»Nachfolge«. Zur Theologie Dietrich Bonhoeffers 9783525564042, 9783647564043, 352556404X

In dieser systematisch-theologischen Studie untersucht Florian Schmitz die „Nachfolge“ (1937), eines der Hauptwerke Diet

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German Pages 441 [440] Year 2013

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»Nachfolge«. Zur Theologie Dietrich Bonhoeffers
 9783525564042, 9783647564043, 352556404X

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© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525564042 — ISBN E-Book: 9783647564043

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie

Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar und Gunther Wenz Band 138

Vandenhoeck & Ruprecht © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525564042 — ISBN E-Book: 9783647564043

Florian Schmitz

„Nachfolge“ Zur Theologie Dietrich Bonhoeffers

Vandenhoeck & Ruprecht © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525564042 — ISBN E-Book: 9783647564043

Die vorliegende Studie wurde vom Fachbereich 01 Erziehungs- und Humanwissenschaften (Geistes- und Kulturwissenschaften) der Universität Kassel als Dissertationsschrift angenommen. Tag der mündlichen Prüfung: 20. 10. 2010

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56404-2 ISBN 978-3-647-56404-3 (E-Book)  2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Konrad Triltsch Print und digitale Medien GmbH, Ochsenfurt Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständiges Papier.

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Vorwort W²qir t` he` 1p· t0 !mejdigc¶t\ aqtoO dyqeø. (2Kor 9,15)

Diese Arbeit wurde im Juli 2010 vom Fachbereich Erziehungswissenschaft/ Humanwissenschaften (Geistes- und Kulturwissenschaften) der Universität Kassel als Dissertationsschrift angenommen. Die mündliche Prüfung wurde am 20. 10. 2010 abgehalten. Allen voran danke ich Prof. Dr. Tom Kleffmann (Kassel), meinem Doktorvater, sehr herzlich für die intensive und kritische Betreuung der Arbeit. Ebenso habe ich Prof. Dr. Christiane Tietz (Mainz) zu danken; sie hat nicht nur freundlicherweise das Koreferat übernommen, sondern durch zahlreiche Gespräche und Anregungen meinen Blick für Bonhoeffers Theologie geschärft. Ihre Unterstützung während und nach der Promotion kann ich nicht hoch genug einschätzen. Den Herausgebern der Forschungen zur Systematischen und Ökumenischen Theologie gilt mein Dank für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe, den Mitarbeitern vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die Hilfe bei der Herstellung der Druckfassung. Zu Dank verpflichtet bin ich dem Forschungsreferat der Universität Kassel, das durch ein Promotionsstipendium die Voraussetzung zur Erarbeitung der Studie geschaffen hat. Die Veröffentlichung wurde ermöglicht durch die großzügige finanzielle Unterstützung der AdolfLoges-Stiftung in Heidelberg; stellvertretend danke ich Frau Dr. Dr. h.c. Ilse Tödt, Prof. Dr. Dr. h.c.Wolfgang Huber und Prof. Dr. Hans-Richard Reuter. Die Internationale Bonhoeffer-Gesellschaft, Sektion Bundesrepublik Deutschland, hat der Arbeit überdies den Bonhoeffer-Forschungspreis 2011 zuerkannt. Schließlich möchte ich von Herzen all denen danken, die mich in der Zeit der Promotion in ganz unterschiedlicher Weise unterstützt haben: meiner Familie, meinen Freunden – und Prof. Dr. Christian Gremmels, dem ich diese Arbeit widme. Kassel, im Juni 2012

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Florian Schmitz

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Inhalt

1. Einleitung . . . . . . . . . . . 1.1 Das Thema . . . . . . . . 1.2 Stand der Forschung . . . 1.3 Ertrag . . . . . . . . . . . 1.4 Bestimmung der Aufgabe

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2. Der Weg Gottes zum Menschen: Rechtfertigung . . . . . . . . . . . 2.1 Zum Begriff Nachfolge in Bonhoeffers Buch . . . . . . . . . . . 2.2 Das Ebenbild Gottes: Der Mensch in statu integritatis und in statu corruptionis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Dialektik von Vollzug und Vollstreckung des Urteils Gottes über den Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Vollzug: Selbstrechtfertigung Gottes . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Vollstreckung: Rechtfertigung des Glaubenden . . . . . . 2.3.3 Glaube und leibliche Bindung . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Glaube und leibliche Bindung an Christus vor Pfingsten: Das synoptische Zeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die Bindung der ersten Jünger an Jesus Christus: Nachfolge 2.4.2 Von der Bindung an die Welt zur Bindung an Christus: Ruf und Eintritt in die Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Die Gemeinschaft der Nachfolgenden: Der neue Mensch . 2.5 Glaube und leibliche Bindung an Christus seit Pfingsten: Das paulinische Zeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Der Leib Christi seit Pfingsten: Christus als Gemeinde existierend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Von der Bindung an die Welt zur Bindung an Christus: Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Der Weg Christi mit dem Menschen: Heiligung . . . . . . . . . . . 3.1 Begriffsbestimmungen der „Nachfolge“ . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Heiligung, Heiligkeit, die Heiligen . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Der Weltbegriff: Einheit der Wirklichkeit . . . . . . . . . 3.2 Das Weltverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Das Verhältnis der Gemeinde zur Welt: Der abgrenzende Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Das Verhältnis der Gemeinde zur Welt: Der zuwendende Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3.3 Exegetische Vergegenwärtigung und Textpragmatik der „Nachfolge“: Hermeneutische Erwägungen . . . . . . . . . 3.3.1 Das Verhältnis von Jesus, Jüngern und Volk . . . . . . . . 3.3.2 Die Verwendung des Begriffs Volk . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Primäre und sekundäre exegetische Ebene . . . . . . . . 3.3.4 Bonhoeffers Haltung zum jüdischen Volk: Israel als Gottes Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Die Adressaten der „Nachfolge“ . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Ertrag und Thesen zur theologischen Entwicklung Bonhoeffers. 4. Der Ort der „Nachfolge“ in Bonhoeffers Denken und Werk: Zur theologischen Entwicklung Bonhoeffers . . . . . . . . . . . . . 4.1 Von der Dissertation bis zur Rückkehr aus den USA: Theologische Standortbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Von der Rückkehr aus den USA bis ins Jahr 1932 (Berlin): Das Problem des Ethischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Herbst 1932 bis Frühjahr 1933 (Berlin): Die Verkündigung des konkreten Gebots durch die Kirche . . . 4.4 April bis Oktober 1933 (Berlin): Die „Judenfrage“ . . . . . . . . 4.4.1 Bonhoeffers Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ . . . 4.4.2 Zu Bonhoeffers Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche im April 1933: Thesen zu Möglichkeiten, Pflichten und Grenzen kirchlichen Widerstands . . . . . . . . . . . 4.4.3 Arierparagraph und status confessionis . . . . . . . . . . 4.5 Oktober 1933 bis April 1935 (London): Das Wort des evangelischen Konzils . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Nachfolge als Kirchenkampf (I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 April 1935 bis September 1937 (Finkenwalde): Die ganz andere Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8 Nachfolge als Kirchenkampf (II) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9 Von der „Nachfolge“ zum politisch-konspirativen Widerstand: Die „Nachfolge“ und der Brief vom 21. Juli 1944 . . . . . . . . .

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5. Ertrag und Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Register . . . . . . . . . . . . A. Personen und Namen B. Schriften Bonhoeffers C. Sachen und Orte . . .

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Wenn das Burgtor der Innerlichkeit lange geschlossen gewesen ist und endlich geöffnet wird, bewegt es sich nicht lautlos wie eine Zwischentür, die in Federn geht. Søren Kierkegaard Augenblick Nr. 1, 24. Mai 1855

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1. Einleitung 1.1 Das Thema Als Ende September 1937 das illegale Predigerseminar in Finkenwalde von der Geheimen Staatspolizei geschlossen wurde, war das Manuskript der „Nachfolge“ bereits im Chr. Kaiser Verlag in München.1 Am ersten Advent schrieb Bonhoeffer in eines der Autorenexemplare die Widmung an Eberhard Bethge: Für „2 1/2 Jahre treuer Gemeinschaft in Finkenwalde“.2 Zweieinhalb Jahre, fünf Semester lang, hatte Bonhoeffer in Finkenwalde als Ausbildungsleiter der Bekennenden Kirche Pfarramtskandidaten ausgebildet und über Nachfolge gelehrt. Und in dieser Zeit, zwischen 1935 und 1937, entstand das Buch „Nachfolge“, das Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist. Dass diese Schrift eine Schlüsselrolle in Bonhoeffers Leben und Theologie einnimmt und ihre Interpretation und Bewertung zugleich nicht unproblematisch ist, wird schon dann deutlich, wenn man sich den frühesten und den spätesten uns von Bonhoeffers Hand erhaltenen Kommentar zu diesem Buch ansieht. Erstmals hatte Bonhoeffer am 28. 4. 1934 in einem Brief an Erwin Sutz über das Vorhaben einer Schrift über die Nachfolge Christi gesprochen. Der Nationalsozialismus habe das Ende der Kirche in Deutschland mit sich gebracht […] Und obwohl ich mit vollen Kräften in der kirchlichen Opposition mitarbeite, ist es mir doch ganz klar, daß diese Opposition nur ein ganz vorläufiges Durchgangsstadium zu einer ganz anderen Opposition ist […] Einfach erleiden – darum wird es dann gehen, nicht Fechten, Hauen, Stechen […]. Wissen Sie, ich glaube – vielleicht wundern Sie sich darüber – daß die ganze Sache an der Bergpredigt zur Entscheidung kommt. […] Nachfolge Christi – was das ist, möchte ich wissen – es ist nicht erschöpft in unserem Begriff des Glaubens. Ich sitze an einer Arbeit, die ich Exerzitium nennen möchte – nur als Vorstufe. (DBW 13, 128 f) 1 Vgl. N, Vorwort der Hg., 12. „Nachfolge“ ist in Anführungszeichen gesetzt, wenn von Bonhoeffers Buch die Rede ist, und erscheint ohne Anführungszeichen, wenn der (dogmatische oder neutestamentliche) Begriff Nachfolge gemeint ist. Den Hauptschriften Bonhoeffers (A-Reihe der Dietrich Bonhoeffer Werke = Bd. 1 – 8) entnommene Zitate werden im Text durch ein Kurzel und Seitenzahl nachgewiesen („Sanctorum Communio“ = SC; „Akt und Sein“ = AS; „Schöpfung und Fall“ = SF; „Nachfolge“ = N; „Gemeinsames Leben“ = GL; „Ethik“ = E; Fragmente aus Tegel = FT; „Widerstand und Ergebung“ = WE). Im Anmerkungsapparat werden diese Schriften grundsätzlich abgekürzt, sofern sie in eigenem und nicht fremdem Text vorkommen. Ferner wird die große Bonhoeffer-Biographie Eberhard Bethges (Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse; 92005) durch die Sigle „DB“ wiedergegeben. 2 Bethge, Nachwort, 283.

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Einleitung

Kirchengeschichtliche Situation einerseits und theologisches Interesse an einer Schrift über die Nachfolge Christi andererseits werden in dieser frühesten Erwähnung erkennbar. Bonhoeffers Erwägungen über Nachfolge haben ihren Ort in der kirchlichen Opposition gegen den Nationalsozialismus, die für ihn ein Kampf um die Kirche selbst gewesen ist. Am 7. April des Vorjahres, nachdem das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ verabschiedet worden war und die Deutschen Christen den darin enthaltenen „Arierparagraph“ auch in die Kirche einzuführen forderten, reagierte Bonhoeffer auffallend schnell und hellsichtig. In seinem Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“, dessen Manuskript er am 15. 4. 1933 fertiggestellt hatte, formulierte Bonhoeffer Möglichkeiten kirchlichen Handelns dem Staat gegenüber, die gegebenenfalls zur Pflicht zum Widerstand der Kirche gegen den Staat werden sollten: Wenn „die Kirche den Staat in seiner Recht und Ordnung schaffenden Funktion versagen sieht, d. h. wenn sie den Staat hemmungslos ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht verwirklichen sieht“, dann hat die Kirche „nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen. Solches Handeln wäre unmittelbar politisches Handeln der Kirche“ (DBW 12, 353 f). Kündigte sich hier nicht der politische Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer an, der, zehn Jahre später im Gefängnis von einem Mitgefangenen gefragt, wie er sich als evangelischer Christ und Pfarrer an dem Versuch habe beteiligen können, Hitler nach dem Leben zu trachten, geantwortet hat: Wenn ein Wahnsinniger auf dem Kurfürstendamm sein Auto über den Gehweg steuert, so kann ich als Pastor nicht nur die Toten beerdigen und die Angehörigen trösten; ich muß hinzuspringen und den Fahrer vom Steuer reißen, wenn ich eben an dieser Stelle stehe?3

Diejenige Widerstandsfigur allerdings, in deren Erwartung Bonhoeffer im April 1934 steht und die er als die einzig verheißungsvolle ansieht, so zeigt der eingangs zitierte Brief, kennt kein „Fechten, Hauen, Stechen“ und kennt erst recht kein revolutionäres Widerstandsrecht: „der eigentliche Kampf, zu dem es vielleicht erst später kommt, muß einfach ein glaubendes Erleiden sein und dann, dann vielleicht wird sich Gott wieder zu seiner Kirche mit seinem Wort bekennen“.4 Dieser sich an der Bergpredigt entscheidende Kampf fragt nach der konkreten Gestalt der Nachfolge Christi und rührt – wie der Brief ebenfalls indiziert – nach Bonhoeffer an die Grundpfeiler des christlichen Glaubens selbst. Im April 1934, noch einen Monat vor dem Gründungsdatum der Bekennenden Kirche, einen Monat, bevor sich die Bekenntnisfront der Deutschen Evangelischen Kirche durch die in Barmen beschlossene „Theologische Erklärung“ bekennend und verwerfend der Deutschchristlichen Bewegung und deren Lehre als organisierte Opposition entgegenstellt, zieht Bonhoeffer 3 Latmiral, Brief an G. Leibholz vom 6. März 1946, 30. Vgl. auch DB 955. 4 DBW 13, Brief an E. Sutz vom 28. 8. 1934, 128.

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Das Thema

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diese Opposition grundlegend in Zweifel und beginnt, eine neue, „ganz andere“ Oppositionsfigur zu durchdenken, indem er nach dem Verhältnis von Glaube und Nachfolge, von Rechtfertigung und Ethik, von Gottes Gnade und des Menschen Gehorsam fragt. Am 21. Juli des Jahres 1944, am Tage nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler und mehr als eine Dekade nach der ersten Äußerung zur „Nachfolge“, äußert sich Bonhoeffer zum letzten Mal zu dieser seiner Schrift, indem er rückblickend an Eberhard Bethge schreibt: Ich dachte, ich könnte glauben lernen, indem ich selbst so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuchte. Als das Ende dieses Weges schrieb ich wohl die „Nachfolge“. Heute sehe ich die Gefahren dieses Buches, zu dem ich allerdings nach wie vor stehe, deutlich. (WE 542)

Einige diesem letzten Zeugnis zur „Nachfolge“ abzugewinnende Erkenntnisse sind für deren Verständnis grundlegend. Ersichtlich wird zunächst, dass die „Nachfolge“ nicht allein theologische Reflexion über die Begriffe Glauben und Nachfolge, Rechtfertigung und Heiligung, Gnade und Gehorsam ist; vielmehr ist dieses Buch zugleich ganz persönlicher Ausdruck des eigenen Glaubens und Christseins Dietrich Bonhoeffers und darum untrennbar mit der Existenz seines Autors verbunden. Darüber hinaus steht zu erkennen: Hatte Bonhoeffer im Jahre 1934 gerade mit der Arbeit an dieser Schrift begonnen, so sieht er nun, ein Jahrzehnt später und sieben Jahre nach ihrem ersten Erscheinen, auf die inzwischen in einer zweiten Auflage (1940) verlegte „Nachfolge“ als ein Ende eines Weges zurück; die „Nachfolge“ als das Ende eines Weges, das bedeutet: Es hat danach etwas Neues begonnen, etwas, dies zeigt der Brief, das offenbar mit einer sich gewandelten Vorstellung Bonhoeffers dessen zusammenhängt, was Glaube ist und wie Glaube erlernt werden kann: „Später erfuhr ich und erfahre es bis zur Stunde, daß man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt.“ Für Bonhoeffer heißt das konkret: Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann […], einen Gerechten oder einen Ungerechten, einen Kranken oder einen Gesunden – und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Mißerfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, – dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist let²moia; und so wird man ein Mensch, ein Christ. (Vgl. Jerem 45!). (WE 542; Hervorhebung durch F.S.)

Schon diese kurzen Schlaglichter machen deutlich, dass sich für eine wissenschaftliche Untersuchung der „Nachfolge“ eine doppelte Richtung nahe legt: Die eine Richtung fragt nach der Theologie des Buches selbst, die andere wird den Ort dieser Schrift und ihren Zusammenhang im theologischen Gesamtwerk Dietrich Bonhoeffers einerseits und in der lebensgeschichtlichen

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Einleitung

und historischen Existenz andererseits zu bestimmen haben. Beide zur Aufgabe gestellten Fragen sind in der Bonhoeffer-Forschung bislang nicht hinreichend beantwortet worden. Wie der unten folgende Blick auf den Forschungsstand zeigen wird, ist das Spektrum an Interpretationsvorschlägen zur „Nachfolge“ keineswegs einheitlich; noch verfügt die mittlerweile zu einem geradezu unüberschaubaren Umfang angewachsene Bibliothek zur Theologie und zum Leben Dietrich Bonhoeffers über keine ausreichend würdigende Darstellung dieser Schrift. Dies mag verwundern – insbesondere eingedenk dessen, dass die „Nachfolge“ das zu Bonhoeffers Lebzeiten bekannteste Buch ist,5 dessen Autor „sich tief in das Bewußtsein der evangelischen Kirche einprägt [hat]. Dieses Buch kennzeichnet den Mann, bis seine Gefängnisbriefe verbreitet wurden und den Eindruck vom Bonhoeffer der ,Nachfolge‘ überdeckten“.6 Als die ausführliche Erarbeitung einer angemessenen Interpretation der „Nachfolge“ versteht sich diese Arbeit, deren beide hauptsächlichen Hypothesen schon hier kurz vorgestellt seien: 1. Während die meisten Bonhoeffer-Interpreten und -Interpretinnen jenes „Ende des Weges“, von dem Bonhoeffer im Brief an Bethge schreibt, als Ausdruck einer sich im Übergang zur „Ethik“ vollzogenen Abkehr von dem in der „Nachfolge“ als verengt empfundenen Weltverständnis verstehen, wird hier behauptet: Zwischen den Konzeptionen der „Nachfolge“ und der „Ethik“ besteht, was die Grundannahmen angeht, weder im Weltverständnis noch in der Christologie ein wesentlicher theologischer Unterschied. Weder im Handeln Jesu Christi an der Welt noch im Handeln der Christen in und an derselben divergieren „Nachfolge“ und „Ethik“. Hier wie dort ist Christus der Versöhner der ganzen Welt, der von den Christen ein Leben in der Welt fordert. Eine Exklusivierung des Christushandelns oder eine Beschränkung christlichen Handelns auf den Raum der Gemeinde kennt Bonhoeffer an keiner Stelle seines Werks. Ein „Ende des Weges“ vollzieht sich bei Bonhoeffer nicht in Bezug auf die Konzeption von Welt oder Christologie, sondern es ist ein bestimmter Aspekt von Reinheit christlichen Lebens, den Bonhoeffer mit dem Eintritt in die Konspiration hinter sich zu lassen beginnt, da er erkennt, dass es die Möglichkeit des Nicht-Schuldigwerdens und also des Reinseins nicht mehr gibt. Mit dieser These wird in dieser Arbeit eine theologische Kontinuität für Bonhoeffers theologische Entwicklung behauptet, die – soweit ich sehe – in der Weise so bislang nicht wahrgenommen worden ist. In Korrespondenz zu einer zweiten Hypothese wird ein Interpretationsvorschlag 5 In der Biographie schreibt Bethge: „Das Buch ,Nachfolge‘ verbreitete sich relativ schnell. […] Die Verbreitung ließ sich aber noch nicht an Besprechungen, sondern nur an Verkaufsziffern ablesen“, sodass das Werk bereits 1940 in einer zweiten Auflage erschien (DB 518 f). 6 DB 523. Diese Diagnose bestätigt die Arbeit von J. Dinger, Auslegung, Aktualisierung und Vereinnahmung: das Spektrum der deutschsprachigen Bonhoeffer-Interpretation in den 50er Jahren, Neukirchen 1998: Die N spielt in dieser Zeit kaum eine Rolle. Zur Rezeption siehe unten Anm. 50 der Einleitung.

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Stand der Forschung

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vorgestellt, der Bonhoeffers Weg sowohl des kirchlichen Widerstands als auch in den aktiven Widerstand wie folgt versteht: 2. Es wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass diejenige Oppositionsfigur, die Bonhoeffer mit dem Vorhaben einer Schrift über die Nachfolge Christi im April 1934 im Brief an Sutz ins Auge fasst und von der oben gesprochen wurde, auf einer geradezu direkten theologischen Linie auf jene Aussagen zurückzuführen sind, die Bonhoeffer im Jahr zuvor in „Die Kirche vor der Judenfrage“ formuliert hatte. Daran schließen sich zwei weitere Annahmen an: Bonhoeffer hat die drei in diesem Aufsatz formulierten Möglichkeiten kirchlichen Handelns (und insbesondere die äußerste) schon in der Mitte des Jahres 1932 benannt, und zwar als Ergebnis einer Suche, die ihrerseits nach seiner Rückkehr aus Amerika im Sommer 1931 begonnen hat. Fernerhin wird bestritten, dass die kirchliche Pflicht unmittelbar politischen Handelns der Kirche mit der Wendung „dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“ (DBW 12, 353) in irgendeiner Weise – weder strukturell noch inhaltlich – mit dem späteren gewaltsam-aktiven Widerstand in Verbindung steht; der konspirative Gedanke, „hinzuzuspringen und den Fahrer vom Steuer zu reißen“,7 wird als ein Moment in Bonhoeffers Denken angesehen, welches bis zum Zeitpunkt der Beteiligung am politischen Widerstand in seinem Werk nicht angelegt gewesen ist. Diese Beteiligung brachte einerseits neue theologische Aspekte hervor, wie sie sich umgekehrt neuen theologischen Themen und Gedanken erst verdankt: Weil Bonhoeffer zum Mittäter an der Konspiration wurde, darum ließ er bestimmte Aspekte der „Nachfolge“ – besonders jenen der Reinheit der Gemeinde – hinter sich, und nur indem er sich von diesen jetzt nicht mehr aufrecht zu haltenden Überzeugungen der „Nachfolge“ – trennte, konnte er sich an einem politischen Widerstand beteiligen und den Weg des politischen Verschwörers gehen. Die neue Gestalt des Glaubens, von der Bonhoeffer am 21. Juli 1944 an Bethge schreibt, ist eine auf diesem Wege gewonnene Erkenntnis: keine theoretische Erwägung, sondern eine Erkenntnis lebensgeschichtlichen Vollzugs.

1.2 Stand der Forschung Wenn im Folgenden die Forschungsliteratur zur „Nachfolge“ gesichtet wird, dann folgt der Blick der doppelten Fragestellung dieser Arbeit: Welche inhaltlichen theologischen Akzente werden bei der Interpretation der Theologie der „Nachfolge“ gesetzt? Wie wird diese Theologie bzw. wie werden die einzelnen theologischen Themen, Motive und Schwerpunkte der „Nachfolge“Theologie auf dem Hintergrund der Frage nach der theologischen Entwicklung Dietrich Bonhoeffers bewertet, d. h.: Welcher Ort und welcher Rang 7 Siehe oben Anm. 3.

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Einleitung

werden der „Nachfolge“ innerhalb des Lebens und Werks Dietrich Bonhoeffers zuerkannt? Zur Darstellung kommen in der Reihenfolge ihres Erscheinens diejenigen Arbeiten, die in ihrer Summe den Stand der Forschung zu diesen Fragen hinreichend abbilden. Referenziell wird im Anmerkungsapparat auf weitere Literatur verwiesen. Am Anfang stehen die vier großen Gesamtdarstellungen der Theologie und des Lebens Dietrich Bonhoeffers (a.-d.: H. Müller, E. Bethge, R. Mayer, E. Feil), die das Verständnis der „Nachfolge“ bis heute prägen. Auf die vornehmlich werkorientierten Arbeiten R. Mayers (1969) und E. Feils (1971) folgte in der Bonhoeffer-Forschung eine Reihe hier aufgenommener Studien, deren Autoren deutlich stärker Bonhoeffers zeit-, kirchen- und lebensgeschichtliche Kontexte mit einbezogen und Bonhoeffers Theologie im Zusammenhang derselben untersuchten. Im englischsprachigen Raum fragte C. Green (e.) in einer autobiographisch angelegten Werksanalyse nach den psychologischen Faktoren von Bonhoeffers Theologie und deren Entwicklung, im deutschsprachigen Raum T.R. Peters (f.) nach der Präsenz des Politischen in Bonhoeffers Werk. Seine Forderung einer verstärkt lebensgeschichtlichen Interpretation wurde dann vor allem von R. Strunk (g.) und Ch. Strohm (h.) aufgenommen, mit deren Arbeiten weitere für das Verständnis insbesondere der frühen und mittleren Theologie Bonhoeffers entscheidende Impulse und Erkenntnisse erbracht wurden. In jüngerer Zeit hat sich R. Gütter (i.) in ihrer Dissertationsschrift dezidiert der mittleren Ekklesiologie Bonhoeffers zugewendet. Den Abschluss bilden zwei kleinere Untersuchungen zu einzelnen Themen der „Nachfolge“ (j. und k.: Ch. Gremmels und Ch. Tietz). Die in runden Klammern im Text wiedergegebenen Seitenzahlen beziehen sich stets auf den jeweils besprochenen Titel. Der Terminus der (frühen, mittleren und späten) „Periode“, der schon in den folgenden Betrachtungen zur Einteilung von Bonhoeffers Leben und Werk auftauchen wird, wird in der hier vorliegenden Studie, unbeschadet der ganz unterschiedlichen in der Literatur begegnenden Einteilungsvorschläge, einzig zur zeitlichen Orientierung verwendet und nicht, wie zumeist geschehen, um damit Zäsuren oder grundlegende Veränderungen – weder in Bonhoeffers lebensgeschichtlicher Situation noch in seinem theologischen Denken und Werk – zu kennzeichnen.8 Als frühe Periode wird die Zeit vom Beginn seines theologischen Schaffens bis zu Bonhoeffers Rückkehr aus den USA im Sommer 1931 bestimmt; wird von der mittleren Periode gesprochen, so ist die Zeit zwischen jener Rückkehr aus Amerika etwa bis zur Beteiligung an der Kon8 Um jene Tendenz wenigstens anzudeuten vgl. z. B. die Einteilung von O. Dudzus, Einführung, in: Bonhoeffer-Auswahl (4 Bd.), Bd. 1, 6 – 18, 8 f, die der Verfasser mit der Bemerkung einleitet: „Längst hat sich die Aufgliederung von Bonhoeffers Leben und Werk in drei deutlich gegeneinander abgrenzbare Perioden mit charakteristischen Schwerpunkten durchgesetzt“ (Dudzus, aaO., 8). Die Gefahr, die von einer derartigen Periodisierung ausgeht (nämlich: noch vor Beginn der Interpretation Vor- entscheidungen über Bonhoeffers Werk zu treffen, die dann zu Kriterien der eigentlichen Interpretation werden), liegt auf der Hand.

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spiration gemeint (das entspricht im Wesentlichen der Zeit des primär kirchlichen Engagements, in der auch die „Nachfolge“ entsteht); die späte bzw. letzte Periode schließlich umfasst die Jahre von Konspiration und Haft bis zu Bonhoeffers Tod, die Jahre also, in denen die „Ethik“ und „Widerstand und Ergebung“ entstehen. a. 1961 legte Hanfried Mller die erste Gesamtdarstellung der Theologie Dietrich Bonhoeffers im deutschsprachigen Raum vor, die in den darauffolgenden Jahren mit Hinweis auf ihr eignende marxistische Tendenzen zurecht massiv kritisiert worden ist.9 In der Tat führt Müller Kriterien zur Interpretation und Bewertung ein, die Bonhoeffers Theologie in verzerrender Weise für eigene (theologische) Überzeugungen vereinnahmen;10 sie folgen unter anderem der Frage nach dem Geltungsbereich der ethischen Ansätze innerhalb der verschiedenen Werkperioden Bonhoeffers: Die höchste theologische Qualität misst Müller dem Ansatz der späten Gefängnisbriefe zu, in denen Bonhoeffer „eine allgemeinverbindliche Ethik der mündigen Welt“ entwerfe, die gegenüber sowohl der „kirchlichen Ethik“ der „Nachfolge“ als auch der „christlichen Ethik“ der „Ethik“ – zwei Begriffe, die im Laufe dieser Arbeit kritisch zu betrachten sein werden – einen „Fortschritt“ darstelle (47). In programmatischer Weise wird Bonhoeffers Theologie als von der Kirche zur Welt sich entwickelnd interpretiert. Diese Entwicklung habe sich in „qualitativen Sprüngen“ (vgl. 9, 32, 34 u. ö.) vollzogen, wobei „die deutlichen Zäsuren, an denen eine sprunghafte Entwicklung die kontinuierliche Linie des ,Zulernens‘ durchbricht, nicht als sein Werk mechanisch auseinanderreißende, sondern als verbindende, wesentliche Etappen einer dialektischen Entwicklung begriffen werden“ (32). Die „Nachfolge“, die den Höhepunkt der zweiten Lebensperiode kennzeichne (vgl. 37, 51 u. ö.), versteht Müller in theologiegeschichtlicher Hinsicht zentral als Ausdruck der „Wiederentdeckung der ethischen Frage als einer Frage der reformatorischen Theologie“ (41, vgl. auch 200). Müller erwägt sogar, „ob nicht vielleicht diese Wiederentdeckung: daß nämlich Rechtfertigung allein aus Glauben und Gericht nach den Werken zwei Aspekte ein und derselben Sache sind […], neben den letzten Gedanken Bonhoeffers gerade dessen größtes Verdienst sind“ (20, vgl. auch 49). Dass sich Bonhoeffer in der „Ethik“ gegen ein in der „Nachfolge“ vorherrschendes und durch den Kirchenkampf begründetes „Denken in zwei Räumen“ wende, wertet Müller als einen großen Fortschritt (240). Die für Müller programmatische Öffnung von der Kirche zur Welt – eine These, die

9 H. Mller, Von der Kirche zur Welt. Vgl. zur Kritik u. a. Mayer, Christuswirklichkeit, 15; Feil, Die Theologie, 14 f, Anm. 18. Vgl. fernerhin Mllers Stellungnahme im Nachwort zur 2. Aufl. seines Buches, aaO., 429. 10 Vgl. symptomatisch H. Mller, aaO., 403, wo Bonhoeffers Forderung einer „nicht-religiösen Interpretation biblischer Begriffe“ zu der These geführt wird, es ginge dort „um die Befreiung zu einer atheistischen, nichtreligiösen Weltanschauung“.

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ebenfalls der kritischen Betrachtung zu unterziehen sein wird – nehme hier ihren Anfang.11 Innerhalb der theologischen Analyse der „Nachfolge“ hat Müller an Bonhoeffers Ausführungen zur Einheit von Glauben und Gehorsam und zur Freiheit des Menschen (vgl. 203 f und die dortige Anm. 575) und dann besonders am zweiten Teil des Buches Kritik geübt, der über den ersten Teil hinaus kaum konstruktiv Neues enthalte. Bonhoeffer gefährde sogar die Theologie und Strahlkraft des ersten Teils, indem er jetzt die Gemeinde „mit einer positivierten Ethik […] positiviert der Welt“ gegenüberstelle (241). Dadurch erscheine die Kirche „nicht nur als Subjekt der Heiligung“, sondern als „Medium zwischen […] Heiligung und […] Dasein in dieser Welt“, sodass Rechtfertigung und Heiligung wieder auseinandergerissen würden (233; vgl. 245 f) und das Buch letztlich in zwei Teile zerfalle.12 Hier wird zu überprüfen sein, inwiefern Müller Struktur und Konzeption der „Nachfolge“ mit dieser Ansicht treffend erfasst hat. b. Von den zahlreichen Veröffentlichungen Eberhard Bethges zu Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers bildet besonders eine Veröffentlichung auch heute noch die Grundlage einer jeden Beschäftigung mit dem Theologen, Christen und Zeitgenossen: die Biographie, die erstmals 1966 und inzwischen

11 Mit dem Erscheinen der Arbeit H. Mllers trat in der Bonhoeffer-Forschung die These „von einer verengten Periode in Bonhoeffers Leben, die der Kirchenkampf verschuldet habe“ (DB 523) auf den Plan, eine These, gegen die sich in der Folge – zurecht – immer wieder Forscherinnen und Forscher gestellt haben (vgl. u. a. Bethge, Besprechung,169 – 174, bes. 171; ders., DB, 523ff; ders., Nachwort; Mayer, Christuswirklichkeit, 14 f; Feil, Die Theologie, 14 f; ders., Standpunkte). Fraglich ist allerdings, ob Müller jenen Eindruck einer „verengten Periode in Bonhoeffers Leben“ tatsächlich zu vermitteln suchte. Denn zwar gibt er, seinen eigenen theologischen Interessen folgend, dem ethischen Entwurf der späten Gefängnisbriefe den Vorrang gegenüber allen früheren Entwürfen Bonhoeffers (s. o.); der an Müller gerichtete Vorwurf allerdings, die gesamte mittlere Periode als „Holzweg“ diskreditiert zu haben (so etwa Feil, Die Theologie, 323, Anm. 134), verzerrt seinerseits das Bild dieser scharfsinnigen und schlauen Bonhoeffer-Interpretation: Müllers (zweifelsohne auch subjektive und gefärbte!) Kritik an der mittleren Werkperiode Bonhoeffers bezieht sich lediglich auf bestimmte „bedenkliche[…] Linien des zweiten Teiles der ,Nachfolge‘“, die dann in GL fortgeführt worden seien (H. Mller, aaO., 250 u. ö.). Diese Linien (sie werden im Folgenden oben benannt) hat Müller als einen „Holzweg“ bezeichnet, der jedoch den „richtigen und fruchtbaren Weg“ der N nicht gefährde (H. Mller, aaO., 20, 244 u. ö.). 12 Vgl. H. Mller, aaO., 231. Müllers Kritik hat sich noch zwei Dekaden später auch Krause im Bonhoeffer-Artikel der TRE angeschlossen. Wenn Bonhoeffer Nachfolge Christi „als ,Bindung an die Person Jesu Christi allein‘ zur Gleichgestaltung mit seinem Leben, Leiden und Auferstehen“ verstehe, wodurch allein „Erkenntnis Christi wahr wird“, dann sei die „intendierte Überwindung der Lutherschüler […] bei diesen Anklängen an Mystik wie bei der mindestens lockeren Verbindung von Rechtfertigung und Heiligung […] kaum gelungen“ (Krause, Bonhoeffer, 60). Vgl. dazu die Einschätzung Daubs, der die Theologie Bonhoeffers unter dem Topos der Stellvertretung untersucht und dargestellt hat. Daub vertritt im Kern die Ansicht, dass Bonhoeffer in der N „vor lauter subtiler Suche nach persönlicher Heiligkeit die Erfordernisse der Zeit nicht gesehen und angenommen“ habe (Daub, Stellvertretung, 378, Anm. 13).

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in neunter Auflage erschienen ist.13 Dem lebensgeschichtlichen Interesse seines Autors folgend, gibt dieses opus magnum vor allem Auskunft über den Ort der „Nachfolge“ innerhalb des Lebens und Werks Bonhoeffers und sodann über ihre theologiegeschichtliche Bedeutung. Indem Bethge die Entstehungsgeschichte der „Nachfolge“ und deren Zusammenhang mit dem Finkenwalder Lehrbetrieb skizziert (vgl. bes. DB 515ff sowie 640ff), macht er deutlich, dass das „Thema der ,Nachfolge‘ und seine Grundthese“, seine „Grundrichtung, Grundfrage und Antwortformeln“ schon 1932 vorhanden, sogar „voll entwickelt“ waren (DB 523 f). Das Buch selbst, das „als eine der stärksten Antworten auf die Ereignisse von 1933 erscheinen“ konnte (DB 525), „wurzelt demnach nicht in der Konzentration, die das Jahr 1933 verursachte, sondern in Bonhoeffers selbständigen theologischen und persönlichen Grundlegungen“ (DB 524). Folglich will Bethge die „Nachfolge“ (und hierin widerspricht er den Darstellungen J.D. Godseys14 und H. Müllers) weder als ein genuines Resultat des Kirchenkampfes verstanden wissen, noch als eine „zeitbedingte Abirrung, die es uns erlaubte, schnell und direkt zum Bonhoeffer der letzten Periode voranzueilen. Bonhoeffer hat im Gegenteil hier zum ersten Mal seine originale Sicht des Glaubens und der Christologie entfaltet“ (DB 524 f). Bethge ist der Ansicht, dass sich die veränderte Akzentuierung im Übergang von der Theologie des kirchlichen zur Theologie des politischen Widerstands, von „Nachfolge“ zur „Ethik“, vornehmlich am Begriff der „Welt“ vollzogen habe. Hier habe sich eine „neue Seite“ entfaltet (DB 805 f). „Ausschließlichkeit der Herrschaft Christi – das ist die Botschaft der ,Nachfolge‘; Weite des Herrschaftsbereiches – das ist der neue Akzent der ,Ethik‘“ (DB 806), in der die „Kirche […] gleichwohl deutlich als ein Stück versöhnter Welt verstanden [ist]. Damit ist […] eine sehr viel positivere Beziehung der Kirche zur Welt gewonnen, als sie in der ,Nachfolge‘ bestand.“ (DB 807) In der Folge dessen habe Bonhoeffer – und in dieser Einschätzung stimmt Bethge durchaus mit Müller überein – das ihm in der „Nachfolge“ hilfreiche „Raumdenken“ in

13 Bethge, DB, siehe oben Anm. 1. Darüber hinaus vgl. das Nachwort Bethges zur N, siehe oben Anm. 2. 14 Godsey besorgte im Jahre 1960 die erste Darstellung der „Theology of Dietrich Bonhoeffer“, hauptsächlich ein Inhaltsreferat der Hauptschriften, an dessen Ende eine kurze Bewertung der Theologie Bonhoeffers erfolgt (Godsey, aaO., 151 – 172). Die Christologie als „the unifying element“ (Godsey, aaO., 264) der Theologie Bonhoeffers dient Godsey als Hinweis auf die Kontinuität ihrer Entwicklung, in welche sich die N so einfüge, dass Bonhoeffer sie als Lösungsversuch des ihn seit 1932 drängenden Problems der Christus-Nachfolge in der modernen Welt verstanden habe (vgl. Godsey, aaO., 267). Indem Godsey der Linie der Christologie folgt, sieht er die Bedeutung der N besonders darin begründet, dass sie den „thoughts about the ,worldliness‘ Christianity“ (Godsey, aaO., 270) den Weg bereitete (vgl. Godsey, aaO., 268ff); vgl. zur Kritik an Godseys Ansatz v. a. Philips, Bedeutung, 155: „Godsey hinterläßt uns einen Eindruck, den er nicht vermitteln wollte: daß nämlich Bonhoeffers theologisches Denken im wesentlichen eine Reaktion auf die sich ständig wandelnde politische und kirchliche Szene ist.“

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der „Ethik“ zugunsten der „Einheit der Wirklichkeit“ kritisch angegriffen (DB 808). c. Drei Jahre nach Bethges Bonhoeffer-Biographie legte Rainer Mayer die zweite Gesamtinterpretation der Theologie Dietrich Bonhoeffers vor, die sich in ständiger kritischer Auseinandersetzung mit dem Entwurf H. Müllers vollzieht.15 Als Leitgedanken legt Mayer einen Grundbegriff aus Bonhoeffers „Ethik“, den Begriff der „Christuswirklichkeit“, und die Frage nach dem Wirklichwerden der Christuswirklichkeit in der Welt zugrunde. Zwar sei der ethische Entwurf der „Nachfolge“ nicht auf den Bereich der Kirche begrenzt,16 sondern es komme in dieser Schrift der „Ganzheitsanspruch der Christuswirklichkeit“ zum Ausdruck (106); die Christuswirklichkeit aber beziehe Bonhoeffer „in der zweiten Periode streng und ausschließlich auf die Kirche“ (105). Damit sei Bonhoeffer theologisch einem Gegensatz zwischen empirischer Kirche und Weltwirklichkeit erlegen, deren gegenseitige Beziehung er zwar einfordere, die aber so „nur noch in der Unsichtbarkeit der Ontologie behauptet werden kann“ (165). Als Bonhoeffer dies erkannte – und hierin meint auch Mayer den Fortschritt von der mittleren zur späteren Werkperiode feststellen zu können – habe er „den Bereich der Christuswirklichkeit auf die Weltwirklichkeit“ ausgedehnt (166; vgl. zum Ganzen 164 – 218). Mayers Interpretation wird in dieser Arbeit von zwei Seiten her problematisiert werden. In inhaltlicher Hinsicht wird zu fragen sein, ob Bonhoeffer die Christuswirklichkeit in der zweiten Periode tatsächlich, wie Mayer behauptet, „streng und ausschließlich auf die Kirche“ bezieht (105). Wäre dies nicht der Fall, dann fiele mit dieser ihrer Voraussetzung die weitere Argumentation Mayers. Daneben muss die grundlegende methodische Problematik der (systematisch-theologisch zweifellos brillanten) Arbeit deutlich werden: Sie besteht darin, dass Mayer auf die Berücksichtigung historischer und lebensgeschichtlicher Zusammenhänge weitgehend verzichtet und stattdessen die Systematik und Entwicklung des theologischen Werks Bonhoeffers ganz aus sich selbst heraus zu erklären und zu bewerten bemüht ist. Für die Untersuchung einer ganz akademischen, von Anbeginn an auf Ganzheit und Geschlossenheit angelegten Theologie mag diese Analyseform durchaus angemessen sein. Bonhoeffers Theologie jedoch verdankt sich einer im Wechselspiel von bereits Gedachtem und äußerlich Erfahrenem sich ereignenden Existenz – und ihre Darstellung wird dies zu berücksichtigen haben. d. Der Verknüpfung von Theologie und lebensgeschichtlicher Existenz hat sich Ernst Feil in seiner erstmals 1971 und inzwischen in fünfter Auflage (2005) erschienenen Gesamtdarstellung verpflichtet.17 Bis heute ist diese 15 Mayer, Christuswirklichkeit, siehe oben Anm. 9. 16 Vgl. Mayer, aaO., 105. Mayer wendet sich damit gegen die Behauptung H. Mllers, der die NEthik als „kirchliche Ethik“ in dem Sinne versteht, dass der Geltungsanspruch der Gebote Christi allein die Kirche, nicht aber die Welt (d. h. also die Nicht-Kirche) umschließe, vgl. Mller, Von der Kirche zur Welt, 30 – 52, bes. 47. 17 Feil, Die Theologie, siehe oben Anm. 9.

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umfassende Untersuchung für das Verständnis der Theologie Bonhoeffers maßgebend. Darum, und weil ihren Ergebnissen in der hier vorgelegten Arbeit an grundlegenden Stellen widersprochen werden wird, seien Feils Thesen bereits an dieser Stelle etwas ausführlicher betrachtet. Gegen die früheren Entwürfe wendet sich Feil mit dem Versuch, eine „Einheit der Theologie Bonhoeffers“18 aufzuweisen, die zunächst eine „Einheit des Lebens ist, innerhalb deren sich Entwicklung und Entfaltung vollzog, die dann aber auch eine Einheit der Theologie ist“.19 Dies will Feil für die drei seines Erachtens konstitutiven Paradigmen des theologischen Werks Bonhoeffers nachweisen: Hermeneutik, Christologie und Weltverständnis. Eindrücklich und überzeugend wird in der Analyse plausibel, inwiefern die Christologie als die „Brücke“ zu verstehen ist, die „die theologischen Aussagen der ,Nachfolge‘ und anderer Arbeiten dieser Zeit mit der ,Ethik‘ verbindet“ (190 f). Dies führt Feil zu der Einsicht: Weil Bonhoeffer „gerade in der Christologie keine entscheidenden Wandlungen mehr vollzogen“ hat, ist es nicht zulässig, von einer „,Verengung‘ seiner Christologie in der Zeit der ,Nachfolge“ zu sprechen; vielmehr ist es treffend, „die Christologie Bonhoeffers als Fundament und Mitte seiner Theologie […], seine gesamte Theologie als christozentrische Theologie“ (215) zu begreifen. Umgekehrt zu der Überzeugung, Bonhoeffer habe „gerade in der Christologie keine entscheidenden Wandlungen mehr vollzogen“ (ebd.), verhält sich nun allerdings Feils Feststellung, die „christologischen Aussagen“ der „Nachfolge“ seien durch eine deutliche abstrakte „Einseitigkeit“ bestimmt. „Zwar hat Christus ,stellvertretend für die Welt‘ gelitten [N 68]“, so fragt er, „aber was nützt das der Welt, wenn das weltliche Leben der Christen darin besteht, daß es in der Kirche reproduziert wird“? (281 f) Und weiter schließt Feil: Auf dem Hintergrund jener „isolierten Sicht der Menschwerdung und des Kreuzes [sc. in der ,Nachfolge‘] folgt eine einseitig negative Darstellung 18 Feil, Die Theologie, 81. Vgl. dazu Feil, aaO., 323, Anm. 134: „Ob nun – mit H. Müller – N und GL als Holzweg abgelehnt werden, ob – mit J. A. Phillips – die unglückliche Ehe der ChristoEkklesiologie, nach 1932/33 in Anknüpfung an eine erste Verbindung geschlossen, wieder geschieden werden mußte, ob – mit R. Mayer – die christologische Ontologie, die Bonhoeffer von Anfang an bis hinein in die ,Ethik‘ aufzubauen suchte, als System zusammengebrochen ist, immer wird Bonhoeffers Entwicklung in einer formal ähnlichen Weise dargestellt.“ Noch im Nachwort zur 4. Aufl. seines Werks wiederholt Feil diesen an Müller, Mayer und andere Bonhoefferinterpreten (so auch an Philips, Form of Christ) sich richtenden Vorwurf, „ihre eigene Konzeption in Bonhoeffer ein[zu]tragen und als adäquate Bonhoefferinterpretation [zu] verstehen.“ (Feil, aaO., 421) Vgl. in Philips Bonhoeffer-Darstellung, Bedeutung, die Seiten 95ff zur N. 19 Feil, Die Theologie, 131. Wenn Feil seine Arbeit jedoch als theologische Untermauerung der lebensgeschichtlichen Darstellung Bethges und insofern in Korrespondenz zu derselben versteht (vgl. Feil, aaO., 297), dann entsteht alsbald der Eindruck eines arbeitsteiligen Konzepts, der sich bei der Lektüre seiner Arbeit durchaus bestätigt. Wie bei Mayer, so bleibt auch bei Feil die Geschichte gegenüber dem theologischen System deutlich unterbestimmt; so vor mir auch Peters, Präsenz, 11 f.

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Bonhoeffers vom Leben der Christen in der Welt und speziell im Beruf“, der „nicht als wirklicher Dienst an der Welt und für die Welt gesehen wird“ (283). In Entsprechung zu der angenommenen christologischen Einseitigkeit macht Feil das dritte Interpretationsparadigma – das Weltverständnis – für die „Nachfolge“ ebenfalls „in seiner Einseitigkeit deutlich“ (281; Hervorhebung durch F.S.). „Welt“ bleibe in der „Nachfolge“ „jeweils negativ bestimmt als Gegenposition zur Nachfolge. Das Weltverständnis des Christen ist in der ,Nachfolge‘ primär defensiv, aber auch offensiv, vornehmlich jedoch negativ, kaum jemals konstruktiv und konstitutiv“ (276 f). Indem der „Grundtenor des Weltverständnisses der ,Nachfolge‘ […] auf den Abbruch der Welt und die Absonderung der Nachfolgenden von der Welt gestimmt [ist]“ (185), sei es Bonhoeffer „nicht gelungen, den positiven Aspekt, den er zuvor [sc. nämlich zu Beginn der 30er Jahre] schon angedeutet hatte, durchzuhalten“.20 Die Zeit der „Nachfolge“ – hier treffen bei Feil Theologie und Lebensgeschichte zusammen – „darf daher für Bonhoeffer als eine Zeit klösterlicher Abgeschiedenheit angesehen werden in Entsprechung zu seinem Verständnis der Biographie Luthers, der die Welt verließ und ins Kloster ging“ (275). Die Gemeinde werde hier zum „Getto“ (283). Auf dem Hintergrund dieser und der noch folgenden Analyseergebnisse überrascht es, wenn Feil an seinem leitenden Interesse und also der These noch festhält, derzufolge Bonhoeffers Werk sich als kontinuierliche Einheit darstelle und „auch die letzte Theologie Bonhoeffers als kontinuierliche Fortsetzung seiner voraufgegangenen theologischen Bemühungen anzusprechen ist“ (323). Der Nachweis bleibt fraglich und die These zu überprüfen,21 solange sich die weitere Darstellung der späten Periode bei Feil als ein Kontrastprogramm zur „Nachfolge“ präsentiert: Feil versteht Bonhoeffers „Ethik“ als Ausdruck der Öffnung zur Welt, in deren Zuge die Periode der „Nachfolge“ als (relative) „Verengung“ in Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers ausgewiesen wird.22 Im Übergang von der „Nachfolge“ zur „Ethik“ vollziehe sich in Bonhoeffers Theologie eine „große Wendung“, die Feil als eine Wendung „von 20 Feil, Die Theologie, 286. Für die Zeit vor der N nimmt Feil für Bonhoeffers Theologie ein positiv und zugleich negativ akzentuiertes Weltverständnis an (vgl. Feil, aaO., 238ff), wobei der positive Aspekt 1932 einen ersten Höhepunkt erfahren habe (vgl. Feil, aaO., 250ff). 21 Die Kontinuität der Theologie Bonhoeffers in Bezug auf das Weltverständnis kann Feil mithin allein für den negativen Aspekt behaupten, vgl. bspw. Feil, Die Theologie, 288: „Wie sich aber im Vergleich mit der ,Ethik‘ zeigen wird, ist dieses primär negative Verständnis der Welt, demzufolge ein erbitterter ,Nahkampf‘ gegen die Welt zu führen ist, nicht einfach nur ein Weltverständnis der Zeit der ,Nachfolge‘. Es bleibt vielmehr, wenn auch dann als die eine Seite der Münze, in der späteren Theologie erhalten […]. Daraus müssen wir den Schluß ziehen, daß die These abzulehnen ist, derzufolge die Kontinuität der Theologie Bonhoeffers ausschließlich in der Christologie liegt, das Weltverständnis aber in den verschiedenen Abschnitten völlig disparat ist.“ 22 Die Bezeichnung ,relative Verengung‘ für die Finkenwalder Zeit ergibt sich implizit aus der Bemerkung Feils, man dürfe die „,Verengung‘ dieser Periode“ nicht „verabsolutieren“ (Feil, Die Theologie, 323).

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dem Christus pro nobis, der auch die ,Nachfolge‘ noch bestimmte, zum Christus pro aliis“ beschreibt (290). Indem er die Theologie der „Ethik“ auf dem Hintergrund der Theologie der „Nachfolge“ so skizziert, erscheint die „Ethik“ als eine Überwindung der „Nachfolge“,23 wobei freilich zu beachten ist, dass Feil Bonhoeffers Theologie im Blick auf das Weltverständnis keineswegs als „völlig disparat“ (288; Hervorhebung durch F.S.) verstanden wissen will. Dennoch sind Feils Feststellungen als problematisch zu erachten, denn die Unterschiedenheit von „Nachfolge“ und „Ethik“ in deren jeweiligem Weltverständnis kann nicht ohne eine Kritik an Bonhoeffers Christologie auskommen: Wenn behauptet wird, der positive Aspekt der Weltlichkeit komme in der „Ethik“ darin zum Ausdruck, dass Bonhoeffer nun „eine Aufteilung in einen sakralen und einen profanen Bereich scharf zurück[weist]“ (211) und dass darin „ohne weiteres“ deutlich werde, „inwiefern hier [sc. in der ,Ethik‘] der ,Raum der Kirche‘ anders konzipiert“ ist als in der „Nachfolge“ (304, Anm. 59), dann ist damit notwendig eine Unterschiedenheit auch der christologischen Wirklichkeitskonzepte impliziert, eine Unterschiedenheit, die bei Feil trotz dessen Kontinuitätsthese auch recht deutlich angelegt ist: In der „Nachfolge“ ist Christus der Christus für die Gemeinde, in der „Ethik“ ist er der Christus für die Welt, hier „wird die Welt um der Kirche willen enthalten“, dort ist „die Kirche für die Welt da“ (290); hier stehen sich „Nachfolge Christi und Welt diametral gegenüber“ (291), dort ruft die christliche Verantwortung die Christen in die Welt hinein (vgl. z. B. 292); hier sind Christus und Welt getrennt voneinander gedacht, dort sind Christologie und Weltverständnis deutlich aufeinander bezogen.24 23 Zur Verdeutlichung dieser Kritik dient die in den folgenden Sätzen vorgenommene Hervorhebung des Ablösungsvokabulars: „War das Ziel Gottes in der Welt bislang seine Gemeinde, so wird es nun die Welt; Gemeinde und Welt schließen sich von jetzt an nicht mehr kontradiktorisch aus, sondern sind in Christus aufeinander bezogen […]; diese Umkehrung gipfelt in der Aussage, daß Christus nur mitten in der Welt Christus ist.“ Während sich in der „mittleren Periode […] Nachfolge Christi und Welt diametral gegenüber[standen]“, sind Christologie und Weltverständnis „von jetzt an […] untrennbar miteinander verbunden“ (Feil, Die Theologie, 290; Hervorhebung durch F.S.). Das „,Ausgesöhntsein mit der Welt, wie sie ist, das dem Christen durch Christus geschenkt ist‘ (E 137), überwindet ein rein negatives Weltverständnis und begründet eine auch positive Einstellung des Christen zur Welt. Nicht mehr allein in der pointierten Weltdistanz, gleichsam in einem versiegelten Zug, halten sich die Christen frei und fern von der Welt, nicht mehr soll alles in die Kirche hineingezogen werden; vielmehr darf es keine ,pharisäische Verweigerung der Liebe zu dem Bösen und ihre Beschränkung auf den geschlossenen Kreis der Frommen‘ geben, es darf nicht ,aus der offenen Kirche Christi, die der Welt dient bis zuletzt‘ ([E] 137 f), eine abgeschlossene und verschlossene Kirche werden“ (Feil, aaO., 300; Hervorhebung durch F.S.). Die Liste ließe sich noch erweitern, vgl. z. B. Feil, aaO., 306: Im Übergang zur E geschieht „Befreiung zu echter Weltlichkeit“ (Hervorhebung durch F.S.); vgl. 289: Bonhoeffers Weg ist ein „Weg durch die Nachfolge ,zurück‘ in die Welt“ (Hervorhebung durch F.S.). 24 Vgl. Feil, Die Theologie, 290 f. Ohne dass dies seine Absicht ist, schließt sich Feil somit der Behauptung Mayers an, die Christuswirklichkeit sei in der N auf den Raum der Kirche begrenzt und werde erst in der E auf die ganze Welt ausgeweitet; vgl. verdeutlichend die Belege der vorangegangenen Fußnote. Insofern, als in der E das „Denken in zwei Räumen“ der N aufge-

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Die Schwierigkeit dieser Bonhoeffer-Interpretation kann auf drei ihr zugrundeliegende Faktoren zurückgeführt werden, welche ich zugleich als Anweisungen für meine eigene Interpretation aufnehmen werde: 1. Es bleibt in Feils Darstellung unterbestimmt, dass Bonhoeffer das Verhältnis der Christen zur Welt in der „Nachfolge“ keineswegs einfach negativ bestimmt, sondern die Gestalt der Christusnachfolge auch in der Zeit von „Nachfolge“ und Kirchenkampf ganz unbedingt das Da-sein für andere Menschen als das Da-sein für die Welt ist. 2. Damit geht einher, dass Feil eine im Letzten nicht zureichend differenzierte Bestimmung dessen zugrundeliegt, was Bonhoeffer unter „Welt“ eigentlich versteht: „Welt“ ist als theologischer ein stets vielschichtiger Begriff; sie ist der Bereich der Liebe Gottes (und insofern haben die Christen für die Welt da zu sein), und sie ist der Bereich des Gott Feindlichen (und insofern haben sich die Christen von der Welt abzusondern). Der eine Aspekt ist nicht gegen den anderen austauschbar, sondern es liegen – im Neuen Testament und so auch in Bonhoeffers Theologie – immer beide Seiten zugleich vor. Der Nachweis der These, dass dieses „Welt“-Verständnis Bonhoeffers Werk insgesamt eignet und Bonhoeffer in der „Nachfolge“ lediglich die abgrenzende Seite stärker akzentuiert als in der „Ethik“, wird in dieser Arbeit vorzunehmen sein. 3. Den in der Zeit der Konspiration und Haft entstandenen theologischen Entwürfen mit ihrer universal ausgerichteten Christologie und der leidenschaftlichen Forderung, für andere da zu sein, wird auch in Feils Bonhoefferstudie ein Vorrang erteilt gegenüber der Theologie der „Nachfolge“, welcher jene Grundgedanken noch fehlten. Gegenüber der „Ethik“, die als Ausdruck des „Ernstnehmen[s] der Welt“ (292) aufgefasst ist, wird der Entwurf der „Nachfolge“ implizit als ein Weg wahrgenommen, auf dem die „Welt“ (und damit die Weite des Christusgeschehens) von Bonhoeffer eben nicht bis ins Letzte hinein ernstgenommen worden sei.25 Eine systematisch-theologische Interpretation der Theologie Bonhoeffers wird sich deshalb noch stärker darum zu mühen haben, die zu unterschiedlicher Zeit und in voneinander ganz unterschiedenen Kontexten gewonnenen Erkenntnisse Bonhoeffers als geben werde, ist fernerhin die These zu hinterfragen, der zufolge „mit der späteren Theologie kein ,qualitativ‘ neues Weltverständnis entwickelt wird“ (Feil, aaO., 323). 25 Vgl. dazu auch die Überschrift bei Feil, Die Theologie, zum Abschnitt 306ff: „Die Befreiung zu echter Weltlichkeit“. Der obigen Behauptung entspricht die Beobachtung, dass Feil, wenn er von Nachfolge spricht, nicht Bonhoeffers Verständnis dessen sucht, was dieser zu je verschiedener Zeit unter Nachfolge versteht; sondern Feil deutet Nachfolge stets als das Dasein für andere, und von diesem Nachfolge-Begriff erfolgt letztlich auch die Wertung der N (vgl. etwa Feil, aaO., 214: „immer mehr konzentrierte sich das Bemühen Bonhoeffers auf die konkrete Nachfolge, wobei im letzten Abschnitt [sc. seines Lebens] eine Zuwendung zur Welt erfolgte“; diesem Verständnis entsprechen die bei Feil als Opposition begriffenen christologischen Bestimmungen des Christus pro nobis und des Christus pro aliis, s. o.). – Mit der unter 2 und 3 vorgetragenen Kritik werden Anfragen aufgegriffen und textlich konkretisiert, die in ähnlicher Form 1976 Peters angetragen hatte (vgl. Peters, Präsenz, 11).

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originale theologische Ansätze wahrzunehmen, ohne dem einen Ansatz den Vorzug vor einem anderen zu geben. e. Clifford Green folgt in seiner seit einiger Zeit auch in deutscher Sprache vorliegenden Arbeit der autobiographischen Dimension von Bonhoeffers Werk;26 ihr liegt die Annahme zugrunde, dass dieses Werk lebensgeschichtlich im Wesentlichen unter dem Einfluss eines Themas steht, von dem her ihre Genesis verstanden werden müsse: des Themas der Macht (vgl. bes. 117ff). Greens These lautet, „daß Bonhoeffer gerade wegen Beschäftigung mit dominierender Macht auf seiner theologischen und persönlichen Pilgerfahrt zu jener christlichen Zelebrierung menschlicher Stärke und Mündigkeit zu gelangen vermag, die in den Aufzeichnungen in der Haft so in die Augen fällt“. Die „Nachfolge“ liest Green vor dem Hintergrund einer 1932 bei Bonhoeffer geschehenen „persönlichen Befreiung“ als deren „direkte[n] theologische[n] Ausdruck“ (117) und versteht sie insofern als „die existentielle Dimension, die zu der Theologie der Sozialität hinzugefügt wird“ (160); die „Nachfolge“ „flößt der ganzen Begrifflichkeit [sc. der akademischen Schriften] die Dimension des persönlichen Gehorsams ein“ (163), den Green als Kennzeichen erfahrener Befreiung liest. Gegenüber jener autobiographischen Dimension (nicht nur der „Nachfolge“, sondern der gesamten Theologie Bonhoeffers) treten bei Green der Aspekt des Politischen sowie Ekklesiologie und Christologie zurück, bzw. sie werden psychologisierend gedeutet: In der „Nachfolge“ werde Christus „präsentiert […] als eine gewaltige Macht, die den starken Eigenwillen des mächtigen autonomen menschlichen Egos besiegt“; Bonhoeffers „Ehrgeiz, dem intellektuellen Erfolg und der Selbstbezogenheit begegnet die allmächtige Autorität Christi“ (169). Gerade darin aber zeichne sich die Entwicklung von der „Nachfolge“ zur Theologie der Haft ab: Anders als in späterer Zeit habe Bonhoeffer in der „Nachfolge“ noch nicht zur Bejahung der eigenen Stärken gefunden. Stärke und Macht stünden (als sowohl anthropologische Grundbegriffe wie auch christologisch integrierte Themen) hier noch undifferenziert einander gegenüber. Diese Wende habe sich erst in den Gefängnisbriefen vollzogen (vgl. 183 f). Die bis hierher in ihrer Treffsicherheit beeindruckende Interpretation entfernt sich allerdings von Bonhoeffers Theologie, wenn Green ausführt, worin die mangelnde Differenzierung von Stärke und Macht in der „Nachfolge“ konkret zu erkennen sei. Kennzeichen der erst in der Haft erreichten autobiographischen Mündigkeit sei nämlich das Da-sein für andere, während Bonhoeffer in der „Nachfolge“ noch nicht „den Weg gefunden [hat], seine Stärke für den Dienst am Evangelium zu bejahen und zu befreien“.27 Aus 26 Green, Freiheit; vgl. zum Anliegen der Arbeit bes. Green, aaO., 14. 27 Green, Freiheit, 183. Vgl. ebd.: „Wie notwendig Willens- und Geistesstärke gerade für den Dienst christlicher Liebe und Verantwortlichkeit in einer komplizierten, problematischen Welt sind, wo Macht in zahlreichen Formen sich zerstörerisch und ausbeuterisch am menschlichen Leben austobt, sah Bonhoeffer später ein. […] Aber die Unterscheidung zwischen dominierender Macht und mündiger Stärke, die frei ist, andere zu lieben und ihnen zu dienen, ist in der

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einem Gegensatz zwischen mittlerem und spätem Lebensabschnitt heraus leitet Green also einen Gegensatz zwischen mittlerer und später Theologie Bonhoeffers ab; darin teilt Green die Einsichten seiner deutschsprachigen Kollegen vor ihm. Indem Green die Sprache der „Nachfolge“ als „oft ziemlich gewaltsam[e] […] Rede“ (180) ausweist, versteht er jene Jahre als eine Zeit „unnötige[r] Selbstverleugnung“ und „Selbstvergewaltigung“ (184), ein Urteil, das Bonhoeffer sicher nicht geteilt hätte28 und das seinem Denken – dies wird zu zeigen sein – auch nicht entspricht. Als fruchtbar wird sich Greens Ansatz für diese Arbeit vor allem darin erweisen, dass Green – der autobiographisch-psychologischen Linie folgend – eine überaus aufschlussreiche Einschätzung für die Interpretation des berühmten Briefs Bonhoeffers an E. Bethge vom 21. Juli 194429 gegeben hat, in dem sich Bonhoeffer kritisch zur „Nachfolge“ äußert. Nicht als ein „Kontrast zwischen der jeweiligen Einstellung zur ,Welt‘ in der Nachfolge und in den Gefängnisbriefen“ seien Bonhoeffers Äußerungen zu lesen; sondern eine „der ,Gefahren‘ der Nachfolge ist, daß sie einen Versuch einschließt, ,aus sich selbst etwas zu machen‘“ (184). Diese These wird hier bestätigend aufgenommen und dadurch weitergeführt werden, dass ihr Nachweis nicht biographisch, sondern vornehmlich theologisch geführt werden wird. f. Einen wichtigen Impuls unter den theologischen Werkinterpretationen hat Tiemo Rainer Peters mit seiner 1975 erschienenen Arbeit gegeben,30 wenn er die „Präsenz des Politischen in der Theologie Dietrich Bonhoeffers“ nicht nur für die frühe und späte, sondern gerade auch für die mittlere Lebensbzw. Schaffensperiode Bonhoeffers behauptet, die 1933 begonnen habe und eigentlich bis zum Jahre 1944 reiche.31 Die Arbeit besticht zunächst durch die methodische Grundlegung, durch die sich Peters von den Untersuchungen R. Mayers und E. Feils absetzen will32 und die von der hier beigepflichteten Annahme ausgeht, „daß erst durch eine […] Verbindung von historisch- gesellschaftsbezogener und systematischer Methode die theologischen Anschauungen Bonhoeffers richtig interpretiert, Spannungen in seinem Denken

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Nachfolge noch nicht erfolgt. Bonhoeffer setzt die Autorität und Macht des gebietenden Christus gegen die eigenwillige und eigennützige Autonomie seines eigenen starken, erfolgreichen Ego. Wegen des Widerspruchs zwischen seinem theologischen Beruf, zu dem er sich bekennt, und seinem ehrgeizigen persönlichen Leben bemüht er sich, seine eigene Selbständigkeit und EgoStärke zu unterdrücken und zu verleugnen. […]; noch hat er nicht voll den Weg gefunden, seine Stärke für den Dienst am Evangelium zu bejahen und zu befreien.“ Vgl. ebenso Green, aaO., 14. Vgl. allein DBW 14, 1. Finkenwalder Rundbrief Bonhoeffers vom 15. 11. 1935, 97 f: „Der Sommer 1935 ist für mich, glaube ich, die beruflich und menschlich ausgefüllteste Zeit bisher gewesen.“ Siehe oben Kap. 1.1. Vgl. auch Peters, Politische Verantwortung. Die Besonderheit an Peters Einteilung besteht darin, dass er die E zu der mittleren Periode zählt, vgl. Peters, Präsenz, 18 f. Vgl. Peters, Präsenz, 12: Mayer und Feil hätten aufgrund ihrer systematisch-immanenten Arbeitsweise den Erweis der Kontinuität und Einheit der Theologie Bonhoeffers „um den Preis historisch-politischer Bestimmtheit“ erreicht.

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verständlich und zugleich jene echten Kontinuitäten demonstriert werden können“.33 Der These, die Identität der Theologie Bonhoeffers sei „primär ,lebensgeschichtlich‘ vermittelt“,34 folgt methodisch eine lebensgeschichtlichhistorisch verfahrende systematisch-theologische Interpretation,35 an deren Anfang die Ablehnung der Unterscheidung zwischen „kirchlicher, kirchenpolitischer und politischer Auseinandersetzung Bonhoeffers“ steht. Bonhoeffers Theologie seit 1933 wird als in jeder Hinsicht „politisch herausgeforderte Theologie“ (44; vgl. 44ff) aufgefasst. Die „Nachfolge“ versteht Peters in diesem Zuge als „Oppositionskirche“, deren politische Brisanz sich allerdings nicht ohne weiteres erschließe (vgl. 57). Zwar sei die „Nachfolge“ deutlich von jener Figur des politischen Widerstandes (vgl. 50 – 52, 58 u. a.) unterschieden, die sich bei Bonhoeffer im April 1933 in „Die Kirche vor der Judenfrage“ bereits angekündigt hatte; das „durch die Ethik der Bergpredigt […] bestimmte“ Buch expliziert aber eine „mit dem Gedanken des politischen Widerstandes […] unmittelbar verbundene Dimension: die des Leidenmüssens für ,bessere Gerechtigkeit‘; die der ,passio passiva‘ […] und der ,leidenden Liebe‘ […], an der das Böse sich ,totlaufen muß‘“.36 Folglich will Peters das in der „Nachfolge“ „vorherrschende negative Weltverständnis […] nicht als Verengung der von Bonhoeffer seit 1932 verfolgten Weltthematik […] verstehen, sondern als deren zeitgeschichtliche Zuspitzung und Radikalisierung“ (57): Die „Nachfolge“ ist „eine rigorose Entzauberung und Versachlichung dieser ganz bestimmten ,Welt‘ bis hin zu ihrer scheinbaren Verachtung“.37 Peters ist mit dieser Interpretation als einer der Initiatoren dafür zu sehen, die „Nachfolge“-Theologie und ihr Weltverständnisses in deren Konkretheit verdeutlicht und diese Erkenntnis auch zu einer adäquaten systematischtheologischen Methodik geführt zu haben. Inhaltlich wird Peters in dieser Arbeit dennoch an drei Stellen widersprochen werden: 1. Wie vor ihm bei E. Feil, so werden auch bei Peters die konstruktiven Peters, Präsenz, 12. Vgl. zur methodischen Grundlegung Peters, aaO., 9 – 17. Peters, Präsenz, 177. Vgl. Peters, Präsenz, 13. Peters, Präsenz, 58; vgl. bes. Peters, aaO., 60: „Jenseits von apathischer Resignation und revolutionärem Pathos basiert die ,Nachfolge‘ auf einer zeitkritischen Anschauung von der Kirche als politischer Kontrastwelt, auf dem Gedanken (und dem gelebten Versuch!) einer durch die Bergpredigt begründeten, d. h. gewaltlosen Oppositionskirche“. 37 Peters, Präsenz, 60. Vgl. dazu Peters, aaO., 89: Gegen H. Mller, Feil u. a. weist Peters nach, „daß Bonhoeffers Theologie keiner abstrakten Säkularisierungsthese folgt und sich nicht tendenziell ,von der Kirche zur Welt‘ bewegt. Bis in die letzten Briefe hinein bestätigt sich vielmehr, daß das Innovatorische bei ihm, jenseits aller systematischen Berechenbarkeit – aber sehr wohl in Relation zur historischen und gesellschaftlichen Entwicklung! – proleptische und regressive Züge trägt. Kirche und Welt gehören darin von Anfang in politischer Dialektik zusammen […] Die Kirche der ,Nachfolge‘ zeigte sich als keineswegs so weltlos und weltflüchtig, wie es in apolitischen Bonhoeffer-Interpretationen zu lesen ist: Als Kontrastwelt gegen den Führerstaat war sie im Gegenteil extrem weltbezogen: ,auch Gegensatz ist eine Weise des Bezogenseins‘ [W. Pannenberg]“ (Peters, aaO., 90).

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Handlungsansätze der „Nachfolge“ kaum gewürdigt; stattdessen wird von einer weitgehend negativen Weltsicht Bonhoeffers in der Mitte der 30er Jahre ausgegangen. 2. Im Übergang zur „Ethik“, so meint Peters, habe Bonhoeffer „die weltlichpolitische Wirklichkeit insofern ernster genommen“, als er die „kirchenkämpferische Kontrastwelt der ,Nachfolge‘ aus seinem neuen politischen Engagement heraus als verkappte Formen eines Nicht-Ernstnehmens der Welt“ zu durchschauen gelernt habe.38 3. Es ist zu überprüfen, ob die Überlegung Peters zulässig ist, die Möglichkeiten kirchlichen, ja „unmittelbar politischen“ Handelns der Kirche im April 1933 tatsächlich als „Gedanken […] politischen Widerstands“ (58) zu lesen, sofern damit eine direkte Linie zum „politischen Widerstand“ der Konspiration ausgezogen wird.39 Entgegen dieser Interpretation wird hier zu zeigen versucht werden, dass Bonhoeffer in „Die Kirche vor der Judenfrage“ eine unmittelbar politische Widerstandsfigur der Kirche durchdenkt, die von dem Widerstand der Konspiration in jeder Hinsicht unterschieden ist. g. In seinem Buch des Jahres 1981, „Nachfolge Christi. Erinnerungen an eine evangelische Provokation“, hat Reiner Strunk ein großes Kapitel der „Nachfolge bei Dietrich Bonhoeffer“ gewidmet (173 – 217) und darin (in Aufnahme der Forderungen von T.R. Peters) als entscheidende These formuliert, dass „Bonhoeffers ,Nachfolge‘ ohne den konkreten zeitgeschichtlichen Hintergrund von 1933 überhaupt nicht verstanden werden kann“ (191). Dieser Grundüberlegung folgend, zeichnet sich Strunks Interpretation dadurch aus, dass sie die „Nachfolge“ theologie- und zeitgeschichtlich verortet,40 sie in ihrem Entstehungszusammenhang aufweist und ihre Theologie in diesen Bezügen plausibel macht. So wird hier (entgegen den weitgehend abstrakt verfahrenen Interpretationen) besonders dies deutlich, „daß ,Welt‘ in Bonhoeffers ,Nachfolge‘ kein allgemeiner, womöglich gar neutraler Begriff sein kann. Es handelt sich vielmehr um einen ausgesucht polemischen Begriff. 38 Peters, Präsenz, 90. Obwohl er sich von diesem abzugrenzen sucht, schließt sich Peters damit auch in dieser Richtung der Position Feils an (s. o.). 39 Wenn Peters behauptet: „Gogarten und der Erlanger Schule gegenüber hatte er [sc. Bonhoeffer in der Mitte des Jahres 1932] in der ,besseren Gerechtigkeit‘ das revolutionäre Widerstandsrecht begründet“ (58), dann ist diese Behauptung als Identifikation der dritten Möglichkeit kirchlichen Handelns in „Die Kirche vor der Judenfrage“ zu verstehen. – Ähnlich haben vor Peters auch Bethge (vgl. DB 323 – 325, bes. 325) und nach ihm Marikje Smid argumentiert. Indem sie in ihrer 1990 erschienenen Dissertation Bonhoeffers Äußerungen in „Die Kirche vor der Judenfrage“ (vgl. Smid, Deutscher Protestantismus, 419 – 457) als Reflexionen eines „möglichen Konflikt[es] der Kirche mit diesem Staat“ versteht, konstatiert Smid einen fragwürdigen Bezug zu Bonhoeffers späterer Theologie, der zudem die Theologie der mittleren Periode überspringt: „Tatsächlich kündigen sich in Bonhoeffers Ausarbeitung sofort 1933 Überlegungen an, die ihn dann etwa fünf Jahre später zur aktiven Teilnahme an der Konspiration gegen Hitler geführt haben, in dem Fall allerdings ohne die Rückendeckung seiner Kirche oder eines Konzils“ (Smid, aaO., 449). 40 Vgl. zur theologiegeschichtlichen Verortung bes. die anderen Kapitel in Strunks Buch.

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Wenn Bonhoeffer über die ,Welt‘ nachdenkt, dann denkt er konkret.“ (206) Darüber hinaus hat Strunk bemerkt, dass Bonhoeffers Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ und die darin enthaltenen drei Möglichkeiten kirchlichen Handelns dem Staat gegenüber „im selben Zeitraum entstanden [sind] wie seine Überlegungen und Vorarbeiten zur ,Nachfolge‘“ (197). Für die Interpretation der „Nachfolge“ schließt Strunk, Bonhoeffers persönliche Nachfolge als „Widerspruch und Widerstand gegen die Macht und den Wahnsinn des Dritten Reiches“ (213) zu verstehen. Weil jedoch in der „Nachfolge“ „letzten Endes unklar bleibt, was konkret und was allgemein, was situativ und was prinzipiell gelten soll“ (212), d. h. die „Nachfolge“ die „geschichtlich-konkrete ,Welt‘ hinter einer allgemeinen und die geschichtlich-konkrete Nachfolge hinter einer prinzipiellen verschwinden ließ, wurde beides davon bedroht, ganz ungreifbar und abstrakt zu werden“ (213). Der Untersuchung sind damit vor allem drei Überlegungen aufgetragen: 1. Strunk wird darin gefolgt, dass theologisches System und Geschichte korrespondieren und darum das System vor dem Hintergrund der konkreten Situation zu erfassen und zu deuten ist. 2. Die Beobachtung, dass offenbar eine innere Beziehung zwischen „Die Kirche vor der Judenfrage“ und der „Nachfolge“ besteht, bildet eine der Grundüberzeugungen dieser Arbeit. 3. Es wird zu überprüfen sein, ob Strunk recht behält mit der These, dass geschichtliche Konkretion und prinzipielle Aussagen der „Nachfolge“ unzureichend getrennt sind. h. In seiner Dissertation des Jahres 1989 hat Christoph Strohm die Forderung der Verknüpfung von Theologie mit den Zusammenhängen ihrer Entstehung aufgenommen, indem er die Bedeutung der Beziehung Bonhoeffers, des Theologen, zu den Juristen Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher zwischen 1929 und 1938 darlegt.41 Dies dient dem Nachweis, dass Bonhoeffer den Kirchenkampf keineswegs als genuin innerkirchliche Angelegenheit verstehen konnte, sondern sich dessen politischen Charakters von Anfang an bewusst war (vgl. 294, 327 u. a.); die Ethik des Kirchenkampfes sei theologische Ethik, die den politischen Konflikt zwischen Staat und Kirche reflektiere und beantworte. Die „Nachfolge“ deutet Strohm vor dem Hintergrund des pseudomessianischen Anspruches des nationalsozialistischen Staates. Ein „Staat, der in den Dienst pseudoreligiöser Ziele gestellt wird, versucht die Bestimmung der Kirche zu erfüllen und verfehlt seinen Auftrag, für Recht und Frieden zu sorgen“ (303). Bonhoeffers Interesse habe nun vor allem immer wieder darin bestanden, „der Bekennenden Kirche die Furcht vor dem scheinbar übermächtigen nationalsozialistischen Staat zu nehmen, der in Wirklichkeit schon gerichtet sei“ (304). Der Kern des Buches sei die „Teilnahme an Jesu Sendung“, und das hieß in den Jahren des Kirchenkampfes, 41 Strohm, Theologische Ethik.

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„nicht nur den Mund für die Verfolgten aufzutun, sondern auch selbst mitzuleiden“ (310; vgl. auch 307, 320 Anm. 148 u. ö.), denn gerade darin liege ja für Bonhoeffer die Verheißung Christi: dass das Zeugnis der „unschuldig leidenden Jünger Jesu […] ,tödlich‘ [ist] für die Unrecht-tuenden“ (310 mit Verweis auf N 136). Die Besonderheit seiner Arbeit liegt vor allem in Strohms überzeugender Interpretation des Übergangs vom kirchlichen zum politischen Widerstand. Das ethische Subjekt vor der Beteiligung an der Konspiration sei die Kirche (vgl. 313, 328 u. ö.). Und erst als „offensichtlich wurde, daß die Kirche die hochgesteckten Erwartungen in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nicht erfüllen konnte, wendet Bonhoeffer den Blick dem Einzelnen und seinen Handlungsmöglichkeiten zu“,42 und zwar ohne den vorher vertretenen Weg aufzugeben: Bonhoeffer hat sein ethisches Konzept der Jahre 1934 bis 1937, nach dem die sichtbare Kirche ihren Raumanspruch gegen den der „Welt“ im Gehorsam gegen die Bergpredigt durchzusetzen habe, nach 1938 nicht verworfen. Vielmehr hebt er auch weiterhin die Aufgabe der Kirche hervor, mit ihrem Wort und wenn nötig auch ihrem Leiden Zeugnis gegen staatliches Unrecht abzulegen. (332)

Bonhoeffer ging nun „von einem Nebeneinander zweier ,christlicher‘ Wege aus: dem Zeugnis der Kirche […] und dem Handeln einzelner Christen“.43 Inwiefern sich tatsächlich verschiedene Denkfiguren des Widerstandes in Bonhoeffers Theologie und Leben überlagern, ist der hier vorgelegten Arbeit als zu überprüfende Frage aufgegeben. Stärker als von Strohm, der primär historisch verfährt, wird diese Frage als eine theologisch zu beantwortende verhandelt. Im Zuge dessen wird sodann festzustellen sein, ob Strohm in der Behauptung rechtzugeben ist, zwischen dem Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ und der „Nachfolge“ habe sich dergestalt eine Akzentverschiebung ereignet, dass Bonhoeffer zunehmend nicht mehr Grundfragen einer theolo-

42 Strohm, Theologische Ethik, 325. Vgl. auch Strohm, aaO., 328: „Bonhoeffer hat selbst gesehen, daß ein solches Konzept die Fragen der an maßgeblicher Stelle in Staat, Wehrmacht und Wirtschaft tätigen und sich als Christen verstehenden Hitler-Gegner nur unzureichend beantworten konnte. Zudem machte die veränderte Lage sowohl in der Bekennenden Kirche als auch im Staat im Jahre 1938 einen neuen Denkansatz notwendig.“ Weil „[d]ie Bekennende Kirche […] nach Bonhoeffers Auffassung im Jahre 1938 nicht mit dem notwendigen Zeugnis auf die Tatsache reagieren [konnte], daß die nationalsozialistischen Machthaber die Grundordnungen des Lebens offen mißachteten und unzweifelhaft expansive Kriegspläne verfolgten“ (Strohm, aaO., 331), darum „gab Bonhoeffer die Konzentration auf die sichtbare Kirche als das primäre ethische Subjekt auf. Stattdessen nimmt er verstärkt die uneingeschränkte Verantwortung in den Blick“ (Strohm, aaO., 332). 43 Strohm, Theologische Ethik, 333; Hervorhebung durch F.S.; vgl. auch Strohm, aaO., 333 f. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang Strohms die o.g. Thesen bestätigender Hinweis, in Bonhoeffers Aufforderung zur Teilnahme am messianischen Leiden liege die Wurzel des späteren Rede von der „Kirche für andere“ (vgl. Strohm, aaO., 310).

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gischen Ethik des Politischen zu beantworten suche, sondern jetzt nach der Verkündigung des konkreten Gebotes frage (vgl. 311 u. a.). i. In ihrer im Jahre 2000 vorgelegten Untersuchung zu „Grundlinien der mittleren und späten Ekklesiologie Bonhoeffers“ ist Ruth Gtter44 darum bemüht zu zeigen, „daß die scheinbar gegensätzlichen Grundtendenzen der ,mittleren‘ und ,späten‘ Ekklesiologie – nämlich die ,innerste Konzentration‘ einerseits und der ,Dienst nach außen‘ andererseits – letztlich doch zwei Seiten einer Sache sind, die in einem notwendigen, sich gegenseitig bedingenden, je nach zeitgeschichtlichem Kontext aber verschiedenen Spannungsverhältnis zueinander stehen“ (18). Wohl auch deshalb, weil es sich um eine v. a. an die Arbeit von E. Feil (s. o.) anlehnende Untersuchung handelt, laufen die wesentlichen Untersuchungsergebnisse zur „Nachfolge“ dem Kontinuität nachweisenden Anliegen zuwider, Ergebnisse, die in der hier vorgelegten Arbeit auch nicht geteilt werden: Bonhoeffer versuche zwar, Glauben und Gehorsam in einem dialektischen Gleichgewicht zu halten […], aber er hält diese Dialektik letztlich nicht durch, sondern kommt in der „Nachfolge“ zu einer für die lutherische Dogmatik revolutionären Vorordnung des (gehorsamen) Tuns vor den Glauben (104).

Die Dimension des „nach außen“ sei gegenüber der Dimension des „nach innen“ unterbestimmt. Ethik bedeute in der mittleren Ekklesiologie eine Ethik, der jegliche „positiven Handlungsansätze“ fehlten. Es habe den „Anschein, als ob es für die Kirche gegenüber der Welt nur die Alternative Rückzug und Leiden gibt […]. Der Welt gegenüber gibt es also nur eine ,Negativethik‘ der Abgrenzung oder des Leidens“. Die Ethik beschränke sich dadurch auf eine „defensive ,Binnenethik‘ für den Raum der Kirche“; dementsprechend bilde die Kirche als das Gegenüber des Staates in der mittleren Periode lediglich ein „Kontrastmodell“ (107). Weder sei in der „Nachfolge“ das wenige Jahre zuvor geforderte und dann in der späten Lebensperiode wiedergewonnene politische bzw. ethisch-politische Moment noch spürbar, noch habe sich Bonhoeffer in dieser Zeit überhaupt zu der Unrechtspolitik des nationalsozialistischen Staates geäußert (vgl. 107 f und 112ff). Zwar ist Gütter darum bemüht, jene behauptete „kirchliche Binnenethik“ der „Nachfolge“ und die in der mittleren Periode insgesamt zu verzeichnende Tendenz der „Abgrenzung“ der Kirche von der Welt (vgl. 112ff) vor dem Hintergrund der spezifischen historischen und kirchlichen Situation jener Jahre zu begründen (vgl. 118); indem die „Nachfolge“ aber verstanden ist als „Voraussetzung für eine neue [sc. in der Beteiligung an der Konspiration sich ereignende] Wendung zur Welt“,45 einer theologischen Wende also, in deren Vollzug Bonhoeffer das 44 Gtter, Innerste Konzentration. 45 Gtter, Innerste Konzentration, 118; Hervorhebung durch F.S. Vgl. auch Gtter, aaO., 116: „In der ,innersten Konzentration‘ der Kirche und der Abgrenzung gegenüber der Welt, die die mittlere Ekklesiologie kennzeichnet, lag der Keim für eine um so größere Öffnung für die Welt.“

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Weltverständnis der „Nachfolge“ offensichtlich verworfen habe,46 ist Bonhoeffers Schrift als ein Durchgangsstadium auf dem Wege zu einem anderen, höheren Ziel verstanden und ihre theologische Originalität und ihr Wert praktisch diskreditiert (denn die „Nachfolge“ ist ja, als ein nur-vorübergehender Entwurf, der späten Theologie unterzuordnen). j. Christian Gremmels hat 1992 in einem Aufsatz über „Rechtfertigung und Nachfolge“47 gezeigt, dass und inwiefern nicht nur Bonhoeffers Behauptung aus der „Nachfolge“, es könne nur der Glaubende gehorsam sein (vgl. N 52), sondern gerade auch die zweite Behauptung, nur der Gehorsame könne glauben (vgl. ebd.), als Ausdruck lutherischer Theologie verstanden sein will: Indem Bonhoeffer den zweiten Satz als deren zeit- und theologiegeschichtliche Aktualisierung und Verdeutlichung ergänzt, sucht er den der deutschen protestantischen Kirche verlorengegangenen Kern lutherischer Lehre zurückzugewinnen (vgl. bes. 95 – 98). k. Der These eines „existentiellen Zirkels in Dietrich Bonhoeffers ,Nachfolge‘“ ist Christiane Tietz 2005 nachgegangen.48 In ihrem Aufsatz bezieht sie zu einer Frage Stellung, die vor ihr H. Müller und R. Gütter (s. o.) in den Blick genommen hatten: der Verhältnismäßigkeit von Glauben und Gehorsam in der „Nachfolge“. Bezugnehmend auf die zentrale dialektische Behauptung der „Nachfolge“, dass nur der Glaubende gehorsam ist, wie auch umgekehrt nur der Gehorsame glaubt (vgl. N 52), geht Tietz davon aus, dass in jenem Diktum ein echtes „Bedingungsgleichgewicht zwischen Glauben und Gehorsam“ formuliert ist, „dass […] also der Glauben [sc. an Jesus Christus] in der gleichen Weise notwendige Bedingung für das Vorhandensein von Gehorsam [sc. gegen sein Wort] ist wie der Gehorsam notwendige Bedingung für das Vorhandensein von Glauben“ (172). Nachfolge ist die in einem Zirkel aus Glauben und Gehorsam sich ereignende Existenz des Menschen, dessen ersten, existentiellen Schritt auf den Ruf Jesu hin Tietz als „Einstiegsstelle“ (175) in diesen existentiellen Zirkel deutet. In kritischer Auseinandersetzung mit Tietz’ Überlegungen, die sich gegen andere besonders darin auszeichnen, dass sie Bonhoeffers Anliegen der unbedingten Glaubens-Gehorsams-Einheit wirklich ernstnimmt, wird die Interpretation dieses Grundgedankens der „Nachfolge“ ein wichtiger Bestandteil der Textanalyse der hier vorgelegten Arbeit sein.

46 Vgl. Gtter, Innerste Konzentration, 116ff: Erst später wird das „Experiment Heiligung“ durch die Teilhabe am Leiden Gottes in der Welt abgelöst. „Erst später wurde Bonhoeffer klar, daß das Kreuz mitten in der Welt steht“ (Gtter, aaO., 116). Gtter beruft sich an dieser Stelle (vgl. ebd., Anm. 501) zuunrecht auf Gremmels/Pfeifer, Theologie und Biographie, 65. 47 Gremmels, Rechtfertigung und Nachfolge; vgl. auch ders., Bonhoeffer und Luther. 48 Tietz, Nur der Glaubende ist gehorsam.

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Ertrag

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1.3 Ertrag Als Ergebnis der Sichtung der wichtigsten Forschungsliteratur lassen sich zwei große Problemkreise benennen, die für die bisherige wissenschaftliche Beschäftigung mit der „Nachfolge“ kennzeichnend sind und aus denen sich Aufgabe, Struktur und Vorgehensweise dieser Arbeit ergeben: 1. Fragen nach der theologischen Argumentation und Struktur der „Nachfolge“, nach Bonhoeffers Konzept und Gedankengang sowie den einzelnen theologischen Themen des Buches und ihrer systematischen Einbindung und Verknüpfung. Dieser Fragenkomplex lässt sich seinerseits nach vier einander überschneidenden Richtungen hin systematisieren: a. Im Vordergrund geradezu jeder „Nachfolge“-Interpretation steht als Thema das dem Buch zugrundeliegende Weltverständnis. Welcher Weltbegriff eignet dieser Schrift? (Peters, Strunk) In welchem Verhältnis zueinander stehen Christologie und Weltverständnis (Problematik der „zwei Räume“) (Müller, Mayer, Bethge, Feil)? Wie ist das Verhältnis der Christen zur Welt gedacht (Feil, Green, Gütter)? Wie ist die Ethik der „Nachfolge“ zu denken (Müller, Mayer, Feil), und in welchem Verhältnis steht diese Ethik – als das Handeln des Menschen – zu dessen Rechtfertigung? b. Aus der Beschäftigung mit dem Glaubensbegriff in seiner Verhältnismäßigkeit zum Gehorsam gegen das Gebot Christi heraus einerseits und zu menschlicher Freiheit andererseits (Müller, Gütter, Gremmels, Tietz) stellt sich die Frage nach Bonhoeffers Verständnis von Nachfolge, nach der Verknüpfung von Rechtfertigung und Heiligung (Müller, Krause) und damit zugleich nach der Struktur der „Nachfolge“, die als Frage inhärenter (Dis-) Konsistenz des Buches problematisiert worden ist (Müller). c. In enger Verbindung zur Welt- und Gehorsams-Thematik steht die Frage nach der konkreten Verbindlichkeit und der prinzipiellen Gültigkeit der Aussagen Bonhoeffers (Strunk), mit der die Notwendigkeit einer Betrachtung von Bonhoeffers Hermeneutik, Exegese und theologischer Vergegenwärtigung einhergeht (Strunk, Krause). Eine Spezialfrage in dieser Richtung betrifft die Thematisierung der Juden in der „Nachfolge“, die zugleich auf der Schnittstelle zum vierten Themenkreis steht: d. Wie ist die politische Dimension des Buches zu bewerten? (Peters, Feil, Bethge, Gütter) Welche Widerstandsfigur stellt Bonhoeffer in der „Nachfolge“ vor? (Bethge, Peters) 2. Fragen nach Gang und Entwicklung der Theologie Bonhoeffers. Hier ist nach zwei Richtungen hin zu differenzieren: a. Die erste Richtung betrifft Fragen nach Vorkommen, Herkunft und Entwicklung einzelner theologischer Motive und Themen innerhalb von Bonhoeffers Theologie. Die beiden Themen, denen sich alle anderen zuordnen lassen, sind erstens: das Weltverständnis der „Nachfolge“, und zwar in seiner dogmatischen Konzeption (besonders die Frage der christologischen Wirk-

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Einleitung

lichkeits- und Raumkonzeption) und in seiner ethischen Konzeption (besonders die Frage des Verhältnisses der Christen zur Welt sowie nach Umfang, Art und Begründung ihres Handeln in und an derselben); zweitens: das Thema Widerstand, d. h. also die Frage, wie sich die Widerstandsfigur der „Nachfolge“ zu denen der früheren und späteren Lebenszeit Bonhoeffers verhält. Welche Wege und Stationen des Widerstands ist Dietrich Bonhoeffer gegangen? Welche Formen und Ausprägungen des Widerstands lassen sich unterscheiden und inwiefern sind sie voneinander unterschieden? Wie werden sie begründet? Und, vor allem, inwiefern sind sie aufeinander bezogen? b. Daraus ergibt sich als eine zweite Richtung die Frage nach dem Ort der „Nachfolge“ und ihrer Theologie in Bonhoeffers Werk, Denken und Leben und nach der Rolle des Buches in Bonhoeffers theologischer Entwicklung. Mit der Feststellung, dass die Problematik der Frage nach der theologischen Entwicklung Bonhoeffers stets an der „Nachfolge“ aufbricht, ist die gründliche Analyse dieses Buches auch mit Blick auf alle anderen Schriften Bonhoeffers als Aufgabe angetragen.

1.4 Bestimmung der Aufgabe Den beiden in 1.3 umrissenen Problemkreisen entspricht die doppelte Aufgabe dieser Arbeit, die es in historischer und systematischer Weise zu entfalten gilt: Erstens: Die Studie setzt sich zum Ziel, den Text der „Nachfolge“ zu vergegenwärtigen, indem der theologische Gedankengang des Buches herausgearbeitet wird und die einzelnen Themen und Motive theologisch so systematisiert werden, dass sie zunächst sowohl in ihrer jeweiligen eigenen Gestalt als auch im Zusammenhang der theologischen Argumentation deutlich werden. Dies geschieht in zwei Schritten. Unter dem Leitbegriff der Rechtfertigung wird der Weg Gottes zum Menschen betrachtet; es ist dies der Weg des Menschen zur Nachfolge, sein Weg in die Gemeinschaft Jesu Christi, welcher der Frage entspricht: Wie wird der Mensch ein Christ (Kapitel 2)? Unter dem Leitbegriff der Heiligung wird der Weg Christi mit dem Menschen untersucht; es ist dies der Weg des Menschen in der Nachfolge, sein Weg in der Gemeinschaft Jesu Christi, welcher der Frage entspricht: Wie bleibt der Christ ein Christ (Kapitel 3)? Die Analyse der christologischen Konzeption Bonhoeffers, an der sich das Weltverhältnis der Christen, aber auch die Struktur des Buches entscheiden, ist in diesen ersten beiden Abschnitten erkenntnisleitend. Um den Text zu verstehen, bedient sich die Arbeit zunächst eines textimmanenten Zugangs. Andere Texte Bonhoeffers werden herangezogen, sofern sie der Erhellung der „Nachfolge“-Theologie dienen. In diesem Sinne werden im Anmerkungsapparat Querverweise zu denjenigen Schriften Bonhoeffers angezeigt, die Bezüge der „Nachfolge“ sowohl zum früheren als auch zum

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Bestimmung der Aufgabe

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späteren Werk sichtbar machen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der inneren Verbindung von „Nachfolge“ und „Ethik“ in Christologie und Weltverständnis. Zweitens: Der hermeneutischen Notwendigkeit, welche Bonhoeffers Werk in besonderer Weise einfordert, nämlich Theologie im Kontext ihrer jeweiligen historischen und biographischen Situation zu interpretieren, trägt der dritte Teil der Arbeit Rechnung (Kapitel 4). Er versucht, das spezifische theologische Konzept der „Nachfolge“ in den Zusammenhängen seiner Entstehung aufzuweisen und den konkreten Ort dieser Schrift unter Aufnahme der Textanalyse zu verdeutlichen. Indem Bonhoeffers Weg zur „Nachfolge“ nachgezeichnet und angezeigt wird, welche Bedeutung ihr innerhalb von Bonhoeffers Werk, Leben und Denken zuzumessen ist, wird es am Ende der Arbeit möglich sein, Aussagen über die theologische Entwicklung und den Gang seines Werkes treffen zu können (Kapitel 5). Die hier vorgelegte Analyse der „Nachfolge“ im Kontext ihrer Entstehung – dem entspricht der Titel dieser Arbeit – wird somit zum Anlass einer Interpretation der Theologie Dietrich Bonhoeffers und ihrer Genesis insgesamt genommen. Anzumerken ist zuletzt, was diese Untersuchung nicht leisten will und auch nicht leisten kann: Indem sie sich der Vergegenwärtigung des textlichen Gedankengangs der „Nachfolge“ zuwendet, verbleiben die Interessen an deren Traditions-49 und Rezeptionsgeschichte50 im Hintergrund. Diese ausdrücklich

49 Auf die wichtigsten Gesprächspartner wird immer an ausgewählten Stellen dann verwiesen, wenn dies den Gedankengang entscheidend verdeutlicht, erklärt oder voranbringt: So wird Martin Luther beispielsweise zu betrachten sein, wenn Bonhoeffers Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat in ihrer Bedeutung für die N aufgewiesen wird. Wie eng sich Bonhoeffer dem Reformator theologisch verbunden wissen wollte und wie sehr er sich auch für die exegetischen Entscheidungen der N mit Luthers eigenen Auslegungen auseinandergesetzt hatte, zeigt – neben den zahlreichen theologischen Dokumenten Bonhoeffers – ein Antwortbrief an Franz Hildebrandt vom 3. 1. 1938, in welchem er schreibt: „Zustimmung und Kritik zu meinem Buch [sc. der ,Nachfolge‘] haben mich in gleicher Weise gefreut. Daß Asmussens Galater-Kommentar allerdings nicht zu meiner Auslegung von Matth. 5,17 f paßt, gebe ich sehr bereitwillig zu. Mit Luthers Galater-Kommentar steht das aber schon sehr anders“ (DBW 15, 22). Sören Kierkegaards Gedanken zur Nachfolge, zu Christus, zum Leben der Christen in der Welt, zu Glauben und Gnade haben sich in frappierender Weise in Bonhoeffers Nachfolge-Theologie niedergeschlagen, sodass an ausgewählten Stellen auf Bonhoeffers Vorlage verwiesen werden wird. Die Beobachtung, dass sich Bonhoeffer in der N gedanklich besonders an Kierkegaard immer wieder und zum Teil überaus eng anlehnt, hat ein eigenes Thema der Forschung an der N eröffnet, das bislang jedoch nicht erschöpfend erschlossen worden ist. Zuerst hat H.T. Vogel auf die brisante Nähe Bonhoeffers zu Kierkegaard verwiesen und auch erschlossen, dass Bonhoeffer bei der Arbeit an der N ausnehmend auf eine von W. Kütemeyer besorgte Kierkegaard-Auswahl zurückgegriffen hat (Kierkegaard, Der Einzelne und die Kirche); vgl. Vogel, Spuren Kierkegaards in Bonhoeffers ,Nachfolge‘. Inzwischen sind zur Frage des Einflusses Kierkegaards auf die N einige Aufsätze sowohl im englisch- als auch im deutschsprachigen Raum erschienen. 2005 erschien ein Beitrag von F. Barth, Bonhoeffers Nachfolge. Bei den im anglo-amerikanischen Raum erschienenen Veröffentlichungen handelt es sich zumeist um vergleichende Arbeiten, die nicht nur aus der Bonhoeffer-, sondern auch aus der Kierkegaard-Forschung

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Einleitung

thematisieren und in ihrer ganzen Breite darbieten zu wollen, erforderte jeweils eigene Untersuchungen.

stammen: Kelly, The Influence of Kierkegaard; Law, Cheap Grace; ders., Christian Discipleship; Rae, Kierkegaard, Barth and Bonhoeffer; Tietz, Standing in the Tradition. Von allen zeitgenössischen Theologen hat Karl Barth wie kein anderer auf Bonhoeffers Denken Einfluss genommen. Seine Auseinandersetzung mit Barth, d. h. mit der Dialektischen Theologie insgesamt, wird besonders in der Darstellung des Weges zur N (Kapitel 4) angedeutet. Zu pietistischen Elementen in Bonhoeffers Werk vgl. Zimmerling, Pietistmus.

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2. Der Weg Gottes zum Menschen: Rechtfertigung Als Petrus auf das schwankende Meer gerufen wird, da […] war in all dem nur eines gefordert, sich auf das Wort Jesu Christi zu verlassen, dieses Wort für einen tragfähigeren Boden zu halten als alle Sicherheiten der Welt (N 69)

2.1 Zum Begriff Nachfolge in Bonhoeffers Buch Es gehört zu den wesentlichen Charakteristika seiner Theologie, dass Bonhoeffer sich gegen eine an Prinzipien sich orientierende Theologie wehrt: gegen ein Denken, das zuerst nach bestimmten, von vornherein feststehenden Programmen fragt und nicht zuerst danach, was Gottes Wort als lebendiges, hier und jetzt sich konkretisierendes Wort bedeutet. Die Überzeugung, sich von diesem stets konkreten Wort in Anspruch nehmen zu lassen, durchzieht Bonhoeffers theologisches Werk, auch wenn sich freilich die Auffassung dessen verändert, was „konkret“ jeweils bedeutet. Gerade so verhält es sich auch mit der „Nachfolge“. Fragen wir, was Bonhoeffer unter Nachfolge versteht, so erhalten wir zuerst eine Antwort auf die Frage, was Nachfolge gerade nicht ist: Nachfolge ist „kein Lebensprogramm, dessen Verwirklichung sinnvoll erscheinen sollte, kein Ziel, kein Ideal, dem nachgestrebt werden könnte“. Nachfolge ist nicht einmal eine „Sache, für die es sich nach menschlicher Meinung verlohnte, irgendetwas oder gar sich selbst einzusetzen“ (N 46). Bonhoeffer verliert zunächst kein Wort darüber, als eine wie beschaffene ethische Konzeption die Christusnachfolge beschrieben werden könnte, ebenso kein Wort darüber, welche Gebote inhaltlich die Nachfolge bestimmen. Vielmehr : Nachfolge „ist etwas schlechthin Inhaltloses“ (ebd.). Was aber ist dann Nachfolge? Nachfolge, sagt Bonhoeffer, ist das hinter Jesus Hergehen (vgl. ebd.). Folgen wir diesem Bild, sehen wir jene ersten Jünger vor uns, die Jesus zu sich rief und die ihm dann tatsächlich dorthin folgten, wohin er, Jesus, ging: Levi, den Zöllner, oder Petrus, den Fischer. Da sie Jesus folgten, ließen sie ihn den Weg bestimmen. Der „einzige Inhalt“ (N 47) ihrer Nachfolge ist Jesus Christus selbst. Christus geht es darum, dass seine Jünger an ihn allein gebunden werden (vgl. ebd.). Dies geschieht durch die Nachfolge, durch das Leben der Jünger in der Gemeinschaft ihres Herrn. Die Jünger folgen Jesus nach im Glauben daran, dass er der Christus ist. „Nachfolge ist Bindung an

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Der Weg Gottes zum Menschen

Christus“.1 Sie sind nicht mehr an ihre alte Existenz gebunden – nicht mehr an die bisherigen Sicherheiten, den Beruf, die Familie –, sondern allein an Christus, nicht mehr an die „Welt“, sondern allein an ihn (vgl. z. B. N 87 – 90). Insofern versteht Bonhoeffer Nachfolge mit Kierkegaard2 „nicht [als] eine Lehre, sondern [als] eine Neuschöpfung der Existenz“ (N 50). Keine Ethik der Nachfolge Christi, nicht Aussagen über dieses oder jenes Gebot oder Fragen nach dem Verhältnis von Glauben und Gehorsam, von Gnade und Tun des Gerechten bilden den Ausgangspunkt von Bonhoeffers Überlegungen, sondern die Auffassung, dass Nachfolge eine Existenzbestimmung des Menschen ist. Nachfolge heißt die Existenz derer, die Jesus zu dessen Lebzeiten als den Christus glaubten und ihm in diesem Glauben leiblich, in Jesu leiblicher Gemeinschaft, folgten. Indem nun Bonhoeffer die Nachfolge ausschließlich auf Christus hin ausgerichtet versteht (er ist „der einzige Inhalt“) und ebenso ausschließlich von Christus her begründet („weil Christus ist, darum muß Nachfolge sein“, N 47), sucht er den Begriff Nachfolge in seiner christologisch-soteriologischen Bedeutung, d. h. im Zusammenfall von Sünde und Versöhnung, Kreuz und Rechtfertigung, Tod und Auferstehung Christi, aufzuweisen. Diesem Anliegen trägt die folgende Darstellung nicht nur inhaltlich, sondern ebenso strukturell Rechnung, indem sie Bonhoeffers Gedankengang entlang des Schöpfungs- und Versöhnungshandelns Gottes mit dem Menschen abbildet. In allem geht es darum, Bonhoeffers begriffliches Konzept von Nachfolge auszuleuchten. Dabei wird sich zeigen, dass das Verständnis von Nachfolge als „Bindung an Christus“ (N 47) als eine Qualifikation des Glaubens an Jesus Christus zu verstehen ist, und zwar als eine Qualifikation, die einen ganz bestimmten Glaubensbegriff voraussetzt. Letztlich qualifiziert erst der Glaube das Nachfolgen als Bindung. Umgekehrt verleiht Bonhoeffers grundlegende, im Buch immer wiederkehrende Bestimmung der Nachfolge als leibliche Bindung an Christus dem Umstand Ausdruck, dass Glaube eine ganz und gar existentielle Sache ist. Der Überzeugung folgend, dass in der „Nachfolge“ der Christologie theologisch deutlich Vorrang gegenüber der Anthropologie erteilt ist, wählt die Darstellung einen Weg, der vom Primat des Leibes Christi ausgeht und erst von dort aus sagt, was Glaube ist und unter welchen Umständen er möglich oder aber verhindert wird. Um den Text der „Nachfolge“ so zu vergegenwärtigen, dass er hinreichend verstanden werden kann, wird die Gedankenfolge jenes im Buch beschriebenen Weges Gottes mit dem Menschen – von Schöpfung und Sündenfall (2.2) über Menschwerdung und Kreuz (2.3 und 2.4) bis zum Christsein heute (2.5 und 3) – möglichst geschlossen dargelegt. Dies heißt, auch diejenigen Überlegungen der „Nachfolge“ zu benennen, die – beispielsweise dann, wenn sie 1 N 47; außerdem N 51, 65, 78ff, 116, 119, 126, 128, 133ff, 155ff u. ö. 2 Vgl. Kierkegaard, Papirer IX, A207 (1848): siehe unten Anm. 111 dieses Kapitels.

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Das Ebenbild Gottes

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,klassischer‘ lutherischer Theologie entsprechen – im theologischen Diskurs als konventionell erscheinen mögen. Zudem weist der Umstand, dass Bonhoeffer gerade auch bekannte Positionen und Begriffe der lutherischen Theologie darzustellen nicht auslässt, bereits auf die Adressaten hin, die er mit seiner Schrift über die Nachfolge Christi in den Blick nimmt: die Pastoren und Prediger der Bekennenden Kirche, die als die ersten Adressaten des Buches vorauszusetzen sind. Ihnen in den zermürbenden Wirren, täglichen Anfeindungen und existentiellen Nöten ein theologisches Rüstzeug und gerade darin eine auch geistliche Stütze dafür zu geben, „den schmalen Weg der kirchlichen Entscheidung in aller Gewißheit zu gehen und doch in der ganzen Weite der Christusliebe zu allen Menschen […] zu bleiben“ (N 24), ist die eigentliche und konkrete Intention der Schrift, deren Grundgedanke lautet: Jesus Christus ruft die Menschen in seine Nachfolge – und diese Nachfolge gilt als göttliches Gebot keineswegs ausgewählten einzelnen, sondern allen Christen. Gottes teure Gnade, die im Gegensatz zu „billiger Gnade“ weder von Weltförmigkeit noch von Weltflucht etwas weiß, will im Leben der Christusgläubigen sichtbar Gestalt gewinnen.

2.2 Das Ebenbild Gottes: Der Mensch in statu integritatis und in statu corruptionis Im letzten Kapitel der „Nachfolge“ entfaltet Bonhoeffer einen Gedanken, den er zuvor bereits einige Male angesprochen hatte (vgl. N 47ff, 88ff und bes. 227ff) und den er nun dezidiert in das Gerüst seiner Nachfolge-Theologie integriert; dieser Gedanke lautet:3 Gott will die Gleichheit, die Ebenbildlichkeit des Menschen mit sich selbst.4 Hier, am Ende des Buches, weist Bonhoeffer seine Gedanken zur Nachfolge Christi noch einmal an ihren spezifischen theologischen, und zwar an ihren heilsgeschichtlichen Ort: Gott schuf einst Adam zu seinem Ebenbild. Gott suchte in Adam als der Vollendung seiner Schöpfung das Wohlgefallen an seinem eigensten Bild […]. In Adam erkannte Gott sich selbst. So ist es das unauflösliche Geheimnis des Menschen vom Anfang her, daß er Geschöpf ist und doch dem Schöpfer gleich sein soll. Der geschaffene Mensch soll das Bild des ungeschaffenen Gottes tragen. Adam ist ,wie Gott‘. Nun soll er sein 3 Vgl. zum folgenden DBW 3 (SF). Der im Wintersemester 1932/33 als Vorlesung gehaltenen Schrift liegt der schöpfungstheologische Gedankengang zugrunde, den Bonhoeffer im Schlusskapitel der N aufgreift. 4 Zu pietistischen Anklängen und Motiven in Bonhoeffers Theologie vgl. Zimmerling, Pietismus, sowie Pelikan, Frömmigkeit. Ein theologischer Vergleich Bonhoeffers etwa mit Johann Arnds Büchern „Von wahrem Christenthumb“ (1605), vorwiegend mit dem ersten Buch, scheint mir lohnenswert (Arnd, Von wahrem Christenthumb).

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Der Weg Gottes zum Menschen

Geheimnis, Geschöpf und doch gottgleich zu sein, dankbar und gehorsam tragen. (N 297)

Es ist Gottes Wille, so Bonhoeffer, dass der Mensch sein Bild trage. Deshalb schafft Gott den Menschen nach seinem Bilde. Der gottgleiche Mensch aber versucht aus eigener Kraft herzustellen, was ihm längst zu eigen ist: die Ebenbildlichkeit Gottes, seines Schöpfers. Der Mensch als Bild seiner Urständlichkeit ist der zur imago dei geschaffene Mensch.5 Indem er aber der frommen Frage der Schlange nachgibt und vom Baum der Erkenntnis isst, verliert er seine Ebenbildlichkeit. Es war die Lüge der Schlange, daß sie Adam vorhielt, er müsse erst noch werden wie Gott, und zwar aus eigner Tat und Entscheidung. Da verwarf Adam die Gnade und erwählte die eigne Tat. Adam wollte das Geheimnis seines Wesens, Geschöpf und gottgleich zu sein, selbst lösen. Er wollte von sich aus werden, was er von Gott her schon war. Das war der Sündenfall. Adam wurde „wie Gott“ – sicut deus – in seiner Weise. Er hatte sich selbst zum Gott gemacht und hatte jetzt keinen Gott mehr. Er herrschte allein als Schöpfergott in einer entgotteten, unterworfenen Welt. Aber das Rätsel seines Daseins bleibt ungelöst. Der Mensch hat sein eigenes, gottgleiches Wesen, das er von Gott hatte, verloren. Er lebt nun ohne seine wesentliche Bestimmung, Gottes Ebenbild zu sein. […] Seitdem suchen die stolzen Kinder Adams das verlorene Bild Gottes aus eigner Kraft in sich wiederherzustellen. Aber gerade je ernster, je hingebender ihr Streben, das Verlorene wiederzugewinnen, […] desto tiefer der Widerspruch zu Gott. […] Das Ebenbild Gottes als die Gnade des Schöpfers bleibt auf dieser Erde verloren. (N 297 f)

Keineswegs will Bonhoeffer in der „Nachfolge“ die Gottes Willen verwerfende „eigne[…] Tat“ (N 298) Adams einfach ethisch interpretiert wissen, denn damit wäre der Umfang dieser Tat nicht zureichend beschrieben. Sie ist kein ethischer Fehltritt,6 sondern muss umfassend, existentiell, geschöpflich verstanden werden. Adam, in dem „der Mensch“ (N 229) fällt, ist seinem Schöpfer jetzt nicht mehr gleich. Mit seiner Tat stellt Adam sich außerhalb des Wortes Gottes an ihn, wählt die Selbstherrschaft, stellt sich Gott gleich und trennt sich damit von Gott. Er hat seine Ebenbildlichkeit verloren und mit der imago dei seine urständliche Geschöpflichkeit. „Der Mensch lebt, ohne Mensch zu sein.“ (N 298) Der gefallene Mensch ist nicht mehr der Mensch, als den Gott ihn geschaffen hatte; er ist „in Adam“.7 „Er muß leben, 5 Vgl. bes. SF 56 – 63. Dass Bonhoeffer die imago dei des Menschen nicht als analogia entis, sondern als analogia relationis denkt (vgl. SF 60 f u. a.; vgl. zuvor AS 67ff u. a.; dazu Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik, 218ff und 306ff), ist auch für die N vorauszusetzen. 6 Die Ablehnung einer Interpretation als „ethischer Fehltritt“, die auch für die N charakteristisch ist, findet sich explizit in SF 112. Siehe hierzu erläuternd SF, Nachwort der Hg., 158. Siehe zum Ethik-Verständnis der N unten Kap. 3.2.2.1. 7 In seiner Habilitationsschrift hatte Bonhoeffer das „Sein in Adam“ als „eine schärfere ontologische [Hervorhebung durch F.S.] […] Bestimmung für esse peccator“ (AS 135) beschrieben, um auf diese Weise deutlich zu machen, dass „in Adam“ als eine „existentielle Bestimmung

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Das Ebenbild Gottes

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ohne leben zu können.“8 Für die christologische Konzeption der „Nachfolge“ wird sich als entscheidend erweisen, dass Bonhoeffer den Fall Adams dort, menschlichen Seins“ (AS 135; Hervorhebung durch F.S.) verstanden werden muss. Zur inhaltlichen Bestimmung des Sein-in-Adam vgl. SF: Der Mensch „in Adam“ ist der in se conversus, der aus sich selbst heraus (sich selbst) zu verstehen sucht, der über sich selbst verfügen und herrschen Wollende, der allein auf sich selbst Blickende, Grenzenlose (vgl. AS 149 u. ö.; vgl. zu den von Bonhoeffer besonders in AS verworfenen Versuchen des Menschen, sich aus sich selbst heraus zu verstehen: Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik, 21 – 121; zur Sündenlehre Augustins vgl. Kleffmann, Erbsündenlehre, 46ff). Der Mensch hat Gott – oder genauer: er hat das Wissen um Gott als die Grenze und zugleich als die Mitte seines Daseins verloren (vgl. SF 81 u. ö.). Nicht Gott, sondern nunmehr sich selbst weiß er als seine eigene Grenze und eigene Mitte. Der Mensch hat „die […] Mitte betreten, die Grenze ist überschritten, nun steht der Mensch in der Mitte, er ist nun ohne Grenze. Daß er in der Mitte steht, heißt, daß er nun aus sich selbst lebt und nicht mehr aus der Mitte heraus, daß er grenzenlos ist, heißt, daß er allein ist. […] Nun lebt er aus sich selbst, nun schafft er sein Leben selbst, ist sein eigener Schöpfer, bedarf er seines Schöpfers nicht mehr […] Mit der Grenze verliert Adam seine Geschöpflichkeit.“ (SF 107) Er weiß um gut und böse, recht und unrecht, gerecht und ungerecht, und gerade darin ist er „wie Gott“. Der Gott ebenbildliche Mensch weiß nicht „um die in tob und ra zerrissene Welt“ (SF 86). Er „[weiß] um die Möglichkeit des Bösen in keiner Weise […]“ (SF 105), „er lebt im eigentlichsten Sinn jenseits von gut und böse“ (SF 82). „Vor dem Fall gab es kein Gewissen.“ (SF 120) Der gefallene Mensch aber wird „sich auf sein Gewissen, auf sein Wissen um Gut und Böse berufen“ (SF 121). Er wird das Wort Gottes nicht einfältig, sondern paradox verstehen und seiner eigenen ethischen Urteilsfähigkeit, in dessen Besitz er nun ist, unterwerfen. Der Mensch, der das Bild Gottes trug, „der in seinem Sein für Gott und den Nächsten, in seiner urständlichen Geschöpflichkeit und Begrenztheit gottebenbildliche Mensch“ (SF 104 f), ist nun im Besitz der Erkenntnis um gut und böse, und er ist gerade darin „wie Gott“, „sicut deus“. Er ist der „in seinem Aus-sich-herauswissen um gut und böse, in seiner Grenzenlosigkeit und seinem Aus-sich-handeln, in seiner Aseität, in seinem Alleinsein gottgleiche Mensch“ (SF 105). Das sicut-deus-Sein des Menschen besteht daher in „seinem Versuch, selbst für Gott sein zu wollen, über eine neue Weise des ,FürGott-Seins‘ zu verfügen, in einer besonderen Weise des Frommseins. Und zwar sollte dieses Frommsein darin bestehen, daß der Mensch hinter das gegebene Wort Gottes zurückgehend, sich seine eigene Erkenntnis Gottes verschafft“ (SF 108). 8 N 298. Vgl. dazu SF 107: „Adam ist nicht mehr Geschöpf.“ Gerade darin ist das sicut-deus-Sein des Menschen ja wirklich ein sicut-deus-Sein, dass „der Fall […] wirklich aus dem Geschöpf – imagodei-Menschen – den sicut-deus-Schöpfer-Menschen [macht]“ (SF 107), dass er die Geschöpflichkeit wirklich, ganz aufhebt. – Tietz hat gefordert, hinsichtlich des Geschöpfseins des Menschen zwischen zwei Richtungen, der Beziehung des Menschen zu Gott einerseits und der Beziehung Gottes zu dem Menschen andererseits, zu unterscheiden. Weil der Sünde des Menschen nicht die Macht zugesprochen werden dürfe, „das durch Gottes Schöpfungstat gegebene Geschöpfsein des Menschen zu zerstören“ (Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik, 312), darum dürfe der Verlust der Geschöpflichkeit nur für die Beziehungsrichtung Mensch-Gott gelten. Der Verlust der Geschöpflichkeit des Menschen berühre also nicht die Beziehung Gottes zum Menschen. Dass der Mensch also trotz seines Falls Schöpfung bleibe, habe Bonhoeffer später in den E-Fragmenten deutlicher ausgesprochen (vgl. E 157 f, nach Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik, 312). Allein für die andere Richtung, die Beziehung des Menschen zu Gott, habe zu gelten, dass der Mensch „nicht mehr Geschöpf ist“, und das bedeute zugleich, so referiert Tietz Bonhoeffer, dass „nur der Glaubende, nur der von der Offenbarung Betroffene, Geschöpf ist“ (Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik, 312). Dass Bonhoeffer in der Tat in den Fragmenten der E betont, auch die gefallene Schöpfung bleibe Schöpfung, widerspricht dem nicht. Denn anders als zu Beginn der 1930er Jahre, richtet sich Bonhoeffers Interesse an der Schöpfungs- und Sündenfallsgeschichte dort nicht mehr zuvorderst auf die völlige Entzweiung von Schöpfer und Geschöpf.

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Der Weg Gottes zum Menschen

wie schon in „Sactorum Communio“, „Akt und Sein“, „Schöpfung und Fall“, auf die ganze Menschheit bezieht.9 Weil Adam die ganze Menschheit in sich trug, fiel in ihm die ganze Menschheit (vgl. N 229); „in ,Adam‘ (Mensch) fiel ,der Mensch‘“.10 Gott gibt seinen Plan mit dem Menschen nicht auf. Er erhält die gefallene Welt, er „wendet sein Auge nicht von seinem verlorenen Geschöpf. Er will in ihm sein Bild zum zweiten Male schaffen“. Sein „Bild soll im Menschen wiederhergestellt werden“ (N 298). So ist Gottes Ziel und Bestimmung des Menschen, dass er „als lebendiges Geschöpf Gottes Bild sei“, und zwar so, dass er nicht nur dieses oder jenes Gebot hält, sondern seiner ganzen Gestalt nach (vgl. N 299). Die Ebenbildlichkeit Gottes trifft den Menschen in seiner Existenz. Seit dem Fall Adams hat Gott in die sündige Menschheit sein Wort gesandt, Menschen zu suchen und anzunehmen. Dazu ist das Wort Gottes bei uns, die verlorene Menschheit wieder anzunehmen. Gottes Wort kam als Verheißung, es kam als Gesetz. Es wurde schwach und gering um unsertwillen. Aber die Menschen verstießen das Wort und ließen sich nicht annehmen. Sie brachten Opfer, sie taten Werke, die sollte Gott annehmen an ihrer Statt; aber sich selbst kauften sie damit frei. (N 227)

Der gefallene Mensch, der seine Ebenbildlichkeit verloren hat, kann aus eigener Kraft dem Bilde Gottes nicht mehr gleich werden (vgl. N 298); ihm ist der Weg zu Gott für immer versperrt. Alles eigene Bemühen führt aus der Selbstherrschaft des Menschen nicht heraus, sondern bestätigt sie. Die Frage, wie dann „die Umwandlung des Menschen in Gottes Bild möglich werden kann“ (N 299), ist die Frage nach Menschwerdung und Kreuz Christi, nach Versöhnung und Rechtfertigung des Menschen.11 9 Vgl. dazu SC, z. B. 69ff; AS 135ff; SF, bes. 107 ff. Vgl. auch die Vorlesung über „Das Wesen der Kirche“ (SS 1932), in: DBW 11, 239 – 303. 10 N 229; zuvor schon in DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 263 – 265. Vgl. dazu SF 112: Der Fall Adams umgreift die gesamte Schöpfung, „das Ausmaß dieses Falles ergreift die ganze geschaffene Welt, der nunmehr die Geschöpflichkeit geraubt ist, indem sie wie ein Meteor, der sich vom Kern losgerissen hat, in den unendlichen Raum blindlings hineinstürzt“. 11 Hatte Bonhoeffer in seiner Dissertationsschrift die Schöpfungs- und Sündenfallgeschichte noch in der Gewissheit ausgelegt, „daß das Hauptinteresse der Erzählung von Gen 1 – 3 auf der individuellen urständlichen Vollkommenheit Adams liegt“ (SC 223), ist in SF (1932/33) die völlige Entzweiung des Geschöpfes von seinem Schöpfer als der Skopus des Textes aufgefasst. Deshalb fokussiert Bonhoeffer in SF im Besonderen das Verhältnis zwischen Gott und Mensch in der gefallenen Welt, d. h. das Verhältnis von Gott und „sicut-deus-Schöpfer-Mensch“ (SF 107). Was bedeutet das sicut-deus-Sein für den Menschen in seiner Begegnung mit Gottes Wort? Welchen Zugang hat er zu der Schöpfung? Wie handelt Gott mit der gefallenen Welt? Dies sind Bonhoeffers Fragen in SF bzw. in der Vorlesung des Wintersemesters 1932/33. In der N hingegen liegt das Hauptinteresse der Auslegung weder auf dem Aspekt der Schöpfung noch auf dem des Falls, sondern hier fragt Bonhoeffer vorwiegend nach der Versöhnung zwischen Gott und Mensch, nach der Neuschöpfung des Menschen und der Wiedergewinnung seiner Ebenbildlichkeit. Während dort der Verlust der Ebenbildlichkeit des Geschöpfs mit dem Schöpfer der

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Die Dialektik von Vollzug und Vollstreckung

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2.3 Die Dialektik von Vollzug und Vollstreckung des Urteils Gottes über den Menschen Die Darstellung von Bonhoeffers Verständnis der Rechtfertigungslehre in der „Nachfolge“ erfolgt hier wesentlich in zwei Schritten. Ein erster Teil (Vollzug des Urteils Gottes über den Menschen: Selbstrechtfertigung Gottes) beschreibt die in Menschwerdung, Tod und Auferstehung Christi an allen Menschen real vollzogene – d. h. im Glauben als real vollzogen gedachte – Tat Gottes. Was Christus tat, das tat er nach Bonhoeffer an der ganzen Menschheit, das hat sich an jedem einzelnen Menschen bereits vollzogen, und zwar unabhängig davon, ob dieser selbst dessen gewahr ist oder nicht. In einem zweiten Teil (Vollstreckung des Urteils Gottes über den Menschen: die Rechtfertigung des Menschen) wird nach dem das Handeln Gottes am Kreuz erkennenden Einzelnen gefragt, an dem, indem er anerkennt und erkennt, nun vollstreckt wird, was durch Christus bereits ganz an ihm vollzogen ist. In der Denkfigur von Vollzug und Vollstreckung des Handelns Gottes am Menschen – das Begriffspaar selbst ist dem Text der „Nachfolge“ entlehnt12 – lässt sich das Rechtfertigungsverständnis der „Nachfolge“ und mithin das dem Buch zugrundeliegende theologische Konzept von Nachfolge erschließen.

2.3.1 Vollzug: Selbstrechtfertigung Gottes Die Unmöglichkeit des Menschen, seine verlorene Gestalt, seine Ebenbildlichkeit aus eigener Anstrengung – durch seine Werke und sein Tun – wiederzuerlangen, begründet die souveräne Menschwerdung Gottes, der von seinem verlorenen Geschöpf nicht ablassen will. Es gibt „nur einen Weg zur Hilfe. Gott selbst nimmt die Gestalt des Menschen an und kommt zu ihm“ (N 299). Gott suchte am Menschen „sein eignes Bild, um es zu lieben. Aber er findet es nicht anders, als indem er selbst aus lauter Barmherzigkeit das Bild und die Gestalt der verlorenen Menschen annimmt.“ (N 298) Das geschieht durch die Menschwerdung: Skopus der Auslegung war, ist es hier die Frage nach der Wiederherstellung jener Ebenbildlichkeit, auf die Bonhoeffer Antwort gibt. Nicht der „Kluft“ (N 91) zwischen Schöpfer und Geschöpf, sondern deren Überwindung und Überbrückung durch Christus gilt Bonhoeffers Interesse in der N. In der E, so kann die hier angedeutete Entwicklung bei Bonhoeffer weitergeführt werden, ist das Versöhntsein von Christus und Welt – und weniger das Versöhntwerden – die wesentliche christologische Grundentscheidung, von der aus Bonhoeffer argumentiert, obgleich auch das Versöhntwerden freilich bestehen bleibt. In der christlichen Ethik, sagt Bonhoeffer, geht es um das „Wirklichwerden“ der „Gottes- und Weltwirklichkeit, die in Christus gegeben ist, in unserer Welt. […] Es geht also darum, an der Wirklichkeit Gottes und der Welt in Jesus Christus heute teilzuhaben“ (E 40). 12 Vgl. bes. N 89; siehe hierzu unten Kap. 2.3.

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Der Weg Gottes zum Menschen

Da geschieht das Wunder aller Wunder. Gottes Sohn wird Mensch. Das Wort ward Fleisch. Der von Ewigkeit her in der Herrlichkeit des Vaters war, der die Gottesgestalt trug, der im Anfang Mittler der Schöpfung war, so daß die geschaffene Welt nur durch ihn und in ihm erkannt werden kann, Gott selbst […] kommt auf die Erde. (N 227 f)

Zum Verständnis der „Nachfolge“ ist es nun entscheidend, deren christologische Grundannahmen zu vergegenwärtigen. Sie seien in den folgenden Punkten benannt und zusammengefasst: 1. Christus, der Menschgewordene: wahrer Mensch und wahrer Gott. Gott wurde Mensch; Jesus Christus ist der Menschgewordene. Für Bonhoeffer muss die Menschwerdung Christi zuerst die völlige Einheit und Gleichzeitigkeit von Menschsein und Gottsein in der Person Jesu Christi bedeuten.13 Dass Jesus (im Sinne der Einheit, nicht im Sinne von Identität) ganz Gott und zugleich ganz Mensch ist, diesen Gedanken setzt Bonhoeffer in der „Nachfolge“ voraus, ohne ihn jedoch systematisch auszuführen. Systematisch hatte Bonhoeffer dies in der „Christologie“-Vorlesung des Sommersemesters 1933 (DBW 12, 279 – 348) reflektiert und entfaltet, die als wesentliche theologische Grundlegung für die „Nachfolge“ anzusehen ist. Dem Entwurf einer „positiven Christologie“ stellt er dort einen Abschnitt über „kritische Christologie“ voran. Für sämtliche in diesem Abschnitt aufgenommenen und besprochenen christologischen Modelle bemüht Bonhoeffer den Nachweis, dass in ihnen das Kommen Gottes in die Welt, das Menschsein und Gottsein Jesu Christi unangemessen verstanden wird. Ihnen ist der Versuch gemein, mittels des Begreiflichen das Unbegreifliche in etwas Begreifbares umzuwandeln (DBW 12, aaO., 315). „Das Begreifliche soll aber gerade dazu dienen, das Unbegreifliche stehen zu lassen.“ Im Kern geht es Bonhoeffer darum, dass in der Christologie niemals das „Unbegreifliche in etwas Begreifliches“ umgewandelt werden dürfe; vielmehr sei „das Ziel des Begreifens in der kritischen Christologie […] das Unbegreifliche“.14 Dieses Unbegreifliche wird allein ernstgenommen in der Frage: „Wer ist dieser Gott?“ Darauf antwortet Bonhoeffer : Er ist der Menschgewordene wie wir Mensch geworden sind. Er ist ganz Mensch. […] Der Mensch, der ich bin, ist Jesus Christus auch gewesen. […] Das Gottsein dieses

13 Vgl. dazu den 1936 in Finkenwalde entworfenen „Konfirmandenunterrichtsplan“ (zweiter Katechismusversuch): „Jesus Christus ist ganz Gott und ganz Mensch in einer Person.“ (DBW 14, 804). 14 DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 315. Bonhoeffer wendet sich besonders gegen die „doketische Häresie“, deren Betrachtung sich für das Verständnis der N noch als aufschlussreich erweisen wird. Doketische Häresie ist wesentlich „der Versuch, die Menschwerdung Christi so begreiflich zu machen, daß Jesus Christus nur als Erscheinungsform der Gottheit in der Geschichte verstanden wird“ (DBW 12, aaO., 316). Hier wird m.a.W. als gleichgültig angesehen, „wer er [sc. Jesus] ist und ob er gewesen sei. Dem ist die Alte Kirche entgegengetreten, weil sie etwas wußte, was die Doketen aller Zeiten vergessen haben, daß nämlich Christus keine Idee, sondern ein Geschehen sei. Nicht die Idee eines Erlösers soll verkündigt werden, sondern Christus muß als der Mensch-Gewordene verstanden werden.“ (DBW 12, aaO., 320).

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Menschen ist nicht etwas zum Menschsein Jesus Christus Hinzukommendes. (DBW 12, aaO., 340)

Christus ist der Menschgewordene. Weder hebt also sein Menschsein etwas von seiner Göttlichkeit noch seine Göttlichkeit etwas von seinem Menschsein auf. 2. Die Universalität des Heilshandelns Gottes. Erst nachdem die Wer-Frage beantwortet ist, kann auch die Frage nach dem Wie betrachtet werden, so sagt es Bonhoeffer in der Vorlesung. Denn ein idealisiertes Verständnis der Menschwerdung (vgl. dazu DBW 12, aaO., 317ff) läge gerade auch dann vor, wenn sie als Gottes Annahme des „einzelnen vollkommenen“, idealen Menschen Jesus verstanden wäre. Gott nimmt aber, und die Darstellung kehrt damit zum Text der „Nachfolge“ zurück, „die Menschheit an, indem er menschliches Wesen, menschliche ,Natur‘, ,sündliches Fleisch‘, menschliche Gestalt annimmt“ (N 228). Die Väter der Kirche haben bei der Betrachtung dieses Wunders mit Leidenschaft darum gestritten, daß hier gesagt werden müsse, Gott habe die menschliche Natur angenommen, nicht aber, daß Gott sich einen einzelnen vollkommenen Menschen erwählt habe, um sich mit diesem zu vereinigen. Gott wurde Mensch. Das heißt: Gott nahm die ganze kranke, sündige menschliche Natur an, Gott nahm die ganze abgefallene Menschheit an; nicht aber : Gott nahm den Menschen Jesus an. Das rechte Verständnis der ganzen Heilsbotschaft hängt an dieser klaren Unterscheidung.15

Hätte Gott lediglich „einen einzelnen vollkommenen Menschen erwählt“, wäre damit nicht die ganze Menschheit versöhnt. Gott nimmt aber in Christus, dem Menschgewordenen, die ganze Menschheit an. „Gottes Erbarmen schickt seinen Sohn ins Fleisch, damit er mit dem Fleisch die ganze Menschheit selbst auf sich lade und trage.“ (N 228) 3. Christi Leib als der Grund des Heils. Gott nimmt die Menschheit an in seinem Sohn Jesus Christus, d. h. er nimmt sie leiblich, leibhaftig an. Gott nimmt die Menschheit an, nicht mehr allein durch das gepredigte Wort, sondern im Leibe Jesu. Gottes Erbarmen schickt seinen Sohn ins Fleisch, damit er mit dem Fleisch die ganze Menschheit selbst auf sich lade und trage. (N 228)

Nicht anders ist für Bonhoeffer die Annahme der gesamten Menschheit durch Gott zu denken, als dass Jesus „sie leibhaftig trug“ (N 229; Hervorhebung durch F.S.), denn, so formuliert Bonhoeffer auch später in der „Ethik“ noch, der Leib Jesu Christi ist die „Wirklichkeit […], in dem Gott und Mensch eins wurden“ (E 60). 15 N 228; Hervorhebung durch F.S. Inwieweit Bonhoeffers Bestimmung auch als grundsätzliche Kritik der liberalen Theologie verstanden sein will (vgl. dazu bes. DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 320 f), wird an späterer Stelle noch gezeigt werden; siehe unten Kap. 4.2.

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Gottes Sohn nimmt die ganze Menschheit leibhaftig an, die im Gotteshaß, im Stolz des Fleisches Gottes leibloses, unsichtbares Wort verwarf. Jetzt ist sie im Leibe Jesu Christi leibhaftig und wahrhaftig angenommen, so wie sie ist, aus göttlichem Erbarmen. (N 228; Hervorhebung durch F.S.)

Daraus folgt aber, dass nirgendwo sonst für den Menschen das Heil zu finden ist als dort, wo er von Gott angenommen und getragen ist, im Leibe Christi.16 Der Leib Jesu Christi, in dem wir mit der ganzen Menschheit angenommen sind, ist nun der Grund unseres Heils.17 So ist der Leib Christi der Ort der Annahme, der Versöhnung und des Friedens zwischen Gott und Menschen. Gott findet im Leib Christi den Menschen (N 238).

Bonhoeffer denkt Soteriologie somatologisch, ganz vom Leibe Jesu Christi her. Für die „Nachfolge“ ist dies entscheidend, sofern im Gedanken des Versöhntseins von Gott und Menschheit in und durch den Leib Christi die Frage nach der Stellvertretung dieses Leibes aufbricht, die, so wird sich zeigen, die Christusnachfolge erst eigentlich begründet. Christus ist ,für uns‘, nicht nur in Wort und Gesinnung, sondern mit seinem leibhaftigen Leben. Er steht mit seinem Leibe dort, wo wir vor Gott stehen sollten. Er ist an unsere Stelle getreten. Er leidet und stirbt für uns. Das kann er, weil er unser Fleisch trägt.18 16 Vgl. N 230: „Denn das ist gewiß, es gibt keine Gemeinschaft mit Jesus Christus, es sei denn als Gemeinschaft mit seinem Leib, in dem allein wir angenommen sind, in dem allein unser Heil liegt!“ 17 N 228; Hervorhebung durch F.S.; vgl. auch N 231: „Der Leib Jesu Christi ist im eigentlichsten Sinne ,für uns‘“. 18 N 231. In SF hatte Bonhoeffer mithilfe des Begriffspaares Mitte und Grenze Urstand und Sündenstand des Menschen beschrieben. Der gefallene Mensch hat Gott als seine Mitte und zugleich als seine Grenze verloren. Adam hat die „Mitte betreten, die Grenze ist überschritten, nun steht der Mensch in der Mitte, er ist nun ohne Grenze“ (SF 107). Den Abschluss seiner Auslegung von Schöpfungs- und Sündenfallsgeschichte bildet für Bonhoeffer (darin folgt er Augustin und Luther) Gen 4,1, den Bonhoeffer als den Anfang der „Geschichte des Todes“ versteht, die „unter dem Zeichen Kains“ als dem ersten auf dem „verfluchten Acker“ Geborenen steht. Bonhoeffer schließt aber gerade nicht mit dem Anfang der Geschichte Kains, sondern mit ihrem Ende, mit dem Blick auf den, auf den allein hin die Adamsmenschheit erhalten bleibt: „Christus am Kreuz, der gemordete Sohn Gottes, das ist das Ende der Geschichte Kains, und damit der Geschichte überhaupt. Das ist der letzte verzweifelte Ansturm auf das Tor des Paradieses. Und unter dem hauenden Schwert, unter dem Kreuz stirbt das Menschengeschlecht.“ (SF 135) Christus „ist das Ende des Alten.“ Er ist das Neue und als das „Neue […] das wirkliche Ende des Alten […] Nicht Fortführung, nicht Zielpunkt, Vollendung auf der Linie des Alten, sondern Ende und darum das Neue.“ (SF 21; Hervorhebung durch F.S.) Christus, der Mittler, hat das Alte an sein Ende geführt. In der „Christologie“-Vorlesung setzen sich diese Gedanken dann in Bonhoeffers Ausführungen über den „Ort des Christus“ fort. Die Frage „Wo steht Christus?“ ist keine andere als die Frage nach dem Mittler unter der Voraussetzung des Gefallenseins des Menschen. „Wo steht er? Für mich, an meiner Stelle, wo ich stehen sollte. Er steht dort, weil ich da nicht stehen kann, d. h. er steht an der Grenze meiner Existenz und doch an meiner Stelle. Das ist ein Ausdruck für die

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4. Das neue Ebenbild Gottes. Indem Gott seinen Sohn in der Gleichgestalt der Sünde sandte, nahm er das Bild des gefallenen, sündigen Menschen an. So ist in Christus die verlorene Ebenbildlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf wieder hergestellt. Nun trägt Gott das Bild seiner gefallenen Schöpfung. Nicht der Mensch, sondern Gott selbst stellt in Jesus Christus die Ebenbildlichkeit wieder her. In Jesus Christus ist Gottes Ebenbild in der Gestalt unseres verlorenen menschlichen Lebens unter uns getreten, in der Gleichgestalt des Fleisches der Sünde. […] In ihm hat Gott sein Ebenbild auf Erden neu geschaffen. […] Es ist ein anderes Bild als das Adams in der ersten Herrlichkeit des Paradieses. Es ist das Bild dessen, der sich mitten in die Welt der Sünde und des Todes hineinstellt, der die Not des menschlichen Fleisches auf sich nimmt, der sich dem Zorn und Gericht Gottes über die Sünder demütig unterwirft, der Gottes Willen gehorsam bleibt im Tode und im Leiden […] – das ist Gott in Menschengestalt, das ist der Mensch als das neue Ebenbild Gottes! (N 300)

Durch Christus ist der gefallenen Menschheit die Ebenbildlichkeit mit dem Schöpfer wiedergeschenkt. Zugleich ist damit gesagt, dass in Christus der gefallenen Schöpfung die verlorene Mitte zurückgegeben ist. Christus ist in die Mitte getreten. Er ist in der Mitte, er selbst ist die Mitte. 5. Christus, der Mittler und Versöhner. Indem Gott in Jesus Christus alle Menschen annimmt, schafft er Versöhnung (siehe dazu den folgenden Punkt 6). Christus selbst schafft diese Versöhnung als derjenige, „der allein in der vollen Gottesgemeinschaft steht“ (N 118 u. ö.). Wo der Mensch vor Gott stehen sollte, dort steht Christus an seiner statt. „Er ist der Mittler“, und als der Mittler trennt Christus und verbindet zugleich: Er allein überbrückt den für den Menschen unüberwindbaren Raum, die „Kluft“ (N 91) zwischen Mensch und Gott, aber „nicht nur zwischen Gott und Mensch, sondern auch zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mensch und Wirklichkeit“. Christus steht „zwischen mir und Gott“ und „eben damit auch in der Mitte zwischen mir und Tatsache, daß ich durch eine von mir unüberschreitbare Grenze von dem Ich, das ich sein soll, getrennt bin. Die Grenze liegt zwischen meinem alten und neuen Ich, also in der Mitte zwischen mir und mir.“ (DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 306; vgl. in diesem Zusammenhang K. Barth, Römerbrief, 88, 95 f, 144ff u. a. Zu Bonhoeffer und Barth vgl. Pangritz, Karl Barth) Wie in SF, so lässt Bonhoeffer auch in der „Christologie“-Vorlesung keinen Zweifel daran, dass der Fall Adams den Fall der ganzen Schöpfung bedeute und einschließe. Die Aussage, Christus „ergreift die ganze geschaffene Welt, der nunmehr die Geschöpflichkeit geraubt ist“ (SF 112), findet in der Vorlesung ihren Ausdruck darin, dass die „Mitte“ als der „Ort des Christus“ nicht nur auf die Existenz des Menschen, sondern auch auf die Geschichte und die Natur bezogen wird. Weil der Fall die ganze Wirklichkeit des Menschen betrifft und also seine menschliche Existenz nicht von Geschichte und Natur zu trennen ist, darum ist Christus die Mitte der menschlichen Existenz, der Geschichte und der Natur zugleich, vgl. DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 310 f. Zur Christusinterpretation als Ende der Geschichte vgl. dann später die in der E grundgelegten Beziehungen „von Wirklichkeit und Wirklichwerden, von Vergangenheit und Gegenwart, von Geschichte und Ereignis (Glaube)“ (E 34).

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der Welt, zwischen mir und den anderen Menschen und Dingen“ (N 88), zwischen mir und meinem Nächsten, zwischen mir und mir. Mit seiner Menschwerdung hat Christus daher einen Bruch vollzogen: Er, der Herr und Mittler, ist in die Mitte getreten und hat damit alle „Unmittelbarkeit zu den Gegebenheiten der Welt […] geraubt“.19 Indem Christus „den Menschen aus seiner Unmittelbarkeit zur Welt gelöst und in die Unmittelbarkeit zu sich selbst gestellt“ (N 87) hat, gibt es für den Menschen keine Unmittelbarkeit mehr als allein die Unmittelbarkeit zu Jesus Christus. Jede andere Unmittelbarkeit – sei es sogenannte natürliche, geschichtliche oder erlebnismäßige Unmittelbarkeit (vgl. N 90) – ist Trug (vgl. N 89ff), denn durch Christus hat sich ein universal vollzogener Bruch ereignet: „Zwischen Sohn und Vater, zwischen Mann und Weib, zwischen dem Einzelnen und dem Volk steht Christus, der Mittler“, und es spielt keine Rolle, „ob sie ihn erkennen können oder nicht“.20 Auffallend ist, dass Bonhoeffers Grundannahmen an dieser Stelle systematisch nur schwer beizukommen ist. Im Text sind drei Interpretationen der Menschwerdung zu unterscheiden, die auf den ersten Blick gegeneinander zu stehen scheinen.21 Die erste Richtung besagt, dass mit der Menschwerdung Christi (bzw. dann mit Kreuz, Tod und Auferstehung) jede Unmittelbarkeit in der Welt grundsätzlich aufgehoben ist: Er [sc. Christus] hat sich mit seiner Menschwerdung zwischen mich und die Gegebenheiten der Welt gestellt. Ich kann nicht mehr zurück. Er ist in der Mitte. […] Weil alle Welt durch ihn und zu ihm geschaffen ist (Joh. 1,3; 1. Kor. 8,6; Hebr. 1,2), darum ist er der einzige Mittler in der Welt. Es gibt seit Christus kein unmittelbares Verhältnis des Menschen mehr, weder zu Gott noch zur Welt (N 88 f).

Daneben weist Bonhoeffers Text eine zweite Richtung auf, der zufolge die Unmittelbarkeiten in der Welt durch die Menschwerdung Christi gerade noch nicht generell aufgehoben sind; der Bruch mit den Unmittelbarkeiten wird erst durch den Ruf Christi bewirkt und vollzieht sich am Gerufenen: In dem Ruf Jesu ist der Bruch mit den natürlichen Gegebenheiten, in denen der Mensch lebt, bereits vollzogen. […] Christus selbst hat ihn schon vollzogen, wenn er 19 N 221. Vgl. zum Begriff der Unmittelbarkeit K. Barth, Römerbrief, z. B. 224 ff. 20 N 90. Die Unabhängigkeit des Christusgeschehens vom Erkennen und Anerkennen der Menschen betont Bonhoeffer auch in der E, vgl. E 54, 56 u. ö. Vgl. zu Bonhoeffers Ausführungen über die „Unmittelbarkeit“ bzw. „Mittelbarkeit“ der Beziehungen die Passagen in GL, in denen Bonhoeffer ebenfalls das unmittelbare Verhältnis zwischen zwei Menschen ablehnt, z. B. GL 28: „Innerhalb der geistlichen Gemeinschaft gibt es niemals und in keiner Weise ein ,unmittelbares‘ Verhältnis des Einen zum Andern“. Unmittelbares Verhältnis, sagt Bonhoeffer, ist „der durch Christus vermittelten Gemeinschaft ursprünglich und allein zu eigen“ (ebd.). Wenn Bonhoeffer die Frage der Unmittelbarkeit in diesem Buch anspricht (vgl. auch GL 30 oder 91), in welchem er das gemeinsame Leben christlicher Brüder betrachtet, dann fügt er zu der theoretisch-theologischen Ebene die konkrete, lebenswirkliche Ebene hinzu. 21 Siehe dazu unten Kap. 3.1.2 und 3.2.1.1.

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ruft. Christus hat den Menschen aus seiner Unmittelbarkeit zur Welt gelöst und in die Unmittelbarkeit zu sich selbst gestellt. (N 87; Hervorhebung durch F.S.) Es gibt seit Jesus für seine Jünger keine natürlichen, keine geschichtlichen, keine erlebnismäßigen Unmittelbarkeiten.22

In einer dritten Aussageschicht ist Christus nicht der Mittler, sondern will der Mittler werden: „Er will das Mittel sein, es soll alles allein durch ihn geschehen.“ (N 88) „Christus will der Mittler sein.“ (N 89) Dem auf den ersten Blick nicht unproblematisch scheinenden Nebeneinander dieser drei Aussageschichten wird in dieser Arbeit so begegnet, dass es zum Anlass einer Beschreibung der theologisch-argumentativen Grundstruktur der „Nachfolge“ genommen wird, die – der Analyse der folgenden Abschnitte thetisch vorausgreifend – wie folgt konzipiert ist: Indem Gott Mensch wird, stirbt, aufersteht, nimmt er die ganze Menschheit an, richtet sie, versöhnt sie mit sich selbst. Die Aufhebung aller Unmittelbarkeit ist insofern durch die Menschwerdung Christi bereits geschehen; Christus hat in der Kraft seiner Menschwerdung, seines Todes, seiner Auferstehung den Bruch universal vollzogen. Bezogen auf den Aspekt des Rufes Christi, mag dieser Vollzug hier als vocatio generalis bezeichnet werden. Zugleich geht Bonhoeffer von einer sich am Einzelnen konkretisierenden Gestalt, der Vollstreckung dieses Bruchs aus, die sich dann ereignet, wenn Jesus den Jünger ruft. Dieser vocatio specialis zu folgen heißt, die vocatio generalis, den generell vollzogenen Bruch anzuerkennen. So vollstreckt sich das bereits Vollzogene an mir.23 Gemäß der Annahme, dass „Gott […] sein Auge nicht von seinem verlorenen Geschöpf [abwendet]“ (N 298), gliedert sich die dritte Aussageschicht in das hier behauptete Konzept so ein, dass Christus Jesus der Mittler ist, und zwar der Mittler der ganzen Welt – vocatio generalis –, dass er aber zugleich der Mittler sein will, und zwar der Mittler eines jeden Einzelnen, der – vocatio specialis – gerufen ist, dem Rufenden Glauben zu schenken. Um die Darlegung dieser These wird es im Folgenden gehen. Zunächst ist jedoch noch das Mittlersein Christi im Verhältnis zum Gesetz Gottes zu bedenken: Als der Mittler ist Christus der Erfüller des Gesetzes.24 Es ist die Begründung und zugleich das Resultat seines Mittlerseins, dass er das Gesetz erfüllt. Weil Christus der Mittler ist, ist allein er es, der das Gesetz erfüllt; weil er das Gesetz erfüllt, darum ist er der Mittler. Darin besteht ja gerade der Fall Adams, des Menschen, dass er das Gesetz Gottes übertritt und sich nun nicht mehr unmittelbar zu Gottes Wort halten kann.25 Der Mensch hat zum Gesetz Gottes 22 N 90; Hervorhebung durch F.S. Vgl. in dieser zweiten Richtung auch diese Aussage: Mit dem Ruf „stellt sich […] etwas zwischen den von Christus Gerufenen und die Gegebenheiten seines natürlichen Lebens“ (N 88). 23 Siehe unten Kap. 2.3. 24 Vgl. N 115ff; vgl. DBW 14, Homiletische Übungen im ersten Finkenwalder Kurs 1935 zu Gal 3,10 – 13, 339 f. 25 Vgl. SF 124 u. ö. Vgl. Bonhoeffers Argumentation in SF: Weil der gefallene Mensch sich aus dem Bereich der echten, der einzigen Wirklichkeit herausbewegt hat, darum kann er Gottes Wort

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(vgl. N 116) keinen Zugang.26 Er kann das Gesetz nicht aus eigener Kraft und Anstrengung erfüllen (Luther27), weil ihm die Unmittelbarkeit zum Gesetz Gottes ganz genommen ist. Der gefallene Mensch steht „zwischen Gesetz und Erfüllung. Er hat das Gesetz, aber nicht die Möglichkeit der Erfüllung des Gesetzes.“28 Nicht der Mensch, sondern Christus allein erfüllt das Gesetz (vgl. Mt 5,17). Er setzt es „als Gottesgesetz neu in Kraft“ (N 118). „Christus als die Mitte bedeutet, daß er das erfüllte Gesetz ist.“29 So ist dem Menschen durch Christus, den Mittler, der Zugang zum Gesetz Gottes geschenkt; zugleich aber ist damit das Gericht über den Menschen gesprochen:30 Denn indem Christus das Gesetz erfüllt, ist offenbar, dass er allein gerecht ist. Christus erweist als der Mittler, dass er und dass also Gott allein gerecht ist, der Mensch aber ganz und gar ungerecht.31 Damit stehen wir bei der letzten und zentralen (christologischen) Bestimmung des Vollzugs der Rechtfertigung. 6. Die Selbstrechtfertigung Gottes. Den Beweis seiner eigenen Gerechtigkeit führt Gott am Kreuz durch den Tod Jesu. Nicht versteht Bonhoeffer Jesu Tod zuerst als Rechtfertigung des Sünders; sondern das Kreuz ist zuerst Gottes eigene Rechtfertigung, es ist Selbstrechtfertigung Gottes. „Gott rechtfertigt sich selbst, er führt den Beweis für seine Gerechtigkeit“, und zwar „vor sich selbst und vor den Menschen (Röm. 3,21 ff.)“: Gott selbst wird Mensch, er selbst nimmt unser Fleisch an in Jesus Christus, seinem Sohn, er trägt in seinem Leib unser Fleisch in den Tod am Kreuz. Gott tötet seinen Sohn, der unser Fleisch trägt, und mit seinem Sohn tötet er alles, was Fleisch

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nicht mehr als Wirklichkeit begreifen, sondern er wird es immer als Möglichkeit diskutieren. Was der scheinheiligen Frage der Schlange wesenhaft war – dass nämlich „[…] dem Menschen zugemutet [wird], Richter über Gottes Wort zu sein, anstatt es einfach zu hören und zu tun“ (SF 100) –, das gilt für des gefallenen Menschen Verhältnis zu dem Worte Gottes grundsätzlich. „Nicht in Frieden und Ruhe hat er das Wort Gottes, sondern er vernimmt es immer wieder in der Entstellung der frommen Frage; nicht in Frieden, sondern in Feindschaft und Kampf hält er sich zu Gott.“ (SF 124) Je mehr er versucht, das Gesetz Gottes aus eigener Kraft und Anstrengung heraus zu erfüllen, desto mehr bestätigt er sein Gefallensein. Aber : „Tod des Todes, das ist der Verheißungscharakter dieses Fluches.“ (SF 127) – Zum Begriffspaar Möglichkeit/Wirklichkeit siehe unten Kap. 2.4.2.3. Vgl. hierzu Brunner, Der Mittler, 539: „Der ,natürliche Mensch‘ weiß nicht, was das erste Gebot sagt. Er weiß es so wenig, daß eben darum geschehen mußte, wovon das Evangelium Kunde gibt. Der Mittler ist der, der uns – als der Mittler – erst das erste Gebot hörbar macht. […] Christus, den Mittler brauchen wir, um Gott den Herrn als den Herrn erkennen und anerkennen zu können […], damit es ernst werde mit dem Gebot.“ Für die Reihenfolge erkennen–anerkennen wird sich zeigen, dass bei Bonhoeffer – darin stimmt (wenigstens der späte) Barth mit Bonhoeffer überein, vgl. K. Barth, KD IV/1, 826 – 872, bes. 848ff – das Anerkennen vor dem Erkennen steht. Vgl. dazu Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 154ff; vgl. Iwand, Luthers Theologie, 81 ff. DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 307. DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 307. Vgl. DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 308. Vgl. dazu DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 605.

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ist auf Erden. Nun ist es offenbar, daß niemand gut ist denn der einige Gott, daß keiner gerecht ist, als Gott allein. Nun hat Gott den furchtbaren Beweis seiner eigenen Gerechtigkeit geführt (5mdeinir t/r dijaios¼mgr aqtoO Röm. 3,26) durch den Tod seines Sohnes. Gott mußte die ganze Menschheit in den Tod geben im Zornesgericht am Kreuz, damit Er allein gerecht sei. Gottes Gerechtigkeit ist offenbar im Tode Jesu Christi. Der Tod Jesu Christi ist der Ort, an dem Gott den gnädigen Beweis seiner Gerechtigkeit geführt, an dem von nun an allein Gottes Gerechtigkeit wohnt. (N 270 f)

Es gilt: Weil die ganze Menschheit im Leibe Jesu angenommen ist, ist sein Leben, sein Tod und seine Auferstehung ein reales Geschehen an allen Menschen (vgl. N 231). Was Gott an seinem Leibe handelte, das vollzog er an der ganzen Menschheit: Christus stirbt am Kreuz, und mit ihm stirbt die ganze Menschheit (vgl. N 271), die in seinem Leibe wahrhaftig getragen ist (vgl. N 231 u. ö.). Christus hat ja „unser Fleisch angenommen und an seinem Leib unsere Sünde ans Holz getragen […]. Was an ihm geschah, geschah an uns allen.“ Darum ist der Tod Jesu am Kreuz zugleich das Gericht über einen jeden Menschen. Jesu Tod ist des Sünders Tod. Indem Gott aber alles tötet, „was Fleisch ist auf Erden“ (N 271; letzte Hervorhebung durch F.S.), erweist er sich selbst als der, der allein gerecht ist. Rechtfertigung wäre – nach Bonhoeffer – also missverstanden, verstünde man sie als Aufhebung der Ungerechtigkeit der Menschen durch Gott. Vielmehr bestätigt Gott diese Ungerechtigkeit (oder : bestätigen die Menschen sie, indem sie Gott ans Kreuz schlagen), und insofern also gilt: Am Kreuz erweist Gott seine Gerechtigkeit, „auf daß er allein gerecht sei“ (Röm 3,26; zit. n.: N 272). Das erste Urteil Gottes am Kreuz ist nicht „ihr seid Gerechte“, sondern „ihr seid Sünder“.32 Darin also besteht die Rechtfertigung des Sünders, daß Gott allein gerecht ist und er ganz und gar ungerecht, nicht daß er neben Gott auch noch gerecht sei. Jeder Wille, selbst auch gerecht zu sein, trennt uns ganz und gar von der Rechtfertigung durch die alleinige Rechtfertigung Gottes. Gott allein ist gerecht. Das wird am Kreuz erkannt als Urteil, das über uns als Sünder ergangen ist.33

Gottes Ja zu seiner gefallenen Schöpfung in Gestalt der Menschwerdung Jesu Christi ist das Nein. Gott nimmt die verlorene Menschheit an, indem er über sie am Kreuz das Urteil der Ungerechtigkeit vollzieht. So wird deutlich, dass Bonhoeffer die dijaios¼mg aqtoO, ganz auf der Linie reformatorischer Theologie, als Gottes eigene Gerechtigkeit (d. h. im strengen Sinne eines genitivus subiectivus) verstanden wissen will,34 an welcher der Mensch keinen Anteil hat und auch von sich selbst aus keinen Anteil gewinnen kann. Als Gottes alleinige Gerechtigkeit ist sie die dem Menschen ganz und gar fremde Gerechtigkeit (iustitia aliena), die er sich niemals selbst zusprechen kann (Qd¸a dijaios¼mg, 32 DBW 14, Homiletische Übungen im ersten Finkenwalder Kurs 1935 zu Röm 3,23 – 26, 326. 33 N 272. Vgl. dazu K. Barth, Römerbrief, 81ff u. a. 34 Vgl. DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 606.

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vgl. N 273). Die Frage nach der Rechtfertigung des Menschen lautet: Wie kann dem Menschen die ihm fremde, außerhalb seiner selbst liegende Gerechtigkeit zuteilwerden? Bonhoeffer beantwortet, wie zu zeigen sein wird, diese Frage im Begriff der Nachfolge. Bis hierher können die Ergebnisse in zwei Punkten zusammengefasst werden: Es wurde erstens gezeigt: Rechtfertigung ist in der „Nachfolge“ zuerst die Selbstrechtfertigung Gottes, ist Gottes über den Menschen richtendes Urteil, ist Gottes durch Christi Menschwerdung, Leben, Tod und Auferstehung wiederhergestellte Gerechtigkeit, an welcher der Mensch per se nicht partizipiert. Dennoch und zugleich hat sich in Christus am Menschen selbst alles zu seinem Heil Notwendige vollständig vollzogen; dies bedeutet im Wesentlichen: In Jesus Christus, der der Mittler ist, hat Gott sein Ebenbild auf Erden neu geschaffen (vgl. N 300); die Ebenbildlichkeit des Schöpfers mit dem Geschöpf ist wiederhergestellt. Verbindend hat Christus sich zwischen Gott und Menschheit gestellt und so die Entzweiung zwischen beiden aufgehoben. Trennend hat er sich zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Wirklichkeit gestellt und so einen Bruch des (alten) Menschen und seiner Welt vollzogen (vgl. N 87, 89, 221 f u. ö.). Nun ist Christus die einzige Unmittelbarkeit für den (genauer : für jeden) Menschen (vgl. N 87ff, 221 u. ö.), unabhängig davon, ob dies vom Menschen (an)erkannt wird. Dies ist für Bonhoeffer allein darum möglich und muss gelten, weil Christus die ganze Menschheit leiblich trägt (vgl. N 228, 231 u. ö.). Und kraft seiner Menschwerdung ist die ganze Menschheit angenommen und getragen in seinem Leibe, welcher stellvertretend für uns leidet und der exklusive Ort des Heils ist. So stirbt mit Christus am Kreuz die ganze Menschheit, und so ist am Kreuz Gottes Gerechtigkeit wiederhergestellt. Weil Gott seine Gerechtigkeit und also des Menschen Ungerechtigkeit dadurch bestätigt, dass der allein Gerechte am Kreuz stirbt und die sündige Menschheit in den Tod gegeben wird, vollzieht sich für den einzelnen sündigen Menschen am Kreuz durch den Tod Jesu, der des Sünders eigener Tod ist, die Trennung von der Sünde. Denn „Trennung von der Sünde […] gibt es für den Sünder nur durch den Tod. So sehr ist sein Leben Sünde, daß er sterben muß, soll er von der Sünde frei sein“.35 Allumfassender Tod und allumfassende Trennung von der Sünde haben sich am Kreuz Jesu vollzogen. Nun trägt Christus zwar die ganze Menschheit (vgl. N 228 f) in den Tod – aber er trägt gerade die „Menschheit, mit der er starb, hindurch in die Auferstehung“,36 freilich ohne dass dies als als Gnadenautomatismus zu verstehen wäre. Die mit Christus auferstehende Menschheit ist die – weil durch Christi stellvertretend für sie und mit ihr erlittenen Tod am Kreuz von der Sünde getrennt – neue

35 N 271. Interessanter Weise dient Bonhoeffer hier weniger das 6. als vielmehr das 3. Kapitel des Römerbriefs als exegetische Richtschnur. Auf Röm 6 hingegen verweist er vorwiegend in den Kapiteln „Die Taufe“ sowie „Der Leib Christi“ (N 219 – 239). 36 N 229 f; Hervorhebung durch F.S.

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Menschheit.37 Während auf der einen Seite in der „Nachfolge“ die in der Kraft der Menschwerdung Christi in ihm aufgenommene ganze Menschheit als die neue Menschheit bezeichnet wird,38 wird im weiteren Verlaufe der Darstellung und in Entsprechung der dargelegten Differenzierung von vocatio generalis und vocatio specialis deutlich werden, dass der Begriff „neue Menschheit“ zugleich als das Synonym nicht aller Menschen, sondern der gerechtfertigten unter ihnen gebraucht ist. Diese scheinbare inhaltliche Uneindeutigkeit erklärt sich als Ausdruck von Bonhoeffers Dialektik von universellem Vollzug (d. h. die ganze Menschheit ist die neue Menschheit) und individueller Vollstreckung des Versöhnungshandelns Gottes am Menschen (d. h. die Gerechtfertigten sind die neue Menschheit). Es wurde zweitens die Frage nach der Rechtfertigung des Menschen als die Frage dargelegt, wie dem Menschen die ihm fremde, außerhalb seiner selbst liegende Gerechtigkeit zuteilwerden kann, wobei grundsätzlich festzuhalten ist, dass die Gerechtigkeit, die ich erlange, nie zu meiner eigenen Gerechtigkeit wird, sondern Gottes Gerechtigkeit bleibt.39 Äquivalent wird diese Frage in der „Nachfolge“ als die Frage verhandelt, wie der Mensch die verlorene Ebenbildlichkeit mit seinem Schöpfer wiedererlangen kann; wie er Anteil am Leibe Christi, dem exklusiven Ort des Heils, gewinnen kann; wie er von der Sünde getrennt, wie er dem „In-Adam-Sein“ entrinnen, wie er ein neuer Mensch werden kann. Dass aber der Mensch nicht einfach kraft des Kreuzes und der Auferstehung Jesu Anteil an der Gerechtigkeit Gottes hat, dass er also noch immer der Rechtfertigung bedarf, bedeutet, dass er noch immer ungerecht ist; dass er noch immer „in Adam“, dass also seine Existenz noch immer die alte ist; dass er nicht neuer, sondern noch immer alter Mensch ist. Der nicht37 Vgl. N 229: „So war der menschgewordene Sohn Gottes beides, Er selbst und die neue Menschheit. Was er handelte, handelte er zugleich für die neue Menschheit, die er in seinem Leibe trug. So ist er ein zweiter Adam, der ,letzte‘ Adam (1. Kor. 15,45). Auch in Adam war der Einzelne und die ganze Menschheit in Einem. Auch Adam trug die ganze Menschheit in sich. In ihm fiel die ganze Menschheit, in ,Adam‘ (Mensch) fiel ,der Mensch‘ (R. 5,19). Christus ist der zweite Mensch (1. Kor. 15,47), in dem die neue Menschheit geschaffen wird. Er ist der ,neue Mensch‘.“ 38 Vgl. hierzu die folgenden Passagen: „Jesu irdischer Leib wird gekreuzigt und stirbt. In seinem Tode wird die neue Menschheit mitgekreuzigt und stirbt mit ihm. Weil Christus nicht einen Menschen, sondern die menschliche ,Gestalt‘, das sündliche Fleisch, die menschliche ,Natur‘ angenommen hatte, darum leidet und stirbt mit ihm alles, was er trug. Es ist unser aller Krankheit und unser aller Sünde, die er ans Kreuz trägt; wir sind es, die mit ihm gekreuzigt werden und sterben. Zwar stirbt der irdische Leib Christi, aber als ein unverweslicher, verklärter Leib ersteht er vom Tode. Es ist derselbe Leib – das Grab war ja leer! – und es ist doch ein neuer Leib. So trägt er die Menschheit, mit der er starb, hindurch in die Auferstehung“ (N 229 f). 39 Dem entspricht Bonhoeffers Interpretation der Jüngerwerke als Christuswerke, wie an späterer Stelle gezeigt wird (siehe unten Kap. 3.2.2.3). In den Mitschriften der Vorlesung „Das neue Leben bei Paulus“ (1936) findet sich ein Passus, in dem Bonhoeffer zwischen Gottes Gerechtigkeit (dijaios¼mg) und des Menschen Rechtfertigung (dija¸ysir) wie folgt unterscheidet: „Erlangung der dijaios¼mg ist meine dija¸ysir, wird nie meine dijaios¼mg, sondern bleibt Gottes Gerechtigkeit.“ (DBW 14, 605).

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gerechtfertigte Mensch bleibt unter der Herrschaft der Sünde. Nicht Christus, sondern er selbst ist seine eigene Mitte; er hat das Ebenbild Gottes nicht wiedererlangt. Das heißt aber, dass der Mensch nicht am Ort der Annahme und des Heils (vgl. N 230 und 238), dem Leibe Christi, ist. Er hat keinen Anteil an ihm; er ist nicht, wie Bonhoeffer sagt, an Christus und seinen Willen gebunden, sondern lebt sein Leben in „Eigenmächtigkeit“ (N 89). Der scheinbare Widerspruch in Bonhoeffers Argumentation kann nun aufgelöst werden durch die ihr zugrundeliegende Unterscheidung von Vollzug und Vollstreckung des Rechtfertigungsgeschehens (vgl. N 89 und 221), die der oben eingeführten Differenzierung von vocatio generalis und vocatio specialis entsprechen sowie im Kern den Begriffen „Realisierung“ und „Aktualisierung“ der Dissertationsschrift (vgl. bes. SC 100ff) oder „Wirklichkeit“ und „Wirklichwerden der Christuswirklichkeit“ in der „Ethik“.40 Worin sich der Vollzug (vocatio generalis, Aktualisierung, Wirklichkeit) von der Vollstreckung (vocatio specialis, Realisierung, Wirklichwerden) unterscheidet, sei vorab kurz skizziert, um dann die Vollstreckung inhaltlich näher zu bestimmen: Es hat sich kraft Christi Menschwerdung alles zum Heil der Menschheit Notwendige vollzogen, und zwar an jedem einzelnen Menschen – doch es ist am Einzelnen nicht vollstreckt; der Mensch ist des Heils noch nicht teilhaftig.41 Christus, der Mittler, hat, indem er sich zwischen den Menschen und die Welt gestellt hat (vgl. N 89 u. ö.), den Bruch mit allen Unmittelbarkeiten vollzogen. „Nicht der Nachfolgende vollzieht ihn, sondern Christus selbst hat ihn […] vollzogen“.42 Trotz dieser „vollzogenen Tatsache“ (N 89; Hervorhebung durch F.S.) ist der Mensch aber nicht von der „Welt der Menschen und Dinge“ (N 89) getrennt. Christus hat ihn in die Unmittelbarkeit zu sich selbst gestellt und durch seinen Tod die Trennung von der Sünde vollzogen – und doch bleibt der Mensch in seiner Selbstherrschaft Eigentum der Welt und damit unter der Herrschaft der Sünde. Der vollzogene Bruch mit Welt und Sünde ist an ihm vollzogen, aber er ist noch nicht an ihm vollstreckt (vgl. ebd. und 221). Der Mensch ist mit Christus gestorben, aber dieser Tod ist noch nicht an ihm vollstreckt. Der Mensch hat per se keinen lebendigen Anteil an diesem Tod (vgl. N 271, 230 u. a.), sondern bleibt (solange er sich in seiner Sündhaftigkeit 40 E 44. Vgl. insgesamt E 40 – 61. Es gehe in der christlichen Ethik, so Bonhoeffer, „allein um das Wirklichwerden der Christuswirklichkeit in der von ihr schon umschlossenen, besessenen, innegehabten, gegenwärtigen Welt“ (E 44). Die Welt wird in die Gemeinschaft des Leibes Christi gerufen, „zu dem sie in Wahrheit schon gehört“ (E 54). „Wirklichwerden“ der „Christuswirklichkeit“ ist insofern gleichbedeutend mit der Forderung, „an der Wirklichkeit des erfüllten Willens Gottes teilzubekommen“ (E 61): Der Mensch soll sich „vor die vollzogene Wirklichkeit der Menschwerdung Gottes, der Versöhnung der Welt mit Gott in Krippe, Kreuz und Auferstehung Jesu Christi stellen“ lassen (E 60; Hervorhebung durch F.S.). Zur Wirklichkeitskonstruktion in N und E siehe unten Kap. 3.1.2 und 3.2.1.1. 41 Vgl. auch K. Barth, Römerbrief, 66 ff. 42 N 87; so sachlich auch in N 221.

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nicht erkennt) sicut deus, unter der Sünde, „in Adam“. Er ist nicht „in Christus“, denn nicht Christus, sondern die Sünde lebt in ihm.43 Er bleibt ganz der alte Mensch, gebunden an die Welt und nicht an Christus. Eine Möglichkeit zur Verdeutlichung jener Unterscheidung von Vollzug und Vollstreckung des Rechtfertigungsgeschehens ergibt sich, wenn die Ausgangsfrage – die Frage nach der Ebenbildlichkeit von Schöpfer und Geschöpf – betrachtet wird. In Christus hat Gott sein Ebenbild auf Erden neu geschaffen (vgl. N 300). Die Ebenbildlichkeit zwischen Gott und Mensch ist wiederhergestellt – dennoch trägt er weiterhin das Bild Adams, das Bild der Sünde. Es wird hierin deutlich, dass die Unterscheidung zwischen Vollzug und Vollstreckung letztlich der Unterscheidung zweier Blickrichtungen entspricht. Vollzug ist die Blickrichtung Gottes, durch dessen Tat alles zum Heil Notwendige ganz und gar geschehen ist: Weil Christus das Bild des gefallenen Menschen angenommen hat, ist die Ebenbildlichkeit zwischen Geschöpf und Schöpfer wiederhergestellt, aber gerade nicht im Sinne eines Gnaden- oder Heilsautomatismus. Soll mir aber die Tat Gottes in Christus zur Gnade und zum Leben und nicht zum Gericht und zum Tode werden, muss ich meinerseits das Bild des Menschgewordenen tragen, der mein Bild schon trägt. Das ist die Vollstreckung – als die Blickrichtung des Menschen auf die grundsätzlich vollzogene Tat Gottes. Nur wenn ich Christi Bild annehme, vollstreckt sich die in Christus wiederhergestellte (d. h. vollzogene) Ebenbildlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf an mir. Nur, wenn ich die Gestalt des leidenden, verworfenen, gekreuzigten und gestorbenen Gottessohnes annehme, trage ich selbst das Bild Gottes, der in Jesus Christus zuvor mein Bild angenommen hat. Erst der gerechtfertigte Mensch ist es, der, indem er das Bild Christi des Gekreuzigten trägt, nun auch das Bild Gottes (wieder) trägt (vgl. N 297ff). Niemand findet das verlorene Ebenbild Gottes wieder, es sei denn, daß er teilgewinnt an der Gestalt des menschgewordenen und gekreuzigten Jesus Christus. Allein auf diesem Bilde ruht Gottes Wohlgefallen. Nur wer sich in der Gleichheit dieses Bildes vor ihm finden läßt, lebt unter dem Wohlgefallen Gottes. (N 300)

Christus als das Ebenbild Gottes selbst, so formuliert Bonhoeffer, will in uns Gestalt gewinnen (vgl. N 301; vgl. auch 263), will in uns sein Leben zu leben beginnen (Gal 2,20; vgl. N 235, 283 f, 303). Mit Blick auf den Aspekt der Zugehörigkeit zum Leibe Christi ausgedrückt: Der Vollzug ist das Einpflanzen in den Leib Christi, kraft der Menschwerdung bin ich leibhaftig im Leibe Christi getragen (vgl. N 230, 273 u. ö.). Die Vollstreckung als meine Rechtfertigung ist das „Einpflanzen […] in bezug auf mich“.44 So können Vollzug und Vollstreckung mittels der Dialektik reziproker Immanenz im Sinne von Joh 15,4 ausgedrückt werden: ,Ihr in mir‘, das gilt kraft der Menschwerdung 43 Vgl. DBW 14, Homiletische Übungen im ersten Finkenwalder Kurs 1935 zu Röm 6,1 – 11, 349. 44 DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 602; Hervorhebung durch F.S.

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Christi, der nun das ,ich in euch‘ einfordert. Die Frage nach der Vollstreckung des Rechtfertigungsgeschehens am Menschen lautet folglich: Wie gewinnen wir nun lebendigen Anteil an diesem Leibe Christi, der dies alles für uns tat? Denn das ist gewiß, es gibt keine Gemeinschaft mit Jesus Christus, es sei denn als Gemeinschaft mit seinem Leib, in dem allein wir angenommen sind, in dem allein unser Heil liegt! (N 230; Hervorhebung durch F.S.)

Wie kann ich die Ebenbildlichkeit, die durch Christus schon wieder hergestellt ist, wiedererlangen? Wie kann ich an der Gerechtigkeit Gottes, die am Kreuz bewiesen ist, partizipieren? Wie kann das richtende Urteil Gottes in ein gerechtsprechendes Urteil umgewandelt werden? Wie kann ich, der bereits ein neuer Mensch ist, ein neuer Mensch werden? Wie kann mir der Tod Christi zum Leben und zur Gnade werden? Im Übergang vom Vollzug zur Vollstreckung, vom richtenden zum gerechtsprechenden Urteil Gottes, vom Gericht zur Gnade, von der Ungerechtigkeit zur Gerechtigkeit des Menschen tritt jetzt in Bonhoeffers Theologie das Kriterium des Glaubens hinzu.

2.3.2 Vollstreckung: Rechtfertigung des Glaubenden Vorbemerkung: Es wird im Verlauf dieser Arbeit eine umfassende Bestimmung dessen vorzunehmen sein, was Bonhoeffer begrifflich unter Glaube versteht. In den folgenden Betrachtungen steht aber noch nicht die Ausdifferenzierung von Glaube in seinem begrifflichen Konnotat (erkennen, anerkennen, bekennen, wagen, vertrauen usw.) im Vordergrund, sondern es geht um die Frage, was Glaube bewirkt: die Rechtfertigung des Menschen. Dass der Glaubensbegriff hier vor dem der Nachfolge betrachtet wird, hat seinen Grund darin, dass der Nachfolgebegriff (im engeren Sinne) sich vornehmlich auf die Zeit vor Pfingsten bezieht, während Glaube das gesamte Heilshandeln Gottes mit dem Menschen in Christus umfasst. Wer glaubt, der anerkennt, was sich am Kreuz an der ganzen Menschheit und so auch an mir selbst vollzogen hat: dass Gott am Kreuz durch den Tod Jesu den Beweis seiner Gerechtigkeit und meiner Ungerechtigkeit erbracht hat.45 Ich erkenne den Beweis der dijaios¼mg aqtoO als über mich gesprochenes Urteil an. Im Tode Jesu am Kreuz sehe und glaube ich meine eigene 45 Deutlich wird hinsichtlich des Glaubensverständnisses bei Bonhoeffer an dieser Stelle aber bereits, dass Glaube als etwas verstanden ist, das ganz und gar „von Jesus herkommt, an ihm entsteht und von ihm gewirkt ist, sich an ihn hält“ (DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 604). Der Glaube ist „reines Geschenk Gottes“. Zugleich ist Glaube bei Bonhoeffer an eine Entscheidung meinerseits gebunden, eine Entscheidung, vor die Jesus selbst mich stellt. „Ohne diesen Entschluß ist der Glaube nicht in mir. Ich glaube; nicht etwas glaubt in mir“ (ebd.). Wiederum ist die Entscheidung selbstredend nicht gleichbedeutend mit dem Glauben. Dieser bleibt die „Gabe“, die der dreieinige Gott selbst wirkt (vgl. dazu N 223, 226 u. ö.). Siehe dazu unten Anm. 61 dieses Kapitels.

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Sündhaftigkeit als in den Tod gegebene. Diese Erkenntnis, die „Anerkennung dessen, daß Gott allein gerecht ist, nennt Paulus Glauben an Jesus. Rm 3,26.23 [sic!].“46 Gott allein ist gerecht. Das wird im Kreuz erkannt als Urteil, das über uns als Sünder ergangen ist. Wer sich aber im Glauben im Tode Jesu im Kreuz findet, der empfängt dort, wo er als der Sünder zum Tode verurteilt ist, die Gerechtigkeit Gottes, die am Kreuz triumphiert. Der erfährt gerade als der, der niemals selbst gerecht sein kann und will, sondern der Gott ganz allein gerecht sein läßt, seine Rechtfertigung. Denn nicht anders kann der Mensch vor Gott recht fertig gemacht sein, als in der Erkenntnis, daß Gott allein gerecht und er, der Mensch, ganz und gar Sünder sei. Die Frage, wie wir Sünder vor Gott gerecht sein können, ist im Grunde die Frage, wie Gott gegen uns allein gerecht sei. Unsere Rechtfertigung hat ihren Grund allein in der Rechtfertigung Gottes.47

Gott spricht seine Gerechtigkeit demjenigen zu, der ihn im Glauben allein gerecht sein lässt.48 Dieser wird gerechtfertigt. „Rechtfertigung geschieht durchs Sterben in der geglaubten Erkenntnis des Urteils Gottes im Kreuz Christi.“49 Diese dem Glaubenden zuteilwerdende Gerechtigkeit – die Nähe Bonhoeffers zu Luther in der Frage der Rechtfertigung wird hier besonders deutlich50 – ist nun freilich die mir ganz und gar fremde Gerechtigkeit, niemals mein eigenes Werk, sondern Gottes reines Geschenk (vgl. N 222 u. ö.). Im Glauben also und allein hier tritt zu dem richtenden Urteil („ihr seid Sünder“) das gerechtsprechende Urteil („ihr seid Gerechte“).51 Ausschließlich durch die Anerkennung des ersten Urteils52 empfange ich das zweite. Um den Sieg Gottes über unsere Ungerechtigkeit geht es allein, darum, daß Gott gerecht bleibe vor sich selbst, darum, daß er allein gerecht sei. Dieser Sieg Gottes ist im Kreuz errungen. Darum ist dieses Kreuz nicht nur Gericht, sondern Versöhnung (Rkast¶qiom [sc. Röm 3] v. 25) für alle, die glauben, daß im Tode Jesu Gott allein 46 DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 606. 47 N 272. Dieselbe Argumentation findet sich in der Finkenwalder Vorlesung „Das neue Leben bei Paulus“ (1936), vgl. bes. DBW 14, 606 f. 48 Vgl. auch DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 606. 49 DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 608. 50 Vgl. z. B. Luther, Sermo de Duplici Justitia (1519), WA 2, 145 – 152. 51 Vgl. DBW 14, Homiletische Übungen im ersten Finkenwalder Kurs 1935 zu Röm 3,23 – 26, 326. 52 Vgl. hierzu wiederum N 271 f: „Nun aber hat Christus unser Fleisch angenommen und an seinem Leib unsere Sünde ans Holz getragen (1. Petr. 2,24). Was an ihm geschah, geschah an uns allen. Er nahm teil an unserem Leben und Sterben, so gewannen wir teil an seinem Leben und Sterben. Mußte Gottes Gerechtigkeit sich in Christi Tod erweisen, so sind wir mit ihm dort, wo Gottes Gerechtigkeit wohnt, an seinem Kreuz, denn er trug unser Fleisch. […] Gottes eigene Gerechtigkeit, die uns Sünder tötet, ist im Tode Jesu seine Gerechtigkeit für uns. Indem im Tode Jesu Gottes Gerechtigkeit hergestellt ist, ist auch für uns, die wir im Tode Jesu eingeschlossen sind, Gottes Gerechtigkeit hergestellt.“

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gerecht sei, und die ihre Sünde erkennen. Gottes Gerechtigkeit schafft selbst die Versöhnung (N 272).

Christi Tod am Kreuz, welcher Versöhnung für jeden ist, schafft Versöhnung für den Einzelnen, der glaubt. So habe ich durch die Anerkennung der Gerechtigkeit außer mir die Gerechtigkeit in mir. Ich würde der Gnade nicht teilhaftig, wenn ich das zweite Urteil ohne das erste, das Leben ohne den Tod ergriffe. Gerade dies ist es, was Bonhoeffer „billige“ Gnade nennt: Gnade ohne Buße, ohne Bekenntnis der Sünden, ohne Beichte (vgl. N 30). Weil hier das Leben ohne den Tod gedacht wird, ist sie „Leugnung des lebendigen Wortes Gottes, Leugnung der Menschwerdung des Wortes Gottes“ (N 29). An Christi Gerechtigkeit kann nur teilhaben, wer an seinem Tod teilbekommt (vgl. N 271). Dieses Todes werde ich teilhaftig allein im Glauben daran, dass ich bereits mit Christus am Kreuz gestorben bin. Den Glaubenden allein wird zugesagt, daß sie ,mit Christus gestorben‘ (R. 6,8; Kol. 2,20), ,mitgekreuzigt‘ (R. 6,6), ,mitbegraben‘ (R. 6,4; Kol. 2,12), ,mitgepflanzt zu gleichem Tode‘ (R. 6,5) sind und daß sie eben darum auch mit ihm leben werden (R. 6,8; Eph. 2,5; Kol. 2,12; 2. Tim. 2,11; 2. Kor. 7,3). ,Wir mit Christus‘ – das hat seinen Grund darin, daß Christus der Immanuel, der ,Gott-mit-uns‘ ist. Nur dem, der Christus so erkennt, wird das MitChristus-sein zur Gnade. (N 231)

Der Glaube des Menschen bewirkt eine neue Existenz. Das bedeutet, für den Glaubenden und allein für ihn ereignet sich nun wirklich der zuvor vollzogene Bruch mit den Unmittelbarkeiten der Welt. Wer glaubt,53 „gehört nicht mehr der Welt, dient ihr nicht mehr, ist ihr nicht mehr unterworfen. Er gehört Christus allein an und verhält sich zur Welt nur durch Christus.“ „Vergangenes und Zukünftiges sind damit auseinandergerissen. Das Alte ist vergangen, es ist alles neu geworden.“ (N 221) Der Glaubende ist seiner alten Welt, seiner Vergangenheit, seines alten Lebens gestorben (vgl. N 222 und 226). Sein anerkennender und (die eigene Sünde und Sündlosigkeit Jesu) bekennender Glaube ist wirkliche „Trennung von unserer Sünde“,54 ist die Vollstreckung der bereits vollzogenen Trennung an mir. Ich bin in Christus kraft seiner Menschwerdung, ich bin gestorben, Christi Tod ist an mir vollzogen – nun wird er vollstreckt. Ich bin gestorben – und indem ich mich als Gestorbenen erkenne, indem ich mich glaubend in seinem Tode finde, sterbe ich. Ich sterbe mit Christus durch Gottes Selbstrechtfertigung – und indem ich mich als einen mit Christus Sterbenden erkenne, sterbe ich wirklich mit Christus. „Indem wir als die Sünder gerechtfertigt werden“, indem uns von Gott selbst die Gerechtigkeit zugesprochen wird, „werden wir von unserer Sünde getrennt, wir 53 Siehe die für Bonhoeffer im Zusammenhang wichtige Verbindung von Glaube und Taufe unten Kap. 2.5.2. 54 DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 607 f; Hervorhebung durch F.S.

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sterben unserer Sünde ab – wir werden gerechtfertigt !p¹ t/r "laqt¸ar – von unserer Sünde weg […]. Wir sind der Sünde gestorben“.55 Wie unsere Rechtfertigung ihren Grund in der Selbstrechtfertigung Gottes hat,56 so hat auch unser Tod seinen Grund im Kreuzestode Jesu. Wenn wir anerkennen, dass Jesus am Kreuz „der Sünde gestorben“ ist, und sofern „wir den Tod Christi als unseren Tod vor Gott gelten lassen“, sind auch wir der Sünde gestorben. So also erkennen wir im Tod Christi die Gerechtigkeit Gottes als unseren Tod, und darin als unsere Rechtfertigung, indem Gott allein gerecht ist. In dieser Erkenntnis erkennen wir uns als in Christus miteingeschlossen.57

Der Übergang von der Selbstrechtfertigung Gottes zu meiner Rechtfertigung ist der Übergang vom Sterben mit Christus zum Leben vor Gott. „Christus lebt und indem Gott seinen Sohn auferweckt hat, läßt er uns wissen, daß der durch das Sterben Gerechtfertigte vor Gott leben soll.“ Der „so Gestorbene“ und das heißt „Gerechtfertigte soll vor Gott leben“. „Er starb der Sünde einmal“ (von der Sünde weg!) – „er lebt hinfort Gott“ (vor Gott!). Weil Christus „uns zur Sünde gemacht ist“, darum ist die Sünde gebrochen und entmächtigt, darum herrscht sie nicht mehr, darum sind wir nicht mehr Knechte, darum sind wir frei.58 Als Gerechtfertigter bin ich, bei Bonhoeffer ganz existentiell verstanden, ein neuer Mensch. Ich bin nicht länger „in Adam“, sondern ich bin nun „in Christus“. Diejenigen, die sich in der lebendigen Gemeinschaft des Leibes Christi befinden, sind „,in Christo‘ (1m), und so ist ,Christus in ihnen‘. Sie sind nicht mehr ,im Gesetz‘ […], ,im Fleisch‘ […], ,in Adam‘ […], sondern in ihrer ganzen Existenz und in allen Lebensäußerungen sind sie von nun an ,in Christo‘“ (N 231). Die Gerechtfertigten sind „in Christus“, und sie sind daher die „neue Menschheit“ (N 229 u. ö.). Die „neue Menschheit“ ist die Gemeinschaft derer, die „in Christus“ und nicht mehr „in Adam“ sind. Die „neue Menschheit“ weiß Gott, weiß Jesus Christus als ihren Herrn und ihre Mitte. Gerade darum ist die Herrschaft der Sünde gebrochen, unter der sie stand. An ihr hat sich ein Machtwechsel nicht nur vollzogen, sondern vollstreckt;59 sie sind die „gerechtfertigten Sünder“ (N 275), für die gilt:

55 DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 607. 56 Siehe oben Kap. 2.3.1. 57 DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 607. Vgl. hierzu Luthers Auslegung von Gal 2,15 f, in: ders., In epistolam S. Pauli ad Galatas commentarius, 1531/35, WA 40,1, 214 – 247. 58 DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 608. 59 Es ist darauf hinzuweisen, dass Bonhoeffer die Unterscheidung von „Vollzug“ und „Vollstreckung“ der Rechtfertigung zwar inhaltlich und also theologisch, aber nicht immer der Form nach durchhält (vgl. N 92: „Ob sich der Bruch äußerlich vollzieht“ müsste heißen: „Ob sich der Bruch äußerlich vollstreckt“; vgl. N. 279: „Der Bruch ist vollzogen“ müsste in diesem Zusammenhang heißen: „Der Bruch ist vollstreckt.“).

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So dürfen die Christen nicht mehr ,Sünder‘ genannt werden, sofern darunter solche verstanden sind, die unter der Gewalt der Sünde leben […], vielmehr, einst waren sie Sünder, Gottlose, Feinde […], nun aber sind sie die Heiligen um Christi willen.60

Der Gerechtfertigte und also der „neue Mensch“ ist „nicht mehr unter der Sünde, sondern unter Christus, der Sünden vergibt“.61 Er ist nun „in Christo“ (vgl. N 231), den allein und gerade nicht mehr sich selbst er jetzt als seinen Herrn und seine Mitte weiß. Durch die Anerkennung der alleinigen Gerechtigkeit Gottes hat der Mensch lebendigen Anteil an dem gekreuzigten, auferstandenen und verklärten Leibe Christi, ist er der Gemeinschaft des Leibes Christi wirklich teilhaftig geworden. Dem Gerechtfertigten wird sein leibliches Von-Christus-Getragensein zum Leben, d. h. er hat „lebendigen Anteil“ (N 230) an Christi Leib. Allein durch den Glauben wird mir dasjenige Gebundensein an den Leib Christi, das Christus selbst in der Kraft seiner Menschwerdung bewirkt hat, zu einer lebendigen Bindung. Meine Rechtfertigung im Glauben ist daher meine Einpflanzung in den Leib Christi, der stellvertretend für alle Menschen Versöhnung schafft, zur lebendigen Bindung an ihn. So ist der Leib Christi der Ort der Annahme, der Versöhnung und des Friedens zwischen Gott und Menschen. Gott findet im Leib Christi den Menschen, und der Mensch findet sich im Leibe Christi von Gott angenommen. (N 238)

Wie der Glaube immer der Glaube ist, der von Jesus herkommt, an ihm entsteht und von ihm gewirkt ist, so ist auch die Einpflanzung gerade nicht an meine Entscheidung gebunden.62 Allein darum, weil er mit uns ist, können wir mit Christus sein.63 Erst im „Glauben an den Christus außer mir habe ich Christus in mir“.64 Und dieser Christus als das Ebenbild Gottes selbst will in 60 N 279. Vgl. ebenso DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 609 f. – Zu Heiligung und Sündenverständnis siehe unten Kap. 3.1.1. 61 DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 610. Vgl. DBW 14, aaO., 608: „So ist die Aussage über die Gerechtigkeit Gottes mit der über unser ,Sein in Christus‘ unlöslich verbunden.“ 62 Vgl. DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus: „III […] Glaube, an Jesus Christus entstehend, reines Geschenk Gottes. Rm 10,17 Joh 6,29 Hebr 4,2. Heiliger Geist durch Wort schaffend […] ohne eigenes Werk [sc. des Menschen] Gal 2,16 3,2 Rm 4,5. […] IV Glaube zugleich Entscheidung, zu der der Mensch aufgerufen wird. Ohne diesen Entschluß ist der Glaube nicht in mir. […] Aber kein Gegensatz zu III. Deshalb Appell an den Glauben. Marc 5,36 Joh 14,1. V Was ist die Gabe des Glaubens? Im Glauben empfangen wir Rechtfertigung = Zuspruch der Gerechtigkeit Gottes.“ (DBW 14, aaO., 604) „Einpflanzen […] in bezug auf mich“ ist nicht zu denken als „magischer Akt“ (DBW 14, aaO., 602). Vgl. hierzu auch Brunner, Das Gebot und die Ordnungen, 143: „Die Wiedergeburt ist kein magisches Geschehen“; vgl. die dazugehörige Anm. 13, Brunner, aaO., 587. 63 Vgl. N 231. Vgl. hierzu Gremmels, Rechtfertigung und Nachfolge. 64 DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 603. So ist deutlich geworden: Rechtfertigung ist bei Bonhoeffer nicht doketisch zu verstehen, sondern ist als ein real sich vollziehendes Ereignis aufgefasst. Meine lebendige Teilhabe am Leibe Christi und also meine Rechtfertigung wären gänzlich missverstanden, deutete man sie als „natürliches

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uns Gestalt gewinnen, will uns umgestalten zu seinem Bilde (vgl. N 301). So wird bis hierher für das der „Nachfolge“ zugrundeliegende Glaubensverständnis deutlich: Glauben wird nicht bedeuten können, das „Bild des Sohnes Gottes […] in toter, müßiger Betrachtung“ anzuschauen, denn „von diesem Bilde geht umschaffende Kraft aus“.65 Glauben ist darum mehr als bloßes Erkennen und Anerkennen, Glaube mehr als Erkenntnis und Anerkenntnis,66 mehr als gesprochenes Bekenntnis. Welches Verständnis von Glaube der „Nachfolge“ zugrundeliegt, von welcher Gestalt des Glaubens Bonhoeffer ausgeht, dies ist die erkenntnisleitende Frage der folgenden Kapitel.

2.3.3 Glaube und leibliche Bindung Gezeigt wurde in den vorangegangenen Abschnitten, dass in Bonhoeffers Theologie der „Nachfolge“ die reformatorische Exklusivpartikel des sola fide in der Frage nach der Rechtfertigung des Menschen uneingeschränkt gilt. Gezeigt wurde fernerhin: In allem geht es Bonhoeffer um die Frage nach der Versöhnung von Schöpfer und Geschöpf, von Gott und Mensch. Ziel ist die Wiederherstellung der Ebenbildlichkeit. „Gott“, sagt Bonhoeffer, „findet im Leib Christi den Menschen“ (N 238), so soll nun der Mensch seinerseits sich selbst in diesem Leibe angenommen finden: Er soll glauben. Zugleich bewirkt dieser Glaube „lebendigen Anteil“ (N 230) an dem Leib Christi, in dem allein Heil liegt. Das bedeutet zugleich, dass es echten Glauben – seit Christus – nur in der leiblichen Bindung an Christus gibt, d. h. in der Gemeinschaft seines Leibes. Glaube, der sich ohne die leibliche Gemeinschaft mit Christus verstehen will, ist folglich kein Glaube. So bedingen bei Bonhoeffer in der „Nachfolge“ Glauben und leibliche Bindung einander reziprok: Jeder, der glaubt, ist an Christus gebunden, und es ist keiner an Christus gebunden, der nicht glaubt. Niemand kann glauben, der nicht leiblich an Christus gebunden ist; Glaube ist nur in der leiblichen Gemeinschaft des Jesu Christi möglich. Der Glaube des Menschen (d. h. eigentlich Christus selbst) qualifiziert die Bindung, wie auch umgekehrt die Bindung den Glauben als Glauben qualifiziert. Geschehen“ oder als „psychisches Erlebnis“, d. h. als „Erneuerung, Umwandlung und Veränderung meiner psychischen Substanz“ (ebd.). Nicht meine Natur und auch nicht meine Psyche sind es, die durch meine Rechtfertigung getroffen werden, sondern ich bin in meiner ganzen Existenz als Sünder offenbar und nun in meiner ganzen Existenz des Leibes Christi teilhaftig. Rechtfertigung ist die Neubestimmung meiner Existenz. Sie ist nicht Schein, sondern wirkliche Realität. Diese Existenz heißt: „in Christo“, „neuer Mensch“, an seinem Leibe, von Herrschaft der Sünde und der Unmittelbarkeit der Welt getrennt zu sein, heißt, die imago dei zu tragen. Der Gerechtfertigte allein ist es, der das Ebenbild Gottes (wieder) trägt. 65 N 297; vgl. hierzu N 188 f: Diejenigen, die das Wort tun, sich nun aber auch dieses ihr Tun berufen, „wissen, daß das Bekenntnis nicht rechtfertigt“. 66 Vgl. dazu Holl, Gesammelte Aufsätze I, 117 „Rechtfertigung = Anerkennung des Sünders oder des Gerechtfertigten?“ (Holl, Gesammelte Aufsätze I, IV) aaO., 117ff.

