 Die Kompetenzen der Lokalkonsistorien verwies er auf eine enge Auslegung des Art. 20 der Organischen Artikel: „Sie sollen über die Erhaltung der Kirchenzucht wachen und gute Verwalter der Kirchen- und Armengüter seyn“. Bemerkenswert ist sein Hinweis, dass sich die übrigen Lokalkonsistorien daran hielten, „wohingegen die Crevelder [Konsistorialkirche] noch keine Veranstaltung getroffen hat, das ökonomische Verwaltungswesen zu einem Gegenstand seiner Beratschlagungen zu machen und alljährlich Rechnung von ihrem Haushalten abzulegen“.148 Aufschlussreich sind die Bemerkungen der Pfarrer zu Jacobis Vereinheitlichungsplänen. Kritik regte sich „der Verschiedenheit ihres Gegenstandes wegen“149 an der Zusammenlegung von Reformations- und Erntedankfest. Ganz pragmatisch sah Pastor Scheibler die Feier des Reformationstages, den er am 1. November, Allerheiligen, begehen wollte, weil er „ohnehin zu feiern ist“.150 Die Lutheraner am Niederrhein feierten Gründonnerstag noch nicht, im Gegensatz zu den Straßburger Glaubensbrüdern. So meinte Pfarrer Felderhoff aus Zweifall, er „sollte nie Feiertag werden“. Sein Kollege Reisig aus Stolberg ergänzte trocken, er würde an diesem Tage „leeren Stühlen und Bänken predigen“. Die Pfarrer selbst hatten ja die Anordnungen gegenüber ihren Gemeinden zu vertreten, mit denen sie häufig Besoldungsverträge unterzeichnet hatten. Deshalb drohte bei jeder Abänderung traditioneller örtlicher Regelungen die Gefahr, dass der jeweilige Kirchenrat dem Pfarrer die Emolumente streitig machen könnte. Angesichts der ablehnenden Haltung innerhalb der Pfarrerschaft und der damit verbundenen möglichen Umsetzungsschwäche seiner Beschlüsse, erklärte sich Jacobi zu Kompromissen bereit und gestattete einige örtliche Abänderungen von seinem Plan. In der Folge wurde der Neusser Pfarrer Claussen im Jahre 1811 von Jacobi an das Lokalkonsistorium Krefeld verwiesen, als er bat „am Allerheiligen-Tage das Reformations-Fest zu feyern, weil an jenem Tage zu Neus nicht gearbeitet wird, und die dortige Gemeine deshalb wünscht, daß eines der angeordneten Feste auf diesen Tag verlegt werde, und, weil dieser Tag dem merkwürdigen Zeitpunct des 31. Oct. wo im Jahr 1517 die Reformation anfing so nahe sey“.151
Jacobi bewies damit Lernfähigkeit und flexibilisierte seine Handlungsstrategie: Hatte er 1807 noch bedingungslos Einheitlichkeit mit den übrigen Lutheranern Frankreichs gefordert, so war er 1811 bereit, von dieser Regelung unter be147 148 149 150
151
MOHN, Krefeld, S. 227. Vgl. auch die Erläuterungen in AEKRD 4KG 008 Nr. 26, Jacobi an Heilmann, 12.3.1812. MOHN, Krefeld, S. 227. MOHN, Krefeld, S. 225-226. Die vereinigt-evangelische Gemeinde in Neuss legte ab 1811 das Reformationsfest auf Allerheiligen, vgl. MOHN, Krefeld, S. 226. Dort auch die nächsten Zitate, vgl. Protokoll Krefeld, 25.6.1811, § 9. Protokoll Krefeld lutherisch, 25.6.1811, § 9.
3.3. Das Generalkonsistorium Augsburger Konfession in Köln
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stimmten Voraussetzungen abzuweichen. Seine Strategie im Umgang mit den Lokalkonsistorien wechselte von einer normativ-vorgebenden Haltung zu einer kompromissbereiten Rücksichtnahme gegenüber lokalen Funktionseliten. Im Roerdepartement bestand 1807 nur eine einzige lutherische Konsistorialkirche, nämlich die in Krefeld. Die übrigen Konsistorialkirchen befanden sich südlich der Mosel in Kastellaun, Kreuznach, Simmern und Trarbach. Wie eingangs erläutert, waren nicht nur die Reformierten, sondern auch die Lutheraner am Niederrhein, vor allem in Jülich-Berg, einen erheblich freieren Umgang mit ihrer Selbstverwaltung gewohnt. In den ehemals kurpfälzischen und pfalz-zweibrückischen Gegenden hingegen waren den Pfarrern autoritäre Strukturen und Einschränkungen ihrer Kompetenzen durch die Zentralregierung bekannt. Die weitgehende Gemeindeautonomie und das im Entstehen begriffene Konventswesen war nach einigen wenigen Jahren der Praxis nach 1795 wieder durch die Einführung des neuen Kultusgesetzes beseitigt worden. Daher waren die beiden Regionen, die so unterschiedliche Traditionen hatten, eigentlich nicht miteinander zu vergleichen und nur schwierig auf ein gemeinschaftliches Verständnis zu bringen. Da das Krefelder Konsistorium immer „noch keine Veranstaltung“ traf, administrative und ökonomische Rationalität in die Kirchlichkeit einzuführen, erließ der Generalpräsident zwei weitere Dekrete. Das eine erfolgte am 20. Dezember 1808 und schrieb in einer Geschäftsordnung den Sitzungsablauf bis ins Detail vor: Sitzplätze, Kleidung, Reihenfolge bei der Stimmabgabe etc.152 Diese Ordnung scheint auch umgesetzt worden zu sein, denn das Protokoll aus Stolberg sagt aus, dass eine Pfarrerwahl „gemäß Verordnung des Oberpräsidenten Jakobi vom 20. Dezember 1808“ geschehen sei.153 Auch die in den Organischen Artikeln den Konsistorialkirchen zugewiesene Finanzaufsicht über die Gemeindeeinkünfte sicherte er durch Festsetzung eines einheitlichen Rechnungswesens.154 Setzte sich Jacobi dadurch für Rechtssicherheit und vor allem eine Absicherung der Pfarrereinkünfte ein, die ihn mit Klagen über ihr niedriges Gehalt geradezu bombardierten,155 so zögerten die Lokalkonsistorien umso mehr, Jacobi 152 153 154
155
Text bei HERMENS, Staats-Gesetzgebung I, S. 543 ff. Protokoll Stolberg lutherisch vom 21.2.1810, § 2. AEKRB 3MB 013B Nr. 52, Druck, 18.9.1807. Ihm selbst kamen Zweifel, ob eine verordnete Einheitlichkeit von Vorteil wäre: „Nicht jede Gemeinde wird in dem Fall seyn, alle zwölf Abtheilungen der Musterrechnungen benutzen zu können, und mancher in den Abtheilungen aufgeführte Punkte wird nicht allenthalben anwendbar seyn.“ HERMENS, Staats-Gesetzgebung I, S. 548. Zur Umsetzung vgl. Protokoll Krefeld lutherisch 19.6.1810, § 14. Siehe auch die Jahresabrechnungen in AEKRD 3MB 003 C-102 (Aachen), 114 (Gemünd), 119 (Imgenbroich-Menzerath), 124 (Kirschseiffen), 126 (Maastricht), 131 (Monschau), 139 (Schleiden), 142 (Stolberg), 150 (Zweifall). Beispielsweise wünschte die vereinigte Gemeinde in Geldern eine Erhöhung in die 2. Klasse (1.000 Francs jährliches Staatsgehalt), weil eine auf ihre Anregung gemachte erneute
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3. Die zentralen Behörden
eine Aufwandsentschädigung zukommen zu lassen. Erst auf Jacobis beharrliches Drängen waren die Konsistorien bereit, dem Generalpräsidenten 6 Prozent ihrer Einkünfte als Ersatz für die „sauer verdienten Administrationskosten“ 156 zu bewilligen. Zusätzlich schränkten sie ein, dass es sich um freiwillige Gaben handele, von denen keinerlei Recht auf Unterstützung abgeleitet werden dürfe. Diese Aufgabe wollten die Lokalkonsistorien durch die Regierung erfüllt wissen. Der Betrag sollte erst ab 1813 und auch nur befristet gezahlt werden.157 Immerhin erfuhr Jacobi im Mai 1809 durch den Koblenzer Pfarrer Justus Cunz, dass der Generalrat des Rhein-Mosel-Departements sich bereiterklärt habe, ein Mandat über 1.000 Francs auszustellen, um für die Bürokosten Jacobis aufzukommen. Jacobi führte nicht einfach nur die gesetzlich verordnete Oberaufsicht über die Lokalkonsistorien. Er hatte auch einen sehr weiten Kompetenzbegriff für sein Amt. Durch seine Maßnahmen und Weisungen wirkte er auch als Gewöhnungsfaktor für die lutherischen Konsistorialkirchen, die die Kontrolle durch eine höhere Behörde als normal zu empfinden begannen, etwa indem sie regelmäßig und unaufgefordert Protokolle einsandten.158 Während des Ancien Régime war dies lediglich für die nun entzogenen Kirchenbüchern in Jülich-Berg der Fall gewesen.159 Nun lässt sich Jacobi allerdings keineswegs einfach als die zentralisierende Allgewalt auffassen, die versuchte, gegen den Willen der Betroffenen Änderungen durchzuführen. Seine Strategie hatte er, wie erwähnt, bereits zwischen 1807 und 1811 modifiziert. Zudem signalisierten die Lokalkonsistorien, dass sie durchaus bereit waren, Hilfe von höherer Stelle anzunehmen oder sich unter diese unterzuordnen. Sie taten dies, wenn sie in Auseinandersetzungen mit Gegnern gerieten, die über reelle Rechtstitel verfügten. Das sollen zwei Beispiele verdeutlichen. Die Gemeinde Jülich, in der Peter Kaspar Mühlingshaus amtierte, lag im Streit mit der Gräfin von Hatzfeld.160 Es ging um das Nutzungsrecht der Kapelle in der 1784 von der Familie Hatzfeld in Besitz genommenen Burg Kinzweiler.161 Der damalige Pächter hatte durchgesetzt, dass sein Pachtvertrag bis zu seinem
156 157 158 159 160 161
„Populations-Aufnahme“ eine Gemeindegröße von mehr als 3.000 Personen festgestellt habe. LANRWR Roerdepartement 224, fol. 22, Neumann-Jacobi, 26.03.1808 und ebd., fol. 34, Nesselrath-Jacobi, 11.4.1808. Als der Kultusminister das Gehalt in Geldern reduzierte, legte Pfarrer Reinhardt sein Amt nieder. Der reformierte Präsident Heilmann erklärte 1812, die Gemeinden müssten „zur Erfüllung der gemachten Berufsbedingungen“ angehalten werden. AEKRD 4KG 008 Nr. 26, Kramer-Heilmann, 17.8.1812. LANRWR Roerdepartement 244, fol. 144-145, Nesselrath-Jacobi, 22.11.1813. Vgl. LIMBERG, Organisation, S. 77. Exemplarisch DUDA, Organisation, S. 96, Anm. 294. Vgl. die Bemerkungen im reformierten Kirchenbuch Lövenich im August 1798. Protokoll Krefeld lutherisch vom 25.6.1807, § 9. Vgl. hierzu RECKLINGHAUSEN, Reformtions-Geschichte I, S. 242.
3.3. Das Generalkonsistorium Augsburger Konfession in Köln
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Ablauf 1802 völlige Gültigkeit behalte. Kaum dass dieser Vertrag abgelaufen war, bestritt die Gräfin das Nutzungsrecht der lutherischen Gemeinde an der Kapelle. Dieses war der Billigkeit halber vom alten Pächter zugestanden worden, denn die lutherische Kirche war im Oktober 1794 beim Einmarsch der Franzosen zerstört worden.162 Die Gräfin von Hatzfeld erklärte die Burgkapelle für eine Privatkapelle und daher für den protestantischen Gottesdienst aufgehoben, so dass sie sich deswegen weigerte künftig die Besoldung zu entrichten. In einem Gerichtsprozess der Gemeinde wurde sie jedoch zur „Entrichtung der Besoldung verurtheilt“.163 Wegen des Gottesdienstrechts wandte sich die Gemeinde über das Lokalkonsistorium Krefeld an den Generalpräsidenten Jacobi, der die Gemeinderechte beim Kultusminister verteidigen sollte. 164 Johann Arnold von Recklinghausen ließ offen, ob letztere Klage beim Kultusminister Erfolg hatte, denn er schloss seinen Bericht mit den Worten, dass „man eine günstige Entscheidung vom Cultus-Minister [erwarte]“.165 Der Streit scheint im Sande verlaufen zu sein. Auch im Falle der Wehrpflicht waren Pfarrer ohne Zögern bereit, sich an eine bislang neue Stelle zu wenden, deren Existenz den eigenen Traditionen ebenso widersprach wie die Einführung einer Wehrpflicht überhaupt. Auf Bitten der katholischen Kirche hatte Kaiser Napoleon dekretiert, dass Ordensgeistliche weder zum Militär noch zum Dienst in der Nationalgarde verpflichtet werden durften.166 Der Form nach war das Dekret explizit für katholische Ordensgeistliche („ecclésiastiques engagés dans les ordres“) bestimmt. Es ließ sich daher nicht ohne weiteres auf protestantische Theologiestudenten anwenden.167 Von der jährlichen Ziehung der Wehrpflichtigen konnte man sich zwar durch Stellung eines Stellvertreters befreien lassen. Allerdings war dies eine sehr kostenintensive Möglichkeit, die nur den reichsten Bürgern offen stand. 168 Die meisten Pfarrer waren so unvermögend, dass sie nicht ohne weiteres die geforderten Geldbeträge für ihre Söhne aufbringen konnten.169
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Vgl. Kapitel 2. RECKLINGHAUSEN, Reformations-Geschichte I, S. 242. Protokoll Krefeld lutherisch, 25.6.1807, § 9. RECKLINGHAUSEN, Reformations-Geschichte I, S. 242. MOHN, Krefeld, S. 228; Text des Dekrets vom 7.3.1806 bei HERMENS, Staats-Gesetzgebung II, S. 338-340. Vgl. DUDA, Organisation, S. 62. Vermögenden Juden war es allerdings seit dem décret infame vom 17. März 1808 nicht erlaubt, sich der Konskription zu entziehen. Hermann GREIVE, Die Juden. Grundzüge ihrer Geschichte im Mittelalterlichen und Neuzeitlichen Europa, Darmstadt 1980, S. 156. Während der Besatzungszeit waren die Einkünfte teilweise drastisch gesunken, das Staatsgehalt glich die Verluste mitunter nur teilweise aus. Die Kosten für einen Ersatzmann stiegen hingegen exponenziell an: Waren 1802 Ersatzleute noch für ca. 350 Francs zu erhalten, so vervielfachte sich der Wert bis 1813 auf über 4.000 Francs.
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3. Die zentralen Behörden
Um 1806 machte sich der seit der Revolution eingetretene Kandidatenmangel im Rheinland bemerkbar. „Es herrscht ein Mangel an geeigneten Kandidaten im Roerdepartement“, hieß es aus Kleve.170 Bereits die Konferenz der französischen reformierten Konsistorialpräsidenten hatte 1804 erklärt, „daß es wichtig seyn würde, von der Regirung für die Studenten der Theologie, welche Candidaten sind, die Befreiung von der Conscription zu erhalten, und daß dieses Ansuchen zu einer gelegenen und bequemen Zeit geschehen müße“171. Auch die Konferenz der reformierten Konsistorialpräsidenten des Roerdepartements am 24. Juni 1807 forderte eine Petition an den Kultusminister. Die Konferenzteilnehmer beauftragten den reformierten Krefelder Präsidenten Heilmann mit der Abfassung einer solchen Bittschrift binnen drei Wochen. Diese sollte an den über ausgezeichnete Kontakte zur französischen Verwaltung verfügenden Stolberger Präsidenten van Alpen zur Weiterleitung übergeben werden. 172 Der ebenfalls teilnehmende Präsident Diergardt, der 1804 zur Kaiserkrönung persönlich eingeladen worden war, hatte die sich ihm damals bietenden Möglichkeiten zur Vernetzung nicht weiter verfolgt. Die Konsistorialpräsidenten sahen gute Chancen, dass ein Gesuch diesmal Erfolg haben würde. Immerhin waren katholische Ordensgeistliche nunmehr vom Wehrdienst ausgenommen und im Sinne einer Gleichberechtigung aller Konfessionen wäre es nur gerecht, wenn diese Regelung auch auf die Protestanten ausgeweitet werden würde. In ihrem Schritt gingen die Konsistorialpräsidenten davon aus, dass die Logik des paritätischen Staates in diesem Fall genauso angewandt werden würde, wie dies 1802 bei der Abänderung der Organischen Artikel im Staatsrat geschah. Dass Nikolaus Leonhard Heilmann aus Krefeld die Petition verfassen sollte, war mit Bedacht gewählt: Sein lutherischer Amts- und Ortskollege, Johann Heinrich Nesselrath, hatte zu diesem Zeitpunkt eine ähnliche Bitte anhängig.173 Für dessen Sohn Friedrich Hermann Nesselrath (Jg. 1790) näherte sich der Zeitpunkt, an dem er zur Ziehung auf der Konskriptionsliste eingetragen werden sollte. Der Vater und Konsistorialpräsident schrieb an seinen Vorgesetzten in Aachen, den Präsidenten des Kölner Generalkonsistoriums Johann Friedrich Jacobi, um eine „ähnliche ministerielle Weisung für die der Theologie sich widmende Jugend unserer consistorial Kirche zu erhalten“.174 Jacobi reichte die Bitte beim Kultusminister Portalis ein und bereits am 4. Juli 1807 konnte er dem 170
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Sitzung des Special-Comités vom 5.8.1807, § 3. Ähnlich formulierten es die lutherischen Konsistorien in Herrstein (Saar) am 3.6.1812, § 1 und in Zweibrücken (Donnersberg) am 4.11.1806, § 1; ebd., 6.6.1815, § 1. AEKRD 3MB 006 Nr. 64, fol. 9: Protokoll der Conferenz der Consistorialpräsidenten, § III, 4. Abschrift des Sitzungsprotokolls der Konferenz der reformierten Konsistorialpräsidenten des Roerdepartements vom 24.6.1807 (hier: § 5) im Protokoll des reformierten Lokalkonsistoriums Stolberg vom 7.7.1807, § 12. Vgl. hierzu MOHN, Krefeld, S. 228. Brief Nesselrath-Jacobi vom 22.05.1807, zit. n. MOHN, Krefeld, S. 228.
3.3. Das Generalkonsistorium Augsburger Konfession in Köln
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Konsistorialpräsidenten Nesselrath tatsächlich positiven Bescheid geben.175 Es war der letzte große Beschluss des bereits erblindeten Kultusministers. Künftig waren evangelische Theologiestudenten vom Wehrdienst ausgenommen, sofern sie sich rechtzeitig in eine Liste bei der jeweiligen Präfektur eintragen ließen.176 Dem Antrag mussten Geburtsbescheinigung und Studienzeugnis beigefügt werden. Etwas später erfolgten Präzisierungen der notwendigen Formalitäten.177 Es war üblich, dass die Lokalkonsistorien Namen in tabellarische Listen aufnahmen und diese an die Zivilbehörden einsandten.178 Trotz einiger Anlaufschwierigkeiten bot gerade diese Regelung die Möglichkeit, der auch vom napoleonischen Staat benötigten Geistlichkeit zu Nachwuchs zu verhelfen. Es handelte sich dabei um eine Situation, die allen Beteiligten zum Vorteil gereichte: Hatten die amtierenden Pfarrer Söhne, so würden sie diese anhalten, sich zum Theologiestudium bereit zu erklären und so eine größere Stabilität innerhalb des Pfarrerstandes fördern und zu einer Oligarchisierung führen. Gegenüber ihrer Regierung würden sich Väter vom Militärdienst befreiter Söhne, gerade zu Zeiten, in denen ununterbrochen Krieg geführt wurde, dankbar und loyal zeigen. Es handelte sich dabei nicht um eine grundsätzlich neue Gesetzeslage, sondern eher um eine Re-Privilegierung, denn bereits im Ancien Régime war der geistliche Nachwuchs etwa in Kleve-Mark und Moers vom Wehrdienst befreit gewesen. 179 Bezeichnenderweise kam es im Großherzogtum Berg immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Pfarrern und Staatsvertretern: Theologiestudenten waren dort nicht vom Wehrdienst ausgenommen, sondern mussten sich der Ziehung oder einen Ersatzmann stellen.180 Selbst die Mennoniten, deren Ablehnung jeglicher Gewalt bekannt war, erreichten keine generelle Befreiung für ihre Anhänger.181 Tatsächlich stieg der Anteil der Selbstrekrutierung des geistlichen Standes zwischen 1794 und 1813 von etwa 40 auf über 53 Prozent. Die geforderten Listen mit den von den Zie175 176
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MOHN, Krefeld, S. 228. Beispiele für solche Listen z.B. für das zum Bezirk des Generalkonsistoriums Köln gehörende Rhein-Moseldepartement: LANRWR Roerdepartement 216, fol. 50, Tableau des conscrits, 18.8.1811. AEKRD RPKA B II 3, Portalis an Ladoucette vom 28.12.1807; Protokoll Stolberg reformiert vom 9.7.1807, § 11. Protokoll Speyer reformiert vom 30.12.1806, § 1; Odenkirchen reformiert vom 27.1.1808, § 5; Stromberg reformiert vom 28.6.1808, § 2; Idar/Herrstein lutherisch vom 20.2.1811, § 4; Speyer reformiert vom 1.4.1811, § 2; Odenkirchen reformiert vom 10.6.1812, § 13; Freinsheim reformiert vom 4.2.1813, § 5; Freinsheim reformiert vom 10.2.1814, § 1; Idar/Herrstein lutherisch vom 20.3.1816, § 1. Für die preußischen Territorien am Niederrhein vgl. Josef SMETS, Les pays rhénans à l'époque française, 1794-1814, Bern 1997, S. 317-318. Vgl. Andreas BECKER, Funktionaler Laizismus, S. 331. Ähnlich die Bemerkungen bei HERMENS, Staats-Gesetzgebung II, S. 338 f., Anm. 4. Andreas BECKER, Die rheinischen Mennoniten und die Französische Revolution. In: MEKGR 55 (2006), S. 253-265, hier: S. 258-261.
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3. Die zentralen Behörden
hungen auszunehmenden Personen wurden sorgfältig geführt und rechtzeitig von den Konsistorialpräsidenten an die Präfekten bzw. auf lutherischer Seite an den Generalpräsidenten eingesandt und die Formalia genauestens beachtet. Als Amtsträger focht Jacobi immer wieder harte Kämpfe aus, um seine Prärogative gegenüber den Pfarrern und den Lokalkonsistorien durchzusetzen, etwa bei der Durchsetzung von Formalisierung wie einheitlicher Feiertags- oder Sitzungsordnungen. Allerdings waren Pfarrer durchaus bereit, sich der Institution rasch unterzuordnen, wenn es um die Wahrung eigener Interessen wie im Gottesdienstrecht in Kinzweiler oder um die Wehrfreiheit für Theologiestudenten ging. Hingegen erwies sich Jacobi in Hinblick auf seine Maklerposition für die Lutheraner des Roerdepartements als ein zentraler Akteur. Er sah sich in der Lage, Männer mit ähnlichen Überzeugungen wie die beiden aufgeklärten Pfarrer Reisig und Nesselrath in gut dotierte Stellungen zu bringen. Jacobis Wirken bedeutete in der Hauptsache eine Nivellierung auf der Ebene der regionalen Herkunft lutherischer Geistlicher. Die langsame Ausrichtung auf die Institutionen der Zentralregierung wurde massiv geschwächt durch die Beförderungspolitik Napoleons. Jacobi hatte sich verdient gemacht und war dafür 1810 in den Gesetzgebenden Körper berufen worden. Ab diesem Zeitpunkt war er regelmäßig für längere Zeit außerhalb seiner Region in der französischen Hauptstadt anzutreffen. Seine Briefe aus den Jahren 1812 bis 1814 datierten häufiger aus Paris. Den persönlichen Kontakt büßte Jacobi ein und verlor dadurch allmählich die aufgebaute Prärogative und Kontrolle über die ihm unterstellten Pfarrer.
3.4. Zusammenfassung Nach dem Staatsstreich Napoleons entstand im Kultusbereich eine neue Institution, die Generaldirektion der Kulte, die 1804 in ein Ministerium umgewandelt wurde. Um dieser neu gegründeten Behörde Rückhalt zu verschaffen, pflegte Kultusminister Portalis den Umgang mit gut vernetzten protestantischen Persönlichkeiten, wie Pierre-Antoine Rabaut-Dupui, Hans-Ulrich Metzger oder Johann Friedrich Jacobi. Um Konfliktfähigkeit für sein Ministerium zu gewinnen, war es ein nahe liegender Schritt, die Pfarrer in finanzieller Abhängigkeit von der Regierung zu bringen. Dass französische Reformierte wie Rabaut-Dupui oder wie der Rheinländer Matthias Daubenspeck ausdrücklich für eine Besoldung aus der öffentlichen Hand eintraten, ermöglichte es Portalis, den Eindruck zu erwecken, er gehe auf die Wünsche der Geistlichen ein und leiste zudem eine Entschädigung für die Enteignung von 1685 – mithin ein symbolischer Akt der Versöhnung zwischen Protestanten und französischem Staat. Zugleich bekam der Kultus-
3.4. Zusammenfassung
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minister durch das Staatsgehalt ein existenzielles Druckmittel in die Hand. Gerade das Nichterscheinen der Gesetze im Bulletin des lois ermöglichte die potenzielle Entziehung des Staatsgehalts bei allzu kritischer Haltung. Unter Portalis‘ Nachfolger Bigot de Preameneu erfolgte kein weiterer Ausbau der materiellen Wohlfahrt, denn die vorhandenen Sanktionsmittel waren ausreichend. Die Schwierigkeiten bei der Entstehung der Konsistorialkirchen, die seit Jung als ausschließlich fiskalisch motiviert betrachtet werden, beruhten auch darauf, dass der religiös neutrale Staat, in dem es keine Staatsreligion mehr gab, keinem Bekenntnis einen Vorzug gewähren durfte. Aus dieser paritätischen Anschauung heraus erfolgte die Schöpfung der Konsistorialkirchen, die vom Grundgedanken her dieselbe Basis hatte, wie die katholische Kantonspfarrei. Ebenfalls aus dieser Logik heraus untersagten alle Kultusminister bis 1848 das Zusammentreten reformierter Synoden, weil sie das Aufflammen neuer Religionskämpfe erwarteten. Denn wenn sie den Reformierten ihr gesetzlich verbrieftes Recht gewährten, würden andere Bekenntnisse, namentlich die katholische Kirche, ebenfalls solche Konferenzen für sich beanspruchen. Allein dieses Verbot bewirkte bereits halblegale Unternehmungen durch die Konsistorialpräsidenten, die sich ohne Anwesenheit von Staatsvertretern zu regionalen Konferenzen trafen, wie in Freinsheim und Krefeld. Das Synodenverbot hatte indirekt auch zur Folge, dass Rabaut-Dupui infolge seiner Versuche, die reformierte Ordnung durch eine lutherische zu ersetzen, kaltgestellt wurde. Damit fehlte ab Ende 1807 eine zentrale, charismatische Integrationsfigur. Ohne ihn schlugen die Versuche seitens des Pariser Konsistorialpräsidenten Paul-Henri Marron und anderer, einen formellen Kontakt mit den niederrheinischen Pfarrern aufzubauen, fehl. Ab 1809 wurde jedes weitere Bemühen um ein Pariser Kommunikationsbüro im Roerdepartement ignoriert. Eine institutionelle Einbindung der reformierten Pfarrer des Niederrheins war ab diesem Zeitpunkt durch kirchliche Institutionen nicht mehr gewährleistet. Hingegen entwickelte sich die Situation auf lutherischer Seite zunächst günstiger. Portalis hatte die ihm vorgeschlagenen Kandidaten für den Posten des Generalpräsidenten im Roerdepartement abgelehnt, um Johann Friedrich Jacobi zu ernennen, den Sohn des Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi, der ihm 1798/99 Unterschlupf gewährt hatte. Der Unternehmer Jacobi erfüllte seine Aufgabe zur allgemeinen Zufriedenheit. Aus Sicht der Geistlichen förderte er deren materielle Absicherung, sei es bezüglich des Staatsgehaltes, der Gemeindezuschüsse oder der Befreiung von der Wehrpflicht. Er besaß alle Qualitäten eines Maklers; auf seine Empfehlung hin wurden Stellen als Konsistorialpräsidenten und auch für normale Pfarreien besetzt. Sein regionaler Erfolg machte ihn zu einem geeigneten Kandidaten für den Gesetzgebenden Körper, in den Napoleon immer wieder loyale Führungskräfte aus der Provinz berief. Allerdings büßte Jacobi damit ab 1810 allmählich die bislang hohe Intensität der Kontakte mit den ihm unterstellten Geistlichen ein und verlor dadurch Teile seiner Mak-
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3. Die zentralen Behörden
lerstellung. Die napoleonische Beförderungspolitik kostete die Regierung Einfluss auf die Pfarrerschaft.
4. Zuckerbrot und Peitsche Die sozialen Auswirkungen der Instrumente napoleonischer Elitenpolitik Die in der Einleitung formulierte These einer misslungenen Inkorporation der Geistlichen soll in diesem Kapitel behandelt werden, indem die Transformation rechtlicher Normen in soziale Realität untersucht wird. Ziel ist es, herauszuarbeiten, wie folgenreich die Umsetzung der napoleonischen Gesetzgebung war. Im Hintergrund stehen dabei die Instrumente einer Elitenpolitik. Die Legislation konnte einerseits die Rechtsgrundlagen für Belohnungen schaffen, aber auch für Bestrafungen bei missliebigem Verhalten. Da der nachrevolutionäre Staat nachdrücklich Gesetzmäßigkeit, Legalität und Rechtsstaatlichkeit als Handlungsprinzipien ansah, bildete die Gesetzgebung damit einen wichtigen Faktor, um den Rahmen setzen, innerhalb dessen staatliches Handeln gerechtfertigt schien. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels wird das Diktum der „Indienstnahme“ aufgegriffen und die Wahrnehmung der der Geistlichkeit von Staats wegen zugedachten Aufgaben betrachtet. Der zweite Abschnitt rückt die Gesetzgebung als Mittel formeller Einbindung in den Fokus, während im letzten Teil dieses Kapitels die sozialen Folgen auf die Zusammensetzung und innere Gliederung der Pfarrerschaft thematisiert werden. Bevor wir uns dem eigentlichen Kapitel zuwenden, soll zunächst geklärt werden, unter welchen theoretischen Prämissen die Eingliederungsversuche standen. Der geistlichen Funktionselite kam in europäischen Gesellschaften traditionell das Element der Herrschaftsstabilisierung zu.1 Damit handelte es sich um die Elite, die am ehesten massenwirksam werden konnte und dies auch tat. Juristen wurden eher in Rechtsfragen tätig oder in Verwaltungsangelegenheiten einer sich entwickelnden (und daher unvollständigen) Administration. Unmittelbaren Kontakt mit breiteren Bevölkerungsteilen erreichten sie erst langsam im Zuge einer Verrechtlichung der Gesellschaft. Für akademisch geschulte Mediziner galt ähnliches: Sie wurden kasuativ und gegen relativ hohes Entgelt tätig. Als einzige traditionelle Führungsschicht waren die Ortsgeistlichen allgemein bekannt. Sie betreuten Menschen natürlich auch von Fall zu Fall, in den Kasualien der Taufen, Eheschließungen und Beisetzungen. Ergänzend sei der für die protestantische Jugendbildung essentielle Konfirmationsunterricht der Jugendlichen genannt. Pfarrer standen aber allsonntäglich und an den kirchlichen Feiertagen auf der Kanzel. Auch wenn kein Gottesdienstzwang mehr bestand, be1
Dieter SCHELER, Patronage und Aufstieg im Niederkirchenwesen. In: Günther Schulz (Hg.), Sozialer Aufstieg: Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, München 2002 (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit; 25), S. 315-336, hier: S. 315: „Dass der Pfarrerstand im alten Europa eine Funktionselite bildete, steht außer Frage.“
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4. Zuckerbrot und Peitsche
suchten Gläubige und nicht mehr ganz Gläubige aus gesellschaftlicher Tradition heraus regelmäßig den Gottesdienst.2 Und in diesem stand bei Protestanten die Predigt im Zentrum, also die Einflussnahme auf die öffentliche Meinung, Informationsverbreitung und die Vermittlung sozialer Ordnungsentwürfe. Der Status einer Funktionselite wird Pfarrern mitunter wenigstens implizit abgesprochen und lediglich juristisch oder kaufmännisch geschultem Bürgertum zugesprochen.3 Dieter Langewiesche sah im kleinen und mittleren Bürgertum „Fußkranke des Fortschritts“,4 also gerade in der Schicht, aus der die Pfarrerschaft üblicherweise rekrutierte. Diese hätte den Anschluss verpasst und gerade dadurch ihre Elitenfunktion eingebüßt. Man kann darauf durchaus mit Peter Hersches Konzept der „intendierten Rückständigkeit“ antworten, dass zumindest bei dieser Funktionselite das Erreichen von Aktualität nicht unbedingt beabsichtigt war. Trotzdem ist der Prestigeverlust von nichtführenden Eliten5 nicht ohne weiteres daraus zu erklären, ob und wie eine Funktionselite einen wie auch immer gearteten Anschluss an einen postulierten Fortschritt verpasst oder bewusst nicht ergriffen hat, denn gerade im religiösen Bereich spielen erheblich mehr Faktoren eine Rolle, als lediglich wie sich eine soziale Gruppe gegenüber dem Zeitgeist verhält. Birgit Emich geht explizit von einer kraftvollen Großideologie als Grundbedingung für die moderne Integration von Territorien aus.6 Im nachrevolutionären Frankreich konnte die Konfession als hervorragendes Integrationsmodell keine besondere Bedeutung mehr spielen, denn Napoleon selbst hatte der
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Zwar sieht Lucian Hölscher um 1800 ein religiös weitgehend indifferentes Bürgertum. Allerdings machte diese Gruppe nie mehr als etwa 6% der Bevölkerung aus. Zudem bleibt ein offenkundiger Sachverhalt: Wenn nicht wenigstens die Mehrheit der Bevölkerung regelmäßig in den Kirchen anzutreffen gewesen wäre, hätte das wiederholte Drängen lokaler Beamter nach Verlesung weltlicher Anordnungen von der Kanzel keinen Sinn gemacht. Vgl. HÖLSCHER, Religion des Bürgers, S. 595 ff.; ders., Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München, 2005, S. 106 ff. Zur Zahl vgl. BLASCHKE, Das 19. Jahrhundert, S. 42-43. Etwa Anja Vicorine HARTMANN, Małgorzata MORAWIEC, Peter VOSS (Hg.), Eliten um 1800: Erfahrungshorizonte, Verhaltensweisen, Handlungsmöglichkeiten, Mainz 2000 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz: Abt. für Universalgeschichte; 183) (Historische Beiträge zur Elitenforschung; 1), S. 1. Dieter LANGEWIESCHE, Stadt, Bürgertum und „bürgerliche Gesellschaft“: Bemerkungen zur Forschungsentwicklung. In: IMS 1 (1991), S. 2-5, hier: S. 3. Hans Peter DREITZEL, Elitebegriff und Sozialstruktur: eine soziologische Begriffsanalyse, Stuttgart 1962 (Göttinger Abhandlungen zur Soziologie unter Einschluß ihrer Grenzgebiete; 6), S. 145 unterscheidet zwischen der Anerkennung der Überlegenheit, die er als hinreichende Bedingung für die Daseinsberechtigung als Elite ansieht, aus Autorität und aus Prestige. Autorität ist für führende Eliten relevant, etwa Politiker oder Unternehmer, während Prestige sich aus Charisma und Vorbild entwickelt und für nichtführende Eliten bedeutsam ist. EMICH, Territoriale Integration, S. 18 f.
3.4. Zusammenfassung
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katholischen Kirche den Status einer Staatskirche verweigert. 7 Implizit anerkannte er damit einen religiösen Pluralismus in Frankreich. 8 Folglich konnte Napoleon keine konfessionellen Prinzipien zu legitimatorischen Zwecken heranziehen. Auf eine religiöse Legitimierung wollte Napoleon zwar nicht verzichten, musste sich jedoch überkonfessionell präsentieren, wollte er nicht die französischen Protestanten verprellen. Für die ohnehin durch die Revolution zerrissene Gesellschaft bot auch die Theophilanthropie revolutionärer Provenienz keine Stütze. 9 Weder dieser Ersatzreligion für die ab 1790 in Frankreich zerbrochenen Kirchenstrukturen noch dem revolutionären Staatskult war der Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft möglich. Im Gegenteil: Allein ihre bloße Existenz spaltete die Franzosen in ihren Überzeugungen. Konsequenterweise wurden theophilanthrope Kulte 1801 verboten – ihnen gestand Napoleon keine Kultusfreiheit zu. Wenn radikalrevolutionäre Ideologien im nachbrumairianischen Frankreich nicht gern gesehen waren und auch religiöse – und das heißt im Europa um 1800 immer noch: christlich-konfessionelle – Dogmen nicht in dem Maße greifbar zu sein schienen, wie dies einer effektiven Integration entspräche, musste Napoleon eine andere Lösung finden. Im antikisierenden Heroenkult der Spätaufklärung und der Revolution geschult, bot sich ein Heldenkult an.10 Zu diesem war bereits General Bonaparte fähig, als er seine Erfolge in Italien und selbst in Ägypten propagandistisch ausnutzte. Damit griff der neue Konsul zurück auf eines der ursprünglichsten Legitimationspotenziale, auf das Charisma eines Herrschers. Napoleon selbst stand bis 1809 im Nimbus der militärischen Unbesiegbarkeit. Dabei konnte durchaus auf immer noch bestehende Vorstellungen des Gottesgnadentums zurückgegriffen werden, denn auch bei den Bourbonenkönigen im 18. Jahrhundert existierte bis in die frühe Revolutionszeit die Idee eines gewissen Königsheils. 11 Darunter begriff man allgemein nicht nur mythische Heilskräfte, sondern auch Unbesiegbarkeit im Kampf. Diese Unüberwindbarkeit traf den Geschmack des unbesiegten Generals.
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Zumindest in Frankreich. Im Königreich Italien hingegen erhielt der katholische Glaube staatskirchliche Qualität. Vgl. BINDER, Napoleonische Epoche, S. 7. Patrick CABANEL, Napoléon et les Protestants: l'institutionnalisation du pluralisme religieux. In: BLE CIV (Avril-Octobre 2003), N°. 2-3. Zum Kult vgl. Albert MATHIEZ, La théophilanthropie et le culte décadaire (1796-1801). Essai sur l’histoire religieuse de la Révolution, Paris 1904. Christopher BUCHHOLZ, Französischer Staatskult. Vgl. auch CANNAWURF, Napoleonkult, S. 55 f. Marc BLOCH, Die wundertätigen Könige, München 2003, S. 421-429. Bei seiner Krönung restituierte Charles X. ganz bewusst wundertätige Vorstellungen, ebd., S. 425-429.
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4. Zuckerbrot und Peitsche
4.1. Indienstnahme durch Aufgaben 4.1.1. Öffentliche Feiern und Dankgottesdienste Als überaus günstig erwies sich die Existenz eines fast verschollenen, antiken Märtyrers „Napoleo“, dessen Feiertag nicht nur an Mariä Himmelfahrt, sondern auch an Napoleon Bonapartes Geburtstag am 15. August lag. Diese wunderbare Koinzidenz eignete sich hervorragend für Napoleons Zwecke: Mit dem im Februar 1806 dekretierten höchsten Feiertag ließ er nicht nur an den antiken Heiligen erinnern, sondern zugleich seine eigene Person zum Geburtstag beglückwünschen. Napoleon selbst sollte als Integrationsfigur für das gesamte Kaiserreich dienen. Auf ihn sollten sich alle Loyalitäten hin ausrichten. Dass Napoleon seinen Geburtstag feiern ließ, war an sich nichts Ungewöhnliches. Vielmehr war es gang und gäbe und gehörte zum anerkannten Status eines Monarchen, dessen Rolle Napoleon mit der Kaiserkrönung im Dezember 1804 anzunehmen bereit war. Ungewöhnlich war hingegen die tatsächliche Divinisierung der Person des Monarchen in der Figur des Heiligen Napoleon. Während zu den religiösen Ursachen der französischen Revolution das „dismantlement of absolutism“ gehörte, legte Napoleon eben diesen sakralen Umhang wieder an. Dabei fiel Geistlichen die Aufgabe zu, Bonaparte gegenüber der Bevölkerung zu legitimieren, der ja durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen war. Als Mittel dazu griffen sie auf das theologische Konzept der Vorsehung zurück. Der Retter Napoleon war von der Vorsehung gesandt worden, um Frankreich zu retten. Konsistorialpräsident Diergardt kleidete dieses Verständnis in die Worte: „Die Vorsehung, die stäts alles weise und gut lenkt, rief Napoleon Bonaparte auf den Thron und schenkte Ihm, dem ersten der Erden-Götter, einen Portalis zum Geülfen (!), der selbst durchdrungen von der Wichtigkeit der Religion, auch das Amt der Lehrer derselben zu schätzen weiß“.12 Das war kein direktes Gottesgnadentum, aber doch mindestens eine Mystifizierung der napoleonischen Monarchie. Dies traf, wie in Kapitel 2 gezeigt, mit dem Wunsch Geistlicher zusammen, von den durch die Revolutionsregierungen iniitierten Bedrängnissen erlöst zu werden. „Wie flohen die Greuel der Verwüstung vor dem Retter – Bonaparte!“13 Das waren keine leeren Worte, die der reformierte Pfarrer van Alpen ausrief. Bei Geistlichen lag durchaus der Wille vor, in Dienst genommen zu werden von einem Mann, der die gute Ordnung wiederherstellte und die materielle Sicherheit der Pastoren besorgte.
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Protokoll Moers reformiert, 15.8.1806, § 1. ALPEN, Geschichte des fränkischen Rheinufers II, S. III; FISHERMAN, Studies in Napoleonic statesmanship, S. 359 f.
4.1. Indienstnahme durch Aufgaben
113
Auch um seine eigene Position zu legitimieren, hatte Napoleon in den Organischen Artikeln ausdrücklich vorschreiben lassen, dass die Pastoren „prieront et feront prier, dans la récitation de leurs offices, pour la prospérité de la République française et pour les Consuls“ (Art. III). Die Invokation göttlichen Segens und öffentliche Gebete gehörten seit den Tagen Kaiser Konstantins zu den Aufgaben jedes christlichen Geistlichen. 14 Dass auch Napoleon dieses Privileg für sich, seine Regierung und ab Ende 1804 auch seine Familie in Anspruch nahm, war daher keineswegs ungewöhnlich, sondern Bestandteil seiner Rolle als Staatsführer und später als Monarch. Jede Obrigkeit des 18. Jahrhunderts erwartete Friedens-, Sieges- und Dankesgebete oder auch einfach Fürbitten für ihre Politik. Insofern erscheint die Napoleon vorgeworfene „ungebührliche Indienstnahme“ weniger historischer Realität geschuldet, als vielmehr umgekehrt eine Instrumentalisierung durch erweckte und nationale Kreise des 19. Jahrhunderts zu sein, denen an der Konstruktion einer Fremdherrschaft gelegen war.15 Steinhoff erklärt zum Verhältnis von Staat und Kirchen im 19. Jahrhundert: „Umgekehrt versuchten die deutschen Staaten, die Beziehungen zwischen Kirche und Staat unilateral neu zu formen, um die christlichen Kirchen stärker für ihre Zwecke einzuspannen“.16 Falls Napoleon wirklich ein origineller Geist gewesen wäre, der die Kirchen in Dienst genommen hätte, müssten sich die deutschen Regierungen des 19. Jahrhunderts den Vorwurf gefallen lassen, ihrerseits die von ihnen dämonisierte napoleonische Politik fortgesetzt zu haben.17 Der Anbetung der Vernunft der frühen 1790er Jahre folgte die Anbetung des Friedens in den 1800er Jahren. Während der Gottesdienste wurde auch immer wieder das Bild des „Friedefürsten“ (Jesaja 9,5) Napoleon beschworen. Damit wurde Frieden mit der Person Napoleons verknüpft, dem Haupt des multiethnischen Frankreichs in der Konsulat- und Kaiserzeit. In der Betonung der Friedensliebe Napoleons sollten ausländische Mächte als Aggressoren gebrandmarkt werden und die ständig steigenden Anforderungen des Kaisers an neuen Soldaten durch einen famosen Sachzwang legitimiert werden. Daher waren diese Feiern auch besonders verherrlichend zu zelebrieren. Die Rolle des Friedensfürsten stellte einen wichtigen Aspekt der napoleonischen Propaganda dar. 14
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BREDT, Verfassung, S. 308 f. Siehe auch das Kriegsgebet des badischen Markgrafen Karl Friedrich, das auch in seinen Hunsrücker Besitzungen gehalten wurde. AEKRB, Konsistorium Birkenfeld 1/561, Cirkular-Rescript an die evangelischen Pfarrer der Hochfürstl. Badischen Lande, 13.11.1793. In diesem Sinne urteilen etwa STORKEBAUM, Fremdherrschaft; BUCHHOLZ, Französischer Staatskult; PÖHLMANN, Napoleons Druck; WAGNER, Kirchenpolitik, S. 201, 208 und 218. Anthony J. STEINHOFF, Ein zweites konfessionelles Zeitalter? Nachdenken über die Religion im langen 19. Jahrhundert. In: GuG 30 (2004), S. 549-570, S. 566. Erich PELZER, Die Wiedergeburt Deutschlands 1813 und die Dämonisierung Napoleons. In: Thomas Höpel (Hg.), Deutschlandbilder - Frankreichbilder 1700-1850. Rezeption und Abgrenzung zweier Kulturen, Leipzig 2001, S. 271-284.
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4. Zuckerbrot und Peitsche
Im Roerdepartement setzte sich die traditionell schlichte Form protestantischer Gottesdienste fort, die besonderen Wert auf die Predigt legte. Prediger Claussen aus Neuss berichtet über das Napoleonfest vom 15. August 1809, dass die Gemeinde bei der Feier gelobt habe, sich „als rechtschaffene Glieder der Kirche Jesu [zu] betragen“ und im „Lande des ewigen Friedens“ „unserm von Gott gekrönten Monarchen als treue Unterthanen dienen“ wolle. Zudem werde man „den Frieden feyern, den Gott den Völkern gegeben hat“.18 In Krefeld ließ der lutherische Konsistorialpräsident Nesselrath am Vorabend die Glocken läuten, was sich am nächsten Morgen um sieben Uhr wiederholte.19 Um neun Uhr rief er die Gemeinde in die Kirche, wo er sehr frei über Sprüche 3,21 predigte: „Nur die Tugend giebt dem äußeren Glück seinen wahren Werth“. In seiner Predigt ging Nesselrath zunächst auf die Frage ein, „was man unter Glück verstehet“. Glück sei etwas Äußeres, das nicht von uns abhänge. Glück sei Mittel und nicht Zweck. Das äußere Glück müsse mit einer „Gott wohlgefälligen Tugend“ verwoben werden. Ohne Tugend bestehe keine Möglichkeit, jemals Zufriedenheit zu erlangen. Dennoch: „Das äußere Glück darf uns nie gleichgültig seyn“, doch um dieses Glück wahrhaft genießen zu können, „laßet uns vor allen Dingen nach der Tugend trachten – und zu dem Zweck die Religion stets hochschätzen“. Nach dieser moralisierenden Predigt folgte eine „Fürbitte für unseren Kaiser und für das dauerhafte Wohl der Kaiserl. Familie“. Mit der „Auswünschung allen göttl[ichen] Segens“ endete der Gottesdienst. Das ist ein seltenes Beispiel dafür, was tatsächlich in der napoleonischen Zeit in Kirchen gepredigt wurde: Auf die zwar auch wichtigen „äußeren Dinge“, Politik beispielsweise, habe der Einzelne keinen Einfluss. Doch könne man dieses äußere Glück nur dann erreichen, wenn man in sich selbst tugendhaft-asketisch sei. Als Garant dieses „äußeren Glückes“ erschien Napoleon. Ebenso wie die Regierungen vor Napoleon sich göttlich zu legitimieren suchten, setzten Nesselrath und Prediger Claussen Vorstellungen einer göttlichen Legitimität der bestehenden Ordnung und Obrigkeit fort. Der Kaiser war nicht nur „Friedefürst“, sondern „von Gott gekrönter Monarch“, wie Pastor Claussen dies 1809 äußerte.20 Damit vertrat Claussen erneut Vorstellungen eines Gottesgnadentums. Die Internalisierung solcher Wertvorstellungen sicherte die Regierung ab und schwächte selbstständiges Verhalten der Bürger, die erneut zu „Unterthanen“ geworden waren. Zugleich sprach sich eine solche Ordnung implizit gegen erneute revolutionäre Umsturzbestrebungen aus. Damit erfüllten Geistliche die ihnen von der Regierung Napoleons zugedachte Funktion als Stabilisatoren von Herrschaft.
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LANRWR Roerdepartement 238, fol. 150-152, Claussen-Jacobi, 4.11.1809. LANRWR Roerdepartement 237, fol. 122-126, Nesselrath-Jacobi, 20.8.1809, hier: fol. 125 f. Dort auch die weiteren Zitate. LANRWR Roerdepartement 238, fol. 150-152, Claussen-Jacobi, 4.11.1809.
4.1. Indienstnahme durch Aufgaben
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Die Häufigkeit, mit der Napoleon die Dankgebete einforderte, nahm zu und erreichte 1809 einen vorläufigen Höhepunkt. Mit einem Schreiben vom 19. Vendemiaire XIV (11. Oktober 1805) bereitete Portalis die Dankgottesdienste vor. Darin schrieb er: „Un esprit vraiment national anime les Pasteurs de toutes les communions; ils veulent tout ce que l’intérêt de l’État exige; ils desirent la paix, parce que l’esprit de l’Évangile est un esprit de paix, de charité et d’amour; mais ils la desirent stable, glorieuse, digne de la France, telle enfin que les armes de S.M.I. et R. peuvent seules nous la garantir“.21
Die Pfarrer hatten Seiner Majestät also dankbar zu sein für Frieden und Religionsfreiheit. Und diese Dankbarkeit forderte der Kaiser durch seine Kultusminister Portalis und Bigot de Preameneu auch ein. Bereits im Oktober 1805 wurde das reguläre Krönungsfest mit der Feier zum Sieg bei Austerlitz verknüpft. Kurz darauf erfolgte der Dankgottesdienst für den Frieden von Pressburg mit Österreich. Den vierten Koalitionskrieg begleiteten drei Dankgottesdienste. Mit dem Erfolg bei Jena verwies Portalis gegenüber den Pfarrern zugleich auf den ‚Helden‘ Napoleon: „Le Héros de la guerre, en ordonnant ces sacrifices, n’aspire qu’à être le Héros de la paix“.22 Das Jahr 1808 stand unter dem Eindruck des Feldzugs in Spanien: Mitte September ordnete Napoleon an, seine Rede vor dem Senat vom 4. September 1808 von allen Kanzeln verlesen zu lassen: Darin erklärte Napoleon, dass er Spanien faktisch befriedet und eine neue Verfassung eingeführt habe, und dass dank seiner geschickten Allianzpolitik Großbritannien kurz vor dem Zusammenbruch stünde. Im Dezember erfolgte die Dankfeier für die Siege von Espinosa, Burgos, Tudela, Somosierra und für die Einnahme von Madrid. Auch der fünfte Koalitionskrieg kannte das Gebet zum „Dieu des armées“: So für die Schlachten bei Thann, Eckmühl, Regensburg, Engendorf und Wagram – unter Auslassung der Niederlage bei Aspern. Den Einmarsch in Wien ließ Napoleon durch eine besondere Feierlichkeit begehen, um „son entrée dans la Capitale de son ennemi, le même jour où un mois auparavant il avait violé la paix, et manifester ainsi, d’une manière éclatante, qu’il punit l’ingrat et le parjure“.23 Den Abschluss bildete ein Te Deum zum Friedensschluss mit Österreich, das gemeinsam mit der Krönungsfeier am 3. Dezember 1809 gehalten werden sollte. Die nächsten beiden Jahre hatten, abgesehen von den regulären Feiern wie dem Geburtstag des Kaisers und seines Krönungsjubiläums, nur wenige zusätz-
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AEKRD 3MB 001 Nr. 14, unpag., Zirkular Portalis‘, 19. Vendemiaire XIV (11. Oktober 1805). AEKRD 3MB 001 Nr. 14, unpag., Zirkular Portalis‘, 15. April 1807. AEKRD 3MB 001 Nr. 14, unpag., Zirkular Bigot de Préameneu, 22. Mai 1809.
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4. Zuckerbrot und Peitsche
liche Festivitäten. Die Eheschließung Napoleons mit Maria-Louise von Habsburg und die Geburt des Thronfolgers wurden feierlich begangen. Im September 1812 erfolgte die Anweisung eines Dankgottesdienstes für das Überschreiten des Njemen (der Memel), der Dwina, des Dnjepr und für die Kämpfe von Mohilow, Drissa, Polotsk, Smolensk und Moskau. Auch 1813 gab es nochmals einige Festlichkeiten, nämlich für Lützen und Würtschen/ Großgörschen. Nesselrath berichtete darüber an Jacobi, dass die Festivitäten für den „erfochtenen Sieg“ in allen Kirchen seines Bezirks „mit den gewöhnlichen Feierlichkeiten“ durchgeführt worden seien.24 Den letzten Dank forderte Napoleon im September 1813 für den Sieg „sous les murs de Dresde“ ein. Die Tatsache, dass die Feiern mehrheitlich auch durchgeführt wurden, spricht dafür, dass die Pfarrer ganz genau wussten, was sie zu tun hatten, wenn die Regierung von ihnen die Anrufung göttlichen Beistands forderte. Der einzige Fall eines ausdrücklichen Widerspruchs gegen die verlangte Kommunikation stammt aus dem Jahr 1812, als zum Dankgottesdienst für die Siege in Russland und die Einnahme von Moskau gebetet werden sollte. Der Fall des dabei im Zentrum stehenden Pfarrers Maximilian Friedrich Scheibler aus Monschau steht in einem besonderen Kontext und soll daher später ausführlicher geschildert werden.
4.1.2. Bekanntmachung öffentlicher Anordnungen Bereits vor dem Beginn der französischen Herrschaft hatten ein Aufgabenverlust der Pfarrer und eine stärkere Kontrolle durch die Landesherrn eingesetzt; insofern wirkte die Invasion von 1794 lediglich katalytisch. Die frühneuzeitliche Herrschaftsverdichtung seitens der weltlichen Gewalt setzte sich verstärkt fort. Traditionellerweise gehörte auch das öffentliche Verlesen von obrigkeitlichen Anordnungen in den Aufgabenbereich von Pfarrern und damit zu den Funktionen, die sie gegenüber der Obrigkeit zu erfüllen hatten. Für die preußischen Territorien bestand seit 1717 die Regelung, dass Verordnungen nach dem Gottesdienst nicht von der Kanzel erstmalig verkündet werden sollten. Erst die regelmäßigen Wiederholungen geschahen durch den Pfarrer von der Kanzel, im Sinne einer ermahnenden Einschärfung durch die Geistlichkeit.25 Allerdings hieß es in einem Inspektorenbericht bereits 1756, dass Edikte häufig auf den Pfarreien „verloren“ gingen. 1792 erschien in der Kurmark ein Geschäftskalender, in dem 24 25
LANRWR Roerdepartement 244, fol. 88, Nesselrath-Jacobi, 12.7.1813. Stefan RUPPERT, Die Entstehung der Gesetz- und Verordnungsblätter. Die Bekanntmachung von Gesetzen im Übergang vom Spätabsolutismus zum Frühkonstitutionalismus. In: Michael Stolleis (Hg.), Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.-20. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1999 (Ius Commune Sonderhefte; 128), S. 67-108, hier: S. 73. HAUSSMANN, Verbauerung, S. 144 f. zeigt, dass in preußischen Territorien das Verlesen von Edikten, deren Nichtbeachtung Leibstrafen nach sich zogen, dem Pfarrer oblag. Alle übrigen verlas der Küster, der häufig auch Schulmeister war, und schlug sie an die Kirche.
4.1. Indienstnahme durch Aufgaben
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aufgeführt wurde, wann welches Edikt von wem zu verlesen sei.26 Auch in anderen Territorien des Heiligen Römischen Reiches wurden Verordnungen von der Kanzel verlesen.27 Zur Zeit der französischen Besatzung und in der napoleonischen Ära ging es nicht allein um die Bekanntgabe von Anordnungen mit kirchlicher Relevanz,28 wie etwa in Odenkirchen. Dort sollten die Ergebnisse der Ältestenwahl von den Kanzeln bekannt gemacht werden.29 Es ging vor allem um staatliche Anweisungen. Mit deren Verlesen war Generalpräsident Jacobi nicht zufrieden, doch könne man „der weltlichen Obrigkeit nicht verwehren“, Gesetze und Verordnungen von den Kanzeln zu verkündigen, auch wenn es besser nach dem Gottesdienst geschehen sollte.30 Zu diesen neuen Aufgaben gehörte die Vorbereitung der Bevölkerung auf die Kuhpockenimpfung. In ihrer Rolle als „Volksaufklärer“ bemühten sich Pfarrer seit dem 18. Jahrhundert besonders um die Gesundheit ihrer Gemeindeglieder. Dabei handelte es sich keineswegs nur um eine Tätigkeit aufgeklärter Pfarrer, sondern durchaus auch pietistisch geprägter.31 Seit Edward Jenners Entdeckung der möglichen Impfung mit Kuhpocken, mit der er 1798 offiziell an die Öffentlichkeit ging, verbreitete sich die Vakzination sehr rasch. Dieser Ausbreitungsprozess wurde staatlicherseits massiv gefördert. Dazu forderte die Regierung nicht nur Ärzte und Staatsbedienstete auf, die Impfungen durchzuführen, sondern erwartete auch durch die Geistlichen eine entsprechende Unterstützung. 26 27
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HAUSSMANN, Verbauerung, S. 145. Für die reformierte Gemeinde Kleve siehe die von der Kanzel verlesenen Anordnung der Regierung in Kleve in AEKRD A II, 1 Bd. 2. Karl HÄRTER, Policey und Strafjustiz in Kurmainz: Gesetzgebung, Normdurchsetzung und Sozialkontrolle im frühneuzeitlichen Territorialstaat, Frankfurt a. M. 2005 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte; 190), S. 234; Michael Frank, Exzeß oder Lustbarkeit? Die policeyliche Reglementierung und Kontrolle von Festen in norddeutschen Territorien. In: Karl Härter (Hg.), Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft, Frankfurt a.M. 2000 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte; 129), S. 149-178, hier: S. 165-166; August BRECHER, Geschichte der katholischen Pfarreien zu Stolberg. Bd. 1: Von den Anfängen bis zur französischen Revolution, Stolberg 1958 (Beiträge zur Stolberger Geschichte und Heimatkunde; 9,1), S. 81; Gerd ROSENBROK, Am Baum des Lebens. Eine reformierte Gemeinde in Stolberg von 1571 bis zur Vereinigung mit der lutherischen Gemeinde im Jahr 1860 (Beiträge zur Stolberger Geschichte; 24), Stolberg 1999, S. 117. 1797 erging in der kurzen Phase der restituierten Obrigkeit die Anordnung, nicht ausgelassen zu feiern. Dies war ausdrücklich von der Kanzel zu verlesen. Manfred EYSOLDT, Familienbuch Roetgen, Eifel: römisch-katholische und reformierte Kirche; 1638-1900, 2 Bde., Köln 2000, Bd. I, S. 23. Protokoll Odenkirchen reformiert, 19.12.1809, § 8. Siehe beispielsweise für das Arrondissement Simmern auch AEKRB 013B Nr. 51, Inspektor Ilges-Pfarrer zu Kirchberg, Kostenz, Würrich, Büchenbeuren und Dickenscheid, 24. Frimaire X (15.12.1801); ebd., 25. Frimaire XII (17.12.1803). AEKRB 013B Nr. 52, Jacobi-Barz, 12.9.1807. Thomas K. KUHN, Religion und neuzeitliche Gesellschaft: Studien zum sozialen und diakonischen Handeln in Pietismus, Aufklärung und Erweckungsbewegung (Beiträge zur historischen Theologie; 122), Tübingen 2003.
