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German Pages [448] Year 2016
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar und Christiane Tietz
Band 155
Nadine Hamilton
Dietrich Bonhoeffers Hermeneutik der Responsivität Ein Kapitel Schriftlehre im Anschluss an Schöpfung und Fall
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 0429-162X ISBN 978-3-525-56450-9 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck und Bindung: Hubert & Co GmbH & Co. KG, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier
Meiner Oma Emma Wirth
Vorwort βλέπομεν γὰρ ἄρτι δι’ ἐσόπτρου ἐν αι᾿νίγματι, τότε δὲ πρόσωπον πρὸς πρόσωπον·ἄρτι γινώσκω ἐκ μέρους, τότε δὲ ἐπιγνώσομαι καθὼς καὶ ἐπεγνώσθην. 1Kor 13,12
Die hier vorliegende Studie zu Dietrich Bonhoeffers Hermeneutik wurde im Juni 2014 vom Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander Universität ErlangenNürnberg als Dissertation angenommen, am 31. Oktober desselben Jahres wurde die zugehörige Disputation abgehalten. Für die Drucklegung wurde sie nur geringfügig überarbeitet. An dieser Stelle möchte ich meinen besonderen Dank all denjenigen aussprechen, ohne die diese Arbeit nicht hätte entstehen und zum Abschluss gebracht werden können. Allen voran sind hier meine beiden Betreuer Prof. Dr. Wolfgang Schoberth (Erlangen-Nürnberg) und Prof. Dr. Martin Hailer (Heidelberg) zu nennen, die mich beide bereits seit Beginn meines Studiums begleiten und fördern. Und so ist auch die vorliegende Arbeit ein Ergebnis dieser Zeit, ist die Idee dazu doch zu allererst aus einer kleinen Fußnote Bonhoeffers entstanden, die mich seit dem Hauptseminar „Die Theologie Dietrich Bonhoeffers“ im Wintersemester 2005/06 an der Universität Bayreuth bei Martin Hailer nicht mehr losließ und mich in meiner mündlichen Examensprüfung weiter beschäftigte. Er wie auch Wolfgang Schoberth haben diese Arbeit zuletzt angeregt und mit ihrer sorgfältigen und freundlichen Kritik ebenso wie mit ihren Ermutigungen zur rechten Zeit begleitet. Für die wissenschaftliche Freiheit, die mir bei der Arbeit an diesem umfassenden und komplexen Thema immer gewährt wurde, aber auch die nötige Führung in Zeiten, in denen die Ausrichtung dieser Studie unklar war, bin ich ihnen außerordentlich dankbar. Den Herausgebern der Reihe Forschung zur Systematischen und Ökumenischen Theologie danke ich herzlich für die Aufnahme in selbige Reihe, den Mitarbeitern vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die Hilfe bei der Herstellung der Druckfassung. Großzügige finanzielle Unterstützung für die Drucklegung erhielt ich von der Adolf-Loges-Stiftung, der Ilse und Dr. Alexander Mayer-Stiftung, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und der Internationalen BonhoefferGesellschaft. Die deutschsprachige Sektion der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft erkannte dieser Dissertation überdies den Bonhoeffer-Forschungspreis
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Vorwort
2015 zu und die Staedtler Stiftung zeichnete dieselbe mit dem Promotionspreis 2015 aus. Neben den wichtigen Gesprächen mit meiner Kollegin und Freundin Johanna Conrad waren mir besonders die kritischen Rückmeldungen meiner wissenschaftlichen Hilfskraft, stud. theol. Stephan Mikusch, eine große Hilfe. Dieser, Studienreferendarin Carolin Übel und stud. theol. Natascha Rühl haben auch die Mühen des Korrekturlesens mit ihrer großen Zahl an Anmerkungen nicht gescheut. Am Ende gebührt der größte Dank meinen Eltern, Renate und Reinhold Sauber, die mich zu jeder Zeit bestärkten und das noch immer tun, ganz besonders aber meinem Mann, Stephen Hamilton. Ohne ihn und seine Unterstützung in allem, was ein Dissertationsprojekt an Herausforderungen mit sich bringt, ohne seinen steten aufmunternden Zuspruch, aber auch seine hartnäckigen theologischen Rückfragen wäre diese Arbeit (so) niemals geschrieben worden. Erlangen, im Oktober 2015
Nadine Hamilton
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hermeneutische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Bonhoeffers Schöpfung und Fall und das Problem der Schriftauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Der derzeitige Stand der Forschung . . . . . . . . . . . 1.3 Zur Aufgabenstellung und zum inhaltlichen Überblick
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3. Zu Bonhoeffers existentialer Bibelinterpretation . . . . . . . . . . . . . 3.1 Bonhoeffer und Bultmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Vom wesentlichen Unterschied Gottes und des Menschen . .
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2. Über Bonhoeffers formale Bibelbetrachtung . . . . . . . . . 2.1 Das Problem mit der historisch-kritischen Methode . . 2.1.1 Vorurteilsfrei und kritisch . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Mit einem Wort über den Text hinaus . . . . . . . 2.1.3 Von offensichtlichen Brüchen und fraglichen Zusammenhängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Die Frage nach dem Gott, von dem da erzählt wird 2.1.5 Über Märchen und Mythen . . . . . . . . . . . . . 2.1.6 Zur Geschichtlichkeit eines historischen Textes . . 2.2 Eine Art frommer Biblizismus . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die Entdeckung des Wortes . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Gott spricht in der Schrift . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Wort für Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 In der einen ganzen Schrift . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Vom Ansehen des Wortes . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 Über Wirklichkeits- und Lebensbezug . . . . . . . 2.2.7 Prüfender Biblizismus und biblische Kritik . . . .
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Inhalt
3.1.2 Das Problem mit dem Verstehen: Die intellektuelle Redlichkeit des Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Die historische Bedingtheit des Glaubens . . . . . . . . . . 3.1.4 Die Fraglichkeit der Sprache: Der Mythos in der Frage nach der Entmythologisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5 Die existentiale Betroffenheit des Menschen . . . . . . . . . 3.2 Angewandte Hermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Bonhoeffer, Bultmann und Chalcedons philosophische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Die Frage nach der Existenz in Relationalität . . . . . . . . 3.2.3 Existentiale Interpretation als Vergegenwärtigung . . . . . . 3.2.4 Die Vergangenheit der Geschichte und die Gegenwart der Geschichtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Immanentes Jenseits und transzendentes Diesseits . . . . . 3.2.6 Chalcedon: Zwischen Mythos und Geheimnis . . . . . . . .
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4. Die bleibende Provokation: Zur Sakramentalität des Ausgelegtwerdens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Zu allgemeinen Wahrheiten und subjektivem Erkennen oder: Zwischen Eigenem und Fremdem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Wegscheide Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Offenbares Geheimnis und verborgene Wahrheit . . . . . . . 4.1.3 Das Subjekt in der Frage nach der Erkenntnis: Eine Frage der Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: Ein Glaubenssatz wird zur Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Der sakramentale Vorgang des biblischen Erschlossenseins . . . . 4.2.1 Die Gegenwärtigkeit des Schriftgeschehens . . . . . . . . . . . 4.2.2 Der Ort der Schriftauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Worthaftes Element und elementhaftes Wort . . . . . . . . . 4.2.4 Hineingezogen in das sakramentale Geschehen des Wortes . 5. Responsive Hermeneutik als sakramentale Bibelauslegung 5.1 Responsive Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Responsivität als Modus des Empfangens . . . . . . . 5.3 Gleichgestalt als Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Sich im Antworten vorfinden . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Offenbarung als sakramentales Sprachgeschehen . . . 5.6 Die Verwirklichung des Reiches Gottes in der Kirche . 5.7 Hermeneutik der Responsivität . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
11
5.8 Fall und Neuschöpfung des Auslegers . . . . . . . . . . . . . . . .
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6. Eine kurze Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriften Bonhoeffers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Werkregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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„Wir schweigen am frühen Morgen des Tages, weil Gott das erste Wort haben soll und wir schweigen vor dem Schlafengehen, weil Gott auch das letzte Wort gehört. Wir schweigen allein um des Wortes willen, also gerade nicht, um dem Wort Unehre zu tun, sondern um es recht zu ehren und aufzunehmen. Schweigen heißt schließlich nichts anderes als auf Gottes Wort warten und von Gott gesegnet herkommen.“ Dietrich Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, Seite 68.
1.
Hermeneutische Implikationen
1.1
Bonhoeffers Schöpfung und Fall und das Problem der Schriftauslegung
Dietrich Bonhoeffers instinktiver und zugleich scheinbar durchgängig souveräner Umgang mit der Bibel rief und ruft noch heute bei seinen Lesern nicht selten Irritation hervor oder fordert gar zu Widerspruch auf, sind seine Ergebnisse und daraus resultierenden Forderungen doch nicht selten kontraintuitiv und daher eigensinnig und unvorhersehbar. So finden sich nicht nur in der Forschungsliteratur unnachgiebige Diskussionen über seine angemessene oder eben doch unangebrachte und sogar anmaßende Auslegung der Schrift,1 die letztlich darüber bestimmen, ob seinen theologischen Deduktionen und Prämissen zu folgen ist. Will man sich auf seine Theologie einlassen, ist es daher unablässig, seine Handhabung und sein Verständnis der Schrift genauer zu betrachten. Sein Bibelgebrauch ist nämlich das zentrale Metathema, das sein wissenschaftliches und gemeindliches sowie privates Arbeiten und Denken durchzieht. Nicht nur die zahlreichen Predigten über beide Testamente und deren Auslegungen sowie die Bibelarbeiten im und rund um das illegale Predigerseminar Finkenwalde, sondern auch die Reflexionen zu Bibelstellen in den Briefen aus dem Gefängnis geben beredt Zeugnis davon. Bereits 1933 gab Bonhoeffer selbst eine implizite ‚Verstehensanleitung‘ seiner theologischen Aufgabe vor, nämlich in dem kurzen Essay Was muß der Student der Theologie heute tun?,2 in dem er seinen Lesern mit klaren Worten ans Herz legt, die „Quelle des Lebens der Kirche“ in der Bibel zu finden, die sie lesen und studieren sollten, „wie nie zuvor.“3 Eine Auseinandersetzung mit Dietrich Bon1 Cf. bspw. Baumgärtel, Die Kirche ist Eine, 14–17; Krause, Art. Bonhoeffer, 57ff.; Fichtner, Vom Psalmenbeten, 42f. Cf. dagegen z. B. Grunow, Dietrich Bonhoeffers Schriftauslegung, 62; Hellbardt, Schöpfung und Fall, 110ff. 2 Cf. B, 416–419. 3 B, 418f.
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Hermeneutische Implikationen
hoeffers Person oder Theologie kann die Bedeutung der Heiligen Schrift für diesen nicht übersehen. Die Bibel ist ihm Gefährtin, Freundin und Ratgeberin in den vielfältigen und unterschiedlichen Stationen seines Lebens. Weil sich seine hermeneutische Herangehensweise aber nicht auf den ersten Blick erschließt, weil sie oft polarisiert und manchmal befremdet, ist es notwendig, dieselbe näher zu betrachten, um die leitenden und tragenden Axiome seiner Schriftauslegung herauszuarbeiten und damit einen tieferen Einblick in seine Theologie zu erlangen, der manches vielleicht auch in neuem Lichte erscheinen lässt. Wie für jede andere Schriftauslegung sind es auch hier die hermeneutischen Grundsätze, die seinen Umgang mit der Bibel als diesen seinen eigenen ausmachen, die seine gesamte Art und Weise, mit dem Wort Gottes umzugehen, beeinflussen. Das ist freilich erst einmal nichts Bahnbrechendes, dass die jeweilige theologische Herkunft und die daraus resultierenden Prämissen das Verständnis der Sache selbst beeinflussen. Umso wichtiger ist es aber dann, sich dieser Vorbedingungen des Umgangs mit der Schrift bewusst zu werden. Bonhoeffer selbst war es, der nach der Beendigung seiner Nachfolge eine Bestandsaufnahme (s)einer Hermeneutik vorhatte,4 um sein eigenes „theologisches Tun“5 zu reflektieren. Zwischen historischer Kritik und pneumatischer Schriftauslegung hatte er schon als junger Student ähnlich dem Schweizer Theologen Karl Barth die Bibel ausgelegt und sich zum „[…] Bundesgenossen Wilhelm Fischers gemacht, der Finkenwalde Anfang März 1937 besuchte […].“6 Da er sich nun bereits mit seiner Auslegung der ersten drei Genesiskapitel im Wintersemester 1932/33 zwischen die Stühle von Exegese und Systematik gesetzt hatte,7 verwundert es nicht, dass er sich dann endlich bezüglich seiner eigenen Axiome der Schriftauslegung gründlich Rechenschaft ablegen wollte. Bekanntermaßen kam Dietrich Bonhoeffer selbst nicht mehr dazu, diesen Reflexionen größeren Raum zu geben. Seinem Schüler und engen Vertrauten Eberhard Bethge zufolge stellten sich ihm „die inhaltlichen Fragen der Ethik“ dringender, als diese „ganz große Lücke“8 zu schließen. Desto notwendiger ist es damit, sich diesem Thema eingehender zu widmen, schließlich lässt sich beobachten, dass derselbe von unterschiedlichsten Adressen als Gewährsmann der je eigenen Schriftauslegung und Theologie herangezogen wird.9 Warum das aber 4 5 6 7 8 9
Cf. ITAF, 257. DB, 643. DB, 643. Cf. SF, 141 (Nachwort). DB, 643. Cf. Frick, Bonhoeffer and Interpretive Theory, 7 (Preface). Cf. auch Frick, Understanding Bonhoeffer, 22ff. In dem gesamten Band Bonhoeffer and Interpretive Theory wird der Versuch gemacht, die Präsumtionen der Bonhoefferausleger und -leser offen zu legen und nachzudenken, um so dem Verstehen Bonhoeffers näher zu kommen.
Bonhoeffers Schöpfung und Fall und das Problem der Schriftauslegung
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so ist, zeigt sich offenkundig daran, dass Bonhoeffers Auslegung nicht einer ‚Richtung‘ zugeordnet werden kann, geht sein Umgang mit dem biblischen Text doch tatsächlich nicht selten überraschende Wege, die gerade im wissenschaftlichen Bereich Aufsehen erregen, manchmal sogar für Stirnrunzeln sorgen. Dieses Zutrauen in den Text, das jedem Wort eine gravierende Bedeutung beimisst, das beinahe einem Wortwörtlich-Nehmen gleichkommt, zugleich aber um die Zeitbedingtheit des Gotteswortes im Menschenwort weiß, beginnt und endet nicht selten in einer Meditation, die um eine existentiale Erfahrbarkeit, um eine Bedeutung, ein Sprechen des Textes ringt. Was ist es also, das Bonhoeffers Schriftauslegung ausmacht? Zwischen einer Anerkenntnis des Textes in seiner je historischen Zeitbedingtheit als menschliches Produkt und einer Inspiriertheit eines jeden Wortes, das in seinem Gegenwartsbezug jeden einzelnen Menschen in seinem Sein trifft und verändert, changiert dieses Schriftverständnis in mannigfaltigen Farben. Im Zentrum dieser Untersuchung soll die Vorlesung Schöpfung und Fall aus dem Wintersemester 1932/33 an der Berliner Universität stehen, in der Bonhoeffer in der Deutung der ersten drei Kapitel der Genesis seinen Umgang mit der Schrift nicht nur selbst zum Thema macht, sondern diesen eben gerade zur Anwendung kommen lässt. Nirgendwo sonst findet sich seine Handhabung des biblischen Textes so konzentriert und bewusst wie in dieser Vorlesung, ist er doch hier bereits mit der Anlage des Seminars mehr denn je angehalten, seine Methoden und Ausführungen durchsichtig zu machen und zumindest ansatzweise zu reflektieren. Eine Untersuchung der bonhoefferschen Hermeneutik kann freilich nicht bei diesem einen Text stehen bleiben, wenn doch derselbe nicht alle Facetten jener notwendig in sich beherbergen muss. Der Blick über Schöpfung und Fall hinaus ist dann aber mehr Tugend als Not, weil es anhand anderer Werke, Briefe, Predigten und Aufzeichnungen möglich wird, die mit der Vorlesung gemachten ersten Eindrücke seiner Hermeneutik zu festigen und weiter zu differenzieren. Erst so ergibt sich ein Bild von Bonhoeffers Verständnis der Schrift als Wort Gottes, das seine Leseanleitung zur Leseaufforderung werden lässt. Der Themenbereich dieser Studie ist dabei nicht zufällig weit und zugleich unscharf gesteckt. Wenn Hermeneutik sich mit den Problemen des Verstehens beschäftigt,10 beinhaltet das zunächst die grundlegende Kategorie ‚Sinn‘. In Bezug auf Martin Heideggers Bestimmung des Menschen als hermeneutisches Wesen, dessen Dasein durch die Vorstruktur des Verstehens definiert ist,11 sowie auf die diltheysche12 und heideggersche13 Beschreibung des historischen Objekts 10 11 12 13
Cf. Terrin, Art. Hermeneutik I, 1648. Cf. Heidegger, Sein und Zeit, 190–197. Cf. Dilthey, Der Aufbau der geschichtlichen Welt, 261f. Cf. Heidegger, Sein und Zeit, 518–525.
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Hermeneutische Implikationen
als abhängig von der geschichtlich vorgegebenen Situation, von der es erst seine Bedeutsamkeit erhält,14 handelt es sich bei Hermeneutik grundsätzlich um ein Verstehen der Welt als ganzer und damit letztlich um ein Verstehen des Menschen vor sich selbst. Geht die Frage nach dem Sinn nämlich über das Verstehen bloßer Äußerungen und Phänomene hinaus, bezieht dieselbe grundsätzlich einen je größeren Sinnzusammenhang in das Verstehen ein;15 so stehen nicht nur Welt und Mensch je für sich selbst zur Disposition, sondern auch ihr Verhältnis zueinander. Aus theologischer Perspektive ist diese Beziehung freilich nicht ohne eine wie auch immer geartete Erkenntnis Gottes wirklichkeitsgemäß zu erfassen, eine solche kann aus christlicher Sicht aber nur aus einem Sein in Christus, einem neuen Geschöpfsein tatsächlich geschehen. Theologische Hermeneutik beschreibt somit das Verstehen des Menschen vor Gott, das sich aus einem rezeptiv passiven Zu-stehen-Kommen und konstruktiv aktiven Sich-selbst-Verstehen zusammensetzt.16 Die hermeneutisch zentrale Frage nach der Erkenntnis beinhaltet so zugleich ihre Antwort, weil dieses Verstehen im Grunde nur ein dialogisches, ein reziprokes Geschehen beschreiben kann, bleibt diese Frage ohne eine Antwort im wahrsten Sinne des Wortes doch ohne Bedeutung. Diese Studie bezieht sich auf die biblische Hermeneutik Dietrich Bonhoeffers, es geht hier also vornehmlich um die Hermeneutik des lesenden und auslegenden Verstehens der Heiligen Schrift. Mit der christlichen Rede von der Bibel als Gottes Wort ist man genau in dieses Geschehen zwischen Gott und Mensch gestellt, wenn eine Erkenntnis der Schrift als göttliches Wort nur in einer Begegnung von Gott und Mensch stattfindet. Eine wirklichkeitsgemäße Deutung der Welt kann demnach nur eine Auslegung der Schrift meinen, die in ihrer Form nicht bei ihrem Objekt stehen bleibt, sondern das Subjekt mit einbezieht und so die Existenz des Menschen selbst von diesen Texten her auslegt. Die Bibel dient der Theologie als Verstehen des Glaubens somit nicht nur als Gegenstand, sondern als das Medium ihrer eigenen Verstehensprozesse,17 weil der Glaube als ein derartiges Sich-selbst-Verstehen vor Gott in diesem Geschehen überhaupt erst als neue Wirklichkeit zwischen Gott und Mensch ermöglicht wird. Genau das wird sich auch im Laufe dieser Arbeit zeigen, dass Bonhoeffers Beschäftigung mit der Schrift eine solche ist, die sich nicht auf die alleinige Auslegung der Bibel konzentriert, sondern den Ausleger selbst in diesen Verstehensraum mit einbezieht, genauer, ihn hineinzieht. Biblische Hermeneutik bei Dietrich Bonhoeffer beinhaltet damit immer eine umfassende Frage nach Rezipiertem und Rezipienten, die nur so konkret erfahren werden kann. 14 15 16 17
Cf. Bormann, Art. Hermeneutik I, 127f. Cf. Körtner, Hermeneutik, 11. Cf. Körtner, Hermeneutik, 11. Cf. Körtner, Hermeneutik, 75.
Der derzeitige Stand der Forschung
1.2
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Der derzeitige Stand der Forschung
Weder Dietrich Bonhoeffers Vorlesung Schöpfung und Fall noch seiner Methode der Schriftauslegung sind seit Beginn der Bonhoeffer-Forschung breite Beachtung zuteil geworden. Es kann jedoch nicht behauptet werden, die Untersuchung der Hermeneutik Bonhoeffers sei ein vergessenes Kapitel. Viele, zumeist kleinere Beiträge widmeten und widmen sich vor allem dieser Tage vermehrt dem Thema, scheint es doch augenfällig, dass die Erschließung seines Verständnisses des gläubigen Verstehens Gottes und der Welt einen neuen, einen tieferen Zugang zu Bonhoeffer und seinen Werken bieten kann. Es ist in der Forschung zunächst eine engere von einer weiteren Auffassung der Hermeneutik zu unterscheiden; erstere bezieht sich besonders auf Bonhoeffers Schriftauslegung und letztere bis hin auf seine Deutung der Welt. Da vor allem letzteres Hermeneutik-Verständnis einen recht weiten Bogen spannt und beinahe jede Beschäftigung mit Bonhoeffers Werk und Person diesem Bereich zugeordnet werden müsste, kann und will diese Übersicht des Forschungsstandes dazu nicht erschöpfend und vollständig sein. Stattdessen sollen gerade diejenigen Arbeiten in inhaltlicher Verbindung zueinander hervorgehoben werden, die eine tragende und erkenntnisleitende Rolle in dieser Studie innehaben. Zunächst werden demnach die Titel besehen, welche sich mit der Schriftauslegung selbst beschäftigen, und danach solche, die als die inhaltlich tragenden Stützen dieser Untersuchung gelten können. Besieht man die Veröffentlichungen zur Hermeneutik Dietrich Bonhoeffers, entstanden kurz nach dessen Tod zwei grundlegende Arbeiten, die sich dezidiert mit seiner Schriftauslegung beschäftigen. Bereits 1955 legte Richard Grunow den Aufsatz Dietrich Bonhoeffers Schriftauslegung in dem Sammelband Die mündige Welt vor, in welchem Bonhoeffers Bibeldeutung in drei Perioden unterteilt wird und vier Axiome der Interpretation gezeigt werden. Bedeutend ist für diese Arbeit unter anderem Grunows Betonung der bonhoefferschen Auslegung der Heiligen Schrift als Buch der Kirche mit Christus als Mitte, Sinn und Ziel derselben.18 Zudem weist der Autor darauf hin, dass Bonhoeffer eine historischkritische Exegese der Schrift als notwendig erachtete, um den Ausleger vor subjektiver Übereignung und positivistischen Kurzschlüssen zu bewahren,19 weiter zieht er erstmals die Verbindung und Grenze zu Rudolf Bultmanns Theologie der Entmythologisierung,20 indem er für die weltliche Interpretation 18 Cf. Grunow, Dietrich Bonhoeffers Schriftauslegung, 64. 19 Cf. Grunow, Dietrich Bonhoeffers Schriftauslegung, 65. 20 Cf. das macht auch Jeffrey Richards in seiner Monographie War time preaching and teaching aus dem Jahr 2009, in der er Rudolf Bultmanns und Dietrich Bonhoeffers Homiletik und
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Hermeneutische Implikationen
auf die Kategorie des Geheimnisses hinweist.21 Zuletzt und vor allem aber zeigt Grunow die doppelte Struktur der bonhoefferschen Schriftauslegung an, die einen Bogen vom konkreten alttestamentlichen Geschehen zum Werk und zur Person Christi schlägt, aufgrund dessen Wort und Kreuz auf die Schöpfung zurück- und darin zugleich über sich hinausweisen, was als das Fundament dieser Arbeit gelten kann.22 Fünfzehn Jahre später veröffentlichte Martin Kuske seine an Grunow inhaltlich anschließende Untersuchung Das Alte Testament als Buch von Christus. Dietrich Bonhoeffers Wertung und Auslegung des Alten Testaments, in der er nicht nur Bonhoeffers Verständnis des Alten Testaments als dem Neuen Testament gleichwertigen Teil der Heiligen Schrift betont, sondern in Jesus Christus die Doppelbewegung der Auslegung vom AT zum NT und zugleich vom NT zum AT herausarbeitet.23 Erst wenn AT und NT als beide zugleich und einander reziprok erschließende Worte des einen Wortes gelesen würden, sei Bonhoeffers Auslegung der Heiligen Schrift recht verstanden, so Kuske.24 Weitere fünfzehn Jahre später, im Jahr 1985, publizierte Ernst Wendel seinen ausführlichen und darin grundlegenden Beitrag Studien zur Homiletik Dietrich Bonhoeffers. Predigt, Hermeneutik, Sprache zum Umgang Bonhoeffers mit der Bibel. Wendel nähert sich in zwar vornehmlich deskriptiver Weise den einzelnen Schriften und Worten Bonhoeffers an, womit er aber einen entscheidenden Überblick über dessen hermeneutische Motive25 und sprachliche Ansätze26 erarbeiten kann. Dementsprechend ist so das Axiom der ganzheitlichen Schriftauslegung als Vergegenwärtigung gegeben,27 was nicht nur in dieser Untersuchung einen breiten Raum einnehmen wird. Den an Wendel anschließenden Impuls in dieser Forschungsrichtung gab 1995 Klaus Raschzok mit seinem Beitrag Schriftauslegung bei Dietrich Bonhoeffer. Ein Beitrag zur praktischen Theologie als Gestaltlehre des Glaubens, in dem er ebenfalls aus praktisch-theologischem Interesse die Vergegenwärtigung des Wortes Gottes in Raum und Zeit für Bonhoeffers Auslegung der Schrift an
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Hermeneutik zueinander in Beziehung setzt. Richards arbeitet in dieser Untersuchung zumeist biographisch und inhaltlich deskriptiv, womit er Ähnlichkeiten beider Theologen benennt, es aber nicht in seinem Interesse liegt, diese weiter zu vertiefen. Oberflächlich scheinen sich die Forschungsgebiete seiner und dieser Untersuchung zu überschneiden, tiefer gehend ist das aber ob der unterschiedlichen Methoden und Erkenntnisarten eher marginal der Fall. Cf. Grunow, Dietrich Bonhoeffers Schriftauslegung, 65ff. Cf. Grunow, Dietrich Bonhoeffers Schriftauslegung, 71f. Cf. Kuske, Das Alte Testament als Buch von Christus, 54. Cf. Kuske, Das Alte Testament als Buch von Christus, 118. Cf. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 68–163. Cf. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 211–223. Cf. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 80–112.135–146.
Der derzeitige Stand der Forschung
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den Anfang seiner Untersuchung stellt.28 Raschzok schafft es so, die Gegenwärtigkeit des Wortes Gottes für die bonhoeffersche Schriftinterpretation tatsächlich deutlich zu machen, indem er dieselbe aus der Abstraktion in die Praxis zu überführen weiß. Damit gelingt es ihm, dieser Arbeit ein weiteres Axiom grundzulegen, nämlich dass für Bonhoeffer Schriftauslegung und Ethik in der Gleichgestaltung des Menschen mit Jesus Christus nebeneinander stehen und nicht voneinander zu abstrahieren sind.29 In diesem Duktus zeigt auch John Webster 2001 in seinem Aufsatz „In the Shadow of Biblical Work“. Barth and Bonhoeffer on Reading the Bible, dass Bonhoeffers Schriftauslegung nicht nur an einer Theorie der Vergegenwärtigung des Textes interessiert ist, sondern dass in dieses hermeneutische Fundament immer auch der Leser mit hineingenommen werden müsse, denn eine treffende Deutung könne gerade nicht von echter Diesseitigkeit und der Gegenwart des Lesers absehen.30 Damit ist für diese Arbeit angezeigt, das Moment der systematisch-methodischen Fragen in der Schriftauslegung Bonhoeffers hinter die Frage der Engagiertheit des Lesers der Bibel zu stellen. Es ist so unter anderem Websters Verdienst, die Blickrichtung bei der Untersuchung der biblischen Hermeneutik Bonhoeffers weg von der Methode hin zum Subjekt, das in der Vergegenwärtigung Christi zum Objekt wird, zu richten.31 Aus einem anderen Blickwinkel zeigt das auch Christina-Maria Bammel 2007 mit ihrem Aufsatz Bonhoeffers Verständnis der Heiligen Schrift in der Schule Martin Luthers, in welchem sie das Geschehen im Verstehen der Heiligen Schrift als Inspiration betont32 und die Stellung der Gemeinde in diesem dynamischen Prozess hervorhebt.33 Zum Beitrag für die vorliegende Forschung wird ihr Aufsatz besonders in der Pointierung des Wortes Gottes als Aufforderung an den Menschen zur Tat, gehe doch der Gebrauch der Schrift als fremdes Wort an den Leser zum existentiellen Gebrauch über, worin er als Zeuge Gottes in Anspruch genommen werde.34 Ähnliches gilt auch für Werner Kahls Beitrag in der Festschrift für Christian Gremmels von 2011, Evangeliumsvergegenwärtigung als Prinzip theologischkritischer Bibelinterpretation und Weltdeutung. Zur bleibenden Bedeutung von Bonhoeffers Hermeneutik, der Bonhoeffers Verständnis der Vergegenwärtigung dahingehend vertieft, dass er die Frage nach dem Subjekt der Auslegung nun
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Cf. Raschzok, Schriftauslegung bei Dietrich Bonhoeffer, 7–19. Cf. Raschzok, Schriftauslegung bei Dietrich Bonhoeffer, 25f. Cf. Webster, „In the Shadow of Biblical Work“, 88. Cf. Webster, „In the Shadow of Biblical Work“, 88. Cf. Bammel, Bonhoeffers Verständnis der Heiligen Schrift, 42–46. Cf. Bammel, Bonhoeffers Verständnis der Heiligen Schrift, 50ff. Cf. Bammel, Bonhoeffers Verständnis der Heiligen Schrift, 53.
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Hermeneutische Implikationen
ganz auf die Seite Christi gestellt wissen will,35 worin der Leser im Ärgernis des fremden Evangeliums ganz in die Nachfolge Christi geführt werde.36 Mit der bonhoefferschen Betonung der Herausforderung des Christen durch das Zeugnis der biblischen Schrift sei, so Kahl, erstens einer evangelikalen Engführung des Evangeliums auf das persönliche Seelenheil, zweitens einer pfingstlerischen Vereinnahmung des Wunders in individualistischer Form und drittens einer protestantisch-aufgeklärten Übereignung des Neuen Testaments in eine Entmythologisierung desselben gewehrt.37 Es war auch das Anliegen des fünften internationalen Bonhoeffer Kolloquiums 2011 sich dieser offensichtlichen Überfremdung der bonhoefferschen Theologie gewahr zu werden, woraus im Anschluss 2013 der Sammelband God Speaks to Us. Dietrich Bonhoeffer’s Biblical Hermeneutics von Ralf Wüstenberg und Jens Zimmermann veröffentlicht wurde. Hier finden sich für diese Untersuchung zahlreiche Einzelforschungen, die sich mit Bonhoeffers Schriftauslegung aus unterschiedlichem Interesse und mit verschiedenen Ansätzen beschäftigen, woraus ein facettenreiches Konglomerat der biblischen Hermeneutik Bonhoeffers entsteht. Für die vorliegende Arbeit leisteten dabei einige Aufsätze einen nicht zu unterschätzenden Beitrag, wie beispielsweise derjenige Edward van’t Slots The Freedom of Scripture – Bonhoeffer’s Chancing View of Biblical Canonicity, der neue Einsichten und Hintergründe zu Bonhoeffers Verständnis des biblischen Kanons offenlegt und diese erkenntnisbringend in Zusammenhang mit dessen Christologie bringt,38 sodass nach Bonhoeffer wahre Freiheit nicht abgesehen vom biblischen Text, sondern im biblischen Text gefunden werden könne.39 Marie Igrec zeigt in ihrem Aufsatz Bonhoeffer’s „theological interpretation“ of the Biblical Narrative of the „Creation and Fall“ of Man beredt, 35 Cf. Kahl, Evangeliumsvergegenwärtigung, 141. 36 Kahl, Evangeliumsvergegenwärtigung, 146.152. 37 Cf. Kahl, Evangeliumsvergegenwärtigung, 152f. Eine ähnliche Einschätzung der Überfremdung bonhoefferscher Texte findet sich auch in dem 2013 von Peter Frick veröffentlichten Sammelband Bonhoeffer and Interpretive Theory, der sich dem Umstand der mannigfaltigen Bonhoeffer-Interpretationen widmet, indem in zwölf Beiträgen Bonhoeffers Werke gewollt und systematisch aus unterschiedlichen Blickwinkeln gelesen werden, um so die Prämissen und Thesen zu verdeutlichen, die an seine Theologie jedoch ohne seine Theologie herangetragen werden. Dieser Sammelband macht damit den Versuch, reflektierter an den Umgang mit Bonhoeffers Schriften heranzutreten und sich der je eigenen hermeneutischen Bedingungen der Bonhoeffer-Leser bewusst zu werden. Während in der vorliegenden Arbeit die biblische Hermeneutik Bonhoeffers selbst untersucht werden soll, weist dieser Band mit seinem ähnlichen, aber doch differenten Forschungsinteresse damit zwar die unterschiedlichen Lese- und Verständnismöglichkeiten des Bonhoefferwerkes auf, setzt sich aber nicht mit dessen Bibelverständnis selbst auseinander. 38 Cf. Slot, The Freedom of Scripture, 121f. 39 Cf. Slot, The Freedom of Scripture, 121.
Der derzeitige Stand der Forschung
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dass Bonhoeffer mit seiner bekannten Formel der „theologischen Auslegung“40 in Schöpfung und Fall eine allein christologische Interpretation intendierte,41 und legt damit einen inhaltlich bedeutenden Beitrag nicht nur zur Erforschung der oft vernachlässigten Vorlesung aus dem WS 1932/33 vor.42 Florian Schmitz überschreitet sodann mit „Only the believers obey, and only the obedient believe.“ Notes on Dietrich Bonhoeffer’s Biblical Hermeneutics with Reference to Discipleship den Fokus auf die Schriftauslegung hin zum Verständnis des menschlichen Lebens vor Gott, indem er für Bonhoeffer in dessen Nachfolge den einfachen Gehorsam als leitendes Auslegungs- und Lebensprinzip des Menschen herausarbeitet.43 Ebenfalls über die biblische Hermeneutik hinausgehend beschäftigt sich Karina Juhl Kande mit Bonhoeffers biblischen Metaphern mit ihrem Beitrag Biblical Metaphors in Dietrich Bonhoeffer’s Understanding of The Church, in dem sie auf die enge Verbindung der Sprache, d. h. Metaphern, mit der Theologie Bonhoeffers hinweist. So kann sie bleibend herausstellen, wie beispielsweise die abstrakte Rede vom Ebenbild sich in der praktischen Körpersprache des Leibes Christi ausformuliert, nämlich im wirklichen Personsein des Menschen, das in dem anderen seinen Nächsten erkennt.44 Auch Robert Steiner und Helen Hacksley unterstützen ein solches über die biblische Hermeneutik hinausgehendes Verständnis in ihrem Beitrag Enticing Otherness in Barcelona – Dietrich Bonhoeffer’s Retelling of the Gospel like „a fairy tale about a strange land“, indem sie dessen Rede von der Vergegenwärtigung des biblischen Textes darin als vergegenwärtigend aufzeigen, dass Bonhoeffer in seiner Sprache, in seiner Wahl der Bilder und Metaphern den Hörer selbst mit in den biblischen Text hineinnimmt und sich so die Gegenwart Gottes als völlig andere erweist, als die menschliche Vorstellung davon.45 Es gelingt ihnen damit zu betonen, welche hermeneutische Bedeutung Bonhoeffers scheinbar naive Texttreue für seine Theologie hat, sodass eine Unterscheidung von engerer biblischer Hermeneutik und weiterer Hermeneutik des Verstehens für Bonhoeffers Auslegung der Schrift hinfällig ist. Diese Verknüpfung des engen biblischen und weiteren hermeneu40 SF, 22. 41 Cf. Igrec, Bonhoeffer’s „theological interpretation“, 165ff. 42 Die einzige Monographie zu Schöpfung und Fall findet sich bei Gottfried Claß 1994 mit dem Titel Der verzweifelte Zugriff auf das Leben, in der diese Vorlesung inhaltlich auf das ihr zugrunde liegende Sündenverständnis untersucht wird. Auch Claß verweist in einem eigenen Kapitel auf Bonhoeffers Hermeneutik des Alten Testamentes und legt damit inhaltliche Axiome seiner Schriftauslegung offen, die auch dieser Arbeit ein fester Bestandteil sind. Cf. Claß, Der verzweifelte Zugriff. 43 Cf. Schmitz, „Only the believers obey, and only the obedient believe.“, 182–186. 44 Cf. Juhl Kande, Biblical Metaphors, 136. 45 Cf. Steiner/Hacksley, Enticing otherness in Barcelona, 69–72. Auch Michael Trowitzsch zeigt die umschaffende Kraft des Bildes bei Bonhoeffer in seinem Aufsatz Bildgedanken. Bemerkungen zur Metaphorik bei Bonhoeffer und Barth aus dem Jahre 2002 auf.
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Hermeneutische Implikationen
tischen Blicks verfolgt in diesem Band sodann auch Jens Zimmermann mit Finitum Capax Infiniti or The Presencing of Christ. A Response to Stephen Plant and Robert Steiner, in welchem er Bonhoeffers christologische Interpretation der Schrift in den Rahmen der Vergegenwärtigung Christi in seinem Leib wieder aufnimmt.46 Zimmermann betont so, dass in der texttreuen Auslegung der Schrift sich Christus im Leser selbst vergegenwärtigt, wodurch alle Auslegung bei dem Menschgewordenen beginnt und endet und sich Bonhoeffers Anthropologie als Teilhabe an der Wirklichkeit Gottes erschließt.47 Mit der Erkenntnis, dass Bonhoeffers biblische Hermeneutik sich als Erschließungsvorgang nicht des Textes, sondern des Lesers erweist, fügen sich für diese Arbeit dann vor allem hermeneutische Untersuchungen inhaltlicher Art an, von welchen in diesem Rahmen nur auf einige wenige und knapp hingewiesen werden soll. Neben Grunow und Kuske veröffentlichte Alfred Müller bereits 1961 eine erste Untersuchung zur Hermeneutik, nämlich Dietrich Bonhoeffers Prinzip der weltlichen Interpretation und Verkündigung des Evangeliums, die vor allem in ihrem ersten Hinweis auf die hermeneutische Kategorie des Geheimnisses einen bedeutenden Beitrag zu der vorliegenden Arbeit leistet, erkennt Müller doch hier einen Zusammenhang zwischen Arkandisziplin und persönlicher Existenz, indem er die Forderung einer weltlichen Interpretation der Schrift als Nachfolgeproblem aufzeigt.48 Nicht zu unterschätzen ist auch Ernst Feils 1971 erschienene Monographie Die Theologie Dietrich Bonhoeffers. Hermeneutik, Christologie, Weltverständnis, da dessen Untersuchung der hermeneutischen Grundlagen der Theologie Bonhoeffers das Fundament jeder weiteren Erforschung derselben bildet. Für diese Arbeit meint das im Besonderen die hermeneutischen Implikationen von ‚Geheimnis‘ und daran anschließend von ‚Wirklichkeit‘.49 Einen weiteren für diese Studie konstitutiven Beitrag leistet Christiane TietzSteidings Dissertation Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft. Eine erkenntnistheoretische Untersuchung von 1999, in welcher sie dessen ambivalente Einstellung gegenüber der Vernunft pointiert darlegt. Nicht das reflexive Denken sei es, das den Menschen Gott erkennen lasse, die Vernunft vermöge es eben 46 Cf. auch seine Monographie Theologische Hermeneutik, in der er in der Gefolgschaft Bonhoeffers einen inkarnatorisch–theologischen Ansatz einer theologischen Hermeneutik vorlegt (dazu bes. 451–512). 47 Cf. Zimmermann, Finitum Capax Infiniti, 88–90. Cf. auch Stephen Plants 2014 erschienen Sammelband Taking Stock of Bonhoeffer, der aus unterschiedlichen Blickwinkeln einzelne Studien zur Bibelinterpretation und Ethik Bonhoeffers vorlegt. 48 Cf. Müller, Bonhoeffers Prinzip der weltlichen Interpretation, 727–732. 49 Cf. Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 81–115.
Der derzeitige Stand der Forschung
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nicht von sich selbst aus zu Gott zu gelangen, im Gegenteil, allein glaubendes Erkennen als eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Personen mache erst wirkliches Erkennen Gottes und damit des Nächsten möglich, resümiert TietzSteiding.50 Für diese Studie ist damit wesentlich ein changierender Begriff der Rationalität angezeigt, der einzig in Beziehung nicht bei sich selbst, ad intra, bleibt, sondern ad extra wahr gemacht wird. Bernd Wannenwetsch hebt dann die Neuschöpfung des Menschen in Jesus Christus für die Theologie Bonhoeffers, genauer für dessen Ethik, in seinem Aufsatz Gestaltwerdung und Wegbereitung. Zur Aktualität von Bonhoeffers „Ethik“ von 2001 als dynamische Komponente hervor. In der Herausarbeitung des lutherischen fieri als Wirklichwerden der Gotteswirklichkeit kann Wannenwetsch darlegen, dass Bonhoeffers Verständnis des Geschöpfes eine bleibende Hineingestaltung in das Bild Christi und damit eine Wegbereitung Gottes (als Genitivus subiectivus und obiectivus) grundlegt.51 An dieses Verständnis der Geschöpflichkeit als Werden schließen sich für die vorliegende Untersuchung zwei weitere wichtige Beiträge an, nämlich zum einen Martin Hailers Beitrag Bonhoeffers „Fragmente zur Ethik“ und ihre Rezeption in der Ethik-Diskussion in Protestantismus und Gesamtkirche von 2009/2010 und zum anderen Marco Hofheinz Bildung als ethisches Lernen anhand von kritischgebrochenen Vorbildern. Impulse Dietrich Bonhoeffers aus dem Jahr 2014. Hailer zeigt pointiert, dass Bonhoeffer das Subjektparadigma der Neuzeit kritisiert, indem er in seiner Rede vom Sein in Christus einen Subjektwechsel aufzeigt, der von einer Dezentrierung des Subjekts im Christusereignis ausgeht.52 Damit, betont Hailer, sei Bonhoeffers Verständnis von Gehorsam ein solches, das beständig eine Passivität in der Aktivität des Christenmenschen denke.53 Ähnlich beschreibt auch Hofheinz Bonhoeffers Auffassung vom neuen Geschöpf als Teilhabe an der Wirklichkeit Gottes im Hineingestaltetsein in das Vorbild Christi, in dem es allein ganz zu sich selbst geführt werde.54 Mit beiden Aufsätzen ist dieser Forschung damit die Frage nach dem Subjektwechsel dezidiert als eine nach Aktivität und Passivität in der Welterschließung angetragen, von der aus Bonhoeffers Verständnis der vergegenwärtigenden Schriftauslegung ihren Ausgang nehmen muss. Ähnliches trägt auch Florian Schmitz‘ Untersuchung zur Deutung von Gehorsam und Wagnis zu der vorliegenden Arbeit bei, indem er diese passive Aktivität als wagenden Gehorsam auszulegen weiß. Weil der Mensch in der Dezentrierung tatsächlich erst zu wirklichem Handeln befreit sei, erscheine nicht 50 51 52 53 54
Cf. Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 312f. Cf. Wannenwetsch, Gestaltwerdung und Wegbereitung, 57ff. Cf. Hailer, Bonhoeffers „Fragmente zur Ethik“, 193–206. Cf. Hailer, Bonhoeffers „Fragmente zur Ethik“, 209f. Cf. Hofheinz, Bildung als ethisches Lernen, 88ff.
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Hermeneutische Implikationen
nur der negativ besetzte Begriff des Gehorsams in einem neuen Licht, sondern auch ein neues Verständnis des Handelns als gehorsames Wagnis in der Wirklichkeit Gottes werde überhaupt erst möglich.55 Das zeigt auch Peter Dabrock mit seinem Beitrag Responding to „Wirklichkeit“. Reclaiming Bonhoeffer’s Approach to Theological Ethics between Mystery and the Formation of the World, in welchem er Bonhoeffers Wirklichkeitsverständnis mit dem Phänomenologen Bernhard Waldenfels als responsives auslegt, d. h. als ein solches, das das in Christus neue Geschöpf zur Antwort herausfordert.56 Die Auslegung der Wirklichkeit Gottes wird somit in den Raum des Wortes gestellt, der für das Geschöpf nur derjenige der Antwort, genauer der Verantwortung, sein kann. Welterschließung heiße in Bonhoeffers Theologie damit ein Leben als Antwort auf das Mysterium Christi, resümiert Dabrock.57 Dieser kursorische Überblick über den Forschungsstand zu Bonhoeffers biblischer und wirklichkeitserschließender Hermeneutik zeigt zwei Dinge deutlich: Zum einen ist wohl von einer Zunahme des Interesses an der Schriftauslegung in den letzten Jahren zu sprechen. Zum anderen verschiebt sich in der intensiven Auseinandersetzung mit Bonhoeffers Vergegenwärtigungsgedanken der Fokus von der Schriftauslegung selbst zur Auslegung des Lesers. Für diese Arbeit ist darin die Frage nach dem Verhältnis von Schrift und Leser als entscheidende mitgegeben, ohne die nach den bisherigen Forschungsergebnissen eine Untersuchung der bonhoefferschen Schriftauslegung unvollständig und wenig erkenntnisbringend wäre. Thematisch bedeutet das für diese Studie Folgendes: Grundlegend gilt für jeden Umgang Bonhoeffers mit der Schriftauslegung zu allererst, dass für ihn die Bibel das Buch der Kirche ist, weil in ihr Christus als Mitte, Sinn und Ziel aller Auslegung vorgegeben ist. Nur hier ist die Schrift dann auch tatsächlich göttliches Wort, indem sich Altes und Neues Testament im Sohn Gottes einander reziprok erschließen und darin über sich hinausweisen. In dieser ganzheitlichen Deutung geschieht dann tatsächlich die Vergegenwärtigung des Wortes Gottes in Raum und Zeit, sodass der Leser in den Prozess der Schriftauslegung als Verstehensprozess dynamisch hineingezogen wird und nicht mehr unbeteiligt davor stehen kann. Die Gegenwärtigkeit des Wortes Gottes zeigt sich diesem so wirklich darin, dass er das Wort nicht nur als Aufforderung zur Tat verstehen lernt, sondern sich vor das fremde Evangelium gestellt sieht und so in die neue Existenz in der Nachfolge Christi geführt wird. Damit ist aber deutlich, 55 Cf. Schmitz, Gehorsam und Wagnis, 48ff. 56 Cf. Dabrock, Responding to „Wirklichkeit“, 61ff. Der Begriff der Responsivität, den Bernhard Waldenfels im deutschen Sprachraum phänomenologisch prägte, soll in dieser Arbeit eine theologische Interpretation erfahren. Cf. Waldenfels, Antwortregister, passim. 57 Cf. Dabrock, Responding to „Wirklichkeit“, 77f.
Zur Aufgabenstellung und zum inhaltlichen Überblick
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dass nicht mehr vom Leser als dem Subjekt der Auslegung zu reden ist, stattdessen aber von Christus selbst, der den Menschen in seiner Auseinandersetzung mit dem Wort Gottes ganz in das fremde Evangelium hineinführt, nämlich an das Geheimnis Gottes. Hier erweist sich in der Sichtung dieser Untersuchung die bonhoeffersche Auslegung der Schrift als Vergegenwärtigung des Wortes im Leser selbst, nämlich so, dass in dem Subjektwechsel Christus den Menschen ganz ins Passiv versetzt, worin dieser bleibend hineingestaltet Teil der Wirklichkeit Gottes in seiner aktiven Teilhabe an der Wegbereitung des Reiches Gottes ist. Nach Bonhoeffers Verständnis der Schriftauslegung muss somit von einer responsiven gesprochen werden, die den Leser existentiell in seinem Denken und Handeln zur Antwort auffordert und dessen ganzes Leben selbst als diese eine Antwort auf das Mysterium Jesu Christi ist.
1.3
Zur Aufgabenstellung und zum inhaltlichen Überblick
Wenn in dieser Arbeit dargelegt werden soll, dass Bonhoeffers Schriftauslegung eine responsive ist, d. h. eine solche, die den Menschen nicht nur zum Teil dieser Interpretation werden lässt, sondern die denselben als Ausgelegten ganz mit hineinnimmt in das sakramentale, alle Wirklichkeit verändernde, dynamische Geschehen des Wortes Gottes, zeigt sich Bonhoeffers Hermeneutik der Responsivität als existentielles Sprachgeschehen, das den Menschen in seinem ganzen Leben zur Antwort als Teilhabe am Reich Gottes aufruft. Im Blick auf die Gefahren vereinfachender Darstellungen und zum Teil auch daraus erwachsenden Fehldeutungen von Bonhoeffers Theologie und Person58 ist es für diese Studie notwendig, seinen Umgang mit der Schrift als solchen zunächst in seinen basalen Methoden zu untersuchen. Hier schließt sich gerade im Blick auf seine Vorlesung Schöpfung und Fall zuerst die Frage nach Bonhoeffers Beziehung zur historisch-kritischen Exegese an (§ 2.1). Es herrscht in der Forschungslandschaft bis heute Uneinigkeit59 darüber, inwieweit er diese Methodik seiner Arbeit zugrunde legte, und wenn ja, in welchem Maße. Gerade aber in der fundamentalen Frage nach der Bibel als historischem Dokument, welche die Weichen einer jeder Schriftauslegung stellt, entscheidet sich zu allererst sein Verständnis derselben im Spektrum zwischen Menschen- und Gotteswort. Es ist demnach aufgegeben, Bonhoeffer mit seinen Lehrern in Beziehung zu setzen und 58 Cf. Frick, Understanding Bonhoeffer, passim. Cf. auch Martin E. Martys Studie Dietrich Bonhoeffer’s Letters and Papers from Prison. A Biography, Princeton 2011. Marty zeigt hier, wie verschieden und zum Teil auch widersprüchlich die Lesarten sind, die in dieses Werk hineingelegt werden. 59 Cf. beispielsweise Richards, War time preaching, 155; Claß, Der verzweifelte Zugriff, 64–68, oder Mayer, Christuswirklichkeit, 134ff.
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Hermeneutische Implikationen
deren Forderungen in der Auslegung der Schrift mit seiner Herangehensweise in der Paradies- und Sündenfallgeschichte zu untersuchen. Hier kann sich nämlich erst entscheiden, inwieweit Bonhoeffer tatsächlich diesem rationalen und historisch-kritischen Umgang mit dem Wort Gottes folgte, vor allem im Angesicht von Text- und Literarkritik sowie Religionsgeschichte, und wo er von den Wegen seiner Lehrer abwich beziehungsweise über sie hinausging. Es wird sich zeigen, dass sich Bonhoeffer dezidiert auf eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Bibeltext einlassen mochte und diese auch als angebracht und sinnvoll erachtete, es wird aber auch zu bemerken sein, dass er seinen Lehrern da widersprach, wo diese den ‚originären‘ Quellen einen höheren Status zustanden als den biblischen Schriften selbst. War es also der Endtext, der Bonhoeffer einzig das wirkliche Wort Gottes war, scheint möglicherweise eine Überhöhung des Buchstabens vorzuliegen. Es ist Bonhoeffers Vorlesung wie auch jeder anderen seiner Arbeiten mit dem und am biblischen Text zu entnehmen, in welchem Maße dieser jedem einzelnen Wort eine außerordentliche Bedeutung zuerkannte, sodass ihm nicht selten unterstellt wurde, ein frommer Biblizist zu sein,60 der die Inspiriertheit des Wortes über die rationale Einsehbarkeit derselben stellte. Häufig zeigte sich dieses Zutrauen auch darin, dass sich entweder eine Meditation an die Auslegung anschloss oder sich diese selbst zu einer solchen gestaltete. In einem zweiten Untersuchungsgang ist es darum geboten, diesen zum Teil arg frommen und biblizistisch anmutenden Bibelumgang Bonhoeffers in den Dialog mit Vertretern des Pietismus und der lutherischen Orthodoxie zu bringen, um daraus seinen tatsächlichen Umgang mit dem Text nachvollziehen zu können (§ 2.2). Hier stellen sich freilich unter anderem Fragen wie jene nach der Verbalinspiration, nach dem Verhältnis von Altem und Neuem Testament, nach der Kanonizität und nicht zuletzt jene nach der Autorität der Heiligen Schrift. Es wird in dieser Auseinandersetzung mit einzelnen pietistischen und orthodoxen Stimmen gezeigt werden, dass eine Nähe Bonhoeffers zu denselben unübersehbar ist, dass er aber dennoch nicht deren theologische Begründungen übernehmen wollte. So ist es ihm freilich beispielsweise darum, die Inspiriertheit der Schrift hochzuhalten, das aber nicht zur Verewigung des lebendigen Gotteswortes in einem toten Buchstaben, weder in orthodoxer Real- noch pietistischer Personalinspiration, sondern in der Verbindung aus Menschen- und Gotteswort. Ähnliches gilt auch für die Begründung der Autorität und Kanonizität der Schrift, die sich für ihn gerade nicht aus Prinzipien und ewigen Wahrheiten ableiten lassen, sondern allein aus dem lebendigen Wort Gottes. Es ist damit schon hier auf Bonhoeffers Frage nach der Beteiligung des Lesers in diesem Auslegungsprozess hingewiesen, scheint es ihm in seinem Ringen um das rechte Verständnis der Schrift in jedem einzelnen ihrer 60 Cf. Weikart, Scripture and Myth, 13.
Zur Aufgabenstellung und zum inhaltlichen Überblick
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Worte dabei offensichtlich zuletzt doch einzig um den Menschen zu gehen, dessen Existenz er im Verhältnis zum Wort bestimmt. Daraus folgt für die vorliegende Studie dann auch die Frage nach dieser Betroffenheit der Existenz des Menschen in der Auseinandersetzung mit der Schrift. Hier scheint es notwendig, Bonhoeffer mit Rudolf Bultmann und dessen existentialer Interpretation ins Gespräch zu bringen, behandelt seine Theologie doch genau die Verbindung von rationaler Einseh- und gläubiger Erfahrbarkeit im Hinblick auf die Getroffenheit der menschlichen Existenz (§ 3.1). Zwischen glaubendem Verstehen und verstehendem Glauben erweist sich dann jeder Umgang mit der Schrift als den ganzen Menschen fordernd und dessen Existenz verändernd. Mit Bultmann ist es dahingehend möglich, nicht nur Bonhoeffers Umgang mit den Mythen und Bildern der Bibel eingehender zu beschreiben und einzusehen – Bonhoeffer selbst verweist nämlich auf diese Nähe zu Bultmanns Programm der Entmythologisierung61 –, sondern auch die bleibenden Fragen der Rationalität und der historischen Bedingtheit des Glaubens zu diskutieren, um daraus seinen Umgang mit der Schrift als Gottes- und Menschenwort deutlicher zu fassen. Besonders erkenntnisbringend wird aber der Austausch beider Theologen zu der Frage nach der Existenz in Relation sein, ist es doch gerade Rudolf Bultmann ein Anliegen, seine anthropologischen Bestimmungen fundamental als relationale zu denken (§ 3.2). Hier kann man nicht nur Bonhoeffers Menschenbild als responsives besser verstehen, vielmehr noch erlaubt es einen differenzierten Einblick in seine hermeneutische Methode der Vergegenwärtigung zu bekommen. Erst dann nämlich ist es möglich, den für Bonhoeffer bleibenden Unterschied zwischen Historie und Geschichte an der Frage nach der Diesseitigkeit Gottes zu erfassen. Mit Bultmann also wird für Bonhoeffer ein Gesprächspartner hinzugezogen, an dem sich zeigen wird, dass beide zeitgenössischen Theologen dieselben Fragen umtrieben, nämlich die nach dem Verhältnis von Gott und Mensch (was sie auch mit ihrem Kollegen Barth zeitlebens verbinden sollte). Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse erweist sich im Anschluss Bonhoeffers Verständnis des Bibelgebrauchs als sakramentales und das in zwei Teilen: Zuerst werden die inhaltlichen Axiome, wie sie vor allem aus der Forschungsliteratur bereits aufgezeigt sind, eingehend beleuchtet (§ 4.1). Hier zeigt sich besonders Bonhoeffers Umgang mit dem biblischen Mythos als Nadelöhr für seine Arbeit mit der Schrift. Mit Bultmann ist zu sehen, dass Bonhoeffers Auffassung der biblisch-mythischen Erzählungen eine andere ist als jene seines Kollegen. In diesen nämlich geschieht Vergegenwärtigung des Wortes Gottes als solche, die den Menschen an einen für ihn vollkommen fremden und unangenehmen Ort, das Kreuz Christi, führt. Der rationale, in sich verkrümmte Mensch wird allein da, 61 Cf. WE, 414.
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Hermeneutische Implikationen
so zeigt es Bonhoeffer deutlich an, aus dem Kreisen um sich selbst herausgeholt und dem fremden Wort gegenübergestellt. Es gelingt Bonhoeffer damit, seine Rede vom Mysterium Gottes als die Wurzel alles Begreiflichen und Offenbaren darzulegen, indem er pointiert, dass Gott seinen Menschen dieses Geheimnis gerade nicht rational ergreifen lässt, sondern ihn der Lüge überführt und darin die Wahrheit erkennen lässt. Es erschließt sich notwendig, es als Bonhoeffers bleibendes Anliegen zu betrachten, darauf hinzuweisen, dass nicht im Ergreifen des Geheimnisses Christus offenbar wird, sondern, dass allein das Schweigen vor demselben dessen Wahrheit zu allererst offenbart. Bonhoeffer führt damit die alte Frage nach dem Subjekt der Auslegung vor Augen, die in seinen hermeneutischen Überlegungen neu zu stellen ist. Wenn nämlich zu sehen sein wird, dass es nicht der Leser ist, der den Text als solchen rational für sich je neu verständlich zu machen vermag, erweist sich die Auslegung der Schrift als dynamisches Geschehen im Leser selbst. Mit dem fremden Evangelium ist das Subjekt an seine rationale Grenze geführt, eine Grenze, die es nur überschreiten kann, wenn es sich über diese führen lässt, wenn also der Führer zum Geführten wird. Hier sind dann auch die als unzureichend zu klassifizierenden Kategorien von ‚Aktivität‘ und ‚Passivität‘ zu erkennen, über die hinaus Bonhoeffer den Leser, genauer das dezentrierte Subjekt, als ein aktives in bleibender Passivität vorstellt. Erst in diesem Geschehen ist der Leser dann tatsächlich durch die Schrift erschlossen, weil er sich vor Christus als neues Geschöpf verstanden sieht. Daran anschließend ist in Bonhoeffers Schriftauslegung ein weiteres Axiom angezeigt, da in diesem fremden Evangelium die Wirklichkeit Gottes dem Menschen immer entgegensteht, weil sie ihre Bestimmung aus dem Eschaton erhält. Die Rede von der Gegenwart Gottes bzw. der Vergegenwärtigung des historischen Jesus in seinem Wort erhält damit den Charakter des Unverfügbaren, genauer aber des Zukünftigen, weil in ihr Gott dem Menschen immer entgegenkommt, ihn von außen trifft und so zum Geschöpf Gottes überhaupt erst neu macht. Bonhoeffers Verständnis der Schriftauslegung kann demnach als Sprachgeschehen bezeichnet werden, wird doch allein in der Begegnung mit dem Wort der Mensch erst fähig, wahres Geschöpf zu sein, d. h. tatsächlich am Reich Gottes teilzuhaben. Hieraus ist dann auch einzusehen, inwiefern Bonhoeffer dieses Leben des Geschöpfes in Christus als Leben in Antwort, genauer in Verantwortung, verstehen kann. Diese inhaltlichen Implikationen und Voraussetzungen seiner Hermeneutik bringen in einem zweiten Teil zuletzt die Einsicht, dass es sich nach Bonhoeffer bei der Schriftauslegung um ein sakramentales Geschehen handeln muss (§ 4.2). Wenn zum einen nicht die Schrift interpretiert wird, sondern der Leser als Geschöpf Gottes, ist das Geschöpf in seine ‚Eigentlichkeit‘, in seine Ebenbildlichkeit zurückgebracht. Der Ort aber, an dem Bonhoeffer dieses fieri des neuen Men-
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schen allein denken kann, ist freilich die Kirche. Es erschließt sich damit nicht nur, warum er die Bibel nur als Buch der Kirche lesen kann, sondern auch, wie er diese tatsächlich denken will, nämlich als den Leib Christi, in dem ihr Geschöpfsein sich als Personsein, als Du ausformuliert. So wird der Raum der Ekklesia als Leib Christi zum hermeneutischen Ausgangspunkt, von dem aus christologisch die ganze Anthropologie ihre Bestimmung und die Leibmetaphorik Wirklichkeit erhält. In ihrem Angeredetsein erweist die Kirche sich selbst als bleibende Anrede Gottes an die Welt, sodass in ihr nicht nur die Glieder untereinander wirklich ein Fleisch sind, sondern auch Adam ein Teil dieses Leibes ist. Natürlich gibt es eine solche Teilhabe aber allein in Wort und Sakrament, weil Christus in der Kirche beides ganz ist. Es kann damit auch gezeigt werden, dass nur im Sakrament sich die Gegenwärtigkeit Gottes in seiner konkreten Gemeinde dann auch leiblich verwirklicht, sodass das Sakramentsgeschehen tatsächlich als Wortgeschehen zu erkennen ist, nämlich als performativ wirkendes Wort, in dem das Subjekt zur Person, zum Geschöpf Gottes wird. Diese Einverleibung in die Existenz als sanctorum communio kann man so mit Bonhoeffer als sakramentales Geschehen der realen Fleischwerdung Christi nicht in seinen Elementen, sondern im Fleisch der Gemeinde verstehen. Es zeigt sich darin nicht nur, dass eine Verschiebung der viel diskutierten Frage nach res und signum vorliegt, sondern auch, dass das grundsätzliche Verständnis des Sakraments enger dahingehend wird, dass nach Bonhoeffer christlich allein von einem Sakrament zu sprechen ist, welches der Gott-Mensch, der Fleischgewordene selbst in seiner Gemeinde ist. Denkt man Bonhoeffers hermeneutische Implikationen damit weiter, ist deutlich, dass jede Auslegung der Schrift tatsächlich eine Fleischwerdung des Logos meint, indem sich in der Neuschöpfung des Geschöpfes das Wort für alle Zeiten in seinem Leser vergegenwärtigt, weil es ihn teilbekommen lässt am Reich Gottes durch sein neues Teilsein. Darum ist die Heilige Schrift dann zuletzt tatsächlich als Leibwerdung des Wortes aufzufassen, vergegenwärtigt sich in ihr doch der auferstandene Gott in der Neuschöpfung des Geschöpfes. Dieses gläubige Verstehen ist darum sakramentales Geschehen, weil sich in ihm nicht ein Verstehen der Schrift ereignet, sondern das Verstandenwerden durch das Wort, d. h. dass in ihm eine neue Wirklichkeit wahr wird. Erst in der Teilhabe an dieser Wirklichkeit Christi ist dann auch das Geschöpf in seiner neuen Sprachfähigkeit als antwortgebender Wirklichkeit in seiner Existenz neu, die als ganze in ihrem Handeln nur eine Antwort auf diese Wirklichkeit sein kann. Kurzum, diese Studie will also zeigen, dass Bonhoeffers Hermeneutik als responsive verstanden werden muss, weil sich sein Verständnis der Bibelauslegung als ein sakramentales erweist, was es im Folgenden nachzuzeichnen gilt.
2.
Über Bonhoeffers formale Bibelbetrachtung
2.1
Das Problem mit der historisch-kritischen Methode
2.1.1 Vorurteilsfrei und kritisch Will man sich Bonhoeffers Umgang mit der Schrift Schritt für Schritt nähern, gilt es zunächst, sich mit seiner historisch-kritischen Arbeit am Text eingehender zu beschäftigen. Hatte Bonhoeffer sich mit seiner Auslegung der Genesis zwischen die theologischen Stühle gesetzt, hatte es also ein Systematiker gewagt, sich an die Auslegung eines biblischen Textes zu machen, roch das nicht nur nach einem alttestamentlichen Pendant zu Karl Barths Römerbrief,1 sondern auch nach einem Übergriff auf die alttestamentliche Wissenschaft. Inwiefern aber Bonhoeffer sich dieser Exegese bediente und auf welche Weise er sich von dieser absetzte, soll hier genauer untersucht werden. Dafür wird zunächst die Situation der alttestamentlichen Exegese vor Augen geführt werden, die gerade im anbrechenden 20. Jahrhundert eine radikale Neuorientierung erfuhr, weil sich der Bezugsrahmen der biblischen Wissenschaft über Religions-, Kultur- und Literaturgeschichte sowie durch Erkenntnisse aus Ägyptologie, Assyriologie und Archäologie immer stärker erweiterte. Der Anspruch der damaligen Exegeten erscheint heute ob der Menge an Anforderungen und Fachgebieten als ein kaum zu erfüllender, scheint er doch den Alttestamentler als Universalgelehrten und dessen Disziplin als Zusammenfügung alles singulären Wissens zu verstehen. Das zeigt sich beispielsweise darin, wenn Rudolf Kittel sowie Hugo Greßmann in den Analysen zur Gegenwart der alttestamentlichen Forschung einerseits betonen, dass mit Hermann Gunkels Forderung nach einer Literaturgeschichte des Alten Testaments ein Grund bereitet wurde, auf dem mithilfe präziser literarund quellenkritischer Arbeit zu exakter historischer Erkenntnis vorgedrungen werden könne. Da aber andererseits dann „[…] auch die Literaturgeschichte […]
1 Cf. Burtness, Als ob es Gott nicht gäbe, 172.
Das Problem mit der historisch-kritischen Methode
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nicht das Letzte“ sei, zumal sie „nur einen Teil des ganzen Prozesses“2 beschreibe, gelte es also, den Blick auf eine umfassende Geistes- und Religionsgeschichte des Alten Testaments zu richten; genau hier nämlich sollte alle geleistete Einzelarbeit zu einer großen, das Ganze umfassenden Synthese verschmelzen.3 Es verwundert daher kaum, dass nach dem ersten Weltkrieg eine neue Richtung der Erforschung des Alten Testaments eingeschlagen wurde. Zur Zeit einer sich beinahe selbst zersetzenden Quellen- und Literarkritik, die sich in ihren Erkenntnissen im unüberwindbaren Widerspruch von biblisch-heilsgeschichtlicher und historisch-kritischer Geschichtsschreibung vorfand, sind erste Aufforderungen zu einer „Herausarbeitung des spezifisch religiösen Gutes in der alttestamentlichen Religion zu erkennen, also dessen,“ wie Kittel es pointiert und treffend formuliert, „was unsere Wissenschaft in besonders nahe Beziehung zur Theologie bringt“.4 Man sah sich mit Unbehagen somit nicht nur beinahe, wie obiges Zitat von Kittel belegt, als außerhalb der christlichen Theologie stehend, sondern auch in der philologischen Zergliederung der Schrift selbst an ein Ende gekommen. Mit der kritischen Abwendung von der heilsgeschichtlichen Bibelinterpretation und dem Aufkommen der geschichtsphilosophischen Neuorientierung, die mit Leopold von Rankes Lehren5 und Julius Wellhausens Erkenntnissen auch in die alttestamentliche Forschung eingezogen waren,6 wandte sich damit das Interesse der neugegründeten ‚religionsgeschichtlichen Schule‘ der Untersuchung und Erkundung der Geschichte der biblischen Stoffe und Ideen zu. Freilich ist dabei im Auge zu behalten, dass dieselbe in ihren Anfängen nicht nur durch die Heterogenität der jeweiligen Forscher gekennzeichnet war, sondern auch in deren Forschungsinteressen recht uneinheitlich erschien. Sollte dementsprechend zum einen die eigene christliche Religion in ihren Grundlagen erforscht werden, war zum anderen auch ein religionsvergleichender Umgang anhand verwandter Phänomene aus dem Umfeld des Alten Testaments angebracht und notwendig, um das, wie später erkannt wurde, zwar synkretistische, aber doch originäre Spezifikum der eigenen Religion zu identifizieren. Zudem machte eine Untersuchung der Volksfrömmigkeit wie auch des Kultus des biblischen Judentums dessen Zeitbedingtheit evident. Besonders mit Hermann Gunkel und Hugo Greßmann zog dann ein psychologisches Moment in die historisch-kritische Methodik ein,7 sodass der Sinn alttestamentlicher Texte nun 2 Kittel, Die Zukunft der Alttestamentlichen Wissenschaft, 92. Cf. dazu auch den Aufsatz von Hugo Greßmann, Die Aufgaben der alttestamentlichen Forschung, passim. 3 Cf. zur Entwicklung der historisch-kritischen Methode v. a. Kraus, Erforschung des Alten Testaments, 10–14. 4 Kittel, Die Zukunft der Alttestamentlichen Wissenschaft, 96. 5 Cf. Kraus, Erforschung des Alten Testaments, 368–373. 6 Cf. Lüdemann/Özen, Art. Religionsgeschichtliche Schule, 619. 7 Cf. Lüdemann/Özen, Art. Religionsgeschichtliche Schule, 622f.
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Über Bonhoeffers formale Bibelbetrachtung
nicht mehr allein durch „philologisch-exakte Umschreibung, die den Anforderungen des Lexikons und der Grammatik entsprach […]“,8 ermittelt werden sollte, sondern folgende Maxime maßgeblich war: „Als Hauptgrundsatz muß gelten, daß eine Religion zunächst aus ihrer eigenen Entwicklungsreihe psychologisch verstanden werden muß.“9 Mit Blick auf eine Erschließung des religiösen Gehalts der Besonderheit Israels sollten so „nicht nur […] die Verbindungsfäden […], die vom AT zum vorderen Orient führen und umgekehrt, [gezogen werden,] sondern zugleich auch […] die Originalität Israels, seiner Literatur und seiner Religion, im Unterschied vom vorderen Orient erfaßt [werden].“10
Ähnliches ist ebenfalls zu finden, wenn sich Hermann Gunkel seinen Zeitgenossen mit deutlichen Worten zuwandte und nicht gegen eine Text- und Literarkritik, sondern zu einer guten, verständlichen und darüber hinausgreifenden Exegese aufrief, die sich nicht als Altphilologie oder Altertumswissenschaft, jedoch aber als Theologie verstehen sollte: „Redet nicht so viel über Literarkritik, Textkritik, Archäologie und alle anderen gelehrten Dinge, sondern redet über Religion! Denkt an die Hauptsache!“11 Mitten in dieser Umbruchszeit der historisch-kritischen Exegese besuchte auch der junge Dietrich Bonhoeffer die Berliner Theologische Fakultät, wo vorherrschend und beinahe ausschließlich diese historisch-kritische Methodik gelehrt wurde.12 Dass er schon zu Studentenzeiten sehr von seinen Lehrern geschätzt wurde, ist nicht nur aus Adolf von Harnacks Einladung zu seinem „Spezialseminar“, das dieser ab 1924 nach seiner Emeritierung hielt, abzulesen. Vielmehr war Bonhoeffer derjenige, der in einer daraus resultierenden gemeinsamen Untersuchung zum Begriff χαρά im Neuen Testament und bei den Apostolischen Vätern jeden Beitrag kritisch überarbeitete und schließlich den zusammenfassenden Artikel Freude im Urchristentum13 verfasste. An diesem 8 Greßmann, Religionsgeschichtliche Schule, 34. Er fährt fort: „War jemand besonders gelehrt, so fügte er wohl noch einzelnen Wörtern eine sprachgeschichtliche Untersuchung hinzu oder gar eine neue Etymologie, die mit der Interpretation in gar keinem Zusammenhange stand. Man vergaß, daß die lebendige Sprache niemals aus Wörtern, sondern nur aus Wortverbindungen besteht, und daß gerade diese Wortverbindungen zu verschiedenen Zeiten einen verschiedenen Sinn haben können.“ 9 Greßmann, Religionsgeschichtliche Schule, 42. 10 Greßmann, Die Aufgaben der alttestamentlichen Forschung, 10. 11 Gunkel, Ein Notschrei, 60. 12 Mit Bonhoeffers Lehrern Hugo Greßmann, Ernst Sellin, Adolf Deißmann, Hans Lietzmann, Adolf von Harnack und auch Reinhold Seeberg ist die Vorherrschaft der religionsgeschichtlichen Schule in der Berliner Fakultät deutlich zu erkennen. Laut Bonhoeffers Studienbuch besuchte er diese und andere bereits in den ersten beiden Semestern (außer Seeberg). Cf. DB, 101. 13 JuS, 452–473.
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wird vor allem deutlich, „welche Schulung Bonhoeffer in der historisch-kritischen Methode erhalten hatte“14 und wie gut er sich auf dieselbe verstand. Auch in seiner letzten Seminararbeit im Alten Testament bei Ernst Sellin zum Thema Die verschiedenen Lösungen des Leidensproblems bei Hiob im Jahr 1927, so berichtet Eberhard Bethge, arbeitete er „[i]n sauberer historisch-kritischer Methode […] die verschiedenen Quellen heraus.“15 Dass Adolf von Harnack seinem Schüler nach dessen erster kirchengeschichtlicher Arbeit16 bereits eine Möglichkeit zur Promotion eröffnete, erfährt man nur beiläufig aus einem Brief Bonhoeffers an seine Eltern vom 17. 11. 1943.17 Dass der junge Bonhoeffer dieses Angebot nicht annahm, weiß man, und doch waren es wohl gerade der harnacksche Einfluss, dessen Persönlichkeit und seine Bindung an die Wahrheit sowie dessen kritische Herangehensweise an die biblischen Texte, die Bonhoeffer Zeit seines Lebens nicht losließen.18 Das lässt sich nicht nur an den zahlreichen Verweisen und der konsistenten Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Methode ablesen, sondern auch an der Kritik am Dogma noch zu Zeiten seines Studiums19 oder wenige Jahre später an den lutherischen Bekenntnisschriften.20 Hans Pfeifer geht sogar so weit zu folgern, es sei Harnacks Einfluss geschuldet, dass Bonhoeffer ab 1933 an einem Katechismus für Konfirmanden arbeitete.21 Im Gegenzug konnte der junge Bonhoeffer Harnacks Beurteilung des Christentums, dessen Weiter- und Höherentwicklung jener aus der Geschichte abzulesen meinte22 und dessen Wesensfestlegung er in seiner Geschichte, nicht aber in der christlichen Offenbarung sah,23 jedoch nicht teilen. Besieht man aber Bonhoeffers Werk, bleibt unübersehbar, dass der Student seinem Lehrer vor allem in der Beurteilung der Bedeutung der Redlichkeit treu blieb, wenn die Verpflichtung zu einem kritischen Umgang mit dem Text als eine erscheint, die dieser notwendigerweise als Grundlage aller Bibelauslegung anerkannte und gerade in der Betonung der Schrift als Menschenwort dezidiert in den Vordergrund stellte. 14 DB, 96. 15 DB, 115. 16 Cf. Bonhoeffers Seminararbeit über den 1. Clemensbrief Das jüdische Element im ersten Clemensbrief in Bestand und Verhältnis zum Ganzen, in JuS, 220–271. 17 Cf. WE, 184, „Ich war 18 Jahre, kam aus einem Harnackseminar, in dem er meine erste Seminararbeit sehr freundlich besprochen hatte und die Bemerkung fallen ließ, er hoffe, ich würde mich einmal für die Kirchengeschichte habilitieren […].“ 18 Cf. BBA, 157f. 19 Cf. JuS, 547. Der Hinweis auf Jesu Erdenleben sei zu kurz, konstatiert der Student Bonhoeffer, da sein Wirken in seinen Erdentagen gar nicht erwähnt sei. 20 Cf. SC, 187. 21 Cf. ÖUP, 228–237. Cf. dazu Pfeifer, Kirchenverständnis, 71. 22 Cf. Harnack, Das Christentum und die Geschichte, 9. 23 Was besonders Karl Barth gegen Adolf von Harnack hervorhob. Cf. Harnack, Fünfzehn Fragen, 7.
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Dass dies jedoch nicht der erlernten Art und Weise der historisch-kritischen Methode entsprach, sondern er damit einen anderen, neuen Weg ging, wird im Folgenden herauszuarbeiten sein. Mit dieser Hochschätzung des Lehrers und der durch diesen erlernten Fähigkeiten verwundert es so kaum, dass er 1925 bei seinem späteren Doktorvater Reinhold Seeberg in einem Referat über historische und pneumatische Schriftauslegung, in dem er sich dezidiert mit dem Schriftverständnis der Dialektischen Theologie24 und der Hermeneutik Luthers (in der Darstellung Karl Holls) auseinandersetzte,25 die Notwendigkeit der historischen Methodik hervorhebt, wenn er schreibt: „Freilich kann man es keinem verwehren, dieses Buch als eines unter anderen zu betrachten, ja wir müssen es alle tun, denn es waren Menschen wie andere, die es schrieben.“26 Die Bibel ist in Bonhoeffers Augen damit zunächst ein ganz und gar profanes Buch, dessen Autoren zwar in zeitlichem Abstand zu uns lebten, dennoch aber nicht anders waren als wir selbst, nämlich vollkommen menschlich. Eine wie auch immer geartete göttliche Inspiriertheit scheint damit schon von Anfang an abgelehnt zu werden, wenn sich ihm doch eine rationale Erfassung dieses Buches dezidiert angemessen erweist.27 Vielleicht ist darin zudem einer der Vorwürfe Harnacks in seinen Fünfzehn Fragen an die Verächter der wissenschaftlichen Theologie unter den Theologen zu hören, in welchen dieser ironisch zu fragen weiß, ob man „um die Bibel zu verstehen, neben der inneren Aufgeschlossenheit [nicht auch] geschichtliches Wissen und kritisches Nachdenken“28 brauche. Man kann somit schon an dieser Stelle einen Grundsatz der bonhoefferschen Schriftauslegung festmachen, der sich immer wieder aus unterschiedlichen Blickwinkeln und in unterschiedlicher Gewichtung zeigen wird: Es ist dieser konkrete Aufweis Gottes in der Geschichte, der eben auch mit den ihm eigenen wissenschaftlichen Erkenntnismethoden untersucht und erforscht werden muss, 24 Cf. Barths Stellungnahme zur historisch-kritischen Exegese im Vorwort zur zweiten Auflage seines Römerbriefes: „Man hat mich einen ‚abgesagten Feind der historischen Kritik‘ genannt. […] In der Tat, ich erhebe einen Einwand gegen die neueren Kommentare zum Römerbrief, durchaus nicht nur gegen die sog. historisch-kritischen, sondern auch gegen die etwa von Zahn und Kühl. Aber nicht die historische Kritik mache ich ihnen zum Vorwurf, deren Recht und Stehenbleiben bei einer Erklärung des Textes, die ich keine Erklärung nennen kann, sondern nur den ersten primitiven Versuch einer solchen, nämlich bei der Feststellung dessen ‚was da steht‘ mittelst Übertragung und Umschreibung der griechischen Wörter und Wortgruppen in die entsprechenden deutschen […] Erläuterungen […]. Wie unsicher, wie sehr auf die oft fragwürdigsten Vermutungen angewiesen die Historiker schon bei dieser Feststellung ‚was da steht‘ sind, das wissen Jülicher und Lietzmann besser als ich. Exakte Wissenschaft ist auch dieser primitive Versuch einer Erklärung nicht.“ (Barth, Römerbrief, XVIf.) 25 Cf. JuS, 305 (Anm. 1). 26 JuS, 306. 27 Zur Frage nach der Inspiriertheit der Schrift cf. § 2.2.2. 28 Harnack, Fünfzehn Fragen, 7.
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der Bonhoeffer mit seinen Lehrern aus Berliner Tagen stets verbinden soll und der für ihn nicht zuletzt zur Zeit seiner Haft immer wichtiger zu werden scheint.29 Freilich ist die Bibel für ihn jedoch nicht nur ein in den Grenzen der Weltlichkeit verhaftetes Buch,30 sie ist es zu allererst da, wo man sich ihr wissenschaftlich wie auch gläubig nähern will. Gerade als ganz menschlicher nämlich erweist sich dieser Text gleichsam als wirklich göttlich; das wird sich im Verlauf dieser Arbeit noch deutlich zeigen. War also mit dem lutherischen Hinweis, dass der Schrift als menschlich verfasstem Dokument mithilfe profaner Methoden, vorzüglich philologischer, zu begegnen sei, die Forderung gegeben, die Bibel als ein Buch wie jedes andere zu behandeln,31 ging es der Exegese nun darum, die Schrift von der Last eben dieser dogmatischen Voreingenommenheit zu befreien und dadurch wieder zu ihrem eigenen Wort kommen zu lassen.32 Allein historisch verstanden – befreit von vorgefassten Meinungen und Einschreibungen –, im Wahrnehmen dieser als geschichtliches Zeugnis einer bestimmten Zeit für eine bestimmte Zeit sollte die Kritik eine Instrumentalisierung der Schrift unterbinden, welche selbige zu einem Lieferanten dogmatischer Lehraussagen degradiert hatte. Mit dem Exegeten als dem Anwalt der Sache sollte der Text wieder für sich selbst sprechen und eine „Schutzmauer für die alten Schriftsteller gegen die Razzien der Dogmatiker aller Farben“33 errichtet werden. Gegen eine existentielle Aneignung der heilsgeschichtlichen Schule sollte nun durch und mithilfe der historisch-kritischen Methode die Fremdheit und Eigenheit des Textes respektiert und einer direkten Ausbeutung durch eine mit der Dogmatik hergestellten Verfremdung des Textes Einhalt geboten werden. War nach Luther, Christus als die Mitte der Schrift zu suchen und allein aus diesem die Klarheit der Schrift zu erkennen, war es für Bonhoeffers Lehrer Adolf von Harnack, um an diesem reformatorischen Prinzip festhalten zu können, umso notwendiger Christus historisch-kritisch zu erfassen, damit er eben diesen mannigfaltigen Einschreibungen etwas entgegensetzen konnte: „Wenn die Person Jesu Christi im Mittelpunkt des Evangeliums steht, wie läßt sich die Grundlage für eine zuverlässige und gemeinschaftliche Erkenntnis dieser Person anders gewinnen als durch kritisch-geschichtliches Studium, damit man nicht einen er-
29 Cf. WE, 404, 511 und v. a. 652ff. 30 Cf. zu dieser Problematik § 2.2. 31 Cf. z. B. die voraussetzungslose Herangehensweise an die Schrift Friedrich Baumgärtels, Adolf von Harnacks, aber auch Rudolf Bultmanns. (Cf. Baumgärtel, Die Bedeutung des Alten Testaments, 22f. [Anm. 38].) 32 Cf. Kittel, Die Zukunft der Alttestamentlichen Wissenschaft, 84: „Die alte, von Tradition und Dogma beeinflußte Auffassung vom Alten Testament wurde mit dem Vordringen der historischen Methode mehr und mehr beiseite gedrängt.“ 33 Duhm, Jesaja, 3.
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träumten Christus für den wirklichen eintausche? Wer anders aber vermag dieses Studium zu leisten als die wissenschaftliche Theologie?“34
Exegese, vornehmlich historisch-kritische, galt demnach als Schlüssel zum Textverstehen, war doch eine Erkenntnis des Textes folglich ohne eine historische Rückbindung nicht möglich. In genau dieser radikalen Anerkennung der Schrift als Menschenwort, als menschlicher Charakter der Offenbarung war auch für Bonhoeffer der historisch-kritische Zugang ein notwendiger und unumgänglicher.35 Nur in der vollkommenen Akzeptanz der Schrift als ganz der Welt zugehörig war es für ihn überhaupt möglich, die Wahrheit des Wortes Gottes zu verstehen. Mit Gottfried Claß ist demnach festzuhalten: Gerade in der Anerkenntnis der Menschlichkeit und Geschichtlichkeit der biblischen Texte sowie im steten Hinweis auf die Anbindung an die ihnen eigene Zeit, deren Erkenntniszugänge sowie Denk- und Sprachformen zeigte sich für den jungen Dozenten deutlich die Notwendigkeit der Methode der historisch-kritischen Exegese. Der Glaube musste daraus resultierend für ihn ein Interesse daran haben, einen solchen Zugang zur Schrift für den heutigen Menschen zu schaffen, war und ist jener doch nicht immer ohne Weiteres selbstverständlich.36 Und eben so erklärt Bonhoeffer auch noch vor Beginn der Auslegung in seiner Vorlesung Schöpfung und Fall sein Vorgehen als „fortwährendes Zurücklaufen vom Text (der mit allen Methoden philologischer und historischer Forschung zu ermitteln ist)“ als Voraussetzung für die Auslegung der Schrift, erweise sich daran doch die „Sachlichkeit“, worin „allein ihr Anspruch auf Wissenschaftlichkeit begründet“37 sei. Wenn er diesen Verweis auf die historische Methodik auch in einer Klammer führt und dieser nach den Herausgebern von Schöpfung und Fall nur ein Zusatz im Manuskript ist,38 kann damit zweierlei einhergehen: Zunächst, dass die historisch-kritische Exegese für Bonhoeffer in seiner Auslegung der Genesis eine nachgeordnete Stellung inne hatte,39 oder aber, dass sie für ihn eben grundsätzlich selbstverständlich war und ihm erst im Nachhinein die Notwendigkeit der Betonung auffiel, sie notgedrungen als maßgebende Bearbeitungsmethode aufzuführen, zumal in der Berliner Fakultät die kritische Exegese eine vorrangige Stellung einnahm.40 34 35 36 37 38 39
Harnack, Fünfzehn Fragen, 8. Cf. Woyke, Biblical Hermeneutics, 28. Cf. Claß, Der verzweifelte Zugriff, 65. SF, 22. Cf. SF, 22 (Anm. 6). So ist dies zum Teil auch in der Forschungsliteratur gesehen worden. Cf. bspw. Weikart, Scripture and Myth, 20; Filipi, „Gott ist gefährlich“, 163; u. a. 40 Gottfried Claß schließt aus der Bedeutung der historisch-kritischen Exegese für die Berliner Fakultät, dass Bonhoeffer keinen Grund darin gesehen habe, die Bedeutung selbiger her-
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Ein Mittleres wird es wohl sein, scheint Bonhoeffer sich in seiner Vorlesung zum einen doch dezidiert von der gängigen Art der historisch-kritischen Auslegungspraxis abzusetzen, zum anderen aber auf sein Wissen sowie seine Anwendungsfähigkeit derselben hinweisen und bestehen zu wollen wie auch daran anknüpfend seine eigene Art des „fortwährende[n] Zurücklaufen[s] vom Text“41 anzubringen. Wie genau diese bonhoeffersche Weise der historischen Arbeit am Text aussieht, soll hier genauer untersucht werden, fest steht aber, dass schon die Berliner Studentenschaft derselben gewahr wurde und diese auf großes Interesse stieß; so wurde beispielsweise „von einem ‚extra historischen Standpunkt‘“ und „neue[n] Wesentlichkeiten im Texte“, von einem „im Ernst […] Kompromißlose[n]“ gesprochen.42 Demnach versteht sich Bonhoeffers theologische Auslegung also gerade nicht, wie auch Gottfried Claß zurückhaltend konstatieren muss, als Gegenüber zur historisch-kritischen Exegese,43 vielmehr schreibt sie sich auf die Fahnen, dieselbe für sich in Gebrauch zu nehmen. Und genau das gilt es hier zu zeigen.
2.1.2 Mit einem Wort über den Text hinaus Wie bereits gesagt, stand das literarkritische Verfahren zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach wie vor hoch im Kurs.44 Ohne selbiges, eruierte Hugo Greßmann, könnten „nur märchenhafte Luftschlösser gebaut werden […], nur Hypothesen ohne wissenschaftliche Bedeutung.“45 So stand für die historisch-kritische Bearbeitung eines Textes die Anfertigung einer philologisch exakten Übersetzung grundsätzlich an erster Stelle. Das findet sich auch bei dem jungen Dozenten Bonhoeffer, der sich zwar im Wortlaut prinzipiell der Übersetzung Luthers an-
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auszustellen. Damit ist weder eine eindeutige Aussage über Bonhoeffers Stellung zur historisch-kritischen Methode gemacht, noch ist eine Begründung für eine eventuelle Missachtung bzw. Achtung dieser dargelegt. Allein die Bemerkung wenig später, Bonhoeffer stehe mit seinem „Auslegungskonzept unter Legitimationsdruck“, lässt erahnen, dass Claß Bonhoeffers Stellung zur historisch-kritischen Methodik nicht eingehend bearbeitet. Dass das eine verkürzende und unzureichende Darstellung dieses Sachverhaltes ist, wird sich auf folgenden Seiten deutlich zeigen. Cf. dazu Claß, Der verzweifelte Zugriff, 65. SF, 22. Cf. SF, 8 (Vorwort der Herausgeber). Cf. Claß, Der verzweifelte Zugriff, 64. Cf. auch Phillips, The Form of Christ, 86: „But it would not be fair to say that Bonhoeffer altogether denied the necessity and value of such questions as are raised by the critical approach. That he was aware of such difficulties is clear from his comments in his lectures on Christology, delivered during the following semester.“ Für die folgenden Ausarbeitungen liegt zur Unterteilung der historisch-kritischen Methodik in einzelnen Aspekten und Perspektiven Uwe Beckers Exegese des Alten Testaments zugrunde. Greßmann, Die Aufgaben der alttestamentlichen Forschung, 3.
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schließt, der aber doch den Vorgaben des Alttestamentlers Emil Kautzsch46 wie auch den Untersuchungen Hans Schmidts47 detaillierte Aufmerksamkeit schenkt. Durch die Hinzuziehung dieser philologisch und historisch exakten Übersetzungen des Alten Testaments – gerade Emil Kautzschs Arbeit galt in dieser Zeit als Standardwerk48 – als Grundlage für seine eigene Übertragung und Auslegung zeigt sich zuallererst Bonhoeffers konstitutive und ausschlaggebende, wenn auch zum Teil implizite Würdigung und Anerkenntnis der historischkritischen Methode sowie sein eigener Wissenschaftsanspruch, auf der Grundlage neuester biblischer Forschung zu arbeiten. Dennoch erweist sich dieser Umgang mit den exegetischen Übersetzungen nicht als einer, der ohne Kritik und Veränderung auskäme. Man darf beispielsweise manche Modifikationen der Interpunktion und einiger Ausdrücke nicht unterschlagen, bringen sie doch zum Teil ein verändertes Verständnis mit sich. Während die Herausgeber von Schöpfung und Fall diesen Abweichungen keine Aufmerksamkeit ob ihrer Unbeträchtlichkeit schenken, diese dementsprechend auch nicht nachweisen,49 macht demgegenüber Gottfried Claß in seiner umfassenden Bearbeitung der bonhoefferschen Vorlesung Der verzweifelte Zugriff auf das Leben dazu exemplarisch an Gen 1,2 darauf aufmerksam, dass Bonhoeffers Ersetzung eines Kommas durch ein Semikolon einen weitreichenden Unterschied für die gesamte hamartiologische und christologische Interpretation ausmacht. Wenn Luther in seiner Übersetzung die ‚Tiefe‘ den Adjektiven ‚wüst‘ und ‚leer‘ zuordnet und davon den Geist Gottes durch einen Strichpunkt trennt, werde dieselbe dezidiert nicht „als Ausdruck eines vorgeschöpflichen Chaoszustandes“50 interpretiert, so Claß. Indem Bonhoeffer dieses Semikolon demnach zwar übernimmt, aber nicht dort stehen lässt, wo es bei Luther steht, sondern es hinter die Adjektive setzt, ändert er nicht nur die Satzstruktur, sondern es eröffnet sich damit darüber hinaus eine völlig neue Bedeutung, die nicht zu unterschätzen ist. So heißt es bei ihm also: „Und die Erde war wüst und leer; und es war finster auf der Tiefe, und der Geist Gottes schwebte über den Wassern.“51 46 Cf. Kautzsch, Heilige Schrift, passim. 47 Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, passim. 48 Bonhoeffer nutzte die 1922 erschienene vierte Auflage des Werkes von Emil Kautzsch. Cf. SF, 13. 49 Cf. SF, 13. 50 Claß, Der verzweifelte Zugriff, 66 (Anm. 195). Cf. dagegen die Lutherbibel: „Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.“ Dagegen aber die Variante in der WA: „[V]nd die erde war wust vnd leer, vnd es war finster auff der tieffe, vnd der wind Gottis schwebet auff dem wasser.“ (WA DB 8, 37,2.) Claß müsste demnach präzisieren und von der Lutherbibel von 1911 sprechen, die nämlich verwandte Bonhoeffer nach Angabe der Herausgeber von SF. (Cf. SF, 13 (Vorwort).) 51 SF, 34. Es ist darauf hinzuweisen, dass Bonhoeffer diesen Vers in seiner Vorlesung uneinheitlich wiedergibt. Auf Seite 25 heißt es nämlich: „[U]nd die Erde war wüst und leer; und es
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Durch die Abgliederung der Adjektive „wüst und leer“ von dem Substantiv „Tiefe“ durch ein Semikolon trennt Bonhoeffer die zweite Sequenz von der ersten, wie Claß treffend feststellt; wie aus seiner nachfolgenden Argumentation jedoch zu erkennen ist, geht es hier nicht zuerst um die Verbindung der Tiefe mit dem Geist Gottes, wie das Claß meint aufzeigen zu können,52 vielmehr bestimmen die vorausgehenden Adjektive das nachfolgende Substantiv näher.53 Bonhoeffer geht es demnach wohl darum, der These in der (nicht nur damaligen) alttestamentlichen Exegese, Gott habe die Welt zu Beginn gerade nicht zuerst in einem Zustand des menschenfeindlichen ֺתהוּ ָוֺבהוּgeschaffen, um sie dann in einen geordneten Organismus umzuformen, zu widersprechen.54 Dieses zeigt sich nun zunächst einmal daran, dass er diese chaotische Tiefe als erstes Werk Gottes verstehen will, das Gott in seiner Sprachlosigkeit und Finsternis sogar Ruhm bereitet.55 Zugleich aber weist diese exegetische Entscheidung Bonhoeffers auf noch etwas weitaus Größeres hin, nämlich auf die Frage nach der Herkunft des Bösen. Bonhoeffer will gerade nicht, einen feindlichen Urzustand, welcher der Schöpfung der Welt vorausging, annehmen.56 Im Gegenteil ist in Gottes erstem Werk der Schaffung der Tiefe schon das da, was auf „de[n] ersten[n] Klang von der Macht der Finsternis, von der Passion Christi“57 hinweist. In der Resonanz auf Hans Schmidts Übersetzung des Wortes ְתהוֹםals „Urmeer“58 begründet Bonhoeffer diese Tiefe dann als Macht, die gerade in ihrem Tiefsein zwar noch dem Schöpfer zur Ehre dient, dennoch aber die Gewalt inne hat, einmal vom Ursprung losgerissen, „Aufruhr und Empörung“59 zu verursachen. Das Böse ist Teil der Schöpfung, dieses exegetische Axiom dient ihm im Folgenden dazu, die „völlige Unbegreiflichkeit der Tat“60 Adams und Evas in der Missachtung des göttlichen
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war finster auf der Tiefe. Und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.“ Bonhoeffer ändert hier nicht nur den Punkt hinter der Tiefe in ein Komma, er ändert den Text (aber nicht die Satzzeichen!) mit Kautsch gegen die Lutherbibel ab. (Cf. SF, 34 (Anm. 32).) Cf. Claß, Der verzweifelte Zugriff, 65f. (Anm. 195). Dieser Lesart trägt auch die verschiedene Punktuation auf Seite 25 Rechnung. Claß dagegen sieht die Trennung der Adjektive vom Substantiv als Hinweis daraufhin, dass Bonhoeffer keinen vorgeschöpflichen Chaoszustand annimmt. Dem ist sicherlich zuzustimmen, jedoch nicht mit dieser Argumentation. So Claß Argumentation (Cf. Claß, Der verzweifelte Zugriff, 65f. (Anm. 195).) Cf. dazu auch unter anderen: Gunkel, Urgeschichte, 102. Demenstprechend liest Bonhoeffer entgegen der gängigen alttestamentlichen Exegese seiner Zeit den ersten Vers der Genesis auch nicht als Überschrift für die ab Vers drei folgenden Schöpfungswerke, sondern versteht diesen als den Beginn des Schaffens Gottes. Cf. dazu auch die Anmerkung 33 der Herausgeber in SF, 35. Cf. SF, 35. Cf. dagegen Gunkel, Urgeschichte, 102. SF, 35. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 36. SF, 35. SF, 98.
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Gebots in Gen 3,1–3 als dieses Böse zu deuten, das „nicht [als eine] plötzlich […] irgendwoher kommende böse Gewalt offensichtlich in die Schöpfung hineinbricht, sondern […] ganz in der Schöpfungswelt verhüllt, in der Schöpfung durch den Menschen geschieht.“61 Bonhoeffer folgt damit ganz dem Denken der frühjüdischen Schriften, die alles Gute wie Böse der Macht Gottes zuschreiben.62 Wie aber gerade die Genesis verdeutlicht, und das macht er im Laufe seiner Vorlesung klar, bleibt das Böse grundsätzlich zuletzt und in aller Losgerissenheit von seinem Schöpfer nun doch eine Angelegenheit des Menschen.63 Schon hier, in diesem anfänglichen Blick auf die ersten Worte der Genesis zeigt sich demnach die Relevanz der philologischen Untersuchung für die kritische Erschließung des Textes, die zunächst einen Zugang zur sprachlichen Besonderheit desselben schaffen und tieferes Verstehen ermöglichen will, um so die Mauer des Nichtverstehens überwinden zu können. Für Bonhoeffer kommt diese Bedeutsamkeit gerade darin nachdrücklich zum Tragen, wenn nicht nur das Wort an sich oder, wie in diesem Beispiel, die Interpunktion, sondern der Zusammenhang in den Fokus gerät. Besonders offenkundig wird das beispielsweise an der Auseinandersetzung mit den hebräischen Begriffen טוֹבund ַרע, die eine entscheidende Stelle der Interpretation nicht nur des Sündenfalls markieren, sondern auch die Weichen der theologischen Anthropologie neu stellen. In der Auslegungspraxis lassen sich dazu (traditionell wie zu seiner Zeit) divergierende Interpretationen finden: So wird das Essen vom Baum der Erkenntnis als der Verlust der urständlichen Erkenntnis64 beziehungsweise gegenteilig als ein Mündigwerden und Reifen menschlicher Existenz aus naiver Unkenntnis zu Kultur, zu Wissenschaft und Welterkenntnis gesehen65 oder noch stärker als „Fortschritt von kindlicher Unwissenheit zu sittlicher Entschiedenheit“.66 Oft wird jedoch auch eine Erkenntnis entweder nur der Nacktheit67 oder aber auch des Geschlechts, genauer der Geschlechtlichkeit,68 abgeleitet. 61 62 63 64 65
SF, 98. Cf. Sam 18,10; Am 3,6; Ex 7,3 etc. Cf. SF, 98. Cf. dazu Gen 6,5. Cf. Keil, Die Bücher Mose’s, 60. Cf. Wellhausen, Prolegomena, 305–307. Wellhausen entwickelt diese Erkenntnis aus der Gesamtschau auf den Hexateuch, wo er zunächst die Kleidung, dann die Gründung von Städten und Kultur (§ 4) und sodann die Entwicklung von Weltreichen mit dem Turmbau zu Babel als Hinweis darauf anbringt, dass in der alten Welt Wissen immer zugleich auch Können bedeutete. 66 Delitzsch, Genesis, 91. 67 Cf. Vischer, Christuszeugnis des AT, 76. 68 Cf. Gunkel, Genesis, 17f. (zu Gen 3,7): „Das Höchste haben sie geglaubt zu erwerben; und nun erkennen sie nichts anderes, als – daß sie nackend sind! Hier sieht man am deutlichsten, wie der Begriff des ‚Erkennens von Gut und Böse‘ eigentümlich schwankt. – Durch das Beispiel, das er gebraucht, will der Mythus sagen: früher unwissende Kinder, werden sie jetzt mit einem
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Dietrich Bonhoeffer geht in seiner Auslegung andere Wege. Seiner Arbeit legt er dazu die Hinweise des Alttestamentlers Hans Schmidt und dessen Erzählung vom Paradies und Sündenfall zugrunde. Philologisch sieht Schmidt prinzipiell die gängige Übersetzung von טוֹבund ַרעals das (sittlich) Gute und das (sittlich) Böse zu eng gefasst, da erstens eine einheitliche Verwendung dieser Begriffe im Alten Testament nicht zu konstatieren sei und zweitens damit gerechnet werden müsse, „daß die Bezeichnung des Baumes das in seinen Früchten gegebene Gut verhüllend benennt [und somit] die Bezeichnung uneigentlich, ein Rätselname ist.“69 Dass die Erkenntnis „von ‚gut‘ und ‚sündig‘ und also das Bewußtsein [der] freien Entscheidung erst in dem Augenblick aufgegangen sei, als sie von dem Baume essen“, deutet er gegen die traditionelle Auslegungspraxis dieser Stelle als unmöglich, „denn diese Freiheit der Entscheidung, diese Erkenntnis ist ja schon in dem Augenblick gegeben oder sogar schon vorausgesetzt, in dem ein Verbot, mit dem Anspruch gehalten zu werden, vor den Menschen hintritt.“70 Stattdessen gewinnt er seine Exegese aus dem Verlauf der Erzählung, die im „Wissen um die Besonderheit ihres Geschlechtes […,] [also] der Entstehung der sinnlichen Liebe“71 die Erkenntnis des Baumes fasst. So kommt Schmidt zu dem Schluss: „[D]ie Worte טוֹבund ַרעbedeuten in ihrem konkreten Ursinn nicht ‚gut‘ und ‚böse‘ […]. Die Worte ‚tôbh und ra‘ […] bedeuten hier, was Freude, was Lust der Sinne bereitet und davon das Gegenteil; sie bedeuten: ‚lustvoll‘ und ‚leidvoll‘[.]“72 So liegt also die Erkenntnis seiner Meinung nach in der Erfahrung von Lust und Leid, womit das Ziel dieser Erzählung in der Einsicht darin zu suchen sei, was zugleich lustvoll und leidvoll sei, also in der Entstehung der sinnlichen Liebe. Wenn Bonhoeffer im Anschluss daran darauf hinweist, dass „[g]ut und böse, ‚tob‘ und ‚ra‘ […] hier einen viel weiter gehenden Sinn als gut und böse in unserer Terminologie“ haben, „so daß tob auch etwa ‚lustvoll‘ und ra ‚leidvoll‘ bedeuten würde“,73 so zeigt sich einerseits seine Arbeit mit Schmidts Übersetzung, anderseits aber auch, berücksichtigt man den gesamten Textabschnitt, dass er gerade nicht dessen Konklusion übernimmt:
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Male Erwachsene. […] Der alte Mythus antwortet aufs deutlichste, daß das Gewinnen der Erkenntnis die Zauberwirkung des Baumes ist. […] Die Sünde, die sie begehen, und die Erkenntnis, die sie erlangen, ist hier also nicht unmittelbar psychologisch miteinander verbunden; dennoch darf man sagen, daß dem Erzähler eine Idee schon undeutlich vorschwebt, wenn er sie in seiner Darstellung freilich auch noch nicht erreicht, nämlich, daß die Aufklärung, die Reife nur durch die Sünde hindurch erlangt wird: man denke an die Art, wie den halbwüchsigen Kindern die erste Kunde von den geschlechtlichen Dingen zukommt.“ Schmidt, Paradies und Sündenfall, 21. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 21 (Anm. 1). Schmidt, Paradies und Sündenfall, 21f. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 26. SF, 82.
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„Gut und böse, ‚tob‘ und ‚ra‘ hat dabei hier einen viel weiter gehenden Sinn als gut und böse in unserer Terminologie. Die Worte tob und ra reden von einem letzten Zwiespalt in der Welt des Menschen überhaupt, der hinter den moralischen Zwiespalt noch zurückgreift, so daß tob auch etwa ‚lustvoll‘ und ra ‚leidvoll‘ bedeuten würde (Hans Schmidt). Tob und ra sind die Begriffe für die tiefste Entzweiung des menschlichen Lebens in jeder Richtung.“74
Es ist bezüglich der bedeutend voneinander zu unterscheidenden Interpretationen überraschend, dass Bonhoeffer zwar nicht Schmidts Konsequenzen übernimmt, er sich aber dessen Methodik in ihren Grundzügen bedient. Im Gemeindevortrag Grundfragen einer christlichen Ethik vom 08. 02. 1929 in Barcelona wird deutlich, dass Bonhoeffer durch die Beschäftigung mit Nietzsches Jenseits von Gut und Böse75 auf die dem Christentum zugrundeliegende Frage ‚nach Gut und Böse‘ beim Menschen aufmerksam geworden war. Bereits hier verweist er deutlich darauf, dass die „christliche Botschaft […] jenseits von Gut und Böse [steht]; und das muß so sein; denn sollte die Gnade Gottes abhängig gemacht werden vom Menschen je nach gut und böse, so wäre wieder ein Anspruch des Menschen an Gott begründet, damit aber Gott die alleinige Macht und Ehre angetastet. Es ist überaus tiefsinnig, daß in der alten Sündenfallgeschichte der Grund des Falls das Essen vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen ist. Die ursprüngliche […] Gemeinschaft des Menschen mit Gott steht jenseits dieses Wissens von Gut und Böse, sie weiß nur von einem, von der grenzenlosen Liebe Gottes zum Menschen.“76
Auch wenn er sich schon 1929 von einer christlichen Ethik absetzt, erkennt er die volle Konsequenz aus diesem Gedanken den Herausgebern von Schöpfung und Fall zufolge77 jedoch erst bei seiner eingehenden Auseinandersetzung mit der Genesis. Anhand Nietzsches Also sprach Zarathustra, in dem dieses ‚Gut und Böse‘ in Zusammenhang mit dem Schöpfungsgedanken gestellt ist,78 gewinnt 74 SF, 82. 75 Cf. BBA, 327 (Anm. 8). Cf. Nietzsche, Friedrich, Jenseits von Gut und Böse, in: Nietzsche, F, Werke. Band 2, hg. v. Schlechta, K., Berlin 2000, 563–759. 76 BBA, 327. 77 Cf. SF, 155–157. 78 Cf. Nietzsche, Zarathustra, 297f.: „Einst warf auch Zarathustra seinen Wahn jenseits des Menschen, gleich allen Hinterweltlern. Eines leidenden und zerquälten Gottes Werk schien mir da die Welt. Traum schien mir da die Welt und Dichtung eines Gottes; farbiger Rauch vor den Augen eines göttlich Unzufriednen. Gut und Böse und Lust und Leid und Ich und Du – farbiger Rauch dünkte mich’s vor schöpferischen Augen. Wegsehn wollte der Schöpfer von sich, – da schuf er die Welt. Trunkne Lust ist’s dem Leidenden, wegzusehn von seinem Leiden und sich zu verlieren. Trunkne Lust und Selbst-sich-Verlieren dünkte mich einst die Welt. Diese Welt, die ewig unvollkommene, eines ewigen Widerspruches Abbild und unvollkommnes Abbild – eine trunkne Lust ihrem unvollkommnen Schöpfer: – also dünkte mich einst die Welt. Also warf auch ich einst meinen Wahn jenseits des Menschen, gleich allen Hinterweltlern. Jenseits des Menschen in Wahrheit? Ach, ihr Brüder, dieser Gott, den ich schuf, war
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Bonhoeffer schließlich eine Einsicht, die ihn sein Leben lang begleiten und seine gesamte Theologie beeinflussen und verändern soll. Mit Zarathustras Ruf „Die Welt ist tief, Und tiefer als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh –, Lust – tiefer noch als Herzeleid: Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit–, – will tiefe, tiefe Ewigkeit!“79 erlangt Bonhoeffer seine Sicht der Zwiespältigkeit des Menschen nach dem Fall, die in letzter Konsequenz zu der Erkenntnis kommt: „Das Verbot des Paradieses ist Gnade des Schöpfers gegenüber dem Geschöpf. Gott versucht niemanden. Was der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen ist, weiß bisher allein der Schöpfer, Adam weiß es noch nicht. Er, der in der Einheit des Gehorsams lebt, begreift das Zwiefache nicht, er, der in der Einheit der Erkenntnis Gottes als der Mitte und der Grenze seines Lebens lebt, kann das Auseinanderbrechen der Erkenntnis des Guten und Bösen nicht denken. Adam weiß weder was gut noch was böse ist; er lebt im eigentlichsten Sinn jenseits von gut und böse, nämlich aus dem Leben, das von Gott kommt, vor dem das Leben im Guten wie im Bösen in gleicher Weise den undenkbaren Abfall bedeuten würde.“80
In seiner Ethik macht er es später mit den Worten noch deutlicher: „Das Wissen um Gut und Böse scheint das Ziel aller ethischen Besinnung zu sein. Die christliche Ethik hat ihre erste Aufgabe darin, dieses Wissen aufzuheben. […] Wenn es […] geschieht, so kann das nur bedeuten, daß die christliche Ethik den Ursprung aller ethischen Fragestellung zur Sprache zu bringen und somit als Kritik aller Ethik allein als Ethik zu gelten beansprucht. Die christliche Ethik erkennt schon in der Möglichkeit des Wissens um Gut und Böse den Abfall vom Ursprung.“81
Aus der philologischen Untersuchung Hans Schmidts gewinnt Bonhoeffer mithilfe der Auslegung von Nietzsches „jenseits von Gut und Böse“ somit eine vertiefte Einsicht in die Schrift, die ihn den Text als historisch Gewachsenen in seiner ihm eigentümlichen geschichtlichen Bedingtheit ernst nehmen lässt. Das hatte er bereits von seinem Schweizer Kollegen Karl Barth gelernt, bei dem es zum Schriftprinzip folgendermaßen heißt: „Keine Erkenntnis der Bibel als Gottes Wort ohne konkretes Wissen um ihren historischen Charakter, um die Möglichkeit, sie historisch zu betrachten, d. h. aber: um die Nicht-Selbstverständlichkeit jener Erkenntnis. Erkenntnis der Bibel als Wort Gottes ist ein Geschehen, ein immer neu sich ereignender, zu vollziehender Durchbruch. Die Wand, die zu durchbrechen ist, ist die restlos anzuerkennende historische Bedingtheit
Menschen-Werk und –Wahnsinn, gleich allen Göttern! Mensch war er, und nur ein armes Stück Mensch und Ich: aus der eigenen Asche und Gluth kam es mir, dieses Gespenst, und wahrlich! Nicht kam es mir von Jenseits!“ 79 Nietzsche, Zarathustra, 558. 80 SF, 81f. 81 E, 301.
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des biblischen Zeugnisses. Wer diese Wand ignoriert oder wegleugnet und die Bibel zum Orakel macht, der leugnet die Offenbarung, denn er leugnet die Entscheidung.“82
Es gilt damit zunächst hervorzuheben: Indem Bonhoeffer der philologischen Auslegung Schmidts folgt, kann er jene Mauer der Nicht-Selbstverständlichkeit der Erkenntnis durchbrechen und eine neue tiefere Einsicht in das Geschehen zwischen Gott und Mensch gewinnen. Der scheinbar verstellte Zugang zur biblischen Rede des „Wissens um Gut und Böse“ erweist sich somit als einer, der nicht nur Bonhoeffers Handhabung der Schriftübersetzung als eigenwillige markiert, vielmehr noch zeigt sich hier eine erste Wegmarkierung zu Bonhoeffers Umgang mit derselben. Mit der Wahrung und Hochschätzung der Schrift als Gottes Wort hält er hier zunächst dezidiert am hebräischen Wortlaut fest, um den Worten je gerecht zu werden, immer in dem Bewusstsein, dass Signifikant und Signifikat nicht identisch sind. Weil Bonhoeffer damit einer scheinbar überzeitlichen Festschreibung zeitlich bedingter Inhalte widersteht, weil er jedem Wort einen über sich hinausweisenden Gehalt zugesteht, der sich gerade nicht an temporären Inhaltszuschreibungen festhält, scheint seine Auslegung der Schrift dem Text mehr verbunden zu sein als die vieler anderer,83 die sich eben diese vermeintlich kritisch-exegetische Auslegung auf die Fahnen schrieben. Im Ernstnehmen eines jeden Wortes gelingt es ihm demnach mithilfe der auf philologischer Genauigkeit beruhenden Exegese, dieser in der theologischen Tradition unzugänglichen Stelle eine weitreichende Bedeutung zuzuschreiben, auf die er noch in seiner Ethik zurückgreifen wird.84 Mit der Maxime Hans Schmidts, die bereits auf eine Einschränkung der Bedeutung der Literarkritik hinweist, entwickelt Bonhoeffers Auslegung der Genesis einen Richtungswechsel, der ihn in der Methodik Schmidts auf gänzlich neue Wege schickt. Demnach sei nicht die „Frage an die Wortbedeutung zuerst zu richten“, denn das sei „nicht zweckmäßig“,85 da im AT diese nicht einheitlich gebraucht werde, weil damit zu rechnen sei, dass dieser Hinweis ein verhüllender „Rätselname“ sei, im Gegenteil sei zu fragen: „Tritt in der Erzählung selbst dadurch, daß die Menschen von dem Baume essen, etwas Erkennbares ein? Gewinnen sie etwas durch den Genuß der verbotenen Frucht?“86 Zugleich lässt diese Art der Betrachtung Bonhoeffer die vorliegende Perikope überschreiten: Es stellt sich für ihn nicht nur die Frage, was Adam und Eva aus dem Genuss gewinnen, sondern auch danach, was sich zwischen Gott und Mensch durch die Übertretung des Verbotes ändert – und dieses 82 Barth, Schriftprinzip, in: GA III.19, 517. 83 Cf. auch Karl Barths positive Würdigung der besonderen Textnähe Bonhoeffers in Schöpfung und Fall. (Barth, KD III/1, 219.) 84 Cf. E, 301ff. 85 Schmidt, Paradies und Sündenfall, 20f. 86 Schmidt, Paradies und Sündenfall, 20f.
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ist eben nicht allein aus der Paradiesgeschichte zu erkennen, im Gegenteil wird es deutlich in der gesamten Schrift. In der intensiven Meditation über Nietzsches „jenseits von Gut und Böse“ im Zusammenhang mit dem biblischen Text und dessen Wendung an dieser Stelle sowie den Folgen daraus, gewinnt Bonhoeffer in der Wahrung von dessen Geschichtlichkeit, in der dem Text eigenen Logik eine neue Einsicht, die sich für seine gesamte weitere Theologie als signifikant herausstellen soll. Vielleicht macht sich hierin aber ebenso eine Erkenntnis bemerkbar, die er durch Rudolf Bultmann gewinnt, der genau darauf hinweist, dass Exegese zwar von einer Interpretation des Wortes auszugehen habe, dort aber nicht stehen bleiben dürfe: „Da die Arbeit der Exegese begriffliche Arbeit ist, und da das Wort des Textes nie die Sache selbst, sondern Ausdruck für die Sache ist, wird dem Exegeten auch die Sache nur zugänglich, wenn er das Wort versteht. Das Wortverständnis ist freilich mit der ganzen Zweideutigkeit belastet, die dadurch entsteht, daß Worte nicht nur der einmalige Ausdruck für das Hier und Jetzt der konkreten Situation sind, sondern sie daneben auch Wörter sind, die ihre eigene Geschichte haben, und zwar daß sie jenes nur sein können, sofern sie dieses sind. Der Exeget muß also, ohne sich einzubilden, damit den Sinn des Wortes im konkreten Hier und Jetzt schon erfaßt zu haben, grundsätzlich die ganze Geschichte der Wörter des Textes kennen. Damit ist die ganze historisch-philologische Arbeit […] legitimiert, ja gefordert […].“87
2.1.3 Von offensichtlichen Brüchen und fraglichen Zusammenhängen Um der Bedeutung des Schriftwortes näher zu kommen, gilt es für Bonhoeffer somit über das einzelne, zum Teil changierende Wort und die vorliegende Perikope hinauszugehen. Ein ähnliches Vorgehen scheint auch in der Frage nach der Wahrnehmung der Historizität der Heiligen Schrift vorzuliegen. Freilich ist sich Bonhoeffer zunächst der unterschiedlichen Quellen seiner Vorlage bewusst, hatte er doch bei seinem Lehrer Ernst Sellin, der nicht nur in seiner Einleitung in das Alte Testament gerade mit der historisch-kritischen sowie auch religionsgeschichtlichen Arbeitsweise langsam wieder eine theologische Fundierung suchte,88 in seinem Studium den Wert der Quellenkritik für die Arbeit am und mit dem biblischen Text hinreichend gelernt.89 87 Bultmann, Das Problem einer theologischen Exegese, 356f. Cf. zu Bultmann und Bonhoeffer § 3. 88 Cf. zu der Neuorientierung der alttestamentlichen Wissenschaft bspw.: Kraus, Erforschung des Alten Testaments, 382–394; speziell zu Sellin: 429. Cf. Sellin, Geschichte des israelitischjüdischen Volkes, 2. 89 Cf. dazu Bonhoeffers Arbeit zu dem Leidensproblem bei Hiob aus der Schlussphase des Studiums 1927/28 (cf. JuS, 452–473.), die Sellin mit „Literaturangaben! Sonst Recht gut. Sellin.“ unterschrieb. ( JuS, 473 [Anm. 49].)
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Dementsprechend markiert er, angelangt am Ende des ersten und am Beginn des zweiten Schöpfungsberichtes, eine deutliche Zäsur, was sich einerseits aus den Aufzeichnungen der Vorlesungshörer anhand der Überschrift „Zweiter Hauptteil“90 erkennen lässt, andererseits auch darin deutlich wird, dass er, anstatt mit seiner Lesung ohne Unterbrechung fortzufahren, innehält, um der sich aus dem Text deutlich ergebenden Schwierigkeit gewahr zu werden und selbige herauszustellen: „Man ist früh darauf aufmerksam geworden, daß hier eine zweite, von der ersten ganz verschiedene, wesentlich ältere Schöpfungsgeschichte vorliegt.“91 Dass Bonhoeffer die historische Gewachsenheit des biblischen Textes betont, wird deutlich, weist er doch vielmehr noch unter Berücksichtigung der Fachtermini (mit Emil Kautzsch) auf den Jahwisten als Quelle des zweiten Schöpfungsberichtes hin.92 Dass er aber auch hier nicht vollständig der Methodik seiner alttestamentlichen Kollegen folgt, zeigt sich in der folgenden Bearbeitung: Konfrontiert mit der evidenten Problematik, vor die sich eine jede literarkritische Untersuchung gestellt sieht und die zur Zeit Bonhoeffers, wie zu sehen war, allmählich dringlich wird, fragt er unmissverständlich weiter in die Runde: „Wie ist das zu beurteilen? Was bedeutet das für unsere Auslegung?“93 Anstatt wie Kautzsch Quellen in ihrer historischen Schichtung zu erklären und gegeneinander abzuwägen, relativiert Bonhoeffer94 diese Fragestellung und weist dagegen im „Blick auf das Ganze der beiden Schöpfungsgeschichten“ in seiner Interpretation darauf hin, dass es sich hierbei „nur [um] Darstellungen der einen Sache von zwei Seiten“ handele und weiter noch „ja […] sogar gesagt werden [müsse], daß der erste ohne den zweiten, wie der zweite ohne den ersten, nicht aussagen würden, was hier zu sagen wäre.“95 In der Perspektive der Kompilatoren, die diese beiden einander gegensätzlichen Berichte über die Erschaffung der Welt und des Menschen so und nicht anders zueinander stellten, und mit der Tradierung beider als Konträre nebeneinander nimmt Bonhoeffer den Text damit als ein Ganzes, als etwas Zusammengehöriges wahr.96 90 SF, 67 (Anm. 1). 91 SF, 67. 92 Cf. SF, 67 (Anm. 2). Cf. Kautzsch, Heilige Schrift, 4.7. Die Zuordnung des zweiten Schöpfungsberichtes zum Jahwisten war zu Bonhoeffers Zeit Konsens, die Zuordnung des ersten Schöpfungsberichtes ist es noch immer. Auch wenn heute kaum jemand noch von durchgehenden Quellenfäden im Pentateuch ausgeht (außer denen der Priesterschrift), ist die literarkritische Zäsur zwischen dem ersten und zweiten Schöpfungsbericht auch heute noch unbestritten. Cf. Gertz, Grundinformation des Alten Testaments, 260ff. 93 SF, 67. 94 Cf. SF, 67 (Anm. 3). 95 SF, 67. 96 Deutlich weist er seine Studenten darauf hin, wenn er in einer Anmerkung dazu sagt:
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In dem Bewusstsein um die Unvollständigkeit einer quellenkritisch fragmentarisierenden Perspektive richtet Bonhoeffer hier also das Augenmerk auf die Betrachtung der Texte in ihrem Gesamtzusammenhang. Mit dem Hinweis darauf, dass jeder biblische Text ganz Menschwort, ganz in seiner Historie verhaftet ist – Bonhoeffer verwehrt sich ja gerade nicht, auf die historische Entstehung des Textes hinzuweisen –, tritt er auch hier einen Schritt über seine Lehrer hinaus, die doch selbst moniert hatten, die historisch-kritische Forschung müsse sich von einer puren philologischen Untersuchung hin zur Religions- und Kulturgeschichte Israels wenden. Es ist also deutlich zu sehen: Bonhoeffer beschreitet diesen in der Theorie seiner Lehrer angelegten Weg progressiv dahingehend, dass er gerade nicht bei einer Diskussion um den Urtext verharrt, sondern den Text für sich selbst als gewachsen billigt und in dieser Anerkenntnis denselben als ein Ganzes, in seiner redaktionellen Anordnung im Horizont der einen Schrift als Wort Gottes liest und darin die Anordnung dieser Texte als sinnhaltig erachtet.97 Um diesen Zusammenhang geht es ihm auch bei der Behandlung der zwei Bäume, des Baumes des Lebens und des Baumes der Erkenntnis: „In der Mitte des Gartens stehen zwei Bäume, die einen besonderen Namen tragen, der sie mit dem menschlichen Dasein in eigentümlicher Weise verbindet: Baum des Lebens und Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und an diesen zweiten knüpft sich das Verbot, von seinen Früchten zu essen, die Bedrohung mit dem Tod. Leben, Erkenntnis, Tod, von diesen dreien ist hier im Zusammenhang geredet […].“98
In der Anerkenntnis der Beziehung nicht nur beider Bäume, sondern auch der daraus resultierenden Interpretationszusammenhänge versteht Bonhoeffer diese Perikope ebenfalls als in ihrem Erkenntniszusammenhang gegeben, d. h. in ihrem Nebeneinander ganz und gar bedeutsam, auch wenn er freilich in einer diachronen Auseinandersetzung um deren Unterschiedenheit mit Hans Schmidt
„[F]reilich dies Urteil kommt nur wieder aus der bereits als Ganzheit vernommenen und begriffenen Schrift […].“ (SF, 67.) Cf. Plant, ‚It is God who speaks‘, 54. 97 Wendel hingegen polemisiert ob seiner ungenauen Untersuchung des bonhoefferschen Verhältnisses zur historisch-kritischen Methode: „Für diese eigenartige Hypostasierung des Textes in der vorliegenden Gestalt, die nicht im Sinne der Verbalinspiration verstanden werden will […] und die z. B. die Tatsache zweier Schöpfungsberichte anerkennt, die aber die bereits vollzogene Kritik des Textes seltsamerweise wieder außer Kraft setzt, sobald es um seine Auslegung geht, scheint noch ein anderer Hinweis bemerkenswert. […] Sind gar die beiden Schöpfungsberichte so verstanden, daß der erste das Gotteswort und der zweite das Menschenwort zur Schöpfung sind, die sofern sie als ‚Ganzheit‘ begriffen werden, die Identität von Gottes- und Menschenwort sozusagen im voraus sichern und für jegliche kritische Differenzierung der Berichte im Grunde unantastbar machen?“ (Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 84f.) 98 SF, 77f.
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und Emil Kautzsch99 auf zwei historische Traditionen hinzuweisen nicht verzichtet. Es ist dazu zu lesen: „Es scheint historisch so zu liegen, daß die Geschichten vom Lebensbaum und vom Baum der Erkenntnis ursprünglich verschiedener Herkunft waren.“100 Betrachtet man Bonhoeffers alttestamentliche Referenzquellen, ergibt sich folgender Umgang mit dieser Passage: Hans Schmidt führt in einer ausführlichen literarischen Analyse die augenscheinlichen Brüche dieser Geschichte vor und rekonstruiert Quellen, die er als eigentlich historischen Urbestand annimmt.101 Sein Kollege Hermann Gunkel konstatiert ebenfalls eine Verarbeitung außerbiblischer, wohl babylonischer, ägyptischer oder altgermanischer Traditionen, die derartige Wunderbäume mit „charakteristisch göttliche[n] Eigenschaften“102 kannten, geht jedoch nicht so weit, eine rekonstruierte, nicht verifizierbare, rein hypothetische Quelle als historische Vorlage darzulegen. Bonhoeffer indes schränkt die Bedeutung der offenkundigen Vielschichtigkeit der vorliegenden Perikope lapidar mit folgenden Worten ein: „Aber das liegt alles sehr im Dunkel.“103 Was also tut er hier? Offensichtlich scheint es ihm angebracht, einerseits die wissenschaftliche Begrenztheit einer Einsicht in die tatsächliche historische Entwicklung des Textes anzuerkennen; eine Sezierung und Präparierung einzelner Textschichten und Quellen scheint seiner Ansicht nach wenig zur Erschließung der biblischen Intention beitragen zu können. Andererseits weiß er damit zugleich aber auch hervorzuheben, dass eine redaktionelle Bearbeitung nicht einen Makel der überlieferten Kompilation darstellt, sondern im Gegenteil allein diese Redaktion als sinngebend zu verstehen ist. Es ist Bonhoeffer demnach ein Anliegen, so scheint ebenfalls sein Umgang mit der Literarund Redaktionskritik zu verdeutlichen, die Arbeitsweise der neu aufkommenden literarkritischen Methoden in ihrer noch immer analytischen Vorgehensweise in ihrer Bedeutung dezidiert einzuschränken, vielmehr noch, diese darauf hinzuweisen, dass eine Tradierung beider Berichte nebeneinander theologisch hoch bemerkenswert sei, kann er doch sogleich im Anschluss den Glaubenssatz anfügen: „Uns geht es um den Text, wie er der Kirche Christi heute vorliegt.“104
99 100 101 102 103 104
Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 31ff. und Kautzsch, Heilige Schrift, 12 (Anm. e). SF, 78. Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 13–20. Gunkel, Genesis, 8. SF, 78. SF, 78.
