Nacht-Orte: Eine kulturelle Geographie der Ökonomie 9783839432563

Topographies of nighttime entertainment have been for years developing into an indicator for quality of life - and as su

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German Pages 180 Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
1. Danksagung
2. Präludium
a) Ausgangspunkt: Einladung zu einer Reise durch die Nacht
b) Begleitung: Erste Entdeckungen der Nacht
c) Ziel: Die Ent-Messung der Nacht in er-örternder Praxis
d) Perzeptionsprämissen: Deutungs(un)möglichkeiten
e) Verortung: Erschließungs(un)möglichkeiten
f) Ausdruck und Aufführung: Darstellungs(un)möglichkeiten
g) Architektur: Ablauf und Orientierung
3. Kernkonzepte
a) Nacht als Produkt: Nightmaking zwischen Diskurs und Praxis
b) Nacht als Prozess: Nightmaking zwischen Raum und Zeit
c) Nacht als Ort: Nightscapes als Massenheterotopien
4. Markt-Plätze
a) Hinführung: Kommodifizierte Geographien der Nacht
b) Steuerungsversuche: Verortete Identitäten der Vermarktlichung
c) Vermarktlichung durch Ästhetisierung: Zwischen Kultur und Ökonomie
5. Tat-Orte
a) Hinführung: Gleitende Geographien der Ver(un)sicherheitlichung
b) Problem-Plätze und Angst-Orte: Panoptikum aus Prostitution und Profit
c) Protest-Plätze: Konflikte um Freiräume in der (Ver)Planung von Nacht
6. Interludium
7. Schau- und Spiel-Plätze
a) Hinführung: Performative Geographien der Ökonomie
b) Bühnen: Improvisation und Inszenierung
c) Schau-Spieler: Präsentation und Performanz
8. Pilger-Stätten
a) Hinführung: Sakrale Geographien der Orientalisierung
b) Konsum-Kathedralen: Zwischen Kirche und Kommerz
c) Techno-Tempel: Okkulte Rituale in technischen Agencements
9. Postludium
a) Nacht-Orte: Ein Fazit
b) Nach(t)forschung: Perspektiven und Potenziale
c) Essayistische Geographien der Er-Örterung: Ein Plädoyer
10. Bibliographie und Quellenreservoirs
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Nacht-Orte: Eine kulturelle Geographie der Ökonomie
 9783839432563

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Raphael Schwegmann Nacht-Orte

Sozial- und Kulturgeographie

Band 12

Raphael Schwegmann forscht aus der Perspektive einer kulturtheoretisch ausgerichteten Humangeographie an verschiedenen Einrichtungen in Deutschland und Frankreich zu den Themenfeldern Recht, Wirtschaft und Politik. Zuvor promovierte er als Stipendiat des Graduiertenkollegs »Philosophie des Ortes« an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Raphael Schwegmann

Nacht-Orte Eine kulturelle Geographie der Ökonomie

Dissertation der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: FloKu / photocase.de Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3256-9 PDF-ISBN 978-3-8394-3256-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1.

Danksagung | 7

2.

Präludium | 9

a) b) c) d) e) f) g)

Ausgangspunkt: Einladung zu einer Reise durch die Nacht | 9 Begleitung: Erste Entdeckungen der Nacht | 13 Ziel: Die Ent-Messung der Nacht in er-örternder Praxis | 19 Perzeptionsprämissen: Deutungs(un)möglichkeiten | 21 Verortung: Erschließungs(un)möglichkeiten | 27 Ausdruck und Aufführung: Darstellungs(un)möglichkeiten | 34 Architektur: Ablauf und Orientierung | 40

3.

Kernkonzepte | 47

a) b) c)

Nacht als Produkt: Nightmaking zwischen Diskurs und Praxis | 47 Nacht als Prozess: Nightmaking zwischen Raum und Zeit | 52 Nacht als Ort: Nightscapes als Massenheterotopien | 55

4.

Markt-Plätze | 69

a) b)

Hinführung: Kommodifizierte Geographien der Nacht | 69 Steuerungsversuche: Verortete Identitäten der Vermarktlichung | 75 Vermarktlichung durch Ästhetisierung: Zwischen Kultur und Ökonomie | 81

c)

5.

Tat-Orte | 87

a)

Hinführung: Gleitende Geographien der Ver(un)sicherheitlichung | 87 Problem-Plätze und Angst-Orte: Panoptikum aus Prostitution und Profit | 92

b)

c)

Protest-Plätze: Konflikte um Freiräume in der (Ver)Planung von Nacht | 98

6.

Interludium | 103

7.

Schau- und Spiel-Plätze | 105

a) b) c)

Hinführung: Performative Geographien der Ökonomie | 105 Bühnen: Improvisation und Inszenierung | 108 Schau-Spieler: Präsentation und Performanz | 112

8.

Pilger-Stätten | 119

a) b) c)

Hinführung: Sakrale Geographien der Orientalisierung | 119 Konsum-Kathedralen: Zwischen Kirche und Kommerz | 125 Techno-Tempel: Okkulte Rituale in technischen Agencements | 128

9.

Postludium | 133

a) b) c)

Nacht-Orte: Ein Fazit | 133 Nach(t)forschung: Perspektiven und Potenziale | 138 Essayistische Geographien der Er-Örterung: Ein Plädoyer | 144

10. Bibliographie und Quellenreservoirs | 149

1 Danksagung

Ein Dissertations- ist kein Soloprojekt, sondern hängt von vielen wohlwollenden Menschen ab. Ihnen allen möchte ich meinen Dank aussprechen. Diese Arbeit entstand, bei (str)enger Zeitrechnung, zwischen Ende 2012 und Ende 2013 in Frankfurt am Main und Eichstätt. Wenn allerdings (indirekte) Vorarbeiten im Rahmen des Studiums – speziell durch meine Bachelor- (2011) und meine Masterarbeit (2012) – hinzugerechnet werden, ließe sich dieser Zeitraum noch deutlich ausdehnen: auf gut und gerne drei bis vier Jahre. Ebenso müsste zunächst der Georg-August-Universität Göttingen als erster Impulsgeberin in Person von Habbo Knoch, Betreuer meiner Bachelorarbeit, gedankt werden. Er weckte durch Inhalte seines Vertiefungsseminars zum Thema „Luxusleben. Globale Geselligkeit in Adel und Bürgertum 1880-1930“ im Wintersemester 2010/11 mein Interesse für den Forschungsgegenstand Nacht im Allgemeinen sowie die nächtliche Vergnügungskultur der Großstadt im Speziellen. Vielfacher Dank gebührt sodann Marc Boeckler, der meine Masterarbeit an der Goethe-Universität Frankfurt begleitete. Seiner konstruktiven Kritik derselben verdanke ich die Qualität der vorliegenden Studie, seine Publikationen zu kulturwissenschaftlicher Ökonomieforschung vermochten meine Begeisterung für die Geographie noch zu verstärken. Er machte mich überdies auf das Graduiertenkolleg „Philosophie des Ortes“ an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

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aufmerksam und ermunterte mich zur Bewerbung. Hernach möchte ich dem Betreuer der vorliegenden Arbeit, Hans Hopfinger, für sein Vertrauen und seine zielführende Hilfe in sämtlichen inhaltlichen wie organisatorischen Fragen danken. Seine Expertise und sein langjähriges Wirken im Bereich der Geographie im Allgemeinen sowie der Tourismusgeographie im Speziellen imponieren mir sehr. Schon etwas länger zurück liegt der Kontakt zu Anselm Rohde, von dem ich viel gelernt habe. Wertvolle Impulse durfte ich auch von den Initiatoren, Mitstipendiaten und assoziierten Mitgliedern des Graduiertenkollegs „Philosophie des Ortes“ an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt erhalten. Einen besonderen Dank möchte ich in diesem Zusammenhang Daniel Romić, Geschäftsführer der Eichstätter Graduiertenakademie, aussprechen, der sich in organisatorischen Dingen als kompetente und vor allem überaus engagierte Hilfe erwies. Zu Dank verpflichtet bin ich außerdem der Stiftung der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sowie der Pädagogischen Stiftung Cassianeum, die uns Teilnehmer des Graduiertenkollegs „Philosophie des Ortes“ durch die Vergabe von Stipendien finanziell, und darüber hinaus auch ideell, förderten. Meiner Familie, meinen Freunden und Bekannten möchte ich für ihre facettenreiche Unterstützung danken. Hervorheben muss ich an erster Stelle meine Eltern, ohne deren bedingungslose Hilfe ich diese Arbeit möglicherweise nicht hätte bewerkstelligen können; ebenso bedanke ich mich bei meinem Bruder. Marc Steffen danke ich für inspirierende nächtliche Gespräche in seinem Keller. In Konversationen über Philosophien des Alltags schulten wir kritisches Denken. Alsdann sage ich Danke zu S. P., die auf ganz besondere Weise einen nicht zu unterschätzenden Anteil an dieser Arbeit in Anspruch nehmen darf. Sie und meine Mutter lasen – last but not least – das Manuskript. Ihre wertvollen Anregungen haben mir sehr geholfen.

2 Präludium

A) AUSGANGSPUNKT : E INLADUNG ZU EINER R EISE DURCH DIE N ACHT Nachtleben boomt. Spätestens seit Floridas Bestseller „The Rise of the Creative Class. And how It’s Transforming Work, Leisure and Everyday Life“ (2002b) avancieren nächtliche Vergnügungstopographien zum Indikator für Lebensqualität und damit zu einem ernst zu nehmenden Standortfaktor für Städte und Regionen im interurbanen Wettbewerb um Hochqualifizierte; für diese ist ein pulsierendes Nachtleben höchst relevant. Gleichzeitig wächst ob multipler sozialer wie ökonomischer Verdrängungs- und Gentrifizierungsprozesse die Kritik an der zunehmenden Kommodifizierung urbaner Räume und Zeiten (vgl. z.B. Peck 2005). Wie ich es in meiner Masterarbeit mit Bezug zu Brand (2011) und Schmid (2011) festgehalten habe: „In Anlehnung an die Renaissance der ‚Recht auf Stadt‘-Bewegung der letzten Jahre […] scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis das ‚Recht auf Nacht‘ breitenwirksam formuliert und eingefordert wird, wenn die mit vielfältigen Machtimplikationen vermengte (Über)Nutzung von Nacht als Teil von Natur zwangsläufig in Krisen kulminiert“ (Schwegmann 2012: 56). Nächtliche Ökonomien können somit auch als problematisch aufgefasst werden, was sich nicht zuletzt in öffentlichen und medialen Diskursen, in der semantischen Aufladung nocturner Konstrukte durch Verbindungen mit „Angsträumen“ (Bürk 2012), Kriminalität,

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übermäßigem Alkohol- und Drogenkonsum (z.B. ‚Komasaufen‘), Prostitution, Lärm- und Abfallbelastungen sowie ‚Lichtverschmutzung‘ (Rötger 2013) spiegelt. Nachtleben polarisiert. Es erscheint nämlich vor diesem Hintergrund als ambivalent konnotiert: einerseits als ökonomisch, kulturell und sozial wertvoll, andererseits als Risiko und Problem – oder, wie Schlör konstatiert, als zwischen Faszination und Schrecken divergierend (Schlör 1991: 12). Das vorliegende Dissertationsprojekt schaut vor diesem Hintergrund auf die kommodifizierten Orte des urbanen Nachtlebens. In ihnen spiegelt sich die Widersprüchlichkeit der postmodernen, konsumorientierten Großstadt(nacht) mit all ihren sozioökonomischen Verwerfungen, mit all ihren faszinierenden Verheißungen und mit all ihren brutalen Bedrohungen. Nachtleben irritiert. Denn als Forschungsgegenstand blickt es zugleich auf eine relativ junge Erschließungshistorie zurück, ist in der Scientific Community noch nicht en vogue (vgl. Schwegmann 2011: 1, 2012: 2). Wenn zwischen praktischer Relevanz und wissenschaftlichen Vermessungsversuchen demzufolge ein Missverhältnis herrscht, dann verlangen die bis dato eher rudimentären Skizzierungsversuche des Nächtlichen von wissenschaftlicher Seite nach einem metatheoretischen Leitfaden, um sodann in weiterführenden Arbeitsschritten gezielt und strukturiert Felder der Nacht durchleuchten zu können. Eine solche Agenda zu entwickeln, ist Ziel der vorliegenden Arbeit. Im Rahmen des Dissertationsprojekts soll – insbesondere anknüpfend an meine Masterarbeit (2012) – der Frage nachgegangen werden, wie Facetten des Nachtlebens, d.h. insbesondere seine Orte und die damit zusammenhängenden Materialitäten, Bilder, Praktiken, Akteure und Diskurse theoretisch-konzeptionell erfasst werden können. In diesem Kontext möchte ich vor allem die Beziehung zwischen Nacht, Ort und Ökonomie thematisieren und kulturwissenschaftliche Darstellungs(un)möglichkeiten reflektieren. Das Forschungsvorhaben konzentriert sich demnach primär auf eine metatheoretische Untersuchung, sucht sich am Beispiel der nächtlich-urbanen Vergnügungskultur aber konkrete Anwendungsbezüge.

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Ich versuche durch diese Arbeit verschiedene Teilbereiche der Geographie – Stadt-, Wirtschafts-, Tourismusgeographie – sowie kultur- und wirtschaftswissenschaftliche Nachbardisziplinen gleichermaßen an den Gegenstand ‚Nacht‘ heran- sowie dort zusammenzuführen, um diesen letztlich in fruchtbarer Atmosphäre eines multiperspektivischen und transdisziplinären Ansatzes durch eine ‚er-örternde‘, d.h. ortsbezogene Sprache neu denken zu können. Die von mir unterbreiteten Deutungsangebote und Interpretationsmöglichkeiten können dabei als erster Schritt in die Richtung einer umfassenderen Erschließung nächtlicher Formen von Ökonomie betrachtet und sodann in weiteren, stärker empirischen Studien am konkreten Beispiel überprüft werden. Das vorliegende Theoriegebilde möchte ich somit als Steinbruch und Baustelle verstanden wissen, das in seiner unabgeschlossenen, fragmentierten Form Denkanstöße geben kann und seinerseits für konstruktive Anregungen offen sein möchte. Meine Studie soll im engeren Sinne eine wirtschaftsgeographische, im weiteren Sinne eine humangeographische sein, die sich per definitionem mit dem „Spannungsfeld von Gesellschaft und Raum“ (Gebhardt et al. 2011d: 643) befasst: „Humangeographie ist eine der faszinierendsten und abwechslungsreichsten Wissenschaften überhaupt; es gibt kaum ein Thema oder kaum eine aktuelle Problemstellung, mit der sich Humangeographen nicht befassen könnten, kaum einen inhaltlichen Kontext der Gesellschaftswissenschaften, in den sich nicht auch die Humangeographie produktiv einbringen könnte“ (ebd.).

Diesbezüglich stellen Gebhardt und Reuber (2011: 645) mehrere aktuelle Leitlinien der Humangeographie heraus: Sie entwickele sich zu einem „Multiperspektiven-Fach“, das stark theoriegeleitet, interdisziplinär und anhand von „Querschnittsthemen“ – z.B. anhand von urbanem Nachtleben? – jenseits intradisziplinärer (W)Irrungen das Ver-

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hältnis von Gesellschaft und Raum diskutiere (ebd.). Wenn überdies Gebhardt et al. „die Vermessung der Welt“ (Gebhardt et al. 2011b: 47) selbstbeschreibend und identitätsstiftend als Aufgabe der Geographie erkennen, darf auch die Vermessung der Nacht als Teil der Welt bzw. von Wirklichkeit in Form der Erfassung eines diskursiven Produkts und seiner praktisch-materiellen Realisierung in das Feld geographischen Arbeitens hineinspielen. Urbane Ökonomien der Nacht und ihre Orte können als ein wichtiges Querschnittsthema der Humangeographie aufgefasst werden, sind sie doch nicht nur für die Wirtschaftsgeographie (Ökonomien der Nacht) relevant, sondern auch für Stadtgeographen (urbane Vergnügungskultur), für Geographien des Handels und des Konsums (Nacht als konsumierbares Gut), für eine Geographie der Freizeit und des Tourismus (Nachtleben als Freizeitangebot und Standortfaktor), sowie für die p/Politische Geographie (räumliche Konflikte um N/Macht) (vgl. die Unterteilung der Humangeographie in Subdisziplinen in Gebhardt et al. (Hrsg.) 2011c). Doch anhand des Gegenstandes Nacht(orte) lässt sich über intradisziplinäre Kooperationen in der Humangeographie noch weit hinausgehen: Er eignet sich ebenso hervorragend für inter- und möglicherweise in Zukunft auch transdisziplinäre Zusammenarbeit. Ich adressiere diesbezüglich vor allem Soziologie, Cultural Studies, Linguistik, Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft, Philosophie, Theologie und Ethnologie, aber auch die Wirtschafts- sowie die Rechtswissenschaft – generell also die verschiedensten Sozial- und Geisteswissenschaften, die gemeinsam mit der Geographie einen Beitrag zur Erschließung des Nächtlichen leisten könnten. Den Leser möchte ich nun einladen, mich auf einer Entdeckungsreise durch die Nacht zu begleiten. Durch die Augen des Wirtschaftsgeographen sollen ihm so neue Perspektiven offeriert werden. Die Koordinaten einer solchen Erschließungstour möchte ich vorab und vorbereitend näher erläutern.

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B) B EGLEITUNG : E RSTE E NTDECKUNGEN DER N ACHT Auf meinem Weg durch die Nacht und zu den verschiedensten nocturnen Destinationen begleiten mich viele Autoren, Wissenschaftler und Vorarbeiten, die mir wichtige Inspirationsquellen zur Verfügung stellen. Im Folgenden möchte ich diesbezüglich einen Überblick präsentieren, um meinen Zugang zu Formen des Nächtlichen zu vergegenwärtigen und Transparenz in Bezug auf meine eigene Erschließungshistorie zu gewährleisten. Diese Arbeit baut auf mehrjährigen Vorarbeiten auf, die bereits in meinen Studienabschlussarbeiten kulminierten, dort kondensierten bzw. sich in ihnen verdichteten. Wo ich mich noch in meiner Bachelor(2011) sowie meiner Masterarbeit (2012) mit konkreten empirischen Fällen, d.h. bestimmten Städten – Paris, Berlin, Frankfurt – und deren Nachtleben beschäftigt habe, liegt in der vorliegenden Arbeit kein spezifischer, exemplarischer Schwerpunkt auf einer Stadt oder auf mehreren mir besonders relevant erscheinenden Metropolen. Stattdessen soll mit dieser eher allgemein gehaltenen Abhandlung ein Leitfaden entwickelt werden, der dann in folgenden Arbeiten – z.B. vom interessierten Leser, aber natürlich auch vom Autor selbst – zur weitergehenden und vertiefenden eigenen Analyse eines konkreten Falles verwendet werden kann. Im Rahmen meiner Bachelorarbeit habe ich mich mit Transfer- und Austauschbeziehungen zwischen Paris und Berlin um 1900 am Beispiel der nächtlichen Vergnügungskultur befasst und konnte feststellen, dass das Konzept ‚Nacht(leben)‘ zu jener Zeit schon zirkulierte, mobilisiert wurde und im Wettbewerb der Städte zum Vergleichs- und Konkurrenzmedium avancierte. In meiner Masterarbeit habe ich die Entwicklung des Frankfurter Nachtlebens sowie dessen Bedeutung für die ‚Kreative Klasse‘ untersucht. Dabei habe ich mich anhand des Kreativwirtschaftsberichts für Frankfurt aus dem Jahre 2008 (Berndt et al. 2008) unter Rückgriff auf diskursanalytische Methoden mit der Rolle von jenen Akteuren, Diskursen und Praktiken auseinandergesetzt, die

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Bilder und Orte des Frankfurter Nachtlebens nutzen, beschreiben oder herstellen. Im Zuge dessen konnte ich herausarbeiten, dass die Frankfurter Nacht innerhalb der letzten 150 Jahre deutlich ökonomisiert, kulturalisiert, mobilisiert sowie zuletzt im starken Maße digitalisiert wurde und von einer ambivalent konnotierten Zeit der Faszination und des Schreckens zu einer Topographie des Vergnügens avancierte. In meinem Dissertationsprojekt versuche ich, diese eigenen Vorarbeiten bzw. Fallbeispiele hin und wieder beispielhaft anzuführen sowie weitere Darstellungen aus Nachbardisziplinen der Geographie über die facettenreichen Ökonomien des Nachtlebens zu bündeln, allgemeinere Aussagen – soweit es geht – über die nocturne Vergnügungskultur und ihre Orte in (westlichen) Großstädten zu treffen und dabei potenzielle Erschließungsraster offen zu legen. In den vorliegenden Ausführugen gehe ich über eine bloße historische Rekonstruktion der Entstehung und ökonomisch motivierten Entdeckung von Nacht hinaus und lege meinen Fokus insbesondere auf ‚heutige‘, d.h. postmoderne Tendenzen, um aktuelle Panoramen urbaner Nachtsemantiken möglichst umfassend zu skizzieren. Die Tatsache, dass ich mich schon in meinen vorherigen Qualifizierungsarbeiten (d.h. sowohl in meiner Bachelor- als auch in meiner Masterarbeit) mit Facetten des Nachtlebens auseinandergesetzt habe, möchte ich insofern für die vorliegende Studie nutzen, als ich auf die bereits gewonnenen Erkenntnisse und über einen längeren Zeitraum entstandenen Vorarbeiten sinnvoll und gewinnbringend aufbauen möchte. Die gezielte und bewusste Vergegenwärtigung einiger weniger Teile dieser sehe ich als notwendig an, um ein möglichst umfassendes Bild nocturner Ökonomien und ihrer Orte skizzieren zu können. Sinngemäße Dopplungen mit den Inhalten von Bachelor- und Masterarbeit können stellenweise auftreten und müssen es auch, um für den Nachvollzug wichtige Facetten zu berücksichtigen. Meine bereits erfolgten Überlegungen zu Nacht im Allgemeinen sollen demnach weiterentwickelt werden; von dieser Vorgeschiche ist die vorliegende Arbeit nicht zu trennen. Dieser Hinweis soll dabei nicht Feigenblattcharakter suggerieren, sondern – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der in letzter Zeit

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gehäuft aufgetretenen Plagiatsskandale (siehe z.B. Horstkotte 2013) – potenziellen Vorwürfen des Autoplagiats vorbeugen. Sowohl vom Aufbau her als auch inhaltlich lassen sich hin und wieder Parallelen und stellenweise konkret zitierte Entsprechungen von Textauszügen feststellen; gleichzeitig soll es sich bei der hier vorliegenden Arbeit um eine profunde Weiterentwicklung meiner bisherigen Ideen und Texte handeln. Die vorliegende Studie stellt somit gewissermaßen eine Reflexion meiner vorherigen Versuche sowie vielerlei weiterer themenverwandter Darstellungen dar und geht gleichzeitig weit über diese hinaus. Durch eine (meta)theoretische Fokussierung kann dies erreicht werden. Ich beziehe mich daher auf weitere, bis dato noch nicht berücksichtigte (Fall)Studien zu der behandelten Thematik; darüber hinaus weite ich auch meine theoretisch-konzeptionellen Grundlagen, auf denen meine bisherigen Arbeiten fußen, aus. Diese Arbeit präsentiere ich damit als (vorläufigen) Abschluss – und Höhepunkt? – einer Trilogie an eigenen Texten zur Nacht. Letztlich sollen in der vorliegenden Arbeit vorrangig relevante, stimulierende wissenschaftliche Diskurse und Konzepte für Nacht fruchtbar gemacht bzw. auf Nacht angewandt werden. Die folgenden Deutungsangebote wurzeln in diesem Sinne primär in den verschiedensten wissenschaftlichen Publikationen zu Nacht, Ort und Ökonomie. Des Weiteren werden aber auch ausgewählte Zeitungsartikel, verschiedenste Literatur – ein ‚Nachtführer‘ für Frankfurt am Main (Lieberum 2011) sowie eine literarische Abhandlung zum Nachtleben (Kohtes 1994) – und Internetdokumente interpretiert. Indirekt spielen zudem die in meinen Abschlussarbeiten teilweise bereits verwendeten Quellen eine Rolle, d.h. Reiseführer, literarische Erschließungsversuche und Presseberichte um 1900 (vgl. Schwegmann 2011: 40) sowie der Kreativwirtschaftsbericht der Stadt Frankfurt (Berndt et al. 2008). Ein digitalisiertes Quellenreservoir zu urbanem Nachtleben findet sich auf stadtnachacht.de; die dort zu findenden, mit verschiedensten Materialien belegten Diskurse sollen in meiner Arbeit sinnvoll interpretiert und verhandelt werden. Auf dieser Internetpräsenz haben die Autoren Schmid, Nettig, Mathein und Kosinski (2013) eine umfangrei-

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che Sammlung von Literatur, Interviews, Video- und Filmmaterial zu urbanem Nachtleben bereitgestellt. Überdies weisen sie auch auf Konferenzen, Forschungsprojekte, Zeitungsartikel und weitere Neugkeiten zum Thema Nachtleben hin. Diese Auflistung ist zwar mitnichten repräsentativ und kann aktuelle Diskurse zu Nacht sicher nicht allumfassend abbilden, aber sie offeriert zumindest einen eindrücklichen Einblick in sowie einen überzeugenden Überblick über (vor allem im deutschsprachigen Raum) kursierende nächtliche Panoramen, d.h. Bilder, Wahrnehmungen wie Deutungsmuster und somit verschiedenste Facetten und Akteure urbanen Nachtlebens, seiner Orte und Ökonomien. Neben den primär deutschsprachigen Diskursen auf stadtnachacht.de rekurriert diese Arbeit auf weitere Quellen. Ich nehme nach umfang- und aufschlussreicher Bibliotheks- und Internetrecherche verschiedene Nacht und ihre Ökonomie behandelnde Studien und Fallbeispiele aus dem englischsprachigen Raum in meine Arbeit auf, um meine konzeptionellen Entwicklungen zu unterfüttern. Letztlich beziehe ich mich also nicht nur auf wissenschaftliche Erklärungsansätze des Nächtlichen, sondern auch auf praktische, anwendungsorientierte Regulierungsversuche und journalistische Erfassungsversuche. Die gezielte empirische Rückkoppelung und -bindung steht nichtsdestotrotz bewusst nicht im Zentrum meiner Ausführugen, denn diese Arbeit ist (meta)theoretisch-konzeptionell angelegt: Es soll – wie erwähnt – ein Leitfaden für die kulturwissenschaftliche Erschließung nächtlicher Ökonomien mit starkem Ortsbezug lanciert werden, der auf die konkrete Überprüfung am Einzelbeispiel, am empirischen Fall, weitgehend verzichtet und dessen Verfasser diesen nächsten Schritt entweder schon in vorherigen Studien – insbesondere in meiner Bachelor- (2011) sowie meiner Masterarbeit (2012) an den Beispielen Berlin, Paris und Frankfurt am Main – geleistet hat, in von anderen Autoren entwickelten Publikationen (z.B. Becker et al. (Hrsg.) 2011, Schlör 1991) als geleistet sieht und sich auf diese jeweiligen Ergebnisse bezieht, oder auf zukünftige, weiterführende Arbeiten verschiebt, sozusagen auslagert. Lediglich hin und wieder versuche ich durch empirische Belege auf die

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Praxis zu verweisen, um vorgestellte Konzepte in ihrer Anwendbarkeit zu verdeutlichen. Eine erste Erschließung nächtlicher Orte kann ob des letztlich doch begrenzten Umfanges einer solchen Arbeit nicht mehr leisten. Bereits im Jahr 2000 hob Florida die Bedeutung eines spektakulären, ausdifferenzierten, ‚coolen‘ Nachtlebens als Standortfaktor für Kreative hervor: „The focus groups and interviews suggest that high human capital individuals are attracted to energetic and creative places that are colloquially referred to as ,hip‘ or ,cool‘. The focus group and interview subjects strongly emphasized the importance of visual and audio cues like outdoor dining, active outdoor recreation, a thriving music scene, active nightlife, and bustling street scene as important attractants. This reflects aspects of what has been termed ‘experiential consuming‘“ (Florida 2000: 20).

Abhandlungen über die Nacht und Versuche sowie Projekte zu ihrer Erfassung wie Interpretation sind vor diesem Hintergrund nicht neu, erfahren in den letzten Jahren aber besondere Konjunktur – einen exzellenten Überblick über die wissenschaftliche Erschließungshistorie zu nächtlichen Ökonomien (in britischen Städten) offeriert Shaw (2010). Heap (2009) hat beispielsweise über Slumming-Praktiken im US-amerikanischen Nachtleben zwischen 1885 und 1940 geschrieben. Weitere historische Untersuchungen konzentrieren sich auf das New Yorker Nachtleben im Kontext einer „transformation of American culture“ zwischen 1890 und 1930 (Erenberg 1981), auf die Beleuchtung der Pariser Nachtkultur im 19. Jahrhundert (Delattre 2004) und, von Weeber (2004), auf das „Nachtleben im alten Rom“. Letzterer analysierte die Rolle von nächtlicher Infrastruktur und konkreten Orten – Wirtshäuser, Kneipen, Herbergen, Rotlichtmilieus – sowie von Ver-

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gnügungspraktiken (Würfelspiele, Prostitution, Schauspiele, Trinkgelage). Ein Klassiker der wissenschaftlichen Erschließung des Nächtlichen und seiner Geschichte(n) stellt Schlörs „Nachts in der großen Stadt: Paris, Berlin, London 1840-1930“ (1991) dar; ein ebenfalls hervorragendes und noch dazu jüngeres Werk wurde unlängst von Becker, Littmann und Niedbalski über „Die tausend Freuden der Metropole. Vergnügungskultur um 1900“ (2011) herausgegeben. Aktuellere Tendenzen des Nachtlebens kulminierten beispielsweise in einer Abhandlung über Paris (O’Connor 1991) sowie in der Begehung von „Bangkok Noir“ (Willemsen 2012). Eine allgemeinere, stärker poetische Einschätzung schrieb Kohtes mit seiner „Topographie des Lasters“ (1994). Seine literarischen Ausführungen inspirierten mich nachdrücklich und erklären den aus Sicht klassischer Wirtschaftsgeographie möglicherweise etwas befremdlichen, heterodoxen, multiperspektivischen und bisweilen essayistisch-literarischen Blick, mit dem ich Ökonomien der Nacht betrachte. Meiner Arbeit könnte der interessierte Leser dabei vorwerfen, relativ eurozentristisch angelegt zu sein. Denn tatsächlich beziehe ich mich zur Untermauerung meiner theoretisch-konzeptionellen Deutungsangebote in erster Linie auf europäische bzw. ‚westliche‘ Beispiele urbaner Nachtentwicklung. Dies liegt an der mangelhaften Quellenlage, da Nachtleben – trotz der in letzter Zeit gestiegenen Zahl an Publikationen über Nacht – nach wie vor ein marginalisiertes Dasein als Forschungsgegenstand fristet und es nur wenige Studien zu beispielsweise afrikanischen Formen desselben gibt. Nichtsdestotrotz dürfen die wenigen Ausnahmen durchaus Erwähnung finden. De Bruin (2011) beispielsweise befasste sich unter anderem mit der asiatischen, türkischen sowie marokkanischen Party-, Clubbing- bzw. Vergnügungsszene. Hervorheben möchte ich, dass die hier kurz erwähnten Beispiele nur einen kleinen Ausschnitt aus einem größeren Reservoir an wissenschaftlichen Beschäftigungen mit Nacht darstellen; sie dienen an dieser Stelle nur der Veranschaulichung der Bandbreite an potenziellen inhaltlichen und auch stilistischen Schwerpunkten, die man als Autor setzen kann.

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C) Z IEL : D IE E NT -M ESSUNG DER N ACHT IN ER - ÖRTERNDER P RAXIS Die folgenden Ausführungen oszillieren im theoretisch-konzeptionellen Spannungsfeld von Identität, Ökonomie und Ort und stellen insofern eine Anti-Vermessung dar, als Nacht nicht quantifiziert werden soll. Im Gegenteil: Um zu einer Ent-Messung des Nächtlichen und seiner Ökonomien beizutragen, d.h. zu seiner De- und ‚Dis-Quantifizierung‘, sollen die nocturnen Qualitäten betont werden. Dabei möchte ich ‚er-örternd‘ vorgehen, indem ich auf die Spezifika der Nacht-Orte eingehe – auf jene Orte, die Nacht ‚(aus)machen‘. In dieser Hinsicht kann nocturne Topographie, eine Beschreibung und Skizzierung des Nächtlichen durch die Fokussierung auf nächtliche Orte, als Perspektive aufgefasst werden. Doch meine Ausführungen zielen zugleich auf weitere Punkte ab, die ich dem Leser hier, in gewisser Weise vorwarnend, vorstellen möchte. Eine Dissertation sollte einen gewissen Umfang, bei aller Liebe zum Detail, nicht überschreiten. Meine Studie kann und will daher gar nicht den Anspruch auf globale Repräsentativität im Sinne einer Gesamtdarstellung der weltweiten Entwicklungsmöglichkeiten und Facetten urbanen Nachtlebens erheben, sondern lediglich einen Teil der Muster desselben darlegen. Es handelt sich hier somit lediglich um eine Möglichkeit der Nachterfassung: Mit diesem Werk offeriere und lanciere ich ein Deutungsangebot – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Im Zuge dessen versuche ich als Interpretationsansätze erscheinende Erschließungs(un)möglichkeiten zu unterbreiten, derer sich der Leser insofern bemächtigen kann, als er sich die ihm opportun erscheinenden Prämissen aussuchen und für weitere Forschungen, die möglicherweise empirischer ausgerichtet sind, verwenden könnte. Mein Ziel ist es, konzeptionelle Zugänge zu nächtlichen Märkten zu bündeln und somit letztlich einen multiperspektivischen Blick auf Nacht, Ort und Ökonomie zu ermöglichen. Als Leitfrage der vorliegenden Ausführungen könnte somit firmieren, wie nächtliche Topographien aus Perspektive einer kulturellen

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Geographie der Ökonomie interpretiert werden können. Ich serviere dabei – um im Bild zu bleiben – einen bisweilen chaotischen Cocktail, einen „literarischen Longdrink“ (Kohtes 1994: 7), der wissenschaftlichen Qualitätskriterien – nach Balzert et al. (2008: 9 ff.) sind dies u. a. Verständlichkeit, Relevanz, logische Argumentation, Originalität, Nachvollziehbarkeit – standhalten soll. Der Leser mag aus wirtschaftsgeographischer Perspektive angeregt und eingeladen werden, sich kreativ über Nacht, Ort und damit zusammenhängende Ökonomien Gedanken zu machen. Damit schließe ich weitere, mithin erweiternde oder weitergehende(re) Ansätze zur wissenschaftlichen Erschließung nocturner Prozesse keineswegs aus. Stattdessen fordere ich sie explizit ein. Diese Studie möchte ergo stimulieren und Interesse wecken, sich mit Panoramen des Nachtlebens anhand empirischer Beispiele zu befassen sowie möglicherweise auch meiner Arbeit gegenüberstehende konzeptionelle Ansätze und Perspektiven als alternative Deutungen zu präsentieren – nur so entstehen fruchtbare Reibungs- und Diskussionspunkte, die das facettenreiche und wohl nie in Gänze zusammenhängend vorliegende, sich ständig modifizierende Bild des globalen Nachtlebens ergänzen und bereichern können. Die theoretischen und methodischen Erschließungs(un)möglichkeiten – sowie potenzielle Kritikpunkte – meiner Arbeit möchte ich in den nächsten Unterkapiteln offenlegen. Da diese Arbeit auf die Entwicklung eines theoretisch-konzeptionellen Rahmens zur Erschließung nächtlicher Ökonomien abzielt, breite ich meine allgemeineren theoretischen (sowie letztlich auch methodischen) Ansätze schon im Rahmen dieser Einleitung relativ umfassend aus. Auf die konkreten Kernkonzepte meiner Ent-Messung des Nächtlichen möchte ich allerdings erst nach der als Präludium titulierten Einleitung im Rahmen eines separaten Blocks (Kapitel 3) eingehen und meine Auffassungen von Nacht als Produkt, Prozess und Ort so gesondert und mit Nachdruck präsentieren.

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D) P ERZEPTIONSPRÄMISSEN : D EUTUNGS ( UN ) MÖGLICHKEITEN Unter dem Eindruck einer in methodischer Hinsicht pluralistischen Geographie (nach Gebhardt et al. 2011a: 86) sowie unter der Prämisse einer stark „interpretativ-verstehend angelegten Form des wissenschaftlichen Arbeitens“ (Reuber & Gebhardt 2011: 96) stütze ich mich auf einen reflektierten Konstuktivismus als Perspektive, die „ihre Ergebnisse entsprechend selbst als ‚Konstruktionen über Konstruktionen‘ [bewertet]“ (ebd.). Eine solche Forschung möchte bewusst und ausdrücklich keine allgemein gültigen Gesetzmäßigkeiten anhand empirisch ausgewerteter Daten belegen, sondern eher Denkanstöße bieten, die durchaus „zu einer Erweiterung von Handlungsspektrum undkompetenz in entsprechenden Alltagssituationen“ (ebd.: 99) des Verfassers wie des Lesers der jeweiligen wissenschaftlichen Arbeit beitragen können. Denn „qualitative Untersuchungen messen sich an anderen Relevanz- und Gütekriterien [als quantitative, Anm. d. Verf.]. Hier ist als Qualitätsmerkmal nicht die ‚intersubjektive Überprüfbarkeit‘ gefragt, sondern die ‚Plausibilität‘ und ‚Nachvollziehbarkeit‘ der Ergebnisse. Der Nutzen besteht hier weniger in der statistisch abgesicherten Prognose, sondern darin, dass die Leser durch die Lektüre der Ergebnisse ihre eigene Lebenswelt bzw. die beobachteten Phänomene besser verstehen. Indem sie mit solcherart gewonnenen qualitativen Forschungsergebnissen in Resonanz treten, kommt es bei ihnen zu einer Erweiterung und Veränderung des Blicks auf die Welt“ (ebd.).