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Für die weitere Darstellung stellt sich damit die Aufgabe, Leib Christi und Glauben des Menschen in ihrer Bezogenheit aufeinander zu untersuchen: Wie kommt der Mensch vom Nicht-Glauben zum Glauben, von der kraft der Menschwerdung gegebenen Bindung an Christus zur Bindung, die ihm zum Leben wird? Im Zuge dieser Leitfragen konturiert sich zugleich Bonhoeffers Verständnis dessen, was Glaube – wohlgemerkt in der Zeit der „Nachfolge“ und innerhalb des theologischen Entwurfs dieses Buches – konkret bedeutet. Gemäß der christologischen Grundüberlegung Bonhoeffers, dass der Leib Christi zwar zu jeder Zeit derselbe, der eine Leib ist, dass sich die leibliche Gegenwart Jesu Christi auf Erden von dessen Geburt an bis zur Aufnahme in den Himmel von der seiner Gegenwart seit Pfingsten lediglich in seiner Gestalt, d. h. in seiner Seinsart, unterscheidet, gliedert sich die Darstellung in zwei Abschnitte. Ein erstes Kapitel (2.4) untersucht die Zeit bis zur Himmelfahrt, ein zweites (2.5) die Zeit seit Pfingsten. Diese Aufteilung entspricht im Wesentlichen Bonhoeffers Gliederung der „Nachfolge“ in zwei Hauptteile, sie sind die Betrachtung ein und derselben Sache aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln: Hier beschreibt Bonhoeffer den Weg der ersten Jünger zur leiblichen Bindung an Christus, dort, wie sich diese Bindung für den Menschen heute fortsetzt.

2.4 Glaube und leibliche Bindung an Christus vor Pfingsten: Das synoptische Zeugnis Gott wurde Mensch, er wurde der Mensch Jesus von Nazareth. Die Geschichte dieses Jesus von Nazareth, von Maria im Stall von Bethlehem geboren (vgl. N 241), von Johannes im Jordan getauft, in seiner Heimatstadt und von Schriftgelehrten verworfen, in die Hände derer überantwortet, die ihm nach dem Leben trachteten, von Pilatus verurteilt, am Kreuz gestorben und begraben, von den Toten auferstanden am dritten Tage und vor den Augen der Jünger von der Erde in den Himmel aufgefahren – dies ist „die Geschichte des Herrn in seinen Erdentagen“ (N 219). Der Leib Christi ist der menschliche Leib des Jesus von Nazareth, Leib in der Gestalt menschlichen Fleisches. Christus als auf der Erde Wandelnder ist ganz Gott, und er ist ganz Mensch, und zwar in der Existenzweise der Erniedrigung,67 deren Subjekt das blo¸yla saqjºr ist.68

67 Siehe hierzu unten Kap. 2.4.2.3. 68 Vgl. DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 343.

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Glaube und leibliche Bindung an Christus vor Pfingsten

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2.4.1 Die Bindung der ersten Jünger an Jesus Christus: Nachfolge Weil Christus zu seinen Lebzeiten als sichtbare menschliche Person in der Gestalt des Fleisches leiblich gegenwärtig war (vgl. N 215), darum musste man, um in seiner Leibgemeinschaft zu sein (und also um glauben zu können),69 mit Jesus von Nazareth ziehen. Es galt, wirklich mit ihm, hinter ihm her zu gehen. Hier war, so Bonhoeffer, nur diese eine Möglichkeit der leiblichen Gemeinschaft mit Jesus denkbar, hinter Jesus herzulaufen, ihm dorthin nachzufolgen, wohin er ging.70 „Es gilt für die ersten Jünger : wo ihr Herr ist, da müssen sie auch sein“ (N 249). In der leiblichen Gemeinschaft des Christus konnte nur stehen, wer Jesus nachfolgte; darum ist Nachfolge „Bindung an Jesus Christus allein und unmittelbar“.71 Nachfolge ist notwendig „leibliche Nachfolge“, ist Leben in der „leibliche[n] sichtbare[n] Gemeinschaft“, die durch den Ruf des „fleischgewordene[n] Wort[es]“ geschaffen worden war (N 242). Nachfolge als das hinter Jesus Hergehen (vgl. N 46), als das Leben in der leiblichen Gemeinschaft des Christus, ist das soteriologisch gebotene Gottesverhältnis des Menschen. Nachfolge ist in der Tatsache begründet, dass Christus Mensch wurde: Daß die Bindung der Jünger in der Nachfolge eine leibliche war, ist nicht zufällig, sondern von der Menschwerdung her notwendig. Der Prophet und Lehrer bedürfte keiner Nachfolger, er brauchte [sic!] Schüler und Zuhörer. Der menschgewordene Sohn Gottes, der in das menschliche Fleisch gekommen ist, braucht eine Nachfolgergemeinde, die nicht nur seiner Lehre, sondern gerade auch seines Leibes teilhaftig wird. Am Leibe Jesu Christi haben die Nachfolger die Gemeinschaft. […] Denn in ihm sind sie alle getragen und angenommen. (N 229; Hervorhebung durch F.S.)

Weil Gott Mensch wurde in Jesus Christus und allein in der Gemeinschaft seines Leibes Heil liegt und begründet ist, ist bei Bonhoeffer Nachfolgen „Teilhaben an dem in Jesus sich darbietenden Heil“.72 Gemäß Bonhoeffers Identifizierung von Nachfolge und Bindung an Christus ist es möglich und ebenso aufschlussreich, bei der Lektüre des folgenden Abschnitts den Begriff Nachfolge gedanklich durch sein Äquivalent, leibliche Bindung an Christus, zu ersetzen: 69 Siehe zum Gedanken, dass Glaube nur in der leiblichen Gemeinschaft Jesu Christi überhaupt möglich ist, unten Kap. 2.4.2. 70 Vgl. bes. N 241 f: Der „menschgewordene Sohn Gottes braucht […] leibhaftige Menschen, die ihm nachfolgen. Darum berief er seine Jünger in seine leibliche Nachfolge, und seine Gemeinschaft mit ihnen war jedermann sichtbar. Sie war begründet und zusammengehalten durch Jesus Christus den Menschgewordenen selbst, das fleischgewordene Wort hatte gerufen, hatte die leibliche sichtbare Gemeinschaft geschaffen.“ 71 N 116; ebenso N 47 u.ö; siehe oben Anm. 1 dieses Kapitels. 72 So in dem von Bonhoeffer für die Arbeit an der N herangezogenen, 1933 im ersten Band des ThWNT erschienenen und von Kittel verfassten Artikel „!jokouh´y“, 214.

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weil Christus ist, darum muß Nachfolge sein. Eine Idee von Christus, ein Lehrsystem, eine allgemeine religiöse Erkenntnis von der Gnade oder Sündenvergebung macht Nachfolge nicht notwendig, ja schließt sie in Wahrheit aus, ist der Nachfolge feindlich. Zu einer Idee tritt man in ein Verhältnis der Erkenntnis, der Begeisterung, vielleicht auch der Verwirklichung, aber niemals der persönlichen gehorsamen Nachfolge. Ein Christentum ohne den lebendigen Jesus Christus bleibt notwendig ein Christentum ohne Nachfolge, und ein Christentum ohne Nachfolge ist immer ein Christentum ohne Jesus Christus; es ist Idee, Mythos. Ein Christentum, in dem es nur den Vatergott, aber nicht Christus als lebendigen Sohn gibt, hebt die Nachfolge geradezu auf. Hier gibt es Gottvertrauen, aber nicht Nachfolge. Allein weil der Sohn Gottes Mensch wurde, weil er Mittler ist, ist Nachfolge das rechte Verhältnis zu ihm. Nachfolge ist gebunden an den Mittler, und wo von Nachfolge recht gesprochen wird, dort wird von dem Mittler Jesus Christus, dem Sohn Gottes gesprochen. Nur der Mittler, der Gottmensch kann in die Nachfolge rufen.73

Weil Jesu Christi Leib der Ort der Versöhnung zwischen Gott und Mensch ist und weil Nachfolge den Menschen an diesem Heil partizipieren lässt, darum ist Nachfolge, so Bonhoeffer, nicht eine unter vielen Möglichkeiten zum Heil, sondern die einzige: „Es hätte ja nach unserm Verständnis auch damals schon durchaus anders sein können. Jesus hätte dem Zöllner eine neue Gotteserkenntnis vermitteln und ihn in seiner alten Situation lassen können.“ (N 50) Damit aber wäre nach Bonhoeffer Christus als der Menschgewordene praktisch verleugnet. Wäre Jesus nicht der menschgewordene Sohn Gottes gewesen, so wäre das möglich. Weil aber Jesus der Christus ist, darum mußte es von vornherein deutlich werden, daß sein Wort nicht eine Lehre, sondern eine Neuschöpfung der Existenz ist. Es galt, mit Jesus wirklich zu gehen. Wen er rief, dem war damit gesagt, daß für ihn nur noch eine einzige Möglichkeit des Glaubens an Jesus besteht, nämlich die, daß er alles verläßt und mit dem menschgewordenen Sohn Gottes geht. (N 50)

Umgekehrt formuliert: Weil die leibliche Bindung des Jüngers an den Leib Christi keineswegs zufällig, sondern von der Tatsache der wahrhaftigen Menschwerdung Christi her notwendig ist, darum ruft Jesus den Jünger in seine Nachfolge, allein darum und dazu das !joko¼hei loi:74 der Zöllner Levi, der Fischer Petrus, der reiche Jüngling, sie alle sollen hinter Jesus hergehen, 73 N 47. Wenn Bonhoeffer den Begriff der Nachfolge von dem des Gottvertrauens abgrenzt (s. o.) und die Nachfolge als ausschließliche Existenz des Christseins der ersten Jünger ausweist, dann findet Bonhoeffers Verständnis von Nachfolge hier eine Entsprechung in der paulinischen Begrifflichkeit der Gotteskindschaft (uRohes¸a, vgl. Gal 4,5ff, Röm 8,14 f.23) bzw. neuen Schöpfung; vgl. auch Bonhoeffers in diesem Zusammenhang gebrauchten, oben folgenden Terminus „Neuschöpfung der Existenz“. Zum Begriff Wiedergeburt vgl. Frey, Wiedergeburt. Gerade um den Nachweis dieser synoptisch-paulinischen Äquivalenz geht es Bonhoeffer im zweiten Teil der N. Siehe dazu bes. unten Kap. 2.5.2. 74 Mk 2,14. Bonhoeffer eröffnet sein theologisches Modell von Nachfolge mit der Auslegung dieses Verses, der Berufung des Levi, vgl. N 45 ff.

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weil sie sich so hineinbegeben in die leibliche Gemeinschaft mit dem als Mensch, im blo¸yla saqjºr, auf Erden wandelnden Gottessohn. Zugleich muss gelten, dass sich in diesem hinter Jesus Hergehen (vgl. N 46) ein allein durch den Glauben des Nachfolgenden möglicher Machtwechsel als die Rechtfertigung des Menschen vollzogen hat, dass also die allein durch das Nachfolgen mögliche Bindung an Jesus Christus exklusiv durch den Glauben qualifiziert ist. Das Verlassen der bisherigen Existenz und das Nachfolgen auf Jesu Ruf hin muss als conditio sine qua non für die generelle Möglichkeit und das Vorhandensein des Glaubens gelten. Und dies ist bei Bonhoeffer erfüllt und wird deutlich, wenn er mit der Menschwerdung zwischen einem „Vorher“ und einem „Nachher“ („Jetzt“) unterscheidet: Solange Levi am Zoll sitzt oder Petrus bei den Netzen, so lange mögen sie ihren Beruf redlich und treu tun, solange mögen sie alte oder neue Gotteserkenntnisse haben, aber wenn sie Gott glauben lernen wollen, so müssen sie dem menschgewordenen Sohn Gottes folgen, mit ihm gehen. Vorher war das anders. Da konnten sie als die Stillen im Lande unerkannt in ihrer Arbeit leben, sie hielten das Gesetz und warteten auf den Messias. Jetzt aber war er da, jetzt erging sein Ruf. Jetzt hieß glauben nicht mehr stille sein und warten, sondern mit ihm gehen in der Nachfolge. Jetzt löste sein Ruf in die Nachfolge alle Bindungen um der einzigen Bindung an Jesus Christus willen. (N 50 f; Hervorhebung durch F.S.)

Es wird nun zu betrachten sein, wie der Übergang von der alten zur neuen Existenz, vom Nicht-Glauben zum Glauben sich vollzieht.

2.4.2 Von der Bindung an die Welt zur Bindung an Christus: Ruf und Eintritt in die Nachfolge75 2.4.2.1 Die Situation, in der allererst geglaubt werden kann: Konkreter Ruf und konkreter Gehorsam Mit dem bisher Gesagten sind zwei existentielle Situationen voneinander unterschieden. Vor Christus bzw. vor der Nachfolge ist nur der alte Mensch in seinen Bindungen. Der Jesus nachfolgende Mensch hingegen hat diese Bindungen verlassen (Levi den Zoll, Petrus die Familie und die Netze). Der Jesus nachfolgende Mensch ist aus seiner alten Existenz, in der Glaube nicht möglich ist, herausgetreten und nun einzig an Christus gebunden. Seine neue Existenz ist die leibliche Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem er fortan glaubend nachfolgt. Von diesen beiden Existenzen (der alten und der neuen, der Bindung an die 75 Vgl. zu Bonhoeffers Ausführungen zu Ruf und Eintritt in die Nachfolge die stark an Bonhoeffer angelehnte Rezeption durch K. Barth, in: KD IV/2, 603 – 626.

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Welt und der Bindung an Christus), die – so wurde vorausgesetzt und so wird noch gezeigt werden – der Existenz des Nicht-Glaubens und des Glaubens entsprechen, unterscheidet Bonhoeffer eine dritte Situation, die „Situation, in der allererst geglaubt werden kann“ (N 50). Diese ist bestimmt durch den Ruf Jesu zur Nachfolge einerseits und den auf diesen Ruf hin folgenden ersten Gehorsamsschritt des Jüngers, der „[…] von allen folgenden [sc. Schritten] qualitativ unterschieden [ist]“ (N 53), andererseits. Das Verständnis der „Nachfolge“ und ihrer theologischen Konzeption, Bonhoeffers Argumentation und Denkweise hängen wesentlich von der richtigen Verhältnisbestimmung des ersten Schrittes in die Nachfolge, der „Situation, in der geglaubt werden kann“ und des Rufes Jesu zur Nachfolge ab. Der erste Gehorsamsschritt, sagt Bonhoeffer, ist ein „Zwischenglied zwischen dem bisherigen Weg […] und der Nachfolge“, keineswegs aber „identisch mit der Nachfolge selbst“. Er ist „nicht einmal der erste Schritt in der Nachfolge, sondern der Gehorsam, in dem Nachfolge erst wirklich werden kann“ (N 64). Erst wenn der Schritt getan ist, kann geglaubt werden. Levi am Zoll hätte Jesus wohl haben können als einen Helfer in allerlei Not, aber er hätte ihn nicht erkannt als den einen Herrn, dem er sein ganzes Leben in die Hand legen soll, er hätte nicht glauben gelernt. […] Petrus muß aus dem Schiff heraustreten auf das schwankende Wasser, um seine Ohnmacht und die Allmacht seines Herrn zu erfahren. Wäre er nicht herausgetreten, so hätte er nicht glauben gelernt. Die völlig unmögliche, ethisch schlechthin unverantwortliche Lage auf dem schwankenden Meer muß herausgestellt werden, damit geglaubt werden kann. (N 51; Hervorhebung durch F.S.)

Die „Situation, in der geglaubt werden kann“ scheint folglich zwischen der alten und der neuen Existenz zu verorten zu sein. Es hat den Anschein, als führte jener erste Gehorsamsschritt des Jüngers in die „Situation des Glaubenkönnens“ hinein, denn diese Situation zeichnet sich als Situation aus, in welcher dem Jünger die Erkenntnis geschenkt wird, wer Jesus ist, „was Jesus fordert und was Jesus gibt“ (N 51). Dieser Interpretationsvorschlag nimmt sich bei der Frage, wie der Mensch zum Glauben kommen kann, als umso plausibler aus unter Berücksichtigung des im status corruptionis gegebenen Erkenntnisdefizits des Menschen. Der gefallene Mensch vermag sich selbst niemals von selbst als Sünder, Gott als allein gerecht und Christus als die ihm wiedergeschenkte Mitte zu erkennen.76 Dem als Anerkenntnis verstandenen, rechtfertigenden Glauben müsste demnach eine Situation des Erkennens (der Gerechtigkeit Christi und meiner Sünde) notwendig vorausgesetzt sein. Ich kann nur anerkennen, was ich zuvor erkannt habe. Eine solche erkenntnisstiftende Funktion könnte folglich der mit dem ersten Gehorsamsschritt gegebenen Situation attestiert werden, die weder einfach die Situation des Nicht76 Vgl. dazu den schönen Satz Hermanns: „Niemand kann zu sich Ich sagen, ohne zu Gott Du zu sagen.“ (Hermann, Luthers Theologie, 98).

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Glaubens ist, noch existentiell schon durch den Glauben bestimmt zu sein scheint: Sie ist ja die „Situation, in der allererst geglaubt werden kann“ (N 50; Hervorhebung durch F.S.), und sie wäre, wie es Ch. Tietz vorgeschlagen hat, als ein „Zwischenglied zwischen dem bisherigen Weg […] und der Nachfolge“ (N 64) die Situation, von der aus es dem „[…] Menschen möglich [ist], sich für […] die Nachfolge zu entscheiden, d. h. zu glauben“.77 Um in der Angelegenheit dieser Interpretation entscheiden zu können, die neben Tietz im Kern auch R. Gütter und H. Müller vertreten haben,78 ist die Analyse von Ruf Jesu, erstem Schritt sowie „Situation, in der geglaubt werden kann“ in Bonhoeffers Konzept erneut und ausführlich vorzunehmen. Der Ansatzpunkt für die Analyse wird dabei zunächst außerhalb der Begriffe „Situation“ oder „Glaubenkönnen“ gewählt, nämlich bei der ganz unstrittigen Grundüberlegung Bonhoeffers, dass Jesus konkreten Gehorsam auf ein konkretes Wort hin fordert. Zur Nachfolge, sagt Bonhoeffer, bedarf es eines ersten Gehorsamsschrittes des Menschen auf den konkreten Ruf Jesu hin, der zu einem konkreten Tun auffordert. Bereits in diesem zentralen Begriff, Gehorsam, ist der Kern dessen angelegt, worum es nach Bonhoeffer bei der Nachfolge Christi geht. Eine Annäherung an den Begriff „Gehorsam“ bei Bonhoeffer kann nach drei Seiten hin erfolgen: aus begrifflicher, phänomenologischer und schließlich theologischer bzw. biblischer Perspektive. 1. Gehorsam weist konnotativ hin auf die an der jeweiligen Situation beteiligten Akteure und beschreibt zugleich deren Haltung: Gehorchen kann nur, wer zuvor von einem Gebietenden eine Anweisung für ein bestimmtes Tun empfangen hat. Gehorsam ist keine eigenmächtige Handlung, niemals Aktion, sondern immer Reaktion. Wer gehorcht, handelt nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf eine Anweisung hin. Gehorsam ist immer ein Folgen auf einen Befehl hin, niemals eigenmächtiges Werk.79 Niemand kann gehorsam 77 Tietz, Nur der Glaubende ist gehorsam, 176. 78 Vgl. Gtter, Innerste Konzentration, 69: „Erst muß das Wagnis des Gehorsams […] erfolgen – dann öffnet sich der Weg des Glaubens.“ Wenn der erste Gehorsamsschritt als dem Glauben vorgelagert interpretiert wird, dann ist zu fragen, wie der Behauptung Bonhoeffers zu begegnen ist, dass „auch die Situation, in der geglaubt werden kann, bereits selbst immer nur im Glauben ermöglicht“ ist (N 52). Dieser Frage sind Gtter und vor ihr H. Mller begegnet, indem sie diese Behauptung Bonhoeffers als Versuch gedeutet haben, zum einen die Einheit von Glauben und Gehorsam wahren zu wollen, zum anderen zu befürchtenden synergistischen Missverständnissen Einhalt zu gebieten; vgl. H. Mller, Von der Kirche zur Welt, 204, und Gtter, Innerste Konzentration, 70: Indem der Gehorsam an den Glauben gebunden wird, „begegnet Bonhoeffer der Gefahr einer Überbewertung des (gehorsamen) Tuns gegenüber dem Glauben und einer daraus folgenden Werkgerechtigkeit“. Gütter geht sogar so weit, den Satz „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt.“ (N 52; siehe dazu unten Kap. 2.4.2.3.5) als Relativierung der dem ersten Gehorsamsschritt abzulesenden „sehr klare[n] inhaltliche[n] und zeitliche[n] Vorordnung des Gehorsams vor den Glauben“ (Gtter, ebd.) zu verstehen. 79 Vgl. hierzu den Abschnitt über „Gehorsam und Tun“ im Übungsseminar „Theologische Psychologie“ (Wintersemester 1932/33; DBW 12, 191 – 193), bes. die Originalthesen Bonhoeffers. Die dort vorgenommene Differenzierung von Gehorsam und Tun – „Gehorsam hört das Wort,

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Schritte tun, ohne zuvor gehört zu haben. Zuerst bin ich Hörender, ich vernehme einen Befehl, einen Ruf. Nun bleiben mir Gehorsam oder Ungehorsam. Tue ich eigene Schritte, ohne den Befehl vernommen zu haben, so ist das kein Gehorsam, sondern eigenmächtiges Tun, tue ich eigene Schritte gegen einen Befehl, so ist das Ungehorsam. Zwischen Gehorsam und Ungehorsam gibt es keinen Bereich der Kongruenz. Beide sind immer absolut und grenzen sich ganz voneinander ab. Der Unterschied zwischen einer selbstgewählten und einer gehorsamen Tat liegt folglich in der Frage, wessen Wille getan wird. Der Gehorsame ordnet in der gehorsamen Tat den eigenen Willen dem des Befehlenden unter. Im gehorsamen Tun wird der sich selbst behauptende Eigenwille aufgegeben. Der Gehorsame ist gebunden an eine externe Instanz. Dies ist es, was Bonhoeffer die Einfalt des Gehorsams nennt (siehe hierzu N 69ff). Der einfältig Gehorsame (und d. h. der Gehorsame überhaupt, denn Gehorsam ist nur dann Gehorsam, wenn er einfältig ist) sieht nicht seinen eigenen Willen, sondern allein den Willen des Rufenden. Er sieht nicht sich selbst, sondern allein den, der ruft. Dennoch gilt – wie noch näherhin zu zeigen ist –, dass der Gehorsam zwar nicht die freie, wohl aber die freiwillige, nicht erzwungene Tat des Menschen ist; neben dem Gehorsam gibt es immer auch die Alternative des Ungehorsams.80 Der Gehorsame ist also immer aktiv und passiv zugleich; er handelt, aber er handelt immer nur auf Anordnung. Das Subjekt der Gehorsamssituation ist immer der Gehorsam Fordernde. 2. Alltagsweltlich formuliert heißt Gehorsam für Bonhoeffer, „einem Menschen so gehören, daß man auf sein Wort hört. Gehorsam heißt gehören in der Form des Hörens.“81 Betrachtet man das hier in aller Kürze skizzierte semantische Spektrum des Begriffs aus phänomenologischer Perspektive, ist unmittelbar evident, dass es sich nicht um primär theologisches, sondern um Vokabular militärischer Sprache handelt – und als solches war der Begriff Gehorsam zur Zeit der „Nachfolge“ allgegenwärtig. Ganz konkret ist es die Person des „Führers“, die bedingungslosen Gehorsam von seinen Soldaten und vom deutschen Volk forderte.82 Dieser militärischen Sprache bedient sich Bonhoeffer nun, indem er nicht allein den Begriff „Gehorsam“ aufgreift, Tun hält sich ans Wort“ (DBW 12, aaO., 193) – greift Bonhoeffer in den folgenden Jahren und also auch in der N nicht mehr auf. Stattdessen formuliert Bonhoeffer jetzt die unbedingte Einheit von Glauben und Gehorsam, eine Einheit, die er schon 1932/33 uneingeschränkt eingefordert hat: „Es gibt kein Auseinanderfallen von Hören und Tun. […] Hören ist Tun.“ (DBW 12, aaO., 192). 80 Vgl. hierzu N 69: „Als Jesus vom reichen Jüngling freiwillige Armut forderte, da wußte dieser, daß es hier nur Gehorsam oder Ungehorsam gab.“ (Hervorhebung durch F.S.). 81 DBW 12, Dogmatische Übungen im WS 1932/33: Theologische Psychologie, 192. 82 Man denke an den ab dem 23. 8. 1934 von Beamten und Soldaten der Wehrmacht auf den „Führer“ Adolf Hitler zu leistenden Treueid, der weniger als vier Jahre später in der folgenden Fassung von der Ev. Kirche der Altpreußischen Union auch für die Kirche beschlossen wurde: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reichs und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe“ (zit. n.: Beckmann, Kirchliches Jahrbuch 1933 – 1944, 232 f).

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sondern ausgerechnet auch „Nachfolge“83 und „Ruf“84 zu Leitbegriffen seiner Theologie macht und fortan, unter Verwendung derselben Begriffe, einer freilich ganz anderen Sache das Wort redet.85 3. Eine Abgrenzung vom Militärischen vollzieht Bonhoeffer zunächst darin, dass er nur selten von „Befehl“, sondern vor allem von „Gebot“ spricht. Darin vollzieht sich auch begrifflich die Übersetzung ins Theologische, und es werden zugleich die an dem Gebot beteiligten Akteure in den Bereich des Religiösen (d. h. des Christlichen) mitübersetzt: „Gebot“ verweist auf Gott und Jesus Christus als alleinigen Urheber, der den Menschen anredet und in seine Nachfolge ruft. Entsprechend ist bei Bonhoeffer das Wort „Gehorsam“ stets verstanden „als Abbreviatur für das Gebot Christi, das es zu tun gilt“.86 Die vermeintliche Willkür des befehlenden Subjekts, welcher der zum Gehorsam Gerufene bedingungslos ausgesetzt sein mag, gibt es hier nicht; denn es ist nicht der „Menschenfeind“, sondern der „Menschenheiland“ (N 209), der in die Nachfolge ruft – auch wenn gilt: Gottes Liebe zum Menschen und der Menschen Liebe zu ihrem eigenen Geschlecht sind gar zu verschieden. Gottes Liebe zum Menschen heißt Kreuz und Nachfolge, aber eben darin Leben und Auferstehung. „Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden“. In dieser Zusage spricht der, der die Macht hat über den Tod, der Sohn Gottes, der zum Kreuz und zur Auferstehung geht und die Seinen mitnimmt.87

Auf diese Liebe Gottes vertraut der Mensch, wenn er dem Rufe Jesu glaubt – und gehorsam folgt.88 Insofern Glaube und Gehorsam eine unbedingte Einheit bilden und insofern der Gehorsam allein mit dem Blick auf das Wort Jesu gerichtet geschieht, ist der einfältige Gehorsam in Bonhoeffers Theologie – genau wie der Glaube – stets actus directus, nicht actus reflexus.89 Der einfältige Gehorsam kennt keine Reflexion,90 er kennt nur die Unmittelbarkeit zu

83 Vgl. alltagsweltlich z. B. die letzte Zeile des Liedes „Von Finnland bis zum Schwarzen Meer“: „Führer befiehl! Wir folgen dir!“ 84 Vgl. alltagsweltlich nur den Titel des Vortrags, den W. Künneth im April 1931 auf den „Vereinstagen für Innere Mission“ in Dresden hielt: „Was haben wir als evangelische Christen zum Rufe des Nationalsozialismus zu sagen?“ Vgl. dazu Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 177. 85 Vgl. zum Zusammenhang Onnasch, Zeitgemäße Theologie?. 86 Gremmels, Rechtfertigung und Nachfolge, 96. 87 N 209. Indem im Gehorsam der Gerufene als der Christus anerkannt wird, wird das Gebot zugleich als das Wort Gottes verstanden. Im Gebot Jesu macht „sich der Wille Gottes geltend“ (Slenczka, Gehorsam). 88 Glauben und Vertrauen, die doppelte Bedeutung des Verbums piste¼y, wird hier durch die Verbindung zum Gehorsam greifbar und verständlich. Vgl. zum Glaubens- bzw. Gehorsamsbegriff fernerhin den ersten, 1932 erschienenen Band von K. Barths „Kirchlicher Dogmatik“: KD I/1, §§ 8 – 9. 89 Vgl. hierzu explizit DBW 12, Dogmatische Übungen im WS 1932/33: Theologische Psychologie, 180 – 193, sowie zu (Glauben als) actus directus und reflexus: AS 23, 36, 48, 95 f, 158 – 160 u. ö.; Feil, Die Theologie, 83ff; Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik, bes. 279 – 281. 90 Vgl. hierzu neben den obigen Ausführungen zu diesem Satz besonders Bonhoeffers Dialektik

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dem Wort Jesu, das ihn rief. Deswegen konnte Bonhoeffer bereits zu Beginn des Jahres 1933 an der Universität formulieren: „Gehorsam ist das Hören des Wortes Gottes, der Glaube und sonst nichts.“91 Wenn zudem gilt, dass Christus, indem er ruft und der Gerufene gehorsam folgt, „[…] in den Machtbereich des Satans ein[greift] und […] seine Hand auf die Seinen [legt],“ (N 221) dann heißt Gehorsam biblisch interpretiert „Gott gehören in der Form des Hörens auf sein Wort.“92 Jetzt ist der Mensch gegenüber allen anderen (externen und internen) Instanzen, seiner eigenen Vernunft, seinem eigenen Verstand, seinem eigenen Gewissen frei; jetzt ist er gebunden an das weisende, gebietende Wort Jesu.93 Während also eine eigenmächtige Tat für Bonhoeffer immer die Bestätigung des eigenen Willens, Selbstbehauptung des Handelnden ist, ist der im Gehorsam gegangene erste Schritt gerade nicht die Bekräftigung des eigenen Willens, sondern die Anerkennung Jesu Willens. Sofern der Ruf in die Nachfolge die Willensbestätigung des Gerufenen ausschließt, ist er zugleich jenseits eines jeden Ideals seitens des Gerufenen; denn würde der Ruf von ihm als ein bestimmtes Ideal verstanden werden, wäre die Tat keine gehorsame Tat mehr, sondern wiederum eine selbstgewählte, dem eigenen Willen entsprechende. Der Ruf in die Nachfolge als Ruf zum Gehorsam macht es dem Gerufenen daher unmöglich, das Geforderte in irgendeiner Weise idealistisch zu verstehen. Dies ist laut Bonhoeffer nach dem Zeugnis der Schrift unmissverständlich deutlich gemacht durch die („vom Standpunkt einer christlichen Idealität, einer christlichen Verantwortungs- oder Gewissensethik“ aus betrachtet, N 89) völlige Inhaltslosigkeit des Rufes. Der Gerufene soll verlassen, was ihm lieb und wert ist, alles, woran er sein Leben bislang gebunden hat: seinen Beruf, seine Familie, seinen Reichtum – und was ihm versprochen wird, ist nichts als die Gemeinschaft mit dem, der ihn ruft. Es ist wahrhaftig kein Lebensprogramm, dessen Verwirklichung sinnvoll erscheinen könnte, kein Ziel, kein Ideal, dem nachgestrebt werden sollte. Es ist gar keine Sache, von „Sichtbarkeit“ und „Unsichtbarkeit“ der Auslegung Mt 5 und 6; siehe dazu unten Kap. 3.2.2.3. 91 DBW 12, Dogmatische Übungen im WS 1932/33: Theologische Psychologie, 193 (Originalthese Bonhoeffers). 92 DBW 12, Dogmatische Übungen im WS 1932/33: Theologische Psychologie, 192; Hervorhebung durch F.S.; vgl. auch den dortigen Zusammenhang 192 f. 93 In der E wird Bonhoeffer seine Überlegungen zur „Einfalt“ wiederaufnehmen und zur Grundlage alles echten ethischen Urteilsvermögens erklären. Während selbst die großen Tugenden der abendländischen Tradition die Maskerade des Bösen (vgl. WE 20), des tyrannischen Menschenverächters (vgl. E 73) nicht zu durchschauen vermögen, ist der „Mann des ungeteilten Herzens […] frei geworden von den Problemen und Konflikten der ethischen Entscheidung“: „Weil der Einfältige nicht neben Gott auch noch auf die Welt sieht, darum ist er imstande frei und unbefangen auf die Wirklichkeit der Welt zu schauen.“ Es wird sich zeigen, dass nicht nur die N-Kategorie „einfältiger Gehorsam“ ebenso für die E charakteristisch ist, sondern dass umgekehrt die in der E entfalteten Folgen jenes Freiseins für die Wirklichkeit der Welt im Kern schon der N eignet.

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für die es sich nach menschlicher Meinung verlohnte, irgendetwas oder gar sich selbst einzusetzen. (N 46)

Vielmehr gilt hier (und es fällt auf, dass Bonhoeffer dieselbe Feststellung für eine – christliche – Gesinnungsethik wie für eine Verantwortungsethik trifft): Vom Standpunkt der Idealität aus, von den „Verantwortlichkeiten“ des Lebens her wäre es nicht zu rechtfertigen, die natürlichen Lebensordnungen gegenüber einem christlichen Lebensideal radikal abzuwerten. Vielmehr ließe sich sogar sehr viel zugunsten einer umgekehrten Bewertung sagen – wohlgemerkt, gerade auch vom Standpunkt einer christlichen Idealität, einer christlichen Verantwortungs- oder Gesinnungsethik aus! (N 89)

Was Jesus fordert, kann der Gerufene nicht wollen, weil es seine bisherige Identität infrage stellt, ja geradezu negiert (wollte der Gerufene, was zu tun er gefordert ist, bestätigte er damit lediglich seine eigenen Wünsche). Es ist darum dem Gerufenen im Befehl Jesu unmöglich gemacht, den gebotenen Weg als eine wie auch immer gestaltete Fortsetzung seines bisherigen Lebensweges zu sehen. Zum einen soll der Gerufene gerade das verlassen, was ihm das Wichtigste ist, was ihn an seine Existenz bindet, was ihn, so könnte man sagen, identifiziert, was ihm seine Identität schenkt. Zum anderen wird dem Gerufenen sogleich und unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass der von Jesus geforderte Schritt nicht revozierbar ist. Ist der Schritt einmal getan, kann nicht mehr hinter ihn zurückgegangen werden.94 Hat Levi erst einmal den Zoll verlassen, wird er in diese Bindung nicht mehr zurück können; hat der reiche Jüngling sich erst einmal von seinem Reichtum getrennt, ist er nicht mehr reich. So ist es dem Gerufenen „unmöglich gemacht […], die Nachfolge selbst wiederum als ethisches Abenteuer, als absonderlichen interessanten, aber gegebenenfalls doch noch revozierbaren Weg und Lebensstil mißzuverstehen“ – wir nähern uns damit der Funktion des ersten Schrittes an. Der geforderte Schritt zur Nachfolge ist weder ein letzter Abschluss des bisherigen Tuns, noch eine „Addition des Vorangegangenen, […] Ergänzung, Vervollständigung, Vervollkommnung des Bisherigen“ (N 64), sondern wirklich der Schritt in eine neue Existenz. Der Schritt wäre selbst und gerade auch dann selbsterwähltes und nicht gehorsames Tun, wenn er in der Absicht geschähe, in die „Situation, in der geglaubt werden kann“ hineinzugelangen oder damit ein Werk zu verrichten. Verstehen wir selbst etwa unsern ersten Schritt als Voraussetzung für die Gnade, für den Glauben, so sind wir darin durch unser Werk schon gerichtet und von der Gnade gänzlich abgeschnitten. Dabei ist in das […] Werk alles eingeschlossen, was wir 94 Unmissverständlich ist dem Gerufenen zu verstehen gegeben, dass die „Situation, in der geglaubt werden kann“ eine Situation ist, „die es nicht zuläßt, daß man hinter sie wieder zurück kann“; sie ist „eine unrevozierbare Situation“ (N 64).

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Der Weg Gottes zum Menschen

Gesinnung, guten Vorsatz zu nennen pflegen, alles was die römische Kirche facere quod in se est nennt. Tun wir den ersten Schritt in der Absicht, uns damit in die Situation des Glaubenkönnens zu versetzen, so ist auch dieses Glaubenkönnen wieder nichts als ein Werk, als eine neue Lebensmöglichkeit innerhalb unserer alten Existenz und damit völlig mißverstanden, wir bleiben im Unglauben.95

Es gilt für Bonhoeffer – noch einmal –, dass selbstgewähltes Tun immer idealistisch verstandenes und kein gehorsames Tun ist, wie umgekehrt jedes idealisierte Tun letztlich Eigenwahl und ebenso kein Gehorsam ist. Der auf das gebietende Wort Jesu hin getane Schritt ist hingegen ein Handeln in einfältigem Gehorsam, das den eigenen Willen leugnet, um allein den Willen des Rufenden zu erfüllen. Der Ruf in die Nachfolge ist Selbstverleugnung,96 Leugnung des eigenen Selbst, des eigenen Willens, der eigenen Macht – Selbstverleugnung aber niemals in der Richtung eigener Entscheidung, sondern allein darum, weil Jesu Ruf zu erfüllen ist. Selbstverleugnung kann niemals aufgehen in einer noch so großen Fülle einzelner Akte der Selbstzermarterung oder asketischen Übungen; es [sic!] heißt nicht Selbstmord, weil auch hier noch der Eigenwille des Menschen sich durchsetzen kann. (N 79)

Damit ist gesagt, dass die äußerlich erkennbare Tat an sich die „Situation des Glaubenkönnens“ nicht herbeizuführen vermag. Niemals liegt es in der Tat als solcher oder ist an ihr erkennbar, welcher Art sie ist (vgl. N 51). Es ist also […] keineswegs etwa die Weggabe der Güter an sich schon geforderter Gehorsam; es könnte durchaus sein, daß mit solchem Schritt gerade nicht Gehorsam gegen Jesus geschieht, sondern freie Setzung eines eigenen Lebensstils, eines christlichen Ideals, eines franziskanischen Armutsideals. Es könnte also gerade in der Weggabe der Güter der Mensch sich selbst und ein Ideal bejahen und nicht das Gebot Jesu, nicht frei von sich, sondern noch mehr in sich gefangen werden. (N 75 f) Der Trinker, der [sc. aus eigener Wahl] den Alkohol läßt, der Reiche, der [sc. aus eigener Wahl] sein Geld weggibt, wird dadurch wohl vom Alkohol und vom Gelde frei, aber nicht von sich selbst. Er bleibt also ganz bei sich selbst, möglicherweise näher bei sich selbst als vorher, er bleibt […] ganz im Tode des alten Lebens. (N 54; Hervorhebung durch F.S.)

Als Tat, die nicht im Gehorsam gegen das Wort Jesu hin getan wird, würde der Schritt des Menschen dessen Sündhaftigkeit als Bei-sich- und Durch-sich95 N 54 f. Vgl. zum „facere quod in se est“ (M. Luther gegen G. Biel) Kleffmann, Erbsündenlehre, 222 f. 96 Vgl. dazu H. Mller, Von der Kirche zur Welt, 205: „Nachfolge ist gerade nicht Selbstverleugnung, sondern Selbstpreisgabe – im umfassenden, immanenten wie transzendenten, profanen wie religiösen Sinne.“ Vgl. zu Selbstverleugnung allerdings N 79ff: „Selbstverleugnung heißt nur Christus kennen, nicht mehr sich selbst, nur noch ihn sehen, der vorangeht, und nicht mehr den Weg, der uns zu schwer ist.“ (N 79).

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selbst-Sein bestätigen. In die Nachfolge Jesu Christi führt der Schritt allein dann, wenn er als Schritt einfältigen Gehorsams getan wird. Als solcher aber ist er niemals Eigenwahl, sodass er insofern nicht als frei wählbare, „freie Möglichkeit des Menschen“ zu verstehen ist (N 76 u. ö.). „Der Schritt in die Situation ist eben kein Angebot des Menschen an Jesus, sondern immer das gnädige Angebot Jesu an den Menschen. Nur wo er so getan wird, ist er legitim“ (ebd.). So wird ferner deutlich, dass der Ruf Jesu auch inhaltlich keineswegs beliebig ist. Im Falle des Levi ist es der Schritt zum Verlassen des Zolls, im Falle des Petrus ist es der Ruf aus dem Boot hinaus; indem Jesus ihn auf dem Wasser zu sich kommen heißt, ist für Petrus – und nur für ihn – die „völlig unmögliche, ethisch schlechthin unverantwortliche Lage […] herausgestellt“.97 Um nachfolgen zu können, bedarf es des konkreten Gebotes Jesu, der konkreten Anrede in der Gestalt des Rufes, die dem Gehorsamsschritt vorausgeht. Jesus fordert in einer bestimmten Situation von einem bestimmten Menschen ein ganz bestimmtes Tun. Dass Jesus ausgerechnet von diesem Menschen Armut fordert und ausgerechnet von diesem Menschen Armut fordert, ist keinesfalls zufällig. Der konkrete Ruf Jesu und der einfältige Gehorsam hat seinen unwiderruflichen Sinn. Jesus ruft damit in die konkrete Situation, in der ihm geglaubt werden kann; darum ruft er so konkret und will eben so verstanden sein, weil er weiß, daß nur im konkreten Gehorsam der Mensch frei wird zum Glauben. (N 73; Hervorhebung durch F.S.)

Weil der Weg zur neuen Existenz (das ist das Leben in der Gemeinschaft des Christus) allein über die völlige Preisgabe, das völlige Verlassen der bisherigen Existenz führt,98 fordert Jesus von dem reichen Jüngling, wegzugeben was ihn 97 N 51. Von dem Standpunkt aus, dass die „Situation, in der geglaubt werden kann“ durch den Ruf Jesu bereits geschaffen ist, kann das von Bonhoeffer in diesem Zusammenhang zweimal verwendete Verb „herausstellen“ (ebd.) nicht irritieren. Seine Verwendung ist nicht, wie die Hg. der N meinen, auf einen Irrtum Bonhoeffers zurückzuführen und darum nicht, wie von denselben vorgeschlagen, durch „herstellen“ zu ersetzen (vgl. N 52, Hg.-Anm. 15). Denn im Gegensatz zu „herstellen“, das auf die (schöpferische) Tat des Menschen verweist, richtet das von Bonhoeffer gewählte „herausstellen“ den Blick auf das Handeln Jesu, der allein die Situation herauszustellen vermag (vgl. N 51 f). 98 Deutlich ist insofern bis hierher: Der erste Gehorsamsschritt ist durch eine doppelte Funktion gekennzeichnet: Er trennt den Jünger von seiner alten Existenz und stellt ihn hinein in die Gemeinschaft Jesu Christi (vgl. N 50). Inhaltlich vollzieht sich mit dieser Handlung die Preisgabe dessen, woran der Gerufene existentiell gebunden ist, konkret: „Der Zöllner mußte den Zoll, Petrus die Netze verlassen, um hinter Jesus herzugehen.“ (N 50) Zwischen dem Jünger und Jesus steht hier der Beruf und die Gemeinschaft mit der Familie (vgl. Mk 1,16ff parr). Untrennbar ist das Verlassen der bisherigen Existenz mit dem hinter Jesus Hergehen verbunden. „In der alten Situation bleiben und nachfolgen schließt sich aus.“ (N 50) Inhaltlich identisch verhält es sich bei Bonhoeffers Auslegung der Geschichte vom reichen Jüngling. Der Jüngling ist gebunden an seinen Reichtum; ihm ist gesagt: „[G]ehe hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen […]; und komm und folge mir nach.“ (Mt 19,21, zit. n.: N 63) Hier also ist die Aufforderung zum Verlassen der Existenz, zur freiwilligen Armut, explizit genannt. „Erst soll der Jüngling hingehen, alles verkaufen und den Armen geben, und dann kommen und nachfolgen.“

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an die Welt bindet und von Jesus trennt: seinen Reichtum. „Das Ziel ist die Nachfolge, der Weg in diesem Falle die freiwillige Armut.“ (N 64 f; Hervorhebung durch F.S.) Im Falle Levis ist der Weg das Verlassen des Zolls. Petrus hingegen musste die Netze und den Vater verlassen (vgl. N 31 f zu Mk 1,16ff) und den Schritt aus dem Boot heraus auf das schwankende Meer tun (vgl. N 50ff zu Mt 14,29). Abraham musste aus Haran ausziehen (vgl. N 92 zu Gen 12,1ff) und die Liebe zu Isaak überwinden (vgl. N 92 f zu Gen 1,22ff). Für sie alle gilt: Das Ziel99 des Rufes Jesu ist ein und dasselbe: die Nachfolge, die alleinige Bindung an Christus. Die Situation des Rufes jedoch ist sehr verschieden. Wiederum ist damit alle menschliche Konstruktionsaktivität und -möglichkeit in Hinsicht auf die „Situation des Glaubenkönnens“ abgelehnt, „nicht es gibt, sondern Er gibt dir eine Situation, in der du glauben kannst“ (N 56). Jesu Ruf ist keine ontologische Kategorie. Denn, so hatte es Bonhoeffer schon im Sommer 1932 behauptet, „was ,immer‘ wahr ist, ist gerade ,heute‘ nicht wahr : Gott ist uns ,immer‘ gerade ,heute‘ Gott“,100 oder, mit Blick auf die „Nachfolge“ formuliert: Christus ruft uns immer hier und jetzt. Für den Begriff der „Situation, in der geglaubt werden kann“ werden diese Erkenntnisse nun zuerst dahingehend relevant, dass sie die Bemerkung Bonhoeffers erklären, die Situation sei „niemals vom Menschen aus herauszustellen“ (N 51 f). Dass eben Nachfolge gerade „kein Angebot des Menschen“ (N 52) ist – denn dann wäre die Nachfolge Eigenwahl und Bestätigung der alten, sündigen Existenz –, verweist auf die Bedeutung des Rufes Jesu für die

(N 64) Bonhoeffer nutzt dieses Detail des matthäischen Berichts zum Hinweis darauf, dass es sich bereits bei dem ersten Schritt (Verkaufen von Hab und Gut und Verschenken an die Armen) um einen unbedingt existentiellen Schritt handelt: „Inhaltlich ist in den Evangelien mit dem ersten Schritt bereits ein Tun gefordert, das das Lebensganze betrifft.“ (N 53; Hervorhebung durch F.S.) Das Leben des Jünglings ist existentiell bestimmt durch seinen Reichtum. Zwar hätte er auch als reicher Mensch hinter Jesus hergehen können – er ist ja als solcher auch den Weg gegangen, Jesus aufzusuchen! – seine Existenz wäre aber dann die alte geblieben. Nur wenn er sich von seinem Reichtum trennt – denn dies ist, was Jesus von ihm fordert –, kann er Jesus wirklich nachfolgen. Für den Gerufenen gilt, sofort dem Ruf zu gehorchen und die bisherige Existenz zu verlassen. Bedingungen stellen heißt, den Gehorsam und also die Nachfolge zu verweigern (vgl. hierzu Bonhoeffers Auslegung der drei Nachfolgenden Lk 9,57 – 62, N 48 – 50). Dem Jüngling war der geforderte Preis zu hoch. „Die Antwort des Jünglings ist Nein. Traurig ging der Jüngling davon, er sah sich enttäuscht, betrogen um seine Hoffnung, und er kann doch von seiner Vergangenheit nicht lassen. Er hatte viele Güter.“ (N 65). 99 „Ziel“ meint hier – zum einen – Ziel des Rufenden: Gott will den Menschen für sich zurückgewinnen, daher Menschwerdung und Ruf in die Nachfolge. „Ziel“ meint aber – zum anderen – auch Ziel des Gerufenen: Denn in dem Moment, da dieser im Angesicht des Befehls Jesu weiß, dass es für ihn „nur noch Ja oder Nein, Gehorsam oder Ungehorsam“ (N 65) gibt, weiß er zugleich auch, dass es um Glauben (Sich-verlassen) oder Unglauben (Sich-auf-sich-selbstverlassen) geht. 100 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 332; vgl. zum obigen Gedanken auch AS 112: „Einen Gott, den ,es gibt‘, gibt es nicht“.

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Situation des Glaubenkönnens: „Allein der Ruf schafft die Situation“ (N 52), indem er den Gerufenen zu verlassen auffordert, was ihn bindet. Als Zwischenergebnis, an dem sich die weitere Darstellung strukturell auszurichten hat, lassen sich drei Beobachtungen markieren: 1. Indem Bonhoeffer dasjenige Handeln, das er als den ersten Schritt des Jüngers auf den Ruf Jesu hin bezeichnet, als unbedingt gehorsames Handeln ausweist, ordnet er in der Frage des Glaubenkönnens das Tun des Menschen als gehorsames Tun deutlich dem Ruf Jesu unter : Nicht der Gehorsam des Menschen, sondern der Ruf Jesu schafft die „Situation des Glaubenkönnens“. 2. Dies bedeutet nicht, dass die gehorsame Tat des Menschen auf den Ruf Jesu hin – also der erste Schritt – mit Blick auf das Glaubenkönnen bedeutungslos wäre. Bleibt der Gehorsam aus, kann auch nicht geglaubt werden. Glaube ohne den Gehorsamsschritt bleibt als eine leere Hülse abstrakt. 3. Die Relevanz menschlichen Tuns wäre wiederum missverstanden, wenn diesem Tun eine Bedeutung an sich zugestanden würde: Das Verlassen des Berufs ist nicht an und für sich, d. h. allgemeingültig, ein Kriterium für den Glauben; es ist es für denjenigen, von dem Jesus es fordert: Levi etwa, der von Jesus aus dem Beruf heraus zur Nachfolge gerufen worden ist. Damit ergibt sich als Struktur : Im Anschluss an die Darlegung des ersten Schritts als eines „äußerlichen Tuns“ (2.4.2.2), wird zu zeigen versucht, inwiefern schon der Ruf Jesu den Glauben einfordert und also die „Situation des Glaubenkönnens“ schafft (2.4.2.3), bevor der erste Schritt abschließend als Kriterium teurer Gnade aufgewiesen wird (2.4.2.4).

2.4.2.2 Der erste Schritt als rein äußerliches Tun Die Kennzeichnung des ersten Schritts als gehorsames Tun entspricht Bonhoeffers Abwehr des Verdachts, der „Wert“ (N 52) und die Bedeutung des ersten Schrittes könne eine diesem Tun immanente Qualität sein. Der erste Gehorsamsschritt, dies macht Bonhoeffer ganz deutlich, hat niemals in sich selbst einen Wert, sondern „ist gerechtfertigt allein durch die Gemeinschaft mit Jesus Christus, die gewonnen wird“.101 Der Wert des Schrittes liegt immer außerhalb seiner selbst, er ist gerade kein facere quod in se est. Konkret gesprochen heißt das, dass die Aufgabe des Reichtums „durch sich selbst niemals zu Christus führt“.102 Vor Gott ist mit dem (aus idealistisch-humanistischer, christlich-sozialethischer oder verantwortungsethischer Sicht) so lobenswert 101 N 50; Hervorhebung durch F.S. Der erste Schritt ist eine Funktion auf die Gemeinschaft hin, siehe dazu unten Kap. 2.4.2.3 und 2.4.2.4. 102 N 54; Hervorhebung durch F.S.; vgl. auch N 100: „Objektiver Mangel und persönliches Verzichten haben ihren gemeinsamen Grund in dem Ruf und der Verheißung Christi. Keines von beiden hat in sich Wert und Anspruch.“

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erscheinenden Verschenken des eigenen Reichtums an die Armen (vgl. Mt 16,21) nichts gewonnen. Der geforderte Schritt „enthält […] niemals in sich selbst einen eigenen Wert“ (N 52; Hervorhebung durch F.S.). Weil der erste Gehorsamsschritt seine Qualifikation und Rechtfertigung allein durch den Ruf Jesu erhält, der in seine Gemeinschaft ruft, kann Bonhoeffer über den ersten Schritt sagen, dass er weder als freie Möglichkeit des Menschen verstanden werden darf (dann wäre der Schritt kein Gehorsamsschritt mehr), noch, was auf dasselbe hinausliefe, dass er einen immanenten Wert besitzt. Synergistische Interpretationen der „Situation, in der geglaubt werden kann“ sind für Bonhoeffer damit ausgeschlossen. Damit erübrigt sich nun fast ein Wort gegen den Verdacht, es könne mit diesem einfältigen Gehorsam von irgendeiner Verdienstlichkeit des Menschen, von einem facere quod in se est, von einer zu erfüllenden Vorbedingung des Glaubens geredet werden. Gehorsam gegen den Ruf Jesu ist niemals die eigenmächtige Tat des Menschen.103

Bonhoeffers Bestimmung des ersten Schrittes als einer in sich selbst wertlosen Tat entspricht seine Rede vom ersten Schritt als eines „rein äußerliche[n] Tun [s]“ (N 54). „Äußerliches Tun“ ist die äußerlich für jeden sichtbare Handlung, die Handlung an sich, die auch ohne den Ruf Jesu erfolgen könnte. Als „äußerliches Tun“ kann in Bonhoeffers „Nachfolge“ der Schritt als eine Tat des Menschen verstanden werden, die auch unabhängig vom Ruf Jesu getan werden könnte. Zum Beispiel ist Levis Verlassen des Zolls zunächst eine äußerliche Tat, welcher der Ruf Jesu nicht zwingend vorausgesetzt sein müsste; sie wird erst dadurch zur Gehorsamstat, dass sie – als Gehorsam – auf den Ruf Jesu hin geschieht, der sie qualifiziert.104 Dass Bonhoeffer den ersten Schritt mittels der Kategorie des „äußerlichen Tuns“ zur Darstellung bringt, bedeutet also gerade nicht, dass der erste Gehorsamsschritt des Jüngers ein „äußerliches Tun“ wäre, dass die „Situation des Glaubenkönnens“ etwa als solches bezeichnet werden könnte.105 Vielmehr verwendet Bonhoeffer den Begriff

103 N 75. Von hieraus ist der Vorschlag von Tietz als problematisch zu erachten, der erste Gehorsamsschritt sei eine „Voraussetzung des Glaubens“ (N 53; zit. n.: Tietz, Nur der Glaubende ist gehorsam, 177), sofern es dem Menschen erst jetzt (zeitlich verstanden!) wirklich zu glauben möglich sei. Vgl. fernerhin auch K. Barth, Römerbrief, 73 f: „Es gibt keine menschlichen Voraussetzungen (pädagogische, intellektuelle, ökonomische, psychologische etwa), die dem Glauben vorgängig erfüllt sein müßten.“ 104 Siehe dazu oben Kap. 2.4.2.1. 105 Mayer unterscheidet zwar hinsichtlich des ersten Schrittes zwischen äußerem Tun und innerer Wirkung, aber er interpretiert den Schritt als rein äußerliches Tun des Menschen, nicht also als Tun, zu welchem der Mensch durch den vorangehenden Ruf Christi befähigt wird, vgl. Mayer, Christuswirklichkeit, 151 f. Sorum meint sogar, Bonhoeffer verstehe den „Gehorsam des Christen insgesamt als ein Stehen unter dem Gesetz der Welt“ (Tietz, Nur der Glaubende ist gehorsam, 177, Anm. 28, dort gegen Sorum, The Cost of Discipleship, 220). Auch Tietz versteht den ersten Gehorsamsschritt (und darin folgt sie der Richtung Mayers) als eine „rein

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„äußerliches Werk“ in einer ersten Linie, um damit das unbedingte und absolute Gebundensein dieses Tuns an den ihm vorausgehenden Ruf Jesu argumentativ zu festigen, sodass sich synergistische Anfragen im Grunde erübrigen, sofern dadurch sichergestellt ist, dass der Mensch kein ,inneres Werk‘ tut, keines also, das im Sinne einer Mitarbeit an seiner Rechtfertigung aufzufassen wäre. Das Kriterium der Äußerlichkeit ist kein eigentliches Merkmal des ersten Gehorsamsschritts, sondern will in einem konditionalen Zusammenhang verstanden werden: Wenn der „erste Schritt als rein äußerliches Tun“ und also nicht als Werk, zu dem uns Jesus ruft, betrachtet wird, dann ist und bleibt dieser Schritt „ein totes Werk des Gesetzes […], das durch sich selbst niemals zu Christus führt“. So ist es auch zu verstehen, wenn Bonhoeffer sagt: „Als äußeres Tun bleibt die neue Existenz durchaus die alte; es wird bestenfalls ein neues Lebensgesetz, ein neuer Lebensstil erreicht, der aber nichts mit dem neuen Leben mit Christus zu tun hat.“ (N 54; Hervorhebung durch F.S.) Einerseits muss also der Schritt getan werden, andererseits steht er in der größten Gefahr, „völlig mißverstanden“ zu werden. Wird folglich das Tun nicht als Schritt auf den Ruf Jesu hin verstanden, wird also das Tun als ein Ideal verstanden, der Blick auf das Tun selbst gerichtet anstatt auf den, der es zu tun fordert, dann lässt der Schritt die alte Existenz vollständig unberührt. Das bedeutet, „daß dieser Schritt nur recht geschieht, wenn wir ihn nicht im Blick auf unser Werk, das getan werden muß, sondern allein im Blick auf das Wort Jesu Christi hin tun, der uns dazu ruft“ (N 55). In einer zweiten zentralen Richtung dienen Bonhoeffers Ausführungen zum ersten Schritt als einem äußerlichen Werk noch einem anderen Zweck. Betrachtet man die sprachliche Gestaltung der entsprechenden Textabschnitte, so wird deutlich, dass diese stärker als jede andere Passage der „Nachfolge“ von einem Vokabular der Freiheit, des Könnens, des In-der-LageSeins durchdrungen und beherrscht sind. Angezeigt ist darin die grundsätzliche Fähigkeit und Möglichkeit eines jeden Menschen, das von Jesus Geforderte tatsächlich auch zu tun bzw. tun zu können. Weder verfängt die Ausrede des Menschen, Jesus fordere menschliches Vermögen Übersteigerndes, noch der theologische Einwand des Synergismus. Zwar fordert Jesus vom Gerufenen tatsächlich Ungeheuerliches, er fordert aber nichts, was dieser nicht auch zu tun imstande wäre. „Diesen Schritt kann jeder tun. Der Mensch hat die Freiheit dazu. Es ist ein Tun innerhalb der iustitia civilis, in der der Mensch frei ist. Petrus kann sich nicht bekehren, aber er kann seine Netze verlassen.“106 äußere Handlung […], ein Tun ,innerhalb der iustitia civilis‘, zu dem jeder Mensch frei ist“ (Tietz, Nur der Glaubende ist gehorsam, 177). 106 N 53; Hervorhebung durch F.S. Vgl. darüber hinaus: „Dieser Schritt kann in voller Freiheit getan werden.“ – „Komm zur Kirche! das kannst du kraft deiner menschlichen Freiheit.“ – „Du kannst am Sonntag dein Haus verlassen und zur Predigt gehen.“ (N 54; Hervorhebung durch F.S.) Der oben zitierte Halbsatz „aber er kann seine Netze verlassen“ bedarf der Erläuterung. Denn er ist nicht in dem Sinne zu verstehen, als könne Petrus – aus eigener Kraft und Entscheidung – seine eigene Identität aufgeben. Lässt er seine Identität hinter sich, um sie zu

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Das „äußerliche Werk“ zu tun, ist der Mensch frei und fähig. Weil es aber allein der Ruf Jesu ist, der dem Menschen das zur Nachfolge zu befolgende Werk anbietet, darum ist der Schritt „dort […] allerdings keine freie Möglichkeit des Menschen mehr“,107 sondern im strengen Sinne gehorsames Handeln. Jene Korrespondenz von Freiheit und Unfreiheit des Menschen beim ersten Schritt mag durch das aristotelische Begriffspaar d¼malir und 1meqce¸a ausgedrückt werden: In Richtung auf die Potentialität ist der Mensch frei, sofern der abverlangte Schritt innerhalb seines ihm gegebenen Möglichkeitsbereiches liegt; in Richtung auf die Aktualität aber ist er ganz und gar unfrei, sofern der geforderte Schritt vollkommen an die Wirklichkeit des Wortes Jesu gebunden ist,108 und er ist frei allein darin, gehorsam oder ungehorsam zu sein.109 Als Gehorsamsschritt ist darum das „äußerliche Werk“ bzw. „äußerliche Tun“ kein „Tun innerhalb der iustitia civilis“ (N 53) – dann aber ist es, in strengem Sinne, auch kein äußeres Tun mehr. Diesen Abschnitt der Betrachtung abschließend, ist hier nun hinsichtlich der Argumentation Bonhoeffers dreierlei kritisch anzumerken. Erstens muss gefragt werden, ob nicht Bonhoeffer selbst, gerade indem er auf die Betrachtung des ersten Schrittes als eines „äußerlichen Tuns“ abhebt,

verlassen, dann bestätigt er sie nur. Bonhoeffer hebt hier also auf die grundsätzliche Fähigkeit des (natürlichen) Menschen zu der je geforderten Handlung (hier: Netze verlassen) ab. (Den Begriff Identität, der sich zur Interpretation des Gedankengangs eignet, findet sich in der N nicht; vgl. aber z. B. N 226: „Wer ihm [sc. Jesus] folgte, war seiner Vergangenheit abgestorben. Darum mußte Jesus von seinen Jüngern fordern, daß sie alles verließen, was sie hatten.“). 107 N 76. Der an dieser Stelle eingefügte Verweis der Hg. der N auf „das theologische Verständnis vom unfreien Willen bei M. Luther“ (N 76, Hg.-Anm. 23) in dessen Schrift „De servo arbitrio“ (1525, WA 18, 600 – 787) trägt für das Verständnis des Konzepts Bonhoeffers in dieser Weise kaum etwas aus. Es kann aber deutlich werden, dass Bonhoeffer Luther hinsichtlich der Möglichkeit (d. h. der absoluten Unmöglichkeit!) des Menschen bestätigt, an dem eigenen Heil selbstmächtig mitzuwirken. Zugleich geht Bonhoeffer über Luther hinaus, wenn er im Rechtfertigungszusammenhang von einem ersten Gehorsamsschritt spricht, einem Schritt jedoch, der gerade – wie gezeigt werden wird (siehe unten Kap. 2.4.2.4, bes. 2.4.2.4.3) – Luthers Theologie gegen ein „billiges“ Gnadenverständnis abzusichern sucht. 108 Zum Begriffspaar Möglichkeit/Wirklichkeit vgl. die Verweise in SC 260, Hg.-Anm. 41. Vgl. fernerhin Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik, 131 ff. 109 Vgl. hierzu N 65; 69 u. ö. Es ist sodann zu vermuten, dass in der Betonung der Äußerlichkeit des Schrittes ein Drittes, und zwar dessen Sichtbarkeit, zum Ausdruck kommt, um den ersten Gehorsamsschritt von der Möglichkeit einer in der Verborgenheit, also bloß in der Gesinnung sich ereignenden Sache abzugrenzen. Zweifellos gehört ja das Moment der Sichtbarkeit des Tuns zu den zentralen Anliegen der N. Dieses Kriterium wird jedoch durch eine (durchaus fragwürdige christologische) Auslegung der Abrahamerzählung unnötig relativiert, wenn Bonhoeffer in diesem Zusammenhang über den durch den ersten Schritt vollzogenen Bruch sagt: „Ob er sich äußerlich vollzieht im Bruch mit Familie oder Volk, ob einer gerufen wird, hier sichtbar die Schmach Christi zu tragen, den Vorwurf des Menschenhasses […] auf sich zu nehmen, oder ob der Bruch verborgen, von ihm allein gewußt, getragen werden muß in der Bereitschaft, ihn jederzeit sichtbar zu vollziehen, das ist kein letzter Unterschied.“ (N 92).

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die Türe für synergistische Anfragen öffnet, von welchen er seine Theologie eigentlich nicht bedroht sieht.110 Zweitens ist als zentraler Unterschied zwischen dem ersten Gehorsamsschritt und einem „äußerlichen Tun“ deutlich geworden, dass der erste Schritt des Jüngers bzw. die „Situation, in der geglaubt werden kann“ zwingend den Ruf Jesu voraussetzen, während sich ein „äußerliches Tun“ dadurch auszeichnet, dass es ohne jene Voraussetzung auskommt und also gerade nicht an einen Ruf gebunden ist, sondern dem freien Willen und Entscheiden des Menschen entspringt. Eine identifikatorische Gleichsetzung von erstem Gehorsamsschritt und „äußerlichem Tun“ ist darum, wie gezeigt, ausgeschlossen. Wenn aber der erste Schritt gerade dadurch als jener spezielle Schritt definiert ist, dass er eben kein „äußerliches Werk“, sondern einfältiger Gehorsam ist, dann ist damit zwingend die Beschreibung dieses Schrittes mittels der Terminologie „äußerliches Tun“ problematisch. Insofern widerstreben Bonhoeffers Äußerungen zum ersten Schritt als äußerlichem Werk (vgl. N 53) grundsätzlich der inneren Logik, die von seiner Theologie her eingefordert wird. Drittens: Mit Kierkegaard111 will Bonhoeffer das Wort Jesu nicht als Lehre, sondern als eine Neuschöpfung der Existenz verstanden wissen.112 Christus verlangt nicht die Veränderung eines bestimmten Lebensstils; sein Wort rührt an das gesamte Leben, das ganze Existieren des Menschen. Von dieser 110 Vgl. N 75. Vgl. v. a. Green, Freiheit, 176. H. Mller ist zu der Ansicht gelangt, Bonhoeffer bringe „seine Erkenntnis der Einheit von Glauben und Gehorsam […] dadurch in Gefahr, daß er aus Sorge, als Synergist mißverstanden zu werden, den Satz nicht wagt, daß der Glaube nur in Einheit mit dem Gehorsam, der Gehorsam nur in Einheit mit dem Glauben rechtfertige“. Die „Ursache dafür, daß Bonhoeffer diesen Satz nicht wagen kann“, meint Müller darin zu erkennen, „daß er den Gehorsam als freie Tat des Menschen versteht und ihn darum nun allerdings nicht einbeziehen kann in die Rechtfertigung des Sünders als Gottes Tat an den Unfreien“. Dies wiederum führt Müller zu dem Schluss, dass Bonhoeffer „sachlich den Glauben dem Gehorsam, zeitlich den Gehorsam dem Glauben“ (Mller, Von der Kirche zur Welt, 203) vorordne: „Dadurch, daß hier dem Glauben faktisch ein Werk des Gesetzes […] als notwendig vorgeordnet wird, ein Werk, das nicht rechtfertigt, aber eine Bedingung – ein Schritt in die Situation des Glaubenkönnens – der Rechtfertigung ist, wird faktisch die Entscheidung über die Voraussetzung der Rechtfertigung in den Menschen verlegt, ein Gedanke, den Bonhoeffer selbst abweist“ (Mller, aaO., 490, Anm. 575). 111 Kierkegaard, Papirer IX, A207 (1848): „Das Christentum ist keine Lehre […] sondern eine Existenz-Mitteilung. […] Es ist (da das Christentum keine Lehre ist), folglich nicht wie im Verhältnis zu einer Lehre gleichgültig, wer sie vorträgt, wenn er bloß (objektiv) das Richtige sagt. Nein Christus hat keine Docenten eingesetzt – sondern Nachfolger. Wenn das Christentum (just weil es keine Lehre ist) sich im Darsteller nicht redupliziert, dann stellt er das Christentum nicht dar ; denn das Christentum ist eine Existenz-Mitteilung und kann nur dargestellt werden – dadurch daß man existiert. Ueberhaupt ist ja das, darin zu existieren, es existierend auszudrücken u. s. w. das ist reduplizieren.“ (zit. n.: ders., Der Einzelne und die Kirche, 74). Vgl. auch Brunner, Der Mittler, 538: Jesus Christus „will keine Zuhörer, sondern Jünger, die seinen Willen tun“. 112 Vgl. N 50 u. ö. Zum Begriff Existenz in Bonhoeffers Theologie vgl. bes. die Habilitationsschrift AS; vgl. hierzu Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik, 180ff, 242 ff.

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„Neuschöpfung der Existenz“ (N 50) ausgehend interpretiert Bonhoeffer, wie gezeigt worden ist, den ersten Gehorsamsschritt des Menschen. Wer den Schritt in die Nachfolge tut, der befindet sich in einer neuen Existenz, dessen Existenz ist neu geschaffen.113 Der Begriff Existenz ist dabei wesentlich determiniert durch den Begriff des Willens. Aus der alten Existenz heraus und in die neue Existenz hinein führt der erste Schritt des Menschen nur dann, wenn er ganz den Anspruch des eigenen Willens und Wollens leugnet und allein dem Anspruch Jesu Folge leistet. Wer ein Werk außerhalb des Rufes Christi tut, sei es ein selbstgewähltes Werk, sei es ein Handeln mit Blick nicht auf den Ruf, sondern auf die Handlung, der wird nicht in die „neue Existenz“, in das von der bisherigen Existenz ganz getrennte „neue[…] Leben mit Christus“ (N 54), hineinkommen, sondern in seiner alten Existenz bleiben. Hier geschieht lediglich ein Austausch „einer Existenzweise mit einer anderen“ (N 53). Von dem Begriff der Existenz unterscheidet Bonhoeffer den Begriff der Existenzweise. Eine neue Existenzweise bezeichnet beispielsweise einen veränderten „Lebensstil“, „ein neues Lebensgesetz“ (N 54). Durchaus kann eine neue Existenzweise das Lebensganze (d. h. nicht nur einen bestimmten Lebensbereich) betreffen. Wenn etwa der Trinker vom Alkohol, der Reiche vom Gelde ließe, dann wäre dadurch durchaus sein gesamtes Leben betroffen. Dennoch hätte er, sofern es sich um ein selbstgewähltes Tun und nicht um Gehorsam gegen den Ruf Christi handelt, nur eine Existenzweise gegen eine andere vertauscht. An seiner Existenz hingegen hätte die neue Existenzweise letztlich nicht gerührt, und zwar deshalb nicht, weil sie des Menschen Eigenwillen bestätigen würde und nach Bonhoeffer in dieser Hinsicht als Akt der Selbstbehauptung zu deuten wäre. Die neue Existenzweise hätte nicht näher zu Christus geführt (vgl. N 53 f). Bonhoeffer hält die wichtige Unterscheidung von Existenz auf der einen und Existenzweise auf der anderen Seite jedoch nicht konsequent durch, wenn er sagt: „Als äußeres Tun bleibt die neue Existenz durchaus die alte; es wird bestenfalls ein neues Lebensgesetz, ein neuer Lebensstil erreicht, der aber nichts mit dem neuen Leben mit Christus zu tun hat.“ (N 54; Hervorhebung durch F.S.) Die „neue Existenz“ meint an dieser Stelle eben nicht das Sein in der „Situation des Glaubenkönnens“, sondern bezeichnet hier eine neue Existenzweise, also eine vom Menschen vollzogene – durchaus sehr drastische – Lebensänderung, die aber streng theologisch nicht mit der neuen Existenz verwechselt werden darf. Dennoch verwendet Bonhoeffer hier den Begriff „neue Existenz“, sodass die Abgrenzung zu „Existenzweise“ letztlich nicht durchgehalten ist. Das von Bonhoeffer intendierte Verständnis seiner Theologie wird an dieser Stelle deutlich erschwert.

113 Vgl. neben N 50 auch N 46.

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2.4.2.3 Der im Ruf Jesu geforderte Glaube Inwiefern schafft nun der Ruf Jesu zur Nachfolge die „Situation, in der geglaubt werden kann“ (vgl. N 51 f: „Allein der Ruf schafft die Situation.“) – und eben nicht der Gehorsam des Menschen? Um in dieser Frage zu einer Antwort zu gelangen, gereicht schon die folgende kurze Überlegung: Bonhoeffer beschreibt die „Situation des Glaubenkönnens“, indem er sagt: „Es muß die Situation geschaffen werden, in der Jesus der menschgewordene Gott geglaubt werden kann, die unmögliche Situation, in der alles auf eines gesetzt wird, nämlich auf das Wort Jesu.“ (N 51; Hervorhebung durch F.S.) Die Situation, die hier gemeint ist, ist beispielsweise diese: Jesus, Petrus auf dem Wasser entgegenkommend, fordert diesen auf, das sichere Boot zu verlassen und auf das schwankende Meer hinauszutreten. Ist eine deutlichere „Situation, in der alles auf eines gesetzt wird, nämlich auf das Wort Jesu“, mithin: ist eine deutlichere Situation des Glaubens denkbar als diese? Petrus soll das Boot verlassen, sich auf Jesus verlassen. Auf dem Hintergrund dieser Szene wird der Satz „Allein der Ruf schafft die Situation“114 verständlich. Indem Jesus ihn auf dem Wasser zu sich kommen heißt, ist für Petrus die „völlig unmögliche, ethisch unverantwortliche Lage auf dem schwankenden Meer […] herausgestellt“. Die vocatio specialis schafft sich diese Situation, bei der in erschöpfendster Art und Weise „alles auf eines gesetzt wird, nämlich auf das Wort Jesu“. Dasselbe kann freilich über Levi gesagt werden, der den Zoll verlassen, oder über den Jüngling, der seinen Reichtum aufgeben soll: Die Aufforderung zu einer Handlung, „in deren Inhalt […] die Aufhebung alles Bisherigen beschlossen ist“ (N 65), ist schon die Situation, die den Glauben fordert. Jetzt kann – und soll – der Gerufene glauben und in diesem Glauben gehorchen. Nicht erst nachdem er den ersten Schritt getan hat, erkennt er (so hat Ch. Tietz vorgeschlagen), „die Notwendigkeit, im Glauben sein ganzes Leben auf das Wort Jesu zu setzen“.115 Sondern indem Petrus den Ruf Jesu vernimmt, sich mit diesem Wort und Anspruch konfrontiert sieht, weiß er : Entweder er verlässt sich auf das sichere Boot, oder er hält das Wort dessen, der ihn ruft, für sicherer. Entweder vertraut er auf die Sicherheit im Boot, oder er verzichtet auf diese Sicherheit und glaubt Jesus. Als Jesus vom reichen Jüngling freiwillige Armut forderte, da wußte dieser, daß es hier nur Gehorsam oder Ungehorsam gab. Als Levi vom Zoll, Petrus von den Netzen gerufen wurde, da war es nicht zweifelhaft, daß es Jesus mit diesem Ruf ernst war. Sie sollten alles verlassen und nachfolgen. Als Petrus auf das schwankende Meer gerufen wird, da muß er aufstehen und den Schritt wagen. Es war in all dem nur eines

114 N 52. Vgl. hierzu Tietz, Nur der Glaubende ist gehorsam, 175. 115 Tietz, Nur der Glaubende ist gehorsam, 176.

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gefordert, sich auf das Wort Jesu Christi zu verlassen, dieses Wort für einen tragfähigeren Boden zu halten als alle Sicherheiten der Welt. (N 69)

Damit ist mit Blick auf den Glaubensbegriff der „Nachfolge“ zweierlei evident: Erstens, dass (wie oben behauptet)116 nicht dem Anerkennen ein Erkennen vorausgeht; es verhält sich vielmehr umgekehrt: Es gibt keine Christuserkenntnis außerhalb des Anerkennens. Zweitens aber, dass die Bestimmung des Glaubensbegriffs als „Erkennen“ und „Anerkennen“ für die „Nachfolge“ nicht länger ausreicht: „Glauben“ heißt „sich auf das Wort Jesu zu verlassen, dieses Wort für einen tragfähigeren Boden zu halten als alle Sicherheiten der Welt“. Die konkrete Gestalt dieses Glaubens, dieses auf Jesus allein vertrauenden Sich-(selbst)-verlassens ist der Schritt des Gehorsams auf das Wort Jesu hin. Dieser Glaubensbegriff soll nun mit den folgenden Abschnitten näherhin konturiert und dargelegt werden. 2.4.2.3.1 Das Incognito Christi: Anspruch und Ärgernis seines Rufes Wenn Jesus den Jünger zur Nachfolge ruft, dann nimmt sein Wort den Gerufenen „ungeteilt in Anspruch“ (N 137). Der Ruf lässt keine Ausflüchte zu und kennt keine Bedingungen.117 Für den Gerufenen gibt es „nur noch Ja oder Nein, Gehorsam oder Ungehorsam“ (N 65; vgl. auch N 69). Und insofern macht der Ruf Jesu in die Nachfolge […] den Jünger zum Einzelnen. Ob er will oder nicht, er muß sich entscheiden, er muß sich allein entscheiden. Es ist nicht eigene Wahl, Einzelner sein zu wollen, sondern Christus macht den Gerufenen zum Einzelnen. Jeder ist allein gerufen. Er muß allein folgen. In der Furcht vor diesem Alleinsein sucht der Mensch Schutz bei den Menschen und Dingen um ihn herum. Er entdeckt auf einmal alle seine Verantwortlichkeiten und klammert sich an sie. In ihrer Deckung will er seine Entscheidung fällen, aber er will Jesus nicht allein gegenüberstehen, mit dem Blick auf ihn allein sich entscheiden müssen. Aber nicht Vater und Mutter, nicht Weib und Kind, nicht Volk und Geschichte decken den Gerufenen in dieser Stunde. Christus will den Menschen einsam machen, er soll nichts sehen als den, der ihn rief.118

Der Gerufene soll „alles verlassen und nachfolgen“. Nichts Geringeres fordert Jesus von dem Jünger, als dass er sich ganz und allein auf sein Wort, auf ihn verlässt. In diesem Anspruch ist allerdings ein noch tieferer, der eigentliche 116 Vgl. dazu oben Anm. 27 dieses Kapitels. 117 Vgl. hierzu Bonhoeffers Auslegung des reichen Jünglings Mt 19,16 – 22 (N 60ff), der drei Nachfolgenden Lk 9,57 – 62 (N 48ff) und die Ausführungen über den einfältigen Gehorsam N 69 ff. Als Ausflucht vor dem Gebot Jesu sind nach Bonhoeffer v. a. das paradoxe Verständnis der Gebote sowie die damit verbundene Flucht in den ethischen Konflikt zu nennen; siehe hierzu unten Kap. 2.4.2.4.3. 118 N 87. Zum Begriff des „Einzelnen“ siehe unten Anm. 203 und 204 dieses Kapitels.

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Anspruch ausgedrückt: dass Jesus der Christus ist. Im Rufenden soll der Gerufene Christus erkennen, er soll ihn als Christus anerkennen, und zwar indem er folgt.119 Entweder ist Jesus ein „unfroher Verächter des Lebens“, oder er ist das „das Leben und das Evangelium selbst, es ist Christus selbst“ (N 88), der ruft. Wer kann die Liebe und das Opfer der Menschen so für sich allein in Anspruch nehmen, als der Menschenfeind oder aber der Menschenheiland? Wer wird das Schwert in die Häuser tragen als der Teufel oder Christus, der Friedefürst? (N 209)

Es ist damit gesagt, dass Bonhoeffer den Ruf Jesu zur Nachfolge (ebenso wie dessen Anspruch, Sünden vergeben zu können120 oder das mosaische Gesetz auszulegen121) verstanden wissen will als unverkennbaren Ausdruck der Vollmacht Christi, die im Ruf ihr Recht und ihre Anerkennung einfordert. Indem Jesus den Jünger in seine Gemeinschaft ruft, erhebt er den Anspruch, der Christus zu sein und als derselbe geglaubt zu werden.122 „Daß Jesus der Christus ist, gibt ihm Vollmacht zu rufen und auf sein Wort Gehorsam zu fordern.“ (N 45) „Nur der Mittler, der Gottmensch kann in die Nachfolge rufen.“ (N 47) So ist die Frage des ersten Gehorsamsschrittes des Jüngers die Frage, ob der Gerufene den Anspruch des Rufenden anerkennt oder ob er ihn verwirft; ob er ihm gehorcht oder ob er nicht gehorcht; ob er Jesus als den Christus anerkennt oder ob er ihn leugnet, ob er Jesus als allein gerecht und sich selbst als Sünder anerkennt (vgl. zu Letzterem N 133). Jenen Anspruch, den der Rufende erhebt, findet der Mensch nicht objektiv dokumentiert vor. Jesus, der Mensch, beweist sein eigenes Gottsein nicht, sondern ruft als „der verborgene Christus“ (N 216). So entsteht am Ruf das „Ärgernis“, von dem der 119 Vgl. hierzu DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 282: „Wer bist Du, bist Du Gott selbst? Um diese Frage geht es in der Christologie allein.“ 120 Vgl. z. B. in direktem Zusammenhang zu Mk 2,14: Mk 2,5; vgl. hierzu DBW 12, Vorlesung: Christologie, 345. 121 Vgl. N 122 (zu Mt 5,22 u. ö.: „Ich aber sage euch“): „Christus hat seine Hand auf das Gesetz gelegt, er nimmt es in Anspruch.“ Vgl. ebenso DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 345. 122 Vgl. zur Verdeutlichung bes. die Vorlesung „Christologie“ (SS 1933). Hier hatte Bonhoeffer diesen Gedanken theologisch mittels des Logos-Begriffs entfaltet. Zunächst gilt: „Weil der Mensch einen Logos hat, darum begegnet Gott dem Menschen im Logos. […] In diesen Menschenlogos eingegangen zu sein, ist die Erniedrigung Christi“ (DBW 12, 297), und zwar nicht in dem Sinne, dass Christus einen Logos hat, sondern: „Er ist der Logos. Er ist das Gegenwort. Auf das ,Sein‘ kommt es an!“ (DBW 12, aaO., 282) Bonhoeffer fährt fort: „Was aber geschieht, wenn der Gegenlogos auf einmal […] auftritt […] als Mensch und sich als Mensch als Gericht über den menschlichen Logos ausgibt und sagt: ,Ich bin die Wahrheit‘, ich bin der Tod des Menschenlogos, ich bin das Leben des Gotteslogos, ich bin der Erste und der Letzte? Der Mensch ist der, der sterben muß und mit seinem Logos in meine Hände fällt. Hier gibt es keine Möglichkeit mehr, das fleischgewordene Wort in die Logos-Ordnung hineinzunehmen. Hier gibt es dann nur noch die Frage: wer bist Du? Das ist die Frage der entsetzten, entthronten Vernunft wie auch die Frage des Glaubens: Wer bist Du, bist Du Gott selbst?“ (Ebd.).

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Apostel Paulus spricht.123 Im Gewande des Menschseins ist die Christusidentität des Rufenden verborgen; sein Anspruch aber besteht, sodass gesagt werden kann: Darum, weil Christus incognito der Christus ist, fordert sein Ruf echten Glauben. In der „Nachfolge“ thematisiert Bonhoeffer das an der Unkenntlichkeit Christi entstehende Ärgernis insonderheit gleich zu Beginn seiner Auslegung von Mk 2,14, indem er diesen Text als Zeugnis für die „unbedingte, unvermittelte und unbegründbare Autorität Jesu“ verstanden wissen will. Dieses Moment verifiziert Bonhoeffer als den Skopus des markinischen Textes. Der Ruf ergeht, und ohne jede weitere Vermittlung folgt die gehorsame Tat des Gerufenen. […] Wie ist dieses unmittelbare Gegenüber von Ruf und Gehorsam möglich? Es ist der natürlichen Vernunft überaus anstößig, sie muß sich bemühen, dieses harte Aufeinander zu trennen, es muß etwas dazwischentreten, es muß etwas erklärt werden. Es muß unter allen Umständen eine Vermittlung gefunden werden, eine psychologische, eine historische. Man stellt die törichte Frage, ob nicht der Zöllner Jesus schon vorher gekannt habe und daher bereit gewesen sei, auf seinen Ruf hin zu folgen. Eben hierüber aber schweigt der Text hartnäckig, es liegt ihm ja gerade alles an dem gänzlich unvermittelten Gegenüber von Ruf und Tat. Psychologische Begründungen für die frommen Entscheidungen eines Menschen interessieren ihn nicht. Warum nicht? Weil es nur eine einzige gültige Begründung für dieses Gegenüber von Ruf und Tat gibt: Jesus Christus selbst. Er ist es, der ruft. Darum folgt der Zöllner. Die unbedingte, unvermittelte und unbegründbare Autorität Jesu wird in dieser Begegnung bezeugt. Nichts geht hier voraus, und es folgt nichts anderes als der Gehorsam des Gerufenen. (N 45)

Hatte Bonhoeffer in der „Christologie“-Vorlesung Jesu Anspruch auf Vollmacht mit Verweis auf die Sündenvergebung und die Auslegung des Gesetzes begründet,124 bestätigt, aktualisiert und erweitert er dieses christologische Konzept in der „Nachfolge“, indem er es jetzt auf Jesu Ruf in die Nachfolge bezieht. Daß Jesus der Christus ist, gibt ihm Vollmacht zu rufen und auf sein Wort Gehorsam zu fordern. Jesus ruft in die Nachfolge, nicht als Lehrer und Vorbild, sondern als der Christus, der Sohn Gottes. So wird in diesem kurzen Text Jesus Christus und sein Anspruch auf den Menschen verkündigt, sonst nichts. Kein Lob fällt auf den Jünger, auf sein entschiedenes Christentum. Der Blick soll nicht auf ihn fallen, sondern allein auf den, der ruft, auf seine Vollmacht. (N 45 f)

Der hier aufgezeigte und für das Verständnis des Glaubensbegriffs Bonhoeffers entscheidende Gedanke des Incognito Christi ist in der „Nachfolge“ stets vorausgesetzt, auch wenn er nur an einigen Stellen ihres Textes ausdrücklich thematisiert wird. Systematisch hatte Bonhoeffer dieses Motiv in der 123 Vgl. zu sj²mdakom bes. 1Kor 1,23 u. a. 124 Vgl. DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 345.

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„Christologie“-Vorlesung des Sommers 1933 als theologisches Moment seiner Christologie dargelegt. 2.4.2.3.2 Exkurs: Incognito Christi und Glaube in der Vorlesung „Christologie“ (1933) Vorbemerkung: Die, wie die auffallende Verwendung der Begriffe Ärgernis und Incognito vermuten lässt, inhaltliche Nähe Bonhoeffers in der „Christologie“Vorlesung (DBW 12, 279 – 348) zu Gedanken Kierkegaards ist im wissenschaftlichen Anmerkungsapparat zur Vorlesung in Band 12 der DBW kaum hinreichend nachgewiesen.125 In seinem dogmatischen Übungsseminar „Theologische Psychologie“ des Wintersemesters 1932/33 hatte Bonhoeffer grundlegend auf Kierkegaards Schrift „Krankheit zum Tode“ Bezug genommen.126 In der „Christologie“-Vorlesung des darauf folgenden Sommersemesters dürfte dann „Einübung im Christentum“ als literarische Vorlage gedient haben, teilweise konzipierte Bonhoeffer seine Vorlesung entlang Kierkegaards Gedanken; im Folgenden wird darum im Anmerkungsapparat auf prägnante inhaltliche Parallelen verwiesen. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass Bonhoeffer für die Vorlesung wesentliche Gedanken aus der Arbeit über „EST. Das Lutherische Prinzip“ seines Freundes F. Hildebrandt übernahm.127 Hinsichtlich der Unerkennbarkeit Christi ist zunächst festzuhalten, dass Bonhoeffer dies Incognito als Implikat der Menschwerdung Christi versteht; dass Christus ganz Mensch ist, besagt für Bonhoeffer notwendigerweise die Verborgenheit seiner Göttlichkeit.128 In der Mitschrift der „Christologie“Vorlesung ist zu lesen: 125 Vgl. in diesem Zusammenhang Kodalle, Dietrich Bonhoeffer. – Der Begriff sj²mdakom, Ärgernis, begegnet bei Kierkegaard häufig, und zwar als religiöser Begriff, der als solcher den dialektischen Gegensatz zum Glauben im Verhältnis zu Jesus Christus darstellt. In seiner Schrift „Einübung im Christentum“, die im Folgenden vergleichend herangezogen wird, bespricht Kierkegaard das Ärgernis im zweiten Teil, EC Nr. 2, 77 – 148. 126 Vgl. DBW 12, Dogmatische Übungen im WS 1932/33: Theologische Psychologie, 194 f. 127 Hildebrandt, EST. Bspw. findet sich Bonhoeffers Kritik an der Jungfrauengeburt (vgl. DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 341 f) in einem ähnlichen dogmatischen Argumentationszusammenhang in Hildebrandt, EST, 78; zu dessen Kritik der historisch-kritischen Bibelauslegung (vgl. ebd.) vgl. Bonhoeffers Kritik der „doketischen Häresie“, DBW 12, aaO., 316ff); vgl. ferner zu Bonhoeffers Abschnitt über „Person und Werk Christi“ (DBW 12, aaO., 289ff) sowie über die „Anrede“ (DBW 12, aaO., 298 f) Hildebrandt, EST, 82 f. Vgl. hierzu ausführlicher DeJonge, The Presence of Christ. 128 Den Begriff des Incognito zur Beschreibung der nicht-objektiven Erkennbarkeit des Christus übernimmt Bonhoeffer von Kierkegaard, vgl. bes. EC Nr. 2, § 2: „Die Knechtgestalt ist die Unkenntlichkeit (das Inkognito)“ (EC, 130 – 135). Vgl. dazu § 5,4 im ersten, 1932 erschienenen Band der „Kirchlichen Dogmatik“ K. Barths: „Die Rede Gottes als Geheimnis Gottes“ (Barth, KD I/1, 168 – 194). – Vgl. zu Sichtbarkeit und Verborgenheit Christi etwa Luthers Unterscheidung von deus revelatus und deus absconditus (dazu bes. Luther, De servo arbitrio [1525], WA 18, 551 – 787; dt. Ausgabe in: Luther, Studienausgabe, Bd. 1, 219 – 661) und von

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Es ist kein Punkt in seinem [sc. Jesu Christi] Werk, auf den man eindeutig hinweisen und sagen könnte, hier ist Jesus wirklich eindeutig und unzweifelhaft als Sohn Gottes zu erkennen aus seinem Werk. Dies ist der Sachverhalt, daß der Sohn ins Fleisch eingegangen ist, daß er in der Zweideutigkeit der Geschichte sein Werk tun will incognito.129

Hätte Jesus Christus seine Göttlichkeit in irgendeiner Weise dokumentiert oder beglaubigt, etwa indem er „die an ihn gerichtete Christusfrage durch ein Wunder beantwortet“ hätte, dann wäre er nicht ganz Mensch gewesen; dann „gälte der Satz nicht mehr, daß er Mensch geworden ist wie wir, denn dann wäre an dem entscheidenden Punkt die Ausnahme gewesen“ (DBW 12, aaO., 345). Weil er aber ganz Mensch war, darum ist sein Gott-Sein nicht objektiv, nicht unmittelbar130 feststellbar. Bonhoeffer verdeutlicht das insbesondere anhand von drei Punkten: der Sündhaftigkeit Jesu (1), den von Jesus gewirkten Wundertaten (2) und dem Sterben Jesu am Kreuz (3). 1. Mit der These des Incognito Christi geht die Problematik der Frage einher, ob Jesus Sünder war. Wenn ja, wie konnte er uns dann helfen? Wenn nein, war er dann ganz Mensch? Bonhoeffer löst das Problem über das blo¸yla saqjºr. Jesus war Mensch im Fleische, darum sah es aus, als sündigte auch er.131 „So trat er hinein bis zur Unendlichkeit.“ Für uns sehen Jesu Taten aus wie die unsrigen und erwägen darum den Anschein von Sündhaftigkeit; seine Taten können aber niemals sündige Taten sein. Wir halten ihn für den peccator pessimus (vgl. DBW 12, aaO., 344), doch er ist frei von Sünde, nimmt die Sünde auf sich.132 Er ist im blo¸yla saqjºr, doch ohne Sünde, versucht wie wir im blo¸yla saqjºr, doch ohne Sünde. Der Satz von der Sündlosigkeit geht fehl, wenn er die vorfindlichen

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ecclesia visibilis und invisibilis, dazu Wendebourg, Kirche. Vgl. auch Bayer, Martin Luthers Theologie, 252 – 255. Vgl. fernerhin Luthers Thesen XIX – XXII der „Disputatio Heidelbergae habita“ (1518), WA 1, 353 – 374, 361 – 363; dt. Ausgabe in: Luther Deutsch. Die Werke Luthers in Auswahl (hg. v. K. Aland), Bd. 1: Die Anfänge, Göttingen 1991, 379 – 394, 388 – 390. Vgl. (zur Sichtbarkeit bzw. Verborgenheit der Kirche) auch Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 252ff, sowie (zu Luthers Theologia crucis) Althaus, aaO., 34 ff. DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 291. Kierkegaard geht sogar so weit, jeden Versuch als „Gotteslästerung“ zu bezeichnen, der Jesus als Gott zu beweisen beabsichtigt, vgl. EC Nr. 1, 35. Vgl. Kierkegaard, EC Nr. 2, §§ 3 – 5, 135 – 143. Kierkegaard wendet sich dort gegen die Möglichkeit unmittelbarer Mitteilung Gottes – und des Gottmenschen. „Aber nun der GottMensch! Der wahre Gott kann nicht schlicht-unmittelbar kenntlich sein; jedoch die unmittelbare Kenntlichkeit ist etwas, darum ihn das bloß Menschliche, darum ihn die Menschen, zu denen er gekommen, bitten und anflehen möchten wie um eine unbeschreibliche Linderung. Und aus Liebe wird er Mensch!“ (EC Nr. 2, 140). Vgl. dazu und zum folgenden auch DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 604 f. Vgl. zu Luthers Wendung „Christus peccator pessimus“ (Luther in der Galatherbrief-Vorlesung von 1531, vgl. WA 40 I, 434 f) DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 609 f.

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Taten Jesu im Auge hat. Diese Taten sind geschehen im blo¸yla saqjºr. (DBW 12, aaO., 345)

Es gilt folglich, dass auch der Satz von der Sündlosigkeit Jesu dessen Göttlichkeit nicht objektiviert, vielmehr : Man kann und soll in ihnen [sc. den Taten Jesu] zweideutig das Gute und das Böse sehen können. Wenn einer im Incognito sein will, dann beleidigt man ihn, wenn man ihm sagt, ich habe dich doch gleich gesehen. Darum sollen wir an seinen Taten seine Sündlosigkeit nicht begründen. Der Satz von der Sündlosigkeit Jesu in seinen Taten ist kein moralisch vorfindliches Urteil, sondern eine Erkenntnis des Glaubens, daß Er es ist, der diese Taten tut, Er, der in Ewigkeit ohne Sünde ist. Der Satz von der Sündlosigkeit Jesu ist kein moralischer Satz, sondern eine Erkenntnis des Glaubens.133

2. Auch die von Jesus Christus gewirkten „Wunder“ können für Bonhoeffer „keine Durchbrechung des Incognito“ bedeuten. Die antike religiöse Welt steht voll von Wundern. D. h. daß der Bereich der Wunder nicht identisch ist mit dem Bereich Gottes. Der Bereich der Wunder ist nur über den Menschen erhoben. Der dem Wunder zugeordnete Begriff ist nicht der Begriff Gottes, sondern der der Magie. Wenn Jesus Wunder tut, so wahrt er sein Incognito in einer magischen Welt. Das Wunder beglaubigt ihn ja auch gar nicht. Im Gegenteil, man erklärt seine Gewalt für dämonisch.134

3. Schließlich gibt auch der am Kreuz sterbende Christus seine Göttlichkeit nicht preis. 133 DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 345. Im Gegensatz zu ebd. findet sich in GS III, 238, zu dem oben zitierten Satz „Wenn einer im Incognito sein will…“ in Klammern der Verweis auf Kierkegaard als den Urheber dieses Satzes. Bonhoeffer hat den Satz in sinngemäßer Verwendung ebenfalls der Schrift „Einübung im Christentum“ entlehnt: „Es ist von Ewigkeit her Christi freier Entschluß gewesen, inkognito zu sein. Wer da meint ihn zu ehren, wenn er sage oder denke: hätte ich gleichzeitig mit ihm gelebt, ich hätte ihn schon ohne Umstände erkannt: der beleidigt ihn, und Christus beleidigen, das heißt blasphemisch werden.“ (Kierkegaard, EC Nr. 2, §2, 131 [XII 120]). 134 DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 346. Vgl. Kierkegaard, EC Nr. 1, 31ff, gegen die Möglichkeit, aus der Geschichte beweisen zu können, dass Jesus Gott gewesen ist: „Die Beweise für Christi Gottheit, welche die Schrift anführt: seine Wunder, seine Auferstehung von den Toten, Himmelfahrt, sind auch nur für den Glauben, d. h. sie sind keine ,Beweise‘: sie wollen ja auch nicht beweisen, daß all dies mit der Vernunft übereinstimme, sie wollen umgekehrt gerade beweisen, daß es wider die Vernunft streitet und also ein Gegenstand für den Glauben ist.“ (EC 32) Weiter zeigt Kierkegaard, dass selbst die Wunder Jesu Grund des Anstoßes und Ärgernisses sind: „Matth. 12, 24, wo die Pharisäer, als Christus einen Besessenen, der blind und stumm war, geheilt hatte, sprechen: ,Er treibt Teufel nicht anders aus denn durch Beelzebub, der Teufel Obersten‘ – wenn es dann heißt ,Jesus, der ihre Gedanken vernahm‘: so sind diese Gedanken wiederum das Ärgernis. – Matth. 26, 64 f., wenn Christus sagt: ,von nun an werdet ihr sehen des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels‘ – und der Hohepriester ausruft: ,er lästert Gott, siehe, jetzt habt ihr die Gotteslästerung gehört‘: so hören wir das Ärgernis reden.“ (EC 104).

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Nichts macht Jesus im Tode von den göttlichen Eigenschaften offenbar. Im Gegenteil, er ist an Gott verzweifelnder, sterbender Mensch. […] Gott verhüllt sich nicht im Menschen, sondern er offenbart sich als Gott-Mensch. Aber dieser Gott-Mensch verhüllt sich in der Existenzweise der Erniedrigung.135

Jesus als der Christus verhüllt sich, und zwar in der Gestalt der Niedrigkeit.136 Inwiefern nun die von der Menschwerdung her notwendige Tatsache, dass Jesus als der Erniedrigte, d. h. als wahrer Mensch in die Nachfolge ruft, dass sein Gott-Sein dem Gerufenen also verborgen ist, liegt auf der Hand: Der erniedrigte Gott-Mensch ist das Ärgernis des frommen Menschen und des Menschen überhaupt. […] Das Unbegreiflichste für den Frommen ist der Anspruch, den dieser Mensch erhebt, er sei nicht nur ein Frommer, sondern Gottes Sohn.137

Dieser Mensch Jesus von Nazareth erhebt den Anspruch, der Christus zu sein, ein Anspruch, der etwa im Ruf in die Nachfolge konkret wird. Wäre Jesu Natur vergöttlicht gewesen, so hätte man sich diesen Anspruch gefallen lassen. Hätte er Zeichen getan, wie man sie forderte, so hätte man ihm geglaubt. Aber dort, wo es darauf ankommt, zieht er sich zurück. Und das schafft das Ärgernis.138

Es ist evident, dass mit jener objektiven Unkenntlichkeit Christi ein ganz bestimmtes Verständnis von Glauben einhergeht; mit Kierkegaards Worten gesprochen: „Die unmittelbare Mitteilung versagen heißt ,Glauben‘ fordern.“139 Mit dem Incognito Christi ist ein Glaubensbegriff eingefordert, der 135 DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 343. Zur Gottverlassenheit Christi am Kreuz vgl. Kierkegaard, EC Nr. 2, 134 f. 136 Vgl. Kierkegaard, EC Nr. 2, § 2.: „Die Knechtsgestalt ist die Unkenntlichkeit (das Inkognito)“ (Hervorhebung durch F.S.). Neben diesen wird an späterer Stelle unserer Darstellung ein vierter Punkt zu nennen sein. Es ist von entscheidender Relevanz, dass Bonhoeffer die Unkenntlichkeit Christi nicht nur für den Menschgewordenen und Gekreuzigten, sondern ebenso für den Erhöhten, Auferstandenen und zum Himmel Aufgefahrenen behauptet. Auch als der Auferstandene bewahrt Christus sein Incognito, er gibt sein Gottsein auch hier nicht objektiv preis. 137 DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 345; Hervorhebung durch F.S.; vgl. unten Anm. 135 dieses Kapitels. 138 DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 345. Kierkegaard unterscheidet in EC die „Möglichkeit des wesentlichen Ärgernisses in der Richtung wider die Hoheit, daß ein einzelner Mensch redet oder handelt als sei er Gott, von sich selber sagt er sei Gott, also in der Richtung wider die Bestimmung Gott in der Zusammensetzung Gott-Mensch“ (Kierkegaard, EC 96 – 105) und die „Möglichkeit des wesentlichen Ärgernisses in der Richtung wider die Geringheit, daß der, welcher sich für Gott ausgibt, sich als der geringe, arme, leidende, letztlich ohnmächtige Mensch erweist“ (EC 105 – 124). Letzteres entspricht bei Bonhoeffer im Wesentlichen dem unter „ebionitischer Häresie“ Verhandelten (vgl. DBW 12, aaO., 322ff): „Man ärgert sich also nicht daran, daß er Gott ist, sondern daran, daß Gott dieser Mensch ist […], möge man nun wirklich im Begriff sein zu glauben, daß er Gott sei, oder bloß überlegsam den unendlichen Widerspruch bedenken: daß Gott solch ein Mensch sein solle.“ (EC 105). 139 EC Nr. 2 § 6, 143 – 146.

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gerade von einem als bloße Anerkenntnis verstandenen Glauben sich abzugrenzen sucht. Hätte Christus sich im Wunder dokumentiert, so würden wir zwar glauben, aber Christus wäre dann nicht unser Heil, denn es wäre dann nicht der Glaube an den menschgewordenen Gott, sondern ein Anerkennen […]. Das ist aber kein Glaube. Glaube ist dort, wo ich mich Gott [so] ausliefere, daß ich mein Leben auf sein Wort wage, dort und gerade dort, wo es gegen jeden sichtbaren Schein geht. Erst dort, wo ich auf sichtbare Bezeugung verzichte, glaube ich an Gott. (DBW 12, aaO., 346)

Für den hier vermittelten Begriff von Glauben ist damit gesagt, dass allein derjenige Glaube wirklicher Glaube ist und rechtfertigt, welcher am Incognito Christi entsteht; „die Gestalt der Ärgerlichkeit [ist] die Gestalt […], in der Christus allein Glauben ermöglicht“. (Umgekehrt sei daran erinnert, dass allein „die Gestalt der Ärgerlichkeit des Christus die Gestalt des Christus pro nobis ist“, DBW 12, aaO., 345; nur als wahrer Mensch ist Christus den Menschen das Heil.) Ausschließlich die Gestalt der Ärgerlichkeit, d. h. die seine Göttlichkeit wahrende Gestalt Jesu, ermöglicht echten, rechtfertigenden, rettenden Glauben; denn es wird eingefordert, dem Anspruch dieses Menschen wider alle Vernunft zu vertrauen, ihm Glauben zu schenken.140 „Jesus, der Mensch, wird als Gott geglaubt, und zwar gerade als der Mensch, nicht trotz seiner Menschheit oder über seine Menschheit hinaus.“ (DBW 12, aaO., 341; erste Hervorhebung durch F.S.) Von dem nicht objektiv als Gott erkennbaren Menschen Jesus sagen wir : „dieser ist Gott“ (DBW 12, aaO., 343). Das Incognito Christi bedingt und fordert mit anderen Worten jenen am Menschen Jesus entstehenden echten Glaubensbegriff, welcher seinerseits das Incognito (heilsnotwendig) fordert und ebenso voraussetzt. Bonhoeffer postuliert einen Glaubensbegriff, der die freie Entscheidung, das unbedingte, unbegründbare und seinem Ausgang nach ungesicherte Wagnis des Menschen fordert, das Wagnis, den Menschen Jesus als den Christus anzuerkennen. Glaube ist Wagnis.141 Der Mensch kann a priori nicht wissen, ob sich seine Entscheidung, Jesus als den Christus zu glauben, als Wahrheit oder Irrtum herausstellen wird. Er wird den Glauben wagen und das Wagnis im Glauben tun müssen, und er wird erst dann erkennen können und Gewissheit (certitudo) erlangen, wenn er

140 Kierkegaard (vgl. EC 104) behauptet zurecht, dass dieser Glaube in Wirklichkeit an dem Ärgernis vorbeiführt: denn der Glaubende entgeht dem Ärgernis. 141 Vgl. dazu den Glaubensbegriff innerhalb der dialektischen Theologie um K. Barth: „Glauben ist immer […] das gleiche Wagnis. […] Glaube ist […] der Sprung ins Leere.“ (Barth, Römerbrief, 74; ebenso Barth, aaO., 81. Vgl. auch Barth, aaO., 72 f, 80, 162 u. a. Vgl. zu Barths Bestimmung des Glaubens als Wagnis Kleffmann, Nietzsches Begriff des Lebens, 539 ff. Der Terminus Wagnis – wie auch Sprung – findet sich häufig bei Kierkegaard (vgl. Papirer VIII,1 A 511 und 541 [1848]; VIII,2 B 85, 16/17/18 [1847]; X,3 A 267 und 575 [1850]; X,4 A 582 [1852] u. ö.).

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gewagt hat.142 Indem Bonhoeffer dieses Wagnis (das aus der glaubenden Haltung des Wagenden hervorgeht) als Gehorsam ausweist (d. h. als eine nicht selbstgewählte Tat), kann er den Glauben an die Freiheit des (alten) Menschen binden, ohne dass freilich Glaube und freie Entscheidung einander entsprechen. Hinsichtlich der eingangs formulierten Anfrage, ob nicht die Anerkenntnis notwendig die Erkenntnis einer Sache voraussetze, hat sich bestätigt, was auch die Analyse der „Nachfolge“ hervorgebracht hat: Nicht die Anerkenntnis setzt die Erkenntnis, sondern die Erkenntnis setzt die Anerkenntnis voraus.143 Wie aber die Anerkenntnis geglaubte Anerkenntnis ist und bleibt, so ist und bleibt auch jede Erkenntnis unbedingt geglaubte Erkenntnis und wird nicht etwa zu objektiv dokumentierter Erkenntnis. Christus bleibt ganz Mensch und wird als Mensch als wahrer Gott geglaubt.144 „Christus ist nicht die vorfindliche Mitte, sondern die geglaubte Mitte“;145 das Kreuz ist nicht Realgrund, sondern Erkenntnisgrund.146 Einzig in solchem Glauben kann Jesus als der Christus erkannt und erfahren werden. 2.4.2.3.3 Der Glaubensbegriff der „Nachfolge“ Der dargelegte Glaubensbegriff, welcher der „Christologie“-Vorlesung eignet, entspricht dem Glaubensverständnis der „Nachfolge“. Glaube ist bedingungsloses Wagnis. Unbeantwortet war in der Vorlesung noch die Frage nach der konkreten Gestalt des glaubenden Wagnisses geblieben. Vier Jahre später führt Bonhoeffer sie in dem Terminus Nachfolge zu ihrer konkreten Antwort, indem er sie auf den Ruf Jesu zur Nachfolge und den Gehorsamsschritt des Jüngers bezieht: Wenn Jesus den Jünger ruft, dann verlangt er, dass dieser alles verlässt, und zwar einzig und allein um seinetwillen, um des Rufes willen. Es ist „der verborgene Christus, der ruft“ (N 216), und der Jünger soll sich auf sein Wort allein verlassen. Er soll sich selbst verlassen. Der Verborgenheit der Person Christi entspricht die Inhaltslosigkeit seines Rufes (vgl. N 46). Kein Ideal, kein Programm, nicht etwas Wertvolles – nichts ist dem Jünger geboten als allein die Gemeinschaft mit Jesus. Er soll folgen „einfach um des Rufes willen“ (ebd.). Es geht dabei letztlich allein um die 142 Siehe zum Begriff Wagnis den folgenden Abschnitt 2.4.2.3.3. 143 Dies bestätigen N 216 und 67: „Es verhält sich ja […] bei den ersten Jüngern Jesu nicht so, daß sie in ihm erst den Christus erkannt hätten und dann sein Gebot empfingen. Vielmehr erkannten sie ihn nicht anders als durch sein Wort und Gebot. Sie glaubten seinem Wort und Gebot und erkannten in ihm den Christus.“ (N 216) „Erst im Gehorsam erkenne ich die Wahrheit.“ (N 67). 144 Vgl. DBW 14, Vorlesung im dritten Finkenwalder Kurs 1936: Das neue Leben bei Paulus, 608: „Rechtfertigung geschieht durchs Sterben in der geglaubten Erkenntnis des Urteils Gottes im Kreuz Christi.“ 145 DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 307. Darum ist die Christologie „die unsichtbare, unerkannte, verborgene Mitte der Wissenschaft, der universitas litterarum“ (DBW 12, aaO., 281); siehe hierzu unten Kap. 4.2. 146 Vgl. DBW 14, Homiletische Übungen im ersten Finkenwalder Kurs 1935 zu 1Kor 1,18, 330.

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Frage, wer Jesus ist, genauer : Es geht um die Antwort auf diese Frage, die der Rufende in seiner Verborgenheit selbst gegeben hat und deren Anerkennung er nun einfordert.147 Weil es allein darum geht, ob der Jünger den Anspruch des Rufenden anerkennt, soll und darf der Blick des Gerufenen allein auf Christus fallen und auf nichts sonst.148 Nur so kann die Situation der Entscheidung ohne Ausweichen geschaffen werden, dann aber wird sie auch geschaffen. Wen Jesus gerufen hat, der ist vor die Entscheidung des Glaubens gestellt, für den gibt es wirklich nur noch „Ja oder Nein, Gehorsam oder Ungehorsam“ (N 65). „Neben dem Tun gibt es nur noch das Nichttun.“ (N 191) Christus verlangt das glaubend-anerkennende Subjekt; sein ganzes Leben soll der Gerufene gehorsam in die Hand dessen legen, der ihn im Ruf mit dem Anspruch konfrontiert, der Christus zu sein. Aus den relativen Sicherungen des Lebens heraus in die völlige Unsicherheit […]; aus dem Übersehbaren und Berechenbaren […] in das gänzlich Unübersehbare, Zufällige […]; aus dem Bereich der endlichen Möglichkeiten […] in den Bereich der unendlichen Möglichkeiten […] ist der Jünger geworfen.149

Ist der Mensch dem Ruf Jesu gehorsam, wagt er einen „Schritt in die unendliche Unsicherheit“ (N 51) – er wagt ihn aber eben im Glauben daran, sich auf das Wort Jesu verlassen zu können, im Glauben, „dieses Wort für einen tragfähigeren Boden zu halten als alle Sicherheiten der Welt“ (vgl. N 69), im Glauben daran, dass dieser Schritt tatsächlich und in Wahrheit der Schritt aus dem „ganz Unberechenbaren“ heraus ist, heraus aus dem ob seiner „unendlichen Möglichkeiten“ Willkürlichen und hinein „in die absolute Sicherheit und Geborgenheit der Gemeinschaft Jesu“, „in das einzig Notwendige und Berechenbare“, „in die einzige befreiende Wirklichkeit“ (N 46). Offenbar ist die Unsicherheit, geglaubt wird sie als die einzige, wirkliche Sicherheit. Sichtbar ist der Mensch Jesus, geglaubt wird er als der Sohn Gottes. Sichtbar ist der Leib Jesu, geglaubt wird er als der Leib des menschgewordenen Gottes. Sichtbar ist, daß Jesus im Fleisch war, geglaubt wird, daß er unser Fleisch trug. „Auf diesen Menschen sollst du zeigen und sprechen: das ist Gott.“ (Luther)150 147 Vgl. dazu Brunner, Der Mittler, 443 ff. „Aber daß diese Person absolut allein in diesem Mittelpunkt steht […], daß er allein der Inhalt ist, und daß in dieser Person alles gesagt sein soll, was entscheidet, und nur in ihr : diese Exklusivität ist das Ärgernis.“ (Brunner, aaO., 443). 148 Bonhoeffer rekurriert in diesem Zusammenhang auf Joh 14,6: „Blicke ich […] auf den Weg anstatt auf den, der ihn mir selbst vorangeht, so ist mein Fuß schon im Gleiten. Er selbst ist ja der Weg.“ (N 186) In demselben theologischen Zusammenhang zitiert Bonhoeffer den Vers zu Beginn der „Christologie“-Vorlesung, vgl. DBW 12, 282. 149 N 46. Wie bereits beim Begriff Existenz, so greift Bonhoeffer auch hier das Vokabular der Existentialphilosophie um Martin Heidegger auf, das er ganz christologisch (um)deutet. 150 N 241. In Luthers Satz: „Hic homo est deus, hic deus est homo.“ (WA 6: De captavitate Babylonica ecclesiae [1520]; 497 – 573, 511, 37 f; zit. n.: Hildebrandt, EST, 82; vgl. Bonhoeffers und Hildebrandts Katechismusentwurf „Glaubst du, so hast du“ von 1931, in: DBW 11,

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Gegen den eigenen Verstand, oder besser : über den eigenen Verstand hinaus (denn das ist ja die eigentliche Bedeutung der let²moia, die den Glaubensbegriff Bonhoeffers dieser Zeit in seinem Kern auszudrücken vermag), wagt der Gehorsame den Schritt auf den Ruf Jesu hin, auf Jesus zu; Luther zitierend sagt Bonhoeffer in der „Nachfolge“: Es muß nicht gehen nach deinem Verstand, sondern über deinen Verstand; senk dich in Unverstand, so gebe ich dir meinen Verstand. Unverstand ist der rechte Verstand; nicht wissen, wohin du gehest, das ist recht wissen, wohin du gehest.151

Es ist nun deutlich geworden, inwiefern der erste Gehorsamsschritt und mit diesem die „Situation, in der geglaubt werden kann, bereits selbst immer nur im Glauben ermöglicht“ ist (N 52). Jesus fordert ungeteilten, einfältigen Gehorsam, d. h. er fordert ungeteilten Glauben. Darum kann Bonhoeffer sagen: „Es hängt letzten Endes gar nichts an dieser oder jener Tat des Menschen, sondern es hängt alles an dem Glauben an Jesus als den Sohn Gottes und Mittler.“152 Jesus fordert Glauben in der Gestalt des Gehorsams, und er fordert Gehorsam auf der Grundlage des Glaubens. In diesem Sinne ist für Bonhoeffer tatsächlich kein Gehorsam denkbar, der nicht im (vertrauenden, wagenden, sich-verlassenden) Glauben geschähe.153 Das Wagnis neuer Identität ist hier der Anfang des Glaubens; diese neue Identität hingegen ist nicht mehr als das vollkommen ungewisse Wagnis auf die Gemeinschaft Jesu hin. Dass und in 228 – 237) sind die drei zentralen Einsichten christlichen Glaubens im Sinne der Interpretation Bonhoeffers in der N ausgedrückt: 1. Gott wurde Mensch, d. h. „Jesus Christus ist ganz Gott und ganz Mensch in einer Person“ (DBW 14, Konfirmandenunterrichtsplan von 1936: zweiter Katechismusversuch, 804); 2. Jesus gibt sein Gottsein nicht objektiv preis; darum kann 3. Jesus als der Christus allein geglaubt werden. Der Glaube an Jesus, den Gott, entsteht an Jesus, dem Menschen; dieser Glaube ist ganz Wagnis. Vgl. zu 3.: „Quod etsi philosophia non capit, fides tamen capit.“ (WA 6, 511, 37 f; zit. n.: Hildebrandt, EST, 82, Anm. 299; Hervorhebung durch F.S.). 151 Luther, Auslegung der sieben Bußpsalmen (1525), WA 18, 479 – 530, 489,15ff; zit. n.: N 84 f. 152 N 72. Vgl. auch den Zusammenhang dieses Zitats: „Der Befehl Jesu an den reichen Jüngling bzw. der Ruf in die Situation, in der geglaubt werden kann, hat tatsächlich nur das eine Ziel, den Menschen zum Glauben an ihn, d. h. in seine Gemeinschaft zu rufen. […] Es hängt letzten Endes allerdings nichts an Armut oder Reichtum, Ehe oder Ehelosigkeit, Beruf oder NichtBeruf, sondern es hängt alles am Glauben.“ (N 72) 153 Durchaus als problematisch sind vor diesem Hintergrund einige Formulierungen innerhalb von Bonhoeffers Auslegung des „reichen Jünglings“ Mt 19,16 – 22 zu erachten. Wenn Bonhoeffer die Szene als „volle Begegnung“ zwischen Jesus und Jüngling kennzeichnet und als Situation des Erkennens ausweist (vgl. N 65 „Der Jüngling wollte das Wort des guten Meisters hören, nun erkennt er, daß dieses Wort – der Mann, den er fragte, selbst ist. Der Jüngling steht vor Jesus, dem Sohne Gottes, die volle Begegnung ist da.“ Hervorhebung durch F.S.), dann ist damit die Möglichkeit eines Missverständnisses gegeben: als dokumentiere sich Jesus als der Christus. Nicht dass er vor dem Sohn Gottes steht, erkennt der Jüngling, sondern dass der ihn Rufende den Anspruch erhebt, Gottes Sohn zu sein. Wie es zu erklären ist, dass Bonhoeffer die Gefahr in Kauf nimmt, an dieser Stelle den in der N vorausgesetzten Glaubensbegriff und damit das theologische Konzept des Buches insgesamt zu gefährden, wird an späterer Stelle dieser Darstellung zu erklären gesucht (siehe unten Kap. 2.4.2.4).

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welcher Weise dieser Glaube der Weg zur Rechtfertigung des Menschen ist, sei nun dargelegt. 2.4.2.3.4 Der erste Gehorsamsschritt und die Rechtfertigung des Glaubenden Wenn Jesus ruft, dann fordert er vom Jünger den Bruch mit dessen bisheriger Existenz.154 Tatsächlich aber gilt, dass dieser Bruch in der Kraft der Menschwerdung Christi längst zuvor vollzogen worden ist. Denn Christus ist „der Mittler, nicht nur zwischen Gott und Mensch, sondern auch zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mensch und Wirklichkeit“ (N 88). Dass Jesus der Christus, der Sohn Gottes, der Mittler ist, welcher den Bruch mit jeglichen Unmittelbarkeiten der Welt vollzogen hat, dies anzuerkennen ist sein Anspruch, dem sich der von ihm Gerufene gegenübersieht. Wenn Christus den Jünger ruft, dann fordert er vom Gerufenen letztlich nicht den Bruch mit den Unmittelbarkeiten (denn diese existieren längst nicht mehr und nur scheinbar noch!), sondern Christus fordert die Anerkenntnis der von ihm selbst in Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung155 längst vollzogenen Tatsache des Bruchs. Jesus fordert die Anerkenntnis dessen, dass er und er allein der Mittler, das Mittel, die Mitte ist, denn: „Allein die Anerkennung einer vollzogenen Tatsache, nämlich daß [Jesus der Christus und; F.S.] Christus der Mittler ist, trennt den Jünger Jesu von der Welt der Menschen und Dinge.“156 Diese Anerkennung aber, so wurde gezeigt, kann sich nicht anders vollziehen als durch den je konkreten, wagenden Gehorsam gegen den je konkreten Ruf Jesu Christi zur Nachfolge, einen Gehorsam, der als Manifestation des Glaubens bezeichnet werden kann (vgl. dazu unten 2.4.2.3.5). Weil Jesus zu diesem bestimmten Tun auffordert, kann die Antwort des Gerufenen „nicht ein gesprochenes Bekenntnis des Glaubens an Jesus“ sein (N 45; Hervorhebung durch F.S.); eine solche Anerkenntnis bliebe abstrakter Glaube, ebenso wie der Ruf Jesu abstrakt wäre, riefe er den Jünger nicht in seine leibliche Gemeinschaft: Der Ruf zu dieser Gemeinschaft liegt ja in der Menschwerdung und der leiblichen Stellvertretung selbst begründet. So wird also gerade das Nachfolgen als äußerlich gesehen bloßes Hinter-Jesus-Hergehen zur wirklichen Bindung an Christi Leib, weil es im Gehorsam und also im Glauben an das Gottsein dieses Menschen geschieht. Der im Glauben gewagte Schritt des Jüngers in die Nachfolge auf den Ruf Christi hin ist Bestätigung und Anerkenntnis des durch den Mittler bereits vollzogenen Bruches, der jetzt (passiv!) an dem Jünger vollstreckt wird. Sich selbst samt seinem ganzen Leben und Willen liefert der gehorsam Folgende 154 Vgl. z. B. N 46: „Die Brücken werden abgebrochen, und es wird einfach vorwärtsgegangen. Man ist herausgerufen und soll ,heraustreten‘ aus der bisherigen Existenz […]. Das Alte bleibt zurück, es wird ganz hingegeben.“ 155 Siehe zum Verhältnis von Menschwerdung und Kreuzestod unten Kap. 2.5.1. 156 N 89. Zur oben von mir vorgenommenen Präzisierung des Textes: Die Erkenntnis Christi als des Mittlers schließt die Erkenntnis Jesu als des Christus ein.

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diesem Wort aus, und er gibt damit zum Ausdruck und bestätigt, dass (für ihn) nur Jesus, der Christus und Mittler, ein tragfähiger Grund seines Lebens ist. So schafft der erste Gehorsamsschritt tatsächlich eine neue Existenz (vgl. N 53), der Nachfolgende wird gerechtfertigt – und darin, in seiner Funktion, ist dieser Schritt „von allen folgenden qualitativ unterschieden“ (N 53): Der erste Schritt führt in neue Existenz, alle folgenden Schritte werden in dieser neuen Existenz gegangen; der erste Schritt stellt Bindung an Christus her, alle folgenden geschehen in dieser Bindung und Christi Gemeinschaft. Dieser erste Schritt ist derjenige, durch den „die Gemeinschaft mit Jesus Christus […] gewonnen wird“ (N 50; Hervorhebung durch F.S.); er ist der Schritt in die Nachfolge, alle weiteren sind Schritte „in der Nachfolge“ (N 64; Hervorhebung durch F.S.). Weder ist damit eine qualitative Unterscheidung des Glaubens vorgenommen noch des Gehorsams (vgl. dazu unten 2.4.2.3.5.). Die verlorene Mitte ist dem Menschen in Christus nun wiedergeschenkt. Der Machtwechsel hat sich ereignet. Der Mensch ist nicht mehr an die Welt der Menschen und Dinge gebunden. Der erste Schritt hat den Jünger aus der Herrschaft der Sünde befreit. Er ist jetzt nicht mehr „in Adam“, sondern fortan leiblich gebunden an den Mittler, an ihn allein und sein Wort. Er ist „in Christo“, nicht mehr unter der Herrschaft der Sünde, sondern unter der Herrschaft dessen, der ihn rief (vgl. N 279). Das bewirkt der „Ruf, der uns aus den Bindungen dieser Welt herausruft“. Er ist das Sterben des alten Menschen in der Begegnung mit Jesus Christus. Wer in die Nachfolge eintritt, gibt sich in den Tod Jesu, er setzt sein Leben ins Sterben, das ist von Anfang an so; das Kreuz ist nicht das schreckliche Ende eines frommen glücklichen Lebens, sondern es steht am Anfang der Gemeinschaft mit Jesus Christus. Jeder Ruf Christi führt in den Tod. Ob wir mit den ersten Jüngern Haus und Beruf verlassen müssen, um ihm zu folgen, oder ob wir mit Luther aus dem Kloster in den weltlichen Beruf hineingehen, es wartet in beidem der eine Tod auf uns, der Tod an Jesus Christus, das Absterben unseres alten Menschen an dem Rufe Jesu. Weil der Ruf Jesu an den reichen Jüngling ihm den Tod bringt, weil er nur als einer, der seinem eigenen Willen abgestorben ist, folgen kann, weil jedes Gebot Jesu uns sterben heißt mit allen unseren Wünschen und Begierden, und weil wir unseren eigenen Tod nicht wollen können, darum muß Jesus Christus in seinem Wort unser Tod und unser Leben sein. Der Ruf in die Nachfolge Jesu, die Taufe auf den Namen Jesu Christi ist Tod und Leben. (N 80 f)

So ist der Jünger nun (indem er in der Gemeinschaft des Christus sich befindet) wirklich von der Sünde getrennt, denn: Wer gestorben ist, der ist gerechtfertigt von der Sünde (R. 6,7, Kol. 2,20). An den Toten hat die Sünde kein Recht mehr, ihre Forderung ist mit dem Tode beglichen und erloschen. So geschieht Rechtfertigung von (!p|) der Sünde allein durch den Tod. Vergebung der Sünde heißt nicht Übersehen und Vergessen, sondern heißt wirkliche Tötung des Sünders und Trennung von (!p|) der Sünde. (N 223)

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Der Nachfolgende ist ein „neuer Mensch“.157 Insofern nun der glaubend sich vollziehende Gehorsam des Jüngers den Tod und also die Trennung von der Sünde, die Trennung von der Sünde aber die Rechtfertigung des Menschen bedeutet, kann Bonhoeffer den paulinischen Begriff der Rechtfertigung auf den in den Evangelien bezeugten, an die ersten Jünger ergehenden Ruf Christi zur Nachfolge übertragen. „Die Gemeinschaft des Kreuzes, in die Jesus seine Jünger rief, ist die Gabe der Rechtfertigung an sie, des Todes und der Vergebung der Sünden.“ (N 223) Inwiefern diese Erkenntnis Ausdruck eines zentralen christologischen Anliegens Bonhoeffers ist (nämlich umgekehrt die Gegenwart Christi und damit die Verbindlichkeit seines Wortes heute geltend zu machen), wird noch zu zeigen sein (vgl. unten 2.5). Näher betrachtet sei zunächst die untrennbare Einheit, die Glauben und Gehorsam bilden. 2.4.2.3.5 Die Einheit von Gehorsam und Glaube Für den in der „Nachfolge“ zugrundeliegenden Glaubens- und Gehorsamsbegriff konnte gezeigt werden, dass Glaube sich in der Gestalt des Gehorsams (d. h. im Wagnis) ausdrückt und nur dieser Glaube wirklicher Glaube und nicht „frommer Selbstbetrug“158 ist. Gleichermaßen gibt es Gehorsam nur im Glauben (sonst ist der Gehorsam kein Gehorsam, sondern selbstgewähltes Tun).159 Glauben und Gehorsam bilden so bei Bonhoeffer eine unbedingte, unauflösliche Einheit, und zwar eine Einheit, die nicht erst für die Nachfolge selbst gilt, sondern schon für den ersten Schritt des Jüngers auf den Ruf hin.160 Es gibt in Bonhoeffers theologischem Konzept von Nachfolge nur einen Gehorsam (das ist der einfältige, den Ruf befolgende Gehorsam) und nur einen Glauben161 (das ist der anerkennende, alles auf das Wort Jesu wagende Glaube). Der „unauflösliche[n] Einheit von Glauben und Gehorsam“ (N 53) verleiht Bonhoeffer nun in einem Satz Ausdruck, der als der theologische Spitzensatz der „Nachfolge“ gelten kann und den Bonhoeffer in ähnlicher Form bei E. Brunner162 vorgefunden hatte: „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt.“163 Mit dem ersten Halbsatz nimmt Bonhoeffer 157 Vgl. N 229. Siehe unten Kap. 2.5.1. 158 Siehe dazu unten Kap. 2.4.2.4. 159 H. Mller hat Bonhoeffers Annahme zur Verhältnismäßigkeit von Glaube und Gehorsam auf den Punkt gebracht, wenn er fragt: „Ist nicht die Glaubenstat […] auch als Glaubenstat zu verstehen, als Glaube und Gehorsam in einem“? (Mller, Von der Kirche zur Welt, 489, Anm. 575) Hingegen hat seine These, Bonhoeffer ordne zeitlich den Glauben dem Gehorsam vor (vgl. ebd.; ebenso urteilte Gtter, Innerste Konzentration, 104), bereits in den vorangegangenen Abschnitten dieser Arbeit ihre Widerlegung gefunden. 160 Allein darum, weil Levi glaubt, dass Jesus der Mittler ist, tut er gehorsam den Schritt und kann er diesen Schritt gehorsam tun. Allein darum, weil Levi gehorsam den Schritt tut, glaubt er Jesus, dass er der Mittler ist, und bestätigt dessen Anspruch. 161 Anders Tietz, Nur der Glaubende ist gehorsam, 179. 162 Vgl. Brunner, Das Gebot und die Ordnungen, 68. 163 N 52. Ob Bonhoeffers Satz als dialektisch bezeichnet werden muss (vgl. Tietz, Nur der

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unmissverständlich das Kernstück reformatorischer Theologie auf, welches besagt, dass der Mensch allein durch den Glauben gerechtfertigt werde und allein der von Gott gerechtfertigte Glaubende überhaupt gute Werke tun könne.164 Diesen Zusammenhang von Glauben und Gehorsam, sagt Bonhoeffer, „meinen wir zu verstehen. Der Gehorsam folge ja dem Glauben, wie die gute Frucht dem guten Baum, sagen wir dann. Erst ist der Glaube, dann erst Gehorsam.“165 Weil aber Glaube und Gehorsam durch nichts voneinander zu trennen sind, darum nennt Bonhoeffer die „Rede vom Gehorsam als einer Folge des Glaubens“ uneigentliche Rede (N 53; Hervorhebung durch F.S.). Daraus folgt: Sollte also mit der Aussage, dass nur der Glaubende gehorsam sein kann, irgendeine zeitliche Bestimmung gegeben sein, daß erst geglaubt werden müsse und später der Gehorsam folge, so werden Glaube und Gehorsam auseinandergerissen, und es bleibt dann die höchst praktische Frage offen, wann der Gehorsam anzufangen habe. Der Gehorsam bleibt vom Glauben getrennt (N 52). Um der Uneigentlichkeit der Rede vom Gehorsam als einer Folge des Glaubens willen, um des Hinweises auf die unauflösliche Einheit von Glauben und Gehorsam willen muß nun dem Satz, daß nur der Glaubende gehorsam sei, der andere gegenübergestellt werden: Nur der Gehorsame glaubt. Ist dort der Glaube die Voraussetzung des Gehorsams, so ist hier der Gehorsam die Voraussetzung des Glaubens. (N 53)

Eigentümlicher Weise (und letztlich auch unnötig) spricht sich Bonhoeffer nun in demselben Zusammenhang für eine Trennung von Glaube und Gehorsam aus, und zwar dann, wenn die Frage nach der Rechtfertigung gestellt wird. Die Aussage „[e]rst ist der Glaube, dann erst Gehorsam“166 ist für Bonhoeffer legitim, wenn sie auf die Verwerfung der Werkgerechtigkeit zur gleichzeitigen Bestätigung der Rechtfertigung des Sünders aus Glauben allein abzielt. „Soll damit nur dies bezeugt sein, daß allein der Glaube rechtfertigt und nicht das Tun des Gehorsams“, dann wäre gegen diesen Satz tatsächlich nichts einzuwenden, vielmehr wäre er dann „die notwendige und unumstößliche Voraussetzung für alles weitere“ (N 52; Hervorhebung durch F.S.). Glaubende ist gehorsam, 170), ist m. E. fraglich. Denn die Formel verleiht lediglich dem Umstand Ausdruck, dass es Glauben nicht anders als in der Gestalt des Gehorsams und Gehorsam nur im Vertrauen geben kann, d. h. im Glauben daran, dass Jesus der Christus ist und das, was ich tue, in Entsprechung zu seinem Gebot geschieht. 164 Siehe hierzu unten Kap. 3.2.2.3. 165 N 52. Vgl. hierzu Luther, Erste Disputation gegen die Antinomer (zu These 34 [WA 39,1; 347, 13 f] über Röm 3,24ff), 1537, WA 39,1, 359 – 417, 414,17ff; vgl. Luthers 27. These der Heidelberger Disputation (1518): „Denn solange Christus durch den Glauben in uns wohnt, bewegt er uns durch diesen lebendigen Glauben an seine Werke zu Werken.“ (Zit. n.: Aland, Luther Deutsch, Bd. 1, 393; = WA 1, 364.) In derselben These zitiert Luther Eph. 5,1, den Vers, mit dem Bonhoeffer die N schließt, vgl. dazu unten 3.2.2.5. Vgl. ebenso die darauf folgende, 28. These: „Die Liebe Gottes findet ihren Gegenstand nicht vor, sondern schafft ihn sich erst, menschliche Liebe entsteht an ihrem Gegenstand.“ (Zit. n.: ebd.; = WA 1, 365.). 166 N 52; Hervorhebung durch F.S., siehe oben.

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So erklärt es sich, dass Bonhoeffer die Trennung des Glaubens vom Gehorsam „[u]m der Rechtfertigung willen“ einfordert. Um der Rechtfertigung willen müssen ja Glaube und Gehorsam getrennt werden, aber diese Trennung darf niemals die Einheit beider aufheben, die darin liegt, daß Glaube nur im Gehorsam existiert, niemals ohne Gehorsam ist, daß Glaube nur in der Tat des Gehorsams Glaube ist. (Ebd.)

Lässt sich nun aber aus dieser Forderung auf eine sachliche Vorordnung des Glaubens vor den Gehorsam schließen, wie es H. Müller vorgeschlagen hat?167 Anders ausgedrückt: Ist eine Trennung von Glaube und Gehorsam, wie sie Bonhoeffer hier vornimmt, überhaupt denkbar, wenn dabei zugleich deren Einheit gewahrt werden soll?168 Äquivalent zur Kritik an Bonhoeffers Ausführungen der Gehorsamstat als eines ,äußerlichen Werkes‘ (diesbezüglich wurde gesagt: ist eine Tat Gehorsamstat, ist sie eigentlich kein äußerliches Werk mehr), kann auch hier eine Kritik an Bonhoeffer formuliert werden, die seine Argumentation betrifft: Indem er Glaube und Gehorsam als wirkliche, nicht zu lösende Einheit versteht, zugleich aber von einer Trennung beider im Blick auf die Rechtfertigung spricht, erschwert er nicht nur den hermeneutischen Zugang seines Ansatzes und dessen Nachvollziehbarkeit, sondern macht ein Eingeständnis, welches zwar (vermutlich) der Abwehr von Kritik an seiner Theologie dienen soll, tatsächlich aber seine theologische Argumentation erst problematisch erscheinen lässt. Wenn Glaube und Gehorsam eine Einheit bilden, und zwar eine Einheit in dem Sinne, dass sich der Glaube jener ersten Jünger angesichts des Rufes Jesu gar nicht anders äußern konnte als in der Tat des Gehorsams, aus welchem Grund sollen Gehorsam und Glaube in der Frage nach der Rechtfertigung dann getrennt werden? Mit dem Verweis auf diese Trennung geht Bonhoeffer selbst einen Schritt hinter die Einheit von Glaube und Gehorsam zurück. Es gibt aber auch eine theologische Begründung für die tatsächliche Trennung von Glauben und Gehorsam in der Rechtfertigung: Dabei gilt zu berücksichtigen, dass die Einheit von Glauben und Gehorsam gerade nicht als Identität beider zu verstehen ist. Zwar ist der „Glaube nur in der Tat des Gehorsams Glaube“, und es ist der Gehorsam nur im Glauben gehorsam („nur der Glaubende ist gehorsam“, N 52); der Gehorsam bleibt aber – als die existentielle Gestalt des Glaubens – Gehorsam, und der Glaube bleibt – als das wagende Anerkennen des Mittlers – Glaube. Insofern, als Identifikation und Einheit nicht verwechselt werden dürfen, ist eine Trennung von Glauben und Gehorsam bei gleichzeitiger Wahrung ihrer Einheit tatsächlich gefordert. Und 167 Vgl. H. Mller, Von der Kirche zur Welt, 203. Gtter meint, dass Bonhoeffer den Gehorsam sowohl sachlich als auch zeitlich dem Glauben vorordne (vgl. Gtter, Innerste Konzentration, 104 u. a.). 168 Vgl. N 52: „Um der Rechtfertigung willen müssen ja Glaube und Gehorsam getrennt werden, aber diese Trennung darf niemals die Einheit beider aufheben“.

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in dieser Richtung will und kann Bonhoeffer den rechtfertigungstheologischen Primat des Glaubens vor dem Gehorsam bewahrt und verstanden wissen.169

2.4.2.4 Glaube und Unglaube: Der erste Schritt als Kennzeichen teurer Gnade Es ist erwiesen worden, dass und inwiefern der erste Gehorsamsschritt ganz im Glauben geschieht und, indem er den Jünger allein an Christus bindet, diesen rechtfertigt. Wenn Jesus ruft, schafft er für den Gerufenen die Situation des Glaubenkönnens. In derselben Weise aber, in der es Bonhoeffer darum geht, den Ruf Jesu als Subjekt für die Situation des Glaubens zu verdeutlichen, beschreibt er den Gehorsam des Jüngers als „Weg zum Glauben“ (N 51; Hervorhebung durch F.S.). Das bedeutet offensichtlich: Der erste Schritt auf den Ruf Jesu hin ereignet sich nicht nur im Glauben, sondern geschieht zugleich auf den Glauben hin. Um die Analyse dieses Aspekts soll es in den folgenden Abschnitten gehen. Sie trägt im Wesentlichen dazu bei, Bonhoeffers Glaubensbegriff bzw. Bonhoeffers Anliegen, denselben zu bestimmen, konkreter zu benennen. Äquivalent zur Gnade Gottes ist Glaube nur Glaube als teurer Glaube. Der erste Schritt wird so zum Kennzeichen teurer Gnade. Wenn der erste Schritt im Glauben sich ereignet – er ist „bereits selbst immer nur im Glauben ermöglicht“ (N 52) –, zugleich aber zum Glauben hin führt – er ermöglicht, dass „allererst geglaubt werden kann“ (N 50; Hervorhebung durch F.S.) –, dann stellt der Text augenscheinlich vor einen Widerspruch. Als widersprüchlich erscheint Bonhoeffers Theologie an dieser Stelle aber nur dann, wenn sie unter einem vorwiegend zeitlichen Aspekt gelesen und insofern unter Vernachlässigung der Glaubens-Gehorsams-Einheit interpretiert wird. Versteht man Bonhoeffers Ausführungen als auf die Bestimmung des Zeitpunktes abzielend, von welchem an der Gerufene glauben kann bzw. tatsächlich glaubt und Glauben überhaupt erst beginnt, stellen sie in der Tat vor ein Paradoxon: Legen wir diesen Zeitpunkt auf den ersten Gehorsamsschritt, der in die Situation hineinführt, so lesen wir in der „Nachfolge“, dass in dieser Situation „allererst geglaubt werden kann“; legen wir den Zeitpunkt in die „Situation, in der geglaubt werden kann“ oder in die Nach169 Wie nahe dann aber wiederum die gedankliche Trennung von Glauben und Gehorsam im Sinne der Aufhebung ihrer Einheit liegt, führt H. Mller ungewollt vor, wenn er aufgrund von Bonhoeffers doppelter Abwehr (der Werkgerechtigkeit einerseits und der Identifikation von Glauben und Gehorsam beim Rechtfertigungsgeschehen andererseits) auch jene unbedingte Einheit in Zweifel zieht (vgl. Mller, Von der Kirche zur Welt, 203). Indem er selbst Glauben und Gehorsam theologisch und begrifflich identifiziert, versteht Müller Bonhoeffers einer Identifikation wehrende Unterscheidung von Glauben und Gehorsam als „Schritt hinter die Erkenntnis der Einheit von Glaube und Gehorsam zurück, der nicht begründet ist“ (Mller, aaO., 489, Anm. 575).

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folge, so hören wir, dass die Situation „bereits selbst immer nur im Glauben ermöglicht“ ist.170 Zwar ist auf dem Weg vom Nicht-Glauben zum Glauben eine zeitlich-lineare Reihenfolge notwendig angelegt (zuerst ist der Jünger in der „Situation, in der nicht geglaubt werden kann“; dann ruft Jesus; dann folgt der Jünger); es entspricht aber gerade nicht der Intention Bonhoeffers, die „Situation, in der allererst geglaubt werden kann“ als vornehmlich zeitliche Bestimmung des Glaubenkönnens bzw. des Glaubens zu begreifen, als müsse erst ein Schritt getan werden und als könne der Glauben nun beginnen, einsetzen, losgehen; dass bereits der erste Gehorsamsschritt ein Schritt des Glaubens ist, steht für Bonhoeffer außer Frage. Vielmehr : Was Bonhoeffer mit der Rede vom ersten Schritt als einem Schritt zum Glauben, als einem Schritt, ohne den Glaube eine Unmöglichkeit darstellt, im Blick hat, ist die Abgrenzung wahren Glaubens von einem falschen Glauben, einem Glauben, der die Gnade billig ergreifen zu können meint. Die „Situation, in der geglaubt werden kann“ ist ein terminus technicus zur Beschreibung der Qualität wahren Glaubens. Sie ist Ausdruck zur Beschreibung dessen, was Glaube ist, unter welchen Umständen und Kriterien Glaube Glaube ist und wann nicht. Dass Bonhoeffer unter wahrem Glauben allein solchen Glauben versteht, der rechtfertigt, liegt – nachdem der erste Schritt als Schritt der Rechtfertigung durch den Glauben verdeutlicht worden ist, der in diesem Schritt sichtbar aufbricht – auf der Hand. Die Existenz des Glaubens, für die jetzt erst die Möglichkeit geschaffen worden ist (durch jenen Glaubensschritt zu dieser Existenz), ist die Existenz in der Gemeinschaft des Leibes Christi unter dem Kreuz: die Existenz des „gerechtfertigten Sünder[s]“ (N 275), die ihm sein ganzes Leben gekostet hat. Diese Existenz des Jüngers ist sichtbarer Ausdruck der teuren Gnade Gottes und heißt bei Bonhoeffer in einem Wort: Nachfolge. Dem gegenüber ist Glaube ohne den ersten Schritt „frommer Selbstbetrug, billige Gnade“ (N 53), Gnade als „Rechtfertigung der Sünde, aber nicht als Rechtfertigung des bußfertigen Sünders, der von seiner Sünde läßt und umkehrt; nicht Vergebung der Sünde, die von der Sünde trennt. Billige Gnade ist die Gnade, die wir mit uns selbst haben.“ (N 30) Das Herlaufen hinter Jesus wäre dann ein Ideal, bloß eine Lebenseinstellung, ein Experiment, ein politi170 N 52. In der zur N erschienenen Literatur hat die Frage nach der Bestimmung des zeitlichen Aspekts des Glaubens jene offensichtliche Widersprüchlichkeit der Argumentation Bonhoeffers zunächst zwar aufgedeckt und problematisiert; die dann gegebenen Vorschläge zur Erklärung und Interpretation führen aber, indem sie sich innerhalb dieser Paradoxie bewegen und diese folglich voraussetzen, nicht aus ihr heraus und vermögen sie letztlich nicht aufzulösen. Stattdessen wird, wie oben gezeigt, in kritischer Absicht die Einheit von Glauben und Gehorsam infragegestellt und die Vorordnung des Gehorsams vor den Glauben behauptet (so etwa H. Mller und Gtter), in klärender und verdeutlichender Absicht die Unterscheidung zweier Glaubensarten vorgeschlagen (vgl. Tietz, Nur der Glaubende ist gehorsam, 179), die letztlich auf die Unterscheidung zweier Glaubensqualitäten hinausläuft. Dadurch wird m. E. der von Bonhoeffer geforderte erste Gehorsamsschritt letztlich nicht als Glaubensschritt wahrund ernstgenommen.

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sches oder persönliches Programm, es wäre aber keine Nachfolge im Sinne der Bindung an den menschgewordenen Gottessohn. Ohne den ersten Schritt „geht der Ruf Jesu ins Leere, und alle vermeintliche Nachfolge ohne diesen Schritt, zu dem Jesus ruft, wird zur unwahren Schwärmerei“.171 „Es muß Gehorsam geleistet werden gegen einen konkreten Befehl, damit geglaubt werden kann. Es muß ein erster Schritt des Gehorsams gegangen werden, damit Glaube nicht frommer Selbstbetrug, billige Gnade werde. Es liegt an dem ersten Schritt“ (N 53; Hervorhebung durch F.S.), der die Situation gibt, „in der Glaube möglich wird und wirklich existiert“ (N 56; Hervorhebung durch F.S.). „In jene Situation gilt es zu kommen, damit der Glaube rechter Glaube und nicht Selbstbetrug sei.“ (N 57) Dass sich Bonhoeffer in diesem Zusammenhang temporal gefärbten Vokabulars bedient,172 verleiht dem Umstand Ausdruck, dass es Dinge gibt, die offensichtlich nur temporal beschrieben werden können, ohne es in ihrem Kern zu sein. Auf den Doppelsatz „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt“ (N 52) bezogen, heißt das: Um die darin paradox ausgedrückte Einheit überhaupt darstellen zu können muss man ihre begrifflichen Inhalte – Glaube und Gehorsam – im Einzelnen benennen und zueinander in Beziehung setzen; und eben dies tut Bonhoeffer in diesem Satz. Einerseits, im ersten Halbsatz, wird der Gehorsam durch den Glauben bestimmt, andererseits, im zweiten Halbsatz, der Glaube durch den Gehorsam erschlossen. Zwingt man jedoch die beiden denkerisch zwar in einer Einheit verbundenen, dennoch aber theologisch unterschiedenen Elemente von Glauben und Gehorsam in ein bestimmtes zeitliches und also lineares Beziehungsverhältnis, dann hat man deren sachliche Einheit bereits verspielt. Die hier theologisch schon skizzierte Antwort auf die Frage, was Bonhoeffer unter „Unglauben“ versteht, sei im Folgenden näher betrachtet. „Unglauben“ lässt sich bei Bonhoeffer nach drei Ausprägungen hin differenzieren. Ihnen ist gemeinsam, dass sie ihrerseits auf bestimmte Formen des Ungehorsams zurückzuführen sind. Indem diese drei Typen des Ungehorsams im Folgenden zur Darstellung kommen, wird zugleich auf die folgenden Kapitel vorbereitet, sodass transparent wird, inwiefern Bonhoeffers Ausführungen zur Nachfolge der ersten Jünger auch für die Christen heute, d. h. für Bonhoeffers eigene Gegenwart, bedeutsam sind und Gültigkeit beanspruchen können.

171 N 51. Vgl. zum folgenden Luthers „Vorrede zum Brief des Paulus an die Römer“ (WA DB 7; 2 – 26). 172 Vgl. u. a. N 50: „Situation, in der allererst geglaubt werden kann“ (Hervorhebung durch F.S.); N 55: „erst muß der Schritt des Gehorsams getan sein, ehe geglaubt werden kann“ (Hervorhebung durch F.S.).

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2.4.2.4.1 Der Unglaube des Ungehorsamen Die erste Ausprägung des Unglaubens kann als Unglaube des Ungehorsamen bezeichnet werden. Bonhoeffer spricht darüber in der „Nachfolge“ vor allem im Zusammenhang christlicher Seelsorge, die für ihn akute Fragestellungen aufwirft. Dabei geht es Bonhoeffer weniger um allgemeine Aussagen zur Seelsorge, sondern um Bezüge zur „heutigen christlichen Seelsorge“ (N 57; Hervorhebung durch F.S.). Dass Bonhoeffer hier von der Seelsorge heute spricht, mag verwundern, bringt er diese Überlegungen doch im Zusammenhang des Rufes in die Nachfolge, von dem ja dezidiert die ersten Jünger betroffen sind. Bonhoeffer setzt damit eine Hermeneutik voraus, die erst im zweiten Teil der „Nachfolge“ begründet wird.173 In der Seelsorge begegne diese Form des Unglaubens in der Position desjenigen, der zwar den unbedingten Willen zu glauben vorgibt, der aber zugleich sich beklagt, nicht glauben zu können. Bonhoeffer beschreibt den Sachverhalt paradigmatisch anhand eines seelsorgerlichen Gesprächs: „Ich kann nicht mehr glauben.“ – „Höre das Wort, es wird dir gepredigt!“ – „Ich höre es, aber es sagt mir nichts, es bleibt mir leer, es geht an mir vorbei.“ – „Du willst nicht hören.“ – „Doch, ich will.“ (N 58)

Die Ausgangssituation ist hier der (vorgebliche) Mangel an Glauben. Die „Klage über den Mangel an Glauben“ kommt jedoch „immer wieder aus bewußtem oder schon nicht mehr bewußtem Ungehorsam“ (N 57). Weil nur der Gehorsame wirklich glaubt und glauben kann, der erste Schritt hier aber verweigert wird, darum ist, so Bonhoeffer, auch Glaube nicht möglich. „Der Ungehorsame kann nicht glauben.“ (N 55) Wer mit […] seinem Unglauben seinen tatsächlichen Ungehorsam gegen den Ruf Jesu entschuldigt, zu dem sagt Jesus: Erst sei gehorsam, tue das äußere Werk, laß, was dich bindet, gib auf, was dich vom Willen Gottes scheidet! Sage nicht: Ich habe den Glauben dazu nicht. Du hast ihn solange nicht, als du in Ungehorsam bleibst, solange du den ersten Schritt nicht tun willst. […] Glaubst du nicht – so tu eben denselben [sc. den ersten] Schritt, er ist dir geboten! Die Frage nach deinem Glauben oder deinem Unglauben ist dir nicht aufgetragen, sondern die Tat des Gehorsams ist dir befohlen und sofort zu tun. In ihr wird die Situation gegeben, in der Glaube möglich wird und wirklich existiert. (N 56; Hervorhebung durch F.S.)

Zwar gibt der Betroffene vor, er habe den Glauben nicht und könne nicht glauben; seine Glaubensunfähigkeit führt Bonhoeffer aber darauf zurück, dass er in Wahrheit „in seinem Ungehorsam verstockt“ ist (N 58). Der Schritt des Gehorsams würde den „Ungläubigen“ aus seiner Verstockung befreien.174 173 Vgl. dazu unten Kap. 2.5. 174 Vgl. hierzu DBW 13, Brief an E. Sutz vom 11. 9. 1934, 205: „Hitler […] ist verstockt […] – wir sollen bekehrt werden, nicht Hitler.“

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2.4.2.4.2 Der Unglaube des aufrichtig Ungehorsamen: Der reiche Jüngling Die zweite Ausprägung ist der Unglaube des aufrichtigen Ungehorsamen. Dessen Gewährsmann ist in der „Nachfolge“ jener Jüngling aus Mt 19, der von seinem Reichtum nicht lassen, darum nicht nachfolgen und infolge dessen auch nicht wirklich glauben kann. Nicht, dass der reiche Jüngling kein gottesfürchtiger, kein „glaubender“ Mann gewesen wäre – als ein frommer Jude hatte er das Gesetz von seiner Jugend an gehalten.175 Weil er aber den von Jesus Christus geforderten Schritt nicht tut, darum kann er nicht glauben. Indem Jesus ihn ruft, erkennt der Jüngling den Anspruch des Rufenden, der Christus zu sein und als dieser anerkannt zu werden, doch ist er nicht bereit, diesem in der Forderung der freiwilligen Armut sich ausdrückenden Anspruch Folge zu leisten; die Forderung ist ihm zu hoch. „Die Antwort des Jünglings ist Nein. Traurig ging der Jüngling davon, er sah sich enttäuscht, betrogen um seine Hoffnung, und er kann doch von seiner Vergangenheit nicht lassen. Er hatte viele Güter.“ (N 65) In der Beschreibung der Emotionen des Jünglings (er fühlt sich traurig, enttäuscht, betrogen) deutet sich an, worin dessen Ungehorsam nach Bonhoeffer zu würdigen ist: Zwar ist der Jüngling dem Wort Jesu nicht gehorsam, gerade darin ist er aber aufrichtig. Sein Ungehorsam zeichnet sich aus durch Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Als der Jüngling den Anspruch Jesu vernommen hat, weiß er, dass es „nur noch Ja oder Nein“ gibt, „Gehorsam oder Ungehorsam“ (N 65; Hervorhebung durch F.S.), Glauben oder Unglauben, Gnade oder Gericht, Vollkommenheit oder Unvollkommenheit, ewiges Leben oder endliches Leben. Er versteht, dass das Entweder-Oder keine Ausflucht in den „ethischen Konflikt“176 zulässt; kein „Erlaube mir zuvor“ (vgl. N 48ff), kein Aber, keinen Mittel- oder Seitenweg, keine Alternative, kein Vielleicht, kein Später, keine Beugung des Gebots. Das Wort Jesu stellt vor die Wahl, einfältig zu gehorchen oder ungehorsam sein. Der Jüngling vermag sich in seiner Traurigkeit nicht damit zu beruhigen, daß er zu sich sagte: ich will nun zwar trotz des Wortes Jesu reich bleiben, aber ich will innerlich von meinem Reichtum frei werden und mich in aller meiner Unzulänglichkeit der Vergebung der Sünde trösten und im Glauben mit Jesus Gemeinschaft haben; sondern er ging traurig davon und war mit dem Gehorsam um den Glauben gekommen. Darin war der Jüngling ganz aufrichtig. Er trennte sich von Jesus […]. Offenbar stand es nach der Meinung Jesu mit dem Jüngling so, daß dieser sich eben nicht innerlich von seinem Reichtum freimachen konnte. Vermutlich hatte der Jüngling als ernster und strebender Mensch das tausendmal selbst versucht. Daß es mißlang, zeigt die Tat175 Vgl. Mt 19,20. Desgleichen, so stellt Bonhoeffer fest, waren auch die ersten Jünger keineswegs ungläubige Menschen, im Gegenteil, „sie hielten das Gesetz und warteten auf den Messias“ (N 51). 176 Vgl. N 59 ff. Siehe dazu unten Kap. 2.4.2.4.3.

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sache, daß er im entscheidenden Augenblick dem Wort Jesu nicht zu gehorchen vermochte. Darin war also der Jüngling aufrichtig. (N 70)

In Anlehnung an Bonhoeffers für die Gnade vorgenommene Unterscheidung zwischen Gnade als „Voraussetzung“ und als „Resultat“ (vgl. N 37ff) kann der aufrichtige Ungehorsam des Jünglings als resultativer Ungehorsam bezeichnet werden. 2.4.2.4.3 Der Unglaube des Glaubenden: Billige Gnade Die dritte Form des Unglaubens ist die äußerste; sie setzt auf „die bewußte Aufhebung des einfältigen, wörtlichen Gehorsams“ (N 71), und zwar in der Weise, dass an die Stelle gehorsamen Tuns von Anfang an ein „paradoxe[s] Verständnis der Gebote“ (N 73 u. ö.) tritt, sodass hier – im Gegensatz zu der zweiten Form – von einem Ungehorsam als Voraussetzung gesprochen werden kann. Das Entweder-Oder des Gebotes Christi wird gar nicht erst anerkannt, sondern aufgelöst, indem das Gebot als noch zu interpretierendes Gebot begriffen wird,177 mit der Behauptung, dass zwischen dem, was Jesus sagt, und dem, was Jesus meint, unterschieden werden müsse. Dem Inhalt des Gebotes wird seine Verbindlichkeit und konkrete Gültigkeit abgesprochen. Also, Jesus sagt etwa: Verkaufe deine Güter! Jesus meint aber : Nicht darauf kommt es in Wahrheit an, daß du das nun auch äußerlich vollziehst, vielmehr sollst du die Güter ruhig behalten, aber du sollst sie haben, als hättest du sie nicht. Hänge dein Herz nicht an die Güter. (N 70)

Bonhoeffer spielt hier keineswegs, wie vermutet werden könnte, Jesus gegen Paulus aus; vielmehr entsprechen seine Ausführungen der Beobachtung, dass gerade das paulinische ¢r l^, das dem Apostel zum Ausdruck christlicher Weltfremdheit dient, der Gefahr ausgesetzt ist, zur Rechtfertigung christlicher Weltförmigkeit missbraucht zu werden. Der Ungehorsam rechtfertigt den ,Glauben‘, wie umgekehrt der ,Glaube‘ den Ungehorsam begründet. Dieser „Ungehorsam der ,Glaubenden‘“ (N 56) ist der Ungehorsam des „ethischen Konflikts“, welchen die „Schlange im Paradies […] in das Herz des ersten Menschen [legte]“ (N 61 u. ö.). Der Konflikt beginnt mit der Behauptung und dem „Hinweis darauf, daß das Gebot ja noch durchaus der Auslegung und Deutung bedarf“ (N 62). Das Gebot sei keineswegs eindeutig, sondern „zweideutig und lasse mancherlei Auslegungen zu“ (N 58). Es fordere sogar die Auslegung, denn schließlich solle ja der „Mensch selbst […] darüber entscheiden, in der Kraft seines Wissens um Gut und Böse, in Kraft seines Gewissens, was das Gute sei. Das Gebot ist vieldeutig, Gott will, daß der Mensch es deute und auslege und sich in 177 Zu bedenken ist hier die konkrete Situation Bonhoeffers: Hintergrund seiner Ausführungen, das Gebot Christi sei klares, bindendes, keinesfalls zu diskutierendes Gebot, ist sein Eindruck, dass das Gebot (Gebot des Friedens und Verbot des Krieges; Gebot der Judenmission und Verbot des Arierparagraphen) diskutiert und gerade nicht getan wird; siehe unten Kap. 4.4.3.

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Freiheit entscheide.“178 Gerade diese Argumentation aber, der die Annahme zugrundeliegt, der Mensch wüsste selbst um Gut und Böse, ist ja in Bonhoeffers Theologie schon das Kennzeichen des gefallenen Menschen, der sich selbst für mündig hält. Der „ethische Konflikt“, der das klare Gebot durch die Frage der Schlange – „Sollte Gott gesagt haben?“ (N 61) – dem Zweifel unterwirft, ist das Kennzeichen des „Menschen unter der Sünde“. Indem aber an die „Stelle des einfältigen Tuns […] ein zwiefältiges Denken“ tritt, ist, so Bonhoeffer, „der Gehorsam gegen das Gebot schon verweigert“. „Die Berufung auf den ethischen Konflikt ist die Aufsage des Gehorsams. Er ist der Rückzug von der Wirklichkeit Gottes auf das Mögliche des Menschen, vom Glauben auf den Zweifel.“ (N 62) Wer folglich in der Weise ungehorsam ist, dass er das Gebot Christi in Zweifel zieht, anstatt es einfältig zu tun, der mag sich zwar für einen Glaubenden halten und als einen solchen ausgeben; in Wirklichkeit aber glaubt er nicht, kann er gar nicht glauben, weil er den Gehorsam verweigert und so in seiner bisherigen Existenz verbleibt. (Und hier gilt ja: „In der alten Situation bleiben und nachfolgen schließt sich aus.“ N 50) Den Gehorsam zu verweigern bedeutet für Bonhoeffer, Glauben zu verweigern und das heißt: Gott selbst zu verleugnen.179 Nicht gehorchen heißt nicht glauben, denn Glauben gibt es nur in der Einheit mit dem Gehorsam, ebenso wie es Gehorsam nur in der Einheit mit dem Glauben gibt. Diese Einheit, die in subtilster Form in dem „paradoxe[n] Verständnis der Gebote“ (N 73 u. ö.), im „ethischen Konflikt“ verleugnet ist, will Bonhoeffer in dem Begriff der „Situation, in der geglaubt werden kann“ wiedergewinnen; mit ihr stellt Bonhoeffer sich theologisch dem paradoxen Verständnis und dem ethischen Konflikt entgegen. Der Begriff einer Situation, in der geglaubt werden kann, ist nur [!] die Umschreibung des Sachverhalts, in dem die folgenden zwei Sätze gelten, die in gleicher Weise wahr sind: Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt. (N 52; erste Hervorhebung durch F.S.)

Anders als bei der ersten Form des Ungehorsams wird bei der dritten der Ungehorsam nicht unter Berufung auf den Unglauben, sondern mit Hilfe des Glaubens (d. h. mit Hilfe eines in Bonhoeffers Sicht pervertierten, billigen Glaubens) begründet, um sofort den Ungehorsam zum wahren Gehorsam zu deklarieren. Denn wahrer Glaube bestehe, so wird argumentiert, gerade nicht darin, irgendwelche Werke zu tun. Das Gebot Jesu wörtlich befolgen hieße, gesetzlich zu handeln, „gegen die Gnade zu wüten, die […] Gnade zu schänden und neuen Buchstabendienst aufzurichten durch den Versuch eines gehor178 N 62. Vgl. ebenso SF 96ff und E, bes. 386 ff. Zu Gewissen vgl. Mokrosch, Gewissensverständnis. 179 Lange vor der N war dies eine Erkenntnis, für die Bonhoeffer bedingungslos einstand. „Wer Gottes Gebot in Frage zieht, bevor er gehorcht, der hat ihn [sc. Gott!] schon verleugnet.“ (DBW 13, Rede: Kirche und Völkerwelt, 299), so heißt es bereits im August 1934, als Bonhoeffer auf Fanø über das Friedensgebot Christi zu den Vertretern der Ökumene spricht.

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samen Lebens unter den Geboten Christi!“ Der wahrhaftig Glaubende aber wisse („bei der Ketzerei des Schwärmertums!“), dass die „Gnade […] alles allein tut“ (N 30). Diesen „Glauben“, der den einfältigen Gehorsam unter Verzicht auf den ersten Schritt eliminiert, nennt Bonhoeffer „billige Gnade“.180 Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung […]; Gnade ohne Preis, ohne Kosten. Das sei ja gerade das Wesen der Gnade, daß die Rechnung im voraus für alle Zeit beglichen ist. Auf die gezahlte Rechnung hin ist alles umsonst zu haben. […] Wer sie bejaht, der hat schon Vergebung seiner Sünden. (N 29)

Die Vergebung der Sünden als Trennung von der Sünde kann aber nach Bonhoeffer allein erfolgen durch die Anerkennung des Mittlers, die wiederum allein durch die Nachfolge des Gottessohnes, d. h. den gehorsamen Glaubensschritt, geschieht.181 Billige Gnade ist darum Leugnung des lebendigen Wortes Gottes, Leugnung der Menschwerdung des Wortes Gottes. (N 29) Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den lebendigen, menschgewordenen Jesus Christus. (N 30)

Indem die Notwendigkeit der leiblichen Bindung an den Christus verleugnet bzw. in den Bereich des psychologischen verschoben wird, verkommt die Gnade Gottes zu einer Idee. Billige Gnade heißt darum „Gnade als Lehre, als Prinzip, als System, heißt Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit, heißt Liebe Gottes als christliche Gottesidee“ (N 29; vgl. hierzu bes. N 47). Hier „findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut“ (N 29). Billige Gnade heißt Rechtfertigung der Sünde und nicht des Sünders. Weil Gnade doch alles allein tut, darum kann alles beim alten bleiben. „Es ist doch unser Tun umsonst“. Welt bleibt Welt, und wir bleiben Sünder „auch in dem besten Leben“. (N 29) Also, der Christ folge nicht nach, aber er tröste sich der Gnade! Das ist billige Gnade als Rechtfertigung der Sünde, aber nicht als Rechtfertigung des bußfertigen Sünders, der von seiner Sünde läßt und umkehrt; nicht Vergebung der Sünde, die von der Sünde trennt. Billige Gnade ist die Gnade, die wir mit uns selbst haben. (N 30)

Billige Gnade ist „Unglauben unter dem Schein des demütigen Glaubens“ (N 56; Hervorhebung durch F.S.). Dieser ist ein Glaube, der beim Anblick des auf dem Wasser wandelnden Jesus Christus zwar ehrfürchtig und eifrig bekennt – der jedoch das Boot nicht verlässt und den Schritt hinaus auf die 70.000 Faden Wasser182 nicht wagt. Damit ist der Glaube als Glaube völlig verkannt. Dieser Glaube ist kein Glaube, denn: „erst muß der Schritt des 180 Vgl. z. B. N 73: „Wo der einfältige Gehorsam grundsätzlich eliminiert wird, dort ist abermals aus der teuren Gnade des Rufes Jesu die billige Gnade der Selbstrechtfertigung geworden.“ 181 Siehe oben Kap. 2.4.2.3. 182 Vgl. Kierkegaard, Der Einzelne und die Kirche, 159 (= Papirer X,4 A 114 [1851]).

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Gehorsams getan sein, ehe geglaubt werden kann“,183 „damit der Glaube rechter Glaube und nicht Selbstbetrug sei“ (N 57). Es ist der Ungehorsam der „Glaubenden“, dort wo ihr Gehorsam gefordert wird, ihren Unglauben zu bekennen und mit diesem Bekenntnis (Mk. 9,24) Spiel zu treiben. Glaubst du – so tu den ersten Schritt! Er führt zu Jesus Christus. Glaubst du nicht – so tu eben denselben Schritt, er ist dir geboten! (N 56) Wird einer damit auf den Weg der eigenen Werke verführt? Nein, vielmehr wird er darauf verwiesen, daß sein Glaube kein Glaube ist, er wird aus der Verstrickung in sich selbst befreit. Er muß in die freie Luft der Entscheidung. So wird ihm der Ruf Jesu zum Glauben und zur Nachfolge neu hörbar gemacht. (N 59; Hervorhebung durch F.S.)

Hier wird deutlich, inwieweit sich Ungehorsam und Unglaube des „Gläubigen“ vom Ungehorsam und Unglauben des reichen Jünglings unterscheiden. Zwar tritt auch der reiche Jüngling in seiner Konfrontation mit Jesus die Flucht in den „ethischen Konflikt“ an.184 Seine Flucht ist aber nur eine vorübergehende.185 Schließlich stellt er sich dem Entweder-Oder, dem Anspruch Jesu, und wenn er traurig davongeht, dann darum, weil er weiß, dass er sich die Gnade Gottes nicht selbst zusprechen kann, dass billige Gnade keine Gnade ist. Er beginnt nicht zu feilschen. Er gehorcht Jesus nicht und folgt nicht nach. Er weiß, dass er keine Gemeinschaft mit dem Messias, dem Sohn Gottes, haben kann, solange er dessen Weisung nicht unbedingt gehorsam ist. Die Gnade Christi ist ihm zu teuer – aber er verleugnet gerade nicht, dass Gnade nur als teure Gnade Gnade ist. Teure Gnade ist der verborgene Schatz im Acker, um dessentwillen der Mensch hingeht und mit Freuden alles verkauft, was er hatte; […] der Ruf Jesu Christi, auf den hin der Jünger seine Netze verläßt und nachfolgt. Teure Gnade ist das Evangelium, das immer wieder gesucht, die Gabe, um die gebeten, die Tür, an die angeklopft werden muß. Teuer ist sie, weil sie in die Nachfolge ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft; teuer ist sie, weil sie dem Menschen das Leben kostet, Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben erst schenkt; teuer ist sie, weil sie die Sünde verdammt, Gnade, weil sie den Sünder rechtfertigt. Teuer ist die Gnade vor allem darum, weil sie Gott teuer gewesen ist, weil sie Gott das Leben seines Sohnes gekostet hat – „ihr seid teuer erkauft“ –, und weil uns nicht billig sein kann, was Gott teuer ist. 183 N 55. Siehe dazu den Zusammenhang dieser Stelle: „Jetzt […], da Christus gerufen hat, muß Petrus aus dem Schiff heraus, um zu Christus zu kommen. So ist in der Tat der erste Schritt des Gehorsams schon selbst ein Tun des Glaubens an das Wort Christi. Es würde aber den Glauben als Glauben völlig verkennen, wenn nun daraus wieder geschlossen würde, es sei also der erste Schritt doch nicht mehr nötig, weil doch der Glaube schon da sei. Demgegenüber muß dann geradezu der Satz gewagt werden: erst muß der Schritt des Gehorsams getan sein, ehe geglaubt werden kann.“ (Ebd.). 184 Vgl. N 61ff: „Vom klaren Gebot Gottes zieht er sich zurück auf die interessante unbestreitbar menschliche Situation des ,ethischen Konflikts‘.“ (N 61). 185 Jesus verhindert die Flucht, „in der der Jüngling seinen Ungehorsam zu verhüllen sucht“, indem er „ihn enthüllt als den, der er ist, nämlich als den Menschen unter der Sünde“ (N 62).

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Gnade ist sie vor allem darum, weil Gott sein Sohn nicht zu teuer war für unser Leben, sondern ihn für uns hingab. Teure Gnade ist Menschwerdung Gottes. […] Teuer ist die Gnade, weil sie den Menschen unter das Joch der Nachfolge Jesu Christi zwingt, Gnade ist es, daß Jesus sagt: „Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ (N 30 f)

Der Glaube der billigen Gnade, der „Ungehorsam der ,Glaubenden‘“ (N 56), redet gerade nicht der Gnade Gottes, sondern der billigen Gnade das Wort. Denn hier besteht der „Gehorsam“ gegen das Wort Jesu darin, dass der „einfältige[…] Gehorsam als gesetzlich“ verweigert wird, „um dann ,im Glauben‘ gehorsam zu sein“ (N 70). Nicht Gehorsam fordere Jesus, sondern ungeteilten Glauben (vgl. N 69). Der auf gebeugtem Gehorsam basierende Glaube ist Scheinglaube, die Gemeinschaft mit Christus nicht Leib-, sondern nur Scheingemeinschaft,186 gegen die sich Bonhoeffers Rede der „Situation, in der allererst geglaubt werden kann“ richtet: Gerade weil es allein um das rechte Glauben an Jesus Christus geht, weil der Glaube allein das Ziel ist und bleibt („aus Glauben in Glauben“, Römer 1,17), ist diese Situation unerläßlich. Wer hier allzuschnell und allzu protestantisch protestiert, der muß sich fragen lassen, ob es nicht die billige Gnade sei, für die er spricht. (N 57)

Wenn es nun, wie deutlich geworden, nicht der reiche Jüngling ist, den Bonhoeffer als Gewährsmann der dritten Ausprägung des Ungehorsams und Unglaubens anführt, dann mag gefragt werden, ob es denn eine andere biblische Entsprechung in Bonhoeffers Text gibt. Es gibt diese Entsprechung in der Tat. Bonhoeffer bringt die äußerste Form des Ungehorsams in der Figur des Schriftgelehrten aus der Rahmenerzählung der Geschichte vom barmherzigen Samariter Lk 10,25ff zum Ausdruck. Auch dieser Schriftgelehrte stellt die Frage nach dem ewigen Leben, auch diesen weist Jesus an das mosaische Gesetz, und, wie der Jüngling, stellt auch er die Eindeutigkeit und Klarheit des Gesetzes infrage, flüchtet in den „ethischen Konflikt“.187 Der grundlegende Unterschied zwischen reichem Jüngling und Schriftgelehrtem deutet sich jedoch in der Ehrlichkeit (bzw. Unehrlichkeit) ihres Anliegens zum einen und ihrer Reaktion auf die Antwort Jesu zum anderen an: Das Anliegen des Jünglings ist es, den Weg zum ewigen Leben zu erfahren. So ehrlich seine Frage nach dem ewigen Leben ist, so ehrlich ist auch seine Reaktion am Ende. Der Schriftgelehrte hingegen konfrontiert Jesus zwar mit derselben Frage; ihm dient sie jedoch als Vorwand für sein eigentliches, ganz anderes Anliegen: Seine Frage ist Versuchung.188 Konkret besteht seine Versuchung Jesu in der ethischen Anzweiflung des Gebotes der Nächstenliebe mittels der Frage: „Wer ist denn mein Nächster?“ (Lk 10,29; zit. n.: N 66), eine Frage, die Jesus sodann 186 Den Begriff „Scheingemeinschaft“ verwendet Bonhoeffer in N 70. 187 Nach Bonhoeffer entspricht die Frage des Jünglings, welche Gebote zu befolgen seien, der Frage des Schriftgelehrten: Wer ist denn mein Nächster? (vgl. N 63 und 66). 188 Vgl. N 66: „Die Frage des Schriftgelehrten ist dieselbe wie die des Jünglings. Nur ist hier von vornherein festgestellt, daß es eine versucherische Frage ist.“

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im Gleichnis als satanische Frage abwehrt (vgl. ebd.). Bonhoeffer zeichnet sie als geradezu blasphemisch: Sie ist eine Frage ohne Ende, ohne Antwort. Sie entspringt den „zerrütteten Sinnen derer, die der Wahrheit beraubt sind“, „die die Seuche der Fragen und Wortkriege haben“. Aus ihr „entspringt Neid, Hader, Lästerung, böser Argwohn, Schulgezänk“ (1. Tim. 6,4 f.). Es ist die Frage der Aufgeblasenen, die „immerdar lernen und können doch nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“, „die den Schein eines gottseligen Wesens haben, aber seine Kraft verleugnen sie“ (2. Tim. 3,5ff). Sie sind untüchtig zum Glauben, sie fragen so, weil sie „ein Brandmal im Gewissen haben“ (1. Tim. 4,2), weil sie nicht gehorsam sein wollen dem Worte Gottes. (N 66)

Nun wird über die Reaktion des Schriftgelehrten im lukanischen Text zwar nichts ausgesagt; in der Formulierung des protestantischen Protests gegen den einfältigen Gehorsam in diesem Zusammenhang (vgl. N 57, siehe letzte Seite), deutet sich jedoch an, wessen Ungehorsam Bonhoeffer mit jener dritten Form benennt. Dieser Ungehorsam ist eigentlich unser Ungehorsam, dieser Unglaube unser Unglaube. Wir sind es, die sich in ihrer Argumentation grundlegend nicht nur vom reichen Jüngling (vgl. N 71 f u. ö.), sondern „vom biblischen Hörer des Wortes Jesu überhaupt“ unterscheiden,189 wenn wir an die Stelle der klaren Alternative von „Ja oder Nein“ (N 65) eine Pseudogestalt des Gehorsams setzen, welche als das wahre (oder das wahrere) Ja ausgegeben wird, in Wirklichkeit aber den von Jesus geforderten einfältigen Gehorsam bewusst aufhebt (vgl. N 71): Sagt Jesus zu diesem: Laß alles andere zurück und folge mir nach, geh aus deinem Beruf, aus deiner Familie, aus deinem Volk und Vaterhaus!, so hatte dieser gewußt: Auf diesen Ruf gibt es nur die Antwort des einfältigen Gehorsams und dies darum, weil eben diesem Gehorsam die Verheißung der Gemeinschaft mit Jesus gegeben ist. Wir aber würden sagen: Der Ruf Jesu ist zwar ,unbedingt ernstzunehmen‘, aber der wahre Gehorsam gegen ihn besteht darin, daß ich nun gerade in meinem Beruf, in meiner Familie bleibe und ihm dort diene, und zwar in wahrer innerer Freiheit. Jesus würde also rufen: Heraus! – Wir verstehen ihn aber, wie er es eigentlich meint: Bleib drinnen!, freilich als einer, der innerlich herausgetreten ist. Oder Jesus würde sagen: Sorget nicht; wir aber würden verstehen: Natürlich müssen wir sorgen und arbeiten für die Unsern und für uns. Alles andere wäre ja unverantwortlich. Aber innerlich sollen wir freilich von solcher Sorge frei sein. Jesus würde sagen: So dir jemand einen 189 N 70. Ebd. streicht Bonhoeffer den grundsätzlichen Unterschied zwischen dem biblischen und dem postreformatorischen Hörer heraus: „Wir unterscheiden uns […] mit unserer Argumentation vom biblischen Hörer des Wortes Jesus überhaupt.“ Vgl. dazu N 66: „Unzählige Male ist seither dem versucherischen Schriftgelehrten diese Frage gutgläubig und unwissend nachgesprochen worden, sie erfreut sich des Ansehens einer ernsten und vernünftigen Frage eines suchenden Menschen. Aber man hat den Zusammenhang nicht recht gesehen. Die ganze Geschichte vom barmherzigen Samariter ist eine einzige Abwehr und Zerstörung dieser Frage als einer satanischen durch Jesus.“

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Streich gibt auf die rechte Backe, so biete ihm auch die andere dar ; wir würden verstehen: Gerade im Kampf, gerade im Widerschlagen soll erst die wahre Liebe zum Bruder ganz groß werden. Jesus würde sagen: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes; wir würden verstehen: Natürlich hätten wir zuerst nach allerlei anderen Dingen zu trachten. Wie sollten wir sonst existieren? Gemeint sei eben die letzte innere Bereitschaft, für das Reich Gottes alles einzusetzen.190

Anders als dem aufrichtigen Ungehorsam spricht Bonhoeffer dieser kalkulierten Form des Ungehorsams jede Verheißung ab. Aufrichtig trennt sich der reiche Jüngling von Jesus, „und gewiß hat diese Aufrichtigkeit größere Verheißung als eine Scheingemeinschaft mit Jesus, die auf dem Ungehorsam beruht“ (N 70). Der liebende Blick Jesu trifft den Jüngling191 – aber eben nur ihn.192 Insofern das Gebot Christi nicht prinzipiell zu begreifen, sondern stets konkret ist, liegt jener „verkehrten Argumentation tatsächlich etwas ganz richtiges zugrunde“ (N 72). Führt die paradoxe Interpretation des Gebotes (vgl. N 72ff) indes zur Aufhebung des eingeforderten einfältigen Gehorsams, dann wird das teure Gebot zu einem „bequemen Ausweg, zur Flucht vor dem konkreten Gehorsam“ (N 73). Wer auf dieser Basis der Gnade teilhaftig werden zu können meint, der ist allein der billigen Gnade teilhaftig, die nicht rechtfertigt, sondern „im voraus“ (N 29) beansprucht wird, d. h. unter Umgehung des ersten, richtenden Urteils Gottes.193 „Billige Gnade“ ist darum, so sagt es Bonhoeffer mit Kierkegaard, „Gnade als Voraussetzung“ (N 37 u. ö.). Gottes Gnade ist aber Gnade, die – als Resultat – allein demjenigen geschenkt ist, der den Mittler und die Gerechtigkeit Gottes glaubend im Gehorsam und gehorsam im Glauben anerkennt.194

190 N 70 f. Siehe zum „Beruf“ unten Kap. 3.2.1.2.1. 191 Vgl. Bonhoeffers Referenz auf Mk 10,21 im Zusammenhang der Auslegung von Mt 19,20 f in N 63: „Markus fügt an dieser Stelle ein: ,Und Jesus sah ihn an und liebte ihn‘ (10,21). Jesus erkennt, wie hoffnungslos sich der Jüngling verschlossen hat gegen das lebendige Wort Gottes, wie er mit ganzem Ernst, mit seinem ganzen Wesen wütet gegen das lebendige Gebot, gegen den schlichten Gehorsam. Er will dem Jüngling helfen, er liebte ihn.“ 192 Vgl. hierzu auch N 67: „Aber der reiche Jüngling wurde von Jesus in die Gnade der Nachfolge gerufen, der versucherische Schriftgelehrte wird zurückgestoßen ins Gebot.“ 193 Siehe oben Kap. 2.3.1. 194 N 52 u. ö. Der Terminus „Gnade als Resultat“ findet eine direkte Entsprechung in Luthers Verständnis der Rechtfertigung, wie dieses von Bonhoeffer beschrieben ist (vgl. N 33ff): Durch das mich verurteilende Gesetz komme ich zur Selbsterkenntnis und der Erkenntnis meiner Angewiesenheit auf die Gnade Gottes. Selbstredend bleibt dabei der Glaube für Bonhoeffer immer, wie es Barth im ersten Band der „Kirchlichen Dogmatik“ beschreibt, allein das „Wunder des heiligen Geistes“ und ist „nicht unser eigenes Werk“ (KD I/1, 190). In Bonhoeffers Seminar über „Theologische Psychologie“ (WS 1932/33) heißt es: „Gott kann auch den Gehorsam noch verwerfen, bzw. muß den Gehorsam noch akzeptieren.“ (DBW 12, Dogmatische Übungen im WS 1932/33: Theologische Psychologie, 193) Vgl. zudem Barth, aaO. 189: „Gott ist der Herr in diesem Geschehen. Der Herr der Rede ist auch der Herr des Hörens. Der Herr, der das Wort gibt, ist auch der Herr, der den Glauben gibt.“ Vgl. hierzu auch Luthers Erklärung des dritten Glaubensartikels im Kleinen Katechismus, WA 30,1, 367, 4.

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Nur wer in der Nachfolge Jesu im Verzicht auf alles, was er hatte, steht, darf sagen, daß er allein aus Gnaden gerecht werde. Er erkennt den Ruf in die Nachfolge selbst als Gnade und die Gnade als diesen Ruf. Wer sich aber mit dieser Gnade von der Nachfolge dispensieren will, betrügt sich selbst. (N 38)

Dieser Selbstbetrug ist freilich auch Resultat, aber eben nur das Resultat einer falsch verstandenen „Freiheit des Christenmenschen“.195 In der ersten Form des Ungehorsams kommt der Angriff auf das Tun des Gebotenen noch „frontal, später [sc. nämlich in der dritten Form] versteckt hinter den Worten des Geistes, d. h. im Namen der evangelischen Freiheit“ (N 165). Hier wird verkannt, dass uns Christus als der Mittler nicht vom Gesetz, sondern zum Gesetz befreit hat.196 Wo die evangelische Freiheit vom gesetzlichen Zwang […] grundsätzlich gegen den rechten evangelischen Gebrauch von Zucht, Übung und Askese ausgespielt wird, wo Zuchtlosigkeit und Unordnung im Gebet, im Umgang mit dem Wort, im leiblichen Leben gerechtfertigt werden im Namen christlicher Freiheit, dort ist der Widerspruch gegen das Wort Jesu offenbar. Dort weiß man nichts mehr […] von der Freude und nun gerade auch von der wahren Freiheit, die die rechte Übung dem Leben des Jüngers verleiht. (N 165)

Die Analyse des ersten Gehorsamsschritts und der „Situation, in der geglaubt werden kann“ sei nun mit der Betrachtung eines im Zusammenhang mit dieser mit der Rechtfertigung neu gewonnenen Freiheit zu verstehenden Gedankens beschlossen, der sich für den Nachvollzug des Glaubensbegriffs der „Nachfolge“, nicht zuletzt aber auch für das Verständnis der theologischen Entwicklung Bonhoeffers197 als aufschlussreich erweisen wird: das Moment des Glaubenlernens. Ohne den „Schritt in die unendliche Unsicherheit“, sagt Bonhoeffer, hätte Levi Jesus „nicht erkannt als den einen Herrn […], er hätte nicht glauben gelernt“. Und wäre Petrus nicht „aus dem Schiff heraus[ge] treten auf das schwankende Wasser, um seine Ohnmacht und die Allmacht seines Herrn zu erfahren […], so hätte er nicht glauben gelernt“ (N 51; Hervorhebung durch F.S.). Hier wird nun wiederum deutlich: Die „Situation, in der geglaubt werden kann“ ist keine Situation im Sinne statischer Erkenntnis oder Anerkenntnis. Glauben ist kein einmaliges (An-)Erkennen, wer Jesus ist, ist nicht etwas, das ich habe, nichts, das ist. Wie es einen Gott, den „es gibt“, nicht gibt,198 ,gibt es‘ auch eine Situation des Glaubenkönnens nicht,199 und ebenso – so kann gesagt werden – gibt es für Bonhoeffer in der „Nachfolge“ auch keinen Glauben, den „es gibt“. Glaube ist weder eine bloße Erkenntnis, 195 N 88; vgl. hierzu und zum Folgenden Luthers gleichlautende Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (Ein Sendbrief an den Papst Leo X., 1520, WA 7, 20 – 38). 196 Siehe hierzu oben Kap. 2.3.1. 197 Siehe unten Kap. 4. 198 Vgl. AS 112, siehe oben Anm. 100 dieses Kapitels. Vgl. zum Folgenden AS 158 ff. 199 Vgl. N 56 f: „nicht es gibt, sondern Er gibt dir eine Situation, in der du glauben kannst“.

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die ein Mensch hat oder nicht hat oder über die er verfügen könnte, noch ein in Reaktion auf die Christuserkenntnis folgendes gesprochenes Bekenntnis (vgl. N 45). Glaube manifestiert und – mit Kierkegaard gesprochen – redupliziert sich existentiell200 in jenem Schritt aus den „Sicherungen des Lebens heraus in die völlige Unsicherheit“, im Wagnis, sich ganz und allein auf das Wort Jesu in der Hoffnung zu verlassen, dass dieser der Heiland ist, um dann zu erfahren, dass dieses Wort nicht nur irgendein, sondern der einzige für mein Leben tragfähige Grund ist. So führt der Gehorsam, der im Glauben geschieht, zur Erkenntnis; das erste Wagnis an sich ist noch ohne Erkenntnis. „,Wer sich im Glauben auf ihn stützt‘, auf Jesus, den ,Fährmann‘, ,der wird auf Christis [sic!] Schultern hinübergetragen‘, hatte Luther gesagt“,201 und es tritt aus Luthers Worten ein Schatz an Erfahrung hervor. Nun habe ich erfahren, dass ich mich in der Gemeinschaft Jesu nicht in relativer, sondern absoluter Sicherheit wissen darf (vgl. N 46 und 50 f). Und mit Hilfe dieser Erfahrung kann jetzt weiter zu glauben gelernt werden. Nun kann sich mein Glaube bewähren; das bedeutet aber : Jeden Tag, in jeder Situation, bin ich aufgefordert, wiederum alles auf das Wort Jesu zu setzen und jetzt in der alleinigen Bindung an ihn seinen Geboten je und je gehorsam zu sein und so Glauben durch das Glauben und Gehorsam durch das Gehorchen zu lernen. „Was Gehorsam ist, lerne ich allein im Gehorchen, nicht durch Fragen. Erst im Gehorsam erkenne ich die Wahrheit. Aus dem Zwiespalt des Gewissens und der Sünde trifft uns der Ruf Jesu zur Einfalt des Gehorsams.“ (N 67; Hervorhebung durch F.S.) In der Nachfolge Jesu zu leben heißt, immer wieder neu, täglich für Jesus sich zu entscheiden und – dies wird in den folgenden Kapiteln aufgenommen werden – am Ruf Jesu täglich zu sterben (vgl. N 225 u. ö.). Was Dietrich Bonhoeffer in der „Nachfolge“ mit dem Gedanken des Glaubenlernens formuliert, ist die Vorwegnahme einer Einsicht, welche er in der Zeit der Gefangenschaft im Wehrmachtuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel in lyrischer Form wiederholen wird. In den ersten beiden Strophen des Gedichts „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“ heißt es (WE 571): Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht. […] Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit. Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.

Unter dem Aspekt des Lernens gelesen,202 ergibt sich für diese Zeilen: Zwar hat uns Christus am Kreuz zur Freiheit befreit (Gal 5,1) und wird uns diese 200 Vgl. Kierkegaard, Der Einzelne und die Kirche, 47 f (= Papirer VIII,2 B 85, 16/17/18 (1847). 201 Luther, WA 57,3, 224; zit. n.: Gremmels, Rechtfertigung und Nachfolge, 97. 202 Vgl. zu der folgenden These die in den Hg.-Anmerkungen hinzugefügte Gedankenskizze

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Freiheit in der Rechtfertigung lebendig zuteil; gleichwohl bleiben auch dem Gerechtfertigten Stationen, die es zu durchschreiten gilt: „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“ (WE 570) und ebenso Stationen auf dem „Weg zum Glauben“ (N 51). Wer die evangelische Freiheit für sich beansprucht ohne den Gehorsam, den diese Freiheit fordert, zu dem sie befreit, wer den Glauben oder wer die Freiheit ergreift, ohne zuvor den Weg beschritten zu haben, der zu ihnen hinführt, der wird die Einsicht nicht nachzusprechen berechtigt sein, die am Ende dieses Weges steht: „Freiheit, dich suchten wir lange in Zucht und in Tat und in Leiden. / Sterbend erkennen wir nun im Angesicht Gottes dich selbst.“ (WE 572)

2.4.3 Die Gemeinschaft der Nachfolgenden: Der neue Mensch Die Grundkategorie in Bonhoeffers Auslegung von Ruf und Eintritt des Jüngers in die Nachfolge ist die Kategorie des „Einzelnen“, ein Begriff, den Bonhoeffer von Kierkegaard übernimmt203 und dem unverkennbar zeitkritische Absicht eignet.204 Jesus ruft den Menschen als Einzelnen in die Nachfolge. Der Gerufene kann sich nicht in der Beliebigkeit der Masse verstecken. Als Einzelner steht er Jesus von Angesicht zu Angesicht gegenüber und muss sich für oder gegen die Nachfolge, gegen oder für die Massen entscheiden. So notwendig und tragend das Einzelner-Werden in Bonhoeffers Argumentation aber ist, der „Einzelne“ ist eine vorläufige, nicht die endgültige Kategorie, denn: Zwar muss jeder vor dem Mittler Einzelner werden, sichtbar oder heimlich. Ebenderselbe Mittler aber, der uns zu Einzelnen macht, ist damit auch der Grund ganz neuer Gemeinschaft. Er steht in der Mitte zwischen dem anderen Menschen und mir. Er trennt, aber er vereint auch. So ist zwar jeder unBonhoeffers für das Gedicht „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“: „Zucht 1. Lerne dich selbst zu beherrschen / Tat 2. Lerne handeln. […] 3. Lerne Leiden – in andre Hände legen. […] / 4. Tod. Lerne Sterben“ (WE 570, Hg.-Anm. 1; Hervorhebung durch F.S.). 203 Vgl. schon den Titel der von Bonhoeffer herangezogenen Kierkegaard-Auswahl: „Der Einzelne und die Kirche“, vgl. darin bes. die Nummern 2, 17 – 21, 36, 52, 57, 72, 82, 90, 93 f, 103, 108, 119, 145, 150, 152, 162, 169b, 179, 181, IIc, d und e. 204 Der „Einzelne“ wird bei Bonhoeffer zum Gegenbegriff der nationalsozialistischen Bewegung der „Massen“, vgl. bes. N 90: „Wo immer eine Gemeinschaft uns hindert, vor Christus ein Einzelner zu sein, wo immer eine Gemeinschaft Anspruch auf Unmittelbarkeit erhebt, dort muß sie um Christi willen gehaßt werden; denn jede Unmittelbarkeit ist, wissentlich oder nicht, Haß gegen Christus den Mittler, auch und gerade dort, wo sie sich christlich verstanden wissen will.“ Der Zusatz „auch und gerade dort, wo sie sich christlich verstanden wissen will“ ist als deutlicher Affront gegen die Deutschen Christen zu lesen. Vgl. auch N 89: „Zwar bieten sich Götter genug an, die dem Menschen unmittelbaren Zugang gewähren, zwar versucht die Welt mit allen Mitteln sich zum Menschen unmittelbar zu verhalten, aber eben hierin liegt die Feindschaft gegen Christus, den Mittler.“ Zur Interpretation des „Einzelnen“ auf dem Hintergrund der historischen Situation siehe unten Kap. 4.8.

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mittelbare Weg zum Anderen abgeschnitten, aber es wird nun dem Nachfolgenden der neue und allein wirkliche Weg zum Andern über den Mittler gewiesen. (N 94)

So ist für Bonhoeffer ausschließlich denen, die einmal Einzelne geworden sind, „die Verheißung neuer Gemeinschaft gegeben“ (N 95). In der Gemeinschaft der Nachfolgenden findet der Mensch „wieder, was er verließ, Brüder, Schwestern, Häuser, Äcker“ (N 224). Jeder tritt allein in die Nachfolge, aber keiner bleibt allein in der Nachfolge. Dem, der es wagt, Einzelner zu werden auf das Wort hin, ist die Gemeinschaft der Gemeinde geschenkt. Er findet sich wieder in einer sichtbaren Bruderschaft, die ihm hundertfältig ersetzt, was er verlor. Hundertfältig? eben darin, daß er jetzt alles nur durch Jesus hat, daß er es hat durch den Mittler (N 95).

Alles, was der Nachfolgende von jetzt an tut, handelt er innerhalb der Gemeinschaft der Gemeinde Jesu und als ihr Glied. Damit ist, wie noch auszuführen sein wird, nicht der Einzelne, sondern die Gemeinde, deren Glieder die Einzelnen sind, das eigentliche ethische Subjekt.205 Während Bonhoeffer also mit der Kategorie des „Einzelnen“ einerseits der Möglichkeit eines Abtauchens des Gerufenen in der Masse wehrt und ebenso einem Sich-Verstecken hinter Verantwortlichkeiten, ist ihm andererseits daran gelegen, den Einzelnen im Subjekt Gemeinde zu integrieren. (Was an späterer Stelle noch auszuführen sein wird, sei schon hier angedeutet: Auf der Folie der historischen Situation des Kirchenkampfes und, noch konkreter, in Finkenwalde wird verständlich, worauf Bonhoeffer exegetisch sowie systematisch-theologisch abzielt: Der Weg der Pastoren im Kirchenkampf führte in die Vereinzelung. Auf der einen Seite gibt Bonhoeffer zu bedenken, dass der Ruf Jesu dies notwendig mit sich bringt; auf der anderen Seite steht die Verheißung neuer, allein wahrer Gemeinschaft, einer Gemeinschaft, die in Finkenwalde erfahrbar war und an die Finkenwalde die in den Dienst entlassenen Kandidaten seinerseits erinnerte.) Für die Gemeinschaft der Nachfolgenden hat nun zuerst zu gelten, dass sie die Gemeinschaft der gerechtfertigten Sünder ist (vgl. N 275). Ruf und Eintritt in die Nachfolge sind „das Sterben des alten Menschen in der Begegnung mit Jesus Christus. Wer in die Nachfolge eintritt, gibt sich in den Tod Jesu“ (N 81). Die Nachfolgegemeinschaft ist deshalb die Gemeinschaft derer, die von der Sünde getrennt sind (vgl. N 81, 223 u. ö.). Die Nachfolgegemeinde ist nicht mehr „in Adam“, sondern „in Christo“. Der gerechtfertigte Nachfolgende ist „neuer Mensch“. Demgegenüber gilt: Jesus Christus, als „ein ,zweiter Mensch‘, ein ,letzter Adam‘ geschaffen nach dem Ebenbild Gottes“ (N 233), ist allein der „neue Mensch“ (vgl. N 232 f u. ö.). Beides lässt sich zusammenführen im 205 Dass dort die „[e]thische Grundkategorie […] der Einzelne [bleibt]“, hatte Bonhoeffer als das „Grundproblem“ der Ethik Emil Brunners ausgewiesen, DBW 12, Vorlesung: Besprechung und Diskussion systematisch-theologischer Neuerscheinungen, 176. Siehe dazu unten Kap. 4.2, Anm. 31, und 4.3, Anm. 125.