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4. Zuckerbrot und Peitsche
Das geschah in einzelnen deutschen Territorien, wie etwa Bayern, fast zeitgleich mit Frankreich.32 Dort waren bereits nach dem Pockentod Ludwigs XV. 1774 von verschiedener Seite Vorschläge gemacht worden, um der Pocken Herr zu werden. Der reformierte Pfarrer Rabaut-Pommier – derselbe, der mit seinem Bruder und anderen die Organischen Artikel aushandelte – hatte bereits 1780 auf die Möglichkeit einer Impfung hingewiesen.33 Doch erst die Veröffentlichung Jenners aus dem Jahr 1798 brachte den Durchbruch: Seit Januar 1800 setzte in Frankreich langsam die Kuhpockenimpfung ein. Um das Ganze zu beschleunigen, ordnete Napoleon 1804 an, dass alle Rekruten geimpft werden mussten.34 Die rheinischen Departements wurden erst nach ihrer offiziellen Angliederung in die von einem Comité central halbstaatlich geleitete Impfkampagne einbezogen. Da der Werbefeldzug seit 1806 allmählich schwächer wurde, gab es 1811 eine Aufforderung an die Pfarrer, die Bevölkerung zur Impfung zu ermuntern. Als Präfekt Ladoucette nach dem Stand der Dinge fragte, erhielt er von Generalpräsident Jacobi die Antwort: „La vaccine est générale parmi les Protestans“.35 Ausfälle hatte es allerdings im Eifelraum gegeben. In Gemünd wurden 1811/1812 nur neun lutherische Kinder geimpft. Im benachbarten Zweifall „le pasteur craint la récalcitrance de plusieurs parens“. In der ländlichen Eifel wurde die Widerspenstigkeit beklagt, während in industriell entwickelteren Gebieten wie Monschau, Aachen und Stolberg alle Kinder, die den Konfirmationsunterricht besuchten, auch bereits entweder geimpft waren oder die „natürlichen Pocken“ gehabt hatten und somit immunisiert waren.36 Die dort amtierenden Pfarrer Maximilian Friedrich Scheibler, Karl Wilhelm Vetter und Johannes Reisig galten allesamt als Freunde der Aufklärung, die sich in besonderer Weise ihrer Pfarrkinder annahmen. Im gesamten Roerdepartement weigerte sich kein Pfarrer, die Impfung zu propagieren. Die Aufgaben, die von ihnen von Seiten der Regierung erwartet wurden, nahmen Pfarrer in aller Regel auch wahr. Lediglich in Einzelfällen legten Geistliche ganz offen Widerspruch ein. In ihrer Rolle als Pfarrer und Staatsdiener hingegen, blieben sie weitgehend im vorgedachten Handlungs- und Deutungsrahmen. 32
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Christian PROBST, Die Reform des Medizinalwesens in Bayern zwischen 1799 und 1808. In: Eberhard Weis (Hg.), Reformen im rheinbündischen Deutschland, München 1984 (Schriften des Historischen Kollegs; Kolloquien; 4), S. 195-210, hier: S. 207. Amand LODS, Rabaut-Pommier. Pasteur inventeur de la vaccine, conventionnel et proscrit (1744-1820). In: BSHPF 42 (1893), S. 169-191; J. H. STEWART, Rabaut-Pommier and the discovery of vaccine. In: American Medicine 34 (1928), S. 195-199; J. THEODORIDES, Rabaut-Pommier, a neglected precursor of Jenner. In: Medical History 23 (1979), S. 479-480. Elinor MEYNELL, French Reactions to Jenner’s Discovery of Smallpox Vaccination: The Primary Sources. In: Social History of Medicine 8 (1995), S. 285-303, hier: S. 299. LANRWR Roerdepartement 211, fol. 34-35, Rapport au préfet, 21.7.1812. Vgl. dazu auch den Bericht des Konsistorialpräsidenten Reisig in LANRWR Roerdepartement 265, fol. 1, Bericht vom 21.7.1812.
4.2. Auf dem Weg zur Laufbahn: Gesetzgebung als Mittel formeller Einbindung
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4.2. Auf dem Weg zur Laufbahn: Gesetzgebung als Mittel formeller Einbindung 4.2.1. Universitätszwang Die napoleonische Gesetzgebung erwies sich im Kultuswesen als ambivalentes Mittel, den Willen des Pariser Kultusministers adäquat durchzusetzen. Eine gewisse äußere Vereinheitlichung erreichte der Protestantismus bereits 1804, denn kurz vor der Kaiserkrönung ließ Napoleon festsetzen, wie die geistliche Amtstracht auszusehen hatte: Die traditionelle französische Robe mit Rabatte, dazu in der Stadt ein langer und auf dem Land ein kurzer Mantel.37 Damit war die Geistlichkeit erneut in der Öffentlichkeit uniformiert und blieb es à la française, bis die altpreußische Tracht 1817 offiziell eingeführt wurde.38 Ebenfalls unterlagen die auswärtigen Kontakte einer Beschränkung. Die Organischen Artikel sahen vor, dass Pfarrer Franzosen sein mussten und dass sie mit „aucune puissance ni autorité étrangère“ in Beziehung stehen durften. 39 Dadurch war rechtlich eine Mauer gezogen worden, die eine Ausrichtung nach Paris für ganz Frankreich garantieren sollte. Für die reformierten Pfarrer bedeutete diese Bestimmung das definitive Ende der verbindenden Generalsynode. Eine Fremdfinanzierung, wie sie etwa bis zum französischen Einmarsch in vielen Gemeinden üblich war,40 verlor damit jede Berechtigung. Das bedeutete nichts anderes, als dass die materielle Abhängigkeit vom Kultusminister noch gesteigert wurde, denn nur noch von ihm oder vom Staatschef leiteten sich sämtliche Finanzierungen und Vergünstigungen her. Unkontrollierte Kontakte ins Ausland waren der napoleonischen Regierung suspekt. Entsprechend unangenehm empfand Generalpräsident Johann Friedrich Jacobi ein Schreiben der Vaterländisch-gelehrten Gesellschaft von Mansfeld, die 1804 die Idee der Errichtung eines Martin-Luther-Denkmals aufbrachte. Jacobi berichtete dem Mainzer Präfekturrat Koßdorff über das Denkmal, „welches [für] den unsterblichen Luther […] in Deutschland errichtet werden“ solle. Jacobi meinte, er wolle gerne seinen persönlichen „Beitrag allein abschicken“ und fand „Schwierigkeiten […], eine Kollekte zu veranlassen“. Denn es stellte sich ein Problem: „Daß Protestanten Geld zu einem neuen Monument für
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Georg BIUNDO, Zur Geschichte der geistlichen Tracht (Zweibrücken). In: BlpfKG 17 = (26) (1950), S. 101 (1); ders., Zur Geschichte der Geistlichen-Tracht. In: BlpfKG 4 (1928), S. 124-125. Protokoll Moers reformiert, 8.7.1817, § 9 und 10. Organische Artikel für den protestantischen Kultus, Titel I, Artikel 2. Eine Auflistung niederländisch finanzierter Gemeinden bei RECKLINGHAUSEN, Reformations-Geschichte I, S. 391-394.
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4. Zuckerbrot und Peitsche
Luther zusammenschießen, dabey ist kein Anstand; ob man auch aber ausgerechnet es in’s Ausland nachschicken laßen [solle]? Das ist die Frage“.41 Gerade dieses Projekt jedoch wurde von exponierten Zeitgenossen wie Johann Wilhelm von Archenholz,42 dem Herausgeber der Hamburger Zeitschrift „Minerva“, als „National-Unternehmung“ oder „National-Sache“ empfunden.43 Ein „wahrer deutscher Patriot“ könne dabei „nicht gleichgültig seyn“.44 Auch der Publizist Karl Stern drückte sich in demselben Sinn aus: „Lange deckten Schutt und Gesteine, die ein undankbares Zeitalter darauf warf, die Gräber der Großen unserer Nation; keiner hob die drückende Last weg, keiner zeigte uns die Stätte, wo die sterbliche Hülle eines großen Deutschen Mannes ruhte; kein Pantheon bewahrte uns die Büsten dieser Männer“.45
Sterns Meinung kulminierte in der Feststellung: „Was er als Reformator der Religion that, scheint mir immer von weit geringerem Moment zu seyn, als das, was er als Deutscher that“ (Hervorhebung im Original).46 Stern forderte nicht nur den Bau eines Nationaldenkmals in Mansfeld, sondern auch noch den eines in Berlin: „Der Mittelpunkt des protestantischen Deutschlands, die Hauptstadt des Protestantismus, Berlin, baue in ihren Mauern dies Werk, das kühn und stolz den Augen jedes offenbar dastehe, wie Luther selbst frei und offenbar vor den Augen der Welt stand“.47 Gerade für ein solches Nationaldenkmal sollte also gesammelt werden und dadurch geriet Jacobi so sehr in Bedrängnis. Als Lutheraner fühlte er sich verpflichtet, durch persönliche Beiträge und Kollekten das Projekt zu fördern, doch fürchtete er, dass die französische Regierung „jeden öffentlichen Schritt, um Geld oder dessen Werth außer Landes zu verschicken, misbilligen“48 werde. Eine öffentliche Kollekte scheint am Rhein nicht stattgefunden zu haben.
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LANRWR Roerdepartement Nr. 213, fol. 13-15, Jacobi-Moßdorff, 15. Pluviose XIII (4.2.1805). Vgl. auch KARLL, Französische Regierung, S. 216-219. Zu Archenholz vgl. Emil DOFIVAT, Art. Archenhol(t)z, Johann Wilhelm von. In: NDB 1 (1953), S. 335-336. Ute RIEGER, Johann Wilhelm von Archenholz als „Zeitbürger“: eine historisch-analytische Untersuchung zur Aufklärung in Deutschland, Berlin 1994 (Quellen und Forschungen zur brandenburgischen und preussischen Geschichte; 4). Johann Wilhelm von ARCHENHOLZ, Ueber den deutschen Patriotismus und Luthers Denkmal. In: Minerva, 1805, 1. Bd., S. 509-525, hier: S. 520. Ders., Wohin gehört Luthers Denkmal. In: Minerva, 1805, 3. Bd., S. 90-99, hier: S. 90 f. ARCHENHOLZ, Patriotismus, S. 525. K. STERN, Ueber die Errichtung eines Denkmahls für Luther. In: Eunomia 5 (1805), 2. Bd., S. 73-78, hier: S. 73. Ebd. Ebd., S. 77-78. LANRWR Roerdepartement Nr. 213, fol. 13-15, Jacobi-Moßdorff, 13. Pluviose XIII (4.2.1805), fol. 14.
4.2. Auf dem Weg zur Laufbahn: Gesetzgebung als Mittel formeller Einbindung
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Nicht nur Geldtransfers ins Ausland waren ungern gesehen, auch bei der Rezeption theologischer Literatur aus Deutschland schienen sich Pfarrer unschlüssig zu sein. Christian Gottlieb Bruch veröffentlichte nicht nur im „Mercure du département de la Roër“, sondern auch in den Marburger „Neuen theologischen Annalen und Theologischen Nachrichten“ und in der „Quartalschrift für Religionslehrer“ von Pfarrer Bernhard Christoph Ludwig Natorp. Ein Artikel Bruchs beschäftigte sich mit der Geschichte seiner evangelischen Gemeinde in Köln, was ihm 1815 die Ehrendoktorwürde bescherte.49 Doch noch bevor der Artikel in den „Neuen theologischen Annalen“ erschien, teilte Bruchs Amtskollege und Bekannter Dr. Johannes Reisig seinem Vorgesetzten Jacobi mit, dass er „durch unsern gemeinschaftlichen Freund, Hn. Wildenstein,“ erfahren habe, dass die von ihm über Frankfurt abonnierten „Theologischen Annalen“ „ont rejetées et ne peuvent être introduites en France“.50 Diese Zensurmaßnahme veranlasste ihn zu dem Ausruf: „Ah, wir armen diesseitigen protestantischen Theologen!“ 51 In einem vermutlich nicht abgeschickten Denkschriftkonzept vom April 1814 wies Jacobi den Kultusminister darauf hin, dass eine Kontaktunterbindung nach Deutschland so lange unnütz, gar schädlich sei, bis die sprachlichen Differenzen zwischen den rheinischen Departements und Frankreich nivelliert seien.52 Eine weitere Maßnahme der formellen Einbindung durch Schaffung einer Art Laufbahn war der Universitätszwang. Dabei handelte es sich keineswegs um eine völlig neue Erfindung aus dem Geiste Napoleons. „Universitätszwang“, also der für Landeskinder verpflichtende Besuch einer zentralen Bildungseinrichtung als Vorbedingung für eine spätere Anstellung im Lande, war durchaus üblich, etwa Marburg in Hessel-Kassel oder Gießen in Hessen-Darmstadt.53 Für die kurpfälzischen Stammlande war Heidelberg die Landesuniversität. In den brandenburgisch-preußischen Territorien, zu denen Kleve und Mark zählten, hatte der Landesherr den lutherischen Theologiestudenten den Besuch der Universität Halle zur Pflicht gemacht.54 Bereits seit dem späten 17. Jahrhundert war Duisburg für die Reformierten aus Kleve-Mark de jure verpflichtend und für Jülich-Berg entwickelte sich dies de facto zur verpflichtenden Universität. Als die Organischen Artikel festschrieben, dass Reformierte in Genf und Lutheraner an einer Akademie „dans l’est de la France“ auszubilden seien, be49
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Dieser Artikel ist als Nachdruck auch erschienen u.d.T. Christian Gottlieb BRUCH, Versuch einer kurzen Geschichte der evangelisch-lutherischen Gemeinde zu Köln am Rhein. In: MEKR 2 (1908), S. 225-253. LANRWR Roerdepartement 222, fol. 168-169, Reisig-Jacobi, 16.3.1812. Der Sprachwechel resultiert aus dem anderssprachigen Gesprächszitat. Ebd. LANRWR Roerdepartement 271, fol. 18-19, Projét d’un Mémoire de Jacobi, 13.4.1814. SCHORN-SCHÜTTE, Evangelische Geistlichkeit, S. 183. BRÄMIK, Verfassung, S. 167.
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4. Zuckerbrot und Peitsche
deutete dieser Zwang für die französischen Reformierten eine Neuerung, waren doch seit der Zeit der Verfolgung angehende Theologen am Seminar im schweizerischen Lausanne ausgebildet worden.55 Während in Straßburg bereits 1803 die theologische Fakultät ihre Pforten öffnete,56 zögerte das Lokalkonsistorium in Genf, das kleine bestehende Seminar zu einer nationalen Ausbildungsstätte umzuwandeln. Selbst einem persönlichen Schreiben des Kultusministers Portalis an das Genfer Konsistorium vom 26. Mai 1807 gelang es nicht, die Umsetzung einzufordern. 57 Dem Plan des Pariser Lokalkonsistorialpräsidenten Paul-Henri Marron, ein theologisches Seminar in der Hauptstadt einzurichten, wollte der neue Kultusminister gerade in der Phase, als Rabaut-Dupui aus der Stadt entfernt wurde, nicht zustimmen. Stattdessen genehmigte Napoleon das Angebot des Konsistoriums in Montauban, ein zentrales Seminar aufzubauen.58 Für diese waren ab 1810 auch staatliche Stipendien eingeführt worden, um auch Ärmeren ein Studium zu ermöglichen.59 Zum Dekan der 1809 eröffneten Fakultät in Montauban ernannte der Kaiser den Lyoneser Pastor Benjamin-Sigismond Frossard, der zu dem Kreis gehört hatte, der die Organischen Artikel für den protestantischen Kultus mit aushandelte. Nachdem mit Montauban ein Präzedenzfall geschaffen worden war, forderten auch andere Regionen Abweichungen von den Vorgaben der Organischen Artikel. Generalpräsident Johann Friedrich Jacobi sprach sich für die Einrichtung von Seminaren in weniger kostspieligen Orten als Straßburg oder Genf aus. Er schlug Trarbach im Rhein-Mosel- und Moers im Roerdepartement als geeignete Orte vor, fand jedoch kein Gehör.60 Ebenfalls für ein Seminar in Moers sprach sich der reformierte Konsistorialpräsident Heinrich Diergardt aus, in dessen Bezirk es liegen sollte.61 Vielversprechender war der Zweibrücker Versuch, die Verweigerungshaltung des Genfer Konsistoriums für die deutschsprachigen Teile des Empire zu nutzen. Der reformierte Pfarrer Philipp Casimir Heintz hatte im Auftrag seines Konsistoriums den Antrag auf Einrichtung eines reformierten Seminars in Zweibrücken gestellt. Seinem Antrag fügte er ein detailliertes Finanzierungskonzept und einen Stellen- und Lehrplan bei und konnte bereits auf ein geeignetes Gebäude hinweisen. Da sein Plan fast völlige Kostenneutralität für den Staat bedeutete, erhielt er tatsächlich den Zuschlag. Infolge der politischen 55 56
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Zur Ausbildungsfunktion vgl. LASSERRE, Le séminaire de Lausanne. Ch[rétien] Th[éodore] GEROLD, La faculté de théologie et le séminaire protestant de Strasbourg (1803-1872). Une page de l'histoire de l'Alsace, Strasbourg 1923 (Etudes d'histoire et de philosophie religieuses publiées par la faculté de théologie protestante de l'Université de Strasbourg, fasc. 7). BOUDON, Napoléon et les cultes, S. 113-114; ROBERT, Réformées, S. 205-207. ROBERT, Réformées, S. 209 f. BOUDON, Napoléon et les cultes, S. 114; vgl. AEKRD RPKA B I III 1, Jacobi-Kimnach, undatiert, vor 5.4.1810. DUDA, Organisation, S. 61 Anm. 56. GRAUMANN, Verwaltung, S. 221.
4.2. Auf dem Weg zur Laufbahn: Gesetzgebung als Mittel formeller Einbindung
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Entwicklungen ab 1812 gelangte der Plan jedoch nicht mehr zur Ausführung.62 Damit blieb den angehenden Theologen der rheinischen Departements nichts Anderes übrig als die gesetzlichen Vorgaben in Straßburg oder Genf zu erfüllen. Eine Übersicht aus dem Bereich der reformierten Konsistorialkirche Odenkirchen meldete im Jahre 1810, dass die Studenten ihre Studienorte ausschließlich in deutschsprachigen Gebieten wählten: In Marburg studierten vier Theologen, von Duisburg nach Straßburg beabsichtigten zwei zu wechseln. Die übrigen fünf erhielten gar nur Unterricht durch die bereits amtierenden Pfarrer in Viersen und Jüchen, Johann Heinrich Dickmann und Adam Eberhard Zillessen. Ähnlich wurde dies in den anderen Konsistorialkirchen des Roerdepartements gehalten.63 Mit Friedrich Rötger van Alpen besuchte einzig und allein der Sohn des Stolberger Konsistorialpräsidenten wie vorgeschrieben die Akademie in Genf. Auf lutherischer Seite kam erst ab 1808 das Studium in Straßburg in Mode, denn zuvor hatten dort nur selten niederrheinische Theologen studiert.64 Ein Zwang zum Erlernen der französischen Sprache, wie von Springer beklagt, ist nicht zu erkennen.65 Von einer Umsetzung des Universitätszwangs für Straßburg oder gar Genf kann überhaupt keine Rede sein. Sicherlich hat dies auch mit der beschriebenen zahlenmäßigen Schwäche der Lutheraner in Jülich und Kleve ebenso zu tun wie mit der schieren geographischen Entfernung. Bis zum Ende der französischen Herrschaft hatten sich 15 angehende Theologen aus dem Roerdepartement in Straßburg eingeschrieben.66 Erstaunlich ist dabei die hohe Anzahl der Reformierten, die sich am lutherischen Seminar in Straßburg immatrikulierten, nämlich 12 von 15 (80%). Von den Theologiestudenten des Roerdepartements erhielt jedoch mehr als ein Viertel nach dem Studium keine Stelle in den rheinischen Departements. Dass Studenten der reformierten Theologie nicht an der reformierten Fakultät in Genf stu62
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Emil MÜLLER, Zur Geschichte des höheren Schulwesens: aufgrund archivalischer Studien dargestellt. Teil 1: Die Kameralschule in Kaiserslautern (1774-1784). Teil 2: Die Verhandlungen über die Errichtung einer theologischen Akademie in Zweibrücken (1803-1812), Kaiserslautern 1899. JUNG, Pfälzische Kirche, S.124; GRAUMANN, Verwaltung, S. 221; ROBERT, Réformées, S. 217 Anm. 3; DUDA, Organisation, S. 61. Eine Lebensskizze bei Bernhard H. BONKHOFF, Philipp Casimir Heintz (1771-1835). Eine Biographie. In: BlpfKG 46 (1979), S. 73-99. GRAUMANN, Verwaltung, S. 220. Die Angaben wurden erhoben aus Gustav C. KNODT, Die Matrikeln der Universität Straßburg, 3 Bde., Straßburg 1897 ff. (Urkunden und Akten der Stadt Straßburg, 3. Abt.); Otto IMGART, Deutsche und ausländische Studenten in Straßburg, 1795-1815. In: MittWGfF X (1938), H. 3, S. 193-216. SPRINGER, Franzosenherrschaft, S. 347. 1808: Friedrich Röttger van Alpen; 1809; Hermann Friedrich Nesselrath; 1810: Friedrich Koenig, Karl Koenig; 1811: Daniel Simon, Peter Bender, Johann Heinrich Coenen, Johann Wilhelm Heck; 1812: Fürchtegott Nesselrath; 1813: Heinrich Gottfried Esch, Johann Ludwig Hagenberg; Cornelius Jacobs; Johann Franz Adolph Karl Kloenne; Friedrich Wilhelm Knabenschuh; Johann Peter Melsbach.
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4. Zuckerbrot und Peitsche
dierten, duldete die napoleonische Regierung angesichts der mäßigen Französischkenntnisse in den rheinischen Departements. Auf diese hatte bereits die Konferenz der Konsistorialpräsidenten Frankreichs Rücksicht nehmen müssen.67 Die Wahl dieser reformierten Straßburger Absolventen wurde dennoch zugelassen; offenbar betrachtete die Regierung die Auflagen der Organischen Artikel als erfüllt, wenn in irgendeinem der zur Verfügung stehenden französischen Seminare das Studium absolviert wurde. Damit waren die Ansätze zu einer allgemein verbindlichen geistlichen Laufbahn gemacht: Das Indigenat schloss Fremde aus, der Universitätszwang normierte die zu beherrschenden Kenntnisse, die nur provisorisch an einem anderen Ort erlernt werden durften. Die Organischen Artikel sorgten für eine Berechenbarkeit bei der Karriereplanung. Während das für die niederrheinischen Pfarrer wenig bahnbrechend war, bedeuteten diese Schritte für den französischen Protestantismus einen gewaltigen Entwicklungsschub.
4.2.2. Vereinswesen Da Freimaurerlogen nicht das Interesse protestantischer Geistlicher am Niederrhein erweckten, boten staatlich begründete Vereine eine Möglichkeit, regelmäßige Kontakte mit französischen und rheinischen Funktionären aufzubauen. Das galt im Übrigen auch für Nichttheologen. So war Bruchs Freund Franz Ferdinand Wallraf seit 1808 korrespondierendes Mitglied des „Athénée de la langue française“.68 Diese Vereinigung mit Sitz in Paris war auf Initiative der Regierung gegründet worden und diente der Stärkung der französischen Sprache in den neu annektierten Gebieten. Den Zweck dieser Einrichtung hatte Napoleon in einem Brief an die Mitglieder wie folgt umrissen: „Les conquêtes des langues suivent les conquêtes des armes; mais si les idiomes, les usages et les mœurs des peuples réunis de nos jours à la France, peuvent enrichir notre langue, ces causes diverses peuvent aussi en altérer la pureté! Jamais il ne fut donc plus nécessaire d’y veiller que dans notre siècles!“69
Das Athenäum diente besonders der Einbindung fremdsprachiger, aber zugleich frankophoner Amtsträger und Persönlichkeiten in den nichtfranzösischsprachigen Departements. In diese Gesellschaft fanden durch Ernennung der Lei67
68 69
Die Beschlüsse der Konferenz waren den nichtfranzösischsprachigen Konsistorialkirchen in deren Sprachen zu verkünden. Protokoll der Sitzung im Bestand AEKRD 3MB 006, teilweise Abdruck bei MAST, Kreissynode, Bd. II, Heft 2, S. 75 ff. HSAK Best. 1105, Nr. 25, Bl. 1. Zitiert nach: Julien TELL, Les Grammairiens français, depuis l'origine de la grammaire en France jusqu'aux dernières oeuvres connues; ouvrage servant d'introduction à l'étude générale des langues, Paris 1874 [ND Genf 1967], S. 231.
4.2. Auf dem Weg zur Laufbahn: Gesetzgebung als Mittel formeller Einbindung
125
tung des „Athénée“ auch einige rheinische Konsistorialpräsidenten Aufnahme. Aus dem Roerdepartement waren Heinrich Simon van Alpen (Stolberg)70 und Nikolaus Leonhard Heilmann (Krefeld) 71 sowie aus dem Rhein- Moseldepartement Karl Christoph Eberts aus Kreuznach72 Angehörige des Vereins. Durch ihre Mitgliedschaft bezeugten diese Männer nicht nur den Anspruch auf die Zugehörigkeit zu Frankreich, sondern auch die Loyalität zum Regierungssystem Napoleons. Die Mitgliedschaft war exklusiv: Man konnte nicht beitreten, sondern wurde ernannt. Diese Gunst gestand die Gesellschaft nicht jedem zu, sondern nur Personen, die über ausgezeichnete Verbindungen in ihrem jeweiligen Amtsbereich verfügten. Auch mit diesem Instrument sollte eine auf formeller Mitgliedschaft beruhende, institutionalisierte kulturelle Anbindung geschaffen werden. Hingegen waren protestantische Pfarrer des Roerdepartements nur selten in Freimaurerlogen anzutreffen. Diese bildeten eine Art Kontaktbörse zwischen einheimischen Rheinländern und zugewanderten Franzosen.73 Wie bereits vor der französischen Zeit blieben Aufnahmen reformierter oder lutherischer Prediger Einzelfälle. Der Lutheraner Johann Friedrich Landgraf wurde im rechtsrheinischen Wesel Freimaurer, allerdings einige Jahre bevor die Stadt 1808 dem Roerdepartement angeschlossen wurde. Der Emmericher Pfarrer Daniel Eberhard Otterbein (1766-1823) trat während der Vorbereitung zu seiner theologischen Promotion 1801 der Loge „Pax inimica malis“ bei.74 Eher waren Pfarrer allerdings in lokalen Gesellschaften anzutreffen. Christian Gottlieb Bruch, der lutherische Pfarrer von Köln, und sein Freund Maximilian Friedrich Scheibler, Pastor in Monschau, gehörten der „Olympischen Gesellschaft“ um den katholischen Kunstmäzen Franz Ferdinand Wallraf an.75 Diese Sozietät tagte hoch oben im Bayenturm und fühlte sich wie auf dem Olymp, daher der Name. Ihr gehörten Mitglieder der geistigen und wirtschaftlichen Führungsschicht der Stadt Köln an, darunter so illustre Männer wie der Kaufmann und Maler Matthias Joseph de Noël und der Verwaltungsbeamte Johann Jakob Peter Fuchs. Die „Olympische Gesellschaft“ gilt als einer der Vorläufer für das Cölner Carnevals-Comité.76 70 71 72 73 74
75
76
Leo PETERS, Heinrich Simon van Alpen (1761-1830). In: Rheinische Lebensbilder 13 (1993), S. 73-97, hier: S. 94. AEKRD 3MB 008 Nr. 23, Ernennungsurkunde vom 15. November 1807. AEKRD 3MB 001 Nr. 14, Anschreiben des „Athénée“ vom 13. Dezember 1807. CLEMENS, Diener, S. 90-92. Karlheinz GERLACH, Die Freimaurer im Alten Preussen 1738-1806: die Logen zwischen mittlerer Oder und Niederrhein, Innsbruck [u.a.] 2007 (Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei; 8), S. 365. Einen Überblick über die Geschichte der Gesellschaft bietet Hubert ENNEN, Die Olympische Gesellschaft zu Köln. Ein Beitrag zur Kölner Literaturgeschichte der Neuzeit, Würzburg 1880. Christina FROHN, Der organisierte Narr: Karneval in Aachen, Düsseldorf und Köln von 1823 bis 1914. Marburg 2000, S. 47 f. Dort auch weitere Literatur.
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4. Zuckerbrot und Peitsche
Sowohl Bruch als auch Scheibler verfassten mehrere Gedichte im Rahmen dieser Gesellschaft. Scheibler schrieb 1811 eine lateinische Lobpreisung unter dem Titel „Laudes Olympi Coloniensis“ für Wallraf. Bruch ergänzte um ein Gedicht als „Dank zweier Damen für Zulassung zum Fastnachtsspiel“. Speziell zwischen Bruch und Wallraf bestand ein besonderes Verhältnis. 1809 schrieb Bruch an Wallraf, er habe ihm zuliebe etwas getan, was er „selbst sonst nicht gemacht hätte“.77 Nach dem Tod des Bischofs Berdolet hatte Bruch, in Absprache mit Wallraf, „die Inschrift auf das Grab des verstorbenen Bischofs von Aachen gedichtet“.78 Im Vereinswesen waren nur wenige Pfarrer anzutreffen. Weder in freiwilligen Freimaurerlogen noch in staatlich initiierten Sozietäten waren Pfarrer in größerer Zahl anzutreffen. Die Mitgliedschaft in solchen Gesellschaften, die eine intensivere und regelmäßige Bekanntschaft zu Franzosen hätte bewirken können, war offenkundig nur für wenige Pfarrer eine Option. Wo sie freiwillig beitraten, handelte es sich um Vereine auf lokaler Ebene, in denen überwiegend der Kontakt zu Einheimischen gepflegt wurde.
4.2.3. Befreiung von der Wehrpflicht und die Folgen Seit Juli 1807 waren protestantische Theologiestudenten von der Wehrpflicht ausgenommen.79 Das war eine überaus großzügige Geste Napoleons, die ihm grundsätzlich die Dankbarkeit der Geistlichen sichern sollte ganz im Sinne einer Vermehrung der Sicherheit von Geistlichen. Die Auswirkungen der Befreiung sollen im Folgenden erörtert werden. In der militärisch kritischen Phase 1792/93 führte der Nationalkonvent die lévée en masse ein, die Massenaushebung breiter Bevölkerungsteile zur Befreiung des Gemeinwesens von auswärtiger Bedrohung. 80 Gerade die allgemeine Wehrpflicht bedeutet einen prinzipiellen Wandel im Verständnis von Staat und Individuum. Mit dem grundsätzlichen feudalen Treueverständnis, demzufolge zwischen Beschützer und Ernährer ein symbiotisches Verhältnis besteht, bricht die Nationalversammlung. Der Einzelne muss nicht mehr nur mit seiner Arbeitskraft dem Gemeinwesen zur Verfügung stehen, sondern auch mit seinem eigenen Leben. Waffengewalt wird eine allgemeine Erfahrung und sie leitet die Militarisierung der Gesellschaften des 19. Jahrhunderts ein.81 Die rheinischen Departements waren von der Einziehung junger Männer die Wehrpflicht überdurchschnittlich betroffen. Die Anzahl der eingezogenen 77 78 79 80 81
HSAK Best. 1105, Nr. 2, Bl. 138, Bruch-Wallraf, 13.2.1809. HSAK Best. 1105, Nr. 2, Bl. 141, Bruch-Wallraf, 20.5.1810. Vgl. Kapitel 3. Hierzu Alain PIGEARD, La conscription au temps de Napoléon: 1798-1814, Paris 2003, S. 29-65. SMETS, Von der Dorfidylle, S. 713.
4.2. Auf dem Weg zur Laufbahn: Gesetzgebung als Mittel formeller Einbindung
127
Wehrpflichtigen hat sich zwischen 1805 und 1813 verzwölffacht. Stellte das Roerdepartement beispielsweise vor 1806 jährlich rund 96 Soldaten auf 100.000 Einwohner, so waren es im Jahre 1813 über 1.600. Bei den für diese Zeit eingezogenen knapp 30.000 Männern sind noch nicht einmal diejenigen mit einberechnet, die unter anderer, etwa preußischer oder österreichischer Flagge, dienten. Im gesamten rheinischen Durchschnitt wurde mindestens ein Drittel eines Jahrgangs für die französischen Streitkräfte eingezogen. In manchen Kantonen, etwa in Kevelaer und Wetten, erreichte die Eingezogenenquote allerdings sogar 75%, also drei von vier Männern eines Jahrgangs. Im gesamten Empire wurden durchschnittlich 42,5% eingezogen.82 Die Zivilgemeinde Goch hatte 2.836 Einwohner, von denen 175 reformiert waren (6,1%). Von ihnen dienten im Jahre 1812 zwar „nur“ vier Prozent beim Militär, doch stellten diese vier Prozent ein Fünftel der gesamten männlichen Gemeinde einschließlich der Jungen.83 Doch erlebte die rheinische Gesellschaft nicht nur eine Militarisierung in bis dahin unbekanntem Ausmaß, auch die reellen Verluste waren hoch. Für das Kaiserreich sind etwa 37,5% aller Eingezogenen in der napoleonischen Ära gefallen.84 Allerdings gab es erhebliche örtliche Unterschiede. Im Wälder- departement mit der Hauptstadt Luxemburg waren 62,1% aller Eingezogenen nicht mehr zurückgekehrt. Im Roerdepartement lagen die Zahlen in einzelnen Orten ähnlich hoch, so in Kevelaer 51,4%. Anderen Orts betrugen die Verluste „nur“ ein knappes Drittel, wobei die Kriegsverwundeten nicht beinhaltet sind. Für das Jahr 1813 liegen die durchschnittlichen Verluste im Roerdepartement bei 40%. Soll heißen: Deutlich mehr als jeder dritte Eingezogene ist für Napoleon gefallen.85 Speziell im rheinischen Fall hatte das sehr weitgehende Folgen für die Bevölkerung. „Noch nie haben so viele Rheinländer das Töten anderer Menschen gelernt und praktiziert“. 86 Zudem weitete sich der Horizont dieser jungen Männer, da sie an Orte gingen, die ihre Nachbarn nicht einmal dem Namen nach kannten. Smets geht davon aus, dass der Militärdienst auch ein Bewusstsein der jungen Männer schuf, „Deutsche“ zu sein, und zwar aus dem schlichten Grund, dass ihren nichtdeutschen Kameraden die „regionale Zuordnung der aus dem Osten stammenden Mitstreiter einfach nicht geläufig war“ und sie deshalb mit einem allgemeinen Terminus bezeichneten.87 Wichtig erscheint ferner, dass die etwa 40 bis 50.000 Heimkehrer auf einmal die Rolle von Informations- und 82 83
84 85 86 87
SMETS, Von der Dorfidylle, S. 714-717. Zahlen bei Matthias JANSSEN, Heinz VAN DE LINDE, Die Kirchenregister der reformierten Gemeinde Goch zur Zeit der französischen Fremdherrschaft (1794-1814). Methoden und Möglichkeiten ihrer Erschließung. In: MEKGR 40 (1991), S. 183-214, hier: S. 196 f. SMETS, Von der Dorfidylle, S. 728. Dort weitere Literatur. Ebd., S. 728-729. Ebd., S. 718. Ebd.
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4. Zuckerbrot und Peitsche
Wissensvermittlern einnahmen, die bislang ausschließlich „Pfarrer oder Lehrer (und andere Angehörige des gelehrten Standes)“ innehielten.88 Um es zugespitzt auszudrücken: Pfarrer verloren Autorität durch die Anschauung junger Wehrpflichtiger, die dem Tod ins Auge geblickt und fremde Länder kennengelernt hatten und diese Kenntnisse nun einer immer noch überwiegend mündlich funktionierenden Gesellschaft mitteilten. Die Wehrpflicht war nicht populär.89 Im Jahre 1809 gab es im Saardepartement und den angrenzenden Gebieten der Departements Rhein-Mosel und Donnersberg sogar massive Unruhen der Wehrpflichtigen. Gerade die lutherische Geistlichkeit half dabei, die Ausschreitungen einzudämmen und zu beenden. 90 Generalpräsident Jacobi erhielt vom Kultusminister wenig später eine kurze Mitteilung, in der es hieß: „Le Ministre des Cultes temoignage sa satisfaction de la tranquilité maintien dans l’Arrond[isse]m[ent] de Simmern et les troubles qui desoloient le departm[ent] de la Sarre“.91 Aus dem Roerdepartement sind keine Ausschreitungen überliefert. Überhaupt gehörten die Wehrpflichtigen der rheinischen Departements insgesamt zu den diszipliniertesten, zu denjenigen, die am seltensten desertierten. Der lutherische Klerus war zudem willig, Anweisungen und Erlasse, die das Militärwesen betrafen, von der Kanzel zu verkünden. So schrieb Präsident Nesselrath in einem Zirkular, in der er den Pfarrern ein kaiserliches Amnestiedekret vom 25. März 1810 für refractaires und deserteurs mitteilte: „Da nun diese Wohlthat die bestmöglichste Bekanntmachung in allen Gemeinen erfordert: so werde ich durch eine Zuschrift des Herrn Ober-Consistorial-Präsidenten aufgefordert, die sämtliche Herrn Amtsbrüder zu bitten, diese Amnestie Ihren Pfarrkindern von der Kanzel bekannt zu machen und die Wiederspenstigen (!) und Deserteurs dringend zu mahnen und von dieser ihnen von Seiner Kaiserlich-Königlichen Majestät angebotenenen Gnade eiligst Gebrauch zu machen“.92
Von der Ziehung konnten sich die Wehrpflichtigen durch die Stellung eines Ersatzmanns befreien. Aufgrund der hohen Kosten hierfür (zwischen 2.000 und 8.000 Francs) ergab sich diese Möglichkeit nur für Söhne aus vermögendem Elternhaus. Söhne aus Pfarrhäusern hingegen hatten in aller Regel nicht diese Chance, denn der Vater verdiente mit all seinen Pfarremolumenten jährlich meist etwa 500 bis 1.500 Francs. Viel blieb dabei nicht zu sparen, so dass die soziale Herkunft der Eltern bedeutsam wurde. Das feudale Prinzip wurde gleichsam 88 89 90
91 92
Ebd. Vgl. etwa die Fallstudie von Louis BERGES, Résister à la conscription, 1798-1814: le cas des départements aquitains, Paris 2002. Ausführlich über die Ausschreitungen im Saardepartement bei Roger DUFRAISSE, Une rébellion en pays annexé: Le soulèvement des gardes nationales de la Sarre en 1809. In: Bulletin de la Société d'histoire modern (1969), S. 1-6. LANRWR Roerdepartement 208, fol. 32, Bigot de Preameneu-Jacobi, 17.11.1809. AEKRD 4KG 008 Nr. 34, Zirkular Nesselraths vom 8.5.1810.
4.2. Auf dem Weg zur Laufbahn: Gesetzgebung als Mittel formeller Einbindung
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umgekehrt: Die Spitzen der Gesellschaft sahen ihre Aufgabe nur noch auf die eigentliche Kriegführung beschränkt, während den Kampf die weniger Vermögenden fechten mussten. Wer aus einer reichen Familie stammte, musste nicht fürchten, seine Söhne ans Militär zu verlieren. Wie in Kapitel 3 gezeigt, erreichte die katholische Kirche für Ordensgeistliche eine Ausnahme von der Wehrpflicht, die auf Bitten Nesselraths und unter Vermittlung von Johann Friedrich Jacobi auch auf alle protestantischen Theologiestudenten ausgedehnt wurde. Erst 1810 erfolgte die Rückübertragung auf katholische Seminaristen. Damit war allen Seiten gedient: Die Theologiestudenten mussten nicht in den Krieg ziehen; dies würde ausreichen, genügend Freiwillige für den geistlichen Beruf zu motivieren. Hatten Pfarrer Söhne, so wurden sie diese angehalten, sich zum Theologiestudium bereit zu erklären und so eine größere Kohärenz innerhalb des Pfarrerstandes zu befördern. Taten dies die Söhne, waren sowohl sie als auch ihre Väter der Regierung für die Befreiung vom Militärdienst gerade zu Zeiten dankbar, in denen im Grunde ununterbrochen Krieg herrschte, immerhin ein Signum der Epoche zwischen 1792 und 1815. Die Regierung Napoleons erwartete daher nicht nur Zustimmung, sondern auch offene Unterstützung. Wenn Mohn annimmt, es handele sich um eine Neuigkeit, die Geistlichkeit vom Kriegsdienst an der Waffe auszunehmen, so trifft das nicht ganz den Kern. Es war zu Zeiten des Ancien Régime absolut üblich, dass Geistliche keinen Waffendienst führen mussten, zumal es keine Konskription gab.93 Die Gewährung einer so umfassenden Wehrfreiheit für angehende Pfarrer war jedoch keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Selbst den Mennoniten, die Gewalt grundsätzlich ablehnten, konnten keine generelle Befreiung für ihren Kultus erlangen. Sie wurden zu Hilfsdiensten etwa als Kutscher oder Sanitäter eingezogen.94 In französischen Satellitenstaaten, wie etwa dem Großherzogtum Berg, bestand diese Freiheit für den geistlichen Nachwuchs nicht. Konsequenterweise bot die Konskription daher auch Anlass für bergische Pfarrer, den Konflikt mit ihrer Regierung zu suchen.95 Die linksrheinische Befreiung von der Wehrpflicht bewirkte zwar sicherlich eine gewisse Erleichterung, jedoch nicht zwangsläufig auch eine stärkere Bindung an den neuen Landesherrn. Die Befreiung vom Wehrdienst verhinderte, dass angehende Seelsorger ebenfalls die potenziell tödliche Erfahrung ihrer künftigen Pfarrkinder teilten. Nicht nur trennten sich dadurch die Lebenswelten von Laien und Theologen, was eine Entfremdung beider begünstigen konnte. Möglicherweise findet sich in dieser Privilegierung ein struktureller Grund für das Auseinanderdriften kirchlicher und weltlicher Vorstellungen im 19. Jahrhundert. Zusätzlich wurden Theologiekandidaten auch nicht aus ihrem Milieu herausgelöst, sie wurden im Gegensatz zur übrigen männlichen Bevölkerung 93 94 95
MOHN, Krefeld, S. 228 f. BECKER, Die rheinischen Mennoniten, S. 260. BECKER, Funktionaler Laizismus, S. 331.
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4. Zuckerbrot und Peitsche
nicht in ein neues Umfeld gezwungen, „über das [der Wehrpflichtige] neue Werte und Einstellungen im Sinne der Nation aufnahm“.96 Ältere Denk- und Wertmuster blieben daher bei Geistlichen tendenziell eher erhalten und glichen sich nur langsam den gewandelten Vorstellungen ihres Umfelds an.
4.3. Verflechtung in napoleonischer Zeit (1802-1813) 4.3.1. Soziale Auswirkungen der Gesetzgebung: Der Indigenat In diesem letzten Unterkapitel stehen die konkreten Auswirkungen der Gesetzgebung auf die soziale Zusammensetzung der niederrheinischen Geistlichkeit im Mittelpunkt. Die napoleonische Regierung schrieb in den Organischen Artikeln vor allem den Indigenat vor, dass also auf eine Pfarrstelle in Frankreich nur Franzosen gesetzt würden.97 Damit waren alle rechtsrheinischen Theologen von der Bewerbung für Pfarrstellen ausgeschlossen, sofern sie nicht bereits linksrheinisch amtierten. Das war normativ ein deutlicher Traditionsbruch, denn bislang war es insbesondere bei den zahlenmäßig schwachen Lutheranern des linken Rheinufers üblich gewesen, Pfarrer aus den rechtsrheinischen Territorien Kleve, Berg und Mark zu wählen. Der verbindende Rhein der vorrevolutionären Ära entwickelte sich in der napoleonischen Zeit zu einer Scheidewand. Stammten 1801 noch rund drei Viertel der amtierenden lutherischen Pfarrer aus dem Gebiet der ehemaligen Territorien Jülich, Kleve, Berg und Mark, so sank dieser Anteil auf nur noch ein knappes Viertel im Jahr 1813 ab. Parallel dazu nahm die Gruppe bis auf 27% zu, die linksrheinischer Herkunft war (dagegen 1801: 13,3%). Ebenso stieg der Anteil der Pfarrer, die vor einem Stellenwechsel bereits auf dem linken Rheinufer tätig waren, deutlich von 13,3% auf 41,2%. Der Anteil von Pfarrern auf ihrer ersten Pfarrstelle sank spürbar um ein Drittel ab (1801: 67%; 1813: 41,2%). Ungünstige Berufsaussichten, geburtenschwache Jahrgänge und wohl auch ein entkirchlichtes Weltverständnis können hier eine Rolle gespielt haben.98 Interessant ist der Vergleich mit dem Beruf des Schulmeisters: Die Tradition linksrheinischer Gemeinden, Lehrer rechtsrheinischer Herkunft anzustellen, blieb im lokalen Schulwesen erhalten, weil es keine Indigenatsregelung hierfür gab. So war etwa Lehrer Hackländer aus Ründeroth seit 1806 in Burtscheid und 96 97 98
SMETS, Von der Dorfidylle, S. 737. Organische Artikel, Art. 1: „Nul ne pourra exercer les fonctions du culte, s'il n'est Français.“ Eine Erklärung böte möglicherweise die Untersuchung der Theologiekandidaten niederrheinischer Herkunft im 18. und 19. Jahrhundert. Notwendig wären dazu eine Auswertung sämtlicher Universitätsmatrikel protestantischer Theologen nach Herkunftsorten sowie die Erhebung der konfessionellen Bevölkerungszahlen in den niederrheinischen Territorien. Es ließe sich dann der Grad der Bereitschaft zum Theologiestudium hochrechnen und damit könnte die Streitfrage der Religiosität der Geistlichen zumindest relativiert werden.
4.3. Verflechtung in napoleonischer Zeit (1802-1813)
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Aachen tätig. In der lutherischen Gemeinde Stolberg amtierte bis 1804 der aus dem Bergischen stammende Lehrer Schmidt, dem 1806 Krenzer aus Leichlingen und im folgenden Jahr Lehrer Fasbender aus Volberg folgten: alle aus dem Gebiet des Herzogtums Berg.99 Ähnliche Belege liegen aus Düren,100 Eschweiler,101 Krefeld102 und Süchteln103 vor. Hinzu erhöhte sich der Grad der Selbstrekrutierung. Waren in Innerfrankreich während der napoleonischen Epoche mehr als 55% der neu gewählten reformierten Pfarrer Söhne von Landwirten, nur 26% waren Pfarrersöhne,104 lagen die Verhältnisse im Roerdepartement etwas anders: Fast niemand hatte bäuerliche Eltern, allerdings waren mindestens 53% selbst Söhne von Pfarrern.105 Das deutet auf eine ohnehin stärkere bürgerliche Prägung. Sie verstärkte sich durch die Befreiung der Theologiestudenten von der Wehrpflicht. Pfarrer hielten ihre Söhne an, selbst ins Pfarramt zu treten, um sich durch das Studium den militärischen Verpflichtungen zu entziehen. Eine etwas andere Entwicklung findet sich bei den Reformierten, die die zahlenmäßig größte nichtkatholische Glaubensgemeinschaft darstellten. Bei ihnen hatte sich die Anzahl der Pfarrer gegenüber dem Jahr 1801 reduziert, denn die Pfarreien Brienen und Mörmter im Arrondissement Kleve waren eingegangen.106 Es amtierten nunmehr 63 Reformierte als Pfarrer im Roerdepartement. Der Anteil derjenigen, die vom linken Rheinufer stammten, also aus dem Kaiserreich Frankreich, war zwischen 1801 und 1813 nahezu unverändert bei rund 44% geblieben. Hingegen stammte ein weiteres Drittel aus dem Herzogtum Berg oder (seltener) aus der Grafschaft Mark. Stärker als die Lutheraner haben reformierte Pfarrer die Vorschriften des neuen Kultusgesetzes nicht konsequent befolgt. Beispielsweise standen im Lokalkonsistorium Kleve in den Jahren 1808 und 1809 jeweils ausschließlich rechtsrheinische Bewerber zur Wahl. Von den sechs 99 100 101 102
103 104 105
106
ZIMMERMANN, Lehrerbildung, S. 93-94. Karl VENTZKE, Die Schulmeister der reformierten Gemeinde zu Düren im 17. und 18. Jahrhundert. In: MEKGR 32 (1983), S. 226-232, hier: S. 230. Heinrich Hubert KOCH, Geschichte der Stadt Eschweiler und der benachbarten Ortschaften, 2 Bde., Frankfurt/Main 1890, hier: Band II, S. 69. Gottfried BUSCHBELL, Geschichte der Stadt Krefeld, 2 Bde., Krefeld 1953-1954, hier: Band I, S. 186; MOHN, Krefeld, S. 123. 1807 erklärte der Maire Gottschalk Floh gegenüber dem zu wählenden Kandidaten, er habe die Vorbereitungen zur Wahl „durch gute Freunde unter der Hand“ durchführen lassen müssen, vgl. auch KRIEDTE, Krefeld, S. 212. Joseph DEILMANN, Geschichte der Stadt Süchteln, Süchteln 1924, S. 208. ROBERT, Réformées, S. 122. Der Grad der Selbstrekrutierung nahm im 19. Jahrhundert tendenziell ab; Mitte der 1880er Jahre waren nur noch knapp 18% aller Pfarrer ihrerseits Söhne von Theologen. Vgl. Hartmut TITZE (Hg.), Das Hochschulstudium in Preussen und Deutschland 1820-1944. Göttingen, 1987 (Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte; Teil 1), S. 244. Im Übrigen ein weiterer Beleg für die sinkenden Gemeindezahlen nach dem Verlassen preußischer Beamter, wie in etwa in Kleve und Geldern auch.
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4. Zuckerbrot und Peitsche
Wahlen erfolgte jedoch nur bei dreien auch eine Bestätigung. Die übrigen fielen wegen Nichteinhaltung des kanonischen Alters durch. Dietrich Wilhelm von Spankeren war vor seiner Wahl nach Kalkar zwar in Velbert (Großherzogtum Berg) tätig, stammte aber immerhin gebürtig aus Moers. Hingegen waren Johann Christian Gottlieb Ludwig Krafft und Ferdinand Johann Dietrich Abraham Neuhaus beide wirklich rechtsrheinisch gebürtig, und zwar aus Duisburg bzw. Üntrop im Klevischen. Kraffts Vater war bis 1798 Duisburger Pfarrer gewesen, genau zu der Zeit, als die Mehrheit der wählenden Pfarrer auch in Duisburg Theologie studiert hatte und regelmäßig die dortigen Gottesdienste besuchte. Er war bei seiner Wahl bekannt. Neuhaus hingegen war einfacher Kandidat der Theologie gewesen, ohne familiäre Verbindungen in bestehende Netzwerke.107 Der aus dem Bergischen stammende Friedrich Haas hatte von seiner Pfarrei Roetgen bei Jülich 1809 die Wahl nach Kervenheim abgelehnt. Der Urdenbacher Lehrer Johann Wilhelm Vetten wurde sowohl nach Kervenheim108 als auch fast zeitgleich nach Linnich gewählt.109 Seine geographische Herkunft spielte offenbar keine Rolle; es war seine persönliche Entscheidung, nicht nach Kervenheim zu gehen und nicht die eines Lokalkonsistoriums. Dass es sich im Falle Kervenheims um klevisches und bei Linnich um (ehemals) jülichisches Gebiet handelte, könnte ein Grund gewesen sein. Ein Indiz dafür bieten die Wahlen des aus Düsseldorf stammenden Pfarrers Wimmar Ingelbach 110 und seines Kollegen Wilhelm Bornemann 111 aus Bergisch-Gladbach. Sie wurden aus dem Gebiet des ehemaligen Herzogtums Berg in das Gebiet des ehemaligen Herzogtums Jülich gewählt. Andererseits scheute sich das Stolberger Lokalkonsistorium nicht, auch Pfarrer, die aus dem ehemaligen Herzogtum Kleve stammten, zu wählen, wie etwa mit dem Duisburger Kandidaten Friedrich Grimm, der nach Sittard kam.112 Bei der Wahl nach Urmond setzte sich sogar mit Albert Voget aus Strünkede ein rechtsrheinischer Bewerber gegenüber einem linksrheinischen Kandidaten Ernst Wilhelm Degen aus Kelzenberg durch.113 Degen selbst stammte ursprünglich aus Westerkappel in Westfalen und war am 18. Januar 1809 nach Kelzenberg gewählt worden.114 Trotz Indigenatgebots wurden also bei vielen Pfarrerwahlen immer noch Nichtfranzosen gewählt. Die Gewählten stammten zudem ausschließlich aus den traditionellen Rekrutierungsgebieten der niederrheinischen Generalsynode. 107 108 109 110 111 112 113 114
Die sechs Wahlen fanden an zwei Tagen statt. Protokoll Kleve reformiert, 15.6.1808, § 6 und ebd., Außergewöhnliche Wahlsitzung, 1.2.1809. Protokoll Kleve reformiert, 15.6.1808, § 6. Protokoll Stolberg reformiert, 4.7.1809, § 2. Protokoll Stolberg reformiert, 1.7.1806, § 5. Protokoll Stolberg reformiert, 7.7.1807, § 5. Protokoll Stolberg reformiert, 4.7.1809, § 4. Protokoll Stolberg reformiert, 3.7.1810, § 13. Die Ordination erfolgte allerdings erst gut anderthalb Jahr später. Protokoll Odenkirchen reformiert, 20.6.1810, § 7.
4.3. Verflechtung in napoleonischer Zeit (1802-1813)
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Diesen Gesetzesbruch nahm die napoleonische Regierung hin, da die Anzahl der linksrheinischen Berufsanfänger nicht ausreichend war und die dauerhafte Vakanz von Pfarrstellen womöglich die Bevölkerung beunruhigt hätte. Wie erwähnt, legten viele Gemeinden großen Wert darauf, Pfarrsitz zu sein. Damit zeigt sich, wie sehr die napoleonische Regierung stillschweigend die Wünsche und Bedürfnisse der geistlichen Funktionselite berücksichtigte. Von den amtierenden reformierten Pfarrern des Jahres 1813 hatten 43% ihre vorherige Pfarrstelle im Gebiet der niederrheinischen Generalsynode (1801: 34,0%). Drastisch zugenommen hatte die Gruppe der Pfarrer, die zuvor eine Pfarrei auf dem linken Rheinufer inne gehabt hatte; deren Anteil war von 18,5% auf 38,1% angestiegen. Hingegen war der Anteil derjenigen, die sich immer noch auf ihrer ersten Pfarrstellen befanden, von rund 65% auf 51% gesunken. Erklärbar wird dies dadurch, dass Pfarrer häufiger die Pfarrstellen wechselten, um eine verbesserte Besoldung zu erzielen. Ein wahrer Springer war Johann Wilhelm Bornemann, der 1807 nach Sittard gewählt wurde, 1808 nach Wallach und 1813 nach Jüchen ging. In preußischer Zeit wechselte er nach Moers, wo er seit 1835 Superintendent war. Bornemann erbat im Juli 1808 vom Lokalkonsistorium Stolberg seine Demission als Prediger von Sittard und begründete dies so: „1) weil die Gemeine zu Wallach ein stärkeres Gehalt zahlt; 2) weil sie eine außerordentliche Liebe und Zutrauen zu ihm zeigt; 3) weil dieser Ort der Stadt Wesel, wo deßen [Bornemanns] Vater Prediger war und wo viele seiner Freunde wohnen, nahe ist und also desto theurer dem Sohne sein muß. Konsistorium fand die Gründe des Herrn Bornemann gerecht und hinreichend“.115
Zum Nachfolger wählte das Lokalkonsistorium den Duisburger Kandidaten Friedrich Carl Grimm, den Sohn des rationalistischen Universitätsprofessors Heinrich Adolf Grimm. Die beschriebenen Regionalisierungstendenzen werfen ein anderes Licht auf den im Großherzogtum Berg wiederholt geäußerten Wunsch nach der Übernahme des Germinalgesetzes.116 Die französische Invasion des linken Rheinufers hatte die Verbindungen zum Rest der niederrheinischen Generalsynode zwar gelähmt. Gekappt hatten sie jedoch erst die Organischen Artikel, wenn dies auch zunächst zögerlich im Zusammenhang mit der Installation der Konsistorialkirchen geschah. So waren 1802/03 die Pfarrer Wilsing und Bruch durch die Gemeinden nach Köln gewählt worden, obwohl das Kultusgesetz bereits verkündet worden war, welches das Wahlrecht den Lokalkonsistorien zuwies. 117 Wenn nun die 115 116 117
Protokoll Stolberg reformiert, 5.7.1808, § 6. BECKER, Funktionaler Laizismus, S. 331 f. Damit wurde das am Niederrhein bestehende Wahlrecht von Frauen, die entweder finanzielle Unterstützung für den Pfarrer zahlten, als Witwe einen eigenständigen Haushalt führten oder in einer Mischehe lebten, en passant beseitigt. Denn die Laienmitglieder der
4. Zuckerbrot und Peitsche
134
Organischen Artikel im durch Frankreich verwalteten Großherzogtum Berg eingeführt worden wären, hätte die Möglichkeit bestanden, die traditionelle Verbindung auch offiziell wiederzubeleben und beispielsweise eine gemeinsame Synode zu bilden. Die Verbindung existierte noch mental allein durch die Tatsache, dass eine große Anzahl von Pfarrern rechtsrheinischer Herkunft war und dort Verwandte hatte. Die Befreiung vom Militärdienst stimulierte die rückläufige Zahl der Pfarramtsanwärter. Dennoch verringerte sich die Zahl der potenziell als Bewerber zur Verfügung stehenden Kandidaten. Zugleich verengte sich deren soziale Basis auf Pfarrersöhne und geographisch auf die rheinischen Departements, vor allem natürlich des Roerdepartements. Das hieß vor allem eine höhere Selbstrekrutierung oder andersherum: In der napoleonischen Ära verstärkte sich bei niederrheinischen Pfarrern die soziale Exklusion bei gleichzeitigen Klagen der amtierenden Geistlichen über den Grad der religiösen Indifferenz. Ein Trend zur Oligarchisierung verstärkte sich.
4.3.2.
Soziale Verflechtung
Die Regionalisierung des protestantischen Klerus hatte keine Verbindungen größeren Ausmaßes zu anderen Bezirken Frankreichs zur Folge. Dabei bestätigen die seltenen Ausnahmen die Regel. Nach der Einweihung der Brüsseler Kirche durch den rheinischen Prediger Adam Eberhard Zillessen, übernahm mit Johann Peter Charlier ein Freund Zillessens und Nachkomme wallonischer Flüchtlinge die dortige Pfarrei.118 Durch seine ausgezeichneten Sprachkenntnisse war er für die neue Gemeinde in Brüssel qualifiziert, die Gottesdienst auf Französisch und Deutsch führte.119 Es festigten sich jedoch Beziehungen innerhalb der bestehenden Pfarrerschaft. Pastoren hatten mitunter auch nach dem Pfarrstellenwechsel noch Kontakt mit ihren ehemaligen Gemeinden. Präsident van Alpen ließ es sich nicht nehmen, gelegentlich nach Kaldenkirchen und Bracht zu reisen, obgleich er dort bereits seit fast 13 Jahren nicht mehr im Amt war.120 Für seinen Amtskollegen Friedrich Haas bewirkte der Kontakt mit dem Roetgener Kirchenrat 1807 sogar
118 119 120
Lokalkonsistorien waren ausdrücklich aus dem Kreise der 25 höchstbesteuerten Familienväter zu wählen. Der preußische König sah sich 1826 genötigt, die kirchliche Mitbestimmung von Frauen nochmals zu klären. Vgl. Wilhelm ROTSCHEIDT, Stimmenabgabe von Frauen bei Pfarrerwahlen. In: MRKG 1 (1907), S. 191. Details zur Vorgeschichte bei BRAEKMAN, Protestantisme. Das Niederländische trat erst 1815 hinzu. Ebd. AEKRD 4KG 008 Nr. 26, von der Kuhlen-Heilmann, 2.6.1812.
4.3. Verflechtung in napoleonischer Zeit (1802-1813)
135
die (temporäre) Rückkehr auf seine alte Pfarrstelle, die er im Vorjahr verlassen hatte.121 Innerhalb der Pfarrerschaft dominierte eine Gruppe rationalistischer Pfarrer, deren gemeinsame Wurzel die akademische Ausbildung bei den Professoren Peter Berg und Heinrich Adolph Grimm war. Ihnen gemeinsam war eine grundsätzlich pronapoleonische Haltung. Diesem Kreis gehörten etwa Johann Heinrich Höfer, Friedrich Carl Grimm, Arnold König, Heinrich Simon van Alpen, Friedrich Haas und Johann Arnold von Recklinghausen an, außerdem der Nestor Charlier aus Frechen und der in Heidelberg ausgebildete Johann Heinrich Diergardt. Immerhin zwei Angehörige dieser Gruppe - van Alpen und Diergardt - waren Konsistorialpräsidenten. Sie verhalfen etwa dem Sohn Friedrich Carl Grimms, Johann Friedrich Christian Grimm, zu einer Pfarrstelle in Sittard. Gelegentlich verlor die Gruppe auch einzelne Mitglieder, so 1794 Recklinghausen, 1807 Höfer und kurzzeitig auch Haas, die alle drei auf das rechte Rheinufer wechselten. Gründe hierfür sind allerdings nicht bekannt. Familiäre Bindungen, abgesehen von den in Kapitel 2 geschilderten Patenschaften, waren in dieser Gruppe selten. Einen gewissen Höhepunkt stellte die Eheschließung von Johann Heinrich Lauffs mit Nannette Charlier am 18. September 1804 dar, als die Kinder zweier Pfarrer sich vermählten. Von den zehn zwischen 1803 und 1813 gewählten Pfarrern der Konsistorialkirche Stolberg hatten sieben in Duisburg studiert, zwei in Marburg und einer in Heidelberg. Zwei hatten zusätzlich in Utrecht die Universität besucht. Ähnlich sah dies in der Konsistorialkirche Odenkirchen aus, wo Lauffs, König und Coenen amtierten. Dort hatten mit vier von sechs Gewählten in Duisburg studiert. Die Duisburger Studientradition setzte sich zunächst fort. Auch in der zweiten Gruppe gab es einen engen Bezug zur Universität Duisburg. Allerdings wurde hier das ambivalente Erscheinungsbild der Hochschule deutlich. Waren einige Duisburger Professoren vom Rationalismus geprägt, so waren andere von pietistischen Ideen beeinflusst. Einer der herausragenden Vertreter dieser Ideen war der Mediziner Samuel Collenbusch, der im Bergischen Land wirkte und auch starken Einfluss auf Jung-Stilling ausübte. Collenbusch hatte 1743 in Duisburg das Medizinstudium aufgenommen, als gerade der ihm geistesverwandte Johann Gottlob Leidenfrost als Medizinprofessor dorthin berufen worden war. Dessen Tochter Johanna Ulrica heiratete den Duisburger Stadtprediger Elias Christoph Krafft, dessen Onkel an der Duisburger Universität Jura unterrichtete. Der älteste Sohn dieser Gelehrtenfamilie war Christian Gottlieb Ludwig Krafft, der ab 1817 in Erlangen als Theologieprofessor tätig war, ein Vordenker 121
Nach dem Tod seiner Frau durch mehrere Schlaganfälle bat Haas 1816 um Entlassung, weil die Gemeinde Roetgen ihm die ausgehandelte Zusatzbesoldung nur mit erheblicher Verspätung auszahlte. AEKRD 3MB 003, Nr. C-205, Haas-van Alpen, 24.2.1814 und 25.2.1816.