So schrieb Reuber über eine „interpretativ-verstehende Wissenschaft und die Kraft von Erzählungen“ (Reuber 2011a: 156), dass diese kontextabhängige, subjektive, an der Hermeneutik – das heißt am „Sinn-

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verstehen“ – orientierte Herangehensweise immer „konstruierte Wirklichkeiten“ hervorbringe und reflektiere (ebd.). Mein vorab präsentiertes Theoriekonzept – kulturelle Geographien der Ökonomie mit expliziter Performativitäts-Perspektive – kann als „Geschäftsgrundlage“ (ebd.) verstanden werden, auf der meine zu entwickelnde Interpretation nocturner Ökonomien fußt. Ich versuche dabei, tendenziell in der Tradition poststrukturalistischer Herangehensweisen, einen diskursorientierten Weg einzuschlagen, der dennoch – oder gerade deswegen – auch nach Akteuren fragt. Mit der „Ausdifferenzierung von Deutungsangeboten in der Postmoderne“ (Wood 2011: 904) möchte auch ich durch multikonzeptionelle Erklärungsansätze des Nächtlichen ein facettenreiches Potpourri theoretischer Zugangs(un)möglichkeiten offerieren, an denen sich der geneigte Leser der ihm opportun erscheinenden Varianten bedienen kann. Durch diese breit angelegte Erschließung lässt sich nach Wood „ein detailreicheres Bild der ‚postmodernen Stadt‘ entwerfen […], als dies mit der eingeschränkten Zugangsweise einer ‚großen Theorie‘ möglich wäre“ (ebd.). In diesem Zusammenhang möchte ich in den Worten Woods anmerken, „dass jede Theoritisierung des Städtischen immer komplexitätsreduzierend und ihr Erkenntniswert daher zunächst heuristischer Natur ist. Damit liefert sie Anhaltspunkte bzw. ‚Suchscheinwerfer‘ für empirische Untersuchungen“ (ebd.). Meine Arbeit wird damit als Angebot für (kulturwissenschaftliche) Nachbarwissenschaften der Geographie konzipiert, die ebenfalls vor nicht allzu langer Zeit vom Cultural Turn – und damit auch vom Spatial Turn – „als Ausdruck des Bemühens […], die Deutungsschemata und Wissensordnungen in den Blick nehmen, auf Grundlage derer die gesellschaftliche Wirklichkeit produziert und reproduziert wird“ (Lossau 2007: 66), in den Grundfesten ihrer Selbstverständnisse positiv, weil konstruktiv, erschüttert wurden. Dabei befinde ich mich im Spannungsfeld von Handlungstheorie und Poststrukturalismus. Auch wenn insgesamt näher an letzerem stehend, scheint dieser Dualismus an vielen Stellen dieser Studie hervor; ich versuche ihn im Folgenden durch eine ‚Performativitätsperspekti-

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ve‘ aufzubrechen (nach Berndt & Boeckler 2007, Boeckler & Strüver 2011). Hierzu sollen vorab einige grundlegende und einführende Gedanken erfolgen, um im Laufe dieser Arbeit eine eigene und fundiert begründete Anwendung auf den Gegenstand Nacht(orte) zu erreichen sowie eigene Positionierungen zu plausibilisieren. Ich sehe mich insofern in der Denkweise poststrukturalistischer Arbeiten, als ich über diskursorientierte Ansätze die Symbolhaftigkeit und Bedeutung von Agencements aus Mensch und Materialität für wirklichkeitskonstituierende Prozesse betone (nach Gebhardt & Reuber 2011: 649; zur Definition des Terminus Agencement: siehe Kapitel 4 a). Gleichwohl erscheinen hierbei auch konkret auszumachende Akteure, die diskursive Formationen bedingen. Diesen Akteuren und ihrer Rolle in der (Re)Produktion nächtlicher Märkte möchte ich mich beispielsweise in Kapitel 7 c (‚Schau-Spieler‘) näher widmen. Polit-ökonomische Ansätze der Humangeographie, die ähnlich wie die beiden soeben erwähnten Paradigmen kritische Erklärungen hervorbringen können, erscheinen mir zu ideologisch, orthodox, ausschließlich und mitunter normativ (in dieser Auffassung folge ich Berndt & Boeckler 2007: 217); eine politökonomische Analyse der Nacht soll hier deshalb nicht erfolgen. Nichtsdestotrotz könnten derartige Versuche in Zukunft sicherlich wertvolle Impulse auch für meine und anschließende Arbeiten liefern und wären deshalb nicht per se unerwünscht. Meine wissenschaftliche Poesie der Nacht entwerfe ich vor diesem Hintergrund als eine kulturelle Geographie der Ökonomie: Um ‚Philosophien des Ortes‘ in eine kulturwissenschaftlich und speziell geographisch informierte Ökonomieforschung einzufügen, versuche ich im Zuge des Projekts zu klären, wie bzw. wodurch nocturne ‚MarktPlätze‘ gedacht und ‚gemacht‘ werden, welche Rollen dabei von welchen Akteuren, Diskursen und Technologien im gemeinsamen Konstruktions- und Reproduktionsprozess des Nächtlichen bekleidet werden und wie diese Prozesse theoretisch-konzeptionell sinnvoll gefasst werden können. Dieser Fokus auf der Herstellung, der Produktion, des Making von wirtschaftlicher Wirklichkeit, von Raum- und Ortsvorstel-

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lungen soll demnach, ebenso wie die Frage nach den Urhebern dieser Prozesse, im Zentrum meiner Überlegungen stehen. Einer solchen Fragestellung liegt die Auffassung zugrunde, dass Nacht nicht nur als ein sozial-diskursives Konstrukt, sondern ebenso als die performative Aus- und Aufführung desselben erscheint (Nightmaking) (vgl. Boeckler & Berndt 2011: 914 f.). Als Gegenentwurf zu neoklassischer Modellökonomik möchte mein kulturtheoretischer Ansatz Alternativen für die Betrachtung von Ökonomie aufzeigen und mit einem konkreten Ortsbezug ‚würzen‘, da Identitäten örtlich wirken (Pott 2007: 30). Ich schließe mich diesbezüglich prinzipiell Berndt und Boeckler (2007) an, wenngleich ich einige ihrer Prämissen (siehe Kapitel 4 a) nicht in Gänze teile. Sie konstatieren: „In den Mittelpunkt rücken letztlich all jene Prozesse, welche das multidisziplinäre Praxisfeld ‚Ökonomie‘ (wie Märkte, Unternehmen etc.) herstellen. Dabei beharren wir in geradezu traditionalistischer Weise auf einen [sic!] geographischen Fokus [sic!] indem wir auch fragen, wie mit ökonomischen Praktiken Räume und Orte performativ hergestellt werden“ (ebd.: 227).

Eine kulturtheoretisch, qualitativ und interpretativ arbeitende Wirtschaftsgeographie im Anschluss an den Cultural Turn versteht sich als interdisziplinär (an)schlüssige Wissenschaft, die sich als alternativer Ansatz von (neo)klassischer Wirtschaftsgeographie und Wirtschaftswissenschaft abgrenzt, diese allerdings nicht verdrängen möchte. Kulturelle Geographien der Ökonomie können sodann als überaus kreativ entworfene Denkarchitekturen herausfordernde (Be)Deutungsreservoirs konstruieren, um den Forschungsgegenstand Nacht aus räumlicher Perspektive und im Spannungsfeld von Identität und Ökonomie neu zu denken. Sie speisen sich nicht zuletzt aus der „Perspektive einer kulturellen Ökonomie“ (ebd.: 215), die die sozio-kulturell verankerten Reproduktionsprozesse bei der Konstruktion von Märkten und ökonomischen Logiken ‚entschleiert‘. Ich möchte somit über die

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bloße Dekonstruktion von mit dem Label ‚Kultur‘ versehenen und im Zuge dessen aufgewerteten Wirtschaftsformen sowie -beziehungen hinausgehen, indem durch eine kulturtheoretisch fundierte und konstruktivistischen Prämissen folgende Forschung der Gegenstand ‚nächtliche Ökonomie‘ in seiner Herstellung und Wirkweise, seinen Perzeptionspotenzialen und Ausdrücken skizziert werden soll. Kultur bzw. Kulturelles wird somit zur „Perspektive“, zu einer theoretischen Erschließungsmöglichkeit (ebd.: 216). Die vorliegende Arbeit möchte an diese Überlegungen anknüpfen. Dabei soll auf die Herstellung von wirtschaftlicher Wirklichkeit und die damit zusammenhängenden Ortsvorstellungen wie auch -realisierungen fokussiert werden. Mit „Geographien des Performativen“ (Boeckler & Strüver 2011) lassen sich insbesondere Fragen zu Identität und Identifikationsprozessen, zu Ökonomisierung (ebd.: 665 f.) sowie zu „räumlichen Inszenierungen von Alltagspraktiken“ (ebd.: 663) fruchtbar behandeln. Boeckler und Berndt konstatieren für kulturelle Geographien der Ökonomie nämlich „drei übergreifende konzeptionelle Verschiebungen“ (Boeckler & Berndt 2011: 914): „Ökonomisierung“ frage „nach den konstruktiven Herstellungs- und Klassifikationsprozessen […], die eben jene ökonomischen Gegenstände hervorbringen: Welche Dinge, Handlungen, Menschen und Prozesse werden wann, wie und wozu der Sphäre der Ökonomie zugeordnet?“ (ebd.). „Pluralisierung“ meine die durch die kulturwissenschaftliche Wende in der geographischen Ökonomieforschung offerierte Vielzahl an Zugangsmöglichkeiten für das wissenschaftliche Arbeiten (ebd.). Mit dem Terminus „Performativierung“ könnten einerseits das Handeln mit Sprache sowie andererseits „die Inszenierungen, Auf- und Ausführungen bestimmter Akteure“ (ebd.), durch die ökonomische Realitäten implementiert und intensiviert werden, in den Fokus rücken. Diese tendenziell kritische Perspektive könnte mit Berndt und Boeckler als Teil von „heterodoxen Wirtschaftsgeographien“ (2007: 217) betitelt werden, die im Anschluss an den Cultural Turn versuchen, „den unausgesprochenen Selbstverständlichkeiten […] die Selbstverständlichkeit zu rauben“ (ebd.: 218). Damit lassen sich Nightscapes und ihre Ökonomien im Anschluss an den

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Linguistic Turn, den Cultural Turn und damit auch den Spatial Turn als komplexe Zeichensysteme verstehen. „Capturing markets from the economists“ (Slater 2002) könnte somit zu einer appellartigen Agenda kulturtheoretischen Arbeitens – und damit auch zum Slogan dieser auf die Nacht fokussierenden Studie – avancieren. Denn daran anschließend können ebenfalls die multiplen Facetten der nächtlichen Ökonomie, des in Wert gesetzen Nachlebens, als Konstrukt und gleichzeitige materielle wie soziale Wirklichkeit aufgefasst werden, die durch ein Konglomerat an eingespielten und zufälligen Praktiken entsteht und reproduziert wird. Nachtleben ist somit weit mehr als ‚lediglich‘ ein mentales Konstrukt: Durch das Handeln nach sowie in vorgestellten Prinzipien der Ökonomie werden Formen, Räume und Orte der Nacht wie auch ihrer ökonomischen Verwertung performativ und real. Nach Noller (2002: 92) würden die Menschen in den Innenstädten nämlich nicht ‚nur‘ manipuliert werden, sondern besäßen auch eine gewisse agency in Hinblick auf „Neuinterpretationen“ der sie umgebenden ökonomisierten Räume und Orte durch die offerierten Angebote, die mit den Wünschen der Individuen verschmelzen und zu Umdeutungen der Stadtlandschaft führen könnten: „Inszenierte Räume [funktionieren] in der Marktgesellschaft immer nur deshalb […], weil sie an Imaginationen von Stadt und die Träume ihrer Besucher anknüpfen“ (ebd.). Die Frage wäre nun, inwiefern die Besucher möglicherweise nur deshalb bestimmte Imaginationen, Träume und Wünsche haben (können), weil diese wiederum durch Diskurse kapitalistischneoliberaler Logiken geprägt sind. Dies wäre die PerformativitätsPerspektive von Cultural Economic Geography, wenn die Herstellung von ökonomischen Wirklichkeiten durch bestimmte Agencements von Dingen bzw. Materialitäten, Diskursen, Menschen und Praktiken performativ ausgelöst wird. Aus dieser Perspektive muss der Dualismus von Handlungstheorie und Poststrukturalismus in dieser Arbeit neu verhandelt werden.

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E) V ERORTUNG : E RSCHLIESSUNGS ( UN ) MÖGLICHKEITEN Human- und insbesondere wirtschaftsgeographische Wirklichkeiten wie Theoriebildungen sind derzeit ransantem Wandel unterworfen (Barnes 2009). Der seit einigen Jahren zu konstatierende Boom kulturwissenschaftlich orientierter Geographien der Ökonomie hängt damit zusammen und ist nichtsdestotrotz bemerkenswert. „Economic geography goes punk“, konstatierte Barnes bereits 2003 mit Blick auf die kulturtheoretisch informierte Wirtschaftsgeographie. Tatsächlich schafft diese in den letzten Jahren mit ihrer Do-it-yourself/Just-do-itMentalität, ihrem Drang zum Ausprobieren, in der Kreativität des Versuchs, dem wilden Mixen und ihrer bisweilen ungestüm oder gar arrogant wirkenden Ignoranz von Konventionen ein erhebliches Innovationspotenzial. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt; wer wagt, dem eröffnet sich zumindest die Möglichkeit, innovative Ideen zu generieren – so der Tenor dieser Perspektive. Vor diesem Hintergrund scheint nun nahezu alles erlaubt – solange wissenschaftliche Standards eingehalten werden. Wirtschaftsgeographie erscheint als vitale, kreative und experimentierfreudige „messy discipline“ (Barnes 2009: 320), als aufregendes, dynamisches Experimentierfeld. Um Amin und Thrifts Weckruf zur aktuellen Situation der Wirtschaftsgeographie (2000) zu folgen und alternative, heterodoxe Zugänge für wirtschaftsgeographisches Arbeiten zu entwickeln – abseits vom wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream, von (neo)klassischen Modellbildungen etc. – möchte ich im Folgenden neueren kulturtheoretisch orientierten Ansätzen für die Erforschung des Gegenstandes Ökonomie folgen, aus dem sich innovative Denkansätze speisen könnten – ganz im Sinne Barnes, der schreibt: „Theorizing is a social activity like any other. Theory does not find its origins in heavenly inspiration; they reflect the local social context and the unequal relations of power and resources contained therein. Theo-

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rizing requires ,situating‘ in terms of one’s own social interests, location, embodiment, and identity, as well as those of others“ (Barnes 2001: 557).

Dabei bin ich mir durchaus bewusst, dass ein solches Vorgehen Kritik hervorrufen kann – so etwa von Martin und Sunley, die vor „vague theory and thin empirics“ in postdisziplinären Zeiten warnen (2001: 152). ‚Ist das noch Wirtschaftsgeographie, ist das noch Wissenschaft?‘, könnte der kritische Leser in diesem Tenor fragen, wenn (scheinbar?) ‚weiche‘ kulturtheoretische Konjunktive auf ‚harte‘ ökonomische Imperative stoßen. Dem entgegne ich, dass Ökonomie nicht ‚so einfach‘ ist, d.h. nicht (ausschließlich) mit Hilfe von klassischen wirtschaftswissenschaftlichen und -geographischen, mitunter modellhaften Erklärungsmustern verstanden werden kann. Ökonomie ist komplexer und verlangt daher heterodoxe Theorie und Sprache zur Erklärung. Auch wenn dies im Folgenden abseits vom (wirtschafts)wissenschaftlichen Mainstream geschieht und so Kritik zu erwarten ist, müssen alternative Vorschläge zumindest geduldet werden, sofern sie plausibel begründet sind. Einem weiteren Kritikpunkt, jenen der zunehmenden Auseinanderentwicklung von Kulturtheorie und konkreten praktischen Lebenswirklichkeiten sowie materiellen Gegebenheiten, versuche ich in zweifacher Hinsicht zu begegnen: zum einen durch den konkret fassbaren und ökonomisch, sozial sowie kulturell relevanten Gegenstand Nachtleben, zum anderen durch ein bewusstes und gezieltes Miteinbeziehen von Materialität und Technologie. Zunächst zu ersterem der beiden Punkte: Die Kritik einer abgehobenen, elitären Elfenbeinturmforschung, die sich frei von jedem Praxisbezug im Lichte des eigenen Intellekts sonnt (vgl. ebd.: 155 f.), versuche ich dadurch zu entkräften, dass ich mit großstädtischem Nachtleben einen – wie in den ersten Sätzen dieser Arbeit (vgl. Kapitel 2 a) verdeutlicht – höchst relevanten und gesellschaftlich brisanten Gegenstand betrachte. Dieser Ansatz kann durchaus zu einer wirtschafts- und/oder politikberatenden Version avancieren – muss es aber nicht, wie ich im Fazit (‚Postludium‘) spezifiziere.

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Somit riskiere ich es nicht, in den Worten von Rodriguez-Pose, „Wirtschaftsgeographie mit einer Überdosis Cultural Turn zu töten“ (2001), sondern offeriere stattdessen einen anwendbaren innovativen Ansatz, um ökonomische Wirkpotenziale zu ergründen, ohne in einer multikonzeptionellen und inter- bis transdisziplinären Herangehensweise die Kernkompetenzen der Wirtschaftsgeographie – die Fokussierung auf space und place in der Betrachtung des Gegenstandes Ökonomie (nach Yeung 2001: 171) – aus dem Auge zu verlieren. Daneben blicke ich auch auf Materialitäten, auf Digitales und Technologien, obschon – und gerade weil – die in der anglo-amerikanischen Geographie bereits etablierte Erforschung entsprechender materieller Prozesse in der deutschsprachigen Forschung noch in den Startlöchern steht: „Während man […] im deutschsprachigen Raum noch den Anschluss an aktuelle kultur- und sozialwissenschaftliche Theoriebezüge feiert, formiert sich in Nordamerika und Großbritannien bereits Widerstand gegen jene abstrakte und ‚blutarme‘ theoretische Einstellung, welche die Fokussing auf Sinn und Bedeutungswelten mit sich gebracht habe. Dabei werden Stimmen laut, die sich für eine explizite Rückkehr zur physischen Materie stark machen“ (Lossau 2007: 59).

Hieran möchte ich anschließen, indem ich die physischen Räume der Stadt, d.h. die materiell-baulichen Architekturen und digitalen Topographien gesondert betrachte. Es mag an dieser Stelle verwundern, dass sich (Wirtschafts)Geographen unter dem (Ein)Druck des Cultural Turn intensiv mit materiellen, baulichen, infrastrukturellen und technischen ‚Dingen‘ als wirklichkeitsmachende Diskursteilnehmer befassen. Doch verschiedenste wissenschaftliche Disziplinen widmen sich mittlerweile Materialitäten: nicht nur Geographen, auch Historiker, Soziologen, Psychologen, Anthropologen und viele mehr (nach Basu 2013: 370). Beispielsweise werden bereits in Material Culture Studies interdiszi-

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plinäre Perspektiven auf Materialitäten gesammelt (ebd.), denn „material culture may be regarded as one of the defining characteristics of being human“ (ebd.). Material Culture Studies erscheinen vor diesem Hintergrund als „a postdisciplinary field of study“ (ebd.: 386); auch Nachtforschung könnte möglicherweise eines Tages jenseits von Fächergrenzen verhandelt werden (siehe Kapitel 9 b und c). In jedem Fall möchte ich den vorliegenden Versuch einer Rematerialisierung kulturwissenschaftler Ökonomieforschung nicht mit einer reifizierenden Perspektive oder gar Vorgehensweise verwechselt sehen, da die „symbolischen Einschreibungen von Bedeutung in Materie“ (ebd.: Lossau 2007: 67) auch sozial produziert, weil vom Menschen (selten) bewusst oder (meist) unbewusst mit Bedeutung belegt sind bzw. – an kognitive Prozesse und Erwartungen anknüpfend sowie Emotionen auslösend – diese im Zusammenspiel mit mentalen Bildern, Ortsvorstellungen und auch imaginierten Geographien der Ökonomie wirklichkeitskonstituierend werden sowie schließlich als korrespondierende Agencements von Mensch und Materie explosiven Charakter entfalten können. In diesem Sinne sind auch neuere Ansätze aus der anglo-amerikanischen Cultural Economic Geography einzuordnen, deren Perspektive James wie folgt beschreibt: „Contemporary research in cultural economic geography does not reject traditional concerns of capital, production, exchange, valuation and consumption, but instead broadens the analysis to examine, on the one hand, how these processes operate within, and impact on, the spatially variable sets of sociocultural conventions, norms, attitudes, values and beliefs of the societies within which economic decisions and practices take place; and, on the other hand, how these economic categories are themselves discursively as well as materially constructed, practised and performed“ (James 2006: 290).

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Vor diesem Hintergrund müssen auch methodische Verschiebungen in Erwägung gezogen werden. Schon seit den 1980er Jahren wird die (anglo-amerikanische) Wirtschaftsgeographie von einer „qualitativen Revolution“ heimgesucht, die auch Diskursanalysen und theoretische Arbeiten beinhaltet, wir Barnes konstatiert (nach Barnes 2009: 320): „Along with permissive methodology has gone permissive theory. As in the case of methods, now almost anything goes. Economic geography is polycentric, consisting of a set of dispersed theoretical communities“ (ebd.). Im Sinne einer stark qualitativen, interpretativen, konstruktivistischen, hermeneutischen und subjektiven Arbeit versuche ich „Nachvollziehbarkeit und Plausibilität“ (Reuber 2011a: 157) zu erreichen sowie den Leser zu eigener Reflexion zu animieren. Ich stütze mich dabei auf Vorarbeiten zu Nacht und Ort und versuche diese zu bündeln, um schlussendlich theoretisch-konzeptionelle und inhaltliche Zugänge zur Thematik zu unterbreiten. Aus der Rolle eines Beobachters von Praktiken, Diskursen und Materialitäten heraus, versuche ich diese konzeptionell zu framen, um ihre Rolle im gemeinsamen Konstruktions- und Reproduktionsprozess des Nächtlichen zu verstehen. Ein derartiges ‚ero-episches Selbstgespräch‘ sollte nicht als subjektivistischer, soziale Ungleichheiten verharmlosender und aus niederen Beweggründen der Selbstprofilierung entstandener Essay verstanden werden, sondern versteht sich als überaus konsumkritisch (vgl. Pütz & Schröder 2011: 1001 f.). Sämtlichen Kritikern, die fehlende empirische Tiefe monieren und konkrete Belege aus der Praxis (ein)fordern, sei entgegnet, dass der Fokus dieser Studie bewusst auf der Entwicklung eines theoretisch gesättigten Forschungsdesigns für die weiterführende konkrete Anwendung am Einzelfall liegt: „The literature on cities is inevitably vast, but it focuses mostly on single cities. It is also a literature that is mostly domestic in orientation. International studies of cities tend to be comparative. What is lacking is a transnational perspective on the subject“ (Sassen 2000: 8). Nach Sassen sollte also eine breitere Perspektive eingenommen werden, um übergreifende Prozesse zu fassen. Dieser Aufforderung möchte ich folgen – allerdings (fast) ohne auf empirische

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Fälle und einen Hort an Einzelbeispielen zu bauen, sondern indem ich zunächst einen theoretisch-konzeptionellen Leitfaden erstelle. Als erster, vorsichtiger Anfang einer umfassenden Erschließung des Nächtlichen und seiner Orte versuche ich ‚lediglich‘ Deutungsangebote zur Verfügung zu stellen, die in Zukunft auf verschiedene praktische Beispiele bezogen werden sollten. Denn im postmodernen Spiel – oder doch Kampf? – der Konzepte ist (fast) alles erlaubt, was Denkprozesse initiiert, Impulse zum kritischen Nachdenken über Nacht und Ort setzt sowie kreativ Probleme und Lösungsvorschläge aufwirft. Solange wissenschaftliche Standards eingehalten werden, ist auch ein bisweilen essayistisch anmutender Stil vertretbar, wenn mitunter in pointierter Präsentation Argumente zirkulieren und den Leser mit kreativen Salven der Verunsicherung torpedieren. Methodisch visiere ich einen diskurstheoretischen Zugang an – allerdings keinen ‚klassischen‘ der gezielten Interpretation von z.B. Interviews, Mediendokumenten etc., sondern einen solchen, der im weitesten Sinne wahrnehmungsprägende Praktiken, Diskurse und Materialitäten des Nächtlichen in den Blickpunkt rücken lässt, der konzeptuelle Zugangs(un)möglichkeiten und zentrale Orte nächtlicher Ökonomien reflektiert. Für die Verhandlung von Mensch und Materialität bietet sich vor diesem Hintergrund eine Performativitäts-Perspektive an, die das Verhältnis von Materialität und Diskurs gesondert betrachtet und – so mein Ansatz – Materialitäten gar explizit als Teil von Diskursen betrachtet, denn „Diskursanalyse ist nicht nur Textanalyse. Das Verhältnis von Materialität, Räumlichkeit und Prozessen der Bedeutungskonstitution, insbesondere die Beziehung zwischen sprachlichen und nichtsprachlichen Entitäten und Praktiken, ist ein wichtiges Thema der Diskursforschung. […] Diskurse (im Sinne gesellschaftlicher Sinn- und Machtstrukturen) sind immer nur in Form sozialer und diskursiver Praktiken erfahrbar und umgekehrt ist jegliche Materialität nur dann

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sozial relevant, wenn sie in diskursive Strukturen eingebunden und mit Bedeutung aufgeladen ist“ (Dzudzek et al. 2011: 181).

Man könnte diese Arbeit also letztlich als eine Art Diskursanalyse verstehen, wobei ich unter Diskurs nicht nur „a network of concepts, statements, and practices that collectively produce and authenticate particular knowledges and truths“ (Aylett & Barnes 2009: 153) verstehe: Wie in meiner Masterarbeit schon ausgebreitet, soll stattdessen von einem „weit gestreuten und umfassenden Diskursbegriff ausgegangen werden, der in einem unaufhörlichen Zusammenspiel eines Konglomerats von Denken, Sprechen und bedeutungsgenerierenden Zeichen kulminiert“ (Schwegmann 2012: 5). Auch Materialitäten, Infrastrukturen und Technologien spielen ebenso wie menschliche Akteure in diese Auffassung diskursiv hergestellter und verfestigter Wahrnehmungen und Wahrheiten hinein. Alles, was nächtliche Realitäten und Ökonomien ‚macht‘, das heißt beeinflusst, herstellt, reproduziert und/oder modifiziert, kann so als Diskurs erscheinen – selbstverständlich auch der Verfasser dieser Zeilen. Um die Ausführungen meiner Masterarbeit kurz zu vergegenwärtigen, möchte ich an dieser Stelle einige Autoren nennen, auf deren Publikationen ich in der Entwicklung eines Verständnisses von Diskurs aufbaue, um meine Herleitung einer solchen Wirklichkeitsvorstellung transparent erscheinen zu lassen. Ich bezog mich insbesondere auf die Sprachwissenschaftlerin Sokol (2007), auf den Soziologen Diaz-Bone und die Betriebswirtschaftlerin Krell (2009), auf die Geographen Glasze und Mattissek (2009), Paul Reuber (2012) sowie Dzudzek et al. (2011). Für nähere Erläuterungen möchte ich allerdings an dieser Stelle auf meine Masterarbeit verweisen (Schwegmann 2012: 4 ff.), um den Rahmen dieser Studie nicht zu sprengen.

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F) AUSDRUCK UND AUFFÜHRUNG : D ARSTELLUNGS ( UN ) MÖGLICHKEITEN Der folgende fragile Entwurf versucht die Rhythmen der Nacht zu greifen und ihre Orte als relational begreifbar zu machen. Meine Präsentationspraxis verschreibt sich dabei keinem expliziten Stil, dürfte aber bisweilen als überaus essayistisch empfunden werden. Diese Art des Arbeitens – „hermeneutic theorizing“ nach Barnes (2001: 551) – darf durchaus sprachlich experimentelle Züge und muss ständig selbstreflektierende, mitunter auch provokative Formen annehmen, um innovative Deutungsansätze zu ermöglichen; nichtsdestotrotz – und nicht zuletzt gerade deshalb – ist sie nicht unumstritten. Denn meine Arbeit beherbergt in methodischer Hinsicht sowie mit Blick auf den sprachlichen Ausdruck polarisierendes Potenzial – insofern, als sie keine ‚klassische‘ (wirtschafts)geographische Studie mit intensiven empirischen Forschungen und Datengenerierungen umfasst, sondern eine eher (meta)theoretisch orientierte Arbeit darstellt, deren Medium eine kolorierte Sprache verkörpert und die in Präsentation wie Performanz problematische Resonanzen bedingen kann. Der eine oder die andere in geographischen Wissenschaften mag sich nämlich in Anbetracht ebendessen in seinem/ihren Selbstbild brüskiert fühlen und tadelnd bzw. kritisierend fragen, ob die vorliegende Mélange noch Wissenschaft sei. Hierzu möchte ich klar Stellung beziehen, indem ich insbesondere das kreative Potenzial dieser Art, Wissenschaft zu betreiben, hervorheben möchte. Doch zunächst: Welche Sprache spricht die Nacht überhaupt? Wie kann eine Sprache der/über Nacht klingen? Wie beschreibt man Ausdrucksformen der Nacht, wie lassen diese sich in Worte fassen? Humangeographie hat lange Zeit nicht über Sprache nachgedacht – weder als Gegenstand ihrer Analyse, noch selbstreflektierend als ihr Werkzeug und Medium der Vermittlung, Präsentation, und (Re)Produktion von Wirklichkeiten, der Performativierung von Denkkonstrukten. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich dies geändert (vgl. Aylett & Barnes 2009: 153).

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Dabei ist Englisch nach wie vor – und in Zukunft wahrscheinlich noch weiter verstärkt – lingua franca der Disziplin. Diese Tatsache kann auch kritisch gesehen werden, wenn durch den Gebrauch einer Sprache immer bestimmte Denkweisen forciert bzw. (re)produziert werden, die ihr inhärent sind. Dies geschieht natürlich nicht nur durch das Englische; auch durch die Verwendung der Sprache Deutsch – wie auch durch die Benutzung jeder anderen Sprache – werden bestimmte, kognitiv an die jeweilige Semantik gekoppelte Wahrnehmungen implementiert (ebd.: 153 ff.). Dies lässt sich kaum vermeiden, da in schriftlichen Werken immer irgendeine Sprache und damit eine bestimmte Denkweise verwendet werden muss – ideal wären mehrsprachige Wissenschaftler, aber auch diese müssen in jeder Arbeit jeweils eine Sprache verwenden. Selbst bei analogen Übersetzungen sind nuancierte Unterschiede zwischen den bedeutungstragenden Zeichen der verschiedenen Sprachen schnell erkennbar. Eine Lösung für die angloamerikanische Vorherrschaft und Machtausübung durch Sprache kann hier nicht angeboten werden; ich möchte auch keinen kulturpatriotischen Gegenpol mit meiner primär deutschsprachigen Arbeit zu Englisch als lingua franca setzen. Festzuhalten bleibt indes, dass Sprache in jedem Fall auch als Produzent von Wirklichkeitsvorstellungen und so auch von Ökonomie bzw. als Werkzeug zur (Re)Produktion von (ökonomischen) Realitäten betrachtet werden sollte – dieses ‚Machen‘ wirtschaftlicher Wirklichkeiten kann, muss aber nicht, zufällig bzw. unbeabsichtigt geschehen. Nichtsdestotrotz muss sich der Forscher seiner eigenen Sprache und den wirklichkeitsmachenden Wirkweisen der eigenen Präsentationspraxis bewusst sein. Die Sprache der vorliegenden Serenade soll eine des Ortes sein, um die Prozesshaftigkeit der Nacht einsichtig zu machen. Dabei sei sie als kulturtheoretisch im Inhalt und als essayistisch im Ausdruck zu formulieren. Als Beobachter und Interpreteur nocturner Szenerien erscheint der Autor dieser Zeilen als Flaneur, der dem Leser eine fragmentierte Collage urbaner Nachtsemantiken anhand der Topographien nocturner Märkte offeriert (vgl. diesbezüglich Kurianowicz 2013). Im Folgenden präsentierte Unterkapitel wie ‚Schau- und Spiel-Plätze‘ (Kapitel 7)

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oder auch ‚Pilger-Stätten‘ (Kapitel 8) bemühen – zumindest phasenweise – einen bildreichen Ausdruck, eine ausschmückende Sprache, die sich an Literatur(Wissenschaft) und mitunter gar an journalistischem Stil orientiert, um die Wirkmächtigkeit und mentale Imaginationsperformanz von nächtlichen Ökonomien bildlich zu vergegenwärtigen. Indes schließt dies die inhaltliche Fokussierung auf u. a. materielle Prozesse der Wirklichkeitskonstitution nicht aus – Lossau schreibt diesbezüglich mit Bezug zu Vertretern angloamerikanischer Humangeographie: „Mit Thrift, Mitchell und Philo sind drei namhafte Autoren genannt, die sich gegen die vermeintliche Textverliebtheit und intellektualistische Weltfremdheit der new cultural geography aussprechen. Obwohl sie aus unterschiedlichen theoretischen Blickwinkeln argumentieren, beziehen sich alle drei auf die konkrete, materielle Realität on the ground“ (Lossau 2007: 63).

Sie führt weiter aus: „Was Autoren wie Chris Philo, Nigel Thrift und Don Mitchell neben ihrer Parteinahme für das KonkretMaterielle eint, ist ein spezifisch englischer Schreibstil: Er zeichnet sich durch eine gewisse essayistische Leichtigkeit aus; vergleichsweise spielerisch verläuft der Gang der Argumentation“ (ebd.: 68, mit Blick auf Helms et al. 2005).

Dieser Arbeits- und Schreibstil ist ergo nicht wirklich neu, wenn man jene Beispiele in der Human- und insbesondere der kulturtheoretisch arbeitenden Wirtschaftsgeographie aus dem anglo-amerikanischen Raum betrachtet. Ebenso wie die genannten Wissenschaftler möchte ich (m)einen inhaltlichen Fokus (unter anderem) auf materielle Prozes-

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se der Nachtproduktion legen und zugleich nicht auf einen filigranen Expressionstypus, diesen angeblich „spezifisch englische[n] Schreibstil“, verzichten (müssen). Im Zuge der vorliegenden Arbeit soll ein derart zugespitzter, nach Möglichkeit gar ausgefeilter Ausdruck auch mit Hilfe der deutschen Sprache erreicht werden, ohne die englischen Autoren und ihre Ausdrucksweise stupide zu kopieren. Dieser Stil könnte in den ihm zugrunde liegenden Annahmen auch als postmodern bezeichnet werden, wobei ich dabei Bezug auf die Verdienste postmoderner Theorie als „a critical movement concerned to unseat the certainties of modernism by celebrating heterogeneity, openness, and novel forms of representation, including those found in language“ (Aylett & Barnes 2009: 153) nehme. Meine möglicherweise mitunter elitär erscheinende, weil offenbar textlastige, relativ strikt theoretisch ausgerichtete Grundlagenforschung dürfte nichsdestotrotz – oder gerade deswegen – Vorwürfe aufwerfen, unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Prämissen postmodernes Raubrittertum in der Rekurrierung auf Gedachtes und Denkenswertes von Vorbildern zu betreiben, das in einer debauchierenden Zitatcollage gipfelt. Tatsächlich könnte meine Vorgehensweise als ‚New Armchair Geography‘ betitelt werden, analog zu den armchair geographers des frühen 19. Jahrhunderts (vgl. diesbezüglich z.B. Sitwell 1972). Dieser möglicherweise entstehende Eindruck lässt sich schwerlich vermeiden, wenn sich die vorliegende Arbeit nicht zuletzt dem ambitionierten Ziel verschreibt, mittels unterschiedlicher Konzepte ein (Be)Deutungsreservoir kreativer Gedanken zu generieren, das sich in Sprache und deren Anwendung einem neuen Ausdruck widmen und trotzdem wissenschaftlich bleiben möchte. Mitunter könnte es scheinen, als reize diese Skizzierung die Grenzen ihrer Disziplin aus; in der Tat versucht sie sich im gewagten Spagat zwischen wissenschaftlicher und literarischer Performanz. Es handelt sich im wahrsten Sinne des Wortes um eine Literaturarbeit – sowohl in der methodischen Generierung von Erkenntnis als auch mit Blick auf die sprachliche Expression. Meine vorliegende, als essayistische Wirtschaftsgeographie entworfene Studie divergiert dabei als oszillierender Omphalos zwischen der Präsentation

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verschiedener Vordenker sowie ihren für die Topographien der Nacht bedeutsamen Ansätzen auf der einen Seite – und eigenen, bisweilen literarisch anmutenden Interpretationskonglomeraten auf der anderen. Die von mir lancierten Deutungsangebote sollen aber ausdrücklich mehr sein als postmoderner Klamauk, der sich – scheinbar vom eigenen Spiegelbild narzisstisch betört – am (imaginierten) Selbstbild ergötzt. Damit möchten meine Überlegungen auch deutlich über einen zünftigen Zinnober indignierten Schindluders hinausgehen. Bei den folgenden Ausführungen handelt es sich jedenfalls nicht (nur) um ein brachiales Feuerwerk kreativer Sprachsalven, um die joviale Entfesselung poussierter Akzente, die sich am kolossal-kommoden Muff konservativer Wissenschaftstabatière berauschen. Gewiss: So manche rhetorische Finte könnte den interessierten Leser in einen von Unruhe und Abscheu garnierten reflektierten Müßiggang katapultieren. In Anbetracht ebendessen serviere ich mit meiner Arbeit eine geschmeidige Depesche, die von kritischen Geistern möglicherweise mit dem Vorwurf groben Unfugs, mithin als hanebüchener und unlauterer – weil (zu?) plakativ ausgedrückter – Kompott diffamiert werden könnte. Von derartiger, potenzieller Kritik beflügelt, möchte der Autor sich nicht hinter Worthülsen verstecken, sondern stattdessen Argumente folgen lassen. Wenn „kulturgeographische Forschungen […] keine Korsettierung des Schreibprozesses an[streben], sie […] gleichermaßen offen für formalistisch distanzierte Repräsentationen wie essayistische Buntheit der Darstellung“ (Berndt & Boeckler 2007: 221) sein wollen, dann hat auch diese möglicherweise mitunter etwas eigenwillig anmutende Arbeit ihre Berechtigung. Die vernakuläre Kreativität eines solchen Amalgams versucht die anzunehmenden Torpedierungen durch komprimierte Prä-Visionen zu parieren. Kritiker könnten dieser Art der wissenschaftlichen Arbeit und Darstellung eine „flexible Adaptivität“ (Redepenning 2007: 366) im Mantel einer heiteren, verharmlosenden Attitüde zuschreiben, mithin „die Gefahr, dass die durch die Cultural Turns erzeugte positive Ästhetik der Verunsicherung zu einer Ästhetik der Unverbindlichkeit“ (ebd.: 368) ohne begriffliche, theoretisch-konzeptionelle und/oder methodi-

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sche Differenzierungen avancieren könnte, wie mitunter kolportiert wird: „Man behauptet eine Zuständigkeit für alles, ohne jedoch in gelungener theoretischer und empirischer Art zu zeigen, wie das genau aussehen kann“ (ebd.). Der Autor könnte vor diesem Hintergrund nämlich durchaus als Hasardeur erscheinen, der dem Plenum sprachlich verklausulierte Deutungsmuster diktiert und Rezensenten im Zuge dessen geradezu anleitet, seine Ausführungen mit dem Vorwurf fehlender empirischer Rückkoppelung und einer mangelnden empirischen Basis zu geißeln. All diesen Kritikern sei entgegnet, dass es sich hierbei lediglich um ein Deutungsangebot handelt, das dem Leser theoretisch-konzeptionelle Erschließungsraster und Denkanstöße bieten möchte, ohne diese vorzuschreiben oder für diese den Anspruch der Exklusivität zu reklamieren (vgl. dazu Schwegmann 2012: 8). Dabei könnte auch am Anspruch der eigenen wissenschaftlichen Kreativität, an der sprachlichen Ästhetik an sich Anstoß genommen werden, wenn vermutet wird, dass Wissenschaft nur noch zur eigenen Profilierung, Selbstdarstellung und Inszenierung im Streben nach Anerkennung angewandt und genutzt wird. Dennoch sollten diese Unterstellungen nicht zu sehr forciert werden, da der Wunsch nach Anerkennung nicht unbedingt konträr zur hoffentlich intrinsischen Motivation des Wissenschaftlers, der primär aus ‚Liebe‘ – ein großes Wort – zum eigenen Fach selbstverwirklichend arbeitet, steht; im Gegenteil: Das extrinsisch motiverte Streben nach Akzeptanz oder Anerkennung verstärkt und potenziert erst die intrinsische Motivation – und wenn diese dann in fruchtbarer sowie ästhetisch ansprechender Form finalisiert wird, sollten auch durch essayistischen Stil unternommene Profilierungsversuche der Identitität und des Selbstverständnisses des Wissenschaftlers als ‚Künstler‘ nicht angefochten, sondern akzeptiert und gerne auch eingefordert werden, um kreative Vorschläge nicht von vornherein auszuschließen. Ich offeriere dem Leser letztlich ein Stück wissenschaftliche Poesie. Mein Text möchte sich aber nicht in den kodifizierten Kanon geschmähter – weil allzu literarischer – Apokryphen einreihen, sondern wissenschaftlichen Kriterien genügen. Wo Wissenschaftler nämlich

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zwar nicht ‚nur‘, aber mit Hayden White (1994) eben auch als künstlerisch tätige Literaten und Autoren, als Dichter und Lenker wirken (wollen), ergeben sich beträchtliche Innovationspotenziale. Ein toleranterer Umgang mit alternativen, unkonventionellen Darstellungsvarianten könnte überdies en passant zu inhaltlich neuen Imaginationsansätzen und – in der Folge dessen – zu frischen, fluktuierenden Denkarchitekturen beim Leser führen – die wiederum performativen Charakter annehmen können.