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Nachfolge-Begriff: Sofern der Nachfolgende in Christus lebendigen Anteil an dem Leibe Jesu Christi, der der neue Mensch ist, gewonnen hat, ist auch er, der Einzelne, ein neuer Mensch206 – nicht in dem Sinne, als wäre schlechthin der „gerechtfertigte und geheiligte Einzelne […] der neue Mensch“, sondern der neue Mensch ist „der Leib Christi, Christus“ und darum ist die Gemeinde der Nachfolgenden selbst „neuer Mensch“ (N 233). „Der Leib Jesu Christi ist die von ihm angenommene neue Menschheit selbst. Der Leib Christi ist seine Gemeinde. Jesus Christus ist Er selbst und seine Gemeinde zugleich“ (N 231). Die von Christus gesammelte (vgl. hierzu N 100) Gemeinde ist der neue Mensch, dessen Leib Christi eigener Leib und dessen Haupt Christus selbst ist.207 Der Nachfolgende ist wirklich „in Christo“, sofern er sich in allem sichtbar zu Christus hält,208 sein eigener Wille nicht „Eigenmächtigkeit“ (N 89), nicht Selbstherrschaft, sondern Christusherrschaft ist. Er gehört nicht mehr der Welt, nicht mehr seiner alten Existenz, sondern Christus (vgl. N 221, 249 u. ö.). Er ist „in Christo“.209„Alles, was der Jünger tut, tut er in der Gemeinschaft der Gemeinde Jesu als ihr Glied.“ (N 249) In der Gemeinschaft seines Leibes, die dadurch zustandekommt, dass die Jünger ihrerseits leiblich und glaubend Jesus nachfolgen, sind sie des Leibes Christi und dadurch gleichermaßen des Heils teilhaftig. Dadurch, dass sie in diesem Leib tatsächlich angenommen, getragen, versöhnt sind, trägt Christus sie durch den Tod hindurch in die Auferstehung (vgl. N 229 f). „So trägt er noch in seinem verklärten Leibe die [sc. neue] Menschheit, die er auf Erden angenommen hat.“ (N 230) Äquivalent zur Interpretation von Bonhoeffers Ausführungen zur durch Christus bzw. dessen Ruf bzw. des Jüngers Gehorsam aufgehobenen „Unmittelbarkeit“ werden hier die Begriffe „neuer Mensch“ und „neue Menschheit“ gedeutet: Christus ist der „neue Mensch“, in ihm ist die Menschheit getragen, und diese Menschheit ist „neue Menschheit“ schon dadurch, dass Christus sie trägt und so mit Gott aussöhnt. Jeder Mensch ist „neuer Mensch“. Zugleich ist ein „neuer Mensch“ erst dann wirklich ein neuer Mensch, wenn er nicht nur gerichtet, sondern auch gerechtfertigt ist. So ist die „neue Menschheit“ die Gemeinschaft derer, die sich im Leibe Christi als dem neuen 206 Vgl. dazu N 233: „Der Einzelne verhält sich zu dem ,neuen Menschen‘ so, daß er ihn ,anzieht‘. Der ,neue Mensch‘ ist wie ein Kleid, das den Einzelnen bedecken soll. In das Ebenbild Gottes, das Christus und die Kirche ist, soll der Einzelne sich kleiden. Wer getauft wird, der zieht den Christus an (Gal. 3,27), was wiederum auszulegen ist als seine Eingliederung in den Leib, in den Einen Menschen […], d. h. eben in die Gemeinde.“ Vgl. Bonhoeffers Erläuterung zum 1md¼sashai (N 233, Anm. 16). 207 Die Gleichzeitigkeit von Einheits- und Herrschaftsstruktur der Gemeinde (siehe hierzu unten Kap. 2.5.1) ist nicht erst für die Gemeinde des Auferstandenen einzufordern. Die Gemeinde existiert als Christus, Christus ist – auch vor Kreuz und Auferstehung! – als er selbst und existiert als Gemeinde; vgl. bes. N 234. 208 Siehe dazu unten Kap. 3. 209 Vgl. zu der Aussage „Er ist in Christo“ Bonhoeffers Unterscheidung von kerygmatischen und ontologischen Aussagen in N 220 f, Anm. 10; siehe hierzu unten Kap. 2.5.1, Anm. 246.

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Glaube und leibliche Bindung an Christus seit Pfingsten

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Menschen als neue Menschheit im Glauben finden. In der „Ethik“ wiederholt sich die begrifflich unscharfe Verwendung der Begriffe, wenn Bonhoeffer in denselben Zusammenhängen (nämlich im Zusammenhang von Versöhnung und Rechtfertigung) von „neuer Mensch“ oder „wirklicher Mensch“ spricht (E 71ff). Der Vergleich zur „Nachfolge“ legt nahe, dass „wirklicher Mensch“ die an jedem Menschen vollzogene Versöhnung von Gott und Menschheit durch Christus meint, „neuer Mensch“ hingegen als Bezeichnung allein für die Gerechtfertigten steht. Es wird jetzt zu zeigen sein, wie der Mensch heute in die sich nach Tod und Auferstehung fortsetzende leibliche Gemeinschaft Christi hineingelangen kann, in welcher Weise die Nachfolge selbst sowie Jesu Ruf und der ersten Jünger Eintritt in die Nachfolge nach Ostern eine Entsprechung finden und die im Vorangegangenen transparent gewordene Einheit Christi mit der von ihm gesammelten (Nachfolge-)Gemeinde auch weiterhin bestehen bleiben kann.210 Dies hat dogmatisch zur Voraussetzung, dass sich die leibliche Gegenwart „des Herrn in seinen Erdentagen“ (N 219) nach Kreuz und Auferstehung in irgendeiner Weise fortsetzt. Es wird hier zu betrachten sein, wie Bonhoeffer das Verhältnis von Christus, Kirche und Heiligem Geist (d. h. von Christologie, Ekklesiologie und Pneumatologie) denkt, wie also die „Grundstruktur der Kirche in und durch Christus“211 in der „Nachfolge“ gezeichnet ist. Insofern die Frage nach der Gestalt des Christus heute gestellt ist, ist zugleich die Verhältnismäßigkeit von historischem, geschichtlichem und gegenwärtigem Christus anzusprechen. Die Darstellung wendet sich damit dem zweiten Hauptteil der „Nachfolge“ zu: „Die Kirche Jesu Christi und die Nachfolge“.212

2.5 Glaube und leibliche Bindung an Christus seit Pfingsten: Das paulinische Zeugnis 2.5.1 Der Leib Christi seit Pfingsten: Christus als Gemeinde existierend Mit der Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten, so führt Bonhoeffer mit Blick auf Apg 2,1ff aus, gründet der erhöhte Christus seine Kirche. Bonhoeffer interpretiert dies nicht zuerst ekklesiologisch, sondern christologisch: Jesus Christus lebt seit Pfingsten auf Erden in der Gestalt seines Leibes, der Gemeinde. Hier ist sein Leib, der gekreuzigte und auferstandene, hier ist die ange210 Vgl. etwa N 227: „Die ersten Jünger lebten in Jesu leiblicher Gegenwart und Gemeinschaft. Was bedeutet das und worin setzt sich für uns diese Gemeinschaft fort?“ 211 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 271. 212 N 213 (Überschrift des zweiten Hauptteils der N).

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Der Weg Gottes zum Menschen

nommene Menschheit.213 Der Raum Jesu Christi in der Welt nach seinem Hingang wird durch seinen Leib, die Kirche, eingenommen. Die Kirche ist der gegenwärtige Christus selbst. (N 233)

Sofern Christus die ganze Menschheit leiblich angenommen hat und seine Gemeinde der Christus praesens ist, ist in der Gemeinde die ganze Menschheit angenommen. Nach unterschiedlichen Richtungen hin sei diese Aussage ausgeleuchtet. 1. Sie enthält in textpragmatischer Richtung eines der zentralen Interessen, die Bonhoeffer mit der „Nachfolge“ zu festigen bemüht ist: die Glaubensgewissheit, dass Jesus Christus – am Kreuz gestorben, am dritten Tage auferstanden und vor den Augen seiner Jünger in den Himmel aufgenommen – nicht tot ist, sondern tatsächlich lebt und als der Gekreuzigte, Auferstandene und Verklärte „[…] uns heute gegenwärtig [ist], leiblich und mit seinem Wort“ (N 215; Hervorhebung durch F.S.). Bonhoeffer richtet sich damit nicht einfach gegen generelle Infragestellung des Ereignisses der Auferstehung Christi und seiner heutigen Gegenwart. Die Front besteht vielmehr in Bonhoeffers Beobachtung, dass mit der wahrhaftigen, lebendigen Gegenwart Christi nicht mehr gerechnet wird, sofern diese Gegenwart nicht als leibliche begriffen wird, sondern als eine Gegenwart, die sich grundlegend von der Christus-Gegenwart der ersten Jünger unterscheide. Jenen, denen Christus leiblich gegenüberstand, so wird dann gesagt, sei das Wort Christi ganz eindeutig und klar begegnet, der Wille Jesu an sie sei ganz deutlich gewesen. „Jesus aber ist gestorben und auferstanden“, und wenn nun gefragt wird: „Wie erreicht uns heute sein Ruf in die Nachfolge?“, dann wird entgegnet: Jesus geht nicht mehr leiblich an mir vorüber, wie am Zöllner Levi, um mir zuzurufen: folge mir nach! Selbst wenn ich von Herzen willig wäre, zu hören, alles zu verlassen und zu folgen, was gibt mir das Recht dazu? Was für jene so unzweideutig war, ist für mich eine höchst fragwürdige, unkontrollierbare Entscheidung. (N 215)

Derartige Fragen weist Bonhoeffer als „unechte Fragen“ zurück. Es sind Fragen, mit denen wir uns „immer wieder […] außerhalb der lebendigen Gegenwart des Christus [stellen]“. Wer so fragt, gibt zwar an den lebendigen Christus zu glauben vor; in Wirklichkeit will er aber „nicht mit der Tatsache rechnen, daß Jesus Christus nicht tot, sondern heute lebendig ist und durch das Zeugnis der Schrift noch zu uns spricht“ (N 215). Weil aber Christus auch heute noch leiblich gegenwärtig ist und daher Christus uns heute nicht weniger gegenwärtig als seinen ersten Jüngern (unterschieden ist der damalige Christus vom gegenwärtigen nur in seiner Seinsart: hier als Mensch im blo¸yla saqjºr, dort als Gemeinde), darum gilt für Bonhoeffer hinsichtlich des Wortes Christi und dessen Klarheit heute: „Christus spricht zu uns nicht anders, als er damals sprach.“ (N 216) 213 N 232. Vgl. zur im Folgenden begegnenden ekklesiologischen Leiblichkeit bei Bonhoeffer Aussermair, Konkretion und Gestalt, 125 – 295, bes. 234 ff.

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Glaube und leibliche Bindung an Christus seit Pfingsten

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2. Inhaltlich übernimmt Bonhoeffer mit jener In-Beziehung-Setzung von Christus und Gemeinde die zentrale Formel aus „Sanctorum Communio“ auch für die eine Dekade nach seiner Dissertationsschrift entstandene „Nachfolge“: Christus existiert als Gemeinde.214 Dabei ist zu bemerken, dass der Begriff des Existierens, der in „Sanctorum Communio“ noch den theologischen Sachverhalt beschrieb, in der „Nachfolge“ zurücktritt. Im Übergang zur „Nachfolge“ hat sich der Akzent vom (mehr ontischen) Existieren zum (dynamischeren) Leben verschoben.215 Begründet liegt die Identifikation von Christus und Gemeinde in dem oben angezeigten Verständnis von Leib Christi und „neuem Menschen“ bzw. „neuer Menschheit“.216 Die neue Menschheit ist der Leib Christi selbst; die Gemeinde ist als der neue Mensch von der Sünde und von der Welt getrennt, sie ist Teil dieses Leibes. Zugleich ist sie der Leib Christi. Dieser Leib ist die Gemeinde, die Kirche. Kirche und Gemeinde sind insofern in der „Nachfolge“ nicht unterschieden.217 Kirche ist die von Jesus Christus „berufene Gemeinde“ (N 99), die Gemeinde derer, die herausgerufen sind aus allen Bindungen der Welt. Sie ist die 1jjkgs¸a – die Gemeinde seit Pfingsten (vgl. N 232). 3. Wenn Bonhoeffer Kirche und Leib Christi identifiziert, dann geht es ihm auch darum, „einen sehr vergessenen Gedanken über die Kirche“ in Erinnerung zu rufen (ebd.). „Wir sind gewohnt, von der Kirche als von einer Institution zu denken. Es soll aber von der Kirche gedacht werden als von einer 214 Vgl. N 234. Vgl. bes. SC 85 – 87, 254 – 259: „Christus und Gemeinde werden von Paulus mehrfach identifiziert […]. Wo Christi Leib ist, da ist Christus. […] ,In Christus sein‘ ist gleichbedeutend mit ,in der Gemeinde sein‘.“ (SC 86) Vgl. zudem AS 108; DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 271ff u. ö. Bonhoeffer greift mit dieser Wendung formal auf Gedanken und Formulierungen Hegels zurück, vgl. u. a. den Hg.-Kommentar in DBW 11, 271, Anm. 219, sowie von Soosten, Sozialität, 74. 215 Von der Existenz Christi als Gemeinde spricht Bonhoeffer in der N nur noch ein einziges Mal (vgl. N 234); häufig hingegen findet sich die Äußerung, dass Jesus Christus sein Leben im Leben seiner Nachfolger weiter lebt. Vgl. N 157, 235, 283 f und bes. 303. Dem entspricht der Gedanke der „Gestaltung“ zum Bilde Christi, siehe dazu unten Kap. 3.2.2.5. Dass Bonhoeffers Abwendung vom Existenzbegriff in der N als eine jetzt auch sprachliche Distanzierung von Existentialphilosophie und -theologie zu verstehen ist, ist zu vermuten. Auch in WE hält Bonhoeffer an der Vorstellung eines präsentischen Christus fest; sie durchzieht alle Lebensphasen und alle Werke Bonhoeffers. Wie sich im Übergang von SC zur N eine Weiterentwicklung der Vorstellung vom tendenziell Ontischen zum eher Dynamischen verzeichnen lässt, so im Übergang von der N zu WE eine Akzentverschiebung, die als eine geradezu grundlegende zu werten ist: Wenn Bonhoeffer aus dem Gefängnis schreibt, „daß Jes 53 nun erfüllt wird“ (WE 536; Hervorhebung durch F.S.), dann ist jene Akzentverschiebung in dem – von Bonhoeffer erst nachträglich ergänzten! – „nun“ dieses Satzes angezeigt; die Hg. kommentieren hierzu sehr treffend wie folgt: „Das Besondere dieser präsentischen, im ,nun‘ der Gegenwart sich vollziehenden Erfüllung von Jes 53 ergibt sich aus dem Umstand, daß B[onhoeffer] zuvor das Leiden des Gottesknechts stets als im Kreuz auf Golgatha erfüllt gesehen hat“ (ebd., Hg.-Anm. 47). 216 Siehe oben Kap. 2.4.3. 217 Vgl. zu dieser Ununterschiedenheit bes. N 232 – 234. Unterschieden sind Kirche und Gemeinde allein insofern, als die Kirche die Summe aller Kirchengemeinden umfasst.

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leibhaften Person, freilich einer ganz einzigartigen Person.“218 Gerade dadurch, dass Bonhoeffer den Personbegriff auf die Kirche anwendet,219 kann er sie als „neuen Menschen“ verstehen, wie er auch umgekehrt die Kirche als Person dadurch verstehen kann, dass sie als der „neue Mensch“ gedacht ist. Dieser „,neue Mensch‘ ist Einer, es sind nicht ihrer viele. Außerhalb der Kirche, die der neue Mensch ist, gibt es nur den alten, zerrissenen Menschen“ (N 232). In der Kirche ist der Gerufene nicht mehr Einzelner, und er erkennt, dass er nur hier kein Einzelner ist. Allein in der Kirche ist Einheit, die Gemeinschaft des „alten Menschen“ ist nur scheinbar Gemeinschaft; in Wahrheit ist sie Zerrissenheit. Wie sehr es Bonhoeffer damit gelingt, die Bewegung und die Gemeinschaften des Nationalsozialismus theologisch auf ihr Existenzrecht anzusprechen, freilich ohne dabei ihren Namen nennen zu müssen, zeigen die Referenzen auf Gal 3,28, Eph 2,15 und andere paulinische Verse in eben jenem Zusammenhang: In der Kirche wurde die Feindschaft zwischen Juden und Heiden abgetan, die die Menschheit zerriß, ,auf daß er in sich selbst die zwei schüfe zu Einem neuen Menschen und Frieden machte‘ (Eph. 2,15). (N 232) Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib, denn ihr seid allzumal einer in Christo Jesu.220

So dient Bonhoeffer die in der „Nachfolge“ im Begriff der Person sich ausdrückende Verknüpfung von Christus, Geist und Kirche, d. h. von zweitem und drittem Glaubensartikel, der Abwehr eines individualisierten Kirchenbegriffs, in welchem Kirche nicht als Wirklichkeit Gottes, sondern, wie Bonhoeffer in der Vorlesung „Das Wesen der Kirche“ (SS 1932) lehrte, als „Ideal des Erlebens“, als „religiöse Gemeinschaft“ verstanden ist.221 „Kirche [ist] nicht [die] Gemeinschaft einzelner Frommer“, heißt es im dortigen Zusammenhang, und in ähnlicher Form bringt Bonhoeffer diesen Gedanken auch in der „Nachfolge“: Es wird keiner ein neuer Mensch, es sei denn in der Gemeinde, durch den Leib Christi. Wer allein ein neuer Mensch werden will, bleibt beim alten. Ein neuer Mensch werden heißt in die Gemeinde kommen, Glied am Leibe Christi werden.222

Bis zum Tode Jesu am Kreuz ist die von ihm gesammelte Gemeinde die Gemeinde der Nachfolgenden, die, so lesen wir wiederum in der Vorlesungs218 N 232. Daraus leitet sich ab: „Nicht der gerechtfertigte und geheiligte Einzelne ist der neue Mensch, sondern die Gemeinde, der Leib Christi, Christus.“ (N 233). 219 Vgl. zu Person SC 19ff; DBW 11, 168ff, 266ff; DBW 12, 290ff, 325 ff. 220 Gal 3,28. Bonhoeffer rekurriert auf diesen Vers in N 233 sowie in N 253. 221 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 277; vgl. zum Zusammenhang DBW 11, aaO., 276 f und bes. 258ff; siehe hierzu und zum Folgenden unten Kap. 4.2. 222 N 233. Zu Bonhoeffers Kritik an einem individualisierten Kirchenbegriff vgl. auch schon SC, bes. 103ff; vgl. von Soosten, Sozialität, 78.

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mitschrift, im Moment des Todes Jesu zerreißt.223 Die zum Zeitpunkt des Todes Jesu zerstörte, aufgehobene Gemeinde ist mit der Auferstehung Jesu wiederhergestellt. Von Ostern her wird so durch das Kreuz, unter dem keine Gemeinde ist, die Gemeinde wieder gegründet.224 In der Logik der „Nachfolge“ kann die nun hergestellte Auferstehungsgemeinde noch nicht Kirche sein; denn diese wird erst mit der Ausschüttung des Heiligen Geistes gegründet.225 Die Gemeinde der Nachfolge unterscheidet sich von der Gemeinde als Kirche offensichtlich dadurch, dass in ihr Christus mit der Gemeinde lebt bzw. die Gemeinde mit Christus, während in der kirchlichen Gemeinde Christus in der Gemeinde ist.226 Für beide aber gilt die Einheitsstruktur, dass also Christus als er selbst und zugleich als Gemeinde existiert, die sein Leib ist.227 4. Die Struktur der Kirche ist durch Einheit bestimmt, durch die Einheit von Gemeinde und Christus. Wo Kirche ist, dort ist „sein [sc. Christi] Leib, der gekreuzigte und auferstandene“, dort ist „die angenommene Menschheit“. „In Christus sein heißt darum in der Gemeinde sein“, wie auch umgekehrt in der Gemeinde sein in Christus sein heißt. „Sind wir […] in der Gemeinde, so sind wir auch wahrhaftig und leibhaftig in Jesus Christus.“228 Es ist auffällig, wie sehr Bonhoeffer in der „Nachfolge“ an der Verknüpfung von Kirche, gegenwärtigem Christus und neuem Menschen gelegen ist; weiterhin bleibt der Leib Christi Leitgedanke dieser Verknüpfung. Einige Textbeispiele mögen genügen, um den Gedanken hinreichend darzulegen: „Jesus 223 Vgl. hierzu DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 270: „Es gibt keine Gemeinde unter dem Kreuz, nur Einzelne, als Jesus stirbt. […] Unter dem Kreuz triumphiert Adam! [Das Kreuz ist] Ende Gottes für die Gemeinde [und] ist Ende der Gemeinde [selbst].“ 224 Vgl. DBW 11, 270 (Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche), bes. die Hg.-Anm. 212 – 216 (DBW 11, aaO., 270 f). 225 Dieser Gedanke entspricht auch den Mitschriften der Ekklesiologie-Vorlesung: „Auferstehungsgemeinde ist noch keine Kirche.“ (DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 270) „Tod und Auferstehung konstituiert nun die Kirche nach der Ausgießung des Geistes.“ (DBW 11, aaO., 271) Dennoch aber gilt, dass Pfingsten als Aktualisierung dessen zu verstehen ist, was am Tage der Auferstehung geschah (siehe unten Anm. 236 dieses Kapitels). Vgl. dazu N 232 und 234. 226 Dies legt DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 270 nahe: „[Die] Auferstehungsgemeinde lebt bis Himmelfahrt noch mit Christus. Nachher lebt Christus in der Gemeinde.“ Über die in der Zeitspanne zwischen Himmelfahrt und Pfingsten bestehende Auferstehungsgemeinde macht Bonhoeffer weder in der N noch in „Das Wesen der Kirche“ explizit eine Aussage. Dass allerdings für die Auferstehungsgemeinde die christologische Struktur der Nachfolgegemeinde vorausgesetzt werden muss, zeigt die Erwähnung des Rufes Petri zur Nachfolge durch den Auferstandenen am See Genezareth in Joh 21,22 (vgl. N 31 f). 227 Vgl. N 228ff, bes. 231 f. 228 N 232. In Anlehnung an H. Mller meint Krause, in der N allzu starke mystische Anklänge erkennen zu können (vgl. Krause, Bonhoeffer, 60). In Bezug auf die Verbindung von Christus und Leib sowie einzelnem Menschen und Gemeinde ist es aber gerade kein mystisches, sondern ein von der Menschwerdung her begründetes Verhältnis, das Bonhoeffer einfordert; vgl. Bonhoeffers explizite Abwehr einer „mystische[n] Verschmelzung von Gemeinde und Christus“ in N 234. Vgl. Gremmels, Bonhoeffer und die Mystik; vgl. fernerhin Dramm, Mystik.

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Christus lebt […] auf Erden in der Gestalt seines Leibes, der Gemeinde.“ (N 232) In derselben Weise, wie der eine Satz gilt, dass Christus die Kirche ist (vgl. N 233), gilt auch der andere, dass die „Kirche […] der gegenwärtige Christus selbst [ist]“.229 Christus ist der neue Mensch (vgl. ebd.). Darum ist auch die Kirche, die sein Leib ist, der „,neue Mensch‘ (jaim¹r %mhqypor). Als solcher ist die Kirche geschaffen durch den Kreuzestod Christi.“230 „So ist der ,neue Mensch‘ zugleich Christus und die Kirche. Christus ist die neue Menschheit im neuen Menschen. Christus ist die Kirche.“ (N 233) Jene Einheitsstruktur der Kirche in und durch Christus stellt aber nicht die Struktur der Herrschaft Christi in und über die Kirche infrage, durch welche diese zugleich bestimmt ist: Die Einheit Christi mit seiner Kirche, seinem Leib, fordert zugleich, daß Christus als Herr seines Leibes erkannt wird. Darum wird Christus in weiterer Ausführung des Leibbegriffes das Haupt des Leibes genannt […]. Das klare Gegenüber wird gewahrt, Christus ist der Herr.231

In dem Modell einer präsenz-christologischen Ekklesiologie geht also weder Ekklesiologie in Christologie auf noch umgekehrt Christologie in Ekklesiologie. Vielmehr will Bonhoeffer Christus und Kirche als Einheit und in Unterschiedenheit zugleich wissen.232 Sofern Christus die Gemeinde ist, ist beider Verhältnis durch Identität bestimmt und durch Herrschaft, sofern Christus er selbst und das Haupt der Gemeinde ist. Damit ist zum einen deutlich, dass die Einheit von Christus und Kirche (und d. h. der Satz, dass die Kirche der gegenwärtige Christus ist) nicht absolut aufzufassen ist. Eine Verabsolutierung, die vorläge, wenn Christus nicht mehr als das Haupt der Gemeinde gewahrt bliebe (vgl. N 234; die Einheitsstruktur der Kirche hebt die Herrschaftsstruktur nicht auf233), hieße für Bonhoeffer, einen katholischen Kirchenbegriff zu vertreten.234 Zum anderen wird deutlich, dass es weder ein von der Kirche losgelöstes Verhältnis des Menschen zu Christus, noch ein von Christus losgelöstes Verhältnis des Menschen zur Kirche geben kann. Mit den Worten der Erstlingsschrift Bonhoeffers formuliert: Es gibt „kein Verhältnis zu Christus, in dem nicht notwendig das Verhältnis zur Kirche mitgesetzt wäre“,235 ebenso wie es für die ersten Jünger kein Verhältnis zu Christus au-

229 N 232. Die reziproke Einheit von Christus und Kirche findet sich schon in AS 108 sowie in DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 271. 230 N 232. Auch umgekehrt gilt, dass „[d]ieser ,neue Mensch‘ […] die Kirche ist“ (ebd.). 231 N 234; so schon in SC 254ff; vgl. von Soosten, Sozialität, 72; vgl. fernerhin N 234, Hg.Anm. 25. 232 Vgl. wiederum N 234. Zu ähnlichem Ergebnis kommt auch Gtter, Innerste Konzentration, 73 ff. 233 Vgl. ausführlicher DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 271 ff. 234 Vgl. hierzu auch DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 274. 235 SC 81 (in Bonhoeffers Text hervorgehoben).

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ßerhalb der Nachfolgegemeinde geben konnte, dessen „Haupt“ freilich niemand anderes als Christus selbst gewesen ist. 5. Innerhalb der engen Verknüpfung von Ekklesiologie und Christologie ist aber nun nicht nur die Ekklesiologie christologisch, sondern Christologie und Ekklesiologie sind zugleich pneumatologisch bestimmt. Daher darf die pneumatologische Ausdehnung nicht übersehen werden, welche die christologisch-ekklesiologische Verbindung erst erwirkt und in der die für die „Nachfolge“ charakteristische paradoxe Dialektik von ,Vollzug‘ und ,Vollstreckung‘ wiederkehrt: Es ist der Heilige Geist, der „[…] durch die Sammlung der Einzelnen seine Kirche [baut], deren Gesamtbau doch in Christus schon fertig ist“ (N 235). Sie ist „Einer“ (nämlich der „Leib Christi“) und „zugleich die Vielheit und Gemeinschaft der Glieder“.236 Die Summe der Glieder ist die Einheit des Leibes, und nur in der Einheit des Leibes ist jeder ein Glied desselben.237 Die „Gemeinschaft […] der Glieder des Leibes“ aber schafft der Heilige Geist.238 Von diesem nun sagt Bonhoeffer unter Verweis auf 2Kor 3,17: „Der Herr ist der Geist“ (N 235; Hervorhebung durch F.S.), für den seinerseits gilt: Der Heilige Geist „ist der in den Herzen der Gläubigen wohnende Christus selbst“; sie sind das Haus, in dem der Heilige Geist Wohnung gemacht hat (oQje?). Der Heilige Geist gewährt uns die bleibende Gegenwart Jesu Christi und seine Gemeinschaft (N 223). Der gekreuzigte und auferstandene Christus existiert durch den heiligen

236 N 234 (im Original hervorgehoben). 237 Vgl. N 235: „Nur von der Einheit der Gemeinde her ist jeder Einzelne, was er ist [sc. nämlich Glied des Leibes Christi], und ist die Gemeinschaft, was sie ist, wie die Gemeinde nur von Christus und seinem Leibe her ist, was sie ist.“ Ähnlich hatte vor Bonhoeffer Kierkegaard, wenn auch nicht in ekklesiologischer Ausrichtung, formuliert: „Das ist gerade die Bedeutung der Allgegenwart, daß Gott nicht bloß an allen Orten und zu allen Zeiten da ist, sondern auch daß er in seiner Gegenwart total gegenwärtig ist, ganz in jedem und doch in allen, er ist nicht gleichsam zerstückelt und darum partiell in jedem zurstelle und durch Succession sich selbst total gegenwärtig, dies ist Pantheismus, sondern er ist total in jedem besonders und doch in allen das ist Theismus, Persönlichkeit, Individualität, aber nachdem man sich darauf besonnen hat wird auch die organische Entwicklung ihre tiefere und vollere Gültigkeit bekommen, ebenso gewiß wie eine Armee nicht geringer sein würde weil jeder Soldat im Geist ein General war.“ (Kierkegaard, Papirer III, A 2 [1840]; zit. n: ders., Der Einzelne und die Kirche, 37 f) In Bezug auf die Gemeinde, und hier in Abgrenzung zu „Menge“ und „Publikum“, führt Kierkegaard dann an anderer Stelle aus: Nicht im Publikum, nicht in der Menge, sondern in „der Gemeinde ist der Einzelne; der Einzelne ist dialektisch entscheidend als Prius für das Bilden der Gemeinde […]. Jeder Einzelne ist in der Gemeinde der Mikrokosmos, der qualitativ den Makrokosmos wiederholt“ (Papirer X,2 A 390 [1850]; zit. n.: ders., Der Einzelne und die Kirche, 113). 238 Vgl. N 235; vgl. hierzu auch DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 275 f: „Der Heilige Geist aktualisiert, was in Christus realisiert ist! [Die] Kirche war realiter da mit [der] Auferstehung, [sie] wird aktualisiert an Pfingsten. […] Die als Christus realisierte Kirche wird durch den Geist aktualisiert. […] Kirche ist […] die schon in Christus realiter gesetzte Kirche!! Durch [die] Tat Gottes ist Kirche da, wird nicht von [dem] Menschen gemacht.“ Vgl. N 234.

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Geist als Gemeinde, als der „neue Mensch“, so wahr er der Menschgewordene ist und in Ewigkeit bleibt, so wahr sein Leib die neue Menschheit ist. (N 234)

Ekklesiologisch formuliert heißt die Verbindung von Christus, Gemeinde und Heiligem Geist: „Die Kirche Christi ist der gegenwärtige Christus im Heiligen Geist.“ (N 235) Die von Bonhoeffer grundgelegte Einheit von Christus und Kirche durch den Heiligen Geist bedarf der genaueren Betrachtung. Vorwiegend trägt sie dreierlei aus: 1. Ekklesiologisch. Die Identität von Christus und Kirche bedeutet in ekklesiologischer Richtung, dass die christologischen Merkmale des Gottmenschen Jesus Christus auf die Kirche zu übertragen sind. Christus existiert incognito als die Kirche, die Kirche dokumentiert sich nicht als Christus praesens. Sie erhebt aber – als Christus – den Anspruch, dieser Christus zu sein, genauer gesagt: Christus erhebt in Gestalt der Gemeinde den Anspruch, als Christus geglaubt zu werden. In der „Christologie“-Vorlesung heißt es in diesem Zusammenhang: „Mit dem erniedrigten Christus geht seine Kirche in der Erniedrigung. Sie kann keine sichtbare Beglaubigung ihres Wesens erstreben, während er auf sie verzichtet hat.“239 Die Kirche ist daher der Christus praesens incognito. Sie kann als der Christus allein geglaubt (d. h. entweder anerkannt oder verworfen) werden. In der „Nachfolge“ rekapituliert Bonhoeffer den Gedanken der „Christologie“-Vorlesung, indem er ihn konsequent auf den Leibbegriff überträgt. „Sichtbar ist der Leib Jesu“ – damals in der Seinsart des Menschen, heute in der der Gemeinde – „geglaubt wird er als der Leib des menschgewordenen Gottes“ (N 241). Es ist in dieser Hinsicht kein Unterschied, ob es sich um den vor- oder nachösterlichen Leib handelt. Denn „[a]uch der Leib des erhöhten Herren ist sichtbarer Leib in der Gestalt der Gemeinde“ (N 242) – aber unkenntlich hinsichtlich ihres Christusseins (vgl. N 217). Darin erregt die Kirche dasselbe Ärgernis, das auch Jesus erregte, als er die ersten Jünger zur Nachfolge rief, wenn sie nun den Heilsruf des Evangeliums verkündigend an die Welt richtet, dass der Gekreuzigte auferstanden ist und lebt und dass die Kirche der Ort ist, an dem allein geglaubt werden kann, an dem Heil zu finden ist, weil allein hier Christus gegenwärtig ist; dass Christus im Ruf der Kirche auch heute noch in seine Nachfolge ruft und in diesem Ruf ungeteilten Glauben fordert. Dieser Anspruch kann nun entweder im Glauben angenommen oder im Unglauben verworfen werden. Glauben heißt jetzt, das Wort der Kirche als das Wort des lebendigen Gottes selbst, als das Wort Jesu Christi, des Lebendigen und Gegenwärtigen, zu glauben. Das fleischgewordene Wort, das schon die ganze Menschheit trägt, das nicht mehr sein kann ohne die Menschheit, die es angenommen hat, kommt zur Gemeinde. In diesem Wort aber kommt der Heilige Geist selbst, der dem Einzelnen und der Gemeinde zeigt, was in Christus schon längst geschenkt ist. Er wirkt in den Hörenden den Glauben, daß im Wort der Predigt Jesus Christus selbst mitten unter uns getreten ist 239 DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 348.

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in der Kraft seines Leibes, daß er kommt, um mir zu sagen, daß er mich angenommen hat und heute wiederum annehmen will. (N 243 f)

2. Christologisch. Dass „Jesus Christus nicht tot, sondern heute lebendig“ (N 215) und daher gegenwärtig ist, entspricht Bonhoeffers Annahme, dass Christus uns gerade nicht einfach als der (mit Bultmann gesprochen) kerygmatische Christus gegenwärtig ist, sondern als „der Menschgewordene, Gekreuzigte, Auferstandene und Verklärte“ (N 220; Hervorhebung durch F.S.). Christus ist für Bonhoeffer nur Christus als der ganze, „der Eine unzerteilte Christus“ (N 247). Es kann daher nur von der Gegenwart dieses Christus und von dieser Gegenwart Christi gesprochen werden. Der uns heute gegenwärtige Christus ist immer der Menschgewordene, Gekreuzigte, Auferstandene und Verklärte zugleich. Wir können den Verklärten nicht ohne den Menschgewordenen und Gekreuzigten denken, ebenso wie die ersten Jünger die Gemeinschaft mit dem Menschgewordenen immer nur als Gemeinschaft mit dem Gekreuzigten haben konnten. Jenen war von Anfang an gesagt, dass die Nachfolgegemeinde Gemeinde unter dem Kreuz sei. „Nachfolge ist Bindung an den leidenden Christus.“240 Schon mit dem ersten Schritt begibt sich der Nachfolgende daher in den Tod des Kreuzes. Der Tod, den der Jünger durch den glaubenden Schritt in die Nachfolge erleidet (vgl. N 80 f), wird aber erlitten in der Gemeinschaft des Todes Christi und bedeutet gerade darum Leben (vgl. dazu N 223). Zwar haben Kreuz und Auferstehung sich noch nicht ereignet; Jesus wird aber schon zu seinen Lebzeiten verworfen und mit ihm seine Jünger. Die Gemeinde der Nachfolgenden ist für Bonhoeffer immer schon die Gemeinde des Kreuzes und des Lebens, und zwar gerade darum, weil Jesus immer schon der gekreuzigte und auferstandene Christus ist, ebenso wie Christus heute noch der Gekreuzigte ist. Erst auf der Grundlage dieser christologischen Argumentation ist es letztlich legitim, dass Bonhoeffer – wie oben untersucht (vgl. N 229, 81, 199) – den paulinischen Begriff der Rechtfertigung in seinem begrifflichen Umfang bereits auf die ersten Jünger anwenden kann, da dieser Begriff (vgl. Röm 5,18) das stellvertretende Sühneopfer Christi zum Beweis der Gerechtigkeit Gottes am Kreuz ja voraussetzt. Die beschriebene Ganzheit Christi impliziert die dogmatische Unmöglichkeit der Trennung und Loslösung des gegenwärtigen von einem sogenannten historischen Jesus. Denn der „gegenwärtige Christus“, so heißt es in der „Christologie“-Vorlesung (DBW 12, 279 – 348), ist in Bonhoeffers Theologie immer „der geschichtliche Christus. Dieser ist der historische Jesus“ (DBW 12, aaO., 311). Zwar waren wir, historisch betrachtet, nicht dabei, als Christus als Mensch auf Erden war ; der historische (Jesus) Christus ist aber kein anderer als der geschichtliche, der gegenwärtige (Jesus) Christus. „Jesus ist als der Gekreuzigte und Auferstandene zugleich der gegenwärtige Christus.“ (DBW 12, aaO., 291) Diese Gegenwart Christi ist örtlich (hier) und 240 N 82; vgl. auch N 78: „Die Nachfolge als die Bindung an die Person Jesu Christi stellt den Nachfolgenden unter das […] Kreuz.“

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zeitlich (jetzt) in der Kirche als dem Christus praesens gegeben (vgl. hierzu DBW 12, aaO., 291 f). Zwischen nachösterlichem, verkündigtem, gegenwärtigem Christus und historischem Jesus in dem Sinne zu unterscheiden, dass beide voneinander geschieden würden, hieße, Christus zu verleugnen. Christus wäre verstanden „unter der Kategorie von Ursache und Wirkung“ (DBW 12, aaO., 292), als sei der auf Erden Wandelnde die Ursache und der geschichtliche Christus die Wirkung. Christus ist aber Christus immer und nur als der Erniedrigte und Erhöhte zugleich. Er ist uns gegenwärtig gerade als der Gekreuzigte. Nicht allein in dogmatischer, sondern auch in historischer Sicht entfaltet Bonhoeffer die Unmöglichkeit der Unterscheidung von Jesus und Christus. „Die historische Forschung kann nie absolut verneinen, weil sie auch nie absolut bejahen kann.“241 Was Bonhoeffer für die historische Forschung als unmöglich ablehnt, benennt er gerade für die Kirche als konstitutiv. Hier und hier allein ist der „Glauben an das Wunder Gottes, das er durch die Auferstehung Jesu vollbracht hat“ (DBW 12, aaO., 314), der Glaube daran, dass Jesus der Christus ist, und allein der Glaube ist es, der jenen christologisch-ekklesiologisch-pneumatologischen Aussagen Bonhoeffers vorausgesetzt ist. 3. Hermeneutisch-exegetisch. Den Versuch, einen historischen Jesus aus den Schriften des Neuen Testaments herauszuschälen242 und von dem glaubenden Urteil der Gemeinden zu trennen, weist Bonhoeffer in der „Christologie“-Vorlesung als den Versuch aus, „einen synoptischen Jesus von einem paulinischen Christus zu unterscheiden“ (DBW 12, aaO., 311). In derselben Richtung greift er diese christologische Problemstellung nun in der „Nachfolge“ auf, deren Verhandlung als ein weiteres theologisches Grundanliegen des Buches angesehen werden kann: Gemäß der Tatsache, dass allein der Glaubende in Jesus den Christus sieht, liest Bonhoeffer die neutestamentlichen Schriften streng als Zeugnisse, und zwar als Zeugnisse des Glaubens ihrer Autoren daran, dass Jesus von Nazareth, der Christus, von den Toten auferstand, lebendig und heute gegenwärtig ist (vgl. N 219). Davon gibt die Schrift und einzig243 sie Zeugnis. Ist es aber allein die Schrift, die uns die Gegenwart Christi bezeugt, so tut sie es eben als ganze, und also zugleich als solche, die uns die Gegenwart des synoptischen Jesus Christus bezeugt. Der synoptische Christus ist uns nicht ferner und nicht näher als 241 DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 313; vgl. auch DBW 12, aaO., 314: „Es gibt keinen historischen Zugang zu der Person Jesu, der für den Glauben verbindlich wäre. Der Zugang über den geschichtlichen Jesus geht allein über den Auferstandenen, über das Wort des sich selbst bezeugenden auferstandenen Christus.“ 242 Vgl. DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 312 ff. Bonhoeffer verweist in diesem Zusammenhang gesondert auf M. Khler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus. Vortrag auf der Wuppertaler Pastoralkonferenz, Leipzig 1892. 243 Mit der Bestätigung des lutherischen sola scriptura wendet sich Bonhoeffer gegen jede Form „einer freien, nicht ans Wort gebundenen Erfahrung der Christusgegenwart und -wirklichkeit“ (N 220).

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der paulinische Christus. Gegenwärtig ist uns der Christus, den uns die ganze Schrift bezeugt.244

Es wird hier ersichtlich, dass Bonhoeffer gegen zwei Tendenzen sich zu wenden bemüht ist: zum einen gegen die trennende christologische Unterscheidung von synoptischem und paulinischem Christuszeugnis, zum anderen gegen die Vorrangstellung des letzteren vor dem ersten.245 Wir sprengen die Einheit der Schrift, wollten wir sagen, Paulus verkündige den Christus, der auch uns noch ebenso gegenwärtig sei, das Zeugnis aber der Synoptiker spreche von einer Gegenwart Jesu Christi, die wir nicht mehr kennen. So zu reden gilt zwar weithin als reformatorisch-geschichtliches Denken, ist aber in Wahrheit das Gegenteil davon, nämlich gefährlichste Schwärmerei. (N 219)

Würde dem paulinischen Zeugnis der Vorrang vor dem synoptischen erteilt, wäre jene Vollständigkeit infrage gestellt und aufgehoben. Auch dann wäre Christus selbst – als der Gegenwärtige, als der Vergangene und als der Zukünftige – verleugnet. Darin folglich bestünde die „Schwärmerei“, von der Bonhoeffer spricht: dass die Einheit der Schrift aufgehoben würde unter dem Deckmantel der Beteuerung, die Schrift zunächst ihrer vorösterlichen Züge entkleiden zu müssen und sie gerade darin recht auszulegen. Dieser Kritik entspricht nun Bonhoeffers Rede gegen ontologisch verstandene Christusaussagen, die er in der „Nachfolge“ gleichwohl nur als Subtext in einer Anmerkung verhandelt; die Passage vermag dennoch die theologischen Grundsätze Bonhoeffers aufzuzeigen: Der Satz: Christus ist auferstanden und gegenwärtig, ist ontologisch verstanden die Aufhebung der Einheit der Schrift. Denn er schlösse in sich eine Aussage über die Existenzweise Jesu Christi, die z. B. von der des synoptischen Jesus unterschieden ist. Daß Jesus Christus auferstanden und gegenwärtig ist, ist hier ein für sich bestehender Satz mit eigener ontologischer Bedeutung, der zugleich kritisch gegen andere ontologische Aussagen verwendet werden könnte. Er wird zum theologischen Prinzip. […] Dem steht der Charakter des verkündigenden Zeugnisses absolut entgegen. Der Satz: Christus ist auferstanden und gegenwärtig, ist streng als Zeugnis der Schrift verstanden nur als Wort der Schrift wahr. Diesem Wort schenke ich Glauben. Es gibt 244 N 220. Das sola scriptura interpretiert Bonhoeffer zugunsten einer Einheit der Schrift, welche dort aufgehoben wäre, wo entweder nur die Gebote der Bergpredigt oder nur die Paränesen des Paulus gepredigt würden (vgl. dazu DBW 14, Vortrag im August 1935: Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte, 415). Vgl. zum Zusammenhang Luthers Schriftverständnis, dazu Beutel, Theologie als Schriftauslegung, in: ders., Luther-Handbuch, 444 – 449, bes. 445 f; Bayer, Martin Luthers Theologie, 62 – 83, bes. 81 f. 245 Gerade dies war das Anliegen Bultmanns in seiner Theologie des kerygmatischen Christus, welcher allein uns noch angehe, vgl. dazu – als die Summe dieser Theologie – Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, bes. den Hauptteil (187 – 445), in dem Bultmann die Theologie des Paulus und die des Johannes sowie der Johannesbriefe darstellt. Der erste Satz dieses Werks lautet: „Die Verkündigung Jesu gehört zu den Voraussetzungen der Theologie des NT und ist nicht ein Teil dieser selbst.“ (Bultmann, aaO., 1).

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für mich hier keinen denkbaren anderen Zugang zu dieser Wahrheit als durch dieses Wort. Mit diesem Wort aber ist mir in gleicher Weise die Gegenwart des paulinischen wie des synoptischen Christus bezeugt, so daß die Nähe zu dem einen oder anderen durch nichts bestimmt wird als durch das Wort, durch das Zeugnis der Schrift.246

Nun bestreitet Bonhoeffer nicht, dass synoptisches und paulinisches Zeugnis bei aller Ununterschiedenheit zugleich auch unterschieden sind.247 Sie sind ununterschieden darin, dass sie beide den „Einen Herrn“ verkündigen; sie sind unterschieden darin, dass die Synoptiker uns „in erster Linie die Geschichte des Herrn in seinen Erdentagen“ verkündigen, während Paulus „in erster Linie […] die Gegenwart des Auferstandenen und Verklärten und sein Wirken an uns [verkündigt]“ (N 219; Hervorhebung durch F.S.). Für diese Unterschiedenheit im jeweiligen Zeugnis hat aber zu gelten, dass „beide streng im Zusammenhang des Schriftganzen“ (N 220, Anm. 10) zu verstehen sind. Keines der beiden kann dann mehr gegen das andere ausgespielt werden. Ausdruck jener Unterschiedenheit ist fernerhin die Verschiedenheit der Begrifflichkeit, deren sich die Synoptiker und Paulus zur Bezeugung des ihnen Gemeinsamen bedienen, dass nämlich Christus der „Menschgewordene, Gekreuzigte, Auferstandene und Verklärte“ ist. Aber : „Die verschiedene Begrifflichkeit, in der die Synoptiker und Paulus dieses Zeugnis weitergeben, tut der Einheit des Schriftzeugnisses keinen Abbruch.“ (N 220) Vielmehr : Dem vollständigen Christuszeugnis entspricht eine mannigfache Begrifflichkeit. So muß die Begrifflichkeit des Paulus die der Synoptiker bestätigen und umgekehrt, und keine hat vor der anderen an sich einen Vorzug; denn wir sind nicht „paulisch oder apollisch oder kephisch oder christisch“, sondern der Einheit des Schriftzeugnisses von Christus schenken wir Glauben.248

Diese Annahme Bonhoeffers verdient besondere Beachtung, und zwar aus (wenigstens) dreifachem Grunde. Es wird an ihr erstens deutlich, dass Bonhoeffer den synoptischen Evangelienstoff gegen die vorwiegend an den Paulusbriefen ausgerichtete protestantische Forschungs- und Auslegungstradition stark macht, und zwar nicht allein dadurch, dass er eine Auslegung der Bergpredigt Mt 5 – 7 und der Sendungsrede Mt 10 zum Kernstück seines Buches „Nachfolge“ macht, sondern auch, indem er das Recht theologischer Vorordnung paulinischer vor synoptische Schriften theologisch entkräftet.249 246 N 220, Anm. 10. Auch Bonhoeffers Bestimmung des „Christus als Gemeinde existierend“ will als (in obigem Sinne) kerygmatischer Satz gelesen werden. 247 Vgl. N 219 sowie auch 220, Anm. 10: „Damit ist natürlich niemals bestritten, daß Paulus ein von den Synoptikern durch Gegenstand und Begrifflichkeit unterschiedenes Zeugnis hat“. 248 N 219. Glaube heißt, die Gegenwart Christi heute als volle Gegenwart zu glauben (vgl. ebd.). 249 Vgl. Bethge, Nachwort, 304: Bemerkenswert bleibe, dass Bonhoeffer „seine erste Öffentlichkeitswirkung mit Betrachtungen zur Bergpredigt erreichte und nicht, wie die klassischen Protestanten Luther, Barth u. a., mit einer Römerbriefauslegung.“ Die Evangelien hatten, wie E. Troeltsch (Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Gesammelte Schriften I, Tübingen 1912, 967ff) gezeigt hat, vor allem in den (als soziologischer Typus verstandenen)

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Zweitens darf umgekehrt nicht übersehen werden, dass Bonhoeffer nun nicht etwa das synoptische dem paulinischen Zeugnis vorordnet, sondern es ihm tatsächlich um die Unumstößlichkeit der „Einheit des Schriftzeugnisses“ geht.250 Drittens ist zu beachten, dass Bonhoeffers Proklamation der Einheit der Schrift als theologie- und kirchengeschichtliches Anliegen zu verstehen ist und von hierher plausibel wird. Bonhoeffer weiß selbstredend, dass bestimmte synoptische Begrifflichkeiten bei Paulus nicht vorkommen (so etwa der Begriff Nachfolge, vgl. N 219). Jedoch war diese terminologische Unterschiedenheit seines Erachtens im Protestantismus als eine inhaltliche Unterschiedenheit verstanden worden, die – indem Paulus der Vorzug gegeben wurde – zu einer von der Nachfolge dispensierenden Gnadens- und Versöhnungslehre führte. Was Bonhoeffer über die „Einheit des Schriftzeugnisses“ zunächst grundsätzlich formuliert, muss sich für ihn am Konkreten bestätigen; es ist der Begriff der Nachfolge, anhand dessen Bonhoeffer – gleichsam paradigmatisch – pointiert jene Einheitlichkeit des Christuszeugnisses unter Beweis zu stellen sucht. Im ersten Teil seines Buches über die Nachfolge war Bonhoeffer der Verwendung und der Bedeutung dieses Begriffs in den synoptischen Schriften des Neuen Testaments nachgegangen. Im zweiten Teil fragt er nach der Kirche Jesu Christi und der Nachfolge. Jetzt ist es vorwiegend das paulinische Zeugnis, das er auslegt. Zwar tritt der „Begriff der Nachfolge, der bei den Synoptikern fast den gesamten Inhalt und Umfang der Beziehungen des „Sekten“ (in der N entsprechen sie wohl dem, was Bonhoeffer als „Schwärmertum“ bzw. „Sektiererei“ bezeichnet) eine große Bedeutung, während, so formuliert es Luz, „für kirchliche Theologie […] immer wieder Paulus entscheidend“ gewesen ist (Luz, Die Bergpredigt, 63). Luz erklärt hierzu: „Von hier aus [sc. von Troeltschs Beschreibung des Sektentyps] wird verständlich, wo wir im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder Nachfahren des Matthäus finden: in den asketischen und mönchischen Bewegungen des altkirchlichen Ostens, bei den mittelalterlichen Radikalen, Waldensern, Wyclifiten etwa, in der Reformationszeit bei den Täufern. Überall waren die Evangelien das eigentliche Zentrum der Frömmigkeit, während sie etwa Luther gegenüber Paulus und Johannes deutlich abwertete.“ (Luz, aaO., 64). 250 N 219; Hervorhebung durch F.S. In der Forschung ist die N allzu oft mit der in ihr enthaltenen Bergpredigtauslegung gleichgesetzt worden. Der zweite Buchteil, das corpus Paulinum, bleibt gegenüber der Interpretation des ersten Hauptteils stets untergeordnet oder wird als zu übergehender Zusatz angesehen (so etwa H. Mller, Von der Kirche zur Welt, 230ff): Danach „besteht die ,Nachfolge‘ nicht eigentlich aus zwei Teilen, sondern sie zerfällt in zwei Teile, eben weil erst der zweite Teil als Reflexion über die praesentia Christi die Frage heraufbeschwört, ob der erste Teil anders gemeint sei denn als Aussage über die praesentia Christi aus dieser praesentia Christi heraus.“ Sicherlich liegt Müller richtig, wenn er sagt, Bonhoeffer habe „bereits im ersten Teil so sehr damit gerechnet, daß Christus ,nicht tot, sondern heute lebendig ist‘“, so „daß der ganze erste Teil völlig transparent für die Gegenwart der Kirche war“. Müller übergeht dabei jedoch die theologische, genauer: die streng christologische Begründung, die jenen Exegesen des ersten Teils der N das Recht auf Vergegenwärtigung verleiht. Dadurch kommt er zu der Einschätzung, es könne der zweite Teil der N „nichts anderes sein als eine reflektierte Wiederholung des ersten Teiles, der gerade in der Reflexion die Unmittelbarkeit der Predigt des Christus praesens wieder aufhebt, die im ersten Teil wirksam war“ (Mller, aaO., 231).

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Jüngers zu Jesus Christus auszudrücken vermochte, […] bei Paulus stark in den Hintergrund“ (N 219); das bedeutet aber gerade nicht, dass der im Begriff Nachfolge transportierte Inhalt bei Paulus nicht mehr vorkäme. Während nämlich die „Begrifflichkeit“ sich geändert hat, ist der „Begriff“ (Nachfolge als Bindung an Christus) selbst beibehalten. Daraus ergibt sich für Bonhoeffer als Auslegungsanweisung für den zweiten Hauptteil: „So wird im folgenden zu zeigen sein, wie der Begriff der Nachfolge im Zeugnis des Paulus in veränderter Begrifflichkeit aufgenommen und weitergeführt ist.“251 Bonhoeffers Anliegen kann für diesen zweiten Teil des Buches in Gestalt der folgenden Fragen formuliert werden: Wie wird im paulinischen Christuszeugnis die Bindung an Christus begrifflich neu benannt? Wie kann sie hergestellt werden? Was trägt sie im Leben des Menschen aus?

2.5.2 Von der Bindung an die Welt zur Bindung an Christus: Taufe Insofern Bonhoeffer den Begriff der Nachfolge inhaltlich verstanden wissen will als die leibliche „Bindung an den leidenden Christus“ (N 82; vgl. auch N 47), „an die Person Jesu Christi allein“ (N 47; so auch N 78), kann aus dem bisher Gesagten heraus formuliert werden: In der leiblichen Bindung an Christus befindet sich seit Pfingsten, wer Glied der Kirche Christi ist, denn sie ist der Christus praesens. Was für die ersten Jünger die Nachfolge im Sinne eines Lebens in der Gemeinschaft mit dem Christus war, ist für die heutigen Christen das In-der-Kirche-Sein. Das Leben der ersten Jünger in der Gemeinschaft der Nachfolgenden hat nach Bonhoeffer seine heutige Entsprechung in dem Leben des Christen in der und in seiner Zughörigkeit zu der Gemeinde. Darum gilt: Es wird keiner ein neuer Mensch, es sei denn in der Gemeinde, durch den Leib Christi. Wer allein ein neuer Mensch werden will, bleibt beim alten. Ein neuer Mensch werden heißt in die Gemeinde kommen, Glied am Leibe Christi werden. (N 233)

Wie aber werde ich Glied der Gemeinde, Glied am Leibe Christi? „Wie gewinnen wir nun lebendigen Anteil an diesem Leibe Christi, der […] alles für uns tat?“ (N 230) Äquivalent gefragt: Worin haben der Ruf Jesu zur Nachfolge und der Eintritt des Jüngers in die Nachfolge bei den Synoptikern ihre Entsprechung bei Paulus? Bonhoeffers Antwort lautet: „Ruf und Eintritt in die 251 N 221, Anm. 10. Wenn Bonhoeffer, wie im obigen Zitat deutlich, zwischen „Begriff“ (Inhalt) und „Begrifflichkeit“ (Form) unterscheidet, dann ist bei ihm damit selbstredend nicht infrage gestellt, dass mit der Veränderung des Significants auch eine Veränderung des Significats erfolgt; die Jünger können seit Himmelfahrt nicht mehr in demselben Sinne hinter Jesus hergehen. Dass sie dies nicht länger können, heißt aber für Bonhoeffer gerade nicht – und hierauf zielt seine Unterscheidung von Konzept und Worthülse ab –, dass Nachfolge im Sinne leiblicher Bindung (vgl. N 47 u. ö.), d. h. also leibliche Bindung an den Christus, von jetzt an gar nicht mehr möglich wäre.

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Nachfolge haben bei Paulus ihre Entsprechung in der Taufe.“ (N 221) In der Taufe „vollzieht sich die Eingliederung in die sichtbare Gemeinde Jesu Christi“ (N 224). „Taufe ist Eingliederung in die Einheit des Leibes Christi […]. Die Taufe macht uns der Gliedschaft am Leibe Christi teilhaftig.“252 Angesichts der These, dass Ruf Jesu sowie Eintritt des Jüngers in die Nachfolge und der Empfang der Taufe einander entsprechen, wird sogleich Bonhoeffers auffallende Rede von der Taufe an einer Stelle des ersten Buchteils als keineswegs zufällig plausibel.253 Im Kapitel über „Die Nachfolge und das Kreuz“ heißt es: „Der Ruf in die Nachfolge Jesu, die Taufe auf den Namen Jesu Christi ist Tod und Leben. Der Ruf Christi, die Taufe stellt den Christen in den täglichen Kampf gegen Sünde und Teufel.“254 Wenn Bonhoeffer hier den Ruf in die Nachfolge und die Taufe synonym gebraucht, dann dient diese Gleichsetzung der Ankündigung dessen, was zu Beginn des zweiten Teils des Buches dann systematisch entfaltet wird. Es besteht nach Bonhoeffer zwischen Ruf und Eintritt in die Nachfolge der ersten Jünger und der Taufe der Jünger nach Kreuz und Auferstehung kein inhaltlicher Unterschied, sofern der Blick statt auf die Art und Weise auf die Folgen gerichtet wird: Hier gewinnt der Mensch durch den Ruf in die Nachfolge lebendigen Anteil am Leibe Christi, dort durch die Taufe (vgl. N 50, 229, 230). Grund und Ziel der Taufe sowie des Rufes Jesu und ersten Gehorsamsschritts des Jüngers ist allein die leibliche Gemeinschaft des Christus, die gewonnen wird. Es folgt bei Bonhoeffer die Darlegung der Behauptung, dass Ruf und Eintritt in die Nachfolge und Taufe einander entsprechen (vgl. N 221ff). Dabei bleibt festzustellen, dass Bonhoeffer weitgehend aufzeigt, inwiefern die Taufe dem Eintritt in die Nachfolge entspricht. Die Voraussetzungen der Taufe hingegen, die dem Ruf Jesu zur Nachfolge als Voraussetzung für des Jüngers Eintritt in die Nachfolge zu entsprechen haben, führt er nicht in derselben systematischen Strenge aus. Bonhoeffer verzichtet darauf, dezidiert nach dem Ruf zur Taufe als der Voraussetzung der Taufe zu fragen und einige der in seinen Ausführungen zu Jesu „Ruf in die Nachfolge“ (N 45 – 67) geradezu konstitutiven und zentralen Elemente nun noch einmal explizit und ausführlich auf den Begriff der Taufe zu beziehen. Die Unmittelbarkeit der Christusbegegnung, in die der Jünger im Angesicht des Rufes Jesu hineingestellt war und deren Schilderung für Bonhoeffer so wichtig gewesen ist, wird nicht eigens im Zusammenhang der Taufe besprochen. Weder die Thematik der Verhältnismäßigkeit von Glaube und Gehorsam noch die „Situation, in der geglaubt werden kann“ werden noch einmal gesondert aufgegriffen und auf den Empfang der Taufe übertragen. Bevor darum Bonhoeffers Bestimmungen 252 N 230. Zu Bonhoeffers Sakramentsverständnis vgl. genauer G.L. Mller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, zum Folgenden bes. 161 ff. 253 In seinem Sachregister (vgl. N 305) verweist Bonhoeffer unter dem Stichwort „Taufe“ auf jene Stelle (N 81). 254 N 81. Vgl. ebenso N 226: Jesus nahm den Jüngern „das Leben […], und er schenkte ihnen sein Kreuz. Das war die Gabe der Taufe an die ersten Jünger.“

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der Taufe dargelegt werden, die dem Nachweis der Entsprechung von Taufe und Eintritt in die Nachfolge Rechnung tragen, sind zunächst die von ihm nicht systematisch ausgeführten, der Taufe vorausgesetzten Elemente zur Darstellung zu bringen, um die von Bonhoeffer behauptete begriffliche Äquivalenz zu überprüfen und zu präzisieren (2.5.2.1). Auf dieser Grundlage wird dann zu bewerten sein, ob Bonhoeffers These der Analogie argumentativ und theologisch standhält (2.5.2.2).

2.5.2.1 Theologisch-begriffliche Vorentscheidungen zum Taufverständnis Wenn Jesus den Jünger in die Nachfolge rief, dann war diese Begegnung zwischen Rufendem und Gerufenem eine unmittelbare Begegnung, und zwar zunächst insofern, als beide sich unmittelbar gegenüberstanden. Der Jünger konnte das Wort Jesu nur in dieser Unmittelbarkeit vernehmen, die kaum räumliche Distanz des Angesprochenen zum Sprechenden erlaubte. Jesus selbst war es, der die Distanz überbrückte, der an diesen und jenen Menschen herantrat, um ihn in seine Nachfolge zu rufen, oder es war der Mensch, der seinerseits die räumliche Entfernung überwand, indem er Jesus aufsuchte. Die Möglichkeit dieser Unmittelbarkeit zu Jesus war aber immer und notwendig „an einen einzigen Ort der Erde gebunden“: Wollten „die ersten Jünger […] mit Jesus gehen, um in seiner leiblichen Gemeinschaft zu stehen“ (N 254), dann mussten sie ihm folgen, wohin er ging. Wollten sie sein Wort hören, mussten sie dort sein, wo sein Wort erging: bei ihm selbst, leiblich in seiner Gegenwart. Nun ist aber mit Bonhoeffers Gedanken der Kirche als des Christus praesens gerade die Monotopie Christi auf Erden aufgehoben. Jetzt […] ist der Leib Christi […] nicht mehr an einen einzigen Ort der Erde gebunden. Der auferstandene und erhöhte Christus ist der Welt näher gerückt, der Leib Christi ist mitten in die Welt – in der Gestalt der Gemeinde – eingedrungen.255

Wo die Kirche, wo die Gemeinde Jesu Christi ist, dort ist er selbst leiblich, sichtbar gegenwärtig; „der Leib des erhöhten Herren ist sichtbarer Leib in der Gestalt der Gemeinde“ (N 242). Die Gemeinde ist darum der Ort, an dem „das Wort des Heils gepredigt wird“ (N 54). Dieses ihr „Wort richtet sich an Glaubende und Ungläubige“ (N 245). Während Christus als der Mensch, Jesus, an andere Menschen herantrat und sie zur Nachfolge rief, ist es jetzt an jedem Menschen selbst, den Weg an diesen Ort zu gehen, an dem das Evangelium verkündigt und hörbar gemacht wird. Zum Verständnis von Bonhoeffers Analogie-These ist folglich zu bedenken, dass der Mensch in der Kraft seiner 255 N 254. Dabei gilt zu bedenken, dass – so bei Luther – auch die menschliche Person Christi Anteil an der Ubiquität hat, und zwar im Abendmahl (vgl. dazu Luther, Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis 1528, WA 26, 241 – 509; vgl. dazu Kap. 3.2.1.3.1, bes. Anm. 72).

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menschlichen Freiheit256 die räumliche Distanz zur Kirche selbst überwinden muss257 und dann die Predigt hört (vgl. N 218, 216 u. a.). Jetzt aber steht der Mensch Christus selbst gegenüber.258 In der Predigt des Wortes hört er seinen Willen, seinen Anspruch, sein Gebot.259 Hier, in der Kirche, wird „das Wort des Heils gepredigt“ (N 54), hier wird der Mensch konfrontiert mit dem „gnädigen berufenden Willen Jesu Christi“, mit der Taufe als dem „Angebot Jesu Christi“ (N 221). Es ist dabei nun unverkennbar, dass dieser Schritt des Menschen in den Ort der Verkündigung hinein an sich keineswegs als Äquivalent zu dem Schritt in die Nachfolge der ersten Jünger zu verstehen ist. Wenn Bonhoeffer innerhalb seiner Ausführungen zum ersten Schritt in die Nachfolge auf die „lutherischen Bekenntnisschriften“ (N 53 f) rekurriert, in welchen von einem „Schritt zur Kirche“ die Rede sei, der „in voller Freiheit getan“ werden könne, dann erfolgt dieser Verweis zwar zur Bestätigung seiner These, dass auch die Bekenntnisschriften „von einer Situation wissen, in der geglaubt werden kann, und von einer solchen, in der Glaube nicht möglich ist“ (N 54). Zwar ist der Schritt zur Kirche etwas, das als sichtbares Heraustreten interpretiert werden kann; allein das Verlassen des Hauses, der Gang zur Kirche und das Hören der Predigt (vgl. ebd.) bedeutet aber noch keine neue Existenz oder die endgültige Trennung von der bisherigen260 – denn all dies setzt nicht zwingend den Glauben voraus, sondern ist gerade umgekehrt dessen Voraussetzung, insofern allein im Raum der Kirche die Predigt als das Wort überhaupt gehört werden kann. In der Predigt des Wortes in der Kirche ergeht heute der Ruf Christi in die Nachfolge als der Ruf zur Taufe. Der Mensch soll Teil der Gemeinde, Glied am Leib Christi werden. Wie die ersten Jünger in die Gemeinschaft der Nachfolgenden hineingerufen waren, so ruft Christus den Menschen heute hinein in die Gemeinschaft der Gläubigen. Weil Christus selbst das Wort ist, darum geschieht im Hören der Predigt jene „volle Begegnung“, in welche Jesus auch die ersten Jünger durch sein Wort hineinstellte. Auch hier gilt das Entweder256 Siehe dazu oben Kap. 2.4.2.2. 257 Vgl. N 53 f: Der Schritt zur Kirche „kann in voller Freiheit getan werden. Komm zur Kirche! das kannst du kraft deiner menschlichen Freiheit.“ (N 53). 258 Hinsichtlich der Predigt des Wortes hat nach Bonhoeffer zu gelten, dass in ihr der Leib Christi selbst, der die Gemeinde ist, sichtbar wird. Christus wird sichtbar in der Gemeinde „[z]uerst in der Predigt des Wortes“ (N 242). Jene Sichtbarkeit des eigentlich – d. h. in Wirklichkeit uneigentlich – Unsichtbaren liegt nun begründet allein in Christus selbst. Er ist das Wort, das „Fleisch angenommen hatte und in diesem Fleisch die ganze Menschheit selbst“ (N 243). Darum ist auch das Wort der Kirche notwendig sichtbares Wort. Dass aber das Wort der Kirche, ihre Predigt, tatsächlich sichtbares Wort ist, ist nun wiederum als unbedingt geglaubte Erkenntnis zu verstehen. Wie die ersten Jünger allein im Glauben den Rufenden als das fleischgewordene, sichtbare Wort und sich selbst von diesem Wort leiblich angenommen erkannten, so gibt es auch hier keinen anderen Zugang und keine andere Begründung als den Glauben. Im Hören des Wortes ist der Mensch vor die Entscheidung des Glaubens gestellt. 259 Vgl. hierzu auch Bonhoeffers Vorwort der N (N 21ff) sowie die letzten Abschnitte des Kapitels „Die teure Gnade“ N 42 f. 260 Vgl. die Erzählung vom reichen Jüngling Mt 19,16 – 22.

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Oder der Entscheidung: entweder Gehorsam oder Ungehorsam (vgl. N 65). Jesus Christus selbst ruft den Menschen heute zu sich, wie er die ersten Jünger zu sich rief, damit sie sich allein auf sein Wort verließen.261 Im Wort der Predigt fordert Christus selbst einfältigen Glauben des Menschen in der Gestalt einfältigen Gehorsams. Dieser soll sich bedingungslos und allein auf Christus verlassen und seinem Wort Glauben schenken. Er soll es „für einen tragfähigeren Boden […] halten als alle Sicherheiten der Welt“ (N 69). Indem Bonhoeffer nun die Taufe als einen Schritt hinein in die völlige Unsicherheit versteht,262 ist in der Taufe der Glaube des Menschen vorausgesetzt. Zugleich hat die Taufe den Glauben zum Ziel, ist Glauben (als die Erkenntnis des Christus) durch sie erst möglich. Denn wie die ersten Jünger Jesus dadurch als den erkannten, der er ist – als Christus –, dass sie seinem Wort gehorchten (und darin seinem Wort glaubten),263 so kann auch ich Christus nicht anders erkennen als „durch sein klares Wort und Gebot“ (N 217). Dieses Gebot aber ist nach Bonhoeffer zuerst das an mich gerichtete Gebot zur Taufe, das gnädige Angebot Jesu Christi an mich,264 das ich in der Predigt der Kirche höre und das „[…] sein Ziel immer darin [hat], daß es Glauben fordert aus ungeteiltem Herzen“ (N 217). Ich werde den Rufenden nur erkennen als den Christus, das gepredigte Wort nur erkennen als Wort Gottes, als das Wort selbst, wenn ich diesem Wort gehorsam bin, wenn ich ihm Glauben schenke in der Gestalt des Gehorsams. Der Schritt zur Taufe geschieht im Glauben und führt zum Glauben, ist Finalität und Kausalität des Glaubens. Der Ruf zur Nachfolge ist dasjenige Gebot, welches mich aus allen bisherigen Bindungen heraus- und in die leibliche Gemeinschaft Christi hineinruft. Das Empfangen der Taufe bedeutet demgemäß in der Theologie der „Nachfolge“, jenen existentiellen Schritt zu tun, den die ersten Jünger tun mussten, wenn sie Christus nachfolgen wollten. Taufe ist darum für Bonhoeffer der Schritt in die Nachfolge. Jeder tut diesen Schritt allein, denn jeder ist allein gerufen (vgl. N 224 und 87). Wer getauft ist, hat diesen Schritt in vollem 261 Vgl. N 69, 217 u. a. Der Mensch soll seine eigene Sündhaftigkeit und Gottes ausschließliche Gerechtigkeit anerkennen; er soll Jesus als den Christus glauben, der am Kreuz für die ganze Menschheit starb; er soll Jesus Christus für das fleischgewordene Wort Gottes selbst halten, das in die Welt kam, um Menschen leiblich anzunehmen; er soll glauben, dass dieser Christus leiblich gegenwärtig ist als die Gemeinschaft derer, die sich von ihm haben annehmen lassen; dass er auch mich annehmen will und dass diese Annahme nur dadurch geschehen kann, dass ich seinem Wort glaube; dass ich Teil der Gemeinde werden soll und dass dieses Teilwerden nicht anders als durch den Empfang der Taufe vollzogen werden kann. 262 Vgl. hierzu die Aussagen zum ersten Schritt der Jünger in N 46 ff. 263 Vgl. hierzu neben N 45ff besonders N 216: „Es verhält sich ja auch bei den ersten Jüngern nicht so, daß sie in ihm erst den Christus erkannt hätten und dann sein Gebot empfingen. Vielmehr erkannten sie ihn nicht anders als durch sein Wort und Gebot. Sie glaubten seinem Wort und Gebot und erkannten in ihm den Christus. Es gab für die Jünger keine Erkenntnis Christi außer durch sein klares Wort.“ 264 Vgl. N 221: Taufe ist „Angebot Jesu Christi. Sie ist allein begründet in dem gnädigen berufenden Willen Jesu Christi.“ Vgl. in diesem Zusammenhang den kurzen Abschnitt über „Kindertaufe“ in der N (N 226 f).

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Glauben – im Vertrauen, im Wagnis – daran getan, dass Jesus der Christus ist.265 Wer getauft ist, ist gerade dadurch, dass er alles auf das Wort Jesu gesetzt hat, in der „Situation, in der geglaubt werden kann“. Bevor nun aufzuzeigen ist, inwiefern Bonhoeffer den Vollzug der Taufe als den Eintritt des Jüngers in die Nachfolge ausweist, sei hinsichtlich des Wortes und der Predigt des Wortes in der Kirche zunächst an die zu Beginn dargestellte Auffassung Bonhoeffers zur soteriologischen Bedeutung des Wortes erinnert. Es ist Gottes eigener Wille, den gefallenen Menschen wieder anzunehmen, ihn zu seiner Bestimmung des Geschöpfseins zurückzuführen, und zwar durch das Wort, das Wort, welches Fleisch wurde. Diesem Wort, in dem wir alle getragen sind, sollen wir glauben. Wie stellt sich dieser Gedanke nun vor dem Hintergrund der Annahme dar, dass die Gemeinde der Christus praesens ist und in dieser Gemeinde das Wort gepredigt wird? Es heißt zunächst, dass die Predigt der Kirche der Predigt der Apostel entspricht, und zwar darin, dass sie Zeugnis ist: Zeugnis davon, dass Jesus Christus selbst das Wort ist. Die Predigt der Apostel zeichnet sich dadurch aus, dass sie Bezeugung und „Mitteilung geschehener Tatsachen“ ist (N 242). Die Apostel haben in Jesu leiblicher Gemeinschaft gelebt, sie haben den Menschgewordenen, Gekreuzigten und Auferstandenen gesehen und seinen Leib mit ihren Händen betastet (1. Joh. 1,1). Sie sind die Zeugen, deren sich Gott, der heilige Geist als Werkzeug bedient, um das Wort auszurichten. Apostelpredigt ist Zeugnis des leibhaftigen Geschehens der Offenbarung Gottes in Jesus Christus. (N 243)

Weil nun „[a]uf dem Grunde der Apostel und Propheten […] die Kirche erbaut [ist], deren Eckstein Jesus Christus ist (Eph. 2,20)“, muss nach Bonhoeffer „[j]ede weitere Predigt […] selbst apostolische Predigt sein, indem sie auf diesen Grund aufbaut“. Über die Predigt der Kirche, die folglich grundsätzlich und wesenhaft apostolische Predigt ist, sagt Bonhoeffer nun: „Das apostolische Wort ist im Menschenwort wahrhaftig Gottes Wort (1. Thess. 2,13).“ (N 243; Hervorhebung durch F.S.) Zulässig ist diese Aussage für Bonhoeffer gerade dadurch, dass er Christus und Kirche als Einheit denkt.266 Wie Jesus sein Wort an die Jünger richtete, so ergeht das Wort der Predigt in der Kirche als das Wort Christi. Dieses Wort ist, weil es das fleischgewordene Wort selbst ist, „Wort, das Menschen annehmen will und die Kraft hat, es zu tun. Gottes Wort sucht Gemeinde, um sie anzunehmen“ (ebd.). Das gepredigte Wort ist Christus, d. h. in der Predigt des Wortes wird Christus, das Wort selbst, sichtbar.267 265 Dies bestätigt N 222 f, wenn Bonhoeffer den Täufling als Glaubenden ausweist: „So wird die Taufe zum Empfang der Kreuzesgemeinschaft Jesu Christi […]. Der Glaubende kommt unter Christi Kreuz.“ (N 222 f). 266 Siehe hierzu Kap. 2.5.1. 267 Vgl. N 242. Vgl. dazu aus der Confessio Helvetica Posterior : „Praedicatio verbi divini est

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Der Weg Gottes zum Menschen

Das Wort der apostolischen Predigt ist das Wort, das die Sünden aller Welt leibhaftig getragen hat, es ist der gegenwärtige Christus im Heiligen Geist. Christus in seiner Gemeinde, das ist die „Lehre der Apostel“, die apostolische Predigt. (N 244)

Der Prediger dieses Wortes bleibt hier wirklich ganz Zeuge. Er ist nicht mehr als das und tritt vollständig hinter das Zeugnis zurück.268 Der „Prediger soll und kann nichts tun, als dieser eigenen Bewegung des Wortes zu dienen, ihr nichts in den Weg zu stellen. Das Wort geht aus, um Menschen anzunehmen“ (N 243). Weil das gepredigte Wort der Kirche Gottes eigenes Wort ist, darum allein hat es die Kraft, Menschen anzunehmen. Diesem Wort muss nicht von außen diese Kraft erst zukommen. Es geht von selbst in die Gemeinde hinein. Es hat eine eigene Bewegung zur Gemeinde hin. Nicht so ist es, daß auf der einen Seite ein Wort, eine Wahrheit ist, und auf der anderen Seite eine Gemeinde, und der Prediger habe nun dies Wort zu nehmen, zu handhaben, zu bewegen, um es in die Gemeinde hinein zu bringen, es auf die Gemeinde anzuwenden. Vielmehr geht das Wort diesen Weg ganz von selbst (N 243; Hervorhebung durch F.S.).

Schließlich ist auch hier anzumerken: Dass das Wort der Kirche, ihre Predigt, tatsächlich sichtbares Wort, der Leib Christi sichtbarer Leib in der Predigt des Wortes ist (vgl. N 242), ist wiederum als unbedingt geglaubte Erkenntnis zu verstehen. Wie die ersten Jünger nur im Glauben den Rufenden als das fleischgewordene, sichtbare Wort und sich selbst von diesem Wort am Kreuz gerichtet und versöhnt erkannten, so gibt es auch hier keinen anderen Zugang und keine andere Begründung als den Glauben. Im Hören des Wortes ist der Mensch vor die geglaubte Entscheidung des Gehorsams gestellt. Nachdem die Bonhoeffers Ausführungen zur Entsprechung von Taufe sowie Ruf und Eintritt in die Nachfolge vorausgesetzten Annahmen angezeigt worden sind, kann nun die von ihm aufgewiesene Entsprechung selbst betrachtet werden.

2.5.2.2 Die Taufe als sachliche Entsprechung zu Ruf und Eintritt in die Nachfolge Weil der Täufling in der Taufe alles auf das Wort Christi setzt und seinen eigenen Willen ganz dahingibt, vollzieht sich in der Taufe jener Machtwechsel, der sich auch in dem ersten Schritt der ersten Jünger ereignete. Der Mensch wird in ihr [sc. der Taufe] Eigentum Christi. Der Name Jesu Christi wird über dem Täufling genannt, der Mensch wird damit dieses Namens teilhaftig, er wird verbum divinum“ (BSRK 171,10) Vgl. dazu K. Barth, Menschenwort und Gotteswort, 430 – 457. 268 Vgl. dazu DBW 14, Vorlesung im zweiten Finkenwalder Kurs 1935/36: Homiletik, 528 ff.

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Glaube und leibliche Bindung an Christus seit Pfingsten

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„in Jesum Christum“ hineingetauft (eQr […]). Nun gehört er zu Jesus Christus. Er ist der Herrschaft der Welt entrissen und ist Christi Eigentum geworden. […] Das Alte ist vergangen, es ist alles neu geworden. […] Wer getauft ist, gehört nicht mehr der Welt, dient ihr nicht mehr, ist ihr nicht mehr unterworfen. Er gehört Christus allein an und verhält sich zur Welt nur durch Christus. (N 221)

In diesen beiden kurzen Textpassagen sind die zentralen Kriterien der Taufe angezeigt, deren erstes lauten muss: Dadurch, dass der Mensch Christus glaubt und Christi Eigentum wird, wird er des Leibes Christi teilhaftig. Der Mensch ist darin ganz passiv, er erleidet den Ruf Christi,269 der den Bruch mit allem Bisherigem, dem alten Leben, der Welt, vollstreckt. Nicht der Mensch selbst vollstreckt, sondern es wird an ihm vollstreckt, was Christus selbst zuvor an allen vollzogen hat.270 Christus greift in den Machtbereich des Satans ein und legt seine Hand auf die Seinen, schafft sich seine Gemeinde. Vergangenes und Zukünftiges sind damit auseinandergerissen. […] Nicht geschieht der Bruch dadurch, daß ein Mensch seine Ketten zerreißt, weil er nach einer neuen, freien Ordnung seines Lebens und der Dinge ein unstillbares Verlangen trägt. Christus selbst hat längst zuvor den Bruch vollzogen. In der Taufe wird dieser Bruch nun auch an meinem Leben vollstreckt. Die Unmittelbarkeit zu den Gegebenheiten der Welt wird mir geraubt, weil Christus, der Mittler und Herr, dazwischengetreten ist. (N 221)

Wie bei Ruf und Schritt in die Nachfolge, so ist es bei Bonhoeffer auch bei der Taufe ausgeschlossen, sie als Eigenwahl verstehen zu können. Zwar ist die Taufe Anerkennung dessen, was Gott am Kreuz erwarb; sie ist aber gerade darin Selbstverleugnung, Leugnung des eigenen Willens und völliges SichErgeben in den Willen Gottes. Dieser Wille „[heißt] uns sterben […] mit allen unseren Wünschen und Begierden“ (N 81). Die Taufe ist unser Tod, und zwar jener Tod, so sagt Bonhoeffer, den wir selbst niemals wollen können.271 Taufe ist passio passiva. Insofern ist der in der Taufe an mir vollstreckte „Bruch mit der Welt […] ein vollkommener“, als die Taufe mein Tod in der Gemeinschaft des Todes Christi ist. 269 Vgl. N 221: „Taufe heißt Getauftwerden, sie ist ein Erleiden des Rufes Christi.“ Vgl. hierzu N 51 f: „Zweitens ist die Situation, in der geglaubt werden kann, niemals vom Menschen aus herauszustellen. Nachfolge ist kein Angebot des Menschen. Allein der Ruf schafft die Situation.“ Vgl. hierzu Luthers Taufverständnis, etwa im Großen Katechismus: „Denn in Gottes Namen getauft werden, ist nicht von Menschen, sondern von Gott selbs getauft werden; darumb ob es gleich durch des Menschen Hand geschieht, so ist es doch wahrhaftig Gottes eigen Werk“ (zit. n.: BSLK, 692 f = M 486). 270 Siehe oben Kap. 2.3. 271 Vgl. N 81 und hierzu N 222: „Auch dieser Tod ist im strengsten Sinn als leidentliches Geschehen aufzufassen. Nicht der Mensch soll den unmöglichen Versuch machen, sich diesen Tod zu geben durch allerlei Verzicht und Entsagung. Ein solcher Tod wäre niemals der von Christus geforderte Tod des alten Menschen. Der alte Mensch kann sich nicht selbst töten. Er kann seinen Tod nicht wollen.“

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Der Weg Gottes zum Menschen

Er fordert und bewirkt den Tod des Menschen. In der Taufe stirbt der Mensch mit seiner alten Welt. […] Der Mensch stirbt allein an Christus, durch Christus, mit Christus. Christus ist sein Tod. Um der Gemeinschaft mit Christus willen und in ihr allein stirbt der Mensch. (N 222)

Wer getauft wird, der wird seiner alten Existenz ganz entrissen. Er stirbt seiner alten Existenz ab. In der Taufe stirbt der alte Mensch.272 Indem aber dieser Tod in der Gemeinschaft des Todes Christi erlitten wird (vgl. N 222 u. ö.), empfängt der Getaufte in seinem Tod die Gnade Gottes, die er „sich niemals selbst schaffen kann“. Zwar ergeht in ihm das Gericht über den alten Menschen und seine Sünde, aber aus diesem Gericht heraus ersteht der neue Mensch, der der Welt und der Sünde abgestorben ist. So ist dieser Tod nicht die letzte zornige Verwerfung des Geschöpfes durch den Schöpfer, sondern er ist gnädige Annahme des Geschöpfes durch den Schöpfer. Dieser Tauftod ist der durch Christi Tod uns erworbene gnädige Tod. Es ist der Tod in der Kraft und Gemeinschaft des Kreuzes Christi. (Ebd.)

Taufgnade ist daher „teure Gnade“; sie kostet den Menschen sein ganzes altes Leben273 und schenkt ihm das neue Leben in der Gemeinde der Jünger Christi. Der Ruf Jesu zur Nachfolge, die Taufe, ist Tod und Leben zugleich (vgl. N 81). Das neue Leben ist das Leben unter dem Kreuz Christi, das Leben in der „Kreuzesgemeinschaft Jesu Christi“ (N 223), die uns durch den Empfang der Taufe zugeeignet wird. Es gibt keine Gnade ohne Preis, kein Leben ohne Sterben, kein Christsein ohne Kreuz, keine Taufe ohne Tod.274 Für jenen Tauftod hat nun zu gelten, was über den ersten, im Glauben geschehenen Gehorsamsschritt ausgesagt worden ist: Wie der Schritt in die Nachfolge, so ist auch der Schritt zur Taufe als der Schritt in die Gemeinde „von allen folgenden qualitativ unterschieden“ (N 53), er ist „in strengstem 272 Im ersten Teil der N hieß es: „Das erste Christusleiden, das jeder erfahren muß, ist der Ruf, der uns aus den Bindungen dieser Welt herausruft. Es ist das Sterben des alten Menschen in der Begegnung mit Christus. Wer in die Nachfolge eintritt, gibt sich in den Tod Jesu, er setzt sein Leben ins Sterben“ (N 80 f). Dieser Satz mag nun angesichts der theologischen Erweiterung, die Bonhoeffer dem Nachfolge-Begriff im zweiten Buchteil verleiht, wie folgt übersetzt werden: Das erste Christusleiden, das jeder erfahren muss, ist die Taufe, durch die uns Christus aus den Bindungen dieser Welt herausruft. Als dieses Christusleiden ist sie das Sterben des alten Menschen in der Begegnung mit Christus. Wer in die Kirche eintritt, gibt sich in den Tod Jesu, er setzt sein Leben ins Sterben. 273 Vgl. N 31 und auch N 34: „Es war die teure Gnade, die sich ihm [sc. Luther] schenkte, sie zerbrach ihm seine ganze Existenz.“ 274 Zur Verbindung von Taufe und Kreuz vgl. fernerhin N 222 f: „Wer Christi Eigentum wird, muß unter sein Kreuz. Er muß mit ihm leiden und sterben. Wer die Gemeinschaft Jesu empfängt, muß den gnadenvollen Tod der Taufe sterben. Das macht das Kreuz Christi, unter das Jesus seinen Nachfolger stellt. Christi Kreuz und Tod war hart und schwer, das Joch unseres Kreuzes ist sanft und leicht durch die Gemeinschaft mit ihm. Christi Kreuz ist unser einmaliger gnadenvoller Tod in der Taufe; unser Kreuz, zu dem wir gerufen sind, ist das tägliche Sterben in der Kraft des vollbrachten Todes Christi. So wird die Taufe zum Empfang der Kreuzesgemeinschaft Jesu Christi […]. Der Glaubende kommt unter Christi Kreuz.“

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Sinne unwiederholbar“ (N 274), und zwar darum, weil er in d ie lebendige leibliche Gemeinschaft Christi hineinführt, den Tod des Menschen in der Gemeinschaft des Todes Christi bewirkt und den gestorbenen Menschen rechtfertigt.275 Der Tod in der Taufe ist die Rechtfertigung von der Sünde. […] Die Taufe in den Tod Christi schafft Vergebung der Sünden und Rechtfertigung, sie schafft völlige Trennung von der Sünde. Die Gemeinschaft des Kreuzes, in die Jesus seine Jünger rief, ist die Gabe der Rechtfertigung an sie, des Todes und der Vergebung der Sünden. Der Jünger, der in der Gemeinschaft des Kreuzes Jesus nachfolgte, empfing keine andere Gabe als der Gläubige, der nach der Lehre des Paulus die Taufe empfing. (N 223)

So ist, wer getauft ist, von der Sünde getrennt.276 Die Getauften sind nicht mehr „in Adam“, sondern „in Christo“, und zwar „in ihrer ganzen Existenz und in allen Lebensäußerungen“. Der Getaufte ist Glied am Leibe Christi, „selbst ein Glied dieses Leibes, und die Gemeinschaft der Getauften wird zu dem einen Leib, der Christi eigener Leib ist“ (N 231). Wir sind in Christus ,hineingetauft‘ (Gal. 3,27; R. 6,3), wir sind ,zu einem Leibe getauft‘ (1. Kor. 12,13). So wird uns im Tauftod durch den heiligen Geist zugeeignet, was Christus in seinem Leibe für alle erwarb. Die Gemeinschaft des Leibes Jesu, die wir empfangen, wie sie die Jünger und Nachfolger der ersten Zeit empfingen, bedeutet, daß wir nun ,mit Christus‘ sind, ,in Christus‘ sind und daß ,Christus in uns‘ ist. Vom rechten Verständnis des Leibes Christi her bekommen diese Ausdrücke klaren Sinn.277

Indem er selbst erneuert wird, wird der Getaufte Teil des „neuen Menschen“, der die Kirche ist (vgl. N 232). Als Einzelner wird der Mensch von Christus zur Taufe gerufen, und als Einzelner wird er getauft. Wie Jesu Ruf den Gerufenen zum Einzelnen macht (vgl. N 87ff), so begeht auch der Täufling „diesen Schritt allein. Aber er findet wieder, was er verließ, Brüder, Schwestern, Häuser, Äcker.“ (N 224) Zweierlei ist daraus abzuleiten; zum einen: 275 Darum muss gelten: „Die Taufe und ihre Gabe ist etwas Einmaliges. […] Wer getauft ist, hat teilbekommen an Christi Tod. Er hat durch diesen Tod sein Todesurteil empfangen und ist gestorben. Wie Christus ein für allemal starb (R. 6,10) und wie es keine Wiederholung seines Opfers gibt, so erleidet der Getaufte mit Christus ein für allemal seinen Tod. Nun ist er gestorben.“ (N 224 f) Bonhoeffer wiederholt denselben Gedankengang in N 274. 276 Vgl. N 278 f. Siehe zum simul des iustus et peccator z. B. unten Kap. 3.1.1. 277 N 230. Dazu N 223: „Daß die Taufe bei aller Passivität, in die sie den Menschen nötigt, doch niemals als mechanischer Vorgang verstanden werden darf, macht die Verbindung von Taufe und Geist ganz deutlich (Mt. 3,11; Act. 10,47; Joh. 3,5; 1. Kor. 6,11; 12,13).“ Vgl. dazu schon DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 208 f: „Der heilige Geist [ist] kein dynamisches Prinzip zur Aneignung dieses Tuns Christi“, d. h. des Kreuzes, das das „Urteil des Todes und [des] Gerichts über alles Fleisch vollstreckt“, und der Auferstehung, durch die „Gottes Gerechtigkeit in Christus […] unsere Gerechtigkeit“ wird.

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Der Weg Gottes zum Menschen

Es gibt keinen Lebensbereich, in dem sich das Glied dem Leibe entziehen dürfte oder wollte. Wo immer einer ist, was immer einer tut, es geschieht „im Leib“, in der Gemeinde, „in Christo“. Das ganze Leben ist „in Christo“ aufgenommen. (N 250)

Zum anderen ist das Leben des Getauften „in Christo“ immer sichtbares Leben. Denn die Gemeinde, sagt Bonhoeffer, nimmt „Raum ein auf Erden“, und „[w]as Raum einnimmt, ist sichtbar“ (N 241). Wie die ersten Jünger Jesus sichtbar nachfolgen mussten und wie der Bruch in ihrem Leben sichtbare Folgen davontrug, so muss nach Bonhoeffer das Leben des Menschen in der Gemeinde sichtbares Leben sein. Rief Jesus in die Nachfolge, so forderte er einen sichtbaren Gehorsamsakt. Jesus nachfolgen war eine öffentliche Sache. Ganz ebenso ist die Taufe ein öffentliches Geschehen; denn in ihr vollzieht sich die Eingliederung in die sichtbare Gemeinde Jesu Christi […]. Der in Christus vollzogene Bruch mit der Welt kann nicht mehr verborgen bleiben, er muß äußerlich in Erscheinung treten durch die Zugehörigkeit zum Gottesdienst und zum Leben der Gemeinde. Der Christ, der sich zur Gemeinde hält, tut einen Schritt aus der Welt, aus der Arbeit, aus der Familie hinaus, er steht sichtbar in der Gemeinschaft Jesu Christi. (N 224)

Insofern ist durch die Taufe ein Zuvor von einem Danach im Leben des Getauften unterschieden: Wer getauft ist, der gehört sichtbar zur Gemeinde. Das Leben des Christen ist niemals ein Leben im Verborgenen, sei es ein Leben ohne Taten oder ein Glauben in der Gesinnung, sondern es ist öffentliches Leben, sichtbares Leben und Existieren in der Gemeinde. Denn wer getauft ist, der gehört nach Bonhoeffer leiblich zu Christus.

2.6 Ertrag Den ersten Teil der Untersuchung abschließend, seien die wichtigsten Erkenntnisse zusammengetragen (1 – 3). Aus dem Vorangegangenen lassen sich zudem einige für das Verständnis und die Interpretation der „Nachfolge“ wichtige Einsichten ableiten sowie Fragen formulieren (Punkte 4 – 8): 1. Es wurde dargelegt, inwiefern Bonhoeffer die paulinische Rede von der Taufe als Entsprechung zu Ruf und Eintritt in die Nachfolge bei den Synoptikern versteht und verstehen kann.278 Durch die Taufe, in der Gott den Menschen rechtfertigt, wird dieser Glied des Leibes Christi, Glied seiner Gemeinde. Wer getauft ist, der ist ein neuer Mensch, und er verhält sich nun zu dem neuen Menschen, der die Kirche, Jesus Christus selbst ist (vgl. N 232ff). Nicht anders verhielt es sich bei den ersten Jüngern, als sie Christus nachfolgten.279 Ihr erster Schritt auf den Ruf hin bewirkte ihre Rechtfertigung, zu 278 Siehe oben Kap. 2.5.2. 279 Siehe oben Kap. 2.4.2.

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Ertrag

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der sie doch nichts aus eigener Kraft hinzufügen konnten. Nun gehören sie ganz Christus, „gehen sie mit ihm, leben mit ihm, folgen ihm, wohin er sie auch führt“ (N 99). Alles, was die Jünger fortan tun, tun sie als Gerechtfertigte innerhalb der Gemeinschaft dessen, der sie zu sich rief, in der Gemeinschaft der Nachfolgenden, der Gemeinde Jesu Christi als der Gemeinde unter dem Kreuz. Wie die Taufe der Sache nach als das Äquivalent zu Ruf und Eintritt in die Nachfolge zu gelten hat (vg. N 221), so entspricht das Leben der Heiligen im Raum der Kirche dem Leben der ersten Jünger in der Gemeinschaft der Nachfolge Jesu. Das Äquivalent der Nachfolge ist das Leben der Gläubigen in der Gemeinde. 2. In Bezug auf die „Situation, in der geglaubt werden kann“ wurde deutlich, dass Bonhoeffer mit diesem Terminus keine vornehmlich zeitliche Bestimmung für den Beginn des Glaubens zu geben beabsichtigt, sondern damit eine Aussage über die Qualität von Glauben zur Unterscheidung echten Glaubens von falschem Glauben trifft.280 Glaube ist das Wagnis auf den Ruf Jesu Christi hin, der jene Situation des Glaubenkönnens schafft; Glaube ist das Wagnis, sein Leben dem Rufenden anzuvertrauen, den Schritt zu tun „in die unendliche Unsicherheit“ (N 51) – um in dieser Anerkenntnis dann zu erkennen und zu erfahren, wer der Rufende ist: „kein unfroher Verächter des Lebens […], sondern […] das Leben und das Evangelium selbst, […] Christus selbst“ (N 88). Sofern der Ruf des Mittlers zur Nachfolge diesen Glauben fordert, bewirkt der Schritt des Menschen in die Nachfolge seine Rechtfertigung.281 3. Ausdruck jenes ,teuren Glaubens‘ als Äquivalent der „teuren Gnade“ Gottes (vgl. N 30ff) ist der Satz „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt“.282 Glauben ohne Gehorsam, ohne den ersten Schritt des Gerufenen in die „Situation, in der allererst geglaubt werden kann“ hinein, ist Glauben ohne Rechtfertigung und darum „frommer Selbstbetrug, billige Gnade“ (N 53). Zudem fordert Bonhoeffers spezifisches christologisches Konzept der „Nachfolge“ (Jesus ist incognito der Christus) einen Glauben, den es allein im Wagnis, d. h. allein im gewagten, geglaubten Gehorsam gegen das Wort Jesu Christi überhaupt erst gibt.283 Glauben heißt, sich dem Gebot Christi ganz auszuliefern, „sich auf das Wort Jesu Christi zu verlassen, dieses Wort für einen tragfähigeren Boden zu halten als alle Sicherheiten der Welt“ (N 69). Die konkrete, sichtbare Gestalt des Glaubens ist das einfältige Tun auf das Wort Jesu Christi hin. Ohne das Thema der Prädestination letztlich berühren zu müssen, gelingt Bonhoeffer damit die Entfaltung eines Glaubensbegriffs, der Gottes Souveränität und menschliche Freiheit zusammenbringt.284 280 281 282 283 284

Siehe oben Kap. 2.4.2.4. Siehe oben Kap. 2.4.2.3.4. N 52; siehe oben Kap. 2.4.2.3.5. Siehe oben Kap. 2.4.2.3.3. Obwohl Bonhoeffer den Begriff der Prädestination an keiner Stelle der N nennt, führt er ihn in seinem Sachregister auf und verweist damit auf jene Auslegung von Mt 7,13 – 23, die er als die „große Scheidung“ (Überschrift N 183) der Nachfolgegemeinde auslegt. Gottes Verwerfung

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Der Weg Gottes zum Menschen

4. Im Hinblick auf den theologisch-hermeneutischen Umgang mit den Worten Jesu wird deutlich, warum diese Worte – und zwar sowohl der Ruf in die Nachfolge als auch alle weiteren, in der Nachfolge ergehenden Worte Jesu Christi in Gestalt von Zuspruch und Anspruch – von Christen heute überhaupt als Gebote verstanden werden dürfen, als Gebote, die auch ihnen noch gelten; warum weder ein wörtliches Befolgen der Gebote im Sinne einer prinzipiell-ethischen Interpretation noch eine vom Gehorsam entbindende Interpretation im Sinne ethischer Umdeutung und Außerkraftsetzung theologisch angemessen ist:285 Weil Christus als Gemeinde existiert, ist das Wort der Gemeinde Christi eigenes Wort, das darum für uns bindend ist. 5. In struktureller Hinsicht muss deutlich werden, dass die (theologische) Konzeption der „Nachfolge“ nicht treffend beschrieben ist durch die Behauptung, Bonhoeffer betrachte in ihrem ersten Teil die ersten Jünger Jesu Christi und die Nachfolge (weshalb er dort Synoptikerstellen auslege), wohingegen er in ihrem zweiten Teil nach der Kirche Jesu Christi und der Nachfolge frage (weshalb er dort ,nachösterliche‘, vorwiegend paulinische Stellen auslege). Vielmehr erhalten die Auslegungen der Gebote der Bergpredigt und der Sendungsrede, ja der gesamte erste Teil der „Nachfolge“ erst von der in ihrem zweiten Hauptteil entworfenen Theologie her ihr Recht auf Vergegenwärtigung. Allein auf der Grundlage dieser Theologie wird deutlich, in welcher Hinsicht, aus welchem Grunde, an welchem Ort wir Heutigen das in den Schriften der Bibel überlieferte Wort Jesu an die Jünger auch als an uns gerichtetes Wort, als Gebot Jesu hier und jetzt an uns verstehen können und dürfen. Ohne die theologische Grundlegung des zweiten Teils wäre hermeneutisch nicht einzusehen, warum wir die Gebote Jesu an uns und für uns geltend machen können.286 6. In theologiegeschichtlicher Hinsicht kann festgestellt werden, dass aufgrund dieser theologischen Konzeption Bonhoeffers, in der auf präsenzchristologischer Grundlage die Taufe als Äquivalent von Ruf und Eintritt in die Nachfolge und das Leben der Heiligen in der Gemeinde als Äquivalent des Jüngerlebens in der Nachfolge Jesu ausgewiesen wird, der ,historische Graben‘ zwischen ,damals‘ und ,heute‘ dahinschwindet. Die Differenz zwischen Bonhoeffer und der historischen Bibelkritik wird hier greifbar.287 Es ist Jesus Christus selbst, der diesen Graben überwindet – anders gesagt: Weil Jesus uns bzw. Erwählung des Menschen hängt daran, ob Jesus diesen Menschen erkennt oder ob er ihn nicht erkennt (vgl. N 189 f zu Mt 7,23). Zu diesem Erkennen aber sagt Bonhoeffer : „Wer sich in der Nachfolge an nichts hält und klammert als an dieses Wort, wer alles andere fahren läßt, den wird dieses Wort durchs letzte Gericht tragen. Sein Wort ist seine Gnade!“ (N 190). 285 Siehe oben Kap. 2.4.2.1. 286 Davon ausgehend muss Positionen der Bonhoeffer-Forschung widersprochen werden, wie sie etwa H. Mller entworfen hat (vgl. Mller, Von der Kirche zur Welt, 230ff, bes. 231). 287 Vgl. zu Bonhoeffers Kritik der historisch-kritischen Forschung schon das bei R. Seeberg gehaltene Referat Bonhoeffers aus dem Jahr 1925: „Historische und pneumatische Schriftauslegung“ (DBW 9, 305 – 323).

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Ertrag

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immer gerade heute Christus ist, ist die Annahme jenes Grabens eine ,unechte theologische Frage‘ (vgl. N 213). 7. Nachfolge heißt für Bonhoeffer leibliches Gebundensein an Jesus Christus und bedeutet, dass der Mensch (leiblich) Jesus nachfolgt in der Gemeinschaft derer, die ihn als den Christus glauben. Glaube und Nachfolge sind nicht trennbar. Gerade hier mag allerdings ein wesentliches exegetisches und für Bonhoeffers Theologie vor allem systematisch-theologisches Problem in der Feststellung zu finden sein, dass das Neue Testament durchaus Glauben ohne Nachfolge kennt (Nachfolge im Sinne des von Bonhoeffer definierten hinter ihm Hergehens, im Sinne des ,in Jesu leiblicher Gemeinschaft Seins‘, vgl. N 46 sowie 241 f, 253 u. a.). Es ist in den Zeugnissen der vier Evangelisten auch von Menschen berichtet, die Jesus als den Christus glauben, ohne ihm in Anschluss an ihre Begegnung auf dem Wege zu folgen; und selbst solche kennt das Neue Testament, die voll des Glaubens mit einem Anliegen an Jesus herantreten, ohne von ihm gerufen zu sein.288 Bonhoeffers Konzept von Glaube und Nachfolge sieht eine solche Möglichkeit, in der der Glaube von der Nachfolge getrennt gedacht wird bzw. werden kann, nicht vor. Freilich handeln jene Erzählungen des Neuen Testaments nicht unmittelbar von der Nachfolge, und zweifellos ist mit dieser Beobachtung eine – wenigstens exegetische – Grenze von Bonhoeffers Systematik einer Nachfolge erreicht.289 288 Vgl. nur den Aussätzigen in Mt 8,1 – 4; den Hauptmann von Kapernaum (Mt 8,5 – 13) oder den Amtsträger in Mt 9,18 – 25; die Schwiegermutter des Petrus (Mt 8,14 – 17); die Gläubigen zu Beginn von Mt 9 (vgl. V.2) oder die beiden Blinden in Mt 9,27 – 31. 289 Ein Schritt des Versuchs, auch diejenigen Erzählungen des Neuen Testaments in Bonhoeffers Konzept zu integrieren, die es auf den ersten Blick in Zweifel ziehen, mag darin bestehen, diese Erzählungen auf gerade jenes Kriterium hin zu untersuchen, welches Bonhoeffer zu Beginn seiner Ausführungen über die Nachfolge Christi als Kriterium des Glaubens verhandelt: den ersten Schritt des Jesusjüngers, der ein Schritt des Glaubens an Christus ist und den Glaubenden von der alten Existenz befreit und herauslöst. Gerade dieser Schritt des Glaubens ist es, so Bonhoeffer, der Glauben erst möglich und wirklich macht (vgl. N 50, 53 u. a.). Hat aber nicht der Hauptmann von Kapernaum diesen bereits Schritt getan, – den Schritt, der „[…] gegangen werden [muß], damit Glaube nicht frommer Selbstbetrug, billige Gnade werde“ (N 53) – wenn er, nachdem alles ihm selbst Mögliche den Knecht nicht zu heilen vermochte, an Jesus herantritt und sich selbst, den Befehlshaber über Viele, ganz unter das Wort, den Willen und die Macht Jesu stellt (vgl. Mt 8,8 f)? Und gilt nicht dasselbe auch für den Aussätzigen, der mit dem Wunsch an Jesus herantritt, er möge ihn reinigen (vgl. Mt 8,1ff), oder für die beiden Blinden und den Stummen, die Jesus wegen ihres Glaubens gesund macht (vgl. Mt 9,27ff)? Für den Gichtbrüchigen oder den Besessenen, die zu Jesus gebracht werden, damit er sie rein und gesund mache (vgl. Mt 9,1ff), damit er den bösen Geist austreibe (vgl. Mt 9,32ff)? Für den Gemeindevorsteher, dessen Tochter gestorben ist und der Jesus bittet, er möge sie wieder lebendig machen (vgl. Mt 9,18 – 19.23 – 26)? Für die blutflüssige Frau, die Heilung schon dadurch erwartet, dass sie den Saum des Gewandes ihres Herrn berührt (vgl. Mt 9,20ff)? Keiner dieser Menschen folgt Jesus auf dem Wege nach, sie alle erfüllen demnach nicht Bonhoeffers Kriterium des Glaubens, dass sie leiblich in seiner Gemeinschaft nachfolgen. Ihnen ist aber gemeinsam, dass sie zu Jesus kommen in dem Glauben daran, dass er ihnen helfen kann. Ihnen ist gemeinsam, dass sie alle bisherigen Versuche, Bemühungen und Anstrengungen aufgeben und nun alle Hoffnung auf die Hilfe Jesu und die Macht seines Wortes setzen. Sie haben alles

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Der Weg Gottes zum Menschen

8. Eine weitere Anfrage an Bonhoeffers Konzeption einer Theologie der Nachfolge mag sich herleiten aus einer offensichtlichen Divergenz zwischen theologischen Aussagen des Buches einerseits und der realen Situation, in die hinein Bonhoeffer schreibt, andererseits. Wie ist damit umzugehen und wie ist die Tatsache zu interpretieren, dass Bonhoeffer die Taufe als einen Schritt des Menschen (d. h. in Wirklichkeit als einen Schritt am Menschen) begreift, der ihn notwendig herauslöst aus allen bisherigen, alten Bindungen und hineinstellt in die alleinige Bindung an Christus – dass sich Bonhoeffer aber zugleich mit seinem Buch an Christen wendet, die zwar die Taufe als Zuspruch Gottes empfangen haben, deren Leben aber die Folge dieses Schrittes nicht sichtbar abzugewinnen ist? Kann man unterstellen, dass Bonhoeffer sich dieses Zwiespalts nicht bewusst gewesen ist? Es scheint das Umgekehrte anzunehmen zu sein, dass nämlich Bonhoeffer diese Tatsache beim Schreiben seiner „Nachfolge“ ins Auge fasste, und zwar zum einen in der Absicht, gerade diese Differenz christlichen Bewusstseins und Lebens in Erinnerung zu rufen, zum anderen in der Hoffnung, durch die „Nachfolge“ zu einer Überwindung dieser Ermangelung christlichen Selbstverständnisses und Lebensvollzugs beizutragen. (Die Textpragmatik der „Nachfolge“, die hier angesprochen ist, wird in der vorgelegten Arbeit noch zu thematisieren sein.)290 Die Darstellung hat damit einen vorläufigen Abschluss gefunden, sofern sie bislang in Richtung auf die Rechtfertigung behandelt und als die Frage ausgewiesen worden ist, wie der Mensch in die leibliche Christusgemeinschaft hineingelangen kann. Alles, was Bonhoeffer über das bisher Gesagte hinaus ausführt und was hier im Folgenden darzustellen sein wird, betrifft nicht mehr den Weg in die Gemeinschaft Christi hinein, sondern das Leben des gerechtfertigten Menschen innerhalb dieser Gemeinschaft, in welcher nun alle weiteren Schritte geschehen; nicht mehr den ersten Schritt in die Nachfolge, sondern die Nachfolge selbst; nicht mehr den Schritt zur Kirche, sondern das Leben des Christen in der Kirche. Es geht darum von nun an nicht mehr um das Geschehen der Rechtfertigung selbst, sondern um deren Folgen: das Leben der Gerechtfertigten in der leiblichen Gemeinschaft des Christus, in welcher sie bewahrt werden. „Das Leben in dieser Bewahrung aber ist die Heiligung.“ (N 275; Hervorhebung durch F.S.) Die Heiligung ist die Konsequenz, deren Ausgangspunkt die Rechtfertigung ist und die sich an den Gerechtfertigten verlassen, um sich jetzt allein „auf das Wort Jesu Christi zu verlassen, dieses Wort für einen tragfähigeren Boden zu halten als alle Sicherheiten der Welt“ (N 69). Vgl. hierzu allerdings WE 536 (Brief Bonhoeffers an E. Bethge vom 18. 7. 1944): Das „Hineingerissenwerden in das – messianische – Leiden Gottes in Christus geschieht im N.T. in verschiedenster Weise: durch den Ruf der Jünger in die Nachfolge, durch die Tischgemeinschaft mit den Sündern, durch ,Bekehrungen‘ im engeren Sinne des Wortes (Zachäus), durch das (ohne jedes Sündenbekenntnis sich vollziehende) Tun der großen Sünderin (Luk 7), durch die Heilung der Kranken […], durch die Annahme der Kinder.“ 290 Siehe bes. unten Kap. 3.3.

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Ertrag

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ereignet. In der Nachfolge, im Leben der Christen in der Gemeinde, geschieht die Heiligung an denen, die Christi Ruf gefolgt sind. Heiligung ist der Weg, den Christus mit den Glaubenden selbst geht. Damit beginnt nun der (in eigentlichem Sinne inhaltslose, vgl. N 46 f und 65) Begriff Nachfolge inhaltlich bestimmt zu werden – auch wenn er weiterhin „[…] keinen anderen Inhalt als Jesus Christus selbst [bekommt], die Bindung an ihn, die Gemeinschaft mit ihm“ (N 65).

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3. Der Weg Christi mit dem Menschen: Heiligung Der Menschgewordene macht seine Jünger zu Brüdern aller Menschen. Die ,Philanthropie‘ (Tit. 3,4) Gottes, die in der Menschwerdung Christi offenbar wurde, begründet die Bruderliebe der Christen zu allem, was Mensch heißt auf Erden. (N 301)

In vier größeren Abschnitten folgt die Darstellung der Heiligung als die Beschreibung des Lebens der Gerechtfertigten, des Weges Christi mit den Menschen in Bonhoeffers „Nachfolge“. Nach einem begriffsbestimmenden Teil zu „Heiligung“ und „Welt“ (3.1) werden sich zwei Abschnitte der Frage nach dem Verhältnis der Heiligen zur „Welt“ zuwenden: der erste der beiden (3.2.1) betrachtet den negativen, sich von der Welt abgrenzenden Aspekt des Weltverhältnisses, der zweite (3.2.2) den positiven, sich der Welt zuwendenden Aspekt. In diesen beiden Teilen wird im Besonderen das mittlere Drittel der „Nachfolge“ (Bonhoeffers Auslegung der Bergpredigt Mt 5 – 7 und der Sendungsrede Mt 10) in den Blick genommen und die ethische Ausrichtung des Buches untersucht werden. Fragen nach der Struktur der communio sanctorum (nach der Gemeindeordnung, dem Umgang mit Irrlehre, dem Verhältnis der Kirche zu den weltlichen Ordnungen Beruf und Obrigkeit) sowie Gedanken zur Stellvertretung und Gestaltung werden hier zu verhandeln sein. Den Abschluss der Rekonstruktion von Bonhoeffers Gedankengang und theologischer Konzeption der „Nachfolge“ bildet ein vierter Abschnitt (3.3), in welchem, ausgerichtet an dem Begriff Volk, die exegetisch-vergegenwärtigende und textpragmatische Dimension der „Nachfolge“ aufgezeigt wird. Die so genannte „Judenfrage“ und die Frage nach den Adressaten des Buches – zwei Komplexe, die im vierten Kapitel der Arbeit zur theologischen Entwicklung Bonhoeffers dann wieder aufgegriffen werden – werden hier textimmanent besprochen werden.

3.1 Begriffsbestimmungen der „Nachfolge“ 3.1.1 Heiligung, Heiligkeit, die Heiligen Wer sind „die Heiligen“? Es sind diejenigen, die zu Jesus Christus gehören: diejenigen, die (vor Christi Himmelfahrt) den Schritt in die Nachfolge getan haben und Jesus jetzt nachfolgen, und es sind diejenigen, die (seit Pfingsten)

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Begriffsbestimmungen der „Nachfolge“

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die Taufe empfingen und sich fortan sichtbar zur Gemeinde Christi halten. Die Heiligen sind diejenigen, die „der Herrschaft der Welt entrissen“ (N 269) sind, die (durch den Ruf Jesu Christi in seine Nachfolge, durch die Taufe, vgl. bes. N 218) einmal gestorben und nun der täglichen Erinnerung dieses Sterbens bedürftig sind,1 und zu denen gesagt ist: Haltet euch dafür, daß ihr der Sünde abgestorben seid und lebet Gott in Christo Jesu (Röm. 6,11). Es ist alles geschehen, nicht nur am Kreuz Jesu, sondern auch an euch. Ihr seid von der Sünde getrennt, ihr seid gestorben; ihr seid gerechtfertigt.

Bonhoeffer fährt daraufhin fort: Damit hat Gott sein Werk vollbracht. Er hat sein Heiligtum auf Erden gegründet durch Gerechtigkeit. Dies Heiligtum heißt Christus, Leib Christi. Die Trennung von der Sünde ist vollzogen durch den Tod des Sünders in Jesus Christus. Gott hat eine von der Sünde gerechtfertigte Gemeinde. Das ist die Gemeinde der Jünger Jesu, die Gemeinde der Heiligen. Sie sind aufgenommen in sein Heiligtum, sie selbst sind sein Heiligtum, sein Tempel. Sie sind aus der Welt herausgenommen und leben in einem neuen eigenen Raum mitten in der Welt. (N 274)

Heilig ist der Christ, weil er Gottes alleinige Heiligkeit und Gerechtigkeit (vgl. N 270 und 271) anerkannt hat und so selbst durch Gott dieser Gerechtigkeit und Heiligkeit teilhaftig geworden ist. Heilig ist der Christ, weil er in Christus getragen und durch die Teilhabe an seinem Tode von aller Sünde und Ungerechtigkeit (vgl. N 269) getrennt ist. Zunächst grenzt Bonhoeffer den Begriff „Heilige“ gegen „Gerechtfertigte“ ab. Von dem Zeitpunkt an, da sie zu Christus gehören und der Gemeinschaft seines Leibes teilhaftig geworden sind (vgl. N 269 f), „heißen die Christen im Neuen Testament nur noch ,die Heiligen‘. Der andere Name, der sich denken ließe, nämlich ,Gerechte‘, findet keinen Eingang.“ Den Grund dafür sieht Bonhoeffer in einem für ihn entscheidenden Unterschied beider Termini: Der Titel „Gerechte“ ist „bezogen auf das einmalige Ereignis der Taufe und Rechtfertigung“ und vermag darum „nicht in derselben Weise den ganzen Umfang der empfangenen Gabe beschreiben“ wie „Heilige“, in dem die (nach der Rechtfertigung als einer ersten) bestehende zweite Gabe mitgesetzt ist, durch welche das Leben der Gerechtfertigten durchdrungen ist: Ihr Leben ist bestimmt durch die ständige Bewahrung in dem Zustand der Rechtfertigung „bis an den jüngsten Tag“. Weil aber das „Leben in dieser Bewahrung […] die Heiligung [ist]“ (N 275), sind die Gerechtfertigten als diejenigen die Heiligen, die im Zustand der Rechtfertigung bewahrt werden. 1 Vgl. N 274: „Die Eingliederung in den Leib Christi, d. h. in seinen Tod und seine Auferstehung ist die Taufe. Einmal ist Christus gestorben, so wird auch uns Taufe und Rechtfertigung ein für allemal zuteil. Sie sind in strengstem Sinne unwiederholbar. Wiederholbar ist nur die Erinnerung an das, was an uns ein für allemal geschehen ist, und nicht nur wiederholbar, sondern der täglichen Wiederholung bedürftig.“

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Der Weg Christi mit dem Menschen

Die Trennung von der Sünde, von der alten Existenz ist vollzogen. „Der Bruch ist vollzogen. Der ,vorige‘ Wandel (Eph. 4,22) ist zu Ende gebracht.“ (N 279) Die Rechtfertigung ist darum absolutes Ereignis. Der Gerechtfertigte ist wirklich ein Heiliger. Für die von Christus gerufene Gemeinde gilt: Sie „ist der Herrschaft der Welt entrissen“, „sie ist zu Einem Leib gemacht“, sie „ist die heilige Kirche […], die Gemeinde der Heiligen […], und ihre Glieder sind die berufenen Heiligen […], die in Jesus Christus geheiligt sind“ (N 269; Hervorhebung durch F.S.). Denn: Das war das Ziel ihrer Berufung zu Jesus Christus, ja ihrer Erwählung vor der Gründung der Welt, daß sie heilig und untadelig seien (Eph. 1,4), dazu hatte Christus seinen Leib in den Tod gegeben, daß er die Seinen heilig, unbefleckt und unsträflich vor sich selbst darstellte (Kol. 1,22), das ist die Frucht der Befreiung von der Sünde durch den Tod Christi, daß die, die einstmals ihre Glieder der Ungerechtigkeit liehen, sie nun zum Dienst der Gerechtigkeit gebrauchen, zur Heiligung (Röm. 6,19 – 22). (N 269)

Weil die Gerechtfertigten wirklich von der Sünde getrennt (worden) sind, darum ist es, so betont Bonhoeffer mit Verweis auf 1Joh 3,9, „gar nicht mehr möglich […], daß der Christ sündigt“.2 Auch dürfen die Christen nicht mehr „Sünder“ genannt werden, „sofern darunter solche verstanden sind, die unter der Gewalt der Sünde leben […], vielmehr, einst waren sie Sünder, Gottlose, Feinde […], nun aber sind sie die Heiligen um Christi willen“.3 Dieses Heiligsein ist aber zugleich und unbedingt der Prozess der Heiligung. Das Heiligsein ist dadurch gekennzeichnet, dass es keineswegs in sich selbst ruht, sondern notwendig einem Prozess unterworfen ist. Der diesem Prozess entsprechende und auf Kontinuität verweisende Begriff, die Heiligung, ist darum nicht mit Heiligkeit gleichzusetzen (vgl. dazu N 275, Hg.-Anm. 21). Die Heiligen sind nicht einfach heilig, noch verfügen sie über ihre Heiligkeit, sondern es geschieht weiterhin etwas an ihnen: Sie werden als die Heiligen geheiligt, sie werden im Stand des Gerechtfertigtseins bewahrt.4 Das Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung kann Bonhoeffer dann wie folgt beschreiben: Die Rechtfertigung entreißt den Glaubenden seiner sündigen Vergangenheit, die Heiligung läßt ihn bei Christus bleiben, in seinem Glauben stehen, in der Liebe wachsen. Es mag erlaubt sein, Rechtfertigung und Heiligung in dem Verhältnis von 2 N 279; Hervorhebung durch F.S.; vgl. hierzu ebd.: „Der ,vorige‘ Wandel (Eph. 4,22) ist zu Ende gebracht. […] Vorher vollbrachten sie die schändlichen und ,unfruchtbaren Werke des Fleisches‘, jetzt wirkt der Geist die Frucht der Heiligung.“ 3 N 279. Weiter sagt Bonhoeffer: „Als Heilige werden sie erinnert und ermahnt zu sein, was sie sind. Nicht das Unmögliche wird gefordert, daß die, die Sünder sind, heilig seien, – das wäre der völlige Rückfall in die Werkerei und Lästerung Christi –, sondern die Heiligen sollen heilig sein; denn sie sind geheiligt in Christus Jesus durch den Heiligen Geist.“ (Ebd.). 4 An späterer Stelle der Darstellung wird jenes hier angezeigte, der Heiligung zueigene Prozesshafte verdeutlicht, indem dem Begriff der Heiligung der der Gestaltung zur Seite gestellt wird, siehe hierzu unten Kap. 3.2.2.5.

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Begriffsbestimmungen der „Nachfolge“

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Schöpfung und Erhaltung zu denken. Rechtfertigung ist die Neuschöpfung des neuen Menschen, Heiligung seine Erhaltung und Bewahrung bis auf den Tag Jesu Christi. (N 275)

Jene Verknüpfung von Rechtfertigung und Heiligung,5 von Absolutheit der Rechtfertigung und gleichzeitiger Notwendigkeit der Bewahrung in diesem Stande, jenes Verständnis von Heiligung als einem Zugleich von Zustand und Prozess, spiegelt sich pointiert in der Aussage wieder : Die „Heiligen sollen heilig sein“.6 Der Gerechtfertigte ist heilig, zugleich aber soll er heilig sein. Er soll sein (d. h. er soll sich in dem bewähren), was er bereits ist.7 Es mag (insbesondere den theologisch lutherisch geprägten Rezipienten der „Nachfolge“) befremdlich anmuten, dass Bonhoeffer in so ontischer Weise von der Sündlosigkeit des Menschen zu sprechen imstande ist. So sehr betont er dessen in der Rechtfertigung gewirkte Heiligkeit, dass das peccator esse als die andere existentielle Seite, diejenige, aufgrund deren der Mensch seiner Rechtfertigung überhaupt bedurfte, dahinter zurück zu bleiben scheint. In der Tat ist der „Nachfolge“ zu attestieren, dass in ihr die Ausführungen zum Sündersein gegenüber denen zum Heiligsein unterbestimmt bleiben. Gleichwohl ist diese Unterbestimmtheit nicht qualitativer Art (dies zeigt schon Bonhoeffers Auslegung des lutherischen „pecca fortiter“ im ersten Kapitels des Buches an, vgl. N 38 f); sondern die Sündhaftigkeit des Menschen ist – wie gezeigt8 – der Ausgangspunkt und die unbedingte Voraussetzung aller theologischen Sätze und Aussagen Bonhoeffers. Das Sich-Befinden in der Heiligung hat die Selbsterkenntnis des (vergangenen) völligen Sünderseins zur Voraussetzung. So sind die „Heiligen“ die „gerechtfertigten Sünder“ (N 275). Luthers darin aufgenommene Figur des simul iustus et peccator9 findet in der „Nachfolge“ Ausdruck in einer Dialektik, die von der Blickrichtung des Menschen getragen ist. Zwei Perspektiven sind zu unterscheiden: 1. Auf sich selbst, sein eigenes Können und Vermögen blickend ist der Glaubende peccator (dies entspricht der Notwendigkeit des Geheiligtwerdens). Die Heiligen sehen nur Streit, Not, Schwachheit und Sünde in ihrem eigenen Leben; und je reifer sie in der Heiligung stehen, desto mehr erkennen sie sich als die Unterliegenden, als die Sterbenden nach dem Fleisch.10 5 Gegen Krause, Bonhoeffer, 60, wird in den folgenden Kapiteln gezeigt, dass Rechtfertigung und Heiligung in der N keineswegs nur locker verbunden sind. 6 N 279. Bonhoeffer entwickelt diesen Gedanken unter Bezugnahme auf Lev 19,2, ein Vers, den er in N 276 und zuvor in N 270 zitiert: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott.“ 7 In diesem Zusammenhang fällt auf, dass Bonhoeffer das entsprechende Kapitel der N mit „Die Heiligen“ überschreibt (und den Akzent damit auf den Zustand legt), währenddessen er in seinem eigenen Sachregister (vgl. N 305) unter dem Begriff Heiligung auf dieses Kapitel verweist. 8 Siehe zuerst oben Kap. 2.2. 9 Vgl. dazu Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 211 ff. 10 N 283. Bei Kierkegaard ist zu lesen: „Luthers Lehre vom Glauben entspricht eigentlich der Verwandlung, welche vorgeht wenn man Mann wird und nicht mehr Jüngling ist; seine Lehre

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Der Weg Christi mit dem Menschen

Im Angesicht der Erkenntnis der Alleingerechtigkeit Gottes, die in Christi Werk am Kreuz triumphiert hat (vgl. N 272), und des eigenen völligen Sünderseins stirbt der Mensch den Tod der Rechtfertigung. In derselben Erkenntnis sterben die Christen in der täglichen „Erinnerung an das, was an uns ein für allemal geschehen ist“ (N 274). Sie sterben täglich ihres Fleisches (vgl. N 283 zu 1Kor 15,31) ob ihres Glaubens, dass „Christus durch den Heiligen Geist sein Leben in ihnen angefangen hat“. Gerade indem aber die „Heiligen […] an Christus und seinem Leben [sterben]“ (denn es wird ihnen in jeder eigenen Tat stets dies offenbar, dass allein Christus, dass allein Gott selbst gerecht ist und gerecht sein kann, sie selbst aber ganz ungerecht), wird ihnen zugesagt, dass „der von Gott Geborene nicht mehr sündigen kann“, weil über ihn die „Sünde […] nicht mehr herrscht“ (N 283 f). Denn die Gerechtfertigten sind „der Sünde gestorben“ und sie „[leben] im Geiste […]“.11 2. Iustus (dies entspricht dem Zustand des Geheiligtseins) ist der Glaubende, wenn er statt auf sich selbst auf das von Christus in ihm gewirkte Werk, die Rechtfertigung, blickt, das durch diesen Glauben an ihm vollstreckt worden ist. Der Glaubende verfällt hier keineswegs in Selbstbetrachtung, sondern er richtet den Blick auf den Wirkenden selbst, Christus.12 Schaut der Mensch im Glauben auf das Kreuz, dann (und nur dann und in dieser Weise) erkennt er sich als den Heiligen, dann erkennt er, dass sein Leben fortan ganz und allein von seiner Rechtfertigung her besteht und in der Heiligung bestimmt ist. Die „Frucht der Heiligung“ (N 284 u. ö.) – das sind die in der Rechtfertigung in der Heiligung gewirkten Taten – bleibt seinem eigenen Auge ganz und gar verborgen. In seinem eigenen Leben sieht der Heilige nur Sünde (vgl. N 283). Auf Christus blickend sieht er als ein im Glauben Gerechtfertigter nicht sich selbst, nicht die eigenen Werke, den eigenen Willen, sondern „ganz vom Glauben ist die Religiosität der Männlichkeit. Als Jüngling ist es einem doch als wäre es möglich das Ideal zu erreichen, wenn man bloß redlich mit äußerster Kraft strebte […] Aber die Religiosität der Männlichkeit ist eine Potenz höher, und just daran erkenntlich, daß sie sich ein Stadium weiter vom Ideal entfernt fühlt. In demselben Maße wie das Individuum sich entwickelt, wird Gott ihm unendlicher und unendlicher, fühlt es sich weiter und weiter von Gott fort. […] Das Ideal wird so unendlich erhaben, daß all mein Streben sich für mich selbst in ein wahnsinniges Nichts verwandelt, wenn es ihm gleich sollte, oder in eine Art gottesfürchtigen Scherz, wenn ich auch redlich strebe.“ (Kierkegaard, Papirer X,2 A 131 [1849]; zit. n.: ders., Der Einzelne und die Kirche, 105 f) Denselben Gedanken entfaltet Kierkegaard in aaO., 125ff (= Papirer X,3 A 714 [1851]); 140 f (= Papirer X,3 A 576 [1850]): „Jeder Fortschritt zum Ideal ist nur ein Rückschritt“. 11 N 284. Vgl. auch N 273: „Wir sind in ihm [sc. Christus] in der Kraft seiner Menschwerdung. So starb er für uns, damit wir, die wir Sünder sind, in ihm Gottes Gerechtigkeit würden als die Sünder, die durch Gottes alleinige Gerechtigkeit von der Sünde losgesprochen sind.“ 12 Vgl. zum folgenden Luthers Kreuzestheologie, z. B. die „Heidelberger Disputation“ (1518, WA 1, 355 – 365), dazu Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 34 ff. Vgl. Luthers Figur des sub contrario specie, dazu Althaus, aaO., 109 ff. „Necesse est enim opus Dei abscondi et non intelligi tunc, quando fit. Non autem absconditur aliter quam sub contraria specie nostri conceptus seu cogitationis.“ (Luther, Vorlesung über den Römerbrief, 1515/16, WA 56, 376, 31 – 377,1; zit. n.: Althaus, aaO., 110, Anm. 46).

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Begriffsbestimmungen der „Nachfolge“

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allein und unentwegt“ Christus, dem er angehört (N 285). Und dennoch muss es den Heiligen – gemäß der Gewissheit des Glaubens – „ganz gewiß sein“, dass die Frucht ihrer Heiligung wirklich „da ist, auch wenn sie ihnen tief verborgen bleibt“ (N 284; Hervorhebung durch F.S.), auch wenn sie ihre eigene Sündhaftigkeit und gerade weil sie immer nur Christi Gerechtigkeit sehen. Diese Gewissheit entsteht aber nicht durch das auf die von mir getanen Werke Blicken, sondern durch die Gewissheit, wer der Wirkende ist und was er an mir gewirkt hat. Bonhoeffers Dialektik des Sündenverständnisses findet (unter Berufung auf 1Joh 1,8) Ausdruck in dem Satz: Dieselben Christen, die es sich zu eigen machen, daß die Sünde nicht mehr herrscht, daß der Glaubende nicht mehr sündigt, werden bekennen: „So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ (N 285)

Die Heiligen bleiben Sünder ; sie sind aber – simul iustus et peccator – die „gerechtfertigten Sünder“ (N 275). Es wird in der weiteren Darstellung zu zeigen sein, welcher konkreter Interessen sich Bonhoeffers auffallend starke Akzentuierung der Heiligkeit gegenüber der Sündhaftigkeit der Christen verdankt. Ihre wesentliche Konturierung erhält diese Frage, indem die Linie der bisherigen Interpretation nun durch die Analyse fortgesetzt wird, unter welchen Umständen und Bedingungen die Christen geheiligt werden bzw. wie sie sich ihrer Heiligung auch entziehen und aus dem Stande der Rechtfertigung herausfallen können (vgl. N 184 u. ö.). Indem von der „Frucht des Geistes“ als der „von Gott allein gewirkte[n] Gabe“ (N 283) gesprochen worden ist, ist auch unmittelbar das Verhältnis der Heiligen zu Anderen angesprochen worden, denn: „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit“ (Gal 5,22; zit. n.: N 283). Damit tritt nun die Weltthematik der „Nachfolge“ in den Blick. Die Weltthematik, das hat zu Beginn dieser Arbeit schon die Auseinandersetzung mit der einschlägigen Forschungsliteratur gezeigt, ist ein Schlüsselthema der „Nachfolge“ und zu ihrem Verständnis. Wenn in der BonhoefferForschung von „Weltverständnis“ die Rede ist, dann ist darunter der dem Buch zugrundeliegende Begriff von Welt und zugleich das Verhältnis der Christen zur Welt verstanden (siehe oben Kap. 1.2). In dieser Arbeit wird der theologische Weltbegriff von dem Weltverhältnis unterschieden und dementsprechend voneinander getrennt analyisert. Am Anfang der Analyse der Weltthematik steht eine Bestimmung dessen, was Bonhoeffer theologisch unter „Welt“ versteht (3.1.2); ausführlich folgt dann die Analyse des Weltverhältnisses (3.2).

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Der Weg Christi mit dem Menschen

3.1.2 Der Weltbegriff: Einheit der Wirklichkeit In Aufnahme der bisherigen Untersuchungsergebnisse wird der Begriff „Welt“ in seiner dogmatischen Relation zum Wirklichkeitsverständnis der „Nachfolge“ verdeutlicht und in fünf Schritten theologisch aufgewiesen. 1. Die Welt ist zuerst die von Gott geschaffene Welt; sie ist Gottes gute Schöpfung.13 Der Mensch ist Teil dieser guten Schöpfung Gottes, Teil dieser geschöpften Welt, aber er hat in ihr eine ausgezeichnete Position: Der Mensch, geschaffen zu Gottes eigenem Bilde, ist die „Vollendung seiner [sc. Gottes] Schöpfung […]. In Adam erkannte Gott sich selbst.“ (N 297; vgl. auch SF 56) Adam (der Mensch) in statu integritatis trägt und ist die imago dei, das Ebenbild Gottes auf Erden. Die Wirklichkeit der Welt ist die eine Wirklichkeit der guten Schöpfung Gottes, dessen Vollendung der Mensch als das Ebenbild des Schöpfers ist. Die Wirklichkeit der ganzen Welt vor dem Fall ist die Wirklichkeit des Urstandes. 2. Auf die Schöpfung hin folgt als zweite Stufe der Weltbestimmung der Fall des Menschen durch den Sündenfall Adams (Gen 3), der den Fall eines jeden Menschen bedeutet. „[I]n Adam war der Einzelne und die ganze Menschheit in Einem. […] Adam trug die ganze Menschheit in sich. In ihm fiel die ganze Menschheit, in ,Adam‘ (Mensch) fiel ,der Mensch‘ (R[öm]. 5,19).“14 Indem Adam fällt, fällt die Menschheit, fällt die ganze Schöpfung. Damit hat sie ihr Geschöpfsein (vgl. SF 107) und der Mensch sein eigentliches Menschsein verloren (vgl. N 301). Der Mensch ist nicht länger das Ebenbild des Schöpfers, sondern ist „,wie Gott‘ – sicut deus – in seiner Weise“ (N 298; vgl. SF 105). Die Wirklichkeit bleibt eine Wirklichkeit, jetzt aber ist die Wirklichkeit der Welt die Sünde als die Entzweiung von Schöpfer und Geschöpf. Das Wirklichkeitsganze ist der Sünde unterworfen, und es ist darum nichts mehr auf seine ursprüngliche Geschöpflichkeit des status integritatis, sondern nur noch auf seine gefallene Geschöpflichkeit, d. h. aber auf seine Sündhaftigkeit in statu corruptionis, anzusprechen. Jede andere theologische Rede (für Bonhoeffer in historischer Konkretion etwa in der Kategorie der „Schöpfungsordnung“ gegeben15) würde die Leugnung der Universalität und der Wirklichkeit des Sündenfalls Adams bedeuten. 3. Darauf folgt als dritte Stufe zum Weltverständnis die Versöhnung Gottes mit seiner gefallenen Schöpfung in Jesus Christus. Gottes Ebenbild, das in Ewigkeit bei Gott geblieben war, nimmt nun das Bild des gefallenen, sündigen Menschen an. Gott sendet seinen Sohn in der Gleichgestalt des Fleisches der Sünde (R. 8,2 f.). (N 299) 13 Vgl. Gen 1 – 2; vgl. N 297; dazu SF 25 – 95. 14 N 229; Hervorhebung durch F.S. Ebenso SC, vgl. bes. 107ff, und E, vgl. bes. 301 ff. 15 Siehe dazu unten Kap. 4.2.

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Begriffsbestimmungen der „Nachfolge“

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Christus „ist den Menschen gleich geworden“ (N 301). In ihm ist das Ebenbild Gottes auf Erden wiederhergestellt (vgl. N 300). Entscheidend ist, dass, indem in Christus Gott und Mensch versöhnt sind, jeder Mensch, die ganze Menschheit mit Gott versöhnt ist. Gottes Gericht am Kreuz ist Gericht über die ganze Menschheit. Gott tötet seinen Sohn, der unser Fleisch trägt, und mit seinem Sohn tötet er alles, was Fleisch ist auf Erden. Nun ist es offenbar, daß niemand gut ist denn der einige Gott, daß keiner gerecht ist, als Gott allein.16

Für die „Nachfolge“ gilt: Wie „in Adam […] die ganze Menschheit in Einem“ war und in „ihm […] die ganze Menschheit [fiel]“ (N 229), trägt auch Christus „in der Kraft der Menschwerdung […] die ganze menschliche Natur“, ist „sein Leben, sein Sterben und Auferstehen ein reales Geschehen an allen Menschen“.17 Christus trägt „die Sünden aller Welt leibhaftig“ (N 244; Hervorhebung durch F.S.). Indem er die ganze Menschheit trägt, indem in seinem Leibe das Wirklichkeitsganze getragen und angenommen ist,18 steht Christus „mit seinem Leibe dort, wo wir vor Gott stehen sollten“ (N 231). „So ist der Leib Christi der Ort der Annahme, der Versöhnung und des Friedens zwischen Gott und Menschen. Gott findet im Leib Christi den Menschen“ (N 238). In Christi Ruf in die Nachfolge an die ersten Jünger und ebenso in Christi Ruf zur Taufe an uns (vgl. N 218 u. a.) ist ausgedrückt, dass es sich bei dem Gericht Gottes um ein Gericht zur Versöhnung handelt, dass Christus „mich angenommen hat und […] wiederum annehmen will“ (N 244). Wer sich von Gott in Christus Jesus annehmen lässt, dem wird die am Kreuz vollzogene Versöhnung (das „Mit-Christus-sein“) „zur Gnade“. Wer Gottes Gerechtigkeitsanspruch im Unglauben19 verwirft, dem wird die allversöhnende Gnade der Menschwerdung „zum Tode“ (N 231). Die Universalität des Heilshandelns Gottes in Christus denkt Bonhoeffer aber ganz unabhängig vom Glauben bzw. Unglauben des Menschen (vgl. N 90). Als der Mittler steht Christus nicht nur zwischen mir und Gott, sondern er steht eben damit auch in der Mitte zwischen mir und der Welt, zwischen mir und den anderen Menschen und Dingen. Er ist der Mittler, nicht nur zwischen Gott und Mensch, sondern auch zwischen Mensch 16 N 271. Ebenso E 53: „Im Leibe Jesu Christi ist Gott mit der Menschheit vereint, ist die ganze Menschheit von Gott angenommen, ist die Welt versöhnt mit Gott. Im Leibe Jesu Christi nahm Gott die Sünde aller Welt auf sich und trug sie. Es gibt kein Stück Welt und sei es noch so verloren, noch so gottlos, das nicht in Jesus Christus von Gott angenommen, mit Gott versöhnt wäre.“ 17 N 231; Hervorhebung durch F.S. Auch in N 301 spricht Bonhoeffer von „der ganzen Menschheit, die von ihm [sc. Christus Jesus] getragen ist“. 18 Vgl. N 228: „Gottes Sohn nimmt die ganze Menschheit leibhaftig an, die im Gotteshaß, im Stolz des Fleisches Gottes leibloses, unsichtbares Wort verwarf. Jetzt ist sie im Leibe Jesu Christi leibhaftig und wahrhaftig angenommen, so wie sie ist, aus göttlichem Erbarmen.“ 19 Siehe oben 2.4.2.4, bes. 2.4.2.4.3.

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Der Weg Christi mit dem Menschen

und Mensch, zwischen Mensch und Wirklichkeit. […] Es gibt seit Christus kein unmittelbares Verhältnis des Menschen mehr, weder zu Gott noch zur Welt.20

Die Vorstellung von der Aufhebung aller Unmittelbarkeit in der „Nachfolge“ entspricht – als Äquivalent zum Titel des Mittlers – dem Begriff der „Christuswirklichkeit“ in der „Ethik“ (vgl. E 48 u. ö.). Die Aufhebung aller Unmittelbarkeit ist Ausdruck der Tatsache, dass in Christus die ganze Wirklichkeit, die ganze Welt getragen, angenommen, gerichtet, versöhnt ist, und zwar allein darum, weil Gott diese sündige Welt so sehr liebte, „daß er seinen eingeborenen Sohn gab“ (Joh 3,16; zit.n.: N 92). Die Wirklichkeit der Welt ist die Wirklichkeit Jesu Christi. Es gibt keine echte Wirklichkeit außerhalb der einen Wirklichkeit Christi, des Mittlers. Jede Unmittelbarkeit ist nur scheinbar echt, in Wahrheit ist sie „Trug“ (N 90). Darum muss jeder Versuch, die Wirklichkeit (oder auch nur den kleinsten Bezirk in der Welt) außerhalb der einen Wirklichkeit Christi zu denken, auf Selbsttäuschung und Selbstbetrug hinauslaufen. Glauben heißt darum für den Nachfolgenden Anerkennen, Erkennen und Lernen, „daß er in seiner Beziehung zur Welt in einer Täuschung gelebt hat“ (N 89), der Täuschung der Unmittelbarkeit, als gäbe es eine Wirklichkeit außerhalb der Wirklichkeit Jesu Christi (oder auch: als gäbe es vor Christus eine Wirklichkeit außerhalb der Sünde).21 Auf dieser Grundlage lassen sich nun erste Aussagen über diejenigen Stellen der „Nachfolge“ treffen, in denen Bonhoeffer von der Kirche als einem „Raum für sich“ redet (N 269) und von denen ausgehend in der Bonhoeffer-Forschung in der Regel ein Gegensatz zur Theologie der „Ethik“ konstatiert wird – ein Gegensatz, der vordergründig das Verhältnis der Christen zur Welt, im Kern jedoch (da es dabei eigentlich um die Weite des Christusgeschehens geht) 20 N 88 f. Ebenso E 44: Die „ganze Weltwirklichkeit ist bereits in Christus hineingezogen, in ihm zusammengefaßt und nur von dieser Mitte her und auf diese Mitte hin geht die Bewegung der Geschichte.“ Vgl. schon AS 135ff (über das „Sein in Adam“); vgl. zu letzterem Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik, 266 f. 21 N 89 f. Der Satz „Es gibt seit Jesus für seinen Jünger keine natürlichen, keine geschichtlichen, keine erlebnismäßigen Unmittelbarkeiten“ (N 90) erschwert das Verständnis der christologischen Zusammenhänge. Wenn Bonhoeffer sagt, dass es seit Jesus für die Jünger keine Unmittelbarkeiten mehr gebe, legt diese Formulierung den Verdacht nahe, als wäre erst der Glauben der Menschen das Kriterium aufgehobener Unmittelbarkeit: Für die Christusgläubigen gibt es keine Unmittelbarkeiten, für die Ungläubigen gibt es sie durchaus. Das hieße, dass die Unmittelbarkeiten in der Welt (und es sind in dem Begriff der „Unmittelbarkeit“ nicht nur Verhaltensweisen des Menschen zur Welt gemeint, sondern alle Bindungen, auch die „natürlichen“, z. B. die des Blutes, vgl. ebd.) durch die Menschwerdung Gottes in Christus Jesus nicht grundsätzlich und nicht für jeden Menschen grundsätzlich aufgehoben wären, eine Behauptung, die an Bonhoeffers christologischen Aussagen vorbeigehen: Christus ist der Mittler, durch den und zu dem „alle Welt […] geschaffen“ (N 88; Hervorhebung durch F.S.) und also auch versöhnt ist. Der Satz, dass es „seit Christus für seinen Jünger“ keine Unmittelbarkeiten mehr gibt, ist aber insofern als eine Aussage des Glaubens zu lesen, als der Glaube den „[…] vollzogenen Bruch mit der Welt an mir [vollstreckt]“ (N 89). Was in Christus realisiert ist, wird an mir aktualisiert (vgl. SC 90ff und 100ff).

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Begriffsbestimmungen der „Nachfolge“

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zugleich die Christologie der beiden Werke Bonhoeffers betrifft.22 Wenn feststeht, dass die Wirklichkeit in der „Nachfolge“ als die eine, universale Wirklichkeit Jesu Christi gedacht ist, dann ist sogleich evident, dass der „Nachfolge“ ein Denken-in-zwei-Räumen, sofern damit Aussagen über die Wirklichkeit getroffen würden, unbedingt fremd ist. Die Wirklichkeit der Welt ist der eine Raum der einen Wirklichkeit des Mittlers, Jesus Christus, der Mensch wurde und der die ganze Menschheit, die ganze Welt leiblich annahm, ans Kreuz trug und so mit Gott versöhnte. Die Bestimmung der Wirklichkeit als Christuswirklichkeit in der „Nachfolge“ hat zur Folge, dass die Frage nach dem Verhältnis der Heiligen zur Welt als eine Frage zu verhandeln ist, welche die Universalität des Heilsgeschehens Gottes in Christus zur Voraussetzung hat und in der – so die hier vertretene Interpretation – die Existenz eines von der Christuswirklichkeit ausgenommenen Raumes grundsätzlich bestritten und theologisch ausgeschlossen ist. 4. Wie es zu verstehen ist, dass Bonhoeffer die Kirche bzw. die Gemeinden in der „Nachfolge“ als einen „Raum für sich“, als einen „eigene[n] Herrschaftsbereich“ (N 269) bezeichnet, wird noch zu untersuchen sein.23 Vorausgreifend sei hier angedeutet, dass der Glaube bzw. der Unglaube als Kriterien einer Unterscheidung zwischen „Raum“ der Kirche und „Raum“ der Welt aufgefasst werden. Die Welt – das ist die in Adam gefallene, in Christus getragene, gerichtete und versöhnte Menschheit – steht gerade als die von Gott geliebte, in Christus wiederangenommene Menschheit unter dem Anspruch, das über sie gekommene Urteil, die an ihr geschehene Versöhnung zu glauben. Die Welt wird entweder glauben und dem Ruf Christi folgen, oder sie wird ihm nicht folgen und ihn also verwerfen. Insofern sie Christus aber im Unglauben verwirft, sich gegen ihn und seine Heiligen stellt, ist die Welt „alles um mich herum, was unter der Macht und dem Fluch der Gottlosigkeit ist. Die Welt ist alles, was mein Herz von Gott abziehen will“, so hatte es Bonhoeffer in seinem zeitgleich zur „Nachfolge“ entstandenen zweiten Katechismusentwurf des Jahres 1936 formuliert.24 Die Differenzierung jener beiden „Räume“ nach dem Kriterium des Glaubens – die „Kirche“ ist der „Raum“, in dem Christus geglaubt, die „Welt“ der „Raum“, in dem er (noch) nicht geglaubt bzw. verworfen wird – ist aber streng als Differenzierung innerhalb der einen, allumfassenden Christuswirklichkeit zu verstehen. Sofern Gott die Welt angenommen hat und Christus der von ihr unerkannte Herr ist, bin ich als Christ gefordert, die Welt zu lieben (vgl. N 92). Sofern aber die Welt „mein Herz von Gott abziehen will“ (DBW 14, 798), habe ich mich von ihr ganz und gar abzusondern. Durch diese Gleichzeitigkeit von Zuwendung zu der Welt und Abwendung von der Welt ist das Verhältnis der Heiligen zur Welt bei Bonhoeffer in der „Nachfolge“ bestimmt. 22 Siehe dazu oben Kap. 1.2, bes. die Interpretation Feils. 23 Siehe unten Kap. 3.2.1.1. 24 DBW 14, Konfirmandenunterrichtsplan vom Oktober 1936: Zweiter Katechismusversuch, 798.

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5. Schließlich ist, das vierte Kapitel dieser Arbeit vorbereitend, zu bedenken, dass der Weltbegriff der „Nachfolge“ nicht ohne die konkrete Wirklichkeit zu denken ist, vor deren Hintergrund Bonhoeffer seine Theologie hervorbringt. „Wenn Bonhoeffer über die ,Welt‘ nachdenkt, dann denkt er konkret“, und es handelt sich bei dem Begriff „Welt“ in der „Nachfolge“ freilich um einen „ausgesucht polemischen Begriff“,25 der sich gegen den Nationalsozialismus in seinen politischen wie kirchlichen und religiösen Facetten wendet. Es darf aber angesichts dessen gerade nicht übersehen werden, dass, wie dargelegt, „Welt“ in der „Nachfolge“ begrifflich keineswegs rein negativ bestimmt ist: Sie ist von Gott geliebt, soll Christus glauben und ist ihrerseits aber Christus feindlich. Diesem doppelten Weltbegriff (Welt als von Gott geliebt und Welt als Gott feindlich) entspricht nun das Verhältnis der Glaubenden zur „Welt“.

3.2 Das Weltverhältnis Das Heiligsein der Gemeinde sowie ihrer einzelnen Glieder impliziert für Bonhoeffer die Notwendigkeit, in dem geglaubten Wissen um das Heiligsein dieses nun auch zu bewahren. Heiligung ist nach Bonhoeffer gerade diese Bewahrung, deren Subjekt Gott selbst ist, der „im Tode Christi die Gabe der Bewahrung des Lebens der Gerechtfertigten bis an den jüngsten Tag verbürgt“ (N 275; Hervorhebung durch F.S.). Dass aber Heiligung als Gabe Gottes verstanden ist, die der Mensch von Gott empfängt, bedeutet nun für Bonhoeffer nicht, dass der Christ in seinem Leben eine passive Haltung einzunehmen hätte. Vielmehr fordert die sie heiligende Bewahrung der Heiligen ein (ihnen selbst verborgenes) Sich-Bewähren: Die Gemeinde soll sich „vom Unheiligen, von der Sünde“ (N 277), „von der sündigen Welt“ (N 269, 283 u. ö.) reinhalten, will sie die teure Gnade Gottes schützen und bewahren und nicht verschleudern (vgl. N 285 f u. a.); zugleich soll sie sich bewähren im liebenden und einfältigen Tun der Gebote ihres Herrn, der sie – ebenso unbedingt, wie er sie aus der Welt herausruft – in jene sündige Welt hineinruft.26 Das Leben der Heiligen zeichnet sich darum einerseits durch Absonderung von der Welt und 25 Strunk, Nachfolge Christi, 206. 26 Bonhoeffers Terminus der „Einfalt“ entspricht dem „von selbst“ bei Luther : Der Mensch tut das ihm Gebotene einfältig, d. h. unbemerkt – er tut es von selbst (vgl. Luther, z. B. Evangelium in der Früh-Christmeß, Lk 2,15 – 20 [1522], WA 10/I,1, 134,18 – 135,1); vgl. dazu Bonhoeffers Auslegung des Bildes vom „guten Baum“ (N 183ff zu Mt 7,17ff) sowie in diesem Zusammenhang den Passus der N: „Der Ruf in die Nachfolge ist […] Durchbrechung aller Gesetzlichkeiten durch die Gnade dessen, der ruft. Er ist gnädiger Ruf, gnädiges Gebot. Er ist jenseits der Feindschaft von Gesetz und Evangelium. Christus ruft, der Jünger folgt. Das ist Gnade und Gebot in einem.“ (N 47) Vgl. die theologische Debatte zu „Evangelium und Gesetz“ in dieser Zeit: K. Barth, Evangelium und Gesetz. Hierzu: Sorum, The Cost of Discipleship; ferner Schlegel, Gesetz und Evangelium.

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Das Weltverhältnis

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Fremdheit zur Welt aus, andererseits durch Liebe zum Anderen und Dasein für den Anderen, ganz gleich, ob dieser Andere der christlichen Gemeinschaft zugehört oder nicht. Begründet liegt die Liebe der Christen zur Welt in der Liebe Christi zur Welt, in dessen Liebe die Christen die Welt lieben sollen: Es gibt für sie „keine echte Liebe zur Welt außer der Liebe, mit der Gott die Welt geliebt hat in Jesus Christus“.27 Sowohl durch eine falsche, unmittelbare Liebe zur Welt, als auch durch den Rückzug aus der Welt wäre ihr Leben „unheiliges Leben“.28 Präziser noch ist das Weltverhältnis der Christen beschrieben, wenn deren Zuwendung zur Welt ihrerseits als eine Form der Abgrenzung verstanden wird: Gerade durch die Liebe der Heiligen zur Welt, die selbst die Liebe zum Feind einschließt, und durch ihr liebendes Handeln an und in der Welt wird die Andersartigkeit der christlichen Gemeinde sichtbar. Abgrenzender und zuwendender Aspekt von „Welt“ sind in der „Nachfolge“ die zwei Seiten ein und derselben Sache. Nur die Gleichzeitigkeit beider Aspekte bewahrt die Gemeinde im Stande ihrer Heiligung. Beide Aspekte zugleich demonstrieren die Andersartigkeit der Heiligen in der Welt, eine Andersartigkeit, die das Handeln Gottes mit der Welt bezeugt, der die Welt (und zwar die sündige, schlechte, gefallene Welt) so sehr liebte, „daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Dementsprechend gliedert sich nun die weitere Darstellung: Kapitel 3.2.1 betrachtet die Absonderung der Heiligen von der Welt, Kapitel 3.2.2 deren Zuwendung zur Welt. Dass auch die sich der Welt zuwendende Seite als Ausdruck des Sich-Abwendens bzw. der Andersartigkeit verstanden werden kann, hat für die Gliederung zur Folge, dass bestimmte Themen (etwa Bonhoeffers Verständnis des Berufs oder seine Ausführungen zur Haltung der Christen der Obrigkeit gegenüber) sowohl dem Kapitel zur Absonderung als auch demjenigen über die Zuwendung hätten zugeordnet werden können. Indem die hier skizzierten Thesen in den folgenden Abschnitten am Text der „Nachfolge“ überprüft werden, wird zugleich nachzuweisen versucht, dass sowohl der behauptete Weltbegriff als auch das dialektische Verhältnis von Kirche und Welt nicht allein für die „Nachfolge“ charakteristisch sind, sondern bereits in den vorangegangenen Jahren sich herausgebildet hatten und in nahezu derselben Weise auch der späten Theologie Bonhoeffers (insbesondere 27 N 92. Vgl. hierzu die Gegenbestimmung der „echte[n] Liebe zur Welt“ (N 92) in der E: „Es gibt eine Liebe zur Welt, die Feindschaft gegen Gott ist […], weil sie am Wesen der Welt an sich und nicht aus der Liebe Gottes zur Welt entspringt.“ (E 52) Dem Begriff der „echte[n] Liebe zur Welt“ entspricht in der N der Begriff der „rechte[n] Weltfremdheit“ (N 261). 28 N 161 u. ö. Vgl. Kierkegaard, Der Einzelne und die Kirche, 107: „Aber die Mißweisung in der Religiosität unserer Zeit ist, daß man den Glauben in dem Grade zu einer Innerlichkeit macht, daß er eigentlich völlig verloren geht, daß das Leben Erlaubnis bekommt sich mir nichts dir nichts rein weltlich zu gestalten, und daß man statt des Glaubens eine Versicherung über den Glauben substituiert.“ (= Papirer X,3 A 219 [1850]).

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den Fragmenten der „Ethik“ und auch den „Briefen und Aufzeichnungen aus der Haft“) zugrundeliegen. Der Untersuchung liegt die Annahme zugrunde, dass der Unterschied des Weltverständnisses im Übergang von der „Nachfolge“ zur Theologie der Konspiration und Haft nicht im Weltverständnis bzw. Weltverhältnis selbst zu finden ist, sondern einerseits in der verschiedenen Akzentuierung der Abgrenzung der Gemeinde von der Welt (so in der „Nachfolge“ vorherrschend) und der Zuwendung der Gemeinde zur Welt (so in der „Ethik“ und in „Widerstand und Ergebung“ vorherrschend), andererseits in einer teilweisen Verschiebung der Verantwortungsinstanz, die sich zwischen dem Abschluss der „Nachfolge“ und Bonhoeffers Beteiligung an der Konspiration ergeben hat. Zur Terminologie ist schließlich zu sagen, dass die zur Analyse der Weltthematik gebrauchten Begriffe ,positiv‘ und ,negativ‘ nicht in kritischer Absicht, sondern in deskriptiver Weise verwendet werden.29 ,Positiv‘ bringt entweder das Verhältnis Jesu Christi zur Welt zum Ausdruck (in Christus offenbarte Philanthropie Gottes zu allen Menschen) oder aber die zur Welt sich zuwendende Seite christlichen Lebens (Dasein für Andere, das in der Liebe Gottes zum Menschen gründet). ,Negativ‘ bringt entweder das Verhältnis der Welt zu Christus (Verwerfung und Leugnung des Gottessohnes, Unglauben) und zu den Christen (Verfolgung, Schmähung) zum Ausdruck oder aber die von der Welt sich abwendende Seite christlichen Lebens (Versiegelung, Schutz der Gemeinde).

3.2.1 Das Verhältnis der Gemeinde zur Welt: Der abgrenzende Aspekt 3.2.1.1 Die Rede von der Kirche als Raum Nachdem „Welt“ begrifflich bestimmt und ein christologisches Wirklichkeitsverständnis zweier „Räume“ für die „Nachfolge“ ausgeschlossen worden ist, gilt es nachzuvollziehen, inwiefern nach Bonhoeffer dennoch theologisch von der Kirche als einem von der Welt abgegrenzten Raum gesprochen werden kann und muss. Die Ekklesia Christi, die Jüngergemeinde, ist der Herrschaft der Welt entrissen. Zwar lebt sie mitten in der Welt. Aber sie ist zu Einem Leib gemacht, sie ist ein eigener Herrschaftsbereich, ein Raum für sich. (N 269) 29 Feil, der die Begriffe in seiner Bonhoeffer-Gesamtdarstellung zur Beschreibung der Weltthematik eingeführt hat, verwendet „positiv“ und „negativ“ deutlich in kritischer Weise, d. h. zur Bestimmung theologischer Qualität. Dem „positiven Aspekt“ von Welt, von dem Feil vorwiegend im Zusammenhang des „Christus pro aliis“ spricht, wird der Vorrang vor dem „negativen Aspekt“ erteilt, welcher mit dem „Christus pro nobis“ korrespondiert. Die Verwendung von „positiv“ und „negativ“ entspricht der Tendenz Feils, der späten Theologie den theologischen Vorzug vor der mittleren zu erteilen (siehe hierzu oben Kap. 1.2).

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Den ausschlaggebenden Interpretationshinweis liefert in diesem Zusammenhang die „Ethik“, wenn Bonhoeffer, jenes Raumdenken im Kapitel „Christus, die Wirklichkeit und das Gute“ grundlegend und ausführlich kritisierend, zugleich daran erinnert, „daß dort wo die Kirche als sichtbare Gemeinde Gottes auf Erden beschrieben werden soll, die Raumvorstellung nicht vermieden werden kann“. Als Ausdruck dieser Sichtbarkeit seien diejenigen biblischen „Aussagen über die Kirche“ zu verstehen, „die der Vorstellung eines Raumes entsprechen“ (E 48). Ein Übergehen dieser „Tatsache […], von der das Raumdenken überhaupt seinen Ausgang nimmt“, bedeutete nach Bonhoeffer, „die Sichtbarkeit der Kirche abzuleugnen und sie zu einer rein spirituellen Größe herabzuwürdigen“, mehr noch: „Damit wäre die Tatsache der Offenbarung Gottes in der Welt außer Kraft gesetzt und Christus selbst würde spiritualisiert“ (ebd.). Das wiederum heißt aber : Gerade weil Christus die ganze Welt trägt, weil alles Bestehende nur innerhalb und nicht außerhalb des einen Raumes der einen Christuswirklichkeit besteht, darum ist eine bestimmte Raumvorstellung von der Kirche notwendig: Die Kirche nimmt – beschrieben „als Tempel, als Bau, als Haus, als Leib“ – einen „bestimmten Raum ein“, und zwar einen Raum, der sichtbar ist „durch ihre Gottesdienste, durch ihre Ordnungen, durch ihr gemeindliches Leben“.30 Dass nun das Raumverständnis der „Nachfolge“ gerade in dieser in der „Ethik“ beschriebenen Weise verstanden sein will, zeigt Bonhoeffer dort explizit an, indem er an eben dieser Stelle auf sein Buch „Nachfolge“ verweist (vgl. E 48, Anm. 1). Soll folglich die Rede von der Kirche als „Raum“ in der „Nachfolge“ betrachtet werden, wird die Sichtbarkeit der Gemeinde Christi in der Welt als das Hauptkriterium jener Rede zu untersuchen sein (3.2.1.1.2). Dem ist logisch die Frage vorgelagert, inwiefern die Kirche ein gegen die Welt versiegelter Raum ist, ein „Raum für sich“ (N 269; Hervorhebung durch F.S.), wie Bonhoeffer sagt (3.2.1.1.1). 3.2.1.1.1 Die Kirche als gegen die Welt versiegelter Raum Gott ist als Mensch in die Welt gekommen und hat einen „Raum“ in der Welt eingenommen, den Leib Jesu Christi. In diesem einen Leib ist nun aber bereits alle Welt getragen, angenomen, gerichtet, versöhnt, und zwar in einem ontisch relevanten Sinne. Es lässt sich nicht ein Raum des Versöhntseins von einem Raum des Nicht-Versöhntseins unterscheiden, eine Ansicht, die Bonhoeffer in der „Ethik“ wie in der „Nachfolge“ vertritt. Das Kriterium aber, das durchaus eine Unterscheidung nicht nur zulässt, sondern einfordert, ist das Kriterium des Glaubens bzw. Unglaubens – und wer darin einen Gegensatz zwischen „Nachfolge“ und „Ethik“ diagnostizieren will, dass Bonhoeffer in der „Ethik“ jenes Raumdenken verwirft, welches er in der „Nachfolge“ noch vertreten 30 E 48. Vgl. zur Übertragung des Bildes des alttestamentlichen Tempels auf den Leib Christi in der N: N 274; 237 – 239. Siehe unten Anm. 33 dieses Kapitels.

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hat,31 der müsste folglich auch behaupten, dass Bonhoeffer in der „Ethik“ keinen Unterschied zwischen Glaubenden und Nicht-Glaubenden macht; dies ist aber gerade nicht der Fall, vielmehr ist „das christliche [sic!] nicht identisch mit dem Weltlichen“ (E 45): Der Glaubende glaubt Jesus als den Christus, den Mittler, der die ganze Welt am Kreuz mit sich versöhnt hat. Er glaubt die Kirche, deren Glied er ist, als den „gegenwärtige[n] Christus selbst“ (N 233). Der Glaubende glaubt die Welt als versöhnte Welt. Für ihn gilt das verkündigte Wort der Kirche als Christi eigenes, ja als Gottes Wort. Diesem Wort gehorcht er, denn er glaubt Christus als seinen Herrn, als Herrn der Welt. Der Glaubende weiß insofern auch die Kirche, die der Leib Christi als Gottes Heiligtum auf Erden ist, als einen eigenen Herrschaftsbereich (vgl. N 269), der als solcher auch von den Anfeindungen der Welt geschützt ist. Die Jünger Jesu „sind aus der Welt herausgenommen und leben in einem neuen eigenen Raum mitten in der Welt“.32 „Der Raum Jesu Christi in der Welt nach seinem Hingang wird durch seinen Leib, die Kirche eingenommen. Die Kirche ist der gegenwärtige Christus selbst.“ (N 233) Als solche ist die Kirche der Raum des Glaubens, d. h. Raum, in dem die allumfassende Wirklichkeit Christi in der Welt anerkannt, während diese in der „Welt“ verworfen wird. An den Gliedern dieser Kirche wurde vollstreckt, was an allen Menschen grundsätzlich vollzogen wurde. Darin ist die Kirche „zu Einem Leib gemacht“ (N 269), „durch Gott abgesondert […] vom Unheiligen, von der Sünde“ (N 277), wie „Gott selbst als der Heilige abgesondert ist vom Gemeinen, von der Sünde“ (N 270). Christus kommt als der Sündlose ins sündige Fleisch (vgl. N 228). Die Kirche ist Gottes „Heiligtum […] mitten in der Welt“ (N 269). Gott „hat sie selbst erwählt. Er hat sie zur Gemeinde seines Bundes gemacht. Er hat sie im Heiligtum [sc. in Jesus Christus] versöhnt und gereinigt.“33 Davon geben die Heiligen selbst Zeugnis durch ihren Glauben, in welchem sie Christi Geboten gehorchen. Die Kirche ist als „Raum“ bestimmt, sofern damit angezeigt ist, dass hier und hier allein Jesus als Christus und als der Herr der ganzen Welt geglaubt, dass hier sein Wille gehorsam getan und die eine Christuswirklichkeit, in der die ganze Welt getragen und angenommen ist, hier sichtbar bezeugt und verkündigt wird,34 31 Siehe oben Kap. 1.2, z. B. den dortigen Abschnitt d zu Feil, Die Theologie. 32 N 274. Zu „Raum“ vgl. auch N 277. 33 N 270. „Im Heiligtum […] verbindet sich der Heilige mit seinem Volk. Das geschieht durch Versöhnung, die nirgends anders erlangt wird als im Heiligtum […] Das Heiligtum aber ist der Tempel, und der Tempel ist der Leib Christi. So ist im Leib Christi der Wille Gottes zu seiner heiligen Gemeinde erfüllt.“ (Ebd.). 34 Vgl. als Kommentierung und zur Verdeutlichung des im Folgenden ständig begegnenden Kriterium der Sichtbarkeit die 3. These der „Barmer Theologischen Erklärung“: „Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, daß sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte.“ (Zit. n.: Immer, Bekenntnissynode Barmen 1934, 10) Vgl. dazu Bethge, Das Erbe des Getöteten, 199 ff.

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während dies im „Raum“ der „Welt“ gerade nicht geschieht. Hier wird die eine Christuswirklichkeit als ontologische35 geglaubt, dort wird sie geleugnet. Insofern sie nun ausgesondert ist von der Sünde – von der „Welt“ –, ist die Kirche – und dies gilt für die „Ethik“ nicht weniger als für die „Nachfolge“36 – tatsächlich ein eigener Raum – nicht aber ein Raum, der den einen Raum der einen Christuswirklichkeit infrage stellte, sondern so, dass es „das Christliche nicht anders als im Weltlichen“ (E 44) gibt. Die Kirche ist, anders gesprochen, nicht als eine empirische Größe innerhalb der Christuswirklichkeit aufzufassen oder zu reduzieren, nicht einfach als empirischer Raum, der sich gegen einen anderen empirischen Raum abgrenzt, sodass festzustellen wäre: Hier ist Kirche und also Versöhnung, dort ist Welt und also keine Versöhnung; vielmehr formuliert Bonhoeffer in der „Ethik“: Wenn Gott in Jesus Christus Raum in der Welt beansprucht, – und sei es nur in einem Stall, weil „sonst kein Raum in der Herberge war“ – so faßt er in diesem engen Raum zugleich die ganze Wirklichkeit der Welt zusammen […]. So ist auch die Kirche Jesu Christi der Ort – das heißt der Raum [!] – in der Welt, an dem die Herrschaft Jesu Christi über die ganze Welt bezeugt und verkündigt wird. (E 49)

Vor diesem Text wird sodann der Text der „Nachfolge“ theologisch ausgeleuchtet: Der Leib Jesu Christi nimmt Raum ein auf Erden. Mit der Menschwerdung fordert Christus Raum unter den Menschen. […] Aber sie gaben ihm bei seiner Geburt einen Stall, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Die „Fleischwerdung schließt den Anspruch auf eigenen Raum auf Erden ein.“ (N 241) Was nun das Verhältnis der Glaubenden zur Welt angeht, gilt: Sie dürfen die Welt gerade nicht als einen Raum außerhalb der Wirklichkeit Christi ansehen und sich so von ihr abzusondern. Vielmehr wird die Gemeinde die Welt als eine solche anzusprechen haben, die, wie sie selbst, schon versöhnt ist. Die hier zurückgewiesene Kritik der „Nachfolge“, sie vertrete ein Denken in zwei Räumen, von dem sich Bonhoeffer dann in der „Ethik“ gelöst habe, um die Weite des Christuszeugnisses neu zu durchdenken,37 erklärt sich hingegen durch eine Interpretation der Kirche als eines empirischen Raumes, der in Addition des anderen, noch nicht versöhnten empirischen Raumes (der 35 Zwar kann die Wirklichkeit – aus der Sicht des Glaubens – als ontologisch bezeichnet werden; sofern sie aber geglaubt wird, bleibt sie allerdings kerygmatische Wirklichkeit (vgl. dazu Bonhoeffers Anm. 10, N 220 f; siehe dazu oben Kap. 2.5.1). Vgl. dazu AS 126: „Christus ,ist‘ nur im Glauben“; vgl. in AS die Abschnitte über „Sein in Adam“ (AS 135ff) und „Sein in Christus“ (AS 149ff), z. B. das Luther-Zitat „Sola fide credendum est nos esse peccatores.“ (AS 135) oder AS 149: „Nur in Christus weiß sich der Mensch als Geschöpf Gottes, in Adam war er selbst Schöpfer und Geschöpf zugleich.“ Vgl. hierzu Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik, 129ff und 266 ff. 36 Vgl. dazu E 39, 44 f u.v.m. 37 Vgl. z. B. Feil, Die Theologie, 303ff: „Es ist ohne weiteres deutlich, inwiefern hier [sc. in der E] der ,Raum der Kirche‘ anders konzipiert ist als in N“ (Feil, aaO., 304, Anm. 59).

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Der Weg Christi mit dem Menschen

„Welt“) die Wirklichkeit der ganzen Welt ergäbe. Das aber verkennt, dass im ,Raum des Leibes Jesu Christi“ schon die ganze Welt in ihrer ganzen Wirklichkeit inbegriffen ist. Einer solchen empirischen Interpretation der Kirche in Bezug auf die „Nachfolge“ muss jedoch zugestanden werden, dass Bonhoeffer ihr selbst Vorschub leistet, etwa dann, wenn er sagt, die Gemeinde breche in die Welt hinein, entreiße ihr ihre Kinder und erobere so Raum für Christus (vgl. N 221, 249 und 252), oder wenn er die Gemeinde mit einem „versiegelte[n] Zug im fremden Lande“ (N 276) vergleicht. Aber auch diese Aussagen sind nicht empirisch zu deuten, denn: Zwar erbaut Christus „durch die Sammlung der Einzelnen seine Kirche“, jedoch immer unter der Voraussetzung, dass „deren Gesamtbau doch in Christus schon fertig ist (Eph. 2,22; 4,12; Kol. 2,2). Er schafft die Gemeinschaft (2. Kor. 13,13) der Glieder des Leibes (R. 15,30; 5,5; Kol. 1,8; Eph. 4,3).“ (N 235) Heiligung als die Bewahrung der Gerechtfertigten am Leibe Christi geschieht durch den Heiligen Geist, der die Gemeinde – durch den Ruf Jesu, durch die Taufe „der Herrschaft der Welt entrissen“ (N 269), „abgesondert vom Unheiligen, von der Sünde“ (N 277) – versiegelt. Der Heilige Geist ist das „Siegel“, mit dem die Gläubigen zu Gottes Eigentum versiegelt werden bis auf den Tag der Erlösung. Wie sie vorher gefangen gehalten wurden unter dem Gesetz als in einem verschlossenen Gefängnis (Gal. 3,23), so sind die Gläubigen nun „in Christo“ abgeschlossen, versiegelt mit Gottes Siegel, dem Heiligen Geist. Niemand darf dies Siegel brechen. Gott selbst hat verschlossen und hält den Schlüssel in der Hand. Das bedeutet, daß Gott nun vollkommen Besitz ergriffen hat von denen, die er in Christo gewonnen hat. Der Kreis ist geschlossen. Im heiligen Geist ist der Mensch Gottes Eigentum geworden. (N 276)

Ohne die Versiegelung, die Gott in Christus durch den Heiligen Geist wirkt, wäre die Gemeinde nicht, was sie ist: „die heilige Kirche (Eph. 5,27), die Gemeinde der Heiligen (1. Kor. 14,34), […] auserwählt und ausgesondert, ehe der Welt Grund gelegt wurde (Eph. 1,4)“ (N 269), erhalten und bewahrt durch die Gabe der Heiligung (vgl. N 275). „Bewahrung“ und „Erhaltung“ (N 275) geschehen aber allein durch die svqac¸r des Heiligen Geistes. Für die Gemeinde in der Welt und ihr Verhältnis zu derselben bedeutet das: Heiligung durch das Siegel des Heiligen Geistes stellt die Kirche immer in den Kampf. Es ist im Grunde der Kampf um dieses Siegel, daß es nicht gebrochen werde, weder von außen noch von innen, daß nicht die Welt Kirche noch die Kirche Welt sein wolle. Der Kampf der Kirche um den Raum, der dem Leib Christi auf Erden gegeben ist, ist ihre Heiligung. Absonderung der Welt von der Kirche und der Kirche von der Welt ist der heilige Kampf der Kirche um das Heiligtum Gottes auf Erden. (N 278)

Das Siegel des Heiligen Geistes gilt es zu bewahren, und zugleich ist es jenes Siegel selbst, das die Kirche vor der Welt schützt und bewahrt:

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Von der Welt abgeschlossen durch ein unzerbrechliches Siegel, wartet die Gemeinde der Heiligen der letzten Errettung. Wie ein versiegelter Zug im fremden Lande, so geht die Gemeinde durch die Welt. Wie die Arche Noah „inwendig und auswendig mit Pech verpicht“ werden mußte (Gen. 6,14), um durch die Flut gerettet zu werden, so gleicht der Weg der versiegelten Gemeinde der Fahrt der Arche durch die Wasserflut. (N 276)

Keineswegs fährt dieser Zug außerhalb des fremden Landes, und keineswegs sucht die Arche, den sie umschließenden Wasserfluten zu entkommen (es ist ja gar kein Land da!) – sondern des Zuges Reise führt „durch die Welt“ und der Arche Fahrt führt „durch die Wasserflut“, gerade so, wie die Gemeinde nicht außerhalb oder fernab der Welt sich befindet, ihr nicht etwa zu entfliehen sucht, sondern „durch die Welt“ geht. Zwar ist die Gemeinde gegen die Welt (d. h. gegen das Gemeine und die Sünde, vgl. N 270) versiegelt im Heiligtum Gottes, aber als dieses Heiligtum „lebt sie mitten in der Welt“ (N 269; Hervorhebung durch F.S.).38 Wie verhält sich zu dem Leben der Gemeinde „mitten in der Welt“ allerdings die Aussage Bonhoeffers, der Nachfolgende sehe „immer nur Christus“ und „nicht […] Christus und die Welt“?39 Sind damit nicht doch zwei Räume – der Raum Christi, in dem sich die Gemeinde bewegt, und der Raum der Welt – angenommen? Ernst Feil etwa hat Sätze wie diesen zum Anlass genommen, in Bonhoeffers theologischer Entwicklung eine „Wende“ im Übergang von der „Nachfolge“ zur „Ethik“ festzustellen. ,Christus oder die Welt‘, dies sei die Position der „Nachfolge“, ,Christus und die Welt‘ die Position der „Ethik“.40 Hierzu ist gerade umgekehrt zu sagen: Sähe der Nachfolgende „Christus und die Welt“, dann unterschiede er mit eben dieser Sicht zwei Räume voneinander, einen Raum Christi und einen Raum der Welt. Tatsächlich können die Glaubenden die Welt nicht ohne Christus, nicht außerhalb seiner Wirklichkeit sehen, sondern immer nur als die Welt, die bereits von Gott angenommen und versöhnt ist; der Nachfolgende sieht allein Christus und nichts ohne ihn, den Mittler, d. h. er sieht nicht „etwas anderes als das Wirkliche“ selbst (N 167).

38 Dass es sich bei Bonhoeffers Beschreibung der Gemeinde als „Arche“ und als „versiegelter Zug“ durchaus auch um positiv konnotierte Bilder handelt, um Bilder, die Schutz, Sicherheit, Geborgenheit, Errettung, Hoffnung, Leben suggerieren, wurde in der Bonhoeffer-Forschung bislang – erstaunlicherweise! – nicht wahrgenommen. Siehe hierzu unten Kap. 4, bes. 4.6 und 4.8. 39 Der ganze Satz lautet: „Das Leben des Nachfolgenden bewährt sich darin, daß nichts zwischen Christus und ihn tritt, nicht das Gesetz, nicht die eigene Frömmigkeit, aber auch nicht die Welt. Der Nachfolgende sieht immer nur Christus. Er sieht nicht Christus und das Gesetz, Christus und die Frömmigkeit, Christus und die Welt.“ (N 167). 40 Vgl. dazu Feil, Die Theologie, bes. 290 ff. Den oben zitierten Terminus „Wende“ verwendet Feil aaO., 292.

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3.2.1.1.2 Die Sichtbarkeit der gegen die Welt versiegelten Gemeinde Dass die Sichtbarkeit der Gemeinde für Bonhoeffer ein entscheidendes Kriterium seiner „Nachfolge“-Theologie ist, wird schon dadurch deutlich, dass Bonhoeffer zwei Kapitel des Buches mit „Die sichtbare Gemeinde“ überschreibt (N 110 – 115 und 241 – 268). Die Besonderheit dieses Gedankens liegt in der Bedeutung für das Weltverständnis der „Nachfolge“, indem es das Leben der Gemeinde in der Welt kennzeichnet und den Grundgedanken der einen, ungeteilten Wirklichkeit Christi in der „Nachfolge“ untermauert. Wie der Schritt „aus der Welt, aus der Arbeit, aus der Familie hinaus“ (N 224) sichtbar geschieht,41 so steht der Christ auch „sichtbar in der Gemeinschaft Jesu Christi. […] Der Getaufte lebt in der sichtbaren Gemeinde Jesu Christi.“ (N 224) Die Gemeinde Jesu Christi als Heiligtum Gottes inmitten der sündhaften Welt ist sichtbarer Raum, sie leben als Christen in der Welt, sie bekennen Christus öffentlich in Wort und Tat. Verborgen wäre das Sein-inChristus entweder durch die Flucht vor der Welt oder durch die Gleichförmigkeit mit der Welt (vgl. hierzu bes. N 29 f). Beide Möglichkeiten lehnt Bonhoeffer ab, weil in ihnen erstens ein falsches Verständnis der Christen von Welt zugrunde läge und Christus als Herr der ganzen Welt geleugnet wäre, und weil sie zweitens ein falsches Verhältnis der Christen zur Welt bedeuteten und die Kirche nicht mehr Kirche, sondern abermals ganz Welt wäre. Bonhoeffer weiß: Es gibt ein Sich-der-Welt-gleich-stellen in der Welt, aber es gibt auch die selbstgewählte geistliche „Welt“ des Klosters. Es gibt ein unerlaubtes Bleiben in der Welt und eine unerlaubte Flucht aus der Welt. In beidem stellen wir uns der Welt gleich. Die Gemeinde Christi aber hat eine andere „Gestalt“ als die Welt. (N 263)

Das Weltverständnis der „Nachfolge“ zeichnet sich gerade nicht durch Weltflucht oder Weltförmigkeit aus, sondern grenzt sich von diesen beiden Existenzweisen ab. In beiden Möglichkeiten sieht Bonhoeffer das Wesen, die Bestimmung und die Substanz der christlichen Gemeinde aufgehoben. Hier hat man vergessen, dass sich die Gemeinde Christi von der Welt unterscheidet, dort, dass die Gemeinde mit all ihrer Weltfremdheit ihren Platz gerade mitten „in der Welt“ hat.42 Weltfremdheit im Sinne von Röm 12,243 und In-der-WeltSein der Gemeinde verhalten sich so zueinander, dass die Weltfremdheit der Gemeinde sich nicht außerhalb der Welt, sondern in ihrem innerweltlichen 41 Vgl. N 224 u. a.: „Jesus nachfolgen war eine öffentliche Sache. Ganz ebenso ist die Taufe ein öffentliches Geschehen; denn in ihr vollzieht sich die Eingliederung in die sichtbare Gemeinde Jesu Christi (Gal. 3,27 f.; 1. Kor. 12,13)“ (ebd.). 42 N 264, 265 u. ö.; Hervorhebung durch F.S. Vgl. N 93: „Abraham hatte alles verlassen und war Christus nachgefolgt, und mitten in der Nachfolge darf er nun wieder in der Welt leben, in der er zuvor lebte.“ 43 Bonhoeffer zitiert den Vers in N 263: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern laßt euch zu einer andern Gestalt verwandeln (letaloqvoOshe) durch Erneuerung des Geistes“.

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Leben sich vollzieht und so sichtbar wird. Der Christ lebt stets in der Welt, aber er lebt niemals wie die Welt.44 Luther auslegend (vgl. N 260 f) kann Bonhoeffer darum sagen: „Die ,Weltfremdheit‘ des christlichen Lebens gehört mitten in die Welt, in die Gemeinde, in ihr tägliches Leben hinein“ (N 261). Wie Christus ohne Sünde ins Fleisch, sündlos mitten hinein in die sündige Welt gekommen ist, so ist auch der Ort der Gemeinde mitten in dieser Welt. Ihr Ort ist keineswegs willkürlich zu bestimmen und festzulegen, sondern ganz von dem Ort Christi in der Welt her begründet. In dieser Welt leben die Christen, so sagt Bonhoeffer, „wie andere Menschen auch. Sie heiraten, sie weinen und sie freuen sich, sie kaufen und sie gebrauchen die Welt zum täglichen Leben“. Der besondere und entscheidende Unterschied im Leben der Christen zum Leben der „Welt“ besteht aber darin, dass sie, „was sie haben, […] allein durch Christus und in Christus und um Christi willen [haben]“ (N 264). Auch hier argumentiert Bonhoeffer ganz von der Christologie her : Weil die Christen allein an Christus gebunden sind, von dem sie alles empfangen, in dessen Gemeinschaft sie in allen Lebensvollzügen stehen,45 darum bindet sie das Leben in der Welt nicht. Was sie haben, das haben sie, „als hätten sie es nicht. Sie hängen ihr Herz nicht daran. Sie sind ganz frei.“ „Weil sie das sind, darum können sie die Welt gebrauchen und sollen sie nicht räumen (1. Kor. 5,10). Weil sie frei sind, darum können sie auch die Welt verlassen, wo sie sie in der Nachfolge ihres Herrn hindert.“ (N 264; Hervorhebung durch F.S.) In dem Sinne folglich, dass die christliche Gemeinde nicht mehr an die Welt – die Sünde, die bisherige Identität und Existenz, den eigenen selbstischen Willen –, sondern ganz und allein an ihren Herrn gebunden ist, führt sie „ihr eigenes Leben mitten in der Welt“ (N 266) in der Bindung an Christus, zu dem sie sich sichtbar halten. Der „Raum“ der Kirche ist der Ort, an dem das Bekenntnis zu Jesus Christus nicht nur gesprochen wird, sondern an dem und von dem aus das Leben allein im Glauben und im Gehorsam nach dem Willen und den Geboten Christi ausgerichtet ist. Die Sichtbarkeit der Gemeinde beginnt gerade dadurch, dass sich die Christen zu der communio sanctorum halten, dass sie sich als Gemeinde versammeln. Die Abgrenzung der Gemeinde von der Welt selbst wird zuerst sichtbar „durch die Gemeinschaft des Gottesdienstes“, durch die „gemeindlichen Ordnung[en]“ und „durch die neue Gemeinschaft des brüderlichen

44 Vgl. zur Verwerfung der Identifikation eines Lebens „in der Welt“ und eines Lebens „wie die Welt“ Bonhoeffers Bestimmung der „billigen Gnade“: „Das christliche Leben besteht [sc. nach billigem Gnadensverständnis] eben darin, daß ich in der Welt und wie die Welt lebe, mich in nichts von ihr unterscheide, ja mich auch gar nicht – um der Gnade willen! – von ihr unterscheiden darf“ (N 37). 45 Vgl. N 37: Christliches Leben kann niemals heißen, „daß ich mich […] zu gegebener Zeit aus dem Raum der Welt in den Raum der Kirche begebe, um mich dort der Vergebung meiner Sünden vergewissern zu lassen“.

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Lebens“.46 Außerhalb dieser Versammlung wird das Christsein sichtbar „im Leben in der Nachfolge“: Wer sich einen Christen nennt, der wird „das lebendige Zeugnis der Überwindung dieser Welt ausrichten“ (N 255) und darin Christus selbst sichtbar werden lassen. Während die Welt in Selbstbehauptung beharrt, geht von der Gemeinde der Jubelschrei des Evangeliums aus, mit dem sie „in ihrem ganzen Wesen und Tun jeden Augenblick Zeugnis“ gibt: „daß ,das Wesen dieser Welt vergeht‘ (1. Kor. 7,31), daß die Zeit kurz (1. Kor. 7,23) und der Herr nahe ist (Phil. 4,5)“ (N 266). Der von der Kirche eingenommene „Raum“ ist also der „Raum des Gottesdienstes, der kirchlichen Ämter und des bürgerlichen Lebens“ (N 261). Der sichtbaren Gemeinde Christi steht zum einen die weltflüchtige Gemeinde entgegen: Eine Gemeinde, die aus der Welt, in der sie lebt, zu fliehen suchte, wäre keine sichtbare Gemeinde Jesu Christi mehr. Der sichtbaren Gemeinde steht zum anderen die weltförmige Gemeinde entgegen: Eine Gemeinde, die der Welt, in der sie lebt, gleichgeworden wäre, wäre keine Gemeinde Jesu Christi mehr. Die Repräsentanten dieser beiden Möglichkeiten der Unsichtbarkeit sind in der „Nachfolge“ das Mönchtum und eine bestimmte Gestalt postreformatorischen Christentums. Das Mönchtum47 suchte das christliche Leben durch die Nachfolge Christi in der Existenz des Klosters. Doch was vom Mönchtum als „lebendiger Protest gegen die Verweltlichung des Christentums, gegen die Verbilligung der Gnade“ angedacht war, lief, so Bonhoeffer, auf eine Entfernung vom Christlichen hinaus, und zwar dadurch, dass das Mönchtum „seinen Weg zu einer freien Sonderleistung einiger Weniger werden ließ und damit für ihn eine besondere Verdienstlichkeit in Anspruch nahm“.48 Die Nachfolge Christi als das Leben der gerechtfertigten 46 N 252. Vgl. die identische dreifache Bestimmung der Sichtbarkeit des gemeindlichen Raumes auf Erden in der E (E 48). 47 Neben den im Anmerkungsapparat folgenden Kierkegaard-Passagen, die Bonhoeffers Gedankengang im ersten Kapitel seines Buches geradezu diktieren, vgl. auch Parpert, Das Mönchtum und die evangelische Kirche. Das Buch gehörte zu Bonhoeffers Bibliothek und weist zahlreiche Striche und Eintragungen Bonhoeffers auf (vgl. Nachlaß Dietrich Bonhoeffer, 186). Vgl. bes. den Teil über „Die Folgen der Ausscheidung“, Parpert, aaO., 56ff; vgl. ebenso ders., Wiederaufleben des Mönchtums. 48 N 33. Vgl. dazu als gedanklicher Vorläufer Bonhoeffers Kierkegaard, Der Einzelne und die Kirche, 146 f (= Papirer X,4 A556 [1852]): „Da barst der Sinn im Christentum; da wurde der Durchgang für das Streben versperrt; da siegte das Feilschen: als das Mittelalter diejenigen, deren Leben in Entsagung und Askese ,die Nachfolge‘ ausdrückte machte zu: außerordentlichen Christen. Von dem Augenblick an wo das Außerordentliche in dem Sinne (daß man das Außerordentliche wurde dadurch daß man das Geforderte tat) aufkam, wurde es in dieser Richtung schlimmer und schlimmer. So kam das Verdienstliche auf; denn wie in aller Welt könnte sonst das Verdienstliche aufgekommen sein, wenn man daran festgehalten hätte, daß die Nachfolge ganz simpel das Geforderte war. […] Also hier [sc. im Mittelalter] siegte das Feilschen. Ja, denn man kann auf zwei Arten feilschen: entweder dadurch, daß man von dem Tun des Geforderten befreit wird, oder dadurch daß man für das Außerordentliche erklärt wird – wenn man das Geforderte tut. Und doch bestand das Christentum schließlich aus diesen zwei Arten: entweder Christen, die ganz von ,der Nachfolge‘ befreit werden (diese sind eigentlich keine Christen, und

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Sünder wurde hier nicht mehr als „göttliches Gebot an alle Christen“ (N 34) verstanden. Eine weltliche Existenz und eine sakrale Existenz der Christen, ein leichter und ein schwerer Weg (vgl. N 33), erhielten damit ihre Rechtfertigung. Die andere Möglichkeit unsichtbarer christlicher (d. h. in Wahrheit pseudochristlicher) Existenz sieht Bonhoeffer in der nachreformatorischen Gnadenkonzeption.49 Sie besteht darin, dass die zur „prinzipielle[n] Voraussetzung meines christlichen Lebens“ erklärte Gnade zur Aufhebung des „Konflikt[es] zwischen christlichem und bürgerlich-weltlichem Berufsleben“ führt. „Das christliche Leben besteht eben darin“, so beschreibt Bonhoeffer diese Haltung, „daß ich in der Welt und wie die Welt lebe, mich in nichts von ihr unterscheide, ja mich auch gar nicht – um der Gnade willen! – von ihr unterscheiden darf“ (N 37). Hier ist Kirche nicht mehr in und vor der Welt sichtbares Heiligtum Gottes, sondern entweder eine spiritualisierte oder eine auf ihre institutionelle Form reduzierte Größe.50 In beidem aber hätte sich die Kirche der Welt gleichgestellt.51 Die Kritik dieser beiden vermeintlich christlichen Lebensmodelle entspricht der Kritik eines Denkens in zwei Räumen, wie sie oben angezeigt worden ist. Sowohl das Mönchtum in der von Bonhoeffer beschriebenen Form als auch die von Bonhoeffer beschriebene geschichtliche Erscheinungsform des Protestantismus rechnen ja mit dem Vorhandensein zweier Räume in der Welt. In beiden Fällen wird – bewusst oder unbewusst – der Aufteilung des Wirklichkeitsganzen in einen sakralen und einen weltlichen Bereich das Wort geredet. Der Mönch, so Bonhoeffer, rechnet damit, in einem sakralen Raum außerhalb der Welt leben zu können; der zu Unrecht auf Luther sich berufende, in Wahrheit der „billigen Gnade“ verfallene Mensch (vgl. N 35ff) versteht die Wirklichkeit so, „daß ich mich […] zu gegebener Zeit aus dem Raum der Welt in den Raum der Kirche begebe, um mich dort der Vergebung meiner

es sollte notiert werden, daß das nur eine Approximation zum Christentum ist) oder Christen die in Richtung der Nachfolge strebten aber den Titel außerordentliche Christen bekamen – und diese Unwahrheit macht, daß sie auch keine Christen sind.“ Vgl. auch Kierkegaard, aaO., 161 (= Papirer X,4 A532 [1852]): „Der Fehler lag, wie gesagt nicht darin ins Kloster zu gehen, sondern im Titel: außerordentliche Christen, die geradezu mit Bewunderung der Zeitgenossen honoriert werden.“ – Dass Bonhoeffer mit seinen im ersten Kapitel der N pauschalisierend vorgetragenen Thesen über das Mönchtum der Theologie Luthers durchaus nahestand, zeigt ein Vergleich zu Luthers Kritik am Mönchtum, hierzu zusammenfassend Bayer, Martin Luthers Theologie, 269 – 272. 49 Bezeichnend hat Bethge die N als „epochalen genialen Angriff auf den denkerischen und gestalterischen Mißbrauch der Reformation, d. h. auf nachreformatorische Gnadenkonzeption“ beschrieben (Bethge, Nachwort, 286). 50 Vgl. N 232, ebenso E 48 f. Vgl. auch M. Luthers Unterscheidung von ecclesia visibilis und invisibilis, dazu Iwand, Luthers Theologie, 249 – 255. Siehe oben Kap. 2.4.2.3.2, Anm. 128 (weitere Literatur). 51 Die Unsichtbarkeit der Kirche nennt Bonhoeffer „Weltförmigkeit“ (N 113, 261; vgl. auch N 29 f, 37, 148, 256, 263); vgl. DBW 11, Brief an H. Rößler vom 18. 10. 1931, 32 – 34; zur Interpretation dieses Briefes siehe unten 4.2.