136
4. Zuckerbrot und Peitsche
der Erlanger Schule. Krafft hatte sich 1802 in Duisburg immatrikuliert. Ähnlich wie seine Brüder nahm auch er die spätpietistischen Anschauungen Friedrich Adolf Krummachers und Samuel Collenbuschs auf. 1808 wählte ihn das Klever Lokalkonsistorium nach Weeze. Bereits 1811 heiratete er die Tochter des klevischen Konsistorialpräsidenten Peter Neumann (imm. 1766). Zugleich war Johann Christian Gottlieb Ludwig Krafft mit den Familien von Haeften und Ophemert zu Swyk durch eigene Patenschaften verbunden. Der Schwiegervater Peter Neumann war 1815 zugleich Pate seines Enkels. Nach Kraffts Wechsel nach Erlangen folgte ihm sein Bruder August Christian Friedrich Krafft nach Weeze. Der mittlere Bruder, Johann Gottlob Krafft, wurde nach Köln empfohlen, dessen Prediger Wilsing im Frühsommer 1813 sehr plötzlich sein Amt niedergelegt und Frankreich verlassen hatte.122 Sein Amt trat Gottlob Krafft allerdings erst 1814 an; bereits zwei Jahre später – im Alter von gerade 27 Lebens- und fünf Dienstjahren – wurde er vom preußischen König zum Kirchenrat ernannt. Im Falle der Familie Krafft spielten familiäre Verbindungen eine essentielle Rolle für das berufliche Fortkommen. Schwager der Gebrüder Krafft war der spätere Superintendent Franz Friedrich Graeber (imm. 1802) seit seiner Hochzeit mit Henriette Krafft am 10. August 1808. Wie Graeber, Neumann und die Kraffts zählte auch Heinrich Vielhaber, der Pfarrer von Goch, ab 1814 zu den öffentlichen Napoleongegnern. Vielhabers Bruder Wolter aus Arnheim ehelichte am 25. November 1810 Margaretha Antoniette Daubenspeck, Tochter des Predigers Matthias Daubenspeck aus Homberg bei Moers. Zu Daubenspecks Freunden gehörten Johann Wilhelm Engels aus Hochemmerich und Ludwig Eßler aus Baerl. Durch seine Heirat mit Julie Margarete de Greiff hatte Eßler beste Kontakte zu einer der führenden Krefelder Seidenfamilien. In dieser Gruppe um die Familien Krafft, Esch, Graeber und Neumann spielte Verwandtschaft eine wichtige Rolle. Wurden die Grundlagen für diese Beziehungen bis etwa 1808/10 gelegt, so wurden diese familiären Bindungen genutzt, um Angehörige dieses Kreises auf Pfarrstellen zu positionieren. Diese beiden Gruppen bildeten die größten Netzwerke innerhalb des linksrheinischen protestantischen Klerus der napoleonischen Epoche. Andere Pfarrer konzentrierten ihre Kontakte auf eine soziale Absicherung. So heiratete Philipp Friedrich Otto aus St. Goar (Rhein-Mosel) am 14. September 1813 in seiner neuen Wirkungsstätte Kirschseiffen eine Cousine seines Amtsbruders Maximilian Friedrich Scheibler.123 Durch die Ehe mit Maria Henriette Scheibler heiratete Otto in die Familie des Feintuchfabrikanten Wilhelm Scheibler und der Therese Elisabeth Scheibler geb. Böcking aus Trarbach ein. Seine Schwieger122 123
Auf die Umstände wird in Kapitel 6 eingegangen werden. Bei der Versammlung am 21. Februar 1810, in der Otto zum Pfarrer von Kirschseiffen gewählt wurde, war Maximilian Friedrich Scheibler nicht anwesend, siehe KORTH, Protokolle I, S. 3-4.
4.3. Verflechtung in napoleonischer Zeit (1802-1813)
137
mutter war eine Anverwandte von Adolf Böcking, auf dessen Petition hin in Kurtrier 1783 die begrenzte Toleranz für Protestanten eingeführt worden war. So hatte Otto eine durchaus ‚gute Partie‘ gemacht, was keineswegs abzusehen war: Sein älterer Bruder Johann Wilhelm Eberhard war dem gemeinsamen Vater in Biebernheim im Pfarramt gefolgt und hatte damit die Stelle für Otto blockiert. Ebenfalls eher pragmatische Gründe lagen in anderen Fällen vor, wie im Falle der Familie Trappen. Johann Wilhelm Trappen hatte 1788 die Pfarrei Wevelinghoven übernommen; bereits Anfang des folgenden Jahres ehelichte er Wilhelmina Magdalena von Auw, mit der er mehrere Kinder hatte. Ende Juli 1804 verstarb er überraschend.124 Die Witwe erhielt die Zusage, die Einkünfte der Pfarrei solange zu beziehen, bis ein Nachfolger ins Amt trete. Am 18. November 1805 wurde im Lokalkonsistorium Stolberg der aus Düsseldorf stammende, aber in Hückelhoven als Hilfspfarrer stehende Wimar Jakob Ingelbach examiniert und ordiniert. Zugleich wählte ihn das Lokalkonsistorium nach Wevelinghoven, wo er am 23. April 1806 installiert wurde. Um der Familie die Einkünfte zu sichern, ehelichte Ingelbach die erst 16-jährige Tochter seines verstorbenen Vorgängers, Johannette Catharina Wilhelmina am 1. Mai 1810. Etwa ein Jahr später starb die Mutter. Ein Onkel der jungen Frau war Papiermüller bei Düren und seinerseits mit der reformierten Stolberger Industriellenfamilie Schleicher verwandt. Zwar griffen einige Pfarrer ganz einfach sich bietende Gelegenheiten beim Schopfe, wie etwa Jakob Ingelbach. Aber es lassen sich doch zwei Großgruppen immer stärker voneinander ausmachen. Die ältere Gruppe um van Alpen und Reisig war rationalistisch geprägt und trat für die napoleonische Regierung ein. Die andere war eine eher konfessionell-pietistisch geprägte Gruppe um die Familie Krafft, aus der bedeutende Einflüsse für den rheinischen und bayerischen Protestantismus des 19. Jahrhunderts hervorgehen.
4.3.3.
Ein Netzwerk in Aktion: Die Neubesetzung in Hückelhoven
Die eingangs des Kapitels erwähnte Zahl von 15 Pfarrern, die in Straßburg studierten, macht als Aussage nur Sinn, wenn es möglich ist, sie in eine Relation zu setzen. Von den 15 Studenten machten gerade vier ihren Abschluss vor dem 1. Januar 1814, also bis zu dem Zeitpunkt, als die napoleonische Herrschaft auf dem linken Rheinufer nicht nur als Gesetzesnorm, sondern auch durchgesetzt existierte.
124
Erkrankungen trafen auch Pfarrer immer wieder. So konnte Philipp Carl Otterbein (Heinsberg) im Juli 1813 nicht an einer Sitzung des reformierten Lokalkonsistoriums Stolberg teilnehmen, weil er an einer „Lähmung im Gesicht und Gicht“ litt. Protokoll Stolberg reformiert, 13./14.07.1813, Abwesenheitsliste. Ein Beispiel für ein Entschuldigungsschreiben im AEKRD 4KG 008 Nr. 26, Roelen-Heilmann, 15.6.1812.
138
4. Zuckerbrot und Peitsche
Wer nach diesem Stichtag seinen Abschluss machte, sei es in Straßburg oder dann geduldetermaßen an einer deutschen Universität, benötigte etwa dreieinhalb Jahre, um eine Pfarrstelle zu erhalten. Diejenigen jedoch, die noch unter napoleonischer Herrschaft absolvierten, benötigten doppelt so lang, nämlich 7,25 Jahre. Das ist zunächst einmal ein bemerkenswerter Befund. Im Folgenden soll nun gezeigt werden, wie hart umkämpft die Pfarrstellen waren. Problematisch war dabei die große personelle und pfarramtliche Kontinuität in den Lokalkonsistorien Moers, Stolberg und Krefeld; in der Konsistorialkirche Odenkirchen wurden hingegen zwei Drittel aller Pfarrstellen neu besetzt. Betrachtet man die geographische Herkunft der Gewählten, zeigt sich deutlich, dass die Wahlen von Personen aus den ehemaligen Territorien der niederrheinischen Generalsynode überwogen, und zwar mehrheitlich aus deren rechtsrheinischen Gebieten. Da die Pfarrer gemeinsam mit den Notabeln die geheimen Wahlen durchführten, bedeutet dies, dass die Mehrheit der in den Lokalkonsistorien versammelten Amtsträger sich nicht an die gesetzliche Vorschrift hielt, nur französische Staatsbürger zu wählen. Das nationale Indigenat wurde von den Lokalkonsistorien des Roerdepartements durchweg nur bedingt beachtet, zugunsten einer Berücksichtigung eher traditioneller Formen des Kirchenwesens. Somit wird der weiter oben gemachte Befund einer Regionalisierung des corps pastoral unterstützt. Am Beispiel der Stellensuche für Friedrich König soll die Komplexität von Stellenbesetzungen dargestellt werden. König gehörte zu den vier Theologen, die ihr Studium bis 1813 abschlossen und ist der einzige, der unmittelbar nach Studienabschluss eine Pfarrstelle erhielt. Die reformierte Kirchengemeinde Hückelhoven und ihre Filialgemeinde Wassenberg bildeten seit 1645 eine pfarramtliche Einheit. Seit 1803 gehörten jedoch die beiden Teilgemeinden unterschiedlichen Lokalkonsistorien, nämlich denen in Stolberg und Odenkirchen, an. Da die kleinere Wassenberger Gemeinde nicht mehr die Hälfte zum Unterhalt des Pfarrers beitragen wollte, drohte die Mutterkirche mit der Einstellung der kirchlichen Dienste. Diese waren durch die Krankheit des Pfarrers Johann Christoph Vielhauer in den späten 1790er Jahren ohnehin selten geworden. Unter seinem Nachfolger Matthias Mänss setzten sich die Besoldungsstreitigkeiten derart fort, dass Mänss 1806 ein Angebot der Gemeinde Viersen annehmen wollte. Beide Teilgemeinden demonstrierten ihre Anhänglichkeit an ihren Pfarrer und bewegten Mänss dazu, doch zu bleiben. Doch bereits im Jahre 1808 forderten die Hückelhovener vom Lokalkonsistorium Odenkirchen, dass eine getrennte Versorgung stattfinden solle.125 Als Schlichter griff der Stolberger Konsistorialpräsident van Alpen ein und schlug vor, „dass die Wassenberger Gemeine nur mit den nach Maaßgabe
125
Pfarrarchiv Hückelhoven Nr. 2, fol. 1, „Local Consistorium der Reformirten Gemeine zu Huckelhoven“-„Consistorial-Kirche des Odenkircher Bezirks“, 20.6.1808.
4.3. Verflechtung in napoleonischer Zeit (1802-1813)
139
ihres Beytrags zum Gehalt des gemeinschaftlichen Pastors von demselben zu leistenden Diensten zufrieden seyn sollen“.126 Das Lokalkonsistorium Odenkirchen versuchte das Problem zu lösen, indem es Mänss auf Wassenberger Seite wähnte und Hückelhoven zur Wahl freigab.127 Für den weiteren Verlauf ist es von Bedeutung, dass die Protokolle lückenhaft sind. Damit lassen sich die beschriebenen Sachverhalte nur bedingt rekonstruieren. Die Wahl von Ernst Wilhelm Degen, der „seit dem 18n Jen[ner] 1809 als gewählter Pastor zu Huckelhoven zu dem Constorio stehet“,128 erhielt am 20. Juni 1810 nochmals Bekräftigung durch seine Ordination für die Stelle als „erwählter Prediger zu Huckelhoven“. Da jedoch keine Bestätigung erfolgte, wurde Mänss auch weiterhin als für Hückelhoven-Wassenberg zuständiger Pfarrer geführt. Der Westfale Degen, der als Landfremder im Lokalkonsistorium weitgehend unbekannt war, wurde auf den vakanten Posten in Kelzenberg abgeschoben.129 Als „erwähltem Prediger zu Huckelhoven“ scheint das Lokalkonsistorium ihm die Möglichkeit zugestanden zu haben, bei nächster Gelegenheit von Kelzenberg zurück nach Hückelhoven zu wechseln. Am 10. Juni 1812 wurde Arnold König zum „Inspektor des Jahres“ gewählt.130 Als solcher war er für die Sittenaufsicht über die Prediger des Konsistoriums zuständig. Diese Sitzung fand durch Festlegung des Präsidenten Wasserfall in Lövenich statt, der Pfarrei von Arnold König.131 Zugleich mit Königs Wahl wurde Präsident Peter Wasserfall als Eröffnungsprediger für die nächste Sitzung 1813 gewählt; als dessen Substitut im Abwesenheitsfall war „Pastor Degen zu Kelzenberg“ vorgesehen.132 Im Herbst 1812 tauchten Gerüchte über ein schweres sittliches Fehlverhalten Degens auf. Anfang 1813 suspendierte das Lokalkonsistorium den Prediger Degen bis zur Klärung der Angelegenheit. Dagegen klagte er vor dem Ziviltribunal in Krefeld, weil er Formfehler des Konsistoriums mutmaßte. Er unterlag jedoch.
126 127 128 129
130 131
132
Pfarrarchiv Wassenberg A1,1, unpag., Sitzung des großen Kirchenrathes am 28ten July 1808, § 4. Vgl. KNORR, Wassenberg, S. 101-111. Protokoll Odenkirchen reformiert, 20.6.1810, § 7. Dort auch das nächste Zitat. AEKRB 4KG 048B Nr. 17, Bl. 18-23, Protokoll Odenkirchen reformiert, 10.6.1812, Abwesenheitsliste. Der entscheidende Vorgang fehlt, da kein Protokoll aus dem Jahr 1811 erhalten ist. Auch in der Sitzung vom 8. Juni 1814 (AEKRB 4KG 048B Nr. 17, Bl. 24-32) wird er als Pfarrer von Kelzenberg geführt, jedoch zugleich als in der Sitzung abwesend bezeichnet. Protokoll Odenkirchen reformiert, 10.6.1812, § 11. Protokoll Odenkirchen reformiert, 10.6.1812, Präambel: „Das Circulair war vom 2ten dieses Monats. Loevenich war in selbigem als Ort der diesjährigen Sitzung angezeigt worden.“ Protokoll Odenkirchen reformiert, 10.6.1812, § 11.
140
4. Zuckerbrot und Peitsche
Um den ganzen Umständen zu entfliehen, nahm Matthias Mänss Anfang 1813 den Ruf nach Uedem im Lokalkonsistorium Kleve an. Auf einer außerordentlichen Sitzung des Lokalkonsistoriums Odenkirchen vom 8. März 1813 wurde der Sohn des aktuellen Jahresinspektors, Friedrich König, frisch von der Universität, nach Hückelhoven zum Pfarrer gewählt. Seine Bestätigung erhielt er bereits am 9. Juli.133 Ins Amt führte ihn der neue Jahresinspektor Johann Wilhelm Bornemann am 29. September 1813 ein. Der Kirchenrat von Hückelhoven beschwerte sich darüber, dass seine Wünsche nicht berücksichtigt worden seien und weigerte sich, „Berufsackt und Gehaltszulage“ zu zahlen.134 Bornemann tat „jedes Mögliche um Ordnung und Zufriedenheit wieder herbey zu führen, doch dies fruchtlos“.135 Wassenberg, das immer noch vakant war und nur durch umgebende Pfarrer bedient wurde, drang zusätzlich auf „Wiedervereinigung dieser Gemeinde mit der zu Hückelhoven“.136 Der Kirchenvorstand von Hückelhoven reichte nach dem preußischen Einmarsch Klage beim Generalgouverneur August von Sack ein. Dieser wollte nichts entscheiden, da er über keine Kenntnis verfügte und bat Präsident Wasserfall um Stellungnahme. Mit Bestätigung durch das versammelte Konsistorium teilte Wasserfall mit, dass alles ordnungsgemäß geschehen sei und Widerspenstigkeit der Gemeinde der einzige Grund sei. Entsprechend fiel die Entscheidung des Generalgouverneurs aus. „Entscheidung von Seite Ihrer Excellenz, dem Consistorio von Hochdemselben mitgetheilt, entspricht der Weisheit und Billigkeit der Behörde, von wannen sie gekommen. Nach Ordnung und Recht wird Consistorium, so viel an ihm ist, sich angelegen seyn laßen, daß seinem Inhalte Gnüge geschehe“.137 Friedrich König erlangte seine erste Pfarrstelle durch eine besondere lokale Konstellation. Seinem Vater Arnold König gelang es, punktgenau einen Skandal um einen potenziellen Rivalen bekannt zu machen. Tatsächlich gelang es diesem danach nicht mehr, in der Region Fuß zu fassen. Nachdem das Lokalkonsistorium Odenkirchen auf Antrag von Präsident Wasserfall am 7. April 1814 den gesamten Brief Degens „Punkt für Punkt reihlich durchgegangen“ war, hatte die versammelte Geistlichkeit ihn „in allen seinen Punkten als unstatthaft, unrichtig, in seinem ganzen Inhalt als sträflich und keiner Antwort würdig verworfen“.138 Von Degen erwartete das Konsistorium die Rücknahme jeder Beschwerde. „Nur ungern würde es widrigenfalls sich genöthiget finden Klage und Beschwerde vor höherer Behörde zu bringen“. 139 Der neu gewählte Jahresinspektor Adam Eberhard Zillessen wurde beauftragt, diesen Beschluss Degen mitzuteilen. „Nie 133 134 135 136 137 138 139
Protokoll Odenkirchen reformiert, 8.6.1814, § 5. Ebd., § 6. Ebd., § 6. Pfarrarchiv Wassenberg, A1,1, unpag., Protokoll des Kirchenrats vom 26.12.1813, § 3. Protokoll Odenkirchen reformiert, 8.6.1814, § 6. Ebd., 8.6.1814, § 9. Ebd., § 9.
4.3. Verflechtung in napoleonischer Zeit (1802-1813)
141
war im Consistorio ein Vorfall, eine Beschwerde gegen irgend ein Glied des Consistoriums dem ähnlich, der der Klage gegen den Pastor Degen zum Grunde lag. Wo keine Aehnlichkeit in der Sache war, konnte auch nicht durchgängige Aehnlichkeit in der Behandlung desselben von Seiten des Consistoriums seyn“.140 Degen versuchte kurz darauf, Kelzenberg in Richtung des als pietistisch bekannten Baerl bei Moers zu verlassen, wo Gottfried Daniel Krummacher sein Erweckungserlebnis hatte.141 Als Konsistorialpräsident Heinrich Diergardt davon erfuhr, teilte er seinem Lokalkonsistorium Moers mit, „daß es Schade um die blühende Gemeinde von Baerl sey, wenn sie durch die Einverleibung in andere Gemeinen ihre Existenz verlöhre“. 142 Die Versammlung beschloss daraufhin, zwar die Gemeindewünsche zu berücksichtigen, nicht jedoch den Wunsch des Predigers Degen zu Kelzenberg.143 „Da dieser Mann sich mit einer empörenden Indication in die Gemeinen Capellen vor einiger Zeit sich hat suchen einzudrängen, da er noch nemlich – ein verheyratheter Mann, ein Prediger des Evangeliums – einen ärgerlichen Huren-Prozeß mit zwey Mädgen, die bei ihm gedient, geführet hat, wobey er in die Prozeß Kosten verurtheilet ist“.144 Erschwerend kam hinzu, dass „die Prediger Commißion, die diese Sache untersucht hat, sich keineswegs von der Unschuld dieses Mannes hat moralisch überzeugen können; und da er überall, wohin er kommt, die Fackel des Fanatismus anzündet“, könne Degen nicht in Frage kommen. Das Konsistorium würde „der Gemeine Baerl einen sehr schlechten Dienst zu erweisen glauben, wenn es diesen Herrn Degen zu ihrem Prediger ernannte“.145 Wie zu erwarten, schritt das Konsistorium zur Wahl, „nachdem vorher der Consistorial Aelteste Kerlen, als Representant der Gemeine Baerl die Erklärung gegeben hätte, daß von allen Candidaten welche dort zur Probe gepredigt den Herrn Candidat Esch von Vluyn mit dem größten Beyfall dort gepredigt habe, und daß er überzeugt sei die Gemeine würde ihn fast einstimmig wünschen, 140 141
142 143
144 145
Ebd., § 9. Krummacher bewarb sich 1798 um die vakante Pfarrei Baerl, die pietistisch gestimmt war. Sein Bewerbungsschreiben an Präses Heilmann vom 25.03.1798 und weitere Dokumente bei MAST, Kreissynode, Bd. I, Heft 8, S. 621 ff. Eines Tages nahm Krummacher an einer Katechismusstunde teil, wo er „schlagartig Erkenntnis seiner Sünde und seiner Verderbtheit in den Augen des alleinheiligen Gottes“ erlangt haben wollte. Urs LEU, Art. ‚G.D. Krummacher‘. In: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Band IV (1992), Sp. 716-720; vgl. MAST, Kreissynode, Bd. II, Heft 2, S. 15. Protokoll Moers reformiert, 28.12.1814. Es fehlt hier jegliche Untergliederung. Das war allerdings nicht immer der Fall. Bei der Gemeindewahl von Weiden am 1. Juli 1804 wurde Kandidat Ingelbach einstimmig gewählt, das Lokalkonsistorium in Stolberg nahm diese Wahl jedoch nicht an, weil sie erklärte, dass sämtliche Lürkener Gemeinsleute den Kandidaten van Hüls wünschten. AEKRD 3MB 003 Nr. C-146, Protokoll der Erwählung von Cand. Ingelbach nach Vorweiden, 1.7.1804. Protokoll Moers reformiert, 28.12.1814. Ebd.
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4. Zuckerbrot und Peitsche
wenn nicht die unglückliche Leidenschaft für den Herrn Degen vorherrsche“.146 Das ist eine interessante Formulierung: Der Vertreter der Gemeindeinteressen sagte also aus, dass er „überzeugt sei“, die Gemeinde würde den Kandidaten Esch „fast einstimmig wünschen“. Möglicherweise hat der Notable von Baerl weniger im Interesse seiner Gemeinde, sondern für seine persönlichen Beziehungen gesprochen. Mangels anderweitiger Quellen bleibt hier jedoch nur die Vermutung. Mit Heinrich Esch wurde ein Sprössling aus einer weit verzweigten Pastorenfamilie gewählt, die sich betont preußisch-patriotisch gab. „Sein GroßVater war der verdiente Prediger Esch zu Meurs der die Achtung der ganzen Gegend genoß, und sich die höchste Gnade Sr. Majestät des Königs von Preußen durch seine patriotische Huldigungs Predigt im Jahre 1786 erwarb. Der Vater des Candidaten ist der von uns allen hochgeachtete verdiente Prediger Esch in Vluyn deßen würdevolle Amtsführung, deßen hoher reiner Patriotismus für das deutsche Vaterland, und für die Sache seines geliebten Königs zu allen Zeiten durch Wort und That sich bewährt hat“.147 Ja, er habe sogar die französische Herrschaft als solche abgelehnt: „Als die vorige Regierung ihm anbot, eines von seinen zehn Kindern auf Kosten des Staates erziehen zu laßen, wolte er es nicht der Gefahr Preuß (!) geben vom verhaßten französischen Geiste angesteckt zu werden“.148 Der Gewählte selbst sei freiwillig und mit väterlichem Segen in die Kurmärkische Landwehr eingetreten. Ob sich diese Schilderung auch tatsächlich so zugetragen hatte, lässt sich nicht belegen. Erst 1817 gelang es Degen, in die Fußstapfen Krummachers zu treten und folgte ihm nach Wülfrath und später nach Ronsrath. Dort legte er 1833 sein geistliches Amt nieder und wurde Privatmann.
4.4. Zusammenfassung An der Frage nach der Umsetzung der Gesetzesnormen im Rahmen einer staatlichen Elitenpolitik zeigen sich Konturen einer mangelnden Eingliederung evangelischer Geistlicher in das napoleonische System. Zunächst ist zwischen Maßnahmen zu unterscheiden, die allgemein in den Aufgabenbereich von Pfarrern gezählt wurden, etwa das Verlesen von der Kanzel, Kriegsgebete, Gebete für das Wohl der Obrigkeit, auch statistische Dienste. Diese „Dienstleistung“ erfüllten Pfarrer ohne erkennbares Zögern.
146 147 148
Ebd. Dort auch die weiteren Zitate. Ebd. Ebd.
4.4. Zusammenfassung
143
Anders sah dies jedoch bei der Umsetzung der Gesetze aus, die die Pfarrerschaft selbst betrafen, indem sie eine Art Laufbahn formalisierten. Innerhalb Frankreichs bedeutete dies für die Protestanten eine wichtige Weiterentwicklung. Am Niederrhein jedoch bestand faktisch eine geistliche Laufbahn seit dem späten 17. Jahrhundert. Die Geistlichen zögerten die völlige Implementation der napoleonischen Vorstellungen hinaus: Das Studium erfolgte nur bedingt an den vorgesehenen Ausbildungsstätten. Um deren Einhaltung zu gewährleisten, hätten Konsistorien nur darauf bestehen müssen, dass Kandidaten ein Zeugnis der theologischen Fakultäten in Genf oder Straßburg. Genau das unterließen sie aber. Damit wurde die immerhin denkbare Bekanntschaft mit anderen Jungtheologen des Kaiserreiches schon im Ansatz unterbunden. Ebenfalls erfüllten die Pfarrer das vorgeschriebenen Indigenat nicht, sondern wählten bevorzugt Kandidaten aus den Gebieten, die früher zu den Territorien der niederrheinischen Generalsynode gezählt hatten. Auch in diesem Punkt gab es keine Vertrautheit mit Innerfrankreich durch persönliche Kontakte. Man blieb unter sich. Gewiss gab es eine Angleichung auf regional-departementaler Ebene, doch blieb das Kaiserreich vom Blickpunkt der Verflechtung aus gesehen für Pfarrer fremd. Seit der Krönung Napoleons zum Kaiser der Franzosen zeichnete sich zusätzlich zu der in Kapitel 2 beschriebenen aufgeklärten Gruppe ein weiteres Netzwerk ab. Dabei handelte es sich um konfessionsbewusste reformierte Pfarrer, die familiär eng miteinander verflochten waren und ihren geographischen Schwerpunkt in den ehemals preußischen Gebieten fanden. Bei diesem Kreis trafen Vorbehalte aus konfessionellen Gründen und die Überreste des preußischen Patriotismus zusammen und vereinigten sich in einer ablehnenden Haltung gegenüber Napoleon.
5. Zwischen Konfrontation und Kooperation Die Beziehungen zwischen den Kirchen
5.1. Einleitung Während des Aufenthalts von Napoleon in Köln im November 1811 traf der Kaiser der Franzosen auch mit Johann Friedrich Jacobi, Angehörigem des Gesetzgebenden Körpers und Präsidenten des Generalkonsistoriums Augsburger Konfession für die Departements Roer und Rhein-Mosel, zusammen. Bei dieser Audienz waren mehrere Vertreter des katholischen Kölner Klerus anwesend sowie die protestantischen Pfarrer der Stadt. Als Napoleon sich nach dem Verhältnis zwischen beiden Konfessionen erkundigte, erwiderte Jacobi: „L’harmonie est forte bonne“.1 Im Mittelpunkt des folgenden Kapitels stehen die verschiedenen Kooperations- und Konfrontationsstrategien, derer sich vor allem reformierte und lutherische Pfarrer im Umgang hauptsächlich mit der katholischen Kirche bedienten. Ausgegangen wird dabei von einem weiter gefassten Akteurskonzept, das Individual- und Kollektivstrategien verbinden kann. Sowohl der einzelne Pfarrer als auch die Gesamtheit innerhalb und in Form einer Konsistorialkirche liegen im Fokus dieses Abschnitts. An beiden Bereichen – den binnenprotestantischen Beziehungen und dem Verhältnis zur katholischen Kirche – sollen daher Handlungsoptionen und -strategien evangelischer Pastoren aufgezeigt werden. Ungeachtet Jacobis eingangs erwähnter Äußerung bestreitet die Literatur für die napoleonische Epoche eine generell friedliche Koexistenz der verschiedenen (christlichen) Konfessionen untereinander.2 Zugleich wird jedoch immer wieder unterstellt, die innerprotestantischen Konflikte hätten sich durch Aufklärung und Pietismus nivelliert.3 Mergel hingegen will erkennen, dass in den Rheinlan-
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AEKRD 4KG 008 Nr. 25, Bericht. Eine Variation des Textes bietet der Abdruck bei REBENSBURG, Hundert Jahre, S. 28-33. Erwähnt bei HASHAGEN, Die Rheinlande beim Abschlusse der französischen Fremdherrschaft, S. 49. Etwa KARLL, Französische Regierung, S. 88: „Aber auch zwischen Katholiken und Protestanten ist das Verhältnis keineswegs immer gut“. Ähnlich SPRINGER, Franzosenherrschaft, S. 334 ff.; Kurt NOWAK, Geschichte des Christentums in Deutschland. Religion, Politik und Gesellschaft vom Ende der Aufklärung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, München 1995, S. 26 ff. Beispielsweise Gottfried HORNIG, Das Abflauen der konfessionellen Polemik in der protestantischen Aufklärungstheologie des 18. Jahrhunderts. In: Harm Klueting (Hg.), Irenik
5.1. Einleitung
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den bis etwa 1830 ein relativ entspanntes Verhältnis zwischen den Großkonfessionen geherrscht habe.4 Alle drei Meinungen verbergen eine bestimmte Sichtweise. Die erste sieht die konfessionellen Streitigkeiten als Reaktion auf die Revolution der Lebensumstände erneut aufleben. Noch in jüngerer Zeit behauptete Georg May, dass die Streitigkeiten zwischen den Konfessionen vor allem durch die aggressive Art protestantischer Pfarrer begonnen hätten, die ihnen nicht zustehende Rechte einzufordern suchten.5 Dabei geht er implizit von dem eingangs der Studie erwähnten Mythos der katholischen Rheinlande aus. Die zweite These bildet die Ausgangsposition für eine Erklärung der ab 1814 einsetzenden Welle von evangelischen Unionen: Die Unterschiede seien derart eingeebnet gewesen, dass eine Vereinigung der protestantischen Kirchen geschichtlich geboten gewesen sei. Die dritte Meinung hingegen, die Mergel vertritt, sucht eine Erklärung dafür, warum es in den 1830er und 1840er Jahren zu so vehementen Kämpfen zwischen rheinisch-katholischer Kirche und preußisch-protestantischem Staat kam, dass sie gelegentlich als „erster Kulturkampf“ bezeichnet werden.6 Gerade letztere These sieht eine Ursache darin, dass sich der im Rheinland dominierende Katholizismus in preußischer Zeit in die Defensive gedrängt sah und erst seit den späten 1830er Jahren zu formieren begann. Im Gegensatz dazu hatte die katholische Kirche unter napoleonischer Herrschaft eine Reihe von Machtpositionen wieder besetzen und im öffentlichen Leben re-etablieren können. In dieser Phase sei, so die geläufige These, das Miteinander der Konfessionen gut gewesen und habe sich erst unter preußischer Herrschaft verschlechtert, als die Dominanz „der“ Kirche in Frage gestellt worden sei. Einer der Gründe für das schlechte Verhältnis der Konfessionen untereinander soll in der napoleonischen Zeit die vermeintliche Besitzumschichtung infolge der Verkäufe säkularisierter Kirchengüter gewesen sein. Doch für das zeitgenössische Empfinden scheinen die Nationalgüterversteigerungen keine Rolle gespielt zu haben.7 Erst Historiographen einer in konfessionellen Fragen empfindlicheren nachnapoleonischen Epoche versuchten, diesen holzschnittartigen Eindruck zu erwecken, indem sie zugleich auf gegenwärtige Probleme mit einwandernden Beamten aus Altpreußen verwiesen.8 Sie begründeten damit den
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und Antikonfessionalismus im 17. und 18. Jahrhundert, Hildesheim 2003 (Hildesheimer Forschungen; 2), S. 177-193. Thomas MERGEL, Zwischen Klasse und Konfession: Katholisches Bürgertum im Rheinland 1794-1814, Göttingen 1994 (Bürgertum; 9), S. 86 f. MAY, Das Recht des Gottesdienstes I, S. 434-452. BLASCHKE, Das 19. Jahrhundert, S. 51f . Wolfgang SCHIEDER (Hg.), Säkularisation und Mediatisierung in den vier rheinischen Departements: 1803-1813; Edition des Datenmaterials der zu veräußernden Nationalgüter, Boppard 1991 (Forschungen zur deutschen Sozialgeschichte; 5), Teil I: Einführung und Register, S. 44; vgl. auch das parallele Urteil bei Karl-Georg FABER, Napoleon und die Rheinländer. In: Francia 1 (1973), S. 374-394, hier: S. 388. MERGEL, Zwischen Klasse und Konfession, S. 82-83. Als Beispiel hierfür etwa Max BRAUBACH, Vom Westfälischen Frieden. Hingegen erklärt Wilma KLOMPEN, Die Säkula-
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5. Zwischen Konfrontation und Kooperation
Säkularisationsmythos, Protestanten und Juden hätten sich an katholischem Besitz bereichert - eine These, die immer noch kolportiert wird.9 Doch diese Behauptung erwies sich als eine anhand der Quellen nicht haltbare Retrospektive, wie die Arbeiten unter anderem von Wilma Klompen und Gabriele B. Clemens nachwiesen. Sowohl Katholiken als auch Bauern, denen ein Teil der älteren Forschung attestierte, sie hätten aus Pietät keine Kirchengüter gekauft, erwarben in großem Umfang säkularisierte und nationalisierte ehemalige kirchliche Besitzungen. So waren von den weit über 100 Immobiliengroßkäufern gerade einmal zwei Protestanten. 10 Bei den Großkäufern waren Protestanten demnach sogar unterdurchschnittlich im Vergleich zu ihrem tatsächlichen Bevölkerungsanteil vertreten. In der Tat gab es daneben auch Beispiele für ein hervorragendes Auskommen zwischen den Konfessionen. Beispielsweise schenkte der Aachener Bischof Berdolet der reformierten Gemeinde in Linnich, deren Infrastruktur während der Kampfhandlungen 1794 völlig zerstört worden war, das kostbare Gestühl des aufgehobenen Klosters Hohenbusch bei Euskirchen.11 Das war eine Situation, von der beide Seiten profitieren konnten: Bischof Berdolet konnte sich in aller Öffentlichkeit als Katholik darstellen, der Protestanten auf Augenhöhe begegnet, und dadurch Vorbildfunktion erzielte; zudem ging das barocke Gestühl nicht verloren, sondern blieb erhalten, wenn auch in verändertem Rahmen. Pfarrer-Maire Johann Heinrich Höfer ermöglichte seiner Gemeinde damit die volle Wiederherstellung des Gottesdienstes in Linnich. Höfers alter Freund Johann Arnold von Recklinghausen konnte „das freundschaftliche Benehmen der Katholischen im Herzogthum Jülich, gegen die Protestanten, aus eigener Erfahrung rühmen“, 12 beispielsweise beim Wiederaufbau des 1815 eingestürzten Pfarrhauses in Randerath. Der dortige zivile und mehrheitlich von Katholiken bestellte Gemeinderat hatte ohne Zögern eine beträchtliche Summe für die Reparaturarbeiten bzw. den Wiederaufbau bereitgestellt. Was von Recklinghausen jedoch verschwieg, war die Tatsache, dass laut geltendem Recht die Zivilgemeinde zur finanziellen Unterstützung der protestantischen Gemeinde verpflichtet war, sofern es sich um eine gemischte Gemeinde handelte.13
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risation im Arrondissement Krefeld 1794-1814, Kempen 1964, S. 206, keine Belege für eine Besitzumschichtung gefunden zu haben. Jörg ENGELBRECHT, Die Franzosenzeit. In: Reinhard Feinendegen, Hans Vogt (Hg.), Krefeld. Die Geschichte einer Stadt. Band 4: Kirchen-, Kultur-, Baugeschichte (1600-1900), Krefeld 2003, S. 157-182, hier: S. 165 und S. 170: „Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Protestanten zu den Hauptnutznießern des Nationalgüterverkaufs, also der Veräußerung konfiszierten Klosterbesitzes zählten und auch von daher allen Grund hatten, dem französischen System gegenüber besonders loyal zu sein“. CLEMENS, Immobilienhändler, S. 76. ROSENKRANZ, Rheinland I, S. 299. RECKLINGHAUSEN, Reformations-Geschichte I, S. 326. DUDA, Organisation, S. 65 f; vgl. HERMENS, Staats-Gesetzgebung II, S. 343.
5.2. Binnenprotestantische Konflikte
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In Krefeld arbeiteten Vertreter der konfessionellen Kirchengemeinden in der staatlichen Armenfürsorge ohne Reibereien zusammen,14 so dass sich Jacobis Diktum der guten Harmonie gegenüber Kaiser Napoleon durchaus rechtfertigen ließ. Aber es scheint zweifelhaft, dass Napoleon in einer öffentlichen Audienz etwas anderes hören wollte.
5.2. Binnenprotestantische Konflikte 5.2.1. Verteilungskonflikte Bevor sich das Kapitel dem Verhältnis der Großkonfessionen zuwendet, soll zunächst auf das binnenprotestantische Verhältnis eingegangen werden, das mitunter auch Anlass zu Schwierigkeiten bot. Trotz der Einebnung zahlreicher theologischer Differenzen im Laufe des 18. Jahrhunderts, war eine Zusammenarbeit dennoch nicht zwangsläufig gegeben. In Krefeld hatten die Geistlichen es geschafft, bei der Einrichtung eines bureau de bienfaisance, 15 eines staatlichen Wohlfahrtsamtes, überaus großzügig berücksichtigt zu werden. Die Geistlichen aller Konfessionen saßen in einem Ausschuss und verwalteten ihre Güter wie bisher, nur wurde die „Staatlichkeit“ der Wohlfahrt noch nicht so ernst genommen. Hilfe wurde nämlich nur entsprechend den Teilvermögen der beteiligten Konfessionen gewährt und nicht nach Bedürftigkeit. 16 Den Schritt zur Überwindung konfessioneller Grenzen hin zu einer universell-christlichen Hilfe unterließen die Krefelder. Um Geld stritten auch die reformierte und die lutherische Teilgemeinde in Neuss, weil sie sich nicht über die Übernahme der Installationskosten eines gemeinsamen Pfarrers einigen konnten. Die Mehrheit der Gemeinde bildeten die Lutheraner, die jedoch nur die Hälfte zahlen wollten.17 Generell konnten bei einem insgesamt durchaus friedlichen Miteinander einzelne Geistliche ganze Regionen in Unruhe versetzen. Das soll das Beispiel der Zwistigkeiten in der Eifel zeigen. Hier erwies sich der reformierte Prediger Stephan Jacob Fues als Reibungsfläche gleich für mehrere lutherische Pfarrer und als Moment der Peinlichkeit für seinen Vorgesetzten.
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ENGELBRECHT, Die Franzosenzeit, S. 169-170. Der Terminus „gute Harmonie“ wird bereits im Woellnerschen Religionsedikt verwendet, vgl. BEUTEL, Aufklärung in Deutschland, S. O401. Zur Einrichtung vgl. Calixte HUDEMANN-SIMON, L’État et les pauvres: l’assistance et la lutte contre la mendicité dans les quartre départements rhénans, 1794-1814, Sigmaringen 1997 (Beihefte der Francia; 41). Peter KRIEDTE, Krefeld, S. 212. EVANGELISCHE CHRISTUSKIRCHENGEMEINDE NEUSS,1806, S. 25 ff.
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5. Zwischen Konfrontation und Kooperation
Da das lutherische Lokalkonsistorium in Krefeld noch nicht organisiert war, klagte Karl Wilhelm von Rade, Pfarrer in Gemünd,18 unmittelbar beim Generalpräsidenten Jacobi über den ganzen „moralischen und politischen Unfuge, den man sich gegen uns, und namentlich gegen mich erlaubt hat“.19 Pfarrer von Rade warf seinem reformierten Kollegen Stephan Jacob Fues Verläumdungen vor, „welche man in einem Umkreise von 12 Meilen gegen mich aufzuspringen, und mich dadurch von allen rechtschaffenen Männern zu isolieren suchte“. 20 Er klagte, Fues habe „ihn als einen bösen Ketzer und wahren Seelen-Verführer vor 8 seiner Gemeins-Glieder“, darunter zwei aus dem Kirchenvorstand, „denuncirt“.21 Bereits sein Vorgänger Wilhelm Daniel Bolenius habe mit dem reformierten Pfarrer Fues immer wieder, vor allem wegen der Stolgebühren der Nutzung des Friedhofs, in Streit gelegen. Bei einem Besuch von Rades in Aachen riet Jacobi, unbedingt den örtlichen Kirchenrat einzuschalten. Fues reagierte offensiv, indem er ebenfalls an Jacobi schrieb, nachdem er erfahren hatte, dass von Rade sich beschwert hatte. Seinen Brief begann Fues knapp und formlos: „Nach mir können Sie sich bey Hn. Vetter in Achen, bey H. Pastor Scheibler in Montjoye, bey Hn. P. Wüsthoff aufm Zweifall wenn Sie wollen, erkundigen. Ich will Sie sehr darum bitten nicht den Inhalt dieses Briefs als eine denuntiation gegen H. von Rade anzusehen, sondern ihn bloß für sich aufzubehalten“.22 Er schloss mit den Worten: „Es wäre sehr zu wünschen, dass es jedem Ausländer so leicht nicht fiel hier ins Brod zu kommen. Doch die Organisation der Evangelischen Kirchen unter Ihren Augen wird das itzt künftig verhüten. […] Nehmen Sie mir mein Zutrauen nicht übel, in dem ich diesen Brief schreibe“.23 Auch gegenüber dem reformierten Konsistorialpräsidenten van Alpen zeigte sich Fues selbstbewusst. Er war der Meinung, dass das Problem vor Ort gelöst werden müsse. „Diese Sache ist freylich nicht von der Art, daß sie vor ein Consistorial Forum gehört, denn nicht alle Handlungen und Äußerungen, die von kirchlichen Personen herrühren, gehören für die kirchliche Behörden, wie Sie selbst wissen. Da aber Sie doch einmal die Klagen gegen mich kennen, so lege ich Ihnen nebst einem Brief für den Herrn Jacobi als Antwort bloß das Gegenzeugnis von Herrn Bongard und Bertram, und von mehr als ¾ Theilen seiner Gemeine bestättigt, offen bey mit noch einem anderen Documentchen, woraus
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Zur Gemeinde Gemünd siehe auch August Hermann MÜLLER, Zur Erinnerung an das 300jährige Jubiläum der evangelischen Gemeinde Gemünd (Eifel) am 5. September 1909, Magdeburg 1909, besonders S. 33-34. LANRWR Roerdepartement 231, v.d.Rade-Jacobi, 26.12.1804, fol. 19-21. Ebd. AEKRD 3MB 003 Nr. C-200, Fues-van Alpen, 10.1.1805. LANRWR Roerdepartement 231, fol. 23, Fues-Jacobi, 10.1.1805. Ebd.
5.2. Binnenprotestantische Konflikte
149
sie den Geist des Mannes können kennen lernen. Ich enthalte mich aller Selbstvertheidigung“.24 Völlig aus der Luft gegriffen waren die „Denunziationen“ von Prediger Fues wohl doch nicht, denn der lutherische Pfarrer von Rade geriet aus nicht näher bekannter Ursache mit dem Gemünder Maire Augustin in einen Streit, woraufhin von Rade sein Amt niederlegte. Dennoch gab es keine Ruhe, denn auch Johannes Altena in der benachbarten lutherischen Eifelgemeinde Schleiden geriet mit dem reformierten Prediger Fues in Streit. Ursache war der Brauch, die wenigen Reformierten in Schleiden mit Grabrede auf dem lutherischen Friedhof beizusetzen und die dabei eingenommene Kollekte zum Besten der Armen jeweils zur Hälfte der lutherischen Gemeinde in Schleiden und der reformierten in Gemünd zuzuweisen. Anlass war, dass Fues 1808 dieses Abkommen brach und die Armenkollekte durch reformierte Diakone hatte einsammeln und seiner reformierten Gemeinde mehr als die Hälfte der Kollekte hatte zukommen lassen. Altena bat sich bei Generalpräsident Jacobi „nähere Verhaltenregeln“ aus. Er hatte mit „einigen Freunden“ (mit wem, bleibt ungenannt) gesprochen und diese meinten, dass er den Reformierten „wohl nicht [werde] verweigern können, daß sie öffentlich eine Rede aufm Kirchhofe hielten, sonsten dürften die Protestanten zu Hellenthal und Blumenthal in der Kirschseifer Gemeinde, die dort mit den Katolischen auf einem Kirchhof begraben, wohl bald auch keine Reden am Grabe mehr halten“. 25 Der lutherische Kirchenrat hatte erklärt, „wenn die Reformirten stille begraben sollten, dann wollten wir denselben kein Ärgernis geben, und auch am Grabe nicht singen und reden. Das haben wir nun bey Beerdigung zweyer Leichen so gehalten, aber viele meiner Gemeindsglieder sind damit unzufrieden, und glauben sich in ihren Freyheiten gekränkt“.26 Jacobi reagierte sehr rasch und forderte nur eine Woche später Konzilianz ein.27 Er verlangte zudem von Präsident van Alpen, Fues für die Zukunft folgendes klar zu machen: Wenn eine reformierte Leiche auf dem lutherischen Friedhof in Schleiden begraben werden sollte, hätte der reformierte Pfarrer von Gemünd vorher schriftlich beim lutherischen Pfarrer um Erlaubnis zur Beisetzung und Leichenpredigt zu bitten. Um die Armenkollekte sollte er sich gar nicht erst bemühen, denn der lutherische Pfarrer würde diese künftig einsammeln und „den Armen der reformirten Kirche zu Gemünd einen Theil davon“ zukommen lassen. Präsident van Alpen erklärte sich für die reformierte Seite damit einverstanden und schrieb an Jacobi: „Hoffentlich wird die gute Eintracht zwischen [den] Konsistorien bald wieder hergestellt seyn. Seyn Sie versichert, daß ich von meiner Seite, so viel an mir ist, immer mit Vergnügen dazu mitzuwirken bereit bin, daß Liebe und Friede unter Protestantischen Religionslehrern und Gemeinen erhal24 25 26 27
AEKRD 3MB 003 Nr. C-200, Fues-van Alpen, 10.1.1805. LANRWR Roerdepartement 236, fol. 53v und r, Altena-Jacobi, 10.10.1808. Ebd. LANRWR Roerdepartement 236, fol. 54v und r, Jacobi-Altena, 17.10.1808.
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5. Zwischen Konfrontation und Kooperation
ten wird“. 28 Daraufhin lenkte auch Fues ein. 29 In seiner nochmals entgegenkommenden Antwort schrieb Jacobi, dass Fues ihm noch in schlechter Erinnerung sei: „Unser Herr Prediger Fues hat mir übrigens bereits vor 1 ½ Jahren eine unangenehme Correspondenz veranlaßt, indem der Bischof den protestantischen Pfarrer zu Gemünd fort bey mir verklagten, über im Weinhause geführte Reden“.30 Nach dieser Beilegung des Streits beruhigte sich die Situation, wohl auch, weil Fues‘ Ehefrau schwer erkrankte. Das Beispiel zeigt, dass auch nach Jahrzehnten der Durchdringung mit aufklärerischen und pietistischen Vorstellungen durchaus binnenprotestantisches Abgrenzungspotenzial bestand. Die Minderheitenposition beider gegenüber der katholischen Mehrheit und die Nivellierung zentraler theologischer Unterschiede auf ein einziges Dogma (die Abendsmahlslehre) bewirkten jedoch einen insgesamt von praktischer Toleranz geprägten Umgang miteinander. Wenn es dennoch zu (seltenen) Konflikten kam, dann waren diese von handfesten materiellen Interessen geleitet. Im Streit zwischen Fues und Altena handelte es sich um die Einkünfte für die Armenfürsorge. Die beteiligten Parteien fürchteten finanzielle Einbußen oder empfanden bisher geleistete Zahlungen als ungerechtfertigt. Möglicherweise gehören wenigstens einige solcher Fälle konfessioneller Streitigkeiten in dieselbe Kategorie wie die vor allem von katholischer Seite vorgebrachten Forderungen nach Fortzahlung von in der Revolutionszeit eingestellten Leistungen.31
5.2.2. Kirchenzucht Die Organischen Artikel wiesen den Lokalkonsistorien die Aufgabe zu, die „discipline ecclésiastique“ zu unterhalten. Die französische Tradition, in der das napoleonische Kultusgesetz stand, ging dabei von einer doppelten Wortbedeutung aus: Sowohl die Kirchenordnung begriffen als Grundgesetz als auch die Kirchenzucht fielen darunter. 32 Brigitte Duda meinte zur Umsetzung dieser Begrifflichkeit: „Die Konsistorialprotokolle schweigen über Kirchenzucht und Kirchenzuchtverfahren“.33 Allerdings fügte sie hinzu: „Lediglich die ‚Kirchenbeamten‘ unterlagen einer Zensur durch den Kirchenrat, der seinerseits durch das Lokalkonsistorium beaufsichtigt wurde“.34 Unter Kirchenbeamten verstand sie „Älteste, Küster, Rendanten“, keine Pfarrer. Sie schloss von dem Fehlen eines 28 29 30 31
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AEKRD 3MB 003, Nr. C-200, van Alpen-Jacobi, 15.9.1808. AEKRD 3MB 003, Nr. C-200, Fues-van Alpen, 20.9.1808. AEKRD 3MB 003, Nr. C-200, Jacobi-van Alpen, 14.11.1808. Beispielsweise forderte der katholische Pfarrer von Rheinberg 1809 von der reformierten Gemeinde Nieder-Budberg die Nachzahlung des jährlichen Erbzinses seit 1789, siehe LANRWR Roerdepartement 1860, fol. 1, Jordans-Ladoucette, 5.9.1809. DUDA, Organisation, S. 72-73. Ebd., S. 73. Ebd. Vgl. auch MÜLLER, Moers, S. 124.
5.2. Binnenprotestantische Konflikte
151
eigenen Kirchenzuchtreglements und der Nichterwähnung von konkreten Einzelfällen in Konsistorialprotokollen auf ein Nichtvorhandensein der Kirchenzucht. Doch ihre eigenen Äußerungen hätten sie bereits zu dem Schluss veranlassen müssen, dass die Sitzungsprotokolle Kirchenzucht schlichtweg deshalb nicht erwähnen, weil sie weiterhin traditionell auf Ebene der Einzelgemeinde gehandhabt wurde. Zudem erwähnen die Protokolle durchaus Maßnahmen zur Kirchenzucht, allerdings weder der Laien noch der Kirchenbeamten im Sinne Dudas, denn diese gehörten zur lokalen Ebene, sondern der Pfarrer, für die das Lokalkonsistorium gesetzeskonform die Aufsicht führte. In einer Zeit allgemeiner Religionsfreiheit waren generelle Disziplinarmaßnahmen nicht mehr ohne weiteres durchsetzbar, sofern die Kirchen nicht Mitgliederverlust riskieren wollten. Hingegen erwarteten sowohl Kirchenmitglieder wie Kirchenangestellte von ihren Predigern moralisch einwandfreies Verhalten. Pfarrer hatten eine Vorbildfunktion und mussten diese auch wahrnehmen. Dennoch fehlte für sie ebenfalls ein Kirchenzuchtreglement. Daher waren letztlich nur grobe Verstöße gegen das allgemeine sittliche Empfinden ahndbar. Gerade reale oder fiktive Verstöße gegen die Sexualmoral erwiesen sich als ein nützliches Mittel, um unliebsame Pfarrer loszuwerden. In Kelzenberg sollte der Westfale Degen weichen, um Platz für den örtlichen Pfarrersohn Friedrich König zu schaffen. Prompt wurde sein moralischer Fehltritt an die Öffentlichkeit gezerrt und er musste einen „ärgerlichen Huren-Prozeß“ führen.35 In einem anderen Fall war der bereits erwähnte Stephan Jacob Fues aus Gemünd betroffen. Er war schon seit Jahren bei allen Konfessionen seiner Eifelregion als Störenfried bekannt. Seine erste Ehefrau war nach schwerer Krankheit verstorben,36 auch fehlte er gelegentlich unentschuldigt bei den Konsistorialsitzungen. 37 Nach dem Tod seiner Gattin erledigte eine Magd seinen Haushalt. Katharina Wilhelmina Clösgen gehörte der katholischen Konfession an. Mit ihr fing der bald sechzigjährige Fues eine Liaison an, als deren Folge die Magd im Frühjahr 1813 schwanger wurde. Der reformierte Kirchenrat von Gemünden beschwerte sich beim Lokalkonsistorium über diesen Vorgang. Durch das entstandene „öffentliche Ärgerniß“ konnten auch die Kirchenrechnungen der Gemeinde nicht abgenommen werden. 38 Der Kirchenrat erklärte dabei, dass, wäre ihr Prediger freiwillig zurückgetreten, die Gemeinde einiges gezahlt hätte, bis er einen neuen Beruf erhielte.39 Als Fues während der Sitzung des Lokalkonsistoriums hörte, dass sich das Presbyterium beschwert hatte, ließ er mit sofortiger Wirkung seine Amtstätigkeit ruhen, blieb jedoch im Amt. Er erklärte, er erwarte „dann auch von diesem [Konsistorium], daß es über seine 35 36 37 38 39
Siehe oben S. 149. Protokoll Stolberg reformiert vom 5. Juli 1808, § 4. Protokoll Stolberg reformiert vom 3. Juli 1810, § 3. Protokoll Stolberg reformiert vom 13./14. Juli 1813, § 7. Ebd., § 10.
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5. Zwischen Konfrontation und Kooperation
Angelegenheit nach den Gesezzen entscheide“.40 Ein Collegium qualificatum41 sollte sich um eine Schlichtung bemühen.42 Es wurde dahingehend instruiert, dass Fues am besten freiwillig zurücktreten und die Gemeinde ihm noch ein Abgangsgeld zahlen sollte. Das Lokalkonsistorium trug „der dorthin ernannten Deputation auf, falls sie nicht réussirt, dem Herrn Präsidenten gleich Bericht zu geben, der alsdann hiemit beauftragt wird, auf Kosten der sich nicht fügenden Parthei eine neue Sizzung zusammen zu rufen“.43 Offenbar hatte die Kommission keinen Erfolg, denn an der einberufenen Sondersitzung nahm Fues nicht teil. Stattdessen ließ er einen Brief verlesen, indem er sich gegen seine zwischenzeitlich formell ausgesprochene Suspendierung und Absetzung verwahrte. 44 Er bot an, freiwillig abzudanken, wenn die Gemeinde ihm jährlich 600 Francs zahlte. Damit griff er die Äußerung der Gemeinde, ihm bis er einen neuen Beruf gefunden hätte, Geld zu zahlen auf und brachte die andere Streitpartei erneut in Zugzwang. Mittlerweile befand sich das Lokalkonsistorium und mit ihm ihr Präsident Heinrich Simon van Alpen in einer unangenehmen Situation, denn sie schienen ihre gesetzlichen Verpflichtungen nicht wahrnehmen zu können. Das Konsistorium beschloss „in Erwägung, dass der begangene Fehler des Herrn Fues nicht ungestraft bleiben dürfe, wenn die Würde des Predigeramtes nicht kompromittiert werden soll, und zur Aufrechterhaltung der Kirchendisziplin, dass Herr Fues auf ein Jahr von seinem Amte suspendiert werde“. Ein Kandidat sollte Vikar werden, der auch das volle Pfarrgehalt erhalten sollte. Zum Vikar wählte das Lokalkonsistorium den Sohn seines Vorsitzenden, Friedrich Ludwig Rötger van Alpen, der frisch von der Universität Genf gekommen war und Sohn des zuständigen Stolberger Konsistorialpräsidenten.45 Dies wurde dem Kultusminister mitgeteilt. Infolge der wenig später stattfindenden „Völkerschlacht“ bei Leipzig musste sich Napoleon zurückziehen und drangen alliierte Truppen über den Rhein vor. Mit der Unterstellung der rheinischen Departements unter eine zivile Besatzungsbehörde war auch die Entscheidungsgrundlage des französischen Kultusministeriums entfallen. Generalgouverneur August von Sack übernahm provisorisch diese Aufgaben. Das Lokalkonsistorium Stolberg schrieb deswegen erneut an den Generalgouverneur. 46 Fues verklagte daraufhin seinerseits das Lokalkonsistorium beim Generalgouverneur, „weil er unangehört verdammt und 40 41 42 43 44 45 46
Ebd., § 7. Gemeint ist ein Sonderausschuss von Pfarrern, der für einen bestimmten Anlass zusammentrat. Die Deputation bestand aus Prediger Königsfeld aus Düren und dem Notabel Johann Schill. Protokoll Stolberg reformiert vom 13./14. Juli 1813, § 16. Protokoll Stolberg reformiert vom 12. Oktober 1813, § 3. Ebd., § 4. Protokoll Stolberg reformiert vom 5. Juli 1814, § 14.
5.3. Beziehungen zur katholischen Kirche
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suspendiert worden“ sei. Sein einziger Fehler sei der gewesen, dass seine Ehefrau bereits vor der Verheiratung schwanger von ihm gewesen sei.47 Schließlich erklärte er seine freiwillige Abdankung. Der Generalgouverneur entschied, dass der Konsistorialpräsident einen Akkord zwischen Prediger und Gemeine zur gütlichen Auseinandersetzung bestehender Ansprüche führten sollte. Da keine Seite nachzugeben bereit war, erhielt Fues auf Order des Generalgouverneurs bis zum 1. September 1815 seine Einkünfte, Haus, Garten und Wiesen bis Martini. Zum Abschied erhielt er 600 Francs, zahlbar in zwei Jahresraten.48 Fues wurde Textilfabrikant in Aachen, starb allerdings bereits wenige Jahre darauf. Als Präsident des reformierten Lokalkonsistoriums in Stolberg nutzte Heinrich Simon van Alpen die Gelegenheit, einen unliebsamen Prediger zu entfernen. Zu diesem Zweck erwirkte er staatlicherseits Druck auf Pfarrer Fues, so dass dieser schließlich in einen Kompromiss einwilligte. Solche binnenprotestantischen Konflikte, wie sie geschildert wurden, hatten sehr handfeste Gründe und können daher durchaus als Verteilungskonflikte charakterisiert werden. Kam der Vorwurf der Nachlässigkeit in Fragen der Kirchenzucht auf, so war unter dem Regiment der Organischen Artikel der Rückgriff auf die Obrigkeit notwendig, um eine Amtsenthebung zu bewirken. Allerdings achtete man in den niederrheinischen Gemeinden besonders darauf, dass eine Absetzung von Staats wegen nur dann vorkam, wenn es sich als unabdingbar erwies. Die Einsicht eines Pfarrers verbunden mit einem freiwilligen Rücktritt spielte im Entscheidungsprozess eine wichtige Rolle. Damit blieben die Geistlichen der Tradition einer möglichst strikten Trennung zwischen staatlichem und kirchlichem Einflussbereich treu.
5.3. Beziehungen zur katholischen Kirche Dass Konflikte eher überliefert werden als ein friedliches Zusammenleben, bedarf keiner besonderen Vorüberlegung: Wo kein Problem besteht, fehlt auch die Notwendigkeit, Ansprüche nachweislich zu untermauern. Aber die schiere Menge und geographische Verteilung nachgewiesener Streitigkeiten deutet bereits darauf hin, dass aufgeklärte Toleranz an vielen Orten keineswegs bis in alle Schichten durchgedrungen war.49 Der Aachener Richter und Sicherheitsbeauf-
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Ebd., § 17, Unterpunkt 30. Protokoll Stolberg reformiert vom 20. Juni 1815, § 13, Unterpunkt 11. Als 1806 ein protestantischer Journalist in einem Artikel die allgemeine Toleranz des napoleonischen Staates verherrlichte, beanstandeter Bischof Berdolet sofort diesen Sachverhalt. Redakteur Zumbach äußerte gegenüber dem Kölner Maire, er würde den Artikel nie aufgenommen haben, wenn er hätte ahnen können, dass diese Auslegung möglich sei. Vgl. HASHAGEN, Das Rheinland und die französische Herrschaft, S. 158.