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2.1.4 Die Frage nach dem Gott, von dem da erzählt wird Augenfällig und besonders schwerwiegend wird die grundsätzliche Problematik der zeitgenössischen historisch-kritischen Exegese für Bonhoeffer dann, wenn aus den literar- und redaktionskritischen Studien die Frage nach dem diesem Text zugrundeliegenden Gottesbild erwächst. Nimmt man zum Beispiel Hans Schmidts Umgang mit dieser Stelle. In seinen literarkritischen Untersuchungen zu den Erzählungen über die beiden Bäume kommt er zu dem Schluss, dass beide ursprünglich dem außerbiblischen Vorderen Orient zugeordnet werden müssen.105 Hier bleibt er jedoch nicht stehen, sondern rekonstruiert aus dem vorliegenden Text mehrere demselben ursprünglich zugrundeliegende Urquellen, deren Einflüsse er an unterschiedlichen Stellen, wie den beiden Baumerzählungen, aber auch unter anderem in Hi 36,27, Jes 55,10 und Esr 10,14,106 finden könne. Es soll hier nicht näher darauf eingegangen werden, wie Schmidt diese Quellen nachzuzeichnen weiß, wichtiger ist es vielmehr, welche Schlüsse er daraus zieht: Für ihn ist es seinen Ergebnissen zufolge nun offensichtlich, dass man den Gott dieser Urquellen nicht mit dem Gott identifizieren kann, den wir als unseren Schöpfer kennen. Vielmehr pointiert Schmidt: „Der Gott, den diese Erzählung kennt, ist nicht der Gott, den wir glauben; es ist auch nicht der Gott Jahve der großen israelitischen Propheten, auch nicht der Gott des Mose. […] Baal ist der Gott“.107 Aus Schmidts Rekonstruktion der hinter dem biblischen Text liegenden, wohl kanaanäischen Urquellen erschließt sich folglich, dass für diese Baal und nicht Jahwe der Hauptakteur ist. Nicht nur, dass Schmidt hier in Bonhoeffers Augen hypothetische Quellen seiner Argumentation zugrunde legt, sondern auch die Tatsache, dass der Gott der Juden und Christen als Baal identifiziert wird, wird für Bonhoeffer zum Anstoß an der historisch-kritischen Methode und zeichnet sich als dezidierter Aufweis ihrer Fragwürdigkeit aus. Seiner Ansicht nach tritt damit eine Konsequenz dieser Exegese zutage, die seinem Verständnis des vorliegenden Textes als Gottes Wort nach freilich zweifelhaft anmuten muss: Wenn Schmidt hier mithilfe der Rekonstruktion der Urerzählung anstelle des Tetragramms Baal erkenne, werde nicht nur der Inhalt der alttestamentlichen Gottesbezeichnung verändert, es werde auch in die biblischen Schriften etwas hineingetragen, was so im vorliegenden Text nicht vorhanden sei. In Bonhoeffers Augen ist es die radikale Konsequenz einer Argumentationslinie, wie sie Schmidt und seine Kollegen vertreten, die das erste und wichtigste Axiom fallen lasse, wodurch יהוהzu Baal werde. Und das wird er auch nicht müde zu betonen. Immer wieder weist er 105 Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 31. 106 Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 37–42. 107 Schmidt, Paradies und Sündenfall, 29.
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daraufhin, dass, wenn die Bibel von Jahwe spreche, nicht von Baal geredet werden dürfe, wie aber Schmidt das tue.108 Aber trifft Bonhoeffers Vorwurf tatsächlich Schmidts Vorgehen? Sieht man genau hin und stellt zunächst noch diese nach Bonhoeffers Meinung radikale Umdeutung des Gottesbegriffes und die dagegenstehende Intention des Textes zurück, erscheint damit doch zu allererst und fundamental ein Umgang Hans Schmidts mit den biblischen Schriften evident, der sich von der bonhoefferschen Umgangsweise diametral unterscheidet. Während jener den vorliegenden biblischen Text auslegt,109 versucht dieser auf die hinter diesem Text liegenden kanaanäischen Quellen zurückzublicken und den Sinn dieser alten Erzählung in ihrem Ursprung zu erkennen.110 Es sind demnach zwei Forschungsebenen, wie auch Forschungsziele zu differenzieren: Schmidts Interesse an den biblischen Schöpfungsberichten sind die dahinterliegenden außerbiblischen Quellen, mithilfe derer er den Ursinn der vorliegenden Erzählung erkennen will. Bonhoeffer liegt aber alles an der biblischen Erzählung, so wie sie als Buch der Kirche überliefert ist; der Sinn derselben kann für ihn daher nur in ihr aber nicht außerhalb ihrer selbst gefunden werden. Beide bewegen sich in ihrer Textarbeit demnach auf unterschiedlichen Ebenen: Während Schmidt von den kanaanäischen Quellen redet, die freilich nicht von Jahwe, sondern Baal sprechen, hat Bonhoeffer den biblischen Text mit dem Tetragramm vor Augen. Bonhoeffer aber trennt nicht seine Herangehensweise und Zielsetzung von der Schmidts, womit er dessen Forschung jedoch nicht gerecht werden kann. Schmidts Vorgehen selbst aber entspricht dem der alttestamentlichen Exegese seiner Zeit: In Anerkenntnis der schwer zugänglichen ersten Kapitel der Genesis und des daraus erschwerten Verständnisses des Sinns dieser Erzählung liegt es in seinem Interesse, die außerbiblischen Quellen und deren implizite Bedeutung zu rekonstruieren, um so den der vorliegenden Erzählung inhärenten Sinn offenzulegen. Schmidts Fokus liegt damit auf der Rekonstruktion hypothetisch zugrunde liegender Urquellen, aus denen er den ‚eigentlichen‘ Sinn des bestehenden Bibeltextes herauskristallisieren will. Er kennt keinen auf den Erzählungen beider Bäume beruhenden Urtext; er nimmt einen solchen aufgrund einer innerbiblischen Parallele an. Aus der Erzählung vom Baum des Lebens will er unter Einbezug weiterer Textstellen eine vorisraelitische Quellenlage feststellen, aus der sich nicht nur die mythologischen Erzählungen der Genesis speisen sollen.111 Mit dieser These war er zu Anfang des neuen Jahrhunderts nicht allein, vielmehr stellte sich dieses Verfahren als gängige Methode heraus, warum sich in 108 109 110 111
Cf. SF, 22 (Anm. 8).69 (Anm. 2).96 (Anm. 2).108f. (Anm. 4).114 (Anm. 5). Cf. SF, 22f. Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 4. Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 29–40.
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der damaligen Literatur diverse Auseinandersetzungen112 über potentiell vorliegende Quellen, die aber als solche reine Hypothese bleiben,113 auffinden lassen. Wenn Hans Schmidt hier demnach ein vorbiblisches Original nicht nur annimmt, sondern dieses auch trotz und mit seiner Vorläufigkeit aus dem biblischen Text herausträgt, um daraus seine Auslegung der biblischen Erzählung herzuleiten, nimmt er damit wohl genau das vor, was die historisch-kritische Exegese in ihrem Grundmotiv abwehren wollte: eine Einschreibung vorgefasster Meinungen in den Text.114 Selbst wenn synkretistische Einflüsse fremder Kulturen vorhanden sind und die beiden Erzählungen nicht ursprünglich aus frühjüdischen Quellen stammen, sondern aus deren Umwelt übernommen wurden (sei es aus literarischen oder mündlichen Vorlagen), muss hier nicht notwendigerweise angenommen werden, dass sich der Sinn der Urquelle auch mit dem Sinn der ‚neuen‘ Erzählung deckt. Gerade aus moderner historischkritischer Perspektive gesteht man den Kompilatoren eigene Kreativität zu, ja man bezeichnet sie gar als Autoren, „die aus dem überlieferten Material etwas Neues, nämlich ein Werk mit einem eigenen Aussageprofil schufen.“115 Während Schmidt aber mit seiner Hochschätzung der Urquellen diesen eine beinahe „höhere religiöse Dignität“116 zuschreibt als dem biblischen Text selbst und so 112 Deutlich wird dies unter anderem an den Auseinandersetzungen unterschiedlicher Alttestamentler und deren Positionen zu eventuell herauszulesenden Quellen. Cf. dazu Schmidt, Paradies und Sündenfall (v. a. die zahlreichen Anmerkungen); Sellin, Einleitung in das Alte Testament (hier wird in einer Einleitung in das Alte Testament beinahe ausschließlich die Quellenlage dargestellt); auch Greßmanns Aufsatz Die Aufgaben der alttestamentlichen Forschung zeugt von dieser Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Quellenlagen und deren Umgang in der alttestamentlichen Forschung. 113 So geht es beispielsweise auch Hermann Gunkel in seinem Kommentar Die Genesis darum, gegen die literarkritische Methode seiner Zeit, von der er selbstverständlich reichlich Gebrauch macht, eine Rekonstruktion mündlicher Quellen und Stoffe aufzudecken, die als solche den biblischen Autoren zugrunde lagen. 114 Dass heute freilich ein solcher vorliterarischer Überlieferungsprozess nicht mehr zur Grundlage einer Überlieferungs- oder Traditionskritik verwendet wird, ist ob seiner unpräzisen Rekonstruierbarkeit augenscheinlich. Cf. dazu zum Beispiel: Becker, Exegese des Alten Testaments, 69f. 115 Becker, Exegese des Alten Testaments, 45. 116 Becker, Exegese des Alten Testaments, 45. Das zeigt sich auch daran, in welcher Art und Weise Schmidt vom Verlust des ursprünglichen Sinnes durch die israelische Religion spricht. Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 52: „Damit aber – mit dieser Augustinischen Interpretation – war nun freilich der ursprünglich biblische Sinn der Erzählung vollends in sein Gegenteil verkehrt. Ihm ist wesentlich, daß die Liebe, daß Kinderzeugung bedeutet ‚Gottgleichsein‘, die Erzählung in ihrer ältesten Bedeutung spricht mit Stolz von ‚der Mutter alles Lebendigen‘ und mit erschauernder Ehrfurcht von dem heiligen Geheimnis der Geschlechtlichkeit. In dem Augenblick, wo der Gottesbegriff ganz im Sinne der Religion Israels verstanden, wo das Titanische im Handeln der Urmenschen in das Sündige umgezeichnet wurde, versank die Natürlichkeit und – so fügen wir hinzu – die Reinheit, mit der das Alte Testament von der Liebe redet.“ Fraglich erscheint an diesem Zitat freilich auch Schmidts
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den vorliegenden Sinn nur aus dem dahinterliegenden Ursinn erkennt, scheint Bonhoeffers Vorwurf an Schmidt zwar nicht bei der Frage nach dem Gott, von dem da die Rede ist, angemessen zu sein, denn Schmidt trägt Baal nicht in den biblischen Text ein, im Gegenteil trägt er Baal aus demselben heraus. Alles, was Schmidt dahingehend aufzeigt, ist, dass der Gott, von dem die außerbiblischen Quellen vermutlich sprachen, nicht der Gott ist, den die Kirche glaubt.117 Das aber ist auch nach dem Stand heutiger Forschung Konsens. Bonhoeffers Kritik trifft Schmidt und die historisch-kritische Exegese seiner Zeit aber da, wo Schmidt die Urquelle über den biblischen Text selbst stellt und den Sinn dieser auf den Sinn des biblischen Textes überträgt. Nur weil die Urquelle nach Schmidt möglicherweise von der Entstehung der geschlechtlichen Liebe spricht,118 muss dies nicht notwendigerweise auch der biblische Text tun – er kann es aber freilich. Augenscheinlich erwächst aus einer so gearteten Schlussfolgerung die Frage nach dem grundsätzlichen Selbstverständnis des Exegeten: Altertumswissenschaftler oder Theologe? Nicht ohne Grund war den Alttestamentlern des neuen Jahrhunderts die nicht zu übersehende Diskrepanz zwischen ihren wissenschaftlichen Methoden mit den daraus resultierenden Ergebnissen und den Intentionen ihres Herkommens aufgefallen. Mit der fortwährenden Zersetzung des biblischen Textes war die historische Textkritik deutlich an eine Grenze gelangt. Des Weiteren, und das erschließt sich durch solche Ergebnisse, erschien daraus resultierend eine theologische Auslegung nicht mehr möglich.119 Aus der Perspektive heutiger exegetischer Erkenntnisse kann man sehen, dass Hans Schmidt mit dieser Gleichsetzung für die Sicherung der Historizität der biblischen Texte eine Historisierung nicht vorliegender Quellen vornimmt.120
117 118 119
120
Verständnis des „biblische[n] Sinn[s] der Erzählung“, des „Alte[n] Testament[es]“ und der „Religion Israels“. Aber das sei hier nur am Rande angemerkt. Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 29. Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 52. Cf. Gunkel, Ziele und Methoden der Erklärung des Alten Testaments, 11f.: „Die biblische Exegese, wie wir sie herkömmlich in unsern akademischen Vorlesungen wie in den Kommentaren betreiben, besteht der Form nach aus lauter einzelnen, für sich stehenden Bemerkungen, die wir zum Texte machen. […] Die Mängel dieses exegetischen Betriebes, der übrigens auf neutestamentlichem Gebiete, wenn auch nicht so bunt, so doch grundsätzlich nicht anders ist, sind deutlich: Haupt- und Nebenfragen treten nicht klar hervor, da das Bedeutsamste unmittelbar neben dem Unwichtigen steht […]. Unter diesen Umständen erscheint es nicht überflüssig, die Frage ausdrücklich aufzuwerfen, was denn biblische Exegese eigentlich sei, welches Ziel sie erstrebe und welcher Mittel sie sich dabei zu bedienen habe.“ Cf. Gunkel, Genesis, LVI.25–28. Gunkel vermag zunächst in seinem Kapitel zur Überlieferungsgeschichte beredt drauf hinzuweisen, dass „[d]ie Sagen […], als sie aufgeschrieben wurden, bereits uralt [waren] und […] schon eine lange Geschichte hinter sich [hatten]. So liegt es in der Natur der Sache: der Ursprung der Sage entzieht sich stets dem forschenden Blick und geht in die vorgeschichtliche Zeit zurück.“ (LVI) Zugleich weiß er sich aber doch,
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Offensichtlich ist diese Stelle des biblischen Textes aus unterschiedlichen Stoffen entstanden, es mögen hier auch verschiedene Quellen und Erzählstränge erst nach und nach aus umliegenden Traditionen und Kulten in einander verflochten und übernommen worden sein, das ist jedoch für Bonhoeffer nicht zielführend. Vielmehr, darauf weist dessen Umgang deutlich hin, sollte stets die Art der Transformation näher untersucht werden, d. h. biblisch dann also im Hinblick auf das streng monotheistische Gottesbild. Das aber wird von Hans Schmidt unterlassen. Anstatt also die vorliegende Textgestalt näher zu beleuchten, konstatiert jener die fremde Herkunft und erarbeitet einzig daraus seine nach eigenen Angaben der Textintention widersprechende Auslegung.121 Wenn Bonhoeffer nicht nur auf die außerbiblische Quellenlage hinweisen kann, sondern sich zudem auch den Duktus des Textes ganz gefallen lässt, kann er freilich auch mit der Anerkenntnis dieser unabweislich biblischen Übernahme von Quellen unterschiedlichster Art und Herkunft nicht darauf schließen, es handle sich bei יהוהnicht um den alttestamentlichen Gott. Im Gegenteil, und das wird Bonhoeffer nicht müde zu betonen, ist es seiner Ansicht nach historischkritisch sogar geboten, im vorliegenden Text zunächst den alttestamentlichen und aus christlicher Perspektive auch den neutestamentlichen Gott zu sehen.122 Und so ist es also das Anliegen seiner Lektüre, gerade nicht diese sagenhaften Elemente als unbiblisch aufzuzeigen und sie deshalb in einem neuen Zusammenhang lesen zu müssen, stattdessen vertraut er auch hier der Endgestalt des Textes als solcher, die mithilfe unterschiedlichster Traditionen und in verschiedenen Formen die Geschichte des einen Gottes mit seinen Menschen erzählen will. Bonhoeffer macht demnach nicht vor scheinbar unüberwindbaren Widersprüchen halt, die sich aus dem vorliegenden Textbestand ergeben mögen, vielmehr folgt er dem Text in aller gebotenen Ernsthaftigkeit soweit, dass er hervorheben muss: „[A]n diesen beiden Bäumen soll sich nun das Geschick des Menschen entscheiden.“123 Aus heutigem Erkenntnisinteresse stellt sich das Problem dann freilich auf einer anderen Ebene, die auch und gerade zu dieser Zeit (nicht nur politisch) evident wird, nämlich derjenigen, die danach fragt, ob dieser Gott des AT als der Gott des NT gesehen und gelesen werden darf.124 Wenn Bonhoeffer hier mithilfe synchroner Exegese an den Text herangeht, überbrückt er die von Ernst Wendel
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wenn es wenige Kapitel später beispielsweise um die Paradiesgeschichte im Allgemeinen geht, andererseits dieser Literarkritik doch so zuversichtlich zu bedienen, dass es eben kein Problem darstellt, Quellen voneinander zu scheiden. (Cf. 25–28.) Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 52. Cf. die Einleitung von SF, wo Bonhoeffer seiner Auslegung dezidiert diese eine und allererste Auslegungsnorm zugrunde legt. Cf. SF, 22f. SF, 76. Kritisch sieht das bspw. Harrelson, Bonhoeffer and the Bibel, 129f.
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aufgemachten Gegensätze „historisch“ und „theologisch“125 nicht nur, vielmehr sieht er gar keine Divergenz darin, weil er zwischen Historie und Geschichte zu unterscheiden weiß: In seinem Begriff der Geschichtlichkeit, der mit seinem Lehrer Adolf von Harnack auch immer die Wirkungsgeschichte dieses Textes beinhaltet,126 ist dieser sowohl Fundament des jüdischen wie auch des christlichen Glaubens. Und so wird das theologische Reden von Jahwe nicht verharmlost und seiner Historizität beraubt, sondern genau gegenteilig in seiner ganzen Geschichtlichkeit gesehen. Es ist damit auf eine für die weitere Untersuchung noch folgenschwere Unterscheidung aufmerksam zu machen:127 Mit der Differenzierung von Historie und Geschichte ist hier eine Unterscheidung aufgemacht, die nicht zu unterschätzen ist. Historisch nämlich mag diese Erzählung aus vielen einzelnen Ätiologien und Traditionen bestehen, das ist gegen Schmidt sicherlich kaum zu bestreiten, geschichtlich ist diese Erzählung aber als eine zu sehen, die ihre Wirkung im Glauben darin entfaltet, dass hier von dem Einen Gott gesprochen wird (und das aus sowohl jüdischer wie auch christlicher Perspektive, wobei freilich die Schlussfolgerungen andere sind). Wenn Schmidt und mit ihm viele andere seiner Kollegen nun den historischen Sachverhalt einer außerbiblischen Quelle annehmen und daraus ableiten, der vorliegende biblische Text vertrete eigentlich den außerbiblischen Sinn der Urquelle, ist wohl an dieser Stelle aus Bonhoeffers Perspektive mit Emil Brunner Kritik an der historisch-kritischen Methodik dahingehend anzubringen, dass hier „[…] fast durchgehend Form und Sache [verwechselt werden]. Die Form von Gen. 3 ist Historie, also Weltwissen. Die Sache ist: ein Geschehen zwischen Gott und Mensch, also Glaubenssache.“ Demzufolge hat es „[d]ie biblische Theologie […] nicht mit dem psychologischen Bewußtsein der biblischen Schriftsteller, sondern mit den Sachgehalten der Bibel zu tun.“128 So kann und muss Bonhoeffer in der Konsequenz seiner Auslegungsmethode, die den Gott als den „Einen Gott in der ganzen heiligen Schrift [sieht]“, auch konsequent sagen: „[M]it diesem Glauben steht und fällt die Kirche und die theologische Wissenschaft.“129
125 Cf. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 84 (Anm. 37). Cf. Kelley/Nelson, Bonhoeffer’s theological interpretation, 5. 126 Kantzenbach, Art. Harnack, 455. 127 Cf. zur Unterscheidung von Historie und Geschichte §§ 3.2.4 und 4.1.4. 128 Brunner, Sündenfall, 149f. 129 SF, 23.
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2.1.5 Über Märchen und Mythen Ist nun der Text philologisch, literarkritisch und redaktionsgeschichtlich eingehend untersucht, stellt sich für die alttestamentliche Exegese im Anschluss die Frage nach der Form des zu bearbeitenden Abschnitts. Mit Gunkel sind hier verschiedene Gattungen zu unterscheiden, die dieser erstmals in seinem Kommentar zur Genesis darlegte.130 Auch in dieser Hinsicht ist der vorliegende Abschnitt aus der Genesis nicht unproblematisch, zumal mit der Gattung ‚Mythos‘ bzw. ‚Sage‘ eine Schwierigkeit vorlag, die keine neue war und an der sich in der Auseinandersetzung und Annahme derselben die Geister Anfang des 20. Jahrhunderts (und auch noch später) schieden, an der sich aber für Bonhoeffer der Umgang mit der Genesis nicht nur formgeschichtlicher Art entscheiden sollte. Zwischen Mythos als kindlicher Weltbeschreibung einer vergangenen Epoche und als wahrer Form menschlicher Geschichtsschreibung changierte das Forschungsspektrum zu seiner Zeit. Vor allem die Theologie131 hatte – anders als die Philosophie132 – gerade mit der Bezeichnung ‚Mythos‘ ihre Schwierigkeiten, war damit nicht nur alltagssprachlich eine Konnotation von Illusion, von ursprünglicher Vor- und Irrationalität sowie Unaufgeklärtheit verbunden. Das resultierte freilich vor allem aus der Aufklärung und dem daraus folgenden Aufkommen der historisch-kritischen Exegese im 19. Jahrhundert, in deren Konsequenz der Umgang mit religiösem Traditionsgut in Apologie- oder auch Defensivzwang geriet, was noch im 20. Jahrhundert nachwirkte.133 So definiert 130 Cf. Gunkel, Genesis, XIII–XXVI. 131 Cf. z. B. Gunkel, Genesis, XIV: „‚Mythen‘ – man erschrecke nicht vor diesem Worte […].“ 132 Cf. etwa Ernst Cassirers Symboltheorie, z. B. in: Philosophie der symbolischen Formen II, 19: „[…] [A]uch die Welt der Erkenntnis ist ihrem Inhalt, ihrer bloßen Materie nach nichts anderes. Auch zum wissenschaftlichen Begriff der Natur gelangen wir nicht dadurch, daß wir hinter unseren Vorstellungen deren absolutes Urbild, den transzendenten Gegenstand ergreifen, sondern dadurch, daß wir in ihnen selbst und an ihnen eine Regel entdecken, durch die sie in ihrer Ordnung und Folge bestimmt werden. Die Vorstellung gewinnt für uns gegenständlichen Charakter, indem wir sie ihrer Zufälligkeit entkleiden und an ihr ein Allgemeines, ein objektiv-notwendiges Gesetz herausstellen. Auch dem Mythos gegenüber kann daher die Frage der Objektivität nur in dem Sinne gestellt werden, daß wir untersuchen, ob auch er eine ihm immanente Regel, eine ihm eigentümliche ‚Notwendigkeit‘ erkennen läßt.“ Cf. auch Johann Jakob Bachofens Untersuchung zum Matriarchat, die den Mythos für seine Zeit in einem neuen Lichte sah. Bachofen, Das Mutterrecht, 9: „Der Anfang aller Entwicklung liegt im Mythus. Alle tiefere Erforschung des Altertums wird daher unvermeidlich zu ihm zurückgeführt. Er ist es, der die Ursprünge in sich trägt, er allein, der sie zu enthüllen vermag. Die Ursprünge aber bedingen den späteren Fortschritt, geben der Linie, die dieser befolgt, für immer ihre Richtung. Ohne Kenntnis der Ursprünge kann das historische Wissen nie zu innerm Abschluß gelangen. Jene Trennung von Mythus und Geschichte, wohl begründet, sofern sie die Verschiedenheit der Ausdrucksweise des Geschehenen in der Überlieferung bezeichnen soll, hat also gegenüber der Kontinuität der menschlichen Entwicklung keine Bedeutung und keine Berechtigung.“ 133 Cf. Stolz, Art. Mythos, 623.
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auch Gunkel demgemäß Mythen als reine Göttergeschichten, die in solcher Form nicht in der Genesis zu finden seien. Stattdessen spricht er sich für den Begriff ‚Sage‘ aus, da er hier den Menschen als den Haupthandelnden zu erkennen meint.134 Egal aber, ob nun von Sagen oder Mythen die Rede ist, auf dem Hintergrund dieser widerstreitenden Grundvoraussetzungen ist die damit verbundene Problematik deutlich zu erkennen. Es ist nun zunächst der Umgang zweier Theologen mit dem biblischen Mythos kurz nebeneinanderzustellen, um deren konträre Zugangsarten zu verdeutlichen und sie dann mit Dietrich Bonhoeffers Auffassung in Beziehung zu setzen. Beginnt man mit Friedrich Baumgärtel, liest man folgende Sätze: „So kommt es, daß die Berichte des Alten Testaments in der Tat auf große Strecken hin (besonders also am Anfang) sagenhaft sind. Dabei ist es freilich nicht angängig, daß man ‚Sage‘ gleich ‚Lüge‘ setzt […]. ‚Sage‘ ist vielmehr nach einhelliger Meinung der Wissenschaft […] ein Gebilde, in dem sich Geschehenes mit niemals Geschehenem mischt. Jede Sage hat also einen historischen Kern. Das liegt auch im Alten Testament so.“135
Entscheidet sich Friedrich Baumgärtel demzufolge zum einen für die Bezeichnung ‚Sage‘, bangt er zum anderen um die Historizität des biblischen Textes, wenn er beinahe apologetisch Sage nicht mit Lüge gleichgesetzt wissen will und sie stattdessen auf ein ihr inhärentes historisches Faktum reduziert. Zwar fänden sich freilich Elemente der Fiktion, im Kern jedoch, so beschwichtigt Baumgärtel seinen Leser, lägen historische Fakten, die es gerade für die Berichte des Alten Testaments auszuheben gelte. Jede Sage habe damit ihren historischen Anhalt, auch wenn das auf den ersten Blick nicht so scheinen mag. Emil Kautzsch hingegen sieht in den mythischen Texten des Alten Testaments gerade keine letzten Bestände historischer Tatsachen, vielmehr will er sie einzig in ihrer Bedeutung für den Leser herausstellen, wenn er betont, dass eine Verständigung der biblischen Vorstellungswelt mit dem modernen naturwissenschaftlichen Denken reine Illusion, reiner Wunsch bleibe: „An dieser religiösen Bedeutung soll man sich auch vollständig und endgültig begnügen lassen. Noch heute wollen die Versuche nicht enden, den biblischen Schöpfungsbericht mit den Ergebnissen der Geologie, Astronomie und überhaupt der Naturwissenschaften ganz oder doch teilweise in Einklang zu setzen. In der Tat will unser Bericht in betreff der Weltentstehung Tatsachen erzählen und bewegt sich dabei in den Vorstellungen des zeitlich und räumlich engen Weltbildes des Altertums […]. Somit haben wir allen
134 Cf. Gunkel, Genesis, XIII–XVI. Greßmann nennt diese auch „Kultursagen“, da diese Klasse der Ätiologie nach dem Ursprung menschlicher Kultur fragte. Cf. Greßmann, Sage und Geschichte, 25. 135 Baumgärtel, Die Bedeutung des Alten Testaments, 9.
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Grund, das Weltbild des Altertums in dieser Schöpfungsgeschichte zu den Bestandteilen der Heiligen Schrift zu rechnen, die für uns nicht maßgebend sind, zumal sie mit dem wahren Zweck der Bibel, der Mitteilung von religiösen Wahrheiten nichts zu tun haben.“136
Das Genus der Schöpfungsberichte ist damit seiner Auffassung nach zwar Report, aber doch keiner in unserem heutigen Sinne, gerade weil diese Rede in ihrem eigenen, begrenzten und vormodernen Vorstellungsraum verbleibt und diesen als tatsächlichen darstellt. Im Umkehrschluss heißt das dann für Kautzsch: Uns heutigen Lesern kann sie damit nichts anderes als ihre religiöse Bedeutung vermitteln, von religiöser Wahrheit aber kann nicht gesprochen werden. Während also Baumgärtel die Sage als im Kern historisch anerkennt und somit jedem mythischen Text einen historischen Grund und Gehalt zugesteht, liegt es Kautzsch dagegen vielmehr daran, den Sinn an sich als einzig und allein religiös bedeutsam herauszustellen. In Mythen und Sagen ist damit aber für beide Alttestamentler keine Faktizität zu erfahren, im Gegenteil gilt es, eine solche Form in ihre Bestandteile aufzugliedern, um an den faktischen – entweder historischen oder religiösen – Kern derselben zu gelangen. Bonhoeffer hingegen beschreitet im Umgang mit dem Mythos einen ganz anderen Weg. Schon die Tatsache, dass er zum einen nicht die Bezeichnung ‚Mythos‘ scheut, ja er kann diese sogar mit ‚Märchen‘ gleichsetzen und sie auch nicht voneinander unterscheiden, zeigt bereits sehr deutlich eine seinen alttestamentlichen Kollegen entgegengesetzte Umgangsweise mit jenem biblischen Reden. Zudem ist er auch im Nachgang der Genesis und deren Sprachduktus, der von der Entstehung der Welt in einer seiner Zeit, so scheint es, weit entfernten Weise handelt, nicht darum verlegen zu fragen: „Wie sollte man von der ersten, der jungen Erde anders reden als in der Sprache der Märchen?“137 Dass er dann freilich im gleichen Atemzug den ihm bekannten Abwehrmechanismus gegen eben diese Sprechweise in seine Antwort auf- und vornimmt, zeigt, dass es sich hier um eine andere Art der Definition des Mythos – die freilich hintergründig mitschwingt, die aber noch genauer zu besehen ist138 – handelt: „Mythos, kindliche, phantastische Ausmalung der grauen verborgenen Vorzeit – so sagt die Welt. Gottes Wort, Geschehen am Anfang der Geschichte, vor der Geschichte, jenseits der Geschichte und doch in der Geschichte […] – so sagt die Kirche.“139 Dass es ihm hier im Gegensatz zu Friedrich Baumgärtel, der noch um eine versteckte historische ‚Wahrheit‘ in der ‚Erzählform Mythos‘ ringt, oder Emil Kautzsch, der dem Mythos eine Tradierung allgemeiner religiöser Wahrheiten 136 137 138 139
Kautzsch, Heilige Schrift, 9. SF, 75. Cf. zum Mythos §§ 3.1.4 und 4.1.1. SF, 77.
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zuschreibt, um das Ernstnehmen des mythischen Bestandes der Heiligen Schrift ist, wird endgültig deutlich, wenn Bonhoeffer betont: „Warum das eine bestreiten auf Kosten des anderen? Warum nicht einsehen, daß all unser Reden von Gott, von unserem Anfang und Ende, von unserer Schuld nie die Dinge selbst sagt, sondern immer nur Bilder, und daß Gott durch jene alten Bilder der Magie wie durch unsere technisierenden Begriffsbilder selbst nach uns greifen muß hier wie dort, daß er uns lehren muß, wenn wir klug werden sollen.“140
Auch hier ist die Methodik, die bereits herausgearbeitet wurde, augenfällig. Mit Einsicht in die Relativität historischer Fakten und allgemeiner Wahrheiten geht es ihm zunächst nicht um das jeweils in der Sprache des Märchens oder des Mythos wortwörtlich Dargestellte, erst recht nicht darum, einzelne Gattungen und Überlieferungsformen herauszuarbeiten, vielmehr ist es ihm darum, die Perikope in ihrer Einheit und ihrer Stellung im Gesamttext zu erkennen, sie auch in dieser Gesamtheit zu würdigen und darin das ihr Eigentümliche zu erkennen, nämlich dass Gott hier wie dort „nach uns greifen muß“. Bonhoeffer liegt somit daran, seinen Zuhörern ein Geschehen zwischen Gott und Mensch aufzuzeigen, welches uns auch oder gerade heute etwas angeht, ein Geschehen also, das nicht einfach in einem Tatsachenbericht aufgehen kann, der in seiner historischen Bedingtheit ein für alle Mal vergangen ist, wenn die Geschichte ihren Lauf nimmt. Es geht ihm dann auch nicht darum, allgemeine, abstrakte Wahrheiten aus diesem Traditionsgut zu destillieren, die wie ein Wegweiser die Richtung zum moralischen Leben angeben. Vielmehr steht im Mittelpunkt dieser Art und Weise der Schriftauslegung, „die alte Bildersprache der magischen Welt in die neue Bildersprache der technischen Welt zu übersetzen, aber eben immer unter der Voraussetzung, daß hier wie dort wir die Gemeinten sind, daß wir uns in die geöffnete Bereitschaft begeben, das damals über den Menschen des magischen Weltbildes Gesagte uns sagen zu lassen […].“141
Und, dass uns unter dieser Voraussetzung auch gesagt werden muss, dass es, wenn es beispielsweise um die Entstehung der Welt, vorzüglich der Scheidung des Tages von der Nacht, geht, nicht von historischen Tatsachen in ihren physikalischen Zusammenhängen gesprochen wird,142 ist für Bonhoeffer deutlich zu erkennen und auch nicht zu verschleiern: „Daß der biblische Autor, sofern sein Wort Menschenwort ist, seiner Zeit, seiner Erkenntnis, seinen Grenzen verfallen ist, wird ebenso wenig bestritten, wie daß durch dieses Wort nur Gott selbst von 140 SF, 77. 141 SF, 77. 142 Cf. SF, 46: „Das physikalische Problem steht hier überhaupt nicht zur Diskussion, wo von ‚Tag‘ geredet wird. Es tut dem biblischen Denken keinen Eintrag, ob die Schöpfung in Rhythmen von Jahrmillionen oder in einzelnen Tagen geschehen ist, wir haben keinen Anlaß, das letztere zu beteuern noch das erste zu leugnen.“
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seiner Schöpfung zu uns redet.“143 So gilt es also auch im Umgang mit der vorliegenden Form des Textes von der grundlegenden Absicht des Textes durch die Mauer des Un- und Missverstehens durchzudringen zur Erkenntnis des hier Gesagten, aber ganz in dem Bestreben, den Text in seiner Ganzheit und damit in seiner Geschichtlichkeit zu wahren, die eben gerade in der Sprache des Mythos etwas Tatsächliches zu überbringen hat, das nicht in der Suche nach Faktizität oder allgemeiner Wahrheit begründet ist.
2.1.6 Zur Geschichtlichkeit eines historischen Textes Anhand der hier nur in Kürze angeführten Grundlinien und Leitprinzipien der historisch-kritischen Forschung des angehenden 20. Jahrhunderts zeigt sich bereits eine deutliche Differenz zur Methodik in der bonhoefferschen Bearbeitung der vorliegenden Genesiskapitel. Ruft man sich an dieser Stelle in Erinnerung, dass es das Bestreben der Alttestamentler seiner Zeit war, der radikalen Zergliederung des Alten Testaments in jede noch so kleine hypothetische Quellenschicht und literarkritische Variation mithilfe einer religionsgeschichtlichen Lesart entgegenzuwirken, erscheinen Rudolf Kittels Worte geradezu als ein Weckruf an seine Kollegen: „Wir sind voll Eifers im Aufspüren von Analogien und Vorgängen. Wir waren bald daran, Israels Religion in babylonische Mythen, seine Geschichte in Sagen und Märchen aufzulösen. So waren wir nahe dabei, uns zu entschuldigen, daß unser alttestamentliches Volk und seine Religion überhaupt noch existierte, und nur mit einer gewissen Zaghaftigkeit nahmen wir dieses oder jenes Eigenartige und Wertvolle an ihr noch in Anspruch.“144
Aufgrund dessen fordern er und seine Kollegen beinahe einhellig, sich gegen die Auflösung erneut der Einheit des Textes zu widmen, genauer den „religiösen Gehalt [zu] erklären“.145 Mit der Direktive, man müsse sich wieder dem „eigentlichen theologischen Problem“146 zuwenden, wird hier eine neue Art und Weise des Umgangs mit der Schrift propagiert, die sich jedoch augenscheinlich in ihrer Konsolidierungsphase befand und in der Praxis noch nicht realisiert hatte. Wenn der junge Student Dietrich Bonhoeffer bereits 1925 in seinem Referat über historische und pneumatische Schriftauslegung in pathetischen Worten darauf hinweist, dass die historisch-kritische Exegese in ihrer
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SF, 46. Kittel, Die Zukunft der Alttestamentlichen Wissenschaft, 98. Gunkel, Ziele und Methoden der Erklärung des Alten Testaments, 24. Gunkel, Ziele und Methoden der Erklärung des Alten Testaments, 24.
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„religionsgeschichtlichen und formgeschichtlichen Methode […] auch die letzten kleinen Texteinheiten [zersplittert und] [n]ach dieser vollkommenen Zertrümmerung der Texte […] die Kritik den Kampfplatz [verlässt], Schutt und Splitter zurücklassend, ihre Arbeit scheinbar erledigt […]“,147
so ist das durchaus eine pointierte Beschreibung der alttestamentlichen Wissenschaft damaliger Zeit. Der Einwand seines ehemaligen Dozenten und späteren Doktorvaters Reinhold Seeberg „Aber sie ist nur Vorarbeit für die Geschichte[!]“148 macht an dieser Stelle genau dieses deutlich: Zwar war die historische Methode mit der neuen Fokussierung auf die Religionsgeschichte über die bisherige Arbeitsweise theoretisch hinausgegangen, in ihrer praktischen Ausarbeitung an ihrer eigenen Bestimmung aber noch nicht angekommen. An den hier angebrachten Beispielen ist Mal zu Mal mit Bonhoeffers Anfragen deutlicher geworden, dass die „mit einer Quellenkritik übersättigte[…] Generation“149 noch immer nicht ihren eigenen Forderungen gerecht werden konnte. So wird durch die Herangehensweise an die Texte allein als historisches Quellenmaterial – auch in religionsgeschichtlicher Perspektive – schon deutlich, dass eben „die Hauptsache“,150 wie es Gunkel so schön zu formulieren wusste, gerade nur vermeintlich erkannt war. Im Gegenteil wurde die Berechtigung und Autorität der Schrift allein durch die (Ergebnisse der) Methode begründet; nur in der dezidierten Verortung der israelitischen Religionsgeschichte in einem ‚faktischen‘ Realismus konnte die Schrift als für die heutige Zeit bedeutsam anerkannt werden. Nicht die Bibel rechtfertigte die Methode, die Methode musste dieselbe rechtfertigen. Beispielhaft wird das, wie gezeigt wurde, am Umgang mit den zwei Bäumen im zweiten Kapitel der Genesis. Sucht Hans Schmidt „nach dem Sinn der Erzählung“,151 den er an der Übersetzung von טוֹבund ַרעin Gen 2,17 festgemacht wissen will, zieht er gegen eine wörtliche Übersetzung – so seine beschriebene Vorgehensweise – den weiteren Sinnzusammenhang des Textes heran.152 Stimmt Bonhoeffer sowohl in dieser Übersetzung als auch Methodik überein, gelangen beide dennoch paradoxerweise zu einem dezidiert differenten Urteil hinsichtlich der Bedeutung und Interpretation dieser Perikope. Wie konnte das passieren? Beide hatten den Verlauf der Baumgeschichte näher betrachtet: Schmidt hatte dazu die seiner Ansicht nach zugrundeliegende Urquelle rekonstruiert, – genauer seiner Auslegung eine hypothetische Quelle zugrunde gelegt, die er zu147 148 149 150 151 152
JuS, 307. JuS, 307 (Anm. 13). Greßmann, Die Aufgaben der alttestamentlichen Forschung, 2. Gunkel, Ein Notschrei, 60. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 20. Cf. die Fragen in Schmidt, Paradies und Sündenfall, 21: „Tritt in der Erzählung selbst dadurch, daß die Menschen vom Baume essen, etwas Erkennbares ein? Gewinnen sie etwas durch den Genuß der verbotenen Frucht?“
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nächst aus dem Text subtrahiert und nach eigenem Vermögen rekonstruiert hatte – um daraus auf den Sinnzusammenhang zu schließen. Bonhoeffer hingegen, in Wahrnehmung des vorliegenden Textes, war von der Perikope über die gesamte Paradies- und Schöpfungsgeschichte hinausgegangen, erst hier konnte sich der Bedeutungszusammenhang für ihn erschließen. Während sich demnach für Schmidt und seine Kollegen der Gehalt biblischer Texte in Ideen und Stoffen zeigte, in dem also, was der Erzähler dem Leser vermeintlich erkennen lassen wollte,153 war es für Bonhoeffer die ganze Heilige Schrift, die über den Zusammenhang und Ausdruck eines jeden einzelnen Wortes, einer jeden einzelnen Perikope, einer jeden Erzählung entschied. Auch wenn das im Gegenzug bedeutete, dass Leerstellen, man denke an die Frage nach dem Woher des Bösen, zum Teil ungefüllt und unerklärbar blieben. Ein ähnliches Vorgehen zeigt sich, wenn Bonhoeffer genau auf diese uneinsichtigen und nicht verifizierbaren Quellenschichten in ihrer Relativität hinweist und die beiden offensichtlich zusammengefügten Schöpfungserzählungen nicht nur nebeneinander stehen lässt, sondern als changierende Einheit anerkennt und vielmehr noch ihre Vielschichtigkeit und Diversität für ein tieferes Verstehen der Heiligen Schrift hervorhebt. Besonders evident wird die literarkritische Problematik dann mit der Frage nach dem Gott dieser Erzählungen. Hans Schmidt liest in der Konsequenz seiner hypothetisch rekonstruierten Quelle Baal hinter dem Tetragramm und kann so diesen Gott ohne Weiteres der Lüge bezichtigen.154 153 Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 21: „Die Beantwortung dieser Frage ist nun dadurch ganz außerordentlich leicht gemacht, daß der Erzähler uns den Zustand der Menschen zur Zeit ihres Nichtwissens, ehe sie noch vom Baum gegessen haben, beschreibt.“ 154 Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 30: „Das Wort ‚am Tage, an dem du von dem Baum ißt, mußt du sterben‘, ist nicht wahr. Es erfüllt sich ja nicht.“ Das tut auf seine Weise auch Gunkel, der zwar nicht so weit geht, noch immer einen heidnischen Gott in das Tetragramm hineinzulesen, aber diese ältere Quellenschicht gerade in dieser Unstimmigkeit durchschimmern sieht. In seinem Kommentar ist zunächst Folgendes zu lesen: „Diese Drohung [die Todesdrohung des Baumes der Erkenntnis, Verf.] geht nachher nicht in Erfüllung: sie sterben nicht sofort: dieser Tatbestand ist nicht hinwegzuerklären […].“ (Gunkel, Genesis, 10.) Wenige Seiten weiter folgt dann die genauere Ausführung: „Manche Fragen, die aus der gegenwärtigen Rezension kaum zu beantworten sind, können ihre Beantwortung aus älterer Fassung finden: warum hat Gott die beiden Bäume, deren Genuß er doch den Menschen nicht verstatten wollte, überhaupt ins Paradies gesetzt? […] Diese Fragen könnten [man beachte den Konjunktiv!, Anm. d. Verf.] aus einer anzunehmenden [!, Anm. d. Verf.] heidnischen Rezension so beantwortet werden: daß diese Bäume ihrer Natur nach in die Wohnung der Götter gehören, damit diese davon essen und das ewige Leben haben; ferner daß die Schlange, ursprünglich selber ein Gott, im Paradies ebenso ihre Wohnung habe wie die anderen Götter. Auch der eigentümliche Umstand, daß die Schlange Gottes Wort geradezu Lügen straft, und damit scheinbar Recht behält, dürfte sich im letzten Grunde nur daraus erklären, daß der betreffende heidnische Gott in der ältesten Rezension die Unwahrheit und die Schlange die Wahrheit gesagt hat: der Gott hat, um den Menschen fernzuhalten, behauptet, der Baum sei ein Giftbaum, aber die Schlange hat ihn über die wahre Natur des Baumes aufgeklärt.“ (Gunkel, Genesis, 35.) (Deutlich wird
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Bonhoeffer indes folgt auch hier einzig und allein dem vorliegenden Textbestand, weshalb darin nicht nur der jüdische, sondern auch der christliche Gott als der Eine Gott erkannt wird. Konkret zeigt sich die Problematik der historisch-kritischen Forschung dann mit der Frage nach der Historizität des Mythos bzw. der Sage: Wenn schon die Form der Genesis als grundsätzliches Problem der Analyse zu deuten ist, erliegt die historisch-kritische Forschung ihrem eigenen Diktat, die faktische Wahrheit hinter den Texten präparieren zu wollen. Hier wird dann entweder Historisches in den Textbestand hineingelegt oder selbiger aufgrund einer definitorischen Fiktionalität als irrelevant verworfen. Durch die traditionelle Scheidung von Logos und Mythos, die den Logos auf die Seite der Ratio und den Mythos auf die Seite der Phantasie, der Einbildungskraft stellt, ist hier eine wesentliche Richtung der spezifischen Sprach- und Denkgewohnheit eingeschlagen, die noch deutlich auf Georg Wilhelm Friedrich Hegels paradigmatischer Parole basiert: „Die Mythe gehört zur Pädagogie des Menschengeschlechts. Ist der Begriff erwachsen, so bedarf er derselben nicht mehr.“155 Wenn aber das daraus resultierende Gebot der vernünftigen Einsehbarkeit in Sprachliches so weit gehen muss, einen Historismus, der sich selbst Historie konstruiert, um historische Faktizität und damit Autorität zu erweisen, als Tatsächliches, Vorfindliches darzulegen, gerät nicht der Mythos unter Fiktionalitätsverdacht – dieser macht in seiner ihm eigentümlichen Sprachweise ja gerade deutlich, dass er erzählte Welt sein will –, sondern dieser Historismus selbst. Setzt Bonhoeffer hier gegen die historisch-kritische Exegese jedoch den Mythos als einzige Möglichkeit des Menschen, „von der ersten, der jungen Erde […] in der Sprache der Märchen“156 zu reden, wird in diesem Hinweis eine Andeutung gemacht, die für die Genesisauslegung Bonhoeffers paradigmatisch ist. Im Gegenteil geht es eben gerade nicht darum– wie Wilhelm Vischer nicht müde wird hervorzuheben –, den alttestamentlichen Text zu lesen „mit jenen apologetischen Künsten, die das Ärgernis dadurch scheinbar überwinden, daß sie es nicht sehen wollen, die den Tatbestand entstellen, um Gott zu retten. […] Aber ebensowenig hat allerdings sachliches Lesen zu tun mit jener atavistischen Wissenschaft, die sich einbildet, das alte Testament erklärt zu haben, wenn sie Anklänge an die primitivsten Motive nachgewiesen hat.“157
hieran übrigens auch die oben schon angedeutete Arbeitsweise Gunkels, der zwar über die bloße Quellenkritik hinausgehen wollte, sich dieser gleichzeitig aber dennoch umfassend zu bedienen wusste.) 155 Hegel, Geschichte der Philosophie II, 30. 156 SF, 75. 157 Vischer, Das alte Testament als Gottes Wort, 383.
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Menschliches Reden, ob mythisch oder technisch, wird hier deutlich vor Augen geführt, kann nie die Wahrheit der Heiligen Schrift begreifen und erfassen, allein Gott ist diese Offenbarung vorbehalten. Darum noch einmal: „Warum nicht einsehen, daß all unser Reden von Gott, von unserem Anfang und Ende, von unserer Schuld nie die Dinge selbst sagt, sondern immer nur Bilder, und daß Gott durch jene alten Bilder der Magie wie durch unsere technisierenden Begriffsbilder selbst nach uns greifen muß hier wie dort, daß er uns lehren muß, wenn wir klug werden sollen.“158
Zum einen ist hier eine Einsicht in die Relativität historischer Faktizität und Erkenntnis sowie allgemein zu konstatierender Wahrheiten gemacht, die Bonhoeffer die Frage nach der Historizität der Schrift auf einer anderen Ebene beantworten lässt. Zum anderen ist darüber hinaus ebenfalls ein Bewusstsein für die Erkenntnisfähigkeit des Menschen deutlich gemacht, die für Bonhoeffer eine andere zu sein scheint als die seiner Lehrer und späteren Kollegen. Wenn die historisch-kritische Exegese mithilfe einer präfigurierten Methodik an die Heilige Schrift herangeht, entscheidet eben diese nicht nur über die Autorität des Textes, d. h. im Sinne von rationaler Einsicht in die historische Tatsächlichkeit der vorliegenden Texte, sondern auch über die Ergebnisse: Wenn allein das historisch ‚Nachweisbare‘ der Exegese standhält, ist bereits im Vorfeld über Umfang und Art der Ergebnisse eine Vorentscheidung getroffen. Einmal ganz abgesehen davon, dass sich die Bibel einer solchen Herangehensweise schon allein aufgrund ihrer Entstehungsart sperrt, ist es anhand einer solchen Methodik auch nicht möglich, die Texte in ‚menschlich‘ und ‚göttlich‘ zu zerlegen – die moderne Idee der Geschichtsschreibung, die ihrem Selbstverständnis nach Fakten objektiv darlegen will, gibt es in ihrer Art und Weise erst seit dem 19. Jahrhundert. In der Literatur wurde vielfach über Bonhoeffers Verhältnis zur historischkritischen Methodik geurteilt. Bonhoeffer habe diese gekannt, liest man zumeist, selbe aber nicht für seine „[t]heologische Auslegung“159 als notwendig erachtet. Jeffrey Richards beispielsweise resümiert: „Bonhoeffer does not look at the minutiae of exegesis. […] His exegesis is not textual, but more theological. He does state that scripture is witness to Christ […].“160 Es war zu sehen, dass das ein viel zu ungenaues Urteil zumindest über Schöpfung und Fall ist,161 das wohl zumeist aus einer oberflächlichen Betrachtung der Arbeit resultiert, oft aber auch einem hermeneutischen Zirkelschluss entspringt: Aus heutiger fortgeschrittener 158 159 160 161
SF, 77. SF, 22. Richards, War Time Preaching, 155. Wie der Anteil historisch-kritischer Auseinandersetzung in den Schriften außerhalb seiner wissenschaftlichen Lehrtätigkeit liegt, kann hier nicht untersucht und beantwortet werden, ist aber zur Erkenntnis der Hermeneutik in Bonhoeffers Lebenswerk durchaus sehr zuträglich.
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Über Bonhoeffers formale Bibelbetrachtung
historisch-kritischer Methodik wurde Bonhoeffers differentem Umgang keine eingehende Beachtung geschenkt, seine Besonderheit und Voraussichtigkeit gegenüber seiner Zeit nicht erkannt, vielmehr wurde ein Urteil gefällt, ohne wirkliche Einsicht in seine Arbeitsweise erlangt zu haben.162 Bonhoeffer ist sich nicht nur der historisch-kritischen Methode und deren Erkenntnissen bewusst, er weist nicht nur auf Ergebnisse der alttestamentlichen Wissenschaft seiner Zeit hin, sondern ganz im Gegenteil nutzt er selbe für seine Auslegung der Paradiesund Sündenfallgeschichte. Das geschieht sicherlich nicht auf den Wegen des damaligen Wissenschaftsstandards, was sich beispielsweise an einer Auseinandersetzung Gerhard von Rads mit Bonhoeffer nach einer Vorlesung zeigt: „Ich hatte in dieser Stunde gerade den 51. Psalm auszulegen und habe mich auch angelegentlich mit dem später angefügten Schluß des Psalms beschäftigt. Auf dem Heimweg ging es zwischen uns um das Recht und die Aufgabe der historisch-kritischen Forschung, die ich gegenüber einer damals im Kirchenkampf aufkommenden Gegenströmung leidenschaftlich verfocht. Ich habe meinen Gesprächspartner überhaupt nicht verstanden, und wir haben gestritten. Heute würde ich sein Anliegen, ohne das meine von damals aufzugeben, wohl besser verstehen.“163
Das Anliegen des jungen Dietrich Bonhoeffers ist nicht als unkritische und unhistorische Herangehensweise an die Heilige Schrift zu erklären. Vielmehr bestimmte genau die Frage nach dem „historischen Faktum […] Jesus Christus“164 die Herangehensweise an die Bibel. Jedes Wort war ihm unendlich bedeutungsvoll. Und dennoch konnte diese „absolute Gewißheit“165 nicht in der Art und Weise seiner alttestamentlichen Lehrer und Kollegen erlangt werden, dagegen heißt es in seiner Christologievorlesung: „Offenbar ist hier die historische Methode überfordert. […] Die historische Forschung kann nie absolut verneinen, weil sie auch nie absolut bejahen kann. So kann eben auch die Existenz Jesu Christi nicht absolut verneint werden; man kann sie wohl infrage 162 Dazu lassen sich viele Beispiele finden. Es wird offensichtlich vor allem bei derjenigen Literatur, die sich unter anderem der Hermeneutik Bonhoeffers widmet, darunter Gottfried Claß’ Der verzweifelte Zugriff auf das Leben und Ernst Wendels Studien zur Homiletik Dietrich Bonhoeffers, aber auch Martin Kuskes Das Alte Testament als Buch von Christus u.v.m. Zuweilen sind auch Einschätzungen zu finden, die als treffend zu bezeichnen sind. In ihrer Kürze sagen diese dann jedoch wenig Inhaltliches über die bonhoeffersche Methodik der Schriftinterpretation aus. Cf. dazu beispielsweise auch das Nachwort der Herausgeber von B, Carsten Nicolaisen und Ernst-Albert Scharffenorth: „In seiner Auslegung der ersten drei Kapitel der Genesis stellte sich Bonhoeffer bewusst in die Tradition von Karl Barths Römerbrief-Kommentar. Auch Bonhoeffer ging es um eine nach-kritische Schriftauslegung. Der Beginn des Alten Testaments interessierte ihn nicht im Blick auf die verschiedenen Quellen, die nach historisch-kritischer Erkenntnis zu scheiden waren, sondern als integraler Teil der Bibel als Buch der Kirche.“ (B, 472.) 163 Rad, Begegnungen, 141. 164 B, 313. 165 B, 313.
Das Problem mit der historisch-kritischen Methode
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stellen, mit Wahrscheinlichkeit verneinen. Die Historizität Jesu ist also weder mit absoluter Sicherheit zu leugnen noch zu bejahen. […] Die absolute Gewißheit über ein historisches Faktum ist an sich nie zu gewinnen, sie bleibt ein Paradoxon.“166
Wenn Bonhoeffer also als Dozent der Berliner Fakultät die ersten Kapitel der Genesis auslegt, tut er das nicht in der Manier seiner Lehrer. Vielmehr kann man für Bonhoeffer hier mit Karl Barth insistieren: „Kritischer müßten mir die Historisch-Kritischen sein! Denn wie ‚das was dasteht‘ zu verstehen ist, das ist nicht durch […] bestimmte Wertung der Wörter und Wortgruppen des Textes auszumachen, sondern […] das Messen aller in ihr enthaltenen Wörter und Wortgruppen an der Sache, von der sie […] offenbar reden, […] das Deuten dessen, was sie sagt, im Lichte dessen, was allein gesagt werden kann und darum auch tatsächlich allein gesagt wird.“167
Nicht an einer Übertragung Wort für Wort, schon gar nicht an einer Übertragung anhand einer rekonstruierten Arbeitshypothese, die historische Faktizität erhält, oder an Abwägung unterschiedlicher Quellen und religionsgeschichtlicher Einflüsse messen sich für Dietrich Bonhoeffer Inhalt und Bedeutung der Schrift. Eine historisch-kritische Herangehensweise stellt sich für ihn anders dar. Sie ist, das muss gegen Rainer Mayer deutlich festgehalten werden,168 maßgeblich für eine „Akt-Seinseinheit des Schriftverständnisses“. Allein in der Gewissheit der historischen Tatsächlichkeit des Christusgeschehens ist Erkenntnis der Schrift möglich. Es ist demnach deutlich, dass Bonhoeffer die Erkenntnisse seiner Lehrer und Kollegen für seine Auslegung nutzte. Übersetzungen, Quellenarbeit und religionsgeschichtliche Einsichten sind Teil seiner Erarbeitung der Auslegung, aber eben in relativierter Bedeutung, da „absolute Gewißheit über ein historisches Faktum […] an sich nie zu gewinnen [ist], sie bleibt ein Paradoxon.“169 Allein die vorliegende Schrift kann diese historische Faktizität des Christusereignisses selbst gewähren. Was er darunter versteht, muss freilich noch genauer betrachtet werden. Fest steht jedoch schon an dieser Stelle, dass er wie seine Zeit über die historisch-kritische Methodik denkt: Eine Zertrümmerung und Zersplitterung der Texte kann keine gewinnbringende Erkenntnis der Heiligen Schrift erlangen. 166 B, 313. 167 Barth, Der Römerbrief, XVIIIf. 168 Cf. dessen Aussage in Mayer, Christuswirklichkeit, 136: „Über die kritische Erarbeitung eines Textes schreibt Bonhoeffer außer einigen Hinweisen, daß man sie nicht übergehen soll […], sehr wenig. Die Akt-Seinseinheit des Schriftverständnisses ist gegeben in der meditativen Betrachtung und der predigenden Verkündigung. Die historisch-kritische Arbeit ist kein konstitutives Element dieser Einheit. Sie verliert für Bonhoeffer jeden existentiellen Bezug. Wenn die Bibel unter Absehung von der Christuswirklichkeit ausgelegt werden soll, ist das Zentrum bereits verfehlt.“ 169 B, 313.
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Während aber seine Lehrer und Kollegen diesen Missstand mit religionsgeschichtlicher Forschung zu beheben beabsichtigen, ist der junge Dozent ihnen bereits einen Schritt voraus. In seiner Genesisauslegung zeigt er die Unzulänglichkeiten auch dieser Herangehensweise deutlich auf und ist nicht darum verlegen, darüber hinauszugehen. Auch in der Relativierung der text-, redaktionsund literarkritischen sowie religionsgeschichtlichen Methoden, die zu seiner Zeit in ihrer Notwendigkeit beinahe unumstritten waren,170 kann also für Bonhoeffers Umgang mit der historisch-kritischen Exegese seiner Zeit gesagt werden: Mit den Erkenntnissen seiner Lehrer und seiner Zeit geht er über seine Lehrer und die Erkenntnisse seiner Zeit hinaus. In der Hochschätzung des biblischen Textes, wie er uns heute vorliegt, war es Bonhoeffer daran gelegen, diesen als Wort Gottes in seiner Endgestalt zu würdigen. Wenn aber mithilfe historisch-kritischer Methodik dieser Text nicht nur in seine unterschiedlichen Quellen und Quellenfäden analytisch zerteilt wurde, sondern auch diese ‚primären‘, alten und ursprünglichen Einzelüberlieferungen als ‚originale‘ Zeugnisse hervorgehoben wurden, stand für die historisch-kritisch orientierte Exegese der echte, der ‚wahre‘ Urtext und dessen ursprüngliches Zeugnis im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Demgegenüber erschien aber der gegebene biblische Text als lediglich „etwas Sekundäres, als ein Produkt von bloßen Sammlern und Redaktoren[, sodass d]as spätere, redaktionelle Gut […] den Beigeschmack des Unerheblichen und Unechten, des nur Epigonalen [hatte].“171 Dass Bonhoeffer das so nicht hinnehmen konnte, ist aus seiner grundsätzlichen Hochachtung der Schrift offensichtlich. Es lag damit in seinem Interesse, mit seinen Lehrern an der Untersuchung der biblischen Texte als genuin menschlichen Texten festzuhalten, das aber in veränderter, aus heutiger Sicht vorausblickender Weise, nämlich in Form einer Endtextexegese. Gegen eine Diskreditierung der ‚sekundären‘ biblischen Schriften liest man darin seine Forderung, den theologischen Gehalt des gegebenen Textes zu erforschen sowie die Kompilation als kreative Neuschöpfung anzuerkennen.172 Bonhoeffers historisch-kritischer Umgang mit den biblischen Texten kann damit als ein tatsächlich historisch-kritischer gelten, das aber mit dem alleinigen Blick auf den Sinn des Endtextes, nicht auf eine dahinterliegende, ‚ursprüngliche‘ Wahrheit. Grundsätzlich bleibt dabei für Bonhoeffer also die eine, ihn mit seinen Lehrern verbindende Prämisse bestehen: „[D]ie Dogmatik bedarf der Gewißheit der Historizität Jesu Christi, d. h. der Identität des gegenwärtigen mit dem geschichtlichen Christus.“173 Wie diese Identität trotz relativer historischer Einsicht 170 171 172 173
Rogerson, Art. Bibelwissenschaften, 350–354. Becker, Exegese des Alten Testaments, 82. Cf. Becker, Exegese des Alten Testaments, 82f. B, 313. Cf. auch Woyke, Biblical Hermeneutics, 24.
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erkannt werden kann, bleibt zu sehen;174 inwiefern Bonhoeffer nun zugleich am dem Wortbestand der Schrift je festzuhalten beabsichtigt, soll im Folgenden näher betrachtet werden.
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2.2.1 Die Entdeckung des Wortes Es war bereits zu sehen, dass es der historisch-kritischen Forschung gerade darum ging, das biblische Wort von der Last der dogmatischen Voreingenommenheit zu befreien und es in seiner Fremdheit und Eigenständigkeit zu hören. Allein historisch verstanden, in dessen Wahrnehmung als geschichtliches Zeugnis einer bestimmten Zeit für eine bestimmte Zeit wollte die Kritik mit dem Exegeten als Anwalt des Textes eine Instrumentalisierung der Schrift unterbinden, welche selbe als Lieferanten für die je zeitlich günstigen Lehrauffassungen missbrauchte.175 Auch Dietrich Bonhoeffer konnte dieser Maxime, dass Exegese eine notwendige Bedingung des Textverstehens sei, ja durchaus zustimmen. Dass diese aber weder eine hinreichende Methode, noch in ihrer tatsächlichen Ausformung adäquate Herangehensweise sein konnte, erschloss sich ihm wie auch so manchem seiner Zeitgenossen darin, dass sie als solche nicht die Wahrheit der biblischen Texte erkannte, sondern allein auf der Ebene der Offenlegung des historischen Textbestandes und -wandels stehen bleiben musste. Dagegen sollte für Bonhoeffer nun das Wort in seiner vorliegenden, in seiner wirkmächtigen Gestalt wieder in den Mittelpunkt treten. Mit Karl Barth erwuchs eine Neubesinnung der gesamten protestantischen Wissenschaft, die folgenreich auch für die Theologie des jungen Dietrich Bonhoeffer sein sollte. Eingeleitet wurde diese Distanzierung von seinen Lehrern und der Berliner Fakultät durch seine Entdeckung von Karl Barths Arbeiten nach seinem Romaufenthalt und vor dem Beginn seiner Dissertation in den Jahren 1924 und 25.176 In der Lektüre von dessen Schriften177 stieß Bonhoeffer auf eine neue Art und Weise des Umgangs mit der Bibel, ein „Bemühen um ein vertieftes 174 Cf. dazu v. a. §§ 3.1.4, 3.2.4 und 4.1.4. 175 Cf. dazu Harnack, Fünfzehn Fragen, 8: „Wenn die Person Jesu Christi im Mittelpunkt des Evangeliums steht, wie läßt sich die Grundlage für eine zuverlässige und gemeinschaftliche Erkenntnis dieser Person anders gewinnen als durch kritisch-geschichtliches Studium, damit man nicht einen erträumten Christus für den wirklichen eintausche? Wer anders aber vermag dieses Studium zu leisten als die wissenschaftliche Theologie?“ 176 Cf. DB, 92f.102. 177 Cf. DB, 103. Bethge spricht zunächst von Artikeln der neuen dialektischen Zeitschrift Zwischen den Zeiten und Nachschriften von Barths Dogmatik-Vorlesung vom Sommer 1924 „Diktatsätze zum ‚Unterricht in der christlichen Religion‘ 1 und 2“.
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Schriftverständnis“178 des Schweizer Theologen, das ihn nicht mehr loslassen sollte. Nur wenige Jahre zuvor, in der von mannigfaltigen Umbrüchen und sich überschlagenden christlichen Grundlagen geprägten Periode zwischen den Weltkriegen, hatte für den jungen Barth „inmitten der Not der Zeit [eine] Begegnung mit der Bibel“ stattgefunden, die ihn und seinen Freund Eduard Thurneysen die Bibel neu und aufmerksam lesen ließ, als ihnen „die Theologie und Weltanschauung ins Wanken kam […].“179 „[D]as Anliegen des Wortes Gottes“,180 das ihnen, „so gewiß es nur wieder um die alten, längstgekannten, […] biblischen und reformatorischen Worte ging, ganz und gar neu [war]“,181 wies nun endgültig auf „den Geist in der Bibel“ hin, „der es wohl zulässt,“ so Barth, „daß wir uns eine Weile bei Nebensachen aufhalten […] – dann aber […] an [fängt] zu drängen […] auf die Hauptsache hin, ob wir wollen oder nicht!“182 In einer völligen Neubestimmung der Geschichte, die sich dann weder in historischen Tatsachen noch in einer Heilsgeschichte erstreckte, sondern den Leser in eine Begegnung mit dem lebendigen Gott hineinversetzte, wurde damit die gesamte biblische Forschung in ihren Grundlagen infrage gestellt, um zu einer ‚theologischen Exegese‘ vordringen zu können.183 In dieser neuen Herangehensweise wurde auch für den Studenten Bonhoeffer ein ganz anderer, unmittelbarer Zugang zum Wort Gottes grundgelegt, der für ihn sein gesamtes Leben lang richtungweisend sein sollte. Während die historisch-kritische Methode seiner Lehrer in rein philologischer Herangehensweise eher an Zersplitterung als an Lesart erinnerte184 und in ihrer Absolutheit der Aussagen die Wahrheit der Schrift in der Lokalisierung der historischen Bedingtheit vermeintlich erkannt haben wollte, wurde für ihn eine Art der Beschäftigung mit der Heiligen Schrift deutlich, die weniger auf den Verstand als auf Verinnerlichung und Einfühlung setzte.185 Bonhoeffer beschreibt das einige Jahre später in Finkenwalde mit den Worten: 178 179 180 181 182 183 184 185
Kirschstein, Der souveräne Gott, 5. Thurneysen, Zum religiös-sozialen Problem, 403. Thurneysen, Zum religiös-sozialen Problem, 405.407. Thurneysen, Zum religiös-sozialen Problem, 404. Barth, Neue Welt der Bibel, 22. Cf. Kraus, Erforschung des Alten Testaments, 415–421. Cf. Gloegge, Art. Biblizismus, 1263. Cf. dazu auch Barths Einschätzung der historisch-kritischen Problematik. Barth, Neue Welt der Bibel, 22f.: „Was steht in der Bibel? Geschichte! Die Geschichte eines merkwürdigen, ja einzigartigen Volkes, die Geschichte gewaltiger, geistesmächtiger Persönlichkeiten, die Geschichte des Christentums in seinen Anfängen. Ein Stück Geschichte von großen Männern und Ideen, für das man sich ‚als gebildeter Mensch‘ interessieren muß, schon wegen seiner Wirkungen auf die Folgezeit und Jetztzeit. […] Es ist ja so: die Bibel ist voll Geschichte: Religionsgeschichte, Literaturgeschichte, Kulturgeschichte, Weltgeschichte, dazu Menschengeschichten aller Art. Ein Bild von größter Lebendigkeit und Farbe entrollt sich, sowie man ihr aufmerksam nahetritt. – Aber die Freude wird nicht lange dauern: das Bild ist bei
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„Habe ich Gottes Wort nur in meinem Verstand, dann wird mein Verstand oft mit Dingen beschäftigt sein und ich werde mich gegen Gott verfehlen. Darum ist es niemals damit getan, Gottes Wort gelesen zu haben, es muß tief in uns eingegangen sein, in uns wohnen, wie das Allerheiligste im Heiligtum, damit wir nicht fehlgehen in Gedanken, Worten und Werken. Es ist oft besser, wenig und langsam die Schrift zu lesen und zu warten bis es in uns eingedrungen ist als von Gottes Wort zwar viel zu wissen, aber es nicht in sich zu ‚bergen‘.“186
Mit der dezidierten Hinwendung zur Schrift als dem Wort Gottes musste für Bonhoeffer die menschliche Ratio in ihre Schranken gewiesen werden, so hoch er die Vernunft auch zu halten pflegte,187 das Wort Gottes konnte nicht allein mit dem Verstand erfasst werden. Eine Auseinandersetzung mit der Bibel, wie er sie von seinen Lehrern mit der historisch-kritischen Methodik vorgenommen fand, erschloss die Schrift demnach nur auf ihrer rein menschlichen Seite, der Seite der Autoren und Redakteure der biblischen Texte. Dass aber die ‚Sache‘, die nicht „innerhalb der natürlichen Gegebenheiten geschieht“,188 niemals auf der Oberfläche zu finden ist, muss als erste Einsicht aller Schriftauslegung nach Bonhoeffer gesehen werden. Diese Erfahrung nämlich hatte er am eigenen Leib gemacht, als er selbst versucht hatte, in einem wahnsinnigen Ehrgeiz, „in unchristlicher und undemütiger Weise“189 sich dem Wort Gottes zu nähern, ganz auf sich selbst zurückgeworfen, allein aus seinem eigenen Verstand, seinem eigenen Bemühen heraus. So erkennt er selbst in der Rückschau auf seine ersten Semester an der Universität als Dozent und Pfarrer, dass er „noch kein Christ geworden [war], sondern ganz wild und unbändig [sein] eigener Herr.“ Aus „der Sache Jesu Christi“ hatte er damit „einen Vorteil für [sich] selbst, für eine wahnsinnige Eitelkeit gemacht“ und „war bei aller Verlassenheit ganz froh an [sich] selbst.“190 Die Gefahr, sich in der Überhöhung der eigenen Vernunft zum Herrn der Schrift, sich damit über dieselbe zu setzen, sieht Bonhoeffer hier demnach nicht nur für seine eigene Person in aller Deutlichkeit: Der Versuch, „selbst hinter das Wort Gottes zurückzugehen und […] seinerseits, aus [dem eigenen, menschlichen] Verständnis [das] Wesen[…] Gottes zu begründen […]“,191 kann nur in die Irre
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genauerem Zusehen völlig unverständlich und ungenießbar […]. Die Bibel gibt uns gerade an den entscheidendsten Stellen ihrer Geschichte keine Antwort auf unser: Warum? […] Arme, arme Geschichtsforscher, was für Mühe macht ihnen die Bibel! Darum!! ist doch gar keine rechte Antwort […]. Oder aber sie sind gezwungen, Gründe und Erklärungen zu suchen, wo keine sind, und was dabei schon herausgekommen ist, das ist eine Geschichte für sich und zwar eine schreckliche Geschichte […].“ ITAS, 520. Cf. §§ 3.1.2 und 4.1.2. N, 147. ITAF, 112. ITAF, 113. SF, 99.
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führen, der Mensch muss sich unweigerlich gegen Gott verfehlen. Stattdessen aber gilt es Bonhoeffer, dieses Wort wirklich zu hören, wirklich in das eigene Sein eingehen zu lassen, es zu bergen, wie er es nennt, ja vielmehr sich dem Wort in Demut zuzuwenden, sich „von ihm halten lassen [zu] wollen, wie von keinem anderen Wort im Leben und im Sterben.“192 Betrachtet man also Dietrich Bonhoeffers Schriftauslegung, verwundert es kaum, dass ihn mancher zuweilen als frommen Biblizisten erkennt,193 mutet seine Herangehensweise eben ausgesprochen bibeltreu an. Freilich ist es eine recht ungenaue Charakterisierung eines Theologen und dessen Umgangs mit der Heiligen Schrift, wenn ihm eine Hochachtung derselben vorgeworfen werden soll, kann unter ‚Biblizismus‘ doch beinahe jede Mittelpunktstellung der Bibel für Leben und Theologie subsumiert werden. Soll an dieser Stelle der historischkritischen Methode ein wie auch immer gearteter Biblizismus entgegengesetzt werden, muss zunächst festgehalten werden: Den Biblizismus gibt es nicht. Grundsätzlich muss aber darauf hingewiesen werden, dass der Begriff ‚Biblizismus‘ im theologischen wie im kirchlichen Gebrauch seit dem letzten Jahrhundert deutlich zugenommen hat, woraus zumeist nicht nur eine Begriffsungenauigkeit, sondern im Volksmund gar eine kritische Kennzeichnung einer bestimmten Art der Handhabung der Bibel bezeichnet wird.194 Nun war es aber Bonhoeffer selbst, der ‚Pietismus‘ und ‚Orthodoxie‘ substantiviert verwendete, weshalb sich diese Ungenauigkeit der Literatur an seinem eigenen Umgang mit ‚dem Pietismus‘ und ‚der Orthodoxie‘ orientiert.195 Um dem bonhoefferschen ‚Biblizismus‘ langsam näher zu kommen, ist damit zunächst festzuhalten: In der Offenheit und Vielfalt dieser Bezeichnung beschreibt Biblizismus grundsätzlich zunächst nur eine auffallend gesteigerte Bindung an die Bibel, welche als ein in sich geschlossenes Ganzes anerkannt wird und für die jeweilige Gegenwart eine unmittelbar verpflichtende Geltung beansprucht. Mit einem „Drängen auf den Wirklichkeits- und Lebensbezug […] und [einem] Ernstnehmen der für zeitlos und unvermittelt gültig gehaltenen Bibeltexte als Wort Gottes“,196 liegt Bonhoeffer damit daran, die wissenschaftliche Theologie immer wieder zur Verantwortung vor der Autorität der Offenbarung herauszufordern. Zugleich aber zeigt sein Umgang mit der Schrift eine persönliche Dringlichkeit, die den Buchstaben und seine Wirkung aus seiner lehrhaften Verankerung reißen und ihn mitten in das Leben des Christen und der Gemeinde stellen will.197 Dass dies aber eine mangelhafte Begriffserklärung ist, 192 193 194 195 196 197
ITAF, 148. Cf. Weikart, Scripture and Myth, 13. Cf. Ritschl, Art. Biblizismus, 1553. Cf. dazu bspw. ITAF, 572.672.717.722. Marquardt, Art. Biblizismus, 1553. Cf. Karpp, Art. Biblizismus, 478. Cf. zu Biblizismus im Allgemeinen: Karpp, Aufkommen des
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wird dann ersichtlich, wenn man andere Differenzierungen dieser Schriftfixierung zum Vergleich heranzieht. Solche finden sich beispielsweise bei den Reformatoren und ihrem Bemühen um die Wahrung und Entfaltung des sola scriptura, warum diese mit ihrer recht vage gehaltenen Begrifflichkeit als Urform alles protestantischen Biblizismus gesehen werden kann. Dass sich diese Fokussierung auf die Heilige Schrift im Allgemeinen mit der aufkommenden lutherischen Orthodoxie und des protestantischen Pietismus198 ungewöhnlich verstärkte, macht dann vorerst deutlich, wie basal und notwendig es besonders in Anbetracht der Zeit und Situation erschien, die Bibel gegen eine Auslegungshoheit der Papstkirche als einzige Quelle der Erkenntnis Gottes anzuführen. Und so galt es gerade der Orthodoxie, wie es Karl Barth deutlich macht, „[…] in der Bibel (im Unterschied zu mancher früheren und späteren Theologie) zu lesen, was dasteht, auch wenn es ihr bei ihren sonstigen Voraussetzungen offenbar Schwierigkeiten machte; sie war damit gerade in einem solchen Fall in der Lage, historisch zu exegesieren, das Ärgernis Ärgernis sein zu lassen und hatte wohl recht, gegenüber allen auf nicht biblischen Anschauungen beruhenden Erleichterungsversuchen und Einwänden trotzig darauf zu beharren, daß eben dieses Ärgerliche nun einmal geschrieben stehe und, koste es, was es wolle, zu beachten sei.“199
Mit der Hochschätzung aller biblischen Aussagen im Wortsinn und der damit verbundenen Anerkennung der Heiligen Schrift als principium omnium fidei articulorum200 beharrten Vertreter der protestantischen Orthodoxie, wie beispielsweise Johann Gerhard, und mit ihr auch des Pietismus, dort v. a. Philipp Spener, auf einer Hoheit des Wortes, auch wenn dies, vermeintlich im Sinne einer lutherischen Forderung des Schriftprinzips,201 die starre und lückenlose Pro-
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Begriffs, 65–91; Karpp, Art. Biblizismus, 478–484; Marquardt, Art. Biblizismus, 1553f.; Ritschl, Art. Biblizismus, 503f. Die lutherische bzw. altprotestantische Orthodoxie wie auch der Pietismus werden hier als einheitliche christliche Richtungen aufgefasst, um Bonhoeffers Biblizismus anhand einzelner vorstechender Merkmale und Personen dieser schärfer zu stellen und deutlich zutage treten zu lassen. Dass damit kein vollständiges, klares und kritisches Bild dieser uneinheitlichen und vielfältigen Bewegungen gegeben wird, ist aufgrund der Instrumentalisierung derselben unumgänglich. Barth, KD III/1, 154. Cf. zur Inspiration in der Orthodoxie auch Brändle, Art. Inspiration, 169–171. Cf. Gerhard, Loci theologici II, 13: „Cum scriptura sacra sit unicum & proprium theologiae principium, ideo ab eo merito initium facimus.“ Cf. WA 7, 98, 4–7: „Sint ergo Christianorum prima principia non nisi verba divina, omnium autem hominum verba conclusiones hinc eductae et rursus illuc reducendae et probandae: illa primo omnium debent esse notissima cuilibet, non autem per homines quaeri et disci, sed homines per ipsa iudicari.“ „Nichts als die göttlichen Worte sollen die ersten Prinzipien der Christen allein sein, alle Menschenworte aber nur Schlussfolgerungen, die aus ihnen abgeleitet, auf sie wieder zurückzuführen und aus ihnen zu belegen sind. Jene müssen vor
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klamation einer Infallibilität der Schrift notwendig machte, die ihren deutlichsten Ausdruck in der Dogmatisierung202 der Schriftlehre erfuhr: Hier nämlich sollte der göttliche Anteil am Zustandekommen der Heiligen Schrift gegen den menschlichen nachdrücklich hervorgehoben werden,203 sodass selbst der Akt der Verschriftlichung als göttlich galt204 und infolgedessen auch der Buchstabe unantastbare göttliche Autorität beanspruchte. Dass dadurch in die eigentlich selbstevidente Theopneustie ein Objektivismus einzog, wird zuletzt in einem Primat der buchstäblichen und historischen Auslegung gegenüber jeder spiritualen deutlich.205 Wenn auch pietistische Strömungen weniger diese satzförmig vorgetragene Lehre vertraten, galt ihnen das orthodox vorgetragene Dogma dennoch als Grundlage für eine Verinnerlichung der Schrift.206 Fand die scriptura sacra hier zwar nicht ihren Platz in der Ekklesiologie, stand sie aber in der persönlichen Begegnung eines jeden einzelnen mit dem Worte Gottes im Mittelpunkt. In verstärkter Meditation und konzentriertem Lesen sollte die Heilige Schrift im eigenen Leben so zu einer präsentischen Heilserfahrung leiten207 und die göttliche Mitteilung in der Gegenwart erfahren werden, sodass in der Internalisierung das Subjekt je selbst verändert und ausgerichtet wurde. Erst mit der Erleuchtung des Heiligen Geistes galt die zunächst extern festgestellte nun inner-
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allem anderen einem jeden genau bekannt sein, allerdings dürfen sie nicht durch Menschen erfragt und gelernt, sondern Menschen müssen durch sie beurteilt werden.“ (Übersetzung d. Verf.) Wenn hier die Rede von einer Dogmatisierung bzw. vom Dogma der Verbalinspiration ist, verweist das freilich auf keine kirchlich autorisierte Lehre, sondern bringt zum Ausdruck, dass sich in dieser Rede für die protestantische Orthodoxie mehr als nur eine definitorische Sprechweise verdeutlicht, dass nämlich die Annahme einer realen Inspiriertheit der Schrift ein Grundaxiom, einen festen und unhintergehbaren Glaubenssatz ausmacht. Cf. dazu zum Beispiel auch Johann Andreas Quenstedts Sorge, in Quenstedt, Theologia didactico, 71: „Si enim unicus Scripturae versiculus, cessante immediato Spiritus S. influxu, conscriptus est, proprium erit Satana idem de toto capite, de integro libro, de universo, denique codice Biblico excipere, et per consequens, omnem Scripturae auctoritatem elevare.“ „Wenn man einmal einräume, daß irgendetwas in der Schrift auf menschliche Weise entstanden sei, gehe ihre Autorität verloren. Sobald man zugestehe, daß auch nur ein einziger Vers ohne den unmittelbaren Einfluss des Heiligen Geistes geschrieben sei, werde der Satan sofort dasselbe von dem ganzen Kapitel, einem ganzen Buch und schließlich von der gesamten Bibel behaupten und damit alle Autorität der Schrift aufheben.“ (Übersetzt von Pannenberg, ST I, 42.) Cf. Beumer, Inspiration, 49–55. Cf. Pannenberg, ST I, 38–46. Cf. Wallmann, Pietismus-Studien, 252. Cf. Zinzendorf und sein Kreis, die aufgrund dieser Fokussierung auf das Gefühl des Einzelnen und einer atomisierenden subjektivistischen Bibelauslegung in die Kritik auch aus pietistischen Kreisen geraten waren. (Cf. Brecht, Art. Pietismus, 619.)
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liche Schriftautorität, die den Menschen zu einem neuen, inneren – im Gegensatz zum alten, äußerlichen – Wiedergeborenen machte.208 Wenn Dietrich Bonhoeffer verdeutlicht, „daß die Bibel allein die Antwort auf alle unsere Fragen ist, und daß wir nur anhaltend und etwas demütig zu fragen brauchen, um die Antwort von ihr zu bekommen […]“,209 stechen in dieser kurzen Schau auf orthodoxe und pietistische Verfahren mit der Schrift zwei Parallelen deutlich ins Auge: Die Betonung der Hoheit des Wortes in allen Belangen und zugleich Bonhoeffers demütige Begegnung mit dem Wort in meditativer Befragung. Augenscheinlich ist der ‚bonhoeffersche Biblizismus‘ demnach orthodoxen wie pietistischen Handhabungen ähnlich. Worin genau sich diese Analogien, aber wohl auch Abgrenzungen ausbuchstabieren, ist freilich noch näher zu untersuchen. Eine weitere augenscheinliche Nähe lässt sich dann ebenso zu dem „Bibeltheologe[n]“210 Martin Kähler finden, der seinerzeit gegen eine erstarkende historisch-kritische Schriftauslegung eine aus den Einblicken Gottfried Menkens, August Tholucks und Johann Becks gewonnene Einsicht in die Heilige Schrift als tatsächliches Wort Gottes erstmals wieder innerhalb der wissenschaftlichen Theologie verortete.211 In kritischer Auseinandersetzung mit den akademischen Methoden seiner Zeit schuf er eine Verbindung zwischen geschichtlicher Untersuchung und systematisch-theologischer Herangehensweise, welche es sich zur Aufgabe machte, „der Fülle des scheinbar geschichtlich Zufälligen das Wesentliche zu entnehmen, aus den Entwicklungsgängen die reifen Ergebnisse abzuleiten und für die mannigfaltigen Lehrpunkte und Lehrwendungen die zusammenhaltende Einheit zu finden, welche sie als ein gegliedertes Lehrganzes erscheinen läßt.“212
In seinem 1896 erschienenen Aufsatz Jesus und das Alte Testament weiß Kähler ein solches inneres Recht eines geschichtlichen Verstehens des Alten Testaments in den Zusammenhang mit einer sich ‚fortschreitenden Offenbarung‘ zu setzen,213 die in der Transzendierung durch Gottes Menschwerdung hinsichtlich des 208 209 210 211
Cf. Schmidt, Spener und die Bibel, 9–25. ITAF, 144f. Kraus, Art. Kähler, 511. Nach Heinrich Karpp machte Kähler den Begriff ‚Biblizismus‘ nicht nur zu einem theologischen Ordnungsbegriff, sondern auch zu einer Selbstbezeichnung. Dabei pflegte er aber deutlich zwischen biblizistisch und Biblizismus zu unterscheiden, weshalb er sich wohl selbst nie als Biblizisten deklarierte. Für Karpp kann der Unterschied wohl so bestimmt werden. Karpp, Aufkommen des Begriffs, 82: „Biblizismus ist ein wichtiges Merkmal theologischen Denkens, beim Biblizisten aber ist dieses Merkmal so gesteigert, daß es das Denken ganz überwiegend oder sogar ausschließlich bestimmt und damit die Haltung der Person überhaupt.“ 212 Kähler, Wissenschaft der christlichen Lehre, 52. 213 Cf. Kraus, Erforschung des Alten Testaments, 388.
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zeitgeschichtlichen Aspektes, wie Hans-Joachim Kraus es darlegt, „Geschichte und Übergeschichte, Zeitgeschichte und Offenbarungsgeschichte in ein ganz neues Verhältnis zueinander […]“214 rückt. Verbindet Martin Kähler die historische mit der systematisch-theologischen Herangehensweise in seinem Umgang mit der Schrift, zeigt sich Bonhoeffers Nähe darin ebenfalls zu diesem und dessen, wenn auch von den orthodoxen und pietistischen Traditionen unterschiedenen, Bibelgebrauch in seiner Hochachtung der Schrift als Menschenwort und Gotteswort. Demnach scheint es notwendig und angebracht, Bonhoeffers Umgang mit der Bibel näher zu untersuchen und greifbar zu machen. Grundsätzlich ist aber zunächst dieses festzuhalten: Seine Auslegung der Schrift erscheint bereits in dieser kurzen Beleuchtung facettenreich; neben ur-reformatorisch, pietistisch und orthodox anmutender Schriftverehrung scheinen auch Tendenzen aus beispielsweise Martin Kählers und Karl Barths Schriftumgang zu finden zu sein. Was also macht Bonhoeffers ‚Biblizismus‘ aus?
2.2.2 Gott spricht in der Schrift Für Bonhoeffer brach sich in der Entdeckung der barthschen Theologie eine Herangehensweise an die Schrift Bahn, die ihn wohl in eine Bibeltreue führte, welche in allen biblischen Aussagen Gottes unmittelbare Stimme hörte und darum eine gesteigerte Bindung an dieselben notwendig machte. So galt es ihm, dass „[d] as rechte Lesen der Schrift […] nicht eine technische Übung [ist], die erlernt werden könnte, [im Gegenteil,] es nimmt zu oder ab nach [der] eigenen geistlichen Verfassung.“215 Wie sich schon im Umgang mit der historisch-kritischen Exegese andeutete, ging es Dietrich Bonhoeffer demnach um etwas anderes als um reine wissenschaftliche Annäherung an die Schrift, welche die Wahrheit dieser schon ob ihrer (menschlichen) Methodik nicht zu erkennen vermochte. Indessen musste er, wenn er von der Schrift als Offenbarung Gottes sprechen wollte, eine Autorenschaft Gottes annehmen, die den Ausleger zum Hörer des 214 Kraus, Erforschung des Alten Testaments, 389. Cf. Kähler, Jesus und Altes Testament, 112: „Jesus und seine Boten waren weder darauf vorbereitet noch auch gerichtet, ihre Bibel als Quelle für die Volks- und Religionsgeschichte Israels zu durchforschen; vielmehr lesen sie aus ihr die Offenbarung Gottes, des Vaters Jesu Christi. Deshalb legen sie die Schrift auch nicht von dem Standpunkte der Verfasser ihrer Teile (zeitgeschichtlich) aus, sondern im Lichte der von Gott gegebenen Erfüllung. Sie ist ihnen eben ihre, des Messias und Messiasgläubigen, Bibel und vom Evangelium aus schätzen, beurteilen, verstehen und behandeln die apostolischen Männer den Inhalt ihrer Bibel. Kraft des von Gott gesetzten, großen, geschichtlichen Verhältnisses ist diese nicht zeitgeschichtliche Behandlung berechtigt und nicht ungeschichtlich.“ 215 GL, 49.
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Wortes werden ließ. Freilich konnte Bonhoeffer seinen Kollegen zugestehen, in wissenschaftlich ausgefeilter Weise ein etwaiges Verstehen des Wortes zu erarbeiten, schließlich galt ja, wie Karl Holl es in seiner Luther Betrachtung ausdrückte, „alledem nachzugehen, was zur Aufhellung des Wortsinns dienen konnte“, zugleich musste aber „das Gehör für die Sache, für die Stimme des Göttlichen“ geschärft werden, um den Text lebendig werden und „das Tiefste des Gemüts dadurch in Bewegung“216 geraten zu lassen. Ausgehend von dieser Prämisse scheint es Bonhoeffer sodann geboten, einem jeden Wort der Schrift eine außerordentliche Bedeutsamkeit zuzuerkennen. In seiner Vorlesung Schöpfung und Fall findet sich nun genau dieses: Der junge Dozent wertschätzt jedes einzelne Wort und gesteht einer jeden Aussage Gewicht zu. Ungeachtet seines Berliner Umfeldes scheint sich Bonhoeffer entgegen seiner anfänglich ehrgeizigen wissenschaftlichen Bestrebungen um die Zeit 1932/33 von einem theologischen Wissenschaftler zunehmend zu einem praktisch- und biblisch-orientierten Theologen hin zu wandeln, dem daran gelegen ist, in drastischer Einfachheit dem Text wieder seine Eigenständigkeit, seine eigene Stimme zu geben.217 In der Achtung des überlieferten Wortes ruft er seine Leser damit dazu auf, sich nicht hinter dogmatischen Konstruktionen zu verbergen, sondern diesem wieder selbst Gehör zu verschaffen. Nicht nur der Gegenstandsbereich seiner Antrittsvorlesung zeigt diesen Drang zur Neubearbeitung der Schrift,218 sondern auch bereits die Auslegung des ersten Verses der Genesis, setzt er doch genau da ein, wo auch die Bibel zu sprechen beginnt: Am Anfang, „[a]n dem Ort, an dem die leidenschaftlichsten 216 Holl, Luthers Bedeutung für den Fortschritt, 569. 217 Cf. John Websters Beschreibung von Bonhoeffers Schriftauslegung in den 30er Jahren (v. a. Gemeinsames Leben und Nachfolge) als pietistisch und naiv. Webster, Shadow, 82: „He became, in effect, a practical, biblical theologian, writing with what is often drastic simplicity and force. The determined plainness and resistance to intellectual sophistication are to be taken at face value: to read the biblical writings from the 1930s is not be invited to reflect, but to be summoned by evangelical address. This is why (contra, for example, Charles Marsh) it seems to me entirely proper to read writings like Life Together or The Cost of Discipleship as ‚pietistic and naive‘, provided that we use such terms to advertise the fact that Bonhoeffer is concerned to unleash the critical power of the scriptural word without the meditation of conceptual sophistication. To find in these homiletic writings ‚important sub-textual discussions with Bonhoeffer’s philosophical and political thematics‘ or ‚an elaborate texture of biblical, philosophical thematics‘ is to miss the point. Again, it is important not to interpret these writings as simply concerned with ‚the ethical‘ or ‚the wordly‘, and thus to see them only as staging-posts on the way to Bonhoeffer’s last writings. Such a reading is too abstract, and fails to take into account the crucial factor that, at this stage, Scripture is irreducible for Bonhoeffer; it is not a means of attaining moral concretness, but, quite simply, the concrete point at which Christian thought and action begin and end.“ (Webster wendet sich gegen Marsh, Charles, Reclaiming Dietrich Bonhoeffer. The Promise of His Theology, Oxford 1994, Xf.) 218 Cf. BBA, 357–378.
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Wellen unseres Denkens branden, in sich selbst zurückgeworfen werden und ihre Kraft verschäumen […].“219 Hier, wo etwas zur Sprache gebracht wird, wovon der Mensch niemals sprechen kann, denn „[…] dort, wo der Anfang anfängt, hört unser Denken auf, ist es am Ende […]“,220 setzt die Schrift ein. Bonhoeffer führt demzufolge schon in seinen ersten Worten zur Genesis mitten hinein in diese biblische Welt, wenn er es uns Lesern nicht selbstverständlich sein lässt, dass hier von einem Anfang gesprochen wird. Im Gegenteil weiß er schon da mit dem Heiligen Wort auf eine anthropologische Grundkonstante hinzuweisen, die sich nicht nur in seiner Genesisauslegung, sondern auch in seiner Theologie durchziehen wird: Wenn es auch „die innerste Leidenschaft unseres Denkens [darstellt], es […] das [ist], was jeder echten Frage letzten Endes Existenz verleiht […], [wissen] wir, daß wir doch nie nach [dem Anfang] fragen können.“221 In dieser Frage nach dem Anfang nämlich, die den Menschen auf sein Innerstes, seine eigene Existenz und sein eigenes Sosein zurückwirft, versucht er sich selbst zu setzen und zu begründen. Dass aber diese Frage nach dem ‚Warum?‘, nach diesem „‚Am Anfang‘ […] schlechthin nicht zu denken […]“ ist, zeigt Bonhoeffer mit Friedrich Gogarten nun darin, dass sich „[d]er Gedanke […] ins Unendliche [überschlägt], weil er vor jeden Anfang einen anderen Anfang setzen muß.“222 Versucht sich der Mensch also auf sich selbst zurückgeworfen, der Antwort zu bemächtigen, gibt er sich selbst zur Antwort seiner Frage, er verwickelt sich unmerklich in sich selbst, was Bonhoeffer von Friedrich Nietzsche entlehnt: „Des Ringes Durst ist in euch; sich selber wieder zu erreichen, dazu ringt und dreht sich jeder Ring.“223 In diesem circulus vitiosus steckt der Mensch fest, das wird für Bonhoeffer schon und gerade augenscheinlich in der Frage nach dem Anfang, denn denkt der Mensch vom Anfang, denkt er in einem Kreis, der vom Denken für das Anfängliche selbst gehalten wird; das Subjekt setzt sich somit selbst als Objekt, „als Gegenstand seiner selbst, zieht [es] sich also […] immer wieder hinter diesen Gegenstand zurück, bezw. ist jeweils vor dem Gegenstand, den es setzt.“224 Gegen die Absolutsetzung menschlicher Vernunft und damit gegen jede kritische Philosophie,225 die in ihrem „Haß […] gegen den Anfang, den [sie] nicht kennt“,226 entweder in Resignation oder Destruktion verfallen muss, stellt Bon219 220 221 222 223 224 225
SF, 25. SF, 25. SF, 25. Gogarten, Ich glaube, 47. Nietzsche, Zarathustra, 352. Cf. SF, 26 (Anm. 5). SF, 26. Cf. SF, 26, wo Bonhoeffer sich deutlich für die hegelsche Religionsphilosophie ausspricht, die sich eben dieser Schwierigkeit bewusst ist. 226 SF, 27.
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hoeffer hier mit den ersten Worten der Heiligen Schrift somit eine Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit heraus, die seine grundlegende Bestimmung allen Verstehens bildet: „Niemand kann vom Anfang reden als der selbst im Anfang war.“227 Wenn Bonhoeffer hier nicht den Menschen im Anfang der Schrift denken kann,228 wessen Wort ist es, das zu uns aus der Schrift spricht? Hier, im und mit dem Wort ְבֵּרא ִשׁיתstellt sich für Bonhoeffer dann aber nicht nur die Frage nach dem Urheber dieser Worte und dem Ursprung allen Seins, vielmehr noch fällt seiner Ansicht nach dort die Entscheidung zwischen Lüge und Wahrheit, Satan und Gott. „Entweder er [der Böse, der von Anfang an der Lügner ist, Anm. d. Verf.] spricht, oder aber es spricht der andere, der von Anfang an die Wahrheit ist und der Weg und das Leben, der im Anfang war, Gott selbst, Christus, der heilige Geist.“229 Satanswahrheit steht gegen Gotteswahrheit, Böse gegen Gut, das macht Bonhoeffer seinen Zuhörern deutlich. Spricht die Bibel vom Beginn, stellt sich damit unumkehrbar die Frage nach ihrer Autorität, nach ihrer Wahrheit. Sie spricht vom Anfang; spricht sie im Gegenzug aber Wahrheit vom Anfang, muss das vice versa in der bonhoefferschen Konsequenz bedeuten, dass es nicht Menschenwort sein kann, das hier vom Anfang spricht, denn um die Schrift nicht der „Gaukelei der feigen Phantasie eines Menschen“230 zu übereignen, kann hier konsequent die Schrift nur als wahrhaftiges Wort Gottes, als Rede Gottes über sein eigenes Schaffen gehört werden, mit Bonhoeffers Worten: „Am Anfang schuf Gott … Dies, als menschliches Wort gesagt und gehört ist Knechtsgestalt, in der Gott von Anfang uns begegnet, sich allein finden läßt. Es ist nicht Tiefsinn und nicht Leichtsinn, sondern es ist Gottes Wahrheit, sofern er es sagt.“231
Gottes eigenes Wort ist es demnach, das sich in der Bibel, in der Form menschlicher Rede, an die Schrift gebunden hat. Hier offenbart sich dem Menschen Gottes wahres Sein, denn Gott selbst spricht zu uns. In dieser notwendigen Betonung zeigt Bonhoeffer bereits mit den ersten Wendungen der Schrift in den ersten Zügen seiner Auslegung, wie ernst es ihm um dieses Wort ist, das eben nicht als zufällige, menschliche Rede über Gott gesehen werden darf, sondern das Gott als den Urheber desselben wahrhaftig konstatiert. Die Schrift gründet sich nicht im Menschen-, sondern im Gotteswort, Gott bekundet und offenbart sich
227 SF, 28. 228 Bonhoeffer drückt das in den (noch) unverständlichen Sätzen aus. SF, 27: „Es kann […] für den Menschen [der nicht mehr (!) im Anfang ist, Anm. d. Verf.] schlechterdings nichts Beunruhigenderes, nichts Aufregenderes geben, als wenn einer vom Anfang redet als sei es nicht das gänzlich unsagbare, unaussprechliche dunkle Jenseits meiner blinden Existenz […].“ 229 SF, 28. 230 SF, 28. 231 SF, 29.
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hier selbst in der vermittelnden Instanz des Heiligen Geistes – das ist der unhinterfragbare Grund, den Bonhoeffer an dieser Stelle festgemacht wissen will. Ganz im Geiste der reformatorischen Theologie, welche ja die Heilige Schrift darin begründet sehen will, dass sie Gottes eigenes Wort ist,232 begegnet Dietrich Bonhoeffer damit dem Leser der ersten Genesiskapitel. Es wird damit deutlich, dass für Bonhoeffer mit Luther in der freien Selbstbekundung Gottes in den Worten der Bibel hier das Prinzip aller theologischen Aussagen begründet ist, das Gott zum Anfang und zum Ende alles Geschöpflichen erkennt. Allein in der Erkenntnis derselben als Gotteswort sieht Bonhoeffer jede menschliche Inbesitznahme des Wortes gewehrt und den Menschen an seine Geschöpflichkeit zurück verwiesen, die ihn so unterschieden von Gott macht: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde; d. h. der Schöpfer schafft […] das Geschöpf.“233 Und darum ist noch einmal wiederzuholen: „Niemand kann vom Anfang reden als der im Anfang war.“234 Gottes freie Selbstbekundung gilt es gegen den Übergriff des Menschen zu bewahren. Im Akt der Eingabe seines Willens durch den Heiligen Geist bindet sich Gott an seinen Buchstaben, weshalb die Schrift im Ganzen und in allen Einzelheiten der menschlichen Urteilsbildung entgegensteht.235 Doch wo genau liegt für Bonhoeffer nun die Identität des Gotteswortes? In der Inspiriertheit der Autoren oder in der Verschriftlichung selbst? Sollte hier eine Reformulierung der altprotestantischen Inspirationslehre vorliegen? Grundsätzlich ist zunächst festzuhalten: Bonhoeffer besteht auf dieser Urheberschaft: „[E]s redet eben Gott selbst, der schlechthin Anfängliche, der schlechthin vor unserem Leben, Denken […] Seiende, der allein von sich selbst sagt, daß er am Anfang ist, der sich durch nichts bezeugt als durch dies Wort […].“236 In diesem Wort spricht Gott; dem ist nichts hinzuzufügen und dieses ist nicht einzuschränken. Gleichsam aber prolongiert Dietrich Bonhoeffer darin keine orthodoxe Theorie einer Verbalinspiration, die im Buchstaben Gott ein für alle Mal gebunden sieht, um einer Entmachtung göttlicher Autorität der Schrift zu wehren,237 weiß er doch schon im nächsten Halbsatz hinzuzufügen, dass „[…] das eben als Wort eines Buches, als Wort eines frommen Menschen
232 Cf. dazu auch Johann Gerhard, Loci theologici II, 17: „Scriptura materialiter accepta nihil aliud est, quam Dei verbum. Jam vero Deus est summus verbi sui autor, quo sensu etiam Dei verbum vocatur. Ergo etiam Deus est summus scripturae autor.“ 233 SF, 31. 234 SF, 28. 235 Cf. dazu beispielsweise auch Thurneysens Rede davon, dass der menschlichen die göttliche Ratio gegenüberstehe. (Thurneysen, Schrift und Offenbarung, 13.) Cf. das Anliegen der altprotestantischen Orthodoxie, die genau dieses zu wehren suchte. Cf. Matthias, Art. Orthodoxie I, 476f. 236 SF, 29. 237 Cf. Matthias, Art. Orthodoxie I, 477.
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ganz aus der Mitte und nicht aus dem Anfang ist.“238 Das findet sich aber auch in den mit der Reformation aufkommenden pietistischen Strömungen, welche freilich an der Inspiriertheit der Schrift festhielten, das Augenmerk jedoch vom Buchstaben weg auf das Zeugnis der Autoren hin begründet wissen wollten. Diese hoben – vornehmlich bei Philipp Spener – gegen eine orthodoxe Realinspiration, also gegen die Betonung des geoffenbarten Sachinhaltes, eine Personalinspiration hervor, die von einer Inspiriertheit der biblischen Autoren ausging.239 Im Zentrum dieser Umorientierung stand dabei zunächst eine Hervorhebung der historischen Situation der Niederschrift, um dann darin die Offenbarung in ihrer menschlichen Gestalt wahrzunehmen, d. h. die Propheten und Apostel als Personen unmittelbarer Erleuchtung anzuerkennen. Aber auch eine solche Bestimmung der Inspiration der Schrift unterscheidet sich von der, wie sie bei Bonhoeffer zu finden ist. Zwar bleibt er dabei zu betonen, dass sich das Gotteswort an das Menschenwort bindet, aber das weder im Sinne einer Verobjektivierung des Wirkens des Heiligen Geistes in einer Irrtumslosigkeit des Buchstabens, noch in einer Subjektivierung des Geistwirkens in den biblischen Autoren. Im Gegenteil, Bonhoeffer verweist hier in wenigen Worten – er wird dies im Laufe seiner Auslegung noch genauer darlegen und es wird darauf noch deutlicher zu sprechen zu kommen sein240 – auf die Menschlichkeit dieses Wortes und damit seine Geschöpflichkeit. Schon in seinem Referat zur Schriftauslegung zeigt er mit deutlichen Worten auf, dass die Offenbarung nicht in der Schrift greifbar, „d. h. mit menschlichen von außen hergebrachten Mitteln faßbar“241 gemacht werden könne, werde doch da versucht, „Offenbarung von außen her festzulegen, zu verdinglichen“,242 was bedeute, dass man die „Wahrheitsquelle und deren Bestätigung“243 voneinander
238 SF, 29. Cf. dazu auch seine Notizen zu Barth, Christliche Dogmatik, 358 in JuS, 475: „Inspiration, Erlebnistheologie – Abwege testimonium Spiritus Sancti
Geist in der Bibel Geist in uns nicht abstrakt für sich nehmen
Offenbartheit (Inspiration) ist nicht Offenbarung!“ 239 Cf. Spener, Erklärung der Epistel An die Galater, 7: „Paulus ist nichts geringer als die übrigen Apostel / wie die falschen Apostel von ihm werden ausgegeben haben / er aber solches widerspricht 2. Cor. 11/5. 12/11. und zeiget / er habe seine lehre nicht erst von den anderen Aposteln gelernet / wie andere dersoelben Jünger / sondern er seye unmittelbar von GOTT gesetzt: damit wird allen seinen schrifften die Autorität gegeben / daß sie von Gott eingegeben seyn / weil sie von einem solchem unmittelbarerleuchteten herkommen.“ 240 Cf. § 3.1.4. 241 JuS, 309. 242 JuS, 309. 243 JuS, 309.
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trenne. Und dennoch konstatiert er wenige Zeilen später: „Nur in der Schrift ist für uns noch Offenbarung zu finden […], weil Gott hier spricht.“244 Wie ist das zu verstehen? Wichtig erscheint Bonhoeffer für die Beantwortung dieser Fragestellung die Unterscheidung zwischen Göttlichem und Menschlichem. Mit dem reformierten finitum incapax infiniti verweist er zunächst darauf, dass in der Schrift die Offenbarung selbst enthalten ist, aber Schrift und Offenbarung – wie das mit der Lehre der Verbalinspiration festgelegt ist – nicht in eins gesetzt werden können.245 „Die Schrift selbst aber gehört in einen großen Offenbarungskomplex hinein als Zeugnis gebende Urkunde […]. Mithin nicht die Schrift ist die Offenbarung, das würde gerade wieder Verdinglichung mit rationalen Mitteln bedeuten, nicht Schrift wird als Offenbarung erlebt, sondern die Sache, um die es geht.“246
Anstatt dem Wort Gottes Ehre zu erbieten, „verewigt [die Verbalinspiration] das Historische, statt daß sie das Historische von der Ewigkeit Gottes und der Auferstehung Gottes her erkennt“,247 heißt es in seiner Christologievorlesung vom Sommersemester 1933. Dieser Vorwurf wurde mit Dietrich Bonhoeffer schon gegen die historischkritische Exegese ins Feld geführt248 und auch hier – entgegen erster Einsicht – ist in der Rede von einer Verbalinspiration Ähnliches zu diagnostizieren: Das buchstäbliche Wort in seiner historischen Zufälligkeit wird als Absolutes verewigt, anstatt auf die Wahrhaftigkeit des Wortes selbst zu hören.249 Bonhoeffer 244 JuS, 311. 245 Auch Martin Kähler weiß um die Schwierigkeiten, mit denen Christen zu kämpfen haben, wenn sie sich mit der Radikalität einer historisch-kritischen Bibelauslegung konfrontiert sehen: „Vielfach vernimmt man neuerdings die Losung – und namentlich unter den Laien findet sie Anklang, weil ein Schrecken in sie gefahren ist – die Losung: Wir gehen zurück auf unsre alte Inspirationslehre. Die Bibel bis auf jeden Buchstaben ist nicht bloß wahr, sie ist auch richtig; sie ist ein Buch, das so eigentümlich eingerichtet ist, daß in ihm gar kein Irrtum, weder in Bezug auf Geschichtliches noch auf Kulturzustände stattfinden kann, während sonst in aller Welt bei der Erzählung und Beschreibung von zeitweiligen Zuständen u.s.w. hier und da ein Irrtum unterläuft. Um wieder sicheren Boden unter die Füße zu bekommen, dringt man auf diese Lehre, deren Handhabung man sonst nicht so eifrig betreiben würde. […] Und so will ich […] Sie darauf aufmerksam machen, daß in der Tat eine Überzeugung, ein gesichertes Verhältnis zur Heiligen Schrift […] möglich ist, unabhängig von den unvermeidlichen und von den überflüssigen Schwankungen der werdenden Wissenschaft. Es ruht weder auf einer kühnen, aber auch willkürlichen dogmatischen Behauptung ehrwürdigen Alters, noch auf dem wechselnden Ergebnisse von hundert und aber hundert Beobachtungen oder Entdeckungen, sondern auf dem sicher tragenden Boden der unbestrittenen Tatsachen und einer im Lichte unsres Glaubens verstandenen Geschichte.“ (Kähler, Jesus und das Alte Testament, 116f.) 246 JuS, 311. 247 B, 315. 248 Cf. § 2.1.2. 249 Cf. auch B, 314f.: „Daneben muß aufrechterhalten werden, daß das Zeugnis von Jesus als
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unterstellt im Zuge dessen also sowohl der historisch-kritischen Exegese als auch den Vertretern einer orthodoxen Verbalinspirationslehre eine „mangelnde Einsicht in das Verhältnis von Offenbarung und Schrift“.250 Mit dem hinter Menschenworten verborgenen Deus dixit meint sie vermeintlich nicht mehr ihre Autorität aufrecht erhalten zu können und sieht sich genötigt, um es mit Barth zu formulieren, die „Schranke zwischen Schrift und Offenbarung [niederzureißen], einen an sich und unmittelbar heiligen Buchstaben [aufzurichten] und damit die Verborgenheit des Wortes Gottes, das man zu hören meint[…], [zu leugnen], indem man es zu einer öffentlich, direkten, auf dem Papier nachweisbaren Sache macht […].“251
Anstatt nun die Schrift ihre eigene Autorität aus sich selbst heraus begründen zu lassen, „sucht man Offenbarung von außen her festzulegen, zu verdinglichen, d. h. man trennt Wahrheitsquelle und deren Bestätigung.“252 Stattdessen erkennt Bonhoeffer in der Theopneustie das paradoxe Prinzip eines hermeneutischen Zirkels, das er bei der Lutherauslegung Karl Holls kennen lernte. „Das Auslegungsprinzip muß aus der schon verstandenen Schrift kommen.“253 Mit Gott als dem Urheber der Worte der Heiligen Schrift ist es dieser selbst, der sich offenbart. Gott bekundet sich und gibt sich so durch sein eigenes Wort selbst zu erkennen. Ganz nach dem alten (eigentlich platonischen) Grundsatz „Gleiches wird nur durch Gleiches erkannt“254 stellt Bonhoeffer einen funktionalen Offenbarungsbegriff heraus, der an die Schrift das lutherische sacra scriptura „sui ipsius interpres“255 anlegt. Weit über eine Konkordanzmethode hinaus, die eine Schriftstelle durch eine andere auszulegen versucht, bringt sich hier der Text selbst zu Gehör. Weder Buchstabe noch Ausleger sind es dann, welche der Schrift ihren Sinn geben oder diese verständlich machen können; im Gegenteil will Bonhoeffer dem Text die Fähigkeit zugestehen, das zu sagen, was er zu sagen hat. Gerade hier kann die Schrift in Folge auch nicht als formale Au-
250 251 252 253 254 255
dem Auferstandenen kein anderes ist als das, was uns von der Bibel überliefert ist. Wir bleiben auch als glaubende Menschen nüchtern und sachlich. Wir bleiben auch als solche Menschen in der Profanität. Dieser Boden, auf dem wir uns befinden, ist äußerst schwierig. Denn es ist schwer, über Worte, die die Historie als nicht von Jesus gesprochen nachweist, zu predigen. Auf der anderen Seite bedeutet die Verbalinspiration die Leugnung des allein gegenwärtigen Christus als des Auferstandenen. Die Verbalinspiration ist ein schlechtes Surrogat für die Auferstehung. Sie verewigt das Historische, statt daß sie das Historische von der Ewigkeit Gottes und der Auferstehung Gottes her erkennt.“ JuS, 308. Barth, Menschenwort und Gotteswort, in: GA III.19, 438. JuS, 309. JuS, 312. Cf. WA 57, 94,11ff.: „Ita oportet in omnibus prius Deum incarnari, quam eos in Deo indivinari, et inde recte habet illud Platonicum: ‚simile simili cognosci‘.“ WA 7, 97, 23. (Hervorhebung d. Verf.)
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torität, wie das sowohl historisch-kritische Exegese als auch Vertreter der Verbalinspiration tun, verstanden werden, bei der das Inhaltliche erst in einem zweiten Schritt in den Blick kommt. Zugleich ist zu erkennen, dieser freien Selbstbezeugung von Gottes Wahrheit eignet eine unverlierbare Unfehlbarkeit der Schrift an. Wenn eine solche jedoch nicht mit der altprotestantischen Orthodoxie im buchstäblichen Wort zu finden ist, manifestiert sich für Dietrich Bonhoeffer diese im Wirken des lebendigen Geistes in der Schrift und zwar in der freien Bindung Gottes an das Menschenwort: „Dies, als menschliches Wort gesagt und gehört, ist die Knechtsgestalt, in der Gott von Anfang uns begegnet, sich allein finden läßt. Es ist nicht Tiefsinn und nicht Leichtsinn, sondern es ist Gottes Wahrheit, sofern er es sagt.“256 In der „subjektiven Vergewisserung der göttlichen Autorität der Schrift durch das Zeugnis des Heiligen Geistes […]“257 zeigt sich somit Gott seinen Geschöpfen. Dass der biblische Autor in seiner Geschöpflichkeit dieses Wort aber nicht (mehr) aus dem Anfang heraus bezeugen kann, sondern aus der Mitte,258 ist für Bonhoeffer eine notwendige Präzisierung, denn „[v]om Anfang im eigentlichen Sinn können wir nur wissen, indem wir in der Mitte zwischen Anfang und Ende vom Anfang hören; sonst wäre es nicht der Anfang schlechthin, der eben auch unser Anfang ist. Von Gott als dem Anfang wissen wir hier in der Mitte des verlorenen Anfangs und des verlorenen Endes allein – als von dem Schöpfer.“259
Diese Mitte, in der der Mensch steht, in der man vom Anfang reden kann, ohne sogleich in das Nichts zurückzufallen, das nichts vom Anfang weiß, ist das Wissen um eine Welt, „die von Anfang an im Zeichen der Auferstehung Christi von den Toten […]“ steht, die „um die Auferstehung [und] darum […] um die Schöpfung Gottes am Anfang […]“ weiß.260 Bonhoeffer macht damit deutlich, dass demzufolge eine Schriftauslegung nie von Jesus Christus absehend darzulegen ist. Wenn der biblische Autor und dessen menschliches Wort vom Anfang nicht der Lüge anheimfallen sollen, zugleich aber auch nicht das Menschen- zum Gotteswort erhöht werden soll, ist das Reden von Gott und über Gott nur in Jesus Christus möglich, also von der Anerkenntnis der Schrift als Zeugnis Christi und damit als Wort Gottes selbst über sich. Allein aus Christus ist so die Wahrheit der Schrift zu erkennen und zu bekunden, allein in Christus gibt Gott dem Geschöpf sich als Schöpfer zu erkennen.
256 257 258 259 260
SF, 29. Pannenberg, ST I, 43. Cf. SF, 30: „Allein in der Mitte vernehmen wir den Anfang.“ SF, 29. SF, 33.
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Entgegen einer buchstäblichen Irrtumslosigkeit nach Ansicht der altprotestantischen Orthodoxie setzt Bonhoeffer hier demnach eine Unfehlbarkeit der Schrift voraus, die ihre Wahrheit allein in der Selbstbekundung Gottes im Heiligen Geist zeigt. Wahrheit und Lüge liegen in dieser Auslegung freilich beachtlich nahe beieinander, sind doch Menschen- und Gotteswort in der Schrift nicht einfach zu sezieren, vielmehr entscheidet allein die Erkenntnis der Schrift als das eine oder andere über Wahrheit. Entgegen einer pietistischen Betonung der Erleuchtung des Geistes aber, scheint es Bonhoeffer hier um etwas anderes zu gehen. Wie genau das auszuformulieren ist, wird noch zu erarbeiten sein.261 Mit Martin Kähler ist jedenfalls festzustellen: „Fordert man nicht mehr die Unfehlbarkeit unserer biblischen Berichte, dann wird sich ihre vergleichbare erstaunliche Zuverlässigkeit neu herausstellen; selbst – soweit das denkbar ist – die Zuverlässigkeit der Sage.“262 Um diesen Umstand, diese eigentümliche Spannung aus Nähe und Ferne zur orthodoxen wie zur pietistischen Verbalinspiration greifbarer zu machen, ist sich dafür an dieser Stelle in die Auslegung von Schöpfung und Fall selbst hineinzubegeben.
261 Cf. zur Unterscheidung von Menschen- und Gotteswort §§ 3.1.2 und 4.2.4. 262 Kähler, Wert der Bibel, 37f.: „Warum weist man denn immer von neuem die Fehler in dem überlieferten Bibeltext auf ? Warum legt man den Finger auf die Widersprüche, welche die in ein Buch verarbeiteten Urschriften in ihren Berichten oder in ihren Anschauungen bemerken lassen? Warum tut man dar, daß geschichtliche Angaben in den Büchern nicht mit den Umständen derjenigen Zeit zusammenstimmen, wohinein die Überlieferung ihre Entstehung setzt? Hauptsächlich doch, um der Literarkritik ihr Recht und ihre Freiheit zu sichern. Ist das nicht mehr nötig, dann wird sich auch Muße und Unbefangenheit genug einstellen, um wahrzunehmen, wie bei aller geschichtlichen Bedingtheit der Gestalt die Unvergleichlichkeit des Inhaltes doch auch für seine Tatsächlichkeit bürgt, soweit das ihm Eigentümliche in Frage steht, nämlich die in ihm dargebotene Offenbarung; wie ferner eine wunderbare Zusammenstimmung durch alle Stufen und alle Mannigfaltigkeit dieser religiösen Entwicklung hindurchgeht; ja wie in der Tat auch unter jenen Gesichtspunkten der Kritik die biblischen Schriften sich zwar nicht als eine wunderhaft andre Gattung, wohl aber – wie Lessing ganz richtig hervorgehoben hat – dem Grade nach wie vor anderen vergleichbaren Erbstücken aus dem Altertum auffallend genug abheben. Es wird die Ruhe über die Forschenden kommen, welche den Sinn auch für die andere Seite öffnet. Unbesorgt vor erneuter ‚harmonistischer Gewaltsamkeit‘ wird man das Alter der hebräischen Erzeugnisse unbefangener schätzen, […] und wird mit Behagen die Zusammenstimmung biblischer Berichte mit demjenigen aufdecken, was sich sonst geschichtlich feststellen läßt. Fordert man nicht mehr die Unfehlbarkeit unserer biblischen Berichte, dann wird sich ihre vergleichbare erstaunliche Zuverlässigkeit neu herausstellen; selbst – soweit das denkbar ist – die Zuverlässigkeit der Sage.“
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2.2.3 Wort für Wort Wie bereits von der Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Exegese deutlich ist263 und in Anklängen auch in diesem Kapitel gezeigt wurde, verwehrt sich Bonhoeffer deutlich einer buchstäblichen Auslegung der Schrift, obwohl es ihm dennoch um eine Hochschätzung des Textes in seinem wörtlichen Bestand geht. Wie genau diese im Grunde widersinnige Aussage zu verstehen ist, muss nun näher untersucht werden. Soll nach ihm, der sich augenscheinlich nahe an einer ‚Verbolatrie‘ befindet, in den Wortbestand der Heiligen Schrift weder etwas hinein-, noch hinausgetragen werden, heißt das zuweilen dann konsequenterweise auch, sich gegen die Genesisauslegung eines Martin Luther zu stellen. Im Abschnitt „Die fromme Frage“ zu Gen 3,1–3264 problematisiert er dezidiert diese Angelegenheit, die er ja mit der historisch-kritischen Forschung problematisiert hatte. In der Erzählung findet man sich wieder an dem Ort, an dem die Frage nach dem Bösen selbst und nach dem unde malum endgültig gestellt ist. Bekanntermaßen hatte eben diese Unvereinbarkeit von guter Schöpfung und geschöpflichem Bösen bereits die gesamte Theologiegeschichte in erhebliche Erklärungsnot gebracht.265 Luther nun scheut nicht, das anzusprechen, was vermutlich vielen auf den Lippen liegt: „Warum denn GOtt habe geschehen lassen und dem Teufel so viel eingeräumt, daß er Eva versuche?“266 Zwar will Luther es dem Leser der Genesis deutlich gesagt sein lassen, dass „eigentlicher aber und genauer darnach grübeln und forschen […] ein gottloser Vorwitz“267 sei, weil es dem Menschen eben nicht gezieme, von solchen Dingen zu reden und sich dabei selbst zum Richter über Gott aufzuschwingen,268 im gleichen Atemzug ist er aber nicht verlegen, dieser richtenden Neugier nachzugeben und antwortet sogleich: „Darum soll dies die einige Antwort auf alle dergleichen Fragen und Argumente sein, daß es GOtt gefallen hat, daß sich Adam versuchen und sein Vermögen üben sollte. Wie er das noch heute thut; wenn wir getauft und in das Reich Christi gesetzt sind, will er nicht, daß wir müßig sein, sondern sein Wort und Gaben üben sollen. Darum läßt er uns arme und schwache Menschen vom Teufel gesichtet werden. […] Darum gehört dieser Text dahin, daß wir daraus lernen, daß diese Versuchung des Teufels sei gewesen der 263 Cf. § 2.1. 264 Cf. SF, 96: „Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Jahwe Gott gemacht hatte, und sie sprach zum Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten? Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret’s auch nicht an, daß ihr nicht sterbet.“ 265 Cf. Hygen, Art. Böse, 8–17. 266 Luther, Sämtliche Schriften I, 176. Cf. WA 42, 108b, 34f. 267 Luther, Sämtliche Schriften I, 177. Cf. WA 42, 109b, 11: „impia curiositas“. 268 Cf. Luther, Sämtliche Schriften I, 177. Cf. WA 42, 109b, 11ff.
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Anfang der Erbsünde, da er Eva vom Worte GOttes abgeführt hat zur Abgötterei, wider das erste, andere und dritte Gebot.“269
Das ‚Warum?‘ also findet sich nach Luther in der Schrift, wenn auch, wie er betont wissen will, nicht in eindeutiger Klarheit aus dieser Passage, sondern erst von Christus her.270 Dennoch geht er aber so weit zu behaupten, dass es Gott selbst gewesen sei, der dieses Böse in der Welt geschehen ließ, genauer der den Teufel, den gefallenen Engel, den Menschen versuchen ließ, um das Vermögen des Menschen auch heute noch zu üben. Nicht der Teufel ist es demnach, dem Luther die Schuld an Evas und Adams Ungehorsam anlasten will, im Gegenteil, das wird er nicht müde zu betonen, seien sie mit der notwendigen Erkenntnis Gottes urständlich ausgestattet gewesen, dieser Versuchung zu widerstehen.271 Dass aber nun gerade die Schlange zum Werkzeug Luzifers erwählt war, weiß Luther daran festzumachen, dass sie listig und darum „bequemer, denn andere Thiere, gewesen [sei].“272 Dieser lutherischen Auslegung der Schlange als Werkzeug des Bösen kann Bonhoeffer beipflichten, wenn er selbst jene als dieses hervorhebt: „[D]ie Schlange, ein Geschöpf Gottes unter anderen, wird selbst zum Werkzeug des Bösen.“ Sobald er aber weiter fragt: „Wie geht das zu?“, findet man eine diametral verschiedene Auslegung dieser Passage, die Bonhoeffer zwar ähnlich Luther einzuleiten weiß, die im Fortgang aber einen völlig anderen Weg einschlägt. Es ist zu lesen: „Eben darauf antwortet nun die Bibel nicht, jedenfalls nicht eindeutig-direkt, sondern in eigentümlicher Indirektheit.“273 Zunächst also ist zu konstatieren, gleich Luther kann Bonhoeffer geltend machen, dass die Schrift antwortet, aber sie es nicht unmittelbar tut. Anders aber als Luther, der zwar darauf hinweist, die Schrift sei an dieser Stelle „verwickelt, und nicht vielmehr klar und öffentlich“,274 da sie eben nicht auf den gefallenen Luzifer hinweise, betont Bonhoeffer rigide, dass aus diesen wenigen Worten die Frage nach dem Woher des Bösen nicht beantwortet werden könne, da es doch heiße, „[…] den biblischen Bericht [zu] vergröbern und völlig 269 Luther, Sämtliche Schriften I, 177. 183. Cf. WA 42, 109b, 14–18. 112b, 30ff. 270 Cf. Luther, Sämtliche Schriften I, 177f.: „Hier ist noch eine andere Frage, darob man vielleicht mit weniger Gefahr, aber mit mehrerem Nutzen disputiren möchte, nämlich, warum die Schrift alles also verwickelt, und nicht vielmehr klar und öffentlich sagt, daß sich der Engel, so gefallen war, an die Schlange macht und durch sie geredet und Eva betrogen habe? Darauf antworte ich also: Daß es die Schrift darum also verwickelt habe, daß es vorbehalten würde dem Herrn Christo und seinem Geiste, der durch die ganze Welt leuchten sollte, wie die Sonne im Mittag, und alle Geheimnisse der Schrift öffnen und entdecken. Und weil solcher Geist Christi in den Propheten gewesen ist, haben sie solche Gleichnisse der Schrift verstanden.“ Cf. WA 42, 109b, 26–32. 271 Cf. Luther, Sämtliche Schriften I, 177–219. Cf. WA 42, 109b–133b. 272 Luther, Sämtliche Schriften I, 178. Cf. WA, 109b, 34f. 273 SF, 96. 274 Luther, Sämtliche Schriften I, 177. Cf. WA 42, 109b, 26f.
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[zu] verzerren, wollte man sich einfach auf den Teufel berufen, der als der Feind Gottes das alles anrichte.“275 Bonhoeffer versagt sich augenscheinlich, sich Luthers und damit der traditionellen Lesart anzuschließen, in dieser Schlange den Teufel zu sehen, d. h. in ihr das Böse zu manifestieren, er weigert sich vielmehr den Teufel in die Schöpfungsgeschichte einzuschreiben, wo diese doch explizit nicht davon redet. Vielmehr weist er dagegen darauf hin, dass eine Überschreibung der Schlange mit dem Teufel gerade nicht die Begründung für die Ursünde biete, im Gegenteil ziehe eine solche Berufung auf den Teufel Konsequenzen nach sich, die nicht unterschätzt werden sollten. Das markiert Bonhoeffer dazu paradoxerweise zunächst mit Luther gegen Luther daran, dass es eben gerade nicht der Mensch sein dürfe, der Sinn in den Text eintrage,276 die Schrift entfalte ihre Klarheit nämlich aus sich selbst heraus, auch wenn das zum Teil, wie es auch Luther zugestehen muss, dunkle Stellen zurücklassen könne.277 Nimmt man Bonhoeffer ernst, bedeutet das hier in aller 275 SF, 96. 276 Cf. WA 7, 97, 19–24; 98, 4–6: „[Q]uo iudice finietur quaestio, si patrum dicta sibi pugnaverint. Oportet enim scriptura iudice hic sententiam ferre, quod fieri non potest, nisi scripturae dederimus principem locum in omnibus quae tribuuntur patribus, hoc est, ut sit ipsa per sese certissima, facillima, apertissima, sui ipsius interpres, omnium omnia probans, iudicans et illuminans […]. Sint ergo Christianorum prima principia non nisi verba divina, omnium autem hominum verba conclusiones hinc eductae et rursus illuc reducendae et probandae […].“ („[D]urch welches Urteil [kann] eine Frage abschließend bewertet werden […], wenn die Aussprüche der Väter einander widerstreiten? Man muss hier nämlich mit der Schrift als Richter ein Urteil fällen, was [aber] nicht geschehen kann, wenn wir nicht der Schrift allein, die den Vätern beigelegt werden, den ersten Rang einräumen. Das heißt, dass sie durch sich selber ganz gewiss ist, ganz leicht zugänglich, ganz leicht verständlich, ihr eigener Ausleger, alles von allen prüfend, richtend und erleuchtend […]. Also sollen die ersten Prinzipien der Christen nichts als die göttlichen Worte sein, aller Menschen Worte aber daraus gezogene Schlussfolgerungen, die auch wieder darauf zurückgeführt und daran erwiesen werden müssen.“ [Übersetzt von Sibylle Rolf, in Luther, Luther Studienausgabe I, 79ff.]) 277 Cf. Luthers Rede von der Klarheit der Schrift gegen Erasmus. WA 18, 606, 22–39: „Hoc sane fateor, esse multa loca in scripturis obscura et abstrusa, non ob maiestatem rerum, sed ob ignorantiam vocabulorum et grammaticae, sed quae nihil impediant scientiam omnium rerum in scripturis. Quid enim potest in [Matth. 27, 66; 28, 2] scripturis augustius latere reliquum, postquam […] illud summum mysterium proditum est, Christum filium Dei factum hominem, Esse Deum trinum et unum, Christum pro nobis passum et regnaturum aeternaliter? […] Iam nihil refert, si res sit in luce, an aliquod eius signum sit in tenebris, cum interim multa alia eiusdem signa sint in luce. Quis dicet fontem publicum non esse in luce, quod hi qui in angiporto sunt, illum non vident, cum omnes qui sunt in foro videant?“ („Freilich bekenne ich, dass viele Stellen in der Schrift undeutlich und dunkel sind, und zwar nicht wegen der Erhabenheit der Dinge, sondern wegen der Unkenntnis der Vokabeln und der Grammatik. Aber das hindert nicht die Kenntnis aller Dinge in der Schrift. Was kann denn in der Schrift noch Erhabeneres verborgen sei, nachdem […] das höchste Geheimnis an den Tag getreten ist, dass nämlich Christus, der Sohn Gottes, Mensch geworden ist, dass Gott dreifaltig ist und ein einziger, dass Christus für uns gelitten und herrschen wird in Ewigkeit.[…] Nun macht es nichts, wenn die Sache am Licht ist, ob irgendein Zeichen in
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Deutlichkeit vorerst, die Leerstelle zu erkennen und diese auch zu wahren. Ginge es nämlich darum, etwas von der menschlichen Seite in den Text einzutragen, würde „dem Menschen zugemutet, Richter über Gottes Wort zu sein, anstatt es einfach zu hören und zu tun.“ Nicht der Mensch, „[…] auf Grund einer Idee, eines Prinzips, irgendeines vorhergewonnenen Wissens über Gott [soll] nun über sein Wort urteilen […]“,278 im Gegenteil, die Schrift ist selbst dieses Prinzip, das eine „Gottesidee“, die sich zur „Waffe eines Prinzips“ aufschwingt, „gegen das konkrete Gotteswort angeht […].“279 Zwar weist auch Luther auf diesen „gottlose[n] Vorwitz“ des Menschen hin, den Teufel kann er trotzdem in der Schlange erkennen. Bonhoeffer hingegen untersagt genau dieses. Eine Achtung des Wortes zeigt sich demnach für ihn in zweierlei: Erstens gilt es gegen jede menschliche Idee den Wortbestand des Textes hochzuschätzen und jeden Missbrauch abzuwehren. Gegen eine Eintragung der dogmatischen Tradition ist es ihm hier pointiert im Sinne der Berliner Schule der historischkritischen Exegese darum, den ursprünglichen Text vor theologischen Übergriffen zu schützen und seinen Wortlaut zu bewahren.280 Bonhoeffer wird dabei nicht müde zu fragen: Was steht wirklich da? Wurden Leerstellen gefüllt, um den Text verständlicher, um ihn handlicher zu machen? Indem der Wortlaut der Schrift in seiner vorhandenen Überlieferung wortgetreu angenommen wird, soll genau das vermieden werden: Einen anderen, einen widerläufigen Sinn in den Text einzutragen und damit denselben der Lüge anheimfallen zu lassen. Ähnliches war schon in der Frage nach der Erkenntnis von Gut und Böse zu sehen. Auch hier folgt Bonhoeffer gegen die Auslegung Schmidts nicht einer rekonstruierten Quelle, sondern der Schrift selbst.281 Eben diese spricht vom Fall Adams und Evas genau so und nicht anders, denn „[e]s wird nicht einfach gesagt, daß die Schlange der Teufel gewesen sei. Die Schlange ist Geschöpf Gottes, aber eben listiger als alle anderen. Nirgends in der ganzen Geschichte wird der Teufel in seiner Leibhaftigkeit eingeführt.“282 Und das gilt es auch gegen Luther deutlich zu machen.