G) ARCHITEKTUR : ABLAUF

UND

O RIENTIERUNG

Auf meiner Reise durch die Nacht und zu ihren Orten mache ich mich auf die Suche nach nacht-, orts-, ökonomiemachenden sowie identitätsstiftenden Diskursen, wobei ich – wie erwähnt – auf einen äußerst weit angelegten Diskursbegriff rekurriere, der auch Praktiken, Materialitäten, Akteure und Technologien mit einschließt (nach Schwegmann 2012: 3). Dabei müssen verschiedene ordnende Parameter verhandelt werden. Denn um Nacht überhaupt sinnvoll wissenschaftlich erfassen und geographisch ‚ent-messen‘ zu können bzw. insbesondere aus Perspektive einer kulturellen Geographie der Ökonomie zu erschließen, bedarf es einiger Strukturprinzipien, braucht es theoretische Deutungsangebote, mithin Konzepte. Diese möchte ich kurz erläutern, um die Architektur und den Aufbau der vorliegenden Arbeit zu plausibilisieren und Orientierungshilfen zu offerieren. Das „Multiperspektivenfach“ Geographie (Gebhardt et al. 2011e: 13) eröffnet diesbezüglich besonders gehaltvolle Möglichkeiten, wenn verschiedene Erschließungsversuche gleichberechtigt auf den gleichen Gegenstand treffen und erlauben, ein differenziertes und facettenreiches Bild zu skizzieren. In diesem Sinne sollen im Folgenden Kernkonzepte der Geographie und ihrer Nachbarwissenschaften jeweils unterschiedliche Perspektiven auf Nacht ermöglichen; im Zuge dessen können modifizierte oder gar gänzlich neue Zugänge generiert werden, um die multiplen Realitäten des Nächtlichen zumindest ansatzweise abzubilden. Die Ab-

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folge ihrer Erwähnung oder gar die Anzahl der auf die Konzepte jeweils verwendeten Seiten darf dabei nicht als Bewertung ihrer jeweiligen (Ir)Relevanz im Sinne einer von quantitativer Häufigkeit auf qualitative Wertung schließenden Gewichtung verstanden werden. In der vorliegenden Arbeit unterscheide ich vier verschiedene, allerdings miteinander verschränkte Ortstypen, die teilweise auf frühere Arbeiten anderer Wissenschaftler zurückgehen – wenngleich in der Anwendung auf Nacht neue und überaus innovative Gedankenräume ermöglichen – und letztlich die unterschiedlichen Qualitäten des Nächtlichen anschaulich repräsentieren können. Von der Einleitung (‚Präludium‘), der darauf folgenden Vorstellung meiner Kernkonzepte (Nacht als Produkt, Prozess und Ort), von einem kurzen Zwischenspiel sowie dem Fazit (‚Postludium‘) abgesehen, ist die Arbeit demzufolge auch primär in vier Kapitel (Kapitel 4 und 5 sowie 7 und 8) unterteilt. Bevor ich aber auf die Nacht-Orte und deren Charakteristika genauer eingehe, empfiehlt sich nach dieser Einleitung ein genaueres Durchleuchten meiner Kernkonzepte, die meinen weiteren Ausführungen zugrunde liegen. In Kapitel 3 möchte ich daher zunächst meine konzeptionelle Herangehensweise darlegen und zentrale Deutungsschemata erörtern, indem ich ‚das dreidimensionale P des Nächtlichen‘ – Nacht anglophon verpackt als Product, Process, Place – vorstelle. Ich verstehe nämlich Nacht in Anlehnung an die Ergebnisse meiner Masterarbeit (Schwegmann 2012) als ein diskursives, aber gleichzeitig real wirksames Produkt, das durch ein Konglomerat an einander wechselseitig beeinflussenden, eingespielten und nicht selten zufälligen Praktiken, an Diskursen im engeren Sinnen sowie an Materialitäten und technischen Infrastrukturen Bedeutung entfaltet und durch Verflechtungen dieser Elemente beständig reproduziert wird, allerdings auch modifiziert werden kann. Nacht divergiert demnach zwischen Mensch und Materialität, zwischen Diskurs und Praxis und erscheint als ein sozio-technisches Produkt, als etwas ‚Gemachtes‘ (Nightmaking), das gleichwohl über ein bloßes Konstrukt hinausgeht, indem es performativ Wirkung entfalten kann.

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Im zweiten Teil dieses dritten Kapitels beschreibe ich sodann Nacht als Prozess. Damit meine ich nicht nur die historische Tiefe, die Modifizierbarkeit und Entwicklung von Nacht und ihrer Bedeutung, sondern ebenfalls die örtliche Variation. Das diachronische sowie -topische Element der Nacht lässt sich in diesem Sinne ansprechend am konkreten Prozess der Ökonomisierung des Städtischen – und somit auch des Nächtlichen – skizzieren. Vor diesem Hintergrund, d.h. im Anschluss an diese beiden Prämissen – Nacht als Produkt und als Prozess – werde ich schließlich, im letzten Unterkapitel, meine Konzeption von Nacht als Ort, von einer ortsgedachten und -abhängigen nächtlichen Ökonomie ausbreiten und nicht zuletzt die Visualisierbarkeit bzw. Vorstellbarkeit von Nacht als ein als räumlich bzw. örtlich gedachtes Bild im Sinne imaginierter Geographien betonen. Dabei gehe ich unter Bezug auf Foucaults Konzept der Heterotopien (2005) sowie auf meine Abschlussarbeiten (2011, 2012) von nocturnen Massenheterotopien aus, die den Nachtgängern Möglichkeitsräume offerieren, sie aber gleichsam auch disziplinieren können. Im Zuge dessen rekurriere ich insbesondere auf Ergebnisse meiner Bachelorarbeit, in der ich bereits Foucaults Konzept der Heterotopien, der Gegenräume, auf nocturne Orte übertragen habe. In der Sprache des Ortes kommt die Prozesshaftigkeit der Nacht besonders plausibel zum Ausdruck. In Anbetracht ebendessen empfiehlt es sich, die weitere Arbeit in diesem Tenor zu ordnen. Ohne Vollständigkeit zu beanspruchen, identifiziere ich – wie erwähnt – vier nächtliche Ortstypen, die miteinander korrellieren: Markt-Plätze (Kapitel 4), Tat-Orte (Kapitel 5), Schau- und Spiel-Plätze (Kapitel 7) und Pilger-Stätten (Kapitel 8). Mitunter verschwimmen dabei die Grenzen zwischen ihnen; nocturne Platz-Ensembles als multivalente Topographien performativer Geographien verlangen nichtsdestotrotz nach einer (sys)thematischen sowie möglichst umfassenden Gliederung, um deren komplexe Verwebungen aufzuzeigen und begreifbar zu machen. All diese vier Kapitel zu Nacht-Orten untergliedern sich in drei Unterpunkte: eine übergreifende Hinführung sowie zwei exemplarische, als Panoramen in Form von Schlaglichtern konzipierte Themenfelder (nach

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Schwegmann 2012: 6, mit Bezug zu Osterhammel 2009: 21 f.), die sich aus und in diesen Orten eröffnen. Die Hinführung identifiziert zentrale Charakteristika des jeweiligen Konzeptes. Anschließend widme ich mich in den zwei weiteren Unterkapiteln – ohne Vollständigkeit zu beanspruchen – relevanten ortsmachenden Akteuren, Diskursen und Prozessen. Bei der genaueren Vorstellung dieser Kapitel im folgenden Abschnitt wird diese Vorgehensweise deutlicher. Das Kapitel ‚Markt-Plätze‘ lanciert zunächst einen Überblick über zentrale Charakteristika der Ökonomisierung des Nächtlichen. Diese betrachte ich im Rahmen der Hinführung insbesondere unter Rückgriff auf Ausführungen von Berndt und Boeckler (2007) zu performativer Ökonomie und kulturellen Geographien. Die beiden weiteren Unterpunkte konzentrieren sich auf die Vorstellung eines Steuerungsversuches – eines die Vermarktlichung der Nacht vorantreibenden Nachtführes von Lieberum (2011) – im Spannungsfeld von Identität, Ökonomie und Ort sowie auf die Symbiose von Kultur und Ökonomie, die in postmodernen Zeiten zur Vermarktlichung des Urbanen durch eine zunehmende Ästhetisierung des Stadtbildes führt. Wenn man Nacht sodann als ein ambivalent konnotiertes Produkt begreift (vgl. Schlör 1991: 12), dann soll im Kapitel 5 (‚Tat-Orte‘) der Schrecken der Nacht, das ‚Problem‘ Nacht als Ort und Zeit der Angst, als machtvoller Diskurs und wirkmächtige Praxis der gesellschaftlichen Verunordnung thematisiert werden. In der Hinführung konzipiere ich unter dem Label ‚gleitende Geographien der Ver(un)sicherheitlichung‘ die subtil-smarten Wirkungsweisen von Tat-Orten. Unter diesen verstehe ich im Anschluss an Stefan Oumas Überlegungen (2013) spezifische Praxisorte, die Nacht als in Praktiken und Diskursen realisierte Bedeutungsträger konkretisieren und dabei zu Orten auch negativ konnotierter ‚Taten‘ avancieren. Als zentrale Panoramen dieser TatOrte stelle ich auf der einen Seite die Problem-Plätze und Angst-Orte des Nächtlichen vor, die als diskursives Panoptikum zwischen den Extremen Prostitution und Profit divergieren und Geographien gesteuerter Ökonomie an imaginierte und performative Orte sowie Praktiken koppeln. Auf der anderen Seite gehe ich näher auf Protest-Plätze ein, die

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im Zuge der zunehmend verstärkt voranschreitenden (Ver)Planung von Nacht in verschiedenen Konflikten um Freiräume münden, sich aus ihr speisen und zu kulminieren drohen. Ein kurzes Intermezzo möchte sodann das Interludium (Kapitel 6) darstellen, indem es nach der Hälfte der behandelten Ortstypen in bewusst verstörender Form einen Meta-Blick ‚von außen‘ auf nocturne Szenerie wagt. Als Überleitung gedacht, entpuppt sich dieser Teil nämlich schnell als aufrüttelnde Instanz und die Sinne schärfendes Wortspiel. Im Anschluss daran entwickeln die Kapitel 7 (‚Schau- und SpielPlätze‘) und 8 (‚Pilger-Stätten‘) den faszinativen Charakter entflammender nächtlicher Konsumformen in der Verquickung emotionaler Bedürfnisse und kontemplativer Deutungsangebote. Unter Schau- und Spiel-Plätzen verstehe ich mit erneutem Bezug zu Berndt und Boeckler (2007) die performativen Aus- und Aufführungspraktiken, die an spezifischen Orten stattfinden. Hier werden Bühnen generiert, hier performen Schau-Spieler die Ökonomie, realisieren sie durch verschiedenste Praktiken: durch Improvisation und Inszenierung, durch Präsentation und Performanz. Mit dem Bild der Pilger-Stätten konfrontiere ich schließlich die sakralen Geographien des Konsums als Ausprägungen spezifischer Sehnsuchtsorte. Wie im von Hopfinger et al. herausgegebenen Werk „Kulturfaktor Spiritualität und Tourismus: Sinnorientierung als Strategie für Destinationen“ (2012) schon herausgearbeitet, pulsieren religiös anmutende Motive in der Freizeitgeographie. Mit Said (1978) lassen sich diese Facetten unter dem Schlagwort Nightalism als Teil der Orientalisierung des Nächtlichen lesen; in Form der Skizzierung der konstruierten nächtlichen Andersartigkeit möchte ich in dieser Ausrichtung die Wirkmechanismen, Konstrukteure und unmittelbaren Realisierungen hegemonialer Narrative dem Leser plausibel präsentiert sehen, indem zunächst an Kathedralen erinnernde Orte, die zwischen Kirche und Kommerz divergieren, vorgestellt werden. Nachtgänger widmen sich überdies in Techno-Tempeln den imaginierten Geographien der Nacht im Lichte technischer Agencements und unter Vollführung okkulter Rituale.

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Nach der Vorstellung dieser Panoramen gehe ich im Postludium (Kapitel 9) schlussendlich über eine bloße Gesamtzusammenfassung meiner Ergebnisse hinaus und stattdessen auf die Perspektiven und Potenziale, die sich aus meiner Arbeit ergeben, ein. Dabei präsentiere ich sowohl Ansätze für die weitergehende Beschäftigung mit ‚Nacht‘ als Gegenstand und Perspektive als auch solche, die eher auf anschließende (meta)theoretische Aufführungen von (Wirtschafts)Geographie und damit zusammenhängende Präsentationspotenziale derselben abzielen. Zudem erörtere ich offene Fragen und offeriere Anknüpfungspunkte für weiterführende, möglicherweise stärker empirische Studien zur Erschließung des Nächtlichen. Ferner möchte ich für eine an meine Arbeit anschließende, vertiefte Erprobung essayistischer und gleichzeitig theoriezentrierter Geographien plädieren. Quellen- und Literaturangaben fasse ich in Kapitel 10 deshalb bewusst zusammen, weil sie aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive kaum von einander zu trennen sind: Auch – und besonders – wissenschaftliche Literatur kann als Quelle gelesen sowie interpretiert werden, kann bestimmte Auffassungen von Nacht herstellen, kann bestimmte Diskurse und Handlungsmöglichkeiten (re)produzieren, anleiten, aus- oder aufführen. An dieser Stelle gehe ich nun direkt zu einer nacheinander erfolgenden Vorstellung der einzelnen, jeweils gegenüber einander gleichberechtigten Herangehensweisen an Nacht(orte) über. Da diese Arbeit über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden ist, dürfen die einzelnen Kapitel sowie die jeweiligen Unterkapitel bisweilen auch separat, in nicht-chronologischer Reihenfolge nachgeschlagen werden. In einigen Kapiteln können dabei inhaltliche Dopplungen auftreten, die in der Überarbeitung des Manuskripts bewusst nicht getilgt wurden, damit die Ortstypen einzeln und unabhängig von den anderen Teilen der vorliegenden Arbeit gelesen werden können, ohne größere Verständnisschwierigkeiten aufkommen zu lassen.

3 Kernkonzepte

A) N ACHT

ALS P RODUKT : N IGHTMAKING ZWISCHEN D ISKURS UND P RAXIS

Im Folgenden möchte ich auf mein Verständnis von Nacht als realitätskonstituierendes Produkt eingehen. Dabei stelle ich zunächst eine herkömmlich-alltägliche Auffassung von Nacht vor, um daraufhin meine eigene Ansicht nachvollziehbar begründen zu können. Gegen Ende dieses Unterkapitels fokussiere ich auf die Rolle von Praktiken in der Erzeugung und Verfestigung von Nacht – durchaus in der Hoffnung, nicht mit Vorwürfen übertriebener, diskursiver Weltfremdheit torpediert zu werden. Schließlich ist Nacht mehr als ein wie auch immer geartetes ‚Konstrukt‘: Sie entfaltet in ihrer sozio-semantischen Aufladung Relevanz und ‚macht‘ dadurch Realität. Nacht erscheint auf den ersten Blick als (rein?) natürliches Phänomen; bei einer entsprechenden Annäherung könnte uns daher zunächst eine „Phänomenologie der natürlichen Lebenswelt“ (Held 2012) helfen. In Abgrenzung zu Tag meint Nacht gewissermaßen die Zeit der erfahrbaren Dunkelheit, die durch zwei Dämmerungsphasen (morgens und abends) vom Tageslicht getrennt ist. Dieses Bild ist durchaus wirkmächtig, bestimmt das Denken in den Kategorien ‚Tag‘ und ‚Nacht‘ doch im großen Stil unsere Wahrnehmung und unser Handeln. Es führte dazu, dass die Nacht in ihrer mangelnden Relevanz für das All-Tags-Leben lange Zeit marginalisert war. Ein derartiger Tageszent-

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rismus ist analog zum Eurozentrismus – letzterer als hegemonialer Diskurs wie in Saids Buch „Orientalism“ (1978) beschrieben – zu sehen; auf entsprechende ‚Orientalisierungen‘ des Nächtlichen gehe ich in Kapitel 8 a (‚Sakrale Geographien der Orientalisierung‘) noch näher ein. Ich verstehe unter ‚Nacht‘ aber insofern einen ‚quasi-natürlichen‘ Zustand, als dieser – diskursiv konstruiert – eine lediglich scheinbar objektive Zweiteilung in Tag und Nacht suggeriert. Diskursive Reproduktion durch Nicht-in-Frage-Stellen sowie durch das Handeln und Denken, durch die Selbst-Verortung in diesen Denkmustern und -strukturen forciert ein spezifisches Nachtbild, das auch durch und in wirtschaftliche(n) Strukturen institutionalisiert wird: Wenn das „bedeutungsschwangere Symbolreservoir[]“ Nacht (Schwegmann 2011: 1) durch die Konstruktion eines Diskurses über naturalisierte, reifizierte, via Kalkulationsinstrumente (etwa auf die Minute genaue Vermessungen der Zeit des Sonnenauf- bzw. untergangs) hergestellte Nacht sowie durch das Leben in und nach diesen imaginierten Geographien und Zeiten der Ökonomie entstanden ist, dann erfolgten – verfestigt durch rechtliche Vorgaben und andere Autoritäten (beispielsweise Wissenschaft) – Benennungen und schließlich Realisierungen eines RaumZeit-Konglomerats als Nacht in Opposition zu Tag. In jedem Fall gehen mit der Annahme dieses Wirklichkeits- und so auch Nachtverständnisses nicht nur bestimmte Wahrnehmungs(un)möglichkeiten, sondern ebenfalls bestimmte Handlungserwartungen und -richtlinien einher, z.B. die Nachtruhe. Nichtsdestotrotz: Derartige, eher konservative gesellschaftliche Moralvorstellungen, z.B. dass in der Nacht geschlafen werden sollte, um am Tag arbeiten zu können, sind heute zunehmend weniger wirkmächtig. Nacht ist nämlich auch die Zeit der geringeren sozialen Kontrolle: Im Schutze der Dunkelheit warten Abenteuer und Grenzüberschreitung auf die Nachtgänger (vgl. Schlör 1991). Gleichzeitig erscheinen Freizeitangebote als Indikator für eine Regenerationsphase, welche die ökonomische Leistungsfähigkeit bei Tage im Sinne eines Ausgleichs oder Ventils gewährleisten sollen. Aus diesen Erwartungen

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speist sich eine gesamte Ökonomie: die nächtliche Vergnügungsszenerie. Nicht zuletzt in und durch diese Vermarktlichung wird Nacht realisiert. In meiner Masterarbeit habe ich versucht, Nacht als Produkt wie folgt zu fassen: Meiner „Fragestellung liegt die Auffassung zugrunde, dass Nacht – unter anderem – ein soziales Konstrukt ist. Wenn man Nightmaking als den Prozess der Herstellung des Nächtlichen, d.h. seiner spezifischen Qualitäten (analog zum Begriff des Städtischen bei Lefebvre, vgl. diesbezüglich z.B. Schmid 2011), begreift, dann stellt sich die Frage nach all jenen, die bewusst oder unbewusst, absichtlich oder auch zufällig Vorstellungen von Nacht und damit verbundene Praktiken, Diskurse, Akteure (Produzenten wie Produzierte) und sozio-technisch-infrastrukturelle Materialitäten influenzieren, repräsentieren und/oder (re)produzieren – kurz: nach den Nacht machenden Akteuren und denen durch sie geprägten diskursiven Praktiken“ (Schwegmann 2012: 3).

Nightmaking divergiert demnach zwischen Mensch und Materialität sowie zwischen Diskurs und Praxis. Das sozio-technische Produkt dieses Konglomerats kann performativ Wirkung entfalten und – wie im Präludium schon näher erläutert – unter einem weit gefassten, übergeordneten Diskursbegriff subsumiert werden (nach Schwegmann 2012). Nacht wird also nicht nur durch Diskurse im engeren Sinne (mediale Berichterstattung, wissenschaftliche Publikationen etc.) aufgeladen, sondern auch duch die Beteiligung vielerlei Technologien, durch heterogene materielle Umwelten und performative Praktiken in dieser Form reproduziert. Gleichsam kann Nacht in der ihr zugeschriebenen und noch dazu von ihr ausgehenden Bedeutung, durch die inhärente

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und schwebend wirksame Wechselwirkung mit Mensch und Materie, multipler Modifikation unterliegen. Nachdem ich auf mein Verständnis von Materialität sowie von Diskurs schon im Präludium eingegangen bin, möchte ich an dieser Stelle nun noch auf die Reproduktionsfacette der Praktiken näher eingehen. Unter diesen lassen sich „stabilized, routinized, or improvised social actions that constitute and reproduce economic space, and through and within which socioeconomic actors and communities embed knowledge, organize production activities, and interpret and derive meaning from the world“ (Jones & Murphy 2010: 366) verstehen. Nächtliche Ökonomien erscheinen als „ein ständiger Prozess von nicht enden wollenden Transaktionen und Praktiken als organisierendes Prinzip von Kräfteverhältnissen und Beziehungen“ (Berndt & Boeckler 2007: 250 f.). Diese Praktiken wiederum – als Teil übergeordneter Diskurse – können durchaus intentional sein, wenn nächtliche Konsumformen zu Inszenierungszwecken oder als Pigment einer steten Identitätsarbeit aus- und aufgeführt werden. Beispielsweise verweisen Brandl und Bullinger (2012: 249) in diesem Zusammenhang auf intentionales Handeln als Quell der Reproduktion ökonomischer Strukturen: Sie wirken „bestätigend, was die Reproduktion der Institutionen zur Folge hat, oder reflexiv, was die Möglichkeit offen lässt, entgegen den institutionellen Vorhaben zu handeln“ (ebd.). Viele Praktiken erfolgen allerdings eher unbewusst bzw. als nicht-intendiertes Ökonomiemachen. Campo und Ryan (2008) verzeichneten beispielsweise in „The Entertainment Zone: Unplanned Nightlife and the Revitalization of the American Downtown“ informelle Besetzungen und Umwandlungen von älteren Gebäuden in gestylte Topographien nocturner Ökonomie. Diese vermarktlichten Zonen setzen sich aus den verschiedensten Freizeit- und Gastronomiebetrieben zusammen, an ihnen erfolgende Praktiken erzeugen Nacht als Ökonomie. Damit zusammenhängende, nicht-intendierte Facetten des nocturnen Placemaking sind beispielsweise allnächtliche Praktiken des Platzierens von Körper, beispielsweise im Bett oder auf der Tanzfläche.

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Auf derartige, unreflektierte Weisen werden Orte in ihrer Realisierung reproduziert. Doch ebenso Ökonomie: Wenn Menschen nachts aus Regenerationsgründen schlafen, d.h. um am nächsten Tag wieder bereit und erholt ihrer Arbeit nachzugehen, dann denken sie in ökonomischen Maßstäben – sie möchten ihre berufliche Leistungsbereitschaft und -fähigkeit erhalten. Wenn Menschen nachts stattdessen der Vergnügungskultur, dem Nachtleben fröhnen, dann kann dies ebenfalls eine Reproduktion ökonomischer Strukturen realisieren: Als notwendig empfundener Ausgleich zum Stress und zur Disziplin(ierung) des Arbeitstages avanciert Nacht und die mir ihr verbundenen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, der Zerstreuung zu einem drucklindernden Ventil. Durch dieses wird ebenfalls die längerfristige Arbeitsbereitschaft bzw. -zufriedenheit der Arbeitenden gewährleistet und Wirtschaft in ihren Abläufen verfestigt. Doch nicht nur der Tag als Sphäre des Ökonomischen wird so realisiert: Der zweite Fall der Reproduktion ökonomischer Stukturen bei Tag durch nächtliches Ausgehen und Konsumieren führt nämlich auch eine zweite ökonomisierte Zeitspanne auf und aus: die Nacht als vermarktlichte Zone. Diese ist gleichsam Voraussetzung, Entlastung wie Ergänzung des Tages als Zeitraum der Ökonomie. Damit entsteht die Möglichkeit, rund um die Uhr zu konsumieren. Zugleich bedingen sich beide Ökonomien noch auf andere Art und Weise. Nachtleben als ein Zeitraum von Beziehungspraktiken kann mit Bezug zu Bourdieu (2008) auch als Kontaktraum gedeutet werden, der im nächtlichen Miteinander angehäuftes oder im Ausgehen verfestiges soziales Kapital – das gleichsam oftmals mit der Aufführung von ökonomischem Kapital einhergeht (beispielsweise im Spendieren eines Drinks an die Adresse potenzieller Geschäftspartner oder anderen Menschen, die dem Spendierenden noch ökonomisch ‚nutzen‘ könnten) – am Tage in ökonomisches Kapital in Form von wirtschaftliche Beziehungen transformiert (Schwegmann 2011: 12). Nacht wirkt daher in vielfältiger Ausführung in den (Arbeits)Tag hinein (vgl. auch Schwegmann 2012: 55).

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Das sich schließlich entwickelnde Netz der Gesamtheit an sowohl intendierten als auch unreflektierten Praktiken und Diskursen ist nichtsdestotrotz eher als zufällig in dieser Form entstehendes Potpourri zu erklären. Mit Bezug zu Miller (2002) ließe sich Nightmaking so als unbeabsichtigtes Resultat von mehr oder minder zufälligen Beziehungen, Bezügen und symbolischen Bedeutungsgenerierungen deuten. In jedem Fall werden hegemoniale und gleichsam subtil wirkende ökonomische Ordnungen in diesem Spannungsfeld influenziert, intensiviert, (re)produziert oder auch modifiziert: Über nächtliche Formen der Konsumgesellschaft, über ihre Repräsentationen und Reproduktionsfacetten in medialen, wissenschaftlichen, öffentlichen und privaten Diskursen, in den Aufführungen der direkt oder indirekt nach neoliberalen Ökonomiekonzepten handelnden Nachtgänger, in den symbolischen Landschaften materieller Infrastruktur wie auch in digitalen Räumen wird Bedeutung generiert und als Produkt wirksam. Im Geflecht von Praktiken und Diskursen, Menschen und Materialitäten sowie verschiedensten digitalen Geographien und weiteren Technologien verdichten sich somit die Knotenpunkte verschiedener Akteure des Nightmaking zu einem zufällig anmutenden, vernetzten Symbolreservoir, das ungeplant(e) Bedeutungen suggeriert. Diesen Ansatz versuche ich in den folgenden Kapiteln zu den verschiedenen Nacht-Orten zu veranschaulichen.

B) N ACHT

ALS P ROZESS : N IGHTMAKING ZWISCHEN R AUM UND Z EIT

Nightmaking fasst neben einem spezifischen Produktcharakter auch und besonders die Prozesshaftigkeit von Nacht, die dem Suffix -ing schon sprachlich, weil semantisch, inhärent ist. Denn eng an meine Vorstellung von Nacht als ein wirkmächtiges sozio-technisches Produkt ist jene von Nacht als ein räumlich wie zeitlich wirkendes Variationsspektrum gekoppelt. Diese Auffassung spiegelt sich insbesondere in einer umfassenden Ökonomisierung des Städtischen. Wie Eberling

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und Henckel (2002) in ihrer Studie „Alles zu jeder Zeit? Die Städte auf dem Weg zur kontinuierlichen Aktivität“ anhand der drei Großstädte Frankfurt am Main, Berlin und Wien festgestellt haben, weiten Städte ihre wirtschaftlichen Aktivitäten zunehmend aus und okkupieren – sowie transformieren – im Zuge dessen immer größere Zeiten und Räume: „Die Rastlosigkeit moderner Gesellschaften sowie die Eroberung und Ökonomisierung bisher kaum genutzter Zeitareale sind schon seit einiger Zeit ein beachtetes Thema. Hierbei stehen die Nacht und das Wochenende, ehedem erklärte Ruhephasen, im Vordergrund. Vor allem in großen Städten gibt es Anzeichen und Tendenzen in Richtung einer klar erkennbaren zeitlichen Ausweitung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aktivitäten. […] Maßgeblich dafür sind in erster Linie Flexibilisierung von Arbeits- und Angebotszeiten, wirtschaftlicher Strukturwandel und neue Arbeitsformen, Wertewandel sowie internationale Vernetzung“ (ebd.).

Die Entwicklung der Nacht als Markt, d.h. die einzelnen Etappen der Kommodifizierung des Nächtlichen in der Moderne sowie in postmodernen Zeiten verstärkter Globalisierung, möchte ich im Folgenden nicht gesondert betrachten; an dieser Stelle verweise ich stattdessen auf meine Bachelor- (2011) sowie auf meine Masterarbeit (2012). In letzterer habe ich neben dieser wirkmächtigen Facette urbaner Prozesshaftigkeit, der angesprochenen Ökonomisierung bzw. Vermarktlichung, weitere Verlaufsmuster am Beispiel des Frankfurter Nachtlebens identifizieren können: Diesbezüglich müssen insbesondere die Mobilisierung, die Kulturalisierung sowie jüngst die Digitalisierung des Städtischen erwähnt werden; ferner fällt auch eine steigende Ver(un)sicherheitlichung in diesen Zusammenhang (siehe Kapitel 5 in der vorliegenden Arbeit).

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Diese Panoramen wirken räumlich und zeitlich. Daher möchte ich Waldenfels folgen, der betont: „Es gibt keinen Grund, den Raum gegen die Zeit auszuspielen, und man muß nicht der Zeit nehmen, was man dem Raum gibt“ (Waldenfels 2009: 10). Da ich auf nächtliche Räume und insbesondere auf ihre Orte in den folgenden (Unter)Kapiteln aber noch näher eingehe, möchte ich an dieser Stelle primär die Zeit als wichtigen Parameter der Nacht vorstellen. Nacht kann als wiederkehrendes, zeitlich je nach Ort und Jahreszeit verschieden langes und räumlich unterschiedlich wirkendes Phänomen verstanden werden, das einerseits als Teil von Natur seinen Ausdruck in Dunkelheit findet, andererseits aber durch den Menschen schon immer auf verschiedene Arten und Weisen kulturell, sozial, ökonomisch etc. genutzt und interpretiert wurde: zum Schlafen, Regenerieren, aber auch zum Feiern, Netzwerken, Handeln, Arbeiten, Amüsieren und zu anderen Aktivitäten, die räumlich-zeitlich(e) Relevanz entfalten. Die Bedeutsamkeit eines pulsierenden Nachtlebens für postmoderne Gesellschaften speist sich diesbezüglich aus einem sozialen Konstrukt, das in der Verwerfung einer „Gesellschaft-Umwelt-Beziehung[]“ (Gebhardt et al. 2011f: 40) durch plötzliche und spontane, aber auch durch geplante Ereignisse in die „Eventorientierung“ (ebd.: 41) eines Marktes integriert ist. Abhängig von der jeweiligen physisch-geographischen Position sowie dem dortigen sozio-kulturell-ökonomischen Stellenwert des Nachtlebens erstreckt sich Nacht über verschieden lange zeitliche Sequenzen, in der Regel über mehrere Stunden. Großzügig gerechnet, gehört etwa auch das Morgengrauen oder die abendliche Dämmerung dazu, evtl. ebenso der Morgen im Anschluss an die Nacht, wenn sich eine nächtliche Feier beispielsweise erst bei Tageslicht dem Ende zuneigt. Das traditionelle Nachtverständnis einer Zeit der Regeneration, des Schlafes und der Erholung wurde in den letzten 150 Jahren zunehmend transformiert, ökonomisiert, eventisiert, festivalisiert (Schwegmann 2011, 2012). Lichtverschmutzung und menschliche Aktivitäten, große Lautstärke und Mobilität führten dabei zu einer Entkoppelung

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vom ursprünglichen Zustand der Nacht als Teil von Natur: Der Tag erstreckt sich mithin in die Nacht hinein. Doch nur, weil Menschen sich nachts bewegen und nicht schlafen, handelt es sich hierbei nicht um eine Verlängerung des Tages: Die natürliche Ordnung von Tageslicht und Dunkelheit, von Geräuschen und Stille wurde ‚lediglich‘ im Sinne einer „anthropogenen Umweltveränderung“ (Gebhardt et al. 2011f: 41) vom Einfluss des Menschen außer Kraft gesetzt. Es handelt sich also nach wie vor, obschon in einer anderen Qualität, um Nacht – wenngleich auch dies wiederum ein diskursives Konstrukt zur Wiedergabe einer spezifischen Realität(svorstellung) darstellt. Wenn Realität verhandelbar ist (nach Fischer 2012: 12) und auch nächtliche Realitäten durch Institutionalisierung, Legitimierung und Internalisierung entstehen, so wir denn Fischer (ebd.: 97 ff.) folgen, dann erscheint Nacht verfestigt oder modifiziert in einem Prozess. Dennoch ist Nacht nicht nur „Widerfahrnis“ (Andermann 2012), dem Menschen passiv ausgesetzt sind. Diese gestalten Nacht, ihre Bedeutung sowie (Ir)Relevanzentfaltung nämlich aktiv mit bzw. tragen zu ihrer (Re)Produktion bei, schon durch bloße Anwesenheit, durchaus unbewusst. Gleichsam empfiehlt sich ein Blick frei von romantisierenden Vorstellungen und Idealbildern einer Nacht als Ruhephase und ‚Schlaf-Platz‘: Auch dies ist lediglich ein soziales und ehedem realitätkonstituierendes Konstrukt, ein hegemonialer Diskurs, der in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Wirkmächtigkeit einbüßte – ohne je gänzlich obsolet zu werden.

C) N ACHT ALS O RT : N IGHTSCAPES M ASSENHETEROTOPIEN

ALS

„Space and place lie at the core of our discipline“, so Tuan zur Bedeutung von Raum und Ort für die Geographie (1974: 245). Eine geographische Arbeit muss sich daher insbesondere mit diesen Konzepten auseinandersetzen. In diesem letzten Unterkapitel möchte ich demzufolge meine Konzeption von Nacht als Ort plausibilisieren. Mein Ver-

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ständnis von ortsgedachter und -abhängiger nächtlicher Ökonomie sowie von nächtlicher Visualisierbarkeit und Vorstellbarkeit bezieht sich primär auf Foucaults Konzept der Heterotopien (2005) sowie auf die Inhalte meiner bisherigen Abschlussarbeiten (Schwegmann 2011, 2012). Zudem möchte ich zentrale Ortskonzepte der Geographie und verwandter (Raum)Wissenschaften anreißen, die für meine Nacht-Orte von Relevanz sein könnten. Meiner Arbeit soll nicht nur „ein konstruktivistischer Raumbegriff“ (Reuber 2012: 37 ff.) als Basis inhärent sein, sondern ebenso ein konstruktivistischer Ortsbegriff: „Eine solche Grundperspektive geht davon aus, dass Menschen aufgrund ihrer eingeschränkten Wahrnehmung keine unmittelbare und ‚objektive‘ Information über die sie umgebende Welt haben, sondern dass sie diese immer nur selektiv durch die diversen Filter ihrer individuellen und gesellschaftlich bedingten Wahrnehmungen und Erwartungen aufnehmen können. Sie konstruieren die Welt somit auf teilweise sehr unterschiedliche Arten und Weisen. Dies impliziert, dass die physische Welt nicht über einfache Kausalzusammenhänge auf soziale Kontexte einwirkt“ (ebd.: 38).