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5. Zwischen Konfrontation und Kooperation
tragte Maximilian Blumhofer50 stellte gar 1806 gegenüber Johann Friedrich Jacobi ein zunehmend katholisches Gepräge des napoleonischen Regimes fest: „Il est vrai que du moins à en juger par les apparences, il existe une tendance visible, à ramener le catholicisme dans toute son étendue“.51 Mangelnde Bildung verhindere bei vielen Katholiken eine tolerante Einstellung, „qu’on la voit en général parmis les protestans“.52 Solche Vorurteile - Protestanten seien loyal und tolerant, Katholiken durch ihre Kirche unmündig gehalten - sind kennzeichnend für eine Reihe von Korrespondenzen sowohl innerhalb protestantischer Kirchenorganisationen als auch im Verkehr mit zivilen Behörden. Negative Vorurteile und deren Derivate waren in der späteren napoleonischen Zeit gängig. Diese Zeit ist nicht nur geprägt von einer Zunahme interkonfessioneller Spannungen, sondern vor allem von dem Konflikt zwischen Papsttum und napoleonischem Kaisertum. Seit etwa 1807 nahmen die Spannungen erneut zu. Als 1808 Napoleon zur Durchsetzung der Kontinentalsperre den Kirchenstaat besetzen und ihn gar im Mai 1809 annektieren ließ, exkommunizierte der Papst alle jene, die an der Besetzung beteiligt waren. Wenige Wochen später wurde Pius VII. inhaftiert. Das konnte vor der eigenen Bevölkerung nicht verheimlicht werden. Bereits im folgenden Jahr führte die Regierung Napoleons die Zensur wieder ein. Das 1811 einberufene französische Nationalkonzil löste keine Probleme. Der katholische Klerus war, wie wenige Jahre zuvor durch die Zivilkonstitution, erneut innerlich gespalten.53 „By that date [1809] Napoleon had reverted to a militant distrust of Catholicism and the 1801 Concordat was fast becoming a dead letter“.54 Der Konflikt wurde auch öffentlich deutlich. Im Roerdepartement amtierte nach dem Tode Bischof Berdolets nicht ein weiterer Bischof, sondern ein Generalvikariat genanntes Kollegium von drei Geistlichen unter Vorsitz des von Napoleon ernannten, von Papst Pius VII. jedoch nicht investierten Bischofs Jean Dénis François Le Camus mit dem Titel eines Generalvikars.55 Das bedeutete 50
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54 55
Maximilian Blumhofer, geb. 1759 in München, Studium der Philosophie und der Rechte in München, Lehrer in Krefeld, 1789 Mitglied der Freimaurerloge „Zur vollkommenen Gleichheit“, 1797 Mitglied der Regierung des Jülicher Bezirks, 1798 Richter in Köln und Krefeld, 1802 Sicherheitsbeamter in Aachen, wo er schließlich Richter wird. Vgl. HANSEN, Quellen, IV, S. 60, Anm. 1; GRAUMANN, Verwaltung, S. 159, 164, 184. LANRWR Roerdepartement Nr. 214, fol. 43-45, Blumhofer-Jacobi vom 30.7.1807, hier: fol. 43. Ebd. Vgl. KARLL, Französische Regierung, S. 86. Zur Ereignisgeschichte und den Interessenslagen vgl. BOUDON, Napoléon et les Cultes; Bernard PLONGERON, Aufklärung, Revolution, Restauration (1750-1830), Freiburg [u.a.] 2000 (Die Geschichte des Christentums: Religion, Politik, Kultur; 10); Nigel ASTON, Christianity and revolutionary Europe, 1750-1830, Cambridge 2002 (New approaches to European history; 25), S. 266-268. ASTON, Christianity, S. 266. TORSY, Aachen, S. 68-70; Thomas R. KRAUS, Die französische Kirchenpolitik, S. 286-287. Bei beiden anderen Männern waren die Generalvikare Fonck und Klinkenberg.
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auch in den Augen der Gläubigen eine gewisse Unvollständigkeit des obersten Hirten in der Diözese. Im März 1812 machte in Aachen öffentlich ein Pamphlet die Runde, das die Autorität des Generalvikars Le Camus untergraben sollte.56 Selbst der niedere Klerus zweifelte an der (kanonischen) Rechtmäßigkeit der Amtshandlungen Le Camus’.57 Abgesehen davon, dass ähnlich wie bei protestantischen Pfarrern auch die katholischen Priester Rücksicht auf die Wünsche des Kirchenvolkes nehmen mussten und abgeschaffte Feiertage weiterhin begingen,58 häuften sich seit 1809 die Ermahnungen seitens der drei Generalvikare, dass speziell bei vorgeschriebenen Gebeten und Siegesfeiern auch den Anweisungen Folge geleistet werde. In einigen Kirchen blieben gar die Gläubigen bei solchen Gebeten sitzen. Der Le Camus beigesetzte Generalvikar Fonck schrieb daher an die Kantonspfarrer, er wolle dies vorläufig nur als ein Vergessen ansehen und nicht als Verachtung des Kaisers betrachten. Es handele sich nicht um staatliche Anweisungen, sondern um ein biblisches Gebot: „Ich ordne nun vor allen Dingen an, daß Bitten, Gebete, Fürbitten und Danksagungen für alle Menschen verrichtet werden, für Könige und alle Obrigkeiten, damit wir ein stilles und ruhiges Leben führen können, in aller Gottesfurcht und Heiligkeit“ (1. Tim. 2, 1-2); daher seien alle Pfarrer verpflichtet sich an die Vorschriften zu halten.59 Zum Verständnis der Verhaltensweisen sowohl von katholischen Geistlichen wie von staatlichen Stellen ist es von elementarer Bedeutung, die Spannungen zwischen dem napoleonischen Regime und dem Papsttum zu beachten. Ohne eine hinreichende Berücksichtigung dieser Entwicklung ist ein angemessenes Verständnis geistlicher Aktionen und Reaktionen nicht möglich. Dass generell Protestanten eher der napoleonischen Herrschaft zustimmten und deren Kirchen strukturelle Interessenskonflikte mit der römischen Kirche hatten, machte sie, sowohl Pfarrer wie Laien, zu einem bevorzugten Blitzableiter für staatlich-katholische Spannungen. 60 Konflikte, die unter dem Vorwand konfessioneller Irrungen geführt wurden, sind somit teilweise als Stellvertreterkonflikte zu charakterisieren. Die Zugehörigkeit zum protestantischen Preußen nach 1814 trug nicht zu einer Entspannung bei. So hieß es im Protokoll des Stolberger Konsistoriums, dass „mit der Erlösung des Pabstes aus seiner Gefangenschaft auch der Fanatismus der röm.-katholischen Geistlichkeit an vielen Orten wieder entfesselt worden zu sein“ scheint.61 Gerade letzteres Zitat deutet auf ein gespannteres Verhältnis zwischen den Konfessionen am Ende der napoleonischen Herrschaft hin. Der folgende Ab56 57 58 59 60 61
Ebd., S. 72. Ebd., S. 72-73. Ebd., S. 216-220. Vgl. ebd., S. 291. Auch historiographisch, vgl. etwa die pejorativen Äußerungen bei MAY, Das Recht des Gottesdienstes I, S. 311-315. Protokoll Stolberg reformiert vom 05.07.1814, § 12.
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schnitt thematisiert daher die Konflikte protestantischer Kirchen mit der katholischen Kirche. Im alltäglichen Umgang gab es drei Hauptbereiche, die zu konfessionellen Zwistigkeiten führten, nämlich Konversionen, interkonfessionelle Ehen (die so genannten Mischehen), und Prozessionen. Anhand dieser Konfliktfelder wird nun die Entwicklung der interkonfessionellen Beziehungen im napoleonischen Frankreich untersucht werden.
5.3.1. Konversionen Als Konversion wird der Übertritt von einer Glaubensgemeinschaft in eine andere bezeichnet. Mit dem Glaubenswechsel ist aufs engste auch die Glaubensfreiheit verbunden. Im Heiligen Römischen Reich hatten ab 1555 zunächst die Landesherrn durch das Prinzip cuius regio, eius religio das individuelle Recht auf Religionsfreiheit erworben. Gerade in gemischtkonfessionellen Territorien wie Kurpfalz62 oder in Brandenburg entwickelten sich relativ frühzeitig auch Formen der Koexistenz innerhalb eines Territoriums trotz unterschiedlicher Konfession. 63 Im späteren 18. Jahrhundert häuften sich zunehmend Klagen (meist protestantischerseits) über die aufdringliche Konversion, zeitgenössisch Proselytenmacherei genannt. Für den Mainzer Jakobiner Georg Forster stand fest, „daß die meisten Katholiken sich durch den Lehrbegriff ihrer Kirche berufen glaubten, Proselyten zu machen“.64 Erst in der späteren napoleonischen Herrschaftsphase trat dieser Vorwurf auch in der Öffentlichkeit auf. Im Jahre 1807 dekretierte Napoleon das Verbot der Pères de la Foi, eines Zusammenschlusses ehemaliger Jesuiten unter der Führung von Louis Barat, die zur Mission drängten. Bereits zwei Jahre später folgte das Verbot jeglicher missionarischer Tätigkeiten in ganz Frankreich.65 Zunächst wird nun die theologische Verarbeitung von Konversionen betrachtet, danach sind Beispielfälle aufgeführt. Keine Religionsgemeinschaft kann es sich langfristig erlauben, dass beständig Mitglieder abwandern. Stetige oder auch nur mögliche Abwanderung bewirkt auch einen Wandel in der Selbstwahrnehmung. Die napoleonische Ära bot dem einzelnen Menschen aus jeder Schicht erstmals die Möglichkeit, wirklich frei 62
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Paul WARMBRUNN, Von der Vorherrschaft der reformierten Konfession zum Nebeneinander dreier Bekenntnisse: Reformierte, Lutheraner und Katholiken in Kurpfalz und Pfalz-Zweibrücken zwischen dem Westfälischen Frieden und dem Ende des Alten Reiches. In: BDLG 134 (1998), S. 95-121. Zur zugrundeliegenden Rechtsfigur des so genannten territorialen „Simultaneums“ siehe Christoph SCHÄFER, Das Simultaneum. Ein staatskirchenrechtliches, politisches und theologisches Problem des Alten Reiches, Frankfurt a.M. 1995 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 2, Rechtswissenschaft; 1787). Georg FORSTER, Kleine Schriften zu Philosophie und Zeitgeschichte: Kleine Schriften zur Philosophie und Zeitgeschichte, Berlin 1991, S. 194-218, hier: S. 196. ASTON, Christianity, S. 266.
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zwischen den zugelassenen Bekenntnissen wählen zu dürfen. Die im Kreise ihrer Gemeinde verbliebenen Kirchgänger zählten demnach entweder zu den traditionsbewussten Mitgliedern oder zu den religiös aktiven, die auch entsprechend angesprochen werden wollten. Auf diese Möglichkeit stellten sich Pfarrer ein. Allerdings musste theologisch begreifbar werden, inwiefern der nunmehr mögliche, nicht mehr sanktionierte und ebenfalls nicht mehr auf einzelne, herausragende Persönlichkeiten beschränkte Konfessionswechsel auch erklärbar wird. Eine Erklärung dafür, warum einige Menschen die doch subjektiv als Optimum empfundene Pfarr-Gemeinschaft verlassen wollten oder auch tatsächlich verließen, musste sich aus theologischen Überlegungen herleiten können. Für die theologische Verarbeitung sind die Ausführungen des Pfarrers Friedrich Wilhelm Reinhardt in Geldern aufschlussreich. Die kleine Gemeinde war seit dem 30. März 1808 eine vereinigte Gemeinde von Lutheranern und Reformierten, die einen gemeinsamen Pfarrer angestellt hatte. Friedrich Wilhelm Reinhardt hatte seit einigen Jahren immer wieder Probleme mit der überwältigenden katholischen Mehrheitsgemeinde.66 Reinhardt wandte sich an seinen als „Freund“ angesprochenen Vorgesetzten, den lutherischen Generalpräsidenten und Präfekturrat Johann Friedrich Jacobi, um ihn darüber zu informieren, dass „das Proselytenmachen von katholischer Seite […] nirgends so stark seyn [kann], als hier“.67 Jüngst habe eine Familie ihren schwerkranken Sohn katholisch taufen lassen, damit er wieder genese. Als ob solche halbmagischen Vorstellungen68 nicht bereits schlimm genug wären, leugneten die Eltern das Pfarrer Reinhardt zu Ohren gekommene Gerücht, auch alle übrigen Familienmitglieder würden diesen Schritt nun unternehmen wollen. Da die Eltern die reformierte Gemeinde und ihren Pfarrer übel beschimpften, ließ Reinhardt sie gehen. Seines Erachtens ging er dadurch mit den „Grundsätzen der Evangelischen Kirche und ihres Geistes“ konform, der kein Geist „des Zwangs oder der Ueberredungskunst“ sei, für den Außenstehenden auf den ersten Blick also durchaus als liberal erkennbar zu sein schien. Jedoch glaubte Reinhardt vielmehr, eine Vorbestimmung erkennen zu können, „worin allein schon der rechte Glaube an die Vorsehung einen festen 66 67 68
Zu den zahlenmäßigen Konfessionsverhältnissen in Geldern vgl. SMETS, Von der Dorfidylle, S. 701. Die Zitate für den Beispielfall Geldern bei LANRWR Roerdepartement Nr. 239, fol. 33-38, Reinhardt-Jacobi, 11.04.1811, hier: fol. 35. Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein waren abergläubische Vorstellungen bei großen Teilen der Bevölkerung des Niederrheins präsent. Vgl. hierzu grundlegend Nils FREYTAG, Aberglauben im 19. Jahrhundert. Preußen und seine Rheinprovinz zwischen Tradition und Moderne (1815-1918), Berlin 2003 (Quellen und Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte; 22). Weitere Beispiele aus der Region bieten etwa Uta PIERETH, Aberglauben auf der Spur. Notizen zu abergläubischen Phänomenen zwischen Maas und Rhein in Reiseberichten um 1800. In: JbwestdtsLG 24 (1998) S. 245-268; Christa FELTGEN, Gedanken über den Aberglauben in der alten Grafschaft Moers. In: Heimatkalender des Kreises Wesel 10 (1989), S. 158-161.
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Grund findet. Es ist nemlich der nie unterbrochene Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung“. Der „Herrscher der Natur“ betrachte seine „einige Ordnung […] mit einem Heiligen Bestaunen“ und ermögliche dem Sünder den Austritt der Gemeinschaft der „Erwählten“. Sowohl in der reformierten wie in der lutherischen Dogmatik gibt es das Theologoumenon einer Prädestination, in letzterer Lehre allerdings weniger prominent. Zwar lässt sich Reinhardts Entscheidung durchaus im liberalen Sinne interpretieren, denn die Freiheit des Konfessionswechsels in einer weltanschaulich prinzipiell neutralen Gesellschaft ermöglichte eine zunehmende Konzentration auf die wirklich kirchlich aktiven Gemeindeglieder. Offenbar sah Reinhardt allerdings keinen Sinn darin, ein schwankendes Mitglied halten zu wollen er begriff die Konversion ganz als göttlichen Fingerzeig, dass die Mitglieder der Familie nicht zu den „Erwählten“ Gottes gehörten, die die protestantische Kirche ausmachten. Zudem bezweifelte er die Ernsthaftigkeit, mit der vor allem „Mädgen“ oder junge Ehefrauen aus Mischehen immer wieder ihren Glauben zu wechseln wünschten, denen er mit dem Motiv der Liebe ein zu starkes emotionales Handeln vorwarf.69 Der Lutheraner Reinhardt fand eine Erklärung in der theologischen Idee der Vorsehung. Er setzte keineswegs alle Kräfte in Bewegung, um Konvertiten zurückzuholen. Vielmehr ließ Reinhardt sie ziehen. Kehrten sie zurück, so ließ er, wenn auch mit Skepsis, ihre Rückkehr in den Schoß der kirchlichen Gemeinschaft zu. Für den Fall, dass sie nicht mehr zurückkehrten und somit mindestens indirekt die Autorität des Pfarrers in Frage stellten, bot sich eine andere Möglichkeit an: Die Verarbeitung eines „Abfalls“ geschah durch Rückgriff auf die Unterscheidung der Gläubigen in Auserwählte und Verdammte, also einer Form der Prädestinationslehre. Ähnlich teilte der 1801 von Baerl nach Wülfrath gewechselte reformierte Prediger Gottfried Daniel Krummacher seine Gemeindeglieder in „Kinder Gottes“ und „Kinder der Welt“.70 Auch der nach Erlangen gegangene Weezer Prediger Johann Christian Gottlob Ludwig Krafft teilte die Gläubigen in diese zwei Gruppen.71 Der theologische Rückgriff auf die Vorsehung sowohl des Einzelnen wie der Menschheit entsprach dem Zeitgeist; er ist parallel auch in den Predigten brandenburgisch-preußischer Prediger während der Befreiungskriege zu finden.72
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LANRWR Roerdepartement Nr. 239, fol. 33-38, Reinhardt-Jacobi, 11.04.1811, hier: fol. 35v und r. Im Detail zu diesem bergischen Prediger vgl. Friedrich-Wilhelm KRUMMACHER, Gottfried Daniel Krummacher und die niederrheinische Erweckungsbewegung zu Anfang des 19. Jahrhunderts, Berlin/Leipzig 1935, S. 96 ff. Wilhelm H. NEUSER, Pietismus und Erweckungsbewegung: der bayrische Erweckungstheologe Christian Krafft (1784-1845). In: PuN 3 (1976), S. 126-141, hier: S. 128-129. GRAF, Gottesbild, S. 45-71. Weitere Belege bei HOOVER, The gospel of nationalism, S. 26-29.
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Im Gegensatz zu dieser theologisch begründeten Laissez-faire-Haltung boten sich Pfarrern durchaus auch andere Handlungsalternativen. Angeblich war 1809 die Tochter eines „Bürgers Schall“ aus Aachen „entführt und, wider Wissen und Willen desselben, katholisch geworden“.73 Da es sich hierbei nicht um den einzigen Fall im Raum Stolberg handelte,74 beschloss das reformierte Lokalkonsistorium Stolberg eine polizeiliche Untersuchung zu beantragen. Mit der Untersuchung war der Sicherheitsbeauftragte und Richter Maximilian Blumhofer beauftragt. Das Ergebnis der 1812 durchgeführten Untersuchung förderte Unerfreuliches zu Tage: Durch Zeugenbefragung stellte sich heraus, dass der Bürger Schall seine Tochter so schwer misshandelt hatte, „dass sie es nicht mehr bei ihm [habe] aushalten könne[n]“ und sie sich zu einer katholischen Nachbarin geflüchtet hatte. Die Tochter Schall habe dieser gegenüber geäußert, „dass sie Neigung zur römisch-katholischen Religion habe und in derselben lieber als in der protestantischen leben wolle“. Die anonym gebliebene Nachbarin führte die junge Frau darauf zum Bischof Berdolet, der sie bei einem Aachener Pastor unterbrachte und katholischen Religionsunterricht nehmen ließ. „Nach hinlänglich genossenem Unterrichte schikte sie der Herr Bischof in ein Institut, welches nicht ausfindig gemacht werden kann, da der Herr Bischof Berdolet todt ist und seine hinterlassenen Papiere nichts davon melden“.75 Es wurde unmöglich, die Frau wieder zu finden. Auch eine - vielleicht etwas naiv anmutende - schriftliche Nachfrage des Sicherheitsbeauftragten Blumhofer bei allen katholischen Instituten, „worin dergleichen Proseliten aufgenommen werden“, verlief ergebnislos. Die Munizipalität ordnete daraufhin an, dass die katholischen Pastoren „sich aller Proselitenmacherei, ohne Wissen und Willen der Ältern, zu enthalten“ haben. Im Fall Schall war es das selbstverschuldete Verhalten des Bürgers Schall, das zum Verlust der Tochter für den Vater persönlich und unfreiwillig auch eines Gemeindemitgliedes für die Kirchengemeinde führte. Dem Lokalkonsistorium unter seinem Präsidenten Heinrich Simon van Alpen machte die erfolglose Suche deutlich, dass staatliche Stellen keineswegs die Macht hatten, die sie vorgaben. Es war ihnen nicht einmal möglich, eine genau bekannte Person in katholischen Einrichtungen ausfindig machen zu lassen. Dass Polizei eingeschaltet werden musste, geschah auch andern Orts, etwa in Saint-Front (Haute-Loire). Dort entführte im September 1808 ein gewalttätig gewordener Mob einem protestantischen Schwesternpaar die Kinder. „Le motif était de les faires baptiser et eléver dans la réligion catholique“, hieß es im Poli73 74
75
Protokoll Stolberg reformiert vom 25.06.1812, § 17/1. Weitere Beispiele aus anderen Regionen nennt MAY, Das Recht des Gottesdienstes I, S. 596 ff. Ende 1811 beschwerte sich Arnold Mebus über die „Wegnahme eines Kindes, welches lutherisch getauft werden sollte“. Dem lutherischen Konsistorium Stolberg war dies als Zivilsache erschienen, weshalb der Fall nicht weiter verfolgt wurde. Protokoll Stolberg lutherisch, 17.12.1811, § 3. Alle Zitate aus Protokoll Stolberg reformiert vom 25.06.1812, § 17/1.
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zeibericht.76 Kurz nach Beginn der polizeilichen Untersuchungen fanden sich die Kinder auf den Stufen der Mairie wieder auf. Wenig später nahm die Polizei drei Frauen als Drahtzieherinnen fest. Gewaltanwendung durch übereifrige Laien war nicht die Regel, kam aber vor: Aus dem Roerdepartement ist ein Mord wegen angeblicher religiöser Streitigkeiten aus St. Tönis bei Krefeld bekannt; bei diesem ist aber eine Verquickung persönlicher und beruflicher Motive zu mutmaßen.77 Solche Art der Gewaltanwendung bildete jedoch generell einen extremen Ausnahmefall. Ausschreitungen wie im Beispielfall an der Loire fanden nicht statt. Auch im zweiten Beispielfall zeigt sich, dass die Inanspruchnahme staatlicher Stellen keinen Fortschritt brachte. In der links der Maas gelegenen Kantonshauptstadt Sittard bestand eine reformierte Gemeinde in einem fast völlig katholischen Umfeld. Der reformierte Prediger Johann Wilhelm Bornemann und sein seit 1809 amtierende Amtsnachfolger Friedrich Carl Grimm lieferten sich einen Kleinkrieg mit dem katholischen Priester Jacoby.78 Die Beschwerdeliste von Grimm gegenüber Jacoby war lang: Es fing damit an, dass der katholische Priester die bereits im Ancien Régime verbotenen Kontroverspredigten hielt, die protestantische Befindlichkeiten auf polemische Art und Weise thematisierten.79 Zudem fuhr er fort, katholische Eheversprechen bei Mischehen zu fordern. Kurz nach der alliierten Invasion klagte Grimm 1814 dem Stolberger Lokalkonsistorium, „dass der katholische Pastor in Sittard eine protestantische Frau zum katholischen Glauben zwingen wolle“ und deswegen gesagt habe, „dass ganz Preußen verdammt wäre, dass die protestantischen Prediger, um Unzucht und Hurerei zu treiben, aus der katholischen Kirche ausgegangen seien“.80 Der Priester Jacoby kannte nicht nur die gegen protestantische Prediger gerichtete Polemik, die bereits Luther vorhielt, er habe aus reiner Wollust Katharina von Bora geheiratet. Jacoby fürchtete offenbar mehr noch einen protestantischen Landesherrn als einen katholischen, der auf Kriegsfuß mit dem katholischen Kirchenoberhaupt stand. Dabei war über die künftige politische Zugehörigkeit Sittards zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs entschieden: Bislang stand Sittard noch unter Verwaltung des Generalgouverneurs August von Sack.
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Ernest D’HAUTERIVE, La police secrète du premier Empire. Bulletins quotidiens par Fouché à l’Émpereur, nouv. Série 1808-1809, Paris 1963, S. 400-401, Bulletin Nr. 810. D’HAUTERIVE, Police sécrete I, S. 420. Der Name taucht in den Quellen sowohl in der Schreibweise „Jacobi“ als auch „Jacoby“ auf. Um eine Verwechslung mit dem lutherischen Generalpräsidenten Johann Friedrich Jacobi zu vermeiden, wird die Form „Jacoby“ gewählt. Protokoll Stolberg reformiert vom 13.07.1813, § 4; vgl. ebd., § 14/26. Kontroverspredigten dienten der polemischen Auseinandersetzung mit anderen Konfessionen. Protokoll Stolberg reformiert vom 05.07.1814, § 17/35.
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Generalvikar Fonck war in Aachen über die vermeintlichen Aussagen Jacobys unterrichtet worden81 und versprach eine Untersuchung. Pastor Jacoby schickte eine von zwei Zeugen unterzeichnete Aussage, dass „die Klage des Herrn Grimm Lüge seie, dass man nie an das gedacht habe, was Herr Grimm schamlos aussage“. 82 Generalvikar Fonck beschuldigte daraufhin den Pfarrer Grimm „der Klatschereien, nennt ihn einen exaltirten Kopf und verlangt dessen Bestrafung, oder man würde sie bei dem Herrn General-Gouverneur zu finden wissen“. Doch auch die Reformierten rüsteten sich, auch sie sammelten Zeugenaussagen, die der Bürgermeister aufzunehmen hatte, andernfalls sollten Rechtsmittel eingelegt werden.83 Die entsprechenden Akte waren dem Präsidenten van Alpen und dem General-Gouverneur einzusenden. Fonck bestritt jedoch den Wahrheitsgehalt der reformierten Zeugenaussagen. „Die Intoleranz des katholischen Pastors in Sittard wurde standhaft geläugnet“, hieß es verärgert im Stolberger Protokoll.84 Präsident van Alpen machte eine Vorstellung beim Generalgouverneur Sack in Aachen, jedoch mit unerwartetem Ergebnis: „Um Weitläuffigkeiten zu vermeiden, weil doch keiner zulezt unrecht haben wollte, hielt Se. Excellenz für rathsam, die Sache zu unterdrücken. Der katholische Pastor in Sittard und das Generalvikariat würden jetzt von selbst schweigen und sich vor fernerem Proselitenmachen hüten. Es seie also vernünftig, um größeres Aufsehen zu verhindern, von der ganzen Sache nicht mehr zu reden“.85 Der Konflikt um Priester Jacoby musste demzufolge auf Druck des Generalgouverneurs von Sack, der bewusst als Mittler eingeschaltet worden war, im Sande verlaufen. Zuletzt entzog sich der ganze Vorgang mit Lokalkonsistorium Stolberg dadurch, dass Sittard und Urmond durch die neue Grenzziehung nicht mehr zum Bereich des Generalgouvernements vom Nieder- und Mittelrhein gehörten, sondern zum Königreich der Vereinigten Niederlande.86 Größeren Erfolg als das Fahrenlassen von Konvertiten oder Strafanzeigen gegenüber den Polizeibehörden versprachen Kooperations- und Koordinationsstrategien seitens der Lokalkonsistorien. 1809 konstatierte der Neusser Notabel Friedrich Koch gegenüber dem versammelten reformierten Lokalkonsistorium Krefeld, dass in seiner Gemeinde die Proselytenmacherei von katholischer Seite her stark zunehme.87 Präsident Heilmann schlug daraufhin vor, sich gemeinsam mit dem lutherischen Pfarrer Claussen an dessen Oberpräsidenten Johann 81 82 83 84 85 86 87
Es ist nicht klar, ob dies der Kirchenrat von Sittard oder das zuständige Lokalkonsistorium Stolberg getan hatten. Alle Zitate aus Protokoll Stolberg reformiert vom 05.07.1814, § 17/35. Protokoll Stolberg reformiert vom 05.07.1814, § 18/4. Protokoll Stolberg reformiert vom 20.06.1815, § 13/6. Ebd., § 13/6. Ebd., § 3. Protokoll Krefeld reformiert vom 21.06.1809, § 8.
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Friedrich Jacobi zu wenden, damit dieser beim Bischof von Aachen dieses „Unwesen steuern laße“.88 Das Problem sollte interkirchlich angegangen werden, ohne Einbeziehung staatlicher Stellen. Bischof Berdolet kündigte eine Untersuchung an, weitere Hinweise auf Schwierigkeiten fehlen in den Krefelder Protokollen. Damit erwies sich die Kooperationsstrategie des Krefelder Konsistoriums als erheblich wirksamer als der Versuch des von Heinrich Simon van Alpen geleiteten Lokalkonsistoriums Stolberg, den Konflikt durch Einschaltung staatlicher Stellen zu lösen.
5.3.2. Prozessionen Ein weiteres zentrales Konfliktfeld war die Frage nach den Prozessionen in gemischtkonfessionellen Orten. 89 Öffentliche religiöse Umzüge waren in den Hauptorten von Konsistorialkirchen verboten, eine Maßnahme, die primär die katholische Kirche mit ihren Prozessionen traf. 90 Protestantische Kultusausübung außerhalb der Kirchen beschränkte sich im Wesentlichen auf Begleitzüge zu Beisetzungen und Gesänge am Grab, mitunter auch vor dem Haus des Verstorbenen. Katholische Prozessionen boten allen Konfessionen im ganzen französischen Machtbereich immer wieder Anlass zu Störungen und Unruhen.91 Beispielsweise weigerte sich der Präsident des Strafgerichtshofs in Straßburg (Bas-Rhin), ein Protestant, über mehrere Jahre hinweg an der Prozession zu Ehren des heiligen Napoleon teilzunehmen, weil es sich um eine „cérémonie particulière aux catholiques“ handele. Polizeiminister Fouché, der dies Napoleon berichtete, verwies auf andere Protestanten wie General Rapp, die kein Problem darin sahen. Ob Rapp sich allerdings bewusst als Protestant oder lediglich nominell protestantisch getaufter, letztlich jedoch kirchenferner Militär auffasste, spielte in dem Bericht keine Rolle. Um weitere Unannehmlichkeiten zu ver-
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90 91
Ebd. Siehe LANRWR Roerdepartement Nr. 237, fol. 150-152, Claussen-Jacobi, 04.11.1809, hier: fol. 151. Zur Rechtslage vgl. HERMENS, Staats-Gesetzgebung I, S. 499-505. AEKRB 4KG 048B Nr. 48, Verbot öffentlicher Prozessionen mit Strafandrohung, 13. Messidor X (2.7.1802). Vgl. die Bekanntmachung des Unterpräfekten von Simmern für gemischtkonfessionelle Orte, AEKRB 3MB 013B Nr. 52, Unterpräfekt van Recum an die Maires und Volks-Lehrer der verschiedenen Kulte, 12. Prairial X (1.6.1802). MOHN, Krefeld, S. 161-175; Franz Joseph SCHRÖTELER, Die Herrlichkeit und Stadt Viersen, Viersen 1861, S. 76; STORKEBAUM, Fremdherrschaft, S. 63; BERS, Freiheit,S. 38. Für das Beispiel Deutz, wo im Mai 1800 die Protestanten Isaac Herstadt und der Krefelder Kaufmann von der Leyen wegen Störung einer Prozession kurzzeitig inhaftiert wurden vgl. HASHAGEN, Das Rheinland und die französische Regierung, S. 154-155, die originale Überlieferung bei CARDAUNS, Schnorrenberg, S. 413. Beschwerden gab es auch in Kleve, vgl. Protokoll Kleve reformiert, 27./28.05.1807, § 17.
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meiden, bat Fouché um eine verbindliche Ordnung für alle Staatsdiener.92 Dass man durchaus Rücksicht auf protestantische Befindlichkeiten nehmen konnte, bewies das Vorgehen in Maastricht (Meuse-Inférieure). Dort hatten der Präfekt und der „principial curé“ im Jahre 1805 die Himmelfahrtsprozession verboten „à raison du grand nombre de protestants“. Diese Anweisung sei ohne Widerstand ausgeführt worden.93 Beinahe umgekehrt war die Auffassung des Präfekten Alexandre Théodore Victor de Lameth.94 Lameth stammte aus altem Adel und in der Revolutionszeit für eine gemäßigte Monarchie als Vertreter des „Club des Feuillants“ eingetreten. Nach dem Staatsstreich war er in Verwaltungsdienste übernommen worden und hatte am 20. Juli 1806 sein Amt in Aachen angetreten. Sehr bald wurde er mit Beschwerden aus dem reformierten Lokalkonsistorium Stolberg konfrontiert. Die neuen Gemeinden in Aachen und Köln beschwerten sich über „geräuschvolle Proceßionen“, die gelegentlich auch „die Andacht stöhren“.95 Konsistorialpräsident van Alpen sprach in einer Zusammenkunft mit dem Präfekten das Thema direkt an. Das Ergebnis war allerdings mager: Lameth erklärte, „daß die Minorität sich jederzeit nach der Majorität zu richten Ursache hätte. Da nun in Kölln die Katolicken die Majorität ausmachten, so fände er billig, daß, wenn ja die Stunde des Gottesdienstes sollte geändert werden, dieses ehender von den Protestanten als von den Katolicken geschehen müßte. Das sey der Grundsatz der Billigkeit“.96 In diesem Fall spielte, wie in Maastricht, das nummerische Kriterium eine entscheidende Rolle, allerdings in umgekehrter Richtung. Der lutherische Kölner Prediger Christian Gottlieb Bruch schlug erfolglos vor, das durch die Regierung zugestandene Verbot von katholischen Prozessionen in Hauptorten von Konsistorialkirchen zugunsten eines Verbots in mehrheitlich protestantischen Gemeinden abzutreten.97 Der katholische Kölner Klerus erklärte sich dennoch in seiner Gesamtheit bereit, bei Prozessionen die protestantischen Gottesdienstzeiten zu berücksichtigen. In Stolberg interpretierten die Konsistorialmitglieder dies (richtigerweise) als durch einen bischöflichen Befehl veranlasst, an den van Alpen sich zusätzlich gewandt hatte, und richteten ein Dankschreiben an Berdolet für diesen ohne staatliche Hilfe vermittelten Kompromiss. 98 Berdolet lieferte jedoch keine Antwort, was das reformierte Lokalkonsistorium als Affront auffasste.99 92 93 94 95 96 97 98
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D’HAUTERIVE, Police secrete I, S. 334-335. D’HAUTERIVE, Police secrete II, S. 429. Zu Lameth vgl. GRAUMANN, Verwaltung, S. 50 f. Protokoll Stolberg reformiert vom 1./2.07.1806, § 21/7. Protokoll Stolberg reformiert vom 07.07.1807, § 11/5. BRUCH, Vorschläge, S. 134. Van Alpen wurde weiterhin aufgefordert, eine Dankadresse an den Bischof Berdolet zu verfassen und ihn auf weitere Missstände hinzuweisen. Protokoll Stolberg reformiert vom 07.07.1807, § 17. Protokoll Stolberg reformiert vom 05.07.1808, § 19; ebd. vom 04.07.1809, § 15.
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Die evangelische Gemeinde war eine doppelte Strategie gefahren. Nicht nur beim reformierten Lokalkonsistorium Stolberg hatte ihr Prediger Friedlieb Wilsing Beschwerde eingereicht, sondern der lutherische Pfarrer Bruch auch bei seinem Vorgesetzten und zwar unmittelbar auf höchster regionaler Ebene, nämlich beim Generalpräsidenten Jacobi in Aachen.100 Jacobi richtete darauf ein Schreiben an den katholischen Bischof Berdolet, worin er sich über „ces Infractions dans la liberté des Cultes“ beschwerte.101 Darin bedauerte er, dass entgegen den bischöflichen Instruktionen Prozessionen „à l’heure ordinaire du Culte protestant“ (Hervorhebung des Autors) durch die Schildergasse an der protestantischen Kirche vorbeizögen, was „necessairement“ den Gottesdienst gestört habe. „Pour parvenir quelque malheureux excés de la Populace“ möge man doch versuchen „d’éviter la Schildergasse ou si trouve l’église protestante“.102 Der Generalpräsident bat um künftige Beachtung und verabschiedete sich nicht ohne einen Hinweis auf des Bischofs „amour de la Paix & de la Concorde, generalement reconnu“. Wenige Tage später schrieb Bischof Berdolet an den Kölner Maire Wittgenstein über eine Beschwerde von „Monsieur Jacobi, Président du consistoire luthérien“.103 Berdolet war der Meinung, dass Wittgenstein als Maire das Recht besäße zu regulieren und „preferire dans votre ville, tant aux Catholiques qu’aux non catholiques de quelsqu’éspéces qu’ils foient“. Bei der letzten Prozession, pikanterweise die am Napoleonstag, sei alles nach der „coûtume“, dem Herkommen also, gewesen. Um jedoch ein „troubler l’harmonie et la tranquilité“ zu vermeiden, möge der Maire künftig einen Prozessionsweg anordnen, der nicht über die Schildergasse führe. Wittgenstein gab bei seinem Freimaurerbruder104 Johann Matthias Coomans, von 1805 bis 1813 „adjoint chargé du bureau de police“, ein Gutachten in Auftrag. Die Beschwerde Jacobis bedeutete in Augen Coomans „la plus grande suprise“, der Generalpräsident „a été mal informé“.105 Jegliche Provokation gegenüber Protestanten sei verboten worden, „depuis qui notre Auguste Monarque a ordonné l’ouverture de leur temple“. Tatsächlich verhielten sich nach Coomans fast alle katholischen Einwohner „de la manière la plus honnété“. Speziell zur Feier des Napoleonsfestes am 15. August 1807 warf Coomans den Protestanten gar Ansätze von Illoyalität vor: „Les Ministres Protestans n’ont point sonné les Cloches et semés des fleurs devant leurs temple“. Er glaube nicht, dass der lu100 101
102 103 104 105
LANRWR Roerdepartement 229, fol. 1-2, 6-7, 10-12, Bruch-Jacobi vom 3.8., 16.8. und 17.8.1807. Vorschrift im LANRWR Roerdepartement 229, fol. 8, Jacobi-Berdolet, 19.08.1807. Abschrift im HStAK 350, Nr. 1773, fol. 7, Jacobi-Berdolet, 19.08.1807. Die nächsten Zitate ebd. Ebd. HStAK 350, Nr. 1773, fol. 5, Berdolet-Wittgenstein, 29.08.1807. Dort die folgenden Zitate. GRAUMANN, Verwaltung, S. 79. HStAK 350, Nr. 1773, fol. 9, Coomans-Wittgenstein, 02.09.1807. Dort die folgenden Zitate.
5.3. Beziehungen zur katholischen Kirche
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therische Pastor bewusst einen Anlass gesucht habe, um einen Streit vom Zaun zu brechen. Zu kritisieren sei allerdings, dass Pfarrer Bruch sich nicht an den Maire, die Adjunkten oder die Polizeikommissäre gewendet hätte, sondern nichtstädtische Stellen eingeschaltet habe. Im Übrigen versicherte der Polizeibeauftragte dem Maire, er werde „les excesses“ unterbinden. Die Worte Coomans scheinen Eindruck bei Maire Johann Jakob von Wittgenstein gemacht zu haben, denn er forderte die protestantische Gemeinde in Anlehnung an die Argumentation des Präfekten Lameth und unter Nichtbeachtung der erklärten Selbstverpflichtung des Kölner Klerus auf, ihre eigenen Gottesdienstzeiten den katholischen Prozessionen anzupassen.106 Dass aus den folgenden Jahren Beschwerden der Aachener und Kölner Gemeinden fehlen, deutet darauf hin, dass entweder die Meinung von Präfekt oder Maire Beachtung fanden oder wenigstens keine Beschwerden mehr eingereicht wurden. 107 Aus protestantischer Sicht hatte die Einschaltung staatlicher Stellen keinen Vorteil gebracht, im Gegenteil, den Pfarrern waren die Grenzen der Religionsfreiheit aufgezeigt worden. In anderen Gemeinden hingegen, wo ähnliche konfessionelle Verhältnisse bestanden, wie in Jülich oder dem bei Köln gelegenen Frechen, nahm man diese Vorgänge nur begrenzt zur Kenntnis und versuchte eigene Lösungen zu entwickeln. Die Beschwerde des reformierten Pfarrers Friedrich Wilhelm Konrad Peill aus der Garnisons- und Festungsstadt Jülich betraf allerdings nicht nur die Prozessionen, die während des Gottesdienstes an seiner Kirche vorbeizogen, sondern auch Störungen durch die französische Garnison. 108 Sein Frechener Amtskollege Johann Andreas Gottfried Charlier klagte vor dem Stolberger Lokalkonsistorium „über die Störung des Gottesdienstes durch die bei der Kirche singend und bätend vorbeiziehende Proceßion der Katholiken“.109 Am 7. Mai 1809 sah sich Charlier genötigt, mit seiner Gemeinde so lange Lieder zu singen, bis eine katholische Prozession an der reformierten Kirche vorbeigezogen war. Charlier wies in einem Brief an seinen katholischen Amtsbruder, Pastor Brecher, darauf hin: „Weilen aber nicht nur die Ihnen sowohl als mir bekannten K[aiserlich-] K[önigliche] und bischöfliche Verordnungen es befehlen, sondern selbst die Bescheidenheit es erfodert [!], daß man niemanden in seinen Religions-Uebungen stöhre: so werden Sie mich, wenn solches von Ihrer Seite in Ansehung unserer weiter geschehen sollte, in die mir wahrl[ich] höchst unangenehme
106 107 108 109
Protokoll Stolberg reformiert vom 04.07.1809, § 12/4. Zu berücksichtigen sind auch Überlieferungslücken. Ebd., § 7. Ebd., § 9.
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5. Zwischen Konfrontation und Kooperation
Nothwendigkeit setzen, mich deshalb bey S[eine]r Excellenz dem Herrn Cultus-Minister zu beschweren“.110
Den katholischen Priester ließ die Drohung, die oberste staatliche Instanz einzuschalten, kalt. Er habe lediglich die Anordnungen seines Bischofs befolgt, hieß es.111 Einen Monat später, am 4. Juni, wiederholte sich das Schauspiel einer katholischen Prozession, die lautstark an einem reformierten Gotteshaus vorbeizog, in dem Gottesdienst gefeiert wurde. Erneut ließ Charlier die Gemeinde singen, bis die Prozession vorüber war.112 Trotz der Nähe zur Bezirkshauptstadt Köln scheint sich die dort praktizierte Veränderung der Gottesdienstzeiten bei deren versprochener Berücksichtigung durch die städtische katholische Geistlichkeit nicht bis ins nur wenige Kilometer entfernte Frechen herumgesprochen zu haben. Charlier reichte am 4. Juli Klage bei seinem Lokalkonsistorium in Stolberg ein. Wie der Vorsitzende van Alpen und der lutherische Generalpräsident Jacobi, der ebenfalls konsultiert worden war, schätzte das gesamte reformierte Lokalkonsistorium Stolberg eine erneute Beschwerde über die katholischen Prozessionen als vergeblich ein.113 Präsident van Alpen ging sogar so weit, die dauerhafte Existenz des reformierten Glaubens in Frankreich in Frage zu stellen. In Lürken, wo es einige Jahre zuvor noch Streit wegen der Kontroverspredigten gegeben hatte,114 erlaubte das die Finanzaufsicht führende Lokalkonsistorium in Stolberg das Zustandekommen eines Vertrages, der die dortige Kirche an einen interessierten Käufer abtreten sollte. Dies geschah jedoch unter dem Vorbehalt, dass „wenn etwa, was man nicht hofft und glaubt, in künftigen Zeiten die Gemeine zu Lürken das Recht ihres Exercitium religionis außer dem Hause Lürken auszuüben, verhindert werden sollte, ihr freistehen solle, die alten Gerechtsame wieder zu ergreifen“.115 Im Sommer 1809 war vor dem Hintergrund der päpstlichen Gefangennahme der Verlust eines für die Loyalität der evangelischen Pfarrer so wichtigen Grundrechtes wie der Religionsfreiheit - mit der diese Treue stand und fiel! - erneut denkbar geworden. 110 111 112 113 114
115
Brief Charlier-Brecher vom 8.5.1809, abgedruckt in: CHARLIER, Frechen, S. 100. CHARLIER, Frechen, S. 102. Ebd., S. 103. Ebd. Vgl. AEKRD 3MB 003, Nr. C-146, Hüls-van Alpen, 16.9.1805, van Alpen-Berdolet, 16.10.1805. In seiner knapp gehaltenen Antwort teilte Generalvikar Fonck van Alpen mit, er habe nicht „manqué de donner de justes reproches“ gegen den Pfarrer von Laurensberg und bedauere die „expressions, qui ne peuvent que heurter les hommes d’un autre opinion“. Fonck-van Alpen, 19.10.1805. Auch im Großherzogtum Berg häuften sich, vor allem ab 1810, Klagen über Kontroverspredigten. Dieter FROITZHEIM, Staatskirchenrecht im ehemaligen Großherzogtum Berg, Amsterdam 1967, S. 107. Protokoll Stolberg reformiert vom 04.07.1809, § 18.
5.3. Beziehungen zur katholischen Kirche
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Dies war nicht nur eine reformierte Wahrnehmung, auch der lutherische Oberpräsident Jacobi klagte über das mangelnde Entgegenkommen des Kultusministers Bigot de Preameneu, es sehe fast so aus, als wolle der Kultusminister die protestantischen Kirchen nach und nach unterdrücken. 116 Der Krefelder Lokalpräsident Johann Heinrich Nesselrath antwortete in gleichem Sinne: „Was Ew. Hochwohlgb. endlich in den mir überaus werthen Zuschriften bemerken, dass nemlich H. Minister des cultes, damit umgehe, die ganze protestantische Kirche, dem Geiste des Evangeliums zu wider, nach und nach zur ecclesiam pressam zu machen, ist leider aus dem ganzen Betragen desselben gegen den Protestantismus mehr als wahrscheinlich. Die Vorsehung Gottes, die bis hieher so sichtbar das Reich der Warheit und der Tugend erhalten hat, walte ferner über uns, beschütze die Religion seines Sohnes und erwecke ihre eifrige Verehrer, besonders auch in unseren Menschen. Ich tröste mich der Verheißung Jesu: Die Pforten der Höllen sollen sie nicht überwältigen“.117
Nesselrath hatte auch für Jacobi tröstende Worte übrig: „Ew. Hochwohlgb. stehen dem gegen Sie aufgebrachten H. Cultus-Minister noch im Wege, und Er wird sich alle Mühe geben, Sie zu stürzen, damit er weiter keine Anklagen mehr zu befürchten habe“.118
Das persönliche Missverhältnis zwischen Jacobi und dem Kultusminister Bigot de Preameneu wurde als Symptom für einen allgemeinen antiprotestantischen Habitus des späteren napoleonischen Staates gewertet. Am 25. Juni 1810 ließ der Frechener Maire abends gegen neun Uhr den reformierten Prediger Charlier auffordern, den Gottesdienst am folgenden Morgen später beginnen zu lassen, damit zunächst eine besondere Prozessionen durch den Ort ziehen konnte.119 Wenn auch äußerst kurzfristig, akzeptierte Charlier dies. Allerdings zog die Prozession nicht an der reformierten Kirche vorbei, wo der Prediger wartete. Der Gottesdienst konnte schließlich statt um neun Uhr erst um halb zwölf stattfinden. 120 Der Maire entschuldigte sich nach einer Beschwerde Charliers bei diesem, doch der reformierte Prediger erklärte verärgert, „daß wir hinfort unsere öffentl[iche] Gottesverehrung zur bestimmten und
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LIMBERG, Organisation, S. 80. LANRWR Roerdepartement 244, fol. 88, Nesselrath-Jacobi, 12.7.1813. LIMBERG, Organisation, S. 80 gibt dieses Zitat effektvoll verkürzt wieder. LANRWR Roerdepartement 244, fol. 88, Nesselrath-Jacobi, 12.7.1813. Es handelte sich dabei um junge Männer, die ihre Wehrpflicht erfüllt hatten und nunmehr nach Hause zurückgekehrt waren. Sie sollten als Schützen an der Prozession teilnehmen. CHARLIER, Frechen, S. 104.
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5. Zwischen Konfrontation und Kooperation
gewöhnl[ichen] Zeit anfangen und uns durch nichts mehr davon würden irre machen laßen“.121 In dieser Hinsicht war Charlier endgültig der Geduldsfaden gerissen, denn im Frühjahr 1811 besuchte er vorsorglich den Maire und warnte ihn, Charlier „würde ihn [den katholischen Pastor] mit dem Bischof zu Paris verklagen, wenn er uns dieß Jahr wieder störete. Der herr Maire versprach mir darauf, er würde dafür sorgen, daß wir nicht mehr würden gestöret werden“.122 Als die Prozession am 16. Juni 1811 tatsächlich stattfand, gab es keine Schwierigkeiten. Bis dahin gab es ähnliche Beschwerden auch aus der Gemeinde Roetgen bei Stolberg. „Man glaubt, daß diese Störung um soviel mehr für eine beabsichtete gehalten werden könne, als man gerade dießmal eine ganz andere Zeit zum Vorbeigange der katholischen Prozeßion an der reformirten Kirche gewählt habe“.123 In diesem Fall ist es möglich, jedoch ohne weitere Quellen nicht zu klären, dass beide Seiten Rücksicht nehmen wollten, ihre jeweiligen Gottesdienst- bzw. Prozessionszeiten, ohne dies abzusprechen, abänderten und es gerade dadurch zum Streit kam.124 Wie auch immer – Charlier war in dieser Frage ab Sommer 1810 nicht mehr bereit, sich katholischen Wünschen oder staatlichen Vorstellungen zu beugen. In seiner Niederschrift gab Charlier sich allerdings erstaunt, weil die Gläubigen in Frechen diesmal eine ganz andere Route zogen als gewöhnlich. Da jedoch bereits im Vorjahr die Prozession einen anderen Verlauf genommen hatte, scheint dieser Ausruf des Erstaunens Charliers beinahe einen Toposcharakter zu besitzen. Seine eigene Intervention bei der zivilen Mairie, die er zuvor ausführlich schilderte, nahm in seinem Erklärungsversuch für dieses Verhalten keinen Platz ein. Stattdessen äußerte er eine andere Vermutung: „Vielleicht ist das Benehmen des herrn Pastors sowohl bey der ersten, als bey der letzteren der gedachten Proceßionen auf Ordre des herrn General-Vicaires zu Aachen geschehen“.125 Charlier interpretierte die geänderten Prozessionswege als Folge eines Gesprächs, das sein Präses und Freund Heinrich Simon van Alpen mit dem Generalvikar Jean Dénis François Le Camus gehabt hatte.126 Le Camus hatte dabei erklärt, „er werde, ohne Vermittelung des Cultus Ministers, alle gehörigen Maasregeln, zur Erhaltung der Ruhe, ergreifen. […] Er werde alles thun, um den Zwistigkeiten zwischen den Katholiken und Protestanten vorzubeugen. Eine Beschwerde bei dem Kultusminister mache nur Aufsehen und 121 122 123 124 125 126
Ebd., S. 104-105. Ebd., S. 105. Protokoll Stolberg reformiert vom 03.07.1809, § 9. Ebd., vgl. ebd., § 16. CHARLIER, Frechen, S. 105. Le Camus und Fonck waren von Napoleon nach Bischof Berdolets Tod zu dessen Nachfolger bestimmt, jedoch von Papst Pius VII. nicht bestätigt worden, vgl. CHARLIER, Frechen, S. 106, Anm. 202. Thomas R. KRAUS, Die französische Kirchenpolitik und das katholische Rheinland. In: Veit Veltzke (Hg.), Napoleon. Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser, Köln [u.a.] 2007, S. 269-290, hier: S. 286.
5.3. Beziehungen zur katholischen Kirche
169
Ärgerniß“. 127 Ähnliche Auskunft habe der Aachener Pfarrer Vetter in einem zeitnahen Gespräch in Erfahrung bringen können.128 Wie im Bereich der Konversionen stellte sich im Konfliktfeld der Prozessionen im Falle des Falles bei protestantischen Pfarrern die Erkenntnis ein, dass staatliche Stellen sich entweder nicht um solche Streitigkeiten kümmern wollten oder konnten. Bei der Stadtverwaltung in Köln und der Präfektur in Aachen erlebte das Lokalkonsistorium Stolberg sogar eine barsche Abfuhr. Hingegen machte die persönliche Kommunikation zwischen Konsistorialpräsident van Alpen und Generalvikar Le Camus deutlich, dass es Gemeinsamkeiten zwischen beiden Konfessionen gab, die auch als solche begriffen wurden. Das liefert einen erstaunlichen Befund: Es gab interkirchliche Problemlösungsstrategien. Die Befürchtung einer Einschränkung der Religionsfreiheit und mangelnde staatliche Unterstützung bei Auseinandersetzungen bewirkten ein Zusammengehen. Binnen weniger Jahre hatte sich das Napoleonbild von einem Garanten zu einem potenziellen Beseitiger der Religions- und Gewissensfreiheit gewandelt. Es erscheint daher geradezu folgerichtig, dass die regionalen kirchlichen Leitungsämter den Versuch unternahmen, Zwistigkeiten ohne staatliche Vermittlung zu lösen, also als quasi rein geistliche Angelegenheit. An diesem Punkt trafen sich die ältere Auffassung der katholischen Kirche, die sich als neben dem Staat existierende Institution begriff, und die traditioneller niederrheinischer Protestanten von getrennten weltlichen und geistlichen Sphären – eben jener Sicht also, die die Geistlichen nach 1795 als vermeintlichen Grundkonsens mit der französischen Regierung ansahen. Die Tatsache, dass nach 1809 protestantische Beschwerden über katholische Prozessionen in Protokollen und privaten Aufzeichnungen fehlen, deutet auf das ähnliche Selbstverständnis der christlichen Kirchen im Roerdepartement.
5.3.3. Konfessionelle Mischehen Wirklichen Sprengstoff bot allerdings die Mischehenfrage.129 Problematisch war dabei weniger, dass es überhaupt zu Eheschließungen zwischen Katholiken und Protestanten kam, sondern vielmehr in welcher Konfession die der Ehe entspringenden Kinder erzogen werden sollten. Dabei vertrat die katholische Kirche den Standpunkt, dass für sie die Ehe ein unabdingbares Sakrament darstelle, was
127 128 129
CHARLIER, Frechen, S. 106; vgl. den Wortlaut ebenfalls beim Protokoll Stolberg reformiert vom 02.07.1811, § 5. Protokoll Stolberg reformiert vom 02.07.1811, § 5. Beispiele und Maßnahmen im Donnersbergdepartement führt SPRINGER, Fremdherrschaft, S. 348-350.
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5. Zwischen Konfrontation und Kooperation
nach protestantischen Lehren nicht der Fall sei.130 Aus dieser unterschiedlichen dogmatischen Relevanz leiteten katholische Theologen den Anspruch her, alle Kinder aus Mischehen auch in der eigenen Konfession taufen zu dürfen. Innerhalb der bestehenden Herrschafts- und Machtverhältnisse waren verschiedene Möglichkeiten der Konfliktlösung möglich: Die Kinder konnten entweder samt und sonders in einer der beiden Konfessionen getauft und erzogen werden oder entsprechend dem elterlichen Geschlecht, das heißt, Jungen im väterlichen, Mädchen im mütterlichen Bekenntnis. Das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 sah vor, die Kinder verschiedenkonfessioneller Eltern je nach Geschlecht des betreffenden Elternteils erziehen zu lassen. 131 Eine Ausnahme bildete die Provinz Schlesien mit ihrer starken katholischen Minderheit, wo ab 1803 die Regelung galt, alle Kinder in der väterlichen Konfession erziehen zu müssen.132 In den überwiegend katholischen Rheinlanden gab es mehrere gemischtkonfessionelle Regionen sowie mit Teilen des Bergischen Landes und dem Fürstentum Moers sogar überwiegend protestantische Landschaften. 133 Am linken Niederrhein war das reformierte Bekenntnis bei Protestanten das Normalbekenntnis. Das kanonische Kirchenrecht sah die Erziehung in der römisch-katholischen Konfession als conditio sine qua non für interkonfessionelle Eheschließungen an und diese Haltung war maßgeblich für die Streitigkeiten, die sich entwickelten.134 Der Versuch seitens katholischer Geistlicher, bei Mischehen Einfluss auf die Konfession von Eheleuten und Kindern zu nehmen, führte auch in Innerfrankreich seit etwa 1805 zu zum Teil tragikomischen Vorfällen.135 Bereits im Sommer 1805 – anderthalb Jahre nach der Installation der Konsistorialkirche und knapp drei Jahre nach Konkordat und Organischen Artikeln – musste sich auch das reformierte Lokalkonsistorium Stolberg, dessen Sprengel sich von Aachen bis nach Köln erstreckte, mit dem Thema der Mischehen beschäftigen. Das Lokalkonsistorium forderte seinen Präsidenten Heinrich Simon 130
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Georg May wies darauf hin, dass die Ehe für die katholische Kirche ein unabdingbares Sakrament darstelle, während für Protestanten die Ehe eine weltliche, zivilrechtliche Institution war, MAY, Das Recht des Gottesdienstes II, S. 13-16. Sie ist eindeutig kein Sakrament, besitzt aber doch eine große theologische Dignität. Eine weitere Bestimmung sah vor, dass protestantische Pfarrer Angehörigen anderer protestantischer Bekenntnisse nicht Kasualien und Sakramente verweigern dürften, vgl. GÖBELL, Rheinisch-westfälische Kirchenordnung I, S. 159. MERGEL, Zwischen Klasse und Konfession, S. 82. Ebd., S. 83 u. 334. Allgemein zu Mischehen vgl. ENGELBRECHT, Die Franzosenzeit, S. 169; Alexander CONRADY, Die Rheinlande in der Franzosenzeit (1750 bis 1815), Stuttgart 1922, S. 5. Beispielsweise informierte Polizeiminister Fouché den Kaiser Napoleon am 31. Mai 1805 über einen Fall aus einem nicht näher bestimmten Ort namens Saint-Roch, wo ein katholischer Vikar eine protestantische Braut während der Hochzeitsfeierlichkeiten „l’a menancée de l’enfer si elle ne changeait de religion“. Der Brautvater habe daraufhin den Vikar bis in die Sakristei verfolgt, bis er habe beruhigt werden können, vgl. D’HAUTERIVE, Police sècrete I, S. 453 f.
5.3. Beziehungen zur katholischen Kirche
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van Alpen auf, beim Kultusminister eine Beschwerde wegen des katholischerseits vertretenen Exklusivitätsanspruches einzureichen.136 Van Alpen erfuhr, dass der lutherische Generalpräsident Jacobi sich bereits deswegen mit dem Kultusminister in Verbindung gesetzt hatte. Portalis hatte verkündet, dass „nichts weiter in dieser Hinsicht gethan werden könne […] es sey blos Wunsch der Römischen Kirche, der nicht mit unseren neuen Gesetzen über die Freiheit des Kultus vereinbar wäre, er könne weder den Theil binden, der zu einer Religion gehöre, noch den katholischen Theil zu Handlungen authorisiren, welche den Frieden der Familie stöhren und der Christl. Liebe zuwider seyn würden“.137
Trotz dieser öffentlich publizierten Meinung des Kultusministers traten weiterhin Beschwerden auf. Johann Wilhelm Bornemann aus Sittard berichtete dem Lokalkonsistorium im Jahre 1808, dass sein katholischer Amtskollege Jacoby bei Mischehen die Taufe der Kinder nach katholischem Ritus zur notwendigen Prämisse mache. Der Pastor gab vor, „dass dieses als Gesez vom Herrn Nuntius Caprara gegeben seie“. 138 Erneut wurde van Alpen aufgefordert, sich an den Kultusminister, nunmehr an Bigot de Preameneu, zu wenden, „um diesem Umfuge zu steuern“. Hierauf erhielt er jedoch keine Antwort, wie das Konsistorium bedauernd feststellte. 139 Parallele Vorgänge gab es im Bereich des reformierten Lokalkonsistoriums in Odenkirchen.140 Um Klarheit zu schaffen, erließ der lutherische Oberkonsistorialpräsident Jacobi unter dem 12. Februar 1809 eine Zirkularverordnung betreffend gemischte Ehen.141 Jacobi erklärte darin, dass die Erörterungen des verstorbenen Kultusminister Portalis vom 25. März 1806 offenbar nicht ausreichten. Dieser hatte erklärt, dass das geforderte Versprechen zur Kindeserziehung ein bloßer Wunsch sei. Verführen Protestanten ebenso, würden Mischehen aufhören.142 Um diese drohende Gefahr zu vermeiden, stellte sich Jacobi auf einen vom Kirchenrecht abweichenden weltlich-juristischen Standpunkt, wobei er die Artikel 371 bis 373 des Code Napoléon zu Grunde legte.143 Da gemäß diesen Artikeln dem Ehemann völlige Gewalt über seine Ehefrau zukam, bestand für die Frau nur die Möglichkeit vor der Eheschließung die Berücksichtigung ihrer 136 137 138 139 140 141 142 143
Protokoll Stolberg reformiert vom 24./25.07.1805, § 14. Protokoll Stolberg reformiert vom 1./2.07.1806, § 14. Protokoll Stolberg reformiert vom 5.7.1808, § 20. Dort auch weitere Zitate. Protokoll Stolberg reformiert vom 04.07.1809, § 12/5 und § 16. Protokoll Odenkirchen reformiert vom 27.01.1808, § 4. Text im gedruckten Zirkular bei LANRWR Roerdepartement Nr. 208, fol. 15-16. Abdruck des Textes bei JACOBSON, Urkundensammlung, S. 605-609. Ebd., S. 605. Code Napoléon, Art. 371: Das Kind ist seinen Eltern in jedem Alter Ehrerbietung und Ehrfurcht schuldig. Art. 372: Bis zur Großjährigkeit oder bis zur Emanzipation untersteht es ihrer Macht. Art. 373: Während bestehender Ehe übt der Vater allein diese Macht aus.
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5. Zwischen Konfrontation und Kooperation
Wünsche schriftlich garantieren zu lassen. Nach der Eheschließung war sie ohne Rechtsanspruch. „Hieraus ergiebt sich, dass es jedem Vater frey steht, sein Kind, in welcher Religion es ihm gut deucht, taufen und erziehen zu lassen, es sey dann, dass beide Eheleute Verträge in gesetzlicher Form errichteten, wodurch festgesetzt würde, wie es mit der Religion der Kinder gehalten werden sollte“.144
Jacobi fügte hinzu, in diesem Sinne im Jahre 1808 einen Fall geschlichtet zu haben, in dem ein Vater ein Kind heimlich entführte, um es gegen den Willen der Mutter in seiner Religion taufen zu lassen.145 Außerdem verwies Jacobi auf ein kaiserliches Dekret vom 29. Oktober 1808, in dem unter anderem angeordnet wurde, dass die Vollziehung religiöser Formen freiwillig stattfinden müsse.146 Jacobi hielt konsequenterweise fest: „Wessen religiöses Gewissen nicht widerspricht, einen Menschen zu heiraten, dessen Religion eine andere ist, kann auch nicht widersprechen, wenn von der Verschiedenheit der Religion seiner Kinder die Rede ist“.147 Wenn vor der Geburt keine einvernehmliche Lösung gefunden sei, entscheide der Vater. Der Oberkonsistorialpräsident ordnete für die Lutheraner seines Bezirks dementsprechend an, dass der Pfarrer dem Brautpaar die Artikel 371 bis 373 des Code Civil vorzulesen hatte. Dem Pfarrer stünde es frei, Erläuterungen beizufügen, „wobey es bloss darauf ankommt, es recht deutlich zu machen, dass die Geistlichkeit keiner Religions-Parthey befugt sey, dem Mitglied einer andern Religion Vorschriften zu machen oder Versprechungen abzudringen“. 148 Auf Begehren sollte jedem ein Losschein erteilen werden, andernfalls eine schriftliche Erklärung mit den Weigerungsgründen. In der Regel sollte der Seelsorger des Mannes die Trauung übernehmen, derjenige der Braut lieferte den Losschein. „Wird dieser aber von der andern Religions-Parthey verweigert, so soll dieser Umstand allein nie ein Hindernis zur Einsegnung der Ehe werden, sobald alles Übrige in Ordnung ist“.149 Damit erfolgte die Unterstellung kirchlichen Rechts und alternativer Rechtsvorstellungen unter die allgemeinen Zivilgesetze. Mit Sicherheit hat auch van Alpen von dieser Anordnung gewusst, schließlich verfügte er über beste Kontakte zum lutherischen Konsistorialpräsidenten von Stolberg, Dr. Johannes Reisig, und war ein guter Bekannter des Oberkonsistorialpräsidenten. Jacobi verteidigte seine Regelung sogar gegen Napoleon höchst-
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JACOBSON, Urkundensammlung, S. 605. Ebd. Ebd., S. 606 f. Ebd., S. 607. Ebd., S. 609. Ebd.