278 279 280 281 282
Dunkelheit liegt, weil ja unterdessen viele andere ihrer Zeichen am Licht sind, bloß weil die, die in einer Seitengasse stehen, ihn nicht sehen, alle anderen aber, die auf den Markt stehen, ihn sehen?“ [Übersetzt von W. Härle, in Luther, Luther Studienausgabe I, 235ff.]. Interessanterweise hatte das ja auch Luther für sich selbst beanstandet, wenn er nach seiner Lesart die Schlange als Werkzeug des Teufels allein aus Christus erhellt wissen wollte. Dabei richtet er die Frage des unde malum dann aber aufgrund seiner Lesart der Schlange nicht an den Zwiespalt der guten Schöpfung und dem Bösen in ihr, weil er diesen ja in dem Fall Luzifers beantwortet hatte, sondern allein auf die Versuchung des Menschen. Cf. Luther, Sämtliche Schriften I, 177f. Cf. WA 42, 109b, 26–32. SF, 100f. SF, 101. Cf. § 2.1.6. Cf. §§ 2.1.3 und 2.1.4. SF, 98.
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Das führt zu Bonhoeffers zweiter Konsequenz: Es war zu sehen, diese Unklarheit der Schrift ist nur eine vermeintliche, weil sich die Leerstelle aus der Schrift selbst heraus als gefüllt erweist. Auch Bonhoeffer kann die Frage nach dem Bösen eindeutig beantwortet finden, das aber im Gegensatz zu Luther, indem er sich auch hier in seiner ihm ganz persönlichen Weise auf die Erzählung in ihrer Eigenart einlässt und dem Textverlauf folgt. Die Schrift zeigt ihre Klarheit aus sich selbst, befolgt man dieses lutherische Diktum, ergeben sich daraus folgende Schlüsse: Die Frage nach dem unde malum wird in der Schrift nicht beantwortet, weshalb auch nicht nach ihr gefragt werden sollte, um nicht einen widergöttlichen Spieler einzutragen. Die Tat selbst soll dahingegen darüber Aufschluss geben. Dies bedeutet nun zunächst: „[D]as gerade ist das für die biblische Erzählung Charakteristische und Wesentliche, daß das ganze Geschehen sich in der von Gott geschaffenen Welt abspielt und daß gerade keine diaboli ex machina in Bewegung gesetzt werden, um dieses unbegreifliche Geschehen verständlich zu machen und zu dramatisieren. Das Zwielicht, in dem das Geschaffene und das Böse hier erscheinen, ist auf keine Weise aufzulösen, ohne daß das Entscheidende zerstört wird.“283
Gottes gute Schöpfung, zu der Eva, die Schlange wie auch der Baum der Erkenntnis gehören, muss als Gottes Geschöpf als „Gnade Gottes und als Ort der Stimme des Bösen […] als solche gewahrt bleiben und [darf] keinesfalls grob auseinandergerissen werden.“284 Der Bericht bleibt in der Zweideutigkeit und Indirektheit. Nur in diesem Zwielicht, in dem für Bonhoeffer auch die Schöpfung nach dem Fall (und damit auch der biblische Autor) selbst steht, kann das für ihn zweifache Anliegen der Schrift gewahrt werden: „die Schuld wirklich ganz dem Menschen zu geben und zugleich die Unbegreiflichkeit, Unerklärbarkeit, Unentschuldbarkeit der Schuld zum Ausdruck zu bringen.“285 Denn, darauf weist er ausdrücklich hin, „[w]äre vorher, wie es die katholische Dogmatik und wie es auch Luther will, vom Fall des Luzifers berichtet, so wäre Adam als das erste Opfer dieses Luzifer grundsätzlich schon entlastet.“286 Unmissverständlich führt Bonhoeffer seinen Zuhörern damit etwas vor Augen, was man weder gern hört, noch – hoffentlich – intendiert: Nicht nur wird mit der Idee eines radikal bösen Opponenten dem Text eine neue Ausrichtung gegeben, sondern darüber hinaus zeigt sich dieselbe auch als eine Entschuldigung für das Fehlverhalten des Menschen, worin sie „in allem erschreckend deutlich [macht], daß wir der Bibel nicht mehr gehorsam sind“, „unsere eigenen Gedanken lieber [haben] als die Gedanken der Bibel“ und „die 283 284 285 286
SF, 96f. SF, 97. SF, 97. SF, 98.
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Bibel nicht mehr gegen uns, sondern nur noch für uns [lesen].“287 Gegen die augustinische Distinktion eines posse peccare oder eines non posse peccare,288 welche die Tatsächlichkeit der Tat genau wie Luther zu begreifen versuchen, darf hier nicht der Teufel als Urheber des Bösen in den Fokus geraten, sondern der Mensch selbst. Eindringlich hebt Bonhoeffer aufgrund dessen hervor: „Die Bibel will [eben] nicht über den Ursprung des Bösen Auskunft geben, sondern von seinem Charakter als Schuld und als unendliche Belastung des Menschen zeugen. Die Frage nach dem Ursprung des Bösen unabhängig hiervon zu stellen, liegt dem biblischen Autor fern, und gerade dann wird die Antwort nicht eindeutig, nicht direkt sein können. Sie wird immer das Doppelte enthalten, daß ich als das Geschöpf Gottes das ganz Widergöttliche, Böse getan habe, und daß dies eben darum Schuld und darum unentschuldbare Schuld sei.“289
Pointiert arbeitet Bonhoeffer in Worttreue und dezidierter Auseinandersetzung demnach mit dem und am Text heraus, dass die Frage nach dem Bösen losgelöst von der Tat des Geschöpfes an der Aussage der Schrift vorbeigeht. Mitten in der guten Schöpfung, die eben gerade nicht der etwaigen Unvollkommenheit angeklagt werden kann, da „nicht plötzlich eine irgendwoher kommende böse Gewalt offensichtlich in die Schöpfung hineinbricht, sondern […] sich dies Böse ganz in der Schöpfungswelt verhüllt“,290 geschieht es durch den Menschen. Und dass dieses so und nicht anders geschieht, „ist das ganz Sachliche des biblischen Berichtes, […] und eben hierdurch [wird] seine völlige Unentschuldbarkeit aufs deutlichste ausgesprochen […].“291 Das bedeutet im Gegenteil dann auch für den Rezipienten, dass „[ j]eder Versuch der Begreiflichmachung […] immer nur Anklage [ist], die das Geschöpf gegen den Schöpfer schleudert.“292 Sucht man hier nach einer Füllung der Leerstelle, weil die Unbegreiflichkeit dieses Geschehens nicht auszuhalten und die Schwere der Tat einzusehen ist, bedeutet das nur, dass der Mensch nicht seine Verantwortlichkeit erkennen will, sondern Gott diese, seine Schuld zuweist, d. h. seine Schuld von sich selbst auf den Schöpfer abwälzt. Damit aber, das hält Bonhoeffer dem Bibelleser drastisch vor Augen, pervertiert sich die fundamentale Anklage der Schrift gegen den Menschen in eine Anklage des Menschen gegen Gott. Jeder Versuch einer von außen kommenden Erklärung kann demnach den Sinn dieser Aussage nicht erfassen, mehr noch, er verzerrt den Bericht so sehr, dass der ursprüngliche Sinn in sein Gegenteil verkehrt wird. Gegen eine Verabsolutierung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit einerseits – das Zwie287 288 289 290 291 292
ÖUP, 353. Cf. Augustin, Natur und Gnade, 518f. (XLIX, 57). Cf. dazu auch AS, 144. SF, 97. SF, 98. SF, 98. SF, 111.
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licht ist nach dem Fall zu wahren, Eindeutigkeit kann es nicht geben – und eine Vereinnahmung des Bibeltextes andererseits, ist es Bonhoeffer darum, die sich selbst setzende Schrift aufrechtzuerhalten. Es verwundert damit dann auch kaum, dass er genau hier die Tradition zu achten weiß, da sie doch viel mehr „von der Bibel verstanden [hat, weil] unsere Väter in ihren Glaubenskämpfen nichts gehabt haben und nichts haben wollten als die Bibel […].“293 In ähnlicher Manier, in diesem Festhalten an dem überlieferten Textbestand, geht er auch bei der Form der Erzählung vor. Es war schon oben zu sehen, dass er sich gegen den Duktus seiner Zeit für den Mythos als Form der Erzählung ausspricht.294 Wenn Bonhoeffer in der Schrift Gott selbst sprechen hört, „[d]as Wort Gottes [also] weder Roman noch Märchen noch Mythos […]“295 ist, d. h. nicht kindliche Phantasie und Einbildung, muss auch in der Genesis mit ihrer Rede von der Welt- und Menschenschöpfung Wahrheit gesprochen sein. Gegen die historisch-kritische Auslegung hatte er deutlich gesetzt: „Mythos, kindliche, phantastische Ausmalung der grauen verborgenen Vorzeit – so sagt die Welt. Gottes Wort, Geschehen am Anfang der Geschichte, vor der Geschichte, jenseits der Geschichte und doch in der Geschichte […] – so sagt die Kirche.“296 Mythos und Offenbarung sind nicht neben- oder gar gegeneinander zu sehen, ist doch für Bonhoeffer in der Frage nach dem Wahrheitsgehalt des Mythos eben nicht zwischen Vorstellungsform und Inhalt zu scheiden, wie dies seit der Aufklärung noch immer gemacht wird. Wenn dementsprechend die Schrift von der Entstehung des Lichtes spricht, heißt es in Schöpfung und Fall: „Weil es finster war auf der gestaltlosen Tiefe, darum muß das Licht die Gestalt schaffen. Wie die gestaltlose Nacht durch das Licht des Morgens zur Gestalt wird, wie das Licht die Gestalt enthüllt und schafft, so mußte jenes Urlicht das Chaos ordnen, die Gestalt enthüllen und schaffen.“297
Gott schafft in seinem Wort. In seinem Wort, das gesprochenes Wort ist, das die „benannte Sache selbst“298 ist, ist das Wort selbst die Tat.299 Und vollendet er das Werk des ersten Tages in der Scheidung des Lichtes von der Finsternis, in der Schaffung des Tages und der Nacht, heißt es hierzu: „Das erste vollendete Werk Gottes ist der Tag. Gott schafft am Anfang den Tag. Der Tag trägt alles andere, im Wechsel des Tages lebt die Welt. Der Tag hat sein eigenes Sein, eigene Gestalt, eigene Macht.“300 In der Schaffung des Tages und der Nacht ist das erste Werk 293 294 295 296 297 298 299 300
ITAF, 147. Cf. § 2.1 5. SF, 22 (Anm. 10, Mitschrift von Erich Klapproth). SF, 77. SF, 41. SF, 39. Cf. SF, 39 (Anm. 7, Mitschrift Hilde Pfeiffer). SF, 45.
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Gottes vollendet, so sagt es die Schrift und so will es auch Bonhoeffer lesen. Weder ist es ihm hier um eine metaphorische Auslegung noch um eine philosophische Spekulation über Gottes Schaffen im Anfang der Welt, im Gegenteil: In einem alles umfassenden Geschehen erzählt die biblische Urgeschichte für ihn von der Erschaffung der Welt aus einem tiefen Wissen um den Kosmos sowie die Kreatürlichkeit der Natur und des Menschen in Abhängigkeit zu ihrem Schöpfer. In einem Blick in das innere Gefüge zeigt die Schrift die Welt in ihrer Neusetzung und ihrer Erhaltung durch, aber auch in ihrer Unterschiedenheit zu Gott auf. Mit lehrhaften Aussagen, die erste Tatbestände darstellen, die aber zum Teil auch in hymnisches Lob übergehen, verdeutlicht der Schöpfungsbericht zwischen didaktischer Distinktion und rühmender Aussage das Verhältnis von Gott, Welt und Mensch.301 Bei Bonhoeffer klingt das folgendermaßen: „Im Unterschied von allen Schöpfungsmythen, in denen die Gottheit ihre Natur opfert, in denen aus ihrer naturhaften Fruchtbarkeit die Welt entspringt, in denen also die Schöpfung selbst ein Stück der Natur Gottes ist, in denen also das Leiden der Natur, ihres Gebärens und Vergehens, das Leiden der Gottheit selbst ist, – im Gegensatz zu all dem bleibt der Gott der Bibel ganz Gott, ganz Schöpfer, ganz der Herr, und sein Geschöpf bleibt ganz das unterworfene, gehorsame, ihn als den Herrn lobpreisende, anbetende.“302
Auch die altprotestantische Orthodoxie suchte dieses Geschöpfsein der Welt und dieses Schöpfertum Gottes festzuhalten. In ihrer Hochschätzung der Schrift als „schlechthin infallibile Erkenntnisquelle und entscheidende Richterin der christlichen Wahrheit“303 gegen ein Auslegungsprimat der Kirche setzte sie an die Seite der perspicuitas das Merkmal der perfectio, das keine Art von Widersprüchen zuließ, könnten diese doch die Offenbarung Gottes selbst betreffen. In einem ausschließlich logischen Begriff von Wahrheit sollte auch die Schrift ausgelegt werden, weshalb der sensus literalis alle anderen Auslegungsmöglichkeiten überbieten musste.304 Dementsprechend versuchte sie in ihrem 301 Cf. Rad, Theologie des Alten Testaments, 153f. Cf. auch Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/ Schöpfung, 269ff. 302 SF, 38. 303 Diestel, Geschichte des AT, 319. 304 Cf. Diestel, Geschichte des AT, 375 f. So wurden zum Teil (gerade bei Tropen und Metaphern) ein weiterer oder engerer sensus literalis unterschieden: „[ J]ener ist, was die Worte unmittelbar zunächst enthalten […]; dieser, was sie im Sinne des Sprechenden aussagen wollen, also τὸ ῥητόν und διάνοια. Dieser Literalsinn ist hochzuhalten, ist stets nur Einer […], jede Stelle lässt ihn zu […], er darf nie von den Worten getrennt werden, erscheint vor allem (palam et vere) in articulis fidei et claritatis, in denen kein Tropus anzunehmen ist.“ Manche jedoch, darunter Abraham Calov und August Pfeiffer, verwehrten sich gegen diesen, war er ihnen doch zu nahe am Mittelalter und der Auslegungspraxis der katholischen Kirche, weshalb sie den Literalsinn in sensus grammaticus und literalis zu unterteilen wussten: „[ J]ener ist der conceptus, quem verba ipsa, nonnisi grammatice intellecta, in
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Buchstabenglauben die langsam aufkommende Naturwissenschaft in die Auslegung mit einzubeziehen: Der Umstand einer tatsächlich historischen Erfassung der Schrift formte sich infolgedessen in zahllosen Diskussionen beispielsweise um eine Spekulation über die zeitliche Datierung der Erschaffung der Welt innerhalb der Jahreszeiten aus, spricht Gen 1,12 doch von Gras, Blumenpracht und Früchten. In seiner Geschichte des Alten Testaments in der christlichen Kirche beschreibt Ludwig Diestel diese wissenschaftliche Disputation ausführlich. Man sei sich zumeist sicher gewesen, dass es sich um Frühling (25. März nach den Vätern oder 12. Juli nach Clericus) oder Herbst (Mehrheitsmeinung) handle, auch wenn zugestanden werden musste, dass in der Ordnung des Schöpfungswerkes große Geheimnisse lägen.305 Daran schloss sich sodann gleichsam das Problem der Einteilung des göttlichen Siebentagewerkes an: Gegen Philo, Augustin, Athanasius und Ambrosius habe man betont, dass die Schöpfung gerade nicht in einem Moment, sondern nach Burnet und Clüver in sieben Tagen (und nicht Jahren) erfolgt sei, wobei stets die Frage blieb, ob mit dem Tage nur wenige Nachtstunden (Maresius, v. Mastricht, Leydecker, Lilienthal) oder doch volle 24 Stunden (Wittich, Burmann, Alliga) gemeint seien.306 War Dietrich Bonhoeffer freilich ebenso darum bemüht, die Schrift in ihrer eigenen Art des Sprechens vom Anfang der Welt ernst zu nehmen, formte er dieses jedoch gegen eine solche historisierende Auslegungspraxis der altprotestantischen Orthodoxie nicht in einem Historismus im Gewand des Biblizismus aus. Vielmehr verwehrte er sich gegen einen biblischen Realismus, der im Bildlichen das Tatsächliche sehen will. Folgt man seiner Rede vom ersten Tag, fährt er in seiner Auslegung folgendermaßen fort: „Der Tag hat sein eigenes Sein, eigene Gestalt, eigene Macht. Er ist nicht der physikalisch verständliche Umlauf der Erde um die Sonne, der berechenbare Wechsel von Dunkel und Licht, er ist über all das hinaus etwas, das das Wesen der Welt und unsere Existenz bestimmt.“307
Entgegen einer rationalen Auslegung des ersten Schöpfungswerkes, also einer Spekulation, in welcher menschlichen Zeitspanne Gott die Welt geschaffen habe, setzt Bonhoeffer hier eine andere Lesart der Urgeschichte, die nicht gleich einsehbar scheint: animo legentis gigunt (Rambach, instit. p. 57). Nur die evidens und summa necessitas berechtigt, eine tropische Deutung anzunehmen. Dagegen ist der sensus literalis seu logicus vel realis der, den die Worte unmittelbar ergeben (proprie vel figurate). Der s. gramm. repräsentirt also den ersten Eindruck auf den Sinn des Lesers (Wortsinn), der s. lit. aber ist erst Schriftsinn, d. h. der, welchen der Autor beabsichtigt hat.“ (Diestel, Geschichte des AT, 378. Diestel zitiert: Rambach, Institutiones Hermeneuticae, 57.) 305 Cf. Hottinger, Historiae creationis, 10ff. Cf. dazu Diestel, Geschichte des AT, 485f. 306 Cf. Grape, Theologia Recens Controversa, 1ff. Cf. dazu Diestel, Geschichte des AT, 486. 307 SF, 45.
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„Er [der Tag, Anm. d. Verf.] ist – fast möchte man sagen, wenn es nicht so schlecht hierher paßte, – das, was wir eine mythologische Größe nennen. Die Tages- und die Nachtgötter, die nach heidnischem Glauben die Welt beseelen und erfüllen, sind hier zwar gänzlich entthront, aber dennoch bleibt der Tag das erste Geschöpf Gottes, das Wunderbare und Mächtige in der Hand Gottes. Uns ist der Tag in seiner Geschöpflichkeit und Wunderbarkeit ganz versunken. Wir haben uns seiner Macht entzogen.“308
Wenn Bonhoeffer die Schrift hier vom Tag als erstem Werk Gottes sprechen hört, liest er denselben offensichtlich nicht als physikalische Einheit. Im Gegenteil, genau gegen diese versucht historisierende und naturwissenschaftliche Interpretation stellt er eine Auffassung des Tages, die hinter all unser Denken zurückgeht, die nicht mehr einzusehen ist, deren Macht sich der Mensch entzogen hat, durch die er sich nicht mehr bestimmen lässt, weil er vermeintlich selbst die Welt in ihrer Eigenart vermessen und damit in ihrer für ihn verstehbaren Regelhaftigkeit beschreiben will. „Wir berechnen und verrechnen ihn, wir lassen ihn uns nicht schenken, wir leben ihn nicht. Heute weniger denn je, die Technik ist der Kriegszug gegen den Tag.“309 Wieder ist man mit Dietrich Bonhoeffers Auslegung der Schrift an der Grenze menschlicher Erkenntnisfähigkeit angelangt, wieder verweist Bonhoeffer damit zugleich auf die Begrenztheit des biblischen Autors: „Auch die Bibel redet von ihm schon so wie wir – rechenhaft – von ihm reden.“310 Und dennoch, in dieser menschlichen Rede ist Gottes Wort zu vernehmen, das im menschlichen Wort zeigt, „daß der Tag nicht dieser rechenhafte Tag des Erdumlaufes ist, sondern der große Rhythmus, die natürliche Dialektik der Schöpfung.“311 Die Bibel bezeugt Gott als den Herrn der Schöpfung, des gesamten Kosmos, dem entspricht für Bonhoeffer, dass hier eben nicht in naturwissenschaftlicher Engführung, wie auch nicht in geisteswissenschaftlich-spekulativer Metaphysik von der Erschaffung der Welt gesprochen werden darf. Dabei war Bonhoeffer die Naturwissenschaft keineswegs fremd, sein ältester Bruder Karl Friedrich war Physiker312 und seine Schwester Christine studierte Biologie, bis sie Hans von Dohnanyi heiratete.313 Bestens vertraut mit den Erschütterungen durch die Ergebnisse der Naturwissenschaften (derer allen voran die Relativitäts- und Quantentheorie standen), welche die Theologie in geradezu „unzurechnungsfähige“ Apologetik314 dränge und zuletzt zur Kapitulation zwinge, so Bonhoeffers Urteil, stand er 308 309 310 311 312 313 314
SF, 45. SF, 45. SF, 45. SF, 45. DB, 71f. Cf. SF, 151 (Nachwort). Cf. ÖUP, 146. Cf. dazu auch Bonhoeffers Verweis auf Franz Overbeck, Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie, Darmstadt, 3. Aufl. 1963, bes. 42–71.
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vor ähnlichen Problemen wie die altprotestantische Orthodoxie und der aufkommende Pietismus im Zeitalter der Aufklärung. Indes ist es ihm hier nun nicht um eine Zurückweisung naturwissenschaftlicher Einsichten – wie der Orthodoxie, die sich ob der Aufrechterhaltung ihrer regula fidei in der Ineinssetzung von Schrift und Lehre in buchstäblicher Auslegung der Wahrheit der Schrift zu bemächtigen suchte –, verwehrt er sich doch gerade gegen eine Identifizierung der Wahrheit der Schöpfungswirklichkeit mit der menschlichen Naturwissenschaft. Zugleich hebt er dazu aber hervor: Auch der biblische Autor ist in seiner Geschöpflichkeit nach dem Fall in seiner Einsicht in die Dinge des Anfangs eingeschränkt und so mag die Bibel, wenn sie „von sechs Schöpfungstagen spricht […] wohl an den Tag von Morgen und Abend gedacht haben, aber sie hat eben auch diesen Tag nicht rechenhaft gemeint, sondern sie hat ihn gedacht als die Macht des Tages, die den physikalischen Tag erst zu dem macht, was er ist, als die natürliche Dialektik der Schöpfung.“315
Gegen die orthodoxe Diskussion um die tatsächliche Länge des Tages bemerkt Bonhoeffer darum deutlich: „Das physikalische Problem steht hier überhaupt nicht zur Diskussion, wo von ‚Tag‘ geredet wird. Es tut dem biblischen Denken keinen Eintrag, ob die Schöpfung in Rhythmen von Jahrmillionen oder in einzelnen Tagen geschehen ist, wir haben keinen Anlaß das letztere zu beteuern noch das erste zu bezweifeln.“316
Es gilt hier demzufolge mit Bonhoeffer zu unterscheiden, wer spricht und wie gesprochen wird. Es war oben schon zu sehen, dass der Mensch in seiner geschöpflichen Erkenntnisfähigkeit nach dem Fall im Zwielicht steht, er nur noch uneindeutig vom Anfang sprechen kann. Gerade dieses Bestreben, die biblische Botschaft in die technisierte Sprache unserer Welt zu übertragen, zeigt sich demnach nicht nur in den orthodoxen Bemühungen, biblisches Sprechen in naturwissenschaftlichen Realismus zu transformieren, sondern ganz basal darin, dass auch „der biblische Autor, sofern sein Wort Menschenwort ist, seiner Zeit, seiner Erkenntnis, seinen Grenzen verfallen ist […].“317 Als reine Spekulation wird diese Eintragung menschlicher Einsichten (ob historisch oder naturwissenschaftlich) dann offen enttarnt, wenn Bonhoeffer Johann Gottfried Herders rationalistische Frage nach der Erschaffung des Lichtes am ersten und der Sonne am vierten Tag als gewaltsame Überdeckung physikalischer Erklärungszusammenhänge beinahe spöttisch aufzeigt:318 315 316 317 318
SF, 46. SF, 46. SF, 46. Cf. Herder, Aelteste Urkunde, 70ff. Dazu besonders 70–74: „Komm hinaus, Jüngling, aufs
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„Herder hat schön davon geredet, wie der biblische Autor an einen Morgenanbruch gedacht habe, an dem das Licht vor der Sonne hervorbräche. Mag sein, er hat recht damit. Aber es ist jedenfalls noch das hinzuzufügen, daß doch das Licht erst die Sonne zu dem macht, was sie ist, und nicht die Sonne das Licht. Die physikalische Erklärung des Lichtes ist doch nicht mehr als ein Aufweis der Kette der Erscheinungen, deren Ende das Phänomen ‚Licht‘ ist. Damit ist aber doch die Tatsächlichkeit von Licht nicht erklärt. Vielmehr, das Licht macht die Sonne zur Sonne, weil Licht sein soll, darum leuchtet die Sonne. Daß wir ungebundenes Licht nicht denken können, hebt diesen Zusammenhang doch in keiner Weise auf. Das ungebundene Licht der Schöpfung […] wird gebunden zur Gestalt […], aber es bleibt in Gott, Gottes Schöpfung und wird nie selbst zur rechenhaften Zahl.“319
Im Gegenteil, in diesem göttlichen Rhythmus, „der Ruhe und Bewegung in einem ist, der schenkt und nimmt und wieder schenkt und wieder nimmt“,320 ist die Schöpfung aufgehoben. Geistes- und Naturwissenschaft sind demnach auch nicht gegeneinander aufzuwerten, Theologie und wissenschaftliche Welterklärung sind eben nicht zwei sich ausschließende Betrachtungen, sie sind beide in der Offenbarung umgriffen.321 Wichtig ist deshalb aber immer die Einsicht: „Wer kann von diesen Dingen anders reden als in Bildern[?] Bilder sind ja nicht Lüge, sondern Sie bezeichnen Dinge, lassen Dinge durchscheinen, die gemeint sind. Aber freilich Bilder wechseln, die Bilder eines Kindes sind anders als die des Erwachsenen, die des Menschen der Wüste anders als die des Menschen der Großstadt. Aber so oder so, sie bleiben wahr, wie eben menschliche Rede, auch Begriffsrede überhaupt wahr bleiben kann, nämlich wahr, sofern Gott in ihnen bleibt. […] Wir bleiben ganz in der Bilderwelt […].“322
Der Mythos, in dem Form und Inhalt verschmelzen, spricht Wahrheit. In Form menschlicher Bildrede zeigt Gott sich der Welt. Anstatt aber die Schrift mit der Erkenntnis der Welt zu erklären, erklärt sich hier die Schrift der Welt selbst. „Als Ganzes ist die Schrift Gottes Offenbarungswort. Erst in der Unendlichkeit ihrer inneren Beziehungen, in dem Zusammenhang von Altem und Neuem Testament, von Verheißung und Erfüllung, von Opfer und Gesetz, von Gesetz und Evangelium, von
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freie Feld und merke. Die urälteste herrlichste Offenbarung Gottes erscheint dir jeden Morgen als Thatsache, großes Werk Gottes in der Natur. […] Und siehe! diese Entzückung, dies unnennbare Morgengefühl, wies scheint alle Wesen zu ergreifen! zu liegen auf der ganzen Natur! Alles lag in Nacht und Dunkel […]. Lichtstrahl! […] ein tönender Goldklang auf die grosse Laute der Natur! […] Es ist Fortgang im Gemälde, Segen des Allvaters auf Pflanzen, Kräuter und Bäume unter dem Stral der Morgenröhte – Siehe da gieng die Sonne auf! die herrlichste Erscheinung der Natur! Flamme! Glorienantlitz! […] Uebertrifft und endet Alles! Alles in der Schöpfung, wird mit ihr Pracht, Glanz, Geräusch! Wer räthselt nun, warum das Morgenlicht so lange vor der Morgensonne geschaffen worden?“ SF, 51. SF, 46. Cf. SF, 151 (Nachwort). SF, 76.
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Kreuz und Auferstehung, von Glauben und Gehorsam, von Haben und Hoffen wird das volle Zeugnis von Jesus Christus, dem Herrn, vernehmlich.“323
Deutlich zeigt sich in der Gesamtheit ihrer Bezüge und inneren Verweise die Schrift als Gottes Wort, erst darin kann der Mensch Christus vernehmen. Je neu muss sodann an der Schrift die Lehre geprüft werden, nicht aber eine ererbte Religion aufgrund einer menschlichen Autorität übernommen werden. Sinn eröffnet sich allein in der Schrift mit der Schrift.324
2.2.4 In der einen ganzen Schrift Mit ihrer eigentümlichen Beschaffenheit, die sich augenscheinlich nicht nur in ihrer historischen Erscheinung als Dokument der Religionsgeschichte erwies, stellte sich freilich die Frage nach der Autorität der Heiligen Schrift unabdingbar gerade an dieser Stelle. Wie konnte ein Konglomerat unterschiedlichster Bücher und Textarten aus unterschiedlichsten Zeiten tatsächlich eine unverbrüchliche göttliche Autorität besitzen, vielmehr noch, wie konnte dieses kategorisch als Gottes eigenes Wort proklamiert werden? Sieht man diesbezüglich zunächst auf den Umgang der Altprotestanten mit dieser Schwierigkeit, ergibt sich folgendes Bild: Hatte die Lehre der Verbalinspiration die Schrift als höchstes „Tribunal in Controversen und [als] allein sichre[s] Erkenntnisprincip“325 gesetzt, musste diese „als Ganzes betrachtet das Verbum Dei“326 sein. Denn wollte man, dass nicht nur manche, sondern alle Sätze der Schrift in ihrem wörtlichen Sinne zur geoffenbarten Wahrheit gehörten, musste die ganze Schrift, wie bereits zu sehen war,327 als ein Werk des Heiligen Geistes betrachtet werden – nach Form und Inhalt. Gleichsam wurde Johann Gerhard zufolge mit der Theopneustie aller Schriften eine durchgängige Harmonie und gleichartige Wahrheit dieser und ihres Inhalts angenommen, die den Geist als eigentlichen Autor feststellte.328 An diese Verkündigung der Urheberschaft des Heiligen Geistes schloss sich dann notwendigerweise zuerst die Frage nach dem Umfang des Kanons an. Hatte Luther mit seiner Proklamation des solus Christus denselben zur Mitte der 323 GL, 44. 324 Das war auch das Anliegen des frühen Pietisten August Francke. Cf.: Francke, Praelectiones Hermeneuticae, 169ff. Näheres dazu bei Peschke, Francke, 80. Eine genauere Auseinandersetzung dazu findet sich unter § 2.1.6. 325 Diestel, Geschichte des AT, 320. 326 Diestel, Geschichte des AT, 320. Cf. Gerhard, Loci theologici II, 18: „Deus est scripturae.“ 327 Cf. § 2.1.6. 328 Cf. Gerhard, Loci theologici II, 50: „Res sacrae in scriptura propositae libris divina inspiratione editis continentur, unde materia ex qua scripturae formaliter confideratae haud incommode statui potest ipsa compages & series librorum biblicorum. Est enim scriptura ex numero eorum, quae sunt unum κατὰ συναϑροισμόν per aggregationem partium.“
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Schrift erklärt und mit der Frage „ob sie Christum treyben, odder nit“329 daraus die Angemessenheit aller biblischen Einzeltexte beurteilt, eröffnete dies die Möglichkeit zur innerbiblischen Schriftkritik, die sich dann auch als Kritik an Umfang und Reihenfolge der einzelnen Bücher äußerte.330 In der grundsätzlichen und umfassenden Durchführung der Lehre der Inspiration konnte für die protestantische Orthodoxie zweifelsohne jeder Satz der Bibel weder ausgeschlossen, noch bedeutsamer sein als ein anderer, warum infolgedessen auch die Inspiriertheit des ganzen Kanons331 deutlich herausgehoben wurde und sich die Bedeutung der Schrift vom principium cognoscendi zum principium essendi verschob.332 Dazu gehörte freilich auch das Postulat einer vollkommenen Übereinstimmung von Altem und Neuem Testament, was sich für die Orthodoxie unter anderem so darstellte, dass das Christentum schon mit dem Alten Testament beginne, d. h. mit Karl Brettschneider: „[I]n den Dogmen vom Sündenfall, von der Erbsünde, der Genugthuung Christi und der Rechtfertigung durch den Glauben, worin man das Wesentliche der geoffenbarten Religion suchte, findet man eine vollkommene Uebereinstimmung des A. und N. Test. […].“333 329 WA, DB 7, 385, 27. 330 Das konnte auch für die Orthodoxie zum einen im Falle der deuterokanonischen Schriften eine tatsächliche Frage sein, riefen diese doch eine Ablehnung hervor vor allem deswegen, weil die Katholiken selbe in die Vulgata aufgenommen hatten. Mit der Begründung, sie seien später verfasst als die Propheten – Maleachi sei der letzte gewesen – und damit nicht inspiriert, wurden die Apokryphen dann aus der Schrift beinahe einvernehmlich ausgeschlossen. Eine weitere Frage hinsichtlich der Erscheinungsform des Kanons stellte sich zum anderen in der Einteilung der Bücher des Alten Testamentes. Zwar billigten manche die jüdische Einteilung in Gesetz, Propheten und Schriften, von manchen aber, beispielsweise Johann Gottlob Carpzov, wurde dagegen hervorgehoben, dass sich diese Dreiteilung der Rabbinen auf den Unterschied der Inspiration beziehe, was das Dogma nicht zulassen konnte. (Cf. Carpzov, Introductio Ad Libros Canonicos Bibliorvm, 20–37. bes. 24f.) Cf. dazu Diestel, Geschichte des AT, 322f. 331 Cf. Elerts Hinweis darauf, dass auch jede Nebensache Inhalt des Glaubens sei. (Elert, Der christliche Glaube, 172.) 332 Cf. Diestel, Geschichte des AT, 321. Cf. auch Greschat, Orthodoxie und Pietismus, 12f. 333 Brettschneider, Grundlage des Pietismus, 388. Im Anklang an und aus der Tradition der orthodoxen Inspirationslehre entwickelt auch der Pietismus unter August Francke seine Schriftauslegung, wobei die Vorstellung einer „symphonischen Harmonie“ leitend ist und eine Betonung der Mitte der Schrift in Christi Heilstat hervorgehoben wird. (Cf. Peschke, Francke, 82f.) Zugleich, bei aller sonstigen Kritik an der Orthodoxie, die Spener und der Pietismus anbringen, knüpfen diese nirgends so eng an die altprotestantische Orthodoxie an wie in der Lehre der Heiligen Schrift. Abgesehen von einigen Äußerungen Nikolaus von Zinzendorfs finden sich keine Versuche zu Luthers freiem Umgang mit der Schrift zurückzukehren; im Gegenteil, aus anfangs unversöhnlichen Gegnern entsteht durch die Lehre der Schrift ein Bündnis in der Abwehr der aufklärerischen Bibelkritik. In seiner Pia Desideria macht Spener in der lateinischen Ausgabe am Zitat von 2Tim 3,16 („daß alle Schrifft von GOtt eingegeben, seye nutz zur lehr / zur straff / zur besserung / zur züchtigung“ [Spener, Pia Desideria 95.]) aus einem omnis scriptura des Vulgatatextes ein tota scriptura. Zudem fällt im Anschluss Luthers differenzierender Um-
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Wenn der junge Student Dietrich Bonhoeffer 1926 in seiner Seminararbeit Luthers Anschauungen vom Heiligen Geist nach den Disputationen von 1535– 1545 anschließend an Luther Christus als die Mitte der Schrift, als „letzte[n] Maßstab und Richtschnur“334 sieht, erkennt er ihn als „Sinn und Krisis der Schrift, der ganzen Schrift, also auch des Gesetzes […].“335 Es war oben schon zu sehen, dass Bonhoeffer das Alte und das Neue Testament in seiner Betonung des Einen Gottes eng aneinander bindet, so eng, dass er sich zum Teil den Vorwurf einholt, er habe den Gott des Alten Testaments vereinnahmt, nehme ihm seinen Namen und setze ihn mit dem des Neuen gleich.336 Im Gegensatz zu seinem Lehrer Adolf von Harnack337 will Bonhoeffer damit zunächst dezidiert herausstellen, dass das Alte Testament eben nicht zu verwerfen sei, sondern im Gegenteil, „[d]as Neue […] das wirkliche Ende des Alten [sei]; das Neue aber [sei] Christus […]“338 und im Gegenzug sei deshalb auch die Schöpfung „auf ihn hin“339 zu lesen. Dementsprechend sind für ihn Altes und Neues Testament nur miteinander zu lesen, aber nie voneinander zu trennen;340 denn steht eines je allein für sich, ist die Wahrheit Gottes verleugnet, vielmehr der Mensch hat sich ihrer bemächtigt:
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gang mit der Schrift vollends, wenn nach und nach auch dessen Bibelvorreden gekürzt und zuletzt komplett aus den pietistischen Bibelausgaben herausgenommen werden. Es soll die ganze Schrift den Menschen nahegebracht werden, nicht eine vorgelegte Auswahl. (Cf. Wallmann, Pietismus-Studien, 252f.) JuS, 397. JuS, 397. Cf. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 84f. (Anm. 37). Cf. Harnack, Marcion, 217: „[D]as AT im 2. Jahrhundert zu verwerfen, war ein Fehler, den die große Kirche mit Recht abgelehnt hat; es im 16. Jahrhundert beizubehalten, war ein Schicksal, dem sich die Reformation noch nicht zu entziehen vermochte; es aber seit dem 19. Jahrhundert als kanonische Urkunde im Protestantismus noch zu konservieren, ist die Folge einer religiösen und kirchlichen Lähmung.“ (Im Original hervorgehoben.) SF, 21. SF, 22. Darum geht es Dietrich Bonhoeffer offensichtlich, wenn man vor allem an die Zeitumstände denkt, die sich beispielsweise in einer Diskussion Kirche im Kampf am 22. 06. 1933 an der Berliner Universität verdeutlichen. So ist in dem Protokoll die Aussage von einem der Hauptredner Prof. Fabricius, einem Mitglied der Deutschen Christen, zu finden, die nach Bonhoeffers Verständnis lautet: „Die Hauptaufgabe der Deutschen Christen bestehe in der innigen Verschmelzung des Volkslebens mit dem Evangelium. Diese Aufgabe habe eine doppelte Seite: erstens müsse das deutsche Volk christianisiert werden, durch das reine Evangelium. […] Die zweite Seite der Aufgabe bestehe in der Reinerhaltung des deutschen Evangeliums. Das bedeute Verkündigung der Frohen Botschaft der Gotteskindschaft. Dieser sollten wir entgegenjauchzen wie alle Indogermanen und nicht vor dem Kreuz erschrecken. Die Reinerhaltung bedeute aber auch Abwehr einer Judaisierung. Das A.T. sei dem N.T. untergeordnet und komme nur soweit in Betracht, als es Zuchtmeister zu Christus hin sei. Durch die dialektische Theologie bestehe die Gefahr, in alttestamentliche Bahnen zu kommen, wenn sie, die nach ihrer eigenen Meinung nur eine Anmerkung zum Text der Theologie sei, selbst zum Text werde.“ (B, 83f.)
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„Die Kirche redet in der alten Welt von der neuen Welt. […] Die Alte Welt läßt sich [aber] nicht gern tot sagen. […] Aber das andere muß die Kirche freilich in helle Empörung bringen, daß diese Kinder der vergangenen Welt, die Kirche, das Neue für sich in Anspruch nehmen wollen. Sie wollen das Neue und kennen nur das Alte. Und sie verleugnen so Christus, den Herrn.“341
Nur indem Bonhoeffer Altes und Neues als Einheit denkt, indem er das Alte vom Neuen und das Neue vom Alten Testament her liest, kann seiner Ansicht nach Gottes Wahrheit erkannt werden. In letzter Konsequenz bedeutet das: „Die Kirche sieht darum den Anfang nur noch im Sterben, vom Ende her. Sie sieht die Schöpfung von Christus her; besser, sie glaubt in der gefallenen, alten Welt an die neue Schöpfungswelt des Anfangs und nicht des Endes, weil sie an Christus glaubt und an sonst nichts.“342
Mit Luther kann Bonhoeffer eben dieses auch in der Lichtmetapher ausdrücken: „In ihm haben wir das Licht, mit dem wir ins Alte Testament hineinleuchten.“343 Das heißt pointiert: In Christus zeichnet sich bereits in der Schöpfung das Vergehen der alten Welt ab; der Christ erkennt sich in Christus als zwar dieser alten, gefallenen Welt zugehörig und doch ist in diesem Sterben schon die neue Welt inbegriffen, die Welt in Christus. Bonhoeffer setzt hier Anfang und Ende demnach in Christus in eine eigentümliche Relationalität, die es später noch genauer zu untersuchen gilt;344 grundsätzlich aber macht er bereits an dieser Stelle unumwunden klar, dass Anfang und Ende, Schöpfung, Tod und Auferstehung, Altes und Neues Testament zusammen zu lesen sind. Zieht man zum Vergleich Martin Kähler heran, zeigt sich: Ähnlich wie Bonhoeffer betont auch er gegen die Ausscheidung des Alten Testaments, die Schrift als Einheit aufzufassen und darzustellen. In der dritten These seines Aufsatzes Jesus und das Alte Testament äußert er sich dezidiert dazu: „Das Heilandswerk Jesu ist in der Geschichte Israels planvoll vorbereitet und durch die in der heiligen Schrift des Alten Bundes niedergelegte Erkenntnis dieser Vorbereitung in seiner offenbarenden Bedeutung bedingt.“345 Schon damit wird deutlich, was oben kurz angesprochen wurde,346 die göttliche Heilsgeschichte offenbart sich für Kähler in beiden Testamenten, im Alten wie im Neuen, weil „Jesus […] den Kanon der Juden zu einer fortan stetig unmittelbar wirkenden Macht in der Geschichte der Menschheit gemacht“ hat.347 Indem „die alttestamentliche Of341 SF, 21. 342 SF, 21f. 343 JuS, 397f. Cf. WA 39 II, 219, 13: „Nos habemus novum testamentum, lucernam illuminandi veteris testamenti.“ 344 Cf. § 4.1.1. 345 Kähler, Jesus und das Alte Testament, 111. 346 Cf. § 2.2.2. 347 Kähler, Jesus und das Alte Testament, 111. Er fügt in der fünften These hinzu: „Das ist die
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fenbarung zur wirksamen Voraussetzung seiner inneren Entwicklung geworden ist; Messianität, Heilswerk, Universalismus […]“,348 ist das Alte Testament in dieser fortschreitenden Offenbarung die Grundlage für das Neue, für die Vollendung des Heilswerkes in Christus. Auch Bonhoeffers Doktorvater Reinhold Seeberg, neben Ernst Sellin349 und Friedrich Baumgärtel,350 konnte wenige Jahre später in ähnlicher Art und Weise, zweifelsohne wesentlich radikaler, von dem Verhältnis von Altem und Neuem Testament sprechen. Zwar müsse das AT gegen groben Nationalismus in Schutz genommen werden,351 heißt es bei ihm, zugleich sollten AT und NT aber als zwei Religionsstufen unterschieden werden, deren eine die andere überwunden habe: „Das Alte Testament hat für die christliche Lehre nur insoweit und insofern Gültigkeit, als es zu dem Neuen Testament in dem Verhältnis einer dies anbahnenden und vorbereitenden Entwicklungsstufe steht.“352 Deutlich konstatiert: Das AT ist als „Vorstufe des Christentums“353 zu sehen. Dass Bonhoeffers Auslegung des Alten Testaments sich dagegen verwehrt, wird augenscheinlich, wenn er in seinem Vorwort zu Schöpfung und Fall fortfährt: „Das Neue ist das wirkliche Ende des Alten; das Neue aber ist Christus. Christus ist das Ende des Alten. Nicht Fortführung, nicht Zielpunkt, Vollendung auf der Linie des Alten, sondern Ende und darum das Neue.“354 Aber setzt er deswegen Altes und Neues Testament im Sinne der protestantischen Orthodoxie, wie oben angezeigt beispielsweise Karl Brettschneiders, vollkommen in eins? Bonhoeffer macht diesen Umstand hinreichend klar: Beide sind nicht voneinander zu trennen, dann auch weder in einer Stufung, noch in einer Entwicklung. Mit Wilhelm Vischer355 kann er darum sagen: Das Alte Testament zeugt vom Neuen, da „der Gott der Schöpfung, des schlechthinnigen Anfangs […] der Gott der Auferstehung ist. Die Welt steht von Anfang an im Zeichen der Auferstehung
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Folge davon und hat sich so vermittelt, daß dieser Kanon die Bibel Jesu bis an das Kreuz hinan und nach seiner Auferstehung war und deswegen auch die Bibel seiner Boten blieb und die Bibel aller von ihnen gegründeten Gemeinden wurde.“ Kähler, Jesus und das Alte Testament, 112. Cf. Sellin, Das Alte Testament und die evangelische Kirche, 84–93. Cf. Baumgärtel, Die Bedeutung des Alten Testaments, 15. Cf. Seeberg, Christliche Dogmatik II, 424. Seeberg, Christliche Dogmatik I, 240. Seeberg, Christliche Dogmatik I, 241. SF, 21. Cf. Barths Rede vom telos als Erfüllung: „Mit diesem ‚Ist Gott für uns!‘ ist gesagt, was über Erfüllung, Erlösung, Vollkommenheit, Herrlichkeit, über die unanschauliche Mitte gesagt werden kann, gesagt werden muß: Der Anfang und das Ende ist ‚Gott Alles in Allem‘ (I Kor. 15, 28).“ (Barth, Römerbrief, 339.) Cf. Vischer, Das alte Testament als Gottes Wort, 388: „So unsinnig es erscheinen mag, der Auslegung des ersten Buches Mose den Osterglauben zugrunde zu legen, so sinnvoll und sachlich notwendig ist es. Denn die Osterbotschaft ist die Bestätigung der Schöpfungsbotschaft und die Schöpfungsbotschaft die Voraussetzung der Osterbotschaft.“
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Christi von den Toten.“ Und das heißt für Bonhoeffer im Umkehrschluss aber auch dieses: „[W]eil wir um die Auferstehung wissen, darum wissen wir um die Schöpfung Gottes am Anfang, um das Schaffen Gottes aus dem Nichts.“356 Altes und Neues Testament sind nicht zu trennen, gleichsam sind sie aber auch nicht synonym zu betrachten. Vielmehr, so scheint es, handelt es sich für Bonhoeffer eher um eine Beschaffenheit ähnlich einem Vexierbild: Keines ohne das andere, beide aber getrennt voneinander. Im Vergleich zu Brettschneiders Forderung wird jedoch deutlich, es handelt sich bei Bonhoeffers Gleichstellung gerade nicht um eine Nivellierung des einen zugunsten des anderen, aber auch gegen Kähler (Seeberg, Baumgärtel und Sellin) nicht um eine Überbietung des Alten Testaments, wenn auch innerhalb eines heilsgeschichtlichen Schemas. Denn, so zeigt er auf, „[d]as AT hat prinzipiell keine andere Stellung als das NT, steht zu diesem zwar im Verhältnis von Verheißung und Erfüllung, Gesetz und Evangelium, aber in beiden wird das Wort Gottes vernommen. ‚Dasselbe gestern und heute.‘ (Barth).“357 Es ist damit offenkundig angezeigt: In der üblichen schroffen Forderung Barths, „vor allem den Begriff des Kanons wieder kaltblütig ernstnehmen [zu] lernen, das Alte und Neue Testament durchaus nicht als irgendeine fromme Literatur [zu] lesen, was jeder Philologe oder Religionshistoriker auch kann“,358 ist es auch Bonhoeffer daran gelegen, dem Kanon wieder zu seiner Autorität zu verhelfen. Schon in seinem Referat zur Schriftauslegung zieht er zwar Konsequenzen aus dieser Forderung, folgt aber noch nicht diesem Diktat, den Kanon in seiner Fixierung prinzipiell anzunehmen und keine Gewichtung innerhalb der Schrift vorzunehmen, wie das Luther – nach Barth in selbstherrlicher Weise – getan habe.359 356 357 358 359
SF, 33. JuS, 321. (Bonhoeffers Zitation bezieht sich auf: Barth, Schriftprinzip, in: GA III.19, 514.) Barth, Menschenwort und Gotteswort, in: GA III.19, 454. Cf. Barth, Schriftprinzip, in: GA III.19, 512ff.: „Als die Kirche sich durch Übernahme des alttestamentlichen Kanons als Rechtsnachfolgerin der Synagoge erklärte, da hat sie den Unterschied der christlichen und der israelitischen Religion zwar wahrhaftig erkannt, aber als relativ erkannt gegenüber der Einheit der Offenbarung, die sie bei Mose und den Propheten und bei den Aposteln zu vernehmen meinte. Mögen die Religionen sich entwikkeln, differenzieren und ablösen, mag der einzelne Leser im Blick auf sein Verständnis unterscheiden zwischen der Mitte und den Rändern in der Bibel, zwischen dem, was er ‚erlebt‘, und anderem, das er nicht ‚erlebt‘ hat, zwischen dem, was seines Erachtens ‚Christum treibet‘, wie Luther gesagt hat, und Anderem, wo seines Erachtens solches zu vermissen ist, prinzipiellen Charakter dürfen die Unterscheidungen, die sich aus solchen Erwägungen ergeben, gerade nicht haben. Bei Gott gilt nicht Mehr oder Weniger, sondern Entweder-Oder. Die reformierte Kirche hat auf diese Bestimmung von jeher besonderen Nachdruck gelegt. Sie hat Luthers selbstherrliche Weise, sich auf Grund einer höchst individuell bedingten Dogmatik eine Art Bibel in Auswahl zurechtzumachen, grundsätzlich nicht gutgeheißen, und wir meinen, daran habe sie wohlgetan. Die Differenz zwischen Propheten und Aposteln, zwischen Matthäus und Johannes, zwischen Römerbrief und Jakobusbrief ist vorhanden,
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Christus gilt ihm hier als der Maßstab aller Auslegung und damit als jener aller Beurteilung der Schriften:360 „Weiß ich, daß ich Christus und den Geist habe, so bin ich Herr der Schrift, denn ich habe ja die schöpferische Kraft aus dem Geiste in mir, aus der ich ‚neue Dekaloge schaffen kann‘. So ist die Schrift ihr eigener Maßstab; aus der Schrift über die Schrift. Damit wankt die Autorität des Kanons. Es kann nicht ein einzelner Brief wie der des Jakobus eine solche Autorität haben, daß man drüber die doctrina fidei verlassen dürfte; also wahrhaftig keine Wortinspiration, sondern prinzipielle Offenheit des Kanons nach dem Maßstab des Geistes.“361
Mit Christus als der einzigen doctrina fidei bestimmt sich für den jungen Studenten der Kanon aus sich selbst, allein nämlich vor seinem eigenen, einzigen Inhalt, der Christus ist, rechtfertigt sich die Schrift selbst, setzt sie sich selbst. Anders gesagt: Aus Christus heraus wird die Schrift je selbst neu Wort Gottes, ohne sich an eine vorgegebene Einheit zu binden. Nicht ein vorher bestimmtes Buch soll für Bonhoeffer die Autorität der Schrift, d. h. Christi, sichern, diese Angst scheint Bonhoeffer an das barthsche Bibelverständnis heranzutragen, sondern im Geist Christi soll der Gläubige über das lutherische „Was Christum treibet“ entscheiden.362 Wie Edward van’t Slot dies deutlich herausstellt, scheint es Bonhoeffer bereits in jungen Jahren nun darum zu gehen, die Offenbarung Christi nicht als allgemeine, überzeitliche Wahrheit zu verstehen, hingegen jedoch zu betonen, dass dieselbe eine beständige und andauernde Begegnung mit der Person Jesus Christus ist, d. h. eine relationale und gerade nicht statische Begegnung.363 Bonhoeffers Zurückhaltung gegenüber Barths Verständnis des biblischen Kanons fasst sich damit genau darin zusammen, wie das schon in der Auseinandersetzung mit beispielsweise der Lehre der Verbalinspiration zu sehen war und dies im Folgenden noch näher herauszuarbeiten ist,364 dass
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aber sie ist die fließende, bewegliche zwischen Verheißung und Erfüllung, zwischen Gesetz und Evangelium, die beide Gottes sind. […] Die Offenbarung ist eine. Das Wort Gottes hat keine Geschichte. Es geschieht, aber dasselbe gestern und heute [vgl. Hebr. 13, 8].“ Cf. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 87f. Wendel spricht sich hier dagegen aus, dass Bonhoeffer sich der barthschen Forderung in aller Radikalität anschloss. Sicherlich ist zu konstatieren, dass dies in seinen Jahren als Student nicht der Fall war, wovon sein Referat zur Schriftauslegung beredt Zeugnis gibt. Es scheint aber doch so zu sein, dass er mit der genuin lutherischen Forderung des solus Christus dem Diktum Barths mehr und mehr nachkam, wenn er schon in Schöpfung und Fall dezidiert alles von und auf Christus hin liest. Cf. JuS, 321 (Anm. 8): „Wir wenden uns hiermit gegen das reformierte Schriftprinzip Calvins und seine Repristination durch Barth, das den Begriff des Kanons über die individuelle Aussage Luthers stellt. Wir wissen, daß Luther einen sehr kühnen Schritt tut, aber wir wissen auch, daß es im Interesse evangelischen Glaubens liegt, ihn mitzutun.“ JuS, 398. Cf. Slot, The Freedom of Scripture, 105. Cf. Slot, The Freedom of Scripture, 111. Cf. § 4.2.1.
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Christus auch und gerade hinsichtlich der Frage nach dem Kanon nicht einer formalen Vorstellung geopfert werden darf. Zugespitzt formuliert heißt das: In der Schrift begegnet uns der Eine, menschgewordene, gekreuzigte und auferstandene Gott, in seiner ganzen Person und damit in seiner ganzen Aktualität und gerade nicht als überzeitliche Idee einer schriftgewordenen Gottesvorstellung.365 In seinen akademischen Jahren jedoch scheint sich dieses Verständnis einer eher lutherischen Autorisierung des Kanons aus seinem Inhalt augenscheinlich immer weiter in Richtung der barthschen Forderung der Wahrung der Einheit der Schrift in all ihrer Radikalität zu verschieben. Bereits in seiner Auslegung der Genesis findet sich dazu eine Begründung, die ihm in den folgenden Jahren fundamental erscheinen wird: „Die Kirche […] liest […] die ganze heilige Schrift als das Buch […] von Christus.“366 Nicht nur einige Bücher, nicht manche mehr und andere weniger, alle Bücher sind von Christus her und auf ihn hin zu lesen. Darin besteht die basale und unhintergehbare Forderung des jungen Berliner Dozenten Dietrich Bonhoeffer. Die Schrift ist eine, das zeigt sich bereits im ersten Wort Gottes, welches das Licht hervorbringt, denn schon im „Wort von der Finsternis auf der Tiefe [war] der erste Hinweis auf die Passion Jesu Christi […].“367 In der untrennbaren Verbindung von Altem und Neuem Testament in Christus ist ein Ausschluss biblischer Schriften infolgedessen nicht zu denken. Deutlich wird diese Tendenz bonhoefferscher Begründung der Kanonizität der Schrift dann in dem Umstand, dass er auch schwer zugängliche Passagen gerade des Alten Testaments nicht scheut auszulegen. Beispielsweise auch und besonders der Rachepsalm 58, den Friedrich Baumgärtel als für das Christliche unerträglich sieht,368 weist ihm mit aller Deutlichkeit auf Christus, auf den Gekreuzigten hin, in welchem allein dieser Psalm gebetet werden dürfe.369 Was aber ist geschehen, dass Bonhoeffer diese Begegnung des Gläubigen mit seinem Herrn nun doch formalisiert an eine überzeitliche Auswahl biblischer Bücher binden will? Hatte er möglicherweise Angst, wie er das beredt in seiner Ansprache in Gland auf der internationalen Jugendkonferenz 1932 betont, einem selbsterdachten Christus in den Schriften aufzusitzen, d. h. nicht tatsächlich 365 Ob Bonhoeffer damit freilich Barths Verständnis des Kanons trifft, steht auf einem anderen Blatt. Eine weiterführende Untersuchung findet sich dazu bei Slot: The Freedom of Scripture, 103–113. 366 SF, 22. (Hervorhebung d. Verf.) 367 SF, 41. (Im Anklang an Joh 1,7.) 368 Cf. Baumgärtel, Die Eigenart alttestamentlichen Frömmigkeit, 45. 369 Cf. ITAF, 980–988. Dazu 988: „Und nun beten wir diesen Psalm mit, in demütigem Dank, daß uns Errettung geschenkt ist vom Zorn durch das Kreuz Christi; in der inbrünstigen Bitte, Gott wolle alle unsere Feinde unter das Kreuz Christi bringen und ihnen Gnade schenken, in brennendem Verlangen, der Tag möchte bald kommen, an dem Christus sichtbar über alle seine Feinde triumphiert und sein Reich aufrichtet. So haben wir den Psalm beten gelernt.“
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dem Herrn dort zu begegnen, sondern einem Doppelgänger seiner selbst? 370 Korrigierte Bonhoeffer deshalb sein anfängliches Verständnis der sich selbst setzenden Autorität der Schrift, weil er erkannte, dass diese von ihm geforderte Gegenwärtigkeit allzu leicht eine Gegenwärtigkeit auf der Seite des Gläubigen, nicht aber auf Seiten Gottes sein konnte? 371 Solche Hinweise finden sich des Öfteren gerade um 1932, als sich sein Schriftumgang seiner Ansicht nach folgenreich zu ändern begann.372 Es handelt sich damit offenbar um eine Verschiebung von Bonhoeffers Verständnis des biblischen Kanons von einem zunächst eher lutherischen Umgang, nach welchem die Schrift sich an Christus messen lassen müsse, hin zu einer Erkenntnis, dass sich in allen Schriften Christus finden lasse – und das vor allem in Bezug auf das Alte Testament, das ihm im Gegensatz zu seinen Kollegen augenscheinlich immer lieber wurde.373 Nach seiner Lesart Barths folgt er damit aber auch nicht dessen offenbarungspositivistischem374 – wie er es nennt – Gebrauch des Kanons, sondern scheint einen Mittelweg zwischen Luther und demselben einschlagen zu wollen, indem er Christus als das Auslegungsprinzip der ganzen Schrift zugrunde legen will. Das wiederum ist freilich dann auch nicht einem etwaigen Formalprinzip einer orthodoxen Bibelauslegung gleich, sondern soll allein in und durch seinen Inhalt fundiert sein.375 Christus ist der Inhalt, lutherisch gesprochen die Mitte der Schrift, von dem her alle Schrift zu lesen ist, zugleich bedeutet das aber keine Gleichsetzung aller Schriften in ihrer Bedeutsamkeit für den Glauben und die Welt.376 Für Bonhoeffer ist es damit 370 Cf. ÖUP, 353. 371 Cf. Slot, The Freedom of Scripture, 107. 372 Cf. ÖUP, 353; ITAF, 146f. Es bleibt jedoch offen, ob sich diese Veränderung tatsächlich so drastisch vollzog, wie Bonhoeffer das in der Retrospektive zu erkennen meint (cf. ITAF, 112f.), oder ob man nicht annehmen muss, dass eine solche Veränderung bereits in seiner frühen Theologie angelegt ist. Bonhoeffer nämlich betont doch immer schon und bis zuletzt eine christologische Perspektive, die sich aber vor allem in der mittleren Phase seines Lebens verstärkt als theologia crucis ausbuchstabiert. (Cf. dazu schon AS, 140.) Darauf weist auch Edward van’t Slot in seinem Aufsatz hin. (Cf. Slot, The Freedom of Scripture, 112.) 373 Dass sich diese Tendenz in den folgenden Jahren steigert, zeigt wohl auch die vermehrte Meditation und die Hervorhebung der Arkandisziplin und der Kategorie des Geheimnisses. (Cf. WE, 415.) 374 Er setzt an dieser Stelle gegen Barth: „‚[F]riß, Vogel, oder stirb‘; ob nun Jungfrauengeburt, Trinität oder was immer ist, jedes ist ein gleichbedeutsames und notwendiges Stück des Ganzen, das eben als Ganzes geschluckt werden muß oder garnicht. Das ist nicht biblisch.“ (WE, 415.) 375 In einem Brief vom 05. 05. 1944 schreibt er an Eberhard Bethge dazu: „Es gibt Stufen der Erkenntnis und Stufen der Bedeutsamkeit; d. h. es muß eine Arkandisziplin wiederhergestellt werden, durch die die Geheimisse des christlichen Glaubens vor Profanisierung behütet werden.“ (WE, 415.) 376 Zum ersten Mal verwendet Bonhoeffer arcanum in seiner Vorlesung Zum Wesen der Kirche (Cf. ÖUP, 285); auch in seiner Nachfolge (Cf. N, 40f.) und in der Finkenwalder Katechetik (Cf. ITAF, 546–551.) geht er darauf ein.
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entscheidend, in der Schrift Christus als Person anzutreffen, von dem aus die Schrift in ihrer aktuellen Bedeutung je neu ihre Auslegung findet. Wie genau das jedoch zu verstehen ist, muss freilich noch eingehender untersucht werden.377 Damit ist in einem weiteren Schritt auch einer spekulativen Ergründung einzelner Stellen gewehrt, wie sie nicht nur in der protestantischen Orthodoxie des Öfteren vorgenommen wird – Ähnliches war schon bei der Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Forschung zu sehen378 –, sondern auch von pietistischer Frömmigkeit, die einzelne Bibelstellen allein als losgelöste erbauliche Spruchweisheiten nutzt.379 Wenn Christus der Begründungszusammenhang aller Schrift, jeder einzelnen Perikope, jedes Satzes ist, gilt es für Bonhoeffer auch einer Atomisierung der Schriftauslegung deutlich entgegenzugehen. Christus als Mitte ist in dieser Konsequenz auch deren Grenze.380 An ihm hat sich jede Auslegung zu prüfen, was oben schon an der Auslegung des Baumes der Erkenntnis zu sehen war, wenn ‚Gut‘ und ‚Böse‘ nicht sittlich oder moralisch etc. aufgefasst, sondern als Kennzeichen der Gottesbeziehung herangezogen werden. Ähnliches zeigt sich auch, wenn Bonhoeffer daran anschließend die Frage nach der Nacktheit verdeutlicht. Hatte Hans Schmidt den Erkenntnisgewinn als „Wachwerden des Geschlechtsinns“381 dargelegt, weil Adam und Eva sahen, dass sie nackt waren, interpretiert Bonhoeffer auch diese Nacktheit nicht per se, sondern innerhalb des Schriftzusammenhangs. Legt er zuvor tob und ra als lustvoll und leidvoll dar, muss sich diese im Fall begründete Zerrissenheit des Menschen daran anschließend „zuerst im Verhältnis des Adam zur Eva ausdrücken.“382 Wenn Eva Adams Grenze und zugleich aber Gottes Gnade ist, Adam aber nach dem Fall die Grenze nicht mehr als Gnade, sondern als „Gottes Zorn, Gottes Haß, Gottes Neid“383 wahrnimmt, muss sich das auch und gerade in der Beziehung zu Eva widerspiegeln. „[D]ie Grenze ist nun nicht mehr die den Menschen in der Einheit seiner geschöpflichen und freien Liebe haltende Gnade, sondern die Grenze ist nun Entzweiung. Mann und Weib sind entzweit […]“,384 was zum einen einen Besitzanspruch des einen auf den anderen hervorruft, zum 377 Cf. § 4.2.1. 378 Cf. § 2.1. 379 Cf. die Praxis der Herrnhuter Losungen, wie auch Zinzendorfs Ausspruch, dass „die Bibel ein Lexicon sey, darinnen wir alles auffschlagen, und finden können, was wir in Lehr und Wandel täglich und stündlich brauchen.“ (Zinzendorf, Büdingische Sammlung II, 284.) Wallmann verwehrt sich dennoch dieser Auslegung bei Zinzendorf, habe doch gerade dieser wie kaum ein anderer Pietist die Bibel christologisch, sogar christozentrisch gelesen. (Cf. Wallmann, Pietismus-Studien, 256.) 380 Cf. Slot, The Freedom of Scripture, 121. 381 Schmidt, Paradies und Sündenfall, 22. 382 SF, 115. 383 SF, 115. 384 SF, 115.
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anderen aber auch das Bedürfnis des Bekleidens erweckt.385 Zugleich weiß Bonhoeffer in der Scham des Menschen den „widerwillige[n] Hinweis auf die Offenbarung“386 zu sehen, welche es darum paradoxerweise in einer gefallenen Welt zu bewahren gilt; „nicht weil die Scham an sich etwas Gutes wäre – das ist die moralistisch puritanische, ganz unbiblische Auffassung – sondern weil sie widerwillig Zeugnis geben muß vom eigenen Abgefallensein.“387 Wenn Bonhoeffer also den Text selbst in den Mittelpunkt seiner Schriftauslegung rückt, sind für ihn mit der Schaffung Evas als Partnerin Adams nicht nur die beiden Geschlechter in der Schöpfung verankert, es ist hingegen auch deren Verhältnis zueinander bestimmt. Bonhoeffer zeigt demnach gerade mit dem biblischen Verweis auf die Nacktheit Adams und Evas auf eine weitere Ebene der Auswirkungen des Falls. In seiner dezidierten Hinwendung zu einer sich selbst auslegenden Schrift muss infolgedessen der Verweis auf diese Nacktheit eine Aussage über deren Verhältnis zueinander beinhalten. So ist auch hier wieder die Methodik zu erkennen, die schon in der Gegenüberstellung Bonhoeffers mit Schmidt zu sehen war:388 Bonhoeffer fragt nach dem Sinn-, nach dem Textzusammenhang, der sich nicht auf diesen Vers alleine beziehen kann, sondern über diesen hinausgehen muss, der sich in der Relationalität Christi zeigt, und kommt zu dem Schluss: Gott verwirft die Menschen in der Erkenntnis ihrer eigenen Nacktheit nicht, sondern schützt diese Scham, indem er ihnen Röcke macht (Gen 3,21). Hier zeigt sich für ihn der Wille Gottes, die gefallenen Menschen zu erhalten, d. h. „er nimmt [sie] als die, die sie als gefallene sind. Er bejaht sie als gefallene.“389 Als gefallene Welt bewahrt Gott seine Schöpfung, indem er sich ihr zuwendet, sie nicht sich selbst überlässt, sondern sie auf den Tod, auf Christus hin erhält. Das gefallene Leben des Menschen ist als solches damit in dieser Lesart zwischen tob und ra „ausgerichtet und sinnvoll allein durch Christus.“390 In der Auslegung von und auf Christus verdeutlicht Bonhoeffer damit ebenso das Problem der Nacktheit, resp. der Scham, resp. der Sexualität, das sich so nicht in seiner ersten Wortbedeutung erschöpft, sondern im Bezugsrahmen ‚Christus‘ 385 Cf. SF, 116: „Der grenzenlose, der hassende, der süchtige Mensch zeigt sich nicht in seiner Nacktheit. Nacktheit ist das Wesen der Einheit, der Unzerrissenheit, des für den anderen Seins […]. Nacktheit weiß nicht um ihr Nacktsein, […] Nacktheit ist Unschuld. Verhüllung ist das Wesen der in tob und ra zerspaltenen Welt.“ 386 SF, 117. SF, 117. 387 SF, 117. Eine solche Auffassung verfolgt bspw. auch Gunkel, Urgeschichte, 61: „Nur einen Zusammenhang von Sünde und Schamgefühl der Geschlechter möge man hier nicht vermuten; weiß doch Jeder, der Kinder beobachtet, daß die Schamhaftigkeit eine Tugend und keineswegs eine Folge der Sünde ist.“ 388 Cf. § 2.1.4. 389 SF, 129. 390 SF, 129f.
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eine Bedeutungserweiterung auf die gesamte Geschöpflichkeit des Menschen erfährt.
2.2.5 Vom Ansehen des Wortes Es wurde bisher deutlich, dass sich die Frage nach der Bedeutung der Heiligen Schrift für den Protestantismus in all seinen unterschiedlichen Facetten seit jeher an der Frage nach ihrer Autorität entzündet. Dazu wurde die Zentralstellung des εὐαγγέλιον zunächst an der Verhältnisbestimmung von Wort Gottes und Heiliger Schrift untersucht, worauf sich mit der Frage der Inspiration die Auslegung der Autorität des Kanons anschloss. Denkt man in diese Richtung weiter, ergibt sich daraus die Frage nach der lutherischen Forderung des sola scriptura in ihrer reinsten Form, nämlich danach, wie diese Autorität der Heiligen Schrift im Umgang und in der Auslegung verbürgt werden kann. Anders formuliert, ist es nun notwendig herauszuarbeiten, mit welchen hermeneutischen Grundannahmen das urprotestantische Schriftprinzip umzusetzen versucht wird.391 Schaut man dabei zunächst auf Vertreter der altprotestantischen Orthodoxie, ergibt sich folgendes Bild: Gründete sich deren Inspirationslehre in der normierenden Autorität des Kanons, war ihnen damit ein Zugang zur Heiligen Schrift eröffnet, der die Bibel gestärkt durch den Neuaristotelismus392 zur alleinigen Instanz aller theologischen Wissenschaft und christlichen Frömmigkeit machte. War die göttliche Autorität der Schrift eine einfache Folge einer zugrundeliegenden Auffassung eines wirkungskräftigen göttlichen Wortes,393 d. h. wurde die Schrift mehr oder weniger mit der Offenbarung gleichgesetzt,394 erwies sich im Anschluss daran dieselbe per se und ohne Vermittlung oder jegliche Anerkennung durch die Kirche als göttliche Autorität und Wahrheit folgerichtig und evident.395 Mit der so dargelegten alleinigen Vormachtstellung der 391 Es ist nicht nur für diesen Untersuchungsabschnitt Martin Luthers Forderung des sola scriptura heranzuziehen, das aber in der hier notwendigen Kürze und Übersicht. Demenstprechend kann nicht näher auf Luthers Hervorhebung des soteriologischen Skopus der Schrift, seine Distinktionen zu Gesetz und Evangelium wie auch seine Betonung der Klarheit und Einheit der Schrift eingegangen werden. 392 Cf. Hägglund, Heilige Schrift, 77–81. 393 Cf. Hägglund, Heilige Schrift, 82. 394 Cf. Karpp, Art. Bibel IV, 77. 395 Dass dabei aber mit Johann Gerhard zwischen auctoritas absoluta und auctoritas relata zu unterscheiden sei, macht das eigentliche Problem der Anerkennung der Schriftautorität evident. In Übereinstimmung mit der Papstkirche eignete die Schrift selbstverständlich absolute Autorität, strittig war hingegen die Frage, ob selbe zugleich von der Kirche oder anderen äußeren Zeugnissen hergeleitet werden könne, oder eben doch nur aus sich selbst heraus. Cf. dazu auch Hägglund, Heilige Schrift, 83f. (Hägglund verweist auf: Mentzer, Balthasar, Opera latina. Tom. I–II, Frankfurt 1669, I 9a. II 36 b.)
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Schriftautorität war diese Schrifteinheit eine Tatsache, „sofern sie sich in einem Schriftkerne der hellen Stellen darstellt und die Schrift nur sich selbst auslegen kann […]“,396 wie Ludwig Diestel das so schön formuliert. Mit anderen Worten: In der ihr eigentümlichen perspicuitas, welche anhand der seipsam interpretandi facultas auch den dunklen Stellen Licht spendet, und der damit verbundenen Widerspruchslosigkeit ist es für die Orthodoxie einzig sachgemäß, über diese Texte hinaus keine weiteren Offenbarungsquellen anzunehmen.397 Diese Forderung der Absolutheit der Schrift nun findet sich gegründet in dem Grundaxiom des orthodoxen Denkens, nämlich der Hinwendung zur Metaphysik mit einer Lehre vom Sein in allem, was ist. In der aristotelischen Bestimmung eines alles umfassenden Seienden fand man dort jegliche Wirkursache, jedes Gestaltungsprinzip und jedes Gestaltete an sich sowie dessen Ziel in eine universale Wahrheit eingeordnet, woraus auch christlich eine solche universal aussagbare Wahrheit in Anspruch genommen werden konnte. Indem die Schrift nun als Instrument des lebendig redenden Gottes gesehen wurde, erkannte dieser orthodoxe Schriftumgang in forma wie materia den redenden Gott selbst, sodass nicht nur eine Irrtumslosigkeit gefordert wurde, sondern darüber hinaus auch die Schrift als Prinzip der Erkenntnis mit absoluter Autorität in allen Dingen gesetzt werden konnte.398 Offensichtlich schloss sich daran freilich die oben schon dargelegte Einheit der Schrift an, zugleich war damit aber auch einer jeglichen Zurückweisung lutherischer Schriftkritik Tür und Tor geöffnet. Mit der Begründung, dass es nur ein Heil gebe und dementsprechend auch nur einen Heilsweg,399 findet man zudem beispielsweise bei Johann Quenstedt Gottes Willen in Jesus Christus, den er als nucleus, medulla, scopus seu centrum der ganzen Schrift erkennt,400 als alleiniges Axiom aller Schriftauslegung wie auch des ganzen Glaubens. Zwar scheint hier das lutherische Erbe noch immer auf, zugleich wird es aber durch 396 Diestel, Geschichte des AT, 368. 397 Cf. Greschat, Orthodoxie und Pietismus, 11f. 398 Cf. Baur, Johann Gerhard, 102; 109f. Dieser Tendenz stand zum Beispiel Emil Brunner sehr kritisch gegenüber. Brunner, Biblizismus, 153: „Es gibt aber auch einen falschen Biblizismus. Es gab ihn im Zeitalter der protestantischen Orthodoxie, es gibt ihn auch heute wieder in der Gestalt der Lehre, daß die Bibel einzig Quelle und Norm aller Wahrheit überhaupt sei. […] Es gibt ja unleugbar auch Wahrheit, die nicht in der Bibel steht und um die sie sich gar nicht kümmert. […] Es gibt nun einmal Dinge der Welt, die zu erforschen Sache unserer natürlichen Erkenntnismittel ist. […] Die Bibel ist nun einmal nicht und will nicht sein ein Lehrbuch weltlicher Wissenschaft.“ 399 Cf. Rambach, Instinstitutiones Hermeneuticae, 91: „[O]s omnium [Scriptorum, Anm. Verf.] unum, & summus in praecipius doctrinae captibus. Accedit, quod ob communem omni tempore modum perveniendi ad salutem una etiam semper fuerit veritatis doctrina, quae illum modum commonstravit.“ 400 Cf. Quenstedt, Theologia didactico-polemica, 56.
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eine Lehre, welche die Heilige Schrift als Prinzip aller Theologie wissen will,401 deutlich eingeschränkt. Indem nämlich Johann Gerhard mit der neuaristotelischen Wissenschaftslehre den Begriff des Prinzips in die Theologie aufnahm und anwandte, gewann man eine fundierte Grundlage, um die Schrift zur Quelle aller nachkommenden Theologie zu machen. Grundsätzlich galt damit die Bibel als unmittelbar gegeben und damit keines Beweises bedürftig, nicht hinterfragbar, wahr, widerspruchslos und voll genügsam, was die Begründung ihrer Autorität als einer norma und regula, wie es in der Konkordienformel heißt,402 hin zu einem Prinzip und einer übernatürlichen Quelle wandelte.403 Es ist infolgedessen deutlich, dass sich durch eine solch geartete Lehre von der Schrift auch das lutherische sola scriptura zum tota scriptura verschob. Nun wurde nicht nur zwischen kanonischen und deuterokanonischen Schriften nicht unterschieden, sondern auch zwischen Neben- und Hauptsache, Adiaphora und Heilsnotwendigkeit nicht differenziert, also zwischen solchen, die nicht zu glauben notwendig seien und dementsprechend nicht den Inhalt des Glaubens bildeten, und solchen, die eben als die Grundaxiome des Christentums gelten, seien alle doch in der Heiligen Schrift göttlich eingegeben.404 In der Proklamation einer Panharmonie der Schrift, die es mit den res revelatae zu tun habe, wurden sodann mit der Verbalinspirationslehre diese res als regula fidei erkannt, welche nicht als kirchliche Satzung, sondern als der Inbegriff der in den klaren Stellen enthaltenen Dogmen galt.405 Wurde die pietistische Redeweise in die Nähe zum orthodoxen Dogma der Theopneustie gestellt, kann man in einem weiteren Schritt auch für den Pietismus die Schrift als vom Heiligen Geist eingegeben und vollkommen deklarieren. Ihre Autorität ist auch hier unhinterfragbar gegeben406 und erweist sich als ein erstes, keines Beweises bedürftiges Prinzip, womit zugleich ebenso die Unter401 Cf. Gerhard, Loci theologici I,1: „[P]rincipii ἐργασία primum sibi jure vendicat locum, quippe ex cujus cognitione dependent reliqua.“ Cf. Hägglund, Heilige Schrift, 138. 402 Cf. FC, 767: „De compendiarum regula atque norma, ad quam omnia dogmata exigenda, et quae inciderunt certamina pie declaranda et componenda sunt. “ (Im Original hervorgehoben.) 403 Cf. Wallmann, Pietismus-Studien, 251f. 404 Cf. Elert, Der christliche Glaube, 172. Auch Martin Kähler äußert sich kritisch bezüglich dieser von außen auferlegten Harmonie, die ihm nicht sinnvoll erscheint. Kähler, Der sogenannte historische Jesus, 15: „Dem Stichworte nach sind das die Verhandlungen über die Inspiration; wie die Sache wirklich liegt, betreffen sie vielmehr die durch Verbalinspiration verbürgte Irrtumslosigkeit der Bibel auch in den Nebensachen.“ 405 Cf. Diestel, Geschichte des AT, 368. 406 Das lässt sich beispielsweise zum Teil in den Vorreden zur Bibel als Aneinanderreihung nach der Methode der dicta probantia der lutherischen Orthodoxie darstellen. Cf. Quack, Evangelische Bibelvorreden, 241ff.
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scheidung zwischen Haupt- und Nebensache fällt. Wenn die Orthodoxie damit aber besonders die reine Lehre der Schrift als Dogma in den Mittelpunkt gerückt haben will, gilt es dagegen beispielsweise für Philipp Spener, daraus eine Aktivierung des allgemeinen Priestertums zu betonen407 und gegen ein falsches Vertrauen auf die Gnadenmittel Wort und Sakrament eine gottgewirkte Besserung aus der Heiligen Schrift zu setzen,408 die eine Erbauung des inneren Menschen sowie das wahre Christentum an den Tag bringen werde.409 Ein dezidierter Einwand gegen einen solchen Bibelgebrauch findet sich bei Martin Kähler, der sich mit deutlichen Worten gegen die „Behauptung des inspirierten Wunderbuchstabens“ verwehrt, da eine solche Redeweise seiner Meinung nach nur eine Abwehr aller deistischen und historisch-kritischen Beanstandung in Form einer „feste[n] Schanze“ sei.410 War in seiner Einschätzung damit nicht mehr nur einer vom richtigen Weg abgekommenen Kirche zu widerstehen, musste nun auch einer offensichtlich lästerlichen Denkweise über Gott und Welt gewehrt werden. Dass die Bibel nämlich mit der Lehre von der Verbalinspiration als „Wunderbuch“ feilgeboten wurde, dem „auf sehr willkürlichen und zufälligen Wegen Entscheidungen für alle schwierigen Lebensfälle zu entnehmen“411 seien, konnte Martin Kähler nicht unterstützen, fand er doch „keine theologische Betrachtung […], die es berechtigt erscheinen ließe.“412 Ähnliches ist auch zu sehen bei Dietrich Bonhoeffer. Augenscheinlich ist die vorbehaltlose Forderung des sola scriptura für ihn das Axiom ebenfalls allen christlichen Glaubens und aller theologischer Wissenschaft. Sah die Orthodoxie wie auch der Pietismus in der Inspiration der Schrift das „eigentliche und eine Prinzip der Theologie“ und darin selbstevident ihre eigene „Erkenntnisquelle […]“,413 die daraus erwachsend eine jede Vernunftwissenschaft ihr selbst unterwarf, verwehrte sich Bonhoeffer dieser Herangehensweise an die Heilige Schrift dezidiert. So geht es ihm zu allererst nicht darum, die Bibel diesem Dogma zu unterwerfen, das in der Ausbildung „der Lehre von der efficacia Spiritus Sancti in cordibus“414 seine eigene Wissenschaftlichkeit mit der aristotelischen Forderung einer zugrundeliegenden Norm bestätigt hatte. Im Gegenteil will er gerade nicht eine solche Autorität der Schrift behaupten, die im toten Buchstaben das
407 408 409 410 411 412 413 414
Cf. Spener, Pia Desideria, 104–110. Cf. Spener, Pia Desideria, 47–56. Cf. Wallmann, Spener, 213ff.; Wallmann, Spener und die Anfänge des Pietismus, 243ff. Kähler, Der sogenannte historische Jesus, 15. Kähler, Unser Streit um die Bibel, 39. Kähler, Unser Streit um die Bibel, 39. JuS, 327. JuS, 327.
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göttliche Wort erstarren lässt, um damit zuletzt eine ewige Vernunftwahrheit herauszukristallisieren.415 Grundsätzlich – das wurde oben schon gezeigt416 – gilt ihm die Schrift zuvörderst als historisches Dokument, das mit seinen Autoren in deren jeweiliger Zeit und deren jeweiligem Erkenntnisstand begrenzt ist. Zugleich ist dieses Buch auch nicht als ein Buch unter anderen zu sehen, sondern als das durch den Heiligen Geist inspirierte Wort Gottes. Nur in dieser Spannung,417 darauf kann der junge wie der alte Bonhoeffer hinweisen, gilt es die Heilige Schrift zu sehen, weshalb sie ihre Autorität dann wiederum nicht aus irgendeinem hermeneutischen Prinzip erfährt, das vor eine jede Schriftauslegung gesetzt wird, sondern allein aus sich selbst. Wie aber ist das zu verstehen? Hatte Martin Luther gegen die Auslegungsinstanz der Tradition und des kirchlichen Lehramtes die Schrift als klar und zuletzt als ihren eigenen Interpreten gesetzt, war damit im Gegensatz zum orthodoxen Schriftprinzip keine Abgrenzung einer von allen anderen menschlichen Schriften unterschiedlichen Offenbarungsqualität proklamiert.418 Auch wenn Bonhoeffer, wie bereits erarbeitet,419 nicht der Offenheit einer lutherischen Kanonizität folgen wollte, war es ihm dennoch darum, in der Proklamation einer Einheit der Schrift dem solus Christus als alleiniger Auslegungsmaxime Geltung zuzuschreiben. Nicht nur in der Frage der Kanonizität der Schrift, sondern insbesondere in der Normierung dieser als Wort Gottes galt ihm Christus als alleinige Möglichkeit einer Erkenntnis Gottes. Anstatt aber einem Prinzip, das in der Orthodoxie wie auch dem Pietismus zu einer leeren Parole verkommen war, zu folgen, ging es Bonhoeffer strikt darum, die Schrift in der Verbindung mit der Kirche auszulegen. Wie schon des Öfteren angezeigt, schreibt er genau dieses in Schöpfung und Fall: „Die Kirche der heiligen Schrift – und es gibt keine andere ‚Kirche‘ – lebt vom Ende her. Darum liest sie die ganze heilige Schrift als Buch vom Ende, vom Neuen, von Christus.“420
415 Cf. auch Bonhoeffers Abwendung in seinem Referat zur Schriftauslegung: JuS, 306. 416 Cf. § 2.1. 417 Cf. auch JuS, 320: „Das ist durchgängig, die Schrift ist nur für die Historie Quelle, für die Pneumatik ist sie Zeugnis. Das beruht letztlich auf dem Satze, daß die Inspiration der biblischen Autoren sich nie auf Tatsachen erstrecken kann, sondern nur auf deren Deutung und Erkenntnis. […] Also in diesen Rahmen wird die historische Kritik eingespannt. Die entstandene Spannung ist das notwendige Charakteristikum pneumatischer Auslegung, d. h. daß einmal durchaus das Ungleichzeitige, Historische, Zufällige erkannt und anerkannt werden muß, zugleich aber das Gleichzeitige als das Wesentliche immer herausgestellt werden wird. Mit dieser Spannung befinden wir uns mit unserer Auslegung in genau derselben Lage wie die Schreiber der Heiligen Schrift selbst (cf. Lk. 1,1ff.).“ 418 Cf. Wallmann, Pietismus-Studien, 251. 419 Cf. § 2.2.4. 420 SF, 22.
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Zunächst ist damit deutlich hervorgehoben: Kirchliche Lehre und Schrift sind nicht voneinander zu trennen, das eine verweist auf das andere. Es kann hier nicht um ein hermeneutisches Erkenntnisprinzip gehen, welches als ‚Übersetzungshilfe‘ an die Schrift angelegt wird, um deren Inhalt in vorgefertigte Erkenntnisformen zu bringen. Dahingegen verwehrt sich diese Auslegungsmethode ebenso einer individuellen und subjektiven Herangehensweise an die Schrift, die alles Verstehen der Versauswahl und dem Erkennen des einzelnen Subjekts überlässt.421 Bonhoeffer will seine Auslegung demzufolge von zwei Seiten begrenzt wissen: durch den „Ort des Verstehens (Kirche) und [die] vorgegebene […] Einheit des Schriftganzen (Christus)“.422 Die Kirche und damit auch die Tradition haben in der Auslegung der Schrift einen entscheidenden Ort, nicht aber so, dass sie alleinige Auslegungsvollmacht besäßen, sondern dass sie den Ort des Verstehens begründen. Hier und allein hier ist „das Neue das wirkliche Ende des Alten“,423 nur in der Kirche kann von Christus als dem wirklichen Ende und dem wirklichen Neuen gesprochen werden. Nur hier kann die Schrift als Wort Gottes verstanden werden. Mit der Kirche hatte Bonhoeffer schon in seiner Habilitationsschrift Akt und Sein den Ort der Erkenntnis Gottes festgelegt: „Offenbarung ist nur in bezug auf den Kirchenbegriff zu denken […].“424 Allein in der Kirche gibt sich Gott als der zu erkennen, der er ist; allein hier kann die Christuswirklichkeit erfasst werden. Die Kirche ist demnach Voraussetzung aller theologischen Bemühungen425 und das Verbindungsglied zwischen Offenbarung und Welt, was Bonhoeffer in eine eigentümliche Nähe zum Katholizismus bringt, der selbige als Brücke von der Offenbarung in die Folgezeit erkennt.426 Gegen die Selbstherrlichkeit eines wie auch immer gearteten Biblizismus, der ohne das Dogma als unentbehrliches Korrektiv die Schrift auslegen will, muss hier die Kirche als Gestalt der Tradition und der darin verorteten Lehre als notwendiges Gegengewicht gesehen werden.427 Kirche und Dogma gehören an dieser Stelle 421 Cf. Spener, Vorrede über eine Bibel, in: Schriften VIII.2, 316. Cf. dazu Wallmann, PietismusStudien, 228–257. 422 Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 84. Wenn Ernst Wendel kritisch hervorhebt, Bonhoeffer begrenze seine Auslegungsmethode von zwei Seiten, ist dies treffend, aber zu plakativ betrachtet. Ohne genauer darauf einzugehen, was das für die Auslegung Bonhoeffers bedeutet, verweist er auf eine „eigenartige Hypostasierung des Textes in seiner vorliegenden Gestalt“ (84), die im Anschluss aber wenig aufschlussreich dargelegt wird. Cf. auch Gottfried Claß, Der verzweifelte Zugriff, 67f. 423 SF, 21. 424 AS, 107. 425 Cf. Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 141. 426 Barth hätte Bonhoeffers Mittelpunktstellung der Kirche als Offenbarungsrealität wohl als „Heimweh“ nach der katholischen Mutterkirche betitelt. Cf. Barth, Schriftprinzip, in: GA III.19, 521ff. Cf. auch SC, 309 (Nachwort). 427 Cf. KuH, 497: „Welche Bedeutung haben die theologischen Disziplinen für die Gemeinde?
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unweigerlich zusammen, dürfen nicht voneinander getrennt werden, weil das „Dogma […] als geformte Gestalt der Theologie […] nicht Selbstbekenntnis [ist, da] [k]ein Theologe […] Dogmen [macht, sondern] nur die ganze Kirche als theologisch Verantwortliche […].“428 Wenn also Theologie und Dogma zum Gottesdienst und zur Unterweisung der Gemeinde zusammenkommen, kann erst dann echtes Verstehen im Heiligen Geist geschehen. Wollte sich die historisch-kritische Forschung der Last der Dogmatik entledigen, scheiterte sie doch gerade an diesem Versuch, indem sie stattdessen ihrem eigenen Diktum zum Opfer fiel und sich selbst in die Auslegung eintrug. Auch ein individualistischer, auf die persönliche Heiligung ausgelegter Biblizismus scheint in der Forderung Bonhoeffers darin zu einer ihm selbst platzierten Falle zu werden, wenn er allein seine persönlichen Nöte aus der Welt an die Schrift heranträgt, anstatt dieselbe zu hören und selbst sprechen zu lassen.429
Exkurs zu Karl Barths Kritik eines antikonfessionalistischen Biblizismus Auch Karl Barth setzt sich in seiner Kirchlichen Dogmatik mit einem Biblizismus auseinander, der sich von jeder Form kirchlicher Bindung distanziert wissen und sein ganzes Christentum aus der reinen Bibellehre schöpfen will. Als Vorreiter eines solchen neuprotestantischen Biblizismus nennt er vor allen anderen Gottfried Menken, dem es nach Barths Lesart nicht um die Dogmatik einer wie auch immer gearteten kirchlichen Konfession geht, sondern allein um die Sache und die Wahrheit der Heiligen Schrift. Gegen eine sich selbst widersprechende und Christus uneinheitlich bezeugende Kirche und deren Lehren der Kirchenväter setze Menken auf eine Schriftauslegung, die sich explizit einzig am Alten und Ursprünglichen, d. h. an der Heiligen Schrift allein bestimmt und orientiert wissen wolle.430 Dass hier Aufklärer wie auch Gegner derselben nicht voneinander zu unterscheiden sind, erweist sich für Barth darin, dass etwas außerhalb der Schrift zu einem Prinzip der Auslegung erhoben wird. Mit „J. T. Beck aber Genügt nicht Bibelkenntnis? Wozu Dogmatik? Kirchengeschichte, praktische Theologie? […] Man kann die Bibel nicht verstehen ohne Kenntnis der Grundlehren der Kirche, d. h. der Dogmatik. Man kann Dogmatik nicht treiben ohne Bibelstudium. Man kann nicht übersehen, daß zwischen uns und der Bibel eine Kirche steht, die eine Geschichte hat; nicht schwärmerisch überspringen, sondern lernen, ‚die Akten vorlegen lassen‘, um die eigene Entscheidung zu treffen. Nicht Biblizismus! Verachtung des Heiligen Geistes und der Kirche. Praktische Theologie: der gegenwärtige Kirchenkörper, wie er unter dem Wort der Schrift, der Bekenntnisse, der Geschichte, der Theologie heute handelt und handeln soll.“ 428 ÖUP, 286. 429 Cf. ITAF, 403. Dort zielt Bonhoeffer in seinem Vortrag Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte genau auf diese Problematik ab. Näheres dazu in §§ 4.1.2 und 4.1.3. 430 Barth zitiert dazu Menken, Beitrag zur Dämonologie, 264: „Denn mir ist es nicht darum zu tun, zu erfahren, wie Ursinus oder Luther oder Anselmus oder Augustinus oder Irenäus sich die Sache gedacht und dieselbe gefaßt und bestimmt haben – sie und ihre Bestimmungen sind zu neu; ich will das Alte, das Ursprüngliche, das allein Geltende – die heilige Schrift selbst.“
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teilweise auch bei dem Erlanger Hofmann und doch gelegentlich auch noch bei A. Schlatter“ verbindet Barth ein „ähnliches Zusammentreffen mit dem neuprotestantischen Antikonfessionalismus“, hätten diese doch wohl „mit derselben Souveränität, mit der in der Neuzeit Andere die Vernunft, das Gefühl, die Erfahrung, die Geschichte zum Prinzip der Theologie erhoben haben, nun die mit höchst eigenen Augen gelesene und höchst selbstherrlich verstandene und ausgelegte Bibel eingesetzt“.431 In eindrücklichen Worten enttarnt Barth hier diese seiner Ansicht nach fragliche Auslegungsmethode einer ‚reinen Auslegung der Schrift‘ und deren eigene, inhärente basale Problematik allein schon in einer Aneinanderreihung von augenscheinlichen Anfragen: „Was bedeutet dieses Zusammentreffen? Man muß hier offenbar fragen: […] Ob in diesem Zusammenhang nicht auch die Ausnahmebehandlung gerade der Bibel – sofern man ihr gegenüber den Relativismus, mit dem man die Kirche betrachtet, nun auf einmal nicht mehr gelten läßt – etwas eigentümlich Selbstherrliches bekommt? ob wir es hier nicht mit einem frommen, aber in seiner Keckheit doch ebenfalls ausgesprochen modernen Sprung in die Unmittelbarkeit zu tun haben, mit einem Griff nach der Offenbarung, der, indem er mit einer solchen Abschüttelung der Väter verbunden ist, nun doch, obwohl und indem er sich als Griff nach der Bibel zu erkennen gibt, auch etwas sehr Anderes sein könnte als der Glaubensgehorsam, der dann Ereignis wird, wenn die Offenbarung durch das Wort der Bibel nach uns gegriffen hat? Ob solcher Bibelabsolutismus in seinem Wesen etwas Anderes ist als der sonstige Absolutismus, der das entscheidende Merkmal des Geistes und des Systems des in der Aufklärung gipfelnden 18. Jahrhunderts bildete und ob er in seinen Auswirkungen so ganz von diesem verschieden sein kann? Wird der, der die Bibel allein zum Meister haben will, als ob die Kirchengeschichte mit ihm noch einmal anfangen müßte, die Bibel nun wirklich ungemeistert lassen? Wird es in dem so geschaffenen leeren Raum eigenen Befindens vielleicht zu einem besseren Hören der Schrift kommen als im Raum der Kirche?“432 Steht die Bibel in dieser radikalen Form des Biblizismus als Mittel- und Scheidepunkt für die Tauglichkeit und Angemessenheit einer jeden theologischen Aussage, erscheint für Barth hier eine Anmaßung augenscheinlich, die sich einerseits dezidiert gegen jede Form einer selbstherrlichen und mittelbaren Auslegungsinstanz der Schrift wehrt, zugleich aber den Rezipienten selbst in seiner Autonomie zum absoluten Interpreten der Schrift setzt. In der apodiktischen Forderung einer in Abrede zu stellenden kirchlichen oder sonst wie gearteten Schriftautorität erweist sich hier eine vor aller Auslegung grundsätzliche Problematik als ausgewiesen, die für ihn einem Griff nach der Offenbarung gleichzusetzen ist. Hatte diese Form des Biblizismus der Kirche doch ihre Abhängigkeit von ihren jeweiligen väterlichen Traditionen und zeitgemäßen Interpretationen sowie Einsichten ihrer jeweiligen Zeit polemisch aufgezeigt, wandte sie sich damit ausdrücklich gegen eine außerbiblische Vereinnahmung der Heiligen Schrift. Allein die Schrift sollte somit selbst als Substrat aller christlichen Aussagen gelten und im „leeren Raum eigenen Befindens“,433 wie es Barth polemisch formuliert, die Er431 Barth, KD I/2, 679f. 432 Barth, KD I/2, 679f. 433 Barth, KD I/2, 680.
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kenntnis ihrer Wahrheit entfalten und ans Licht bringen. Dass hier diese durchaus fromme und bemühte Vorgehensweise ihren eigenen Implikationen und Forderungen eindeutig aufsitzt, zeigt Barth sogleich in den folgenden Sätzen auf: „Es hat tatsächlich doch noch keinen Biblizisten gegeben, der, indem er den Vätern und der kirchlichen Überlieferung gegenüber sehr großzügig direkt an die Schrift appellierte, sich nun auch dem Geist und der Philosophie seiner eigenen Zeit und vor Allem seinen eigenen religiösen Lieblingsideen gegenüber als so unabhängig erwiesen hätte, daß er in seiner Lehre vermöge oder trotz seines Antitraditionalismus nun etwa in zuverlässiger Weise die Bibel und nur die Bibel hätte zu Worte kommen lassen. Im Gegenteil: man wird an den in der Sache sehr neuprotestantischen Absonderlichkeiten, die sich gerade Menken, aber auch J.T. Beck an zentralsten Stellen geleistet haben, studieren können, daß es auch dem ernstesten Schriftforscher nicht zu raten ist, an jenem sächsischen und pfälzischen Katechismus des 16. Jahrhunderts und auch an jenem Bischof von Hippon des 5. Jahrhunderts so unbesorgt vorüberzugehen, sich der durch die Existenz von kirchlichen Vätern gegebenen Führung und Korrektur in der Weise zu entziehen, wie es nach dem Programm des Biblizismus zu geschehen hätte. Er könnte sich sonst leicht in allzu nahe Nachbarschaft mit allerlei anderen modernen Titanismen begeben. Der Biblizismus der Reformatoren befand sich im Unterschied zum Biblizismus der Neuzeit nicht in dieser Nachbarschaft, weil er sich nicht trotz, sondern in Anwendung des evangelischen Schriftprinzips von jenem Antitraditionalismus frei gehalten hat.“434 Deutlich kann für Barth damit „eine biblische Haltung als Formbestimmtheit der Dogmatik“, also ein „materielle[r] Biblizismus“,435 nicht allein eine Nachbildung der biblischen Aussagen sein; in der Überschätzung der Dogmatik als „direkte Reproduktion des Wortes Gottes oder der Gedanken des Wortes Gottes“436 erkennt er eine Schriftauslegung, die sich gegen das Schriftverständnis der kirchlichen Lehre und Tradition stellt und nicht die Notwendigkeit einer Exegese für die Interpretation der Schrift anerkennt, die im engsten Anschluss an den Text eine Voraussetzung jeder Formulierung der Schriftgedanken sein muss. In der so gearteten fehlenden Bindung an und Besinnung auf den Ort der Kirche beruht dieser Biblizismus somit auf zwei Irrtümern, die auch bei Dietrich Bonhoeffer angezeigt sind: Wähnt dieser Biblizismus nämlich Gottes Willen in der Schrift direkt niedergelegt, erkennt er hier zuerst und vor allem die Schrift als Gotteswort, verfehlt aber die Anerkenntnis der Hülle des Menschenwortes für selbiges. Zugleich aber, im Diktat, das Wort Gottes in der Schrift widerzuspiegeln, zu verkündigen und geltend zu machen, hüllt dieser sich dann selbst in „das Gewand des biblischen Zeugnisses“,437 macht sich damit letztlich selbst – auf dem Hintergrund der Philosophie seiner Zeit und der eigenen religiösen Vorlieben – zu einem Prinzip der Schriftauslegung. In der Nähe zu „allerlei […] modernen Titanismen“,438 wie Barth es zuspitzt, steht somit ein sich selbst absolut setzender Biblizismus, 434 435 436 437 438
Barth, KD I/2, 680. Barth, Christliche Dogmatik, 559. Barth, Christliche Dogmatik, 561. Barth, Christliche Dogmatik, 561. Barth, KD I/2, 680.
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Über Bonhoeffers formale Bibelbetrachtung
der sich selbst zur letztgültigen Instanz der Schrift macht, gegen welche er sich doch vor allem zur Wehr setzen wollte.
Begrenzt das Dogma für Karl Barth wie auch für Dietrich Bonhoeffer damit eine beliebige Auslegung der Schrift, werden für Bonhoeffer eine etwaige Willkür und ein möglicher Absolutismus jeder selbstherrlichen Schriftauslegung sodann mit der Verkündigung des lebendigen Christus in ihre Schranken verwiesen und ihrer eigenen Erhöhung entmachtet.439 Damit steht der Kirche also eine weitere Instanz der Auslegung zur Seite, nämlich Jesus Christus. Dass das aber weder einer frommen Glaubensaussage, noch einer leeren Parole gleichkommt, zeigt sich, wenn Bonhoeffer noch immer in der Frage nach dem Einsehen in die Schöpfung mit klaren Worten deutlich macht: „Der hoffnungslose Versuch, hier wo es um Ursprung und Wesen des Menschen geht, mit einem gigantischen Sprung in die Welt des verlorenen Anfangs zurückzugelangen, hier selbst wissen zu wollen, was der urständliche Mensch gewesen sei, […] hier zu verkennen, daß wir allein von Christus her um den anfänglichen Menschen wissen können, dieser hoffnungslose wie unbegreifliche Versuch hat die Kirche immer wieder an dieser gefährlichen Stelle der freien Spekulation ausgeliefert.“440
Es geht also gerade darum, jeglicher „freien Spekulation“ zu wehren, was für Bonhoeffer nur darin geschehen kann, dass die Kirche sich nicht gleich katholischem Verständnis als unmittelbare Fortsetzung der Offenbarung versteht, welche als Trägerin, Repräsentantin und damit direkte Vermittlerin ungeachtet des Abgrundes der Zeit mit gleicher Ehrfurcht wie die Schrift zu verehren sei,441 sondern in ihrem Sein „Zeugnis ab[legt] vom Ende aller Dinge.“442 Allein von der 439 Cf. dazu auch Bonhoeffers Hinweis in der Ethik, wo er deutlich zwischen der Sache der Welt und der Sache Gottes unterscheidet. E, 363f.: „Unter diesen Voraussetzungen [Welt ist erst wirkliche Welt in der Ausrichtung auf Christus, Anm. d. Verf.] gibt es nun auch ein bestimmtes Interesse der Kirche nicht nur an dem punctum mathematicum des Glaubens, sondern auch an den empirischen Größen wie der Bildung einer bestimmten Gesinnung in weltlichen Fragen und an bestimmten irdischen Zuständen. […] Für die Kirche gibt es hier ein doppeltes Verhalten: sie [wird] einerseits abgrenzend negativ in der Autorität des Wortes Gottes solche Wirtschaftsgesinnungen oder -formen [wie die des Kapitalismus etc., Anm. d. Verf.] als verwerflich erklären müssen, die den Glauben an Christus offensichtlich hindern. Andererseits wird sie positiv nicht in der Autorität des Wortes Gottes, sondern nur in der Autorität des verantwortlichen Rates christlicher Fachmänner ihren Beitrag zu einer Neuordnung geben können. Diese erste Aufgabe ist die des Amtes, die zweite die der Diakonie, die erste göttlich die zweite irdisch, die erste die des göttlichen Wortes, die zweite die des christlichen Lebens. Hier aber gilt: doctrina est coelum, vita est terra (Luther).“ Bonhoeffer zitiert hier WA 40 II, 52, 13: „Doctrina est coelum, vita terra.“ 440 SF, 58. 441 Cf. Barth, Schriftprinzip, in: GA III.19, 521. Cf. dazu das Drekret über die Vulgata-Ausgabe der Bibel und die Auslegungsweise der Heiligen Schrift in DH, 1507. 442 SF, 21.
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Christuswirklichkeit her kann die Schrift verstanden werden. Christus als Mitte der Schrift, der im Anfang443 und der das Ende des Alten ist, ist das Nadelöhr, durch das alles Verstehen der Schrift sich zieht. Nur in ihm ist sie als Wort Gottes zu vernehmen, nur in ihm ist die Erkenntnis der Welt als Schöpfung gegeben, nur in ihm kann vom Ende des Alten und vom Beginn des Neuen gesprochen werden, der Mensch kann demnach nicht mehr als der Sünde übereignet gelten, sondern als gerechtfertigt erkannt werden. Als Licht erleuchtet Christus die Schrift, nicht die Schrift erleuchtet Christus.444 Ganz nach lutherischer Auffassung wird hier also die Autorität der Schrift in Jesu Christi Gegenwart begründet; Christus ist das sachliche Kriterium, das jeglicher Formalisierung der Schriftautorität entgegentritt, als Maßstab dessen, was Wahrheit schlechthin ist.445 Kirche, Schrift und Christus müssen für Dietrich Bonhoeffer also dezidiert aufeinander bezogen werden, um einer Absolutsetzung des einen gegenüber dem anderen Einhalt zu gebieten. Nur in dieser Dreiheit ist das Verstehen der Schrift gewahrt und nur hier kann dieselbe als unumstößliche Glaubensnorm gelten.446 In diesem hermeneutischen Erkenntniszirkel von Kirche und Jesus Christus allein geschieht Auslegung. Die Kirche ist dann aber auch nicht Kirche als Institution,447 sondern Ort der Gegenwart Gottes, weil sie an die „eschatologische Wende“448 glaubt. Einzig in ihrem „Zeugnis vom Ende aller Dinge“449 ist sie die Kirche Christi und „gegründet […] auf dem Zeugnis der heiligen Schrift.“450 Sie bezeugt Christus und erschließt sich in gleichem Maße aber auch einzig aus Christus, dezidierter gesagt aus der Schrift durch Christus. Indem der Kirche 443 Cf. SF, 34: „Am Anfang, d. h. aus Freiheit, d. h. aus Nichts schuf Gott Himmel und Erde. Das ist der Trost, mit dem die Bibel uns in der Mitte, uns sich vor dem falschen Nichts, dem anfanglosen Anfang und endlosen Ende Ängstigende anredet. Es ist das Evangelium, es ist Christus der Auferstandene selbst, von dem hier gesagt wird.“ 444 Christus und Schrift sind damit deutlich weder gleichzusetzen, noch überschattet der Glaube an die Schrift den Glauben an Christus, wie dies vor allem in der schwäbischen Erweckungsbewegung, dort besonders unter Gottfried Menken, der Fall war. 445 Cf. WA DB 7, 384, 25–32: „Vnd darinne stimmen alle rechtschaffene Buecher vber eins, das sie alle sampt Christum predigen vnd treiben. Auch ist das der rechte Pruefestein alle Buecher zu taddeln, wenn man sihet, ob sie Christum treiben oder nicht, Sintemal alle schrifft Christum zeiget, Rom. iij. Vnd S. Paulus nichts denn Christum wissen wil, j. Cor. ij. Was Christum nicht leret, das ist noch nicht Apostolisch, wens gleich S. Petrus oder Paulus leret. Widerumb, was Christum prediget, das were Apostolisch, wens gleich Judas, Hannas, Pilatus, vnd Herodes thet.“ Cf. dazu auch Bayer, Luthers Theologie, 73–81. 446 Cf. Boomgaarden, Wirklichkeit, 367. Siehe auch die bonhoeffersche Definition der Kirche als „Christus als Gemeinde existierend“ (SC, 127.), die er schon in seiner Dissertationsschrift etablierte und die diese spezifische Verbindung weitaus deutlicher macht. 447 Darauf verweist Bonhoeffer dezidiert in seiner Vorlesung Das Wesen der Kirche. Cf. dazu ÖUP; 247ff. 448 Claß, Der verzweifelte Zugriff, 51. 449 SF, 21. 450 SF, 22.
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Christus bezeugt ist, kann sie sich selbst auch aus diesem verstehen. In dieser reziproken Einheit, die weder voneinander zu trennen ist, noch ineinander aufgehoben werden kann, zeigt sich der bonhoeffersche Schlüssel zum rechten Schriftverständnis.451 Allein in Christus hat die Schrift – wie auch die Kirche – Normativität. Die Schrift erhält dabei jedoch keine Autorität, aus ihrer Mitte zeugt sie ihre eigene Autorität, ein irgend geartetes, von außen kommendes hermeneutisches Prinzip ist dafür nicht von Nöten. Es ist umgekehrt eine den Menschen sich selbst verabsolutierende Herangehensweise, die vermeintlich der Schrift zu unumstößlicher Autorität verhelfen will und stattdessen deren sich selbst setzende Autorität nicht einfach anerkennen kann. In Christus als dem Schlüssel des Verstehens erweist sich die Selbstbeglaubigung des Wortes, das alle menschlichen Kriterien und Maßstäbe ausschaltet, allein im wirklichen Hören auf das Wort zeigt sich die Autorität der Schrift selbst.452 Deswegen noch einmal: Die „Schöpfungsgeschichte [ist] in der Kirche allein von Christus her zu lesen
451 Cf. dazu die forsche Polemik Bonhoeffers in der Nachfolge gegen einfältigen Gehorsam, N, 74f.: „Wo der einfältige Gehorsam grundsätzlich eliminiert wird, dort wird ein unevangelisches Schriftprinzip eingeführt. Voraussetzung für das Schriftprinzip ist dann die Verfügung über einen Schlüssel zum Schriftverständnis. Dieser Schlüssel ist dann aber nicht der lebendige Christus selbst in Gericht und Gnade, und die Handhabung dieses Schlüssels liegt nicht mehr allein im Willen des lebendigen heiligen Geistes, sondern der Schlüssel der Schrift ist eine allgemeine Gnadenlehre, und wir selbst verfügen über seine Handhabung. Das Problem der Nachfolge erweist sich hier auch als hermeneutisches Problem. Es muss einer evangelischen Hermeneutik klar sein, daß es zwar nicht ohne weiteres angeht, uns mit den von Jesus Gerufenen unmittelbar zu identifizieren; vielmehr gehören ja die Gerufenen der Schrift selbst mit zum Worte Gottes und damit zur Verkündigung. Wir hören in der Predigt nicht nur die Antwort Jesu auf die Frage eines Jüngers, die auch unsere Frage wäre, sondern Frage und Antwort zusammen sind als Wort der Schrift Gegenstand der Verkündigung. Einfältiger Gehorsam wäre also hermeneutisch mißverstanden, wenn wir in direkter Gleichzeitigkeit mit dem Gerufenen handeln und nachfolgen wollten. Aber der Christus, der uns in der Schrift verkündigt wird, ist durch sein ganzes Wort hindurch ein solcher, der den Glauben nur dem Gehorsamen schenkt. Nicht zurück hinter das Wort der Schrift können und dürfen wir gehen, sondern unter dem ganzen Worte der Schrift werden wir in die Nachfolge gerufen, eben weil wir der Schrift nicht durch das Prinzip, und sei es eine Gnadenlehre, gesetzlich Gewalt antun wollen.“ 452 Cf. Luthers Diktum, WA 10, 1, 130, 1–15: „Das ist auch der recht unterscheyd des gottlichen glawbens und menschlichen glawbenß: Das der menschlich glawbe hafftet auff der person, glewbt, trawt und ehret das wortt umb des willen, der es sagt. Aber der gottlich glawb widderumb hafftet auff dem wortt, das gott selber ist, glewbt, trawt und ehret das wortt nitt umb des willen, der es gesagt hatt, ßondern er fulet, das ßo gewiß war ist, das yhn niemant dauon mehr reyssen kan, wenß gleych derselb prediger thett; […] Nu glewben wyr nit mehr umb deyner rede willen. Denn wyr erkennen nu selbs, das ditz ist der wellt heyland. Widderumb alle, die do Christo glewbten umb seyner person unnd seyner wundertzeychen willen, die vielen alle ab, da er gecreutziget wart. Alßo ists itzt und altzeyt geweßen. Das wortt fur sich selbs, on alles auffsehen der person, muß dem hertzen gnugthun, den menschen beschliessen begreyffen, das er gleych drynn gefangen fulet, wie war und recht es sey […].“
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und erst dann auf ihn hin; auf Christus hin kann man ja nur lesen, wenn man weiß, daß Christus der Anfang, das Neue, das Ende unserer ganzen Welt ist.“453
2.2.6 Über Wirklichkeits- und Lebensbezug Wenn Dietrich Bonhoeffer aus dieser Fokussierung auf die Schrift und deren Mitte in Jesus Christus in seiner Einleitung zur Vorlesung Schöpfung und Sünde betonte, dass zum Hören des Wortes Gottes exercitium gehöre, und er diesen Hinweis in der letzten Vorlesungsstunde wiederholte,454 verwundert das kaum. Es zeigt sich darin nämlich die nicht nur theoretische, sondern auch praktische Mittelpunktstellung der Schrift in seiner Theologie wie auch seinem Leben. In der augustinischen Manier eines „tolle, lege!“455 eröffnete sich für ihn die Schrift; das ist zwar in seinen wissenschaftlichen Qualifikationsschriften nur im Hintergrund spürbar, es tritt aber schon in der Zeit des Wintersemesters 1932/33 deutlicher zutage. So beispielsweise in seinem Seminar zur Theologischen Psychologie zu lesen: „Übung der Frömmigkeit, der Gläubigkeit selbst: geübt durch Lesen der Bibel, durch Meditation […].“456 In der Verbindung von Lesen und Meditation ist sich der Schrift demnach zu nähern. Es wird damit augenscheinlich, dieses Buch ist für Bonhoeffer gerade nicht ein Buch unter vielen. Sich der Bibel zu nähern, die Bibel wirklich zu lesen, bedeutete für ihn etwas anderes als eine technische Übung,457 die schematisch abgearbeitet werden könnte. Aber nicht nur zur Zeit der illegalen Theologenausbildung in Finkenwalde wird ihm das Buch der Bücher immer teurer. Nicht erst hier erkennt er dasselbe als Mittelund Scheidepunkt des Lebens an, das ein Votum fordert: „Es bleibt also nichts als die Entscheidung, ob wir dem Wort der Bibel trauen wollen oder nicht, ob wir uns von ihm halten lassen wollen, wie von keinem anderen Wort im Leben und im Sterben.“458 Ist der Mensch mit der Schrift vor sich selbst gestellt, zeigt sich hier die ausschlaggebende Weichenstellung für das Leben als Christ; hier erweist sich Lüge oder Wahrheit, nur wenn der Mensch willens ist, sich auf die Schrift wirk453 SF, 21. 454 Cf. SF, 145. Das Nachwort weist auf die Nachschrift von Erich Klapproth und Hilde Pfeiffer hin. 455 Augustinus, Confessiones VIII, 12, 29. 456 B, 199. 457 Das steht ganz im Gegensatz zur protestantischen Orthodoxie, die neben der pietas besonders Bildung hervorhebt, nämlich profunde Sprachkenntnisse und besonders Rhetorik, Logik sowie Kenntnisse in den disciplinae reales Methaphysik, Physik, Ethik, Politik, Geographie, Chronologie und Historie. Cf. Steiger, Philologia Sacra, 68f. Cf. dazu auch Pfeiffer, Hermeneutica, 174ff. 458 ITAF, 148.
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lich einzulassen, trägt er sich nicht selbst ein. In der Heiligen Schrift ist dem Menschen Jesus Christus angezeigt, zu dem es – wie bereits anfänglich bemerkt wurde und im Folgenden noch deutlicher zu zeigen ist459 – nach Bonhoeffer einen „Zugang über den geschichtlichen Jesus […] allein über den Auferstandenen [gibt], über das Wort des sich selbst bezeugenden auferstandenen Christus.“460 Allein in der Begegnung mit Christus als dem Auferstandenen, dem Worte Gottes vom Ende her, erschließt sich die Schrift dem Menschen, der im Lesen derselben vor sein eigenes Ich gestellt ist. Nur vom Ende her kann das Wort zu seiner wahren Entfaltung kommen, das will Bonhoeffer deutlich hervorgehoben wissen. Im Umgang mit der Schrift in rein wissenschaftlicher, sachlicher Herangehensweise dagegen könnten die Worte Gottes dem Leser nicht aufgehen, hier verbleibe das Verstehen auf menschlicher, äußerlicher Ebene, hier bleibe der Mensch sein eigener Herr, hier gebrauche er die Schrift zu seinem eigenen Vorteil, missbrauche also das Wort für die eigenen Zwecke. Bonhoeffer hatte dieses am eigenen Leib erfahren, im Rückblick auf die Zeit um 1932/33 beschreibt er Elisabeth Zinn seine Hinwendung zur Bibel mit folgenden, inzwischen viel zitierten Worten: „Ich stürzte mich in die Arbeit in sehr unchristlicher und undemütiger Weise. […] Dann kam etwas anderes, etwas, was mein Leben bis heute verändert und herumgeworfen hat. Ich kam zum ersten Mal zur Bibel. […] Ich habe schon oft gepredigt, ich hatte schon viel von der Kirche gesehen, darüber geredet und geschrieben – und ich war noch kein Christ geworden, sondern ganz wild und unbändig mein eigener Herr. Ich weiß, ich habe damals aus der Sache Jesu Christi einen Vorteil für mich selbst, für eine wahnsinnige Eitelkeit gemacht. […] Ich war bei aller Verlassenheit ganz froh an mir selbst. Daraus hat mich die Bibel befreit […].“461
In der inneren Bereitschaft, das Wort Gottes zu hören, muss der Schrift begegnet werden. Und somit ist das Lesen der Schrift auch nicht mit dem Lesen eines beliebigen Buches gleichzusetzen, im Gegenteil erfordert es innere Beteiligung und Bereitschaft des Ich, sich auf diesen Text ganz einzulassen. Nicht ohne Grund ist dann für Bonhoeffer auch das Schweigen ein wichtiger Bestandteil dieses Lesens, weil im Schweigen „unsere Gedanken schon auf das Wort gerichtet sind […]. Schweigen heißt schließlich nichts anderes als auf Gottes Wort warten und von Gottes Wort gesegnet herkommen.“462 Eine ähnliche Herangehens- und Umgangsweise mit der Bibel findet sich auch bei dem Pietisten August Francke, der die wahre Frömmigkeit als subjektive
459 460 461 462
Cf. §§ 2.1.6, 3.1.3, 3.2.4 und 4.1.4. B, 314. ITAF, 112f. GL, 67f.
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Voraussetzung für das rechte Verständnis der Schrift erkannte.463 Gegen eine Überschätzung der objektiv-sachlichen Bereiche der Schrift, wie eine grammatische, historische und analytische Lektüre, forderte er eindrücklich den Kern der Schale vorzuziehen. Nur im geistlichen Verständnis der Schrift sei zu wahrer Erkenntnis zu gelangen, das Herz mit dem süßen Kern der Schrift zu sättigen,464 was mit der wissenschaftlichen Erkenntnis des sensus litteralis nicht möglich sei, seien dazu doch auch Ungläubige (man denke an Pharisäer und Schriftgelehrte) fähig.465 Jesus Christus als Kern könne zwar wissenschaftlich herausgefiltert werden, die gläubige Annahme müsse jedoch dezidiert hinzutreten, denn nur als Wiedergeborener, als Geist-Begabter sei Christus im sensus spiritualis wahrhaftig erkannt.466 Zur Erbauung bedürfe es dann insbesondere des einfältigen Lesens der Schrift, welches die Bibel unter das Volk bringen und das Wissen um die Schrift vergrößern solle.467 In dieser Betonung des Lesens hoben neben August Francke, auch Philipp Spener und Nikolaus Graf von Zinzendorf gerade die Andacht hervor, in der im frommen Lesen das Herz des Betroffenen offen für das Wort Gottes und frei von allen weltlichen Dingen sein sollte. Verbleibe die Beschäftigung mit der Schrift nämlich auf der Oberfläche, sei sie „ein opus operandum, das mehr Schaden als Nutzen bringe.“468 So müsse nach Spener, Johannes Wallmann zufolge, „das wache Bewußtsein, Gott rede in der Bibel mit uns, ein von Herzen kommendes Gebet, ein bußfertiges Herz, die Applikation des Gelesenen auf sich selbst und der Vorsatz, das Erkannte in die Tat umzusetzen […]“,469 zum Umgang mit der Schrift unerlässlich hinzukommen. Nicht ohne Grund also setzt auch August Francke in seinen Praelectiones Hermeneuticae die Betonung auf die Meditation im Umgang mit der Schrift, um sich eben nicht mit einem äußeren Schriftstudium zufrieden zu geben, sondern zur lebendigen Erkenntnis der himmlischen Wahrheit zu gelangen in Abwendung von der Welt.470 Die Bibel als Erbauungsbuch gilt seiner Ansicht nach damit vornehmlich denjenigen Christen, die als von Christus Gerufene über ihr natürliches Verständnis hinaus den rechten sensus spiritualis ratione subiecti hätten. In der Offenbarung des Heiligen Geistes könne dieser jedoch nicht durch bloßes Lesen der Schrift, aber auch nicht durch eine außergewöhnliche und singuläre Art erfahren werden, vielmehr stelle sich diese Erleuchtung, wie 463 464 465 466 467 468 469 470
Cf. Francke, Manuductio, 1f.11ff.u.a. Cf. Francke, Manuductio, 1.5.11f.46.48.65f. Cf. Francke, Manuductio, 68f. Cf. auch Francke, Praelectiones Hermeneuticae, 23. Cf. Francke, Praelectiones Hermeneuticae, 23: „Spiritualis vero, qui non cadit nisi in eos, qui spiritu Dei praediti sunt & ab eo impertiuntur vero gustu rerum spiritualium, seu eorum, quae in Scripturae meditatione animo comprehendunt, vero sensu adificuntur.“ Peschke, Francke, 60–78. Wallmann, Pietismus-Studien, 249. Cf. Spener, Pia Desideria, 96–101. Wallmann, Pietismus-Studien, 249. Cf. Spener, Pia Desideria, 110–113. Cf. Francke, Praelectiones Hermeneuticae, 25–27.
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Francke es nennt, in unterschiedlichen Graden ein, eben danach unterschieden, wie Erhard Peschke dies pointiert formuliert, „[ j]e mehr ‚das Auge des Sinnes‘ von der Welt abgezogen und auf Gott geheftet ist, um so mehr wird es durch das Licht des Heiligen Geistes erleuchtet.“471 Entgegen der zu intellektualistisch geprägten altprotestantischen Inspirationslehre treten bei Francke sodann insbesondere die Affekte in den Fokus,472 die den dynamischen Charakter des kraftvollen Einwirkens gegen die formalistische Wirkungsweise des Heiligen Geistes hervorheben sollen.473 Wie der Heilige Geist schon die Schreiber der Heiligen Schrift erleuchtet habe, so fülle er auch die Wiedergeborenen mit heiligen Affekten und gestalte das Herz neu mit eben diesen, mit denen einst auch die heiligen Menschen begabt gewesen seien.474 Im Unterschied zu den natürlichen Emotionen, die durch wiederholtes Lesen gesteigert und gebessert würden, müssten diese geistlichen Affekte und damit einhergehend die Herzen durch dieses „‚affekthafte‘ Verstehen der Schrift, möge sie sich im einzelnen noch so mannigfaltig kleiden“,475 durch Meditation, Beten und Bemühen erfüllt und zu eigen gemacht werden.476 Wenn nach der altprotestantischen Orthodoxie der rechte Bibelgebrauch darin besteht, die Schrift in der lectio continua zyklisch abzuhalten,477 gehen die Anweisungen der Pietisten auch hier deutlich darüber hinaus. Grundsätzlich gilt es ihnen freilich eine Übersicht über die gesamte Schrift und deren Zusammenhang zu haben, dann aber, so Spener, solle man „immer weniger verse mitnehmen“, um gründlicher darüber meditieren und Gottes Wort reichlicher unter die Menschen bringen zu können. Dementsprechend verändere sich auch nicht der zeitliche Aufwand bei diesem wenigen, bei dem „so viel zu erwegen und zu behalten vorstellen wird / daß [der Leser] dazu nicht weniger zeit bedürffe als vorhin zu gantzen capiteln.“478 Gerade Zinzendorf leistete mit seinen Losungen für die Gemeinde dazu einen wichtigen Beitrag, der auch in der Folgezeit von großer Bedeutung war. Die Gemeinde sollte damit Hilfe für den Umgang mit der Schrift im Alltag erhalten, diese als Wegweiser und Zeugnis Christi zu erfahren, um in den Stand der Heilszueignung und in die Gemeinschaft mit 471 472 473 474
475 476 477 478
Peschke, Francke, 79. Cf. Francke, Praelectiones Hermeneuticae, 58ff. Cf. Francke, Manducatio, 155ff. und Praelectiones Hermeneuticae, 198ff. Cf. Moldaenke, Schriftverständnis, 514ff. Cf. Francke, Praelectiones Hermeneuticae, 196: „Scripturam S. legimus, certe legere tenemur, ut emendentur & corrigantur affectus nostris naturales, sanctisque pectora nostra, ab ipso perculsa Spiritu Sancto ipsis, impleantur affectibus; iis nimirum ipsis, quibus sanctos DEi homines praeditos fuisse, indicio est illorum in Scripturis oratio, immo Scriptura diserte testatur.“ Moldaenke, Schriftverständndis, 514. Cf. Peschke, Francke, 78–82. Cf. Bloth, Art. Schriftlesung I, 535f. Spener, Vorrede über eine Bibel, in: Schriften VIII.2, 316.
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Christus versetzt zu werden. Um einer Atomisierung der Schrift in einzelne Spruchsammlung zu wehren, wollten Spener sowie Zinzendorf 479 dann aber auch hinzugefügt haben, dass es unerlässlich sei, derweilen ganze Kapitel zu lesen – ob dies aber einer tatsächlichen Zerstückelung wehrt, bleibt fraglich.480 Ebenso findet sich bei Dietrich Bonhoeffer eine ähnliche Betonung eines meditativen Umgangs mit der Schrift. In seiner Finkenwalder Homiletik beschreibt er diesen Vorgang beispielsweise in eingängigen Worten: Im „[w]iederholte[n] Lesen“481 und Befragen beginne ihm der Text plastisch zu werden, er beginne ihn zu „sehen“ in mannigfaltigen Bildern und Gedanken. Erst langsam werde die Mitte erkennbar, der Text zerfalle in seine Gliederung, in der alles aufgehe und seinen Platz finde,482 „die kein Thema zu sein […], auch nicht genannt zu werden brauch[e].“483 In diesem Meditieren um das richtige Verständnis des Textes war es Bonhoeffer dann vor allem darum, der beständigen Gefahr zu wehren, „unwahrhaftig zu werden, den Text um [s]einetwillen umzubiegen, abzuschwächen, weil [er] damit nicht fertig werde“,484 warum die Gefahr bestehe, sich selbst in den Text einzutragen, anstatt auf das Wort Gottes wirklich zu hören. Nicht nur einmal betont er aus diesem Grund, dass die Bibel nicht zu lesen sei wie andere Bücher; vielmehr müsse der Mensch bereit sein, sich ganz auf die Schrift einzulassen, „sie wirklich zu fragen“, denn nur „so erschließt sie sich. Nur wenn wir letzte Antwort von ihr erwarten, gibt sie sie uns.“485 Liest man Schöpfung und Fall, erscheint diese Anleitung zur Schriftauslegung aus Finkenwalde als eine Darlegung der Vorgehensweise seiner Vorlesung wenige Jahre zuvor. Wenn Bonhoeffer mit den Worten ringt, wenn er nicht auf der Oberfläche und also bei einer wörtlichen Übersetzung stehen bleiben will, wird genau dieses wiederholende Lesen, dieses engagierte Befragen des Textes beinahe mit den Händen greifbar. Bleibt man in der Problematik des Verständnisses von Gut und Böse, kann Bonhoeffer die volle Erfassung dieser Worte nicht in einem ersten Lesen gewinnen. Im Gegenteil, das war in der Auseinandersetzung mit der 479 Zinzendorfs Umgang mit der Schrift hatte sich von den früheren Pietisten (z. B. Spener, Francke) insofern geändert, dass er nicht mehr an der Verbalinspiration der Schrift festhielt, sondern ähnlich wie Luther von ihrem zentralen Inhalt Christus her las. So versuchte er, der Zerstückelung der Schrift in Losungen damit entgegen zu wirken, dass er das einzelne Schriftwort in dem Gesamtzeugnis der Bibel verstand und dieses auf Christus bezog. Wenn er diese Losungen in die Gemeinde angebunden wissen wollte, schien damit einer persönlichen Erbauung allein entgegengewirkt zu sein. Ob dies aber tatsächlich der Fall war, bleibt dahingestellt. (Cf. dazu Renkewitz, Zinzendorf, 163–169; Schneider, Zinzendorf, 694f.; Karpp, Art. Bibel IV, 80f.) 480 Cf. Wallmann, Pietismus-Studien, 250. 481 ITAF, 487. 482 Cf. dazu GS IV, 259. 483 ITAF, 487. 484 ITAF, 487. 485 ITAF, 144f.