Ebenso wie die mit und in ihnen verschränkten Identitäten sind (Nacht)Orte als kontextabhängig, als relational, als in ihrer Erscheinung, Wirkung und Wahrnehmung situativ zu bewerten. Wie Massey verdeutlicht: „Die Vorstellung, dass Identität relational sei, wird heute weitgehend akzeptiert. Wir existieren nicht mit einer festgelegten Identität, um dann mit anderen zu interagieren, sondern unsere Identitäten konstituieren sich in und durch die Beziehungen zu anderen“ (Massey 2006: 25). Raum ist dabei nicht als Gegensatz zu Ort zu sehen, im Gegenteil, wenn man Berkings Ausführungen folgt: „So wenig wie das Globale als Opposition zum Lokalen, ist Raum als Opposition zu Ort

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hinreichend analytisch zu fassen. Raumproduktion und place-making gehören zusammen“ (Berking 2006b: 13). Wenn wir in diesem Kontext Massey (1991) folgen, erkennen wir (Nacht)Orte als prinzipiell dynamisch in einem Prozess, als mit multiplen Identitäten und Sinnzuschreibungen korrespondierend (ebd.: 29), denn: „If it is now recognized that people have multiple identities then the same point can be made in relation to places“ (ebd.: 28). Wie Tuan (1974: 213 ff.) überdies festgestellt hat, werden Orte durch Geschichte(n) und Bedeutung aufgeladen, sind vom jeweiligen Individuum und seinem sozialen Kontext abhängig und stehen zudem in einem Wechselverhältnis mit Emotionen. Aus phänomenologischer Sicht stellt Casey zudem fest: „It is sensible, perhaps even irresistible, to assume that human experience begins with space and time and then proceeds to place“ (Casey 1996: 13). Er erkennt insbesondere „the dialectic of perception and place“ (ebd.: 19). Nacht-Orte beeinflussen ergo Erfahrung und Wahrnehmung, erscheinen – wenngleich nicht ‚nur‘ – als Event und sind von Raum, Zeit und Kultur durchdrungen (mit Bezug zu ebd.: 38 ff.) – dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass diese Wahrnehmung des Ortes eng an die durch Diskurse über ihn produzierten Bilder in Form von „imaginative geographies“ (Gregory 1995) gekoppelt ist. Imaginative Geographien der nocturnen Ökonomie wiederum speisen ihre Wirkmächtigkeit aus vorstellbaren Bildern von Nacht, die performativ wirksam werden, wie ich in Kapitel 4 b (‚Steuerungsversuche: Verortete Identitäten der Vermarktlichung‘) noch näher erläutern werde. An dieser Stelle muss ich aber bereits einige zentrale Facetten des Verhältnisses von Ort zu Ökonomie und zu Identität erwähnen, um meine Konzeption der Nacht-Orte zu konkretisieren. Imaginative Räume des Nächtlichen influenzieren und (re)produzieren Identitäten – und damit letztlich Vermarktlichungsprozesse, deren mit denkbaren Orten korrespondierende Konsumentscheidungen der nächtlichen „Ökonomie der Faszination“ (Schmid 2007, 2009) inhärent sind (Schwegmann 2012: 39 ff.). Schiffauer unterteilt imaginäre Räume vor diesem Hintergrund anhand der sprachwissenschaftlichen Einteilung von Konditionalsätzen in „Möglichkeitsräume“, „Räume

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verpasster Möglichkeiten“ und „Räume vergangener Möglichkeiten“ (Schiffauer 2006: 164 ff.). Zu ersteren erklärt er: „Imaginäre Räume sind die lokale Ausprägung derartiger Möglichkeitsräume. ‚Reale‘ Imaginäre Räume (im Gegensatz zu Romanwelten) sind charakterisiert von ihrer Potenzialität – sie beziehen sich auf die Orte, zu denen ich Zugang habe, an denen auch mir etwas hätte zustoßen können, wo auch ich hätte tätig werden können“ (ebd.: 167).

Derartig wirksame Räume setzen sich aus verschiedenen Orten zusammen bzw. können an vorstellbaren Orten festgemacht werden. Schlitte spricht in Bezug auf Bedeutungszuschreibungen von „Orte[n] als Anker- und Ausgangspunkt“ (2012). Nachträume spielen mit den Wünschen und Erwartungen der Nachtgänger, indem sie im Zuge der Konstruktion von Identitäten und Selbstwahrnehmungen – „,Sticky Subjects‘ or ,Cosmopolitan Creatives‘?“ (Allen & Hollingworth 2013) – subtil (Be)Deutungsangebote schaffen. Hierbei spielt schließlich der „place-specific habitus“ eine große Rolle, wie Allen und Hollingworth herausgearbeitet haben (ebd.). Dieser wiederum schließt an soziale Machtverhältnisse an. Dreher (2012: 140 ff.) erklärt beispielsweise in diesem Sinne die individuellen Gestaltungsräume in der Konstitution sozialer (Un)Gleicheit innerhalb gruppendynamischer Ensembles. Wenn demnach auch Nachtgänger vorrangig in Gruppen unterwegs sind, werden nocturne Orte und Ökonomien des Vergnügens ebenfalls von sozio-ökonomischen Machtasymmetrien strukturiert. Sie bilden ganze Landschaften von einander wechselseitig beeinflussenden und zugleich mit Mensch, Materialität und monetärer Macht verquickten Orten (Schwegmann 2012: 23 ff.). Diese nächtlichen Landschaften bzw. „nightscapes“ (Chatterton & Hollands 2003) setzen sich aus verschiedenen Raum- und Ortstypen zusammen: beispielsweise aus sozialen, kulturellen und ökonomischen Räumen, aber auch aus Zwischenräumen, die zwischen den Orten der

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nächtlich-urbanen Vergnügungskultur (Massen)Heterotopien bilden (in Anlehnung an Foucault 2005), d.h. ein mehr oder minder engmaschiges Netz an disziplinierenden Gegenräumen, die potenzielle Konfliktfelder (z.B. Prostitution) und ihre Akteure in begrenzte Räume, an bestimmte Orte (z.B. Bordelle) verlagern und damit unterschiedlich stark kontrollierbar machen. Dabei stimme ich Caseys Kritik (1997: 300 f.) an Foucaults oftmals synonymer Verwendung von Raum und Ort – sind Heterotopien nun Gegenräume oder -orte? Gibt es einen Unterschied zwischen Raum und Ort? – zu und gehe im Folgenden primär von Gegenorten aus, um den Leser nicht durch Foucaults begrifflichkonzeptionelle Unschärfe zu verwirren, um Missverständnissen vorzubeugen. Die Gesamtheit dieser speziellen Topoi – die Masse an unterschiedlichen, gleichsam immer disziplinierenden Orten – kann mitunter zu einem vielfältigen Feld von Heterotopien für Massen (an Menschen) avancieren (z.B. Großraumdiskotheken). Jeder Ort wirkt dabei auf konkrete Identitätserwartungen der ihn ‚machenden‘, nutzenden und (re)produzierenden Menschen. So analysierten Katovich und Reese bereits 1987 die Identitätsentwürfe in urbanen Bars; Kingsdale (1973) beschäftigte sich darüber hinaus mit den „Social Functions of the Urban Working Class Saloon“. Aus solchen konkreten Orten, die Menschen mit Nacht assoziieren, speist sich die nächtliche Ökonomie. Orte visualisieren Nacht demnach in den imaginierten Geographien der Ökonomie, die performativen Charakter annehmen können. Mein Konzept einer breit angelegten „Massenheterotopie“ des Nächtlichen möchte ich im Folgenden näher erläutern (nach Schwegmann 2011: 31 ff., Schwegmann 2012: 31 ff.). In ihr kristallisieren und potenzieren sich miteinander korrespondierende Identitätsentwürfe und Ökonomien. Doch zunächst gehe ich noch stärker auf die begriffliche Fassung von Nacht als ortsbezogene Landschaft ein. Einen hervorragenden Überblick über „Ort und Landschaft“ formulierte Ipsen (2006). An dessen Ortsbild versuche ich mein Verständnis von Nacht-Orten in einigen Punkten anzulehnen. Dennoch möchte ich mich in dieser Arbeit auch von Ipsens Konzeption von Ort abgrenzen.

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Denn Orte sind mehr als Ereignis: Sie sind ebenfalls Diskurs und Bild, Materialität und Technologie, wirklichkeitsbestimmend, weil identitätskonstituierend. Ipsen dagegen legt sich auf folgende Einschätzung fest: „Trotz aller Verflechtungen und Mischformen ist es sinnvoll Orte als Kristallisationspunkte der unmittelbaren Wahrnehmung, der kulturellen Deutung und Bedeutung sowie des sozialen Handelns aufzufassen. Der Raum hingegen wird als eine Struktur funktionaler Bezüge und als ein Netz von Fließgrößen begriffen“ (ebd.: 64).

Diese Unterteilung greift insofern zu kurz, als nicht nur Orte, sondern auch Räume kultureller Deutung unterliegen und wirklichkeitskonstituierende Bedeutung entfalten können, wenn nocturne Landschaften Appelle an die Imagination bereitstellen und in ihrer semantischen Aufladung Abenteuer und Grenzüberschreitung verheißen (Schlör 1991). In vielen anderen Punkten weist Ipsens Orts- und Landschaftskonzeption indes durchaus interessante Anknüpfungspunkte vor. So verdeutlicht er etwa, „dass sich die virtuellen Organisationen des Raumes auf seine materielle Struktur auswirken“ (Ipsen 2006: 13). Ipsen (ebd.: 23) geht also davon aus, dass die bewusste Raumwahrnehmung den Raum produziert, allerdings hänge die jeweilige Wahrnehmung stark von Interesse und kultureller Sozialisation bzw. Habitus des Einzelnen ab. Er erklärt Räume überdies als Produkt in einem Prozess (ebd.: 13) – analog dazu kann mein in den vorangehenden Unterkapiteln schon vorgestelltes Verständnis von Nacht gesehen und eingeordnet werden. Städtisch-nächtliche Räume und damit zusammenhängende Vergnügungstopographien können schließlich mit Bezug zu Ipsen (ebd.: 67 ff.) als nocturne Landschaften betrachtet werden: als ein Geflecht von Orten, die Nightscapes bilden. Letztere sind dabei immer als Prozess zu sehen, als potenziell transitorisch und dynamisch (ebd.: 67). Zudem verweist Ipsen auf die „Doppelseitigkeit des Landschaftsbe-

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griffs […], der sich sowohl auf die Materialität des Raumes als auch auf die Konstruktion eines Bildes von einem Raum bezieht“ (ebd.: 72): „‚-schaft‘ meint […] die Beschaffenheit, auch die Gestalt, wie das englische scape. So wie die Botschaft die Beschaffenheit einer Information meint, so ist bei Landschaft die Gestalt eines Raumes angesprochen. Freilich hat ‚-schaft‘ einen Bezug zu schaffen, sodass es nahe liegt, die von Menschen gemachte Eigenschaft als Landschaft zu verstehen. […] Landschaft ist demnach ein Bild des Raumes. Landschaft ist zum einen als die Beschaffenheit eines Raumes zu verstehen und zum anderen als bildhafter Ausdruck oder ein Symbol dieser Beschaffenheit“ (ebd.: 73).

Demzufolge oszilliert „Landschaft zwischen Materialität und Bild“ (ebd.), zwischen – auf der einen Seite – infrastrukturell-technologischen und baulich-architektonischen ‚Dingen‘ und – auf der anderen Seite – ihren Repräsentationen, d.h. den „‚Landschaft[en] im Kopf‘“ (ebd.: 72) spezifischen Bildern und Diskursen. Beide Seiten bedingen sich: „Das Landschaftsbewusstsein und die materielle Landschaft stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Zum einen bezieht sich das Landschaftsbewusstsein immer auf eine Materialität der Umwelt, von der das Bewusstsein zugleich abstrahiert. Zum anderen führt erst die Reduktion von Komplexität aus der ‚unendlichen‘ Vielgestalt der materiellen Welt zu einem Bild. Diese Bilder wirken wiederum auf die Gestaltung der Landschaft zurück, indem sie direkt die Nutzung oder indirekt die politische Regulation der Nutzung steuern“ (ebd.: 84).

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Unter „Landschaft im Kopf“ (ebd.: 83), die sich mithin aus einzelnen Bildern von Landschaften zusammensetzt, können ferner die verschiedensten Diskurse, Geschichten, narrativen Muster, Bedeutungskonzeptionen und Assoziationen verstanden werden. Diese Prismen kondensieren in als ästhetisch empfundenen Charakteristika, die Kommunikation über und mit Ort und Identität erlauben (vgl. ebd.). Ipsen schreibt Landschaft in diesem Zusammenhang drei Dimensionen zu: eine kognitive, eine ästhetische und eine emotionale. Diese würden zwischen „Landschaftsbewusstsein“ und „Landschaft in der privaten und öffentlichen Kommunikation“ oszillieren bzw. diese beiden Varianten (re)produzieren (ebd.). Ipsen spricht zudem von „the Making of Landscape“ (ebd.: 90), wenn Landschaft durch mehr oder minder zufällige Bedeutungszuschreibungen produziert wird: „‚The making of landscape’ kann bewusst oder unbewusst geschehen. Unbewusst geschieht es immer dann, wenn viele Akteure ihre Interessen verfolgen und sich zum Schluss ein Gesamtbild ergibt, das niemand so angestrebt hat“ (ebd.: 92). Dabei spielen verschiedene ökonomische Erwägungen eine Rolle: „Landschaftsdesign als Standortsicherung ist eben unmittelbar mit staatlichen Planungs- und privaten Verwertungsinteressen verbunden“ (ebd.: 97). Zum besseren Verständnis und zur Veranschaulichung möchte ich unter Rückgriff auf die Ergebnisse meiner Abschlussarbeiten an dieser Stelle beispielhaft digitale, mobile und mediale Heterotopien präsentieren. Neben diesen gibt es weitere steuernde, wirklichkeitsmachende und machtvolle nocturne Ortsmacher, wie etwa durch die Legitimationsmacht Wissenschaft (re)produzierte Diskurse (Schwegmann 2012: 43 ff.). All diese Gegenorte formieren zusammen eine „breit angelegte Massenheterotopie“ (Schwegmann 2011: 35). Foucaults Konzept der Heterotopien (2005) eignet sich hervorragend zur Durchdringung der facettenreichen Orte des Nachtlebens; Foucault bezieht sich mit den Heterotopien auf spezielle Ortstypen, über die Gesellschaft diszipliniert wird. Dieser Ansatz erfährt in den letzten Jahren vielfache Rezeption. So spricht beispielsweise auch Waldenfels von „Fremdorte[n] und anderen Räumen“ (2009: 113 ff.),

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die durch spezifische Grenzen definiert werden. Letztgenannte würden symbolischer Natur sein, entfalten aber in nächtlichen Ortsproduktionen soziale Relevanz und Brisanz, wenn Zugangs(un)möglichkeiten über die ‚Party-Zipation‘, über Einlass und Ausschluss entscheiden. Heterotope Orte speisen sich in diesem Kontext aus „einer extraordinären Fremdheit, die bestimmte Ordnungsgrenzen überschreitet“ (ebd.: 113). Sie finden sich auch in den Topographien der Nacht, wie ich in meiner Bachelorarbeit (Schwegmann 2011) nachgewiesen habe. Das auch in vielen literarischen Gedichten der Romantik sowie des Barock auftretende Bild von Nacht als heterotoper Gegenort, als emotionaler Gegenpart des (durch)rationalisierten Tages repräsentiert Nacht als etwas Anderes im Sinne Saids (1978). Doch aus literaturund mentalitätsgeschichtlicher Sicht war Nacht nicht nur positiv konnotiert: Sie galt auch als gefährlich, schwer regierbar, als imaginierter, erst in Träumen scheinbar greifbarer Ort. Die angebliche Gefahr, die von Nacht ausgeht, wird heute diskursiv von Wissenschaftlern und Medien (re)produziert – als Rechtfertigung, in Nacht(leben) planerisch-gestaltend bzw. ökonomisierend einzugreifen und um Macht (sowohl ermöglichend als auch unterdrückend) auszuüben. Nacht erscheint damit als sozial-diskursives, ortsabhängiges Konstrukt mit performativem Charakter. So betonte Werlen „die performativen Akte der Konstitution der Geographien des Alltags und der Weltbildformierung“ (Werlen 2009: 153). Somit muss das Selbstverständnis von sich mit Nacht beschäftigenden Wissenschaftlern in Anlehnung an Saids „Orientalism“ (1978) in meiner grundlagentheoretischen und auf spezielle Weise diskursanalytischen Studie noch stärker Thema in Form einer metareflexiven Wissenschaftskritik werden, um hegemoniale Motive des nicht zuletzt ökonomisch wirkenden oder gar motivierten Otherings zu entschleiern. Entsprechende Facetten thematisiere ich näher in Kapitel 8 a zu den sakralen Geographien der nächtlichen Orientalisierung. Mit Bezug zu Zukin (1991), Cochoy (2011) und Foucault (2005) lassen sich nun beispielsweise digitale Nightscapes (of Power) ausmachen, die im Zusammenspiel von Mensch und digitalisierter Materiali-

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tät Bedeutung generieren und zu Konsumentscheidungen (ver)führen können (siehe dazu auch Schwegmann 2012: 25 ff.). Nachteindrücke – z.B. Fotos, aber auch Berichte von nächtlichen Begehungen und Begegnungen – werden längst via Internet als digitale Heterotopien gestreut. Nacht als Technologie meint vor diesem Hintergrund die wirkmächtige Instrumentalisierung hegemonialer, vermarktlichender Diskurse mit Hilfe von Technologien wie beispielsweise Geowebdiensten, Applikationen und Smartphones, die den postmodernen Staat im neoliberalen Zeitalter auch in nächtlichen Zeiten und Räumen des Städtischen durchdringen. So geht beispielsweise Müller auf Zusammenhänge von „Text, Discourse, Affect and Things“ (Müller 2013) ein. Doch schon Graham (1998) bezog sich auf die ortsmachenden und gesellschaftsinfluenzierenden Wirkungen ‚neuer‘ Informationstechnologien und digitaler Applikationen. Diese produzieren und influenzieren insbesondere Wahrnehmungen städtischer (und auch nächtlicher) Orte, die in der Regel mit Emotionen verknüpft (z.B. durch die Verbindung mit Musik) und auf diese Weise ästhetisiert werden (vgl. van Heur 2010a). Mit Raffestin und Butler (2012) sowie Elden (2007) ließe sich überdies der gouvernementale Charakter ökonomischer Territorialisierungs- und Kalkulationsprozesse im Lichte ortsproduzierender Machtdiskurse betrachten. Nacht-Orte werden schließlich im Zusammenspiel von bestimmten Materialitäten und Technologien mit menschlichen Erwartungen produziert und erscheinen in dieser Realisierung als besonders wirkmächtig, da zwischen real anmutender Repräsentation und anderen Realitätssuggestionen kaum noch unterschieden werden kann. Unter die nachtmachenden ‚Dinge‘ fallen allerdings nicht nur die digitalen Innovationen der letzten zwei Jahrzehnte (Internet und Navigation, soziale Netzwerke, digitale Karten und andere Verräumlichungen etc.), sondern ebenfalls die Glühbirne, deren Erfindung die Ausweitung und -differenzierung der urbanen Vergnügungskultur entscheidend vorangebracht hat, wie Kohtes (1994: 22) verdeutlicht. Neben entsprechenden Facetten digitalisierter Nacht-Orte können diese auch in Bewegung gesetzt werden. Der Mobilisierung des Kon-

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zeptes ‚Nachtleben‘ konnte ich im Rahmen meiner Bachelorarbeit (Schwegmann 2011) zwischen Paris und Berlin nachspüren. Im europäischen Städtewettbewerb des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts suchte das interurbane Kräftemessen nach Vergleichsmedien. Anhand eines geschickt inszenierten Nachtlebens wurde dieses für Touristen ansprechend vermarktet, indem (in Anlehnung an Schlör 1991) Faszination und Schrecken desselben diskursiv (re)produziert wurden. Wichtige Steuerungsorgane, Normierer und Inszenierer waren diesbezüglich die aufstrebende und wirkmächtige Presse, Polizeiberichte, Reiseführer, Berichte und Ausschmückungen von Touristen, Literatur und ‚Forschungsberichte‘ sowie viele weitere, die nächtliche Orte als Heterotopien reproduzierten. Die Eigenlogik von faszinierenden, geheimnisvollen und mystischen Orten der Nacht kristallisierte beispielsweise in der beschränkten Zugänglichkeit und moralischen Verwerflichkeit bzw. Sittenwidrigkeit der nächtlichen Vergnügungskultur jenseits bürgerlich-konservativer Wertvorstellungen, aber ebenso in Inszenierungspraktiken durch Licht und Schatten. Berlin versuchte zu jener Zeit, dem Pariser Nachtleben erst nachzueifern und es schließlich in dessen Vormachtstellung im öffentlichen Diskurs abzulösen. Mobile Nightscapes setzen sich vor diesem Hintergrund aus mobilen Policies zusammen, die über Räume und an Orten zirkulieren und dabei Ideen, Diskurse, Konzepte über Nacht oder auch nur Teile dieser mobilisieren (nach Schwegmann 2012: 23 ff.; mit Bezug zu Ferguson & Gupta 2002: 996, McCann 2011: 107 ff., McCann & Ward 2011, Peck 2005: 760, Peck & Theodore 2010: 170 ff., Ward 2011: 73 ff.). Die übermittelten Vorstellungen wirken sodann – zufällig oder beabsichtigt – auf vorhandene Vorstellungen ein, modifizieren, verändern oder verstärken diese, und führen nicht selten zu neuen Formen von Nachtleben, die geschaffen werden. Einige Elemente dieser mobilen Konzepte und Policies werden negiert, andere adaptiert, modifiziert oder gar in Gänze übernommen. Für eine übergeordnete Konzeption kann man vor diesem Hintergrund mit Berndt und Boeckler (2009) auf die ordnenden Mobilisierunsgprozesse, die Orte kommodifizierend hervorbringen, verweisen:

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„In the economic geography literature, places at different scales and the borders defining these places very often appear as pre-given, with goods, people, ideas and capital moving between these places and crossing borders. We turn the logic upside down and argue that it is these mobilities that produce places and borders. […] To take account of the observation that framings are necessary processes to provide some sort of quasi-natural economic order, we use the pun b/ordering“ (Berndt & Boeckler 2009: 546).

Dabei sind Orte häufig schon im Zustand der Mobilisierung einer Veränderung ihrer Inhalte unterworfen (McCann 2011: 107). Dies können wir auch mit Blick auf die Dynamik medialer Inhalte konstatieren, wenn wirkmächtige Inszenierungen, Forcierungen, Repräsentationen und Re(Produktionen) des großstädtischen Nachtlebens wie seiner Ökonomien durch mediale Diskurse transportiert und in diesen mobilisiert, adaptiert und modifiziert werden (vgl. Hoyler & Watson 2012, Schwegmann 2011, 2012,). Nächtliche Stadtlandschaften, mithin Nightscapes, so eine kurze Zwischenbilanz, müssen vor den vorgestellten Hintergründen aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden, um die Reziprozität nächtlicher Ökonomien des Ortes in der Verwerfung von Mensch und Materialität angemessen zu durchdringen. Das Paradigma nächtlich-urbaner „assemblages“ (McFarlane 2011) lässt Nacht-Orte als dynamisches „interplay of […] the material, the immaterial and representational“ (Cresswell 2011: 239) erscheinen. Mit dieser Blickrichtung folge ich insbesondere Cresswell, dessen Plädoyer ich als Auftrag und Ausgangspunkt meiner Betrachtungen verstehe: „One direction for the future theorization of place is to think of place as an assemblage that combines material, expressive and practical components in particular ways that reflect the constant recombination of vertical roots and horizontal routes“ (ebd.: 242). Dieser Prämisse möchte ich insofern Rechnung tragen, als ich dem Leser verschiedene konzeptionelle Zugänge zu Or-

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ten eröffnen werde. Nocturne Orte, insbesondere Metropolen bei Nacht, erscheinen nämlich als „urban wild things“ (Hinchliffe et al. 2005), als heterotope Assemblage-Agencements aus Praktiken und Diskursen, die im Zusammenspiel von Mensch und Materie einen explosiven Mix generieren und durch ihre Appelle an die Imaginationskraft performativ Wirkung entfalten können. Die dabei entstehenden ‚Markt-Plätze‘ als vermarktlichte und vermarktlichende Destinationen sind unser erster Bezugspunkt im Ortsgeflecht des Nächtlichen. Auf unserer Reise durch das urbane Dickicht des Dunklen legen wir hier unseren ersten Zwischenhalt ein.

4 Markt-Plätze

A) H INFÜHRUNG : K OMMODIFIZIERTE G EOGRAPHIEN DER N ACHT „Markets are everywhere. They are the very stuff our contemporary global age is made of. Even though market exchange seems to have existed for millennia, market society has been coming into full existence only at the end of the 20th century in an era of neoliberal market orientation“ (Berndt & Boeckler 2012: 199).

Wie Berndt und Boeckler im eingangs platzierten Zitat verdeutlichen, nehmen Märkte eine zentrale Rolle in unseren postmodernen Wirklichkeiten ein. Sie können als „the key institution dominating the arena of circulation and exchange“ (Dies. 2009: 535) aufgefasst werden. Trotzdem wurden Märkte als Gegenstand kulturwissenschaftlicher Analyse lange ignoriert (Dies. 2012: 209); erst in den letzten Jahren erfahren entsprechende Erschließungsversuche verstärkte Konjunktur. So plädiert Hall für „Making Space for Markets in Economic Geography“ (2012), Hamilton befasst sich in „Beyond Market Signals: Negotiating Marketplace Politics and Corporate Responsibilities“ (2013) mit der Steuerung von Markt-Plätzen. „Geographies of Marketization“ (Berndt & Boeckler 2012) durchdringen die unterschiedlichsten Facetten unserer Realitäten. Die Öko-

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nomisierung der Nacht ist dabei als Teil einer umfassenden Kommodifizierung öffentlicher wie privater Räume und Zeiten in der neoliberalen Postmoderne zu sehen. Im Zuge dessen entstehen nächtliche „Markt-Plätze“, d.h. vermarktlichte und vermarktlichende Destinationen, wenn nächtliche Vergnügungsszenerien in ihren kommodifizierten Facetten als Markt aufgefasst werden können (Schwegmann 2012: 9 ff.). Mit diesem Konzept rekurriere ich auf einen vielversprechenden Ansatz von Berndt und Boeckler (z.B. 2007, 2009, 2012). Auf die historische Entwicklung der Nacht als Markt möchte in dieser Arbeit nicht näher eingehen, dazu verweise ich an dieser Stelle auf meine Abschlussarbeiten (Schwegmann 2011, 2012). In diesen habe ich mich umfangreich mit der Kulturalisierung, Mobilisierung, Digitalisierung und insbesondere mit der Ökonomisierung nächtlicher Geographien befasst. Letzteren Prozess möchte ich hier wiederum aufgreifen. Doch zunächst: Was ist ein Markt? Eine volkswirtschaftliche Definition nach Hanusch et al. (2002) sieht einen Markt in dem „Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage“ (Hanusch et al. 2002: 54), der der „Koordination der individuellen Entscheidungen und Handlungen“ bzw. „zwischen der Güterproduktion und dem Konsum in einer Volkswirtschaft“ (ebd.: 53) dient. Als ein solcher „Koordinationsmechanismus“ nehme er eine zentrale Rolle in ökonomischen Prozessen ein (ebd.: 53). Ein kulturtheoretischer Ansatz geht darüber weit hinaus. Schon seit längerem wird versucht, den Dualismus zwischen Mensch und Materie aufzubrechen (Murdoch 1997). Märkte lassen sich in diesem Kontext als performativ begreifen, werden durch Sprache, Praxis und Materialität realisiert. Berndt und Boeckler (2007: 222) unterscheiden bei der Herstellung von Märkten zwischen Performativität („Das Zusammenwirken von Ökonomik und Ökonomie bei der kulturellen Selbsthervorbringung ökonomischer Wirklichkeit. Ökonomische Modelle sind hier nicht länger als idealisierte und abstrakte Abbilder individualisierter Handlungsnormen und gesellschaftlicher Praktiken zu lesen, sondern interessieren vielmehr als Vollzugsformen eben jener sozialen Wirklichkeit.“), Performation („Die konkrete Herstellung von Märkten

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in gerahmten Netzwerken heterogener sozio-technischer Materialien und die Praktiken der Dissoziation zur Herstellung kalkulierenden Handelns.“) sowie Performanz („Die Inszenierungsleistungen einzelner Akteure bei der Hervorbringung gerahmter ökonomischer Praxisfelder, z.B. von Märkten.“). In Anlehnung an Callon (1998a) verstehen Berndt und Boeckler (2007: 224) dabei unter „soziotechnischen Arrangements“ sowohl materiale, prozedurale, rechtliche als auch (ver)messende Elemente, die Märkte in ihrem Zusammenspiel mit, ihrer Wirkung und Macht auf sowie ihrer Reproduktion durch Menschen herstellen und aufführen. Auch nächtliche Ökonomien können in diesem Kontext als Markt, als vermarktlichte und vermarktlichende Zeit sowie als ökonomisierter und ökonomisierender Ort(szusammenhang) verstanden werden. Auf dem Markt-Platz der Nacht verschränken sich divergierende Erwartungen, Konsumwünsche und Identitätskonstruktionen, die mit baulicher Umwelt wie immateriellen wirklichkeitsinfluenzierenden Diskursen korrespondieren und performative Praxen bedingen. Der subtil wirkende Januskopf einer doppelten Vermarktlichung und Inwertsetzung des Nächtlichen umfasst dabei auf der einen Seite die Möglichkeit, rund um die Uhr zu konsumieren, wenn im Deckmantel des ‚Ausgleichs‘ vom Druck und Stress des Alltages (‚Work hard, play hard!‘) nächtliche Konsummöglichkeiten geschaffen werden und Nacht in dieser Form einer Ökonomisierung unterliegt; zu dieser sichtbaren Kommodifizierung kommt jene, die Nacht als Zeit der Arbeit beinhaltet: Ärzte, Krankenschwestern, Polizisten, Türsteher und viele andere legen Nachtschichten ein. Auf der anderen Seite könnte die nächtliche Zeit der Ruhe und Regeneration als zu einer ökonomisch wertvollen Phase transformierten, weil die Leistungsfähigkeit und Arbeitskraft des Menschen regenerierenden Zeitspanne verstanden werden: Wer nachts schläft, kann am nächsten Morgen wieder ‚in alter Frische‘ seine Arbeit verrichten und seinen Beitrag zur wirtschaftlichen Produktivität einer Gesellschaft leisten. Hinzu kommt hier die Facette des nächtlichen Feierns und Ausgehens, das als Ventil für stressgeplagte Großstädter einen Gegenraum zum disziplinierten Arbeitsalltag aufspannt

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und gesellschaftlich akzeptierte Grenzüberschreitung ermöglicht; gleichsam erfolgt hierin eine Disziplinierung durch das ‚Zuckerbrot‘ neoliberal-kapitalistischer Gesellschaften. Ökonomie wird in dieser Hinsicht auf beide Arten und Weisen – direkt (als nächtliche Konsumund Arbeitsformen) und indirekt (als nächtliche Regenerationsphasen; nicht zuletzt durch die erwähnten Konsumangebote) meist unbewusst reproduziert: sowohl während des Konsumierens/Arbeitens als auch während des Feierns/Schlafens (vgl. Schwegmann 2012: 10 f., mit Bezug zu Talbot & Böse 2007: 95). In dieser Arbeit möchte ich eine leichte Abwandlung bzw. Weiterentwicklung oder zumindest Modifikation von kulturellen Geographien der Ökonomie, wie sie Boeckler und Berndt konzipiert haben, vorschlagen, indem nächtliche Ökonomien nicht zuletzt als nichtintendiertes Produkt konzipiert werden sollen. Boeckler und Berndt schreiben nämlich: „Für die Architekten marktorientierter ökonomischer Ordnungen ist es […] von großer Bedeutung, […] Widersprüche so unsichtbar wie möglich zu machen. Märkte müssen mit ihren Regeln und Grenzen für die ihnen unterworfenen Akteure quasinatürlich erscheinen“ (Boeckler & Berndt 2011: 915).

Dabei gilt es aber zu überdenken, ob es sich tatsächlich immer um ein bewusstes Ziel handelt, Märkte zu implementieren und dabei die „Widersprüche so unsichtbar wie möglich zu machen“. Es erscheint mir als plausibel, dass ökonomische Ordnungen der Nacht hauptsächlich unbewusst ‚gemacht‘ und ‚stabilisiert‘ werden, zumindest von den Nachtgängern – also kein bewusstes oder gar gezieltes Sich-Einfügen in neoliberale Zusammenhänge. Nichtsdestotrotz wird dies im wahrsten Sinne des Wortes ‚in Kauf‘ genommen, wenn Nacht zwecks Selbstoptimierung unter mehr oder minder aktiver Identitätsarbeit konsumiert wird. Nocturne Markt-Plätze enstehen letztlich durch vielerlei Praktiken und Diskurse, die nicht selten ohne das konkrete Ziel der

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Implementierung und Verstärkung ökonomischer Strukturen eben dies erwirken. Märkte der/bei Nacht selbst sind nämlich nicht nur diskursiver Art, sie nehmen realen, d.h. wirklichkeitskonstituierenden Charakter an (nach Berndt & Boeckler 2012: 200). Boeckler und Berndt gehen in Anlehnung an Caliskan & Callon (2010) von Agencements aus, die Märkte reproduzieren: „Der Terminus agencement drückt aus, dass es sich zum einen um ein (auch räumliches) Arrangement heterogener Elemente (Regeln, technische Apparaturen, Infrastruktur, Logistik, Dokumente, Narrative, Wissen etc.) handelt, zum anderen, dass dieses Arrangement Handlungsfähigkeit und Handlungen hervorbringt“ (Boeckler & Berndt 2011: 915).

„Processes of marketization are not only recursively informed by economic knowledges but are also socio-technically distributed“ (Berndt & Boeckler 2012: 205), stellen sie weiter fest. Die gleitenden Ökonomien der Nacht reproduzieren sich nicht zuletzt durch smarte Märkte digitaler Geographien, deren Wirkweise eher subtiler Art ist. Berndt und Boeckler definieren den Prozess der Vermarktlichung in diesem Zusammenhang wie folgt: „Overall, marketization is the concrete process of designing, implementing, maintaining, and reproducing specific socio-technical agencements that embrace a calculated and monetarized exchange of goods and services“ (ebd.). Doch neben vermarktlichenden, ökonomisierenden Quantifizierungen, einer kommodifizierenden, performativ wirksamen Modellbildung, plädiere ich für eine Sicht von Märkten als unordentliche, mit Bedeutung aufgeladene, verschleierte und verschleiernde Instanz, die durch Identitätsangebote, Emotionalisierung und konkret durch die Auslösung von Faszination in der Implementierung von Konsumentscheidungen realisiert werden. Diese stark qualitative Facette der Vermarktlichung wird in derartiger

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Schärfe und Zuspitzung bislang noch nicht ausreichend konturiert betrachtet. Bei der Befassung mit nächtlichen Märkten können uns des Weiteren phänomenologische Ansätze helfen. Zwar werden derartige Arbeiten häufig mit dem nicht unbegründeten Vorwurf eines latenten und streng handlungstheoretischen „Kulturpessimismus“ konfrontiert, bisweilen gar als „Jammertal der Moderne“ (Düppe 2009: 81 f.) deklariert; nichtsdestotrotz ergeben sich aus ihnen fruchtbare Anstöße zu einer theoretisch fundierten, kultur- und wissenschaftskritischen Marktkritik, die ein Denken in ökonomischen Maßstäben, mithin in Märkten, als umfassende sowie immanente „Lebenswelt“ des Menschen interpretiert (ebd.: 86). Düppe umschreibt in diesem Sinne den Markt als „vergessene Lebenswelt“ (ebd.: 85), wenn Marktkonformität und Wirtschaftssysteme als scheinbar a priori gegebene Strukturen in ihrem Konstruktcharakter nicht hinterfragt werden: „Ohne Markt würden alle anderen Symptome der Moderne ihre Virulenz einbüßen, da sie sonst keine Auswirkung auf die ‚Lebenswelt‘ hätten“ (ebd.: 86). Diese subtile Wirkmächtigkeit erklärt sich aus der „eigenwüchsige[n] Phänomenalität des Markt“ (ebd.: 89), aus seiner „Unsichtbarkeit“ und seinem „Eigenleben“ (ebd.: 92). Düppe konstatiert schließlich, dass sich Menschen durch ein Zugeständnis zur „Barberei des Marktes“ ihrer Freiheit entledigen (ebd.: 118). Denn der Wunsch nach Urbanität, d.h. nach einer als urban-kreativ empfundenen Atmosphäre, korrespondiert als Januskopf subjektiver Bedürfnisse nicht selten mit dem Phänomen der kriselnden, durch kulturelle und vor allem ökonomische Ungleichheiten, räumliche wie soziale Disparitäten, durch Sicherheitskonzepte und Kriminalitätsempfinden segregierten Stadt (Berking 2002: 12). Die Facetten der Kommodifizierung sind vor diesem Hintergrund äußerst vielfältig und speisen sich aus einer Verschränkung von Identität, Ökonomie und Ort. Entsprechende Erschließungsversuche nocturner Markt-Plätze sollen im nächsten Unterkapitel mittels eines Beispiels – der Vorstellung eines konkreten ‚Nachtführers‘ – detaillierter betrachtet werden.

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B) S TEUERUNGSVERSUCHE : V ERORTETE I DENTITÄTEN DER V ERMARKTLICHUNG „In der urbanistischen Literatur besteh[t] […] kaum ein Zweifel darüber, dass die traditionelle europäische Stadt zunehmend als besonderer Ort an Bedeutung verliert“, so Peter Noller (Noller 2002: 88). Dieser Diagnose wage ich zu widersprechen. Europas Großstädte und ihre Nächte sind in der Postmoderne mehr als „ein von ökonomischen Interessen strukturierter Verblendungszusammenhang“ (ebd.), sie sind und bleiben, z.B. durch in Architekturen materialisierend eingelassene Rückgriffe auf ihre eigene Historie, identitätsstiftend. Noller bewertet dies kritisch als „theatralische Inszenierung von Geschichte und Gegenwart“ (ebd.: 90), wenn offenbar bestimmte Bedürfnisse seitens der Bevölkerung – von Architekten, Politikern und Stadtplanern umgesetzt – in konkreten baulichen Maßnahmen zur Steigerung der Identifikation mit dem erlebten Stadtraum kulminieren. Urbane Agencements bieten Orientierung in globalisierten Zeiten, indem ihre Konsumangebote im Zusammenspiel mit den sie beherbergenden Räumlichkeiten ein vertrautes Gefühl der Faszination des Ästhetischen auslösen, hier produzieren sich „globale Welten in greifbarem Kleinformat“ (ebd.), wenn der mondäne Charakter kosmopolitaner Marken, die Filialen bekannter internationaler ‚Ketten‘ und die von Stararchitekten entworfenen physisch-greifbaren Topographien des Konsums realen Charakter annehmen und unmittelbar erlebbar werden. Noller bezeichnet dies als „Gegenpol“ (ebd.), ergo als Ankerpunkt für die Identitätsbildung der Konsumenten, die in postmodernen Zeiten nach Orientierungsmöglichkeiten fahnden. Dennoch bleibt in den Worten Nollers (ebd.: 89) festzuhalten: „Die kulturelle und historische Basis dieser Entwicklung bildet freilich […] die Sphäre der […] Konsumtion“. Noller bezeichnet dies mit Bezug auf Colin Campbell (1987) als „die romantische Ethik des Konsums“ (Noller 2002: 89). Der „rigiden Arbeitswelt“ (ebd.), dem nüchternen Alltag, werden positive, mithin romantisierende, idyllisierende, am Ästhetischen ausgerichtete Emotionen entgegengesetzt, die durch Kon-

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sum ausgelöst werden können – von denen, die über die entsprechenden sozialen, kulturellen und vor allem finanziellen Ressourcen verfügen. Diese Emotionen setzen sich aus verschiedenen Facetten zusammen, die die Identität, das Selbstbild, die Eigenwahrnehmung des Konsumenten durch die erhoffte Wirkung des eigenen Konsums auf die Mitmenschen beeinflussen. Mit der Ausdifferenzierung von Konsumofferten in der Postmoderne (Hopfinger 2011: 1033) geht auch die Pluralisierung von nächtlichen Angeboten einher. Nachtleben ist längst Teil des Freizeit- und Tourismussektors, jener „‚Leitökonomie‘ des 21. Jahrhunderts“ (ebd.: 1023). Mittlerweile gibt es gar konkrete Reiseführer zu großstädtischem Nachtleben, das Differenz und Grenzüberschreitung verspricht. Als Beispiel kann „Schlaflos in Frankfurt. Der Stadtführer durch die Nacht“ von Lieberum (2011) angeführt werden; dieser Nachtführer bietet einen guten Überblick über die facettenreiche Bandbreite der nocturnen Angebotstopographie – auch und besonders jenseits der bekannten Kneipen und Clubs, Theater und Kinos, die man mit Nachtleben gemeinhin als erstes assoziiert. Denn „im Gewirr der Ausgeh- und Feiermöglichkeiten kann man sich leicht verheddern“, wie es im Vorwort heißt (ebd.: 9). Die illuminierte Mainmetropole kommt besonders im Rahmen der alle zwei Jahre stattfindenden ‚Luminale‘ in Form einer „einmalige[n] Mischung aus Kultur, Party und Licht“ im öffentlichen Raum zur Geltung (ebd.: 15). Nicht nur Straßen und Plätze, auch Interieurs diverser Museen werden dabei durch umfangreiche Lichteffekte in Szene gesetzt (ebd.: 15 f.). Sogar Führungen und Kurse in nocturnem „Lightwriting“ für (Hobby)Fotographen werden in diesem Zusammenhang angeboten, die das erleuchtete Mainufer und die Frankfurter Skyline zeigen (ebd.: 16 ff.). Als „unvergessliches ‚Airlebnis‘“ wird ferner das Lichtermeer des Frankfurter Flughafens angepriesen (ebd.: 21). Überdies kann der Nachtgänger abends in Frankfurt bis 22 Uhr im Palmengarten, einer großen Parkanlage, verschiedene Ausstellungen und Konzerte bei romantisch-exotischer Atmosphäre erleben (ebd.: 10 f.).