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Sünden vergewissern zu lassen“ (N 37). Hier hat meine „christliche“ Existenz nicht an der weltlichen Existenz teil, dort ist die „christliche“ Existenz so sehr in der weltlichen aufgegangen, dass dieser weltlichen Existenz eine von der christlichen unabhängige Wirklichkeit zuerkannt ist. In Anlehnung an Formulierungen der „Ethik“ ausgedrückt: Hier ist Christus ohne die Welt und die Welt ohne Christus gedacht, hier steht jeder Mensch entweder in dem einen Raum oder in dem anderen, dort versucht der Mensch, sein Leben in der Trennung von weltlicher Existenzweise auf der einen und christlicher Existenzweise auf der anderen Seite zu gestalten (vgl. E 43). Nach Bonhoeffers Urteil ist darum hier wie dort die Wirklichkeit Christi als die eine, universale, die gesamte Schöpfung umschließende Wirklichkeit verleugnet oder doch wenigstens nicht ernstgenommen. Bonhoeffers Auseinandersetzung mit den historischen Positionen des Mönchtums und des Kulturprotestantismus stehen folglich im Zeichen einer Kritik eines dichotomen Wirklichkeitsverständnisses, die ihn zu dem Kriterium der Sichtbarkeit der Gemeinde als eines ihrer unbedingten Wesensmerkmale führt. Wenn Bonhoeffer in der „Nachfolge“ von der Kirche als einem sichtbaren „Raum“ in der Welt spricht, dann vertritt er keinesfalls ein Zwei-Räume-Denken, wie er solches später in der „Ethik“ kritisiert. Dieses Denken ist, so kann gesagt werden, Kennzeichen „billiger Gnade“, denn es leugnet nicht nur die Universalität des Kreuzes, sondern eröffnet überhaupt erst die Möglichkeit eines Dispenses von der Nachfolge, d. h. eines unsichtbaren, weltförmigen pseudochristlichen Lebens außerhalb der „christlichen“ Existenz. Erst, wenn mit der Existenz eigenständiger, vom Christusgeschehen unberührter Bezirke gerechnet wird, erst dann ist die Möglichkeit gegeben, Gottesdienst als vom Dienst am Bruder getrennt zu denken (vgl. N 124), gregorianisch zu singen, ohne für die Juden zu schreien.52 52 Siehe zu Bonhoeffers (unsicher überliefertem) Satz: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen“ Bethge, Das Erbe des Getöteten, 195. Es handelt sich um einen wahrscheinlich von Bonhoeffer Ende des Jahres 1935 geäußerten Satz. Die Hg. der N verweisen auf diesen Ausspruch im Zusammenhang des Satzes: „Für den Nachfolger Jesu kann der Gottesdienst nie mehr, wie für den Rabbinen, vom Dienst am Bruder gelöst werden.“ (N 124, siehe Hg.Anm. 88) Vgl. allerdings die Kontroverse zwischen Pangritz und Rçggelin, Wer singt gregorianisch?, ob das „nur“ des Ausspruchs nicht zu streichen wäre und die Fassung also lautete: „Wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“ Das Geschichtsbild der N und damit auch die Kritik an dieser Geschichte übernimmt Bonhoeffer in der E: „Den ersten Gipfelpunkt erreicht diese Vorstellung [sc. die Vorstellung von den zwei Räumen auf Erden] im hohen Mittelalter, den zweiten in dem pseudoreformatorischen Denken der Nachreformationszeit. […] In der Hochscholastik wird das Reich des Natürlichen dem Reich der Gnade unterworfen, im Pseudoluthertum wird die Eigengesetzlichkeit der Ordnungen dieser Welt gegen das Gesetz Christi proklamiert, im Schwärmertum tritt die Gemeinde der Erwählten gegen die Feindschaft der Welt zum Kampf für die Errichtung des Reiches Gottes auf Erden an. Überall wird damit die Sache Christi zu einer partiellen, provinziellen Angelegenheit innerhalb des Wirklichkeitsganzen. […] Durch diese Aufteilung des Wirklichkeitsganzen in einen sakralen und einen profanen, einen christlichen und einen weltlichen Bezirk wird nun die Möglichkeit der Existenz in nur einem dieser Bezirke geschaffen, einer

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Umgekehrt ist ersichtlich geworden, dass die Rede von der Kirche als „Raum“ in der „Nachfolge“ ihren Ausgang nicht in der Beschreibung der Wirklichkeit nimmt, sondern bei dem Bemühen ansetzt, die Kirche als das sichtbare Heiligtum Gottes auf Erden zu kennzeichnen und zu beschreiben. Es muss sogar gesagt werden, dass das theologische Moment der Sichtbarkeit der Gemeinde die Rede über die Kirche als „Raum“ – und damit die leibliche Nachfolge – einfordert und umgekehrt (so legt es Bonhoeffer in der „Ethik“ dar, vgl. E 48 f). Denn für Bonhoeffer gilt: „Was Raum einnimmt, ist sichtbar“, wie auch umgekehrt nur sichtbar ist, was Raum einnimmt. Eine Wahrheit, eine Lehre, eine Religion braucht keinen eigenen Raum. Sie ist leiblos. Sie wird gehört, gelernt, begriffen. Das ist alles. Aber der menschgewordene Sohn Gottes braucht nicht nur Ohren oder auch Herzen, sondern er braucht leibhaftige Menschen, die ihm nachfolgen. (N 241)

Die Sichtbarkeit der Gemeinde und der von Christus in der Menschwerdung eingeforderte Raum gehören theologisch unlöslich zusammen, und es sind drei Bereiche, in denen Bonhoeffer den Raumanspruch der Gemeinde ausführt: Der Leib Christi beansprucht einen „Raum der Verkündigung“,53 einen „Raum der Gemeindeordnung“ (N 245) und schließlich einen „Lebensraum“ (N 248). Begrifflich auffällig ist zunächst der Terminus „Lebensraum“, den Bonhoeffer freilich – anders als der Nationalsozialismus – nicht als politischen Begriff verstanden wissen will. Dennoch ist es gerade die politische Verwendung im Dritten Reich (,Erweiterung des Lebensraumes nach Osten‘), auf die Bonhoeffer damit anspielt. Bonhoeffer bestimmt den „Lebensraum“ als das in Christus selbst begründete „tägliche Leben“ der Jünger, als die „volle Lebensgemeinschaft in sämtlichen Lebensbeziehungen“ (N 248). Der „Lebensraum“ der Jünger ist der „Raum zwischen der Verkündigung des ganzen menschgewordenen Christus und den Geboten“.54 Die Gemeinschaft der Christen ist so ein „lebendiges Zeugnis für die leibhaftige Menschheit des geistlichen Existenz also, die nicht an der weltlichen Existenz teilhat, und einer weltlichen Existenz, die für sich eine Eigengesetzlichkeit in Anspruch nehmen kann und diese gegen den sakralen Bezirk in Geltung bringt. Der Mönch und der Kulturprotestant des 19. Jahrhunderts repräsentieren diese beiden Möglichkeiten. […] Solange Christus und die Welt als zwei aneinanderstoßende, und einander abstoßende Räume gedacht werden, bleiben dem Menschen nur folgende Möglichkeiten: unter dem Verzicht auf das Wirklichkeitsganze stellt er sich in einen der beiden Räume, er will Christus ohne die Welt oder die Welt ohne Christus. In beiden Fällen betrügt er sich selbst. Oder aber der Mensch will in beiden Räumen zugleich stehen und wird damit der Mensch des ewigen Konflikts, wie ihn die nachreformatorische Zeit hervorgebracht hat und wie er sich selbst immer wieder als die einzige der Wirklichkeit gemäße Gestalt christlicher Existenz ausgegeben hat.“ (E 41 – 43). 53 Siehe oben Kap. 2.5.2.1. 54 Bonhoeffer, Manuskript-Fragment der „Vorlesung Neues Testament“ (Januar/Februar 1936; NL A 57,3 Punkt IV, 1), zum „Raum der Ämter“ und zum „Raum des christlichen Lebens“; zit. n.: N 248; Hg.-Anm. 26.

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Sohnes Gottes“, dessen „leibliche Gegenwart“ den „leiblichen Einsatz für ihn und mit ihm“ nicht nur in bestimmten außerordentlichen Situationen, sondern „im täglichen Leben“ fordert (ebd.). Ist die Gemeinschaft der Glaubenden nicht im täglichen Leben sichtbar, ist sie nicht die Gemeinschaft der Glaubenden. Was es aber für den einzelnen Christen bedeutet, „mit seinem ganzen lebendigen Leibesleben“ sichtbar zu bezeugen, zu dem zu gehören, „der um seinetwillen den menschlichen Leib annahm“ (ebd.), macht Bonhoeffer unmissverständlich deutlich: „Wer getauften Brüdern die Gaben des Heils zuerkennt, ihnen aber die Gaben des irdischen Lebens verweigert oder sie wissentlich in irdischer Not und Bedrängnis läßt, verspottet die Gabe des Heils und wird zum Lügner.“ (N 250) Denn in der Kirche als der Gemeinschaft der Getauften (vgl. N 250) ist „kein Jude noch Grieche“ (N 251). Insofern nämlich ist die Gemeinde Christi als „Raum“ bestimmt, als sie – da sie „nicht mehr unter der Herrschaft der Welt, der Sünde und des Gesetzes“ ist – keinen Unterschied machen wird, ob ein Glied der Gemeinde „Jude oder Grieche“ ist (N 252; Hervorhebung durch F.S.). Was außerhalb der Gemeinde möglich sein mag – dass ein Mensch nach Blut oder Rasse behandelt wird –, das ist in der Gemeinde und für die Gemeinde unmöglich.55 Dass es die nationalsozialistische und deutsch-christliche Unrechtspolitik der jüdischen und jüdenchristlichen Bevölkerung gegenüber ist, auf die Bonhoeffer hier theologisch reagiert, wird umso deutlicher, wenn man die Ausführungen über den „Raum der Gemeindeordnung“ betrachtet. Die Ämter der Gemeinde sind „zum Dienst der Gemeinde verordnet“, sie sind „göttlichen Ursprungs und Wesens“. Das aber heißt: „Allein die Gemeinde kann sie vom Dienst entbinden“ (N 246) – und also kein staatliches Gesetz, kein „Arierparagraph“.56 So ist die Gemeinde zwar frei in der Gestaltung ihrer Ordnungen je nach ihrer Not; wird aber ihre Ordnung von außen angetastet, so ist damit die sichtbare Gestalt des Leibes Christi selbst angetastet. (N 246)

Für die Raummetapher in der „Nachfolge“ wird damit umso deutlicher, dass es Bonhoeffer keineswegs darum geht, die Kirche oder die Gemeinde als einen Raum neben oder außerhalb der Welt zu etablieren. Vielmehr liegt seinen Ausführungen die aus konkreten Erfahrungen resultierende Überlegung zugrunde: Was, wenn der Raum der Kirche angetastet wird, sei es von außen, sei es von innen57 ? In der „Ethik“ ist dies nicht die primäre Fragestellung Bonhoeffers, wenn er dort das Raumdenken kritisiert. In der „Nachfolge“ ist das Raumdenken als Zuspruch an eine Kirche zu verstehen, deren Grenzen von 55 Dass Bonhoeffer hier nicht allein das Leben der Gemeinde im Blick hat – d. h. also nicht allein Judenchristen, sondern auch diejenigen Juden, die nicht getauft sind und nicht der christlichen Gemeinde zugehören –, wird noch zu zeigen sein; siehe dazu unten Kap. 3.3, bes. 3.3.4. 56 Siehe dazu unten Kap. 4.4 und 4.5. 57 Siehe zur Grenze der Kirche nach innen unten Kap. 3.2.1.3.2; zur Grenze der Kirche nach außen unten Kap. 4.4 und 4.5.

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außen angetastet werden; in der „Ethik“ ist die Ablehnung des Raumdenkens als Kritik an einer Kirche zu verstehen, die sich ihrer Verantwortung in der Welt entziehen zu können meint. Auf diesem Hintergrund werden schließlich auch Bonhoeffers Erwägungen zu einer Kollision zwischen Kirche und Welt in der „Nachfolge“ plausibel, des Raumes der Kirche mit dem Raum der Welt. Er reflektiert die Möglichkeit, dass „der vom Leib Christi in dieser Welt beanspruchte und eingenommene Raum des Gottesdienstes, der kirchlichen Ämter und des bürgerlichen Lebens mit dem Raumanspruch der Welt kollidiert“ (N 261). Es wäre dann eine Grenze des christlichen Lebens in der Welt erreicht (vgl. N 261), denn die Versiegelung der Gemeinde wäre hier in Gefahr gebracht.58 So ist mit der Möglichkeit der Kollision das Moment eines Kampfes zwischen Kirche und Welt, die beide einen (sichtbaren) Raum auf Erden beanspruchen, angesprochen, ein Kampf, der in der „Nachfolge“ letztlich als kein anderer verstanden ist als der Kampf zwischen Christus und Teufel.59 Erstmals im Zusammenhang seiner Ausführungen über die Taufe sagt Bonhoeffer : „Christus greift in den Machtbereich des Satans ein und legt seine Hand auf die Seinen, schafft sich seine Gemeinde“,60 um dann später fortzufahren: 58 Siehe hierzu unten Kap. 3.2.1.3. 59 Vgl. bes. N 262. Es mag in dogmatischer Sicht als bemerkenswert erscheinen, dass Bonhoeffer mit der Macht des Teufels rechnet, obwohl doch am Kreuz der Sieg über denselben bereits errungen ist. Obwohl „die ganze Welt ja schon aus den Angeln gehoben ist durch die Tat Christi“ (N 254), weiß Bonhoeffer um einen „Machtbereich des Satans“, nämlich die „Welt“. Wiederum ist es die Denkfigur von Vollzug und Vollstreckung, die theologisch die Erklärung der Paradoxie bietet. Zwar ist die Welt tatsächlich aus den Angeln gehoben; sie kann den Menschen aber noch immer besitzen. Zwar ist dem Teufel durch die Tat Christi seine letzte Macht genommen; er wird aber nicht aufgeben, Menschen von Gott fortzubringen, sie am Glauben an Christus und am Gehorsam gegen dessen Wort zu hindern, indem er das klare Wort und Gebot Jesu in Zweifel zieht (vgl. hierzu nur Bonhoeffers Ausführungen über den „ethischen Konflikt“, bes. N 61; siehe dazu oben Kap. 2.4.2.4.3). Zwar herrscht Christus und ist die Welt überwunden; seine Herrschaft besitzt aber eine andere Gestalt als die Herrschaft der Welt. Christi Herrschaft ist der Dienst; in dieser Herrschaft aber ist der Sieg schon errungen und wird es immer wieder neu. Seine Herrschaft als die Herrschaft des Wortes Gottes auf Erden ist die Herrschaft des Wortes, das sich von der Welt verwerfen lässt. Vgl. in diesem Zusammenhang N 256: Gott hat es so gewollt, „daß die Welt herrscht, und daß Christus im Dienst siegt und mit ihm seine Christen“. Die Heiligung der Christen aber wird ein Kampf bleiben, z. B. N 81: „Der Ruf in die Nachfolge, die Taufe stellt den Christen in den täglichen Kampf gegen Sünde und Teufel.“ Der Gedanke der „Schwachheit des Wortes Gottes“, auf den Bonhoeffer in seinem Sachregister verweist (vgl. N 305), findet sich explizit in der N an vier Stellen (vgl. N 180 f, 203, 206 und 227). 60 N 221. Wenn Bonhoeffer von Christus und den „Seinen“ (N 269) redet, ist ein Moment in seine Theologie eingekehrt, das durchaus als im Widerspruch zu dem Gedanken der einen Wirklichkeit in Christus stehend aufgefasst werden mag: Denn wo von „die Seinen“ gesprochen wird, da sind auch „die Anderen“ mitgesetzt – die „Anderen“, die eben nicht zu Christus gehören. Hier ist wiederum zu entgegnen, dass der „Kampf“ Christi um die Seinen, der Kampf zwischen Christus und Antichristus (vgl. N 262), zwischen Gemeinde und Welt von Bonhoeffer nicht empirisch verstanden oder bewertet wird. Der Leib Christi, um den allein es letztlich beim Heil geht, ist eben, wie oben gesagt, keine empirisch festgelegte, von der Empirie abhängige Größe, sondern ist der eine, ganze, vollständige, von der Sünde abgesonderte Leib. Dieser Leib ist nicht

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Christus ist zu ihm [sc. dem Menschen] gekommen, hat sein Leben angenommen und hat damit der Welt geraubt, was ihr gehörte. (N 254) So greift die Gemeinde mitten hinein in das Leben der Welt und erobert Raum für Christus; denn was „in Christo“ ist, ist nicht mehr unter der Herrschaft der Welt, der Sünde und des Gesetzes. (N 252) Diese sichtbare Gemeinde der völligen Lebensgemeinschaft bricht herein in die Welt und entreißt ihr ihre Kinder. Das tägliche Wachstum der Gemeinde beweist die Kraft des in ihr lebendigen Herren. (N 249)

Eine vergleichende Lektüre der „Ethik“ erweckt zunächst den Anschein, als wäre – auch wenn Bonhoeffer in beiden Schriften dasselbe Wirklichkeitsverständnis zugrundelegt – hier doch eine fundamentale Abgrenzung zur „Nachfolge“ erfolgt, wenn Bonhoeffer in der „Ethik“ über das Verhältnis der Kirche zur Welt schreibt: Der Raum der Kirche ist nicht dazu da, um der Welt ein Stück ihres Bereiches streitig zu machen, sondern gerade um der Welt zu bezeugen, daß sie Welt bleibe, nämlich die von Gott geliebte und versöhnte Welt. Es ist also nicht so, daß die Kirche ihren Raum über den Raum der Welt ausdehnen wollte oder müßte, sie begehrt nicht mehr Raum als sie braucht, um der Welt mit dem Zeugnis von Jesus Christus und von ihrer Versöhnung mit Gott durch ihn zu dienen. (E 49)

In der Tat liegt der Akzent der „Ethik“, stärker als zuvor in der „Nachfolge“, auf dem Versöhntsein von Gott und Welt in Christus, wohingegen es Bonhoeffer in der „Nachfolge“ stärker um die Grenzziehung zwischen Gemeinde und Welt geht. Es handelt sich aber im Übergang von der „Nachfolge“ zur „Ethik“ vielmehr um eine Akzentverschiebung, welche die dogmatische Grundentscheidung Versöhntheit von Gott und Welt in Christus nicht infrage stellt, sondern als eine Aktualisierung dieser Grundannahme zu verstehen ist und die – wie noch zu verdeutlichen sein wird – durch die sich mit der Konspiration verändernden Situation Bonhoeffers plausibel wird. Auch in der „Nachfolge“ hatte Bonhoeffer jene Sichtweise der „Ethik“ vertreten: „Das Siegel des heiligen Geistes versiegelt ja die Gemeinde gegen die Welt. In der Kraft dieses Siegels muß die Gemeinde Gottes Anspruch auf die ganze Welt geltend machen“. Darin besteht der politische[…] Charakter […] ihrer Heiligung. Ihre „politische“ Ethik hat ihren einzigen Grund in ihrer Heiligung, daß Welt Welt sei und Gemeinde Gemeinde und daß doch das Wort Gottes von der Gemeinde ausgehe über alle Welt als die Botschaft davon, daß die Erde und was darinnen ist, des Herrn ist (N 277 f; Hervorhebung durch F.S.).

bestimmt durch seinen Umfang, sondern immer schon durch seine Absolutheit, die vom Moment der Menschwerdung an, im Stall von Bethlehem, bis zum Tode am Kreuz von Golgatha (vgl. N 241) und seit der Gründung der Kirche durch den Heiligen Geist gegeben ist.

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Die Konstruktion eines theologischen Gegensatzes zwischen „Nachfolge“ und „Ethik“ verkennt die tiefe gemeinsame Basis beider Schriften. Es ist damit der Punkt der Darstellung erreicht, von dem aus das Leben der von der Welt abgesonderten und sich absondernden Gemeinde zur Welt dargelegt werden kann, der Gemeinde, die sichtbar Zeugnis von dieser ihrer Absonderung in Christus, von der Wirklichkeit Christi gibt und die ihre Heiligkeit durch die Abgrenzung von der (sündigen, in Christus vor Gott versöhnten) Welt zu bewahren und zu erhalten hat. Dies soll in zwei Schritten erfolgen. Zunächst ist die Stellung der Christen zu den weltlichen Ordnungen (Bonhoeffer fragt vorwiegend nach Beruf und Obrigkeit)61 zu betrachten, in denen christliches Leben sich ereignet (3.2.1.2). Ein zweiter Abschnitt umfasst die weitere bezüglich der Abgrenzungsthematik wesentliche Tendenz der „Nachfolge“, die Ausscheidung der Sünde aus der Gemeinde (3.2.1.3).

3.2.1.2 Die Stellung des Christen zu weltlichen Ordnungen 3.2.1.2.1 Zum Beruf Eine Stellungnahme zur Frage des Verhältnisses des Christen zum Beruf zu geben, ist für Bonhoeffer von besonderer Wichtigkeit.62 Das Thema ist nicht abstrakt gewählt, sondern verweist im Besonderen auf die gegenwärtige Situation. Schon im Vorwort greift Bonhoeffer den Kontext auf, in dessen Auseinandersetzung und Beschäftigung die „Nachfolge“ steht: Aber noch bedrängt uns die Frage, was der Ruf in die Nachfolge Jesu heute für den Arbeiter, für den Geschäftsmann, für den Landwirt, für den Soldaten bedeuten könne, die Frage, ob hier nicht ein unerträglicher Zwiespalt in das Dasein des in der Welt arbeitenden Menschen und Christen getragen werde. (N 23)

Eine erste Stellungnahme zur Frage nach der Vereinbarkeit von Christsein und Beruf gibt Bonhoeffer dann sogleich im ersten Kapitel. In der Auseinandersetzung mit Luther stellt er fest: Luthers Weg aus dem Kloster zurück in die Welt bedeutete den schärfsten Angriff, der seit dem Urchristentum auf die Welt geführt worden war. […] Nun kam der Angriff frontal. Nachfolge Jesu mußte nun mitten in der Welt gelebt werden. […] Der vollkommene Gehorsam gegen das Gebot Jesu mußte im täglichen Berufsleben geleistet werden. Damit vertiefte sich der Konflikt zwischen dem Leben des Christen und dem Leben der Welt in unabsehbarer Weise. Der Christ war der Welt auf den Leib gerückt. Es war Nahkampf. (N 34 f; Hervorhebung durch F.S.) 61 Daneben finden sich in der N Bemerkungen zur Ehe (vgl. N 126 – 129), auf die hier nicht weiter einzugehen ist. 62 In Bonhoeffers Sachregister finden sich zahlreiche Verweise zu diesem Begriff.

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Der Weg Christi mit dem Menschen

Luthers (oder eigentlich die paulinische) Position63 nimmt Bonhoeffer im zweiten Hauptteil des Buches auf, indem er das Thema „Beruf“ auf die übergeordnete Thematik, das Verhältnis der Christen zur Welt, bezieht. Bonhoeffers These lautet, dass der Christ in der Welt zu leben und also in seinem Beruf zu bleiben habe (vgl. N 253 u. ö.), dass dieses Bleiben aber gerade nicht in Richtung auf Weltförmigkeit verstanden werden darf (denn hier wäre die Gnade billig gemacht), sondern vielmehr den „Konflikt zwischen christlichem und bürgerlich-weltlichem Berufsleben“ (N 37) zu bestätigen hat. In seinem Beruf soll der Christ bezeugen, dass er „der Welt schon entrissen“ (N 254) ist und darum in der Welt bleibt: Der Christ bleibe in der Welt. Nicht um der gottgegebenen Güte der Welt willen, nicht einmal um seiner Verantwortung für den Lauf der Welt willen, sondern um des Leibes Christi des Menschgewordenen, um der Gemeinde willen. Er bleibe in der Welt um des frontalen Angriffes gegen die Welt willen, er lebe sein „innerweltliches Berufsleben“, um seine „Weltfremdheit“ erst ganz sichtbar werden zu lassen. Das aber geschieht nicht anders, als durch die sichtbare Gliedschaft an der Gemeinde. Der Widerspruch gegen die Welt muß in der Welt ausgetragen werden. Darum wurde Christus Mensch und starb mitten unter seinen Feinden. Darum – und darum allein!64

„Im Beruf bei Gott bleiben,“ so sagt Bonhoeffer im Anschluss an 1Kor 7,24, „heißt eben mitten in der Welt am Leibe Christi in der sichtbaren Gemeinde bleiben, im Gottesdienst und im Leben in der Nachfolge das lebendige Zeugnis der Überwindung dieser Welt ausrichten“.65 Um Bonhoeffers Umgang mit Luther recht zu verstehen, ist zu beachten, worin eigentlich das Lutherische in Bonhoeffers Antwort liegt. Es ist ja nicht etwa darin zu finden, dass Bonhoeffer Luthers Antwort zu seiner eigenen machte, Luthers Antwort also einfach 63 Bonhoeffer legt zu Beginn seiner ausführlichen Ausführungen zum Beruf (vgl. N 253ff) 1Kor 7,20 – 24 aus: „Ein jeglicher, liebe Brüder, worin er berufen ist, darinnen bleibe er bei Gott.“ (Vers 24; zit. n.: N 253). Zu Luthers Berufs-Ethos vgl. Wingren, Luthers Lehre vom Beruf. 64 N 260. Ein weiteres Mal verdeutlicht Bonhoeffer die Theologie Luthers anhand von dessen Biographie: „Darin hat der Beruf für den Christen seinen Wert, daß der Christ in ihm durch Gottes Güte leben und den Angriff auf das Wesen der Welt ernster führen kann. Nicht eine ,positivere Bewertung‘ der Welt oder gar der Verzicht auf die urchristliche Erwartung der nahen Wiederkunft Christi begründete Luthers Rückkehr [sc. aus dem Kloster] in die Welt. Sie hatte vielmehr die rein kritische Bedeutung des Protestes gegen die Verweltlichung des Christentums in der Klosterexistenz. Indem Luther die Christenheit in die Welt zurückruft, ruft er sie erst in die rechte Weltfremdheit hinein. Das hat Luther selbst am eigenen Leibe erfahren. Luthers Ruf in die Welt war immer ein Ruf zur sichtbaren Gemeinde des menschgewordenen Herrn“ – und eben nicht zur Weltförmigkeit. „Nicht anders war es bei Paulus.“ (N 261; Hervorhebung durch F.S.). 65 N 255. Es wird hier nun auch präzisiert, inwiefern Bonhoeffer die Taufe als unbedingt „öffentliches Geschehen […] in die sichtbare Gemeinde Jesu Christi“ (N 224; Hervorhebung durch F.S.) verstanden wissen will: Was bei der Taufe einmalig und sichtbar sich vollzog, das wiederholt sich fortan sichtbar im Leben der Getauften in ihrer Konfrontation mit der Welt; vgl. bes. N 235.

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adaptierte (obwohl er sie ja inhaltlich bestätigt). Nicht in der Identität der Antwort liegt das Lutherische an der Position Bonhoeffers, sondern in der Identität des Motivs, das ihn zu eben derselben Antwort führt. Weil der Christ den Widerspruch gegen die Welt sichtbar werden lassen muss, und weil dieser sichtbare Widerspruch gegen die Welt (bei Luther und ebenso bei Bonhoeffer) gerade in der weltlichen Ordnung des Berufes (vgl. N 255; d. h. in der Welt) auszutragen ist, darum bleibe der Christ in der Welt und darum bleibe der Christ im Beruf, darum „bleibe der Sklave Sklave“. In Bonhoeffers Worten: Weil die „Weltfremdheit“ des christlichen Lebens […] mitten in die Welt [gehört], in die Gemeinde, in ihr tägliches Leben hinein, […] [d]arum sollen die Christen im Beruf ihr christliches Leben vollstrecken. Darum sollen sie im Beruf der Welt absterben. (N 261; Hervorhebung durch F.S.)

Das Bleiben im Beruf gilt also nicht prinzipiell, sondern wird – weil gerade im Beruf der Protest gegen die Welt als das spezifisch Christliche angemeldet und ausgetragen werden kann – in der konkreten historischen Situation zum Signalement für ,in der Welt sein‘. Zur Verdeutlichung mag die kausal-konsekutive Argumentationsfigur ersetzt werden durch eine konditional-konsekutive; es wird dann deutlich, dass das Bleiben des Christen im Beruf als Konsequenz einer bestimmten conditio sine qua non zu begreifen ist: Wenn der Widerspruch gegen die Welt noch im Beruf ausgetragen werden kann, dann soll der Christ in seinem Beruf bleiben. Dies bedeutet nun aber sogleich, dass auch die andere Möglichkeit – das Verlassen des Berufs – unter bestimmten Bedingungen nicht nur denkbar und erlaubt, sondern sogar gefordert wäre, nämlich dann, wenn der Widerspruch gegen die Welt nicht mehr im Beruf ausgetragen werden könnte. Der Christ müsste dann aus seinem Beruf weichen, denn der Ruf Christi riefe ihn dann aus diesem Beruf heraus.66 Jene zweite Möglichkeit verhandelt Bonhoeffer in der „Nachfolge“ wie folgt: Weil es immer um den Angriff auf das Wesen der Welt geht, darum ist es nun auch klar, daß das Leben im weltlichen Beruf für den Christen seine ganz bestimmten Grenzen hat und daß also gegebenenfalls dem Ruf in den weltlichen Beruf hinein der Ruf aus dem weltlichen Beruf heraus folgen muß.67

Wo aber liegen diese „Grenzen“? Sie sind dort erreicht, wo „der vom Leib Christi in dieser Welt beanspruchte und eingenommene Raum des Gottes66 Es geht in alledem darum, ob die Ausübung des Berufs (d. h. eines bestimmten Berufs an einem bestimmten Ort) mit der christlichen Botschaft vereinbar ist oder nicht. Darum ist m. E. sowohl dies für Bonhoeffer vorstellbar, dass ein bestimmter Beruf (z. B. der des Soldaten) generell nicht mehr ausübbar ist, als auch dies, dass bestimmter Beruf nur an einem bestimmten Ort nicht mehr ausgeübt werden darf, während er an anderem Ort nicht in Widerspruch mit der Verkündigung geriete. 67 N 261; zweite und dritte Hervorhebung durch F.S.

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dienstes, der kirchlichen Ämter und des bürgerlichen Lebens mit dem Raumanspruch der Welt kollidiert“ (N 261). Wie sehr Bonhoeffer mit diesen Ausführungen konkrete Theologie für die konkrete Situation des Kirchenkampfes betreibt, wird mit dem folgenden Abschnitt vollends deutlich, wenn er die Folgen dessen beschreibt, dass die Grenze des Berufslebens angetastet wird: Daß sie erreicht ist, wird im selben Augenblick deutlich durch die Notwendigkeit des sichtbaren öffentlichen Bekenntnisses zu Christus von seiten des Gemeindegliedes, von seiten der Welt aber durch kluges Zurückziehen oder durch Gewalttat. Hier kommt der Christ ins öffentliche Leiden.68

Abschließend bleibt zu bemerken, dass Bonhoeffer die Überlegungen zum Beruf nicht nur „paulinisch und auch lutherisch gedacht“ (N 261) wissen will, sondern sie gerade auch im Einklang mit den Evangelien versteht. Weil ihr Beruf sie an die Welt band und von der Gemeinschaft mit Christus trennte, rief Jesus die Jünger aus den Bindungen ihres Berufs (ihrer Familie und ihres Volkes) heraus.69 Und weil es im Ruf Jesu – aus dem Beruf heraus oder in den Beruf hinein – immer nur um die Bindung an Christus, das Heiligtum Gottes und den Protest gegen die Welt geht, der in dieser Bindung angemeldet und öffentlich ausgefochten wird, legt Bonhoeffer auch hier größten Wert auf die Betonung der Unmöglichkeit, einen Widerspruch zwischen synoptischem und paulinischem Zeugnis zu konstruieren. Es ist bei Paulus (vgl. 1Kor 7,20 – 68 N 261 f; Hervorhebung durch F.S. Neben diesem situationsgebundenen Hinausstoßen des Christen aus seinem Beruf durch die Welt verweist Bonhoeffer auf solche Berufe, die in grundsätzlichem Widerspruch zum christlichen Berufsethos stehen, freilich zu jenem Berufsethos, das Bonhoeffer – mit Paulus und Luther – einfordert. „Nicht immer aber ist es die Welt, die den Christen aus dem beruflichen Leben ausstößt. Es hat schon in den ersten Jahrhunderten der Kirche Berufe gegeben, die für unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde angesehen wurden. Der Schauspieler, der heidnische Götter und Helden darstellen muß, der Lehrer, der in heidnischen Schulen die heidnischen Mythologien zu unterrichten hat, der Gladiator, der Menschenleben zum Spiel töten muß, der Soldat, der das Schwert führt, der Gendarm, der Richter – sie alle mußten ihren heidnischen Beruf aufgeben, wenn sie die Taufe empfangen wollten. Später gelang es der Kirche – bzw. der Welt! – den Christen die meisten dieser Berufe wieder freizugeben.“ (N 262) Ihre zeitkritische Aktualität erhielt diese Aufzählung besonders durch die Nennung des das Schwert führenden Soldaten. Ihn hatte Bonhoeffer auch im Vorwort seines Buches im Blick, als er die Frage stellte, wohin der Ruf Christi in die Nachfolge einen Soldaten heute zu führen habe (vgl. N 23). Ob sich hinter den „heidnischen Schulen“, in denen „heidnische[…] Mythologien“ gelehrt werden, auch eine verschlüsselte Bezugnahme auf die Situation der deutschen theologischen Fakultäten verbirgt, mag erwogen werden. Dann jedenfalls wäre dieser Hinweis als autobiographische Notiz Bonhoeffers, des Privatdozenten der Berliner theologischen Fakultät, zu verstehen, dem im September 1936 die Lehrbefugnis entzogen wurde. Vgl. zur Situation an den deutschen theologischen Fakultäten DBW 14, Beilage zum 10. Finkenwalder Rundbrief vom 22. 7. 1936: Das Bruderhaus an Freunde und Förderer des Seminars, 203 f: „Die staatlichen theologischen Fakultäten fördern zur Zeit fast ausnahmslos die deutsch-christliche Irrlehre oder die Unentschiedenheit.“ (DBW 14, aaO., 204) Siehe hierzu unten Kap. 4.8. 69 Vgl. N 45ff, 87ff sowie 81, 152 und 215.

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24 nach N 253) gerade „nicht alles anders geworden als damals beim ersten Rufe Jesu in die Nachfolge“, als „[…] die Jünger alles verlassen [mußten], um mit Jesus zu gehen“ (N 253; Hervorhebung durch F.S.). Denn es „[geht] bei dem Ruf Jesu wie bei der Ermahnung der Apostel allein darum […], daß der Angesprochene in die Gemeinschaft des Leibes Jesu Christi kommt“ (N 253 f). Von dieser Gemeinschaft darf keine irdische Bindung – auch nicht der Beruf und die Sorge um denselben – fernhalten (vgl. N 174). Von der Frage nach dem Verhältnis des Christen zum Beruf leitet Bonhoeffer nun über zu einer weiteren Bestimmung des Christlichen in seinem (sich abgrenzenden) Verhältnis zur Welt, der christlichen Stellung gegenüber der Obrigkeit.70 Bemerkenswerterweise fehlt hier aber die Reflexion jener Möglichkeit, die Bonhoeffer hinsichtlich des Berufs erwägt und diskutiert: die Möglichkeit, unter bestimmten gegebenen Bedingungen sich der Ordnung auf eine bestimmte Weise zu entziehen.

3.2.1.2.2 Zur Obrigkeit Strukturell und inhaltlich entsprechen Bonhoeffers Thesen zur Stellung der Christen zur Obrigkeit in der „Nachfolge“ den Ausführungen über den Beruf. Denn wie den Beruf, so versteht Bonhoeffer im Anschluss an Luther auch die Obrigkeit als eine weltliche Ordnung – Beruf und Obrigkeit sind „Ordnungen dieser Welt“71 –, in welcher der Mensch, sei es der natürliche Mensch, sei es der Christ lebt, in die er hineinberufen ist. Dies ist sein „Beruf“, seine Berufung (vgl. 1Kor 7,24). Äquivalent zum Beruf ist daher auch seine Stellung zur Obrigkeit bestimmt durch das Zeugnis, dass „die ganze Welt ja schon aus den Angeln gehoben ist durch die Tat Jesu Christi, durch die Befreiung, die der Sklave wie der Freie durch Jesus Christus erfahren hat“ (N 254). Die Gefahr besteht für den Christen darin, in seiner Berufung nicht „bei Gott“ – d. h. nicht mitten in der Welt am Leib Christi in der sichtbaren Gemeinde – zu bleiben, nicht mehr „im Gottesdienst und im Leben in der Nachfolge das lebendige Zeugnis der Überwindung dieser Welt aus[zu]richten“ (N 255) und dadurch „den Blick für die göttliche Neuordnung aller Dinge durch Jesus Christus und die Gründung seiner Gemeinde [zu] verdunkeln“ (N 254 f), d. h. wiederum „der Menschen Knechte“ (1Kor 7,23; zit. n.: N 255) zu werden. Auf zweierlei Weise aber würde das geschehen: Durch Auflehnung und durch Umsturz der gegebenen Ordnungen einerseits, durch religiöse Verklärung der gegebenen Ordnungen andrerseits. (N 255)

70 Auch das Stichwort „Obrigkeit“ findet sich in Bonhoeffers eigenem Sachregister, worin sich die Relevanz der Auseinandersetzung mit dieser Thematik auch in der N bereits andeutet. 71 N 255; ebenso 254 u. a.

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Bonhoeffer setzt sich hier ausdrücklich mit der Möglichkeit der „Auflehnung“, der „Revolution“ gegen die bestehenden Ordnungen auseinander – allerdings in nur ablehnender Weise, ohne diese Ausführungen zustimmend zu verhandeln. Die Tatsache, dass Bonhoeffer jeden auflehnenden Akt der Christen bzw. der christlichen Gemeinschaft sogleich und generell verwirft, wirft sogar die Frage auf, ob (theologische) Erwägungen eines gewaltsamen Umsturzes einer noch so „dunklen sozialen Ordnung“ (N 254) zu dieser Zeit bei dem noch lutherisch-theologisch argumentierenden Bonhoeffer überhaupt bestanden?72 Erkennbar ist jedenfalls: Bonhoeffer konzentriert sich hier gedanklich ganz auf den Weg der Gemeinde, durch den sie sich von der Welt abzugrenzen hat, um so ihre Substanz, das Gerechtfertigtsein, in ihrer Heiligung zu wahren und zu erhalten. Heiligung ist Substanzerhaltung. Diese Substanz ist der doppelten Gefahr ausgesetzt, entweder gegen die gegebenen Ordnungen sich aufzulehnen oder dieselben religiös zu verklären. Eine religiöse Verklärung läge (mit Blick auf den Beruf) dann vor, wenn „in der weltlichen Berufserfüllung an sich schon die Erfüllung des christlichen Lebens“ (N 255) gesehen würde oder wenn (mit Blick auf die Obrigkeit) bestimmte Ordnungen der Welt als an und für sich gute Ordnungen angesehen würden. (Genau diese theologische Sichtweise hatte Bonhoeffer in den Jahren zuvor mit seiner Kritik der „Schöpfungsordnungen“ abgelehnt und gegen diesen Begriff den der „Erhaltungsordnungen“ eingefordert.73) Für die Möglichkeit einer (politischen) Auflehnung gegen die gegebenen Ordnungen muss hier mit Blick auf die oben formulierte These deutlich werden, wie wenig revolutionär ausgerichtet und wie sehr lutherisch gedacht Bonhoeffers Rede von einer Revolution an dieser Stelle der „Nachfolge“ tatsächlich ist, denn einen revolutionierenden Kampf der communio sanctorum gegen die Ordnungen erwägt Bonhoeffer, wie auch Luther, nicht.74 Eine Auflehnung wäre schon gegeben durch die Flucht aus der Welt, die Flucht aus dem Beruf, wenn die Ausübung des Berufs noch dem Protest gegen die Welt diente. Weil die Christen von allen Ordnungen der Welt befreit sind, können sie keine größere Befreiung erlangen als diejenige, die ihnen durch Christus zuteil geworden ist (vgl. bes. N 254). Wie hat sich der Christ der Obrigkeit gegenüber zu stellen? Bonhoeffer bestimmt das Verhältnis positiv, indem er sagt, was der Obrigkeit und was des Christen sei. Unter Hinzunahme von Mk 10,42 – 46 lautet diese Bestimmung: „Die Welt herrscht, der Christ dient, darin hat er Gemeinschaft mit seinem Herrn, der Sklave wurde.“ (N 256) Dass „[…] jedermann untertan den Obrigkeiten [sei], die Gewalt über ihn haben“ (Röm 13,1; zit. n.: N 256), bedeutet, dass die Obrigkeiten wirklich „über (rp]q)“ dem 72 Vgl. allerdings Pangritz, Bonhoeffers Rezeption, 241 f. 73 Siehe zum Begriff und zu Bonhoeffers Umgang mit der „Schöpfungsordnung“ unten Kap. 4.2. 74 Vgl. Vgl. dazu Luther, Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei [Von welltlicher Ueberkeytt, wie weyt man yhr gehorsam schuldig sey], 1523 (WA 11; 245 – 281); dazu Bayer, Martin Luthers Theologie, 285 ff.

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Christen ist, der „darunter (rp|)“ berufen ist und darum darunter zu bleiben hat. Im Gegensatz zu Luther – dieser übersetzt „Obrigkeit“ – wählt Bonhoeffer den Plural 1nous¸a und übersetzt „Obrigkeiten“, offenkundig um so einer Generalisierung zu entgehen und gerade die Dimension des Konkreten deutlich zu machen, die seines Erachtens in Röm 13,1a ausgedrückt ist: Es geht Paulus nicht um eine allgemeine Erwägung und Erkenntnis über das Wesen der Obrigkeit […], sondern es [sc. Röm 13,1] soll seine Anwendung finden auf die Stellung des Christen zu den tatsächlich bestehenden Obrigkeiten (aR d³ owsai …).

Darum gilt: Wer sich den tatsächlich bestehenden Obrigkeiten widersetzt, widersetzt sich der Setzung Gottes (diatacμ toO heoO), der es so gewollt hat, daß die Welt herrscht, und daß Christus im Dienst siegt und mit ihm seine Christen. Der Christ, der das nicht begriffe, müßte dem Gericht verfallen ([Röm 13] V. 2); denn er wäre der Welt wiederum gleich geworden. (N 256)

Dass angesichts des, um eine Formulierung aus „Die Kirche vor der Judenfrage“ vom April 1933 aufzugreifen, vom humanitären Standpunkt möglicherweise als schlecht zu bewertenden Ordnungsschaffens des Staates (vgl. DBW 12, 350), d. h. angesichts des durch die Obrigkeit gewirkten und verschuldeten Unrechts, sich besonders an der Frage nach der Stellung der Christen zur Obrigkeit schnell Widerspruch entzünden kann, weiß Bonhoeffer freilich. Doch gerade hier mahnt er die Gläubigen an, nicht „auf etwas anderes zu achten, als auf den Willen Gottes, den sie selbst zu erfüllen haben“, denn: Mögen sie selbst nur überall auf das Gute bedacht sein und es auch tun, wie es ihnen Gott befiehlt, so können sie „ohne Furcht“ vor der Obrigkeit leben, „denn die Gewaltigen sind ein Schrecken nicht dem guten Werk, sondern dem bösen“ ([Röm 13] V. 3). (N 257)

Die Absonderung der Gemeinde von der Welt in Gestalt ihres Verhältnisses und ihrer Haltung zur Obrigkeit läuft mit einem einzigen Satz auf die Erhaltung des Zustandes der Gemeinde in der Heiligung hinaus, auf die Bewahrung der Versiegelung durch den Heiligen Geist, der sie von der Welt absondert: „Alles liegt daran, daß nicht in der christlichen Gemeinde Böses geschehe.“75 Christliches Leben (und zwar konkret: christliches Leben im Deutschland des Jahres 1937) darf der „Nachfolge“ zufolge keine Gedanken an einen Umsturz der Ordnungen kennen, sondern ereignet sich im Bleiben in den Ordnungen 75 N 257. Das hermeneutische Problem der Paulus-Rezeption Bonhoeffers muss hier außer Acht gelassen werden. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass Bonhoeffer Paulus durchaus zugunsten seiner eigenen Interpretation überstrapaziert, wenn er in der Interpretation von Röm 13,1ff sagt: „So sehr denkt Paulus von der christlichen Gemeinde her, so sehr ist es ihm allein um die christliche Gemeinde und ihr Heil und ihren Wandel zu tun, daß er die Christen vor eigenem Unrecht und Bösen warnen muß, aber die Obrigkeit ohne Vorwurf läßt.“ (N 257).

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zum lebendigen Protest gegen dieselben. Dieser Protest ist weder Widerstand, noch Widerspruch, sondern wirklich Protest gegen „die Welt“. Gerade als Protest ist die christliche Haltung aber Kampf und Angriff auf „die Welt“ (vgl. N 34 f, 29 u. a.). Dieser Protest geschieht durch das Zeugnis davon, „daß schon längst alle Mächte und Obrigkeiten der Welt entmächtigt sind, daß Christus sie im Triumph ans Kreuz gebracht hat, und daß nur noch kurze Zeit ist, bis dies alles offenbar werden muß“ (N 259). Jeder Widerspruch, jeder Widerstand […] würde nur deutlich machen, daß die Christen Gottes Reich mit einem Reich dieser Welt verwechseln. Darum bleibe der Sklave Sklave, darum bleibe der Christ untertan den Obrigkeiten, die Gewalt über ihn haben, darum räume der Christ nicht die Welt (1. Kor. 5,10). (N 259 f; Hervorhebung durch F.S.)

Es gelten dieselben Argumente für die Gedanken Bonhoeffers zum Beruf und zur Stellung der Christen zur Obrigkeit. Gewiss nicht darum, weil in der weltlichen Berufserfüllung an sich schon die Erfüllung des christlichen Lebens zu sehen wäre, sondern weil in dem Verzicht auf Auflehnung gegen die Ordnungen dieser Welt der angemessenste Ausdruck dafür liegt, daß der Christ nichts von der Welt, aber alles von Christus und seinem Reich erwartet, – darum bleibe der Sklave Sklave! Weil diese Welt nicht reformbedürftig, sondern zum Abbruch reif ist, – darum bleibe der Sklave Sklave. (N 255; Hervorhebung durch F.S.) Aber freilich als Sklave lebe er als Freigelassener Christi; unter der Obrigkeit lebe er als einer, der Gutes tut, in der Welt lebe er als Glied des Leibes Christi der neugewordenen Menschheit; dies alles tue er ohne Vorbehalt, damit gebe er mitten in der Welt Zeugnis von der Verlorenheit der Welt und der Neuschöpfung in der Gemeinde. (N 260)

Dass dem Christ der Widerstand gegen die Ordnung der Obrigkeit ob des von ihm auszurichtenden Zeugnisses verboten ist, bedeutet nun aber gerade nicht, dass etwa das Unrechtshandeln des Staates von der christlichen Gemeinde für gut geheißen würde oder dass Bonhoeffer an der Überwindung dieses Unrechts gar nicht gelegen wäre. Seine Theologie speist sich vielmehr aus dem Glauben daran, dass gerade nicht durch die theologische Wertung oder Bewertung der Obrigkeit und von deren ganz konkretem Handeln als gutes oder böses durch die christliche Gemeinde (vgl. N 259) das Böse tatsächlich überwunden würde, sondern allein durch die lebendige und gelebte Bezeugung der Tat Jesu Christi. Denn darum letztlich geht es Bonhoeffer im Kern,76 „um die Überwindung alles Bösen durch die Christen“ (N 259).

76 Vgl. Bonhoeffers Bemerkung, „[a]lles Gesagte“ stehe unter der paulinischen Ermahnung und Verheißung von Röm 12,21, vgl. N 259; Hervorhebung durch F.S.

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3.2.1.3 Die Ausscheidung der Sünde aus der Gemeinde Dass die Christen frei sind von den weltlichen Ordnungen, in denen sie leben (vgl. N 254), versiegelt durch den Heiligen Geist, bedeutet nun im Verständnis der „Nachfolge“, dass in der Gemeinde Christi keinen Raum mehr hat, was der Welt gehört: „Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Rotten, Haß, Mord, Saufen, Fressen und dergleichen (Gal. 5,19)“. Gerade darin, dass diese „finstern Werke des Fleisches“ (N 279) in der Gemeinde keinen Bestand haben, unterscheidet sie sich von der Gestalt der (sündigen) Welt. „Die Welt dieser Laster ist für die Gemeinde Vergangenheit. Von denen, die in solchen Lastern leben, hat sich die Gemeinde getrennt und soll sie sich immer wieder trennen (1. Kor. 5,9ff)“ (N 282). Die Heiligen sind die Heiligen als die durch den Heiligen Geist gegen die Sünde Versiegelten. Wer die Sünde dennoch tut, bricht das Siegel, „stürzt […] vom Weg der Nachfolge ab und ist von Jesus getrennt“.77 Obgleich die Gerechtfertigten ein für allemal der Sünde abgestorben sind (vgl. N 270 f u. ö.), obgleich also die „Welt der Laster“ für die Gemeinde der Vergangenheit angehört, bleibt für Bonhoeffer die Notwendigkeit des täglichen Absterbens dieser Laster bestehen, denn diejenigen, die „in der Gemeinschaft Jesu ohne Sünde leben dürften, sündigen täglich durch allerlei Unglauben, Trägheit zum Gebet, Zuchtlosigkeit des Leibes, durch allerlei Selbstgefälligkeit, Neid, Haß und Ehrgeiz“ (N 162). Darum müssen die „wilden leiblichen Begierden […] täglich in dieser Gemeinschaft [sterben]“ (N 281; Hervorhebung durch F.S.; vgl. auch N 267). Täglich sterben die Christen den einmaligen Tod der Taufe (vgl. erläuternd N 224 f, 274 f, 278 f). Christliches Leben heißt tägliche Aneignung der Taufe, nicht durch Selbstmarterung, sondern „[i]n der selbstvergessenen, an Christus allein gebundenen Liebe des Jüngers stirbt der alte Adam“ (N 156; Hervorhebung durch F.S.). Und um die konkrete Beschreibung christlichen Lebens geht es Bonhoeffer in der „Nachfolge“: Während die Rechtfertigung danach fragt, wie der Mensch ein Christ wird, geht es Bonhoeffer nun, in der Beschreibung der Heiligung, um das wenigstens ebenso Wichtige, wie nämlich der Mensch ein Christ bleibt. Bonhoeffer will die christliche Gemeinde nicht verstehen als „die ,ideale‘ Gemeinde der Sündlosen und Vollkommenen“, nicht als die „Gemeinde der Reinen, die dem Sünder keinen Raum zur Buße mehr gibt“ (N 285), vielmehr weiß er, dass auch in der von der Welt abgesonderten Gemeinde „[…] noch ein Stück Welt in diesem Heiligtum [lebt]“ (N 278) und dass die Absonderung von Kirche und Welt auch darum immer ein „fortwährende[r] Kampf“ (N 283) sein wird.78 „Ebenso wie die Heiligung die Abscheidung der Gemeinde von der

77 N 127; vgl. zur Möglichkeit des Abfallens vom Weg der Nachfolge auch N 184 f u. ö. 78 Denn es „bringt jeder Tag mit seiner Anfechtung durch Fleisch und Welt neue Leiden Jesu

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Welt bewirkt, muß sie auch die Abscheidung der Welt von der Gemeinde bewirken.“ (N 286) Nach außen führt die Gemeinde ihren Kampf gegen die Welt durch sichtbaren, würdigen Wandel, im Beruf und „in allen Stücken“;79 zugleich muss die „Gemeinde, die von der Welt abgesondert ist, […] nach innen Gemeindezucht üben“ (N 286; Hervorhebung durch F.S.). Damit ist ein notwendiger Zusammenhang von Taufe und Gemeindezucht angezeigt. Es gilt, die im Sakrament geschenkte Rechtfertigung und also ihre eigentliche Substanz zu bewahren; dem dient die Gemeindezucht. Eine Gemeinde ohne Gemeindezucht fällt notwendig der billigen Gnade anheim, „weil sie die teure Vergebung des Herrn verschleudert“. Dort bleibt ja „das Evangelium […] ohne Gesetzespredigt“, dort werden „die Sünden […] bedingungslos vergeben“ und nicht „auch behalten“ (N 286). Die Heiligen aber werden ihrer Heiligkeit „würdig […] [sein] allein darin […], daß sie sich des Evangeliums täglich erinnern, von dem sie leben“.80 Die tägliche Erinnerung wiederum kann nur am Leib Christi, im Raum der Kirche sich vollziehen,81 und auch in der Gemeinde bedarf es eines Ortes, an dem diese Erinnerung konkret wird. Diesen Ort sieht Bonhoeffer zunächst in Glaubensverhör und Beichte, die ihrerseits unmittelbar an das Sakrament des Abendmahls gebunden sind.

3.2.1.3.1 Abendmahl und Beichte Schon zu Beginn der „Nachfolge“, nämlich im Zuge seiner Bestimmung „billiger Gnade“, hatte Bonhoeffer eine konstitutive Verbindung von Taufe und Gemeindezucht, Abendmahl und Beichte angesprochen. Billige Gnade ist Predigt der Vergebung ohne Buße, ist Taufe ohne Gemeindezucht, ist Abendmahl ohne Bekenntnis der Sünden, ist Absolution ohne persönliche Beichte. (N 30)

Christi über den Jünger.“ Darum gilt: „Der Ruf Christi, die Taufe stellt den Christen in den täglichen Kampf gegen Sünde und Teufel.“ (N 81; umgestellt). 79 N 278, im Anschluss an Eph 4,1; Phil 1,27; Kol 1,10; 1Thess 2,12. 80 N 278 f; vgl. auch 274 f und 225. 81 Vgl. N 278: „Eine persönliche Heiligung, die an dieser öffentlichen Abgrenzung der Gemeinde von der Welt vorübergehen will, verwechselt die frommen Wünsche des religiösen Fleisches mit der im Tode Christi erwirkten Heiligung der Gemeinde durch das Siegel Gottes. Es ist der trügerische Hochmut und die falsche geistliche Sucht des alten Menschen, der heilig sein will außerhalb der sichtbaren Gemeinde der Brüder. Es ist Verachtung des Leibes Christi als der sichtbaren Gemeinschaft der gerechtfertigten Sünder, die sich hinter der Demut dieser Innerlichkeit versteckt.“ Den Begriff der „Innerlichkeit“ übernimmt Bonhoeffer wohl von Kierkegaard. In der von Kütemeyer hg. Kierkegaard-Auswahl findet sich der Begriff häufig und zum Teil in identischer Absicht wie hier in der N (vgl. Kierkegaard, Der Einzelne und die Kirche, bes. 60ff, 203ff; fernerhin 68 f, 74, 79 f, 83 f, 88 f, 86 f, 131ff, 163ff, 177ff, 180ff, 189 u. a.) Vgl. zum Kierkegaardschen Begriff der Innerlichkeit fernerhin Kleffmann, Paradoxien.

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Das Sakrament des Abendmahls, in dem die Glaubenden wahrhaftig Leib und Blut Christi empfangen,82 dient der Erhaltung ihrer Teilhaftigkeit am Leibe Christi und damit der Erhaltung der Gemeinschaft selbst.83 Beide Sakramente kommen her aus der wahrhaftigen Menschheit unseres Herren Jesu Christi. In beiden begegnet er uns leibhaftig und macht uns der Gemeinschaft seines Leibes teilhaftig. […] In der Taufe wird uns die Gliedschaft am Leibe geschenkt, im Abendmahl die leibliche Gemeinschaft (joimym¸a) mit dem Leib des Herren [sic!], den wir empfangen, und eben darin die leibliche Gemeinschaft mit den Gliedern dieses Leibes. So werden wir durch die Gaben seines Leibes mit Ihm Ein Leib.84

Das Abendmahl ist der Ort der Vergebung der Sünden (vgl. N 287 u. ö.): zum einen, weil sich der Glaubende hier dessen erinnert, was ihm durch die Taufe zuteil geworden ist, zum anderen, weil der Glaubende auch im Abendmahl „Buße tut und seinen Glauben an Jesus Christus bekennt“ (N 286). Dieses Bekenntnis hat nach Bonhoeffer (wie die Sünde immer konkrete Sünde ist) stets konkretes Bekenntnis zu sein und ist als solches auch an ein konkretes Gegenüber gebunden. Dies begründet bei Bonhoeffer die Verbindung von Abendmahl und Beichte. In der Beichte vor dem Bruder tritt der Glaubende tatsächlich vor Gott, denn in dem „Bekenntnis der Sünde vor seinem Bruder stirbt das Fleisch mit seinem Stolz“ (N 287). Weil es letztlich Christus selbst und allein er ist, der die Sünde auf sich nimmt, darum kann Bonhoeffer in der Finkenwalder Lehrveranstaltung über die Beichte davon sprechen, dass einer dem anderen ein Christus werde:

82 Vgl. neben den beiden vorangehenden Anm. (80 und 81) den an Lutherische Theologie anknüpfenden Satz Bonhoeffers: „So kann nur der die Gnade des Abendmahls empfangen, der ,unterscheiden kann‘ (1. Kor. 11,29) zwischen dem wahrhaftigen Leib und Blut Jesu Christi zur Vergebung der Sünden und irgendeinem anderen Mahl symbolischer oder sonstiger Art.“ (N 286 f) Vgl. zu Luthers Abendmahlsverständnis Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 318ff; Wendebourg, Taufe und Abendmahl; Bayer, Martin Luthers Theologie, 245 ff. 83 Vgl. N 230. Sakramente sind Taufe und Abendmahl, weil ihr Ziel ebenso wie ihr Ursprung der Leib Christi selbst ist (vgl. N 230). Darum bindet Paulus die „Gliedschaft am Leibe Christi ganz an die beiden Sakramente“ (N 230). „Nicht das Wort der Predigt bewirkt unsere Gemeinschaft mit dem Leibe Jesu Christi, das Sakrament muß hinzukommen.“ (N 230). 84 N 244. Indem Bonhoeffer die Sakramente – wie Paulus, vgl. N 230 – an den Leib Christi bindet bzw. umgekehrt die Gliedschaft am Leibe Christi an die Sakramente, wendet er sich gegen eine Theologie der Sakramente, die diese auf das Kriterium der Sündenvergebung reduziert. „Weder die Gabe der Taufe noch die des Abendmahls ist ganz umfaßt, wenn wir sie als Sündenvergebung bezeichnen. Die Gabe des Leibes, die in den Sakramenten gespendet wird, schenkt uns den leibhaftigen Herren in seiner Gemeinde. Sündenvergebung aber ist mit eingeschlossen in der Gabe des Leibes Christi als Gemeinde.“ (N 244 f) Die nur als Sündenvergebung verstandenen Sakramente wären der billigen Gnade anheim gestellt. Bonhoeffer fährt fort: „Von hier aus ist es verständlich, daß die Austeilung von Taufe und Abendmahl ursprünglich – im genauen Gegensatz zu unserem heutigen Gebrauch – nicht an das Amt der apostolischen Verkündigung gebunden ist, sondern von der Gemeinde selbst vollzogen wird (1. Kor. 1,1 u. 14 ff.; 11,17 ff.). Taufe und Abendmahl gehören allein der Gemeinde des Leibes Christi.“ (N 245).

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Der Bruder steht vor mir an Gottes Statt. Wenn ich zum Bruder gehe, gehe ich zu Gott. Er vergibt mir an Christi Statt, indem er mir die Sünde abnimmt. Er trägt sie selbst und legt sie damit auf Christus. Einer wird dem andern ein Christus.85

Das bedeutet freilich nicht, dass Bonhoeffer die Möglichkeit eines ehrlichen Sündenbekenntnisses vor Gott bzw. vor Christus ausschließt. Es ist aber um die Ohrenbeichte zu erweitern, sofern der Glaubende in der Gefahr steht, sich die Vergebung seiner Sünden selbst zuzusprechen. Darum gilt: „Beichte ist nicht notwendig zum Heil, aber göttliche Hilfe zur Heilsgewißheit“.86 Die Grenze der Beichte wäre wiederum erreicht, wenn der Glaubende im Gegenüber des Bruders eine Fluchtmöglichkeit vor dem einfältigen Gehorsam gegen das Wort Christi erkennte. Gerade darum rief und ruft Jesus ja den Jünger als Einzelnen, weil dem Einzelnen im Angesicht des Rufes Jesu jede Möglichkeit genommen ist, sich hinter vermeintlichen Verantwortlichkeiten zu verstecken und sich an diese zu klammern (vgl. N 87). Von hier aus wird plausibel, warum für Bonhoeffer „[…] der Gebrauch der Beichte in das Leben der Heiligen [gehört]“, ja sogar „[…] das ganze Leben der Gemeinde [durchwaltet]“.87 Die Beichte88 gehört in ihr Leben, sofern sie ihren Platz vor dem Abendmahl hat, in dessen Dienst sie steht,89 während die Gemeinde ihren Ort zwischen Wort und Abendmahl hat.90 Eine Gemeinde ohne Beichte hätte vergessen, dass sie als die „Bruderschaft der Sünder“ (N 163) stets eine der Vergebung bedürftige Gemeinde bleibt. „Gott […] will ihre Bitte nur erhören, wenn sie auch einander brüderlich und willig ihre Schuld vergeben.“ (N 162) Darum kann Bonhoeffer sagen: Die Beichte ist Gottes Gnadengabe […]. In der Beichte wird Gottes teure Gnade empfangen. Hier wird der Christ dem Tode Christi ähnlich. ,Darum wenn ich zur Beichte vermahne, so tue ich nichts anderes, denn daß ich vermahne, ein Christ zu sein‘ (Luther, Großer Katechismus). (N 287)

An die Beichte schließen sich in der „Nachfolge“ weitere Gedanken zur Gemeindezucht an, die Bonhoeffer stufenweise entfaltet und in deren Zentrum 85 DBW 14, Lehrveranstaltung zur Beichte, 4. Kurs 1936/37, 750. Vgl. auch GL, z. B. 94. 86 DBW 14, Lehrveranstaltung zur Beichte, 4. Kurs 1936/37, 750. 87 N 287. Vgl. dazu die erste der 95 Thesen Luthers: „Dominus et magister noster Iesus Christus decendo ,Penitentiam agite &c.‘ omnem vitam fidelium penitentiam esse voluit.“ (WA 1, 233; 10 f). 88 Zu Sündenbekenntnis und Beichte bei Bonhoeffer vgl. Zimmerling, Bonhoeffer als praktischer Theologe, bes. 176ff; Bobert-Stçtzel, Pastoraltheologie; G.L. Mller, Sakramente, 285 – 355. 89 Vgl. dazu DBW 14, Lehrveranstaltung zur Beichte, 4. Kurs 1936/37, 750: „Beichte ist an sich unabhängig vom Abendmahl, aber um das Sakrament des Abendmahls nicht zu entheiligen, hat sie vor dem Abendmahl ihren Ort. Vor der Sündenvergebung muß das Sündenbekenntnis stattfinden.“ 90 Vgl. N 248 f: „Alle christliche Gemeinschaft lebt zwischen Wort und Sakrament, sie entspringt und sie endet im Gottesdienst.“ Vgl. DBW 14, Aufsatz vom Juni 1936: Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft, 699.

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Ausführungen zur Möglichkeit und Notwendigkeit eines „Gemeindezuchtverfahrens“ stehen. 3.2.1.3.2 Gemeindezucht und Gemeindezuchtverfahren: Umfang und Grenzen der Kirche Thema ist die „Verkündigung des Wortes nach beiden Schlüsseln“, Verkündigung, die der „Ursprung aller Zuchtübung“ (N 287; Hervorhebung durch F.S.) zur Erhaltung der Gemeinde ist. Indem Löse- und Bindeschlüssel angesprochen sind, geht es um die Absonderung der Sünde von der Gemeinde, die in erster Linie aber nicht die Ausweisung des Sünders aus der Gemeinde bedeutet, sondern diesen „zur Buße und zur Versöhnung […] führen“ soll (N 289). Dennoch ist die Möglichkeit der Trennung der Gemeinde von einem ihrer Glieder dezidiert ins Auge gefasst. Dabei werden wiederum die Bedeutung und die Notwendigkeit der Beichte plausibel: Es können ja „nur Sünden gestraft werden […], die offenbar geworden sind“, und die Beichte ist der Ort, an dem dies geschehen kann. Der die Gemeindezucht verhandelnde Text (bes. N 286 – 291) wirkt befremdlich. Durch die Kasuistik, mit der Bonhoeffer die Gemeindezucht beschreibt, gliedern sich diese Abschnitte, so wirkt es wenigstens auf die heutigen Rezipienten, nur mühsam in den Text der „Nachfolge“ ein. Geradezu im Stil eines Gesetzestextes erwägt Bonhoeffer eine Abfolge der Gemeindezucht, in der er drei Stufen unterscheidet. Auf den „täglichen Hirtendienst des Amtsträgers“91 als eine erste Stufe und „die brüderliche Vermahnung der Gemeindeglieder untereinander“92 als eine zweite, folgt als äußerste Stufe die Möglichkeit eines Gemeindezuchtverfahrens. „Fällt nämlich […] ein Bruder in offenbare Sünde des Wortes oder der Tat, so muß die Gemeinde die Kraft haben, das eigentliche Gemeindezuchtverfahren gegen ihn einzuleiten.“ (N 288) Auch das Gemeindezuchtverfahren steht, den beiden Schlüsseln gemäß, in doppeltem Dienst, zum Schutz der Gemeinde durch die Absonderung von der Sünde und zum Heil des Sünders selbst. Dessen Bleiben in der bzw. dessen Umkehr und „Rückkehr zur Gemeinde […] bleibt das Ziel der Gemeindezucht“ (N 290), die ihrerseits in drei Stufen differenziert wird: die Ermahnung des Sünders von Bruder zu Bruder,93 die Ermahnung durch

91 N 288. In dem Adjektiv „täglich“ ist dem Anspruch Ausdruck verliehen, dass „der Amtsträger niemals von seinem Auftrag entbunden ist“ (N 287). Vielmehr gilt: „Predige das Wort, halte an, die Zeit sei günstig oder ungünstig, strafe, drohe, ermahne mit aller Geduld und Lehre“ (2Tim 4,2; zit. n.: N 287). 92 N 288; Bonhoeffer verweist auf Kol 3,16 sowie auf 1Thess 5,11 und 14. Auch diese Vermahnung – „Trösten der Kleinmütigen, Tragen der Schwachen, Geduld üben gegen jedermann (1. Thess. 5,14)“ – dient dem Wehren der „täglichen Anfechtung und dem Abfall in der Gemeinde“ (N 288). 93 Verdeutlichend: „Kann die Sünde verborgen bleiben zwischen dir und dem Sünder, so sollst du

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Hinziehen von Zeugen94 und schließlich die Ermahnung vor der ganzen Gemeinde.95 Tut der seiner Sünde überführte Sünder aufrichtige Buße, bekennt er öffentlich seine Sünde, so empfängt er die Vergebung aller seiner Sünden im Namen Gottes (cf. 2. Kor. 2,6 ff.), beharrt er bei seiner Sünde, so muß ihm die Gemeinde im Namen Gottes seine Sünde behalten. (N 290)

Besondere Wichtigkeit liegt für Bonhoeffer nun in der Feststellung, dass dort, wo es um die Ausscheidung der Welt aus der Gemeinde geht (vgl. N 286), nicht die Gemeinde selbst der ausschließende Teil ist, sondern das ausscheidende, absondernde Urteil der Gemeinde nur die Bestätigung dessen ist, was durch die Sünde des Gemeindegliedes bereits vollzogen wurde. Im Ausschluß aus der Gemeinde […] wird nur bestätigt, was schon Tatsache ist, nämlich, daß der unbußfertige Sünder ein solcher ist, der „sich selbst verurteilt hat“ (Tit. 3,11). Nicht die Gemeinde verurteilt ihn, er selbst hat sich das Urteil gesprochen. […] Der Schuldige ist aus der Gemeinschaft des Leibes Christi ausgestoßen, weil er sich selbst getrennt hat. […] Der Schuldige wird der Welt zurückgegeben. (N 290; umgestellt)

Auffällig ist allerdings, dass Bonhoeffer jenen Gedanken (dass nicht die Gemeinde ein Urteil zur Absonderung eines ihrer Glieder an die Welt selbst trifft, sondern das vom Abgesonderten selbst gesprochene Urteil lediglich bestätigt) zwar anführt, ihn aber in der „Nachfolge“ hinsichtlich seiner theologischen Bedeutung und Relevanz kaum näher begründet. Dies überrascht insbesondere angesichts der Tatsache, dass – wie andere Schriften Bonhoeffers aus dieser Zeit belegen – gerade dieser Gedanke in der Kirchenkampfsituation für Bonhoeffer theologisch von zentraler Bedeutung gewesen ist. Die theologischen Fragen, die sich hier für Bonhoeffer ganz aktuell stellten, lauteten: Was ist (heute) Kirche? Wie hat die Kirche auf die Konfrontationen mit der Welt, sie nicht offenbaren, vielmehr sollst du ihn allein strafen und zur Buße rufen, ,so hast du einen Bruder gewonnen‘.“ (N 289). 94 Verdeutlichend: „Hört er dich aber nicht, sondern verharrt er in seiner Sünde, so sollst du abermals nicht sogleich die Sünde offenbaren, sondern sollst dir einen oder zwei Zeugen suchen (Matth. 18,15 f.). Des Zeugen bedarf es sowohl wegen des sündigen Tatbestandes – d. h. ist derselbe nicht zu erweisen und wird er von dem Gemeindeglied geleugnet, so befehle man die Sache Gott; Zeugen, nicht Inquisitoren sind die Brüder! – als auch wegen der Verstockung des Sünders gegen die Buße. Die Heimlichkeit der Zuchtübung soll dem Sünder die Umkehr erleichtern.“ (N 289). 95 Verdeutlichend: „Hört er auch jetzt nicht oder ist die Sünde sowieso schon offenbar vor der ganzen Gemeinde, dann ist es Sache der ganzen Gemeinde, den Sünder zu ermahnen, zur Umkehr zu rufen (Matth. 18,17; cf. 2. Thess. 3,14). Ist der Sünder Träger eines Amtes der Gemeinde, so soll er nur auf zweier oder dreier Zeugen Anklage hin verklagt werden. […] (1. Tim. 5,20). Nun ist die Gemeinde aufgerufen, mit dem Amtsträger zusammen das Schlüsselamt zu verwalten. Der öffentliche Spruch bedarf der öffentlichen Vertretung der Gemeinde und des Amtes […] (1. Tim. 5,21); denn nun soll Gottes eigenes Urteil über den Sünder ergehen.“ (N 289 f) Es folgt in der N der nun oben zitierte Text.

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denen sie (heute) ausgesetzt wird, zu reagieren? In seinem Aufsatz „Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft“ vom Juni 1936 (DBW 14, 655 – 680) greift Bonhoeffer diese Fragen auf und begründet ausführlich die Vorrangstellung der ersten der beiden Fragen. Der „reformatorische und insbesondere der lutherische Begriff [sc. der Kirche] sagt zuerst, was die Kirche sei, und läßt die Frage nach den Grenzen der Kirche offen“ (DBW 14, aaO., 655; Hervorhebung durch F.S.). Würde die Frage nach dem Umfang der Kirche als erste Frage von der Kirche selbst gestellt, dann wäre diese Kirche sogleich eines „gesetzlichen Verständnis[ses] des evangelischen Kirchenbegriffs“ überführt. „Die Kirche verfügt nicht über ihre Grenzen und ihren Umfang.“ (DBW 14, aaO., 660) Die Frage nach den Grenzen stellt sich für die Kirche erst dort, wo sie mit ihren (für sie selbst unsichtbaren) Grenzen auf Widerstand stößt, dann also, wenn ihr universeller, an die gesamte Welt ausgerichteter grenzenloser Heilsspruch von außen dadurch eine Grenze erfährt, dass er verworfen wird (vgl. DBW 14, aaO., 659). Wer den Heilsruf der Kirche freilich nicht als Evangelium zu hören vermag, der hört ihn als Gesetz. Und als Gesetz verstanden schließt er nun die ganze Härte der Frage nach dem Umfang der Kirche in sich. […] Hier entspringt die Frage nach dem Umfang der Kirche, nach den Grenzen, nach der Unterscheidung von Erwählten und Verworfenen. (DBW 14, aaO., 658; Hervorhebung durch F.S.)

Jetzt muss die Kirche autoritativ und in „lebendige[r] Entscheidung“ die „jeweils bereits vorhandene Grenze, die von außen gegen sie aufgerichtet ist, zur Kenntnis nehmen und bestätigen“ (DBW 14, aaO., 659 f), will sie sich nicht an die Welt verlieren. Dabei „ist die Kirche nicht ohne Maßstäbe gelassen, auf Grund deren sie die Entscheidungen treffen kann“, auch wenn diese wiederum niemals „als gesetzlich eindeutige Kriterien für die Entscheidung anzuerkennen“ sind (DBW 14, aaO., 660). Mit der Benennung und kritischen Einschränkung dieser Maßstäbe ergeben sich nun für das Verständnis der „Nachfolge“ aufhellende Einsichten. Denn der erste zweier Maßstäbe, die Bonhoeffer nennt, ist die Taufe, deren zentrale Bedeutung für die Theologie der „Nachfolge“ bereits untersucht worden ist. Wird aber die Taufe als eine Bestimmung für die Grenzen der Kirche verstanden, „bereitet diese Umfangsbestimmung die größten Schwierigkeiten“, denn: Sie ist einerseits nicht weit genug (daher alsbald die Lehre von der Begierdetaufe, Bluttaufe und so weiter). Sie ist andererseits nicht eng genug, denn unter den Getauften sind Irrlehrer und tote Glieder, die nicht zur Kirche gehören können. […] Zwar kann die wahre Kirche niemals den Anspruch aufgeben, daß alle Getauften in Wahrheit zu ihr gehören, aber sie muß zugleich zugeben, daß solche da sind, die nicht in ihrer Gemeinschaft stehen. So weiß die Kirche einerseits um eine relative äußere Grenze, die mit der Taufe gegeben ist, und zugleich um eine innere Grenze, die nur einen Teil der Getauften umschließt. (DBW 14, aaO., 660 f)

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Weil sie um die Relativität der durch die Taufe gesetzten Grenze weiß, hat die Kirche gelernt, ihre innere Grenze nicht durch die Taufe, sondern „durch den Begriff der Lehre und des Bekenntnisses zu bestimmen. Das Bekenntnis der Kirche ist konstitutiv für die Kirchengemeinschaft.“ (DBW 14, aaO., 661) Gerade diese These legt Bonhoeffer auch der „Nachfolge“ zugrunde. Auch in der „Nachfolge“ rechnet Bonhoeffer mit „toten Gliedern“ der Gemeinde. Ausdruck dessen ist, dass die Kirche und jede einzelne Kirchengemeinde erfährt, dass die zu beantwortende Grenze auch mitten durch sie selbst, durch die Gemeinschaft der Getauften selbst hindurch verlaufen kann. Gerade auf dem Hintergrund dieser Einsicht sind ja die Ausführungen über „Gemeindezucht“ in der Nachfolge zu verstehen. Weil die Kirche wesenhaft nur die Grenzen feststellen, sie also nicht a priori selbst bestimmen kann, darum ist nach Bonhoeffer auch jedes Gemeindezuchtverfahren immer nur die Bestätigung des Urteils, welches sich der Schuldige selbst zuvor zugesprochen hat (vgl. N 290). Zöge die Kirche selbst, von sich aus, die Grenze zwischen sich und einem ihrer Glieder, verleugnete sie ihr Wesen und hörte auf, Kirche zu sein. Die Gemeinde der Heiligen aber darf darauf vertrauen, dass allein das Ausrichten ihres Heilsrufs („hier ist die Kirche!“, DBW 14, aaO., 658) ihr Anspruch zu sein hat, während die Grenze zur Welt durch die Welt selbst offenbar werden wird. Gerade dieser Gedanke findet sich auch in der „Nachfolge“ reflektiert, und zwar in Bonhoeffers Auslegung des Jesus-Wortes Mt 7,13 – 23 (N 183ff), sodass dieser Abschnitt – Bonhoeffer überschreibt ihn mit „Die große Scheidung“ – mit den Ausführungen über Gemeindezucht in der „Nachfolge“ und zugleich als Bonhoeffers Einschätzung der Bekennenden Kirche gelesen werden kann. Darüber hinaus muss er sich als für die Taufe aufschlussreich erweisen, da diese ja nicht als den Umfang der Kirche bestimmend infrage kommt, obwohl dieser Eindruck sich bei der Lektüre der „Nachfolge“ nahelegt. Nach der vollzogenen Scheidung zwischen Gemeinde und Welt durch Ruf und Eintritt in die Nachfolge bzw. durch die Taufe dringt das Wort Jesu „jetzt richtend und scheidend in die Gemeinde selbst vor. Mitten unter den Jüngern Jesu muß sich die Scheidung immer wieder vollziehen“ (N 185). Von den wahren Christen werden die Scheinchristen geschieden, von den Tätern des Wortes diejenigen, die es bloß mit den Lippen bekennen, bevor (dies am Tage des Gerichts) auch noch diejenigen von jenen geschieden werden, die in ihrem Tun ohne Liebe handeln (vgl. N 186ff, dazu N 286 – 296) Schon auf der ersten dieser drei Stufen stehen die Christen in der äußersten Gefahr, selbst die Grenze zwischen sich selbst und den „falschen Propheten“ unter ihnen96 96 Vgl. N 185 f: „Es werden falsche Propheten unter sie kommen […]. Da steht einer neben mir, äußerlich ein Glied der Gemeinde, es steht ein Prophet, ein Prediger da, dem Schein, dem Wort und Werk nach ein Christ, aber innerlich treiben finstere Gründe ihn zu uns, innerlich ist er ein reißender Wolf, ist sein Wort Lüge und sein Werk Trug. Er weiß sein Geheimnis wohl zu bewahren, aber im Verborgenen treibt er sein dunkles Werk. […] Vielleicht weiß er dies alles selbst nicht, vielleicht verschleiert der Teufel, der ihn treibt, ihm die Klarheit über sich selbst.“

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ziehen zu wollen.97 Von dieser Gefahr befreit Jesus die Seinen durch die Zusage, dass die „Zeit ihres Fruchttragens, […] die Zeit der Unterscheidung“ kommen wird, und zwar ganz gewiss „von selbst“, denn: „Es hilft dem Baum nichts, ob er nicht Frucht tragen will. Die Frucht kommt von selbst.“ (N 186) Die theologische Nähe der „Nachfolge“ zum Aufsatz über die Kirchengemeinschaft wird darin ganz deutlich. Die Grenzen selbst zu ziehen, selbst über den anderen zu richten, ist den Christen unbedingt verboten.98 Ist aber die „Entscheidungszeit […] zwischen Welt und Gemeinde“ gekommen – „und sie kann jeden Tag kommen, nicht nur in großen, sondern auch in ganz geringen, alltäglichen Entscheidungen“ –, ist also offenbar geworden, „was faul ist und was gut“ (N 186), dann ist der Christ aufgefordert, in „Wahrhaftigkeit und Entschlossenheit[…] die fallende Entscheidung Gottes anzuerkennen“ und die von der Welt selbst gezogene und bestimmte Grenze zu bestätigen.99 Die Jünger aber sind, so Bonhoeffer, durch dies Wort Jesu allein „aufgerufen zu festerer Gemeinschaft mit Jesus, zu treuerer Nachfolge“ (N 187). Dasselbe gilt für die zweite Stufe, auf der „Bekenner und Täter“ (N 188) voneinander geschieden werden.100 Dass sich die Scheidung innerhalb der bekennenden Jüngerschaft vollzieht, dass das „Bekenntnis […] keinerlei Anrecht auf Jesus [verleiht]“ (N 187), ist nun im Besonderen vor der Tatsache bemerkenswert, dass Bonhoeffer in dem zeitgleich entstandenen Aufsatz über „Kirchengemeinschaft“ ja gerade das Bekenntnis als Konstitutivum der Kirche nach innen behauptet (vgl. DBW 14, aaO., 661). Der Widerspruch löst sich aber, wenn man die Gestalt des Bekenntnisses betrachtet, von der die „Nachfolge“ hier redet. Das nur gesprochene Bekenntnis wird in diesem Zusammenhang als in der ständigen Gefahr stehend beschrieben, dass der Be97 Vgl. N 186: „Es könnte ein tiefes Mißtrauen, ein argwöhnisches Beobachten und ein ängstlicher Richtgeist in die Gemeinde einziehen. Es könnte ein liebloses Verurteilen jedes Bruders, der in Sünde fällt, auf dieses Wort Jesu [sc. Mt 7,15 – 20] hin eintreten.“ 98 Vgl. hierzu Bonhoeffers Exegese zu Mt 7,1ff in N 176 ff. 99 N 187. Es mag gegen Bonhoeffers Argumentation der Einwand erhoben werden, das alles sei nur ein hermeneutischer Trick, de facto werde auch hier aktiv unterschieden. Theologisch wird dieser Einwand kaum entkräftet werden können. Zweifellos stellt sich Bonhoeffer im Kirchenkampf aber gegen solche, welche die Loslösung von der Reichskirche ohne theologischbegründetes Fundament einfordern – und mit dieser Beobachtung treffen wir auf ein durchaus zentrales Merkmal Bonhoefferschen Denkens: Je größer die Bedrängung der Kirche Jesu Christi, desto wichtiger ist für Bonhoeffer die theologische Begründung und Verankerung ihres Redens und Handelns. Zugleich ist diese Theologie von der Haltung christlichen Glaubens geleitet; dies wird deutlich, wenn man bedenkt, dass (auch) Bonhoeffers Überlegungen zur Bestimmung von Umfang und Grenzen der Kirche an der Frage nach der Verheißung, dem Willen und der Souveränität Gottes ausgerichtet bleiben. 100 Vgl. N 187: „Nach der Scheidung zwischen Welt und Gemeinde, zwischen Scheinchristen und wahren Christen greift nun die Scheidung in die bekennende Jüngerschar hinein. […] Mitten durch die bekennende Gemeinde hindurch wird die Scheidung gehen. […] Niemand kann sich einmal auf sein Bekenntnis berufen. Daß wir Glieder der Kirche des rechten Bekenntnisses sind, ist kein Anspruch vor Gott. Wir werden nicht auf Grund dieses Bekenntnisses selig werden.“

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kennende sich selbst gerade durch sein Bekenntnis und allein durch dieses vor Gott ins Recht setzen zu können meint (vgl. N 188). Hier würde Bekenntnis zu einem Werk und somit einem Instrument der Selbstrechtfertigung. Dem stellt Bonhoeffer den Täter des Wortes Jesu als den wahren Bekenner entgegen, der durch sein gehorsames, im Glauben sich vollziehendes Tun das rechte Bekenntnis spricht.101 Ausgehend von der Frage nach der kirchlichen Grenze, findet sich die zentrale Aussage über das Verständnis wahren Bekenntnisses und d. h. wahren Glaubens in der „Nachfolge“ damit bestätigt: Jesus Christus als seinen Herrn zu bekennen heißt nicht, den Glauben nur durch Worte zu versichern, sondern heißt, Gottes Willen einfältig zu tun, in Gehorsam und Wagnis gegen sein Gebot den Glauben an ihn zu beglaubigen und gerade so zu bekennen. Erst dann wird Glaube wirklich und wirklich bekannt, wobei nun gerade das Tun seinerseits in der Gefahr steht, zum Korrelat der Rettung am jüngsten Tag zu werden. Deshalb folgt als letzte Stufe der Scheidung diejenige zwischen solchen, die in der Einfalt der Nachfolge Jesu Gebote tun, und solchen, die sich „[…] anstatt auf ihr Bekenntnis eben auf dieses ihr Tun [berufen]“ (N 188), die „die Werke der christlichen Liebe selbst […] ohne Liebe, ohne Christus, ohne den heiligen Geist“ (N 189) tun.102 Daraus ergibt sich, dass die Gemeinde der Heiligen angewiesen ist, ihren Blick nicht auf das eigene Bekenntnis, nicht auf den eigenen Gehorsam, nicht auf die eigene Nachfolge zu richten.103 Im Gericht bleibt nur „sein Wort“, das Wort dessen, der selbst das Wort ist (vgl. Joh 1 u. a.): Sein Wort am jüngsten Gericht – es ergeht an uns in seinem Ruf in die Nachfolge. Aber es bleibt vom Anfang bis zum Ende allein sein Wort, sein Ruf. Wer sich in der Nachfolge an nichts hält und klammert als an dieses Wort, wer alles andere fahren läßt, den wird dieses Wort durchs letzte Gericht tragen. Sein Wort ist seine Gnade. (N 190)

Die Kirche greift, indem sie bindet und löst, also nicht dem Gericht Gottes vor, sie verwaltet aber Gottes Schlüssel auf Erden, und zwar so, dass sie den Blick 101 Vgl. N 188: „Jener ist der sich selbst durch sein Bekenntnis rechtfertigende, dieser, der Täter, der auf Gottes Gnade bauende, gehorsame Mensch. Hier wird also gerade das Reden des Menschen zum Korrelat seiner Selbstgerechtigkeit, das Tun aber zum Korrelat der Gnade, der gegenüber eben der Mensch nichts mehr anderes vermag als demütig zu gehorchen und zu dienen. […] Dieser Täter des Willens Gottes ist gerufen, begnadigt, er gehorcht und folgt. Er versteht seinen Ruf nicht als Recht, sondern als Gericht und Begnadigung, als den Willen Gottes, dem allein er gehorchen will. Die Gnade Jesu fordert den Täter, das Tun wird so die rechte Demut, der rechte Glaube, das rechte Bekenntnis zur Gnade des Berufers.“ 102 Vgl. N 188 f: „Sie wissen, daß das Bekenntnis nicht rechtfertigt, darum sind sie hingegangen und haben durch Taten den Namen Jesu unter den Leuten groß gemacht. Nun treten sie vor Jesus hin und weisen auf dieses Tun.“ 103 Vgl. N 189 f: „Woran sollen wir uns halten, wenn wir hören, wie Jesu Wort die Scheidung vollzieht zwischen Gemeinde und Welt und dann in der Gemeinde bis zum jüngsten Tag, wenn uns nichts mehr bleibt, nicht unser Bekenntnis, nicht unser Gehorsam?“

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allein auf Christus lenkt. Dies geschieht durch Beichte und Gemeindezucht, die ganz im Dienste einer „Verschonung vor der Strafe des letzten Gerichts“ (N 288) stehen. Das Tun und das Bekenntnis, der Gehorsam und der Glaube werden davor bewahrt, anders als einfältig auf Christus gerichtet zu sein. Das Kapitel über die Absonderung von Gemeinde und Welt abschließend, bleibt zu erörtern, aus welchem Grunde Bonhoeffer die Zusammenhänge von Taufe und Umfang der Kirche in der „Nachfolge“ nicht deutlicher macht, anders gefragt: Warum nimmt er es in Kauf, dass die Taufe als Konstitutivum der Kirchengemeinschaft erscheint, ohne es zu sein? Sowohl eine theologische als auch eine textpragmatische Antwort sind denkbar. Theologisch geht es Bonhoeffer in der „Nachfolge“ darum, das Sakrament der Taufe in seiner eigentlichen inhaltlich-begrifflichen Fülle zur Geltung zu bringen: Taufe in ihrer Verbindung zu Glaube, Gehorsam und Bekenntnis, Getauftsein in seiner Verbindung zu glauben, gehorchen und bekennen. Der Differenzierung zwischen Anspruch der Kirche („daß alle Getauften […] zu ihr gehören“) und ihrem Wissen (dass unter den Getauften „solche sind, die nicht in ihrer Gemeinschaft stehen“: „Irrlehrer und tote Glieder“),104 wie Bonhoeffer sie in dem Aufsatz „Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft“ entfaltet hat, legt er in der „Nachfolge“ zugunsten des Anspruchs der Kirche aus. Dies entspricht zugleich der zweiten, textpragmatischen Antwort, die im Zuge der Arbeit zu besprechen sein wird: Bonhoeffers Interpretation der Taufe bzw. der Taufgemeinde besitzt dezidiert appellative Absicht.

3.2.2 Das Verhältnis der Gemeinde zur Welt: Der zuwendende Aspekt Zu Beginn der Ausführungen über die Zuwendung der Christen zur Welt, die der ,positiven‘ Seite des Weltbegriffs entspricht, sei zunächst an die Ambivalenz dieser Zuwendung erinnert, die darin besteht, dass im Grunde jede Zuwendung der Christen zur Welt sogleich ihre Weltfremdheit und ihre Andersartigkeit von der Welt zum Ausdruck bringt. Gerade indem die Heiligen sich dem Willen Christi unterordnen, diesen Willen gehorsam und glaubend tun und damit die Herrschaft Christi in der von Gott angenommenen (vgl. N 231 u. a.) und schon entmächtigten Welt (vgl. N 259 u. ö.) bezeugen, erkennt die Welt die Gemeinde Christi stets als die „Fremdlinge“ (N 103ff; 263ff u. ö.), deren sie sich zu entledigen sucht (vgl. N 263 u. a.). In ihrem täglichen Leben mitten in der Welt wird die Weltfremdheit der Heiligen offenbar und sichtbar (vgl. N 261 u. a.), und gerade indem die Christen für die Welt da sind, vermeiden sie ein der Welt Gleichsein und bewahren sie das Siegel des Heiligen Geistes. Indem im Folgenden vor allem das mittlere Drittel der „Nachfolge“ zur Darstellung kommt – die Bergpredigt und die Sendungsrede, die Bonheoffer 104 DBW 14, Aufsatz vom Juni 1936: Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft, 661.

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in die Mitte seines Buches stellt und von denen her das Leben der Jünger wesentlich mitbestimmt ist –, wird gezeigt, dass der sich der Welt zuwendende Aspekt die „Nachfolge“ viel stärker durchdringt als bislang in der Forschung angenommen. Die Darstellung von Bonhoeffers Gedanken gliedert sich in zwei Abschnitte: Ein erster Teil fragt, wem das Handeln der Christen eigentlich gilt und wie es begründet ist; in einem zweiten Teil folgt darauf die Analyse der konkreten Gestalt der Gebote, sofern eine solche Bestimmung, da es sich stets um in Verkündigung geschehene Aktualisierungen handelt, überhaupt möglich ist. 3.2.2.1 Zur ethischen Konzeption der „Nachfolge“ Mit der Zuwendung der Heiligen zur Welt tritt die Frage nach grundsätzlichen ethischen Bestimmungen der „Nachfolge“ in den Blick, eine Frage, die besonders in den Gesamtdarstellungen H. Müllers, R. Mayers und E. Feils verhandelt wurde und deren Interpretationsvorschläge hier kurz vergegenwärtigt seien: Müller hat für die „Nachfolge“ den Begriff „kirchliche Ethik“ eingeführt, die, ihm zufolge, zweierlei besagt: Kirchliche Ethik ist Ausdruck der Untrennbarkeit der Ethik von der Rechtfertigung, heißt also, dass der gerechtfertigte Sünder im Glauben als Glied der Kirche gehorsam handelt.105 Kirchliche Ethik ist der „Gehorsam der Jünger“.106 Als solche Ethik ist das Handeln der Jünger – das ist der zweite Aspekt – auf die Kirche beschränkt. In seiner „Ethik“ betrachte Bonhoeffer dann das „Handeln der Christen in der Welt“,107 das Müller (verstanden als Handeln der Christen nicht allein in der Kirche, sondern über ihren Raum hinaus) als „christliche Ethik“ bezeichnet. In „Widerstand und Ergebung“ schließlich öffne sich Bonhoeffer einer „profanen“ oder „weltlichen Ethik“, die darin ihr Kennzeichen hat, dass sie alle Menschen als Handelnde in Anspruch nimmt. Mayer übernimmt die Bezeichnung „kirchliche Ethik“ zur Beschreibung der „Nachfolge“, widerspricht Müller aber in der Annahme, dass das Handeln der Jünger in der „Nachfolge“ auf den Raum der Kirche begrenzt bleibe,108 und darin, dass es für Bonhoeffer überhaupt „neben der durch die Christuswirklichkeit in der Kirche bestimmten Ethik noch eine andere Ethik geben könne“.109 In diesem Sinne fasst Mayer als „kirchliche Ethik“ zusammen, was bei Müller in „kirchliche“ und „weltliche“ Ethik unterschieden ist, und lehnt zugleich die Möglichkeit einer „profanen Ethik“ ab.110 Der Unterschied der ethischen Konzeption der „Nachfolge“ zur derjenigen der „Ethik“ bestehe 105 106 107 108 109 110

Vgl. H. Mller, Von der Kirche zur Welt, 197. H. Mller, Von der Kirche zur Welt, 264. H. Mller, Von der Kirche zur Welt, 264. Vgl. Mayer, Christuswirklichkeit, 105. Mayer, Christuswirklichkeit, 105; im Original kursiv. Vgl. Mayer, Christuswirklichkeit, 106.

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nicht darin, dass erst dort „das konkrete Gebot […] auch den Raum der Welt in Anspruch nimmt“, sondern darin, dass Bonhoeffer den Bereich der „Christuswirklichkeit“, der in der „Nachfolge“ noch auf die Kirche beschränkt gewesen sei,111 auf die Wirklichkeit der Welt ausdehne.112 Feil übernimmt (auch wenn er sich ausdrücklich von ihm abgrenzen will) im Grunde Mayers Interpretation, wenn er die „Ethik“ darin im Kontrast zur „Nachfolge“ sieht, dass sich hier ein „christologisch fundiertes positives Weltverständnis“ durchsetze, ein Weltverständnis, demzufolge „die Welt die in Christus angenommene Welt“ sei und das „die Kirche für die Welt dasein läßt“, während in der „Nachfolge“ Christus nicht als „Christus pro aliis“, sondern als „Christus pro nobis“ gedacht sei und insofern Christusnachfolge und Welt dort einander „diametral gegenüber“ stünden.113 Alle drei Interpretationen stimmen darin überein, dass sie im Übergang von der „Nachfolge“ zur „Ethik“ eine Ausweitung der „Christuswirklichkeit“ bei Bonhoeffer feststellen: In der „Nachfolge“ ist Christus der Herr und Versöhner der Kirche, in der „Ethik“ der Herr und Versöhner der ganzen Welt. Dieser Einschätzung wurde im Rahmen dieser Untersuchung widersprochen, indem das Verständnis von Welt und das Verständnis von Versöhnung der Welt durch Christus in der „Nachfolge“ und in der „Ethik“ als einheitlich nachgewiesen worden sind. Müller und Feil leiten aus den Bestimmungen über die Reichweite der Christuswirklichkeit sodann ein auf die Kirche – ganz (Müller) oder wesentlich (Feil) – beschränktes Ethikverständnis der „Nachfolge“ ab, wohingegen sich das Handeln der Jünger in der „Ethik“ auch auf die Nicht-Kirche, die Welt, beziehe. Diese Einschätzung wird im Folgenden einer kritischen Überprüfung unterzogen. Analog zur obigen Betrachtung des Weltbegriffs, wird dabei so verfahren, dass zunächst das Ethikverständnis der „Ethik“ und dann dasjenige der „Nachfolge“ untersucht wird, um von dortaus zu einer Einschätzung zu gelangen, wie sich beide Schriften zueinander verhalten. Der Bonhoeffers „Ethik“ eignende Begriff von Ethik folgt im Grunde einer Bestimmung, die Bonhoeffers Denken schon Jahre zuvor kennzeichnet: dass nämlich die Rechtfertigung eigentlich das Ende der Ethik – der Ethik im Sinne der Frage nach gutem Handeln – bedeute,114 da „alle Gesetze und Normen […] Abstraktionen [sind], so lange nicht Gott als die letzte Wirklichkeit geglaubt wird“ (E 32). Die Frage nach dem Guten Handeln und dem eigenen Gutsein kann daher, so Bonhoeffer in der „Ethik“, „nur in Christus ihre Antwort finden“ (E 33), der jene Fragen gerade „von vornherein als der Sache unangemessen“ (E 31) entlarvt, indem er sich selbst als die einzig gültige Wirk111 112 113 114

Vgl. z. B. Mayer, Christuswirklichkeit, 105 f. Vgl. Mayer, Christuswirklichkeit, 166. Feil, Die Theologie, 290 f. So DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 180.

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lichkeit erklärt. „Die Frage nach dem Guten wird zur Frage nach dem Teilhaben an der in Christus offenbarten Gotteswirklichkeit.“ (E 34 f) Die ethische Frage führt danach zur Frage der Rechtfertigung, sodass also das Anliegen der christlichen Ethik „das Wirklichwerden der Offenbarungswirklichkeit Gottes in Christus unter seinen Geschöpfen“ ist (E 34). Von diesen hier in aller Kürze skizzierten Grundgedanken aus lassen sich für unseren Zusammenhang drei zentrale Aspekte herausstellen, die für die gesamte „Ethik“ charakteristisch sind: 1. Ethik ist für Bonhoeffer grundsätzlich an Christus gebunden, ist Christusethik, und gibt es für Bonhoeffer als echte Ethik nur im Raum der Kirche, denn sie ist der Raum, in dem die Wirklichkeit Christi, der die ganze Welt – die ganze Wirklichkeit der Welt – trägt, geglaubt wird. Insofern ist echte Ethik stets kirchliche Ethik. 2. Der Anspruch Christi ist es, dass die ganze Welt ihn als Christus glaubt, dass also die Welt jede von ihm losgelöste Ethik als abstrakte Ethik erkennt, die kirchliche Ethik (im Sinne der unter 1. beschriebenen) hingegen – d. h. das einfältige Tun der Gebote Christi im Glauben an ihn – als einzige echte Ethik.115 (Alles Tun in der Bindung an Christus geschieht ja nicht um des Tuns selbst, sondern um Christi willen und im Glauben an ihn.) Insofern ist Ethik immer Christusethik. Insofern aber, als sie die ganze Welt für sich beansprucht, ist diese Christusethik immer weltliche Ethik. 3. Dass Jesus der Christus ist und Christus die ganze Welt trägt, dass die Ethik der Kirche allein echte Ethik ist (und darin echte, dass jede andere denkbare Ethik als unechte verworfen wird), wird in der Kirche geglaubt und der Welt verkündigt. Die Kirche verkündigt den Anspruch Christi auf die (ganze) Welt. Zugleich handelt sie an der Welt, wie Christus selbst an der Welt handelt, indem er sie trägt und für sie da ist. Der Schlüsselbegriff, der das Verhältnis der Kirche zur Welt in der „Ethik“ kennzeichnet, ist der Begriff der Verantwortung. Betrachtet man nun die „Nachfolge“, so ist festzustellen, dass Bonhoeffer in dieser Schrift von mit denen der „Ethik“ identischen Grundbestimmungen her argumentiert, wenn auch freilich in anderer Sprache und Terminologie, die dem jeweiligen Genus der beiden Bücher entsprechen bzw. geschuldet sind. 1. Die Grundannahme der „Ethik“, dass alle von Christus losgelöste Ethik abstrakt bleiben muss, und es in der – sofern von einer solchen gesprochen werden kann – christlichen Ethik um das „Teilhaben an der in Christus offenbarten Gotteswirklichkeit“ (E 35) geht, begegnet in der „Nachfolge“ in drei Varianten: a. Wenn Bonhoeffer den Ruf Jesu in die Nachfolge auslegt, dann grenzt er dieses Gebot von einer ethischen Bewertungsmöglichkeit grundsätzlich ab; es 115 Vgl. dazu E 301: Weil christliche Ethik damit einsetze, das „Wissen um Gut und Böse“ als das scheinbare Ziel aller sonstigen christlichen Besinnung aufzuheben, darum wird es fraglich, „ob es einen Sinn hat, überhaupt von christlicher Ethik zu sprechen“.

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geht „nicht um Ideale, Wertungen, Verantwortlichkeiten […], sondern um vollzogene Tatsachen und ihre Anerkennung“ (N 89). Damit ist der Blick nicht auf „dieses oder jenes Tun“ gelenkt, sondern darauf, dass es „immer um die Entscheidung für oder gegen Jesus Christus geht“ (N 216). Gerade diesem Sachverhalt entspricht die Behauptung Bonhoeffers, Jesus sei der einzige Inhalt der Nachfolge (vgl. N 46 f, 65 u. a.).116 Deshalb hat jedes „Gebot Jesu sein Ziel immer darin, daß es Glauben fordert aus ungeteiltem Herzen“ (N 217). Alle Ethik ist damit streng in Rechtfertigung und Heiligung verankert. Gut ist nur das Handeln der Jünger als den Glaubenden, als den Gehorsamen in der Bindung an Jesus Christus. b. Hierzu korrespondiert der Begriff des einfältigen Gehorsams, mittels dessen sich Bonhoeffer argumentativ dezidiert wiederum gegen eine ethische Bewertung der Gebote wendet. Es geht gerade nicht um die Frage, ob ein Gebot in irgendeinem Sinne gut oder schlecht sei, sondern um den Gehorsam als die Manifestation des Glaubens an Jesus, den Christus. Dieser Glaube aber rechtfertigt. c. Desgleichen verhält es sich mit dem Begriff der „besseren Gerechtigkeit“, den Bonhoeffer in der „Nachfolge“ innerhalb seiner Auslegungen von Mt 5,17ff einführt. Begründet darin, dass Jesu Jünger „sich nicht einem unerfüllten, sondern einem bereits erfüllten Gesetz gegenüber“ sehen (N 120) – denn Christus selbst als der Mittler „erfüllt das Gesetz […] bis zum Iota“117 – ist das Tun der Jünger eine „bessere Gerechtigkeit“. Darin ist der Jünger Gerechtigkeit „besser“ als die der Pharisäer, daß sie allein auf dem Ruf in die Gemeinschaft dessen beruht, der allein das Gesetz erfüllt; darin ist der Jünger Gerechtigkeit wirkliche Gerechtigkeit, daß sie nun selbst den Willen Gottes tun, das Gesetz erfüllen. (N 121; Hervorhebung durch F.S.)

Die „bessere Gerechtigkeit“ ist aber gerade „nicht nur ein zu leistendes Gut, sondern die vollkommene und wahre persönliche Gottesgemeinschaft selbst“ 116 Vgl. N 46 f, 65 u. a. Vgl. dazu Thurneysen, Bergpredigt, 5: Wenn gilt, dass „das einzig mögliche Verständnis der Bergpredigt […] das christologische“ ist, dann wäre Jesus „selber der wahre Inhalt aller seiner Worte“. 117 N 117. Noch einmal begründet Bonhoeffer hier die Zusammengehörigkeit von Gnade und Tun: Jesus ist „gekommen, das Gesetz des Alten Bundes zu erfüllen. Das ist die Voraussetzung von allem anderen. Jesus gibt seine völlige Einheit mit dem Willen Gottes im Alten Testament, in Gesetz und Propheten zu erkennen.“ Gerade als der, welcher allein das Gesetz tut und „erfüllt […] bis zum Iota“ (N 117), ist Jesus der Christus, der durch seinen Tod am Kreuz Gottes alleinige Gerechtigkeit beweist. Vgl. N 118 f: „Die Erfüllung des Gesetzes, von der Jesus spricht, kann mithin nicht anders geschehen, als daß Jesus als Sünder ans Kreuz geschlagen wird. Er selbst als der Gekreuzigte ist die vollkommene Erfüllung des Gesetzes. Damit ist gesagt, Jesus Christus und er allein erfüllt das Gesetz, weil er allein in der vollkommenen Gemeinschaft Gottes steht.“ Vgl. auch N 270ff u. a. Denn der Jünger Jesu sieht „sich nicht einem unerfüllten, sondern einem bereits erfüllten Gesetz gegenüber. Ehe er anfängt dem Gesetz zu gehorchen, ist das Gesetz schon erfüllt, ist seiner Forderung schon genuggetan. Die Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, ist schon da; es ist die Gerechtigkeit Jesu, der ans Kreuz geht um des Gesetzes willen.“ (N 120).

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(N 120), in den Worten der „Ethik“ gesprochen: Die bessere Gerechtigkeit ist „Teilhaben an der in Christus offenbarten Gotteswirklichkeit“ (E 35), denn es „hat Jesus nicht nur die Gerechtigkeit, sondern er ist sie auch selbst“ (N 120). Er hat die Jünger, indem er ihnen teilgegeben hat an sich selbst, zugleich seiner Gerechtigkeit teilhaftig werden lassen.118 Es kann also auch niemand die „bessere Gerechtigkeit“ haben, der nicht zuvor im Glauben an die alleinige Gerechtigkeit Gottes im Kreuz an dieser ihm fremden Gerechtigkeit teilbekommen hat. 2. Insofern, als nur derjenige, der „das Gesetz als Christi Wort vernimmt, […] es erfüllen [kann]“ (N 122), ist die „bessere Gerechtigkeit“ der Jünger eine kirchliche Ethik. „Nur der Nachfolgende, der Jesus erkannt hat, empfängt aus diesem Wort [sc. aus jedem Wort Jesu] die Zusage der Liebe des Vaters Jesu Christi und die Freiheit von allen Dingen.“ (N 172) Sofern allein die Jünger das Wort Jesu als Wort Christi hören, diesem Wort einfältig Glauben schenken und ihm einfältig gehorchen, ist die Ethik der „Nachfolge“ streng als Jüngerethik zu verstehen. Sofern Christus-Ethik Jüngerethik ist, ist sie kirchliche Ethik; denn Christus existiert seit Pfingsten als Gemeinde.119 Von denen, die durch die Taufe Glieder an diesem neuen Menschen, am Leibe Christi, die Teil der Jüngergemeinde selbst geworden sind, wird das im Raum der Kirche und durch die Kirche verkündigte Wort als Christi Wort, als lebendiges Wort, als das Wort selbst, als Gottes eigenes Wort geglaubt.120 Dem entspricht, dass Bonhoeffer die Bergpredigt als an die Jünger gerichtetes Wort liest. Nachdem Jesus die Jünger in seine Nachfolge gerufen hat, versammelt er seine Jüngergemeinde um sich herum und richtet sein Wort an sie. Verheißung und Gebot sind den Nachfolgenden am Berghang gesagt. „Jesus spricht zu den Jüngern.“ Nicht dem umherstehenden Volk, der Jesus ebenfalls auf den Berg gefolgten Volksmenge (vgl. N 99 u. ö.), gelten die Worte Jesu, sondern er spricht allein zu seinen Jüngern,121 weil allein sie „begreifen können“, was da gesagt wird (N 109). Als solche, „die schon unter der Gewalt des Rufes stehen“ (N 100), hören sie das Wort Jesu als das Wort Gottes selbst. Zugleich aber trägt Christus ja alle Menschen, und es ist darum auch sein Anspruch, dass alle ihn als Christus glauben. Dem verleiht Bonhoeffer etwa darin Ausdruck, dass das Wort der Bergpredigt zwar allein den Jüngern gilt, sofern diese es als Gotteswort aufnehmen, dass aber auch das ganze übrige Volk hört, was Jesus sagt. Diese Volksmenge, die Welt, ist so vor die Entscheidung der Nachfolge, des Glaubens, gestellt. Sogleich das erste gesprochene Wort, die Seligpreisung Jesu, „soll […] allen zur Entscheidung und zum Heil werden“ (N 101).

118 119 120 121

Vgl. N 121; vgl. zudem 157, 229, 232, 241, 248, 254, 268. Siehe oben Kap. 2.5.1. Siehe hierzu oben Kap. 2.5.2.1. Vgl. N 100, 109, 116, 172; vgl. übereinstimmend Tietz, Nur der Glaubende ist gehorsam, 179.

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Alle sind gerufen zu sein, was sie in Wahrheit sind. Seliggepriesen werden die Jünger um des Rufes Jesu willen, dem sie gefolgt sind. Seliggepriesen wird das ganze Volk Gottes um der Verheißung willen, die ihm gilt.122

Keineswegs will Bonhoeffer die Gebote Jesu Christi exklusiv an die Jünger gerichtet verstehen; sondern das Ziel dieser Worte ist (in Richtung auf die Jünger) die Erhaltung und Bewahrung der Nachfolgegemeinde und (in Richtung auf die Nicht-Jünger und d. h. die zur Welt Gehörenden) die Schöpfung der Gemeinde.123 Es ist eine kleine Gemeinde, die er [sc. Jesus] gefunden hat, und es ist eine große Gemeinde, die er sucht, wenn er das Volk ansieht. (N 100) Es konnte ihm nicht genug sein, daß einige wenige seinen Ruf gehört hatten und ihm nachfolgten. Er konnte nicht daran denken, sich mit seinen Jüngern aristokratisch abzusondern und in der Weise großer Religionsstifter ihnen in der Abgeschiedenheit von der Menge des Volkes die Lehren höherer Erkenntnis und vollkommener Lebensführung zu übermitteln. Jesus war gekommen, er arbeitete und er litt um seines ganzen Volkes willen. […] Sein Evangelium vom Reiche Gottes und seine Heilandskraft gehörte den Armen und Kranken, wo er sie in seinem Volke fand. (N 193 f; Hervorhebung durch F.S.)

Ihrem Geltungssinn nach ist die Christusethik der „Nachfolge“ ebenso wie die Christusethik der „Ethik“ weltliche Ethik. 3. Ihrem Geltungssinn nach kann aber auch die Jüngerethik – die kirchliche Ethik – weltliche Ethik genannt werden. Seinen Jüngern überträgt Jesus die 122 N 101; Hervorhebung durch F.S. Obgleich Bonhoeffer seine Ansichten über die Verhältnismäßigkeit von Glauben und Gehorsam sogleich in den ersten Kapiteln der N dargelegt hat, mag die (in ausgesprochener Form erstmals) innerhalb dieser Passage begegnende Verbindung von Entscheidung und Heil des Menschen zur Einrede des protestantischen, im Besonderen des lutherischen Lesers führen. Es scheint, als sei das Heil des Menschen an eine jederzeit zu treffende Entscheidung des Menschen geknüpft, als werde die zum Heil allein notwendige Gnade Gottes übergangen. Hierbei ist nun aber der kurze, im obigen Abschnitt schnell überlesene Zwischensatz zu Rate zu ziehen, zeigt er doch die theologische Linie an, in der Bonhoeffer auch hier zu reden beabsichtigt, nämlich die Linie lutherischer Rechtfertigungstheologie: „Alle sind gerufen zu sein, was sie in Wahrheit sind“ (N 101). Das bedeutet: Sie sollen Sünder sein, sie sollen sich als solche erkennen. „Du bist ein Sünder, so sei nun auch ein Sünder“ (N 35; Hervorhebung durch F.S.), so hatte Bonhoeffer gleich zu Beginn der N das lutherische „pecca fortiter“ in seinem Kern ausgelegt. Deutlich wird: Das an die Jünger und ebenfalls an die Nicht-Jünger gerichtete Wort Jesu hat sein Ziel im Erkennen der eigenen Sündhaftigkeit und Ungerechtigkeit – gerade darum, weil sein Ziel das Heil des Menschen ist. Die Hörer des Wortes Christi sind Sünder, und sich als solche zu erkennen sind sie von Christus gerufen. Der Weg zu dieser Erkenntnis führt in Bonhoeffers Nachfolge-Theologie aber allein über den Gehorsam gegen das Wort Christi, den es seinerseits nur im Glauben, nämlich als Glaubensschritt, gibt (vgl. N 52). Insofern aber kann Bonhoeffer von einer Entscheidung des Menschen sprechen, die vom Worte Jesu her eingefordert werde. 123 In N 275 beschreibt Bonhoeffer „Rechtfertigung und Heiligung in dem Verhältnis von Schöpfung und Erhaltung“. Für diejenigen, die bereits in der Nachfolge Jesu stehen, ist sein Wort heiligendes, sie im Heiligtum Gottes erhaltendes, bewahrendes Wort. Für diejenigen, die durch das Wort Jesu vor die Entscheidung zur Nachfolge gestellt werden, ist sein Wort berufendes, schöpfendes Wort.

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„ganze Erde“ (N 111), und zwar in zweierlei Weise: Im Missionsbefehl (vgl. Mt 28,19 f) ist ihnen gesagt, das Wort ihres Herrn, das Evangelium vom Reiche Gottes, der ganzen Welt zu verkündigen. Zugleich ist das Leben der Jünger in jedem Moment dadurch gekennzeichnet, dass sie „in der Einfalt christlichen Gehorsams“ (N 148) die Welt lieben, und – in der Terminologie von „Widerstand und Ergebung“ ausgedrückt – für andere da sind. Diese Liebe der Nachfolgenden zu allen Menschen ist ein zentrales Anliegen der „Nachfolge“: Es ist dies das Kennzeichen des Christlichen schlechthin, das peqissºm. Von dem „Tun der Gerechtigkeit durch die Jünger“, schreibt Bonhoeffer zu Beginn der Bergpredigtauslegung, „redet alles folgende. Es heißt mit einem Wort Nachfolgen“ (N 121) – Tun der Gerechtigkeit ist kein ethisches Programm, sondern ist Nachfolge als Bindung an Christus. Es wird dieser Arbeit jetzt darum zu gehen sein, die „bessere Gerechtigkeit“ der Jünger auf die wichtigsten theologischen Aspekte hin zu untersuchen, um die, wenn man so will, ethische Seite von Bonhoeffers Nachfolgebegriff deutlich zu machen.

3.2.2.2 Liebe und Dienst der Heiligen: Nachfolge als Dasein für Andere Die Bearbeitung der These, dass die Liebe und der Dienst der Nachfolgenden an allen Menschen eines der zentralen Anliegen Bonhoeffers auch in der „Nachfolge“ ist, nimmt ihren Ausgangspunkt in der Verdeutlichung dessen, worin das Dasein-für-Andere der Jünger theologisch begründet ist. Die Liebe der Nachfolgenden zur Welt liegt nicht begründet in der Welt selbst, auch nicht in dem Willen der Jünger, nicht in „ethischer Rigorosität“ (N 148) oder Ethik „in der Gestalt politisch-sozialer Programmatik“ (N 102). Sie ist allein gerechtfertigt durch die Liebe Gottes zur Welt (vgl. N 92): Der Menschgewordene, der die ganze Welt trägt, „macht seine Jünger zu Brüdern aller Menschen. Die ,Philanthropie‘ (Tit. 3,4) Gottes, die in der Menschwerdung Christi offenbar wurde, begründet die Bruderliebe der Christen zu allem, was Mensch heißt auf Erden.“ (N 301; Hervorhebung durch F.S.) In einfältigem Gehorsam gegen sein Wort erweist die Gemeinde Christi „[a]llen Menschen […] die Liebe ihres Herrn“ (N 266; Hervorhebung durch F.S.). Weil Gott selbst in Christus „den Menschen ein Bruder wurde“ und seine Barmherzigkeit niemals nach der eigenen Ehre und Würde fragte, darum müssen auch die Jünger barmherzig sein, „alle eigene Ehre und Würde vergessen und allein die Gemeinschaft der Sünder suchen“ (N 106) Darin liegt der letzte Grund, warum Gott sich nicht mehr vom Bruder trennen lassen will. Sein leiblicher Sohn wurde entehrt, geschmäht, um der Ehre des Vaters willen. Aber der Vater läßt sich nicht von seinem Sohn trennen, nun will er sich auch von denen nicht trennen lassen, denen sein Sohn gleich wurde, um derentwillen sein Sohn Schmach trug. Um der Menschwerdung des Sohnes Gottes willen ist Gottesdienst

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vom Bruderdienst nicht mehr zu lösen. […] In Jesus wurde Dienst am geringen Bruder und Gottesdienst eins.124

Jesus Christus Nachfolgen heißt, nicht auf die eigene Not, den eigenen Mangel schauen, sondern zu „fremder Not, fremder Niedrigkeit, fremder Schuld“ hingehen, sie aufsuchen. Diese Besitzlosen, diese Fremdlinge, diese Ohnmächtigen, diese Sünder, diese Nachfolger Jesu […] haben eine unwiderstehliche Liebe zu den Geringen, Kranken, Elenden, zu den Erniedrigten und Vergewaltigten, zu den Unrechtleidenden und Ausgestoßenen, zu allem, was sich quält und sorgt; sie suchen die in Sünde und Schuld Geratenen. Keine Not ist zu tief, keine Sünde zu furchtbar, die Barmherzigkeit geht zu ihr ein. Die eigene Ehre schenkt der Barmherzige dem in Schande Geratenen und nimmt dessen Schande auf sich. Er läßt sich finden bei den Zöllnern und Sündern und trägt die Schmach ihrer Gemeinschaft willig.125

In diesem Zusammenhang ist herauszustellen, dass Bonhoeffer eine Unterscheidung von Bruderliebe und Nächstenliebe fremd ist. Die Liebe der Jünger macht – nach Bonhoeffers Interpretation – keinen Unterschied zwischen Glaubensschwestern und -brüdern und denen, die nicht zur christlichen Gemeinschaft gehören.126 Vielmehr „erkennt die Liebe den Anderen als den, dem 124 N 125. Die hier vorgetragene Position Bonhoeffers findet sich in späterer Zeit bspw. in einem Brief an Th. Litt vom 22. 1. 1939: „Allein weil Gott ein armer, elender, unbekannter, erfolgloser Mensch wurde, und weil Gott sich von nun an allein in dieser Armut, im Kreuz finden lassen will, darum kommen wir von dem Menschen und von der Welt nicht los, darum lieben wir die Brüder. Weil es also im christlichen Glauben so steht, daß in der Tat […] das ,Jenseitige‘ sich in das ,Diesseitige‘ hineinbegeben hat aus souveräner Freiheit der Gnade, darum ist der Gläubige nicht zerrissen, sondern er findet an dieser einen Stelle in dieser Welt Gott und Mensch in einem, und von nun an ist Gottesliebe und Bruderliebe unlöslich miteinander vereinigt.“ (DBW 15, 113) Ausgerechnet dieser Brief hatte Feil zur Verteidigung seiner These gedient, im Übergang von der mittleren zur späten Periode von einer „Wendung“ in Bonhoeffers Denken und Werk zu sprechen (Feil, Die Theologie, 290ff; siehe oben Kap. 1.2). 125 N 106. Dabei bleibt – gemäß der obigen Bestimmung von „kirchlicher Ethik“ zu beachten: Der Weg zum Anderen, den der Jünger geht, ist aber niemals unmittelbarer, sondern immer mittelbarer Weg, den der Mittler Jesus Christus zuvor gegangen ist und den er (im Jünger!) immer wieder geht. Der Jünger lebt „ganz und gar aus der Verbundenheit mit Jesus Christus. […] So steht auch zwischen dem Jünger und den Anderen nicht ein Maßstab gerechten Lebens, sondern abermals allein Jesus Christus selbst; der Jünger sieht den anderen Menschen immer nur als einen, zu dem Jesus kommt. Er begegnet dem Anderen nur, weil er mit Jesus zum Anderen geht. Jesus geht ihm voran zum Anderen, und er folgt ihm. So ist die Begegnung des Jüngers mit dem Anderen niemals die freie Begegnung zweier Menschen, die in der Unmittelbarkeit ihre Ansichten, Maßstäbe, Urteile gegeneinander führen.“ (N 177 f). 126 Die Einschränkung, dass es doch einen Unterschied zwischen dem Handeln am Nächsten und dem am Bruder gebe, ergibt sich aus nur einer einzigen Stelle der N durch das Zitat von Gal 6,10: „Allen Menschen erweist sie [sc. die Gemeinde Christi] die Liebe ihres Herrn, ,allermeist aber an des Glaubens Genossen‘ (Gal. 6,10; 2. Petr. 1,7).“ (N 266; Hervorhebung durch F.S.) Es widerspräche aber dem Duktus der N, jene Einschränkung als Beschränkung des Christenhandelns auf den Bereich der Kirche zu deuten. Inhaltlich entspricht die Nicht-Unterschiedenheit von Bruderliebe und Nächstenliebe der

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unter dem Kreuz vergeben ist. Die Liebe sieht den Anderen unter dem Kreuz, und eben darin ist sie in Wahrheit sehend.“ (N 179) Die Liebe der Jünger ist Liebe zu allen Menschen, denn unter dem Kreuz standen sie alle, Feinde und Gläubige, Zweifelnde und Furchtsame, Spötter und Überwundene, und ihnen allen und ihrer Sünde galt in dieser Stunde das Gebet Jesu um Vergebung. Die barmherzige Liebe Gottes lebt mitten unter ihren Feinden. (N 24) Diese Liebe macht den Jünger sehend, daß er im Feind den Bruder erkennt, daß er an ihm handelt wie an seinem Bruder. Warum? Weil er ja selbst allein aus der Liebe dessen lebt, der an ihm gehandelt hat wie an einem Bruder, der ihn als seinen Feind annahm und in seine Gemeinschaft zog wie seinen Nächsten. Darin macht die Liebe den Nachfolgenden sehend, daß sie auch den Feind eingeschlossen sieht in die Liebe Gottes, daß sie den Feind unter dem Kreuz Jesu Christi sieht.127 Um der Menschwerdung des Sohnes Gottes willen ist Gottesdienst vom Bruderdienst nicht mehr zu lösen. […] In Jesus wurde Dienst am geringen Bruder und Gottesdienst eins. (N 125)

Darum gilt auch für Jesu Jünger : „Für den Nachfolger Jesu kann der Gottesdienst nie mehr, wie für den Rabbinen, vom Dienst am Bruder gelöst werden.“128 Die Liebe des Jüngers zum Anderen ist nun dadurch gekennzeichnet, dass es keineswegs „nur bei Worten und Gedanken“ bleiben soll (N 143). Die zweiten Möglichkeit kirchlichen Handelns aus Bonhoeffers Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ (April 1933): „Zweitens der Dienst an den Opfern des Staatshandelns. Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde angehören.“ (DBW 12, 353). 127 N 144. Vgl. auch N 123 (Auslegung von Mt 5,21ff): „Daß der Bruder, der so unter den Schutz des göttlichen Gebotes gestellt wird, nicht nur der Bruder in der Gemeinde ist, ergibt sich unzweifelhaft daraus, daß der Nachfolger Jesu sich in seinem Handeln nicht dadurch bestimmen läßt, wer der Andere ist, sondern allein durch den, dem er im Gehorsam folgt.“ 128 N 124. Es wird hier umso deutlicher, dass der Gottesdienst des Christen in der Welt seinen Ort hat, niemals aber außerhalb derselben. Darum steht für Bonhoeffer sowohl die Flucht ins Kloster der Menschwerdung Christi entgegen als auch ein weltförmiges Leben der Christen, in dem sich der Christ der Welt gleichstellt und in keiner Weise sichtbar von ihr unterschieden ist (vgl. bes. N 29 f und 37). Weil Christus Mensch wurde und diese Menschwerdung die ganze Menschheit in sich einschließt, darum heißt „Gottesdienst“ nicht mehr, „daß ich in der Welt und wie die Welt lebe, […] daß ich mich aber zu gegebener Zeit aus dem Raum der Welt in den Raum der Kirche begebe, um mich dort der Vergebung meiner Sünden vergewissern zu lassen“ (N 37), sondern Gottesdienst ist für Bonhoeffer das Leben des Christen – in jeder Situation, in jedem Moment. Dieses Leben aber ist unbedingt Bruderdienst, es ist im eigentlichsten Da-sein für Andere. Damit zeigt sich sogleich, dass der berühmte Satz Bonhoeffers aus dieser Zeit: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“ (siehe dazu oben Anm. 52 dieses Kapitels) das Zentrum der (kirchlichen) Ethik der N trifft. Mit ihrem ganzen Leben, durch ihr Handeln und ihre Worte, bringen die Christen denen die frohe Botschaft des Evangeliums, die der in Christus menschgewordenen Liebe Gottes unterstehen und die doch noch nicht zu Christus gehören und ihm noch nicht nachfolgen in seiner Gemeinschaft: den „Armen, Mißhandelten, Elenden“ (N 201), den am Boden Liegenden, Notleidenden, Geängstigten, den Schwachen, Hoffnungslosen, Hunger und Durst Leidenden (vgl. bes. N 193 – 195), der „verlassene[n] Herde“ (N 195) Jesu Christi.

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Liebe der Jünger ist bedingungslos handelnde, einfältige Liebe. Denn das Gebot Jesu fordert nicht nur Glauben, sondern eben auch „Gottes- und Nächstenliebe […] aus ganzem Herzen und aus ganzem Gemüt“ (N 217). „Wie diese Liebe handle, werde ich gefragt? Jesus sagt es: segnen, wohltun, beten, ohne Bedingung, ohne Ansehen der Person.“ (N 142) In der Bedingungslosigkeit der Liebe des Jüngers in der Liebe Christi, die nicht nach sich selbst fragt, liegt das Außerordentliche des christlichen Lebens, das zugleich Weltfremdheit ausdrückt. Der Christ handelt anders als die Welt. Wo die Welt den christlichen Bruder [sc. denjenigen, dem unter dem Kreuz vergeben ist] verachtet, wird der Christ ihn lieben und ihm dienen; wo die Welt ihm Gewalt tut, wird er helfen und lindern; wo die Welt ihn entehrt und beleidigt, wird er seine Ehre geben für die Schande des Bruders. Wo die Welt Gewinn sucht, wird er verzichten; wo die Welt ausbeutet, wird er sich entäußern, wo die Welt unterdrückt, wird er sich herabbeugen und aufrichten. Verweigert die Welt Gerechtigkeit, so wird er Barmherzigkeit üben, hüllt sich die Welt in Lüge, so wird er seinen Mund für die Stummen auftun und für die Wahrheit Zeugnis geben. Um des Bruders willen, sei er Jude oder Grieche, Knecht oder Freier, stark oder schwach, edel oder unedel, wird er auf alle Gemeinschaft der Welt verzichten; denn er dient der Gemeinschaft des Leibes Christi. So kann er in dieser Gemeinschaft auch nicht verborgen bleiben vor der Welt. Er ist herausgerufen und folgt nach. (N 252 f)

Das Leben der Jünger ist ein Handeln in der Liebe Jesu, die Liebe Jesu aber kennt keine Bedingungen und ebenso keine Grenze. Selbst der dem Jünger feindlich Gegenübertretende129 ist darum bedingungslos in diese Liebe eingeschlossen. Nicht nur duldend sollen wir das Böse und den Bösen ertragen, nicht nur Schlag nicht mit Widerschlag vergelten, sondern in herzlicher Liebe sollen wir unserem Feinde zugetan sein. Ungeheuchelt und rein sollen wir unserm Feinde dienen und helfen in allen Dingen.130 „Tut wohl denen, die euch hassen.“ […] Wohltun geschieht in all den Dingen des täglichen Lebens. „So nun deinen Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn“ (R. 12,20). Wie ein Bruder dem Bruder beisteht in der Not, ihm die Wunden verbindet, ihm die Schmerzen lindert, so tue es unsere Liebe am Feind. Wo 129 N 142: „Der Feind ist im Neuen Testament immer der, der mir feindlich ist. Mit einem, dem der Jünger Feind sein könnte, rechnet Jesus gar nicht. Dem Feind aber soll zukommen, was dem Bruder zukommt, die Liebe des Nachfolgers Jesu. Das Handeln des Jüngers soll nicht bestimmt sein durch das Handeln der Menschen, sondern durch das Handeln Jesu an ihm. Es hat darum nur eine Quelle, den Willen Jesu.“ 130 N 142; vgl. weiter ebd.: „Vom Feind ist die Rede, also von dem, der Feind bleibt, ungerührt von meiner Liebe; der mir nichts vergibt, wenn ich ihm alles vergebe; der mich haßt, wenn ich ihn liebe; der mich um so mehr schmäht, je ernster ich ihm diene. ,Dafür, daß ich sie liebe, sind sie wider mich; ich aber bete‘ (Ps. 109,4). Aber nicht danach soll die Liebe fragen, ob sie erwidert wird, vielmehr sucht sie den, der ihrer bedarf. Wer aber ist der Liebe bedürftiger als der, der selbst ohne alle Liebe im Haß lebt? Wer ist also auch der Liebe würdiger als mein Feind? Wo wird die Liebe herrlicher gepriesen als mitten unter ihren Feinden?“

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in der Welt ist auch tiefere Not, wo sind schwerere Wunden und Schmerzen als bei unserm Feinde? Wo ist das Wohltun nötiger und seliger als bei unserm Feind? „Geben ist seliger denn nehmen.“ (N 143)

Die Jünger tun „das Äußerste“ (N 143): Sie bitten für die, die gegen sie stehen.131 In diesem ihrem Gebet, sagt Bonhoeffer, „treten wir zum Feind, an seine Seite, wir sind mit ihm, bei ihm, für ihn vor Gott“, nicht, weil wir von ihm erwarteten, dass er uns ebenso liebte, segnete, wohltäte,132 sondern damit „der Feind der Versöhnung mit Gott näher gebracht wird“ (N 144). Wiederum bestätigt sich das Grundkriterium von Bonhoeffers „Ethik“, das Wirklichwerden der Christuswirklichkeit in der Welt, auch für die „Nachfolge“, und zwar selbst hinsichtlich der äußersten denkbaren Möglichkeit: Durch die Liebe des Jüngers soll selbst „der Feind“ zum Glauben an Christus finden; der Jünger tritt „in der Wahrhaftigkeit der Liebe Jesu zu dem Anderen mit dem bedingungslosen Angebot der Gemeinschaft“ (N 178). Diese Gemeinschaft wird dadurch zur Nachfolgegemeinschaft Jesu Christi und bleibt es, dass sie als Salz der Erde und Licht der Welt (vgl. N 110ff) für diese Erde da ist. Salz, das nicht salzt, ist dumm geworden und hat aufgehört, Salz zu sein.133 Deshalb fordert Bonhoeffer : So prüfe sich die Gemeinde der Jünger Jesu, ob sie sich nicht hier und dort an Brüdern schuldig wissen muß, ob sie der Welt zuliebe nicht mithaßte, mitverachtete, mitschmähte und so des Mordes am Bruder schuldig ist. […] So prüfe sich die Gemeinde Jesu, ob sie den von der Welt Geschmähten und Entehrten ein Zeichen gegeben hat von der Liebe Jesu, die Leben erhalten, tragen, schützen will. Sonst möchte der korrekteste Gottesdienst, das frömmste Gebet, das tapferste Bekenntnis ihr nicht zu helfen, sondern müßte gegen sie zeugen, weil sie die Nachfolge Jesu verlassen hat.134 131 Vgl. N 182: „Das sollen die Jünger wissen, daß ihre Sorge und Unruhe um die Anderen sie ins Gebet führen muß. Die Verheißung, die ihrem Gebet gegeben ist, ist die größte Macht, die sie haben.“ 132 Vgl. N 143: „Jesus verheißt uns nicht, daß uns der Feind, den wir lieben, den wir segnen, dem wir wohltun, nicht beleidigen und verfolgen werde. Er wird es tun. Aber auch hierin kann er uns nicht schaden und überwinden, wenn wir den letzten Schritt zu ihm tun in fürbittendem Gebet.“ 133 Vgl. N 111. „Die andere Möglichkeit allerdings besteht darin, daß das Salz dumm wird, aufhört Salz zu sein. Es hört auf zu wirken. Dann freilich ist es in der Tat zu nichts mehr gut, als daß es weggeworfen wird. Das ist die Auszeichnung des Salzes. Es muß alles Ding gesalzen werden. Aber das Salz, das dumm wird, kann nie mehr gesalzen werden. Es kann alles, auch der verderbteste Stoff durch Salz gerettet werden, nur das Salz, das dumm wurde, ist hoffnungslos verderbt. Das ist die andere Seite. Das ist das drohende Gericht, das über der Jüngergemeinde steht. Die Erde soll durch die Gemeinde gerettet werden, nur die Gemeinde selbst, die aufhört zu sein, was sie ist, ist rettungslos verloren. Der Ruf Jesu Christi heißt Salz der Erde sein oder vernichtet werden, nachfolgen oder – der Ruf selbst vernichtet den Gerufenen. Eine nochmalige Möglichkeit der Rettung gibt es nicht. Es kann sie nicht geben.“ (N 111 f). 134 N 124 f. Der im obigen Abschnitt ausgelassene Teil des Zitats wiederum führt vor Augen, dass es sich bei Bonhoeffers Überlegungen keineswegs um allgemeine theologische Erwägungen zum Weltverhältnis der Christen handelt, sondern dass seine Aussagen in einen ganz be-

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Umso deutlicher wird hier, dass das theologische Thema der „Kirche für andere“ – in der Bonhoefferforschung vor allem als Ausdruck der späteren Theologie Bonhoeffers, nicht aber der Kirchenkampfzeit verstanden – schon in der „Nachfolge“ ein Grundthema ist. Eindrücklich bestätigt Bonhoeffer diesen Sachverhalt, wenn er die Forderung der Nächstenliebe um das Kriterium der Zeit ergänzt und so im Grunde eine emphatische Ausdeutung dessen vornimmt, was er begrifflich als Einfalt des Gehorsams beschreibt. Zur „Reflexion“, zu einem „Abstand der Beobachtung“ lässt die Liebe „keinen Raum und keine Zeit. Der Andere kann dem Liebenden niemals Gegenstand zuschauerischer Betrachtung sein, sondern er ist jederzeit der lebendige Anspruch auf meine Liebe und meinen Dienst“ (N 178). Weder kennt der Jünger die „Frage: was soll ich tun?“ (diese Frage ist die betrügerische Frage des Schriftgelehrten, durch die das eindeutige Gebot Jesu in Zweifel gezogen wird und deren auf das klare Wort zurückweisende Antwort ist: „Tue das Gebot, das du weißt. Nicht fragen sollst du, sondern tun.“); noch kennt der Jünger ein Fragen in Richtung auf den Anderen, die „Frage: Wer ist denn mein Nächster?“ Die Antwort ist: Du selbst bist der Nächste. Gehe hin und sei gehorsam in der Tat der Liebe. Nächster zu sein, ist nicht eine Qualifikation des Anderen, sondern ist sein Anspruch an mich, sonst nichts. In jedem Augenblick, in jeder Situation bin ich der zum Handeln, zum Gehorsam Geforderte. Es ist buchstäblich keine Zeit dafür übrig, nach einer Qualifikation des Anderen zu fragen. Ich muß handeln und muß gehorchen, ich muß dem Anderen der Nächste sein.135

Das Kriterium der Reflexion der Jünger auf ihr eigenes Tun am Nächsten in der Liebe Gottes und als Antwort auf das Gebot Christi hin sei im Folgenden in einem eigenen Abschnitt betrachtet.

3.2.2.3 Heiligung im Zugleich von Sichtbarkeit und Verborgenheit: Das Außerordentliche und das Reguläre Die Werke der Jünger, begründet in der Liebe Gottes zur Welt, beschreibt Bonhoeffer mittels einer bestimmten Denkfigur, die schon im Begriff des stimmten Kontext hinein gesprochen sind. Es ist die Gemeinde heute, zu der Bonhoeffer spricht und zu der er sagt: „So prüfe sich die Gemeinde heute, ob nicht in dem Augenblick, in dem sie zum Gebet und Gottesdienst vor Gott tritt, viele Stimmen anklagend zwischen sie und Gott treten und ihr Gebet verhindern.“ (N 124). 135 N 67. In späterer Zeit wird Bonhoeffer diese Einsichten der N bestätigen, etwa dann, wenn er an der Wende zum Jahr 1943 unter dem Abschnitt „Mitleiden“ des so genannten Rechenschaftsberichts („Nach zehn Jahren“) über das Christsein sagt: „Tatenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen sind keine christlichen Haltungen. Den Christen rufen nicht erst die Erfahrungen am eigenen Leibe, sondern die Erfahrungen am Leibe der Brüder, um derentwillen Christus gelitten hat, zur Tat und zum Mitleiden.“ (WE 34).

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„einfältigen Gehorsams“ oder in dem der „Heiligung“ angelegt gewesen ist: Die Werke sind sichtbar und verborgen zugleich. Inwiefern das christliche Leben sichtbar christliches Leben zu sein hat, beschreibt Bonhoeffer durch eine Auslegung von Mt 5, inwiefern es zugleich unsichtbares Leben ist, durch die Auslegung von Mt 6. Sichtbar ist das Leben der Jünger und ist ihr Tun von ihrem ersten Gehorsamsschritt an, der auf den Ruf Jesu hin folgt. „Rief Jesus in die Nachfolge, so forderte er einen sichtbaren Gehorsamsakt.“ Von nun an führt der „Christ, der sich zur Gemeinde hält“ und der einen „Schritt aus der Welt, aus der Arbeit, aus der Familie hinaus“ getan hat, ein für jedermann sichtbares Leben. Sein Leben ist durch jedes einzelne seiner Worte, jede Tat und jedes Werk sichtbar christliches Leben, Leben in der Nachfolge Christi. „Der Getaufte lebt in der sichtbaren Gemeinde Jesu Christi“ (N 224) – sichtbar „durch die Zugehörigkeit zum Gottesdienst“, sichtbar durch das gesamte „Leben der Gemeinde“.136 Die Gemeinde ist sichtbarer Raum auf Erden, sichtbar in Verkündigung, Ordnungen und täglichem Leben (vgl. N 241ff u. a.). „Heiligung gibt es darum […] nur in der sichtbaren Gemeinde.“137 Eine unsichtbare Gemeinde ist nicht die von Gott in Christus durch den Heiligen Geist geheiligte Gemeinde,138 und zwar darum nicht, weil „die Gemeinde die von Gott selbst auf dieser Erde gegründete Stadt auf dem Berge – Polis (Matth. 5,14) – ist“ (N 277). Ihnen gilt: „Es kann die Stadt, die auf dem Berge liegt, nicht verborgen sein.“ (Mt 5,14; zit. n.: N 110) Nicht als Anspruch Jesu an seine Gemeinde will Bonhoeffer die Sichtbarkeit der Gemeinde vor der Welt verstanden wissen; vielmehr ist die Sichtbarkeit Faktum ihres Wesens, ihrer gesamten Existenz. Ihre Sichtbarkeit ist „notwendig, d. h. indikativisch“ (N 154). Die Jünger sind die Stadt auf dem Berge (vgl. N 112), und als diese sind sie sichtbare Stadt.139 Als für die Welt sichtbare Gemeinde ist die Nachfolgege136 Vgl. N 224: „Jesus nachfolgen war eine öffentliche Sache. Ganz ebenso ist die Taufe ein öffentliches Geschehen; denn in ihr vollzieht sich die Eingliederung in die sichtbare Gemeinde Jesu Christi (Gal. 3,27 f.; 1. Kor. 12,13). Der in Christus vollzogene Bruch mit der Welt kann nicht mehr verborgen bleiben, er muß äußerlich in Erscheinung treten durch die Zugehörigkeit zum Gottesdienst und zum Leben der Gemeinde.“ 137 N 277. Ihre Sichtbarkeit wiederum besteht, so die hier vertretene These, nach Bonhoeffer zugleich in der Absonderung von der Welt und in der Zuwendung zur Welt. 138 Vgl. N 113: „Flucht in die Unsichtbarkeit ist Verleugnung des Rufes. Gemeinde Jesu, die unsichtbare Gemeinde sein will, ist keine nachfolgende Gemeinde mehr.“ Vgl. auch N 277 f u. a. 139 Ebenso sind die Jünger Salz, und zwar das Salz der Erde. Sie sind Licht, und zwar das Licht der Welt: „,Ihr seid das Salz‘ – nicht, ihr sollt das Salz sein! Es ist den Jüngern nicht in ihren Willen gestellt, ob sie Salz sein wollen oder nicht. Es wird auch nicht ein Appell an sie gerichtet, Salz der Erde zu werden. Sondern sie sind es, ob sie wollen oder nicht, in der Kraft des Rufes, der sie getroffen hat.“ (N 111) „,Ihr seid das Licht‘ – wiederum nicht: ihr sollt sein! Der Ruf selbst hat sie dazu gemacht. Es kann nun gar nicht anders sein, sie sind ein Licht, das gesehen wird; wäre es anders, dann wäre der Ruf offenbar nicht bei ihnen. Was für ein unmögliches, unsinniges Ziel wäre es für die Jünger Jesu, für diese Jünger, Licht der Welt werden zu wollen! Sie sind vielmehr schon dazu gemacht durch den Ruf, in der Nachfolge. […] Derselbe, der von sich in eigentlicher Rede sagt: Ich bin das Licht, sagt zu seinen Jüngern in eigentlicher Rede: Ihr seid

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meinde das Heiligtum Gottes in der Welt (vgl. N 269 f u. ö.). Für die Welt – die Nicht-Christen – ist sichtbar, dass der Jünger Jesu aus der Welt hinausgetreten ist (vgl. N 224 u. ö.), „daß der Christ nichts von der Welt, aber alles von Christus und seinem Reich erwartet“ (N 255), dass er in allen Lebensvollzügen – in Wort und Tat – allein dem Willen Christi (vgl. N 107, 121 u. ö.) und damit dem Willen Gottes entspricht (vgl. N 132 f, 141 u. ö.). Die Welt, die die Gemeinde der Jünger sieht, erkennt, dass deren Leben von ihrem eigenen unterschieden ist, und sofern sie Gottes Wort nicht glaubt, wird die Welt die Existenz der Nachfolgenden, ihr Handeln, ihren Anspruch und ihre Verkündigung als Anstoß empfinden. Sie wird die Gemeinde darum verwerfen (vgl. N 110 u. ö.). Das Leben der Christen, das den äußersten Weg der Feindesliebe geht, ist nicht das „Selbstverständliche, Reguläre, Natürliche“ (N 146). Vielmehr ist das Christliche (vgl. Mt 5,47) das ,Sonderliche‘, das peqissºm, das Außerordentliche, das Nichtreguläre, Nichtselbstverständliche. Es ist das, was an ,besserer Gerechtigkeit‘ die Pharisäer ,übertrifft‘, über sie hinausragt, das Mehr, das Darüberhinaus. Das Natürliche ist das t¹ aqtº (ein und dasselbe) für Heiden und Christen, das Christliche fängt an bei dem peqissºm und stellt nun von hier aus erst das Natürliche ins rechte Licht. Wo dies Sonderliche, Außerordentliche nicht ist, da ist das Christliche nicht. Nicht innerhalb der natürlichen Gegebenheiten geschieht das Christliche, sondern in dem Über-siehinaus-treten. Das peqissºm geht niemals in dem t¹ aqtº auf. Das ist der große Irrtum einer falschen protestantischen Ethik, daß hier Christusliebe aufgeht in Vaterlandsliebe, in Freundschaft oder in Beruf, daß die bessere Gerechtigkeit aufgeht in der justitia civilis. So redet Jesus nicht. Das Christliche hängt am ,Außerordentlichen‘. Darum kann sich der Christ nicht der Welt gleichstellen, weil er auf das peqissºm bedacht sein muß. (N 147 f)

Nur als die der Welt sichtbare Gemeinde, als die in ihrer ganzen Existenz und in ihrem ganzen Handeln über die Welt hinausragende Gemeinde ist sie die nachfolgende Gemeinde Jesu Christi. Das Christliche ist „das aus der Welt Hinausragende, die Welt überragende, Außerordentliche“ (N 150). Als solches sichtbar ist es aber nicht den Nachfolgenden selbst, sondern allein – Gott und – der Welt; verborgen ist es denen, die das Außerordentliche tun, die selbst das Außerordentliche sind. Die Jünger Jesu Christi tun die Werke des Glaubens mit dem Blick allein auf Christus, weder auf sich selbst noch auf das Licht in eurem ganzen Leben, sofern ihr am Ruf bleibt. Weil ihr es denn seid, darum könnt ihr nicht mehr verborgen bleiben, ob ihr es gleich wolltet. Licht scheint, und die Stadt auf dem Berge kann nicht verborgen sein. Sie kann es nicht.“ (N 112) Ebenso „nicht: ihr habt das Salz“ (N 111; Hervorhebung durch F.S.) und „nicht: ihr habt das Licht“ (N 112). „Es wäre eine Verkürzung, wollte man mit den Reformatoren die Botschaft der Jünger dem Salz gleichsetzen. Ihre ganze Existenz, sofern sie durch den Ruf Christi in die Nachfolge neu begründet ist, […] ist gemeint. Wer vom Ruf Jesu getroffen in seiner Nachfolge steht, ist durch diesen Ruf in seiner ganzen Existenz Salz der Erde.“ (N 111) Vgl. hierzu Luther, Wochenpredigten über Mt 5 – 7, 1530, Abschnitt über Mt 5,13[.12], WA 32, 343.

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das Urteil anderer, gerichtet. Ihnen ist gesagt: „Habt acht auf eure Gerechtigkeit, daß ihr sie nicht tut vor den Menschen, um von ihnen gesehen zu werden.“ (Mt 6,1, zit. n.: N 153) Die Reflexion, zu der Jesus die Jünger hier ruft, „ist also gerade darauf zu richten, daß wir nicht in Reflexion über unser Außerordentliches geraten“, d. h. dass wir unser Tun nicht als unser Tun ansehen.140 Das Achthaben auf unsere Gerechtigkeit soll gerade dem dienen, daß wir nicht auf sie achthaben. Sonst ist das Außerordentliche nicht mehr das Außerordentliche der Nachfolge, sondern das Außerordentliche eines eigenen Wollens und Gelüstens. (N 153 f) Die einzige und gebotene Reflexion des Nachfolgenden geht darauf, ganz unwissend, ganz unreflektiert zu sein im Gehorsam, in der Nachfolge, in der Liebe.141 140 Auch theologische Reflexion hat folglich der Verborgenheit des eigenen Tuns zu dienen. 141 N 155. Dazu erläuternd N 153: „Die Jünger sollen dieses Außerordentliche nur in Reflexion haben. Sie sollen darauf achthaben. Das Außerordentliche soll nämlich nicht geschehen, damit es gesehen werde, also das Außerordentliche soll nicht um des Außerordentlichen willen getan werden, das Sichtbarwerden soll nicht um des Sichtbarwerdens willen geschehen. Diese bessere Gerechtigkeit der Jünger soll nicht Selbstzweck sein. Zwar muß es sichtbar werden, muß das Außerordentliche geschehen, aber – habt acht, daß es nicht geschieht, damit es sichtbar werde. Zwar hat die Sichtbarkeit der Nachfolge einen notwendigen Grund, nämlich den Ruf Jesu Christi, aber sie ist niemals selbst ein Ziel; denn dann wäre ja die Nachfolge selbst wieder aus dem Auge verloren, dann wäre da ein Augenblick Ruhe eingetreten, die Nachfolge wäre unterbrochen, und sie wäre jedenfalls nicht mehr an der Stelle, an der wir ausruhen wollten, fortzusetzen, sondern im selben Augenblick wären wir zurückversetzt an den ersten Anfang. Wir müßten merken, daß wir gar nicht mehr Nachfolgende sind. Also, es muß etwas sichtbar werden, aber […]: Habt acht, daß es nicht geschehe, damit es die Leute sehen.“ Siehe hierzu unten Kap. 4.7. Vgl. zu Bonhoeffers Gedankengang die folgenden Passagen Kierkegaards sowie dazu wiederum Bonhoeffers theologiegeschichtliche Skizze und seine Auffassung von Weltlichkeit im ersten Kapitel der N: „Von der Entsagung befreit werden wollen (also dieses Leben genießen wollen) ist Weltlichkeit. Aber der Entsagung nachkommen wollen – aber dann für das Außerordentliche angesehen werden: ist auch Weltlichkeit.“ (Kierkegaard, Der Einzelne und die Kirche, 170 = Papirer X,4 A652 [1852]); Kierkegaard, aaO., 70: „Es ist eigentlich kein wahrer Christ, dessen Leben nicht dieses: ecce homo ausdrückt. Aber es kommt auf die Redlichkeit an, daß man nicht ein ecce homo ausdrückt das auf Grund einer Vorstellung der Umwelt gerade das Bewunderte ist z. B. freiwillige Armut, Keuschheit im Mittelalter.“ (= Papirer IX A82 [1848]) Kierkegaard, aaO., 75 f: „So war es mit Reflexion rein gedacht, die Selbstverleugnung war dem Schein zu entgehen daß man das Gute will. […] Ein Sünder darf sich nie einbilden daß er so gut sein kann, daß es gefährlich wäre wenn die Welt oder die Menschen zu wissen bekämen wie gut er ist. […] Gut. Aber wenn nun sich selbst als Sünder erkennen und bekennen wiederum in der Entwicklung ein reflektierter Ausdruck für Reinheit geworden ist: dann sind wir ja wieder ebenso weit. Und so war es ja im Mittelalter.“ (= Papirer IX, A224 [1848]) Kierkegaard, aaO., 127: „Das Fürchterliche ist, daß just die höchste Form der Frömmigkeit: alles Irdische ganz fahren zu lassen der höchste Egoismus sein kann. Es kann ein fürchterlicher Egoismus sein so durch die Form seines Lebens auszudrücken, daß die Andern im tieferen Sinne eigentlich keine Religiosität haben. Und doch ist es ja diese absolute Form der Hingabe die die Schrift fordert.“ (= Papirer S,3 A264 [1850]) Kierkegaard, aaO., 176: „Aber der Entsagung nachkommen wollen – aber dann für das Außerordentliche angesehen werden: ist auch Weltlichkeit […], denn das Höchste ist ganz simpel das Geforderte. […] Daß Entsagung das Geforderte sein sollte, darauf geht die Welt nie ein; das Höchste wurde wohl

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Indem der Nachfolger Jesu gerade nicht auf sein eigenes Tun, nicht auf sein Außerordentliches schaut, sondern nur auf den, der ihm vorangeht,142 tut er das Außerordentliche einfältig als das ihm Gebotene, d. h. aber, er tut es als das „schlechthin Selbstverständliche“. Was Bonhoeffer durch die Dialektik von Sichtbarkeit und Verborgenheit ausdrückt, entspricht der Unterscheidung zweier oben schon eingeführter Blickrichtungen143 und lässt sich, wie im Vorangegangenen der Darstellung ebenfalls angesprochen, in dem Begriff „einfältigen Gehorsams“ zusammenführen: Blicken die Gläubigen auf sich selbst, erkennen sie sich als Sünder ; sehen sie auf Christus und die durch ihn an ihnen gewirkte Tat, erkennen sie sich als Gerechtgesprochene, als Heilige. Dasselbe gilt für die Werke, die sie tun: Betrachtet der Jünger seine Taten als eigene Werke, sähe er also „das Außerordentliche selbst, so stünde er schon nicht mehr in der Nachfolge“ (N 155). Schaut er aber auf den, der ihm vorangeht – und der Nachfolgende sieht, so Bonhoeffer, „immer nur seinen Herrn“ (N 155) –, glaubt dessen Wort und tut es einfältig, ohne es ethisch zu hinterfragen, dann tut der Jünger das Außerordentliche als das ihm Gebotene, als das „schlechthin Selbstverständliche“. Das freilich kann keiner „als der, der nach seinem alten Menschen gestorben ist durch Christus und in seiner Gemeinschaft der Nachfolge ein neues Leben gefunden hat“ (N 156) und in dem nun Christus sein Leben zu leben begonnen hat.144 Der Nachfolgende tut im schlichten Gehorsam den Willen des Herrn als das Außerordentliche und weiß in allem nur darum, daß er nicht anders kann, daß er also das schlechthin Selbstverständliche tut. (N 155) Natürlich sieht er das Außerordentliche auch, aber er bleibt sich selbst darin verborgen; er sieht es nur, indem er auf Jesus sieht, und hier eben sieht er es nicht mehr als das Außerordentliche, sondern als das Selbstverständliche, Reguläre.145 Die Heiligen wissen selbst nicht um die Frucht der Heiligung, die sie bringen. Die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut.146

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im Mittelalter erreicht: daß man die Entsagung, das Geforderte, als das Außerordentliche honorierte, und sich selbst befreite“ (= Papirer X,4 A652 [1852]). Vgl. N 155: Nachfolge „ist die alleinige Bindung an Jesus Christus. So sieht der Nachfolgende immer nur seinen Herrn und folgt ihm.“ Siehe dazu oben Kap. 2.3.1. Vgl. N 156 f: „Liebe als Tat des schlichten Gehorsams ist das Sterben am alten Menschen, der sich wiedergefunden hat in der Gerechtigkeit Christi und im Bruder. Nun lebt nicht mehr er, sondern Christus lebt in ihm.“ Vgl. hierzu den Schluss aus Luthers „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (Ein Sendbrief an den Papst Leo X., 1520, WA 7, 20 – 38). N 154. „So ist ihm das Sichtbare in der Tat verborgen, nämlich im Gehorsam gegen das Wort Jesu. Wäre ihm das Außerordentliche als Außerordentliches wichtig, so handelte er schwärmerisch aus eigner Gewalt, aus dem Fleisch heraus. Weil aber der Jünger Jesu im schlichten Gehorsam gegen seinen Herrn handelt, darum kann er das Außerordentliche nur als die selbstverständliche Tat des Gehorsams sehen.“ (Ebd.) Gerade in Bonhoeffers These der Gleichzeitigkeit der Verborgenheit des eigenen, außerordentlichen, für die Welt aber sichtbaren Handelns ist der Behauptung Ausdruck verliehen, dass „das Christliche notwendig, d. h. indikativisch, das Außerordentliche“ ist. Darum ist das Christliche „zugleich das Reguläre, Verborgene“ (N 154).

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Der Weg Christi mit dem Menschen

Bonhoeffer löst hier exegetisch ein, was er im programmatischen ersten Kapitel des Buches an den Anfang seiner Überlegungen gestellt hatte: dass es Rechtfertigung nicht ohne Nachfolge, Gnade nicht ohne Tun, Glaube nicht ohne Gehorsam gibt, sondern nur in unauflöslicher Einheit. Jede Gestalt von Rechtfertigung, Gnade und Glaube, die außerhalb dieser Einheit gedacht oder eben gelebt wird, fällt notwendig der „billigen Gnade“ anheim.147 Umgekehrt sind nach Bonhoeffer alle Werke ohne Rechtfertigung, ohne Gnade, ohne Glaube, alle Werke also, die außerhalb der Bindung an Christus geschehen, ohne Verheißung. Sie sind ohne Verheißung, wenn sie als eigene Werke verstanden sind. Der gerechtfertigte Jünger aber, der dem Willen Jesu im Glauben gehorcht, tut im eigentlichen Sinn keine eigenen Werke, sondern Früchte des Glaubens, Christuswerke.148

146 N 283. Weiter schreibt Bonhoeffer : „Wollten sie hier etwas wissen, wollten sie hier in Selbstbetrachtung fallen, dann hätten sie sich schon von der Wurzel losgerissen und die Zeit des Fruchttragens wäre dahin.“ (Ebd.) Vgl. zudem N 295 f: „So bleibt unsern Augen unser gutes Werk gänzlich entzogen. Unsere Heiligung bleibt uns verborgen bis auf den Tag, da alles offenbar wird. Wer hier etwas sehen will, wer sich hier selbst offenbar werden will und nicht in Geduld warten, der hat seinen Lohn dahin. Gerade in unserem vermeintlich sichtbaren Fortschritt der Heiligung, an dem wir uns freuen wollen, sind wir erst recht in die Buße gerufen und erkennen wir unsere Werke als durch und durch sündig. Wir sind aber zur immer größeren Freude an unserem Herrn gerufen. Gott allein kennt unsere guten Werke, wir kennen nur sein gutes Werk und hören sein Gebot und gehen unter seiner Gnade hin, wandeln in seinen Geboten und sündigen. Es muß dabei bleiben, daß die neue Gerechtigkeit, die Heiligung, das Licht, das leuchten soll, uns ganz verborgen bleibt. Aber wir glauben es, und sind desselbigen guter Zuversicht, daß ,der in uns angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi‘ (Phil. 1,6). An jenem Tag wird uns Christus selbst die guten Werke offenbaren, die wir nicht kannten.“ Vgl. außerdem N 150, 155 und 156. 147 Vgl. hierzu N 294: „Die Furcht vor dem guten Werk, mit der wir unsere bösen Werke rechtfertigen wollen, ist der Bibel allerdings fremd. Nirgends setzt die Schrift den Glauben so gegen das gute Werk, daß sie in dem guten Werk die Zerstörung des Glaubens sieht, vielmehr ist es das böse Werk, das den Glauben hindert und vernichtet. Gnade und Tun gehören zusammen. Es gibt keinen Glauben ohne das gute Werk, wie es kein gutes Werk ohne den Glauben gibt.“ Daran anschließend vermerkt Bonhoeffer : „Der Unterschied zwischen Paulus und Jakobus besteht darin, daß durch Jakobus der Demut des Glaubens die Möglichkeit des Selbstruhms genommen wird, und daß durch Paulus der Demut des Werkes die Möglichkeit des Selbstruhms entzogen wird. Jakobus will nicht die Gültigkeit des Satzes, daß der Mensch allein durch den Glauben gerechtfertigt werde, bestreiten, sondern er will den Glaubenden selbst vor der Gefahr der Sicherheit in seinem Glauben auf das Werk des Gehorsams weisen und ihn damit wahrhaftig demütigen. Paulus wie Jakobus geht es darum, daß der Mensch wahrhaftig aus der Gnade und nicht aus sich selbst lebe.“ (Ebd., Bonhoeffers Anm. 21). 148 Mt 7,18: „Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen.“ (Zit. n.: N 183) Vgl. zum Bild des Baumes nach Mt 7 N 185 ff. „Was heißt Frucht? Es sind viele ,Werke‘ des Fleisches, aber es ist nur eine ,Frucht‘ des Geistes. Werke werden gewirkt von Menschenhand, die Frucht treibt und wächst, ohne daß der Baum es weiß. Werke sind tot, die Frucht lebt und ist Träger von Samen, der neue Frucht hervorbringt. Werke können für sich da sein, die Frucht ist niemals ohne den Baum. Frucht ist immer das ganz Wunderbare, Gewirkte, sie ist nicht ein Gewolltes, sondern ein Gewachsenes. Die Frucht des Geistes ist von Gott allein gewirkte Gabe. Wer sie trägt, weiß von ihr so wenig, wie der Baum von

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Das Weltverhältnis

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3.2.2.4 Stellvertretung, Leid und Überwindung des Leids Stellvertretung149 findet sich als Begriff in der „Nachfolge“ nur an wenigen Stellen (N 84, 143, 202, 231, 236), ist aber als Thema des Buches im Grunde genommen ständig präsent. Dass dieses Thema hier der Zuwendung der Jünger zur Welt zugeordnet wird, liegt begründet in dem Akzent, den Bonhoeffer dem Stellvertretungsgedanken in der „Nachfolge“ verleiht: Stellvertretend stirbt Christus am Kreuz für die ganze Menschheit, die er leibhaftig trägt, weshalb alle Ausführungen zur Nachfolge ihren Ursprung im Stellvertretungsgedanken haben, denn der „Grund aller leiblichen Gemeinschaft mit Jesus Christus“ (N 231) ist seine Stellvertretung, sein Leib, der für uns ist. Die Gemeinde aber, die Christus glaubt und darin seines Leibes teilhaftig wird, wird so selbst zum Stellvertreter derer, die Christus nicht glauben: „Stellvertretend steht die Gemeinde Jesu Christi für die Welt vor Gott, indem sie nachfolgt unter dem Kreuz“ (N 84). Die Kirche ist Kirche für die Welt. Sie trägt deren Leid und überwindet es. Darin ist sie umgekehrt Stellvertreter dessen, der ihr Stellvertreter ist. Diese drei Richtungen des Stellvertretungsgedankens (Christus für die Welt – Gemeinde bzw. Christen für die Welt – Gemeinde bzw. Christen für Christus) seien im Folgenden betrachtet. 3.2.2.4.1 Die Stellvertretung Christi für die Welt Christus steht für die Menschen dort, wo sie, die Gottes Ebenbild verloren haben, stehen sollten und nicht stehen können. In einer schier unerschöpflichen Fülle von Beziehungen kann Paulus das Wunder der Menschwerdung Christi zum Ausdruck bringen. Alles Gesagte läßt sich zusammenfassen in dem Satz: Christus ist ,für uns‘, nicht nur in Wort und Gesinnung, sondern mit seinem leiblichen Leben. Er steht mit seinem Leibe dort, wo wir vor Gott stehen sollten. Er ist an unsere Stelle getreten. Er leidet und stirbt für uns. Das kann er, weil er unser Fleisch trägt […]. Der Leib Jesu Christi ist im eigentlichsten Sinne ,für uns‘, am Kreuz, im Wort, in Taufe, in Abendmahl. (N 231)

Als der Menschgewordene ist Christus der Mittler, der Stellvertreter der Menschen vor Gott, der die Ebenbildlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf wieder hergestellt hat. Sein Leib ist der „Ort der gnädigen Gegenwart und Wohnung Gottes unter den Menschen“ und „zugleich der Ort, an dem die Gemeinde von Gott angenommen wird“: seiner Frucht. Er weiß allein von der Kraft dessen, aus dem er lebt.“ (N 282 f) Zur Frage nach dem Verhältnis von Christuswerken und Christuswerk siehe unten Kap. 3.2.2.4.3. 149 Vgl. zur Stellvertretung als Thema der Theologie Schaede, Stellvertretung; vgl. auch Daub, Stellvertretung.

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Beides ist wahr geworden allein im menschgewordenen Jesus Christus. Hier ist die Gegenwart Gottes wahrhaft und leibhaftig. Hier ist die Menschheit wahrhaft und leibhaftig; denn er hat sie in seinem eigenen Leibe angenommen. So ist der Leib Christi der Ort der Annahme, der Versöhnung und des Friedens zwischen Gott und Menschen. Gott findet im Leib Christi den Menschen, und der Mensch findet sich im Leibe Christi von Gott angenommen. (N 238)

Glaubt der Mensch sich als mit der ganzen Menschheit angenommen, glaubt er also Jesus als den „Gott-mit-uns“, dann wird ihm das Angenommensein im Leib Christi tatsächlich „zur Gnade“; glaubt er nicht, wird es ihm „zum Tode“ (N 231). Christus überbrückt durch sein Leben und Sterben die Ferne zwischen Gott und Mensch, indem er unsere Sünde – unsere Gottferne – trägt: Indem er sie trägt, schafft Jesus Versöhnung (vgl. N 84). Jesus bittet den Vater, der Kelch möge vorüber gehen, und der Vater erhört die Bitte des Sohns. Der Kelch des Leidens wird an Jesus vorübergehen, aber allein darin, daß er getrunken wird. Das weiß Jesus, als er in Gethsemane zum zweiten Male niederkniet, daß das Leiden vorübergehen wird, indem er es erleidet. Allein durch das Tragen wird er das Leiden überwinden und besiegen. Sein Kreuz ist seine Überwindung. […] Darum gerade nimmt er das Leiden der ganzen Welt auf sich und überwindet es darin. Er trägt die ganze Gottferne. (N 83)

Zu beachten ist, dass Bonhoeffer im Begriff der Stellvertretung zusammenführt und so nicht mehr unterscheidet, was der Sache nach durchaus voneinander unterschieden ist: Leiden, Schuld und Sünde. Sünde kennzeichnet das Verhältnis des Menschen zu Gott und stimmt darin mit Schuld überein, dass der Mensch (mehr oder weniger aktiv) zu seinem Schuldigsein beiträgt, aus sich selbst heraus sündig ist. Leiden kann hingegen auch der, der ohne Schuld oder (wenn das möglich wäre) Sünde ist. Leiden ist – passiv – „verfolgt und gemartert werden über dem Evangelium“, ist Erleiden der „furchtbarsten Qual“.150 Leiden heißt aber bei Bonhoeffer in der „Nachfolge“ gerade auch Gott fern, Sünder zu sein, sodass Bonhoeffer Sünde und Leiden identifizieren („Leiden ist Gottferne“) und zugleich behaupten kann, dass „der, der in der Gemeinschaft Gottes steht, nicht leiden“ kann (N 83). Für Christi Stellvertretung heißt das: Durch sein „Versöhnungsleiden“ (N 81) überwindet Christus die Sünde und zugleich das Leiden der Welt. Eben darin, daß er den Kelch trinkt, geht er vorüber. Jesus will das Leiden der Welt überwinden, darum muß er es ganz auskosten. So bleibt zwar das Leiden Gottferne, aber in der Gemeinschaft des Leidens Jesu Christi ist das Leiden durch Leiden überwunden, ist Gottesgemeinschaft gerade im Leiden geschenkt. (N 83 f)

Anders ist die Überwindung von Leid nach Bonhoeffer nicht zu denken als so, dass es getragen wird: 150 N 82 f. Vgl. dazu fernerhin Bonhoeffers Auslegungen der Seligpreisungen, N 99 ff.

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Das Leiden muß getragen werden, damit es vorübergeht. Entweder die Welt muß es tragen und daran zugrundegehen, oder es fällt auf Christus und wird in ihm überwunden. So leidet Christus stellvertretend für die Welt. (N 84)

Nun ist zwar, weil Christus als der Sündlose stirbt und nur er ohne Sünde ist, „[a]llein sein Leiden […] erlösendes Leiden“ (N 84); und nur in der Gemeinschaft des Kreuzes ist Überwindung des Leides überhaupt denkbar. Christus aber ruft den Menschen zur Nachfolge, in die Gemeinschaft seines Leidens. In der Nachfolge wird den Jüngern Leiden widerfahren, und dieses Leid gilt es zu tragen – so ist die Überwindung des Leidens in der Gemeinschaft des Kreuzes Christi auch den Jüngern verheißen: Sie sind Stellvertreter für die Welt. 3.2.2.4.2 Die Stellvertretung der Gemeinde für die Welt Indem Christus den Glaubenden an sich bindet, wird dieser nicht nur Christi Leibes, sondern auch seines Leidens teilhaftig. „Nachfolge ist Bindung an den leidenden Christus.“ (N 82) Für Bonhoeffer entspricht dieser Satz der Behauptung, dass „[…] für Jesus die Notwendigkeit gegeben [ist], das Muß seines Leidens nun auch klar und eindeutig auf seine Jünger zu beziehen“, denn: Wie Christus nur Christus ist als der leidende und verworfene, so ist der Jünger nur Jünger als der leidende und verworfene, als der mitgekreuzigte. Die Nachfolge als die Bindung an die Person Jesu Christi stellt den Nachfolgenden unter das Gesetz Christi, d. h. unter das Kreuz. (N 78)

Was für Gott selbst gilt – „Gott ist ein Gott des Tragens“ –, das gilt auch für die Jünger, die Gemeinde, die „zum Tragen berufen“ ist: „Im Tragen besteht das Christsein.“ (N 84) So wird das Leiden zum Kennzeichen der Nachfolger Christi. […] Wer sein Kreuz nicht aufnehmen will, wer sein Leben nicht zum Leiden und zur Verwerfung durch die Menschen geben will, der verliert die Gemeinschaft mit Christus, der ist kein Nachfolger.151

Theologisch kann Bonhoeffer die Verbindung von Christsein und Leidtragen vornehmlich dadurch begründen, dass die Christen selbst Glieder am Leibe 151 N 82. Als Zuspitzung und zugleich als historische Konkretisierung dessen, was es nach Bonhoeffer heißt, sein Kreuz hier und jetzt nicht auf sich zu nehmen, kann der Satz seines Aufsatzes „Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft“ (Juni 1936) gelesen werden: „Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, trennt sich vom Heil.“ (DBW 14, 676) Weiter sagt Bonhoeffer in der N: „Wer aber sein Leben in der Nachfolge verliert, im Kreuztragen, der wird es in der Nachfolge selbst, in der Kreuzesgemeinschaft mit Christus wiederfinden. Das Gegenteil zur Nachfolge ist das Sichschämen Christi, sich des Kreuzes schämen, das Ärgernis am Kreuz.“ (Ebd.) Wie sehr Bonhoeffer in der N die konkrete historische Situation stets vor Augen hatte, wird hier spürbar.

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Christi geworden sind. Sie selbst sind sein Leib, der stellvertretend das Leid der Welt getragen hat und trägt. Und so werden auch die Glaubenden in der Nachfolge zu Trägern des Leids. Zudem lässt sich Bonhoeffers Theologie auch an dieser Stelle durch die Denkfigur von Vollzug und Vollstreckung erklären, die in anderen Zusammenhängen zur Erklärung der „Nachfolge“-Theologie dargelegt worden ist: „Wiewohl Jesus Christus alles versöhnende, stellvertretende Leiden erfüllt hat, sind doch seine Leiden auf dieser Erde noch nicht zu Ende.“152 Bonhoeffers Interpretation, dass nämlich Jesus „in seiner Gnade für diese letzte Zeit bis zur Wiederkunft einen Rest (rsteq¶lata) von Leiden zurückgelassen [hat], die noch erfüllt sein wollen (Kol. 1,24)“ (N 236), weist darauf hin, dass es sich hier um theologische Reflexionen handelt, sie sich konkreten, dezidiert erfahrungsbezogenen Hintergründen verdanken: der Erfahrung, dass es weiterhin Leid in der Welt gibt, dass auch dem Jünger in der Welt Leid widerfährt, obwohl Christus alles Leid überwunden hat. Dieser „Rest von Leiden“, sagt Bonhoeffer, „darf dem Leibe Christi, der Kirche, zugute kommen“ (N 236). Die Gemeinde weiß nun, daß das Leiden der Welt einen Träger sucht. So fällt in der Nachfolge Christi das Leiden auf sie, und sie trägt es, indem sie selbst von Christus getragen ist. Stellvertretend steht die Gemeinde Jesu Christi für die Welt vor Gott, indem sie nachfolgt unter dem Kreuz. (Ebd.)

Die Gemeinde der Glaubenden wird so zum Stellvertreter für die Welt. Indem sich die Glaubenden als Glieder des Leibes Christi selbst wissen, ist ihnen gewahr, dass auch sie Träger von der Welt Leiden sind, dass auf sie dasselbe Leiden, dieselbe Schmach, dieselbe Sünde fällt, die ihr Herr ans Kreuz trug; denn sie sind sein Leib (vgl. N 230ff). Das Tragen fremder Schuld wird bei Bonhoeffer so zum Kriterium wahren Christseins. Christsein ist dieses Tragen. Es gibt keine Gemeinschaft mit Christus außerhalb des Tragens, und zugleich ist es das Tragen, das den Nachfolgenden auf dem schmalen Weg der Nachfolge hält und führt. Sofern wir teilhaben an Christus, dem Menschgewordenen, haben wir teil an der ganzen Menschheit, die von ihm getragen ist. Weil wir in Jesu Menschheit uns selbst angenommen und getragen wissen, darum besteht nun auch unser neues Menschsein darin, daß wir die Not und die Schuld der andern tragen. (N 301) Zwar ist allein Christi eigenes Leiden Versöhnungsleiden, aber weil Christus um der Sünde der Welt willen gelitten hat, weil auf ihn alle Last der Schuld fiel und weil Jesus Christus seinen Nachfolgern die Frucht seines Leides zueignet, darum fällt auch auf den Jünger die Anfechtung und die Sünde, sie bedeckt ihn mit lauter Schande und stößt ihn wie den Sündenbock aus den Toren der Stadt. So wird der Christ zum Träger von Sünde und Schuld für andere Menschen. (N 81) 152 N 236. Im dritten Punkt zur Stellvertretung (unten 3.2.2.4.3) wird der hier vorgestellte Interpretationsversuch aufzunehmen und zu präzisieren sein.

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Das Weltverhältnis

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So interpretiert Bonhoeffer ausgerechnet das den Glaubenden widerfahrene Leid als Gnade, sofern es die Frucht der Nachfolge ist.153 Weder kann der Christ das auf ihn fallende Leid abschütteln (er kann es, aber dann hat er den Weg der Nachfolge verloren),154 noch wird er das Leid willkürlich suchen.155 Es fällt ihm Leid zu wegen des Kreuzes Christi, auf dessen Weg er nachfolgt, und welches ihm, indem es ihn trägt, zugleich die Kraft schenkt, das eigene Kreuz, fremde Last, fremde Schuld, fremde Sünde zu tragen. Die Stellvertretung der Jünger macht also die Stellvertretung Christi nicht etwa überflüssig, sondern sie wird im Gegenteil allein durch Christi Stellvertretung nicht nur nötig, sondern auch erst möglich. Der Christ müßte darunter zusammenbrechen, wenn er nicht selbst von dem getragen wäre, der alle Sünden trug. So aber kann er in der Kraft des Leidens Christi die Sünden, die auf ihn fallen, überwinden […]. Der Christ wird zum Lastträger, – einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen (Gal. 6,2). Wie Christus unsere Last trägt, so sollen wir die Last der Brüder tragen, das Gesetz Christi, das erfüllt werden muß, ist das Kreuztragen. (N 81 f)

Der Gedanke von der Überwindung des Leidens durch die Jünger, durch die Gemeinde der Glaubenden, ist nun weiter zu präzisieren: zuerst durch die Frage, worin das den Jüngern zufallende Leiden bzw. Erleiden des Kreuzes Christi eigentlich konkret besteht, sodann durch die Frage, wie jenes Leiden nach Bonhoeffer durch die Jünger überwunden wird, worin also die konkrete Bedeutung des Leidens der Jünger für andere besteht. Bonhoeffer gibt nicht systematisch darüber Auskunft, welches Leiden den Jüngern widerfährt, welches Leiden also zu tragen ist. Eine Antwort muss darum aus dem Gesamtzusammenhang erschlossen werden: Das Leiden der Jünger ist zuerst das Erleiden des Rufes Jesu, „der uns aus den Bindungen dieser Welt herausruft. Es ist das Sterben des alten Menschen in der Begegnung mit Jesus Christus“ (N 80 f), der Tod des selbstischen Ichs, der sich in Ruf und Taufe ereignet (vgl. N 81, 221 – 223 u. a.). Der Ruf Jesu als das „erste Christusleiden, das jeder erfahren muß“ (N 80), macht ihn frei und entbindet den Jünger vom eigenen Ich.156 Das Leiden der Jünger ist folglich zuerst der einmalige Tod, die Rechtfertigung, durch welchen der Jünger von der Sünde getrennt wird (vgl. N 223, 279 u. a.), und es ist sodann das tägliche

153 Vgl. N 82 f: Das „Leiden der Christen“ ist „nichts Befremdliches. Es ist vielmehr lauter Gnade und Freude.“ 154 Vgl. N 84: „Der Mensch kann die ihm auferlegte Last auch abschütteln. Aber er wird damit nicht von der Last überhaupt frei, sondern er trägt nun die viel schwerere, unerträglichere Last. Er trägt das selbstgewählte Joch seiner selbst.“ 155 Vgl. N 103: In dem Begriff des Leid-Tragens ist der Jüngergemeinde „gesagt, daß sie das Leid nicht willkürlich sucht, daß sie nicht in eigenwilliger Weltverachtung sich entzieht, sondern trägt, was ihr auferlegt ist und was auf sie fällt um Jesu Christi willen in der Nachfolge.“ 156 Vgl. N 136; vgl. fernerhin Bonhoeffers Lutherinterpretation in N 34.

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Der Weg Christi mit dem Menschen

Sterben des Jüngers in der Gemeinschaft der Heiligen.157 Täglich stirbt der Christ, weil und indem er immer wieder sich selbst verleugnen muss. Der Christ leidet aber auch ganz konkret dadurch, dass er von der Welt verworfen wird, ebenso wie die Welt auch seinen Herrn verwarf (vgl. N 77ff). Das auf die Jünger fallende Leiden unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von dem Leiden, das auch Christus selbst widerfuhr, „der der Welt so fremd war, daß sie ihn kreuzigte“ (N 103). Es ist das Leiden, welches den Jünger selbst dadurch trifft, dass er in der Nachfolge seines Herrn Barmherzigkeit übt, der seine „eigene Ehre […] dem in Schande Geratenen [schenkt] und […] dessen Schande auf sich [nimmt].“ Es ist das Leiden, welches denjenigen trifft, der „[…] sich finden [läßt] bei den Zöllnern und Sündern“, der „[…] die Schmach ihrer Gemeinschaft willig [trägt]“ (N 106). Gerade darin ist er ja der Welt fremd. Das Leiden der Nachfolgenden ist das auf ihn kommende Leiden aufgrund des Zeugnisses, das er der Welt in Taten und Worten von ihrer Überwindung gibt (vgl. N 254ff, 266 u. a.). Das auf die Jünger fallende Leiden, das sie willig tragen, ist das Leben in Verzicht und Mangel (vgl. N 102ff), ist „Entehrung“, „Schmähung“, „Vergewaltigung“, „Ausbeutung“, „Gewalttat“ (N 136), ist Verstoßen- (vgl. N 81), Beleidigt- und Verfolgtwerden (vgl. N 143) – und zwar sowohl um des Bekenntnisses zu Jesus Christus willen (vgl. N 145 u. a.) als auch dort, wo die Jünger „nicht unmittelbar um des Bekenntnisses zu seinem Namen willen, sondern um einer gerechten Sache willen leiden“ (N 108). Diese Differenzierung ist bemerkenswert, belegt sie doch, dass Bonhoeffer die der „Nachfolge“ eignende christologische Ausschließlichkeit nicht so versteht, als sei Leiden nur dort ernstgenommen, wo es um Christi bzw. um seines Leibes Willen über die Menschen kommt. Vielmehr sollen die Jünger wissen, dass Christus sie gerade auch dort selig preist, wo sie leiden, weil sie sich für eine „gerechte Sache“ eingesetzt haben. Was das heißen kann, zeigt anschaulich ein Abschnitt im Kapitel „Die Boten“: Der Jünger Jesu als der gute Hirte kämpft für seine Herde gegen den Wolf, der gute Hirte flieht nicht, sondern gibt sein Leben für die Schafe. Er kennt alle seine Schafe bei Namen und liebt sie. Er weiß ihre Not, ihre Schwachheit. Er heilt, was verwundet ist, er tränkt, was durstig ist, er richtet auf, was fallen will. Er weidet sie mit Freundlichkeit und nicht mit Härte. Er leitet sie auf den rechten Weg. Er sucht das eine verlorne Schaf und bringt es zurück zur Herde. (N 195)

Indem die Jünger so handeln, indem ihr Herz erfüllt, was auch „[…] Jesu Herz mit tiefem Erbarmen und Jammer [erfüllte]“ (N 194), was auch „[…] ihm ans Herz [greift]“ (N 195), erleiden und tragen sie die Not anderer – und widerfährt ihnen zugleich der Hass der Welt, von der sie sich in ihren Worten und Tun so sehr unterscheiden. 157 Was die Jünger in der Nachfolge unter dem Kreuze Christi leiden, „ist Christusleiden. Es ist zuerst das Erleiden des Kreuzestodes in der Taufe, es ist fortan das ,tägliche Sterben‘ der Christen (1. Kor. 15,31) in der Kraft seiner Taufe“ (N 235).

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In Urteil und Tat werden sich die, die Jesus nachfolgen in Verzicht auf Besitz, auf Glück, auf Recht, auf Gerechtigkeit, auf Ehre, auf Gewalt, unterscheiden von der Welt; sie werden der Welt anstößig sein. Darum werden die Jünger um Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Nicht Anerkennung, sondern Verwerfung ist der Lohn ihres Wortes und Werkes durch die Welt. (N 108) Es kann ja nicht anders sein, als daß die Welt sich an den sanftmütigen Fremdlingen austobt mit Wort, Gewalt und Verleumdung. Zu bedrohlich, zu laut ist die Stimme dieser Armen und Sanftmütigen, zu geduldig und still ihr Leiden; zu gewaltig zeugt diese Jüngerschar Jesu durch Armut und Leiden von dem Unrecht der Welt. Das ist tödlich. Während Jesus ruft: selig, selig, schreit die Welt: hinweg, hinweg! (N 109)

Gerade aber dort, wo den Jüngern in der Nachfolge Jesu Christi Leid widerfährt, gilt ihnen der Segen und die Verheißung ihres Herrn (vgl. N 108), denn es ist in dessen Nachfolge Jesus Christus selbst, auf den die Schuld fällt, der sie trägt und überwindet. „,Um meinetwillen‘ – die Jünger werden geschmäht, aber getroffen wird Jesus selbst. Auf ihn fällt alles, denn um seinetwillen werden sie geschmäht. Er trägt die Schuld.“ (N 109) Hinsichtlich der Schuld der Anderen, der „Last des Bruders“, welche der Jünger zu tragen hat, muss herausgestellt werden: Jene „Last des Bruders […] ist nicht nur dessen äußeres Geschick […], dessen Art und Veranlagung, sondern sie ist im eigentlichsten Sinne seine Sünde“ (N 81 f; Hervorhebung durch F.S.). Darin ist der Jünger Stellvertreter für den Anderen, dass er dessen ganze Schuld, seine Sünde, d. h. seine „Gottferne“ (N 83), sein Böses und sein konkretes Leiden trägt; und zwar nicht nur trägt, sondern durch das Tragen auch überwindet. Wie aber ist jene Überwindung des Leidens, der Schuld, der Sünde durch den Jünger in der „Nachfolge“ konkret gedacht? Eine erste Antwort ergibt sich, wenn die Struktur der Schuld in den Blick genommen wird, die im vorangegangenen Abschnitt umrissen worden ist: Des Anderen Schuld ist seine Sünde. Ich kann sie darum „nicht anders tragen, als indem ich sie ihm vergebe“, und zwar in der Kraft dessen, der mir vergeben hat, d. h. „in der Kraft des Kreuzes Christi, dessen ich teilhaftig geworden bin“ (N 82). Weil der Christ selbst von dem getragen ist, „der alle Sünden trug“, darum kann er „in der Kraft des Leidens Christi die Sünden, die auf ihn fallen, überwinden, indem er sie vergibt“.158 Folglich hat zu gelten: „So stellt der Ruf Jesu zum Kreuztragen jeden Nachfolgenden in die Gemeinschaft der Sündenvergebung. Sündenvergebung ist gebotenes Christusleiden des Jüngers. Es ist allen Christen auferlegt.“ (N 82) Nicht anders erfolgt die Überwindung von des Anderen Schuld durch die Jünger als so, wie Christus selbst die Schuld der ganzen Welt überwand: indem er sie trug und vergab. In eben diesem vergebenden Leid-Tragen der Jünger ist nach Bonhoeffer die Liebe der Gemeinde zur Welt bekundet. 158 N 81 f; Hervorhebung durch F.S. Siehe zur Wendung „Sünden, die auf ihn fallen“ oben Kap. 3.2.2.4.1.

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Keiner versteht seine Mitmenschen besser als die Gemeinde Jesu. Keiner liebt die Mitmenschen mehr als die Jünger Jesu […]. Es ist bedeutungsvoll und schön, daß Luther das griechische Wort hier mit Leid-Tragen übersetzt. Aufs Tragen nämlich kommt es an. Die Jüngergemeinde schüttelt das Leid nicht ab, als hätte sie nichts damit zu schaffen, sondern sie trägt es. Eben darin ist ihre Verbundenheit mit den Mitmenschen bekundet. […] Schließlich aber werden die Jünger von dem Leid auch nicht mürbe gemacht, zerrieben und bitter, so daß sie daran zerbrechen. Sie tragen es vielmehr in der Kraft dessen, der sie trägt. Die Jünger tragen das ihnen auferlegte Leid allein in der Kraft dessen, der am Kreuz alles Leid trägt. Sie stehen als Leidtragende in der Gemeinschaft des Gekreuzigten. (N 103)

Nun ist die Schuld der Anderen ihre Sünde, ihre Gottferne. Als solche aber ist sie auch das konkrete Böse, das den Nachfolgenden widerfährt. Auch hier kennt Bonhoeffer kein anderes Verhalten des Jüngers als das Tragen des Bösen, das willige Erleiden und Erdulden in der Liebe Christi, die allein das Böse zu überwinden mächtig ist. Darin entscheidet sich das Christliche, dass die Christusgläubigen selbst in der Begegnung mit solchem Bösen, das ihnen widerfährt und Leid antut, mit dem Bösen, der ihnen begegnet, kein eigenes Recht einfordern, keine eigene Gerechtigkeit suchen, nicht die eigene Ehre wiederherzustellen suchen, sondern dass sie es tragen, erleiden, vergeben und gerade darin überwinden. Der Kern des Widerstandsverständnisses Bonhoeffers in der „Nachfolge“ ist in dieser Haltung benannt: Die Überwindung des Anderen erfolgt nun dadurch, daß sein Böses sich totlaufen muß, daß es nicht findet, was es sucht, nämlich Widerstand und damit neues Böses, an dem es sich um so mehr entzünden könnte. Das Böse wird darin ohnmächtig, daß es keinen Gegenstand, keinen Widerstand findet, sondern willig getragen und erlitten wird. Hier stößt das Böse auf einen Gegner, dem es nicht mehr gewachsen ist. Freilich nur dort, wo auch der letzte Rest von Widerstand aufgehoben ist, wo der Verzicht, Böses mit Bösem zu vergelten, restlos ist. Das Böse kann hier sein Ziel nicht erreichen, Böses zu schaffen, es bleibt allein. Das Leiden geht vorüber, indem es getragen wird. Das Übel findet sein Ende, indem wir es wehrlos über uns ergehen lassen. Entbehrung und Schmähung wird als Sünde offenbar, indem der Nachfolgende sie nicht auch selbst begeht, sondern sie wehrlos trägt. Vergewaltigung wird darin gerichtet, daß ihr keine Gewalt entgegentritt. Der unrechte Anspruch auf meinen Rock wird dadurch bloßgestellt, daß ich den Mantel noch dazu hingebe, die Ausbeutung meiner Dienstleistung wird als solche sichtbar, daß ich ihr keine Grenze setze. Die Bereitschaft alles zu lassen, wo wir gebeten werden, ist die Bereitschaft mit Jesus Christus allein genug zu haben, ihm allein folgen zu wollen. Im freiwilligen Verzicht auf Gegenwehr bestätigt und bekundet sich die unbedingte Bindung des Nachfolgers an Jesus, die Freiheit, das Entbundensein vom eigenen Ich. Und eben in der Ausschließlichkeit dieser Bindung kann das Böse allein überwunden werden.159 Es gibt 159 N135 f. Weiter führt Bonhoeffer aus: „Dabei geht es nicht nur um das Böse, sondern um den Bösen. Jesus nennt den Bösen böse. Nicht Entschuldigung und Rechfertigung des Gewalttä-

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also auch keine denkbare Tat, in der das Böse so groß und stark wäre, daß es nun doch eine andere Haltung des Christen erforderlich machte. Je furchtbarer das Böse, desto bereitwilliger zum Leiden soll der Jünger sein. Der Böse muß Jesus in die Hände fallen. Nicht ich, sondern Jesus soll mit ihm handeln. (N 136 f)

Aus der Perspektive des ,Danach‘ betrachtet und im Wissen um den lebensgeschichtlichen und theologischen Weg Bonhoeffer legt sich bei der Lektüre dieser Textabschnitte der Eindruck nahe, als habe Bonhoeffer in der „Nachfolge“ wirklichkeitsferne Überzeugungen vertreten, von denen er sich schon wenige Jahre später löste und sich dann einer ganz anderen, derjenigen der „Nachfolge“ entgegengesetzten Haltung zuwandte. Hatte Bonhoeffer nicht alsbald erkennen müssen, dass es durchaus eine „denkbare Tat“ des Bösen gibt, die „eine andere Haltung des Christen erforderlich“ machte als die des bereitwilligen, geduldigen, liebenden Erleidens? Und hat er sich nicht in diesem Zuge von der dann als utopisch zu bezeichnenden Haltung der „Nachfolge“ verabschiedet? Gerade unter dem Eindruck derartiger, sich geradezu aufdrängender Fragen ist es notwendig, die „Nachfolge“ zunächst nicht vom Ende des Lebens Bonhoeffers her zu lesen, nicht von der Beteiligung an dem Versuch, durch den Führermord das Leiden und Morden zu beenden. Vielmehr gilt es hier, die uns befremdende Haltung der „Nachfolge“ als die Haltung Dietrich Bonhoeffers im Kampf um die Kirche zuerst einmal wahrzunehmen, ohne sie frühzeitig interpretativ zu sanktionieren. Dass das Böse durch die Wehrlosigkeit in der Liebe Jesu Christi überwunden würde, dies ist die Hoffnung und Überzeugung Bonhoeffers in der Mitte der 30er Jahre, und diese Hoffnung gilt es nachzuvollziehen. Dabei kann zunächst festgestellt werden: Dem Vorwurf des Utopischen ist Bonhoeffer selbst entgegengetreten, als er sich auf Fanø an die ökumenische Versammlung richtete und den Vorwurf der Utopie, so könnte man sagen, seinerseits als eine ,Erkenntnis als Voraussetzung‘ anklagt: Wer von uns darf denn sagen, daß er wüßte, was es für die Welt bedeuten könnte, wenn ein Volk – statt mit der Waffe in der Hand – betend und wehrlos und darum gerade bewaffnet mit der allein guten Wehr und Waffen den Angreifer empfinge?160

Und auch von der „Ethik“ her lässt sich die Theologie der „Nachfolge“ an dieser Stelle kommentieren, sodass überdies deutlich wird, dass Bonhoeffer tigen, des mich Bedrängenden soll mein Verhalten sein. Nicht als wollte ich mit meinem leidenden Erdulden mein Verständnis für das Recht des Bösen ausdrücken. Mit diesen sentimentalen Erwägungen hat Jesus nichts zu tun. Der entehrende Schlag, die Gewalttat, die Ausbeutung bleibt böse. Der Jünger soll das wissen und er soll es bezeugen, wie Jesus es bezeugte, eben weil anders der Böse nicht getroffen und überwunden wird. Aber gerade weil es das gar nicht zu rechtfertigende Böse ist, das dem Jünger gegenübertritt, darum soll der Jünger nicht widerstehen, sondern leidend das Böse zu seinem Ende bringen und so den Bösen überwinden. Das willige Leiden ist stärker als das Böse, es ist der Tod des Bösen.“ (N 136). 160 DBW 13, Rede vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 300. Bonhoeffers Anspielung auf den ersten Vers von Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott“ ist nicht zu verkennen.

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auch in der Zeit der Konspiration die Christenhaltung der „Nachfolge“ keineswegs aufgegeben hat. Es seien nun die theologischen Bedingungen der Theologie der Gewaltlosigkeit dargelegt, die die „Nachfolge“ durchziehen. Jene „Wehr und Waffen“, von denen Bonhoeffer in der Fanøer Morgenandacht des 28. 8. 1934 spricht, erhalten in der „Nachfolge“ ihre konkrete Gestalt in dem „Wort, in dem alles […] zusammengefaßt ist: Liebe“ (N 140). Die Gewaltlosigkeit, das Erdulden und Erleiden, das Tragen des Bösen geschieht gerade nicht, indem Gewaltlosigkeit „als allgemeines ethisches Programm“ verstanden und umgesetzt würde; denn dann „wäre in der Tat alles bare Schwärmerei, was Jesus seinen Nachfolgern sagt, […] daß das Böse allein durch das Gute überwunden wird“ (N 138). Die erduldende, liebende Haltung der Christen dem Anderen gegenüber erhält seine alleinige Begründung dadurch, dass Jesus seinen Jüngern Liebe gebietet, dass die Nächstenliebe – auch die Liebe zum bösesten, sei es politischen, religiösen, persönlichen Feind (vgl. N 140 f, 148) – konkretes Gebot Jesu ist und dass Christus selbst in der Liebe Gottes zur Welt (vgl. Joh 3,16) das Leiden und das Böse überwunden hat. Es kann keine andere Rechtfertigung dieses Gebotes Jesu geben als sein eigenes Kreuz. Allein wer in diesem Kreuz Jesu den Glauben findet an den Sieg über das Böse, kann seinem Gebot gehorchen, und allein solcher Gehorsam hat die Verheißung. Welche Verheißung? Die Verheißung der Gemeinschaft des Kreuzes Jesu und der Gemeinschaft seines Sieges. […] Im Kreuz allein ist es wahr und wirklich, daß die Vergeltung und Überwindung des Bösen die leidende Liebe ist. (N 139)

Wie die Werke des Christen Christi eigene Werke sind und allein in dem einmaligen Werk Christi an der Welt begründet sind,161 ist auch die Liebe des Jüngers „nicht seine eigene Liebe. Sie ist ganz allein die Liebe Jesu Christi, der für seine Feinde zum Kreuz ging und am Kreuz für sie betete.“ Weil die Liebe des Jüngers zum Anderen aber Christi eigene Liebe ist, darum ist diese Liebe Bonhoeffer zufolge „unüberwindlich“.162 Sie ist die Liebe, die „niemals danach fragt, was der Feind ihr antut, sondern allein danach, was Jesus getan hat.“ Darin aber ist die Liebe des Jüngers sehend, denn sie erkennt im Anderen und selbst im ärgsten Feind den Bruder (vgl. ebd.), dem unter dem Kreuz vergeben und der in die Gemeinschaft der Nachfolger Jesu Christi hineingerufen ist. Darum handelt der Christ selbst am Feind „wie an seinem Bruder“ (ebd.). So führt die Feindesliebe den Feind auf den Weg zu Christus, gibt ihn in Christi Hände, der nun an ihm handelt (vgl. N 137). Und so führt die Feindesliebe […] den Jünger auf den Weg des Kreuzes und in die Gemeinschaft des Gekreuzigten. Aber je gewisser der Jünger auf diesen Weg gedrängt wird, desto 161 Siehe oben Kap. 3.2.2.3 und 3.2.2.4. 162 N 144. Ebenso ist die Überwindung des Leidens durch die Jünger und für die Jünger allein darum möglich, dass Jesus, in dessen Gemeinschaft sie stehen, zuvor die Gottferne überwunden hat (siehe oben Kap. 3.2.2.4.1).

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gewisser bleibt seine Liebe unüberwunden, desto gewisser überwindet sie den Haß des Feindes (N 144).

Insofern aber die Schuld des Anderen durch die Liebe des Jüngers getragen wird, heißt dieses Tragen und heißt auch die Überwindung des Anderen Stellvertretung. Nicht, als zeigte sich die Überwindung des Bösen notwendig und sogleich darin, dass dieser die Glaubenden nicht weiter beleidigte oder nicht mehr verfolgte (vgl. N 143). Er wird es tun. Aber auch hierin kann er uns nicht schaden und überwinden, wenn wir den letzten Schritt zu ihm tun in fürbittendem Gebet. Nun nehmen wir seine Not und Armut, seine Schuld und Verlorenheit mit auf uns, treten vor Gott für ihn ein. Wir tun stellvertretend für ihn, was er nicht tun kann. […] Jede Verfolgung kann nur dazu dienen, daß der Feind der Versöhnung mit Gott näher gebracht wird, daß die Liebe unüberwindlich wird. (N 143 f)

Bonhoeffers Theologie ist nun auf das Kriterium anzusprechen, das den Stellvertretungsgedanken in einer dritten Richtung ausleuchtet. Indem die Jünger stellvertretend das Leiden Anderer tragen und es in der Liebe Christi, die sie trägt, überwinden, sind sie Stellvertreter Jesu Christi selbst. 3.2.2.4.3 Die Stellvertretung der Gemeinde für Christus: Die Boten Christi Weil der Christen Leiden in der Gemeinschaft seines Kreuzes (vgl. N 81 f, 222, 235) und so als Christi eigenes Leiden geschieht, darum ist ihr Leiden letztlich und eigentlich „Christusleiden“ (N 80, 235 u. a.). In der Gemeinschaft des gekreuzigten und verklärten Leibes Jesu Christi nehmen wir teil an Christi Leiden und Verklärung. Christi Kreuz liegt auf dem Leibe der Gemeinde. Was sie unter diesem Kreuz leidet, ist Christusleiden. Es ist zuerst das Erleiden des Kreuzestodes in der Taufe, es ist fortan das ,tägliche Sterben‘ der Christen (1. Kor. 15,31) in der Kraft seiner Taufe. (N 235)

Im Leiden (das damit beginnt, dass der Mensch Glied der Gemeinde geworden ist, vgl. N 80 f und 221) ist der Jünger seinem Herrn gleich geworden.163 Christus ist der Stellvertreter der Welt. Seine Gemeinde, die der Leib Christi auf Erden ist und die zur Trägerin des Leidens der Welt wird, leidet stellvertretend für andere. Und indem sie für andere leidet, leidet sie für Christus. Das Leiden, das in der Nachfolge – „Nachfolge ist Bindung an den leidenden 163 Vgl. dazu bes. N 300 f und den dortigen Argumentationszusammenhang, der wiederum verdeutlicht, inwiefern Bonhoeffer hier Aussagen aufnimmt, die äußerlich zwar identisch erscheinen mit Glaubensüberzeugungen der imitatio-Frömmigkeit etwa eines Thomas von Kempen, die Bonhoeffer aber gerade nicht als „ein uns aufgegebenes Ideal der Verwirklichung irgendeiner Christusähnlichkeit“ (ebd.) verstanden wissen will. Zur Unterschiedenheit von Bonhoeffers N und der Theologie der Mystik vgl. Gremmels, Rechtfertigung und Nachfolge, sowie ders., Bonhoeffer und die Mystik.