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historisch-kritischen Exegese zu sehen, dass er um die treffende Übersetzung dieser schwierigen Passage ringt. Nur mit intensivem Meditieren über Nietzsches Jenseits von Gut und Böse und Also sprach Zarathustra geht ihm in seiner Vorlesung diese zwiespältige Einheit des Guten und Bösen auf. Um aber nicht eine von außen kommende Interpretation an den Text heranzutragen, damit unwahrhaftig zu werden und den Text seinem eigenen Belieben nach gerade zu biegen, erwägt und wiegt Bonhoeffer diese Übersetzung in allen ihren Facetten anhand der gesamten Auslegung, sogar soweit, dass diese Erkenntnis des Guten und Bösen den Zustand des Menschen als sicut deus in allen Formen beschreibt, als Menschen, der vor Gott leben muss, aber nicht leben kann.486 Allein also in der ganzen Bereitschaft, der Schrift wirklich zuzuhören, nicht sich selbst das Wort zu erteilen, erschließt sich Bonhoeffer die Schrift, in diesem Fall den Anfang der Genesis. Es geht Bonhoeffer also, ähnlich wie den Pietisten Spener, Francke und Zinzendorf, um eine bestimmte Ausrichtung des Subjekts. Die Arbeit mit der Bibel erfordert die ganze Aufmerksamkeit des Menschen, sie fordert den Menschen auf, sich ganz Gott zuzuwenden, in der Hoffnung, „daß er [der Text, Anm. d. Verf.] uns ganz persönlich für den heutigen Tag und für unseren Christenstand etwas zu sagen habe, daß es […] Gottes Wort für mich persönlich ist.“487 Es verwundert an dieser Stelle kaum, dass Bonhoeffer zuweilen Mühe hatte, nicht als frommer Biblizist zu gelten, muten doch gerade seine Schrift Gemeinsames Leben und beispielsweise seine homiletischen Übungen in Finkenwalde ähnlich an,488 wenn es heißt: „Zwar fordert Gott oft rasche, unverzügliche Tat; aber er fordert auch Stille und Besinnung. So darf und muß ich oft Stunden und Tage lang über ein und demselben Wort bleiben, bis ich mit der rechten Erkenntnis erleuchtet werde. Keiner ist so weit fortgeschritten, daß er dessen nicht mehr bedürfte.“489
Und doch – Bonhoeffer setzte sich nicht nur einmal damit auseinander490 – kann man seine und pietistische Intentionen nicht deckungsgleich übereinanderlegen. Legen nämlich beispielsweise Spener wie auch Francke alle Notwendigkeit auf die innere Ausrichtung des Subjekts, also seine Wiedergeburt, geht es Bonhoeffer 486 487 488 489 490
Cf. SF, 84f. GL, 70. Cf. Zimmermann, Bruder Bonhoeffer, 75–80; DB, 174; Karpp, Art. Biblizismus, 483. ITAS, 524. Bonhoeffers Auseinandersetzung vor allem mit dem Pietismus geschieht, wie Dietrich Altenähr umfassend darlegt, zumeist in der Bearbeitung von Kirchenliedern. (Cf. Altenähr, Dietrich Bonhoeffer – Lehrer des Gebets, 143–149.) Grundsätzlich sollte aber betont werden, dass Bonhoeffers Beziehung zum Pietismus nicht nur kritisch geprägt war, vielmehr hatte seine Mutter kurze Zeit in Herrnhut verbracht, seine Erzieherin war selbst Herrnhutterin und zuweilen griff auch er nach den Herrnhutter Losungen. (Cf. DB, 59f.731 etc.)
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dagegen genau nicht darum. Nicht selten betont er, um dem Zustand einer wie auch immer gearteten Erleuchtung des Christen zu wehren, dass nicht Innerlichkeit und individualistische Heilserwartung Sinn und Ziel des Glaubens und der Frömmigkeit sein können. Gerade hierin sieht er gegenteilig die grundsätzliche Verkehrtheit des Menschen durchscheinen, die er schon in seiner Vorlesung Schöpfung und Fall in so plastischen Worten beschreibt, als „Versuch, selbst für Gott sein zu wollen, über eine neue Weise des ‚Für-Gott-seins‘ zu verfügen, in einer besonderen Weise des Frommseins“, das sich darin zeigt, „daß der Mensch hinter das gegebene Wort Gottes zurück[geht], sich seine eigene Erkenntnis Gottes verschafft.“491 Bonhoeffer kann deshalb auch an dieser Herangehensweise kritisieren, dass der Pietismus an die Stelle der Schrift, die er stark hervorgehoben sehen will, das eigene Gefühl setze und die Konzentration dem eigenen Herzen gelte, das erleuchtet und erbaut werden solle. So hebt Bonhoeffer in dem Vortrag über die Geschichte des evangelischen Kirchenliedes Das innere Leben der deutschen evangelischen Kirche gegen den späteren Pietismus allen voran unter Nikolaus Graf von Zinzendorf kritisch hervor: Er sei ein frommer Mann, „weich bis zur Rührseligkeit. […] [D]er Maßstab [seiner] Frömmigkeit das eigene Herz“, weswegen Zinzendorf oft sage: „‚Es ist mir so satt‘ statt: ‚Es steht geschrieben‘.“492 Damit ist Bonhoeffers Zurückhaltung gegen einen solchen Umgang mit der Schrift deutlich gegeben: Anstatt die Schrift zu ehren und das Wort Gottes zu hören, setzt sich seiner Ansicht nach der Pietist in der Suche um sein individuelles Heil in den Mittelpunkt des Geschehens. In dieser dann aber deutlichen Schriftferne und mangelnden Beachtung der Taten Gottes zeigt sich für Bonhoeffer die Wendung vom äußeren Wort in Christus hin zu einem Geistwirken in einem Bekehrungserlebnis, das in der daraus erwachsenden Spontaneität der praxis pietatis den Geistbeseelten selbst zum Akteur des Glaubensgeschehens macht.493 Gleich dem unterscheidet Bonhoeffer in seinem Seminar Theologische Psychologie die lutherische Betonung des ganzen Menschen von der pietistischen Betonung der Seele: „Das reformatorische Kirchenlied sagt immer: Ich bin es ganz. Das pietistische Kirchenlied: Meine Seele – also eine Möglichkeit auf uns zu blicken, während das reformatorische Kirchenlied tatsächlich sieht, was geschieht am ganzen Menschen. [Der reformatorische Mensch] weiß, was er ist, durch das, was auf ihn zukommt, durch äußeres, was auf ihn kommt. Wenn er sich selbst erkennen will, so sieht der reformatorische Mensch von sich weg, der pietistische auf seine Seele.“494
491 492 493 494
SF, 108. ITAF, 717. Cf. Altenähr, Dietrich Bonhoeffer – Lehrer des Gebets, 147f. B, 181.
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Während der Pietismus also scheinbar allein die Seele, die er zuweilen auch mit dem Herzen gleichsetzen kann,495 im Blick hat, will Bonhoeffer in lutherischer Gefolgschaft den Menschen aus Leib, Geist und Seele in den Mittelpunkt seiner Überlegungen rücken.496 Danach betrifft auch und gerade der Glaube immer den ganzen Menschen, weil Gott den Menschen als Ganzen ruft;497 in einer alleinigen Fokussierung auf das persönliche Heil in der Erleuchtung des Herzens indes gehe der Glaube fehl, da er dann nur Gläubigkeit, oberflächliche Frömmigkeit498 sei. Besonders deutlich wird ihm das an Luthers eigener Erkenntnis: Nicht die Sicherheit um das eigene Heil ist Glaubensgewissheit, sondern die Anfechtung ist es, die immer notwendiger Teil des Glaubens ist, um von sich weg auf Christus zu sehen, ist sie doch von außen, von Christus selbst gewirkt. Gott selbst bringt den Menschen also dorthin. Und so kann Bonhoeffer angelehnt an den Reformator pointiert formulieren: „Der Mensch ist in der Hand Gottes oder in der Hand des Teufels.“499 Ähnlich verdeutlicht er dieses auch an den Psalmen, hier spiele die Seele gerade keine Rolle, im Gegenteil, „[d]er Psalmist versteht sich aus seinen Vorfindlichkeiten […]. Das Gesinnungsmäßige, das Innerliche fällt weg.“500 Gerade im Alten Testament sieht Bonhoeffer den Menschen immer wieder auf den Menschen als Leib, auf das Gegenwärtige verwiesen, nicht auf einen Fortschritt, den er in religiöser Ausübung der Frömmigkeit macht.501 Nicht im Menschen selbst findet er damit das Heil, nicht als Wiedergeborener oder geistlich Erleuchteter, „[u]nser Heil ist [dagegen] ‚außerhalb unserer selbst‘ (extra nos), nicht in meiner Lebensgeschichte, sondern allein in der Geschichte Jesu Christi finde ich es. Nur wer
495 Cf. Wallmann, Spener und die Anfänge des Pietismus, 331. 496 Cf. SF, 73: „Und Gott blies in seine Nase Lebensodem; so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen. Leib und Leben treten hier ganz ineinander. […] Leib ist die Existenzform von Geist, wie Geist die Existenzform von Leib ist.“ 497 Man denke hier beispielsweise an die Frage „Wo bist du?“ Gottes an Adam aus Gen 3,9. 498 Den Begriff ‚Frömmigkeit‘ kann Bonhoeffer zuweilen positiv wie auch negativ verwenden. So sei Christus beispielsweise aufgrund seiner Frömmigkeit ans Kreuz gehängt. (Cf. ITAF, 337.) Negativ erscheint der Begriff dagegen wesentlich öfter, cf. die Frage der Schlange, die Bonhoeffer als „Möglichkeit des Frömmerseins“ (SF, 105.) auslegt und damit zur ersten Stufe des Falls wird. Negativ erscheint auch die Betonung in der Nachfolge, die keine individuelle Frömmigkeit zwischen Christus und den Nachfolgenden stehen sehen will. (Cf. N, 167.) 499 B, 182. 500 B, 184. 501 Cf. B, 184. (Anm. 40. Höreraufzeichnung von Wolf-Dieter Zimmermann): „Unterschied zu den pietistischen Frömmigkeiten: Offenbarung an das Volk [und nicht] individualistische Offenbarung. Ps[almist] spricht nie von Fortschritt, den er macht. Pietismus = Heiligungsgang. [Im] Psalm spielt Gesinnung kaum eine Rolle (das Innerliche fällt weg)“.
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sich in Jesus Christus finden läßt, in seiner Menschwerdung, seinem Kreuz, seiner Auferstehung, der ist bei Gott und Gott bei ihm.“502
Wieder verweist Bonhoeffer hiermit also dezidiert auf das Wort allein, nur im wirklichen Sich-Einlassen auf dasselbe lässt sich Christus finden. Dass hier im Vergleich gerade zu Zinzendorf die Ausrichtung des Menschen diametral gegensätzlich ist, ist deutlich geworden: Es ist nicht der Mensch, der in seiner Innerlichkeit Erleuchtung durch den Heiligen Geist erfährt und Christus in seinem Herzen findet. Umgekehrt steht es, Christus findet ihn, indem sich der Mensch in Christus finden lässt, indem er in der Schrift Christus und nicht sich selbst sucht, sich selbst zurückstellt und eben Christus ganz in den Mittelpunkt stellt.503 Und so kann Bonhoeffer dann auch bemerken, dass „Luther […] seine Selbsterkenntnis aus der Zukunft, der Pietismus [aber] aus der Vergangenheit“504 gewinne, das findet sich auch in der Vorrede zu Schöpfung und Fall, in der er mit deutlichen Worten genau dieses – das Alte gegen das Neue – einander gegenüberstellt: „Die Kirche redet in der alten Welt von der neuen Welt. […] Aber das muß die Kirche freilich in helle Empörung bringen, daß die Kinder der vergangenen Welt die Kirche, das Neue für sich in Anspruch nehmen wollen. Sie wollen das Neue und kennen nur das Alte. Und sie verleugnen so Christus, den Herrn.“505
Fokussiere der Pietismus sich auf sich selbst, blicke er nur auf den Menschen der alten Welt, der aus sich selbst leben müsse, der grenzenlos sei und sich selbst aus sich heraus zu erkennen versuche, dabei aber fehlgehen müsse,506 rückt Bonhoeffer dagegen Christus in das Zentrum des Interesses und gewinnt die Erkenntnis seiner selbst eben nicht aus sich, sondern aus Christus, der die Auferstehung und das Leben ist. In der Blickrichtung auf das Neue kann das Alte erkannt werden, kann Selbsterkenntnis des Menschen geschehen.507 502 503 504 505 506
GL, 47. Cf. dazu § 4.1.3. B, 183. SF, 21. Cf. SF, 108. Cf. dazu B, 188. (Anm. 58. Höreraufzeichnung von Wolf-Dieter Zimmermann): „Alles verhüllter Glaube (kann auch vom Satan sein. […]).“ 507 Cf. L, 354f.: „Und dieser tiefe Unterschied [ob Gott selbst die Seele trifft oder der Mensch das Maß ist, Amn. d. Verf.] geht auch durch unser ganzes Gesangbuch hindurch. Da sind manche Lieder drin, die viel mehr des Menschen Stimmung, Sehnsucht, Empfindung verherrlichen als die Taten Gottes, aber da sind eben auch Lieder, die nichts anderes im Auge haben als die Herrlichkeit, Kraft, Liebe, Gnade Gottes und in denen der Mensch und seine vermeintliche Größe gänzlich verschwindet. Und diese Lieder sind ganz wesentlich die Lieder der Reformationszeit. Hier bricht mit elementarer Gewalt die Größe Gottes und seiner Wundertaten durch und der Mensch wird klein, aber herrlich, er wird gewürdigt, diesen Gott der Allmacht zu preisen und anzubeten. Vergleicht man einmal die Lieder, die
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Grundsätzlich sieht Bonhoeffer also das Problem des Pietismus in einer Frömmigkeit, die aus sich selbst heraus Gott erkennen will,508 die den Menschen – mit Schöpfung und Fall gesprochen – selbst zu einem zweiten Gott, einem „sicut deus“509 macht. Über seine Beschäftigung mit Zinzendorf berichtet Bonhoeffer auch in dem Brief an Eberhard Bethge vom 31. 07. 1936 solches: „Was für ein modriger Untergrund diese Frömmigkeit. […] Ja, das ist der Mensch! der fromme Mensch! Es graut einem vor den Folgen des finitum capax infiniti! Es muß die reine und wahrhafte Luft des Wortes um uns sein. Und doch, wir können nicht über uns hinweg-springen. Aber bloß weg mit den Augen vom Menschen! es [sic!] ist widerlich!“510
Damit ist zu konstatieren: In der kirchengeschichtlichen Kontroversformel des traditionell scholastischen Grundsatzes511 „Quod finitum est, infinitum comprehendere non potest.“512 erweist sich für Bonhoeffer das eigentliche Problem aller pietistischen Frömmigkeit. Nicht in der Erleuchtung des Heiligen Geistes kann das Endliche das Unendliche erfassen, der Mensch ist in seiner Gottverlassenheit immer auf seine Endlichkeit zurück verwiesen. „Gott bleibt immer der Herr, immer Subjekt,“ heißt es dazu mit Barth in Akt und Sein, „so daß, wer ihn als Gegenstand zu haben meint, nicht mehr ihn hat; er ist immer der ‚kommende‘, nie der ‚daseiende‘ Gott.“513 Diese Form des „glaubenden Erkennens“514 wurde oben schon angezeigt,515 allein im Kommen Gottes legt sich die Schrift aus, es geht hier nicht um etwas Vorfindliches, das mit den Mitteln menschlicher Vernunft erschlossen werden könnte. Gegen die grundsätzliche Übersteigerung des Menschen, der sich in dieser Form des Frömmerseins eine eigene Erkenntnis Gottes erschaffen will,516 der seine eigenen Stimmungen und Gefühle, die Frömmigkeit seines Herzens über die Taten Gottes im Auge hat, will Bonhoeffer die lutherische Betonung der Niedrigkeit des Menschen vor Gott in den Mittelpunkt rücken, wo „mit elementarer Gewalt die Größe Gottes und seiner Wundertaten durch[bricht] und der Mensch […] klein, aber herrlich [wird], er […] gewürdigt [wird], diesen Gott der Allmacht zu preisen und an-
508 509 510 511 512 513 514 515 516
bis zum Jahr 1680 geschrieben sind mit solchen des Pietismus, und der Unterschied kann keinem verborgen bleiben.“ Cf. SF, 108. SF, 131. ITAF, 210. Diese Aussage mutet in ihrer Absicht dem obigen Exkurs zu Barths Kritik am Biblizismus ähnlich an, wenn beide sich dezidiert gegen einen menschlichen Übergriff auf die Offenbarung verwehren. Cf. AS, 78 (Anm. 7). Musculus, Loci communes sacrae theologiae, 430. AS, 79. Cf. dazu Barth, Schicksal und Idee, in: GA III.24, 368. AS, 123. Cf. § 2.1.6. Cf. SF, 108.
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zubeten.“517 Vielmehr zeigt sich allein in Christus, dem Menschgewordenen, Gekreuzigten und Auferstandenen, die Schrift dem Menschen – in der Anbindung an die Kirche.
2.2.7 Prüfender Biblizismus und biblische Kritik Hat sich Dietrich Bonhoeffers Umgang mit der Schrift in der Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Methodik als teilweise sonderbare, manchmal fremd anmutende Art und Weise, das Wort ganz in den Mittelpunkt zu rücken und es beinahe in seiner Beschaffenheit und Eigenheit zu hypostasieren, erwiesen, schien eine Untersuchung des bonhoefferschen Biblizismus angebracht. Wenn hier sodann unterschiedliche Facetten desselben deutlich gemacht wurden, zeigte sich darin nicht selten eine Nähe zu Themen und theologischen Umgangsweisen Luthers wie Barths, aber auch der altprotestantischen Orthodoxie und des Pietismus. In diesem Vergleich Bonhoeffers mit orthodoxen wie pietistischen Hauptthemen und Vertretern wurde deutlich, wie nah sein Bibelgebrauch diesen steht. Bonhoeffers Umgang mit der Heiligen Schrift changiert damit zwischen zwei Polen, die in der Hochschätzung und Sorge um die Autorität derselben ihren gemeinsamen Anknüpfungspunkt finden. Schnell war zu sehen, dass Bonhoeffer einem Dogma der Inspiration der Schrift nur in bestimmter Weise zustimmen kann. Hatten die Altprotestanten mit Hilfe der Philosophie der Theologie zu wissenschaftstheoretischer Bildung verholfen und die theologische Arbeit methodisch reflektiert sowie kontroverstheologisch streitbar gemacht,518 entwickelten sie daraus die Lehre der Infallibilität der Schrift, die das reformatorische Diktum des sola scriptura zu prinzipieller, allumfassender Bedeutung brachte519 und den einst lebendigen Geist im starren Buchstaben einfing, um so das ewige Wort des Vaters mit der Schrift zu identifizieren.520 Damit aber war ein Auslegungsprinzip erschlossen, das weder 517 518 519 520
L, 355. Cf. Steiger, Philologia Sacra, 9f. Cf. Gerhard, Loci theologici II, 13: „[U]nicum ac proprium theologiae principium“. Zugleich betonen auch einige neuere Untersuchungen der Epoche der altprotestantischen Orthodoxie immer häufiger, dass die „Inspirationslehre […] nicht nur auf das engste mit Theorie und Praxis zusammen[hängt], sondern […] konkret zur Übung von Frömmigkeit [motiviert, sind doch] Geistbegabung und Durchleuchtung des Lesers […] die Voraussetzungen für die wahrhaft wirksame, belehrende und tröstende Exegese der Bibel, die von den geistbegabten Schreibern niedergelegt wurde.“ (Steiger, Philologia Sacra, 36.) Dennoch müssen, da in dieser Arbeit auf die Grundlinien der Orthodoxie wie auch des Pietismus nur in Ansätzen hingewiesen werden kann, deren basale Strukturen ohne tiefergehende Ausdifferenzierung als Kriterium verwendet werden, so dass solche Bestrebungen nicht dezidiert reflektiert werden können.
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einer wie auch immer gearteten Disposition des Lesers, noch eines Interpretationsschlüssels außerhalb der Schrift selbst bedurfte; in der Schrift selbst nämlich fand man die media hermeneutica, womit klare wie dunkle Stellen changierend sowie reziprok reflektierend aus- und miteinander zu interpretieren waren. Hier erwies sich Gottes Macht, indem er sich in der Schrift nicht nur eindeutig finden lassen wolle, sondern auch den Menschen auffordere, ihm zuzuhören. Dass der Mensch die Schrift dann auch nicht nur als principium cognoscendi (das nicht selten zum principium essendi verkehrt wurde), sondern auch als principium operandi erfährt,521 kann Bonhoeffer so freilich nicht hinnehmen. Zunächst jedoch sind die Parallelen offensichtlich, weil Bonhoeffer sich ausdrücklich in der lutherischen Nachfolge und dessen Hochhaltung des sola scriptura sieht. Es war zu sehen, dass die Forderung der Inspiriertheit, genauer die Autorenschaft, der Schrift auch für Bonhoeffer eine göttliche ist, die sich ebenfalls an das Wort bindet, zumal der Mensch als Ausleger der Schrift für ihn in einem circulus vitiosus feststeckt, aus dem er aus eigener Kraft nicht entkommen kann. Mit Immanuel Kant legt Bonhoeffer diese in seiner Übung Theologische Psychologie mit den Worten dar: „Das Ich ist stets nach vor- und rückwärts bezogen. Das Ich läuft zwischen zwei Grenzen der transzendentalen Apperzeption und dem Ding an sich. Das Ich kann sich selbst nie denken. […] Das Ich läuft hin und her.“522 So ist es auch ihm darum, Gott als den alleinigen Autor der Heiligen Schrift zu wissen, denn „[d]as Denken kann sein eigenes letztes Warum nie beantworten, weil auch diese Antwort wieder ein Warum gebären würde.“523 Gegen ein anfangsloses Denken schlechthin setzt Bonhoeffer den „schlechthin Anfängliche[n]“,524 der allein im Anfang war, der des Menschen Begrenztheit der Erkenntnisfähigkeit offen zutage legt. Anstatt aber nun diese Urheberschaft an den Buchstaben selbst zu binden, sei es im Sinne einer orthodoxen Lehre der Realinspiration oder einer pietistisch abgewandelten Personalinspiration, besteht Dietrich Bonhoeffer auf die Menschlichkeit des Wortes. Beinahe paradox anmutend formuliert er dieses in seinem Vortrag Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte mit den folgenden Worten: „Wohl sagen auch wir, daß Gotteswort und Menschenwort in der heiligen Schrift verbunden seien, aber so, daß Gott selbst sagt, wo sein Wort ist und daß er das sagt im Menschenwort.“525 In der Schrift spricht Gott, sie ist aber zugleich Menschenwort, beides kann nicht voneinander getrennt werden, beides 521 Cf. Steiger, Philologia Sacra, 19–37; Baur, Johann Gerhard, 110f.; Matthias, Art. Orthodoxie I, 477f. 522 B, 180. 523 SF, 26. 524 SF, 29. 525 ITAF, 408.
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ist aber auch nicht als identisch zu betrachten. Wie Eduard Thurneysen es ausdrückt: „Sie erscheint in der Verkleidung, in der Verhüllung einer zufälligen Geschichtswahrheit, sie trägt den Charakter der Kontingenz.“526 Gott gibt sich im Menschenwort zu erkennen, er bindet sich an dieses, zugleich verewigt er aber nicht den Buchstaben zu etwas Absolutem, das in der Welt fassbar wäre.527 Gegen eine Verdinglichung der Offenbarungsquelle setzt Bonhoeffer demnach den reformatorischen funktionalen Offenbarungsbegriff, der in Form eines hermeneutischen Zirkels die Schrift als sich selbst auslegend aufzeigt. Hält auch die Orthodoxie am lutherischen ‚sacra scriptura sui ipsius interpres‘ fest, ist doch der Begründungszusammenhang augenscheinlich ein fundamental unterschiedlicher: Will diese Klarheit und Selbstauslegung der Schrift in ihrem Schriftprinzip normieren, nutzt sie dafür ein philosophisches Erkenntnisprinzip, das aller Schriftauslegung vorausgeschickt wird, um deren göttlichen Ursprung und deren unverbrüchliche Autorität zu begründen. Anstatt also, wie dennoch grundsätzlich gerne hervorgehoben, das lebendige Wirken des Heiligen Geistes anzunehmen, wird die Inspiriertheit der Schrift außerhalb der Schrift erkenntnistheoretisch als philosophisches Prinzip festgesetzt. Wenn Bonhoeffer hier gleich dem calvinistischen Grundsatz des „sine spiritus sancti illuminatione, verbo nihil agitur“528 Gott als handelndes Subjekt in der Schrift versteht, wird die Schrift als Objekt selbst zum redenden Subjekt. „[E]s ist Gottes Wahrheit, sofern er es sagt.“529 In der eigentümlichen Bindung Gottes an das Menschenwort ist das Spezifikum der Heiligen Schrift somit begründet; in der Erkenntnis der Bibel als solches bildet sich alle weitere Schriftauslegung, die weder an deren signifikantem Wesen vorbeigehen, noch sich derer eigenständiger Wirksamkeit bemächtigen möchte. Wie genau Bonhoeffer diese Beschaffenheit der Heiligen Schrift erkannt haben will, soll im Folgenden noch genauer untersucht werden,530 hier jedenfalls ist festzustellen: Die Schrift ist Gottes Wort in menschlicher Gestalt. „Gibt es nur die eine Offenbarung – Vervielfältigung heißt Vermenschlichung –, so muß diese aus sich selbst verstanden werden.“531 Dementsprechend hoch ist Bonhoeffers Wertschätzung des je einzelnen Wortes in seiner Komposition innerhalb der Schrift. Wenn aber die Orthodoxie 526 Thurneysen, Offenbarung und Schrift, 14. 527 Cf. Barths Kritik zur orthodoxen Verdinglichung des Buchstabens: „Aber auch ihre Schwäche: sie war – einem modernen Historismus, wie dem Gunkels darin übrigens nur zu ähnlich – merkwürdig unbeweglich und unergiebig, wenn es gegolten hätte, das exegetisch richtig festgestellte und festgehaltene Einzeldatum nun auch theologisch zu würdigen und zu verstehen, in diesem Fall also: von der greifbaren Wunderlichkeit zu dem offenbarten Geheimnis dieser überhimmlischen Wasser vorzustoßen.“ (Barth, KD III/1, 154.) 528 Calvin, Institutio III/2, 33. 529 SF, 29. 530 Cf. § 4.1.4 und 4.2.1. 531 JuS, 311f.
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mit ihrer Inspirationslehre die Autoren der Bibel zu Gottes Schreibfeder macht532 und sich der Unfehlbarkeit der Schrift darin versichern will, dass allein im sensus litteralis die Wahrheit des Wortes Gottes festgeschrieben sei, bringt sie mit einem solchen „doktrinäre[n] Biblizismus“533 nicht nur die Frage nach der Vernehmbarkeit Gottes in der Schrift auch für Ungläubige auf,534 sondern gerade einen Umstand, den sie doch mit der Dogmatisierung der Schriftlehre abwehren will. Bedarf die Schrift aber für die Proklamation ihrer Unhinterfragbarkeit und Irrtumslosigkeit einer abstrakten, allgemein verbindlichen Explikation, erweist sich das Paradoxon umso dezidierter, wenn in erster Linie eben doch nicht aus sich selbst, sondern aus diesem zuvorkommenden Prinzip. In Form eines biblischen Realismus, der im Bildlichen das Tatsächliche sehen wolle, so Bonhoeffers Einspruch, trage die Orthodoxie damit etwas Menschliches an die Schrift heran, dem entgegenzuwirken doch eigentlich der Beweggrund für eine Proklamation der Verbalinspiration gewesen sei. Ähnliches war bereits in der Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Exegese zu sehen:535 Wollen die Altprotestanten mit der aristotelischen Erkenntnistheorie die Schriftautorität unabhängig von allen menschlichen Meinungen und Urteilen verkünden, erreichen sie damit augenscheinlich diametral Gegensätzliches. Der Schrift wird ein von außen kommendes Deutungsschema angelegt, das aus menschlicher Erkenntnisfähigkeit dieselbe festgelegt sehen will. Wenn sie Gott an den buchstäblichen Sinn des Wortes gebunden erkennen, finden sie in diesem auch die alleinige Bedeutung, die anhand logischer Rückschlüsse erkannt werden kann. Dietrich Bonhoeffer hingegen geht es dezidiert darum, diesem zu wehren und die Normativität der Schrift gegen alle menschlichen Erklärungsversuche zu schützen. Sie benötigt kein von außen kommendes Auslegungsprinzip, im Gegenteil ist die Schrift einzig und allein ihr eigener Richter, sie ist Maß und Richtschnur für ihre Auslegung; sie kann gerade nicht aus menschlicher Erkenntnis erschlossen werden, stehen doch in ihr auf eigentümliche Weise Gott und Welt einander gegenüber. Dies wird für Bonhoeffer, wie zu sehen war,536 besonders deutlich an der Frage nach der Nacktheit Adams und Evas. Spricht der Mensch von der Erkenntnis dieser Nacktheit, finden sich Auslegungen wie das Aufkommen der Sexualität, des Geschlechtstriebes usf. Spricht die Bibel dagegen von dieser Einsicht, ist damit Bonhoeffer zufolge ein weit über die einzelne Wortbedeutung hinaus geltender Bedeutungszusammenhang im Blick: Das Erkennen der eigenen Blöße und der daraus resultierenden Scham dem Nächsten gegenüber beschreibt den Zustand der gefallenen Menschheit. Weil Adam und 532 533 534 535 536
Cf. Gerhard, Loci theologici II, 15. Kraus, Erforschung des Alten Testaments, 32. Cf. Kraus, Erforschung des Alten Testaments, 35f. Cf. § 2.1.6. Cf. § 2.2.4.
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Eva zu ihrer eigenen Mitte geworden sind, weil sie um sich selbst kreisen, müssen sie notgedrungen am anderen an eine Grenze außerhalb ihrer selbst stoßen, so „daß der Mensch in der Scham seine Grenze anerkennt.“537 Die Bibel verweist nach Bonhoeffer in der Nacktheit demnach auf eine andere Dimension als die des Geschlechtstriebes, wenn er auch überraschenderweise der alten kirchlichen Dogmatik Recht darin gibt, die Ursünde in einer verkehrten Sexualität zu erkennen.538 Das mutet freilich zunächst fremd an und kann wahrscheinlich auch so nicht mehr nachgesprochen werden. Was aber will Bonhoeffer damit verdeutlichen? Eine erste Einsicht erhält man darin, dass er vor dem Fall von der „Geschlechtlichkeit“539 und nach dem Fall von der „Sexualität“540 spricht. Mit dem Aufbegehren Adams und Evas ändert sich demnach in seiner Lesart nicht nur etwas zwischen Gott und Menschen, sondern auch zwischen Mensch und Mensch. Hatte wohl gerade der Protestantismus in einem „moralischen Naturalismus“541 auf diese Interpretation der alten Kirche als Unsinn verwiesen, kann Bonhoeffer in seinen Anmerkungen zu Sanctorum Communio in der augustinischen Ausarbeitung der Ursündenlehre „das Interesse für die Allgemeinheit der Sünde, über das für die Einzelschuld“542 überwiegend erkennen. Gegen die Orthodoxie, die in moralistischer Verkehrung den Umstand der Nacktheit auf den Einzelnen überträgt, geht es Bonhoeffer damit also in der Gefolgschaft Luthers, der im „‚Ichwillen‘ […] das Wesen der Erbsünde“543 erfasst, um eine „Verkehrung des Verhältnisses von Mensch zu Mensch“.544 Die Erkenntnis der Nacktheit ist ihm
537 538 539 540 541 542 543 544
SF, 117. Cf. SF, 118. SF, 94. SF, 118. SF, 117. SC, 244. (Anm. zu Seite 71.) SC, 245. (Anm. zu Seite 71.) SF, 118. Wie Bonhoeffer in Schöpfung und Fall von der Erbsündenlehre in Verbindung zur Sexualität spricht, unterscheidet sich augenscheinlich von seiner Auseinandersetzung in seiner Dissertation. Stand in Sanctorium Communio noch der ethische Aspekt gegen den biologistischen im Mittelpunkt, war mit der Auslegung der Genesis 1932/33 „die geschlechtliche Unreinigkeit [in] eine besondere Nähe zur Ursünde [gerückt]; was die katholische Erbsündenlehre ausdrückt, eine besondere Beziehungsnähe zwischen πορνεία und Ursünde.“ (ITAF, 735.) Gegen Schmidts Heiligung des Natürlichen (Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 40.) sieht er den Fall des Menschen auch auf dessen Leiblichkeit bezogen. (Siehe dazu auch N, 280.) Dass das ein zur Diskussion stehender Sachverhalt ist, wird dann deutlich, wenn Bonhoeffer schon in seiner Christologievorlesung „Christus als die Mitte der Natur“ (B, 310.) erklärt, aber erst in seiner Ethik mit der Befreiung der Natur in Jesus Christus die Leiblichkeit (innerhalb der Ehe) mit einbezieht. (Cf. E, 182. Cf. dazu auch Green, Mitmenschlichkeit, 237.)
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nun genau das erste Zeichen für diese Entzweiung der einstigen Einheit des Menschenpaares. Wenn Bonhoeffer hier demnach nicht bei einer buchstäblichen Übersetzung des biblischen Textes stehen bleibt, sondern einen ganzen Erfahrungskomplex aufmacht, zeigt das deutlich zwei Unterscheidungen zur Orthodoxie: Einerseits überführt er die menschliche Erkenntnisfähigkeit der Grenzen ihrer eigenen Rationalität, andererseits verwehrt er sich gegen eine Atomisierung einzelner Stellen. So wurde deutlich, dass man auf orthodoxer Seite zwar gerade gegen erstarkende pietistische Strömungen die lectio continua stark machte und die Einheitlichkeit des Kanons aufgrund des göttlichen Ursprungs hervorhob, man blieb aber auch hier hinter den eigenen Maximen zurück: Trotz einer Betonung der Kanonizität, d. h. der Vollgültigkeit und Gleichwertigkeit des Alten wie des Neuen Testaments, erreichte dieses Diktum in der Auslegungspraxis wenig Konsequenzen. Die gleiche Widersprüchlichkeit kann Bonhoeffer auch am pietistischen Umgang mit der Schrift aufzeigen, wenn in der Betonung der Einheit des Kanons und des lutherischen solus Christus gleiche Leitsätze zugrunde liegen, jedoch in einer Fokussierung auf einzelne Bibelverse der Blick auf die ganze Schrift verloren zu gehen droht. Bonhoeffers Herangehensweise unterscheidet sich in Schöpfung und Fall diametral: Hier zeigt er zu allererst, dass Altes und Neues Testament nur miteinander, nie in hierarchischer Ordnung, nie einlinig oder gar eigenständig für sich gelesen werden können. Bleibt man bei dem Beispiel der Nacktheit, setzt er dieses auch wie folgt um: Die Erkenntnis derselben ist dementsprechend nicht das Zeichen eines erwachenden Geschlechtsinns,545 sie ist im Gegenteil ein Hinweis auf den Fall des Menschen. Das aber kann Bonhoeffer nur aus und von der ganzen Schrift her bestimmen, genauer nur aus einer von Jesus Christus her verstandenen Schrift. Nicht nur einmal weist er darum auf Jesus Christus als einziges hermeneutisches Prinzip aller Schriftauslegung hin, ist doch „die Schöpfungsgeschichte […] allein von Christus her zu lesen und erst dann auf ihn hin […].“546 Es verschiebt sich hiermit demnach das orthodoxe Prinzip der Auslegung dahingehend, dass nicht mehr die Schrift in ihrem Buchstaben principium cognoscendi ist, sondern Gott das Erkenntnisprinzip seiner selbst. Infolgedessen kann Bonhoeffer mit Barth konstatieren: „Formal- und Materialprinzip der Dogmatik sind identisch, das Materialprinzip ist nicht ein aus anderen Quellen geschöpftes, sondern auch = Schrift.“547 Christus als Inhalt, nach Barth als Ge545 Cf. Schmidt, Paradies und Sündenfall, 22. 546 SF, 22. 547 JuS, 474. Cf. Barth, Christliche Dogmatik, 574: „[…] daß das Formal- und Materialprinzip also eins und dasselbe ist […].“
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genstand, bestimmt die Auslegung, allein von ihm her gewinnt der Kanon nicht nur seine Einheit, sondern auch seine Auslegung. Mit Barth ist also hervorzuheben: „Das dogmatische Denken ist, unter dem Gesichtspunkt der Heteronomie betrachtet, formbestimmt, […] es ist, unter dem Gesichtspunkt der Autonomie betrachtet, gegenstandsbestimmt.“548 In der orthodoxen Lehre der Verbalinspiration, die einen allgemeinen, philosophischen Schlüssel vor alle Auslegung für alle Auslegung setzt, also als eine fremdbestimmte Hermeneutik auftritt, wird die Form nicht nur dem Gegenstand vorgezogen, sondern vielmehr aus einer anderen Quelle geschöpft. Wird dagegen aber Christus als Maßstab aller Auslegung betrachtet, sind Material- und Formalprinzip identisch, tritt doch eben kein außerhalb der Schrift liegendes hermeneutisches Prinzip vor die Auslegung. Somit erweist sich, mit Barth gesprochen, „[d]ie Form, von der es bestimmt wird, und der Gegenstand, im Blick auf den es sich selbst bestimmt, [als] das ihm so oder so gegenüberstehende souveräne Wort Gottes. Seine Heteronomie und seine Autonomie sind (wohlverstanden: jenseits seiner selbst, in der Schriftoffenbarung) Theonomie.“549 ‚Sacra scriptura sui interpres‘ wird mit Bonhoeffer somit nur darin ernst genommen, wenn Christus als alleiniges ‚Prinzip‘ aller Schriftauslegung gilt, wenn allein Gottes Wort selbst die Schrift auslegt. In der äußersten Umsetzung einer Christuszentriertheit, die beinahe einem Christusmonismus ähnelt, wie ihm von Zeit zu Zeit immer wieder vorgeworfen wird,550 muss Bonhoeffer seine studentische Luthergefolgschaft551 zumindest in der Frage nach dem Kanon damit korrigieren; denn wenn Christus als einziger Inhalt der Schrift gilt, ist infolgedessen nicht die Schrift danach zu beurteilen, ob sie Christum treibet, sondern dass sie Christum treibet. Deutlich verschiebt sich hier also die kritische Offenheit des Kanons hin zu einer dezidierten Geschlossenheit desselben, die sich aber nicht im barthschen Sinne einer radikalen Gleichsetzung aller Schriften ausbuchstabiert, sondern eben in einem ‚Christusprinzip‘, das alle Schrift von Christus her auf Christus hin zu lesen verlangt. Dass sich daraus dann ebenso die Frage nach der Normativität der Schrift ergibt, ist augenscheinlich. Verwehrt sich Bonhoeffer gegen die Hypostasierung der Schrift als „Wunderbuch“, wie Martin Kähler es nennt,552 erschließt sich die Autorität derselben dann auch nicht nach orthodoxem wie pietistischem Glauben aus einem hermeneutischen Erkenntnisprinzip, wird es auch Gott genannt. Vielmehr ist allein Christus das Kriterium jeder Schriftauslegung, er selbst gilt als Maßstab dessen, was wahr ist. Um hier aber ebenfalls einer Übereignung des Menschen zu wehren, setzt Bonhoeffer für die Erkenntnis Gottes in der Schrift 548 549 550 551 552
Barth, Christliche Dogmatik, 574. Barth, Christliche Dogmatik, 574. Cf. Mayer, Christuswirklichkeit, 70f. (v. a. Anm. 113a). Cf. JuS, 320ff. Kähler, Unser Streit um die Bibel, 39.
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neben Christus die Kirche. Denn die „Bibel ist das Buch der Kirche. Sie ist dies ihrem Wesen nach, oder sie ist nichts.“553 Was Bonhoeffer in seiner Dissertation Sanctorum Communio in der Formel „Christus als Gemeinde existierend“554 beredt grundgelegt hat, kommt hier somit zum Ausdruck. Kirche und Christus sind nicht zu trennen. In welchem Verhältnis diese zu denken sind, ist freilich noch genauer zu untersuchen.555 Dass dieser hermeneutische Erkenntniszirkel aber als eine unumstößliche Einheit auch in seiner Paradoxie bestehen bleiben muss, ist für Bonhoeffer unbestreitbar, bezeugt die Kirche doch allein Christus und ist wiederum sie selbst einzig aus der Schrift, d. h. aus Christus existierend. Mit Christus als dem Schlüssel der Schrift wird demnach einer jeden buchstäblichen Überhöhung derselben gewehrt, zugleich aber auch eine Erhöhung des Wortes betont. Findet der Mensch Gott nur in der Bibel, d. h. in Christus – genauer lässt Gott sich nur in Christus finden –, gehört für Bonhoeffer zur Schriftauslegung notgedrungen immer Demut des Menschen. Das zeigt sich nicht nur in der Abwertung menschlicher Erkenntnisfähigkeit, sondern besonders im Aufruf zum exercitium, ohne dem sich der Schrift nicht zu nähern sei.556 Wird dieser Umgang mit derselben in den Jahren nach 1933, vor allem in Finkenwalde, deutlich, muss Gleiches aber auch für Schöpfung und Fall bemerkt werden. Sicherlich finden sich hier keine Grundsatzüberlegungen zur Herangehensweise an die Schrift, das würde eine Vorlesung über Hermeneutik, aber nicht über einen biblischen Sachverhalt beinhalten; indes wird jedoch schon in der bonhoefferschen Art und Weise sich dem Wort zu nähern deutlich, dass genau hier nichts anderes geschieht als Meditation. Gemeinsam mit den Hörern wird in einer Versanalyse, die auch eine Stunde überschreiten kann,557 in langsamem, beinahe zögerlichem Herangehen die Schrift zum Teil Wort für Wort untersucht, akribisch abgewogen und auf ihren Verstehenshorizont befragt. Mit der Voraussetzung, sich ganz auf den Text einzulassen, erweist sich hier eine eigentümliche Nähe zum Pietismus, die unübersehbar wird, wenn Bonhoeffer auf der „innerste[n] Beteiligung“558 beim Lesen der Schrift besteht. Wenn jedoch der Pietismus beispielsweise unter Spener, Francke und Zinzendorf den Geist resp. eine Erleuchtung des Herzens als notwendige Bedingung voraussetzt, verschiebt sich die eigentlich zu bewahrende Lebendigkeit des 553 554 555 556
SF, 22. SC, 127 u. ö. Cf. § 4.2.2. Cf. L, 129 (Brief an E. Sutz vom 28. 04. 1934 über Nachfolge): „Ich sitze an einer Arbeit, die ich Exerzitien nennen möchte […].“ 557 So behandelt Bonhoeffer die ersten beiden Verse der Genesis über drei Vorlesungsstunden hinweg. (Cf. SF, 29 [Anm. 16] und 36 [Anm. 37].) 558 GL, 48.
Eine Art frommer Biblizismus
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Heiligen Geistes erneut zu einem Formalprinzip, das außerhalb der Schrift zu finden ist. Auch hier wird ihr demnach nicht zugestanden, sich selbst auszulegen. So erweist sich in der aus dem Bekehrungserlebnis erwachsenden praxis pietatis für Bonhoeffer gerade eben auch das gegen die Orthodoxie gewehrte Problem, des Menschen als Ausleger der Schrift, ist es doch hier wie da wieder etwas außerhalb der Schrift – sei es ein gesetzter Gott oder ein absoluter Geist –, das den Menschen zu ihrem Verständnis befähigt. Zudem rückt für Bonhoeffer eine solche Betonung der Wiedergeburt im Geiste auch eine personalistische Heilserwartung in den Mittelpunkt, die allein auf den Menschen, nicht aber auf Christus die Aufmerksamkeit richtet. Dementsprechend sind Zinzendorf die Losungen auch Mittel, die Gemeinde im Umgang mit der Schrift an die Hand zu nehmen, indem diese ausgewählten Verse durch angeleitetes Lesen in den Zustand des Heils verhelfen sollen. Darf es für Bonhoeffer also beinahe als unausgesprochene hermeneutische Regel gelten, an den Text mit innerer Beteiligung zu treten, ist damit nicht eine Geisterleuchtung gemeint, vielmehr geht es hier um den Menschen, der als solcher vor Gott steht, wie er ist: als Gefallener; – und im Blick auf Jesus Christus, ist hinzuzufügen, als Gerechtfertigter zugleich. Damit aber eine wahre Erkenntnis der Schrift erfolgen kann, geht es darum, sich ganz auf den Text einzulassen, nicht die je eigenen Gedanken in die Bibel einzutragen,559 sondern diesen „wirklich zu hören.“560 Spricht Bonhoeffer in Gemeinsames Leben davon, „in der Meditation den uns gegebenen Text auf die Verheißung hin [zu lesen], daß er uns ganz persönlich für den heutigen Tag und für unsern Christenstand etwas zu sagen habe, daß es nicht nur Gottes Wort für die Gemeinde, sondern auch Gottes Wort für mich persönlich ist […]“,561 mutet das in der Tat pietistisch an. Liest man aber genau, geht es hier um diesen Menschen vor Gott, der ohne geistige Erleuchtung an die Schrift herantritt, der „lieber bereit [ist] zu einem sacrificium intellectus“,562 als sich selbst in die Schrift einzutragen. Zugleich erweist sich diese Leseweise der Schrift auch als ein Lesen, das den Menschen persönlich im Innersten treffen und den Menschen verändern soll. Es tritt also zu Bonhoeffers Biblizismus ein weiteres Moment hinzu, das den Menschen in seiner Existenz trifft und diesen „im Blick auf den wahrhaftigen Gott“563 als neuen Menschen erkennt. Dass dieses aber nur geschehen kann, wenn die Schrift als Wort Gottes erkannt wird, ist für Bonhoeffer die Grundlage aller 559 Cf. ÖUP, 353: „[I]st es nicht in allem erschreckend deutlich geworden, daß wir der Bibel nicht mehr gehorsam sind? Wir haben unsere eigenen Gedanken lieber als die Gedanken der Bibel. Wir lesen die Bibel nicht mehr gegen uns, sondern nur noch für uns.“ 560 ITAF, 147. 561 GL, 70. 562 ITAF, 147. 563 ITAF, 147.
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Schriftauslegung. Und so kann er auch, im Ernstnehmen des Wortes Gottes, die Schrift als Wort an den Menschen erkennen, sodass die Exegese, mit Barth gesprochen, ein „Gespräch [sein muss], bei dem der Eine redet und der Andere hört. Das Hören, wenn auch unter der Voraussetzung jener geheimen Identität mit dem Redenden, ist die Aufgabe des Exegeten.“564 Das aber gilt es im Folgenden zu untersuchen.
564 Barth, Calvin, 526.
3.
Zu Bonhoeffers existentialer Bibelinterpretation
3.1
Bonhoeffer und Bultmann
3.1.1 Vom wesentlichen Unterschied Gottes und des Menschen In der bisherigen Auseinandersetzung mit Dietrich Bonhoeffers Handhabungsweise biblischer Texte wurde deutlich, dass dieselbe weder oberflächlich noch eindimensional ist. Von der Notwendigkeit der historisch-kritischen Betrachtung und zugleich ihrer Verwiesenheit an ihren Bereich sowie den sich daran anschließenden, vielleicht auch gerade daraus resultierenden Biblizismus, der in jedem Wort der Schrift Gott erfährt, wurde bereits gesprochen.1 Gerade aber an dieser Stelle ist diese Untersuchung angekommen. Bonhoeffer, der zwar bereit ist ein „sacrificium intellectus“2 einzugehen, sich 1932/33 jedoch der historischkritischen Methode verpflichtet fühlt, steht mit seiner Vorlesung Schöpfung und Fall in dieser Zwickmühle aus Glauben und Verstehen, aus Vertrauen und intellektueller Erfahrbarkeit. Während sein Umgang mit der Genesis zwischen den Polen der historisch-kritischen Methode und einem frommen Biblizismus vermitteln will, steht für ihn demnach eine Exegese auf dem Plan, die beides will: glaubend verstehen und verstehend glauben; keines aber ohne das andere, kann ein rein intellektuelles Nachgehen des Wortes Gottes doch nur sich selbst aufsitzen. Mit dieser Problembestimmung findet sich Dietrich Bonhoeffer in der Nähe zu einem Theologen, dem es genau um diese „Verpflichtung zur vernünftigen Rechenschaft […], der intellektuellen Redlichkeit des Glaubenden“3 geht: Rudolf Bultmann. Werden beide, Rudolf Bultmann und Dietrich Bonhoeffer, zumeist hinsichtlich dessen späten Überlegungen aus der Gefängniszelle in Tegel über die nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe miteinander in Verbindung 1 Cf. § 2.2. 2 ITAF, 147. 3 Harbsmeier, Die Theologie Bultmanns und die Philosophie, 469.
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gebracht, vor allem, weil dieser dabei selbst auf den Theologen Bultmann und dessen Entmythologisierungsprogramm rekurriert,4 ist schon früher eine Nähe beider zueinander zu konstatieren und zwar in der für Bonhoeffer bestimmenden Frage nach Jesus Christus für uns heute.5 Beide sind daran interessiert, dem Evangelium in der mündig gewordenen Welt zu seinem Recht zu verhelfen. Bereits in seiner Habilitationsschrift Akt und Sein gilt ihm Bultmann als Referenzpunkt für die Frage nach der Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie und von da ausgehend nach der Frage der Offenbarung.6 HansRichard Reuter verweist in seinem Nachwort zu Akt und Sein auf eine Unterbelichtung dieser „schwer zu leugnende[n] systematische[n] Affinität zum theologischen Denkversuch Rudolf Bultmanns“,7 die für ihn darin besteht, dass Bonhoeffer mit Bultmann grundlegend sagen kann: „Von Gott reden heißt von unserer eigenen Existenz reden“,8 also: Von Gott reden, heißt immer auch vom Menschen selbst reden zu müssen. Schon in Sanctorum Communio hatte Bonhoeffer sich gegen Barth mit Bultmann für die christliche Existenz als Existenz in der Liebe zu Christus und zum Nächsten verbunden gefühlt.9 Demgemäß findet Bultmanns Versuch, die „Intentionalität des Glaubens“10 auf Offenbarung hin so zu denken, dass von der geschichtlichen Existenz des Menschen als einer von Gott bestimmten Wirklichkeit gedacht werden kann, bei Bonhoeffer Beachtung, wie auch die theologische Ausarbeitung eines christlichen Begriffes des Daseins.11 Entbehre Bonhoeffers Ansicht nach die Theologie Karl Barths dagegen eines solchen, erschließe sich diesem dann gleichsam ebenso nicht die Frage nach der existentiellen Annahme des Glaubens, scheinen doch die objektive und die subjektive Möglichkeit der Offenbarung auseinander zu fallen.12 Das aber macht die Theologie Bultmanns für Bonhoeffer attraktiv, basiert diese hingegen auf dem Daseinsbegriff Heideggers, der nach Bonhoeffers Einschätzung auf „das
4 5 6 7 8 9
Cf. bspw. WE, 414.482. Cf. Krause, Bonhoeffer und Bultmann, 439. Cf. AS, 71ff. Cf. dazu Frick, Rudolf Bultmann, 226. AS, 172. Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 179. Cf. SC, 111 (Anm. 28). Bonhoeffer zitiert hier Bultmann, Jesus, 106: „Was ich dem Nächsten erweise an Güte, Mitleid, Erbarmen usw., ist nicht etwas, was ich für Gott tue; der Nächste ist also nicht gleichsam ein Werkzeug, mittels dessen ich Gottes Liebe übe […]. Wie ich den Nächsten nur lieben kann, wenn ich meinen Willen ganz hingebe an Gottes Willen, so kann ich Gott nur lieben, indem ich will, was er will, indem ich den Nächsten wirklich liebe.“ Dagegen hebt Barth in seinem Römerbrief den anderen als den „an sich unendlich gleichgültigen“ hervor. (Barth, Römerbrief, 476.) 10 Bultmann, Zur Frage der Christologie, 88. 11 Cf. AS, 172. 12 Cf. Schnübbe, Der Existenzbegriff in der Theologie Bultmanns, 15f. Cf. dazu Kuhlmanns Hinweis in Kuhlmann, Zum theologischen Problem der Existenz, 31.
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Problem von Akt und Sein […] eine wirkliche Zusammenordnung von beidem erreicht.“13 Zudem war schon zu sehen, dass Bonhoeffers Vorlesung als „Theologische Auslegung“ angekündigt war und er sich dabei in seiner Methode an Karl Barth hält, der in seinem Römerbrief von 1922 erklärt: „Wenn ich ein ‚System‘ habe, so besteht es darin, daß ich das, was Kierkegaard den ‚unendlichen qualitativen Unterschied‘ von Zeit und Ewigkeit genannt hat, in seiner negativen und positiven Bedeutung möglichst beharrlich im Auge behalte. ‚Gott ist im Himmel und du auf Erden‘. Die Beziehung dieses Gottes zu diesem Menschen, die Beziehung dieses Menschen zu diesem Gott ist für mich das Thema der Bibel und die Summe der Philosophie in Einem.“14
Schöpfung und Fall versteht sich demnach als ein Versuch, diese Hinwendung Gottes zu seinen Menschen nachzuzeichnen, ohne jedoch den darin bleibenden qualitativen Unterschied negieren zu wollen. Zugleich aber wird eine unendliche Nähe des Schöpfers zu seinem Geschöpf betont, wenn er in seiner Vorlesung Geschichte der Systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts im Wintersemester 1931/32 hervorhebt: „Nur wo Gott sich als Subjekt zum Objekt der Theologie macht, wird erst Theologie getrieben. Ob wir erkennen und suchen können, liegt ganz in seiner Freiheit. Darum keine Religionsphilosophie am Anfang; echte Theologie beginnt mit: veni creator spiritus (Anselm, Kierkegaard). Erkennen ist Anerkennen, Denken [ist] Nachdenken. Gott suchen und finden heißt, von ihm gesucht und gefunden werden. Theologie beginnt mit der petitio principii.“15
Unter der Voraussetzung, dass Gott sich in seinem Wort finden lassen will, verbindet der junge Dozent die beiden, manchmal konträr gehandelten Anliegen einer bloßen Exegese in historisch-kritischer Form und einer glaubenden Rezeption. Genau zwischen diesen beiden Positionen lässt sich für ihn ein Nachdenken in theologischer Perspektive finden; in der Hinwendung zur Schrift als dem Wort Gottes, stellt sich damit für Bonhoeffer auch die Frage nach dem Verstehen. Dass es sich bei diesem Verstehen aber nicht um einen rein intellektuellen, sachlich denkenden Nachvollzug der ‚Sache Gott‘ handeln kann, wird bereits da deutlich, wo Bonhoeffer in Schöpfung und Fall von Gott, das war schon des Öfteren zu sehen, in der Mitte des geschöpflichen Lebens spricht. Es ist also, so scheint es Bonhoeffer deutlich machen zu wollen, nicht allein Sache des Menschen, sich der Sache Gottes zu nähern, im Gegenteil wird diese Nähe allein aus und in der Freiheit Gottes hergestellt; es liegt gerade nicht in der Verfügungsgewalt des Menschen, sich des Schöpfers und damit des Anfangs zu be13 AS, 65. 14 Barth, Römerbrief, XX. 15 ÖUP, 201f.
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mächtigen, vielmehr spricht die Bibel als das Wort Gottes den Menschen in seiner Mitte an, in der Mitte seines Lebens und seines Seins.16 Urständlich, so kann Bonhoeffer das bildlich ausdrücken, findet sich Gott in der Mitte des Menschen,17 dessen Platz Christus als Mittler zwischen Schöpfer und Geschöpf nach dem Fall einnimmt.18 Die Existenz des Menschen, ob urständlich oder gerechtfertigt, kann mithin nicht anders als in unendlicher Nähe zu Gott gedacht werden; Bonhoeffer geht sogar so weit zu sagen: „Darin unterscheidet sich der Mensch von der anderen Kreatur, daß Gott in ihm selbst ist, daß er Ebenbild Gottes ist, in dem der freie Schöpfer sich selbst anschaut; das meinten die alten Dogmatiker, wenn sie von der Einwohnung der Trinität in Adam sprachen.“19
Versucht man, eine weitere Facette der bonhoefferschen Auslegung der Schrift zu begreifen, ist in dieser Betonung der Existenz des Menschen als von Gott bedingte eine eigentümliche Nähe zu Rudolf Bultmanns Hermeneutik der existentialen Interpretation zu erkennen. Bibelauslegung bedeutet für Bonhoeffer immer auch ein vom Wort Gottes Betroffensein des ganzen Menschen. Es geht eben gerade nicht um einen rein sachlichen Nachvollzug historischer Argumentation oder ein frommes, allein in der Erleuchtung des Herzens mögliches Nachsprechen des Evangeliums, sondern im Gegenteil um eine existentielle Betroffenheit in der Begegnung mit der Heiligen Schrift. Die Nähe zu Rudolf Bultmanns existentialer Interpretation wird mit den Händen greifbar, wenn dieser in seinem Aufsatz Welchen Sinn hat es von Gott zu reden? von 1925 sagt: „Wir können nicht über unsere Existenz reden, da wir nicht über Gott reden können; und wir können nicht über Gott reden, da wir nicht über unsere Existenz reden können. Wir können nur eins mit dem anderen. […] [E]in Reden von Gott [müsste], wenn es möglich wäre, zugleich ein Reden von uns sein.“20
Mensch und Gott sind in der Frage nach der Existenz nicht zu trennen, das scheint auch Bonhoeffer in seiner Vorlesung Schöpfung und Fall grundgelegt wissen zu wollen. Es stellt sich nun die Aufgabe, diese Nähe zu Rudolf Bultmann genauer zu betrachten, indem maßgeblich Schöpfung und Fall als Kronzeuge heranzuziehen ist; doch auch seine um diese Zeit entstandenen Schriften, unter anderem besonders seine Christologievorlesung, geben ausführlicheren Aufschluss. Zudem soll aber ein Blick ebenso auf die Briefe aus dem Gefängnis gerichtet werden, die zwar zeitlich weit von der Genesisauslegung entfernt ab16 17 18 19 20
Cf. Richards, War Time Preaching, 204. Cf. SF, 78. Cf. SF, 135. Cf. dazu v. a. auch Bonhoeffers Christologievorlesung von 1933 in B, 279–348. SF, 59. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 33.
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gefasst wurden, doch eine erstaunliche Nähe zu und Unterfütterung der frühen Gedanken des jungen Bonhoeffer darstellen.
3.1.2 Das Problem mit dem Verstehen: Die intellektuelle Redlichkeit des Glaubens Im August 1944 schreibt Dietrich Bonhoeffer an seinen Freund Eberhard Bethge: „Es ist so, wie Du sagst, daß das ‚Erkennen‘ das Erregendste in der Welt ist […].“21 Nicht erst seit der Scholastik, die mit ihrem dreifachen Verfahren einen Weg der Gotteserkenntnis anbahnen wollte, um Gott aus den Schöpfungsdingen als Ursache der Welt und vollkommen unterschieden von dieser zu denken, bietet sich die Frage nach dem Verstehen und Erkennen Gottes als eine maßgebliche dar.22 So hatte diese theologiegeschichtlich fundamentale Frage nach der Erkenntnis Gottes auch bei Bonhoeffer bereits in dessen Habilitationsschrift keimhaft seinen Anfang genommen, wenn er versucht, in der Ausdifferenzierung von Akt und Sein Denken und Glauben im Hinblick auf ihre Erkenntnisfähigkeit in ein adäquates Verhältnis zueinander zu setzen.23 Es kann also nicht davon gesprochen werden, dass Bonhoeffer an der Frage nach der Erkenntnis Gottes, nach einer theologischen Erkenntnislehre nicht interessiert sei.24 Von der Dialektischen Theologie, d. h. von der Auseinandersetzung mit Karl Barth herkommend, musste Bonhoeffer dieser Angelegenheit die Problematik nach der Beschaffenheit und dem Selbstverständnis des Menschen hinzufügen. In seinem 1928 in Barcelona gehaltenen Vortrag Jesus Christus und vom Wesen des Christentums folgt er dazu weitestgehend der Kritik Barths25 an der bürgerlichen 21 22 23 24
WE, 563. Cf. dazu bspw. Joest/Lüpke, Dogmatik I, 118–124. Cf. Boomgarden, Das Verständnis der Wirklichkeit, 572. Cf. z. B. Harbsmeier, Die „nicht-religiöse Interpretation“ biblischer Begriffe, 45: „Am Anfang der Bonhoefferschen Erwägungen steht nicht die Problematik der ‚Erkenntnistheorie‘, einer Lehre zum Verstehen geschichtlicher Zeugnisse im allgemeinen und des biblischen im besonderen […].“ 25 Wobei dazu u. a. bei Friederike Barth nachzulesen ist, dass Bonhoeffer nicht unkritisch den Standpunkt Barths rezipierte, sondern sich in seiner ausdrücklichen Rückbesinnung auf Luther auch konfessionell von Barth nicht nur absetzt, sondern diesen auch an jenem beständig zu messen wusste. (Cf. Barth, Die Wirklichkeit des Guten, 404f.) Cf. dazu ÖUP, 197.200.204.207. Hier pflichtet Bonhoeffer den barthschen Theologumena mit Luther bei. Cf. dagegen aber Bonhoeffers Kritik am reformierten finitum non est capax infinitum mithilfe des lutherisch entgegengesetzten Standpunktes in AS, 78.123. Deutlicher noch in seiner Christologievorlesung B, 331–333. Cf. zu der Frage nach dem capax finitum auch § 4.2.4. Cf. dazu auch Beintker, Michael, Kontingenz und Gegenständlichkeit. Zu Bonhoeffers BarthKritik in „Akt und Sein“, in: Die Aktualität der Theologie Dietrich Bonhoeffers, Halle 1985, 29–54 und Pangritz, Andreas, Barth in der Theologie Dietrich Bonhoeffers. Eine notwendige Klarstellung, Berlin 1989.
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Identifikation von Christentum und Moral sowie deren Verfügbarmachung Gottes als einsehbare Glaubenssätze, wenn er die Auffassung der Dialektischen Theologie dagegensetzt: „Gott, der der Welt schlechthin Überlegene, der schlechthin transzendente, d. h. der Welt ferne, ganz andere, dem Menschen und seinem Wesen völlig ungleiche, menschlichem Denken und Wollen für immer Unerreichbare, er will vom Menschen nur eines, daß er vor ihm nichts ist; er beansprucht nichts als die restlose Anspruchslosigkeit des Menschen […]. Jedes Wissen, jeder moralische Anspruch vor Gott verletzt den Anspruch Gottes auf alleinige Ehre, tastet seine Ehre, seine Majestät an. Gott ist absoluter Souverän, ist dem Menschen auch in dessen eventueller Heiligkeit schlechthin überlegen; der Abstand bleibt vom Menschen aus unüberbrückbar. Des Menschen Wissen von Gott bleibt eben menschliches, begrenztes, relatives, anthropomorphes Wissen, des Menschen Wollen zum Glauben bleibt eben menschliches Wollen mit letztlich menschlichen Zielen und Motiven. Der religiöse Weg des Menschen zu Gott führt von sich aus zum Abgott unseres Herzens, den wir nach unserem Bilde schufen. Nicht Wissen, nicht Moral, nicht Religion führt zu Gott […][,] es gibt schlechterdings keinen Weg des Menschen zu Gott, weil dieser Weg auf einer menschlichen Fähigkeit beruht, der Turmbau zu Babel ist der Hochmut, der Gottes Ehre anrührt.“26
Mit der radikalen Bedürftigkeit des Menschen auf Gnade wird dieser an seinen Platz in der Welt verwiesen: In völliger Anspruchslosigkeit und einer „– mit Luther und Barth zugleich betonten – rezeptiven Passivität“27 wird dem Menschen seine Sündhaftigkeit vor Gott angezeigt, sind es doch die Bestreben des Menschen aus eigenen Kräften sich Gott selbst anzunähern, sich des vermeintlichen Wissens um Gott zu bemächtigen durch Moral, Religion und Intellekt. Menschliche Bemühungen einer Gotteserkenntnis, die Gott nicht als den ganz anderen, als den der Welt gänzlich Überlegenen anerkennen, kann Bonhoeffer demnach als „Hybris“ verurteilen. In seiner Vorlesung Geschichte der systematischen Theologie von 1931/32 präzisiert sich diese in noch recht stereotyper Weise verfasste Missbilligung in einer deutlichen Abwendung von seinen Lehrern Reinhold Seeberg, Karl Holl und Adolf von Harnack,28 die ja ebenfalls gewöhnlich unter die Kennzeichnungen Liberale Theologie und Lutherrenaissance fallen, indem er sich grundsätzlich (unkritisch) gegen den auf Schleiermacher zurückgeführten Verfall des Christentums in eine sittliche Religiosität, die letztlich als anthropologische Grundkonstante gesehen wurde, wendet und das 18., 19. und beginnende 20. Jahrhundert schuldig spricht.29 26 BBA, 314f. 27 Cf. Barth, Die Wirklichkeit des Guten, 403. Cf. dazu auch AS 113; ÖUP 208 u. a. 28 Näheres zu Bonhoeffers Stellung zur Liberalen Theologie exemplarisch in Kaltenborn, Adolf von Harnack als Lehrer Dietrich Bonhoeffers, Berlin 1973, passim. 29 Cf. ÖUP, 145: „Mit dem Anfang des 18. Jahrhunderts [war] das Ende besiegelt. Schleiermacher [wurde] der Bildner des Tempels der Humanität. Der Individualismus hat den Protestantismus der Reformation zerstört. In der nachkopernikanischen Welt tritt statt ‚Glaube‘ das
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Ähnliche Töne klingen auch in seiner ein Jahr später gehaltenen Vorlesung zur Genesis an, wo zwar scheinbar hintergründig das Problem der Sittlichkeit und Moral behandelt wird, wenn es um die Frage der Sünde geht,30 Bonhoeffer aber doch den Unterschied zwischen Gott und Mensch klar heraushebt und damit genau dieses, freilich allein schon mit der Betonung der Unvergleichbarkeit, verdeutlicht: „Nur im Wort der Schöpfung erkennen wir den Schöpfer, im Wort in der Mitte haben wir den Anfang. Also nicht ‚aus‘ den Werken erkennen wir den Schöpfer, als ob die Substanz, die Natur, das Wesen des Werkes letztlich nun doch irgendwie identisch wäre mit der Natur Gottes, als ob es da irgendein Kontinuum, etwa das von der Ursache und Wirkung gäbe, sondern allein weil Gott durch sein Wort sich zu diesen Werken bekennt und weil wir dieses Wort über diese Werke glauben, darum glauben wir ihn als den Schöpfer, – Keine via eminentiae, negationis, causalitatis!“31
Die Frage nach der Erkenntnis Gottes, die Frage also nach Glauben und Verstehen, gilt für Bonhoeffer an keiner Stelle als eine Möglichkeit des menschlichen Verstandes aus sich selbst. Ontologische Aussagen über Gottes Wesen aus der Natur verführen demnach aus seiner Sicht zu Schlussfolgerungen, die Gott als etwas Immanentes, als etwas aus seiner Schöpfung vermeintlich heraus zu Erkennendes verstehen. Dass aber die Trennung zwischen Schöpfer und Geschöpf eine radikale sein muss, das ist bereits zu sehen, wenn es Bonhoeffer in Schöpfung und Fall darum geht, eine Verbalinspirationslehre abzuwehren, indem Menschen- und Gotteswort radikal zu unterscheiden sind.32 Und so heißt es dann auch an anderer Stelle genau so: „Schöpfer und Geschöpf können keinesfalls im Wort religio auf (von den Deisten). Es bedeutet die letzte, feinste Möglichkeit des Menschen. Der Mensch [wird] als Gott verwandt entdeckt. Die Reformation wird als Entdeckung dieses Menschen entdeckt.“ Cf. zur Bonhoeffers Stellung zur Liberalen Theologie Barth, Die Wirklichkeit des Guten, 401– 412. Cf. dazu auch ihren Schluss, 411f.: „Mit der nationalsozialistischen Katastrophe bestätigte sich für ihn die grundsätzliche Verkehrtheit solcher theologischer Ansätze in dramatischer Weise und entsprechend auch das relative Recht der Kritik Nietzsches an dieser Auffassung des Christentums.“ 30 Besonders pointiert formuliert Bonhoeffer seine Abwendung von der Moral und der Sittlichkeit in seiner Ethik, wenn er postuliert: „Das Wissen um Gut und Böse scheint das Ziel aller ethischen Besinnung zu sein. Die christliche Ethik hat ihre erste Aufgabe darin, dieses Wissen aufzuheben. [Das kann] nur bedeuten, daß die christliche Ethik den Ursprung aller ethischen Fragestellung zur Sprache bringen und somit als Kritik aller Ethik allein als Ethik zu gelten beansprucht.“ (E, 301.) 31 SF, 39. 32 Cf. SF, 38: „Im Unterschied von allen Schöpfungsmythen, in denen die Gottheit ihre Natur opfert, in denen aus ihrer naturhaften Fruchtbarkeit die Welt entspringt, in denen also die Schöpfung selbst ein Stück der Natur Gottes ist, in denen also das Leiden der Natur, ihres Gebärens und Vergehens, das Leiden der Gottheit selbst ist, – im Gegensatz zu all dem bleibt der Gott der Bibel ganz Gott, ganz Schöpfer, ganz der Herr, und sein Geschöpf bleibt ganz das unterworfene, gehorsame, ihn als den Herrn lobpreisende, anbetende.“ Cf. § 2.2.2.
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Verhältnis von Ursache und Wirkung interpretiert werden; denn zwischen Schöpfer und Geschöpf steht weder ein Wirkgesetz noch sonst irgend etwas.“33 Allein aus Gottes Wort, eben weil sich Gott in seinem Logos zu seinem Werk bekennt, weil er dieses Werk mit seinem Wort erhält, vielmehr weil man diesem Wort glauben muss, erkennt man Gott. Niemals aber aus der Welt im Sinne einer scholastisch und altprotestantisch angenommenen Kausalkette, die beide zwar verschiedentlich angenommenen Enden voneinander trennt, aber doch in ihrer Wirkung einander verbindet. Im Gegenteil schärft Bonhoeffer ein: „Zwischen Schöpfer und Geschöpf ist schlechthin das Nichts.“34 In der strikten Ablehnung der Erkenntnis Gottes aus dem Menschen und der Abwendung von der Liberalen Theologie, die sich in dieser theologischen Richtungsentscheidung deutlich macht, steht auch Rudolf Bultmann.35 Als die grundlegende Problematik seiner Theologie kann die Frage nach der Erkennbarkeit Gottes in seiner Offenbarung und damit besonders nach der Wahrheit des christlichen Glaubens in der Welt der technischen und naturwissenschaftlichen Vorherrschaft gelten.36 Deutlich wird dieser dem Menschen aus der eigenen Erkenntnis verwehrte Zugang bereits aus den Worten, die seinen 1925 erschienenen Aufsatz Welchen Sinn hat es von Gott zu reden? eröffnen: „Versteht man unter ‚von Gott‘ reden ‚über Gott‘ reden, so hat solches Reden überhaupt keinen Sinn; denn in dem Moment, wo es geschieht, hat es seinen Gegenstand, Gott, verloren.“37 Nach Bultmann und in Auslegung dieser eröffnenden Proposition kann demnach von Gott nicht insofern geredet werden, dass der Mensch sich in seinem Reden über Gott stellt, d. h. eine höhere, alles umfassendere Wahrheit zu beanspruchen meint als die Gottes. So fährt er dementsprechend fort: „Denn wo überhaupt der Gedanke ‚Gott‘ gedacht ist, besagt er, daß Gott der Allmächtige, d. h. die Alles bestimmende Wirklichkeit sei. Dieser Gedanke ist aber überhaupt nicht gedacht, wenn ich über Gott rede, d. h. wenn ich Gott als ein Objekt des Denkens ansehe, über das ich mich orientieren kann, wenn ich einen Standpunkt einnehme, von dem aus ich neutral zur Gottesfrage stehe, über Gottes Wirklichkeit und 33 SF, 31. 34 SF, 31. 35 Cf. seinen Aufsatz Die Liberale Theologie und die jüngste theologische Bewegung von 1924, in dem er sich mit Karl Barth und Friedrich Gogarten an der Seite in einem theologischen Protest gegen die Überhöhung des Menschen in der Liberalen Theologie wendet, wo es heißt: „Der Gegenstand der Theologie ist Gott, und der Vorwurf gegen die liberale Theologie ist der, daß sie nicht von Gott, sondern von Menschen gehandelt hat. Gott bedeutet die radikale Verneinung und Aufhebung des Menschen; die Theologie, deren Gegenstand Gott ist, kann deshalb nur den λόγος τοῦ σταυροῦ zu ihrem Inhalt haben; dieser aber ist ein σκάνδαλον für den Menschen. Und so ist der Vorwurf gegen die liberale Theologie der, daß sie sich diesem σκάνδαλον zu entziehen oder es zu erweichen suchte.“ (Bultmann, Die liberale Theologie und die jüngste theologische Bewegung, 2.) 36 Cf. Schmithals, Art. Bultmann, 388. 37 Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 26.
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sein Wesen Erwägungen anstelle, die ich ablehnen oder, wenn sie einleuchtend sind, akzeptieren kann. Wer durch Gründe bewogen wird, Gottes Wirklichkeit zu glauben, der kann sicher sein, daß er von der Wirklichkeit Gottes nichts erfaßt hat; und wer mit Gottesbeweisen etwas über Gottes Wirklichkeit auszusagen meint, disputiert über ein Phantom.“38
Es ist auch hier, parallel zu Bonhoeffer, die strikte Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf zu sehen: Es ist nicht ein Vermögen des Menschen, dass er Gottes Wirklichkeit als Beweisbarkeit einer innerweltlichen Sache ansehen könnte; aus der immanenten Wirklichkeit der Welt kann nicht auf Gottes Wirklichkeit geschlossen werden, das ist es Bultmann an erster Stelle wichtig hervorzuheben. Im Gegenteil: Gott ist eben nicht ein der menschlichen Vernunft gegenüberstehendes Objekt, dessen sich der Mensch in seinem Reden über bemächtigen könnte. Es kann in der Rede um die Erkenntnis, um das Denken Gottes nicht um die Ab- bzw. Anerkenntnis rational einsehbarer Propositionen gehen, ist von dieser Anerkenntnis Gottes doch nicht anders als gläubig zu sprechen. Deswegen stellt er konsequent klar heraus, dass es auch die Annahme einer „direkten Erkenntnis Gottes“ aus der Natur nicht geben kann, weil Gott keine „Gegebenheit“ ist, „keine Größe, zu der uns eine direkte Erkenntnisrelation möglich ist.“39 In einem Verweis auf die Genesisvorlesung Luthers, in der dieser nicht die Tat, das Greifen nach der Frucht, sondern die Antwort auf die Frage der Schlange: „Sollte Gott gesagt haben…?“ als Sünde begreift, empfindet Bultmann dieses „‚disputare de deo‘, das sich so außerhalb Gottes stellen und den Anspruch Gottes auf den Menschen zum disputablen Problem machen“40 will, demnach nicht nur als erkenntnistheoretische Sackgasse, sondern vielmehr als dezidierte Abwendung von Gott. Schaut man auf Dietrich Bonhoeffer und seine Genesisvorlesung, ist ein ähnlicher Duktus zu finden, wenn er schreibt, dass mit der frommen Frage dem Menschen „nahegelegt wird, selbst hinter das Wort Gottes zurückzugehen und es nun seinerseits, aus seinem Verständnis des Wesens Gottes zu begründen.“41 In aller Deutlichkeit zeigt Bonhoeffer hier an, dass die erste fromme Frage „die gottlose Frage schlechthin“42 ist, nicht darin, dass überhaupt gefragt wird, sondern „daß in dieser Frage schon die falsche Antwort enthalten ist“ und weiter, „daß in ihr die Grundhaltung des Geschöpfes zum Schöpfer angegriffen wird.“43 Für den Menschen, so kann Bonhoeffer explizieren, der ganz in der Wirklichkeit Gottes – es wurde schon gezeigt, dass es dieses eigentümliche Bild der Mitte in der 38 39 40 41 42 43
Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 26. Bultmann, Die liberale Theologie und die jüngste theologische Bewegung, 6. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 27. SF, 99. SF, 100. SF, 100.
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Grenze ist, welches Bonhoeffer als die Wirklichkeit des Menschen in der Wirklichkeit Gottes bezeichnet –, der ganz in Einheit mit seinem Schöpfer lebt, kann diese Frage nicht anders aufgefasst werden, als eine „Möglichkeit des Frömmerseins, des Gehorsamerseins als er in der imago-dei-Struktur ist […], es kann nur eine neue tiefere Art seines Geschöpfseins bedeuten; so muß er die Schlange verstehen.“44 Indem der Mensch in der Frage der Schlange auf seinen eigenen Verstand, auf seine eigene, menschliche Erkenntnisfähigkeit angeredet wird, die sich in der Logik Bonhoeffers aus der urständlichen Einheit heraus dem Gehorsam gegenüber Gott verschrieben sieht, wird er „zum erstenmal dem Reiz dieses Urteilens über Gott“45 ausgesetzt. Mit dieser Frage, die in ihrer Struktur also bereits den Umsturz enthält, hebt die Schlange die urständliche Weltordnung in der Einheit von Schöpfer und Geschöpf aus den Angeln, wird doch hier, wie es Bonhoeffer nennt, die Grundhaltung des Geschöpfes zu seinem Schöpfer angegriffen: „Es wird dem Menschen zugemutet, Richter über Gottes Wort zu sein, anstatt es einfach zu hören und zu tun. Und das wird dadurch erreicht, daß der Mensch auf Grund einer Idee, eines Prinzips, irgendeines vorhergewonnenen Wissens über Gott nun über sein konkretes Wort urteilen soll. Dort, wo der Mensch aber mit der Waffe eines Prinzips, einer Gottesidee, gegen das konkrete Gotteswort angeht, dort ist er von vornherein im Recht, dort ist er der Herr Gottes geworden, dort ist er aus dem Gehorsam herausgetreten, dort hat er sich der Anrede Gottes entzogen.“46
Mit der frommen Frage, mit Bultmann gesprochen, mit dem disputare de deo, enthebt sich der Mensch demzufolge seiner Position und setzt sich zum Richter über Gott und die Welt. Eine Rede über Gott kann somit nur eine scheinbare Erkenntnis Gottes beinhalten, begeht sie doch den einen fundamental logischen Fehler, sich in ihrer Erkenntnis über Gott stellen zu wollen, anstatt Gott als alles beherrschende Wirklichkeit vorauszusetzen, d. h. zu glauben. Darin ist der gemeinsame Ausgangspunkt Bonhoeffers und Bultmanns zu sehen, wollen doch beide diese Forderung vor alles Theologisieren gestellt wissen: Theologie ist und kann niemals Rede über Gott sein, dann würde sie ihr Ziel verfehlen und nicht Gott, sondern sich selbst, also den Menschen im Blick haben – das formuliert demnach berechtigt bspw. die Religionskritik Nietzsches47 –, 44 45 46 47
SF, 105. SF, 101. SF, 100f. Cf. dazu bspw. BBA 303: „Es hat manche Versuche gegeben, Christus aus dem aktuellen Geistesleben zu eliminieren; und zwar ist das Verführerische an diesen Versuchen, daß es scheint, als ob Christus durch sie erst in die rechte, ihm würdige Stellung versetzt würde. Man erklärt Christus nach ästhetischen Kategorien als religiöses Genie, nennt ihn den größten Ethiker, man bewundert seinen Todesgang als heroisches Opfer für seine Idee, nur eines tut man nicht – man nimmt ihn nicht ernst, d. h. man bringt das Zentrum des eigenen Lebens
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womit vorläufig zu sagen ist, dass allein als Rede von Gott sie Erkenntnis Gottes bedeuten kann. Beide Theologen wehren sich damit deutlich gegen „ein Verfügen des Menschen über die Offenbarung und damit den Verlust des entscheidenden Charakteristikums der Offenbarung, die ganz von außen, aus der Freiheit Gottes kommend den Menschen trifft.“48 In der Konsequenz dieser fundamentalen Grundentscheidung, Theologie von Gott und nicht vom Menschen her zu betreiben, folgert Bultmann dann mit der dialektisch-theologischen Wendung ‚Gott als der ganz andere‘: „Der Gedanke von Gott als dem ganz Anderen kann also, wenn von Gott dem Allmächtigen die Rede sein soll, nicht bedeuten, daß Gott etwas außerhalb meiner wäre, das ich erst suchen müßte, und um das zu finden ich erst mir selbst entfliehen müßte. Daß Gott, der meine Existenz bestimmt, gleichwohl der Ganz Andere ist, kann also nur den Sinn haben, daß er mir als dem Sünder gegenübersteht als der ganz Andere; daß er, sofern ich Welt bin, mir gegenübersteht als der ganz Andere. Von Gott als dem ganz Anderen zu reden hat dann den Sinn, wenn ich gesehen habe, daß die tatsächliche Situation des Menschen die des Sünders ist, der von Gott reden möchte und es nicht kann; der von seiner Existenz reden möchte und es auch nicht kann. Er müßte von ihr reden als der durch Gott bestimmten und kann von ihr als solcher nur reden als sündiger, d. h. als einer solchen, in der er Gott nicht sehen kann, der Gott als der ganz Andere gegenübersteht.“49
Deutlich zeigt Bultmann hier seine frühe theologische Grundentscheidung auf, wenn er gegen die theologische Tradition nicht die Anthropologie die Gotteslehre verschlingen lassen, sondern vielmehr die Absolutheit und All(ein-)wirksamkeit Gottes radikal ernstgenommen wissen will.50 Zugleich aber geht es ihm deutlich darum, die Existenz des Schöpfers in seiner Proposition Gottes als den ganz anderen nicht losgelöst von der menschlichen Existenz zu denken, ganz so, als wäre „Gott etwas ganz anderes […] als der Mensch, eine metaphysische Wesenheit, irgend eine ätherische Welt, irgend ein Komplex geheimnisvoller Kräfte, ein schöpferischer Urquell […] oder endlich das Irrationale.“51 Eine solche Frömmigkeit kann Bultmann dann auch mit seinem Sekundanten Martin Luther als Flucht bezeichnen, genauer als eine Flucht des Menschen vor sich selbst, die
48 49 50 51
nicht in Berührung mit dem Anspruch Christi, die Offenbarung Gottes zu sagen und zu sein […].“ Oder deutlicher noch 311: „Überall begegnen wir demselben Zurückbeben vor der furchtbaren Härte der Forderung Jesu: Er hat sich an die sittlichen Heroen gewandt, er würdigt den Schwachen keines Blickes, er führt den Weg zum Übermenschen.“ (Bonhoeffer übernimmt hier Hauptbegriffe aus Nietzsches Spätwerk, v. a. Der Antichrist und Der Wille zur Macht, entwickelt daraus aber im Folgenden eine völlige Kritik von Nietzsches Begriff. Cf. BBA, 311 [Anm. 18].) Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 139. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 30. Cf. Klein, Bultmann – ein unerledigtes theologisches Vermächtnis, 179. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 29f.
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ihn in letzter Konsequenz doch immer wieder zu sich selbst und in die eigenen Arme treibt, wie es Bultmann nennt.52 Ähnlich klingt dies auch bei Bonhoeffer an, hier aber in der Ausdeutung von Gen 3,8–13, wenn Adam und Eva sich vor Gott ob ihres Ungehorsams nicht nur in ihrer Flucht, sondern auch ihren Worten, die Gott Lüge strafen, verstecken. Versucht man Bultmann und Bonhoeffer in ihrer Rede von der Flucht zusammenzudenken, ergeben sich erstaunliche Parallelen. Spricht Bultmann davon, dass die Rede von „Gott als dem ganz Anderen“ nicht davon zeugt, „daß Gott etwas außerhalb meiner wäre“, erkennt man darin Bonhoeffers Diktum der urständlichen Einheit Gottes mit seinen Menschen. Diese Einheit ist da nämlich entgegen der restlichen geschaffenen Welt nicht losgerissen von ihrem Schöpfer, sondern gebunden an diesen, weil Gott in den Menschen in der geschaffenen Freiheit, die nicht eine Qualität, sondern Beziehung ist, selbst eingeht.53 Das ist es, was nach Bonhoeffer die Bibel mit ihrer so unanschaulichen Umschreibung der Ebenbildlichkeit des Menschen beschreibt, eine urständliche Einheit Gottes mit seinen Menschen. Es gilt also für den Menschen nicht, Gott als etwas außerhalb seiner selbst zu suchen, ja schon gar nicht aufgrund dessen vor sich selbst zu fliehen. Im Gegenteil, jetzt mit Bultmann, kann dieser Gott nur im Menschen gefunden werden, weil er seine Existenz bestimmt. Bei Bonhoeffer drückt sich das aus im Bild der analogia relationalis, die keine Fähigkeit des Menschen ist, sondern eine „geschenkte, gesetzte Beziehung, justitia passiva! […] Daraus folgt […] [,] daß diese analogia nicht so verstanden werden darf, als habe der Mensch diese Ähnlichkeit nun irgendwie in seinem Besitz, in seiner Verfügbarkeit, sondern analogia, Ähnlichkeit ist ganz streng so zu verstehen, daß das Ähnliche seine Ähnlichkeit allein von dem Urbild hat, uns also immer nur auf das Urbild selbst hinweist und allein in diesem Hinweis ‚ähnlich‘ ist. Analogia relationalis ist darum die von Gott selbst gesetzte Beziehung und nur in dieser von Gott gesetzten Beziehung analogia.“54
Gott als den ganz anderen verstehen, bedeutet dann für Bonhoeffer nicht, das war schon zu sehen, dass es sich dabei um das Metaphysische oder gar Irrationale dreht, es handelt sich hingegen um den der Welt Gegenüberstehenden. In der Flucht vor Gott hat Adam die Grenze überschritten, er „kann nicht mehr vor seinem Schöpfer stehen, und er haßt nun seine Grenze […]. Der Mensch, der in jähem Sturz von Gott abgefallen ist, ist nun selbst noch auf der Flucht. Ihm ist der Sturz nicht genug, er kann nicht schnell genug fliehen.“55 Bonhoeffer nennt
52 53 54 55
Cf. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 30. Cf. SF, 59. SF, 61. SF, 119.
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diesen gefallenen, fliehenden Adam, den „sicut deus“56, dessen Wesen darin besteht, „sich seine eigene Erkenntnis Gottes“57 zu verschaffen. Im Gegenzug kann es wahre Erkenntnis Gottes als den ganz anderen für Bultmann wie für Bonhoeffer nur in einer Erkenntnis der eigenen Existenz als einer sündigen geben. Um in Bonhoeffers Umschreibung zu bleiben: Mit Gottes Einschreiten in die Flucht des Menschen zwingt der Schöpfer aber sein Geschöpf vor ihm zu stehen und ihm Rechenschaft über sein Tun abzulegen. Was Adam als Hass und Zorn Gottes aufgrund seines Ungehorsams erkennt, zeigt zum einen die zerrissene Einheit mit dem Schöpfer, zum anderen die daraus resultierende Fehlinterpretation des gebietenden Dazwischentretens Gottes. Nicht aus Groll gegen seinen Menschen, sondern aus Gnade vereitelt Gott dessen Fluchtpläne. Was Adam als Gericht versteht, erweist sich als Gottes Gnadenhandeln – aber erst dann, wenn sich Adam als Sünder erkennt. Zugleich kann der Mensch, gefangen in seiner den Blick vernebelnden Sünde, jedoch nicht von Gott reden, auch wenn er es möchte. Im Umkehrschluss vermag er dann aber auch nicht, von sich selbst, von seiner eigenen Existenz zu reden, wie Bultmann pointiert darlegt. In dieses Paradoxon gestellt, weder von sich noch von Gott reden zu können, ohne die Rede zu verfehlen – diese Pattsituation zeigt Bonhoeffer mit Adams Versuchen an, sich herauszureden –, verfängt sich Adam notgedrungen in einer Entschuldigung, mit der er sich selbst anklagt, indem er vor „Gott an einen besseren, anderen Gott“58 appelliert, d. h. damit abermals entflieht. Aus der urständlichen Einheit ist damit die Zweiheit, die Zerrissenheit geworden, die sich nicht nur zwischen Adam und Gott, sondern zwischen Adam und Eva, zwischen Adam und Welt und zuletzt zwischen Adam und Adam ausdifferenziert, was in der Ethik folgendermaßen lautet: „Alles Erkennen gründet sich nun auf die Selbsterkenntnis. Aus dem ursprünglichen Begreifen Gottes und der Menschen und der Dinge ist ein Sichvergreifen an Gott, an den Menschen, an den Dingen geworden. Nun wird alles in den Prozeß der Entzweiung hineingezogen. Erkennen heißt nun die Beziehung auf sich selbst herstellen, heißt in allem sich selbst und sich selbst in allem erkennen. So entzweit sich dem mit Gott entzweiten Menschen alles: das Sein und das Sollen, das Leben und das Gesetz, Wissen und Tun, Idee und Wirklichkeit, Vernunft und Trieb, Pflicht und Neigung, Gesinnung und Nutzen […].“59
Eine Erkenntnis Gottes als Gefallener kann der Mensch demnach nicht erlangen, kann er doch Gott und sich selbst nicht sehen:
56 57 58 59
Cf. SF, v. a. 101–113. SF, 108. SF, 121. E, 310.
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„Wir können nicht über unsere Existenz reden, da wir nicht über Gott reden können; und wir können nicht über Gott reden, da wir nicht über unsere Existenz reden können. Wir können nur eins mit dem anderen. […] [E]in Reden von Gott [müsste], wenn es möglich wäre, zugleich ein Reden von uns sein.“60
Beide sind sich hier demnach einig in der Betonung, dass Gott nicht in allgemeinen Sätzen und Formeln zu finden sei, sondern Gott darin verfehlt werde. Zunächst stellt sich demnach die theologiegeschichtlich immerwährend brisante Frage nach der einen ewigen Wahrheit. Wie sind der biblische Gott und diese philosophische Lehre in Einklang zu bringen resp. sind sie überhaupt in Einklang zu bringen? Bonhoeffer sagt: Sucht der Mensch in allgemeinen Sätzen nach ewigen Wahrheiten, die zuletzt mit dem Postulat eines aus der Metaphysik ausgeborgten Begriffes ‚Gott‘ versehen werden, sucht er doch letztlich immer sich selbst, denn „[w]ir können doch immer nur etwas suchen, das wir schon kennen. […] Also müssen wir schon wissen, welchen Gott wir suchen, ehe wir ihn wirklich suchen.“61 Suchen heißt finden, es heißt für Bonhoeffer ex aequo, dass ich weiß, was ich suche, und so fährt er fort, „finden kann ich [also] nur, wenn ich weiß, was ich suche, entweder aus mir selbst, aus meinen Erfahrungen und Einsichten, aus der von mir so oder so gedeuteten Geschichte oder Natur, das heißt eben aus mir selbst […].“62 Bultmann sagt: „[I]n wissenschaftlichen Sätzen, d. h. in allgemeinen Wahrheiten von Gott reden, bedeutet eben, in Sätzen reden, die gerade darin ihren Sinn haben, daß sie allgemeingültig sind, daß sie von der konkreten Situation des Redenden absehen.“63
Hier aber ist der kaum greifbare, aber doch erkennbare Unterschied beider zu sehen: am Grundgedanken. Während es Bultmann darum geht, Gott nicht als der Welt jenseitiges Objekt zu denken, ihm vielmehr ein Gottesgedanke außerhalb der eigenen Existenz des Menschen nicht angemessen erscheint, verfehlte dieser Gottes „Anspruch“ auf uns, d. h. ein jedes solches Reden von Gott in allgemeinen Wahrheiten und ewigen Sätzen verleugnete diesen Anspruch Gottes auf seinen Menschen, kommt Bultmann in aller Härte zu dem Schluss: „So wird ein Reden über Gott zur Sünde.“64 Im Umkehrschluss heißt das dann: „Einen Standpunkt außerhalb Gottes aber kann es nicht geben, und von Gott läßt sich deshalb auch nicht in allgemeinen Sätzen, allgemeinen Wahrheiten reden, die wahr sind ohne Beziehung auf die konkrete existentielle Situation des Redenden.“65 60 61 62 63 64 65
Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 33. ITAF, 145. ITAF, 145. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 27. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 28. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 26.
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Für Bultmann kann christliche Rede von Gott damit nicht ein Reden über, aber auch nicht von Gott sein, im Gegenteil sie muss ein Reden aus Gott sein, das aber kann nicht des Menschen „Unternehmen“ sein, weil es eben Sünde wäre, wie vorher schon zu sehen war, weil es ein menschliches Unternehmen wäre, das sein Wesen ins Übermenschliche verlängerte, ohne dabei einer Erkenntnis Gottes näher zu kommen. „Von Gott reden als aus Gott reden kann offenbar nur von Gott selbst gegeben werden.“ Und somit in aller Konsequenz: „Es zeigt sich also: will man von Gott reden, so muß man offenbar von sich selbst reden.“66 Das ganz andere Gottes und die Unfähigkeit des Menschen, Gott aus sich selbst heraus zu erkennen, verhindern hier einander widersprechend eine Gottesrede. Zwischen zwei Verboten bewegt sich der Mensch für Bultmann in der Frage nach der Erkenntnis Gottes. „Diese [Infragestellung des Menschen] aber – dies ‚Minus-Zeichen vor der Klammer‘ – bedeutet nicht Skepsis. Es handelt sich um Zweifel an der Erkenntnisfähigkeit des Menschen, nicht um Herabsetzung der Vernunft, nicht um Resignation. Im Gegenteil; so billig ist von Gott nicht zu reden, daß man ihn als das Irrationale bezeichnet. Vielmehr kann von der Vernunft nicht hoch genug gedacht werden; gerade wenn sie ihren Weg bis zu Ende geht, erreicht sie den Punkt der Krisis, führt sie den Menschen vor die große Frage nach dem Sinn.“67
Ein ähnlicher Ansatz findet sich auch bei Bonhoeffer, der in seiner Ethik die Vernunft beschwört, hinter die nach der Aufklärung nicht zurückgegangen werden kann: „Intellektuelle Redlichkeit in allen Dingen, auch in den Fragen des Glaubens, war das hohe Gut der befreiten ratio und gehört seitdem zu den unaufgebbaren sittlichen Forderungen des abendländischen Menschen. Die Verachtung der Zeit des Rationalismus ist ein verdächtiges Zeichen für einen Mangel an Bedürfnis nach Wahrhaftigkeit. Daß intellektuelle Redlichkeit nicht das letzte Wort über die Dinge ist, daß die Helle des Verstandes oftmals auf Kosten der Tiefe der Wirklichkeit geht, hebt doch niemals mehr die innere Verpflichtung zu ehrlichem und sauberem Gebrauch der ratio auf. Hinter Lessing und Lichtenberg können wir nicht mehr zurück.“68
Auch für Bonhoeffer mutet die ratio, das wurde schon in der Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Exegese gezeigt,69 als ein Charakteristikum an, das den Menschen vor aller Kreatur hervorhebt, das nicht herabgewürdigt werden kann, von dem nicht anerkennend genug gesprochen werden kann. In der Tradition von Luthers Beurteilung der Vernunft in seiner Disputatio de homine von 1536 erkennt Bonhoeffer sie eben genau als „Hauptsache von allem […] und vor 66 67 68 69
Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 28. Bultmann, Die liberale Theologie und die jüngste theologische Bewegung, 19. E, 106. Cf. § 2.1.6.
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allen übrigen Dingen dieses Lebens [als] das Beste und etwas Göttliches.“70 Zugleich aber, so konstatiert Bonhoeffer ebenfalls mit Luther, ist sie keineswegs in der Lage, Gott aus sich heraus zu erkennen, den Menschen, wie Bultmann das nennt, vor die Krisis zu führen. Der Mensch fällt und er fällt als Ganzer, die, so radikal kann Luther es ausdrücken, „allerschönste und ausgezeichnetste Hauptsache, als die die Vernunft nach dem Sündenfall geblieben ist, [fällt], so muss gefolgert werden, unter die Macht des Teufels.“71 Erkenntnis Gottes ist demnach für Bonhoeffer ungleich Bultmann nicht aus der Vernunft möglich,72 auch wenn sie den Weg zur letzten großen Krisis geht, auch wenn sie die für Bultmann entscheidende Frage nach dem Sinn stellt. Es ist an dieser Stelle eine fundamentale Differenz zu erkennen, wenn man sich vor Augen führt, dass für Rudolf Bultmann grundlegendes Verstehen von Offenbarung auch ohne Glauben möglich ist. In seinem Aufsatz Die Geschichtlichkeit des Daseins und der Glaube von 1930 heißt es dazu: „In der Tat: das Wort der Verkündigung sagt mir ‚nicht mehr‘, als was ich im profanen Selbst-Verständnis je schon wußte, bzw. je schon wissen konnte. Von keinem Gläubigen kann, was Offenbarung überhaupt sei, genauer und vollständiger angegeben werden als von jedem Ungläubigen. Jeder Menschen kann, weil er um den Tod weiß, auch wissen, was Offenbarung und Leben, was Gnade und Vergebung ist.“
Aber er fährt fort: „Was weiß der Glaubende ‚mehr‘? Dies, daß Offenbarung ihn getroffen hat, daß er im Leben, daß er begnadet ist, daß ihm vergeben ist – und immer neu vergeben wird. Und er weiß das in der Weise, daß im Glauben an die Offenbarung sein konkretes Leben in Arbeit und Freude, in Kampf und Schmerz neu qualifiziert ist; daß durch das Ereignis der Offenbarung die Ereignisse seines Lebens neu werden; ‚neu‘ in einem Sinne, der
70 Luther, Lateinisch-deutsche Studienausgabe I, 665. Cf. WA 39 I, 175: „Et sane verum est, quod ratio omnium rerum res et caput et prae caeteris rebus huius vitae optimum et divinum quiddam sit.“ 71 Luther, Lateinisch-deutsche Studienausgabe I, 665. Cf. WA 39 I, 176: „Quibus stantibus pulcherrima illa et excellentissima res rerum, quanta est ratio post peccatum, relicta sub potestate diaboli, tamen esse concluditur.“ 72 Cf. SF, passim. Erich Klapproth in seiner Nachschrift fügt in Finkenwalde zu der Vorlesung über die Seelsorge von 1935/36 zu dem Thema „Der Angefochtene“ zum Überfall des Teufels hinzu: „Aber er weiß, daß er bei solchem Angriff unsere klare Erkenntnisfähigkeit umnebeln muß. Darum macht er uns an wenigen Augenblicken unserer klaren Erkenntnis von Sünde und Gottes Gebot unfähig. […] So nimmt er unsere Vernunft gefangen in seinem Gehorsam […]. Dieser Angriff ist bei der erfahrenen Anfechtung also immer besonders auf unser Erkenntnisvermögen gerichtet, darauf können wir also nicht rekurrieren, sondern nur auf das jenseits liegende Wort Gottes. Auch dieses Wort wird der Teufel durch unsere Erkenntnis verdrehen wollen: ‚Sollte Gott gesagt haben …‘ [Gen 3,1].“ (ITAF, 583 [Anm. 91, Erich Klappenroth erweitert].)
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schlechterdings nur für den Gläubigen gilt, nur für ihn sichtbar wird, immer neu sichtbar wird.“73
Um den Vorgang des glaubenden Verstehens bei Bultmann nachzuvollziehen, muss man hier zwei Ebenen des Verstehens unterscheiden: zunächst eine existentiale Kategorie, d. h. eine Wesensstruktur des Menschen, die aus ihrer Fähigkeit heraus die Offenbarung objektiv in ihrer Struktur, in ihrer Beschaffenheit und ihren Charakter logisch einsehen kann. Jeder Mensch ist mit dieser Fähigkeit ausgestattet, wie Bultmann schreibt, anhand von existentialen Strukturen des menschlichen Lebens die Fundamente der christlichen Offenbarung wie Leben und Tod, Gnade und Vergebung einzusehen. Hier können nach Bultmann weder Atheist noch Christ voneinander in ihrem Verstehenshorizont unterschieden werden. Dabei erkennt Bultmann als Ursprung und Grund desselben ein „Verhältnis des Seins des Verstehenden zu dem zu-Verstehenden […], so daß ohne Verhältnis kein Verstehen möglich ist […]“:74 „Denn etwas verstehen, heißt, es in seinem Bezuge auf sich, auf den Verstehenden, verstehen […].“75 Für Bultmann ist Verstehen damit nur darin möglich, dass der Verstehende immer schon in seinem eigenen Sein in einem Bezug zum Zu-Verstehenden steht, d. h. dass er eine Sache nur dann erfassen kann, wenn eine Beziehung besteht. Die Möglichkeit des Verstehens ist demnach keine rein zufällige, sondern eine „Möglichkeit des Daseins seiner selbst, weil das Dasein Sein in Verhältnis ist.“76 Mit anderen Worten und der hier gebotenen Kürze: Allein darin, dass der Mensch als Existierender in Beziehung zu dem Zu-Verstehenden steht – in Bultmanns Hermeneutik begegnet dieser Sachverhalt u.a. als „Lebensbezug“77 –, kann Verstehen erst ermöglicht werden.78 Den ‚Mehrwert‘ des Glaubens versteht Bultmann darin, dass der Mensch die Offenbarung als wirkmächtig für die eigene Existenz erkennt. Allein im Glauben ist von dieser Offenbarung Gottes dann nicht mehr als etwas Objektives, als etwas den Menschen nicht Tangierendes die Rede, allein im Glauben erkennt der Mensch „den Anspruch Gottes an den Menschen“, warum Bultmann daraus auch folgern kann: „Das wissen, heißt glauben.“79 „Der christliche Glaube redet von einer Offenbarung und meint damit Gottes Handeln als ein Geschehen, das dem objektivierenden Denken der Vernunft nicht sichtbar ist, ein Geschehen, das als Offenbarung nicht Lehren mitteilt, sondern die Existenz des Men-
73 74 75 76 77 78 79
Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 352. Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 73. Bultmann, Das Problem der „natürlichen Theologie“, 295. Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 74. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 217. Cf. dazu § 2.2.2. Näheres dazu findet sich bei Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 73–146. Bultmann, Die liberale Theologie und die jüngste theologische Bewegung, 19.
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schen trifft und ihn lehrt, oder besser: ermächtigt, sich zu verstehen als getragen von der transzendenten Macht Gottes.“80
So erscheint demnach dann als zweite Ebene der Glaube als eine notwendige existentiale Grundstruktur des Menschen, welche diesem die Möglichkeit bereitet, den Anspruch Gottes zu hören und sich in jedem Moment neu von diesem Anspruch treffen zu lassen. Allein im Ergreifen der Möglichkeit aktualisiert sich der christliche Glaube als immer wieder je neue Entscheidung des Menschen für die Begegnung mit Gott.81 Dabei, das macht Bultmann hinreichend deutlich, ist es aber je Gottes zuvorkommendes Handeln am Menschen, sein Heilsgeschehen in Jesus Christus, das als Möglichkeit des Menschen in der Anerkenntnis desselben den Menschen neu macht. Allein in der Annahme, dass in der „vorgläubigen“ Existenz die Wesensstrukturen des Glaubens angelegt sind, indem der Mensch in einem Bezug zu den christlichen Grundbegriffen steht, diese also rational einsehbar sind, ist es ihm dann auch möglich, das Angebot Gottes existentiell-ontisch zu ergreifen: „Ist im Glauben die vorgläubige Existenz existentiell-ontisch überwunden, so heißt das nicht, daß die existential-ontologischen Bedingungen von Existieren vernichtet sind. Theologisch ausgedrückt: der Glaube ist nicht eine inhärierende neue Qualität, sondern eine stets neu ergriffene Möglichkeit des Daseins, wenn Dasein im steten Ergreifen seiner Möglichkeiten existiert. Der Glaubende ist kein Engel geworden, sondern simul peccator, simul iustus. Deshalb haben alle christlichen Grundbegriffe einen ontologisch bestimmenden vorgläubigen und rein rational faßbaren Gehalt. Alle theologischen Begriffe enthalten das Seinsverständnis, das das menschliche Dasein als solches von sich hat, sofern es überhaupt existiert.“82
Verstehen und Glauben sind damit nach Bultmann zwei Grundkategorien der existential-ontologischen Daseinsstruktur des Menschen, die erst im existenti80 Bultmann, Der Gottesgedanke und der moderne Mensch, 342. 81 Cf. Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns, 99–128. Hier 109: „Der Glaube als Tat ist Tat der Entscheidung; denn im Glauben gibt der Mensch sein bisheriges Selbstverständnis preis, wird seine bisherige Willensrichtung umgekehrt. […] Der Glaube ist Hingabe an Gott, der des Menschen Zukunft ist. Er ist Leben aus Gott als dem verfügbaren Grund des Lebens und in eins damit ist das Ja des Menschen zur Unverfügbarkeit über sich selbst.“ Cf. dazu Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 160: „Glaube ist das Aufgeben der eigenen Sicherheit des Menschen und die Bereitschaft, Sicherheit allein im unsichtbaren Jenseits zu finden, in Gott. Das heißt: Glaube ist Sicherheit, wo keine Sicherheit zu finden, sehen ist; er ist, wie Martin Luther sagt, die Bereitschaft, vertrauensvoll in das Dunkel der Zukunft einzutreten. […] Wir können sagen: Das Wort Gottes spricht den Menschen an in seiner Unsicherheit und beruft ihn zur Freiheit; denn in seinem Streben nach Sicherheit verliert der Mensch seine Freiheit. […] Wahre Freiheit ist nicht subjektive Willkür, sie ist Freiheit in Gehorsam. […] Freiheit ist Gehorsam gegen ein Gesetz, dessen Gültigkeit anerkannt und angenommen wird, das der Mensch als das Gesetz seines eigenen Seins erkannt hat. Das kann nur ein Gesetz sein, das seinem Ursprung im Jenseitigen hat.“ 82 Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 346f.
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ellen Dasein des Menschen zusammen gedacht werden können. Das Verstehen wie auch die christlichen Grundbegriffe finden sich auf der Ebene der rein rational und ontologisch fassbaren Daseinsstruktur und stellen so die Wesensstrukturen menschlicher Existenz dar. Demnach muss Bultmann also sagen: Der Gläubige wie der Ungläubige versteht die Offenbarung. Wenn aber Verstehen erst zu echtem Verstehen durch den Glauben wird, wie das Bultmann darlegt, ist es der Glaube, der dem Verstehen einen existentiellen Charakter gibt, weil die Existenz des Menschen betroffen ist. So kann er sagen: „Glauben ist ein neues Verständnis der persönlichen Existenz. Anders ausgedrückt: Gottes Handeln verleiht uns ein neues Verständnis unserer selbst.“83 Verstehen und Glauben gehören nach Bultmann also immer zusammen und sind nicht voneinander zu trennen, ohne den Vollzug des Daseins zu verfehlen. Um das genauer zu untersuchen, gilt es freilich, sich noch dezidierter mit Bultmanns Verständnis der Existenz zu beschäftigen. An dieser Stelle aber nimmt sich dieser Zusammenhang notwendig aus, wenn Bultmann eine reziproke Erkenntnis Gottes und des Menschen postuliert: Weder Gott kann als Gott, noch der Mensch als Mensch abgesehen vom je anderen erkannt werden. Im Gefolge des dialektisch-theologischen Postulats verwehrt sich Bultmann hier demnach, Gott im Sinne eines Objektes zu verstehen, sondern fordert, dass dieser sich vielmehr im Akt des Glaubens selbst im Akt des menschlichen sich Selbstverstehens dem Menschen zu verstehen gibt.84 Damit ist dann aber auch für Bultmann zu folgern: „So bleibt das richtig: wenn gefragt wird, wie ein Reden von Gott möglich sein kann, so muß geantwortet werden: nur als ein Reden von uns.“85 Für Dietrich Bonhoeffer stellt sich der Zusammenhang von Glauben und Verstehen als ein anders gearteter dar, wenn er in seiner Habilitationsschrift Akt 83 Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 181. 84 Cf. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 32: „Das Wirken Gottes kann eben nicht als ein allgemeines Geschehen angesehen werden, das wir anschauen könnten (etwa in der Betrachtung jener Gesetze [Weltgesetze als Kräfte und Formen des göttlichen Wirkens, Anm. d. Verf.]) unter Absehung von unserer eigenen Existenz, und in das wir nachträglich unsere Existenz eingliedern könnten, um sie uns so verständlich zu machen. Denn wir hätten damit ja den primären Gedanken von Gott als der unsere Existenz bestimmenden Wirklichkeit preisgegeben.“ Cf. dazu auch AS, 87f.: „Mit dieser reinen Durchführung des transzendentalen Ansatzes ist Front gemacht gegen jede Art der Vergegenständlichung Gottes […]. Gott ist nicht der Gott unseres Bewußtseins […]. Daraus geht ein Doppeltes hervor. 1. Gott ‚ist‘ nicht im Sinne eines Objektseienden, er ist sich im Menschen im Glauben selbst verstehend, er ist sich im Sichverstehen der menschlichen Existenz, in der Offenbarung. […] 2. Ist hiermit Gott als Subjekt des Erkennens gewahrt, so ist es ein ebenso dringendes Anliegen, einerseits das menschliche Ich als Subjekt der Gotteserkenntnis verstehen zu können […]; d. h. es ist die Frage gestellt nach der Vermittlung zwischen göttlichem und menschlichem Glaubensakt, m. a. W. nach dem Verhältnis von Gnade und Religion, von Offenbarung und Geschichte in Bezug auf das Erkenntnisproblem.“ 85 Bultmann, Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?, 33. Cf. auch AS, 90.
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und Sein zwar Bultmanns Ansatz hinsichtlich der „Kontinuität des neuen Ich mit dem Gesamtich zu denken“ als unter Gottes Anspruch zustimmen kann,86 er aber entgegen Bultmann nicht von einem „ontologischen Daseinsverständnis […] unbetroffen von der Offenbarung“87 ausgeht, das im Glauben nicht nur nach Gott fragt, sondern auch nach der eigenen Identität. Wo für Bonhoeffer der „Glaube […] seinem Wesen nach nicht mehr sich selbst in Frage stellen [kann], da er in der Einheit gründet, aber der Unglaube […] an Christus zweifeln und so in den Glaubensakt die Reflexion hineintragen [kann]“,88 scheint hier mit der Frage nach dem Existenzbegriff auch die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Verstehen aufgeworfen zu sein. Nur so viel sei an dieser Stelle gesagt: Wenn Bonhoeffer Glauben zwar gleich Bultmann als ein Hören auf den Anspruch Gottes versteht, entpuppt sich dieser Anspruch Gottes für Bonhoeffer jedoch nicht allein als existentieller Daseinsvollzug im Sinne eines Ergreifens einer Möglichkeit, sondern als die aus der alles bestimmenden Einheit in der Gotteswirklichkeit heraus bestimmte Existenz des Menschen. Dies klingt an, wenn Bonhoeffer in Schöpfung und Fall die Erkenntnis Gottes allein aus der neuen, wiedergewonnenen Einheit des gefallenen, entzweiten Menschen in Christus proklamiert. Darum noch einmal: „Nur im Wort der Schöpfung erkennen wir den Schöpfer, im Wort in der Mitte haben wir den Anfang. Also nicht ‚aus‘ den Werken erkennen wir den Schöpfer, als ob die Substanz, die Natur, das Wesen des Werkes letztlich nun doch irgendwie identisch wäre mit der Natur Gottes, als ob es da irgendein Kontinuum, etwa das von der Ursache und Wirkung gäbe, sondern allein weil Gott durch sein Wort sich zu diesen Werken bekennt und weil wir dieses Wort über diese Werke glauben, darum glauben wir ihn als den Schöpfer. – Keine via eminentiae, negationis, causalitatis!“89
Allein aus Glauben, d. h. aus der wiedergefundenen Einheit ist eine Erkenntnis Gottes als Schöpfer möglich. Verstehen und Glauben biblisch-theologischer Grundbegriffe sind nach Bonhoeffer ergo in keiner Weise allein rational erfassbar, wie dies nach Bultmann möglich ist, da hier ein Verstehen allein aus Glauben in Christus möglich ist. Und dennoch hört man auch hier das bultmannsche, wie auch dialektisch-theologische Diktum einer Rede Gottes allein aus Gott, wenn auch für Bonhoeffer nur in der Einheit mit Gott eine solche möglich ist. Zugleich aber kann es intellektuelle Redlichkeit in der Frage nach Gott für Bultmann wie für Bonhoeffer demnach nicht in einer von der menschlichen Existenz absehenden Rede geben, allein aus dieser ist der Frage nach dem zunächst als Gegensatz anmutenden Paar von Glauben und Verstehen nahe zu 86 87 88 89
AS, 96. AS, 92 (Anm. 24). AS, 96 (Anm. 31). SF, 39.
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kommen resp. selbiges zu überwinden. In der Bestimmung der Frage nach der Existenz liegt demnach für Bonhoeffer und Bultmann allem Anschein nach der wesentliche Kristallisationspunkt, aber auch der wesentliche Unterschied einer Verbindung beider menschlicher Wesensbestimmungen als gläubiges Verstehen und verstehender Glauben.
3.1.3 Die historische Bedingtheit des Glaubens Es wurde deutlich, beiden, Bonhoeffer wie Bultmann, ist daran gelegen, dass die Schrift keine allgemeinen Wahrheiten verkündet, sondern den Menschen im Wort Gottes direkt anspricht. In der Betonung der Geschichtlichkeit des Menschen, wird für beide eine Bedeutung der Schrift für das konkrete Hier und Jetzt, für das je einzelne, singuläre Dasein virulent. Beide stehen mit der Schrift als geschichtlichem Zeugnis vor der Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Exegese. An mehreren Stellen wurde der bonhoeffersche Umgang mit der Bibel als einem historischen Dokument vorgeführt, sodass zu erkennen war, was das in dieser Hinsicht für Bonhoeffer bedeutet: Die historisch-kritische Methode, die er als Student in seinem Referat über historische und pneumatische Schriftauslegung als „Zertrümmerung der Texte“ und als „Kampfplatz“90 schilt, erscheint ihm zumindest darin angemessen, dass in und aus ihren philologischen und religionswissenschaftlichen Ergebnissen einer Auslegung der Schrift eine breitere Verstehensbasis der historischen Gegebenheiten erreicht wird. Mit Karl Barth sieht sich auch Rudolf Bultmann darin bestätigt, dass gerade durch das kritische Studium nicht der wirkliche durch „einen erträumten Christus“91 eingetauscht werde und es sich so eben nicht darum handle, „die historische Kritik abzusetzen; aber ihr Sinn muß erfaßt werden als eben der: sie hat radikal zur Freiheit und Wahrhaftigkeit zu erziehen, nicht nur, indem sie von einem gewissen Geschichtsbild der Tradition frei macht, sondern indem sie von einem jeden für wissenschaftliche Erkenntnis möglichen Geschichtsbild frei macht und zum Bewußtsein bringt, daß die Welt, die der Glaube erfassen will, mit der Hilfe der wissenschaftlichen Erkenntnis überhaupt nicht erfaßbar wird.“92
Gerade in der Prämisse, dass also nicht ein Christusbild vom Menschen als Spiegelbild seiner selbst entworfen werde, dass dieses gerade nicht ein Stück prolongierte Anthropologie sei und damit das Jesusbild zum Beliebigen, der Zeit und derer Vorlieben Anschließenden verkomme, will Bultmann in seinem liberalen Erbe die historisch-kritische Exegese mit ihren Verdiensten der „Aufhel90 JuS, 307. 91 Harnack, Fünfzehn Fragen, 8. 92 Bultmann, Die liberale Theologie und die jüngste theologische Bewegung, 4.
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lung des Geschichtsbildes [und] vor allem [der] Erziehung zur Kritik, d. h. zur Freiheit und Wahrhaftigkeit“,93 hochhalten und mit Barth auf Adolf von Harnacks Anfrage hin die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte in ihrer Unumgänglichkeit betonen. Hier muss Bultmann zufolge, die erste und fundamentale hermeneutische Regel ihren Grund haben: „Die Interpretation der biblischen Schriften unterliegt nicht anderen Bedingungen als jede andere Literatur.“94 Ausgeschlossen ist damit also der Versuch, aus einer wie auch immer gearteten Einsicht des Glaubens in die vorgeblich einsehbare Geltung des Textes hermeneutische Konsequenzen abzuleiten, um für die Bibelwissenschaft daraus resultierend eine Methode – bspw. eine ‚pneumatische‘ – als die sachgemäße zu insistieren.95 Und so bemerkt Bultmann dann deutlich in einem Brief an Barth: „Das Wort Gottes ergeht im Menschenwort, und das NT liegt uns als ein literarisches Dokument der Geschichte vor. Kann es anders interpretiert werden als nach allgemeinen hermeneutischen Regeln? Daß es Gottes Wort ist, kann doch nicht zu einer Voraussetzung gemacht werden, aus der dann hermeneutische Regeln eigener Art abzuleiten wären. Als Gottes Wort kann es sich doch nur im Ereignis des glaubenden Verstehens erweisen, also sich selbst zur Geltung bringen.“96
In der Voraussetzung, dass das Wort Gottes im Menschenwort ergeht, unterliegt die Interpretation der biblischen Schriften den gleichen hermeneutischen Prämissen wie jede andere Literatur auch. Der Glaube kann nicht zur Voraussetzung der Auslegung der Schrift werden, weil doch im Gegenzug erst das Wort in die Entscheidung ruft. Glaube, das wurde bereits kurz angesprochen, präsentiert sich nach Bultmann als Resultat echten Verstehens, also als zunächst vernünftige Einsehbarkeit und daran anschließend als Ergreifen der Möglichkeit des Glaubens. Dass die Schrift Heilige Schrift, dass sie Gottes eigenes Wort ist, erschließt sich für Bultmann ausgehend von seinem Existenzbegriff im Ereignis des Wortes, das den Menschen aus seiner Existenz im gläubigen Verstehen herausreißt. Nicht aufgrund einer vorausgehenden Annahme erweist sich das Gotteswort als solches, sondern allein in actu, allein in seiner Wirksamkeit im tatsächlichen Vollzug der wirklichen Existenz. Wenn nach Bultmann zur Voraussetzung des Verstehens die Verbundenheit von Text und Interpret gehört – mit Schleiermacher ein divinatorisches Einfühlen in den Autor97 – liegt gerade hier die Aufgabe der historisch-kritischen Exegese: Einerseits muss die Schrift auf ihr inhärentes Geschichtsbild bzw. ihre
93 94 95 96 97
Bultmann, Die liberale Theologie und die jüngste theologische Bewegung, 2. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 231. Cf. Klein, Bultmann – ein unerledigtes theologisches Vermächtnis, 187. Barth, Barth – Bultmann Briefwechsel, 186. Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, 146f. Cf. auch Gadamer, Wahrheit und Methode, 179. Gadamer spricht von einem „kongeniale[n] Verstehen“.
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Geschichtsbilder hin untersucht werden, um diese freilegen und bewusst machen zu können, andererseits aber muss auch der Rezipient in einer solchen Bewusstmachung seines eigenen ihn bestimmenden Geschichtsbildes seine Verstehensabhängigkeit reflektieren. Nicht ohne Grund kritisiert Bultmann die Liberale Theologie gerade in ihrem seiner Meinung nach eklatanten Missstand, dass sie in der Rede von Jesus als dem sittlichen und moralischen Vorbild sich zu allererst an ein Jesusbild anlehnt, das „als geschichtliches angesehen wird, dessen Geschichtlichkeit die Kritik längst zweifelhaft gemacht hat […].“98 Es geht somit zunächst darum, die Bibel in ihrer Geschichtlichkeit wahrzunehmen, und das bedeutet, um es mit Susanne Klinger zu sagen, mithilfe der historisch-kritischen Methode „die historische Distanz zwischen biblischer Überlieferung und gegenwärtigem Interpreten und sachliche Differenz zwischen dem in mythologischer Sprache vorläufig Artikulierten und eigentlich Gemeinten wahrzunehmen […].“99 Vornehmlich handelt es sich für Bultmann eo ipso darum, den Text zur Ausgangsbasis des Verstehens werden zu lassen, d. h. dem Leser den ihm eigenen Lebensbezug zur Sache offenzulegen, um ein Vorverständnis der Sache zu generieren.100 So erhält die historisch-kritische Methode die propädeutische Funktion101 anhand des so erfassten Textbestandes, das Mythische vom Gemeinten zu trennen: „Weil es keine unmittelbare Begegnung mit Gott gibt, sondern weil seine Offenbarung im Wort verhüllt ist, kann es für die Exegese auch keine Berufung auf ein inneres Licht, kann es keine ‚pneumatische‘ Exegese geben, die mit dem Pneuma als vorausgegebenen Besitz des Exegeten rechnet. Ein Pneuma, das verfügbar wäre ohne Bindung an das Wort, gibt es für uns nicht. Die Exegese kann nur von einer Interpretation des Wortes ausgehen. Da die Arbeit der Exegese begriffliche Arbeit ist, und da das Wort des Textes nie die Sache selbst, sondern Ausdruck für die Sache ist, wird dem Exegeten auch die Sache nur zugänglich, wenn er das Wort versteht. Das Wortverständnis ist freilich mit der ganzen Zweideutigkeit belastet, die dadurch entsteht, daß Worte nicht nur der einmalige Ausdruck für das Hier und Jetzt der konkreten Situation sind, sondern sie daneben auch Wörter sind, die ihre eigene Geschichte haben, und zwar daß sie jenes nur sein können, sofern sie dieses sind. Der Exeget muß also, ohne sich einzubilden, damit den Sinn des Wortes im konkreten Hier und Jetzt schon erfaßt zu haben, grundsätzlich die ganze Geschichte der Wörter des Textes kennen. Damit ist die ganze historischphilologische Arbeit am Neuen Testament legitimiert, ja gefordert […].“102
98 99 100 101 102
Bultmann, Die liberale Theologie und die jüngste theologische Bewegung, 11. Klinger, Status und Geltungsanspruch der historisch-kritischen Methode, 36. Cf. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 231. Cf. Klinger, Status und Geltungsanspruch der historisch-kritischen Methode, 36. Bultmann, Das Problem einer theologischen Exegese, 356f.
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Ziel der historisch-kritischen Analyse ist es folglich, einem tiefen, rationalen Einsehen in die historische Bedingtheit dieses Dokuments Vorschub zu leisten, um daraus im bultmannschen Sinne wahres Verstehen zu ermöglichen. Das baut grundsätzlich darauf, dass Wörter ebenfalls Konstrukte ihrer je eigenen Zeit und ihres je eigenen Ortes sind, dass also ein Wort nicht eine absolute, überzeitliche Bedeutung beansprucht, sondern dagegen als Teil der sprachlichen Wirklichkeit ganz der historischen Bedingtheit in seiner Semantik unterliegt. Auch hier verwehrt Bultmann sich also einer Annahme allgemeiner, ewiger Wahrheiten, vielmehr ist ihm schon das Wort der erste Hinweis darauf, dass eine solche gerade nicht angenommen werden kann, weil die sprachliche Wirklichkeit des Menschen eine der Zeit unterworfene ist. Hält man sich diese Prämisse Bultmanns vor Augen, wird damit auch die Notwendigkeit für ihn deutlich, die dem biblischen Text inhärenten, vermeintlich mythologischen Begrifflichkeiten als aus dem in ihnen vorausgesetzten Welt-, Geschichts- und Gottesverständnis notwendigen Sprechen zu identifizieren, um selbe mit dem neuzeitlichen und naturwissenschaftlichen Weltbild abzugleichen.103 Mit seinem Verständnis des Verstehens erscheint hier die Dringlichkeit seines Anliegens einer Entmythologisierung der Bibel deutlich, muss doch der Weg einer rationalen Einsehbarkeit geebnet werden, um wirkliches Verstehen ermöglichen zu können. Daraus erschließt sich dann auch die mittlerweile aphorismusartige Bestandsaufnahme: „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wundergeschichten des Neuen Testaments glauben.“104 Die Triebfeder dieser hermeneutischen Bearbeitung findet er darin, dass er nach sachgemäßem Einsehen fragt und dazu auch anleiten will, dem echten Verstehen der biblischen Botschaft einen Weg zu bereiten. Es geht Bultmann demnach letztlich einzig um die Frage nach dem Kerygma. Festzuhalten ist demnach: Bonhoeffer wie Bultmann verstehen die historischkritische Textanalyse als notwendiges Instrumentarium, dem Leser ein tieferes Verständnis der biblischen Schriften zu ermöglichen, indem die historische Distanz ausdrücklich anerkannt wird. Für beide zeigt sich eine solche Herangehensweise als notwendiges Korrelat zum gläubigen Auslegen der Schrift; dieser für Bonhoeffer doch so notwendige Grundgedanke, der in der radikalen Anerkenntnis der Schrift als Menschenwort erst den Zugang zum Wort Gottes sieht, wurde bereits in der Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Exegese hervorgehoben.105 Vielmehr, erst in der Akzeptanz der Bibel als menschliche und 103 Cf. Klinger, Status und Geltungsanspruch der historisch-kritischen Methode, 36. 104 Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 16. 105 Cf. § 2.1.