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Neben dieser ersten Gruppe zu Veranstaltungen rund um Licht und Beleuchtung bei Nacht wird im Nachtführer von Lieberum auch das Thema Kriminalität touristisch aufbereitet und vermarktet. Verschiedene thematische Führungen, Eventfahrten auf „Krimi-Schiffen“ und „mörderische Dinner“ in Form von Dinner-Variétés sind diesbezüglich anzuführen (ebd.: 27 ff.). Für jüngere und sportlich-aktiv Nachtgänger biete sich zudem nächtliches Indoor-Kartfahren, „Mitternachtsbowling“, das „Tuesday Night Skating“, der Besuch von „Bike-Nights“, Kletterhallen und Abenteuerparks an (ebd.: 35 ff.). Etwas ruhiger geht es bei Literaturreisen und Kulturnächten, beim Event „After-WorkShipping“, beim Tretbootfahren auf dem Main, in den Salzheilgrotten oder in der Nachtsauna zu (ebd.: 54 ff.). Wer im Übrigen einen visuellen Überblick über die nächtliche Großstadt und ihre Orte erhaschen möchte, dem empfiehlt Lieberum das abendliche Besteigen des Commerzbank Towers oder des Main Towers (ebd.: 68 ff.). Auch „Geisterwanderungen“ mit speziellen „Gruselführern“ werden offeriert (ebd.: 72 ff.). Kulturelles kann u. a. in vielerlei Museen sowie im Frankfurter Zoo konsumiert werden (ebd.: 79 ff.). Das Senckenberg Naturmuseum, die Volkssternwarte, das Dialogmuseum sowie die „Nacht der Museen“ vereinen einen umfangreichen Pool an nächtlichen Kultur- und Bildungsangeboten (ebd.: 81 ff.). Das ‚Dunkelrestaurant‘ „Taste of Darkness“ wird überdies empfohlen, um den eigenen Geschmacks-, Geruchs- und Tastsinn bei Dunkelheit zu testen (ebd.: 94 ff.). Ferner sollten (natur)wissenschaftlich Interessierte nach Lieberum an der „Nacht der Wissenschaft“ auf dem Universitätscampus Riedberg teilnehmen (ebd.: 97 ff.). Feiern rund um den Main biete überdies das Museumsuferfest, ein europaweit bekanntes Kulturfestival, sowie das Mainfest (ebd.: 99 ff.). Schließlich offeriert die Frankfurter Nacht Open-AirKino sowie Führungen durch Frankfurts Unterwelt mit dem Nachtwächter (ebd.: 105 ff.). In der Betrachtung dieses Nachtführers wird insbesondere deutlich: Die Nacht und alle in und mit ihr verwobenen Konsumangebote reichen mittlerweile vom Abend – über die eigentliche Nacht – bis in die

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Morgenstunden hinein. „Wer am frühen Morgen noch nicht nach Hause möchte oder ohnehin Frühaufsteher ist, kann sich in NiederEschbach mit dem Marktleiter des Frischezentrums treffen“, empfiehlt Lieberum (ebd.: 114). Die anderthalbstündige Führung verspreche exotische Genüsse in der neuen Großmarkthalle (ebd.: 114 f.). Des Weiteren fällt auf: Nacht-Orte, die hier produziert und vermarktlicht werden, die in der als Ratgeber bzw. Reiseführer – also als materiell greifbarer, aber zugleich imaginierte Geographien auslösender Text – verpackten Anleitung, welche wiederum ökonomische Praktiken auslösen soll, ihren Ausdruck finden, sind äußerst heterogen und appellieren an die Vorstellungskraft der potenziellen Konsumenten. Letztere Facette wird im folgenden Absatz deutlicher. Denn zum Schluss erwähnt Lieberum die Führung „Bahnhofsviertel – Frankfurter Rotlicht, Lifestyle & Orient“ und schürt dabei Faszination und Schrecken der Nacht (ebd.: 118): „Das Frankfurter Bahnhofsviertel genießt seinen düsteren Ruf und leidet zugleich an ihm. Kein anderer Stadtteil ist so gegensätzlich wie das Gebiet rund um den Hauptbahnhof. Zwischen Prostitution, Banken, Drogengeschäften und schicken Restaurants finden Sie hier die schillernden und abgründigen Facetten Frankfurts vereint. Schauen Sie bei einer Führung durch das Bahnhofsviertel einmal durch das Schlüsselloch der Tabu-Zone und erleben Sie eine spannende Führung, die Ihnen das Kiez-Gefühl des Bahnhofs hautnah vermittelt. […] Erleben Sie eine Führung der Kontraste, vorbei an Designerhotels, einschlägigen Etablissements, Souvenir-Shops und dem Frankfurter Hammermuseum“ (ebd.: 116 f.).

Der Nachtführer von Lieberum schließt sodann mit einigen Hinweisen und Serviceadressen (ebd.: 119 f.), die für das Funktionieren von Ökonomien der Nacht überaus wichtig sind. So werden ein Nacht-

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Lieferservice („Getränke und Spirituosen, kleine Essen und Snacks, Eiswürfel, Kondome, Toilettenpapier, Rauchzubehör“, ebd.: 119), verschiedene Einkaufsmöglichkeiten bei Nacht, nächtliche Imbissanbieter sowie 24h-Tankstellen, das Katastrophenwarnsystem der Stadt Frankfurt, Möglichkeiten des Erwerbs von „Einweg-Ballerinas aus dem Automaten bei schmerzenden, durchtanzten Füßen“ sowie ein „mobiler Masseur“ genannt (ebd.: 119 f.). In all diesen an Orten festgemachten, durch Orte ausgedrückten und Orte (re)produzierenden Konsumangeboten spiegelt sich die „Pluralisierung der Lebensstile“ (Hopfinger 2011: 1039), der Identitäten und des Sich-Selbst-Definierens durch Konsum – einer Entwicklung, der durch ein derart ausgefeiltes Konsumangebot Rechnung getragen wird, dass sie möglicherweise eben durch die Bereitstellung und diskursive Verbreitung dieser zahlreichen Offerten für die Sinne, die Selbstvergewisserung und die eigene Identiät des (potenziellen) Konsumenten erst produziert wird. In jedem Fall sind nächtliche Vergnügungstopographien längst Standortfaktor und Tourismusdestination; sie werden auch über solche Nachtführer und mediale Diskurse (re)produziert (mit Bezug zu Schwegmann 2011, 2012). Im Zuge solcher Vermarktlichungen werden Orte zunehmend wichtiger. Berking etwa betitelt ein von ihm herausgegebenes Werk mit „Die Macht des Lokalen in einer Welt ohne Grenzen“ (Berking 2006a). Wenn zudem „Globalisierung als imaginäre Geografie“ (ebd.: 23 ff.) zu verstehen ist, werden imaginierte Orte, d.h. Bilder von ihnen, die sich aus verschiedensten Diskursen, Vorstellungen, Erwartungen, Identitäten und weiteren Konstruktionsprozessen generieren, zu einer wichtigen Währung im globalen Wetteifern um Aufmerksamkeit. Dabei nehmen die verschiedensten ‚Nachtmacher‘, insbesondere Standortmarketing und Stadtplanung, aber auch Autoren wie Lieberum, in Verbindung mit medialen Inszenierungen eine zentrale Rolle ein – allerdings immer im Dialog mit den Erwartungen der potenziellen Konsumenten, wie Ipsen beschreibt: „Die unternehmende Region steuert nicht zielgerichtet die Förderung der Wirtschaft, der Kultur, der Ökologie an. Sie folgt den vorhandenen Interessen, reichert sie durch Dia-

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loge an und verknüpft sie Schritt für Schritt zu einer neuen Wirklichkeit und neuen Bildern“ (Ipsen 2006: 146). Wie bereits in Kapitel 2 c (‚Nacht als Ort‘) angerissen, strukturieren Orte ferner nächtliche Ökonomien, wenn sie als Bedeutungsträger zu imaginierten und erlebbaren Schauplätzen der Vergnügungstopographie avancieren. Identitäten werden verortet und verorten sich gleichsam in Prozessen der Vermarktlichung. Gleichzeitig werden Orte wiederum durch Erwartungen, Bilder und Diskurse strukturiert. Diese (Re)Produktionsprozesse des Nächtlichen finden dabei in Form subjektiver Konstruktionen statt, die durch Diskurse, Akteure, materielle Infrastrukturen und smarte, digitale Technologien entlang polysemer Machtasymmetrien influenziert, modifiziert oder verfestigt werden. Die identitätsstiftende Funktion nächtlichen Konsums kondensiert dabei nicht selten in konkreten Orten der Nacht, z.B. in Kneipen, Clubs, Diskotheken, Szenevierteln, auf ‚Public Viewing‘-Szenerien als Katalysatoren sportlicher Großereignisse, auf Festivals, Straßen- und Volksfesten sowie auf vielen weiteren ‚Markt-Plätzen‘. Wie Ipsen betont hat, könnten durch Orte „Identifikationsangebote entstehen“ (ebd.: 65); er spricht zudem von einer ökonomisch motivierten „Renaissance besonderer Orte“ im Zeitalter des zunehmenden Wettbewerbs und der gesteigerten Konkurrenz zwischen Metropolen, um Städten ein ästhetisches „‚Gesicht‘“ zu geben, ihnen ein Image zu verpassen, das Konsumentscheidungen auslöse, begünstige und/oder forciere (ebd.: 62). Im Zuge dessen würden neue Ortsbilder geschaffen oder auch alte modifiziert und reproduziert (ebd.). Allerdings werde nur oberflächlich „das Besondere“, „Eigensinnige“ von Orten hervorgehoben: Eigentlich werde lediglich „Spektakuläre[s]“ geschaffen, das etwas Besonderes suggerieren, repräsentieren und produzieren soll (ebd.). Der boomende (Städte)Tourismus stehe vor diesem Hintergrund für „Sehnsucht und Bedarf nach Orten“ (ebd.). Dabei müssten diese Bilder von Orten, jene Ortsidentitäten, ständig in der Auseinandersetzung mit ihnen reproduziert werden (ebd.). Imaginierte Ökonomien von Nightscapes ergeben sich in diesem Kontext aus der ständigen Neuverhandlung der Identitäten von Anbietern und Konsumenten, die sich in postmodernen Zeiten

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nicht selten in einer Person vereinen und in der (Re)Produktion von vermarktlichten Orten kulminieren. Die Qualifizierung von Produkten ist dabei eng an die Wirkweise von Soziotechnologien geknüpft. Callon et al. (2002) sprechen von „reflexiven Märkten“ und „economies of qualities“, die Angebot und Nachfrage steuern sowie in der Verwebung von einerseits kognitiven Fähigkeiten, Prozessen wie Erwartungen der potenziellen Konsumenten und andererseits vielfältigen, technisch erzeugten oder verstärkten Deutungsangeboten münden. Zwischen den Erwartungen der Nachtgänger und verschiedenen mehr oder minder gezielt bereitgestellten oder gar inszenierten Deutungsangeboten, ergo im Hotspot der Verwerfung von Steuerungsversuchen (der auf Orte projizierbaren Faszination) und den Interessen der möglichen Kundschaft, divergiert demnach der (Re)Produktionsprozess nächtlicher Ökonomie und kondensiert nicht zuletzt auch in „poetische[n] Orte[n]“ (Ipsen 2006: 135). Ein konkretes Beispiel für die Verschränkung von Identität, Ort und Ökonomie, die verorteten Identitäten der Vermarktlichung, findet sich im Zusammenspiel mit ‚Kultur‘ in der zunehmenden Ästhetisierung urbaner Topographien, die auch nächtliche Panoramen mit einschließt.

C) V ERMARKTLICHUNG DURCH ÄSTHETISIERUNG : Z WISCHEN K ULTUR UND Ö KONOMIE Auf die Verzahnung von Kulturalisierung und Ökonomisierung als zwei dem Nächtlichen inhärente Prozesse (nach Schwegmann 2012) gehe ich im Folgenden ein. Diese Symbiose spiegelt sich in der postmodernen Nacht vor allem in der zunehmenden Ästhetisierung und Symbolisierung des Städtischen: „Ästhetisierung heißt, dass in kommerziellen und öffentlichen Räumen der Städte das Schöne und Gestylte vordringt, hyper-ästhetische Erlebnis- und Unterhaltungsräume entstehen und soziale Beziehungen über

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Formen ästhetischer Selbstdarstellung und die Inszenierung der Lebensstile wahrgenommen werden. […] Räume werden kulissenhafter, sie müssen für Inszenierungen und Simulationen geeignet sein, ihre Funktion wird von einer Welt der Zeichen bestimmt und sie nehmen einen hyperrealen Charakter an, sodass es nun überall zu finden ist“ (Noller 2002: 71).

Städte, und mit ihnen ihre Nächte, werden im neoliberal-postmodernen Zeitalter personifiziert: Sie werden auf ein bestimmtes Ziel hin – ihre Attraktivität soll erhöht werden – im Fitnessstudio des StadtMarketings ‚gestylt‘, der städtische ‚Body‘ wird ‚geshapt‘, um so ein bestimmtes Image in der „economy of prestige“ (English 2005) zu erzeugen oder zu stabilisieren, um Attraktivität zu ‚ver-körpern‘. Dabei wird die Ästhetisierung von Nacht nicht nur durch die geschickte Inszenierung von baulicher Umwelt und Architekturen mittels Licht und Lauten, Gerüchen und Geschmäckern erreicht – Noller verweist in diesem Sinne auf die Rolle von bestimmten Eliten, die als Ökonomisierer auftreten: „Den Spezialisten des städtischen Raumes (Raumplaner, Architekten, Designer, Beauftragte für Stadtmarketing) kommt damit bei der Gestaltung der Stadt […] eine zunehmend wichtigere Funktion zu. Mit ihren normativ-kulturellen Produkten, ihrer sozialen Macht, die sie als Kulturproduzenten inne haben, sowie vermittels ihrer herausragenden Funktion bei der Strukturierung der kulturellen Konsumtion prägen diese Spezialisten des urbanen Raumes sowohl die materielle Struktur einer Stadt wie auch die symbolischen Repräsentationen des städtischen Raums“ (Noller 2002: 71).

Doch auch Türsteher, private Sicherheitsdienste (Lyrhammer 2003: 93 f.), Kameras etc. sorgen dafür, dass öffentliche und halb-öffentliche

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Räume stark reglementiert, reguliert, regularisiert und insbesondere ‚hygienisiert‘ werden (Mümken 1997: 31 ff.): Nur bestimmte Nachtgänger werden akzeptiert, um ein ‚schönes‘ Bild von Nacht abzugeben, um Nacht zu ‚labeln‘ und ihr ein (einzigartiges?) Gesicht zu geben, um letztlich Konsumentscheidungen zu begünstigen. Peter Noller hält diesbezüglich fest: „Die symbolische Ökonomie einer Stadt geht […] aus dem Zusammenspiel von Kapitalinvestitionen einerseits und kultureller Bedeutungsgebung durch Image produzierende soziale Praktiken andererseits hervor“ (Noller 2002: 72). Dabei geht er allerdings nicht näher auf die Rolle der Konsumenten ein: Welche Funktion bekleiden sie im profitorientierten Spiel der bzw. um die Nacht? Welche Handlungsspielräume lassen ihnen die durch Ökonomie vermittelte Nachtsymbolik, die Ikonographien polysemer (Be)Deutungsreservoirs, die baulichen Architekturen und sozio-ökonomischen Praktiken ihrer Mitmenschen? Inwiefern treffen möglicherweise lediglich ihre Wahrnehmungen und Wünsche – die eventuell wiederum durch geschicktes Marketing, mediale Inszenierung etc. manipuliert und konstruiert wurden – auf Deutungsangebote der Anbieter von Nacht(leben)? Diese Fragen sollen an dieser Stelle sowie in den folgenden Kapiteln detaillierter betrachtet werden. Das Verhältnis von Kultur und Ökonomie – traditionell ob der Gewohnheit des menschlichen und so auch des wissenschaftlichen Denkens, in Dualismen zu denken, als in binärer Opposition stehend aufgefasst worden – wird zunehmend komplexer gesehen, kurzum: als hybrid (Barnes 2005). Bereits in „The Millennium Challenge: Making the transition from an ‘Economic Age’ to a ‘Cultural Age’“ (Schafer 1998) wurde bereits die steigende Bedeutung von ‚Kultur’ und emotionalem, an bedeutungstragenden, interpretierbaren Zeichen festgemachten Konsum im 21. Jahrhundert prophezeit. Und tatsächlich, längst lässt sich festhalten: Die Grenzen zwischen Kultur und Ökonomie sind in postmodernen Zeiten fluid-permeabel – Ökonomie ist stark kulturalisiert, Kultur stark ökonomisiert. Dass Kultur und Ökonomie kaum noch zu unterscheiden sind, betonte beispielsweise Sayer mit Blick auf postmoderne Konsumformen, mit Blick auf kulturelle bzw. kulturali-

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sierte Identitäten, mit Blick auf die identitätsstiftende Kraft von mit ‚Kultur‘ aufgeladenen Konsumgütern. Er konstatiert eine „stylization of life“ (Sayer 2008: 65), die sich aus der „dialectic of culture and economy“ (Sayer 2008) speise und die insbesondere im Konsum zu erkennen sei, wobei dieser nicht nur als passives Konsumieren, als eine durch äußere Werbe-, Marketing- und Vermarktlichungsstrategien verleitete Praxis, sondern auch als aktive Identitätsarbeit im Zuge einer latenten Identifikationssehnsucht der potenziellen Konsumenten beschrieben werden müsse: „Consumption or reception of cultural ‘products’ can be active and creative rather than passive, social rather than individual“ (ebd.: 60). Als fester, unverrückbarer Fixpunkt, als normative Vorgabe erscheint in diesem unhinterfragten Moment die einzige Sicherheit in einer ansonsten unsicheren, hybrid konstruierten, hyperpluralen Welt, deren schnelllebige Hürdenläufe im hypnotischen Hype hysterisch hyperventilieren. Die verschiedenen, oben erwähnten Ökonomisierertypen treffen im Zuge dessen auf die Bedürfnisse der Bewohner und Besucher, sprich: der potenziellen Konsumenten der Großstadtnacht, deren Wunsch nach Atmosphäre, Lebensstil und Ansprechung ihrer Sinne ‚nur‘ gefolgt werden muss. Das einseitige, negative Bild vom Konsumenten als verführtem Opfer kann demnach so vereinfacht nicht gelten. Denn „Commodification allows products with strong cultural identities and content to break out of their originating cultural contexts“ (Sayer 2008: 61). Beispielhaft zeigt sich dies in der Wirkung von Marken bzw. in der Werbung und Ver-Marktung, wenn mit ‚Kultur‘ aufgeladene Zeichen Produkte ‚labeln‘ und ökonomische Wirkung im Konsum entfalten (siehe z.B. O’Reilly 2005). Nichtsdestotrotz stellt Appadurai in diesem Kontext eine Transformation der Konsumenten fest: „As for the fetishism of the consumer, I mean to indicate here that the consumer has been transformed, through commodity flows (and the mediascapes, especially of advertising, that accompany them) into a sign, both in Baudrillard’s sense of a simulacrum

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which only asymptotically approaches the form of a real social agent; and in the sense of a mask for the real seat of agency, which is not the consumer but the producer and the many forces that constitute production. Global advertising is the key technology for the worldwide dissemination of a plethora of creative, and culturally well chosen, ideas of consumer agency. These images of agency are increasingly distortions of a world of merchandising so subtle that the consumer is consistently helped to believe that he or she is an actor, where in fact he or she is at best a chooser“ (Appadurai 2008: 46).

Konsumenten fühlen sich in diesem Sinne als frei in ihren Entscheidungen, avancieren aber letztlich bereits durch vielerlei diskursive Aufladungen und semantisch-digitale Belegungen weitgehend unbemerkt und unbewusst zu kommodifizierten Teilen der ästhetischen, sinngebenden Ökonomie, zu vermarktlichten Hybriden aus Kultur und Ökonomie. Diese Verquickung und die mit ihr einhergehende Ästhetisierung lässt sich insbesondere in nächtlichen Ökonomien der Kulturund Kreativwirtschaft identifizieren, denn „in den aktuellen Diskursen werden Kreativität, aber auch Kunst und Kultur als wichtige Faktoren im Zuge des Übergangs zur wissensbasierten Ökonomie herausgestellt“ (Mossig 2011: 977). Deren sich in die Nacht erstreckende Panoramen – z.B. die Musikwirtschaft, aber auch mehr oder minder direkt die Design- und Softwarebranche – wird eine zentrale Rolle im (Re)Produktionsprozess ästhetisierter Räume und Orte und insbesondere für das Standortmarketing zugewiesen; sie entfalten für (inszenierten) Lifestyle und (angebliche?) Lebensqualität in der postmodernen Stadt große Relevanz (nach Schwegmann 2012: 36 ff.). Nacht-Orte nehmen in diesem Umfeld vermarktlichter Urbanität Schlüsselpositionen ein. ‚Coole‘ Destinationen wie angesagte Bars, Restaurants, Szeneläden und -clubs, Flaniermeilen und Boulevards, inszenierte Hafen-, Fluss-, Strand- oder Seepanoramen, doch auch ‚krea-

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tive‘ Stadtviertel der Bohème unterliegen also einer ökonomisch motivierten Kulturalisierung und Hygienisierung, deren Endprodukt in einer smarten, ästhetischen, faszinierenden, aber immer sicheren, geschützten, konsumfreundlichen nächtlichen Massenheterotopie gipfelt, die sich nicht nur aus geschönter materieller Umwelt, sondern ebenso aus gestylten, mitunter gar erotisierten sowie zugleich die Nacht und deren Orte erotisierenden Bodyscapes zusammensetzt. In diesem Schmelztigel der Faszination entstehen die nächtlichen Markt-Plätze, deren konsumierbare Oberflächen in ihrem performativen Charakter Hochglanzlandschaften bilden. Um dem Wunsch der Nachtgänger nach empfundener Individualität, Kreativität, Unterhaltung und kosmopolitanem Flair zu begegnen (mit Bezug zu Burgess 2010: 125, Crouch 2010), werden letztlich aus dem Zusammenspiel von Mensch und Materie umfassende Angebote zur Selbstinszenierung geschaffen, die durch visuelle Reize und imaginative Sehnsuchtsorte expressiven, demonstrativen Konsum (nach Veblen 2007: 51 ff.) ermöglichen. Nichtsdestoweniger verkörpert die Ästhetisierung nur einen Prozess der Transformation des Nächtlichen in der Postmoderne. Auch das Böse, Schwarze, Gefährliche, Dunkle, auch Gewalt- und Drogenexzesse gehören zu ihr – und nicht immer in ästhetisierter, ökonomisch nutzbarer sowie die Nachtgänger aufwertender, sondern durchaus auch in bedrohlicher und gar zerstörerischer Form. Und nicht zuletzt oszillieren zwischen den Extremen Faszination und Schrecken auch all jene allnächtlichen Banalitäten einer unspektakulären Arbeitswelt im Nachtschichtmodus, fernab von Zerstreuungsszenarien und Konsumfreuden.

5 Tat-Orte

A) H INFÜHRUNG : G LEITENDE G EOGRAPHIEN DER V ER ( UN ) SICHERHEITLICHUNG Mit dem Begriff der „Tat-Orte“ konsultiere ich ein Konzept von Stefan Ouma (2013). Ouma meint zunächst relativ neutral und allgemein mit Tat-Orten die „Praxisorte“, d.h. Orte des Tuns, des Machens, des Gemachten als auch ‚gemachte‘, d.h. hergestellte Orte. Zugegebenermaßen: Dies erfolgt, wie sich in seiner Spezifizierung herausstellt, aus einer dezidiert kritischen Perspektive – es geht um die Ökonomisierungs-, Finanzialisierungs- und Kommodifizierungspraktiken, die Orte herstellen und die an Orten erfolgen. Über diesen Ansatz möchte ich aber noch hinausgehen, indem ich Tat-Orte zusätzlich auch in der sozio-semantischen Konnotation des allgemeinen Sprachgebrauchs lese: Tatorte im herkömmlichen Verständnis sind Orte, an denen sozial konstruierte Taten, d.h. immer negativ konnotierte und bewertete Praktiken – Pragmatismen wie sonstige performative Prismen –stattfinden und diese Orte erzeugen. Sie speisen sich demnach in ihrer Bedeutung aus dem Gerechtigkeitsempfinden von Einzelnen oder Gruppen und aus der rechtlichen Lage, d.h. aus kodifiziertem oder Gewohnheitsrecht. Tat-Orte avancieren zu diesen durch die Zuschreibung von als negativ bewerteten Praktiken im Sinne von Straf-Taten, die an ihnen stattfinden (könnten): Alkoholkonsum, Drogenmissbrauch, Prostitution und Vergewaltigung sowie viele

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weitere Aufladungen, die dem jeweiligen bürgerlichen Konsens oder auch nur den Wertevorstellungen und spezifischen Interessen von Einzelnen widerstreben. Als ‚Angst-Orte‘, ‚Problem-‘ und ‚Protest-Plätze‘ prägen sie Bilder des Nächtlichen ganz entscheidend. Im Sinne der Tat-Orte möchte ich ergo den Herstellungspraktiken sowie den Diskursen der gleitenden Ver(un)sicherheitlichung nächtlicher Ökonomien folgen. Wie in meinen einleitenden Worten zu Beginn dieser Arbeit verdeutlicht, sollen diese Praktiken und Diskurse unter einem weit gefassten Diskursbegriff im Reproduktionsspektrum des Nächtlichen subsumiert werden. Mit ‚gleitend‘ meine ich die subtile, smarte Überwachung und Machtausübung innerhalb städtischer Agencements. Im nocturnen Panoptikum werden Sicherheit und Überwachung groß geschrieben. Durch Diskurse über (angebliche) Kriminalität und sonstige soziale wie moralische Verwerfungen werden allerdings Nightscapes der Verunsicherheitlichung erzeugt, die gleichzitig nach Kontrolle und Versicherheitlichung verlangen. In diesem Spannungsfeld lassen sich vielerlei Facetten identifizieren: Zwischen Pragmatismus und Perversion, zwischen Prostitution und Profit, zwischen Performanz und Prominenz verflechten sich etwa die Kabinettstückchen kosmopolitaner Großstadtcowboys zu Konglomeraten komischchaotischen Kompotts. Die soziale Entwertung stählernder Distinktionsprozesse weicht in den Kaschemmen und Kneipen des metropolitanen Flairs, d.h. des in Spiel und Suff vermuteten Erlebens, auf, ohne je obsolet zu werden. Der hieraus entstehende Humus ist idealer Nährboden für finsteren Vergleich, verquirlt er doch zunehmend in den gleitenden Geographien des Konsums und verdichtet sich in Anbetracht ebendessen zu wirkmächtigen Symbolreservoirs aus feurigem Kommerz. Phönix-gleich entstehen dabei phantasievolle Phalanxen photogener Pharaos: Performative Percussions-Synapsen verspielen sich in den Symphonien des Nächtlichen und verkommen in eigens inszenierten Theatern zu Statisten, die den Dirigenten apokalyptischer Orchester als Kulisse dienen und gespannt Spalier stehen müssen. Diese Prozesse können bizarre Ausmaße annehmen, wenn perfide Panoramen plastischer Paranoia

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und demonstratives Geltungsstreben mit einander korrespondieren, wenn Ökonomie Kannibalismus betreibt, indem um Deutungshoheit und Machtausübung konkurrierende Nachtgänger in der eigenen Transformation zu in Wert gesetzten Spielbällen krachender Kommodizierungsprozesse im Sein des Scheins verlustig gehen. Die okkulten Riten der zu „Schamanen“ (Kohtes 1994: 141 ff.) avancierenden Kneipiers versprühen einen Zauber, der in der Erwartungshaltung der Nachtkonsumenten sowie in den hierauf eingehenden Praktiken ebenjener Medizinmänner diametral divergiert. Im Moment des größtmöglichen Rausches, im Nirwana aus Trance und Theatralik, arrondieren die Nachtgänger ihren Zenit; die geronnenen Ökonomien der Nacht verblassen in den letzten Impulsen einer aufflackernden Vergnügungsszenerie. Wenn der verheißungsvolle Vorhang feudalen Verderbens fällt, hat das nächtliche Konsumkatapult seine letzte Salve verschossen: Das kryptische Zinnober verdampft am benetzten Docht der Dämmerung. Diese kontaminierten Topographien nächtlicher Märkte können bestialische Ausmaße annehmen, sobald die diabolischen Kräfte der besonders machtvollen Diskursteilnehmer ihre volle Wirkung entfalten. Denn der Karabiner des Konsums sichert den Einen, verschließt sich aber dem Anderen. Nächtliche Ökonomien wirken exklusiv, verlangen entsprechendes sozio-kulturelles wie ökonomisches Potenzial, um ‚party-zipieren‘ zu können. Nächtlicher Raum ist ein sozialer Raum der Beziehungen zwischen Menschen (vgl. Massey 1991: 28). Dabei hängt die jeweilige Macht und Position des oder der Einzelnen von seinem/ihrem kulturellen, sozialen, ökonomischen und symbolischen Kapital ab (Schwegmann 2011: 12, mit Bezug zu Bourdieu 2008). Thurlow und Jaworski (2012: 487) sprechen von „symbolic production of elite status, distinction and privilege“ in den „semiotic economies“. Auch Noller erkannte die sozialen Verwerfungen in der Ökonomisierung des Städtischen: „Die postmodernen innerstädtischen Räume stellen […] nicht nur die Unterordnung von städtischer Kultur und Räumen unter das Diktat der Ökonomie dar, son-

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dern sie enthalten auch Arenen für die Schöpfung offener Zonen und von marginalisierten Rändern, wo sich Menschen in der Stadt bewegen und im urbanen Raum verorten. Gerade in Übergangszonen, die den Ein- und Austritt in unterschiedliche städtische Räume markieren, findet der Kontakt gegensätzlicher Moralitäten statt, werden die Hauptkonflikte der Stadt sichtbar: Luxuskonsum und exklusive Räume einerseits, Drogenkonsum und die ‚invisible houses‘ der Obdachlosen und die Territorien der Asylsuchenden und von Jugendgruppen etc. andererseits. Orte also, die soziale Brennpunkte darstellen und wo Anomie im öffentlichen Raum sichtbar wird“ (Noller 2002: 91).

Konsumräume am Tag werden auf „Sicherheit, Sauberkeit und Kontrolle“ (ebd.: 84) hin hygienisiert (nach Mümken 1997: 31 ff.). Nächtliche Räume dagegen leben noch stärker von der Kommunikation, während städtische und private Kontrollinstanzen versuchen, nocturne Unsicherheit zu minimieren – ohne die gleichen Einflussmöglichkeiten wie tagsüber zu haben. Dadurch wird Nacht zu einem „Markt-Platz“, der nicht nur „von den Verpflichtungen des Alltags [befreit]“, sondern auch durch die relative Abwesenheit öffentlicher wie privater Kontrollen geprägt ist (Noller 2002: 84). Nachtgänger befinden sich in einem gefühlten judikativem Vakuum, wortwörtlich in einem Schatten. Gleichwohl werden sie überwacht (z.B. durch Überwachungskameras, Sicherheitsdienste, durch die Begleitung oder sonstige soziale Gruppen etc.), nur wird dies eben oftmals weniger stark wahrgenommen als am Tage – gerade diese scheinbare Abwesenheit von normierenden Kontrollinstanzen macht den Reiz der Nacht aus. Durch laute Musik, Dunkelheit, Drogen und grelles, ungewohntes Licht wird Konsum letztlich weniger bewusst – und gleichzeitig intensiver, weil „mit Zerstreuung und Spaß“ (ebd.: 85) verbunden – wahrgenommen. Nächtliche Formen der Ökonomie wirken subtil, sind verschleiert.

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Soziale Unterschiede werden nachts zwar nicht gänzlich aufgehoben, da sich das jeweilige Klientel in den unterschiedlichen Clubs oftmals unterscheidet und auch nicht jede(r) überall vom Türsteher zu-, hinein- oder durchgelassen wird. Dennoch sind Formen der Grenzüberschreitung nachts leichter zu realisieren, da zum Beispiel die Straße als Ort der Zusammenkunft zu einem Raum aller Schichten und Zugehörigkeiten avanciert – zumindest innerhalb der innerstädtischen Konsumräume, in Kneipenvierteln etc., während tagsüber hier möglicherweise nur bestimmtes Volk verkehrt, eben je nach sozialem Status des Viertels. Andere Orte dagegen, z.B. Villenviertel der Oberschicht, die normalerweise keine öffentlichen oder halb-öffentlichen Clubs beherbergen, sondern eher privaten Feiern Raum bieten, erscheinen auch nachts nicht als demokratisiert, als Ort aller sozialen Gruppen. Mit Bezug auf Zukins „Landscapes of Power“ (1991) deutet Peter Noller insbesondere innerstädtische Konsumräume als „soziale Landschaften“ (Noller 2002: 72), die in ihrer vermarktlichten Form exklusiven Charakter annehmen können, wenn sie auch in sozialer Hinsicht ästhetisiert werden (sollen): „Demonstrativer Konsum […], die Nutzung einer Vielzahl kommerzieller Dienstleistungen […] und eine verstärkte Hinwendung zu erlebnisintensiven Konsumtionsmustern formen sich zu einer sozialen Ästhetik, die den Zirkulationsprozess zwischen ökonomischem und kulturellem Kapital aufs Neue antreibt. Zunehmend verwandelt sich die Inner-City in einen ‚gehobenen‘ Konsumtionsraum“ (ebd.: 75).

Hinter diesem fragwürdigen Prozess, den wie erwähnt Noller euphemisierend mit dem Begriff ‚Ästhetisierung‘ belegt, verstecken sich dabei vielerlei soziale Distinktionsprozesse und die hiermit einhergehende Etablierung von Ungleichheiten. Ferner kann – weiter mit Noller – festgehalten werden: „Es entstehen fließend ineinander übergehende Konsumtionsräume für kommer-

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zielle und nicht-marktförmige Aktivitäten, die die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit, Kultur und Ökonomie zusehends verwischen“ (ebd.). Tägliche „Sicherheitszonen“ (ebd.: 76) werden nachts in ihrer Ausdehnung und qualitativen Strenge (scheinbar?) zurückgefahren, Kontrollinstanzen verlassen das Feld, andere dagegen (nächtliche Sicherheitsdienste, Alarmanlagen, Überwachungskameras) werden jetzt erst aktiviert, um den imaginierten Geographien der Dunkelheit die Unberechenbarkeit zu nehmen. Die durch Architektur materiell und durch Geowebdienste digital vermittelten, diametral verhandelten Machtasymmetrien sind so auch nachts erfahrbar (ebd.: 77). Dabei mahlen die Mühlen der Macht meist mittelprächtig: Nachtleben wird durch diskursive Verbindungen nicht selten als Risiko empfunden, z.B. durch Diskurse über physische und sexuelle Gewalt bei Nacht. Nächtgänger werden damit mehr oder minder unfreiwillig zu Managern dieses Risikos, wenn sie dieses kalkulieren (müssen) (mit Bezug zu Kavanaugh & Anderson 2009). Im Zuge der allgemeinen Ver(un)sicherheitlichung des Nächtlichen bilden sich – wie bereits erwähnt – Problem-Plätze und Angst-Orte sowie Protest-Plätze. Diese dissonanten, atonalen Topographien unserer süffisant-‚sym-phonetischen‘ Serenade sollen im Folgenden näher vorgestellt werden.