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Christus“ (N 82) – auf die Christen fällt, fällt auf Christus selbst und wird darum überwunden. Gerade darin sind die Jünger für Christus da. Dies Leiden der Jünger für Christus – Eberhard Bethge hat diesen Gedanken bezeichnet als „das Tiefste, was Bonhoeffer [sc. in der ,Nachfolge‘] auszudrücken vermag“ (DB 522) – ist „Leiden von unaussprechlicher Verheißung“: Zwar hat allein Christi eignes Leiden versöhnende Kraft, er litt ,für uns‘ und er siegte ,für uns‘, aber in der Kraft seines Leidens gibt er denen, die sich der Gemeinschaft seines Leibes nicht schämen, die unermeßliche Gnade, nun auch wieder ,für ihn‘ leiden zu dürfen. Keine größere Herrlichkeit konnte er den Seinen schenken, keine unbegreiflichere Würde kann es für den Christen geben, als daß er ,für Christus‘ leiden darf. (N 235)

Die Befreiung vom Gesetz als die Befreiung für Christus164 findet bei Bonhoeffer Ausdruck in dem Leid-Tragen für andere, das letztlich und eigentlich (eben weil es in der Gemeinschaft des Leidens, des Verworfenseins, des Kreuzes Jesu Christi geschieht, vgl. N 77ff) Leiden für Christus ist. Nachfolge ist die Teilhabe an Christi stellvertretendem Leiden und Sterben und gerade darin eben auch die Teilhabe an seinem Leben und seiner Auferstehung (vgl. hierzu DB 522). Der Leib Christi, der für uns gegeben ist, der für unsere Sünde die Strafe erlitt, macht uns frei, ,für Christus‘ da zu sein, im Tod und im Leiden. Es kann nun für Christus […] gelitten werden, ihm zugute, der uns alles zugute getan hat! Das ist das Wunder und die Gnade in der Gemeinschaft des Leibes Christi (Phil. 1,29; 2,17; R. 8,35ff; 1. Kor. 4,10; 2. Kor. 4,10; 5,20; 13,9). (N 235 f)

Zum Verständnis des Gedankengangs Bonhoeffers ist hier noch einmal zu vergegenwärtigen, was mit „Leiden“ der Gemeinde eigentlich gemeint ist. Ihr Leiden bezieht sich zunächst auf die Sünde und Schuld des Anderen. Dieses Leiden entspricht der Schuld (und zugleich dem Umgang mit der Schuld), die Jesus zur Versöhnung ans Kreuz trug. Leid-Tragen heißt hier konkret Sündenvergebung (vgl. v. a. N 81 f). Die Gemeinde erleidet zudem ganz konkrete Anfeindungen, Verleumdungen, Gewalt (vgl. v. a. N 108). Die Nachfolge Christi bedeckt den Jünger „mit lauter Schande und stößt ihn wie den Sündenbock aus den Toren der Stadt“ (N 81). Dieses Leiden, das um des Zeugnisses von Jesus Christus oder um einer gerechten Sache willen auf die Gemeinde kommt, entspricht, so kann gesagt werden, der Dornenkrone und den Schlägen, die Jesus um seines Zeugnisses vom Reiche Gottes willen erlitt. Christus hat das Leiden der ganzen Welt ans Kreuz getragen. Die Gemeinde 164 Vgl. neben N 115ff in diesem Zusammenhang N 235: „Was dem Gesetz im tiefsten zuwider ist, wird hier wahr. Nach dem Gesetz können wir nur die Strafe für unsere eigenen Sünden leiden. Nicht einmal sich selbst zugute vermag hier ein Mensch etwas zu tun oder zu leiden, wieviel weniger einem anderen zugute, wieviel weniger Christus zugute!“

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aber, die Christi eigener Leib ist,165 erleidet als sein Leib dasjenige Leiden, das Christus ans Kreuz trug, die rsteq¶lata des Leidens. Der Christ, der das Leid trägt, trägt es „stellvertretend für die Gemeinde“ und darum stellvertretend „für den Leib Jesu“, der die Gemeinde ist und in dem die ganze Welt getragen ist. Ob wir daran denken dürfen, daß auch dieses Leiden der Christen sündenverzehrende Kraft hat (vergl. 1. Pt. 4,1), bleibt unsicher. Deutlich aber ist es, daß der Leidende in der Kraft des Leibes Christi stellvertretend ,für‘ die Gemeinde, für den Leib Jesu leidet, daß er tragen darf, was anderen erspart bleibt.166

Die an dieser Stelle wiederum aufbrechende Frage, ob nicht die Notwendigkeit des Leidtragens durch die Glaubenden, durch die Gemeinde die Annahme impliziert, dass Jesus eben nicht das ganze Leiden, die Sünde der ganzen Welt ein für allemal ans Kreuz getragen und die ganze Gottferne überwunden hat, wurde oben mittels der für Bonhoeffer in der „Nachfolge“ charakteristischen Denkfigur von Vollzug und Vollstreckung zu erklären versucht. Zwar hat Christus am Kreuz das ganze Leiden und alle Schuld der ganzen Menschheit getragen und überwunden, es ist aber dennoch das Leiden auf dieser Erde noch zu überwinden, denn es ist das Leben Jesu Christi und darum auch sein Leiden auf dieser Erde noch nicht zu Ende gebracht. Wäre das Leiden zu Ende, wäre freilich der Tag Jesu Christi da (vgl. N 104). Dabei legt sich in Bonhoeffers Text eine Unterscheidung zwischen erlösendem Leiden – dies ist allein das Leiden Jesu Christi167 – und solchen Leiden nahe, das auf die Gemeinde unter dem Kreuz kommt und von ihr getragen werden muss. Christologisch kann dieses Leiden wie folgt interpretiert werden: Christus ist es, der einmal am Kreuz auf Golgatha den Tod erlitten und das Leiden der Welt überwunden hat. Als dieser ist er es, der nun täglich das Leiden der Welt trägt, der es weiterhin trägt, der sich aus diesem Leiden nicht zurückzieht, der vielmehr eine Gemeinde der Nachfolgenden sucht, die für ihn arbeitet, die für ihn leidet, die das Leiden Gottes in der Welt mitleidet. Indem die Gemeinde das Leiden dieser Welt mitleidet und trägt, leidet sie das Leiden Jesu Christi selbst, und nur weil es sein Leiden ist, das sie – in ihrer Gebundenheit an ihn – leidet und trägt, kann sie das Leid der Welt mitleiden und tragen. Darin setzen die Christen das 165 Vgl. wiederum N 231: „Der Leib Christi ist seine Gemeinde. Jesus Christus ist Er selbst und seine Gemeinde zugleich“. 166 N 236. In der Rede vom Leiden des Einzelnen für die Gemeinde und für Christus, Leiden, das über den einen kommt und dadurch anderen erspart bleibt, wird deutlich, wie sehr sich Bonhoeffers theologische Überlegungen zur Stellvertretung den ganz konkreten Ereignissen in seinem eigenen Leben verdanken. Den Hintergrund bildet dasjenige Leiden, das im Kirchenkampf über die Pastoren der Bekennenden Kirche kommt. Über dieses Leiden sagt Bonhoeffer, dass es stellvertretend „,für‘ die Gemeinde“ erlitten wird und also „für den Leib Jesu“ (N 236). 167 Vgl. N 84: „Allein sein [sc. Jesu Christi] Leiden ist erlösendes Leiden.“; N 236: Jesus Christus hat „alles versöhnende […] Leiden erfüllt“ und es „bleibt unsicher“, ob „auch dieses Leiden der Christen sündenverzehrende Kraft hat“.

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Christuswerk168 fort, das, indem es in der Kraft von Menschwerdung und Kreuz an der ganzen Welt vollzogen worden ist, doch schon erfüllt ist. Auf diese Weise ist Christus den Menschen durch seine Gemeinde immer gerade heute Christus:169 nicht indem sich das Kreuzesgeschehen selbst täglich wiederholt, sondern indem in der Kraft dieses Geschehens das konkret widerfahrene Leid von der Gemeinde täglich neu überwunden wird. So vollzieht sich durch das Leiden der Gemeinde die Gestaltwerdung Christi, der in seinen Gläubigen sein Leben zu leben beginnt, mehr noch: der in ihnen sein Leben weiterlebt. Das Leben des Leibes Christi [ist] unser Leben geworden. In Christus leben wir nicht mehr unser Leben, sondern Christus lebt sein Leben in uns. Das Leben der Gläubigen in der Gemeinde ist in Wahrheit das Leben Jesu Christi in ihnen (N 235).

Denn: „Das Leben Jesu Christi ist auf dieser Erde noch nicht zu Ende gebracht. Christus lebt es weiter in dem Leben seiner Nachfolger.“ (N 303) Christus lebt durch unser Leben sein Leben, das bedeutet: Wir sind es, die durch unser Leben Christi Leben auf Erden leben, die durch unser Leiden für Christus leiden und die durch unser Handeln für Christus handeln. Die durch den Leib Christi uns erworbene Freiheit „,für Christus‘ da zu sein“ bedeutet, dass nun „für Christus […] gelitten“ und dass „für Christus gearbeitet“ werden kann, eben „ihm zugute, der uns alles zugute getan hat“ (N 236; Hervorhebung durch F.S.). Was aber für Jesu Leben gilt, dies gilt auch für seinen Tod. Wie sein Leben „[…] auf dieser Erde noch nicht zu Ende gebracht [ist]“, so ist auch sein Sterben auf dieser Erde nicht zu Ende gebracht. Jesu Christi Sterben ereignet sich immer wieder neu dort, wo der lebendige Christus hinausgeführt wird vor die Tore der Stadt (vgl. N 81), wo er der Welt so fremd wird, dass sie ihn kreuzigt (vgl. N 103). Abermals wird hier, im Zusammenhang der Leidens-Theologie, greifbar, wie wenig die „Nachfolge“ von einer Flucht der Christen aus der Welt weiß. Neben das stellvertretende Leiden tritt immer das stellvertretende Tun der Jünger. Was sie tun, das tun sie in der Bindung an Christus, in der Gemeinschaft seines Leibes und gebunden allein an sein Wort, dem sie gehorchen. Was sie tun, das tun sie als die „Boten“ Christi,170 als die von ihm mit einem klaren Auftrag versehenen Beauftragten, als die Abgesandten, als die Apostel. Wie das Leiden der Jünger Christusleiden ist, so sind darum auch ihre Werke „Christuswerke“ (N 197; Hervorhebung durch F.S.). Christuswerke sind die Werke der Jünger als die Werke der „besseren Gerechtigkeit“. Indem die Jünger, von Jesus beauftragt und mit Macht ausgestattet,171 Christuswerke tun, 168 Siehe oben Kap. 3.2.2.3 und 3.2.2.4. 169 Vgl. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 332: „Gott ist uns ,immer‘ gerade ,heute‘ Gott.“ 170 Vgl. N 193 – 211; siehe dazu unten Kap. 3.3. 171 Vgl. N 196: „,Und er gab ihnen Macht‘. Um diese Macht geht es in der Tat. Nicht nur ein Wort, nicht nur eine Lehre, sondern wirksame Macht empfangen die Apostel. Wie sollen sie auch ihre

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„sind die Apostel Christus gleich geworden“ (N 197). Sie arbeiten für Christus, indem sie seine Werke verrichten, indem sie wie Christus handeln.172 Christuswerke tun die ersten Jünger und wie diese die Christen heute aber darin, dass sie Glieder der Gemeinde, Glieder des Leibes Christi selbst sind und dass Christus in ihnen sein Leben lebt. Es bleibt darum dabei, das Tun der Christuswerke ist „kein eigner Weg und kein eignes Unternehmen; es ist Sendung“ (N 204). Dennoch sind die Jünger als Jesu Arbeiter seine „Mitarbeiter“ (N 196; Hervorhebung durch F.S.). Damit rücken sie noch näher an Jesus heran. Mitarbeiter an seinem eigenen Werke sucht Jesus, weil er „[…] das Werk nicht allein tun [kann]“ und darum „Hilfe“ benötigt (N 195). Bonhoeffer sagt wohlgemerkt nicht, dass Jesus sein Werk nicht allein tun will, sondern er kann es nicht und sucht darum Hilfe, die er in seinen Jüngern findet.173 Sie sind die mit und für Christus Gekreuzigten, die mit und für Christus Leidenden (vgl. N 78), die mit und für Christus Handelnden (vgl. N 196 f). So steht der Ruf Jesu zur Nachfolge von Anfang an im Zeichen der Hilfe und des Dienstes für Christus, und zwar im Tun und im Leiden. „Solches stellvertretende Tun und Leiden der Glieder am Leibe Christi ist selbst das Leben des Christus, der in seinen Gliedern Gestalt gewinnen will (Gal. 4,19).“ (N 236 f) Die Ausführungen über den Stellvertretungsgedanken in der „Nachfolge“ seien damit beschlossen. Mit dem Begriff der „Gestalt“ kehrt die Darstellung an ihren Anfang zurück, folglich zurück zu der nun aufzunehmenden Frage, wie das auf Erden verlorengegangene Ebenbild des Schöpfers wiederhergestellt wird (vgl. N 297ff).

Arbeit tun ohne diese Macht? Es muß eine Macht sein, die größer ist als die Macht dessen, der auf Erden herrscht, des Teufels. Daß der Teufel Macht hat, wissen die Jünger, obwohl es gerade die List des Teufels ist, seine Macht zu verleugnen, den Menschen vorzuspiegeln, er existiere gar nicht. Gerade diese gefährlichste Ausübung seiner Macht muß getroffen werden. Der Teufel muß ans Licht und muß besiegt werden durch die Christusmacht. Damit treten die Apostel neben Jesus Christus selbst. Sein Werk sollen sie ihm ja tun helfen.“ 172 Christi Werke tun heißt aber : „Kampf mit den Mächten des Satans, […] Kampf um die Herzen der Menschen, […] Verzicht auf eigenen Ruhm, auf die Güter und Freuden der Welt, um des Dienstes an den Armen, Mißhandelten, Elenden willen […] im fürbittenden Gebet“ (N 201), heißt Verkündigung des Gottesreiches (vgl. N 202), heißt Dienst an der Welt und für die Welt. 173 Vgl. hierzu N 195 f: „Wer sind die Arbeiter, die ihm helfen? Gott allein kennt sie und muß sie seinem Sohn geben. Wer dürfte sich auch von sich aus dazu anbieten, Jesu Helfer zu sein? Selbst die Jünger dürfen es nicht. Sie sollen den Herrn der Ernte bitten, Arbeiter zu senden zur rechten Stunde“. Bonhoeffers Behauptung, Jesus habe das Werk nicht allein tun gekonnt, ist begründet auf der Tatsache, dass Jesus – Christus in der Seinsart des Fleisches – immer nur dort lehren und Menschen für sich und das Reich Gottes gewinnen konnte, wo er selbst sich gerade aufhielt. Zugleich ist damit aber den Lesern der N (den Pastoren und Predigern der Bekennenden Kirche) die ungeheure Bedeutung ihres Dienstes vor Augen geführt.

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Der Weg Christi mit dem Menschen

3.2.2.5 Nachfolge als Gestaltung zum Bild Christi Als zu Beginn dieses Kapitels die Heiligung begrifflich betrachtet wurde, wurde diese als ein gestalterischer Prozess bestimmt, der an den Gläubigen und an der Gemeinde selbst vollzogen wird. Heiligung der Gemeinde, die der Leib Christi ist, bedeutet, dass „Christus […] in seinen Gliedern Gestalt gewinnen will“ (N 237), dass die Gemeinde zum Bilde Christi gestaltet wird. Heiligung ist die Gestaltung der Heiligen zum Bilde Christi, dem neugeschaffenen Ebenbild Gottes auf Erden. „Gestalt“ steht hier in direktem Kontrast zu allen theologischen Vorstellungen, welche die Umwandlung des glaubenden Menschen nicht als ganzheitliche Umwandlung zu denken versuchen, „Bild“ wiederum bildet den Gegensatz zu allem Unsichtbaren, nur Doketischen. Nicht daß der Mensch wieder rechte Gedanken über Gott habe, nicht daß er seine einzelnen Taten wieder unter Gottes Wort stelle, sondern daß er als Ganzheit, als lebendiges Geschöpf Gottes Bild sei, ist das Ziel und die Bestimmung. Leib, Seele und Geist, die ganze Gestalt des Menschen soll das Bild Gottes auf Erden tragen. Gottes Wohlgefallen ruht allein auf seinem vollendeten Ebenbild. (N 298 f)

Indem jener „Wandel der Gestalt“ (N 299) des Menschen bzw. der Gemeinde, welcher Grund und Ziel der Heiligung ist,174 in den vorangegangenen Abschnitten inhaltlich, durch die Analyse des Verhältnisses der Christen zur Welt dargelegt worden ist, kann nun eine hinreichende Antwort auf die dogmatische Anfangsfrage gegeben werden, wie genau nach Bonhoeffer die Ebenbildlichkeit von Schöpfer und gefallenem Geschöpf wieder hergestellt wird, d. h. unter welchen Umständen der Mensch das verlorene Ebenbild Gottes wieder trägt, wie also die Gestaltgewinnung Christi in seinen Heiligen geschieht, inwieweit der Gedanke der Umgestaltung des Menschen zum Bilde Christi und das Weltverhältnis des Christen einander bedingen und wie jener Gedanke sich in die theologische Argumentation der „Nachfolge“ einfügt. Zunächst ist zu vergegenwärtigen: Strukturell liegt dem Gedanken des Versöhnungshandelns Gottes mit der Welt in der „Nachfolge“ ein dreistufiges Modell zugrunde: erstens die Menschwerdung Jesu Christi (Vollzug der Versöhnung von Gott und Menschheit), zweitens die Rechtfertigung des Menschen (Vollstreckung der Versöhnung von Gott und Mensch) und drittens die Heiligung des Menschen (Bewahrung und Erhaltung der Versöhnung von Gott und Mensch). Auf den Aspekt der Ebenbildlichkeit von Gott und Mensch übertragen, ergibt sich unter der Voraussetzung, dass der zum Ebenbild 174 Die Umgestaltung ist der Grund der Heiligung, insofern der Mensch in der Rechtfertigung ein für allemal „seiner sündigen Vergangenheit“ entrissen wird (N 275); die Umgestaltung ist das Ziel der Heiligung, sofern diese ja mit der Rechtfertigung nicht abgeschlossen ist, sondern hier erst ihren Anfang nimmt.

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Gottes geschaffene und in Adam gefallene Mensch (vgl. N 297 f) „sein eigenes, gottgleiches Wesen, das er von Gott hatte, verloren“ hat, dass aber „Gott […] sein Auge nicht von seinem verlorenen Geschöpf [wendet]“, sondern selbst „die Gestalt des Menschen an[nimmt]“ (N 299) und in Jesus Christus sein Ebenbild auf Erden neu schafft (vgl. ebd.). „Er ist den Menschen gleich geworden“ (N 301). Durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, durch sein Kreuz und seinen Tod ist Gottes Gerechtigkeit wiederhergestellt (vgl. N 270ff u. a.), sind Gott und Menschheit versöhnt. In der Menschwerdung Christi empfängt die ganze Menschheit die Würde der Gottebenbildlichkeit zurück. […] Christus, der Menschengestalt angenommen hat [, hat] in sich das Ebenbild Gottes für alles, was Menschenantlitz trägt, wiederhergestellt (N 301).

Was in der Kraft der Menschwerdung Jesu an der ganzen Menschheit vollzogen ist (in Christus ist das Bild Gottes auf Erden wiederhergestellt), das wird am Einzelnen darüber hinaus durch den Glauben an Christus vollstreckt. Die Rechtfertigung des Menschen ist als dessen „Neuschöpfung“ (N 275) aber nicht statischer Abschluss der Versöhnung von Gott und Mensch in Christus, sondern die vollstreckte Neuschöpfung bedarf der Bewahrung, und diese Erhaltung am Leib Christi ist die Heiligung (vgl. ebd.). Des Menschen Rechtfertigung ist, so könnte man formulieren, der Aorist in effektivem und ingressivem Aspekt zugleich: Das alte Leben ist in den Tod gegeben, mit diesem Tod aber beginnt das neue Leben des Menschen in Christo. Christus hat in den Gläubigen Gestalt gewonnen, und zugleich will er in ihnen Gestalt gewinnen. Christus, so formuliert Bonhoeffer, „ist den Menschen gleich geworden, damit sie ihm gleich seien“ (N 301). Die Gläubigen tragen das neue Ebenbild Gottes, zugleich aber sollen sie dieses Bild tragen, in dieses Bild hineingestaltet werden.175 Neuschöpfung des Menschen ist mit dem Akt der Taufe nicht abgeschlossen, sondern ist ein fortwährender Prozess, der – paradox formuliert – seine bereits vollendete Gestalt und ebenso seinen Beginn in der Taufe, ja schon in der Menschwerdung Christi hat. Als wesentliche Bestimmung von Heiligung ergibt sich somit, dass Heiligung „immer auf das Ende bezogen“ und „auf das Bestehen am Tag Jesu Christi gerichtet“ ist (N 292). Es liegt der Heiligung die Frage nach dem Wohlgefallen Gottes am Menschen zugrunde. Heiligung ist so bei Bonhoeffer verstanden als Christi Bereitung seiner Gemeinde, mit dem Ziel, „daß sie vor ihm bestehen kann“. Vor Jesus Christus kann nur die geheiligte Gemeinde bestehen; der die Feinde Gottes versöhnte und sein Leben für die Gottlosen gab, der tat es, damit seine Gemeinde heilig sei bis zu seiner Wiederkunft. (N 293) 175 Siehe hierzu die zu Beginn zu den Sätzen „Er ist der Mittler“ und „Christus will der Mittler sein“ (N 89 f) geäußerten Thesen oben Kap. 2.3 bis 2.3.2.

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Der Weg Christi mit dem Menschen

Bestehen kann aber an jenem Tage nur, wer das Bild Jesu trägt, wer Christus in der Nachfolge gleich geworden ist. Gerade hier hat der Begriff der Nachfolge bei Bonhoeffer seinen theologischen Ort: Die Jünger sind und werden ihrem Herrn in der Nachfolge, in ihrem Leiden und in ihren Werken gleich. Als die Nachfolgenden sind die Jünger „mit Christus“ (N 230 f), „für Christus“ (N 235 u. a.), „wie Christus“ (N 203). Der Jünger ist „nur Jünger als der leidende und verworfene, als der mitgekreuzigte“ (N 78). Dass die Glaubenden ihrem Herrn gleichgestaltet sind und gleichgestaltet werden, bleibt ihnen selbst wiederum verborgen; dennoch ist es ein der Welt sichtbares, öffentliches Gestaltwerden (vgl. N 224). Im Sinne dieser Sichtbarkeit legt Bonhoeffer den Begriff der Ebenbildlichkeit aus: Der Nachfolger nimmt sichtbar das Bild dessen an, der Mensch geworden ist und von der Welt verworfen wird. Dieses Bild ist freilich ein anderes Bild als das Adams in der ersten Herrlichkeit des Paradieses. Es ist das Bild dessen, der sich mitten in die Welt der Sünde und des Todes hineinstellt, der die Not des menschlichen Fleisches auf sich nimmt, der sich dem Zorn und Gericht Gottes über die Sünder demütig unterwirft, der Gottes Willen gehorsam bleibt im Tode und im Leiden; der in Armut Geborene, der Zöllner und Sünder Freund und Tischgenosse, der am Kreuz von Gott und Menschen Verworfene und Verlassene – das ist Gott in Menschengestalt, das ist der Mensch als das neue Ebenbild Gottes! (N 300)

Die Gestalt, der gleichzuwerden das Ziel der Heiligung des Jüngers vom Moment seiner Rechtfertigung an ist, ist die „Menschengestalt“, d. h. aber die Gestalt der „Niedrigkeit“ (N 301) und darum die „Todesgestalt“ (N 301 und 302) Christi auf Erden, „das in der Welt geschändete Bild des Gekreuzigten“. Heiligung bedeutet darum, „dem Bilde des gehorsamen, leidenden Knechtes Gottes am Kreuz“ (N 300) gleich zu werden, und dies wiederum heißt, an der Schwachheit Gottes in der Welt teilzunehmen, für die Welt stellvertretend da zu sein und zu leiden. In dieser Schwachheit liegt die Stärke Gottes, die Überwindung des Leidens und der Schwachheit selbst (vgl. bes. N 83 f). Durch das Tragen in der Kraft erduldender Liebe (und Tragen heißt Vergeben, vgl. N 82) wird das Leid überwunden, eine Erkenntnis, die Bonhoeffer mit Blick auf die Umwandlung des Menschen zur Gestalt Christi so formuliert: [W]er nach Gottes Verheißung teilgewinnen will an der Klarheit und Herrlichkeit Jesu, der muß vorher gleichgeworden sein dem Bilde des gehorsamen, leidenden Knechtes Gottes am Kreuz. Wer das verklärte Bild Jesu tragen will, der muß das in der Welt geschändete Bild des Gekreuzigten getragen haben. Niemand findet das verlorene Ebenbild Gottes [sc. und zwar des urständlichen] wieder, es sei denn, daß er teilgewinnt an der Gestalt des menschgewordenen und gekreuzigten Jesus Christus. Allein auf diesem Bilde ruht Gottes Wohlgefallen. (N 300)

Dem gekreuzigten, verworfenen, leidenden Christus gleichzuwerden heißt für Bonhoeffer, Gottes Gnade als „teure Gnade“ zu empfangen. Der Weg der teuren Gnade ist der Weg unter das Kreuz Christi, die Theologie der „teuren

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Gnade“ ist Theologie des Kreuzes. Teure Gnade ist Nachfolge unter dem Kreuz Jesu Christi, denn das „Ebenbild Gottes ist das Bild Jesu Christi am Kreuz“ (N 301). Wer nachfolgt, der trägt sichtbar dieses Bild Christi auf Erden – der wird umgewandelt in das Ebenbild Gottes auf Erden, in seiner ganzen sichtbaren Gestalt in dieses Bild hinein (vgl. N 299). „Es ist ein Leben in der Gleichgestalt des Todes Christi (Phil. 3,10; R. 6,4 f.). Es ist ein gekreuzigtes Leben (Gal. 2,19). Christus prägt dem Leben der Seinen seine Todesgestalt auf“ (N 301 f). Doch: Wer in der Gemeinschaft des Menschgewordenen und Gekreuzigten steht, in wem er Gestalt gewonnen hat, der wird auch dem Verklärten und Auferstandenen gleich werden. ,Wir werden das Bild des himmlischen Menschen tragen‘ (1. Kor. 15,49). ,Wir werden ihm gleich sein, denn wir werden ihn schauen, wie er ist‘ (1. Joh. 3,2). Wie das Bild des Gekreuzigten, so wird auch das Bild des Auferstandenen die umgestalten, die es sehen. (N 302)

So wird das Bild des Todes zum Bild der Herrlichkeit Christi, und zwar in der Weise, dass „[s]chon auf dieser Erde“ dieses Bild als „Spiegel des göttlichen Bildes“ Anderen sichtbar sein wird.176 Der Jünger, die Gemeinde selbst ist Licht der Welt, sichtbare Stadt auf dem Berge (vgl. N 110ff zu Mt 5,13 – 16), und sie bezeugen so im Gewand der Schwachheit die Herrlichkeit Christi in der Welt.177 Dabei ist nun dreierlei zu beachten. Zuerst: Nicht der Mensch selbst gestaltet, sondern er wird gestaltet. Wie in der Rechtfertigung, so bleibt der Mensch auch in der Heiligung letztlich vollkommen passiv, selbst wenn er 176 N 302. Vgl. weiter ebd.: „Wer Christus schaut, der wird in sein Bild hineingezogen, seiner Gestalt gleichgemacht, ja er wird zum Spiegel des göttlichen Bildes. Schon auf dieser Erde wird sich in uns die Herrlichkeit Jesu Christi widerspiegeln. Aus der Todesgestalt des Gekreuzigten, in der wir leben, in Not und Kreuz, wird schon die Klarheit und das Leben des Auferstandenen hervorleuchten, und immer tiefer wird die Umgestaltung zum göttlichen Ebenbild, immer klarer wird das Bild Christi in uns; es ist ein Fortschreiten von Erkenntnis zu Erkenntnis, von Klarheit zu Klarheit, zu immer vollkommenerer Gleichheit mit dem Bilde des Sohnes Gottes.“ 177 Vgl. hierzu N 180 f: „Die treibende Unruhe der Jüngerschar, die keine Grenzen ihrer Wirksamkeit kennen will, der Eifer, der den Widerstand nicht achtet, verwechselt das Wort des Evangeliums mit einer siegreichen Idee. Die Idee fordert Fanatiker, die keinen Widerstand kennen und achten. Die Idee ist stark. Das Wort Gottes aber ist so schwach, daß es sich von Menschen verachten und verwerfen läßt. Es gibt für das Wort verstockte Herzen und verschlossene Türen, und das Wort anerkennt diesen Widerstand, auf den es stößt, und erleidet ihn. Es ist eine harte Erkenntnis: für die Idee gibt es nichts Unmögliches, für das Evangelium aber gibt es Unmöglichkeiten. Das Wort ist schwächer als die Idee. So sind auch die Zeugen des Wortes mit diesem Wort schwächer als die Propagandisten einer Idee. Aber in dieser Schwäche sind sie frei von der kranken Unruhe der Fanatiker, sie leiden ja mit dem Wort.“ Vgl. fernerhin N 203: „Mit Furcht und Staunen müssen sie [sc. die Boten Jesu] zugleich die Kraft und die Schwachheit des göttlichen Wortes erkennen. Weil aber die Jünger nichts gegen das Wort und über das Wort hinaus erzwingen können noch sollen, weil es in ihrem Auftrag nicht um heroischen Kampf, nicht um fanatische Durchsetzung einer großen Idee, einer ,guten Sache‘ geht, darum bleiben sie nur dort, wo das Wort Gottes bleibt. Wird es verworfen, so lassen sie sich mit ihm verwerfen.“ Vgl. auch N 206 und 227.

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freilich auch aktiv ist; er ist aber nicht Subjekt seiner Gestaltung.178 Anders ausgedrückt: Nach Christi Vorbild in der Nachfolge zu leben heißt, tatsächlich allein auf den zu schauen, der mir vorangeht und dem ich nachfolge. In der Nachfolge schaue ich nicht auf mich selbst, auf mein eigenes Bild. Ich mache mir nicht mein eigenes Bild, sondern blicke allein auf das Bild Jesu, der vorangeht und dessen Bild so zu meinem eigenen wird. Kein Blick fällt mehr auf mein eigenes Leben, auf das neue Bild, das ich trage. Ich müßte es in demselben Augenblick verlieren, in dem ich es zu sehen begehrte. Es ist ja nur der Spiegel für das Bild Jesu Christi, auf das ich unverwandt schaue. Der Nachfolgende sieht allein auf den, dem er folgt. (N 304)

Sodann: Wenn Bonhoeffer hier so ungeschützt von Gestaltung, Christus Gleichwerden in der Nachfolge, Christus als Vorbild spricht, dann erweckt er dadurch leicht den Eindruck, als stünde er theologisch einer imitatio-Frömmigkeit durchaus nahe.179 Tatsächlich ist dies nicht der Fall, und zwar darum nicht, weil Bonhoeffer alles Christus Gleichwerden, alles jah½r Wqistºr-Sein streng als Konsequenz dessen verstanden wissen will, dass Christus zuvor uns gleichgeworden ist180 und dieser Christus im Leben der Jünger sein Leben zu leben begonnen hat (vgl. N 236 f u. a.). Sofern Christus zuvor unser Bild angenommen hat, ist er unser Vor-bild, und weil er zuvor unser Bild schon trägt, kann er uns das Vorbild sein, dem wir folgen. Wir können sein wie Christus, weil er zuvor wurde wie wir sind. Weil wir zum Ebenbilde Christi gemacht sind, darum sollen wir sein wie Christus. Weil wir Christi Bild schon tragen, darum allein kann Christus das ,Vorbild‘ sein, dem wir folgen. Weil er selbst sein wahrhaftiges Leben in uns führt, darum können wir ,wandeln gleichwie er gewandelt ist‘ (1. Joh. 2,6), ,tun wie er getan‘ hat (Joh. 13,15), ,lieben wie er geliebt hat‘ (Eph. 5,2; Joh. 13,34; 15,12), ,vergeben wie er vergeben hat‘ (Kol. 3,13), ,gesinnt sein wie Jesus Christus auch war‘ (Phil. 2,5), darum können wir dem Beispiel folgen, das er uns gelassen hat (1. Pt. 2,21), unser Leben lassen für unsere Brüder, wie er es für uns gelassen hat (1. Joh. 3,16). Allein darum können wir 178 Vgl. N 301: „Nicht wir machen uns zum Ebenbilde, sondern es ist das Ebenbild Gottes selbst, es ist die Gestalt Christi selbst, die in uns Gestalt gewinnen will (Gal. 4,19).“ Vgl. auch N 296: „Der Glaubende wird gerechtfertigt, der Gerechtfertigte wird geheiligt, der Geheiligte wird im Gericht errettet, nicht weil unser Glaube, unsere Gerechtigkeit, unsere Heiligung, soweit es an uns ist, etwas anderes wäre als Sünde, sondern weil Jesus Christus uns gemacht ist ,zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, auf daß, wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn‘ (1. Kor. 1,30).“ Vgl. fernerhin N 236 f: „Solches stellvertretende Tun und Leiden der Glieder am Leibe Christi ist selbst das Leben des Christus, der in seinen Gliedern Gestalt gewinnen will (Gal. 4,19).“ 179 Vgl. die im Anschluss an H. Mller, Von der Kirche zur Welt, 230ff, formulierte Kritik von Krause in dem TRE-Artikel über Bonhoeffer, 60: „Die Überwindung der Lutherschüler ist bei diesen Anklängen an Mystik wie bei der mindestens lockeren Verbindung von Rechtfertigung und Heiligung […] kaum gelungen“. 180 Vgl. zum Folgenden Gremmels, Rechtfertigung und Nachfolge.

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sein, wie er war, weil er war, wie wir sind. Allein darum können wir sein ,wie Christus‘, weil wir ihm gleichgemacht sind. Nun da wir zum Bilde Christi gemacht sind, können wir nach seinem Vorbild leben.181

Schließlich ist zu beobachten: Der Abschnitt, mit welchem Bonhoeffer sein Buch „Nachfolge“ schließt, scheint auf den ersten Blick einen ganz neuen Gedanken einzuführen, der darum beinahe isoliert wirkt und sich einer sicheren Interpretation zu entziehen scheint. Am Ende des Buches heißt es: Von ihm aber, der in der Nachfolge das Bild des menschgewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus trägt, von ihm, der zum Ebenbild Gottes geworden ist, darf es nun zuletzt heißen, daß er berufen ist, „Gottes Nachahmer“ zu sein. Der Nachfolger Jesu ist der Nachahmer Gottes. „So seid nun Gottes Nachahmer als die lieben Kinder“ (Eph. 5,1). (N 304)

Ein wichtiges Kriterium zum Verständnis dieses letzten Gedankens der „Nachfolge“ hat Bonhoeffer selbst durch den Halbsatz „darf es nun zuletzt heißen“ gegeben. Zuletzt – das bedeutet, dass von den Nachfolgenden als Gottes Nachahmern nur dann geredet werden darf, wenn das Vorhergehende mit bedacht wird. Offensichtlich grenzt Bonhoeffer sein Konzept der Nachfolge Christi am Schluss noch einmal gegen das Missverständnis einer imitatio-Christi-Theologie ab, bzw. indem er jetzt die Nachfolge auf die Nachahmung bezieht, verhilft Bonhoeffer auch dem Begriff der Nachahmung zu seinem theologischen Recht. Die Gnade, Gottes Nachahmer zu sein, ist gebunden an die Gnade, Christi Nachfolger zu sein. Christi Nachfolger haben teilbekommen an dem neuen Ebenbild Gottes auf Erden, sie sind „Ebenbild Gottes geworden“. Gottes Ebenbild sind sie, indem sie teilnehmen an jener Arbeit, die Gott selbst in Jesus Christus auf Erden begonnen und verrichtet hat (vgl. N 201), nämlich: der Menschheit das Evangelium vom Reiche Gottes zu bringen (vgl. 197ff). Als die Mitarbeiter Jesu Christi (vgl. N 196 u. a.) sind die Christen Nachahmer Gottes. Als solche verrichten die Jünger – und hier wird deutlich, dass jener Gedanke der Nachahmung Gottes im Gedankengang des Buches zwar erst am Schluss expliziert wird, allerdings schon in dessen Hauptteilen angelegt ist – „Gottes Werk“ (N 198). Sie sind Mitarbeiter an „Gottes Werk“, der die Welt in Christus mit sich versöhnt hat und versöhnen will. An dieser versöhnenden Arbeit können die Jünger allein in der Nachfolge des Sohnes teilnehmen. Ihre imitatio bleibt daher ganz gebunden an die Gestalt Gottes als des Menschgewordenen, und das ist die Gestalt der Schwachheit, des Leidens und des Kreuzes. Nur insofern der Jünger zu dieser Gestalt umgewandelt worden ist, „[ist] er berufen […], ,Gottes Nachahmer‘ zu sein“ (N 304). Als die dem Sohn Gehorsamen sind die Christen Nachahmer Gottes; sie sind es, und sie sind berufen, Nachahmer zu sein. Epheser 5,1, der Vers, mit dem Bonhoeffer die Nachfolge schließt, ist darum zu lesen als Zuspruch und 181 N 303 f; alle außer letzter Hervorhebung durch F.S. Vgl. zu Bonhoeffers Argumentation Iserloh, Sacramentum et exemplum.

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Anspruch zugleich: Ihr, die ihr Christus nachfolgt, seid Gottes Nachahmer und dürft Gottes Nachahmer sein; aber seid es nun auch – indem ihr „den von der Welt Geschmähten und Entehrten“ Zeugnis gebt von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus unter uns getreten ist, die „Leben erhalten, tragen, schützen will“ (N 125).

3.2.2.6 Reinheit der Gemeinde und Eschatologie: Heiligung als Ausrichtung der Gemeinde auf den Tag Christi Zwei wesentliche Bestimmungen von Heiligung sind in den vorangegangenen Kapiteln zur Darstellung gekommen. Die erste wurde durch das Verhältnis der Gemeinde zur Welt beschrieben, das nur in der doppelten Gestalt von Absonderung und Zuwendung zu denken ist. Diese wiederum steht im Dienste einer zweiten zentralen Bestimmung: der Tatsache, dass alle „Heiligung […] immer auf das Ende bezogen“, „[…] auf das Bestehen am Tage Jesu Christi gerichtet [ist]“. Das Ziel von Heiligung ist das Heiligbleiben: das Heiligsein der Gerechtfertigten zur Errettung der Gemeinde am Tage Christi. Heiligung „hat ihr Ziel […] darin, […] vor dem Herrn bestehen zu können“ (N 292). Die kraft der Rechtfertigung Heiligen (vgl. N 274 f) sollen wirklich heilig sein. In diesem Zusammenhang sind nun, das Kapitel über die Zuwendung der Heiligen zur Welt abschließend, zwei weitere Aspekte zu nennen, die Bonhoeffers „Nachfolge“-Theologie kennzeichnen: das Verhältnis von Werken und Gericht sowie das Motiv der Reinheit.

3.2.2.6.1 Werke und Gericht Die Verbindung von Werken und Gericht, von Werken und Heil des Menschen wurde bei Bonhoeffer mit dem Begriff der „besseren Gerechtigkeit“ angesprochen. „Wer diese bessere Gerechtigkeit nicht hat,“ sagt Bonhoeffer, „der wird nicht ins Himmelreich kommen“ (N 117). Diese Aussage ist möglich, weil es „bessere Gerechtigkeit“ nur im Gebundensein an Christus, in seiner Gemeinschaft, in der Existenz des Glaubens gibt, zugleich aber die Nachfolge nur im Tun wirkliche Nachfolge ist. Allein unter Berücksichtigung dieser christologischen Voraussetzungen können Bonhoeffers Aussagen nachvollzogen und theologisch adäquat – und nicht als Ausdruck neuer Werkgerechtigkeit – verstanden werden, die in den letzten Seiten der „Nachfolge“ über die Worte der Jünger und ihre Bedeutung für das Gericht am Tag Jesu Christi gemacht werden; unter Vernachlässigung jener Argumentation würden sie als vollkommenes Zurückgehen hinter „Luthers Erkenntnis von der reinen, teuren Gnade“ (N 35), d. h. als Zurückgehen hinter Luthers Wiederentdeckung des sola gratia, erscheinen:

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der Herr wird nach den Werken richten und die Person nicht ansehen. Es wird eines jeglichen Werk offenbar werden, und er wird einem jeglichen geben „danach er gehandelt hat bei leiblichem Leben, es sei gut oder böse“ (2. Kor. 5,10; Röm. 2,6ff; Matth. 16,27). […] Wer wird dann bestehen? Der in guten Werken erfunden wird. Nicht die Hörer, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden (Röm. 2,13). Es ist des Herrn eigenes Wort, daß in sein Himmelreich nur die kommen können, die den Willen seines Vaters im Himmel tun. (N 293 f)

Subjekt des Tuns ist aber gerade nicht der „alte“, sondern der „neue Mensch“; Subjekt des Tuns ist darum Christus als der in den Glaubenden lebende neue Mensch.182 Weiter sagt Bonhoeffer : Weil wir nach unseren Werken gerichtet werden, darum ist uns das „gute Werk“ geboten. […] Um seines Heils willen sind dem Christen gute Werke vonnöten; denn wer in bösen Werken erfunden wird, der wird das Reich Gottes nicht sehen. Darum ist das gute Werk das Ziel des Christseins. Weil in diesem Leben nur eins wichtig ist, nämlich wie der Mensch im letzten Gericht bestehen kann, und weil jeder nach seinen Werken gerichtet werden wird, darum geht es in allem um die Bereitung des Christen zum guten Werk. So hat auch die Neuschöpfung des Menschen in Christus die guten Werke zum Ziel. (N 294 f)

Als eine wesentliche und zwar als eine wesentlich eschatologische Bestimmung der Heiligung kann darum formuliert werden: „Alle Heiligung ist auf das Bestehen am Tage Jesu Christi gerichtet.“ (N 292) Ist aber das Gericht nach „unseren Werken“ angesprochen, so ist sogleich hinzuzufügen, dass die Werke, die wir in der Nachfolge tun, Werke der „besseren Gerechtigkeit“ und nicht eigentlich „unsere Werke“ sind. Sie sind „Christuswerke“ (N 197). Wir selbst sind es, die in guten Werken wandeln sollen, die jeden Augenblick zu guten Werken gefordert sind, und wir wissen doch, daß wir mit unseren Werken vor Gottes Gericht niemals bestehen könnten, sondern daß es Christus allein ist und sein Werk, an das wir uns im Glauben klammern. (N 295; Hervorhebung durch F.S.) Gott allein kennt unsere guten Werke, wir kennen nur sein gutes Werk und hören sein Gebot und gehen unter seiner Gnade hin, wandeln in seinen Geboten und sündigen.

Am Tag des Gerichts aber, so Bonhoeffer, werden wir „erkennen, daß es nicht unsere Werke sind, die hier bestehen, sondern das Werk, das Gott zu seiner Zeit ohne unser Wollen und Mühen durch uns getan hat (Matth. 25,31ff)“ (N 296; Hervorhebung durch F.S.). Führt man nun beide Bestimmungen der Heiligung (Verhältnis der Gemeinde zur Welt sowie Ausgerichtetsein der in der Heiligung getanen Werke auf den Jüngsten Tag) zusammen, treffen wir auf ein Merkmal der Heiligung, das für die Theologie der „Nachfolge“ ebenfalls von wesentlicher Relevanz ist: das Motiv der Reinheit, Unversehrtheit, Unbeflecktheit der Gemeinde als der Voraussetzung ihrer Heiligung. 182 Siehe oben Kap. 2.4.3.

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3.2.2.6.2 Das Motiv der Reinheit Wie die Gemeinde am Tag Jesu Christi bestehen kann, dies ist Bonhoeffers Kernfrage der „Nachfolge“, und die Antwort lautet: „Nur die geheiligte Gemeinde wird am Tage Jesu Christi errettet werden vor dem Zorn“ (N 293). Heiligung der Gemeinde und des Einzelnen dient dem alleinigen183 Ziel, „daß die Christen nunmehr ganz und gar gerichtet und bewahrt werden auf die Zukunft Christi und ihr entgegen gehen“ (N 277; vgl. auch 291 u. a.). Die Gewähr dafür, dass die „Gemeinde mit allen einzelnen“ im Stande der Heiligung tatsächlich bewahrt wird, dass sie bei Christus bleibt, ist dadurch gegeben, dass die Christen allein auf Christus sehen, auf sein Wort hören und nur ihm dienen, dass sie „versiegelt werden bis auf den Tag der Erlösung“ (N 275 f) durch den Heiligen Geist, anders gesagt: dass die Gemeinde sich rein hält von allem Unreinen, von allem Verunreinigenden. Vor Jesus Christus kann nur die geheiligte Gemeinde bestehen […]. Das geschieht durch die Versiegelung mit dem Heiligen Geist, wodurch die Heiligen im Heiligtum der Gemeinde verschlossen und bewahrt werden bis auf den Tag Jesu Christi. An jenem Tage sollen sie nicht mit Befleckung und Schande, sondern an Geist, Seele und Leib heilig und unsträflich vor ihm erfunden werden (1. Thess. 5,23). (N 293; Hervorhebung durch F.S.)

Da die Reinheit der Gemeinde Voraussetzung und Ziel ihrer Heiligung ist, ist alles über das Verhältnis der Christen zur Welt Gesagte unter diesem Aspekt zu lesen. Dies soll jetzt geschehen, indem das Motiv der Reinheit dezidiert in den Blick genommen wird, um damit, am Ende der Darstellung des Gedankengangs Bonhoeffers, eine theologische Grundüberzeugung der „Nachfolge“ herauszustellen, welche für die Theologie Dietrich Bonhoeffers in jenen Jahren als wesentlich zu betrachten ist und sich besonders für das Verständnis der theologischen Entwicklung und Veränderung vom Kirchenkampf zur politischen Konspiration als erkenntnisleitend erweisen wird. Die Stellen der „Nachfolge“, in denen Bonhoeffer die Reinheit der Gemeinde und der einzelnen Glaubenden thematisiert, gehen weit über den expliziten Gebrauch des Begriffs hinaus. Es steht nahezu jede einzelne Seite des Buches unter dem Zeichen der Reinheit und Unversehrtheit der Gemeinde. Die auffälligsten Aussagen seien noch einmal betrachtet: Das Kapitel über „Die Heiligen“ beginnt Bonhoeffer durch die Beschreibung des Ziels der Jüngerberufung; jenes Ziel ist die Reinheit der zu ihm Gerufenen zu ihrer Errettung.

183 Die Verschärfung der Aussage durch die exklusivierende Fokuspartikel „allein“ rechtfertigt sich durch Aussagen Bonhoeffers wie die in N 294: „Weil in diesem Leben nur eins wichtig ist, nämlich wie der Mensch im letzten Gericht bestehen kann […], darum […]“ (Hervorhebung durch F.S.).

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Das war das Ziel ihrer Berufung zu Jesus Christus, ja ihrer Erwählung vor der Gründung der Welt, daß sie heilig und untadelig seien (Eph. 1,4), dazu hatte Christus seinen Leib in den Tod gegeben, daß er die Seinen heilig, unbefleckt und unsträflich vor sich selbst darstellte (Kol. 1,22). (N 269; Hervorhebung durch F.S.)

Das Herz der Christen ist das einfältige Herz des Glaubenden, dessen Blick ganz und allein auf Christus gerichtet ist. Die Nachfolgenden haben ein reines Herz. Reines Herzens ist allein, wer sein Herz Jesus ganz hingegeben hat, daß er allein darin herrsche; der sein Herz nicht befleckt durch eigenes Böses, aber auch nicht durch eigenes Gutes. Das reine Herz ist das einfältige Herz des Kindes, das nicht weiß um Gut und Böse, das Herz Adams vor dem Fall, das Herz, in dem nicht das Gewissen, sondern Jesu Wille herrscht. Wer im Verzicht steht […] auf das eigene Herz, wer so in der Buße steht, und allein an Jesus hängt, dessen Herz ist rein durch das Wort Jesu. […] Das reine Herz ist rein von Gut und Böse, es gehört ganz und ungeteilt Christus an, es sieht allein auf ihn, der vorangeht. […] Sein [sc. des Gläubigen, des allein auf Christus Sehenden] Herz ist frei von befleckenden Bildern, nicht hin- und hergezogen durch die Mannigfaltigkeit eigener Wünsche und Absichten. (N 106 f)

Schon in diesen zwei kurzen Abschnitten wird zweierlei deutlich. Zum einen, wie oben besprochen, dass das reine Herz das hauptsächliche Kriterium des Glaubens an Jesus Christus ist. Wer nicht glaubt, dessen Herz ist nicht rein, und es ist umgekehrt allein dessen Herz rein, der glaubt. Glaube und ein beflecktes Herz schließen einander aus. Wird das Herz befleckt, so kann der Glaube davon nicht unbetroffen bleiben, vielmehr ist schon die „Unreinheit der Begierde […] Unglaube“ (N 127). Zum anderen ist bereits in jenen Zeilen (sie stehen auf den vordersten Seiten der Bergpredigtauslegung!) der Zusammenhang von Reinheit des Herzens und Errettung am Tag Christi angesprochen, den Bonhoeffer dann wie folgt verdeutlicht: „Gott schauen wird allein der, der in diesem Leben allein auf Jesus Christus gesehen hat, den Sohn Gottes. […] Gott schauen wird der, dessen Herz ein Spiegel des Bildes Jesu Christi geworden ist.“ (N 107) Vice versa muss gelten: Das „Auge, das der unreinen Begierde dient, kann Gott nicht schauen“ (N 127). Jener „unreinen Begierde“ dient das Auge des Menschen nach Bonhoeffer sogleich dann, wenn es seinen Blick von Christus abwendet, wenn der Jünger dem Wort Jesu nicht einfältig gehorsam ist, wenn also sein Leben sich nicht oder nicht mehr in der Doppelgestalt von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Außerordentlichkeit und Einfalt ereignet. Denn „das peqissºm, das Außerordentliche“ als „die Existenz der Seliggepriesenen, der Nachfolgenden […] ist das leuchtende Licht, die Stadt auf dem Berge, es ist der Weg der Selbstverleugnung, völliger Liebe, völliger Reinheit, völliger Wahrhaftigkeit, völliger Gewaltlosigkeit“ (N 148; Hervorhebung durch F.S.). Die Heiligkeit, Unbeflecktheit, Unsträflichkeit (vgl. N 269; s. o.) als die „Frucht der Befreiung von der Sünde durch den Tod Christi“ bedeutet ja, „daß die, die einstmals ihre Glieder der Ungerechtigkeit

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liehen, sie nun zum Dienst der Gerechtigkeit gebrauchen, zur Heiligung (Röm. 6,19 – 22)“ (N 269). Reinheit der Gemeinde gibt es nur durch den „Dienst der Gerechtigkeit“. Heiligung, das Leben der Nachfolgenden, ist Dienst der Gerechtigkeit. Damit kann der entscheidende Zusammenhang von Heiligung, Reinheit und Tun des Gebotenen benannt werden. Nachdem deutlich wurde, dass das Motiv der Reinheit der Gemeinde als Kennzeichen ihrer Heiligung für Bonhoeffer von zentraler Wichtigkeit ist (es ist „Jesus allein um die vollkommene Reinheit […] seiner Jünger zu tun“),184 und zwar wichtig in Richtung auf das Bestehen der Gemeinde am Tag Jesu Christi, wird nun ebenso deutlich, dass der Weg zu dieser zum Bestehen im Gericht notwendigen Reinheit allein über das rechte Verhältnis der Jünger zu Jesus und also zur Welt und zum Nächsten führt. Die Reinheit der Gemeinde und der einzelnen Christen hängt an ihrem Verhältnis zur Welt, an ihrem Verhältnis zum Anderen. Weil diese Reinheit in ihrer Existenz, d. h. in ihrer Nachfolge begründet ist, und weil diese Nachfolge ein bestimmtes Verhältnis der Nachfolgenden zur Welt einfordert, darum ist das richtige Verhältnis der Nachfolgenden zur Welt (d. h. eigentlich zu Christus und seinem Wort!) der Schlüssel ihrer Errettung. Die Heiligung der Glaubenden ereignet sich allein in der Gleichzeitigkeit von der Absonderung der Gemeinde von Welt und Sünde und der Zuwendung zur von Gott in Christus geliebten Welt. Damit ist aber gesagt, dass Bonhoeffers theologisches Interesse in der „Nachfolge“ zwar eminent (und zwar ob deren Errettung und Bewahrung) von der Reinheit der Gemeinde geleitet ist. Jene Reinheit kann die Gemeinde aber allein dadurch bewahren und immer wieder neu gewinnen, indem sie für die Welt da ist – denn dieses, so wurde gezeigt, ist eines der zentralen gedanklichen Elemente und Anliegen der Nachfolge-Theologie. Nur in dem Da-sein und dem Leiden für Andere und also für Christus ist der Jünger Jünger und ist die Gemeinde Gemeinde. Damit ist sodann evident, dass in der Verbindung von Reinheit der Gemeinde und ihrer Errettung im Gericht zwar ein wesentliches Kriterium des Reinheitsmotivs in der „Nachfolge“ benannt ist, dass aber dieses Motiv damit noch nicht in seiner vollen theologischen Bedeutung erfasst ist. An der Reinheit der Gemeinde, und zwar der Gemeinde in der je und je gegebenen, gegenwärtigen Gestalt, entscheidet sich ihre Substanz und damit ihre Macht. Die Substanz der Kirche, der Gemeinde, der einzelnen Jünger ist zuerst Jesus Christus selbst, denn die Jünger sind an ihn allein gebunden. Er allein macht sie zu dem, was sie sind, nämlich zum Salz der Erde und Licht der Welt. Sie sind das Salz, durch das und „um derentwillen allein die Welt noch erhalten wird“ (N 267; vgl. auch N 110). Sie sind das Licht, das der Welt leuchtet. Sie sind Licht 184 N 129. Bonhoeffer trifft diese Aussage im Zusammenhang seiner Auslegungen von Mt 5,27 – 32: „Weil es Jesus allein um die vollkommene Reinheit, d. h. [sc. in diesem Fall konkret um die] Keuschheit seiner Jünger zu tun ist, darum muß er sagen, daß auch der vollendete Verzicht auf die Ehe um des Reiches Gottes willen zu preisen ist.“ (N 129).

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in ihrem ganzen Leben, sofern sie am Ruf bleiben.185 Ihre Substanz, d. h. ihre Bindung an Christus, haben die Jünger nur durch Christus, durch seinen Ruf, dem sie gefolgt sind, und durch das Wort, dem sie gehorchen. Sie behalten ihre Substanz nur in der Begegnung mit der Welt, deren Salz und Licht sie in ihrer „ganzen Existenz“ (N 111) sind. Salz der Erde und Licht der Welt aber sind die Jünger allein durch ihre Worten und Taten, mit denen sie der Welt begegnen in der Liebe Christi.186 Die Gemeinde, die den „Weg […] völliger Liebe“ verloren hätte, hätte auch den „Weg […] völliger Reinheit“ (N 148) verloren, ebenso wie umgekehrt die verunreinigte Gemeinde den Weg der Liebe verlassen hätte und mit diesem die Nachfolge Jesu Christi selbst.187 Diese Gemeinde hätte aufgehört, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein. Sie hätte ihre Substanz verloren und wäre darum „hoffnungslos verderbt“. Sie könnte im Gericht nicht bestehen. „Das ist das drohende Gericht, das über der Jüngergemeinde steht. Die Erde soll durch die Gemeinde gerettet werden, nur die Gemeinde selbst, die aufhört zu sein, was 185 Vgl. N 112: „Ihr seid das Licht in eurem ganzen Leben, sofern ihr am Ruf bleibt.“ 186 In Bonhoeffers Auslegung der Jünger als „Licht der Welt“ und „Salz der Erde“ ist zugleich der Kern des Stellvertretungsgedankens der N (siehe oben Kap. 3.2.2.4) enthalten: Licht und Salz sind nicht auf sich selbst gerichtet. Licht hat zur Aufgabe, anderen zu leuchten. Vom Salz geht Erhaltung aus, und zwar Erhaltung dessen, das es salzt. Übertragen: Das liebende Handeln der Jünger dient nicht nur ihrer eigenen Erhaltung, sondern der Erhaltung der Welt. Die Jünger „sind das Salz der Erde. Sie sind das edelste Gut, der höchste Wert, den die Erde besitzt. Ohne sie kann die Erde nicht länger leben. Durch das Salz wird die Erde erhalten, um eben dieser Armen, Unedlen, Schwachen willen, die die Welt verwirft, lebt die Erde. Sie vernichtet ihr eigenes Leben, indem sie die Jünger ausstößt und – o Wunder! – gerade um dieser Verstoßenen willen darf die Erde weiterleben.“ (N 110) „Die Erde soll durch die Gemeinde gerettet werden“ (N 112). Vgl. dazu Bonhoeffers Brief an Maria von Wedemeyer vom 12. 8. 1943, in: Brautbriefe Zelle 92, 38: Zum Vertrauen auf die Zukunft in der größten Not „gehört Glaube; Gott schenke ihn uns täglich; ich meine nicht den Glauben, der aus der Welt flieht, sondern der in der Welt aushält und die Erde trotz aller Not, die sie uns bringt, liebt und ihr treu bleibt.“ Allein aber darin, dass das Salz salzt, ist es Salz und erhält es, was von ihm berührt ist. „Dieses ,göttliche Salz‘ (Homer) bewährt sich in seiner Wirksamkeit. Es durchwirkt die ganze Erde. Es ist ihre Substanz. So sind die Jünger nicht nur aufs Himmelreich gerichtet, sondern an ihre Erdensendung erinnert. Als die an Jesus allein Gebundenen werden sie an die Erde gewiesen, deren Salz sie sind.“ (N 110) „Arm und im Leiden, hungrig und durstig, sanftmütig, barmherzig, friedfertig sind sie, verfolgt und geschmäht von der Welt, und doch sind sie es, um derentwillen allein die Welt noch erhalten wird. Sie schützen die Welt vor dem Zornesgericht Gottes. Sie leiden, damit die Welt noch unter der Geduld Gottes leben kann.“ (N 267). 187 Vgl. N 125 u. a. Konkrete Möglichkeiten des Abfallens von der Nachfolge nennt Bonhoeffer beispielsweise in seinen Ausführungen zum Verhältnis des Christen zum Bruder oder zum Weib: „Wer seinem Bruder zürnt, […] hat sich mit dem Bruder auch von Gott getrennt. Es gibt keinen Zugang mehr für ihn zu Gott.“ (N 124) Die Gemeinde, die durch ihren Dienst „den von der Welt Geschmähten und Entehrten [k]ein Zeichen gegeben hat von der Liebe Jesu, […] [hat] die Nachfolge Jesu verlassen […]“ (N 125) Von jenem „Dienst der Liebe“ (N 128) muss auch die Begegnung des Nachfolgenden mit der Frau geleitet sein. Jesus verbietet seinen Jüngern „nicht den Blick, aber er lenkt den Blick des Jüngers auf sich und weiß, daß hier der Blick rein bleibt, auch wenn er sich nun auf die Frau richtet. […] Diese Reinheit, d. h. Keuschheit aber ist gewahrt in der Gemeinschaft Jesu, in seiner Nachfolge.“ (N 128).

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sie ist, ist rettungslos verloren.“ (N 112) Eine solche Gemeinde hätte sich mit dem Verlust ihrer Substanz aber auch von der Verheißung Jesu getrennt, in der Liebe Christi alles Böse mit Gutem zu überwinden (vgl. Röm 12,21; N 134ff, 259). Die unreine Gemeinde als die Gemeinde, welche in falschem Verhältnis zur Welt und zu Christus selbst lebte, wäre nicht mehr Trägerin des Leidens, welches durch das stellvertretende Tragen desselben überwunden wird.

3.3 Exegetische Vergegenwärtigung und Textpragmatik der „Nachfolge“: Hermeneutische Erwägungen Im Rahmen der Darlegung der Ethik der „Nachfolge“-Theologie188 wurde in den vorangegangenen Kapiteln die Beziehung von Jesus, seiner Jüngergemeinde und den Nicht-Jüngern (d. h. dem „Volk“ bzw. der „Welt“) besprochen. Dieses Verhältnis soll jetzt, am Ende der Textanalyse der „Nachfolge“, noch einmal in den Blick genommen und einer gesonderten Interpretation unterzogen werden, und zwar anhand der Betrachtung und Exegese eines zentralen Begriffs des Werkes, des Begriffs Volk. Indem sie die Brücke schlägt zwischen der Gegenwart des biblischen Textes und Bonhoeffers eigener Gegenwart, wird diese Exegese den Übergang zu den weiteren Kapiteln vorbereiten, welche nach der theologischen Entwicklung Bonhoeffers und der Bedeutung der „Nachfolge“ innerhalb derselben fragen. Darüber hinaus bietet sie eine erste, textimmanent gefundene Stellungnahme zu einer Frage, wie die Bonhoeffers Denken seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten mitbestimmende so genannte „Judenfrage“ in der „Nachfolge“ aufgenommen und theologisch reflektiert ist. Textpragmatisch wird abschließend die Adressatenfrage dieser Schrift angesprochen. Die Kleinschrittigkeit im Vorgehen ist begründet durch die Ansicht, dass anders als durch eine solch ausführliche Betrachtung der Argumentationsgang und die textpragmatischen sowie exegetisch-vergegenwärtigenden Absichten Bonhoeffers kaum hinreichend aufgeschlüsselt werden können.

3.3.1 Das Verhältnis von Jesus, Jüngern und Volk Das Verhältnis Jesu zu Jüngern und Volk ist, so wurde gezeigt, vom christlichen Standpunkte aus zuvorderst bestimmt durch die Menschwerdung Christi. Christus trägt in seinem Leibe die ganze Menschheit ans Kreuz (vgl. N 229ff). Aus dem Volk, in das Jesus eingeht, ruft er einige hinaus durch seinen Ruf in die Nachfolge. Diejenigen der Gerufenen, die seinem Wort ge188 Siehe oben Kap. 3.2.2.1.

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Exegetische Vergegenwärtigung und Textpragmatik

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horsam sind im Glauben daran, dass es der Messias ist, der sie gerufen hat, und die diesem Wort folgen, sind nun ganz allein an Christus gebunden. Zwar gehörten sie ja selbst noch vor kurzem ganz und gar zur Menge des Volkes. Sie waren wie alle anderen auch. Dann kam der Ruf Jesu; da ließen sie alles zurück und folgten ihm nach. Seitdem gehören sie zu Jesus, ganz und gar. Nun gehen sie mit ihm, leben mit ihm, folgen ihm, wohin er sie auch führt. […] Sie haben auf alles Verzicht getan auf seinen Ruf hin. Nun leben sie in Entbehrung und Mangel, sie sind die Ärmsten unter den Armen, die Angefochtensten unter den Angefochtenen, die Hungrigsten unter den Hungrigen. Sie haben nur ihn. Ja, und mit ihm haben sie in der Welt nichts, gar nichts, aber alles, alles bei Gott.189 189 N 99 f. Die Jünger sind „schlechthin ,arm‘ “, sie haben „Mangel […] an allen Stücken.“ (N 99) „In der Gemeinschaft Jesu Christi haben die Nachfolgenden ihren Willen ganz an Gottes Willen hingegeben.“ (N 161) „Keine Sicherheit, kein Besitz, den sie ihr eigen nennen könnten, kein Stück Erde, das sie ihre Heimat nennen dürften, keine irdische Gemeinschaft, der sie ganz gehören dürften. […] Als sie ihm nachfolgten, da verloren sie ja sich selbst und damit auch alles, was sie noch reich machen konnte. Nun sind sie arm, so unerfahren, so töricht, daß sie auf nichts mehr hoffen können als auf den, der sie gerufen hat.“ (N 101 f) Dabei gilt: „Objektiver Mangel und persönliches Verzichten haben ihren gemeinsamen Grund in dem Ruf und der Verheißung Christi. Keines von beiden hat in sich Wert und Anspruch.“ (N 100) „Es ist […] keineswegs etwa die Weggabe der Güter an sich schon geforderter Gehorsam; es könnte durchaus sein, daß mit solchem Schritt gerade nicht Gehorsam gegen Jesus geschieht“ (N 75). Auch seliggepriesen werden die Jünger allein „um des Rufes Jesu willen, dem sie gefolgt sind“ (N 101). In der Nachfolge Jesu stehen die Jünger im „Verzicht auf das, was die Welt Glück und Frieden nennt“ (N 102). Darum sind sie „Fremdlinge in der Welt, lästige Gäste, Friedensstörer, die verworfen werden“ (N 103). Die Jüngergemeinde ist die „Fremdlingsgemeinde“ (N 102, 266 u. ö.) in der Welt. „Die Welt feiert und sie stehen abseits; die Welt schreit: freut euch des Lebens, und sie trauern. Sie sehen, daß das Schiff, auf dem festlicher Jubel ist, schon leck ist. Die Welt phantasiert von Fortschritt, Kraft, Zukunft, die Jünger wissen um das Ende, das Gericht und die Ankunft des Himmelreiches, für das die Welt so gar nicht geschickt ist.“ (N 103) Der Ruf Jesu und das Leben in seiner Nachfolge führt die Jünger in die Fremdheit zur Welt und treibt eine „Kluft zwischen Jünger und Volk“ (N 102). Während die Welt auf ihr Recht pocht, stehen die Jünger im „Verzicht auf jedes eigene Recht“ (N 104) und „sogar im Verzicht auf die eigene Gerechtigkeit“ (N 105). „Schilt man sie, so sind sie still, tut man ihnen Gewalt, so dulden sie es, stößt man sie weg, so weichen sie. Sie prozessieren nicht um ihr Recht, sie machen kein Aufsehen, wenn ihnen Unrecht geschieht. Sie wollen kein eigenes Recht. Sie wollen alles Recht Gott allein lassen“ (N 104). Sie wissen ja, dass sie niemals selbst gerecht sein können, dass sie ihre Gerechtigkeit allein von Gott empfangen haben (vgl. N 272 u. a.), dass ihre Gerechtigkeit als Christi eigene Gerechtigkeit „bessere Gerechtigkeit“ ist. Aus dieser Gerechtigkeit Christi, die „das neue Gesetz, das Gesetz Christi“ (N 121) ist, leben sie. Von Christus her wissen sie um Gut und Böse, auf das „eigene Gute und Böse“ aber verzichten sie. Denn ihr Herz als das einfältig auf das Wort Jesu hörende Herz ist ja „rein von Gut und Böse, es gehört ganz und ungeteilt Christus an, es sieht allein auf ihn, der vorangeht“ (N 107). Und das „ist das Geschenk des Glaubens, daß der Mensch nicht mehr auf sich selbst sieht, sondern allein auf sein Heil, das von außen her über ihn gekommen ist“ (AS 149). Christus gebietet ihnen den „Verzicht auf Gewalt und Aufruhr“ (N 108). Er gebietet ihnen sogar den Verzicht auf das „höchste Gut des Menschen“, den „Verzicht auf die eigene Würde“. Der Verzicht auf ihre eigene Würde ist in ihrer Barmherzigkeit begründet, denn: „Das höchste Gut des Menschen, die eigene Würde und Ehre, geben sie hin und sind barmherzig. Nur eine Würde und Ehre kennen sie: die Barm-

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Die Nachfolger Jesu sind Glieder seines Leibes geworden, sie sind seine Kirche (vgl. N 229ff). Weil aber in Christus die ganze Menschheit getragen ist, soll sein Wort auch „allen zur Entscheidung und zum Heil werden“ (N 101). Insofern das Wort Jesu Christi Gebot an alle Menschen zu sein beansprucht, wurde die Christusethik der „Nachfolge“ im Vorangegangenen als weltliche Ethik gekennzeichnet, die hinsichtlich ihres Anspruchs keine Exklusivierung kennt; ebenso ist die Jüngerethik weltliche Ethik, sofern auch sie ohne Begrenzung ist.190 In diesem Zusammenhang wurde oben bereits zitiert: Selbst wenn die Jünger ihren Herrn „allein für sich haben wollen“, Jesus „konnte nicht daran denken, sich mit seinen Jüngern aristokratisch abzusondern“, etwa „in der Weise großer Religionsstifter ihnen in der Abgeschiedenheit von der Menge des Volkes die Lehren höherer Erkenntnis und vollkommener Lebensführung zu übermitteln“ (N 193). Jesus war gekommen, er arbeitete und er litt um seines ganzen Volkes willen. Und die Jünger […] müssen erkennen, daß Jesus sich seinen Dienst durch sie nicht einschränken läßt. Sein Evangelium vom Reiche Gottes und seine Heilandskraft gehörte den Armen und Kranken, wo er sie in seinem Volke fand. (N 193 f) Der Blick des Heilandes fällt erbarmend auf sein Volk, auf Gottes Volk. Es konnte ihm nicht genug sein, daß einige wenige seinen Ruf gehört hatten und ihm nachfolgten. (N 193)

Darum gilt von Anfang an, dass es zwar „eine kleine Gemeinde [ist], die er [sc. Jesus] gefunden hat“, aber „eine große Gemeinde, die er sucht, wenn er das Volk ansieht“ (N 100). Und darum sind alle, die Jesu Wort hören, Jünger und Volk, „gerufen zu sein, was sie in Wahrheit sind“, nämlich die gefallenen und zugleich von Gott geliebten, zur Ebenbildlichkeit mit ihm bestimmten Kinder, die in die Gemeinschaft des eingeborenen Sohnes berufen sind.191 Jesus spricht auf dem Berge zwar „zu denen, die schon unter der Gewalt seines Rufes herzigkeit ihres Herrn, aus der allein sie leben. Er schämte sich nicht seiner Jünger, er wurde den Menschen ein Bruder, er trug ihre Schande bis zum Tod am Kreuz. Das ist die Barmherzigkeit Jesu, aus der die an ihn Gebundenen allein leben wollen, die Barmherzigkeit des Gekreuzigten. Diese Barmherzigkeit läßt sie alle Ehre und Würde vergessen und allein die Gemeinschaft der Sünder suchen.“ (N 106) Die Tatsache, dass der Verzicht auf die eigene Würde und Ehre der Barmherzigkeit der Jünger entspricht – Barmherzigkeit, welche ihrerseits ganz der „Barmherzigkeit des Gekreuzigten“, ihres Herrn, entspringt –, zeigt die Untrennbarkeit der Jüngerwerke in Bezug auf Verzicht und auf das liebende Tun an: Ihre Barmherzigkeit führt sie weg von sich selbst und heißt sie „allein die Gemeinschaft der Sünder suchen“. Als Gerechtfertigte, d. h. als solche, die in Christus an der Gerechtigkeit Gottes teilbekommen haben, leben die Jünger in der und von der „besseren Gerechtigkeit“, die sie tun. 190 Siehe oben Kap. 3.2.2.1. 191 N 101: „Seliggepriesen werden die Jünger um des Rufes Jesu willen, dem sie gefolgt sind. Seliggepriesen wird das ganze Volk Gottes um der Verheißung willen, die ihm gilt.“ Dass die „Anrede an die Jünger […] nicht aus[schließt], dass die Rede auch dem Volk etwas zu sagen hat“, hat so auch Tietz, Nur der Glaubende ist gehorsam, 179, Anm. 35, festgestellt. „Nur ist nach Bonhoeffer das Volk nicht der erste Adressat.“ (Ebd.)

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stehen“ (ebd.), gehört werden seine Worte aber von dem ganzen umstehenden Volk. Die für Bonhoeffer alles entscheidende Frage, die am Anfang der Worte Jesu steht, lautet deshalb: „wird Gottes Volk die Verheißung nun auch im Glauben an Jesus Christus und sein Wort ergreifen oder wird es sich im Unglauben von Christus und seiner Gemeinde scheiden?“ (N 101) Die „bleibende Frage“ lautet mit anderen Worten, ob das Heilswort Jesu als Gesetz, als „ein unerträgliches Gesetz, das der Mensch mit Widerwillen von sich stößt“, aufgenommen wird oder aber als „die einzigartige Verkündigung des Evangeliums selbst“ (N 172); ob Jesus geglaubt wird als „Menschenfeind“, als „Zerstörer alles Lebens“, oder aber als der „Menschenheiland“ und „Schöpfer eines neuen Lebens“.192 Darin unterscheiden sich ja, so wurde gesagt, Jünger und Volk: dass diese Jesus als den Christus glauben und ihm darum – und dazu! – nachfolgen, jene ihm zwar noch keinen Glauben schenken, aber unter dem Anspruch stehen, in Jesus von Nazareth den Christus zu erkennen. In derselben Weise nun, wie Christus der Christus für das Volk ist, sind auch die Jünger als die „Boten“ in das Volk hineingewiesen. Als Glieder an seinem Leib sind sie Christi Stellvertreter. Sie arbeiten und leiden „für ihn“.193 Darum gilt: Sofern die Jünger zu Jesus gehören, sind sie in das Volk, aus dem sie selbst kommen und von dem sie durch den Ruf Jesu und ihre Nachfolge geschieden sind, hineinberufen. Sie „werden in diesem Volk leben, in es hineingehen und ihm den Ruf Jesu und die Herrlichkeit der Nachfolge predigen“ (N 99). Von Beginn seines großen Auslegungskomplexes in der „Nachfolge“ an macht Bonhoeffer jene Zusammengehörigkeit von Jüngern und Volk unmissverständlich deutlich: „Jünger und Volk, sie gehören zusammen, die Jünger werden seine [sc. Jesu] Boten sein, sie werden auch hier und dort Hörer und Gläubige finden.“ (N 100) In dem Begriff des Boten ist somit sogar die wesentliche Verhältnisbestimmung zwischen Jesus und seinen Jüngern und auch zwischen Jüngern und Volk ausgedrückt. Die Jünger sind die zu Jesus in seine Nachfolge Gerufenen, sie sind aber zugleich diejenigen, die von Jesus abgesandt werden; sie sind die Apostel, die in das Volk hineingehen. Der ganze Umfang ihres Tuns und Seins als Boten Christi, die sie sind, ist in dem außertheologischen Begriff des Boten schon ausgedrückt, den Bonhoeffer zu einem theologischen Begriff erhebt.194 Es entspricht dem Denotat dieses Be192 N 209. So ist das Volk, indem es das Wort Jesu hört, mit demselben Anspruch zur Entscheidung konfrontiert, vor den Jesus auch diejenigen stellte, zu denen er jetzt spricht, vgl. dazu N 88: Ist Jesus ein „unfroher Verächter des Lebens“ oder ist er „das Leben und das Evangelium selbst“, das ist die Frage, vor die der Mensch gestellt ist. 193 N 235. „Es kann nun für Christus gearbeitet und gelitten werden, ihm zugute, der uns alles zugute getan hat!“ (N 236). 194 K. Barth verwendet die Bezeichnung des „Sendboten“ gleich zu Beginn seines RömerbriefKommentars (2. Aufl.): „Aber indem Gott den Menschen erkennt von weither und vom Menschen erkannt wird in seiner unerforschlichen Höhe, kommt der Mensch zu seinen Mitmenschen unvermeidlich in das Verhältnis eines ,Sendboten‘. ,Ein Zwang ist über mir. Wehe mir, wenn ich die Heilsbotschaft nicht verkündige!‘ (I Cor 9, 16)“ (Barth, Römerbrief, 7).

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griffs, dass der Bote gebunden ist an einen bestimmten Auftrag und eine bestimmte Botschaft, die ihm von einem Auftraggeber anvertraut und die an einen konkreten Empfänger und Adressaten auszurichten er beauftragt ist. Nicht der Bote selbst, sondern der ihn Sendende entscheidet über den Inhalt der Botschaft, die er überbringt. Auch liegt es nicht in seinem Ermessen, den Ort seiner Verkündigung selbst festzulegen. Als seine Boten stehen die Jünger in ihrer Wirksamkeit unter dem klaren Befehl ihres Herrn. Es ist ihnen nicht freigestellt, wie sie ihre Arbeit anfassen und auffassen wollen. Das Christuswerk, das sie treiben sollen, zwingt die Boten ganz in den Willen Jesu hinein.195

Der Bote selbst ist sogar austauschbar, sofern er sowohl dem Auftraggeber als auch der Botschaft selbst untergeordnet ist. Der Bote ist nichts ohne die Botschaft. Umgekehrt ist aber zu bedenken, dass ein Bote nur dann gesendet wird, wenn erstens ein dringlicher Grund und ein echtes Anliegen dafür vorliegt, dass eine Botschaft überbracht wird, und wenn zweitens der Auftraggeber entweder nicht willig oder nicht fähig ist, die Botschaft selbst zu überbringen. Gerade hierin wird dann die unersetzliche Wichtigkeit des Boten sichtbar : Er ist die Verbindung zwischen Sender und Adressat der Botschaft, und gerade in dieser Funktion ist er nicht ersetzbar. Vom Auftraggeber mit Vollmacht ausgestattet, überbringt er dem Empfänger die Botschaft dessen, der ihn schickt. In dem Moment, da dieser die Botschaft empfängt, ist er zugleich in die Verantwortung gestellt, sich zu jener Botschaft – und somit letztlich zum Auftraggeber selbst – zu verhalten. Nimmt er die ihn erreichende Botschaft an, nimmt er sogleich den Auftraggeber und auch den Boten an. Verwirft der Empfänger die Botschaft, verwirft er darin den Boten, der ganz an die Botschaft gebunden ist. Ebenso ist es nicht möglich, die Botschaft ohne den Boten anzunehmen; verwirft der Empfänger den Boten, verwirft er mit ihm die Botschaft selbst. Mit dieser kurzen Skizze dessen, was der Bote begrifflich impliziert, ist im 195 N 197 f. Vgl. hierzu weiter Bonhoeffers meditative Exegese zum Begriff des „Boten“: „Gleich das erste Wort legt den Boten eine Beschränkung ihrer Arbeit auf, die ihnen befremdlich und schwer gewesen sein muß. Sie dürfen sich das Arbeitsfeld nicht selbst wählen. Nicht wohin es sie in ihren Herzen drängt, sondern wohin sie gesandt werden, ist entscheidend. Damit wird es ganz deutlich, daß sie nicht ein eigenes Werk, sondern Gottes Werk treiben sollen. […] Gottes Werke aber können nicht ohne Auftrag getan werden; sie wären sonst ohne Verheißung getan. […] Die Liebe Christi unterscheidet sich von dem Überschwang und dem Eifer des eigenen Herzens dadurch, daß sie sich an den Auftrag hält. Nicht um unserer noch so großen Liebe zu unseren Brüdern im Volk oder zu den Heiden in fremden Ländern willen bringen wir ihnen das Heil des Evangeliums, sondern um des Auftrags des Herrn willen, den er im Missionsbefehl gegeben hat. Allein der Auftrag zeigt uns den Ort, an dem die Verheißung liegt. Wenn Christus nicht wollte, daß ich hier oder dort das Evangelium predige, so sollte ich alles fahren lassen und an Christi Willen und Wort bleiben. So werden die Apostel gebunden an das Wort, an den Auftrag. Wo das Wort Christi, wo der Auftrag ist, dort allein sollen die Apostel sich finden lassen.“ (N 198).

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Wesentlichen schon Bonhoeffers Exegese und Interpretation erfasst. Jesus sendet seine Jünger, die Botschaft vom Reich Gottes der Welt zu bringen. Jesus befiehlt die Verkündigung des Anbruchs des Himmelreiches und er befiehlt die Zeichen, die diese Botschaft bekräftigen. […] Als das Wort des allmächtigen Gottes ist es Tat, Ereignis, Wunder. Der eine Jesus Christus geht in seinen zwölf Boten durch das Land und tut sein Werk.196 Die Verkündigung der Boten ist kurz und klar. Sie melden den Anbruch des Gottesreiches, sie rufen zur Umkehr und zum Glauben. Sie kommen in der Vollmacht des Jesus von Nazareth. Ein Befehl wird ausgerichtet, und ein Angebot wird gemacht in höchster Autorisierung. […] Ein König steht vor der Tür, jeden Augenblick kann er kommen: Wollt ihr euch unterwerfen und ihn demütig empfangen, oder wollt ihr, daß er euch in seinem Zorn vernichte und töte?197

Die Jünger sind als die Jesus Nachfolgenden die ganz an ihn, seine Gemeinschaft und seinen Willen Gebundenen, und nur als solche sind sie die von Jesus Abgesandten. All ihre „Arbeit“198 ist darum in Inhalt, Ort und Art und Weise ebenfalls ganz an Jesus Christus gebunden. „Als Gehilfen Jesu stehen die Jünger in ihrer Wirksamkeit unter dem klaren Befehl ihres Herrn. Es ist ihnen nicht freigestellt, wie sie ihre Arbeit anfassen und auffassen wollen.“ (N 197) Was die Jünger Jesu tun, ist niemals ihr eigenes Werk, sondern immer Christi Werk,199 und so ist erst recht die Botschaft, die sie in seinem Namen dem Volk bringen und diesem ausrichten, „Christuswerk“. Für dieses aber gilt: Gleich das erste Wort legt den Boten eine Beschränkung ihrer Arbeit auf, die ihnen befremdlich und schwer gewesen sein muß. Sie dürfen sich das Arbeitsfeld nicht selbst wählen. Nicht wohin es sie in ihrem Herzen drängt, sondern wohin sie gesandt werden, ist entscheidend. Damit wird es ganz deutlich, daß sie nicht ein eigenes Werk, sondern Gottes Werk treiben sollen. (N 198)

Gerade darin, dass der Jünger nicht seinem eigenen, sondern Jesu Willen gehorsam ist, folgt er ihm nach und handelt in der Liebe Christi. „Jesu Bote zu sein verleiht keinerlei persönliches Recht, keinen Anspruch auf Ehrung oder 196 N 199. Die Auslassung im Zitat lautet: „Jesus befiehlt die Zeichen, die diese Botschaft bekräftigen. Jesus befiehlt Kranke zu heilen, Aussätzige zu reinigen, Tote aufzuerwecken, die Teufel auszutreiben! Verkündigung wird zum Geschehnis, und das Geschehnis bezeugt die Verkündigung. Reich Gottes, Jesus Christus, Vergebung der Sünden, Rechtfertigung des Sünders aus Glauben, das alles ist nichts anderes als Vernichtung der Teufelsmacht, Heilung, Totenauferweckung.“ (Ebd.). 197 N 202. Für diejenigen, welche das Wort des Boten und damit das Wort selbst verwerfen, gilt: „Wer hören will, der hat hier schon alles gehört; der kann auch den Boten nicht aufhalten wollen, denn der muß weiter in die nächste Stadt. Wer aber nicht hören will, für den ist die Gnadenzeit vorüber, er hat sich selbst das Gericht gesprochen.“ (Ebd.). 198 Den Abschnitt über Mt 10,5 – 15 überschreibt Bonhoeffer mit „Die Arbeit“ (N 197). Arbeit steht hier v. a. im Gegensatz zu Trägheit: „,Arbeiter‘ nennt Jesus seine Boten. Trägheit allerdings ist nicht der Speise wert.“ (N 201) Vgl. zu Bonhoeffers Interpretation des Christus- und des Jüngerwerks als „Arbeit“ auch N 201 (im Folgenden im Text besprochen). 199 Siehe dazu oben Kap. 3.2.2.3 und 3.2.2.6.

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Der Weg Christi mit dem Menschen

Macht.“200 Er soll ja nicht in selbstgewählter Liebe, sondern in der Liebe Gottes zum Menschen zu den Menschen gehen. Diese Liebe heißt für den Boten aber Selbstverleugnung und Nachfolge Christi, d. h. ausschließliche Bindung an den Auftrag und die Botschaft Jesu allein; hier spielt das eigene Drängen und Wollen des Boten keine Rolle mehr. Die Liebe Christi unterscheidet sich von dem Überschwang und dem Eifer des eigenen Herzens dadurch, daß sie sich an den Auftrag hält. Nicht um unserer noch so großen Liebe zu unseren Brüdern im Volk oder zu den Heiden in fremden Ländern willen bringen wir ihnen das Heil des Evangeliums, sondern um des Auftrags des Herrn willen, den er im Missionsbefehl gegeben hat. Allein der Auftrag zeigt uns den Ort, an dem die Verheißung liegt. Wenn Christus nicht wollte, daß ich hier oder dort das Evangelium predige, so sollte ich alles fahren lassen und an Christi Willen und Wort bleiben. So werden die Apostel gebunden an das Wort, an den Auftrag. Wo das Wort Christi, wo der Auftrag ist, dort allein sollen die Apostel sich finden lassen. (N 198)

Es ist nun nach Grund und Ziel der Aussendung von Boten zu fragen. Warum und wozu macht Jesus die Jünger zu Boten und sendet sie aus ins Volk? Die Jünger bringen (gemäß der Prämisse, dass „Jesus […] arbeitete und […] litt um seines ganzen Volkes willen“, N 193) dem Volk die Botschaft des Evangeliums zur Scheidung und Entscheidung, „zum Heil und zur Verwerfung“ (N 208). So ist das ganze Volk durch die Jünger unter den Anspruch des Wortes ihres Herrn gestellt. Gerade diese Predigt des Evangeliums nennt Bonhoeffer „evangelische Predigt“. Sie ist nicht „unbarmherzige Hast“, sondern steht in direktem Gegensatz zu aller Predigt, die den Menschen vorspiegelt, „daß sie noch Zeit hätten zur Umkehr. Nichts ist barmherziger, nichts ist frohere Botschaft als dies, daß die Sache eilt, daß das Reich sehr nahe ist“ (N 202). „Heute, so ihr seine Stimme höret, so verstocket eure Herzen nicht!“ (Hebr 4,7; zit. n.: N 202) So sind alle gerufen unter Jesu Kreuz und in seine Gemeinschaft.

200 N 200. Bonhoeffer legt in diesem Zusammenhang Wert darauf zu betonen, dass selbst „der Besitzstand der Jünger […] bis ins einzelne geregelt [ist]“ (N 200). „Jesus befiehlt denen, die in der Vollmacht seines Wortes ausziehen, Armut. Es ist wohl gut, nicht zu übersehen, daß es sich hier um ein Gebot handelt. […] Nicht als Bettler, nicht mit zerrissenen Kleidern sollen sie sich auffällig machen und den anderen als Parasiten zur Last fallen. Aber in dem Dienstkleid der Armut sollen sie einhergehen. Sie sollen so wenig bei sich haben wie der, der über Land geht und gewiß ist, daß er abends bei Freunden das Haus findet, das ihn beherbergt und ihn mit der nötigen Nahrung versorgt. Solches Vertrauen sollen sie zwar nicht auf Menschen setzen, aber auf den, der sie gesandt hat, und auf den himmlischen Vater, der für sie sorgen wird.“ (N 200 f) Das hinter der Notwendigkeit der Armut stehende Motiv ist für Bonhoeffer das der Glaubwürdigkeit. Denn „in dem Dienstkleid der Armut“, das Jesus seinen Jüngern befiehlt, „werden sie die Botschaft glaubwürdig machen, die sie verkünden, nämlich die anbrechende Herrschaft Gottes auf Erden“ (N 201). Vgl. dazu oben Kap. 3.2.2.2 sowie unten Kap. 4.6.

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Exegetische Vergegenwärtigung und Textpragmatik

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Der Anblick der Volksmenge, der in seinen Jüngern vielleicht Widerwillen, Zorn oder Verachtung erregte, erfüllte Jesu Herz mit tiefem Erbarmen und Jammer. Kein Vorwurf, keine Anklage! Gottes liebes Volk lag mißhandelt am Boden (N 194). Das greift ihm ans Herz. Sein göttliches Erbarmen umfaßt diese verlassene Herde, die Menge des Volkes um ihn herum. Menschlich gesehen ist es ein hoffnungsloses Bild. Aber nicht so für Jesus. Er sieht hier, wo Gottes Volk mißhandelt, elend und armselig vor ihm steht, das reife Erntefeld Gottes. „Die Ernte ist groß!“ Sie ist reif, daß sie eingebracht werde in die Scheunen. Die Stunde ist gekommen, daß diese Armen und Elenden heimgebracht werden ins Reich Gottes. Jesus sieht über den Massen des Volkes die Verheißung Gottes anbrechen. […] Jesus sieht das reife, wogende Ährenfeld für Gottes Reich. Die Ernte ist groß! Sein Erbarmen allein sieht das! (N 195)

Jesus ist nicht nur der Jünger, sondern des ganzen Volkes „Tröster“ (N 104). Das am Boden liegende liebe Volk Gottes wiederaufzurichten, dazu ist er gekommen. Er ist gekommen, die Ernte einzuholen, den Menschen ein rechtes Gottesverhältnis wiederzuschenken in seiner Nachfolge, sie heimzuholen in das Reich Gottes. Darin ist Jesus, der Christus selbst, Gottes Bote. Der Ruf in seine Nachfolge ist seine Hilfe an die Menschen, ist die konkrete Gestalt der Liebe Gottes, die dem Menschen freilich ganz anders begegnet als dieser es erwartet; diese Liebe „heißt Kreuz und Nachfolge, aber eben darin Leben und Auferstehung“.201„Nun ist keine Zeit zu verlieren. Erntezeit leidet keinen Verzug. ,Aber wenige sind der Arbeiter‘.“ (N 195) Jesus will das geliebte Volk Gottes wiederaufrichten, doch (und hiermit nimmt die Analyse die oben vorgetragenen Bestimmungen der Jünger als Stellvertreter Christi202 auf) er „kann das Werk nicht allein tun“ (N 196), und „wenige sind der Arbeiter“ (Mt 9, 37; zit. n.: N 195). Darum braucht Jesus „Mitarbeiter, die ihm helfen“. Diese Mitarbeiter sind die Jünger, die selbst „[…] den Herrn der Ernte bitten [sollen], Arbeiter zu senden zur rechten Stunde“. Als seine Mitarbeiter sind die Jünger Jesu Boten, ausgesandt in das Volk in seinem Namen und gebunden allein an seinen Auftrag und Befehl. Sie sind verbunden „zu demselben Werk“ durch den Ruf Jesu, in dem „alle frühere Entzweiung überwunden ist“ (N 196 f). So gehen die Jünger in Jesu Auftrag als seine mitarbeitenden Boten hinaus in das Volk hinein und bringen ihm die Botschaft vom Gottesreich. In allem, was sie als die Beauftragten Jesu tun, halten sie sich allein an ihren Auftrag, das Wort ihres Herrn. „Der Bote bleibt beim Wort und das Wort bleibt beim Boten jetzt und in Ewigkeit.“203 Einzig durch die getreue Erfüllung seines Auftrags bleibt er auf dem Weg der Nachfolge Christi, der zum Heil führt. 201 N 209. Siehe dazu oben Kap. 2.4.2.1. 202 Siehe oben Kap. 3.2.2.4.3. 203 N 208. Vgl. auch N 205: „Weil hier keines Menschen Herz sich in sich selbst auskennt und weil Jesus seine Jünger niemals in die Ungewißheit, sondern immer in die höchste Gewißheit rief, darum kann diese Mahnung Jesu [sc. zur Klugheit und Einfalt; vgl. Mt 10, 16] den Jüngern zu nichts anderem rufen als zum Bleiben am Wort. Wo das Wort ist, dort soll der Jünger auch sein, das ist seine rechte Klugheit und seine rechte Einfalt. Muß das Wort weichen, weil die Verwerfung offenbar geworden ist, so weiche der Jünger mit dem Wort; bleibt das Wort im offenen

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Selig wird allein der sein, der bis zuletzt bei Jesus und seinem Worte bleibt. (N 206) Wer sich in der Nachfolge an nichts hält und klammert als an dieses Wort, wer alles andere fahren läßt, den wird dieses Wort durchs letzte Gericht tragen. Sein Wort ist seine Gnade. (N 190)

Jenes Klammern an das Wort Jesu erscheint keineswegs als letzter Akt eines verzweifelten Menschen, etwa angesichts eigener Unzulänglichkeit, das Leben zu organisieren. Es ist kein theologisches Abstraktum. Vielmehr heißt, sich an das Wort Jesu zu klammern, als der Bote Jesu in seiner Nachfolge die Botschaft vom Heil in Taten und Worten zu verkündigen und darin für Christus zu arbeiten. Die Apostel sind Christi Mitarbeiter und Gehilfen geworden, sie sollen Christus gleich sein in allen Stücken, so sollen sie auch für die Menschen, zu denen sie gehen, ,wie Christus‘ sein. Mit ihnen betritt Jesus Christus selbst das Haus, das sie aufnimmt. Sie sind Träger seiner Gegenwart. Sie bringen den Menschen das kostbarste Geschenk, Jesus Christus, und mit ihm Gott, den Vater, und das heißt ja Vergebung, Heil, Leben, Seligkeit. Das ist der Lohn und die Frucht ihrer Arbeit und ihres Leidens. Jeder Dienst, den man ihnen tun wird, ist an Jesus Christus selbst getan. Das ist in gleicher Weise Gnade für die Gemeinde [sc. hier im Sinne von Stadt- oder Dorfgemeinde] und für die Boten. (N 210)

Wiederum zeigt sich, dass in der Bestimmung des Verhältnisses der Jesusjünger zu den Menschen, denen sie als die Boten dienen, auf dass den Menschen „Vergebung, Heil, Leben, Seligkeit“ zuteil werde, ein Kernanliegen der „Nachfolge“ zu sehen ist. Weil Jesus das Werk Gottes an der Menschheit nicht allein tun kann (vgl. N 195), sendet er seine Jünger in das am Boden liegende Volk aus (vgl. N 194) – gerade in dieser Form liegt die wahre Hilfe für dieses Volk. Denn die Ursache von seiner Schwachheit und Krankheit liegt nach Bonhoeffer in der Tatsache, dass „[…] keine Hirten mehr da [waren]“ (ebd.), dass die Herde hirtenlos geworden und so dem Wolf schonungslos ausgesetzt war. Gegenwartsdiagnose und Ursachendiagnose greifen in Bonhoeffers Text unmittelbar ineinander. Gottes liebes Volk lag mißhandelt am Boden, und die Schuld daran traf die, die an ihm den Dienst Gottes versehen sollten. Nicht die Römer hatten das angerichtet, sondern der Mißbrauch des Wortes Gottes durch die berufenen Diener am Wort. Es waren keine Hirten mehr da! Eine Herde, die nicht zum frischen Wasser geführt wird, deren Durst ungestillt bleibt, Schafe, die kein Hirte vor dem Wolf mehr schützt, geschunden Kampf, so bleibe auch der Jünger. Er wird in beidem klug und einfältig zugleich handeln. […] Allein die Wahrheit des Wortes wird ihn erkennen lehren, was klug ist. […] Nicht unsere Beurteilung der Lage vermag uns zu zeigen, was klug ist, sondern allein die Wahrheit des Wortes Gottes. Klug kann es immer nur sein, bei der Wahrheit Gottes zu bleiben. Hier allein ist die Verheißung auf Gottes Treue und Hilfe. Es wird sich zu aller Zeit bewähren, daß es für den Jünger in dieser und in jener Zeit das ,Klügste‘ ist, einfältig allein bei dem Worte Gottes zu bleiben.“

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und verwundet, erschreckt und verängstigt unter dem harten Stab ihrer Hirten, am Boden liegend – so fand Jesus Gottes Volk vor. Fragen, aber keine Antwort, Not, aber keine Hilfe, Gewissensangst, aber keine Befreiung, Tränen, aber keinen Trost, Sünde, aber keine Vergebung! Wo war der gute Hirte, den dieses Volk brauchte? Was half es hier, daß da Schriftgelehrte waren, die das Volk mit hartem Zwang in die Schulen trieben, daß die Gesetzeseiferer die Sünder hart verurteilten ohne ihnen zu helfen, was halfen da selbst die rechtgläubigen Prediger und Ausleger des Wortes Gottes, wenn nicht das ganze Erbarmen und der ganze Jammer über das mißbrauchte und mißhandelte Volk Gottes sie erfüllte? Was sind Schriftgelehrte, Gesetzesfromme, Prediger, wenn die Hirten der Gemeinde fehlen? Gute Hirten, ,Pastoren‘ braucht die Herde. (N 194 f)

Die Jünger sind als die Boten Christi die Pastoren, die guten Hirten. In der Ermangelung der guten Hirten, deren die Herde bedarf (der Satz „Es waren keine Hirten mehr da“ ist in Bonhoeffers Bibel unterstrichen!), liegt die Ursache ihres Leids, ebenso wie in der Sendung guter Hirten zur Herde die Überwindung ihrer Not liegt, welche die Not Jesu Christi selbst ist (vgl. N 193 und 195). Die Heilsuniversalität Christi, die in der Kraft der Menschwerdung gegeben ist, bindet Bonhoeffer an das Werk der Jünger Jesu, die in der Nachfolge sein Werk verrichten helfen. Gerade darum, weil die ganze Welt unter dem Anspruch Gottes steht, weil Christus in dem blo¸yla saqjºr aber nur zu einer begrenzten Menge sprechen kann, darum beauftragt er die, welche er zuvor berufen hat und welche Glieder seines Leibes geworden sind, sein Wort der Welt auszurichten, um so Menschen für sich zu gewinnen und das Leid der Welt zu überwinden. 3.3.2 Die Verwendung des Begriffs Volk204 In einem zweiten Schritt gilt es, die exegetische Fülle des Begriffs aufzuschlüsseln, mit welcher „Volk“ in der „Nachfolge“ verwendet wird. Es sind drei Facetten des Gebrauchs herauszustellen, die im Anschluss daran aufeinander zu beziehen sein werden: „Volk“ erstens als Volk Israel, zweitens als soziologische und als theologische Kategorie sowie drittens als das deutsche Volk sowie das Kirchenvolk. 1. In Bonhoeffers großem Auslegungskomplex der Bergpredigt bezeichnet „Volk“ die „Volksmenge“, die Jesus zum Berghang gefolgt ist (vgl. N 99 f u. ö.). Diese Volksmenge des Volks Israel wird zu Beginn der Sendungsredeauslegung erneut in den Blick genommen; sie ist es, die „[…] mißhandelt am Boden [lag]“, deren „Anblick […] Jesu Herz mit tiefem Erbarmen und Jammer [erfüllte]“ und über denen „Jesus […] die Verheißung Gottes anbrechen [sieht].“205 Indem Jesus seine Jünger als Boten, als gute Hirten zu der dürs204 Zum Begriff Volk vgl. Zillessen, Bedeutungsgehalte. 205 N 194 f; vgl. den Kontext N 193 – 196.

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tenden, ungeschützten, geschundenen und verwundeten, erschreckten und verängstigten, notleidenden und gefallenen, missbrauchten und misshandelten und (dies gilt es zu beachten) an dieser ihrer Situation keinerlei eigene Schuld tragenden Herde aussendet (vgl. N 194ff), sollen „diese Armen und Elenden heimgebracht werden ins Reich Gottes“.206 Jesus sendet die Jünger aber nicht allein zu denen, die ihnen ohnehin auf dem Weg gefolgt sind, sondern er sendet sie „zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel“ (Mt 10,6; zit. n.: N 198), dessen „Tröster“ er ist. So findet der Umfang des Heilshandelns Jesu durch die Aussendung der Jünger eine Erweiterung darin, dass diese ganz Israel die Botschaft vom Evangelium bringen – darin bleibt die Botschaft zunächst aber auch beschränkt. Bis zu seiner Himmelfahrt „[…] bleibt [er] [sc. Jesus] im Volke Israel“, und erst zu jenem Zeitpunkt „[…] überträgt er [den Jüngern] die ganze Erde“ (N 111). Von der Mission an die Völker spricht Bonhoeffer innerhalb seiner Auslegungen nicht explizit, vielmehr hält er sich streng an den Text und fragt darum zuerst nach der Mission Israels. Damit ist deutlich geworden: Der Begriff Volk bezeichnet in der Auslegung von Bergpredigt und Sendungsrede keineswegs ein heidnisches Volk, welches keinen Gottglauben oder kein Gottvertrauen besäße;207 sondern „Volk“ und „Volksmenge“ sind die „verlorenen Schafe vom Hause Israel“, die „berufene Gemeinde Gottes“, die „Volkskirche“ (N 99). Volk bezeichnet die Menge aus dem Volk Israel bzw. das ganze Volk Israel, und zwar als die Summe derer, die ganz dem Anspruch Jesu, des fleischgewordenen Wortes, unterstellt sind, ihn als den Christus zu glauben und ihm in seiner Gemeinschaft und der Gemeinschaft seiner Boten nachzufolgen. 2. Während in Bonhoeffers Exegese der matthäischen Kapitel das „Volk“ unmissverständlich als das jüdische Volk bestimmt wird, liegt der Akzent in den ersten fünf Kapiteln der „Nachfolge“ auf anderer Stelle. Dort begegnet „Volk“ dem Rezipienten vornehmlich als soziologische Kategorie zur Beschreibung der Einbindung des Einzelnen in dessen sozialen Verband.208 Indem „Volk“ stets als Gegenbegriff zur Kreuzesgemeinde der Jünger verwendet wird (die Jüngergemeinde ist „Volk unter dem Kreuz“ [N 95], das nicht länger an „Volk, Familie, Geschichte und Natur“ [N 91] gebunden ist), ist der Begriff sogleich ideologisch gefärbt und darum als zugleich ideologische Kategorie verwendet. Bonhoeffer ist nun daran gelegen, den ideologischen Begriff „Volk“, von den Nationalsozialisten als eine Grundkategorie ihrer Ideologie pervertiert, theologisch zu interpretieren und auf diese Weise umzudeuten. „Volk“ ist nur scheinbar der Bereich unmittelbarer Bindung des 206 N 195. Die Schuld, von der Bonhoeffer hier spricht, ist vornehmlich nicht als theologischer Begriff von Schuld zu verstehen. Keineswegs ist folglich mit der Schuldlosigkeit der Volksmenge an der eigenen Situation bestritten, dass die Sünde Adams stets die eigene Schuld ist. 207 Vgl. dazu Strunk, Nachfolge Christi, 208. 208 Vgl. N 70, 87, 92 f und 152; neben „Volk“ steht hier zumeist die „Familie“ oder der „Beruf“.

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Menschen (vgl. N 90). Christus selbst hat als der Mittler die völkische Bindung überwunden, sodass gilt: Es gibt keine rechte Erkenntnis der Gaben Gottes ohne die Erkenntnis des Mittlers, um dessentwillen allein sie uns gegeben sind. Es gibt keinen echten Dank für Volk, Familie, Geschichte und Natur ohne eine tiefe Buße, die Christus über dem allen allein die Ehre gibt. (N 91; Hervorhebung durch F.S.) Es gibt keine echte Liebe zur Welt außer der Liebe, mit der Gott die Welt geliebt hat in Jesus Christus.209

Im Vollzug dessen, dass Bonhoeffer Volk als soziologische Kategorie relativiert und als ideologische verwirft, dieser Kategorie folglich geradezu ihre Berechtigung aberkennt, etabliert er die Jüngergemeinschaft als das einzig wahre Volk, und zwar als das Volk Jesu Christi. Dem „Volk“ im Sinne politischvölkischer Bindung stellt Bonhoeffer das „Volk“ der Jünger Jesu, das „Volk des Mittlers“, entgegen (N 95). Seine Jünger hat Jesus durch den Ruf „aus der völkischen Gestalt des Volkes Israel“ (N 135, ebenso 141) gelöst und sie zu dem gemacht, „was sie in Wahrheit sind, nämlich zu der politisch-völkisch nicht gebundenen Gemeinde der Gläubigen“ (N 135). Diese Gemeinde wird dadurch erhalten und dadurch allein, dass in ihr Jesus als der Christus geglaubt und sein Wille getan wird (vgl. ebd. u. ö.). 3. Der dritte Bereich der Verwendung des Begriffs Volk findet sich in Bonhoeffers eigenem Vorwort der „Nachfolge“. Dort sind das Volk all jene, „denen die Kirche und ihre Botschaft fremd geworden ist“, die „unsere Predigt […] hart und schwer finden“, „die zu unserer Predigt kommen, sie hören wollen und doch immer wieder betrübt bekennen müssen, daß wir ihnen den Zugang zu Jesus zu schwer machen“ (N 21). Das Volk ist hier das von der Kirche entfremdete Kirchenvolk im Deutschland zur Mitte der 1930er Jahre. Das „Volk“ sind hier diejenigen, denen aufgrund der Predigt der Gegenwart210 „das Wort von der Gnade erschreckend leer geworden ist“ (N 42) – seien es Arbeiter, Geschäftsmänner, Landwirte oder Soldaten (vgl. N 23). In der Nennung jener Berufe deutet Bonhoeffer an, dass der Begriff nicht allein das Kirchenvolk, die „Volkskirche“ (N 99), umfassen soll, sondern darüber hinaus das ganze im nationalsozialistischen Deutschland lebende Volk: „Feinde und Gläubige, Zweifelnde und Furchtsame, Spötter und Überwundene“. Sie alle sind – freiwillig oder unfreiwillig, bewusster- oder unbe209 N 92; Hervorhebung durch F.S. Wie eine unmittelbare Verhältnismäßigkeit auch des Christen zu seinem Volk aussehen kann, hatte Bonhoeffer selbst einige Jahre zuvor bei einem Gemeindevortrag in Barcelona demonstriert (vgl. DBW 10 Gemeindevortrag im Februar 1929: Grundfragen einer christlichen Ethik, 323 – 345, bes. 337). Jene deutsch-nationale Haltung ist in der N nun nicht nur aufgegeben (siehe dazu unten Kap. 4.1), sondern Bonhoeffer hebt sie theologisch aus den Angeln, indem er ihr das grundsätzliche Recht nimmt. Vgl. hierzu schließlich die Gegenbestimmung der „echte[n] Liebe zur Welt“ (N 92) in der E: „Es gibt eine Liebe zur Welt, die Feindschaft gegen Gott ist (Jac 4[,4] [I] Joh 2, [15]), weil sie am Wesen der Welt an sich und nicht aus der Liebe Gottes zur Welt entspringt.“ (E 52). 210 Vgl. N 21; siehe dazu den oben folgenden Abschnitt.

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wusstermaßen – Zeugen der Heils- bzw. Gerichtsuniversalität des Kreuzes von Golgatha. Denn „unter dem Kreuz standen sie alle […], und ihnen allen und ihrer Sünde galt in dieser Stunde das Gebet Jesu um Vergebung.“ (N 24; Hervorhebung durch F.S.) 3.3.3 Primäre und sekundäre exegetische Ebene Für die Interpretation und das Verständnis der „Nachfolge“ ist nun die Beobachtung von nicht unerheblicher Bedeutung, dass jene von Bonhoeffer im Vorwort skizzierte Situation an späterer Stelle des Buches wieder aufgenommen wird, und zwar zu Beginn der Auslegung der Sendungsrede. Dort ist es das Volk Israel, „Gottes liebes Volk“, das „mißhandelt am Boden“ liegt (N 194), hier, im Vorwort, erleiden all jene Not, „denen die Kirche und ihre Botschaft fremd geworden ist“ (N 21): dass ihnen die Kirche und ihre Botschaft fremd geworden ist, ist ihre Not. Nicht das Volk selbst trägt daran Schuld, noch waren es hier einfach die Römer oder dort die Nationalsozialisten, die jene Not angerichtet hatten;211 vielmehr erkennt Bonhoeffer die Ursache von des Volkes Leid an beiden Stellen in dem „Mißbrauch des Wortes Gottes durch die berufenen Diener am Wort“. Die Schuld an der Not des Volkes, so legt Bonhoeffer Mt 9,35 – 38 aus, „traf die, die an ihm den Dienst Gottes versehen sollten“ (N 194), und im Vorwort ist äquivalent zu lesen: „Es ist doch nicht nur die Schuld der anderen, wenn sie unsere Predigt […] hart und schwer finden“, sondern „wir“ – die Prediger der Bekennenden Kirche in Deutschland!212 – sind es, die „ihnen den Zugang zu Jesus zu schwer machen“, weil unsere Predigt „belastet ist mit Formeln und Begriffen, die ihnen fremd sind.“213 Die Ursache der Not ist, dass der Herde die guten Hirten fehlen.214 Es ist damit zunächst die Einsicht evident, dass Bonhoeffer den biblischen (hier : neutestamentlichen) Text exegetisch vergegenwärtigt, indem er die Situation seiner eigenen Gegenwart im biblischen Text wiederfindet und von jenem Text her Antworten auf die Fragen seiner Zeit ableitet.215 In Bonhoeffers 211 Vgl. N 194: „Nicht die Römer hatten das angerichtet“. 212 Vgl. hierzu N 42. Bonhoeffer greift dort jenes die Pastoren anredende „wir“ des Vorworts auf und diagnostiziert, „daß wir wohl Glieder einer rechtgläubigen [sc. der Bekennenden] Kirche der reinen Lehre von der Gnade, aber nicht mehr ebenso Glieder einer nachfolgenden Kirche sind“. 213 N 21; Hervorhebung durch F.S. Vgl. weiter ebd.: „Es ist doch nicht wahr, daß jedes Wort, das sich heute gegen unsere Predigt richtet, schon eine Absage an Christus, Antichristentum ist.“ 214 Vgl. N 194: „Es waren keine Hirten mehr da!“ 215 Dabei will bedacht sein, dass jene Vergegenwärtigung nicht etwa unter Aufgabe der biblischen Gegenwart geschieht, wie anhand des Volksbegriffs gezeigt worden ist. Dass Jesus sich zuerst nicht an die Heiden, sondern, als deren Tröster (vgl. N 111), an die „verlorenen Schafe vom Hause Israel“ (Mt 10,6; zit. n.: N 99 und 197; vgl. N 197ff) wendet, diese Erkenntnis will Bonhoeffer unbedingt gewahrt wissen. Vgl. hierzu Bonhoeffers Vortrag über „Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte“ (August 1935, DBW 14, 399 – 421), in welchem Bonhoeffer

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exegetischen Ausführungen ist mit anderen Worten eine primäre (am biblischen Text entlanggehende, dessen Gegenwart betrachtende) exegetische Ebene von einer sekundären (über den biblischen Text hinausgehende, auf Vergegenwärtigung abzielende) Ebene zu unterscheiden. Diese noch wenig überraschende Feststellung eröffnet entscheidende Erkenntnisse, wenn Bonhoeffers Vergegenwärtigung des biblischen Textes unter spezieller Bezugnahme auf den Volksbegriff weiter betrachtet wird. Es wird dann ein doppeltes Anliegen Bonhoeffers deutlich: Indem Bonhoeffer mittels der Exegese neutestamentlicher Texte das Verhältnis zwischen Jesus, Jüngern und Volk Israel beschreibt und interpretiert, bewegt er sich zwar vordergründig innerhalb der Gegenwart jener Texte, gibt aber darin vornehmlich eine Antwort auf eine ihn bewegende Frage seiner eigenen Gegenwart: In welchem Verhältnis haben nach biblischem Befund die Christusgläubigen (genauer : die Pastoren der Bekennenden Kirche) zur (deutschen) Volkskirche bzw. zum (deutschen) Volk zu stehen, sodass der ,Misshandlung‘ dieses Volkes durch die Kirche und der Kirche eigene Not überwunden wird? Weil darüber hinaus außer Frage steht, dass jede Aussage, die Bonhoeffer in der „Nachfolge“ (auf primärer exegetischer Ebene) über das Volk Israel, dessen Verhältnis zu Jesus Christus und den Jüngern trifft, zugleich (auf sekundärer Ebene) eine Aussage zum Verhältnis von Christen und Juden in Bonhoeffers eigener Gegenwart beinhalten muss, darum kann thetisch formuliert werden: Die Vergegenwärtigung, auf die hin der Text der „Nachfolge“ angelegt ist, beinhaltet eine für Bonhoeffer in jener Zeit spezifische theologische Verhältnisbestimmung von Christen und Juden, d. h. eine theologische Stellungnahme zum Verhältnis von Christentum und Judentum.216 Diese Behauptung ist für die Bewertung der Theologie der „Nachfolge“ gerade darum relevant, weil sich damit ein weiterer Beleg für die Grundannahme dieser Untersuchung einstellen wird, die „Nachfolge“ als in weitgehender theologischer Kontinuität zu den vergangenen Jahren zu begreifen. Der folgende Abschnitt wird verdeutlichen, dass die Frage nach dem Verhältnis der Jesusgläubigen zum Judentum für Bonhoeffer auch in der „Nachfolge“ eine Frage gewesen ist, die ihn tief bewegt hat und deren theologische Beantwortung ihm ein durchaus zentrales Anliegen des Buches gewesen ist. Jenen beiden Richtungen exegetischer Vergegenwärtigung – die einer Bibelauslegung widerspricht, bei der „sich die biblische Botschaft vor der Gegenwart rechtfertigen müsse und sich deshalb der Vergegenwärtigung fähig erweisen müsse“; umgekehrt fordert Bonhoeffer, „daß sich die Gegenwart vor der biblischen Botschaft rechtfertigen müsse und deshalb die Botschaft gegenwärtig werden müsse“ (DBW 14, 400). 216 Die Notwendigkeit der Bestimmung des Verhältnisses von Christusgläubigen und Juden ergibt sich auch aus der Frage heraus, wie beispielsweise mit Bonhoeffers Rede von „Gottes liebe[m] Volk“ (N 194) umzugehen ist: Ist hier nur scheinbar von Israel die Rede und in Wirklichkeit allein das deutsche Kirchenvolk in den Blick genommen? Ist der neutestamentliche Text damit nicht exegetisch überstrapaziert, ja sogar missbraucht? Und muss sich Bonhoeffer nicht dann den Vorwurf substitutionstheologischer Tendenzen gefallen lassen?

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Verhältnisbestimmung Judentum/Christentum einerseits (3.3.4) und die Stellungnahme zur Situation innerhalb der evangelischen Kirchen in Deutschland andererseits (3.3.5) – ist nun nachzugehen. 3.3.4 Bonhoeffers Haltung zum jüdischen Volk: Israel als Gottes Volk Für das reziproke Verhältnis Jesu Christi und seiner Nachfolger zum jüdischem Volk ergibt sich folgende Bestimmung: Israel ist der erste Adressat der Botschaft Jesu. Aus diesem Volk heraus und in dieses Volk hinein rief Jesus seine ersten Jünger. Christus ist nicht zuerst der Heiden, sondern Israels Tröster (vgl. N 99, 104, 111, u. a.). Erst als Israel die Christusbotschaft gehört und verworfen hat, gibt Christus den Auftrag, auch den Heiden das Evangelium vom Reich Gottes zu bringen (vgl. bes. N 111 und 199). Sie sind der Botschaft Jesu zweiter Adressat, und zwar nicht substitutionstheologisch verstanden, sondern so, dass ,die Völker‘ in den Bund Gottes mit Israel hineingenommen sind. Israel bleibt uneingeschränkt unter dem Anspruch Gottes, sich zu Jesus als seinem Sohn zu bekehren (Jesus ist nicht gekommen, den Alten Bund aufzulösen, sondern er bejaht ihn!, vgl. N 117, 128, 141 u. ö.). Israel und Heiden stehen fortan (d. h. vom Augenblick des Missionsbefehls an bzw. eigentlich seit Pfingsten) aber in derselben Weise unter derselben Forderung der Botschaft vom Reich Gottes. So kann Bonhoeffer gerade die Verwerfung des Gottessohnes durch Israel als für die Gnade Gottes an den Heiden notwendig interpretieren, damit auch „die Heiden […] die Botschaft des Gekreuzigten und Auferstandenen empfingen“ (N 199). Was ist damit über Bonhoeffers Israel-Theologie fernerhin ausgesagt? Zunächst ist festzuhalten, dass die Bestätigung des Alten Bundes durch Christus nicht in Richtung auf Israels politisch-völkische Gestalt geschieht (vgl. bes. N 135 und 141), sondern allein in Richtung auf die Verheißung, die Israel, dem Volk Gottes, in diesem Bund beschlossen und bestätigt ist. Denn es ist ja gerade dies das Werk des Mittlers, jede unmittelbare und so auch jede politisch-völkische, soziale oder natürliche Bindung als letztgültige, verbindliche aufgehoben zu haben (vgl. N 87ff, 135, 141). Jesus hat die politischvölkische Gestalt aller Völker der Erde aufgehoben, sowohl des Volkes Israel als auch des deutschen Volkes. Beiden bleibt allein die ihnen gemeinsame Verheißung und der Anspruch Jesu Christi, Gottes berufene Gemeinde zu sein (vgl. N 101) bzw. sich zu dieser Gemeinde zu bekehren. Sie alle – ob jüdisch oder nicht-jüdisch und in dem Sinne heidnisch – sind vor die Entscheidung gestellt, „die Verheißung nun auch im Glauben an Jesus Christus und sein Wort [zu] ergreifen“ (ebd.). Die theologische Begründung der Integration der ,Völker‘ in das Heilsgeschehen Gottes mit Israel, seinem Volk, bei gleichzeitigem unbedingten Festhalten an der Mission Israels ist eines der speziellen Anliegen Bonhoeffers in der „Nachfolge“. Und wie sehr er tatsächlich an der Mission Israels festhält, verdeutlicht besonders eine der Interpretation be-

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dürftige Aussage innerhalb der Auslegung von Mt 10,11 – 15, die Bonhoeffer ausdrücklich auf die Städte Israels bezieht: „Sodom und Gomorrha, die Städte der Unzucht und der Verkommenheit, werden ein gnädigeres Gericht zu erwarten haben als die Städte Israels, die das Wort Jesu verwerfen!“ (N 203) Zur Erläuterung und zum adäquaten Verständnis der uns möglicherweise problematisch erscheinenden Mission Israels,217 in deren Zusammenhang Bonhoeffer derartige Aussagen zu treffen imstande gewesen ist, ist es nötig, die textimmanente Analyseebene kurzzeitig zu verlassen und schon hier den konkreten historischen Kontext mit zu berücksichtigen. Bonheoffers Theologie wird dann plausibel, wenn man die theologische Front bedenkt, gegen die er sich wendet und die sogleich eine ideologisch verklärte und die Schrift pervertierende Front ist. Die Anhänger der nationalsozialistischen Kirchenpartei Deutsche Christen suchten die „Judenmission“ als „eine schwere Gefahr für unser Volkstum“ zu propagieren. Weil sie „das Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper“ sei, darum sprach die Glaubensbewegung der Judenmission bereits in ihren Richtlinien vom 26. 5. 1932 jede „Daseinsberechtigung“ ab.218 Als im April 1933 mit dem „Gesetz zur Widerherstellung des Berufsbeamtentums“ der darin enthaltene „Arierparagraph“ verabschiedet wurde und dieser auch in die kirchlichen Ämter Eingang finden sollte,219 stellte sich Bonhoeffer mit seinem Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ sogleich gegen jene Juden und Judenchristen diffamierenden deutschchristlichen Anstrengungen, die einen Übergriff des Staates in den Raum der Kirche bedeuteten. Das Verbot der Judenmission erfüllt in diesem Aufsatz das „Zuviel an Ordnung und Recht des Staates“ und leitet die dritte und äußerste dort erwogene Möglichkeit kirchlichen Handelns dem Staat gegenüber ein. Die Missionierung Israels interpretiert Bonhoeffer im zweiten Teil des Aufsatzes dann im Zusammenhang der „Heimkehr Israels zu seinem Gott“,220 welche durch seine Bekehrung erfolgt und das „Ende der Leidensgeschichte des Volkes“ bedeutet,221 eine Position, die theologisch schon deutlich in der 217 Problematisch oder doch befremdlich ist der Gedanke der Judenmission für uns, die wir – im Danach des Holocaust – in der Verantwortung eines erneuerten Verhältnisses zum Judentum stehen, in der Verantwortung auch jener Beschlüsse, welche die Rheinische Synode im Jahre 1980 auf den Weg gebracht hat; vgl. dazu Klappert/Starck, Umkehr und Erneuerung, sowie Klappert, Weg und Wende. 218 Richtlinien der Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ vom 26. Mai 1932, in: Beckmann, Kirchliches Jahrbuch 1933 – 1944, 14 – 15, 15. 219 Siehe dazu unten Kap. 4.4. 220 DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 354; Hervorhebung durch F.S. 221 DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 355. Der ganze Absatz lautet: „Niemals ist in der Kirche Christi der Gedanke verlorengegangen, daß das ,auserwählte Volk‘, das den Erlöser der Welt ans Kreuz schlug, in langer Leidensgeschichte den Fluch seines Tuns tragen muß. […] Aber die Leidensgeschichte dieses von Gott geliebten und gestraften Volkes steht unter dem Zeichen der letzten Heimkehr des Volkes Israel zu seinem Gott. Und diese Heimkehr geschieht in der Bekehrung Israels zu Christus. […] Die Bekehrung Israels, das soll das Ende der Leidensgeschichte des Volkes sein.“ (DBW 12, aaO., 354 f).

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Linie der „Nachfolge“ steht. Bonhoeffers Forderung der Judenmission ist zu verstehen als direkte Kritik an der nationalsozialistischen Politik und deutsch-christlichen Theologie, als eine Kritik jedoch, die in der „Nachfolge“ in exegetisch verschlüsselter Form begegnet und die ihren stärksten Ausdruck darin findet, dass die Frage nach der völkischen Bindung aus der Innenperspektive der Bindung an den Christus, d. h. aus der Perspektive der Nachfolgegemeinde gestellt wird. Dass Christus in der Kraft seiner Menschwerdung jede Unmittelbarkeit aufgehoben hat, dass entsprechend jede Unmittelbarkeit Trug ist (vgl. N 90), bedeutet, dass mit der Aufhebung der Unmittelbarkeit auch jedes Unterscheidungskriterium der Zugehörigkeit zu diesem oder jenem Volke kein Recht hat gegenüber dem nunmehr einzig wahren Kriterium ,völkischer‘ Bindung: dem Glauben bzw. dem Unglauben an Jesus Christus in seiner Gemeinschaft. Allein der Glaube an Jesus, den Christus, bewirkt, dass ich seinem Volk, dem Volk des Mittlers, zugehöre (vgl. N 89 f, 95 u. a.). Außerhalb dieser einzig gültigen und endgültigen Bindung ist alle Bindung nur scheinbare, nicht-gültige Bindung, sei es die Bindung an ein Volk, sei es die Bindung durch Blut, Rasse, Natur (vgl. N 90 f u. a.). Der Eindruck unmittelbarer Bindung ist „Täuschung“ (N 89) und hindert den Menschen am Glauben und am Gehorsam (vgl. N 90). Außerhalb der Gemeinschaft Christi und seines Leibes, „[a]ußerhalb der Kirche, die der neue Mensch ist, gibt es nur den alten, zerrissenen Menschen“ (N 232), und es spielt hier seit Christus keine Rolle, ob dieser und jener alte Mensch Jude ist oder aus einem anderen Volk stammt. Wieviel mehr aber ist dann jeder Unterschied zwischen Jude und Heide dort aufgehoben, wo die Aufhebung aller Bindungen auch geglaubt wird, nämlich innerhalb der Bindung an den Christus, innerhalb der communio sanctorum? Hier, in Christus, ist „nicht Grieche noch Jude“!222 „Hier wurde die Feindschaft zwischen Juden und Heiden abgetan, die die Menschheit zerriß“ (N 232). „Hier war alle frühere Entzweiung überwunden.“ (N 197) Hier, wo Jesus als der Christus geglaubt wird, gibt es keine politisch-völkische Bindung mehr, weder die an das Volk Israel, noch die an das deutsche Volk, sondern das Wissen darum, dass Christus alle völkische Bindung aufgehoben hat. In diesem Sinne allein kann es schließlich verständlich werden, dass Bonhoeffer von der Jüngergemeinde „als de[m] wahren Israel“ (N 135) sprechen kann. Nicht als Ausdruck von Substitution will diese Wendung verstanden werden oder so, dass Israel Gottes Verheißung nicht mehr gelte, sondern die (aus dem Volk Israel stammenden!) Jünger sind als die Christusgläubigen, als das „Volk des Mittlers“, als das „Volk unter dem Kreuz“ (N 95) das „wahre Israel“, das der ganzen Welt jene Verheißung bringt, unter der sie steht (vgl. N 101), seit Gott selbst Mensch wurde.

222 Gal 3,28, zit. n.: N 233. Bonhoeffer verweist auf Gal 3,27 f zudem in N 224, 232 und 251 ff.

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3.3.5 Die Adressaten der „Nachfolge“ In einer zweiten Richtung der exegetischen Vergegenwärtigung in der „Nachfolge“ sind Bonhoeffers Auslegungen zu „Gottes Volk“ (N 101, 193ff) auf die gegenwärtige Situation der evangelischen (genauer : der Bekennenden) Kirche in Deutschland zu übertragen und auszulegen. Unter der aufgezeigten Voraussetzung, dass „Gottes Volk“ nach Kreuz und Auferstehung gerade nicht mehr ausschließlich das Volk Israel meint, sondern auch ,die Völker‘ der Welt, die unter Gottes Verheißung und seinem Anspruch stehen (vgl. N 101), kann Bonhoeffer die Verheißung, die auf primärer exegetischer Ebene noch ausschließlich Israel galt (nämlich: „berufene Gemeinde Gottes“ zu sein, N 99), auf die eigene Gegenwart beziehen, sodass sich ergibt: Die Bevölkerung innerhalb des „Deutschen Reiches“ bzw. das ,deutsche Volk‘ ist als berufene Gemeinde Gottes anzusprechen. Die von Bonhoeffer im Vorwort der „Nachfolge“ in den Blick genommene und zum Ausgangspunkt alles Weiteren gemachte Situation der evangelischen Kirche in Deutschland kehrt in exegetisch reflektierter und zugleich zu entschlüsselnder Form insbesondere in der Auslegung der Sendungsrede Mt 10 wieder : Gottes liebes Volk [sc. das von der Kirche entfremdete deutsche Kirchenvolk] lag mißhandelt am Boden, und die Schuld daran traf die, die an ihm den Dienst Gottes versehen sollten [sc. die Prediger und Pastoren der (Bekennenden) Kirche].223

Dieses Volk wieder aufzurichten, es zu sich und zum Vater zurückzubringen, das ist der Wille Jesu, und hierzu bedarf es guter Hirten, die dem Volk die frohe Botschaft des Evangeliums bringen – doch „siehe da, es sind keine zu finden“ (N 195). Bonhoeffer interpretiert den Mangel des Volkes als die Ermangelung guter Hirten. Weil die vorhandenen Hirten keine guten Hirten mehr sind, darum liegt „Gottes liebes Volk […] mißhandelt am Boden“. Bevor Bonhoeffer aber nun, nachdem er im Vorwort die Situation transparent gemacht hat, die zu überwinden seine Absicht ist, mit dem im Zeichen 223 N 194. Dieser Aussage entspricht eine zweite, nämlich dass das ,deutsche Volk‘ nicht etwa mit dem Begriff „Heiden“ zu identifizieren ist, von dem Bonhoeffer innerhalb seiner Auslegungen Gebrauch macht (vgl. z. B. N 198 f), auch wenn sich diese Vermutung dadurch nahelegen könnte, dass Bonhoeffer im Zusammenhang von Mt 28,18 – 20 von der Mission der „Heiden“ spricht. Der Begriff ist aber auf das ,deutsche Volk‘ nicht anwendbar, und zwar deswegen nicht, weil es sich bei der Bevölkerung des „Dritten Reichs“ um eine bereits christlich sich nennende Bevölkerung handelt, oder doch wenigstens um eine solche, die bereits von Christus gehört hat; damit aber ist sie vom Heidentum unterschieden (Bonhoeffer bestätigt das in dem Satz: „Wir, die wir zu den Heiden gehörten“, N 199; Hervorhebung durch F.S.). Dennoch bedürfen gerade diese Menschen der Mission und der Predigt des Reiches Gottes zur Entscheidung (Mt 10,5 f: „Gehet nicht auf der Heiden Straße […], sondern gehet zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“; zit. n.: N 198); sie gilt es zur Kirche, d. h. eigentlich zu Christus, zurückzuführen.

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dieser Überwindung stehenden theologischen Programm einsetzt, stellt er zunächst die Frage nach den Ursachen, durch welche die gegenwärtige Mangelsituation überhaupt verursacht werden konnte; der Klärung dieser Frage dient das Eingangskapitel über die „teure Gnade“. Auf eine erste224 und eine zweite225 Basis-Annahme226 folgend, bereitet dieses Kapitel auf eine dritte Basis-Annahme vor, aus der sich dann auch das theologische Programm ableitet, welchem sich Bonhoeffer verpflichtet; diese dritte Basis-Annahme besteht in der Behauptung, „daß wir nicht mehr in der rechten Nachfolge Christi stehen, daß wir wohl Glieder einer rechtgläubigen Kirche der reinen Lehre von der Gnade, aber nicht mehr ebenso Glieder einer nachfolgenden Kirche sind“ (N 42). Als Abbreviatur und zugleich zur Konkretion jener letzten seiner Theologie der Nachfolge Christi vorausgesetzten Basis-Annahme (sie entspricht dem, was Eberhard Bethge mit der Formulierung des „denkerischen und gestalterischen Mißbrauchs der Reformation“227 zum Ausdruck gebracht hat) führt Bonhoeffer den von Kierkegaard übernommenen Begriff der „billigen Gnade“ ein. Wie die Raben haben wir uns um den Leichnam der billigen Gnade gesammelt, von ihr empfingen wir das Gift, an dem die Nachfolge Jesu unter uns starb. Die Lehre von der reinen Gnade erfuhr eine Apotheose ohnegleichen, die reine Lehre von der Gnade wurde Gott selbst, die Gnade selbst. Überall Luthers Worte und doch aus der Wahrheit in Selbstbetrug verkehrt. Hat unsere Kirche nur die Lehre von der Rechtfertigung, dann ist sie gewiß auch eine gerechtfertigte Kirche! so hieß es. Darin sollte also das rechte Erbe Luthers erkennbar werden, daß man die Gnade so billig wie möglich machte. Das sollte lutherisch heißen, daß man die Nachfolge Jesu den Gesetzlichen, den Reformierten oder den Schwärmern überließ, alles um der Gnade willen; daß man die Welt rechtfertige und die Christen in der Nachfolge zu Ketzern machte. Ein Volk war christlich, war lutherisch geworden, aber auf Kosten der Nachfolge, zu einem allzu billigen Preis. Die billige Gnade hatte gesiegt.228 224 Exegetische Fassung: „Gottes liebes Volk lag mißhandelt am Boden“ (N 194). Historische Fassung: „vielen […] [ist] die Kirche und ihre Botschaft fremd geworden […]“ (N 21); „Zusammenbruch der organisierten Kirchen heute“ (N 40); „Millionen getöteter Seelen heute“ (N 41). 225 Exegetische Fassung: „die Schuld traf die, die an ihm den Dienst Gottes versehen sollten. Nicht die Römer hatten das angerichtet, sondern der Mißbrauch des Wortes Gottes durch die berufenen Diener am Wort. Es waren keine Hirten mehr da!“ (N 194) Historische Fassung: „Es ist doch nicht nur die Schuld der anderen, wenn sie unsere Predigt […] hart und schwer finden, weil sie belastet ist mit Formeln und Begriffen“ (N 21). 226 Vgl. zur Kategorie der „Basis-Annahme“ und zu ihrer Bedeutung für theologische Konzeptionen: Gremmels, Konstitution und Reflexion. 227 Bethge, Nachwort, 286. 228 N 40. Bonhoeffers Schilderung mündet in ein Bild der Verwüstung der protestantischen Kirchen. „Aber wissen wir auch, daß diese billige Gnade in höchstem Maße unbarmherzig gegen uns gewesen ist? Ist der Preis, den wir heute mit dem Zusammenbruch der organisierten Kirchen zu zahlen haben, etwas anderes als eine notwendige Folge der zu billig erworbenen

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Indem Bonhoeffer die reformatorische sowie nachreformatorische Gnadenkonzeption in seiner Weise skizziert (eine Skizze, die ganz unter dem Zeichen der „Verweltlichung“ der Kirche steht),229 kontextualisiert er sowohl seine Theologie als auch jene dieser Theologie vorausgehenden Basis-Annahmen in ihrer konkreten geschichtlichen Situation. Weil ihre Predigt ohne Nachfolge, Predigt der „billigen Gnade“ ist, wird den Menschen der „Zugang zu Jesus zu schwer“ gemacht (N 21). Der Weg zur Überwindung des Mangels liegt darum in der Wiederentdeckung der Nachfolge, der Wiederentdeckung der teuren Predigt von der teuren Gnade Gottes. Dieser Weg zurück zur Predigt der Nachfolge aber ist für Bonhoeffer der Weg zurück zu Christus selbst (vgl. N 22ff). Mit der Formulierung der theologischen Aufgabe schließt er das erste Kapitel über die „teure Gnade“.

Gnade? Man gab die Verkündigung und die Sakramente billig, man taufte, man konfirmierte, man absolvierte ein ganzes Volk, ungefragt und bedingungslos, man gab das Heiligtum aus menschlicher Liebe den Spöttern und Ungläubigen, man spendete Gnadenströme ohne Ende, aber der Ruf in die strenge Nachfolge Christi wurde seltener gehört. Wo blieben die Erkenntnisse der alten Kirche, die im Taufkatechumenat so sorgsam über der Grenze zwischen Kirche und Welt, über der teuren Gnade wachte? Wo blieben die Warnungen Luthers vor einer Verkündigung des Evangeliums, die die Menschen unsicher machte in ihrem gottlosen Leben? Wann wurde grauenvoller christianisiert als hier? Was sind die 3000 von Karl dem Großen am Leibe getöteten Sachsen gegenüber den Millionen getöteter Seelen heute? Es ist an uns wahr geworden, daß die Sünde der Väter an den Kindern heimgesucht wird bis ins dritte und vierte Glied. Die billige Gnade war unserer evangelischen Kirche sehr unbarmherzig.“ (N 40 f; vgl. hierzu Onnasch, Zeitgemäße Theologie?) Von der Diagnose an die Kirche wendet sich Bonhoeffers Blick dann in Richtung auf den Einzelnen. Von dem Ort der Verkündigung führt der Weg hier zu den Hörern derselben, von den Pastoren zu den Gemeindegliedern, denen (aufgrund der „billigen“ Verkündigung der Kirche, s. o.) die „billige Gnade“ den barmherzigen Weg zur Nachfolge und also zu Christus verschlossen hat. „Unbarmherzig ist die billige Gnade gewiß auch den meisten von uns persönlich gewesen. Sie hat uns den Weg zu Christus nicht geöffnet, sondern verschlossen. Sie hat uns nicht in die Nachfolge gerufen, sondern in Ungehorsam hart gemacht. Oder war es nicht unbarmherzig und hart, wenn wir dort, wo wir den Ruf in die Nachfolge Jesu wohl einmal gehört hatten als den Gnadenruf Christi, wo wir vielleicht einmal die ersten Schritte der Nachfolge in der Zucht des Gehorsams gegen das Gebot gewagt hatten, überfallen wurden mit dem Wort von der billigen Gnade? Konnten wir dieses Wort anders hören, als daß es unseren Weg aufhalten wollte mit dem Ruf zu einer höchst weltlichen Nüchternheit, daß es die Freudigkeit zur Nachfolge in uns erstickte mit dem Hinweis, das alles sei ja nur unser selbstgewählter Weg, ein Aufwand an Kraft, Anstrengung und Zucht, der unnötig, ja höchst gefährlich sei? denn es sei ja eben in der Gnade schon alles bereit und vollbracht! Der glimmende Docht wurde unbarmherzig ausgelöscht. Es war unbarmherzig, zu einem Menschen so zu reden, weil er, durch dieses billige Angebot verwirrt, seinen Weg verlassen mußte, auf den ihn Christus rief, weil er nun nach der billigen Gnade griff, die ihm die Erkenntnis der teuren Gnade für immer versperrte. Es konnte ja auch nicht anders kommen, als daß der betrogene schwache Mensch sich in Wirklichkeit die Kraft zum Gehorsam, zur Nachfolge verloren hatte. Das Wort von der billigen Gnade hat mehr Christen zugrunde gerichtet als irgendein Gebot der Werke.“ (N 41 f). 229 N 32 f; 37 u. ö. „Die ganze Welt ist unter dieser [sc. der billigen] Gnade ,christlich‘ geworden, das Christentum aber ist unter dieser Gnade in nie dagewesener Weise zur Welt geworden. Der Konflikt zwischen christlichem und bürgerlichem Leben ist aufgehoben.“ (N 37).

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Wir wollen nun in allem folgenden das Wort für diejenigen ergreifen, die eben darin angefochten sind, denen das Wort der Gnade erschreckend leer geworden ist. Es muß um der Wahrhaftigkeit willen für die unter uns gesprochen werden, die bekennen, daß sie mit der billigen Gnade die Nachfolge Christi verloren haben und mit der Nachfolge Christi wiederum das Verständnis der teuren Gnade. Einfach, weil wir es nicht leugnen wollen, daß wir nicht mehr in der rechten Nachfolge Christi stehen, daß wir wohl Glieder einer rechtgläubigen Kirche der reinen Lehre von der Gnade, aber nicht mehr ebenso Glieder einer nachfolgenden Kirche sind, muß der Versuch gemacht werden, Gnade und Nachfolge wieder in ihrem rechten Verhältnis zueinander zu verstehen. Hier dürfen wir heute nicht mehr ausweichen. [Denn:] Immer deutlicher erweist sich die Not unserer Kirche als die eine Frage, wie wir heute als Christen leben können. (N 42)

In der Situation des „[…] Zusammenbruch[s] der organisierten Kirchen [heute]“ (N 40) und des Zugrunderichtens von Christen durch das „Wort von der billigen Gnade“ (N 42) entwickelt Bonhoeffer sein theologisches Konzept der Nachfolge Christi zur Überwindung eben dieser Situation. So ist im ersten Satz des ersten Kapitels der „Nachfolge“ der Horizont des Buches geradezu vollständig abgesteckt, wenn es dort heißt: „Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf heute geht um die teure Gnade.“ (N 29) Ausgerechnet die „Zeiten der kirchlichen Erneuerung“ (N 21), in denen der Kampf um die „teure Gnade“ ausgetragen wird, diese „Zeiten […] des ernsten Kampfes und der Scheidung in Gläubige und Feinde“ (N 249) versteht Bonhoeffer als Zeit der Ernte Gottes (vgl. N 195 f). Gerade dort, „wo Gottes Volk mißhandelt, elend und armselig vor ihm steht“ und wo die „Schriftgelehrten und Gesetzeseiferer […] nur ein zertretenes, verbranntes, zerschlagenes Feld [sahen]“, dort sieht Jesus „das reife Erntefeld Gottes.“ Der sich erbarmende Blick Jesu Christi, der einst dem Volk Israels allein galt, fällt jetzt auf die Herde in Deutschland; und er fällt – denn „Erntearbeit leidet keinen Verzug“ (N 195) – damit auch auf seine Jünger, die Pastoren, die er zu Aposteln beruft, ihm bei der Erntearbeit zu helfen. Als die guten Hirten sollen die Pastoren der Bekennenden Kirche als der wahren Kirche Jesu Christi in das deutsche Volk hineingehen, es aufrichten durch ihr Wort und diesem Volk in „öffentliche[r] Predigt“ die Botschaft vom Reiche Gottes verkündigen „zum Heil und zur Verwerfung“.230 So stellt sich die auf primärer exegetischer Ebene allein an Israel gerichtete Frage vergegenwärtigend als die Frage: Wird das deutsche Volk – gleichbedeutend mit dem Kirchenvolk – die Verheißung dieser Boten „nun auch im Glauben an Jesus Christus und sein Wort ergreifen oder wird es sich im Unglauben von Christus und seiner Gemeinde scheiden?“ (N 101) Als eine den Pastoren zur Selbstprüfung anbefohlene Frage gestellt: Werden die Pastoren der inneren Zersetzung ihrer Kirche durch die Predigt der „teuren Gnade“ entgegentreten? Werden diejenigen, die sich der kirchlichen Oppo230 N 208; vgl. zur Verkündigung der Botschaft bes. N 202 f.

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sition gegen die nationalsozialistische Pervertierung der Kirche angeschlossen haben, den schmalen Weg der Nachfolge weitergehen? Indem deutlich geworden ist, an wen sich Bonhoeffer mit der „Nachfolge“ richtet, nämlich an die Pastoren der Bekennenden Kirche (d. h. an getaufte Christen!), die ihrerseits das Evangelium von Jesus Christus (ebenfalls getauften!) Menschen bringen, wird die am Ende der Darstellung des abgrenzenden Weltverhältnisses als Problem aufgeworfene Frage aufgelöst, wie Bonhoeffer den Empfang der Taufe mit dem Schritt der ersten Jünger in die Nachfolge identifizieren und also als existentielles Geschehen verstehen kann, wenn doch zweifelsohne gilt, dass mitten durch die Gemeinschaft der Getauften hindurch eine Grenze verläuft, sofern „unter den Getauften […] Irrlehrer und tote Glieder [sind], die nicht zur Kirche gehören können“.231 Diese Divergenz, so ist jetzt ersichtlich geworden, ist gerade nicht als Anfrage an die „Nachfolge“ heranzutragen, sondern vielmehr als Ausgangspunkt des theologischen Bemühens Bonhoeffers zu verstehen, welches darin besteht, zu einem rechten und wirklichen Verständnis von Glaube und Gehorsam, Rechtfertigung und Ethik, Heiligkeit und Heiligung, Gnade und Nachfolge, Taufe und christlichem Leben zurückzufinden. Die Sichtbarkeit des Christseins, d. h. eigentlich die Sichtbarkeit Jesu Christi selbst, ist eines der tiefsten Anliegen der „Nachfolge“. Zur kritischen Vergewisserung ihrer eigenen Existenz und als Wegweiser zur rechten Predigt ist den Predigern der Bekennenden Kirche diese theologische Schrift kirchlichen Kampfes gegeben, die ihnen „als eine der stärksten Antworten auf die Ereignisse von 1933 erscheinen konnte“.232 Aber – und damit sei die Darstellung der theologischen Argumentation der „Nachfolge“ beschlossen – es darf dabei eine Unklarheit innerhalb der Argumentation Bonhoeffers nicht übersehen werden, die sich aus der eruierten Bestimmung der Adressaten des Buches im Verhältnis zur Grundkonzeption von Bonhoeffers Nachfolge-Theologie ergibt: Das theologische Grundkonzept ist ausgerichtet an der reformatorischen Wiederentdeckung, „daß die Nachfolge Jesu nicht verdienstliche Sonderleistung Einzelner, sondern göttliches Gebot an alle Christen ist“ (N 34). Gemäß dieser Prämisse entwirft Bonhoeffer seine Theologie: „weil Christus ist, darum muß Nachfolge sein“ (N 47), das bedeutet: weil in Christus die ganze Menschheit leiblich getragen und angenommen ist, darum ist jedem einzelnen Menschen die Nachfolge Christi zum Heil geboten. Weiter folgt Bonhoeffer dieser Linie, indem er die Bergpredigt als Wort Jesu an seine Jünger liest (als an diejenigen gerichtetes Wort also, die Jesus als den Christus glauben, die alles verlassen haben, Jesus bedingungslos folgen und allein an ihn gebunden sind). Ihnen ist das Wort der Nachfolge gesagt, denen, die Jesus noch nicht glauben, ist es als Wort zur Nachfolge 231 DBW 14, Aufsatz vom Juni 1936: Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft, 661. 232 DB 525. Vgl. hierzu wiederum Bonhoeffers Aufsatz „Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft“: „Vielmehr muß den Gemeinden zu rechten Amtsträgern verholfen werden.“ (DBW 14, 674).

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gesagt. Außerhalb der Nachfolge, der Gemeinschaft Jesu Christi unter dem Kreuz, gibt es kein Heil. Die auf die Bergpredigt folgende Auslegung der Sendungsrede Mt 10 liest Bonhoeffer ebenfalls als an die Jesus nachgefolgten Jünger gerichtet. Diejenigen, die um seinetwillen alles verlassen haben und seinem Ruf gefolgt sind, werden zu Aposteln berufen und in das Volk hinein gesendet. Die sich im Nachvollzug der Interpretation Bonhoeffers einstellende Problematik besteht nun darin, dass auf der einen Seite das Bote-Sein als notwendiges Kriterium der Nachfolge Christi erscheint; es gibt für die Jünger keine Nachfolge, ohne dass sie als Boten im Auftrag Christi dem Volk die Botschaft vom Reich Gottes bringen. Auf der anderen Seite aber wurde gezeigt, dass jene Boten auf vergegenwärtigender exegetischer Ebene die Pastoren der Gegenwart Bonhoeffers ansprechen und eben nicht die Gemeindeglieder. Wenn aber das Bote-Sein notwendig zur Nachfolge Christi dazugehört und wenn zugleich die Boten Christi ausschließlich die Pastoren sind, dann legt sich der Eindruck nahe, als gelte derjenige Weg der Nachfolge, den Bonhoeffer in seinem Buch entwirft, ebenso ausschließlich den Pastoren als den engsten Jüngern Jesu, nicht aber allen Christusnachfolgern. Das würde bedeuten, dass Bonhoeffer mit dieser Interpretation den theologischen Kernsatz seines Nachfolgekonzepts verlassen hätte, demzufolge die Nachfolge allen Christen gelte. Liest also Bonhoeffer letztlich doch die Bergpredigt und den Ruf in die Nachfolge als allein an die Hirten, die Pastoren, gerichtet?233 Diese Problematik der Argumentation verdankt sich einer Leerstelle in Bonhoeffers Text. Zwar sagt Bonhoeffer ausdrücklich, dass es die zwölf Jünger sind, die Jesus zu Aposteln macht.234 Eine Unterscheidung zwischen Jesusjüngern, die auch zu Aposteln berufen werden, und solchen, die Jesus zwar nachfolgen, die allerdings nicht mit dem Apostelamt bekleidet werden, trifft Bonhoeffer explizit nicht, obwohl gerade diese Differenzierung der Jüngerschar entscheidend ist; Bonhoeffer scheint sie aber implizite zugrunde zu legen. Sie ist im Text der „Nachfolge“ nur an einer Stelle angedeutet, wenn Bonhoeffer danach fragt, wer denn „[…] die Mitarbeiter [sind], die ihm [sc. Jesus] helfen?“ (N 196) Seine Antwort kann lediglich vermuten lassen, dass es keineswegs alle Jünger sind, die Gott auswählt, sondern dass Jesus „[…] seine 233 Dagegen könnte exegetisch der Einwand gebracht werden, dass die Berufung des Zöllners Matthäus, eines der Boten (vgl. Mt 10,3), erst nach der Bergpredigt erfolgt (vgl. Mt 9,9), dass demnach die zwölf Jünger zum Zeitpunkt der Bergpredigt noch nicht alle berufen worden sind und Bonhoeffer die Bergpredigt nicht an den engsten Kreis der Jünger gerichtet lesen kann. Allerdings beginnt er seine Ausführungen zum „Ruf in die Nachfolge“ mit der Auslegung von der Berufung des Levi Mk 2,14, der markinischen Parallele der Matthäusberufung; der Zöllner ist folglich von Anfang an Glied der Gemeinde der Nachfolgenden. 234 Vgl. N 197: Jesus machte zu Aposteln „Simon, den Felsenmann, Matthäus, den Zöllner, Simon, den Zeloten, den Eiferer um Recht und Gesetz gegen heidnische Bedrückung, Johannes, den Jesus lieb hatte und der an Jesu Brust lag, und die anderen, von denen uns nur der Name blieb, und schließlich Judas Ischarioth, der ihn verriet. […] Daß auch Judas ausging, um das Christuswerk zu tun, bleibt ein dunkles Rätsel und eine furchtbare Warnung.“

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zwölf Jünger“ aus der Gemeinde aller Nachfolgenden hinaus „zu sich [rief]“ (Mt 10,1; zit. n.: N 196; Hervorhebung durch F.S.): Gott allein kennt sie [sc. die Mitarbeiter der Ernte] und muß sie seinem Sohn geben. Wer dürfte sich auch von sich aus dazu anbieten, Jesu Helfer zu sein? Selbst die Jünger dürfen es nicht. Sie sollen den Herrn der Ernte bitten, Arbeiter zu senden zur rechten Stunde.235

Es verhält sich tatsächlich so, dass Bonhoeffer innerhalb der Jüngerschaft unterscheidet zwischen solchen, die Jesus nachfolgen und die er darüber hinaus zu Aposteln beruft (dies sind die Pastoren), und solchen, die Jesus lediglich nachfolgen, die aber keine Apostel sind (dies ist, so könnte gesagt werden, die Jesus nachfolgende Herde der Pastoren, die Gemeinde). Es sind also allein diejenigen der Jünger überhaupt als „Boten“ angesprochen, die Jesus aus der Jüngergemeinde heraus als solche bestimmt hat. Damit ist zwar nicht die Gültigkeit der Bergpredigt für die gesamte Jüngergemeinde infrage gestellt, denn diese gilt (in Anspruch und Verheißung) allen Jüngern und allen Menschen, die sie hören. Es bleibt darum dabei, „daß die Nachfolge Christi nicht verdienstliche Sonderleistung Einzelner, sondern göttliches Gebot an alle Christen ist“ (N 34). Aber – es ist zugleich nicht zu leugnen, dass Bonhoeffer, wohl darum, weil er so sehr die Prediger seiner Kirche als Adressaten seines Buches vor Augen hat und für sie seine Theologie entwirft, sich hier an der Grenze des innerhalb seines theologischen Konzepts Zulässigen bewegt. Denn gerade in der „Begrenzung der Gebote Jesu in ihrer Geltung auf eine bestimmte Gruppe besonders qualifizierter Menschen“ (N 33) erkennt Bonhoeffer den Keim der billigen Gnade, und es ist darum zu fragen, ob nicht auch die Interpretation der Gebote Mt 10 als an nur einige (von Gott selbst) auserwählte Jünger gerichtet eine solche Begrenzung darstellt. Es ist nur schwer einzusehen, was – gemäß des Priestertums aller Gläubigen (1Petr 2,9; Apk 5,10) – theologisch gegen die Überzeugung spricht, dass auch derjenige, aus dem nicht der „beamtete Pfarrer geworden ist“ (N 200), Christi Bote unter den Völkern ist. Bonhoeffer steht hier durchaus in der Gefahr, das göttliche Amt des Sendboten allzu sehr mit dem Amt des ordinierten Pfarrers zu identifizieren, auch wenn diese Tendenz seiner Theologie sich zweifelsohne den Erfordernissen und Ereignissen jener Jahre verdankt. Damit stehen wir bei der 235 N 196. Die biblische Grundlage zur Füllung der Leerstelle in Bonhoeffers Text liefert die markinische Parallele der Jüngerberufung Mk 3,13 – 15: „Und er steigt auf den Berg und ruft zu sich, die er um sich haben wollte; und sie traten zu ihm hin. Und er bestimmte zwölf, die er auch Apostel nannte, die mit ihm sein sollten und die er aussenden wollte, zu verkündigen und mit Vollmacht die Dämonen auszutreiben.“ Die Erwähnungen in Mt 4,25, 8,1 u. a., in denen berichtet wird, dass Jesus eine große Menge folgte, reicht zur Begründung jener oben angezeigten Differenzierung nicht aus. Denn die große Menge der Jesus folgenden Menschen begreift Bonhoeffer ja nicht als Gemeinde der Nachfolgenden, als „Volk des Mittlers“ (N 95), sondern als „Volksmenge“ (N 99), die unter dem Anspruch Jesu steht, ihm wahrhaft nachzufolgen.

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Der Weg Christi mit dem Menschen

Frage nach der Einbindung der „Nachfolge“ in die Zeit ihrer Entstehung und in die Lebensgeschichte und Theologie ihres Autors.

3.4 Ertrag und Thesen zur theologischen Entwicklung Bonhoeffers Nachdem Bonhoeffers Gedankengang vergegenwärtigt und erörtert sowie die einzelnen theologischen Themen und Gedanken im Zusammenhang ihrer übergeordneten Argumentation aufgewiesen worden sind, seien jetzt die wesentlichen Ergebnisse zum Komplex der „Heiligung“ zusammengetragen, um von dieser Grundlage aus eine Darlegung der theologischen Entwicklung Bonhoeffers einzuleiten. 1. Im Zentrum der „Nachfolge“ steht theologisch ein Konzept präsentischer Christologie in der Gestalt einer christologisch ausgerichteten Ekklesiologie.236 Diese Ekklesiologie steht im Zeichen der Versöhnung Gottes mit seiner gefallenen Schöpfung: Wie der Fall Adams als Fall der ganzen Schöpfung und also der ganzen Menschheit zu verstehen ist (vgl. N 229), so ist in Christus in der Kraft seiner Menschwerdung auch die ganze Menschheit getragen, angenommen und am Kreuz gerichtet (vgl. N 228 f, 231, 270ff u. a.), d. h. aber, sie ist mit Gott versöhnt (vgl. N 84 u. a.). Ein dichotomes Wirklichkeitsverständnis ist der „Nachfolge“ ganz und gar fremd.237 Die ganze Welt und jeder einzelne Mensch ist (ob sie Jesus als den Christus erkennen können oder nicht, vgl. N 90, 216 f) aufgenommen in die eine Wirklichkeit auf Erden, die Wirklichkeit Jesu Christi. Es gibt (eben freilich vom Standpunkt christlichen Glaubens aus gesprochen) keine eigenständige, außerhalb der Christuswirklichkeit liegende Wirklichkeit (vgl. bes. N 87ff); seine Wirklichkeit ist der eine und einzige „Raum“ auf Erden, der die gesamte Schöpfung umschließt. Die „Nachfolge“ entspricht hierin in jeder Hinsicht der Theologie der „Ethik“. 2. Bonhoeffer spricht in der „Nachfolge“ von der Kirche als einem „Raum“ (vgl. N 241ff u. ö.), sofern damit erstens der sichtbaren Unterschiedenheit und Abgrenzung der Christen von der Welt Ausdruck verliehen ist (siehe unten Punkt 4; vgl. bes. N 277) und sofern zweitens allein in der Gemeinde Jesus als der Sohn Gottes geglaubt wird und aufgrund dieses Glaubens im Raum der Kirche die Sünde als der durch die Selbstherrschaft des Menschen vollzogene Zwiespalt zwischen Gott und Mensch tatsächlich nicht mehr herrscht.238 Davon unterschieden ist die Welt als derjenige „Raum“, in dem Jesus nicht als der Christus geglaubt, sondern verworfen wird. Sofern die „Ekklesia Christi“239 als glaubende, anerkennende, ganz und allein auf Christus ausgerichtete 236 237 238 239

Siehe oben Kap. 3.2.2.1. Siehe oben Kap. 3.1.2. Siehe dazu und zum Folgenden Kap. 3.2.1.1.1 und 3.2.1.1.2. N 269. Dieser Begriff schließt – deutlicher als die von Bonhoeffer an eben dieser Stelle äqui-

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Ertrag und Thesen

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und von ihm her lebende Schar unter dem Kreuz nicht mehr unter der Herrschaft der Sünde steht, sondern unter der alleinigen Herrschaft Jesu Christi, ist sie ein „eigener Herrschaftsbereich, ein Raum für sich“ (N 269). Dieser „Raum für sich“ ist eine Bestimmung des Glaubens an die eine Wirklichkeit Jesu Christi auf Erden, in dem es zwar keine Auflehnung gegen die Obrigkeit gibt, in dem die Welt aber nicht mehr herrscht. In dem einen „Raum“ der einen Christuswirklichkeit befindet sich jeder Mensch kraft der Menschwerdung Christi (siehe oben Punkt 1); in den „Raum“ der geglaubten Christuswirklichkeit hinein gelangt der Mensch durch seinen Schritt in die Nachfolge, bzw. durch die Taufe, die ihm lebendigen Anteil am Leib Jesu Christi schenkt (vgl. N 50, 230, 250 u. a.). Auch hierin entsprechen „Nachfolge“ und „Ethik“ theologisch einander. 3. Die Bewahrung in diesem „Raum“ als die Erhaltung der Rechtfertigung ist die Heiligung (vgl. N 275), deren Siegel der Heilige Geist ist (vgl. N 276 u. a.). Durch ihn sind die Heiligen Jesu Christi versiegelt und verschlossen gegen die sündige Welt; durch dieses Siegel werden sie durch das Gericht hindurchgetragen werden.240 Das Heil der Gemeinde und ihre Rettung am Tage Jesu Christi ist eines der zentralen Anliegen Bonhoeffers in der „Nachfolge“ (vgl. bes. N 293ff), das mit dem Motiv der Reinheit der Gemeinde korreliert (vgl. bes. N 269ff). Weil das „Ziel der Verschließung [sc. der Gemeinde] […] die Erlösung, die Errettung, das Heil […] bei der Wiederkunft Christi [ist]“ (N 276), darum „[liegt] [a]lles […] daran, daß nicht in der christlichen Gemeinde Böses geschehe“ (N 257), sondern sich die Gemeinde untadelig und rein halte (vgl. N 269 u. a.), dass sie „in guten Werken erfunden wird“ (N 293). Durchaus steht, so kann gesagt werden, im Fokus der „Nachfolge“ und ihrer Rede von der Reinheit der Gemeinde241 ein ausgewiesen eschatologisches, und zwar ein ekklesiologisch-eschatologisches Interesse. Nur die reine, unbefleckte Gemeinde (und nur der unbefleckt in guten Werken erfundene Einzelne) wird im Gericht Gottes errettet werden. 4. Unbefleckt und rein bleibt die Gemeinde nur dann, wenn sie sich sichtbar von der Welt abgrenzt, sich in allen Lebensvollzügen sichtbar von der Welt unterscheidet, sich nicht der Welt gleichstellt. Die Christen haben eine andere Gestalt als die Welt, sie tragen das Bild Jesu Christi und sollen es tragen (vgl. N 297ff). Diese Andersartigkeit der Gemeinde von der Welt wird erkennbar und ihre Reinheit erhalten dadurch, dass die Gemeinde – auf der einen Seite – alles Weltliche, Unheilige, Sündige aus ihrer Mitte ausscheidet, sich von alldem abgrenzt und fernhält, und dass sie – auf der anderen Seite – niemals anders ihre Reinheit bewahren kann als durch das bedingungslose Da-Sein für die

valent gebrauchte Bezeichnung „Jüngergemeinde“ – die Gemeinschaft der ersten Jünger (Ruf und Eintritt in die Nachfolge) und der Gläubigen heute (Taufe) ein. 240 Siehe oben Kap. 3.2.2.6. 241 Siehe oben Kap. 3.2.2.6.2.

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Der Weg Christi mit dem Menschen

Welt.242 Das Christliche ist das peqissºm, das „Außerordentliche“ (vgl. N 147ff). Die Liebe der Christen zum Anderen und zur Welt wiederum ist allein begründet in der „Philanthropie“ Gottes zu allen Menschen (vgl. N 24 und 301), in der allumfassenden Liebe Christi zur Welt (vgl. N 92, 301, 303 u. a.), der die ganze Welt leiblich trug und durch seinen stellvertretenden Tod am Kreuz mit Gott versöhnte (vgl. N 231, 84 u. a.). Sowohl durch einen Rückzug aus der Welt (d. h. durch Weltflucht) als auch durch eine falsche Nähe zur Welt (d. h. durch Weltförmigkeit) wäre die Kirche nicht mehr Kirche (vgl. bes. N 32ff), sondern ihrerseits ganz Welt. Für das Motiv der Reinheit wird deutlich: Zwar eignet der „Nachfolge“ deutlich eine eschatologische Dimension; weil aber die Christen in ihrer ganzen Existenz und im Auftrag Jesu Christi (vgl. N 193ff) an die Welt gewiesen sind (vgl. N 33ff, 110 u. a.), ist die Reinheit der Gemeinde zugleich ganz an das Hier und Jetzt und an das konkrete diesseitige Gegenüber gebunden. Das Ziel der Heiligung ist die Bewahrung und Errettung der Gemeinde – der Weg zu diesem Heil ist das Dasein der Gemeinde für Andere, und zwar ohne dass dieser Andere für mein Heil funktionalisiert oder die Heiligung positiviert würde in dem Sinne, dass die Gemeinde Subjekt der Heiligung wäre oder Heiligung als etwas Statisches verstanden würde, als etwas, das die Gemeinde besäße. Ihr Dasein für Andere ist in eigentlichem Sinne Dasein für Christus (vgl. zu letzterem N 235 u. a.), der stets das Subjekt und Urheber der Heiligung bleibt. Weil Christus seinen Heiligen die Liebe zum Menschen gebietet, ist das Dasein für Christus Dasein für andere Menschen. Die Jünger werden so zu Stellvertretern für Andere und zu Stellvertretern Christi, des Stellvertreters.243 In ihnen, den Heiligen Gottes, hat Christus selbst Gestalt angenommen und will Christus täglich Gestalt annehmen (vgl. N 301ff). Der (in Richtung auf das Christusverhältnis) entscheidende Unterschied zwischen der Rechtfertigung des Menschen und seiner Heiligung in Bonhoeffers Theologie wird hier transparent. Während die Rechtfertigung des Menschen nur in dem Gegenüber von Christus und Mensch, Christus und Gerufenem zu denken ist, ist in der Heiligung Christus und dem Gerechtfertigten ein weiteres, ein gemeinsames Gegenüber gegeben, nämlich der „Andere“, der „Bruder“ (vgl. z. B. N 125). Die Kategorie des „Einzelnen“, die für Bonhoeffer bei der Rechtfertigung entscheidend zu denken eingefordert ist (vgl. N 87ff), ist dem Gerechtfertigten nicht allein dadurch aufgehoben, dass ihm das neue Leben in der communio sanctorum geschenkt ist,244 sondern besonders auch dadurch, dass er nun in der Liebe Christi den Anderen – und zwar jeden Anderen – liebt und überhaupt erst lieben kann. Der von Jesus Gerufene „soll nichts sehen als den, der ihn rief“ (N 87) – der Gerechtfertigte aber „findet […] sich nur noch in Christus und im 242 Siehe oben Kap. 3.2.1.2 und 3.2.1.3 sowie 3.2.2.2 und 3.2.2.3. 243 Siehe oben Kap. 3.2.2.4. 244 Vgl. N 94: „Ebenderselbe Mittler aber, der uns zu Einzelnen macht, ist damit auch der Grund ganz neuer Gemeinschaft.“ (N 94).

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Ertrag und Thesen

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Bruder“ (N 157; Hervorhebung durch F.S.). Nur Christus sehen heißt für die Heiligen nur noch Christus und den Bruder, den Christus liebt, sehen. In der Theologie der „Nachfolge“ entspricht die Existenz der Glaubenden in Christo (d. h. ihre Heiligung, die Nachfolge) jenem Anspruch, den Jesus Christus als das „höchste Gebot selbst“ ausgegeben hat: „Gott lieben über alle Dinge und deinen Nächsten als dich selbst.“ (Mt 22,37; zit. n.: N 183) Ein Analogon wird diese Figur später in „Widerstand und Ergebung“ finden, wenn es dort heißt, dass die „Auferstehungshoffnung […] den Menschen in ganz neuer und gegenüber dem A.T. noch verschärfter Weise an sein Leben auf der Erde verweist“.245 So erweist sich die „Nachfolge“ weder als eschatologisch verengt noch eignen ihr vornehmlich passive Momente in der Form, sich aus dem Gang der Welt zurückzuziehen. Wenn Bonhoeffer etwa sagt: Der Gemeinde „Heiligung wird verborgen sein im Warten auf den Tag Jesu Christi“ (N 277) dann ist diesbezüglich evident, dass dieses „Warten“ der Gemeinde (vgl. auch N 202) „auf den Tag Jesu Christi“ höchst aktives Warten ist. Es ist Warten in der Balance von unbedingter Abgrenzung von Sünde und unbedingter Zuwendung zur Welt. Dieses Warten ist die Arbeit der Apostel, die in der Nachfolge ihres Herrn an der Arbeit Gottes selbst teilbekommen haben.246 5. Das für die Theologie der „Nachfolge“ charakteristische Reinheitsmotiv ist noch in einer anderen Richtung von Wichtigkeit, nämlich in Bezug auf die Frage nach der konkreten Widerstandsform der „Nachfolge“.247 Wie einzig die reine, unbefleckte, von der Welt abgesonderte Gemeinde am Tage Jesu Christi bestehen kann, so ist auch nur dieser Gemeinde die Verheißung der Überwindung des Leids gegeben. Der Verlust der Reinheit der Gemeinde bedeutet den Verlust ihrer Substanz. Indem die Christusjünger aber den schmalen Weg seiner Nachfolge gehen (und ausschließlich die Nachfolge ist die substantielle Existenz der Gemeinde unter dem Kreuz), ist ihnen die Macht gegeben, durch die „leidende Liebe“ (N 139) Jesu Christi das (ihnen und anderen widerfahrende) Böse tatsächlich zu überwinden und ihm seine Macht ganz zu nehmen. Dass das „Böse[…] sich totlaufen muß“, wenn „es nicht findet, was es sucht, nämlich Widerstand und damit neues Böses, an dem es sich um so mehr entzünden könnte“ (N 135), und dass es „[…] keine denkbare Tat [gibt], in der das Böse so groß und stark wäre, daß es nun doch eine andere Haltung des Christen erforderlich machte“ (N 136 f), dies ist, als er die „Nachfolge“ verfasst, die tragende Hoffnung Dietrich Bonhoeffers in der Mitte der 1930er Jahre. Nicht die Auflehnung gegen die Ordnungen der Welt ist die den Nachfolgenden angemessene Haltung (denn „[j]eder Widerspruch, jeder Widerstand an dieser Stelle würde nur deutlich machen, daß die Christen Gottes Reich mit einem Reich dieser Welt verwechseln“, N 259); wie Christus das Böse und das Leid ans Kreuz getragen und gerade so überwunden hat (vgl. 245 WE, Brief an E. Bethge vom 27. 6. 1944, 500. 246 Vgl. N 201 f; siehe oben Kap. 3.2.2.4.3 und 3.3. 247 Siehe oben Kap. 3.2.2.4.2.

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Der Weg Christi mit dem Menschen

N 271ff u. a.), so überwinden auch seine Jünger das Böse und das Leid allein darin, dass sie selbst es auf sich nehmen und tragen (vgl. N 84, 259 u. a.). 6. Dasjenige Leiden, welches Bonhoeffer in der „Nachfolge“ ganz konkret vor Augen hat, ist das Leid der „verlassene[n] Herde“ (N 195), das ,Leid‘ der „Millionen getöteter Seelen heute“ (N 41): des Kirchenvolks in Deutschland, das „mit hartem Zwang in die Schulen getrieben“ (N 194) wird und dem „die Kirche und ihre Botschaft fremd geworden ist“ (N 21), dem die guten Hirten fehlen, durch die es nicht mehr „zum frischen Wasser geführt wird“ (N 194), und das Leid der Hirten selbst, die „darin angefochten sind“, dass ihnen „das Wort von der Gnade erschreckend leer geworden ist“, die verlernt haben, „Gnade und Nachfolge […] in ihrem rechten Verhältnis zueinander zu verstehen“.248 Zur Überwindung jener konkreten Situation schreibt Bonhoeffer die „Nachfolge“, indem er „um der Wahrheit willen für die unter uns“ zu sprechen beabsichtigt, „die bekennen, daß sie mit der billigen Gnade die Nachfolge Christi verloren haben und mit der Nachfolge wiederum das Verständnis der teuren Gnade“ (N 42). 7. Schließlich ist mit dem Aspekt des Leidtragens zur Überwindung des Leids die unter der nationalsozialistischen Willkürherrschaft diffamierte jüdische bzw. judenchristliche Bevölkerung angesprochen.249 Die Auseinandersetzung mit der „Judenfrage“ nimmt Bonhoeffer in der „Nachfolge“ zwar nicht vordergründig, aber dennoch in zwei Richtungen unmissverständlich vor. Zum einen ist die Verhältnisbestimmung der Christen zu Juden durch die unbedingte Verpflichtung zum Bruderdienst gebracht; zum anderen bezieht Bonhoeffer mittels exegetischer Vergegenwärtigung der neutestamentlichen Texte Position zur Beziehung von Jesus Christus, Christusgläubigen und Juden (bzw. von Christentum und Judentum). Diese Position besteht in der Annahme, dass „die Völker“ im Moment des Missionsbefehls (Mt 28,18 – 20) in das universal ausgerichtete Versöhnungshandeln Gottes miteinbezogen werden (vgl. bes. N 111 und 199), während Jesus Christus zu seinen Lebzeiten als dessen Tröster im Volk Israel blieb. Seit seiner Aufnahme in den Himmel ist Israel nicht mehr in seiner politisch-völkischen Gestalt „Volk Gottes“ (vgl. N 135 u. a.), sondern alleinmehr hinsichtlich der Erwählung, die ihm weiterhin – jetzt aber ebenso den ,Heiden‘ – gilt.250 Der „Raum“ der Gemeinde zeichnet sich diesbezüglich dadurch aus, dass hier wirklich geglaubt wird, dass in Christus nicht Jude noch Grieche ist, sondern alle allzumal einer in Christo Jesu (vgl. Gal 3,27 f; vgl. N 232 f, 253 u. a.). Mit diesen in sieben Punkten als Ergebnis der Analyse zusammengetragenen Grundgedanken der „Nachfolge“ sind zugleich Kriterien benannt, die der nun folgenden Interpretation der theologischen Entwicklung Bonhoeffers zugrundegelegt werden. Wenn in einem dritten Teil dieser Arbeit danach 248 N 42; siehe oben Kap. 3.3, bes. 3.3.5. 249 Siehe oben Kap. 3.3.4. 250 Vgl. (unter Beachtung der exegetischen Vergegenwärtigung) N 100 f u. a.

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Ertrag und Thesen

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gefragt wird, wie die „Nachfolge“ im Zusammenhang des theologischen Weges Bonhoeffers zu verstehen und zu bewerten ist, dann folgt diese Darstellung im Wesentlichen drei übergeordneten Fragerichtungen, die zu beantworten die Aufgabe ist. Mit der Skizze dieser Fragerichtungen seien vorgreifend auch die hier vertretenen Ansichten thetisch formuliert: 1. Eine erste Richtung betrifft die Frage nach dem Weltverständnis und -verhältnis in der Theologie Bonhoeffers. Indem die diesbezüglichen Annahmen der „Nachfolge“ im Zusammenhang ihrer Genesis aufgewiesen und so innerhalb ihrer spezifischen historischen Situation plausibilisiert werden, wird sich zeigen, dass die Gestalt des Weltverständnisses, wie es in der „Nachfolge“ begegnet, als eine Grundkonstante der Theologie Bonhoeffers anzusehen ist. Die auf das Weltverständnis sich berufende Diagnose eines wie auch immer gearteten Bruchs innerhalb der Entwicklung Bonhoeffers versteht seine Theologie fehl. 2. In einer zweiten, die in der „Nachfolge“ sich ausdrückende Gestalt des Widerstands betreffenden Fragerichtung (die Richtung einer Frage, die letztlich nur ein spezieller Aspekt des christlichen Weltverhältnisses ist) wird gezeigt werden, dass Bonhoeffer in Finkenwalde konsequent einer Linie folgte, die schon vor dem 30. Januar 1933, und zwar seit Bonhoeffers Rückkehr aus Amerika im Sommer 1931, ihren eigentlichen Anfang genommen hatte. Es wird aufgewiesen, inwiefern Bonhoeffer mit den Antworten, die er in der „Nachfolge“ in Bezug auf den Umgang der Christen und der Gemeinden mit dem Leid gibt (nämlich: Überwindung des Bösen durch leidende und tragende, ertragende Liebe) und im Besonderen in Bezug auf die ihnen gebotene Haltung der weltlichen Obrigkeit gegenüber (nämlich: Verzicht auf Widerstand gegen die Obrigkeit) Überlegungen und Überzeugungen aufnimmt und weiterführt, die theologisch in unmittelbarer Entwicklung des Aufsatzes „Die Kirche vor der Judenfrage“ (April 1933) und der Rede „Kirche und Völkerwelt“ (August 1934) sowie den darin geforderten Handlungsoptionen und -pflichten der Kirche stehen, nämlich: Dasein für Andere, Verantwortlichmachung des Staates, konkretes an den Staat gerichtetes Wort als unmittelbar politisches Handeln der Kirche (vgl. DBW 12, 353). Die „Nachfolge“ ist die spezifische Gestalt des kirchlichen Widerstands bis zur Verschwörung gegen Adolf Hitler. Im Vollzuge dieser Darlegung wird zugleich ersichtlich werden, dass der Gedanke eines gewaltsamen Aktes zur Beendigung des nationalsozialistischen Regimes tatsächlich erst mit jener Beteiligung an der Konspiration in Bonhoeffers Blickfeld und damit in sein theologisches Denken rückte; bis zu diesem Zeitpunkt aber ist Bonhoeffer ein solcher Gedanke, der im Jahr 1939 eine fundamentale Richtungsänderung einleitet und die eigentliche Zäsur in Bonhoeffers Denken und Werk bedeutet, ganz und gar fremd. Damit ist auf die dritte Richtung hingewiesen. 3. Nachdem die ersten beiden Richtungen die Kontinuität der Theologie Bonhoeffers behauptet haben, fragt eine dritte Richtung nach der wesentlichen theologischen Unterschiedenheit der „Nachfolge“ von den Schriften der

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Konspiration und Haft (besonders „Ethik“ und „Widerstand und Ergebung“). Entgegen bisheriger Interpretationsvorschläge wird hier behauptet, dass der eigentliche Unterschied nicht in der Weltinterpretation, sondern in der Abkehr von jener Forderung der Reinheit der Gemeinde zu finden ist, die im vorangegangenen zweiten Kapitel dieser Studie als ein für die „Nachfolge“ spezifisches Kriterium dargelegt worden ist.

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4. Der Ort der „Nachfolge“ in Bonhoeffers Denken und Werk: Zur theologischen Entwicklung Bonhoeffers

Die dritte Möglichkeit [kirchlichen Handelns dem Staat gegenüber] besteht darin, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen. (Die Kirche vor der Judenfrage, April 1933) Nur das Eine große ökumenische Konzil der Heiligen Kirche Christi aus aller Welt kann es so sagen, daß die Welt zähneknirschend das Wort vom Frieden vernehmen muß und daß alle Völker froh werden, weil diese Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und den Frieden Christi ausruft über die rasende Welt. (Kirche und Völkerwelt, August 1934) Das Leiden geht vorüber, indem es getragen wird. Das Übel findet sein Ende, indem wir es wehrlos über uns ergehen lassen. (Nachfolge, 1937) Wenn ein Wahnsinniger auf dem Kurfürstendamm sein Auto über den Gehweg steuert, so kann ich als Pastor nicht nur die Toten beerdigen und die Angehörigen trösten; ich muß hinzuspringen und den Fahrer vom Steuer reißen, wenn ich eben an dieser Stelle stehe. (In der Haft, 1944)1

In Aufnahme der im Durchgang der theologischen Argumentation formulierten Erkenntnisse und Thesen wird es in diesem Teil der Untersuchung darum gehen, den spezifischen historischen und lebensgeschichtlichen Ort der „Nachfolge“ zu begründen und so in Bonhoeffers Denken und Werk zu verorten. Indem die tragenden, im Vorangegangenen vergegenwärtigten theologischen Gedanken in ihrer Entstehung aufgewiesen werden, wird der Weg nachzuzeichnen versucht, der zur „Nachfolge“ und deren spezifischer Theologie führte (4.1 bis 4.8). Die Darstellung setzt darum an derjenigen Stelle in Bonhoeffers Leben und Werk an, von der aus seine Theologie eigentlich auf die „Nachfolge“ zuzulaufen beginnt. Dieser Ausgangspunkt wird hier im Sommer des Jahres 1931 1 Nachweise der Zitate im Einzelnen: 1. DBW 12, 353; 2. DBW 13, 301; 3. N 136; 4. siehe unten Anm. 408 dieses Kapitels.

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Der Ort der „Nachfolge“

gesehen, als Dietrich Bonhoeffer nach einjährigem Studienaufenthalt am New Yorker Union Theological Seminary nach Deutschland zurückkehrte, in ein Land, dessen „politische, soziale und ökonomische Verhältnisse dem Chaos zutrieben“ (DB 214). Hier begann für Bonhoeffer der Kampf um die Kirche, der sich bis zur „Nachfolge“ fortsetzte. Den Schluss des Kapitels bildet ein Abschnitt, der die „Nachfolge“ auf dem Hintergrund der während der politisch-konspirativen Zeit und der Haft hervorgebrachten Theologie (mit den Hauptwerken „Ethik“ und „Widerstand und Ergebung“) beleuchtet (4.9). Der Nachweis, dass die „Nachfolge“ sich in denjenigen Punkten gerade nicht von den Schriften der späten Periode unterscheidet, für die dies immer wieder behauptet worden ist (christologisches Weltverständnis und Weltverhältnis der Christen), wurde im Durchgang der theologischen Argumentation des Buches bereits erbracht. Die für diesen Abschnitt erkenntnisleitenden Fragen liefert besonders Bonhoeffers Brief an Eberhard Bethge vom 21. Juli 1944, mit dessen Betrachtung diese Arbeit einsetzte. Bonhoeffer räumt in diesem Brief deutliche „Gefahren des Buches“ ein und weist die „Nachfolge“ als das „Ende eines Weges“ aus. Darin anschließend ist zu fragen: Welches sind die Gefahren, die Bonhoeffer rückblickend zu sehen meint? Von welchen Gedanken der „Nachfolge“ hat er sich verabschiedet? Wie ist dieser Abschied zu erklären? Welche Motive treten an die Stelle derjenigen Überzeugungen, die auf dem alten Wege fallen gelassen worden sind?

4.1 Von der Dissertation bis zur Rückkehr aus den USA: Theologische Standortbestimmung Die Jahre vor seinem Studienaufenthalt in New York (vom September 1930 bis Juni 1931) waren für Bonhoeffer mit der Arbeit an der Dissertations- und der Habilitationsschrift eine Zeit theologischer, und zwar vorwiegend ekklesiologisch zentrierter Standortbestimmung gewesen. Besonders vier Faktoren der vorangegangenen Zeit sind mit Blick auf die „Nachfolge“ zu vergegenwärtigen: 1. Nach eigener Auskunft besteht die „wesentliche sachliche Verbindung“ zwischen „Sanctorum Communio“ und „Akt und Sein“ für Bonhoeffer darin, dass es in ihnen „im Grunde um nichts als die Kirche geht“.2 Die für die „Nachfolge“ wichtigste theologische Erkenntnis liegt in der Zusammenführung von Christologie und Ekklesiologie, die Bonhoeffer in „Sanctorum 2 DBW 11, Brief an P. Althaus vom 19. 9. 1931, 24. Zu Bonhoeffers späterer distanzierender Bewertung seiner Frühschriften vgl. DBW 11, Brief an E. Sutz vom 28. 2. 1932, 63; vgl. dazu DB 163ff; Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik, 1 ff.

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Von der Dissertation bis zur Rückkehr

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Communio“ in der Formel „Christus als Gemeinde existierend“ fasst: Christus ist seit Pfingsten als Gemeinde, die Kirche ist der Christus praesens.3 2. Die dialektische Theologie und besonders die Theologie Karl Barths wirkte, wie auf viele, auch auf Bonhoeffer „wie eine Befreiung“ (DB 104). Schon in seiner Studienzeit hatte sich Bonhoeffer kritisch mit Barths Theologie auseinandergesetzt, die – wenn auch freilich nicht primär in ihrer dialektischen Gestalt – sein theologisches Denken fortan maßgeblich mitbestimmte (vgl. DB 102ff). Kaum aus Amerika „heimgekehrt, machte Bonhoeffer in Berlin nur die notwendigsten Besuche, um am 10. Juli schon wieder für drei Wochen nach Bonn abzureisen“ (DB 216), in der Absicht, dort Barth zu treffen. Die Wiederentdeckung der Souveränität Gottes, des „ganz Anderen“, das Hören auf sein Wort und die Befreiung des Christlichen aus der Kultur und Religion ist es, was Bonhoeffer in den Bann der Barthschen Theologie zieht, die er alsbald als eine „Wende“ in der Theologie des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichnet.4 Die wesentliche Differenz Bonhoeffers zu Barth sollte sich in dem Umgang mit einer Bonhoeffer drängenden Frage herausstellen: 3. Während seines Amerikaaufenthalts ereignete sich (wohl auch durch die Begegnung mit dem Franzosen Jean Lasserre)5 in Bonhoeffers Denken ein folgenreicher Richtungswechsel hinsichtlich der theologischen Interpretation des Ethischen, konkret ein Richtungswechsel in der Beurteilung der Frage, wie das biblische Friedensgebot angesichts konkreter Kriegsanstrengungen auszulegen sei. In einem Gemeindevortrag über „Grundfragen einer christlichen Ethik“ des Jahres 1929 hatte sich Bonhoeffer (damals Vikar in der deutschen Gemeinde in Barcelona und zu diesem Zeitpunkt noch in „ganz konventionell lutherischer Weise“, DB 153) entschieden gegen ein wörtliches Befolgen der Gebote Christi gewendet. Die Gebote „buchstäblich“ anstatt „in ihrem Geist“ zu verstehen, hieße, die lebendigen Worte Jesu „als neue ethische Prinzipien“ (DBW 10, 333) aufzurichten und so gerade unkonkret zu interpretieren. Der bis zu seiner Rückkehr aus Amerika sich ereignende theologische Akzentwechsel liegt nun in einer Neubestimmung dessen, was Konkretion des Gebots eigentlich heißt. Nicht, als wendete Bonhoeffer sich fortan nicht mehr gegen eine nomistisch-pazifistische Interpretation der Worte Jesu. Vielmehr buchstabiert er neu, was es heißt, dass das Gebot „nicht ein für allemal da“ ist, sondern „immer neu gegeben“ wird,6 und zwar von Christus in der je konkreten Situation. 4. Mit der grundlegenden Verschiebung bei der Interpretation der Gebote geht in Bonhoeffers Theologie eine veränderte Auffassung der weltlichen 3 Siehe oben Kap. 2.5.1. 4 Vgl. DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 192 ff. 5 Vgl. hierzu DB 190 f sowie Pfeifer, Learning Faith, bes. 259 ff. 6 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 335.

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Der Ort der „Nachfolge“

Ordnungen einher. Gegen ein Verständnis der Ordnungen als göttlich gegebene Schöpfungsordnungen, das Bonhoeffer in dem Gemeindevortrag in Barcelona noch vertreten hatte,7 geht er nun entschieden an. Wie das Gebot ganz an Christus gebunden ist, der in der konkreten Situation seinen konkreten Willen offenbare, so dürfe auch eine Ordnung in der Welt nicht mehr als eine in sich selbst gute Ordnung verstanden werden, sondern nur von ihrem Ausgerichtetsein auf Christus zur Erhaltung der Welt her bekomme sie ihre Geltung und ihr Recht.8

4.2 Von der Rückkehr aus den USA bis ins Jahr 1932 (Berlin): Das Problem des Ethischen Als Bonhoeffer im Sommer 1931 nach Deutschland zurückkehrte, befand sich das Land in einer katastrophalen Lage. Die weltweite Wirtschaftskrise trug mit dazu bei, dass das letzte Zutrauen in den demokratischen Staat dahinschmolz und jenes Zutrauen sich nun zusehends auf die nationalsozialistische Partei Hitlers verlagerte.9 Die Kriegsfrage spitzte sich zu, die Arbeitslosigkeit stieg unaufhaltsam an.10 „Es sieht wirklich unerhört ernst aus. […] 7 Millionen arbeitslos, d. h. 15 oder 20 Millionen Leute hungrig, ich weiß nicht, wie Deutschland und wie der einzelne das überstehen soll“, schrieb Bonhoeffer im Oktober an den Schweizer Freund Erwin Sutz, den er in den USA kennengelernt hatte, und weiter heißt es in dem Brief: Ob aber unsere Kirche noch eine Katastrophe übersteht, ob es nicht dann endgültig vorüber ist, wenn wir nicht sofort ganz anders werden, ganz anders reden, leben? Aber wie? […] Wozu hat man denn seine ganze Theologie?11 7 Vgl. DBW 10, Gemeindevortrag im Februar 1929: Grundfragen einer christlichen Ethik, 323 – 345: „Gott hat mich meiner Mutter, meinem Volke gegeben; was ich habe, danke ich diesem Volk; was ich bin, bin ich durch mein Volk, so soll auch was ich habe ihm wieder gehören, das ist so göttliche Ordnung, denn Gott schuf die Völker.“ (DBW 10, aaO. 337) „Gott ruft das Volk […] zum Kampf und Sieg“ (DBW 10, aaO., 339). „[I]ch werde die Waffe erheben, in der furchtbaren Erkenntnis etwas Entsetzliches zu tun, aber doch nicht anders zu können; […] die Liebe zu meinem Volk wird den Mord, wird den Krieg heiligen“ (DBW 10, aaO., 338). 8 Siehe zu Bonhoeffers Interpretation der „Schöpfungsordnung“ weiter unten in diesem Kapitel. 9 Bei den Septemberwahlen des Jahres 1930 wurde die NSDAP zweitstärkste Partei, vgl. Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 160 ff. 10 Vgl. Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 160. 11 DBW 11, Brief an E. Sutz vom 8. 10. 1931, 28 f. Zu der ersten Katastrophe der Kirche erwägen die Herausgeber von DBW 11, Bonhoeffer „[betrachtet] [m]öglicherweise […] die Trennung von Kirche und Staat in der Weimarer Republik als Folge des ersten Weltkriegs und befürchtet nun angesichts der sich verschärfenden Wirtschaftskrise ähnliche Folgen für die Kirche“ (DBW 11, 29, Hg.-Anm. 9). Plausibler scheint, dass der Anfang jener „Katastrophe“, von der Bonhoeffer spricht, vor dem Weltkrieg zu finden ist, und zwar in dem Aufkommen der Arbeiterbewegung, einem Trauma deutscher Geschichte, welches auch zum Trauma der deutschen evangelischen

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Von der Rückkehr aus den USA bis 1932

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In diesen Zeilen wird deutlich, dass Bonhoeffer von der Diagnose der gesellschaftlichen Situation sogleich zu der Frage übergeht, wie sich die Kirche in dieser Situation zu positionieren hat, mehr noch: Wenn Bonhoeffer aufgrund der gegenwärtigen Situation einen sofortigen Richtungswechsel der Kirche fordert, dann wird ersichtlich, dass er die Kirche selbst am Scheideweg sieht. Von der Not im Lande schließt Bonhoeffer auf die „Not der Kirche“,12 welche – wie es in einem anderen Brief jener Zeit heißt – sich darin beglaubigt, dass „man der Kirche heute allgemein so interesselos gegenübersteht“.13 Ist es aber nicht gerade die Kirche, deren Wort in der Krise – einer Krise nicht nur des eigenen Landes, sondern einer „Weltkrise“14 – als weisendes, dienendes, helfendes Wort hörbar sein sollte? Eben darin sieht Bonhoeffer offenkundig die Kirche versagen und sieht „das große Sterben des Christentums“15 unaufhaltsam seinen Lauf nehmen, wenn „wir [sc. die Pastoren und Theologen] nicht sofort ganz anders werden, ganz anders reden, leben“.16 Die „kirchlichen Botschaften“ seien „kraftlos“ geworden, lehrt Bonhoeffer in seiner Berliner Vorlesung des Wintersemesters 1931/3217 und weist diese Kraftlosigkeit als die „Not der Kirche“ und – wie noch zu zeigen ist – zugleich der Theologie aus, die – verkörpert durch die theologischen Fakultäten – er im Dienste der Verkündigung der Kirche stehend sieht.18 Was das im Moment seiner Wiederkehr nach Deutschland anhebende und schon bald deutliche und klar positionierte Antworten findende Fragen Bonhoeffers bestimmt, ist im Kern das „Problem der Ethik“, die Koordination von Kirche und konkreter Wirklichkeit, d. h. eigentlich die „Frage nach der Möglichkeit der Verkündigung des konkreten Gebotes durch die Kirche“.19 Die angesichts der konkreten Lage in Deutschland notwendige, zunächst

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Kirche wurde, der es nicht gelang, für diese Menschen dazusein, und die dadurch „eine Volkskirche ohne die Massen des Volkes“ (Strunk, Nachfolge Christi, 192) geworden war. Vgl. hierzu die in Anm. 94 dieses Kapitels angeführte Literatur. DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 213. DBW 11, Brief an P. Sandegren vom 24. 10. 1931, 35. DBW 11, Bericht Bonhoeffers über die internationale Tagung des Weltbundes in Cambridge vom 1.–5.9.1931, 125. DBW 11, Brief an H. Rößler vom 18. 10. 1931, 33. DBW 11, Brief an E. Sutz vom 8. 10. 1931, 29. Die Diagnose, dass die Kirche die Menschen durch ihre Sprache nicht mehr erreicht, und die Hoffnung, dass sie sie wieder erreichte, wenn sie „mit ganz anderen Worten und Taten“ (Brief an H. Rößler vom 18. 10. 1931) das Evangelium predigte, ist ein Moment in Bonhoeffers Theologie, das schon 1931 sein Denken lenkt und ihn bis zu seinem Lebensende nicht mehr loslassen wird, vgl. etwa den Taufbrief Bonhoeffers an den Sohn E. und R. Bethges (WE 428 – 436): Neben ,anders reden‘ ist ,anders leben‘ („das Gerechte tun“) dort der zweite Akzent, vgl. WE, Gedanken zum Tauftag von D.W.R. Bethge, Mai 1944, 435 f. DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 213. Vgl. oben: „Wozu hat man denn seine ganze Theologie?“ (DBW 11, Brief an E. Sutz vom 8. 10. 1931, 29). DBW 11, Brief an E. Sutz, Anfang August 1932, 100.

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politisch-soziale und dann theologisch-ethische Standortbestimmung trifft nun bei Bonhoeffer zusammen mit der ekklesiologischen Standortbestimmung der vorangegangenen Jahre.20 Die rechten Verhältnisbestimmungen von Kirche und Christsein in der Welt, von Kirche und Theologie, von Ekklesiologie und Christologie, von Rechtfertigung und Ethik und, alsbald, von Kirche und Staat, dies sind die theologischen Themen Bonhoeffers in jener Zeit – und es sind drei Bereiche, in denen sich Bonhoeffers Arbeit vollzieht: in der Ökumene, an der Universität und im Pfarramt. Das erste und in seiner Relevanz für Bonhoeffers Theologie und Leben leicht zu unterschätzende dieser drei Tätigkeitsfelder ist die Arbeit als Pfarrer, einmal als Studentenpfarrer an der Berliner Technischen Hochschule und darüber hinaus in der Berliner Zionskirche, in der Bonhoeffer Konfirmandenunterricht erteilte (vgl. DB 268ff). Diese Arbeit ist darum für Bonhoeffers Theologie so relevant, weil hier der Ort zu finden ist, der dem Denken des jungen Theologen großbürgerlicher Herkunft maßgeblich jenen Sitz im Leben zuführte, der auch das Leben in Finkenwalde noch wesentlich mitbestimmen sollte. Die Konfirmandenarbeit im Norden von Berlin21 verleiht den zwanzig Millionen Hungernden in Deutschland ein Gesicht, indem sie Bonhoeffer mitten hineinführt in die ganz konkrete Begegnung mit Not leidenden Menschen und der Armut seines Landes, ja seiner eigenen Stadt. An Richard Ern schreibt Bonhoeffer im Dezember 1931 über die Beurteilung der Situation und den Umgang mit derselben: „[V]on der Not der Arbeitslosen und völlig mutlos gewordenen Arbeiter hier macht man sich einfach kein Bild, wenn man es nicht gesehen hat.“ (DBW 11, 47; Hervorhebung durch F.S.) Die Erkenntnis einer Differenz von Reden und Tun des Christlichen tritt hier nicht durch theoretische Erwägungen, sondern durch ganz konkrete persönliche Begegnungen in Bonhoeffers Horizont,22 ebenso wie Erfahrungen des Versagens der im akademischen Umfeld erlernten Theologie in seelsorgerlichen Gesprächen; die an der Universität angeeignete Sprache findet den Weg zu den Menschen nicht.23 Dieselbe Not (d. h. dasselbe durcheinander geratene Ver20 Bethge überschreibt die lebensgeschichtliche Darstellung des Wintersemesters 1931/32 ebenfalls mit dem Begriff der „Standortbestimmung“ (vgl. DB 257ff). 21 Vgl. dazu DB 272ff; vgl. dazu Schulz, Konfirmanden. 22 Vgl. DBW 11, Brief an R. Ern vom 13. 12. 1931, 46: „Da sieht man furchtbar viel Elend und kann doch nur wenig helfen. Die Jungens bekommen natürlich alle nichts von zu Haus zu Weihnachten […]. Oft fehlt es an dem Allernötigsten, Schuhe, Hosen etc.“ Und weiter : „Wenn man die mal gesehen hat, so will man gar nichts mehr für sich. […] Und es ist doch auch Unrecht, ihnen immer nur von Nächstenliebe zu erzählen und nichts zu tun. “ (DBW 11, aaO., 47; Hervorhebung durch F.S.). 23 Über die von ihm durchgeführten Hausbesuche berichtet Bonhoeffer : „Ich stehe manchmal oder s[ogar] meist da und denke, um einen solchen Besuch zu machen, hätte ich wahrhaftig ebensogut Chemie studieren können. Es schien mir manchmal, als scheiterte unsere Arbeit an der Seelsorge.“ (DBW 11, Brief an E. Sutz vom 28. 2. 1932, 65) Gleichzeitig erprobt Bonhoeffer aber ,neue‘ Wege, d. h. in Wirklichkeit geht er den Weg zurück zum Evangelium selbst, indem er nämlich „den Jungen ganz einfach biblischen Stoff erzählte in aller Massivität, und besonders

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hältnis von Theologie und Kirche zur konkreten Wirklichkeit) ist es, die Bonhoeffer in der Arbeit als Studentenpfarrer empfindet. Auf der einen Seite die „Weltlage“ und die „eigene[…] Lebensart“, unter der das Christentum zu sterben droht, auf der anderen Seite die Botschaft des Evangeliums, „daß um des einen Gerechten willen ,die Stadt verschont werden soll‘“. In diesem Brief an Helmut Rößler entlädt Bonhoeffer im Oktober 1931 seine ganze Verzweiflung ob der gegenwärtigen Situation: Ich bin jetzt Studentenpfarrer an der T[echnischen] H[ochschule], wie soll man diesen Menschen solche Dinge predigen? Wer glaubt denn das noch? Die Unsichtbarkeit macht uns kaputt. Wenn wir’s nicht in unserem persönlichen Leben sehen können, daß Christus da war, dann wollen wir’s wenigstens in Indien sehen, aber dies wahnwitzige, dauernde Zurückgeworfenwerden auf den unsichtbaren Gott selbst – das kann doch kein Mensch mehr aushalten.24

Persönliches Leben und Sichtbarkeit Gottes als einander gegenüberstehende Gegensätze – obwohl gerade im Persönlichen, im öffentlichen Leben der Christen der Unsichtbare sichtbar werden will: die Verheißung Christi im Gegenüber eines im Leben unsichtbar gewordenen Christentums, so kann die Erfahrung Bonhoeffers, des Pfarrers, ausgedrückt werden. Das zweite Tätigkeitsfeld Bonhoeffers in jener Zeit ist die ökumenische Bewegung, deren Mitarbeit für Bonhoeffer mit der Teilnahme an der ökumenischen Konferenz in Cambridge vom 1.–5. 9. 1931 seinen Anfang nahm. Eberhard Bethge hat Bonhoeffers Teilnahme als das „folgenreichste der […] Ereignisse in der sommerlichen Pause zwischen Heimkehr und Berufsbeginn“ bezeichnet. „Bonhoeffer gedachte zwar, die Sache bloß beiläufig mitzunehmen, aber sie nahm ihn derart gefangen, daß die ökumenische Aufgabe fortan ein Stück seiner selbst wurde.“ (DB 232) Von Anbeginn seiner Mitarbeit ist es die „Hoffnung […], daß doch die Kirchen nun endlich, endlich einmal ganz konkret [sc. zur Friedensfrage] reden sollten“,25 die Bonhoeffer in der Ökumene hält, mit der er deren Konferenzen konfrontieren will und mit der er noch eine zweite, ekklesiologische Hoffnung verbindet: dass die Christenheit zwar in „unbegreifliche[r] Zerrissenheit“ in der Welt ist, dass wir aber „[…]

eschatologische Stellen.“ (DBW 11, Brief an E. Sutz vom 25. 12. 1931, 50; vgl. ebenso DBW 11, Brief an E. Sutz vom 28. 2. 1932, 65.) Vgl. dazu den zweiten Satz der N: „Hinter den notwendigen Tages- und Kampfparolen der kirchlichen Auseinandersetzung regt sich ein stärkeres Suchen und Fragen nach dem, um den es allein geht, nach Jesus selbst.“ (N 21). 24 DBW 11, Brief an H. Rößler vom 18. 10. 1931, 33. Es wird hier ebenfalls ersichtlich, dass Bonhoeffers Faszination für Indien und sein Wunsch, Gandhi zu besuchen, in der Not der eigenen Kirche ihren Ursprung haben. Mit Blick auf Gandhi stellt Bonhoeffer an Rößler die Frage: „Ob unsere Zeit vorüber ist und das Evangelium einem anderen Volk gegeben ist, vielleicht gepredigt mit ganz anderen Worten und Taten?“ (Ebd.). 25 DBW 11, Bericht Bonhoeffers über die internationale Tagung des Weltbundes in Cambridge vom 1.–5.9.1931, 128.