5.3. Beziehungen zur katholischen Kirche
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persönlich.150 Im Beisein der Kölner Pfarrer Wilsing und Bruch sowie des katholischen Dompfarrers traf Jacobi im November 1811 den Kaiser bei der eingangs erwähnten Audienz in Köln. 151 Als das Thema auf die Mischehen zu sprechen kam, erläuterte Jacobi seine Anordnung, die Artikel 371 bis 373 des Code Napoléon als Grundlage zu benützen. Napoleon unterbrach ihn: „Le Code ne parle jamais de réligion; il ne le doit pas; la réligion ne l’intéresse pas; c’est une affaire de conscience“. In seiner eigenen Darstellung - im Beisein des Dompfarrers! - gab Jacobi nun folgende Antwort, die die Ursache des Problems ausschließlich den Katholiken zuwies: „Mais, Sire, les Catholiques ne veulent pas bénir les mariages mixtes, à moins, que le parti protestant ne promette que tous les enfants soient baptisés dans la réligion catholique“. Der Kaiser ließ sich davon nicht beeindrucken und stellte seine Meinung klar: „Je crois, qu’il serait juste, que les garçons suivissent la réligion du père, et les filles celle de la mère“. Napoleons persönliche Überzeugung war demnach die, dass eine geschlechterdifferenzierte Taufe, wie sie etwa im außerschlesischen Preußen die Regel war, das Optimum darstelle. Bei einer solchen Regelung sah Jacobi den häuslichen Frieden gefährdet. Eine ausweichende Antwort des Dompfarrers, dass früher Protestanten in der Region gar nicht zugelassen waren und „man sich an das Herkommen halten“ 152 müsse, ließ Napoleon nicht gelten. Er wollte wissen, was seit Karl V. die übliche Praxis gewesen sei. Der aus Pirmasens stammende Pfarrer Bruch informierte ihn über die Vielzahl der gehandhabten Möglichkeiten. In der Kurpfalz sei man ausschließlich der väterlichen Religion gefolgt, in Pfalz-Zweibrücken der vom Kaiser bevorzugten Geschlechtertrennung. Der Dompfarrer wies auf den ungemeinen Nutzen hin, den eine Absprache mit den Bischöfen haben würde. Kaiser Napoleon erklärte darauf hin: „Fort bien! Mais il faut que la chose soit arrangée à l’amiable et conformement aux usages anciens, non de la France, mais des pays ou les deux religions jouissoient des mêmes droits“.153 Über Jacobis Audienz hieß es schließlich im Protokoll der lutherischen Konsistorialkirche, „daß Ihre kaiserliche Majestaet dem Herrn Oberpresidenten bey seiner Audienz in Cöln ein günstiges Reglement wegen der gemischten Ehe versprochen hätte“.154 Ob Napoleon dabei ein Land wie Preußen vor Augen hatte, das unter Friedrich II. religiöse Toleranz gekannt hatte und auf dessen Grundgedanken das Allgemeine Landrecht zurückging, bleibt spekulativ. Faktisch blieb allerdings Jaobis Maßnahme in Kraft. 150 151
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AEKRD 4KG 008 Nr. 25, unpag., Bericht; Abdruck mit leichten Ungenauigkeiten bei Rebensburg, S. 28-33. Napoleon traf am 5. November 1811 gegen 13 Uhr in Köln ein, nahm an einer Militärparade teil und hatte danach bis zum Abend Audienzen. Am nächsten Tag zog er nach Bonn, vgl. Jean TULARD, Louis GARROS, Itinéraire de Napoléon au jour le jour 1769-1821, Paris 2002, S. 443. Ebd. REBENSBURG, Hundert Jahre, S. 32. Protokoll Stolberg lutherisch, 17.12.1811, § 3.
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5. Zwischen Konfrontation und Kooperation
In den Jahren unmittelbar nach 1810 fehlen in den Protokollen zwar konkrete Beschwerden, aber in Korrespondenzen trat das Mischehenproblem immer wieder zu Tage. Auch im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts blieb das Problem der Mischehen zunächst virulent. Als 1825 per königliche Order die preußisch-schlesische Regelung von 1803 auf die Rheinlande übertragen wurde, stellte dies demnach objektiv keineswegs ein Novum dar. Vom Code civil hergeleitet, war eine starke rechtliche Stellung des Mannes durchaus bekannt. Da jedoch keine offizielle, von Staat und Kirche oder interkonfessionell definierte Lösung existierte, bestanden nach 1811 am Rhein situative Praktiken. Insgesamt wurden mehr Kinder aus Mischehen gänzlich katholisch erzogen als evangelisch, wie eine Umfrage aus dem Jahr 1831 belegt.155 Dass speziell die katholische Kirche sich vehement gegen die vermeintlich neue Regelung stellte und ihre Anhänger mobilisieren konnte, lag an den umgekehrten Vorzeichen. In napoleonischer Zeit waren es überwiegend französische Soldaten und Beamte gewesen, die ins Rheinland kamen. Die deutliche Mehrheit der Franzosen war ebenso wie die Mehrheit der Bevölkerung in den rheinischen Departements katholisch. Das bedeutete, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein katholischer Mann eine nichtkatholische Frau heiratete, ungleich größer war als der umgekehrte Fall. 156 Die Kölner Wirren 157 in den 1830er und 40er Jahren beruhten darauf, dass die Interpretation sich umkehrte. In die Rheinprovinz entsandte die neue Regierung hauptsächlich Männer, Beamte und Soldaten aus den ganz überwiegend evangelischen Provinzen Altpreußens. Das führte dazu, dass derselbe Vorgang nun durch die katholische Kirchenobrigkeit als konfessionelle Offensive, als schleichende Protestantisierung empfunden wurde und das wohl auch zu Recht, wie Äußerungen König Friedrich Wilhelms III. nahe legen.158 Langfristig erwies sich aber das katholischerseits behauptete Unterlaufen der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit der Katholiken durch gezieltes Einheiraten von Protestanten als schlichtweg falsch.159 Eine Untersuchung aus den 1860er Jahren offenbarte, dass gerade die katholische Konfession von der patriarchalischen Rechtsnorm profitierte.160 Damit zeigt das Beispiel der Mischehenfrage, dass Napoleon selbst eine einheitliche Regelung verhinderte. Persönlich schätzte er offenbar die ge155
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157
158 159 160
Dietrich HÖROLDT, Mischehe und konfessionelle Kindererziehung im Bereich der Rheinischen Landeskirche seit 1815 (mit 15 Tabellen und 6 Schaubildern). In: RhVjBll 39 (1975), S. 147-189, hier: S. 149. Dies kann nur mit Einschränkungen für evangelische Diasporagebiete gelten: Wo kleine evangelische Gemeinden existierten, waren sie darauf angewiesen, nichtevangelische Partner zu ehelichen. MERGEL, Zwischen Klasse und Konfession, S. 82. Zum Streit vgl. Rudolf LILL, Die Beilegung der Kölner Wirren 1840-1842, Düsseldorf 1962 (Studien zur Kölner Kirchengeschichte; 6). MERGEL, Zwischen Klasse und Konfession, S. 82. Ebd., S. 83 f. HÖROLDT, Mischehe, S. 187.
5.4. Zusammenfassung
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schlechtergetrennte Konfessionserziehung, war jedoch nicht bereit, ein entsprechendes einheitliches Reglement auf- oder gar durchzusetzen. Die Alternative, die Johann Friedrich Jacobi ihm unter ausdrücklichem Bezug auf den Code civil darbot, lehnte Napoleon ab, weil er darin eine Vermischung weltlicher und geistlicher Befugnisse sah. Nach dem Besuch des Kaisers bestand daraufhin eine völlig unklare Praxis, in der es auf die Durchsetzungsfähigkeit der einzelnen Pfarrer und der hinter ihm stehenden Institution ankam. Zwischen Protestanten und Katholiken nahmen ab etwa 1808/09 die Spannungen zu, als die katholische Kirche in Widerspruch zum napoleonischen Staat geriet. Zugleich stellten beide Seiten fest, dass sie mit staatlicher Unterstützung in einer religiös neutralen Gesellschaft ihre Position nur bedingt verbessern konnten.
5.4. Zusammenfassung Gegenstand dieses Kapitels waren die interkonfessionellen Beziehungen. Die Fokussierung auf Konflikte machte deutlich, dass binnenprotestantische Auseinandersetzungen meist den Charakter von Verteilungskonflikten trugen, die um knappe Güter geführt wurden. Zugleich zeigte sich die immer wieder aufgegriffene Instrumentalisierung der Kirchenzucht, um unliebsame Gegner aus dem Weg zu räumen. So stellten sexuelle Verfehlungen fast immer einen hinreichenden Grund dar, eine Amtsenthebung einzuleiten. Die dabei entstehenden Zwistigkeiten regelten die Kirchen möglichst ohne staatliche Einmischung als Angelegenheit der Selbstverwaltung. Auffallend ist zunächst die Parallelität dieser binnenprotestantischen Konflikte zu den Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche. Obgleich die Protestanten mitunter als prostaatlich galten, erwies sich sich die Kooperation zwischen den jeweiligen führenden Köpfen – namentlich Jacobi, van Alpen und Bischof Berdolet – als erfolgversprechender, als die bis etwa 1810 immer wieder unternommenen Versuche eines Rückgriffs auf staatliche Instrumentarien. Interkonfessionelle Konflikte wurden einvernehmlich gelöst, wie etwa im Falle der Prozessionen. Wo hingegen die Staatsmacht einzugreifen suchte, wie bei Jacobis Vorschlag einer praktikablen Lösung für konfessionelle Mischehen, blieben Konflikte ungelöst bestehen. Mit dieser durchaus materiellen Sichtweise soll keineswegs eine harmonische Koexistenz zwischen den Kirchen konstruiert werden. Alle Kirchen im Untersuchungsgebiet waren sich alleine durch ihre Mitgliederzahlen ihrer eigenen Bedeutung und Situation sehr bewusst und wussten die Felder abgesteckt. Deutlich wurde dies beispielsweise bei der Demonstration des Vormachtsanspruchs durch katholische Priester durch wiederholte Prozessionen im unmittelbaren Umfeld zu evangelischen Gottesdiensten. Parallel dazu erfolgte
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5. Zwischen Konfrontation und Kooperation
der Versuch, in der Frage der interkonfessionellen Eheschließungen die Oberhand zu gewinnen. Während der daraus resultierenden Konflikte zeigte sich für die protestantischen Kirchenvertreter deutlich, dass auch ein scheinbar omnipotenter Staat kaum Hilfestellung bieten konnte, um zwischenkirchliche Konflikte zu lösen.
6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen Eine frühe Folge der Reformation war die Entstehung eines landesherrlichen Kirchenregiments.1 Im Heiligen Römischen Reich ging 1555 die geistliche Jurisdiktion an die Fürsten über, wobei in zunehmendem Maße zwischen innerer und äußerer Kirchenordnung unterschieden wurde. Terminologisch konnte sich die Differenzierung zwischen „ius in sacra“ und „ius circa sacra“ vor dem Westfälischen Frieden nicht etablieren.2 Tatsächlich wies Emil Sehling darauf hin, dass es vermutlich erst der Kollegialismus war, dessen Standpunkt eines gemeinschaftlich geleiteten Kirchenwesens die präzisere Scheidung beider Begriffe im 18. Jahrhundert ermöglichte.3 Während das ius circa sacra dem Landesherrn aus dem rechtlichen Notstand, der sich durch die Reformation ergab, die Kirchenhoheit zusprach und damit die Aufsicht, was etwa Kirchenordnungen oder Liturgie betraf, sah der Kollegialismus einen Bereich innerkirchlicher Autonomie, der innerhalb der Kirchen geregelt werden musste und keines landesherrlichen Einflusses bedurfte.4 Im Sinne der Zwei-Regimenten-Lehre, die von einer weltlichen und einer geistlichen Sphäre ausging, wurde letzterer als Dienst am Evangelium verstanden und zwar „sine vi sed verbo“.5 Im folgenden Kapitel werden zunächst pastorale Vorstellungen über die Rolle, die „Staat“ im Kirchenwesen spielen soll, skizziert. Danach werden die drei Bereiche Verfassungshoheit, Lehrhoheit und Bestätigungsrecht für Pfarrstellen zum Gegenstand der Betrachtung. Den Abschluss bildet eine Fallstudie, anhand der die Komplexität der Beziehungsverhältnisse zwischen Pfarrern und Staatsvertretern beleuchtet wird. 1
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3
4 5
Zum Kirchenregiment etwa Reinhold ZIPPELIUS, Kleine deutsche Verfassungsgeschichte: vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart, München 1994 (Beck’sche Reihe; 1041); Harm KLUETING, Art. ‚Kirche und Staat. 3. Reformation und frühe Neuzeit‘. In: RGG Bd. 4, Tübingen 2001, Sp. 1041-1042; Johannes HECKEL, Cura religionis, ius in sacra, ius circa sacra, Darmstadt 1962. Bernd-Christian Schneider, Ius reformandi. Die Entwicklung eines Staatskirchenrechts von seinen Anfängen bis zum Ende des Alten Reiches, Tübingen 2001 (Jus Ecclesiasticum; 68), S. 313. Emil Sehling, Geschichte der protestantischen Kirchenverfassung, Leipzig 1907 (Grundriß der Geschichtswissenschaft: Reihe 2, Historische Sonderwissenschaften; 8), S. 18; Michael GERMANN, Heinrich de WALL, Kirchenrecht und Staatskirchenrecht in Erlangen 1889-1986. In: Heinrich de Wall (Hg.), Bürgerliche Freiheit und christliche Verantwortung: Festschrift für Christoph Link zum 70. Geburtstag, Tübingen 2003, S. 19-49, hier: S. 29. Heinrich de Wall, Art. ‚Kirchenhoheit‘. In: RGG 4, Tübingen 2001, Sp. 1201-1202, hier: 1201. Eilert HERMS, Zwei-Reiche-Lehre/Zwei-Regimente-Lehre. In: RGG 8, Tübingen 2005, Sp. 1936-1941, hier: S. 1937.
178
6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen
6.1. Das Verhältnis von Staat und Kirche aus pastoraler Sicht In einem kollegial geprägten System, wie es am Niederrhein bis ins frühe 19. Jahrhundert bestand, schwebte lutherischen wie reformierten Pastoren die Scheidung in einen kirchlichen Bereich und einen christlich geprägten Staat vor. Konsequenterweise sind Äußerungen niederrheinischer Geistlicher über politische Ordnungsvorstellungen oder wenigstens das Verhältnis zwischen Kirche und Staat selten anzutreffen. Den politischen Wechsel konnten Pfarrer hinnehmen, weil er zum Einen in manchen Gebieten einher ging mit der Ausbreitung protestantischer Religionsausübung. 6 Zum Anderen nahm die französische Regierung (auch nicht die Besatzungsverwaltung) keine Abänderung innerhalb der kirchlichen Organisation vor, sondern beließ alles in dem Zustand, wie es war. Das Gesetz vom 21. Februar 1795 schrieb sogar die Trennung von Staat und Kirche vor. Im Kirchenwesen selbst herrschte traditionell relativ große Autonomie (s. Kapitel 2), die bis in die Ära der Organischen Artikel mit einigen Einschränkungen gerettet werden konnte. Weitergehende Vorstellungen über das Verhältnis zwischen den beiden Institutionen lagen nicht vor. Dass die Regierung ihre eigenen Ziele verfolgte, war Pfarrern dabei durchaus bewusst. Der vom aufklärerischen Rationalismus geprägte Matthias Daubenspeck aus Homberg bei Moers schlug beispielsweise eine staatliche Besoldung vor, um moralisch integere Personen für den Pfarrberuf zu interessieren, denn ansonsten würden „sich wenig gutdenkende und aufgeklärte Leute diesem Amte widmen“, „von denen also die Gemeinde auch den Nutzen nicht hat, den sie nach der Absicht des Gouvernements haben sollte“ 7 . Daubenspeck ging definitiv davon aus, seitens des Landesherrn in Dienst genommen zu werden und bei ihm lag ein offener Wille zur Instrumentalisierung vor. Um diesen Zweck zu erreichen, setzte Daubenspeck sich dafür ein, dass der Staat die Pfarrer, „die in einem gewißen, ihnen angewiesenen Kreise [d.h. in ihrem Kirchspiel] für die Aufklärung und Sittlichkeit der Staatsbürger zu sorgen hätten, für Staatsdiener erkläre und als solche behandele“.8 Somit könnten „sittenlose Wüstlinge“ aus dem Amt ferngehalten werden. Zugleich wäre damit auch der Rechtsstatus von Protestanten als tolerierte Religionsgemeinschaften garantiert. Gegenüber weiteren Eingriffen in das Kirchenwesen verwahrte er sich jedoch. Er berief sich dabei auf den „ersten Grundsatz der Protestanten“:
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CHARLIER, Frechen, S. 91. ROTSCHEIDT, Verbeßerung, S. 304 f. Ebd., S. 307.
6.1. Das Verhältnis von Staat und Kirche aus pastoraler Sicht
179
„‚Halte nichts für Religion, als was Jesus und seine Apostel dich als solche lehrten, und suche deine Kenntniße von diesen Lehren immer mehr zu erweitern und zu berichtigen!’ - Man zwänge also nur keine Gemeinden oder Lehrer in vorgeschriebene Simbolen [!]; man gebe nur keine Religions-Edikte; man laße Gemeinden und Lehrern nur die evangelische Freiheit; man stütze nur wieder ihr hie und da baufällig gewordenes Kirchengebäude; man mache ihnen nur wieder neuen Mut, so werden sie sich gewiß nach und nach schon von selbst zu dem Lichte einer vollkommeren Erkenntniß erheben und ihren Gottesdienst ebenso“.9
Daubenspecks 1801 gemachten Äußerungen stehen völlig auf dem Boden bisheriger Erfahrungen und Vorstellungen über das Verhältnis von Staat und Kirche.10 Gleich einer Art Nachtwächterstaat hat die Regierung zwar für die materielle Sicherheit und die Durchsetzung von kirchendisziplinarischen Maßnahmen zu sorgen, hat im Gegenzug dafür jedoch nur die Zusage, dass Pfarrer für ihn beten und die öffentliche Meinung günstig beeinflussen. Keine Bestätigung oder Einsetzung von Pfarrern, keine Verpflichtung auf den frühneuzeitlichen Bekenntniszwang - irgendwelche Rechte, gleich welcher Art, innerhalb des Kirchenwesens sah Daubenspeck, der im Namen ungefähr des ehemaligen Fürstentums Moers sprach, für die Regierung nicht vor. Wie wirkmächtig die reformierten Ideen aus Moers ebenfalls bei Lutheranern waren, zeigen die Ausführung Christian Gottlieb Bruchs aus dem Jahr 1807. Auch Bruch geht von zwei Sphären aus: „Doch Christi Reich ist nicht von dieser Welt! Von der weltlichen Macht unabhängig, für jede Regierungsform zuträglich, bildet seine Religion das Herz des Menschen, und wenn auch die Regierungen nichts für die Beförderung dieser ihnen doch selbst äußerst nützlichen Anstalt thäten, so würde sie dennoch im Stillen tausenderlei Gutes stiften. Nie möge man darum dieser Religion unsers Herrn ursprünglich einwohnende Würde verkönnen (!), nie sie zum bloßen Werkzeug der Politik erniedrigen“.11 Gegen eine reine Instrumentalisierung verwahrte er sich, hatte jedoch nichts gegen eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung im christlichen Sinne durch die Pfarrer selbst. Bruch deutete an, dass er eine Republik als den protestantischen Kirchen am ehesten entsprechend ansah: Von zu erwartendem lutherischen Obrigkeitsdenken und blindem Gehorsam gegenüber der weltlichen Autorität keine Spur. Hatte Beaufort noch bemerkt: „Die ersten Magistratspersonen Roms, bekleidet mit der höchsten Gewalt, waren auch oberste Priester“, so reagierte Bruch darauf barsch: „Dieses war in den Zeiten der römischen Republik der Fall nicht. […] In der Folge, da die Kaiser alle Würden in ihrer Person vereinigten, da suchten sie auch immer das Pontificat in denselben Kranz einzuflechten“.12 Somit erschien 9 10 11 12
Ebd., S. 308. Vgl. MAST, Kreissynode, Bd. II, Heft 1, S. 4-9. BRUCH, Vorschläge, S. 7 f. Ebd., S. 9 f.
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6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen
Bruch die Römische Republik den kirchlichen Verhältnissen eher zu entsprechen, weil das Imperium die Vereinigung weltlicher und geistlicher Spitze unternahm. Die Religionsfreiheit gehörte für Bruch zu den „unveräußerliche[n] Rechte[n] des freien Denkens und Glaubens“13. Dieses Recht sah er durch die Teilung in eine weltliche und geistliche Leitung am besten gewährleistet. Denn in der Vermischung beider Bereiche erblickte der Seelsorger Bruch vor dem Hintergrund der erwähnten aufklärerischen Kollegialtheorie eine soziale Konstruktion (Hervorhebung durch den Autor): „Man erfand endlich das System von einer stillschweigenden Uebertragung der Collegialrechte von Seiten der Kirche an ihre Obrigkeit und auf diese Weise vermischten sich in den Geschäften der angeordneten Consistorien die Ausübung des Landesherrlichen Rechte circa sacra, und die der Collegialrechte der Kirche, so, dass man nur mit Mühe dieselben zu unterscheiden im Stande war“.14 Er folgert: „Von Anfang aber, möchte ich hier auch sagen, ist’s nicht also gewesen“. 15 Eine solche Konstruktion könne auf Dauer nicht funktionieren. Napoleon hingegen habe seine Herrschaft „dauernd gemacht durch das Grundgesetz einer freien Religionsausübung. O man frage die rechtschaffenen Diener der Religion, ob sie nicht alle in dieser Gewissens- und Gottesdienstlichen Freiheit Napoleons großes Verdienst um das Wohl seines Volkes erkennen?“16 Das Ganze kulminierte in dem Ausruf: „O wahrlich! Seegen auf Napoleon den Großen! Den Wiederhersteller der Religion, den Stifter einer allgemeinen Religionsfreiheit in Frankreich!“17 Durch die Organischen Artikel „beschränkt sie selbst [die Regierung Napoleons] doch wieder eben da ihre Macht, wo die Natur einer kirchlichen Gesellschaft, die Gewalt des weltlichen Herrschers ablehnt, und gibt den Gemeinen und den Consistorien als Repräsentanten der Gemeinen, die ganze Ausübung ihrer Collegialrechte hin. Selbst wählte die Kirche ihre Lehrer, selbst verwaltet sie ihre Güter, selbst übt sie ihre Disciplin: und wo nun irgend Beschränkungen in der Uebung dieser Collegialrechte der Kirche Statt finden mögen, sicherlich liegt ihr Grund weder im Geist, noch im Buchstaben der Organischen Artikel des protestantischen Cultus“ (Hervorhebung im Original).18 Beauforts grundsätzliche Frage, „ob, nämlich, dem weltlichen Fürsten, als solchem, auch die geistliche Gewalt zustehe“, verneinte Bruch entschieden. „Die Befugnisse und Rechte des Fürsten in Kirchensachen, sind, ihrer Natur nach, ganz andere, als die der Gemeinen, ganz andere als die der Lehrer, und wenn es nach römisch-katholischen Principien eine wahre Apostasie ist, weltlichen Fürsten die Regierung der Kirchen übertragen zu wollen; so kann nach protes13 14 15 16 17 18
Ebd., S. VIII. Ebd., S. 77. Ebd., S. 77. Ebd., S. 58. Ebd., S. 60. Ebd., S. 79.
6.1. Das Verhältnis von Staat und Kirche aus pastoraler Sicht
181
tantischen Grundsätzen, eine solche Uebertragung ebenfalls nur als Nothbehelf entschuldigt werden. – Besser, und nach reinern Grundsätzen aber, ist die Kirche organisirt, wenn in ihr dasjenige abgesondert administrirt wird, was verschiedenen Individuen abgesondert, von Rechts wegen zusteht“. 19 Die sorgfältige Trennung in den Aufgabenbereich des Staates und den der Kirchen sah Bruch als wesentlich an. Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert waren kollegialistische Vorstellungen in den niederrheinischen Kirchen virulent. Die große Bibelnähe, die in älterer Literatur oftmals als pauschales Kennzeichen des niederrheinischen Protestantismus interpretiert wird,20 kann damit auch als Transformation von Ideen des aufklärerischen Kollegialismus in den Code, also in die Pragmatik von Theologen gesehen werden. Zu Beginn der napoleonischen Herrschaft, die im Februar 1800 das Kollegialsystem zugunsten monokratischer Strukturen in der Verwaltung abgeschafft hatte, war damit bereits ein Rahmen gesetzt, innerhalb dessen protestantische Kirchen bestehen wollten. Das zeigen auch Bruchs Äußerungen aus dem Jahr 1807, in der er in einer öffentlichen Schrift die Strukturen der römischen Republik lobte und indirekt Kritik an einer zu starken Verbindung zwischen Kirche und Staat übte. Genau in diesem skizzierten Sinne empfanden Pfarrer auch staatliche Eingriffe als Zumutung. Während des Konfliktes zwischen Fues und von Rade in Gemünd hatte letzterer ein Papier an das Kirchenportal geschlagen, indem er den überraschten Gemeindegliedern die Kirchennutzung untersagte. Dazu erklärte von Rade: „Ich bitte jeden aus unserer Mitte, so lieb ihm seine Ruhe und sein Vermögen ist, die weitere Erklärung der Regierung durch mich geduldig abzuwarten“.21 Nachdem Maire Augustin die Bekanntmachung hatte abnehmen lassen, erhielt er Besuch von Pfarrer von Rade, der ihn zur Rede stellen wollte. Maire Augustin berichtete hierüber an von Rades Vorgesetzten Jacobi: „Ich hielte ihm vor, dass es gesetzwiedrig war, solches aufzuschlagen, wo über er mit antwortete, dass er dazu den Befehl der Regierung hatte, welche er mir nicht brauchte zu zeigen“.22 Augustin vermutete eine taktische Finesse und schrieb daher an Jacobi. Dieser wies von Rade zurecht, dass er nicht, wie ihm mündlich angeordnet, „das Consistorium zusammen […] berufen“, sondern „durch eigenen Geist“ den „Gottesdienst eigenmächtig suspendirt“ habe.23 Pfarrer von Rade musste deutlich gemacht werden, wie er sich gegenüber den Anweisungen seines Vorgesetzten und Anfragen staatlicher Stellen zu verhalten habe. Da es auch weiterhin Probleme gab, wurde er schließlich im folgenden Jahr auf Gemeindewunsch abgesetzt. 19 20 21 22 23
Ebd., S. 79. So beispielsweise bei KRUMMACHER, Gottfried Daniel Krummacher und die niederrheinische Erweckungsbewegung. LANRWR Roerdepartement 231, fol. 23-24, Augustin-Jacobi, o.D. Ebd. LANRWR Roerdepartement 231, fol. 28. Jacobi-von Rade, 29. Nivose XIII (21.10.1804).
182
6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen
Die meisten Pfarrer scheinen Anweisungen staatlicherseits zunächst Folge geleistet zu haben. Sie wollten aber keine Vermengung geistlicher und weltlicher Angelegenheiten, wie sich etwa an den Protesten gegen das Vorlesen von staatlichen Anordnungen oder Regierungsdekreten in den Kirchen manifestierte. Beschwerden hierüber häuften sich im gesamten linksrheinischen Gebiet derart, dass schließlich Generalgouverneur August von Sack am 21. August 1814 verkündete, dass „in der Regel zivile Anweisungen nicht von den Kanzeln verlesen werden sollen, jedenfalls nicht ohne Befehl der zuständigen geistlichen Stelle“.24
6.2. Das Synodenverbot Aber solche kleineren Übergriffe staatlicher Stellen waren hinzunehmen, immerhin warben Geistliche auch ohne zu Zögern für die Kuhpockenimpfung und die Stellung zur Wehrpflicht und verkündeten damit ebenfalls staatliche Anweisungen (siehe Kapitel 4.1). Weitaus problematischer war jedoch eine grundsätzliche Verweigerungshaltung des Kultusministers, die versprochenen und gesetzlich vorgeschriebenen Synoden tagen zu lassen. Gemäß Organischen Artikeln sollte eine Synode fünf Konsistorialkirchen - also 30.000 Gläubige – umfassen.25 Als Mitglieder waren jeweils ein Pfarrer und ein Notabel oder Ältester jeder zugehörigen Konsistorialkirche vorgesehen, also zehn Personen. Diese Synoden „vielleront sur tout ce qui concerne la célébration du culte, l’enseignement de la doctrine et la conduite des affaires ecclésiastiques“.26 Für sämtliche Entscheidungen war die Genehmigung durch die Regierung obligatorisch. Sie durften ferner nur mit Zustimmung der Regierung zusammentreten und zwar nur im Beisein des Präfekten oder eines Unterpräfekten oder eines ausdrücklich beauftragten Stellvertreters. Es handelte sich somit keineswegs um die Synoden früherer Epochen, die die Basis des kirchlichen Lebens sowohl in Frankreich als auch am Niederrhein darstellten. Die Regierung selbst beschränkte die Kompetenz auf rein innerkirchliche Angelegenheiten und musste sich daher gefallen lassen, wenn diese Beschränkung umgekehrt auch gelten sollte, wie Daubenspeck es meinte: In den kirchlichen Bereich sollte sich die Regierung nicht einmischen.27
24
25 26 27
Journal des Nieder- und Mittelrheins vom 30.8.1814. Interessant erscheint Grafs Bemerkung, dass sich die Kirchen nach dem Russlandfeldzug wieder füllten „auch wegen der hier zu erlangenen Informationen“. GRAF, Gottesbild, S. 34. Die relevanten Artikel waren Art. 15, 17 und 29 bis 32. Dort auch das nächste Zitat. Artikel 30 des Kultusgesetzes. Erwin MÜHLHAUPT, Rheinische Kirchengeschichte: von den Anfängen bis 1945, Düsseldorf 1970 (SVRKG; 35), S. 256 bezeichnet die französische Herrschaft als „die Zeit der kleinen Leute, der kleinen Dinge und Horizonte.“
6.2. Das Synodenverbot
183
Trotz dieser überaus starken Restriktionen trat in napoleonischer Zeit keine einzige Synode zusammen.28 Tatsächlich sollte es in Frankreich bis ins Jahr 1848 dauern, bis eine Synode zusammentreten konnte. Sämtliche Versuche seitens der Reformierten, die versprochenen kirchlichen Versammlungen einzuberufen, scheiterten.29 Weder Kultusminister Portalis noch dessen Nachfolger Bigot de Preameneu gestanden den Reformierten dieses Hauptanliegen zu. 1806 schrieb Portalis an den Präfekten der Drôme, den er drei Jahre zuvor scharf ermahnt hatte (siehe Kapitel 3): „J’ajouterai confidentiellement et pour vous seul, que ce n’est pas au sortir d’une révolution orageuse, que les catholiques commes les protestants doivenet espérer bientôt des assemblées du clergé“.30 Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Konfessionen trug mit dazu bei, gesetzlich verbriefte Einrichtungen weder für Protestanten noch für Katholiken zu dulden. Noch im Jahre 1824 hieß sogar ganz offen in einer internen ministeriellen Auslegung der Organischen Artikel über die Konsistorialkirchen: „Leur état d’isolement garantit mieux leur tranquilité, résultat de la faiblesse“.31 Bereits die Konferenz der französischen Konsistorialpräsidenten im Dezember 1804 hatte angesichts der nicht eingerichteten Synoden den Versuch unternommen, ganz Frankreich auf Grundlage der Departementalgrenzen in Bezirke einzuteilen. Innerhalb dieser in den Organischen Artikeln nicht vorgesehenen Bezirke sollten sich die Konsistorialkirchen in eiligen Fällen besprechen können, um eine abgestimmte Meinung nach Paris senden zu können.32 Auch die weiter oben beschriebenen Bemühungen Rabaut-Dupuis zur Einführung der lutherischen Hierarchie für das reformierte Kirchenwesen scheiterten. Allerdings entwickelte sich das Pariser Lokalkonsistorium in den folgenden Jahren zu einem Koordinationszentrum für die Reformierten aus ganz Frankreich.33 Diese Verbindungen sind vereinzelt ebenfalls im Roerdepartement aufgegriffen wurden.34 Auch in den linksrheinischen Departements hatte das Bedürfnis bestanden, die Lokalkonsistorien zu vereinheitlichen. So konstatierte das reformierte Lo28
29 30 31 32 33
34
BECKER, Funktionaler Laizismus, S. 328; JACOBSON, Geschichte der Quellen, S. 785ff; ROBERT, Réformées, S. 91 ff.; DUDA, Organisation, S. 89; Guillaume de FELICE, Histoire des protestants de France, depuis l’origine de la réformation jusqu’au temps présent, Paris 1850, S. 577 f.; André ENCREVE, L’expérience et la foi: pensée et vie religieuse des huguenots au XIXe siècle, Genève 2001; ders., Les protestants en France de 1800 à nos jours, Paris 1985. ROBERT, Réformées, S. 91 ff. DUDA, Organisation, S. 90. Zitiert nach DUDA, Organisation, S. 90, Anm. 255. AEKRD 3MB 006 Nr. 64, Protokoll der Konferenz der Konsistorialpräsidenten. Rabaut bot seine Dienste gegen ein Entgelt von 1% der jährlichen Konsistorialeinkünften. Zu den Vorschlägen der Gebrüder Rabaut auf der Konferenz der reformierten Konsistorialpräsidenten in Paris anlässlich der Kaiserkrönung vom 28.11.-21.12.1804 vgl. AEKRD 3MB 006 Nr. 64. Protokoll Stolberg reformiert vom 1./.2. Juli 1806, § 19-5; Odenkirchen reformiert vom 19. Dezember 1809, § 5; Stolberg reformiert vom 7. Juli 1807, § 11-5; ebd. vom 5. Juli 1808, § 16.
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6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen
kalkonsistorium Stolberg in der Sitzung vom 1. und 2. Juli 1806: „[Das] Consistorium fühlt sich durch die Auflösung der sanften Bande, welche ehemals die Jülicher, Clever, Bergische und Marckische Synoden umschloßen, zu sehr isoliert35 und wünscht eine Annäherung der übrigen 4 Consistorien unsers Departements, beschließt deswegen, daß der Herr Praesident die Sache einleiten und mit ihnen in Correspondenz treten soll“. 36 Präsident van Alpen nahm Kontakt mit den übrigen Konsistorialpräsidenten auf; auf Einladung des Moerser Präsidenten Diergardt traten die Präsidenten am 24. Juni 1807 in Krefeld zusammen.37 Teilnehmer waren die Konsistorialpräsidenten Johann Heinrich Heilmann, Heinrich Simon van Alpen, Peter Wasserfall, Heinrich Diergardt und Peter Neumann. Ferner nahmen Teil die Pfarrer Johann Heinrich Mische, Adam Eberhard Zillessen, Adolf van Essen und der spätere Generalsuperintendent der Provinzen Rheinland und Westfalen, Gottfried Wilhelm Roß. Sie beschlossen, dass Entwürfe für ein Konsistorialreglement getätigt werden sollten, „um eine Uebereinstimmung in der Administration der Konsistorialkirchen, soviel es nach Lokalverhältnissen möglich ist, einzuführen“.38 Eine Vereinheitlichung erreichten die reformierten Konsistorien in der Folgezeit jedoch nicht. Zwar debattierte die Klever Konsistorialkirche bereits seit ihrer ersten ordentlichen Sitzung im Juni 1806 über ein „Projekt zum Reglement für die reformierten Konsistorialkirchen des Roer-Departements“, das vermutlich aus Moers stammte.39 Doch verlief die ganze Angelegenheit aus nicht nachvollziehbaren Gründen im Sande. Parallele Vorgänge aus dem Raum Speyer führten gleichfalls ins Leere.40 Auch die im Juni 1806 unternommenen Versuche von Konsistorialpräsident Weber eine Synode in Zweibrücken bilden zu dürfen, wurden trotz Befürwortung durch den Saarpräfekten abgelehnt.41 Es gehörte im 18. Jahrhundert zu den Instrumentarien katholischer Herrschaftsausübung in Frankreich, aber auch in Pfalz-Zweibrücken und Kurpfalz, den Reformierten die Synodentagung zu untersagen. Durch den selbstgesetzten 35
36 37 38 39 40
41
Ähnlich fasste der lutherische Kölner Prediger Bruch die Isolation auf: „Aus des Hrn. Rabaut Annuaire etc. sieht man, dass die reformirten Kirchen des Reichs, früher miteinander in Verbindung getreten sind. Die evangelischen aber wissen beinahe noch nichts voneinander. Sollte eine allgemeine Verbindung nicht ersprießliche Folgen haben?“, vgl. BRUCH, Vorschläge, S. 78. Protokoll Stolberg reformiert vom 1./2. Juli 1806 § 21; vgl. die halb-regestierte Fassung bei DUDA, Organisation, S. 90. Text der Konferenzniederschrift im Protokoll Stolberg reformiert vom 7. Juli 1807, § 19; Abdruck bei JACOBSON, Urkundensammlung, S. 618 f. Ebd. DUDA, Organisation, S. 91. Am 30. September 1809 traten in Freinsheim die sechs reformierten Konsistorialpräsidenten zu einer parallen Konferenz zusammen, vgl. DUDA, Organisation, S. 91; Teilabdruck des Protokolls bei MÜLLER, Vorgeschichte, S. 211, Anm. 278. LHAK, Best. 276, Nr. 603, Unterpräfekt Birkenfeld-Präfekt Trier, 13.6.1806 mit Petition Webers vom 10.6.1806; Konzept Präfekt Trier-Portalis, 29.9.1806.
6.3. Das Verbot des Heidelberger Katechismus 1812
185
Zwang zur Parität setzte sich die napoleonische Regierung in eine gefährliche Traditionslinie mit früheren Landesherren. Gerade weil die Gleichheit aller durchgesetzt werden sollte, führte dies zu einer schleichenden Distanzierung zwischen Reformierten und dem ihnen ansonsten durchaus wohlwollend gegenüber stehenden napoleonischen Staat. Der mangelhafte Aufbau der Kirchenstrukturen und das Scheitern von verschiedenen lokalen Initiativen ließen die gesetzlich verbrieften Synoden zu „synodes-fantômes“ (Robert) werden.42 Dieses „uneingelöste Erbe Napoleons“ (Schunk) wirkte als kontinuierlicher Hemmfaktor einer Integration der Reformierten in das napoleonische Frankreich.43
6.3. Das Verbot des Heidelberger Katechismus 1812 Betraf die Frage der Synoden eine institutionelle Frage, so berührte das Verbot des Heidelberger Katechismus die grundsätzliche Frage nach den Grenzen von Religionsfreiheit. Der folgende Abschnitt behandelt das Verbot des Katechismus und stellt am Beispiel des Lokalkonsistoriums Stolberg detailliert den Verlauf des Konflikts dar. Der Konflikt um den Heidelberger Katechismus ist beinahe so alt wie er selbst. 1563, auf einem Höhepunkt religiös-konfessioneller Auseinandersetzungen verfasst, wurde ihm in der dritten Auflage die berüchtigte achtzigste Frage eingefügt, die da besagte, dass die katholische Messe das einmalige Opfer Jesu verleugne und eine „verdammenswerte Abgötterei“ sei.44 Bezeichnete der Katechismus eine Praktik als „Abgötterei“, so hatte unmittelbar zuvor das katholische Konzil von Trient Nichtkatholiken als Personen verdammt.45 Diese Argumentation war allgemein bei den Reformierten verbreitet. So schrieb Präsident Heilmann (Krefeld): „Die starken Ausbrüche in der 80. Frage“ seien „ursprüngl. nicht darin gewesen, sondern erst auf Befehl des Churfürsten von der Pfalz 42 43 44
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ROBERT, Réformées, S. 71. SCHUNK, Pfälzischer Protestantismus, S. 338. Allgemein zum Thema Wulf METZ, Art. Heidelberger Katechismus I: Kirchengeschichtlich. In: TRE 14 (1993), S. 582-586, besonders 585. Zur Entstehung der 80. Frage vgl. Ulrich BEYER, Abendmahl und Messe: Sinn und Recht der 80. Frage des Heidelberger Katechismus, Neukirchen-Vluyn 1965 (Beiträge zur Geschichte und Lehre der Reformierten Kirche; 19), S. 13 ff. Van Alpens Freund schildert in seiner Reformationsgeschichte gerade dieses Argument ausführlich: „Ich zeigte ferner, daß das Conzil von Trident im Jahr 1563 zu der Fassung dieser 80. Frage selbst Veranlassung gegeben habe, indem es in seiner 13. Sitzung im 5. Canon nicht nur über die Lehre, sondern auch über die Personen aller Nicht-Katholiken seine Anathema ausgesprochen habe; die Verfasser des heidelbergischen Katechismus dagegen in der 80. Frage nur ihre Meinung über die Lehre von der Messe ausgesprochen hätten, ohne irgend einen Menschen zu verdammen.“ Vgl. RECKLINGHAUSEN, Reformations-Geschichte III, 1837, S. 387-388.
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6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen
hineingekommen u. zwar gegen das Anathema“, das „die Protestanten im trident. Concilie“ verdammte.46 Soll heißen: Die Aggression sei ursprünglich von katholischer Seite ausgegangen. In seiner Wirkungsgeschichte erlebte der Heidelberger Katechismus immer wieder Dekrete in katholischen Monarchien mit protestantischen Untertanen, die ihn einziehen und seinen Gebrauch verhindern sollten. Gerade seit 1750 hatte die französische Monarchie wiederholt versucht, dessen Verwendung zu unterbinden. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts hatte es derlei Bestrebungen im Elsass gegeben. 1779 ordnete König Ludwig XVI. in den an Frankreich abgetretenen kurpfälzischen Ämtern Hagenbach und Selz ein Verbot an. Noch im Jahr des Toleranzediktes unternahm er einen entsprechenden Anlauf in den unter französischer Souveränität stehenden pfalz-zweibrückischen Ämtern Kleeburg und Katharinenburg. Eine Folge hiervon war der letztendlich gescheiterte Versuch, einen gemeinschaftlichen evangelischen Katechismus für Pfalz-Zweibrücken zu entwerfen.47 Dieser scheiterte, weil vor allem das reformierte Oberkonsistorium Befürchtungen über die Folgen hatte. Es traute dem katholischen Kurfürsten Karl Theodor zu, dass dieser nach einer Vereinigung beider protestantischer Kirchen deren Rechtsstatus und Vermögensverhältnisse massiv mindern könnte, da die allgemein gültigen Reichsgrundgesetze keine vereinigten protestantischen Kirchen kannten, sondern deren Rechte von den „symbolischen Büchern“ herleitete und mithin konfessionelle Pluralität der protestantischen Lehren voraussetzte. Bevor auf den Umgang mit dem Verbot des Heidelberger Katechismus von Seiten der reformierten Pfarrer eingegangen werden kann, muss noch auf einen Aspekt verwiesen werden, der zum Verständnis der Schärfe des Konflikts notwendig ist. In der Besatzungszeit hatte der zeitweilige Pfarrer von Uedem, Gottfried Menken, kurz nach seinem Wechsel nach Bremen, konstatiert, die Wiederherstellung einer heiligen Ordnung gemäß Gottes Wort sei „schwer […], denn da man von Jugend auf zu einem Leben ohne alles Rücksichtnehmen auf Gott gewohnt ist, so ist die erste und meiste Sorge, wie man sich dieser Welt gleichstellen, wie man dem Zeitalter gefallen wolle“.48 In seinen beiden Schriften „De fuga templi“ (1807) und „Josias“ (1814) trat der lutherische Pfarrer Scheibler in Monschau vehement dafür ein, „dass der Jugend Religionskenntniss und Reli-
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AEKRD 4KG 008 Nr. 26, Heilmann-Kramer, 15.4.1812. Vgl. zu den verschiedenen Versuchen den Überblick bei Johannes MÜLLER, Vorgeschichte, S. 74-84. MENKEN, Sieg der Gottlosen, S. 6-7.
6.3. Das Verbot des Heidelberger Katechismus 1812
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gionsgefühl beygebracht werde“. 49 Bereits 1802 hatte er in einer öffentlichen Predigt beklagt, „daß Kinder aufwachsen ohne christlichen Unterricht“.50 Ein gewisser Vorteil ergab sich für die protestantischen Primärschulen, die „den Charakter der Pfarrschulen zu bewahren gewusst“ haben.51 Somit behielten die evangelischen Pfarrer weiterhin weitgehend unbeschränkten Zugriff auf die schulische Ausbildung.52 Auch prüften und wählten sie weiterhin Schullehrer.53 Prediger Gottfried Wilhelm Roß aus Budberg äußerte sich im Jahre 1820 über das Bestreben der Kirchengemeinden, weiterhin Zugriff auf die Schulen zu besitzen: „Die Lehrer hätten verhungern müssen, wenn die Kirchengemeinden ihre von der Kirche herkommenden Gehälter und Wohnungen eingezogen hätten“.54 Wie wichtig gerade das Schulwesen war, erklärte Jacobi in einem Zirkular vom 15. Juli 1812: „Niemals waren Kirchen und Schulen bei den Protestanten voneinander getrennt, vielmehr waren sie […] stets notwendig mit der Kirche verbunden“. Dem Lehrer obliege die Vorbereitung zur „Umwandlung des stets mehr zum Bösen wie zum Guten geneigten Menschen“ in der frühzeitigen Vorbereitung der Jugend zur „Verehrung der Bibel als dem Buch der Bücher […]
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SCHEIBLER, De fuga templi, Sulzbach 1807; ders., Josias seu de restituendo die cultu sistendaque templorum fuga ad Principes Oratio, Sulzbach 1814. Vgl. hierzu auch die zeitgenössische Rezension in der Leipziger Literatur-Zeitung vom 28.03.1815, Sp. 591-592. SCHEIBLER, Predigt, 1802, S. 7. Clemens Theodor PERTHES, Politische Zustände und Personen in Deutschland zur Zeit der französischen Herrschaft. 2 Bde. 2. Aufl., Bonn 1862, 1. Bd., S. 324. Vgl. hierzu das Zirkular des Oberpräsidenten Jacobi vom 15.7.1812, abgedruckt bei JACOBSON, Urkundensammlung, 1844, S. 611. Als Original in AEKRD 4KG 008 Nr. 26. Georg MAY, Das Recht des Gottesdienstes, S. 312 spricht gerade im Schulwesen von einer systematischen Bevorteilung von Protestanten gegenüber Katholiken, freilich ohne Belege zu nennen. PERTHES, Politische Zustände; CHARLIER, Frechen, S. 107 f. Vgl. auch hierzu ZIMMERMANN, Lehrerbildung, besonders S. 93 und 98. Hingegen erweckt die Studie von Otto FRIEDRICHS, Das niedere Schulwesen im linksrheinischen Herzogtum Kleve 1614-1816. Ein Beitrag zur Regionalgeschichte der Elementarschulen in Brandenburg-Preußen, Bielefeld 2000 (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar; 5), aufgrund seiner begrenzten Quellenauswahl den Eindruck, als sei das Elementarschulwesen eine beinahe ausschließlich katholische Veranstaltung gewesen. Trotzdem gilt zu berücksichtigen, dass nicht jede protestantische Gemeinde auch zwangsläufig eine eigene Schule besaß. So führte eine Übersicht für die lutherische Konsistorialkirche Krefeld vom Mai 1809 nur Lehrer für Wesel, Kleve und Pfalzdorf auf; in Krefeld, Geldern, Neuss und Köln gab es keine lutherischen Lehrer. Weitere Angaben fehlen, vgl. LANRWR Roerdepartement 237, fol. 86, Tabelle der öffentlichen Primair-Schullehrer in der Consistorial-Kirche der Augsburgischen Confessions-Verwandten zu Creveld im Roerdepartement. Eine Übersicht nur der Konsistorialkirche Stolberg von 1809 vgl. AEKRD 3MB 003 Nr. A-25, unpag. Für das Rhein-Moseldepartement (1809) siehe LANRWR Roerdepartement 208, fol.20, Etat général des instituteurs protestans de la confession d’Augsbourg. Vgl. beispielhaft LANRWR Roerdepartement 244, fol. 62-63, Verbalprozeß der Prüfung des Peter Johann Thamerus, 16.3.1813. Rheinisch-Westfälischer Anzeiger 1820, S. 652-657. Vgl. ZIMMERMANN, Lehrerbildung, S. 93.
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Die religiöse Erziehung ist mit der sittlichen ganz identisch und der wissenschaftlichen förderlich und nützlich“.55 So ist verständlich, wenn in der Literatur immer wieder darauf hingewiesen wird, dass Pfarrer dieser Epoche sich ganz bewusst und „mit Verständnis“ des Schulwesens angenommen hätten.56 Dass nicht nur Lutheraner und Reformierte die Schulen als wesentlichen Aspekt einer sittlichen Formung und Disziplinierung ansahen, sondern auch Katholiken, zeigt das Beispiel der Gemeinde Imgenbroich. Dort hatte der Gemeinderat der mehrheitlich katholischen Bevölkerung 1811 einen lutherischen Lehrer für die städtische Schule gewählt. Die Vertreter des (größeren) katholischen Bevölkerungsteils fühlten sich übergangen und beschwerten sich beim zuständigen Rektor der Akademie in Lüttich. Dieser gab dem Einspruch der Petenten aus rechtlichen und konfessionellen Gründen statt. Rechtlich durfte der Gemeinderat keinen Lehrer ernennen und konfessionell sollte der Lehrer der Konfessionsmehrheit seiner Schüler angehören.57 Zur Behebung des von Geistlichen diagnostizierten sittlichen Niedergangs sollten Schulen nach dem Willen Jacobis und der Mehrheit der protestantischen Geistlichen eine ergänzende Stütze bilden. Als Konfirmanden erfuhren Kinder und Jugendliche intensiven religiösen Unterricht in einem relativ kurzen Zeitraum von zwei Jahren, aber als Schüler standen sie in einem prägenden Zeitraum unter der Obhut von Geistlichen. In diesem Sinne ist Jacobis Äußerung vom 21. Oktober 1812 gegenüber dem Elberfelder Kaufmann Hasenclever zu verstehen: „Ich fahre eifrig fort in meinen Bemühungen, Religiösität und Ordnung in Kirche und Schule zu befördern; es wird mir aber sauer gemacht. Indessen vertraue ich auf Gott und trachte, Mut zu behalten“.58 Auf der Konferenz der reformierten Konsistorialpräsidenten 1804 äußerten sich diese überzeugt, dass „die öffentlichen Katechismen, da sie ein sehr geschikt Mittel sind, den Unthericht unter das Volk vorzubereiten, in den verschiedenen Kirchen häufiger gebraucht und die Jugend darnach befragt werden müsste“.59 Diese Überzeugung der französischen Konsistorialpräsidenten stimmte mit den Interessen in den rheinischen Departements überein. Den reformierten Schülern in der napoleonischen Zeit blieb nach Aussage Perthes’ vor allem ein Thema in Erinnerung: „Den Heidelberger Katechismus aber prägte der Lehrer den Kin-
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JACOBSON, Urkundensammlung, 620 f. Adolf BRÜGGEMANN, Dreihundert Jahre Pfarrergeschlecht Engels, 1642-1942. In: MRKG 36 (1942), S. 65-81, hier: S. 74 f. Vgl. ZIMMERMANN, Lehrerbildung, S. 98 f. ZIMMERMANN, Lehrerausbildung, S. 99; PAULS, Studien, S. 94, Anm. 4. Eine ausführliche Darstellung bei August PAULS, Erfolgreicher Einspruch von Imgenbroicher Einwohnern gegen die Wahl eines Lehrers im Jahre 1811. In: Der Eremit am Hohen Venn 11 (1936), S. 167-170. Adolf HASENCLEVER, Drei Briefe des Oberkonsistorialpräsidenten J. F. Jacobi in Aachen aus den Jahren 1811 und 1812 an den Kaufmann Josua Hasenclever in Ehringhausen bei Remscheid. In: MRKG 10 (1916), S. 81-91, hier: S. 91. AEKRD 3MB 006 Nr. 64, Protokoll der Konferenz der Konsistorialpräsidenten, Absatz 5.
6.3. Das Verbot des Heidelberger Katechismus 1812
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dern so gut ein, daß manche derselben noch heute als Greise auf keine Frage die Antwort schuldig bleiben“.60 Durch die Nutzung des Heidelberger Katechismus in den Schulen erlangte er im Roerdepartement eine besondere Bedeutung für das Selbstverständnis der Reformierten. Nicht nur stellte er eine traditionelle Bekenntnisschrift dar, die konstitutiv für den reformierten Glauben in Mitteleuropa war. Vielmehr erhielt der „Kurze Unterricht in der christlichen Lehre“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts zusätzliche Bedeutung, weil verschiedene Pfarrer der Jugend einen gravierenden Mangel an „Religionsgefühl“ attestierten. Durch bewusste Rückkehr zu dieser Schrift war beabsichtigt, Kindern und Jugendlichen wieder das eigene Bekenntnis bewusst zu machen. Es handelte sich jedoch nicht um den Versuch einer neuen Konfessionalisierung, sondern eher um eine beabsichtigte Re-Religiosierung der Gesellschaft innerhalb der traditionellen Parameter und Vorstellungsmuster, mithin einer Verkirchlichung.61 Das gilt es zu berücksichtigen, will man die Vehemenz verstehen, mit der reformierte Pfarrer sich gegen die Einziehung stellten. Die Ursache für den Konflikt in der napoleonischen Epoche lag bereits einige Zeit zurück. Kurfürst Karl III. Philipp von der Pfalz hatte 1719 der Heidelberger Katechismus verboten und am 16. Mai 1720 wieder zugelassen, „jedoch unter der Bedingung, dass bei der 80. Frage die anstößigen Glossen in der neuen Auflage aufgelassen werden müssten“.62 Diese Rechtslage blieb bis ins frühe 19. Jahrhundert bestehen. Auf Beschwerde katholischer Geistlicher hin erfolgte im Großherzogtum Berg eine Ministerial-Verfügung vom 28. Dezember 1811, „die den Heidelberger Katechismus der Censur unterwarf“.63 In der Folge sollte der Katechismus „saisirt“ und die eingezogenen Bücher in Düsseldorf gelagert werden.64 Konkreter Anlass war die Neuauflage des Katechismus mit einer Er60 61 62 63
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PERTHES, Politische Zustände I, S. 324. Dass er wirklich in den Schulen Verwendung fand, lässt sich beispielsweise für Frechen bei CHARLIER, Frechen, S. 109 nachweisen. Friedrich Wilhelm GRAF, Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur, Bonn 2004 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung; 465), S. 79-81. FROITZHEIM, Staatskirchenrecht, S. 107. Emil PAULS, Zur Geschichte der Censur am Niederrhein bis zum Frühjahr 1816. In: BGNrh 15, 1900, S. 36-117, hier: S. 85. Die Anordnung abgedruckt bei SCOTTI, Jülich-Berg, Nr. 3299. Zusammenfassend zur Kirchenpolitik im Großherzogtum Berg vgl. BECKER, Funktionaler Laizismus, S. 330-332. Dort auch weitere Literatur. Rudolf GOECKE, Das Großherzogthum Berg unter Joachim Murat, Napoleon I. und Louis Napoleon 1806-1813: ein Beitrag zur Geschichte der französischen Fremdherrschaft auf dem rechten Rheinufer; meist nach den Acten des Düsseldorfer Staats-Archivs, Köln 1877, S. 42; Charles SCHMIDT, Das Großherzogtum Berg 1806-1813. Eine Studie zur französischen Vorherrschaft in Deutschland unter Napoleon I., Neustadt/Aisch 1999 (Bergische Forschungen; 27), S. 208; JACOBSON, Urkundensammlung, S. 641 f.; Rüdiger BUSCH, Die Aufsicht über das Bücher- und Pressewesen in den Rheinbundstaaten Berg, Westfalen und Frankfurt. Ein Beitrag zur Geschichte der Bücher- und Pressezensur, Karlsruhe 1970 (Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts; 7), S. 71; BECKER, Funktionaler Laizismus, S. 332.
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klärung des Predigers Johann Arnold von Recklinghausen beim Elberfelder Verleger Eyrich, die gegen das erwähnte Dekret, das „wohl bestehende Gesetz“65 verstieß. Um nicht völlig finanziell ruiniert zu werden, erbat Eyrich, die Bücher verkaufen zu dürfen. Dieses wurde tatsächlich auch gewährt, allerdings für jede zukünftige Auflage untersagt, die achtzigste Frage aufzunehmen.66 Damit wäre der Fall eigentlich erledigt gewesen und hätte wohl keine größere Bedeutung erlangt. Seit 1809 amtierte allerdings mit Jean Charles François de Ladoucette ein neuer Präfekt im Roerdepartement.67 Präsident van Alpen hatte unmittelbar nach Aufnahme der Amtsgeschäfte eine Audienz beim neuen Präfekten Ladoucette erhalten, „worinnen er versichert, daß er von Sr. k.k. Majestät den Auftrag habe, die Protestanten zu schützen, weil er sie für die beßten Unterthanen seines Reiches halte“.68 Obgleich er bei Amtsbeginn als „actif, zelé, intelligent, marié, sachant bien l’allemand“ eingeschätzt wurde, änderte sich sehr rasch die Bewertung seiner Arbeit und er galt in Paris bald als „weicher und nicht durchsetzungsfähiger Charakter“. 69 Zudem wurde ihm mangelnder Weitblick vorgeworfen.70 Diesen stellte Ladoucette tatsächlich unter Beweis, als er am 29. Januar 1812 anordnete, einen „catéchisme qui a été imprimé à Heydelberg pour le Culte réformé“ zu saisieren, weil er den Schutz und die Achtung vor anderen Religionen gefährde. 71 Im Roerdepartement wurde nicht nur die neugedruckte Elberfelder Ausgabe eingezogen, sondern jeder Heidelberger Katechismus war davon betroffen. Das war ein grundlegender Unterschied zu den Bedingungen auf dem rechten Rheinufer. Und damit stellte Ladoucette sich ohne nachweisbare Absprache mit dem Kultusminister in eine gefährliche Kontinuität mit den vorrevolutionären Versuchen katholischer Monarchen, den Heidelberger Katechismus und damit die religiöse Toleranz einzuschränken. Zwar drohte nun keine Einziehung des Katechismus, weil etwa die Staatsreligion beleidigt worden wäre (das war das vorrevolutionäre Argument gewesen), jedoch weil der Grundsatz religiöser Toleranz und damit ein Grundprinzip des napoleonischen Staates verletzt war. Der in religiösen Angelegenheiten neutrale Staat musste jedoch auf die Einhaltung bestimmter Grundsätze, etwa die konfessionelle Gleichbehandlung, achten, weil ansonsten der gesamtgesellschaftliche Zusammenhalt bedroht zu sein schien. Aus dieser Logik heraus erfolgte die Anordnung des Präfekten. Sie traf die reformierten Pfarrer des Niederrheins jedoch im denkbar ungünstigsten Moment.
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SCOTTI, Jülich-Berg, Nr. 3299. SCHMIDT, Großherzogtum Berg, S. 208. Zu Ladoucette vgl. GRAUMANN, Französische Verwaltung, S. 53. Protokoll Stolberg reformiert, 4.7.1809, § 12. Beides zit. n. GRAUMANN, Französische Verwaltung, S. 53. Ebd. LANRWR Roerdepartement 2790 II, fol. 119. Vgl. BECKER, Funktionaler Laizismus, S. 332.
6.3. Das Verbot des Heidelberger Katechismus 1812
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Wie an anderer Stelle geschildert, war wenigstens für einen Teil der reformierten Pfarrer, etwa im Lokalkonsistorium Stolberg, ausdrücklich der Verlust des „Rechts ihres Exercitium religionis“72 denkbar geworden. Es bestand die Angst, eine Verschlechterung der eigenen Freiheiten hinnehmen zu müssen. Der große Vorteil, den die napoleonische Propaganda unablässig hervorhob, dass nämlich Napoleon Religionsfreiheit garantierte, drohte nun fortzufallen. Alle Maires des Roerdepartements erhielten den Auftrag, eigenverantwortlich „zu untersuchen, ob ein Katechismus, zu Heidelberg gedrukt, in ihren Mairies existire und, wenn er Invektive auf die Messe enthalte, gleich zu saisiren, weil er im Bergischen schon verboten seie“.73 Pfarrer reagierten geschockt. „Längst schafften und wünschten wir über den heidelbergischen Catechismus von höherer Behörde nähere Auskunft zu erhalten, um unsere Gemeine darüber beruhigen zu können“ schrieb der Notabel von der Kuhlen über seine Kaldenkirchener Gemeinde.74 Dort waren insgesamt zwölf Exemplare eingezogen worden. Präsident Heilmann erfuhr von seinem Kollegen Diergardt, dass man „im meursischen […] auch die Catechismen weggenommen habe“75. Über die Verhältnisse im Großherzogtum Berg war Heilmann nur gerüchteweise informiert. In seiner Gemeinde war nichts vorgefallen, „weil man sich in unseren Schulen des h. Catechismi nicht bedient“. Daher blickte er trotz allem optimistisch in die Zukunft: „Die Kirchen haben wohl nichts zu befürchten“.76 Pfarrer Schlickum aus Randerath hingegen reagierte scharf, aber nicht übereilt. Nachdem der Maire von Geilenkirchen ihn durch seinen Sergeanten hatte auffordern lassen, den Katechismus abliefern, schrieb er an Wymontz (Hervorhebungen im Original): „Hochgeehrter Herr Maire ! Bevor ich etwas Schriftliches in Betref des Katechismus von mir gebe, wünsche ich etwas Schriftliches darüber zu erhalten. Die Nachfrage, die Sie so eben auf meine Antwort durch den Gemeindsdiener haben thun lassen, beweist mir, daß Sie in dieser Sache mit Amts Eifer und mit aller Pünktlichkeit zu werke gehen. Gute Beyspiele sollen befolgt werden und ich bitte Sie daher, daß Sie die Ordre, die Sie, als Maire von Ihren Obern bekommen haben, mir schriftlich ertheilen wollen, damit ich, als Pastor meinen Obern Beweisstücke von einem Verfahren von Seiten der Ziviladministration vorlegen kann, welches ich nicht anders als ein Attentat gegen unsre Kirche ansehen könnte“.77
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Protokoll Stolberg reformiert vom 04.07.1809, § 18. Protokoll Stolberg reformiert vom 25. Juni 1812, § 17, Nr. 22. AEKRD 4KG 008 Nr. 26, v.d. Kuhlen-Heilmann, 2.6.1812. AEKRD 4KG 008 Nr. 26, Heilmann-Kramer, 15.4.1812. Ebd. LANRWR Roerdepartement, fol. 116, Schlickum-Wymontz, 31.5.1812.