B) P ROBLEM -P LÄTZE UND ANGST -O RTE : P ANOPTIKUM AUS P ROSTITUTION UND P ROFIT Die problematische Dimension, die Nacht mitunter zugeschrieben wird, erschöpft sich in verschiedensten Facetten und schafft durch diskursive Praktiken wie Performanzen multiple Tat-Orte. Als Beispiel für ein dem Nächtlichen (scheinbar?) inhärentes Phänomen kann die Prostitution als etwas in sozialer und moralischer Hinsicht Verwerfliches erwähnt werden, das sich mehr oder minder in eigens dafür konzipierten Gegenorten (Bordellen) ballt, um dieses Problem von der Straße – und somit aus dem direkten Blickfeld der Öffentlichkeit – zu

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verbannen und im begrenzten Ort der Unsichtbarkeit hinter den lieblich leuchtenden oder verheißungsvoll flackernden Fassaden der einschlägigen Kulissen kontrollieren zu können (siehe z.B. Gaissad 2005, Lindquist 2010, Sasajima 2013, Schwegmann 2011: 24 ff.). Solche in Wert gesetzten Emotionen werden auf dem neokapitalistischen Wochenmarkt der Nacht verramscht. Denn selbst der Schrecken kann eine Faszination in sich bergen, wie im von Quack und Steinecke herausgegebenen Sammelband „Dark Tourism“ (2012) nachzulesen. Die aus ökonomischen Interessen heraus erfolgende Emotionalisierung lässt sich bereits an der Sexualisierung des Nächtlichen und seiner Orte, anhand der “transnational sexscape“ (Veissière 2011: 100) und ihres aphrodisierenden Antlitzes nachverfolgen. In der Nacht kann „desire as a driving force“ (ebd.: 70) innerhalb der „Economy of Passions“ (Amin & Thrift (Hrsg.) 2004: 327 ff.) aufgefasst werden – Erwartungen und Interessen der Nachtgänger treffen im nächtlichen Gegenraum auf umfassende Reizpunkte, die Faszination schüren und Bedürfnisse verstärken können, zumindest aber Reaktionen auslösen. Die mit den Emotionen der potenziellen Kunden korrespondierende Stadtlandschaft, die sich ergo nicht nur aus Materialität, sondern ebenso aus polyphonen Soundscapes, diffusen Geruchswelten (‚Smellscapes‘), den (Ver)Kleidungen der Mitmenschen, ihren Äußerungen und Praktiken sowie aus dem Zusammenspiel von Licht und Schatten speist, ist ergo mehr als nur bloße Inszenierung und gezielte Verlockung, um Kaufreize auszulösen. Sie ist Abbild einer nocturnen Ökonomie, die nur dann entstehen kann, wenn bestimmte Erwartungen von Seiten der Nachtgänger auf Deutungsangebote unterschiedlichster Art treffen können. Diese Deutungsangebote entstehen zum großen Teil zufällig, werden erst durch die Wünsche und Gedanken der Nachtkonsumenten mit Sinn aufgeladen. Zwar zielen spezifische Arrangements baulicher Umwelt, Beleuchtung und Musik auf die ökonomische Verwertbarkeit und somit auf eine bestimmte Wirkung ab: Die vorbeigehenden Menschen sollen zum Konsum angeregt werden. Nichtsdestotrotz bilden sich eine Reihe von zufälligen Hybriden, beispielsweise von nicht-

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intentionalen Begegnungen der gezielt inszenierten Architektur mit den sich dort zu einem bestimmten Zeitpunkt aufhaltenden Menschen, deren Gespräche, Gerüche und z.B. durch ihre Kleidung ausgelöste Erscheinungsweise auf andere Nachtgänger, aber auch auf sie selbst in einer Art und Weise wirkt, die so nicht vorhersehbar ist. Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Wenn sich etwa eine Gruppe Obdachloser vor einer angesagten Clubszenerie aufhält, wirkt deren Erscheinung vor diesem ästhetisierten und ästhetisierenden MarktPlatz, dessen stilvolle Außenfassade, dessen glühende Girlanden und die aus der Diskothek dringenden Geräusche – Musik, johlende Stimmen – sowie Gerüche – Alkohol, Parfum etc. – die Faszination und diskursiv geschaffene Exklusivität dieses Ortes intensivieren, möglicherweise reichlich deplaziert auf die konsumfreudigen, eventuell wohlhabenderen, potenziellen Kunden und Interessenten, die gerade vorbeikommen. Anstatt – wie ursprünglich angedacht – einzutreten, könnten sich diese nun dazu entscheiden, weiter zu gehen und eine Alternative anzusteuern. Der eigentlichen kapitalistischen Logik der ‚Konsum-Kathedrale‘ (siehe auch Kapitel 8 b) zum Trotze findet in dieser Situation also eine Verunsicherung der Atmosphäre statt, die kaum in Gänze planbar ist. Zwar könnte der Clubbetreiber durch die Einstellung von Wach- und Sicherheitspersonal dieses Risiko minimieren und potenzielle ‚Störenfriede‘ zeitnah des Platzes verweisen; dennoch sind auch andere Verunordnungen des Nacht-Ortes im Zuge von Auf- und Abwertungen der jeweiligen Szenerie denkbar. Der spontane Streit zwischen zwei Betrunkenen, der nach Schweiß und hartem Alkohol riechende Tänzer auf dem Dancefloor des Ensembles, der plötzliche Ausfall einer Beleuchtungsmaschinerie oder einer Musikanlage im Inneren des Amüsierbetriebs – all diese Vorfälle sind nie hundertprozentig auszuschließen und können die ästhetische Erscheinung eines Ortes bzw. die Wahrnehmung desselben beeinträchtigen. Gerade dieses Unplanbare, Irrationale macht nicht nur Schrecken, sondern auch Faszination der Nacht aus, wird mitunter gar eingefordert und wirkt attraktiv. Es ist schließlich nie absehbar, auf wen der Nachtgänger trifft, wie gut die ‚Stimmung‘ sein wird. Die Qualität des

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Abends hängt dabei stark von der subjektiven Erwartungshaltung und aktuellen Stimmungslage des Besuchers und seiner Mitmenschen ab, aber ebenso von materiellen und situativen Gegebenheiten, von – im weitesten Sinne – Unsicherheiten. Die einzige Sicherheit des Nachtgängers ist die Erfahrung von Unsicherheit – und gerade dies kann den Reiz der Nacht ausmachen. Dabei möchten viele Menschen bei Nacht diese Unsicherheit möglichst gering halten, während andere Grenzüberschreitung, Abenteuer und Zufälle einplanen. Selbstverständlich könnte man die Erwartungshaltung der Nachtkonsumenten wieder als sozial konstruiert, als manipuliert und durch die Ökonomie produziert betrachten. Und tatsächlich: Wer keine soziale Anerkennung für die Konsumtion kultureller Codes bekommt, wer nicht ihre symbolisch vermittelte soziale Relevanz im kulturellen Koordinatensystem begreift, hätte möglicherweise kein Interesse an ihnen oder würde es nicht zeigen. Da sich Menschen aber mit Nacht und den im Zuge der Nacht erlebten Situationen jedweder Art labeln können, da Nachtleben zumindest bei jüngeren Bevölkerungsgruppen meist positiv konnotiert ist, erfährt der sich diskursiv oder materiell mit einer facettenreichen Vergnügungstopographie verbindende Nachtgänger Aufmerksamkeit, Aufwertung und Anerkennung. Dies gilt sicherlich nicht für alle Bevölkerungsgruppen, aber wenn wir uns auf die sogenannte ‚Kreative Klasse‘ beziehen, insbesondere auf hochmobile und hochgebildete Müßiggänger jüngeren Alters, ist eine vorsichtige Verallgemeinerung durchaus zulässig. Ein weiteres Problemfeld umfasst Drogenkonsum und insbesondere Alkoholmissbrauch (siehe z.B. Bianchini 1995, Bromley & Nelson 2002, Bromley et al. 2000, Eldridge & Roberts 2008, Jayne et al. 2011, Kneale & French 2008, Lavin 2013, Measham & Brain 2005, Parker & Williams 2003, Roberts et al. 2006, Sheard 2011, Thomas & Bromley 2000): Im Thermodon nächtlichen Vergnügens fließen die verschiedensten Getränke zusammen. Feierwütige Nachtgänger konzentrieren sich dabei an den verschiedensten Orten, um Rausch und Delirium zu fröhnen: in Clubs, Bars, Kneipen, auf der Straße, auf privaten Partys etc. – Nachtleben scheint ohne diesen gesellschaftlich akzeptierten,

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aber bisweilen auch verteufelten, da potenziell zu Gewalt und Unordnung führenden rauschhaften Konsum kaum denkbar. Dabei konnten schon Ansätze von „Destination drinking“, „alcotourism“ (Bell 2008) und „Bar Wars“ (Hadfield 2006) identifiziert werden, die auf konkrete Orte abzielen. Im überwachten Panoptikum Nacht können diese schließlich bisweilen zu Angst-Orten verkommen (in Anlehnung an „Angst-Räume“, vgl. z.B. Bürk 2012), wenn spezifische Topoi als Knotenpunkte im nocturnen Netz der urbanen Destinationen mit kriminellen oder gar gewalttätigen Handlungen in Verbindung gebracht werden (siehe z.B. Tomsen 1997, Winlow & Hall 2006). Quasi-natürliche Angst-Orte sind dabei als diskursiv konstruiert und verfestigt zu betrachten (vgl. Glasze 2011: 893). An dieser Stelle möchte ich auf entsprechende Panoramen und ‚Geographien der Trunkenheit‘ (Jayne et al. 2008, 2010) nicht weiter eingehen, sondern auf die Internetpräsenz des Institute of Alcohol Studies (2013) verweisen (http://www.ias.org.uk/), auf der Literaturlisten, Websites, Statistiken und vieles Weitere mit Bezug zu Nacht und Alkohol dem oder der Interessierten zur Verfügung gestellt werden. Städtische Landschaften sehen sich heute ferner einer steigenden Umweltproblematik ausgesetzt (Ipsen 2006: 72). Für nächtlichstädtische Landschaften bedeutet dies vor allem Lichtverschmutzung, aber auch Lärmbelästigung und Abfallprobleme – insbesondere in der Nähe konkreter, hochfrequentierter Orte wie Kneipen und Clubs. Nacht als „perceived risk“ (Lightowlers et al. 2007: 5) wird auch durch Wissenschaft sowie Medien, die Nacht mit Gefahren belegen, reproduziert. Konkrete (Fall)Studien als wissenschaftliche Erschließungsversuche gibt es im anglo-amerikanischen Sprachraum bereits seit etwa zehn Jahren gehäuft. Als Beispiel soll an dieser Stelle „Developing safer night time environments through effective implementation of planning“ von Lightowlers et al. (2007) angeführt werden. Hierbei handelt es sich um die gezielte Erfassung der nächtlichen Ökonomie in Lancashire, einer Grafschaft im Nordwesten Englands, die von Wissenschaftlern der Liverpool John Moores University durchge-

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führt wurde und konkrete Handlungsempfehlungen für die zielgerichtete Planung des dortigen Nachtlebens beinhaltet. Schon der Titel lässt erahnen, dass durch die Studie die ‚Versicherheitlichung‘ der Nacht forciert werden soll – ein Vorhaben, das letztlich diskursiv die Nacht als potenziell unsicheren Raum stabilisiert, wenn Nacht als prinzipiell unsicher beschrieben wird und mittels verschiedener Maßnahmen in einen sicheren, ökonomisch ertragreichen Raum transformiert und im Zuge dessen letztlich beherrscht werden soll. In der Hochglanzbroschüre finden sich verschiedene Anhaltspunkte, die auf eine Denkweise in der Tradition Floridas (2000, 2002a, 2002b) schließen lassen: Lancashire wird mit Bezug zu Morleo et al. 2007 als „a rich and diverse county“ dargestellt, dessen „cultural diversity“ noch weiter gesteigert werden müsse (Lightowlers et al. 2007: 2). Nacht wird in diesem Kontext als janusköpfiges Wesen beschrieben, das gleichzeitig ökonomisch wertvoll wie schädigend wirken könne. Ein Denken in ökonomischen Maßstäben sowie die neoliberale Logik der Nutzbarmachung und Vermarktlichung von Nacht spiegelt sich insofern in diesem Beispiel, als verschiedene Maßnahmen (z.B. „street design“, Lichtmanagement oder auch ein verbessertes Verkehrs-/ Taxinetz, siehe ebd.: 5 ff.) proklamiert werden, um Nacht zu vermarktlichen und dafür auch in sozialer Hinsicht zu optimieren. Nacht erscheint vor diesem Hintergrund als Produkt im doppelten Sinne: als etwas diskursiv Hergestelltes und gleichzeitig als etwas Konsumierbares. Bestimmte Akteure – z.B. „planning departments“ und Polizei – werden in diese Ökonomisierung des Nächtlichen involviert; ihre Macht und Rolle wird so reproduziert (siehe ebd.: 3). Die verschiedenen Nacht-Orte scheinen demnach geradezu nach Politik und Steuerung zu verlangen. Daher möchte ich im letzten Unterkapitel auf die (Ver)Planung des Nächtlichen und seiner Destinationen sowie auf verschiedene Konfliktlinien und Protestverläufe eingehen.

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C) P ROTEST -P LÄTZE : K ONFLIKTE UM F REIRÄUME IN DER (V ER )P LANUNG VON N ACHT Die zahlreichen Konflikte bei und um Nacht kulminieren an konkreten Orten, die ich mit ‚Protest-Plätze‘ labeln möchte. Der in sozioökonomischer Hinsicht segregative Charakter der postmodernen Großstadt(nacht) ruft nämlich in letzter Zeit zunehmend Widerstand hervor, den ich in meiner Masterarbeit als Teil der ‚Recht auf Stadt‘Bewegung analysierte und der sich möglicherweise zukünftig unter dem Slogan ‚Recht auf Nacht‘ bündeln und an bestimmten Punkten entladen könnte (Schwegmann 2012: 55 ff.), denn die „Rhythms of the night“ sind voller Ungleichheiten (Schwanen et al. 2012). Die postmoderne Stadt ist nach Wood insbesondere durch „die Zunahme sozialräumlicher Polarisierungen“ sowie durch „die Befestigung der Stadt durch private Sicherheitssysteme“ (Wood 2011: 900 ff.) geprägt. Eine Analyse von Nacht und Ort passt vor diesem Hintergrund in die Politische Geographie, die „Konflikte um Macht und Raum“ thematisiert (Reuber 2011b: 785), beispielsweise auch anhand von „(Un-)Sicherheit und städtische[r] Räume“ (Glasze 2011: 885), denn „in vielen Regionen der Welt […] werden sowohl von der öffentlichen Hand als auch von der Privatwirtschaft neue Sicherheitspolitiken etabliert. […] ‚Raumorientierte[]‘ Strategien von Sicherheitspolitiken werden legitimiert durch eine öffentliche Diskussion, die Kriminalität und (Un-)Sicherheit bestimmten Räumen zuschreibt – das heißt ein soziales Phänomen verräumlicht“ (ebd.).

Auch Talbot (2004) erkannte, dass Nachtleben in öffentlichen Diskursen in der Regel als soziales Problem beschrieben wird, das von Gesetzgebung und Politik entsprechend versicherheitlicht werde. Wenn Nacht in diesem Sinne als Ressource und/oder als Quell von Unordnung aufgefasst wird, treten schnell Konflikte, Probleme und Un-

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gleichheiten in den Zugangs(un)möglichkeiten und Teilnahmespielräumen der potenziellen Nachtgänger und all jener, die Einfluss auf Nachtleben ausüben, zu Tage. Diese wiederum provozieren Widerstand und Protest, wenn diskursive Disziplinierungsversuche unternommen werden und in räumlich-zeitlicher Segregation kulminieren. Nacht avanciert zur Beute, zum umkämpften Raum-Zeit-Konglomerat; die Aus- und Erbeutung der Nacht erfolgt damit nicht nur in ökonomischer, sondern auch in sozial-exklusiver Form (z.B. als maskulin dominierte Sphäre des Öffentlichen). Hegemoniale ‚Nightscapes of Power‘ (mit Bezug zu Zukin 1991) verfestigen sich entlang dieser Machtasymmetrien. Wenn man Nacht als Ressource auffasst, die entsprechender Steuerung mit dem Ziel ihrer optimalen ökonomischen Nutzung und der gleichzeitigen Verhinderung aller kritischen Problemfelder (siehe Kapitel 5 b) bedarf, dann entsteht ein neues Beratungsfeld, das auf eine Versicherheitlichung und Hygienisierung der Nacht abzielt (Roberts 2006, Roberts & Eldridge 2007). Als zentral für die Erschließung und Planung der Night-time Economy kann vor diesem Hintergrund der Kriminologe Hadfield angesehen werden. Dieser forscht seit gut zehn Jahren über Nachtleben betreffende Governance- und Policy-Formen sowie über entsprechende Regulierungs(un)möglichkeiten (z.B. zu Alkoholkonsum, nächtlicher (Jugend)Kriminalität etc.), insbesondere im anglophonen Raum. Diesbezüglich trat er in dieser Zeit nicht selten politik- und unternehmensberatend auf, erstellte (Fall)Studien zu einzelnen Städten (z.B. Leeds, London, Sydney), Regionen und Staaten (z.B. Australien) und gab Handlungsempfehlungen für die Praxis und einzelne öffentliche (Städte, Regionen, Staaten) wie private (z.B. KPMG) Akteure. Zudem befasste sich Hadfield umfangreich mit sozialen Prozessen und Machtasymmetrien bei Nacht (für weitere Informationen sei an dieser Stelle auf seine Homepage (2013) verwiesen, auf der er nicht zuletzt verschiedene Dienstleistungen anbietet: http://www.philhadfield.co.uk/). Hadfield geht auf die verschiedensten Facetten der Nacht ein, die Liste der unter seiner Beteiligung entstandenen Publikationen ist lang.

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Er behandelt beispielsweise „Night-Time Economy Management“ in einer Studie für die Stadt Sydney (Hadfield 2011) und erstellt mit Bevan et al. entsprechende Kosten-Nutzen-Analysen (2011). Hadfield und Measham thematisieren dazu „Alcohol and Law Enforcement in England and Wales“ (2011), Hadfield und Newton gehen zudem auf verschiedene Beispiele für „Alcohol, Crime and Disorder in the Nighttime Economy“ ein (2010). In „Everything Starts with an ,E‘: Exclusion, Ethnicity and Elite Formation in Contemporary English Clubland“ (Measham & Hadfield 2009) schreibt Hadfield von sozialer Segregation, Machtasymmetrien sowie über die Verfestigung sozialer Unterschiede in der und durch die Nacht. Schließlich behandelt er vielfach – direkt oder indirekt – „Policing and Regulating the Night-time Economy“ (z.B. in Hadfield et al. 2009). Diese Beispiele sollen dabei nur Querschnittscharakter aufweisen, um die Bandbreite an Themen, die aus Nacht generiert werden können, zu verdeutlichen. Zugleich möchte ich hiermit die auf unterschiedliche Gegenstände abzielenden Steuerungsversuche des Nächtlichen hervorheben (siehe auch Kapitel 4 b). Durch entsprechende wissenschaftliche Diskurse und in ihnen wirkende semantische Aufladungen können (dramatisierte?) Sichtweisen von Nacht als soziales Problem verfestigt sowie letztlich performativ wirksam werden, sobald Städte oder Regionen den Handlungsempfehlungen, die sie in Auftrag geben, folgen. Die Frage nach der Regierbarkeit und Steuerung urbanen Nachtlebens wurde auch schon von anderen Wissenschaftlern behandelt (z.B. Crawford & Flint 2009, Chatterton 2002, Hadfield (Hrsg.) 2009, Hollands & Chatterton 2002, Talbot 2004); die Planung von Nacht wurde in vielen wissenschaftlen Publikationen direkt oder indirekt thematisiert, etwa in „Planning the night-time city“ (Roberts & Eldridge 2009), in „Clubkultur und Stadtentwicklung. Zum planerischen und planungsrechtlichen Umgang mit Live-Musik-Clubs“ (Schmid 2010), aber auch in „Entgrenzte Zeiten – begrenzte Räume: Stadt(teil)entwicklung in raum-zeitlicher Perspektive“ (Oßenbrügge & Vogelpohl 2010), in „Cities and the Night-time Economy“ (Lovatt & O’Connor 1995), in „Planning, urban design and the night-time city: Still at the

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margins?“ (Roberts 2009) sowie in „Urban nightscapes. Youth cultures, pleasure spaces and corporate power“ (Chatterton & Hollands 2003). Hollands ging überdies auf „Segmented Consumption Spaces in the Night-Time Economy“ (2002) ein und befasste sich mit der Kriminalisierung junger Erwachsener bei Nacht am Beispiel Newcastle (2000). Es lässt sich erkennen, dass auch Wissenschaft bzw. wissenschaftsnahe Akteure bestimmte Bilder von ökonomischen Realitäten und Modellen diskursiv (re)produzieren, wenn das Verständnis von Nacht als Ökonomie, als Problem etc. mittels wissenschaftlicher Expertise legitimiert und entsprechend aufbereitet wird. Wissenschaftler generieren auf diese Art und Weise (Be)Deutungen und wirken meinungsbildend, ihre Wirkmächtigkeit in Bezug auf die (Re)Produktion bestimmter Tat-Orte – und generell der Nachorte – ist kaum zu unterschätzen. Somit könnten auch wissenschaftliche Arbeiten, so sie ökonomisierend und sozial segregierend wirken, Kritik bedingen oder gar konkrete Protest-Plätze hervorrufen.

6 Interludium

An dieser Stelle sei eine Verschnaufpause erlaubt, eine Zeit zum Innehalten, ein Raum zur Reflexion, der sich in einer (ersten) Verbindung der zuvor unternommenen sowie der anschließend noch zu präsentierenden Erschließungsarbeiten nächtlicher Ortstypen versucht. Das Interludium wirft in seiner Zuspitzung reizvolle Blicke hinter die Fassade des säuselnd-sonorigen Singsangs, leitet gleitend in den Dampf des diabolisch maskierten Tollhauses über und unterstreicht damit nicht zuletzt die tollkühne Transmission des Nächtlichen. Markt-Plätze und Tat-Orte thematisieren u. a. zwei große Paradigmen der neoliberalen Postmoderne: Ökonomie und Recht als wirkmächtige Diskurse, deren Trag- und Reichweite in Bezug auf sie enthaltende kulturelle Geographien nicht zu unterschätzen sind. Schauund Spiel-Plätze sowie Pilger-Stätten sollen nun das Quartett nocturnen Herrschaftswissens vervollständigen, indem sie primär auf Soziales und (mit besonderem Fokus auf religiös-sakrale Identifikationinkarnationen) Kulturelles zu sprechen kommen. Als zwischen den Orten vermittelndes Bindeglied und Schanier erscheinen in gewisser Weise Technologien, deren wilde Wirkkraft in sämtliche Bereiche unserer vermarktlichten Realitäten ausstrahlt. Der folgende Zweizeiler mag diese subtile Semasiologie in Form einer morphologischen Konvers(at)ion unter dem Banner ‚Über.Leitung‘ subsumieren: Nacht! Macht! Ökonomie! Kraft! Technik! Geflüster!

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Dieser aseptische, aus zwei je sechssilbigen Versen bestehende Kanon reziproker Ergänzung kann mittels Wortumstellung, -zusammenlegung und/oder veränderter Satzzeichen auch als ein Satz, als eine oder zwei Fragen oder als Frage-Antwort-Spiel mit je unterschiedlicher Bedeutung gelesen werden. Er lässt den Nachtgänger in Trance fallen und materialisiert sich beispielsweise in den Akteuren Feuer, Glühbirne und Smartphone, die in unterschiedlichen Phasen der Nachthistorie menschliche Aktivitäten in der Dunkelheit ermöglich(t)en wie begrenz(t)en. Wie auch die Performance dieser vorliegenden Arbeit loten sie das Gerade-noch-Mögliche aus, indem sie nicht nur gebauchpinselte Berufsdemagogen, sondern allgemein kritische Geister unterschiedlichster Couleur, schließlich jedwedes Stutzen einlullen und aufgrund ihres möglicherweise nicht direkt und schon gar nicht leicht zu durchschauenden, diametral verdichteten Metrums den fragmentierten Takt rauer Rhythmen semiotisch vorgeben. Schnell werden die Dämpfe dichter, die Drähte glühen heißer, die Digitalität interagiert intensiver. Ein guter Zeitpunkt, wie ich meine, um sich nun den Schau- und SpielPlätzen sowie anschließend den Pilger-Stätten der Nacht zu widmen – um weiter(es) Licht ins Dunkel zu bringen.

7 Schau- und Spiel-Plätze

A) H INFÜHRUNG : P ERFORMATIVE G EOGRAPHIEN DER Ö KONOMIE Der Historiker Schlögel plädiert für die Sicht auf das „making of geography“ (Schlögel 2009: 44) und damit auf die Praktiken und Diskurse, die Orte herstellen. In derartigen Ortsproduktionen spielen Emotionen eine Rolle: „Visual perception, touch, movement, and thought combine to give us our characteristic sense of space“ (Tuan 1974: 215). In diesem Kapitel möchte ich vor diesem Hintergrund die Schau- und SpielPlätze in nächtlichen Inwertsetzungsprozessen vorstellen. Unter diesem Ortstypus verstehe ich in erster Linie die multiplen Plätze des Schauens, der visualisierten Ästhetik, des Auf- (und letztlich Aus)führens von Ökonomie (nach Boeckler & Berndt 2011: 914). Oder anders formuliert: Dies umfasst jene Topographien, deren Akteure – die im dritten Unterkapitel mit dem Label ‚Schau-Spieler‘ belegt werden – die nocturne Wirtschaft in der Aufführung realisieren, performativ werden lassen. Hierum soll es nun gehen, wenngleich ein derartiger Abriss eine Komplexitätsreduzierung darstellt: Eine weitere Facette der janusköpfigen Schau- und Spiel-Plätze, jene schauenden, beobachtenden Topoi der Überwachung mittels smarter Technologien, möchte ich nämlich schon im Rahmen meiner Vorstellung der ‚Tat-Orte‘ als abgehandelt betrachten.

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Nacht-Orte können als „Stimulus für Lebensentwürfe, Erinnerungen und Begehren, Fantasien und Gefühlszustände“ (Noller 2002: 73) aufgefasst werden. Die nächtlichen Topographien des Konsums korrespondieren mit den Identitäten der Konsumenten. Diese wiederum nutzen die Nacht als einen großen Spiel-Platz, auf dem sie ihren Bedürfnissen nach positiver sozialer Rückmeldung fröhnen können. Chatterton und Hollands (2002) konzipierten bereits „urban playscapes“, um die Spiel-Plätze jüngerer Nachtgänger zu fassen. Dabei gingen sie auf die Produktion, die Regulierung sowie die Konsumtion von Nachtleben ein – drei Prozesse, die, miteinander verwoben, die Geographien der nocturnen Ökonomie ausmachen. Auf den Schau- und Spiel-Plätzen versuchen sich die Nachtgänger mehr oder minder geschickt zu inszenieren. Interessant wäre dabei nun, „how we perform our identities and values in spaces“ (McLean 2010: 212). Indirekt, d.h. unbeabsichtigt, werden durch die Aufführungspraxis der Konsumenten von Nacht die Ästhetisierung des Nächtlichen und die Steigerung seiner Fazination errreicht. In den flüchtigen Momenten urbaner Nächte verdichten sich die Performanzen seiner verschränkten Ökonomien zu einem rhythmischen Ensemble. Dabei kulminieren in der Verwerfung von Mensch und Materialität reziproke Reproduktionsmuster aus Akteuren und Diskursen, die sich aus den Erwartungen der Nachtgänger speisen – welche wiederum ihrerseits auf Deutungsangebote aus Konsumarchitekturen treffen. Im Zuge dessen werden neue Markt-Plätze erzeugt und in blühende Bühnen transformiert. Näheres dazu möchte ich im folgenden Unterkapitel vergegenwärtigen. Ein Fokus auf Betrachtungen von Praktiken des Aufführens, des ‚Performens‘ ist in der Wirtschaftsgeographie aktuell verstärkt zu konstatieren. So betrachtete Thrift „Performing cultures in the new economy“ (2002). Analog zu den in jener Abhandlung behandelten ‚performenden‘ Managern und sonstigen ‚Marktmachern‘ alltäglicher Ökonomien sind auch performende Nachtgänger zu sehen, die als Anbieter und Konsumenten von Nachtleben sowie allnächtlichen Formen der Realisierung von Wirtschaft in Erscheinung treten und so zu (Re)Produzenten desselben avancieren. Im Zuge einer allgemeinen

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Selbstoptimierung, -darstellung und mitunter gar -inszenierung erzeugen sie neue Räume der Ökonomie bzw. verfestigen oder modifizieren bestehende. Gleichzeitig werden die Teilnehmer der Nacht durch die sie umgebende bauliche Infrastruktur, beispielsweise postmoderne Szenearchitektur und spektakuläre Hochglanztechnologien, diszipliniert, geshapt, gestylt bzw. ‚müssen‘ sich diesen Gesetzen (?) der nächtlichen Ökonomie unterordnen und sie anerkennen, um selber als Teil von Nacht wahrgenommen zu werden. Die Sucht nach Aufmerksamkeit kann dabei obskure Szenarien heraufbeschwören, wie ich mit Blick auf das animalische Balz- und Paarungsverhalten der SchauSpieler noch näher erläutern möchte. Wenn die Stadtnacht u. a. auch als „Ort der Urbanität“ (Marcuse 2006: 213) definiert werden kann, ist damit eine spezifische Qualität gemeint, die in einem „ästhetische[n] Erlebnis“ (Jansen 2006) kulminiert. Nacht wird so zu einem Bild, einer Wahrnehmungsoase, die sich aus den Lichtverhältnissen, aus Klängen, Gerüchen und Geschmäckern zusammensetzt und möglicherweise mitunter als (H)Ort und Quell von Kreativität erscheint. Thrift befasst sich vor diesem Hintergrund mit Affekten (2006: 216 ff.), die in den letzten Jahrzehnten zunehmend gesteuert und – im Zusammenhang mit einer umfassenden Ästhetisierung der Stadt – instrumentalisiert würden. Sie würden überdies im Zuge der Vermarktung der Stadt mit einem als ‚kreativ‘ titulierten Label ökonomisiert und könnten umfangreiche Macht entfalten (ebd.: 218 ff.). Eine derartige affektive Dimension, der faszinative Charakter urbaner Stadtnächte, soll nun in diesem Kapitel genauerer Betrachtung unterzogen werden, denn zwischen Improvisation und Inszenierung, Präsentation und Performanz oszillieren die Schau- und Spiel-Plätze der urbanen Nacht. In diesem Kontext möchte ich zunächst auf die Bühnen der Nacht eingehen, um daraufhin die als Schau-Spieler auftretenden Nachtgänger und ihre Rolle im Reproduktionsprozess der urbanen Vergnügungstopographie näher zu betrachten.

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B) B ÜHNEN : I MPROVISATION

UND I NSZENIERUNG

„Märkte sind abgegrenzte Theaterbühnen, auf denen Stücke nach eigenen Regeln aufgeführt werden. Die Bühne bildet den Rahmen für Interaktionen zwischen Schauspielern, Komparsen und Requisiten. Sie stellt neue Verbindungen her, indem sie die beteiligten Dinge und Menschen aus ihren jeweiligen sozialen Kontexten enfernt, d.h. andere Bindungen trennt“,

so Berndt und Boeckler (2007: 225) in Anlehnung an Callon (1998b). Auch die nächtlichen Markt-Plätze können als Bühnen aufgefasst werden, wenn die „Ökonomie der Faszination“ (Schmid 2007, 2009) durch Bedürfnisse nach Aufmerksamkeit und Anerkennung reproduziert wird. Einige Parameter dieser Prozesse möchte ich an dieser Stelle präzisieren. Zunächst sollen die Inszenierungspraktiken der Nachtgänger in den Blick genommen werden. Mit Waldenfels ließe sich „das Spiel der Inszenierung“ (Waldenfels 2009: 85) von identitätsstiftenden Praktiken auf den nächtlichen Bühnen betrachten: „Die Szene, die skené, im griechischen Urtheater zunächst ein einfaches Gerüst, bezeichnet ebensosehr das Geschehen, das sich dort abspielt, wie den Ort, an dem es sich abspielt, wie die Auslage, die mit allem Zubehör zur Schau gestellt wird. […] Was in-szeniert, also in Szene gesetzt wird, entsteht immer wieder neu, es wird buchstäblich auf-geführt, ungeachtet aller Ermüdungs- und Abnutzungserscheinungen, die häufige Wiederholungen mit sich bringen“ (ebd.: 84).

Auf der nächtlichen Bühne wird gebastelt und improvisiert, gestylt und geshapt, inszeniert und repräsentiert, posiert und geprotzt. Verschiedene Akteure werten Nacht auf und nutzen sie (und die damit zusam-

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menhängenden vielfachen sozio-semantischen Konnotationen: Hedonismus, Lebensfreude, kulturelle Bohémiens, etc.) um sich selbst aufzuwerten, d.h. ihr Image, ihr Fremd- und letztlich auch ihr Selbstbild aufzupolieren und sich ihrer selbst zu vergewissern. Nach Boggs und Rantisi (2003: 109) erzeugen soziale Beziehungen zwischen verschiedenen Akteuren ökonomische Aufführungspraxen, realisieren Märkte. Diese – sowie ihre Plätze – rücken damit unter dieser neuen Prämisse in den Blick: als Bühnen. Nacht wird demnach für bestimmte Zwecke der Selbstoptimierung genutzt – möglicherweise oftmals unbewusst. Dabei stellt sich nicht zuletzt die Frage, welche Akteure, d.h. welche Nachtgänger ‚gewollt‘ sind bzw. zumindest akzeptiert werden (hippe, coole, modebewusste, alkoholkonsumierende, wohlhabende etc.) – und welche nicht (Obdachlose, Prostituierte etc.). Menschen werden so in Humankapital transformiert bzw. lassen dies (oft unbewusst) zu; Menschen, aber auch Dinge und Architekturen, dienen als Bühne, als Fassade, als Mittel zum Zweck, mit dem man sich labeln kann. Im Zuge dieser Ästhetisierung der Nacht durch das Aufführen von bestimmten Verhaltensmustern und ‚stylischen‘, visualisierten, erlebbaren Angeboten und Blickfängen (Menschen wie Dingen) werden Nacht-Orte positiv besetzt, semantisch aufgeladen, belegt wie etikettiert. Analog dazu lassen sich die Ergebnisse von Florida und Mellander (2010) anführen, die herausstellten, wie bestimmte Personengruppen zur letztlich ökonomisch wirksamen Aufwertung von Orten beitragen: „We argue that artists, bohemians and gays affect housing values through two kinds of mechanisms: an aesthetic-amenity premium; and a tolerance or open culture premium“ (ebd.: 167). Die Selbstinszenierung der Nachtgänger steht dabei in einem reziproken Reproduktionsverhältnis mit konkretem Konsum, dessen soziale und individuell-identitäre Bedeutungen in der Postmoderne für ein Verständnis von performativen Kommodifizierungen des Ortes ganz entscheidend sind. Im sonorig-säuselnden Spiel des Hin und Hers, zwischen Identifizierung und Abgrenzung, entpuppen sich die performativen Kokons der Inwertsetzung des Selbst im Nächtlichen als prächtiger Protz. Dazu ein Zitat von Barnes:

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„We shop till we drop not because it rationally yields the greatest amount of economic pleasure and satisfaction (the presumed motivation in the old retail geography), but because it enables us to express our identity: we are what we consume. We buy things in order to signify who we are. Studies […] show that going shopping is always more than buying goods. It is to participate in the larger cultural performance of affirming social identity“ (Barnes 2009: 324).

Der expressive Charakter von nocturnem Konsum spiegelt sich beispielsweise in Verkaufsmomenten am Tresen, in hohen Eintrittsgeldern und Getränkepreisen sowie demonstrativer Zur-Schau-Stellung der eigenen monetären Potenz der Nachtgänger – beispielsweise im Spendieren eines Drinks oder in der Bezahlung eines Taxis. All diese Praktiken produzieren Orte: Clubs und Kneipen, Straßen und Vehikel. Noller (2002: 91) schreibt von „theatralisch inszenierten[] Orte[n] für das Sehen und das Gesehenwerden von Öffentlichkeit“, dessen Existenz und dessen faszinative Wirkung er durch ihre Funktion als „Bühnen […], auf denen sich Individuen selbst mit ihren distinkten Lebensstilen, Moden und Haltungen zur Schau stellen und zugleich im gestischästhetischen Konsens erproben können“ (ebd.) erklärt. Der von mir in Kapitel 3 c schon kolportierte Interpretationspflock zum massenheterotopen Verständnis der Nacht kann vor diesem Hintergrund auch an dieser Stelle eingeschlagen werden, um Pluralisierung und Heterogenität von Nacht-Orten als deren Zusammenspiel in einem breit angelegten Gegenraum nachvollziehen zu können. Noller schreibt dazu: „In den theatralisch inszenierten urbanen Räumen kann eine auf der Individualisierung der Lebensstile basierende kulturelle Praxis ausgelebt werden, die nicht mehr in einem von Gott gesteuerten Welttheater statt findet, sondern auf einer Vielzahl von Kleinbüh-

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nen, die das Spiel mit der individuellen Selbstinszenierung und die Interaktion mit anderen ermöglichen“ (ebd.: 91 f.).

Die Gesamtheit der Bühnen bildet damit einen visuellen Rahmen, in dem sich die Nachtgänger der ihnen jeweils opportun erscheinenden Schau- und Spiel-Plätze bedienen können, um sich und ihre gelebte Identität mit dem jeweiligen Nachtort in ein ideal-homogenes oder auch fruchtbar-reibendes Verhältnis zu bringen, durch das individuell erscheinene Selbst- und Fremdbilder demonstrativ verfestigt oder modifiziert werden können. Neben diesen Inszenierungspraktiken spielt die Improvisation auf der nächtlichen Bühne eine wichtige Rolle. „Improvisation ist für den Jazz und zahlreiche andere Musikgattungen zentral“, so Peter Stegmaier (2012: 312). Er definiert Improvisieren als „ein sich und andere überraschendes soziales Handeln“ (ebd.: 339), das man insofern als „planvoll unplanvoll“ verstehen müsse, als es „auf Übung, Ausprobieren und Wagnis“ basiere (ebd.: 340): „Es ist gerade das Spiel mit Gelegenheiten, Freiheitsgraden und Kontingenzen im Rahmen von Bezügen, Habitualisierungen, Wiederholungen sowie sozialen und dinglichen Kontexten“ (ebd.). Doch nicht nur für das Aufführen von Musik, ebenfalls nicht nur für Theaterspielen, sondern auch für allnächtliche Formen der Selbstinszenierung spielt Improvisation auf den nocturnen Schau- und Spielplätzen eine große Rolle. Nacht erscheint in diesem Licht als Bühne, auf der verschiedene Akteure dem Publikum – anderen Nachtgängern – eine bestimmte Figur und Rolle darstellen und situative Elemente in ihr Handeln und Wirken einbauen (müssen), da konkrete Begegnungen und Ereignisse kaum planbar sind. Im Aufführen einer spezifischen, mitunter fiktiven Persönlichkeit manifestiert sich dabei der Wunsch nach Anerkennung sowie die Untermauerung oder Verfestigung eines bestimmten Statusgedankens. Mit Stegmaier lassen sich insbesondere fünf „Aspekte des Improvisierens“ identifizieren (ebd.: 314 ff.): Improvisation kann erstens als eine Mischung aus geplanten und ungeplanten, bewussten und unbe-

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wussten, den jeweiligen Performer und seine Mitmenschen oftmals überraschenden Praktiken sein (ebd.: 314 f.); es ist zweitens nicht frei von Bezügen auf vorhandenes Wissen (ebd.: 315). Drittens entdeckt man im Zuge eines gewissen „Handlungsdruckes“ analoge oder auch gänzlich neue Handlungsmöglichkeiten und kreative Lösungen (ebd.: 315 f.). Improvisieren kann zudem, viertens, als interaktive „soziale Praxis“ bezeichnet werden, die damit fünftens – dies kann auch als Ergänzung zu zweitens gelesen werden – als relational zu bewerten sei: durch die Rekurrierung auf verschiedene „Handlungsbezüge“ und bereits routinierte Muster (ebd.: 316.). Damit wird nicht „völlig frei“ (ebd.: 338) improvisiert, sondern immer in einem diskursiven Kontext, der sich – so mein Ansatz – auch aus materiellen und digitalen ‚Dingen‘ und Repräsentationen speist – nicht nur aus Sprechakten. Nachtgänger stehen damit insofern unter Handlungsdruck, als sie auf der nächtlichen Bühne den Rollenerwartungen, die an sie gestellt werden (in puncto Kleidung, Performanz, Verhalten), gerecht werden müssen bzw. höchstens im positiven Sinne diese Erwartungen übertreffen können. Sie gehen dabei auf Deutungs- und Handlungsangebote ihrer Umwelt ein, erzeugen im Zuge ebendessen aber mitunter neue Formen von Verhalten, die sich in das diskursive Feld der ökonomisierten Nacht einfügen, ihrerseits wiederum performativen, realitätsmachenden Charakter annehmen können und in Bezug auf die anderen Nachtgänger Wirkung entfalten, Wahrnehmungen wie auch Wirklichkeitsauffassungen beeinflussen können.