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wirklich eine Kirche sein [sollten]“.26 Auch von jenem Glauben an die Una Sancta ist Bonhoeffers Engagement in der Ökumene getragen. Ihren konkreten Ausdruck finden beide Hoffnungen in der Forderung, dass die Kirche, und zwar die Kirche als die „Gesamtkirche“ (DB 230), mit dem Wort des „Frieden[s] Christi“ dem „Haß der Welt“ gegenübertreten soll.27 „Wann wird die Zeit kommen, da die Christenheit das rechte Wort zur rechten Stunde spricht?“,28 mit diesen Worten schließt Bonhoeffer, dort zu einem der drei Jugendsekretäre gewählt, den Bericht über die Tagung des Weltbundes in Cambridge. Zwei wesentliche und für Bonhoeffer unmittelbar miteinander verbundene (vor-) theologische Kernpunkte seines ökumenischen Verständnisses sind nun zu beachten. Der eine besteht darin, dass Bonhoeffer die ökumenische Bewegung gerade nicht als Bewegung, sondern als Kirche begreift. Der andere liegt in der Behauptung, es gebe „noch keine Theologie der ökumenischen Bewegung“,29 obwohl, so Bonhoeffers Auffassung, gerade eine fundierte Theologie für die Ökumene lebensnotwendig ist. Es hängt für ein hinreichendes Verständnis der Theologie Bonhoeffers und deren Entwicklung alles daran, die innere theologische Verbindung zwischen diesen beiden Kernpunkten klar zu erkennen. Der Weg dorthin führt über das dritte Tätigkeitsfeld Bonhoeffers, die Universität, an der er ab dem Wintersemester 1931/32 und bis zum Sommersemester 1933 als Privatdozent systematische Theologie lehrt und im Besonderen jene drängenden Fragen theologisch zu klären beginnt, die ihm die konkreten Erfahrungen in Pfarramt und Ökumene fortan aufgeben. Bis zu seinem Fortgang nach London im Oktober 1933 hält Bonhoeffer an der Berliner Fakultät fünf Vorlesungen, ein Seminar und eine dogmatische Übung ab; daneben entstehen in dieser Zeit Aufsätze, Vorträge und Buchbesprechungen. Sämtliche erhaltenen Dokumente können als eine Besinnung auf das Wesentliche des Christentums verstanden werden, als eine Vergewisserung der elementaren Inhalte christlichen Glaubens: Wie Gott, Christus und Welt auf der einen Seite sowie Kirche, Theologie und Verkündigung des Gebots auf der anderen Seite zueinander zu denken sind, dies ist die alle Schriften durchziehende und sie verbindende Linie. In seiner ersten Vorlesung „Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts“ im Wintersemester 1931/32 (DBW 11, 139 – 213) setzt Bonhoeffer sich zuvorderst mit den beiden großen theologischen Richtungen jener Zeit auseinander, die er jeweils auf ihre dogmatische sowie ethische 26 DBW 11, Glaubst du, so hast du: Erster Katechismusversuch (1932), 235. 27 DBW 11, Glaubst du, so hast du: Erster Katechismusversuch (1932), 232; vgl. ebd.: Die Kirche weiß „nichts von einer Heiligkeit des Krieges. […] Die Kirche, die das Vaterunser betet, ruft Gott nur um den Frieden an“. 28 DBW 11, Bericht Bonhoeffers über die internationale Tagung des Weltbundes in Cambridge vom 1.–5.9.1931, 131. 29 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 327.

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Ausrichtung hin befragt: die liberale und die dialektische Theologie. Gegen die liberale Theologie wendet er sich insbesondere mit dem Einwand, dass dort – die folgenden Zitate beziehen sich auf Adolf v. Harnack – „[b]ewußt nicht die Rede [ist] von der Person Jesu Christi“, sondern Jesus wird „nur als Vorbild“ gesehen (DBW 11, aaO., 168). Dadurch „[bleibt] […] nur ethische Maxime“. Es ist aber „nicht einzusehen, warum eine sittliche Anweisung Euangelion heißt“, denn insofern hat Jesus „nichts Neues über das Judentum [hinaus] gebracht“ (DBW 11, aaO., 169). Hier wird „Christentum als Lehre angesehen. Man kann diese Lehre weitergeben, ohne daß Gott unbedingt mit dabei ist“. Von jener Kritik eines „Denken[s] vom Menschen [aus] mit seinen Möglichkeiten“ (DBW 11, aaO., 170) her ist es zu verstehen, dass Bonhoeffer – mit Luther und freilich mit Barth – gegen eine so beschaffene Ethik die Rechtfertigung hervorhebt und das Ethikverständnis des „Außerordentlichen“30 in der „Nachfolge“ vorbereitet: „In der Rechtfertigungslehre handelt es sich um das Ende des Gesetzes, der Ethik. […] zunächst einmal geht es um das aller Ethik gegenüber grundsätzlich Fremde: Gott tritt dem ethischen Menschen vernichtend und erhebend gegenüber“:31 in der Person Jesu Christi als der Offenbarung selbst (vgl. DBW 11, aaO., 180). Erst mit der Wiederentdeckung der Souveränität Gottes durch Barth32 ist für Bonhoeffer die „Wende“ in der Theologie als eine Wende von unechter hin zu „echte[r] Theologie“ eingeleitet, die unbedingt „beginnt mit: veni creator spiritus“ und die Gott niemals „zum Objekt der Theologie macht“, sondern ihn stets als „Subjekt“ anerkennt (DBW 11, aaO., 201). Darum gerade auch am Anfang der Theologie ein „Akt der Anerkenntnis. Es gibt nur noch Ablehnung oder Anerkennung“ (DBW 11, aaO., 200). Darin ist die Theologie von allen anderen Wissenschaften und im Besonderen auch von der Philosophie grundsätzlich unterschieden, dass sie „[…] nicht mehr ihre Wahrheit zu begründen […],

30 Siehe dazu oben Kap. 3.2.2.3. 31 DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 180. Gegen Harnack (vgl. DBW 11, aaO., 167ff) wendet sich Bonhoeffer mit dem Einwand: „In ein rationales System läßt sich Ethik stets einbauen; nur der Glaube läßt sich in keine Ethik einbauen.“ (DBW 11, aaO., 170; Hervorhebung durch F.S.) Vgl. in diesem Zusammenhang schon Bonhoeffers Gemeindevortrag von 1929 in Barcelona, „Jesus Christus und vom Wesen des Christentums“, in welchem sich eine ganz ähnliche Auffassung findet (DBW 10, 302 – 322). – Die „Begründung der Ethik aus der Rechtfertigung“ (DBW 12, 176) wies Bonhoeffer ebenfalls aus als Charakteristikum der Ethik Brunners, Das Gebot und die Ordnungen (Tübingen 1932), die er im Wintersemester 1932/33 in der Vorlesung „Besprechung und Diskussion systematisch-theologischer Neuerscheinungen“ besprach. In dieser Schrift, in welcher Brunner auch die „Einheit von Gnade und Gebot, Glaube und Gehorsam, Verheißung und Forderung, Indikativ und Imperativ“ proklamiert (DBW 12, 174; vgl. bes. Brunner, aaO., 68: „Darum ist der Glaube Gehorsam, wie nur dann der Gehorsam echt ist, wenn er Glaube ist.“), grenzt Brunner die christliche Ethik von jeder natürlichen, prinzipiellen oder kasuistischen Ethik ab, vgl. Brunner, aaO., die ersten beiden Abschnitte (1 – 94). 32 Vgl Pangritz, Karl Barth; ders., Bonhoeffers Rezeption; vgl. auch Krçtke, Barmen – Barth – Bonhoeffer.

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sondern von der Selbstbegründung auszugehen [hat]“.33 Denn sie kann, so liest Bonhoeffer mit Barth, nur so von Gott reden, wie dieser sich selbst dem Menschen offenbart hat. Der Weg des Menschen zu Gott ist durch den Weg Gottes zum Menschen ein für allemal verlegt, es gibt auch keinen christlichen Weg zu Gott. […] Durch das Kreuz ergeht hierzu das radikale Nein Gottes, das Wort sagt ihm seine Unmöglichkeit für Gott. (DBW 11, aaO., 204 f) Wo der Mensch das radikale Nein bejaht, ist Gottes Gerechtigkeit aufgerichtet. Gott hat sich sein Recht wiedergenommen […]. Der Mensch bekommt sein Recht allein von Gott, er ist offen für Gott, da ist nichts mehr zwischen ihm und Gott. In diesem Gehorsamsverhältnis bejaht Gott den Menschen. Nicht wird er der Gnade würdig durch restlose Selbstverleugnung. Seit Christus begründet das Nein nicht mehr das Ja, sondern das Nein ist durch das Ja begründet. Nur im Nein wird das Ja gehört, aber nur weil das Ja da ist, hört man das Nein.34 33 DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 199. Es ist „Gegenstand der Theologie […] allein der logos theou, das sich selbst begründende Tun Gottes. Der Mensch kann nicht mehr hinter diesen Anfang zurück. Die Theologie hat nicht mehr ihre Wahrheit zu begründen, sondern von der Selbstbegründung auszugehen.“ In der Theologie ist der „Gegenstand die Wahrheit selbst, [sie hat] keine Basis allgemeiner Erkenntnis, am Anfang steht ein Gottesbeweis, der durch das sich selbst beweisende Wort Gottes gesetzt ist; aber das ist ein wirklicher Wahrheitsbeweis. Eine nicht mehr auflösbare petitio principii.“ (DBW 11, aaO., 199 f) Unter dieser Voraussetzung erhält der oben zitierte Satz Geltung, dass am „Anfang ein Akt der Anerkenntnis“ steht. Der Gedanke der Unbegründbarkeit der Theologie findet sich auch in den Lehrveranstaltungen der folgenden Semester grundgelegt, vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 243; DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 281, 308 u. ö. – Bonhoeffer scheint in dieser ersten Vorlesung noch nicht vollends entschieden zu sein, welcher Ort der Theologie innerhalb der universitären Wissenschaften zuzuweisen ist. „Ist die Theologie in das System der Wissenschaften einzuordnen und [wenn ja,] wo? Als positive Wissenschaft der Philosophie subordiniert oder soll sie wieder erste Wissenschaft werden? Loslösung [von den Universitäten und soll sie] auf eigenen wissenschaftlichkirchlichen Schulen [gelehrt werden]?“ (DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 212) In der Vorlesung „Christologie“ des Sommersemesters 1933 heißt es dann, „die Christologie ist die unsichtbare, unerkannte, verborgene Mitte der Wissenschaft, der universitas litterarum.“ (DBW 12, 281). 34 DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 206; vgl. dazu DBW 11, aaO., 204 f, bes. Anm. 278 und 279; vgl. auch DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 155: „In der Mitte zwischen Gericht und Gnade spricht Gott selbst.“ – Dass der Theologie damit ein bestimmter Ort zugewiesen ist (nämlich die Kirche, dem Ort der Verkündigung und des Bekenntnisses), dass also die Theologie als Funktion der Kirche aufzufassen ist, diese Annahme liegt Bonhoeffers Theologie hier bereits zugrunde (siehe dazu unten Anm. 41 dieses Kapitels); er wird sie am Schluss dieser Vorlesung noch einmal benennen und dann in der Vorlesung des darauf folgenden Semesters ausführlich besprechen. – In der Entwicklung zur N wird deutlich, dass die Denkfigur von der Universalität und Absolutheit des Heilshandelns Gottes in Christus auf der einen Seite und der Notwendigkeit der Aktualisierung jenes Heilshandelns am Einzelnen auf der anderen – die Denkfigur, die für die N mit den Begriffen Vollzug und Vollstreckung beschrieben wurde (siehe oben Kap. 2.3 bis 2.3.3) – bereits hier, in Bonhoeffers erster Vorlesung an der Universität, zu finden ist und offenbar der Auseinandersetzung mit Barth entspringt. Barth auslegend, sagt Bonhoeffer : „Jesus am Kreuz [ist] der kyrios, in ihm sieht die Gemeinde das Urteil des Todes und [des] Gerichts über alles Fleisch

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Zugleich steht für Bonhoeffer damit der unbedingte und unauflösbare Zusammenhang der Rechtfertigungslehre zur Christologie fest,35 denn „Gott macht in Christus Ernst damit, daß der Mensch angewiesen ist auf die iustitia aliena“,36 und wenn „aus dem Nein ein Ja wird, ist das je freies göttliches Tun, das nicht im Nein begründet war“ (DBW 11, aaO., 206). Darum bleibt der Mensch auch und gerade als der Gerechtfertigte „ganz peccator“, sofern seine Gerechtigkeit „schlechthin imputative“ ist (DBW 11, aaO., 207). Weil „die ganze Gerechtigkeit des Menschen in Christus liegt“ (DBW 11, aaO., 209), darum „[ist] des Gerechtfertigten Tun […] nie heilig. Das Reich Gottes [ist] nie zu bauen. Nur wo Gott spricht, daß ihm das Werk wohl gefalle, ist es ein gutes Werk.“ (DBW 11, aaO., 210) Gerade in dem hier zutage tretenden Punkt, dass alles Tun des Menschen allein auf die Gerechtigkeit Gottes und die Ungerechtigkeit des Menschen deutet, Gottes Gerechtigkeit also demonstriert, liegt für Bonhoeffer die Grenze und das Unzureichende der Barthschen Theologie. Zwar ist nur sie gegenwärtig eine „Theologie, die das sola fide wieder ganz verstehen will, die darum von der Prädestination [her], darum dialektisch redet“ (DBW 11, aaO., 211); aber die „Barthsche Auffassung [sc. der Ethik] als Demonstration schließt jede konkrete […] [sc. Ethik] aus“.37 Das „Problem der Ethik“ (DBW 11, aaO., 212), vollstreckt.“ (DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 208 f) Der daran anschließende Satz: „Gottes Gerechtigkeit in Christus [wird] durch die Auferstehung unsere Gerechtigkeit.“ (DBW 11, aaO., 209), zeigt sogleich, dass Bonhoeffer in der N auch über Barth hinaus geht, und zwar hinsichtlich des Glaubensbegriffs. Hatte Bonhoeffer 1931/32 mit Barth das Kreuz als das Nein und die Auferstehung Christi, die dem Menschen die ihm fremde Gerechtigkeit zuspricht, als Ja Gottes zum Menschen verstanden, so interpretiert er in der N Jesu „Leben, sein Sterben und Auferstehen“ als „ein reales Geschehen an allen Menschen“, welches den einen (nämlich den Glaubenden!) „zur Gnade“, aber „den andern [sc. nämlich denen, die nicht glauben] zum Tode wird“ (N 231; Hervorhebung durch F.S.). 35 Vgl. DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 207: Die „Christologie hat [einen] wesentlichen Zusammenhang mit der Rechtfertigungslehre“. 36 DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 207. „Auch der Glaube [ist] keine göttlich bestimmte Kraft menschlicher Art, sondern Ausdruck für tiefste menschliche Passivität; [er ist] nicht psychisch zu verstehen, sondern als Bestimmtheit des Menschen in seiner Existenz, das allein ist mere passive“ (ebd.); vgl. dazu auch DBW 11, Glaubst du, so hast du: Erster Katechismusversuch (1932), 230. Durch die Auferstehung Christi hat der Mensch seine Gerechtigkeit zugesprochen bekommen, nicht aber positiviert in dem Sinne, dass die „Rechtfertigung verstanden wird als Teilbekommen an einer göttlichen dynamis, das ist katholisierend; [es gibt] kein Zusammendenken mit psychologischer Heiligung (Holl, R. Seeberg). [Denn; F.S.] hier […] [gäbe; F.S.] es doch wieder eine iustitia interna. […] Wo die Gerechtigkeit schon stückweise begonnen gesehen wird, sehe ich mich nicht mehr als schlechthin[nigen] peccator. Christus hat sich dann durch sein Tun an mir selbst überflüssig gemacht“ (DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 207 f). 37 DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 212. Vgl. hierzu auch den Brief Bonhoeffers an Sutz vom 17. 5. 1932, DBW 11, 87 –

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das in der liberalen Theologie auf Kosten der Rechtfertigung und der Christologie verhandelt wurde, wird darum auch von Barth nicht hinreichend beantwortet. Weil aber den „konkreten Christus verkündigen […] auch stets [heißt] in einer konkreten Situation verkündigen“ (DBW 11, aaO., 213), d. h. ein konkretes Gebot für eine konkret gegebene Situation geltend zu machen, darum bleibt für Bonhoeffer die Frage bestehen, wie eine „allgemeine[…] Gehorsamsforderung“ konkret werden kann.38 Wie können Christologie und Ethik bzw. Rechtfertigung und Ethik zusammengedacht werden, ohne entweder den „radikalen Freiheitsbegriff Gottes“ (DBW 11, aaO., 211) anzutasten oder aber die Konkretheit ethischer Weisungen aufzugeben oder gar nicht erst zu erreichen? Aus der Erkenntnis des sola fide heraus, damit schließt Bonhoeffer die Vorlesung, konnte Luther „de servo arbitrio und die Schrift vom Zinsnehmen zusammen schreiben. Warum können wir das nicht mehr? Wer zeigt uns Luther!“ (DBW 11, aaO., 213) Es ist Bonhoeffer selbst, der sich in den kommenden Jahren dieser appellativ gestellten Frage verschreibt und der Kirche und der Universität Luther zu zeigen sucht. Auf diesem Weg, Glaube und Nachfolge wieder in ihrem rechten Verhältnis zu denken, wird Bonhoeffer die Zusammengehörigkeit von Rechtfertigung und Ethik im Begriff der „teuren Gnade“ fassen und in seiner Konzeption der Theologie der Nachfolge Christi entfalten. In seiner ersten Vorlesung hatte Bonhoeffer, indem er umfassend die theologischen Positionen seit 1900 untersuchte und sie auf ihre christologisch-ethischen Konzeptionen hin befragte, noch keine Antwort auf die ihn bewegende Problematik gefunden. Er kam aber zu dem Urteil, dass die Ursache der Problematik und der Schlüssel zu einer Antwort darin liegt, dass „[u]nsere kirchlichen Botschaften […] kraftlos“ sind, und zwar darum, weil „sie auf der Mitte sind von allgemeinen Prinzipien und konkreter Lage“. Indem deutlich wird, dass für Bonhoeffer die Not der Kirche mit einer Krise der Theologie einhergeht, die nach Bonhoeffers Urteil auch durch Barth letztlich nicht überwunden ist,39 stellt sich die Frage nach dem konkreten Zusammenhang von Theologie und Verkündigung, von Katheder und Kanzel, von Fakultät und Kirche. Diese Frage ist es, die Bonhoeffer schon in der Vorlesung des folgenden Semesters ins Zentrum seiner Lehre rückte. Bonhoeffer konzipiert die im Sommersemester 1932 gehaltene Vorlesung über „Das Wesen der Kirche“ (DBW 11, 239 – 303) so, dass er in einem ersten 90: „Mir spitzt sich das Problem [sc. der ethischen Verkündigung] immer unerträglicher zu. […] Also Barth selbst steht – das ist mir jetzt klar – nicht zu mir in diesem Punkt“ (DBW 11, aaO., 89). 38 DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 213: „Wo [ist] das Prinzip der Konkretion der allgemeinen Gehorsamsforderung?“ 39 DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 213: „Die Not der Kirche“, sagt Bonhoeffer, ist „stets auch die der theologischen Fakultäten; aber diese Not wird so wenig gesehen.“

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Teil nach dem Ort der Kirche (in der Welt, in der Christenheit und in der dogmatischen Theologie) fragt und in einem zweiten, weitaus umfangreicheren Teil der Gestalt der Kirche nachgeht. Im ersten Teil diagnostiziert Bonhoeffer zunächst eine Verweltlichung der Kirche, die sich konkret in der Harmonisierung mit der Kultur eingestellt hatte. Was er während des Konfirmandenunterrichts im Norden Berlins erlebt, reflektiert Bonhoeffer nun theologisch, wenn er sagt: Der Kirche „Horizont ist verengt“ (DBW 11, aaO., 247), insofern sie nurmehr „bevorzugte, keine eigentlichen Orte“ in der Welt hat.40 Wiederum in enger Anlehnung an Barth folgt in Bonhoeffers Text die Ortsbestimmung der Kirche in der dogmatischen Theologie bzw. die ekklesiologische Verortung der Theologie: „Theologie ist eine Funktion der Kirche“ (DBW 11, aaO., 251), die „Kirche ist Voraussetzung der Theologie“ und, weil sie auch „[…] Gegenstand der dogmatischen Theologie [bleibt]“, zugleich „als erster Lehrpunkt der Dogmatik zu behandeln“.41 Weil Theologie mit dem Bekenntnis beginnt und der Ort dieses Bekenntnisses die Kirche ist, in der Christus verkündigt wird, steht die Theologie in der Klammer der Kirche; der Ort der Theologie ist die Kirche.42 Nun ist der Kirche jedoch, sagt Bonhoeffer, ihr eigentlicher Ort in der protestantischen Dogmatik verlorengegangen. Zwar wollte Luther die „Erhaltung der ursprünglichen Gemeinde Christi“ und wendete sich darum gegen „die Loslösung [sc. der Lehrtätigkeit] von der Gemeinde“; es entstand aber durch die „Isolierung der Theologie von der Gemeinde“ ein „Luthertum, das sich von dem Gemeindegedanken löste“. Mit der Theologie aber isolierten sich (und hier wird nun der wesentliche innere Zusammenhang von zweiter und erster Vorlesung deutlich) wiederum „einzelne Lehrpunkte der Theologie“ von der Gemeinde, besonders die Lehre von der Rechtfertigung (vgl. DBW 11, aaO., 258 f). Diese wird zwar innerhalb der Fakultäten systematisch-theologisch reflektiert und so in Gestalt dogmatischer Entwürfe hervorgebracht; der Ort der Rechtfertigung aber ist die Gemeinde als der Christus praesens. Aus der „Gotteserkenntnis in [der] Ge40 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 246. Bevorzugte Orte in der Welt heißt: „Kirchliches Handeln rechnet meist [nur] mit [den] Kleinbürgern; Intellektueller und Kapitalist und Arbeiter können es nicht aufnehmen (Nöte des Kleinbürgers meist nur genannt; [die] Not der Kirchenfeinde [fehlt])“ (DBW 11, aaO., 246 f). Der eigentliche Ort der Kirche ist der „Ort des gegenwärtigen Christus in der Welt“, der „Ort Gottes selbst“ (DBW 11, aaO., 247). Kirche ist dort, wo sie „geliebt oder gehaßt [wird] nur wegen ihrer eigentlichen Sache (Evangelium)“ (DBW 11, aaO., 248). – Bonhoeffer spricht in diesem Zusammenhang, wie schon in der Dissertation (vgl. SC 290ff), von der „Verbürgerlichung unserer Kirche“ und verweist hier auf Paul Tillich, Die religiöse Lage der Gegenwart; vgl. hierzu DBW 11, aaO., 246, Hg.-Anm. 53. 41 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 260. Vgl. hierzu K. Barth, KD I/1, VIII, und dazu DBW 11, 253, Hg.-Anm. 103. Auch – und gerade – in Barths spezifischer Verknüpfung von Theologie und Kirche sieht Bonhoeffer das besondere Verdienst an dessen Theologie (vgl. DBW 11, aaO., 253). Die Formel „Theologie als Funktion der Kirche“ findet sich bei Bonhoeffer aber schon eher als bei Barth, nämlich 1930 (vgl. AS 128). 42 Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 252 f: „weil vorher reales Bezeugen drinnen in der Kirche [geschehen ist]; darum kann man Kirche [nicht] in die Klammer setzen.“

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meinde“ ist so die „Gotteserkenntnis des Individuums“ geworden, des an der Fakultät isoliert von der Kirche lehrenden, einzelnen Theologen, der sich nicht mehr in der Klammer der Gemeinde weiß (DBW 11, aaO., 259). Jene „Individualisierung“ bezeichnet Bonhoeffer als den „Grundfehler unserer bisherigen protestantischen Theologie“ (DBW 11, aaO., 258). Das Entscheidende an Bonhoeffers Forderung, die Theologie wieder als eine Funktion der Kirche zu verstehen (die „Theologie muß aus [der] Isolierung von dem kirchlichen Geschehen heraus“, denn so, wie sie derzeit ist, ist sie „ein verlorener Posten“, DBW 11, aaO., 254), ist nun darin zu sehen, dass die Rückführung der Theologie in den Raum der Kirche im Zeichen jenes Anliegens steht, nicht nur die Not „der theologischen Fakultäten“, sondern vor allem die „Not der Kirche“ zu überwinden.43 Bonhoeffers schon 1931 zu findende Überlegungen, die Ausbildung der Theologen von den Universitäten zu lösen und Theologie stattdessen „auf eigenen wissenschaftlich-kirchlichen Schulen“44 zu lehren, werden nicht mehr (wie es in der ersten Vorlesung den Anschein hat) aus der Frage heraus geboren, in welchem Verhältnis die Theologie zu den anderen Wissenschaften steht, vielmehr : Weil die Überwindung eines falschen protestantischen Subjektivismus anders nicht möglich zu sein scheint, darum erwägt Bonhoeffer fortan, die Ausbildung der Theologen nicht mehr in den staatlichen Fakultäten abzuhalten. Für die Bewertung der theologischen und lebensgeschichtlichen Entwicklung Bonhoeffers ist dieses Moment seines Denkens nicht zu unterschätzen. Seine Bemerkung an den Bruder KarlFriedrich zu Beginn des Jahres 1935, die „Restauration der Kirche kommt gewiß aus einer Art neuen Mönchtums, das mit dem alten nur die Kompromißlosigkeit eines Lebens nach der Bergpredigt in der Nachfolge Christi gemeinsam hat“,45 ist, wie noch gezeigt werden wird, nicht in Richtung eines Rückzugs aus der Welt zu interpretieren, sondern auf dem hier skizzierten Hintergrund zu verstehen. Bonhoeffers zunehmender Vorbehalt gegenüber der Universität hat hier seinen Ursprung,46 und es wird sodann ersichtlich, welche Hoffnungen Bonhoeffer mit der Tätigkeit in Finkenwalde verbunden haben muss: Im Predigerseminar der Bekennenden Kirche findet er eine Möglichkeit, der Theologie die Kirche bzw. die Gemeinde als ihren rechten

43 DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 213. 44 DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 212. 45 DBW 13, Brief an K.-F. Bonhoeffer vom 14. 1. 1935, 273. 46 Vgl. DBW 11, Briefe an E. Sutz vom 25. 12. 1931, 50; vom 28. 2. 1932, 63; vom 17. 5. 1932, 88. Vgl. dann bes. den späteren Brief an Sutz vom 11. 9. 1934: „An die Universität glaube ich nicht mehr, habe ja eigentlich noch nie daran geglaubt – zu ihrem Ärger. Die gesamte Ausbildung des Theologennachwuchses gehört heute in kirchlich-klösterliche Schulen, in denen die reine Lehre, die Bergpredigt und der Kultus ernstgenommen wird – was gerade alles drei auf der Universität nicht der Fall ist und unter gegenwärtigen Umständen unmöglich ist.“

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Ort, wiederzugeben und zugleich die Kirche an ihren „eigentlichen Ort“ (vgl. DBW 11, aaO., 247) in der Welt zu weisen. Gemäß der Aussage, dass – da „die empirische Kirche […] Voraussetzung der Theologie [ist]“ – die Kirche „als erster Lehrpunkt der Dogmatik zu behandeln“ ist (DBW 11, aaO., 260), leitet Bonhoeffer nun zum zweiten Teil der Vorlesung, zur „Gestalt der Kirche“, über. Wiederum seien nur die für die hier zu zeichnende Linie entscheidenden Gedanken aus Bonhoeffers Vorlesung herausgegriffen. Nachdem er in einem ersten Abschnitt die Kirche als die „durch Christus neu geschaffene Menschheit, das neue Volk, die zweite Menschheit“ (DBW 11, aaO., 263) gekennzeichnet hat, die im Kampf gegen die Adamsmenschheit steht (vgl. ebd.), beschreibt Bonhoeffer unter Aufnahme von Überlegungen aus „Sanctorum Communio“ in einem zweiten Abschnitt vor allem die „Grundstruktur der Kirche in und durch Christus“, indem er sie durch Einheits-, Herrschafts- und Gemeinschaftsstruktur kennzeichnet.47 Dass die „Kirche selbst […] der gegenwärtige Christus“, dass die „Gemeinde […] Christus, Christus […] die Gemeinde [ist]“, dass also die „Kirche von heute […] [die; F.S.] Gegenwart Christi auf Erden [ist]“ (DBW 11, aaO., 274), zu diesem Glauben zurückzufinden, fordert Bonhoeffer ein.48 Für die Möglichkeiten der Verkündigung des konkreten Gebotes durch die Kirche wird sich dieser Glaube als konstitutiv erweisen. In einem dritten Abschnitt der Vorlesung, über „Verkündigung und Kirche“, befragt Bonhoeffer die Kirche dann auf ihr Wesen als „handelnde Gemeinde“ hin. Hier liegt der Schwerpunkt dieses Vorlesungsteils, der auch für die Hinführung zur „Nachfolge“ der entscheidende ist. Weil die „Kirche […] konstituiert [ist] durch [das] Wort Gottes in Christi Erlösungstat“ (DBW 11, aaO., 280), weil Christus als das Wort selbst die Kirche konstituiert,49 darum muss dort, wo das „Wort ist, auch […] Versammlung um dies Wort sein“. Eine „Freiheit des Individuums fern von der Versammlung“ ist reformatorischem Denken fremd (DBW 11, aaO., 281). In der Versammlung wird nun durch die „Predigt […] das Wort vom Kreuz verkündet“ (DBW 11, aaO., 282), und „[…] an der rechten Predigt des Pfarrers [hängt]“ die Verheißung, die diesem Amt gegeben ist. Nun muss die Gemeinde, zu welcher Versammlung und Predigtamt gehören, „bestätigen, daß sie durch das Wort allein lebt“ (DBW 11, aaO., 283; Hervorhebung durch F.S.). Dies geschieht durch das

47 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 271 ff. Bonhoeffer unterscheidet „Einheits-“ bzw. „Identitätsstruktur“, „Herrschaftsstruktur“ und „Gemeinschaftsstruktur“; zur Aufnahme dieser Bestimmungen in der N siehe oben Kap. 2.4.3. 48 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 271 („Christus ist die Gemeinde“ sowie „Kirche von heute ist Gegenwart Christi auf Erden“ ist im Text hervorgehoben). Vgl. auch DBW 11, Seminar im SS 1932: Gibt es eine christliche Ethik?, 311: Die „organisierte Kirche muß sich für [die] communio sanctorum halten“. 49 Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 275: Die „Kirche war realiter da mit [der] Auferstehung“.

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Bekenntnis. Dabei gilt (im Unterschied zum Bekennen in der Gemeinde), dass das erste „Bekenntnis der christlichen Gemeinde vor der Welt […] Tat [ist]“.50 In diese Bestimmungen hinein tritt nun bei Bonhoeffer eine Vergewisserung der Funktion und Aufgabe von Theologie sowie ihrer Relation zu der christlichen Gemeinde. Zunächst gilt: „Nur dort, wo recht gepredigt wird, aktualisiert der Geist die Gemeinde“; und: Das „recte der Verkündigung ist bezeichnend für das Bekenntnis.“ Wie aber geschieht eine „Sicherung des ,recte docere‘ des Pfarrers?“ Bonhoeffer versteht diese Sicherung als die „Aufgabe der Theologie“, und insofern steht die Theologie im Dienst der rechten Verkündigung. Die „Theologie muß dem Prediger zu Hilfe kommen. Keine evangelische Predigt, kein evangelisches Bekenntnis ohne Theologie!“ (DBW 11, aaO., 286) Die Theologie steht im Dienst der Gemeinde, indem sie der Predigt und dem Bekenntnis die evangelische Grundlage, das rechte Dogma schafft – aber gerade nicht der individualisierte Theologe schafft das Dogma. Das Dogma als „die geformte Gestalt von Theologie“ kann nicht von einzelnen Theologen gemacht werden (DBW 11, aaO., 283). „Kein Theologe macht Dogmen, nur die ganze Kirche als theologisch Verantwortliche schafft Dogmen“. Darum wird das Dogma durch das Konzil – unter Konzil versteht Bonhoeffer die kirchliche „Versammlung als theologische“ (DBW 11, aaO., 283, Anm. 329) – geschaffen. „Das ,Konzil‘ allein schafft das Dogma“, und zwar „als Hilfe der Predigt und des Bekenntnisses“ (DBW 11, aaO., 286) einerseits und damit zugleich zur Abgrenzung gegen Häresie andererseits.51 Im Konzilsgedanken52 liegt bei Bonhoeffer 1932 die unbedingte Verbindung von Gemeinde bzw. Kirche und Theologie begründet, die hier zusammentreffen. Die Theologie hat ihren notwendigen Platz in der Gemeinde: Sie ist für die Gemeinde bzw. die Kirche da, wie auch umgekehrt die Verkündigung notwendig der Theologie bedarf. „Neben Predigt und Versammlung tritt Theologie und Konzil mit [dem] Dogma.“ Im Wortlaut Bonhoeffers zusammengefasst:53 Die Kirche des Wortes ist als solche Gemeindekirche! Versammlung, Predigtamt und Bekenntnis bilden [einen] notwendigen Zusammenhang und sind in der Kirche als Verkündigung des Wortes von Christus notwendig begründet. […] Die rechte Wortverkündigung fordert als erste außerkirchliche Funktion neben der Kirche die Theologie, die Versammlung der Kirche (Konzil), die über die Theologie entscheidet (Häresie), und das vom Konzil geschaffene Dogma. Diese Dreiheit ist zum Dienst an 50 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 285 (im Text ist das ganze Zitat hervorgehoben); vgl. hierzu K. Barth, KD I/1, 149: „Bloßes Wort ist passive, Tat ist darüber hinaus aktive Teilnahme an der Geschichte. Aber für Gottes Wort gelten diese Unterschiede gerade nicht. Denn gerade als bloßes Wort ist es Tat.“ 51 Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 286: „Begriff der ,Häresie‘ ist Bestandteil des ,Konzils‘!“ 52 Zu Bonhoeffers Konzilsverständnis vgl. aufschlussreich Falcke, Konzilsgedanke. 53 Den folgenden Abschnitt hat Bonhoeffer in der Vorlesung wahrscheinlich diktiert, vgl. DBW 11, 287, Hg.-Anm. 333.

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der ersten Dreiheit bestimmt. Die erste soll herrschen, soll sich auch dienen lassen! (DBW 11, aaO., 287)

Zum Verständnis aller weiteren Ausführungen ist nun der Satz voranzustellen, dass auch und gerade das Gebot der Kirche zur Stunde kirchliches Dogma ist, und zwar je und je in der bestimmten Situation von der kirchlichen Versammlung aufgefundenes und formuliertes Dogma. Die Formulierung des Gebotes heißt darum für die Kirche auch immer Bekennen, heißt auf Grundlage ihres Bekenntnisses aktualisiertes, konkretisiertes Bekennen. Nun sind Bonhoeffers Erkenntnisse von der Überzeugung geleitet, dass diese Bestimmungen der konkreten kirchlichen bzw. theologisch-universitären Gegenwart massiv entgegenstehen. Die Theologie ist „seit zweihundert Jahren ungeordnet“ (DBW 11, aaO., 286 f), die theologischen Fakultäten haben sich von der Kirche gelöst, die Lehre von der Rechtfertigung hat sich, so Bonhoeffer, getrennt von dem Ort ihrer Verkündigung und Erfahrung. Nicht konziliare Versammlungen, sondern einzelne Theologen bestimmen dogmatische Lehrsätze, schaffen so aber gerade kein Dogma, sondern Theologie in der Gestalt des „Selbstbekenntnis[ses]“. Hier schließt sich der Kreis von der Universität zu Bonhoeffers Arbeit in der ökumenischen Bewegung. Wenn deren Versammlungen Versammlungen von „Vertretern der Kirchen“54 sind, dann stellt sich für Bonhoeffer die Frage nach dem Selbstverständnis der Ökumene, die von ihm sogleich beantwortet wird: Seiner theologischen Richtung folgend, kann Bonhoeffer die Ökumene nur als Kirche, als Organ der communio sanctorum, anreden,55 und er will folglich die „[ö]kumenische[n] Versammlungen“ der „im Weltbund zusammengeschlossenen Kirchen“56 als konziliare Versammlungen verstehen, als solche also, die sich selbst als kirchliche und theologische wissen und durch das Dogma gegen Häresie abgrenzen. Weil es aber „[…] keine Theologie der ökumenischen Bewegung [gibt]“,57 gibt es „[h]eute […] keine echten Konzilien mehr“ (DBW 11, aaO., 286). Weil der ökumenischen Bewegung, d. h. (nach Bonhoeffer) der Kirche, die Theologie und also der Begriff der Häresie als Instrumentarium der Scheidung von der Unwahrheit verloren gegangen ist58 (eine Erkenntnis, die Bonhoeffers Denken fortan leiten wird), ist die Kirche nicht imstande, das Gebot der Stunde zu verkündigen. Die Krise der Kirche ist die Not ihrer Verkündigung.59 54 DBW 11, Bericht Bonhoeffers über die internationale Tagung des Weltbundes in Cambridge vom 1.–5.9.1931, 125. 55 Vgl. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 327 und 331. 56 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 338. 57 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 327. 58 Vgl. DBW 11, Hauptbericht Bonhoeffers über die theologische Konferenz der Mittelstelle am 29.–30. 4. 1932, 321. 59 Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 287: Die Krise trifft die Kirche „augenblicklich als Predigtkirche!“

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Zeitgleich zur Vorlesung über „Das Wesen der Kirche“ durchdenkt Bonhoeffer im Sommersemester 1932 im Seminar „Gibt es eine christliche Ethik?“ (DBW 11, 303 – 313) die Frage, wie das von der Kirche verkündigte Gebot eigentlich zum Menschen kommen kann. Er sagt: Die Predigt [muß] vor [die] Situation des Glaubens oder des Nichthörens stellen. [Man hat die] Aussage so konkret [zu] machen, daß sich der Hörer entscheiden muß. Also kann Kirche den Einzelnen in [die] Entscheidung stellen. [Der] Pfarrer als Organ der Kirche soll konkret Gottes Willen sagen! […] [Die Zusage der ; F.S.] Vergebung der Sünden [geschieht; F.S.] durch [das] Sakrament, das stellt vor Glauben oder Gericht. […] Wie [aber ; F.S.] [kommt man zur] Konkretion des Gebotes? (DBW 11, aaO., 310)

Die Antwort, zu der Bonhoeffer gelangt und die er auch im Rahmen seines Seminars entwickelt, trägt er in systematischer Weise im Juli 1932 im Rahmen der ökumenischen internationalen Jugend-Friedenskonferenz in Ciernohorsk Kfflpele vor, als er „Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit“ (DBW 11, 327 – 344) spricht und in seinen Ausführungen geradezu sämtliche Erträge seiner theologischen Arbeit der letzten Zeit zusammenführt: „bewußt oder unbewußt“, so lautet der Grundgedanke, „[liegt] [u]nserer Weltbundarbeit […] eine ganz bestimmte Auffassung von der Kirche zugrunde“ (DBW 11, aaO., 331) – und für diese gilt: So oft die Kirche Christi in ihrer Geschichte zu einem neuen Verständnis ihres Wesens kam, hat sie eine neue, diesem ihrem Selbstverständnis angemessene Theologie hervorgebracht. Eine Wendung des kirchlichen Selbstverständnisses erweist sich als echt dadurch, daß sie eine Theologie hervorbringt. (DBW 11, aaO., 327 f)

Im Umkehrschluss heißt das: Bringt die Kirche und also die ökumenische Bewegung keine Theologie hervor, so hat sie ihr Selbstverständnis als Kirche verkannt. Sie ist dann (und dies bildet nach Bonhoeffer die gegenwärtige Situation in der ökumenischen Arbeit ab) „politisch bedingten Konjunkturschwankungen ausgesetzt“ (DBW 11, aaO., 328), konkret: Weil es keine Theologie der ökumenischen Bewegung gibt, darum ist der ökumenische Gedanke z. B. gegenwärtig in Deutschland durch die politische Welle des Nationalismus in der Jugend kraftlos und bedeutungslos geworden. Und es steht in anderen Ländern nicht anders. Es fehlt theologische Verankerung, gegen die die Wellen von rechts und links vergebens anstürmen. (DBW 11, aaO., 328 f)

Nun hat die „Kirche als die eine Gemeinde des Herrn Jesus Christus, der Herr der Welt ist, […] den Auftrag, sein Wort der ganzen Welt zu sagen. Das Revier der einen Kirche Christi ist die ganze Welt“ (DBW 11, aaO., 331; ebenso 345), sie darf sich nicht etwa – obwohl sie dies tut – auf „bevorzugte Orte“ zurückziehen.60 Diesen „Anspruch Christi auf die Welt“ kann und darf die Kirche 60 Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 246 f.

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aufgrund „des in ihr gegenwärtigen lebendigen Christus“ verkündigen. Weil die „Kirche […] die Gegenwart Christi auf Erden“, weil sie der „Christus praesens“ ist, darum allein hat sie und sie allein Vollmacht, das Wort Christi vollmächtig zu verkündigen. Das Wort der Kirche ist das Wort des gegenwärtigen Christus, es ist Evangelium und Gebot. (DBW 11, aaO., 331) Als das Wort aus der Vollmacht des Christus praesens muß das Wort der Kirche heute und hier gültiges, bindendes Wort sein. […] Die Kirche darf also keine Prinzipien verkündigen, die immer wahr sind, sondern nur Gebote, die heute wahr sind. Denn, was „immer“ wahr ist, ist gerade „heute“ nicht wahr : Gott ist uns „immer“ gerade „heute“ Gott.61

Zur Verdeutlichung: Allein durch die (im Sinne von Einheit zu verstehende) Identifikation von Christus und Kirche gelingt es Bonhoeffer, das theologische Problem der Gebote sowie die Frage ihrer Verkündigung und Gültigkeit zu lösen, „durch sie [sc. die Geschichte] hindurch, nicht an ihr vorbei“ zu gehen.62 Daher muss ein „Gebot […] konkret sein oder es ist kein Gebot. Gottes Gebot fordert etwas ganz Bestimmtes jetzt von uns. Und die Kirche soll dies der Gemeinde verkündigen.“ (DBW 11, aaO., 333) Woher aber weiß die Kirche, welches Gebot ihr gilt, welches sie zu verkündigen hat? Bevor darauf eine Antwort gegeben werden kann, stellt sich für die Verkündigung des Gebots grundsätzlich die Frage, worin jene Verkündigung überhaupt begründet ist. „Die Konkretion der Gnadenverkündigung ist doch das Sakrament. Was ist aber das Sakrament des Ethischen, des Gebotes?“,63 schreibt Bonhoeffer Anfang August 1932 an Sutz, zu einem Zeitpunkt, da er eine Antwort bereits gefunden hat. Der Vortrag in Ciernohorsk Kfflpele zeigt: Weder gibt sich Bonhoeffer mit einem „Ausweichen und Sichzurückziehen auf […] Prinzipien“ (DBW 11, aaO., 333) zufrieden, noch mit der Annahme, „das 61 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 331 f; vgl. hierzu Tietz-Steiding, Von der Konkretheit Gottes. Vgl. zum Selbstverständnis der Ökumene auch Bonhoeffers Ansprache auf der internationalen ökumenischen Jugendkonferenz in Gland am 29. 8. 1932: „Wie wäre es nicht einfach eine gotteslästerliche Leichtfertigkeit, zu meinen, mit dem Ruf: nie wieder Krieg! und [mit] einer neuen Organisation – und sei es eine christliche Organisation – den Teufel zu beschwören? Nichts, garnichts sind solche Organisationen, […] nichts, garnichts ist unser gutgemeinter Wille, unser Reden über Frieden und good will, wenn nicht der Herr selbst kommt und die Dämonen austreibt. Was ist aller sogenannter internationaler Versöhnungsversuch, aller Versuch des sich Verstehens, alle sogenannte internationale Freundschaft – so nötig sie an sich sind – angesichts dieser Wirklichkeit. Christus muß gegenwärtig werden unter uns in der Predigt und im Sakrament […]. Der gekreuzigte Christus ist unser Friede. Er allein beschwört die Götzen und die Dämonen. Vor dem Kreuz allein zittert die Welt, nicht vor uns.“ (DBW 11, 353) Vgl. dazu auch DBW 11, Zweiter Bericht Bonhoeffers über die Jugendtagung des Weltbundes am 29. 10. 1932, 365. 62 DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 179; vgl. zur Auseinandersetzung mit dem Geschichtsproblem DBW 11, aaO., 175 ff. 63 DBW 11, Brief an E. Sutz von Anfang August 1932, 100 f.

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Prinzip der Konkretion könne nur der heilige Geist selbst sein“.64 Stattdessen behauptet Bonhoeffer : Was für die Verkündigung des Evangeliums das Sakrament ist, das ist für die Verkündigung des Gebotes die Kenntnis der konkreten Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist das Sakrament des Gebotes.65

Zweifelsohne macht diese Verknüpfung von „Wirklichkeit“ und „Sakrament“ nur Sinn, wenn sie als Analogie verstanden ist. Was als Gnade verkündigt wird – die Botschaft des Evangeliums von Jesus Christus, die Versöhnung von Gott und Welt in Christus –, das hat seinen konkreten Ort in den Sakramenten (Taufe und Abendmahl), wo dem Menschen die Vergebung seiner Sünde zugesprochen wird. Ebenso bleibt die Verkündigung des Gebots nicht ohne einen vor Beliebigkeit und Willkür schützenden Maßstab. Dieser Maßstab ist die konkrete Wirklichkeit, die insofern den Sakramenten entspricht; Bonhoeffer kann sie daher – metaphorisch – als „das Sakrament des Gebots“ bezeichnen. Damit ist aber der Verkündigung des Gebotes durch die Kirche sogleich ein weiteres Problem gegeben. Wenn nämlich die konkrete Wirklichkeit die Richtschnur des Gebotes ist, dann setzt dessen Verkündigung die unbedingte sachliche Kenntnis jener Wirklichkeit voraus, in die hinein dann ein bestimmtes konkretes Gebot gesagt wird. Das Wort der Kirche an die Welt muß darum aus der tiefsten Kenntnis der Welt dieselbe in ihrer ganzen gegenwärtigen Wirklichkeit betreffen, wenn es vollmächtig sein will. Die Kirche muß hier und jetzt aus der Kenntnis der Sache heraus in konkretester Weise das Wort Gottes, der Vollmacht, sagen können, oder sie sagt etwas anderes, Menschliches, ein Wort der Ohnmacht. (DBW 11, aaO., 332) Der Verkündigende muß also darauf bedacht sein, die jeweilige Sachlage so mit in die Gestaltung des Gebotes einzubeziehen, daß das Gebot in die wirkliche Situation selbst hineintrifft. […] Nun entsteht aber hier eine ungeheure Schwierigkeit. Wenn die Kirche, bevor sie gebieten kann, die Sachlage bis ins Einzelne kennen muß, wenn also die Gültigkeit ihres Gebotes abhängig ist von ihrer detaillierten Sachkenntnis […] so läuft die Kirche immer Gefahr, bei ihrem Gebot nun doch diesen oder jenen sachlichen Gesichtspunkt übersehen oder auch nur unterschätzt zu haben, und damit wird dann die Kirche in ihrem Gebot gerade wieder völlig unsicher gemacht. (DBW 11, aaO., 333) 64 DBW 11, Brief an E. Sutz von Anfang August 1932, 100. 65 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 334. Weiter erklärt Bonhoeffer : „Wie die Sakramente der Taufe und des Abendmahls die einzigen Gestalten der ersten Schöpfungswirklichkeit in diesem Äon sind und wie sie um dieser ihrer schöpfungsmäßigen Ursprünglichkeit willen Sakramente sind, so ist das ,ethische Sakrament‘ der Wirklichkeit nur insofern als Sakrament zu bezeichnen, als diese Wirklichkeit selbst ganz begründet ist in ihrer Beziehung auf die Schöpfungswirklichkeit. Wie also die gefallene Welt und die gefallene Wirklichkeit allein durch ihre Beziehung auf die geschaffene Welt und die geschaffene Wirklichkeit Bestand hat, so beruht das Gebot in der Sündenvergebung.“ (DBW 11, 334).

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Die konkrete Problematik besteht demnach in der Frage: Woher weiß die Kirche eigentlich, „was Gottes Gebot für die Stunde ist“ (DBW 11, aaO., 335)? Anders gefragt: Welche sind – über die möglichst genaue (aber doch niemals vollständige) Kenntnis der konkreten Wirklichkeit hinaus – die Kriterien, die die theologische Versammlung der Kirche über Häresie bestimmen und das Dogma als das Gebot zur Stunde vollmächtig bestimmen lassen? Es sind zwei Kriterien, die Bonhoeffer entwickelt; sie werden sich in kommender Zeit als zentrale Gedanken seiner Theologie verfestigen. Das erste Kriterium ist dies: Weil die Kirche die Wirklichkeit zwar kennen muss, aber nicht vollständig und nie sicher kennen kann, hat sie gerade diese „Schwierigkeit […] klar ins Auge“ zu fassen, und sie wird – „allen Gefahren zum Trotz“ – in dieser und jener konkreten Situation etwas wagen müssen, „nämlich entweder ein bewußtes und qualifiziertes Schweigen des Nichtwissens oder aber es wird das Gebot gewagt, in aller denkbaren Konkretion, Ausschließlichkeit, Radikalität“ (DBW 11, aaO., 333 f). Wird aber das Gebot gewagt, dann immer auch im Wissen um die Möglichkeit des Irrens, welche im Wagnis notwendig mitgesetzt ist. Dennoch ist das im Wagnis verkündigte Gebot vollmächtiges, gültiges, bindendes Gebot; es „erfährt die Sicherung seiner Gültigkeit durch die Verkündigung der Sündenvergebung“.66 Zweites Kriterium zur Bestimmung des hier und jetzt zu verkündigenden Gebotes ist dasjenige der Erhaltung, d. h. eigentlich Christus selbst. Weil ein „Gebot […] nicht ein für allemal da [ist], sondern […] immer neu gegeben [wird]“, weil die „Erkenntnis des Gebotes Gottes“ immer ein „Akt der Offenbarung Gottes ist“ (DBW 11, aaO., 335), darum kann das Gebot „nirgends anders herkommen, als wo die Verheißung und die Erfüllung herkommt, von Christus“ (DBW 11, aaO., 336). Weder kann „das biblische Gesetz, die Bergpredigt […] die absolute Norm für unser Handeln“ sein – denn sie „ist in ihren Geboten die Veranschaulichung dessen, was Gottes Gebot sein kann, aber nicht, was es gerade heute und gerade für uns ist“. Noch kann „das Gebot in der Schöpfungsordnung“ (DBW 11, aaO., 335) gefunden werden – denn die „Gefahr dieses Arguments [sc. als sei Gottes Gebot in bestimmten Ordnungen der Welt jederzeit gegeben] liegt darin, daß sich von hier aus grundsätzlich alles rechtfertigen läßt“. Weil aber „die Welt gefallen ist“, gibt es „keine Möglichkeiten mehr, irgendwelche Gegebenheiten als solche als Schöpfungsordnungen anzusprechen und in ihnen unmittelbar den Willen Gottes zu vernehmen.“ Darum gilt: Nicht von den gegebenen Schöpfungen der Welt, sondern „[v]on Christus allein her müssen wir wissen, was wir tun sollen“ (DBW 11, aaO., 336). War am 66 Gerade hier nun hat Bonhoeffers Wiederentdeckung und Einforderung der Beichte für die protestantischen Kirchen (siehe dazu oben Kap. 3.2.1.3.1) ihren Grund. Denn die „Sicherung der Gültigkeit der Verkündigung der Sündenvergebung ist das Sakrament“, das wiederum gebunden ist an die Beichte. Der Satz „Dir sind deine Sünden vergeben“ (DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 334) wird „gesagt nicht nur in der Versammlung, [sondern] auch in der Beichte, wo die Gemeinde sich als sündig bekennt und Vergebung [zu]spricht.“ (DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 296).

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Anfang die schöpfende Tat Gottes, so ist seit dem Fall die „Erhaltung […] das Tun Gottes mit der gefallenen Welt“. Erhalten aber wird die Welt allein um Christi willen, sodass alle Ordnungen der Welt nur dadurch Bestand haben, daß sie auf Christus ausgerichtet sind; sie alle stehen allein unter der Erhaltung Gottes, solange sie noch offen sind für Christus, sie sind Erhaltungsordnungen, nicht Schöpfungsordnungen. Sie bekommen ihren Wert ganz von außen her, von Christus her, von der neuen Schöpfung her. Ihr Wert ruht nicht in ihnen selbst (DBW 11, aaO., 337).

Damit ist nun das entscheidende Kriterium zur Feststellung des konkreten Gebotes durch die Kirche Christi gegeben: Von der Beurteilung der Ordnungen der Welt aus, d. h. von der Frage ausgehend, ob die gegebenen Ordnungen „noch offen sind für Christus“, „hat die Kirche Christi über die Ordnungen der Welt zu urteilen“ (DBW 11, aaO., 337), wobei noch zu zeigen sein wird, was diese grundsätzliche Offenheit der Ordnungen für Christus inhaltlich konkret bedeutet. Hieran hat sich die Kenntnis der „Sachlage bis ins Einzelne“ (DBW 11, aaO., 333) auszurichten. „Und von hier aus muß sie das Gebot Gottes hören“ (DBW 11, aaO., 337), das durch „keine sogenannte ,Schöpfungsordnung‘ begrenzt wird“ (DBW 11, aaO., 338). Die Kirche Jesu Christi hört das Gebot und „vernimmt es in den Ordnungen der Erhaltung“ (DBW 11, aaO., 337), d. h. eigentlich von Christus selbst. Darum kann sie durch gar nichts ihr Wort als Gottes Gebot „qualifizieren“, als durch fortgesetzten, monotonen, nüchternen Hinweis auf dies Gebot. Sie […] muß […] auf jeden Versuch einer Rechtfertigung des Gebotes Gottes Verzicht leisten. Sie richtet es aus, sonst nichts. (DBW 11, aaO., 338)

Als gegenwärtiger Christus verkündigt die Kirche das Gebot, das vollmächtig geschaffene Dogma, an Gläubige und Ungläubige. Die Kirche, die im Weltbund zusammenkommt, spricht zur Christenheit, daß sie ihr Wort als Gottes Gebot höre, wie es aus der Sündenvergebung herkommt. Sie spricht aber auch zur Welt, daß sie die Zustände ändere. (DBW 11, aaO., 343)

Von den grundsätzlichen Überlegungen zur Verkündigung des Gebotes kehren wir zurück zu der konkreten historischen Situation Bonhoeffers. Was genau fordert Gottes Gebot hier und „jetzt von uns“? (DBW 11, aaO., 333) Welches ist das Wort der Kirche zu dieser Stunde? Welche ist die von der Kirche auszurichtende „ganz konkrete Erkenntnis des Willens Gottes für unsere Zeit“? Erst am Ende seines Vortrags Bonhoeffer nimmt Bonhoeffer hierzu Stellung:

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Die im Weltbund zusammengeschlossenen Kirchen meinen eine ganz bestimmte Ordnung als uns von Gott heute geboten zu erkennen. Die Ordnung des internationalen Friedens ist heute Gottes Gebot für uns.67

Nicht weil der internationale Frieden „ein als solcher ,sehr guter‘ Zustand“ (DBW 11, aaO., 338 f) wäre, ist der Frieden als Ordnung geboten; würde er als solcher begriffen, dann wäre er als „Ideal […] [ver]absolutiert“ und nicht das Wort des Christus praesens an die Welt. Auch ist der Frieden nicht zu verstehen oder zu begründen als „ein Stück Reich Gottes auf Erden“ (DBW 11, aaO., 338), denn er „ist nicht eine Wirklichkeit des Evangeliums, nicht ein Stück des Reiches Gottes, sondern ein Gebot des zornigen Gottes, eine Ordnung der Erhaltung der Welt auf Christus hin“ (DBW 11, aaO., 339), darum „Zweckgestaltung und Erhaltungsordnung“ (DBW 11, aaO., 338). Mit Blick auf die Ordnung des Kampfes gesprochen: Weil „[u]nser heutiger Krieg […] die sichere Selbstvernichtung beider Kämpfenden ist“, ist er „nicht mehr als Ordnung der Erhaltung auf die Offenbarung hin zu bezeichnen“. Und weil wir den Krieg keinesfalls als Erhaltungsordnung Gottes und somit als Gebot Gottes verstehen können, […] darum muß der heutige Krieg, also der nächste Krieg, der Ächtung durch die Kirche verfallen. Kein Wort des Aburteilens über vergangene Taten auch im letzten Krieg – das steht uns nicht zu […] –, aber alle Kraft des Widerstandes, der Absage, der Ächtung gegen den nächsten Krieg. […] Und so verstanden, könnte der Protest des Weltbundes ein wirkliches Hören auf Gottes gegenwärtiges Gebot sein. (DBW 11, aaO., 341; letzte Hervorhebung durch F.S.)

Eine Woche bevor Bonhoeffer in Ciernohorsk Kfflpele seine Überlegungen und Forderungen „Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit“ vorträgt, liest er an der Universität in „Das Wesen der Kirche“ am 20. 7. 1932 über die „Weltlichkeit und Christlichkeit der Kirche“ (DBW 11, 298 – 300) und bestimmt dort das Verhältnis der Kirche zur Welt, indem er seine eigene Position insonderheit gegen ein exklusiviertes und idealisiertes Weltverhältnis der Kirche aufstellt. Dass Gott wahrer Mensch wurde in Christus, heißt, dass „Christus Welt geworden“ ist (DBW 11, aaO., 298, Anm. 413), anders gesagt: Mit der Menschwerdung seines Sohnes erhebt Gott Anspruch auf die gesamte Schöpfung, welche gefallene Schöpfung ist. Christus hat die Schuld der ganzen Welt ans Kreuz getragen.68 „Nicht ein heiliger, sakraler Bezirk der Welt gehört Christus“, so formuliert Bonhoeffers es im Vortrag, „sondern die ganze Welt“.69 Für die Kirche gilt: Weil Christus als Gemeinde existiert, weil 67 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 338. Neben dem hier in den Blick genommenen Kriegsproblem hebt Bonhoeffer in seinem Aufsatz auch auf die „soziale[…] Frage“ ab (DBW 11, aaO., 333). 68 Vgl. DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 208 f: „Jesus am Kreuz [ist] der kyrios, in ihm sieht die Gemeinde das Urteil des Todes und [des] Gerichts über alles Fleisch vollstreckt.“ 69 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 331.

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„Christus […] heute in seiner Kirche gegenwärtig [ist]“ (DBW 11, aaO., 298), darum ist auch die Kirche als der Christus praesens nur Kirche als Kirche für die ganze Welt.70 Mit Christus, so kann gesagt werden, geht seine Kirche in die Erniedrigung, sie hat sich dafür zu halten, dass sie „wie Christus Welt geworden“ (DBW 11, aaO., 298, Anm. 413), dass sie kein begrenztes und auch kein Weltmacht beanspruchendes Wort (vgl. DBW 11, aaO., 301), sondern das „weltumfassende[…] Wort[…] Christi“ verkündigt (DBW 11, aaO., 301). Verstünde sich die Kirche entweder nicht als gegenwärtiger Christus auf Erden oder (was auf dasselbe hinausliefe) wollte sie ihren Anspruch nicht als der ganzen Welt geltend begreifen und verkündigen, dann wäre sie nicht Kirche Jesu Christi, sondern verstünde sich selbst (bewusst oder unbewusst) von bestimmten Idealen her. Die Kirche hat sich selbst aber nicht als „Ideal“ und auch nicht als „Schein“ zu verstehen, sondern als „Wirklichkeit“, und zwar als Wirklichkeit der Gegenwart Christi auf Erden (DBW 11, aaO., 298). „Es ist häretisch, sie nur als Scheinkirche zu nehmen. Die Kirche ist ganz Welt“ (DBW 11, aaO., 298, Anm. 413). Die Weltlichkeit der Kirche – und d. h. das konstituierende Verhältnis der Kirche zur Welt – besteht folglich in der universalen Verkündigung des Anspruchs Jesu über die ganze Welt in der Vollmacht des Christus, der in ihr gegenwärtig ist. Vergäße die Kirche, dass ihr Anspruch, der der Anspruch Christi selbst ist, der ganzen Welt gilt, dann hätte sie damit sich selbst vergessen, ihr eigenes Wesen infrage gestellt. Jene Weltlichkeit der Kirche wäre auch dann sogleich angetastet, wenn die Kirche sich auf etwas anderes verließe, als auf das Wort Christi allein; sie hätte wiederum vergessen, dass sie (wie Christus und als Christus) „in der Welt“ ist (DBW 11, aaO., 299; Hervorhebung durch F.S.). „Echte Weltlichkeit ist auf alles [eher] verzichtend als auf Christus und [die] Vergebung der Sünden. Angesichts dessen kann sie auf alles verzichten.“ (DBW 11, aaO., 299, Anm. 415) Weil die „Kirche […] uns [sc. den Menschen] zugute ganz weltlich geworden [ist]“, darum verzichtet „auf alles außer auf Christi Wort“ (DBW 11, aaO., 299). Bonhoeffer fährt nun fort, indem er eine ganz konkrete Möglichkeit benennt, durch welche die Kirche ihre Weltlichkeit gefährden würde. Er sagt: Weil die „in der Welt seiende Kirche weiß, daß sie auf alles andere verzichten muß“, darum will sie „nicht Gemeinde der Heiligen zur Darstellung bringen“, sondern wird „[…] auf [das] Ideal der Reinheit [Verzicht]“ leisten müssen (DBW 11, aaO., 298). Denn wäre die Kirche auf ihre eigene Reinheit bedacht, versuchte sie also das Unmögliche, nämlich das Unkraut herauszureißen, dann leistete sie eben nicht auf alles andere Verzicht, sondern sähe das „Reich [sc. Gottes] in der Heiligkeit der Menschen“. Deshalb lautet Bonhoeffers Appell: „Verzicht auf Reinheit, zurück zur Solidarität mit der sündigen Welt!“ (DBW 11, aaO., 299) Vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass gerade die Reinheit der Ge70 Vgl. DBW 11, Thesen zum Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 345 u. ö.

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meinde als ein entscheidendes Kriterium der Theologie der „Nachfolge“ aufzufassen ist,71 stellt sich hier die Frage nach einem möglichen Wandel im Welt- und Gemeindeverständnis Bonhoeffers von Beginn der 1930er Jahre an bis hin zur Zeit der „Nachfolge“. Fordert nicht Bonhoeffer in der „Nachfolge“ ein, wogegen er im Sommer des Jahres 1932 noch massiv theologisch anging, nämlich die Reinheit der Kirche? Und drängt sich nicht, wenn die „Solidarität mit der sündigen Welt“ den „Verzicht auf Reinheit“ notwendig voraussetzt, die Annahme auf, dass die Forderung jener unbedingten Solidarität (christlich gesprochen: jener unbedingten Nächstenliebe) der Christen zu den Menschen kaum in ein theologisches Konzept integriert werden kann, das ebenso notwendig die Reinheit der Gemeinde als Kriterium ihrer Errettung voraussetzt? Es kommt hier zum Verständnis der Theologie Bonhoeffers zunächst darauf an, das theologische Motiv der „Reinheit“, wie Bonhoeffer es in der Ekklesiologie-Vorlesung bespricht, inhaltlich zu konkretisieren und klar zu umreißen. Zwei Aspekte sind zu benennen. Zuerst muss deutlich werden, dass Bonhoeffer, indem er am Ende des Semesters über die Reinheit der Kirche spricht, an den Anfang der Vorlesung zurückkehrt, folglich zu der Frage nach dem „Ort der Kirche“ (DBW 11, aaO., 245ff). Gerade dann, wenn sich die Kirche von bestimmten Orten fernhält und sich nur anderen bestimmten Orten zuwendet, d. h. nur an diesen oder jenen, an „bevorzugten Orten“ existiert, gerade dann hat sie vergessen, dass Christus „[…] die ganze Welt [gehört]“.72 Wenn sich die Kirche vornehmlich den „Kleinbürgern“, nicht aber den Intellektuellen, Kapitalisten oder Arbeitern zuwendet (DBW 11, aaO., 246ff), dann verleugnet sie damit letztlich ihr eigenes Wesen, weil sie sich nicht mehr als der gegenwärtige Christus weiß, als welcher sie jederzeit dem „Anspruch ihres Herrn auf die ganze Welt Ausdruck zu geben“ hat,73 sondern weil sie sich selbst (bewusst oder unbewusst) als „[…] Gemeinde der Heiligen zur Darstellung bringen [will]“ (DBW 11, aaO., 299). Von dieser Form der Idealität muss sich die Kirche freimachen. Dies wird ihr gelingen, wenn sie sich mutig zu ihrem Weltsein bekennt.74 Sie ist dann frei bei [den] „Parias“ und beim „Adel“. [Ihr] Ort [ist] nicht allein bei [dem] Armen, auch den Reichen, Frommen, Adeligen wird sie nicht verachten. Beide Gruppen sind „Welt“. Die Kirche wird dann beiderseits unbefangen sein. [Der] Glaube hat die Welt überwunden für den Paria und den Reichen. Verzicht auf Reinheit allein macht die Kirche frei! (DBW 11, aaO., 300) Sie ist bei den Gottlosen und Frommen, bei allen. Alle sind Welt. Kirche darf sich keiner Sphäre entziehen, um sich davon reinzuhalten. [Der] Glaube hat die Welt ganz überwunden. (DBW 11, aaO., 299 f, Anm. 423) 71 72 73 74

Siehe oben Kap. 3.2.2.4.2. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 331. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 331. Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 299: „Kirche als ganz weltgewordene Kirche; mutiges Bekennen zum Weltsein“.

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Nun geht aber – und dies ist die andere, die Grenzen ihrer Weltlichkeit betreffende Seite des Weltverhältnisses der Kirche – das Freisein der Kirche für die Welt bei Bonhoeffer einher mit einem Freisein von der Welt. Indem sie sich von der eigenen Idealität, der Erfüllung eines ihr Wesen zersetzenden Ideals freimacht, ist die Kirche nicht nur für die Welt frei, in der sie ist,75 sondern sie ist auch „von der Welt frei!“ (DBW 11, aaO., 299) In dieser Hinsicht muss die Kirche aber sehr wohl um ihre Reinheit bedacht sein – und diese Einforderung der Vorlesung entspricht nun der Akzentuierung des Reinheitsmotivs in der „Nachfolge“: Weil die Kirche die „Grenzen der Weltlichkeit […] ernst nehmen [muß]“, darum „[…] muß [sie] sich um Reinheit sorgen!“ (DBW 11, aaO., 300; Hervorhebung durch F.S.) Sorgte sich die protestantische Kirche um ihre Reinheit nicht, zöge sie sich also (etwa durch „eitle[n]“ Verweis auf ihre „Unfreiheit“)76 aus bestimmten Bereichen der Welt zurück oder entzöge sie sich (etwa durch den Verweis auf die „Freiheit des Christenmenschen“, N 88) des Gehorsams gegen das Gebot Gottes, verfiele sie, die in der Kraft der Menschwerdung Christi und ihrer Rechtfertigung Welt ist (vgl. DBW 11, aaO., 298, Anm. 413), der Welt. Sie wäre nicht mehr weltlich, sondern – der Terminologie der „Nachfolge“ folgend77 – weltförmig. Die Kirche kann sich aber allein um ihre Reinheit sorgen, indem sie sich gerade nicht um sich selbst sorgt (diese Sorge ist ja gerade abzulehnen!), sondern allein um Christus. Dies ist gemeint, wenn in der Mitschrift zu lesen ist: Die „Kirche kann nicht vor Gott und [der] Welt rein sein“ (DBW 11, aaO., 299). Sie wird entweder um ihre eigene Reinheit vor der Welt bemüht sein, indem sie sich in der Welt gehen lässt,78 sich bestimmten Sphären der Welt entzieht oder vor den Heiligtümern der Welt zurückscheut (vgl. DBW 11, aaO., 299), und sie wird gerade darin der Unreinheit verfallen sein; oder die Kirche wird ganz vor Gott rein sein, indem sie auf alle vermeintliche Reinheit verzichtet. Es ist die Dialektik von Sichtbarkeit und Verborgenheit christlichen bzw. kirchlichen Tuns in der „Nachfolge“, die bereits hier in Bonhoeffers Denken nicht nur angelegt, sondern von der Sache her im Ganzen reflektiert ist. Die Gemeinde soll sich für die Gemeinschaft der Heiligen halten, d. h. für die Gemeinschaft der gerechtfertigten Sünder, die „[…] als Christus praesens [tut], was Jesus einst tat“ (DBW 11, aaO., 295). Aber : „Sie will nicht Gemeinde der Heiligen zur Darstellung bringen“ (DBW 11, aaO., 299). Sie wird „aufs Schärfste auf ihre Reinheit bedacht sein wollen“ (DBW 11, aaO., 300), indem sie ganz und allein auf

75 Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 299: „Kirche ist in der Welt“. 76 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 300. Hier kündigt sich bereits die Kritik an der auf Luther sich berufenden Kirche an. Vgl. dazu Bonhoeffers Predigt über Apk 2,4 f.7 vom 6. 11. 1932 (DBW 11, 423 – 431, bes. 424 f; siehe unten Kap. 4.6). 77 Vgl. N 30, 113 f, 261; vgl. auch 165, 260 f. 78 Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 300: „Bewußte Weltlichkeit, Sichgehen-lassen wird die Kirche ablehnen.“

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Christus hört.79 Göttlich gebotene Reinheit ist nicht zu verwechseln mit menschlich erstrebter Reinheit, die die Kirche befleckt. Die Kirche muss darum „innerhalb“ der „Grenzen der Weltlichkeit […] um ihre Reinheit besorgt“ sein (DBW 11, aaO., 300, Anm. 425), und ihr christologisches Selbstverständnis hat der Ausgangspunkt dieser Sorge zu sein. Sie wird nach innen und nach außen die Grenzen ihrer Weltlichkeit bestimmen müssen. Die Kirche wird dann nicht mehr „politisch bedingten Konjunkturschwankungen ausgesetzt“ sein;80 sie wird sich aber ihrerseits auch „[k]eine[r] Politik im Gottesdienst“81 hingeben dürfen, denn für sie besitzt allein das Wort Christi Geltung. Dieser erste Aspekt der Reinheit – die Weltlichkeit der Kirche – ist nun in einen zweiten eingeschlossen. Dieser zweite Aspekt der Reinheit besteht in der Reinhaltung der Lehre, die ihrerseits im Zeichen des Dienstes der Wahrheit steht. Die Kirche wird Sorge für die Reinheit ihrer Lehre zu tragen haben. Die Gemeinde muss sich von falscher Lehre trennen, indem sie dort, „wo die Gemeinde selbst in Gefahr kommt“, von ihrer „Berechtigung zur Exkommunikation als letzte[m] Schritt“ Gebrauch macht.82 Die Kirche muss sich von falscher Lehre trennen, indem sie vollmächtig über Häresie das Wort spricht, das Dogma schafft sowie Christenheit und Welt das in dieser Stunde Gebotene verkündigt. Gerade die konziliare Auffindung und Verkündigung des konkreten Gebotes und des Willens Gottes als der Wahrheit heute, hier, für uns dient der Reinhaltung und folglich der Substanzerhaltung der Kirche. Zu diesem Dienst an der Wahrheit gehört sodann und schließlich die Haltung der Kirche zur Frage ihrer Einheit bzw. Zerrissenheit. Es bedeutete eine Verschleierung der Wahrheit und darum eine Versündigung an derselben, wollte die Kirche ihre Zerrissenheit, und zwar ihre „Zerrissenheit nicht nur der Form, sondern auch der Wahrheit“ (DBW 11, aaO., 300) nach, leugnen. Gerade dies ist die „ökumenische Gefahr“, dass die „Häresiefrage […] nicht mehr beachtet [ist]“ und stattdessen versucht wird, „die Einheit der Wahrheit darzustellen“. Zwar ist um „der Kirche und um der Welt willen […] [die] sichtbare Einheit der Kirche gefordert“ (DBW 11, aaO., 301); die Wahrheit, sagt Bonhoeffer im Vortrag „Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit“, ist aber zerrissen,83 und gerade darum ist „unser Wort 79 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 336: „Von Christus allein her müssen wir wissen, was wir tun sollen.“ 80 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 328. 81 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 300; vgl. ebd., Anm. 426: „Gottesdienst [darf] nicht Politik oder Süßlichkeit [werden].“ 82 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 300. „1) Die Kirche darf den Bann nur um der Gemeinde willen vollziehen. 2) Bann kann nur gesprochen werden, ,damit eine Seele gerettet wird.‘ [sc. 1Kor 5,5]“ (ebd.). 83 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 343: „Die Kirchen, die im Weltbund zusammengeschlossen sind, haben nicht eine gemeinsame Wahrheitserkenntnis, sondern sie sind gerade hier aufs Tiefste zerrissen. Wenn sie Christus oder

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kraftlos, ja lügenhaft“. Aus diesem Grund muss die Kirche zu einer gemeinsamen Wahrheit zurückfinden, die zugleich die Zerrissenheit überwinden wird, und es kann umgekehrt die Zerrissenheit nur überwunden werden, indem die Kirche zu einer gemeinsamen Wahrheit zurückfindet. Denn „[n]ur als die Kirche, die die Wahrheit des Evangeliums verkündigt, können wir sprechen.“ (DBW 11, aaO., 343) Diese Wahrheit setzt für Bonhoeffer im Selbstverständnis der Kirche an: dass sie sich selbst als den Christus praesens glaubt und dazu gerufen weiß, sich von falscher und lügenhafter Lehre zu trennen, das Dogma zu schaffen und vollmächtig der Christenheit und der Welt das Gebot ihres Herrn zu sagen. Konkret: dass die Kirchen durch „ein wirkliches Hören auf Gottes gegenwärtiges Wort“ (DBW 11, aaO., 341) und „durch fortgesetzten, monotonen, nüchternen Hinweis auf dies [sc. sich selbst als Gottes Wort begründende und qualifizierende] Gebot“ (DBW 11, aaO., 338) gegen die Kriegsanstrengungen der Welt oder die soziale Weltkrise wirksamen „Protest“ anmeldet.84 Gemäß dem Satz der „Nachfolge“, „daß eine Erkenntnis nicht getrennt werden kann von der Existenz, in der sie gewonnen ist“ (N 38), ist es zur weiteren Interpretation der Theologie Bonhoeffers jetzt notwendig, einen Blick auch auf die kirchenpolitische und politische Situation zu tun. Als Bonhoeffer am 26. 7. 1932 auf der Jugendkonferenz in der Tschechoslowakei vom Protest gegen die Ordnungen der Welt durch das vollmächtige Wort der Kirche redet, tobt in Berlin der Wahlkampf für die Reichstagswahlen des 31. Juli (vgl. DB 294), aus der Hitler mit der nationalsozialistischen Partei als Sieger hervorgehen wird. Am 23. Juli hält Bonhoeffer die Abschlusssitzungen seiner beiden Lehrveranstaltungen an der Universität ab. In diesen Tagen sind die Anstrengungen der „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ bereits in vollem Gange, durch einen Wahlsieg der im November anstehenden Landeskirchenwahlen die „evangelische Kirche in Preußen politisch in die Hand zu bekommen“.85 Freilich aber zielte jene unter Wilhelm Kube86 durch die Deutschen Christen begonnene „politische[…] Eroberung“ für die naEvangelium sagen, so meinen sie je etwas Verschiedenes. Das ist gegenwärtig unser drückendstes Problem in der ökumenischen Arbeit.“ 84 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 341. Mit Blick auf die der Kirche gegenwärtig zu attestierende Situation sagt Bonhoeffer: Solange sie nicht zu einer gemeinsamen Wahrheit und nicht zu einem wahrhaftigen Selbstverständnis und nicht das konkrete Gebot gefunden hat, darf sich die Kirche über diese Zerrissenheit gerade nicht „leichten Herzens […] hinwegsetzen“ (DBW 11, aaO., 343), denn: „Mit der Wahrheit darf man nicht spielen, sonst vernichtet sie uns.“ (Ebd.) Die Kirche hat die Zerrissenheit „als Kreuz zu tragen“, und zwar „im Glauben dessen, daß Gott sie [sc. die Kirche] als una sancta berufen [hat]“ (DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 301) und sie „von der Vergebung allein lebe“ (DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 344). 85 Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 251. 86 Vgl. zur Person Kubes und zu seiner Bedeutung für die kirchengeschichtliche Entwicklung in Deutschland Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 249 ff.

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tionalsozialistische Bewegung nicht allein auf die Landeskirche der Altpreußichen Union ab, sondern auf die Kirchen des ganzen Reiches, die in einer neu zu gründenden „starken evangelischen Reichskirche“ zusammengeschlossen werden sollten.87 Der Wahlsieg der NSDAP bei der Reichstagswahl würde ein entscheidender Schritt auf diesem Wege sein. Die Idee, „nationalsozialistische Pfarrer und Gemeindeglieder zusammenzuschließen, um die Kirche für die Idee des Dritten Reiches zu gewinnen, lag seit 1930 […] in der Luft“.88 Im Februar 1932 waren die kirchlich-politischen Vorhaben jener Bewegung, die zu dieser Zeit noch unter dem „Kennwort ,Evangelische Nationalsozialisten‘“ ihre Wahlvorschläge formuliert hatte, erstmals öffentlich bekannt geworden.89 Am 6. Juni schließlich traten die Deutschen Christen mit den von Joachim Hossenfelder90 entworfenen „Richtlinien der Liste ,Deutsche Christen‘“ (vom 26. Mai)91 erstmals in derart organisierter Gestalt auf. Sogleich im zweiten Punkt der Richtlinien wurde das Anliegen unverhüllt formuliert: „Wir kämpfen für einen Zusammenschluß der […] 29 Kirchen zu einer Evangelischen Reichskirche“92 – einer Reichskirche freilich, die in jeder Hinsicht den politischen Programmen und Maßstäben eines nationalsozialistischen Reiches angepasst sein sollte.93 Als sich das Sommersemester an der Universität seinem Ende zuneigte, stellte sich in Deutschland die Frage nach dem Verhältnis von Nationalsozialismus und protestantischer Kirche in einer neuen Brisanz.94 Und so überrascht es nicht, dass Bonhoeffer ausgerechnet in der letzten Sitzung seiner Vorlesung „Das Wesen der Kirche“, am 23. Juli, über die „Grenzen der Kirche“ (DBW 11, 301ff) spricht und das Verhältnis von Kirche und Staat befragt. Es 87 Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 256 – 258. Die oben gebrauchte Wendung einer „starken evangelischen Reichskirche“ findet sich in: Völkischer Beobachter vom 10./11. 1. 1932. Zweites Beiblatt; abgedruckt in: Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 257 f. 88 Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 247. 89 Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 257. 90 Vgl. dazu Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 258 ff. 91 Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 262. 92 „Richtlinien der Glaubensbewegung ,Deutsche Christen‘“; zit. n.: Beckmann, Kirchliches Jahrbuch 1933 – 1944, 14; vgl. den dortigen Kommentar 12ff und 15 ff. 93 Vgl. bes. die Punkte 7 und 9 des Programms: „7. Wir sehen in Rasse, Volkstum und Nation uns von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen, für deren Erhaltung zu sorgen uns Gottes Gesetz ist. Daher ist der Rassenvermischung entgegenzutreten.“ „9. In der Judenmission sehen wir eine schwere Gefahr für unser Volkstum. Sie ist das Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper. Sie hat […] keine Daseinsberechtigung.“ 94 Zu den (mentalitätsgeschichtlichen) Faktoren, die zum kirchenpolitischen Erfolg der Deutschen Christen innerhalb der protestantischen Kirchen führten, vgl. Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 3 – 274; Strunk, Nachfolge Christi, 190ff; ders., Leben in der Nachfolge; Zillessen, Volk – Nation – Vaterland; darin bes. Tilgner, Volk, Nation und Vaterland, 135 – 171, sowie E. Wolf, Volk, Nation, Vaterland; vgl. ders., Luthers Erbe?; Assel, Luther-Renaissance, Sp. 606 – 608; Shanahan, Der deutsche Protestantismus, sowie Kouri, Der deutsche Protestantismus; vgl. ferner Eger, Der Evangelisch-Soziale Kongreß; sowie hierzu Herz (Hg.) Evangelisches Ringen um soziale Gemeinschaft, insb. 31 ff.

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ist sogar anzunehmen, dass diese Thematik in Bonhoeffers Konzept der Ekklesiologie-Vorlesung ursprünglich gar nicht angelegt und von ihm nicht zu diskutieren vorgesehen gewesen ist;95 jetzt aber, als in der Mitte des Jahres 1932 die Zeichen deutlich auf Politisierung der Kirche stehen,96 tritt sie in ihrer ganzen Dringlichkeit in sein Blickfeld und wird fortan sein theologisches Denken und Wirken mitbestimmen. Worin sind nach Bonhoeffer die Grenzen der Kirche gegeben? Die Kirche ist doppelt begrenzt, durch eine zweifache Grenze, die in dem „Begriff der Prädestinatio“ (DBW 11, aaO., 302) zusammengeschlossen ist. Die eine (die „Grenze gegen die neue Welt“) ist das „Reich Gottes“, die andere (die „Grenze gegen die alte Welt“) ist der „Staat[…]“ (DBW 11, aaO., 301). Die erste Grenze besagt, dass die Kirche weder das Reich Gottes ist, noch die Dazugehörigen kennt.97 Sie fragt nicht zuerst nach ihrem Umfang, nicht nach der Kirchengemeinschaft, sondern ihr ist allein das „Wort von Christus“ und dessen „Verheißung (Gnade und Gericht) gegeben“, das ihr Wesen vollkommen bestimmt und das sie innerhalb ihres eigenen Raumes zu bekennen und der Welt „mit Vollmacht“ zu verkündigen hat. Sie selbst „weiß um den Willen Gottes“ und hat erkannt: „In keinem Anderen [sc. als in Gott] ist Heil!“ Dieses Wissen tut die Kirche der Welt kund. Sie weiß dabei aber nicht, wem nun der Glauben geschenkt ist und wem nicht. Dies bleibt das „Geheimnis Gottes selbst, das ihr [sc. der Kirche] dereinst offenbart werden soll, aber jetzt läßt sie das Geheimnis bestehen!“98 Der Kirche zweite und zugleich äußerste Grenze ist der Staat. Zunächst gilt: „Gottes Wort hat Gewalt auch über den Staat.“ Sodann ist der Kirche im Staat gesagt (und darin ist er ihr „als kritische Warnung [gesetzt]“), „daß Gott der Kirche nicht das richtende Schwert der Gewalt gegeben [hat].“ Vielmehr ist ihr „Schwert […] Wort und […] Gebet“, und gerade „[d]amit dient sie dem Staat“.99 Die Kirche anerkennt den Staat „als autonome weltliche Gewalt“, die nicht unter und auch nicht über ihr steht, sondern neben ihr.100 Die Kirche anerkennt den Staat als die ihr von Gott gesetzte Grenze, 95 Als Bonhoeffer in der Sitzung des 25. Mai zum zweiten Teil der Vorlesung über die „Gestalt der Kirche“ übergeht, beginnt er – wie es die Mitschrift in DBW 11, 261 zeigt – mit der Ankündigung der Struktur des Folgenden. In dieser Ankündigung ist der Abschnitt „F) Die Grenzen der Kirche“ noch nicht enthalten. Dass Bonhoeffer ganz aktuelle Geschehnisse im Blick hat und auf diese reagiert, wird deutlich in DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 303. 96 Vgl. zum Ganzen Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 160 – 274. 97 Vgl. dazu Bonhoeffers Aufsatz „Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft“ (Juni 1936, DBW 14, 655 – 680), siehe dazu oben Kap. 3.2.1.3.3. 98 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 302. Vgl. zum Begriff des Geheimnisses in der Theologie Bonhoeffers Abromeit, Das Geheimnis Christi. 99 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 302. Vgl. dazu DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 350: Staat ist „Ort[…] des Gesetzes“, und 354: „Ein Staat, der sich eine vergewaltigte Kirche eingliedert, hat seinen treuesten Diener verloren.“ (Hervorhebung durch F.S.). 100 Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 303: „Kirche und Staat [sind] nebeneinander.“

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indem sie „[…] nicht versuchen [wird], den Staat zu bestimmen“, sondern ihr „Ziel ist [die] Verkündigung der Herrschaft Christi über alle Welt im Glauben und [im] Wort“. Das Anerkennen dieser Grenzen durch das Wissen um das eigene Wesen und die ihr eigenen Aufgaben gewährleistet, dass die Kirche Kirche bleibt und nicht Staat wird.101 In diesem Zusammenhang findet sich in der Mitschrift die Notiz: „Ruf zum ganz verantwortlichen, treuen Handeln jedes in seinem Amt“ (DBW 11, aaO., 303), ein Satz, der die Gedanken Bonhoeffers zwar paraphrasierend wiedergibt, der aber wohl in folgender doppelter Weise zu verstehen ist: Zum einen ist jener Ruf der Ruf, der in der und durch die Kirche an sie selbst, die Christenheit, ergeht und von ihr im Glauben gehört wird, dass also ein jeglicher sein Amt (etwa das Predigtamt) recht verwalte. Zum anderen ist dies der Ruf der Kirche, den sie an den Staat richtet, d. h. an jeden, der ein staatliches Amt bekleidet. Ihn erinnert die Kirche durch ihren Ruf daran, in seinem Amt (d. h. dem Amt gemäß) verantwortlich zu handeln.102 Es ist damit an dieser Stelle der Ekklesiologie-Vorlesung von Bonhoeffer eine erste Möglichkeit kirchlichen Handelns dem Staat gegenüber benannt, und zwar eine Möglichkeit, die ausdrücklich dem Dienst am Staat dient (vgl. DBW 11, aaO., 302) und die den Gehorsam der Kirche dem Staat gegenüber in keiner Weise infrage stellt. Darüber hinaus durchdenkt Bonhoeffer eine zweite Verhaltensmöglichkeit der Kirche, in der jener Gehorsam der Kirche nicht mehr gegeben ist, nämlich die Möglichkeit des Kampfes gegen den Staat. Diese Möglichkeit kirchlichen Handelns (streng genommen handelt es sich vielmehr um eine Pflicht als um eine Möglichkeit) ist aber stets die Konsequenz eines diesem vorausgehenden, grenzüberschreitenden Handelns des Staates: „Wo sie der bedroht, kämpft sie gegen den Staat. […] Gehorsam [sc. kirchlichen Gehorsam] gegen [den] Staat [gibt es] nur dann, wenn [der] Staat das Wort nicht bedroht.“ Ergo: Wenn der Staat das Wort bedroht, dann muss der „Kampf um die Grenze […] ausgefochten werden!“ (DBW 11, aaO., 302 f; Hervorhebung durch F.S.) Wo also der Staat das „Wort bedroht“, wo also der Staat die eigene ihm gesetzte Grenze übertritt, dort ist die Kirche zur „Kritik am Staat […] gefordert“. Der „Kampf um die Grenze“ (DBW 11, aaO., 303; Hervorhebung durch F.S.) ist dann entfacht. Nur zwei Sätze sind in der Mitschrift der Vorlesung überliefert, die diesen Kampf und diese Kritik der Kirche, von der hier gesprochen ist, näherhin konkretisieren. Gleichwohl reichen diese Sätze auf der Grundlage des bis hierher Dargelegten aus, Bonhoeffers theologische Position zu bestimmen

101 Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 303: „Kirche [darf] nicht Staat werden.“ 102 Dass jener „Ruf“ tatsächlich das an den Staat gerichtete Wort der Kirche meint, legt der weitere Text der Vorlesungsmitschrift nahe. Dort wird von des „Staates Amt“ geredet, das „weder christlich noch gottlos“ ist und „verantwortlich und sachlich […] zu tragen“ (DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 303; Hervorhebung durch F.S.).

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und deren Entwicklung in den folgenden Monaten bis ins Jahr 1933 hinein zu erklären: Die Existenz als Kirche hängt davon ab, ob die Kritik von ihr allein aus dem Hören des Evangeliums kommen kann. […] Durch Schwierigkeiten [hindurch] kommt die Kirche nur, wenn sie darauf sieht, daß sie mit dem Worte des Christus praesens als ihrem Herrn allein steht und fällt. (DBW 11, aaO., 303)

Es sind in diesen Schlussworten der Vorlesung all jene Gedanken Bonhoeffers vorausgesetzt und zusammengefasst, die er bis zu diesem Zeitpunkt (d. h. bis Ende Juli 1932) über die Möglichkeiten und Grenzen der Verkündigung des konkreten Wortes durch die Kirche entwickelt hatte. Die Kirche, die sich als Christus praesens versteht, muss „[v]on Christus allein her […] wissen“, was sie tun soll.103 Ob sie ihr Gebot allein von Christus her kennt, „von dem das Evangelium kommt“,104 davon hängt ihre Existenz ab – denn kommt ihre Kritik an den Ordnungen der Welt und also auch am Staat von etwas anderem als vom Evangelium her, dann ist die Kirche nicht Kirche Jesu Christi, sondern „reine Zweckorganisation“,105 und ihr Wort wird ohne Kraft und Vollmacht sein.106 Erkennt aber die Kirche, dass der Staat eine Ordnung in der Welt schafft, welche „sich in sich selbst verschließt, verhärtet und die Verkündigung der Offenbarung nicht mehr zuläßt“,107 dass der Staat darin „Wahrheit und Recht“ des Evangeliums „vergewaltigt“108 und so seine Grenzen überschreitet und die Kirche „bedroht“ (DBW 11, aaO., 302), dann vernimmt die Kirche aus diesem grenzüberschreitenden Handeln, welches ihre eigene Existenz und also die des Staates gefährdet, das Gebot, das sie in konziliarer Entscheidung und in Abgrenzung häretischer Sätze gewinnt und dann sogleich – kritisch und im Kampf um die Rückgewinnung der Grenzen bekennend – dem Staat entgegenrichtet. Sie wird mit der Forderung an ihn herantreten, diese bestimmte (von ihm aufgerichtete) Ordnung zu brechen, denn:

103 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 336; in Bonhoeffers Text hervorgehoben. 104 DBW 11, Thesen zum Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 345. Vollständig lautet der Satz: „Allein von Christus her, von dem das Evangelium kommt, kennen wir auch das Gebot.“ 105 DBW 11, Thesen zum Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 344. 106 Vgl. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 328 und bes. 343. 107 DBW 11, 337, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit; vgl. auch DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 303. 108 DBW 11, Thesen zum Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 346; Hervorhebung durch F.S. „Wahrheit“ und „Recht“ nennt Bonhoeffer als Kriterien des Evangeliums und als Grenze sowohl staatlichen als auch kirchlichen Handelns außerdem in DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 339, sowie in DBW 11, Ansprache in Gland am 29. 8. 1932, 357.

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Jede Ordnung – und sei es die älteste und heiligste – kann zerbrochen werden und muß es, wenn sie sich in sich selbst verschließt, verhärtet und die Verkündigung der Offenbarung nicht mehr zuläßt. Von hier aus hat die Kirche Christi über die Ordnungen der Welt zu urteilen.109

Hier nun gilt für das Verhältnis von Staat und Kirche: Die Welt kann die wahre Stimme der Kirche nicht hören, auch der Staat nicht, die Stimme der Kirche kann ihm nicht Autorität sein [sc. denn sie ist neben ihm, nicht über ihn, vgl. DBW 11, aaO., 303], aber er findet in ihr eine kritische Grenze seiner Möglichkeiten und wird die Kirche so als Kritik seines Tuns beachten müssen.110

Die zweite genannte Verhaltensmöglichkeit der Kirche dem Staat gegenüber, die in den Schlussworten der Vorlesung Ausdruck findet und auch in dem Vortrag „Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit“ reflektiert und eingefordert wird, und zwar die des kirchlichen Kampfes gegen den Staat in Gestalt des vollmächtig verkündigten Wortes und Gebotes der Kirche, ist damit hinreichend verdeutlicht. Ersichtlich ist damit auch, inwiefern Bonhoeffers Theologie, wie sie sich bis hierher darstellt, ein politisches Moment anhaftet. Sie ist eine ganz und gar apolitische Theologie, sofern sie sich jedem politischen Programm unbedingt versagt und ihr einziges Bestimmungskriterium Christus selbst ist. Politisch ist Bonhoeffers Theologie aber, insofern jene in den Konflikt mit dem Staat führende Möglichkeit kirchlichen Handelns (richtiger : sofern jenes in dem durch das Handeln des Staates aufgetretenen Konflikt von der Kirche geforderte Handeln) zur Sicherung bzw. Rückgewinnung der jeweiligen Grenzen zwar ein kirchliches, aber doch ein deutlich, ja sogar genuin politisches Wort ist. In der Hinsicht, dass die Kirche von dem Maßstab der Erhaltung und folglich Christi selbst her über die Ordnungen der Welt urteilt111 und dieses Urteil durch ihr Wort der Christenheit und der Welt und dem Staat auch verkündigt,112 ist ihr Wort politisches Wort und ist Bonhoeffers Theologie politische Theologie. Die zuletzt offenbar werdende Hoffnung und Verheißung, die Bonhoeffer mit einem vollmächtigen Wort der Kirche zu verbinden vermag, wird sich für das Verständnis und den weiteren Gang zur „Nachfolge“ als entscheidend erweisen. Bonhoeffer ist der Ansicht, dass der seine eigenen und damit die Grenzen der Kirche überschreitende Staat in der Stimme der Kirche tatsächlich eine Be-grenzung seiner Möglichkeiten findet. Der Staat wird, so sagt Bonhoeffer, „die Kirche so als Kritik seines Tuns beachten müssen“.113 Vollmacht und vollmächtige Verkündigung der Kirche bedeuten bei Bonhoeffer 109 110 111 112 113

DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 337. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 343. Vgl. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 336 f. Vgl. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 343. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 343; Hervorhebung durch F.S.

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also nicht allein die Fähigkeit der Kirche, das Gebot zu finden, es zu wissen und es der Welt zu verkündigen, nicht allein es finden zu können und der Welt sagen zu können, und auch nicht allein, dies Gebot der Welt sagen zu dürfen, sondern das vollmächtige Wort der Kirche ist tatsächlich ein mächtiges Wort unmittelbarer Auswirkungen auf die Zustände der Welt. Vollmächtig handelt und spricht die Kirche in der Macht dessen, über den die Gewalten der Welt keine Macht haben konnten. Unter Aufnahme einer späteren Formulierung aus dem August 1934 kann gesagt werden: Der tiefe Glaube daran, „daß die Welt es [sc. das Wort der Kirche] hört, zu hören gezwungen ist“,114 wenn nur die Kirche dieses Wort vollmächtig verkündigte, diese Hoffnung ist es, aus dem das theologische Schaffen Bonhoeffers in den nächsten Jahren sich speisen wird. Der erste Abschnitt zur Darlegung der theologischen Entwicklung Bonhoeffers sei nun damit beschlossen, die Relevanz der bisherigen Erkenntnisse und Ergebnisse für die weiteren Jahre in Bonhoeffers Werk zu verdeutlichen. Im Sommer des Jahres 1932 weiß Bonhoeffer die Grenze der Kirche und damit die des Staates vornehmlich in zwei Richtungen bedroht. Zum ersten erkannte man im Hause Bonhoeffer früh die Gefahr, welche die nationalsozialistische Bewegung für den internationalen Frieden bedeutete. Dass ein Sieg der Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen des 31. Juli ein Schritt in Richtung des nächsten Krieges sein würde, daran konnte für Bonhoeffer schon jetzt kein Zweifel bestehen.115 Den zu befürchtenden Krieg wertet Bonhoeffer, innerhalb der ökumenischen Bewegung um die Ausrichtung des Friedensgebotes durch die Kirchen bemüht, als Zerstörung von Wahrheit und Recht des Evangeliums, und darum gibt es Frieden in „dieser Welt […] nur im Kampf um Wahrheit und Recht“.116 Zum zweiten stand zu befürchten, dass mit dem Wahlsieg Hitlers die deutsch-christliche Bewegung ihrem Bestreben greifbar nahe kommen würde, in Deutschland eine der Ideologie angepasste Reichskirche aufzurichten. Die hitlernationalistische Partei mißbraucht die demokratischen Möglichkeiten und strebt nach Errichtung einer Diktatur. Gerade die nächsten Tage werden entscheidend sein, wieweit die antihitlerischen Parteien imstande sein werden, die Übernahme der Regierung durch die Nazisten zu verhindern. Der Nazismus drängt auch in die Kirche hinein.117

Wenn der Nationalsozialismus in die Kirche drängte, wäre die Grenze zwischen Staat und Kirche schon sehr bald aufgehoben. 114 DBW 13, Rede vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 300. 115 Vgl. DB 305: „Am Mittag des 30. Januar [sc. 1933] hatte Hitler den Regierungsauftrag von Hindenburg bekommen. Am Abend trat Rüdiger Schleicher, Dietrichs Schwager, zu Hause mit den Worten ins Zimmer: ,Das bedeutet Krieg!‘ So sagten alle Bonhoeffers, auch Dietrich.“ 116 DBW 11, Ansprache in Gland am 29. 8. 1932, 357. 117 DBW 11, Grußwort Bonhoeffers in Ciernohorsk Kfflpele vom 27. 7. 1932, 349 (Nachschrift); vgl. hierzu DBW 11, 347, Hg.-Anm. 1.

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Von diesen beiden Entwicklungen ausgehend, lassen sich zwei Linien des theologischen Weges Bonhoeffers recht unmittelbar ausziehen. Die eine, die Friedensfrage betreffende Linie führt zur Rede „Kirche und Völkerwelt“, die Bonhoeffer im August 1934 auf der dänischen Insel Fanø hielt. Die andere, den innerdeutschen Kampf der Kirche gegen die Deutschen Christen betreffend, der für Bonhoeffer ein Kampf um die Kirche Jesu Christi selbst war, führt zuerst in den April des Jahres 1933 und zu Bonhoeffers Reaktion auf die Forderung der Deutschen Christen, den „Arierparagraphen“ auch für die kirchliche Gesetzgebung zu übernehmen. Beide Linien (die nationale und die internationale) zusammen beschreiben Bonhoeffers Weg des Kirchenkampfes und verweisen sehr direkt in Richtung auf die „Nachfolge“, deren Theologie sie vorbereiten. Für die beiden genannten und zu betrachtenden Schlüsselschriften Bonhoeffers (sowohl für die Rede „Kirche und Völkerwelt“ als auch für den Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“) wird sich zeigen, dass sie ganz von den aus der konkreten Situation heraus gewonnenen theologischen Erkenntnissen der Jahre 1931 und 1932 her zu interpretieren sind. Was Bonhoeffer an der Universität gelehrt hatte und lehrte, sollte hier nun in der konkreten historischen Situation Anwendung finden. Wenn im folgenden Bonhoeffers Weg im jetzt beginnenden Kirchenkampf (Kirchenkampf verstanden als Kampf um die Kirche und als Kampf der Kirche gegen die sie bedrohenden Mächte, d. h. also „Welt“ und Staat) betrachtet wird, dann wird sich eine im Vorangegangenen implizit aufgestellte, doppelte These bestätigen: dass nämlich erstens die im April 1933 angesichts der „Judenfrage“ von Bonhoeffer eingeforderte „dreifache Möglichkeit kirchlichen Handelns dem Staat gegenüber“ bereits neun Monate zuvor theoretisch bedacht und entfaltet worden war und dass zweitens das seit 1932 in aller Dringlichkeit geforderte an den Staat zu richtende Wort der Kirche (und allein dieses Wort) als jenes „unmittelbar politische[…] Handeln“118 zu kennzeichnen ist, das Bonhoeffer im Aufsatz zur „Judenfrage“ als der Kirche letzte und äußerste Möglichkeit ausweisen wird.

4.3 Herbst 1932 bis Frühjahr 1933 (Berlin): Die Verkündigung des konkreten Gebots durch die Kirche Im Semester des Winters 1932/33 hält Bonhoeffer an der Universität drei Lehrveranstaltungen ab, in denen er die ihn drängenden Themen diskutiert: eine dogmatische Übung über „Theologische Psychologie“ und zwei Vorlesungen. Motiviert durch jene „ethische Beunruhigung“, die ihn seit der 118 DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 353.

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Der Ort der „Nachfolge“

Wiederkehr aus Amerika umtreibt, übt Bonhoeffer in der einen Vorlesung, „Schöpfung und Sünde“ (später unter dem Titel „Schöpfung und Fall“119 veröffentlicht), massiv Kritik an der Theologie der Schöpfungsordnungen,120 indem er die ersten drei Kapitel der Genesis theologisch auslegt. Die Gedanken, die Bonhoeffer in dieser Schrift entfaltet (v. a. über die verlorene Mitte des Menschen, die ihm allein in Christus, dem Mittler, wiedergeschenkt ist, über die ethische Reflexion des Menschen, dessen Gewissen und Gehorsam),121 liegen, wie oben gezeigt, auch dem theologischen Konzept der „Nachfolge“ noch zugrunde.122 Die Wirklichkeit der Welt ist gefallene, von Gott gnädig durch Christus, um Christi willen und auf Christus hin erhaltene Wirklichkeit. Dass freilich auch der Staat sich der allumfassenden Wirklichkeit des Falls nicht entziehen kann (und gerade hierin ist die zeitkritische Brisanz der Vorlesung bzw. des Buches wohl am deutlichsten spürbar), brauchte Bonhoeffer hier offenbar nicht explizit auszusprechen. Die Bestimmung des Verhältnisses der Kirche zum Staat und des Staates zur Kirche (und in diesem Punkt liegt die wesentliche innere Verbindung beider Lehrveranstaltungen) rückt Bonhoeffer in der zweiten Vorlesung, „Jüngste Theologie. Besprechung und Diskussion systematisch-theologischer Neuerscheinungen“ (DBW 12, 153 – 178), ins Zentrum der theologischen Diskussion. Gleich im ersten Teil, zur „Einführung in die theologische Lage der Gegenwart“, welche wiederum ganz an der theologischen Wende Barths ausgerichtet ist,123 wird deutlich, dass auch diese Lehrveranstaltung ihren wesentlichen Ausgangspunkt in dem „ethische[n] Problem“ (DBW 12, aaO., 156) hat. Innerhalb der Frage, welche Möglichkeiten christlichen bzw. kirchlichen Tuns es gibt, bestätigt Bonhoeffer seine bis hierher gewonnene theologische Position: „Die Kirche als die Christenheit sagt und tut den Willen Gottes.“ Ihr Handeln ist ein „Tun […] auf das gehörte Gebot hin“.124 Bonhoeffer diskutiert die Frage nach dem Ethischen (d. h. nach dem Handeln der Kirche, unter welches auch deren Wort fällt), aber nunmehr unter Hinzunahme der Frage nach dem Staat bzw. dem Verhältnis 119 Zu SF (DBW 3) vgl. Class, Zugriff. 120 Vgl. dazu oben die Auseinandersetzung mit dem Begriff der „Schöpfungsordnung“ im Aufsatz „Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit“ (Juli 1932), die Bonhoeffer dort hinsichtlich der Frage nach dem konkreten Gebot der Kirche diskutierte (vgl. bes. DBW 11, 335ff; siehe oben Kap. 4.2). 121 Vgl. hierzu weiterführend DB 260 ff. 122 Siehe oben Kap. 2. 123 Vgl. DBW 12, Vorlesung im WS 1932/33: Jüngste Theologie. Besprechung und Diskussion systematisch-theologischer Neuerscheinungen, 154 – 158. Als dritte von neun Schriften bespricht Bonhoeffer in dieser Vorlesung auch K. Barths „Fides quaerens intellectum“ (1931), ein Werk, anhand dessen Bonhoeffer abermals (siehe oben Kap. 4.2) den Ort und die Voraussetzungen seiner Ansicht nach echten theologischen Denkens verdeutlicht, vgl. K. Barth, aaO., 160 f; vgl. dazu DB 263. 124 DBW 12, Vorlesung im WS 1932/33: Jüngste Theologie. Besprechung und Diskussion systematisch-theologischer Neuerscheinungen, 160. Bonhoeffer formuliert diese Sätze als Kritik an Schtz, Säkulare Religion.

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von Kirche und Staat. Das bedeutet, er diskutiert das „Problem des Ethischen“ als eine Frage politischer Ethik: „Welche Autorität hat der Staat, wie verhält sich diese zur Autorität Gottes?“ (DBW 12, aaO., 156) Was ist das Wesen des Staates, welche sind seine Aufgaben, Funktionen, Grenzen, und wie steht die Kirche zum Staat? Dies sind die Kernfragen der Vorlesung, auf die hin Bonhoeffer die theologischen Neuerscheinungen befragt. Für das Verständnis der Theologie Bonhoeffers und deren Entwicklung ist insbesondere die Besprechung zweier dieser Schriften aufschlussreich, die darum näher betrachtet seien: Emil Brunners „Das Gebot und die Ordnungen. Entwurf einer protestantisch-theologischen Ethik“ und Friedrich Gogartens „Politische Ethik“. Beide Bücher erschienen 1932. In Brunners Ethik, welche Bonhoeffer als die „[e]rste zusammenfassende ethische Arbeit der dialektischen Theologie“ versteht (DBW 12, aaO., 173), findet er vor allem die für ihn fortan immer wichtiger werdende These von der „Einheit von Gnade und Gebot, Glaube und Gehorsam, Verheißung und Forderung, Indikativ und Imperativ“ vor (DBW 12, aaO., 174). Trotz weitreichender Übereinstimmung mit Brunner in dieser Sache, vermag dessen Entwurf Bonhoeffer im Letzten nicht hinreichend zu überzeugen. Denn wenn die Ethik aus der Rechtfertigung begründet wird, wenn Gnade und Gebot niemals auseinandergerissen werden können, dann „müßte die Kirche das Gebot vollmächtig verkündigen können. Das leugnet Brunner.“ Zwar sucht er die „Prinzipiengesetze durch das konkrete Gebot“ zu überwinden; letztlich aber „[…] kann die Kirche [nach Brunner] nur prinzipiell reden“. Das „Grundproblem“ besteht darin, dass die „[e]thische Grundkategorie […] der Einzelne [bleibt]“ und der Blick dadurch letztlich nicht auf die Kirche als Person gerichtet wird.125 So schließt Bonhoeffer nach der Besprechung von Brunners Ethik mit einer Kritik, die seine eigenen Anliegen und zugleich die ihm eigene Position anzeigt: Es gibt Fälle, daß die Gemeinde einer ist, der fragt: Was sollen wir tun? Hier wäre die individualistische Frage aufgelöst. Hier muß der Pfarrer tatsächlich das konkrete 125 Vgl. hierzu Bonhoeffers Brief an Sutz vom 17. 5. 1932: „Ich […] habe ein Seminar über : Gibt es eine christliche Ethik. Dazu ist ja nun jetzt das von Ihnen schon länger angekündigte Buch von Brunner da, auf das ich mich sofort gestürzt habe. Ich bin noch ziemlich am Anfang, aber ich kann den Eindruck nicht ganz loswerden, als sei auch hier wieder wie schon im Mittler etwas zu schnell gearbeitet worden. Besonders eben im grundsätzlichen Teil.“ (DBW 11, 89) Einige Wochen später schreibt Bonhoeffer wiederum an Sutz: Es „scheint mir eine wirkliche Lücke in der Brunnerschen Ethik zu sein, daß er diese Frage [sc. nach der Möglichkeit der Verkündigung des konkreten Gebotes durch die Kirche] nicht eigentlich in den Mittelpunkt rückt, ja sie eigentlich nur vorübergehend stellt und beantwortet. Natürlich ist sie im Ganzen dauernd mit im Spiel und implizite beantwortet; aber es scheint mir, daß hier für theologisches Denken einfach die erste Frage und der Ausgangspunkt alles weiteren liegt. So kommt es auch, daß man es gar nicht voll empfindet, daß das, was Brunner nun wirklich sagt, für die Kirche unendlich wenig, ja eine wirkliche Bedrohung ihrer Substanz ist. Es bleibt nach dem ganzen Buch doch noch immer dunkel, was es für die Kirche bedeutet, daß sie ein konkretes Gebot geben bzw. nicht geben kann.“ (DBW 11, Brief an E. Sutz von Anfang August 1932, 100).

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Der Ort der „Nachfolge“

Gebot wagen unter der Verheißung, daß die Kirche unter der Sündenvergebung steht. (DBW 12, aaO., 176; Hervorhebung durch F.S.)

Dabei ist der Pfarrer selbst „gebunden an die Kirche, diese aber steht unter dem Konzil, das auch Sündenvergebung braucht“. So sagt die Kirche das Gebot. Die Frage nach dem konkreten Inhalt, der konkreten Gestalt des Gebots ist wiederum keineswegs prinzipiell gegeben, sondern ergibt sich je konkret aus der je konkreten Bedrohung der Gemeinde.126 Während Bonhoeffer in der Auseinandersetzung mit Brunner besonders die Frage nach der Möglichkeit der Verkündigung des konkreten Gebotes durch die Kirche bzw. die Gemeinden verhandelt, dient ihm Friedrich Gogartens „Politische Ethik“ vorwiegend der Verhältnisbestimmung von Kirche bzw. Christ und Staat. An Gogartens Konzeption kritisiert Bonhoeffer besonders die Verkündung eines „christlichen Konservatismus“, der darin besteht, dass „Gogarten […] keine Einschränkungen mehr in Bezug auf den christlichen Staat [kennt]“ (DBW 12, aaO., 167), sondern ihn schlechthin als Ort versteht, in dem das „Gute geschieht“.127 Damit aber ist die „Zweideutigkeit des Staates“ – denn der Staat kann auch „aufgefaßt werden als eine Ordnung des Bösen“ – verkannt. Gogartens Konservatismus, sagt Bonhoeffer, ist zwar „lutherisch, aber nicht neutestamentlich“,128 eine Einschätzung, die Luthers Theologie sicherlich verkürzend beschreibt.129 Deutlich wird allerdings, dass Bonhoeffer sich selbst hier weniger in Nähe als in Distanz zu Luther versteht. „Das Unrecht des christlichen Konservatismus“ besteht darin, dass er „[…] die bessere Gerechtigkeit [ignoriert]“, um welche der Christ – und eben nicht der natürliche Mensch – weiß. Das Wissen um die „bessere Gerechtigkeit“ ist es aber, die das Recht des Staates niemals als absolutes, sondern immer als begrenztes weiß. Die Grenze des Staatsrechts ist, so kann hier zusammengefasst werden, die „bessere Gerechtigkeit“, die „auf Basis der Bibel zu suchen“ ist und die so bei Bonhoeffer selbst zur Weisung wird. Weil aber das „Recht des Staates […] relativ“ ist, ist für den einzelnen Christen (Bonhoeffer spricht hier noch nicht von der Kirche) immer ein „relatives Recht der Revolution gegeben“ – freilich aber eben eine (mit der „besseren Gerechtigkeit“ gegebene) „relative Kritik, nicht radikale […] am Staat“ (DBW 12, aaO., 167). Das Revolutionsrecht 126 Vgl. DBW 12, Vorlesung im WS 1932/33: Jüngste Theologie. Besprechung und Diskussion systematisch-theologischer Neuerscheinungen, 176: „Es gibt ein konkretes Gebot nur dort, wo nach dieser Frage gefragt wird von der existentiell bedrohten Gemeinde.“ 127 DBW 12, Vorlesung im WS 1932/33: Jüngste Theologie. Besprechung und Diskussion systematisch-theologischer Neuerscheinungen: „Das Gute geschieht heute im Staat. Um der Sünde willen schafft Gott je und je Neuordnungen, das ist der Staat.“ (DBW 12, aaO., 165) „Gott schafft Ordnungen, in denen ich leben kann.“ (DBW 12, aaO., 165, Anm. 63). 128 DBW 12, Vorlesung im WS 1932/33: Jüngste Theologie. Besprechung und Diskussion systematisch-theologischer Neuerscheinungen, 166. 129 Vgl. dazu Heckel, Widerstand gegen die Obrigkeit?; Bayer, Martin Luthers Theologie, 285ff (zu Luthers „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“). Vgl. auch Bayer, aaO., 134 ff.

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absolut zu verstehen, hieße, die Position des schwärmerischen Revolutionärs einzunehmen, der – weil er aus dem Bestehenden an sich niemals heraus kann, auch wenn er meint, dies durch seine Taten zu können (vgl. DBW 12, aaO., 166, Anm. 68) – „grundsätzlich nicht recht hat“ (DBW 12, aaO., 166). Besonders deutlich wird dem einzelnen Christen die Relativität des Rechts der staatlichen Ordnungen, wenn er die „christliche[…] Liebesordnung“ mit der „Gewaltordnung des Staates in Spannung stehen“ sieht. Er erkennt dann, dass das „amtliche [Tun] [sc. des Staates] […] nicht als solches recht [hat]“, sondern „vom christlichen Liebesgebot aus […] die Ordnungen in ihrer Relativität“ (d. h. in ihrer rechtlichen Begrenzung) offenbar und eigentlich erst beurteilbar werden. Daraus folgt für das Verhältnis von Kirche und Staat: Die Kirche erkennt nicht nur die staatlichen Ordnungen an, sondern sie predigt von der dauernden Durchbrechung dieser Ordnung der Welt durch das Wunder der Auferstehung. Diese Ordnungen bestehen immer nur in Relativität. (DBW 12, aaO., 168)

Die Kirche weist auf den Staat hin und versteht ihn als durch die Auferstehung aufgehobene, „in Frage gestellte Ordnung“ (ebd.), als eine Ordnung allerdings, die der Erhaltung der Welt dient (vgl. DBW 12, aaO., 168, Anm. 75). Gerade dadurch begrenzt sie den Staat und gibt ihm, indem sie ihn als Ordnung anerkennt, zugleich recht.130 „Das ist das Verhältnis von Kirche und Staat.“ (DBW 12, aaO., 168) Bonhoeffers Thesen systematisierend, können vier Kernpunkte kirchlichen bzw. christlichen Handelns dem Staat gegenüber benannt werden: 1. Die Kirche redet den Staat als eine infrage gestellte und zugleich der Erhaltung der Welt und des Lebens dienende Ordnung an; darin anerkennt und begrenzt sie ihn zugleich. 2. Durch die Gleichzeitigkeit von christlicher Liebesordnung und staatlicher Gewaltordnung stehen Kirche bzw. einzelner Christ und Staat in notwendiger gegenseitiger Spannung. 3. Mit der „besseren Gerechtigkeit“ ist dem Christen ein relatives Recht der Revolution gegenüber dem relativen Recht des Staates gegeben. 4. Weil der Staat als Ordnung in der Welt „[…] von Gott gegebenes Recht [hat]“ (DBW 12, aaO., 166, Anm. 67), gibt es für den Christen kein radikales Revolutionsrecht. Auf dieser erarbeiteten Grundlage wird ersichtlich, inwiefern die frühen Erkenntnisse und Aussagen Bonhoeffers die Theologie der „Nachfolge“ bereits vorbereiten und dann in dem Buch aufgenommen werden. Die Liebesordnung der Jünger, die „bessere Gerechtigkeit“, um die allein sie wissen, auf der einen Seite, und die Ablehnung eines Revolutionsrechtes auf der anderen

130 Vgl. DBW 12, Vorlesung im WS 1932/33: Jüngste Theologie. Besprechung und Diskussion systematisch-theologischer Neuerscheinungen, 168: „Die Kirche hinweisend auf den Staat als in Frage gestellte Ordnung. Beide sich gegenseitig begrenzend, anerkennend, beide sich rechtgebend.“

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Der Ort der „Nachfolge“

Seite werden dort im Begriff der Nachfolge zusammenfinden.131 Der Schritt zur „Nachfolge“ soll aber nicht übereilt getan werden. Zunächst ist zu zeigen, inwiefern Bonhoeffers Überlegungen zum Verhältnis von Staat und Christen bzw. Kirche ihren gebündelten und in der konkreten geschichtlichen Situation angewendeten Ausdruck finden, als im April 1933 die so genannten „Judenfrage“ aufbricht. Am 30. Januar 1933 übernimmt Hitler die Macht in Deutschland. In der Ausgabe desselben Monats erschien im „Vormarsch“ ein Aufsatz Bonhoeffers zur Frage „Was ist Kirche?“ (DBW 12, 235 – 239). Der ekklesiologische Ansatz, den er hier entwirft, greift wesentliche Gedanken der Vorlesung über „Das Wesen der Kirche“ aus dem vorangegangenen Sommersemester auf. Stärker aber als in der Vorlesung thematisiert Bonhoeffer jetzt das Verhältnis der Kirche zur Welt, im Besonderen zum Staat, und, in diesem Zusammenhang, die Frage nach dem politischen Moment der Kirche und ihrer Verkündigung. Hier finden nun, wie zu zeigen ist, die in der Vorlesung des aktuellen Wintersemesters diskutierten Erkenntnisse Eingang. Darüber hinaus wird deutlich werden und es ist darzulegen, inwiefern dieser Aufsatz ganz elementar den drei Monate später verfassten Aufsatz zur „Judenfrage“ vorbereitet. Die Kirche, sagt Bonhoeffer, ist immer von zwei Seiten zu betrachten: „was sie vom Menschen her ist und was sie von Gott her ist. Beides gehört unlöslich zusammen. In dieser Doppelheit besteht ihr Wesen.“ Vom Menschen her betrachtet ist Kirche „ein Stück Welt, verlorene, gottlose, unter den Fluch getane, eitle, böse Welt“, von Gott her betrachtet ist sie ein Stück qualifizierte Welt, qualifiziert durch Gottes […] offenbarendes, gnädiges Wort, das sie, die der Welt ganz anheimgefallene, ausgelieferte, für Gott in Beschlag nimmt und nicht mehr freigibt. Kirche ist die Gegenwart Gottes in der Welt. […] Kirche ist nicht geweihtes Heiligtum, sondern ist von Gott zu Gott berufene Welt; darum ist nur eine Kirche in aller Welt. (DBW 12, aaO., 235 f) Kirche „ist“ immer beides zugleich; wer nur eines von beiden sieht, sieht nicht die „Kirche“. (DBW 12, aaO., 237)

Die Kirche, die als „ein Stück qualifizierte Welt“ in der Welt ist, richtet ihre Botschaft an die Welt: Als Kirche Gottes in der Welt bewährt sich die Kirche durch nichts anderes als durch rechte Ausrichtung der Botschaft des Evangeliums, durch rechte Verkündigung von 131 Vgl. N 255: „,Werdet nicht der Menschen Knechte!‘ Auf zweierlei Weise aber würde das geschehen: Durch Auflehnung und durch Umsturz der gegebenen Ordnungen einerseits, durch religiöse Verklärung der gegebenen Ordnungen andrerseits. […] Im Beruf bei Gott bleiben, heißt eben mitten in der Welt am Leibe Christi in der sichtbaren Gemeinde bleiben, im Gottesdienst und im Leben in der Nachfolge das lebendige Zeugnis der Überwindung dieser Welt ausrichten.“ „Jeder Widerspruch, jeder Widerstand an dieser Stelle würde nur deutlich machen, daß die Christen Gottes Reich mit einem Reich dieser Welt verwechseln.“ (N 259) Siehe dazu oben Kap. 3.2.1.2.2.

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Gnade und Gebot. […] Also, es geht in der Kirche um die Ausrichtung des Wortes Gottes an die Welt; um das Zeugnis von der Durchbrechung der Welt und ihrer Gesetze in der Offenbarung des Ernstes und der Güte Gottes in Jesus Christus. (DBW 12, aaO., 237 f)

Indem Bonhoeffer nun fragt, inwiefern dieses Reden der Kirche in der Welt und an die Welt und also ebenfalls an den Staat als politisches Reden zu qualifizieren ist, beginnt er, die zentralen Gedanken des Vorjahres aufzugreifen und die Möglichkeiten des Redens der Kirche jetzt ausdrücklich unter dem Aspekt des Politischen bzw. des Apolitischen zu diskutieren: Indem die Kirche von der Durchbrechung der Grenze, der Weltgesetze redet, weist sie, die selbst als menschliche Institution ganz innerhalb dieser Grenze steht, hin auf diese Gesetze, auf diese Ordnungen der Welt, von deren Vernichtung, Zerstörung, Ende durch Gott sie vollmächtig zeugt. Die Predigt der Kirche ist darum notwendig „politisch“, d. h. sie richtet sich an die Ordnung der Politik, in die der Mensch gebunden ist. Sie ist aber gerade als „politisch“ ausgerichtete zunächst die kritische Grenze alles politischen Handelns. Die Kirche ist die Grenze der Politik, darum in eminentem Sinn politisch und apolitisch zugleich. Die Kirche weist, weil sie von der durchbrochenen Grenze zeugt, auf das Begrenzte, auf das Gesetz, auf die Ordnung, auf den Staat hin. Kirche ist nur in Beziehung auf den Staat. Kirche begrenzt den Staat, Staat begrenzt die Kirche. (DBW 12, aaO., 238)

Der Hinweis der Kirche (die sich institutionell selbst innerhalb der Grenzen der Staatlichkeit bewegt) an den Staat, dieser solle sich in seiner Endlichkeit und Begrenzung erkennen, „ist das erste eminent politische Wort der Kirche“, nicht aber so, dass dieses Wort in Parteipolitik eingebunden wäre – die Kirche ist gerade in dieser Hinsicht apolitisch –, vielmehr ist ihr Wort politisch gerade außerhalb parteilicher Gebundenheit. Das Apolitische ihres Wortes stellt die Kirche hinein „in die eigentliche ,politische‘ Sphäre“ (DBW 12, aaO., 238). Damit steht Bonhoeffer bei der Frage, ob es (über dieses erste Wort hinaus) noch ein zweites politisches Wort der Kirche an den Staat geben kann: Kann „ein konkretes Gebot von der Kirche vernommen werden“, das dann von der Kirche aus durchgesetzt wird? Die Antwort lautet: Es kann ein konkretes Gebot von der Kirche vernommen werden, und die Durchsetzung dieses konkreten Gebotes […] ist eine grundsätzliche Möglichkeit. Aber auch hier kann es dann wirklich nur das konkrete Gebot in den Grenzen der Endlichkeit, der Staatlichkeit sein, um das es sich handelt, nicht um ein seine Grenzen verkennendes Programm christlich-politischer Ideologie.132 132 DBW 12, Aufsatz vom Januar 1933: Was ist Kirche?, 239. Nach diesem Absatz folgt eine Anmerkung Bonhoeffers: „D.h. es kann sich nur zuerst um den Willen zum Dienst an Volk und Staat handeln, nicht zuerst um den Willen zur Herrschaft.“

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Der Ort der „Nachfolge“

Dass Bonhoeffers Antwort positiv ausfällt, überrascht angesichts der vorangegangenen Analyse seiner Theologie seit dem Sommer 1931 nicht; denn es ist ja gerade die Forderung eines konkreten Gebotes durch die Kirche, d. h. die Frage nach der Möglichkeit eines zweiten Wortes der Kirche an den Staat, die Bonhoeffer seither beschäftigt hatte. Dabei sieht er die Kirche nun aber einem tiefen Dilemma ausgesetzt. Denn auf der einen Seite hat die Kirche tatsächlich „ein zweites politisches Wort, einen Auftrag“, sie verfügt über ein konkretes Gebot, und dieses Gebot gilt es nun auch als nicht diskutierbares Wort auszurichten. Die Kirche kann sich demnach nicht von ihrer politischen Verantwortung zurückziehen. Auf der anderen Seite aber steht die Kirche in der permanenten Gefahr, „gewissenlos als letzte politisch noch unverbrauchte Kraft Deutschlands im Kampf der Parteien ausgespielt“ zu werden. Und das „wäre ihr gewisses Ende“.133 Weil aber der Auftrag und das Gebot der Kirche „nur totgeschrieen und zerrieben wird in der Agonie des parteipolitischen Geschehens“, darum ruft gerade „dies Dilemma […] die Kirche in ihre politische Verantwortung und Entscheidung“ (DBW 12, aaO., 239), ihr Wort an den Staat zu richten. Die rechte theologische Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat ist zentrales Thema eines weiteren Aufsatzes Bonhoeffers, dem ein Vortrag aus dem November 1932 zugrundeliegt und der dann 1933 unter dem Titel „Dein Reich komme! Das Gebet der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden“ (DBW 12, 264 – 278) erschien. Wie Gottes Reich auf Erden zu glauben ist, so lautet hier Bonhoeffers Frage, und die Antwort: Das Wunder und die Ordnung, das sind die beiden Gestalten, in denen sich das Reich Gottes auf der Erde darstellt, in die es auseinandertritt. Das Wunder als die Durchbrechung aller Ordnung und die Ordnung als die Erhaltung auf das Wunder hin. Aber 133 Bonhoeffer erwägt in „Was ist Kirche?“ hinsichtlich des zweiten (nicht des ersten, unbedingt apolitischen) Wortes der Kirche die Möglichkeit, die Durchsetzung ihres Gebotes „unter Umständen auf dem Wege einer eigenen Partei“ zu erreichen (DBW 11, aaO., 239). Zunächst ist diesbezüglich festzustellen, dass es sich erstens um einen singulären Gedanken in Bonhoeffers gesamtem Werk handelt, den er nicht weiter verfolgte; zweitens darf nicht übergangen werden, dass es sich bei dem Gedanken der Parteilichkeit lediglich um eine Erwägung handelt, und zwar um eine Option innerhalb jener „letzte[n] Möglichkeit der Kirche“, die der genauesten Selbstprüfung durch die Kirche bedarf. Der Akzent in Bonhoeffers Argumentation liegt folglich weniger in dem Fürspruch der Parteilichkeit als in der Äußerung der Bedenken in dieser Frage. „Es wird […] immer einer ins Letzte gehenden Selbstprüfung bedürfen, ob dieses Gebot wirklich vernommen wurde oder nicht. Es wird sodann immer noch gefragt werden müssen, ob dieses Gebot wirklich eine eigene politische Partei fordert, ob es nicht gerade die Nüchternheit verlange, hier die bestehenden Parteien zu benutzen, d. h. nämlich ob es wirklich gewagt werden soll, die hochpolitische Substanz der Kirche in ihrem ersten Wort jenseits der Parteipolitik dadurch aufs Spiel zu setzen, daß man sie im zweiten Wort selbst in die Parteipolitik eingehen läßt. Ein Fehlgriff hier verletzt die politische Substanz der Kirche und damit ihre Substanz überhaupt aufs empfindlichste. Dennoch darf das zweite Wort mit allen Konsequenzen als eine letzte Möglichkeit der Kirche nicht ausgeschlossen werden. Niemand darf dann hier die Grenze deutlicher sehen als die Kirche, die an der von oben durchbrochenen Grenze steht.“ (Ebd.; Hervorhebung durch F.S.).

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auch das Wunder ganz verhüllt in der Welt der Ordnungen, und die Ordnung sich ganz in ihrer Begrenztheit durch das Wunder haltend. Die Gestalt, in der das Reich Gottes sich als Wunder bezeugt, nennen wir – die Kirche; die Gestalt, in der das Reich Gottes sich als Ordnung bezeugt, nennen wir – den Staat. (DBW 12, aaO., 273)

Das Reich Gottes also nimmt Gestalt an in der Kirche und im Staat. Das Reich Gottes nimmt Gestalt an in der Kirche, sofern die Kirche Zeugnis ablegt von dem Wunder Gottes. Das Zeugnis von der Auferstehung Christi von den Toten, von dem Ende des Todesgesetzes dieser Welt, die unter den Fluch getan ist, von der Macht Gottes in der neuen Schöpfung, ist das Amt der Kirche. (Ebd.) Das Reich Gottes nimmt Gestalt an in der Kirche, sofern hier das Alleinsein des Menschen überwunden ist durch das Wunder der Beichte und Vergebung. (DBW 12, aaO., 274) Das Reich Gottes nimmt Gestalt an im Staat, sofern der Staat und die Ordnung der Erhaltung des Lebens anerkennt und wahrt; sofern er sich verantwortlich weiß, diese Welt vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren und hier gegen die Zerstörung des Lebens seine Autorität geltend zu machen. Nicht Schöpfung neuen Lebens, sondern Erhaltung des gegebenen Lebens ist sein Amt. (DBW 12, aaO., 273) Das Reich Gottes nimmt Gestalt an im Staat, sofern hier die Ordnungen der gegebenen Gemeinschaften in Autorität und Verantwortung erhalten werden. (DBW 12, aaO., 274)

In dem modal und zugleich konditional lesbaren „sofern“ ist angezeigt, dass Staat und Kirche offenbar nur dann als Gestaltwerdung des Reiches Gottes auf Erden verstanden werden können, wenn sie tatsächlich Staat und Kirche sind, d. h. wenn sie den je eigenen ihnen gegebenen Auftrag tatsächlich erfüllen. Verstößt etwa der Staat gegen seinen Auftrag, indem er Leben zerstört, anstatt es zu erhalten, ist fraglich, ob in diesem Staat Gottes Reich noch Gestalt annimmt. Weiterhin betont Bonhoeffer, dass Staat und Kirche als die beiden Gestalten des Reiches Gottes in der Welt immer notwendig aufeinander bezogen sind,134 und zwar durch den gegenseitigen Hinweis der einen auf die jeweils andere. Der Staat weist mit seiner ganzen Autorität, mit der er sich allein verantwortlich weiß für die Ordnung des Lebens, hin auf das Zeugnis der Kirche von der Durchbrechung des Todesgesetzes in der Welt der Auferstehung. Und die Kirche weist mit ihrem Zeugnis von der Auferstehung hin auf das erhaltende, ordnende Tun des Staates in der erhaltenen Welt des Fluches. So zeugen sie beide von dem Reiche Gottes, das ganz Gottes Reich und ganz Reich für uns ist. (DBW 12, aaO., 273 f)

Dabei streicht Bonhoeffer auch in diesem Aufsatz heraus, dass Staat und Kirche im Vollzug ihrer reziproken Bezogenheit zugleich notwendig in einer 134 Vgl. DBW 12, Aufsatz an der Wende zum Jahr 1933: Dein Reich komme! Das Gebet der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden, 273: „Das Reich Gottes ist in unserer Welt nicht anders als in der Zweiheit von Kirche und Staat. Beide sind notwendig aufeinander bezogen. Keines ist für sich. Jeder Versuch des einen, sich des anderen zu bemächtigen, mißachtet diese Bezogenheit des Reiches Gottes auf Erden.“

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Der Ort der „Nachfolge“

ständigen gegenseitigen Begrenzung zueinander stehen. Gerade das Aufeinanderbezogensein bedeutet das vollständige Abgegrenztsein und gegenseitiges Sich-Begrenzen. Die Kirche begrenzt den Staat wie der Staat die Kirche begrenzt. Und beide müssen sich dieser gegenseitigen Begrenzung bewußt bleiben und das gespannte Nebeneinander, das hier nie ein Ineinander sein darf, tragen. Nur so weisen sie beide zusammen, nie eines allein hin auf das Reich Gottes, das hier in so wunderlich doppelter Gestalt sich bezeugt. (DBW 12, aaO., 275) Nur in der echten Beziehung und Begrenzung beider ist das Reich Christi Wirklichkeit.135

Was aber, wenn Staat oder Kirche sich der eigenen Begrenzung nicht länger bewusst ist und die Grenze zum Gegenüber zu überschreiten beginnt? Die Darstellung ist mit dieser Frage im April des Jahres 1933 und dem Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ angelangt.

135 DBW 12, Aufsatz an der Wende zum Jahr 1933: Dein Reich komme! Das Gebet der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden, 276. Zwei Tage nach der Machtübernahme, am 1. 2. 1933, hält Bonhoeffer einen Rundfunkvortrag, „Der Führer und der Einzelne in der jungen Generation“, dessen Kern wesentlich mit den Überlegungen zum Wesen des Staates korrespondiert. Es geht darin um die Frage nach der Grenze der Autorität des Führers, der Begrenztheit seiner Aufgaben und dem Ort, an den der Führer gebunden ist: „Es besteht ein entscheidender Unterschied zwischen der Autorität des Vaters, des Lehrers, des Richters, des Staatsmannes einerseits und der Autorität des Führers andererseits. Jene haben Autorität durch ihr Amt und allein in ihm; der Führer hat Autorität durch seine Person. Die Autorität jener kann angetastet, verletzt werden, aber sie bleibt bestehen; die Autorität des Führers steht jeden Augenblick auf dem Spiel, sie ist in der Hand seiner Gefolgschaft. […] Der Führer wird sich dieser klaren Begrenzung seiner Autorität verantwortlich bewußt sein müssen. Versteht er seine Funktion anders, als sie so in der Sache begründet ist, gibt er nicht dem Geführten immer wieder klar Auskunft über die Begrenztheit seiner Aufgabe und über dessen eigenste Verantwortung, läßt er sich von dem Geführten dazu hinreißen, dessen Idol darstellen zu wollen – und der Geführte wird das immer von ihm erhoffen – dann gleitet das Bild des Führers über in das des Verführers, dann handelt er unsachlich am Geführten wie an sich selbst. Der echte Führer muß jederzeit enttäuschen können. Das gerade gehört zu seiner Verantwortung und Sachlichkeit. Er muß die Geführten von der Autorität seiner Person weg zur Anerkennung der echten Autorität der Ordnungen und des Amtes führen. […] Er dient der Ordnung des Staates, der Gemeinschaft“ (DBW 12, 257 f). Vgl. dazu „Das Wort und Bekenntnis Altonaer Pastoren in der Not und Verwirrung des öffentlichen Lebens“ vom 11. 1. 1933, Artikel 3, letzter Absatz: „Wenn sich die Staatsgewalt zum Herrn über die Gewissen aufwirft, wird sie antichristlich. Der Staat kann nie sagen, welches das Gebot Gottes für den Einzelnen im jeweils vorliegenden Falle ist. Wenn er ins Leben des Einzelnen eingreift, muß er diese Beschränkung seiner Macht vor Augen haben.“ (Zit. n.: Beckmann, Kirchliches Jahrbuch 1933 – 1944, 17 – 22, 20.).

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April bis Oktober 1933

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4.4 April bis Oktober 1933 (Berlin): Die „Judenfrage“ 4.4.1 Bonhoeffers Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ Am 1. 4. 1933 kommt es im Deutschen Reich zum Boykott jüdischer Geschäfte; am 7. April wird das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ und damit der so genannte „Arierparagraph“ verabschiedet, dessen Anwendung von den Deutschen Christen auch für die Kirche eingefordert wird.136 Mit der Umsetzung dieser Forderung wäre jener Fall eingetreten, den Bonhoeffer bereits im Sommer 1932 reflektiert hatte, dass nämlich der Staat durch die Schaffung neuer geschichtlicher Ordnungen (d. h. durch Gesetze) in die Ordnungen der Kirche eingriffe, dass er eine Ordnung schüfe, welche die kirchliche „Verkündigung der Offenbarung nicht mehr zuläßt“.137 Die Notwendigkeit des kirchlichen Urteils über diese „Ordnungen der Welt“, des Redens der Kirche zu derselben138 und des Bekenntnisses der Gemeinde ist jetzt gekommen.139 Acht Tage später, am 15. April, schließt Bonhoeffer seinen Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ (DBW 12, 349 – 358) ab, dessen Argumentationsgang im Folgenden in seinen wichtigsten Punkten nachgezeichnet und unter Berücksichtigung der bisherigen Analyse interpretiert und aufgewiesen wird. Dabei wird deutlich werden, dass in diesem rezeptionsgeschichtlich meistbeachteten Wort Bonhoeffers zur Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat sowie zur Erwägung konkreter Möglichkeiten und Pflichten kirchlichen Handelns dem Staat gegenüber die wesentlichen theologischen Erkenntnisse der vorangegangenen Monate zusammentreffen; auf diese Weise wird der von Eberhard Bethge zurecht aufgeworfenen, aber letztlich unbeantwortet gebliebenen Bemerkung Rechnung getragen, wie Bonhoeffer in der „Judenfrage“ „so schnell zu einem derart klaren Urteil“ kommen konnte (DB 321). Im Anschluss daran wird es möglich sein, die Entwicklung Bonhoeffers hin zur Theologie der „Nachfolge“ und von dort aus zum gewaltsamen Widerstand gegen Hitler und das nationalsozialistische Regime deutlich zu machen. Bonhoeffer beginnt mit einer Problemfeststellung:

136 Vgl. zur „Judenfrage“ Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 322 – 354; Smid, Deutscher Protestantismus; vgl. fernerhin H.E. Tçdt, Judendiskriminierung; Ch.-R. Mller, Bonhoeffers Kampf, die dortige Einleitung sowie 1 – 71; Strohm, Theologische Ethik. 137 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 337. 138 Vgl. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 337. 139 Vgl. dazu DBW 12, Vorlesung im WS 1932/33: Jüngste Theologie. Besprechung und Diskussion systematisch-theologischer Neuerscheinungen, 177: „Kirche soll reden vor der Welt, soll bekennen in der Gemeinde“.

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Der Ort der „Nachfolge“

Die in der Geschichte einzigartige Tatsache, daß der Jude unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit allein um seiner Rassenzugehörigkeit willen vom Staat unter Sonderrecht gestellt wird, gibt dem Theologen zwei neue, getrennt zu behandelnde Probleme auf. (DBW 12, aaO., 350)

Das erste Problem betrifft die Frage der Positionsbestimmung der Kirche zum Staat und zu dessen konkreten Handlungsakten: „Wie beurteilt die Kirche dies staatliche Handeln und welche Aufgabe erwächst ihr daraus?“ Das zweite Problem betrifft die Frage der Positionsbestimmung der Kirche zu den unter Sonderrecht gestellten Judenchristen: „Was ergibt sich für die Stellung der Kirche zu den getauften Juden in den Gemeinden?“ Für den folgenden Argumentationsgang sind sonderlich Bonhoeffers Überlegungen zum ersten der beiden Problemkreise relevant. Gemäß seiner Behauptung, dass beide Fragen „allein von einem rechten Kirchenbegriff her“ beantwortet werden können, setzt Bonhoeffer mit einer reformatorisch-theologischen Bestimmung des Wesens des Staates und der Kirche ein. Die Kirche muss Wesen und Aufgabe des Staates darin sehen, dass er Ordnung schafft „mitten in der chaotischen Gottlosigkeit der Welt“. Der Staat allein ist der Ort des Gesetzes. Von diesem Ort ist die Kirche als der Ort der frohen Botschaft radikal getrennt. Darum gilt, dass sie staatliche Gesetze „weder zu loben noch zu tadeln“ hat. Zwar mag dies „Ordnungsschaffen“ des Staates „vom humanitären Gesichtspunkt aus gesehen“ als „gutes oder schlechtes“ Ordnungsschaffen beurteilbar sein und auch beurteilt werden müssen; eine so beschaffene Beurteilung obliegt der Kirche Jesu Christi aber nicht, denn „sie hat vielmehr den Staat als Erhaltungsordnung Gottes in der gottlosen Welt zu bejahen“ (DBW 12, aaO., 350; Hervorhebung durch F.S.). Sie allein, die vom Kommen Gottes in die Geschichte zeugt, weiß, was Geschichte und daher auch, was der Staat ist. Und eben aus diesem Wissen heraus gibt sie allein Zeugnis von der Durchbrechung der Geschichte durch Gott in Christus und läßt den Staat weiter Geschichte machen. (DBW 12, aaO., 350 f) Sie weiß um die wesenhafte Notwendigkeit der Gewaltanwendung in dieser Welt und um das mit der Gewalt notwendig verbundene „moralische“ Unrecht bestimmter konkreter Akte des Staates. (DBW 12, aaO., 351)

Griffe die Kirche „dem Staat […] in der Weise ins Handwerk […], daß sie dessen geschichtsschaffendes Handeln vom Standpunkt eines irgendwie gearteten, sagen wir : humanitären Ideals her kritisiert“, dann hätte sie vergessen, dass sie „allein vom Evangelium lebt“, dass eben nicht sie, sondern der Staat die Geschichte macht. Die Kirche hätte vergessen, dass sie „primär nicht unmittelbar politisch handeln [kann]; denn die Kirche maßt sich keine Kenntnis des notwendigen Geschichtsverlaufes an“ (DBW 12, aaO., 351). Dieses unmittelbar politische Handeln ist wohl einer Kirche möglich, die „wesentlich als eine Kulturfunktion des Staates“ betrachtet wird, einer Kirche,

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der „wesentlich moralisch-pädagogische Aufgaben“ zugeschrieben werden, nicht aber der „wahre[n] Kirche Christi“.140 Die Aufgaben kirchlichen Handelns sind damit auf einer grundsätzlichen Ebene in Richtung auf ihre Begrenzung angezeigt. 1. Die Kirche versteht und bejaht den Staat als „Erhaltungsordnung Gottes in der gottlosen Welt“ (DBW 12, aaO., 350). 2. Aus „diesem Wissen heraus gibt sie allein Zeugnis von der Durchbrechung der Geschichte durch Gott in Christus“ (DBW 12, aaO., 350 f). 3. Kirchliche Kritik am Handeln des Staates versteht Bonhoeffer als „unmittelbar politisches Handeln“ der Kirche (DBW 12, aaO., 351), d. h. als wirklich, als genuin politisches Handeln. 4. Weil sie selbst sich damit die Kenntnis und die Fähigkeit geschichtsschaffenden Handelns anmaßte, ist ein solches Handeln für die Kirche unmöglich. Für die konkrete Ebene ergibt sich daraus: Die Kirche „kann also auch in der Judenfrage heute nicht dem Staat unmittelbar ins Wort fallen und von ihm ein bestimmtes andersartiges Handeln fordern“ (DBW 12, aaO., 351). Aus der Bestimmung der Begrenzung kirchlichen Handelns folgt jetzt bei Bonhoeffer die Bestimmung der (verpflichtenden) Möglichkeiten kirchlichen und christlichen Handelns dem Staat gegenüber ; denn dass die Kirche nicht unmittelbar politisch handeln kann, „bedeutet nicht, daß sie teilnahmslos das politische Handeln an sich vorüberziehen läßt“. Und dass es durchaus Möglichkeiten politischen Handelns der Kirche gibt, hat sich bereits in dem Zusatz „primär“ angedeutet, der sich in der Ablehnung unmittelbar politischen Handelns findet (DBW 12, aaO., 351): Dass die Kirche nicht primär unmittelbar politisch handeln kann, schließt ein sekundär politisches Handeln nicht aus, sondern fordert es implizit ein. Es sind drei Möglichkeiten kirchlichen Handelns dem Staat gegenüber, die Bonhoeffer benennt. Die eine (von Bonhoeffer im Text als zweite genannte) Möglichkeit ist die diakonische Pflicht der Kirche zum „Dienst an den Opfern des Staatshandelns“: „Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in 140 DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 351. An dieser Stelle benennt Bonhoeffer eine Möglichkeit durchaus christlichen – aber eben nicht kirchlichen! – Handelns dem Staat gegenüber. Diese christliche Möglichkeit hatte er bereits in der Besprechung von F. Gogartens „Politische Ethik“ erwogen. Dem einzelnen Christen, der mit der „besseren Gerechtigkeit“ auch um die Relativität des Staatrechts weiß, ist immer auch das Recht „relative[r] Kritik […] am Staat“ gegeben. Diese Kritik, so hatte Bonhoeffer gesagt, ergibt sich insonderheit aus der Erfahrung, dass die „christliche[…] Liebesordnung“ und die „Gewaltordnung des Staates in Spannung stehen“ (DBW 12, Vorlesung im WS 1932/33: Jüngste Theologie. Besprechung und Diskussion systematisch-theologischer Neuerscheinungen, 167; siehe oben Kap. 4.3). In „Die Kirche vor der Judenfrage“ ist jene relative Kritikmöglichkeit des Einzelnen im Kontrast zum grundsätzlichen Kritikunrecht der Kirche aufgenommen: „Es bleibt die Sache der humanitären Verbände und einzelner sich dazu aufgerufen wissender christlicher Männer, dem Staat die moralische Seite seiner jeweiligen Maßnahmen zu Gesicht zu bringen, d. h. gegebenenfalls den Staat des Verstoßes gegen die Moral zu verklagen. Und jeder starke Staat braucht solche Verbände und solche einzelnen Persönlichkeiten und wird ihnen eine gewisse reservierte Pflege angedeihen lassen. Es ist eine Einsicht in die feinere Staatskunst, die sich diese Einrede in ihrer relativen Bedeutung zunutze zu machen weiß.“ (DBW 12, 351; Hervorhebung durch F.S.).

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unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde zugehören.“141 Neben diese diakonische Verpflichtung treten nun zwei in unterschiedlicher Weise politische Möglichkeiten kirchlichen Handelns. Zuletzt hatte Bonhoeffer diese beiden Möglichkeiten in dem Aufsatz „Was ist Kirche?“ vorgestellt; erstmals finden sie sich, wie im vorangegangenen Abschnitt dargelegt, am Schluss der Vorlesung über „Das Wesen der Kirche“ aus dem Sommersemester 1932. Die Kriterien für die äußerste Möglichkeit des kirchlichen Wortes sind ebenfalls in dieser Vorlesung und vor allem in dem Vortrag „Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit“ (Juli 1932) festgelegt. Die erste politische „Möglichkeit kirchlichen Handelns dem Staat gegenüber“ ist „die an den Staat gerichtete Frage nach dem legitim staatlichen Charakter seines Handelns, d. h. die Verantwortlichmachung des Staates“ (DBW 12, aaO., 353). Die Kirche kann und soll, gerade weil sie nicht im einzelnen Fall moralisiert, den Staat immer wieder danach fragen, ob sein Handeln von ihm als legitim staatliches Handeln verantwortet werden könne, d. h. als Handeln, in dem Recht und Ordnung, nicht Rechtlosigkeit und Unordnung, geschaffen werden. (DBW 12, aaO., 351)

Grundsätzlich gesprochen: „Sie wird diese Frage mit allem Nachdruck dort zu stellen aufgerufen sein, wo der Staat gerade in seiner Staatlichkeit, d. h. in seiner mit Gewalt Recht und Ordnung schaffenden Funktion bedroht erscheint.“ (DBW 12, aaO., 351 f) Konkret gesprochen: „Sie wird diese Frage heute in bezug auf die Judenfrage in aller Deutlichkeit stellen müssen.“ (DBW 12, aaO., 352) Diese erste Möglichkeit bzw. Pflicht kirchlichen Redens ist nun gerade darin politisch zu nennen, dass dies Reden an den Staat gerichtetes Reden ist. Es ist aber nur darum und insofern politisch zu nennen, als es apolitisches Reden ist, als es gerade nicht in die Politik (d. h. in das geschichtsschaffende Handeln des Staates) hineingreift. Die Kirche

141 DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 353. Die Besonderheit dieser Möglichkeit liegt darin, dass Bonhoeffer hier deutlich über die eigene Ausgangsfrage hinausgeht. Hatte er zu Beginn seines Aufsatzes angekündigt, „die Stellung der Kirche zu den getauften Juden in den Gemeinden“ klären zu wollen, umfasst der Dienst der Kirche gerade nicht allein Judenchristen, sondern ebenso nicht getaufte Juden. Theologisch-argumentativ ungewöhnlich ist für Bonhoeffer, dass er die eingeforderte Pflicht zum Dienst an den Opfern des Staatshandelns an dieser Stelle nicht christologisch begründet, eine Besonderheit, auf die noch zu rekurrieren sein wird. Ebenso ist zu beachten, dass er hier zwar in ganz konkreter Hinsicht Juden und Judenchristen im Blick hat, dass aber nicht nur die „Judenfrage“, sondern ebenso die Armutsfrage in Deutschland Bonhoeffer umtreibt. Auch in dieser Frage greift die zweite von ihm genannte Pflicht kirchlichen Handelns, der Dienst an den Notleidenden (vgl. in diesem Zusammenhang etwa Bonhoeffers Ansprache in Gland am 28. 8. 1932: „Grauenvoller als je zuvor spitzen sich die Dinge zu – Millionen hungernder Menschen […] – gedemütigte Völker“, DBW 11, 354). Siehe oben Kap. 4.1.

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greift damit gerade nicht in die Verantwortlichkeit des staatlichen Handelns ein, sondern schiebt im Gegenteil dem Staat selbst die ganze Schwere der Verantwortung für das ihm eigentümliche Handeln zu. Sie befreit den Staat so von jedem moralisierenden Vorwurf und weist ihn eben hierdurch in seine ihm vom Erhalter der Welt angeordnete Funktion. (DBW 12, aaO., 352)

Die Funktion des Staates, der ganz dem Gebot der Erhaltung der Welt unterstellt ist, besteht, so wurde gesagt, im Schaffen von „Recht und Ordnung“ (DBW 12, aaO., 352). Dies allein ist (von der Position der Kirche aus betrachtet) die Pflicht des Staates, während die Kirche der Ort der Verkündigung des Evangeliums ist, d. h. der „Durchbrechung der Geschichte durch Gott in Christus“ (DBW 12, aaO., 350 f). Für sie gilt: Solange der Staat Recht und Ordnung schaffend handelt – und sei es auch neues Recht und neue Ordnung – kann sich die Kirche des Schöpfers, Versöhners und Erlösers nicht unmittelbar politisch handelnd gegen ihn wenden. Sie vermag freilich den einzelnen sich dazu aufgerufen wissenden Christen nicht daran zu verhindern [sic!], den Staat gegebenenfalls als „unhuman“ anzuklagen, aber sie wird als Kirche nur danach fragen, ob der Staat Ordnung und Recht schafft oder nicht. (DBW 12, aaO., 352)

Was aber, wenn Recht und Ordnung gefährdet sind, wenn der Staat statt Recht Unrecht und solche „Ordnungen“ schafft, die nicht mehr der Erhaltung dienen, sondern mit dem die Welt erhaltenden Willen Gottes in Widerspruch treten? Dass es über das erste Wort der Kirche hinaus noch ein zweites gibt, ist im Text des Aufsatzes durch das von Bonhoeffer konditional verwendete „solange“ bereits mitgesetzt. Offensichtlich hat zu gelten: Wenn der Staat nicht mehr Recht und Ordnung schaffend handelt, dann kann sich die Kirche des Schöpfers, Versöhners und Erlösers unmittelbar politisch handelnd gegen ihn wenden. Welches aber sind die Kriterien zur Feststellung jenes staatlichen Versagens? Wie kann die Kirche erkennen, ob Recht und Ordnung gefährdet sind, wenn doch gilt, dass sie allein um die Durchbrechung der Geschichte weiß, nicht aber über eine „Kenntnis des notwendigen Geschichtsverlaufes“ (DBW 12, aaO., 351) verfügt? Bonhoeffer greift jetzt theologisch zurück auf die im Sommer 1932 entfalteten Gedanken, die hier noch einmal in Erinnerung zu rufen seien. In „Das Wesen der Kirche“ hatte er über die Beziehung von Staat und Kirche gesagt: „Wo sie der bedroht, kämpft sie gegen den Staat. […] [sc. Kirchlichen] Gehorsam gegen [den] Staat [gibt es] nur dann, wenn [der] Staat das Wort nicht bedroht.“ Daraus folgt: Wenn der Staat das Wort bedroht, dann muss der „Kampf um die Grenze […] ausgefochten werden!“142 Die Grenze des staatlichen Handelns ist folglich zugleich die Grenze der Kirche. Die Grenze ist die kirchliche Verkündigung des Evangeliums, d. h. letztlich Christus selbst. Diese Bestimmung findet ihre exakte Entsprechung in dem Vortrag „Zur 142 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 302 f; Hervorhebung durch F.S.

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theologischen Begründung der Weltbundarbeit“, wenn Bonhoeffer dort „Wahrheit und Recht“ als Grenzen einer jeden bestehenden bzw. geschaffenen Ordnung in der Welt ausweist. Bedroht eine Ordnung Wahrheit und Recht des Evangeliums, verschließt sie sich in sich selbst und lässt die Verkündigung der Offenbarung nicht mehr zu, dann muss sie zerbrochen werden.143 Das Kriterium der kirchlichen Beurteilung staatlichen Handelns, so wurde gezeigt, liegt begründet in der Beurteilung der Frage, ob staatliches Handeln und kirchliche Verkündigung (noch) vereinbar sind oder nicht. Erkennt die Kirche, dass der Staat eine Ordnung in der Welt schafft, welche „sich in sich selbst […] verhärtet und die Verkündigung der Offenbarung nicht mehr zuläßt“,144 dass er durch sein Handeln „Wahrheit und Recht“ des Evangeliums „vergewaltigt“145 und also dadurch seine Grenzen überschreitet und die Kirche „bedroht“,146 dann vernimmt die Kirche aus diesem ihre eigene Existenz und damit zugleich die des Staates gefährdenden Handeln das Gebot, das sie in konziliarer Entscheidung und in Abgrenzung häretischer Sätze gewinnt und kritisch und im Kampf um die Rückgewinnung der Grenzen bekennend dem Staat entgegenrichtet. Sie wird mit der Forderung an ihn herantreten, diese bestimmte (von ihm aufgerichtete) Ordnung zu brechen. So findet der Staat in dem kirchlichen Wort „eine kritische Grenze seiner Möglichkeiten und wird die Kirche so als Kritik seines Tuns beachten müssen“.147 Zu „Die Kirche vor der Judenfrage“ zurückkehrend, wird deutlich, dass diesem Aufsatz dieselben Annahmen zugrundeliegen. Indem der Staat im Bewusstsein seiner Funktion, Recht und Ordnung zu schaffen, existiert (und er existiert als Staat nur dann, wenn er Recht und Ordnung schafft, vgl. DBW 12, aaO., 353), weiß die Kirche ihn zugleich in „doppelter Begrenzung“: Recht und Ordnung sind gefährdet, wenn der Staat entweder zu wenig oder aber zu viel Recht und Ordnung schafft. „Ein Zuwenig ist jedesmal dort vorhanden, wo eine Gruppe von Menschen rechtlos wird“, wobei selbstredend zu gelten hat, dass „es in concreto jeweils außerordentlich schwierig sein wird, wirkliche Rechtlosigkeit von einem wenigstens formaliter zugebilligten Minimum von Recht zu unterscheiden“ (DBW 12, aaO., 352). Denn „der Begriff des Rechtes [ist] geschichtlichen Wandlungen unterworfen […], was […] seinerseits gerade den Staat wieder in seinem eigentümlichen geschichteschaffenden Recht bestätigt. Nicht die Kirche, sondern der Staat schafft und wandelt das Recht.“ Dem „Zuwenig an Ordnung und Recht“ steht nun das „Zuviel an Ordnung und Recht gegenüber“, welches „besagt, daß der Staat seine Gewalt so ausbaut, daß er der christlichen Verkündigung und dem christlichen Glauben […] sein 143 Vgl. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 337. 144 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 337; vgl. auch DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 303. 145 DBW 11, Thesen zum Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 346; Hervorhebung durch F.S. 146 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 302. 147 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 343.

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eigenes Recht raubt“ (DBW 12, aaO., 353). Indem der Staat aber in der Weise, dass er – etwa durch neue Gesetzgebungen – in die kirchliche Verkündigung eingreift, die Grenze der Kirche von außen her antastet und auch seine eigene Grenze überschreitet, befindet er sich „im Akt der Selbstverneinung“ (DBW 12, aaO., 354). Denn – bezogen auf das „Zuviel an Ordnung und Recht“ – allein von der ihm eigenen Grenze, die ihm „erst von dieser [sc. der kirchlichen] Verkündigung und diesem [sc. dem christlichen] Glauben her“ gesetzt ist, erhält der Staat „sein eigentümliches Recht“ (DBW 12, aaO., 353). Überschreitet er die Grenze, entthront er folglich sich selbst.148 Der Staat verneint sich selbst aber auch im Fall eines „Zuwenig an Ordnung und Recht“; denn er wendet seine Autorität dann ja nicht mehr verantwortlich für die Erhaltung des Lebens und für die Bewahrung der Welt auf, sondern macht sie gegen seinen Auftrag geltend.149 Auf die allgemeine Überlegung eines „Zuwenig“ sowie eines „Zuviel an Ordnung und Recht“ folgt in Bonhoeffers Text die konkrete Fassung, die nun ganz direkt die aktuellen Ereignisse in Deutschland gegenüber der jüdischen und judenchristlichen Bevölkerung in den Blick rückt und das Vorhaben der Deutschen Christen, den „Arierparagraphen“ auch in die Kirche einzuführen, anspricht: Ein Zuwenig läge vor bei der Rechtlosmachung irgendeiner Gruppe von Staatsuntertanen, ein Zuviel läge dort vor, wo vom Staate her in das Wesen der Kirche und ihre Verkündigung eingegriffen werden sollte, d. h. etwa in dem zwangsmäßigen Ausschluß der getauften Juden aus unseren christlichen Gemeinden, in dem Verbot der Judenmission. (DBW 12, aaO., 354)

Versagt der Staat in seiner Recht und Ordnung schaffenden Funktion, indem er in der „Judenfrage“ entweder ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht schafft, dann muss die Kirche „die Existenz des Staates und auch ihre eigene Existenz bedroht sehen“ (DBW 12, aaO., 354), und das bedeutet: Jetzt, da – wie es in „Das Wesen der Kirche“ heißt – der Staat die Kirche bedroht,150 ist die Kirche unmittelbar politisch zu handeln fähig, mehr noch: Sie ist unmittelbar politisch zu handeln verpflichtet. Jetzt muss der „Kampf um die Grenze […] ausgefochten werden!“151 Diesen Übergriff der staatlichen Ordnung muß die Kirche zurückweisen, eben aus ihrem besseren Wissen um den Staat und die Grenzen seines Handelns. (DBW 12, aaO., 353) Sowohl ein Zuwenig an Ordnung und Recht als auch ein Zuviel an Ordnung und Recht zwingt die Kirche zum Reden. (DBW 12, aaO., 352) 148 Vgl. DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 353. „Der Staat, der die christliche Verkündigung gefährdet, verneint sich selbst.“ (Ebd.). 149 Vgl. hierzu DBW 12, Aufsatz an der Wende zum Jahr 1933: Dein Reich komme! Das Gebet der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden, 273. 150 Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 302. 151 DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 303.

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Überschreitet der Staat seine Grenze und die der Kirche, ist sein Handeln nicht mehr als legitim staatliches Handeln verantwortbar, dann ist die Kirche aufgefordert, über die an den Staat gerichtete ob-Frage hinaus (d. h. über die Frage hinaus, „ob sein Handeln von ihm als legitim staatliches Handeln verantwortet werden könne“, DBW 12, aaO., 351) ein zweites, und zwar ein genuin politisches Wort an den Staat zu richten: Diese äußerste Möglichkeit kirchlichen Handelns besteht darin, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen. Solches Handeln wäre unmittelbar politisches Handeln der Kirche und ist nur dann möglich und gefordert, wenn die Kirche den Staat in seiner Recht und Ordnung schaffenden Funktion versagen sieht, d. h. wenn sie den Staat hemmungslos ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht verwirklichen sieht. (DBW 12, aaO., 353 f)

Verdeutlichend: Entscheidend für das Verständnis jener bei Bonhoeffer eben nun doch gegebenen Möglichkeit unmittelbar politischen Handelns der Kirche ist die konditionale Struktur, die dieser Möglichkeit zugrunde liegt. Es handelt sich gerade nicht um eine grundsätzliche Möglichkeit der Kirche, keine Möglichkeit also, die ihr wesenhaft eignete („Die Kirche kann primär nicht unmittelbar politisch handeln“, DBW 12, aaO., 351); es handelt sich um eine Möglichkeit, die der Kirche unter bestimmten Voraussetzungen gegeben ist, nämlich dann (und nur dann), wenn sie den Staat als Staat versagen sieht, d. h. wenn er die ihm gesetzten Grenzen, Recht und Ordnung, entweder nach unten oder nach oben hin überschreitet. Dann nämlich dient der Staat nicht mehr der Erhaltung der Welt (vgl. DBW 12, aaO., 350) und ist, indem er die Kirche antastet, dadurch sogleich in seiner eigenen „Staatlichkeit“ bedroht (DBW 12, aaO., 352). Unter der konkret gegebenen Bedingung, dass sie „den Staat in seiner Recht und Ordnung schaffenden Funktion versagen sieht“, kann die Kirche unmittelbar politisch, und zwar (so kann in Anknüpfung an das von Bonhoeffer abgelehnte primäre unmittelbar-politische Handeln gesagt werden) sekundär unmittelbar politisch handeln. Die Kirche kann unmittelbar politisch (d. h. also tatsächlich politisch) handeln, aber nur uneigentlich (d. h. in bestimmten geschichtlichen Situationen). Unmittelbar politisches Handeln (d. h. Handeln im Sinne echten politischen Handelns) gibt es für die Kirche nur als mittelbar-unmittelbar politisches Handeln (d. h. vermittelt durch den die Kirche antastenden und sich selbst verneinenden Staat in der jeweiligen Situation).152 152 Scholder hatte auf einer Tagung der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte in Rengsdorf im Juni 1974 „vehement die Ansicht“ vertreten, „Bonhoeffer habe in seinem Vortrag ,Die Kirche vor der Judenfrage‘ nur von einem ,mittelbar‘ politischen Handeln der Kirche auf der dritten, dringlichsten Stufe gesprochen“ (Feil, Die Theologie [Nachwort zur 4. Aufl.], 408. Ich danke Ernst Feil für die Einsicht in das von Scholder in Rengsdorf vorgelegte Thesenpapier, Scholder, 18 Thesen). Zurecht ist Scholders Interpretation widersprochen worden, insbesondere durch den von Feil erbrachten Nachweis, dass in

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Dabei muss sodann deutlich werden, dass die Kirche nicht nur durch die ersten beiden Handlungsweisen „[…] dem freien Staat in ihrer freien Weise [dient]“ und sich gerade „in Zeiten der Rechtswandlung […] diesen beiden Aufgaben keinesfalls entziehen [darf]“ (DBW 12, aaO., 353), sondern dass „auch dieses dritte Handeln der Kirche, das gegebenenfalls in den Konflikt mit dem Staat führt, […] nur der paradoxe Ausdruck ihrer letzten Anerkennung des Staates [ist], ja die Kirche selbst weiß sich hier aufgerufen, den Staat als Staat vor sich selbst zu schützen und zu erhalten“. Auch dann, wenn der Staat „sich eine vergewaltigte Kirche eingliedert“ und damit „[…] seinen treuesten Diener verloren [hat]“ (DBW 12, aaO., 354), dient die Kirche dem Staat, indem sie nun unmittelbar politisch handelt, indem sie selbst in das Rad der Geschichte eingreift.153 Es bleibt am Text des Aufsatzes zu konkretisieren, was mit jenem „unmittelbar politische[n] Handeln der Kirche“ ganz konkret gemeint ist. Was besagt Bonhoeffers Aussage des April 1933, die Kirche könne und müsse „dem Rad […] in die Speichen fallen“? Das bis hierher Gesagte hat gezeigt, dass Bonhoeffer mit jener dritten Möglichkeit kirchlichen Handelns nicht etwa eine Tat im Sinne eines politisch-revolutionären Akts erwägt.154 Unmittelbar politisches Handeln der Kirche ist vielmehr das gebietende bzw. verbietende Wort

Bonhoeffers Aufsatz von unmittelbar und nicht, wie im Druck fälschlicher Weise erschienen (vgl. GS II, 48), von mittelbar politischem Handeln die Rede ist (vgl. Feil, aaO., 264, Anm. 105, und die dort angeführte Literatur zu dieser Debatte). Übersehen wurde hier aber, dass Scholders Überlegungen auch Zutreffendes benennen. In These 4 verweist Scholder auf die „Überzeugung Karl Barths, daß dort, wo es um das Wort Gottes geht […] eine Unterscheidung zwischen ,Bekennen‘ und ,Handeln‘ (W. Gerlach) nicht möglich ist.“ Denn, so sagt es Barth in KD I/1, 149 (siehe dazu unten Anm. 156 dieses Kapitels) – und in dieser Überzeugung sei ihm, so Scholder, die Bekennende Kirche gefolgt – „gerade als bloßes Wort ist es [sc. das Wort Gottes] Tat“ (zit. n.: Scholder, 18 Thesen, These 4). Daran schließt die fünfte als eine Doppelthese an: „In diesem Sinne wurde ein eigenes und unmittelbar politisches Handeln der Kirche um bestimmter Ideale willen (Humanismus, Sozialismus, Demokratie) als Abfall von ihrem Auftrag verstanden.“ In Aufnahme von Bonhoeffers Aufsatz schließt Scholder: „Die Kirche sollte immer nur mittelbar politisch handeln können und immer nur so, daß und indem sie ihren Auftrag, die Predigt des Evangeliums, ausrichtete.“ Es ist Scholder darin zuzustimmen, dass ein unmittelbar politisches Handeln der Kirche, wenn es als primär-politisches, d. h. als eigentlich-unmittelbares Handeln verstanden würde und geschähe, tatsächlich einen Abfall von ihrem Auftrag bedeutete. Auch scheint Scholder das „Handeln“ der Kirche als „Wort der Kirche“ und das „Wort der Kirche“ als wirkliche und eigentliche „Tat“ aufgefasst zu haben, eine Deutung, der im Folgenden entsprochen wird. Es ist ihm aber darin zu widersprechen, das oben als sekundär-politisch, uneigentlich-unmittelbar politisch bezeichnete Handeln als „mittelbar“ auszuweisen; Bonhoeffer wollte gerade dieses Handeln der Kirche, das das Zuwiderhandeln des Staates gegen den ihm gegebenen Auftrag zur Voraussetzung hat, als unmittelbar und eben nicht als mittelbar politisches Handeln der Kirche verstanden wissen. Hierin zeichnet sich sein Ansatz aus. 153 Vgl. zur Herkunft der auf Max Weber zurückgehenden Wendung „dem Rad selbst in die Speichen […] fallen“ Huber, Sozialethik als Verantwortungsethik, 61 f, Anm. 25. 154 Siehe zu üblichen Interpretationen der Stelle ausführlich unten Anm. 169.

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der Kirche zu den konkreten politischen Geschehnissen,155 wobei für Bonhoeffer gerade dieses Wort der Kirche in eigentlichstem Sinne Tat ist.156 Diese für die Bewertung der Theologie Bonhoeffers und deren Entwicklung entscheidende Behauptung wird fernerhin dadurch gestützt, dass Bonhoeffer die „Notwendigkeit des unmittelbar politischen Handelns der Kirche“ grundsätzlich, und so auch in der gegebenen konkreten historischen Situation des „Arierparagraphen“, an die Entscheidung eines „evangelischen Konzil[s]“ bindet, dessen Relevanz in Bonhoeffers Denken oben bereits dargelegt worden ist. In der Judenfrage werden für die Kirche heute die beiden ersten Möglichkeiten verpflichtende Forderungen der Stunde. Die Notwendigkeit des unmittelbar politischen Handelns der Kirche hingegen ist jeweils von einem „evangelischen Konzil“ zu entscheiden und kann mithin nie vorher kasuistisch konstruiert werden. (DBW 12, aaO., 354)

Findet der „Arierparagraph“ tatsächlich Eingang in die Kirche, werden Judenchristen aus den Gemeinden ausgeschlossen und wird die Mission an Juden gesetzlich verboten, dann ist damit „der christlichen Verkündigung und dem christlichen Glauben […] sein eigenes Recht geraubt“ (DBW 12, aaO., 353), dann ist schon damit ein „Zuviel“ (und letztlich auch ein „Zuwenig“) an Ordnung und Recht gegeben, dann „muß sie [sc. die Kirche] die Existenz des Staates und damit auch ihre eigene Existenz bedroht sehen“, dann „befände sich die christliche Kirche in statu confessionis“ (DBW 12, aaO., 354). Es ist dann das Konzil, das als höchstes kirchliches Organ über rechte Lehre und Irrlehre, über Bekenntnis und Häresie zu entscheiden, die Situation zu beurteilen und – gegebenenfalls – unmittelbar politisches Handeln der Kirche einzuleiten hätte. Das Konzil schafft das Dogma.157 Seine bekennenden Entscheidungen, deren äußerste die Scheidung von der Irrlehre ist, sind bin-

155 Vgl. DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 352: „Sowohl ein Zuwenig an Ordnung und Recht als auch ein Zuviel an Ordnung und Recht zwingt die Kirche zum Reden.“ (Hervorhebung durch F.S.; „Zuwenig“ und „Zuviel“ in Bonhoeffers Text hervorgehoben). 156 Vgl. K. Barth, KD I/1: „Das Wort Gottes bedarf keiner Ergänzung durch die Tat. Das Wort Gottes ist selbst die Tat Gottes. […] Das Wort Gottes macht im eminentesten Sinn Geschichte.“ (K. Barth, aaO., 148) „Das ist ja der Unterschied der Tat vom Wort: Bloßes Wort ist bloße Selbstäußerung einer Person. Tat ist darüber hinaus die von ihr ausgehende relative Veränderung der Umwelt. Bloßes Wort ist passive, Tat ist darüber hinaus aktive Teilnahme an der Geschichte. Aber für das Wort Gottes gelten diese Unterschiede gerade nicht. Denn gerade als bloßes Wort ist es Tat. Ist es doch als bloßes Wort die göttliche Person, die Person des Herrn der Geschichte, dessen Selbstäußerung als solche Veränderung und zwar absolute Veränderung der Welt, dessen passio in der Geschichte als solche actio ist. Was Gott tut, indem er redet, das läßt sich nun freilich genau so, wie das, was er sagt, weder reproduzierend noch vorwegnehmend allgemein bestimmen.“ (K. Barth, aaO., 149). 157 Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 286 f.

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dend.158 Das Konzil bestimmt das konkrete Gebot als Gottes uns hier und jetzt gebotenen Willen.159 Dieses Gebot bestimmt die konziliare Versammlung der Kirche vollmächtig, in der größtmöglichen Kenntnis der Wirklichkeit, im Wagnis und im Wissen um die Gefahr, mit ihrem Wort irren zu können, aber gerade und zugleich auch im Glauben und in der Gewissheit, dass auch sie, die Kirche, unter der Sündenvergebung steht.160 So spricht die Kirche „zur Christenheit, daß sie ihr Wort als Gebot Gottes höre, wie es aus der Sündenvergebung herkommt“. Und so spricht die Kirche „zur Welt, daß sie die Zustände ändere“.161 Gerade darin ist ihr Wort politisch – und für dieses politische Wort der Kirche gilt: Die Welt kann die wahre Stimme der Kirche nicht hören, auch der Staat nicht, die Stimme der Kirche kann ihm nicht Autorität sein, aber er findet in ihr eine kritische Grenze seiner Möglichkeiten und wird die Kirche so als Kritik seines Tuns beachten müssen.162

Die Betrachtung des Aufsatzes „Die Kirche vor der Judenfrage“ sei nun mit einer Bemerkung zur christologischen Ausrichtung dieser Schrift beschlossen, deren erster, hier zur Darstellung gebrachter Teil sich gerade darin von Bonhoeffers gewohnter theologisch-systematischer Argumentation unterscheidet, dass er auf beinahe jede explizite christologische Begründung und Verankerung verzichtet. Dieser Umstand fällt insbesondere angesichts der christologischen Konzentration auf, die in der „Christologie“-Vorlesung des folgenden Sommersemesters 1933 ihren akademischen Höhepunkt erreichen wird. Anders als in fast allen Schriften der vorangegangen Zeit findet sich in „Die Kirche vor der Judenfrage“ kein Hinweis darauf, dass die Kirche der Christus praesens in der Welt ist und sich unbedingt auch als dieser zu verstehen habe, weil sie ja nur so das Gebot vollmächtig finden und verkündigen kann.163 Ebenso verzichtet Bonhoeffer in diesem Aufsatz darauf, das Kriterium gebotenen und verbotenen staatlichen Handelns (nämlich die Erhaltung der Welt: Der Staat ist die „Erhaltungsordnung Gottes in der gottlosen Welt“, DBW 12, aaO., 350), christologisch zu begründen und abzusichern. Dass die Erhaltung der Welt allein um Christi Willen und auf Christus hin geschieht,164 wird nicht eigens betont. Dadurch fehlt im Text auch der Bonhoeffer sonst 158 Vgl. DBW 12, 85; dazu den Bericht der „Jungen Kirche“ in der Juni-Ausgabe 1933, abgedruckt in: DB 339. 159 Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 286 f, und DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 332 und 338. 160 Vgl. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 334. 161 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 343. 162 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 343. 163 Vgl. z. B. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 331 f; siehe dazu oben Kap. 4.2. 164 So v. a. in DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 337.

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wichtige Gedanke, dass die Erhaltung der Welt weder Selbstzweck ist noch um der Welt Willen geschieht, sondern eben allein durch Christus, um seinetwillen und auf ihn hin. Die Begründung und der Wert der Erhaltung der Welt kommt ja, um eine Formulierung des Sommers 1932 aufzunehmen, nach Bonhoeffer stets „ganz von außen her, von Christus her, von der neuen Schöpfung her“.165 Nun ist diese Bemerkung, dass das Kriterium der Erhaltung als das Kriterium unmittelbar politischen Handelns der Kirche bei Bonhoeffer theologisch ganz in der Christologie wurzelt, für das Verständnis des Textes nicht unerheblich. Denn es damit gesagt, dass die Kriterien zur (konziliar zu treffenden) Feststellung eines „Zuwenig“ oder eines „Zuviel an Ordnung und Recht“ in eigentlichem Sinne christologisch bestimmt und gerade darum eben nicht etwa von einem idealen – etwa humanitären – Standpunkt aus zu finden sind.166 Dass Bonhoeffer auf die Ausführung jener sonst für ihn so wichtigen christologischen Voraussetzungen verzichtet, verdeutlicht, wie dringlich es ihm war, sogleich auf die Anstrengungen der Deutschen Christen zu reagieren. Offenbar war die Situation des „Zuwenig an Ordnung und Recht“ in Gestalt der Rechtlosmachung der jüdischen Bevölkerung, die öffentlich und in organisierter Form im Deutschen Reich am 1. April ihren Anfang nimmt167 und dann, Schritt für Schritt, weiter vollzogen wird, für Bonhoeffer mit der neuen Gesetzeslage und -forderung so offensichtlich gegeben und so unbedingt ein Reden und Handeln der Kirche notwendig, dass bestimmte christologische Erwägungen und Bestimmungen über das Wesen der Kirche hinter die Überlegungen zu den Aufgaben und Pflichten der Kirche zurücktreten. Angesichts dieses Zurücktretens einer expliziten christologischen Verankerung der Argumentation fällt umso mehr Bonhoeffers Festhalten an der Forderung eines „evangelischen Konzils“ (DBW 12, aaO., 354) auf, die in der Überzeugung begründet liegt, dass allein das kirchliche Konzil das Gebot vollmächtig bestimmen und ebenso vollmächtig verkündigen kann. Vor dem Hintergrund dieser Kenntnis ist Bonhoeffers Antwort auf die „Judenfrage“ zu lesen als die Einforderung von Konzil und konziliarer Entscheidung der Kirche. Weil auch die Forderung des Konzils im Aufsatz letztlich ohne Begründung bleibt und Bonhoeffer auf nähere Bestimmungen dessen verzichtet, welches Wesen, welche Aufgaben und Möglichkeiten seines Erachtens einem 165 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 337. 166 Das Adverb „hemmungslos“ in Bonhoeffers Text – die Kirche kann nur dann unmittelbar politisch handeln, „wenn sie den Staat hemmungslos ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht verwirklichen sieht“ (DBW 12, Vortrag vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 354; Hervorhebung durch F.S.) – vermag ja durchaus den Eindruck zu suggerieren, als lägen jene Kriterien allein im Handeln des Staates selbst, als müsse erst ein eindeutig nicht mehr erträgliches Maß dieses Handelns erreicht sein, sodass kein Zweifel mehr über die Grenzüberschreitung bestünde. 167 Vgl. die besondere Darstellung der mentalitätsgeschichtlichen Voraussetzungen der Rechtlosmachung der Juden in Deutschland bei Gremmels, Nachschrift, 31 ff.

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Konzil zukommen, wird für damalige Leserinnen und Leser allerdings die Notwendigkeit jener Forderung kaum hinreichend plausibel geworden sein. 4.4.2 Zu Bonhoeffers Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche im April 1933: Thesen zu Möglichkeiten, Pflichten und Grenzen kirchlichen Widerstands Die Wendung, mit der Dietrich Bonhoeffer im April 1933 die äußerste Möglichkeit kirchlichen Handelns dem Staat gegenüber beschrieb – „dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“ – ist zu einer Metapher des politisch organisierten Widerstands geworden, dem sich Bonhoeffer 1939 anschloss, den er verantwortete und den er ebenso theologisch reflektierte. Dieser Satz scheint die Brücke von der politisch herausgeforderten Theologie um 1933 und der Theologie der Konspiration zu schlagen. Eberhard Bethge hat in einem seiner frühesten Aufsätze über Dietrich Bonhoeffer als erster auf eine solche innere Verbindung zwischen beiden Werk-„Perioden“ hingewiesen, indem er der Formulierung „dem Rad in die Speichen fallen“ ein späteres Wort Bonhoeffers aus der Haft an die Seite gestellt hat: „Wenn ein Wahnsinniger auf dem Kurfürstendamm sein Auto über den Gehweg steuert“ – so führt Bethge Bonhoeffers Begründung für seine Beteiligung an der Konspiration im Jahr 1944 gegenüber einem Mitgefangenen an –, dann muss ich „als Pastor […] hinzuspringen und den Fahrer vom Steuer reißen, wenn ich eben gerade an dieser Stelle stehe“.168 Von Bethges durchaus gängiger Interpretation169 weicht die hier vorge168 D. Bonhoeffer ; zit. n.: Bethge, Person und Werk, 14 (der Aufsatz wurde erstmals am 13. 11. 1954 in Bethel als Vortrag gehalten). 169 In Bethges prägnanter Darstellung des Aufsatzes „Die Kirche vor der Judenfrage“ in der Bonhoeffer-Biographie wird deutlich, dass es sich um eine Interpretation handelt, welche die Linien von 1933 in die Zeit der Konspiration sehr direkt auszieht. Offenbar ist Bethge vor allem um die Beantwortung der Frage bemüht, wie es dazu kommen konnte, dass Bonhoeffer schon 1933 hellsichtig die Möglichkeit revolutionären Handelns gegen den Staat erwog und erst sechs Jahre später diese Möglichkeit auch ergriff. Bethge führt aus (die Hervorhebungen dienen meiner anschließenden Interpretation): „Und die dritte Aufgabe? Hier ging er an die Grenze dessen, was er selbst für seine Person für möglich hielt. […] Dem Rad in die Speichen fallen! Wer konnte, wer durfte das verantworten? Bonhoeffer wußte offensichtlich, was er sagte. Bei den ersten beiden Aufgaben sah er die Möglichkeit, daß einzelne christliche Persönlichkeiten sich dazu aufgerufen wissen, ,gegebenenfalls den Staat des Verstoßes gegen die Moral zu verklagen‘. Aber bei der dritten wagte er damals nur die utopische Hoffnung auszusprechen: ,Die Notwendigkeit des unmittelbar politischen Handelns der Kirche hingegen ist jeweils von einem evangelischen Konzil zu entscheiden und kann mithin nie vorher kasuistisch konstruiert werden.‘ Das Wissen um das Wagnis und um die Unmöglichkeit, im Voraus verbindliche Normen für revolutionäres Handeln aufstellen zu können, ist für Bonhoeffer bezeichnenderweise schon klar vorhanden. Um die Verantwortung sich selber statt einem ,Konzil‘ aufzuladen, dazu bedurfte es erst der Jahre eines noch ungeahnten Wachsens der Bedrängnis und der Enttäuschung an der eigenen Kirche und auch der Ökumene. Noch

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schlagene in den entscheidenden Punkten ab; an die Darlegungen der vorangegangenen Kapitel anknüpfend, wird Bonhoeffers theologische Haltung zum Verhältnis von Staat und Kirche im Jahr 1933 zusammenfassend wiefolgt verstanden: schreckte der junge Theologe davor zurück, sich auf eine individuelle Entscheidung zu verlassen, wenn es sich darum handelte, das Gefüge von Staat und Kirche in Gefahr zu bringen. Aber in seinem Lebenslauf schob sich auf mancherlei Umwegen die dritte Stufe der Verantwortung, nämlich ohne Hilfe einer korporativen Entscheidung zu handeln, immer mehr in den Vordergrund. Eines Tages nahm er sie wahr und verzichtete dann auf die kirchliche Reputation.“ (DB 325) Folgende Einwände sind an Bethges Erklärung zu richten: 1. Wenn die ersten beiden Aufgaben (im Gegensatz zu einer dritten Aufgabe, die an die konziliare Entscheidung gekoppelt ist) als Möglichkeiten „einzelne[r] christliche[r] Persönlichkeiten“ ausgewiesen werden, dann ist hierin grundsätzlich verkannt, dass es sich bei allen drei Aufgaben um Erwägungen genuin und ausschließlich kirchlicher Möglichkeiten handelt. 2. Bethge versteht die dritte Möglichkeit der Kirche, ohne dass dies von Bonhoeffer intendiert gewesen wäre, als „revolutionäres Handeln“. 3. Diese „dritte Stufe der Verantwortung“ wird von Bethge in eine direkte Beziehung zu Bonhoeffers Entscheidung gesetzt, sich politisch-konspirativ gegen den Staat zu wenden (dabei sei bemerkt, dass der hier von Bethge verwendete Begriff der „Verantwortung“ ein theologischer Zentralbegriff in Bonhoeffers E ist, der in „Die Kirche vor der Judenfrage“ zwar freilich in Bezug auf das kirchliche Handeln mitgedacht, hier aber gerade nicht auf die Kirche bezogen ist, sondern immer das staatliche Handeln beschreibt). 4. Bethges Text suggeriert die Einsicht, als habe der junge Bonhoeffer bereits 1933 durchaus die Möglichkeit „revolutionäre[n] Handelns“ gegen den Staat erwogen; er sei aber zu diesem Zeitpunkt noch davor zurückgeschreckt, sich auf eine individuelle Entscheidung zu verlassen (vgl. auch sprachlich das im obigen Text hervorgehobene, zweimal begegnende „noch“ sowie die Wendung „wagte er damals nur“). 5. Die Identifikation der frühen Aussagen Bonhoeffers mit der späteren Entscheidung für die Konspiration führt nun erstens dazu, dass die „dritte Aufgabe“ ob ihres Gebundenseins an die „kirchliche Reputation“ in Gestalt eines „Konzils“ eine deutliche qualitative Abwertung gegenüber dem christlich verantworteten politisch-gewaltsamen Akt des Einzelnen erfährt. Wenn zum unmittelbar politischen Handeln der Kirche erst die autoritative Entscheidung des kirchlichen Konzils notwendig ist, dann wird die Möglichkeit des Dem-Rad-in-die-Speichen-Fallens durch die Kirche bei Bethge zu einer „nur […] utopische[n] Hoffnung“; vgl. dagegen aber Bonhoeffers Utopiebegriff, etwa in dem nur wenige Wochen vor „Die Kirche vor der Judenfrage“ entstandenen Aufsatz „Dein Reich komme!“, DBW 12, 264 – 278; siehe dazu unten Kap. 4.6. Zweitens und hauptsächlich führt die Bewertung der frühen Aussagen, ausgehend von dem Standpunkt des Wissens um die späteren konspirativen Entscheidungen Bonhoeffers, zu einer problematischen Bewertung der zwischen beiden Lebensdaten liegenden Jahre, einer Bewertung, die Bethge freilich nicht beabsichtigt hatte: Die Jahre zwischen 1933 und 1939 erscheinen als eine Zeit „mancherlei Umwege[…]“, hin zur eigentlichen Umsetzung jener „dritten Stufe der Verantwortung“. Der Einschätzung Bethges ist später u. a. H.E. Tçdt gefolgt. Zwar interpretiert Tödt das unmittelbar politische Element jener dritten Möglichkeit Bonhoeffers inhaltlich „zum Beispiel in dem Sinne, daß die Illegitimität eines Regimes nach Beschluß eines evangelischen Konzils verkündet wird“ (Tçdt, Judendiskriminierung, 171). Die Folgen allerdings, die Bonhoeffer mit diesem Beschluss konsequenter Weise verbindet, bleiben bei Tçdt im Dunkeln, bevor er sich dann der (hier angezweifelten) Interpretation Bethges anschließt: „In ihr [sc. der dritten Möglichkeit kirchlichen Handelns] kündigten sich Überlegungen an, die Bonhoeffer gut fünf Jahre später zur Teilnahme an Umsturzvorbereitungen gegen Hitler führten, nun aber ganz ohne Unterstützung seiner Kirche. Eine politische Ethik, welche den Umsturz als äußerste Möglichkeit mitdenken konnte, das war in reformatorischer deutscher Tradition ein völliges Novum.“ (Tçdt, aaO., 178).

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1. „Unmittelbar politisches Handeln der Kirche“ liegt außerhalb jeder Erwägung revolutionären Handelns und ist vielmehr das an den Staat gerichtete Wort der Kirche in der Gestalt des konkreten Gebotes bzw. Verbotes. „Unmittelbar politisches Handeln der Kirche“ ist das Urteil der Kirche über das Handeln des Staates, dem sie ein zwar sekundäres (weil in Reaktion auf das Handeln des Staates geschehenes), aber dennoch ein wirklich unmittelbar politisches Wort entgegenbringt und auf diese Weise „dem Rad selbst in die Speichen“ fällt (DBW 12, aaO., 353). 2. Bonhoeffer hat in seinem Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ (April 1933) in keiner Weise eine Möglichkeit ins Auge gefasst, „das Gefüge von Kirche und Staat in Gefahr zu bringen“ (DB 325). (Eine derartige Möglichkeit hätte im Übrigen kaum von einem „evangelischen Konzil“ [DBW 12, aaO., 354] entschieden werden können!) Im Gegenteil ging es Bonhoeffer um die Wiederherstellung eines aufgrund des Staatshandelns aus den Fugen geratenen Verhältnisses, in dessen Dienst das „unmittelbar politische Handeln der Kirche“ steht.170 3. Das Wort der Kirche hat, indem es der Wiederherstellung der eigentlichen Grenzen von Staat und Kirche dient, eine wirkliche Veränderung der Zustände in der Welt zum Ziel und besitzt nach Bonhoeffer auch die Macht, diese Veränderung herbeizuführen.171 170 DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 353. In alldem ist zu beachten, dass Bonhoeffer durchaus bereits an der Wende des Jahres 1932/33 vom „Recht der Revolution“ gegen den Staat gesprochen hat, und zwar im Rahmen der Besprechung von F. Gogartens „Politischer Ethik“ (DBW 12, Vorlesung im WS 1932/33: Jüngste Theologie. Besprechung und Diskussion systematisch-theologischer Neuerscheinungen, 167). Selbst für jenes von Bonhoeffer eingestandene „Recht der Revolution“, welches er aus der Relativität des staatlichen Rechts einerseits und der besseren Gerechtigkeit der Christen andererseits herleitet, ist aber, wie oben gezeigt, erstens zu sagen, dass es sich gerade nicht um die Möglichkeit „radikale[r]“, sondern immer nur „relative[r] Kritik“ handelt (DBW 12, aaO., 167; Hervorhebung durch F.S.). Radikale Kritik am Staat, d. h. im äußersten Fall der Sturz des Tyrannen (vgl. DBW 12, aaO., 166, Anm. 69), lehnt Bonhoeffer als schwärmerisch ab (vgl. DBW 12, aaO., 167, sowie 166, Anm. 68). Zweitens ist zu sagen, dass jene Möglichkeit relativer Staatskritik bei Bonhoeffer immer nur die Möglichkeit des einzelnen Christenmenschen, niemals aber kirchliche Möglichkeit sein kann. Daraus folgt drittens: Nicht nur lehnt Bonhoeffer jegliches Revolutionsrecht der Kirche ab, sondern es ist ihm ebenso das radikale Revolutionsrecht des Einzelnen theologisch ganz und gar fremd (anders DB 325). Jene Möglichkeit „relative[r] Kritik […] am Staat“ (DBW 12, aaO., 167), d. h. die Kritik Einzelner, ist auch in „Die Kirche vor der Judenfrage“ reflektiert, und zwar in der Rede „einzelner sich dazu aufgerufener Männer, dem Staat die moralische Seite seiner jeweiligen Maßnahmen zu Gesicht zu bringen, d. h. gegebenenfalls den Staat des Verstoßes gegen die Moral zu verklagen“ (DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 351). Diese individuelle Option liegt aber gerade außerhalb der drei kirchlichen Handlungsmöglichkeiten dem Staat gegenüber. 171 Vgl. dazu Scharffenorth, Bekenntnisfrage, 206: Der statt Recht und Ordnung Unrecht und Unordnung schaffende Staat „ist zum rechtlosen Staat geworden, und Christen sind diesem Staat gegenüber nicht mehr zum Gehorsam verpflichtet“. Wie bei Tçdt (siehe oben Anm. 169 dieses Kapitels), so ist auch bei Scharffenorth die Tragweite der Hoffnung Bonhoeffers nicht repräsentiert; zudem ist zu bemerken, dass es Bonhoeffer ja gerade nicht um den Ungehorsam

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4. Folgt man dieser Interpretation, dann kann – unter Berücksichtigung der theologischen Entwicklung Bonhoeffers seit dem Sommer 1931 – die Bindung jener äußersten Möglichkeit kirchlichen Handelns an die Entscheidung eines „evangelischen Konzil[s]“ (DBW 12, aaO., 354), wie Bonhoeffer sie in „Die Kirche vor der Judenfrage“ einfordert, nicht überraschen. Diese Anbindung ist keineswegs, wie Bethge meint, als ein Zurückschrecken Bonhoeffers vor der „individuelle[n] Entscheidung“ aufzufassen,172 sondern ist Ausdruck erstens seiner Theologie, die in den vorangegangenen anderthalb Jahren sich herausgeformt hat und die bis in diesen Aufsatz hinein konsequent durchgehalten ist, und zweitens der Hoffnung und Gewissheit Bonhoeffers, dass der Staat das konziliar und darin vollmächtig beschlossene und ebenso vollmächtig an den Staat gerichtete Wort der Kirche(n) tatsächlich als Kritik seines Tuns wird „beachten müssen“.173 5. Den uns zur Verfügung stehenden Schriften und Dokumenten Dietrich Bonhoeffers lassen sich zwei unterschiedliche Tendenzen die Fähigkeit und die Möglichkeiten eines Redens – bzw. eines als Handeln verstandenen Redens – der Kirche betreffend ablesen. Einerseits rechnet Bonhoeffer mit einer Möglichkeit des autoritären Sprechens der Kirche, die derselben wesenhaft ist (die Kirche spricht das Gebot in größtmöglicher Kenntnis der Wirklichkeit und wagt es im Glauben an und Gehorsam gegen Gott);174 diese Möglichkeit der Kirche ist nicht an bestimmte, etwa von außen dieselbe antastende Voraussetzungen gebunden, sie gilt grundsätzlich. Andererseits, wie „Die Kirche vor der Judenfrage“ zeigt, knüpft Bonhoeffer die Fähigkeit politischen Redens der Kirche daran, dass der Staat die ihm gegebenen Grenzen zuerst überschritten haben muss. Die Bedingung für ein an den Staat gerichtetes Gebot oder Verbot durch die Kirche ist das Fehlverhalten des Staates („Solches Handeln wäre […] nur dann möglich und gefordert, wenn die Kirche den Staat in in seiner Recht und Ordnung schaffenden Funktion versagen sieht“175). Sowohl über das Vorliegen als auch über die einzuleitenden Konsequenzen einer solchen Grenz- oder Begrenzungssituation entscheidet eigens ein evangelisches Konzil. Beide Tendenzen stehen in Bonhoeffers Theologie nebeneinander und lassen sich insofern zusammenführen, als die konkrete ethische Verkündigung der Kirche – genauer : die Verkündigung konkreter

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einzelner Christen ging, sondern ethisches Subjekt des Ungehorsams gegenüber dem Staatshandeln die Kirche Jesu Christi ist. Vgl. noch einmal die oben in Anm. 169 dieses Kapitels zitierte Stelle DB 325: „Noch schreckte der junge Theologe davor zurück, sich auf eine individuelle Entscheidung zu verlassen, wenn es sich darum handelte, das Gefüge von Kirche und Staat in Gefahr zu bringen.“ DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 343; Hervorhebung durch F.S. Vgl. dazu DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 327 – 344; siehe dazu oben Kap. 4.2. DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 353 f; Hervorhebung durch F.S.