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6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen
Auch im Falle Stolbergs hatte der Maire dem reformierten Konsistorialpräsidenten van Alpen keine schriftliche Order zeigen wollen, weil er dazu nicht verpflichtet sei - und griff dadurch eine übliche Methode auf, Opponenten abzufertigen.78 Ebenso erhielten die Prediger in Frechen, Jülich und Burtscheid nur eine mündliche Aufforderung.79 In Burtscheid beschwerte sich der Maire, dass er letztlich unverrichteter Dinge „sur le Champ auprès du ministre“ gelaufen sei und das offensichtlich bei schlechtem Wetter. 80 Pastor Wiedenfeld in Hünshoven forderte vom Maire ebenfalls eine schriftliche Aufforderung, wie dies auch Schlickum und van Alpen gefordert hatten. Methodisch gingen die Maires genau so vor, wie etwa 1805 Pfarrer von Rade gegenüber dem Maire von Gemünd, als er dessen Wunsch, eine schriftliche Legimitation für sein Verhalten zu sehen, verweigerte. Doch die genannten Pfarrer ließen die Zivilverwaltungen ins Leere laufen, so dass die Saisie weitgehend im Sande verlief. Dabei war von Präsident van Alpen bekannt, dass er kein hartnäckiger Apologet des Heidelberger Katechismus war, eher im Gegenteil.81 Van Alpen war ausgewiesener Experte, wenn auch kein Liebhaber des Katechismus, aber sein Katechismusleitfaden erlebte immerhin noch bis in die 1860er Jahre hinein Übersetzungen in andere Sprachen. 82 Er galt ihm als nicht unbedingt lehrenswert, aber dennoch als Bestandteil des reformierten Bekenntnisses. Daher war der Katechismus auch symbolisch aufgeladen, denn er definierte Freiheitsrechte, etwa das (ohnehin knappe) Staatsgehalt, das nur den Gottesdienern katholischer, lutherischer und reformierter Konfession zustand. Der ehemalige Inspektor Charlier händigte dem Adjunkten in Frechen sein persönliches Exemplar aus, „jene Winke bewegten aber den zeitl[ichen] Prediger, den Heidelb[erger] Katechismus nicht mehr zu gebrauchen“.83 Er ging sogar so weit, dass sowohl er als auch der Schullehrer den Katechisanten beinahe konspirativ auftrugen, „keinen Heidelb[erger] Katechismus mehr zur Schule und zur Kirche zu bringen“.84 Zugleich fing er an, einen Katechismus eigenhändig zu schreiben. Der Maire hielt sich an seine Anweisung, denn er ging zunächst zum Schullehrer, dann zu Charlier, um sich zu erkundigen, „was ich denn für e[inen] Katechismus gebrauche?“ Charlier antwortete, „daß solches kein gedruckter, sondern e[in] selbst geschriebener sey, weil man keine Bücher von jenseit Rheins 78 79 80 81 82
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Auch die Kirchen nutzten diese Maßnahme gerne, siehe dazu Protokoll Stolberg reformiert vom 25. Juni 1812, § 17, Nr. 24. CHARLIER, Frechen, S. 108-112. Vgl. SCHMIDT, Großherzogtum Berg, S. 208 LANRWR Roerdepartement 2790 II, fol. 117, Hammer-Lommersen, 28.4.1812. KRAFFT, Kritischer Ueberblick, S. 74-75. Heinrich Simon van ALPEN, Leitfaden beim christlichen Religions-Unterricht für die reformirte Jugend oder Abriß der öffentlichen Katechisationen über den Heidelbergischen Katechismus, Frankfurt a. M. 1800. Eine Übersetzung bei Joseph F. BERG, The history and literature of the Heidelberg Catechism, and of its introduction into the Netherlands, Philadelphia 1863. CHARLIER, Frechen, S. 109. Ebd.
6.3. Das Verbot des Heidelberger Katechismus 1812
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haben könne“.85 Diese gezielte Desinformation teilte der Maire auch dem Unterpräfekten mit. Eine gewisse sprachliche Spitzfindigkeit bei der Beantwortung von Anfragen höherer Behörden wurde in Köln deutlich. Dort befolgte Adjunkt Jungbluth die Anweisung des Maires von Wittgenstein einen „Catechisme qui à été imprimé à Heidelberg“ buchstabengenau. 86 Ausdrücklich musste er darauf hingewiesen werden, dass auch ein in Krefeld gedrucktes Werk ein „Catechisme de Heidelberg“ sein könne, wie dies kürzlich festgestellt worden sei.87 Die daraufhin erfolgte erneute Untersuchung förderte erstaunliches zu Tage: Pfarrer Wilsing erklärte dem Adjunkten, alle reformierten Pfarrer würden bei Amtsantritt auf den Heidelberger Katechismus verpflichtet. Er selbst aber, „vielleicht und höchstwahrscheinlich der einzige im ganzen Roerdepartement“, habe sich bei seiner Amtsberufung 1802/03 der Einführung dieses Katechismus eben wegen dessen „Invectiven […] gegen die katholische Religion“ „auf das kräftigste widersetzt“. In Köln werde daher seit zehn Jahren ein „höchst humaner kurzer Unterricht in der christlichen Lehre“ für die Konfirmanden verwendet, „woran auch das scharfheiligste Auge nichts Erbitterndes wird entdecken können“. 88 In einer undatierten Notiz erklärt Jungbluth gar: „Dieser Schritt gereicht dem Pfarrer Wilsing daselbst zur größten Ehre, und verdient die allgemeinste Publicität“89. Schließlich hieß es offiziell über Köln, Düren, Eschweiler, Jülich und Frechen: „Der Heidelb[erger] Katechismus werde daselbst nicht gebraucht“.90 Durch die übereilte Einziehung des Katechismus drängte Präfekt Ladoucette wenigstens einen Teil der reformierten Pfarrer - und gerade auch die treuesten wie van Alpen oder Charlier - grundlos in die Ecke der Illoyalität und erzeugte so eine Verweigerungshaltung, den Befehlen der Regierung Folge zu leisten. Die aufgeführten Beispiele zeigen aber auch die massive Abhängigkeit der höheren von der Kooperationsbereitschaft der unteren Ebenen und von der Mitwirkung der Geistlichen. Sprachliche Spitzfindigkeiten oder eine gewisse informative Lenkung seitens der Pfarrer ließ die Einziehung der Katechismen mitunter buchstäblich ins Leere laufen. Auf den folgenden Konsistorialsitzungen wurde das Thema ebenfalls besprochen. Während des Mittagessens gab der Klever Konsistorialpräsident Neumann am 26. Mai 1812 dem Lokalkonsistorium bekannt, „weder der Minister des Innern, wie der Cultus Minister, noch der Polizey Minister hätten“ an den bei dem „symbolischen Buch genommenen Maßregeln Theil“ 91 . Vielmehr betonte 85 86 87 88 89 90 91
Ebd. HSAK 350, Nr. 1785, fol. 2, Jungbluth-Wittgenstein vom 3.2.1812. HSAK 350, Nr. 1785, fol. 6, Klespé-Wittgenstein vom 19.2.1812. Alle Zitate bei HSAK 350, Nr. 1785, fol. 9, undatierte Notiz. Ebd. CHARLIER, Frechen, S. 109. LANRWR Roerdepartement 2820, Geheimer Bericht einer sichern Person über die Consistorial-Verhandlungen zu Cleve vom 26. und 27. Mai 1812 statt gefunden haben, fol.
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6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen
Neumann, „dass die zur Unterdrückung dieses Catechismus gegebene[n] Befehle nur vom Herrn Präfeckten des Roer Dep[ar]te[ment]s herrührten, und dass dieser nur dem Beispiel des Präfeckten zu Düsseldorf gefolgt sei, das aus freyen Stücken diese intolerante Maaßregel mit strenge durchgesetzt“. Als Grund für die Maßnahme erkannte er, dass „die römisch katholische Kirche“ einen „Skandal aufstellte“, darüber was „der Heidelberger Katechismus in Summa Ausdruck über die päbstliche Messe enthalte“.92 In Stolberg bestand die Reaktion auf die Beschlagnahme in einer außerordentlichen Sitzung des reformierten Lokalkonsistoriums am 25. Februar 1812.93 Die Versammlung war tief bestürzt, eine solche Maßnahme erleben zu müssen. Sie sah die Gewissensfreiheit gefährdet und „die Freiheit und Rechte der protestantischen Kirche überhaupt, die schon unser großer Monarch so feierlich zugesagt hat, zu erhalten und auf die Nachwelt zu bringen“.94 Hierbei bezogen sich die Stolberger Pfarrer ausdrücklich auf Napoleons Äußerung anlässlich seiner Kaiserkrönung im Jahr 1804.95 Rabaut-Dupui zitierte den etwas pathetisch klingenden Satz in seinem protestantischen Almanach von 1807: „L’empire de la loi finit où commence l’empire indéfini de la conscience; ni la loi, ni les princes ne peuvent rien contre cette liberté“.96 Auf den um den Jahreswechsel 1804/05 von Diergardt erstatteten Bericht über diese kaiserlichen Äußerungen hatten etliche Prediger gejubelt. Hermann Gempt, Prediger in Rheinberg, rief aus: „Heil dem Bringer guter Nachrichten und frohe Ruhe im Cirkel der Seinen nach vollendeter mühevoller Reise!“97 Skeptische Stimmen waren seltener gewesen, wie bei Heinrich Esch, dem Prediger von Vluyn: „Gott gebe, daß meinem dunklen Glauben bald ein helles Licht aufgehen möge“.98 Die Einziehung des Katechismus wurde als Eingriff in die garantierte Selbstverwaltung der Kirchen und in die Gewissensfreiheit empfunden: „Sie [die Einziehung] wird als unzulässig gefunden und den organischen Artikeln gerade zu entgegen laufend“.99 Einen Bezug zu Artikel 4 des Kultusgesetzes, das dogmatische Fragen unter staatliche Aufsicht stellte, wurde hingegen protokollarisch nicht erwähnt und wohl auch so nicht wahrgenommen.
92 93 94 95 96 97 98 99
21 ff., hier: fol. 23. Kurz berichtet über die Versuche bei JEUDE, Geilenkirchen-Hünshoven, S. 12 und KNORR, Wassenberg, S. 89. Ebd. Protokoll Stolberg reformiert vom 25. Juni 1812, § 17, Nr. 23; vgl. JACOBSON, Geschichte der Quellen, S. 790. Protokoll Stolberg reformiert vom 25. Juni 1812, § 1. MAST, Kreissynode, Bd. II, Heft 2, S. 76. Vgl. AEKRD 4KG 006 Nr. 64. RABAUT, Annuaire, S. 5. Auch im Bericht in AEKRD 4KG 006 Nr. 64. Vgl. zum Kontext ENCREVE, Protestantisme et bonapartisme, S. 119. MAST, Kreissynode, Bd. II, Heft 2, S. 83. Ebd. Protokoll Stolberg reformiert vom 25. Juni 1812, § 17, Nr. 23.
6.3. Das Verbot des Heidelberger Katechismus 1812
195
Das Stolberger Konsistorium beschloss die Entsendung einer Deputation zum Präfekten, um zu erfahren, von welcher Stelle die Anweisung gekommen wäre. Der Privatsekretär von Ladoucette wiegelte ab, wie bereits die Maires zuvor, es bedürfe keines höheren Befehls, da „jeder Maire das Recht habe, ein Lehrbuch zu saisiren, welches Invektive auf die im Rechte legitimirten Konfessionen enthalte“. Die Delegation, unter ihnen Präsident van Alpen, versuchte das Augenmerk auf den allgemeinen katholischen Katechismus zu lenken, der Nichtkatholiken als Personen verdamme, während der reformierte Heidelberger Katechismus nur ein Dogma ablehne. Dies schien Eindruck gemacht zu haben, da der Sekretär versprach, die Angelegenheit weiterzureichen. 100 Er hielt jedoch fest, es werde „ein Exemplar des befrag[ten] Katechism[us] an den Cultus- und eins an den Policey-Minister abgesandt werden, deren Entscheidung man abwarten müsste“.101 Nach einer längeren Wartezeit wurde van Alpen vom Lokalkonsistorium erneut mandatiert, eine Audienz beim zurückgekehrten Präfekten zu ersuchen. Dort erhielt er die Versicherung, „der Vorfall seye durchaus von keiner Bedeutung; d[er] Präf[ektur] Rath Dumont habe in seiner Abwesenheit u[nd] ohne sein Wissen diese unzeitige Order gegeben“. 102 Präfekt Ladoucette versuchte die Angelegenheit herunterzuspielen. Eine an den Kultusminister gerichtete Petition erhielt keine Antwort.103 Am 30. Juni 1813 erklärte Ladoucette, dass eine Neuausgabe des Katechismus notwendig sei. Hiermit habe er Pfarrer Wilhelm Janssen aus Pfalzdorf beauftragt.104 Der Stolberger Konsistorium wandte sich nun direkt an den im Lokalkonsistorium Kleve amtierenden Pfarrer, der jedoch von keinem Auftrag wusste. Er vermutete eine „Verwechselung mit der neuen Ausgabe seines kurzen Unterrichtes in der christlichen Religion […], wozu er die Erlaubnis gebeten habe“.105 Ein Hilfegesuch beim Konsistorialpräsidenten Marron in Paris, der wenige Jahre zuvor noch gemeinsam mit Rabaut-Dupui verkündet hatte, er wolle sich für die Belange der Reformierten ganz Frankreichs einsetzen, blieb ebenso ohne Antwort wie eine Bitte an den Mainzer Präfekten und ehemaligen reformierten Pfarrer Jeanbon Saint-André, sich der Angelegenheit anzunehmen. Selbst die 100
101 102 103
104 105
Protokoll Stolberg reformiert vom 25. Juni 1812, § 17, Nr. 25. Vgl. dazu die fast wortgetreue Überlieferung bei CHARLIER, Frechen, S. 111 f., der sich ausdrücklich auf das Konsistorialprotokoll stützte. CHARLIER, Frechen, S. 112. AEKRD 4KG 008 Nr. 26, von der Kuhlen-Heilmann, 2.6.1812. Protokoll Stolberg reformiert vom 25. Juni 1812, § 17, Nr. 29. Bezüglich der Ministerialantwort nahm Notabel von der Kuhlen (Kaldenkirchen) an, dass „der gedachte Befehl unseren Gesetzen widersprach: Daher denn auch mit Recht einige Prediger sich geweigert haben, dem Befehl nachzukommen. Es wird wohl daher auch Sr. Ex. der Minister keinem Consistorium darüber antworten, sondern blos H. Präfecten geschrieben haben.“ AEKRD 4KG 008 Nr. 26, von der Kuhlen-Heilmann, 2.6.1812. Protokoll Stolberg reformiert vom 13./14. Juli 1813, § 14, Nr. 1. Ebd., § 14, Nr. 2 und Nr. 8.
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6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen
nächsten und betroffenen Konsistorien in Moers und Krefeld waren nicht bereit, sich in größerem Maße für den Erhalt des Heidelberger Katechismus einzusetzen. 106 Heilmann (Krefeld) begründete dies mit den Worten: „Protestationen halte ich nicht für rathsam, weil ich glaube, dass sie nichts bewirken werden. Die Anordnung kommt sicher nicht von einem Präfecten, sondern von höherer Hand“.107 Damit verstärkte sich bei Heilmann der Eindruck, den er gegenüber Jacobi geäußert hatte, dass der Kultusminister Bigot de Preameneu den Protestantismus schädigen wolle.108 Die Geistlichen hatten das Vertrauen in die Regierung verloren. Bei dieser unklaren Situation blieb es dann bis zur Übernahme der provisorischen Verwaltung durch die Alliierten. 109 Deren Generalgouverneur August von Sack übertrug am 1. Mai 1814 den Konsistorien das Recht, eigenständig entscheiden zu können, ob sie den Heidelberger Katechismus behalten wollten.110 Das Lokalkonsistorium in Odenkirchen beschloss eine Antwort zu geben, „die unser aller Werthschätzung dieses trefflichen noch nicht übertroffenen Buches geziemend ausspreche“. 111 Das Stolberger Konsistorium erklärte, ihn ebenfalls weiterhin nutzen zu wollen, „weil er nicht nur von der ehemaligen General-Synode der vier vereinigten Länder Jülich, Kleve, Berg und Mark, sondern auch von andern außer diesen Ländern bestehenden reformirten Konfessionen in jener Qualität anerkannt worden ist und weil gerade die Frage, welche man besonders ausgemärzt wissen wollte, den Gegensaz gegen die Angriffe des Konziliums von Trient enthält und jede Veränderung und Verstümmelung diesem Buche sein symbolisches Ansehen raubt“.112
Allerdings hielt es Präsident Heinrich Simon van Alpen für nötig, widerlegen zu müssen, dass es sich um eigenmächtige Angriffe des Präfekten Ladoucette handelte. Damit widersprach er also der Meinung, wie sie Präsident Peter Neumann im Mai 1812 verkündet hatte. Van Alpen bemühte sich um das Aufzeigen einer generellen Tendenz napoleonischer Herrschaft, wie dies auch sein Freund Heilmann getan hatte. Er verwies auf ähnliche Vorgänge im Großherzogtum Berg und beim Donnersberger Präfekten Saint-André, der „ein efriger Reformirter“ gewesen sei: „Dieser konnte bei der Sache nichts anders thun, als seinen Glaubensgenossen in der Pfalz zu rathen, den Befehl gehorsam anzunehmen und zu versprechen, den heidelbergischen Katechismus nicht zu Into-
106 107 108 109 110 111 112
Ebd., § 14, Nr. 3 bis 7. AEKRD 4KG 008 Nr. 26, Heilmann-Kramer, 15.4.1812. Siehe Kapitel 3. JACOBSON, Geschichte der Quellen, S. 790. Protokoll Stolberg reformiert vom 5.7.1814, § 17, Nr. 22. Protokoll Odenkirchen reformiert vom 14.6.1814, § 12. Protokoll Stolberg reformiert vom 5.7.1814, § 19.
6.3. Das Verbot des Heidelberger Katechismus 1812
197
leranz oder sonstigen lieblosen Urtheilen zu missbrauchen“.113 Tatsächlich erwähnen die südlich der Mosel gelegenen Konsistorien den Konflikt um den Katechismus nur selten.114 Das Urteil, das im Innenministerium über den Präfekten Ladoucette gefällt wurde, entsprach augenscheinlich einigermaßen der Wahrheit. Ladoucettes mangelnder Weitblick bei der Übernahme der bergischen Einziehung des Heidelberger Katechismus traf Anfang 1812 den Nerv der reformierten Geistlichkeit des Roerdepartements, die sich ohnehin bereits in einer gefährdeten Situation wähnte. Der Roerpräfekt übernahm ein Verbot aus dem Großherzogtum Berg, das sich auf eine bestimmte Neuauflage bezog, als eine vollständige Einziehung in seinem Bezirk. Solche „Winke“,115 wie sich Charlier ausdrückte, mussten den Eindruck verstärken, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis die Religionsfreiheit erneut drastisch eingeschränkt oder gar abgeschafft werde. Bislang regimetreue Pfarrer wurden damit in die Illegalität gedrängt und zur Illoyalität genötigt. Diese subjektiv als grundsätzliche Gefährdung empfundene Situation offenbarte auch, wie gering belastbare Beziehungen nach Innerfrankreich ausgebildet waren: Konsistorialpräsident Marron war entweder nicht willens oder nicht in der Lage, seinen rheinischen Kollegen zu helfen, die ihn und Rabaut für eben solche Situationen auch bezahlt hatten. Gerade die wiederholt geäußerten Absichten, die Jugend mittels des Katechismus erneut systematisch im konfessionellen Sinne zu prägen, um christlich-sittlich veredelte Menschen hervorzubringen, machte das Verbot der Bekenntnisschrift so essentiell. Damit wurde aus pastoraler Sicht der Versuch torpediert, die Gesellschaft nach der der Revolution zugeschriebenen Entchristianisierung erneut zu christianisieren bzw. verkirchlichen.116 Die Auseinandersetzung um den Heidelberger Katechismus geschah zu einem Zeitpunkt, als der Konflikt zwischen Napoleon und dem Papst immer noch ungelöst war, und selbst loyale Anhänger Napoleons, wie Johann Friedrich Jacobi oder Nikolaus Leonhard Heilmann, ernsthaft um die Religionsfreiheit fürchteten. Infolge dieses Konflikts verlor die napoleonische Regierung gerade das Argument, das Pfarrern gegenüber vom Kultusministerium immer wieder propagiert wurde: Napoleon garantiert die Religionsfreiheit. Vielmehr erschien er nun als 113 114
115 116
Protokoll Stolberg reformiert vom 20.6.1815, § 13, Nr. 5. Nicht erwähnt wird er nachweislich in Kirchberg, Stromberg (Rhein-Mosel), Kusel (Saar), Freinsheim, Speyer (Donnersberg); außerdem im Roerdepartement nicht bei Moers und Krefeld. CHARLIER, Frechen, S. 109. So der lutherische Pfarrer Johannes Reisig in einer Predigt 1803: „Dem Weisen, dem Freunde der Menschheit ist es eine traurige Bemerkung, daß gerade der protestantische Gottesdienst am meisten in Verfall geräth“. Ders., van ALPEN, Reden bey der Einführung des neuen Gesangbuches in den protestantischen Gemeinen zu Stollberg bey Aachen gehalten, nebst einer kurzen Reformationsgeschichte beyder Gemeinen, Frankfurt a.M. 1804, S. 7.
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6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen
eine Gefahr für diese und damit verloren viele Pfarrer auch das letzte Vertrauen in die Regierung.
6.4. Die Absetzung des Konsistorialpräsidenten Neumann in Kleve In den Organischen Artikel hatte Napoleon sich das Recht vorbehalten, jede Pfarrstellenbesetzung zu bestätigen. Diese machtpolitisch relevante Klausel war allgemein durchgesetzt und bedeutete im Regelfall lediglich eine Art Abnicken der bereits durch die Lokalkonsistorien erfolgten Wahlen.117 Das napoleonische System begriff sich als Meritokratie, als System, in dem Leistungsträger an die Spitze gelangen konnten. Der militärisch geprägte Bonaparte vertrat die Meinung, dass jeder seiner Soldaten bei Eignung den Marschallstab im Gepäck führe. Ähnlich handhabte er die übrige Personalpolitik im weiteren Umfeld der Zivilverwaltung. Das war der Grund für die Berufung Jacobis in den Corps législatif gewesen. Genau so sollte auch bei allen übrigen Beförderungen die Leistung entscheiden und nicht die persönlichen Beziehungen. Dass gerade im späteren napoleonischen Herrschaftssystem unter Leistung zunehmend Loyalität gegenüber der Regierung verstanden wurde, machte in der Praxis einen Unterschied, wer befördert wurde. Der Anspruch jedoch blieb erhalten. Als solcher ist er auch Teil der liberalen Napoleonlegende geworden.118 Der folgende Abschnitt möchte die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Pfarrstellenbesetzung am Niederrhein nachziehen. Exemplarisch soll ein besonders gut dokumentierter Fall aus dem Jahren 1808-1813 in Augenschein genommen werden, nämlich die Absetzung des Lokalkonsistorialpräsidenten Peter Neumann in Kleve und dessen Vorgeschichte. Da es sich um einen äußerst komplexen Fall handelt, der relativ umfangreiche Detailkenntnisse benötigt, wird einer minutiösen Schilderung Raum gegeben. In Kleve, dem Hauptort des gleichnamigen Herzogtums und Sitz der preußischen Landesregierung, gab es beim französischen Einmarsch neben einer katholischen Pfarrei auch eine lutherische, zwei reformierte und eine französisch-reformierte Pfarrstelle. Letztere Gemeinde war 1685 durch flüchtende
117
118
Ein weiterer, allerdings etwas anders gelagerter Fall ist der des Hunsrücker Predigers Friedrich Christian Lauckhard, der 1804 bis 1811 die Pfarrei Veitsrodt versah und erst mit Militäreinsatz verhaftet werden konnte. Vgl. zur ausführlichen Literatur Richard WILHELM, Friedrich Christian Laukhard 1757–1822. Alzey 2002 und mit eher literaturwissenschaftlichem Kontext Christoph WEIß, Friedrich Christian Laukhard (1757–1822), 3 Bde., St. Ingbert 1992 (Saarbrücker Beiträge zur Literaturwissenschaft; 38). Sudhir HAZAREESINGH, The legend of Napoleon, London 2005.
6.4. Die Absetzung des Konsistorialpräsidenten Neumann in Kleve
199
Hugenotten begründet worden und stand immer in enger personeller Verflechtung mit der reformierten Gemeinde.119 Infolge der französischen Invasion setzte eine Migrationsbewegung preußischer Beamtenfamilien ein und damit ein Schrumpfungsprozess hauptsächlich der evangelischen Gemeinden. Die zweite reformierte Pfarrstelle konnte nicht mehr finanziert werden. Die hugenottische Gemeinde war so stark davon betroffen, dass der dortige Kirchenvorstand 1803 die Selbstauflösung beschloss. Sie kam damit einer Auflösung durch Napoleon zuvor, der 1806 die französisch-wallonischen Gemeinden in Emmerich und Wesel aufhob. Die Mitglieder der hugenottischen Gemeinde Kleve schlossen sich der hochdeutsch-reformierten Gemeinde an. Mitglied der französischen Gemeinden waren auch Angehörige der klevischen Familie von Spaen gewesen, deren Ansehen teilweise darauf beruhte, dass sie sich für die Ausbreitung des reformierten Glaubens eingesetzt hatten und auf Schloss Moyland den ersten reformierten Gottesdienst erlaubt hatten.120 Ein „Notabel von Spaen“, früher Ältester im Kirchenrat der französisch-reformierten Gemeinde, stellte beim Lokalkonsistorium Kleve 1806 den Antrag auf Wiederherstellung der französischen Gemeinde.121 Das Lokalkonsistorium unter Präsident Peter Neumann nahm den Antrag an. Bei der Wahl von Prediger Johann Christian Theodor Bender, der die Gemeinde bis 1803 betreut hatte und dann nach Emmerich gezogen war, machte Neumann allerdings den Fehler, vor der Wahl nicht wie angeordnet,122 um die Zustimmung aller in Frage kommenden Kandidaten schriftlich nachgesucht zu haben. Napoleon Bonaparte hatte Bender bereits bestätigt, als dieser die Wahl ablehnte, weil das Gehalt ihm zu niedrig schien.123 Seit 1805 war auch die zweite deutsch-reformierte Pfarrstelle in Kleve vakant. Da keine Bewerbungen eintrafen, öffnete das Special-Comité genannte Leitungsgremium der Konsistorialkirche den Kandidatenkreis auch für niederländische Prediger, da die protestantische Bevölkerung beider Sprachen mächtig sei. 124 Auch bei dieser Wahl, die auf den Brakeler Prediger Osterzee fiel, zog Neumann abermals nicht die Zustimmung im Voraus ein.125 Dem Special-Comité gehörten neben Präsident Neumann und Pfarrer Wilhelm Janssen aus Pfalzdorf auch die drei Notabeln Spaen, Sternberg und Maire
119 120 121 122 123 124 125
Allgemein zur Gemeinde vgl. BÖSKEN, Die französische Gemeinde. Zur Geschichte von Moyland vgl. Stephan de LANGE, Chronik Schloß Moyland, Kleve 2001. Protokoll Kleve reformiert vom 5. Juni 1806, § 7. DUDA, Organisation, S. 75. Protokoll der Sitzung des Spezial-Comités Kleve vom 12. Oktober 1806, § 4. Protokoll der Sitzung des Spezial-Comités Kleve vom 5. November 1806, § 1. Protokoll der Sitzung des Spezial-Comités Kleve vom 5. August 1807, § 1.
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6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen
Hopmann an.126 Diese fielen aus allen Wolken, als Konsistorialpräsident Neumann ihnen am 5. August 1807 mitteilte, er habe den Kultusminister darüber informiert, dass die Nachwahl auf den Zweitplatzierten Johann Wülfing gefallen sei, den Sohn eines Freundes des Präsidenten.127 Das Protokoll spricht nur allgemein von einem Protest des Special-Comités, ohne die Protagonisten näher zu beschreiben. Der Ausschuss stellte demnach in seiner Gesamtheit die Frage, „ob der Präsident das Recht habe, Vorschläge an die Oberbehörden ohne Wissen des Konsistoriums einzureichen?“128 Obwohl Neumann die Antwort schuldig blieb, traf sich das Lokalkonsistorium schließlich zur Wahl. Als Gemeindewunsch gab Neumann den Kandidaten Wülfing an, während der Notabel von Spaen betonte, Prediger Adolf Friedrich van Essen, derzeit Pfarrer in Kranenburg, sei der Mann, den die Gemeinde, vor allem ihr französisch gesinnter Teil, wünsche. Im Lokalkonsistorium fiel die Wahl auf den Kranenburger Kandidaten, der die Wahl sofort annahm.129 Im Dezember 1808 bestätigte Napoleon ihn als „pasteur prés l’église consistoriale de Clèves“. Im Mai 1809 fragte van Essen beim Konsistorium an, wie denn das kaiserliche Dekret vom 11. Dezember 1808 zu verstehen sei, nach dem er zum Prediger „bei der klevischen Konsistorialkirche“ ernannt worden sei, ohne jedoch eine bestimmte Pfarrstelle zugewiesen zu bekommen? Die Antwort war positivistisch: „Consistorium war der Meynung, daß es demselben, als untergeordneten Behörde, nicht gebühre, sich über die Intentionen, von den höheren Behörden erlassenen Verfügungen eigenmächtige Erklärungen anzumaßen; sondern beziehe sich auf den procès verbal vom 15. Juni 1808, enthaltend den Wahlakt für die vakante französische Gemeine zu Kleve anstatt des Herrn Bender démissionaire“. 130 Konsequenterweise machte Neumann im gleichen Atemzug die Vakanz der Pfarrstelle in Kranenburg dem Interimspräfekten, zu diesem Zeitpunkt in Personalunion der lutherische Generalpräsident Jacobi, bekannt. Der übergangene Prediger van Essen protestierte und wollte folgende Fragen geklärt wissen: „1. Ob die hiesige französische Gemeine mindere Rechte habe, als die deutsche, wenn sie einen Prediger hat? Die Mehrheit des Konsistoriums war, dass sie die nämlichen Rechte habe. 2. Ob der Ausdruck ‚église parroissal‘ nur der deutschen Gemeinde gehöre?“131 Neumann führte aus, dass aufgrund von Artikel 19 des Kultusgesetzes die Pfarrstellenanzahl ohne Autorisation der Regierung nicht vermehrt werden dürfe. Damit stand van Essen als Vertreter einer französischen Gemeinde, trotz formell gleicher Rechte, außerhalb der 126 127 128 129 130 131
Protokoll Kleve reformiert vom 4./5.6.1806, § 3. Diese Gruppe wurde bestätigt am 27.05.1807, § 2. Protokoll der Sitzung des Spezial-Comités Kleve vom 5.8.1807, § 2. Ebd., § 5. Protokoll Kleve reformiert vom 15./16.06.1808, § 5. Protokoll Kleve reformiert vom 31.05.1809, § 4. Protokoll Kleve reformiert vom 31.05.1809, § 7.
6.4. Die Absetzung des Konsistorialpräsidenten Neumann in Kleve
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Konsistorialkirche und damit auch ohne Zugang zum Staatsgehalt. Das war die Abstrafung dafür, dass er einem Schützling Neumanns die von dem Lokalpräsident ihm vorgesehene Stelle genommen hatte. In der folgenden Sitzung im Juni 1810 kam es zu einem heftigen Streitgespräch zwischen Präsident Neumann und dem Sekretär des Lokalkonsistoriums Johann Heinrich Georg Hopmann. Hopmann gehörte zu den „grands notables“ mit einem geschätzten Vermögen zwischen 150.000 und 180.000 Francs. Er stammte aus einer Juristenfamilie, die seit Mitte des 18. Jahrhunderts der klevischen Regierung gedient hatte; er selbst war Justizrat gewesen.132 In französischer Zeit wurde er Friedensrichter, Notar, Mitglied im Wahlkörper des Departements, Maire von Kleve und seit 1809 Fabrikbesitzer. Er hatte sich sogar bereit erklärt, ein großes Grundstück für einen konfessionsübergreifenden Friedhof seiner Gemeinde zu schenken.133 Im Mai 1809 war er während der Abwesenheit des Unterpräfekten Karl Ludwig von Keverberg dessen Amtsvertreter.134 Bei dem Streit zwischen Neumann und Hopmann ging es darum, dass Hopmann, obgleich Sekretär, mehrfach nicht zu Sitzungen erschienen war. Neumann stellte ihn zur Rede, doch war Hopmann nicht bereit, seine Ämter abzugeben, weder als Notabel noch als Sekretär. Es kam zu einer lautstarken Auseinandersetzung, an dessen Ende das Konsistorium auf Antrag Präsident Neumanns beschloss, Hopmann von der Sitzung auszuschließen und einen provisorischen Sekretär zu wählen. Der Maire verließ daraufhin den Sitzungssaal.135 Etwa ein Jahr lang herrschte Ruhe in der Konsistorialkirche. Dann - aus den Akten ergibt sich kein Motiv - legte Neumann am 3. April 1811 völlig überraschend sein Amt als Präsident nieder. Aus eigener Machtvollkommenheit hatte er einen der Weseler Pfarrer ungefragt zu seinem Nachfolger bestimmt.136 Der neue Unterpräfekt Gruat lehnte diese Maßnahme ab und ermahnte Neumann scharf, seine Pflichten weiterhin zu erfüllen.137 Neumann musste im Amt bleiben, hatte sich jedoch nun nicht nur van Essen, sondern auch den Maire von Kleve und den Notablen von Spaen zum Feind gemacht. Mittlerweile hatte der Klever Unterpräfekt ein Auge auf die reformierte Konsistorialkirche geworfen, da dort seit Jahren eine latente Unruhe herrschte. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass für die folgenreiche Sitzung des Lo132
133 134 135 136 137
Zum Lebenslauf vgl. Roger DUFRAISSE, Sarre, Mont-Tonnerre, Rhin et Moselle, Roër. In: Louis Bergeron, Guy Chaussinand-Nogaret (Hg.), Grands notables du Premier Empire: notices de biographie sociale, Bd. 3, Paris 1978, S. 134. Vgl. auch GRAUMANN, Französische Verwaltung, S. 82. Die entsprechenden Schriftstücke im LANRWR Roerdepartement Nr. 95 und 1587. LANRWR Roerdepartement 2820, fol. 13-14, Neumann-Dandlau, 13.2.1812. Protokoll Kleve reformiert vom 20./21. Juni 1810, § 2. AEKRD RPKA B I I 9, Jansen-Unterpräfekt Gruat vom 4. April 1811. AEKRD RPKA B I I 9, Unterpräfekt Gruat-Neumann vom 17. Mai 1811.
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6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen
kalkonsistoriums vom 27./28. Mai 1812 eine Parallelüberlieferung in Form eines geheimen Polizeiberichts vorliegt.138 Dessen Verfasser ist nicht ersichtlich. Unmittelbar vor der Sitzung hatte Präsident Neumann, „ohne Zustimmung des Consistorii“, also bei Kompetenzüberschreitung, wie der Geheimbericht vermerkt, seinen 31jährigen Sohn Carl examiniert und ordiniert. Zu Examinatoren hatte er „seinen Schwiegersohn und Prediger zu Weeze“, Johann Gottlob Krafft, dazu Heinrich Vielhaber, „Vertrauter und Freund der Familie Neumann und Prediger zu Goch“, „seinen Freund und Prediger zu Pfalzdorf“ Wilhelm Janssen und den Genneper Pfarrer „C.T. Hermsen“ zu „alleinigen Examinatoren“ ernannt. 139 Ziemlich unverhohlen warf der anonyme Verfasser des Geheimberichts dem Präsidenten illegitimes Handeln an der Grenze zur Korruption vor. Neumann habe seine Seilschaften eingesetzt, um die Ordination und, nehmen wir es vorweg, die Wahl seines Sohnes auf eine Pfarrstelle geradezu durchzupeitschen. Die Sitzung selbst begann erst um 11 Uhr mit zweistündiger Verspätung, wie der Bericht betont. Kaum dass die Sitzung angefangen hatte, zeigten sich bereits massive Spannungen. Prediger van Essen bat um das Rederecht, um das Thema ansprechen zu können. Präsident „Neumann erwiderte: Mit welchem Rechte sprechen Sie? – Sie haben versäumt, sich als 2ter Prediger zu legitimiren!“140 Besonnen antwortete van Essen: „Da mich die übrigen Prediger dafür anerkennen, so werden Sie wohl thun, ihrem Beispiel zu folgen“.141 „Ohne gestört zu werden“ fragte van Essen wegen der Unstimmigkeit bei der Neuwahl der Notabeln im vorigen Jahr nach. Das Protokoll vermerkte hierzu relativ knapp, Neumann habe auf die Frage des Predigers van Essen erklärt, hier werde keine Entscheidung fallen, da bereits 1808 entschieden worden sei: „le président seul on celui qui le remplaçer est chargé des propositions“. Essen erklärte, diese Entscheidung sei nicht für den gegenwärtigen Fall anwendbar und blieb bei seinem Protest.142 Im Geheimbericht liest sich die Begründung etwas weniger juristisch: Der Kultusminister habe nicht geantwortet, weil die „Art und Weise, wie gewählt worden sei,“ mit derjenigen übereinstimme, wie dies in anderen „Konsistorial-Kirchen üblich sey; sondern auch in einer bestimmten Vorschrift, die er aber jetzt augenblicklich nicht vorzeigen könne“. Unter diesen Umständen blieben „van Essen und einige andere“ bei ihrer „erinnerter Protestation“.143 Im unmittelbaren Anschluss schlug Neumann vor, die immer noch vakante Pfarrstelle in Kranenburg, neu zu besetzen, „indem er bemerckte, wenn sein Sohn durch ein Consistorium ordinirt worden“, „sein Sohn [auch] wahlfähig sei, 138 139 140 141 142 143
LANRWR Roerdepartement 2820, fol. 21-28, Geheimer Bericht einer sichern Person über die Consistorial-Verhandlungen zu Cleve vom 26 und 27 Mai 1812 statt gefunden haben. LANRWR Roerdepartement 2820, fol. 21v. LANRWR Roerdepartement 2820, fol. 21v. Ebd. Protokoll Kleve reformiert vom 27. Mai 1812, § 3. LANRWR Roerdepartement 2820, fol. 21r.
6.4. Die Absetzung des Konsistorialpräsidenten Neumann in Kleve
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und die Cranenburger Gemeinen sich denselben zum Prediger wünsche“.144 Er wurde auch gewählt. Damit war nun definitiv, dass Kranenburg einen neuen Pfarrer hatte und durch die allgemeine Anerkennung van Essens als zweitem Prediger in Kleve, Konsistorialpräsident Neumann diesen Sachverhalt anerkennen musste. Dass der Verfasser dem Präsidenten nicht wohlgesinnt war, wird auch aus der überlieferten Mittagspause deutlich. Die versammelten Geistlichen und Notabeln besuchten den Gasthof Hendrichs, wobei die Essenskosten durch die Einzelgemeinden bezahlt werden sollten. Hierbei stellte der Verfasser des Geheimberichts betont lakonisch fest: „Herr Neumann hatte auch seine beiden Söhne miteingeladen“. 145 Durch diese simple Feststellung unterstellte er dem Konsistorialpräsidenten bereits Unverantwortlichkeit gegenüber seiner ihm anvertrauten Gemeinde. Neumann stellt sich daher auf dreifacher Ebene als ungeeignet dar: Er erscheint korrupt, überschritt seine Kompetenzen und veruntreute Gemeindefinanzen. Damit warf ihm der Verfasser des Geheimbereichts genau die Dinge vor, die die napoleonische Meritokratie aus revolutionärem Erbe heraus beseitigt wissen wollte. In der Mittagspause drohte eine handfeste Auseinandersetzung. Im Geheimbericht heißt es: „Beim Dessert erschien eine Püramide in Zuckerguß, welche 3 Inschriften in frantz[ösischer] Sprache hatte: 1) Die Gewissensfreiheit ist das Paladium der Regierung. 2) Früh oder spät wird die gute Sache obsiegen. 3) Die Warheit führt in ihrem Rath den Vorsitz. Herr Neumann laß dieselben mit sichtbarer Freude vor, indem er sagte: Ich hoffe dass bald die Gewissensfreiheit und meine gerechte Sache obsiegen wird.- Mehrere Gäste sahen Herrn v[an] Essen an. Dieser fragte mit heiterer Stimme […], ob vielleicht die Warheiten dieser Inschriften sich die Sache des deutschen oder des franz[ösischer] Reiches zum Gegenstand gewählt, und ob die 3te Inschrift auf die Gegenwart oder im Imperativ auszulegen sei. Laufend sprachen mehrere Gäste über diese Sprüche aus und versuchten zu beschwichtigen, schließlich ergriff einer das Wort: Herr Kall, lutherischer Prediger zu Cleve, der sich unter den Gästen befand, schien über den Zweck dieser Inschriften unverdächtig, ging heraus um den Wirth […] zur Rede zu stellen. Derselbe entschuldigte sich damit, dass Herr Neumann’s Patenkind Dulwer ihm dieselben zugestellt habe“.
Präsident Neumann erklärte am späten Nachmittag, die Sitzung werde im Wirtshaus fortgesetzt. Neumanns Freund, „Herr Jansen, Prediger zu Pfalzdorf, missbilligt dieses“, woraufhin der Präsident festhielt, er selbst „habe den Ort zu 144 145
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6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen
den Versammlungen zu bestimmen, und dass die Geistlichen […] eben sowohl im Speisezimmer verhandelt werden könnten, als in der Kirche“. Denn man müsse sich „bei der Trockenheit der Gerichte“ auch Getränke bestellen können. Mit „gefüllte[n] Gläser[n]“ wurde die Sitzung fortgesetzt.146 Der anonyme Autor des Geheimberichts unterstellte Neumann damit Weinseligkeit und zugleich Autoritarismus. Diese gesamte Episode im Wirtshaus fehlt (verständlicherweise) im Protokoll; fährt dieses doch schlicht mit dem nächsten Tagesordnungspunkt fort. Prediger Vielhaber aus Goch, wie der Verfasser des Geheimberichts richtig bemerkt ein „Freund der Familie Neumann“, las nun „eine Seiner Majestät dem Kaiser einzureichende Bittschrift vor“.147 Seit seiner Amtsabdankung und dem erzwungenen Amtsverbleib war Neumann nicht mehr das Gehalt „aus dem Kaiserlichen Schatz“ angewiesen worden. Darum möge das Konsistorium diese Petition beschließen, in der das Lokalkonsistorium bittet, „durch Stimmenmehrheit sich ihren Präsidenten zu wählen“. Die unerbittlichen Fronten zwischen den Fraktionen um Neumann und van Essen wurden erneut deutlich: „Kaum hatte Hr. Vielhaber diese Bittschrift vorgelesen, so ergriff Herr van Essen, unangeachtet der Protestation des Präsidenten, das Wort; sprach sehr lebhaft und aufgebracht über die Ungerechtigkeiten und Inkonsequentz, daran sich die Glieder des Consistorii schuldig machen werden, wann sie durch Haß, Drohungen oder durch eine Schult angebrachte Gutmüthigkeit sich verleiten ließen eine Bittschrift zu unterzeichnen, wovon jeder Satz einen Verstoß gegen die Warheit, […] und die […] Behörden verschuldeten Achtung enthielte“.148
Durch van Essens Intervention drohte Neumann die finanzielle Ressource des Staates zur Unterstützung wegzufallen. Die Einmischung hatte einen gewissen Erfolgt, denn: „Die Mitglieder des Consistorii verweigerten ihre Unterschrift. Keiner unterschrieb, doch musste Herr van Essen […] mit diesem Triumph sich begnügen, denn der Antrag, sich näher zu erklären ward verworfen. Herr Vielhaber erklärte alleine unterschreiben zu wollen!!!! Der Taback Rauch und der Weingeist verbreitete sich in der Versammlung!!!“149
„Ohne vorhergegangene Berathung, fing jetzt der Président an ein Protokoll zu diktieren“.150 Sekretär dieser Sitzung war Carl Neumann, des Präsidenten Sohn. Neumann ließ drei Beschwerden über van Essen ins Protokoll einfügen. 146 147 148 149 150
LANRWR Roerdepartement 2820, fol. 24. LANRWR Roerdepartement 2820, fol. 25r. Ebd. Ebd. Ebd.
6.4. Die Absetzung des Konsistorialpräsidenten Neumann in Kleve
205
„Erstlich habe er keinen Eid geleistet – Zweitens habe er nicht das Anstellungs Protokoll in dem Archiv des Consistorii deponirt und drittens habe er dem Präsidenten einen in Deutscher Sprache abgefaßten Brief zurückgeschickt mit der mündlichen Beschwerde, daß er nur offizielle Schreiben und in französischer Sprache annehme“.151 Danach wurde Neumann, leger „die Pfeife im Munde“ haltend, noch deutlicher und „ersuchte daher das Consistorium, einen Prediger aus ihrer Mitte zu entfernen, welcher deutsche Briefe anzunehmen sich weigere, und dessen Amtsverwaltung verdächtig sei, weil er den Gesetzlichen Vorschriften nicht nachgekommen sei“.152 Eine Rücktrittsforderung lehnte van Essen ab. Den Eid habe er bereits am 17. März 1809 in die Hände des Interimspräfekten geleistet und am selben Tag Neumann darüber informiert. Zweitens habe er „es nicht für nöthig erachtet das Installationsprotokoll einem Presidenten einzureichen, der damals seinen Abschied genommen hatte“.153 Was den deutschen Brief angehe, so war van Essen der Meinung, dass er „überhaupt keine officiellen Briefe anzunehmen brauche, wenn sie nicht in der Sprache des Gouvernements abgefaßt seyen“.154 Van Essen bedauerte, dass der Präsident „eine Sache zum Thema des Konsistoriums“ gemacht habe, „worin es selbst inkompetent sei“. 155 Er wolle bei der Behörde (gemeint war die Unterpräfektur), „um eine Kopie ersuchen, die er dem Konsistorium zukommen lasse, obgleich er glaube, dass ein Exemplar sich bereits im Archiv befände“.156 Während es im Protokoll daraufhin lakonisch heißt, dass Neumann „sich Beschwerde und Protest hiergegen vorbehalte, er aber darauf bestünde, dass das Procesverbal eingesandt werde“,157 wirkt der Geheimbericht lebhafter: „Diese Worte setzten Herrn Neumann in Zorn; er schrie laut auf: Sie insultiren mich, Sie verfehlen den mir schuldigen Respeckt und Sie stöhren die Versammlung. Ziehen Sie sich zurück!- Lächelnd erwiderte Herr van Essen: Herr President, ich beehre mich, Ihnen anzudeuten: dass ich hier, an diesem Orte, den Sie zum Versammlungsort bestimmt haben, bleiben werde, überzeugt, dass meine Mitbrüder mir dies nicht verargen werden. Herr Neumann erwiderte: ich werde gegen Sie richten“.158
151 152 153
154 155 156 157 158
Ebd. Ebd. Ebd. Das Protokoll drückt die Passage so aus: „einem Präsidenten, der seine Dimmission genommen habe, das Procesverbal seiner Installation zu senden“, vgl. Protokoll Kleve reformiert vom 27. 05.1812, § 8. Protokoll Kleve reformiert vom 27. 05.1812, § 8. Ebd. Ebd. Vgl. LANRWR Roerdepartement 2820, fol. 27, Geheimbericht. Protokoll Kleve reformiert vom 27. 05.1812, § 8. Vgl. LANRWR Roerdepartement 2820, fol. 27r, Geheimbericht.
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6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen
Die Sitzung wurde geschlossen. In ihr hatten sich klar die Frontlinien gezeigt und auch, dass der anonyme Verfasser des Geheimberichts zwar ins Detail geht, aber Neumann als eine Art selbstherrlichen Despoten darzustellen suchte. Insofern ist dem Geheimbericht nicht unbedingt zu vertrauen; seine teilweise zum Protokoll sehr ähnlichen Formulierungen machen ihn wiederum glaubwürdiger. Zu diesem Zeitpunkt waren die Fronten völlig verhärtet und die Spannung entlud sich, als die Person des Präsidenten von Prediger van Essen keine Unterstützung beim Gesuch um materielle Sicherheit erhielt. Die Konsistorialsitzung vom 26./27. Mai 1812 blieb den Teilnehmern in unangenehmer Erinnerung. Es wurde ein halbes Jahr später eine außerordentliche Konferenz angesetzt, um die Notabeln zu kooptieren. Offenbar gab es doch noch Beanstandungen, die sich jedoch archivalisch nicht erschließen ließen. Von den Notabeln erschien im November 1812 nur noch ein knappes Drittel, weshalb die Sitzung verschoben wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Konflikt bereits die nächste und letzte Stufe erreicht. Neumann, ohne staatliche Stütze und offenbar nurmehr unter enormem Aufwand fähig, auf die Stellenvergabe Einfluss zu nehmen, versuchte nun an seinem Gegenspieler Rache zu üben. Adolf van Essen schrieb dem Präfekten Ladoucette am 9. Dezember 1812 ein „Verzeichniß der durch Herrn Neuman angewendeten Argheit“159 als eine Art Aktenvermerk. Die folgenden Handlungen, einschließlich Neumanns Amtsenthebung, waren bereits beschehen. Neumann hatte „durch Mittelspersonen“ eine Bettlerin, ein durch ein „Tribunal früherhin verurtheiltes“ Subjekt, zu der Erklärung gebracht, „dass Sie durch mich geschwangert sei“.160 Das war Neumanns Strategie gewesen: Er brachte gerade den Vorwurf auf, der generell am leichtesten zur Absetzung führte, um seinen Gegner auszuschalten. Aber „Polizei und Bevölkerung dahier [waren] wachsam“, so dass Neumann „abgeschreckt“ worden sei und „seinen Versuch schleunigst“ aufgegeben habe, doch „in seinem heimtückischen Wesen änderte er aus dem Gang nicht die schändlichen Grundsätze“. Er spielte sich als „Sittenrichter“ auf, obwohl „er wusste, dass jedermanns Augen auf ihn, als den Feind seines Collegen, gerichtet waren“. Neumann habe daraufhin zwei Presbyter ersucht, „dies Gerücht aufs neue zu verbreiten“.161 In einer Untersuchung des Präfekten lenkte Neumann ab, indem er darauf verwies, dass van Essen „die Gewissensfreiheit verletzte, wenn [er] in deutscher Sprache das Abendmahl bediene“. Neumann machte nun van Essen das zum Vorwurf, was er ihm in der Juli-Sitzung von 1812 bereits vorgehalten hatte, nämlich die Verwendung der „falschen“ Sprache. Neumann forderte hierauf sogar, dass „alle exkommunicirt sein sollten, die bei [van Essen] zum Abendmahl kommen“. Van Essen rechtfertigte seinen deutschen Sprach159 160 161
LANRWR Roerdepartement 2820, fol. 1-4, van Essen-Ladoucette, 9.12.1812. Ebd., fol. 1. Ebd., fol. 2.
6.4. Die Absetzung des Konsistorialpräsidenten Neumann in Kleve
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gebrauch damit, dass er „in Rücksicht des Bedürftigen predigte, des Volkes“ und er deshalb „das heil. Abendmahl zu Wissenschaften in deutscher Sprache“ reiche. Daraufhin verbot Neumann dem Küster zu läuten und dem Organisten die Orgel zu spielen, „um die Ausübung meines Amtes zu verhindern“.162 Er brachte es auch fertig, einen Beschluss des Kirchenrats zustande zu bringen, von dessen Inhalt die Unterzeichnenden keine Ahnung hatten und somit in betrügerischer Absicht geschehen sei. Nun warf van Essen dem Präsidenten vor, „das Zutrauen seines Kirchenvolks missbraucht zu haben“.163 Kultusminister Bigot de Preameneu ordnete daraufhin sehr rasch die Absetzung Neumanns und die Einsetzung des dienstältesten Pfarrers als Interims-Konsistorialpräsidenten an, bis die Gemüter sich wieder beruhigt hätten.164 Zu der einberufenen Sondersitzung erschienen nur wenige Mitglieder, so dass die nächste Sitzung auf den 14. Dezember 1812 verschoben wurde. Hier gab Neumanns Freund Wilhelm Janssen bekannt, dass Neumann abgesetzt und er selbst zum Präsidenten ernannt worden sei.165 Im Februar 1813 fand eine formelle Neuwahl statt, bei der Janssen durch das Lokalkonsistorium gewählt wurde. Das Lokalkonsistorium trat danach nicht mehr zusammen. Der Fall Neumann aus den Jahren 1812/13 ist aus verschiedenen Gründen aufschlussreich. Konsistorialpräsident Neumann wurde von seinen Amtskollegen als primus inter pares gesehen, wie dies auch der Präses der vorrevolutionären Synoden gewesen war. Als solchem waren ihm Alleingänge untersagt, sondern er hatte in der Frage der Stellenbesetzung Rücksprache mit den Amtsbrüdern zu nehmen. Neumanns Hauptziel war die Sicherung einer besoldeten Pfarrstelle für ein Familienmitglied. Jedoch machten seine Versuche, durch Nutzung seiner Netzwerke die Wahl seines Sohnes Carl durchzusetzen deutlich, wie sehr sich die Wahrnehmung bereits geändert hatte: Der „französisch gesinnte“ Teil der Pfarrerschaft, unter Leitung des betroffenen Predigers van Essen, wollte Kompetenzen beachtet und das Leistungsprinzip berücksichtigt wissen. Die noch im 18. Jahrhundert mögliche Vergabe von Stellen aus Gründen der Verwandtschaft war nicht mehr en vogue. Es scheinen sich zwei etwa gleich starke Gruppen entgegengestanden zu haben, denn durch diesen Konflikt, der in den speziellen Formen der späten napoleonischen Herrschaft geführt wurde, war das Lokalkonsistorium gespalten und funktionsunfähig. Wie essentiell dieser Konflikt um die Pfarrstellenbesetzung gewesen sein muss, verdeutlicht die Tatsache, dass der neu ernannte Interimskonsistorialpräsident Wilhelm Janssen sich außer Stande sah, zwischen den beiden Positionen zu vermitteln. Am 10. Januar
162 163 164 165
Ebd., fol. 3. Ebd., fol. 4. AEKRD RPKA B I I 9, Unterpräfekt zu Kleve-Jansen, vom 30. November 1812. Protokoll Kleve reformiert vom 14. Dezember 1812, § 1. Die von ihm verlesene Ministerial-Erklärung vom 9. Dezember 1812 findet sich im AEKRD RPKA B I I 9.
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6. Von der Koexistenz zum Instrument? Das Verhältnis von Staat und Kirchen
1817 stellte er bei der preußischen Regierung den Antrag auf Auflösung der Konsistorialkirche „wegen gänzlichem Zerfall derselben“.166
6.5. Zusammenfassung Das vorangegangene Kapitel thematisierte die Beziehungsverhältnisse zwischen den protestantischen Kirchen und dem napoleonischen Staat. Der Schwerpunkt lag dabei auf den Reaktionen auf staatliche Einflussnahme. Während im Kapitel 5 deutlich wurde, wie Kirchenvertreter unter dem Eindruck des sich wieder verschärfenden Konflikts zwischen Napoleon und dem Papst zunehmend auf eine staatliche Mediation verzichteten, zeigte sich in diesem Kapitel 6 die wachsende Ablehnung jeglicher Präsenz des Staates. Seit 1809 setzte eine zunehmende Distanzierung beider Konfessionen zum Staat ein. Während auf der katholischen Seite der Konflikt zwischen Kaiser und Papst Auslöser war, waren auf reformierter Seite als ungerechtfertigt angesehene staatliche Einflussnahme und das Synodenverbot wichtige Faktoren eines mangelnden Vertrauens in das napoleonische System. Beide Prozesse – die Erkenntnis staatlicher Mindermacht in interkonfessionellen Auseinandersetzungen und die eintretende Entfremdung zu staatlichen Stellen – konvergierten in der Tatsache, dass katholische und protestantische Kirchenrepräsentanten auf departementaler Ebene in wachsendem Maße bereit waren, Konflikte ohne staatliche Mediation beizulegen. „Staat“ wurde von Bischöfen und Konsistorialpräsidenten unter den Bedingungen der späteren napoleonischen Herrschaft nicht mehr als primäres Mittel zur Konfliktlösung betrachtet, sondern mitunter als Hinderungsgrund für einvernehmliche Lösungen. So schuf die gesetzmäßige Einbindung der Regierung in die Frage der Stellenbesetzung zunächst einen Konfliktherd, dessen Zustand sich bis 1812 verschärfte. Die dann erfolgte staatliche Intervention mit der Absetzung eines Konsistorialpräsidenten führte zur völligen Spaltung und damit Lähmung des Lokalkonsistoriums. Dass ein Staat als eigenständiger Akteur durchaus eigene Interessen bezüglich der Kirchen verfolgen konnte, war eine Erkenntnis, die erst allmählich von protestantischen Geistlichen gewonnen wurde. Regionale Leitungsbeamte verhielten sich teilweise ungeschickt, indem es ihnen etwa nicht gelang, den Reformierten zu den gesetzlich verordneten Synoden zu verhelfen. In besonderer Weise muss dies auf den Präfekten Ladoucette zutreffen, da dieser ohne Not und ohne belegbare Anweisung des Kultusministers den Heidelberger Katechismus einziehen ließ, dabei die andere Rechtslage im Großherzogtum Berg verkennend. Die Durchführung dieser Maßnahme in der gespannten Atmosphäre des Konflikts zwischen katholischem Papst und Kaiser drängte auch bislang loyale Pfarrer-Staatsdiener in die Ecke der 166
AEKRD RPKA B I I 9, Jansen-Regierung vom 17. Januar 1809.
6.5. Zusammenfassung
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Illegalität. Auf diese Weise war Napoleons Rolle als Garant der Religionsfreiheit unterminiert, das Vertrauen in seine Regierung gebrochen.
7. Ein fliehender Wechsel: Das Ende der französischen Herrschaft Die letzten Jahre der napoleonischen Herrschaft waren geprägt durch eine religiös erhitzte Stimmung. Ute Planert spricht den Kriegen der revolutionären und der napoleonischen Periode ein hohes Maß an religiösem Impetus zu. 1 Die Niederlage der protestantischen Vormacht Preußen gegen das französische Kaiserreich interpretierten zahlreiche Pfarrer aus einer konfessionellen Perspektive. 2 Sie verstanden in Nord- und Nordostdeutschland diese Niederlage als Prüfung, weil sich das Volk im Zeitalter der Aufklärung zunehmend von Gott abgewendet habe.3 Als der „unbesiegbare“ Napoleon plötzlich Niederlage um Niederlage erlitt, glaubten viele Menschen, nicht nur Pfarrer, eine Auserwähltheit des eigenen Volkes zu erkennen, von der ein Ausfluss die Dämonisierung Napoleons war.4 Napoleon hatte selbst dazu beigetragen, denn in seinem berühmt-berüchtigen 29. Bulletin de la Grande Armée versuchte der Kaiser seine eigene fehlgeschlagene Strategie, die im russischen Feldzug 1812 hunderttausende Menschen das Leben kostete, durch einen massiven Winterbruch zu erklären. Dass religiöse Zeitgenossen dies als Strafe Gottes deuteten, sollte nicht verwundern.5 Im abschließenden Kapitel steht zunächst die Endphase französischer Herrschaft im Mittelpunkt. Die kritische Atmosphäre und ihre Folgen für das Handeln protestantischer Geistlicher soll dabei Gegenstand der Betrachtung sein. In einem zweiten Abschnitt wird der Fokus auf die preußische Besat1
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Ute PLANERT, Der Stellenwert der Religion in den Kriegen der Französischen Revolution und Napoleons. In: Franz Brendle, Anton Schindling (Hg.), Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa, München 2006, S. 419-431. Ebd., S. 427. Es erschien daher nur folgerichtig, wenn „Russland“, wo einige Radialpietisten die Ankunft des Herrn erwarteten, „Preußen“ vor der Vernichtung rettete. Die Dekonstruktion des Mythos von Tilsit allerdings bei Ilja Mieck, Die Rettung Preußens? Napoleon und Alexander I. in Tilsit 1807. In: Ders., Pierre Guillen (Hg.), Deutschland – Frankreich – Russland: Begegnungen und Konfrontationen = La France et l’Allemagne face à la Russie, München 2000, S. 15-37. Zur Endzeiterwartung mit Blick auf Russland vgl. Gerhard SCHWINGE, Jung-Stilling als Erbauungsschriftsteller der Erweckung. Eine literatur- und frömmigkeitsgeschichtliche Untersuchung seiner periodischen Schriften 1795-1816 und ihres Umfelds, Göttingen 1994 (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus; 32), S. 137 ff. Zahlreiche Beipiele bei HOOVER, Gospel of Nationalism und GRAF, Gottesbild, besonders S. 43 ff. und 55 ff. GRAF, Gottesbild, S. 83-88; PELZER, Die Wiedergeburt Deutschlands, besonders S. 149-153. Belege etwa bei HOOVER, Gospel of Nationalism, S. 30-36.