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geschichtliche Schrift erweist sich das Wort Gottes als solches und eben nicht als erstarrtes, in einem toten Buchstaben gefangenes überzeitliches Wort eines ewigen Gottes. Nicht in einer wie auch immer gearteten Lehre von der Theopneustie kann Bonhoeffer der Schrift die ihr eigentümlich inhärente Autorität einräumen, sondern eben in ihrer paradoxen Grundstruktur aus geschichtlichem Menschenwort und gegenwärtigem Gotteswort. Auch er kann mit der Forderung seines Lehrers Adolf von Harnack, „nicht einen erträumten Christus für den wirklichen [einzutauschen]“,106 grundsätzlich anerkennen, dass die Gefahr der menschlichen Vereinnahmung der Schrift – egal ob als dogmatischer Lehrsatzlieferant oder ewig metaphysische Wirkursache – eine beherrschende und gegenwärtige bleibt. Mit der Forderung nach einer historisch-kritischen Erfassung der Schrift verwehrt sich demnach auch Bonhoeffer gegen eine Anthropomorphisierung Gottes in seinem Wort. Es scheint auch hier der Sachverhalt vorzuliegen, nicht von einer menschlichen Einsicht in die Bedeutung und Intention der Schrift ausgehen zu wollen, womit nicht mehr der Buchstabe als das fundamentale principium cognoscendi erscheint, im Gegenteil, die Schrift erweist sich selbst als Wort Gottes ohne der Bedürftigkeit einer menschlichen Inbesitznahme. Wenn Bonhoeffer seiner Vorlesung Schöpfung und Fall voranstellt, die theologische Auslegung der Genesis orientiere sich an „allen Methoden philologischer und historischer Forschung“,107 wird hier augenscheinlich, dass auch dieser sich nicht nur einer Erforschung des originalen Wortlautes verschrieben sieht, sondern vielmehr noch, dass in der Anerkenntnis der Schrift als Menschenwort dem heutigen Leser sich eine Verstehensbarriere entgegenstellt, weil Sprach- und Denkformen mit den unterschiedlichen Welterklärungsmodellen und den zeitbedingten Geschichtsbildern korrelieren. Diese Fokussierung Bonhoeffers von der wörtlichen zur semantischen Bedeutung der Begriffe war schon genauer an dem Beispiel von טוֹב und ַרעzu sehen, wenn er sich dezidiert mit den unterschiedlichsten Interpretationsvorschlägen seiner Zeit auseinandersetzt.108 Gerade an dieser Stelle wird seine wie auch Bultmanns Forderung umso deutlicher, wenn man einsieht, dass die biblische Rede von ‚Gut und Böse‘ in der Tradition zu sehr unterschiedlichen Einsichten führte – und auch immer noch führt –, die zumeist eine Fundierung gesellschaftlicher Phänomene und kulturwissenschaftlicher Erkenntnisse in der biblischen Schöpfungsgeschichte zum Anlass haben.109 106 107 108 109
Harnack, Fünfzehn Fragen, 8. SF, 22. Cf. SF, 82f. Cf. dazu bspw. Wellhausens Versuch, das Fortschreiten der Kultivierung des Menschen an diesen beiden Begriffen darzulegen (cf. Wellhausen, Prolegomena, 305–307.), oder Delitzsch, der darin eine sittliche Entschiedenheit des Menschen erkennen will (cf. Delitzsch, Genesis, 17f.). Cf. § 2.1.2.
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So ist auch für Dietrich Bonhoeffer ein Interesse daran zu konstatieren, dass die Schrift auf ihr inhärentes Geschichtsbild untersucht und der Leser auf das je seine hingewiesen wird: „Gott bereitet dem Menschen, den er mit eigener Hand geschaffen hat, einen überaus herrlichen Garten. Und woran denkt der Mensch der Wüstenlandschaft hier eher als an ein Land mit herrlichen Strömen und Bäumen voller Früchte. Kostbare Steine, seltene Gerüche, prächtige Farben, damit ist der erste Mensch umgeben. Das fruchtbare Land im fernen Osten zwischen Euphrat und Tigris, von dem so viel wunderbare Dinge gesagt wurden, vielleicht war es jener Ort, jener Garten des ersten Menschen. Wer kann von diesen Dingen anders reden als in Bildern. […] Aber freilich Bilder wechseln, die Bilder eines Kindes sind anders als die des Erwachsenen, die des Menschen der Wüste anders als die des Menschen der Großstadt.“110
Es geht infolgedessen auch hier um eine Verdeutlichung der historischen Distanz zwischen biblischer und gegenwärtiger Rede, zwischen Gesagtem und Gemeintem. Gerade in der Anerkenntnis dieser Differenz erachtet es Bonhoeffer dann freilich als legitim, ja sogar notwendig gegeben, טוֹבund ַרעals „lustvoll“ und „leidvoll“ auszulegen.111 Gleich der Forderung Bultmanns übernimmt somit auch in der bonhoefferschen Auslegung die historisch-kritische Exegese die Aufgabe, die Mauer des Missverstehens gegeben durch vermeintliche ewige Worte zu durchbrechen, um eine tiefere Einsicht in das Verhältnis von Gott und Mensch zu erlangen. Vergegenwärtigt man sich weiter, dass sich Dietrich Bonhoeffer und Rudolf Bultmann gegen die Theologie ihrer Lehrer darin aussprechen, dass sie einen positivistischen Historismus, der auf wissenschaftlich unanfechtbarem Wege die geschichtliche Grundlage wie auch den Glauben selbst gegen alle ungläubigen wie auch gläubigen Übergriffe sichern will, eine radikale Absage erteilen.112 So kann Bultmann Barth darin Recht geben, wenn es bei diesem heißt: „Kritisch-geschichtliches Studium bedeutet das verdiente und notwendige Ende der ‚Grundlagen‘ dieser Erkenntnis, die keine sind, weil sie nicht von Gott selbst gelegt sind. Wer es etwa noch nicht weiß (und wir wissen es alle immer noch nicht), daß wir Christus nach dem Fleische nicht mehr kennen, der mag es sich von der kritischen Bibelwissenschaft sagen lassen; je radikaler er erschrickt, um so besser für ihn und die Sache. Und das mag dann etwa der Dienst sein, den ‚geschichtliches Wissen‘ bei der eigentlichen Aufgabe der Theologie leisten kann.“113
Bultmann wie Bonhoeffer konstatieren hiernach also zwei sachgemäße Ebenen der Interpretation: Zum einen die historisch-kritische Exegese, die in mancher 110 111 112 113
SF, 75f. Cf. SF, 82. Cf. Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns, 13. Barth, Sechzehn Antworten, 91.
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Radikalität an den biblischen Befund herangeht und vermeintlich alles profanisiert, was einst als heilig galt. Und zum anderen die Ebene des Glaubens, die eben nicht auf einem kritischen Studium fundiert sein kann. Das war darin schon zu sehen, wenn Bonhoeffer auf die Relativität historischer Erkenntnisse hinweist, den Glauben gerade nicht in der historischen Gewissheit gegründet wissen will.114 Zugleich kann Bultmann diesen Tatbestand gegen seine Kritiker dann auch beredt darstellen, indem er polemisch antwortet: „Nun ist mir die Fragstellung, mit der Hirsch (wie manch andern auch) an mein Buch herangeht, wohl verständlich. Man möchte doch wissen, wie ich mir in der durch meinen kritischen Radikalismus geschaffenen Lage helfe, wieviel ich noch aus dem Brande rette. […] Ich habe mich in meinem kritischen Radikalismus noch nie unbehaglich gefühlt, sondern ganz behaglich. Ich habe aber vielfach den Eindruck, daß meine konservativen Kollegen im Neuen Testament sich recht unbehaglich fühlen; denn ich sehe sie immer in Rettungsarbeiten begriffen. Ich lasse es ruhig brennen; denn ich sehe, daß das, was da verbrennt, alle die Phantasiebilder der Leben-Jesu-Theologie sind, und daß es der Χριστὸς κατὰ σάρκα selbst ist.“115
Beruft sich der Glaube, das kann aus dem soeben Erarbeiteten gesagt werden, auf die Schrift, scheint für beide Theologen dabei nicht die Bibel als historisches Dokument gemeint zu sein. Vielmehr wird die Autorität der Schrift allein darin deutlich, dass sich das Kerygma manifestiert, d. h. dass die Schrift als Gestalt des Kerygmas eine „in die gegenwärtige Existenz […] redende Macht“116 ist. Und so kann Bultmann dann auch die Schrift als literarisches Dokument unter anderen erst in ihrer Wirkmächtigkeit als Gottes Wort (an-)erkennen, wenn also der Glaube an Jesus Christus nicht die Voraussetzung, sondern allein das Resultat der Auseinandersetzung mit der Schrift ist. Mit dem Hinweis Bonhoeffers, „der Logos [ist] Mensch geworden, [das] ist Voraussetzung und nicht Beweisstück“,117 stellt sich nun die Frage nach der Nähe beider verhandelter Theologen. Bonhoeffer macht in der Bestimmung der Schrift eines unumgänglich klar: Auch hier gilt dezidiert die unumstößliche Prämisse der Autorenschaft Gottes vor jeder menschlichen Inbesitznahme des Wortes, das war in der Auseinandersetzung mit der Orthodoxie und dem Pietismus deutlich zu sehen. Die Auslegung der Schrift vollzieht sich ihm zufolge in einem hermeneutischen Zirkel, in dem die Voraussetzung zugleich auch das Beweisstück ist: Jesus Christus ist das Wort Gottes, das gilt unumstößlich vor aller Interpretation und daraus ergibt sich das hermeneutische Prinzip: „Das Auslegungsprinzip muß aus der schon verstandenen Schrift kommen. Spricht Gott wirklich in der Schrift, 114 Cf. B, 313. 115 Bultmann, Zur Frage der Christologie, 101. 116 Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 233. Cf. dazu Hohmeier, Das Schriftverständnis in der Theologie Rudolf Bultmanns, 93f. 117 B, 281.
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so kann nicht der Mensch hören, sondern wieder nur Gott. Geist aus dem Wort und das Wort aus dem Geist.“118 Mit der Annahme einer Erkenntnisfähigkeit des Menschen, die allein „im Wort in der Mitte ihren Anfang“119 hat, erschließt sich auch die grundlegende Herangehensweise Bonhoeffers als eine der bultmannschen sehr nahe, aber doch nicht gleiche: Freilich erkennt auch Bultmann das Evangelium als Zeugnis der Offenbarung in Christus an. In der Unterscheidung von rationalem und gläubigem Verstehen erklärt sich jedoch, warum Bultmann keinen Unterschied in der interpretativen Herangehensweise an die Schrift wie auch an jedes andere literarische Werk postulieren kann. Eine historisch-kritische Umgangsweise ist gerade dann gefordert, wenn rationales Einsehen in die Bedeutung der Bibel die Grundlage für echtes Verstehen ist. Und so liegt dann erst im gläubigen Verstehen der Unterschied: Die Schrift erweist sich als Wort Gottes in der glaubenden Annahme des Kerygmas. Auch Bultmann erkennt also Gott als den Urheber des Rufes an den Menschen. Bei Bonhoeffer jedoch erweist sich dieser Sachverhalt als ein anders gearteter: Jesus Christus ist das Wort Gottes, das muss glaubend anerkannt werden, um die Schrift als Wort Gottes wahrnehmen, um sie wirklich hören zu können; nicht andersrum. Wie Bonhoeffer das im Einzelnen darlegt, vielmehr wie er es praktiziert, ist später genauer herauszuarbeiten,120 für jetzt gilt dieses: Bultmanns Forderung einer voraussetzungslosen Exegese hinsichtlich ihrer Ergebnisse,121 die sich gegen eine Eintragung der je persönlichen Wünsche in das Ergebnis der Auslegung bemüht und sich darin gegen eine Verlängerung des Menschen in das Gottesbild verwehrt, erweist sich nach Bonhoeffer gerade als solche, weil er in der bultmannschen Darstellung des Glaubens als menschlicher Möglichkeit des Verstehens genau eine solche Vereinnahmung der Offenbarung zu erkennen meint. Bultmann und Bonhoeffer stehen einander damit gegenüber, beide darum bemüht, das Wort Gottes der menschlichen Gewalt zu entreißen. Wenn beide ihrer Theologie zwei verschiedene Weisen des Umgangs mit der Schrift zugrunde legen, stehen sie darin vor der Bewertung der Bedeutung des historischen Jesus. Es war bereits zu sehen, dass diese Frage bei Bonhoeffer zuweilen paradox beantwortet wird. Um die Nähe und Ferne zu Bultmann eingehender zu verdeutlichen, ist an dieser Stelle noch einmal kurz Bonhoeffers komplexe Stellung zur historisch-kritischen Exegese in Erinnerung zu rufen. Er kann zwar in seiner Christologievorlesung sagen:
118 119 120 121
JuS, 312. Cf. § 2.2.2. SF, 39. Cf. § 4.1.2. Cf. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 230.
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„Die historische Forschung kann nie absolut verneinen, weil sie auch nie absolut bejahen kann. So kann eben auch die Existenz Jesu Christi nicht absolut verneint werden; man kann sie wohl infrage stellen, mit Wahrscheinlichkeit verneinen. Die Historizität Jesu ist also weder mit absoluter Sicherheit zu leugnen noch zu bejahen. […] Die absolute Gewißheit über ein historisches Faktum ist an sich nie zu gewinnen, sie bleibt ein Paradoxon.“122
Mit der Einsicht in die Relativität historischer Faktizität, die ihm gerade in der Wankelmütigkeit und Unbeständigkeit der Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese beständig vorgeführt wird, muss Bonhoeffer ebenso die absolute Historizität des Menschensohnes verneinen. Aber sieht man genauer hin, bedeutet das vice versa nicht, Bonhoeffer verneine damit die Tatsächlichkeit des historischen Jesus. Vielmehr geht der Angriff nicht gegen die geschichtliche Person Jesus, sondern gegen die vollkommene Erschließbarkeit der Wirklichkeit. „Es gehört zum Wesen der historischen Forschung, daß sie aufgehört hat mit dem einzelnen Faktum als etwas Absolutem zu rechnen. Es hängt am einzelnen nie alles. Jedes einzelne Faktum erhält etwas Zufälliges. Seine Absolutheit kann nicht nachgewiesen werden. […] Die absolute Gewißheit über ein historisches Faktum ist an sich nie zu gewinnen, sie bleibt ein Paradoxon.“123
Indes, Bonhoeffer hält die absolute Gewissheit der Historizität Jesu für konstitutiv; das aber allein und einzig für die Kirche. Wie kann das zu denken sein? Bonhoeffer sagt: „Es gibt keinen historischen Zugang zu der Person Jesu, der für den Glauben verbindlich wäre. Der Zugang über den geschichtlichen Jesus geht allein über den Auferstandenen, über das Wort des sich selbst bezeugenden Auferstandenen. […] Es geht […] um den Auferstandenen selbst, der selbst den Glauben schafft und den Zugang zur Historizität ermöglicht. Von hier aus ist das Wort der Historie, die Christus behaupten will, irrelevant. Im Glauben ist die Geschichte von der Ewigkeit her erkannt, nicht von sich selbst, von innen her.“124
Nicht der historische Jesus, nicht die Leben-Jesu-Forschung, so sehr sie auch an der Faktizität ihrer Ergebnisse interessiert sein mag, kann den Zugang zum wirklichen Jesus eröffnen. Einen Zugang zum Glauben kann es nicht durch den historischen Jesus geben; und doch: Allein im geschichtlichen Jesus, d. h. vom Auferstandenen her, ist Glauben möglich – von diesem ist dann auch der Zugang zur Historizität ermöglicht, aber nur von ihm her. Wieder erkennen wir: Historie und Geschichte sind für Bonhoeffer zwei zu unterscheidende Zugangsweisen zur Wirklichkeit, aber nicht voneinander zu trennende. Allein die Bibel als histori-
122 B, 313. 123 B, 313. 124 B, 314.
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sches Dokument eröffnet einen Zugang zu diesem geschichtlichen Jesus. Und so formuliert Bonhoeffer die paradoxe Aufgabe der Theologie: „Aber durch die brüchige Bibel hindurch begegnet uns Gott als der Auferstandene. Sofern wir also auf Erden sind, müssen wir in die Not der historischen Kritik hinein. Die Geschichtlichkeit Jesu steht für uns unter dem doppelten Aspekt der Historie und des Glaubens. Beide sind dadurch verbunden, daß man sagt, daß der historische Jesus sich so erniedrigt hat und der [historisch] unfaßbare Jesus [als Christus] Gegenstand des Glaubens sei.“125
Es hängt, so ist zu schlussfolgern, an der Betonung der Geschichtlichkeit Jesu, die sich nicht in einem platten Historismus zu erschöpfen scheint. In der Ernstnahme der Schrift als Dokument des historischen Jesus kann allein die Geschichtlichkeit, d. h. die Bedeutung desselben für uns heute, erkannt sein. Um das weiter zu durchdringen, steht es zur Aufgabe, die Tragweite dieser beiden Begriffe eingehender zu untersuchen.126 Für hier kann festgehalten werden: In der Bezeugung Christi in der Schrift erhält das historische Dokument trotz oder gerade in seiner relativen historischen Gewissheit absolute, nämlich Glauben stiftende Bedeutung – aber nur von hier aus. Wie verhält sich dieser Sachverhalt bei Rudolf Bultmann? Es wurde deutlich, dass gläubiges Verstehen bei diesem die Notwendigkeit der rationalen Einsicht in das Zu-Verstehende voraussetzt, aber Glaube nicht durch historische Tatsächlichkeit erlangt werden kann, so heißt es auch bei ihm: „Es gibt keinen Weg hinter die Predigt zurück zu einem von ihr ablösbaren Heilsfaktum, sei es ein ‚historischer Jesus‘ oder ein kosmisches Drama. Jesus Christus ist nur in der Predigt zugänglich.“127 Die Bedeutung, die dem historischen Jesus für Bultmann letztlich zukommt, erschließt sich darin, dass er das historische Dokument ‚Bibel‘ als ‚Medium‘ echten Verstehens erklärt. Kleidet der objektive Sprachgehalt der Schrift die existentiale Botschaft – die Bedeutung des Kreuzes aus dem historischen Faktum zu verstehen, hieße für Bultmann die „Offenbarung als Offenbartheit mißzuverstehen und das Kerygma auf historisierende Beweisgründe zu stützen, wodurch [es] gerade seine Bedeutung als absolutes Heilsereignis für alle Menschen verlöre“128 –, muss unterhalb dieses Überwurfes die existentiale Bedeutung des Heilsgeschehens erkannt werden. „Grund und Gegenstand des Glaubens“, kann Susanne Klinger pointiert formulieren, „fallen […] streng zusammen.“129 Das Kerygma ist der eigentliche Teil des eschatologischen Heilsgeschehens, nicht das Ereignis der Vergangenheit. Ein die menschliche Existenz 125 126 127 128 129
B, 315. Cf. §§ 3.2.4 und 4.1.4. Bultmann, Kirche und Lehre im Neuen Testament, 180. Klinger, Status und Geltungsanspruch der historisch-kritischen Methode, 30. Klinger, Status und Geltungsanspruch der historisch-kritischen Methode, 30.
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treffendes Geschehen kann nicht mit „dem objektivierenden Blick des Historikers vergegenwärtigt, d. h. ‚erinnert‘“,130 werden, sondern einzig das anredende Wort Gottes trifft den Menschen in seiner konkreten Existenz. Das Wirken des Kerygmas kann für Bultmann in historischer Betrachtung faktisch damit nicht erkannt werden,131 warum sich der christliche Glaube nicht an historischer Faktizität interessiert zeige,132 sondern an deren bleibenden, gegenwärtigen Wirkungen in der Existenz des einzelnen. Das heißt für diese Untersuchung: Beide sind sich darin einig, dass allein der Auferstandene einen Zugang zum Glauben bereiten kann. Nicht vom historischen Faktum Jesus her ist das möglich. Und doch ist eine nicht zu übersehende Differenz zu erkennen. Während Bonhoeffer gleichsam festhalten kann: „[D]ie Dogmatik bedarf der Gewißheit der Historizität Jesu Christi, d. h. der Identität des gegenwärtigen mit dem geschichtlichen Christus.“,133 erweist sich die Bedeutsamkeit des historischen Kreuzesgeschehens für Bultmann als eine andere, nämlich als eschatologisches Heilsereignis.134 Allein der Glaube der ersten Zeugen des Ostergeschehens ist selbst das eschatologische Ereignis, das sich notwendig jeder objektivierenden und wissenschaftlichen Einsicht entzieht.135 Eine Rückbindung an die Historizität, wie sie Bonhoeffer fordert, erscheint für Bultmann damit nicht notwendig. Einzig das Kerygma dieses wie auch immer gearteten Geschehens bleibt somit glaubenskonstituierend, nicht aber ein historisches Faktum. Bultmann wie Bonhoeffer betonen sonach die Bedeutung des Auferstanden für den Glauben, nach Bultmann kann jedoch mit der rationalen Einsicht in die christlichen Begriffe anhand des historischen Dokuments ‚Bibel‘ dieselbe zurückgelassen werden, ruft letztlich doch nur das Kerygma in den Glauben. Bei Bonhoeffer dagegen verweist umgekehrt der Glaube an den Auferstanden zurück auf dieses relative, historische Dokument. Es zeigt sich hiermit bereits der Um130 Bultmann, Zum Problem der Entmythologisierung, 136. 131 Cf. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 61f.: „Der verstehende Glaube an das Wort der Verkündigung ist der echte Osterglaube; er ist der Glaube, daß das verkündigende Wort legitimiertes Gotteswort ist. Das Osterereignis, sofern es als historisches Ereignis neben dem Kreuz genannt werden kann, ist ja nichts anderes als die Entstehung des Glaubens an den Auferstandenen, in dem die Verkündigung ihren Ursprung hat. Das Osterereignis als die Auferstehung Christi ist kein historisches Ereignis; als historisches Ereignis ist nur der Osterglaube der ersten Jünger faßbar. Der Historiker kann seine Entstehung bis zu einem gewissen Grade begreiflich machen durch Reflexion auf die ehemalige persönliche Verbundenheit der Jünger mit Jesus; für ihn reduziert sich das Osterereignis auf ihre visionären Erlebnisse.“ 132 Cf. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 62: „Der christliche Osterglaube ist an der historischen Frage nicht interessiert […].“ 133 B, 313. 134 Cf. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 54–57. 135 Cf. Klinger, Status und Geltungsanspruch der historisch-kritischen Methode, 31.
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Zu Bonhoeffers existentialer Bibelinterpretation
gang mit diesem Text als ein wohl verschiedentlicher, was eingehend und grundlegend an der Auseinandersetzung mit der Frage nach der Bedeutung der mythischen Sprache der Bibel im Folgenden zu bearbeiten ist.
3.1.4 Die Fraglichkeit der Sprache: Der Mythos in der Frage nach der Entmythologisierung Insistiert Bultmann auf der Bedeutung allein des Kerygmas, das ausschließlich echtes Verstehen ermöglicht, erhält die Entmythologisierung als Werkzeug der existentialen Hermeneutik eine fundamentale Bedeutung.136 Es war bereits zu sehen, dass nach Bultmann echtes, d. h. glaubendes Verstehen sich zunächst auf der rationalen, allen Menschen einsehbaren Verständlichkeit des Gegenstandes gründet. Der unter dieser Direktive notwendig vollzogene Abbau mythischer Elemente und Vorstellungsgehalte biblischer Sprache als maßgebliche Zielsetzung aller Exegese wird dann freilich nicht darin enden, den Mythos fraglos und absolut auszurangieren, so wie das von vielen seiner Kritiker geflissentlich behauptet wird.137 Im Gegenteil sieht sich diese Art und Weise des Umgangs mit dem Mythos darum bemüht, denselben für die Gegenwart in seiner wahren Bedeutung zu erhalten.138 „Unter Entmythologisierung verstehe ich ein hermeneutisches Verfahren, das mythologische Aussagen bzw. Texte nach ihrem Wirklichkeitsgehalt befragt. Vorausgesetzt ist 136 Cf. Hübner, Was ist existentiale Interpretation?, 230. 137 Cf. Schmithals, Art. Bultmann, 395. 138 Cf. Klein, Bultmann – ein unerledigtes theologisches Vermächtnis, 192. Cf. dazu auch Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 156f.: „Es stimmt natürlich, daß für die Entmythologisierung die moderne Weltanschauung als ein Kriterium gilt. Entmythologisieren heißt jedoch nicht, die Schrift oder die christliche Botschaft als Ganzes zu verwerfen, sondern die Weltanschauung der Schrift, die die Weltanschauung einer vergangenen Zeit ist, die nur zu oft in der christlichen Dogmatik und in der Predigt der Kirche beibehalten wird. Entmythologisieren heißt verneinen, daß die Botschaft der Schrift und der Kirche an eine alte, veraltete Weltanschauung gebunden ist. Der Versuch der Entmythologisierung beginnt mit dieser wichtigen Einsicht: Die christliche Predigt, sofern sie Predigt des Wortes Gottes auf sein Geheiß und in seinem Namen ist, bietet nicht eine Lehre an, die man entweder durch die Vernunft oder durch ein sacrificium intellectus annehmen kann. Die christliche Predigt ist Kerygma, das heißt, eine Verkündigung, die nicht an die theoretische Vernunft gerichtet ist, sondern an den Hörer als ein Selbst. […] Die Entmythologisierung hat zum Ziel, diese Aufgabe der Predigt als eine persönliche Botschaft zu verdeutlichen. Indem sie das tut, entfernt sie einen falschen Anstoß und bringt dafür den echten Anstoß in den Blickpunkt, nämlich das Wort vom Kreuz. Die Weltanschauung der Schrift ist mythologisch und daher für den modernen Menschen nicht annehmbar, dessen Denken von der Naturwissenschaft her geformt wird und deshalb nicht mehr mythologisch ist. Der moderne Mensch wendet immer technische Mittel an, die das Ergebnis der Naturwissenschaft sind. […] Niemand rechnet mit dem Eingreifen transzendenter Mächte.“
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dabei, daß der Mythos zwar von einer Wirklichkeit redet, aber in einer nicht adäquaten Weise.“139
Mit dem Diktum, dass das Gesagte nicht mit dem Gemeinten übereinstimme, gelte es die mit Mythischem unterfütterten biblischen Texte allgemein verständlich zu machen, also alles Fremde aus dem Text nach dem eigentlich Gemeinten, dem Bekannten zu befragen. Hier erweist sich die bultmannsche Herangehensweise wesentlich triadisch, wie Martin Pöttner aufzeigt, da zunächst der „‚Interpret‘ verstehen“ muss, „was der vorliegende Text sagt“, um „ihm ein[en] ‚Sinn‘“ zuzuschreiben und schließlich „Einverständnis mit dem Dargestellten“140 zu erlangen. Dieses Einverständnis aber gilt ihm als Grundvoraussetzung des Glaubens, ist doch echtes Verstehen nur möglich, weil sich der Verstehende in einem Verhältnis zum Verstehenden sieht. Erst hier kann die angemessene Frage überhaupt gestellt werden. Die Aufgabe der Entmythologisierung ergibt sich nun daraus, dass die biblischen Texte zu einer Zeit geschrieben wurden, in der das mythische Denken das Weltbild bestimmte. Dieses Denken jedoch ist von unserem technisierten und naturwissenschaftlichen Einsehen in die Vorgänge der Welt abgelöst; beide sind Bultmann zufolge nicht zu vereinen, da der moderne Mensch „nur solche Phänomene oder Ereignisse als Wirklichkeit an[erkennt], die innerhalb der rationalen Ordnung des Universums begreiflich sind. […] Der Kontrast zwischen dem alten Weltbild der Bibel und dem modernen Weltbild ist der Kontrast zwischen zwei Denkarten, der mythologischen und der naturwissenschaftlichen.“141
So redet der Mythos Bultmann zufolge zwar von einer Macht, „die der Mensch als Grund und Grenze seiner Welt und seines eigenen Handelns und Erleidens [zu] erfahren meint“, doch nicht in adäquater Weise, da er „sie vorstellungsmäßig in den Kreis der bekannten Welt, ihrer Dinge und Kräfte, in den Kreis des menschlichen Lebens, seiner Affekte, Motive und Möglichkeiten einbezieht.“ Womit der Mythos „vom Unweltlichen weltlich, von den Göttern menschlich [spricht].“142 Es ist, so kann er daraus schlussfolgern, nicht der „eigentliche Sinn 139 Bultmann, Zum Problem der Entmythologisierung, 128. Cf. auch Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 146: „Diese Methode der Auslegung des Neuen Testaments, die versucht, die tiefere Bedeutung hinter den mythologischen Vorstellungen wieder aufzudecken, nenne ich ‚Entmythologisieren‘ – ein sicherlich unbefriedigendes Wort! Ziel ist nicht das Entfernen mythologischer Aussagen, sondern ihre Auslegung. Es ist eine Deutungsmethode.“ 140 Pöttner, Die Einheit von Sachkritik und Selbstkritik, 399. 141 Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 158. 142 Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 22. Cf. dazu Pannenberg, Späthorizonte des Mythos, 477: „Bultmann faßte den Mythos als eine ‚Vorstellungsweise‘ auf, die ihren Ausdruck besonders in einem ‚mythischen Weltbild‘ gefunden habe, das für den heutigen, durch wissenschaftliches Denken geprägten Menschen
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des Mythos […], ein objektives Weltbild zu geben; vielmehr spricht sich in ihm aus, wie sich der Mensch selbst in seiner Welt versteht; der Mythos will nicht kosmologisch, sondern anthropologisch – besser: existential interpretiert werden.“143 Bultmanns Definition des Mythos144 richtet sich damit auf die religionsgeschichtliche Bestimmung, die den Mythos „nach dem sich in ihm aussprechenden Selbstverständnis und Weltverhältnis des Menschen befragt“,145 wie sie vor allem sein Lehrer Wilhelm Bousset146 und Hermann Gunkel147 auf dem Verständnis von Christian Heyne148 darlegen. Diese, nach Friedrich Schelling,149 allegorische Klassifizierung des Mythos, unterscheidet denselben nach dem Modell von Schale und Kern, d. h. „[d]er Inhalt, das Kerygma, läßt sich von seiner Form, der Mythologie, trennen und in eine neue Form gießen.“150 Entmythologisierung ist demnach das Programm, das dem Mythos zugrunde liegende Kerygma auch dem modernen Menschen zugänglich zu machen, verliert doch Bultmann zufolge „die mythologische Sprache […] ihren mythologischen Sinn, wenn sie als Sprache des Glaubens dient. [Da nämlich v]on Gott als dem Schöpfer sprechen […] beispielsweise nicht mehr [heißt], von seinem Schöpfersein im Sinn des alten Mythos zu sprechen.“151
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‚vergangen‘ sei.“ Pannenberg verweist auf Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 14.16.23. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 22. Dezidiertere Auseinandersetzungen zu Bultmanns Mythosbegriff sind bspw. zu finden bei Pannenberg, Späthorizonte des Mythos, 473–482; Körtner, Der inspirierte Leser, 137–164; Klinger, Status und Geltungsanspruch der historisch-kritischen Methode, 42–44. u.v.m. Körtner, Der inspirierte Leser, 144. Cf. Bousset, Das Wesen der Religion, 77ff. Cf. Pannenberg, Späthorizonte des Mythos, 478: „Doch meinte Gunkel den spezifisch mythischen Charakter der Göttergeschichten darin zu erkennen, daß ‚der naive Geist das Göttliche lebendig anschaut und sich phantasievoll ausmalt‘. Die geistige Wirklichkeit des Göttlichen wird hier versinnlicht, der Unterschied zwischen der irdischen Wirklichkeit und dem geistigen Wesen der Gottheit verwischt.“ (Pannenberg referiert hier Gunkel, Zum religionsgeschichtlichen Verständnis des Neuen Testaments, Göttingen 1903, 14.) Cf. dazu auch Gunkel, Genesis, XIVf. Pannenberg weist deutlich darauf hin, dass Bultmann sich in seiner Definition des Mythos zum einen nicht auf die religionsgeschichtliche Forschung als solche beziehe, vernachlässige er doch die von Bronislaw Malinowski ausgehende Diskussion des Mythosbegriffes, zum anderen habe seine aus der religionsgeschichtlichen Schule verwandte Auslegung einen weiteren Horizont als nur die, eine Erzählung von Göttern zu sein. (Cf. Pannenberg, Späthorizonte des Mythos, 478.) Cf. Hartlich/Sachs, Der Ursprung des Mythosbegriffes in der modernen Bibelwissenschaft, 13ff. Cf. Schelling, Philosophie der Mythologie, 41. Körtner, Der inspirierte Leser, 147. Körtner weist darauf hin, dass Bultmann sich damit genau in dem Auslegungsmodell der Liberalen Theologie befindet, die er doch eben darin zu widerlegen suchte. Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 177.
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Entmythologisierung, so ist mit Bultmann zusammenzufassen, hat also einzig zum Ziel, dieses historische Dokument in seiner an jeden Menschen gerichteten persönlichen Botschaft zu verdeutlichen. Indem sie das tut, bringt sie für Bultmann „den echten Anstoß in den Blickpunkt, nämlich das Wort vom Kreuz.“152 Nur so, indem dem modernen Menschen ein rationaler Zugang zur biblischen Botschaft, zum Wort vom Kreuz ermöglicht wird, kann echtes Verstehen als Ergreifen des Kerygmas geschehen. In der Entmythologisierung findet die existentiale Interpretation schließlich ihre Methode, um in der „Rede vom handelnden Gott […] die Geschehnisse der eigenen Existenz“ einzuschließen, was auf den Anfang zurückweist: „Die Begegnung mit Gott kann nur für den Menschen hier und jetzt ein Ereignis sein, da der Mensch innerhalb der Grenzen von Zeit und Raum lebt. Vom handelnden Gott sprechen heißt, daß wir Gott gegenüber gestellt sind, angesprochen, gefragt, gerichtet oder gesegnet von Gott.“153
In einem Brief vom 24. 03. 1942 bekundet Bonhoeffer gegenüber Ernst Wolf „[g]roße Freude […] an dem neuen Bultmannheft.154 Mich beeindruckt die intellektuelle Redlichkeit seiner Arbeiten immer wieder.“155 Zudem erscheint es nach Bonhoeffer Bultmanns Verdienst zu sein, „die liberale Katze aus dem Bekenntnissack“ gelassen zu haben. „Er hat gewagt zu sagen, was viele in sich verdrängen (ich schließe mich ein), ohne es überwunden zu haben. Er hat damit der intellektuellen Sauberkeit und Redlichkeit einen Dienst geleistet.“156 Mit der pointierten Analyse der Schrift in ihrem mythischen Weltbild und dem darin enthaltenen, aufgeladenen, ihrer je eigenen geschichtlichen Bedingtheit verhafteten Sprachwirklichkeit, erweise Bultmann Bonhoeffer zufolge mit seinem Programm der Entmythologisierung der Theologie, vor allem der Liberalen Theologie, darin einen Dienst, dass mithilfe der dezidierten Bewusstmachung der Geschichtlichkeit der Bibel eine Schärfung der Wahrnehmung für einen redlichen und reflektierten Umgang mit den Begrifflichkeiten stattfinden könne.157
152 Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 157. 153 Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 177f. 154 Dies bezog sich nach Angaben der Herausgeber von KuH auf Bultmann, Offenbarung und Heilsgeschehen, in: Beiträge zur Evangelischen Theologie 7, hg. v. E. Wolf, München 1941. Der darin enthaltene Aufsatz Neues Testament und Mythologie löste eine äußerst lange Diskussion über Bultmanns Hermeneutik der Entmythologisierung aus. 155 KuH, 248. Cf. auch KuH, 267. 156 KuH, 344. 157 Götz Harbsmeier nennt diesen Vorgang eine „Gewissensschärfung“, was freilich angesichts der bonhoefferschen Zurückhaltung gegenüber dem Gewissen einige Schwierigkeiten in sich birgt. Cf. Harbsmeier, Die „nicht-religiöse Interpretation“ biblischer Begriffe, 43.
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Es geht demnach Bonhoeffer wie Bultmann darum, das war bereits aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen, dem Wort der Bibel als Wort Gottes an seinen Menschen in vollem Umfang gerecht zu werden. Als Harnack-Schüler ist für Bonhoeffer klare intellektuelle Redlichkeit auch und gerade in Dingen des Glaubens gefordert, weshalb er noch 1942 Bultmanns Versuch der klaren Auseinandersetzung mit der biblischen mythischen Sprache begrüßen kann.158 Es wurde bereits auf diese Problemanzeige hingewiesen, wenn Bonhoeffer schon 1932/33 in seiner Genesisvorlesung zur mythischen Umschreibung der Scheidung von Wasser und Land in Gen 1,6–10 sagt: „Hier sind wir ganz im alten wissenschaftlich naiven Weltbild. Die Vorstellungen erscheinen uns Heutigen geradezu absurd. Wenn auch angesichts der rapiden Wandlungen in unserer Naturerkenntnis allzu selbstsicherer Spott nicht gerade geraten ist, so stellt sich eben doch unzweifelhaft an dieser Stelle der biblische Autor mit seiner ganz zeitbegrenzten Erkenntnis bloß. […] Es geht hier beim Schreiber des ersten Genesiskapitels sehr menschlich zu.“159
Auch der bonhoefferschen Bestandsaufnahme zufolge trifft der Mensch in den Erzählungen des biblischen Weltbildes nicht selten auf eine rationale Grenze der Verstehbarkeit. Auch ihm präsentiert sich die Vorstellungswelt der biblischen Autoren als eine solche, die dem heutigen Menschen regelrecht absurd anmutet, sich dem modernen Erkenntnishorizont ja geradezu verschließt. Ähnlich wie Bultmann konstatiert Bonhoeffer eine Hürde im Verstehen der Schrift, die sich zu allererst in der historischen Bedingtheit der Schrift als Ausdrucksform ihrer jeweiligen Entstehungszeit begründet: Die Autoren der ersten Kapitel der Genesis liefern die Wahrheit der Rede von Gott als dem Schöpfer und dem Menschen als seinem Geschöpf eingekleidet in mythische Idiome und Anschauungsformen, die dem Leser der naturwissenschaftlich-technisierten Weltbetrachtung als „Gaukelei der feigen Phantasie eines Menschen“160 vorkommen müssen. Mit dem Verweis auf die Bildhaftigkeit der Schrift ist es sowohl Bultmann wie auch Bonhoeffer daran gelegen, „die alte Bildersprache der magischen Welt in die neue Bildersprache der technischen Welt zu übersetzen“.161 In gewisser Weise scheint eo ipso auch Bonhoeffer dem bultmannschen Diktum einer Entmythologisierung der Schrift angesichts der Unfähigkeit der modernen Einsehbarkeit in die Botschaft der Schrift zustimmen zu wollen. Der Kontrast zwischen dem biblischen und dem modernen Weltbild erweist sich auch hier als
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Cf. WE, 414.482. SF, 47. SF, 28. SF, 77.
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maßgeblich für den Umgang mit der Schrift; der mündige Leser kann nicht einfach über die Wissenschaft und die kritische Bibelforschung hinweggehen.162 Weiter wird hier wie da betont, dass in dieser magischen Rede von Gott als dem Schöpfer, dem Erretter usf. „wir die Gemeinten sind, daß wir uns in die geöffnete Bereitschaft begeben, das damals über den Menschen des magischen Weltbildes Gesagte uns sagen zu lassen“.163 Bonhoeffer kann Bultmann beinahe darin nachsprechen, dass die Bibel in ihren Bildern und „Märchen“164 anthropologisch von dem redet, was sie nicht anders ausdrücken kann als in ihrer ganz menschlichen Rede verhaftet in ihrem je eigenen Weltbild. Es ist notwendig, genau hinzusehen, um diese Bestimmung des biblischen Sprechens vom Anfang richtig zu verstehen und im Vergleich zu Bultmann einzuordnen. Bultmann sagt: Im Mythos spricht sich nicht ein objektives Weltbild aus,165 sondern allein der Verstehenshorizont des Menschen innerhalb der Welt, d. h. das Selbstverständnis des Menschen innerhalb des Gott gegebenen Weltverständnisses.166 Allein in der Befragung nach dem im Text sich aussprechenden Verständnis menschlichen Daseins erweist sich folglich die wirkliche Bedeutung des Wortes Gottes, die sich nicht an eine sprachliche Form bindet, sondern sich je neu ausgehend von der konkreten Existenz des Menschen in der konkreten Zeit und der damit verbundenen verschiedentlichen Redeweise neu ausspricht. Was sagt nun Bonhoeffer? Auch er erkennt diese historisch bedingte Redeweise als Hürde, die den heutigen Leser dazu auffordert zum Interpreten zu werden. Und doch, seine Rede von der Auslegung, der Übersetzung der Schrift in unsere heutigen technischen Bilder erscheint bei näherer Betrachtung wohl eine andere als die existentiale Bultmanns zu sein. Das wird in Ansätzen deutlich, wenn man erneut darauf schaut, was Bonhoeffer über diese Ursprungsmythen sagt, die in anthropologischer Redeweise davon handeln, dass Gott beispielsweise mit seinen eigenen Händen Adam aus Ton formt oder einen Garten pflanzt: „Wie sollte man von der ersten, der jungen Erde anders reden als in der Sprache der Märchen? Gott bereitet dem Menschen, den er mit eigener Hand geschaffen hat, einen überaus herrlichen Garten. Und woran denkt der Mensch der Wüstenlandschaft hier eher als an ein Land mit herrlichen Strömen und Bäumen voller Früchte. Kostbare Steine, seltene Gerüche, prächtige Farben, damit ist der erste Mensch umgeben. Das fruchtbare Land im fernen Osten zwischen Euphrat und Tigris, von dem so viel wun162 163 164 165
Cf. Frick, Rudolf Bultmann, 233. SF, 77. SF, 75. Cf. Bultmann, Zum Problem der Entmythologisierung, 133. Zur Diskussion um den Begriff des Weltbildes bei Bultmann siehe Näheres bei Körtner, Der inspirierte Leser, 152f. 166 Cf. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 22.
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derbare Dinge gesagt wurden, vielleicht war es jener Ort, jener Garten des ersten Menschen. Wer kann von diesen Dingen anders reden als in Bildern. Bilder sind ja nicht Lüge, sondern sie bezeichnen Dinge, lassen Dinge durchscheinen, die gemeint sind. Aber freilich Bilder wechseln, die Bilder eines Kindes sind anders als die des Erwachsenen, die des Menschen der Wüste anders als die des Menschen der Großstadt. Aber so und so, sie bleiben wahr, wie eben menschliche Rede, auch Begriffsrede überhaupt wahr bleiben kann, nämlich wahr, sofern Gott in ihnen bleibt.“167
Es ist bereits 1932/33 ein Umgang mit dem Mythos zu sehen, genauer der mythischen Redeweise der Bibel grundgelegt, den Bonhoeffer viele Jahre später in seiner Auseinandersetzung mit Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm deutlich macht. Hier heißt es in einem Brief vom 08. 06. 1944 an Eberhard Bethge: „Ich bin nun der Auffassung, daß die vollen Inhalte einschließlich der ‚mythologischen‘ Begriffe bestehen bleiben müssen – das N.T. ist nicht eine mythologische Einkleidung allgemeiner Wahrheit!, sondern diese Mythologie (Auferstehung etc.) ist die Sache selbst! […].“168
Die mythische Redeweise von in diesem Fall der Entstehung der Welt, ist nach Bonhoeffer freilich ein Stolperstein für den heutigen Menschen, es gilt entsprechend sich dieser Redeweise zu nähern – und hier ist die historisch-kritische Exegese nach ihrer Unterstützung gefragt –, indem dem Menschen der Großstadt das Umfeld des Menschen der Wüste, man kann ergänzen, dem Menschen heute das des Menschen der altorientalischen, biblischen Zeit näher gebracht – Bonhoeffer kann sagen: übersetzt – wird. Indes muss man aber bedenken, dass diese Bilder zum einen durchschimmern lassen, was sie zeigen möchten, sie sich zum anderen in und gerade durch die Betonung ihrer Zeitlichkeit als überzeitlich wahr erweisen, weil sie eben nicht alleiniger Ausdruck einer historischen Erkenntnisstufe des menschlichen Naturverständnisses zu verstehen sind, sondern sie im Gegenteil in menschlicher Rede über sich hinausweisen. Bonhoeffer macht in diesen wenigen Worten sonach auf etwas aufmerksam, das über das bultmannsche Verständnis des Mythos als Kern und Schale hinausgeht: Jede Rede des Menschen von – oder vielleicht deutlicher über – Gott ist und bleibt letztlich menschliche Rede, die eine Unterscheidung von Gesagtem und Gemeintem unterliegt. Hier kann Bultmann mitgehen, auch darauf hat er in seiner Sprachanalyse beredt hingewiesen, stellt er jedoch die bleibende Wahrheit des Mythos in seinem Kern, d. h. in seinem sich aussprechenden Daseinsverständnis des Menschen fest, trifft man hier auf eine weitere grundsätzliche Differenz beider. Die mythische Sprechweise, derer sich die biblischen Autoren bedienen, kann nicht mit dem gleichgesetzt werden, was der moderne Mensch gerne gemeinhin 167 SF, 75f. 168 WE, 482.
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unter Mythos versteht. Ein an der religionsgeschichtlichen Schule angelegtes Verständnis desselben als Göttergeschichte, die Unanschauliches so darstellen will, als wäre es anschaulich, die das Unweltliche, Göttliche, Jenseitige als Weltliches, Menschliches und Diesseitiges liest, bleibt dabei hinter einer redlichen Auseinandersetzung mit den Mythologemen zumindest und vor allem der Bibel zurück.169 Wenn also Bultmann diese Redeweise des Mythos auf die biblische Sprechweise anwendet, verkürzt er Bonhoeffer zufolge die Auslegung: Nicht um „mythologische Einkleidung“ handelt es sich hier, im Gegenteil gerade diese Mythologeme sind „die Sache selbst“.170 Was aber meint Bonhoeffer damit? Es ist hier zunächst so viel zu erkennen: Wenn Bultmann die biblische Botschaft, das Kerygma, auf das beschränkt, was dem Menschen aus seiner existentialen Bedingtheit heraus möglich ist, existentiell zu verstehen, dann erscheint, mit Martin Pöttner gesagt, „[w]as aus der existentialen Perspektive nicht rekonstruiert werden kann, […] auch nicht als ‚Sache‘ des Textes. Der existentiale Rahmen zeichnet die Möglichkeit dessen vor, was wir verstehen und mit was wir möglicherweise einverstanden sein können.“171 Dagegen bietet sich Bonhoeffer die Aufgabe der theologischen wie gläubigen Auslegung der Schrift so dar, dass die bleibende Wahrheit der christlichen Botschaft nicht dort zu finden sei, wo die biblische Sprache in ihrer Art und Weise seziert und in einem zweiten Schritt von jeglicher mythischer – für Bultmann wohl treffender als mythologische bestimmt – Rede befreit werde, um dann zum wahren existentialen Kern vorzustoßen, sondern dass diese Rede, dass dieses Wort das Wort Gottes selbst ist, indem Gott in diesem Wort zum Menschen spricht: „Wort heißt gesprochenes Wort, heißt nicht Symbol, Bedeutung, Idee, sondern die benannte Sache selbst.“172 Im Mythosverständnis Bonhoeffers scheint eine wie auch immer geartete Befreiung des biblischen Kerygmas vom Mythos in seiner ursprünglichen Bedeutung sowie von jedem objektivierenden Denken, d. h. von jeder Bindung an irgendein Weltbild, nicht angemessen zu sein.173 Im Gegenteil liegt das herausragende Merkmal dieser biblischen Rede 169 Cf. Körtner, Der inspirierte Leser, 144. 170 Auch Dietrich Bonhoeffer verwendet die Begriffe ‚mythisch‘ und ‚mythologisch‘, sowie deren Derivate bedeutungsgleich. Er kann zum Teil auch von ‚Märchen‘, ‚Bildern‘ etc. reden. Dazu aber mehr in den §§ 3.2.1 und sowie 4.1.1. 171 Pöttner, Die Einheit von Sachkritik und Selbstkritik, 412. Pöttner verweist darauf, dass „[a]uch die konkreten Selbstverständnisse […] durch die Perspektive der existentialen Interpretation vorstrukturiert werden.“ Womit Bultmann seinen eigenen Prämissen verfalle, die er gegen einige geschichtshermeneutische Entwürfe erhebe, eliminiere er hiermit doch die selbstkritische Pointe, die seiner Ansicht nach doch genau dieses echte Verstehen ermöglichen sollte: der Bruch mit dem alten Selbst im Ergreifen der Möglichkeit des Glaubens, d. h. des neuen Selbst. 172 SF, 39. 173 Cf. Körtner, Der inspirierte Leser, 152. Cf. z. B. Ulrich Körtner beschäftigt sich eingehend mit
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in Bildern wohl gerade nicht darin, in irgendeiner vorwissenschaftlichen Weltbildhaftigkeit naiv vom Eigentlichen zu sprechen, sondern „in seiner transempirischen Funktion, die gegenwärtige Welt- und Lebensordnung als durch ein Geschehen in der ‚Urzeit‘, hinter das nicht weiter zurückgefragt werden kann, entstanden vorzustellen und an bleibende Sinninstanzen zu binden.“174 Susanne Klinger kann mit Mircea Eliade, Karl Kerényi und anderen deshalb schließen: „Erzählender Mythos und objektivierendes Denken sind deshalb weder gleichzusetzen noch gegeneinander auszuspielen, sondern vermitteln grundsätzlich verschiedene Zugänge zur Wirklichkeit.“175 So kann Bonhoeffer im Zuge seiner nicht-religiösen Interpretation biblischer Begriffe, die im Moment noch unerklärt bleiben muss,176 Bultmann darin kritisch entgegentreten, dass er zwar Bultmanns Bestreben um dessen redlichen Umgang mit der biblischen Sprache begrüße, dass dieser ihm jedoch in seinem dem Bultmann grundsätzlich verschiedenen Mythosbegriff nicht weit genug gehe, da „nicht nur ‚mythologische‘ Begriffe wie Wunder, Himmelfahrt etc. (die sich ja doch nicht prinzipiell von den Begriffen Gott, Glauben etc. trennen lassen!), sondern die ‚religiösen‘ Begriffe schlechthin […] problematisch sind. Man kann nicht Gott und Wunder trennen (wie Bultmann meint), […] Bultmann’s Ansatz ist eben im Grunde doch liberal (d. h. das Evangelium verkürzend), während ich theologisch denken will.“177
Nach Bonhoeffer ist es nicht nur die mythische Rede der Bibel, die dem Menschen ein Stolperstein ist, es ist die gesamte religiöse Sprache schlechthin, die dem Menschen fremd geworden ist. Ohne, dass er sich an dieser Stelle näher damit auseinandersetzen würde, was er nun tatsächlich unter dieser religiösen Rede versteht, ist hierin die fundamentale Kritik zu erkennen, die Bonhoeffer an Bultmanns Mythosbegriff und damit an dessen gesamtem Programm der Entmythologisierung, zuletzt also der existentialen Interpretation, anbringt. Frei-
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Bultmanns Mythosbegriff und den daraus erwachsenden Schwierigkeiten nicht nur für die Frage nach der Bedeutung der existentialen Interpretation und der sich daran anschließenden Frage nach dem Weltbild, sondern auch bezüglich der Unterscheidung von Mythos und Metapher. Mit Hans Blumenberg kann insofern zu Bultmanns Mythosdarstellung gesagt werden: „Die Entmythologisierung ist zu einem guten Anteil nichts anderes als Remetaphorisierung: das punktuelle Kerygma strahlt auf einen Hof von Sprachformen aus, die nun nicht mehr beim Wort genommen zu werden brauchen.“ (Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer, 87.) Dementsprechend stellt sich Körtners Einschätzung nach bei Bultmann die Frage danach, „ob religiöse Sätze meinen, was sie sagen bzw. ob es möglich ist, d. h. univok von Gott zu reden.“ (Körtner, Der inspirierte Leser, 156.) Hannelis Schulte hingegen hebt hervor, dass Bultmann mit dem Begriff Kerygma den Hörer warnt „vor dem rationalen Mißverständnis, das als Objektivierung des Worts mit dem mythischen Mißverständnis zusammengehört.“ (Schulte, „Rettet den Mythos!“, 528.) Klinger, Status und Geltungsanspruch der historisch-kritischen Methode, 42. Klinger, Status und Geltungsanspruch der historisch-kritischen Methode, 42f. Cf. § 4.1.1. WE, 414.
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lich geht es um eine Verständigung von biblischer Botschaft und heutigem Menschen; Bonhoeffer nimmt die menschliche Existenz ernst, wie schon bei der Rede von der Transzendenz zu sehen war, gleichzeitig kann für ihn aber eine wahre Diesseitigkeit Gottes in seinem Wort nicht darin liegen, dass dieses Wort sich auf eine je in der existentialen Situation neuen Entscheidung für die Einsehbarkeit der biblischen Botschaft reduzieren lässt. Im Gegenteil, gerade die Sprache der Bibel in ihrer anthropomorphen Art und Weise von Gott zu sprechen als „offenkundige Mythologie ist keine unsachgemäßere, unangemessenere Ausdrucksweise für das Wesen Gottes als die abstrakte Verwendung des Gattungsnamens ‚Gottheit‘. Vielmehr ist gerade in dem deutlichen Anthropomorphismus die Tatsache viel stärker zum Ausdruck gebracht, daß wir ‚Gott an sich‘ eben so oder so nicht denken können, – der abstrakte Gottesbegriff ist im Grund viel anthropomorpher, eben weil er es nicht sein will, als der kindliche Anthropomorphismus – daß wir einen Eigennamen Gottes brauchen, damit wir Gott recht denken können. Ja, der Eigenname ist Gott selbst. Wir haben Gott nicht anders als in seinem Namen, auch heute: Jesus Christus, das ist der Name Gottes, höchst anthropomorph und höchst sachlich zugleich.“178
Es gilt Bonhoeffer zufolge zunächst zu konstatieren, dass weder die technisierte Sprache der modernen, naturwissenschaftlichen Welt noch die mythisch aufgeladene Redeweise der Bibel Gott wirklich richtig denken kann. In der Bibel erfahren wir freilich nichts über den biologischen Ursprung des Menschen, darum soll es aber auch nicht gehen, vielmehr handelt es sich um ein Innewerden des menschlichen Selbstverständnisses als Geschöpf Gottes. Nicht in irgendeiner existentialen Möglichkeit erweist sich dieses Wissen als zunächst abstraktes, rationales Einsehen in die Wahrheit Gottes; das ist nach Bonhoeffers Diktum als ein Rückfall Bultmanns in liberales Theologisieren zu werten, zumal es doch der Mensch in seinem je sich durch die Wissenschaft setzenden Verständnis ist, der sich der Aussagen über Gott und Welt bemächtigt, in dem er über deren Möglichkeit der verständigen Redlichkeit entscheidet. Der Gottesbegriff, der damit einer abstrakten wie anthropomorphen Rede entkommen will, verfängt sich so gerade in metaphysischer und individualistischer Bedingtheit. Er ist in seinem Versuch die Transzendenz radikal jenseitig zu denken, allein auf den Menschen und dessen eigenes Spiegelbild zurückgeworfen. Bonhoeffer will hingegen mit der Aufwertung, genauer mit der bleibenden Bedeutung, der mythischen Rede der biblischen Schrift auf Gegenteiliges hinweisen. Der Mensch in seiner eingeschränkten Erkenntnisfähigkeit kann Gott nur in dieser Rede tatsächlich als seinen Schöpfer erkennen. Warum ist das so? Es ist erneut eine Passage aus Schöpfung und Fall heranzuziehen, die sich hier tiefer erschließt: 178 SF, 69f.
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„Das Denken kann sein eigenes letztes Warum nie beantworten, weil auch diese Antwort wieder ein Warum gebären würde. […] Unser Denken, d. h. das Denken derer, die zu Christus müssen, um von Gott zu wissen, der gefallenen Menschen ist anfangslos, weil es ein Ring ist. […] Niemand kann vom Anfang reden als der im Anfang war. So beginnt die Bibel mit der freien Selbstbestätigung, Selbstbezeugung, Offenbarung Gottes […].179
Die Wahrheit der biblischen Rede in ihren Bildern vom Anfang, wie hier in den ersten Kapiteln der Genesis, besteht also darin, dass Gott in dieser ist. Gottes bleibende Gegenwart ist es also, was die anthropomorphe Sprache der Bibel als wahres Wort von Gott kennzeichnet. In der freien Selbstoffenbarung Gottes ist die Diesseitigkeit, d. h. die Wahrheit des Menschenwortes, allein in seiner Selbstoffenbarung als solches wahr, allein dementsprechend in Jesus Christus bezeichnet diese mythische Rede das Gemeinte. Der Mythos im Verständnis Bonhoeffers ist damit folglich nichts zu Eliminierendes, er ist vielmehr auf seine christologische Realität hin zu befragen;180 allein in seinem Hinweis auf die eine Wirklichkeit, die Jesus Christus ist, weist diese anthropomorphe Rede über sich auf die wahre Transzendenz hinaus. In Jesus Christus als dem Kristallisationspunkt auch der Auseinandersetzung Bonhoeffers mit dem Mythos zeigt sich dessen Wahrheit als Wirklichkeit, die weder in metaphysischer noch in individualistischer Reduktion verbleibt, sondern die im Gegenteil weg von sich auf die Wirklichkeit Gottes in Jesus Christus deutet.
3.1.5 Die existentiale Betroffenheit des Menschen Es war zu sehen, aus der Bearbeitung des bonhoefferschen Biblizismus stellt sich dessen Umgang mit der Schrift nicht als ein frommer, naiver heraus, der in jedem Buchstaben das Wort Gottes erblickt und die geisterfüllte innere Erleuchtung des Herzens als notwendige Bedingung voraussetzt, sondern als geradezu kritischer; aber ein insofern kritischer, weil er nicht ohne innere Beteiligung des Lesers zu beschreiben ist. Bonhoeffers Biblizismus zeichnet sich demnach durch ein existentiales Betroffensein des Menschen aus, das eine Verhältnisbestimmung Gottes zu seinem Geschöpf notwendig werden lässt. Mit der schon frühen Betonung der Existenz des Menschen als ein „Sein in …“181 zeigt sich hier eine Nähe zu Rudolf Bultmanns Bestrebungen, das Dasein des Menschen als getroffenes Dasein zu beschreiben. Dazu stellt sich freilich Bultmann wie Bonhoeffer die fundamentale erkenntnistheoretische Frage nach dem Erkennen Gottes, infolge deren nicht abgesehen vom Menschen gesprochen 179 SF, 26ff. 180 Cf. Frick, Rudolf Bultmann, 235. 181 Cf. SC, 86; AS passim.
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werden kann, sondern in Beziehung zu diesem. Diese Relation des Schöpfers zu seinem Geschöpf sieht Bultmann maßgeblich in der Problematik einer angemessenen Hermeneutik konkretisiert, welche die Interpretation von Bibel und Welt zu generieren vermag, um diese darin enthaltene Diversität der biblischen Schriften (im Falle Bultmanns besonders der neutestamentlichen) angemessen zu erfassen.182 Zwar finden sich bei Bonhoeffer wenig explizite Äußerungen zu einer dementsprechenden hermeneutischen Reflexion, doch zeichnen sich bei eingehender Lektüre genau solche Anknüpfungspunkte auch für Bonhoeffers gesamte Theologie ab. Es wurde deutlich, dass Bonhoeffer wie Bultmann die Frage nach den Bedingungen des christlichen Glaubens in einer Zeit, in der nicht nur die Natur-, sondern auch die Geschichts- und Sozialwissenschaften den Zugang zu bisher vermeintlich objektiven Einsichten und Fundamenten des Erkennens wie auch und gerade des Glaubens in Frage gestellt haben, beherrschend erscheint.183 So steht in der Ära nach dem ersten Weltkrieg, nach Wirtschaftsaufschwung und Weltwirtschaftskrise sowie während des Aufstiegs faschistischer Diktaturen in ganz Europa die Theologie vor neuen Aufgaben; die Frage nach der Bedeutung der Kirche184 sowie nach Erkenntnis und Glaube (für Bonhoeffer sollen nach seiner universitären Laufbahn vor allem die nach Gehorsam und Nachfolge, Rechtfertigung und Heiligung zunächst daraus erwachsen und in den Vordergrund treten185) scheinen für ein säkulares Volk bestimmend, das den Graben zwischen vermeintlich naivem Glauben und vernünftiger Rationalität nicht tiefer auszuheben vermag. Beide versuchen deshalb, in der Bearbeitung der theologiegeschichtlich maßgeblichen und überzeitlichen Probleme des Konnexes von Glauben und Verstehen, Geschichte und Offenbarung sowie biblischer Text und heutiger Rezipient einer mündig gewordenen Welt eine Lösung entgegenzubringen.186 Wenn demnach Rudolf Bultmann in seinen Studien hervorhebt, dass ein Erkennen Gottes nicht abgesehen vom Menschen sowie ein Erkennen des Menschen nicht ohne Gott gemacht werden kann, findet sich hierin die konstitutive Essenz Bultmanns wie Bonhoeffers zur Frage nach der Erkenntnis (des Schöpfers). Für beide gilt die dialektisch-theologische Prämisse Gottes als des ganz 182 Cf. Kahl, Evangeliumsvergegenwärtigung, 136. 183 Cf. Schmithals, Art. Bultmann, 388. 184 Cf. L, 128 (Bonhoeffer an Erich Sutz, aus London am 28. April 1934): „Der Nat. Soz. hat das Ende der Kirche in Deutschland mit sich gebracht und konsequent durchgeführt. […] Und obwohl ich mit vollen Kräften in der kirchlichen Opposition mitarbeite, ist es mir doch ganz klar, daß diese Opposition nur ein ganz vorläufiges Durchgangsstadium zu einer ganz anderen Opposition ist […].“ 185 Cf. Schmitz, „Nachfolge“, 13. 186 Cf. Schnübbe, Der Existenzbegriff in der Theologie Bultmanns, 110.
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anderen, welche sich explizit gegen eine Rede des Menschen über Gott verwehrt, würde sich darin nämlich nicht Gott, sondern ganz im Zuge der religionskritischen Anfrage eine Rede über Gott als eine solche letztlich vom Menschen ausweisen. So verbinden Bonhoeffer wie Bultmann zwei paradox anmutende Prämissen: Gottes Absolutheit und Alleinwirksamkeit sowie die Erfassung der menschlichen Existenz als radikal gottgebundene. Schaut man zunächst auf letztere, nämlich die Bestimmung des Menschen als bedingtes gänzlich angewiesenes Geschöpf, formuliert sich diese bei Bonhoeffer in seiner Rede von der Ebenbildlichkeit dezidiert darin aus, dass eine Entsprechung Gottes und des Menschen in der Beziehungsfähigkeit resp. in dem Hinweis des Bildes auf sein Urbild zu finden ist: „Gott schuf einst Adam zu seinem Ebenbild. Gott suchte in Adam als der Vollendung seiner Schöpfung das Wohlgefallen an seinem eigensten Bild, ‚und siehe, es war sehr gut‘. In Adam erkannte Gott sich selbst. So ist es das unauflösliche Geheimnis des Menschen vom Anfang her, daß er Geschöpf ist und doch dem Schöpfer gleich sein soll. Der geschaffene Mensch soll das Bild des ungeschaffenen Gottes tragen. Adam ist ‚wie Gott‘. Nun soll er sein Geheimnis, Geschöpf und doch gottgleich zu sein, dankbar und gehorsam tragen.“187
Schöpfer und Geschöpf befinden sich in engster Verbindung; in seiner Nachfolge kann Bonhoeffer diese Bestimmung der Geschöpflichkeit des Menschen noch dezidierter als Paradoxon in der geheimnisvollen Struktur des gottgleichen Geschöpfes darstellen. Unbedingtes und Bedingtes stehen in diesem urständlichen Adam unauflöslich ineinander, so eng, dass eine Beschreibung dessen als Relationalität diese Verhältnisbestimmung kaum zu treffen vermag. Bonhoeffer verweist diese unanschaulich, unauflösliche Beziehung in den Bereich des Arkanum, womit zunächst zu konstatieren gilt:188 Bonhoeffer denkt die Absolutheit Gottes gebunden an die Bedingtheit des Menschen. Eine Erkenntnis Gottes als Formulierung allgemeiner Gesetzlichkeit und überzeitlicher Wahrheit kann sonach nicht als Einsicht in das Wesen Gottes führen, sondern verweist letztlich doch nur auf den Menschen selbst, der sich aus seiner ihm wesensmäßigen Vernünftigkeit einen Begriff des ihm höchsten Wesen formt, um, wie Bonhoeffer sagen kann, „das Geheimnis seines Wesens, Geschöpf und gottgleich zu sein, selbst [zu] lösen.“189 187 N, 297. Cf. auch SF, 61: „[…] Ähnlichkeit ist ganz streng so zu verstehen, daß das Ähnliche seine Ähnlichkeit allein von dem Urbild hat, uns also immer nur auf das Urbild selbst hinweist und allein in diesem Hinweis ‚ähnlich‘ ist.“ 188 Cf. genaueres dazu in § 4.1.2. 189 Cf. N, 297f., wo Bonhoeffer fortfährt: „Es war die Lüge der Schlange, daß sie Adam vorhielt, er müsse erst noch werden wie Gott, und zwar aus eigener Tat und Entscheidung. Da verwarf Adam die Gnade und erwählte die eigne Tat. Adam wollte das Geheimnis seines Wesens, Geschöpf und gottgleich zu sein, selbst lösen. Er wollte von sich aus werden, was er von Gott
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Auch Bultmann kann in der für ihn bestimmenden ontologischen Struktur des Menschen als relationales Wesen seine steile Formulierung, dass Gott gerade nicht als der Welt jenseitiges und unabhängiges Objekt zu denken ist, begründet sehen, buchstabiert sich für ihn doch in der relationalen Anlage der Anspruch Gottes an seinen Menschen und damit seine Beziehung zu seinem Geschöpf aus. Einen Standpunkt außerhalb Gottes kann es demzufolge auch für ihn nicht geben, lässt sich von Gott nicht in allgemeinen Sätzen und Bestimmungen reden, die wahr sind ohne Beziehung zum Redenden.190 Wenn Bonhoeffer in seiner Genesisvorlesung den anthropomorphen dem abstrakten Gottesbegriff vorzieht, kristallisiert sich bereits hier der für Bonhoeffers Denken so wichtige Hinweis auf die anthropomorphe Redeweise des Menschen hinsichtlich der Erfassung Gottes heraus, wenn es also heißt: „Anthropomorphismus im Gottesgedanken, offenkundige Mythologie ist keine unsachgemäßere, unangemessenere Ausdrucksweise für das Wesen Gottes als die abstrakte Verwendung des Gattungsnamens ‚Gottheit‘. Vielmehr ist […] der abstrakte Gottesbegriff im Grunde viel anthropomorpher, eben weil er es nicht sein will, als der kindliche Anthropomorphismus […].“191
Wenn Bonhoeffer und auch Bultmann dieses Sprechen über Gott als solches aus Gott selbst präzisieren, offenbart sich beider parallel zueinander liegendes Anliegen, dass Gleiches nur aus Gleichem, dass Gott nur aus sich selbst erkannt werden kann. Differenziert sich bei Rudolf Bultmann jedoch dieses gläubige Verstehen als solches aus, das zunächst auf der Ebene rationaler Einsehbarkeit seine erste Hürde erkennt und in einem zweiten Schritt als existentielles Vollziehen dieser Erkenntnis im Ergreifen der Möglichkeit des Glaubens sein Ziel findet, verweist das auf die Diskrepanz beider Theologen zueinander. Diese besteht zum einen darin, dass beide einen offensichtlich unterschiedlichen Begriff der ‚Erkenntnis‘ resp. des ‚Erkennens‘ zugrunde liegen haben, was sich zum anderen grundsätzlich in der Ausdifferenzierung des Glaubens bemerkbar macht. Wenn aber nun beide dennoch die Erkenntnis Gottes an den Menschen gebunden wissen wollen, erweist sich die Schrift in ihrer historischen Gewachsenheit als eine grundlegende Schwierigkeit nicht nur darin, dass ihr unwissenschaftliches Weltbild ein Problem für den modernen Leser und dessen Vorstellungswelt darstellen sowie gegebenenfalls ein erschwerter Zugang zur tat-
schon war. Das war der erste Sündenfall. Adam wurde ‚wie Gott‘ – sicut deus – in seiner Weise. Er hatte sich selbst zum Gott gemacht und hatte jetzt keinen Gott mehr. Er herrschte allein als Schöpfergott in einer entgotteten, unterworfenen, Welt.“ 190 Cf. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 26. 191 SF, 69.
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sächlichen Sache bestehen könnte.192 Vielmehr noch schätzen beide die ihnen gegenwärtige Theologie darin fraglich ein, dass in der vorgeblichen Erforschung des historischen Jesus allein eine vermeintliche Objektivität hergestellt wird, die zu gerne in der Gefahr steht, die Interessen des Forschers in sich aufzunehmen. Stattdessen erkennen beide daran anschließend den Anspruch und die Notwendigkeit der historisch-kritischen Arbeit nicht in der Herstellung allgemeingültiger und überzeitlicher Wahrheiten, sondern im Gegenteil in der Erkenntnis der Relativität solcher historischen Forschung. In der Hervorhebung des Erfordernisses der Exegese verwerfen beide gleichsam damit eine Absolutheit jeglicher historischer Geschichtswissenschaft. Indes aber erweist sich diese Einsicht in die Relativität der menschlichen Erkenntnis darin fruchtbar, dass nur hier der Graben des Verstehens zuerst sichtbar wird und in einem zweiten durch die Absage an ewig gültige Worte überwunden werden kann. Kurzum: Der Platz der historisch-kritischen Exegese ist damit die Überwindung der zeitlichen, d. h. semantischen, soziologischen, kulturwissenschaftlichen und religionsgeschichtlichen, Barrieren des Verstehens; letztlich also die Erschließung des Umfelds biblischer Texte und Autoren zur Möglichkeit rationaler Einsehbarkeit in biblische Begriffe und Weltsichten. Gleichsam bedeutet dieses für beide, dass glaubendes Verstehen nicht über den Weg der historisch-kritischen Methode generiert werden kann. Nicht die Bibel als historisches Dokument steht für den Glauben im Vordergrund, sondern vielmehr die Schrift als Gestalt des Kerygmas. Die Nähe Bonhoeffers zu Bultmann erscheint eklatant; zieht man dazu die Bewertung des historischen Jesus heran, zeigt sich diese umso deutlicher. Beide beurteilen nach der Verneinung einer absoluten historischen Gewissheit ebenso den historischen Jesus als für den Glauben nicht konstitutiv. Während Bultmann nach der rationalen Einsicht in die biblischen Sachverhalte den historischen Jesus als Überkleid des eigentlichen Kerygmas zurücklassen kann, er somit allein den Auferstandenen als Glauben konstituierend erkennt, bestätigt sich auch für Bonhoeffer zwar der historische Jesus nicht als Zugang zum wirklichen Christus, vielmehr aber verweist der Auferstandene immer wieder zurück auf sein irdisches, historisches Pedant. Ist es für Bultmann dementsprechend einzig das Kerygma, das nicht in einem historischen Dokument, sondern allein in dessen Wirkmächtigkeit gefunden werden kann, bindet sich für Bonhoeffer dieses Kerygma zugleich an diesen historischen Jesus, d. h. an ein historisch gewachsenes, durch und durch menschliches Dokument. Bonhoeffer macht damit auf den Ort der Theologie aufmerksam, dessen Aporie darin liegt, dass er den „Anspruch, den in vergangenen biblischen Texten begründeten Glauben in einem jeweils gegebenen historischen Kontext zu ver192 Cf. Frick, Rudolf Bultmann, 233.
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gegenwärtigen“,193 nicht unmittelbar einlösen kann. Er kann demgemäß die Fremdheit, auf die Bultmann mit aller Deutlichkeit hinweist, welche zwischen der sich in der Bibel bezeugenden Wahrheit Jesu Christi und der Gegenwart des heutigen Lesers besteht, freudig aufnehmen, stellt sich diese doch als konstitutives Element einer Hermeneutik heraus, die als Reflexion dieser Aporie dieselbe entweder stehen lässt oder ermöglicht, anstatt in der Restitution des Vergangenen unterzugehen.194 Wenn Bultmann sich somit dieser Aporie bedient, indem er ihr ein philosophisch angemessenes Fundament sucht, sieht er aufgrund dieser Ausweglosigkeit für seine Forderung der existentialen Betroffenheit des Menschen die Entmythologisierung biblischer Texte zugunsten des eigentlich Gemeinten, d. h. des Kerygmas, unentbehrlich, um das grundsätzlichste Glaubenshindernis zu beseitigen, gilt es doch nicht die vormodernen, mythischen – in Bultmanns Auffassung die mythologischen – Vorstellungen zum Ärgernis eines sacrificium intellectus werden zu lassen.195 So will die existentiale Interpretation der mythischen Elemente dieses Hindernis abbauen, indem sie die existentiale Bedeutsamkeit dieser so klassifizierten Aussagen, d. h. das den Menschen als Gottes Wort treffende, im Mythos begegnende Kerygma, freilegt.196 Erst dann, wenn der 193 Gremmels, Konstitution und Reflexion, 156. 194 Cf. Gremmels, Konstitution und Reflexion, 156. 195 Wenn Bultmann von unterschiedlichen Seiten der Vorwurf gemacht wird, er rationalisiere in seinem Umgang mit dem Mythos die christliche Botschaft auf einfache Verstehensbegriffe, wird ihm damit freilich Unrecht getan. Cf. seine Stellungnahme dazu in Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 161f.: „Daraus folgt, daß der Einwand von einem Mißverständnis herrührt, Entmythologisierung sei eine Rationalisierung der christlichen Botschaft, Entmythologisierung löse die christliche Botschaft auf in ein Ergebnis vernünftigen menschlichen Denkens, und das Geheimnis Gottes werde von der Entmythologisierung zerstört. Das stimmt keineswegs! Entmythologisierung macht im Gegenteil erst die wahre Bedeutung von Gottes Geheimnis deutlich. Die Unbegreifbarkeit Gottes liegt nicht auf der Ebene theoretischer Gedanken, sondern auf der Ebene der persönlichen Existenz. Das Geheimnis, für das der Glaube sich interessiert, ist nicht, was Gott an sich ist, sondern wie er mit den Menschen handelt. Dies ist ein Geheimnis nicht für das theoretische Denken, sondern für die natürlichen Wünsche und Begierden des Menschen. Das Wort Gottes ist für mein Verstehen kein Geheimnis. Im Gegenteil, kann ich nicht in Wahrheit an das Wort glauben, ohne es zu verstehen. Aber verstehen heißt nicht, es rational erklären. […] Ich begreife […] allein in offener Bereitschaft zur persönlichen Begegnung.“ 196 Cf. dazu Harbsmeier, Die Theologie Bultmanns und die Philosophie, 469: „Das Motiv also, das Bultmann zur Philosophie gebracht hat, ist nicht etwa das der Fundierung der Theologie durch philosophische Erkenntnisse, sondern das der Verpflichtung zur vernünftigen Rechenschaft. Das Motiv ist nicht das der Suche nach Unterstützung durch die Philosophie, sondern das der intellektuellen Redlichkeit des Glaubenden und seiner Nüchternheit, der Bewahrung vor der Selbstüberheblichkeit, als sei der Glaube der Besitz übernatürlicher und übervernünftiger Geistigkeit und der Glaubende der Rechenschaft vor der Welt enthoben. Bultmann will der mißverstandenen Entweltlichung und Weltfremdheit der Christen wehren, indem er sie bei ihrer denkerischen Verantwortung zu behaften sucht. […] Das philosophische Denken und Verstehen hat nun Bedeutsamkeit für den Glauben nicht als
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Mythos als Reflexion menschlicher Selbstverständnisse verstanden ist, zeigt sich darin die Rede von Gottes Handeln in Jesus Christus nicht als mythologische Rede, sondern als den Menschen treffendes, existentiales Kerygma.197 Bonhoeffer weist Bultmann im Gegenteil darauf hin, dass diese Paradoxalität nicht etwas ist, dass der Mensch durch eingängigen Nachvollzug und Reduktion mythischer oder etwa mythologischer Elemente zu abstrahieren bzw. zu eliminieren vermag; im Gegenteil stellt sich die Exegese selbst als die Methode heraus, welche in die Fremdheit des Textes führt, um dort das geschriebene Wort als Wort Christi an mich, die Kirche, die Welt zu erkennen.198 Dementsprechend will er die Fremdheit des Evangeliums nicht mittels rationaler Einsehbarkeit und einer wie auch immer gearteten ‚richtigen‘ Methode auflösen, sondern ist geradezu bereit ein „sacrificium intellectus“199 zu begehen und diese vielmehr als dem Sein des (gefallenen) Menschen entgegenstehende Fremdheit als bleibende zu bestimmen. Die Notwendigkeit einer Entmythologisierung, einer Sezierung der eigentlichen Sache erweist sich dann nämlich nicht vonnöten. So stellt er gegen Bultmann deutlich heraus, dass der Mythos nicht getilgt werden könne, sei er doch „die Sache selbst“.200 Evident wird hier nicht nur beider konträrer Begriff des Mythischen bzw. Mythologischen, sondern auch die darin enthaltene anthropomorphe Rede, die sich dem Gemeinten näher als jede abstrakte, rationalisierte Herangehensweise an die Tatsache Gott herausstellt. So zeigt sich eben in dieser allzu menschlichen Art und Weise eine Einsicht in die Uneinsichtigkeit der Erkenntnis Gottes und seines Handelns am Menschen, die den Menschen sich nicht über Gott erheben lässt, sondern sich dieser Bedingtheit der gefallenen Rede über Gott bewusst bleibt.201 Es gilt gerade hier also wie oben:
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Prädispositionierung, nicht als Vorstufe, sondern als das vorfindliche Welt- und Selbstverständnis, in dem sich eben der Mensch auslegt, dem das erlösende Erbarmen Gottes gilt.“ Cf. Schmithals, Art. Bultmann, 393f. Cf. Webster, „In the Shadow of Biblical Work“, 85. Cf. ITAF, 147. Freilich bleibt die Frage, wie dieses sacrificium für Bonhoeffer tatsächlich zu verstehen ist, wo doch auch er darum bemüht ist, dem Menschen einen einsehbaren Zugang zu seinem Schöpfer zu ermöglichen. Wie genau aber dieses Verstehen sich aufgliedert, das wird zu sehen sein. Cf. §§ 4.1.2 und 4.1.3. WE, 482. Cf. SF, 108, wo Bonhoeffer diesen menschlichen Versuch, sich über Gottes Wollen und Sollen zu erheben als das Frömmersein-Wollen des Sicut-deus-Menschen charakterisiert: „Und zwar sollte dieses Frommsein darin bestehen, daß der Mensch hinter das gegebene Wort Gottes zurückgehend, sich eine eigene Erkenntnis Gottes verschafft; diese Möglichkeit des Wissens über Gott jenseits seines gebenden Wortes ist sein sicut-deus-sein; denn woher sollte der Mensch dies Wissen nehmen, wenn nicht aus den Quellen seines eigenen Lebens und Seins, d. h. der Mensch verzichtet für sein Wissen um Gott auf das immer wieder aus der unbetretbaren Mitte und Grenze des Lebens auf ihn zukommende Wort Gottes, er verzichtet auf das Leben aus diesem Wort und reißt es an sich selbst.“ Cf. dazu auch Harbsmeiers Einschätzung der Unterscheidung der Mythosdefinition Bult-
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„Anthropomorphismus im Gottesgedanken, offenkundige Mythologie ist keine unsachgemäßere, unangemessenere Ausdrucksweise für das Wesen Gottes als die abstrakte Verwendung des Gattungsnamens ‚Gottheit‘. Vielmehr ist […] der abstrakte Gottesbegriff im Grunde viel anthropomorpher, eben weil er es nicht sein will, als der kindliche Anthropomorphismus […].“202
Nach Bonhoeffer ist das Ärgernis des Textes dann auch nicht darin aufzulösen, dass durch die rationale Einsehbarkeit der Mensch in die existentiale Krisis, d. h. die ihm angelegte Frage nach dem Wohin und Woher, geführt wird, dass also das Ärgernis letztlich doch beseitigt wird, vielmehr führt die mythische Sprache der Bibel genau an diesen Ort der Fremdheit, der auch und im Glauben seine Fremdheit nicht verliert; denn gerade dort, „unter dem hauenden Schwert, unter dem Kreuz stirbt das Menschengeschlecht.“203 In der biblischen Sprache des Mythos deutet Bonhoeffer demnach auf eine existentiale Tatsache hin, die ihn gegen Bultmann an Bultmanns Seite stellt: In der Anerkenntnis des Mythos als der Sache selbst wird der Mensch im Lesen der Schrift mit an den ihm gänzlich fremden Ort genommen, wo er in Jesus Christus aus seiner alten Existenz herausgerufen wird in das Geheimnis eines Daseins, das geschöpflich und gottgleich zugleich ist. Jegliche Theologie ist damit Hermeneutik insofern, dass der Leser sich aus seinem wie Gott-sein-Wollen, seinem Um-sich-selbst-Kreisen herausrufen lässt „im vollen Bewusstsein der Bezogenheit auf das gegenwärtige Wirken des Heiligen Geistes als eigentlichem ‚Subjekt der Vergegenwärtigung‘.“204 Wird hier somit von Bonhoeffers existentialer Interpretationsmethode gesprochen, zeigt sich seine Nähe zu Bultmann augenscheinlich darin, dass allein die Schrift als Offenbarung des Auferstandenen den Menschen aus seinem alten, selbstgefälligen Sein herauszureißen, dass allein dieses glaubendes Verstehen zu ermöglichen vermag, indem in dem Antworten des Menschen auf den Ruf der manns und Bonhoeffers, in der er darauf hinweist, dass Bultmann den Mythos im Gegensatz zu Bonhoeffer als Göttergeschichte versteht und deutlich macht, dass „[d]ieses Prinzip der existentialen Interpretation […] auf die Bibel nicht ohne weiteres bzw. nur in sehr engen Grenzen anwendbar [ist], und zwar deshalb nicht, weil in der Bibel das Mythologische gar nicht im Dienste eines unanschaulich jenseitigen, naturhaften oder auch geschichtlichen Daseinsverständnisses, sondern der realen Offenbarungsgeschichte Gottes mit dem Menschen in der Welt steht.“ Es scheint, als habe Harbsmeier mit der Indienstnahme des Mythos für die Offenbarung nicht die eigentliche Bedeutung von Bonhoeffers Mythosbestimmung erkannt, wird hier doch ebenfalls der Mythos als Hinweis auf etwas anderes erkannt. (Cf. Harbsmeier, Die „nicht-religiöse Interpretation“ biblischer Begriffe, 53.) Was Bonhoeffer tatsächlich unter einem Interpretieren aller religiösen Begriffe für die mündige Welt meint, wäre daran anschließend an seinem Diktum des Mythos als der Sache selbst zu untersuchen. Es wird darauf in § 4.1.1 noch genauer zu sprechen zu kommen sein. 202 SF, 69. 203 SF, 135. 204 Kahl, Evangeliumsvergegenwärtigung, 141. (Kahl zitiert hier ITAF, 404. Im Original teilweise kursiv.)
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Schrift die Existenz des Menschen im Glauben getroffen und in Jesus Christus eine neue ist.205 Es bleibt hier anschließend die Aufgabe, Bonhoeffers wie Bultmanns neue, d. h. im Glauben getroffene Existenzweise, eingehender zu betrachten, um die Wirkmächtigkeit der existentialen Interpretationsweise beider umfassend zu verstehen.
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Angewandte Hermeneutik
3.2.1 Bonhoeffer, Bultmann und Chalcedons philosophische Implikationen Die eklatante Nähe Bonhoeffers zu Bultmann, die sich besonders in der Bewertung der Relativität historischer Einsichten herausstellt, scheint auf den ersten Blick manchen Bonhoeffer-Leser zu irritieren. Und doch, Bonhoeffer mutet in seiner Herangehensweise an die Schrift seinem Kollegen und Zeitgenossen Rudolf Bultmann in vielen Dingen äußerst ähnlich an. Beide beginnen im Zuge der dialektisch-theologischen Forderung damit, eine Erkenntnis Gottes nicht als menschliche postulieren zu wollen, sondern diese dagegen immer auch im Bereich Gottes als diesem vorbehaltene zu setzen. Der diffizile Umgang mit dem Problem des Erkennens nicht nur Gottes erfährt bei beiden genau in dieser paradoxen Forderung, dass eine Erkenntnis Gottes alleine Gott selbst vorbehalten bleibt, d. h. sie dem Menschen nicht aus eigener Möglichkeit, aus eigener Anstrengung zur Verfügung steht, die zentrale Stellung alles Theologisierens. Indem beide so die Frage nach der Möglichkeit einer menschlichen Rede von Gott in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit, genauer an den Beginn ihres Denkens, stellen, zeigt sich darin freilich auch eine nicht zu übersehende Nähe zu Karl Barth, das war an vielen Stellen schon zu bemerken. Was aber wird damit deutlich? Zunächst und zuvörderst dieses: Bonhoeffer wie Bultmann wie Barth stehen vor den gleichen Fragen, Fragen, die ihre Zeit und ihre Lehrer ihnen (implizit wie explizit) stellen. Die Frage nach der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, also diejenige nach der Erkenntnis des Erkennens, ist eine solche, die nicht erst seit der Neuzeit eine beherrschende Frage darstellt. Vielmehr erweist sich diese mit der Einsicht in die Relativität historischer Tatsächlichkeit und Wahrheit als dringliches Problem des endenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und 205 Cf. SF, 80f: „Die Grenze des Menschen ist in der Mitte seines Daseins, nicht am Rand; die Grenze, die am Rand des Menschen gesucht wird, ist Grenze seiner Beschaffenheit, Grenze seiner Technik, Grenze seiner Möglichkeit. Die Grenze, die in der Mitte ist, ist die Grenze seiner Wirklichkeit, seines Daseins schlechthin. […] Dort wo die Grenze ist – der Baum der Erkenntnis –, dort ist nun auch der Baum des Lebens, d. h. der lebensspendende Gott selbst. Er ist die Grenze und die Mitte unseres Daseins zugleich, das weiß Adam.“
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dessen Infragestellung biblischer, vermeintlich historischer Tatsachenbehauptungen. Wenn alle drei Theologen sich demnach mit der Erkenntnisfähigkeit des Menschen auseinandersetzen, kommt dieses nicht nur, aber gerade doch aus der Infragestellung der Einsicht in die tatsächliche Faktizität, d. h. in die Wahrnehmbarkeit von Wirklichkeit. Dass mit dieser Problematisierung freilich an erster Stelle die biblische Darstellung von Wundern und Supranaturalem auf dem Prüfstand gerufen wird, verwundert dann nicht. Zugleich aber fordern beide, Bonhoeffer wie Bultmann, sodann, dass eine Erkenntnis Gottes aus Gott nicht abgesehen vom Menschen geschehen kann. Von der Liberalen Theologie herkommend und gegen diese gilt es vor allem Bultmann und mit diesem auch Bonhoeffer, die Existenz des Schöpfers nicht losgelöst von der des Menschen zu denken, freilich immer in der Wahrung Gottes als des ganz anderen. Wahre Erkenntnis Gottes, so können Bultmann wie Bonhoeffer ihre Untersuchungen beschließen, kann es nur in Verbindung zur menschlichen Existenz als der sündigen geben. So stehen beide vor der Frage nach der Bewertung und Notwendigkeit der menschlichen Vernunft und Einsichtsfähigkeit in die Sache ‚Gott‘ sowie daran anschließend und vor allem der Existenz des Menschen. Rudolf Bultmann begegnet dieser Herausforderung darin, dass er die Bibel als menschliche Literatur ansieht, aus welcher mithilfe der Entmythologisierung das Kerygma festzuhalten ist. Mit der Prämisse, nicht einen erdachten Christus als Abbild des Menschen zu entwerfen, steht für Bultmann an erster Stelle, die Schrift gerade nicht als heiliges, übernatürliches Buch vor aller anderen, menschlichen Literatur zu setzen. Im Gegenteil, gerade die Bibel, um sie vor Übergriffen religiöser wie auch nicht-religiöser Art zu schützen, muss wie jede andere Literatur behandelt werden. Damit nicht ein menschliches, d. h. erträumtes und ersehntes, Bild eines messianischen Retters eingetragen wird, schließt Bultmann ein Herangehen aus einer wie auch immer gearteten Einsicht des Glaubens aus. Vielmehr kann er unter der Voraussetzung, dass das Gotteswort im Menschenwort ergeht, die Bibel als historisches Dokument einer radikalen historisch-kritischen Exegese unterziehen. Das Ziel dieser ist es, dem Leser ein tieferes Verständnis der biblischen Schriften zu ermöglichen, indem die historische Distanz gerade nicht negiert wird. Dieser Vorgehensweise schließt sich auch Dietrich Bonhoeffer in seiner Vorlesung Schöpfung und Fall an, wenn er sich mit deutlichen Worten einer Verbalinspirationslehre verwehrt und dagegen eine Einsicht in die Verstehens- und Welterklärungsmodelle biblischer Zeit fordert. In der Wendung gegen einen positivistischen Historismus konstatieren beide zwei voneinander zu trennende Ebenen der Interpretation, zum einen, die der rational einsehbaren historischkritischen Methode, die Bonhoeffer aber dahingehend einschränkt, nicht ein Trümmerfeld zurückzulassen, und zum anderen, die der glaubenden Verste-
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henseinsicht. Wenn beide so zwischen dem historischen und dem geschichtlichen Jesus zu unterscheiden wissen, wird erneut die Nähe dieser Theologen offensichtlich. Und doch bleibt die Aufgabe, diese Verständnisse von Geschichte und Geschichtlichkeit eingehender zu untersuchen, scheint doch der Umgang mit dieser Erkenntnis ein je anderer zu sein. Wenn Bultmann nämlich eine Rückbindung an den historischen Jesus als überflüssig erkennt, macht Bonhoeffer indes das eschatologische Heilsgeschehen gerade fest am historischen Kreuzesgeschehen. Wie also stehen Geschichte und Geschichtlichkeit zueinander in Verbindung bzw. wie unterscheiden sie sich voneinander? Verwenden Bonhoeffer und Bultmann diese Begrifflichkeiten gleichwertig oder lassen sich Unterschiede erkennen? Sodann konstatieren sowohl Bultmann wie auch Bonhoeffer den Menschen als Gefallenen, weil ein rationales Erkennen der Schrift gerade nicht zur Erkenntnis Gottes führt; das nämlich kann vielmehr alleine in der existentiellen Betroffenheit des Menschen geschehen. Steht für Bultmann also einzig das Kerygma im Mittelpunkt seines glaubenden Verstehens, ist es ihm ein Anliegen mit Hilfe seiner Methode der Entmythologisierung, d. h. der Auslegung biblischer Mythen, dem modernen Menschen einen rational barrierefreien Zugang zu diesem zu schaffen. Indem darin die persönliche Botschaft an den je einzelnen Menschen freigelegt wird, sieht Bultmann so dem echten, dem glaubenden Verstehen im Ergreifen des Kerygmas den Weg bereitet. Wenn Bonhoeffer 1942 diese Herangehensweise Bultmanns freudig begrüßt,206 drückt er das gerade darin aus, dass allein Bultmann es gewagt habe, den Umgang mit den biblischen Begrifflichkeiten zu schärfen, anstatt sie ob ihrer Diffusität je nach Belieben auszulegen. So betont auch Bonhoeffer deren anthropologische Redeweise und zugleich die darin enthaltene Anrede Gottes an den Menschen. Gleichsam unterscheidet sich beider Begriffsdefinition des Mythos aber deutlich voneinander. Während Bultmann zugunsten seiner, wie er es nennt, existentialen Interpretation die mythologischen Begrifflichkeiten übersetzen will, fordert Bonhoeffer diese stehen zu lassen, seien sie doch die Sache selbst.207 Beiden ist demnach daran gelegen, die biblische Botschaft für die Existenz des Menschen in ihrer Bedeutung zu betonen, jedoch geschieht das nicht nur mit einem verschiedentlichen Mythosbegriff, sondern auch in der Frage nach der Vergegenwärtigung dieses Kerygmas für den Menschen. Es ist demnach aufgegeben, sich mit dem bultmannschen Aufruf zu einer existentialen Interpretation näher auseinanderzusetzen, das aber kann nur auf der Grundlage einer fundierten und kritischen Durchleuchtung der zugrundeliegenden Existenzbegriffe beider Theologen geschehen. 206 Cf. KuH, 248. 207 Cf. WE, 482.
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Wenn Rudolf Bultmann seinen Existenzbegriff dem des Philosophen Martin Heidegger anzunähern weiß, erscheint darin auch eine für diese Studie maßgeblich notwendige Verhältnisbestimmung zu liegen, nämlich diejenige von Philosophie und Theologie. Nicht selten wird Rudolf Bultmann diese Nähe zur existentialen Philosophie vorgeworfen, vielmehr noch wird zum Teil seine Theologie aus diesem Grunde sogar diskreditiert.208 Dabei scheint doch gerade die Theologie, eine nicht zu übersehende Disposition zur Philosophie zu haben. In dem 451 n. Chr. zu Chalcedon abgehaltenen vierten ökumenischen Konzil wird nämlich genau dieses virulent, wenn die Frage nach der Vereinigung von Gottheit und Menschheit in Jesus Christus im Mittelpunkt des Interesses steht.209 Hinter der Lehrentscheidung dieser Formel steht eindrücklich also die Bonhoeffer und Bultmann umtreibende Frage nach der rationalen Einsehbarkeit in das unsystematische und zum Teil sich widersprechende biblische Reden von Jesus als dem Christus. Während von einigen Seiten durch die Zeit diesem Dogma zum einen eine nicht „konstruktive Interpretation von Jesus Christus oder des historischen Jesus und seines Wirkens“,210 zum anderen eine Hellenisierung des Christentums211 vorgeworfen wird, vernachlässigten und reduzierten diese „regulativen Sätze“ doch den nachösterlichen Sprachgewinn,212 erscheint für andere gerade darin der Gewinn dieser Lehrentscheidung zu liegen. Es ist deutlich, in den Entscheidungen Chalcedons stehen sich zwei Anliegen gegenüber, die so auch von Rudolf Bultmann und Dietrich Bonhoeffer angetragen worden sein könnten. Auf der einen Seite Dietrich Bonhoeffer, dem es darum ist, den Christus praesens in seiner Inspiriertheit und Wirkmächtigkeit, d. h. in seiner Geschichtlichkeit, zu betonen und hervorzuheben, und der gerade in der mythischen Verbundenheit Gottes mit einem Menschen den ersten und 208 209 210 211
Cf. Kuhlmann, Zum theologischen Problem der Existenz, passim. Cf. Wickham, Art. Chalkedon, 668. Ritschl/Hailer, Diesseits und jenseits der Worte, 123. V.a. der Lehrer Bonhoeffers, Adolf von Harnack, hat den Ausdruck der „Hellenisierung“ in seinem dreibändigen Lehrbuch zur Dogmengeschichte zum Schlagwort gemacht, wenn für ihn das altkirchliche Dogma „ein Werk des griechischen Geistes auf dem Boden des Evangeliums“ (Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte I, 20.) war. Seine Grundthese fällt ähnlich der Kuhlmanns in der Kritik Bultmanns aus, nämlich dass „die begrifflichen Mittel, durch welche man sich in der antiken Zeit das Evangelium verständlich zu machen versucht hat, […] mit seinem Inhalt verschmolzen und zum Dogma erhoben worden [sind].“ (Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte I, 20.) Cf. auch dazu Grillmeier, „Christus licet uobis inuitis deus“, 226f. Bereits seit der Reformation ist die Hellenisierung des Christentums ein vieldiskutiertes Thema. Mehr dazu u. a. bei Grillmeier, „Christus licet uobis inuitis deus“, 226–257; Markschies, Christoph, Hellenisierung des Christentums. Sinn und Unsinn einer historischen Deutungskategorie, Leipzig 2012; Glawe, Walther, Die Hellenisierung des Christentums in der Geschichte der Theologie von Luther bis auf die Gegenwart, Berlin 1912. 212 Cf. Ritschl/Hailer, Diesseits und jenseits der Worte, 124ff.
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einzigen Hinweis auf die Wirklichkeit dieses Geschehens zwischen Gott und seinen Menschen erkennt; der vielmehr besonders in dieser anthropomorphen Sprache den Reichtum biblischer Rede von Gott sich entfalten und alleine darin die einzige mögliche Erkenntnis des gefallenen Menschen sieht. Bultmann auf der anderen Seite ist mit seiner Abwertung des Mythos als Göttergeschichte darum bemüht, gerade die nachösterliche Sprache von übertriebenen Illusionen (auch an wenigen Stellen des Neuen Testaments, vor allem aber der christlichen Apokryphen) 213 zu befreien, geht es letztlich doch zunächst um die intellektuelle Einsehbarkeit des Geheimnisses, um so dem modernen Menschen Glauben zu ermöglichen. Mit der Lehre von der einen Hypostase in Christus und seinen zwei Naturen versuchte das Konzil scheinbar eine ähnliche Forderung wie die Bultmanns in die Tat umzusetzen. Wurde die christliche Lehre der Menschwerdung Gottes in ihrer Verwandtschaft zu beispielsweise den gnostischen Mythen als eine Art Abstieg eines himmlischen Wesens durch die Sphären erkannt, schien die Aufgabe einer Entmythologisierung gegeben.214 Mit der Sekundanz hellenistisch-philosophischer Begrifflichkeiten sollte dieses nachösterlich mythisch aufgeladene Sprechen in sachliche und logische Strukturen gebracht werden, freilich in erster Linie um etwaige Irrlehren im Keim zu ersticken. Mithilfe dieser philosophisch gedanklichen Analyse des Heilsgeschehens konnte so ein tieferer, sachlicher Einblick in die „Sache Christi“ eröffnet werden, ohne dieselbe einer wunderhaftmythologischen, d. h. letztlich anthropologischen Aufladung anheim zu geben. Verdeutlicht man sich das also erneut, bedeutet das: Die Parallelen zu den Anliegen Bonhoeffers und Bultmanns sind offensichtlich erkennbar. Einer absoluten intellektuellen Redlichkeit geschuldet, scheint für die Konzilsteilnehmer wie für Rudolf Bultmann allein die philosophisch-abstrakte Sprechweise einen reinen, unverstellten Zugang zu dem zugleich unverständlichen Ereignis der Menschwerdung Gottes zu ermöglichen. Bonhoeffer hingegen, der in der mythischen Sprache der Bibel einen weitaus reicheren und tieferen Einblick in das göttliche Geheimnis erkennen will, kann dieser rein spekulativen und letztlich defizitären metaphorischen Rede gleichsam doch eine philosophisch-abstrakte Inbesitznahme Gottes vorwerfen und setzt als Grundfrage des Gläubigen „Wer ist Christus für uns heute?“.215 Während Bultmann Chalcedons Entscheidungen folglich begrüßen müsste, könnte man Bonhoeffers grundsätzliche Kritik an denselben erwarten. Diese scheinbar eindeutige Zuteilung beider Theologen ist im Hinterkopf zu behalten, wenn sich im Folgenden von der Untersuchung der formalen Herme213 Cf. dazu bspw. Bultmanns Vortrag in New York von 1958 Jesus Christus und die Mythologie. 214 Cf. Grillmeier, Die altkirchliche Christologie, 120. 215 Cf. WE, 402.652f.
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neutik beider hin zu einer materialen gewendet werden soll. Diese schließt sich den ersten Ergebnissen übergangslos an, sind augenscheinlich gerade die Fragen nach der Existenz, der existentialen Interpretation sowie nach der Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie und der Geschichtlichkeit die bestimmenden in beider Theologie, d. h. eine adäquate Nähe oder Ferne Bonhoeffers zu Bultmann lässt sich alleine in der Untersuchung eben dieser Topoi eruieren.
3.2.2 Die Frage nach der Existenz in Relationalität Dem Diktum, dass von Gott reden zugleich auch immer vom Menschen reden heiße, kann Bonhoeffer durchaus zustimmen,216 das war schon zu sehen, wenn es auch für ihn eine Erkenntnis Gottes immer nur aus Gott selbst geben kann, womit sich aber der Stand des Menschen vor Gott als eine notwendig zu bestimmende Größe abzeichnet. Darin wird freilich zu allererst deutlich, wie sehr Bonhoeffer Bultmanns Rede von Gott als die alle menschliche Existenz bestimmende Wirklichkeit in seinen Bann gezogen haben muss, wenn dazu die fundamentale Unterscheidung der Kategorien ‚Möglichkeit‘ und ‚Wirklichkeit‘ in seiner Theologie in Betracht gezogen wird. Ähnlich wie seine eigenen Bestrebungen in Akt und Sein ist es wohl die Unterscheidung zwischen reflexiver und intentionaler Rede von Gott, mit der Bultmann Bonhoeffer imponiert.217 Wenn Bonhoeffer also mit Bultmann Gott nicht von der Existenz des Menschen abgesehen denken kann, wenn „Existenz […] gedacht [ist] in bezug auf Offenbarung“,218 dann ist eine Existenz nicht zu denken ohne Offenbarung. Fällt nun in Bultmanns Schriften nach den Untersuchungen von Maurice Boutin219 auch kein einziges Mal der Begriff ‚Relationalität‘,220 bietet sich dennoch dessen ganzes 216 Cf. SC, 19: „Personbegriff, Gemeinschaftsbegriff und Gottesbegriff stehen in unlöslicher wesentlicher Beziehung. Wo ein Gottesbegriff gedacht ist, da wird er in Beziehung auf Person und Persongemeinschaft gedacht. Wir könnten, um zum Wesen des christlichen Gemeinschaftsbegriffes zu gelangen, prinzipiell ebensogut vom Gottesbegriff wie vom Personbegriff ausgehen. Und indem wir den letzteren zum Ausgangspunkt wählen, werden wir nicht ohne dauernde Bezugnahme auf den Gottesbegriff zu einer gegründeten Ansicht über ihn selbst wie über den Gemeinschaftsbegriff gelangen.“ Cf. auch AS, 172 (Nachwort). 217 Cf. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 29: „Beziehe ich mich – rückblickend oder vorblickend – auf mich, so habe ich mein Ich gleichsam gespalten; und das sich beziehende Ich ist mein existentielles Ich; das andere Ich, auf das ich mich beziehe, das ich als das Gegebene annehme, ist ein Phantom ohne existentielle Wirklichkeit.“ Sowie Bultmann, Zur Frage der Christologie, 88f. Cf. dazu AS, 172 (Nachwort). 218 AS, 75. 219 Cf. zur gesamten Untersuchung der Existenz bei Bultmann Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, passim; bes. 29–72. 220 Cf. Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 19.
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Theologisieren als eine Auseinandersetzung mit der grundlegenden Struktur des Denkens als eines in Beziehung, in Bezug auf, in Bezogenheit und im Verhältnis zu dar. Dass diese Dimension der Relationalität aber nicht als ein System, als „ein Organisationsprinzip innerhalb eines in sich möglichst geschlossenen Gesamtsystems, welches sich an einer bestimmten ‚Idee‘ orientiert, sei es die Idee der ‚Kultur‘ […], sei es die Idee der ‚Religion‘“221 erscheint, wird vor allem daran deutlich, dass sie im Gegenzug auf die innere Struktur des Glaubens als „FrageAntwort-Schema“,222 wie Bultmann es selbst beschreibt, als Intentionalität des Glaubens auf das „kontingente Faktum Jesus Christus“223 rekurriert. Das Worauf der in diesem Schema gegebenen Antwort ist für ihn nämlich der Mensch, zu dessen Existenz, zu dessen Dasein als gefallenen schon immer die „Fragwürdigkeit, in der die menschliche Existenz mit ihrem natürlichen Selbstverständnis steht, eine Fragwürdigkeit, die nicht eine dogmatische Etikettierung dieser Existenz bedeutet, sondern als die Unheimlichkeit des Existierens in ihr lebendig ist.“224 Es klingt hier also bereits an, dass Bultmann das Dasein des Menschen tatsächlich nie ohne Verhältnis denkt, es für ihn eine menschliche Existenz an sich nicht gibt: „Denn ich bin ja selbst nicht ein isoliertes und objektivierbares Weltphänomen, sondern in je meiner von Gott und Welt nicht ablösbaren Existenz.“225 So ist es auch nicht ein Zufälliges, dass ein menschliches Leben allein in und aus Beziehungen existiert und existieren kann, vielmehr konstituiert diese Bezogenheit des Menschen auf etwas die menschliche Existenz in ihrem Grund, in ihrem Fundament: „Der Nächste ist einer, der immer schon da ist, den ich immer schon habe und den ich nicht erst zu suchen brauche. Es steht also nicht so, daß die Menschen als isolierte Subjekte in der Welt, wie in einem leeren Raum, stehen; daß ein Subjekt sich nach einem anderen umsieht, mit ihn Beziehungen anknüpft, nachträglich zu ihm gelangt. Es ist nicht so, daß der Mensch erst fragen müßte, wie er zum anderen kommt, und was er mit ihm machen muß. Vielmehr ist mein Sein von vornherein ein Sein mit Anderen; menschliches Sein ist Miteinandersein […].“226
Der Mensch im Hier und Jetzt227 ist es, den Bultmann im Blick hat, wenn er nicht müde wird zu betonen, dass dieses menschliche Sein ein Miteinandersein ist, das 221 Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 19. 222 Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 19 (Brief Bultmanns an Boutin vom 5. Juni 1972). 223 Bultmann, Vom Begriff der religiösen Gemeinschaft, 68. Cf. zudem Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 37. Und Bultmann, Die Eschatologie des Johannes-Evangeliums, 144. 224 Bultmann, Das Problem der „natürlichen Theologie“, 297f. 225 Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 587. 226 Bultmann, Das christliche Gebot der Nächstenliebe, 231. 227 Cf. Theunis, Offenbarung und Glaube bei Rudolf Bultmann, 3: „Bultmann kennt ja nur den konkreten Menschen, den Menschen in seinem Hier und Jetzt, den Menschen in seiner
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nicht als abstraktes Prinzip einer Gemeinschaft gelten kann, sondern das als Wesensanlage, als menschliche Struktur den konkreten Menschen als in seiner tiefsten Subjektivität bestimmt. Explizit meint das folglich, dass das Angeredetsein des Menschen in seiner Fragwürdigkeit, „[die] Begegnung mit Gott […] nur für den Menschen hier und jetzt ein Ereignis sein [kann], da der Mensch innerhalb der Grenzen von Zeit und Raum lebt.“ Denn, so heißt es weiter, „[v]om handelnden Gott sprechen heißt, daß wir Gott gegenüber gestellt sind, angesprochen, gefragt, gerichtet oder gesegnet von Gott.“228 Ähnliches klingt in den Ohren, wenn Bonhoeffer mit dem zweiten Schöpfungsbericht den Menschen als ein Gemeinschaftswesen betont: „Und Jahwe Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch alleine sei, ich will ihm einen Beistand schaffen, wie er für ihn paßt.“229 Für Bonhoeffer ist die Schaffung Evas aus der Rippe Adams nicht Sinnbild einer Hierarchisierung von Mann und Frau, sondern die Begründung für deren urständliche Einheit. Dass Bonhoeffer dabei nicht an eine wie auch immer geartete ursprüngliche Verschmolzenheit bzw. biologische Unität referiert,230 macht er folgendermaßen deutlich: „Sie sind nun nicht mehr ohne einander, sind eines und doch zwei. Und das Einswerden der zwei ist das Geheimnis selbst, das Gott durch sein Tun an dem schlafenden Adam begründet hat. Sie sind vom Ursprung her eins gewesen und erst im Einswerden kehren sie wieder zum Ursprung zurück. Aber dies Einswerden ist niemals die Verschmelzung der zwei, die Aufhebung ihrer Geschöpflichkeit als Einzelne, sondern die letzte mögliche Verwirklichung des einander Gehörens, das gerade auf ihrem einander Verschiedensein begründet ist.“231
Das Dasein des Menschen ist demnach, so begründet es Bonhoeffer aus der Schöpfung, ein auf den anderen angelegtes Dasein. Einheit in der Zweiheit, wie Bonhoeffer das Dasein des Menschen mit dem zweiten Schöpfungsbericht charakterisiert, gilt folglich als urständliche Wesensstruktur, als wahre Verwirklichung des Menschseins, in der jeder dem anderen gehört, ohne dass die Indi-
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jeweiligen Konkretheit […].“ Cf. dazu bspw. Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 181: „Aber die philosophische Menschenanalyse, das existentiale Verständnis, zeigt gerade, daß das Selbstverständnis – das existentielle Verständnis – nur hier und jetzt Wirklichkeit wird als mein eigenes Selbstverständnis. Die philosophische Analyse zeigt, was Existenz abstrakt heißt. Im Gegensatz dazu sagt das existentielle, persönliche Selbstverständnis nicht, was Existenz abstrakt heißt, sondern versteht mein Leben als konkrete Person im Hier und Jetzt. Es ist ein Verstehensakt, in dem mein Ich und meine Beziehung zu anderen zugleich verstanden werden.“ Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 177f. Cf. Gen 2, 18. Übersetzung nach SF, 88. Udo Köhler verweist in seiner Mitschrift auf Platons Gastmahl (Cf. Platon, Symposion, 189e–190e.), wo der Komödiendichter Aristophanes von der Erschaffung des Menschen als eines runden, kugelförmigen Wesens erzählt wird, das erst nachträglich entzweit wird. Cf. SF, 91 (Anm. 8). SF, 91.
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vidualität des je einzelnen dabei als aufgehoben gedacht werden müsste. Im Gegenteil, das ist es ja gerade nicht, was er unter dieser urständlichen Einheit versteht; vielmehr schafft Gott seinem Menschen einen Beistand, der in der eigentümlichen bonhoefferschen Redeweise von Mitte und Grenze „die leibliche Vergegenwärtigung der Grenze“232 Adams ausmacht.233 Weshalb er auch sagen kann: „Grenze und Leben, die unberührbare, unzugängliche Mitte des Paradieses, um die das Leben des Adam kreist, sie nimmt Gestalt an und wird unter der Schöpferhand Gottes zum Beistand Adams. […] Nichts anderes ist damit gesagt, daß die beiden, die zwei beiden, als Geschöpfe Gottes, ein Leib werden, d. h. in der Liebe einander gehören.“234
Es soll an dieser Stelle die paradoxe Rede einer Liebe vergegenwärtigenden Grenze, welche die unzugängliche Mitte des Paradieses symbolisiert, als solche zunächst für sich stehen gelassen werden.235 Wichtig an dieser Stelle erscheint die Tatsache, dass Bonhoeffer den urständlichen Menschen als eine „den Schöpfer verherrlichende, anbetende Gemeinschaft der Liebe“236 zu beschreiben weiß. Mit ihm ist weiter in dieser fundamentalen menschlichen Wesensaussage des Angelegtseins auf den Nächsten zu sehen, die sich in dessen Beschaffenheit ausspricht, dass auch der gefallene Mensch nicht aus dieser Struktur menschlichen Seins herausfällt. So kann Bonhoeffer auch dementsprechend drastisch sagen, dass Adam im Fall „[m]it der Grenze […] seine Geschöpflichkeit“237 verliert und sich diese urständliche Einheit nun in einer gefallenen Zerrissenheit des Menschen, des Ganzen ausbuchstabiert: „Diese Entzweiung […] muß sich zuerst in dem Verhältnis des Adam zur Eva ausdrücken. Eva, der andere Mensch, war die dem Adam in leiblicher Gestalt gegebene Grenze, die er in der Liebe, d. h. in der ungeteilten Einheit seiner Hingabe erkannte und die er gerade in ihrer Grenzhaftigkeit, d. h. in ihrem Menschsein und doch ‚ein anderer Menschsein‘ liebte. Nun, da er die Grenze überschritten hat, d. h. da er erst weiß, daß er begrenzt war, […] sieht er den anderen nicht mehr in der Liebe, sondern er sieht ihn in dem ihm Gegenübersein, er sieht ihn in der Entzweiung. Die Grenze ist jetzt nicht mehr
232 SF, 92. 233 „Es ist die unergründliche Barmherzigkeit seines Schöpfers, der weiß, daß dies geschöpflich freie Leben nur in der Begrenztheit getragen werden kann, wenn es geliebt wird, aus der heraus Er dem Menschen den Beistand schafft, der zugleich die Verleiblichung der Grenze des Adam und der Gegenstand der Liebe sein mußte. Und zwar sollte die Liebe zum Weibe nun das Leben (im eigentlichsten Sinn) des Menschen selbst sein.“ (SF, 92.) 234 SF, 92. 235 Dazu mehr in §4.1.2. 236 SF, 94. 237 SF, 107. Cf. dazu auch: „Der Mensch ist nicht allein, er ist Zweiheit und in diesem Angewiesensein auf den anderen besteht seine Geschöpflichkeit.“ (SF, 60.) Auch die Frage nach der Bedeutung von ‚Geschöpflichkeit‘ wird in § 4.1.3 noch genauer zu untersuchen sein.
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die den Menschen in der Einheit seiner geschöpflichen und freien Liebe haltende Gnade, sondern die Grenze ist nun in der Entzweiung.“238
Ist der Mensch urständlich als Einheit in der Zweiheit geschaffen, kann gerade der Fall nicht ohne Einfluss auf diese Verbundenheit Adams und Evas bleiben. Eben hier nämlich, innerhalb dieser Gemeinschaft buchstabiert sich der Fall zuerst aus. Das Verhältnis des ersten Menschenpaares zeigt anstatt der urständlichen Liebe, als welche die Geschöpflichkeit des anderen erkannt wurde, nun Hass und Besitzsucht gegenüber dem anderen, sowie eine Zerrissenheit Adams und Evas je in sich selbst. Dieser Riss, diese Entzweiung, so macht Bonhoeffer an anderer Stelle deutlich, verläuft dann aber nicht ‚nur‘ zwischen den Individuen, sondern gerade auch durch Adam selbst hindurch. Es wurde oben schon die Flucht Adams vor Gott näher betrachtet, für Bonhoeffer zeigt sich hierin die Entzweiung vom Schöpfer: „Adam kann nicht mehr vor seinem Schöpfer stehen.“239 „Der Mensch in der zerstörten Welt […] ist der angefochtene Mensch. Nicht in Frieden und Ruhe hat er das Wort Gottes, sondern er vernimmt es immer wieder in der Entstellung der frommen Frage; nicht in Frieden, sondern in Feindschaft und Kampf hält er sich zu Gott.“240
Wenn Bonhoeffer diese Zerrissenheit des Menschen als zwischen den Individuen und Gott ausdifferenziert, folgt für ihn damit auch eine Zerrissenheit des Menschen mit der Natur,241 d. h. also die Zerrissenheit des Menschen in sich selbst: „Der gesunde Mensch ist […] im Zwiespalt.“242 „Das ist veränderte, zerstörte Welt, daß der Mensch nun in der Entzweiung mit Gott, mit dem anderen Menschen, mit der Natur nicht leben kann, daß er aber in dieser Ent-
238 SF, 115. 239 SF, 119. 240 SF, 124. Bonhoeffer expliziert dies weiter darin, indem der Mensch sich ganz im Bild der Heiligen Schrift (Gen 3,15) in diesen Kampf als ewige Feindschaft gegen die Schlange, gegen die Macht der frommen Gottlosigkeit gestellt weiß, wenn er immer wieder aufs Neue der Schlange den Kopf zertritt und aus diesem Kampf um das Wort Gottes mit Narben gezeichnet zurückbleibt. 241 Cf. SF, 125: „Der Acker, nach dessen Frucht Adam bisher nur mühelos zu greifen hatte, der ihm brachte, was er brauchte, der Boden, die Erde, das Land, sie werden um der Tat Adams willen verflucht; sie werden Adams Sorge, Not, Mühsal, Feind. Gegen den sicut-deusMenschen, das Geschöpf, das meint aus sich selbst heraus leben zu können, erhebt sich eine andere Kreatur, sie versagt sich ihm, sie entzieht sich ihm, sie wird ihm stumm, rätselhaft, unfruchtbar. Aber als die Kreatur, die dem Menschen unterworfen war, entzweit sie sich mit dem Fall des Menschen selbst, sie ist herrenlose, und darum sich selbst empörende und verzweifelte Natur.“ 242 SF, 83.
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zweiung […] auch nicht ohne Gott, ohne den anderen Menschen, ohne die Natur leben kann […].“243
Es ist damit deutlich die Nähe zu Bultmanns Charakterisierung des menschlichen Daseins als Dasein in Verhältnis zu sehen. Ist der Mensch nach Bonhoeffer urständlich als Einheit in der Zweiheit geschaffen, buchstabiert sich diese Einheit als eine solche aus, die ein Angewiesensein auf Gott, auf den Mitmenschen, auf die Natur bedeutet. Erst in dieser Ganzheit von Gott, Nächstem und Mitgeschöpfen ist der Mensch als in Beziehung mit sich selbst zu denken.244 Schon in Sanctorum Communio legt Bonhoeffer diese Wesensstruktur der menschlichen Existenz als Bezogensein in seinem Personbegriff grund, wenn es dort heißt: „Die Person ist in ihrer konkreten Lebendigkeit, Ganzheit und Einzigartigkeit als letzte Einheit von Gott gewollt. Die sozialen Beziehungen müssen somit als rein interpersonal auf Einzigartigkeit und Geschiedenheit der Personen aufbauend vorgestellt werden. […] Die soziale Grundkategorie ist das Ich-Du-Verhältnis. Das Du des anderen Menschen ist das göttliche Du. Somit ist auch der Weg zu ihm derselbe wie der zum göttlichen, der der Anerkennung oder Ablehnung. Der Einzelne wird im ‚Augenblick‘ immer wieder Person durch den ‚anderen‘.“245
Indem Bonhoeffer den Einzelnen „irgendwie wesentlich, absolut zusammen, nach dem Willen Gottes, obwohl oder gerade weil beide völlig getrennt voneinander sind“,246 denkt, gründet sich hier die Wirklichkeit eines „Miteinander als Selbstzweck“,247 als existentiale Wesensstruktur menschlicher Existenz, die auch nach dem Fall so weiter besteht. Ist der urständliche Personbegriff formal-allgemein als „in Gott gesetzter Richtung auf Gott hin positiv erfüllt zu denken; d. h. Wollen und Denken gehen aus Gott zu Gott“,248 bleibt dieses urständliche Aus-
243 SF, 126. 244 Diese verschiedenen Grundformen des Daseins finden sich so auch bei Bultmann. Cf. dazu Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 38ff. Zum Weltverhältnis cf. z. B. Bultmann, Karl Barth „Die Auferstehung der Toten“, 39: „Ist es mit diesem Glauben [an die Auferstehung Christi] ernst, so […] bestimmen [sie] das ganze Sein des Christen und bringen ihn in ein eigentümliches Verhältnis zur Welt, so daß jede im Bereich seines In-der-Welt-Seins ihre sachgemäße Behandlung nur unter dem Gesichtspunkt der Eschatologie erhalten kann.“ Zum Mit- und Für-Sein cf. z. B.: Bultmann, Kirche und Lehre im Neuen Testament, 169f.: „Das ‚Einer sein in Christus‘ vollzieht sich in dem ‚Sorgen für einander‘, im [‚]Miteinander-leiden‘ und ‚Miteinander-sich-freuen‘ […], als ein gegenseitiger Dienst (διακονεῖν).“ Zum Sein zu sich selbst cf. dazu z. B. Bultmanns Rede vom Gewissen, die das menschliche Verhältnis zu sich selbst bezeugt, in: Bultmann, Die Theologie des Neuen Testaments, 217. 245 SC, 33f. 246 SC, 34. 247 SC, 56. 248 SC, 37.
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gerichtetsein des Menschen auf Gott durch Gott, genauer durch Gottes Anrede im Wort, in dem er in sein Geschaffenes eingeht,249 auch nach dem Fall bestehen. Man kann infolgedessen mit Bultmann sagen: „[F]ür den im ‚überzeitlichen‘ Sein befindlichen Menschen [ist] kein Nächster da […], sondern höchstens beliebige Subjekte, auf die man die Kräfte des neuen Seins überströmen lassen kann. Der Nächste aber ist der, mit dem ich in meinem konkreten geschichtlichen Sein immer schon verbunden bin; d. h. der Begriff des Nächsten beruht auf einer Auffassung des menschlichen Seins als Miteinanderseins, das von vornherein meine Existenz qualifiziert, und ohne das der ‚Mensch‘ eine Abstraktion ist. Steht der wirkliche Mensch in diesem Miteinandersein, so bedeutet das, daß er eine geschichtliche Existenz hat, und zwar eine solche mit ihren konkreten geschichtlichen Forderungen.“250
Die Existenz ist nach Bultmann sonach durch ein Zweites bestimmt: die Geschichtlichkeit des Menschen. Menschliches Leben im Sinne eines In-Bezug-seinAuf ist für Bultmann niemals als Abstraktum, als bloße theoretische Erscheinung zu denken,251 sondern allein in der Rede vom konkreten Menschen, vom wirklichen Menschen als geschichtliche Existenz.252 Als Leben „in Handlungen“253 vollzieht sich für ihn dieses „in den Entscheidungen des Augenblicks“,254 in der je konkreten Situation des Menschen. „In der Tat der Entscheidung als Ausdruck der Existenz […] liegt die Wirklichkeit der Existenz“,255 kann Boutin pointiert formulieren. Das Wesen des Menschen liegt demnach in einem WählenAus und damit genauer aus seinem Sein-Aus zu wählen;256 der Mensch ist folglich ein zeitliches Wesen, weil eine Entscheidung jeweils angesichts der je konkreten Gegenwart (in der vorgegebenen Vergangenheit und für die eigene Zukunft) 249 Cf. SF, 59: „Jetzt befiehlt er nicht nur, und sein Wort geschieht, sondern jetzt geht er selbst in das Geschaffene ein und schafft so Freiheit. Darin unterscheidet sich der Mensch von der anderen Kreatur, daß Gott selbst in ihm ist, daß er Ebenbild Gottes ist, in dem der freie Schöpfer sich selbst anschaut; das meinten die alten Dogmatiker, wenn sie von der Einwohnung der Trinität in Adam sprachen.“ 250 Bultmann, Geschichtliche und übergeschichtliche Religion im Christentum?, 399f. 251 Cf. Bultmann, Wissenschaft und Existenz, 107: „Als Existenz bezeichnen wir nicht etwa das bloße Vorhandensein, die Tatsache, daß etwas ‚existiert‘ = vorhanden ist, sondern die spezifisch menschliche Weise zu sein; das Sein des Menschen, dem sein Sein überantwortet ist, dem es problematisch werden kann, der von der Erfülltheit oder Unerfülltheit seines Seins reden kann, kurz das verantwortliche, personhafte Sein, das als zeitliches Sein seine eigene Geschichte hat.“ 252 Ähnliches klingt auch bei Bonhoeffer an, wenn er in Sanctorum Communio schreibt: „Der christliche Personbegriff ist geschichtlich zu denken, d. h. im Stand nach dem Falle; denn Geschichte im eigentlichen Sinne hebt erst mit der Sünde und dem damit verknüpften Todesschicksal an.“ (SC, 37.) 253 Bultmann, Geschichte und Eschatologie, 165. 254 Bultmann, Humanismus und Christentum, 75. 255 Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 67. 256 Cf. Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 67.
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gefällt wird. Und so kann Bultmann gegen die Anschauungen des Idealismus in seinem Aufsatz Die Bedeutung der „dialektischen Theologie“ für die neutestamentliche Wissenschaft sagen: „Wir meinen das Dasein des Menschen richtiger zu verstehen, wenn wir es als geschichtlich bezeichnen. Und wir verstehen unter der Geschichtlichkeit des menschlichen Seins dieses, daß sein Sein ein Sein-Können ist. D.h. daß das Sein des Menschen seiner Verfügung entnommen ist, jeweils in den konkreten Situationen des Lebens auf dem Spiele steht, durch Entscheidungen geht, in denen der Mensch nicht je etwas für sich wählt, sondern sich selbst als eine Möglichkeit wählt.“257
Um diese Bestimmung des geschichtlichen258 Daseins als „Sein-Können“ zu verstehen, ist es zunächst notwendig, sich Bultmanns Existenzbegriff in seiner Wesensstruktur zuzuwenden. Mit Martin Heidegger kann er die Existenz des Menschen als eine Möglichkeit und zwar seine eigenste Möglichkeit, die der Mensch ergreifen muss, bestimmen.259 Damit ist menschliches Sein als ein zu verwirklichendes Sein260 beschrieben, das sich erst in der Zeitlichkeit aktualisiert. Hier findet sich der für Bultmann so unbedingt wichtige Begriff der ‚Entscheidung‘ an seinem vorgesehenen Platz. Schaut man einmal genauer hin, klingt das bei Bultmann so: „Dasein ist […] je meines, und sein Sein ist sein Seinkönnen, d. h. das Dasein, dem es in der Sorge um es selbst geht, wählt je seine eigene Möglichkeit. Diese Wahl ist echter Entschluß nur, wenn sich in ihm die Entschlossenheit vollzieht, die daraus erwächst, daß das Dasein dem Tode als seiner eigensten Möglichkeit ins Auge sieht und sich von ihm auf das Jetzt zurückwerfen läßt, von ihm her das Jetzt versteht und sich so in die Situation entschließt.“261
Von Heideggers existential-ontologischer Daseinsanalyse262 gewinnt Bultmann hier demnach einen Möglichkeitsbegriff, der das Dasein in seiner Existentiali257 Bultmann, Die Bedeutung der „dialektischen Theologie“, 118. 258 Die Frage nach der Bedeutung des Wortes ‚Geschichtlichkeit‘ wird in diesem Kapitel unter dem Punkt 3.2.4 noch dezidierter auseinanderzusetzen sein, an dieser Stelle wird der Begriff zunächst in seinem grundlegend zeitlichen Sinngehalt verwandt. 259 Cf. Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns, 52. Cf. Heidegger, Sein und Zeit, 324.349. u. ö. 260 Cf. Bultmann, Zur Frage einer „Philosophischen Theologie“, 105f.: „Als Existenz wird das menschliche Sein charakterisiert, sofern der Mensch sein Sein als das seine zu übernehmen hat, sofern es ihm als ein ‚zu sein‘ überantwortet ist, sofern es ein zeitliches, ein geschichtliches ist, das aus seiner Vergangenheit in seine Zukunft führt und in den Entscheidungen gegenüber Vergangenheit und Zukunft verläuft.“ Bultmann unterscheidet an dieser Stelle dezidiert die Existenz Gottes von der Existenz des Menschen, da von jener nicht im gleichen Sinne wie von dieser gesprochen werden könne. Das schließt direkt an seine Rede von Gott als dem ganz anderen an. (Siehe oben § 3.1.1.) Cf. bspw. auch Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 105. 261 Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins und der Glaube, 354. 262 Cf. Heidegger, Sein und Zeit, 174–239.
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tät, in seiner ontologischen Wesensstruktur, die in seinem Grund ein Seinkönnen, d. h. eine reine Potentialität ausmacht. So schließt er sich Heideggers Kerngedanken an, dass von dem „natürliche[n] Dasein“ als solchem im Unterschied zum „gläubige[n] Dasein“ gesprochen werden kann, wobei das erste das Thema der Philosophie und das zweite das der Theologie sei.263 In der rein formal-ontologischen Daseinsanalyse sei dann auch nicht davon zu reden, ob Glaube oder Unglaube vorkommen könne, da Glaube oder Unglaube je erst eine Antwort auf „eine konkrete und kontingente Verkündigung sei, die sich je an ein konkretes Dasein adressiert“.264 So ist das Dasein nach Bultmann mit Heidegger als ein zweifaches zu bestimmen: Zum einen wird in existential-ontologischer Perspektive von einem Dasein als meinem gesprochen, das als Seinkönnen sich für seine Möglichkeit entscheiden muss; in existentiell-ontischer Perspektive ist das Dasein zum anderen als konkrete menschliche Existenz zu verstehen, also als Vollzug des menschlichen Lebens. Darum kann, wenn in theologischer Rede von der Anrede Gottes gesprochen wird, philosophisch nur davon gesprochen werden, was diese Anrede bedeutet, theologisch aber davon, wie sie vollzogen wird. Und so sieht die „Philosophie […], daß Dasein je nur ein konkretes ist, das durch ein bestimmtes Wie charakterisiert ist; sie redet vom Daß dieses Wie, aber nicht von dem Wie selbst. Die Theologie aber redet von einem bestimmten Wie […].“265 „Das Gesagte hat aber zugleich vorläufig etwas weiteres angedeutet, nämlich daß die Theologie als Wissenschaft die philosophische Daseinsanalyse fruchtbar machen kann. Denn das gläubige Dasein ist jedenfalls Dasein; auch der Glaubende existiert als Mensch, wie ihm die Verkündigung, aus der der Glaube kommt, als menschliches Wort begegnete. Seine Sünde und deren Vergebung, die ihm in der Verkündigung enthüllt werden, sind doch, wenn sie von ihm, dem Glaubenden ausgesagt werden, Phänomene innerhalb des Daseins; oder besser: sie sind es auch. Sind sie das aber, so muß doch ihre Möglichkeit innerhalb des Daseins aufgewiesen werden können, ihre ontologisch-existentiale Möglichkeit, wohlverstanden! Denn über die ontische Möglichkeit ist damit gar nichts ausgesagt.“266
Mithin ist für Bultmann so die philosophische Daseinsanalyse die Grundlage seiner theologischen Auslegung des Daseins als gläubigen Daseins, bestimmt er doch das gläubige Dasein als Dasein, d. h. als existentiales Menschsein. Hier
263 264 265 266
Die Diskussion um die Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Philosophie, die sich hier anschließt, wird in diesem Kapitel unter 3.2.3 behandelt. Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 73: „Zunächst läßt sich sagen: Thema der Philosophie ist (sofern das Dasein in ihren Bereich fällt) das natürliche Dasein; Thema der Theologie ist das gläubige Dasein.“ Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 73. Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 75. Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 75f.