C) S CHAU -S PIELER : P RÄSENTATION UND P ERFORMANZ Auf den Schau- und Spiel-Plätzen der Nacht promenieren primär postpubertäre Performer. Flaneure, Hipster, Bohémiens, Prostituierte und viele weitere Identitätsverschnitte sind die Schau-Spieler auf der nächtlichen Bühne, jene Schauenden und Spielenden der konsumorientierten Gesellschaft. In ihrer Präsentation und Performanz spiegeln sich die äs-

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thetisierten Ökonomien der nocturnen Markt-Plätze. Die schauenden und angeschauten Spieler, die Aufführenden der Konsumgeographien bei Nacht, wirken im Puppentheater des Nächtlichen mitunter als Marionetten; nichtsdestotrotz: Auf der Klaviatur der Nacht spielen verschiedene Akteure. Im donnernden Dunstkreis der Dämonen darben die dekadenten Diven, honorige Hehler hecheln hinterher. Das nocturne Orchester und seine Symphonien des Städtischen verlangen dabei nicht nur nach Publikum, Plattform und Plenum, sondern ebenso nach Dirigent und Komponisten, die den Takt vorgeben und das Konzert anleiten. Oder, um ein anderes Bild zu bemühen: Im Zirkus des Nächtlichen braucht es Dompteure – DJs, Kneipiers, Polizei, Barkeeper, Türsteher, aber auch machtvolle Gestalten in einzelnen Gruppen von Nachtgängern, die die Richtung und den Verlauf der Nacht sowie die (An)Steuerung bestimmter Orte mit ihrer Präsenz und Durchsetzungskraft überdurchschnittlich stark beeinflussen können. Es handelt sich ergo um Machtasymmetrien. Problematisch erscheint dabei, dass Akteure und Diskurse, Menschen und Materialitäten nur schwer zu trennen sind: Diskurse erscheinen als machtvolle – weil wirkmächtige – Akteure im Reproduktionsprozess des Nächtlichen; ebenso sind Akteure Teil des diskursiven Konstruktionsprozesses nocturner Ökonomien. Auf den Bühnen der Nacht treiben die Chrysanthemen der Selbstdarstellung dabei die wunderlichsten Blüten. Als scheinbar ewig blühender Amarant stehen sie im geschützten Raum, dem Palladion, der mitunter zum Omphalos der Nacht zu avancieren scheint. David Grazian beschrieb das großstädtische Nachtleben eindrucksvoll als „Art oft the Hustle“ (Grazian 2008: 1 ff.). Dabei nahm er Bezug auf Praktiken des „staging“ (ebd.: 29 ff.), des Sich-Selbst-Aufführens, auf Nachtleben als risikoreiches und herausforderndes Ambiente, auf Geld, Sex, Selbstbewusstsein bzw. -vergewisserung und -inszenierung sowie die Bestätigung oder das Erreichen eines bestimmten gesellschaftlichen Status abzielendes „sporting ritual“ (ebd.: 93 ff.), auf „dynamic imagineering“ (ebd.: 29 ff.), auf Bilder („smoke and mirrors“, ebd.: 224) und Erfahrungen nächtlicher Vergnügungskultur. Ferner befasste sich Gra-

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zian mit der Dynamik der Nacht, die gleichsam erfahren wie imaginiert werden kann (ebd.: 198 ff.). Die Nachtgänger als Nutzende der städtisch-nächtlichen Bühne ‚performen‘, inskribieren sich in derartige Bilder des Nächtlichen, präsentieren sich selbst in konzentriert-konkretisiert-kondensiertem Kommerz als Teil von Nacht, als Teil des Irrationalen, des Urbanen, der Kreativität, des Lifestyles. Dabei gehen sie auf die ihnen unterbreiteten Handlungsangebote von Seiten des städtischen Raumes, der Architektur, der Vergnügungstopographie und der Konsummöglichkeiten (Mode, Genussmittel etc.) ein, inszenieren sich im Zuge dessen mit dem Ziel, von ihren sie so erlebenden Mitmenschen mit Anerkennung bedacht zu werden, verschmelzen schließlich mit den „material semiotics of contemporary culture“ (Lury 2012). Urbane Ökonomien machen sich diesen ‚Call for Appreciation and Reputation‘ zu Nutze, profitieren von der Sucht der Konsumenten großstädtischer Freizeit- und Vergnügungsangebote nach positiver sozialer Rückmeldung. Die nocturnen Kunden ‚labeln‘ sich mit dem sozialen Produkt-KonstruktKonglomerat ‚Nachtleben‘ und dessen bedeutungsschwangerer Aufladung. Die Teilhabe und -nahme an Nachtleben steht in ihrer soziosemantischen Konnotation für urbane Kreativität und kulturellen Hedonismus, für ökonomisches Kapital (ohne finanzielle Ressourcen keine ‚Party-Zipation‘), soziale Netzwerke (Nachtgänger als gruppenafine Ensembles) und nicht selten für die Mitgliedschaft in einer ‚Avantgarde bohémienne‘ (durch Wissen über ‚angesagte‘ Lokationen). Dabei rekrutieren sich Schau-Spieler aus Prozessen der Distinktion, die sie selber (re)produzieren. Denn auch nächtliche Gesellschaften sind trotz gleichzeitiger Möglichkeiten der Grenzüberschreibung hochgradig selektiv und segregiert, verformen sich entlang schon tagsüber bestehender Differenzierungsmuster und manifestieren sich nicht nur in unterschiedlich hohen Eintrittspreisen oder personalisieren sich in Türstehern, deren Formen von (scheinbar?) willkürlichen ‚Gesichtskontrollen‘ reglementierte Zugangs(un)möglichkeiten der Clubs oder Bars forcieren (siehe z.B. Greiner 2013). Auch nächtliche Kleidung,

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Inszenierungen von Leib und Körper, von eigenem Lifestyle und Status gehören dazu. So erscheint Nacht nur bedingt als Gleichmacher, da im Schutze der Dunkelheit analog zu Differenzierungen am Tage polyseme Machtasymmetrien verfestigt werden. Ebenso beherbergen spezifische Mechanismen des Ein- und Austrittes in nocturne Welten erhebliches Konfliktpotenzial, wie am Beispiel des erschwerten Einlasses in Discotheken für ‚südländisch‘ anmutende Besucher nachvollziehbar (ebd.). Zudem finden auch geschlechtsspezifische Diskriminierungen statt, wenn junge Frauen wesentlich leichter in die von ihnen präferierten Clubs gelangen, während ihre männlichen Begleitungen – teilweise auch unabhängig von deren Aussehen, Garderobe oder vermuteter Herkunft, lediglich aufgrund ihres Geschlechts – Probleme bei der versuchten Partizipation an der Welt nächtlicher Vergnügungskultur bekommen (ebd.). Gleichzeitig schwingt bei diesen auf den ersten Blick für Frauen günstigeren Eintrittsmöglichkeiten ein nicht nur latenter nocturner Sexismus mit, wenn von Nachtgängerinnen aufreizende Outfits erwartet werden. Grazian widmete sich beispielsweise auch den geschlechterspezifischen Rollenverteilungen sowie -erwartungen bei Nacht (Grazian 2008: 134 ff.), z.B. durch Verweise auf „the girl hunt“ (ebd.). Auf diese Prozesse soll im nächsten Abschnitt genauer eingegangen werden. Löw (2006: 181 ff.) befasste sich mit „Räumlich-geschlechtliche[n] Inszenierungen am Beispiel der Prostitution“ mit Bezugnahme auf Wien und Frankfurt am Main. In diesem Kontext oszillieren NachtOrte zwischen Verbergen und Enthüllen, wodurch das Geheimnisvolle inszeniert und die Faszination geschürt werde (ebd.: 192). In den Nacht-Orten, ob nun in Kneipen, Clubs oder Bordellen, „werden grundlegende soziale Interaktionsformen wie geschlechtsspezifische Annäherungs- und Distanzierungsregeln, Begrüßungsrituale und Ansprechpraktiken lokal außer Kraft gesetzt. Der Ort und die sich an ihm konstituierenden Räume werden als dominant

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gegenüber den Regeln des sonst als normal erachteten sozialen Umgangs gesetzt“ (ebd.: 195).

Speziell bei der Beobachtung von Annäherungsversuchen auf Tanzflächen lässt sich dies beobachten, wenn die Nachtgänger auf der Suche nach Rausch, Liebe, Anerkennung und/oder Sex in der erotisierten Atmosphäre zwischen Körper, Musik und pulsierenden Beleuchtungsszenerien auf einander zugehen und die Kontaktaufnahme wagen. Denn auch Balz- und Paarungspraktiken finden an Nacht-Orten statt. Löw erkennt hierin die Ein- und Ausübung sowie schließlich die Verfestigung von Machtstrukturen zwischen „männlichem Blick und weiblicher Betrachteten“ (ebd.: 193). An Orten der Prostitution (konkret in Bordellen, aber auch auf dem Straßenstrich) kann diese Art der voyeuristischen männlichen Blickkultur offener (aus)gelebt werden als bei Tage. Gleichsam wollen Männer gerade in diesen gesellschaftlich verpönten Situationen, d.h. im Zusammenhang mit Prostitution, selbst nicht gesehen werden (ebd.: 188), während sie sich sonst – an den Orten des moralisch weniger verwerflichen Nachtlebens: in Kneipen, Bars und Diskotheken – oft stark inszenieren. Diese Inszenierung des Selbst auf der Bühne der Nacht ist Teil einer nachtspezifischen Platzierung von Akteuren im diskursiven Feld der nocturnen Semantik: Analog zum von Löw beschriebenen „Spacing“ kann auch ein Placing als „die Platzierung von Objekten und Menschen“ (ebd.: 196) an konkreten Orten verfolgt werden, die das spezifische Agencement der nächtlichen „Ökonomie der Faszination“ (Schmid 2007, 2009) ausmachen. Die nächtlichen Schau-Spieler inkorporieren dabei einen bestimmten Lebensstil, der an ‚Sex, Drugs & Rock’n’Roll‘ angelehnt ist bzw. Elemente dessen zu kopieren trachtet und damit bestimmte Werte und Identitäten verkörpert. Nacht erscheint als Zeit, die Kreativität und Träume fördert und die damit möglicherweise Kreative – und solche, die es sein wollen – anlockt. In der Postmoderne, die dem wirkmächtigen Narrativ des Ökonomischen unterliegt, werden die sich als Bohème, Intellektuelle, Literaten, Schrifsteller, Musiker, Künstler und als andere Kreative Inszenierenden zu theatralischen Schau-Spielern, die

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die Orte des Kommerz als Bühne nutzen, auf der Suche nach positiver Resonanz Konsumformen prägen und die nächtliche Stadt aufwerten können (mit Bezug zu Florida 2002a). Ihre Identitätsarbeit schafft Orte, durch die sich Diven und andere exzentrische Performer reproduzieren. In den „geographies of everyday creativity“ (Hracs 2010) konstruiert und konstituiert sich ein inflationärer Typus von Nachtgänger, der Züge von Narzissmus in der steten Suche nach Aufmerksamkeit, Anerkennung und Applaus trägt. Der ökonomisierte „creative ethos“ kann im Zuge dessen als fundamentale Leitidee unsere Epoche angesehen werden, des „Creative Age“, wie Florida (2002b: 21) die aktuelle Phase der neoliberalen Postmoderne labelt. Nachtgänger performen und realisieren die Ökonomie demnach durch ihre Praktiken auf der nächtlichen Bühne: durch ihre adrette Kleidung, ihr Verhalten und ihren Habitus, ihr Sich-Platzieren im Raum und durch die Art und Weise des Nutzens bestimmter nächtlicher Angebote – wie auch über das Nachdenken und/oder kommunizieren über diese, über ein potenzielles Verinnerlichen der marktmachenden Spielregeln neoliberaler Nachtprodukte. Wenn „our statements and representations actively produce reality“ (Barnes 2008: 1432), so (re)produzieren sie (nächtliche) Ökonomie im Zusammenspiel mit eben jene Ökonomie repräsentierenden und gleichzeitig aufführenden Materialiäten und Diskursen.

8 Pilger-Stätten

A) H INFÜHRUNG : S AKRALE G EOGRAPHIEN DER O RIENTALISIERUNG Ausgelöst durch poststrukturalistische Arbeiten erscheint die „Polyphonie des Städtischen“ seit den 1990er Jahren als „Resultat wie Voraussetzung kultureller Praktiken“ (Berking 2002: 13), als Konstrukt und Repräsentationsraum, der im Zusammenspiel von physischräumlichen Symbolwelten mit den Phantasien, Identitäten und Emotionen der Menschen korrespondiert und diskursiver (Re)Produktion unterliegt. Dies gilt besonders für nächtliche Stadtlandschaften und damit zusammenhängende Ökonomien. Die spirituellen Geographien nocturner Wirtschaftszusammenhänge und Vergnügungsszenerien befriedigen die latente Sinnsuche vieler Menschen im säkularisierten Zeitalter der westlichen Welt. Der nächtliche Konsum wirkt dabei als Ersatz für den vormalig empfundenen Halt in beispielsweise kirchlichen Einrichtungen; der okkulte Zauber nocturner Markt-Plätze, wie er in Konsum-Kathedralen und Techno-Tempeln – Kneipen und Clubs – atmosphärisch und in Form von „Schamanen“ (Kohtes 1994: 141 ff.) – Barkeeper, DJs und andere im Mittelpunkt der lenkenden Kommandozentralen nächtlicher Ökonomien stehende Personen – personifiziert (be)greifbar wird, appelliert an Emotionen und schürt die transzendente Faszination (Schwegmann 2012: 27 ff.).

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Großstadtatmosphären erscheinen als irrational, als „Ort der Mythenbildungen“ (Hüppauf 2002: 35). Zum Beispiel das nächtliche New York: Wie Hüppauf festgestellt hat, gilt es als kreativer Hotspot – frei von „Konventionen, Regeln, Ordnungssysteme[n]“ (ebd.: 34). Analog zu diesem Bild, dieser empfundenen Atmosphäre von New York kann auch das Nächtliche als heterodoxe Heterotopie (mit Bezug zu Foucault 2005, Schwegmann 2011, 2012), als aus vielerlei ‚anderen‘ Orten bestehender Gegenraum zum Alltag gedeutet werden, in dem das Irrationale, die Empfindung und Sinnlichkeit des Subjekts, seine Wünsche und Vorstellungen, auf eine durch bauliche Architekturen und materielle Topographien unterfütterte, empfind- und wahrnehmbare Kulisse von Geräuschen, Gerüchen, Geschmäcken und Gefühlen trifft. Denn nach Hasse (2012: 10 ff.) kann die postmoderne Metropole als „Gefühlsraum“ interpretiert werden. Ihre besondere Atmosphäre bei Nacht erklärt sich beispielsweise durch eine spezielle „Licht-Ästhetik“ (ebd.: 121 ff.), aber auch durch bauliche Inszenierungen, Musik und andere Effekte, die an die Emotionen, Imaginationskraft und Träume der potenziellen Konsumenten der Großstadtnacht und ihrer zu weiten Teilen auch digitalisierten Vergnügungstopographie appellieren (mit Bezug zu Hüppauf 2002: 31, Tholen 2007: 99 ff.). Der Glaube an die kurzfristige emotionale Bedürfnisbefriedigung nimmt nicht selten „sakrale“ Ausmaße an und wird durch eine Architektur von „Kultstätten“ zusätzlich intensiviert (Noller 2002: 90), wenngleich auch schon die urbane Straße als „emotionaler Raum“ erscheint (Hasse 2012: 145 ff.). Die Aneignung ästhetisierter städtischer Räume vollzieht sich im Zuge dessen insofern emotional, als sie sich durch die und in der Übertragung von Wunschbildern auf heterodoxe Deutungsangebote (un)orthodoxer Heterotopien in faszinativen Ökonomien realisiert. Diese persönliche Rekurrierung auf eigene Bedürfnisse der Generierung von sozialer Aufmerksamkeit und Anerkennung manifestiert sich sowohl zwischenmenschlich als auch im Verhältnis zwischen Mensch und Materialität, konkret zwischen Nachtgänger und bedeutungsschwangerem Raum, ergo im Prozess der Ortsproduktion in mentalen Räumen, die wiederum mit dem Erlebten, der baulichen

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Umwelt und seinen Emotionen auslösenden Facetten korrespondieren. Gefühle sind, wenn wir sodann Michael Großheim folgen, zwar als kulturell beeinflusst zu bewerten, aber nicht als reine Konstrukte. Sie sind vielmehr ein „Filter […], der darüber entscheidet, was aus der unwillkürlichen Lebenserfahrung so durchgelassen wird, dass es in die Begriffsbildung und Bewertung Einlass findet“ (Großheim 2009: 183). Die nächtlichen Massenheterotopien muten vor diesem Hintergrund insofern religiös an, als sich in ihnen ‚Himmel und Hölle‘Narrative verschränken. Im Kapitel über ‚Pilger-Stätten‘ bei Nacht nehme ich indirekt Bezug auf Ansätze von Michael Kohtes, der sich auf literarische Pilgerreise durch die mysteriösen Topographien des Nächtlichen macht (1994), sowie von Hans Hopfinger, der u. a. sakrale Geographien der Freizeit und des Tourismus untersucht. Letzterer erkennt Spiritualität und „Sinnorientierung als Strategie für Destinationen“ (Hopfinger et al. (Hrsg.) 2012), auch Pechlaner et al. (Hrsg.) (2012) erkennen hierin einen wichtigen Wirtschaftsfaktor und viel ökonomisches Potenzial. In der „postmoderne[n] Wachstumsmaschine“ Städte- und Konsumtourismus (Hopfinger 2007) geht diesbezüglich von bestimmten Sehnsuchtsorten eine große Anziehungskraft aus, die diskursiv (re)produziert und im Zuge dessen nicht nur semantisch, sondern auch materiell verfestigt wird. Im Zuge der zunehmenden Ökonomisierung des Städtischen werden nämlich Wahrnehmungsangebote geschaffen, die idealerweise die Erwartungen der in Konsumenten transformierten Nachtgänger erfüllen oder gar übertreffen. Allerdings kann es im Zuge dessen auch zu Reizüberflutungen kommen, die Kaufentscheidungen wegen einer Überlastung der Konsumenten mit in die städtisch-nächtliche Landschaft eingeschriebenen Zeichen unterminieren und verhindern (Ipsen 2006: 27 f.). Ipsen entschleiert diesbezüglich die zunehmende, ökonomisch motivierte Zeichenproduktion in postmodernen Zeiten (ebd.: 53). Der „Wahrnehmungsraum und Anschauungsraum“ (ebd.: 29) Nacht erschöpft sich in diesem Kontext in den verschiedensten „Raumzeichen“ und „Raumsymbolen“ (Ipsen 2006: 37), die in ihrer mit Identitäten spielenden Form sakrale Ausmaße annehmen können.

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(Räumliche) Zeichen wirken demnach als Orientierungshilfen (ebd.: 37), wobei in Wert gesetzte Zeichenschemata nicht selten zufällig entstehen (ebd.: 59). Nach dieser inhaltlichen Einführung in die sakralen Geographien der Nacht möchte ich nun unter dem Schlagwort Nightalism ein Konzept fassen und präsentieren, das durch den Bezug auf Saids Begriff der Orientalisierung (1978) einen integrativen Rahmen spannt, um die unterschiedlichen spirituellen Plätze der Großstadtnacht gemeinsam als emotional-transzendente Topographie des Nächtlichen zu begreifen – eine Szenerie, die durch konstruierte und gleichsam performativ wirksame Andersartigkeit und Fremdheit besticht. Ich versuche mich in diesem Sinne an einer konzeptionellen Durchdringung der vorgestellten vermarktlichenden Prozesse. Dabei beziehe ich mich auch auf Ergebnisse meiner Masterarbeit (insbesondere Schwegmann 2012: 29 ff.). Konkret geht es um die Frage, welche Voraussetzungen die Entstehung nächtlicher Ökonomien und ihrer vermarktlichten Orte vor dem Hintergrund tief verwurzelter, emotional-sakraler Bedürfnisse in postmodernen Zeiten begünstigen. Gleichzeitig soll mittels dieser Zeilen ein Rahmen geschlossen werden, der mit Kapitel 3 (‚Kernkonzepte‘) eröffnet wurde. Er bietet Raum zur Reflektion und möchte dennoch (noch) kein Fazit ziehen. Nacht erscheint als anders als der Tag, im Sinne Foucaults (2005) als ‚anderer Raum‘. Dieser wird durch die Abgrenzung und in Opposition zum Tag definiert sowie nicht selten als ‚exotisch‘ repräsentiert (Said 1978: 72), letztlich real produziert. Dies geschieht nahezu zwangsläufig und gleichzeitig meist unbewusst, da in der Erzeugung von Dialektiken – und damit gleichzeitig Verfestigung – besser imaginiert, besser orientiert werden kann. Ein entsprechender Dualismus von auf der einen Seite gefährlich-exotischen, an die Fantasie appellierenden Nachtdiskursen sowie auf der anderen Seite dem Bild des geschäftig-nüchtern gedachten Tages ist – zumindest im Ansatz – ein Kind der Romantik: Ebenso wie es den Orient brauchte, um Europa bzw. den Westen zu definieren (ebd.: 1 f.), brauchte es Nacht, um Tag zu definieren. Als Abgrenzungsmedium konnte der Tag so schließlich im

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Zeitalter der Industrialisierung ökonomisch verwertet und – primär durch Erwerbsarbeit – genutzt werden bzw. wurde so legitimiert, während Nacht als Gegenraum fungierte. Nacht als Diskurs vereinigt semantische Felder, die jenen des Tages konträr oder zumindest ambivalent gegenüber stehen. Demnach war auch Nacht nie „a free subject of thought or action“ (ebd.: 3), sondern immer mit Bedeutung und Handlungserwartungen belegt. Denn Nacht weckt bestimmte anleitende Assoziationen und kraftvolle Konnotationen, die über natürliche Hell-Dunkel-Gegensätze weit hinausgehen. Analog zum sogenannten Orient (ebd.: 49) werden ebenfalls der Nacht ‚orientalische‘ Eigenschaften zugeschrieben: irrational, emotional, gefährlich, mystisch, sakral, unheimlich, kreativ – während der Tag gegenteilig konnotiert ist. Said stellt fest: „The relationship between Occident and Orient is a relationship of power, of domination, of varying degrees of a complex hegemony“ (ebd.: 5). Analog dazu ist auch die Beziehung zwischen Tag und Nacht eine machtgeladene, asymmetrische, in der und durch die dem Tag Eigenschaften zugeschrieben wurden, die ihn relevanter ‚machten‘ (ebd.). Nacht wird demnach durch imaginative Geographien semantisch belegt (ebd.: 49 ff.); sie wird personifiziert, ihr werden menschliche Eigenschaften zugeschrieben (mit Bezug zu ebd.: 27). Entsprechende (Be)Deutungsreservoirs leiten eine Transformation des Nächtlichen in eine faszinative Erlebnisökonomie an. Wer so über Nacht schreibt, denkt oder forscht, betreibt nach Said auch ‚Orientalismus‘ bzw. – im Sinne meiner Arbeit – ‚Nachtalismus‘ (ebd.: 2). Über diese Zuschreibungen wird Identität durch Abgrenzung geschaffen: Als performative Prismen dienen Orientalisierungen des Nächtlichen, seiner Landschaften und Atmosphären, den Menschen als Orientierungsmuster. In sakralen Geographien der Nacht verfestigen sich derartige Identitätszuschreibungen, die ökonomisch in Wert gesetzt werden. Über Diskurse verschiedenster Art – über die Medien, Wissenschaftler, populäre Publikationen, Polizeiberichte etc. – können diese Realitäten reproduziert werden, wenn Akteure nach dieser Denkweise handeln und entsprechende ‚Wahrheiten‘ performativ und

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real werden lassen. Materielle Architekturen und ‚Halb-Dinge‘ wie Atmosphären verstärken entsprechende imaginierte Geographien im Zusammenspiel mit den in und durch digitale Heterotopien vermittelten Raum- und Ortsbildern (z.B. über Geo-Applikationen via Smartphone, vgl. Schwegmann 2012: 25 ff.). Wenn wir vor diesem Hintergrund die Ideen von Said mit Foucaults Konzept der Heterotopien und mit Bezug zu Emotion, Bühne, Markt denken, dann kommodifizieren auch Nachtforscher und andere Diskursteilnehmer (Medien, Politiker, Unternehmensberatungen mit Bezug zu nächtlichen Formen) Nacht, indem sie danach trachten, diese, d.h. nächtliche Ausdrucks- und Lebensformen sowie allgemein nächtliche Zeiten und Räume, zu ‚kolononialisieren‘, zu beherrschen, zu versicherheitlichen. Demgegenüber steht Nacht als romantisches Konstrukt, auf das bestimmte Wünsche projiziert werden – ohne als Nachtgänger Nacht immer bewusst beherrschen zu wollen, wenngleich auch indirekte Machtausübung durch die eigene Performanz und den eigenen Habitus im kognitiven wie auch im digitalen oder letztlich auch materiellen Raum wirksam werden kann. Auch Wissenschaft, auch meine Arbeit, so sie Studien über Nacht ‚macht‘, trägt dazu bei – analog zu den Orientalisten, die Bilder des Orients und scheinbare Wahrheiten prägen. Denn wenn die Verbreitung von Ideen sowie das Nachdenken über Nacht als nachtmachend, -produzierend, -hervorbringend verstanden werden kann, dann erscheinen die durch die stabilisierende Legitimationsmacht Wissenschaft konstruierten Bedeutungen in performativer Weise als besonders wirkmächtige „school of interpretation“ (Said 1978: 203), über die Bedeutungen verfestigt werden. Wissenschaftler sind Produzenten von Wissen, Wahrheiten und Realitäten – ebenso wie Politik- und Unternehmensberater, die Diskurse über die Night-time Economy reproduzieren (siehe Kapitel 5 b und c). So findet eine Vermarktlichung durch Orientalisierung statt: Analog zu ‚Said-Scapes‘, d.h. mit Bezug zu Saids „Orientalism“ (Said 1978), der seine Ideen unter Rückgriff auf Foucualt entwickelt hat, lassen sich demnach auch Nightscapes, lässt sich Nächtliches als performativ wirksames Konstrukt verstehen, das

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durch dialektische, imaginative Austauschbeziehungen zwischen Tag und Nacht, durch Projizieren von Identitätsentwürfen und Fantasiekonglomeraten auf eine bestimmte imaginierte Geographie und Zeit entstehen kann. Nacht erscheint in diesem Tenor zwar als ein Bild, das aber reale Wirkung entfalten kann. Wenn Großstädte in postmodernen Zeiten in großer Konkurrenz zu einander stehen und zu klar konturierten Marken avancieren müssen/wollen (vgl. Bradley et al. 2002, Vanolo 2008, Zenker et al. 2013), erscheinen Nacht-Orte in diesem Tenor als orientalisierte und orientalisierende Pilger-Stätten für die Massen, auf deren Konsumkraft mittels gezieltem Identitätsmanagement und emotionalem Marketing abgezielt wird. Pilger-Stätten egal welcher Couleur faszinieren durch die auf sie übertragenen Wunschbilder, die auf eine ästhetisierte Oberfläche prallen und verstärkt reflektiert werden. Pilger-Stätten erhöhen durch ihr Aussehen und die mit ihnen verknüpften, realisierbaren Utopien (Foucault 2005) die Konsumanreize, indem sie ihr Inneres zunächst verbergen. Zwei Facetten dieser sakralen Geographien des nächtlichen Konsums und ihrer Orientalisierung, im Folgenden mit ‚Konsum-Kathedralen‘ und ‚Techno-Tempel‘ semantisch belegt, sollen nun differenzierter vorgestellt werden.

B) K ONSUM -K ATHEDRALEN : Z WISCHEN K IRCHE UND K OMMERZ Zwischen Kirche und Kommerz oszillieren die Bilder sowie nicht zuletzt die performativen Ausführungen des Nächtlichen, deren imageproduzierende Zeichen werbewirksam entfaltet werden. Dabei gilt es zu beachten: „Konsumkulturen bringen […] eine eigenständige Welt von Zeichen und Bedeutungen hervor, die die soziale Welt prägen: als kulturindustrielle Manipulation ebenso wie als Möglichkeit für erweiterte Interpretationen und Handlungsräume“ (Noller 2002: 92). Konsum wirkt vor diesem Hintergrund nicht nur exklusiv, sondern auch ermöglichend und schafft im Zuge dessen Ausdrucksmöglichkeiten für

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Identitäten. Die Schau-Spieler des Nächtlichen verorten sich im Gegenraum Nacht durch und im Konsum. Damit leben sie einen religiös anmutenden Glauben an die erlebnisspendenden Facetten des Abenteuers Nacht, damit leben sie schließlich auch die nocturne Vermarktlichung – obgleich möglicherweise oftmals unbewusst, wenn die nocturnen Evangelien auf die SchauSpieler einprasseln und in pathetischer Poesie eine Symphonie der Passion, eine facettenreiche Fassade der reflexiven Rollenrepertoirs, eine elefantöse Entourage der etikettierten Patchworkhaftigkeit in ästhetisierten Vermarktlichungsprozessen erzeugen. In den Konsum-Kathedralen manifestieren sich diese Prozesse der säkularisierten Konsumgesellschaft, die im Nachtleben einen Ersatz-Glauben sucht und findet. In Vergnügungssucht und Amüsierwillen erfolgt die Verquickung von Konsum mit Kirche, von Orten mit der Bedeutung von Kathedralen in der Schaffung von Deutungsangeboten und Sinn. In der „urbane[n] Erlebnislandschaft“ (Koll-Schretzenmayr et al. 2002) verfestigen sich ergo die fluiden Erwartungshorizonte der Vergnügungswilligen. Das postmoderne Stadtmarketing sowie die ausdifferenzierte Freizeit- und Tourismuswirtschaft machen sich diese Erwartungen und Wünsche seitens der potenziellen Konsumenten zu Nutze – durch Deutungsangebote, die zunächst identitätsansprechend und später konsumfördernd wirken. An dieser Stelle würde ich gerne ein paar Gedanken von Kohtes (1994) Revue passieren lassen, um potenzielle Interpretationsansätze und wichtige Fragen zu erläutern. Dieser schrieb in seinem Werk vom „Mythos“ Nachtleben, von pilgernden Nachtgängern und „künstlichen Paradiese[n]“ (ebd.: 7). Seine Ideen zu den sakralen Geographien der Nacht möchte ich hier aufgreifen und ortsbezogen zuspitzen. Kohtes erkennt etwa im nocturnen Rausch „die vorübergehende Aufhebung der gesellschaftlichen Ordnung“ – eine Aufhebung, die nur an klar umrissenen, abgegrenzten Orten für eine bestimmte Zeit toleriert werde (ebd.: 11). Kohtes sieht hierin ein Verlangen nach Freiraum, nach einem Ventil nach anstregendem Arbeitsalltag im Druck der Großstadt. Diese Bedürnisse brächen sich im Nachtleben Bahn, das sich aus einem Fundus an sozialen

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Mythen und Utopien speise und das sich an imaginierten Geographien nachverfolgen lässt (ebd.: 12 ff.). Kohtes verdeutlicht: „Zu den bevorzugten Nistplätzen dieser Mythen gehören die Nischen und Schattenreiche des Großstadtdschungels, die schillernden Interieurs und das verruchte Milieu der Bars und Nachtcafés, der Spelunken, Tanzlokale und Cabarets. Es sind die Enklaven der Zivilisation, die künstlichen Paradiese, die nach Einfall der Dämmerung trotzig in die Dunkelheit leuchten und zum Tummelplatz der Nighthawks und der Musen, der vom Alltag Geschlagenen und nach Entgrenzung Dürstenden werden. Fiebrige Sümpfe des Lasters oder mondäne Oasen des Vergnügens – von diesen Orten geht eine Faszination aus […]“ (ebd.: 20).

Der faszinative Charakter solcher nächtlicher Ortssemantiken kulminiert dabei in Diskursen, die ihrerseits wieder die Reproduktion nocturner Ökonomien bedingen und forcieren. Dies geschieht, indem derartige Diskurse mit einer Facette des kommodifizierten Zeitgeistes des 21. Jahrhunderts korrespondieren: der Drang zu konsumieren als Lebensinhalt und Sinn, als Projektionsfläche und Selbstverortung. Dieser Typus vergesellschaftlicher Relevanzentfaltung von Ökonomie und ihren Maßstäben ist relativ neu. Denn Nacht hatte früher stärker reproduktiven Charakter, diente zuallererst der Wiederherstellung der Arbeitskraft. In der heutigen Spaßgesellschaft metamorphosieren abendliche und nächtliche Formen von Konsum und Genuss vielleicht nicht zum unumstrittenen Lebensmittelpunkt, dennoch richten viele Menschen ihr Leben auf eine entsprechende Gestaltung dieser Freizeitund Konsuminhalte, erfahrbar in den Vergnügungsvierteln oder auf Feiermeilen, aus. In der ausdifferenzierten, kommodifizierten Gesellschaft der Postmoderne avanciert nächtlicher Konsum zu einem – wenngleich nicht immer zwangsläufig zu dem ausschließlichen – „Lebenszweck“ und

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auch die nocturne Gesellschaft damit zu einer Facette jener aktuell stärker denn je greifbaren „Konsumgesellschaft“ (mit Bezug zu Pütz & Schröder 2011: 992 f.). Konsum, und so auch seine nächtlichen Ausprägungen, wirkt gleichzeitig identitätsbildend bzw. mit Identität korrespondierend sowie Gesellschaft strukturierend (ebd.: 994). Er bietet Erlebnis wie Projektionsfläche und weist insofern Repräsentationscharakter auf, als Nachtgänger durch ihn und mit ihm bestimmte Rollen ‚spielen‘, d.h. inszenieren oder gar (aus-, er-, durch-)leben, d.h. sich mit ihm identifizieren können. In demonstrativer Aufführungspraxis oder auch diskursiv (re)produzierten Heterotopien schafft nocturner Konsum schließlich konkrete, d.h. realisierte Nacht-Orte.

C) T ECHNO -T EMPEL : O KKULTE R ITUALE TECHNISCHEN A GENCEMENTS

IN

Die nächtliche „Topographie des Lasters“, wie Michael Kohtes (1994) herausstellte, ist vielfältig und heterogen. Sie umfasst u. a. die Lust auf nächtliches Erleben und auf nächtlichen Rausch als tief im kulturellen Gedächnis der Menschheit wurzelndes „Nachtfieber“ (ebd.: 21), sie umfasst Nachtgänger als „Pilger“ und „Ekstatiker“, eine von „Masken und Kulissen“ geprägte spezielle „Aura“, „Eremiten und Sonderlinge“, „Auguren“, „Rituale“, „Krieger“, „Schatten und Schamanen“, „Sirenen“ und insbesondere den Alkoholkonsum als „dionysische[n] Taumel“ und kollektiven Rausch (ebd.: 5) – letztlich verschiedene, nicht selten religiös oder sakral konnotierte Facetten, die zusammen das Bild einer nächtlichen Massenheterotopie, einer Topographie der Gegenorte, wie ich es schon in Kapitel 3 skizziert habe, stützen und die nächtliche Atmosphäre nicht nur in Form von Konsum-Kathedralen widerspiegeln, sondern auch materiell verorten sowie durch Praktiken verfestigen. Diese konkrete Realisierung, dieses technische Nacht-Werden und Ökonomie-Machen an speziellen Orten in den okkulten Praktiken, Bildern und Diskursen von und über die nächtliche Vergnügungskultur, möchte ich mit dem Konzept der Techno-Tempel versuchen zu

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fassen. Dabei skizziere ich zur Einführung und Verdeutlichung einige Gedanken von Michael Kohtes (1994). Kohtes beschreibt Nacht-Orte und insbesondere deren Anziehungskraft als schwer zu durchschauendes „Gemisch aus Gewalt, Pläsier und Erotik“ (ebd.: 62). Schon der Aura des Nächtlichen könnten „alle Merkmale einer rauschhaften Wirkung“ (eb: 71) zugeschrieben werden. In den urbanen „landscapes of consumption“ (Lowe & Wrigley 2008: 238) verfestigten sich schließlich okkulte Rituale als „eine Vielzahl von Gesten und Handlungen, die wie alle sakralen Gebräuche sich deutlich von den pragmatischen, nutzbringenden Verhaltensweisen der Alltagswelt unterscheiden“ (Kohtes 1994: 117). Diese Rituale finden an bestimmten Orten statt: in Konsum-Kathedralen (wie beschrieben) – und in ‚Techno-Tempeln‘. Mit letzteren kommt ein möglicherweise irritierender Ansatz zu meinen Nacht-Orten hinzu. Zunächst ging ich bei der Konzeption dieser Zeilen nur vom Bild der ‚Kathedrale‘ zur Vergegenwärtigung der sakralen Geographien des Konsums und ihres religiös-spirituellen Charakters als Repräsentation eines Gemisches aus Identitätsverfestigungen und Deutungsangeboten in Zeichensystemen der Ökonomie aus, doch im Laufe der Arbeit erschien mir überdies die Idee von ‚Tempeln‘ opportun, um erstens den mysteriösen Gehalt und die okkulten Riten und Rituale im Interieur dieser Kultstätten zu präzisieren. Tempel sind wie Kathedralen Stätten des spirituellen Geistes, aber verkörpern in ihrer Semantik eher vorchristliche, nicht zuletzt auch archaiische und außereuropäische sakrale Gebäude, zudem geheimnisvolle Praktiken, die dem westlich-europäischen Denken der Postmoderne fremd sind und gerade in dieser Fremdheit, durch ihre Andersartigkeit als Gegenort faszinieren. Mit Bezug zu Kohtes (ebd.: 141 ff.) lassen sich die nächtlichen Topographien nämlich als spezifische Massenheterotopien (be)greifen, an denen „Schamanen“ und andere Gestalten ihren zwielichtigen Zauber versprühen und den faszinativen Charakter urbaner Nachtsemantiken im Mantel des Konsums realisieren. In die epischen Chöre des Vergnügens mischen sich die Spuren sprühender Hagelschauer aus Lust und Begierde, die Freude schönster Götterfun-

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ken im alles überstrahlenen Angesicht ausgelassenen Feierns. Der Kanon der Gläubigen entfesselt dabei nicht nur auf den Dancefloors gewaltige Energien, die nur aus ihrer Rolle als den Stress, die Mühen und das Tempo des Alltags überwölbendes, sozial-emotionales Ventil heraus zu verstehen sind. Dabei nimmt die sehnend-süchtige Sinnsuche nicht selten grotesk-bizarre Formen an, wenn die Nachtgänger noch im Morgengrauen die verheißungsvollen Frittenfabriken, jene dampfenden Dönerschmieden durchdringenster Dekadenz, ansteuern, um sich zum Ende einer kraftraubenden Nacht fettiges Fastfood auf die Hüften zu tackern. Zweitens gehen Techno-Tempel zugleich über die reine Repräsentation von ins Nächtliche eingeschriebenen Ökonomie-IdentitätKonglomeraten hinaus und fokussieren auf die Materialisierung und Performativierung, letztlich auf die Realisierung von symbolischen Zeichensystemen in baulich-technischen Arrangements: Monolithische Statuen treffen auf inkarnierte Wellen zerstreuter Verzauberung; im Anathema urbaner Distinktion kulminierend, speisen sich die Sümpfe aus Sünde und Suff aus kommodifizierter Lava und provozierender Asche. Im Zuge dieser Prozesse fällt die Brutstätte aus Pantomime und Poesiealbum in sich zusammen, fahler Sarkasmus und verbrannte Flügel zeugen von Kontrollverlust. Scheinbar exquisite Träume richten sich auf das Interieur der Clubs, beten das funkelnde Licht und seine Quellen in der vergötterten Halbwelt an, preisen den cineastischen Zauber aller Zünfte. Doch subtil-körperlos, beizeiten übernatürlich – und dabei im Zustand zaghaft-zögernder Zersetzung begriffen – kreiert das infernalische Ambiente seine glänzende Strahlkraft offenbarter Retention, die magisch das letzte Puzzlestück in das Gesamtbild einer hoch segregierten Nachtgesellschaft integriert. Ökonomie verfärbt sich, pervertiert lieblich tänzelnd; sich in romantischen Versen windend, umwehen samtig-seidene Vorhänge die Asphyxie der Großstadtnacht. Funkelnd feiern Engelstränen den ästhetisierten Torso des Vergnügens, Druiden befeuern das zweifelhafte Spiel etwa ab Mitternacht mit immer betörenderen Beats. Sinistre Gedanken, windige Gestalten, ominöse Opfer obszöner Obskurität – sie alle versinken im verlocken-

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den Nektar der Spiel-Höllen, prallen auf den durchlässigen Granit aus Lust und Laster. Mit ihm schließlich verschmelzend, avancieren sie zu suspekten Metaphern des Unheilvollen. Undurchsichtig, beinah sphinxhaft, umspielen Techno-Tempel schlussendlich kryptische Heterotopien, deren mystische Manifeste in einem spezifischen Ensemble aus baulich-technischen Infrastrukturen, digitalen Ortsrepräsentationen und menschlicher Identitätssuche, in einem feurigen Budenzauber der performativen Zeichen und okkulten Realisierungen von kaschierten – und nichtsdestotrotz omnipräsenten – Konsumreizen der nächtlichen Postmodernopolis münden.