7.1. Öffentliche Kritik
211
zungspolitik ab Januar 1814 gelegt, nachdem die Franzosen überstürzt die Rheinlande verlassen hatten.
7.1. Öffentliche Kritik In religiöser Hinsicht prägte vor allem der Konflikt zwischen Kaiser und Papst die spätnapoleonische Innenpolitik. Die Inhaftierung des Papstes und das oktroyierte Konkordat von Fontainebleau waren keine rein katholische Angelegenheit, sondern Bestandteil gesamtgesellschaftlicher Wahrnehmung. Wie bereits früher gezeigt, erkannte das Stolberger Lokalkonsistorium bereits 1809 die immerhin denkbare Gefahr: Die Konfliktfähigkeit der reformierten und der lutherischen Kirchen war erheblich niedriger als die der katholischen Kirche, eben auch weil sie einen nicht unerheblichen Teil ihrer Einkünfte aus der staatlichen Besoldung bezogen. Dass die Dinge nicht zum Besten standen, „bewiesen“ auf lutherischer Seite die Äußerungen des Kultusministers, die sowohl Generalpräsident Jacobi als auch Konsistorialpräsident Nesselrath dahingehend verstanden, dass Bigot de Preameneu die evangelische Kirche zur „ecclesia pressa“ zu machen beabsichtigte.6 Konsistorialpräsident Reisig klagte über das Importverbot der „Neuen Theologischen Annalen“ aus Marburg.7 Die Reformierten litten unter der Isolation ihrer Kirchen, die ihnen noch nicht einmal eine regionale, geschweige denn eine überregionale Organisation erlaubte. Seit Januar 1812 erlebten reformierte Geistliche, wie Präfekt Ladoucette mit dem Heidelberger Katechismus die Bekenntnisschrift einziehen ließ. Dem Mann, der die Religionsfreiheit einst gewährte und bei seiner Krönung ihre Nachhaltigkeit beschwor, war vor diesem Hintergrund auch die Einschränkung dieses Grundrechts zuzutrauen. Es ist auffallend, dass diejenigen Pfarrer, die öffentlich auf Departementsebene sich im Sinne der Erhaltung der spätnapoleonischen Herrschaft äußerten, sich zugleich massiv um Anonymität bemühten. Im November 1812 bekundete ein „ministre protestant du pays de Clève“, der nur ein Initial bekannt gab, dass er ein Gebet zum Wohle der kaiserlichen Familie gehalten habe: „Dieu, Protecteur de la France, toi qui gouvernes à ton gré le sort des nations, lorsque le plus digne de tes fils et le plus chéri des Princes, après avoir relevé les autels et rétabli ton culte, travaille au dehors à étérniser le repos et la gloire de ses peuples fidèles, daigne, ô ciel, dans ta immuable justice veiller sur le fils et la mère! Etends ton égide protectrice sur cet enfant dont dépendant les destinées de la patrie. Fais qu’il égale un jour son père, notre soutin et notre régénerateur; la na6 7
LANRWR Roerdepartement 244, fol. 88, Nesselrath-Jacobi, 12.7.1813. LANRWR Roerdepartement 222, fol. 168-169, Reisig-Jacobi, 16.3.1812.
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7. Ein fliehender Wechsel: Das Ende der französischen Herrschaft
tion sera toujours grande et toujours invincible, si tu conserves les fils de Napoléon dont la gloire sera éternelle comme son régne, car son génie revivra dans le jeune Roi de Rome!“8
Im ganzen „klevischen Land“ des Roerdepartements gab es nur einen einzigen Prediger, dessen Name mit einem L anfing. Falls diese Abkürzung korrekt ist, kann es sich nur um Johann Friedrich Landgraf, Freimaurer und Prediger in der Festungsstadt Wesel, gehandelt haben. Nur etwa drei Wochen später gab Napoleon in seinem 29. Bulletin die Niederlage in und den Rückzug aus Russland bekannt. Napoleons Situation erwies sich als immer schwieriger, da er eine Armee neu aufstellen musste und diese nicht kampferfahren war. Im Bergischen Land brach ein Arbeiteraufstand aus, der sich an Rekrutenaushebungen entzündet hatte und sozialrevolutionäre Züge annahm.9 In Köln und anderen Städten am Rheinufer tauchten Pamphlete und Anschläge auf, bei denen Jubelrufe auf den Zaren ausgerufen wurden.10 Mit der preußischen Kriegserklärung vom 27. März 1813 begann die Kontrolle Napoleons über Mitteleuropa zu bröckeln. Bereits knapp drei Wochen später erschien im „Mercure du département de la Roër“ ein Artikel, demzufolge „ein Präsident der Consistorialkirche“ einhundert Franken als Beitrag für die Ausrüstung der „Jäger der Roer“ (chasseurs de la Roër) gespendet habe; er habe gewollt, dass sein Name verschwiegen bleibe.11 Die internen Spendenlisten der Aachener Präfektur belegen, dass der lutherische Präsident Johannes Reisig der großzügige Spender war.12 Neben den seit Ende Februar 1813 stattfindenden Ziehungen13 für die neue Armee gehörten diese Einheiten zu den departementalen Verteidigungsstreitkräften. Seine Spende habe der offiziell anonym gebliebene Konsistorialpräsident angeblich mit den Worten geliefert:
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L[ANDGRAF?], Copie pour extrait d’une lettre écrité à M. Bonafont par un Ministre protestant du pays de Clèves. In: Mercure du département de la Roër vom 15.11.1812, S. 670-671. Vgl. Hans LEMBERG, Das Ende der französischen Herrschaft in Köln 1814. Einige Beobachtungen. In: Sven Externbrink, Jörg Ulbert (Hg.), Formen internationaler Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Frankreich und das Alte Reich im europäischen Staatensystem. Festschrift für Klaus Malettke zum 65. Geburtstag, Berlin 2001 (Historische Forschungen; 71), S. 505-528, hier: S. 507. Ebd., S. 508 ff. Mercure du département de la Roër, 15.4.1813. LANRWR Roerdepartement 2141 I, fol. 30. Für die Chasseurs gingen nur wenige freiwillige Spenden von Einzelpersonen ein, wie etwa 700 Francs aus dem Hause Fürstenberg. Vgl. Nicole GOTTERI, La Police secrète du Premier Empire. Bulletins quotidiens adressés par Savary à l’Empereur, Bd. 6: de janiver à juin 1813, Paris 2003 (Pages d’Archives; 14), S. 192.
7.1. Öffentliche Kritik
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„Wir leben in einer großen Epoche, wo jeder gute Franzose, jeder wahre Christ, alle möglichen Beweise seiner vollkommenen Anhänglichkeit an die öffentliche Ruhe und seiner unverletzlichen Ergebenheit für die geheiligte Person des Fürsten, des Auserwählten Gottes, geben muß“.14
Zunächst schien sich die besondere Erwähltheit Napoleons erneut zu manifestieren. Im Mai erfolgten die Siege bei Großgörschen (Lützen) und Bautzen. Diese wurden durch zahlreiche feierliche katholische und protestantische Gebete zum „Dieu des armées“ gefeiert. Insbesondere der Raum Aachen-Stolberg tat sich dabei hervor. Der protestantische Prediger in Aachen hielt laut einem Zeitungsartikel „seinen Zuhörern in einer passenden Rede zu Herzen, wie viel Dank alle Franzosen dem Helden schuldig sind, der durch Besiegung der Feinde die Kriegsgeißel von unserm Vaterlande entfernt und uns durch seine Triumphe einen ruhmvollen und dauerhaften Frieden zusichert“.15 Dabei ist unklar, ob es sich um Peter Grünewald oder Karl Wilhelm Vetter handelte. Wahrscheinlicher ist aber Grünewald, da er als Lutheraner der Protestant im eigentlichen Sinn war. Alle drei Beispiele – Landgraf, Reisig und Grünewald – waren Prediger der Augsburger Konfession. Reformierte Geistliche traten nicht an die Öffentlichkeit, die Einziehung des Heidelberger Katechismus lag noch zu kurz zurück. Alle drei standen unter besonderem Druck: Landgraf war Prediger in der Festungsstadt Wesel, auf die Napoleon besonderen Wert legte. 16 Magister Reisig in Stolberg war Konsistorialpräsident, also höherer Funktionär und aufgrund seiner früheren Tätigkeiten im konstitutionellen Zirkel als überzeugter Anhänger Frankreichs bekannt. Sein Freund und Amtskollege Peter Grünewald amtierte im Hauptort des Roerdepartements, wo der Kontakt mit Staatsvertretern unmittelbarer war. Anders sah es mit Pfarrern an der Peripherie oder auch bei Reformierten aus. Dort reizte die Krise des napoleonischen Regimes zu kalkulierten Konflikten mit der Staatsgewalt. Für beides soll jeweils ein Beispiel die Situation schildern. Das erste Fall betrifft den lutherischen Prediger Maximilian Friedrich Scheibler. Ende 1812 war er knapp 53 Jahre alt und stand seit fast 25 Jahren im Dienste seiner Gemeinde Monschau. Zahlreiche junge Soldaten standen während ihrer Dienstzeit mit ihrer Heimat in Briefkontakt. Dem Monschauer Pfarrer Maximilian Friedrich Scheibler will so zu Ohren gekommen sein, dass seitens der Soldaten ein Bedarf für seelsorgerische Betreuung bestanden habe.17 Möglicherweise waren das ungelenke Bitten um eine Verarbeitungshilfe gegenüber den neuen und brutalen Erfahrungen, die 14 15 16 17
Mercure du département de la Roer vom 15.04.1813, zweisprachiger Text. Journal de la Roër vom 28.5.1813. Ähnliche Berichte erschienen über katholische Geistliche, so am 7.6.1813 (Aachen), 11.6.1813 (Köln) und 13.6.1813 (Viersen). Vgl. auch CHUZOTTE, Französische Sprachpolitik, S. 40. SCHEIBLER, Geistliche Waffenrüstung, S. VI.
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7. Ein fliehender Wechsel: Das Ende der französischen Herrschaft
die jungen Männer im Krieg machen mussten. 18 Scheiblers Schlussfolgerung hatte im Verfassen der Schrift „Geistliche Waffenrüstung für den christlichen Soldaten“ bestanden. Durch den plötzlichen Tod von Franz Volkmar Reinhard, den sächsischen Hofprediger, der das Vorwort verfassen wollte, verzögerte sich die Herausgabe vom Sommer 1812 bis ins Jahr 1814. Scheiblers Buchprojekt war durch ein unvorhersehbares Ereignis verhindert worden. Die Siegesfeier für die Einnahme Moskaus wandelte Scheibler in eine „christliche Totenfeier“ um.19Scheiblers Cousin, der Maire von Monschau, setzte sich beim Präfekten für den Pfarrer ein. Somit blieb es bei einer ernsthaften Ermahnung durch Ladoucette, der im Wiederholungsfalle mit der Absetzung drohte. Vom zuständigen lutherischen Konsistorialpräsidenten Reisig erfolgte keine schriftliche Stellungnahme. Auch der Generalpräsident der Lutheraner im Roerdepartement, Johann Friedrich Jacobi, äußerte sich nicht, denn er befand sich als Legislator des Gesetzgebenden Körpers in Paris. Nachdem die französische Herrschaft über Mitteleuropa in den zwei Monaten nach der Völkerschlacht bei Leipzig zusammengebrochen war und vereinzelte Einheiten der Alliierten bereits auf das linke Rheinufer Überfälle veranstalteten, hielt Scheibler die Zeit für offene Worte für gekommen. Anlässlich der napoleonischen Krönungsfeier am zweiten Advent 1813 ließ Scheibler im Schlussgebet „für unser ehemaliges, so sehr bedrängtes deutsches Vaterland“ beten.20 Der Amtsenthebung entging er nur, weil die französischen Behörden infolge des Kriegsverlaufs keinen Zugriff mehr auf die am Rhein gelegenen Gebiete hatten. Rückblickend schrieb Scheibler, daß er „viel religiös-politisches geredet und geschrieben habe, mehr vielleicht als er hätte tun sollen und gewiß mehr,“ als ihm „der ganz oder halb französisch gesinnte Teil“ seiner „Zuhörer und Lehrer Dank gewusst habe“.21 Über seine Motivation bekannte er: „Aber wer kann es einem Gefangenen verdenken, wenn er sich seiner Loslassung freut? Wer will ihm die Schritte und Bewegungen vorzeichnen, die er machen soll? Überdies war meine Übersicht gut. Ich wollte, wenn es auch bisweilen etwas unsanft und mit meinem Nachtheil geschehen müßte, den bei Manchen fast ganz erstorbenen deutschen Geist und Sinn wecken, und sie bei der erlangten Freiheit und Wiederaufnahme in den mütterlichen Schoos (!) des alten Deutschlands würdig machen“.22
18 19 20 21 22
Beispiele für Erfahrungen von deutschsprachigen Wehrpflichtigen, etwa im Spanienfeldzug, bei KERMANN, Pfälzer unter Napoleons Fahnen. SCHEIBLER, Monschau, S. 260. Zitiert nach: Ebd. Ebd. Ebd.
7.1. Öffentliche Kritik
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Im Falle Scheiblers wirkten mehrere Faktoren. Scheiblers Verwandtschaft litt seit 1810 zunehmend unter der Wirtschaftskrise und büßte große Teile ihres Vermögens ein.23 Vor dem Hintergrund der eingangs geschilderten Sorge um den Verlust der Religionsfreiheit waren Geistliche insgesamt wacher gegenüber staatlichen Maßnahmen. Dass er eine Erbauungsschrift ausgerechnet für den Russlandfeldzug verfasst hatte, war für Scheibler der letzte Schritt in einer Entwicklung von einem Befürworter hin zu einem ausdrücklichen Gegner Napoleons. In der Folge brachte er den Mut auf, in einer peripher gelegenen Gemeinde innerhalb des kirchlichen Bereichs der staatlichen öffentlichen Meinung zu widersprechen. Während seine Vorgesetzten sich in keiner Weise einsetzten, weder für noch gegen ihn, bewahrte ihn seine Verwandtschaft mit dem Maire vor der Absetzung. In einem anderen Fall verknüpft sich der konfessionelle Hader ebenfalls mit nationalem Gestus. Den „Mercure du département de la Roër“ gab Marcus Theodor Dumont-Schauberg heraus. Dumont-Schauberg musste im Sommer 1809 das Erscheinen seiner „Kölnischen Zeitung“ nach wiederholten Konflikten mit der französischen Zensur einstellen. Napoleon gewährte ihm allerdings eine ungewöhnlich hohe Entschädigung von jährlich 4.000 Francs.24 Ab 1814 gehörte Dumont-Schauberg zu den Publizisten, die massiv die öffentliche Meinung gegen Napoleon beeinflussten. Dumont-Schauberg war ebenfalls Mitglied in der „Olympischen Gesellschaft“ und ein Freund Ferdinand Wallrafs und Christian Gottlieb Bruchs. Der lutherische Prediger Bruch veröffentlichte im „Mercure“ regelmäßig Artikel. Er tat dies ganz überwiegend in französischer Sprache und behandelte meist philologische oder historische Themen. Die Regierung hatte nichts dagegen, zumal Bruch die direkte Behandlung politischer Fragen vermied. Nach der Aufreibung der Grande Armée in Russland und der heimlichen Rückkehr des Kaisers veröffentlichte Bruch einige Gedichte im „Mercure“ auf Deutsch, jedoch ohne Hinweise auf eine antifranzösische Haltung. Offenbar ermunterte Bruch seinen reformierten Amtskollegen Friedlieb Wilsing, der zuvor noch nie für den „Mercure“ geschrieben hatte, ebenfalls Gedichte zu verfassen. Wilsing hatte dafür nur zwei Mal Gelegenheit gehabt. Dass er die deutsche Sprache verwendete, bedeutete noch keineswegs eine Schwierigkeit. Doch in seinen Gedichten wurden mehr als nur Anklänge antinapoleonischer Haltung deutlich. So hieß es in der „Melancholie getrennter Liebe“ am 30. Mai 1813 (Auszüge, Orthographie beibehalten) unter anderem:25 23 24
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SCHULTEIS-FRIEBE, Die Französische Wirtschaftspolitik, S. 206. M. DUMONT SCHAUBERG, Kölnische Zeitung : 1802-1902, unveränd. ND, Köln 1917; ANONYM, Der Rhein ist frei: Festschrift zum 125jährigen Jubiläum der Kölnischen Zeitung, Köln 1930. Friedlieb WILSING, Die Melancholie getrennter Liebe. In: Mercure du département de la Roër vom 30.05.1813, S. 289 f.
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7. Ein fliehender Wechsel: Das Ende der französischen Herrschaft
„Golcondens26 Edelgestein nicht, Ordensband und Adels-Diplom, Der Bienen-Mantel des Kaisers Nicht, mit Kron’ und Scepter, vermag Trauernde Liebe zu trösten. […] Von uns’rer Sonne bereitet Lüstet Deutschland’s Pomo di Sin’, Das Blut der Erdbeer’ und Kirsche, Besser sie, denn Garküchen-Kunst Nach dem Calender der Gourmands. Ein Strumpfband nur des Entfernten27 Eine Locke ringelnden Haars, Die Linde, Zeuginn des Treuschwur’s, Hebt den Wimper froher empor, Weckt die stockenden Pulse“.
Metaphorisch verbrämt hielt der reformierte Prediger Wilsing der Regierung Napoleons den Spiegel vor. Golconda war nicht nur für seine Edelsteine bekannt, sondern auch dafür, dass den Menschen hohe Steuern abgerungen wurden. Das exotische Thema der von Piraten aus ihrem Umfeld herausgerissenen Aline, die Königin im indischen Golconda wurde, hatte zuletzt François Adrien Boieldieu im Jahre 1804 zu einer Oper verdichtet. Unmittelbar nach der Veröffentlichung dieser Oper hatte Boieldieu ein Angebot als Hofkomponist in St. Petersburg angenommen.28 Wilsing sah in der pompösen Selbstdarstellung des Empires nur Fassade und opernhaftes Gehabe. Ihm lag eine deutsche Schlichtheit eher am Herzen als eine „Garküchen-Kunst nach dem Kalender der Gourmands“. Er warf Napoleon ziemlich unverblümt vor, das öffentliche Leben zum Stocken zu bringen. Hinzu trat, dass im Vorjahr die Stadt Köln per kaiserlichem Dekret zu einer „bonne ville de l’empire français“ erhoben wurde.29 Als solche durfte Köln im Wappen ein rotes Schildhaupt mit drei goldenen Bienen 26
27 28
29
Golconda (heute: Hydarabad) war eines der fünf Dekkan-Sultanate, die nach dem Zusammenbruch des Bahmani-Sultanats entstanden waren. Bekannt war das Reich von Golconda geworden durch die dort geschürften Diamanten und für seine übermäßige Steuerbelastung auf Bauern. Es gilt literarisch als Quelle großen Reichtums. Vgl. James Sowerby, Exotic Mineralogy, Or, Coloured Figures of Foreign Minerals: As a Supplement to British Mineralogy, London 1811, S. 39. Im Original findet sich hier die Anmerkung „Honni soit qui mal y pense“, also das Motto des englischen Hosenbandordens. Zur Person Boieldieus siehe Karl BLESSINGER, Boieldieu und die opera comique, Augsburg 1921 (Dichter und Bühne; 4); Karin Sigrid HUBER, François-Adrien Boieldieu: 1775-1975, Berlin 1975. Joachim DEETERS, Köln - une bonne ville de la France? Die französischen Jahre. In: GiK 45 (1999), S. 58-70.
7.1. Öffentliche Kritik
217
tragen. Der Maire einer solchen Stadt stieg nach zehn Dienstjahren automatisch in den Rang eines Barons auf und stand protokollarisch unmittelbar hinter den Senatoren. Köln gehörte daher neben Aachen und Mainz zu den wichtigsten Städten Frankreichs, die Napoleon persönlich im Blick behielt. Den französischen Zensoren war der Gehalt des Textes zunächst entgangen, da sie den „Mercure“ für ein loyales Blatt hielten.30 In der Stadt Köln war es seit Jahresbeginn wiederholt zum Anbringen von Anschlägen oder auch kritischen Äußerungen in der Öffentlichkeit gekommen. So hatten im Januar einige Betrunkene „Vive Alexandre, Empereur de Russie“ gerufen, im April sogar direkt unter dem Fenster des Platzkommandanten. Außerdem kursiere ein Pamphlet unter dem Titel „Manifeste de L’Empereur de Russie et du Roi de Prussie“ in den „départements du Nord de l’Empire“, wie der Unterpräfekt Klespé dem Maire Johann Jakob von Wittgenstein mitteilte.31 Wittgenstein selbst war am 30. Juni 1813 erneut feierlich in sein Amt eingeführt worden. Für den August war ein Aufenthalt der Kaiserin angekündigt.32 Die städtischen Behörden waren zu stark ausgelastet, um die sich häufenden Vorfälle öffentlicher, wenngleich anonymer Insurrektion aufzuklären. Gerade in dieser Stimmung erschien Wilsings Gedicht unzensiert. Obwohl keine andere Quelle Nachweise über die Wirkung der Gedichte Wilsings enthält, ist dennoch davon auszugehen, dass der reformierte Prediger politischen Druck zu spüren bekam. Denn am 14. Juli 1813, gerade anderthalb Monate nach der Veröffentlichung, bat der Kölner Pfarrer Wilsing das unter dem Vorsitz von Heinrich Simon van Alpen versammelte zuständige reformierte Lokalkonsistorium Stolberg um Versetzung „auf eine ruhige Landpfarrei“.33 Das Lokalkonsistorium nahm zwar den Wunsch Wilsings an, konnte jedoch keine Ersatzpfarrei stellen.34 Wenig später legte Wilsing sein Amt nieder und nahm noch im Sommer 1813 im rechtsrheinischen Neuwied eine Stelle an, allerdings nicht als Pfarrer, sondern als Schullehrer. 35 Er nahm also auch Gehaltseinbußen in Kauf, um seine Stelle als Pfarrer im französischen Köln aufgeben zu können. Das spricht für die Unterstellung, Wilsing sei durch seine antinapoleonischen Gedichte in einer existenziellen Staatskrise bei den französischen Behörden in Ungnade gefallen. Dem reformierten Pfarrer Johann Arnold von Recklinghausen, der 1813 im rechtsrheinischen bergischen Langenberg amtierte und ab 1818 eine „Reformations-Geschichte“ herausgab, schienen die 30
31 32 33 34 35
Zur patriotischen Propaganda eines Theologen als Meinungsführer unter französischer Zensur vgl. Schleiermachers „Preußischen Correspondenten“. Matthias WOLFES, Öffentlichkeit und Bürgergesellschaft. Friedrich Schleiermachers politische Wirksamkeit, Berlin 2004 (Schleiermacher-Studien; 1) (Arbeiten zur Kirchengeschichte; 85). Die Beispiele bei LEMBERG, Das Ende der französischen Herrschaft in Köln, S. 508. Ebd., S. 508-509. Protokoll Stolberg reformiert, 14.07.1813, § 10. Ebd. ROSENKRANZ, Rheinland II, S. 376.
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7. Ein fliehender Wechsel: Das Ende der französischen Herrschaft
näheren Umstände bekannt gewesen zu sein, wie eine Formulierung in diesem Werk nahe zu legen scheint.36 Bereits einen Tag nach Wilsings Abdankungsgesuch erschien ein Artikel seines Vorgesetzten im „Mercure“, um allgemeine Nachrichten zur Geschichte des Departements mitzuteilen. 37 Darin konstruierte van Alpen eine ununterbrochene kulturelle Kontinuität zwischen dem Roerdepartement und dem übrigen Frankreich seit galloromanischer Zeit. Er hatte zuvor in diesem Journal mindestens seit Anfang 1812 nichts publiziert, es sei denn anonym. Wilsings lutherischer Amtsbrüder in Köln Bruch, einer der wichtigsten Autoren des „Mercure“, hatte das letzte Mal im Juni ein deutschsprachiges Gedicht veröffentlicht. Ab diesem Zeitpunkt bis zum 31. Dezember 1813, also dem Vorabend der alliierten Invasion, setzte Bruch das Verfassen wissenschaftlicher Texte in französischer Sprache fort. Das ist ein weiteres Indiz für den politischen Charakter von Wilsings Abschiednahme. Der reformierte Prediger Wilsing nutzte die enge Einbindung der französischen Verwaltung in Köln in formale und polizeiliche Aufgaben, um seiner verdeckten Kritik am napoleonischen Regime Raum zu geben. Er war dafür bereit, seine mit 1.000 Francs dotierte Stelle als Pfarrer aufzugeben und in Neuwied Lehrer mit einem erheblich niedrigeren Gehalt zu werden. Vor allem auf lutherischer Seite hielt sich generell eine eher loyale Haltung gegenüber Napoleon und seiner Regierung, denn die Lutheraner wurden sogar aufgefordert, weitere Institutionen, wie die Inspektionen, zu errichten. Im November 1813 schrieb der Konsistorialpräsident Johann Heinrich Nesselrath aus Krefeld an seinen Vorgesetzten Johann Friedrich Jacobi in Paris: „Das Publicum ist hier voller Erwartung der Dinge, die da kommen sollen. Düsseldorf ist voll von feindlichen Truppen, der Rhein ist geschlossen und die Stadt Wesel durch eine fürchterliche Belagerung. Die armen Weselaner! Doch hoffe, wünsche und vermuthe ich noch immer, dass es gehe wie es gehe, wenigstens das linke Rhein Ufer die Grenze Franckreichs bleiben werde“.38
Nesselraths Hoffnung erfüllte sich nicht. Das Angebot einer Rheingrenze, das ihm Metternich im November unterbreitete, lehnte Napoleon ab. Dadurch war ein Einmarsch in Frankreich unausweichlich geworden. Bereits seit Ende 1813 36 37
38
Bei RECKLINGHAUSEN, Reformations-Geschichte I, S. 328 heißt es ominös über Wilsing: „der sein Amt niederlegen musste“. Heinrich Simon van ALPEN, Notices historiques, topographiques et statistiques sur le département de la Roer. In: Mercure du département de la Roër vom 15.7.1813, S. 366-371, vom 31.7.1813, S. 387-402; ders., De l’origine des bains d’Aix-la-Chapelle et des houilles d’Eschweiler et de Weisweiler. In: Mercure du département de la Roër vom 31.7.1813, S. 321-426. LANRWR Roerdepartement Nr. 244, fol. 144-145, Nesselrath-Jacobi, 22.11.1813. Vgl. MOHN, Krefeld, S. 242.
7.2. Unter alliierter Besatzung
219
hatten an verschiedenen Stellen längs des Rheins alliierte Einheiten den Fluss für Überfälle überquert. In der Neujahrsnacht 1814 überschritt der preußische Generalfeldmarschall Blücher bei Kaub den Rhein und führte das Hauptheer über Kreuznach in Richtung Saarbrücken.39 Am 14. Januar verließen französische Beamte und Soldaten Köln, am 17. Januar 1814 zog auch Präfekt Jean Charles François de Ladoucette aus Aachen ab.
7.2. Unter alliierter Besatzung Die alliierte Besatzungsmacht ging strategisch klug vor. Der preußische Befehlshaber Friedrich Wilhelm von Ribbentrop ordnete am 11. Januar 1814 an, dass Geistlichen das Gehalt wieder ausgezahlt werden sollte, das die französische Regierung ihnen seit Juni 1813 vorenthalten habe.40 Diese Maßnahme wurde durch den neuen Generalgouverneur August von Sack bestätigt und abgesichert. In Stolberg schlug daraufhin Präsident Reisig „eine Dankadreße vor an seine Excellenz den Herrn General-Gouverneur von Sack für die gnädige Fortsetzung der Staatsmäßigen Gehälter der Pfarrer im Roer-Département“ 41 . Der mittlerweile als Napoleongegner angesehene Monschauer Pastor Maximilian Friedrich Scheibler „wurde ersucht, diese Adreße mit seiner bekannten Eleganz aufzusetzen“. Generalgouverneur August von Sack verkündete am 21. August 1814, dass „in der Regel zivile Anweisungen nicht von den Kanzeln verlesen werden sollen, jedenfalls nicht ohne Befehl der zuständigen geistlichen Stelle“.42 Noch später, im März 1815, erging die Order, dass der katholische und protestantische Klerus von allen persönlichen Diensten befreit war, zumindest was die Bürgermiliz anging.43 Durch diese Maßnahmen garantierte von Sack die materielle Sicherheit der Geistlichen. Da die politische Zugehörigkeit noch nicht ausgehandelt war und die Besatzungsverwaltungen den künftigen Landesherrn nicht vorgreifen wollten, 44 blieben die Kirchenorganisation und auch das napoleonische Recht bis auf Weiteres in Kraft. Somit blieb ein Ordnungsrahmen erhalten und funktionsfähig und bewahrte Geistlichen die materielle Sicherheit und die rechtliche Kontinui39
40 41 42 43 44
Eine detailverliebte Schilderung des Feldzuges in der Region bei Karl ZIMMERMANN, Die Kriegsereignisse zwischen Rhein, Saar und Mosel im Jahre 1814 (mit 3 Kartenskizzen). In: RhVjBll 4 (1934), S. 25-48. Siehe das Dekret in AEKRB 013B Nr. 51, Erlass vom 11.1.1814. Protokoll Stolberg lutherisch, 21.6.1814, § 5. Dort auch das folgende Zitat. Journal vom Nieder- und Mittelrhein, 30.08.1814. Verordnung vom 28.03.1815, abgedruckt in: Journal vom Nieder- und Mittelrhein, 30.03.1815. KOLTES, Das Rheinland zwischen Frankreich und Preußen.
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7. Ein fliehender Wechsel: Das Ende der französischen Herrschaft
tät. Davon unbeschadet nahm König Friedrich Wilhelm III. für sich in Anspruch, von den 1795 abgetretenen Gebieten Kleve, Moers und Geldern erneut Besitz zu ergreifen. Was die Besatzungsmacht von den Geistlichen erwartete, war genau das, was Kirche auch unter Napoleon sein sollte, nämlich ein Mittel zur Implementierung und Stabilisierung staatlicher Herrschaft. Wer der napoleonischen Regierung eine Instrumentalisierung oder Indienstnahme der Geistlichen unterstellen will, muss dies auch für die preußische Besatzung formulieren. In einer „Verordnung, die überhand nehmenden Schlägereien auf dem platten Lande betreffend“, hieß es durch Generalgouverneur von Sack: „Der Abschnitt des Strafgesetzbuches, welcher die Strafbestimmungen gegen unerlaubte Thätlichkeiten und die daraus entspringenden Verletzungen enthält, soll am ersten Sonntage jedes Monats, in jeder Kirche durch einen Prediger, in der Landessprache, deutlich und langsam von der Kanzel verlesen, und diese Vorlesungen von Zeit zu Zeit mit passenden Erläuterungen und Ermahnungen abseiten des Predigers verbunden werden. Die respektiven Herren General-Vikarien und Konsistorial-Präsidenten haben deshalb an die Pfarrer ihrer Diöcesen die nöthige Instruction zu erlassen, die Orts-Bürgermeister aber die Befolgung dieser Vorschrift […] zu controlliren. […] Die Herrn General-Vikarien und Konsistorial-Präsidenten, Gouvernements-Commissarien und der Herr Ober-Brigadier der Gouvernementsmiliz werden ein jeder, so weit es ihn angeht, und innerhalb des ihm angewiesenen Wirkungskreises, gegenwärtiger Verordnung die nöthige Folge zu verschaffen, eifrigst bemüht seyn und indem sie den Geist derselben richtig erkennen, zwar dem darin bezeichneten Uebel kräftigst zu steuern, zugleich aber alles zu vermeiden suchen, was einer zwecklosen und willkührlichen Beschränkung des Volks in unschuldiger Freude und erlaubter Lustbarkeit ähnlich sehen könnte“.45
Deutlicher hätte keine französische Dienststelle die Pflichten der Pfarrer aus Sicht der weltlichen Macht erläutern können. Welche Rolle ihnen zugedacht war, war den meisten Pfarrern durchaus klar: Sie empfanden das auch nicht als untypisch. Protestantische Pfarrer aller Konfessionen waren unmittelbar nach dem Machtwechsel bemüht, ihre Ablehnung napoleonischer und Befürwortung preußischer Herrschaft zu bekunden. Bereits im Frühjahr 1814 ließ Konsistorialpräsident Heinrich Simon van Alpen eine Predigt anlässlich eines Dankgottesdienstes für „den glorreichen Einzug der hohen verbündeten Mächte in Paris“
45
Verordnung, die überhand nehmenden Schlägereien auf dem platten Lande betreffend vom 1.8.1814, abgedruckt in Journal des Nieder- und Mittelrheins, 4.8.1814.
7.2. Unter alliierter Besatzung
221
drucken. 46 Zeitgleich veröffentlichte auch der 1802 aus Kleve fortgegangene, nunmehr als preußischer Feldprediger in Paris stehende Friedrich Wilhelm Offelsmeyer „Reden, beym Begräbniß einiger Offiziere von der königl. Preuß. Garde zu Fuß, welche bey dem ruhmvollen Angriffe vor Paris am 30. März 1814 gefallen sind“, die er auch veröffentlichte.47 Konsistorialpräsident Reisig wollte am 21. März 1814 dem Generalgouverneur August von Sack gegenüber seine „Unterthänigkeit schriftlich bezeuge[n]“.48 Er hoffte, Sack nehme „es daher nicht ungehörig auf, wenn ich Sie gehorsamst bitte, mein Amt unter Ihrem högst erwünschten Schutze ferner zum Besten meiner Gemeinen und zur Aufrechterhaltung der nöthigen kirchlichen Ordnung verwalten zu dürfen“.49 Selbst die Titelführung schien ihm klärungsbedürftig, weshalb er um Entscheidung bat, „ob etwa der Name Inspector nach deutscher und in den Landen Sr. Königlichen Majestät von Preussen überlieferter Sitte von mir gebraucht werden soll“.50 Als Leumund verwies er auf den ehemaligen Friedensrichter und jetzigen Kreisdirektor Biergans, mit dem Reisig eine gemeinsame Vergangenheit seit seiner Mitwirkung im Konstitutionellen Zirkel in Aachen verband. Im August 1814 bedankte sich das zweite Reserve-Infanterieregiment, das in Düren stationiert war, in einer Zeitungsannonce „für den grossen Antheil“, den die Stadt am Geburtstagsfest „unsers angebeteten Monarchen“ hatte. Damit war diesmal allerdings nicht der Kaiser der Franzosen gemeint, sondern der König von Preußen. „Schon des Morgens, gleich nach der statt gehabten großen Parade, brachten der katholische Clerus des gesamten Kantons, die reformirte und lutherische Geistlichkeit der Stadt und der Magistrat in pleno dem hier kommandirenden Offizier ihre Glückwünsche für das Wohl des vielgeliebten Königs dar“.51 Die Kriegsgebete und Solidaritätsgesten waren derart verbreitet, dass General-gouvernementskommissar Boelling nur noch über „das übliche Kirchengebeth“52 sprach. Das vorgeschriebene Kriegsgebet wurde mancherorts zu spät gehalten, um noch wirksam zu werden, denn die Kampfhandlungen waren bereits durch den Sieg bei Waterloo oder Belle-Alliance am 18. Juni 1815 46
47
48 49 50 51 52
Journal des Nieder- und Mittelrheins, Nr. 23, 5.3.1814. Erworben werden konnte die Predigt ausdrücklich bei den Buchdruckern und -händlern Johann Heinrich Schwarzenberg (Aachen), Rommerskirchen (Köln), Funcke (Krefeld), Steinort (Kleve), Schirmer (Jülich) und Richter (Eupen). Friedrich Wilhelm OFFELSMEYER, Reden, beym Begräbniß einiger Offiziere von der königl. Preuß. Garde zu Fuß, welche bey dem ruhmvollen Angriffe vor Paris am 30. März 1814 gefallen sind, Paris 1814. LANRWR Generalgouvernement vom Nieder- und Mittelrhein 108, fol. 3v, Reisig-Sack, 21.3.1814. Ebd. Ebd. Anzeige vom 6.8.1814, in: Journal des Nieder- und Mittelrheins vom 11.8.1814. AEKRD 4KG 008 Nr. 28, Boelling-Heilmann, 13.3.1815.
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7. Ein fliehender Wechsel: Das Ende der französischen Herrschaft
beendet worden. Bereits Anfang August 1815 erschien bei dem Verleger Schwarzenberg in Aachen die Schrift „Der Sieg von Belle-Alliance und dessen kirchliche Feier zu Aachen“, worin sich unter anderem auch das „Siegesgebet vom lutherischen Prediger Grunewald“ befand.53 Pfarrer aller Konfessionen bemühten sich ab 1814 betont für die neue Landesherrschaft einzutreten. Opportunismus spielte gewiss eine Rolle, aber tatsächliche Gegnerschaft oder zumindest Ablehnung wie bei Scheibler oder Esch haben dabei ebenso eine gewichtige Bedeutung gehabt. Nachdem ihnen die Besatzungsverwaltung materielle und rechtliche Kontinuität zugestanden hatte, waren Pfarrer bereit, sich auch in den Bereichen, die ohnehin jede Regierung für sich beanspruchte, nämlich Kriegsgebeten und Fürbitten sowie Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Unterstützung zu leisten. Generalgouverneur Sack rief zu Spenden zur Unterhaltung der militärischen Infrastruktur der Alliierten im Rheinland auf. Die Namen der Spender wurden mit dem gespendeten Beitrag veröffentlicht. 54 Diese Praxis hatte sich bereits 1813 in Preußen bezahlt gemacht und so hoffte die Verwaltung auf ähnlichen Erfolg in den Besatzungsgebieten, bei denen sie davon ausging, dass Rheinländer die französische Herrschaft als Fremdherrschaft empfunden hätten. 55 Diese Spendenlisten bieten einen Indikator der Zustimmung zum erneuten Herrschaftswechsel. Da sie eine gewisse Freiwilligkeit voraussetzten, kann anhand der Spendenbereitschaft auch das Maß der Unterstützung quantifiziert werden. Während einige Pfarrer namens ihrer Gemeinden relativ großzügig spendeten, wie der reformierte Prediger Besserer für die Gemeinde Burtscheid mit 261,50 Francs, die Xantener Gemeinde mit 236 Francs oder die lutherische Gemeinde in Aachen, dem Sitz des Generalgouvernements, mit 205 Francs, waren andere Gemeinden etwas zögerlicher. Dazu zählten Sittard (78,41 Francs), Köln lutherisch (69,66 Francs),56 Eschweiler (64,49 Francs) und als Schlusslicht Zweifall, deren Beitrag in Höhe von immerhin 13,30 Francs durch Konsistorialpräsident Reisig übermittelt wurde.57 Auch der lutherische Präsident Nesselrath aus Krefeld raffte sich zu einer Spende auf, die allerdings mit gerade einmal 2,20 Francs geradezu lächerlich gering war. Bei weitem nicht alle Kirchengemeinden spendeten Beiträge, ebenso wenig die Pfarrer. Tatsächlich waren es nicht viel mehr Gemeinden als die sieben oben aufgeführten (von 80 reformierten und lutherischen Gemeinden!) und auch nicht wesentlich mehr als die genannten Pfarrer. Geht von man Spenden als Indikator für die Zustimmung zur neuen 53 54 55 56 57
Journal des Nieder- und Mittelrheins, 3.8.1815. Journal des Nieder- und Mittelrheins, 30.7.1814; ebd., 6.9.1814. GRAF, Gottesbild, S. 32-33. Die Kölner Freimaurerloge erbrachte hingegen 300 Francs. Vgl. KARLL, Französische Regierung, S. 239. Pastor Schlickum aus Randerath spendete als Einzelperson mit 14,30 Francs mehr als die gesamte Gemeinde Zweifall.
7.2. Unter alliierter Besatzung
223
alliiert-preußischen Herrschaft aus, lässt sich der Eindruck einer abwartenden Haltung, die keineswegs überschwänglich den erneuten Herrschaftswechsel erwartete, nicht abstreiten. Als die Rückkehr Napoleons im März 1815 erneut Mobilisierung zur Folge hatte, 58 liefen abermals Spendensammlungen an, die sich bis in den Sommer 1815 hineinzogen.59 Da durch den (Ersten) Pariser Frieden die Abtretung des linken Rheinufers an deutsche Landesherrn klar war und die Vorbereitungen für die Inbesitznahme der Provinzen am Rhein durch den preußischen König getroffen waren, zeigte sich nun ein erheblich günstigeres Spendenaufkommen. Prediger Königsfeld aus dem reformierten Düren brachte in einer Sammlung 600 Francs ein, später noch silbernes Besteck und seine private Spende in Höhe von 250 Francs, also ein halbes Jahresgehalt des Pfarrers. Der lutherische Konsistorialpräsident Johannes Reisig, der noch im April 1813 eine große Summe zur Ausrüstung von Jägern (chasseurs de la Roër) gegen Preußen gespendet hatte, warf nun ganze 25 Francs in den großen Topf. Auch Karl Schulz in Menzerath sowie die reformierten Pastoren Faber (Friemersheim) und Johann Wilhelm Engels spendeten kleinere Beträge bis zu 50 Francs. Pastor Schlickum sammelte erneut und erbrachte „mit Inbegriff einer Goldmünze im ganzen 21,35 Francs“. Nicht zuletzt spendete die Ehefrau des ehemaligen Generalpräsidenten Jacobi einen „gewonnenen, brillantenen Ring“. Auch der Bürgermeister von Kleve, ehemaliger Grand Notable und Ältester im reformierten Lokalkonsistorium Kleve, Johann Georg Hopmann, spendete. In seinem Falle handelte es sich um eine goldene Medaille im Wert von 164 Francs, die Hopmann für seine Anstrengungen bei der Rheinüberflutung von 1809 hatten verliehen bekommen. Ihm wurde diese Medaille als Ersatz in Eisen nachgegossen.60 Zu den Spendern gehörte auch der Schwiegersohn des abgesetzten Klever Konsistorialpräsidenten Peter Neumann, Johann Christian Gottlieb Ludwig Krafft aus Weeze. Er spendete 80 Francs und bezeichnete dies als sein „Scherflein, […] im vollen Gefühl der Geringfügigkeit der Gabe“.61 Dass er nicht seinen Arm anbiete, liege nicht an irgend einem Mangel inneren Dranges. Wenn notgedrungen der Ruf des preußischen Vaterlands an alle ergehen sollte, die keine physische Unmöglichkeit binde, so könne er für einen Stellvertreter sorgen und stehe jeden Augenblick mit seiner Person zu Gebote. Während der Lutheraner Maximilian Friedrich Scheibler insgesamt über 460 Francs an Spenden einsammelte, musste er sich gegenüber Generalgouverneur von Sack in einer Eingabe vom 31. März 1815 für seinen Sohn rechtfertigen, der nicht die Waffen ergreifen wollte: 58 59 60 61
Vgl. die ausführliche Schilderung des „Adlerfluges“ bei Sudhir HAZAREESINGH, The legend of Napoleon, London 2005, S. 15-40. Journal des Nieder- und Mittelrheins, 15.7.1815; ebd., 17.8.1815. KARLL, Französische Regierung, S. 238; vgl. Journal des Nieder- und Mittelrheins 1814, Nr. 35. KARLL, Französische Regierung, S. 240.
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7. Ein fliehender Wechsel: Das Ende der französischen Herrschaft
„Ich habe meinen zweiten Sohn, der nicht viel Muth hat, noch nicht bereden können, sich Ew. Excellenz zum Kriegsdienste zu stellen, und durchgreifen mag ich hier auch nicht, theils weil diese freiwillige Stellung die persönliche Sicherheit meiner Familie […] bei meiner allenfalligen Emigration […] gefährden könnte, theils weil ich die Gesundheit und das Leben meiner […] Frau, die zwar sehr brav und mir ungemein theuer, aber keine Spartanerin ist, schonen muß. Ich hoffe aber, sein ältester Bruder zu Brünn […], der ein muthigeres und […] ächt deutsches und Preußisches Herz hat, wird in einer anderen Gegend […] der guten Sache mit seinem Arm dienen“.62
Mit eigenem Blut wollte Scheibler denn nun doch nicht die napoleonische Herrschaft, gegen die er in den Jahren 1812 und 1813 so hart gewettert hatte, abstreifen. Einzelne jüngere Theologen taten diesen Schritt jedoch freiwillig. Peter Bender zum Beispiel war am 9. April 1793 in Kall bei Gemünd geboren worden, hatte bis 1811 in Düren gelebt und danach in Straßburg Theologie studiert. Am 5. Juli 1814 war er „mit Ruhm“ vom Lokalkonsistorium Stolberg examiniert worden. Bender war, da er zunächst keine Stelle als Pfarrer fand, als Freiwilliger der preußischen Armee für den Feldzug 1815 beigetreten und er hatte dafür das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen bekommen. Nach seiner Rückkehr wurde er sofort auf die vakante Pfarrei in Roetgen gewählt, die er jedoch bald verließ und bereits 1823 als Pfarrer von Wermelskirchen verstarb. Die genannten Beispiele machen einerseits die abwartende Haltung, andererseits die innere Zerrissenheit der geistlichen Funktionselite deutlich. Erst nachdem durch den Pariser Frieden die politische Zukunft klar war und vor allem nachdem Preußen das Land in Besitz genommen hatte, stieg das Maß der Unterstützung erheblich an. Reformierte Pfarrer und Gemeinden neigten zu größeren Spenden für die alliierte, später preußische Sache als die Lutheraner, von einzelnen Ausnahmen abgesehen. Protestantische Geistliche verstanden es aber nicht nur, die ihnen von Staats wegen zugewiesenen Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit zu erledigen. Sie unternahmen auch Versuche, die neue Regierung für ihre Zwecke einzubinden. Maximilian Friedrich Scheibler legte im November 1815 Vorschläge vor, wie die Kirchenzucht und -ordnung seiner Meinung nach aussehen sollte.63 Grundsätzlich wollte er „unsere bisherige Synodalverfaßung“ beibehalten, wünschte nur zweckmäßigere Abänderungen, etwa die regelmäßige Neuwahl des Vorsitzenden. Staatlichen Einfluss sah er nur im Rechnungswesen vor. Das Staatsgehalt sollte für Pfarrer und Lehrer erhöht werden und Pfarrer müssten das Recht erhalten, sich öffentlich politisch äußern zu dürfen. Besonders wichtig war ihm die Abschaffung des Zivilstands, mit der er die Hoffnung auf eine Besserung des 62 63
Zitat ebd., S. 241, Anm. 1. LANRWR Generalgouvernement vom Nieder- und Mittelrhein 108, fol. 55-59.
7.2. Unter alliierter Besatzung
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christlich-sittlichen Verhaltens verband, da man zur Heirat die Einwilligung des Pfarrers benötigen würde. Tatsächlich wurde im ehemaligen Großherzogtum Berg auch das System der zivilen Registratur abgeschafft. Diese modifizierte Kirchenordnung sollte nach Scheiblers Vorstellungen „jährlich einmal, wenigstens Auszugsweise, von den Kanzeln verlesen werden“.64 Wilhelm Engels aus Hochemmerich schrieb im Auftrag der versammelten Krefelder Konsistorialkirche deutlich, welche Vorteile die französische Herrschaft gebracht hatte: „Die französische Regierung […] schenkte oft den religiösen Gesellschaften, denen es daran fehlte, Gebäude, Orgeln, usw.“65. In einem Gutachten von Anfang 1816 erklärte Engels, dass in der vorrevolutionären Zeit der König von Preußen in den zum Fürstentum Moers gehörenden Pfarreien Patron gewesen sei, die Wahlen jedoch durch den Gemeindevorstand stattfanden. Im Herzogtum Jülich hingegen sei der Kurfürst nicht Patron gewesen „und die Verfassung der Gemeinden war fast durchaus republikanisch“. 66 Engels schloss: „[Die französische Regierung] hob alle Patronatsrechte und alle bisherige kirchliche Verbindungen auf“. Daraus folgte, dass sich sämtliche Eingriffe staatlicherseits nicht mehr auf die Rolle des Landesherrn als Patron stützen konnten. Implizit würde eine künftige Kirchenordnung dies in Form weitgehender kirchlicher Autonomie zu berücksichtigen haben. Das war genau der Standpunkt, den Pfarrer seit der Revolutionszeit öffentlich vertreten hatten, wie etwa die Ausführungen von Prediger Daubenspeck in Kapitel 2 deutlich machen: Der Staat sollte sich aus innerkirchlichen Angelegenheiten heraushalten. Der Verwaltungsbeamte Neigebaur schrieb über seine Zeit während der provisorischen Verwaltung: „Die evangelische Kirche wurde durch die vorgefundenen reformirten und lutherischen Konsistorien und deren Präsidenten verwaltet; alle aber wünschten die Wiederherstellung der vorigen Synodal-Verfassung“.67 Eine von außen, etwa durch den König von Preußen, oktroyierte Kirchenverfassung nach traditionellem deutschem Landeskirchen-Muster wollte die Mehrheit der Pfarrer keineswegs, obwohl sich die „gesammte evangelische Geistlichkeit“ durch „ihren freudigen, lebendigen Geist für die gute Deutsche Sache aus[zeichnete], und überall sprachen sich gemüthliche und liberale Gefühle in Bezug auf die Freiheit des geistigen Strebens aus, welche durch die wiedergewonnene Deutschheit verbürgt ward“. 68 Auch war entgegen Hashagens Meinung 69 durch die Organischen Artikel nicht einfach eine Umetikettierung bei Beibehaltung der eigentlichen Kirchenordnung erfolgt. Bis 1835 bestand ein Neben- und teilweise Gegeneinander der verschiedenen 64 65 66 67 68 69
Ebd., fol. 55. Zitiert nach ROSENKRANZ, Kirchenverhältnisse, S. 126. Zitiert nach ROSENKRANZ, Kirchenverhältnisse, S. 124. Johann Daniel Ferdinand NEIGEBAUR, Darstellung der Provisorischen Verwaltungen am Rhein: vom Jahr 1813 bis zum Jahr 1819, Köln 1821, S. 116. NEIGEBAUR, Darstellung, S. 116. HASHAGEN, Abschlusse, S. 47 und 49.
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Rechtsordnungen vom Ancien Régime über die napoleonische Ära bis zur frühpreußischen Gesetzgebung.70 Während sich eine Hinwendung zu Preußen allmählich abzeichnete, blieben doch alte Bindungen erhalten. So erlebte der lutherische Generalpräsident Johann Friedrich Jacobi den politischen Wechsel von Paris aus, wo er noch im Dezember 1813 erfolgreich Verhandlungen über eine Organisationsreform des lutherischen Kultus geführt hatte. Wäre die Rheingrenze erhalten geblieben, so wären das Kölner und das Mainzer Generalkonsistorium zu einem einzigen in Mainz vereinigt worden. Als Präsident sollte Jacobi fungieren und ihm war ein Jahresgehalt von 6.000 Francs in Aussicht gestellt worden.71 Noch am 13. April 1814 hatte er eine Denkschrift für das Kultusministerium verfasst, in der er sich für eine größere Autonomie der Kirchen aussprach.72 Alle diese Pläne wurden durch den (Ersten) Pariser Frieden hinfällig. Jacobi verabschiedete sich bei seinen ehemaligen Untergebenen mit einem Zirkular: „Hochgeehrteste Herren, der so lange vergeblich heiß-ersehnte Friede ist endlich erschienen. Freude und Ruhe kehrt in die beklommne Brust zurück, und Dankgebete zu Gott dem Allmächtigen und Allgütigen entströmen jedem fühlenden Herzen. Ganz ungetrübt kann ich mich gleichwohl diesen Empfindungen nicht überlassen, weil der Augenblick der Rückkehr des Friedens, zugleich auch derjenige meiner Trennung von Ihnen, hochgeehrteste Herren, ist. Zehn Jahre lang arbeiteten wir mit vereinten Kräften an der Aufrechterhaltung unserer Religion und unseres kirchlichen Vereins, und wenn der Erfolg unserer Bemühungen nicht immer, selbst den billigsten Erwartungen entsprach, so bleibt uns doch das Bewusstseyn, nicht umsonst gearbeitet und wenigstens so viel geleistet zu haben, als wir nach der Lage der Umstände zu leisten vermochten. Die Verhältnisse welche uns verbanden, hören jetzt auf, und jeder von Ihnen hat sich von nun nicht mehr an mich, sondern an die neuen Landes-Autoritäten in allen Vorfallenheiten zu wenden, die bisher meiner oberen Leitung anvertraut waren. Ich scheide aber nicht von Ihnen, hochgeehrteste Herren, ohne Ihnen allen zusammen und jedem ins besondere, die Sie mich treulich in meinen Bemühungen unterstützen und den Absichten, welche meine Handlungen leiteten, Gerechtigkeit wiederfahren liessen, meinen wärmsten und aufrichtigsten Dank darzubringen. Zugleich bitte ich Sie, den Gliedern der Kirchengemeinden meines gewesenen Bezirks zu sagen, dass ich mich mit einem schmerzlichen Gefühle von ihnen trenne, kein Glied derselben meinem Herzen fremd werden, und aller Wohlergehen, mir bis an das Ende meines Lebens angelegen bleiben werde. Mein letzter
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Ausführlich zur Thematik Jörg van NORDEN, Die Genese. DUDA, Organisation, S. 94. LANRWR Roerdepartement 271, fol. 18-19, Projet d’un Mémoire, 13.4.1814.
7.2. Unter alliierter Besatzung
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Wunsch ist, dass Sie der Worte Pauli, I Thessalon: cap. 5 vers 12 bis 25 stets eingedenk bleiben mögen. Mit den Gesinnungen der vorzüglichsten Hochachtung verharre ich, hochgeehrteste Herren, Dero ganz ergebenster Diener der bisherige Oberconsistorial Praesident, Ritter des Ordens der Ehren-Legion, Jacobi“.73
Die Reaktion einzelner Lokalkonsistorien hierauf zeigte die Intensität der Bindung an den ehemaligen Vorgesetzten. Präsident Johannes Reisig in Stolberg erkannte durch den neuerlichen politischen Wandel die Sinnlosigkeit seiner Spende für die chasseurs, denn er kündigte „mit Leidwesen an, das (!) unser verehrungswürdiger bisheriger Ober-Consistorial-President und Ritter des Ordens der Ehren-Legion zum allgemeinen Schmerz der Consistorial-Kirche sein kirchliches Amt niedergelegt“ habe. 74 Nach der Verlesung des Briefes beschlossen die anwesenden Pfarrer, „dem Herrn Oberpräsidenten ein schuldiges Dankschreiben und, wo möglich, ein Denkmahl unserer Dankbarkeit für seine vielen uneigennützigen Bemühungen und Verdienste zu widmen. Der Herr Senior Grünewald hatte die Güte, die Einrichtung der Sache zu übernehmen“. Gestiftet wurde ein silberner Pokal im Wert von fast 50 Reichstalern.75 Einem missliebigen, nunmehr abgesetzten Vorgesetzten gegenüber wäre sicherlich nicht eine solche Aufwartung gemacht worden. Das ambivalente Gesicht der Zeit ermöglichte es, in ein und derselben Sitzung Dankschreiben sowohl an den Oberpräsidenten aus französischen Zeiten für die erbrachten und an den neuen preußischen Generalgouverneur für die noch zu erbringenden Dienste zu verfassen. Jacobi nutzte seine alten freundschaftlichen Beziehungen zu Wilhelm von Humboldt, der ihm 1815 die Stelle als Präsident der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt vermittelte. Eine Ironie der Geschichte ist es, dass Jacobi als solcher in Mainz amtierte, wo er in dem erwähnten Dezember-Plan von 1813 an eigentlich als französischer Generalpräsident residieren sollte. Was das Führungspersonal der Geistlichen betraf, die Konsistorialpräsidenten, so wurden im Roerdepartement alle von Preußen übernommen, was auch der allgemeinen Linie der Personalpolitik entsprach.76 Auffallend ist dabei, dass die beiden lutherischen Präsidenten Nesselrath und Reisig sich 1818 bzw. 1820 emeritieren ließen, während kein einziger Reformierter dies tat. Dort blieben alle Präsidenten – Heilmann, Janssen, Diergardt, van Alpen und Wasserfall – im Amt. Immerhin zwei von ihnen wurden 1817 zu Superintendenten befördert, 73 74 75 76
AEKRB 3MB 013B Nr. 51. Protokoll Stolberg lutherisch, 21.6.1814, § 3. Dort auch das nächste Zitat. Protokoll Stolberg lutherisch, 6.6.1814, § 3. Die detaillierte Abrechnung bei KORTH I, S. 25-26. KOLTES, Das Rheinland zwischen Frankreich und Preußen, S. 123 ff.; CLEMENS, Diener dreier Herren, besonders S. 80 ff.; FABER, Verwaltungs- und Justizbeamte auf dem linken Rheinufer, S. 362 ff.
228
7. Ein fliehender Wechsel: Das Ende der französischen Herrschaft
während van Alpen bis zu seinem Tode im Jahre 1830 den Titel eines Konsistorialpräsidenten führte. Wilhelm Janssen, der erst 1812 nach Peter Neumanns Absetzung zum Lokalpräsidenten gewählt worden war, war nicht nur einer der ältesten Pfarrer, sondern starb 1822 im Amt als Superintendent. Für seinen Kollegen Diergardt endete die Amtszeit hingegen bereits wieder nach einem knappen Jahr. Der Kreis um Neumann gehörte jedoch zu Gewinnern der frühpreußischen Zeit. Die verwandtschaftlichen Beziehungen, deren Grundlagen bis 1810 gelegt waren, bildeten die Basis für die Positionierung von Mitgliedern auf Pfarrstellen.77 Neumanns Schwiegersohn Johann Christian Gottlieb Ludwig Krafft nahm 1817 einen Ruf nach Erlangen, verbunden mit einer Professur an der dortigen Universität, an. Krafft prägte die Bekenntnisentwicklung der Protestanten in Bayern entscheidend mit und wurde als Reformierter einer der entschiedensten Fürsprecher des entstehenden lutherischen Neukonfessionalismus.78 Als solcher gilt er bis heute als eine der Führungspersönlichkeiten der Erweckungsbewegung. Sein Bruder August Christoph Friedrich folgte ihm in Weeze mit gerade 22 Jahren, also weniger als dem kanonischen Alter und wurde im Amt bestätigt. Ein weiterer Vertreter der Familie Krafft, Johann Gottlob, hatte 1814 die Stelle Wilsings in Köln übernommen. Gemeinsam mit seinem lutherischen Amtskollegen Bruch wurde Johann Gottlob Krafft 1816 zum Kirchenrat ernannt. Bruch und Krafft übernahmen damit zeitweilig Aufgaben des früheren Generalkonsistoriums. Die Familie Krafft stellte bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein zahlreiche Pfarrer, die etwa als Superintendenten oder Inspektoren Führungspositionen in der rheinischen Kirche einnahmen. Ähnliches galt für die Familie Esch, die 1814 einen Pfarrer stellte und 1824 fünf. Auch diese Familie blieb kontinuierlich bis ins frühe 20. Jahrhundert eine verbreitete Pfarrerfamilie, die allerdings nur noch einen Superintendenten stellen sollte. Als Heinrich Gottfried Esch Ende 1814 darum bat, vom kanonischen Alter dispensiert zu werden, führte er zunächst die traditionellen, bereits vorrevolutionären Verdienste seines noch lebenden Großvaters an: „Sein GroßVater war der verdiente Prediger Esch zu Meurs der die Achtung der ganzen Gegend genoß, und sich die höchste Gnade Sr. Majestät des Königs von Preußen durch seine patriotische Huldigungs Predigt im Jahre 1786 erwarb“.79 Auch der Vater habe diese Tradition ungebrochen fortgesetzt: „Der Vater des Candidaten ist der von uns allen hochgeachtete verdiente Prediger Esch in Vluyn deßen würdevolle Amtsführung, deßen hoher reiner Patriotismus für das deutsche Vaterland, und für die Sache seines geliebten Königs zu allen Zeiten durch Wort 77
78 79
Auf diese Relation wies hin Hillard von THIESSEN, Herrschen mit Verwandten und Klienten. Aufstieg und Fall des Herzog von Lerma, Günstlings-Minister Philipps III. von Spanien. In: ders., Arne Karsten (Hg.), Nützliche Netzwerke und korrupte Seilschaften, Göttingen 2006, S. 181-207, hier: S. 202, Anm. 4. NEUSER, Pietismus und Erweckungsbewegung. AEKRD 3MB 006 Nr. 69 Bl. 185. Dort auch alle weiteren Zitate.