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Weisungen – bestimmte Grenzfälle einschließt, in denen sie dann auf konziliare Versammlungen und Beschlüsse angewiesen ist. Zugleich ist, was die kirchliche Ebene konkreten ethischen Redens betrifft, zu erwägen, dass für Bonhoeffer ab April 1933 kirchliches Reden außerhalb des Grenzfalls gar nicht mehr denkbar ist, sondern stets unter der Voraussetzung eines „Zuviel“ oder „Zuwenig an Ordnung und Recht“ stattfindet. 6. So sehr Bonhoeffer theologisch von der Annahme zweier ,Reiche‘ in der Welt her und also bewusst lutherisch argumentiert,176 so deutlich wird auch, dass Bonhoeffer nach eigenem Urteil über Luther hinausgeht, wenn er über ein erstes Wort der Kirche an den Staat (dies entspricht der ersten Möglichkeit kirchlichen Handelns, die auch Luther kennt) ein zweites Wort (dies entspricht der dritten Möglichkeit kirchlichen Handelns, mit der Bonhoeffer sich nach eigener Auskunft von Luthers Theologie abgrenzt) nicht nur für möglich, sondern sogar für geboten hält.177 Das zweite Wort der Kirche als zwar sekundäres, d. h. vermitteltes, aber dennoch wirklich („unmittelbar“) politisches Wort, ist nicht einfach Bonhoeffers Antwort auf das für ihn entscheidende Problem jener Zeit: das „Problem der Konkretion in der Verkündigung“, das „Problem des Ethischen“;178 die Überlegungen zu einem zweiten Wort der Kirche gingen aber aus den Auseinandersetzungen mit dieser Thematik hervor, als durch das „Zuviel“ und „Zuwenig“ des Staates der Grenzfall gegeben war. 7. Für die weitere Bewertung des lebensgeschichtlichen und theologischen Weges Bonhoeffers schließlich gilt die folgende noch auszuführende Einsicht: Bonhoeffers Weg, zuerst zur „Nachfolge“ und dann von der „Nachfolge“ in den politischen Widerstand, lässt sich als ein in drei Phasen sich vollziehender Weg der Individualisierung beschreiben. Zu Beginn der 1930er Jahre wendet sich Bonhoeffer an die Kirche, von der er das vollmächtige Wort an die Christenheit und an die Welt einfordert; dies ist die Phase des Widerstandes der Kirche in der konkreten theologischen Gestalt der kirchlichen Vollmacht. 176 Vgl. dazu auch die beiden „Die Kirche vor der Judenfrage“ einleitenden Luther-Passagen, die verdeutlichen, dass Bonhoeffer gerade seine Israel-Theologie als lutherische Haltung verstanden wissen wollte. – Vgl. fernerhin die oben verhandelten Passagen aus Bonhoeffers Aufsatz „Dein Reich komme! Das Gebet der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden“ (1932/33), DBW 12, 273 ff. – Zur Frage von Widerstandsrecht und -pflicht bei Luther sowie seiner theologischen Stellung zur Obrigkeit vgl. die Aufsatzsammlung Luther und die Obrigkeit, hg. v. G. Wolf; siehe dort auch die Auswahlbibliographie, a. a. O., 469ff; vgl. auch Bayer, Martin Luthers Theologie, 285 – 296. 177 Vgl. dazu wiederum die Auseinandersetzung mit Gogarten: DBW 12, Vorlesung im WS 1932/ 33: Jüngste Theologie. Besprechung und Diskussion systematisch-theologischer Neuerscheinungen, 166: „Gogarten übersieht die Zweideutigkeit des Staates. Er verkündigt einen christlichen Konservatismus. Das ist lutherisch, aber nicht neutestamentlich.“ Vgl. in dieser Richtung DB 514: Bethge erinnert sich: „Aus der heftigen Diskussion um den Augustana- und Apologie-Artikel über den Staat [sc. in der Lehrveranstaltung des 1. Finkenwalder Kurses über lutherische Bekenntnisschriften, DBW 14, 316 – 321] entließ Bonhoeffer das Seminar mit der Bemerkung: ,Dies Ganze ist sehr problematisch.‘“ 178 DBW 11, Brief an E. Sutz, Anfang August 1932, 100.

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Neben die Inpflichtnahme der Kirche tritt bei Bonhoeffer zusehends eine Theologie, welche sich vornehmlich an die Gemeinden richtet. Diese nimmt noch vor dem Januar 1933 ihren Anfang, führt über die Pfarrstelle in London und schließlich ins Predigerseminar nach Finkenwalde; dies ist die Phase des Widerstandes der Gemeinde in der konkreten theologischen Gestalt des einfältigen Gehorsams und der Reinheit in der Nachfolge Christi. Von jener Phase, die ihren wirksamsten Ausdruck in der „Nachfolge“ findet, führt Bonhoeffers Weg in den politischen Widerstand des Einzelnen in der konkreten theologischen Gestalt der individuellen Verantwortung.179 Von dieser Interpretation ausgehend, kann fernerhin ein Vorschlag zur Bewertung des – interpretativ sperrigen – theologischen Gutachtens über „Staat und Kirche“ (DBW 16, 506 – 535) angedeutet werden, welches Bonhoeffer vermutlich im April 1941 oder zu einem noch späteren Zeitpunkt, allenfalls aber in der Zeit der Konspiration verfasste: In dieser „Ausarbeitung eines Verständnisses der ,Obrigkeit‘ ,von oben‘“ geht es Bonhoeffer auch darum, „politische Orientierung für den Aufbau eines neuen Staatswesens in Deutschland nach Hitlers Sturz“ zu geben;180 dennoch überrascht der konservative Ton, den er bei der Bestimmung des Verhältnisses von Kirche und Staat bzw. Obrigkeit als an der politischen Verschwörung Beteiligter anschlägt. Wie im April 1933 (dort als ,erste Möglichkeit kirchlichen Handelns‘ bezeichnet), so bestärkt Bonhoeffer die Kirche auch in „Staat und Kirche“ in der Funktion ihres „Wächteramt[es]“ dem Staat gegenüber (z. B. DBW 16, aaO., 531). „Die Kirche hat den Auftrag, alle Welt unter die Herrschaft Jesu Christi zu rufen.“ (DBW 16, aaO., 528) Ihre Aufgabe besteht darin, „zum Glauben an Jesus Christus zu rufen, die Versöhnung durch ihn und seine Herrschaft zu bezeugen“; sie besteht aber nicht darin, „die Welt zu verbessern“ (DBW 16, aaO., 531). Nur in der ersten, nicht in der zweiten Hinsicht sei ihre Verantwortung dem Staat gegenüber eine „politische[…] Verantwortung“ (ebd.). In diesem Punkt stimmen „Die Kirche vor der Judenfrage“ und „Staat und Kirche“ ganz überein.181 Jene unmittelbar politische Handlungsoption der Kir179 Siehe hierzu weiter unten Kap. 4.9. 180 DBW 16, Theologisches Gutachten, vermutlich April 1941: Staat und Kirche, 506, Hg.-Anm. 1. Vgl. dazu DBW 16, Nachwort der Hg., 703 – 705. Es ist nicht klar, für wen und aus welchem Anlass Bonhoeffer dieses Gutachten verfasste. 181 Die Erklärung in „Die Kirche vor der Judenfrage“, die Kirche könne „primär nicht unmittelbar politisch handeln“ (DBW 12, 351), nimmt Bonhoeffer auch in „Staat und Kirche“ vor, und zwar sogleich zu Beginn des Abschnitts über „Die politische Verantwortung der Kirche“: „Wird unter politischer Verantwortung ausschließlich die obrigkeitliche Verantwortung verstanden, so hat offenbar nur die Obrigkeit diese Verantwortung zu tragen.“ (DBW 16, 531) Desgleichen findet sich die Zwischenüberlegung, mit deren Hilfe Bonhoeffer in „Die Kirche vor der Judenfrage“ dann zu den Bestimmungen der beiden politischen Handlungsoptionen der Kirche überleitet („Aber das bedeutet nicht, daß sie teilnahmslos das politische Handeln an sich vorübergehen läßt“, DBW 12, 351), auch in „Staat und Kirche“: „Ist aber mit diesem Begriff [sc. der politischen Verantwortung] ganz allgemein das Leben in der Polis gemeint, so ist in mehrfachem

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che, die Bonhoeffer in „Die Kirche vor der Judenfrage“ durch konziliare Entscheidung eingefordert hatte, erwägt Bonhoeffer in diesem Gutachten allerdings nicht. Zwar legt er hier ganz ähnlich eine über ihr Wächteramt, d. h. über die erste Möglichkeit, hinausgehendes Handeln der Kirche legitimierende conditio fest („Wo freilich ausgesprochen oder faktisch die Obrigkeit sich gegen die Kirche stellt“182), die consecutio allerdings führt nicht dazu, „dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“ (DBW 12, aaO., 353), sondern: Wenn die Obrigkeit sich gegen die Kirche wendet, dann „kann der Zeitpunkt kommen, da die Kirche ihren Anspruch zwar nicht aufgibt, aber doch auch ihr Wort nicht mehr verschleudert“.183 Während Bonhoeffer 1933 aus dem Konflikt zwischen Staat und Kirche ein „unmittelbar politisches Handeln der Kirche“ ableitete, heißt es in „Staat und Kirche“ deutlich passiver : „Die Obrigkeit, die ihren Herrn lästert, bezeugt damit um so vernehmlicher die Kraft dieses Herrn, der in den Martyrien der Gemeinde gepriesen wird.“ (DBW 16, aaO., 529) Hierzu ist zweierlei zu anzumerken. Erstens: Dass die Möglichkeit des ,dem-Rad-in-die-Speichen-Fallens‘ im Gutachten nicht vorkommt und dort der passiveren Möglichkeit eines Martyriums weicht, heißt nicht, dass Bonhoeffer in der Zeit der Konspiration jene Möglichkeit für die Kirche ausgeschlossen hätte. In einer anderen, nur kurze Zeit nach „Staat und Kirche“ entstandenen Studie zu „,Personal‘- und ,Sach‘-ethos“ (DBW 16, 550 – 562) lotet Bonhoeffer wiederum die Pflichten der Kirche gegenüber dem Staat aus, indem er fragt: „hat die Kirche nur die Opfer aufzulesen oder muß sie dem Rad selbst in die Speichen greifen?“ (DBW 16, 551). Die noch vorzunehmende Betrachtung dieser Studie wird die hier zusammengefassten Ergebnisse plausibilisieren. Zweitens: Die Wendung „der in den Martyrien der Gemeinde gepriesen wird“ weist in aller Deutlichkeit auf die spezifischen Erfahrungen hin, die Mitgliedern der bekennenden Gemeinden in jenen Jahren widerfuhren; zugleich schlägt sie eine Brücke zur „Nachfolge“, auch wenn der Begriff des Martyriums in dieser Zeit selbstredend noch nicht so akut geworden war. Zur Verbindung von (theologischer) Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche auf der einen Seite und (theologischer) Legitimation der Konspiration Sinne von einer politischen Verantwortung der Kirche als Antwort auf den Anspruch der Obrigkeit an die Kirche zu sprechen“ (DBW 16, 531). 182 Vgl. dazu noch einmal aus „Die Kirche vor der Judenfrage“: „wenn die Kirche den Staat in seiner Recht und Ordnung schaffenden Funktion versagen sieht, d. h. wenn sie den Staat hemmungslos ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht verwirklichen sieht. […] ein Zuwenig läge dort vor, wo vom Staate her in das Wesen der Kirche und ihre Verkündigung eingegriffen werden sollte“ (DBW 12, 354). 183 DBW 16, Theologisches Gutachten, vermutlich April 1941: Staat und Kirche, 529. Zu „Anspruch“ vgl. ebd.: „Die Kirche führt die Obrigkeit erst zum Verständnis ihrer selbst. Sie beansprucht um des gemeinsamen Herrn willen das Gehör der Obrigkeit, den Schutz der öffentlichen christlichen Verkündigung gegen Gewalttat und Blasphemie, den Schutz der kirchlichen Ordnung vor willkürlichem Eingriff, den Schutz des christlichen Lebens im Gehorsam gegen Jesus Christus.“ – Zum Begriff „verschleudern“ vgl. N 29: „billige Gnade“ ist Gnade als „Schleuderware“.

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auf der anderen ist schließlich zu sagen: Ebenso, wie Bonhoeffer 1933 die Möglichkeit, „den Staat des Verstoßes gegen die Moral zu verklagen“ (DBW 12, aaO., 351), als Möglichkeit Einzelner und jenseits des von Gott gesetzten Verhältnisses von Staat und Kirche verstanden wissen will (vgl. ebd.), verhält es sich auch 1941 so, dass die in der bestimmten geschichtlichen Situation getroffene, nicht verallgemeinerbare184 Entscheidung, den Führer des Staates stürzen oder gar töten zu wollen, die Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat gerade nicht aufhebt oder infragestellt; die „Verweigerung des Gehorsams“, im äußersten Falle die konspirative Tat, geschieht auch hier jenseits jenes Verhältnisses: als „Wagnis des Handelns“ (DBW 16, aaO., 523). So werden bei Bonhoeffer 1941 die Vergewisserung über das Verhältnis von Staat und Kirche einerseits und die konspirativen individuellen Entscheidungen andererseits gerade nicht einfach theologisch verknüpft, sie stehen vielmehr nebeneinander. Die Tat des Einzelnen gegen den Staat hebt nicht dessen von Christus her bestimmtes Verhältnis zur Kirche auf, sondern ist, als Wagnis, „ein Rest“ (DBW 16, aaO., 523).

4.4.3 Arierparagraph und status confessionis Bonhoeffers Aufsatz zur Judenfrage erschien in der Juniausgabe des „Vormarsch“.185 Zu dieser Zeit, im Sommersemester 1933, liest Bonhoeffer an der Universität über „Christologie“ (DBW 12, 279 – 348). Eberhard Bethge hat diese Vorlesung als den Versuch gewertet, „die Struktur der Christologie darzulegen, welche seinem vorhergehenden Denken schon heimlich zugrunde lag“ (DB 526). Inwiefern hier auch wesentliche christologische Annahmen der „Nachfolge“ grundgelegt sind, wurde im Gang durch die theologische Argumentation dieser Schrift gezeigt.186 Der innere Zusammenhang der „Nachfolge“ zur „Christologie“-Vorlesung ist so eng, dass Bonhoeffer geradezu das gesamte in der Vorlesung entworfene und dargelegte christologische Modell konzeptionell für die „Nachfolge“ übernimmt. Im Anschluss an die einleitende „Entfaltung der christologischen Frage“, in der Bonhoeffer die völlige Unbegründbarkeit des Christusglaubens außerhalb seiner selbst voranstellt und, wie schon in den Semestern zuvor, die Kirche als den Ort jenes Glaubens und die Universität als den Ort der Wissenschaft Theologie ausweist,187 entfaltet er noch einmal die präsenz-christologische „Pro-me“-Struktur, die seit langem tragendes Element seiner Christologie und Ekklesiologie ist (vgl. DBW 12, aaO., 291ff). Im Weiteren führt er dann über 184 DBW 16, Theologisches Gutachten, vermutlich April 1941: Staat und Kirche, 523: „Eine geschichtliche Entscheidung geht nicht in ethische Begriffe auf.“ 185 Zu den Einzelheiten vgl. Smid, Deutscher Protestantismus, 415 ff. 186 Siehe oben Kap. 2.3.1, 2.4.2.3.1 u. a. 187 Vgl. DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 280 – 291; vgl. zum Christus incognito auch DBW 12, aaO., 308, 310 u. ö.

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die „Gestalt des Christus“ aus, inwiefern Christus heute gegenwärtig ist: als Wort, als Sakrament und als Gemeinde (vgl. DBW 12, aaO., 297). Es folgt die Frage nach dem „Ort des Christus“ (vgl. DBW 12, aaO., 306ff). Christus ist als der Mittler in die Mitte getreten, und zwar, indem er selbst „das erfüllte Gesetz ist“ (DBW 12, aaO., 307), in die Mitte „unserer Existenz“ und auch in die Mitte der „Natur“ und der „Geschichte“. Der Abschnitt über „Christus als die Mitte der Geschichte“ rückt wiederum die Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat in den Blick, die jetzt dezidiert von der Christologie her betrachtet und begründet wird. Das Verhältnis von Staat und Kirche ist ein neues seit dem Kreuz. Es gibt Staat im eigentlichsten Sinn erst, seit es Kirche gibt. Der Staat hat seinen eigentlichen Ursprung erst mit der Kirche am Kreuz, insofern dieses Kreuz die Ordnung erfüllt und bejaht und sie zugleich durchbricht. Daraus ergibt sich, das Kreuz Christi ist uns gegenwärtig in der doppelten Gestalt der Kirche und des Staates. […] Daher kann Luther sagen: Der Staat ist das „Reich Gottes zur linken Hand“.188

Die Kirche, die der Christus praesens ist, soll dabei „als Mitte der Geschichte verstanden werden“. Sie ist aber immer „die Mitte einer Geschichte, die vom Staat gemacht wird“. Sie muss darum als „die verborgene Mitte des Staates“ angesehen – d. h. geglaubt – werden, die „[…] ihr Sein in der Mitte nicht darin [bewährt], daß sie in die sichtbare Mitte des Staates gestellt wird“ – und eben „nicht darin, daß sie Staatskirche würde“.189 Vielmehr ist die Kirche als die Mitte des Staates […] die Grenze des Staates, indem sie die Durchbrechung aller menschlichen Verheißung am Kreuz Christi erkennt und verkündigen muß. Sodann ist sie die Erfüllung der Geschichte des Staates, indem sie im Kreuz die Erfüllung des Gesetzes, die Erfüllung des Staates ist. Sie verkündigt aber im Kreuz zugleich die Bejahung der Ordnung wie auch ihre endgültige Durchbrechung und Aufhebung durch Gottes Eintreten in die Geschichte und sein Sterbenmüssen in der Geschichte. (DBW 12, aaO., 309)

188 DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 309. „Solange Christus auf Erden war, war er ganz allein Reich Gottes. Da er gekreuzigt wurde, ist seine Gestalt zerrissen als zur Rechten und zur Linken Gottes. Seine Gestalt ist nur in der doppelten Gestalt als Kirche und Staat zu erkennen. Christus als die Mitte der Geschichte ist der Mittler zwischen Staat und Gott in der Gestalt der Kirche. Christus als die Mitte der Geschichte ist aber ebenso der Mittler zwischen Kirche und Gott, denn er ist auch die Mitte der Kirche, sofern die Kirche die Mitte der Geschichte ist.“ (DBW 12, aaO., 310). 189 DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 309. Weiter heißt es im Text: „Nicht in ihrer sichtbaren Stellung [innerhalb] des staatlichen Raumes bewährt sie ihre Stellung im Staate; [sondern] allein darin, daß die Kirche den Staat richtet und rechtfertigt, wenn er das Wesen des Staates ist, durch Recht und Ordnung schaffendes Handeln den Sinn des Volkes seiner Erfüllung entgegenzubringen. So liegt in jedem Staat unter dem Gedanken der Ordnungschaffung [sic!] der messianische Gedanke verborgen.“

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In Bonhoeffers Vorlesungskonzept folgt ein auffallend umfangreicher190 Abschnitt zur „kritische[n] oder […] negative[n] Christologie“.191 Es ist der Vorlesungsteil, in welchem Bonhoeffer nun den für ihn wichtig gewordenen Begriff der Häresie aufgreift, diesen Begriff auf die Christologie bezieht und die zentralen christologischen als häretisch abzulehnenden Positionen der Christentumsgeschichte zur Darstellung bringt: die „ebionitische“, die „monophysitische“, die „nestorianische“, die „modalistische oder subordinatorische“ und, vor allem, die „doketische Häresie“, in deren Zusammenhang „[…] die ganze liberale Theologie […] verstanden werden [muß]“, die „[…] in Jesus nichts anderes [hat] sehen wollen als den Verkörperer einer bestimmten Lehre“.192 Die Darstellung der „kritischen Christologie“ einleitend, verweist Bonhoeffer auf den Ort jener negativen Aussagen der Christologie. Die Ansätze zu einer positiven Christologie sind jeweils von einzelnen Theologen ausgegangen. Hingegen auf den Beschlüssen der Konzilien sind allein die Aussagen der kritischen Christologie zum Ausdruck gekommen. Der Fortschritt von Konzil zu Konzil ist immer dadurch veranlaßt worden, daß dazwischen Männer auftraten und positive Christologie trieben. Die Sache der offiziellen Kirche ist die kritische Christologie, die Grenzbestimmungen, die negativen Aussagen, weil nämlich in der Kirche neben den Konzilsbeschlüssen einerseits immer die Verkündigung des lebendigen Christus [sc. und zwar in der Predigt und im Sakrament, vgl. DBW 12, aaO., 316, Anm. 68] geschieht. Für uns gibt es den Begriff der Häresie nicht mehr, weil es eine Lehrautorität de[s] Konzils nicht mehr gibt. Unsere heutigen ökumenischen Konzilien sind alles andere als Konzilien, denn man streicht das Wort Häresie aus dem Vokabular. Und doch ist der Begriff der Häresie ein notwendiger, unaufgebbarer Faktor für die bekennende Kirche. Der Lehre gegenüber muß die Irrlehre stehen, sonst weiß man nicht, was Lehre ist.193

Ganz offenbar hängt für Bonhoeffer angesichts der gesellschaftlichen und politischen Situation des Sommers 1933 alles daran, dass sich Theologie und Kirche des Verständnisses der christologischen Frage vergewissern. Welcher ist der Christusglaube, der zu glauben ist, den die Kirche zu verkündigen hat, und – vor allem – von welchen christologischen Positionen hat sie sich zu scheiden? Welche (christologischen) Glaubensinhalte muss die Kirche bekennen und welche muss sie als häretisch verwerfen? Dies zu beantworten ist der Kern der Vorlesung, sodass deutlich wird, inwiefern auch die auf einen 190 Der Abschnitt nimmt etwa ein Drittel der Vorlesungsmitschrift ein. 191 Vgl. DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 315: „Das ist der Teil der Christologie, in dem die Unbegreiflichkeit der Person Jesu Christi begreifbar gemacht werden soll. Das Unbegreifliche soll nicht etwa in etwas Begreifliches verwandelt werden. Das Begreifliche soll gerade dazu dienen, das Unbegreifliche stehen zu lassen. Das Ziel des Begreifens in der kritischen Christologie ist das Unbegreifliche.“ 192 DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 321. Siehe dazu oben Kap. 3.2.2.1. 193 DBW 12, Vorlesung im SS 1933: Christologie, 316; im Text irrtümlich „der Konzils“.

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ersten Blick so nüchtern-akademisch anmutende „Christologie“ einen deutlichen Zug in die konkrete historische Situation hinein besitzt. Bethge hat diese Verbindung von Bonhoeffers theologischen zu seinen konkreten kirchlichen bzw. kirchenpolitischen Anstrengungen wie folgt beschrieben: So hoch griff Bonhoeffer : die eigene und die ökumenischen Kirchen sollten dahin gebracht werden, an sich und ihre konkrete Versammlung stärker zu glauben. […] Bonhoeffer, der in seiner ganzen Art so sehr von einem liberalen Erbe geprägt war, wurde in der Tat jetzt immer antiliberaler. Er spürte mit sicherem Instinkt, daß nun im Jahre 1933 der achtenswerte politische und theologische Liberalismus zu seinem eigenen Totengräber wurde, indem er in vornehmem oder schwächlichem Laisser faire die Entscheidungen den Tyrannen überließ; er sah, wie die Zeit des Sowohl-Als auch entschwand und die Tage eines deutlichen Ja und Nein heranrückten. So mutete Bonhoeffer in seinen Vorstellungen von 1932 und 1933 der eigenen Kirche und Ökumene zu, „Konzil“, „Häresie“, „Bekenntnis und Lehrentscheidung“ neu zu entdecken – zu einer Zeit, als Skepsis die Erfahrungen lähmte und die Alten den jungen Mann nur für einen Illusionisten hielten. (DB 340)

Zu der Zeit, als Bonhoeffer an der Universität die „Christologie“ liest, gilt sein kirchenpolitisches Engagement den im Juli bevorstehenden Kirchenwahlen. Spätestens mit der „Judenfrage“ und der Diskussion des „Arierparagraphen“ war für ihn der Kampf gegen die deutschchristliche „Glaubensbewegung“ offen entfacht;194 inzwischen hatte er sich der jungreformatorischen Studentenbewegung angeschlossen (vgl. dazu DB 329ff) und „stürzte sich rückhaltlos in den verzweifelten Wahlkampf“ (DB 345). Unter das dem „Aufruf der jungreformatorischen Bewegung“ (Mai 1933) nachgeschickte Flugblatt „Aufruf von Berliner Pfarrern“ setzte auch Bonhoeffer seine Unterschrift. Bei der vom „Arbeitsausschuß evangelischer Studenten“ als Gegenveranstaltung organisierten Versammlung „Kirche im Kampf“, die am 22. Juni in der Berliner Universität stattfand, trat Bonhoeffer als einer von drei Hauptrednern auf (vgl. dazu DB 336ff) und wiederholte hier seine Forderung eines Konzils zum Entschluss bindender Entscheidungen. „Die letzte Möglichkeit, die der Protestantismus kenne, sei dann die Scheidung“, heißt es im Protokoll des Vortrags. „Es gehe jetzt um Bekenntnis.“195 Am 17. Juli dann, eine Woche vor der 194 Vgl. dazu auch den Brief Bonhoeffers an E. Sutz vom 14. 4. 1933, der jedoch deutlich macht, dass Bonhoeffer die bevorstehende Entwicklung zunächst noch verkehrt einschätzte: „Eine große Neuorganisation der Kirchen steht bevor, die wie’s jetzt aussieht, nicht zum Schaden sein wird. Die Deutschchristen werden sich hoffentlich bei dieser Gelegenheit von selber von den beiden konfessionellen Kirchen zurückziehen […] und so werden wir hominum confusione et dei providentia noch einmal die Kirche hinüberretten.“ Es folgt dann im Brief der Bezug zur „Judenfrage“: „Auch die Judenfrage macht der Kirche sehr zu schaffen und hier haben die verständigsten Leute ihren Kopf und ihre Bibel gänzlich verloren.“ (DBW 12, 57 f). 195 DBW 12, Protokoll zur Versammlung vom 22. 6. 1933: Kirche im Kampf, 85; Hervorhebung durch F.S. Ganz deutlich wird hier noch einmal die konkrete Gestalt des „unmittelbar politischen Handelns der Kirche“, wie Bonhoeffer es in „Die Kirche vor der Judenfrage“ eingefordert hatte. Zwar sind die Flugblattaktionen (vgl. DBW 12, 64 – 67) zweifelsohne als kirchenpolitische

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Kirchenwahl des 23., schreibt Bonhoeffer wiederum an Erwin Sutz und teilt ihm seine Einschätzung der Lage mit: Nun stehen wir unmittelbar vor der Entscheidung, wie ich glaube einer Entscheidung von eminenter kirchenpolitischer Bedeutung. Ich zweifle kaum daran, daß die Deutschen Christen den Sieg davon tragen und daß im Zusammenhang damit sich sehr schnell die Konturen der neuen Kirche, von der es dann fraglich sein wird, ob wir sie als Kirche tragen können, abheben werden. Ich fürchte allerdings, daß es ein allmähliches, aber stetiges Abbröckeln gibt, da man die Kraft zu einer geschlossenen Handlung nicht mehr hat. Dann geht es zurück in die Konventikel.196

Die evangelischen Kirchenwahlen besiegelten einen vollständigen Sieg der Deutschen Christen, mit der Folge, dass die endgültige politische GleichAktionen auszuweisen, und selbst die Veranstaltung „Kirche im Kampf“ weist programmatisch auf die politische Brisanz dieser Versammlung hin. Die Aktionen Einzelner bzw. kirchenparteiliche Aktionen sind aber gerade nicht als jenes unmittelbar politische Handeln der Kirche zu verstehen, sondern es sind eben kirchliche bzw. kirchenpolitische, mit dem konziliar vollmächtig beschlossenen Wort der Kirche nicht zu verwechselnde, Aktionen. 196 DBW 12, Brief an E. Sutz vom 17. 7. 1933, 97 f. Zu den Reichskirchenwahlen und der Situation der jungreformatorischen Bewegung ist zu sagen: Anfang Mai 1933 hatte Joachim Hossenfelder für die „evangelische Reichskirche nach den Grundzügen der ,Deutschen Christen‘“ – so der Titel seines Parteiprogramms – eine „Kirche der deutschen Christen, d. h. der Christen arischer Rasse“, unter der „Führung durch einen – lutherischen – Reichsbischof“ gefordert, eine Kirche folglich, „die die Hoheit des nationalsozialistischen Staates aus Glauben anerkennt“ (J. Hossenfelder, „Die evangelische Reichskirche nach den Grundzügen der ,Deutschen Christen‘“; zit. n.: Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 400). Dieser Vorschlag wurde von dem späteren Reichsbischof Ludwig Müller zunächst noch verworfen, offenbar weil diesem „die Wirkung dieser Sätze auf seine kirchlichen Gesprächspartner nicht unklar blieb; auf der Basis dieser Sätze, das sah Müller deutlich, war an eine Einigung zwischen den kirchlichen Beauftragten und den Deutschen Christen nicht zu denken“ (Scholder, aaO., 401). Eine prägnante Zusammenfassung der Sachverhalte findet sich (in Anlehnung an die Darstellung Scholders, aaO., 401ff) bei Strunk, Nachfolge Christi: Müller fürchtete, mit solch radikalen Forderungen das Volk nicht für die eigene Idee gewinnen zu können. Anstatt den Forderungen Hossenfelders zuzustimmen, erklärte er „den Notstand der Kirche und die Handlungsunfähigkeit der bestehenden kirchlichen Organe und verlangte nach einer Reichskirchengründung mit staatlicher Hilfe. […] Tatsächlich griff Hitler im Juni in die strittigen Verhandlungen ein und beauftragte unter anderem Müller mit der Ausarbeitung einer Reichskirchenverfassung, die am 11. Juli fertiggestellt war […]. In der Kabinettsitzung vom 14. Juli endlich, in der Hitlers Gleichschaltungsabsichten bei einer Reihe von Gesetzesvorlagen offenkundig wurden, lag auch der Gesetzentwurf für die Verfassung der evangelischen Reichskirche vor. Er wurde gebilligt. Damit war der Weg für die praktische Neuordnung der Kirche frei.“ (Strunk, aaO., 199) Bereits für den 23. Juli wurden „Neuwahlen in der gesamten evangelischen Kirche des Reichs“ angesetzt, die oppositionellen Gruppen wie den „Jungreformatoren“ praktisch keine Chance der Organisation ließen. Bonhoeffer war einer der Initiatoren in dem Versuch, „die kirchliche Opposition gegen die ,Deutschen Christen‘ zu vereinigen und einen gemeinsamen Wahlvorschlag zu erstellen für den man den Titel ,Evangelische Kirche!‘ fand“ (Strunk, ebd.), der wenig später von den Deutschen Christen erfolgreich angefochten wurde (vgl. DB 345ff). „Obwohl die Kirchenwahl von 1933 weitgehend manipuliert wurde und am Erfolg der Deutschen Christen wenig Zweifel bestand, blieb den Jungreformatoren nichts anderes übrig, als teilzunehmen und das Beste daraus zu machen.“ (DB 345).

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schaltung der Kirche besiegelt war und nun unmittelbar bevorstand.197 Auch für Bonhoeffer hieß die Alternative nun endgültig: „Germanismus oder Christentum“: Es wird mir immer klarer, daß wir eine große völkische Nationalkirche bekommen werden, die das Christentum in seinem Wesen nicht mehr erträgt und daß wir uns auf völlig neue Wege, die wir dann zu gehen haben werden, gefaßt machen müssen. Die Frage ist wirklich Germanismus oder Christentum und je bälder der Konflikt offen zutage tritt, desto besser. Die Verschleierung ist am allergefährlichsten.198

Als Bonhoeffer diese ernüchternde Erkenntnis am 20. August im Brief an die Großmutter mitteilte, war er bereits in Bethel, um sich dort an die Ausarbeitung eines Bekenntnisses zu machen, dessen Erstentwurf die Verfasser Ende August fertig stellten (vgl. DB 355). Das „Betheler Bekenntnis“, das hier entstand, trug Bonhoeffer jedoch nur in dieser frühen Fassung verantwortlich mit:199 Die Erarbeitung einer umfassenden Bekenntnisschrift verstanden ihre federführenden Verfasser – Bonhoeffer und Sasse – als den „repräsentativ gedachten“ (DB 354) Versuch, „die Deutschen Christen zu stellen auf das, was sie wollen“,200 und sie erhofften sich, „zur kommenden Nationalsynode Ende September bereits etwas Brauchbares und von weiten Kreisen Getragenes fertig zu haben“ (DB 354). Stattdessen aber wurde die Schrift in den folgenden Wochen bis zu ihrer Veröffentlichung zur Wende des Jahres 1934 so stark entschärft, dass Bonhoeffer sich der weiteren Mitarbeit verweigerte und Bethel frühzeitig verließ. Der Wahlsieg der Deutschen Christen im Juli einerseits und im Besonderen die immer wieder erfahrenen Enttäuschungen über das Schweigen der Kirche und die Entwicklung des Betheler Bekenntnisversuchs andererseits lenkten Bonhoeffers Weg lebensgeschichtlich in eine neue Richtung: „Von Bethel aus machte Bonhoeffer seine Entscheidung für London endgültig fest“ (DB 356; vgl. auch DB 325). Zwischen der Arbeit am „Betheler Bekenntnis“ und der Übernahme des Londoner Pfarramts liegt jedoch ein Ereignis, in welchem die Krise der vorangegangenen Monate einen vorläufigen Höhepunkt erreicht und welches für Bonhoeffer das Schisma bedeutet. Nach dem Wahlsieg der Deutschen Christen im Juli und während der Augustwochen war noch offen, was die Synoden in bezug auf die „Artgemäßheit“ der Kirche wirklich beschließen würden. Sollte eine milde oder eine scharfe Form des 197 Vgl. Scholder, Die Kirchen, Bd. 1, 569; vgl. zu Hintergrund und Verlauf der Kirchenwahlen Scholder, aaO., 560 ff. 198 DBW 12, Brief an J. Bonhoeffer vom 20. 8. 1933, 118. Zum ersten Mal tritt hier die Sichtbarkeit als Kriterium in Bonhoeffers Theologie auch im unmittelbaren Zusammenhang des kirchlichen Konflikts mit dem Nationalsozialismus zutage, die bis zur N zu einer zentralen Vokabel avancieren wird. 199 In: DBW 12, 362 – 407; vgl. zum Ganzen: Ch.-R. Mller, Bekenntnis und Bekennen; vgl. ferner DBW 12, Zur Entstehungsgeschichte des Betheler Bekenntnisses, 503 – 507, sowie die dort angeführte Literatur. Vgl. Strohm, Theologische Ethik, 193 – 230. 200 DBW 12, Brief an J. Bonhoeffer vom 20. 8. 1933, 117.

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Arierparagraphen zustandekommen? Würden sie eine radikale Ausgliederung von judenchristlichen Gemeinden oder weniger weitgehend ein Gesetz über die Amtsfähigkeit – und das wiederum eventuell nur auf neu zu Ordinierende und nicht auf bereits im Amt Befindliche bezogen – beschließen? (DB 357 f)

Noch bevor auf der Altpreußischen Generalsynode des 5. und 6. Septembers der „Arierparagraph“ zunächst in einer gemäßigten Form für die Kirche verabschiedet wird (die „Synode hatte sich von vornherein nicht auf die übliche Verhandlungsarbeit, sondern auf den Charakter einer Kundgebung eingestellt“, DB 360) und so zur Gründung des „Pfarrernotbundes“ führt (vgl. DB 363ff), entwirft Bonhoeffer (ursprünglich als Flugblatt konzipierte, vgl. DB 358) Thesen, welche die Verabschiedung des „Arier-Paragraphen in der Kirche“ (DBW 12, 408 – 415) voraussehen und hierzu theologisch Stellung beziehen. Durch die Einführung des „Arierparagraphen“ in die Kirche, sagt Bonhoeffer, wären das Amt des Pfarrers,201 damit aber die Substanz der Kirche und das Bekenntnis selbst angegriffen (vgl. DBW 12, aaO., 415). Denn „[…] die Frage nach der Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft [ist] nie eine Frage der äußeren Organisation sondern der Substanz der Kirche“.202 Durch die neue Gesetzgebung wäre darum das Wesen der Kirche, ihr Bekenntnis angetastet.203 Weil gilt, dass „hier freilich der aus der Kirche ausschließende Teil in Wahrheit der Ausgeschlossene ist“, ist das Schisma im Moment der

201 Vgl. DBW 12, Thesen Ende August 1933: Der Arier-Paragraph in der Kirche, 413 ff. „Die Forderung der D. C. zerstört das Wesen des Pfarramts, indem sie Glieder der Gemeinde zu Brüder minderen Rechts, Christen zweiter Klasse macht. Die anderen, die von dieser Forderung unbetroffen, also privilegiert bleiben, werden sich selbst lieber den Brüdern minderen Rechts zur Seite stellen wollen als in der Kirche von Privilegien Gebrauch machen. Sie werden daher ihren einzigen Dienst, den sie ihrer Kirche in Wahrheit noch tun können, darin sehen müssen, daß sie das Pfarramt, das zu einem Privileg geworden ist, niederlegen.“ (DBW 12, aaO., 414; erste Hervorhebung durch F.S.) Neben dem „Zuwenig an Ordnung und Recht“ nimmt Bonhoeffer in seinen Thesen auch den Hauptgedanken des zweiten Aufsatzteiles von „Die Kirche vor der Judenfrage“ (vgl. DBW 12, 355ff) auf: Richtet die Kirche „ein Gesetz auf, das erfüllt sein muß, bevor man zur kirchlichen Gemeinschaft gehören darf, nämlich das Rassegesetz“, dann „tut die Kirche genau das, was die judenchristliche Kirche vor und gegen Paulus tat […]. Eine Kirche, die heute die Judenchristen ausschließt, ist selbst zur judenchristlichen Kirche geworden und damit vom Evangelium zum Gesetz abgefallen.“ (DBW 12, Thesen Ende August 1933: Der Arier-Paragraph in der Kirche, 409) Ebenso geht er den „gänzlich politische[n] Charakter der gesamten deutschchristlichen Argumentation im Arier-Paragraphen“ scharf an. Der „wahre Dienst und die Loyalität der Kirche gegenüber dem Staat [liegt] niemals in blinder Nachahmung seiner Methoden, sondern allein in der Freiheit der eigenen Verkündigung und der Entfaltung der eigentümlichen kirchlichen Gestalt.“ (DBW 12, aaO., 414). 202 DBW 12, Thesen Ende August 1933: Der Arier-Paragraph in der Kirche, 410. „Denn Kirche ist die Gemeinde, die vom Wort berufen wird. Die Gliedschaft an der Gemeinde ist nicht eine Organisationsfrage sondern gehört zum Wesen der Kirche.“ (Ebd.). 203 Vgl. DBW 12, Thesen Ende August 1933: Der Arier-Paragraph in der Kirche, 411: „Hier, wo der mir unsympathische Judenchrist neben mir als Glaubender sitzt, hier gerade ist Kirche. […] Die Kontinuität der Kirche liegt bei der Kirche, in der die Judenchristen bleiben.“

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„Arier“-Gesetzgebung in der Kirche vollzogen.204 „Kirche wäre nicht mehr Kirche.“ (DBW 12, aaO., 411) Kirche ist die Gemeinde der Berufenen, in der das Evangelium recht gepredigt und die Sakramente recht verwaltet werden, die kein Gesetz für die Zugehörigkeit zu ihr aufrichtet. Darum ist der Arier-Paragraph eine Irrlehre von der Kirche und zerstört ihre Substanz. Darum gibt es einer Kirche gegenüber, die den Arier-Paragraphen in dieser radikalen Form durchführt, nur noch einen Dienst der Wahrheit, nämlich den Austritt. Dies ist der letzte Akt der Solidarität mit meiner Kirche, der ich nie anders als allein mit der ganzen Wahrheit und allen ihren Konsequenzen dienen kann. (DBW 12, aaO., 412)

Am 16. 10. 1933 verlässt Bonhoeffer Deutschland; erst am 15. April des Jahres 1935 wird er aus London zurückkehren, dann als Leiter eines Predigerseminars der Bekennenden Kirche, zunächst in Zingst, dann in Finkenwalde.

4.5 Oktober 1933 bis April 1935 (London): Das Wort des evangelischen Konzils Zweifelsohne wäre die Londoner Zeit in ihrer Bedeutung für Bonhoeffers Entwicklung verkannt, bewertete man sie als durch Enttäuschungen evozierten Rückzug aus Deutschland und aus dem kirchlichen Kampf.205 Bonhoeffer ahnte voraus, dass die „enge Fühlungnahme mit den englischen Kirchen gegebenenfalls von ganz großer Wichtigkeit“ für die kirchliche Entwicklung in Deutschland sein könnte.206 Und tatsächlich mischte er sich von England aus „[…] aktiv und effizient auf höchster Ebene in die Konflikte [in der Heimat]“ ein. „Hier verstand es einer, seine Tätigkeit als Gemeindepfarrer mit Aktivitäten von großer kirchenpolitischer und ökumenischer Reichweite zu verbinden.“207 Der Kirchenkampf, den Bonhoeffer nun von London aus fortsetzte, kann in vier Punkten umrissen werden. 1. Auch von seinem neuen Arbeitsplatz aus blieb Bonhoeffer weiterhin besonders darum bemüht, der Verschleierung des Konflikts zwischen Ger204 DBW 12, Thesen Ende August 1933: Der Arier-Paragraph in der Kirche, 411. Den Begriff „Schisma“ verwendet Bonhoeffer in „Der Arier-Paragraph in der Kirche“ nicht, vgl. aber das Telegramm, das Bonhoeffer noch am 5. 9. 1933 an H.L. Henriod sendet: „Aryan paragraph now in action […]. Separation now at hand.“ (DBW 12, 122; Hervorhebung durch F.S.). 205 So auch die Hg. von DBW 13, Nachwort der Hg., 438. Vgl. zur Situation Bonhoeffers im August/ September/Oktober 1933 DB 379ff sowie Bonhoeffers Londoner Briefe an K. Barth vom 24. 10. 1933, DBW 13, 11 – 15; an K.-F. Bonhoeffer vom 13. 1. 1934, DBW 13, 74 f; an E. Sutz vom 28. 4. 1934, DBW 13, 127 – 129. 206 DBW 12, Brief an E. Sutz vom 17. 7. 1933, 98. 207 DBW 13, Vorwort der Hg., 3.

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manismus und Christentum entgegenzuwirken.208 Er hoffte auf eine baldige sichtbare Klärung der Fronten durch die völlige „Trennung der Minderheit von der Reichskirche“.209 Damit verbunden war auch die Hoffnung auf eine Absetzung des Reichsbischofs aus seinem Amt,210 der den „Arierparagraphen“ kurzzeitig außer Kraft gesetzt hatte, ihn dann aber – und diesmal in der radikalen Form – wieder einführte (sog. „Maulkorberlaß“ vom 4. 1. 1934).211 In dieser ersten Januarwoche begann sich die „Opposition zu dem um[zuformen], was von den Tagen der Barmer Synode an die ,Bekennende Kirche‘ hieß“ (DB 393). Mit der Geburtsstunde der Bekennenden Kirche durch die „Barmer Theologische Erklärung“212 war nun endlich das Ziel erreicht, das Bonhoeffer längst für überfällig hielt: Ein klares Bekenntnis war gesprochen und die falsche Lehre der Deutschen Christen verworfen worden. Die Barmer Bekenntnissynode hatte damit kirchlich und theologisch vollzogen, was Bonhoeffer in einer Erklärung Berliner Pfarrer „An die Nationalsynode der Deutschen Evangelischen Kirche“ im September 1933 eingefordert hatte: „Die Kirche darf […] sich nicht nur mit Worten zum Evangelium bekennen, sondern muß mit der Tat die ihr auferlegten Fragen evangeliumsgemäß entscheiden.“ (DBW 12, 142) Die Reichskirche ihrerseits erkannte die neu gegründete Bekennende Kirche freilich nicht als eigenständige Kirche an; Bonhoeffer aber appellierte an deren Selbstverständnis, die einzig wahre Kirche Jesu Christi in Deutschland zu sein.213 An Henriod schrieb er am 12. 7. 1934:

208 Vgl. dazu oben den Brief Bonhoeffers an die Großmutter vom 20. 8. 1933 (DBW 12, 118). 209 DBW 13, Brief an G. Bell vom 16. 11. 1933, 447; engl. Fassung: DBW 13, 28. 210 Vgl. Bonhoeffers Brief an G. Bell vom 27. 12. 1933, DBW 13, 57ff, und bes. den Brief an R. Seeberg vom 2. 1. 1934, DBW 13, 62ff; vgl. ferner hierzu sowie zu den Ereignissen um den „Sportpalastskandal“ und zum folgenden DB 390 ff. 211 Vgl. hierzu DB 396ff sowie Scholder, Die Kirchen, Bd. 2, 35. Vgl. auch das von Bonhoeffer mitverfasste „Memorandum der Pfarrer Londons“ vom 5. 2. 1934, DBW 13, 95 f, das zum Eklat mit Th. Heckel (vgl. die Dokumente zur Konferenz mit Vertretern der Reichskirchenregierung, DBW 13, 97 – 108) führte: „Unter Zulassung des Reichsbischofs ist in einigen evangelischen Landeskirchen in unevangelischer Übertragung staatlich sehr wohl berechtigter Grundsätze der Arier-Paragraph eingeführt, abgesetzt und wieder eingeführt worden. Er widerspricht dem klaren Sinn der Schrift und ist nur ein Symptom für die Gefahr, der das reine Evangelium und das Bekenntnis durch die ,Deutschen Christen‘ ausgesetzt sind.“ (DBW 13, Memorandum der Pfarrer Londons vom 5. 2. 1934, 96). 212 Vgl. dazu das Buch von Krçtke, Barmen – Barth – Bonhoeffer. 213 Vgl. DB 440. Jenen Anspruch, dass die Bekennende Kirche „allein rechtmäßig die Deutsche Evangelische Kirche darstellt und vertritt“, hatte z. B. Karl Koch am 11. 7. 1934 gegenüber dem Reichsinnenminister mitgeteilt (J. Gauger, Chronik der Kirchenwirren, Bd. II: Von der Barmer Reichssynode im Mai 1934 bis zur Einsetzung der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche im November 1934, Elberfeld 1935, 259; zit. n.: DBW 13, 170, Hg.Anm. 7). Vgl. auch Bonhoeffers Anfrage im Auszug des Sitzungsprotokolls des Reichsbruderrats vom 3. 9. 1934: „Ist die Bekenntnissynode legale Kirche? Warum bleibt sie in der DEK?“ (DBW 13, 200).

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Es gibt keinen Anspruch oder gar den Wunsch, eine Freikirche zu sein neben der Reichskirche, sondern es gibt nur den Anspruch, die einzig theologisch und rechtlich legitimierte evangelische Kirche in Deutschland zu sein.214

Denn „der Arierparagraph, die verlangte uneingeschränkte Huldigung dem Staat gegenüber, die Anwendung von Gewalt und Verhinderung freier Wahlen und die Einführung des Führerprinzips mit autokratischen Machtbefugnissen für Bischof Müller“, diese Tatsachen hatten Bonhoeffers Ansicht nach längst in Zweifel gezogen, „ob die Deutsche Kirche nicht überhaupt schon aufgehört hat, eine christliche Kirche zu sein“.215 2. Die zweite, daran sich anschließende zentrale Richtung in Bonhoeffers Bemühungen, den Kirchenkampf von London aus mitzukämpfen, beschreibt den Versuch, die internationale Ökumene zu einem deutlichen, bekennenden Wort für die Bekennende Kirche zu gewinnen, d. h. „rechtzeitig offen zum Ausdruck zu bringen, zu welcher der beiden ,Kirchen‘ in Deutschland sich die Ökumene bekennt“.216 Für Bonhoeffer ist die „Frage, um die es in den deutschen Kirchen geht“, längst „keine interne Angelegenheit mehr, sondern die Frage der Existenz des Christentums in Europa“. Darum will er „eine deutliche Stellungnahme der ökumenischen Bewegung“ gerade nicht als „Intervention“ verstanden wissen, sondern als eine dringende, keinen Aufschub duldende „Demonstration vor der ganzen Welt, daß Kirche und Christenheit als solche auf dem Spiel stehen“.217 Ende April 1934218 schreibt Bonhoeffer an George Bell, den Bischof von Chichester : „Ich denke, der Moment ist gekommen, daß Sie ein endgültiges Wort [orig.: a final word; F.S.] zu dem Konflikt sagen sollten und könnten.“219 Am 23. Juni dann (der Reichsbischof ging zu dieser Zeit bereits „so weit, Pfarrer, die Informationen über Kirchenangelegenheiten an Ausländer gaben, des ,Hochverrats‘ zu bezichtigen‘“, DB 423) appelliert Bonhoeffer abermals an Bell, ein ökumenisches Wort an die Bekennende Kirche zu richten, und es wird in diesem Brief die doppelte Relevanz jenes geforderten Zeugnisses deutlich:

214 DBW 13, Brief an H.L. Henriod vom 12. 7. 1934, 481; engl. Fassung: DBW 13, 166. Vgl. hierzu auch DB 430 f: „Von jetzt [sc. von der Formulierung des Barmer Bekenntnisses] an war die Opposition nicht mehr ,Opposition‘ innerhalb der Reichskirche, die deren Leitung weiter anerkennen konnte, sondern nun mußte sie sich als die eine ,Bekennende Kirche‘ in Deutschland verstehen. Bonhoeffer fühlte sich erleichtert und gerechtfertigt. Die Barmer Synode hatte ausgesprochen und in Kraft gesetzt, was er lange als Kriterium seines Redens und Handelns behauptet hatte.“ 215 DBW 13, Brief an G. Bell vom 29. 6. 1934, 476; engl. Fassung: DBW 13, 159. 216 DBW 13, Brief an Th. de Felice vom 4. 7. 1934, 162. 217 DBW 13, Brief an G. Bell vom 14. 3. 1934, 459; engl. Fassung: DBW 13, 112. In diesem Brief heißt es: „Time passes by very quickly and it might soon be too late.“ 218 Kurz zuvor hatte der Bruderrat der Freien Evangelischen Synode von Berlin-Brandenburg die Botschaft des Reichsbischofs „zum kirchlichen Frieden“ vom 13. 4. 1934 „scharf zurückgewiesen“ (DBW 13, 126, Hg.-Anm. 6). 219 DBW 13, Brief an G. Bell, vermutlich vom 25. 4. 1934, 463; engl. Fassung: DBW 13, 126.

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Der Ort der „Nachfolge“

Wir sind sicher, daß die Führer der kirchlichen Opposition und die große Mehrheit der standfesten Protestanten in unserem Land mehr und mehr in Verlegenheit gebracht werden durch die erste der neueren Erklärungen, d. h. durch die HochverratsDrohung. Sie werden alle das ökumenische Zeugnis und den Protest als außerordentlich hilfreich betrachten für alle, die andernfalls völlig ungeschützt drohender Beleidigung und großer Gefahr ausgesetzt sind. Das ökumenische Zeugnis wird jetzt besonders hilfreich sein, wenn Sie offen erklären, daß jeder Disput und jede Information über Kirchenfragen allein das Gebiet religiöser Diskussion berührt und überhaupt nichts mit Staatspolitik zu tun hat. Und ihre Erklärung würde jetzt um so wichtiger sein, als durch die britische Presse und durch den Rundfunk die Aufmerksamkeit vieler Kirchen in der ganzen Welt mehr denn je auf die erschreckenden Maßnahmen und Drohungen von Bischof Müller gelenkt worden ist. Der Weltprotestantismus erwartet sicher sehr bald eine offene Antwort auf diese provozierenden Angriffe gegen die Himmelfahrtsbotschaft, welche an alle Kirchen Christi geschickt worden ist.220

Auf Bonhoeffers Kritik an der Langsamkeit ökumenischen Handelns, auf das – letztendliche – Ausbleiben des ökumenischen Zeugnisses an die Welt (siehe hierzu unten Punkt 4) und auf die Relevanz dieser Umstände für die Entwicklung zur „Nachfolge“ wird an späterer Stelle noch näherhin einzugehen sein.221 3. Ein weiteres Bestreben Bonhoeffers betrifft die Stellung der englischen Gemeinden zur deutschen Reichskirche bzw. zur Bekennenden Kirche in Deutschland. In der „vereinigten Sitzung der Pfarrer und Kirchenvorsteher der evangelischen Gemeinden Englands am 5. 11. 34“ macht Bonhoeffer deutlich, dass ein „Nein zur Bekenntniskirche […] heute ein Ja zur Reichskirche [ist]“,222 und es gelingt ihm in der recht kurzen Zeit seines Aufenthalts „nicht allein seine Londoner Amtsbrüder, sondern den gesamten deutschen Gemeindeverband in England auf Gegenkurs zum deutschchristlichen Kirchenregiment in Berlin“ zu bringen.223 220 DBW 13, Brief an G. Bell vom 28. 6. 1934, 473; engl. Fassung: DBW 13, 154 f. 221 Siehe unten Kap. 4.6 und 4.8. 222 DBW 13, Protokoll der vereinigten Sitzung der Pfarrer und Kirchenvertreter der evangelischen Gemeinden Englands am 5. 11. 1934, 218; vgl. DBW 13, aaO., Anm. 24: „Alle Leiden können uns nicht schrecken. Bekennen wir uns nicht zur Bekenntniskirche, dann haben wir zur Müllerkirche Ja gesagt. Sind die Dinge wirklich noch nicht klar genug?: Nationalkirche oder Jesus Christus allein.“ Zu der Alternative „Nationalkirche oder Jesus Christus“ vgl. oben Bonhoeffers Brief an seine Großmutter vom 20. 8. 1933 (DBW 12, 116ff). 223 DBW 13, Vorwort der Hg., 3; vgl. dazu DBW 13, Protokoll Bonhoeffers für die St. PaulsGemeinde vom 5. 11. 1934, 214 f: „Nach einigen Fragen und Vorschlägen einigt sich die gesamte Versammlung darauf, in einer Resolution festzustellen, daß die versammelten Vertreter der Gemeinden erklären, daß sie sich innerlich der Bekenntniskirche zugehörig wüßten und alle daraus folgenden Verhandlungen mit den Behörden der Reichskirche und Bekenntniskirche aufnehmen werden.“ (DBW 13, aaO., 215) Im November des Jahres 1934 setzt der Deutsche Evangelische Pfarrerverein in Großbritannien dann ein Schreiben an alle Auslandspfarrer auf (DBW 13, 241 – 243), in dem festgestellt wird: „Gebunden an das biblische Evangelium und an

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4. Schließlich ist eines der zentralen Themen in Bonhoeffers theologischen Arbeiten dieser Jahre zu nennen,224 die Friedensfrage und, damit eng verbunden, Bonhoeffers Engagement, die ökumenischen Kirchen zu einem vollmächtigen Wort des Friedens zu bewegen. Ende August 1934 sollte die internationale ökumenische Konferenz der Kirchen auf der dänischen Insel Fanø stattfinden. Im Vorfeld dieser Konferenz galt es, für die deutsche Delegation eine eigene Einladung der Bekennenden Kirche zu erwirken, denn nur die reformatorischen Bekenntnisse haben wir in Verantwortung für Kirche und Volk handeln müssen. Wir konnten der Entscheidung nicht mehr entfliehen. Keine Entscheidung wäre eine Entscheidung für das deutsch-christliche Regiment gewesen. Wir haben uns daher von diesem Kirchenregiment losgesagt und werden demnächst mit der Bekenntnissynode die Verhandlungen aufnehmen.“ (DBW 13, aaO., 242) Vgl. auch Bonhoeffers Entwurf eines Schreibens an das Kirchliche Außenamt vom 13. 12. 1934, DBW 13, 262 f. – Die Loslösung der englischen Gemeinden von der deutschen Mutterkirche führte Bonhoeffer v. a. in den für ihn folgenreichen Konflikt mit dem durch Müller zum Auslandsbischof ernannten Th. Heckel (vgl. dazu DB 423). Heckel veranlasste, dass Bonhoeffer im August 1936 die Lehrbefugnis entzogen wurde, vgl. DBW 14, Anschreiben der Kanzlei des Universitätskurators an die Dozentenschaft der Berliner Universität vom 24. 8. 1936, 230, und vom 10. 9. 1936, 234. – Siehe zum Londoner Konflikt die folgenden Schriftstücke: die Briefe Th. Heckels an die Auslandspfarrer vom 14. 11. 1934 (DBW 13, 224 f) und an den Gemeindeverband in London vom 16. 11. 1934 (DBW 13, 229 f), in dem es heißt: „Der Gemeindeverband scheint anzunehmen, daß z. Zt. in Deutschland zwei evangelische Kirchen nebeneinander stünden, für die man sich nun zu entscheiden habe, nämlich die Deutsche Evangelische Kirche und die ,Bekenntniskirche‘ […]. Dies ist ein Irrtum. Die sog. Bekenntniskirche ist keine Kirche im Rechtssinn; man kann sie als innerkirchliche Bewegung ansprechen, die sich kirchenregimentliche Befugnisse zuspricht. Zu einem selbständigen Rechtsgebilde fehlt ,der Bekenntniskirche‘ die bestimmte und dauernde Form und Verfassung. Schließlich ist wesentlich, daß eine öffentlich rechtliche Anerkennung des Staates nicht vorliegt“ (DBW 13, aaO., 229). Siehe dazu weiterhin: Briefe Th. Heckels an Baron B. Schröder vom 28.11. und vom 10. 12. 1934 (DBW 13, 245 f und 257 f); das „Protokoll eines Gesprächs zwischen Londoner Pfarrern und der Leitung der Bekenntnissynode in Berlin“ (DBW 13, 246 – 249), in dem der schöne Satz zu finden ist: „Baron Schröder sagt, Heckel hat uns die Hucke vollgelogen.“ (DBW 13, 247); die Aufzeichnung des Auswärtigen Amtes „über Dietrich Bonhoeffers und Gustav Schönbergers Vortrag“ vom 5. 12. 1934 (DBW 13, 250 – 253), die eine gute Darstellung der ,Sach‘-Lage bietet, sowie das Schreiben Heckels „an die deutschevangelischen Gemeinden in Großbritannien“ vom 10. 12. 1934 (DBW 13, 258 – 261), in welchem Heckel noch einmal wiederholt, „daß sich neben der Deutschen Evangelischen Kirche eine Bekenntniskirche als Kirche im Rechtssinne nicht gebildet hat und daß eine Anerkennung der Bekenntnissynode seitens des Staates nicht vorliegt“ (DBW 13, aaO., 259). Die am Ende dieses Schreibens im Fall einer Lossagung von der Reichskirche in Aussicht gestellten rechtlichen Folgen für die deutschen Gemeinden in England – „Mit dem Anschluß der Gemeinden würden […] auch alle gegenüber dem Geistlichen bestehenden Verbindlichkeiten der Deutschen Evangelischen Kirche, insbesondere hinsichtlich der Ruhestandsversorgung hinfällig sein.“ (DBW 13, aaO., 261) – sind sodann Gegenstand des Konflikts zwischen Bonhoeffer und Helmuth Rößler, der hier auszubrechen beginnt, vgl. das Schreiben – oder besser : den Aufruf – H. Rößlers an die deutschen evangelischen Auslandspfarrer vom 16. 11. 1934 (DBW 13, 230 – 235) sowie den daraus resultierenden Rückbrief Bonhoeffers an Rößler vom 20. 11. 1934 (DBW 13, 237 – 241) und dessen Antwort, die er später als „(schmerzliche) Trennung von D. Bonhoeffer im Kirchenkampf“ (DBW 13, 253, Hg.-Anm. 1) bezeichnete (DBW 13, 253 – 256). 224 Gremmels, Nachschrift, 44, hat die Friedensfrage als die zentrale Frage Bonhoeffers schon in dieser Zeit verstanden.

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so konnte ihrem Anspruch Ausdruck verliehen werden, von der Reichskirche getrennte, eigenständige, ja sogar die allein „rechtmäßige Deutsche Evangelische Kirche zu sein“.225 Tatsächlich erreichte Bonhoeffer eine Einladung Karl Kochs und Friedrich von Bodelschwinghs,226 die die Bekennende Kirche auf Fanø vertreten sollten, dann aber „wegen der politischen Lage doch nicht erscheinen“ sollten.227 Bonhoeffer selbst reiste nicht als Vertreter der Bekenntniskirche, sondern als einer der Jugendsekretäre des Weltbundes nach Fanø. Neben einem Referat über „Die Kirche und die Welt der Nationen“228 hält er am Morgen des 28. 8. 1934 eine Andacht zu „Kirche und Völkerwelt“229 (DBW 13, 298 – 301), die besonders durch zweierlei getragen ist: durch den Anspruch Bonhoeffers an die ökumenische Versammlung einerseits und durch die Hoffnung und den Glauben an die Macht derselben andererseits. Nachdem er den internationalen Frieden als Gottes Gebot230 und dieses Gebot als durch nichts zu sicherndes Wagnis ausgewiesen hat,231 richtet Bonhoeffer an die ökumenische Versammlung die Frage, wie dieser Friede wird, wer zum Frieden ruft, „daß die Welt es hört, zu hören gezwungen ist? daß alle Völker darüber froh werden müssen?“ (DBW 13, aaO., 300) Seine Antwort, die auf der Grundlage des bislang Ausgearbeiteten nicht überrascht:

225 DB 440; vgl. zum Zusammenhang DB 436 ff. 226 Vgl. GS I (Brief G. Bells an K. Koch vom 18. 7. 1934), 204. 227 DB 440. Vgl. die Skizze in Gremmels, Nachschrift, 48 f: „Am 30. Juni 1934 wird in Deutschland die sogenannte ,Röhm-Revolte‘ mit der Ermordung von 207 Menschen niedergeschlagen; Hitler selbst hatte nach dem Tod des Reichspräsidenten Hindenburg dessen Amt und das des Reichskanzlers auf sich vereinigt; der Austritt Deutschlands aus dem ,Völkerbund‘ war vollzogen, die deutsche Wiederaufrüstung in vollem Gang; aber auch außenpolitisch standen die Zeichen auf Sturm: Aufmarsch italienischer Truppen an der österreichischen Grenze, das endgültige Scheitern der Abrüstungsverhandlungen, der drohende Ausbruch des Abessinienkrieges“ (Gremmels, aaO., 48). 228 Vgl. die in DBW 13, 295 – 297 abgedruckten Thesen Bonhoeffers; vgl. hierzu DBW 13, Brief von H. Schönfeld vom 14. 6. 1934, 150 – 152; von und an H.L. Henriod vom 7. 7. 1934 und vom 12. 7. 1934, 163 – 168; an O.V. Ammundsen vom 8. 8. 1934; von Th. de Felice vom 11. 8. 1934; an Th. de Felice vom 12. 8. 1934; von H. Schönfeld vom 13. 8. 1934, 178 – 184, bes. 184, Anm. 3; vgl. ebenso DB 445 ff. 229 Vgl. zu Bonhoeffers Rede v. a. die Darstellung von Heimbucher, Christusfriede – Weltfrieden, bes. 113 – 166. 230 Vgl. DBW 13, Rede vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 299: „[G]esagt hat er [sc. Gott], daß Friede sein soll unter den Menschen, daß wir ihm vor allen weiteren Fragen gehorchen sollen, das hat er gemeint. […] Friede soll sein, weil Christus in der Welt ist, d. h. Friede soll sein, weil es eine Kirche Christi gibt, um derentwillen allein die ganze Welt noch lebt.“ 231 Vgl. DBW 13, Rede vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 300: „Es gibt keinen Frieden auf dem Wege der Sicherheit. Denn Friede muß gewagt werden, ist das eine große Wagnis, und läßt sich nie und nimmer sichern. […] Friede heißt sich gänzlich ausliefern dem Gebot Gottes, keine Sicherung wollen, sondern in Glaube und Gehorsam dem allmächtigen Gott die Geschichte der Völker in die Hand legen und nicht selbstsüchtig über sie verfügen wollen. Kämpfe werden nicht mit Waffen gewonnen, sondern mit Gott.“

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Der einzelne Christ kann das nicht – er kann wohl, wo alle schweigen, die Stimme erheben und Zeugnis ablegen, aber die Mächte der Welt können wortlos über ihn hinwegschreiten. Die einzelne Kirche kann auch wohl zeugen und leiden – ach, wenn sie es nur täte – aber auch sie wird erdrückt von der Gewalt des Hasses. Nur das Eine große ökumenische Konzil der Heiligen Kirche Christi aus aller Welt kann es so sagen, daß die Welt zähneknirschend das Wort vom Frieden vernehmen muß und daß die Völker froh werden, weil diese Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und Frieden Christi ausruft über die rasende Welt. (DBW 13, aaO., 300 f)

Das „Eine große ökumenische Konzil der Heiligen Kirche Christi aus aller Welt“, welches in Vollmacht das Gebot Gottes zur Stunde der Christenheit und der Welt sagt und dieses Gebot darum als politisches Wort sagt, und zwar so, dass die Welt, dass der Staat sich diesem Wort beugen muss – was Bonhoeffer hier aussprach und forderte, ist eben jenes „unmittelbar politische[…] Handeln der Kirche“, ist jenes „dem Rad selbst in die Speichen […] fallen“,232 das er im April des Vorjahres in Bezug auf die „Judenfrage“ eingefordert hatte und das er, wenn freilich mit anderem Vokabular, bereits zwei Jahre zuvor, im Sommer 1932 auf der ökumenischen Konferenz in Ciernoshorsk Kfflpele und auch an der Universität, theologisch in den Blick genommen und für unausweichlich gehalten hatte. Der status confessionis war in Deutschland nach Bonhoeffers Auffassung durch die „Arier“-Gesetzgebung gegeben; in Barmen war darum das rechte Bekenntnis formuliert und die Häresie verworfen worden. Gerade die Wirksamkeit dieses Wortes verlangte nun aber das Wort der Ökumene zu diesem synodalen Beschluss.233 International bedrohten Aufrüstung und Kriegsanstrengungen die Ordnung des Friedens, sodass für Bonhoeffer hier das konziliare Wort der Kirchen zum Verbot des Krieges, d. h. ein unbedingt politisches kirchliches Wort, zu sprechen notwendig war. Die Besonderheit der Fanøer Rede liegt nun darin, dass Bonhoeffer, während er in den Schriften der vorangegangenen Jahre das Konzil als das einzige und das allein vollmächtige Entscheidungsorgan der Kirchen ausgewiesen und eingefordert hatte, das Zustandekommen eben jenes Konzils jetzt gerade nicht 232 DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 353. 233 Es ist zu erwägen, inwieweit die Barmer Bekenntnissynode von Bonhoeffer als eine Art ,nationales Konzil‘ aufgefasst worden sein mag, vgl. Bonhoeffers Interpretation von Barmen und Dahlem im Aufsatz „Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft“ vom Juni 1936: „Hinter Barmen und Dahlem können wir nicht darum nicht mehr zurück, weil sie geschichtliche Tatsachen unserer Kirche sind, denen wir Pietät zu erweisen hätten, sondern weil wir hinter Gottes Wort nicht mehr zurückkönnen.“ (DBW 14, 668) Vgl. dazu die Kritik H. Gollwitzers, Bonhoeffers Antwort (DBW 14, 680 – 691 und 691 – 700) sowie wiederum die Stellungnahme Gollwitzers (DBW 14, 680 – 691): „Den Anspruch, daß in ihr die Stimme der wahren Kirche zu Worte gekommen sei, hat die Bekennende Kirche erhoben. Die Auslegung aber, die Bonhoeffer dafür […] gibt, ist unmöglich. Das Bekenntnis der Kirche ist nicht Gottes Wort, sondern Zeugnis der Kirche von Gottes Wort. Nicht Gott, sondern die Kirche hat in Barmen und Dahlem gesprochen“ (DBW 14, aaO., 685).

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mehr einforderte, sondern es feststellte, indem er die am Morgen des 28. 8. 1934 versammelten Vertreter der Christenheit als jenes „Eine große ökumenische Konzil der Heiligen Kirche Christi aus aller Welt“ anredete. Warum fürchten wir das Wutgeheul der Weltmächte? Warum rauben wir ihnen nicht die Macht und geben sie Christus zurück? Wir können es heute noch tun. Das ökumenische Konzil ist versammelt, es kann diesen radikalen Ruf zum Frieden an die Christusgläubigen ausgehen lassen. Die Völker warten darauf im Osten und Westen. […] Sollten wir die einzelnen, die ihr Leben an diese Botschaft wagen, allein lassen? Die Stunde eilt – die Welt starrt in Waffen und furchtbar schaut das Mißtrauen aus allen Augen, die Kriegsfanfare kann morgen geblasen werden – worauf warten wir noch? Wollen wir selbst mitschuldig werden, wie nie zuvor? […] Wir wollen reden zu dieser Welt, kein halbes, sondern ein ganzes Wort, ein mutiges Wort, ein christliches Wort. Wir wollen beten, daß uns dieses Wort gegeben werde, – heute noch – wer weiß, ob wir uns im nächsten Jahr noch wiederfinden? (DBW 13, aaO., 301)

Ein beinahe tragisches Moment (bestehend in der Divergenz zwischen dem eigenen Glauben und Hoffen gegenüber den ihn enttäuschenden Erfahrungen an der Ökumene) haftet Bonhoeffers Weg dieser Zeit an. Einige Monate vor der Fanø-Konferenz und auch noch vor dem Synodalbeschluss von Barmen vertraut sich Bonhoeffer dem Generalsekretär des Weltbundes, Henry Louis Henriod, an, indem er diesem seine Einschätzung der ökumenischen Lage mitteilt: Ich halte die Langsamkeit des ökumenischen Handelns allmählich nicht mehr für verantwortlich […]. Man muß sich eben einmal entscheiden und kann nicht ewig auf ein Zeichen vom Himmel warten, das einem plötzlich die Lösung der Schwierigkeiten in den Schoß fallen läßt. Auch die Ökumene muß sich entscheiden und ist dabei dem allgemein menschlichen Schicksal des Irrens unterworfen. Aber aus lauter Angst vor Irrtum überhaupt nicht zum Handeln zu kommen und zur Stellungnahme […] scheint mir fast gegen die Liebe zu gehen. Verzögerte oder verpaßte Entscheidungen können sündiger sein als falsche Entscheidungen, die aus dem Glauben und aus der Liebe kommen. „Erlaube mir, daß ich zuvor hingehe…“ heißt es im Evangelium, oh, wie oft schützen wir das vor! – und gerade hier heißt es Jetzt oder Nie. „Zu Spät“ heißt „Nie“. Wenn nicht die Ökumene das jetzt begreift und wenn da nicht ein paar „Stürmer sind, die das Himmelreich an sich reißen“ Matth. 11,12, dann ist die Ökumene nicht mehr Kirche, sondern ein nichtsnutziger Verein, in dem schöne Reden gehalten werden. „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“, glauben heißt aber sich entscheiden. Und in welcher Richtung die Entscheidung zu gehen hat, kann denn darüber überhaupt noch ein Zweifel sein? Bekenntnis – heißt es heute in Deutschland, Bekenntnis heißt es heute auch für die Ökumene. Weg mit der Angst vor diesem Wort – die Sache Christi ist auf dem Spiel, wollen wir schlafend gefunden werden?234

234 DBW 13, Brief an H.L. Henriod vom 7. 4. 1934, 120.

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Für die Bonhoeffersche Bewertung der Situation spielt es keine Rolle, ob sich diese an Henriod gerichteten Zeilen nun auf das Wort der Ökumene zur Bekenntnisfront in Deutschland beziehen oder aber zur Friedensfrage in der Welt; vielmehr lässt sich das eine für Bonhoeffer längst nicht mehr vom anderen trennen.235 Hier das Warten auf das Wort der Ökumene und die Hoffnung, dass die Kirche tatsächlich vollmächtig gebieten, der Welt tatsächlich die Waffen aus der Hand nehmen und den Krieg verbieten würde, den Forderungen des Staates also, weil dieser sich als Staat selbst verneint, nicht mehr Gehorsam zu leisten;236 dort die Ernüchterung, dass dieses Wort gerade nicht getan wurde, sondern ausblieb. Von diesen beiden Fronten umringt, kämpft Bonhoeffer einen Kampf der Kirche und um die Kirche, aus dem heraus jenes „ach, wenn sie es nur täte“ der Fanøer Rede geradezu als ein verzweifelter Ruf der Kassandra klingt.237 Aber Bonhoeffer verzweifelt nicht. Als nach der Konferenz von Fanø das vollmächtig konziliar gefundene und beschlossene, der Welt und der Christenheit im Wagnis ebenso vollmächtig verkündigte Wort der Kirchen wiederum ausbleibt, hat er allerdings längst begonnen, nach einer „ganz anderen Opposition“ Ausschau zu halten. Am 28. 4. 1934, also noch einen Monat bevor „endlich die erste gesamtdeutsche Bekenntnissynode von Barmen am 29. Mai zustande kam“ (DB 425), schreibt er an den Schweizer Freund Sutz (DBW 13, 127 – 129): [O]bwohl ich mit vollen Kräften in der kirchlichen Opposition mitarbeite, ist es mir doch ganz klar, daß diese Opposition nur ein ganz vorläufiges Durchgangsstadium zu einer ganz anderen Opposition ist, und daß die Männer dieses ersten Vorgeplänkels 235 Vgl. hierzu den kurz vor der Konferenz auf Fanø an Bischof O.V. Ammundsen verfassten Brief Bonhoeffers vom 8. 8. 1934, in dem es heißt: „Nun noch ein Wort zur Konferenz selbst. Ganz offen und persönlich: ich habe beim Gedanken an Fanö mehr Angst vor manchen unsrer eignen Leute als vor den Deutschen Christen. Man wird vielfach unsrerseits entsetzlich vorsichtig sein, um ja nicht unpatriotisch zu erscheinen […]. Viele, auch solche, die schon länger in der ökumenischen Arbeit stehen, können bis heute nicht begreifen und nicht glauben, daß wir hier wirklich allein als Christen zusammen sind. […] Es muß, gerade auch in unsrer Stellung zum Staat, hier ganz ehrlich geredet werden, um Jesu Christi und der ökumenischen Sache willen. Es muß klar werden, – so furchtbar es ist – daß die Entscheidung vor der Tür steht: Nationalsozialist oder Christ; daß wir einen Schritt weitergehen müssen, als wir vor einem Jahr waren […]. Es kann furchtbar schwer und hart für uns alle werden, aber wir müssen hinein und hindurch, ohne Diplomatie mit offener christlicher Rede. […] Ich bin der Meinung, es sollte eine Resolution gefaßt werden – alles Ausweichen nützt nichts. Und wenn der Weltbund in Deutschland dann aufgelöst wird – nun gut, dann haben wir das Zeugnis abgelegt, das wir schuldig waren. Besser als unwahrhaftig weitervegetieren. Es ist jetzt nur mit der ganzen Wahrheit und Wahrhaftigkeit geholfen.“ (DBW 13, 179) Vgl. zu „vor einem Jahr“ DB 367 – 370 und zu „Resolution“ das von Bonhoeffer verfasste „Memorandum an die ökumenische Jugendkommission“ vom 29. 1. 1935, DBW 13, 278 f. 236 Vgl. dazu DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 303; DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 353 f. 237 Vgl. hierzu Bonhoeffers identifikatorische Auseinandersetzung mit Don Quijote, dem tragischen Helden des Cervantes, WE 24 f, 182, 333.

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zum geringsten Teil die Männer jenes zweiten Kampfes sind. Und ich glaube, die ganze Christenheit muß mit uns darum beten, daß das „Widerstehen bis aufs Blut“ kommt und daß Menschen gefunden werden, die es erleiden. Einfach erleiden – darum wird es dann gehen, nicht Fechten, Hauen, Stechen, – das mag für das Vorgefecht noch erlaubt und möglich sein, der eigentliche Kampf, zu dem es vielleicht erst später kommt, muß einfach ein glaubendes Erleiden sein und dann, dann vielleicht wird sich Gott wieder zu seiner Kirche mit seinem Wort bekennen, aber bis dahin muß viel geglaubt, viel gebetet und viel gelitten werden. (DBW 13, aaO., 128)

Bonhoeffer benennt in dem Brief nicht nur die Erwartung einer Wende des Kirchenkampfes hin zu einer ganz anderen Qualität, zum „eigentliche[n] Kampf“ als einem „glaubende[n] Erleiden“, zu einem Widerstand des „Widerstehen[s] bis aufs Blut“; er erwägt ferner schon jetzt, wie jener zweite Kampf zu kämpfen und wie er möglicherweise zu gewinnen ist: Wissen Sie, ich glaube – vielleicht wundern Sie sich darüber – daß die ganze Sache an der Bergpredigt zur Entscheidung kommt. Ich glaube, daß die Theologie Barths – aber gewiß auch die Ethik Brunners – nur noch einmal verzögert haben – und gewiß auch ermöglich[t] haben, daß das erkannt wird. […] Noch sehe ich ganz unklar und in Umrissen, was geschieht und was geschehen soll […]. Ich habe ein paar Leute gefunden, die an dieser Stelle mit mir weiterfragen. Schreiben Sie doch einfach mal, wie Sie über die Bergpredigt predigen. Ich versuche es gerade – unendlich schlicht und einfach – aber es geht immer um das Halten des Gebotes und gegen das Ausweichen. Nachfolge Christi – was das ist, möchte ich wissen – es ist nicht erschöpft in unserem Begriff des Glaubens. Ich sitze an einer Arbeit, die ich Exerzitium nennen möchte – nur als Vorstufe. (DBW 13, aaO., 128 f)

Zum ersten Mal kommt Bonhoeffer hier, Ende April 1934, auf das Vorhaben einer Schrift zur Nachfolge Christi zu sprechen, über deren Entdeckungszusammenhang diese kurze Briefpassage entscheidende Auskunft gibt. Zu „Nachfolge Christi“, „Bergpredigt“, „Halten der Gebote“, „Glaube“ findet Bonhoeffer über die Frage, „was geschehen soll“, wie sich die Kirche zu positionieren und wie sie den ihr bevorstehenden Kampf zu kämpfen hat, damit sich „[…] Gott wieder zu seiner Kirche mit seinem Wort bekennen [wird]“ (DBW 13, aaO., 128; Hervorhebung durch F.S.). Die Bezugnahme auf „die Theologie Barths“ und „die Ethik Brunners“ verdeutlicht sogleich, dass es noch in der Hauptsache immer das „Problem des Ethischen“ ist, das Bonhoeffer beschäftigt. In Aufnahme der Arbeitsergebnisse der vorangegangenen Abschnitte wird es jetzt darum gehen, dezidiert den Blick auf die Entstehung und Motivation der „Nachfolge“ zu richten und die Theologie dieses Werks in den Entwicklungszusammenhang Bonhoeffers einzuordnen. Dabei wird sich zeigen, inwieweit die entscheidenden Wurzeln der „Nachfolge“ im Jahr 1932 und in

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jener Auseinandersetzung mit dem „Problem des Ethischen“ liegen,238 dessen Problemkreise bis hierher dargelegt worden sind. Die Lösung dieses Problems war für Bonhoeffer schon Kirchenkampf, nämlich Kampf um die Kirche, der dann zugleich zu einem Kampf gegen die nationalsozialistische bzw. deutschchristliche Bewegung wurde. Insofern das Buch aus diesem Kampf heraus entstand, wird sich zeigen, dass Bonhoeffer in (der Theologie) der Nachfolge Christi – wie es T.R. Peters treffend formuliert hat – „vor dem Krieg […] die eigentlich christliche Oppositionsfigur erblickt haben [dürfte]“.239 In der kirchlichen Opposition in Gestalt der Nachfolge Christi sind zudem beide großen Ebenen des Kirchenkampfes, auf denen Bonhoeffer tätig war (nämlich der nationale Kampf der innerdeutschen Bekenntnisfront und der internationale Kampf um das zu dieser Bekenntnisfront und zum Frieden vollmächtig Stellung beziehende Wort der Ökumene) zusammen- und in eine neue, für Bonhoeffer einzig verheißungsvolle Richtung weitergeführt. Es werden darum in den theologisch systematisierenden Punkten des folgenden Abschnitts zur „Nachfolge als Kirchenkampf“ erlaubt, die nationale und die internationale Ebene des Kirchenkampfes gemeinsam zur Darstellung gebracht.

4.6 Nachfolge als Kirchenkampf (I) Resümierend kehrt die Analyse für einen Augenblick zurück in das Jahr 1932. Die Frage, die den aus Amerika zurückgekehrten Bonhoeffer bewegt, ist, so schreibt er im August an Sutz, die „Frage nach der Möglichkeit der Verkündigung des konkreten Gebotes durch die Kirche“240 im Angesicht der konkreten nicht nur nationalen, sondern weltweiten Krise, welche er auf einer internationalen ökumenischen Konferenz desselben Monats wie folgt skizziert: Grauenvoller als je zuvor spitzen sich die Dinge zu – Millionen hungernder Menschen […] – gedemütigte und entehrte Völker, die ihre Schande nicht verwinden können, – politische Extreme gegen politische Extreme, Fanatisierte gegen Fanatisierte, Götzen gegen Götzen – und dahinter eine Welt, die in Waffen starrt wie nie zuvor, eine Welt, die fieberhaft rüstet, um durch Rüstung den Frieden zu gewährleisten, eine Welt, deren Götze das Wort „Sicherheit“, „scurit“ geworden ist, – eine opferlose Welt voll Mißtrauen und Argwohn.241 238 DBW 11, Brief an E. Sutz, Anfang August 1932, 100. 239 Peters, Politische Verantwortung, 103 f; Peters bezieht sich hier in Sonderheit auf die „subversive[…] Gewaltlosigkeit“ der N als Form des „gewaltlosen Widerstand[s]“. 240 DBW 11, Brief an E. Sutz, Anfang August 1932, 100. 241 DBW 11, Ansprache in Gland am 29. 8. 1932, 354 f. Vgl. dazu Bonhoeffers Grußwort in Ciernoshosk Kfflpele: „Das Unrechtsempfinden und das völkische Bewußtsein werden von extremen Elementen mißbraucht.“ (DBW 11, 348) Und: „Die hitlernationalistische Partei miß-

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Weder Emil Brunner noch Karl Barth vermochten Bonhoeffer in ihren Schriften hinreichende ethische Antworten zu geben.242 Wie kann und wie sollte die Kirche (bzw. vorerst die Theologie, verstanden als eine Funktion der Kirche)243 auf das „Problem des Ethischen“244 reagieren? Diese Frage wurde im Vorangegangen als Bonhoeffers zentrales theologisches Anliegen aufgewiesen und zur Darstellung gebracht. Dabei ist deutlich geworden, dass Bonhoeffer der Kirche die „Möglichkeit der Verkündigung des konkreten Gebotes“ grundsätzlich zugesteht (die Kirche wagt das Gebot und schafft, wie gleich gezeigt wird, gerade durch diese Entscheidungen ihre Autorität), in bestimmten in geschichtlichen Situationen evozierten Grenzfällen an die Entscheidung eines Konzils bindet und das konziliar vollmächtig gefundene und ausgerichtete Gebot sogar als genuin politisches, als „unmittelbar politisches Handeln der Kirche“ zu verstehen ist.245 Im Zuge dessen entdeckt Bonhoeffer die Begriffe „Häresie“, „Schisma“ und „Konzil“ für seine Theologie, welche mit der Forderung an die Ökumene beginnt, sich wirklich als Kirche, d. h. als gegenwärtiger Christus in der Welt, zu verstehen. Kirche ist […] der Christus praesens, freilich im Fleisch, in der Gestalt einer menschlichen Organisation; aber doch Christus praesens. Und dieser Christus gebietet, auch in seiner Verhüllung in der Kirche, und sofern er Christus ist, gebietet er ganz konkret.246

Doch kaum ist Bonhoeffer in der ihn drängenden Frage der ethischen Verkündigung zu dem für ihn jetzt klaren und eindeutigen Ergebnis gelangt, dass die Kirche nicht etwa eschatologisch begrenzt ist,247 sondern als gegenwärtiger Christus tatsächlich Vollmacht besitzt, konkrete Gebote zu bestimmen und

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braucht die demokratischen Möglichkeiten und strebt nach Errichtung einer Diktatur. […] Der Nazismus drängt auch in die Kirche hinein.“ (DBW 11, aaO., 349) Vgl. auch die Opposition von „Frieden“ und „Sicherheit“ in der Fanøer „Friedensrede“ (28. 8. 1934, DBW 13, 298 – 301). Vgl. dazu DBW 11, Brief an E. Sutz vom 17. 5. 1932, 89; Brief an E. Sutz, Anfang August 1932, 100; Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 212. Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 251. DBW 11, Brief an E. Sutz, Anfang August 1932, 100. DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 353. Von vornherein – und nicht erst in „Die Kirche vor der Judenfrage“ – haftet der Forderung eines konkreten Gebotes – und zwar des auch und gerade an den Staat gerichteten Friedensgebotes – durch die Kirche bei Bonhoeffer ein politisches Moment an (vgl. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 338 f und 343). DBW 12, Brief an H. Rößler vom 25. 12. 1932, 40. Vgl. DBW 12, Brief an H. Rößler vom 25. 12. 1932, 39; DBW 11, Brief an E. Sutz vom 17. 5. 1932, 89; Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 212 u. a.; vgl. dazu auch Bonhoeffers Predigt zu 2. Chronik 20,12 vom 8. 5. 1932: „Wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern unsere Augen schauen nach dir.“ Im Brief an E. Sutz vom 17. 5. 1932 kommentiert Bonhoeffer die Predigt wie folgt: „Mir spitzt sich das Problem [sc. des Ethischen in der Kirche] immer unerträglicher zu. Neulich habe ich über 2. Chron. 20,12 gepredigt. Da habe ich meine ganze Verzweiflung mal abgeladen.“ (DBW 11, 89).

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diese ebenso wagend wie vollmächtig der Christenheit und der Welt zu sagen,248 stellt er noch im Dezember des Jahres 1932 fest, „daß unsere Kirche heute das konkrete Gebot nicht sagen kann“.249 Gerade darum aber, weil Bonhoeffer der Kirche die Fähigkeit jener Gebotsverkündigung grundsätzlich (d. h. wesenhaft) zugesteht – die Grenzfälle sind hier eingeschlossen, nicht in dem Sinne, als seien sie nicht geschichtlich vermittelt, sondern insofern, als die Kirche eben auch in Grenzfällen (und dann unmittelbar politisch!) reden können sollte –, kann er ihre aktuelle Unfähigkeit in dieser Sache nur als „Abfall und Verlust der Substanz“250 verstehen. Die Kirche sollte gemäß ihrem Wesen den zur Stunde gebotenen Willen Gottes finden und sagen können (und zwar ganz im Wagnis und im Wissen um die Möglichkeit des Irrens sagen können, aber gerade darum auch im Glauben an die Sündenvergebung, die auch ihr gilt).251 Sie kann es aber nicht, weil sie (d. h. die Kirche in ihrer bestimmten geschichtlichen Gestalt an der Wende zum Jahre 1933) ihrer Substanz verlustig gegangen ist. Anders gesagt: Dem Wissen um die wesenhafte Vollmacht der Kirche steht bei Bonhoeffer die Erfahrung entgegen, dass das vollmächtige Wort zurückgehalten und nicht gewagt wird. An die Stelle des gewagten und als Gottes Gebot geglaubten vollmächtigen Wortes ist Furcht getreten: die Furcht, durch eine mögliche Fehlentscheidung die eigene Autorität zu verspielen – eine paradoxe Situation, weil die Autorität der Kirche sich nach Bonhoeffer gerade im Wagnis dokumentiert und sie von dorther erst gewonnen wird. Helmut Rößler gegenüber schildert Bonhoeffer das Dilemma wiefolgt: [I]st das nicht gerade das (von allen anderen Autoritäten unterschiedene) Charakteristikum der Autorität der Kirche, daß sie nicht erst Autorität haben und aus dieser Autorität heraus handeln soll, sondern daß sie allein durch dieses „willkürliche“ Sagen des Gebotes, sofern es als Gottes Gebot gehört wird, Autorität hat und mit jedem ihrer Worte ihre ganze Autorität aufs Spiel setzt. Die Autorität des Staates ruht nicht in den konkreten Entscheidungen, die Autorität der Kirche aber ruht allein in diesen.252

Es scheint, als läge in Bonhoeffers in diesem Brief vorgenommener Bestimmung der Autorität der Kirche („daß sie nicht erst Autorität haben und aus dieser Autorität heraus handeln soll“) ein Widerspruch vor zu der hier noch detailliert zu entfaltenden Behauptung, es gehe Bonhoeffer darum, die Substanz der Kirche in Gestalt der Einheit von Glauben und Gehorsam zurückzugewinnen, sodass die Kirche dann mit Autorität sprechen könne. Demgegenüber ist jedoch festzuhalten, dass gerade die Autorität, die Bonhoeffer im 248 249 250 251 252

Vgl. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 343. DBW 12, Brief an H. Rößler vom 25. 12. 1932, 39; Hervorhebung durch F.S. DBW 12, Brief an H. Rößler vom 25. 12. 1932, 39. Vgl. DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 331 ff. DBW 12, Brief an H. Rößler vom 25. 12. 1932, 39.

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Brief an Rößler ins Auge fasst, die Gestalt der Einheit von Glauben und Tun, von Wagnis und Gehorsam besitzt. Bonhoeffer fährt fort: Aber aus Furcht, die Autorität zu verspielen, aus Furcht vor dem Chaos darf doch die Entscheidung nicht zurückgehalten werden (vgl. Luther gegen Erasmus über die demoralisierenden Folgen der Prädestinationslehre!) – ganz abgesehen davon, daß dort, wo die Autorität der Kirche durch eine furchtbare, katastrophale Fehlentscheidung (worüber übrigens erst der letzte Tag richten wird) wirklich verspielt ist – aber wirklich im Glauben an die Sündenvergebung verspielt ist –, eine ganz andere Autorität, nämlich die der Barmherzigkeit Gottes, sichtbar werden kann.253

Immer häufiger treten jetzt in Bonhoeffers Schriften die Vokabeln Furcht und Angst auf, die er in dieser Briefpassage ganz erfahrungsbezogen reflektiert und nun zusehends zu theologischen Kategorien erhebt.254 Hier mögen sie als Schlüsselbegriffe zum Verständnis der theologischen Entwicklung Bonhoeffers und auch der „Nachfolge“-Theologie aufgezeigt werden. Furcht vor der Entscheidung, damit benennt Bonhoeffer 1932 die alltagsweltliche, die – so kann gesagt werden – profane Ursache seiner Gegenwartsdiagnose, welche lautet: Die Kirche sollte das konkrete, an und für sich unbegründbare, allein in seinem Inhalt aufweisbare Gebot255 an die Welt ausrichten können, aber sie hält ihre Entscheidung aus Angst zurück, sie kann das Gebot nicht sagen. Aus „Kirche und Völkerwelt“ wurde bereits zitiert: „Warum fürchten wir das Wutgeheul der Weltmächte?“;256 zwei Jahre zuvor hatte Bonhoeffer in Gland gesprochen:

253 DBW 12, Brief an H. Rößler vom 25. 12. 1932, 39. 254 Vgl. z. B. Bonhoeffers Predigt zu Mt 8,23 – 27 vom 15. 1. 1933 (DBW 12, 439 – 447), in der die „Überwindung der Furcht […] verkündigt [wird]“ (DBW 12, aaO., 440). Diese Predigt enthält nicht nur zahlreiche theologische Akzente, die in der N wiederkehren (vgl. z. B. die Einwände des Nicht-mehr-glauben-Könnens, DBW 12, aaO., 444, oder die Übernahme von Leid, DBW 12, aaO., 446), sondern verdeutlicht überdies, dass die Sprache der N zugleich die von Bonhoeffers Predigten ist. – Eine Kategorisierung des Begriffs „Angst“ in den Schriften Bonhoeffers bietet Gremmels, Versuch über die Kraft zum Widerstehen, 33 f (= Anm. 22), der fünf Verwendungszusammenhänge von „Angst“ in Bonhoeffers Werk unterscheidet: „(1) A[ngst] als schöpfungstheologisches Bestimmungsvokabular […] – (2) A[ngst] und Befreiung von A[ngst] als Signatur des Existenzwechsels […] – (3) A[ngst] als Begriff von Kirchenkritik […] – (4) A[ngst] als zeitdiagnostisches Kriterium […] – (5) A[ngst] als analytischer Terminus der Kritik des Nationalsozialismus“. 255 Vgl. DBW 12, Brief an H. Rößler vom 25. 12. 1932, 40, „zur Frage nach der Begründbarkeit der Gebote: das Gebot ist unbegründbar; begründbar, besser aufweisbar ist nur sein Inhalt, der selbst nie zum Hören des Gebotes führen kann, und anders will ich auch das Gebot des Friedens nicht begründen.“ 256 DBW 13, Rede vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 301; Hervorhebung durch F.S.; vgl. hierzu den Brief an Henriod vom April desselben Jahres: „Bekenntnis – heißt es heute in Deutschland, Bekenntnis heißt es heute auch für die Ökumene. Weg mit der Angst vor diesem Wort – die Sache Christi steht auf dem Spiel, wollen wir schlafend gefunden werden?“ (DBW 13, 120).

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Der Weltbund ist die erschreckte, hellhörig gewordene, geängstigte Kirche Christi, der die Wehen der Welt Angst machen und die ihren Herrn herbeiruft.257 Warum hat die Gemeinschaft der Brüder in der Kirche Christi, wie sie im Weltbund in Erscheinung tritt, Angst? Weil sie um das Gebot des Friedens weiß und doch mit dem klaren Blick, der der Kirche gegeben ist, die Wirklichkeit beherrscht sieht vom Haß, von der Feindschaft, von der Gewalt.258

Zu beobachten ist nun Bonhoeffers schrittweise theologische Interpretation der alltagsweltlichen Termini. Was in der Sprache des Profanen Angst heißt, dem gibt Bonhoeffer theologisch in dem Begriff des Ungehorsams Ausdruck. Demgegenüber bedeutet das Sagen des Gebotes, welches stets als Wagnis geschieht und also den Glauben voraussetzt, theologisch interpretiert Gehorsam. Damit ist ein Zusammenhang zwischen der anthropologischen Grundkonstante der Angst und dem (theologisch interpretierten) Ungehorsam auf der einen und Wagnis und Glauben auf der anderen Seite aufgezeigt und zugleich ein unmittelbarer Zusammenhang von Glauben und Gehorsam ausgedrückt. Der Gehorsam der Kirche (und sofern Gehorsam mit dem Hören auf das Wort Gottes beginnt,259 ist das bloße Sagen des Gebotes bereits Gehorsam; es ist der erste Gehorsam der Kirche) ist stets ein im Glauben vollzogenes, gewagtes Tun. Die Kirche wird der Christenheit und der Welt das Gebot Gottes zur Stunde sagen müssen (dies bereits ist ihr Gehorsam!), die Voraussetzung dieses Sagens und demnach dieses Gehorsams aber ist der Glaube, den es seinerseits nicht ohne den Gehorsam, d. h. nicht ohne die Verkündigung des konkreten Gebotes, gibt. Glaube wird erst im Gehorsam wirklich. Gehorsam ist die konkrete Gestalt des Glaubens, ist geglaubtes Wagnis, Glauben als Wagnis, der die Furcht überwindet.260 Jener Zusammenhang von Wagnis und Gebot, von Gehorsam und Glaube ist es, der Bonhoeffers Rede auf Fanø leitet: Friede muß gewagt werden, ist das eine große Wagnis, und läßt sich nie und nimmer sichern. […] Friede heißt sich gänzlich ausliefern dem Gebot Gottes, keine Sicherung wollen, sondern in Glaube und Gehorsam dem allmächtigen Gott die Geschichte der Völker in die Hand legen.261 Wer Gottes Gebot in Frage zieht, bevor er gehorcht, der hat ihn schon verleugnet.262

Auch Bonhoeffers Ausführungen zum ersten Schritt in der „Nachfolge“, der zum Glauben hin getan werden muss und zugleich bereits im Glauben ge257 DBW 11, Ansprache in Gland am 29. 8. 1932, 352. 258 DBW 11, Ansprache in Gland am 29. 8. 1932, 354. 259 Das Sagen des konkreten Gebotes durch die Kirche beginnt mit dem Hören des konkreten Gebotes durch die Kirche, mit ihrem Gehorsam gegen das Gebot des Christus, der in ihr, der Kirche, gegenwärtig ist. Im vollmächtigen Sagen des Gebotes besteht erst die Vollmacht der Kirche. Vgl. dazu DBW 12, Dogmatische Übungen im WS 1932/33: Theologische Psychologie, 178 – 199, bes. 192 f; siehe dazu oben Kap. 2.4.2.1. 260 Vgl. dazu DBW 12, Predigt zu Mt 8,23 – 27 vom 15. 1. 1933, 440 – 454. 261 DBW 13, Rede vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 300. 262 DBW 13, Rede vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 299.

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schieht (vgl. N 50ff), haben hier ihren Ort und Ursprung. Dieser Schritt, so wurde gezeigt, ist ein Schritt des Gehorsams; er ist aber gerade darin und zuallererst ein Schritt des Glaubens, ein Schritt des Wagnisses, „sich auf das Wort Jesu Christi zu verlassen, dieses Wort für einen tragfähigeren Boden zu halten als alle Sicherheiten der Welt“.263 So wird ein Zusammenhang ersichtlich, dessen Begründung im Folgenden noch aufgedeckt wird, dass nämlich Bonhoeffer in der „Nachfolge“ auf der Ebene des Einzelnen bzw. der Gemeinde in neuer Terminologie und neuen Zusammenhängen formulieren wird, was er auf Fanø für die Kirche erwog und forderte: Nicht einfach theoretische theologische Erwägungen über die Verhältnismäßigkeit von Glauben und Gehorsam sind die Überlegungen eines ersten Schrittes, des Schrittes in die Nachfolge, sondern resultative Sätze, die bis zu den Erfahrungen der frühen Zeit des Kirchenkampfes zurückgehen. Gerade in dem Verlust dieses Zusammenhangs von vollmächtiger Verkündigung und Gehorsam, von Gehorsam und Glaube, besteht jener „Abfall und Verlust der Substanz“ der Kirche, nach dem gefragt worden ist – und in dieser Erkenntnis besteht Bonhoeffers große Entdeckung, die unmittelbar zur Theologie der „Nachfolge“ führt und die er im Begriff der Nachfolge zurückzugewinnen versucht. Nicht, als täte die Kirche nichts – ihr Tun ist aber gerade kein einfältiges Tun dem gebotenen Wort des gegenwärtigen Christus gegenüber und ist gerade deshalb kein gehorsames Tun. Die Kirche glaubt, ohne zu gehorchen und ohne zu wagen, d. h. sie glaubt in Wahrheit nicht, sondern betrügt sich in der Existenz „billiger Gnade“ selbst (vgl. N 53). Sie hat darum ihre Autorität, ihre Vollmacht, die ihr wesenhaft obliegt, verloren, sodass in letzter Konsequenz hier der Satz folgen muss, dass die gegenwärtige Kirche nicht mehr Kirche Jesu Christi ist,264 bzw. in Bezug auf die protestantische Kirche in Deutschland, „daß diese Kirche nicht mehr die Kirche Luthers ist“.265 Ein Text Bonhoeffers, der die Unterscheidung zwischen der Kirche Luthers und der auf Luther sich berufenden Kirche zum ersten Mal sehr deutlich vollzieht, fasst die ganze beschriebene Diagnose der kirchlichen Situation in ihren wesentlichen Eindrücken und auf die Gemeinde bezogen zusammen, deren Beschreibung dann im ersten Kapitel der „Nachfolge“ wiederkehren 263 N 69. Es folgt in der N der erfahrungsbezogene, homologisch zu lesende Satz: „Die Mächte, die sich zwischen das Wort Jesu und den Gehorsam stellen wollten, waren damals ebenso groß wie heute.“ Siehe zur homologischen Sprache in der N unten Anm. 306 dieses Kapitels. 264 Vgl. dazu DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 303: Die „Existenz als Kirche hängt davon ab, ob die Kritik [sc. am Staat] von ihr allein aus dem Hören des Evangeliums kommen kann.“ Ebenso wird in „Die Kirche vor der Judenfrage“ deutlich, dass eine Kirche, die primär unmittelbar politisch handeln zu können meint (vgl. DBW 12, 350 f), sich nicht als die „wahre Kirche Christi“ (DBW 12, aaO., 351) verstehen können wird. Die Frage, wann Kirche aufgehört hat, Kirche zu sein, wird eine, wenn nicht sogar die entscheidende Frage Bonhoeffers in den kommenden Jahren darstellen. 265 DBW 12, Predigt zu Apk 2,4 f.7 vom 6. 11. 1932, 425.

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wird;266 es ist die Predigt zu Apk 2,4 f.7, gehalten am Reformationsfest des 6. 11. 1932 (DBW 12, 423 – 431): Daß wir in der zwölften Stunde der Lebenszeit unserer evangelischen Kirche stehen, daß uns also nicht mehr viel Zeit bleibt, bis es sich entscheidet, ob es aus ist mit unserer Kirche oder ob ein neuer Tag beginnt – das sollte uns allmählich klar geworden sein. […] Kinder machen es ja wohl so, wenn ihnen Angst wird auf der dunklen Straße, daß sie pfeifen und fest auftreten und lärmen, um sich selbst Mut zu machen – eigentümliche Täuschung, wenn man schon keinen Mut mehr hat, so macht man ihn sich eben – aus lauter Angst. (DBW 12, aaO., 423)

Das Bild wird sodann auf die gegenwärtige gesellschaftliche sowie kirchliche Situation übertragen: Deutschland, dem es vor seiner Zukunft Angst ist, macht sich heute Mut mit großen, lauten Worten aller Art, – wenn sie nur die tiefinnere heimliche Sterbensbangigkeit vertreiben – die Kirche der Reformation, die heimlich um den Abgrund weiß, der sie von der Reformation trennt, die bereits unter der Hand des Todes erschaudert, singt verzweifelt mutig: „Ein feste Burg ist unser Gott […]“ – und sieht garnicht, daß jedesmal, wenn sie „Gott“ sagt, dieser Gott sich gegen sie selbst wendet. […] Die Kirche, die die Reformation feiert, läßt dem alten Luther seine Ruhe nicht, er muß herhalten zu allem Schlimmen, was heute in der Kirche vorgeht. Man stellt ihn, den toten Mann, in unsere Kirche, läßt ihn seine Hand ausstrecken, auf die Kirche weisen und mit allem Pathos der Selbstsicherheit immer wieder nur das eine sagen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ – und man sieht nicht, daß diese Kirche nicht mehr die Kirche Luthers ist, daß Luther mit Zittern und Zagen, vom Teufel bis in die letzte Stellung zurückgedrängt, in der Furcht Gottes sein „Hier stehe ich“ gesagt hat, und daß sich dies Wort sehr wenig dafür eignet, von uns in den Mund genommen zu werden. Es ist ja doch einfach nicht wahr, oder es ist unverzeihlicher Leichtsinn und Hochmut, wenn wir uns hinter dieses Wort verschanzen: wir können anders (DBW 12, aaO., 424 f; Hervorhebung durch F.S.).

Schon hier hatte Bonhoeffer in der Auseinandersetzung mit Luther und dessen Kirche erkannt, was er einige Jahre später in der „Nachfolge“ dergestalt formulieren wird, „daß eine Erkenntnis nicht getrennt werden kann von der Existenz, in der sie gewonnen ist“ (N 38), und dass darum gilt: „wir können anders“ – d. h. übersetzt: Wir können „[…] die ersten Werke [tun], um die schlechthin alles geht“: „Gott lieben und den Bruder lieben mit jener ersten, leidenschaftlichen, brennenden, alles nur Gott nicht aufs Spiel setzenden Liebe“ (DBW 12, aaO., 430). Weil wir längst nicht Luthers Position bezogen haben, „die letzte Position […], aus der heraus er nur noch im Gebet zu Gott 266 Vgl. dazu DB 516: Zwar „fehlte im Sommer 1935 noch die ausgeführte Analyse der Tat Luthers und ihrer Verdrehung durch seine undialektischen Nachahmer“ – es wird im Folgenden aber deutlich werden, dass diese Verkehrung inhaltlich in Bonhoeffers Denken schon im Jahre 1932 vorhanden gewesen ist.

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sagen kann: ich kann nicht anders“ (DBW 12, aaO., 425; Hervorhebung durch F.S.), darum, so argumentiert Bonhoeffer, besitzen wir kein Recht, uns auf diese Worte zu berufen und zurückzuziehen, uns so vom Tun freizusprechen und die Gestalt unseres Glaubens vom Gehorsam zu dispensieren.267 Darüber ist nun auch deutlich geworden, dass Bonhoeffer einen elementaren Zusammenhang zwischen der Entscheidungslosigkeit der Kirche, der Entscheidungslosigkeit der Gemeinde und der Entscheidungslosigkeit des Einzelnen sieht. Gerade die (konziliare) Entscheidungslosigkeit der Kirche führt Bonhoeffer zurück auf das mangelnde Tun, d. h. den mangelnden Gehorsam, den falschen Glaubensbegriff innerhalb der Gemeinden und der einzelnen Christen; zugleich ist der mangelnde Gehorsam der Einzelnen Ausdruck und Folge verkehrter lutherisch-protestantischer Lehre. So wird Bonhoeffer in den kommenden Jahren um den Gehorsam des Einzelnen, der Gemeinde und der Kirche bemüht sein, die allesamt je und je zur Entscheidung gerufen sind und für die in derselben Weise gilt: „Die Zukunft ängstigt uns. Aber die Verheißung tröstet uns.“ (DBW 12, aaO., 431) Ebenfalls am Ende des Jahres 1932, vermutlich im Dezember,268 trägt Bonhoeffer bei der „Deutschen Christlichen Studenten-Vereinigung“ (DCSV) über jenes Thema vor, das Christian Gremmels „als das Lebensthema in der ,engagiert-kirchlichen‘ Periode Bonhoeffers“ bezeichnet hat, nämlich einen christologisch begründeten Pazifismus. Zwar ist auch von diesem Vortrag, „Christus und der Friede“ (DBW 12, 232 – 235), nurmehr eine Nachschrift erhalten; diese aber gereicht zur Bestätigung und Verdeutlichung dessen, worin der Substanzverlust der Kirche und folglich auch die Substanz der Kirche nach Bonhoeffers Auffassung besteht. Der Vortrag nimmt in einigen zentralen Gedanken und Wendungen den Kerngedanken der „Nachfolge“ vorweg, dass Rechtfertigung und Nachfolge, Gnade und Werke, Glaube und Gehorsam eine untrennbare Einheit bilden und der Kirche das Wissen um diese Einheit verloren gegangen ist.269

267 Dazu DBW 12, Predigt zu Apk 2,4 f.7 vom 6. 11. 1932, 429: „Keiner, der die heutige Kirche kennt, wird sich darüber beklagen wollen, daß die Kirche nichts tue. Nein, die Kirche tut unendlich viel, auch mit viel Aufopferung und Ernst; aber wir tun alle eben so viel zweite, dritte und vierte Werke, und sie tut nicht die ersten Werke. Und eben darum tut sie das Entscheidende nicht.“ Bonhoeffer wendet sich hier sicherlich gleichermaßen an die Kirchen in Deutschland und die im Weltbund zusammengeschlossenen Kirchen der Ökumene; diese „feiern, […] repräsentieren, […] erstreben Einfluß, […] machen eine sogenannte evangelische Bewegung“ (DBW 12, aaO., 429 f), jene versteht sich nicht als Kirche, sondern als „weltverbessernde[s] Aktionsorgan der Kirchen“ (DBW 11, Ansprache in Gland am 29. 8. 1932, 354), dessen Tagungen kein verbindliches Wort hervorbringen. 268 Der Vortrag ist nicht sicher zu datieren, vgl. dazu DBW 12, 232, Hg.-Anm. 1 und 3. 269 Bethge hat kommentiert: „Von einem ökumenischen Abend in der DCSV ist eine Nachschrift Jürgen Winterhagers erhalten, die zeigt, wie stark Bonhoeffer schon damals im Sinne der Friedensrede von Fanö und in Begriffen der ,Nachfolge‘ mit den Studenten geredet hat.“ (DB 253).

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Es geht Christus […] darum, daß wir Gott lieben, daß wir in der Nachfolge Jesu stehen, in die wir mit der Verheißung der Seligpreisungen gerufen sind, und daß wir so Zeugen des Friedens sind. Diese Nachfolge Christi kommt aus und steht ganz auf einfältigem Glauben und es ist umgekehrt auch der Glaube nur in der Nachfolge wahr. So sind die Gläubigen angeredet, die Welt aber durch das Friedenszeugnis Christi gerichtet. Der Glaube muß aber einfältig sein, sonst wirkt er Reflexion, nicht Gehorsam (DBW 12, aaO., 233). Der einfältige Gehorsam weiß nicht von Gut und Böse, er lebt in der Nachfolge Christi und tut die Werke als etwas, das sich von selbst versteht. (DBW 12, aaO., 234)

Wo aber der „Weg des Gehorsams“ nicht gegangen, sondern „auf Gnade hin“ gesündigt wird – und dieser Gehorsam kann nur aus dem Glauben gewagt werden270 –, dort „machen wir die Gnade billig, da vergessen wir mit der Rechtfertigung des Sünders durchs Kreuz Christi den Schrei des Herrn, der niemals Sünde rechtfertigt“. Darum ist das Wort des Friedens, das Gebot der Feindesliebe nicht nur der Kirche, sondern einem jeden Einzelnen „gegeben zum einfältigen Gehorsam“, denn: „Ohne daß wir diesen Frieden haben, können wir nicht den Völkern Frieden predigen.“ Die hier hervortretende „tiefe Analogie“ der „Beziehungen zweier Völker […] mit den Beziehungen zweier einzelner Menschen“ (DBW 12, aaO., 234) ist in der „Nachfolge“ zwar nicht mehr ausdrücklich reflektiert; es ist aber gerade diese neue Akzentsetzung, durch welche die Bewegung zur „Nachfolge“ gekennzeichnet ist: von der Völkerebene zur Beziehung zwischen Einzelnen, und zwar den einzelnen Gemeindegliedern untereinander. Der Vortrag „Christus und der Friede“ markiert darüber hinaus noch einen anderen entscheidenden Sachverhalt der Theologie Bonhoeffers, nämlich eine unmittelbare Korrelation des Gehorsams bzw. des Ungehorsams und der Frage nach dem Verhältnis der Kirche bzw. der Christen zur Welt. Dieses Weltverhältnis ist im Vortrag positiv in der unbedingten Forderung der Feindesliebe ausgesprochen (vgl. DBW 12, aaO., 234) und negativ in der Behauptung, dass der von Gott hier und jetzt gebotene Friede gerade nicht „[…] bestehen [kann] in der Aussöhnung des Evangeliums mit religiösen Weltanschauungen“ (DBW 12, aaO., 235). Der mangelnde Gehorsam der Kirche, der den Verlust ihrer Substanz in sich trägt, ist immer zugleich das Kennzeichen eines falschen Verhältnisses der Christen bzw. der Kirche zur Welt. Mit dem rechten Glaubens- und Gehorsamsbegriff hat die Christenheit das rechte Verhältnis zur Welt verloren, mit dem rechten Weltverhältnis hat sie sich selbst um den rechten Glaubens- und Gehorsamsbegriff und darum um die eigene Substanz gebracht. Gerade mittels der Bestimmung des rechten christlichen Weltverhältnisses sucht Bonhoeffer ja das „Problem des Ethischen“ anzugehen und zu einer Lösung zu bringen. Denn die Frage nach dem Weltverhältnis ist letztlich keine andere als die Frage danach, ob und inwiefern der Christ bzw. die Kirche 270 Vgl. DBW 12, Vortrag im Dezember 1932: Christus und der Friede, 233: „Der Christ kann nur den Frieden wagen aus dem Glauben.“

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überhaupt zum Handeln in der Welt fähig oder gerufen ist; und diese Frage beantwortet Bonhoeffer durch die allversöhnende Tat Gottes in Christus, welche die völlige Weltlichkeit der Kirche im Sinne des In-der-Welt-Seins der Kirche zeitigt. Weil nicht nur „ein heiliger, sakraler Bezirk der Welt […], sondern die ganze Welt“ Christus gehört,271 so wurde gezeigt, kann sich auch die Kirche nicht auf bestimmte, „bevorzugte Orte“272 und Bezirke in der Welt zurückziehen; ihre Weltlichkeit ist „real, nicht nur Schein“.273 Die „Kirche ist in der Welt“,274 und sie ist gerade dadurch „in der Welt“, dass sie für die Welt da ist,275 dass sie darin dem Worte Christi gehorsam ist. Die Kirche ist frei von der Welt, indem sie ganz ,weltgewordene‘ Kirche, Kirche für die Welt ist.276 Sie ist Welt, ohne jemals weltlich zu sein, und der Christ ist Christ allein darin, dass er in der Welt ganz aus dem Hören auf das Gebot Gottes heraus lebt,277 sich also nicht an die Welt verliert. Immer wieder hebt Bonhoeffer fortan in dieser Weise auf das biblisch gebotene Weltverhältnis der Christen ab. Schon im Jahre 1932 beschreibt er es nicht anders als in jener doppelten Gestalt von Zuwendung und Abgrenzung, die auch der „Nachfolge“ zugrundeliegen wird.278 In der Ansprache der ökumenischen Konferenz in Gland vom August jenes Jahres heißt es: Der Glaubende kann kein Pessimist sein und kann kein Optimist sein. Beides ist Illusion. Der Glaubende sieht die Wirklichkeit nicht in einem bestimmten Licht, sondern er sieht sie, wie sie ist und glaubt gegen alles und über alles, was er sieht, allein an Gott und seine Macht. Er glaubt nicht an die Welt, auch nicht an die entwicklungsfähige und verbesserungsfähige Welt, er glaubt nicht an seine weltverbessernde Kraft und seinen guten Willen, er glaubt nicht an den Menschen, auch nicht an das Gute im Menschen, das schließlich doch siegen müsse, er glaubt auch nicht an die Kirche in ihrer Menschenkraft, sondern der Glaubende glaubt allein an Gott, der das Unmögliche schafft und tut, der aus dem Tod das Leben schafft, der die sterbende Kirche zum Leben gerufen hat gegen und trotz uns und durch uns, aber er allein tut’s.279

Weltlichkeit der Kirche, das bedeutet für Bonhoeffer : „in ihr [sc. der Welt] den Ruf Christi im Glauben gehorsam vernehmen […] und sich durch diesen Ruf der Welt verantwortlich“ wissen.280 So erwartet die Kirche „alles Gute von

271 272 273 274 275 276 277 278 279 280

DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 331. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 246. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 298. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 299. Siehe oben Kap. 4.2. Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 299. Vgl. DBW 11, Ansprache in Gland am 29. 8. 1932, 352 u. a. Siehe oben Kap. 3.2. DBW 11, Ansprache in Gland am 29. 8. 1932, 351. DBW 11, Ansprache in Gland am 29. 8. 1932, 353.

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Gott“, dem allein sie „gehorsam sein will in der Welt“.281 An ihrem sichtbar werdenden Gehorsam gegen das Wort Christi282 folglich, der ein Spiegel ihres Weltverständnisses und -verhältnisses ist, hängt die Substanz der Kirche.283 Die Bestimmung des Verhältnisses des Christen zur Welt und des Verhaltens des Christen in der Welt ist weiterhin das Thema eines ebenfalls um die Wende zum Jahr 1933 entstandenen und oben bereits im Kontext der Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat besprochenen Aufsatzes, der den Weg zur „Nachfolge“ gedanklich bereitet: „Dein Reich komme! Das Gebet der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden“ (DBW 12, 264 – 278). Bonhoeffer beginnt seine Überlegungen mit einer das christlich-kirchliche Weltverhältnis in doppelter Weise negativ bestimmenden Zeitdiagnose, die sogleich in ihrer Bedeutung für den christlichen Glauben aufgewiesen wird: „Wir sind Hinterweltler oder wir sind Säkularisten; das heißt aber, wir glauben nicht mehr an Gottes Reich.“284 „Hinterweltlertum“ ist hier nicht einfach gleichzusetzen mit klösterlichen Formen religiöser Weltflucht. Sondern hinterweltlerisch ist der „schwach[e]“ Mensch, der „[…] die Nähe der Erde nicht [erträgt], die ihn trägt“, und der darum „[…] die Gegenwart [überspringt]“, anstatt sich den Herausforderungen und Aufgaben des Lebens zu stellen.285 „Aber Christus will nicht diese Schwäche, sondern macht den Menschen stark. Er führt ihn nicht in Hinterwelten der religiösen Weltflucht, sondern er gibt ihn der Erde zurück als ihren treuen Sohn.“ (DBW 12, aaO., 265) Neben der Flucht aus der – oder 281 DBW 11, Ansprache in Gland am 29. 8. 1932, 354. 282 Vgl. hierzu eine weitere Passage aus Bonhoeffers Ansprache in Gland (vom 29. 8. 1932): Lasst mich „eine große Sorge aussprechen, die sich mir die ganze Konferenz über mit wachsender Schwere aufgedrängt hat: ist es nicht in allem, was wir hier miteinander geredet haben, immer wieder erschreckend deutlich geworden, daß wir der Bibel nicht mehr gehorsam sind? Wir haben unsere eigenen Gedanken lieber als die Bibel. Wir lesen die Bibel nicht mehr ernst, wir lesen sie nicht mehr gegen uns, sondern nur noch für uns. Wenn diese ganze Tagung hier einen großen Sinn gehabt haben soll, so wäre es vielleicht der, uns zu zeigen, daß wir ganz anders die Bibel lesen müssen, bis wir uns wiedertreffen.“ (DBW 11, 353) Vgl. hierzu Bonhoeffers in Finkenwalde gehaltenen Vortrag über „Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte“, DBW 14, 399 – 419/421, dessen Hauptthese lautet: „Nicht wo die Gegenwart vor Christus ihren Anspruch anmeldet, sondern wo die Gegenwart vor dem Anspruch Christi steht, dort ist Gegenwart.“ (DBW 14, aaO., 404). 283 Man bedenke, dass die Unsichtbarkeit Christi im Leben der Gläubigen noch vor 1932 eine der zentralen Basis-Annahmen des Theologietreibens Bonhoeffers gewesen ist, vgl. DBW 11, Brief an H. Rößler vom 18. 10. 1931, 33: „Die Unsichtbarkeit macht uns kaputt“; zur Kategorie der „Basis-Annahme“ siehe oben Kap. 3.3.5. 284 DBW 12, Aufsatz an der Wende zum Jahr 1933: Dein Reich komme! Das Gebet der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden, 264. Auch Bonhoeffers Schrift SF (1932/33) ist im Kern eine Grundlegung christlichen Weltverständnisses. 285 DBW 12, Aufsatz an der Wende zum Jahr 1933: Dein Reich komme! Das Gebet der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden, 265. „Hinterweltlerisch sind wir, seit wir den bösen Kniff herausbekamen, religiös, ja sogar ,christlich‘ zu sein auf Kosten der Erde. Im Hinterweltlertum läßt es sich prächtig leben. Man springt immer dort, wo das Leben peinlich und zudringlich zu werden beginnt, mit kühnem Abstoß in die Luft und schwingt sich erleichtert und unbekümmert in sogenannte ewige Gefilde.“ (Ebd.).

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besser : vor der – Welt steht die säkulare Verhaltensform der Flucht in die Welt. Gemeint ist hier nicht die Position dessen, der sich darin nicht von der Welt unterscheidet, dass er, wie Bonhoeffer es in der „Nachfolge“ dann beschreiben wird, ohne sich von ihr zu unterscheiden, wie die übrige Welt lebt;286 die hier gezeichnete Haltung ist vielmehr diejenige eines religiös-schwärmerischen Weltverbesserers, die als säkular zu bezeichnen ist, weil sie eine Idealvorstellung der Weltzustände, nicht aber Christi Wort zum ersten Maßstab nimmt. Weil gesehen wird, dass die Kirche unausweichlich „der Erde verhaftet“ ist, dass es „keine Ausflucht“ gibt, darum müssen wir „uns mit ihr [sc. der Erde] auseinandersetzen“. Dazu muß Glaube sich verfestigen zu religiöser Sitte und zu Moral, Kirche zum Aktionsorgan für religiös-sittlichen Neubau. […] Welcher rechte Mann vertrete nicht gern die Sache Gottes in dieser schlechten Welt? (DBW 12, aaO., 266 f)

Demgegenüber ist aber zu sagen: Daß wir gerade mit unserer Bereitschaft, Gott in der Welt sein Recht zu verschaffen, nur ihm selbst entrinnen, daß wir die Erde um ihrer selbst, um dieses Kampfes willen lieben, das ist unser christlicher Säkularismus. (DBW 12, aaO., 267)

Und so gilt folglich: Es sind […] Hinterweltlertum und Säkularismus nur die beiden Seiten derselben Sache – nämlich, daß Gottes Reich nicht geglaubt wird. Weder der glaubt es, der zu ihm aus der Welt flieht, der es dort sucht, wo seine Plage nicht ist, noch der glaubt es, der es als ein Reich der Welt selbst aufzurichten zu sollen meint. […] Wer der Erde entweicht, um Gott zu finden, findet nur sich selbst. Wer Gott entweicht, um die Erde zu finden, findet die Erde – als Gottes Erde – nicht […], er findet sich selbst.287

Verdeutlicht wird hier, inwiefern mit dem Gehorsamsbegriff das Weltverständnis und mit diesen beiden der Glaubensbegriff selbst berührt ist, der an einem falschen Gehorsams- und Weltverhältnis leidet und über diese beiden zurückzugewinnen ist. Es ist im Grunde dasselbe Anliegen, das Bonhoeffer in „Dein Reich komme!“ und auch in der „Nachfolge“ bewegt. Glauben und also Gottes Reich glauben heißt erkennen, dass die „Erde […] unseren Ernst [will]“, dass „sie […] uns nicht entrinnen [läßt], nicht in die Hinterwelt frommer Seligkeit, noch in die Diesseitigkeit säkularer Utopie“ (DBW 12, aaO., 269). Glauben ist wirkliche, ernste, weder demütig-hinterweltlerische 286 Vgl. N 37 u. ö. 287 DBW 12, Aufsatz an der Wende zum Jahr 1933: Dein Reich komme! Das Gebet der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden, 267. Die oben verhandelten Begriffe der Angst und der Feigheit werden hier nun auf die beiden Positionen des Hinterweltlertums und des Säkularismus’ bezogen und also als Verweigerung interpretiert, Gottes Reich wieder als Gottes Reich zu glauben und ihm in diesem Glauben zu begegnen: „Warum sind wir so ängstlich, so vorsichtig, so feig?“ (DBW 12, aaO., 271 f).

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noch hochmütig-säkulare Diesseitigkeit288 – und es ist durchaus treffend, Bonhoeffers Lebensweg als einen Weg zur immer tieferen Bestimmung dieses diesseitigen Glaubens zu beschreiben. Als Abbreviatur jenes rechten Glaubensbegriffs in der Gestalt christlicher Diesseitigkeit werden auf diesem Weg in der „Nachfolge“ die Termini teure Gnade und Nachfolge treten, über die Bonhoeffer zu einem rechten Weltverständnis und -verhältnis zurückzugelangen sucht und die er entsprechend durch die Darlegung jenes Weltverständnisses konturiert.289 In der Zeit der Haft erhebt Bonhoeffer das Kriterium der Diesseitigkeit dann wieder explizit zum Maßstab christlichen Glaubens.290 Inwiefern er sich gerade darin von der Zeit der „Nachfolge“ abwenden kann, ihr zugleich aber treu bleibt, wird noch zu zeigen sein.291 Deutlich aber muss bereits an dieser Stelle werden, dass in „Dein Reich komme!“ bereits derjenige Glaubensbegriff in seiner Verbindung zum Weltverständnis angelegt und ausgesprochen ist, der die Theologie der „Nachfolge“ wegbereitet, ein Glaubensbegriff, der den Christen im Gehorsam gegen das Wort Gottes in die Welt hinein weist, und zwar stets in der Weise, dass ihn der Glaube ganz und allein auf Jesus Christus selbst blicken lässt:

288 Vgl. die Beschreibung von Hinterweltlertum und Säkularismus an späterer Stelle des Aufsatzes mittels der Begriffe „Demut“ und „Hochmut“: „Es ist unsere doppelzüngige Ungläubigkeit, mit der wir uns gegen dieses Reich [sc. ,der Auferstehung auf Erden‘] sträuben. Wir setzen Gott Grenzen, indem wir in erstohlener Demut sagen, Gott könne nicht zu uns kommen, er sei zu groß, sein Reich sei nicht für diese Erde, Gott und sein Reich sei in ewiger Jenseitigkeit.“ Dagegen: „Welche Demut wollte sich vermessen, Gott die Grenzen seines Tuns zu bestimmen, – ihm, der stirbt und aufersteht?“ Das Äquivalent dieser Demut ist der Hochmut. „Diese Demut ist nichts als der schlecht verhohlene Hochmut dessen, der selbst wissen will, was Gottes Reich ist, und der nun, in ebenso schlecht verhohlenem Eifer, selbst das Wunder tun will, selbst das Reich Gottes schaffen will, und der im Erstarken der Kirche, in der Verchristlichung von Kultur und Politik und Erziehung, in einem Neuwerden christlicher Sitte das Kommen des Reiches Gottes erblickt und damit nur wieder dem Fluch der Erde, in der das Reich Gottes als Schatz verborgen ist, verfällt.“ Dagegen: „Wer wollte sich so grenzenlos verkennen, daß er nicht sieht, daß es Gott selbst und allein ist, der dies Durchbrechen, dies Wunder, das Reich der Auferstehung bringt.“ (DBW 12, Aufsatz an der Wende zum Jahr 1933: Dein Reich komme! Das Gebet der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden, 271). 289 Bezeichnenderweise grenzt Bonhoeffer in der N das von ihm in der Gleichzeitigkeit von Sichtbarkeit und Verborgenheit, Außerordentlichkeit und Einfalt beschriebene christliche Leben gegen eine falsche geistliche Demut und ebenso gegen einen falschen geistlichen Hochmut ab: gegen eine geistliche Demut, indem er das Tun der Nachfolgenden als außerordentliches, vor der Welt ganz und gar sichtbares Tun beschreibt, und gegen einen geistlichen Hochmut, indem er es als einfältiges, sich selbst gegenüber ganz und gar unsichtbares, unbemerktes Tun behauptet. In dieser Doppelgestalt christlichen Lebens und in ihr allein wird die Gnade als teure Gnade gewahrt; siehe dazu oben Kap. 3.2. 290 Vgl. Bonhoeffers Brief an E. Bethge vom 21. 7. 1944, WE 541 – 543, 542: „Später erfuhr ich und erfahre es bis zur Stunde, daß man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt […] – und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge, Mißerfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben“. 291 Vgl. WE 542. Siehe hierzu unten Kap. 4.9.

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„Dein Reich komme“ – das betet nicht die fliehende fromme Seele des einzelnen, das betet nicht der Utopist und Schwärmer, der hartnäckige Weltverbesserer – das betet allein die Gemeinde der Kinder der Erde, die sich nicht absondern, die keine besonderen Vorschläge zur Besserung der Welt anzubringen haben, die auch selbst nichts Besseres sind als die Welt, aber die nun in der Mitte, in der Tiefe, in der Alltäglichkeit und Unterworfenheit der Welt gemeinsam ausharren, […] und die unverwandt ihren Blick heften auf den seltsamen Ort in der Welt, an dem sie die Durchbrechung des Fluches, das tiefste Jasagen Gottes zur Welt staunend vernehmen […] – auf die Auferstehung Jesu Christi. Hier ist das Wunder schlechthin geschehen. Hier ist das Todesgesetz zerbrochen, hier kommt das Reich Gottes selbst auf Erden zu uns, in unsere Welt, hier ist das Bekenntnis Gottes zur Welt, der Segen Gottes, der den Fluch aufhebt. (DBW 12, aaO., 270 f)

Dass sich die „Kirche zum Aktionsorgan für religiös-sittlichen Neubau“ verfestigt (DBW 12, aaO., 266), tief verwurzelt in „Kultur und Politik und Erziehung“ (DBW 12, aaO., 271) und gerade dadurch erstarken – wieder erstarken – solle, davor hatte Bonhoeffer zu Beginn des Jahres 1933 gewarnt. Als im Laufe dieses Jahres dann der „Arierparagraph“ in der Kirche eingeführt zu werden droht, ist die für Bonhoeffer ohnehin marode Substanz der Kirche in einer weiteren, fatalen Richtung bedroht. In der als Flugblatt konzipierten Erklärung Berliner Pfarrer „An die Nationalsynode der Deutschen Evangelischen Kirche“ wiederholt Bonhoeffer Ende September 1933 die Warnung: „Es darf […] nicht sein, daß die Kirche Jesu Christi unter Verleugnung der brüderlichen Liebe durch Herrschaft der Gewalt zu einem Reich dieser Welt wird.“ (DBW 12, 143; Hervorhebung durch F.S.) Im Wesentlichen ist damit die Situation des „Zuwenig an Ordnung und Recht“ in ihrer Bedeutung für die Weltlichkeit der Kirche ausgelegt.292 Als in der Mitte des folgenden Jahres 1934 die Gleichschaltungsabsichten Hitlers endgültig offenkundig geworden sind und die Bekennende Kirche bereits formiert ist, schreibt Bonhoeffer am 13. Juli an Reinhold Niebuhr, dass die „letzten Ereignisse in Deutschland […] ja nun unzweideutig gezeigt haben, wohin die Fahrt geht“ und „daß die Kulturkampfsituation da ist“.293 Jetzt fasst er im Begriff und in der Position der „Orthodoxie“, was er anderthalb Jahre zuvor „Hinterweltlertum“ und „Säkularismus“, Demut und Hochmut genannt hatte: Die Gefahr eines orthodoxen, sog. „Intakten“ Kirchenkörpers ist im Westen sehr groß, und ich halte es sehr wohl für möglich, daß eines Tages der Staat in dieser Art Kirche wirklich noch seinen besten Bundesgenossen finden wird. Eine „orthodoxe“ Kirche ist für den nationalsozialistischen Staat ganz gewiß noch eine viel sicherere 292 Die zweite in der als Flugblatt konzipierten Erklärung ausgesprochene Möglichkeit betrachtet – ganz bonhoefferisch – die Situation des „Zuviel an Ordnung und Recht“: „Es darf nicht sein, daß das Evangelium durch menschliche Gesetze begrenzt oder gar außer Kraft gesetzt wird“ (DBW 12, 143). 293 DBW 13, Brief an R. Niebuhr vom 13. 7. 1934, 170. Vgl. zu den „letzten Ereignissen in Deutschland“ Scholder, Die Kirchen, Bd. 2, 249 ff.

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Garantie als die Müllerkirche. Und gerade vor dieser Gefahr müssen wir uns hüten, bei allem Nachdruck, der auf eine Orthodoxie zu legen ist. Hier ist man bei uns sehr kurzsichtig. Ein Mann wie Müller wird sich nicht genieren unsere gesamte Orthodoxie zu unterschreiben und vielleicht sogar subjektiv mehr oder weniger ehrlich.294

Zwar stand für Bonhoeffer fest, dass nichts „katastrophaler“ wäre, „als wenn jetzt auf die würdelose Kirche eine hochmütige und allzu intakte Kirche folgte“, ebenso deutlich aber stand für ihn bereits vor Augen, dass dies wohl „nicht mehr aufzuhalten“ wäre.295 Auf nationaler Ebene befürchtet Bonhoeffer die nicht endgültige, nicht bedingungslose Loslösung der Bekennenden Kirche von der Deutschen Evangelischen Kirche, auf internationaler Ebene sieht er die Langsamkeit und die Entschlusslosigkeit der Ökumene. In seinem Schreiben an Niebuhr wiederholt Bonhoeffer, was er einige Wochen zuvor Erwin Sutz gegenüber geäußert hatte,296 dass die „Trennungslinie“ – und zwar die Trennungslinie des gesamten, national-bekennenden wie ökumenischbekennenden Kirchenkampfes – „[…] wo anders nämlich bei der Bergpredigt [liegt]“, und er fährt dann prophezeiend fort: Es ist jetzt der Zeitpunkt gekommen wo aufgrund einer bis zu einem gewissen Grad wiederhergestellten reformatorischen Theologie die Bergpredigt – und zwar in einem andern als dem reformatorischen Verständnis – wieder in Erinnerung zu bringen ist. Und genau an dieser Stelle wird sich die gegenwärtige Opposition noch einmal aufspalten. Und ehe wir nicht dahin gekommen sind, ist alles nur Vorbereitung. Die neue Kirche, die in Deutschland werden muß, wird sehr anders aussehen, als die jetzige Oppositionskirche.297

Bonhoeffer, in Erwartung eines zweiten, „eigentliche[n] Kampf[es] […] um das Christentum“, sieht in dessen Anbruch die „völlige[…] Zerspaltung und Zersplitterung der sog. oppositionellen Fronten, derer, die Christen sein wollen“,298 bevorstehen. Zugleich aber bedeutet jene „Zerspaltung und Zersplitterung“ auch die Formierung einer neuen Opposition, und zwar einer neuen kirchlichen Opposition als der sichtbaren Herausbildung der „neue[n] 294 DBW 13, Brief an R. Niebuhr vom 13. 7. 1934, 170 f; vgl. zur Situation und Entwicklung der Bekenntnissynoden im Westen Scholder, Die Kirchen, Bd. 2, 112 f; vgl. auch DBW 13, 176, Hg.-Anm. 2, und 177, Hg.-Anm. 4.; vgl. fernerhin den in DBW 13, 176 – 178 abgedruckten Brief Bonhoeffers (an einen unbekannten Adressaten; vermutlich um den August 1934 zu datieren): „Die Entwicklung des Kirchen-Kampfes sehe ich mit wachsamer Besorgnis an. Was ist denn das auf einmal für eine Front, die da heraufsteigt – Koch, Meiser, Wurm […]. Ich halte diesen ,Kochkurs‘ für einfach unverantwortlich. Es wäre vielleicht überhaupt besser und kirchlicher, wenn nicht die Leute des sogenannten ,intakten Kirchenkörpers‘ – denn was ist das? Der Leib ohne Flecken und Runzeln? – doch wohl nicht jetzt drankämen, sondern gerade solche, die aus dem Nazareth des Nordens oder Ostens Deutschlands kommen und nicht aus dem festgegründeten Jerusalems Westfalens.“ (DBW 13, aaO., 176 f). 295 DBW 13, Brief an einen unbekannten Adressaten, vermutlich August 1934, 177. 296 Vgl. DBW 13, Brief an E. Sutz vom 28. 4. 1934, 127 – 129. 297 DBW 13, Brief an R. Niebuhr vom 13. 7. 1934, 171; Hervorhebung durch F.S. 298 DBW 13, Brief an einen unbekannten Adressaten, vermutlich August 1934, 177.

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Der Ort der „Nachfolge“

Kirche“, der einzig wahren Kirche Christi in Deutschland. Darum ist schon der derzeitige, nach Bonhoeffers Ansicht nur vorübergehende Kirchenkampf als Formierungs- und Entscheidungskampf zu bewerten, dessen „Trennungslinie“ die Bergpredigt oder, anders gesagt, das unverrückbare alleinige Bekenntnis zu Jesus Christus selbst und seinem Wort ist, und zwar ein Bekenntnis, welches sich in Glauben, Gehorsam und Nachfolge gestaltet299 und dessen „mindeste Forderung“ in jenem unbedingten Dasein für die Opfer des Staatshandelns besteht, das Bonhoeffer schon in „Die Kirche vor der Judenfrage“ als „für die Kirche […] verpflichtende Forderung[…] der Stunde“ (DBW 12, 354) ausgewiesen hatte (aber eben streng verstanden als eine von Gott gebotene Forderung, nicht als ein humanitäres Ideal).300 An Sutz schreibt Bonhoeffer am 11. 9. 1934, wiederum das Moment der Angst ansprechend: Es muß […] endlich mit der theologisch begründeten Zurückhaltung gegenüber dem Tun des Staates gebrochen werden – es ist ja doch alles nur Angst. „Tu den Mund auf für die Stummen“ – wer weiß denn das heute noch in der Kirche, daß dies die mindeste Forderung der Bibel in solchen Zeiten ist?“ (DBW 13, 204 f)

Es ist bis hierher deutlich geworden, dass Bonhoeffer den Kampf der Kirche als einen Kampf der Bekehrung interpretiert, und zwar der Bekehrung zur wahrhaftigen Nachfolge Christi, der „[…] [gerade] uns […] zum Hören zwingen [soll]“301 und, dessen war Bonhoeffer sich sicher, der niemals ein 299 Vgl. hierzu den von Bonhoeffer im April 1934 verfassten Jahresbericht der deutschen evangelischen Gemeinde London-Sydenham, in welchem Glauben, Gehorsam und Nachfolgen als Kriterien der Entscheidung und Scheidung genannt sind: „Wir leben in einer Zeit, die sich von Illusionen verschiedenster Art befreit. Auch die Kirche darf sich nicht länger Illusionen hingeben. Es geht auch hier um das Ganze. Sie muß wissen, mit wem sie zu rechnen hat und mit wem nicht. Besser eine kleine einsatzbereite Truppe als ein großes Heer, das mit Deserteuren durchsetzt ist. Das gilt auch für die Kirche. Es geht um Glauben und Unglauben, um Gehorsam oder Ungehorsam, um Nachfolgen oder Desertieren, um Christus oder die Götzen unseres Lebens.“ (DBW 13, 291) Im Bericht des darauf folgenden Jahres (Jahresbericht 1934/35, DBW 13, 307 – 309), in dem deutlicher als im Vorjahr der Akzent auf der Vereinzelung der Opposition liegt, heißt es dann: „Das vergangene Jahr stand für uns unter dem besonderen Zeichen der Vorgänge in unserer Heimatkirche. Sie war der Schauplatz eines beispiellosen Kampfes zwischen Mächten der Irrlehre, der Verkehrung des reinen Evangeliums von Jesus Christus als unserem alleinigen Herrn, der brutalen Gewaltanwendung gegen Pfarrer und Bischöfe der Kirche Christi und der Schar derer, die keine anderen Waffen hatten und haben wollten als das Bekenntnis zu Christus als dem Herrn aller Herren.“ (DBW 13, aaO., 307). 300 Vgl. dazu DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 340; DBW 12, Vortrag im Dezember 1932: Christus und der Friede, 233; DBW 13, Thesenpapier zur Fanø-Konferenz im August 1934: Die Kirche und die Welt der Nationen, 297; N 46 f u. a. 301 DBW 13, Brief an E. Sutz vom 11. 9. 1934, 205. In diesem Brief an Sutz schreibt Bonhoeffer : „Ein Gespräch Hitler – Barth halte ich nunmehr für völlig aussichtslos und sogar garnicht mehr erlaubt. Hitler hat sich als der ganz klar gezeigt, der er ist, und die Kirche muß wissen, mit wem sie zu rechnen hat. […] Wir haben oft genug versucht – zu oft – vor Hitler vernehmlich zu machen, worum es geht. […] Hitler soll und darf nicht hören, er ist verstockt und soll uns gerade als solcher zum Hören zwingen – so herum liegt die Sache. Die Oxfordbewegung war naiv genug, Hitler zu bekehren – eine lächerliche Verkennung dessen, was vorgeht – wir sollen

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Nachfolge als Kirchenkampf (I)

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Kampf der Massen, sondern der Wenigen,302 der Einzelnen sein würde. Der zweite, eigentliche Kampf wird in die völlige Vereinzelung führen, er wird die Verwechslung von Kirche und kirchenpolitischer Gemeinschaft unmöglich machen, es wird wieder alles auf dem Einzelnen stehen wie zum Beginn. Man wird den Einzelnen wieder entdecken und mit dem Einzelnen – und allein so – wird man wieder entdecken, was Nachfolge heißt. Und erst dann wird wieder klar werden, was Bekenntnis heißt.303

Diese vermutlich im August 1934 an einen unbekannten Empfänger verfasste Briefpassage, als Interpretationsfolie auf die „Nachfolge“ gelegt, gibt beachtenswerten Aufschluss zu einem näheren Verständnis der Kategorie des „Einzelnen“ in der „Nachfolge“ und somit zur Interpretation des Werks insgesamt. Dort bindet Bonhoeffer Ruf und Eintritt in die Nachfolge (nicht die Nachfolge selbst!) ganz an die Kategorie des Einzelnen.304 Im Brief ist dieser Zusammenhang vorweggenommen, indem auch hier das Verständnis dessen, was Nachfolge Christi eigentlich ist,305 notwendig und einzig über den Einzelnen führt. Vor allem aber legt der Brief dar, dass der bevorstehende Kirchenkampf nach Bonhoeffers Erwartung ganz auf Einzelnen (in den jeweiligen Gemeinden) stehen wird. Für die kommende Oppositionsgestalt wird darum die (innere und äußere) Haltung eines jeden Einzelnen (d. h. sein Bekenntnis, seine Nachfolge, sein Christsein) von tragender Relevanz sein. Weil der Weg der Bekennenden Kirche unausweichlich als ein Weg zu einer „hochmütige[n] und allzu intakte[n] Kirche“ zu werden droht, „[müssen wir] umsomehr […] wissen, daß nur eine ganz klare eindeutige unerschütterlich sachliche und fröhliche Haltung dazu helfen wird, den Kirchenkampf auch innerlich zu gewinnen“.306 Erst dann, wenn die Haltung eines jeden Einzelnen ganz entschieden ist, wenn er sich zu Christus bekannt hat dadurch, dass er bedingungslos alles verlässt und ihm nachfolgt, und zwar in dem Sinne nachfolgt, dass seine Waffen in diesem Kampf tatsächlich allein „das Bekenntnis zu Christus als dem Herrn aller Herren“307 sind, dann erst wird ihm, wie es

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bekehrt werden, nicht Hitler. Ich möchte gern mal ein Vierteljahr Ruhe haben zum Schreiben – aber es soll wohl noch nicht sein.“ (DBW 13, aaO., 204 f). Vgl. den Jahresbericht 1934/35 der deutschen evangelischen Gemeinde London-Sydenham: „Das Himmelreich rechnet nicht mit Massen, sondern mit den Wenigen.“ (DBW 13, 307). DBW 13, Brief an einen unbekannten Adressaten, vermutlich August 1934, 177. Vgl. N 87: „Der Ruf Jesu in die Nachfolge macht den Jünger zum Einzelnen. Ob er will oder nicht, er muß sich entscheiden, er muß sich allein entscheiden.“ Vgl. dazu die Formulierung in WE, Brief an E. Bethge vom 30. 4. 1944, 402. DBW 13, Brief an einen unbekannten Adressaten, vermutlich August 1934, 177. Von der obigen Aussage aus können Sätze der N wie dieser, dass das „Leiden der Christen nichts Befremdliches“, sondern „vielmehr lauter Gnade und Freude“ sei (N 82 f), als Appell an die innere Haltung der Christen verstanden werden; zugleich sind sie – als autobiographische Sätze ihres Autors gelesen – homologische Sätze. DBW 13, Jahresbericht 1934/35 Bonhoeffers der deutschen evangelischen Gemeinde LondonSydenham, 307.

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Der Ort der „Nachfolge“

Bonhoeffer in der „Nachfolge“ in Bezug auf die dem Ruf Jesu Gefolgten ausführt, die Gemeinschaft der Nachfolgenden, die Gemeinde der Christen (wieder) geschenkt und zuteilwerden. Und in dieser Gemeinschaft und von dieser Gemeinschaft aus, der Gemeinschaft der Heiligen Gottes in der Welt, die wahre Kirche Christi ist und mit einer kirchenpolitischen Gemeinschaft nicht mehr verwechselt werden kann,308 die sich aber gerade dadurch als wahre Kirche auszeichnet, dass sie sich auf ihrem Weg und in ihrem Handeln auf nichts als das Wort Christi allein verlässt und gehorsam ist, dass sie sich von allem scheidet und lossagt, was auch nur in äußerstem Maße ihre Substanz gefährdet (nämlich: Angst vor der Entscheidung und Zurückhaltung, aber ebenso die Aufrichtung irdischer, etwa humanitärer Ideale,309 Kompromiss mit der offiziellen Kirche und, zu späterer Zeit, vor allem Legalisierung usw.) und nur seinem Wort Gehorsam erweist – in dieser sich als Kirche und also als Christus praesens sich verstehenden Gemeinschaft allein wird der Kampf der Kirche ausgefochten werden können, dem die Verheißung der Überwindung des Leidens gegeben ist.310 In Bonhoeffers zitiertem Brief mit unbekanntem Adressat ist weiter zu lesen: Der bekennende Petrus war der nachfolgende Petrus gewesen und zugleich der zum Leiden berufene Petrus. Und zuletzt wird das Leiden allein die Welt überwinden und das Kreuz groß und sichtbar machen. Das alles ist […] nicht Hoffnung auf einen neuen christlichen Heroismus, sondern das alles erst schafft den Boden, auf dem Christus glaubwürdig verkündigt werden kann. Es liegt also durchaus im Sekundären, aber eben hier sind wir ja alle so blind geworden. Also das alles ist nichts anderes 308 Vgl. oben DBW 13, Brief an einen unbekannten Adressaten, vermutlich August 1934, 177. 309 Vgl. dazu das Thesenpapier der Fanø-Konferenz (im August 1934) „Die Kirche und die Welt der Nationen“, in dem Bonhoeffer die säkulare Position aus „Dein Reich komme!“ (1932/33) in Hinblick auf die Friedensfrage konkretisiert: „Dem säcularen Pazifismus […] antwortet die Kirche: […] Maßstab unseres Handelns ist nicht die menschliche Wohlfahrt, sondern der Gehorsam gegen Gottes Gebot. Selbst wenn Krieg Wohlfahrt bedeutete, bliebe Gottes Gebot unerschüttert. […] Die Mächte der Dämonen werden nicht durch Organisationen gebrochen, sondern durch Gebet und Fasten (Markus 9,29). Alles andere unterschätzt diese Mächte und versteht sie grundsätzlich naturalistisch-materialistisch. […] Nicht der Pazifismus ist der Sieg, der die Welt überwunden hat, sondern der Glaube (1. Joh. 5,4), der alles von Gott erwartet und auf die Wiederkunft Christi und sein Reich hofft. Erst dann wird die Ursache des Übels, nämlich der Teufel und die Dämonen, vernichtet werden.“ (DBW 13, 297) Zu der Überwindung dämonischer Mächte durch „Gebet und Fasten“ vgl. die Auslegung von Mt 6,16 – 18 in der N (N 163ff). 310 Vgl. neben anderen oben bereits zitierten Schriften Bonhoeffers (z. B. „Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit“) wiederum das Thesenpapier zur Fanø-Konferenz; Bonhoeffer wiederholt seine Überzeugung: „Das Schicksal des Weltbundes entscheidet sich daran, ob er sich als Kirche oder als Zweckverband versteht. Kirche ist er, wenn er im gehorsamen und gemeinsamen Hören und Verkündigen des Wortes Gottes seinen Grund hat. Zweckverband ist er, wenn er in der Verwirklichung von Zwecken und Zuständen irgendwelcher Art sein Wesen hat. Nur als Kirche kann er vollmächtig das Wort Christi den Kirchen und Völkern sagen. Als Zweckverband steht er neben zahllosen andern gleichartigen Verbänden ohne Vollmacht.“ (DBW 13, 295).

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Nachfolge als Kirchenkampf (I)

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als ein dialektischer Hinweis auf die Möglichkeit von Glauben, Nachfolge, Bekenntnis.311

Welche „Möglichkeiten von Glauben, Nachfolge, Bekenntnis“ Bonhoeffer hier ganz konkret erwägt, kann nun abschließend noch einmal pointiert formuliert werden. „Nachfolge Christi – was das ist, möchte ich wissen – es ist nicht erschöpft in unserem Begriff des Glaubens“ (DBW 13, 129), so hatte Bonhoeffer am 28. 4. 1934 an Sutz geschrieben und alsbald Nachfolge als die gebotene und wahrhaftige Existenz der Christen erkannt: Nachfolge, das ist das Leben nach den Weisungen der Bergpredigt, die je und je als lebendige Gebote Christi im Glauben gehört, gewagt, verkündigt, in einfältigem Gehorsam getan werden. Nachfolge ist darum bestimmt als die eigentliche, substantielle Existenzform der glaubenden und gehorsamen Kirche Jesu Christi. Mit der Wiederentdeckung dessen, was Nachfolge Christi ist, – und in der ausschließlich an den biblischen Grundlagen orientierten Umbestimmung des im verdrehten Protestantismus vorfindlichen Glaubensbegriffs – meint Bonhoeffer die verlorene Substanz der Kirche wiedergefunden zu haben, die allein ihr zu neuer Vollmacht verhelfen wird, den Willen Gottes zur Stunde der Christenheit und der Welt vollmächtig zu sagen, und zwar so zu sagen, „daß die Welt zähneknirschend das Wort vom Frieden vernehmen muß und daß die Völker froh werden, weil diese Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und den Frieden Christi ausruft über die rasende Welt“.312 Nur dann, wenn die Kirche (wieder!) nachfolgende Kirche ist und ihr Wort aus der nachfolgenden Existenz heraus gepredigt wird, wird auch ihr Wort gehört werden und sie überhaupt erst fähig sein, „heute das konkrete Gebot […] sagen“ zu können.313 Dieses dann vollmächtige, glaubwürdige314 Wort der nachfolgenden Kirche Christi ist, sofern es sich an den Staat richtet und über dessen unrechtes, weil ein „Zuwenig“ oder ein „Zuviel an Ordnung und Recht“ verwirklichendes Handeln das Urteil spricht, „unmittelbar politisches“ Wort als „unmittelbar politisches Handeln der Kirche“, welche auf diese Weise dem Staat, „dem Rad selbst in die Speichen“ fällt.315 In der Finkenwalder „Homiletik“-Vorlesung hält Bonhoeffer zum Ende des Jahres 1935 über das Wort der Predigt in der Kirche fest, was in derselben Weise für deren an die Welt gerichtetes Wort Geltung besitzt: Der Wahrheits- und Wirklichkeitscharakter der Predigt hängt von der Existenzform der Kirche ab, das heißt von der Nachfolge. Die der Wahrheit der Predigt angemessene Existenzform der Kirche ist nicht Volksverbundenheit, sondern die Nach311 312 313 314

DBW 13, Brief an einen unbekannten Adressaten, vermutlich August 1934, 177 f. DBW 13, Rede vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 301. DBW 12, Brief an H. Rößler vom 25. 12. 1932, 39. Vgl. hierzu DBW 14, Vorlesung im zweiten Finkenwalder-Kurs 1935/36: Homiletik, 482 ff. Siehe oben Kap. 4.3 und 4.4. 315 DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 352 f.

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Der Ort der „Nachfolge“

folge, der Gehorsam gegen das Gebot Jesu Christi. Nicht bürgerliche oder proletarische Existenz der Kirche, sondern eine in ihrer Existenz Christus nachfolgende Kirche. Nur ihr Wort wird gehört!316

Und im „Bericht der pommerschen Mitglieder des Predigerseminars (erster Kurs) an die Bruderschaft pommerscher Hilfsprediger und Vikare der Bekennenden Kirche“ vom 5. 8. 1935 heißt es: Der Ort, an den die Kirche gerufen ist, ist das Kreuz, die Form, in der die Kirche allein existieren kann, ist die Nachfolge. Eine Kirche in der Existenzform der Welt, der iustitia civilis, ist nicht mehr Kirche Jesu Christi. Der Haufe, der sich um Wort und Sakrament schart, ist sichtbar, die Stadt auf dem Berge Golgatha kann nicht verborgen sein. (DBW 14, 71)

Der Kirche, die allein dem Wort und dem Willen Christi gehorsam ist und diesen Weg der Nachfolge zu gehen wagt – und dies heißt für Bonhoeffer nachfolgen: „sich gänzlich ausliefern dem Gebot Gottes, keine Sicherung wollen, sondern in Glaube und Gehorsam dem allmächtigen Gott die Geschichte der Völker in die Hand legen“317 –, dieser Kirche ist nicht nur die Verheißung gegeben, das konkrete Gebot wirklich vollmächtig sagen zu können, sondern eben die Verheißung der Überwindung der Welt und des Leidens und des Sichtbarwerdens des Kreuzes.318 Denn jener zweite „Kampf um das Christentum wird von dem gewonnen, der ihn ganz erleidet“319 – gerade in der Weise erleidet, wie der „Kelch des Leidens“, so sagt es Bonhoeffer in der „Nachfolge“, „[…] an Jesus vorübergehen [wird], aber allein darin, daß er getrunken wird. Das weiß Jesus, […] daß das Leiden vorübergehen wird, indem er es erleidet. Allein durch das Tragen wird er das Leiden überwinden und besiegen. Sein Kreuz ist seine Überwindung.“ (N 83) Der gesamten Stellvertretungstheologie der „Nachfolge“320 wird damit der Kirchenkampf als der Kampf um die Kirche und der Kirche gegen den Staat als Ort und Horizont ihrer Erkenntnis zugewiesen. Petrus, den Bonhoeffer im Sommer 1934 als den bekennenden, nachfolgenden und zugleich zum Leiden berufenen Petrus ausgewiesen hatte,321 wird in der „Nachfolge“ zum Bilde nicht der Kirche im Allgemeinen, sondern gerade ganz konkret der Bekennenden Kirche in Deutschland. Unmittelbar nachdem das Bekenntnis auf der Barmer Synode gesichert und die falsche Lehre als häretisch verworfen worden ist, sieht Bonhoeffer die Existenz der Bekennenden als der einzig wahren Kirche in 316 317 318 319 320 321

DBW 14, Vorlesung im zweiten Finkenwalder-Kurs 1935/36: Homiletik, 482 f. DBW 13, Rede vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 300. Vgl. DBW 13, Brief an einen unbekannten Adressaten, vermutlich August 1934, 177 f. DBW 13, Brief an einen unbekannten Adressaten, vermutlich August 1934, 177. Siehe oben Kap. 3.2.2.4. Vgl. wiederum den Brief Bonhoeffers (an einen unbekannten Adressaten, vermutlich August 1934): „Der bekennende Petrus war der nachfolgende Petrus gewesen und zugleich der zum Leiden berufene Petrus.“ (DBW 13, 177)

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Deutschland dadurch gefährdet, dass sie zwar wahrhaftig bekennende, aber nicht ebenso wahrhaftig nachfolgende Kirche ist. Daß es Petrus, der Fels der Kirche, ist, der sich hier schuldig macht unmittelbar nach seinem Bekenntnis zu Jesus Christus und nach seiner Einsetzung durch ihn, besagt, daß die Kirche von Anbeginn an selbst an dem leidenden Christus Anstoß nimmt. Sie will einen solchen Herrn nicht, und sie will sich als Kirche Christi nicht das Gesetz des Leidens durch ihren Herrn aufzwingen lassen. Der Einspruch des Petrus ist sein Unwille, sich zum Leiden zu schicken. Damit ist der Satan in die Kirche gefahren. Er will sie vom Kreuz ihres Herrn losreißen. (N 78)

Nicht die hochmütige,322 sondern allein die demütige Kirche, die in völliger Selbstverleugnung und in Mangel und Verzicht steht „auf das, was die Welt Glück und Frieden nennt“ (N 102), „auf jedes eigene Recht“ (N 104), „auf die eigene Gerechtigkeit“ (N 105) und die selbst im „Verzicht auf die eigene Würde“ ihren Weg geht, den Blick allein auf den Willen Christi und sein Kreuz gerichtet, ist die wahre Kirche Christi als die Gemeinschaft seiner Nachfolger. Diese sind „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ (vgl. N 110ff) und gerade darin „an ihre Erdensendung erinnert“ (N 110). Ihre Nachfolge zeichnet sich aus durch den Dienst am Anderen, dadurch, dass niemals „dem Bruder der Dienst und die Liebe versagt wird“, weil für den „Nachfolger Jesu […] der Gottesdienst nie mehr […] vom Dienst am Bruder gelöst werden [kann]“ (N 124). Dieser außerordentliche Dienst der Gerechtigkeit aber, durch den sich die Nachfolgenden ganz von der Welt unterscheiden (vgl. v. a. N 140ff) und durch den ihre Nachfolge wirklich sichtbar wird (vgl. N 110ff u. a.), führt sie ins Leiden. In Urteil und Tat werden sich die, die Jesus nachfolgen in Verzicht auf Besitz, auf Glück, auf Recht, auf Gerechtigkeit, auf Ehre, auf Gewalt, unterscheiden von der Welt; sie werden der Welt anstößig sein. Darum werden die Jünger um Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Nicht Anerkennung, sondern Verwerfung ist der Lohn ihres Wortes und Werkes durch die Welt. Es ist wichtig, daß Jesus seine Jünger auch dort selig preist, wo sie nicht unmittelbar um des Bekenntnisses zu seinem Namen willen, sondern um einer gerechten Sache willen leiden. (N 108)

Inwiefern diese Zeilen der „Nachfolge“ auch als autobiographische Notiz Bonhoeffers und als resultative, aus seinem eigenen Lebensweg heraus geborene, homologische Sätze gelesen werden können, wird deutlich durch die Gegenüberstellung eines Briefes, den Dietrich Bonhoeffer im Januar des Jahres 1935 an seinen Bruder Karl-Friedrich geschrieben hat und durch dessen Betrachtung zur Entstehung der „Nachfolge“ und deren Verortung im Kirchenkampf bis zum Beginn des Predigerseminars in Finkenwalde abge322 Vgl. oben: „Nichts wäre katastrophaler, als wenn jetzt auf die würdelose Kirche eine hochmütige und allzu intakte Kirche folgte.“ (DBW 13, Brief an einen unbekannten Adressaten, vermutlich August 1934, 177).

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schlossen sei. Das Einstehen für eine „gerechte Sache“, von dem es in der „Nachfolge“ heißt, dass sie dem Nachfolgenden nicht etwa Anerkennung, sondern im Gegenteil Verwerfung und Leiden einbringt, wird in diesem Brief lebensgeschichtlich konkretisiert und kommentiert. Bonhoeffer schreibt: „Es gibt doch nun einmal Dinge, für die es sich lohnt, kompromißlos einzustehen. Und mir scheint, der Friede und soziale Gerechtigkeit, oder eigentlich Christus, sei so etwas.“323 Dieses kompromisslose Einstehen – und hier kehren die großen Themen wieder, die Bonhoeffer seit seiner Rückkehr aus New York im Sommer 1931 beschäftigten – für den Frieden, für soziale Gerechtigkeit, für Christus selbst324 blieb für Bonhoeffer freilich keineswegs folgenlos; kaum hatte er sich in tatsächlich kompromissloser Weise für den Frieden und für die Kirche, für die Judenchristen in der Kirche und für die Juden außerhalb derselben eingesetzt, empfand er, „daß ich mich unbegreiflicherweise gegen alle meine Freunde in einer radikalen Opposition befände“ und dass „ich […] mit meinen Ansichten über die Sache immer mehr in die Isolierung [geriet]“.325 Doch sollte die Angst, die Bonhoeffer in Hinblick auf die ausblei323 DBW 13, Brief an K.-F. Bonhoeffer vom 14. 1. 1935, 273. 324 Vgl. hierzu den Stellvertretungsgedanken der N, der Nachfolgende leide stellvertretend nicht nur für den Anderen, sondern gar für Christus, N 235 f. 325 DBW 13, Brief an K. Barth vom 24. 10. 1933, 13. Vgl. hierzu DB 378: „Die Auseinandersetzungen des letzten halben Jahres [sc. seit April 1933] hatten Bonhoeffer weit über den bisherigen Wirkungskreis hinausgedrängt. Sie hatten auch offenbart, wie sehr sich seine Ansichten von denen der Kampfgenossen unterschieden. Mit fast allen Vorschlägen stand er allein. Der Gedanke des Interdikts von Anfang Juli erschien den Amtsbrüdern illusionär. Überlegungen zur Freikirche hin im September blieben wirkungslos. Als die kirchliche Gesetzgebung den staatlichen Arierparagraphen übernahm, blieb das Schisma aus, auf das Bonhoeffer die Pfarrer vorbereiten wollte. Das ,Betheler Bekenntnis‘ verwässerte die Gremien, deren Stimmen wogen. Einen Entschluß zur breiten Amtsniederlegung im September verschoben die Freunde auf Termine, die dann nie kamen. Nahestehende Theologen wie Barth und Sasse warteten auf noch ,schlimmere‘ Häresien als das ,artgemäße‘ Beamtengesetz. Erfahrene Kampfgefährten fürchteten ausländische Resolutionen und Delegationen, statt darüber froh zu sein. Im Unterschied zu Bonhoeffer begrüßten die Anführer der kirchlichen Opposition Hitlers Austritt aus dem Völkerbund. Die geheime Sehnsucht nach Indien und das Interesse an den Kampfmethoden Gandhis verstand selbst der einsichtige Pfarrerkreis in der Berliner Achenbachstraße nicht. Mit seinen Neigungen zum Pazifismus stand er allein.“ Vgl. fernerhin DB 431: „Es erging Bonhoeffer merkwürdig: daheim bei den Brüdern in der Bekennenden Kirche wurde er trotz aller vorbehaltslosen Kampfgenossenschaft zum Außenseiter durch sein beständiges Fragen nach der Bergpredigt, draußen jedoch unter den ökumenischen Freunden, die soviel von der Bergpredigt hielten, wurde er es durch sein Beharren auf Bekenntnis und Häresieverwerfung.“ Vgl. auch DB 343 f und 361 f. Einige Zeit nach der Veröffentlichung seines Aufsatzes „Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft“ (Juni 1936, DBW 14, 655 – 680), der – extra ecclesiam nulla salus – den Satz enthält: „Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, trennt sich vom Heil.“ (DBW 14, aaO., 676), schreibt Bonhoeffer an Sutz: „Übrigens bin ich jetzt wegen meines Aufsatzes […] der geschmähteste Mann unserer Richtung. Neulich hat sogar irgendein ,lutherischer‘ Verein beantragt, ich solle aus dem Lehramt der Bekennenden Kirche entfernt werden. […] Es wird dahin kommen, daß das Tier, vor dem sich die Götzenanbeter neigen, eine verzerrte Lutherphysignomie trägt. ,Sie schmücken der Propheten Gräber …‘“ (Brief vom 24. 10. 1936, DBW 14, 254 – 257, 257) – 1936 kommt es, als Folge des

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benden Entscheidungen der Ökumene und der eigenen Kirche zum Vorwurf machte, die aber auch ihn selbst unentwegt begleitete, etwa nicht als Anfechtung auf dem eigenen Wege verstanden werden?326 Bonhoeffer zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er seinen Weg angstfrei gegangen wäre, sondern dadurch, dass er allen Anfechtungen, Ängsten, zu befürchtenden Konsequenzen zum Trotz nicht stehen blieb, sondern weiterging, freilich nicht auf geradem Wege,327 aber er ging Schritt für Schritt weiter,328 und dies, obwohl die Erfahrung des Unverständnisses seinem eigenen Tun und Denken gegenüber offenbar bis in die eigene Familie hineinreichte.329 Die Quelle aber, aus der sich

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Kirchenkampfes, bei Bonhoeffer zum Entzug der Lehrbefugnis an der Berliner Fakultät, in den folgenden Jahren wird zuerst Schreibe- und dann auch Redeverbot über ihn verhängt; dazwischen, 1937, wird das Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Finkenwalde durch die Geheime Staatspolizei geschlossen. Auf die Situation der Brüder in Finkenwalde wird noch zu sprechen zu kommen sein, siehe unten Kap. 4.7. Vgl. hierzu neben dem oben bereits zitierten Brief Bonhoeffers an S. und G. Leibholz vom 23. 11. 1933 (DBW 13, 34 f); den Brief an K. Barth vom 24. 10. 1933, in dem Bonhoeffer eingesteht, dass bei seiner Entscheidung für London „ein Stück Angst mit im Spiel war“ (DBW 13, 12); die Isolierung, in die er ob seiner Ansichten zusehends geriet, „das alles machte mir Angst, machte mich unsicher, ich fürchtete, daß ich mich aus Rechthaberei verrennen würde“ (DBW 13, aaO., 13). Siehe zum Begriff „Angst“ bei Bonhoeffer oben Anm. 254 dieses Kapitels. Als, während Bonhoeffer an zu den politischen Geschehnissen der ersten Apriltage des Jahres 1933 theologisch auffallend schnell und sicher Stellung bezog, der jüdische Schwiegervater seiner Zwillingsschwester Sabine verstarb, weigerte sich Bonhoeffer, die Beerdigung zu übernehmen. Ein halbes Jahr später, am 23. 11. 1933, nimmt Bonhoeffer hierzu in einem Brief an G. und S. Leibholz wiefolgt Stellung: „Es quält mich jetzt immer wieder mal, daß ich damals nicht ganz selbstverständlich Deiner Bitte gefolgt bin. Ich verstehe mich offen gestanden selbst gar nicht mehr. Wie konnte ich selbst damals nur so grauenhaft ängstlich sein?“ (DBW 13, 34); vgl. dazu DB 326. Vgl. hierzu Bonhoeffers im Forschungsdiskurs (vgl. Gremmels, Nachschrift, 44 – 47) als „Bekehrungsbericht“ verhandelten Brief an E. Zinn vom 27. 1. 1936, DBW 14, 112 f. Bonhoeffer schildert zunächst rückblickend den Beginn seiner Arbeit als Theologe, in dem er „[…] noch kein Christ geworden [war], sondern ganz wild und ungebändigt mein eigener Herr“, und fährt dann fort: „Daraus hat mich die Bibel befreit und insbesondere die Bergpredigt. Seitdem ist alles anders geworden. Das habe ich deutlich gespürt und sogar andere Menschen um mich herum. Das war eine große Befreiung. Da wurde es mir klar, daß das Leben eines Dieners Jesu Christi der Kirche gehören muß und Schritt für Schritt wurde es deutlicher, wie weit das so sein muß. Dann kam die Not von 1933. Das hat mich darin bestärkt. Ich fand nun auch Menschen, die dieses Ziel mit mir ins Auge faßten. Es lag mir nun alles an der Erneuerung der Kirche und des Pfarrerstandes … Der christliche Pazifismus, den ich noch kurz vorher […] leidenschaftlich bekämpft hatte, ging mir auf einmal als Selbstverständlichkeit auf. Und so ging es weiter, Schritt für Schritt. Ich sah und dachte gar nichts anderes mehr.“ (DBW 14, aaO., 113). Vgl. hierzu den Brief Bonhoeffers an seinen Bruder Karl-Friedrich (vom 14. 1. 1935): „Es mag ja sein, daß ich in manchen Dingen Dir etwas fanatisch oder verrückt erscheine. Und ich habe selbst manchmal etwas Angst davor. Aber ich weiß, wenn ich ,vernünftiger‘ würde, so müßte ich am nächsten Tag ehrlicherweise meine ganze Theologie an den Nagel hängen. Als ich anfing mit der Theologie, habe ich mir etwas anderes darunter vorgestellt – doch vielleicht eine mehr akademische Angelegenheit. Es ist nun etwas ganz anderes draus geworden. Aber ich glaube nun endlich zu wissen, wenigstens einmal auf die richtige Spur gekommen zu sein – zum ersten Mal in meinem Leben. Und das macht mich oft sehr glücklich. Ich habe nur immer Angst davor,

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Der Ort der „Nachfolge“

die Kraft speiste, das, was er glaubte, auch leben zu können, war für Bonhoeffer „die Bibel […] und insbesondere die Bergpredigt“,330 von der aus er die Gewissheit erhielt, dass Jesus die Jünger gerade dort seligpreist, wo ihnen um Jesu willen Leid widerfährt. Als „Kraftquelle“ hatte Dietrich Bonhoeffer die Bergpredigt aber gerade nicht nur in seinem persönlichen Leben erfahren, sondern in ihr, so schreibt er Anfang 1935 an Karl-Friedrich Bonhoeffer, „sitzt die einzige Kraftquelle, die den ganzen Zauber und Spuk einmal in die Luft sprengen kann, bis von dem Feuerwerk nur ein paar abgebrannte Reste übrig bleiben“ (DBW 13, 272 f). Noch einmal sei vergegenwärtigt: Bonhoeffer dachte hier an die Beendigung des derzeitigen Kirchenkampfes als des Kampfes um die Kirche, und dass die Bergpredigt die „Restauration der Kirche“331 herbeiführen und so die Kirche zu Vollmacht und Substanz zurückführen würde. Zugleich wäre dieser, der nachfolgenden Kirche, dann aber auch die „Möglichkeit der Verkündigung des konkreten Gebotes“332 zurückgeschenkt, die eine wirkliche Veränderung der Zustände in der Welt bedeutete. Die auf Fanø geäußerte Einsicht, dass „Kämpfe […] nicht mit Waffen gewonnen [werden], sondern mit Gott“ und „[…] auch dort noch gewonnen [werden], wo der Weg ans Kreuz führt“,333 wiederholt Bonhoeffer in der „Nachfolge“, indem er dort den ganz und gar gewaltfreien und allein auf dem Gebot Christi gründenden ,Widerstand‘ der Christen334 als die ihnen „angemessene Form des Kampfes gegen den nationalsozialistischen Machtanspruch“ ausweist.335 Das dem Christen widerfahrene Leid wird überwunden, „indem es getragen wird […], indem wir es wehrlos über uns ergehen lassen“. Einzig in dieser dem Wort Christi gehorsamen, den Anderen liebenden Haltung des Jüngers wird das Leiden und wird das Böse und der Böse „getroffen und überwunden“.336 Als Bonhoeffer im

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daß ich aus lauter Angst vor der Meinung anderer Menschen nicht weiter gehe, sondern stecken bleibe. […] Entschuldige diese etwas persönlichen Auslassungen, aber sie sind mir in die Feder geflossen, als ich an unser neuliches Zusammensein dachte. Und man interessiert sich ja schließlich auch so für einander. Ich kann mir immer noch gar nicht recht denken, daß Du wirklich diese Gedanken alle für so gänzlich irrsinnig hältst.“ (DBW 13, 272 f). DBW 14, Brief Bonhoeffers an E. Zinn vom 27. 1. 1936, 113; vgl. auch den Brief an K.-F. Bonhoeffer (vom 14. 1. 1935): „Ich glaube zu wissen, daß ich eigentlich erst innerlich klar und wirklich aufrichtig sein würde, wenn ich mit der Bergpredigt wirklich anfinge, Ernst zu machen.“ (DBW 13, 272) DBW 13, Brief an K.-F. Bonhoeffer vom 14. 1. 1935, 273. Auch im Brief an E. Zinn vom 27. 1. 1936 spricht Bonhoeffer von der „Erneuerung des Pfarrerstandes“ (DBW 14, 113) DBW 11, Brief an E. Sutz, Anfang August 1932, 100. DBW 13, Rede vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 300. Die Begriffe „Widerstand“ und „Widerstehen“ findet sich übrigens nicht im Sachregister der Hg. der N, vgl. aber N 134ff und 255ff, explizit 259. DB 381. Vgl. dazu auch noch einmal den Vortrag „Christus und der Friede“ (Dezember 1932), siehe oben in diesem Unterkapitel. N 108. Es geht Bonhoeffer hier nicht allein um den moralischen oder jenseitigen Sieg, den der wehrlose Nachfolger Christi in der Begegnung mit dem Bösen davonträgt und allein vor sich selbst und vor Gott besitzt; dass es auch um einen moralischen Sieg geht, zeigt die Wendung,

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Nachfolge als Kirchenkampf (I)

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August 1935 noch einmal zum Verhältnis von „Bekennender Kirche und Ökumene“ das Wort erhebt, schließt er seinen Aufsatz, indem er abermals seine „Hoffnung auf das Ökumenische Konzil der evangelischen Christenheit“ ausspricht und dessen Wirkmacht ganz an den kirchlichen Gehorsam gegen das Gebot Christi bindet: Ob sich die Hoffnung auf das Ökumenische Konzil der evangelischen Christenheit erfüllen wird, ob ein solches Konzil nicht nur in Vollmacht die Wahrheit und die Einheit der Kirche Christi bezeugen wird, sondern ob es Zeugnis wird ablegen können gegen die Feinde des Christentums in aller Welt, ob es ein richtendes Wort sprechen wird über Krieg, Rassenhaß und soziale Ausbeutung, ob durch solche wahre ökumenische Einheit alle[r] evangelischen Christen in allen Völkern einmal der Krieg selbst unmöglich wird, ob das Zeugnis eines solchen Konzils Ohren finden wird, die hören, – das steht bei unserem Gehorsam gegen die uns gestellte Frage und dabei, wie Gott unseren Gehorsam gebrauchen will. Nicht ein Ideal ist aufgerichtet, sondern ein Gebot und eine Verheißung – nicht eigenmächtiges Verwirklichen eigener Ziele ist gefordert, sondern Gehorsam. Die Frage ist gestellt.337

Mögen der in den hier aufgezeigten Gedanken Bonhoeffers offenbar werdende Glauben und die Hoffnung des jungen Theologen auch utopisch erscheinen, für ihn selbst bedeutete zu diesem Zeitpunkt gerade umgekehrt jede von dieser einen abweichende Haltung eine totale Verkennung der Lage; mit Bonhoeffer selbst kann einer Einschätzung des Geforderten als Utopie entgegnet werden: Wer von uns darf denn sagen, daß er wüßte, was es für die Welt bedeuten könnte, wenn ein Volk – statt mit der Waffe in der Hand – betend und wehrlos und darum gerade bewaffnet mit der allein guten Wehr und Waffen den Angreifer empfinge? (Gideon: … des Volkes ist zuviel, das mit dir ist … Gott vollzieht hier selbst die Abrüstung!)338

Bonhoeffer konnte seine Kirche nicht zu einer solchen Haltung und auch nicht zu einem vollmächtigen, an Christenheit und Staat (allgemeiner : Welt) gerichteten Wort bewegen; „was es für die Welt bedeuten könnte, wenn ein Volk […] betend und wehrlos […] den Angreifer empfinge“, dies sah Bonhoeffer das Böse werde durch die nicht nur wehrlose, sondern liebende Haltung (vgl. N 142) der Christen gerichtet (vgl. N 136). Bonhoeffer denkt hier wirklich (gerade dadurch, dass dem Unrechthandelnden sein Unrecht durch die Wehrlosigkeit vor Augen gestellt wird) an die konkrete, wirkliche und diesseitige Überwindung des Bösen und des Leidens: „Das Leiden geht vorüber, indem es getragen wird.“ (N 136; Hervorhebung durch F.S.; vgl. auch N 83 f). 337 DBW 14, Aufsatz vom August 1935: Die Bekennende Kirche und die Ökumene, 398 f. 338 DBW 13, Rede vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 300; vgl. auch Bonhoeffers Thesenpapier zur Fanø-Konferenz „Die Kirche und die Welt der Nationen“ (DBW 13, 295 – 297): „Auf den Einwand [sc. des Pazifismus]: Das Volk muß sich [sc. durch Krieg] schützen, antwortet die Kirche: Hast du es schon einmal im Glauben gewagt, Gott deinen Schutz anheimzustellen im Gehorsam gegen sein Gebot?“ (DBW 13, aaO., 296 f).

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Der Ort der „Nachfolge“

bei „den Heiden im Osten“,339 bei der von Gandhi angeführten gewaltlosen Unabhängigkeits- und Widerstandsbewegung, für die ausgerechnet die jesuanischen Gebote der Bergpredigt eine grundlegende Rolle spielten.340 Schon früh hatte Bonhoeffer den Wunsch gehegt, nach Indien zu reisen und dort „den gewaltlosen Widerstand bei Gandhi zu studieren“ (DB 381). Gerade aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt und in Deutschland vor den sozialen und die Friedensfrage betreffenden Nöten stehend, die für ihn zugleich auch Ausdruck theologischer Not waren, hatte er im Oktober 1931 an Helmut Rößler diesbezüglich geschrieben: Ein großes Land möchte ich noch sehen, ob vielleicht von dort die große Lösung kommt – Indien; denn sonst scheint es aus zu sein, scheint das große Sterben des Christentums da zu sein. Ob unsere Zeit vorüber ist und das Evangelium einem anderen Volk gegeben ist, vielleicht gepredigt mit ganz anderen Worten und Taten? Wie denken Sie sich die Unvergänglichkeit des Christentums angesichts der Weltlage und unserer eigenen Lebensart? (DBW 11, 33)

Einige Wochen nach diesem Brief konkretisierte Bonhoeffer, wie die Wendung „eigene Lebensart“ zu denken ist, als er an seinem sechsundzwanzigsten Geburtstag einen Vortrag über das „Recht auf Selbstbehauptung“ (DBW 11, 215 – 226) an der Technischen Hochschule in Berlin hielt. Der westlichen Gestaltung dieses Rechts – sie ist die „Lösung der Kriege und Fabriken“ (DBW 11, aaO., 220) – stellt Bonhoeffer die „in der fernen […] Welt Indiens“ (DBW 11, aaO., 219), in dessen romantisch-verklärt anmutenden Beschreibung341 seine eigene Faszination für dieses Land hervortritt, gegebene Auslegung entgegen: Du sollst nicht töten, denn das Leben ist Seele, ja das Leben bist du selbst, du sollst nicht Gewalt tun irgendeinem Lebendigen […]. Lerne leiden, lerne vergehen, lerne sterben, all dies ist besser als sich selbst behaupten und Gewalt tun und leben. Nur so wird deine Seele, die ja die Seele des Alls ist, unverletzt und heilig sein. Durch Liebe und Leiden gehen wir in das All, und überwinden es. […] Es ist die gewaltige Tat Gandhis, diese Lebenslehre, die sich an den Einzelnen richtet, nun auf ein Volk in einer nationalen Frage auszudehnen und nun auch die Gemeinschaft unter das Gebot zu stellen: Du sollst kein Leben vernichten, leiden ist besser denn mit Gewalt leben.342 339 DBW 13, Rede vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 301: „Müssen wir uns von den Heiden im Osten beschämen lassen?“ 340 Vgl. H.-P. Mller, Gandhi, mit der dort angeführten Literatur; vgl. auch DBW 13, Brief von Ch. Freer Andrews an Bonhoeffer vom 29. 4. 1934, 130. 341 Vgl. Bonhoeffers Bild Indiens in DBW 11, Vortrag im Februar 1932: Das Recht auf Selbstbehauptung, 221. 342 DBW 11, Vortrag im Februar 1932: Das Recht auf Selbstbehauptung, 219 f. Weiter trägt Bonhoeffer vor : „Wenn es sich dann ereignet, daß eine Versammlung von Tausenden von Anhängern Gandhis, die von der Regierungspolizei aufgelöst werden soll, ihren Willen ohne Gewalttat versucht durchzusetzen in passiver Resistenz, bis die weißen Maschinengewehre auf sie gerichtet werden und Hunderte dahinmähen, so ist das die große Ausprägung und Lösung,

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Nachfolge als Kirchenkampf (I)

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In der Zeit des Londoner Pfarramtes scheint die Möglichkeit, im Winter 1934/ 35 nach Indien zu gehen und dort Gandhi zu treffen, tatsächlich bald realisierbar.343 Nur eine Woche vor der Barmer Bekenntnissynode schreibt Bonhoeffer an seine Großmutter, erwägt in diesem Brief die eigenen beruflichen Möglichkeiten und stellt sodann, nachdem sowohl die akademische Laufbahn an der Universität verworfen (DBW 13, 145) und auch das „rechte[…] Zutrauen […] zu der kirchlichen Opposition“ infrage gestellt ist (DBW 13, aaO., 146), klar : Bevor ich mich irgendwo endgültig binde, möchte ich aber noch einmal nach Indien. Ich hab mich in der letzten Zeit sehr intensiv mit den dortigen Fragen befaßt und glaube, daß man vielleicht sehr wichtiges lernen kann. Jedenfalls scheint es mir manchmal, als ob in dem dortigen „Heidentum“ vielleicht mehr christliches [sic!] steckt als in unserer ganzen Reichskirche. Tatsächlich ist ja auch das Christentum orientalischer Herkunft und wir haben es dermaßen verwestlicht und mit rein zivilisatorischen Erwägungen durchsetzt, daß es uns so weit verloren gegangen ist, wie wir jetzt erleben. (DBW 13, aaO., 145 f)

Und im Schreiben an Reinhold Niebuhr vom 13. 7. 1934, in welchem Bonhoeffer die Bergpredigt als „Trennungslinie“ des bevorstehenden Kirchenkampfes ausweist, heißt es direkt im Anschluss an die Behauptung, dass die „neue Kirche, die in Deutschland werden muß, […] sehr anders aussehen [wird], als die jetzige Oppositionskirche“: Ich habe übrigens vor sehr bald einmal nach Indien zu gehen um zu sehen, was Gandhi von diesen Dingen weiß und was dort zu lernen ist. Ich erwarte gerade einen Brief und eine Einladung von ihm. (DBW 13, 171)

Im November dann erreicht Bonhoeffer die Einladung Gandhis, „wann immer es ihnen beliebt“ nach Indien zu kommen und „an meinem täglichen Leben teilzunehmen“.344 Zu diesem Zeitpunkt aber hatten sich für Bonhoeffer bereits die die Frage nach dem Recht auf Selbstbehauptung in Indien heute noch findet.“ (DBW 11, 220) Bemerkenswerterweise ersetzt „heute noch findet“ im Manuskript „gefunden hat“ (vgl. ebd., Hg.-Anm. 15). Im letzten Abschnitt des Vortrags setzt Bonhoeffer seine Ausführungen dann unter Schatten und Licht des Kreuzes Jesu Christi und schließt mit dem Satz: „nur wo wir frei werden zum Opfer für die heiligste Bruderschaft der Menschheit, für die der Prophet von Nazareth, der Christus, starb, sind wir recht frei geworden zum Leben.“ (DBW 11, 226) Die diesem Schlusssatz zugrundeliegende konditionale Struktur verdeutlicht, dass Bonhoeffer hier bereits die Möglichkeit eines falschen Umgangs mit dem Opfertod Jesu, die uns zur Gnade wurde, erwägt: Sie besteht darin, dass das Opfer genommen wird ohne die Bereitschaft, selbst etwas zu opfern. Vom Grundgedanken her ist damit die Unterscheidung eines „billigen“ von einem „teuren“ Gnadenverständnis schon hier formuliert. 343 Vgl. Bonhoeffers Brief an den Bruder Karl-Friedrich vom 14. 1. 1934 (DBW 13, 74 f); den Brief von Ch. Freer Andrews an Bonhoeffer vom 29. 4. 1934 (DBW 13, 130); sowie Bonhoeffers Brief an E. Sutz vom 28. 4. 1934, in dem es heißt: „Wie lange ich Pfarrer und in dieser Kirche bleibe, weiß ich nicht. Vielleicht nicht mehr lange. Ich möchte im Winter nach Indien.“ (DBW 13, 129). 344 DBW 13, Brief von M. Gandhi vom 1. 11. 1934, 500; engl. Fassung: DBW 13, aaO., 213 f. Der

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Der Ort der „Nachfolge“

ganz andere berufliche Perspektiven aufgetan, im Kirchenkampf wirksam zu werden: Der in Barmen eingesetzte Bruderrat der altpreußischen Union hatte Bonhoeffer als Leiter eines der Predigerseminare vorgesehen, das bald eingerichtet werden sollte,345 und „Bonhoeffer fand den Gedanken, nun Theologie in der Bekennenden Kirche zu treiben, verlockend. Der Indienplan war aber noch nicht aufgegeben. Bonhoeffer spürte wohl auch, daß eine baldige Rückkehr nach Deutschland unter den neuen Bedingungen gewisse Endgültigkeiten für seinen Lebensweg schaffen würde. Er war unschlüssig.“ (DB 473) Im September teilte er sich wiederum dem Schweizer Freund Sutz mit: Ich bin wieder zurück in unserer Gemeinde und quäle mich damit ab, einen Entschluß zu fassen, ob ich als Leiter eines neu zu errichtenden Predigerseminars nach Deutschland zurückgehen soll, ob ich hierbleiben soll oder ob ich nach Indien gehe. An die Universität glaube ich nicht mehr, habe ja eigentlich noch nie daran geglaubt – zu ihrem Ärger.346

Bonhoeffer entschied sich für die Übernahme der Predigerseminarsleitung – und damit gegen Indien. Am 26. 4. 1935 beginnt seine Arbeit als Direktor in der Theologenausbildung der Bekennenden Kirche, zunächst in Zingst, dann ab Ende Juni in Finkenwalde, dem Ort, an dem die „Nachfolge“ entstehen wird.

4.7 April 1935 bis September 1937 (Finkenwalde): Die ganz andere Opposition Die Darstellung der knapp zweieinhalb Jahre des Finkenwalder Predigerseminars, der Zeit, in der Bonhoeffer die „Nachfolge“ verfasst, beschränkt sich auf zwei Aspekte. Einführend wird gezeigt, inwiefern die Übernahme des Finkenwalder Predigerseminars trotz Bonhoeffers anfänglicher Unentschlossenheit logisch an die theologischen Überlegungen und die Kritik an Kirche und Universität während der vorangegangenen Jahre anknüpft. Darauf folgt eine kurze Betrachtung und Bewertung des neuen Lebensabschnitts Bonhoeffers und der jetzt beginnenden „ganz anderen Opposition“,347 und zwar anhand ausgewählter Schriftstücke jener Zeit: Briefen und Dokumenten, Vorträgen und Aufsätzen, Vorlesungen, Seminaren und Übungen. Wie sich die „Nachfolge“ inhaltlich an der „ganz anderen Opposition“ ausrichtet und als Einladung Gandhis war ein Empfehlungsschreiben George Bells vom 22. 10. 1934 vorausgegangen (DBW 13, 210), und offensichtlich auch ein Brief Bonhoeffers an Gandhi, vgl. Gandhis Brief an Bonhoeffer: „I have your letter.“ (DBW 13, 213). 345 Vgl. hierzu DBW 13, 150, Hg.-Anm. 4. Vgl. zur Entstehung und Geschichte der Predigerseminare in der Bekennenden Kirche DBW 14, Vorwort der Hg., 1 – 32, sowie DB 472 ff. 346 DBW 13, Brief an E. Sutz vom 11. 9. 1934, 204. 347 DBW 13, Brief an E. Sutz vom 28. 4. 1934, 128.

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April 1935 bis September 1937

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deren konkrete Gestalt zu verstehen ist, zeigt ein weiterer Abschnitt, in welchem einige zentrale Gedanken der „Nachfolge“ noch einmal herausgegriffen und jetzt vor dem Hintergrund der konkreten Finkenwalder Situation kontextualisiert und dadurch näherhin erklärt werden.348 Als der junge Bonhoeffer im Wintersemester 1931/32 zum ersten Mal als Privatdozent der Berliner theologischen Fakultät zu Studenten spricht, so zeigt beispielsweise die Ansicht über die Verbindung von Theologie und Kirche, ist der Einfluss Barths auf den Vortragenden bereits unverkennbar.349 Bonhoeffer versteht die Theologie als Dienerin der Kirche, aber die Kirche ist um ihrer rechten Verkündigung willen ihrerseits auf die Theologie angewiesen.350 Aus dieser Verbindung von Theologie und Kirche entsteht bei Bonhoeffer, dem Theologen und Christen, früh die Kritik an der Trennung von Theologie und Kirche, wie er sie in Deutschland vorzufinden meint, sowie die Abwendung von der Universität.351 Aus der Kritik an der Loslösung der 348 Eine Frage, deren Untersuchung lohnenswert wäre, die hier aber – um den Duktus nicht zu unterbrechen – nicht zur Darstellung kommt, ist die nach Bonhoeffers Selbstverständnis in Finkenwalde in der Doppelrolle des christlichen Bruders einerseits und des theologischen Lehrers (auch der Bekennenden Kirche) andererseits. 349 Für diese Verbindung wurde gezeigt (siehe oben Kap. 4.2): Weil Theologie „von der Selbstbegründung auszugehen“ hat (am „Anfang steht ein Akt der Anerkenntnis“ des sich souverän offenbarenden Gottes, der Ort dieser Offenbarung ist die Kirche und sie allein), darum ist Theologie – als Funktion der Kirche – kein Selbstzweck, niemals für sich selbst, sondern ist „ganz in den Dienst der Kirche gestellt“ (DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 199 – 203). Vgl. Bonhoeffers berühmt gewordene Aufgabenbestimmung der Theologie, in GS III (Vortragsskizze, vermutlich 1940: Theologie und Gemeinde), 423: „Theologie ist ein Hilfsmittel, ein Kampfmittel, nicht Selbstzweck.“ Zu der von den DBW gebotenen Fassung dieses Satzes vgl. DBW 16, 496. Im Finkenwalder Aufsatz „Die Bekennende Kirche und die Ökumene“ (August 1935) schreibt Bonhoeffer : „Lebendiges Bekenntnis heißt […] [s]elbstverständlich formuliertes, klares, theologisch begründetes, wahres Bekenntnis. Aber die Theologie ist hier nicht selbst der kämpfende Teil, sondern steht ganz im Dienst der lebendig bekennenden und kämpfenden Kirche.“ (DBW 14, 393). 350 Vgl. DBW 11, Vorlesung im SS 1932: Das Wesen der Kirche, 286: Die Sicherung des recte docere „ist Aufgabe der Theologie! Theologie muß dem Prediger zu Hilfe kommen. Keine evangelische Predigt, kein evangelisches Bekenntnis ohne die Theologie! Sie ist absolut notwendig.“; DBW 11, aaO., 287: „Die rechte Wortverkündigung fordert als erste außerkirchliche Funktion neben der Kirche die Theologie“; DBW 11, Entwurf einer Eingabe zum Fall Dehn an die theologische Fakultät in Halle, Anfang Februar 1932, 67: „Wir betrachten die theologischen Fakultäten als die berufenen und verantwortlichen Vertreter der Kirche.“ – Theologisch zu bemerken ist hier, dass Bonhoeffer Theologie zwar nicht als Selbstzweck, umgekehrt aber auch nicht nur als ein Mittel zum Zweck versteht, sondern auch als eine Wissenschaft, die gerade nicht identisch ist mit „Religionslehre und Glaubenslehre“ (DBW 11, Vorlesung im WS 1931/32: Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts, 199), und zwar darum nicht, weil dort Gott als Objekt verstanden, hier aber Gott als Subjekt geglaubt wird. Dies ist die Voraussetzung alles weiteren theologischen Reflektierens. „Nur wo Gott sich als Subjekt zum Objekt der Theologie macht, wird erst Theologie getrieben“, und das bedeutet, dass „echte Theologie beginnt mit: veni creator spiritus (Anselm, Kierkegaard)“ (DBW 11, aaO., 201). 351 Vgl. den Brief an E. Sutz vom 11. 9. 1934: „An die Universität glaube ich nicht mehr, habe ja eigentlich noch nie daran geglaubt – zu ihrem Ärger.“ (DBW 13, 204); zu Bonhoeffers Kritik

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Der Ort der „Nachfolge“

theologischen Fakultäten von der Kirche, der Theologie von der Gemeinde entspringt letztlich auch sein Vorwurf, dass der Kirche die Konzilien und damit der Begriff der Häresie abhandengekommen ist.352 Inwiefern sind nun diese Bestimmungen des Wesens von Theologie und ihrer Zugehörigkeit zur Kirche gerade auch in Bezug auf die Entscheidung für Finkenwalde bzw. zum Verständnis dessen relevant, welche Absichten und Hoffnungen Bonhoeffer mit der Übernahme der Predigerseminarleitung verband? Bereits im Frühjahr 1934 hatte Bonhoeffer zunehmend eine „ganz andere […] Opposition“353 erwartet, einen zweiten und eigentlichen „Kampf um das Christentum“, der allein „[…] von dem gewonnen [wird], der ihn ganz erleidet“; denn „zuletzt wird das Leiden allein die Welt überwinden“, und zwar das Leiden der Christen in der Nachfolge ihres Herrn, in dem „das Kreuz groß und sichtbar“ wird.354 Diese Überwindung der Welt und des Leids durch das Leiden (der Kirche als der communio sanctorum) versteht Bonhoeffer nun als „dialektische[n] Hinweis auf die Möglichkeit von Glauben, Nachfolge, Bekenntnis“ – wobei der Begriff der Möglichkeit aber gerade von einem echten Theologiebegriff, welcher „den Glauben als Wirklichkeit ins Auge faßt“, abzulehnen sei. Nur „dort wo die Theologie den Glauben als Wirklichkeit ins Auge faßt“, so kann gesagt werden, können „Glauben, Nachfolge, Bekenntnis“ im Horizont jener Möglichkeit verstanden werden, die ihnen Bonhoeffer zufolge eignet. Dies aber geschieht seiner Ansicht nach an den deutschen Fakultäten gerade nicht, sodass er seine Erwägungen als „am Rand der Theologie“ stehend begreift.355 Für die Lehre der Theologie in Deutschland zieht Bonhoeffer aus dieser Diagnose nun im September 1934 eine Konsequenz, in der sein Weg ins Predigerseminar geradezu vorausgewiesen ist: Die gesamte Ausbildung des Theologennachwuchses gehört heute in kirchlichklösterliche Schulen, in denen die reine Lehre, die Bergpredigt und der Kultus ernstgenommen wird – was gerade alles drei auf der Universität nicht der Fall ist und unter gegenwärtigen Umständen unmöglich ist.356

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am Wissenschaftsbegriff der theologischen Fakultäten seinen Brief an E. Sutz vom 25. 12. 1931 (DBW 11, 49 – 52): Barth „zeigt den zahllosen Wissenschaftskrüppeln einmal gründlich, daß er wesentlich genauer weiß, wie man interpretiert und doch souverän bleibt“ (DBW 11, aaO., 51). Vgl. dazu die biblische Exegese der N. Vgl. hierzu oben Kap. 4.2. DBW 13, Brief an E. Sutz vom 28. 4. 1934, 128. DBW 13, Brief an einen unbekannten Adressaten, vermutlich August 1934, 177 f. DBW 13, Brief an einen unbekannten Adressaten, vermutlich August 1934, 178; Hervorhebung durch F.S. An jenem „Rand der Theologie“ sieht Bonhoeffer auch sich selbst stehend, siehe oben Anm. 325 dieses Kapitels; vgl. dazu den Brief an E. Sutz vom 27. 10. 1932 (DBW 11, 117 – 119): „Der Aufenthalt bei Ihnen war für mich […] [auch; F.S.] das Asyl für einen theologisch Obdachlosen […]. […] (Ich denke manchmal mit Schrecken, daß wir uns vielleicht darin finden, daß wir beide Existenzen irgendwie am Rande unserer Kirche […] sind.)“ (DBW 11, aaO., 117 f). DBW 13, Brief an E. Sutz vom 11. 9. 1934, 204.