9 Postludium

A) N ACHT -O RTE : E IN F AZIT Mit den Orten der Nacht habe ich dezidiert geographisches Terrain beackert und bin damit Yeungs Forderung (2001: 171) nachgekommen, kulturtheoretisch informierte und insbesondere vom Cultural Turn inspirierte Wirtschaftsgeographie in Verbindung mit einer Fokussierung auf die geographischen Kernkompetenzen – die Expertise in Fragen zu Raum und Ort – zu betreiben. Denn „space and place together define the nature of geography“, wie auch Tuan schon feststellte (1974: 213). Zugleich habe ich mich aktuellen Prozessen der gesteigerten Relevanz von Orten gestellt, denn (kommodifizierte) „culture is becoming topological“ (Lury 2012: 247). Dabei bezog ich die urbane ‚Teflonschicht‘ – die materielle, aber gleichsam auch die digitale Oberfläche der Großstadt, welche Nacht ästhetisiert – als Teil der nachtmachenden Diskursteilnehmer mit ein, ohne das Nächtliche in seiner Wirkung und Realisierung entzaubern zu wollen. Die Orte des nocturnen Konsums sind vielfältig und heterogen: Straßen, Kneipen, Clubs und Diskotheken, private Orte und Feiern (zum Beispiel studentische WG- oder beschränkt zugängliche AfterWork-Partys), Bordelle und viele weitere. Einige von ihnen visualisieren Status und Konsum, inszenieren die Aufführungen ihrer Konsumenten als regelrechte Schauplätze. Andere halten nächtliche Ökonomie – aus verschiedenen Gründen – im Verborgenen, verstecken sie

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oder verweisen gleichzeitig in Form symbolischer Codes und mehr oder minder auffälliger Zeichen auf ein wie auch immer geartetes ‚Mehr‘ (z.B. durch Beleuchtung, die Praktiken schemenhaft ‚inszeniert‘) – und appellieren so an die Identitätsentwürfe und Imaginationskraft des Einzelnen, dessen sakrales Verlangen auf baulichsymbolische sowie atmosphärische Deutungsangebote stößt. Aus der Dialektik zwischen Aufführung und Verbergen speisen sich Faszination und Schrecken der Nacht, die als Motoren von Konsumentscheidungen wirken (vgl. Schlör 1991, Schwegmann 2011, Schwegmann 2012). Um zumindest einigen der vielfältigen Charaktereigenschaften von Orten zu begegnen, habe ich in meiner Serenade zunächst vier topographische Typen unterschieden: (1) Markt-Plätze meinen in Anlehnung an Berndt und Boeckler (2007, 2009, 2012) vermarktlichte Orte – die vor allem durch Ästhetisierungen verschiedener Couleur kommodifiziert werden: Sie verkörpern die Destinationen des visuell und imaginiert ansprechend herausgeputzten Kommerz; sie setzen sich nicht nur aus gestylten Materialitäten zusammen, sondern ebenso aus euphemisierenden Bodyscapes. Im düsteren und bisweilen gar schaurigen Licht der urbanen Vergnügungskultur wird Nacht als schummerig-schemenhafter Teil von Natur kompostiert: Sie wird zunächst durch Ästhetisierung zersetzt und in einem nächsten Schritt sodann als gut gedüngte Ackerfurche der neoliberalen Postmoderne in Wert gesetzt. In Form einer doppelt janusköpfigen Ökonomisierung setzten sich nächtliche Markt-Plätze schließlich aus zwei disziplinierenden Paaren zusammen: Nacht als Ventil meint die bereitgestellte und wahrgenommene Möglichkeit, den Druck des Arbeitsalltages im Nachtleben auszugleichen. Zusammen mit der regenerativen Phase der Nacht als Zeit des Schlafens reproduziert diese Facette den Tag machtvoll-ermöglichend als Arbeitsund Konsumtionsraum – Nacht wirkt in diesem Sinne indi-

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rekt, mithin mittelbar ökonomisierend. Sodann kann sie aber auch direkt und unmittelbar kommodifizierend wirken, so sie denn selbst als Phase der Arbeit und des Konsums aufgefasst wird. (2) Die dunkle Seite der Nacht interpretierte ich duch den Bezug auf Oumas (2013) Konzept der Tat-Orte. Polysemer Verunordnung infolge diametraler Machtasymmetrien unterliegend, gipfelt die Magie der Großstadtnacht in verschiedensten Topoi, welche sich wiederum als durch (auch diskursive) Praktiken hervorgerufene Plätze der Ver(un)sicherheitlichung in semantisch produzierten und performativ reproduzierten Problem-Plätzen, Angst-Orten und Protest-Plätzen ergießen. (3) Um die zuvor schon mehrfach erwähnte, insbesondere von Schlör beschriebene Dialektik von Faszination und Schrecken (1991) erneut aufzugreifen, näher zu erläutern und zu ‚verorten‘, bezog ich mich auf Schau- und Spiel-Plätze – zur Verdeutlichung der nocturnen Semiotik sichtbarer Aufführungen im polytopischen Ambiente einer inszenierten Visualisierung von Ökonomie. Nacht-Orte erscheinen als visualisierte und visualisierende Bühnen, auf denen sich die als Schau-Spieler erscheinenden Nachtgänger präsentieren können. (4) Schließlich wirken – last but noch least – die sakralen Geographien der Ökonomie an und durch Pilger-Stätten, die Ausdruck, Anleitung und Aufführung in Konsum-Kathedralen und Techno-Tempeln finden. Sie sind einerseits als verheißungsvolle Paradiese erkennbar, als Zeichenlandschaften und Indikatoren für okkulte Rituale, die in ihrem Interieur zu vermuten sind und die als materielle Repräsentationen für imaginative Geographien fungieren. Eben diese zu erwartenden sakralen Praktiken und spirituellen Kopflandschaften sind aller-

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dings andererseits lediglich ob äußerer Hinweise zu vermuten, ohne die konkreten Erlebnispotenziale und Deutungsangebote, die in ihrem Inneren zu erahnen sind, gleich offenzulegen. Durch konkrete Zeichen stellen sie damit symbolische (Be)Deutungsreservoirs dar, die auf Hoffnungen der potenziellen Konsumenten nächtlicher Formen von Ökonomie, ergo der Nachtgänger treffen. Nächtliche Panoramen der Faszination beschrieb ich also nicht nur durch die Rekurrierung auf inszenierte (Bühnen), sondern nicht zuletzt durch die konturenverstärkende Betonung von – zunächst, d.h. von außen – (semi-)verschleierten Formen (Konsum-Kathedralen und insbesondere Tempel). Die Sakralisierung von Orten ist dabei als reziproker Prozess zwischen Mensch und Materie zu betrachten, in dem Produzent und Konsument nocturner Ökonomien verschmelzen. Es handelt sich nicht nur um eine Semiotisierung und Mythologisierung des Nächtlichen, wenn ‚Himmel und Hölle‘-Utopien den Geist des Ortes ausmachen, sondern auch um performative Verheißungen, die sich in den Pilger-Stätten manifestieren und zu ökonomischen Wirkungszusammenhängen verschmelzen. Speziell in ‚Techno-Tempeln‘ – technisch wirkende Arrangements baulicher und digitaler Heterotopien – verschränken sich auf performative Art und Weise die Erwartungen potenzieller Konsumenten mit den bereitgestellten Deutungsangeboten der nocturnen Ökonomie zu einer unmittelbaren Realisierung des nocturnen Marktes. Die Herstellung derartiger performativer Komplexe verläuft unter Mithilfe von verschiedenen Akteuren, zu denen auch über Nacht schreibende Wissenschaftler gehören, die als Teil eines umfassenden Orientalisierungsprozesses (mit Bezug zu Said 1978), an dem eben auch und besonders Forschende – so sie zu Fragen des Nächtlichen arbeiten – beteiligt sind, Wirkung entfalten und so Nacht endlich in kommodifizierter Ausprägung realisieren.

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Alle vorgestellten Orte appellieren an die Imaginationskraft des Nachtgängers und reproduzieren sich in ökonomisierter Form, wenn wir ihre Rolle als Relaisstation im schnellen Umschaltspiel zwischen Ästhetik, Identität und Konsum interpretieren. Alle Typen von Nacht-Orten sind schließlich Teil der Realisierung von nächtlicher Inwertsetzung als Massenheterotopie – selbst verschreckende Tat-Orte können den faszinativen Charakter von Nachtleben verstärken, indem sie an die imaginativen Geographien der Grenzüberschreitung appellieren und diskursive Auseinandersetzungen mit eben diesen bedingen. Neben den vorgestellten Nacht-Orten könnten ferner auch weitere identifiziert werden, die ebenfalls wirkmächtige Bilder und nachhaltige Denkanstöße ermöglichen könnten. So könnte mit dem Bild von Nacht als Orchester die Symphonie des Städtischen sowie deren Dirigenten – die bestimmenden Akteure in der nocturnen Machtasymmetrie – vorgestellt werden. Nacht als Zirkus könnte durch das Bild der Manege als Schauplatz exotischer und spektakulärer Aufführungen beschrieben werden; ebenfalls würde sich hier die Frage nach den Dompteuren und Schaustellern stellen. In meinem geographischen Aperçu erscheinen Nacht-Orte aber gleichwohl nicht als derart voneinander abgrenzbar oder gar unabhängig, sondern vielmehr als janusköpfig, poly- und ambivalent; zugleich als sich bedingend. Durchmessenen Schrittes habe ich die Inwertsetzung der Nacht dergestalt zu fassen versucht, dass ich die Einarbeitung und Verwebung ‚von Ort in Ort‘ (in Wert setzende In-Ort-Setzung) aufzeigen wollte. Denn es gilt zu beachten: Die vorgestellten NachtOrte sind auf unterschiedliche Art und Weise miteinander verwoben, mitunter gar ineinander verschränkt. Dies wird schon deutlich, wenn wir uns mit Kneipen oder Clubs befassen. Diese erscheinen als kommodifizierte und kommodifizierende Vergnügungsdestinationen, als Bühne und Tempel, aber auch als Quelle, Projektionsfläche und Produkt von sozialen Verwerfungen: Zart ziseliert, zerströmen zauberhafte Zysten in den Zisternen. Ebenso sind Bordelle als moralisch verwerfliche Problem-Plätze gleichsam performative Schau- und Spiel-Plätze; ebenfalls generieren sie eine mysteriöse Aura des Ver- und Entbergens,

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deren faszinativer Charakter zur Vermarktlichung der künstlichen Vulkane beiträgt. Daher lassen sich die nocturnen Topoi nur zusammen denken – als Facetten, die durchaus an ein und demselben Ort ein prosperierendes Potpourri des urbanen Ambientes kreieren. Als Beispiel für eine oppulente „Ökonomie der Faszination“ (Schmid 2007, 2009) ergießt sich der fragmentierte Rhythmus urbaner Nachtsemantiken demnach in den unscharfen Konturen der neoliberalen Postmoderne.

B) N ACH ( T )F ORSCHUNG : P ERSPEKTIVEN UND P OTENZIALE Wissenschaft ist immer ein unabgeschlossener Prozess (van Heur 2010a: 9). Auch meine Arbeit verortet sich in einem Erkenntnisprozess und möchte zum Abschluss ein paar Ausblicke und Anknüpfungspunkte aufzeigen: Ich versuche mit diesem vorletzten Unterkapitel sowohl Perspektiven und Potenziale für die weitere Untersuchung der nächtlichen Polytopie vorzustellen, als auch eben diese Nacht(orte) als spezifische Perspektive auf weitere Prozesse im sozio-ökonomischen Feld – und nicht mehr lediglich als wissenschaftliches oder ökonomisches Potenzial – zu denken. Mit dem Terminus ‚Nach(t)forschungen‘ trachte ich danach, diese Zusammenhänge zu fassen, Nachtforschung als offenes Feld zu präsentieren und gleichzeitig nachträgliche Forschungen zu adressieren sowie zu stimulieren. Anknüpfungspunkt für weitere Untersuchungspotenziale der Nacht speisen sich beispielsweise aus einem Defizit der bisherigen Untersuchungen im deutschsprachigen Raum: Hier liegt der Schwerpunkt von Arbeiten zu nächtlichen Facetten der Kultur- und Kreativwirtschaft auf der Musikwirtschaft und deren politischer Steuerung bzw. zu Planungsmöglichkeiten derselben, aber auch auf ihrer kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung – nicht zuletzt als Werbe- und Imageträger. So befasste sich Schmid mit „Clubkultur und Stadtentwicklung. Zum planerischen und planungsrechtlichen Umgang mit Live-Musik-Clubs“ (2010) und stellte u. a. fest:

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„Live-Musik-Clubs sind insbesondere in Großstädten und Metropolen zentrale Institutionen sowohl der lokalen Musikkultur als auch des Nachtlebens. Sie fungieren oft nicht nur als Orte der Musikdarbietung, sondern auch als räumliche Fixpunkte oder gar Inkubatoren (sub)kultureller Szenen und deren ökonomischer Aktivitäten“ (ebd.: 272).

Lange und Bürkner (2012) behandelten elektronische Musik, die in den letzten Jahren in „globallokalen Märkten“ vielfachen Herausforderungen im Zuge von technologischem Wandel und Virtualisierung gegenüber stünden, insbesondere am Beispiel des deutschen Hotspots Berlin. Nicht zuletzt befasste sich Lundsgaard-Hansen in seiner Masterarbeit mit der „Governance der Kultur- und Kreativwirtschaft am Beispiel der elektronischen Clubszene in Berlin“ (2012). Ferner bezog auch ich mich in meiner Masterarbeit auf Panoramen der Musikwirtschaft, am Beispiel Frankfurt (Schwegmann 2012). Ein weiteres Beispiel für die Musikwirtschaft bietet van Heurs Text zu „Imagining the spatialities of music production: the co-constitution of creative clusters and networks“ (van Heur 2010b) in London und Berlin. Zukünftige, innovative Forschungsansätze sollten vor diesem Hintergrund in Betracht ziehen, (auch) andere Facetten der urbanen Nachtökonomie zu erfassen: Nachtleben umfasst nicht ‚nur‘ Musik; nichtsdestotrotz verkörpert diese sicherlich einen gewichtigen Faktor vermarktlichter Stadtgesellschaften. Weitergehende, an meine Arbeit anschließende Studien müssten sich überdies mit den Nachtgängern und ihrer Position im Reproduktionsprozess nocturner Vermarktlichungen beschäftigen. In die nächtlichen Prozessionen reihen sich die verschiedensten Pilger und SchauSpieler ein, deren Rolle noch nicht endgültig geklärt ist. Wie in dieser Arbeit herausgearbeitet, korrepondieren Erwartungen und Wirklichkeiten der Nachtgänger mit den bereitgestellten Deutungsangeboten der kommodifizierten Großstadtnacht. Wenn die Vorstellungen der Nachtkonsumenten allerdings durch Diskurse und Praktiken, Technologien

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und Materialitäten kapitalistisch-neoliberaler Logiken indoktriniert und schließlich (re)produziert werden, muss die zwischen diesen Parametern oszillierende Reziprozität aus Konsumenten und (Re)Produzenten nocturner Ökonomien differenzierter betrachtet werden. Wie in der Einleitung schon betont, entsteht die Nachfrage nach nocturner Ökonomie, das Verlangen und das Bedürfnis nach nächtlichem Vergnügen möglicherweise (auch) durch solche – im weitesten Sinne – Diskurse vermarktlichter und vermarktlichender Gesellschaften. Nachtgänger wären vor diesem Hintergrund als manipulierte, verführte, in Konsumenten transformierte Mittel zur (Re)Produktion kapitalistisch-neoliberaler Systeme zu bewerten. Wo allerdings viele Facetten des Zusammenspiels von nächtlichen Angeboten, Infrastrukturen, Menschen, Technologien, Diskursen und Praktiken eher zufälliger Natur sind, da kann das Entstehen von Ökonomie, das letztliche Resultat dieser Prozesse, nicht in Gänze kontrolliert werden. Zwar können Stadtplaner, Politiker, Architekten und andere Eliten Deutungsangebote mit dem konkreten Ziel der wirtschaftlichen Nutzbarmachung nocturner Topographien erschaffen – die konkrete Realisierung ihrer Pläne speist sich allerdings aus einer Fülle von Faktoren, die in der nicht gänzlich in Bezug auf ihre Effekte zu vermessenden Interaktion von einerseits Menschen untereinander sowie von Menschen mit (digitalisierter und nicht-digitalisierter) Materie andererseits mündet, somit nicht abschließend vorhersehbar ist. Diese Fragen bedürfen in weiterführenden Arbeiten eingehenderer Ver- wie Aushandlung. Ebenso bedarf es einer trennschärferen Konzeption von Diskurs als die im Rahmen dieser Serenade vorgenommene: einer solchen, die allen – oder zumindest möglichst vielen – Facetten im Reproduktionsund Realisierungsprozess von Machtasymmetrien gerecht wird. Ein Ansatzpunkt wäre Foucaults Dispositiv-Konzept (1978), „um das Zusammenspiel von Elementen unterschiedlicher Qualität konzeptionell greifbar zu machen“ (Dzudzek et al. 2011: 181). Diese Interaktion verschiedener Akteure im Auf- und Ausfführungsprozess des Nächtlichen habe ich im Präludium unter einem maximal weit gefassten Diskursbegriff subsumiert, um alle wirklichkeitsbeeinflussenden bzw. -machen-

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den Elemente zu fassen. Die Gefahr einer solchen umfassenden Einordnung liegt auf der Hand, mangelt es doch an klarer (Binnen)Differenzierung. Meine behelfsmäßige Unterscheidung von Diskursen ‚im engeren‘ und ‚im weiteren Sinne‘ könnte nämlich Irritationen hervorrufen, gar Missverständnisse heraufbeschwören: indem die Frage aufgeworfen werden könnte, wie wir, wenn alles Realitätsmachende Diskurs sei, dann Diskurse im engeren Sinne, d.h. primär sprachliche Entitäten der Wissens- und Wahrheitsgenerierung, begrifflich-konzeptionell sauber fassen können. Möglicherweise würde eine Unterscheidung von Dispositiv (in meiner Arbeit: Diskurse im weiteren Sinne – bestehend aus Technologien, Materialitäten und Diskursen im engeren Sinne) und Diskurs (in meiner Arbeit: Diskurse im engeren Sinne – z.B. bestehend aus medialen, wissenschaftlichen Diskursen etc. im Sinne sprachlicher Einheiten) neue Horizonte eröffnen. Auch wäre die vorliegende grundlagentheoretische Studie dann keine Diskurs-, sondern vielmehr eine Dispositivanalyse. Mein Einwand gegen eine derartige Herangehensweise bestünde sodann allerdings darin, dass alle Elemente eines Dispositivs derart mit Diskursen als vorherrschende, machtvolle Wissenskonglomerate der Sinngenerierung interagieren, dass schon von einer Verschränkung, mitunter einer Verschmelzung gesprochen werden kann: Technologien sind Teil von Diskursen, sind somit Diskursteilnehmer, Diskursmacher, avancieren schließlich selbst zu Diskursen. Ähnliches gilt für Praktiken sowie für materiell-bauliche Infrastrukturen und Architekturen. Gerade dieses Ineinander des Miteinanders scheinbar arg von einander verschiedener Elemente okkupiert Realisierungsräume und lässt hegemoniale Bedeutungen performativ werden. In diesem theoretischen Wirrwarr findet es sich nur schwer zurecht; Hilfe ist überaus willkommen. Das Verhältnis von Materialität und Diskurs, von Dispositiv und Diskurs, von Mensch und Materialität, sowie von ‚Zwischendingen‘ wie Technologien und digitalen Heerotopien im Herstellungsprozess multipler Realitäten bedarf in Zukunft schärferer Analyse denn je – von allen Disziplinen.

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Indes führen diese Überlegungen indirekt zu meinem nächsten Anknüpfungspunkt: Denn obendrein – und dies ist mir ein besonderes Anliegen – könnte der vorliegende Vorschlag als versuchter Anstoß der Entwicklung eines transdisziplinären Blicks gewertet werden, einer Beschäftigung mit Nacht als Perspektive – und nicht ‚nur‘, obgleich auch, als Gegenstand, z.B. als ökonomisches Potenzial. Durch die und mit der Perspektive Nacht könnte dabei auf übergreifende ökonomische, ökologische, politische und soziale sowie technische und kulturelle Prozesse in ihrer Verbindung, Verschmelzung und Hybridität abgezielt werden, indem eine gemeinsame Metatheorie auf postdisziplinärem Feld erstellt wird. Ein rudimentärer Anfang sei diese Arbeit, die als eine Skizzierung auch die Forderung in sich trägt, durchaus verschiedene metatheoretische Ansätze für die Betrachtung von Nacht zuzulassen und hierarchiefrei nebeneinander zu platzieren. Alternative Erklärungsversuche wären in diesem Sinne nicht nur erlaubt, sondern würden regelrecht eingefordert, um im wissenschaftlichen Aushandlungsprozess die Qualität einzelner Entwürfe, die Plausibilität von konzeptionellen Herangehensweisen im Gegenüberstellen auf Tauglichkeit, d.h. auf argumentative Stichhaltigkeit und auf die potenzielle Generierung neuer Interpretationsraster zu überprüfen. Metatheorie meint in diesem Kontext nämlich nicht die Entwicklung einer einzigen, ausschließlichen Herangehensweise und Perspektive, eines theoretischen Einheitsbreis wie postmodernen Allerleis, sondern vielmehr eines Deutungsangebotes von mehreren, um im Pluralismus der Konzepte ein Gedankenfeuerwerk unterschiedlichster Einflüsse und ungewissen Ausgangs zu ermöglichen – fern von disziplinärer Borniertheit. Näheres dazu erläutere ich im folgenden, letzten Unterkapitel zu einer Betrachtung von Wirtschaftsgeographie unter der Linse einer engagierten Vielfalt (vgl. Barnes & Sheppard 2010). Analoges gilt für die Entwicklung und Vermessung einer transdisziplinären Nachtforschung, die ihre Institutionalisierung in Form einer weitgehend fachgebunden Untersuchungsperspektive, z.B. einer geographischen Nachtforschung, möglicherweise überpringen und direkt in inter-, multi- oder nach Möglichkeit auch transzisziplinärer Nachtfor-

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schung kulminieren könnte. Dies bedürfte nach derzeitigem Stand aber noch exorbitanter Anstrengung. Eine andere ‚Gutenachtgeschichte‘ als die hier vorliegende könnte überdies von den Dingen – statt von den Orten – her geschrieben werden, wenn das steigende Interesse der Humangeographie und verwandter Wissenschaften für Materialität, sozusagen als ‚geerdete‘ Reaktion auf einen möglicherweise ausufernden (De)Konstruktivismus, weiter anhält. Kalkulationsinstrumente wie Uhrzeitmessungen, Elemente wie Feuer, schließlich Technologien wie Smartphones und Glühbirnen dürften in einer solchen Abhandlung nicht fehlen; sie könnten gleichsam dabei helfen, das Delirium nocturnum in seinen Verästelungen angemessen zu strukturieren. Einen Denkanstoß für potenzielle kommende Beschäftigungen mit dem Gegenstand Nacht liefert ferner Ipsen: „Es wurde bislang viel über urbane Landschaften gesprochen. Transitorisch sind aber auch die Landschaften des ländlichen Raumes“ (Ipsen 2006: 161). Darüber hinaus könnte die Erfassung von dörflichen oder kleinstädtischen Vergnügungsformaten neue Impulse für eine multiperspektivische Nachtforschung erzeugen, denn „in der Kleinstadt herrscht durch die räumliche Nähe eine geringe soziale Distanz und eine hohe soziale Kontrolle“ (Bettendorf 2013: 39). In diesem Sinne empfiehlt es sich, in Zukunft auch (und besonders) ländliche bzw. kleinstädtische Formen der Nacht und des Nachtlebens zu identifizieren, zu charakterisieren und wissenschaftlich wie auch literarisch zu durchdringen. Letzterer Punkt führt uns wieder zur Einleitung: Wie schon dort geschrieben, kann der Gegenstand Nachtleben auch für andere Disziplinen relevant sein. Diesbezüglich möchte ich meinen Ausblick auf weitere Nach(t)forschungen mit Michael Kohtes Worten schließen: „Anthropologen, Philologen, Philosophen, eine Welt der Entdeckung, eine Wissenschaft für sich, erwartet euch!“ (Kohtes 1994: 179)

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C) E SSAYISTISCHE G EOGRAPHIEN DER E R -Ö RTERUNG : E IN P LÄDOYER Letztlich habe ich mich in diesen Zeilen in dreifacher Hinsicht an einer ‚er-örternden‘ Wirtschaftsgeographie versucht: erstens inhaltlich – durch die Fokussierung auf den Gegenstand (Nacht)Orte – und perspektivisch (als Linse, mit der nächtliche Ökonomie betrachtet wird). Zweitens im sprachlichen Stil durch eine essayistisch anmutende Sprache des Ortes, die sich insbesondere in den Überschriften zu den einzelnen Kapiteln, d.h. zu den einzelnen Nacht-Orten widerspiegelt. Im Zuge dessen habe ich versucht, anhand von sich des Ortes bedienender Sprache einige Facetten urbaner Nächte zu erklären. Drittens wurde in methodischer Hinsicht hermeneutisch erörtert, d.h. in argumentativer Ausrichtung eine Fragestellung bearbeitet – ohne dabei empirische ‚Beweise‘ liefern zu wollen, sondern um ‚lediglich‘ Deutungsangebote zu generieren. Ich hoffe in diesem Tenor und in aller Demut, mit dem vorliegenden Entwurf einige Impulse für die weitere Beschäftigung mit innovativen, theoriegeleiteten Ansätzen für die Wirtschaftsgeographie gesetzt zu haben. Kulturelle Geographien der Ökonomie als „an original synthesis of cultural and economic geography, cultural studies, and new strands of economic theory“ (Flew 2010: 85) mögen in dieser Form, als essayistische Wirtschaftsgeographie betrieben, in vielerlei Hinsicht irritieren. Und doch bieten sie multiple Anknüpfungspunkte für das Verständnis, die Wirkweise und -mächtigkeit sowie nicht zuletzt die Interpretation ortsbezogener Prozesse, indem sie neue Betrachtungsweisen von nächtlichen Ökonomien durch die Rekrutierung von im weitesten Sinne kulturwissenschaftlichen Ansätzen entwickeln und Gegenstände bewusst (noch?) nicht auf empirischer, sondern auf theoretischer Ebene zu fassen versuchen. In dieser Vorgehensweise fragte das Forschungsprojekt also nach (kultur)theoretischen Zugängen zu nächtlichen Ökonomien und ihren Orten; ich habe Nacht vom Ort her gedacht. Diese Art des Arbeitens ist kein Allheilmittel und beansprucht erst recht keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder gar Diskurs-

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und Deutungshoheit. Und doch wird man sich mit ihr auseinander setzen müssen. Sie ist lediglich eine Facette im großen Fundus geographischer Arbeiten, die als Deutungsangebot sicherlich Kritik hervorruft und diese – so sie konstruktive Züge annimmt – auch einfordert. Ein derartig(er) fragiler Entwurf möchte nicht partout auf kollektive Zustimmung stoßen und sich, um abermals im Bild des nächtlichen Vergnügens zu bleiben, erst recht nicht selbst feiern. Nichtsdestotrotz: Ich plädiere für originelleren Sprachgebrauch in wissenschaftlichen Arbeiten. Neues Vokabular muss her, um Wirklichkeitsauffassungen und Deutungsmöglichkeiten in ihrer Fülle greifen zu können. Derartiges Sezieren ist noch nicht en vogue, birgt es doch gleichzeitig die Gefahr, in kleinteiligen Dekantierungsversuchen zu verharren. Angst vor allzu literarischen Ergüssen darf allerdings nicht die Oberhand gewinnen: Ich plädiere für bunte Darstellungen, für mehr Experiment, mehr Eigenwilliges und mehr Mut – für ‚NischenGeographien‘ (vgl. Pütz & Schröder 2011: 990), die der Wissenschaft innovative Konzepte injizieren. Ich plädiere für eine gelebte Ausdruckskraft der Kreativität, die nicht nur als Worthülse die eigene Arbeit aufwerten soll. In sprachlich-expressiver Hinsicht bietet sich beispielsweise das Wörterrepertoire aus Biologie, Medizin und Mythologie hervorragend für kommende Versuche an, um in kommenden geographischen Arbeiten komplex-kryptische Konzepte zu kreieren, die neue Realitäten und Wahrnehmungen erklären. Ich plädiere trotz – oder gerade wegen? – dieses Plädoyers (für meine Art des Arbeitens) gleichzeitig für eine Buntheit an Geographie, die fernab von jeder undifferenzierten Diffamierung verschiedenste Deutungsangebote zulässt – ohne Hierarchien zwischen unterschiedlichen methodischen, sprachlichen oder theoretischen Ansätzen. Denn der aktuelle Pluralismus – nicht nur in der Wirtschaftsgeographie im Speziellen, sondern in der (Human)Geographie im Allgemeinen – wirkt äußerst fruchtbar. Um also das zunehmende ‚Auseinanderdriften‘ in intellektuell stimulierende und gleichzeitig nachhaltig gewinnbringende Bahnen zu lenken, ist der Dialog zwischen den so unterschiedlichen Strömungen, Denkrichtungen und Herangehensweisen im großen

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Reservoir geographischer Ideen wichtiger denn je – „to avoid not only monism (as in economics), but also a fragmented pluralism of ships passing in the night“ (Barnes & Sheppard 2010: 207). In diesem Sinne möchte ich mich Barnes und Sheppard (2010) anschließen und für einen „engaged pluralism“ an Stelle eines „fragmented pluralism“ werben: „In effect, our challenge to economic geography (indeed to all geographers of whatever stripe) is to initiate exchange, to trade their various local epistemologies and theories with those of others, and in the process to create new knowledge“ (ebd: 208). Dies soll – wie erwähnt – aber nicht bedeuten, dass auf Kritik verzichtet werden muss, wenn alles erlaubt ist; im Gegenteil: Ich fordere Kritik zu und Auseinandersetzung mit meiner Arbeit geradezu ein, um mein (wirtschafts)geographisches Gedankenkarussel durch zusätzliche Impulse von außen zu beschleunigen. Das Plädoyer von Barnes und Sheppard für einen engagierten Pluralismus möchte ich ergo dergestalt zu verstehen wissen, dass mein Ansatz lediglich als tolerierbares Angebot akzeptiert wird – ohne dass er partout oder gar in Gänze übernommen werden sollte. Stattdessen sei er offen für jedwede Vorschläge zu Modifikationspotenzialen und Adaptierungsreservoirs. Ein Deutungsangebot für alle muss nicht von allen angenommen werden; es bedarf Anfechtung und Aushandlung, um die ihm zugrunde liegenden Prämissen in kritisch hinterfragender Reflexion auf Stichhaltigkeit zu bewerten. Ich ersuche den Leser zu reagieren. Allgemein plädiere ich abschließend für mehr Reflexion (vgl. z.B. Kenway et al. 2004, Pott 2007: 48, Pryke et al. (Hrsg.) 2003). Um die Selbstreflexion von Wissenschaftlern und insbesondere von Geographen in Bezug auf ihre eigene Disziplin, ihre Geschichte(n) und Theorie(n) verstärkt in Augenschein zu nehmen, empfiehlt es sich etwa zu hinterfragen, warum welche Thematiken wie betrachtet werden und warum welche (wie) nicht. So können Fragen in den Fokus rücken, die darauf ausgerichtet sind, warum man sich als Wissenschaftler für einen bestimmten Gegenstand interessiert und diesen darlegt. Was relevant erscheint, hängt dabei nicht zuletzt von ökonomischen Faktoren ab.

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Dass beispielsweise Nachtleben in wissenschaftlichen Studien nicht nur insular als Ökonomie, als ökonomisch zu erschließende Zeit, als zu nutzender Raum betrachtet wird, hängt sicherlich auch mit dem Abzielen auf ein konkretes und immens großes praktisches Potenzial in Hinblick auf Politik- wie auch Wirtschaftsberatung zusammen. In diesem Tenor kann auch meine Arbeit gelesen werden – muss sie aber nicht, wenn auch ästhetische Motive eine Rolle bei der Entscheidung für oder wider die Beschäftigung mit einem bestimmten Gegenstand, einem spezifischen Thema oder einer speziellen Theorie spielen. Denn dem Kommodifizierten gegenüber könnte ein stärker eigenmächtiges, weitgehend frei von ökonomischen Überlegungen erfolgendes Festlegen des Wissenschaftlers von Forschungsinhalten und -schwerpunkten verortet werden; dieses speist sich primär aus einer motivierend wirkenden „Ästhetik der Erkenntnis“ (Paál 2003: 8), die bestimmten Themen und Theorien zugrunde liege, wie Paál in seinem erkenntnisästhetischen Buch „Was ist schön? Ästhetik und Erkenntnis“ (2003) beschrieben hat. Schließlich werde auch Wissenschaft nicht selten als ästhetisch beschrieben (ebd.: 156). Was schön ist und somit als relevant betrachtet wird, hänge dabei von verschiedenen Faktoren ab: „Sowohl in der Kunst wie in der Wissenschaft beurteilen wir Objekte anhand von Kriterien wie Stimmigkeit, persönliche Relevanz oder Komplexität“ (ebd.: 155 f.). Eine an diesen Punkten festzumachende Ästhetik erscheint somit als Voraussetzung für Erleben und Erfahren; Wissenschaft als schöne, sprachlich ansprechende, geistreiche Literatur setzt Reizpunkte (z.B. durch sprachliche Figuren und rhetorische Mittel) und appelliert an die Vorstellungskraft des Lesers (und des Verfassers) (mit Bezug zu ebd.: 156). Insbesondere dieser letzte Punkt verweist auf die Faszination der Geographie, die herausfordernde Denkstrukturen, sprachlichessayistische Raffinesse, imaginiert- oder materiell-visuelle Anschaulichkeit und eine bunte Vielfalt an nicht selten exotischen, zugleich aber oftmals gesellschaftlich höchst relevanten sowie schließlich kognitiv herausfordernden Themen und Theorien verheißt. Ein pulsierendes Nachtleben und andere wirkmächtige Bilder, die an die Sinne und

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Emotionen des Lesers wie des Verfassers appellieren, bergen viel ästhetisches und dadurch auch wissenschaftliches Erkenntnispotenzial; sie entfalten hiermit Relevanz und Anziehungskraft (vgl. ebd.: 163) – auch jenseits von gesellschaftlicher oder ökonomischer Bedeutung ihrer Inhalte. Derartige Überlegungen sollten nicht zuletzt der schieren Erkenntnis willen als Verpflichtung, Ansporn und Anspruch einer ausdifferenzierten, heterogenen essayistischen Geographie der Er-Örterung – insbesondere als möglicher Teil von kulturellen Geographien (der Ökonomie) – im 21. Jahrhundert angesehen werden. Oder wie der Historiker Haas es formuliert (2013): „Vielleicht wird eine der nächsten Generationen einen Weg finden, die eigene Freude an bestimmten Erkenntnissen und an der Arbeit an ihnen offen und transparent zu machen.“

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Sozial- und Kulturgeographie Georg Glasze, Annika Mattissek (Hg.) Handbuch Diskurs und Raum Theorien und Methoden für die Humangeographie sowie die sozial- und kulturwissenschaftliche Raumforschung Juni 2016, ca. 400 Seiten, kart., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3218-7

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Sozial- und Kulturgeographie Veronika Selbach, Klaus Zehner (Hg.) London – Geographien einer Global City Januar 2016, 246 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2920-0

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