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findet man nun die Näherbestimmung des im vorherigen Kapitel schon Angedeuteten: Darin, dass auch gläubiges Dasein ein Dasein per se aufweist, muss das Dasein in ontologischer Perspektive bereits die Möglichkeiten christlicher Grundbegriffe aufweisen, die erst in der Entscheidung für die je eigene Möglichkeit als solche ergriffen werden, wozu sie rational einsehbar zu sein haben.267 Über die ontische Wirklichkeit dieser Begriffe ist damit, betont Bultmann vehement, freilich noch nichts ausgesagt: „Aber die philosophische Menschenanalyse, das existentiale Verständnis, zeigt gerade, daß das Selbstverständnis – das existentielle Verständnis – nur hier und jetzt Wirklichkeit wird als mein eigenes Selbstverständnis. Die philosophische Analyse zeigt, was Existenz abstrakt heißt. Im Gegensatz dazu sagt das existentielle, persönliche Selbstverständnis nicht, was Existenz abstrakt heißt, sondern versteht mein Leben als konkrete Person im Hier und Jetzt. Es ist ein Verstehensakt, in dem mein Ich und meine Beziehung zu anderen zugleich verstanden werden.“268
So ist das Wesen des Menschen nach Bultmann als Wille bestimmt, weil in jedem Ergreifen der eigenen Möglichkeit, d. h. in jedem Vollzug des Daseins der Wille in der Entscheidung sich in der Gegenwart angesichts der eigenen Vergangenheit und Zukunft vollzieht.269 Das Wesen des Menschen ist also ein zeitliches, nicht nur ein innerzeitliches,270 womit durch dieses In-der-Zeit-Stehen die Zeitlichkeit zum Wesen des Menschen gehört und worin er sein eigenes Wesen hat.271 Aus all dem folgt, dass der Mensch daran anschließend für Bultmann „sein eigentliches Wesen nur als Leben im Augenblick hat“,272 weil sein Sein konstant 267 Cf. Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 351f.: „In der Tat: das Wort der Verkündigung sagt mir ‚nicht mehr‘, als was ich im profanen Selbst-Verständnis je schon wußte, bzw. je schon wissen konnte. Von keinem Gläubigen kann, was Offenbarung überhaupt sei, genauer und vollständiger angegeben werden als von jedem Ungläubigen. Jeder Mensch kann, weil er um den Tod weiß, auch wissen, was Offenbarung und Leben, was Gnade und Vergebung ist. Was weiß der Glaubende ‚mehr‘? Dies, daß Offenbarung ihn getroffen hat, daß er im Leben, daß er begnadet ist, daß ihm vergeben ist – und immer neu vergeben wird. Und er weiß das in der Weise, daß im Glauben an die Offenbarung sein konkretes Leben in Arbeit und Freude, in Kampf und Schmerz neu qualifiziert ist; daß durch das Ereignis der Offenbarung die Ereignisse seines Lebens neu werden; ‚neu‘ in einem Sinne, der schlechterdings nur für den Gläubigen gilt, nur für ihn sichtbar wird, immer neu sichtbar wird.“ 268 Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 181. 269 Cf. Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 67. Boutin fügt hier in der Anmerkung 156 hinzu: „Nach Bultmann ist die Entscheidung des Menschen jedoch nicht nur durch seine eigene, sondern auch durch jene ihm vorgegebene Vergangenheit bestimmt, welche in der Tradition, in der und aus der er jeweils lebt, weiterbesteht.“ Cf. auch 169–190. 270 Cf. Bultmann, Geschichte und Eschatologie, 168: „Menschliches Sein ist seinem Wesen nach ein zeitlich erstreckendes und spielt sich nicht wie das Naturgeschehen innerhalb der Zeit als einem Raume ab.“ 271 Cf. Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 68 (s. dort auch Anm. 160). 272 Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns, 56. Hier sei nur angedeutet, dass für Bultmann demnach sich die Unterscheidung von Subjekt und Objekt in der Frage nach der
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als Entscheidung zu bestimmen ist. „Denn das Sein im Augenblick ist sein eigentliches Sein.“273 In dieser radikalen Offenheit der menschlichen Existenz für die Zukunft, wie Bultmann sie bestimmt, ist der Mensch erst eigentlich Mensch, wenn er die Möglichkeit ergreift – egal ob für Gott oder Welt, Leben oder Tod. Der Mensch ist seine eigene Möglichkeit, d. h. im Ergreifen, im Entscheiden ist er die Verwirklichung seiner Möglichkeit und das je neu in jedem Augenblick – und darin ist er immer von einem Du in Anspruch genommen, da sein Wesen niemals ein isoliertes ist. Der Anspruch des Du ist dann auch nichts sekundär zur ontologischen Wesensstruktur Hinzukommendes, sondern „es ist, was es ist, ein Ich, nur sofern Gottes Anspruch ihm gegenübertritt. Die Einheit des Menschen ist also nicht in einer Substanz, […] sondern vollzieht sich in seinem Verhalten zu Gottes Anspruch, also in seinem Handeln […] als entschlossenes und verantwortliches Handeln. Eben deshalb hat er sein Sein nicht in der Verfügung, da es in jedem Jetzt auf dem Spiele steht […]: unter der Möglichkeit, von Gott oder von der Sünde bestimmt zu sein.“274
In der Tatsache, dass der Mensch nach Bultmann damit schon immer in einem Verhältnis, in einem Bezug zur Sache, d. h. in der in der Entscheidung zu ergreifenden Möglichkeit, steht, ist Verstehen erst möglich.275 Allein in diesem Verhältnis-zur-Sache-Stehen, genauer in diesem In-Bezug-zur-Sache-gesetztSein begründet sich danach konsequent die Möglichkeit des Verstehens überhaupt, weshalb nun nachvollziehbar ist, warum Bultmann unterscheiden kann zwischen einem rein rationalen Verstehen – auch der Bibel – und einem sozusagen ‚gläubigen Verstehen‘.276 Es geht doch eben genau darum, dass jeder Mensch, dass jedes Dasein in existential-ontologischer Hinsicht grundsätzlich dazu in der Lage ist, christliche Begriffe in diesem „vorgängige[n]“277 „Verhältnis zur Sache“, in diesem „Lebensverhältnis des Interpreten zur Sache“278 zu verstehen. Darin also, dass das Dasein auch als ein bereits Vorhandenes gesehen wird,
273 274 275 276 277 278
Existenz gar nicht stellt: „Habe ich im personalen Sein – und das heißt zugleich: in personalen Verhältnissen – mein eigentliches Sein, meine Existenz, so läßt sich also sagen, daß meine Existenz nicht objektivierbar ist. Wohl läßt sich natürlich über Existenz reflektieren, das heißt über das, was Existenz überhaupt bedeutet, über das Wesen von Existenz. Aber solche Reflexionen erkennt ja eben dieses, daß Existenz je meine ist und nur je von mir übernommen oder vollzogen werden kann; das heißt aber: Existenz ist jeweils Ereignis in den Entscheidungen des Augenblicks. Sie ist nichts Vorhandenes, sondern je Geschehendes.“ (Bultmann, Wissenschaft und Existenz, 117.) Bultmann, Der Begriff der Offenbarung im Neuen Testament, 30. Bultmann, Die Bedeutung der „dialektischen Theologie“, 132. „Denn etwas verstehen heißt, es in einem Bezuge auf sich, den Verstehenden, verstehen, sich mit oder in ihm verstehen.“ (Bultmann, Das Problem der „natürlichen Theologie“, 295f.) Cf. dazu Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 351f. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 227. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 217.
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ist der „Lebenszusammenhang“,279 „Lebensbezug“280 oder das „Lebensverhältnis“,281 wie Bultmann diese Bedingung der Möglichkeit des Verstehens bisweilen nennen kann, zur Sache gegeben. Mit anderen Worten: „Der beim Verstehen vorausgesetzte Lebenszusammenhang ist ein Seinszusammenhang, in dem der Verstehende, dessen Sein ein Sein in Verhältnis ist, und das Verstandene als das mit dem Verstehen in Verhältnis Stehende ‚von vorneherein zusammengehören‘.“282 Daraus lässt sich dann auch Bultmanns Nähe wie Ferne von der Natürlichen, wie auch der Liberalen Theologie verstehen,283 wenn es in seinem Aufsatz Die Geschichtlichkeit des Daseins heißt: „Das Wissen um das, was Offenbarung überhaupt ist, das Wissen des Menschen um sein Angewiesensein auf Offenbarung (bzw. dessen Bestreitung) ist allerdings ein Wissen aus dem ‚lumen naturale‘. Und zu diesem Wissen bedarf es der ‚Aufklärung‘ des Evangeliums nicht, so gewiß auch, aus dem Hören des Evangeliums Aufklärung über das natürliche Dasein faktisch erwachsen kann, die von der Philosophie angeeignet werden kann […].“284
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Bultmann seinen Existenzbegriff mit Heidegger als Potentialität, als Seinkönnen bestimmt, welcher erst im Ergreifen der ihm je eigenen Möglichkeit sein Dasein je neu, d. h. in jedem konkreten Augenblick, anhand seiner Entscheidung verwirklicht, was aber nicht als sicherer Besitz gedacht werden kann.285 Dabei wird das Dasein des Menschen als ein Dasein im Verhältnis bezeichnet, womit eine Rede vom Menschen niemals als übergeschichtliche, abstrakte geschehen darf, sie erscheint dagegen immer nur in Bezug auf die jeweilige konkrete Situation des Menschen sinnvoll. In dieser allem menschlichen Sein gleichen Daseinsstruktur aber ist dem Menschen ein 279 Bultmann, Das Problem der „natürlichen Theologie“, 296. Cf. auch bspw. Bultmann, Ist voraussetzungslose Exegese möglich?, 147.u.v.m. 280 Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 233.u.v.m. 281 Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 217.218.219.u.v.m. Genauere und ausführlichere Angaben dazu bei Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 74. 282 Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 75. Boutin zitiert Bultmann, Das Problem der „natürlichen Theologie“, 296. 283 Dass Bultmann sich zwar gegen eine Möglichkeit des Verstehens aus der bloß „allgemeine[n] Menschennatur“ (Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 219.) und auch gegen Schleiermachers „Empfänglichkeit“ (Bultmann, Geschichte und Eschatologie, 125.) des Menschen, wie zuletzt und ganz besonders gegen ein „Organ für das Göttliche im Menschen, […] eine[n] Anknüpfungspunkt für die Offenbarung“ (Bultmann, Das Problem der „natürlichen Theologie“, 297.) verwehrt und zugleich doch ein „lumen naturale“ annehmen kann, kann innerhalb dieses Rahmens nur angemerkt, nicht aber dezidiert entfaltet werden. Cf. zum Problem auch Gerhardt Kuhlmanns Anfrage an Rudolf Bultmann in Kuhlmann, Zum theologischen Problem der Existenz, 44–46. 284 Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 352. 285 Cf. Bultmann, Das Problem einer theologischen Exegese, 356.
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Lebensverhältnis, ein Lebensbezug zur Sache gegeben, der allein Verstehen ermöglicht und zwar ein Verstehen zunächst auf rationaler, dann auf – theologisch gesprochen – gläubiger Ebene. Indem also der Mensch als radikal offenes, dem Anspruch eines Du gegenüber angelegtes Wesen beschrieben wird, ist menschliches Dasein ein Dasein, das vor die Entscheidung durch das anredende Du gestellt ist: „Die Verkündigung ist daher nicht Mitteilung allgemeiner Wahrheiten, sondern sie ist Anrede – Anrede, die Entscheidung fordert. Freilich nicht Entscheidung als blinden Willkürakt, sondern wissende Entscheidung. Sie bedarf des Verstehens, und zwar muß der Hörer verstehen, woraufhin er angeredet wird. Mit anderen Worten: Sie bedarf des Selbstverständnisses unter der Anrede.“286
Wenn Bonhoeffer die Ebenbildlichkeit des Menschen als analogia relationalis bestimmt, geht es ihm wie Bultmann darum, diese „relatio […] nicht [als] eine dem Menschen eigene Fähigkeit, Möglichkeit, eine Struktur seines Seins“ zu beschreiben, sondern als eine „von Gott selbst gesetzte Beziehung“,287 die allein aus der Freiheit Gottes eine Beziehung, mit Bultmann könnte man sagen, Anrede Gottes an seinen Menschen ist. Und so kann auch Bonhoeffer die Existenz des Menschen als eine solche darstellen, welche zunächst betroffen ist von außen und „nur in diesem Getroffenwerden“ ihr „Daseinsverständnis“ und „Selbstverständnis“ gewinnt sowie anschließend als „Sein in Kontinuität“ gedacht werden muss.288 Indem Bonhoeffer in Akt und Sein gegen eine Enthebung des Wortes Gottes aus der Verfügbarkeit des Menschen die bultmannsche Dialektik der Geschichtlichkeit des Daseins bejaht, sieht auch er den „Mensch[en] in [die] geschichtliche[…] Situation gestellt“ als die Frage, „auf die Gott in Freiheit seine Antwort gibt, und über diese Antwort ist in der Geschichtlichkeit nicht anders als dialektisch zu reden[,] […] [d. h.] als durch die geschichtliche Wirklichkeit bestimmt, durch die konkrete Frage der Situation und die Antwort Gottes.“289 Denkt aber Bultmann den Menschen immer schon als auf etwas ihm Transzendentes, nämlich genauer auf die ihm vorgegebene, geschichtliche Situation bezogen, mutet dieser für Bonhoeffer als Repräsentant der Aktauslegung an. Die von Bultmann als beständige Entscheidung beschriebene Existenz, die sich nicht nur in Bezug auf Transzendenz, sondern gerade daraufhin in jedem Akt neu angesichts der konkreten Situation konstituiert, erhält demnach ihr grundlegendes Charakteristikum durch ihre Geschichtlichkeit. Allein aber in dem Anspruch eines Du, d. h. in der Anrede Gottes an den Menschen, wird für Bultmann diese existential-ontologische Bestimmung des Menschen als ge286 287 288 289
Bultmann, Das Befremdliche des christlichen Glaubens, 207. SF, 61. AS, 105. AS, 79 (Anm. 9).
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schichtliches Wesen eigentliches Existieren, denn nur wenn der Mensch sich entscheidet, er nach einer Möglichkeit greift, geschieht Existenz.290 Ähnlich klingt dieses bei Bonhoeffer bereits in Sanctorum Communio an, wenn es dort heißt, dass „[d]er Einzelne […] im ‚Augenblick‘ immer wieder Person durch den ‚anderen‘ [wird]“,291 mit anderen Worten ist demnach in Bezug auf Gott allein der christliche Personbegriff zu denken. Wenn Bonhoeffer seinen Begriff der Person am anderen in jedem Augenblick neu konkret werden lässt, findet das Ich am anderen sein Menschsein neu. Nur indem der Mensch nämlich in die Gemeinschaft mit dem anderen gestellt ist, gewinnt er sich selbst als Person, findet der Mensch in der Geschichtlichkeit, d. h. für Bonhoeffer in der echten Zeitlichkeit des Menschen, seine wahre Bestimmung als ein Mensch in Bezug auf den anderen.292 Es war bereits zu sehen, dass Bonhoeffer und Bultmann diese Charakterisierung des Menschen als ein Miteinandersein je konkret und gegenwärtig denken. Auch Bonhoeffers Bestimmung des menschlichen Daseins ist demnach ein geschichtliches; macht Bultmann diese Geschichtlichkeit an der je konkreten, eigenen Entscheidung des Menschen, genauer in dem Ergreifen der je eigenen Möglichkeit deutlich, beschreibt Dietrich Bonhoeffer die Geschichtlichkeit des Menschen anhand des Indie-Gemeinschaft-gestellt-Seins. Wenn Adam und Eva urständlich als Einheit gedacht und auch als Gefallene an dieser Einheit trotz ihrer Zerrissenheit festhalten, wird genau hier der Mensch in seinem Sein mit der Teilhabe an der abstrakten Menschheit zum konkreten, echten Menschen. In der Gemeinschaft, 290 Cf. Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 180f. Bonhoeffer kann diesen Zusammenhang wie folgt paraphrasieren: „Existieren des Menschen ist unter Gottes Anspruch stehen, handeln, sich entscheiden. Existenz ist in purer Aktualität. Selbstverständnis gibt es mithin nur im Akt selbst.“ (AS, 92.) 291 SC, 34. 292 Mit Günter Thomas ist hier darauf hinzuweisen, dass Bonhoeffer an seinem Person-Konzept wohl seit seiner Dissertation Sanctorum Communio „je nach theologischem Kontext und Problemstellung Akztentverschiebungen vorgenommen hat“. (Thomas, Die Gegenwart des Unverfügbaren, 311.) Das zeigt sich beispielsweise daran, dass Bonhoeffer in SC den dynamischen Charakter des Personsseins in der „konkreten Lebendigkeit und Besonderheit“ (SC, 28.) betont wissen will und damit die Entstehung der Person in den Augenblick des Angesprochenseins, d. h. in den Stand der Verantwortung und der ethischen Entscheidung, verortet. Das führt ihn letztlich zu dem Spitzensatz: „Das Du des anderen Menschen ist das göttliche Du. Somit ist auch der Weg zu ihm derselbe wie der zum göttlichen, der der Anerkennung oder Ablehunung. Der Einzelne wird im ‚Augenblick‘ immer wieder Person durch den ‚anderen‘.“ (SC, 33f.) Bonhoeffer lässt hier also zunächst offen, ob die Person nur in der Annahme des Anspruchs oder auch in der Verweigerung desselben entsteht. In SC steht für ihn damit zu allererst die Betonung des Du als Schranke des Ich im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit, warum er offenbar die Bedingung des Personsein in der Schwebe lassen kann. Wie Thomas richitig feststellt, ändert sich dies bereits in Akt und Sein, wo Bonhoeffer nun den Akzent von der Schranke auf die Relationalität der Person hervorhebt. Cf. dazu Thomas, Die Gegenwart des Unverfügbaren, passim.
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d. h. genauer in der Gemeinschaft mit Christus, wird das Dasein des Menschen nach Bonhoeffer aus seiner Abstraktion in die Konkretion enthoben: „Könnte auch das Menschheit-Sein des Menschen wieder als Abstraktion verstanden werden, die dann die Menschheit nichts anginge, so scheitert diese Möglichkeit an der geschichtlichen Wirklichkeit der Gemeinde Christi und meiner Zugehörigkeit zu ihr.“293
Augenscheinlich bindet Bonhoeffer seine Betonung der Geschichtlichkeit des Menschen an zweierlei: Christus und die Gemeinschaft. Geschichtlichkeit entsteht für Bonhoeffer demnach darin, dass der Mensch in seinem Angeredetsein von Christus seinen Blick hin auf Christus richtet und in dieser reinen Intentionalität konkret, unwiederholbar und zeitlich seine Existenz verwirklicht – und zwar in Ganzheit: „Wir halten demgegenüber fest: das Wesen des actus directus liegt nicht in seiner Zeitlosigkeit, sondern in der nicht wiederholbaren, weil von Gott freigegebenen Intentionalität auf Christus, d. h. durch seine Existenz – und eben gerade die geschichtliche, zeitliche Existenz in ihrer Ganzheit – berührende Art.“294
In seinem Ausgerichtetsein auf Christus nimmt der Mensch in neuer Ganzheit, mit anderen Worten in Einheit mit sich selbst, dem Mitmenschen, den Mitkreaturen und mit Gott an der echten geschichtlichen Wirklichkeit der Welt teil. Der Mensch wird in Einheit mit Gott und den Mitmenschen konkrete Person. Indem Bonhoeffer also hier Christus und Gemeinschaft miteinander denkt, geschieht für ihn erst ‚wahre‘ Geschichtlichkeit des Menschen, wahres In-der-WeltStehen. Er kann das genauer so formulieren: „Einheit des geschichtlichen Ich ‚im Glauben‘ heißt: Einheit in der Gemeinde, der geschichtlichen, die ich als Gemeinde Christi glaube. […] [N]ur in der Gemeinde bin ich als Einzelner und Menschheit in Existentialität und Kontinuität erfaßt […].“295 Geschichtlichkeit beinhaltet für Bonhoeffer demnach Gemeinschaft in der und als Gemeinde sowie – so formuliert er dies bereits in Sanctorum Communio – „Christus als [eben in dieser] Gemeinde existierend“.296 Es ist hier jetzt nicht weiter auf Bonhoeffers schillernden Begriff der Geschichtlichkeit einzugehen, derselbe wird im Laufe dieser Arbeit noch ausführlicher begegnen,297 festzuhalten gilt aber, dass beide, Bonhoeffer wie Bultmann, den Menschen als konkreten, zeitlichen und unter der Anrede Gottes stehenden sehen. Für beide in je unterschiedlicher Weise wird der Mensch in seiner Antwort auf Gottes Frage zum wahren, zum konkreten, d. h. zum geschichtlichen, Men293 AS, 117f. 294 AS, 95. Hier hält Bonhoeffer gegen Barth an einem zeitlichen actus directus fest, um „das Ich als geschichtliches Gesamtich verständlich zu machen.“ 295 AS, 118f. 296 SC, 76.u.v.m. 297 Cf. §§ 3.2.4 und 4.1.4.
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schen. Indem der Mensch Gottes Hand ergreift, ergreift er zugleich sein Leben im Hier und Jetzt. Das Zitat Bultmanns, das oben schon angezeigt wurde, erschließt sich hier in deutlicher Nähe zu Bonhoeffer: „Steht der wirkliche Mensch in diesem Miteinandersein, so bedeutet das, daß er eine geschichtliche Existenz hat, und zwar eine solche mit ihren konkreten geschichtlichen Forderungen.“298 Der Mensch steht beiden zufolge also in der konkreten geschichtlichen Situation allein durch den anderen. Bei Bultmann, weil er durch den anderen zu konkreten Entscheidungen im Hier und Jetzt gefordert ist, bei Bonhoeffer, weil er in der Gemeinde in die empirische Wirklichkeit der Sozialität gestellt ist.299 Bonhoeffer zeigt sich in seiner Habilitationsschrift angetan von Bultmanns Bestreben, „durch seinen Begriff der Geschichtlichkeit die Kontinuität des neuen Ich mit dem Gesamtich zu denken.“300 Bonhoeffers Einschätzung zufolge gelingt es Bultmann, das ganze Ich unter den Anspruch Gottes zu stellen, indem die menschliche Existenz in ihrer Wesensstruktur als radikal offen für Gott, als Frage,301 wie Boutin es formulieren kann, gedacht wird, ist doch das Ich ein Ganzes entweder in der Entscheidung für Gott das neue Ich – bzw. „in dem Verfall an die Sünde das alte. Immer [ jedenfalls] ist es ganz es selbst.“302 Vergegenwärtigt man sich dazu ein Zitat aus Bultmanns Zur Frage der Christologie, ist die Nähe beider beinahe mit Händen zu greifen: „Wir […] sind immer auf die Probe gestellt, wie wir die Möglichkeiten unseres geschichtlichen Daseins erfassen wollen; seit dem geschichtlichen Faktum Jesus Christus: ob wir Gott gehören wollen oder dem Teufel.“303 Für beide steht demnach außer Frage, wer den Weg in die Geschichtlichkeit, in die Eigentlichkeit nach Bultmann, in das Personsein nach Bonhoeffer, weist: Jesus Christus. Und doch versteht Bonhoeffer an dieser Stelle Bultmanns Betonung der je eigenen, menschlichen Entscheidung des Ergreifens des Glaubens als zunächst eine Infragestellung dieser Betonung der Kontinuität des neuen Ich. Hier werde der Mensch in jeder Entscheidung als entweder alter oder neuer Mensch konstituiert, wenn Bultmann die Existenz aus der heideggerschen Existenzialphilosophie herleitet als ein Möglichsein, als ein Sein-Können, das sich allein aus den jeweiligen Entscheidungen gründet, bestimme. Demnach kann Bonhoeffer fragen: „Wie aber kann nun das neue Ich in Kontinuität gedacht werden? Ist das Sein in Christus nur durch jeden bewußten Entscheidungsakt für Christus konstitu-
298 299 300 301 302 303
Bultmann, Geschichtlichkeit und übergeschichtliche Religion im Christentum?, 399f. Cf. AS, 117. AS, 96. Cf. Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, passim. AS, 96. Bultmann, Zur Frage der Christologie, 111f. Cf. dazu auch AS, 96, wo Bonhoeffer genau dieses zitiert.
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iert?“304 Zugleich aber stellt sich ihm die Macht, die Bultmann dem Menschen allem Anschein nach zugesteht, indem er formuliert, der Mensch habe die Entscheidung, ob er „Gott oder dem Teufel gehören wolle […]“,305 als überheblich und der Sache nicht angemessen dar. Aus Sorge, Bultmann gebe mit seinem Möglichkeits- und Entscheidungsbegriff dem Menschen eine Verfügungsgewalt über die Offenbarung in die Hand, hebt er dagegen die alles bestimmende Entscheidung Gottes für den Menschen an erster Stelle hervor: „Es ist doch offenbar eine Entscheidung Gottes vorausgesetzt; denn diese Entscheidung ist doch keine existentiale noch existentielle Möglichkeit meiner Existenz.“306 Dass Bonhoeffer dabei freilich übersieht, dass es auch Bultmann darum geht, die Theologie nicht von der Anthropologie vereinnahmen zu lassen, dem Menschen eben keine Entscheidungsgewalt über die Offenbarung einzuräumen, das war schon im vorherigen Kapitel zu sehen, wenn es beiden gleichsam um das extra nos, aber auch um Gott als den ganz anderen geht.307 Um dieses ganz von außen der Offenbarung zu wahren, ist es Bonhoeffer aber daran gelegen, dem Menschen jedweden eigenmächtigen Zugang zur Offenbarung zu verwehren. Er kann deshalb (nicht nur deutlich gegen Bultmann gerichtet) bisweilen sagen: „[D]er Begriff der Möglichkeit hat in der Theologie und damit in der theologischen Anthropologie kein Recht.“308 Soll die Offenbarung den Menschen ganz von außen treffen, kann dem Menschen aber keinerlei Anknüpfungspunkt aus sich selbst, keine Offenheit für dieselbe zugesprochen werden. Für Bonhoeffer kann nicht der Mensch die Möglichkeit besitzen, nach der Offenbarung zu greifen. Vielmehr ist der Mensch „entweder unter der Offenbarung […] oder nicht […], weil aber […] unabhängig von der Wirklichkeit der Offenbarung von einer Möglichkeit garnicht geredet werden kann, da sie ja sonst kein schlechthinniges Außen wäre. Also gerade aus der Betonung der Existenzjenseitigkeit der Offenbarung folgt die Ablehnung jedes festgelegten ‚finitum incapax‘.“309
Nicht vom Menschen aus kann also an die Offenbarung angeknüpft werden, nicht in der Möglichkeit des Menschen steht es, sich im Rahmen dieser selbst zu 304 AS, 97. 305 AS, 97. (Von Bonhoeffer so hervorgehoben.) Das Zitat bezieht sich auf oben, Bultmann, Zur Frage der Christologie, 111f. 306 AS, 97. 307 Cf. § 3.1.1. Zugleich aber muss sich Bultmann die Anfrage mit bspw. Gerhardt Kuhlmann in der Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Philosophie gefallen lassen, ob in diesem Ansatz dieses extra nos und die Andersartigkeit der Offenbarung gewahrt bleibe, oder eben doch nicht. Das wäre aber an anderer Stelle zu klären. Cf. Kuhlmann, Zum geschichtlichen Problem der Existenz, 52. Cf. dazu auch Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 191. 308 BBA, 373. 309 BBA, 373.
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deuten, bzw. allein in der Aussicht eines Anknüpfungspunktes vor Gott zu treten. Hätte der Mensch eine Chance, sich selbst auf Gott hin zu richten, wäre die Offenbarung nicht mehr als schlechthin von außen Kommendes zu denken, sie wäre vielmehr eine Möglichkeit aus der Existenz des Menschen heraus, ja sie wäre gedacht „innerhalb der statischen Möglichkeiten des Daseins; dann ist aber ihre wesentliche Bestimmtheit nicht mehr Ereignis, kommend aus der Freiheit Gottes.“310 Zieht man dazu Schöpfung und Fall heran, erscheint diese Ablehnung der Möglichkeit darin spezifiziert, dass der Mensch, der in seinem Frömmer-sein-Wollen, in seinem „eigenen selbstgefundenen ‚für-Gott-seinWollens‘“311 seine menschliche Existenz gerade verfehlt. In der frommen Frage sieht Bonhoeffer die „Möglichkeit gegen die Wirklichkeit ausgespielt“,312 wenn sich der Mensch zum Herren Gottes macht, indem er anstatt seines Gehorsams gegenüber Gottes Gebot seinen eigenen, selbst geschaffenen Gehorsam setzt. Offenbarung und die darin gesetzte Beziehung Gottes zu seinem Menschen ist dagegen jedoch als Ereignis, als Gottes freie Tat von außen kommend, dem Menschen „geschenkte, gesetzte Beziehung“. „Die Ähnlichkeit, die analogia des Menschen zu Gott ist nicht analogia entis, sondern analogia relationalis. Das besagt aber: 1. Auch die relatio ist nicht eine dem Menschen eigene Fähigkeit, Möglichkeit, eine Struktur seines Seins, sondern sie ist geschenkte, gesetzte, justitia passiva! […]. Daraus folgt 2. daß diese analogia nicht so verstanden werden darf, als habe der Mensch diese Ähnlichkeit nun irgendwie im Besitz, in seiner Verfügbarkeit […]. Analogia relationalis ist darum die von Gott selbst gesetzte Beziehung und nur in dieser von Gott gesetzten Beziehung analogia.“313
Nach der Möglichkeit des Menschen für die Offenbarung kann also nach Bonhoeffer gar nicht gefragt werden, weil der Mensch seiner Einschätzung nach gar nicht unabhängig von der Offenbarung gedacht werden kann.314 Der Mensch ist somit „entweder unter der Offenbarung […] oder nicht“.315 Stringent durchdenkt Bonhoeffer damit das Diktum der Anrede Gottes an den Menschen, 310 AS, 72 (Anm. 89). Cf. dazu auch Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 131f. 311 SF, 101. 312 SF, 101. 313 SF, 60f. 314 Cf. § 3.1.5 und BBA, 373. Dieses Thema der Wirklichkeit Gottes beschäftigt Bonhoeffer, worauf Christiane Tietz-Steiding richtig hinweist, bis hin in seine späten Schriften, cf. bspw. E, 43: „Es gibt nicht zwei Wirklichkeiten, sondern nur eine Wirklichkeit, und das ist die in Christus offenbargewordene Gotteswirklichkeit in der Weltwirklichkeit. An Christus teilhabend stehen wir zugleich in der Gotteswirklichkeit und in der Weltwirklichkeit. Die Wirklichkeit Christi faßt die Wirklichkeit der Welt in sich. Die Welt hat keine eigene von der Offenbarung Gottes unabhängige Weltwirklichkeit.“ Cf. dazu auch Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 132. Siehe dazu auch 132f. (Anm. 69). 315 BBA, 373.
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das auch dann besteht, wenn der Mensch glaubt oder nicht. So wird die menschliche Existenz als getroffen oder nicht-getroffen bestimmt, gleichsam jedoch beständig aber in Bezug auf die Offenbarung. „Hier gibt es kein potentielles Betroffenwerden mehr […] Existenz ist wirklich betroffen oder wirklich nicht betroffen und zwar als konkrete geistleibliche Ganzheit an der ‚Grenze‘, die nicht mehr durch den Menschen hindurchgeht oder von ihm selbst gezogen werden kann, sondern die Christus selbst ist.“316
Ohne nun genauer auf Bonhoeffers Ablehnung des Möglichkeitsbegriffes einzugehen,317 erkennt man den konsequenten Anredecharakter der Wirklichkeit Gottes, in der die Existenz als ein „Sein in …“ gelesen werden muss.318 Der Mensch ist in die Wirklichkeit Gottes gestellt, die menschliche Existenz ist in Bezug auf die Offenbarung entweder in Sünde oder Gnade, aber immer in Bezug auf, womit er die Kategorie der Möglichkeit, d. h. genauer also zunächst die Unterscheidung der Existenz in ontisch und ontologisch, für illegitim hält,319
316 AS, 75f. 317 Cf. dazu bspw. Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 131–140. 318 Cf. dazu AS, 136f.: „Ontologisch heißt das, daß Sünde die Vergewaltigung des Daseins (Geschöpfseins) durch das Wie-sein ist, daß vor dem Begriff der Sünde diese ontologische Distinktion von Da- und Wiesein gegenstandslos wird, weil das Ich sein eigener Herr wird und sein Dasein selbst in die Hand nimmt. Diese Erkenntnis ist wiederum in der Sünde nicht möglich, da hier das Dasein noch in der Gewalt des Wieseins ist, sondern ist erst aus der Offenbarung, in der Geschöpflichkeit und Sünde […] herzuleiten. So bleibt also die ontologische Bestimmung des Menschen als Sündersein, als in Sünde ‚in bezug auf‘ Gott, als existierend richtig bestehen.“ 319 Nach Bonhoeffers Einschätzung entferne Bultmann sich mit seiner Existenzanalyse sehr weit von der Barths. Cf. AS, 92 (Anm. 24). Cf. dazu auch Barths Brief an Bultmann vom 27. 05. 1931: „Aus Ihrer Antwort an Kuhlmann meine ich Sie seither nun endlich einigermaßen verstanden zu haben, auch das, was mir in Ihrem Jesus-Buch so fremd war, auch das, was mir jeweilen im 1. Teil Ihrer Aufsätze nicht als gut und notwendig einleuchten wollte, auch das, was Sie mit Gogarten mir gegenüber verbindet, auch das, was Ihren Schülern das eigentümliche Marburger Selbstbewußtsein gibt – kurz, eben das, worin unsere Wege auseinandergehen. Damals wußte ich nicht, daß die Sache so schlimm steht, wie ich sie nun allerdings bis auf bessere Belehrung sehen muß. Ich meine: daß Sie mit Ihrer Verhältnisbestimmung von Anthropologie und Theologie das 18. und 19. Jahrhundert so wenig los geworden sind, daß Sie das alte unverschämte Diktat der modernen Philosophie unter dem neuen heideggerschen Vorzeichen so wenig erkannt und abgewiesen haben, daß ich mich bei Ihnen schließlich einfach in dasselbe Diensthaus Ägypten zurückversetzt fühle, das wir nach meiner Auffassung mit der Absage an Schleiermacher und mit dem neuen Anknüpfen an die Theologie der Reformatoren verlassen haben sollten. Ich habe jahrelang, wenn man mich nach meiner Meinung über Sie fragte, geantwortet, ich sehe bei Ihnen gewisse liberale Eierschalen, die ich aber nicht weiter ernst nehmen könne. Erst aus dem Kuhlmann-Aufsatz drängte sich mir die Einsicht auf, daß dem sehr anders sein müsse, als ich dachte, daß das neue Marburg dem alten nur zu verwandt sei.“ (Barth, Barth – Bultmann Briefwechsel, 117.)
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trifft doch die Offenbarung den Menschen von außen, genauer sie ereignet sich außerhalb der Möglichkeiten des Menschen.320 „Ist aber Offenbarung wesentlich Ereignis der freien Tat Gottes, dann überschreitet und stellt sie in Frage auch die existential-ontologischen Möglichkeiten von Dasein. Dann ist Dasein nicht mehr wesentlich identisch mit sich selbst und durch sich selbst, ob Offenbarung Ereignis wird oder nicht; dann beansprucht die Offenbarung, die Einheit von Dasein zu begründen und allein behaupten zu dürfen; dann wird die tiefste Wurzel, aus der die Philosophie ihren Anspruch herleitet, zerschnitten. Das Freigeben der ontischen unter Rückzug auf die ontologische [Einheit von Dasein] wird von der Offenbarung als unzulänglich befunden. In dem existentiellen Ereignis der Offenbarung wird die existentiale Struktur des Daseins mitbetroffen und umgeschaffen. Es gibt hier keinen zweiten Mittler, auch nicht die existentiale Struktur des Daseins. Für die Offenbarung fallen ontisch-existentielle und ontologisch-existentiale Struktur zusammen.“321
Bonhoeffer kann demnach in seinem Begriff der Existenz eine Unterscheidung in ontologisch und ontisch, wie sie Bultmann macht, insofern nicht mitgehen, als dass für ihn in der Offenbarung immer der ganze Mensch, präziser der Mensch in seiner Wesensstruktur und dem Vollzug seiner Existenz getroffen ist. Hatte sich Bultmann nach der Lesart Bonhoeffers (in Anlehnung an Gerhardt Kuhlmann) in seiner Übernahme existential-philosophischer Grundprämissen zugleich auch deren Daseinsverständnis eingehandelt,322 welches die eigentliche Existenz als 320 Cf. Krause, Bonhoeffer und Bultmann, 455. 321 AS, 72 (Anm. 89). 322 Cf. AS, 71f.: „Eine Philosophie kann per se der Offenbarung keinen Raum aussparen, sie kenne denn die Offenbarung und bekenne sich als christliche Philosophie in der Erkenntnis, daß der Raum, den sie usurpieren wollte, bereits von einem anderen – nämlich von Christus – eingenommen ist.“ Cf. dazu auch Kuhlmanns Vorwurf an Bultmann: „Hier hätte der Theologe nachzuweisen gehabt, ob er wirklich einen eigenen Gegenstand hat, oder ob sein Offenbarungsbegriff nur die Mythologisierung der vom Philosophen schon im ‚natürlichen‘ Dasein entdeckten wesentlichen Dialektik von uneigentlicher und eigentlicher Existenz ist.“ (Kuhlmann, Zum theologischen Problem der Existenz, 45.) Cf. dazu Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns, 16: „Bultmann weist daraufhin, daß die Philosophie Heideggers ‚a-theistisch‘ im genauen Sinne des Wortes sei. Dies Urteil sagt also nichts über Glauben oder Unglauben Heideggers aus; es stellt nur fest, daß Gott nicht Gegenstand der Philosophie des jungen Heideggers ist. Gott wird in diesem philosophischen System weder bekannt noch geleugnet. Eben darum läßt Heideggers Philosophie den Raum frei für die Arbeit der Theologie, die, soweit sie um Gott weiß, dies Wissen nicht dem Denken des Philosophen, sondern der Offenbarung Gottes selbst verdankt.“ Cf. auch Harbsmeier, Die Theologie Bultmanns und die Philosophie, 471: „Bultmann läßt in allen seinen theologischen Äußerungen keinen Zweifel darüber, daß es vom Selbstverständnis des Menschen in seiner tatsächlichen Existenz zum Selbstverständnis des Glaubens keinen Übergang gibt. Für ihn liegt zwischen beiden ein nicht zu überbrückender, unendlicher, qualitativer Unterschied. Nicht auf die Nivellierung dieses Unterschiedes, sondern auf seine Verständlichmachung kommt es an. Sie ist uns nur möglich mit den Mitteln des Denkens der Philosophie.“
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eine Möglichkeit in Betracht zieht, die das Dasein per se besitzt,323 konnte er der Offenbarung nur noch den Bereich zugestehen, in dem sie letztlich nur das zu aktualisieren hatte, was dem Dasein eh je schon möglich war.324 Demnach stellt sich das Dasein, das „als Selbst sich in diesem selbst versteht“,325 in Bultmanns Anschluss an Heidegger als die Ermöglichung eigentlicher Existenz und so als „eine dem Dasein ‚von sich aus‘ offenstehende Existenzweise“326 dar. Wenn die Offenbarung damit also letztlich nur eine Möglichkeit aktualisiert, die das Dasein je schon immer hatte, werde damit die Gnade „zur verfügbaren Qualität des natürlichen Daseins“.327 Damit aber, so Bonhoeffers Vorwurf, liefe Bultmann Gefahr, „die Möglichkeit eines ontologischen Daseinsverständnisses unbetroffen von der Offenbarung“328 einzuschließen. Wenn auch Bultmann auf den Vorwurf Kuhlmanns und den Barths, Glauben sei eine menschliche Möglichkeit,329 in323 Cf. Kuhlmann, Zum theologischen Problem der Existenz, 45: „Für Heidegger ist die eigentliche Seinsmöglichkeit genau so ursprünglich wie die uneigentliche. Beide sind Modi des Seins. Ist nun Offenbarung als Zukunft, als Leben ein ursprünglicher Seinsmodus, d. h. eine dem Dasein ‚von sich aus‘ offenstehende Existenzweise? Wenn ja, ist dann nicht Offenbarung zur Vernunft geworden, zum ‚lumen naturale‘ […], zur ‚Lichtung‘ der ‚wesenhaften Seinsmöglichkeiten des Daseins‘?“ Cf. auch 52: „[…] Heidegger sieht den Sinn von Sein darin, die Eigentlichkeit des Seinkönnens im richtigen Seinsverständnis existierend je schon zu ‚sein‘. So verstanden macht aber die Philosophie als Wissenschaft vom Sinn des Seins die Theologie mindestens überflüssig.“ 324 Cf. Kuhlmann, Zum theologischen Problem der Existenz, 46: „Tatsächlich scheint sich Bultmann aber ausdrücklich darauf festzulegen, daß die Theologie Autorisation post festum der philosophischen Daseinsanalyse ist. Denn nach ihm macht die Offenbarung nur ‚die beiden Möglichkeiten, die das Dasein immer (!) hatte‘, aktuell.“ 325 Kuhlmann, Zum theologischen Problem der Existenz, 35. 326 Kuhlmann, Zum theologischen Problem der Existenz, 45. Cf. dazu Bultmanns schon oben zitierte Antwort: „Das Wissen um das, was Offenbarung überhaupt ist, das Wissen des Menschen um sein Angewiesensein auf Offenbarung (bzw. dessen Bestreitung) ist allerdings eine Wissen aus dem ‚lumen naturale‘. Und zu diesem Wissen bedarf es der ‚Aufklärung‘ des Evangeliums nicht, so gewiß auch, aus dem Hören des Evangeliums Aufklärung über das natürliche Dasein faktisch erwachsen kann, die von der Philosophie angeeignet werden kann […].“ (Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 352.) 327 Kuhlmann, Zum theologischen Problem der Existenz, 47. Cf. auch 52: „Wenn das Evangelium, die Offenbarung mich vor die Entscheidung stellt, wie ich hören will, genauer, die Entscheidung fällt, wie ich je schon gehört habe; wenn die Offenbarung dem Dasein die beiden Möglichkeiten, die es ‚immer‘ schon hatte, nur neu aktuell macht, dann stellt die Offenbarung lediglich vor die Entscheidung, sich entweder über das eigene Sünde-Sein zu täuschen, oder sich zu diesem ‚eigentlich‘ zu bekennen; denn das Dasein hat ‚von sich aus‘, d. h. ‚immer schon‘ nur die Möglichkeiten, das, was es je schon ist, uneigentlich oder eigentlich zu sein. So wird aber die Offenbarung profanisiert, zur, vielleicht endgültigen Aufklärung über die eigene, doch wohl profane – oder etwa je immer schon begnadete? – Existenz.“ Cf. Näheres dazu auch bei Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 184ff. 328 AS, 92 (Anm. 24). 329 Cf. Brief Barths an Bultmann vom 05. 02. 1930: „Sie [Bultmann, Schumann, Gogarten und
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sofern zurückweist, dass es sich hierbei um eine ontologisch, nicht aber ontische Möglichkeit handle,330 dünkt dies Bonhoeffer noch immer unzulässig. Für diesen aber, und darin liegt der entscheidende Unterschied im Existenzbegriff beider, „gibt [es] keine Vorbegriffe über Existenz. Die Existenz des Menschen ist entweder in der Sünde oder in der Gnade.“ Und er kann dies noch weiter präzisieren: „Es gibt durch die Offenbarung nur sündige oder begnadigte Existenz ohne Potentialität.“331 Ein außerhalb der Offenbarung gewonnener Offenbarungsbegriff kann damit nicht die Geschichtlichkeit des Daseins erfassen, das kann, so Bonhoeffer, „nur von der Sünde her“332 vermocht werden. Betone Bultmann zwar kontinuierlich diese je neue Entscheidung als ein in Bezug zu Gott treten, mit anderen Worten den Glauben als fortwährenden Akt des Ergreifens der Offenbarung, gebe Bultmann mit einem Verständnis des Menschen außerhalb der Offenbarung, so Bonhoeffer, jedoch den zentralen Aktgedanken, das In-Bezug-sein-Auf die Offenbarung, dieses sich allein auf die Offenbarung verstehen, zugleich wieder auf.333 Hatte Bultmann Gott als das „Minus-Zeichen vor der Klammer“, als „Infragestellung“ bezeichnet, der den Menschen in die „Krisis“334 führe, weist sich darin für denselben genau dieser Lebensbezug zur ‚Sache‘, der Offenbarung aus. Indem nämlich die Existenz des Menschen als Anrede Gottes radikal als Frage gedacht wird, kommt das Dasein des Menschen schon ontologisch als eine Frage
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Brunner, Anm. d. Verf.] sind, wenn mich nicht Alles täuscht, Alle miteinander dabei, den Glauben aufs neue – gewiß in einer sehr neuen und von der Theologie des 19. Jahrhunderts sehr verschiedenen Weise – als eine menschliche Möglichkeit oder, wenn Sie wollen, als begründet in einer menschlichen Möglichkeit verstehen zu wollen und damit die Theologie aufs neue der Philosophie in die Hände zu liefern.“ (Barth, Barth – Bultmann Briefwechsel, 99.) Cf. den Brief Bultmanns an Barth vom 16. 02. 1930: „Denn, um mit dem Hauptsatz zu beginnen, daß wir den Glauben als eine menschliche Möglichkeit oder als in einer solchen begründet verstehen wollen, trifft ja höchstens insofern zu, als ‚Möglichkeit‘ hier als ontologische Möglichkeit verstanden ist. In diesem Sinne können aber auch Sie m. E. den Satz nicht bestreiten, wenn Sie daran festhalten, daß das Wunder des Glaubens sich am Menschen ereignet […].“ (Barth, Barth – Bultmann Briefwechsel, 102.) AS, 92. AS, 92. Cf. AS, 92 (Anm. 24). Cf. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 231f.: „Und wenn entgegnet wird, der Mensch könne vor der Offenbarung Gottes auch nicht wissen, wer Gott sei, und folglich auch nicht, was Handeln Gottes heißen könne, so ist zu antworten, daß der Mensch sehr wohl wissen kann, wer Gott ist, nämlich in der Frage nach ihm. Wäre seine Existenz nicht (bewußt oder unbewußt) von der Gottesfrage bewegt […], so würde er auch in keiner Offenbarung Gottes Gott als Gott erkennen. Im menschlichen Dasein ist ein existentielles Wissen um Gott lebendig als die Frage nach ‚Glück‘, nach ‚Heil‘, nach dem Sinn von Welt und Geschichte, als die Frage nach der Eigentlichkeit des je eigenen Seins. Mag das Recht, solches Fragen als die Gottesfrage zu bezeichnen, erst vom Glauben an die Offenbarung Gottes aus gewonnen sein, – das Phänomen als solches ist der Sachbezug auf die Offenbarung.“
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nach sich selbst zum Ausdruck, nach dem Sinn und Heil des eigenen Seins. Indem der Mensch aus „der echten Sorge um sich selbst“ fragt, erscheint darin „die Frage nach Gott, nach dem Jenseitigen, der dieser Welt ihre Grenzen setzt.“335 Ist die Frage nach sich selbst eine Frage, die jeder Mensch stellt, so ist demnach die Frage nach Gott einem jedem Menschen eingegeben in seiner ontologischen Struktur. „Der Mensch weiß von Gott im voraus, wenn auch nicht von der Offenbarung Gottes, das heißt von seiner Tat in Christus. Er hat eine Beziehung zu Gott in seinem Suchen nach Gott, sei es bewußt oder unbewußt. Das Leben des Menschen wird bewegt durch das Suchen nach Gott, weil es immer, bewußt oder unbewußt, von der Frage nach seiner eigenen Existenz bewegt wird. Die Frage nach Gott und die Frage nach mir selbst sind identisch.“336
Es ist nun zu verstehen, wie radikal Bultmann seine Prämisse,337 dass ein Reden über Gott nicht von der eigenen, menschlichen Existenz absehen kann, durchführt. Dass der Mensch Frage ist und diese Frage als die nach Jesus Christus gefüllt wird, kann für Bultmann freilich dann nur so verstanden werden, wenn der Mensch seine Existenz im Glauben ergreift, d. h. wenn er sich für Gott entscheidet. Erst im Glauben338 kann dieses Suchen nach der eigenen Existenz als ein Reden von Gott identifiziert werden. Kann dieses auch „in der Durchschnittlichkeit des Lebens gar nicht nach Macht über alles fragen, sondern jeweils das Einzelne, was ihnen nützt oder imponiert, mächtig werden lassen“,339 „[d]ie Frage nach Gott verklingt deshalb nicht.“340 Allein aus und im Glauben ist demnach
335 Bultmann, Das Verständnis von Welt und Mensch, 68. 336 Bultmann, Jesus und die Mythologie, 167f. 337 Cf. erneut Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 27: „Wir können nicht über unsere Existenz reden, da wir nicht über Gott reden können; und wir können nicht über Gott reden, da wir nicht über unsere Existenz reden können. Wir können nur eins mit dem anderen. […] [E]in Reden von Gott [müsste], wenn es möglich wäre, zugleich ein Reden von uns sein.“ 338 Cf. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 37: „Es bleibt immer sündig, sofern es immer ein von uns unternommenes ist. Aber eben als sündiges ist es gerechtfertigt, d. h. es ist gerechtfertigt aus Gnade. Wir wissen nie von Gott; wir wissen nie von unserer eigenen Wirklichkeit; wir haben beides nur im Glauben an Gottes Gnade. So wäre also der Glaube der archimedische Punkt, von dem aus die Welt aus den Angeln gehoben würde und aus einer Welt der Sünde zur Welt Gottes würde? Ja, das ist die Botschaft des Glaubens.“ 339 Bultmann, Die Frage der natürlichen Offenbarung, 81. 340 Bultmann fährt fort: „Die Frage verklingt auch keineswegs immer im dezidierten Atheismus, sofern dieser vor dem Abgrund des Nihilismus erschrickt und es nicht wagt, den Gedanken des transzendenten Gottes und seiner Offenbarung zu fassen, aber doch in irgendeiner Weise vom Göttlichen als irgendwie der Welt immanenten reden möchte, sei es als von ihrem schöpferischen Grund oder sei es als von dem in ihr sich entwickelnden und lebendigen geistigen Leben. Ja, man kann sagen, daß solche ‚Atheisten‘ dem christlichen Glaubensverständnis näher stehen als manche kirchlichen Christen, die die Transzendenz Gottes als
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auch eine Rede von Gott möglich. Dieselbe wurde oben schon näher bestimmt als Rede aus Gott. Jetzt ist auch zu verstehen, wie Bultmann zu der Aussage kommen kann, dass ein Reden von Gott immer auch ein Reden von uns Menschen bedeutet. Im Ganzen lautet das Zitat nämlich folgendermaßen: „Wir können nicht über unsere Existenz reden, da wir nicht über Gott reden können; und wir können nicht über Gott reden, da wir nicht über unsere Existenz reden können. Wir können nur eins mit dem anderen. Könnten wir aus Gott von Gott reden, so könnten wir auch von unserer Existenz reden, und umgekehrt. Jedenfalls müsste ein Reden von Gott, wenn es möglich wäre, zugleich ein Reden von uns sein. So bleibt das richtig: wenn gefragt wird, wie ein Reden von Gott möglich sein kann, so muß geantwortet werden: nur als ein Reden von uns.“341
Im Glauben und allein darin, ist es dem Menschen demnach möglich, über sich selbst zu reden, seine eigentliche Existenz zu erfassen – und das nur als Rede aus Gott. Für Bultmann sind folglich Theologie und Anthropologie nicht voneinander zu unterscheiden, denn keine Rede von Gott kann ohne Rede vom Menschen und keine Rede vom Menschen von der Rede von Gott absehen. Erkenntnis des Menschen gibt es nur aus dem Glauben und nur als gläubiger Mensch ist eine Rede von Gott möglich. Eines ist nicht ohne das andere zu denken. „Denn wenn es sich im Glauben um die Erfassung unserer Existenz handelt, und wenn unsere Existenz in Gott gründet, d. h. außerhalb Gottes nicht vorhanden ist, so bedeutet die Erfassung unserer Existenz ja die Erfassung Gottes.“342 Dass es Bultmann dabei freilich genau nicht um eine Verfügbarkeit der Gnade geht, erschließt sich zuletzt darin, dass er nicht müde wird zu betonen: „Völlig zufällig, völlig kontingent, völlig als Ereignis tritt das Wort in unsere Welt hinein.“343 Damit erschließt sich auch Bonhoeffers Sorge, der Mensch könne in seinem Reden über Gott verfügen, als vorschnell, denkt Bultmann doch genau in dieser freien Tat Gottes auch das menschliche Reden über Gott als sündiges, weil wir Menschen „Sünder sind und von dem aus nichts tun können, um aus der Sünde herauszukommen. Denn es würde uns ja gar nichts helfen, wollten wir aus der richtigen Einsicht in den Gottesgedanken aufhören mit dem disputare de deo. Denn anders von Gott, nämlich aus Gott, zu reden, können wir uns offenbar nicht vornehmen. Denn als unser Unternehmen würde es wiederum Sünde sein, weil es eben unser Unternehmen wäre, in dem der Gedanke an Gottes allmächtiges Walten preisgegeben wäre. Von Gott reden als aus Gott reden kann offenbar nur von Gott selbst gegeben werden.“344
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ein von der Welt abgeschiedenes Jenseits verstehen.“ (Bultmann, Der Gottesgedanke und der moderne Mensch, 119.) Cf. dazu genauer Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 112–133. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 33. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 36. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 37. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 28.
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Es geht also genau nicht darum, dem Menschen die Verfügungsgewalt über Gott und dessen Gnade zu geben, Bultmann will vielmehr dem Menschen, indem Gott ihm zuvor die existentielle Möglichkeit eröffnet, „eine personale Beteiligung in der Begegnung der Offenbarung“345 zusprechen. Denkt aber Bonhoeffer die existential-ontologische Möglichkeit des Daseins nicht als eine, die allein in der Frage des Menschen nach dem Sinn zu erreichen wäre, sondern als eine allein aus der Offenbarung heraus zu verstehende Bedingung menschlichen Seins, ist damit Offenbarung als Krisis allein aus ihrer Infragestellung auch der ontologisch-existentialen Bedingung des Daseins zu verstehen, die „im echten Sinn dem Ich so ‚entgegensteht‘, daß [sie] seine Existenzweise bedroht und begrenzt“.346 Nicht der Mensch kann damit sein Dasein als je seine eigene Möglichkeit verstehen, sondern Dasein ist je immer von der Offenbarung zu bestimmendes (ontologisches wie ontisches) Dasein, das entweder in Sünde oder Gnade steht.347 Eine von der Offenbarung absehende allgemeine ontologische Wesensstruktur des Menschen, wie Bonhoeffer es u. a. Bultmann vorwirft, kann es demnach für Bonhoeffer nicht geben, vielmehr wird also „[i]n dem existentiellen Ereignis der Offenbarung […] die existentiale Struktur des Daseins mitbetroffen und umgeschaffen. […] Für die Offenbarung fallen ontisch-existentielle und ontologisch-existentiale Struktur zusammen.“348 Bestreitet Bonhoeffer dementsprechend sowohl die Einheit des Daseins als auch die Denkbarkeit der Offenbarung außerhalb des Ereignisses derselben als der freien Tat Gottes,349 denkt er das Dasein als ein „Sein in …“. „Nehmen wir hinzu, daß die Wirklichkeit der Offenbarung das seiende Sein selbst ist, daß das Sein (die Existenz) des Menschen ausmacht, dies Sein aber die dreieinige göttliche Person ist, so schließt sich das Bild, wenn dies als ‚Sein in Christus‘, d. h. als ‚Sein in der Kirche‘, verstanden wird. Da dies Sein aber die Existenz des Menschen berühren soll, müssen mit ihm Existenzakte zusammenstehen, die dies Sein ebenso konstruieren, wie [sie] durch es konstruiert werden. Hier erst käme eine echte Ontologie zu ihrem Recht, indem sie das ‚Sein in …‘ doch so bestimmt, daß das sich im Seienden vorfindliche Erkennen sich vor dem Sein des Seienden je und je aufhebt, es nicht in seine Verfügbarkeit zwingt.“350
Im Ernstnehmen des Ereignischarakters der Offenbarung kann hiernach für Bonhoeffer nichts Allgemeines über Offenbarung ausgesagt werden, weshalb er gegen Bultmann klarstellt, dass von der Offenbarung aus gesehen „der Gläubige
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Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 193. AS, 104. Cf. AS, 92 (Anm. 24). AS, 72 (Anm. 89). Cf. Krause, Bonhoeffer und Bultmann, 455. AS, 105.
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alles und der Ungläubige nichts von der Offenbarung“ weiß.351 Nicht schon allein dieses In-Bezug-sein-Auf macht also ein Wissen um Offenbarung aus, es ist der Glaube der zu diesem Wissen führt. Räumt er zwar die Notwendigkeit eines „gewissen formalen ‚Vorverständnisses‘“352 der Offenbarung ein, lehnt sich dieses Vorverständnis aber nicht an Bultmanns Lebensbezug an,353 sondern an ein allgemein menschliches rationales Einsehen in die Offenbarung, das wiederum durch die Offenbarung selbst als korrekturbedürftig erscheint. So stellen sich diese Vorverständnisse zuletzt als „gewisse geistige Formen“354 dar, die für ein formales Verständnis der Offenbarung vorausgesetzt werden müssen. Nicht also diese Vorverständnisse führten demnach in die Krisis, wie Bultmann das behaupten kann, vielmehr stelle die von außen kommende Offenbarung dieselben je neu in Frage. Und so ist genau dieses in Schöpfung und Fall zu lesen, wenn es heißt: „Vielmehr darauf kommt es an zu wissen, daß wir von dieser Geschichte […] als Menschen in Anspruch genommen sind, die auch mit der äußersten Anstrengung […] mit all ihrem Denken verhaftet bleiben der zerrissenen Welt, dem Gegensatz, dem Widerspruch; und das darum, weil auch unser Denken nur der Ausdruck unseres Seins, unserer Existenz ist, die im Widerspruch gründet. Weil unser Dasein nicht in der Einheit ist, ist auch unser Denken zerrissen.“355
Ist also die Offenbarung wesentlich Ereignis der freien Tat Gottes, dann überschreitet sie und stellt zugleich auch die existential-ontologischen Möglichkeiten des Menschen radikal infrage, dann ist das Dasein eben nicht identisch mit sich selbst durch sich selbst unabhängig davon, ob die Offenbarung Ereignis wird oder nicht, sondern dann beansprucht allein die Offenbarung, die Einheit des Daseins zu begründen.356 „Daß der Mensch sich nicht selbst in die Wahrheit stellen kann, ist nicht in der Weise ein einsichtiger Satz, daß von dieser Erkenntnis aus nun eine Offenbarung postuliert werden müßte und könnte, die Wahrheit zu geben vermöchte. Vielmehr kann nur aus der geschehenen und geglaubten Offenbarung und ihrer Wahrheit heraus die Unwahrheit des menschlichen Selbstverständnisses durchschaut werden. Wäre es nicht so, so würde die Offenbarung und ihre Wahrheit als letztes Postulat menschlichen Denkens in die Unwahrhaftigkeit des Selbstverständnisses selbst hineingezogen, so daß der Mensch aus den Postulaten seiner eigenen Existenz heraus in die Lage gesetzt wäre, sich
351 AS, 72 (Anm. 89). 352 AS, 152. 353 Wenn dies auch der Herausgeber von Akt und Sein anhand seines Verweises auf Bultmanns Die Bedeutung der „dialektischen Theologie“ nahe legen will. Cf. AS, 152 (Anm. 47). 354 AS, 52. Cf. dazu mehr noch Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 190 (Anm. 298). 355 SF, 86. 356 Cf. Frick, Rudolf Bultmann, 226.
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selbst recht zu geben und in die Wahrheit zu stellen, was doch eben immer nur die Offenbarung, soll sie als solche wirklich gemeint sein, selbst tun kann. Mithin: nur der in Wahrheit Gestellte, vermag sich in Wahrheit zu verstehen. Denn in Wahrheit gestellt, vermag er in potentiellem Nachschaffen des ‚Erkanntseins‘ durch Gott […] sich selbst als in Wahrheit gestellt, d. h. als aus der Unwahrheit zur Wahrheit neu geschaffen zu erkennen, zu verstehen. Aber eben nur in Wahrheit, d. h. in der Offenbarung, d. h. in Christus, ob gerichtet oder begnadigt. Damit ist der theologische Begriff der Existenz gegeben: Existenz ist gedacht in Bezug auf Offenbarung als von der Offenbarung betroffene oder nicht-betroffene.“357
Eine Rede von Gott ist daraus folgend auch für Bonhoeffer nur als eine Rede aus Gott selbst möglich. Der Mensch allein, der sich mit der Welt als gefallener in Zweiheit befindet, kann Gott nicht mehr erkennen. Er kann sich nicht als Geschöpf Gottes erkennen, weshalb Bonhoeffer dem Menschen auch die Geschöpflichkeit absprechen kann. Allein von Gott ist und bleibt er dieses Geschöpf in der zerrissenen Welt, und allein darin steht er vor Gott, ob in Sünde oder Gnade. In dem existentiellen Ereignis der Offenbarung wird die existentiale Struktur des Daseins mitbetroffen und umgeschaffen. Einheit erfährt der Mensch niemals aus seiner ontologischen Daseinsstruktur, Einheit erfährt der Mensch allein aus Gott, wo existentiale und existentielle Struktur zusammenfallen als „Sein in …“.358 Zugleich aber präsentiert sich dieses „Sein in“ als Angelpunkt dieser Frage nach der Erkenntnis Gottes. Wenn Bonhoeffer in Akt und Sein den Menschen in seinem glaubenden Erkennen immer in der Gemeinde stehend sieht, scheint das „[c]hristliche Wissen […] zum Subjekt nicht Gott [zu haben], sondern die Gemeinde, in der das als ‚Christus als Gemeinde existierend‘ zugleich Gott Schöpfer dieses Wissens und doch der Mensch Subjekt dieses Wissens ist.“359 Das aber, muss an anderer Stelle genauer geklärt werden,360 hier soll nun dieses festgehalten werden: Bultmann wie Bonhoeffer geht es darum, den 357 AS, 75. 358 AS, 74. 359 Müller, Von der Kirche zur Welt, 139. Cf. dazu auch Christiane Tietz-Steidings Hinweis darauf, dass „Bonhoeffers personale […] Konzeption nicht mehr im Bereich der SubjektObjekt-Differenz gedacht werden muß.“ (Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 277f. [Anm. 39].) Cf. AS, 110: „Durch die Einführung der soziologischen Kategorie wird in der Theologie die Akt-Seins-Problematik und damit auch das Erkenntnisproblem neugestellt. Das Sein der Offenbarung liegt weder in einem einmaligen Geschehen der Vergangenheit, in einem mit meiner alten oder neuen Existenz unzusammenhängenden, grundsätzlich zur Verfügung stehenden Seienden, noch aber kann auch das Sein der Offenbarung nur als der stets freie, reine, nichtgegenständliche Akt aufgefaßt werden, der die individuelle Existenz je und je betrifft; vielmehr ‚ist‘ das Sein der Offenbarung das Sein der Gemeinschaft von Personen, die durch die Person Christi konstituiert und geschlossen ist, und in der sich der Einzelne in seiner neuen Existenz je schon vorfindet.“ 360 Cf. §§ 4.1.3 und 4.2.2.
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Menschen in seiner Existenz als in die konkrete Wirklichkeit Gottes gestellten zu sehen.
3.2.3 Existentiale Interpretation als Vergegenwärtigung Es ist in der bisherigen Untersuchung zur Parallelität der Theologien Bultmanns und Bonhoeffers ein beredtes Zeugnis davon gegeben worden, dass für beide eine Erkenntnis Gottes nur ein glaubendes Erkennen meinen kann. Damit steht für beide der Begriff der Existenz als methodischer Ausgangspunkt der Theologie an erster Stelle. Wenn sie Gott als die Wirklichkeit (in welcher spezifischen Weise auch immer) beschreiben, stellt sich die Frage, wie diese Wirklichkeit zu veranschaulichen ist, vor allem natürlich in seiner Beziehung zum Menschen und dessen Existenz.361 Es wurde bisher versucht, zunächst eine Erkenntnis allein aus dem Glauben als gemeinsamen Ausgangspunkt aufzuzeigen, um dann darzulegen, inwiefern beide ihren Begriff der Existenz ausbuchstabieren. Das führt nun zu der sich anschließenden Frage nach einer Hermeneutik, die beides miteinander verbindet: glaubendes Verstehen und verstehendes Glauben als existentielles Verstehen der Heiligen Schrift. Wenn für Bonhoeffer allein aus dem Glauben eine Erkenntnis Gottes möglich ist, dann erschließt sich darin ein Bezug auf die menschliche Existenz, von der nicht abgesehen werden kann, wenn von gläubigem Erkennen gesprochen werden soll. Untersucht man nun diesbezüglich Bonhoeffers Umgang mit der Schrift, ergibt aus den bisherigen Erkenntnissen ein Bild, das in die Nähe zu Rudolf Bultmanns „existentialer Interpretation“ führt. So liest man beispielsweise in Bonhoeffers Nachfolge im Zusammenhang mit der Gnade Folgendes: „Wenn Faust am Ende seines Lebens in der Arbeit an der Erkenntnis sagt: ‚Ich sehe, daß wir nichts wissen können‘, so ist das Resultat, und [sic!] etwas durchaus anderes, als wenn dieser Satz von einem Studenten aus dem ersten Semester übernommen wird, um damit seine Faulheit zu rechtfertigen (Kierkegaard). Als Resultat ist der Satz wahr, als Voraussetzung ist er Selbstbetrug. Das bedeutet, daß eine Erkenntnis nicht getrennt werden kann von der Existenz, in der sie gewonnen ist.“362
361 Cf. Kuhlmanns Anfrage an Bultmann in Kuhlmann, Zum theologischen Problem der Existenz, 29: „Wenn nämlich Gott, ganz allgemein, wirklich ja vielleicht ‚die Wirklichkeit‘ ist, hat er auch Existenz, insofern Existenz der spezifische Modus von Wirklichkeit ist; er existiert ‚in‘ Wirklichkeit. Andererseits ist aber doch auch der Mensch Wirklichkeit, hat Existenz. Wie verhält sich nun die Existenz Gottes zu der des Menschen? Sind beide identisch? Wenn nicht, wie können sie dann durch einen Begriff geeint werden?“ 362 N, 38. (Bonhoeffer zitiert: Goethe, Johann Wolfgang von, Faust. Der Tragödie erster Teil, Vers 364.)
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Traditionell stellt sich das Problem des Verstehens als objektives Verstehen bezüglich einer reinen Erkenntnis darin, die mit dem erkennenden Subjekt verbundenen persönlichen und sozialen Erfahrungen ausscheiden zu müssen.363 Hatte sich im Fall der historischen Geschichtswissenschaft einst Leopold von Ranke einer Extinktion des subjektiven Teilhabens verschrieben, versuchte auch Martin Heidegger eine Tilgung neuzeitlicher Subjektivität voranzutreiben.364 Eine Erkenntnis aber von ihrem Subjekt unabhängig und damit überzeitlich und allgemein machen zu können, einem solchen Methodenideal wissenschaftlicher Erkenntnis kann Dietrich Bonhoeffer nicht folgen, das war bereits in der Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Exegese zu sehen, wenn er diesen dort einen Historismus vorwirft, der sich selbst Historie konstruiert, um historische Faktizität zu erweisen.365 Wenn er in seiner Nachfolge mit Goethes Faust erkennt, dass Wahrheit immer subjektiv ist, dass Erkennen nicht von der Existenz zu trennen ist, welche das Subjekt der Erkenntnis ist, schließt er sich demzufolge der fundamentalen Kritik an den exegetischen Methoden seiner Zeit an. Damit ist zweierlei gesagt: Erstens enthält eine Erkenntnis diesen subjektiven Faktor „als Kriterium zur Feststellung von Gültigkeitsbestimmungen für einen bestimmten Typus der Erkenntnis“,366 mit Bonhoeffers Worten: „[E]ine Erkenntnis [kann] nicht getrennt werden […] von der Existenz, in der sie gewonnen ist.“ Das bedeutet aber zweitens, dass in jeder Erkenntnis gleichsam eine Zustimmung zu den ihr zugrundliegenden Voraussetzungen besteht. Spricht ein Student aus dem ersten Semester dementsprechend einen Satz nach, den ein Mann am Ende seines Lebens formuliert, ohne dabei den Voraussetzungen zuzustimmen, kommt diese Zustimmung einer leeren Floskel gleich, die eo ipso ohne Folge bleibt; d. h. ethisch gesprochen, es geht um ein Teilen „der Last ihrer Vorgeschichte“.367 Genau dieser Duktus ist zu hören, wenn man sich mit Schöpfung und Fall verdeutlicht, dass eine Erkenntnis Gottes als des Schöpfers für Bonhoeffer keine objektive Erkenntnis aus allgemeinen, überzeitlichen Rückschlüssen aus der Natur sein kann. „Keine via eminentiae, negationis, causali363 Cf. auch die von Bultmann zum Beginn seines Aufsatzes Das Problem der Hermeneutik gestellte Frage: „Es ist also die Frage nach der Möglichkeit, Objektivität im Verstehen singulären geschichtlichen Daseins, sc. in der Vergangenheit zu gewinnen.“ (Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 211f.) 364 Cf. Heidegger, Nietzsche II, 484: „Das Eigenste des Denkens […] ist nicht sein Besitztum, sondern das Eigentum des Seins, dessen Zuwurf das Denken in seine Entwürfe auffängt […].“ Cf. dazu auch Gremmels, Der „subjektive Faktor“, 207. 365 Cf. § 2.1.6. 366 Gremmels, Der „subjektive Faktor“, 214. 367 Gremmels, Der „subjektive Faktor“, 215. Cf. dazu Bonhoeffers Auseinandersetzung mit der Gnade, die als Voraussetzung „billig“ und als Resultat „teuer“ ist am Beispiel von Luthers Gnadenverständnis in N, 36–58.
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tatis!“368 heißt es dort. Im Gegenteil erkennt man den Schöpfer, „weil wir dieses Wort über diese Werke glauben, darum glauben wir ihn als den Schöpfer.“369 Hier sind demnach die erarbeiteten Prämissen erfüllt, wenn der Mensch Gott als den Schöpfer erkennt, geschieht das allein dadurch, dass seine Existenz persönlich betroffen ist, anders gesagt, allein im Glauben ist Zustimmung möglich. Das bedeutet freilich zugleich, dass der Mensch der darin enthaltenen Forderung zustimmen muss, dass wir als Menschen Geschöpfe dieses Schöpfers sind und wir unsere Existenz allein Gott zu verdanken haben. Indem wir glauben, gewinnt der objektiv und übergeschichtlich-verallgemeinernde Begriff ‚Schöpfer‘ eine Bedeutung; eine Bedeutung nämlich für mich, für meine Existenz. „Nur im Wort der Schöpfung kennen wir den Schöpfer, im Wort in der Mitte haben wir den Anfang.“370 Es war in den vorherigen Betrachtungen schon zu sehen, dass es Dietrich Bonhoeffer in seiner Herangehensweise an die Schrift, die sich ihm mit Schöpfung und Fall anbahnt, wenn er für diese Zeit seine Wende vom Theologen zum Christen371 beschreibt, nicht um ein historisches Dokument handelt, dessen Inhalt von seinem Urheber prinzipiell ablösbar wäre. In Finkenwalde beschreibt er das mit den Worten, welche schon bei der Untersuchung seiner pietistischen Anklänge angeführt wurden: „Habe ich Gottes Wort nur in meinem Verstand, dann wird mein Verstand oft mit Dingen beschäftigt sein und ich werde mich gegen Gott verfehlen. Darum ist es niemals damit getan, Gottes Wort gelesen zu haben, es muß tief in uns eingegangen sein, in uns wohnen, wie das Allerheiligste im Heiligtum, damit wir nicht fehlgehen in Gedanken, Worten und Werken. Es ist oft besser, wenig und langsam die Schrift zu lesen und zu warten bis es in uns eingedrungen ist als von Gottes Wort zwar viel zu wissen, aber es nicht in sich zu ‚bergen‘.“372
Allein in der Hinwendung der ganzen Existenz des Menschen bilden das historische Wort und das geschichtliche Heilsgeschehen eine Einheit, das Heil, das Neu-Werden des alten Adam, geschieht im Wort. Das Wort Gottes vermittelt demnach keine allgemeine Wahrheit, sooft und so gerne allgemeine Wahrheiten aus der Schrift auch für allerlei verschiedentliche Anlässe herangezogen werden, es ist im Gegenteil das Eingehen des Wortes in den Menschen, das den Menschen in die Wirklichkeit Gottes versetzt. Mit Rudolf Bultmanns Worten gesprochen: „Die Schrift als Wort Gottes hören heißt […] [,] sie als ein Wort hören, das mich anspricht als Kerygma, als eine Ankündigung.“373 368 369 370 371 372 373
SF, 39. SF, 39. SF, 39. Cf. DB, 248f. ITAS, 520. Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 179.
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Demzufolge muss Bultmann auch ein Sprechen von Gott in allgemeinen Sätzen, in theoretischen Aussagen abwehren, kann dieses Sprechen zwar vielleicht die Unmöglichkeit des Redens von Gott zum Ausdruck bringen,374 es kann aber nicht ein Handeln Gottes am Menschen verdeutlichen.375 „[Es] sind nur solche Aussagen über Gott legitim, die die Existenzbeziehung zwischen Gott und Mensch ausdrücken. Aussagen über Gottes Handeln als kosmisches Geschehen sind illegitim. Die Behauptung Gottes als Schöpfer kann nicht eine theoretische Aussage über Gott als creator mundi (Schöpfer der Welt) in einem allgemeinen Sinn sein. Die Behauptung kann nur ein persönliches Bekenntnis sein, daß ich mich als ein Geschöpf verstehe, das seine Existenz Gott verdankt.“376
Es wurde schon gezeigt, dass Bultmann ein Reden von Gott stets an ein Reden vom Menschen anschließt, wenn er sagt, dass von der Existenz Gottes nicht geredet werden kann, ohne zugleich von der Existenz des Menschen zu reden.377 Mit aller Konsequenz zeigt sich für ihn darin, dass damit ein „Verständnis Gottes als Schöpfer […] nur dann echt [ist], wenn ich mich selbst hier und jetzt als Geschöpf Gottes verstehe.“378 Bultmann bleibt da aber nicht stehen. Wenn ein Reden von Gott immer auch ein Reden des Menschen bedeuten muss, steht der Mensch und dessen Weltverständnis im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit; dann verfehlt das aufklärerische Weltbild genau dieses, indem es nämlich unter Absehung der menschlichen Existenz entworfen ist, der Mensch ergo als Objekt unter Objekten verstanden wird. Eine Betrachtung des Menschen von außen – sei es in der Titulierung als Objekt oder auch als Subjekt –, könne nur die eigene Existenz verfehlen, woraufhin er zu dem Schluss kommt: „Aus der Frage nach unserer Existenz hat deshalb die Unterscheidung von Subjekt und Objekt völlig auszuscheiden.“379 Wenn gleichsam die Frage nach der Wahrheit keine solche ist, die nicht eine ewige, zeitlos gültige Satzwahrheit darstellt, die mit der Ratio
374 Cf. Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 176: „Sicher lassen sich in allgemeinen Worten die Bedeutung und der Sinn der Gottesvorstellung und das Handeln Gottes ausdrücken, sofern ich sagen kann, welche meine persönliche Entscheidung verlangt. Damit anerkenne ich die Unmöglichkeit des Redens von Gottes Handeln in allgemeinen Sätzen; ich kann nur von dem reden, was er hier und jetzt an mit tut, was er hier und jetzt zu mir spricht.“ 375 Bultmann gesteht im Zuge dessen dennoch ein, dass sich ein Reden Gottes in Bezug auf den Menschen freilich Ausdrücken allgemeiner Vorstellung bedienen muss, verwendet unsere Sprache doch stets solche, woraus aber nicht zu schlussfolgern sei, dass „solche Aussagen den Charakter allgemeiner Sätze haben.“ (Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 176.) 376 Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 178. 377 Cf. bspw. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 26ff. 378 Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 174. 379 Cf. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 32.
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einsehbar oder eben nicht ist,380 muss die Botschaft der Schrift eine solche sein, die den Menschen in seinem Innersten trifft. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass Bultmann andere als profane Auslegungsmethoden auch für die Bibel nicht zulässt, und so kann er sich, um singuläres geschichtliches Dasein zu ‚objektivem‘ Verständnis zu bringen, d. h. um geschichtliche Texte als schriftlich fixierte Lebensäußerungen zu verstehen, philologischer Mittel bedienen.381 Darin erschöpft sich freilich keine umfassende Auslegung, vielmehr kann Bultmann im Gefolge von Dilthey und besonders Schleiermacher zu der ihm wesentlichen Feststellung kommen, dass ein literarisches Dokument immer zugleich auch der Ausdruck eines konkreten Menschen in seiner konkreten Lebenssituation ist. Um sonach ein vollständiges Verstehen des Textes erlangen zu können, müsse der Rezipient sich in den Autor kongenial hineinversetzen; das sei möglich, so Schleiermacher,382 weil aufgrund der allgemeinen Menschennatur ein Verstehen untereinander ermöglicht werde.383 Daran anschließend kann Bultmann dann jeden Vollzug des Verstehens „stets an einer bestimmten Fragestellung, an einem bestimmten Woraufhin, orientiert“ sehen, womit er zu dem Schluss kommt: „Das schließt aber ein, daß sie nie voraussetzungslos ist; genauer gesagt, daß sie immer von einem bestimmten Vorverständnis der Sache geleitet ist, nach der sie den Text befragt. Aufgrund eines solchen Vorverständnisses ist eine Fragestellung und eine Interpretation überhaupt erst möglich.“384
Die Art der Fragestellung, ihr ‚Woraufhin‘, orientiert sich demnach zum einen am Text und dessen Thema selbst, zum anderen aber gleichsam auch am Interpreten, der mit einem bestimmten Interesse überhaupt herantritt. Erwächst also die Fragestellung aus dem Interesse am Text, kann Bultmann sagen, dass 380 Cf. Bultmann, Die Bedeutung der „dialektischen Theologie“, 116: „Reden wir von dialektischer Theologie, so ist damit eine Dialektik gemeint, deren Wahrheitsgedanke nicht bestimmt ist durch den Begriff der Satzwahrheit, sondern durch den der Wirklichkeit; d. h. ein theologischer Satz ist nicht um deswillen wahr, weil er begründet wäre durch ein zeitloses Prinzip der Wahrheit, das in der Unendlichkeit liegt und jeweils die Wahrheit eines Einzelsatzes zu begründen hätte. […] Seine Wahrheit ist nicht die eines zeitlos gültigen Satzes, sondern die Wahrheit des zeitlichen Redens; nicht das isoliert Gesagte, sondern das Sagen steht unter der Wahrheitsfrage.“ 381 Cf. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 211f.: „Es ist also die Frage nach der Möglichkeit, Objektivität im Verstehen singulären geschichtlichen Daseins, sc. der Vergangenheit zu gewinnen. Diese Frage fragt im Grund nach der Möglichkeit des Verstehens geschichtlicher Phänomene überhaupt, sofern sie Zeugnisse singulären menschlichen Daseins sind; Hermeneutik wäre dann die Wissenschaft des Verstehens überhaupt.“ Und weiter 213: „Die Wissenschaft, die die Interpretation literarischer Texte zu ihrem Gegenstand hat und die sich dafür der Hermeneutik bedient, ist die Philologie.“ 382 Cf. Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, 146f. 383 Cf. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 214f. 384 Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 216.
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Interpretation niemals voraussetzungslos ist; soll der Text dem Leser seine Frage beantworten können, müssten beide in irgendeiner Weise in Kontakt treten.385 Erinnert man sich daran, dass Bultmann von Heideggers Begriff der Existenz ausgeht, wobei „unsere Existenz für uns nicht verfügbar, gesichert ist, sondern ungesichert, problematisch, daß wir also bereit sind, Worte als Worte zu hören, Fragen zu hören, die Entscheidung für uns bedeuten, den Anspruch eines Textes zu hören als Autorität, an der es sich zu entscheiden gilt.“386 Es geht auch und gerade bei der Auslegung von Texten um den Menschen als radikal Offenen, als vor die Entscheidung Gestellten. In der Konsequenz seines Existenzbegriffes geht es damit gerade in der Auseinandersetzung mit Texten darum, den Menschen in seiner Subjektivität, in seiner konkreten Individualität vor die existentielle Entscheidung zu rufen. Einer objektiven Auslegung erteilt Bultmann damit eine klare Absage, „setzt [doch] gerade die äußerste Lebendigkeit des verstehenden Subjekts, die möglichst reiche Entfaltung seiner Individualität voraus.“387 Damit verbindet sich sogleich der bereits geläufige Begriff des „Vorverständnisses“, des „Lebensbezuges“, aufgrund dessen echte Interpretation für Bultmann erst möglich ist. Ruft man sich in Erinnerung, dass echtes Verstehen für Bultmann immer existentielles Verstehen ist, ergibt sich daraus für die Interpretation der Schrift: „Echtes Verstehen wäre also das Hören auf die im zu interpretierenden Werk gestellte Frage, auf den im Werk begegnenden Anspruch, und die ‚Ergänzung‘ der eigenen Individualität bestünde in der reicheren und tieferen Erschließung der eigenen Möglichkeiten, im Fortgerufen werden von sich selbst (d. h. von seinem unfertigen, trägen, stets der Gefahr des Beharrens verfallenen Selbst) durch das Werk.“388
Das Woraufhin der Fragestellung kann gegeben sein durch die „Frage nach dem menschlichen als dem eigenen Sein“,389 aus welchem sich die an das und im Werk 385 Cf. dazu Hübner, Was ist existentiale Interpretation?, 230: „Die nach Bultmann richtige Frage lautet: Wie versteht sich der neutestamentliche Autor aufgrund des von ihm auf mythische Weise dargestellten Heilsereignisses, wie versteht er seine Existenz? Die dem Neuen Testament angemessene Frage ist also die nach dem Selbstverständnis der neutestamentlichen Autoren, das sich in ihren Texten ausspricht. Und die Methode, mit der Bultmann in diese Richtung fragt, nennt er die existentiale Interpretation.“ 386 Bultmann, Das Problem einer theologischen Exegese, 342. 387 Cf. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 230: „Die Forderung, daß der Interpret seine Subjektivität zum Schweigen bringen, seine Individualität auslöschen müsse, um zu einer theologischen Erkenntnis zu gelangen, ist also die denkbar widersinnigste. Sie hat Sinn und Recht nur, sofern damit gemeint ist, daß der Interpret seine persönlichen Wünsche hinsichtlich des Ergebnisses der Interpretation zum Schweigen bringen muß […]. Voraussetzungslosigkeit hinsichtlich der Ergebnisse ist wie für alle wissenschaftliche Forschung, so auch für die Interpretation selbstverständlich und unabdinglich gefordert. Sonst aber verkennt jene Forderung das Wesen echten Verstehens schlechterdings.“ 388 Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 226. 389 Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 228.
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gestellte Frage an den Leser in seiner Existenz richtet. Es gilt Bultmann eben darum nicht, das Vorverständnis ob einer allgemein einsehbaren Objektivität zu eliminieren, es gilt ihm im Gegenteil dieses ins Bewusstsein zu erheben und sich selbst in „der Befragung des Textes […] durch den Text befragen zu lassen, seinen Anspruch hören zu lassen.“390 In dem hier vorliegenden Fall, in der Auslegung der Heiligen Schrift, ist es freilich die existentielle Frage nach Gott, die den Menschen bewegt, die als ontologische Wesensstruktur das Vorverständnis für die Schrift gibt. Eigentliches Verstehen vollzieht sich daran anschließend in der Entscheidung, die zu Anerkennung oder Ablehnung, „zum bekennenden Glauben wie zum ausgesprochenen Unglauben“ führen kann, „weil im Text dem Exegeten ein Anspruch begegnet, weil ihm hier ein Selbstverständnis angeboten wird, das er annehmen (sich schenken lassen) oder ablehnen kann“. Weil aber „der Text in die Existenz spricht, ist er nie endgültig verstanden.“391 Kann echtes Verstehen für Bultmann immer nur existentiell geschehen,392 ist eine begriffliche Weitergabe in allgemein einsehbaren Sätzen zwar prinzipiell möglich, echtes Verstehen muss jedoch je neu in der Entscheidung der eigenen Existenz vollzogen werden.393 Objektivität, so kann Bultmann zuletzt sagen, ist hiernach etwas, das der Interpretation daraus zukommt, dass sie eine dem Text angemessene Frage stellt.394 Dass es sich hier indessen nicht um ein (modernes) naturwis390 Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 228. 391 Bultmann, Ist voraussetzungslose Exegese möglich?, 149. 392 Cf. Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 168: „Was die Bibel von anderer Literatur unterscheidet, ist, daß mir in der Bibel eine bestimmte Existenzmöglichkeit gezeigt wird, aber nicht als etwas, das ich wählen oder abweisen kann. Vielmehr wird die Bibel für mich ein Wort, das persönlich an mich gerichtet ist, das mich nicht nur über die Existenz im allgemeinen unterrichtet, sondern das mir eine wirkliche Existenz gibt. Das ist jedoch eine Möglichkeit, mit der ich nicht im voraus rechnen kann. Es ist nicht eine methodische Voraussetzung, mittels der ich die Bibel verstehen kann. Denn diese Möglichkeit wird nur dann zur Wirklichkeit, wenn ich das Wort verstehe.“ 393 Cf. dazu näher Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns, 235–240. 394 Cf. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 228f.: „Mit solcher Einsicht ist auch die Antwort auf die zweifelnde Frage gefunden, ob Objektivität der Erkenntnis geschichtlicher Phänomene, Objektivität der Interpretation, zu erreichen sei. Wird der Begriff der objektiven Erkenntnis von der Naturwissenschaft her genommen […], so ist er für das Verstehen geschichtlicher Phänomene nicht gültig; denn diese sind anderer Art als die Phänomene der Natur. Sie bestehen als geschichtliche Phänomene überhaupt nicht ohne das sie auffassende geschichtliche Subjekt. Denn zu geschichtlichen Phänomenen werden Tatsachen der Vergangenheit erst, wenn sie für ein selbst in der Geschichte stehendes und an ihr beteiligtes Subjekt sinnvoll werden, wenn sie reden, und das tun sie nur für das Subjekt, das sie auffaßt. Nicht so freilich, als hefte ihnen dieses nach subjektiven Belieben einen Sinn an, sondern so, daß sie für den, der im geschichtlichen Leben mit ihnen verbunden ist, eine Bedeutung gewinnen. In gewissem Sinne gehört also zum geschichtlichen Phänomen seine eigene Zukunft, in der es sich erst zeigt in dem, was es ist. […] Jede solche Fragestellung führt, wenn die Interpretation methodisch durchgeführt wird, zu eindeutigem, objektivem Verständnis. Und natürlich ist es kein Einwand, daß sich das echte Verstehen in der Diskussion, im Streit
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senschaftliches Verständnis von Objektivität handelt, ist klar ersichtlich. Dass sich für Bultmann aber ein solch angemessenes Verständnis stets zugleich auch an die subjektive, d. h. existentielle, Frage anschließt, lässt ihn zu der steilen Aussage kommen: „Die ‚subjektivste‘ Interpretation ist hier die ‚objektivste‘, d. h. allein der durch die Frage der eigenen Existenz Bewegte vermag den Anspruch des Textes zu hören.“395 „Durch das Wort, das neu in seine Situation hineintritt, wird der Exeget in die Entscheidung gestellt, und dadurch wird das Wort für ihn Ereignis. Also Ereignis ist es nicht als objektiv zu betrachtendes Wort, sondern nur für den existentiell lebendigen Hörer.“396 Im Anschluss an die bisherigen Untersuchungen zu Bonhoeffers Biblizismus klingen ähnliche Formulierungen desselben im Ohr, die eine doch beachtliche Nähe zu Bultmanns existentialer Interpretation vermuten lassen. In dem auch hier schon oft zitierten Brief an seinen Schwager Rüdiger Schleicher vom 08. 04. 1936 erklingt genau dieses bultmannsche Fragen und Suchen des Menschen nach einer existentiellen Wahrheit der Schrift für das je meine Dasein, wenn sich Bonhoeffer dezidiert von allgemeinen Wahrheiten ab- und dem existentiellen Verstehen Gottes zuwendet: „So lese ich nun die Bibel. Ich frage jede Stelle: was sagt Gott hier zu uns? und ich bitte Gott, daß er uns zeigt, was er sagen will. Also, wir dürfen garnicht mehr nach allgemeinen, ewigen Wahrheiten suchen, die unserm eignen ‚ewigen‘ Wesen entsprächen und als solche evident zu machen wären.“397
In der Schrift ergeht ein Anruf, ein Anspruch an den Menschen, den es nach Bonhoeffer zu hören gilt. Wenn das Personsein nach Bonhoeffer relational bestimmt wurde, nämlich so, dass im „Augenblick des Angesprochenwerdens […] die Person im Stande der Verantwortung [steht] oder anders gesagt, der Entscheidung“,398 bietet sich dieses als die Näherbestimmung dessen dar, was auch für Bonhoeffer der Ruf vor die Entscheidung heißt.399 Im Du – mit Schöpfung und
395
396 397 398 399
der Meinungen, herausbildet. Denn die simple Tatsache, daß jeder Interpret in seinem subjektiven Vermögen beschränkt ist, hat keine grundsätzliche Relevanz. Die methodisch gewonnene Erkenntnis ist eine ‚objektive‘, und das kann nur heißen: eine dem Gegenstand, wenn er in eine bestimmte Fragestellung gerückt ist, angemessene.“ Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 230. Cf. dazu auch Bultmann, Das Problem einer theologischen Exegese, 344: „Aber er [der Anspruch auf objektive Ergebnisse der Interpretation, Anm. d. Verf.] endet damit nicht im vollendeten Subjektivismus, und zwar deshalb nicht, weil er den Anspruch, die Autorität des Textes anerkennt. Denn die einzige Garantie für die ‚Objektivität‘ der Exegese, bzw. dafür, daß in ihr die Wirklichkeit der Geschichte zu Worte kommt, ist eben die, daß der Text auf den Exegeten selbst als Wirklichkeit wirkt.“ Bultmann, Das Problem einer theologischen Exegese, 344. ITAF, 146. SC, 28. Cf. Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 116: „Mit ‚Anspruch‘
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Fall war zu sehen, in Gott wie dem Nächsten400 – zeigt sich die Geschichtlichkeit, die Konkretheit der Anrede Gottes an den Menschen in seinem Wort, erscheint „Christus als Wort Gottes im Sinne der Anrede […] nicht Christus als zeitlose Wahrheit, sondern in den konkreten Augenblick hineinbrechende Wahrheit als die Anrede Gottes an uns.“401 Im Wort begegnet der Anspruch Gottes an den Menschen, den es zu hören gilt, je neu in jedem konkreten Augenblick. Es wurde schon herausgestellt, dass Bonhoeffer zum Teil dieses nicht nur sagen, sondern auch tun kann, wenn er zum Unverständnis seiner Studenten in Finkenwalde zeitweilig stundenlang über einem einzelnen Bibelvers meditiert, um dessen Anspruch Gottes an ihn selbst zu hören.402 Und so heißt es dann auch für ihn: „In seinem Anredecharakter [des Wortes, Anm. d. Verf.] liegt es, daß es Gemeinschaft nur darin sucht, daß es den anderen in die Wahrheit stellt. Wahrheit ist hier etwas, was zwischen zweien geschieht und was nicht ewig in sich ruht. Wahrheit geschieht nur in der Gemeinschaft von zweien. Christus als das Wort Gottes im Sinne der Anrede bedeutet nicht Christus als zeitlose Wahrheit, sondern in den konkreten Augenblick hineinbrechende Wahrheit als Anrede Gottes an uns.“403
Ewige Wahrheit gibt es auch für Dietrich Bonhoeffer nicht. Allgemeine, überzeitliche Erkenntnis, das wurde bereits gezeigt, ist etwas an das der Mensch doch zu gerne sein Herz hängt, weil es ihm als das Greifbare, das Einsehbare anmutet, als das Bestimmbare und Berechenbare, dass er damit aber vor Gott flüchtet, stellt sich als nur erkennbar heraus, wenn auch die tote Zahl als ein Geschöpf Gottes erkannt wird.404 Es ist damit dreierlei angezeigt, erstens: „Gott ist etwas
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meint Bonhoeffer also das Angesprochenwerden durch einen anderen, das mich vor die Entscheidung stellt, der von dem anderen an mich herangetragenen Forderung nachzukommen oder mich ihr zu verweigern. Ganz gleich, wie ich mich entscheide, immer antworte ich damit auf den Anspruch des anderen und stehe so in der Verantwortung.“ SF, 61: „Analogia relationalis ist darum die von Gott selbst gesetzte Beziehung und nur in dieser von Gott selbst gesetzten Beziehung analogia. Beziehung von Geschöpf zu Geschöpf ist gottgesetzte Beziehung, weil sie in Freiheit besteht und Freiheit von Gott her ist.“ und 59: „Daß Gott frei ist, heißt für uns in der Mitte durch Christus Existierende und um unser Menschsein in seiner Auferstehung Wissende nichts als daß wir frei sind für Gott.“ B, 298. Cf. DB, 529ff. B, 298. Cf. SF, 49f. „Es ist die große Versuchung für den Menschen, der zählen kann, sich in der Welt des Starren Trost holen zu wollen, sich in die von seiner Existenz unbetroffene Welt zu flüchten, ohne zu erkennen, daß eben diese Welt vor der Welt des Menschen da war und am Menschenleben keinen Teil nimmt. Warum nicht? Weil der Mensch zwar um die Zahl und ihr Gesetz weiß, weil er aber nicht mehr weiß, daß auch die Zahl, die Tage, Jahre, Zeiten bestimmt, nicht in sich selbst ruht, sondern daß auch sie gehalten ist allein durch Gottes Wort und Geheiß. Die Zahl ist nicht die Wahrheit Gottes selbst. Sondern sie ist sein Geschöpf wie alles andere auch, das seine Wahrheit ganz vom Schöpfer her erhält; wir haben diesen Zusammenhang vergessen; haben die Zahl, so meinen wir die Wahrheit, die Ewigkeit zu haben.“
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ganz anderes als die sogenannte ewige Wahrheit. Das ist immer noch unsere selbsterdachte und gewünschte Ewigkeit.“405 Zweitens: „Der Mensch darf in seiner Sünde nicht allein bleiben, Gott redet zu ihm, er hält ihn auf der Flucht auf.“406 Und drittens: „[E]ine Erkenntnis [kann] nicht getrennt werden […] von der Existenz, in der sie gewonnen ist.“407 Ähnlich zu Bultmann bindet auch Bonhoeffer die Erkenntnis an das Subjekt, auch er verneint eine objektive, allgemeingültige Erkennbarkeit der Welt außerhalb dieses „subjektiven Faktors“ und betont die Anrede Gottes an den Menschen in seinem Wort.408 Es ist damit zunächst Bultmanns Aussage mit Bonhoeffer zuzustimmen, der die subjektivste als die objektivste Erkenntnis bestimmt allein darin, dass sie der Sache als angemessen erscheint, mit Bonhoeffer gesprochen, dass sie den Ruf Gottes hört, indem sie „den Willen Gottes, der uns ganz fremd und zuwider ist, [sucht,] dessen Wege nicht unsere Wege und dessen Gedanken nicht unsere Gedanken sind, der sich uns verbirgt unter dem Zeichen des Kreuzes, an dem alle unsere Wege und Gedanken ein Ende haben.“409 „Ereignis“ wird das Wort damit auch für Bonhoeffer erst darin, dass der Mensch den Ruf Gottes hört, d. h. im Glauben an das Wort als Wort Gottes. Fragt man weiter nach dem bultmannschen Diktum des Lebensverhältnisses zur Sache des zu Verstehenden, ergibt sich ein wesentlich anderes Bild. Vergegenwärtigt man sich, dass nämlich Bibellesen für Bonhoeffer nie einer „technische[n] Übung [gleicht], die erlernt werden könnte“,410 lässt das erahnen, dass damit auch ein Umgang mit der Schrift wie jeder anderen Literatur nicht zur Rede gestellt werden kann. Hatte Bultmann genau das für jede biblische Schriftauslegung gefordert, dass auch dieses und jedes noch so besondere Buch denselben Regeln der Interpretation unterworfen sei, stellt sich das bei Bonhoeffer ganz anders 405 406 407 408
ITAF, 146. SF, 120. N, 38. Cf. dazu auch SF, 26, wo Bonhoeffer den Menschen in seine Grenzen bzgl. des Wissens um den Anfang weist: „Das Denken kann sein letztes Warum nie beantworten, weil auch diese Antwort wieder ein Warum gebären würde. […] Unser Denken, d. h. das Denken derer, die zu Christus müssen, um von Gott zu wissen, der gefallenen Menschen ist anfangslos, weil es ein Ring ist. Wir denken im Ring. […] Das Entscheidende ist aber dies, daß das Denken diesen Ring für das Unendliche, Anfängliche selbst hält und sich doch damit in einen circulus vitiosus verwickelt. Denn dort, wo es sich auf sich selbst als das Anfängliche richtet, setzt es sich selbst als Objekt, als Gegenstand seiner selbst, zieht sich also immer wieder hinter diesen Gegenstand zurück, bezw. ist jeweils vor dem Gegenstand, den es setzt. Es ist ihm also unmöglich, diese letzte Aussage über den Anfang zu machen. Am Anfang zerreibt sich dieses Denken.“ Mehr zu diesem Thema war bereits in § 2.2.7 zu sehen; aber auch weiter unten in diesem Kapitel bei der Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie taucht dieses wieder auf. 409 ITAF, 146. 410 GL, 49.
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dar. Wenn Bultmann in seinem Existenzbegriff anlegt, dass allem menschlichen Dasein in seiner ontologischen Wesensstruktur ein Verstehen der allgemeinen Menschennatur inhärent ist, woraus sich ein Verstehen untereinander ermöglicht, erschließt sich für diesen mit Schleiermacher und Dilthey das Verstehen von (nicht nur) Texten darin, dass alle Interpretation von einem gemeinsamen Vorverständnis ausgehen kann und auszugehen hat. Existential, in seiner radikalen Offenheit, erfährt der Mensch die Frage des Textes, die er erst in einem zweiten ‚Schritt‘ als Entscheidung begreift und ergreift, die erst dann den Menschen von „sich selbst (d. h. von seinem unfertigen, trägen, stets in der Gefahr des Beharrens verfallenen Selbst)“411 wegruft. Denkt Bonhoeffer die Existenz immer als ganze, als radikal betroffen von der Offenbarung, als allein aus der Offenbarung deduzierbare Größe, scheint die subjektive, d. h. genauer die glaubende Erkenntnis der Schrift eine andere zu sein, als sie Bultmann diktiert.412 Die Schrift und Jesus Christus als das Wort Gottes „sind für ihn zwei Seiten derselben Sache, […] Jesus Christus ist das Wort, das Fleisch geworden ist“,413 warum ein Weg zum Verstehen der Schrift, mag es auch ein rationaler sein, nicht vom Kreuz absehen kann. Die Auslegung der Schrift führt sonach immer über das Kreuz, einen Ort, „der meinem Wesen zunächst garnicht entsprechend ist, der mir garnicht gefällig ist. […] Das entspricht unserer Natur garnicht, sondern ist ihr völlig zuwider. Dies ist aber die Botschaft der Bibel, nicht nur im Neuen sondern auch im Alten Testament ( Jes. 53!). […] Die Bibel will also das Wort sein, in dem Gott sich von uns finden lassen will. Kein Ort, der uns angenehm oder a priori einsichtig wäre, sondern ein uns in jeder Weise fremder Ort, der uns ganz und gar zuwider ist. Aber eben der Ort, an dem Gott erwählt hat, uns zu begegnen.“414
Von einem „Lebensbezug zur Sache“, weder ontologisch noch ontisch, kann hier somit nicht zu reden sein. Eine Begegnung Gottes findet für Bonhoeffer allein über das und im Kreuz statt, einem Ort, der sich nicht als einer unserer Menschennatur verständlicher, nachvollziehbarer zeigt, der vielmehr dem Menschen zuwider ist, weil hier „das Ende der Menschengeschichte überhaupt“ steht, weil „unter dem hauenden Schwert, unter dem Kreuz […] das Menschengeschlecht“ stirbt.415 Zunächst kann deshalb mit Heinrich Jürgenbehring konstatiert werden: 411 Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 226. 412 Cf. Harbsmeier, Die „nicht-religiöse Interpretation“ biblischer Begriffe, 44: „Bonhoeffer steht ganz außerhalb einer derartigen Grundkonzeption der Hermeneutik. Er macht jedenfalls die für Bultmann so grundlegende Unterscheidung von existential und existentiell, ontologisch und ontisch nicht zum Fundament aller weiteren Erwägungen.“ 413 Benktson, Christus und die Religion, 38. 414 ITAF, 146. 415 SF, 135. Freilich „gehört es zum Wesen des Wortes, daß es eine Sachbeziehung ausdrückt, aber nicht
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„Wir werden vor dem Text aus Fragenden zu Befragten. Der ‚fremde‘ Text kommt ins Gespräch mit unserer Existenz. Und der Prozess des Verstehens vollzieht sich durch gegenseitiges Verfremden, insofern der Verstehenshorizont des Textes zusammentrifft mit unserem persönlichen Verstehenshorizont. In der Fremdheit des Textes nun – das ist die Verheißung – meldet sich der uns allemal fremde Gott als das befremdlich nahe, freundliche Wort.“416
Es ist das Wort Gottes, das den Menschen aus seiner selbstgefälligen – wie Bultmann es nennen würde – Existenz herausreißt, das ihn an einen fremden, unwirtlichen Ort führt, an dem der Mensch in seinem eigenen Dasein in Frage gestellt wird, wo er aus seinem Sich-selbst-verherrlichenden-Sein, mit Schöpfung und Fall seinem „sicut deus-sein“417 herausgerufen wird, zum Richtspruch Gottes über das gefallene Geschöpfsein des Menschen: an das Kreuz, den Tod dieses „sicut-deus-Schöpfer-Menschen“.418 Die Bedingung des Verstehens wird für Bonhoeffer dementsprechend davon abhängig, ob der Mensch sich an den Ort der Schrift führen lässt, ob er von seiner eigenen Existenz, von seinem Kreisen um die eigene Mitte absieht und sich in die Wirklichkeit Gottes gestellt erkennt. Wie dies geschehen kann, das soll an anderer Stelle gründlicher untersucht werden,419 für hier soll genügen festzustellen, dass es Bonhoeffer gegen Bultmann genau nicht um eine Bibelauslegung geht, die anhand der allgemeinen Menschennatur geschehen kann, die dem Menschen in seiner Existenz ontologisch rational einsehbar ist und zur Entscheidung in den Glauben ruft; im Gegenteil erweist sich hier das „allgemein menschliche Verstehen von der Offenbarungsrealität der Bibel abhängig“.420 Anstatt somit den Menschen in seiner Existenz zu bestätigen bzw. den Ruf Gottes in den Glauben als für die eigene Existenz anzuerkennen, stellt sich
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notwendig ist seine Geistbeziehung“. ( JuS, 315.) So kann Bonhoeffer als Student sagen, ein formales Verständnis des Wortes muss sich selbstverständlich in allgemeiner, menschlicher Einsehbarkeit gründen, d. h. die dem Menschen grundgelegten geistigen Formen voraussetzen. (Cf. AS, 52.) Dass Bonhoeffer damit natürlich etwas anderes meint als Bultmanns Rede von dem Lebensbezug, war schon oben zu sehen. Jürgenbehring, Christus für uns heute, 205. Cf. SF, 131. SF, 107. Cf. § 4. Mayer, Christuswirklichkeit, 138. (Im Original hervorgehoben.) Cf. dazu JuS, 313f.: „Nehmen wir gleich die Frage nach dem sog. intuitiven historischen Verstehen dazu. Gewiß ist es schwierig, Goethesche Lyrik oder altindische Veden auszulegen. Dieser Vorgang aber ist hier ein anderer, rein psychologisch verstehbarer: ein Hin und Zurück vom fremden Ich ins eigene, d. h. eine ständige, nie vollständig mögliche Annäherung an das Objekt, die letzte Entäußerung des Ich im Verstehen kann auf diesem Wege nie vollzogen werden. Auch der genialste Deuter versteht vom Ich aus; der Glaube, der selbst Gottes Wille ist, versteht von der Sache aus; er darf den letzten Rest, der in historischpsychologischer Exegese übrig bleiben muß, gerade nicht übrig lassen; auf ihn kommt alles an.“
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Zu Bonhoeffers existentialer Bibelinterpretation
die Schriftauslegung für Bonhoeffer zur existentialen Interpretation Bultmann deutlich anders dar: Es ist nicht der Ort, die Existenz des gefallenen Menschen, welche die Bibel in ihrer Anrede bestätigt, es ist vielmehr das Gegenteil, es ist der Tod dieses alten Menschen, der durch das glaubende Verstehen der Schrift betroffen ist.421 Es wird deutlich, warum Bonhoeffer im Anschluss den Glaubensbegriff Bultmanns kritisieren kann als einen, der sich nicht „allein und ausschließlich auf Gott richten kann“, geht es ihm doch darum, dass der Mensch „in einem reflektierten theologischen Denken [zu seiner] Existenz nicht näheren Bezug [habe] als zu Gott. Im Gegenteil“, so fährt er fort, „könnte paradox gesagt werden, daß Gott mir näher ist als meine Existenz, sofern er mir erst meine Existenz erschließt.“422 Mit dieser Problematik grenzt man an ein methodisches Problem, nämlich die schon oben aufgetauchte Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie. Für Rudolf Bultmann kann sich, das ist aus all dem bisher Erarbeiteten schon zu ersehen, Theologie „nur im Rahmen der Philosophie aufgewiesenen ontologischen Möglichkeiten bewegen.“423 Der Gegenstand der Philosophie ist nämlich das Dasein des Menschen, d. h. die Untersuchung der ontologischen Strukturen dieses menschlichen Daseins, während das konkrete Dasein glaubt, sofern sein Wie dadurch getroffen ist oder getroffen werden soll.424 Demzufolge haben Theologie wie Philosophie den gleichen Gegenstand – das Dasein – unterschiedlich zum Thema gemacht.425 Zwar muss Bultmann Kuhlmanns Kritik darin
421 Cf. Webster, „In the Shadow of Biblical Work“, 86: „Moreover, what we encounter in that revelation is not some satisfying extension of our previous selves, but rather something strange and disagreeable […].“ 422 AS, 90. 423 Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 187. 424 Cf. Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns, 16. 425 Cf. Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 342: „Allgemein ausgedrückt lässt sich über den Unterschied von Philosophie und Theologie für unseren Zusammenhang folgendes sagen: die Philosophie zeigt, daß Dasein je meines ist, aber sie redet nicht von je meiner konkreten Existenz; das aber tut die Theologie, die in eigentümlicher Weise am Anredecharakter der Predigt teilhat (indem sie nur für solche redet, die diese – freilich für Alle bestimmt, Alle anredende – Predigt hören, während die Philosophie für jedermann redet), – so gewiß die Philosophie andererseits etwa zeigen kann, daß von oder aus meiner konkreten Existenz reden, nur heißen kann: anreden oder antworten. Setzt die Theologie den Vollzug einer bestimmten Anrede voraus, so kann die Philosophie nur sagen, was Anrede überhaupt bedeute. Die Philosophie sieht, daß Dasein nur je ein konkretes ist; sie redet vom Daß dieses Wie, aber nicht von dem Wie selbst. Die Theologie aber redet von einem bestimmten Wie, – jedoch nicht, indem sie in eine von der Philosophie im Ganzen alles Meßbaren oder im System der Wissenschaften gelassene Lücke springt. Vielmehr kann sie nur ihr eigenes, ursprüngliches Motiv haben, darin nämlich, daß das durch jenes Wie bestimmte Dasein zu seinem eigenen Vollzuge der Theologie bedarf. Die Philosophie aber weist das Dasein auf, ohne je dahin zu gelangen, von einem konkreten Wie zu reden. Ihr Thema ist eigentlich nicht die Existenz, sondern die Existentialität, nicht das Faktische,
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zustimmen, dass freilich Heideggers Methode keine rein formale und damit auch eine nicht von ihrem Gegenstand zu trennende ist, sondern vielmehr von diesem her bestimmt ist. Da es sich aber um „das Dasein der Menschen“ handelt, also beiden der gleiche Gegenstand zugrunde liegt, erscheint es für Bultmann legitim, sich der heideggerschen Existenzialphilosophie zu bedienen.426 Im Gegenteil, nach Bultmann muss die Theologie von diesen philosophischen Begrifflichkeiten gar Gebrauch machen, insofern sie zwar nicht deren System übernimmt, sondern sich „von ihr das Phänomen weisen [lässt]; […] sich von dem Phänomen belehren [lässt], vom Dasein, dessen Struktur die Philosophie aufdeckt.“427 Es ist hiermit die eine Grundprämisse der Hermeneutik Bultmanns zu erkennen, die Bonhoeffer so nicht teilen kann und die beide, die doch in der Dringlichkeit des Getroffenwerdens der Existenz von der Offenbarung so nah beieinander liegen, meilenweit voneinander trennt: Bultmann sucht nach der ‚richtigen‘ Methodik, d. h. der passenden Philosophie, für seine Theologie, da er die richtigen Fragen als Möglichkeit der menschlichen Existenz erachtet, genauer also als Möglichkeit der existentialen Wesensstruktur des Daseins: „Es liegt jenseits der Zuständigkeit des kritischen Studiums, daß ich das Wort der Bibel als ein persönlich an mich gerichtetes Wort höre und daß ich daran glaube. Dieses persönliche Verständnis wird – nach der traditionellen Ausdrucksweise – vom Heiligen Geist verliehen, der nicht zu meiner Verfügung steht. Andererseits können wird das angemessene hermeneutische Prinzip, die richtige Art, die richtigen Fragen zu stellen, nur durch objektives kritisches Nachdenken entdecken. Wenn es stimmt, daß die richtigen Fragen um die Möglichkeit des Verständnisses menschlicher Existenz gehen, sondern die Faktizität; sie untersucht die Existenz hinsichtlich der Existentialität, aber sie redet nicht in die konkrete Existenz.“ 426 Cf. Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 343: „Das bisher Gesagte sollte vorläufig deutlich machen, daß Philosophie und Theologie den gleichen Gegenstand haben, das Dasein, daß sie ihn aber in verschiedener Weise zum Thema machen […]. Das Gesagte hat aber zugleich vorläufig etwas weiteres angedeutet, nämlich daß die Theologie als Wissenschaft die philosophische Daseinsanalyse fruchtbar machen kann. Denn das gläubige Dasein ist doch jedenfalls Dasein; auch der Glaubende existiert als Mensch […].“ 427 Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 344. Freilich stellt sich hier die Frage, inwieweit Bultmann mit der Übernahme der heideggerschen Begrifflichkeiten und Grundkonstellationen des Existenzbegriffes auch dessen inhaltliche, vermutlich areligiöse Bestimmung desselben übernimmt. Maurice Boutin sieht diese inhaltliche Übernahme jedenfalls nur bedingt. Cf. Boutin, Relationalität als Vestehensprinzip, 29.49.144f.u. v. m. Näheres dazu auch bei Walter Schmithals, Die Theologie Bultmanns, 16–19. u. a. Cf. 18f.: „Wenn Bultmann gelegentlich mit der – manchmal triumphierenden – Feststellung als widerlegt gilt, seine Theologie stimme hier und da oder oft oder im Grunde oder im Ganzen nicht mit der Philosophie Heideggers überein, Bultmann habe Heideggers Philosophieren mißverstanden, er erreiche Heidegger nicht oder er habe Heideggers Analysen gegen deren Intention verwandt, so treffen solche Feststellungen, auch wenn sie richtig sind, Bultmanns Theologie gar nicht; denn Bultmann will nicht die Philosophie Heideggers übernehmen.“ Diese Anfrage kann hier jedoch natürlich nicht geklärt, sondern nur als solche gestellt werden.
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dann müssen notwendigerweise die angemessenen Vorstellungen entdeckt werden, durch die solches Verständnis ausgedrückt werden muß. Diese Vorstellungen zu finden, ist Aufgabe der Philosophie. […] Es erhebt sich die Frage nach der ‚richtigen‘ Philosophie. […] Hier, meine ich, sollten wir von der Existenzialphilosphie lernen, da in dieser philosophischen Schule die menschliche Existenz direktes Objekt der Betrachtung ist.“428
Es liegt auf der Hand, dass Bonhoeffer diese Verhältnisbestimmung gegenteilig bewertet, kann er doch die Existenz des Menschen niemals als von der Wirklichkeit Gottes abgesehen beschreiben.429 Und so verwundert es kaum, dass er über die Philosophie im Allgemeinen sowie die kritische im Besonderen recht harsch urteilen kann. In Schöpfung und Fall findet sich eine Auseinandersetzung mit der Philosophie Hegels, den nach Bonhoeffers Einschätzung die Frage nach dem Anfang umtreibt. Bonhoeffer wendet sich gegen das fundamentale Prinzip der historischen Geschichtswissenschaften, aber auch gegen das der gängigen philosophischen Tradition430 damit, dass er ein Erkennen, ob gläubig oder nichtgläubig, nicht von seinem Subjekt trennen wollte. Hinreichend macht er zudem deutlich, dass jeder Versuch des Menschen hinter seinen eigenen Anfang zurückgehen zu wollen, sich in einen „circulus vitiosus verwickelt[, d]enn dort, wo es [das Denken, Anm. d. Verf.] sich selbst als Objekt, als Gegenstand seiner selbst setzt, zieht sich also selbst immer wieder hinter diesen Gegenstand zurück, bezw. ist jeweils vor dem Gegenstand, den es setzt.“431 Die Frage nach dem Anfang, die ein jedes Denken für Bonhoeffer außerhalb der Offenbarung stellt, ist damit immer eine solche, die an sich selbst scheitern muss, weil sie sich selbst zerreibt, weil sie im Kreis fragt: „Am Anfang zerreibt sich das Denken. Weil das Denken auf den Anfang hin will und ihn doch nie wollen kann, darum ist alles Denken ein sich selbst Zerreiben, ein an sich selbst 428 Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 168f. Cf. dazu auch Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 232: „Anders aber, wenn es sich um die wissenschaftliche Interpretation der Schrift handelt. Sie findet ihr Woraufhin in der Frage nach dem in der Schrift zum Ausdruck kommenden Verständnis der menschlichen Existenz. Daher hat sie sich um die sachgemäßen Begriffe, in denen von menschlicher Existenz geredet werden kann, zu bemühen.“ 429 Ob er damit der Theologie Bultmanns tatsächlich konträr entgegensteht, kann an dieser Stelle nicht vollständig geklärt werden, da es freilich auch Bultmann daran gelegen ist, die Offenbarung nicht in die Verfügbarkeit des Menschen zu geben. Auch Bultmann, das war schon zu sehen, versteht ja genau diese Offenheit des existentialen Daseins als Gott gegebene Offenheit, die sich allein durch das Angeredetsein, durch den vollkommen relationalen Charakter des menschlichen Daseins in seiner Wesensstruktur bestimmt. Immer wieder wurde Bultmann dieser Vorwurf dennoch auch von anderer Seite, beispielweise von dem bereits erwähnten Gerhardt Kuhlmann, gemacht. Inwiefern also derselbe Anhalt findet, ist auch außerhalb dieses Beitrags nicht einheitlich geklärt. 430 Cf. Kaulbach, Art. Erkenntnis/Erkenntnistheorie, 157ff. 431 SF, 26.
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Scheitern, Zerbrechen, Zergehen angesichts des Anfangs, den es will und nicht wollen kann. Darum ist die Hegelsche Frage: wie gewinnen wir einen Anfang in der Philosophie? nur durch einen Gewaltstreich der Inthronisierung der Vernunft an Gottes Statt zu beantworten. Darum ist kritische Philosophie die systematische Verzweiflung an ihrem eigenen, an jedem Anfang.“432
In Akt und Sein findet sich Ähnliches, wenn Bonhoeffer mit deutlichen Worten darauf hinweist, was oben schon zu sehen war: Der Mensch als gefallener ist als ganzer, in seinem Dasein und Wiesein, wie Bonhoeffer das nennen kann, Sünder; eine Erkenntnis außerhalb dieses ‚Seins in …‘ kann es nicht geben. Eine Philosophie für die Aufdeckung der Methodik des Daseins zu bemühen, kann nur fehlgehen, ist doch das „Denken und Philosophieren des Menschen in der Sünde selbstherrlich, auch da, wo es versucht, sich selbst zur Krisis, ‚kritische Philosophie‘ zu werden […]; alle Erkenntnis, auch vorzüglich das γνῶϑι σεαυτόν, geht auf die letzte Rechtfertigung des Menschen vor sich selbst […].“433 Ein Selbstverständnis außerhalb der Offenbarung kann es für Bonhoeffer nicht geben, das wurde bereits in seiner Abwertung des Möglichkeitsbegriffes gezeigt, womit eine „Philosophie […] per se der Offenbarung keinen Raum aussparen [kann], sie kenne denn die Offenbarung und bekenne sich als christliche Philosophie in der Erkenntnis, daß der Raum, den sie usurpieren wollte, bereits von einem anderen – nämlich von Christus – eingenommen ist.“434
Es geht Bonhoeffer also genau nicht darum, die Hermeneutik dadurch zu rechtfertigen, dass eine ‚richtige‘ Methodik, d. h. eine rechte Philosophie, vorgelegt wird,435 mit der die biblischen Texte systematisch aus der dem Wesen der Menschen angelegten Erkenntnisfähigkeit des existentialen Daseinsverständnisses deduziert werden können. Eine theologische Hermeneutik kann demnach nicht eine Philosophie als Fundament der eigenen Annäherung an den Text heranziehen, im Gegenteil, als die unter der Sünde stehende Erkenntnisfähigkeit des Menschen kann eine Philosophie, die von der Offenbarung Gottes absieht, keine Erkenntnis der Wirklichkeit erlangen, gilt es doch bleibend für Bonhoeffer: Der angemessene Leser der Schrift ist kein Techniker.436 432 SF, 26f. Cf. auch 32: „Das Nichts taucht in unserem philosophischen Denken dort auf, wo der Anfang nicht gedacht werden kann. Es ist damit letztlich nie etwas anderes als der Grund für Sein. Das Nichts als der Grund für Sein ist als das schöpferische Nichts verstanden, und man müßte nun wieder hinter dieses Nichts zurückfragen, ohne auf den Anfang zu stoßen. Das Nichts des Menschen in der Mitte, der nicht um den Anfang weiß, ist der letzte Erklärungsversuch, ist der Durchgangspunkt für das Seiende. Wir nennen es das erfüllte, geladene, das selbstherrliche Nichts.“ 433 AS, 137. 434 AS, 71f. 435 Cf. Webster, „In the Shadow of Biblical Work“, 85. 436 Cf. Webster, „In the Shadow of Biblical Work“, 86.
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3.2.4 Die Vergangenheit der Geschichte und die Gegenwart der Geschichtlichkeit Denkt man diesen grundsätzlichen Zug der Hermeneutik Bonhoeffers einen Schritt weiter, verwundert es nicht, dass trotz dieser kaum zu überwindenden Uneinigkeit in der tatsächlichen methodischen Ausarbeitung der hermeneutischen Herangehensweise beider ein wesentlicher Orientierungspunkt, genauer vielleicht als Zielpunkt beschrieben, entdeckt werden kann. Wenn es beiden im Kern darum geht, die Offenbarung als die Existenz des konkreten Menschen im Hier und Jetzt treffend, ja verändernd zu beschreiben, zielt das Lesen der Schrift „auf einen unsere Existenz von Gott her im Glauben verändernden Vorgang“, weil, und hier taucht ein Begriff auf, der in der bisherigen Untersuchung schon des Öfteren angebracht wurde, „Vergegenwärtigung im Lesen geschieht.“437 Es wurde nicht nur in der Untersuchung der Nähe und Ferne Bonhoeffers und Bultmanns häufiger deutlich, dass beide immer wieder auf eine Unterscheidung von Geschichte und Geschichtlichkeit hinweisen. Wenn Bonhoeffer sich in seiner Einsicht in die Relativität historischer Faktizität sowie allgemein zu konstatierender Wahrheiten gegen seine Lehrer und die daran anschließende rationale Einsehbarkeit in die biblischen Texte als historische Dokumente verwehrt, verweist er damit auf eine andere Art des Zugriffs auf Geschichte. Es wurde oben schon angezeigt, dass Bonhoeffer wie Bultmann in der Betonung der Geschichtlichkeit des Menschen in der konkreten Situation das Dasein des Menschen von jeglicher Abstraktion zu befreien suchen. So gehört für Bultmann zu dieser Erkenntnis der Geschichtlichkeit des menschlichen Seins eine Erkenntnis der Eingeflochtenheit in dieselbe, nämlich insofern, „daß der Mensch von der Geschichte abhängig, ja ihr ausgeliefert ist; daß seine Weltanschauung, seine Urteile, seine Religion durch die historischen Bedingungen, unter denen er jeweils steht, bedingt sind.“438 Eine solche Einschätzung war auch von Bonhoeffer schon häufiger zu sehen, vor allem wenn es darum ging, die historisch-kritische Exegese in ihre relativen Schranken zu verweisen, d. h. diese darauf aufmerksam zu machen, dass jede Weltanschauung als ein Kind ihrer jeweiligen Zeit gesehen werden muss – auch die der biblischen Schriften, die sich beispielsweise in den Schöpfungsberichten der Genesis aufzeigen lassen.439 437 Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 137. 438 Bultmann, Reflexionen zum Thema Geschichte und Tradition, 62. 439 Cf. SF, 47: „Hier sind wir ganz im alten wissenschaftlich naiven Weltbild. Die Vorstellungen erscheinen uns Heutigen geradezu absurd. Wenn auch angesichts der rapiden Wandlungen in unserer eigenen Naturerkenntnis allzu selbstsicherer Spott nicht gerade geraten ist, so stellt sich eben doch unzweifelhaft an dieser Stelle der biblische Autor mit seiner ganz zeitbegrenzten Erkenntnis bloß.“ Cf. dazu § 2.1.
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Wenn aber beide nicht an einem Historismus, sondern an einer ‚echten‘ Geschichtlichkeit des Menschen festhalten, zeigt sich dies vor allem in ihrer Betonung der Gegenwärtigkeit und Bedeutung des Wortes Gottes für die menschliche Existenz im Hier und Jetzt. Setzt Bultmann für das Verstehen eines jeden Textes eine Verbundenheit von Text und Interpreten voraus, geht es ihm mit seinen ausgefeilten Methoden der historisch-kritischen Exegese zunächst darum, „die historische Distanz zwischen biblischer Überlieferung und gegenwärtigem Interpreten und sachliche Differenz zwischen dem in mythischer Sprache vorläufig Artikulierten und eigentlich Gemeinten wahrzunehmen und die biblischen Texte in ihrer Fremdheit zur Geltung zu bringen.“440 Nach Bultmann ist daher die Aufgabe der historisch-kritischen Exegese darin zu sehen, die Geschichte des UrChristentums und die Genese der (neutestamentlichen) Texte zu rekonstruieren, die ihnen inhärenten mythischen Elemente zu identifizieren und das ihnen grundlegende Welt- und Geschichtsbild sowie das Gottesverständnis herauszuarbeiten, um dieses zuletzt mit dem modernen naturwissenschaftlich-technischen Weltbild abzugleichen. Dabei werden freilich beide Seiten, der Text wie auch der Rezipient, als geschichtlich betrachtet, sind doch beider Verstehenshorizonte im Blick, deren Bewusstmachung nämlich trägt ja gerade zum Verstehensprozess bei.441 Einer Negierung des Subjektes, weder des Textes als Stimme seiner Zeit und eines bestimmten Autors, noch des Interpreten ist damit für Bultmann entgegenzutreten, gründet sich doch Geschichte existential in Geschichtlichkeit, nicht aber in einer bloßen Rekonstruktion chronologischer Ereignisabfolgen.442 Bestimmt Bultmann die Existenz des Menschen als geschichtlich, d. h. als eine, die sich in der konkreten geschichtlichen Situation erst als solche verwirklicht, die 440 Klinger, Status und Geltungsanspruch der historisch-kritischen Methode, 36. Es soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass Bultmann wie viele seiner Kritiker keine Unterscheidung zwischen den Adjektiven ‚mythisch‘ und ‚mythologisch‘ einführt, diese Begriffe im Gegenteil vollkommen synonym verwendet. Wenn aber im Folgenden von ‚mythisch‘ die Rede ist, ist damit von der biblischen Ausprägung in Form des Mythischen die Rede, die sich nach Ansicht nicht nur neuerer Mythos- Forschung darin vom Mythologischen unterscheidet, dass die „Mythologie […] zwar auf dem Boden des Mythos [wächst], […] aber nicht mit ihm gleichzusetzen [ist]. Der Mythos erzählt von den heiligen Archái, die zugleich die Wirksamkeit eines numinosen Wesens definieren; die Mythologie dagegen erzählt Geschichten, welche die Wirkung der Archái an besonderen Fällen erkennen lassen. […] Die mythologischen Geschichten sind also anders als diejenigen des Mythos nicht die Wirklichkeit prägende Archetypen, sondern etwas von diesen selbst schon Geprägtes und deshalb hinsichtlich ihres Wahrheitsgehaltes indifferent.“ (Hübner, Art. Mythos, 602.) 441 Cf. Klinger, Status und Geltungsanspruch der historisch-kritischen Methode, 36. 442 Cf. Klinger, Status und Geltungsanspruch der historisch-kritischen Methode, 37: „Das die positivistische Geschichtswissenschaft leitende Erkenntnisideal einer distanziert-interesselosen Erhebung objektiver historischer Fakten ist angesichts der Geschichtlichkeit des Menschen eine Chimäre und muß das Wesen der Geschichte verfehlen.“
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ihre eigenen Möglichkeiten ergreift in je aktuellen Begegnungen und Entscheidungen, versteht er den Menschen als geschichtlich, genauer als in der Geschichte, in welcher er nur er selbst ist; „darin also, daß er je seine Geschichte sucht und hat, in der er sich selbst verwirklicht.“443 Ist das Dasein des Menschen dementsprechend nicht in seinem natürlichen Dasein gegeben, sondern wird es erst in und mit seinen Entscheidungen zum eigentlichen Dasein,444 gehört zum Sein des Menschen auch seine Zeitlichkeit. Darin kommt freilich nicht nur die Erfahrbarkeit des Seins in seinen je eigenen zeitlichen Abläufen als Summe einer bestimmten Lebenszeit zum Ausdruck, sondern auch und ganz besonders die Bestimmung des Menschen „im jeweiligen Jetzt seiner geschichtlichen Existenz.“ Diese, Bultmann kann sie ‚eigentliche‘ Zeit nennen, ist näher bestimmt als eine, „die durch die Anwesenheit der Vergangenheit und der Zukunft bedingt und gefüllt ist.“445 „Der Mensch ist ja ein zeitliches Wesen“, schreibt Bultmann in seinen Marburger Predigten, „seine Gegenwart steht immer vor einer Zukunft […].“446 Die Geschichtlichkeit ergänzen damit zwei weitere Elemente, die Zeitlichkeit sowie die Zukünftigkeit des Menschen, die sich ebenfalls nicht darin erstreckt, dass Zukunft als rein zeitlich noch Ausstehendes betrachtet wird, sondern dass die Existenz je durch das Kommende als bestimmte gedacht wird. Walter Schmithals kann deshalb pointiert formulieren: „Das eigentliche Sein des Menschen ist in diesem Sinne ‚Zukünftigsein‘.“447 Dieser Fokus deutete sich auch schon bei den bisherigen Untersuchungen zu Bonhoeffers Hervorhebung der Geschichtlichkeit an; freilich, wie oben schon 443 Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns, 313. Cf. dazu das Zitat oben in § 3.2.2, Bultmann, Die Bedeutung der „dialektischen Theologie“, 118: „Wir meinen das Dasein des Menschen richtiger zu verstehen, wenn wir es als geschichtlich bezeichnen. Und wir verstehen unter der Geschichtlichkeit des menschlichen Seins dieses, daß sein Sein ein Sein-Können ist. D.h. daß das Sein des Menschen seiner Verfügung entnommen ist, jeweils in den konkreten Situationen des Lebens auf dem Spiele steht, durch Entscheidungen geht, in denen der Mensch nicht je etwas für sich wählt, sondern sich selbst als eine Möglichkeit wählt.“ 444 Cf. Bultmann, Geschichte und Eschatologie, 50: „In diesen Entscheidungen wird der Mensch erst er selbst, während das Leben des Tieres nicht durch Entscheidungen geht, sondern immer bleibt, was es ein für allemal durch die Natur ist. Das einzelne Tier ist nur ein Exemplar seiner Gattung, während der einzelne Mensch Individuum, Person ist bzw. sein kann und soll. So steht das Leben des Menschen immer vor ihm, und in seinen Entscheidungen wird es zu einem verfehlten oder zu einem eigentlichen, erfüllten. In seinen Entscheidungen wählt er im Grunde nicht je dies oder das, sondern sich selbst als den, der er eigentlich sein soll und will, oder als einen, der sein eigentliches Leben verfehlt.“ 445 Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns, 314. 446 Bultmann, Marburger Predigten, 15. 447 Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns, 315. Aus diesen drei Begriffen ist dann auch die bultmannsche Bestimmung der apokalyptische Gottesvorstellung auszubuchstabieren. Das kann an dieser Stelle jedoch nur angedeutet werden. Cf. Näheres dazu bei Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns, 315ff. Cf. auch dazu: Bultmann, Jesus, 49f.