7.2. Unter alliierter Besatzung
229
und That sich bewährt hat“. Sogar noch mehr, er habe aktiv dem napoleonischen Regime widerstanden: „Als die vorige Regierung ihm anbot, eines von seinen zehn Kindern auf Kosten des Staates erziehen zu laßen, wolte er es nicht der Gefahr Preuß geben vom verhaßten französischen Geiste angesteckt zu werden“. Auch die Bereitschaft, gegen Napoleon ins Feld zu ziehen ließ Esch nicht unbeachtet: „Kaum hatten die verbündeten Truppen den Fuß über den Rhein gesezt, seegnete er seinen zweiten Sohn über den Entschluß, freiwillig in die Chur Märkische Landwehr zu treten, und für die große Sache des Vaterlands sein Leben zu wagen – einen Entschluß, den er würklich ausgeführet hat“. Gerade hieraus erwuchs für Esch ein Problem. Zwar hatte diese Begründung Erfolg und die Regierung bestätigte das Vikariat des „Candidaten Esch“. Doch „[k]aum hatte er diese Stelle angetreten, als er vom Kreiß Ausschuß zu Creveld zum Hauptmann ernannt und von Sr. Königl. Majestät bestätigt wurde“.80 Das Lokalkonsistorium hielt ihm die Stelle frei und als er als „Compagnie Führer“ aus dem zweiten Rheinischen Landwehrregiment zurückkehrte erhielt er sofort eine Stelle als vollwertiger Pfarrer. Damit offenbarte sich die Familie Esch, die eine Basis des Kreises um Neumann, Krafft und andere darstellte, als Teil einer Gruppe, die durch die revolutionäre Umwälzung der Verhältnisse in den 1790er Jahren verloren hatte. Infolge der napoleonischen Niederlage gewannen sie ihre Stellung zurück. Am 5. April 1815 nahm der preußische König offiziell von den Provinzen am Rhein Besitz. Aus geistlicher Sicht war folgende Passage seiner Erklärung bedeutsam: „Eure Religion, das Heiligste, was dem Menschen angehöret, werde ich ehren und schützen. Ihre Diener werde Ich auch in ihrer äußeren Lage zu verbessern suchen, damit sie die Würde ihres Amtes behaupten“.81 In seiner Gocher Gemeinde hielt der reformierte Prediger Heinrich Vielhaber einen Monat später eine Predigt „Ueber unser Heil in unserer Wiedervereinigung mit Preußen“.82 Dem Kirchenvolk gegenüber verhieß er einen ordnungsmäßigen Geschäftsgang der Verhältnisse: „Ja, einer Gesetzgebung werden wir unterthan seyn, die nichts Verfängliches hat; - in der nichts der Wilkühr und der Gewalt überlassen, sondern die verständig und wohlwollend, der Freyheit aller Staatsbürger […] möglichst genau wird angepasst seyn“. 83 Diese neuen Verhältnisse würden auch keinen neuen Krieg bringen: „Nicht mehr werden wir fortan mit Thränen auf die Wiege unserer Kinder schauen: denn nicht mehr werden wir sie hinschleppen sehn zu fernen Landen, sondern ruhig werden wir sie besitzen, und bey uns
80 81
82 83
Protokoll Moers reformiert, 30.8.1815, § 3. Zitiert nach Wilhelm ROTSCHEIDT, Am Niederrhein vor hundert Jahren. Eine zeitgemäße Erinnerung an die Wiedervereinigung der Rheinlande mit Preußen im Jahre 1815. In: MEKR 1918, S. 350-363, hier: S. 351. Abdruck des Predigttextes bei ROTSCHEIDT, Am Niederrhein, S. 353-363. Ebd., S. 356.
230
7. Ein fliehender Wechsel: Das Ende der französischen Herrschaft
behalten dürfen“.84 Niemand werde seinen „ersparten Nothpfennig“ abzugeben gezwungen sein. Die Krönung war der König persönlich, „der selbst Muster in allen häuslichen, bürgerlichen und christlichen Tugenden, der selbst Muster einer wahrhaft geläuterten Frömmigkeit ist“.85 Dieser „wahrhaft geläuterte“ König war noch vor kurzem der Gegner gewesen, gegen den die Landeskinder sich „hinschleppen“ mussten. Und für diese Kämpfe hatten die Pfarrer gepredigt und um göttlichen Beistand gebeten. Es blieb sicherlich vielen Pfarrkindern nicht verborgen, dass hier der Prediger genau das tun sollte, was die Obrigkeit von ihm seit jeher erwartete. Um dem Kirchenvolk diesen Wandel begreifbar zu machen, griff Vielhaber auf ein uraltes theologisches Konzept zurück - das Konzept der Vorsehung: „Ja, es war Gott, der den Rath der Fürsten und der Völker lenkte; dessen Geist den edelen Zorn entflammte in der Brust der Unsrigen, und in den Schlachten Sieg verlieh - denn was durch Menschen geschieht, das ist ja auch sein Werk. Gott, sag’ ich, ist es, durch dessen mächtiges Walten diese schöne Aussicht in unserer Wiedervereinigung mit Preußen geworden ist“.86 Damit finden sich Anknüpfungspunkte für die Entwicklung einer gemeinsamen Tradition von vorrevolutionären zu nachnapoleonischen Verhältnissen, die dem Kirchenvolk deutlich machen sollte, warum es trotzdem zu seinem Pfarrer zu stehen hatte, obwohl dieser offenkundig bis 1813 für die eine und ab 1814 für die andere Seite gepredigt hatte. Wenn allerdings Gott höchstselbst „den Rath der Fürsten und der Völker lenkte“, hatten die Prediger, auch wenn sie auf der politisch „falschen“ Seite standen, nur Gott gehorcht. Und wer wollte sich schon Gott entgegenstellen?
7.3. Zusammenfassung In der Spätphase napoleonischer Herrschaft spielte die Konfession aufgrund der verfehlten Kirchenpolitik der französischen Regierung eine wesentliche Rolle für die zunehmende Entfremdung vor allem zwischen reformierten Geistlichen und der französischen Regierung. Es waren lutherische Pastoren, die in der Öffentlichkeit für Napoleon eintraten, dabei jedoch um Anonymität bemüht waren. Hingegen nutzten einzelne Geistliche die Einbindung der Verwaltung in formale und polizeiliche Aufgaben (Besuch der Kaiserin, Aufklärung öffentlicher Anschläge), um ihre Kritik an Napoleon zu äußern. Der preußischen Besatzungsmacht standen Geistliche zunächsten abwartend gegenüber. Sie gewannen erst Vertrauen, als die politische Lage sich klärte und 84 85 86
Ebd., S. 357. Ebd., S. 358. Ebd., S. 360.
7.3. Zusammenfassung
231
Napoleon endgültig besiegt war. Besonders erwies sich dabei von Vorteil, dass die neue Regierung in rechtlichen und materiellen Fragen zunächst Kontinuität wahrte. Der politische Wechsel 1813/15 stärkte die Rolle des Kreises um Krafft, Esch, Roß und Neumann, gegenüber der Gruppe um van Alpen, Bruch oder Charlier. Dieser Erfolg zeigte sich darin, dass zahlreiche Pfarreien mit Angehörigen der betreffenden Familien besetzt wurden. Mit dem Posten eines Konsistorialrats in Köln und später des Generalsuperintendenten für Rheinland und Westfalen hielten Vertreter dieses Kreises die Leitung der rheinischen Kirchen inne. Damit erhielten gerade die Kräfte Zugang zu den kirchlichen Spitzenpositionen, die sich betont traditionell gaben und unter denen aufgrund der napoleonischen Kirchenpolitik das Bekenntnis wieder stärkere Bedeutung erlangt hatte. Für die evangelisch-rheinische Geschichte des 19. Jahrhunderts war damit das personelle Fundament gelegt.
8. Ausblick Die reformierte wie die lutherische Geistlichkeit am Niederrhein bildete eine Ausnahme im gesamten Heiligen Römischen Reich. Während üblicherweise ein konsistorial verfasstes Kirchenwesen vorherrschte, wie etwa am Mittelund Oberrhein, bestand am Niederrhein ein presbyterial-synodal organisiertes Gefüge, das niederländischen und französischen Traditionen nahestand. Aufgrund der spezifischen religiösen Entwicklungen seit 1609 und des vertraglichen Regimes zwischen den Landesherren Preußen und Kurpfalzbayern bestand faktisch die Situation einer relativ strikten Trennung zwischen Staat und Kirchen. Dessen ungeachtet bildeten Pfarrer eine Funktionselite, die jede Regierung unterstützen oder destabilisieren helfen konnten. Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Pfarrerschaft am Ende des Ancien Régime als vergleichsweise homogene Gruppe: Die Mehrzahl der Pfarrer stammte aus dem Gebiet der früheren vereinigten Territorien Jülich, Kleve, Berg und der Grafschaft Mark, also dem Gebiet der niederrheinischen Generalsynode. Bei Reformierten war das Studium an der Duisburger Universität die Regel, bei den Lutheranern war preußischerseits Halle vorgeschrieben. Auch die familiäre Verflechtung war ausgesprochen groß. Die niederrheinische Geistlichkeit teilte sich um 1794 in eine traditionelle, stark konfessionell geprägte Gruppe (in der älteren Literatur oft als „Orthodoxe“ bezeichnet) und eine eher an Vorstellungen der Aufklärung orientierte Fraktion. Während bis in die 1780er Jahre hinein die Traditionalisten die Führungspositionen innerhalb der Geistlichen besaßen, rückten unmittelbar vor dem Einmarsch der Franzosen 1794 „Aufklärer“ in die wichtigsten Stellen auf. Die Invasion fassten beide Gruppen als Phase der Anomie auf, in der sie ihres bisherigen Sozialprestiges verlustig gingen, Einkünfte spürbar verloren und Funktionen, etwa im Bereich des Registraturwesens, einbüßten. Anders als beispielsweise in der Pfalz oder am Mittelrhein gewannen sie keinen Handlungsspielraum infolge der revolutionären Umgestaltung des linken Rheinufers, da die Strukturen ihres überkommenen kirchlichen Gefüges bereits eine dezentrale Selbstverwaltung kannte. Die Blickrichtung der niederrheinischen Pfarrer musste also eher bewahrend wirken. In diesem Sinne lässt sich die gelegentliche politische Mitwirkung protestantischer Pfarrer interpretieren. Bedeutsam wurde die Wahrnehmung eines (scheinbar) bestehenden Konsenses mit der Revolutionsregierung, seit diese das Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche (1795) verkündet hatte. Der neue Machthaber Napoleon Bonaparte schien ihnen auf der Basis dieses Konsenses ihre alte Stellung wiederherstellen zu können. Dabei kann von einer einseitigen Indienstnahme durch den Staat, wie dies gelegentlich behauptet wird, keine Rede sein. Die Pfarrer wünschten sich Berechenbarkeit
8. Ausblick
233
und Schutz und dies ermöglichte Bonaparte durch die Schaffung einer Art Laufbahn, was für Frankreich eine Neuheit darstellte. Daher erwiesen protestantische Geistliche sich als willens, sich in die im Aufbau begriffene napoleonische Meritokratie zu integrieren. Die vorliegende Studie interessierte sich für die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen einer Einbindung von Funktionseliten eines neu eroberten Gebietes in bestehende oder neu aufzubauende Strukturen. Infolge des Lunéviller Friedens von 1801 hatte Frankreich seine Grenzen bis an das linke Rheinufer vorgeschoben. Damit gehörten die „départements réunis“ zwar völkerrechtlich zu Frankreich, jedoch war eine vollständige Integration damit noch keineswegs vollzogen. Somit musste Napoleon nicht nur die Spaltung als Folge der Revolution überwinden, sondern auch die neuen Grenzgebiete in Belgien, dem linken Rheinufer und Oberitalien in das neue Frankreich einbinden. Einen Teil seiner Kräfte musste er daher auch den Führungsgruppen dieser Gebiete widmen, wollte er die Spaltung des französischen Gesamtstaats beseitigen. Sie wurde damit Motivation für seine Elitenpolitik, als deren Instrumente die institutionelle Einbindung und ein System von Belohnungen und Beförderung respektive deren Entziehung bei mangelnder Kooperationsbereitschaft anzusehen sind. Diese der Regierung zur Verfügung stehenden Werkzeuge wirkten auf unterschiedlichen Ebenen. Die institutionelle Einbindung scheiterte an der Durchsetzung der Logik des in religiösen Dingen neutralen Staates. Da der napoleonische Staat keine Staatsreligion mehr kannte, durfte er keinem Glauben mehr einen Vorteil gewähren, weder dem katholischen Mehrheitsbekenntnis noch den evangelischen Minderheitskonfessionen. Das war der Grund gewesen, warum der Staatsrat die Abänderung der Organischen Artikel dahingehend erwirkte, dass als Grundeinheit der protestantischen Kirchen die zahlenmäßige Ausdehnung wie bei den katholischen Kantonspfarreien eingeführt wurde. Obgleich durch die Zahlung eines Staatsgehalts an alle protestantischen Pfarrer bereits früh obsolet geworden, blieb dieses verordnete kirchliche Gefüge erhalten. Die Existenz der Konsistorialkirchen selbst ist bereits ein Ausdruck der paritätischen Logik des napoleonischen Staates. Aus der gleichen Überlegung heraus erfolgte das faktische Synodenverbot, da Kultusminister Portalis annahm, er müsse den katholischen Bischöfen ebenfalls Konferenzen erlauben, wenn er den Reformierten ihr eigentlich gesetzlich festgeschriebenes Recht gewährte. Ebenfalls erfolgte die erwähnte Einziehung des Heidelberger Katechismus mit der Begründung, dass damit die Rechte der katholischen Konfession beeinträchtigt würden. Durch die beiden letzten Maßnahmen stellte sich die napoleonische Regierung unbeabsichtigt in eine Traditionsreihe mit den katholischen Kurfürsten von der Pfalz, die vor 1794 weite Teile des linken Rheinufers (Kurpfalz und die
234
8. Ausblick
Herzogtümer Pfalz-Zweibrücken und Jülich) beherrscht hatten. Zwar erfolgten die als antikonfessionelle Maßnahmen von den Pfarrern aufgefassten Verbote nicht mehr mit der Begründung der Verletzung einer Staatsreligion, sondern mit dem revolutionären Gleichheitsprinzip, das in einem religiös neutralen Staat herrschte. Die Konsequenzen waren allerdings dieselben, nämlich eine zunehmende Entfremdung zwischen Geistlichen und Staat: Den Institutionen konnte kein absolutes Vertrauen entgegengebracht werden, sobald es um das Verhältnis zur Zentrale ging. Das zweite Instrument der napoleonischen Elitenpolitik war ein System von Beförderungen und Belohnungen. Die wichtigsten Vergünstigungen, die Napoleon der Geistlichkeit zustehen wollte, waren ein Staatsgehalt und die Befreiung von der Wehrpflicht. Damit befriedigte er einerseits die Wünsche der Geistlichkeit, andererseits schuf er sich ein Druckmittel. Bei der Umsetzung hielten sich Pfarrer auch peinlich genau an die Vorschriften, die die Regierung ihnen setzte. Vor allem für Konsistorialpräsidenten war die Ernennung zu Mitgliedern in Vereinen, etwa dem Athénée de la langue française, einerseits ein Mittel des Loyalitätsbeweises, andererseits ein Ausweis ihres Prestiges in den Augen der Regierung Problematischer wurde die Personalpolitik der führenden Köpfe, die Einbindung des kleinen Kreises derjenigen, die als Vermittler zwischen Zentrale und Peripherie stehen konnten. Das Beispiel des lutherischen Generalpräsidenten Johann Friedrich Jacobi zeigte die Folgen einer Berufung von der Region weg in den Corps législatif: Sie bedeutete den Wegfall der persönlichen Bindungen solcher vermittelnden Personen und damit die Schwäche einer noch jungen Einbindung eines neuen Gebietes. Zwar schufen die Organischen Artikel einen Handlungsrahmen, innerhalb dessen sich die Einbindung dieser geistlichen Funktionselite in französische Strukturen vollziehen konnte. Doch zeigten viele Maßnahmen der Regierung nach 1802 ein Doppelgesicht: Auf das Staatsgehalt bestand kein Rechtsanspruch, so dass es bei Bedarf entzogen werden konnte (und auch wurde). Zugesagte Institutionen, wie die reformierten Synoden, wurden in der Praxis untersagt. Um diesem institutionellen Manko entgegenzuwirken, griff die napoleonische Regierung auf frühneuzeitliche Methoden zurück, um mittels geeigneter Amtsträger zwischen eroberter Peripherie und Zentrum zu vermitteln. Die eigene Beförderungspolitik beraubte jedoch seit 1807 die Regierung zunehmend größerer Einflussmöglichkeiten. Hingegen erkannten die Pfarrer, dass staatliche Unterstützung bei zwischenkonfessionellen Streitigkeiten nur wenig Früchte trug. Als erfolgreicher erwiesen sich Strategien zur Kooperation auch mit der katholischen Kirche ohne staatliche Mediation. Diese Entwicklungen verschärften sich ab 1808. Der Konflikt Napoleons mit Papst Pius VII., insbesondere dessen Gefangennahme, offenbarten die strukturelle Abhängigkeit der protestantischen Kirchen vom Wohlwollen der
8. Ausblick
235
Regierung und zugleich die schwache Konfliktfähigkeit des organisierten Protestantismus. Durch sein Handeln aber büßte Napoleon die Rolle als Garant der Religionsfreiheit ein und erschien nunmehr als mögliche Gefahr für diese. Verstärkt wurde diese Wahrnehmung durch die beständige Weigerung, Synoden tagen zu lassen und zuletzt durch die versuchte Einziehung der reformierten Bekenntnisschrift, des Heidelberger Katechismus. Das Resultat war eine Entfremdung zwischen Regierung und Geistlichkeit, in deren Folge die Regierung seit Juni 1813 keine Gehälter mehr auszahlte. Es waren vor allem reformierte Geistliche, die öffentlich Kritik an Missständen des napoleonischen Regimes äußerten. Bezeichnend ist, dass Pfarrer, die die Regierung unterstützen, in der Spätphase der französischen Herrschaft um Anonymität bemüht waren. Nach dem „fliehenden Wechsel“ der Regierungen nahmen die Geistlichen zunächst eine abwartende Haltung ein; erst nach Klärung der zukünftigen Zugehörigkeit erfolgte offene Unterstützung der Pfarrer für Preußen. Zudem änderten sich in den Jahren 1812 bis 1816 auch die Machtpositionen zugunsten desjenigen Teils der Geistlichen, die aus den vorrevolutionären „Orthodoxen“ entstanden waren und für das 19. Jahrhundert maßgebend werden sollten. Infolge zunehmender staatlicher Repressionen und Unzulänglichkeiten bei der Umsetzung der Einbindung der geistlichen Funktionselite, brach der napoleonische Versuch, das Verhältnis von Staat und Kirchen erstmalig seit 1789 in einem konstruktiven Geist neu zu ordnen, zusammen. Der nochmals übergeworfene Mantel riss. Das Fallbeispiel der protestantischen Pfarrer im Roerdepartement zeigt die Fragwürdigkeit des Bündnisses von Thron und Altar nach dessen erneutem Aufbau unter dem Primat des Staates in der Moderne.
9. Anhang 9.1. Tabellen Tabelle 1. Pfarrerwechsel ins rechtsrheinische Gebiet Quelle: eigene Erhebungen. Jahr
Name
von ...
nach ...
Konf.
Jg.
Geburtsort
1799
Zur Nieden, J.L.Ts. Krummacher, Gfd. Dl. Zimmermann, E.W. van der Werth, Johann Friedrich Karl Schriever, J.P.A. Tönnes, J.P. Küpper, J.F.W. Reiffenscheidt, Johann Franz Aloys1 Offelsmeyer, F.W.
Geldern
Emmerich
luth.
1767
Opherdicke
Baerl
Wülfrath
ref.
1774
Tecklenburg
Kleve II
Hattingen
luth.
1767
Kalkar
Rees
ref.
1758
Mittenwalde (Brandenburg) Wesel
Kaldenkirchen Repelen Kranenburg Kervenheim
Düsseldorf Neviges Castrop Lobith
ref. ref. ref. luth.
1775 1777 1776 k.A.
Kleve Elberfeld Bodelschwingh k.A.
Apotheker Kaufmann Pfarrer k.A.
Kleve I
Münster
luth.
1761
Herford
Erkenzweig, P.J.Jb. Höfer, J.H.
Geldern
Drechen
ref.
1760
Orsoy
Linnich
ref.
1760
Moers
Jülich
Radevormwald Niedernjesa
Bürgermeister Tuchfabrikant k.A.
luth.
k.A.
Remlingrade
k.A.
Süchteln
Neuwied
ref.
1774
Duisburg
Lehrer
1801 1801 1802
1802 1802 1803 1804
1805 1807 1807 1809 1813
Mühlingshaus, P.K. Wilsing, J.Fb.
Tabelle 2. Prozentualer Anteil derjenigen Pfarrer, die durchgängig auf einer Pfarrstelle blieben Quelle: eigene Erhebungen. Konsistorialkirche Moers Stolberg Krefeld Kleve Odenkirchen Durchschnitt
1
1795-1813 38,5 40 45,5 29,4 11,1 32,9
Nr. 3 2 1 4 5
1802-1813 69,2 60 55,0 41,2 33,3 51,7
Nr. 1 2 3 4 5
Ehemaliger Mönch, der am 15.2.1817 ermordet wurde.
Vaterberuf Pfarrer Bürgermeister Landjäger Visitator
9. Anhang
237
Tabelle 3. Vereinigungs-Vereinbarungen in den rheinischen Departements Quelle: eigene Erhebungen. Jahr 1801 1802
Ort Simmern Mainz Koblenz Köln Saarbrücken* Neuss Lambrecht Geldern
1803 1804 1805 1808
Departement Rhein-Mosel Donnersberg Rhein-Mosel Rur Saar Rur Donnersberg Rur
Fläche Lokal Lokal Lokal Fläche Lokal Lokal Lokal
* geplant
9.2. Chronologie Jahr 1794
1795
1796 1797
1798
1799 1800 1801 1802
Allgemein Ende der Terreur. Französischer Einmarsch. Im Winter 1794/95 werden am preußischen Niederrhein Kirchen als Magazine gebraucht. Direktorium. Trennung von Staat und Kirche. Frieden von Basel. Frieden von Campo Formio. Rückkehr landesherrlicher Beamter. Auswirkungen des „Klöppelkrieges“.
Reformierte Lutheraner Letzte Sitzungen der Klassen; die alten Inspektoren bleiben provisorisch im Amt. Zerstörung von Kirchen in Linnich und Jülich Kirchen vor allem im Herzogtum Kleve und im Fürstentum Moers werden als Magazine gebraucht.
Trennung von Jüchen und Kelzenberg. Konfessionelle Unruhen im Raum Linnich.
Regierungsantritt Napoleons. Mutmaßliche Synode in Moers. Frieden von Amiens. Gemeinsames Gesangbuch Organische Artikel (8./18.4.). in Stolberg. Jacobi Interimspräfekt. Schenkung von Kirchen an Protestanten in Köln und
Gemeinsames Gesangbuch in Stolberg. Streit in Jülich mit Gräfin von Hatzfeldt.
238 Aachen. 1803
1804
1805
1806
Verstaatlichung der Heidelberger Güteradministration. Kaiserkrönung Napoleons Konferenz der reformierten Konsistorialpräsidenten: Angebot eines zentralen Büros in Paris. Einführung des Staatsgehaltes. Ernennung Jacobis zum Mitglied der Ehrenlegion. Gesetz zur finanziellen Unterstützung von Pfarrern.
Installation der Konsistorialkirchen in Moers und Stolberg Dankadresse an Portalis Ernennung Jacobis (Moers). zum Generalpräsidenten in Köln (Aachen). Kirchenstreit in Gemünd.
Dankadresse an Portalis (Stolberg). Beginn des Streits um die zweite Pfarrstelle in Kleve (bis 1812).
Tod des Kultusministers Portalis. Kaltstellung von Rabaut-Dupui Befreiung der Theologen vom Wehrdienst. Gesetz betr. Kultus-Centimen. Ernennung von Bigot de Preameneu zum Kultusminister. Unfalltod von Rabaut-Dupui.
Treffen der reformierten Konsistorialpräsidenten des Rurdepartements in Krefeld.
1809
Gefangennahme des Papstes. Wiederholung des Angebotes eines reformierten Kommunikationsbüros.
Furcht vor Ende der Religionsfreiheit (Stolberg). Beginn der Trennung von Hückelhoven und Wassenberg.
1810
Kaiserhochzeit.
1811
Geburt des Königs von Rom. Spendenaufrufe für die lutherische Gemeinde in Paris.
1807
1808
Unionsvereinbarung in Geldern. Friedhofstreit in Gemünd-Schleiden.
Denkschrift Bruchs über Kirchenzucht. Einweihung der Neusser Kirche. Installation der Konsistorialkirche Krefeld.
Unionsvereinbarung in Geldern. Friedhofstreit in Gemünd-Schleiden. Generalkonsistorialreglement betr. Sitzungsformalia. Teilung der Konsistorialkirche Krefeld und Installation des Konsistorialkirche Stolberg. Generalkonsistorialreglement betreffend Vermögensverwaltung (18.9.). Berufung Jacobis ins corps législatif. Audienz Jacobis bei Napoleon (Köln) Schulstreit in Monschau.
9. Anhang 1812
Verbot der Einfuhr der Marburger Neuen theologischen Annalen.
1813
Sammlungen zur Ausrüstung der Departementalverteidigung Einstellung der Gehaltszahlungen an Pfarrer.
1814
Wiederbeginn der (Nach-) Zahlungen des Staatsgehalts durch Preußen. Offizielle Huldigung an den König von Preußen.
1815
239 Verbot des Heidelberger Katechismus. Prozess gegen Pfarrer Johann Wilhelm Engels (Hochemmerich) wegen Betrug in Militärangelegenheiten. Suspendierung von Pfarrer Fues (Gemünd). Absetzung des Konsistorialpräsidenten Peter Neumann (Kleve). Skandal um Wilsing (Köln). Ende des Streits mit dem Grafen von Bentheim-Tecklenburg (Stolberg). Evakuierung und Zerstörung Büderichs bei Wesel. Definitive Trennung von Hückelhoven und Wassenberg.
Versuche zur Einführung eines Simultaneums in Jülich.
Trauergottesdienst von Maximilian Friedrich Scheibler (Monschau).
Abschiedsschreiben Jacobis aus Paris.
10.1. Ungedruckte Quellen
240
10. Quellen- und Literaturverzeichnis 10.1. Ungedruckte Quellen PROTOKOLLE DER KONSISTORIALKIRCHEN DES ROERDEPARTEMENTS a) reformierte Kirchen Kleve AEKRD RPKA B I I 5. Krefeld AEKRD 4KG 008 Nr. 23, 26 (1812), 27 (1813) Moers AEKRD 3MB 006, Nr. 69. Odenkirchen AEKRB 4KG 048B Nr. 17. Stolberg AEKRD 3MB 003 Nr. B-61 bis 77 (1804-1833); Hermann Korth, Grindlsee 1981-1983. b) lutherische Kirchen Krefeld LANRWR Roerdepartement Nr. 235 (1807), 236 (1808), 237 (1809), 239 (1810), 241 (1811), 143 (1812), 244 (1813); AEKRD 3MB 003 Nr. A-28 (1806-1808); AEKRD RPKA B II I 1 (1811). Stolberg LANRWR Roerdepartement Nr. 251 (1809), 257 (1811), 260 (1810); AEKRD 3MB 003 Nr. A-25; Hermann Korth, Grindlsee 1981-1983. PROTOKOLLE ANDERER LINKSRHEINISCHER DEPARTEMENTS a) reformierte Kirchen Freinsheim Speyer Stromberg
ZASP Abt. 41.15 Freinsheim Nr. 1 ZASP Abt. 43 Speyer Nr. 2 AEKRD RPKA I II 2
b) lutherische Kirchen Idar
LHAK 554,1
10. Quellen- und Literaturverzeichnis
241
I. staatliche Archive LANDESARCHIV NORDRHEIN-WESTFALEN, ABTEILUNG RHEINLAND (LANRWR) (ehemals NORDRHEIN-WESTFÄLISCHES HAUPTSTAATSARCHIV DÜSSELDORF)
Bestand Roerdepartement Nr. 206, 207, 208, 211, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220 I, 220 II, 222, 224, 226, 228, 229, 231, 234, 236, 237, 239, 243, 244, 246, 248, 250, 251, 257, 258, 260, 265, 268, 271, 321, 2141 I, 2790 II, 2815, 2820. Bestand Generalgouvernement vom Nieder- und Mittelrhein Nr. 102, 108, 111, 1184, 1185, 1186, 1188, 1211, 1217, 1294, 1298, 1381. Bestand Lande zwischen Maas und Rhein Nr. 2421; 2596. RHEINLAND-PFÄLZISCHES LANDESHAUPTARCHIV KOBLENZ (LHAK) Bestand 276: Präfektur des Saardepartements 603. PERSONENSTANDSARCHIV BRÜHL (PSA BRÜHL) Zivilstandsregister der Standesämter Goch, Homberg, Kleve, Neukirchen, Repelen, Vluyn und Weeze (eingesehen im Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland). II. kommunale Archive HISTORISCHES ARCHIV DER STADT KÖLN (HSAK) Bestand Französische Verwaltung (Nr. 350) Nr. 1773, 1780, 1785, 6935. Bestand Wallraf (Nr. 1150) Nr. 2. III. kirchliche Archive ARCHIV DER EVANGELISCHEN KIRCHE IM RHEINLAND STANDORT DÜSSELDORF (AEKRD) Bestand Kirchenkreis Aachen (3MB 003) Nr. A-1 bis 8, A-25; C-124; C-131; C-136; C-139; C-142; C-146; C-150; C-196; C-200; C-205; C-213; C-241.
242
10.1. Ungedruckte Quellen
Bestand Kirchenkreis Moers (3MB 006) Nr. 63, 64, 66, 69. Bestand Kirchengemeinde Goch (4KG 055) Nr. 51 Bestand Kirchengemeinde Krefeld (4KG 008) Nr. 1, 23, 24, 25, 27, 28, 34. Bestand Kirchengemeinde Moers (4KG 007) Nr. 29b Rheinisches Provinzialkirchenarchiv (RPKA) Nr. B I I 1 ; B I I 2 ; B I I 5 ; B I I 9 ; B I II 2 ; B I II 3 ; B I III 1 ; B II I 1; B II IV 1 ; B II IV 2. STANDORT BOPPARD (AEKRB) Archiv der Synode Simmern (3MB 013B) Nr. 51, 52, 53. Kirchengemeinde Schwanenburg (4KG 048B) Nr. 17. Konsistorium Birkenfeld Nr. 1/561. ARCHIV DES KIRCHENKREISES JÜLICH Kirchenbücher der reformierten Gemeinden Lövenich, Randerath, Hückelhoven. ARCHIV DER KIRCHENGEMEINDE HÜCKELHOVEN Nr. 2; 34. ARCHIV DER KIRCHENGEMEINDE WASSENBERG Nr. A1,1.
10. Quellen- und Literaturverzeichnis
243
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10. Quellen- und Literaturverzeichnis
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10. Quellen- und Literaturverzeichnis
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Die beigefügte Karte des Roerdepartements ist in der Bibliothek der Abteilung für Rheinische Landesgeschichte am Institut für Geschichtswissenschaften der Universität Bonn entnommen aus: DORSCH, Anton Joseph, Statistique du département de la Roer. Cologne [Köln] 1804.
Register
Aachen 5, 7, 14, 26, 30, 33, 37, 46, 50-57, 67-69, 88-91, 94-99, 101, 104, 118, 125-126, 131, 146-148, 153-155, 159-165, 168-170, 188, 197, 212-213, 217-222 Aisne (Departement) 93-94 Aix-en-Provence 70 Alexander I., Zar von Russland 217 Aline, Königin von Golconda 216 Alpen, Friedrich Rötger van, Pfarrer 123 Alpen, Heinrich Simon van, Konsistorialpräsident 5-6, 39-40, 54, 60-64, 85, 88, 104, 112, 123-125, 134-138, 148-153, 159-163, 166-172, 175, 184, 190, 192-193, 195-197, 217-220, 227, 231 Altena, Johannes, Pfarrer 37, 149 Altgelt, Karl Philipp, Pfarrer 44, 59 Alzey 44, 198 Ampère, André-Marie, Mathematiker 93 Arbaud-Jouques, Charles d’, Unterpräfekt 70, 90, 94 Arnheim 49, 136 Aspern 115 Augustin, Maire 149, 181 Austerlitz 99, 115 Auw, Anna Theresia von 42 Auw, Wilhelmina Magdalena von 42, 137 Baden 113 Baerl 36, 41, 136, 141, 158 Barat, Louis, Ex-Jesuit 156 Basel 15 Bayern 232 Beaufort, Pfarrer 94, 179 Belgien 22, 56, 233
Bender, Johann Christian Theodor, Pfarrer 123, 199-200, 224 Bender, Peter, Pfarrer 123, 224 Berdolet, Marc, Bischof 94, 146, 153-154, 159, 162-164, 168, 175 Berg, Großherzogtum 6, 90, 105, 129, 132-133, 166, 184, 189-192, 196-197, 208, 225 Berg, Johann Peter, Professor 32, 39 Bergisch-Gladbach 132 Berlin 6, 16, 19, 27, 41, 44, 48, 52, 90-92, 120, 156-158, 212, 216-217 Bertram, Zeuge 148 Biebernheim 137 Biergans, Friedensrichter 221 Bigot de Preameneu, Félix-Julién-Jean, Kultusminister 67-74, 82-84, 89-90, 94, 107, 115, 128, 167, 171, 183, 196, 207, 211 Birkenfeld 25, 50, 113, 184 Blois 89 Blücher, Generalfeldmarschall 219 Blumenthal 149 Blumhofer, Maximilian, Richter 154, 159 Böcking, Unternehmerfamilie 43, 137 Böhmen 43, 89 Boieldieu, François Adrien, Komponist 216 Bolenius, Wilhelm Daniel, Pfarrer 148 Bongard, Zeuge 148 Bonn 3, 13, 16-17, 19, 30, 43, 56, 92, 173, 187, 189 Bora, Katharina von 160 Bornemann, Wilhelm, Pfarrer 132, 133, 140, 160, 171 Bösken, Johannetta 41 Bourges 93
Register
Brakeln 199 Braunschweig-Wolfenbüttel 21 Brecher, kath. Priester 165 Bremen 39, 42, 89, 186 Brienen 131 Bruch, Christian Gottlieb, Pfarrer 60, 94, 121, 125-126, 133, 163-165, 173, 179-180, 184, 215, 218, 228, 231 Bruch, Johann Friedrich, Theologe 94 Brünn/Brno 43, 224 Brüssel 88, 134 Budberg 41, 48, 150, 187 Büchenbeuren 117 Burgos 115 Burtscheid 88, 130, 192, 222 Bylandt, Otto Heinrich von 40 Calvin, Johannes, Reformator 31, 41 Cambacérès, Jean-Jacques Régis de, frz. Konsul 69 Camus, Jean Dénis François Le, Generalvikar 154, 168, 169 Caprara, Nuntius 171 Carbonnières, frz. Politiker 74 Carron-Ampère, Julie 93 Chabaud-Latour, Antoine George François de, frz. Politiker 73, 76 Chaptal, frz. Innenminister 68, 93 Charlier, Johann Andreas Gottfried, Pfarrer 35, 40, 46, 88, 134-135, 165-169, 178, 187-189, 192-197, 231 Charlier, Johann Peter, Pfarrer 88, 134 Charlier, Nannette 40, 135 Claudius, Matthias, Pädagoge 92 Claussen, Johann Georg, Pfarrer 95, 100, 114, 161, 162 Clermont, Johann Arnold von, Tuchfabrikant 90 Clösgen, Katharina Wilhelmina, Magd 151 Coenen, Johann Heinrich, Pfarrer 123 Coenen, Martin, Pfarrer 42 Coenen, Nicolaus, Pfarrer 32, 42
285 Collenbusch, Samuel, Mediziner 135-136 Colmar 19, 72 Constant, Benjamin, frz. Politiker 77 Coomans, Johann Matthias, Adjunkt 164-165 Cunz, Justus, Pfarrer 102 Dandrimont, Toussaint 94 Darslimont siehe Portalis, Jean-Etienne-Marie Daubenspeck, Margaretha Antoniette 136 Daubenspeck, Matthias, Pfarrer 41, 43, 48, 53, 62-64, 71, 81, 106, 136, 178-182, 225 Degen, Ernst Wilhelm, Pfarrer 132, 139-140 Descorches, Marie-Louis-Henry, Präfekt 83 Dickenscheid 117 Dickmann, Johann Heinrich, Pfarrer 123 Diergardt, Johann Heinrich, Konsistorialpräsident 36, 40, 48, 58, 64, 88, 91, 104, 112, 122, 135, 141, 184, 191, 194, 227 Dnjepr 116 Donnersbergdepartement 47, 51, 81, 104, 128, 169, 197, 237 Dorsch, Anton Joseph, Unterpräfekt 57 Dresden 116 Drissa 116 Drôme (Departement) 83, 183 Düren 50, 88, 97-98, 131, 137, 152, 193, 221-224 Düsseldorf 3-4, 7, 16-17, 24-26, 31-33, 43, 48-49, 90, 125, 132, 137, 174, 182, 189, 194, 218 Düsselward 55 Duisburg 33, 38-42, 48, 121-123, 132-136, 232 Dumas, Mathieu 68, 69
286 Dumont-Schauberg, Marcus Theodor, Publizist 215 Dwina 116 Eberts, Karl Christoph, Konsistorialpräsident 125 Eckartsberg, Regiment 49 Eckmühl 115 Ehringhausen 188 Eifel 55, 117-118, 147-148, 151 Elberfeld 6, 41 Elsass und Lothringen 15, 17, 20, 47, 71, 80, 162, 186, 201, 232 Emkendorf (Holstein) 68 Emmerich 125 Endegeest 40 Engels, Johann Wilhelm, Pfarrer 33 Engendorf 115 England 43 Erkelenz 51, 55, 59 Erlangen 135, 136, 158, 177, 228 Esch, Heinrich Gottfried, Pfarrer 123, 141, 228 Esch, Heinrich, Pfarrer 41, 47, 123, 136, 142, 194, 222, 228, 229, 231 Esch, Helena Wilhelmina 41 Eschweiler 40, 131, 193, 218, 222 Espinosa de los Monteros 115 Essen, Adolf Friedrich van, Pfarrer 41, 184, 200, 206 Eßler, Ludwig, Pfarrer 136 Eupen 221 Euskirchen 146 Faber, Heinrich Walter 40 Faber, Maria Magdalena 41 Faber, Peter Gisbert, Pfarrer 19, 40-41, 48, 145, 223, 227 Fasbender, Schullehrer 131 Fayette, Marquis de La, frz. General 74 Felderhoff, Pfarrer 53, 100 Feldermann, Cornelius, Schullehrer 95 Fleurus 30, 34 Flügel, Johann Heinrich, Maire 63, 97
Register
Fonck, Generalvikar 154-155, 161, 166, 168 Forster, Georg, Jakobiner 156 Fouché, frz. Polizeiminister 160, 162, 170 Frankfurt/Main 9-12, 19, 41, 53, 60, 71, 74, 116-117, 121, 131, 156, 189, 192, 197 Frechen 35, 40, 46, 88, 135, 165-169, 178, 187-189, 192-193, 195-197 Frécine, Volksrepräsentant 51, 91 Freinsheim 84, 105, 107, 184, 197 Friedrich II., König von Preußen 32, 173 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 8, 174, 220 Friemersheim 36, 40, 223 Frossard, Benjamin-Sigismond, Theologe 73, 76, 122, 249 Fuchs, Johann Jakob Peter, Beamter 125 Fues, Stephan Jacob, Pfarrer 147-153, 181 Funcke, Buchdrucker 221 Gard, Departement 73 Geilenkirchen 81, 191, 194 Geldern 44-45, 94-95, 101, 131, 157, 187, 220 Gempt, Hermann, Pfarrer 48, 194 Gemünd 101, 118, 148-151, 181, 192, 224 Genf 121-124, 143, 152 Giry, Maurice, Geheimsekretär 70 Goch 44-45, 50, 127, 136, 202-204 Goethe, Johann Wolfgang von, Dichter und Politiker 68, 90- 92 Goldconda siehe Hydarabad 216 Göttingen 9, 16, 20, 37-39, 49, 85, 131, 145, 210, 228 Graeber, Franz Friedrich, Pfarrer 136 Greiff, Julie Margarete de 136 Grimm, Friedrich Carl, Pfarrer 39, 132-135, 160
Register
Grimm, Heinrich Adolph, Professor 39, 135 Gronsfeld, Wilhelm Anna Ludwig Graf von 40 Großbritannien 115, 216 Großgörschen 116, 213 Grünewald, Johann Peter, Pfarrer 57, 213, 222, 227 Gulpen 42 Haas, Friedrich, Pfarrer 36, 132-135 Habsburg, Maria Louise von 89, 116 Hackländer, Schullehrer 130 Haeften (Adelsfamilie) 136 Hagenberg, Johann Ludwig, Theologe 123 Halle 38, 121, 232 Hamburg 120 Hamm 44 Hanau-Lichtenberg (siehe auch Hessen-Darmstadt) 21 Hannover 44 Hasenclever, Kaufmann 188 Hasselbach, Notabler 97 Hatzfeld (Adelsfamilie) 102 Haute-Loire (Departement) 159 Heck, Johann Wilhelm, Theologe 123 Heerlen 42 Heidelberg 2, 39-40, 69, 81, 121, 135, 185-197, 208, 211-213, 233-235 Heilmann, Jonas, Pfarrer 35, 43, 45, 48, 62 Heilmann, Nikolaus Leonhard, Konsistorialpräsident 35, 43-45, 48, 52, 57, 62, 100-104, 125, 134-137, 141, 161, 184-186, 191-197, 221, 227 Heinsberg 137 Heintz, Philipp Casimir, Pfarrer 122-123 Hellenthal 149 Herborn 39 Herder, Gottfried, Theologe 91-92 Hermsen, C.T., Pfarrer 202 Herrstein 104-105
287 Hesse, Friedrich Wilhelm, Pfarrer 37, 94 Hessen-Darmstadt 21, 38, 121 Hessen-Kassel 276 Heydweiller, Unternehmerfamilie 90-91 Heymans (Pfarrerdynastie) 42, 48 Heymans, Johann Adam Wimmar, Pfarrer 48 Hipp, Unternehmerfamilie 90 Hoche, Lazare, frz. General 37 Hochemmerich (b. Moers) 33, 136, 225 Hoesch, Johanna Christina Margarethe 43 Hoesch, Petronella 43 Höfer, Johann Heinrich, Pfarrer 39-40, 56-59, 135, 146 Hohenbusch 146 Holck, Ina Gräfin 69 Holstein 68 Homberg 36, 41, 48, 136, 178 Hoost, Jakob ‘t 40 Hopmann, Johann Heinrich Georg, Maire 200-201, 223 Hörstgen 48 Hückelhoven 137-140 Hüls, Heinrich van, Kandidat 41 Hünshoven 42, 46, 56, 81, 192-194 Humboldt, Wilhelm von, preußischer Politiker 69, 91, 92, 227 Hunsrück 113, 198 Hydarabad (Indien) 216 Idar 105 Imgenbroich 101, 188 Ingelbach, Wimar Jakob, Pfarrer 132, 137, 141 Issum 33 Italien 6, 19, 22, 111 Jacobi, Friedrich Heinrich, Philosoph 68-69, 90-91, 107 Jacobi, Johann Friedrich, Generalpräsident 24-26, 45, 49-50, 53, 68-69, 82, 89-107, 114, 116-122, 128-129,
288 144, 147-150, 154, 157-167, 171-175, 181, 187-188, 196-200, 211, 214, 218, 223, 226-227, 234 Jacobs, Cornelius, Theologe 123 Jacoby, kath. Priester 160-161, 171 Janssen, Wilhelm, Pfarrer 195, 199, 203 Jauffret, Joseph 70 Jeanbon Saint-André (Präfekt in Mainz) 26, 62, 195-196 Jena 39, 115 Jenner, Edward, Mediziner 117 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg 31, 41 Jourdan, Jean-Baptiste 30 Jüchen 36, 56, 123, 133 Jülich 5, 25, 30-34, 37-41, 44, 46, 49, 58, 65, 85, 91, 94, 101-102, 121-123, 130-132, 146, 154, 165, 184, 189-193, 196, 221, 225, 232, 234 Jülich-Berg 5-6, 25, 31-34, 38-40, 44, 48-49, 52, 65, 101-102, 105, 121, 129-135, 166, 189, 190-192, 196-197, 208, 225, 232 Jülich-Berg (Herzogtum) 25, 31-34, 40, 101-102, 121, 189-190 Jungbluth, Adjunkt 193 Jung-Stilling, Johann Heinrich 10, 92, 135, 210 Kaldenkirchen 43, 134, 195 Kalkar 45, 50, 132, 187 Kämmerling, Agneta 40-42 Kapellen (b. Neuss) 141 Karl Friedrich, Markgraf von Baden 113 Karl III. Philipp, Kurfürst von der Pfalz 189 Karl Theodor, Kurfürst 43, 186 Karl V., römisch-deutscher Kaiser 173 Karlsbad (Böhmen) 39 Kastellaun 98, 101 Kaub 219
Register
Keeken 55 Kelzenberg 36, 132, 139-141, 151 Kempen 41, 146 Kervenheim 132 Kevelaer 127 Keverberger, Karl Ludwig von, Unterpräfekt 201 Kinzweiler 102, 106 Kirchberg 117, 197 Kirschseiffen 37, 53-55, 94, 101, 136 Kleeberg 186 Klespé, Reiner Josef Anton von, Unterpräfekt 193, 217 Kleve 2, 7, 18, 22, 25, 30-34, 38-41, 43-45, 49, 65, 85, 98, 104-105, 117, 121, 123, 130-132, 136, 140, 162, 184, 187, 195-207, 212, 220-223, 232 Kleve-Mark (Herzogtum) 31, 38, 98, 105, 121 Kloenne, Johann Franz Adolph Karl, Theologe 123 Knabenschuh, Friedrich Wilhelm, Theologe 123 Koblenz 11-15, 51, 102 Koch, Christoph Wilhelm, Jurist 71-76, 80, 131, 161 Koch, Friedrich, Notabler 161 Koenig, Friedrich, Pfarrer 123, 138, 140, 151 Koenig, Karl, Pfarrer 123 Köln 5, 7, 11, 13-15, 19, 25, 30, 32, 35-36, 46, 51-57, 63, 75, 81, 89-91, 94, 104-105, 117, 121, 125, 133, 136, 144, 153-154, 163-170, 173-174, 184, 187, 189, 193, 212-219, 221-222, 225-226, 228, 231 Köln, Kurfürstentum 12, 49 König, Arnold, Pfarrer 39-42, 58, 135, 139-140 König, Maria Elisabeth 42 Königsfeld, Prediger 152, 223 Kostenz 117
Register
Kotzebue, August von, Jurist und Dichter 39 Krafft, August Christian Friedrich, Pfarrer 136 Krafft, Elias Christoph, Pfarrer 135 Krafft, Henriette 136 Krafft, Johann Christian Gottlieb Ludwig, Pfarrer 132, 136, 223, 228 Krafft, Johann Gottlob, Pfarrer 136, 202, 228 Kranenburg 200, 202 Krefeld 6, 13, 19, 25, 30, 35-36, 43-47, 50-59, 62, 81-84, 87, 91, 93-94, 96-97, 99-105, 107, 114, 125, 129, 131, 136, 138-139, 146-148, 154, 160-162, 167, 184-185, 187, 193, 196-197, 218, 221-222, 225 Krenzer, Schullehrer 131 Kreuznach 101, 125, 219 Krummacher, Friedrich Adolf, Pfarrer 136 Krummacher, Gottfried Daniel, Pfarrer 41, 136, 141, 142, 158, 181 Kuhlen, von der, Notabler 191, 195 Kurmark 142 Ladoucette, Präfekt 105, 118, 150, 190, 193, 195-197, 206-208, 211, 214, 219 Lamert, Notabler 97 Lameth, Théodore Victor de, Präfekt 74, 163-165 Landgraf, Johann Friedrich, Pfarrer 125, 212 Lauckhard, Friedrich Christian, Pfarrer 198 Lauffs, Johannes, Pfarrer 40-42, 58, 135 Lausanne 20, 122 Lebrun, Charles-François, Konsul 80 Leiden 40, 73, 88 Leidenfrost, Johann Gottlob, Medizinprofessor 135 Leidenfrost, Johanna Ulrica 135
289 Leipzig 6, 16, 23, 45, 60, 68, 94, 113, 152, 158, 177, 214 Lennep 43 Ligurien 89 Lilienthal b. Bremen 89 Limburg (Niederlande) 42 Linnich 30, 40, 46, 54-59, 132, 146 Loevenich 139 Lombard-Lachaux, Pierre, Konsistorialpräsident 73, 76 London 69, 77, 198, 216, 223 Lövenich 40-42, 56, 102, 139 Ludwig XIV., frz. König 11, 79 Ludwig XV., frz. König 118 Ludwig XVI. , frz. König 68-69, 186 Lürken 141, 166 Lüttich 94 Lützen 116, 213 Lunéville 5, 12, 63, 67, 233 Luther, Martin, Reformator 119, 120, 160 Luxemburg 23, 54, 127 Lyon 73 Maas 26, 30, 36, 46, 51, 55, 91-92, 157, 160, 241 Maastricht 42, 101, 163 Madrid 115 Mainz 3, 13, 16, 19, 51, 75, 81, 91, 94, 110, 217, 226, 227 Mainz, Kurfürstentum 12, 117 Maleville, Jacques de, Jurist 69 Mansfeld 119-120 Mänss, Matthias, Pfarrer 138, 140 Marburg 39, 121-125, 135, 211 Mark (Grafschaft) 22, 38-39, 43, 131, 184, 232 Marron, Paul-Henri, Konsistorialpräsident 73, 75-76, 80, 87, 107, 122, 195, 197 Martinstein 56 Maubach 98 Mebus, Arnold, Pfarrer 159 Meerssen 42
290 Melsbach, Johann Peter, Theologe 123 Memel/Njemen 116 Menken, Gottfried, Pfarrer 60-62, 186 Menzerath 50, 101, 223 Mestrezat, Pfarrer 80 Metzger, Hans-Ulrich, Jurist 72, 73, 75, 106 Meuse-Inférieure (Departement) 163 Mirabeau, Graf 68 Mische, Johann Heinrich 184 Moers 18, 25, 30, 33-48, 58, 64-65, 71, 85, 88, 105, 112, 119, 122, 132-133, 136, 138, 141, 150, 157, 170, 178-179, 184, 196-197, 220, 225, 229 Moers, Fürstentum 33, 36-38, 64, 170, 179, 225 Mohilow 116 Monschau 37, 43, 53-55, 62-63, 94, 101, 116, 118, 125, 148, 186, 213-214 Montauban 73, 76, 122 Montpellier 76 Mörmter 46, 131 Mosel 16, 43, 51, 56, 74, 90-92, 101-102, 122, 128, 136, 144, 197, 219 Moskau 116 Moßdorff, Präfekturrat 120 Moyland 199 Mühlingshaus, Peter Kaspar, Pfarrer 102 Müller, Pfarrer 98 Napoleon I. 5-9, 12-19, 26, 30, 42, 52, 56-60, 62-69, 72-82, 89-96, 103, 106-107, 110-122, 124-129, 143-147, 152-156, 162, 168-174, 180, 185, 189-191, 194, 197-200, 208-210, 212-220, 223, 229-234 Natorp, Bernhard Christoph Ludwig, Pfarrer 121 Necker, Jacques, frz. Finanzminister 77
Register
Nesselrath, Fürchtegott, Theologe 123 Nesselrath, Hermann Friedrich, Pfarrer 123 Nesselrath, Johann Heinrich, Konsistorialpräsident 45, 50, 52, 57, 94, 96-97, 99, 102, 104, 106, 114, 116, 123, 128, 167, 211, 218, 222, 227 Neuhaus, Johann Dietrich Abraham, Pfarrer 132 Neuhaus, Johann Friedrich, Pfarrer 95 Neukirchen (b. Vluyn) 32, 41, 48, 56, 185 Neumann, Carl, Pfarrer 202, 204 Neumann, Peter, Konsistorialpräsident 43, 136, 184, 196-199, 223, 228 Neuss 95, 100, 114, 147, 187 Neuwied 217-218 Neviges 48 Niederlande 7, 9, 25, 33, 38-40, 42, 49, 55, 65, 119, 161, 199, 232 Niederrhein 5, 15, 19, 21-22, 30-34, 37, 38-39, 44, 47, 54-55, 65-66, 85-87, 95-96, 98, 100-101, 105, 107, 123-125, 130-134, 138, 143, 153, 157-158, 169-170, 178, 181-182, 189-190, 198, 229, 232, 237, 245-247, 251, 255-256, 258-265, 270-271, 280 Nîmes 73, 75-76 Noël, Matthias Joseph de, Maler 125 Odenkirchen 25, 41, 85, 88, 105, 117, 123, 132, 135, 138, 139, 140, 171, 183, 196 Offelsmeyer, Friedrich Wilhelm, Pfarrer 49, 221 Offermann, Tuchfabrikant 43 Österreich 30, 115 Osterzee, niederländischer Prediger 199 Otterbein, Daniel Eberhard, Pfarrer 125 Otterbein, Philipp Carl, Pfarrer 137
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Ottersberg 89 Otto, Johann Wilhelm Eberhard, Pfarrer 137 Otto, Philipp Friedrich, Pfarrer 136 Otzenrath 42 Palandt (Adelsfamilie) 42 Paris 8, 11, 20, 22, 26-27, 47, 50-51, 63, 67-68, 70-82, 86-93, 106-107, 111, 119, 122, 124, 126, 128, 160, 168, 173, 183, 190, 195, 201, 212, 214, 218, 220-221, 223, 224, 226 Peill, Friedrich Wilhelm Conrad, Pfarrer 41, 165 Pfalz 9, 12, 13, 18, 23, 31, 33-34, 37, 156, 173, 184-186, 189, 196, 232-233 Pfalz, Kurfürstentum 34, 38, 44, 58, 84, 101, 121, 156, 173, 184, 186, 233 Pfalzdorf 50, 95, 187, 195, 199, 202, 203 Pfalz-Neuburg 31, 33, 37 Pfalz-Zweibrücken 31, 34, 101, 156, 173, 184, 186, 234 Pietsch, Balthasar 26, 94 Pius VII., Papst 154, 168 Poensgen, Anna Margarethe 43 Polotsk 116 Portalis, Jean-Etienne-Marie (Kultusminister) 64, 67-92, 99, 104-107, 112, 115, 122, 171, 183-184, 233 Potsdam 49 Preußen 8-9, 12-13, 19, 29, 31-38, 44-49, 59, 105, 116, 121, 125, 131, 134, 136, 140-145, 155-157, 160, 170, 173-174, 187, 198, 208, 210-212, 219-232, 235 Provence 70, 89 Pruneau, Volkskommissar 36 Puy-de-Dôme (Departement) 74 Quadt zu Wickrath, Anna Constantia Gräfin von 40 Rabaut, Paul, Pfarrer 68
291 Rabaut-Dupui, Pierre-Antoine, Kaufmann 72-88, 92, 106, 107, 122, 183, 194-195 Rabaut-Pommier, Jacques-Antoine, Pfarrer 73, 76, 80, 118 Rade, Karl Wilhelm von, Pfarrer 148-149, 181, 192 Randerath 52, 146, 191, 222 Rapp, frz. General 162 Rappard, Johann Christoph Heinrich, Pfarrer 41, 48 Rastatt 71 Ravensberg 31 Recklinghausen, Johann Arnold von 5-6, 39, 40, 49, 102-103, 119, 135, 146, 185, 190, 217-218 Regensburg 3, 31, 71, 115 Reinhard, Franz Volkmar, Theologe 214 Reinhardt, Friedrich Wilhelm, Pfarrer 94, 102, 157, 158 Reisig, Johannes, Konsistorialpräsident 49, 54, 57, 94, 100, 106, 118, 121, 137, 172, 197, 211-214, 219, 221-223, 227 Remscheid 188 Rennes 89 Repelen 41, 48 Reventlow, Karl Friedrich von 68, 69 Rheinberg 33, 48, 150, 194 Rheinland 3, 6, 9-10, 12-19, 22-30, 35-36, 40, 44-46, 48-52, 55-59, 65-67, 74, 80-81, 88-94, 98, 102-105, 120-122, 125, 128, 130, 136, 144-146, 152-153, 157, 162, 168, 170, 174, 184, 187, 197, 211, 214-215, 217-219, 222-229, 231 Rhein-Moseldepartement 16, 51, 56, 74, 89- 92, 98, 102, 105, 122, 125, 128, 136, 144, 187, 197, 201 Rheydt 41 Ribbentrop, Friedrich Wilhelm von, Befehlshaber 219 Richter, Buchdrucker 221
292 Riema, Jakob Hermann, Pfarrer 41 Robespierre, frz. Politiker 68, 71 Roerdepartement 5, 7, 32, 37, 45, 49, 51, 54, 69, 71, 74, 84, 88-95, 101-107, 114-131, 144, 148-150, 154, 157-164, 167-169, 171, 181, 183-184, 187, 189-194, 197, 201-206, 211-214, 218-219, 226-227, 235 Roetgen 34, 36, 42, 49, 117, 132, 134-135, 168, 224 Rommerskirchen, Buchdrucker 221 Ronsrath 142 Roß, Gottfried Wilhelm, Pfarrer 35, 41-42, 47-48, 184, 187, 231 Rudler, François Joseph, Generalkommissar 26, 36, 51, 54, 59 Ründeroth 130 Ruhr 5 Rur 5, 30, 59 Russland 116, 210, 212, 215 Saarbrücken 219 Saardepartement 51, 104, 128, 197, 201, 219 Sabonadière, Jean-Scipion, Konsistorialpräsident 73, 76 Sack, August von, Generalgouverneur 140, 152, 160, 182, 196, 219, 221 Saint Napoléon 9, 112 Saint-Front 159 Saint-Roch 170 Sambre-Maas-Armee 30, 46 Sankt Goar 136 Sankt Tönis 160 Sarkozy, Nicolas 15 Schall, Bürger 159 Scheibler, Bernhard Georg von, Unternehmer 43 Scheibler, Johann Heinrich, Tuchfabrikant 43 Scheibler, Johannes, Pfarrer 43 Scheibler, Maria Henriette 136 Scheibler, Maximilian Friedrich, Pfarrer 37, 43, 53-55, 62-64, 90, 94, 99,
Register
100, 116, 118, 125-126, 136, 148, 186-187, 213-215, 219, 222-224 Scheibler, Therese Elisabeth, geb. Böcking 136 Scheibler, Wilhelm, Feintuchfabrikant 136 Schenk, Heinrich, Geheimrat in München 68 Schill, Johann, Notabler 152 Schirmer, Buchdrucker 221 Schleicher (Industriellenfamilie) 137 Schleiden 37, 97, 101, 149, 238 Schlesien 170 Schlickum, Pfarrer 191-192, 222, 223 Schmidt, Schullehrer 131 Schottland 41 Schulz, Karl, Pfarrer 223 Schwanenberg 40, 58 Schwarzenberg, Johann Heinrich, Buchdrucker 221-222 Schweiz 122 Seitter, Johann Bartholomäus, Tuchfabriknt 43 Sièyes, Abbé, frz. Politiker 74 Simmern 101, 117, 128, 162 Simon, Daniel, Theologe 123 Sittard 42, 132-133, 135, 160-161, 171, 222 Smolensk 116 Somosierra 115 Spaen (Adelsfamilie) 199-201 Spanien 43, 115, 228 Speyer 84, 105, 184, 197 Staël, Germaine de, Literatin 77 Steinort, Buchdrucker 221 Stern, Karl, Publizist 120 Sternberg, Notabler 199 Stolberg 5, 25, 49, 54, 57, 60, 69, 85, 88, 94, 100-105, 117-118, 123-125, 131-138, 141, 151-155, 159-173, 183-187, 190-197, 211-213, 217-219, 224, 227 Stolberg, Friedrich Graf 69 Straßburg 71, 90, 100, 124
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Stromberg 105, 197 Strünkede 132 Süchteln 52, 131 Teveren 56 Thann 115 Tiel (Niederlande) 40 Tönnes, Peter, Pfarrer 41, 48 Trappen, Johann Wilhelm, Pfarrer 41-42, 137 Trappen, Johannette Catharina Wilhelmina 137 Trarbach 25, 101, 122, 136 Trient 185, 196 Trier 13, 23, 43, 51, 184 Trier, Kurfürstentum 11, 12, 43, 137 Tronchet, Verteidiger Ludwigs XVI. 69 Tudela 115 Türck, Pfarrer 36 Uedem 60, 140, 186 Üntrop 132 Ungarn 89 Urdenbach 132 Urmond 42, 132, 161 Utrecht 135 Vaals 90 Velbert 132 Vetten, Johann Wilhelm, Schullehrer 132 Vetter, Karl Wilhelm, Pfarrer 57, 118, 213 Vielhaber, Heinrich, Pfarrer 45, 136, 202, 229 Vielhaber, Wolter 136 Vielhauer, Johann Christoph, Pfarrer 48, 138 Viersen 123, 138, 162, 213 Vigan 73 Villepin, Dominique de, frz. Politiker 15 Vinmann, Pfarrerdynastie 41 Vluyn 32, 36, 46-47, 141-142, 185, 194, 228 Voget, Albert, Pfarrer 132
293 Volberg 131 Vorweiden 141 Wadenoyen (Niederlande) 40 Wagram 115 Wälderdepartement 127 Waldniel 56 Wallach 133 Wallraf, Franz Ferdinand 94, 124, 125 Wassenberg 48, 138-140, 194 Wasserfall, Peter, Konsistorialpräsident 139-140, 184, 227 Waterloo 89, 221 Weeze 136, 202, 223, 228 Weimar 92 Werlemann, Christian Franz, Pfarrer 41 Wesel 25, 44, 48-49, 125, 133, 157, 187, 199, 212-213, 218 Westerkappel 132 Westfalen 5, 15, 26, 35, 38, 48, 49, 52, 76, 132, 170, 184, 189, 231 Wetten 127 Wevelinghoven 41, 42, 137 Wien 13, 19, 115 Wild- und Rheingrafschaft 34 Wildenstein 121 Wilhelm V., Erbstatthalter der Niederlande 42 Wilsing, Friedlieb, Pfarrer 52, 54, 133, 136, 164, 173, 193, 215, 216, 217, 218 Wittgenstein, Johann Jakob, Maire 15, 164, 165, 193, 217 Wolfang Wilhelm, Herzog von Pfalz-Neuburg 31 Wülfing, Johann, Pfarrer 200 Wülfrath 142, 158 Würrich 117 Würtschen 116 Württemberg 9, 21 Wüsthoff, Pfarrer 148 Wymontz 191 Xanten 31, 46, 222
294 Zillessen, Adam Eberhard, Pfarrer 123, 134, 140, 184 Zumbach, Redakteur 153 Zweibrücken 31, 34, 73, 82, 104, 119, 122-123, 156, 173, 184-186, 234 Zweifall 50, 53, 100, 101, 118, 148, 222
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