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April 1935 bis September 1937

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Als im Januar 1935 die Entscheidung für Finkenwalde dann gefallen ist, schreibt Dietrich Bonhoeffer an seinen Bruder Karl-Friedrich: Die Restauration der Kirche kommt gewiß aus einer Art neuen Mönchtums, das mit dem alten nur die Kompromißlosigkeit eines Lebens nach der Bergpredigt in der Nachfolge Christi gemeinsam hat. Ich glaube, es ist an der Zeit, hierfür die Menschen zu sammeln.357

Welche Bedeutung Bonhoeffer den Predigerseminaren hinsichtlich der Theologenausbildung (nicht nur) der Bekennenden Kirche zumaß (nämlich über die Restauration hinaus gar die Erhaltung der Kirche durch die Verbindung von theologischer Lehre und christlichem Leben), markiert schließlich ein Schreiben des Bruderhauses „an Freunde und Förderer des Seminars“ aus der Mitte des Jahres 1936, in welchem es heißt: Die staatlichen theologischen Fakultäten fördern zur Zeit fast ausnahmslos die deutsch-christliche Irrlehre oder die Unentschiedenheit. So steht der theologische Nachwuchs in der großen Gefahr, überhaupt nicht mehr mit einer entschieden bekenntnismäßigen Theologie in Berührung zu kommen. Die Predigerseminare der Bekennenden Kirche sind zur Zeit fast die einzigen Stätten, in denen die Bekennende Kirche in völliger Unabhängigkeit zu einer klaren bekenntnismäßigen Haltung in Lehre und Leben anleiten kann.358

Mit dem Beginn der Arbeit in Finkenwalde hatte für Bonhoeffer der Widerstand in Gestalt jener vorausgeahnten „ganz anderen Opposition“ nun konkret begonnen.359 Das Schisma der Bekennenden Kirche von der Reichskirche war – jedenfalls wenn es nach Bonhoeffers Interpretation dieser Daten ging360 – auf den Bekenntnissynoden von Barmen (Mai 1934) und Dahlem (Oktober 1934) vollzogen worden.361 Im Juli 1935 teilt er Leonard Hodgson seine Einschätzung mit: sowohl die Lehre als auch das Handeln der verantwortlichen Leiter der Reichskirche hat klar erwiesen, daß diese Kirche nicht mehr Christus dient, sondern daß sie dem Antichristen dient. Der Gehorsam gegenüber dem alleinigen himmlischen Herrn Jesus Christus wird dem Gehorsam gegenüber weltlichen Herren und Mächten fortwährend zugeordnet, nein vielmehr untergeordnet. Die Reichskirche verrät dadurch fortwährend den alleinigen Herrn Jesus Christus, denn niemand kann zwei Herren dienen, er wird dem einen anhängen und den anderen verachten. Die Bekennende Kirche hat daher (auf der Dahlemer Synode im letzten Herbst) erklärt, daß die Reichskirchenregierung sich von der Kirche Christi losgelöst hat. Diese feierliche 357 358 359 360

DBW 13, Brief an K.-F. Bonhoeffer vom 14. 1. 1935, 273. DBW 14, Das Bruderhaus an Freunde und Förderer des Seminars, 22. 7. 1936, 204. DBW 13, Brief an E. Sutz vom 28. 4. 1934, 128; vgl. dazu auch DB 381. Vgl. dazu Bonhoeffers im Juni 1936 erschienenen Aufsatz „Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft“ (DBW 14, 655 – 680); siehe oben Anm. 233 dieses Kapitels. 361 Die dritte Bekenntnissynode fand im Juli 1935 in Augsburg statt.

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Der Ort der „Nachfolge“

Erklärung ist in Vollmacht und im Gehorsam gegenüber dem Wort Jesu Christi abgegeben worden; sie stellt fest, daß die Reichskirchenregierung nicht länger beanspruchen kann, sie ordne die Kirche Christi in Deutschland oder irgendeinen Teil davon.362

Damit war für Bonhoeffer der Kampf der Kirche als ein Kampf um die Kirche in eine neue Phase eingetreten. Jetzt, da die wahre Kirche Christi endgültig das Schisma der häretischen Reichskirche festgestellt hatte, war für Bonhoeffer die Frage nach der Kirchengemeinschaft gestellt. Denn was konnte es für die einzelnen Gemeinden heißen und was trug die von der Bekennenden Kirche bestätigte Tatsache für die Gemeinden aus, „daß die Reichskirchenregierung sich von der Kirche Christi gelöst hatte“? Bonhoeffer fasst im Juli an Gerhard Vibrans zusammen, was er einige Wochen zuvor grundlegend in seinem Aufsatz „Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft“ entfaltet hatte: Von jeher ist es in der Kirche so gewesen, daß durch die Verkündigung der reinen Lehre des Evangeliums Irrlehre und Irrlehrer aus der Kirche ausgeschlossen wurden, nicht aber die Gemeinden. So war es auch bei Luther, so auch in Dahlem. Nur von dem D.C. Kirchenregiment sagte man, es habe sich von der Kirche Christi geschieden [sc. nicht aber von den Gemeinden]. Nicht wir stoßen aus, sondern wir stellen fest: sie [sc. die Irrlehrer] haben sich selbst geschieden. Die Gemeinde, nur sofern sie sich wissend zu den Irrlehrern hält, ist davon mitbetroffen. Solange noch die berechtigte Möglichkeit besteht, sie eines besseren zu belehren, rechnen wir sie zu Gliedern der rechtmäßigen Kirche, sprechen sie als zu uns gehörig an. Dieses Ansprechen aber selbst muß scheidende Kraft haben. Sie müssen wissen, was es heißt zu uns zu gehören. Niemals aber kann die Scheidung der Geister selbst Ziel unsrer Arbeit sein, sondern die Verkündigung allein, die, wenn sie recht ist, die Scheidung selbst hervorbringt. (DBW 14, 191)

Im Wesentlichen sind in diesem Kampf drei Gruppierungen kirchlicher Zugehörigkeit zu unterscheiden,363 und zwar unabhängig davon, ob es sich nun um Pastoren oder Gemeindeglieder handelt. Erstens diejenigen, die sich dem deutsch-christlichen Kurs angeschlossen hatten; durch ihre Entscheidung für die (nach Bonhoeffer aus Sicht der Bekennenden Kirche als solche zu bewertenden) Irrlehre haben sie sich mit den Irrlehrern selbst von der Gemeinde Christi geschieden. Die zweite Gruppe stellt die der bislang Unentschiedenen 362 DBW 14, Brief an L. Hodgson vom 18. 7. 1935, 1083; engl. Fassung: DBW 14, 54 f. 363 In noch stärkerem Maße als bisher wird sich die Darstellung auf die wichtigsten Aspekte beschränken müssen; freilich zeichnet sich die historische kirchliche sowie kirchenpolitische Landschaft während dieses zweiten „großen Abschnitte[s] des deutschen Kirchenkampfes“ (DB 561) wesentlich differenzierter als im Folgenden ausgegeben, vgl. etwa ebd.: „In diesem Zeitabschnitt [sc. 1935 – 1937] wurde der Kampf zu einem mühseligen Tauziehen zwischen Zoellners Kirchenausschüssen, den Bruderräten, dem Lutherischen Rat und den noch immer aktiven Deutschen Christen.“ Vgl. zum im März 1936 gegründeten „Lutherrat“ unten Anm. 386 dieses Kapitels; vgl. fernerhin auch DBW 14, Brief an H.L. Henriod vom 24. 3. 1937, 277 – 280.

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dar, die Gruppe derjenigen, die weder der deutsch-christlichen noch der bekennenden Front zugehören. Ihnen, der ,kirchlichen Mitte‘, ist das Wort zur Entscheidung gesagt, wobei für Bonhoeffer längst und nach wie vor feststeht, dass ein „Nein zur Bekenntniskirche […] heute ein Ja zur Reichskirche [ist]“.364 Die dritte „Gruppe“ sind diejenigen, die Bonhoeffer als Kirche, und zwar als die einzige wahre Kirche Christi, verstanden wissen wollte, die Bekennende Kirche selbst. Auch ihnen ist „das Wort Gottes zur Entscheidung und zur Scheidung der Geister zu predigen“.365 Und an eben dieser Stelle entfacht nun der eigentliche Kampf Bonhoeffers um die Kirche, um ihre jetzige und zukünftige Existenz, ein Kampf, der als ein Kampf des Erleidens und Erduldens, des Glaubens und Gehorsams in der Nachfolge Christi „vielleicht der schwerste Kampf“366 ist. Kaum hat die Kirche sich in „Verkündigung und Lehre“ (Barmen) und in „Gestalt und Ordnung“ (Dahlem) von der Reichskirchenregierung losgesagt und beansprucht, die allein wahre Kirche in Deutschland zu sein, setzt sie ihre Substanz der Gefahr aus dadurch, so heißt es Ende Juli 1935 im Aufruf „An unsere Brüder im Amt“, dass sie, indem sie auf „Anerkennung […] durch den Staat“ drängt,367 ihre „Hoffnung auf Menschen“ 364 DBW 13, Protokoll der vereinigten Sitzung der Pfarrer und Kirchenvertreter der evangelischen Gemeinden Englands am 5. 11. 1934, 218. In diesem Zusammenhang der kirchlichen Mitte und zum Verständnis der Stellung Bonhoeffers dazu ist auf die pietistisch geprägte „Oxford-Bewegung“ hinzuweisen (vgl. zur Sache und zur Entstehung DBW 14, 251, Hg.-Anm. 11; vgl. Brunner, Die Kirchen), der von allen Seiten her starke Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde; hier glaubte man eine Gelegenheit erkannt zu haben, den Durst der Unentschiedenen nach einer christlichen Bewegung für sich nutzen, jene Unentschiedenen für sich gewinnen und so die eigene Existenz behaupten zu können. Die Möglichkeiten dieser Bewegung bewertete Bonhoeffer darum als geradezu uneingeschränkt. Für ihn bedeutete dies freilich eine große Problematik, und zwar für die „Oxford-Bewegung“ selbst und möglicherweise auch eine Gefahr für die Bekennende Kirche; denn wenn diese ebenfalls ihren Stand durch die Anzahl der zu ihr sich haltenden Mitglieder zu sichern und darum die Mitte für sich zu gewinnen suchte, wäre sie ihm zufolge „keine Kirche mehr“. Bonhoeffer kommentiert die Situation wie folgt: „Sofort stürzen sich alle Leute der kirchlichen Mitte einschließlich der Kirchenausschüsse voll Interesse auf dieses unpolitische, lebendige Phänomen [sc. die Oxford-Gruppenbewegung] und liebäugeln damit. Merkt denn die Gruppe nicht, was ihr droht, das heißt hat sie nicht wenigstens genug Instinkt, um hier zu erkennen, daß sie nur als Instrument einer dunklen Macht dient, dann scheint mir ihre Stunde geschlagen zu haben. Ich glaube, die Gruppe kann, menschlich geredet, heute alles haben, was sie hier will, sie kann vielleicht in die entscheidendsten Kreise eindringen, aber der Preis muß sein, daß sie die Bekennende Kirche aufgibt. […] Man hungert nach einer ,christlichen‘ Bewegung, für die Ausschüsse ist das geradezu die Existenzfrage. Wir könnten uns von der Bekennenden Kirche her selbst dazu hergeben und es wäre alles in unsern Händen, der Preis, den wir zahlen ist nur, daß wir keine Kirche mehr sind, das heißt [daß] wir keine polis mehr sind, das heißt daß wir das Evangelium der polis nicht mehr predigen können.“ (DBW 14, Brief an E. Sutz vom 24. 10. 1936, 256) Hinzufügend sei angemerkt: das Personalpronomen „sie“ in dem Halbsatz „daß sie die Bekennende Kirche aufgibt“ kann sowohl als Subjekt als auch als direktes Objekt interpretiert werden; beide Möglichkeiten entsprechen der Theologie Bonhoeffers. 365 DBW 14, An den Rat der evangelischen Kirche der altpreußischen Union vom 6. 9. 1935, 77. 366 DBW 14, Flugblatt vom 30. 7. 1935: An unsere Brüder im Amt, 66. 367 DBW 14, Flugblatt vom 30. 7. 1935: An unsere Brüder im Amt, 67.

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Der Ort der „Nachfolge“

setzt und nicht „ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird durch die Offenbarung Jesu Christi“.368 Die staatlichen „Maßnahmen der letzten Zeit“ aber lassen erkennen, „daß die Kirchenfrage im Widerspruch zu Barmen und Dahlem gelöst werden soll“.369 Bonhoeffer, der diesen Aufruf mit unterzeichnete, stand der Leitung der Bekennenden Kirche mit der Überzeugung gegenüber, dass sie „[…] die ihr gegebene Verheißung preisgeben [würde], wenn man neben dem Gehorsam gegen die durch den Heiligen Geist gewirkte Wahrheit noch irgendeine andere Größe einführte, um der Kirche neues Leben zu geben“,370 wenn sie „in ihrem Zeugnis von Christus den Weg der Treue und der Wahrheit“ verließe.371 Unter dem Eindruck der im Februar 1936 stattfindenden vierten (und zugleich letzten) Bekenntnissynode der Bekennenden Kirche in Bad Oeynhausen, richtete sich Bonhoeffer an die „Vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche“ (DBW 14, 122 – 125) und begann mit folgender Diagnose: Die Bekennende Kirche ist auf dem Wege, der ihr in Barmen und Dahlem gewiesen wurde, seit fast einem Jahre stehen geblieben. Das ist verhängnisvoll. Denn trotz Barmen (reine Lehre) und Dahlem (rechte Leitung) sind noch schwerwiegende Irrtümer in der Bekennenden Kirche weit verbreitet. So wird selbst innerhalb der Bekennenden Kirche ihr Anspruch, die wahre Kirche Christi in Deutschland zu sein, von weitesten Kreisen nicht ernst genommen oder gar bestritten. Daraus ergeben sich vielerlei praktische Konsequenzen, die zu immer größerer Verwirrung geführt haben. (DBW 14, aaO., 122)

Während der Staat sich die innerhalb der Bekennenden Kirche bestehende Verwirrung „bei der Einsetzung der Kirchenausschüsse zunutze gemacht“ hat, so fährt Bonhoeffer fort, sind nicht nur „[w]eite Kreise unserer Kirche dieser Tarnung [sc. als handle es sich bei dem Kampf zwischen Kirche und Unkirche nur um Personalfragen und nicht um substantielle Fragen der Lehre und Irrlehre] zum Opfer gefallen“,372 sondern es ist sowohl ein klärendes Synodalwort zur „Kirchengemeinschaft“ und damit zu „Lehr- und Kirchenzucht“ ausgeblieben (ebd.) als auch ein so dringlich notwendiges, verbindliches und wirklich „weisendes Wort für die […], die es mit der Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche vereinigen zu können glauben, irgendwie mit den Aus368 1Petr 1,13, zit. n.: DBW 14, Flugblatt vom 30. 7. 1935: An unsere Brüder im Amt, 67 (im Original hervorgehoben). 369 DBW 14, Flugblatt vom 30. 7. 1935: An unsere Brüder im Amt, 66. Damit war der Staat endgültig „ohne alle Tarnung […] Gegner“ der Kirche geworden (ebd., Hg.-Anm. 1). 370 DBW 14, Brief an F. Schauer vom 25. 1. 1936, 112; Hervorhebung durch F.S. 371 DBW 14, Brief an F. Schauer vom 25. 1. 1936, 107. 372 Vgl. hierzu auch das Schreiben des „Predigerseminar[s] Finkenwalde an den Bruderrat der Altpreußischen Union“ vom 10. 11. 1935 (DBW 14, 95 f): „Wir stellen fest, daß […] die Evangelische Kirche [sc. durch die ausdrückliche Flaggenverordnung des Innenministers zu der ,Totenauferstehungsfeier‘ am 9. November] zu einer offenkundigen Bekenntnisverletzung verleitet worden [ist]“ (DBW 14, aaO., 95).

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schüssen zusammenzuarbeiten“ (DBW 14, aaO., 123). Hier wäre die kirchliche Versammlung zu beschließen verpflichtet gewesen, dass „[…] irgendein Paktieren mit den Ausschüssen Zerstörung der Kirche [bedeutet]“ und dass sich dieser Zerstörung „[…] der Pfarrer schuldig [macht], der den Ausschüssen in irgendeinem Punkt gehorcht“.373 Entsprechend lautet Bonhoeffers Urteil: Zum Amt der Kirchenleitung der Bekennenden Kirche hätte nach unserer Überzeugung nicht „brüderliche Beratung“, sondern ein festes, bindendes Wort wirklicher Leitung gehört. Praktisch überläßt die Synode vielmehr die Entscheidung für oder gegen die Ausschüsse jedem einzelnen. (DBW 14, aaO., 123)

Die Kirchenleitung aber, „die den ihr unterstellten Pfarrern und Gemeinden nicht klare Weisungen gibt“, sei selbst der „Zerstörung der Kirche“ schuldig geworden (DBW 14, aaO., 124). Aus dem Ausbleiben der verbindlichen Weisung durch die Leitung der Bekennenden Kirche folgt nun bei Bonhoeffer zweierlei. Zum einen versteht er selbst den Kirchenkampf als einen Kampf der Scheidung (der bekennenden und nachfolgenden Kirche von der häretischen Kirche, der „Unkirche“, DBW 14, aaO., 122, genauer : der häretischen von der wahren Kirche), in der das Evangelium zur „Entscheidung […] der Geister“374 gepredigt wird und in dem alles auf die „Unterscheidung der Geister“375 (der wahren von den falschen Lehrern) ankommt. So ist dieser Kampf, der sich bewähren wird an „Gehorsam und Ungehorsam […] unserem Herrn Jesus Christus gegenüber“, aufzufassen als „Ziehen der Trennlinie zwischen Leben und Tod, zwischen Gehorsam und Ungehorsam“,376 als Kampf, in welchem Christus und sein Wort selbst in der Verkündigung der Kirche „die Scheidung der Geister in Glaubende und Verstockte vollzieht“377 und in welchem „[u]nsere Waffen des Evangeliums, neu geschärft durch unser Kämpfen und Leiden, […] für die ganze Christenheit der einzige Schutz [sind]“.378 Zum 373 DBW 14, Das Predigerseminar an die vorläufige Leitung der DEKvom 28. 2. 1936, 124. Vgl. dazu den lange vor der Oeynhausener Synode verfassten Brief Bonhoeffers an F. Schauer vom 25. 1. 1936 (DBW 14, 106 – 122): „Ich bin allerdings der Meinung, daß der, der sich den Ausschüssen in irgendeiner Form unterstellt, nicht mit uns in einer Kirche sein kann. Aber hier gilt nicht das Wort eines einzelnen, sondern das Wort der Synode und der Bruderräte, auf das viele warten. Die bisherige Unklarheit an diesem Punkt scheint mir verhängnisvoll und symptomatisch zugleich.“ (DBW 14, aaO., 109) Vgl. auch DBW 14, 6. Finkenwalder Rundbrief vom 15. 3. 1936, 131. 374 DBW 14, An den Rat der evangelischen Kirche der altpreußischen Union vom 6. 9. 1935, 77; Hervorhebung durch F.S. 375 DBW 14, Brief an L. Hodgson vom 18. 7. 1935, 1084; engl. Fassung: DBW 14, 55. Bonhoeffer zitiert dort 1Kor 12,10: „dividing asunder the spirits“. 376 DBW 14, Brief an L. Hodgson vom 18. 7. 1935, 1084; engl. Fassung: DBW 14, 55. 377 DBW 14, Vortrag im August 1935: Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte, 414. Vgl. dazu DBW 14, Vorlesung im zweiten Finkenwalder-Kurs 1935/36: Seelsorge, 556: „Ziel der Predigt ist […], daß an Gott geglaubt wird.“ Vgl. zur Frage und Interpretation der „Verstockung“ DBW 14, Skizze zum Votum: Von Barmen nach Oeynhausen, Januar 1936, 597. 378 DBW 14, Brief an L. Hodgson vom 18. 7. 1935, 1084; engl. Fassung: DBW 14, 56.

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anderen beginnt Bonhoeffer im Rahmen des ihm Möglichen, die bekennende Gemeinde auf diesen Kampf, der ein Kampf von täglich neuem Sich-Entscheiden ist, einzustimmen, den Gläubigen Mut zuzusprechen und sie zum Durchhalten und alleinigen Festhalten an dem Wort Gottes, dem Gebot Christi zu bewegen. Sechs konkrete Bereiche lassen sich nennen, in denen sich Bonhoeffers theologische und zugleich kirchenpolitische Anstrengungen nach den beiden genannten Richtungen vollziehen. 1. Öffentlichkeitswirksam bezieht Bonhoeffer durch Aufsätze und Vorträge zum Kirchenkampf Stellung, indem er dessen Entwicklung und gegenwärtige Form theologisch bewertet. Die Forderung eines festen, klaren Wortes der Bekenntnissynode zu den Kirchenausschüssen, das bindend die Klärung der Problematik der Kirchengemeinschaft herbeiführen soll,379 reflektiert Bonhoeffer in dem oben besprochenen Aufsatz, der jene „Frage nach der Kirchengemeinschaft“ zu beantworten sucht. Hier ist theologisch grundgelegt, was Bonhoeffer von der Kirche erwartet und was diese ihren Gliedern schuldig bleibt. Bonhoeffers Skizze zum Votum „Von Barmen nach Oeynhausen“ nennt den Weg der Bekennenden Kirche einen „Irrweg“, von dem man nicht mehr lassen will – „so einfach!“380 Dieser „Irrweg“ besteht gerade darin, dass der einstmals eingeschlagene Weg nicht mehr weitergegangen worden ist und nicht weitergegangen wird. Statt nach vorn zu sehen und den Weg weiter zu gehen, richtet die Bekennende Kirche ihren Blick auf sich selbst. Ihre Glieder sollen aber wissen: Nur als solche, die nach vorwärts gehen, ins gelobte Land, [sind wir ; F.S.] Kirche. […] Bei jeder Rast, Lagermachen kommt die Frage, … kommt der Abfall. Wir kommen niemals zu einer Klarheit darüber, was wir sind, solange wir Halt machen und uns abgekämpfte Leute ansehen – wir werden erst wieder im Glauben sagen, daß wir Kirche sind, wenn wir uns ernstlich entschließen, weiter zu gehen, einen Schritt zu tun – nicht anders im persönlichen Leben … „bin ich ein Christ?“ . . gehe voran! . . . . Dann dankbar und demütig . . ..381 379 Vgl. DBW 14, Das Predigerseminar an die vorläufige Leitung der DEK vom 28. 2. 1936, 123 u. a. 380 DBW 14, Homiletische Übungen zu Jes 60,1 – 6 (1936), 597. 381 DBW 14, Skizze zum Votum: Von Barmen nach Oeynhausen, Januar 1936, 598. In einem weiteren hier zu nennenden Aufsatz widmet Bonhoeffer seine Anstrengungen noch einmal der Verhältnisbestimmung von „Bekennender Kirche und Ökumene“ und geht zunächst von zwei Erkenntnissen aus: „1. es geht im Kampf der Bekennenden Kirche um die Verkündigung des Evangeliums überhaupt; 2. der Kampf wird von der Bekennenden Kirche stellvertretend für die gesamte Christenheit, insbesondere für die abendländische, ausgetragen und erlitten.“ (DBW 14, 381) In diesem Kampf, so heißt es dann an späterer Stelle des Textes, hat die Bekennende Kirche „erfahren, daß diese Wahrheit allein [sc. die des Evangeliums] im Kampf auf Leben und Tod ihre Waffe ist. Sie kann nicht um ein kleinstes von dieser Wahrheit lassen; aber sie weiß sich gerade mit dieser Wahrheit nicht zum Herrschen, sondern zum Dienen und zum Hören berufen und wird diesen ihren unverkürzten Dienst in der Ökumene ausrichten.“ Die Bekennende Kirche will folglich „als Kirche zu Kirchen reden“, ihr „Wort will als kirchliches Wort gehört sein, eben weil sie […] bindendes Wort Gottes bezeugen will. […] Damit zwingt sie durch ihr Wort in die Entscheidung.“ (DBW 14, aaO., 398).

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2. Briefe und Rundbriefe der Finkenwalder Zeit belegen, wie sehr Bonhoeffer am Ausharren eines jeden Einzelnen gelegen war ; dass die Bedrohung durch den nationalsozialistischen Staat mittlerweile sehr spürbar auch in das Predigerseminar hineingriff, wird aus diesen Dokumenten unmittelbar ersichtlich. Am 24. 9. 1935 verordnet Reichskirchenminister Hanns Kerrl die Durchführung des „Gesetzes zur Sicherung der DEK“ (vgl. dazu DB 563 f) dessen fünfte Durchführungsverordnung am 2. Dezember „[…] alle ,kirchenregimentlichen und kirchenbehördlichen Befugnisse‘ der Bekennenden Kirche für nichtig [erklärte]. […] Von nun an waren die Predigtamtskandidaten der Bekennenden Kirche durch ihre bloße Existenz rechtsbrüchig gegenüber staatlichen Gesetzen.“382 Am 18. November, als Bonhoeffer die Illegalität der Theologenausbildung unausweichlich bevorstehen sieht, schreibt er an die Mitglieder des ersten Kurses, „damit ihr wißt, daß Ihr in den nächsten Tagen nicht allein gelassen seid“,383 und mit Blick auf die zu erwartenden Gesetzesverordnungen sagt Bonhoeffer : 1. Lasset Euch unter keinen Umständen irre machen durch die Rede, wir seien eine „Bewegung“ aber keine Kirche. […] Wir sind […] keine Bewegung, sondern die Kirche Jesu Christi. 2. Mit dem Verbot unserer Kirchenleitung wäre die Bekennende Kirche verboten. 3. Auch eine verbotene Kirchenleitung bleibt unwiderruflich unsere Kirchenleitung, auf die wir uns jederzeit allein berufen müssen und deren Weisung für uns allein verbindlich bleibt.384

Mit den Ereignissen des 2. Dezembers aber war die Legalisierungsfrage in der Bekennenden Kirche aufgebrochen; die Verordnungen rührten unmittelbar an die Existenz der bekennenden Pastoren.385 Im Juni 1936 wendet sich Bonhoeffer an die Brüder der ersten beiden Kurse: Es kommt bei uns jetzt alles auf die tägliche Treue an. Werden wir jetzt lässig und leichtsinnig, wie können wir dann auch nur vor unseren gefangenen Brüdern bestehen, wie aber sollten wir erst dann bestehen vor dem Sohne Gottes, der um unsertwillen litt bis in den Tod? Beharren heißt es jetzt. Das ist mühselig. Aber es hat eine große Verheißung, auch für unsere Gemeinschaft.386 382 383 384 385

DBW 14, Vorwort der Hg., 5 f; vgl. DB 564 ff. DBW 14, 2. Finkenwalder Rundbrief vom 29. 11. 1935, 101. DBW 14, 2. Finkenwalder Rundbrief vom 29. 11. 1935, 102. Jeweils ein Bruder aus dem ersten, zweiten und dritten Kurs unterstellte sich den Kirchenausschüssen, vgl. DBW 14, Bonhoeffers Jahres-Bericht 1936, 258 – 264, 263. 386 DBW 14, Brief an die Brüder der ersten beiden Kurse vom 24. 6. 1936, 169. Siehe auch den „Rundbrief an die Brüder des ersten und zweiten Kurses“ vom 22. 7. 1936, der mit einem leidenschaftlichen adhortativen Appell Bonhoeffers schließt: „Liebe Brüder, wir spüren alle, daß die Dinge unserer Kirche wieder in Bewegung geraten. Wir wissen nicht, was das Ziel ist. Die allerschwerste Sorge ist mir der Lutherische Rat. Wir stehen vor der Proklamation einer lutherischen Reichskirche. Dann haben wir die Bekenntniskirche, die sich viele ersehnen. Und das Unbegreifliche wird sein, daß wir nicht mitgehen dürfen. Dann wird die Not und die Angst unseres Gewissens groß werden. Die Nacht wird tiefer als je zuvor. Wir werden fragen: Hüter ist

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Der Ort der „Nachfolge“

Es galt, allen Anfeindungen und Bedrohungen zum Trotz der Gefahr zu widerstehen und im Fleische zu beenden, was im Geiste begonnen worden war.387 An die St. Pauls Gemeinde in London schreibt Bonhoeffer im September 1936: Ihr wißt, daß über unsere Kirche ein großer aber verheißungsvoller Kampf gekommen ist. Christus und Antichrist liegen im Streit. Es kann keiner unentschieden bleiben, und Gottes Wort trennt und schafft neue Gemeinschaft. Es ist die tägliche Frage des Versuchers an uns: wollt ihr immer noch Christus den Herrn aller Herren nennen, oder wollt ihr ein klein wenig nachgeben? dann könntet ihr Ruhe und Frieden haben. Wir alle möchten wohl gern Ruhe und Frieden haben, aber wir dürfen noch nicht. Christus steht noch im Kampf, da können wir nicht ruhen. […] Verlassen dürfen wir uns allein auf eines, das Wort und die Hilfe Gottes, und unsere stärkste Waffe bleibt das tägliche Gebet. Diesen Kampf kann nur eine betende Kirche bestehen.388

3. Wenn, wie Bonhoeffer es beurteilt, die Substanz der Kirche die Nachfolge ist und ihre Rettung davon abhängt, dass sie im Glauben an Jesus Christus und allein im Gehorsam gegen sein Wort ihren Weg geht, wenn aber zugleich die theologischen Fakultäten nunmehr in deutsch-christlicher Hand sind,389 dann ist evident, dass die Ausbildung und Unterrichtung der Prediger der Bekennenden Kirche für Bonhoeffer einen elementaren Faktor des Kirchenkampfes stellt. Ausbildung der Kandidaten bedeutet Zurüstung im Kampf und zum Kampf. Ebenfalls im September 1936 schreibt Bonhoeffer an Karl Barth:

die Nacht schier hin? Und es mag sein, daß der Hüter antwortet: Wenn schon der Morgen kommt, so wird es doch Nacht sein. […] (Jes. 21, 12) Werden wir dann durchhalten? Oder wird uns der Herr helfen, indem ER den Nebel zerstreut? Indem ER den Männern die Augen öffnet für das, was sie tun? Wir dürfen nicht aufhören, darum zu beten. Wir müssen jetzt viel mehr beten. Gott möge eine Mauer um uns bauen, daß wir zusammenbleiben. In solchen Zeiten meine keiner, daß er noch allein stehen kann. Wir stehen alle miteinander durch das Gebet, daß wir füreinander tun dürfen. Ob nun alles noch viel dunkler und undurchsichtiger wird, es ist ja nur eine kurze Zeit bis alles ganz klar sein wird. Wir wollen aber um so mehr treu sein im täglichen Dienst, wir wollen nüchtern sein und unsere Hoffnung ganz auf die Gnade setzen. Je tiefer wir jetzt hineinmüssen, desto schneller kommen wir hindurch. […] Laßt uns fest sein im brüderlichen Dienst, in dem einer den andern stärkt. Keiner soll sich schämen, wenn ihn die Anfechtung einmal tief hinunterdrückt. Aber einer helfe dem andern wieder auf den Weg. […] Gott sei mit Euch allen, liebe Brüder, die Ihr jetzt allein in der Gemeinde steht. Wir denken an Euch zuerst. Und Ihr andern seid alle herzlich gegrüßt in der Gemeinschaft unseres Glaubens und unserer Hoffnung.“ (DBW 14, 200 f). 387 Vgl. dazu den unter Gal 3,3 gestellten „Aufruf der Seminarbruderschaft der Bekennenden Kirche“, DBW 14, 170 f. Darin heißt es sodann: „Unser Weg ging auch durch Not. Aber der Herr band uns, daß wir nicht wichen. Und heute wollen wir weichen um der Freundschaft der Welt willen, wollen die Verheißung verkaufen um das Linsengericht einer gesicherten Zukunft?!“ (DBW 14, aaO., 170). 388 DBW 14, Brief an die St. Pauls-Gemeinde London vom 23. 9. 1936, 240 f. 389 Vgl. DBW 14, Beilage zum 10. Finkenwalder Rundbrief vom 22. 7. 1936: Das Bruderhaus an Freunde und Förderer des Seminars, 204.

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April 1935 bis September 1937

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Die Fragen, die heute im Ernst von jungen Theologen an uns gestellt werden, heißen: wie lerne ich beten? wie lerne ich die Schrift lesen? Entweder wir können ihnen da helfen oder wir helfen ihnen überhaupt nicht.390

Gerade diese elementaren Fragen sind es, die Bonhoeffer in den Lehrveranstaltungen seiner fünf Finkenwalder Kurse (allesamt im Grunde Ausdruck einer Vergewisserung des christlichen Glaubens) stellt und, auf entschiedener Grundlage der Schrift,391 erarbeitet.392 Während des ersten Kurses berichten die pommerschen Mitglieder des Predigerseminars ihrer Bruderschaft: Das Kolleg, das uns wohl alle am stärksten beeindruckt, heißt: Nachfolge im Neuen Testament. Lic. Bonhoeffer exegesiert die Berufungsgeschichten, Worte Jesu über die Nachfolge und zur Zeit die Bergpredigt. Wohl niemand kann sich dem Ernst entziehen, mit dem wir durch den NT-Befund auf das Faktum Nachfolge hingewiesen werden.393

Eberhard Bethge hat den Eindruck, unter dem die Kandidaten standen, so festgehalten: Für die Neulinge wurden die ersten Stunden in Zingst zu einer atemberaubenden Überraschung. Sie spürten plötzlich, daß sie nicht zum Erlernen einiger neuer Predigt- und Unterrichtstechniken hergekommen waren, sondern in deren umwälzend neue Voraussetzungen eingeführt wurden. (DB 515)

Wollen die Kandidaten den sie erwartenden Bedrängnissen standhalten, müssen sie sich der Inhalte ihres Glaubens ganz und gar gewiss sein. Zugleich sind sie selbst die Träger des Kirchenkampfes, denn sie sind die Pastoren, die Hirten, die den Gemeinden das rechte Wort verkündigen und den Gläubigen den rechten Weg weisen. Sie sind es, die das Wort zur Scheidung und Entscheidung predigen und die darum wissen müssen, was und wie zu predigen ist; wie mit falscher Lehre oder Irrlehrern in der Gemeinde umzugehen ist; was zu tun ist, wenn das Evangelium nicht angenommen, sondern verworfen 390 DBW 14, Brief an K. Barth vom 19. 9. 1936, 237. 391 Vgl. Bonhoeffers „Jahres-Bericht“ 1936 (DBW 14, 258 – 264): „Es darf in der Tat kein Tag unseres Lebens im Amt vergehen, an dem wir nicht die Schrift gelesen haben. Gerade die Auseinandersetzungen der letzten Monate haben wieder beschämend deutlich gezeigt, wie unmündig wir noch in der heiligen Schrift sind. […] Das muß anders werden. Wir müssen es uns zur Regel machen, für jede Entscheidung, vor die wir gestellt werden, den Schriftbeweis zu suchen und nicht zu ruhen, ehe wir ihn gefunden haben. Unsere Selbständigkeit im Umgang mit der Schrift muß von Jahr zu Jahr wachsen.“ (DBW 14, aaO., 260). 392 Schon 1932 hatte Bonhoeffer, damals in Bezug auf eine Theologie der ökumenischen Bewegung, den bestehenden Fragen nicht anders näherzukommen geglaubt, „als durch ganz ernstes, den Folgen und dem Erfolg gegenüber ganz rücksichtsloses, streng theologisches Neuerarbeiten der biblischen und reformatorischen Grundlagen unseres […] Kirchenverständnisses.“ (DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 330). 393 DBW 14, Bericht der pommerschen Mitglieder des Predigerseminars Finkenwalde vom 5. 8. 1935, 70 f.

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Der Ort der „Nachfolge“

wird.394 Hilfe zu theologischer und christlicher Mündigkeit – in Auslegung und im Umgang mit der Schrift, der Predigt, der Urteilsfähigkeit –, dies ist das Ziel der Finkenwalder Ausbildung. 4. Noch während des ersten Kurses entschließt sich Bonhoeffer, „den schon seit mehreren Jahren erwogenen Plan“395 eines Bruderhauses umzusetzen, und stellt am 6. 9. 1935 beim Rat der evangelischen Kirche der Altpreußischen Union einen Antrag zur „Einrichtung eines Bruderhauses im Predigerseminar Finkenwalde“ (DBW 14, 75 – 80), in welchem er Aufgabe und Funktion des Bruderhauses angesichts der besonderen heraufgezogenen Herausforderungen des Pfarramtes darlegt. Zwei Perspektiven, eine nach innen und eine nach außen sich richtende, werden benannt. Nach innen gerichtet trägt die Gemeinschaft einer christlichen Bruderschaft zur Überwindung der Vereinzelung der Pastoren bei. Wie die Lehre von Inhalt und Ausrichtung der Predigt, die in dem gemeinsamen brüderlichen Leben stattfindet, so steht die Überwindung der Vereinzelung zugleich im Zeichen der Verkündigung nach außen. Wo der Pastor als Einzelner die Verkündigung als Last empfinden mag, dort kommt ihm die Gemeinschaft des brüderlichen Lebens zur Hilfe, trägt ihn und rüstet ihn somit für die kirchlichen Auseinandersetzungen und den Dienst nach außen.396 Um in den gegenwärtigen und kommenden kirchlichen Kämpfen das Wort Gottes zur Entscheidung und zur Scheidung der Geister zu predigen, um in jeder neu erwachsenen Notlage sofort zum Dienst der Verkündigung bereit zu sein, bedarf es einer Gruppe völlig freier, einsatzbereiter Pastoren. Sie müssen bereit sein, unter allen äußeren Umständen, unter Verzicht auf alle finanziellen und sonstigen Privilegien des Pfarrerstandes zur Stelle zu sein, wo der Dienst gefordert wird. Indem sie aus einer Bruderschaft herkommen und immer wieder in sie zurückkehren, finden sie dort die Heimat und die Gemeinschaft, die sie für ihren Dienst brauchen. Nicht klösterliche Abgeschiedenheit, sondern innerste Konzentration für den Dienst nach außen ist das Ziel. (DBW 14, aaO., 77) Die Brüder, die in dieser festen Lebensge-

394 Unter dem besonderen Interesse dieser Fragen hielt Bonhoeffer nahezu alle Finkenwalder Lehrveranstaltungen und Vorträge ab. 395 DBW 14, An den Rat der evangelischen Kirche der altpreußischen Union vom 6. 9. 1935, 76; vgl. dazu DB 527 ff. 396 Vgl. DBW 14, An den Rat der evangelischen Kirche der altpreußischen Union vom 6. 9. 1935, 76: „Der Pfarrer, insbesondere der junge Pfarrer, leidet an seiner Vereinzelung. Die Last der Verkündigung ist heute für den einzelnen Pfarrer […] besonders groß. Sowohl in der Frage nach dem Inhalt der Verkündigung wie in der tatsächlichen Ausrichtung der Verkündigung bedarf er der brüderlichen Hilfe und Gemeinschaft. […] [E]ine fest geordnete und geregelte Gemeinschaft des Lebens tritt als neue Aufgabe auf. Eine Verkündigung, die aus praktischer, gelebter und erfahrener Bruderschaft kommt, wird sachlicher und unerschrockener sein können und weniger in der Gefahr der Versandung stehen.“ „Der vereinzelt im Amt stehende Pastor braucht immer wieder ein geistliches Refugium, in dem er sich in strenger, christlicher Lebensführung in Gebet, Meditation, Schriftstudium und brüderlicher Aussprache für sein Amt stärkt.“ (DBW 14, aaO., 77).

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April 1935 bis September 1937

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meinschaft stehen, und von ihr getragen werden, verpflichten sich zum Dienst an der Kirche jedem an sie ergehenden Ruf zu folgen. (DBW 14, aaO., 78)

5. Dieser „Dienst nach außen“ fand für die Kandidaten des Predigerseminars und die Brüder des Bruderhauses eine konkrete Form in den „Volksmissionsfahrten“,397 die von Finkenwalde aus durchgeführt wurden. Im Bericht des Jahres 1936 schildert Bonhoeffer das mit dem ganzen Seminar in der hinterpommerschen Synode Belgard durchgeführte Unterfangen: In sechs Dörfern waren je vier Brüder einquartiert, die an vier Abenden der Woche und am Sonntag predigten. An den Abenden legten diese vier je zehn Minuten einen Text aus. Diese gemeinsame Verkündigung, die aus einer Gemeinschaft der Tagesarbeit in der Gemeinde und des Gebetes kommt, hat sich an allen beteiligten Brüdern bewährt und wir hoffen auch in der Gemeinde. Nach längeren Wochen der Stille ist es eine besondere Freude, das Evangelium wieder hinaustragen zu dürfen.398

So dienten auch die „Volksmissionsfahrten“ einem doppelten Zweck: Zum einen war ihr genuines und ernstes Ziel die Predigt des Evangeliums, auf dass die Menschen vor die Situation des Glaubens oder Nicht-Glaubens, des Gehorsams oder Ungehorsams gestellt399 und für Gott gewonnen würden;400 zum anderen konnten die Finkenwalder Kandidaten hier in der kleinen Gruppe erproben, was ihnen nach der Beendigung ihrer Ausbildung als Einzelne, als Pastoren einer Gemeinde zuteilwerden würde. 6. Das Buch „Nachfolge“, das hier nun zuletzt zu nennen ist, ist der theologisch umfassendste und nachhaltigste Ausdruck für Bonhoeffers Versuch, den Kampf der Kirche auszufechten. Hier werden die Themen der Finkenwalder Vorträge und Aufsätze, die Auseinandersetzungen der Briefe und Rundbriefe, die Inhalte der Vorlesungen und Seminare, die Erfahrungen des Lebens des brüderlichen gemeinsamen Lebens und der „Volksmission“ zusammengeführt und finden in dem Thema der Nachfolge Christi zusammen. Mit dieser Schrift richtet sich Bonhoeffer an die Prediger seiner Kirche, die sie „in der Lage von Bedrohung als Befreiungshilfen erfahren konnten“, und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen „jene[r] unabgeschwächten Bindungsrufe 397 Zur Absicht und Problematik der „Volksmission“ vgl. DB 614 f. 398 DBW 14, Bericht Bonhoeffers über das Jahr 1936 vom 18. 12. 1936, 262. Zum „Wie der Volksmission“ vgl. den Abschnitt Nr. 9 in Bonhoeffers Homiletik-Vorlesung, DBW 14, 2. Finkenwalder Kurs 1935/36, 478 – 530, 514 – 517. 399 Vgl. hierzu schon DBW 11, Seminar im SS 1932: Gibt es eine christliche Ethik?, 310: „Predigt [muß] vor [die] Situation des Glaubens oder des Nichthörens stellen. [Man hat die] Aussage so konkret zu machen, daß sich der Hörer entscheiden muß. Also kann die Kirche den Einzelnen in [die] Entscheidung stellen.“ Vgl. dazu den Exkurs in der Finkenwalder „Homiletik“-Vorlesung (1935/36) über „das Moment der Konkretionen in der Verkündigung“ (DBW 14, 483 – 486). 400 Vgl. DBW 14, 482: „Ich predige, weil Kirche ist, daß Kirche werde.“ Dabei wusste Bonhoeffer : „Wohl gilt die Verheißung, daß Gottes Wort sich allezeit eine Gemeinde schafft, aber nicht, daß sich das deutsche Volk bekehrt.“ DBW 14, Vorlesung im 2. Finkenwalder Kurs 1935/36: Homiletik, 513.

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Der Ort der „Nachfolge“

der Nachfolge“,401 die uns Heutigen fremd und möglicherweise zugangslos erscheinen mögen. Zweifellos musste die „Nachfolge“, wie es Eberhard Bethge ausgedrückt hat, „als eine der stärksten Antworten auf die Ereignisse von 1933 erscheinen“ (DB 525; Hervorhebung durch F.S.); gerade darin aber war das Buch zugleich eine der stärksten Antworten auf die Ereignisse, von denen die Kandidaten und Prediger der Bekennenden Kirche in der fortgeschrittenen Zeit des Kirchenkampfes umgetrieben wurden. Der konkrete Bezug der „Nachfolge“ zur Situation des Kirchenkampfes sei in Bezug auf die wichtigsten theologischen Linien in einigen Punkten verdeutlicht.

4.8 Nachfolge als Kirchenkampf (II) 1. Es ist dargelegt worden, inwiefern Bonhoeffer mittels der Kategorie des „Einzelnen“ der Notwendigkeit der individuellen Entscheidung im Angesicht des Rufes Jesu Christi Ausdruck verleiht und gerade darin sich die Situation der kirchlichen Auseinandersetzungen widerspiegelt: Die Entscheidung für oder wider den schmalen Weg, für oder wider die Kirchenausschüsse und die Legalisierung – für Bonhoeffer identisch mit der Entscheidung für oder wider Christus – wird jeder Einzelne selbst treffen müssen. Unter Berücksichtigung von Bonhoeffers Kritik der Vereinzelung innerhalb von Theologie und Kirche, welche die Errichtung des Bruderhauses in Finkenwalde mitbegründete und einforderte, muss aber umso deutlicher werden, dass die Kategorie des Einzelnen (und damit werden die Ergebnisse der textimmanenten Untersuchung sowohl bestätigt, als auch ergänzt und erklärt) nicht nur theologisch eine nur vorläufige – zwar eine notwendige, aber eben nicht die endgültige – Kategorie ist (vgl. bes. N 95). Zugleich wird damit ersichtlich: Die Kritik der Bindung an die „Unmittelbarkeiten des Lebens“ oder die Behauptung, es gebe bei der Nachfolge Christi „nicht ein ungebrochenes Hineinwachsen, ein langsames heiligendes Fortschreiten aus den natürlichen Ordnungen in die Gemeinschaft Christi“, sondern nur den völligen „Bruch mit den Unmittelbarkeiten der Welt“ (N 88 f), werden so gerade zum Zuspruch an diejenigen, die den Weg bereits gegangen sind, und zur Gewissheit, diesen Weg auch weiter zu gehen. Nicht, als wäre ihr Weg kein schwer zu gehender Weg – er ist im Gegenteil notwendig der Weg des Kreuzes und des Leidens (vgl. N 77ff); er ist aber gerade darin – eben als der Weg kompomisslosen Neins gegen den Nationalsozialismus in allen Facetten – der Weg, dem allein die Verheißung der Überwindung des konkreten Leidens und der konkreten Welt gegeben ist (vgl. N 83ff, 134ff u. a.). 2. Vor diesem zeitgeschichtlichen Horizont bekommt nun auch Bonhoeffers Bestimmung der Nachfolge als Bindung an (den leidenden) Christus (vgl. N 47, 401 Bethge, Nachwort, 285.

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Nachfolge als Kirchenkampf (II)

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82 u. ö.) ihre konkrete nicht nur theologische, sondern auch textpragmatische Relevanz. Gerade das dem in der Gemeinschaft des Christus stehenden Jünger widerfahrende Leid wird – nicht um seiner selbst, sondern allein um des Rufes und der Nachfolge Christi willen – zum Merkmal und zum Ausdruck der Gewissheit echter Christusnachfolge: „Der Weg der Nachfolgenden ist schmal. Leicht geht man an ihm vorüber, leicht verfehlt man ihn, leicht verliert man ihn, selbst wenn man ihn schon beschritten hat.“ (N 184) Wie aber „sollte der Weg des Sohnes Gottes auf Erden, den wir als Bürger zweier Welten am Rande zwischen Welt und Himmelreich zu gehn [sic!] haben, auch ein breiter Weg sein? Der schmale Weg muß der rechte Weg sein.“ (N 185) Dieser schmale Weg ist für jeden Einzelnen nur dort zu ertragen, wo dieser den Weg in der „sichtbare[n] Gemeinde der völligen Lebensgemeinschaft“ (N 249) geht, in der Gemeinschaft dessen, der in ihm, dem Nachfolger, sein Leben zu leben begonnen hat (vgl. N 235, 303 u. ö.), dessen Leib er teilhaftig geworden ist (vgl. N 230 u. a.), der die Gemeinschaft, zu welcher der Glaubende gehört, konstituiert, der in dieser Gemeinschaft lebendig ist, ja der selbst diese Gemeinschaft ist. Diesen Weg beschreitend, dürfen die Gläubigen (im Besonderen sind die Pastoren angeredet!) der Gemeinschaft und der Nähe des Christus gewiss sein, der sie seligpreist (vgl. N 100ff u. a.). Wo jedoch Christus, wo sein Leib, wo seine Gemeinde nicht ist, dort werden sie den Weg der Nachfolge nicht gehen und auch nicht gehen können. 3. Wie sehr Bonhoeffer in seinen Auslegungen der „Nachfolge“ den Weg der Bekennenden Kirche im Blick hat und diesen in seinen Textexegesen beschreibt, zeigt paradigmatisch die folgende Stelle zur Markuspassage 8,31 – 38 im Kapitel „Die Nachfolge und das Kreuz“: Die Mitteilung dieser unveräußerlichen Wahrheit an die Jünger [sc. dass diese, wie Christus nur Christus ist als der Leidende und Verworfene, nur Jünger sind als die ebenso Leidenden und Verworfenen, als die Mitgekreuzigten] aber beginnt nun merkwürdigerweise damit, daß Jesus seine Jünger noch einmal ganz freigibt. […] Noch einmal ist alles auf die Entscheidung gestellt, mitten in der Nachfolge, in der die Jünger stehen, wird noch einmal alles abgebrochen, alles offengelassen, nichts erwartet, nichts erzwungen. (N 78 f)

In Bonhoeffers theologisches Konzept und in die Logik seiner Argumentation des ersten Schrittes in die Nachfolge lassen sich diese Zeilen nur mühsam integrieren; denn wenn der erste Schritt auf den Ruf Jesu hin den Jünger ganz von seiner bisheriger Existenz getrennt hat, dann ist – systematisch-linear gedacht – kaum einzusehen, weshalb nun noch einmal eine Entscheidung für die Nachfolge stattfinden soll. Liest man die Passage allerdings vor dem Hintergrund des Weges der Bekennenden Kirche, dann wird der Sinn dieser für Bonhoeffer „entscheidend[en]“ (N 79) Interpretation sogleich plausibel: Kaum ist das Bekenntnis formuliert und die Trennung von der deutschchristlichen Häresie vollzogen, ist die Bekennende Kirche und ist jeder einzelne Bekennende der Gefahr ausgesetzt, den betretenen schmalen Weg –

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Der Ort der „Nachfolge“

vielleicht ganz unbemerkt – wieder zu verlassen und auf einem breiteren Weg weiterzugehen.402 4. Was Bonhoeffer in der „Nachfolge“ in der Doppelgestalt von Sichtbarkeit und Verborgenheit, Außerordentlichem und Regulärem des christlichen Lebens beschreibt, wird erst durch die Betrachtung seiner Diagnose der Kirchenkampfsituation hinreichend verständlich. Die im Finkenwalder Rundbrief gestellte „tägliche Frage des Versuchers an uns: wollt ihr immer noch Christus den Herrn aller Herren nennen, oder wollt ihr ein klein wenig nachgeben?“,403 weist die zentralen Ausführungen der „Nachfolge“ zur Verhältnismäßigkeit von Sichtbarkeit und Verborgenheit, Außerordentlichem und Regularität des christlichen Lebens ganz unmittelbar und direkt an ihren konkreten Ort. Wie eine Rahmung wirkt diese Frage auf den Abschnitt der „Nachfolge“, in welchem Bonhoeffer das Aufeinanderbezogensein von Außerordentlichem und Reflexion bestimmt: Die Jünger sollen dieses Außerordentliche nur in der Reflexion haben. […] Zwar muß es sichtbar werden, muß das Außerordentliche geschehen, aber – habt acht, daß es nicht geschieht, damit es sichtbar werde. Zwar hat die Sichtbarkeit der Nachfolge einen notwendigen Grund, nämlich den Ruf Jesu Christi, aber sie ist niemals selbst ein Ziel; denn dann wäre ja die Nachfolge selbst wieder aus dem Auge verloren, dann wäre da ein Augenblick Ruhe eingetreten, die Nachfolge wäre unterbrochen, und sie wäre jedenfalls nicht mehr an der Stelle, an der wir ausruhen wollten, fortzusetzen, sondern im selben Augenblick wären wir zurückversetzt an den ersten Anfang. Wir müßten merken, daß wir gar nicht mehr Nachfolgende sind. Also, es muß etwas sichtbar werden, aber […]: Habt acht, daß es nicht geschehe, damit es die Leute sehen. (N 153; lange Hervorhebung durch F.S.)

5. Die theologische Ansicht der „Nachfolge“, derzufolge das „apostolische Wort […] im Menschenwort wahrhaftig Gottes Wort [ist]“ und „darum Wort, das Menschen annehmen will und die Kraft hat, es zu tun“, verliert auf dem Hintergrund der von Finkenwalde aus durchgeführten „Volksmissionen“ an Abstraktheit. Mit den Aposteln geht das „Wort […] aus, um Menschen anzunehmen“ (N 243). „So greift die Gemeinde mitten hinein in das Leben der Welt und erobert Raum für Christus“ (N 252). In diesem Sinne konnte die Auslegung der Sendungsrede Mt 10 in der „Nachfolge“ als theologische Grundlegung und als Wegweiser für die Predigt der Pastoren, für ihre Arbeit und ebenso ihren Auftrag gelesen werden. Dass allerdings die Ausführungen zum ersten Schritt in die Nachfolge und die Auslegung der Sendungsrede für Bonhoeffer theologisch unauflöslich zusammengehören, leuchtet auch ohne Betrachtung der konkreten Kontexte und Entstehungszusammenhänge ein und wird aus der Auslegung selbst plausibel, denn: Was den Jüngern selbst widerfahren ist im Rufe Jesu Christi, das predigen sie nun dem Volk, dem sie 402 Vgl. dazu etwa DB 685ff, das Kapitel über „Legalisierung“. 403 DBW 14, Brief an die deutsche reformierte St. Pauls-Gemeinde London vom 23. 9. 1936, 241.

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Nachfolge als Kirchenkampf (II)

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das Evangelium verkündigen zur Scheidung und Entscheidung, zum Heil und zur Verwerfung (vgl. N 207ff). Den Schritt in die Gemeinschaft des Christus hinein wirklich zu tun und den schmalen Weg seiner Nachfolge zu gehen, dies ist ihre „evangelische Predigt“ (N 202). Bonhoeffers Behauptung hingegen, dass der erste Schritt in die Nachfolge sein Äquivalent in der Taufe findet (N 221), wird trotz der theologisch-systematischen Plausibilität dieser Entsprechung erst dann in seiner ganzen Bedeutung offenkundig, wenn die Situation des Kirchenkampfes zur Interpretation hinzugezogen wird. Denn die Predigt der Jünger heute ist ja in eigentlichem Sinne keine missionarische Predigt mehr, wenn das Wort Menschen verkündigt wird, die bereits getauft sind, an denen sich die Eingliederung in den Leib Christi bereits vollstreckt hat.404 Zur Verdeutlichung der Frage, wie Bonhoeffers Aussagen über die Taufe als Äquivalent zu Ruf und Eintritt in die Nachfolge vor dem Hintergrund zu bewerten sind, dass die Predigt der Finkenwalder Seminaristen eine Predigt zur Entscheidung solcher ist, die zwar getauft sind, deren Existenz aber gerade nicht die der bedingungslosen Nachfolge Christi ist, sei ein Abschnitt aus der Finkenwalder „Homiletik“-Vorlesung (DBW 14, 478 – 530) betrachtet, in welchem Bonhoeffer zunächst die Problematik der „Volksmission“ in den Blick nimmt: Es gelte die Frage zu bedenken, „ob das Volk nicht schon gehört und verworfen hat, […] der Zorn Gottes selbst schon solche Verstockung wirkt“. Schon darum ist „Volksmission heute in Deutschland ein sehr fragwürdiges Unternehmen“, sodass gilt: Volksmission treiben dürfen wir allein mit dem Hinweis auf diese Frage; wir können nicht mehr predigen, als predigten wir zu Heiden. Denn anders zu reden, wäre eine Verachtung der Güte Gottes, der bis zur Stunde noch jedem Dorf und jeder Stadt die Predigt des Evangeliums erhalten hat. Daß das Wort verachtet wird, darf nicht ignoriert werden; denn das ist Verleugnung der Kirche, als wäre ihre Predigt nicht mehr Predigt des Evangeliums (weithin ist das der Fall, weithin aber nicht). Auch gegen die neue Weise unserer Verkündigung wird man ja Vorbehalte haben! (DBW 14, aaO., 514)

Fasste man also den Gottesdienst und fasste man die Predigt missionarisch auf, predigten wir zu den (getauften) Menschen „als predigten wir zu Heiden“, dann wäre damit das Sakrament der Taufe und somit Christus selbst verleugnet, denn: „In der Taufe ist etwas geschehen an denen, zu denen wir reden“ (ebd.; Hervorhebung durch F.S.), und diese Wirklichkeit hat die Predigt des Evangeliums ins Auge zu fassen und ihr Rechnung zu tragen: Zwar kann sie als Predigt zu Getauften nicht mehr missionarisch aufgefasst werden; 404 Die Predigt der ersten Jünger vor dem Missionsbefehl (Mt 28, 18 – 20), d. h. ihre Predigt innerhalb des Volkes Israel, war insofern eingeschränkt missionarisch, als das Volk Israel einen Gottglauben bereits besaß. Diese Menschen waren aber in die strenge Nachfolge Jesu Christi und zum Glauben an ihn gerufen, vgl. dazu bes. die Darstellung bei Strunk, Nachfolge Christi, 208 f; siehe oben Kap. 3.3.

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weil es aber „[a]ndererseits […] Millionen [gibt], die getauft sind und doch nichts von Christus wissen“, darum muss zu deren Dienst „Volksmission“ stattfinden, und zwar so, „daß wir ihnen Christum zur letzten Entscheidung predigen auf diesem Hintergrund, daß das Wort bisher verachtet wurde“ (ebd.). Mit den ersten Jüngern, die den Ruf Jesu zur Nachfolge empfingen, ist ihnen, den Getauften, gesagt: Vorher […] konnten sie als die Stillen im Lande unerkannt in ihrer Arbeit leben […]. Jetzt aber war er da, jetzt erging sein Ruf. Jetzt hieß glauben nicht mehr stille sein und warten, sondern mit ihm gehen in der Nachfolge. Jetzt löste sein Ruf in die Nachfolge alle Bindungen um der einzigen Bindung an Jesus Christus willen. Jetzt mußten alle Brücken abgebrochen werden, der Schritt in die unendliche Unsicherheit mußte getan werden, um zu erkennen, was Jesus fordert und was Jesus gibt. (N 51)

Einerseits eine grundsätzliche theologische und andererseits eine ins Konkrete strebende Übersetzung dieser Zeilen ist hier möglich. Erstere besteht in Bonhoeffers Bestimmung des Glaubens durch den Gehorsam: Es gibt keinen Glauben ohne Gehorsam, jeder Glaube, der ohne Gehorsam ist, ist „frommer Selbstbetrug, billige Gnade“ (N 53). Eine spezifischere, den Kirchenkampf mit einbeziehende Übersetzung könnte lauten: Jeder Glaube außerhalb der Bekennenden Kirche, die ihrerseits nur als die gehorsame, nachfolgende Kirche wahre Kirche Christi ist,405 ist ohne Verheißung und ist kein Glaube. Wer jetzt noch still ist und wartet, der lässt Christus vorüberziehen, anstatt mit ihm zu gehen. Wer jetzt Schritte zur Sicherung tut anstelle des einen Schrittes in die völlige Unsicherheit der Nachfolge Christi, der wird nicht erfahren, was Glauben ist – oder der wird vom schmalen Weg der Nachfolge abfallen. Somit besagt die appellative Funktion der Taufe-Nachfolge-Theologie Bonhoeffers: Ihr glaubt zwar und ihr seid zwar getauft – aber werdet ihr den Weg auch mitgehen, auf den Christus euch ruft und den ihr jetzt mitgehen müsst? Glauben heißt, aus den „Tages- und Kampfparolen der kirchlichen Auseinandersetzung“ (N 21) täglich den Ruf Christi in die Nachfolge neu zu hören und allein ihm gehorsam zu sein; Glauben heißt, das Kreuz täglich neu auf sich zu nehmen, und ist „das tägliche Sterben in der Kraft des vollbrachten Todes Christi“.406 6. Schließlich gilt, dass auch die Prediger der Bekennenden Kirche in dem ihnen bevorstehenden Kampf nur dann bestehen werden, wenn sie selbst den Weg der Nachfolge Christi in der Gemeinschaft der Heiligen gehen; dieser Weg selbst ist ja schon ihr Sieg. Beschreiten sie ihn, dann (und nur dann) ist auch ihrer Predigt die Verheißung gegeben, gehört zu werden. Vor die wahre Entscheidung zur Nachfolge kann nur der Nachfolger Christi stellen, der selbst die 405 Vgl. dazu DBW 14, Aufsatz vom Juni 1936: Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft, 666: „Die rechte Lehre wird hier in demselben Moment Irrlehre, als sie im Kampf gegen die wahre Kirche gebraucht wird.“ 406 N 222. Vgl. zu „tägliches Sterben“ auch N 164, 225, 235, 267, 281ff, 302.

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Von der „Nachfolge“ zum Widerstand

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Gnade der Nachfolge erfahren hat, denn nur seine Predigt ist nach Bonhoeffers auch wirklich glaubwürdige Predigt, die gehört wird.407 Damit sie aber wissen, was ihre Predigt sein soll, schreibt Bonhoeffer die „Nachfolge“: eine Kampfschrift gegen den „Todfeind unserer Kirche“ und „um die teure Gnade“ (N 29). Die Predigt von der teuren Gnade, die von einem Glauben ohne Nachfolge nichts weiß, ist allein barmherzige Predigt (vgl. N 202 f) und ist allein Predigt, die Menschen wirklich für Christus zu gewinnen vermag.

4.9 Von der „Nachfolge“ zum politisch-konspirativen Widerstand: Die „Nachfolge“ und der Brief vom 21. Juli 1944 Wenn zum Abschluss dieser Studie nun die „Nachfolge“ zur letzten Lebensund Schaffensperiode Bonhoeffers in bezug gesetzt wird, dann geschieht das unter der Fragestellung theologischer Kontinuität und Diskontinuität, die hier nach jenen drei Richtungen verhandelt sei, die in dieser Untersuchung als zentrale Elemente der Theologie Dietrich Bonhoeffers erwiesen worden sind, nämlich: In welchem Verhältnis steht der politisch-gewaltsame Widerstand zu den beiden Widerstandsgestalten der vorangegangenen Jahre (vollmächtiges Wort der Kirche an die Welt und Überwindung des Leids durch das Tragen)? Inwiefern setzt sich das Weltverständnis der „Nachfolge“ in der Theologie der Konspiration und Haft fort bzw. nicht fort? In diese zweite Richtung ist als eine dritte eingebettet: Welche Implikationen ergeben sich daraus für den Glaubensbegriff der verschiedenen Schriften, der zugleich Bonhoeffers eigenen Glauben spiegelt? Für die Zeit vor der Beteiligung an der militärischen Verschwörung gegen Hitler hat die Untersuchung zwei unterschiedliche Widerstandsformen herausgearbeitet, für die allerdings gezeigt worden ist, dass sie deutlich aufeinander bezogen sind: Die eine (dem Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ und der Rede „Kirche und Völkerwelt“ zugrundeliegende) Widerstandsform besteht in der Hoffnung eines konziliar beschlossenen und durch die Kirche vollmächtig an die Welt gerichteten Wortes, auf dass diese ihre Zustände ändern müsse; die andere Widerstandsform (die der „Nachfolge“), das erduldende Erleiden des Bösen zu dessen Überwindung, steht in der Linie jener ersten Form, sofern die Existenz der Kirche über ihre Substanz entscheidet: Nur die nachfolgende Kirche ist Kirche und kann vollmächtig reden. Bevor nun gefragt und gezeigt werden kann, ob und, wenn ja, inwiefern die frühen Widerstandsformen des kirchlichen Widerstands auch in der Zeit seit 1939 407 Vgl. z. B. DBW 14, Vortrag im Mai 1937: Schlüsselgewalt und Gemeindezucht im NT, 847: „Bei uns geht es an; Gericht am Hause Gottes. Wenn wir in die Buße gehen, wenn es bei uns Theologen in der Bekennenden Kirche anhebt, dann werden die Heiden spüren: Hier redet Gott. Dann werden sie auch kommen.“

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Der Ort der „Nachfolge“

noch aufrechterhalten sind, muss zuerst hinsichtlich des politischen Widerstandes deutlich werden, dass dieser sich geradezu vollständig von jenem kirchlichen Widerstand unterscheidet. Dies verdeutlicht paradigmatisch der berühmt gewordene Satz des Jahres 1944, den Bonhoeffer im Wehrmachtuntersuchungsgefängnis von Berlin-Tegel dem Mitgefangenen Gaetano Latmiral zur Antwort auf die Frage gegeben haben soll, wie er sich als Christ und Pastor an dem Versuch habe beteiligen können, dem Tyrannen nach dem Leben zu trachten: Wenn ein Wahnsinniger auf dem Kurfürstendamm sein Auto über den Gehweg steuert, so kann ich als Pastor nicht nur die Toten beerdigen und die Angehörigen trösten; ich muß [sc. dann] hinzuspringen und den Fahrer vom Steuer reißen, wenn ich eben an dieser Stelle stehe.408

Was Bonhoeffer hier in einem Bildwort formuliert, fasst er in der Zeit der Konspiration theologisch im Begriff der „Verantwortung“, genauer : in der „freien, verantworteten Tat“ des Einzelnen, unter Umständen „gegen Beruf und Auftrag“ (WE 24; vgl. E, bes. 257ff, 289ff, 359 u. a.). Interpretativ ist der Satz jedoch nicht unproblematisch, denn bei der Wendung „den Fahrer vom Steuer reißen“ als einem Symbol von Bonhoeffers unter den Bedingungen der Konspiration verantworteten Theologie tritt schnell die in „Die Kirche vor der Judenfrage“ enthaltene Formulierung „dem Rad selbst in die Speichen fallen“ in den Blick:409 Die äußerste Möglichkeit kirchlichen Handelns besteht darin, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen. Solches Handeln wäre unmittelbar politisches Handeln der Kirche und ist nur dann möglich und gefordert, wenn die Kirche den Staat in seiner Recht und Ordnung schaffenden Funktion versagen sieht, d. h. wenn sie den Staat hemmungslos ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht verwirklichen sieht. (DBW 12, 353 f; Hervorhebung durch F.S.)

Beide Sätze scheinen nicht nur strukturell bzw. theologisch-argumentativ – unterstützt durch ein hier wie dort zugrunde liegendes konditionales Argumentationsgefüge, das Christian Gremmels als „,wenn-dann-Struktur‘ ethisch-theologischer Entscheidung“ bezeichnet hat410 –, sondern auch inhaltlich in großer Nähe zueinander zu stehen, sodass die grundsätzliche Unterschiedenheit beider Widerstandskonzeptionen leicht übersehen wird. Die interpretative Gefahr besteht darin, das Wissen um das Ende allzu schnell zur Prämisse einer Interpretation des Anfangs zu erheben: Die äußerste in „Die Kirche vor der Judenfrage“ formulierte Möglichkeit kirchlichen Handelns wird re-lectural vom Bildwort aus der Zeit des politischen Widerstandes her interpretiert. Übersehen wird darin, dass es keine Schnittmenge zwischen der 408 Latmiral, Brief an G. Leibholz vom 6. 3. 1946, 30; Hervorhebung durch F.S. Vgl. auch DB, 955. 409 Siehe dazu oben Kap. 4.4. 410 Gremmels, Situative Verschärfung.

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Von der „Nachfolge“ zum Widerstand

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Widerstandsfigur des Jahres 1933 sowie der „Nachfolge“ und jener der Konspiration gibt: hier der Widerstand der Kirche, dort der Widerstand eines Einzelnen; hier der Widerstand gegen den unrecht handelnden Staat, dort der Widerstand gegen Adolf Hitler, gegen einen Wahnsinnigen; hier der Widerstand in Gestalt des kirchlichen vollmächtigen Wortes der Kirche (so vor allem in „Die Kirche vor der Judenfrage“ und in „Kirche und Völkerwelt“) und der erduldenden, gewaltfreien und gerade darin alles Leid überwindenden Liebe der Heiligen (so vor allem in der „Nachfolge“), dort der Widerstand in Gestalt der politischen Konspiration, des gewaltsamen Anschlags der Verschwörer auf das Leben des Diktators. Erst als die Hoffnungen auf ein kirchliches vollmächtiges Wort an die Welt endgültig dahin sind und das Wüten des „tyrannische[n] Menschenverächter[s]“ (E 72) in der Welt zu früherem Zeitpunkt noch ganz unvorstellbare Ausmaße annimmt, entscheidet sich Bonhoeffer für die Beteiligung am politischen Widerstand. Damit sind auch seinem theologischen Denken völlig neue Aufgaben zu bewältigen gestellt. Hinsichtlich der Abfolge der drei Phasen des Widerstands – Widerstand der Kirche, Widerstand der Gemeinden, Widerstand der Einzelnen – ist zu sagen, dass nicht etwa die späte die frühe Phase unter völliger Aufgabe derselben ablöst, sondern diese tritt neben die bisher in Bonhoeffers Denken bestehenden Figuren des Widerstands. Weder der Bonhoeffer der „Nachfolge“, noch der politisch-konspirative Widerständler hat jemals den Glauben daran aufgegeben, dass die Kirche Jesu Christi, wenn sie sich nur wirklich als Kirche Jesu Christi in der Welt verstünde und redete, das konziliar beschlossene Gebot ihres Herrn so ausrichten könnte, „daß die Welt zähneknirschend das Wort vom Frieden vernehmen muß und daß die Völker froh werden, weil diese Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und den Frieden ausruft über die rasende Welt“.411 Dass mit der Entscheidung für die Konspiration die Widerstandsfigur des kirchlichen Widerstands nicht grundsätzlich infrage gestellt ist, belegt ein Dokument des Jahres 1942, das zugleich eine der Hauptthesen dieser Arbeit bestätigt: dass das „unmittelbar politische Handeln der Kirche“ als Wort der Kirche zu verstehen ist: Vermutlich im Sommer des Jahres 1942, inmitten der Verschwörung, verfasst Bonhoeffer eine Studie zum Thema „,Personal‘- und ,Sach‘-ethos“ (DBW 16, 550 – 562), in der er der Behauptung Otto Dilschneiders begegnet, die evangelische Ethik habe es allein mit personalethischen, nicht aber mit realethischen Forderungen zu tun, ihr habe es folglich um Personen, nicht aber um weltliche Ordnungen und Zustände zu gehen. Bevor sich Bonhoeffer dieser These Dilschneiders annimmt (zunächst auf der Grundlage des Neuen Testaments, dann auf der Grundlage der evangelischen Bekenntnisschriften), verdeutlicht er den Kern dessen, was es eigentlich zu überprüfen gilt: 411 DBW 13, Rede vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 301.

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Der Ort der „Nachfolge“

[I]st es die einzige Aufgabe der Kirche, innerhalb gegebener weltlicher Ordnungen Liebe zu üben, d. h. sie nach Möglichkeit mit einer neuen Gesinnung zu beseelen, Härten auszugleichen, sich der Opfer dieser Ordnungen anzunehmen und innerhalb der Gemeinde eine eigene neue Ordnung herzustellen, oder hat die Kirche einen Auftrag gegenüber den gegebenen weltlichen Ordnungen selbst im Sinne der Korrektur, der Verbesserung, bzw. des Hinarbeitens auf eine neue weltliche Ordnung? D.h. hat die Kirche nur die Opfer aufzulesen oder muß sie dem Rad selbst in die Speichen greifen?412

Aus diesem Abschnitt wird für die obigen Behauptungen zweierlei ersichtlich. Einerseits, dass in der Wiederaufnahme der bekannten Wendung vom April 1933 im Jahre 1942 sich der in dieser Untersuchung vertretene Ansatz bestätigt, demzufolge Bonhoeffer die Wendung „dem Rad selbst in die Speichen fallen“ (hier : „greifen“) und die Forderung „unmittelbar politischen Handelns der Kirche“413 zwar, wie es in der Studie von 1942 heißt, „im Sinne der Korrektur, der Verbesserung“ der weltlichen Ordnungen, aber eben nicht im Sinne der Auflehnung oder des Umsturzes dieser Ordnungen verstanden wissen will; darin bestätigt sich zugleich die Theologie der „Nachfolge“.414 Andererseits wird deutlich, dass Bonhoeffer auch in der Zeit der politischen Konspiration unbedingt an den Forderungen der Zeit des kirchlichen Widerstandes festhält,415 was angesichts der strukturellen Unterschiedenheit der Widerstandsformen auch kaum überrascht. In einem zweiten Schritt ist nun darzulegen, inwiefern gerade die strukturelle Unterschiedenheit der Widerstandsformen Konsequenzen für das jeweilige theologische Weltverhältnis der Christen austragen. Als Grundlage dient der Brief, den Bonhoeffer am 21. Juli 1944 aus der Haft an Eberhard Bethge schrieb (WE 541 – 543). Bevor er betrachtet wird, sei auch hier auf die Problematik einer Interpretation hingewiesen. Sogleich das Datum seiner Entstehung – Bonhoeffer verfasste den Brief unmittelbar nach dem gescheiterten Attentat des 20. Juli – verweist auf die Grenze seiner Interpretation und die Gefahr einer Überinterpretation. Dieser Brief ist kein genuin theologisches Dokument, sondern ist ein persönliches Zeugnis des 412 DBW 16, Studie vom Sommer 1942: „Personal“- und „Sach“-ethos, 551. Im Manuskript hatte Bonhoeffer den letzten Satz zuerst so formuliert: „D.h. hat die Kirche nur die Opfer der weltlichen Ordnungen aufzulesen oder muß sie dem Rad selbst in die Speichen fallen.“ (Vgl. ebd., Hg.-Anm. 7 und 8). 413 DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 353. 414 Vgl. N 255; siehe oben Kap. 3.2.2.4. Vgl. dazu DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 343: Der Staat findet in der Kirche „eine kritische Grenze seiner Möglichkeiten und wird die Kirche so als Kritik seines Tuns beachten müssen“. Vgl. zur Nebeneinanderordnung von Kirche und Staat wiederum DBW 16, Studie vom Sommer 1942: „Personal“- und „Sach“-ethos, 560 f. 415 Vgl. dazu ergänzend WE, Gedanken zum Tauftag von D.W.R. Bethge, Mai 1944, 436: „Es ist nicht unsere Sache, den Tag vorauszusagen – aber der Tag wird kommen –, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, daß sich die Welt darunter verändert und erneuert.“

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Von der „Nachfolge“ zum Widerstand

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Gefangenen, freilich jedoch ein persönliches Zeugnis, das auch theologische Gedanken sammelt.416 Jede Interpretation wird sich aber darüber bewusst werden müssen, dass sie nur bedingt sich auf diese Zeilen stützen können wird, wenn es darum geht, Thesen und Schlüsse zum Gesamtverständnis der Theologie Bonhoeffers und deren Entwicklung abzuleiten und zu formulieren. Dieser Einschränkung wird hier dadurch Rechnung getragen, dass die Aussagen des Briefes zunächst textimmanent betrachtet und dann auf dem Hintergrund der Untersuchungsergebnisse dieser Arbeit überprüft und behutsam bewertet werden. Für die Interpretation der „Nachfolge“ ist der Brief vom 21. Juli vor allem darum so interessant, weil in ihm die Frage nach Kontinuität oder Diskontinuität der Theologie Bonhoeffers als eine an der „Nachfolge“ aufbrechende Frage gestellt ist, die zudem von Bonhoeffer selbst angesprochen wird.417 Auf der einen Seite weist Bonhoeffer die „Nachfolge“ deutlich als das Ende eines Weges aus und räumt Gefahren ein, die dieses Buch beinhalte, auf der anderen Seite bekennt er sich zugleich ausdrücklich zu seinem Buch: „Als das Ende dieses Weges schrieb ich wohl die ,Nachfolge‘. Heute sehe ich die Gefahren dieses Buches, zu dem ich allerdings nach wie vor stehe, deutlich.“ (WE 542) Hier ist zu fragen: Von welchem Weg spricht Bonhoeffer, dessen Ende die „Nachfolge“ markiert? Worin bestehen die „Gefahren dieses Buches“? Worin setzt sich die Gültigkeit seiner Aussagen bis in das letzte Lebensjahr Bonhoeffers fort? Der Ausgangspunkt der Gedanken Bonhoeffers besteht in dessen folgender Feststellung, die sowohl das Weltverhältnis als auch den Glaubensbegriff berührt: „Ich habe in den letzten Jahren mehr und mehr die tiefe Diesseitigkeit des Christentums kennen und verstehen gelernt“ (WE 541). Konkret besteht das Ergebnis jenes erlebten und im Brief reflektierten Lernens in der Erkenntnis: [N]icht ein homo religiosus, sondern ein Mensch schlechthin ist der Christ, wie Jesus […] Mensch war. Nicht die platte und banale Diesseitigkeit der Aufgeklärten, der Betriebsamen, der Bequemen oder der Lasziven, sondern die tiefe Diesseitigkeit, die voller Zucht ist, und in der die Erkenntnis des Todes und der Auferstehung immer gegenwärtig ist, meine ich. Ich glaube, daß Luther in dieser Diesseitigkeit gelebt hat. (WE 541)

416 Vgl. die ersten Zeilen des Briefes: „Zwar beschäftigen mich die theologischen Gedanken unablässig, aber es kommen dann doch auch Stunden, in denen man sich mit den unreflektierten Lebens- und Glaubensvorgängen genügen läßt. Dann freut man sich ganz einfach an den Losungen des Tages, wie ich mich z. B. an der gestrigen [sc. Ps 20,8; Röm 8,31] und heutigen [sc. Ps 23,1; Joh 10,14] besonders freue, und man kehrt zu den schönen Paul Gerhardtliedern zurück und ist froh über diesen Besitz.“ (WE 541) Daran schließen die Gedanken zu Christsein, Diesseitigkeit und Glauben an, die im Folgenden oben zu besprechen sind. 417 Siehe oben Kap. 1.1.

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Der Ort der „Nachfolge“

Im Brief schließt sich jetzt die lebensgeschichtliche Verortung des Lernens durch den Schreibenden an; Bonhoeffer blickt dabei zurück auf das Jahr 1931, als er in New York Jean Lasserre begegnete. Ich erinnere mich eines Gespräches, das ich vor 13 Jahren in Amerika mit einem französischen jungen Pfarrer hatte. Wir hatten uns ganz einfach die Frage gestellt, was wir mit unserem Leben eigentlich wollten. Da sagte er : ich möchte ein Heiliger werden (– und ich halte für möglich, daß er es geworden ist –); das beeindruckte mich damals sehr. Trotzdem widersprach ich ihm und sagte ungefähr : ich möchte glauben lernen. (WE 541 f)

Es folgt eine Bewertung der beiden Antworten, die sich die jungen Theologen einstmals gegenseitig gaben; und indem Bonhoeffer sie jetzt bewertet, schreitet er auf der Betrachtung seines Lebensweges voran bis zur „Nachfolge“. Lange Zeit habe ich die Tiefe dieses Gegensatzes nicht verstanden. Ich dachte, ich könnte glauben lernen, indem ich selbst so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuchte. Als das Ende dieses Weges schrieb ich wohl die „Nachfolge“. (WE 542)

Was Bonhoeffer in diesen Zeilen offenkundig vollzieht, fast sieben Jahre nach dem Erscheinen der „Nachfolge“, ist ein Abschied: ein Abschied von der Vorstellung, Glauben könne dadurch gelernt werden, dass der Christ „so etwas wie ein heiliges Leben“ führt. Und indem sich Bonhoeffer von dieser Vorstellung distanziert, verabschiedet er sich zugleich auch von der „Nachfolge“. Dieses Werk ist hier, im Juli 1944, offenbar als Ausdruck des Versuchs verstanden, „so etwas wie ein heiliges Leben zu führen“. Was sich Jean Lasserre zum Ziel seines Lebens gesetzt hatte, dies hatte Bonhoeffer selbst auf seiner Suche nach dem Glauben vollzogen. In diesem Lebensvollzug erkennt er rückblickend „Gefahren dieses Buches, zu dem ich allerdings nach wie vor stehe“, dass er „Glauben“ auf dem Wege eines heiligen Lebens zu „lernen“ versuchte, anders gesagt: Bonhoeffer sieht eine Gefahr in der Vorstellung, dass christlicher Glaube sich konkret in einem heiligen Leben auszudrücken habe und gerade so das Wesen und die Nähe Gottes erfahren und gelernt werde. Bonhoeffer fährt nun fort, indem er diese Glaubensvorstellung der „Nachfolge“ vor dem Hintergrund der auf das Buch folgenden Jahre bis zur Gegenwart des Juli 1944 kontrastiert: „Später erfuhr ich und ich erfahre es bis zur Stunde, daß man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt.“ (WE 542) ,Volle Diesseitigkeit des Lebens‘ heißt für Bonhoeffer im Juli 1944, völlig darauf zu verzichten, „aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann […], einen Gerechten oder einen Ungerechten, einen Kranken oder einen Gesunden“, heißt, „in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Mißerfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben“. Und hierfür gilt:

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Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen […], – dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist let²moia; und so wird man ein Mensch, ein Christ. (Vgl. Jerem 45!). (WE 542; Hervorhebung durch F.S.)

Es ist also festzuhalten, dass Bonhoeffer sich in dem Brief vom 21. Juli 1944 von dem Glaubensverständnis der „Nachfolge“ distanziert, freilich nicht völlig, aber dennoch deutlich distanziert, und zwar insofern, als jener Glaubensbegriff sich durch den Versuch eines heiligen Lebens auszeichnet. Bezugnehmend auf die Ergebnisse der hier vorliegenden Arbeit, ist demgegenüber allerdings dreierlei zu bedenken: 1. Glauben, so schreibt Bonhoeffer an Bethge, heißt in der Hauptsache, „sich Gott ganz in die Arme“ (WE 542) zu werfen. Demgegenüber ist aber zu fragen: Zeichnet sich nicht auch der Glaubensbegriff der „Nachfolge“ gerade dadurch aus, dass der von Jesus Gerufene sich ganz auf Jesus verlässt (vgl. N 69) und sein „Wort für einen tragfähigeren Boden“ hält „als alle Sicherheiten der Welt“ (ebd.)? Dass er den „Schritt in die unendliche Unsicherheit“ tun muss, „um zu erkennen, was Jesus fordert und was Jesus gibt“ (N 51)? Dass er eben nur durch den Schritt in diese „unmögliche Situation, in der alles auf eines gesetzt wird, nämlich auf das Wort Jesu […] seine Ohnmacht und die Allmacht seines Herrn […] erfahren“ konnte? Dass der Gerufene durch den Schritt des Gehorsams im Glauben daran, dass der Rufende der Christus ist wirklich Glauben lernt? Auch in der „Nachfolge“ hatte Bonhoeffer den Glauben als im Wagnis allein Erlernbares verstanden.418 2. Nun geschieht „Glauben“ als das „sich Gott ganz in die Arme“-Werfen gerade dadurch, wie es im Brief heißt, dass „man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen“ (WE 542). Dass Bonhoeffer in diesem Kriterium eine Abkehr von der „Nachfolge“ vollzieht, mag ebenfalls verwunderlich erscheinen. Denn es ist ja gerade das Merkmal der „Nachfolge“Theologie, dass der Mensch in der Nachfolge des Mittlers ganz von sich selbst absieht; dass er wirklich nur noch ganz auf den schaut, der vorangeht, und niemals auf sich selbst; dass der Nachfolgende in allererster Linie „sein frommes Ich“ (N 34) hinter sich lässt. Sobald Nachfolge aus einer eigenen Motivation heraus geschieht und nicht auf den Ruf Jesu hin oder sobald sie einem anderen Zweck dient als dem Dienst an Christus allein, ist Nachfolge nicht Nachfolge,419 sondern selbstgewähltes Lebensprogramm (vgl. N 49 u. ö.), „vollendete selbstgewählte, eigene Gerechtigkeit“, Ausdruck „geistlichen Hochmuts“, „Schwärmerei“ (N 151). 418 Vgl. allein die folgenden Stellen der N: „[W]enn sie [sc. die ersten Jünger] Gott glauben lernen wollen, so müssen sie dem menschgewordenen Sohn Gottes folgen, mit ihm gehen.“ (N 51) „Folgt er [sc. der Gerufene] nicht, bleibt er zurück, so lernt er nicht glauben.“ (N 50) „Wäre er [sc. Petrus] nicht herausgetreten, so hätte er nicht glauben gelernt.“ (N 51). 419 Vgl. nur N 47: „weil Christus ist, darum muß Nachfolge sein“; vgl. N 47 ff.

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Der Ort der „Nachfolge“

3. Weiter ist zu beachten, dass als Gegenbegriff zur „Diesseitigkeit“, welche Bonhoeffer im Brief als Bezugspunkt und Kriterium wirklichen Glaubens nennt und welche, wie der Brief nahelegt, der „Nachfolge“ gerade abzugehen scheint, keineswegs der Begriff der „Jenseitigkeit“ (im Sinne von Weltflucht!) infrage kommt. Bonhoeffers Theologie und ihre Entwicklung wäre in ihrem Kern verkannt, wenn angesichts der die Diesseitigkeit ins Auge fassenden späten Theologie die Theologie der „Nachfolge“ als jenseitige begriffen und diese Jenseitigkeit fernerhin dadurch bestimmt würde, dass der „Nachfolge“ die „positiven Handlungsansätze“ im Hier und Jetzt fehlten,420 dass dementsprechend das „Weltverständnis des Christen […] in der ,Nachfolge‘ primär defensiv, aber auch offensiv, vornehmlich jedoch negativ, kaum jemals konstruktiv und konstitutiv“421 bestimmt wäre und die Wirklichkeit, die in diesem Buch dichotom vorgestellt sei, eschatologisch und darum letztlich unter Umgehung des Diesseits ins Auge fasse.422 Derartige Eindrücke und Erwägungen werden von dieser Arbeit her nicht bestätigt, vielmehr wurde nachgewiesen: „Glauben“ hat in der „Nachfolge“ einen konkreten Zug in die Welt: einen Zug hinein in die, wenn man so will, Diesseitigkeit des Lebens der Menschen. Worin besteht dann aber die Tendenz der „Nachfolge“, „aus sich selbst etwas zu machen“, von der Bonhoeffer sieben Jahre nach ihrem Erscheinen spricht? Worin ist der eigentliche Unterschied des späteren zum Glaubensbegriff der „Nachfolge“ zu sehen? Betrachtet man das Reinheitsmotiv, wird ersichtlich, dass sich im Übergang von der „Nachfolge“ zur Periode der Konspiration eine theologisch entscheidende Veränderung ankündigt, die Bonhoeffer im Brief des 21. Juli benennt und die vorsichtig als eine Verschiebung der Verantwortungsinstanz des Handelns der Gemeinde in der Welt aufgefasst werden kann. In dem an der Wende zum Jahr 1943 verfassten Rechenschaftsbericht „Nach zehn Jahren“ bestimmt Bonhoeffer in einem Abschnitt über den „Erfolg“ die „letzte verantwortliche Frage“ darin, „wie […] eine kommende Generation weiterleben soll“ (WE 25). In Aufnahme dieser Formulierung mag für die „Nachfolge“ formuliert werden: Die entscheidende verantwortliche Frage ist hier nicht das Weiterleben der kommenden Generation (denn diese Frage war zu dieser Zeit, 1935 – 37, überhaupt noch nicht akut), sondern die nach dem „Heil der Gemeinde“ (N 211): Der Christ bleibe in der Welt. Nicht um der gottgegebenen Güte der Welt willen, nicht einmal um seiner Verantwortung für den Lauf der Welt willen, sondern um des Leibes Christi des Menschgewordenen, um der Gemeinde willen. (N 260) Weil in diesem Leben nur eins wichtig ist, nämlich wie der Mensch im letzten Gericht bestehen kann, und weil jeder nach seinen Werken gerichtet werden wird, darum geht es in allem um die Bereitung des Christen zum guten Werk. (N 294) 420 Gtter, Innerste Konzentration, 107. 421 Feil, Die Theologie, 276 f. Siehe oben Kap. 1.2. 422 Vgl. etwa H. Mller, Von der Kirche zur Welt, 230 ff.

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Gemeinsam ist Bonhoeffers Schriften der Zeit des Kirchenkampfes und derjenigen der Konspiration und Haft die unbedingte Forderung des Dienstes der Jünger an der Welt und die unumstößliche Überzeugung, dass dieser Dienst letztlich allein in Christus begründet liegt. Der Dienst am Anderen ist Dienst an Christus. Christus ist die erste und letzte Begründung, ist Ursache und Ziel ihres Handelns, wenn auch freilich die Not des Anderen Handeln fordert.423 Der Unterschied zwischen der mittleren und späteren Periode besteht aber darin, dass Bonhoeffer die ,Verantwortungsinstanz Christus‘ hier als Christus und die Gemeinde versteht,424 dort hingegen als Christus und (Verantwortung für) die Zukunft, Christus und (Verantwortung für) die kommende Generation. Dieser Unterschied ist aber wiederum differenziert zu betrachten und nicht absolut zu setzen. Jene Akzentverschiebung würde überstrapaziert, wenn geschlossen würde, Bonhoeffer hätte in der „Nachfolge“ die „Verantwortung für den Lauf der Welt“ (N 260) noch vom Dienst am Leibe Christi losgelöst betrachten können, während er später gerade jene Zukunftsverantwortung an Christi Leib gebunden hätte. Vielmehr gilt es, weiterhin die oben herausgestellten Veränderungen der Widerstandsformen zu bedenken: Das Weltverhältnis der „Nachfolge“ (d. h. das Dasein für Andere primär um der Gemeinde willen) ist notwendig bedingt durch die spezifische Figur des kirchlichen Widerstands und umgekehrt. Ebenso begründet das Weltverhältnis der „Ethik“ (d. h. Dasein für Andere primär um der akut bedrohten Zukunft und kommenden Generation willen) die Beteiligung am konspirativen Widerstand. Zwar interpretiert Bonhoeffer in der „Nachfolge“ das „Heil der Gemeinde“ (N 211) und das Bestehen am Jüngsten Tag als Ziel für die Gemeinde und fordert im Zuge dieser Interpretation deren Reinheit; es wurde aber gezeigt, 423 Vgl. dazu N 301, 67, 194ff, sowie E 283: „Vor den anderen Menschen rechtfertigt den Mann der freien Verantwortung die Not“. 424 Wiederum ist sogleich erstens zu bedenken: Das Heil der Gemeinde darf nicht im Sinne von Heilsexklusivität gedeutet werden, denn es geschehen ja nach Bonhoeffer gerade Dienst und Auftrag der Gemeinde an der Welt zur Gewinnung von Menschen für Christus. Die Jünger predigen im Auftrag Christi als seine Boten und bringen der Welt das Evangelium vom Heil zur Scheidung und Entscheidung (vgl. N 101, 202 f u. a.), „zum Heil und zur Verwerfung“ (N 208). Gemeinde ist also keine empirische Größe, sondern meint den Leib Christi als schon mit der Menschwerdung absolute, vollständige Einheit (vgl. N 229ff; siehe dazu oben Kap. 2.4.3, 2.5.1 und 3.2.1.1), in welche jeder Mensch hineingerufen ist. Andernfalls wären „die Grenzen der Kirche“ nicht mehr als die Grenzen „der gnädigen Wahl und Berufung Gottes“ verstanden, sondern als „die Grenzen eines Privilegs“ (N 188). Zweitens muss deutlich werden, dass das „Heil der Gemeinde“ zwar das „Ziel ihrer [sc. der Jünger] Arbeit“ ist und darum als das theologische Zentrum der N-Theologie verstanden werden muss. Die Arbeit an jenem Ziel ist aber gerade die Arbeit für Christus, der die Gemeinde ist, und ist niemals identisch mit „der Boten […] eigene[m] Weg“ (N 211). Nicht sie selbst sind, sondern Christus ist Grund und Ziel ihrer Arbeit: „Gott selbst hat Mühe und Arbeit gehabt mit den Menschen (Jes. 43,24), die Seele Jesu hat gearbeitet bis zum Tode am Kreuz zu unserem Heil (Jes. 53,11).“ (N 201) Desgleichen ist das Leben der Jünger Arbeit, und zwar Arbeit für Christus zum Heil Anderer. „An dieser Arbeit [sc. der Arbeit Gottes] nehmen die Boten teil, in der Verkündigung, in der Überwindung des Satans und im fürbittenden Gebet.“ (N 201).

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dass an jener Reinheit für Bonhoeffer in der Zeit des Kirchenkampfes die Substanz der Gemeinden bzw. der Kirche selbst sich entscheidet. Der Kirche, deren Substanz gegeben ist – der nachfolgenden Kirche unter dem Kreuz als der allein wahren Kirche Jesu Christi –, dieser Kirche ist hier und jetzt eine doppelte Verheißung gegeben: Sie überwindet Böses und Leiden in der Welt, und zugleich ist sie allein es, die diese Welt als deren Salz zu erhalten vermag. Und insofern steht auch das Interesse an der Gemeinde in der „Nachfolge“ im Zusammenhang eines Interesses an dem ,Lauf der Welt‘. Dass Bonhoeffer auch in der Zeit der Konspiration an diesen Überlegungen der „Nachfolge“ noch festhält, belegt wiederum die Studie über „,Personal‘- und ,Sach‘-ethos“ aus dem Sommer 1942: Je mehr die Christen […] nicht die am Unrechttun der Welt Verantwortlichen, sondern selbst die Unrecht Leidenden sind, desto mehr wird sich ihre Verantwortung für die Welt nur noch in gehorsamem Leiden und in ernster Gemeindezucht bewähren.425

Zugleich kann Bonhoeffers Entscheidung für die Konspiration als Ausdruck einer in veränderter weltgeschichtlicher Situation gewonnenen Erkenntnis gelesen werden, die sogleich die Suche nach neuen theologischen Antworten einfordert: Als er zum Mittäter an der Verschwörung wird, weiß Bonhoeffer, dass es die Möglichkeit des Nicht-Schuldigwerdens nicht, d. h. nicht mehr gibt.426 Es ist darum für ihn nicht, d. h. nicht mehr möglich, durch „so etwas wie ein heiliges Leben“ seinen Glauben zu leben oder glauben zu lernen, denn ein heiliges Leben schließt die Möglichkeit des Nicht-Schuldigwerdens ein.427 An die Stelle 425 DBW 16, Studie vom Sommer 1942: „Personal“- und „Sach“-ethos, 555. Vgl. dazu N 262 f: „Je älter aber die Welt wird, und je schärfer der Kampf zwischen Christus und Antichristus entbrennt, desto gründlicher versucht nun die Welt, sich der Christen zu entledigen.“ Die Situationsgebundenheit der Rede von einem „Raum“ der Gemeinde in der Welt – wie gezeigt nicht verstanden als eine Aussage über die Wirklichkeit – wird hier deutlich, wenn Bonhoeffer weiter sagt: „Den ersten Christen gewährte die Welt immer noch einen Raum, in dem sie sich von ihrer Hände Arbeit ernähren und kleiden konnten.“ (N 263) Dazu weiter das Vilmar-Zitat in N 145, das Bonhoeffer für seine eigene Gegenwart in Anspruch zu nehmen weiß: „Es nahet eine allgemeine Christenverfolgung, und das ist eigentlich der rechte Sinn aller Bewegungen und Kämpfe unserer Tage.“ 426 Vgl. dazu die E, z. B. 275ff: „Es geht aus dem Gesagten hervor, daß zur Struktur verantwortlichen Handelns die Bereitschaft zur Schuldübernahme und die Freiheit gehört.“ (E 275). 427 Vgl. hierzu die folgenden Stellen der N: „Tue das Gute! darauf allein kommt es an. Nicht was Andere tun, sondern was du tun wirst, wird für dich wichtig sein.“ (N 257) Konkret: „Lob soll der Christ empfangen von der Obrigkeit! Empfängt er es nicht, sondern statt Lob Strafe und Verfolgung, was trägt er für Schuld daran? […] Trifft ihn nun Leid statt Lob, so ist er doch vor Gott frei und ohne Furcht, so ist ja doch auf die Gemeinde keinerlei Schande gekommen!“ (N 258) Und: „So sehr denkt Paulus von der christlichen Gemeinde her, so sehr ist es ihm allein um die christliche Gemeinde und ihr Heil und ihren Wandel zu tun, daß er die Christen vor eigenem Unrecht und Bösen warnen muß“. „Alles liegt daran, daß nicht in der christlichen Gemeinde Böses geschehe.“ (N 257) Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass Bonhoeffer in der N nicht nur um die Möglichkeit von Schuldübernahme durch die Kirche und durch die Einzelnen

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Von der „Nachfolge“ zum Widerstand

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der Überzeugung, die Gemeinde Jesu Christi (und mit ihr eben jeder einzelne Christ) müsse sich vor dem Schuldigwerden hüten, tritt fortan zunehmend die Erkenntnis, dass der Christ „so oder so“ schuldig wird, sei es durch „[t]atenloses Abwarten oder stumpfes Zuschauen“, sei es durch das Wagnis einer „freien, verantwortlichen Tat“,428 welche in äußerster Form den Führermord mit einschließt. Gehorsames Leiden als Verantwortung für die Welt, wie es Bonhoeffer in der Studie über „,Personal‘- und ,Sach‘-ethos“ erwägt (vgl. DBW 16, 555), schließt in der „Ethik“ die Möglichkeit – bzw. die Pflicht – des Einzelnen ein, ganz ohne Rücksicht auf die eigene Reinheit und Heiligkeit (die ja doch niemals die eigene, sondern von Gott geforderte und zugleich bewirkte Reinheit und Heiligkeit ist, vgl. N 269ff), ohne Rücksicht auf die eigene Rechtfertigung, Heiligung und Rettung die freie verantwortliche Tat zu wählen, wohlwissend, dass er darin Schuld auf sich nimmt und diese Schuld auch nicht zu ent-schuldigen, sondern zu verantworten ist (vgl. E 256 – 299, bes. 275ff). Wer in dieser Weise, der eigenen Unversehrtheit und ebenso der Aussicht auf eigenen Erfolg oder Misserfolg ungeachtet, schuldig wird, der wird es, weil er tatsächlich „[…] nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst [nimmt]“ und in einem Glauben handelt, der in äußerster Weise sich daran bewahrheiten wird, sich „Gott ganz in die Arme“ zu werfen.429 In dem Augenblick, da die einzige Alternative in der Möglichkeit des Schuldig- und also Unreinwerdens entweder durch das Tun oder aber durch das Nichtstun besteht, ist die Theologie der „Nachfolge“, die in der Zeit des Kirchenkampfes unbedingte Berechtigung beanspruchen konnte, zu einer Theologie geworden, die „Gefahren“ in sich trägt.430 Und insofern unterscheiden sich „Nachfolge“ und „Ethik“ nicht unerheblich voneinander. Die Rechtfertigung des Sünders als die Befreiung zur Freiheit (vgl. Gal 5,1) konnte in dieser äußersten Grenzsituation gerade fordern, die Freiheit vom Gesetz gerade gegen das Gesetz des Schöpfers selbst zu stellen. Ob eine solche, das weiß, sondern dass Tragen, Erdulden, Erleiden von (fremder) Schuld der Nachfolge Christi wesenhaft ist (siehe dazu oben Kap. 3.2.2.4). Deshalb weiß Bonhoeffer in der N auch um die Tatsache, dass die Kirche und dass der Christ schuldig werden kann durch die Schuld Anderer, und zwar dadurch, dass er diese fremde Schuld zu tragen (sich) verweigert (vgl. N 165). Zugleich bestätigt sich hier, dass das Frömmigkeitsverständnis der N seinen Grund und sein Ziel im Dienst an Anderen, d. h. eigentlich in Christus selbst hat: „Wo immer der Christ erkennt, daß er in seinem Dienst versagt, daß seine Bereitschaft erlahmt, daß er schuldig geworden ist an fremdem Leben, an fremder Schuld, daß seine Freude an Gott ermattet, daß die Kraft zum Gebet nicht mehr da ist, dort wird er den Angriff auf sein Fleisch unternehmen, um sich durch Übung, durch Fasten und Beten […], zu besserem Dienst zu bereiten“ (ebd.; Hervorhebung durch F.S.). 428 Nachweise in der Reihenfolge der Zitate: E 275; WE, Rechenschaftsbericht an der Wende zum Jahr 1943: Nach zehn Jahren, 34 und 24. 429 WE 542. Zur Geschichte des Motivs des „leidenden Gottes“ in der Theologie und in der Theologie Bonhoeffers vgl. Tietz, Der leidende Gott. 430 Vgl. den Satz des Briefes vom 21. 7. 1944: „Heute sehe ich die Gefahren dieses Buches, zu dem ich allerdings nach wie vor stehe, deutlich.“ (WE 542; Hervorhebung durch F.S.).

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Der Ort der „Nachfolge“

Gebot übertretende, frei verantwortete Tat auch eine Tat gegen den Erhalter der Welt gewesen ist, bleibt die Frage, die den Widerständler Bonhoeffer an die Gnade Gottes selbst verwiesen hat: „Vor den anderen Menschen rechtfertigt den Mann der freien Verantwortung die Not, vor sich selbst spricht ihn sein Gewissen frei, aber vor Gott hofft er allein auf Gnade.“ (E 283; Hervorhebung durch F.S.) So ist hier abschließend zu festzustellen, dass der Begriff von Glaube, den Bonhoeffer am 21. Juli 1944 im Brief an den Freund beschreibt, sich über das Bisherige hinaus noch durch etwas ganz anderes auszeichnet: Am Tag nach dem gescheiterten Attentat ist es der Glaube, der dem Gefangenen lebensgeschichtliche Kontinuität stiftet und der so zum Kriterium der Vergewisserung des eigenen Weges und der Bewältigung der eigenen Situation wird. Dieser Glaube wird umgekehrt darin wirksam, dass er Dietrich Bonhoeffer die erstrebten Erfolge und die erlittenen Misserfolge, die gelebten Hoffnungen und die widerfahrenen Demütigungen, Vergangenes und Gegenwärtiges annehmen, ja dankbar annehmen lässt. „Wie sollte man bei Erfolgen übermütig oder an Mißerfolgen irre werden, wenn man im diesseitigen Leben Gottes Leiden mitleidet?“, schreibt Bonhoeffer, und fährt dann fort: Ich bin dankbar, daß ich das habe erkennen dürfen und ich weiß, daß ich es nur auf dem Wege habe erkennen können, den ich nun einmal gegangen bin. Darum denke ich dankbar und friedlich an Vergangenes und Gegenwärtiges. (WE 542)

Unverkennbar eignet der in diesen Zeilen gebrauchten Fokuspartikel „nur“ eine aussöhnende, kontinuitätsstiftende Funktion. Die eigene Kritik an der „Nachfolge“ steht für Bonhoeffer nicht einfach unter dem Zeichen der Ablösung, sie dient vielmehr der Integration: der Integration des kirchlichen Widerstandes und der Konspiration, der Theologie der „Nachfolge“ und der Theologie der „Ethik“ und der Haft, der zurückliegenden Lebensgeschichte und der gegenwärtigen Situation.

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5. Ertrag und Schlussbetrachtung Ergänzend zu den Zusammenfassungen, die jeweils am Ende der Kapitel vorgenommen worden sind – siehe die Kapitel 1.3, 2.6, 3.4, 4.4.2, 4.6 und 4.8 –, seien zum Abschluss dieser Studie die wichtigsten ihrer Ergebnisse zusammengetragen, und zwar so, dass auch zu der übergeordneten Fragestellung nach der Kontinuität der theologischen Entwicklung Dietrich Bonhoeffers und der Einheitlichkeit seines Werks Stellung bezogen wird. Die „Nachfolge“ ist eine theologische Kampfschrift. Erschienen im Jahr 1937, ist sie Dietrich Bonhoeffers Antwort auf die kirchlichen, kirchen-politischen und politischen Ereignisse im Deutschland dieser Zeit, und insofern sie auf konkrete Ereignisse antwortet, ist die „Nachfolge“ dezidiert kontextuelle Theologie. Bonhoeffer reagiert allerdings nicht einfach auf eine bestimmte historische Situation. Vielmehr drängt er mit dieser Schrift auf deren Veränderung und Überwindung. Die „Nachfolge“ ist darum nicht nur Ausdruck oder Produkt des Kirchenkampfes, sondern sie selbst ist Kirchenkampf. Dieser Kirchenkampf – als der Kampf der Kirche ist er für Bonhoeffer allererst Kampf um die Kirche – hatte für Bonhoeffer noch vor dem 30. Januar 1933 begonnen. So konnte dargelegt werden, inwieweit die Wurzeln der „Nachfolge“ bis in den Sommer 1931 zurückreichen. Den aus Amerika zurückkehrenden Bonhoeffer bewegte fortan insbesondere eine Frage, nämlich die Frage nach dem konkreten Gebot der Kirche: Was hat die Kirche auf die aktuellen sozialen und politischen Verhältnisse, Zustände und Geschehnisse zu antworten und in welcher Weise kann sie das überhaupt?1 Erwägungen über die Möglichkeit des konkreten Gebotes durch die Kirche, die Bonhoeffer in den Jahren 1931/32 umtreibt und die sein theologisches Denken wesentlich leitet, bereitet die Theologie der „Nachfolge“ maßgebend vor. Bonhoeffer ist der Überzeugung, dass die Kirche Jesu Christi grundsätzlich ein konkretes Gebot zu sagen imstande ist. Während sie aber eigentlich über Möglichkeit und Fähigkeit der Verkündigung des konkreten Gebotes verfügt, stellt Bonhoeffer fest, „daß unsere Kirche heute das konkrete Gebot nicht sagen kann“.2 Er beginnt nun, zwei regelrecht parallel zueinander verlaufende Wege zu durchdenken und zu beschreiten. In einer ersten Richtung3 folgt Bonhoeffer seiner Forderung eines konkreten Wortes durch die Kirche, auf das er inständig hofft. Die beiden aussagekräftigsten Schriften, die auf diesem Wege entstehen, sind (im April 1933) 1 Siehe oben Kap. 4.2 und 4.3. 2 DBW 12, Brief an H. Rößler vom 25. 12. 1932, 39; Hervorhebung durch F.S. 3 Siehe oben Kap. 4.4 und 4.5.

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Ertrag und Schlussbetrachtung

der Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ (hier erwägt Bonhoeffer die Möglichkeit bzw. Pflicht des in der Situation des geschichtlichen Grenzfalls konziliar beschlossenen, konkreten Verbotes der staatlichen Gesetzgebung in der Kirche) und (im August 1934) die auf Fanø gehaltene Rede „Kirche und Völkerwelt“ (hier fordert er das – ebenfalls konziliar – beschlossene Wort des Friedens der Kirchen an die „rasende Welt“). Insofern es sich bei dem kirchlichen Wort um ein dezidiert auch an den Staat gerichtetes Gebot handelt, das an die Veränderung (auch) der politischen Zustände in der Welt rührt, will Bonhoeffer dieses Wort als Handeln, und zwar als „unmittelbar politisches Handeln der Kirche“, verstanden wissen; durch ihr Wort fällt die Kirche „dem Rad selbst in die Speichen“.4 Wenn die Kirche vollmächtig verkündigt, dann ist die Welt „zu hören gezwungen“, dann raubt die Kirche den Weltmächten die Macht und gibt sie Christus zurück.5 Als konkretes Anliegen formuliert: Dann spricht die Kirche so, „daß die Welt zähneknirschend das Wort vom Frieden vernehmen muß und daß die Völker froh werden, weil diese Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und den Frieden Christi ausruft über die rasende Welt“;6 dann spricht die Kirche so (und insofern ist ihr Wort eine Tat), dass sie das „Zuviel“ oder das „Zuwenig an Ordnung und Recht“ des Staates verbietet.7 Die zweite Richtung8 beschreibt den geradewegs zur „Nachfolge“ führenden Weg. Hier folgt Bonhoeffer gewissermaßen der Frage nach der Ursache dafür, dass die Kirche das zur Stunde gebotene Wort offensichtlich nicht sagen kann, wobei es zu bedenken gilt, dass Bonhoeffer in dieser Richtung nicht nach der Kirche als konziliarer Versammlung fragt, sondern die Kirche in ihrer Gemeindestruktur befragt, worauf noch zurückzukommen ist. Die Unfähigkeit der Kirche sieht er nicht etwa „in ihrer Begrenztheit durch die Eschata“ begründet (grundsätzlich sollte die Kirche das Gebot ja sagen können!), sondern er führt sie (bereits im Jahre 1932) zurück auf den Abfall und Verlust ihrer Substanz.9 Weil die Kirche ihrer Substanz verlustig gegangen ist, darum kann sie gegenwärtig das Gebot zur Stunde nicht sagen. Und insofern Bonhoeffer fortan um die Substanz der Kirche zu kämpfen beginnt, wird dieser Kirchenkampf von ihm als ein Kampf um die Kirche verstanden. Die Frage, wie die Kirche die verlorengegangene Substanz zurückgewinnen kann, führt ihn zuerst zu der Frage, worin die Substanz der Kirche besteht. Bonhoeffer findet sie, mit einem Wort, in der Nachfolge. Nachfolge Jesu Christi ist die existentielle Dimension, ist die Existenz des Glaubens. Glaube ist Glaube nur in der konkreten Gestalt des Gehorsams und Wagnisses auf Jesu Christi 4 5 6 7 8 9

DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 353. Vgl. DBW 13, Vortrag vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 301. DBW 13, Vortrag vom 28. 8. 1934: Kirche und Völkerwelt, 301. Vgl. DBW 12, Aufsatz vom April 1933: Die Kirche vor der Judenfrage, 353 f. Siehe oben Kap. 4.6, 4.7 und 4.8. DBW 12, Brief an H. Rößler vom 25. 12. 1932, 39.

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Ertrag und Schlussbetrachtung

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Wort hin und nur in dessen Gemeinschaft erst wirklicher Glaube. Weil allerdings der protestantischen Kirche diese wahrhaftige Gestalt des Glaubens und damit freilich ihrer Existenz schlechthin abhandengekommen ist, darum kann sie das konkrete Gebot (gegen die Judenpolitik und gegen die Kriegsanstrengungen des nationalsozialistischen Staates) hier und jetzt nicht sagen. Die auf Luther sich berufende Kirche ist einem Glauben frommen Selbstbetrugs und billiger Gnade anheimgefallen, der mit der reformatorischen Entdeckung des sola fide, des sola gratia, der teuren Gnade nichts mehr zu tun hat. Die Kirche hat vergessen, dass sie sich sichtbar von der Welt unterscheidet. Durch ihre Weltförmigkeit hat sie ihre Substanz verloren. Ihre Existenz habe sich aber gerade nicht dadurch auszuzeichnen, dass sie wie die Welt lebt, sondern dass sie in der Welt lebt und dennoch eine andere Gestalt besitzt als die Welt. Darum muss die Kirche mit jeder einzelnen Gemeinde, so lautet eine zentrale Forderung Bonhoeffers in der „Nachfolge“, darauf bedacht sein, „daß Welt Welt sei und Gemeinde Gemeinde“ (N 277) und dass nicht die Gemeinde die Form und Gestalt der Welt annimmt, sondern allein die Gestalt Christi, dessen Bild sie schon trägt und zu dessen Bild sie fortwährend gleichgestaltet wird (vgl. N 263, 297ff). Die Unterscheidung der Kirche, der Gemeinde und des einzelnen Christen von der Welt geschieht aber auf zweierlei Weise: durch Absonderung von der Welt einerseits und durch Zuwendung zur Welt andererseits. Absonderung von der Welt heißt in der „Nachfolge“ auch Gemeindezucht, die der Aussonderung der Sünde aus der Gemeinde gilt. Zuwendung zur Welt heißt in der „Nachfolge“ bedingungsloses Dasein für andere Menschen, das ausschließlich in der in Christus fleischgewordenen und offenbarten Liebe Gottes zum Menschen begründet ist. Bonhoeffers Schrift der „Nachfolge“ ist Ausdruck der Wiederentdeckung der untrennbaren Einheit von Glaube und Gehorsam, Rechtfertigung und Nachfolge, Gnade und Tun des Gerechten; und sie ist damit Ausdruck der Rückbesinnung auf die Andersartigkeit christlicher Existenz, die immer im Zugleich von Absonderung von der Welt und der Zuwendung zur Welt besteht, und der Tatsache, dass zwischen Kirche und Welt eine Grenze besteht, die es stets zu wahren und zu schützen gilt. Dieser Skizze folgend wird plausibel, dass Bonhoeffer die Rückgewinnung der Nachfolge Christi und also des wahren Glaubens als eine Gestalt des Widerstandes verstehen konnte, denn: Die Rückführung der Kirche auf den Weg der Nachfolge ist der Weg zurück zu ihrer Substanz, in deren Kraft sie die Zustände der Welt zu verändern und zu überwinden mächtig ist. Dabei lässt sich bei Bonhoeffer auf dem Wege zur Theologie der „Nachfolge“ in Bezug auf die konkrete Gestalt der Oppositionsfigur eine Veränderung – so könnte man sagen – von kirchlichem Widerstand zum Widerstand der einzelnen Gemeinden und der zu ihr gehörenden Gemeindeglieder verzeichnen: Während er sich in den Schriften der Jahre 1932 bis 1934 an die konziliare Versammlung der Kirchen wendet, richtet sich Bonhoeffer, mittlerweile Ausbildungsleiter in Finkenwalde, mit der „Nachfolge“ nun direkt (wenn auch freilich nicht aus-

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Ertrag und Schlussbetrachtung

schließlich) an die evangelischen Pfarrer der Bekennenden Kirche in Deutschland. Nicht durch Umsturz der bestehenden Ordnungen, nicht durch Auflehnung und Widerstand gegen das Böse und das Leiden in der Welt geschieht deren Überwindung (vgl. bes. N 255 und 259), sondern durch das geduldige Erleiden in der Liebe Christi wird es von den Jüngern getragen und darin überwunden (vgl. N 134ff, bes. 136). Gerade diese durch einfältigen Gehorsam und glaubendes Wagnis gekennzeichnete Haltung der Christen verschafft ihrer Gemeinschaft Substanz und Autorität (wie umgekehrt die Substanz jene wagende Haltung hervorbringt), und ihr allein gilt die Verheißung der Überwindung. Betrachtete man überdies den Übergang vom gemeindlichen Widerstand der „Nachfolge“ zum politisch-konspirativen Widerstand späterer Zeit, dann ließe sich Bonhoeffers Weg – vom Widerstand der Kirche über den Widerstand der Gemeinden zum Widerstand der Einzelnen – als ein Gestaltwandel seiner Hoffnung beschreiben. Für die Interpretation des theologischen Weges Dietrich Bonhoeffers, für den Ort der „Nachfolge“ innerhalb seines Werkes und zur – der Arbeit zur „Nachfolge“ übergeordneten – Frage nach der Konsistenz und Einheitlichkeit seiner Theologie lassen sich auf der Grundlage der hier vorgelegten Untersuchung abschließend die folgenden Einsichten formulieren: Am Beispiel der „Nachfolge“ wurde gezeigt, inwiefern Bonhoeffer die jeweilige historische Situation zum produktiven Anlass von Theologie nimmt. Als eine Grundhaltung Bonhoeffers verstanden, heißt das für die Frage nach der Konsistenz und Einheitlichkeit seines theologischen Werkes und dessen Entwicklung: Kontinuität besteht im Werk dieses Theologen zuerst in der Überzeugung, dass Theologie nur als konkrete, situative, kontextuelle Theologie überhaupt Theologie ist. Theologie formuliert keine allgemeingültigen dogmatischen Grundsätze (denn „was ,immer‘ wahr ist, ist gerade ,heute‘ nicht wahr“10), sondern sie ist „ein Hilfsmittel, ein Kampfmittel, nicht Selbstzweck“ (GS III, 423) und gibt in der jeweiligen Situation der Überzeugung Ausdruck, dass uns Gott „,immer‘ gerade ,heute‘ Gott“ ist.11 Dieser Überzeugung tragen im Grunde alle Schriften Bonhoeffers und in besonderer Weise die seit 1931 herausgeforderten Rechnung.12 In der „Nachfolge“ gibt Bonhoeffer dieser Überzeugung sogleich zu Beginn, in den ersten Zeilen des Buches, Ausdruck, wenn er dort das Anliegen der „Nachfolge“ benennt: „Was hat Jesus uns sagen wollen? Was will er heute von uns?“ (N 21) Es geht Bonhoeffer darum, den Kirchenkampf in einer theologischen, zuweilen homiletischen Sprache zu reflektieren. Mit der „Nachfolge“ als einem Buch der 10 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 332. 11 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 332. 12 Die Konkretheit der beiden Hauptschriften der sogenannten akademisch-wissenschaftlichen Periode, SC und AS, besteht gerade darin, dass sie, indem die eine nach der Kirche und die andere nach der Theologie selbst fragt, jene Überzeugung erst herbeizuführen vermochten: dass es einen „Gott, den ,es gibt‘, […] nicht [gibt]“ (AS 112) und dass darum der Theologie die Aufgabe ständiger Vergegenwärtigung zukommt.

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Ertrag und Schlussbetrachtung

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Kirche richtet er sich an die Pastoren der Bekennenden Kirche, indem er Antworten auf zwei Fragen behandelt, denen sich alle Themen dieser Schrift zuordnen lassen, nämlich: Wie wird der Mensch ein Christ, und: Wie bleibt der Christ ein Christ? Auf die Situation der Pastoren und Mitglieder der Bekennenden Kirche übertragen, heißt das: Wie bleibe ich meiner Entscheidung treu, Pfarrer und Glied der Bekennenden Kirche zu sein und mich nicht „legalisieren“ zu lassen? Auf diesem Hintergrund erklärt sich das Weltverständnis der „Nachfolge“ als eines, das – stärker als dies dann in der „Ethik“ der Fall ist – die Welt als „zum Abbruch reif“ (N 255) ins Auge fasst: Weil Christus die Welt schon überwunden hat, darum kann sie uns nicht überwinden. Ihre Macht ist schon gebrochen (vgl. N 254 u. a.). Die hier vorliegende Untersuchung hat anhand der Analyse der „Nachfolge“ gezeigt, dass sich Bonhoeffers Werk auf der Ebene der logischen Inhalte als wesentlich einheitlicher zeigt, als dies bislang wahrgenommen worden ist. Indem auch für die „Nachfolge“ die zentralen Kriterien der früheren und späteren Theologie nachgewiesen worden sind – vor allem: die Universalität des Heilshandeln Gottes in Jesus Christus; die Ablehnung eines Denkens in zwei Räumen; die Gestalt des Verhältnisses der Christen zur Welt, das ein Dasein für andere Menschen dezidiert einfordert, nicht nur für diejenigen, die der christlichen Gemeinde angehören –, haben sich – neben der strukturellhermeneutischen Konstante – drei thematische Grundpfeiler Bonhoefferscher Theologie herausgestellt, die seinem Werk eignen und von denen ausgehend er theologische Antworten entwickelt: Christologie, Weltverständnis und Verhältnis von Gemeinde und Welt: 1. Christologie. Bonhoeffers Gesamtwerk liegt ein Konzept präsentischer Christologie zugrunde, das, indem er die Gegenwart des Gekreuzigten und Auferstandenen auf die Kirche überträgt, als ein Konzept christologischer Ekklesiologie zu verstehen ist: Christus ist als Gemeinde existierend vice versa die Kirche ist der Christus praesens. Dieses theologische Grundelement, „daß Jesus Christus nicht tot, sondern heute lebendig ist und durch das Zeugnis der Schrift noch zu uns spricht“ (N 215), ist in der „Nachfolge“ auf das Leben der Nachfolgenden hin entfaltet: „Das Leben Jesu Christi ist auf dieser Erde noch nicht zu Ende gebracht. Christus lebt es weiter in dem Leben seiner Nachfolger.“ (N 303) 2. Weltverständnis. Einbegriffen ist in diese christologische Konzeption von den frühen über die mittleren bis zu den späten Werken die Überzeugung, dass „[n]icht ein heiliger, sakraler Bezirk der Welt […], sondern die ganze Welt“ Christus gehört (1932).13 „,Mit Christus‘ sind […] alle Menschen schlechthin in der Kraft der Menschwerdung. Jesus trägt ja die ganze menschliche Natur. Darum ist sein Leben, sein Sterben und Auferstehen ein reales Geschehen an allen Menschen“ (N 231). Als der Mittler steht Christus zwischen dem Menschen und allem, was er als Unmittelbarkeit empfindet. 13 DBW 11, Vortrag im Juli 1932: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, 331.

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Ertrag und Schlussbetrachtung

Darum gibt es seit Jesus keine Unmittelbarkeiten mehr, sie sind Trug (vgl. N 90). Weil aber die Wirklichkeit Christi die ganze Schöpfung umschließt, darum ist ein Denken-in-zwei-Räumen theologisch ausgeschlossen (vgl. E 39ff). Die Rede von der Kirche als einem „Raum“, wie sie in der „Nachfolge“ begegnet, entspricht – neben dem Aspekt der Sichtbarkeit und der Missachtung der Grenzen von Kirche und Welt – dem Aspekt des Glaubens an Jesus Christus: Die Kirche ist der „Raum“, in dem Jesus als der Christus geglaubt wird; demgegenüber ist die „Welt“ der „Raum“, in dem Jesus nicht als der Christus geglaubt bzw. in dem er verleugnet wird. Für die „Welt“ gilt aber, dass sie dem Anspruch unterstellt ist, Jesus als den Herrn anzuerkennen und zu erkennen, d. h. zu glauben, als den Christus, in dem die ganze Menschheit leiblich angenommen und ans Kreuz getragen ist. Die „Botschaft, die von der Gemeinde ausgehe über alle Welt“, ist die „Botschaft davon, daß die Erde und was darinnen ist, des Herrn ist“ (N 277 f). Die „Welt“ ist damit bei Bonhoeffer in einer doppelten Weise verstanden: In der Weise, dass Gott in Christus die ganze Welt mit sich versöhnt hat und diese Welt fortan dem Anspruch unterstellt ist, sich Gott durch den Glauben an Jesus Christus zuzuwenden, ist die „Welt“ von der Liebe Gottes umschlossen. In der Weise aber, dass sie Jesus als den Messias gerade nicht glaubt, sondern verleugnet, ist sie zugleich der Gott feindliche Bereich, d. h. der Bereich der Sünde. 3. Verhältnis von Gemeinde und Welt. Der doppelten Bestimmung von „Welt“ entspricht nun das doppelte Verhältnis der Jünger zu derselben, die Haltung, die sie der Welt gegenüber einzunehmen haben. Ihr konkretes Weltverhältnis konstituiert sich durch Zuwendung einerseits und durch Abgrenzung andererseits, zwei Seiten, die beide in der Menschwerdung Jesu Christi begründet liegen. Jesus Christus selbst ist das Heiligtum Gottes auf Erden (vgl. N 270 u. a.), und insofern die Christen zu Christus berufen sind und ihm glauben, sind auch sie – dies ist ihre Rechtfertigung – zum Heiligtum Gottes auf Erden gemacht (vgl. N 269ff). Die Christen tragen das Bild Christi (vgl. N 297ff), in dem das Ebenbild Gottes auf Erden wiederhergestellt, neu geschaffen ist. Ihre Gestalt unterscheidet sich sichtbar von der Gestalt der Welt (vgl. N 263 u. ö.). Indem sie sich ganz Christus gehörend wissen, sich sichtbar zu ihm halten, allein seinen Willen tun und in alledem allein an ihn gebunden sind, unterscheiden sich die Christen von der Welt und grenzen sich von der Welt ab. Diese Abgrenzung (sie ist im eigentlichen Sinne eine Versiegelung, nämlich die Versiegelung durch den Heiligen Geist, vgl. bes. N 276) geschieht zum Schutze der Gemeinde, zu ihrer Bewahrung vor den Anfeindungen und Bedrängnissen in der Gegenwart und zur Errettung am Tage Jesu Christi, aber (auf kirchlicher Ebene) gerade auch zur Gewähr ihrer Vollmacht. Eine Gemeinde, die sich nicht von der Welt abgrenzt und unterscheidet, hat sich an die Welt verloren; sie ist – als weltförmige Gemeinde – selbst Welt geworden. Der Akzent der Abgrenzung ist der Aspekt des Weltverhältnisses, den Bonhoeffer in der „Nachfolge“ besonders hervorhebt, und zwar – ob der bedrohlichen Situation des Kirchenkampfes – deutlich stärker hervorhebt als in den Jahren

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Ertrag und Schlussbetrachtung

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davor und danach. Umgekehrt, d. h. eigentlich als eine bestimmte Form des Andersseins und der Andersartigkeit der Gemeinde, fordert die Menschwerdung Christi, dass die Christen für die Welt da sind. Weil die Liebe Gottes zum Menschen in Christus allen Menschen gilt und weil darum der „Menschgewordene […] seine Jünger zu Brüdern aller Menschen [macht]“, darum lieben sie die Welt (N 301) – aber : „Es gibt keine echte Liebe zur Welt außer der Liebe, mit der Gott die Welt geliebt hat in Jesus Christus.“14 Das bedeutet, dass auch der zuwendende Aspekt des Weltverhältnisses dem abgrenzenden Aspekt Ausdruck verleiht, denn: Dass die Gemeinde Christi sich gerade nicht der Welt gleichstellt, sondern „[…] eine andere ,Gestalt‘ [hat] als die Welt“ (N 263), bezeugt sich in der bedingungslosen Zuwendung der Christen zur Welt in der Liebe Gottes. Ihr Dasein für die Welt ist das „Darüberhinaus“, das „Mehr“, das „peqissºm“.15 Die Gemeinde Jesu Christi muss in der Welt sein, aber sie darf niemals wie die Welt sein. Sie ist aber wie die Welt gerade auch dann, wenn sie nicht für die Welt da ist.16 Umgekehrt ließe sich die Absonderung der Gemeinde von der Welt als im Dienste für die Welt stehend beschreiben, denn: Eine Gemeinde, die sich nicht von der (sündigen) Welt abgrenzt, sich nicht von der (sündigen) Welt unterscheidet, ist ihrerseits Welt geworden; eine solche Gemeinde ist keine Gemeinde Christi mehr und wird daher auch nicht für die (hilfsbedürftige) Welt da sein können. Dass die Kirche „für andere da“ zu sein hat, heißt nicht, dass sie nicht zuerst für ihren Herrn da zu sein hat. Die „Nachfolge“ unterscheidet sich mit Blick auf die grundsätzlichen theologischen Argumentationsentscheidungen von der Theologie der konspirativen Zeit darin, dass sie mit der Möglichkeit der Nicht-Schuldigwerdens rechnet. Die dann gewonnene, für die Konspiration geltende und ihrerseits wiederum keineswegs über diese geschichtliche Situation hinaus generaliserbare Einsicht, dass der Christ „so oder so“, durch das Nichtstun und durch die Tat, schuldig wird, hat erhebliche Auswirkungen auf Bonhoeffers Theologie, etwa was die Überlegungen zu „Verantwortung“ oder das Verständnis und die Gestalt von „Glaube“ angeht. Das bedeutet aber nicht, dass sich die drei hier angezeigten dogmatisch-hermeneutischen Basis-Annahmen in Bonhoeffers Theologie verändert hätten. Für den hier untersuchten Zeitraum ab 1931 gilt: „Nachfolge“, „Ethik“ und auch „Widerstand und Ergebung“ sind 14 N 92 mit Verweisen auf 1Joh 2,15 und Joh 3,16. 15 N 147. Wiederum kann die Abgrenzung als im Dienste nicht allein der Gemeinde, sondern ebenso der Welt stehend betrachtet werden: Nur eine von der Welt sich abgrenzende Gemeinde kann für die Welt da sein. 16 In Bezug auf das Weltverhältnis eine tatsächliche Differenz in Bonhoeffers Theologie zu behaupten, müsste demnach bedeuten, die Möglichkeit der Weltförmigkeit der Kirche zu erwägen: Als hätte Bonhoeffer also in der Theologie der Konspiration den Gedanken aufgegeben, dass die Gemeinde grundsätzlich eine „[…] andere ,Gestalt‘ [hat] als die Welt“ (N 263). Wenn man zudem bedenkt, dass die „andere Gestalt“ durch die Rechtfertigung gewirkt und in der Heiligung bewahrt wird (vgl. N 275), dann wäre mit der Annahme des nur-negativen Weltverständnisses der N die Rechtfertigung selbst infragegestellt.

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Ertrag und Schlussbetrachtung

spezifische Aktualisierungen dieser unverrückbaren christlich-theologischen Überzeugungen. Als stets kontextuell-theologische Entwürfe folgen sie – dies ist das Kennzeichen der Theologie Bonhoeffers – einerseits situativ der Frage, „wer Christus heute für uns eigentlich ist“17 und was Christus heute von uns fordert (vgl. N 21, 24, 42). Andererseits lassen sie sich nicht auf die ihnen eignende Situativität begrenzen, sondern gehen über dieselbe hinaus: Erst dadurch, dass Bonhoeffers Werk in Christologie, Weltverständnis und Weltverhältnis eine theologische Konstante zugrundeliegt, kann es nicht nur in hermeneutischer, sondern ebenso in inhaltlicher Hinsicht als konsistente, logische Einheit beschrieben werden – eine Einheit, die entgegen bisheriger Forschungstendenzen darzulegen das Anliegen dieser Studie gewesen ist. Es gilt, in Bonhoeffers Theologie zwischen Grundannahmen einerseits und Aktualisierungen dieser Grundannahmen andererseits zu differenzieren. „Nachfolge“, „Ethik“ und ebenso Bonhoeffers Überlegungen zu einem „religionslosen Christentum“ und einer „nicht-religiösen Interpretation der biblischen Begriffe“ sind, so kann gesagt werden, in ihrer je spezifischen Weise Aktualisierungen dieser unveränderlichen Grundannahmen, entstanden innerhalb ganz unterschiedlicher geschichtlicher Situationen.18 In einem Brief an Eberhard Bethge vom 20. 5. 1944 (WE 439 – 442) hat Bonhoeffer ein Bild aus der Sprache der Musik gebraucht, das sich eignet, die Einheit seines theologischen Werkes bei gleichzeitiger Würdigung der Originalität von zu je verschiedenen Zeiten und in je unterschiedlichen Situationen hervorgebrachten Einsichten in treffender Weise zu beschreiben: Es gibt in Bonhoeffers Werk einen cantus firmus – dies ist die christlich-theologische Überzeugung von einem Christus praesens, der in der Kraft seiner Menschwerdung die ganze Welt ans Kreuz getragen und versöhnt hat, und dies ist das Dasein für Andere, das von jener Christologie her sich begründet. Zum cantus firmus verhalten sich die theologischen Entwürfe und Schriften als die ihm zugeordneten Stimmen. In sich originär, bleiben sie doch auf die Melodie bezogen. Bonhoeffers Werk, der Satz, ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Melodie und der von ihr her komponierten und auf sie hin ausgerichteten Stimmen. Dass eine solche Theologie notwendiger Weise das Hinter-sichLassen und Sich-Lösen von bestimmten Antworten in sich einschließt (hierzu zählt etwa der Gedanke der Reinheit der Gemeinde, wie er in der „Nachfolge“ angenommen und hier zur Darstellung gebracht worden ist), liegt auf der Hand: Nur so kann eine Theologie ihrem situativen Anspruch genügen und in der Weise entwicklungsfähig bleiben, dass sie, den Blick auf Jesus Christus 17 WE, Brief an E. Bethge vom 30. 4. 1944, 402. 18 G.L. Mller, der die Problematik der Systematisierbarkeit der Theologie Bonhoeffers anregend besprochen hat (vgl. G.L. Mller, Für Andere da, 13 – 43) beschreibt den Zusammenhang treffend, wenn er von einer „innere[n] Logik in einem äußerlich disparaten Werk“ (G.L. Mller, aaO., 41) spricht: „Indem Bonhoeffer die in seiner theologischen Grundkonzeption angelegten Dimensionen geschichtlich ausschreitet, folgt er dem konkreten Anspruch der Stunde.“ (G.L. Mller, aaO., 31).

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Ertrag und Schlussbetrachtung

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selbst gerichtet, den sich wandelnden Situationen, Anforderungen und Bedrängnissen stets wachsam begegnet. Was nun allerdings das Rezeptionsinteresse an der Theologie Bonhoeffers angeht, bleibt festzustellen, dass dieses primär an den Aktualisierungen haftet19 und die Grundannahmen dabei unterbestimmt bleiben. Zudem dadurch begünstigt, dass die Interpretation der „Nachfolge“ oft voreingenommen geschieht, als eine von der Zeit der Konspiration und Haft ausgehende Relectura,20 hat dies mit Blick auf die „Nachfolge“ freilich dazu geführt, das Moment der Diskontinuität stärker zu machen als es dies tatsächlich ist: die „Nachfolge“ als die Position der argen Welt und der reinen Gemeinde, die „Ethik“ als die Position der versöhnten Welt und der verantwortlich handelnden Gemeinde, die sich selbst nicht reinhalten will, sondern durch ihr verantwortliches Tun unter Umständen selbst mit Schuld belädt.21 Zweifellos ist es die ungeheure theologische Aktualisierungsfähigkeit Bonhoeffers, die mit zu seinem Weltruhm beigetragen hat. Als Aktualisierungen verstanden werden „Nachfolge, „Ethik“ oder „Widerstand und Ergebung“ allerdings nicht unmittelbar miteinander verglichen werden können; sie können es darum nicht, weil „Schlüsselbegriffe unterschiedlicher Argumentationssysteme […] nicht unmittelbar miteinander verglichen werden [können]“,22 sofern „dieselben Wörter […] für verschiedene Sachverhalte eingesetzt“ werden.23 Bedenkt man aber über die Verflechtung von Erkenntnis und Erkenntnissituation (vgl. N 38) hinaus das den Aktualisierungen in Bonhoeffers Theologie Gemeinsame – die hier herausgearbeiteten Grundannahmen –, dann darf für die Vergleichbarkeit der theologischen Entwürfe und die Einheitlichkeit des Werkes ebenso behauptet werden: Einander widersprechende Wörter können für dieselben Sachverhalte eingesetzt werden; es ist insofern für Bonhoeffer denkbar und durchaus zutreffend, dass er ,Gegensätzliches‘ sagt, um ,dasselbe‘ zu sagen.24 19 20 21 22 23

Siehe oben Kap. 1.2. Siehe oben Kap. 4.9. Siehe oben Kap. 1.2. Gremmels, Erlösung und Emanzipation, 83. G. Sauter, Diskussionsbeitrag, in: W. Pannenberg u. a., Grundlagen der Theologie – ein Diskurs (UB/T-Reihe 603), Stuttgart 1974, 75; zit. n.: Gremmels, Erlösung und Emanzipation, 83, Anm. 19; Hervorhebung durch F.S. 24 Aus dem Gefängnis schreibt Bonhoeffer an die Eltern: „Kierkegaard hat schon vor 100 Jahren gesagt, daß Luther heute das Gegenteil von dem sagen würde, was er damals gesagt hat. Ich glaube, das ist richtig – cum grano salis.“ (Brief an die Eltern vom 31. 10. 1943; DBW 8, 178 – 180, 179 f) Die Hg. von WE (vgl. WE 179, Hg.-Anm. 6) verweisen an dieser Stelle auf Kierkegaard, Selbstprüfung, sowie auf Geismars Aufsatz „Wie urteilte Kierkegaard über Luther?“. Wahrscheinlicher aber scheint mir, dass Bonhoeffer in der Kütemeyer-Auswahl auf die zitierte These Kierkegaards gestoßen ist, in der es heißt: „Luthers Bestimmung ist eitel genommen“, und sie „muß, wenn sie wiederkommen soll, modificiert werden.“ (Kierkegaard, Papirer X,3 A576 [1850]) Es wird daher „Luthers wahrer Nachfolger […] zu dem direkt entgegengesetzten Resultat kommen als Luther, weil Luther auf die phantastische Uebertreibung in bezug auf Askese folgte, während er [sc. Luthers wahrer Nachfolger] auf den furchtbaren Betrug folgt, den das

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Eine angemessene Hermeneutik von Bonhoeffers Werk wird daher gerade auf das ,Unterhalb‘ der Aktualisierungen zu achten und das stets gleichbleibende theologische Fundament zu berücksichtigen haben – freilich ohne dabei die Situationsbedingtheit der Aktualisierungen zu übergehen. Sowohl für den wissenschaftlichen theologischen Diskurs als auch für eine Hermeneutik und Ethik, die – etwa im kirchlichen oder schulischen Kontext – über jenen Diskurs hinausgeht und nach der Aktualität Bonhoeffers fragt, muss gelten: Wir können Bonhoeffers Theologie nicht für uns in der Weise fruchtbar machen, dass wir sie inhaltlich nachsprechen und ihre Aktualisierungen wörtlich wiederholen. Wie sollten auch Bonhoeffers Antworten die unseren sein, wenn seine Fragen nicht die unseren sind? Hingegen aber scheint es lohnenswert – und dies hat diese Untersuchung zur „Nachfolge“ zu zeigen versucht –, sich mit Bonhoeffers theologischen Grundannahmen zu beschäftigen, um dann zu der Leistung dieser Grundannahmen vorzustoßen und sie für die eigene Gegenwart nutzen zu können. Es wird dann möglich, anstatt der je aktualisierten Antworten die Denkbewegung aufzunehmen, die Bonhoeffer zu seinen Antworten führte. In der Aufnahme dieser Haltung liegt eine bleibende Herausforderung der Theologie Dietrich Bonhoeffers.

Luthersche aus sich gebar.“ (Papirer X,3 A153 [1850]); zit. n.: ders., Der Einzelne und die Kirche, 124 (= Nr. 124) und 123 f (= Nr. 105).

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Abkürzungen Neben den Abkürzungen aus dem Abkürzungsverzeichnis der Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG4, Bd. 1, XX–LIV) werden folgende Abkürzungen verwandt (genauere Angaben zu der im Text abgekürzten Literatur finden sich im Literaturverzeichnis): AS DB

Dietrich Bonhoeffer, Akt und Sein (DBW 2) Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse. Eine Biographie DBW Dietrich Bonhoeffer Werke E Dietrich Bonhoeffer, Ethik (DBW 6) EC Søren Kierkegaard, Einübung im Christentum GL Dietrich Bonhoeffer, Gemeinsames Leben (DBW 5) GS Dietrich Bonhoeffer, Gesammelte Schriften N Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge (DBW 4) NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei SC Dietrich Bonhoeffer, Sanctorum Communio (DBW 1) SS Sommersemester SF Dietrich Bonhoeffer, Schöpfung und Fall (DBW 3) WE Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung (DBW 8) WS Wintersemester

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Register A. Personen und Namen Abraham 74, 78, 162 Adam 39 ff, 40–59, 113, 119, 150 ff, 159, 179, 223 f, 231, 244, 258 Ammundsen, Ove Valdemar 340, 342 Andrews, Charles Freer 369 Anselm von Canterbury 373 Arnd, Johann 39 Barth, Karl 35, 47 f, 50 f, 54, 65, 69, 76, 85, 89, 109, 126, 134, 154, 237, 267, 273–280, 300, 316 ff, 335 f, 344 f, 360, 366, 372 f, 382 Bell, George 335, 337–339, 371 Bethge, Dietrich Wilhelm Rüdiger 269, 394 Bethge, Eberhard 11–33, bes. 18 ff, 126, 142, 158, 165 f, 218, 252, 261–271, 309, 321–330, 352, 357, 361, 383 ff, 394 ff, 410 Bodenschwingh, Friedrich von 339 Bonhoeffer, Julie 333 ff, 338, 371 Bonhoeffer, Karl-Friedrich 278, 335, 365–368, 370, 374 Brunner, Emil 50, 60, 79, 91, 95, 113, 273, 301 f, 344 f, 376 Dehn, Günther Karl 373 Dilschneider, Otto Alexander 393 Dohnanyi, Hans von 29 Don Quijote (Figur des Cervantes) 343 Erasmus von Rotterdam 347 Ern, Richard 270

Feil, Ernst 12 ff, 16–32, bes. 20–25, 69, 153, 156–161, 190 ff, 197, 316, 397 Flice, Thedore de 337, 340 Gandhi, Mohandas Karamchand (Mahatma) 271, 366, 369 ff Gauger, Joachim 336 Godsey, John D. 19 Gogarten, Friedrich 28, 301 ff, 310, 323, 325 Gollwitzer, Helmut 341 Green, Clifford 16, 25 f, 33 Gremmels, Christian 5, 32 Gütter, Ruth 31 ff, 67, 95 ff, 397 Harnack, Adolf von 273 Heckel, Theodor 335, 338 f Heidegger, Martin 91 Henriod, Henry Louis 334, 336, 340, 342, 348, 376 Hildebrandt, Franz 35, 85, 91 f Hindenburg, Paul von 298, 339 Hitler, Adolf 12 f, 28, 30, 68 f, 101, 263, 268, 292, 298, 304, 308 f, 322, 326 f, 332, 339, 345, 358, 360, 366, 391 f Hodgson, Leonard 375, 379 Holl, Karl 61, 275 Hossenfelder, Joachim 293, 332 Kerrl, Hanns 380 Kierkegaard, Søren 9, 35, 38, 79, 85–89, 105–112, 121, 147 f, 155, 164 f, 180, 204, 252, 373 Koch, Karl 336, 339, 358 Kube, Wilhelm 392

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Register Lasserre, Jean 267, 395 f Latmiral, Gaetano 12, 391 f Leibholz, Gerhard 12, 366 f, 392 Leibholz, Sabine 366 f, 392 Levi der Zöllner 37, 64 ff, 71–81, 95, 110, 116, 256 Luther, Martin 35, 46, 50, 57 ff, 72, 78, 85 f, 91–96, 100, 109 ff, 124–136, 147 f, 154, 159, 163–166, 171–176, 181–185, 195, 203, 205, 211, 214 f, 226, 228, 252 f, 267, 273, 276 f, 290, 302, 324 f, 329, 347, 350 ff, 366, 376, 381, 395, 405, 411 f Mayer, Rainer 16–33, bes. 20, 76, 190 f Meiser, Hans 358 Müller, Hanfried 17 ff, 27, 32 f, 67, 72, 79, 95–99, 119, 127 ff, 140, 182, 190 f, 226, 398 Müller, Ludwig 332, 335–338, 358 Niebuhr, Reinhold 358 f, 371 Parpert, Friedrich 164 Paulus 57, 84, 103, 117, 125–129, 137, 172, 174, 177, 181, 206 f, 334, 400 Peters, Tiemo Reiner 26 ff, 33 Petrus (Simon) 37, 64 ff, 73–82, 106, 110, 141, 362 ff, 397

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Sandegren, Paul 269 Sasse, Hermann 333, 366 Schauer, Friedrich 377 f Schleicher, Rüdiger 29, 298 Schönberger, Gustav 339 Schönfeld, Johannes (Hans) 340 Schröder, Baron Bruno 339 Schütz, Paul 300 Seeberg, Reinhold 140, 275, 335 Strohm, Christoph 29 f Strunk, Reiner 28 f, 33 Sutz, Erwin 11 f, 15, 101, 266, 268–271, 275, 278, 283 f, 301, 325, 331 f, 335, 343–346, 359 f, 362, 366, 368, 370–377 Thomas von Kempen 217 Thurneysen, Eduard 193 Tietz, Christiane 32, 67 ff, 76–81 Tillich, Paul 277 Vibrans, Gerhard 375 Vilmar, August Friedrich Christian 400 Weber, Max 317 Wedemeyer, Maria von 233 Wurm, Theophil 358 Zinn, Elisabeth 367 f Zoellner, Wilhelm 376

B. Schriften Bonhoeffers Angeführt ist eine Auswahl der im Text zitierten Schriften Bonhoeffers. Aufrufe, Berichte, Predigten, Protokolle und Rundbriefe können unter diesen Begriffen in Abteilung „C. Sachen und Orte“, Briefe an und von Bonhoeffer unter „A. Personen und Namen“ nachgeschlagen werden. Akt und Sein (1930 bzw. 1931: DBW 2) 40 ff, 69, 74, 79, 110, 117, 152, 159, 235, 277, 406 An die Nationalsynode der Deutschen Evangelischen Kirche (Erklärung

Berliner Pfarrer, 1933: DBW 12, 141–144) 336, 358 Ansprache auf der internationalen ökumenischen Jugendkonferenz in Gland (1932: DBW 11, 350–357) 283, 296, 298, 312, 345, 348, 351, 354

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Register

Besprechung und Diskussion systematisch–theologischer Neuerscheinungen (Vorlesung, 1932/33: DBW 12 153–178) 113, 273, 300–303, 309 f, 323, 325 Brief Bonhoeffers an Eberhard Bethge vom 21. Juli 1944 (WE 541–543) 13, 15, 26, 266, 357, 391–402 Christologie (Vorlesung, 1933: DBW 12, 279–348) 44–47, 50, 62, 83–91, 122 ff, 274, 319, 328–331 Christus und der Friede (Vortrag, 1932: DBW 12, 232–235) 352 f, 360, 368 Das neue Leben bei Paulus (Vorlesung, 1936: DBW 14, 602–623) 50–60, 86, 90 Das Recht auf Selbstbehauptung (Vortrag, 1932: DBW 11, 215–226) 370 Das Wesen der Kirche (Vorlesung, 1932: DBW 11, 239–303) 42, 115, 117–121, 274, 276–296, 304, 312–315, 318, 343, 345, 350, 353 f, 373 Dein Reich komme! Das Gebet der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden (Aufsatz, 1933: DBW 12, 264–278) 306 ff, 315, 324, 355 f Der Arier-Paragraph in der Kirche (Thesen, 1933: DBW 12, 408–415) 334 f Der Führer und der Einzelne in der jungen Generation (Vortrag, 1933: DBW 12, 242–260) 308 Die Bekennende Kirche und die Ökumene (Aufsatz, 1935: DBW 14, 378–399) 368 f, 373, 380 Die Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts (Vorlesung, 1931/32: DBW 11, 139–213) 137, 191, 267, 269, 272–278, 283, 287, 345 f, 372 f Die Kirche und die Welt der Nationen

(Thesenpapier zur Fanø-Konferenz, 1934: DBW 13, 295–297) 360 ff Die Kirche vor der Judenfrage (Aufsatz, 1933: DBW 12, 349–358) 12, 15, 27 ff, 249, 262–265, 294, 299, 304, 308–328, 331, 334, 341, 343, 346, 350, 363, 391–394, 404 Ethik (1949, posthum: DBW 6) 14, 17–28, 45, 54, 115, 152, 156–171, 191–200, 215 f, 258–264, 266, 399–402, 407–412 Gemeinsames Leben (1938 bzw. 1939: DBW 5) 18, 21, 48, 182 Gibt es eine christliche Ethik? (Seminar, 1932: DBW 11, 303–313) 279, 282, 301, 385 Glaubst du, so hast du (Erster Katechismusversuch, 1932: DBW 11, 228–237) 91, 272, 275 Grundfragen einer christlichen Ethik (Vortrag, 1929: DBW 10, 323–345) 245, 267 f Grußwort in Ciernohorsk Kfflpele (1932: DBW 11, 347–349) 298, 345 Homiletik (Vorlesung, 1935/36: DBW 14, 478–530) 134, 363, 385, 389 Homiletische Übungen (1935: DBW 14, 318–359) 49, 51, 54, 57, 90 Homiletische Übungen (1935/36: DBW 14, 592–596) 380 Jesus Christus und das Wesen des Christentums (Vortrag, 1929: DBW 10, 302–322) 273 Kirche und Völkerwelt (Vortrag, 1934: DBW 13, 298–301) 104, 215, 265, 298 f, 340 ff, 348 f, 363 f, 368 f, 391 ff, 404 Konfirmandenunterrichtsplan (Zweiter

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Register Katechismusversuch; Vortrag, 1936: DBW 14, 786–819) 44, 153, Lehrveranstaltung zur Beichte (Thesen, 1936/37: DBW 14, 749–750) 182 Memorandum an die ökumenische Jugendkommission (1935: DBW 13, 278–279) 343 Memorandum der Pfarrer Londons (1934: DBW 13, 95–96) 335 f Nach zehn Jahren (Rechenschaftsbericht, 1942/43: WE 19–39) 201, 398, 401 Personal- und Sach-ethos (Studie, um 1941: DBW 16, 550–562) 327 f, 393 f, 399 ff Protokoll Bonhoeffers für die St. PaulsGemeinde (5.11.1934: DBW 13, 214 f) 338 Sanctorum Communio (1927 bzw. 1930: DBW 1) 42, 54, 78, 117 f, 120, 152, 161, 406 Schlüsselgewalt und Gemeindezucht im NT (Vortrag, 1937: DBW 14, 829–847) 390 Schöpfung und Fall (Vorlesung/Buch, 1932/33) 39–50, 104, 150, 299, 355 Seelsorge (Vorlesung, 1935/36: DBW 14, 554–591) 379

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Staat und Kirche (Gutachten, um 1941: DBW 16, 506–535) 325 ff Stationen auf dem Wege zur Freiheit (Gedicht, 1944: WE 571–572) 111 Theologische Psychologie (Dogmatische Übungen, 1932/33: DBW 12, 178–199) 68 ff, 85, 109, 299, 349 Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte (Vortrag, 1936: DBW 14, 399–421) 125, 354, 379 Von Barmen nach Oeynhausen (Skizze zum Votum, 1936: DBW 14, 597–601) 379 f Was ist Kirche? (Aufsatz, 1933: DBW 12, 235–239) 304 ff, 312 ff Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft (Aufsatz, 1936: DBW 14, 655–680) 182, 185–189, 209, 255, 294, 341, 366, 375 f, 390 Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit (Vortrag, 1932: DBW 11, 327–344) 74, 220, 267, 272, 281–292, 296 f, 300, 309, 312 ff, 318 f, 324, 346 f, 360, 362, 394, 406 f Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit (Thesen zum Vortrag, 1932: DBW 11, 344–347) 287, 296, 314

C. Sachen und Orte 21.7.1944: s. Abteilung „B. Schriften Bonhoeffers“: Brief Bonhoeffers an Eberhard Bethge Abendmahl 130, 180–183, 207, 284 Abgrenzung (von Welt, Sünde, Irrlehre)

31, 155–189, 258–261, 280, 296, 314, 354, 408 f Absonderung 22, 154 f, 158, 160, 169, 171, 177, 179 f, 183 f, 189, 202, 357, 405, 409 Allmacht, allmächtig 25, 66, 110, 239, 340, 349, 364, 397

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Register

Altonaer Bekenntnis (Das Wort und Bekenntnis Altonaer Pastoren in der Not und Verwirrung des öffentlichen Lebens, 1933) 308 Altpreußische Union 68, 292, 333, 371, 377 ff, 383 f Andere (der) 48, 112 f, 149, 155 f, 196–201, 212–219, 225, 232 f, 235, 246, 252, 260, 263, 294, 365, 368, 398–401, 407, 409 f; vgl. Dasein Anerkenntnis Christi 48, 50, 59 ff, 66, 82 f, 89 f, 95 ff, 110 f, 132, 152, 258 Angriff 110, 165, 171 ff, 178, 400 Angst, Furcht 82, 177, 206, 225, 243, 342, 347–351, 356, 360 f, 366 f, 381, 400 Anspruch (Christi) 80–106, 122, 131, 159–174, 190–194, 201 ff, 234–251, 287 ff; (der Kirche) 183–189 Anteil, Teilhabe, teilhaftig 51–56, 60–63, 109, 114, 128 ff, 134 f, 145, 167, 181, 192, 194, 207, 209 f, 213, 218, 259, 387 Antichrist, Antichristentum, antichristlich 169, 246, 308, 375, 382, 400 Apostel 84, 133 f, 175, 220 f, 237 f, 240, 242, 254 Arche (Noah) 161 Archimedischer Punkt 169, 175 Ärgernis (des Rufes Jesu Christi) 82–93, 122, 209 Arierparagraph 12, 103, 168, 249, 299, 308, 315, 318, 328–336, 358, 366 Armut, arm 68, 72 ff, 81, 92, 102, 197, 204, 213, 217, 224, 233, 235, 240, 270, 312 Auflehnung 175–178, 259, 261, 303, 394, 406 Aufruf 331, 339, 377, 382 Augsburg 375 Außerordentliche (das) 164 f, 199, 201–206, 231, 260, 287 f Auswärtiges Amt 349 Autorität 25 f, 84, 297, 300, 307 f, 315, 319, 330, 346 f, 350, 406; vgl. Vollmacht

Bad Oeynhausen 378 ff Barcelona 245, 267 f, 273 Barmen, Barmer Theologische Erklärung, Barmer Bekenntnissynode 12, 158, 336, 341 ff, 364, 370 f, 375–380 Begierde 94, 135, 170, 179, 226, 231 Beichte 58, 180–183, 189, 285, 307, 381, 400 Bekehrungsbericht 367 Bekennende Kirche, Bekenntniskirche 11, 29 f, 39, 186, 209, 219, 221, 246 f, 251, 254 f, 278, 316, 327, 330, 335–341, 358–390, 406 f Bekenntnis 58, 61, 106, 111, 163, 174, 180 ff, 186–189, 200, 212, 274, 277, 280 f, 309, 318, 330–348, 357–379, 387 Bekenntnisfront 22, 342, 345 Bekenntnisschriften (BSLK, BSRK) 131–134, 325, 393 Bekenntnissynode 158, 336–343, 358, 364, 370, 375–378, 381 Belgard 384 Bergpredigt, Auslegung Mt 5–7 11 f, 27, 30, 125 ff, 156–233, 243 f, 255 ff, 278, 285, 344, 359, 362, 366–374, 383 Bericht, Hauptbericht, Jahresbericht 201, 269, 271 f, 281, 283, 318, 359 ff, 363, 367, 381–385, 398, 401; Bekehrungsbericht: s. dort; Rechenschaftsbericht: s. Abteilung „B. Schriften Bonhoeffers“: Nach zehn Jahren Berlin 111, 267–272, 277, 292, 299, 308, 331, 336–339, 358, 366, 370, 372, 391 Beruf 22, 38, 65, 75, 92, 144, 165, 171–175, 176 ff, 245 f, 303, 392; vgl. Ordnung Bethel, Betheler Bekenntnis 321, 333, 366 Betrug 412; vgl. Selbstbetrug Bewahrung 142, 145, 147, 154, 160, 177, 195, 222 f, 230, 232, 259, 315, 408; vgl. Heiligung bezeugen: s. Zeugnis

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Register Bild: s. Ebenbildlichkeit Bindung (an Jesus Christus, an die Welt) 37 f, 60–143, 163, 174 f, 192–196, 205 f, 209–220, 233, 238–250, 385–389; vgl. Gemeinschaft Blick 41, 46, 44, 62, 69, 77, 80, 84, 91, 109, 147 ff, 188, 193, 203, 205, 226, 231, 233, 236, 241 ff, 254, 357, 365, 380, 388, 411 Blut 152, 168, 181, 249 f, 293 Böse, das/der 23, 27, 70, 177 f, 199, 206, 213–217, 229, 234 f, 259, 261 ff, 302, 304, 368, 391, 399 f, 406 böse: s. gut Boten 212, 217–221, 225, 237–244, 254–257, 398 f Bruch (mit bisherigen Bindungen, Existenz, Welt, Sünde, natürlichen Gegebenheiten) 48–59, 78, 93 f, 135–138, 146, 152, 202, 386; (in Bonhoeffers Werk/Theologie): s. Entwicklung Bruder 181–184, 187, 196–201, 205, 213, 216, 233, 236, 260 f, 370, 372, 381 Bruderdienst, Bruderliebe 109, 144, 166, 196–201, 262, 351, 365 Bruderhaus 174, 374 f, 382–386 Bruderrat 336 f, 371, 378 Bruderschaft 113, 182, 363, 370, 382, 384 Buße, bußfertig 58, 99, 105, 179–184, 206, 231, 245, 390 Cambridge 269, 271 f, 281 Cantus firmus 410 Christologie 14, 21 ff, 44–50, 83–91, 115–128, 130 ff, 139 f, 150–154, 163, 219 f, 258, 274 ff, 311, 319, 328 ff, 407 ff Christus (als Gemeinde existierend) 115–128, 267, 407; (praesens) 116, 122–127, 133, 267, 277, 283–296, 319, 329, 346, 362, 407, 410; s. Christologie Christusethik 192, 195, 236; vgl. Ethik

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Christuswerk(e) 53, 206 f, 216, 220, 229, 238 f, 256 Christuswirklichkeit 20, 54, 153–159, 166, 190 f, 200, 258 f Ciernohosk Kfflpele 282 f, 287, 298, 341; vgl. Weltbundarbeit corpus Paulinum: s. Struktur der N Dahlem 341, 375–378 Dämon, dämonisch 87, 257, 283, 362 Dasein (für Andere, für Christus, für die Welt) 22 ff, 196–201, 207, 209–217, 232, 259 f, 263, 360, 399, 405–410; vgl. Stellvertretung Demut 47, 105, 180, 188, 206, 224, 239, 356 ff, 364, 380 Demütigung 312, 345, 402 Denken in zwei Räumen: s. Raum Deutsche Christen 12, 112, 249, 292 f, 299, 309, 315, 320, 331–334, 336, 342, 376, 382 Dialektische Theologie 35, 89, 267, 273 ff, 301, 350 Dichotomie: s. Wirklichkeitsverständnis Dienst 22, 25 f, 31, 146, 166–169, 177, 183, 196–201, 221, 232 f, 236, 240, 242, 246, 251 f, 262, 280 f, 291, 295, 305, 311 f, 334, 365, 372 f, 381, 384, 389, 397–400, 409 Diesseitigkeit, diesseitig 13, 197, 260, 356 f, 368, 394–398, 402 Dogma 280 f, 285 f, 291 f, 318 Dokesie, doketisch 44, 60, 85, 222, 329 Ebenbildlichkeit 39–56, 61, 207, 222 ff, 236 Ehre 196 f, 199, 212 ff, 235 f, 245, 365 Eigentum (der Mensch als) 54, 114, 134–138, 149, 155, 158, 160, 170, 179, 231, 235, 251, 287, 289, 353, 387, 407; vgl. Herrschaft Einfalt, einfältiges Tun, einfältiger Gehorsam 68 ff, 76 ff, 95, 102–109, 132,

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139, 154, 188 f, 192 ff, 205, 231, 242, 350–353, 357, 406; vgl. Gehorsam Einheit (der Schrift) 124–128; vgl. Hermeneutik; (von Bonhoeffers Werk): s. Entwicklung Einzelne (der) 48 f, 53 ff, 82 ff, 112–122, 137, 182, 260, 274, 282 ff, 386–391 Ekklesiologie 115–123, 130 f, 159 f, 165, 184 f, 276 ff, 304 ff, 309–328; vgl. Individualisierung England 335, 338 f, 376 Entfremdung 245, 251 Entsagung 135, 164, 204 f Entscheidung (des Menschen, der Kirche) 56, 60, 72, 79, 82, 89 ff, 106, 116, 131 f, 134, 185–195, 236–240, 248, 251, 282, 296, 306, 318–327, 330 ff, 338, 341–352, 359 ff, 376–389 Entwicklung (Bonhoeffers theologische) 14 f, 33 ff, 14–36, 43, 110, 117, 155 f, 161, 191, 215 f, 230, 234, 247, 258–264, 288 f, 265–402, 321-325, 350, 391, 395, 401–412 Erbarmen 45, 151, 212, 236, 241, 243, 254 Erhaltungsordnung 176, 286 f, 310 f, 319 Erkenntnis Christi: s. Anerkenntnis Christi Erleiden: s. Leid Errettung (im Gericht) 161, 226, 228–234, 259 f, 289, 408 Erwählung 140, 146, 231, 262; vgl. Prädestination Eschatologie 228–234, 259 ff, 271, 346, 397 Eselsohr 5, 10, 19, 80 Ethik (kirchliche, christliche, theologische, weltliche, politische), das Ethische 17, 29, 31 ff, 38, 43, 140, 190–198, 203, 234 ff, 267–276, 282 ff, 300 ff, 324, 344 f, 353, 393; Problem des Ethischen 268–300, 325, 344 ff, 353 Ethische (das): s. Ethik ethischer Konflikt 70, 82, 103–107, 167–172

Evangelium 83, 106, 130, 139, 154, 164, 180, 185, 195 f, 198, 208, 225, 227, 236–240, 244, 251, 253 ff, 269 ff, 283 ff, 291 f, 296, 298, 304, 310, 313 f, 334, 336, 350, 353, 358, 360, 369 f, 375–383, 388 f, 398 Evangelium und Gesetz 154, 180, 185, 358 Exegese 33, 127, 140 f, 234–258; vgl. Hermeneutik Exerzitium 11, 344 Existenz (der Kirche, des Menschen), Existenzweise (Christi, des Menschen) 32, 38, 53, 58–80, 93 f, 99, 104, 114, 117 f, 125, 131, 136 f, 141, 146, 162–167, 202 f, 231 ff, 260 f, 275, 296, 315, 318, 328, 362 ff, 387, 391, 404 f Existenzweise: s. Existenz facere quod in se est 72, 75 f Fakultät(en) (theologische) 174, 269, 272, 276 ff, 281, 372 ff, 382 Fanø 104, 215 f, 299, 339, 340–345, 349, 360 ff, 368 f, 404 Feind 69, 83, 112, 118, 149, 154 f, 158, 166, 172, 179, 198 ff, 203, 216 ff, 223, 237, 245, 250, 254, 277, 348, 353, 368, 382, 390, 408 Feindesliebe 203, 216, 353; vgl. Feind sowie Liebe Finkenwalde 11, 26, 44, 49 ff, 113, 263, 270, 278, 325, 335, 365 f, 372–375, 378, 380, 382–389, 405 Fleisch 44–59, 62 f, 83, 86, 91, 122, 131–134, 137, 146–151, 158 ff, 163, 179 ff, 205 ff, 221, 224, 244, 274, 287, 346, 382, 400, 405 Flucht (aus der Welt, vor dem Gebot) 39, 82, 102–111, 162 ff, 176, 182, 198, 202, 220, 260, 355, 397 Flugblatt 331, 333, 358, 377 Frage (fromme, scheinheilige) 40, 50, 84 Freiheit (evangelische, des Menschen,

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Register der Tat) 18, 33, 77 ff, 90, 103 f, 108–112, 131, 139, 220, 276, 290, 400 f Freikirche 336, 366 freiwillig 68, 73 f, 81, 102, 204, 214, 245 Fremdling 189, 197, 213, 235 Freude 106, 110, 149, 206, 211, 221, 361, 385, 400 Frieden, Friedensgebot, Friedensfrage 46, 50, 60, 103 f, 118, 149, 151, 208, 235, 265, 267, 271 f, 282 f, 286 f, 298 f, 337–353, 360–368, 382, 393, 404 Friedensfrage: s. Frieden Friedensgebot: s. Frieden Frucht (des Glaubens) 96, 146–149, 187, 205 ff, 210 f, 231, 242 Führer 68 f, 308, 327 Fürbitte 200, 217, 221, 399 Furcht: s. Angst Gebet 110, 179, 198, 200 f, 217, 221, 246, 294, 343, 351, 362, 381 ff, 399 f Gebot 33, 37–42, 69–73, 82, 90, 94, 96, 101–111, 125, 131 f, 139 f, 154, 163, 163–171, 188–195, 198–201, 205 f, 216, 232, 236, 240, 253, 255, 257, 261, 267 ff, 273, 276, 279–325, 340, 344–354, 361–370, 379, 393, 401–405 Gehorsam, Ungehorsam 65–84, bes. 67 ff, 132 f, 139, 188 ff, 193–198, 201–206, 216, 224, 231, 273 ff, 295, 323 ff, 343–364, 368–379, 390, 400 f, 404 ff; vgl Glaube und Gehorsam Geist: s. Heiliger Geist Gemeinde 63 ff, 115–128, 154–233; vgl. Gemeinschaft Gemeindezucht, Gemeindezuchtverfahren 180–189, 291, 400, 405 Gemeinschaft (der Nachfolgenden/ Glaubenden, mit Jesus Christus, mit Christi Leib, Kirchengemeinschaft) 54, 56, 59–70, 73–76, 83, 90–95, 99, 102, 106–123, 128–145, 160, 162 f, 167 ff, 174–189, 193, 197–200,

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207–218, 233 ff, 255 ff, 290, 334, 360–366, 375–390, 405 f Gerechtigkeit (bessere, Christi, Gottes, durch Werke) 27 f, 50–53, 56–60, 66 f, 96 ff, 109, 123, 132, 137, 145–151, 193–206, 213 f, 220, 223, 226–236, 274 f, 302 f, 365, 397 Gericht (Christi, Gottes, jüngstes, letztes) 17, 50–57, 71, 102, 136–140, 151 ff, 186–189, 200, 226, 228–235, 241 f, 249, 259, 282, 287, 294, 398 Geschichte 29, 46 f, 62, 82, 86 f, 152, 166, 244 f, 281 ff, 309–314, 317 f, 328 f, 349 Gesetz (rechtlich) 12, 68, 183, 249, 299, 308 ff, 333–341, 366, 380 f, 404; (theologisch) 42, 49 f, 59, 65 f, 76–80, 83 f, 102, 107, 109 f, 154, 160 f, 166 ff, 170, 180, 185, 191 ff, 209 ff, 218, 229, 235, 237, 243, 254, 256, 273 f, 285, 293, 301, 304 f, 328 ff, 364, 401 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 12, 249, 308 Gestalt, Gestaltung (zum Bilde Christi) 39–61, 85 ff, 117, 146, 162, 222–228 Gethsemane 13, 208, 396 Gewaltlosigkeit 27, 216, 231, 344, 369 Gewissen 41, 70, 103 f, 111, 231, 243, 300, 306, 308, 381, 401 Gewissensethik 70 Gewissheit 39, 89, 149, 182, 241, 318, 324, 367, 386 Gland 283, 296, 298, 312, 345, 348, 351, 354 Glaube und Gehorsam 33, 38, 56, 66–112, bes. 92–98, 129, 206, 301, 347, 352, 405 Glaubensbegriff 33, 38, 56, 81–93, 98 ff, 110 ff, 139, 275, 352, 356 f, 363, 395 ff Glaubwürdigkeit, glaubwürdig 240, 362 f, 390 Gleichförmigkeit (der Christen mit der Welt) 162–165, 198, 405, 409 Gnade 13, 38 f, 55 ff, 98–112, 136, 139 f,

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Register

151, 164 ff, 180 ff, 188, 193 ff, 206, 208, 224–229, 245–248, 252 ff, 257, 262, 273 ff, 301, 352, 390, 405; (billige) 39, 58, 78, 99 f, 103–112, 139, 141, 163–166, 172, 180 f, 206, 252–257, 262, 327, 350, 352, 370, 390, 405; vgl. Voraussetzung; (teure) 39, 98 f, 105–109, 136, 139, 154, 180, 182, 224 f, 228, 252 ff, 262, 276, 357, 370, 390, 405; vgl. Resultat Golgatha 117, 170, 219, 246, 363 Gottesdienst 138, 157, 163 f, 166, 169, 172, 175, 182, 196–202, 291, 304, 365, 389 Grenze 41–47, 168 ff, 174, 183–189, 253–257, 289–329, 356, 394, 399, 405, 408 ff gut (und böse) 41, 87, 103 f, 192, 352 Handeln (dritte Möglichkeit unmittelbar politischen Handelns), dem Rad in die Speichen fallen 12, 15, 28, 249, 295 ff, 299–346, bes. 308–328, 350, 363, 391–394, 403 ff Häresie 44, 85, 88, 280–292, 318, 329 ff, 341, 346, 366, 373, 387; vgl. Irrlehre Hauptbericht: s. Bericht Heil 46, 54 ff, 63 f, 122, 130 f, 183, 194 f, 228 ff, 236–242, 254 f, 259 f, 294, 388, 398 ff Heiligen (die) 139 f, 144–149, 153 ff, 158 ff, 179 ff, 186–190, 196 ff, 205, 222, 228, 230, 259, 260 f, 288–290, 361, 390, 392, 396 Heiliger Geist 115–123, 133–138, 146–149, 160 f, 170, 177 ff, 188 f, 202, 206, 230, 259, 284, 377 ff, 408 Heiligkeit 144–149, 171, 180, 231, 255, 288, 401 Heiligung 18, 33 f, 144–264, 275, 401 Hermeneutik 33, 101, 124–128, 138–142, 234 ff, 258 ff, 274, 292, 412 Herrschaft (Christi, der Welt, der Sünde), Selbstherrschaft 40 ff, 53–61,

94, 114, 120, 135, 145 f, 156–160, 168–170, 258 f, 279, 294, 326; vgl. Machtwechsel Himmelfahrtsbotschaft 338 Hinterweltertum 355–358 Hirten, Hirtendienst 183, 242, 246, 251–256, 262, 383 Historisch-kritische Bibelauslegung: s. Exegese Hochmut 180, 351, 356 ff, 361, 364, 397 Hoffnung (v.a. Bonhoeffers) 111, 141 f, 161, 198, 215, 261, 269, 271 f, 278, 297 f, 321–324, 335, 340, 368 f, 373, 377, 381, 391 f, 402, 406 homologische Sprache: s. Sprache Ideal, Idealität, ideal 37, 45, 70 ff, 75, 77, 90, 99, 118, 148, 179, 193, 217, 287 ff, 310, 317, 320, 355, 360 f, 369 Idee 44, 64, 105, 225, 332 imitatio Christi 217, 226 f Incognito Christi 82–93, 122, 139; vgl. Sichtbarkeit Indien 271, 366, 369–372 Individualisierung 118, 278, 280, 325 Inhalt, Inhaltslosigkeit (der Gebote, der Nachfolge, des Rufes) 37 f, 41, 70, 73 f, 81, 90 f, 100, 103, 127 ff, 143, 193, 286, 302, 330, 348, 350, 383 f Irrlehre 174, 185, 189, 318, 330, 334, 360, 374–378, 384, 390; vgl. Häresie Israel 243–258, 262, 324, 389; vgl. Juden iustitia civilis 77 f, 203, 363 Ja 274 f Jahresbericht: s. Bericht Jenseitigkeit 197, 356, 368, 397 Jerusalem 358 Jesus (historischer Jesus, geschichtlicher, gegenwärtiger Christus) 89, 123 f; s. Christologie Juden, jüdisches Volk 168, 244, 248–251; vgl. Judenfrage

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Register Judenfrage 12, 15, 27 ff, 234, 249, 262 f, 299, 304, 308–335, 341 ff, 391 ff, 404 Judenmission 103, 249 f, 293, 315 Jüngling: s. Reicher Jüngling Jungreformatorische Bewegung 331 f Kampf 12, 22, 50, 109, 129, 160, 166, 169, 171, 176, 178 ff, 215, 221, 225, 242, 254, 266, 268, 271, 279, 287, 295–299, 314 ff, 331, 343 ff, 356, 359–390, 400, 403 f, 406; vgl. Kirchenkampf Kanon: s. Einheit der Schrift Kasuistik 183, 273, 318, 321 Katechismus 44, 91 f, 109, 135, 153, 182, 272, 275 Kindertaufe 264 Kirchengemeinschaft: s. Gemeinschaft Kirchenkampf 17 ff, 113, 184, 201, 219, 230, 299, 335, 337, 339, 343 ff, 350, 359 f, 364, 368, 371, 376, 379, 382–390, 398–408; vgl. Widerstand Kirchenwahlen 292, 331 f Kirchenzucht: s. Gemeindezucht Kloster, klösterlich 22, 94, 162, 164 f, 172, 198, 278, 355, 374, 384 Klugheit, klug 174, 241 f Konflikt (mit der Welt, mit dem Staat) 171 f, 253, 297, 317, 332–339; vgl. ethischer Konflikt Konkretion (der Verkündigung) 267, 276, 282–285, 325, 385 Konspiration 14 f, 156, 216, 230, 263 f, 321 f, 327 f, 391-402, 406, 409, 412 Kontinuität (von Bonhoeffers Werk): s. Entwicklung Konzil 280 f, 296, 302, 314, 318–326, 330 f, 335–346, 352, 368 f, 373, 391, 393, 404 f Kraftlosigkeit 269, 276, 282, 291 Kreuz (Jesu Christi) 42, 46, 50, 57, 90, 119, 123, 135 f, 198 f, 207, 210, 216, 219, 224 f, 244, 246, 259, 261, 329, 353, 399 Krieg 103, 108, 265, 267 f, 272, 283, 287,

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292, 298, 340–344, 361, 363, 368 ff, 393, 404 f Kritik (an Bonhoeffer) 15–32, 78 ff 96 f, 141 f, 160, 169, 255 ff, 320 Kultur, Kultus, Kulturprotestantismus 166 f, 267, 277 f, 310, 356 f, 374 Kulturkampf 358 Leben (der Christen) 21 f, 154–233, 271; vgl. Sichtbarkeit Lebensgeschichte 22, 258, 402 Lebensraum 167 Legalisierung 362, 381, 386 f Lehre 38, 63 f, 79, 84, 105, 134, 137, 144, 147, 167, 186, 195, 220, 236, 246, 252 ff, 273, 277 f, 281, 291 f, 318, 330, 336, 352, 364, 372–379, 383 f, 390; vgl. Irrlehre Leib (Jesu Christi, die Gemeinde als) 39–143, 167 f Leid, Leiden, Erleiden 11 f, 135, 207–224, 243, 246, 261 ff, 343, 348, 367 f, 377, 386, 391 f, 400, 406 Liberale Theologie 45, 273–276, 329 f Liebe 23–27, 39, 69, 96, 109, 144, 146, 149, 153–156, 179, 186, 188, 196–205, 213–217, 224–241, 245, 253, 260 f, 263, 268, 270, 289, 303, 310, 342, 351 ff, 356, 365, 368, 370, 392 f, 405 f, 408 f Lutherrat 376, 381 Machtwechsel 59, 94, 134 f; vgl. Herrschaft Maulkorberlaß 335 Mensch (alter, neuer) 53, 56, 59–61, 95, 112 ff, 117 f, 120, 128, 135–138, 147, 194, 229 Menschheit (alte, neue) 42–59, 89, 114–122, 131 f, 150–153, 167, 178, 198, 207–210, 219, 222 f, 234 ff, 250, 255, 279, 408 Menschwerdung 21, 38, 42–65, 74, 85, 88, 93, 105, 107, 119, 144, 148, 151, 159,

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Register

167, 170, 196, 198, 207, 220, 220, 222 f, 234, 243, 250, 258 f, 287, 290, 399, 407–410 Metanoia: s. Umkehr Missionsbefehl 196, 238, 240, 248, 262, 389 mitgekreuzigt 53, 58, 209, 224, 387 Mitte (Christus als) 41, 59 f, 66, 90, 274, 357; vgl. Mittler ; (kirchliche) 174, 374, 376 ff, 382 Mittler (Jesus Christus) 44–54, 64, 83, 92–95, 109–113, 135, 151 f, 158, 161, 193, 207, 223, 245, 260, 300 f, 328 f, 407 Möglichkeit (und Wirklichkeit) 41, 43, 50, 76–78, 83, 86 ff, 91 f, 124, 274, 285, 374 Mönchtum 164 ff, 278, 374 Mystik 18, 119, 217, 226

Obrigkeit 174–178, 259, 263, 302, 324, 326 f, 400; vgl. Staat Ohnmacht 66, 88, 110, 197, 214, 284, 397; vgl. Schwachheit Ökumene, ökumenische Bewegung 104, 215, 265, 270 ff, 281 ff, 291, 298, 321, 330, 335, 337–346, 348, 351, 359, 366, 368 f, 373, 380, 383 Ontologie, ontologisch, ontisch 20 f, 40, 74, 114, 117, 125, 147, 157, 159; vgl. Wirklichkeitsverständnis Opposition 11 ff, 24, 27, 332, 336 f, 343 ff, 359 ff, 366, 371–385, 405; vgl. Widerstand Ordnung 12, 71, 144, 157 f, 163, 166 ff, 171–179, 202, 161, 268, 285 ff, 292 f, 296 f, 302–329, 341, 377, 386, 393 f, 406; (und Recht): s. Recht Oxfordbewegung 360, 376 f

Nachahmung 227; vgl. imitatio Christi Nachfolge (Begriff) 37–39, 56, 63 ff, 93, 99, 127 f, 139, 143, 196, 209, 224, 303 f, 357, 404 f; vgl. Bindung Nationalsozialismus 11 f, 29 f, 69, 112, 118, 154, 167 f, 234, 244 f, 249 f, 255, 262, 268, 292 f, 298, 309, 332 f, 342, 344, 348, 358, 368, 380, 386, 405 Natürliche (das) 48 ff, 60, 71, 78, 84, 152, 166, 175, 203, 248, 273, 302, 386 Nein 274 f New York 266, 365, 395 nicht-religiöse Interpretation 17, 410 Not 47, 66, 168, 197, 199 f, 210, 212, 217, 224 f, 233, 243, 246 f, 254, 269 ff, 276 ff, 281, 308, 367, 369, 381 f, 398, 401 NSDAP 268, 292 Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt 32, 67, 69, 95 f, 100 f, 104, 139; vgl. Glaube und Gehorsam

paradox (Verständnis der Gebote) 41, 82, 103 f, 109; vgl. Hermeneutik Pazifismus 267, 352, 361 f, 366–369 pecca fortiter 147, 195 Perioden (von Bonhoeffers Leben und Werk) 16 f, 18–31, 197, 321, 352, 391, 398, 406 Perissn: s. Außerordentliche petitio principii 274 Pfarrernotbund 333 Philanthropie 144, 156, 196, 260 Pneumatologie 115, 121–124; vgl. Heiliger Geist politische Dimension (der N) 26–33, 167, 170, 196, 216, 245, 248 ff, 262 f, 297, 300 ff, 340 f, 363, 392 ff, 404 ff Politisches Handeln: s. Handeln Prädestination 139, 275, 294, 347 Pragmatik (der N) 234–258, 390 Predigerseminar 11, 278, 325, 335, 363–366, 371–384 Predigt 45, 101, 131–134, 181, 240, 245 f, 251 ff, 279–283, 295, 303 ff, 317, 330,

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Register 334, 363, 370, 373, 379 f, 383–390; vgl. Wort der Kirche Prinzip 29, 33, 105, 109, 125, 137, 140, 165, 173, 267, 273, 276, 283 f, 301 f Problem (des Ethischen): Ethik Protest 107 f, 164, 172–178, 287, 292, 337; vgl. Widerstand Protokoll 331, 336, 338 f, 376 Rad (dem Rad in die Speichen fallen) 12, 15, 265, 316 f, 320 ff, 326 f, 341, 363, 392 ff, 404; vgl. Handeln Rasse 168, 251, 293, 309, 332, 334, 368 Raum, Raumanspruch, Raumdenken, Denken in zwei Räumen 14, 17, 19, 23, 30 f, 33, 115 f, 138 f, 145, 152–170, 173 f, 179 f, 190–194, 198, 202, 249, 258–262, 388, 400, 407 f; vgl. Wirklichkeitsverständnis Recht 235, 364; (und Ordnung) 249, 312–334, 358, 363, 392 f, 404 recht 45, 64, 92, 100, 106 f, 110 f, 137, 155, 172, 187 f, 203, 212, 214, 221 f, 232, 241, 245, 252, 254–257, 262, 270, 272, 276, 278 ff, 304, 306, 310, 318, 341, 353, 355, 357, 371, 373, 378, 383, 386, 390, 400 Rechtfertigung (des Menschen) 13, 17 f, 33 f, 37–143, bes. 43–62, 93 ff, 105, 137 ff, 145–149, 179 f, 188, 190–195, 206, 211, 222 ff, 259 f, 273–277, 281, 301, 352 f, 401, 408 f Rechtfertigung (Gottes) 43–59; (und Heiligung) 146 f recte 279 f, 293; vgl. recht Reflexion 69 f, 148, 201–206, 226, 300, 352, 387 f Reformation, reformatorisch 17, 35, 51, 61, 96, 108, 125, 127, 164–167, 185, 203, 252–255, 322, 338, 350 ff, 359, 383, 405 Reformationsfest 350 ff Reguläre, das 201–206, 387 f Reich Gottes 109, 166, 178, 221, 229, 239,

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241, 244, 248, 256, 261, 275, 287, 294, 304–308, 315, 329, 355 ff Reicher Jüngling 64, 68, 71, 73 f, 81 f, 92 ff, 102–110, 131 Reichsbischof: s. Abteilung „A. Personen und Namen“: Müller, Ludwig Reichskirche 187, 292 f, 298, 332, 335 f, 338 f, 371, 375 f, 381 Reichskirchenregierung 335, 375 Reinheit (der Gemeinde), Reinsein 14 f, 146, 228–234, 259–261, 264, 288–291, 325, 398–401, 410 Religion, religiös 64, 69, 87, 118, 167, 175 f, 180, 216, 303, 309, 353, 355, 357, 373 Religionsstifter 195, 236 Rest (von Leiden) 210; (von Widerstand) 214; (Widerstandstat des Einzelnen als) 328 Resultat 103, 109 f, 350, 365; vgl. Voraussetzung Revolution 12, 27 f, 175 f, 302 f, 317, 321 ff Richten 187 Rigorosität 196 Röhm-Revolte 339 Ruf (zur Nachfolge, zur Taufe) 48 f, 63–116, 122, 128–145, 151–154, 160, 169–175, 186–195, 200–204, 211, 213, 221, 233–237, 241, 253, 256, 295, 354, 361, 384–390, 397 Ruhm, Selbstruhm 210, 214, 328 Rundbrief 26, 174, 378, 380 ff, 385 Sakrament 129, 158, 180 ff, 189, 253, 282–285, 328, 330, 334, 363, 389 Satan, satanisch 70, 108, 135, 169, 221, 364, 399 Schämen, Sichschämen 209, 218, 381 f Scheidung 186 ff, 240, 254, 281, 318, 331, 359, 376–379, 383 f, 388, 398; vgl. Schisma Schisma 333 f, 346, 366, 375; vgl. Scheidung

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Register

Schlange 40, 50, 103 f Schlüsselgewalt 160, 183–188, 390 Schmach, Schmähung 78, 156, 196–200, 210–214, 228, 233, 366 Schöpfer (Gott, Mensch als) 39–55, 61, 73, 136, 150, 159, 207, 221 f, 237, 313, 401 Schöpfungsordnung 150, 176, 268, 285 ff, 300; vgl. Ordnung Schrift: s. Einheit sowie Hermeneutik Schriftbeweis 382 Schriftgelehrter 62, 107 ff, 201, 243, 254 Schritt in die Nachfolge 65–112, bes. 65–80.93 ff, 123, 131–136, 142, 144, 259, 349, 387 f, 390, 397; vgl. Situation, in der geglaubt werden kann Schuld, Schuldigwerden, Schuldübernahme 14, 182, 184 ff, 197, 200, 208–219, 242, 244 ff, 251 f, 287, 341, 343, 364, 378 ff, 400 ff, 409, 411; vgl. Stellvertretung Schwachheit, Schwäche, schwach 42, 147, 169, 198 f, 212, 224 f, 227, 233, 242, 253, 355 Schwärmerei, Schwärmertum, Schwärmer, schwärmerisch 100, 105, 125, 127, 166, 216, 252, 302, 323, 355, 357, 397 Selbstbetrug 95, 99 f, 106, 110, 139, 141, 152, 252, 390 Selbstherrschaft: s. Herrschaft Selbstrechtfertigung: s. Rechtfertigung Gottes Selbstruhm: s. Ruhm Sendungsrede, Auslegung Mt 10 126, 140, 189, 243–258, 388 Sich verlassen 37, 65, 70–78, 82, 90–94, 111, 116, 131 f, 139, 142, 162 f, 173 ff, 200, 224, 233, 253, 255 f, 262, 349, 382; vgl. Wagnis Sicherheit 37 f, 81 f, 91, 110 f, 132, 139, 142, 161, 235, 340, 345, 349, 390, 397 Sichtbarkeit, sichtbar, Unsichtbarkeit, unsichtbar 20, 39, 63, 75–78, 85 f,

90 f, 99, 112 ff, 122, 129–138, 145, 151, 155 ff, 162–175, 189, 201–206, 222–225, 231, 255, 258 f, 271, 274, 291, 303, 329, 332, 354 f, 357, 362–365, 374, 386 ff, 405, 408; vgl. Incognito Christi sicut deus 40 ff, 54, 150 Siegel, Versiegelung 23, 156–161, 162 ff, 169 f, 177, 179 f, 189, 230, 259, 408; vgl. Heiliger Geist simul iustus et peccator 137 ff, 147 ff, 159, 275; vgl. Sünde Situation (in der geglaubt werden kann, des Glaubenkönnens) 65–112, 129–133, 135, 139 Sklave, Sklavenstand 173–178 Sodom (und Gomorrha) 249 Sorge 108, 175, 200, 240, 290 f, 293, 354, 381 soziale Frage 266, 269 f, 287, 292 f, 312, 365, 368, 403 Sportpalastskandal 335 Sprache (gesetzliche, homologische, homiletische) 183, 349, 361, 365, 406 St. Pauls-Gemeinde London 338, 382, 387 Staat 12, 27–35, 177 f, 249, 263, 268, 293–347, 355, 358 ff, 363–369, 377 ff, 392 ff, 404 f; vgl. Obrigkeit status confessionis 318 ff, 328–335, 341 Stellvertretung, Stellvertreter 18, 21, 46, 52, 60, 123, 93, 207–221, 224, 226, 233 f, 237, 241, 260, 364 f, 380 Sterben, Absterben (Christi, des Menschen) 52 f, 57 ff, 83, 87–90, 94, 111 ff, 135 f, 145–148, 151, 173, 179, 205, 208, 211 f, 217–220, 275, 329, 370, 390, 407; (des Christentums, der Kirche) 269, 271, 354, 369; vgl. Tod Struktur der N 62, 127, 136, 140, 222 Studentenbewegung 331 Substanz 162, 176, 180, 232 ff, 261, 291, 301, 306, 334, 346 f, 350–354, 358,

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Register 361, 363, 368, 377, 382, 391, 399, 404 ff Sünde, Sünder, Sündersein 40 ff, 46 f, 50–61, 66, 83, 87, 94 ff, 99, 104 ff, 113, 117, 134–137, 142, 145–154, 158 ff, 168 ff, 179–189, 195–198, 204 f, 208–214, 218 f, 224, 226, 231 f, 243 ff, 258–261, 282–290, 301 f, 353, 396, 401, 405, 408 Sündenfall: s. Sünde Sündenvergebung: s. Vergebung Synergismus 67, 76–79 Synoptiker 62, 64, 124–128, 140, 174 täglich 39, 111, 129, 136, 145, 148, 163, 167–173, 179 f, 183, 187, 189, 199, 202, 211 f, 217, 217, 219 f, 260, 371, 379, 381 f, 387, 390 Tat, Tun 40, 43, 55 f, 68, 70–76, 79, 84, 90, 92, 97, 101, 111 f, 121, 148, 162, 164, 169, 175, 178, 183, 201 ff, 205, 213, 215 f, 239, 261, 280, 286, 290, 316 ff, 327 f, 336, 353, 365, 370, 392, 401, 404, 409 Täter (des Wortes) 79, 186 ff, 229, 408 Taufe 94, 128–145, 151, 160, 169, 172, 179–186, 189, 207, 211 f, 217, 223, 255, 284, 388 ff Teilhabe: s. Anteil Teufel 83, 87, 129, 169, 180, 186, 221, 239, 283, 351, 362 Theologie (als Funktion der Kirche) 274, 277 f, 280, 345, 372 f; (als Kampfmittel) 372 f, 406; vgl. petitio principii Tod (Christi, des alten Menschen, des Sünders) 43, 46–59, 69, 72, 83, 88, 94 f, 112–120, 123, 129, 135 ff, 145 f, 148, 151, 154, 170, 179 ff, 193, 208, 211 f, 217–226, 260, 274 f, 370 Tragen 39 f, 55, 61, 78, 140, 183, 187 f, 200, 208–228, 234, 242, 249, 259, 262,

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292, 295, 326, 331, 364, 291, 400, 406, 408 Treueid 68

Übung 72, 110, 183, 400 Umfang 40, 145, 170, 183–189, 237, 244, 294; vgl. Grenze Umgestaltung 61, 222, 225; vgl. Gestaltung Umkehr 105, 183 f, 239 f, 396; vgl. Buße sowie Metanoia Umsturz 175 ff, 303, 322, 394, 406 Una Sancta 272, 292 Unentschiedenheit, die Unentschiedenen: s. Mitte (kirchliche) Ungehorsam: s. Gehorsam sowie Glaube und Gehorsam Unglaube 98–112, 356; s. Glaube Universalität (des Heilshandelns Gottes mit der Welt) 45, 48, 150–153, 166, 243, 246, 262, 274, 287 f, 407; vgl. Wirklichkeitsverständnis Universität 270, 272, 274, 276, 278, 281, 328, 338, 371–374 Unmittelbar politisches Handeln (der Kirche): s. Handeln Unmittelbarkeit (des Menschen zur Welt, zu Christus) 48–69, 93, 112, 127, 129 f, 135, 152, 250, 386, 407 f Unsicherheit: s. Sicherheit Unsichtbarkeit: s. Sichtbarkeit Utopie 215, 321 f, 356 f, 369 Verantwortung 25, 66, 70–75, 81 f, 108, 113, 156, 169, 172, 182, 192 f, 238, 249, 263, 280, 295, 306 ff, 312, 315, 321 f, 325 f, 342, 354, 358, 373, 392, 398–401, 409, 411 Verantwortungsethik 71, 75 Verborgenheit (Christi): s. Incognito Christi Verdienstlichkeit 76, 164, 255, 257 Vergebung 94, 99, 105, 137, 163 ff,

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Register

180–184, 213, 218, 242 f, 282–288, 292, 301 f, 307, 318 f, 347 Vergeltung 199, 214, 216 Verheißung 30, 42, 75, 108 f, 113, 178, 187, 194 f, 200, 206, 209, 213, 216, 218, 224, 234–243, 248–251, 254, 261, 271, 273, 279, 285, 294, 297, 301, 329, 352, 362, 364, 369, 377, 381 f, 385 f, 390, 399 Verkündigung 30, 44, 84, 125 f, 130 f, 158 f, 167 f, 173, 181, 183, 190, 192, 221, 237 ff, 253 f, 269, 272, 274, 276–304, 309, 312–318, 324–330, 334, 346–349, 362, 368, 373, 375–389, 403 Verlassen: s. Sich verlassen Vernunft, Verstand 70, 83 f, 87, 89, 92, 108, 367 Verschwçrung: s. Konspiration Versiegelung: s. Siegel Versöhnung 38, 42, 44–47, 53 f, 57 f, 60–64, 115, 150 ff, 158 f, 170, 191, 200, 208, 210, 217 f, 222 f, 258, 262, 283 f, 326 Verstand: s. Vernunft Verstockung 101, 184, 225, 360, 379, 389 Vertrauen 64, 68, 82, 92, 96, 113, 139, 186, 233, 240, 244; vgl. Wagnis Verweltlichung 164, 172, 253, 277 Verwerfung, Verworfenwerden 109, 136, 139, 153, 156, 163, 169, 203, 209, 213, 225, 239 f, 248 f, 254, 330, 365 f, 388, 398 Verzicht 13, 81, 110, 122, 135, 167, 178, 212 ff, 221, 231 f, 235 f, 286–289, 364 f, 384 Volk 48, 78, 82, 158, 194 f, 234–258, 262, 268 f, 279, 293, 363, 369 f Volkskirche 244–247, 269 Volksmission, Volksmissionsfahrten 384–389 Vollmacht 83 f, 238 ff, 283–301, 325, 340 ff, 345–372, 408 Vollzug (und Vollstreckung) 43–61, 93, 135, 137, 148, 152, 158, 169, 210, 219, 222 f, 274 f, 287, 388

Voraussetzung 71, 76, 96, 103, 109, 193, 215, 277, 279, 324, 373; vgl. Resultat Vorbild (Jesus Christus als) 84, 226 f, 273 Vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche 336, 378 f Vorwort (Bonhoeffers zur N) 131, 171, 174, 245 f, 251 Waffe 215 f, 265, 268, 340–345, 360–363, 368 f, 379 f, 382, 393, 404 Wagnis 67, 81 f, 89–97, 111, 133, 139, 188, 268, 285, 301, 318, 321, 327 f, 340–352, 397, 401, 404, 406 Wahlkampf 292, 331 Wahrhaftigkeit, wahrhaftig 46, 51, 64, 105, 116, 119, 133, 151, 181, 187, 200, 208, 226, 231, 254, 257, 292, 343, 360, 362, 364, 388, 405 Wahrheit 83, 90, 105, 126, 134, 149, 199, 242, 262, 273 f, 291 f, 296 ff, 313 f, 334 f, 343, 363, 368, 377, 380, 387 Wehrlosigkeit, wehrlos 214 f, 265, 368 f Welt: s. Weltverständnis Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen 340; s. unter Abteilung „B. Schriften Bonhoeffers“: Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit Weltflucht: s. Flucht Weltförmigkeit 39, 103, 162–166, 172, 198, 260, 290, 405, 408 f Weltfremdheit 103, 155, 162 f, 172 f, 189 Weltlichkeit, weltlich 21, 23 f, 155, 158 f, 165 ff, 172–179, 204, 259, 287–291, 294, 253 f, 258, 287, 293 f Weltverhältnis (Kirche/Christen und Welt) 31, 34, 103, 149, 154–233, 255, 263, 266, 287–290, 353–356, 394 f, 399, 408 f; vgl. Ethik Weltverständnis (Weltbegriff) 14, 21–28, 31, 33, 149–154, 156, 162, 191, 263, 266, 287, 354–357, 391, 397, 407–410 Wende (in Bonhoeffers Denken und

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Register Werk) 22, 25, 31, 197; vgl. Entwicklung sowie Bruch Werk(e) 17, 42 f, 53, 80, 96 f, 104 ff, 146–149, 179, 188, 196 ff, 201–206, 216, 220 f, 224, 228 f, 236, 253, 259, 351 f, 365, 398 Werkerei 146 Werkgerechtigkeit 67, 96 ff, 228; vgl. Gerechtigkeit Westfalen 358 Widerspruch 172–178, 261; vgl. Widerstand Widerstand, Widerstandsfigur, Widerstandsrecht, Widerstandsverständnis 12, 15, 27–30, 33 f, 177 f, 185, 214, 225, 261 ff, 304, 309, 320–328, 343 f, 368 f, 391–411 Wille 40 ff, 49, 51, 55, 57, 60 f, 74, 78, 82, 87, 101 ff, 109, 114, 116, 118, 123, 128, 133, 135, 151, 158, 167, 182, 195 ff, 202, 206, 208 f, 212, 221–228, 231, 239, 241, 245, 251, 260, 270, 283, 289 f, 354 ff, 361, 364, 380, 388, 398, 404, 411 Wirklichkeitsverständnis 17, 19, 23, 33, 150–161, 165 ff, 170, 258; vgl. Raum Wohnung (Gottes) 121, 207

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Wort (der Gemeinde, der Kirche, der Schrift) 45, 101, 122, 125 f, 130–134, 183 ff, 194 ff, 245–255, 269, 272, 279 f, 282–288, 291–306, 313–328, 331, 336–371, 376–383, 391–397, 404 f; vgl. Predigt; (Gottes, Christi, Christus als fleischgewordenes) 37–128, 130–134, 139–170, 182–188, 220, 225, 231, 234–243, 255, 279 f, 292 ff, 328, 334, 375, 388 ff; (als Tat) 280, 316 Wunsch 71, 141, 180, 231, 336 Würde 196, 218, 223, 235 f, 358, 364 f Zeugnis, bezeugen 30, 84, 116, 124–128, 133 ff, 158 f, 164, 167 f, 170–178, 189, 199, 212, 215, 218, 225, 228, 277, 304, 307, 310 f, 326, 337 f, 340 ff, 352, 368 f, 377, 380, 394, 407 Zingst 335, 372, 383 Zucht 110 ff, 179, 183, 249, 253, 395 Zug (versiegelter) 23, 161 Zuwendung (zur Welt) 24, 153–156, 189–234, 289, 354, 405, 408 f; vgl. Dasein Zwei-Reiche-Lehre 324 f, 329

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