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erwähnt, darin, dass Geschichte und Geschichtlichkeit auch für Dietrich Bonhoeffer unterschieden werden müssen, womit aber auch dieser sich nicht begnügen will. Mit Bultmann, so erweckt es den Eindruck, kann man auch Bonhoeffers Bestimmung des ganzen Komplexes, der den Begriff der ‚Geschichtlichkeit‘ umgibt, etwas schärfer stellen. Ist der große Differenzpunkt beider in der Bestimmung der menschlichen Existenz gefunden, ist auch hier weiter anzusetzen, um mit Bultmann Bonhoeffers Auslegung näher zu kommen. Wenn sich die Geschichtlichkeit des Menschen für Rudolf Bultmann darin erweist, dass sich der Mensch in seiner ontologischen Wesensstruktur erst anhand seiner konkreten Entscheidungen verwirklicht, dass also das Dasein die je eigenen Möglichkeiten erst ergreifen muss, bevor es die Existenz als eigentliche verwirklichen kann, zeigt sich Geschichtlichkeit als etwas, das durch diese Entscheidungsfindung je neu einerseits auf den Bruch mit der ontologischen Daseinsmöglichkeit und den verwirklichten Daseinsvollzug hinweist und andererseits daraus die Gegenwart des Menschen als konkrete bestimmt sieht. Dass daran freilich die Vergangenheit wie auch die Zukunft – in den Begriffen der Zeitlichkeit und Zukünftigkeit ausgedrückt – mitbestimmt sind, erklärt sich nach Bultmann darin, dass auch das Wie der menschlichen Existenz grundlegend als aus der Vergangenheit und der Zukunft getragen ist und darin erst kontingent erscheint. So könnte man zugespitzt für Bultmanns Begriff der Geschichtlichkeit formulieren: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind je neu in der Entscheidung zugleich aufgehoben, bestimmt und neu ausgerichtet. Es stellt sich damit aber gegen Bultmanns Intention so dar, dass eine Auslegung der Geschichtlichkeit als Existential in die Gefahr gerät, ein statisches Sein auszuformulieren, weil es mit der Betonung des jeweiligen Ergreifens der je eigenen Möglichkeit zu jedem Zeitpunkt neu eine Eigenschaft beschreibt, nicht aber ein Sein in der Geschichte. Benennt Bonhoeffer hingegen die Existenz des Menschen nicht je aus seinen Entscheidungen neu, setzt sich das Bild der auch für ihn bestimmenden Geschichtlichkeit des Menschen als ein solches zusammen, das aus der Bestimmung des Daseins des Menschen als in der Offenbarung sich erschließt. Konkretion erfährt der Mensch nach Bonhoeffer nicht durch das je neu zu fällende Ergreifen der Möglichkeit, im Gegenteil erfährt er diese Gegenwart immer schon durch die noch abstrakt erscheinende Rede vom „Sein in …“: „Der Begriff Gegenwart ist nicht eine Zeitbestimmung, sondern durch das Wort Christi als des Wortes Gottes [bestimmt]. Gegenwart ist nicht irgendein Zeitgefühl, eine Zeitdeutung, ein Zeitgeist, sondern Gegenwart ist allein der Heilige Geist. Wo Gott selbst ist in seinem Wort, dort ist Gegenwart, dort setzt er Gegenwart.“448
448 ITAF, 404.
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Gegenwart erschließt sich damit nach Bonhoeffer nicht in einer einfachen profanen Deutung als Festsetzung eines bestimmten Punktes eines physikalisch messbaren Parameters auf einem sich linear ausbreitenden Strahl unumkehrbarer Abfolgen von Ereignissen. Begreift er Existenz als Betroffensein durch die Offenbarung, schließt sich auch die Frage nach der Erfahrbarkeit der Gegenwart dieser Definition an. Gegenwart ist nicht unter Absehung von der Offenbarung Gottes zu sehen, sie ist vielmehr nur darin als wirkliche zu erkennen. Fügt man diesen Baustein mit Bonhoeffers Begriff der Person zusammen, erschließt sich hier ‚Gegenwart‘ als ein völlig in der Ausrichtung auf Christus hin ausdifferenziertes „Sein in …“: Denkt Bonhoeffer die Existenz des Mensch nur in der Intentionalität auf Christus und darin ebenso auf den Nächsten hin, geschieht Gegenwart eben durch „gerade die geschichtliche, zeitliche Existenz in ihrer Ganzheit […] berührende Art“.449 Mit und durch die Offenbarung differenziert Bonhoeffer folglich die Gegenwart als etwas von außen Kommendes, als etwas Unverfügbares und letztlich Zukünftiges: „Hier kommt auch sprachlich der Begriff der Gegenwart erst zu seinem Recht. Daß etwas uns ‚entgegen‘ ist […] besagt doch, daß Gegenwart von außen her bestimmt ist und nicht von innen, nicht von uns bestimmbar, durch das bestimmt ist, was von außen auf uns zukommt, durch das Zukommende, durch die Zukunft. Gegenwart ist primär nicht durch die Vergangenheit, sondern durch die Zukunft bestimmt, und diese Zukunft ist Christus, ist der Heilige Geist. ‚Vergegenwärtigung‘ heißt daher Ausrichtung auf diese Zukunft, auf dieses außen – und es ist die verhängnisvolle Verwechslung von Gegenwart und Vergangenheit, wenn man meint, Gegenwart als etwas bestimmen zu können, das in sich selbst ruht und ihr Kriterium in sich selbst trägt. Das Kriterium der echten Gegenwart liegt außerhalb ihrer selbst, liegt in der Zukunft, liegt in der Schrift und dem in ihr bezeugten Wort Christi.“450
Geschichtlichkeit knüpft sich demzufolge an die Gegenwärtigkeit dieses Anspruches Gottes an den Menschen, der denselben extra nos als Person bestimmt und zwar darin, dass diese Ausrichtung auf das Du den Menschen aus seiner Vergangenheit in seine Zukunft reißt. Gegenwart, das ist mit Bonhoeffer gegen Bultmann zu präzisieren, kann sonach nicht als etwas erfasst werden, was „ihr Kriterium in sich selbst trägt“, mit Bultmann gesprochen, als etwas, das jeder Existenz als Möglichkeit in ihrer Ontologie zugrunde liegt. Das meint dezidiert auch, dass, selbst wenn Bultmann die Geschichtlichkeit des Menschen als Ergreifen der Möglichkeit feststellt, eine solche Möglichkeit – das war oben schon zu sehen – nicht menschliche Möglichkeit ist, sondern immer ein radikales ‚von außen‘ bedeutet.451 Geschichtlichkeit in Bonhoeffers Lesart bezeichnet damit 449 AS, 95. 450 ITAF, 404f. 451 Wobei an dieser Stelle darauf hingewiesen werden muss, dass auch bei Bultmann ein ‚von außen‘ der Offenbarung erhalten bleibt, das in der eigentümlichen Dialektik von Existenz als
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auch keine Wesenheit als zu ergreifende Möglichkeit, sondern eine Bestimmung des menschlichen Seins als Handlungsraum. Eine solche Geschichtlichkeit kann damit besser als ‚Vergeschichtlichung‘ beschrieben werden, weil dieselbe im Sein in Christus zu allererst verwirklicht wird, niemals aber als Eigenschaft des Menschen bezeichnet werden könnte. Allein nämlich in Christus ist diese wirklich, dem Menschen selbst aber bleibt sie unverfügbar. Echte Gegenwart, d. h. genauer echte Wirklichkeit, ist demnach für Bonhoeffer als Gegenwart aus dem Eschaton bestimmt und zwar in Christus. Dass damit auch Vergangenheit nicht als physikalischer Messwert eines vergangenen Parameters gemeint ist, erübrigt sich beinahe zu sagen. Warum aber weist Bonhoeffer den Begriff der ‚Vergangenheit‘ so weit von sich? Das erschließt sich hier zumindest für den Augenblick, wenn man sich eine Stelle aus Schöpfung und Fall vor Augen führt, die oben schon genannt wurde. Darum nochmal: „Christus am Kreuz, der gemordete Sohn Gottes, das ist das Ende der Geschichte Kains, und damit das Ende der Geschichte überhaupt. Das ist der verzweifelte Ansturm auf das Tor des Paradieses. Und unter dem hauenden Schwert, unter dem Kreuz stirbt das Menschengeschlecht. Aber Christus lebt. Der Stamm des Kreuzes wird zum Holze des Lebens, und inmitten der Welt ist nun aufs neue auf dem verfluchten Acker das Leben aufgerichtet […].“452
Vergangen ist der alte Adam, neu ist er in seiner Zukunft in Christus. Und wieder ist es das Kreuz, dieser unwirtliche Ort, der für den alten Adam der Kristallisationspunkt seiner ganzen Existenz ist, an dem er nicht vorbeikommt, an dem er erst sein Leben als Leben, nicht als Tod, verwirklicht.453 Was aber bedeutet dieses für die Erschließung literarischer Texte? Denkt Bultmann den Menschen ontologisch als immer schon in einem Verhältnis zur Sache stehend, in einem Lebensbezug, ist ihm in seinem Daß der Existenz auch immer schon ein Vorverständnis der Sache mitgegeben. Darin, so fordert BultOffen-sein-Für und zugleich immer schon Angesprochen-sein-Von Gott. Es war oben schon zu sehen, dass Bultmann nicht dem Menschen die Verfügungsgewalt über die Offenbarung anrechnen will, er will vielmehr, so scheint es, diese Wirklichkeit des ganz anderen Gottes als die eigentliche Seinsmöglichkeit bestimmen, die dem Menschen schöpfungstheologisch in seiner Wesensstruktur urständlich eingegeben ist: seine Ausrichtung auf das Du, das Gott ist. Und dennoch scheint an diesem Punkt die Problematik auf, mit der sich Bultmann gegen seine Kritiker rechtfertigen muss: In der Betonung der Entscheidungsfreiheit des Menschen über das Ergreifen der Möglichkeit des Glaubens räumt Bultmann dem Menschen eine scheinbare Verfügungsgewalt über die Offenbarung ein, selbst wenn er freilich den Glauben immer als intentional auf Christus gerichtet sieht. Diese offenkundige Widersprüchlichkeit kann in diesem Rahmen jedoch nur angedeutet werden und muss an anderer Stelle geklärt werden. 452 SF, 135. 453 Cf. zu dieser paradoxen Rede Näheres in § 4.1.3.
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mann anschließend, muss der Mensch in seiner ganzen Subjektivität gefordert sein, denn es gilt, „daß Geschichte gerade in ihrem objektiven Gehalt nur von dem existentiell bewegten, lebendigen Subjekt verstanden werden kann.“454 Denn „[n]ur wenn man sich selbst bewegt weiß von den geschichtlichen Mächten, nicht als neutraler Betrachter, und nur wenn man bereit ist, den Anspruch der Geschichte zu hören, versteht man überhaupt, worum es sich in der Geschichte handelt.“455 Zusammenfassend gelten somit folgende hermeneutische Grundsätze für Bultmann: Jedes Verstehen eines Textes ist von einem „Woraufhin“ der Befragung geleitet, womit es ein „Vorverständnis“ der befragten Sache voraussetzt. In diesem „gemeinsamen Lebensverhältnis zur Sache“ gibt es objektives Verstehen für Bultmann demnach nur im subjektivsten, genauer in der lebendigsten Auseinandersetzung des Interpreten mit dem Text, „d. h. sie kann nur in der Diskussion mit dem Autor vor sich gehen.“456 Mit dem Woraufhin der Fragestellung sowie aus der existentiellen Bewegtheit heraus steht der Fragende vor dem Text; nur „der durch die Frage der eigenen Existenz bewegte vermag den Anspruch des Textes zu hören.“457 Ist nach Bultmann jede Auslegung eines Textes davon motiviert, „die Möglichkeiten des Verständnisses menschlicher Existenz zum Bewußtsein zu bringen“, gilt dies ganz besonders für die Bibel, weist doch „die kirchliche Verkündigung [mich] an die Schrift als den Ort, an dem ich Entscheidendes über meine Existenz hören werde.“458 Ist die angemessene Fragestellung der Schrift diejenige nach der Offenbarung Gottes, kann der Fragende genau diese stellen, weil er in seiner Wesensstruktur als einer angenommen ist, der nach der Frage seiner eigenen Existenz bewegt ist: Der Mensch hat also, das wurde oben schon festgestellt, nach 454 Bultmann, Ist voraussetzungslose Exegese möglich?, 147. 455 Bultmann, Jesus, 8. 456 Cf. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 222: „Die Interpretation philosophischer Texte muß daher, will sie echt verstehende sein, selbst von der Frage nach der Wahrheit bewegt sein, d. h. sie kann nur in der Diskussion mit dem Autor vor sich gehen. Platon versteht nur, wer mit ihm philosophiert. Die Interpretation verfehlt das echte Verstehen, wenn sie den Text nach Lehrsätzen als den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung befragt, und wenn sie demzufolge den jeweiligen Text als ‚Quelle‘ für ein jeweiliges Stadium der Geschichte der Philosophie nimmt und damit diese Geschichte als ein in der Vergangenheit liegendes Geschehen auffaßt, statt sie in die Gegenwärtigkeit zu erheben. Denn wohl ist noch keine Philosophie echten philosophischen Verstehens, die Geschichte der Philosophie zu beschreiben, aber es hat so zu geschehen, daß das Verstehen ihrer Geschichte zum Verstehen ihrer selbst wird, indem in dieser Geschichte die Problematik des Seins- und damit des Selbstverständnisses deutlich wird.“ 457 Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 230. 458 Bultmann, Zum Problem der Entmythologisierung, in: KuM II, 191. Cf. auch Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 167: „Ich denke, unser wirkliches Interesse ist zu hören, was die Bibel in unserer gegenwärtigen Situation zu sagen hat, zu hören, was es wirklich mit unserem Leben und unserer Seele auf sich hat.“
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Bultmann immer schon ein Vorverständnis von Gott in dieser Suche nach der Wahrheit menschlicher Existenz.459 In dieser existentiellen Frage tritt der Interpret demnach an die Schrift heran, die in die Existenz des Menschen spricht und dieselbe neu macht: „Echtes Verstehen wäre also das Hören auf die im zu interpretierenden Werk gestellte Frage, auf den im Werk begegnenden Anspruch, und die ‚Ergänzung‘ der eigenen Individualität bestünde in der reicheren und tieferen Erschließung der eigenen Möglichkeiten, im Fortgerufen werden von sich selbst (d. h. von seinem unfertigen, trägen, stets der Gefahr des Beharrens verfallenen Selbst) durch das Werk.“460
Echtes Verstehen, das erschließt sich hier, kann nicht neutral sein, es ist nur dann echt, „wenn sich in ihm die Tat des Glaubens vollzieht, der Entschluß des Glaubens durchhält.“461 Die Schrift ruft vor die Entscheidung, sie zeigt nicht nur wie andere Dokumente der Geschichte, „eine Möglichkeit, meine Existenz zu verstehen, […] für die ich mich entscheiden oder die ich abweisen kann, sondern [wird] […] darüber hinaus zu dem mich persönlich anredenden Wort […], das mir meine Existenz schenkt […].“462 „Die Schrift als das Wort Gottes hören heißt im Gegenteil sie als ein Wort hören, das mich anspricht als Kerygma, als eine Ankündigung. Dann ist mein Verstehen nicht neutral, sondern ist vielmehr meine Antwort auf einen Anruf. Man kann die Tatsache nicht objektiv darstellen, daß sie Worte der Schrift Gottes Wort sind; er handelt sich hierbei um ein Geschehen, das sich hier und jetzt ereignet.“463
Im echten Verstehen der Schrift geschieht demnach die Existenz des Menschen, wird dieser doch in der Lektüre, in der fragenden und suchenden Herangehensweise an die Schrift, zum je konkreten Ergreifen seiner Existenz aufgerufen, wird er doch genötigt, seine Existenz je neu zu vollziehen. In der Interaktion von Schrift und Rezipienten verbleibt die Botschaft nicht ein wie auch immer gearteter geschichtlicher Bericht über die Gnade Gottes in Christus, vielmehr ist sie „das verkündigende Wort der Kirche, das jetzt jeden unmittelbar als Gottes Wort anredet, und in dem Jesus Christus als das ‚Wort‘ gegenwärtig ist.“464 In dieser 459 Cf. Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 168: „Das Leben des Menschen wird bewegt durch das Suchen nach Gott, weil es immer bewußt oder unbewußt, von der Frage nach seiner eigenen Existenz bewegt wird. Die Frage nach Gott und die Frage nach mir selbst sind identisch.“ 460 Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 226. 461 Bultmann, Der Begriff der Offenbarung im Neuen Testament, 32. 462 Bultmann, Zum Problem der Entmythologisierung, in: KuM II, 191. Cf. zur Hermeneutik Bultmanns auch Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns, 226– 253. Hier besonders 240–249. 463 Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 179. 464 Bultmann fährt fort: „Denn unmittelbar in diesem Wort begegnet dem Einzelnen Gott, Gottes vergebende Gnade. Er soll nicht Gnadenerweis Gottes, die in geschichtlichen Ereig-
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Gegenwart Christi begegnet Gott in seinem Wort jedem einzelnen, womit Gnade nicht ein geschichtliches Ereignis der Vergangenheit bleibt, sondern im Gegenteil gegenwärtiges, sich ereignendes Wort Gottes ist, das in der Existenz des Menschen im konkreten Ergreifen der Möglichkeit Wirklichkeit wird und den Menschen zu einem Neuen macht. Nimmt man die oben bereits angezeigte Ablehnung allgemeiner Wahrheiten hinzu, erschließt sich nun zum einen vollständig, was echtes Verstehen für Bultmann meint, und zum anderen, warum er jeglichen allgemeinen Wahrheiten die Bedeutung absprechen muss: „Die Idee des allgegenwärtigen und allmächtigen Gottes wird nur durch sein Wort, das hier und jetzt gesprochen ist, in meiner Existenz zur Wirklichkeit. Entsprechend muß gesagt werden, daß das Wort Gottes nur in dem Augenblick, in dem es gesprochen wird, das ist, was es ist. Das Wort Gottes ist nicht eine zeitlose Aussage, sondern ein konkretes Wort, das hier und jetzt an Menschen gerichtet ist. […] Nur so ist es das verbum externum nur dann, wenn es mich immer wieder trifft nicht ein ein für allemal besseres Wissen ist. Daraus folgt: Das Wort Gottes ist ein wahres Wort, in menschlicher Sprache zu mir gesprochen, […] in dem Sinn, […] daß die Bibel durch die Kirche weitergegeben wird als ein Wort, das uns anspricht.“465
Die Bedeutung des Wortes Gottes erschließt sich in ihrer den Menschen verändernden Erneuerung der Existenz in der je konkreten Situation. Erst darin, dass der Interpret den biblischen Text nicht als bloßes historisches Dokument anerkennt und als solches befragt – wenn auch das nach Bultmann eine im Grunde angemessene Herangehensweise darstellt, für die Bibel eben aber nicht als die ausreichend angemessene Fragestellung gilt –, treten Text und Interpret in eine Interaktion, die dem Interpreten den Text gegenwärtig bedeutsam macht, indem dieser je neu zum Glauben gerufen wird. Die Geschichtlichkeit des menschlichen Daseins schließt damit die Dialektik des menschlichen Seins ein; vielmehr diese Geschichtlichkeit bezeichnet genau diese Dialektik des Menschen zwischen möglichem und eigentlichem Dasein, zwischen dem Dass und dem Wie der Existenz.466 Allein als geschichtliches ist das Dasein des Menschen somit in seiner Eigentlichkeit verstanden, kann Bultmann sagen.467 Schaut man zurück auf Dietrich Bonhoeffers Umgang mit der Schrift, der sich mit seiner Vorlesung Schöpfung und Fall einleitet, bestimmt die echte Gegenwart des Wortes Gottes den Gläubigen – wie auch Ungläubigen – in seinem ganzen Sein. Konkretion erfährt der Mensch nicht durch die je neu zu ergreifenden nissen der Vergangenheit vorliegen, anschauen, und daraus den Schluß ziehen, daß Gott gnädig ist und also wohl auch für ihn gnädig sein wird, sondern Gottes Gnade begegnet ihm direkt im verkündigenden Wort.“ (Bultmann, Die Bedeutung des Alten Testaments für den christlichen Glauben, 332f.) 465 Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 184f. 466 Cf. Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 591. 467 Cf. Bultmann, Die Bedeutung der „dialektischen Theologie“, 132f.
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Möglichkeiten seiner Existenz, vielmehr erfährt er wirkliche Gegenwart im Hören des Wortes Gottes, welches sein ganzes Sein neu bestimmt. Wenn Bonhoeffer bereits in Sanctorum Communio das Personsein des Menschen in die Gemeinschaft der Kirche stellt, erkennt man mithilfe von Bultmanns Deutung der Geschichtlichkeit des Wortes Gottes in der Existenz des Menschen einen spezifischen Umgang auch Bonhoeffers mit der Schrift, der sich stets schon angekündigt hat. Wenn Bonhoeffer davon reden kann, dass sich mit dem Lesen der Schrift das Wort vergegenwärtigt, erweist sich hier augenscheinlich eine weitere Nähe zu Bultmanns existentialer Interpretation. Hört der Leser das Wort als Wort Christi, d. h. genauer lässt der Leser Christus tatsächlich zu Wort kommen, geschieht hier eben dieses: Vergegenwärtigung der Botschaft Christi. Wie ist das aber zu verstehen? Es war zu sehen, dass Gegenwart für Bonhoeffer keine Bestimmung eines messbaren Zeitpunktes darstellt, Gegenwart bestimmt sich für ihn vielmehr aus der Anwesenheit Gottes in seinem Wort. „Wo Gott selbst ist in seinem Wort, dort ist Gegenwart, dort setzt er Gegenwart […]“,468 kann Bonhoeffer pointiert formulieren. Denkt man dieses einen Schritt weiter, zeichnet sich die bultmannsche Forderung des Hörens „auf die im zu interpretierenden Werk gestellte Frage, auf den im Werk begegnenden Anspruch“469 als der Kristallisationspunkt auch der bonhoefferschen Schriftauslegung aus: „Wo Christus im Wort des Neuen Testaments zu Wort kommt, dort ist Vergegenwärtigung.“470 Das heißt mit anderen Worten: Der Anspruch Gottes an den Menschen als Person, als in die Gemeinschaft Gestellten, besteht in Christus, in seiner Ausrichtung auf sein Sein außerhalb seiner Existenz. Gegenwart erfährt der Mensch damit einzig außerhalb seiner selbst in der völligen Hinrichtung auf Gottes Wort, dort allein ist wirkliche Gegenwart: „Das Subjekt der Gegenwart ist der Heilige Geist, nicht wir, darum ist auch das Subjekt der Vergegenwärtigung der Heilige Geist selbst. Das concretissimum der christlichen Botschaft und Textauslegung ist nicht ein menschlicher Akt der Vergegenwärtigung, sondern ist immer Gott selbst, ist der Heilige Geist.“471
Der Heilige Geist als Subjekt der Gegenwart Gottes in der Schrift ist damit dasjenige Subjekt, das den Menschen, mit Bultmann ist auch zu sagen, „von sich selbst“472 wegruft und diesen in sein neues Sein stellt, welches durch die Zukunft bestimmt ist. Es ist eben nicht der Mensch, der in seiner Arbeit am Text, mag sie auch noch so intensiv und ehrlich sein, das Wort als Wort Gottes tatsächlich 468 469 470 471 472
ITAF, 404. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 226. ITAF, 404. ITAF, 404. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 226.
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vernimmt; vielmehr vernimmt er dort als Subjekt der Auslegung nur sich selbst, seinen eigenen Ruf, seinen eigenen „göttlichen Doppelgänger“.473 Nicht in der Suche nach den eigenen Wahrheiten, die unser Leben vermeintlich bestimmen, ist das Wort Gottes wirklich zu hören, die Gefahr „des eigenen selbstgefundenen ‚für-Gott-sein-Wollens‘“474 bleibt in diesem Verlass auf die eigene menschliche Möglichkeit des Erkennens Gottes bestehen. Bonhoeffer verdeutlicht dies eindrücklich mit seiner Auslegung des Falls, wenn er die vermeintlich fromme Frage der Schlange als den Moment darstellt, in dem der Mensch sich selbst zum Subjekt der Auslegung des Wortes Gottes macht. Adam kann die Verheißung der Schlange nicht anders verstehen als eine „Möglichkeit des Frömmerseins, des Gehorsamerseins als er in der imago-dei-Struktur ist. Sicut deus – das kann für Adam nur eine neue Möglichkeit innerhalb der gegebenen imago-dei-Geschöpf-Möglichkeit sein, es kann nur eine neue tiefere Art des Geschöpfseins bedeuten; so muß er die Schlange verstehen. Freilich, er sieht, daß diese neue tiefere Art des Geschöpfseins erkauft werden muß durch die Übertretung des Gebotes. Und eben diese Tatsache muß ihn aufmerksam machen. Er ist wirklich zwischen Gott und Gott, besser zwischen Gott und Götze […].“475
Es gilt demnach Gott als das Subjekt der Auslegung anzuerkennen, sich nicht selbst als dieses zu setzen. Auch das klingt in diesem bonhoefferschen Paradoxon von der Grenze in der Mitte bzw. des grenzenlos gewordenen Adam an, der beständig selbst um seine eigene Mitte kreist, sich selbst zum Schöpfer setzt. „Weil ‚die Sache‘ des Neuen Testaments dies ist, daß Christus durch seinen Heiligen Geist zu uns redet, und weil dies nicht außerhalb oder neben, sondern allein und exklusiv durch das Wort der Schrift geschieht, darum ist Sachlichkeit, das heißt Schriftgebundenheit der Verkündigung selbst Vergegenwärtigung […].“476
Fragt man in der Hermeneutik mit der Auslegung des Textes nach der angemessenen Sache, liegt darin für Bonhoeffer ein ähnliches Interesse wie das Bultmanns: Allein wenn dem (hier) biblischen Text die richtige Frage gestellt wird, kann dieser auch als das Wort Gottes gehört werden. Für Bultmann bietet sich die Angemessenheit der Sache allein je neu nur in der Frage nach der eigenen Existenz dar. Wie verhält sich das für Bonhoeffer? Es war schon des Öfteren zu sehen, dass beider Existenzverständnisse diametral verschieden sind. Wenn also Bultmann die angemessene Sache darin sieht, dass der Mensch in der Begegnung mit dem Wort in die Entscheidung zum Glauben gerufen wird und diesen dann tatsächlich auch ergreift, ist echtes Verstehen eine Angelegenheit zum einen der Angemessenheit der Frage und zum anderen des Ergreifens der Möglichkeit der 473 474 475 476
ITAF, 147. SF, 101. SF, 105. ITAF, 404.
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Offenbarung.477 Ist nach Bultmann der Mensch in der Lage aus seiner Wesensstruktur heraus, aus seinem radikalen Offensein und darin in der beständigen Frage nach dem eigenen Sinn, den Ruf der Schrift zu hören und ihm auch zu antworten – wenn dies freilich als schöpfungstheologische Anlage des Menschen gedacht ist –, erscheint hier der bonhoeffersche Vorwurf deutlich angetragen, der in dieser Art der Auslegung „im streng logischen Sinne [als] das Subjekt der Vergegenwärtigung“478 den Menschen erkennt. „Schriftauslegung heißt hier das Beziehen der Schrift auf die ewigen Wahrheiten, die ich bereits kenne – sei es eine intellektuelle Wahrheit, sei es ein ethisches Prinzip, sei es eine allgemein menschliche Erkenntnis, sei es ein Mythos. Mit anderen Worten die Wahrheit steht schon fest, ehe ich an die Auslegung der Schrift herangehe.“479
Wenn Bultmann demnach sagt, der Mensch habe die Fähigkeit bereits in sich, einerseits die angemessene Frage zu stellen und anderseits die Offenbarung zu ergreifen, nimmt sich Bonhoeffer dezidiert dagegen aus. Vergegenwärtigung der Auslegung kann das jedenfalls nicht für ihn heißen, steht eine solche Auslegung doch zumindest in der Gefahr, nicht auf Gottes Wort zu hören, sondern sich selbst zu finden, das eigene Selbst damit letztlich nur zu bestätigen. Freilich wehrt sich auch Bultmann gegen die Annahme allgemeiner, überzeitlicher Wahrheiten,480 sie sind ihm jedoch allem Anschein nach insoweit allgemein, dass wohl jeder Mensch in seiner Wesensstruktur die Anlage nach der Sinnfrage habe. Allgemeinheit können solche subjektiven Wahrheiten dann freilich, und das war oben schon genauer zu sehen, nur beanstanden, wenn sie als subjektivste die Frage angemessen beantworten und zwar in der Entscheidung für den Glauben. Indem aber die Schrift so vor „das Forum der Gegenwart gezogen [wird] und […] sich vor ihm rechtfertigen“481 muss, erscheint Bonhoeffer wohl genau darin dieses Sicut-deus-Sein virulent. Vergegenwärtigung muss für ihn demnach anders gedacht werden, nämlich so, dass einzig Gott das Subjekt der Auslegung bleibt. Wie genau dieses sich ausdifferenziert, darauf ist noch näher zu sprechen zu kommen,482 feststeht an dieser Stelle dieses: Nicht der Mensch in seiner schöpfungstheologischen Anlage kann Gott von sich aus hören und damit erkennen – 477 Es bleibt auch hier offen, inwieweit Bultmann die Entscheidung des Glaubens dem Menschen überlässt oder ob diese doch aus dem Anruf Gottes herausgeschieht. 478 ITAF, 407. 479 ITAF, 407. 480 Cf. dazu Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 174: „Dieses Existenzverständnis muß sich nicht in meinem Bewußtsein als ausgeformtes Wissen ausdrücken. […] Glaube an den allmächtigen Gott ist nur dann echt, wenn er wirklich in meiner Existenz sich vollzieht, so daß ich mich der Macht Gottes unterwerfe, der mich hier und jetzt überwältigt. Wiederum heißt das nicht, daß der Glaube sich in meinem Bewußtsein als ausgeformtes Wissen ausdrücken muß; es heißt also, daß Glaubensaussagen nicht allgemeine Sätze sind.“ 481 ITAF, 407. 482 Cf. § 4.1.3.
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ist er doch gefallen –, allein Gott als Subjekt der Auslegung kann sein Wort dem Menschen vergegenwärtigen, d. h. seine Existenz verändern, ja sie neu machen.
3.2.5 Immanentes Jenseits und transzendentes Diesseits Es ist damit auf eine beiden Theologen zu gleichen Teilen wichtige Erkenntnis verwiesen, die es im Folgenden näher zu untersuchen gilt: die Diesseitigkeit Gottes. Es wird zunächst wieder Bultmann herangezogen, um daran Bonhoeffers Ausgangspunkt herauszustellen. Wenn es nach Bultmann eine Rede von Gott nicht außerhalb des Menschen geben kann, weil jedes Reden „über die Wirklichkeit, das absieht von dem Moment, in dem wir allein das Wirkliche haben können, nämlich von unserer eigenen Existenz, […] Selbsttäuschung [ist, dann ist] Gott […] nie ein von außen zu Sehendes, ein Verfügbares, ein ‚Woraufhin‘.“483 Das Gegenüber Gottes als des ganz anderen kann nach Bultmann eben gerade nicht als ein vom Menschen abzusehendes, isoliertes Anderes gesehen werden, vielmehr bedeutet dieser andere, um mit Walter Schmithals zu sprechen, „die Bestimmtheit des Menschen von jenseits seiner selbst, aber eben die Bestimmtheit des Menschen durch dies jenseitige Gegenüber, das er nicht selbst ist und dem er da, aber auch nur da begegnet, wo er in seiner ganzen Wirklichkeit auf dieses Gegenüber bezogen ist.“484 Es geht Bultmann eben darum, darauf hinzuweisen, dass Gott nicht in einem irgendwie gearteten religiösen Transzendieren in einem Jenseits des Menschen begegnet werden kann, darin nämlich wäre die Wirklichkeit Gottes radikal missverstanden. Die grammatikalische Einheit von Gott als dem ganz anderen, die alles bestimmende Macht der menschlichen Existenz ist nur sinnstiftend, wird sie nicht auf die eine oder andere Seite hin aufgelöst. Gott als der Jenseitige ist nicht ohne die konkrete menschliche Existenz wirklich, kann man Bultmann paraphrasieren. Es gilt also Bultmann zufolge den transzendenten Gott als Gegenüber neu zu denken, denn: „Verlorengegangen ist der Bezug des Menschen zum Transzendenten als dem ihm und der Welt unverfügbaren Gegenüber, das nur durch Begegnung und Geschenk offenbar wird und nicht durch die Abkehr aus der Welt in religiösem Aufschwung in ein Jenseits erreicht werden kann.“485
Offensichtlich ist der Begriff ‚Transzendenz‘ ein solcher, der vieldeutig ist und daher genauer bestimmt werden muss. Während profan alles vernünftige Denken als Transzendieren gesehen werden kann, wird vermeintlich – das war mit 483 Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 33. 484 Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns, 34. 485 Bultmann, Der Gottesgedanke und der moderne Mensch, 341.
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Bultmann schon an der Kritik am Historismus zu sehen – eine Objektivität hergestellt, die doch nie eine wahre sein kann, ist die Vernunft doch stets je ihrem Subjekt zugeordnet und nicht davon zu trennen. Christlich dagegen, so Bultmann, werde von Transzendenz als Offenbarung gesprochen, womit „Gottes Handeln als ein Geschehen, das dem objektivierenden Denken der Vernunft nicht sichtbar ist, ein Geschehen, das als Offenbarung nicht Lehren mitteilt, sondern die Existenz des Menschen trifft und ihn lehrt, oder besser: ermächtigt, sich zu verstehen als getragen von der transzendenten Macht Gottes.“486
Nach Bultmann, so ist zu schließen, bezeichnet Transzendenz nicht etwas den Bereich der menschlichen Erfahrungswelt Überschreitendes, im Gegenteil muss christlich eine Rede von der Transzendenz stets an zweierlei gebunden sein: Erstens die Offenbarung Gottes und zweitens die Immanenz, d. h. die menschliche Existenz. Verweigert sich Bultmann in jeglicher Hinsicht einer Annahme von überzeitlichen, allgemeinen Wahrheiten, gilt das auch und gerade für eine Beschreibung der Transzendenz. Besonders hier kann nicht in überweltlichen, unabhängigen Kategorien gesprochen werden, es kann nicht darum gehen, einem vorgeblich objektiven System absoluter Wahrheiten Autorität zuzusprechen. Darum ist erneut Bultmanns Gottesgedanke für die Präzisierung seines Transzendenzbegriffes aufzugreifen: Auch Transzendenz ist eben nicht unter Absehung des Menschen zu denken. „Darin sind sich Theologen wie Tillich, Bonhoeffer, Ebeling […] einig, […] daß das Transzendente nicht oberhalb oder jenseits der Welt gesucht werden darf und gefunden werden kann, sondern inmitten des Diesseits. Ich darf einige Sätze Bonhoeffers zitieren: ‚Das ‚Jenseits‘ Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens! Die erkenntnistheoretische Transzendenz hat mit der Transzendenz Gottes nichts zu tun. Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig.‘ ‚Das Jenseitige ist nicht das unendlich Ferne, sondern das Nächste.‘“487
Mit Bezug auf Bonhoeffer und anderen definiert Bultmann Transzendenz in Verbindung zum Diesseits, d. h. das Transzendente ist weder unabhängig noch unter Absehung vom Diesseits zu bestimmen, sondern einzig darin, dass im Glauben echte Transzendenz und echte Immanenz zueinander kommen. Der Glaube gibt damit der Welt, so Bultmann, „ihre eigentliche Weltlichkeit zurück“.488 Mit Bonhoeffer gilt es Bultmann also, den der Welt jenseitig gewordenen Gott wieder in der Welt, mitten in der Gegenwart zu finden, womit der Gegenwart, die konkret wird in jedem neuen Augenblick der Entscheidung, die Notwendigkeit der Transzendenz, genauer der Offenbarung an die Seite gestellt wird, 486 Bultmann, Der Gottesgedanke und der moderne Mensch, 342. 487 Bultmann, Der Gottesgedanke und der moderne Mensch, 342. (Bultmann zitiert Bonhoeffer aus WE 408 sowie 551.) 488 Bultmann, Der Gottesgedanke und der moderne Mensch, 343.
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welche die Entscheidung des Menschen je neu zu einer Verwirklichung des eigentlichen Menschseins führt. Mit der Bestimmung der Existenz als dialektische Geschichtlichkeit und damit sogleich radikale Offenheit für die Offenbarung muss Bultmann den nach aristotelischen Kategorien geprägten Transzendenzgedanken489 konsequent an die Diesseitigkeit der Existenz des Menschen binden, ist doch ein Gottesgedanke fernab des menschlichen Daseins darin nicht möglich. Es ist damit kaum verwunderlich, dass er zu dem Schluss kommt: „Gott muß erkannt werden als der Unbedingte im Bedingten.“490 Und damit: „Nur der Gottesgedanke, der im Bedingten das Unbedingte, im Diesseitigen das Jenseitige, im Gegenwärtigen das Transzendente finden, suchen und finden kann, als Möglichkeit der Begegnung, ist für den modernen Menschen möglich. Dann gilt es also, sich jeweils offenzuhalten für die Begegnungen Gottes in der Welt, in der Zeit. Nicht die Anerkennung eines Gottesbildes, mag es noch so richtig sein, ist wirklicher Gottesglaube; vielmehr die Bereitschaft dafür, daß uns das Ewige jeweils in der Gegenwart begegnen will – jeweils in den wechselnden Situationen unseres Lebens. Die Bereitschaft besteht in der Offenheit, uns etwas wirklich begegnen zu lassen, das uns nicht das Ich sein läßt, das in seinen Zwecken und Plänen in sich abgeschlossen ist, sondern dessen Bewegung uns wandeln, und immer neu werden lassen will. […] Gefordert ist die Selbstlosigkeit, nicht als Methode des moralischen Verhaltens, sondern als die Bereitschaft, und nicht an unserem alten Selbst festzuhalten, sondern unser eigentliches Selbst immer neu zu empfangen.“491
Im Menschen, genauer in der schöpfungstheologischen Anlage des Menschen, wird Gott erst wahr als derjenige, der die konkrete existentielle Situation des Menschen trifft.492 In der Existenz des Menschen transformiert sich, so kann man mit Bultmann sprechen, die ‚ewige‘ Wahrheit Gottes zur ‚echten‘ Wahrheit, die allein darin wirklich wird, dass sie in den wechselnden Situationen des Lebens den Menschen je neu und je konkret in diese Wahrheit stellt. In dieser menschlichen Möglichkeit die Transzendenz zu ergreifen, d. h. sie zu einer diesseitigen, konkreten Wahrheit werden zu lassen, treffen Transzendenz und Immanenz in der vollen Diesseitigkeit des Glaubens aufeinander und sind nicht mehr zu trennen. In der Dialektik von Weltlichkeit und Glaube erschließt sich die Gegenwart als zukünftig und der transzendente Gott als diesseitig, als Nächster, als einer, „der mitten im weltlichen Leben ist“.493 Damit ist zu sehen, dass die Frage nach der Verwirklichung des Reiches Gottes, d. h. die Frage nach der Eschatologie, bei Bultmann ein Bestandteil dieser Zeitstruktur des Glaubens als
489 490 491 492 493
Cf. Schüßler, Art. Transzendenz I, 768f. Bultmann, Der Gottesgedanke und der moderne Mensch, 343. Bultmann, Der Gottesgedanke und der moderne Mensch, 346f. Cf. Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 26. Bultmann, Der Gottesgedanke und der moderne Mensch, 344.
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„Selbsterfassung der geschichtlichen Existenz des Menschen ist.“494 Unter Abweisung einer wie auch immer gearteten mystischen Jenseitsvorstellung495 verortet er die Eschatologie nicht jenseits, sondern genau innerhalb der Geschichte, da „das Wesentliche der Geschichte […] in der Tat nichts Übergeschichtliches, sondern zeitliches Geschehen [ist].“496 Jenseits und Diesseits sind damit nach Bultmann in der Dialektik der geschichtlichen Existenz insofern wesentlich zusammenzudenken, als dass die Transzendenz der Offenbarung im Diesseits im Vollzug des Daseins existentiell Wirklichkeit wird. Eine Transzendenz abgesehen von der Immanenz ist damit nach Bultmann nicht zu denken, würde damit doch eine allgemeine Wahrheit außerhalb der menschlichen Wirklichkeit angenommen, die Wahrheit Gottes also verobjektiviert. Bultmann sieht in dieser Auslegung der Transzendenz Gottes einige Kollegen an seiner Seite, unter anderem Dietrich Bonhoeffer, aus dessen Briefen und Aufzeichnungen aus dem Gefängnis er seine Annahme unterstützend zitiert.497 Mit ihm verweist Bultmann auf die missverstandene Gleichsetzung einer transzendenten Erkenntnistheorie, die „Gott immer weiter aus dem Bereich einer mündig gewordenen Welt, aus unseren Erkenntnis- und Lebensbereichen [hinausschiebt] und seit Kant nur noch jenseits der Welt der Erfahrung Raum“ lässt. Anstatt also „Gott nur noch bei den sogenannten letzten Fragen als deus ex machina fungieren zu lassen, d. h. Gott […] Antwort auf Lebensfragen, zur Lösung von Lebensnöten und -konflikten“498 geben zu lassen, sucht Bonhoeffer Bultmann zufolge nach einer Bedeutung der Transzendenz mitten im menschlichen Leben, laut Bultmann in der menschlichen Existenz. Beide, Bultmann wie Bonhoeffer, scheint es infolgedessen daran gelegen, Gott nicht als wesentlich der Welt jenseitig zu denken, sondern ganz und gar als in der Immanenz aufgehoben, in dieser wirklich zu werden. Wenn Bonhoeffer sich mit der Entweltlichung der Gottesfrage beschäftigt, geht es ihm dann wie Bultmann darum, die Transzendenz in der Geschichtlichkeit des Menschen zu denken? Bereits in seiner Dissertation verweist der junge Dietrich Bonhoeffer auf einen Transzendenzbegriff, der erkenntnistheoretisch für ihn nicht fassbar ist. Nicht um ein „Verständnis der Zeit als reiner Anschauungsform“499 soll sich diese Erfassung der Transzendenz handeln, soll doch gerade nicht eine metaphysische 494 Wittekind, Eschatologie zwischen Religion und Geschichte, 83. 495 Diese nimmt Bultmann bereits 1920 vor als Abgrenzung gegen Barth. Nach Folkart Wittekind bleibt diese bultmannsche Verhältnisbestimmung zu Barth auch dann noch bestehen, als diese Einordnung bereits revidiert ist. Cf. Wittekind, Eschatologie zwischen Religion und Geschichte, 83. 496 Bultmann, Jesus, 11. 497 Cf. Bultmann, Der Gottesgedanke und der moderne Mensch, 342. 498 WE, 503. 499 SC, 27.
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Hinterfragung der Geschichte, ein „bestimmtes Welt- und Menschenbild, indem Gott ‚jenseitig‘ der Welt ist, von wo er die Subjektivität, die Innerlichkeit des Menschen anspricht“,500 darunter verstanden werden. Transzendenz mutet aus diesem Grund auch für Bonhoeffer an, ein Begriff zu sein, der gleich Bultmann nicht an den Bereich menschlicher Erfahrung Überschreitendes gebunden werden kann, sondern eben immer an die Geschichte selbst. Eine metaphysische Hinterfragung dieser bietet sich ihm gerade damit eben nicht als eine angemessene– in seinen Briefen und Aufzeichnungen aus der Haft kann er dies als Frage bezeichnen, die ihm als der Religion zugehörig erscheint und darum als eine des „homo religiosus“.501 In der Frage „Wer ist Gott?“ sucht Bonhoeffer damit nicht nach einem „zuerst […] allgemeine[n] Gottesglauben an Gottes Allmacht etc.“, ist dieser eben als erkenntnistheoretische Verabsolutierung der Transzendenz gerade nicht „eine echte Gotteserfahrung, sondern ein Stück prolongierter Welt.“502 Transzendenz kann unbedingt nicht, wie auch bei Bultmann zu sehen war, ein „Verhältnis zu Gott“ als „zu einem denkbar höchsten, mächtigsten, besten Wesen“ beschreiben.503 Eine Rede von der Transzendenz in solcher Anthropomorphisierung Gottes als Verlängerung der eigenen Subjektivität hinaus in das Unendliche des Universums zeigt sich hingegen als Form einer Religiosität, die einerseits darin Gott an den Rand der Metaphysik als „Arbeitshypothese, als Lückenbüßer für unsere Verlegenheiten“504 drängt und andererseits damit Gott auf „die individualistische Frage nach dem persönlichen Seelenheil“505 reduziert. Bultmann hat demnach Recht, sich Bonhoeffer an seine Seite zu holen, wenn es darum geht, die Transzendenz Gottes mit irgendwelchen „Begriffsgestalten des Absoluten, Metaphysischen, Unendlichen etc.“506 gleichzusetzen, um Gott nicht mit unserer fortschreitenden Einsicht in die Naturgesetze der Welt konfligieren zu lassen. „Es ist mir wieder ganz deutlich geworden,“ schreibt Bonhoeffer in einem Brief an Eberhard Bethge vom 29. 05. 1944 nach dem Eindruck der Lektüre des weizsäckerschen Buches über das Weltbild der Physik, „daß man Gott nicht als Lückenbüßer unserer unvollkommenen Erkenntnis figurieren lassen darf; wenn nämlich dann – was sachlich zwangsläufig ist – sich die Grenzen der Erkenntnis immer weiter hinausschieben, wird mit ihnen auch Gott immer weiter weggeschoben und befindet sich demgemäß auf einen fortgesetzten Rückzug. In dem, 500 Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 346. 501 Cf. WE, 197.480.482.535.558. u.a., wo Bonhoeffer an unterschiedlichen Stellen offen die Fragwürdigkeit der Religion bzw. des religiösen Menschen kundtut. 502 WE, 558. 503 WE, 558. 504 WE, 557. 505 WE, 415. 506 WE, 559.
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was wir erkennen, sollen wir Gott finden, nicht aber in dem, was wir nicht erkennen; nicht in den ungelösten, sondern in gelösten Fragen will Gott von uns begriffen sein. Das gilt für das Verhältnis von Gott und wissenschaftlicher Erkenntnis. Aber es gilt auch für die allgemein menschlichen Fragen von Tod, Leid und Schuld.“507
Bonhoeffer scheint es hier wie Bultmann daran gelegen zu sein, den Gott des Jenseits, der erkenntnistheoretisch mit der fortschreitenden naturwissenschaftlichen Eroberung der Weltgesetze immer weiter in die Ferne geschoben wird, radikal diesseitig zu denken und ihn in das hinein zu holen, was wir schon eingenommen haben, worüber wir verfügen. Wenn Bultmann diesen Gedanken der Transzendenz an die Existenz, genauer in die je schon virulente Frage des eigenen Daseins nach Sinn, nach dem Woher etc., geknüpft sieht und darin eine Abwehr eines wie auch immer gearteten Gottesbildes postuliert, erweist sich hier doch eine offensichtliche Missdeutung des bonhoefferschen Verständnisses der Diesseitigkeit. Freilich liegt diese zum einen darin begründet – das wurde schon ausreichend betrachtet und betont –, dass beide ein voneinander unterschiedenes Existenzverständnis anführen, und zum anderen wird dies zudem daraus offensichtlich, dass beide ein anderes Verständnis der Transzendenz Gottes herausstreichen. In seiner Christologievorlesung nähert sich Bonhoeffer der Frage nach der Transzendenz Gottes in der Frage nach der Christologie. Mit Brunners Unterscheidung der Wer- und Wie-Frage508 versucht er, einer Einordnung der Frage nach Christus näher zu kommen; eine Unterscheidung, die dezidiert auf die Verbindung von Transzendenz und Immanenz hinweist: „Christologie wird von außen her durch die Transzendenz zum Zentrum der Wissenschaft. Der Logos, um den es hier geht, ist Person. Der Mensch ist das Transzendente.“509 Wie ist das zu verstehen? Insofern Christus das Wort Gottes ist, sagt Bonhoeffer, ist Christologie „Lehre, Rede, Wort vom Wort Gottes.“ Sie ist damit „Wissenschaft katexochen“,510 die ihren Charakter außerhalb ihrer selbst findet, im „Hinweis auf die Transzendenz ihres Gegenstandes. Die Tatsache, daß der Logos Mensch geworden ist, ist Voraussetzung und nicht Beweisstück.“511 Transzendenz ist folglich etwas, das gerade nicht die allgemeine, zeitlose Wahrheit meint, hier gehen Bonhoeffer und Bultmann Hand in Hand. Transzendenz ist nicht ohne Immanenz zu denken; in welchem Verhältnis jedoch? Es wurde gezeigt, dass Bultmann die Transzendenz an den Glauben bindet, d. h. an das Ergreifen der menschlichen Möglichkeit, genauer an die menschliche 507 508 509 510 511
WE, 454f. Cf. Brunner, Der Mittler, 206f. B, 281. B, 281. B, 281.
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Entscheidung für den Glauben. Im Glauben erschließt sich die Transzendenz als Immanenz im Vollzug des existentiellen Daseins. Aus der ontologischen Daseinsstruktur, die in ihrer Offenheit angelegt ist für die Möglichkeit des Glaubens, stellt sich die Transzendenz als diesseitige Wirklichkeit des Menschen heraus. Der Mensch ist das Transzendente, er ist das Transzendente im Ergreifen der ihm eigensten Möglichkeiten, in seiner echten Verwirklichung – er ist der Transzendente im Glauben. Wenn Bonhoeffer dagegen den Glauben in seiner Intentionalität nicht auf die Existenz des Menschen richtet, sondern gerade von dieser weg, bekundet sich die bonhoeffersche Proposition eines ‚Der Mensch ist das Transzendente‘ als eine von der bultmannschen weitaus zu unterscheidende. Erfasst nach Bultmann die Existenz als radikale Frage Jesus Christus aus ihrer ihr wesensmäßig angelegten Frage nach dem Sinn, nach dem Woher, erscheint dies für Bonhoeffer die Frage nach dem ‚Wie‘, die Frage aus dem menschlichen Logos zu sein. Es ist die Frage nach Christus, die den Gegenstand bestimmt, erkennt und ergreift „durch seine Möglichkeiten, durch sein ‚Wie‘, durch den immanenten Logos des Menschen. Die letzte Voraussetzung ist durch den menschlichen Logos bestimmt.“512 Lässt Bultmann den Menschen in seiner Existenz nach dem Menschen fragen, sieht Bonhoeffer darin, das wurde oben schon herausgearbeitet, die Gefahr der Übereignung der Offenbarung. Für Bonhoeffer muss diese Rede aus der menschlichen Daseinsstruktur im Ergreifen der Möglichkeit folglich eine solche sein, die eine „Idee als die letzte Wirklichkeit des Logos“513 denkt. In Schöpfung und Fall beschreibt er das in der Auseinandersetzung mit der ‚frommen Frage‘ der Schlange folgendermaßen: „Die Schlange fragt: Sollte Gott gesagt haben […]? Sie bestreitet dies Wort nicht, aber gibt dem Menschen einen bisher unbekannten Ausblick in eine Tiefe, von der aus der Mensch in der Lage wäre, ein Wort als Gotteswort zu begründen oder zu bestreiten. Die Schlange stellt zunächst nur die Möglichkeit hin, daß vielleicht der Mensch hier falsch gehört habe, da Gott das doch wohl so nicht gemeint haben könne. […] Das Entscheidende dabei ist, daß dem Menschen durch diese Frage nahegelegt wird, selbst hinter das Wort Gottes zurückzugehen und es nun seinerseits, aus seinem Verständnis des Wesens Gottes zu begründen. […] Es wird dem Menschen zugemutet, Richter über Gottes Wort zu sein […].“514
Eine Erkenntnis des Wortes Gottes, das wurde zur Genüge wiederholt, ist weder für Rudolf Bultmann, noch für Dietrich Bonhoeffer eine menschliche Möglichkeit. Und doch, so zeigt sich hier erneut, ist der Ansatzpunkt einer solchen Erkenntnis ein verschiedener. Nicht eine menschliche Möglichkeit erkennt Bonhoeffer darin, mag sie auch in der menschlichen Wesensstruktur angelegt 512 B, 281f. 513 B, 281. 514 SF, 98ff.
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sein, sondern gerade die Frage nach dem ‚Wie‘, die er Adam mit der frommen Frage der Schlange stellen hört, erweist sich als die, „die erst aus der Kraft Gottes ihr Dasein zieht […], sie [die fromme Frage, Anm. d. Verf.], die nur dort, wo sie fromm ist, böse sein kann, sie gibt sich nun selbst als die Kraft aus, die noch hinter dem Gotteswort steht, aus der Gott selbst erst seine Kraft zieht. Es war durchaus eine fromme Frage, die sie stellte. Aber mit der ersten frommen Frage in der Welt ist das Böse auf den Plan getreten.“515
Mit der Frage nach dem Wesen des Transzendenten, das in der Frage nach dem Sinn in die Existenz des Menschen geholt ist, enthüllt sich diese Frage als Frage des menschlichen Logos, der aus seinem Verständnis, aus seiner Anlage, seiner Wesensstruktur, seiner Existenz heraus die Frage nach der Erfahrbarkeit der Transzendenz stellt. Mit der in der Frage in Aussicht gestellten Möglichkeit des Frommseins, des Erkennens der wahren Transzendenz, ist es am Menschen, sich dieser „tiefere[n] Art des Geschöpfseins“516 zu ermächtigen. Anstatt den Blick allein auf Gott zu richten, auf das Wort Gottes zu hören, dem Wort Gottes zu vertrauen, hört der Mensch auf seinen eigenen Logos – in der Art des Frömmersein-Wollens für Gott. In der Hinwendung auf die eigene Vernünftigkeit, im Vertrauen auf die dem Menschen wesenseigene Fähigkeit der Einsehbarkeit, soll der Gottes-Logos „in die [menschliche] Logos-Ordnung“517 hineingenommen werden. „Daß wir immer nach dem ‚Wie‘ fragen, ist unsere Fesselung an unsere eigene Autorität. Es ist das cor curvum in se (Luther). Wenn wir fragen: wer bist Du, dann reden wir in der Sprache des gehorsamen Adam, aber wir denken des gefallenen Adams ‚Wie‘.“518 Die Diesseitigkeit der Transzendenz zu denken, ist Bonhoeffer zufolge demnach nicht aus der Existenz des Menschen heraus möglich; auch hier ist es ihm darum, den Blick nicht auf den Menschen zu richten, sondern einzig und allein auf Gott, genauer auf Jesus Christus. Wenn aber der Mensch nicht nach der Transzendenz fragen kann,519 ist man mit Bonhoeffer auch an dieser Stelle darauf verwiesen, dass „[n]ach dem Wer […] nur dort legitim gefragt werden [kann], wo sich der Gefragte selbst vorher schon offenbart hat, der immanente Logos bereits vorher aufgehoben ist; d. h. nach dem Wer kann nur gefragt werden unter der Voraussetzung der bereits geschehenen Antwort.“520 Christus ist die Antwort auf 515 516 517 518 519
SF, 99. SF, 105. B, 282. B, 283. Cf. B, 283: „Können wir denn noch die echte Frage nach dem Wer stellen? Können wir denn, wenn wir nach dem Wer fragen, etwas anderes als das Wie meinen? Nein, wir können es nicht. Das Geheimnis des Wer bleibt uns verhüllt. Die letzte Frage des kritischen Denkens ist, daß sie nach dem Wer fragen muß, aber nicht kann.“ 520 B, 283.
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die Frage nach der Transzendenz. „Der Logos, um den es hier geht, ist Person.“521 Was auch den Satz „Der Mensch ist das Transzendente.“522 neu aufschließt: Der Mensch Jesus ist als der Christus das Transzendente. Die Transzendenz ist auch für Bonhoeffer damit nicht als ewige, überzeitliche Wahrheit zu denken, sie ist vielmehr die zeitliche Wahrheit in der Menschwerdung des Logos. Hier, allein in diesem Ereignis ist „Gott […] in unserem Leben jenseitig.“523 Hier erweist sich das Paradoxon als adäquater Ausdruck für den Logos Gottes, für die „biblische Durchbrechung der Alternative: göttliche Transzendenz – Immanenz.“524 Echte Transzendenz heißt dann dreierlei: Zuerst ist „[d]ie Tatsache, daß der Logos Mensch geworden ist, […] Voraussetzung und nicht Beweisstück.“525 Transzendenz ist nur dann als solche wirklich transzendent, wenn der Mensch sich nicht ihrer bemächtigt, wenn er sie nicht in seinen Ermessens- und Erfahrungsraum einholt, sie nicht zu einem Stück menschlicher Erfahrbarkeit als Bewusstseinsakt macht. Echte Transzendenz ist unserem Denken immer voraus, so weit voraus, dass sie unser Denken überhaupt erst setzt, sie ist gerade nicht Beweis, „[d]enn als Beweisgegenstand wäre [sie] nicht das Transzendente.“526 Zweitens, der Mensch kann nicht nach diesem Transzendenten fragen. Nicht mit dem Logos des Menschen, mit der existentialen Wesensbeschaffenheit kann sich dem Transzendenten genähert werden; der Mensch transzendiert sich vielmehr darin selbst, er spiegelt sich selbst. Er „ist [und bleibt] die Frage nach der Immanenz. Weil aber der, der gefragt ist, der Sohn selbst ist, darum vermag ihn die immanente Frage […] nie zu erfassen. Nicht ‚wie‘ bist du möglich? – das ist die gottlose Frage der Schlange“,527 die sich zum Richter über Gott macht. Damit bedeutet das drittens: Legitimität erhält die Frage nach der Transzendenz allein aus sich selbst, nur wo der göttliche Logos selbst das Subjekt bleibt, kann echte Transzendenz außerhalb unseres menschlichen Seins gefunden werden. Bonhoeffer kann sagen: „Es gibt ja doch nur ein Gott-Suchen aufgrund dessen, daß ich schon weiß, wer er ist. Es gibt kein blindes Drauflos-Suchen nach Gott. Ich kann nur etwas suchen, was bereits gefunden ist.“528 Also doch die Existenz als Gott gegebene Frage nach der Transzendenz, wie Bultmann postuliert? Nein, echte Transzendenz ist nicht innerhalb der Existenz zu finden, sondern allein extra me – in Christus.
521 522 523 524 525 526 527 528
B, 281. B, 281. WE, 408. Benktson, Christus und die Religion, 43 (Anm. 7). B, 281. B, 281. B, 283. B, 284.
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Bonhoeffer begreift Transzendenz folglich als etwas die menschliche Erfahrungswelt Überschreitendes; das aber so, dass unbedingt dieses Überschreiten mitgesetzt ist, ereignet sich doch darin der neue Adam. Es ist damit nämlich zugleich eine neue Beziehungswirklichkeit gesetzt. Denn nicht die Besinnung auf die Offenheit und Fragwürdigkeit der eigenen menschlichen Existenz erfasst die Transzendenz in der Immanenz, einzig in Jesus Christus als dem wahren Menschen kann die Immanenz der Transzendenz zunächst erkannt und zuletzt auch erfahren werden, denn, kann Bonhoeffer viele Jahre später in seiner Ethik sagen, „unser Verhältnis zu Gott ist ein neues Leben im ‚Dasein-für-andere‘, in der Teilhabe am Sein Jesu. Nicht die unendlichen, unerreichbaren Aufgaben, sondern der jeweils gegebene erreichbare Nächste ist das Transzendente. Gott in Menschengestalt! […] ‚[D]er Mensch für andere‘! darum der Gekreuzigte. Der aus dem Transzendenten lebende Mensch.“529
In Jesus Christus ist das Transzendente radikal diesseitig zu denken. Im wahren, wirklichen Menschen, der allein Mensch für andere ist, ist Transzendenz Immanenz. Einzig hier, außerhalb der gefallenen Existenz des Menschen, ist die Diesseitigkeit Gottes zu bestimmen. Es verwundert kaum, wenn Bonhoeffer sich daran anschließend auch in einem weiteren Punkt von der Bestimmung der Transzendenz Bultmanns absetzt; und zwar darin, dass dieselbe nicht auf die individuelle Existenz des einzelnen gerichtet ist. Nicht in der subjektiven Frage nach dem Sinn, dem eigenen Heil besteht die Frage des Logos; nicht in seiner „individualistische[n] Frage nach dem persönlichen Seelenheil“530 ist der Blick des Fragenden weg von sich gerichtet, hier verbleibt er in der Spiegelung seiner selbst, handelt es sich doch aller frommen Anstrengungen zum Trotz um die „Arbeitshypothese Gott“. „Man versucht der mündig gewordenen Welt zu beweisen, daß sie ohne den Vormund ‚Gott‘ nicht leben könne. Wenn man auch in allen weltlichen Fragen schon kapituliert hat, so bleiben doch immer die sogenannten ‚letzten Fragen‘ – Tod, Schuld,“ wir können ergänzend hinzufügen, Sinn „– auf die nur ‚Gott‘ eine Antwort geben kann und um derentwillen man Gott und die Kirche und den Pfarrer braucht. Wir leben gewissermaßen von diesen sogenannten letzten Fragen der Menschen.“531
Mit dem Inhalt des Glaubens, den Bonhoeffer – wie im Übrigen auch Bultmann – einzig und allein als Jesus Christus benennt, d. h. mit der reinen Intentionalität dieses den Menschen neu machenden Seins, ist die Bestimmung der Diesseitigkeit Gottes in den letzten Fragen des Menschen nach sich selbst und dem eigenen Heil als „platte, banale Diesseitigkeit“532 enttarnt. In der Definition der 529 530 531 532
WE, 558f. WE, 415. WE, 477f. WE, 541.
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Transzendenz als der in Christus uns je erreichbare Nächste erweist sich für Bonhoeffer die wahre Diesseitigkeit Gottes in der Gemeinschaft, eben in der Kirche und gerade nicht im Individuellen, Einzelnen. Transzendenz, Diesseitigkeit, Christus, der Nächste und die Kirche sind damit als Komponenten zu denken. Keines ist ohne den anderen wirklich erfasst. Allein in dieser Verbindung ist demnach wahre Diesseitigkeit das Charakteristikum des Christentums. In welchem Verhältnis Bonhoeffer diese jedoch zueinander zu denken weiß, das ist freilich an anderer Stelle dezidiert zu erörtern, für jetzt gilt es festzuhalten: Die Rede von der Transzendenz darf weder mit einer prolongierten Anthropomorphisierung ins All projiziert, noch auf die individualistische Frage nach dem Seelenheil reduziert werden. Indes gilt es in Jesus Christus die Transzendenz an die Existenz des Menschen zu binden, das freilich an die Kirche, „in der Christus sich als das Wort Gottes offenbart hat“,533 und an dem die Frage nach „dem anderen Menschen, dem anderen Sein, der anderen Autorität“ gestellt wird. „Sie ist die Frage der Liebe zum Nächsten.“ Hier und einzig allein hier ist demnach die wahre, tiefe Diesseitigkeit des Christentums zu bestimmen, in der „Transzendenzfrage und [der] Existenzfrage ist die Frage nach dem Nächsten [gestellt], sie ist Personfrage.“534 Mit der „Umformulierung des Transzendenzgedankens“535 durch den Fokus des Kreuzes setzt Bonhoeffer Gott zu uns in Beziehung nicht aus unserer Existenz, sondern in unsere Existenz hinein, indem Christus als der Ort der Begegnung von Immanenz und Transzendenz gedacht wird. So ist auch hier Gott nicht ohne die Welt und die Welt nicht ohne Gott zu verstehen, nicht aber aus schöpfungstheologischer, existentialer Perspektive, sondern allein aus Christus, d. h. ekklesiologisch.536 Sodass mit Bonhoeffer geschlossen werden kann: „Das ‚Jenseits‘ Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens! Die erkenntnistheoretische Transzendenz hat mit der Transzendenz Gottes nichts zu tun. Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig.“537 „Das Jenseitige ist nicht das unendlich Ferne, sondern das Nächste.“538
3.2.6 Chalcedon: Zwischen Mythos und Geheimnis Wird in dieser Untersuchung der junge Privatdozent Dietrich Bonhoeffer in eine bedeutende Nähe zu seinem Marburger Kollegen und Zeitgenossen Rudolf Bultmann gestellt, geschieht dies, das wurde im vorherigen Kapitel eingehend 533 534 535 536 537 538
B, 284. B, 283. WE, 654 (Nachwort). Cf. § 4.2.2. WE, 408. WE, 551.
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erarbeitet, zunächst auf rein formaler Ebene. Der äußerliche Umgang beider Theologen mit dem literarischen Dokument Bibel erwies sich als ein solcher, der auf der dialektisch-theologischen Fundamentalunterscheidung Gottes und des Menschen dieselbe als historisches Dokument und darin als menschliches und fehlbares Dokument anerkennt. Eine Verlängerung des Menschen in Form irgend gearteter gläubiger Vereinnahmung wollen beide darin zuvörderst ausgeschlossen wissen, um das Wort in seiner reinen Form, genauer in seiner Bedeutung für die Existenz des Menschen herauszukristallisieren. Geschieht das bei Bultmann mit den Mitteln einer radikalen Entmythologisierung, d. h. Übersetzung des Mythos, zugunsten einer rationalen Einsehbarkeit in das Kerygma, buchstabiert sich dieses bei Bonhoeffer gerade in einer Hervorhebung der Fremdheit des Textes aus, der sich der Leser entgegenstellen muss. Was auf rein formaler Ebene noch nicht gänzlich einsehbar war, erschließt sich nach differenzierter materialer Auseinandersetzung beider Theologien deutlicher: Augenscheinlich steht beiden an erster Stelle allen Theologisierens eine existentiale Betroffenheit des ganzen Menschen durch das Wort der Schrift, womit es zentral um die Frage nach der Existenz des Menschen geht, um die sich doch eine jegliche Sorge des glaubenden Verstehens und verstehenden Glaubens dreht; eine Einsicht in den materialen Umgang mit der Schrift zieht so unbedingt den formalen nach sich. Daran schlossen sich sodann die nähere Untersuchung des bultmannschen Programmes einer existentialen Interpretation sowie die sich daraus ergebende Frage nach der Unterscheidung von Geschichte und Geschichtlichkeit an. Freilich muss von da aus gerade die virulente Verhältnisbestimmung von Transzendenz und Immanenz bzw. Jenseits und Diesseits in den Fokus rücken, scheint doch letztlich darin die Nähe und Ferne Bonhoeffers zu Bultmann augenscheinlich zu werden. Stellt sich also zunächst die Frage nach der Existenz, ist zu erkennen, dass Bonhoeffer wie Bultmann den Menschen als relationales, als offenes Wesen anlegen und diese Beziehungsfähigkeit als eine grundsätzliche Wesensstruktur erscheint, die beider Rede vom Menschen eng nebeneinander stellt. Eine erste Unterscheidung hebt sich jedoch hervor, wenn Bultmann die existentiale Wesensstruktur als ein „Frage-Antwort-Schema“539 entwirft, das den Menschen ins Hier und Jetzt in Beziehung zu seinem Schöpfer gestellt sieht, das jedoch – wenn es auch von Bultmann zunächst versucht wird zu betonen540 – den Nächsten
539 Boutin, Relationalität als Verstehensprinzip, 19. 540 Cf. bspw. Bultmann, Das christliche Gebot der Nächstenliebe, passim. Auffallend erscheint die Beobachtung mit dem Registerband zu den vier Bänden von Glauben und Verstehen, dass die Bedeutung des Miteinanderseins sowie des darin enthaltenen Nächsten zu Beginn der theologischen Bemühungen Bultmanns wichtiger zu sein scheint als zuletzt. So weist der erste Teilband noch eine anschauliche Zahl an Treffern auf, im vierten Teilband findet sich
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vorwiegend nicht als konstitutiv für den Vollzug der Existenz erkennt. Bonhoeffer hingegen versteht diese relationale Wesensart des Menschen in seiner Auslegung der ersten Kapitel der Genesis dahingehend, dass er den Menschen als urständlich in Zweiheit Geschaffenen postuliert, d. h. also: „Der Mensch ist nicht allein, er ist in Zweiheit und in diesem Angewiesensein auf den anderen besteht seine Geschöpflichkeit.“541 Die Gemeinschaft erweist sich demnach als grundlegendes Moment eines jeden theologischen Verständnisses des menschlichen Daseins. Nicht nur, dass das Geschöpf als offen und beziehungsfähig gelesen wird, vielmehr noch, diese Offenheit ist erst dann als solche nach Bonhoeffer zu verstehen, wenn der eine auf den anderen hin angelegt ist, wenn das Du als Gegenüber die Existenz des Menschen ausmacht. Freilich ist das noch eine recht unanschauliche und uneinsichtige Rede von Bonhoeffers Ausdifferenzierung des relationalen Existenzbegriffes, für hier jedoch muss diese Andeutung genügen:542 „Indem ich ein Du, ein fremdes Bewußtseinswesen als von mir getrennt und unterscheidbar erkenne, erkenne ich mich als ein ‚Ich‘, wird mein Selbstbewußtsein wach. […] ‚Alle Geistigkeit des Menschen wird erst aneinander offenbar; das ist das Wesen des Geistes: Selbstsein durch Sein im anderen.‘“543
Zugleich aber betonen beide in ihrem je voneinander unterschiedenen Daseinsbegriff die Konkretheit des Menschen im Hier und Jetzt als geschichtliches Sein. Denkt Bultmann die Existenz des Menschen von der heideggerschen existential-ontologischen Daseinsanalyse her, unterscheidet er das natürliche vom gläubigen Dasein, das Dass vom Wie.544 In seiner formalen Wesensstruktur ist der Mensch danach ein Seinkönnen, das in seiner Offenheit für jede ihm eigene Möglichkeit erst sein Sein verwirklicht, wenn er dieselbe ergreift. Die Betonung der Komponente der Zeitlichkeit wird hiermit als konstitutiver Bestandteil der ontologischen Wesenheit des Menschen gedacht, realisiert sich diese doch in jedem Augenblick in der Entscheidung neu und konkret.545 Bultmann konstatiert somit unter dem Eindruck seines Marburger Lehrers Wilhelm Herrmann auf dem Boden der kantianischen Erkenntniskritik sowie der schleiermacherschen Bewusstseinstheologie eine Glaubenserkenntnis, die es nur auf dem Wege der
541 542 543 544 545
dazu jedoch kein einziger mehr. Cf. Bultmann, Register zu Rudolf Bultmanns Glauben und Verstehen, 76.78. SF, 60. Man könnte im Gegensatz zu Bultmann gar herausstellen, dass für Bonhoeffer der Nächste im Laufe seines Lebens noch weiter an Bedeutung gewinnt. In seiner Ethik zeigt sich dieses dann in der immer wiederkehrenden Rede von der Verantwortung. Cf. E, passim. Cf. § 4.2.2. SC, 44f. Bonhoeffer zitiert hier Spann, Othmar, Gesellschaftslehre, Leipzig, 2., neu bearb. Aufl. 1923, 103f. Cf. Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 73ff. Cf. Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns, 56.
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Selbsterkenntnis geben kann.546 Die Frage nach der Fremdheit des Textes, die den Menschen in die Krisis, d. h. an die Frage nach dem eigenen Sinn, dem letzten Warum führen soll, zeichnet sich hiermit als eine solche aus, die zunächst und zu allererst die existential-ontologische Struktur des Wesens betrifft. Allein in der rein rationalen Erkenntnis, billiger kann Bultmann von der Vernunft nicht reden, indem sie ihren „Weg bis zu Ende geht“,547 wie es da heißt, ist die Erkennbarkeit Gottes in seiner Offenbarung gewährleistet. Indem jedem Menschen in seiner Wesensstruktur die Fähigkeit gegeben ist, sich kongenial zu den christlichen Begriffen in Beziehung zu setzen, erscheint das dem Menschen mögliche Wissen um die Offenbarung als ein solches, für das es der Aufklärung des Evangeliums zunächst nicht bedarf.548 Mit Gerhardt Kuhlmann wehrt sich Dietrich Bonhoeffer gegen die Auslegung der menschlichen Existenz Rudolf Bultmanns, die er zwar darin als imponierend empfunden haben muss, dass das Dasein des Menschen in seiner ontologischen Wesensstruktur als intentional auf die Offenbarung hin ausgerichtet ist, dass also Gott als die alles bestimmende Wirklichkeit der menschlichen Existenz gedacht werden kann und diese Auffassung darauf bedacht ist, den Menschen in die volle Geschichtlichkeit des Daseins zu stellen; zugleich aber versagt er sich einer Unterscheidung in ontologisches und ontisches Dasein, gilt ihm doch der Mensch als ganzer in Struktur und Vollzug von der Offenbarung getroffen. Mit der Ausscheidung der Kategorie der Möglichkeit hingegen kann für Bonhoeffer keine Rede von der je eigenen ontologischen Möglichkeit der Ergreifung der Offenbarung sein, verkomme damit diese doch letztlich nur zu einer je neu zu aktualisierenden Alternative, die aus der Struktur des Daseins je schon angelegt, d. h. möglich, ist. In der Zurückweisung der sich für Bonhoeffer darin erweisenden Gefahr einer Rede von der Offenbarung als verfügbarer Qualität des natürlichen Daseins549 und einer Möglichkeit desselben unbetroffen von der Offenbarung,550 denkt dieser die Existenz ontologisch wie ontisch – eine Unterscheidung will Bonhoeffer nicht machen, gebe es doch keine Vorbegriffe über die Existenz551 – entweder in Sünde oder Gnade, genauer in Beziehung zur Offenbarung. Demzufolge kann der Akt des Ergreifens der Offenbarung nicht vom Sein in der Offenbarung getrennt werden; beides referiert aufeinander. Das war schon zu hören, zur Verdeutlichung aber noch einmal:
546 547 548 549 550 551
Cf. Schmithals, Art. Bultmann, 388. Bultmann, Die liberale Theologie und die jüngste theologische Bewegung, 19. Cf. Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 352. Cf. Kuhlmann, Zum theologischen Problem der Existenz, 47. Cf. AS, 92 (Anm. 24). Cf. AS, 92.
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„Da dies [ontische, Anm. d. Verf.] Sein aber die Existenz des Menschen berühren soll, müssen mit ihm Existenzakte zusammenstehen, die dies Sein ebenso konstituieren, wie [sie] durch es konstituiert werden. Hier erst käme eine echte Ontologie zu ihrem Recht, indem sie das ‚Sein in …‘ doch so bestimmt, daß das sich im Seienden vorfindende Erkennen sich vor dem Sein des Seienden je und je aufhebt, es nicht in seine Verfügbarkeit zwingt. Von hier aus muß sich dann vom Wesen des Menschen, von der Erkenntnis Gottes durch den Menschen und des Menschen durch Gott theologisch reden lassen. Von hier aus öffnet sich der Blick auf echte theologische Seinsbegriffe.“552
Stimmt Bonhoeffer demgemäß der bultmannschen Forderung zu, eine Erkenntnis Gottes könne nie abgesehen von der menschlichen gewonnen werden, geschieht das jedoch zugleich im Gegensatz zur phänomenologischen Methode Bultmanns, die sich Bonhoeffer zufolge „innerhalb der Existenz des Menschen [vollzieht]; denn der Mensch muß schon die Möglichkeiten der Wesensschau – d. h. der Offenbarungserkenntnis – in sich tragen und ‚entdeckt‘ das seiende Sein, weil er im Grunde immer schon weiß, was das ‚Sein‘ ist. Daraus folgt aber, daß die christliche Offenbarung nicht verstanden werden kann, wenn sie so als Seiendes im Sinne eines beliebig Vorfindlichen gedacht wird. […] [P]hänomenologisch-ontologisch verstanden, führt dies an die Existenz des Menschen nicht heran.“553
Bonhoeffer hingegen legt infolgedessen ein fundamental verschiedenes Verständnis der menschlichen Existenz zugrunde, die sich eben gerade nicht als ein Seinkönnen, als Möglichkeit der Verwirklichung der eigenen Existenz im je konkreten Augenblick versteht, disqualifiziere eine solche Phänomenologie im Grunde doch die Offenbarung Gottes als willkürlich und verfügbar. Deutlicher lässt sich diese Unterscheidung wohl noch an dem sich anschließenden Glaubensbegriff machen: Beide richten die Intention dessen auf das Faktum Jesus Christus, das dezidiert Gott als den ganz anderen bzw. das extra nos betonen will. Wenn aber Bultmann den Glauben als Möglichkeit der ontologischen, immer schon angelegten Daseinsstruktur, als Ergreifen der Offenbarung erkennt, vollzieht sich der Glaube nicht nur innerhalb der menschlichen Existenz, er richtet sich gleichsam vollkommen auf diese hin aus. Kaum verwunderlich, dass Bonhoeffer sich gegen diese Auslegung verwehren muss, mutet ihm das doch stark nicht nur nach einer Inbesitznahme der Offenbarung, sondern auch der Widerspiegelung des menschlichen Selbst in seiner Existenz an.554 Bonhoeffer indes 552 AS, 105. 553 AS, 103. 554 Cf. BBA, 371f.: „Der Mensch versteht sich je neu aus dem von außen kommenden Wort Gottes aus seiner absoluten Grenze, die Gott heißt. [[…] Bultmann [versucht] Heidegger für die Theologie fruchtbar zu machen. Der Mensch verfügt nicht über sich, denn er ist in der Geschichte, er ist nicht in der Weise von Dinghaftem, sondern sein Sein ist Sein-können, d. h. Bestimmtsein durch die Sünde oder durch Gott. Hier scheint die Idee des Menschen an der
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erkennt den Glauben einzig auf Gott bezogen, er kann sogar so weit gehen, diesen Glauben als völlig passive Hinnahme des Wortes zu beschreiben: „In my faith God reveals himself through Christ in me. In his self-revelation in Jesus Christ he gives himself to be known. In my faith no one speaks other than God, because if so, it would not be the truth. The word of God spoken to me in the act of my faith in Christ is God in his revelation as the Holy Spirit. Faith is nothing but the act of receiving this word of God. God remains always and entirely subject, and even the answer of man can ever be more than ‚I believe, help thou mine unbelief.‘“555
So fordert er von der „echten Ontologie“ einen Erkenntnisbegriff, „der die Existenz des Menschen betrifft, aber nicht im reinen Aktualismus verbleibt und einen Erkenntnisgegenstand, der im echten Sinn dem Ich so ‚entgegensteht‘, daß er seine Existenzweise bedroht und begrenzt […].“556 Soll ihm zufolge von Gott als dem ganz anderen gesprochen werden, begründet diese Diktion gleichsam die Rede von der Erkenntnis Gottes. In der Fremdheit, die nach Bonhoeffer gerade nicht in der dem Menschen inhärenten Frage nach sich selbst besteht, sondern im Gegenteil, die dem Menschen von außen als wirkliche Grenze entgegensteht, erweist sich eine Erkenntnis Gottes gerade darin, „daß er grundsätzlich frei vom Erkanntwerden ist, ja, daß das Erkennen in einem Erkanntsein gründet und aufgehoben wird. Der Gegenstand muß je schon entgegenstehen, darf ein Seiendes nur sein in der Qualifikation des Seins und Nichtseins schlechthin, […] auf das das Erkennen nicht wie auf Vorfindliches beliebig rekurrieren kann, sondern vor dem es sich im Erkennen selbst immer wieder neu aufheben muß. Dann wäre die uns gepredigte Offenbarung Gottes in Christus, die sich uns schenkende göttliche dreieinige Person Gegenstand unseres Erkennens.“557
In der Rede von der Existenz des Menschen, die wie Bultmann fordert, nicht abgesehen von Gott erkannt werden kann, muss Bonhoeffer, gründet er tatsächlich und in voller Konsequenz das Erkennen des Menschen in der Erkenntnis Gottes, der als der Absolute und Unbedingte zu denken ist, das Erkennen selbst in einem Erkanntsein gründen, also in einer Erkenntnis, die außerhalb des Menschen steht. In der Forderung der Absolutheit Gottes und der Bedingtheit menschlicher Existenz als wesensmäßig gottgebundene versteht Bonhoeffer damit eine wirkliche Erkenntnis nicht als ein aus der Möglichkeit des Menschen angelegtes Wissen, er versteht sie im Gegenteil als eine solche, die den Menschen tatsächlich erkennen lässt, die in die tatsächliche Fremdheit führt, nämlich an Grenze mit der des Menschen der unendlichen Möglichkeiten vereint.]“ Diese Bestimmung des Menschen an der Grenze, der seine eigene Möglichkeit in sich selbst findet, deutet auf die Bestimmung des Menschen in der Mitte ohne Grenze hin. Cf. bspw. SF, 107. 555 BBA, 431. 556 AS, 103f. 557 AS, 104.
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einen Ort außer seiner selbst, an das Kreuz. Und so kann Bonhoeffer hier, genau hier die changierende Verhältnisbestimmung der Transzendenz und Immanenz anschließen: „It is just here that the personalities of God and of man come in contact with each other. Here God himself transcends his transcendence, giving himself to man as Holy Spirit. Yet, being personality, he remains in absolute transcendence; the immanence of God means that man hears God’s own word, which is spoken in absolute self-revelation, always anew.“558
Bonhoeffer bindet in der Intentionalität der Existenz des Menschen demnach in Jesus Christus die Transzendenz Gottes an die Immanenz des Menschen; parallel zu diesem kann auch Bultmann göttliche Offenbarung und menschliche Existenz in der Frage nach der Transzendenz aneinanderknüpfen. Gerade in der Zeitlichkeit und echten Diesseitigkeit des Transzendenten, so war zu sehen, sieht sich dieser dann auch Bonhoeffer an die Seite gestellt.559 In der Bestimmung der Offenbarung als Erneuerung der menschlichen Existenz scheint die Transzendenz verloren zu gehen, würde sie als rein jenseitig gedacht; dagegen stellt sich als Aufgabe des Glaubens heraus, Subjektivität und Objektivität radikal zu verbinden, d. h. das Bedingte im Unbedingten und das Transzendente im Diesseitigen zu finden. „Nachdem aus dem Gott oberhalb der Welt der Gott jenseits der Welt geworden war, gilt es heute, Gott mitten in der Welt, in der Gegenwart zu finden. Der Gegensatz von Diesseits und Jenseits, und damit der Gegensatz von Naturalismus und Supranaturalismus muß überwunden werden; Gott muß erkannt werden als der Unbedingte im Bedingten.“560
In der Charakterisierung der menschlichen Existenz als geschichtliche, als im konkreten Hier und Jetzt dem Menschen eigenste Möglichkeit seine Zukunft zu ergreifen, verdeutlicht Bultmann das Transzendente durch die Geschichtlichkeit des Menschen. In seiner ontologischen Wesensstruktur verwirklicht sich das Dasein des Menschen erst mit dem konkreten Ergreifen der Transzendenz. Aus dem Bruch mit der alten und der sich im Glauben ausformenden, als transzendent-immanent zu bestimmenden, neuen Existenz erweist sich hierin für ihn dann die wahre Diesseitigkeit und gegenwärtige Geschichtlichkeit des Glaubens. Aus der Wesensstruktur des Menschen, die Bultmann anhand der philosophischen Bestimmungen Heideggers gewinnt, erschließt sich so nicht nur 558 BBA, 431. Cf. ITAF, 475: „Der Menschensohn wird nur erkannt durch den Geist. Im Geist allein ist Erkenntnis der Offenbarung, er weist auf den Sohn und den Vater. Der Geist ist die Gotteserkenntnis, subjektiv und objektiv. Darum ist die Sünde gegen ihn das ausschließen, sich verwehren gegen die Gotteserkenntnis.“ 559 Cf. Bultmann, Der Gottesgedanke und der moderne Mensch, 342. 560 Bultmann, Der Gottesgedanke und der moderne Mensch, 343.
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die Charakterisierung der Transzendenz als letztlich rein innerweltliches, existentiales Phänomen, sondern auch die Bestimmung der Geschichtlichkeit und Diesseitigkeit des Menschen. Der Unbedingte wird somit in der Konkretheit des menschlichen Daseinsvollzuges als weltlich-immanente Erscheinung erkannt, die je wahr, d. h. wirklich, wird, wenn sie den Menschen in dessen Entscheidung zum Neuen macht. Darum also noch einmal, dieses Mal aber mit anderem Fokus:561 „Die Idee des allgegenwärtigen und allmächtigen Gottes wird nur durch sein Wort, das hier und jetzt gesprochen ist, in meiner Existenz zur Wirklichkeit. Entsprechend muß gesagt werden, daß das Wort Gottes nur in dem Augenblick, in dem es gesprochen wird, das ist, was es ist. Das Wort Gottes ist nicht eine zeitlose Aussage, sondern ein konkretes Wort, das hier und jetzt an Menschen gerichtet ist. […] Nur so ist es das verbum externum nur dann, wenn es mich immer wieder trifft nicht ein ein für allemal besseres Wissen ist.“562
In der Begegnung von Offenbarung und menschlicher Existenz erscheint das Transzendente als das Diesseitige, Bonhoeffer kann dies sogar pointiert als Transzendieren der Transzendenz Gottes benennen; hier findet sich Bonhoeffer in der Nähe zu Bultmann. Es wurde jedoch schon gezeigt, dass jener eine solche Auffassung der Transzendenz nicht teilen kann. Nicht die Existenz des Menschen als Bereich der Möglichkeit steht da im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern genauer die Bestimmung des Daseins als in Bezug auf die Offenbarung, d. h. biblisch gesprochen als Ebenbild Gottes. In seiner steilen und zunächst befremdlich anmutenden Definition des Menschen als des Transzendenten563 richtet er seinen Blick gleich Bultmann auf den Menschen, holt damit das Unbedingte in das Bedingte. Doch im Gegensatz zu Bultmann sieht er die Transzendenz sich nicht in der schöpfungstheologischen Anlage des Menschen im Immanenten manifestieren, sondern in der Wahrung des extra nos verbleibt auch diese Rede vom Transzendenten im echten Außen des Menschen. Gibt es wahre Gotteserkenntnis allein im Glauben, d. h. im Blick auf Jesus Christus, erweist sich daran anschließend ebenfalls die Bestimmung der Transzendenz als Immanenz: Die Tatsache eines „Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig“564 ist strikt vom Logos, der Mensch geworden ist, zu denken, allein daraus ist überhaupt eine Rede von der Transzendenz Gottes möglich.565 In der Annahme dieses als Vor561 562 563 564 565
Cf. § 3.2.4. Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 184f. Cf. B, 281. WE, 408. Die Einschätzung Benkt-Erik Benktsons, dass Bonhoeffer zu Beginn seiner theologischen Laufbahn eher barthianisch darin gedacht habe, dass die Kirche die Schöpfung von Jesus Christus her zu lesen habe, und sich zu Ende seines Lebens darin eher von Barth entfernt habe, wenn er Gott mitten in unserem Leben jenseitig denke, erscheint in Bonhoeffers
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aussetzung (nicht als Beweisstück, wie dies Bultmann in seinem Glaubens- wie auch Verstehensbegriff allem Anschein nach nahelegt),566 d. h. im Glauben offenbart sich Gott als die absolute Transzendenz durch Jesus Christus extra nos und zugleich doch im Menschen: „In my faith God reveals himself through Christ in me.“567 Radikale Diesseitigkeit der Transzendenz ist infolgedessen nicht in der gefallenen, menschlichen Existenz zu suchen, sondern genauer in der menschlichen Existenz, welche die wirkliche Existenz des Menschen ist: Jesus Christus. So erweist sich Bonhoeffers Rede von der Diesseitigkeit der Transzendenz als existential den Menschen treffende und erneuernde und doch als eine außerhalb seines Selbst, darum noch einmal: „Unser Heil ist ‚außerhalb unserer selbst‘ (extra nos), nicht in meiner Lebensgeschichte, sondern allein in der Geschichte Jesu Christi finde ich es. Nur wer sich in Jesus Christus finden läßt, in seiner Menschwerdung, seinem Kreuz, seiner Auferstehung, der ist bei Gott und Gott bei ihm.“568
Der Mensch als konkrete Person erweist sich in dieser christologischen Phänomenologie in die Welt hineingestellt; so muss damit auch die Charakterisierung der Geschichtlichkeit eine andere sein als die schöpfungstheologisch existentiale Bultmanns. Nicht in seiner sich jeden Augenblick neu konstituierenden Geschichte zeigt sich eine Rede von der Geschichtlichkeit des Menschen als wirklich, auch hier verweist Bonhoeffer an den Menschen, dessen Ontologie eine solche ist, die außerhalb des eigenen Seins zu finden ist. In der Rede vom „Sein in …“ setzt sich die Gegenwart des Menschen als gottgegebene, d. h. als solche, die sich radikal von außen dem Menschen entgegenstellt und ihn aus seiner Vergangenheit resp. dem alten Sein herausreißt in die gegenwärtige Zukunft in Jesus Christus.
Bedeutung und theologischen Auslegung Jesu Christi als nicht treffend, handelt es sich doch in dieser Einsicht um die Frage nach der Präsenz Christi. Bereits in seiner Dissertation kann er diesen als Gemeinde existierend bezeichnen, womit Christus als radikal diesseitig gedacht erscheint. Dazu aber noch genaueres siehe § 4.2.2. Cf. Benktson, Christus und die Religion, 43. 566 Cf. ÖUP, 199f.: „Gegenstand der Theologie [ist] aber allein der logos theou, das sich selbst begründende Tun Gottes. Der Mensch kann nicht mehr hinter diesen Anfang zurück. Die Theologie hat nicht mehr ihre Wahrheit zu begründen, sondern von der Selbstbegründung auszugehen, sie ist voraussetzungsvoll. […] In der Theologie [ist] aber Gegenstand die Wahrheit selbst, [sie hat] keine Basis allgemeiner Erkenntnis, am Anfang steht ein Gottesbeweis, der durch das sich selbst beweisende Wort Gottes gesetzt ist; aber das ist ein wirklicher Wahrheitsbeweis. Eine nicht mehr auflösbare petitio principii. Am Anfang steht ein Akt der Anerkenntnis. Es gibt nur noch Ablehnung oder Anerkennung, beide [sind] unbegründbar. So steht auch am Anfang der Theologie der Glaube.“ 567 BBA, 431. 568 GL, 47.
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Es ist zu sehen, dass in der Auseinandersetzung mit Rudolf Bultmann eine Nähe beider an recht unterschiedlichen Punkten zu konstatieren ist, die sich erst in der dezidierten Auseinandersetzung der Begrifflichkeiten nur als scheinbare Nähe erweist. Es zeigt sich auch hier wieder, dass für Bonhoeffer die Frage nach der Erkenntnis Gottes eine schillernde und darin paradoxe bleiben muss, derer detaillierten und erschöpfenden Ausdifferenzierung sich im Folgenden noch ausführlich gewidmet werden soll.569 Zudem zeigt sich daran anschließend oder vielmehr daraus resultierend die Bestimmung der menschlichen Existenz eng an die Fähigkeiten des Erkennens angeschlossen, sodass eine Charakterisierung beider nicht ohne die des je anderen auszukommen vermag. Selbiges stellt sich zudem in der Annahme einer Transzendenz dar, die sich rein diesseitig gedacht an der paradoxen Rede der Geschichtlichkeit, d. h. genauer der Gegenwärtigkeit, des Menschen als etwas von außen Kommendes, Grenzartiges in dem wirklichen Menschen Jesus Christus festmacht. Für beide gilt somit auf je differente Weise: Eine Auslegung der biblischen Schriften, die sich nicht von der Bestimmung der Existenz des Menschen unbetroffen charakterisieren lässt, muss infolgedessen als eine solche aufgefasst werden, die den Menschen in seinem Dasein trifft, ihn existential neu macht. Bultmann entfaltet das in seiner existentialen Hermeneutik, die zuletzt und unweigerlich in dem Programm der Entmythologisierung mündet, auf dem Hintergrund der heideggerschen Bestimmung des Menschen als hermeneutisches Wesen, „dessen Dasein durch die Vorstruktur des Verstehens gekennzeichnet ist“, sowie in der Internalisierung dessen und mit Diltheys Verständnis des historischen Objekts, „das nicht ein objektives und sich immer gleich bleibendes Ansichsein aufweist, sondern seine Bedeutung und Sinn […] von dem in einer geschichtlich vorgegebenen Situation stehenden Interpreten erhält […].“570 In der echten Fragestellung, die echtes, also gläubiges Verstehen überhaupt generieren kann, steht für diesen nicht ein vorgeblich objektiver und überzeitlicher Historismus im Hintergrund der Betrachtung,571 sondern im Gegenteil „das Hören auf die im zum interpretierenden Werk gestellte Frage, auf den im Werk begegnenden Anspruch“.572 In dem Postulat der umfassenden Auslegung, genauer dem wirklichen Verstehen des Textes, betont Bultmann die Möglichkeit eines gemeinsamen Bezuges zur im Text gemeinten Sache, indem Interpret und Autor in der einen geschichtlichen Welt leben, d. h. anhand ihrer Menschennatur 569 Cf. § 4.1.3. 570 Bormann, Art. Hermeneutik, 127f. 571 Cf. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 222: „Die echte Fragestellung der Interpretation muß für die Texte und Denkmäler der Dichtung und Kunst, der Philosophie und der Religion zurückgewonnen werden, nachdem sie durch die Zeitalter des sog. Historismus herrschend gewordene Fragestellung verdrängt worden war.“ 572 Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 226.
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ein Lebenszusammenhang besteht,573 der ein kongeniales Einfühlen überhaupt ermöglicht. Ist jeder Text, jede Äußerung „stets an einer bestimmten Fragestellung, an einem Woraufhin orientiert“,574 schließt dieses ein „Vorverständnis der Sache“575 ein, an dem Autor wie auch Ausleger durch ein Lebensverhältnis zu der eben infrage stehenden Sache verbunden sind. Einerseits muss dieses Vorverständnis sonach zunächst formal ein Erkennen, also ein objektives, rationales Verstehen der Sache beinhalten; nach Bultmann erweist sich hierin der Anspruch und die Bedeutung einer umfassenden und differenzierten historisch-kritischen Exegese, welche zunächst die vorliegende historische Distanz, also den hermeneutischen Graben zwischen biblischer Überlieferung und gegenwärtigem Ausleger sowie zudem die Differenz zwischen (in mythischer Sprache) Gesagtem und eigentlich Gemeintem wahrzunehmen hat.576 In dieser Anerkenntnis der Fremdheit des Textes als Dokument einer wesentlich anderen Zeit erscheint alles existentiale objektive Verstehen als rein qualitativ, nicht aber quantitativ zu bemessendes Vorverständnis,577 was einem existentiell-glaubenden Anerkennen bedarf, um in der „Sachexegese […] mit dem ursprünglichen und echten Sinn des Wortes ‚Wort‘ Ernst [zu] machen, indem sie es verstehen will als Hinweis auf Sachverhalte. Der Charakter dieser Sachexegese wird noch genauer dadurch bestimmt, daß sich für sie die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Sachkritik herausstellt, einer Kritik nämlich, die zwischen Gesagtem und Gemeintem unterscheidet und das Gesagte am Gemeinten mißt.“578 573 Cf. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 219: Die Frage nach Möglichkeit „‚fremdseelisches‘ Sein zu verstehen“, ist darin gegeben, „[…] daß die Bedingung der Auslegung die Tatsache ist, daß Ausleger und Autor als Menschen in der gleichen geschichtlichen Welt leben, in der menschliches Sein sich abspielt als ein Sein in der Umwelt, im verstehenden Umgang mit Gegenständen und Mitmenschen.“ 574 Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 216. 575 Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 216. 576 Cf. Bultmann, Das Problem einer theologischen Exegese des Neuen Testaments, 356f. 577 Cf. Schmithals, Art. Bultmann, 393. 578 Bultmann, Das Problem einer theologischen Exegese des Neuen Testaments, 340. Cf. Pöttner, Die Einheit von Sachkritik und Selbstkritik, 408ff.: Pöttner weist darauf hin, dass Bultmann in der Suche nach einem adäquaten Ausdruck für die Sache und der zeitgleichen Betonung der radikalen menschlichen Offenheit für die Geschichte seinen eigenen Anforderungen nicht genügen kann, da er mit seinem Entmythologisierungsprogramm zwar diese Korrespondenz aus Sach- und Selbstkritik vermeintlich zu wahren sucht, in der zuletzt aber doch betonten Abschließbarkeit der Interpretation, „dem Begehren des Korrespondenzgedankens nach einem relativ stabilen Interpretationsrahmen [doch] nicht widerstehen [kann].“ (411) Bultmann verfalle dementsprechend seinen eigenen Prämissen: „Was aus der existentialen Perspektive nicht rekonstruiert werden kann, erscheint auch nicht als ‚Sache‘ des Textes. Der existentiale Rahmen zeichnet die Möglichkeit dessen vor, was wir verstehen und mit was wir möglicherweise einverstanden sein können. Auch die konkreten Selbstverständnisse werden durch die Perspektive der existentialen Interpretation vorstrukturiert.“ (412)
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Inhaltlich ist das Vorverständnis andererseits infolgedessen als Frage nach der eigenen Existenz zu verstehen, worauf der Text antwortend das Dasein des Menschen in seinem Kern – und hier befindet man sich freilich bei biblischen Texten – zu treffen vermag und darin neu macht. In dieser Verbindung aus objektiv-kritischem Verstehen und subjektiv-existentieller Bewegtheit ist dann auch die „‚subjektivste‘ Interpretation […] die ‚objektivste‘“,579 erwächst sie doch aus der Geschichtlichkeit der existentiellen Bewegtheit des Interpreten.580 Ergeht gleichermaßen nach Bonhoeffers Auffassung ein Anruf aus der Bibel an den Menschen, welcher nicht nach objektiven Wahrheiten suchen lässt, sondern den Menschen in seinem Wesen trifft, führt auch dieser in den Ruf der Entscheidung. In seiner Nachfolge macht er diesen entsprechend deutlich, wenn es zum „konkrete[n] Ruf Jesu“581 heißt: „Man ist herausgerufen und soll ‚heraustreten‘ aus der bisherigen Existenz, man soll ‚existieren‘ im strengen Sinne des Wortes. Das Alte bleibt zurück, es wird ganz hingegeben.“582 „Jesus ruft damit in die konkrete Situation, in der ihm geglaubt werden kann […].“583
Ereignis wird das Wort der Heiligen Schrift gleichsam auch für Bonhoeffer nur dann, wenn der Mensch in seiner Existenz getroffen wird, Bonhoeffer kann das gelegentlich auch als eigentliches Existieren bezeichnen, d. h. wenn das Lesen der Schrift nicht ein verständiges und rein rationales bleibt, sondern existential den Menschen in seinem Innersten bewegt. Bultmann weist hier Bonhoeffer als einen Gesprächspartner aus, der in der Konkretheit des Rufes den Menschen mit seiner alten Existenz brechen lässt, um sich ganz dem Neuen, d. h. der konkreten Situation hingeben zu können. In der unterschiedlichen Auffassung der Existenz beider jedoch deutet sich der sich daran anschließend differente Umgang in dem von Bultmann notwendig geforderten Vorverständnis der Sache als Lebensbezug des Interpreten an. Setzt Bonhoeffer schon zu Beginn seiner Vorlesung Schöpfung und Fall die folgende theologische Auslegung der Bibel als Buch der Kirche in den Raum der Kirche,584 zeigt sich damit die Bedingung des Verstehens weniger davon abhängig, ob Autor und Interpret durch die gleiche Fragestellung motiviert sind, sondern vielmehr darin, ob sich der Leser gleichsam an den allzu 579 Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, 230. 580 Cf. Bormann, Art. Hermeneutik, 128. Cf. dazu auch Bultmann, Das Problem einer theologischen Exegese, 340: „Die Sachexegese steht daher in einer eigentümlich zweideutigen oder widerspruchsvollen Situation, da sie zum Gemeinten nur durch das Gesagte kommt und doch das Gesagte am Gemeinten mißt. Das bedeutet aber, daß sie nie zu allgemeingültigen Sätzen als ‚Ergebnissen‘ kommt, sondern stets in lebendiger Bewegung ist.“ 581 N, 73. 582 N, 46. 583 N, 73. 584 Cf. SF, 22.
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unwirtlichen Ort der Schrift führen lässt, an dem er das Alte tatsächlich zurück lassen kann. Es stellt sich damit deutlich heraus, dass Bultmann wie Bonhoeffer zwar ex aequo ein Neuwerden der menschlichen Existenz im Lesen der Schrift konstatieren, dass aber der Bruch, der das alte vom neuen Dasein trennt, sich als ein ganz anders gearteter herauskristallisiert. Interpretiert Bultmann die Entscheidung des Menschen, die je im Wesen angelegte Frage nach Gott zu ergreifen, als den wirklichen existentiellen Vollzug der Existenz, legt Bonhoeffer die Möglichkeit des Menschen, dem Ruf Christi zu folgen, nicht in die Hände des Menschen. Indem er also nicht die Unterscheidung von existential und existentiell sowie ontologisch und ontisch zum Fundament seiner theologischen Bestimmung der Existenz macht, besteht allem Anschein nach eine Unterscheidung von denkendem Nachvollzug und gläubigem Vollziehen nicht. Mit Götz Harbsmeier ist daraus zu schließen, dass Bonhoeffer nicht in der gleichen Weise „auf das Problem ‚Glauben und Verstehen‘ drängt, wie wir das von Bultmann her kennen.“585 Zugleich scheint das aber jenem zufolge daran zu liegen, dass ein Verstehen nicht in rational und gläubig unterteilt werden kann, sondern Verstehen und Glauben nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Eine Existenz, die aus dem reflektierten Nachvollzug biblischer Begrifflichkeiten und Sachbezüge einen Aufruf zum Glauben zu hören vermag, kann Bonhoeffer somit letztlich mit Bultmann gegen Bultmann als menschliche Möglichkeit des Glaubens ins Feld führen, als eine Inbesitznahme Gottes durch den Menschen, d. h. als eine Spiegelung des Menschen in sich selbst. Wenn also Bultmann sich mit seiner Forderung nach einer existentialen Betroffenheit in der Auslegung von Texten auf die notwendige ‚richtige Philosophie‘ beruft, welche die Möglichkeit bereite, das Verständnis der menschlichen Existenz als prinzipielles Offensein für Gott darzustellen, erweckt Bonhoeffers biblische Hermeneutik dagegen den Eindruck, den Raum des Nachdenkens zu verlassen, um nicht doch den Menschen selbst zum Subjekt der Auslegung werden zu lassen. Während er demzufolge das Verstehen nicht vom Kreuz absehen lassen kann, ist dieser historische Jesus doch der Logos Gottes, manifestiert sich die Fremdheit des Textes nicht zu allererst und notgedrungen in der Sprache, 585 Harbsmeier, Die nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe, 47. Götz Harbsmeier ist insofern zuzustimmen, dass die Bewertung eine andere ist, weil Bonhoeffer eben nicht den bultmannschen Existenzbegriff teilt. Es ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass Harbsmeiner das unterschiedliche Verständnis der Hermeneutik beider nicht hinreichend für eine solche Aussage untersucht, weshalb die Ortsbestimmung dieser beiden sich auch im Bonhoeffers Denken bedeutsamen Begriffe nicht in ihrer Ausdifferenzierung wahrgenommen werden. Es ist demnach bei Bonhoeffer von einer entschiedenen Uminterpretation dessen auszugehen, was bei Bultmann durchaus als Verstehensleistung im Rahmen des Subjektparadigmas zu interpretieren ist: Es wird zu einer Neufassung des Verstehens coram Deo. Verstehen ist dann wesentlich Verstanden- und Ausgelegt-Werden, weil es Gott allein ist, der den neuen Menschen schafft.
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d. h. im vergangenen Weltbild des Textes, sondern an ganz anderer Stelle.586 In der Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie war zu sehen, dass beide Theologen einen grundsätzlich differenten Umgang darin aufweisen, wenn Bultmann nach einer die theologischen Begrifflichkeiten grundlegenden Philosophie sucht und es zu den „wesentlichen Charakteristika“ Bonhoeffers gehört, wie Florian Schmitz pointiert formulieren kann, dass er „sich gegen eine an Prinzipien sich orientierende Theologie wehrt: gegen ein Denken, das zuerst nach bestimmten, von vornherein feststehenden Programmen fragt und nicht zuerst danach, was Gottes Wort als lebendiges, hier und jetzt sich konkretisierendes Wort bedeutet.“587 Freilich erkennt auch er sodann die grundsätzliche Schwierigkeit an, dass das unwissenschaftliche Weltbild der Bibel ein Problem für den modernen Leser und dessen Vorstellungswelt darstellen und gegebenenfalls ein erschwerter Zugang zur tatsächlichen Sache bestehen könnte,588 dennoch finden sich Leser und Text nicht in einem gemeinsamen Lebensbezug zu dieser Sache, sind das Wissen um die Sünde und deren Vergebung nicht Gegenstände der Philosophie, d. h. des allgemein rationalen Nachdenkens, sondern eben nur im Vollzug, d. h. im existentiellen Ereignis der Offenbarung als solche erfahr- und darin verstehbar.589 Blickt man zurück auf das Konzil von Chalcedon und dessen philosophische Darstellung des Christusereignisses, kann man die zum Eingang dieses Kapitels590 gestellte Frage nach der Anerkennung desselben nun umfassend beantworten. Es wurde gesagt, dass nach der formalen Analyse von Bonhoeffers und Bultmanns existentialer Hermeneutik die Zuordnung recht deutlich erschien: Mit der Forderung absoluter intellektueller Redlichkeit theologischer wie gläubiger Rede von der Menschwerdung Christi erwies sich die Parallelität der Herangehensweise an das Mysterium des Glaubens der Konzilsteilnehmer und Bultmanns offensichtlich. Die Philosophie wird herangezogen, um Unaussprechliches zur Sprache zu bringen und den Schleier des Mythos zugunsten einer intellektuellen Einsehbarkeit zu lüften. Bonhoeffer dagegen, so scheint es mit seiner Forderung der Wahrung des Geheimnisses, zieht jede mythische Rede 586 Cf. Bethge, Dietrich Bonhoeffer – Der Mensch und sein Zeugnis, 100: „Bonhoeffers Andeutungen entspringen nicht der Kapitulation vor der modernen gottlosen Welt; sie kommen aus der konzentrierten Versenkung in Wesen und Leben des Stifters unseres Glaubens. Er macht nicht durch Subtraktionsverfahren annehmbar, was die Zollschranke des Modernen allenfalls passieren kann. Er will der Gegenwart Christi heute auf der Spur bleiben, sie besser verstehen und bezeugen.“ 587 Schmitz, „Nachfolge“, 37. Dazu N, 69: „Als Petrus auf das schwankende Meer gerufen wird, da […] war in all dem nur eines gefordert, sich auf das Wort Jesu Christi zu verlassen, dieses Wort für einen tragfähigeren Boden zu halten als alle Sicherheiten der Welt.“ 588 Cf. Frick, Rudolf Bultmann, 233. 589 Cf. Frick, Rudolf Bultmann, 236. 590 Cf. § 2.2.1.
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ob ihrer Vielgestaltigkeit und Mannigfaltigkeit einer abstrakten, philosophischen vor. Wie ist diese erste Verhältnisbestimmung nach der materialen Ausdifferenzierung beider theologischer Grundlagen zu bewerten? Wenn Rudolf Bultmann die Terminologie der Existenzphilosophie eines Martin Heidegger für seine theologischen Belange heranziehen kann, dann geschieht dieses mit der Prämisse, deren Begrifflichkeiten zugunsten einer besseren rationalen Verstehbarkeit des Glaubens zu nutzen. Freilich liegt es dabei im Interesse Bultmanns, nicht Heideggers atheologische Daseinsanalyse (ungewollt) als anti-theologisches Gerüst zu übernehmen, wie ihm das bisweilen vorgeworfen wird,591 sondern im Gegenteil die Daseinsanalyse in ihrer formalen Struktur für die theologische Bestimmung der Existenz fruchtbar zu machen.592 Interessanterweise kann nun Bultmann die Begrifflichkeit gerade des christologischen Dogmas trotz bzw. gerade wegen seiner dezidiert philosophischen Sprache als der Sache unangemessen deuten. Diese scheinbare Widersprüchlichkeit löst sich dann auf, wenn man sich daran erinnert, dass er alle Aussagen über das Ansichsein Christi generell ablehnt und in dieser Rede „eine existenzwidrige Verobjektivierung in Gestalt metaphysischer Seinsaussagen über Gott“593 erkennt. Zudem erweist sich ihm in der alten Dogmatik der „Wissenschaftsbegriff […] der griechischen Tradition“ beherrschend: „Hier ist der Gegenstand des Wissens die Welt des vorhandenen Seienden, das im Sehen wahrgenommen wird, und das verstanden wird, wenn es in seinem gesetzmäßigen Zusammenhang gesehen ist, als σύστημα, κόσμος bzw. als Glied desselben.“594
Friedebert Hohmeier kann das pointiert formulieren: „Mit Heideggers Ontologie gesprochen: Die alte Dogmatik redet vom Vorhandenen, nicht vom Dasein.“595 Wenn demnach Bultmann in der alten Christologie eine metaphysische Überfremdung zu erkennen meint, erschließt sich dieser Zusammenhang erst dann, wenn zum formalen auch der materiale Umgang mit der Schrift hinzugenommen wird. Gerade Rudolf Bultmann, der ausgehend von seiner existentialen Interpretation zu einer Entmythologisierung der Heiligen Schrift aufruft, ist es, der sich gegen die philosophische Vereinnahmung des christologischen Sprechens zu verwehren weiß, erweise sich darin doch eine metaphysisch prolongierte anthropomorphe Rede von Jesus als dem Christus, denn gerade dem philosophischen Reden Chalcedons gelinge es nicht, seine hellenistische Herkunft abzustreifen. Festgemacht sieht er diese „Überfremdung durch die griechische
591 592 593 594 595
Cf. Kuhlmann, Zum theologischen Problem der Existenz, 42. Cf. Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins, 344ff. Hohmeier, Das Schriftverständnis, 133. Bultmann, Die Christologie des Neuen Testaments, 245. Hohmeier, Das Schriftverständnis, 133.
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Seinsmetaphysik“596 mit Wilhelm Herrmanns Axiom, dass von Gott nur das gesagt werden könne, was er an uns tue;597 das aber sei mit Chalcedon gerade nicht der Fall. Im Gegensatz dazu kann Dietrich Bonhoeffer in seiner Christologievorlesung zugleich die dogmatischen Bestimmungen Chalcedons in seiner philosophischen Sprache als bleibend richtig und notwendig erachten, ja sogar als die einzige Möglichkeit bestimmen, von Christus in angemessener Weise zu sprechen. Gegen Bultmann erkennt er im Chalcedonense genau ein ungriechisches Denkprodukt. Deutlich kann er das machen, wenn er den οὐσία-Begriff als solchen hervorhebt, der „in der Alten Kirche nicht als Gegensatz von Natur und Ethos zu denken [ist]. οὐσία heißt hier wirklich das Wesen Gottes, die Sache selbst, die Ganzheit Gottes.“598 So sagt die chalcedonensische Formel, „daß sämtliche Möglichkeiten, das alles nebeneinander und miteinander zu denken, als unmögliche und unerlaubte Möglichkeiten dargestellt werden. Dann bleibt keine positive Aussage überhaupt mehr übrig für das, was in Christus geschieht. In ihm sind sämtliche Möglichkeiten des Denkens (Gott und Mensch) zusammenzudenken. Damit ist die Sache selbst als Mysterium zurückgelassen. Denn es ist nicht möglich, mit positiven Denkbestimmungen hinzuzutreten. Nur Zutritt im Glauben ist möglich. Alle Denkformen sind unmöglich. D.h. vom Chalcedonense an soll es nicht mehr erlaubt sein, über die menschliche und göttliche Natur in Jesus Christus als über dingliche Gegebenheiten zu reden. Man kann also keinen Gottesbegriff denken und da eine Grenze ziehen. Diese Grenze zu ziehen, ist unerlaubt.“599
Während Bultmann hinter dem Mythos das Kerygma erkennen will, ist es Bonhoeffer daran gelegen, den Mythos als das Kerygma, d. h. als die Sache selbst, zu verstehen. Gleiches gilt auch für die Sprechweise Chalcedons: In seiner dem menschlich-rationalen Denken unfügsamen Art und Weise das Zusammentreffen von Gott und Mensch in Jesus Christus zu beschreiben, ist in die negative Sprechweise eine Bewegung gebracht, die Bonhoeffer einzig und allein in der Anerkennung des Mysteriums sehen will. Wenn der Fehler dessen in der theoretisierenden, d. h. verdinglichenden Redeweise, von dem Verhältnis zweier Personen zueinander liegt, ist es aber gerade dieses, was Chalcedon sodann wieder gegenteilig aufzuheben vermag, nämlich darin, dass es sich in seiner eigentümlichen Gestalt selbst auf die Begrenztheit seiner Begriffe hinweisen kann. „Es arbeitet mit den Begriffen der Natur und zeigt, daß diese Begriffe unangemessene, häretische Formen sind. Der diesem Denken zugrundliegende Begriff der Substanz ist hier auf seine Höhe gebracht und zugleich überwun-
596 597 598 599
Hohmeier, Das Schriftverständnis, 135. Cf. Mahlmann, Art. Herrmann, 167ff. B, 339. B, 327f.
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den.“600 Anders als die spätere Lehre der Kenosis wird im Chalcedonense gerade nicht das eine zugunsten des anderen verkürzt, vielmehr verweist die negative Redeweise den Redenden zum einen auf die Unmöglichkeit der positiven Aussagefähigkeit einer Rede von Jesus Christus, zum anderen und zugleich wird so eine Dinglichkeit des Denkens verwehrt, wenn der kontradiktorische Gegensatz gleichnotwendig mit sich selbst anerkannt werden muss. „Wo dieses Ende anerkannt wird, ist der Raum frei gelassen für das schlechthin Tatsächliche.“601 Es wurde bereits gezeigt, dass Bonhoeffers Verständnis von der Transzendenz Gottes ein schlichtweg diametral verschiedenes von dem Bultmanns ist. Bonhoeffer verbietet sich mit Brunner die Frage nach dem Wie, nach der Möglichkeit der Menschwerdung Gottes, wenn Chalcedon sich einer positiven Füllung der christologischen Bestimmung verwehrt, erweist sich ihm diese als „immanente Überwindung, insofern sich hier die Wie-Frage selbst zersetzt.“602 In seiner unanschaulichen und paradoxen Struktur erscheint Chalcedon Bonhoeffer damit als einzige Möglichkeit, tatsächlich von der undenkbaren Tatsache Gottes als Menschen zu reden. Indem das Paradoxon sich selbst setzend mit polyphoner Stimme den Christus als den Jesus zu proklamieren weiß, weiß Bonhoeffer das Geheimnis der Menschwerdung gewahrt.603 Mit Chalcedon erschließt sich nun genauer, warum Bonhoeffer gegen Bultmann betonen kann, der Mythos sei die Sache selbst. Mit Bultmanns übersteigerter Mittelpunktstellung der Intelligibilität der Sache des Glaubens wird an die „Sache Gott“ sowie dann auch im Zuge dessen an die Menschwerdung desselben eine Rechtfertigung vor dem Gerichtshof moderner Vernünftigkeit angetragen, welche die chalcedonensische Redeweise in ihrer Paradoxalität und Uneindeutigkeit freilich nicht als der Sache angemessen beschreibt. Wenn aber Bonhoeffer gleichsam die Vernunft an der Person Christi scheitern lassen will, weil sie überhaupt erst in der Fremde des Kreuzes zu sich selbst kommen kann, muss sie sich zunächst selbst aufheben. Glaubendes Verstehen und verstehender Glaube bekommen hier mit Chalcedon eine eigentümlich neue Füllung: Nicht der Glaube muss sich vor dem Forum der Vernunft richten lassen, im Gegenteil, es ist 600 601 602 603
B, 328. B, 340. B, 340. Cf. ITAS, 541f.: „Nirgends sonst als in der Person Jesu Christi und durch sie sind Gottheit und Menschheit miteinander vereinigt, ‚ungeteilt, doch unvermischt, ungetrennt, doch unverwandelt‘ – wie es das Chalcedonense in höchster Paradoxie und zugleich in ehrfürchtigster Wahrung des Geheimnisses der Person des Mittlers ausgesprochen hat. Selten ist später die Vernunft so bereit gewesen, sich vor dem Wunder Gottes zu demütigen und aufzugeben, wie in diesen Worten. Selten ist aber auch darum die Vernunft zu einem besseren Werkzeug der Verherrlichung der göttlichen Offenbarung gemacht worden wie damals.“ Cf. auch WE, 441.
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die Vernunft, die an ihre Grenzen gebracht und sich derselben gewahr werdend vor dem Forum des Glaubens gerichtet wird. „Die Vernunft kann das Geheimnis [einzig] umschreiben. Allein der Glaube kann es ergreifen.“604 So verwundert es dann kaum mehr, wenn Bonhoeffer pointieren kann: „Das Chalcedonense ist eine sachliche, alle Denkformen sprengende, lebendige Aussage des Christus. In klarste, aber paradoxe Lebendigkeit ist alles hineingezogen.“605 Wird hier demnach von Bonhoeffers existentialer Interpretationsmethode gesprochen, erweist sich seine Nähe zu Bultmann augenscheinlich darin, dass allein die Schrift den Menschen aus seinem alten, selbstgefälligen Sein herauszureißen vermag, dass allein in diesem Antworten des Menschen auf den Ruf der Schrift die Existenz des Menschen im Glauben getroffen und in Jesus Christus eine neue ist.606 Freilich haben dabei beide in der Frage nach dem tatsächlichen Geschehen dieses Neuwerdens grundsätzlich eine heterogene Basis, weshalb zusammenfassend geschlossen werden kann: Rudolf Bultmann differenziert wohl mit seiner schöpfungstheologischen Grundlegung der Existenz eine Schöpfungsordnungstheologie anhand eines neuzeitlichen (an Heideggers existentialer Daseinsanalyse gewonnenen) onto-theologischen Subjektbegriffes aus, in der nicht mehr die vorgegebenen Seinsordnungen des Geschöpfes im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, sondern vielmehr natürliche, d. h. ontologische bzw. existentiale, Determinanten sowie eine individuelle Füllung bestimmter sozial-ethischer Verpflichtungen zu den grundlegenden Gefügen des Menschen gehören.607 Dabei ist es Bultmann zwar in all seinem theologischen Denken daran gelegen, die Existenz individuell dynamisch zu denken, diese bleibt aber statisch durch sein vorgefertigtes, überzeitliches Existenzverständnis, das nur inhaltlich je ‚neu‘ gefüllt wird. Verwehrt sich Bultmann nun ausdrücklich gegen eine Kategorie der Allgemeinheit und Abstraktion, gelingt es ihm zuletzt doch nicht, seine Darlegung der Existenz von einer Möglichkeit der allgemeinen Beschreibung frei zu halten. So verkommt sein Versuch, die Existenz dynamisch zu denken, dazu, ungewollt in eine invariante Dynamik zu verfallen: Mit Heideggers Verständnis der Existenz wird diese in vorgläubig und gläubig unterteilt, Dynamik erhält sie 604 Abromeit, Das Geheimnis Christi, 193. 605 B, 328. 606 Cf. SF, 80f: „Die Grenze des Menschen ist in der Mitte seines Daseins, nicht am Rand; die Grenze, die am Rand des Menschen gesucht wird, ist Grenze seiner Beschaffenheit, Grenze seiner Technik, Grenze seiner Möglichkeit. Die Grenze, die in der Mitte ist, ist die Grenze seiner Wirklichkeit, seines Daseins schlechthin. […] Dort wo die Grenze ist – der Baum der Erkenntnis –, dort ist nun auch der Baum des Lebens, d. h. der lebensspendende Gott selbst. Er ist die Grenze und die Mitte unseres Daseins zugleich, das weiß Adam.“ 607 Cf. zur neueren Diskussion um den seit dem Neuluthertum und der Lutherrenaissance in Misskredit geratenen Begriff der „Schöpfungsordnungen“ Rosenau, Art. Schöpfungsordnungen, 356–358.
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einzig durch das individuelle Ergreifen je neuer, eigener Möglichkeiten. In letzter Konsequenz heißt das dann: Spricht Bultmann dementsprechend von Jesus Christus, spricht er von einem exemplarisch gelingenden Leben; somit ist mit Bonhoeffer zu folgern: „Bultmann’s Ansatz ist eben im Grunde doch liberal […].“608 Denkt Dietrich Bonhoeffer dagegen die Existenz des Menschen, geschieht dies, das war eindrücklich zu sehen, allein und an erster Stelle in und durch Jesus Christus. Ist der Mensch als gefallener einzig in Jesus Christus Geschöpf, bedeutet das folglich für die Verhältnisbestimmung zu Bultmann: In einer rein christologisch ausgeformten Schöpfungstheologie erkennt Bonhoeffer den Menschen scheinbar nicht als Subjekt, sondern einzig aus dem Filioque heraus als Person, welche sich aus dem Heiligen Geist in der Gemeinde konstituiert. Wenn dieser demnach die menschliche Existenz theologisch auslegt, buchstabiert sich darin das paulinische Diktum von Gal 2,20 aus: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Im Kristallisationspunkt ‚Jesus Christus‘ ist von Existenz nur im Vollzug zu sprechen, in der Dynamik des je neuen Verstehens als Übergang ins Verstandenwerden ist so die Menschwerdung des Menschen durch Jesus Christus einer theologisch zu denkenden Rede von der Existenz maßgeblich. Es bleibt somit die Aufgabe diese Rede vom Menschen anhand der Kategorien Geheimnis und Jesus Christus genauer zu untersuchen.
608 WE, 414.
4.
Die bleibende Provokation: Zur Sakramentalität des Ausgelegtwerdens
4.1
Zu allgemeinen Wahrheiten und subjektivem Erkennen oder: Zwischen Eigenem und Fremdem
4.1.1 Wegscheide Mythos Es wurde bisher versucht, Bonhoeffers eigentümlicher Hermeneutik auf die Spur zu kommen, indem derselbe neben unterschiedlichen theologischen Positionen und Schulen besehen wurde. Ob seine Herangehensweise und sein Umgang mit dem biblischen Text nun beispielsweise mit der historisch-kritischen Exegese oder mit von dieser zumeist recht unterschiedlichen biblizistischen Strömungen verglichen wurde, immer ging es darum einzusehen, inwieweit einerseits Bonhoeffers Schriftauslegung mit den Comparata in Einklang stand und wo andererseits Widersprüche und Disparitäten deutlich wurden. Daraus ist nun eine Folie entstanden, die ihn weder der einen noch der anderen ‚Seite‘ zuordnen lässt, sondern seine ganz eigene Handhabung aufzeigt. Stand bisher im Fokus, Unterschiede zu präparieren, d. h. eine Negativ-Schablone zu erarbeiten, muss es im Folgenden darum gehen, genau Gegenteiliges ins Auge zu fassen, nämlich die positive Gestalt zum Vorschein zu bringen. In diesem Kapitel ist es also Aufgabe, Bonhoeffers inhärente Hermeneutik anhand des bisher Elaborierten scharfzustellen, pointiert darzulegen und an gegebenen Stellen über diesen hinauszugehen, um Implizites zu explizieren. Freilich ist im Hinterkopf zu behalten, dass jedes einzelne Element dabei zwar je für sich betrachtet und erarbeitet werden kann (und das ist auch notwendig zu tun, um eine dezidierte Vorstellung von der bonhoefferschen Hermeneutik zu erhalten), dass aber ein jedes Glied separat betrachtet nur einen Ausschnitt eines vielteiligen Gewebes darstellt. Bonhoeffers Umgang mit der Schrift erschließt sich damit zunächst aus unterschiedlichen Perspektiven und erst zuletzt im Ganzen. Im ersten Teil werden demnach zunächst die Axiome seiner Hermeneutik eingehend untersucht,
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um dann im zweiten Teil dieses Kapitels auf der erarbeiteten Grundlage ein Bild dieses hermeneutischen Geschehens von Wort und Rezipient zu zeichnen. Beginnt man genau so, stößt man von den bisherigen Untersuchungen herkommend auf etwas, was für die Theologie und Schriftauslegung Dietrich Bonhoeffers einerseits das Nadelöhr und andererseits der Kristallisationspunkt zu sein scheint: die Bedeutung des Mythos.1 Zum einen präsentiert sich der Mythos oder die bildliche Rede – Bonhoeffer kann ja zum Teil auch von Märchen sprechen2 – als das Nadelöhr, durch das alle Interpretation der Schrift und damit alles Reden von Gott zu gehen hat. An der Bewertung des biblischen Mythos bzw. der biblisch bildlichen Rede kommt man nicht vorbei, die historisch-kritische Forschung genauso wenig wie ein radikaler Biblizismus und zuletzt auch ein rationaler Existentialismus. Der Mythos ist und bleibt erster Gegenstand der Betrachtung, an der Beurteilung seines Wahrheitsgehaltes entscheidet sich der weitere Umgang mit der Schrift. Denn, wenngleich nur wenige Worte so signifikant eine Grenze zweier scheinbar nur alternativ zu formulierender erkennt1 Man erfährt beispielsweise aus Bonhoeffers Tagebucheintrag vom 22. Juni 1939 auf seiner Amerikareise, dass ihn der Mythos umtreibt, wenn er zu seiner Lektüre von Reinhold Niehbuhrs Interpretation of Christian ethics (1935) missmutig vermerkt: „Voll von Verkehrtheiten und Oberflächlichkeiten. Die Fragestellung noch ganz zwischen orthodoxer und liberaler Kritik, aber kein wirklicher neuer Ansatz, ‚Mythus‘ statt Wort Gottes.“ (ITAS, 230.) In seinen Übungen zu den Pastoralbriefen wird dies umso deutlicher, wenn er den Mythos ganz alltagssprachlich als Fabel und Märe, also als Gegenspieler zur Wahrheit setzt (cf. ITAFS, 305. 316. 324.). Es gilt also grundsätzlich zu unterscheiden, wie und in welcher Verbindung von Mythos etc. gesprochen wird: Zum einen in alltäglicher Sprache (so nutzt auch das NT diese Begriffsfamilie z. B. in 1Tim 4,7 oder 2Tim 4,4 etc.), die den Mythos als Antipoden zur Wahrheit stilisiert, und zum anderen in der Unterscheidung von Mythos und Logos, von Irrationalität, Phantasie und Rationalität. Wenn hier demnach von Bonhoeffers Hochachtung des Mythos gesprochen wird, handelt es sich dabei freilich um letztere Unterscheidung. Auch er selbst nutzt die Sprache der Bilder, um das Unaussprechliche in Worte zu fassen, besonders in seinen Predigten; (Cf. E, 304f.: „Wie sich im Märchen der Mann seines fehlenden Schattens schämt, so schämt sich der Mensch der verlorenen Einheit mit Gott und dem anderen Menschen.“ Oder auch BBA, 467f.: „Märchen und Legenden aus uralter Zeit erzählen von den Tagen, in denen Gott unter den Menschen einherging; das waren herrliche Zeiten als man auf der Straße einem Wanderer begegnete, der um Herberge bat und man zu Haus in diesem einfachen Mann Gott den Herrn selbst erkannte und nun reichlich Belohnung empfing; das waren schöne Tage als Gott den Menschen noch so nah war, daß sie mit ihm einhergehen und reden konnten; ja das waren Tage, wie sie eben nur das Märchen und die Legende kennt, die alles was den Menschen an heimlicher Hoffnung schlummert erzählt, als ob es schon Wirklichkeit geworden wäre. Der Anfang der Bibel erzählt uns auch davon, wie in jenem Garten im Paradies Gott der Herr sich am Abend erging und mit dem Menschen lebte und sprach. […] Glückselig, die Menschen, die diese Zeiten erleben durften, wo Gott und Mensch sich nah waren.“ Siehe auch L, 356: „Bilder sind Bilder – und haben doch ihr Recht.“) und natürlich in Schöpfung und Fall, wo er mit der Genesis erkennt, dass von den unaussprechlichen Dingen nicht anders geredet werden könne, als in Bildern. (Cf. SF, 76.) Cf. dazu auch Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 214. 2 Cf. z. B. SF, 75.85.134.
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nistheoretischer Positionen markieren, liegt seine Obskurität im negativen wie im positiven Sinne dabei vor allem in der latenten oder zumeist offenen Konfrontation mit seinem Kontrastbegriff ‚Logos‘, beanspruchen doch beide einander entgegengesetzte Erklärungen der Welt für sich. Seine Bewertung ist also zum anderen der entscheidende Ort, an dem alles weitere Auslegen der biblischen Rede seinen Keim hat. Wenn nämlich der Mythos dort, wo Begriffe gesetzt werden sollen, Namen erfindet, wo Begründungen notwendig wären, mit Geschichten vom Anfang aufwartet, und wo diskursives Sprechen verlangt wird, mit Narrativem antwortet, dann ist eine ständige Provokation kaum zu vermeiden. Unter den Anspruch des Logos gestellt, kann das Recht des Mythos nur vor oder jenseits der Aufklärung behauptet werden, nämlich als das Vorrationale, das kindlich Phantastische. Es handelt sich damit also um eine fundamentale Entscheidung des Auslegers, wie mit diesen sagenhaften Bildern und farbigen Geschichten umgegangen werden kann und zuletzt soll. Wenn Bonhoeffer ins Gespräch mit der historisch-kritischen Schule seiner Zeit gebracht wurde,3 namentlich vor allem Hermann Gunkel, Friedrich Baumgärtel und Emil Kautzsch, erwies sich seine Handhabung des Mythos bzw. dessen, was man im Umgang mit der Heiligen Schrift als genuin mythisch bezeichnet, als eine diametral verschiedene. Während die historisch-kritische Forschung der vornehmlich alttestamentlichen Theologie, d. h. genauer die der religionsgeschichtlichen Schule, in ihrer Bewertung den Mythos als kindliche Weltdarstellung einer vergangenen Zeit, also einer vermeintlichen Vor- und Irrationalität, beschreibt,4 scheint sie damit grundsätzlich in der Mythenforschung des ausgehenden 19. Jahrhunderts verankert zu sein. Die Leitannahmen dieser sogenannten „mythischen Schule“ unter Johann Gottfried Eichhorn und dessen Schüler Johann Philipp Gabler gründen sich selbst auf denen des klassischen Philologen Christian Gottlob Heynes, welcher den Mythos als die notwendige und universale „Denk- und Ausdrucksform in der Frühstufe der geistigen Menschheitsgeschichte“5 deklariert.6 Mithilfe der Theorie des „sermo mythicus“7 gilt es, die „Fakten“ von ihrem mythischen Kleid zu trennen, um so das Endgültige, Überzeitliche herauszukristallisieren,8 was das Anliegen der alttesta-
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Cf. § 2.1. Cf. Bousset, Das Wesen der Religion, 77ff. und Gunkel, Genesis, XIVf. Hartlich/Sachs, Der Ursprung des Mythos-Begriffes in der modernen Bibelwissenschaft, 22. Cf. § 2.1.5. Cf. Heyne, Sermonis mythici seu symbolici, 285–323. Dort heißt es auf Seite 285 zur Entstehung des Mythos, dass dieser „ab ingenii humani imbecilliate et a dictionis egestate“, also aus der Beschränktheit des menschlichen Verstandes und der Armut des sprachlichen Ausdrucks, notwendig bedingt sei. 8 Cf. Horstmann, Art. Mythos/Mythologie V, 295.
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mentlichen Exegese des beginnenden 20. Jahrhunderts ebenfalls treffend beschreibt. Bonhoeffer dagegen scheint sich der maßgeblich in der Philosophie9 zunehmenden Tendenz einer Rehabilitierung des Mythos anzuschließen, wenn er sich zunächst dezidiert gegen den Historismus ausspricht, indem er die Einsicht der Relativität der menschlichen Rationalität vor allen Umgang mit der Schrift (und nicht nur dieser) setzt. Es ist für ihn damit notwendig zu konstatieren, dass gerade nicht das Wortwörtliche, d. h. das vermeintlich Faktische, dasjenige ist, was die Sache selbst zeigt. Dass sich das einerseits gegen eine exegetische Überbewertung jeder einzelnen Wortbedeutung genauso wie gegen eine biblizistische Wort-für-Wort-Auslegung richtet,10 wird noch dadurch gesteigert, dass er die vermeintliche Objektivität und Sachlichkeit der historisch-kritischen Forschung im Umgang mit biblischen Mythen selbst als der menschlichen Phantasie entsprungen entlarven kann. Da eine solche Rede doch immer innerhalb der Vernunftgrenzen des Menschen selbst verbleibt, zeigt sie jedoch gerade keine abstrakten, allgemeinen und überzeitlichen Wahrheiten; d. h. sie verbleibt in den menschlichen Begrenzungen, ob nun in einem mythischen oder technischen Weltbild verhaftet. Und eine solche immanente Wahrheit muss folgerichtig zugleich und zuletzt immer als eine menschliche eingestuft werden. Wenn Bonhoeffer die Bezeichnung ‚Mythos‘ schon in Schöpfung und Fall aber uneindeutig gebraucht,11 er sich offensichtlich gerade nicht wie seine Berliner Kollegen oder der Marburger Neutestamentler einer prononcierten Definition anschließen will, dann darf das nicht vorschnell als Ungenauigkeit abgetan werden. Die Frage nach der Wahrheit des Mythos war gerade im anbrechenden zwanzigsten Jahrhundert eine allgegenwärtige, entzieht sich aber Bonhoeffer dezidiert der Beantwortung derselben, weist das auf eine erste Erkenntnis hin: Es geht ihm damit weniger um eine letztgültige Determinierung und Fixierung des Mythos, vielmehr betont er in dieser begrifflichen Offenheit dagegen das, worauf diese Art und Weise des Schreibens hinweist. Anders gesagt, Bonhoeffer bindet 9 Es wurde schon in § 2.1.5 gezeigt, dass das ausgehende 19. Jahrhundert z. B. mit dem Schweizer Altertumsforscher und Anthropologen J. J. Bachofen und das beginnende 20. Jahrhundert mit dem deutschen Philosophen Ernst Cassirer das Potential des Mythos für die Geisteswissenschaft und darin besonders für die Philosophie erkennt, wenn dieser zum „Gegenspieler“ auserkoren wird, welcher „die wissenschaftliche Rationalität zur Besinnung auf ihre Grenze zwingt.“ (Horstmann, Art. Mythos/Mythologie VI, 301.) Cf. dazu z. B. auch Gadamer, Mythos und Vernunft, 48ff. 10 Cf. §§ 2.1 und 2.2. 11 Cf. bspw. SF, 22 (Anm. 10), wo Bonhoeffer nach der Mitschrift Erich Klappenroths Mythos neben Märchen und Roman stellen kann. Zugleich ist auffällig, dass auch Erzählung und Märchen für ihn zwei austauschbare Begriffe darstellen (cf. SF, 86.). Genauso scheut er sich auch nicht, von diesen biblischen Geschichten als „kindliche, phantastische Ausmalung“ zu sprechen (SF, 77.).
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den Begriff des Mythos nicht an eine exakte Definition, weil nicht diese von Interesse ist, sondern allein die Sache, für die er steht. Dementsprechend erkennt er in dem mythisch Gesagten nicht etwa Phantastisches, sondern eine Verbindung aus Menschenwort und Gotteswort, welche in menschlichen Grenzen verhaftetes Reden über Gott sowie zugleich und gerade Gottes Wort an den Menschen selbst ist.12 Entgegen einer Vergöttlichung des Buchstabens, wie dies von der lutherischen Orthodoxie bis in den Pietismus übersteigert wurde, setzt Bonhoeffer damit genau die bildliche Rede, also den biblischen Mythos als tiefere Wahrheit vor alle Rationalität, eben weil in dieser Form und Inhalt verschmelzen. Hier, in der Betonung des Mythos als Rede Gottes an seinen Menschen im hic et nunc, findet er eine grundlegende Weichenstellung, die ihn den Wahrheitscharakter und die Wahrheitsfähigkeit des Bildes ins Zentrum seines Theologisierens stellen lässt.13 So verwundert es kaum, dass Bonhoeffer mit Bultmann die alles bestimmende Wirklichkeit Gottes betonen kann, von der aus jedes Dasein seine eigentliche Existenz erhält. In der fundamentalen Frage nach dem Kerygma, das ausschließlich dieses echte Verhältnis zwischen Gott und Mensch beinhaltet, zeigt sich dann aber auch der grundlegende Unterschied beider Theologen. Wenn Bultmann in seinem Programm der Entmythologisierung hervorhebt, dass das Gesagte nicht mit dem Gemeinten übereinstimme, dass also der Mythos eine subjektive Grenzerfahrung des Menschen sei, die Unweltliches als Weltliches darstelle und damit in rein subjektiver Weltanschauung verbleibe,14 tritt dabei deutlich eine in der Gedankenwelt seiner Lehrer verhaftete Mythentheorie zutage, die genau diese Unterscheidung von Schale und Kern als maßgeblich für die Frage nach dem Kerygma, d. h. genauer nach der Übersetzung des mythischen Kerns in die moderne Lebenswelt des Menschen, selbst voranstellt.15 Gleichermaßen ist auch Dietrich Bonhoeffer daran gelegen, diesen doch zum Teil befremdlichen Ton biblischer Sprache in die moderne, aufgeklärte und 12 Cf. B, 299: „Ist nicht der ganze Christus in der Predigt, dann zerbricht die Kirche. Menschenwort und Gotteswort verhalten sich nicht einfach exklusiv, sondern das Gotteswort Jesus Christus ist als das menschgewordene Gotteswort das in die Erniedrigung des Menschenwortes eingegangene Gotteswort.“ 13 Cf. SF, 77: „Es muß sich also bei der Auslegung des Folgenden darum handeln, die alte Bildersprache der magischen Welt in die neue Bildersprache der technischen Welt zu übersetzen, aber eben immer unter der Voraussetzung, daß dort wie hier wir die Gemeinten sind, daß wir uns in die geöffnete Bereitschaft begeben, das damals über den Menschen des magischen Weltbildes Gesagte uns zu sagen lassen […].“ 14 Cf. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 22. 15 Wenn sich Bultmann von seinen Lehrern und der religionsgeschichtlichen Schule unterscheidet, dann darin, dass er das Spezifische der mythischen Vorstellungsweise „nicht etwa in der Urzeitlichkeit oder in der gründen Funktion des Mythos im Berichteten [suchte], sondern darin, daß der Mythos ‚vom Unweltlichen weltlich, von den Göttern menschlich‘ redet.“ (Pannenberg, Späthorizonte des Mythos, 477f.)
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kritische Sprachwelt der Leser zu überführen, eben gerade durch beispielsweise historisch-kritische Leseanleitung.16 Zugleich aber wird er nicht müde darauf hinzuweisen, dass man sich nicht von diesen phantastischen Geschichten ablenken oder gar abschrecken lassen solle, sondern im Gegenteil in und mit denselben eine tiefere Wahrheit als eine bloß vorfindliche, rationale entdecken könne. So verbleiben diese Geschichten eben gerade nicht im Vorfindlichen, Wörtlichen oder Tatsächlichen, sondern weisen in menschlicher, begrenzter Rede über sich hinaus.17 Dementsprechend setzt Bonhoeffer gegen Bultmann die Ambiguität und Unwahrhaftigkeit des Faktischen (als tatsächliche Wirklichkeit und gerade nicht in seiner Auslegung) und die Univozität und Wahrhaftigkeit des Bildes. Nicht in der Verwerfung dieser allzu menschlichen Rede geschieht die Ansprache Gottes, vielmehr greift Gott gerade in der „Magie“, in der Polyphonie des bildlichen Sprechens nach dem Menschen. Im Bild also kann er eine erste Annäherung an dieses ‚etwas‘ finden, für das der biblische Mythos seiner Erkenntnis nach steht. Es gilt deshalb, sich an dieser Stelle noch einmal den schon zitierten Absatz aus seiner Vorlesung zu vergegenwärtigen, in dem es heißt: „Mythos, kindliche, phantastische Ausmalung der grauen verborgenen Vorzeit – so sagt die Welt. Gottes Wort […] – so sagt die Kirche Christi. Warum das eine bestreiten auf Kosten des anderen? Warum nicht einsehen, daß all unser Reden von Gott, von unserem Anfang und Ende, von unserer Schuld nie die Dinge selbst sagt, sondern immer nur Bilder, und daß Gott durch jene alten Bilder der Magie wie durch unsere technisierten Begriffsbilder selbst nach uns greifen muß hier wie dort, daß er uns lehren muß, wenn wir klug werden sollen.“18
Es geht Bonhoeffer augenscheinlich darum, gegen Bultmann den Mythos als die Sache selbst herauszuheben, sich damit also gegen eine wie auch immer geartete verkürzende Übersetzung zu verwehren, die doch nur an der menschlichen Rationalität ob ihrer Gültigkeit gemessen werden kann. Denn diese sei eben nicht die eine, göttliche Wahrheit, die in der biblischen Rede in menschlichen Bildern über sich hinausweist, sondern die Einbildungskraft, pointiert die Phantasie des Menschen, die sich aufgrund ihrer eigenen Rationalität kräftig selbst auf die Schulter klopfe. Ganz anders als die Mythenbewertung eines Heyne, Eichhorn, Gabler und nicht zuletzt Bultmann zeigt Bonhoeffer damit eine Hochachtung menschlicher Rede im Bild dadurch, dass ein solches in die Polyphonie der Wirklichkeit univok hineinzurufen vermag, da Gott dort nach dem Menschen greifen will. Hierin wird ebenso die eingeschränkte Bedeutung der Ratio deutlich, weil sie gefallene ist und nicht ihr letztes Warum selbst zu beantworten
16 Cf. SF, 75ff. 17 Cf. SF, 26ff.75f. Cf. dazu auch § 3.2.3. 18 SF, 77.
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vermag.19 So ist der vielgestaltige Mythos als menschliche Rede darin göttliche Rede, dass er über die Welt und sich selbst hinaus verweist und zwar auf die eine Wirklichkeit Jesu Christi. Damit kann Bonhoeffer weiter hervorheben, dass gerade der Mythos selbst das Kerygma sei, dass also dieser die Sache selbst, dass er das Gemeinte sei. Ähnlich wie in der Betonung Chalcedons geht es Bonhoeffer auch hier darum zu betonen, dass die mythische, bildliche Rede gerade in ihrer Vielstimmigkeit und zuweilen auch Paradoxalität einen Raum lässt für das Tatsächliche, nämlich das Mysterium Christi.20 Auf zweierlei weist Bonhoeffer hier demnach hin: den Wahrheitscharakter des Bildes sowie das Geheimnis Christi im Bild. Dementsprechend leistet der phantastische Mythos im Gegenüber zur intelligiblen Rede zwei Dinge: Zum einen zeigt er der menschlich überhöhten, selbstgefälligen Vernunft ihren Platz auf, indem er sie an sich selbst scheitern lässt, und zum anderen führt er den Menschen in seinem Glauben an Jesus Christus den Weg zum Geheimnis, nämlich den fremden Ort des Kreuzes. Mit der Hochachtung des biblischen Mythos wird folglich darauf hingewiesen, dass ein Ernstnehmen des Textes gerade nicht darin besteht, den biblischen Text vor dem Gerichtshof der Vernunft zu rechtfertigen, sondern umgekehrt, der moderne, in seiner Vernünftigkeit scheinbar erhabene Mensch muss sich vor der Schrift erklären. Mit Ernst Wendel ist damit hervorzuheben: „Was Bonhoeffer hier über den Wahrheitsgehalt eines Bildes sagt, trifft einen primären Wesenszug des Bildes überhaupt: Das Bild verweist nicht nur auf etwas, so daß es in diesem Verweis sich selbst aufhöbe, sondern es läßt das in ihm Gemeinte durchscheinen. Seine Funktion besteht in der Identifikation mit dem in ihm Dargestellten. Es spielt sozusagen die Rolle des Dargestellten.“21
Deutlich kann das auch mit Hans-Georg Gadamer aufgezeigt werden, wenn dieser betont, dass „Identität und Nichtunterscheidung von Bild und Abgebildetem […] ein Wesenszug aller Bilderfahrung“22 bleibe. Nicht der Mensch ist es folglich, der die Sache der Schrift verhandelt. Eine Auslegung der Schrift ist nachgerade kein naiver Vorgang, das tua res agitur ist im Gegenteil das Kriterium der Wahrheit selbst:23 Ob in mythischer oder technisierter Begriffswelt, auf beide bezogen kann Bonhoeffer Folgendes sagen: „[D]ort wie hier [sind] wir die Gemeinten […], [die sich] in die geöffnete Bereitschaft begeben [müssen], das damals über den Menschen des magischen
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Cf. SF, 30.69. Cf. § 4.1.2. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 86. Gadamer, Wahrheit und Methode, 133. Cf. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 87.
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Weltbildes Gesagte uns sagen zu lassen […].“24 Der so beschriebene Bildcharakter des Mythos ist damit im Gegensatz zu der Schale-Kern-Struktur Bultmanns ganz anders geartet, verweist er doch nicht nur auf etwas und hebt sich in diesem Verweisen selbst auf – ganz wie Bultmann den Mythos beinahe als ein variierendes, zwar brauchbares aber uninteressantes Gefäß für die eigentliche Sache klassifizieren kann –, sondern lässt in diesem Verweis das Gemeinte durchscheinen.25 Der Mythos ist eben die Sache selbst,26 das Gemeinte ist das in ihm Dargestellte.27 Die mythische, zum Teil magisch anmutende Bildersprache der Bibel, die Bonhoeffer damit der vermeintlich klaren und vernünftigen technisierten Sprache vorzieht, ist darum als solche wahr, weil sie nicht sich selbst als wahr ausgibt, sondern in ihrer Bildhaftigkeit über sich selbst auf die außer ihr liegende Wahrheit hinausweist, die zugleich die in ihr liegende Wahrheit ist, dass nämlich Gott durch sie spricht und in ihr bleibt.28 Man muss mit Bonhoeffer also sagen: Der Mythos als menschliche Rede über Gott ist insofern wahr, weil sich in ihm Gott an den Menschen ausspricht und in seinem Wort die menschliche Rede über ihn als Wahrheit klassifiziert. Die Polyphonie des bildlichen Sprechens offenbart dem Leser dann die eine Wahrheit des Urbildes, wenn eben nicht die menschliche Vernunft Richter desselben ist, sondern allein die Schrift, wenn dem Bild selbst der Raum gelassen wird, auf die in ihm liegende Wahrheit hinzuweisen.29 Nimmt man zu der sprachlichen Beschreibung der Rede von Gott erläuternd und vertiefend die Bestimmung des Menschen als Ebenbild Gottes hinzu, eröffnet sich für die Betrachtung der Hermeneutik Bonhoeffers noch eine weitere Ebene der Bedeutung des Bildbegriffes: Weist er in Schöpfung und Fall in aller Deutlichkeit darauf hin, dass der Mensch mit dem Fall seine Geschöpflichkeit, d. h. seine Gottebenbildlichkeit gerade nicht nur modifiziert oder deterioriert, sondern eben ganz und gar aufhebt,30 dann zeigt sich hierin genau dieses Verständnis von der Wahrhaftigkeit des Bildes, das darin besteht, dass Gott selbst das Abbild jeweils als solches als wahr auszeichnet. „In Adam erkannte Gott sich selbst […]“,31 das Abbild Gottes erhält seine Wahrheit und Wirklichkeit einzig 24 25 26 27 28 29
SF, 77. Cf. SF, 76. Cf. WE, 482. Cf. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 86. Cf. SF, 76. Es ist augenscheinlich, dass Bonhoeffers Umgang mit den biblischen Mythen erstaunliche Parallelen zur orthodoxen Ikonographie aufweist. Nicht nur, dass das Bild alleine seine Wahrhaftigkeit von seinem Urbild her erhält, sondern auch, dass eine Vergegenwärtigung des Dargestellten in diesem geschieht, zeigt in Umrissen eine solche implizite ‚protestantische Ikonenlehre‘. Cf. Onasch, Art. Ikone, 670. 30 Cf. SF, 107. 31 N, 297.
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darin, dass es seinem Urbild gefällt, es als solches auszuzeichnen, genauer: es als Bild anzureden. Der Schöpfer geht in sein Geschöpf ein, weil er sich in seinem Wort an dieses bindet und darin über dasselbe hinausweist – auf sich selbst, das Urbild.32 Das Bild selbst ist damit nur in seinem Verweis auf das ihn anredende, auszeichnende Urbild tatsächlich Bild, es ist „allein in diesem Hinweis ‚ähnlich‘ […].“33 Indem sich der Mensch aber dieser Bindung an seinen Schöpfer eigenmächtig entreißt, entbehrt er nicht nur jeglicher Abbildhaftigkeit, sondern jeder Bildhaftigkeit per se: „[D]er Fall […] macht wirklich aus dem Geschöpf – imago-deiMenschen – den sicut-deus-Schöpfer-Menschen“,34 heißt es dazu in Schöpfung und Fall. Das Bild an sich besitzt keine Wahrheit. Diese hat es in seiner Auszeichnung als wahr, fällt diese aber weg, ist das Bild weder als solches ansprechbar noch tatsächlich Bild; es verweist ja nicht mehr auf seinen Urgrund. D.h. der Mensch verliert mit seiner Geschöpflichkeit sein Recht, sich als solches anzureden, sich als Ebenbild Gottes zu sehen. Indem sich das Abbild von seinem Urbild losgerissen hat, hat es jegliche Wahrhaftigkeit, mit Bonhoeffer gesprochen, jegliche Wirklichkeit verloren. Der Mensch ist nicht mehr Ebenbild Gottes, er ist selbst das neue, zweite Urbild: „Es kann von nun an keine menschliche Aussage über den Menschen gemacht werden, die ihn nicht in seinem sicut-deus-sein im Auge hätte, keine davon abstrahierende Aussage. Das hat den Grund darin, daß ja eine solche Aussage von jenseits des Menschen gemacht werden müßte, daß aber der grenzenlose Mensch kein jenseits zuläßt, aus dem heraus über ihn geredet werden könnte. Das sicut-deus-sein des Menschen schließt ja gerade sein Nicht-Geschöpf-sein-wollen ein.“35
Der Mensch als grenzenloser, wie ihn Bonhoeffer auch nennen kann,36 ist sich nun selbst Referenzquelle, er ist sich sein eigener Gerichtshof, er selbst verschafft sich die vermeintliche Erkenntnis über seinen Gott und macht sich damit zu seinem eigenen Schöpfer, er macht sich zu seinem eigenen Urbild. Meint nun der Mensch, gleichsam in seiner eigenen Vernünftigkeit und Rationalität die Wahrheit Gottes zu erkennen, entlarvt Bonhoeffer genau hierin dieses Sicutdeus-Sein des gefallenen Menschen, der sich ob seiner eigenen Einsichtsfähigkeit selbst zum Urgrund aller Wahrheit macht. Ist er es doch, der jede Aussage an seiner ihm eigenen menschlichen Vernunft überprüft und bestätigt.37
32 33 34 35 36 37
Cf. SF, 59f. SF, 61. SF, 107. SF, 108. Cf. SF, 107.117.u. ö. Cf. Adorno, Ästhetische Theorie, 12: „[F]raglos indessen sind die Kunstwerke nur, indem sie ihren Ursprung negierten, zu Kunstwerken geworden.“
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Wenn demnach der Mythos und seine ihm ureigene bildhafte Redeweise nicht den Ansprüchen einer modernen, aufgeklärten, im Übrigen je zeitgebundenen Rationalität entsprechen, liegt es am gefallenen Menschen, diesen seiner vermeintlich offensichtlichen unvernünftigen Unwahrheit zu überführen. Dass sich der Mensch damit aber sogleich als gefallener zeigt, weil er das Wort Gottes sich vor der Gegenwart rechtfertigen lässt und er sich dadurch selbst als Sicut-deusMensch bewahrheitet, zeigt Bonhoeffer nicht nur in der Betonung des Gotteswortes im Mythos auf, sondern eben auch, und da ganz besonders, in der Rede von der Ebenbildlichkeit des Menschen. Wahre Ebenbildlichkeit und gerade nicht erlogene Sicut-deus-Ebenbildlichkeit kann der Mensch nur für sich beanspruchen, wenn er als „die Wahrheit, die von Gott gesagt wird, und der wir um Gottes willen gegen alle unsere Erkenntnis der Wirklichkeit glauben, […] von der Geschöpflichkeit des Menschen [redet].“38 D.h. also für den Menschen wie für den Mythos dieses: Nur Gott selbst kann diesen wie jenen als ein wirkliches und wahres Bild Gottes anreden und auszeichnen. Es liegt allein an Gottes Bindung an seinen Menschen wie an dessen Wort, das „überhaupt wahr bleiben kann, nämlich wahr, sofern Gott in [ihm] bleibt.“39 Und so kann Bonhoeffer auch schließen: „Nur Gott selbst könnte den Menschen anders anreden, er könnte ihn auf seine aufzugebende Geschöpflichkeit anreden, und er tut das in Jesus Christus, im Kreuz, in der Kirche. Nur als die Wahrheit, die von Gott gesagt wird, und der wir um Gottes willen gegen alle unsere Erkenntnis der Wirklichkeit glauben, redet er von der Geschöpflichkeit des Menschen.“40
Es wurde schon in der Auseinandersetzung mit Rudolf Bultmanns Verständnis der existentialen Betroffenheit hervorgehoben,41 dass der Mensch in der Neuschaffung in Jesus Christus seine Gottebenbildlichkeit zurückgewinnt: „In Jesus Christus ist Gottes Ebenbild in der Gestalt unseres verlorenen menschlichen Lebens unter uns getreten, in der Gleichgestalt des Fleisches der Sünde. […] In ihm hat Gott sein Ebenbild auf Erden neu geschaffen.“42 Allein darin, dass Gott den Menschen erneut als sein Bild auszeichnet, dass also einzig von außen, extra nos, der Mensch als das Bild ausgezeichnet wird, ist der Mensch als Abbild Gottes anzusprechen, ja ist er tatsächlich das Abbild des Urbildes. Mit Gal 4,19 gesprochen heißt das dann: „Nicht wir machen uns zum Ebenbilde, sondern es ist das Ebenbild Gottes selbst, es ist die Gestalt Christi selbst, die in uns Gestalt
38 39 40 41 42
SF, 108. SF, 76. SF, 108. Cf. § 3.2.3. N, 300.
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gewinnen will […].“43 In der externen Auszeichnung des Menschen als wahren und in der bleibenden, internen Zueignung dieser Auszeichnung ist und bleibt das Bild tatsächlich Bild. Der Mensch ist Ebenbild Gottes allein dadurch, dass sich Gott in seinem Sohn Jesus Christus stets je neu an diesen Menschen bindet; gleichsam ist auch das menschliche Wort allein darin wahres Wort Gottes, weil Gott in ihm bleibt. Es ist also so, dass Bonhoeffer in seiner Rehabilitation, ja mehr noch, in seiner Würdigung des Mythos darauf hinweist, dass es nicht der Mensch ist, der die Wahrheit der Sache Gottes auszeichnet. Im Gegenteil: Es ist Gott selbst, der sich in der Vielfalt der mythischen und bildlichen Rede dem Menschen je neu und je konkret zu erkennen gibt. Allein wenn wir unsere eigenen Gewissheiten, die, wie Barth deutlich formuliert, „wir uns selbst über Gott, die Welt und uns selbst gebildet haben“, über Bord werfen, wenn wir ihnen „nicht die gleiche Würde zuschreiben wie diesem“,44 wird für uns das Wort Gottes klar. Mit dem Mythos wird der Mensch demzufolge an einen für ihn fremden Ort geführt. In den mythischen Bildern der Bibel, beispielsweise den Schöpfungserzählungen der Genesis, in denen von sprechenden Schlangen, von magischen Bäumen und sogar von bewaffneten Cherubim die Rede ist,45 wird der Leser unweigerlich in seiner Rationalität herausgefordert. Im Gegensatz zu Rudolf Bultmann, der diese Provokation als Zumutung, vielmehr noch als Hinderungsgrund für den modernen Menschen erkennt, erweist sich dieses Ärgernis für Bonhoeffer als die fundamentale Leistung des Mythos und der bildlichen Sprache:46 Hier wird der Mensch an seine intellektuellen Grenzen geführt, hier offenbart sich seine Selbstherrlichkeit, hier wird er seines Sicut-deus-Seins überführt: „‚Er trieb Adam hinaus und lagerte vor den Garten Eden die Cherubim mit dem bloßen, hauenden Schwert zu bewahren den Weg zum Baum des Lebens.‘ […] Der Baum des Lebens ist bewacht durch Wächter des Todes, er bleibt in unberührter, göttlicher Unnahbarkeit. Aber das Leben Adams vor den Toren ist ein dauernder Angriff auf das
43 N, 301. 44 Cf. Barth, KD I/2, 803: „Wir sind, indem uns das Wort Gottes begegnet, geladen mit den Bildern, Ideen und Gewißheiten, die wir uns selbst über Gott, die Welt und uns selbst gebildet haben. Immer im Nebel dieser unserer geistigen Welt wird das in sich klare Wort Gottes unklar. Klar für uns kann es nur werden, indem eben dieser Nebel sich zerteilt und weicht. Das ist gemeint mit der Unterordnung unserer Vorstellungen, Gedanken und Überzeugungen. Wir können ihnen, wenn uns das Wort Gottes klar werden soll, nicht die gleiche Würde zuschreiben wie diesem, wir können dieses nicht an jenen messen wollen, wir können jene diesem gegenüber nicht durchaus festhalten wollen. Die Bewegung, die wir – wohlverstanden: in aller Freiheit! – ihm gegenüber zu vollziehen haben, kann nur die Bewegung des Nachgebens, des Zurückweichens, des Raumgebens sein.“ 45 Cf. Gen 1–3. 46 Cf. Kahl, Evangeliumsvergegenwärtigung, 146.
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verschlossene Reich. […] [Aber] unter dem hauenden Schwert, unter dem Kreuz stirbt das Menschengeschlecht.“47
Die Insolenz nicht zuletzt in der kindlichen, doch gar so phantastischen und damit offenkundig unsachgemäßen Ausdrucksweise48 führt den Menschen weg von der Selbstsicherheit, der Selbstübersteigerung und hin zu einem ihm fremden, unwirtlichen Ort, an dem er aus seinem Richterstuhl auf die Anklagebank gesetzt wird. Wenn der Mensch es sich gesagt sein lassen will, er es nicht mehr selbst ist, „der sagt, wo Gott sein soll,“ sondern es Gott ist, der es sagt, „dann wird das wohl ein Ort sein, der meinem Wesen zunächst garnicht entsprechend ist, der mir garnicht gefällig ist. Dieser Ort aber ist das Kreuz Jesu. Und wer ihn dort finden will, der muß mit unter dieses Kreuz, wie es die Bergpredigt fordert. Das entspricht unserer Natur garnicht, sondern ist ihr völlig zuwider. […] Die ganze Bibel will also das Wort sein, in dem Gott sich von uns finden lassen will. Kein Ort, der uns angenehm oder a priori einsichtig wäre, sondern ein uns in jeder Weise fremder Ort, an dem Gott erwählt hat, uns zu begegnen.“49
Der Ort des Kreuzes als Ort der Verwirklichung, der Bewahrheitung der einstigen Ebenbildlichkeit, an den wir durch die Fremdheit des Textes geführt sind, beinhaltet doppeltes Befremden: Zunächst ist es freilich das Befremden des Ortes selbst, der uns zu Fremdlingen dieser neuen Welt, die uns aus unserem Kreisen um unsere eigene Mitte herausholt,50 macht. Zugleich aber tritt dann eine neue Fremdheit hinzu, wenn der alte Adam in Christus vergangen ist; es ist eine Fremdlingschaft des neuen Adam in der alten Welt, die sich in der Nachfolge Christi auszeichnet.51 Auch als neuer ist dieser Adam stets immer wieder vom Kreuz und zugleich von der Welt befremdet, denn immer ist es das fremde Wort,52 das gehört werden muss. „[D]as Wort ist die Sache selbst […]“,53 formuliert Bonhoeffer; das Wort, das den Menschen in die Fremdheit des Kreuzes führt, ist die Fremdheit selbst. In der bleibenden Fremdheit dieses zeitbedingten Menschenwortes, das nicht mit aller letzter Vernünftigkeit erfasst werden will, liegt die Wahrheit des zeitlosen Gotteswortes; hier wird der Mensch aus seiner alten
47 48 49 50
SF, 133ff. Cf. SF, 69. ITAF, 146. Cf. N, 107: „Gott schauen wird allein der, der in diesem Leben allein auf Jesus Christus gesehen hat, den Sohn Gottes. Sein Herz ist frei von befleckenden Bildern, nicht hin- und hergezogen durch die Mannigfaltigkeit eigener Wünsche und Absichten. Es ist ganz im Anschauen Gottes hingenommen. Gott schauen wird der, dessen Herz ein Spiegel des Bildes Jesu Christi geworden ist.“ 51 Cf. ITAF, 462.483. 52 Cf. ITAF, 147. 53 ITAF, 495.
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Existenz hineingerufen in das Geheimnis des neuen Daseins als Geschöpf und Ebenbild des Schöpfers.54
4.1.2 Offenbares Geheimnis und verborgene Wahrheit Das Kreuz als fremder Ort gibt den Ansatzpunkt und die Blickrichtung vor, die Bonhoeffer mit seiner kontinuierlichen Rede vom Geheimnis Gottes einnimmt.55 Darin findet sich der nächste Baustein der bonhoefferschen Hermeneutik, wenn dieses einerseits darüber entscheidet, wo der Zugang zu Gott in Jesus Christus gefunden wird, und andererseits, wie von diesem Gott gesprochen werden kann. Beides sind für Bonhoeffers Umgang mit der Schrift sowie für seine Theologie grundlegende Bestimmungen. Wenn der Ansatz der Christologie darüber entscheidet, ob Jesus als der Christus und der Christus als der Jesus anerkannt werden können, ist es bemerkenswert, wie Bonhoeffer in seiner Christologievorlesung von 1933 beginnt:56 „Das Schweigen der Kirche ist das Schweigen vor dem Wort. Indem die Kirche Christus verkündigt, fällt sie schweigend vor dem Unaussprechlichen nieder. Gottes Wort ist das Unaussprechliche, das ἄρρητον. Von Christus reden heißt schweigen. Von Christus 54 Cf. N, 297. 55 Cf. dazu die dezidierten Auseinandersetzungen zur Verwendung der Kategorie des Geheimnisses bzw. des Begriffes ‚Arkanum‘ in Bonhoeffers Schriften: Abromeit, Das Geheimnis Christi, 38–43; Pangritz, Dietrich Bonhoeffers Forderung einer Arkandisziplin, passim; Pangritz, Aspekte der „Arkandisziplin“ bei Dietrich Bonhoeffer, passim; zur Frage nach dem christologischen Geheimnis bes. 137–169; Meuß, Arkandisziplin und Weltlichkeit bei Dietrich Bonhoeffer, passim; Müller, Dietrich Bonhoeffers Prinzip der weltlichen Interpretation, 726– 728; Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 180–188; Altenähr, Dietrich Bonhoeffer – Lehrer des Gebets, 170–178; DB, 988–996. Wenn Bonhoeffer in seinen Schriften nur einige wenige Male (insges. fünf Mal, cf. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 184–187.) den Begriff „Arkanum“ bzw. die „Arkandiszplin“ nennt, zeigt sich darin gerade nicht eine vermeintliche Unbedeutsamkeit desselben für ihn. Schon Ernst Feil wies in seiner Untersuchung Bonhoeffers darauf hin, dass das Geheimnis das Leitmotiv der bonhoefferschen Theologie zu sein scheint (Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 28f.), und auch Gisela Meuß zeigt in ihrer Bearbeitung denselben als Hintergrund verschiedener Schriften Bonhoeffers auf, in denen jedoch noch nicht einmal notgedrungen auf das Geheimnis eingegangen sein muss. Z.B. in SC mit der Unterscheidung von Volks- und Missionskirche (cf. u. a. SC, 165.), in N mit der Unterscheidung von „billiger“ und „teurer Gnade“ (cf. N, 29ff.), in GL mit dem gemeinsamen Leben als Arkandisziplin par excellence (cf. GL, 18ff.). Cf. Meuß, Arkandisziplin und Weltlichkeit bei Dietrich Bonhoeffer, 72–92. Cf. dazu nun das Zitat aus WE, in dem Bonhoeffer sein Motiv für das Geheimnis deutlich macht: „Es gibt Stufen der Erkenntnis und Stufen der Bedeutsamkeit; d. h. es muß eine Arkandisziplin wiederhergestellt werden, durch die die Geheimnisse des christlichen Glaubens vor Profanierung behütet werden.“ (WE, 415.) 56 Cf. dazu Abromeit, Das Geheimnis Christi, 35ff.
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schweigen heißt reden. Das ist gehorsames Rechtgeben der Offenbarung Gottes, die im Wort geschieht. Das Reden der Kirche im Schweigen ist die rechte Verkündigung des Christus. σιωπῇ προσκυνείσϑω τὸ ἄρρητον (Cyrill).“57
Es überrascht sicherlich, dass Bonhoeffer seine Vorlesung mit einem Aufruf zum Schweigen beginnt,58 sollte es doch in seinem Seminar zur Lehre von Christus gerade um Gegenteiliges gehen. Vielleicht ist es zu einem gewissen Grad auch nachvollziehbar, dass er neben all dem sich überhebenden und inhaltsleeren Reden über den Christus das Schweigen als angemessene Reaktion auf das Geheimnis erkennt.59 So stellt er, wenn die Verkündigung Christi als Schweigen dargestellt wird, schon zu Anfang seines Seminars vor eine beinahe unüberwindliche Hürde: „Von Christus schweigen heißt reden.“ Was kann damit gemeint sein? Auch wenn Bonhoeffer in seiner Vorlesung nicht explizit vom Geheimnis spricht, wird mit diesem Aufruf des „Schweigen[s] vor dem Wort“ deutlich, dass seiner Ansicht nach eine Rede von Christus nicht mit (ontologischen) Bestimmungen beginnen kann, sondern dass die Person Christi vielmehr darin verstanden wird, „das Unbegreifliche stehen zu lassen.“ Die Sache der Christologie ist demnach das Geheimnis; erst wenn dieses gewahrt ist, wenn wir vor diesem in Schweigen verfallen und das „Unbegreifliche […] nicht in etwas Begreifliches verwandel[n]“, wenn wir in unserem Schweigen Gott die Ehre geben und die Offenbarung Gottes als etwas Größeres als uns selbst anerkennen, erst dann kann das „Begreifliche […] gerade dazu dienen, das Unbegreifliche stehen zu lassen.“ Denn, so kann Bonhoeffer paradox pointieren, „das Ziel des Begreifens […] ist das Unbegreifliche.“60 Um Bonhoeffers Forderung des schweigenden Redens zu verstehen, ist es damit nun aufgegeben, in einem ersten Schritt diesem im Mittelpunkt stehenden Unbegreiflichen ein Stück weit näher zu kommen. Wie ist davon vernünftig zu reden, ohne sich desselben zu bemächtigen? Die menschliche Ratio scheint hierbei grundlegend an ihre Grenzen zu stoßen, vielmehr noch: Sie scheint auf ihre Grenze hingewiesen zu sein, wenn das Ziel des Begreifens das Unbegreifliche ist. Sodann ist zu verstehen, was Bonhoeffer meint, wenn er dieses geheimnisvolle Schweigen mit dem gehorsamen Rechtgeben61 gleichsetzt. Freilich führt dieses zuvörderst in die Schöpfungsgeschichte hinein, in der alles Gehorsam- und Ungehorsamsein des Menschen seinen Ursprung hat. Es geht deshalb darum, 57 B, 280. 58 Cf. auch SC, 172, wo Bonhoeffer bereits zum „qualifizierten Schweigen“ der Kirche aufruft, wenn sie es nicht vermag, „autoritativ zu sprechen“. 59 Bereits in AS hatte Bonhoeffer die Theologie an die Gemeinde gebunden gewusst, welche allein jene vor „intellektuelle[r] Werkgerechtigkeit“ zu bewahren wisse. (AS, 130.) Cf. dazu auch §. 4.2.2. 60 B, 315. 61 Cf. B, 280.
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dieses Geheimnis mit dem Einbruch Gottes in die Geschichtlichkeit in Verbindung zu bringen. Im heilsgeschichtlichen Schema aus Schöpfung – Fall – Erlösung scheint demnach ein Hinweis darauf zu liegen, wie nun vielleicht von diesem ungreifbaren Geheimnis gesprochen werden kann und darf. Es ist zunächst also zum Umgang mit diesem Unbegreiflichen und Unaussprechlichen zu kommen: In seiner Christologievorlesung geschieht eine Annäherung an dieses insofern, dass Bonhoeffer vor die positive eine negative Christologie setzt, um den Raum abzustecken, innerhalb dessen „das Unbegreifliche stehen“62 gelassen werden muss. In der Untersuchung der philosophischen Rede von Chalcedon wurde genau dieses ebenfalls schon aufgezeigt:63 Es ist Bonhoeffer somit besonders daran gelegen, das Unbegreifliche als solches in Demut und Ehrerbietigkeit zu wahren, indem es in seiner eigentümlich paradoxen Redeweise auf die dem Menschen eigene Unfähigkeit und die Begrenztheit seiner Ausdrucksmöglichkeiten hinweist. Allein darin kann er „[d]as Chalcedonense [als] eine sachliche, alle Denkformen sprengende, lebendige Aussage des Christus“ bezeichnen, weil in die „klarste, aber paradoxe Lebendigkeit alles hineingezogen [ist].“64 Wenn Bonhoeffer ähnlich wie in seiner Christologievorlesung von 1933 in seiner Predigt zum 1Korinther 2,7–10 im Mai 1934 in London voranstellt, dass „[d]ie Geheimnislosigkeit unseres modernen Lebens […] unser Verfall und unsere Armut“65 sei, zeigt sich darin eine kritisch akzentuierte Analyse nicht nur des menschlichen Redens, sondern der menschlichen Vernunft überhaupt. Es war schon früher zu sehen,66 dass Bonhoeffers Bewertung der Ratio ähnlich der Martin Luthers eine ambivalente ist.67 Die Vernunft ist gefallene Vernunft, weil sie sich konsequent über sich selbst täuscht und in den Fall genauso hineingezogen ist wie die übrige Welt.68 Sie ist zugleich aber nicht unnütz oder gar alleiniger Hinweis auf denselben, vielmehr kann Bonhoeffer nicht bedeutender von 62 63 64 65 66 67
B, 315. Cf. §§ 3.2.1 und 3.2.6. B, 328. L, 359. Cf. § 2.2.7. Hatte Luther in seinen 40 Thesen zum Menschen die Vernunft einerseits als „omnium rerum res et caput, et prae caeteris rebus huius vitae optimum et divinum quiddam“ (WA, 39, 175, 9 [These 4].) bezeichnet, womit er sie sogar in der traditionellen Bindung an den Herrschaftsauftrag aus Gen 1 als „Sol et Numen quoddam ad has res administrandas in hac vita positum“ (WA, 39, 175, 18 [These 8].) unter allen anderen menschlichen Fähigkeiten hervorheben kann, verfehlte andererseits diese Definition den Menschen, weil sie dennoch „relicta sub potestate diaboli“ (WA, 39, 176,14 [These 24].) verbleibt. Freilich entspringt Luthers Kritik der Vernunft nicht einer wie auch immer gearteten Verachtung derselben, noch immer besteht für ihn nämlich die Aussage, sie sei die Hauptsache von allem und etwas Göttliches. Cf. dazu auch § 3.1.2. 68 Cf. E, 167.
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dieser sprechen, wenn er gerade in seinen späteren Jahren nicht müde wird zu betonen, dass jedes verantwortliche Handeln ein Abwägen des „relativ Bessere[n] [gegenüber] dem relativ Schlechteren“69 und damit eine reine Vernunftsache sei. Damit ist mit Gerhard Ebeling zusammenzufassen, dass es auch Bonhoeffer darum geht, „die ratio gegen eine sie verfälschende Überschätzung – man könnte auch sagen: gegen sie selbst – in Schutz zu nehmen.“70 Es verwundert daher kaum, dass Bonhoeffer gerade in der Rede vom Geheimnis und der Hochachtung desselben die menschliche Vernunft und damit den Menschen selbst an seinen Platz in der Welt und vor Gott verweist.71 Und ebenso fährt er auch in seiner Predigt in London fort: „Ein menschliches Leben ist soviel wert, als es Respekt behält vor dem Geheimnis. Ein Mensch erhält sich soviel vom Kinde in ihm, als er das Geheimnis ehrt. Darum haben die Kinder so offene Augen, weil sie wissen, daß sie umgeben sind vom Geheimnis. Sie sind mit dieser Welt noch nicht fertig geworden, sie wissen sich noch nicht so durchzuschlagen und die Geheimnisse zu umgehen, wie wir es wissen. Wir zerstören das Geheimnis, weil wir spüren, daß wir hier an eine Grenze unseres Seins geraten, weil wir über alles verfügen und Herr sein wollen, und eben das können wir mit dem Geheimnis nicht. Das Geheimnis ist uns unheimlich, weil wir nicht bei ihm daheim sind, weil es von einem anderen ‚Daheimsein‘ redet als dem unseren.“72
Es ist eine steile These zu sagen, das menschliche Leben sei nur so viel wert, wie es vor dem Geheimnis Gottes Respekt behält. Was will Bonhoeffer seinen Lesern damit bewusst machen? Hat man erkannt, dass Wahrheit wie Lüge widerstreitende Mächte darstellen, erweist sich in eben dieser Unterscheidung jene Wirklichkeit des Menschen, die sich der Wahrheit bemächtigen will, um sich selbst zur alles bestimmenden Macht aufzuschwingen. Insistiert Bonhoeffer hier aber auf einer Wahrung des Geheimnisses, zeigt er damit deutlich auf, dass es gerade nicht das animal rationale ist, das sich Welt und Gott erschließen könne. Wenn der Mensch nun aber tatsächlich von Gott handelt, wenn er seine Wahrheit erkennen will, dann bedeutet das für Bonhoeffer im Gegenteil dazu, „das Geheimnis [als] die Wurzel alles Begreiflichen und Klaren und Offenbaren“ zu erkennen und eben nicht die Wahrheit Gottes zu „errechnen und erklären“, sie zu „sezieren“, „das Leben dabei töten und das Geheimnis nicht entdecken.“73
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E, 260. Ebeling, Lutherstudien II.3, 541. Cf. Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 28. L, 359f. L, 360. Cf. auch 361f.: „Aber die Welt ist gegen dieses Geheimnis blind. Sie will einen Gott, den sie verrechnen und ausnutzen kann oder sie will gar keinen Gott. Das Geheimnis Gottes bleibt ihr verborgen. Sie will es nicht. Sie macht sich Götter nach ihrem Wunsch, aber den nahen, heimlichen, verborgenen Gott erkennt sie nicht […].“
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Dementsprechend heißt es zum phantastischen Bericht der Entstehung des Lichtes in Schöpfung und Fall: „Die physikalische Erklärung der Entstehung des Lichtes ist doch nicht mehr als ein Ausweis der Kette der Erscheinungen, deren Phänomen ‚Licht‘ ist. Damit ist doch aber die Tatsächlichkeit von Licht nicht erklärt. […] Das ungebundene Licht der Schöpfung, das Licht, das gestaltlos über der gestaltlosen Finsternis liegt, wird gebunden zur Gestalt, zum Gesetz, zum Starren, zur Zahl, aber es bleibt in Gott, Gottes Schöpfung und wird nie selbst zur rechenhaften Zahl.“74
Eine rechenhaft-rationale Erschließung der Welt und Gottes ist damit zwar gut und sinnvoll, sie ist es aber nur dann, wenn der Mensch sich dieser weltlichen Erschließung bewusst ist und darin nicht hinter die Welt zurückzugehen versucht. Nur im Schweigen, in der Wahrung des Geheimnisses ist nämlich Bonhoeffer zufolge Gottes Wahrheit zu erkennen; in der eschatologischen Spannung von jetzt und noch nicht ist damit die Rede von der Erkenntnis der Wahrheit Gottes eng an die Rechtfertigung und damit an die Wiederherstellung der Ebenbildlichkeit des Menschen gebunden.75 In seiner Unterscheidung von „Letztem und Vorletztem“76 verweist Bonhoeffer damit an den Ort für die Frage nach Geheimnis und Offenbartheit Gottes. Ist das Geheimnis Gottes an den Bereich des Vorletzten gebunden, bedeutet das zugleich immer auch eine Beziehung zum Letzten. Mit Alfred Müller lässt sich damit dieses Geheimnis näher beschreiben: „Das Arkanum ist bewußtseinstranszendent. Aber es ist nicht weltjenseitig. Es ist weltgegenwärtig – nicht im Sinne eines Weltimmanentismus, eines Einbruchs dem nur die empirische Welt als wirklich gilt, wohl aber im Sinne eines Einbruchs weltjenseitiger Realität in die wirkliche Welt.“77
Indem Bonhoeffer somit das „Jenseitige […] nicht [als] das unendlich Ferne, sondern das Nächste […]“78 bezeichnet, eröffnet sich hiermit in der Rede vom Geheimnis Gottes zweierlei:
74 SF, 51. Cf. dazu auch Ps 36,10: „Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht.“ 75 Noch in Barcelona 1928 hatte Bonhoeffer dieses Schauen „von Angesicht zu Angesicht“ aus 1Kor 13,12 auf die Ewigkeit bezogen, drei Jahre später in seinem Vortrag am Union Theological Semenary in New York kann er dieses auch für die Gegenwart behaupten: „[A]nd because faith sees God in Christ it sees God, the same God of Christ, in man’s own life, in man’s own sin, weakness and death as judgment and grace. It’s God’s own work to let men see into these secrets of his revelation; as Christ says to Peter after his confession: flesh and blood hath not revealed it unto thee, but my Father which is in heaven.“ (BBA, 438.) Cf. Näheres dazu bei Abromeit, Das Geheimnis Christi, 51f. 76 E, 137–162. 77 Müller, Bonhoeffers Prinzip der weltlichen Interpretation, 727. 78 WE, 551.
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Zum einen ist dieses der immanenten menschlichen Ratio entzogen, weil es wesentlich „bewußtseinstranszendent“ ist, d. h. es ist „in der Welt nicht so anwesend, wie sich die Welt selbst gegenwärtig ist. [Es] kann darum nicht die zum Gedanken einer allgemeinen Allmacht gesteigerte oder prolongierte Welt sein […].“79 Die Wirklichkeitsgehalte des Geheimnisses, d. h. der Wahrheit Gottes sind dem rationalen Bewusstsein aus seinen eigenen Voraussetzungen heraus verschlossen; im Vorletzten ist der Mensch gerade nicht in der Lage, das Geheimnis als Wahrheit Gottes zu schauen, vielmehr ist dieses hier dem „naiven Verfügungswahn der rationalen Reflexion entzogen“,80 um den Menschen vor seiner übersteigerten Selbstverschlossenheit zu schützen. Nach Bonhoeffers Auslegung verweist Gott im Kreuz als Ort des Geheimnisses damit in die Fremde, die sich „unserem Zugriff“81 entzieht, er verweist uns auf das Letzte, in dem sich alles Vorletzte aufhebt. Zum anderen aber ist Gott hier seiner Schöpfung am nächsten; in seiner Offenbarung kommt Gott der Welt am intensivsten nahe. Nicht dadurch, dass sein Geheimnis damit aufgehoben wäre, im Gegenteil es wird hier nur noch intensiver.82 Im Einbruch Gottes in die Geschichtlichkeit, die jegliche menschliche Rede von überzeitlichen und allgemeinen Wahrheiten als Lüge ausweist, wird der Schöpfer seinem Geschöpf im hic et nunc gegenwärtig und konkret und erweist sich als Gott für die Welt, aber nicht von der Welt. Entgegen dem gesetzlichen Verständnis, „wonach eines das andere ablöst, das Verhältnis von Verborgenheit und Offenbarung sich also in ein Nacheinander auflöst,“ handelt es sich in der paradoxen Struktur von Verborgenheit und Offenbarung, „dem Evangelium gemäß, um ein Miteinander und Ineinander von beidem.“83 Geheimnis und Offenbartheit sind in der Rede von der Wahrheit Gottes keine sich widersprechenden Begrifflichkeiten. Im Gegenteil ist mit Gerhard Ebeling fortzufahren: „Die Offenbarung Gottes ist Offenbarung in der Verborgenheit unter dem Gegensatz, der absconditas sub contrario.“84 Ruft man sich weiter das in Erinnerung, was bereits zur Geschichtlichkeit erarbeitet wurde,85 ist zudem die Rede vom Schweigen als gehorsames Rechtgeben ein Stück weit besser zu verstehen. Die Geschichtlichkeit Gottes ist zunächst im Ursprung des Menschen zu suchen, wenn dieser in seiner urständli-
79 Krötke, Die Bedeutung von „Gottes Geheimnis“, 344. (Im Original in Bezug auf Gott.) Cf. dazu WE, 558. 80 Müller, Bonhoeffers Prinzip der weltlichen Interpretation, 727. 81 L, 360. 82 Cf. Krötke, Die Bedeutung von „Gottes Geheimnis“, 345. 83 Ebeling, Einführung in die theologische Sprachlehre, 256. 84 Ebeling, Einführung in die theologische Sprachlehre, 256. 85 Cf. § 3.2.4.
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chen Beschaffenheit seinem Schöpfer ähnlicher ist und um Gott als seinen Schöpfer, seinen eigenen Ursprung weiß. „Er ist die Grenze und Mitte [seines] Daseins zugleich, das weiß Adam. Aber sein Wissen darum ist so geartet, daß es nur ein Ausdruck ist für sein Sein von der Mitte her, auf die Mitte hin, für sein Geschaffensein und für seine Freiheit: Adams Wissen ist eingebettet in seine Freiheit für Gott, in seinen ungebrochenen Gehorsam gegen Gott; Wissen aus der Freiheit des Geschöpfes, Wissen in Leben, Wissen in Unwissenheit.“86
Im Ursprung weiß der Mensch nur eines, nämlich Gott, und darin weiß er seinen Nächsten und sich selbst; er weiß sich als in Einheit mit Gott und er „weiß alles nur in Gott und Gott in allem.“87 Im Blick allein auf Gott steht der Mensch in ungebrochener Einheit mit, d. h. in vollem Gehorsam zu, seinem Ursprung. Adams Leben ist das Wissen um seine Geschöpflichkeit, weil es ein Leben in der Mitte,88 ein Leben von Gott her ist. Zugleich ist dieses Wissen aber auch ein Unwissen über etwas anderes, nämlich das, was Gott mit einem Verbot belegt und die Bibel mit dem Wissen um Gut und Böse (Gen 3,4–7) beschreibt. Mit dem Übertritt des Gebotes, mit dem Genuss der Frucht jedoch versucht der Mensch sich dieses göttlichen Wissens zu bemächtigen. In seiner Ethik schreibt Bonhoeffer ausdrücklich vom „Raub des Ursprungs[, mit dem] der Mensch ein Geheimnis Gottes in sich hinein genommen“89 hat. Er weiß nun um Gut und Böse, das aber ist nicht ein neugewonnenes, hinzukommendes Wissen, im Gegenteil, dieses Wissen „bedeutet die völlige Umkehrung seines Wissens, das bisher allein ein Wissen Gottes als seines Ursprunges war.“90 Wusste der Mensch im Urstand um Gott als seine Mitte, um den Mitmenschen als seinen Nächsten und um die Kreaturen als seine Mitgeschöpfe, ist dieses Wissen durch den Übertritt der Grenze nicht nur verloren, es ist pervertiert und in sein Gegenteil verkehrt. War der Mensch urständlich frei und darin dem Schöpfer ähnlich, erweist sich dieses neue göttliche Wissen um Gut und Böse als Unfreiheit darin, dass dieser seinen Mitgeschöpfen und der Kreatur gegenüber in der Grenze der Entzweiung hassend und diese ergreifend gegenüber steht.91 Das 86 SF, 81. 87 E, 302. 88 Zur Rede von Mitte und Grenze bei Bonhoeffer siehe u. a. auch Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 137–220; bes. 141–176; Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 224–232; Claß, Der verzweifelte Zugriff, 83–98.111–159. 89 E, 303. 90 E, 303. 91 Cf. SF, 115: „Diese Entzweiung in tob und ra muß sich zuerst in dem Verhältnis des Adam zur Eva ausdrücken. Eva, der andere Mensch, war die dem Adam in leiblicher Gestalt gegebene Grenze, die er in Liebe, d. h. in ungeteilter Einheit seiner Hingabe anerkannte […]. Nun, da er die Grenze überschritten hat, d. h. da er erst weiß, daß er begrenzt war, d. h. nun da er die Grenze nicht mehr als Gottes Schöpfergnade hinnimmt, sondern als Gottes Schöpferneid haßt, nun hat er in demselben Akt die Grenze, die der andere Mensch ihm verleiblichte,
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Wissen um tob und ra ist damit ein neues Wissen des gefallenen Menschen um seinen eigenen Ursprung, den er nun nicht mehr in Gott findet, sondern in sich selbst. Der Mensch ist eines Wissens habhaft geworden, das eine dem Ursprung fremde Wahrheit in sich trägt: „Der Mensch ist sicut deus. Nun lebt er aus sich selbst, nun schafft er sein Leben selbst, ist er sein eigener Schöpfer, bedarf des Schöpfers nicht mehr, ist er selbst Schöpfer geworden, sofern er sein eigenes Leben schafft.“92 Wahrheit steht gegen Wahrheit, Mensch gegen Gott. In seiner Predigt zu Johannes 8,32 „Die Wahrheit wird euch frei machen.“ im Semesterabschlussgottesdienst am 24. 07. 1932 in Berlin unterscheidet Bonhoeffer genau diese zwei unterschiedlichen Weisen derselben: „Wirkliche Wahrheit unterscheidet sich von jeder phrasenhaftigen Wahrhaftigkeit dadurch, daß sie etwas ganz Bestimmtes will, daß etwas geschieht – nämlich, daß sie den Menschen löst, frei macht. Daß sie dem Menschen auf einmal die Augen darüber öffnet, daß er bisher in der Lüge und in der Unfreiheit und Angst gelebt hat und ihm [so] die Freiheit zurückgibt.“93
Anhand der Schilderung des Falls erschließt sich eingehend diese eigentümliche Dialektik. Mit der ersten frommen Frage hatte die Schlange etwas Neues in die Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf gebracht, etwas, das so noch nicht da war: „die Möglichkeit des Frömmerseins, des Gehorsamerseins als […] in [der] imago-dei-Struktur […].“94 In der Frage nach dem „Sollte Gott gesagt haben“ wird dem Menschen gegen die Wirklichkeit mit Gott die Möglichkeit eines neuen, tieferen Seins für Gott aufgezeigt, die ihn auf seine Freiheit anredet, in der er ganz Gott gehört. „Die Möglichkeit des eigenen selbstgefundenen ‚für-Gottsein-Wollens‘ ist das Urböse“,95 es ist der Reiz des Urteilens über Gott, der dem Menschen in der Gestalt des Für-Gott-Seins entgegentritt und ihm zum Verhängnis wird.96 Wenn dann weiter die Schlange Gott der Lüge bezichtigt, indem sie nämlich behauptet, dass Adam und Eva nicht des Todes sterben werden, wenn sie vom Baum der Erkenntnis essen, sondern gerade so sein werden wie Gott, eröffnet sich damit die dialektische Rede von Wahrheit und Lüge in ihrer tieferen Paradoxalität. „Das ist die letzte Auflehnung, die möglich ist, daß die Lüge die Wahrheit als Lüge ausgibt. Das ist der Abgrund der Lüge, daß sie lebt, weil sie sich selbst als Wahrheit setzt und die Wahrheit als Lüge verurteilt. ‚Ihr werdet mit nichten des Todes sterben, sondern Gott weiß, daß welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgetan und
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überschritten; nun sieht er auch die Grenze des anderen Menschen nicht mehr als Gnade, sondern er sieht ihn in dem ihm Gegenübersein, er sieht ihn in der Entzweiung.“ SF, 107. ÖUP, 456. SF, 105. SF, 101. Cf. § 3.1.1.
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werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.‘ So hatte es ja der Schöpfer selbst gesagt, daß dieser Baum die Erkenntnis vermitteln würde, der Gegensatz besteht nur darin, daß der Schöpfer auf dieses Tun den Tod gesetzt hatte, daß die Schlange aber die Verheißung des sicut-deus-seins daran knüpft.“97
Als „Gotteswahrheit gegen Schlangenwahrheit“98 beschreibt Bonhoeffer das Dilemma des ersten Menschenpaares, wenn Gottes Verbot gegen die Verheißung der Schlange steht, das eine auf die Grenze hinweisend, die andere die Grenzenlosigkeit eröffnend. In der Auslegung des Todes musste sich damit die Aussage der Opponenten bewahrheiten; verspricht die Schlange mit dem Genuss der Frucht ein ‚Sein wie Gott‘, kann das nichts anderes bedeuten als das, was der Schöpfer den Tod nennt. Die Schlange spricht demnach eine Wahrheit aus, die tiefer geht, als es zunächst scheint: Der Mensch wird mit dem Fall wie Gott, er wird sich selbst zum Schöpfer, er weiß um Gut und Böse, er wird grenzenlos. Aber eben dieser Sicut-deus-Mensch kann nicht mehr leben, er ist tot.99 „D.h. aber die Schlange kann in all ihrem Versuch, die Wahrheit Gottes als Lüge auszugeben, garnicht dieser Wahrheit entweichen, sie muß vielmehr noch in ihrer Lüge dieser Wahrheit recht geben, auch sie redet vom Tod des Menschen, nur in anderer Gestalt […].“100 Im Raub des Geheimnisses von Gut und Böse entreißt sich das Geschöpf seinem Schöpfer, es verliert seine Grenze und damit seine Geschöpflichkeit. Indem es sich seine eigene Erkenntnis Gottes, sein eigenes Wissen über Gott101 verschafft, verzichtet es auf ein Leben aus dem Wort Gottes. „[Adam] ist selbst in der Mitte. Es ist also Ungehorsam in Gestalt des Gehorsams, es ist Herrschenwollen in Gestalt des Dienstes, es ist Schöpferseinwollen in der Gestalt der Geschöpflichkeit, es ist Totsein in Gestalt des Lebens.“102 Es ist, so kann man hinzufügen, Lüge im Anschein der Wahrheit. Adams Leben besteht nun in einem fortwährenden Greifen nach dieser verlorenen Mitte, nach dieser verlorenen Geschöpflichkeit, genauer nach dem verlorenen Wort Gottes, das einst sein Leben bedeutete. Adam muss „ohne das Leben aus Gott vor Gott leben“,103 die Schlangenwahrheit ist damit offensichtlich von der Gotteswahrheit unterschieden. Adam weiß, was er mit dem Übertritt des Verbotes verloren hat, er weiß, dass er nicht 97 SF, 103f. 98 SF, 104. Cf. KuH, 623: „Es gibt eine Satanswahrheit. Ihr Wesen ist, da sie unter dem Schein der Wahrheit alles leugnet, was wirklich ist. Sie lebt vom Haß gegen das Wirkliche, gegen die Welt, die von Gott geschaffen und geliebt ist.“ 99 Cf. E, 304: „Der Mensch geht an dem geraubten Geheimnis Gottes zugrunde. Sein Leben ist nun Entzweiung mit Gott, mit den Menschen, mit den Dingen, mit sich selbst.“ 100 SF, 104. 101 Cf. zur Frage nach der Erkenntnis Gottes §§ 2.1.1 und 2.1.2. 102 SF, 108. 103 SF, 132.
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„ohne Gott, nicht ohne den anderen Menschen, nicht ohne die andere Kreatur leben kann, er, der sich in Gewissen und Reue immer die Gegenwart, die Wirklichkeit eines anderen in seinem Leben vorzutäuschen sucht, der sich anklagt, der sich zerquält und sich verherrlicht, nur um sich über die grauenvolle Einsamkeit eines echolosen Alleinseins wegzulügen […].“104
Mit der beständigen Anstrengung des gefallenen Menschen, sich selbst seine eigene Wahrheit zu schaffen und zugleich gegen diese eigene, selbsterdachte Wahrheit anzurennen, wird deutlich, wie Bonhoeffer von der Unfreiheit des Menschen spricht. Erscheint der Mensch als unfrei, wenn er sich von seinem Schöpfer und seinen geschöpflichen Bedingungen losgerissen hat, erweist sich darin die bonhoeffersche Rede von der Freiheit kontraintuitiv indiziert. Buchstabiert sich Adams vermeintliche Freiheit von Grenzen und Verboten als offensichtliche Unfreiheit aus, die ihn im Gegenteil immer wieder von außen bedrängt, zeigt sich darin augenscheinlich seine Unfreiheit. Die Schlangenwahrheit des Sicut-deus-Seins erfüllt sich darin, dass es nun am Menschen selbst ist, sich seine eigene Wahrheit zu schaffen, um nicht selbst seiner Lüge überführt zu sein. In seiner Predigt zu Johannes 8,32 bringt Bonhoeffer diese Dialektik auf den Punkt, wenn er hervorhebt: „Die Wahrheit ist im menschlichen Leben etwas Fremdes, Ungewöhnliches, Ausnahmehaftes.“105 Der Mensch in der Lüge stellt sich selbst in die Wahrheit, die eben darum keine Wahrheit ist, weil sie eine selbsterdachte ist. Es war schon zu sehen, dass Wahrheit etwas von außen Kommendes ist, etwas das seinen Gegenstand als wahr qualifiziert. Wahr ist nichts aus sich selbst heraus, vielmehr ist Wahrheit eine Qualität, besser: Wahrheit ist Gottes Qualifikation des Gegenstandes.106 Es ist damit eine wichtige Weichenstellung deutlich, welche der eigentümlichen Verbindung aus Geheimnis, Wahrheit und Freiheit näher kommen lässt. Wenn es im Johannesevangelium 8,32 heißt, „[D]ie Wahrheit wird euch frei machen[…]“, dann ist damit zweierlei angezeigt. Erstens erschließt sich tiefer, was Bonhoeffer unter dieser „phrasenhaften Wahrhaftigkeit“ versteht. Im status corruptionis hat sich der Mensch der Wahrheit bemächtigt, im Genuss der Frucht, im Übertritt des Gebotes und im Verlust der Geschöpflichkeit hat sich der Mensch selbst zur vermeintlichen Instanz der Wahrheit gemacht; genauer noch, er hat sich selbst der Wahrheit bemächtigt.107 Als zweiter Schöpfer ist er es nun, 104 SF, 132. Cf. zur Problematik des Gewissens bei Bonhoeffer auch AS, 141f. (auch Anm. 13, die unter anderem auch das Grisebach-Zitat führt, welches das Gewissen als inneren Gerichtshof des Menschen erkennt. Grisebach, Gegenwart, 564: „Ich werde also durch die Erfahrung des Gewissens aus mir selbst und immer nur durch mich selbst begrenzt, aber ich erhalte so niemals eine wirkliche Grenze von außen.“) 105 ÖUP, 456. 106 Cf. § 3.2.5. 107 Cf. WE, 228: „Ich glaube, unter dem Anschein der Ehrlichkeit wird etwas als ‚natürlich‘
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der über Wahrheit oder Unwahrheit entscheidet. Zweitens bleibt dieses letzte Wissen, dieses letzte Ahnen um die urständliche Wirklichkeit doch der Stachel im Fleisch des gefallenen Adam, wenn er sich in seiner vermeintlichen Freiheit als Unfreien erkennt, nämlich dann, wenn ihn sein Schöpfer gerade nicht dem lebendigen Tod übergibt. Erzählt die Genesis dieses Geschehen mit dem Aufhalten der Flucht Adams durch Gottes „Adam, wo bist du?“, zeigt sich darin das erste untrügliche Aufscheinen der Wahrheit Gottes: Gott ruft den alten Adam aus seinem Kreisen um sich selbst heraus, der Sicut-deus-Adam muss des Todes sterben, um wirklich zu leben. Die phrasenhafte Wahrhaftigkeit des gefallenen Menschen ist damit unumgänglich von der letztlich wirklichen Wahrheit Gottes allein darin unterschieden, dass diese begrenzt und jene befreit. „Wir alle haben Angst vor der Wahrheit. Und diese Angst ist im Grunde unsere Angst vor Gott. Gott ist die Wahrheit und kein anderer. Und wir fürchten uns vor ihm, daß er uns plötzlich ins Licht der Wahrheit stellt und unsere Lügenhaftigkeit entlarvt. Die Wahrheit ist eine Macht, eine Gewalt, die über uns steht und uns jeden Augenblick vernichten kann. Sie ist nicht der heitere Himmel der Begriffe und Ideen, sondern das Schwert Gottes, der drohende Blitz, der zerstörend und erleuchtend in die Nacht hineinfährt. Vor dieser Wahrheit muß der Mensch sterben.“108
Wahrheit, so kann man Bonhoeffers Ausspruch zusammenfassen, ist damit nicht nur der untrügliche Hinweis auf die Lüge des Menschen, weil allein Gott selbst diese ist, sie ist darin vielmehr noch nicht eine intellektuelle Größe, die sich innerhalb der menschlichen Natur würde messen lassen, sondern im Gegenteil eine Macht, die den ganzen Menschen betrifft, die sich seiner bemächtigt und ihn seiner Lügenhaftigkeit überführt. Sie steht damit dem gefallenen Menschen entgegen und hält ihn in seiner Eigenmächtigkeit auf. Der Weg zur wirklichen Freiheit und wirklichen Wahrheit bleibt dem alten Adam genau so auch verschlossen, denn er führt allein ans Kreuz, in den Tod, denn „es ist selbst die gekreuzigte Wahrheit, die lebendig zu uns redet.“109 In Gottes Geheimnis in Christus offenbart sich unsere eigene menschliche Wahrheit als Lüge gegen Gott, die sich gegen die geschöpflichen Bindungen, gegen den Mitmenschen, die Mitkreatur und zuletzt gegen die Liebe Gottes wehrt. Es war mit Adam zu sehen, dass er gegen seine Begrenzung immer wieder anrennen muss, dass er seinen Schöpfer hasst, weil er ihn auf der Flucht aufhält.110 ausgegeben, was doch imgrunde ein Symptom der Sünde ist; […] ‚Wahrhaftigkeit‘ heißt eben doch nicht, daß alles, was ist, aufgedeckt wird. Gott selbst hat den Menschen Kleider gemacht, d. h. in statu corruptionis sollen viele Dinge im Menschen verhüllt bleiben, und das Böse, wenn man es schon nicht ausrotten kann, soll jedenfalls verhüllt werden; […] seit dem Sündenfall [muss] es auch Verhüllung und Geheimnis geben […].“ 108 ÖUP, 458. 109 ÖUP, 460. 110 Cf. SF, 121f.
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„Wer in der Lüge lebt, lebt im Haß. D.h. aber, er lebt in der Fesselung an sich selbst. Er ist in Ketten gelegt, er ist ein Knecht seiner selbst. Dies zu erkennen aber ist die erste Erkenntnis der Wahrheit Gottes, eine Erkenntnis, die allein Gott selbst gibt. Wer sich als Sklaven der Lüge, der Angst und des Hasses erkennt, der ist schon von Gott in die Wahrheit gestellt. […] Und nun kommt ihm das Wort von neuem entgegen: Die Wahrheit wird euch frei machen.“111
Gottes Wahrheit ist Gottes Liebe zu seinem Menschen, den er auf der Flucht aufhält, den er seiner Lüge überführt und ihn in die Wahrheit stellt, d. h. ihn von seinem Blick auf sich selbst befreit und für den anderen öffnet. Die Wahrheit Gottes allein lässt ihn den anderen sehen als das, was er ist: sein Nächster.112 So enthüllt sich darin zugleich die Wahrheit Gottes als eine Wahrheit in actu, die konkret in die Geschichtlichkeit des Menschen eingeht und sich zuletzt als Beziehungswirklichkeit, als Liebe Gottes herausstellt.113 In lutherischer Logik zeigt Bonhoeffer diese geheimnisvolle Wahrheit Gottes damit deutlich als eine den Menschen lebendig machende Wahrheit, indem und gerade weil sie den Menschen tötet und ihn damit überhaupt erst von der Macht der Lüge befreit. Als ein Zwischenfazit ist dementsprechend festzuhalten: Gott schließt sein Geheimnis uns gegenüber auf, indem er uns dieses Geheimnis nicht ergreifen lässt, sondern uns der Lüge überführt um eben dieser seiner Wahrheit willen. Das Geheimnis Gottes, dessen sich der Mensch doch bemächtigen wollte, ist und bleibt gerade dann unerreichbar, wenn der Mensch nach ihm greift. „In
111 ÖUP, 460f. 112 Cf. Tietz, The Mysteries of Knowledge, 38–46. Auch das Du ist Mysterium und soll als solches in der Anerkennung der Grenze gewahrt bleiben. 113 Cf. ÖUP, 461. Diese Liebe erweist sich freilich in Gottes Zorn gegen unsere Lüge. Er tötet den Menschen letztlich, weil er ihn liebt. Damit ist auch hier wie schon oben immer auch das Gegenteil mitgedacht. In The Christian Idea of God drückt Bonhoeffer das wie folgt aus: „Every theoretical sentence generalizes. But God does not permit of generalization. Because he is reality, he is absolutely free of all theoretical generalization. Even a sentence like ‚God is love‘ is, in the last analysis, not the truth about God, because it is not a matter of course that by such a sentence I could calculate that God is love. On contrary, God is wrath as well as love and this should we know. Therefore, every statement concerning God’s essence must contain both of these contradictory aspects in order to give room to the reality of God.“ (BBA, 426.) Cf. Adorno, Ästhetische Theorie, 12: „[I]hr Bewegungsgesetz ist ihr eigenes Formgesetz. Sie ist nur im Verhältnis zu ihrem Anderen, ist der Prozeß damit. […] Wahrheit ist einzig als Gewordenes.“ Wenn auch Adorno hier über die Kunst spricht, ist es für ihn gerade diese, die über sich selbst hinausweist auf etwas Transzendetes, das sie in seiner Unverfügbarkeit je selbst erst als wahr auszeichnet. Theologisch gelesen weist Adorno damit auf ein Verständnis von Wahrheit hin, dass allein in Beziehung, allein im Gewordensein sich zeigt. Nicht Allgemeinheit und Überzeitlichkeit, sondern Lebendigkeit und Zeitlichkeit sind damit Charakteristika derselben, womit Wahrheit ganz in bonhoefferscher Manier allein wirkliche Begegnung meinen kann. Hier stellt sich freilich anschließend die Frage nach der (Un-) Veränderlichkeit Gottes, wenn Wahrheit als Gewordenes gelesen werden soll. Das aber sei hier nur am Rande angemerkt.
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dem Maße, wie es seinen Gegenstand enthüllt, verhüllt es ihn auch.“114 In seiner Unerreichbarkeit indiziert es dem Menschen seine Begrenzung auf und damit sein Gefallensein;115 es zeigt dem Geschöpf darin aber zuletzt auch die Bindung an seinen Schöpfer an, wenn dieses Greifen nach dem letzten Ursprung zugleich immer der widerwillige Hinweis auf seinen wahren Ursprung ist. Gerade darin nämlich, dass das letzte Geheimnis Gottes eben nicht erreicht werden kann, weist es über sich hinaus auf diese unerreichbare, letzte Wahrheit. Und dadurch, dass es eben nicht ergriffen werden kann, dass sein Inhalt der Welt entzogen bleibt, stiftet es den Raum der Freiheit, den Raum der Freiheit der göttlichen Prädestination.116 Die Enthüllung des Geheimnisses zeigt damit, dass diese letzte Wahrheit eine solche ist, die einerseits im Einbruch des Letzten in das Vorletzte geschieht und andererseits nur vom ganzen Menschen in der Mitte seines Wesens gelebt werden kann, entzieht sie sich doch einem intellektuellen Zugriff. Und so ist mit Alfred Müller zu sagen: „[M]an kann sie [die letzten Geheimnisse, Anm. d. Verf.] nicht begreifen, man kann nur von ihnen ergriffen werden. Man kann Gott nicht begreifen, man kann ihm nur begegnen. Man kann nicht über ihn reden, man kann nur mit ihm reden.“117 In der Frage nach Wahrheit und Geheimnis führt Bonhoeffer so erneut an die eine Offenbarung Gottes, in der er uns in Christus am Kreuz begegnet. „[D]er gemordete Sohn Gottes,“118 wie Bonhoeffer sagt, der sich im Kreuz aus der Welt herausdrängen lässt und schwach ist in der Welt,119 ist mit Luther der deus absconditus,120 er verkörpert das Geheimnis selbst. Mit dem Fall hat sich die Einheit zu ewiger Zerrissenheit pervertiert, diese Entzweiung ist zugleich der erste Hinweis auf das Geheimnis der ewigen Wahl und Erwählung, weil sie in sich auf das neue Verhältnis Gottes zu seinem Menschen hinzeigt. Die in Schöpfung und Fall vorgenommene Bestimmung des von Gott abgefallenen Menschen, der „ohne das Leben aus Gott vor Gott leben muß“,121 legt schon früh das dar, was Bonhoeffer in seiner Ethik noch deutlicher ausdrücken wird: „Das Kreuz der Versöhnung ist die Befreiung zum Leben vor Gott mitten in der Gott-losen 114 Abromeit, Das Geheimnis Christi, 49. 115 Cf. Bonhoeffers Rede von der Scham, die der „widerwillige Hinweis des Menschen auf die Offenbarung, auf die Grenze, auf den anderen, auf Gott [ist].“ In der Scham erkennt der Mensch nämlich seine Grenze letztlich an. „Darum ist die Bewahrung der Scham in der gefallenen Welt die einzige – wenn auch höchst widerspruchsvolle – Möglichkeit des Hinweises auf die ursprüngliche Nacktheit und der Heiligung dieser Nacktheit […].“ (SF, 117.) 116 Cf. BBA, 438: „It is God’s own work to let men see into these secrets of his revelation […] So everything points back to god’s own decree, to his free predestination. He comes where he wants to come, and he renounces whoever he pleases. For he is unconditioned free.“ 117 Müller, Bonhoeffers Prinzip der weltlichen Interpretation, 726. 118 SF, 135. 119 Cf. WE, 534. 120 Cf. bspw. WA, 18, 685. 121 SF, 132.
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Welt.“122 In der Offenbarung kommt Gott seiner Schöpfung am nächsten, indem er sie als solche bejaht und erhält – auf Christus hin.123 In seiner Offenbarung ist Gott der Welt gleichsam auch am geheimnisvollsten, weil sich hier der Mensch seiner Begrenztheit am deutlichsten bewusst wird, „[d]er erniedrigte GottMensch ist das Ärgernis des […] Menschen überhaupt […]“;124 und weil Gott im Kreuz in der Vernichtung des alten Adam bereits einen ersten Schein seines Geheimnisses der ewigen Erwählung preisgibt. Zugleich legt Bonhoeffer mit der Rede vom verborgenen Gott in der Offenbarung des Kreuzes eine Interpretation des Kreuzesgeschehens dar, die sich ähnlich wie die gegensätzliche Rede von offenbar und verborgen zweier Modi bedient, die in paradoxer Weise anstatt einander gegenüberzustehen, ineinanderstehen. Der „im Modus seiner Abwesenheit anwesende Gott“125 ist damit in seiner Abwesenheit der Welt am nächsten, weil er sie in ihrer Gefallenheit als solche bewahrt,126 etsi deus non daretur, sie zugleich aber auch als gefallene coram deo erkennt. Im paradoxen Wesen des sich im Gekreuzigten offenbarenden Gottes kommt damit, um mit Eberhard Jüngel zu sprechen, „die ‚etsi deus non daretur‘ existierende Welt“ als „Welt coram mundo“ zum Ausdruck, „indem […] in dem in Christo crucifixio existierenden Gott […] der deus coram mundo zu begreifen [ist]. Gott existiert coram mundo, indem er am Kreuz die Welt als die ihn nicht ertragende erträgt.“127 In der Rede von der anwesenden Abwesenheit, von der offenbaren Verborgenheit Gottes stößt der Mensch an seine rationale Verstehensgrenze, wenn kontradiktorisch die „ontologische Eigenart des göttlichen Seins überhaupt zum Ausdruck“128 kommt. Und so, ist zu schlussfolgern, trifft die Rede vom Geheimnis Gottes damit den Kern der Wahrheit Gottes, denn „[d]as Evangelium ist in seinem innersten Gehalt ‚Geheimnis‘.“129 Was heißt diese Erkenntnis von Geheimnis und Offenbarsein, von Wahrheit und Freiheit für die hermeneutischen Bestimmungen? Zunächst und zu allererst dieses: Gottes Wahrheit ist Wahrheit in Relation, genauer ist schon hier vorwegzunehmen: in Begegnung. In der Bestimmung des Menschen als Beziehungswesen, also des Geschöpfes als in Zweiheit geschaffen, zeigt sich diese Wahrheit darin, dass in der Verwirklichung des geschöpflichen Lebens in der 122 E, 404. Cf. dazu WE, 537: „Die mündige Welt ist Gott-loser und darum vielleicht gerade Gottnäher als die unmündige Welt.“ 123 Cf. SF, 130. 124 B, 345. 125 WE, 534 (Anm. 35). 126 Cf. dazu SF, 129: „Der Schöpfer ist nun der Erhalter, die geschaffene Welt ist nun die gefallene erhaltene Welt. […] [E]r nimmt sie [die Menschen, Anm. d. Verf.] als die, die sie als gefallene sind. Er bejaht sie als gefallene.“ 127 Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 81. 128 Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 82. 129 Müller, Bonhoeffers Prinzip der weltlichen Interpretation, 726.
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Christuswirklichkeit, oder besser gesagt in der Nachfolge Jesu, das offenbarte Geheimnis Gottes Gestalt gewinnt. Mit der Anerkenntnis der Wahrheit Gottes als relationale Wahrheit, die nicht rational ergriffen und begriffen werden kann, sondern die allein geschehen kann, wird auch dieses hermeneutische Bestreben in ein neues Licht gerückt. Wurde oben von der Fremdheit des Mythos als Provokation gesprochen,130 zeigt sich mit der paradoxen Rede des offenbaren Geheimnisses Gottes eine weitere Facette des bonhoefferschen Umgangs mit der Schrift: Das Wort Gottes bleibt in seiner Fremdheit der Welt und dem Leser ein Gegenüber, es bleibt die bleibende Provokation, die es gerade nicht rational zu glätten gilt. Im Gegenteil, das fremde Evangelium will den Menschen aus seiner vermeintlichen Sicherheit in sich selbst herausführen und ihn der Lüge überführen. Dass der Mensch gar nicht der Lüge überführt werden will, dass er es sich in seiner eigenen Wahrheit bequem gemacht hat und „sich so tief in die Lüge […] verstrick[t] [hat], daß er es selbst nicht mehr weiß, daß er lügt, sondern daß er seine Lüge für Wahrheit hält […]“, das war zu sehen, wenn er alles, was das Wort ihm sagt, als „Übertreibung und Unwahrheit“131 ausgibt. Es ist also eine grundlegende Erkenntnis, die Bonhoeffer in seinem Brief an Rüdiger Schleicher vom 08. 04. 1936 ausspricht: „Die Bibel kann man nicht einfach lesen wie andere Bücher. Man muß bereit sein, sie wirklich zu fragen. Nur so erschließt sie sich. Nur wenn wir letzte Antwort von ihr erwarten, gibt sie sie uns. Das liegt eben daran, daß in der Bibel Gott zu uns redet. Und über Gott kann man eben nicht so einfach von sich aus nachdenken, sondern man muß ihn fragen. Nur wenn wir ihn suchen, antwortet er. […] [Und] [i]st es […] Gott, der sagt, wo er sein will, dann wird das wohl ein Ort sein, der meinem Wesen zunächst garnicht entsprechend ist, der mir garnicht gefällig ist. Dieser Ort aber ist das Kreuz Jesu. Und wer ihn dort finden will, der muß mit unter dieses Kreuz, wie es die Bergpredigt fordert. Das entspricht unserer Natur garnicht, sondern ist ihr völlig zuwider. Dies aber ist die Botschaft der Bibel, nicht nur im Neuen, sondern auch im Alten Testament ( Jes. 53!). Jedenfalls meinte [sic!] das Jesus und Paulus so: mit dem Kreuz wird die Schrift, das heißt das Alte Testament erfüllt. Die ganze Bibel will also das Wort sein, in dem Gott sich von uns finden lassen will. Kein Ort, der uns angenehm oder a priori einsichtig wäre, sondern ein uns in jeder Weise fremder Ort, an dem Gott erwählt hat, und zu begegnen.“132
Die Bibel als Gottes Wort im Menschenwort ist die bleibende Provokation an den Menschen, einerseits darin, weil sie als Menschenwort ganz im Zwielicht der menschlichen Wahrheit steht.133 Und doch kann diesem Menschenwort nicht 130 131 132 133
Cf. §§ 2.1.5, 3.1.4 und 4.1.1. ÖUP, 458. ITAF, 145f. Cf. SF, 29.
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rational begegnet werden – sei es in historisch-kritischer, biblizistisch-frommer oder existentialer Form –, nicht im Nachvollzug erschließt sich die Schrift, sondern in der offenen Begegnung; allein dann, wenn der Mensch sein eigenes, vermeintliches Wissen als solches zurückzustellen weiß und dem Wort als Suchender entgegentritt, wird ihm dieser Zugang gewährt. In der Auseinandersetzung mit der Schrift, d. h. genauer darin, das Wagnis einzugehen, uns von uns selbst fortführen zu lassen hin zu einem gar fremden und unwirtlichen Ort, „der uns gar nicht gefällig ist“, wird uns das Wort Antwort geben und uns einlassen in die Wahrheit Gottes. Erst so und nur so begegnet uns Gott wirklich, das verdeutlicht Bonhoeffer als grundlegende hermeneutische Prämisse. Das Kreuz als fremder Ort ist die bleibende Herausforderung, die uns aus unserer selbsterdichteten Wahrheit in die von außen kommende Wahrheit stellt, uns tötet. Als solches steht es dem grenzenlosen Menschen als Ärgernis gegenüber, weil es sich nicht ergreifen lässt, sondern immer wieder entweicht und sich verhüllt. Die gefallene Vernunft kann Gott nicht in seinem Wort finden, sie findet im Gegenteil nur sich selbst, sie findet ihren „Doppelgänger“,134 wie Bonhoeffer das bezeichnet. Die Bibel als Menschenwort ist andererseits darin die bleibende Insolenz an den Menschen, weil sie im Wort das Geheimnis Gottes als solches wahrt und zugleich offenbart. Im Mythos ist diese Ambiguität des Gotteswortes schon eingehend begegnet, aber auch die scheinbar klaren Aussagen beinhalten eine solche Polarität von Offenheit und Verborgenheit, die nur dann erkannt wird, wenn sie nicht rational ergriffen werden will. Es geht nämlich nicht darum, „die ‚mythologischen‘ Elemente des Christentums [abzuziehen] und das Christentum auf sein ‚Wesen‘ [zu] reduzier[en]“, also nicht darum, die Provokation und Fremdheit zu beseitigen und das Evangelium zum Eigentum des Menschen zu machen, sondern im Gegenteil, „diese Mythologie (Auferstehung etc.) ist die Sache selbst!“135 Es ist also gerade so, wie Ernst Feil es aufzeigt: „Die Theologie“ und es ist genauer hinzuzufügen: das Denken über Gott, „darf nicht dem Fehler verfallen, zum geschlossenen System zu werden, das die Wahrheit zu umschließen scheint. Denn der Gegenstand der Theologie ist das Geheimnis, dem das Schweigen angemessen ist, aus dem allein das Wort über das Geheimnis kommen darf; daher bleibt ihr nur die Möglichkeit […] ‚kontradiktorisch und paradox‘ zu formulieren, wie es im Konzil von Chalcedon geschah; dadurch wurden die Denkformen abgebrochen und so der Raum freigegeben für das Geheimnis.“136
134 ITAF, 147. 135 WE, 482. 136 Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 118. (Zitat im Zitat aus GS III, 218, so nicht in B zu finden.)
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In der Unterscheidung von Glaube und Vernunft, von actus directus und actus reflexus in Bonhoeffers Habilitationsschrift Akt und Sein,137 erweist sich genau dieses als notwendige Unterscheidung im Umgang mit der Schrift. Nicht in der denkenden Übernahme des Wortes Gottes enthüllt sich uns der verborgene Gott, vielmehr zeigt sich Gott dem sich selbst übergebenden Menschen als der, der er wirklich ist: als der nahe Gott, der uns in seiner Nähe „immer geheimnisvoller wird“, denn: „Geheimnis heißt nun nicht einfach, etwas nicht wissen. Nicht der fernste Stern ist das größte Geheimnis, sondern im Gegenteil, je näher uns etwas kommt, je besser wir etwas wissen, desto geheimnisvoller wird es uns. Nicht der fernste Mensch ist uns das größte Geheimnis, sondern gerade der Nächste. Und sein Geheimnis wird uns dadurch nicht geringer, daß wir immer mehr von ihm wissen; sondern in seiner Nähe wird es uns geheimnisvoller. […] Also das Wissen hebt das Geheimnis nicht auf, sondern vertieft es. Daß der andere mir so nahe ist, das ist das größte Geheimnis.“138
In der Anerkenntnis der Paradoxalität des fernen und nahen, des abwesenden und doch anwesenden, des verborgenen und offenbaren Gottes ist jede Auslegung zum einen rückgebunden an das erste und letzte Geheimnis Gottes Jesus Christus139 und zum anderen an die Unaussprechlichkeit des Geheimnisses, weil jedes Wort Gottes an das Menschenwort gebunden ist oder anders, weil Gott im Menschenwort ist. Näher kann Gott uns demnach nicht kommen und je näher er uns in seinem Wort kommt, umso geheimnisvoller und provozierender ist er uns, reißt er uns doch aus unserer Sicherheit und versetzt uns hinein in ein Ringen um das Unaussprechliche, das unaussprechlich ist, weil es uns lebendig macht. Es ist also die erste und vornehmlichste Aufgabe der Theologie, d. h. des Denkens über Gott, diese Unaussprechlichkeit des Geheimnisses Gottes zu erhalten, um darin die Lebendigkeit, genauer: das Lebensschaffende der Sprache wiederzufinden.140 Im Aushalten der Not dieses Geheimnisses wird dann jedes Schwei137 Cf. AS, passim. 138 L, 360f. 139 Cf. Bonhoeffers Ablehnung der Wie-Frage in seiner Christologievorlesung, die in ihrer „Warum-Frage“ das Geheimnis ergreifen will, es anstatt es zu wahren und dagegen sein Ansatz aus der negativen Christologie, die in der Wahrung des Unaussprechlichen das Geheimnis und damit die Freiheit Gottes zu wahren weiß. B, 279–348, bes. 282ff. und 315ff. 140 Cf. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 212. Cf. ITAFS, 538: „‚Gott geoffenbart im Fleisch‘, der Gottmensch Jesus Christus, das ist das heilige Geheimnis, das zu behüten und zu wahren die Theologie eingesetzt ist. Welcher Unverstand, als sei es die Aufgabe der Theologie, Gottes Geheimnis zu enträtseln, es auf die platten, geheimnislosen menschlichen Erfahrungs- und Vernunftweisheiten herabzuziehen! Während doch allein dies ihr Amt ist, Gottes Wunder als Wunder zu bewahren, Gottes Geheimnis gerade als Geheimnis zu begreifen, zu verteidigen, zu verherrlichen. So und niemals anders hat die alte Kirche es gemeint, wenn sie sich in nicht ermüdendem Eifer um das Mysterium der Trinität und der Person Christi bemühte.“
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gen zum Gehorsam gegenüber Gott und damit zum Lob Gottes, weil es dann Gott selbst ist, der sich in seinem Wort offenbart.141 Und so kann mit Ernst Wendel geschlossen werden: „Das Geheimnis ist [damit nun genau] nicht das Dunkle des Noch-Nicht-Wissens, das bei besserer Einsicht doch noch in die Helle des Verstandes sich auflöst, sondern Geheimnis ist der bestimmte jeweilige Raum des Vertrauens, ohne den sich lebendige Sprache so nicht entwickeln kann.“142
Genau darum kann und will Bonhoeffer die alten Dogmatiker unter allen Theologen hervorheben. Diese nämlich holen angesichts der Gefahr eines starren Dogmatisierens und Systematisierens in ihrem Wissen um ihre eigene Unfähigkeit, das Geheimnis Gottes zu begreifen, die christlichen Fundamente mithilfe der lebendigen Sprache des Paradoxons die Wahrheit Gottes in die Welt zurück; und das so, dass sie diese nicht ihrer Freiheit berauben, dass sie diese nicht ergreifen, sondern sie vielmehr selbst für sich sprechen lassen: „Die alte Kirche hat durch mehrere Jahrhunderte hindurch über die Christusfrage nachgedacht. Sie hat dabei die Vernunft gefangen genommen in den Gehorsam Jesu Christi und hat in harten, widerspruchsollen Sätzen das Geheimnis der Person Jesu Christi lebendig bezeugt. Sie hat sich nicht der modernen Täuschung hingegeben, dieses Geheimnis könne nur erfühlt oder erlebt werden; denn sie wußte um die Verderbtheit und Selbstbezogenheit des menschlichen Fühlens und Erlebens. Sie hat freilich auch nicht gemeint, daß dieses Geheimnis logisch erdacht werden könne; aber sie hat, indem sie sich nicht scheute, die letzten Paradoxien auszusprechen, gerade so das Geheimnis für alles natürliche Denken bezeugt und verherrlicht. Die altkirchliche Christologie ist wirklich an der Krippe von Bethlehem entstanden, und es liegt auf ihrem verwitterten Antlitz weihnachtlicher Glanz. […] Die harten Begriffe jener Zeit sind wie Steine, aus denen man Feuer schlägt.“143
Es ist also doch so, dass Bonhoeffer damit erneut vor die chalcedonensische Paradoxie stellt: Findet man Gottes Wort nur im Menschenwort, erkennt man Gottes Wahrheit damit nur im Zwielicht menschlicher Wahrheit, erweist sich Gottes Wahrheit zunächst als verborgene, man könnte wohl auch sagen geheimnisvolle. Dass aber dieses Geheimnis dann nicht als unerforschbar gilt, zeigt 141 Cf. L, 361, „Gott lebt im Geheimnis. Sein Sein ist uns Geheimnis, Geheimnis von Ewigkeit her und zu Ewigkeit hin. Geheimnis, weil er von der Heimat redet, in der wir – noch nicht – daheim sind. Alle Gedanken, die wir über Gott denken, dürfen nie dazu dienen, dies Geheimnis aufzuheben, Gott zu etwas allgemein Begrifflichem, Geheimnislosem zu machen, sondern vielmehr muß alles Denken über Gott nur dazu dienen, sein uns gänzlich überlegenes Geheimnis sichtbar zu machen, Gottes heimlich, verborgene Weisheit in ihrer Heimlichkeit und Verborgenheit sichtbar zu machen, sie nicht dieser [zu] berauben, daß vielleicht durch dies Geheimnis die Heimat sichtbar werde, aus der es kommt. Jedes Dogma der Kirche ist nur Hinweis auf das Geheimnis Gottes.“ 142 Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 190. 143 ITAS, 539.
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Bonhoeffer in der Auseinandersetzung mit der Alten Kirche darin, dass es am Ort der Krippe, am Kreuz und am Grab, dass es allein in der Begegnung offenbar wird, ist dieses göttliche Geheimnis doch etwas, das sich da als solches erweist, wo sich das geschöpfliche Leben verwirklicht, wo dieses Leben ein Leben in Begegnung, in Beziehung und zuallererst der Mensch ein Ergriffener ist.
4.1.3 Das Subjekt in der Frage nach der Erkenntnis: Eine Frage der Aktivität Liegt in dem notwendigen Wissen um die eigene, menschliche Unfähigkeit und der darin enthaltenen Wahrung des Mysteriums Bonhoeffer zufolge die Wurzel aller möglichen Gotteserkenntnis überhaupt, scheint hiermit eine harsche Kritik am neuzeitlichen Subjektbegriff einherzugehen, schränkt er diesen doch in seiner Wahrheits- und zugleich auch Erkenntnisfähigkeit strikt ein. Wie oben zu sehen war,144 ist dem Menschen als Gefallenem eine wirkliche Erkenntnis der Wahrheit, d. h. mit Bonhoeffer gesprochen eine Erkenntnis der Wirklichkeit, an sich aus seinem eigenen intelligiblen Verstehen heraus nicht möglich – zum einen deswegen, weil sich der Mensch im status corruptionis eine vermeintliche Wahrheit und Wirklichkeit selbst erschafft, zum anderen, weil diese Lüge als geraubte Wahrheit145 einzig im beständigen Übergriff auf die Wahrheit Gottes ihre Existenz erhält. Wenn Bonhoeffer im Gegensatz dazu diese neuzeitliche Autonomie, die sich ja gerade in der Befreiung von allen Mächten ausdrückt, als Heteronomie bestimmt, nämlich als Unfreiheit des Subjekts von allen außenstehenden Mächten,146 ist darin auf eine erste Entthronung eines modernen Subjektbegriffes hingewiesen. Bezieht man dazu weiter mit ein, wie dieser Raub des Geheimnisses den Menschen verändert,147 dann erscheint dieses neuzeitliche Subjektparadigma weiter demontiert. Ist mit dem Verbot die Mitte betreten und Adam sich selbst seine Grenze und Mitte zugleich,148 hat er in Bonhoeffers Auslegung des Falls seine Geschöpflichkeit verloren.149 Der Fall macht damit aus dem Geschöpf einen 144 Cf. § 4.1.2. 145 Cf. SF, 103f. Cf. dazu auch Gogarten, Politische Ethik, 42: „Lüge hat gar keine Existenz; sie darf sie gar nicht haben wollen, wenn sie nicht sich selbst preisgeben will. Lüge hat immer nur eine geraubte Existenz, und zwar raubt sie sich die Existenz von der Wahrheit.“ 146 In Schöpfung und Fall drückt Bonhoeffer diesen Sachverhalt mit der Erkenntnis um Gut und Böse aus, welches der umfassende Ausdruck für die Zerrissenheit des gefallenen Menschen mit seinem Nächsten, der Kreatur und zuletzt und doch zuerst mit seinem Schöpfer darstellt. (Cf. SF, 114–118.) Cf. auch § 2.1.2. 147 Cf. § 4.1.2. 148 Cf. SF, 107. 149 Cf. SF, 107: „In der Mitte sein und allein sein das heißt sicut deus sein. Der Mensch ist sicut
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zweiten Schöpfer, dessen ganzes Wissen um seinen Ursprung darin pervertiert ist, dass es sich nun selbst als solchen setzt und in dieser seiner Selbstzentrierung sich selbst schafft: Adam ist kein Geschöpf mehr, er muss sich selbst schaffen. Freilich geht es Bonhoeffer dabei nicht um ein wie auch immer geartetes qualitatives neues Sein, nein, Bonhoeffer betont: „Er ist sicut deus und dies ‚ist‘ ist ganz ernst gemeint, nicht er fühlt sich so, sondern er ist es.“150 Das Geschöpf wird zum Subjekt, das sich selbst als seinen Ursprung und seinen Nächsten weiß; das selbstzentrierte, vermeintlich autonome Subjekt ist das gefallene Geschöpf. Der sich absolut setzende und von Gott losgerissene Mensch, der sich als intelligibel und frei erkennt, entpuppt sich mit Bonhoeffer damit als Adam auf der Flucht vor seinem Schöpfer, er entpuppt sich als Lügengespinst der gottlosen Welt. Ist man um die Erkenntnis des fremden Evangeliums bemüht, stellen sich mit dieser Dekonstruktion des Subjekts freilich anschließend die Fragen, wie zuletzt Erkenntnis gewonnen wird und wer dieselbe gewinnt. Es wurde schon eingehend diskutiert, dass das Greifen nach dem göttlichen Geheimnis zum einen der beständig bleibende, untrügliche Hinweis auf das Gefallensein des Menschen ist und zum anderen dieses Geheimnis gerade nicht er- und begriffen werden kann, sondern erfahren werden muss.151 Bonhoeffer legt damit offensichtlich die Betonung des Erkennens wesentlich auf einen passiven Vorgang, der das erkennende Subjekt grundsätzlich zunächst einmal entmachtet: „Der Mensch gerät Gott gegenüber in die Stellung eines Leidenden […]. Existenz ist als pati bestimmt; d. h. von Existenz kann ‚eigentlich‘ erst geredet werden als von getroffener Existenz.“152 Im fremden Evangelium wird dem Menschen mit dem Kreuz die tötende Herrschaft über sich selbst entrissen, er wird in reine Passivität versetzt. Erst dann, so ist dieses subjektlose Dilemma weiterzuführen, kann nach Bonhoeffer tatsächlich von der Existenz gesprochen werden. Diese Unterscheidung von uneigentlicher und eigentlicher Existenz wurde bereits im Diskurs mit Bultmann hinreichend untersucht,153 die menschliche Existenz ist urständlich wie neugeschaffen durch Gott ausgerichtet. Der Mensch ist demnach als passiv zu denken, er ist allein vom Willen Gottes bestimmt. Besonders in seiner Nachfolge scheint dieser Gedanke der menschlichen Passivität vorherrschend zu sein, wenn es in einem Spitzensatz heißt: „Nur der Ge-
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deus. Nun lebt er aus sich selbst, nun schafft er sein Leben selbst, ist er sein eigener Schöpfer, bedarf er des Schöpfers nicht mehr, ist er selbst Schöpfer geworden, sofern er sein eigenes Leben schafft. Damit ist seine Geschöpflichkeit für ihn erledigt, zerstört. Adam ist nicht mehr Geschöpf, er hat sich seiner Geschöpflichkeit entrissen.“ SF, 107. Cf. § 4.1.2. AS, 113. Cf. § 3.2.2.
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horsame glaubt, und nur der Glaubende gehorcht.“154 Mit der Forderung des „einfältigen Gehorsam[s]“155 stellt Bonhoeffer scheinbar ein entmachtetes Geschöpf vor, dem in rein passiver Schau auf den Vorausgehenden kein eigener Wille und im Umkehrschluss auch keine eigene Verantwortlichkeit zugestanden werden kann. Selbstverständlich kann Bonhoeffer mit seiner Hochachtung der Verantwortung156 gerade in seiner Ethik das so nicht gemeint haben, es sei denn mit und in der Nachfolge vollzog sich eine komplette Kehrtwende seines Denkens.157 Wie also ist das neue Geschöpf als zugleich völlig passiv, in Gottes Willen aufgehend fremdbestimmt und zugleich doch aktiv, d. h. verantwortungstragend, zu verstehen? Es muss damit im Folgenden um die Frage nach Aktivität und Passivität, speziell nach dem Verhältnis beider zueinander gehen, um davon ausgehend der bonhoefferschen Rede vom Subjekt bzw. Geschöpf nachspüren zu können. Mit der Rede von Christus, der im gefallenen Menschen Gestalt gewinnen will,158 erscheint die participatio Christi als entscheidendes Interpretament gegeben zu sein.159 „Wer getauft ist, hat teilbekommen an Christi Tod. Er hat durch diesen Tod sein Todesurteil empfangen und ist gestorben[…]“,160 heißt es programmatisch in der Nachfolge. Der gefallene Mensch wird nicht sich selbst überlassen, Gott lässt die in sich selbst verkrümmte Welt, seine gute Schöpfung nicht verderben, er geht in diese ein, er „selbst wird Mensch, er selbst nimmt unser Fleisch an in Jesus Christus, seinem Sohn, er trägt in seinem Leib unser Fleisch in den Tod am Kreuz.“161 In diesem Zornesgericht am Kreuz fällt Gott das Todesurteil über den gefallenen Menschen, „unter dem hauenden Schwert […] stirbt das Menschengeschlecht“,162 denn „Christus hat unser Fleisch angenommen und an seinem Leib unsere Sünde ans Holz getragen (1. Petr. 2,24). Was an ihm geschah, geschah an uns allen. Er nahm teil an unserem Leben und Sterben, so gewannen wir teil an seinem Leben und Sterben.“163 Die Teilhabe an Christi Leben und Sterben, dieses paulinische „Sein in Christus“, das Bonhoeffer durch
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N, 58f. N, 69–76 u. ö. Cf. E, passim, cf. besonders 256–299. Cf. bspw. Mayer, Christuswirklichkeit, 165; in Teilen auch bei Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 276f. 283. (Cf. dazu die dezidierte Auseinandersetzung bei Schmitz, „Nachfolge‟, 20–25.); ebenso: Gütter, Innerste Konzentration für den Dienst nach außen, 107. Cf. § 4.1.1, cf. auch Gal 4,19. Cf. Hailer, Bonhoeffers „Fragmente zur Ethik“, 193. Cf. auch Hofheinz, Bildung als ethisches Lernen, 88. N, 224f. N, 271. Cf. E, 70: „Ecce homo – seht den menschgewordenen Gott, das unergründliche Geheimnis der Liebe Gottes zur Welt.“ SF, 135. N, 271.
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die Jahre beständig betont, wird damit zum einmaligen Ermöglichungsgrund des neuen Seins, sie wird die „Realisierungsgestalt der Nachfolge“.164 „Aus der Todesgestalt des Gekreuzigten, in der wir leben, in Not und Kreuz, wird schon die Klarheit und das Leben des Auferstandenen hervorleuchten, und immer tiefer wird die Umgestaltung zum göttlichen Ebenbild, immer klarer wird das Bild Christi in uns; es ist ein Fortschreiten von Erkenntnis zu Erkenntnis, von Klarheit zu Klarheit, zu immer vollkommenerer Gleichheit mit dem Bilde des Sohnes Gottes. ‚Wir alle aber, die wir mit unverhülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn sich in uns spiegeln lassen, werden dadurch in sein Ebenbild umgestaltet von Herrlichkeit zu Herrlichkeit‘ (2. Kor. 3,18).“165
In der Rede von „Christus als [dem] einzige[n] Gestalter“166 ist der Mensch in reiner Passivität hineingezogen in die „Gleichgestaltung mit der einzigen Gestalt des Menschgewordenen, Gekreuzigten und Auferstandenen“.167 Es kann somit nicht die Rede davon sein, „‚Jesus ähnlich zu werden‘, wie wir uns auszudrücken pflegen, sondern dadurch, daß die Gestalt Jesu Christi von sich aus so auf uns 164 Hofheinz, Bildung als ethisches Lernen, 88. Diese Betonung findet sich beispielsweise bereits in SC, 86.127 (hier besonders als „Christus als Gemeinde existierend“); AS 26.69.74.etc.; N, 230ff.250.252 (hier eher Leib-Metaphorik im Vordergrund, 129.227–239.241–248.etc.; cf. auch Gestaltung zum Bild Christi, 297–304); E, 325.327ff. (hier liegt die Betonung eher auf dem „Christus in uns“) und WE, 558 (hier in der Betonung der „Teilnahme am Sein Jesu“ als „Dasein-für-andere“). Deutlich wird in dieser kurzen Beleuchtung des „Sein in Christus“ zum einen damit die bleibende Bedeutung dieser paulinischen Erkenntnis des neuen Menschen, zum anderen aber auch eine Umformulierung bzw. unterschiedliche Betonung dieser Teilhabe an Christus. War zunächst noch vornehmlich eher das passivere, statischere „Sein in Christus“ als Kirche in der Betonung der Existenz im Mittelpunkt der Betrachtung (cf. dazu auch SF, 61, wo es heißt: „Auch die relatio ist nicht eine dem Menschen eigene Fähigkeit, Möglichkeit, eine Struktur seines Seins, sondern sie ist geschenkte, gesetzte Beziehung, justitia passiva!“), gewinnt mit der Nachfolge zunächst eine dynamischere Auslegung mit offensichtlich deutlicherer Betonung der Aktivität des Menschen eine herausgehobene Bedeutung, wenn der Gehorsam und die Nachfolge Christi in den Fokus geraten. In der Ethik sowie in den Briefen aus der Haft hingegen findet sich erneut eine Aktzentverschiebung durch die Hervorhebung der präsentischen Christologie, in der er Teilnahme (!) am Sein Christi betont, die sich besonders in der Rede von der Verantwortung des Menschen im Raum des Vorletzten ausbuchstabiert. (Cf. WE, 536: „Jes 53 [wird] nun erfüllt […]!“ Treffend dazu die Anm. der Herausgeber (Anm. 47.): „Das Besondere dieser präsentischen, im ‚nun‘ der Gegenwart sich vollziehenden Erfüllung von Jes 53 ergibt sich aus dem Umstand, daß B[onhoeffer] zuvor das Leiden des Gottesknechts stets als im Kreuz auf Golgatha erfüllt angesehen hat […].“) Die Kategorien ‚Aktivität‘ und ‚Passivität‘ des Menschen scheinen damit für die bonhoeffersche Betrachtung des neuen Menschen, des Seins in Christus von zentraler Bedeutung zu sein. Zugleich aber ist darin doch zu erkennen, dass nicht je die eine die andere überwiegt, sondern nur in der jeweiligen Betrachtung in den Fokus tritt. Der Mensch ist in der bonhoefferschen Theologie als ganzer passiv und aktiv zugleich in Christo. Cf. dazu auch Schmitz, „Nachfolge“, 117 (Anm. 215). 165 N, 301f. 166 E, 81. 167 E, 80.
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einwirkt, daß sie unsere Gestalt nach ihrer eigenen prägt (Gal 4,9)“,168 erweist sie sich als Grund allen wirklichen Menschseins. Das christliche Leben, so gibt Bonhoeffer deutlich zu verstehen, ist damit zunächst nicht ein selbstmächtiges Wirklichmachen, „ein Verwirklichen, Umsetzen oder Bewähren von etwas, das nur im Modus der Voraussetzung, der Potenz, des Sollens oder dergleichen gegeben wäre“,169 sondern es ist vielmehr und zu allererst ein „Wirklichwerden“,170 ein dynamisches fieri des Bildes Christi in uns.171 Das alte Leben ist in den Tod gegeben, mit diesem gewinnt aber Christus in den Gläubigen Gestalt; gleichsam weiß Bonhoeffer jedoch auch die Vollstreckung der Versöhnung Gottes und des Menschen schon als abgeschlossen in der Neuschöpfung zu denken: „[I]n der Menschwerdung Christi empfängt die ganze Menschheit die Würde der Gottebenbildlichkeit zurück. […] In der Gemeinschaft des Menschgewordenen wird uns unser eigentliches Menschsein wiedergeschenkt.“172 Die Beschreibung des neuen Menschen ist damit, so ist genauer zu sagen, eine statische und dennoch zugleich dynamische; die Rede von der neuen Existenz, das war bereits in der Auseinandersetzung mit Bultmann zu sehen,173 formuliert das feci als fieri aus. „Weil wir zum Ebenbilde Christi gemacht sind, darum sollen wir sein wie Christus. Weil wir Christi Bild schon tragen, darum allein kann Christus das ‚Vorbild‘ sein, dem wir folgen.“174 „Die Gläubigen tragen das neue Ebenbild Gottes“, so formuliert beispielsweise Florian Schmitz dieses eigentümliche Paradoxon pointiert, „zugleich aber sollen sie dieses Bild tragen, in dieses Bild hineingestaltet werden.“175 Die Neuschöpfung des alten Adam ist damit in der Taufe beschlossen und doch erst begonnen, als abgeschlossener fortwährender Prozess wird der Mensch im Bereich des Vorletzten bereits aus dem Letzten verstanden.176 Mit der Zentralstellung des biblischen Motivs der Hineingestaltung in das Bild Christi legt Bonhoeffer eine Erkenntnistheorie an den Subjektbegriff an, die so nicht innerhalb der geläufigen Unterscheidung von Passivität und Aktivität verstanden werden kann. Wie Bernd Wannenwetsch treffend zeigt, „vollzieht sich 168 169 170 171 172 173 174 175 176
E, 81. Wannenwetsch, Gestaltwerdung und Wegbereitung, 57. E, 34. Cf. Wannenwetsch, Gestaltung und Wegbereitung, 57. Siehe auch Hofheinz, Bildung als ethisches Lernen, 89. N, 301. Cf. § 3.2.2. N, 303. Schmitz, „Nachfolge“, 223. Cf. dazu auch dessen Unterscheidung von Rechtfertigung und Heiligung (222ff.). Auch die Frage nach Subjekt und Objekt der Gestaltung schließt sich daran an. Freilich denkt Bonhoeffer allein Christus als das Subjekt der Neugestaltung des Menschen, zugleich aber ist der Mensch darin nicht rein als Objekt gedacht, da auch hier der Mensch nicht nur empfangend und passiv gedacht wird, sondern in dieser Passivität immer auch eine Aktivität, eine Handlungsfähigkeit angebunden ist.
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Erkenntnis (im umfassenden Sinn des hebräischen ‚jada‘) nicht anders denn als Anpassung an den jeweiligen Gegenstand – und zwar als Anpassung nicht nur des Intellekts, sondern auch des Willens und der konkreten Lebensweise.“177 Dementsprechend kann mit Bonhoeffer darum nicht die Rede von einer aktiven Erforschung des Willens Gottes im Sinne eines ‚Sollte Gott gesagt haben …?‘ sein, vielmehr erscheint diese Erkenntnis, und das knüpft an die bisherigen Beobachtungen an, als Umsetzung der Weisungen Gottes, eben als passives „Sein in“. Gerade indem der Mensch Gott weiß,178 lebt er in und ausschließlich aus Gott, anstatt eine Gottesbeziehung zu haben. Mit Gal 2,20: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir […]“ wird das Handlungssubjekt damit einerseits scheinbar enteignet und zugleich doch erst lebendig, wenn in dieser Erkenntnis des paulinischen „Christus ist mein Leben“ (Phil 1,21) zugleich eine deutliche Indienstnahme des Menschen zutage tritt. Es handelt sich in der Gestaltwerdung des Menschen somit um ein Gleichgestaltetwerden mit Christus, aus welchem heraus der Mensch überhaupt erst eigenständig in Freiheit handeln kann.179 In Bonhoeffers Ethik heißt es dazu programmatisch: „Gerade als der in Freiheit eigenster Verantwortung Handelnde sieht er sein Handeln einmünden in und fließen aus Gottes Führung. Freie Tat, wie sie Geschichte bestimmt, erkennt sich zuletzt als Gottes Tat, reinste Aktivität als Passivität.“180 In der Befreiung des selbstmächtigen Subjekts zum Geschöpf Gottes181 findet damit ein Subjektwechsel statt, bei dem die Lebensführung „wesentlich zu einem Sich-führen-Lassen bzw. Geführt-Werden“182 wird. In der Alternative zum selbstreferentiellen Subjekt, das aus sich heraus die Verantwortung und aus absoluten Sittengesetzen das Leben zu meistern sucht,183 denkt
177 Wannenwetsch, Gestaltwerdung und Wegbereitung, 58. 178 Cf. E, 302. Auch SF, 81. 179 Cf. N, 223f.: „Daß die Taufe bei aller Passivität, in die sie den Menschen nötigt, doch niemals als mechanischer Vorgang verstanden werden darf, macht die Verbindung von Taufe und Geist ganz deutlich […]. Die Gabe der Taufe ist der Heilige Geist. Der Heilige Geist aber ist der in den Herzen der Gläubigen wohnende Christus selbst […]. Die Getauften sind das Haus, in dem der Heilige Geist Wohnung gemacht hat [!] […]. Der Heilige Geist gewährt uns die bleibende Gegenwart Jesu Christi und seine Gemeinschaft. Er gibt uns rechte Erkenntnis seines Wesens […] und seines Willens, […] er leitet uns in die Wahrheit […]. Nicht Ungewißheit, sondern Gewißheit und Klarheit schafft der Heilige Geist in uns. Darum können wir im Geist wandeln […] und gewisse Tritte tun.“ Cf. auch 148 (Anm. 155). 180 E, 225. 181 Cf. Ulrich, Wie Geschöpfe leben, 165. 182 Fischer, Theologische Ethik, 156. 183 Cf. Bonhoeffers Ablehnung allgemeiner und überzeitlicher Wahrheiten (cf. § 3.1.2.). Martin Hailer weist zudem mit Bonhoeffer anhand Kants Mörderbeispiel darauf hin, dass „die hochneuzeitliche Verlagerung Gottes ins moralische Subjekt […] sich als dessen haltlose Überforderung [entpuppt]. […] Das moralische Subjekt vergrößert sich selbst, weil es seine Prinzipientreue feiert, es tut dies aber um den Preis des Todes des anderen […]. Summum
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Bonhoeffer mit der Dezentrierung des Subjekts dasselbe als getragenes Geschöpf Gottes, das frei für die aktive Übernahme von Verantwortung ist. Der neu geschaffene Mensch, der weg von sich auf seinen Schöpfer blickt, der, um es mit Schöpfung und Fall zu sagen, „in seinem ungebrochenen Gehorsam gegen Gott […] sein Leben als allein durch seine Grenze mögliches“ versteht,184 ist in diesem passiven Geführt-Werden ein vollkommen aktiv verantwortlich Handelnder. „Die Handlungssubjekte, Gott und Mensch, fallen gleichsam ineinander, so dass die Kategorien ‚aktiv‘ und ‚passiv‘ zugleich ganz für beide gelten […]“,185 stellt Marco Hofheinz treffend fest. Aktiv und passiv zeigen damit keine Alternativen menschlicher Freiheit auf,186 sondern die menschliche Aktivität wird erst darin wirkliche Aktivität, d. h. genauer Freiheit, weil sie im passiven „Sein in Christus“ getragen und befreit ist, von sich selbst und den Zwängen der Welt abzusehen.187 Als passiver lebt der Mensch damit aktiv schaffend in der Christuswirklichkeit, weil sich in ihm dieselbe gerade verwirklicht.188 In Christus fallen so die äußerlich widersprüchliche Kategorien Theo- bzw. Heteronomie und Autonomie ineinander. Indem Christus an und in ihm handelt, ist der Mensch ganz bei sich zum Handeln aus sich heraus befreit.189
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ius – hier wohl besser: summum mos – summa iniurua.“ (Hailer, Bonhoeffers „Fragmente zur Ethik“, 203.) Cf. dazu auch E, 280. Freilich schließt sich hier auch Bonhoeffers durchgängige Kritik an der Vergötzung des Gewissens an, wenn dieses als die einzige relevante Richtinstanz „gesetzlich-selbstgerecht […]“ (E, 280) erscheint und damit sich zugleich als losgelöst von Gottes konkretem Gebot der Nächstenliebe erweist. „Die Weigerung, um meines Freundes willen am Prinzip der Wahrhaftigkeit schuldig zu werden, […] die Weigerung also Schuld zu tragen aus Nächstenliebe, setzt mich in Widerspruch zu meiner in der Wirklichkeit begründeten Verantwortung.“ (E, 280f.) Cf. dazu auch Gosda, „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“, 21–82. SF, 81. Hofheinz, Bildung als ethisches Lernen, 89. Cf. Kuhlmann, Christus – Vorbild?, 156. Cf. bspw. SF, 81, wo Bonhoeffer das Verbot vom Baum der Erkenntnis zu essen als Gnade des Schöpfers aufzeigt, darin nämlich, dass sie Geschöpflichkeit und Freiheit (für Bonhoeffer im Übrigen nicht voneinander zu scheiden) erst ermöglicht. Anders Hofheinz, bei dem es zur Frage nach Aktivität und Passivität heißt: „‚In Christus‘ ist der Mensch als ‚neuer Mensch‘ ganz bei sich und zugleich als ‚alter Mensch‘ ganz außer sich. Er ist als neuer Mensch höchst aktiv und als alter Mensch ganz passiv.“ (Hofheinz, Bildung als ethisches Lernen, 89.) Es wird hier nicht ganz ersichtlich, wie Hofheinz nun Aktivität und Passivität denkt, erkennt er doch einerseits treffend, dass in Christus dieselben Kategorien „überwundene Aspekte des Lebens“ (Hofheinz, Bildung als ethisches Lernen, 89.) sind, setzt er aber doch zugleich ‚passiv‘ mit dem alten und ‚aktiv‘ mit dem neuen Menschen gleich. Cf. Ulrich, Wie Geschöpfe leben, 444: „Der Christenmensch ist Medium, Instrument, Cooperator und Zeuge der Ökonomie Gottes. Die Einbeziehung des Nächsten in das Freiwerden von der Lebenssorge, die Angst vor Gewalt und die Erfahrung des Neuwerdens, ist auf diesen Worumwillen bezogen, auf die Befreiung zur neuen Schöpfung […].“ Cf. Schmitz, „Nachfolge“, 226: „Wenn Bonhoeffer hier so ungeschätzt von Gestaltung […] spricht, dann erweckt er dadurch leicht den Eindruck, als stünde er theologisch einer imi-
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Damit steht freilich auch Bonhoeffers Rede vom „einfältigen Gehorsam“190 besonders in der Nachfolge in einem neuen Licht da, wenn nun mit diesem Subjektwechsel eine neue bzw. erneuerte Ausrichtung des Geschöpfes einhergeht. Verdeutlicht man sich dieses an dem urständlichen Verbot Gottes, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, erweist sich im Imperativ des Verbotes zu allererst eine Handlungsfähigkeit als Indikativ: Weil Adam nicht um Gut und Böse weiß, kann er überhaupt leben.191 Gehorsam als Tat im Glauben ist so höchste Aktivität, weil allein aus dem glaubenden Gehorsam glaubende Tat erwächst.192 Bonhoeffers Rede vom „Sein in Christus“ ist also nicht statische Feststellung eines neues Seins, das der Mensch hat oder eben doch nicht hat, sondern es ist lebendiger Vollzug des Geschöpfseins, es ist sozusagen die Änderung des ganzen Seins des alten Adam in seinem Blick auf sich selbst, auf seinen Mitmenschen und zuletzt auf Gott. Mit der kontinuierlichen Rede von der Dezentrierung des Subjekts verortet Bonhoeffer damit zuletzt den „Erkennenden im Raum des Erkannten. Sie [die Wirklichkeitswahrnehmung des Geschöpfes in Christus, Anm. d. Verf.] spielt ihm die Wirklichkeitswahrnehmung zu, sie richtet ihn aus, sie bestimmt seine Prioritäten.“193 Der Nächste ist dann gerade nicht der Nächste aufgrund einer etwaigen überzeitlichen und allgemeinen Wahrheit, er ist es vielmehr, weil er als solcher aus der neuen Wirklichkeit in Christus heraus erkannt wird. Gehorsam ist dann ebenso gerade nicht autoritär und heteronom gemeint, „sondern ist die Erschlossenheit der Wirklichkeit, die sich geleitet vom Geist Gottes einstellt. Gehorsam ist, wer durch die spezifische Erschlossenheit der Welt im Geist Gottes gar nicht mehr anders kann, als ihm gemäß zu handeln.“194 Mit dem Kreuz geschieht demnach eine Umwertung aller Werte; im Nein Gottes zur gefallenen Welt kommt mit Jesus Christus als dem Wort das Gericht
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tatio-Frömmigkeit durchaus nahe. Tatsächlich ist dies nicht der Fall, […] weil Bonhoeffer alles Christus Gleichwerden […] streng als Konsequenz dessen verstanden wissen will, dass Christus zuvor uns gleichgeworden ist und dieser Christus im Leben der Jünger sein Leben zu leben begonnen hat […]. Wir können sein wie Christus, weil er zuvor wurde wie wir sind.“ Der Vorwurf der imitatio-Frömmigkeit findet sich im TRE-Artikel von Krause, Art. Dietrich Bonhoeffer, 60. N, bes. 61–76. Cf. SF, 81f. Cf. dazu auch N, 45–67, bes. 58f.: „Nur der Gehorsame glaubt, und nur der Glaubende gehorcht. Er [Petrus, Anm. d. Verf.] muß im Namen Jesu zum Gehorsam, zur Tat, zum ersten Schritt aufrufen. Verlasse, was dich bindet und folge ihm nach! […] Der Flüchtling muß heraus aus seinem Versteck, das er sich gebaut hat. Erst draußen kann er wieder frei sehen, hören, glauben.“ Cf. N, 52. Hailer, Bonhoeffers „Fragmente zur Ethik“, 209. Cf. dazu auch Fischer, Theologische Ethik, 18. Hailer, Bonhoeffers „Fragmente zur Ethik“, 209. Cf. zum Gehorsam auch: Schmitz, Gehorsam und Wagnis, passim, bes. 43–50.
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über den Sicut-deus-Menschen, dessen selbstmächtiges Ergreifen Gottes damit als völliges Fehlverhalten ausgezeichnet wird. Setzt man diese Erkenntnisse in Beziehung zu der Frage nach Bonhoeffers Umgang mit der Schrift, ergibt sich Folgendes: Wenn die Bibel Gottes Wort ist, sich Gott demnach an das Endliche bindet und doch dieses Endliche nicht mit dem Unendlichen gleichzusetzen ist,195 zeigt sich hierin treffend die obenstehende Beobachtung. Oftmals schreibt auch Dietrich Bonhoeffer selbst von der Erfahrung, dass Gott und Götze im Umgang mit der Schrift manchmal beängstigend nahe beieinander liegen, dass Gott und sein „göttlicher Doppelgänger“ nicht immer deutlich zu unterscheiden seien.196 Der Umgang mit der Schrift erweist sich deshalb als ein diffiziler, wird doch die Schrift erst tatsächlich zum Wort Gottes, wenn ihr der Raum gegeben wird, Wort Gottes zu sein. So wie zu sehen war, dass eine Erkenntnis desselben nicht darin besteht, nach diesem zu greifen, kann es auch nicht durch eigenes Nachdenken möglich sein, Gottes Wahrheit zu erkennen. „[W]ir dürfen garnicht mehr nach allgemeinen, ewigen Wahrheiten suchen, die unserem eigenen ‚ewigen‘ Wesen entsprächen und als solche evident zu machen wären […]“,197 schreibt Bonhoeffer in seinem schon häufig zitierten Brief vom 08. 04. 1936 an Rüdiger Schleicher. Es geht also ganz konkret um das Zutrauen zum Text, in dem der Leser nicht sich selbst sucht, sondern sich selbst finden lässt. Es verwundert dann ebenso kaum, dass Bonhoeffer im Allgemeinen den Begriff „Meditation“ dem der „Exegese“ vorzieht.198 Es war schon zu sehen, dass ihm ein rein rationaler, historisch-kritischer Umgang mit der Heiligen Schrift zwar notwendig und sinnvoll erscheint,199 gerade weil „die Dogmatik […] der Gewißheit der Historizität Jesu Christi, d. h. der Identität des gegenwärtigen mit dem geschichtlichen Christus“,200 bedarf, dieser aber seiner Ansicht nach nicht die volle Wirklichkeit des Wortes Gottes erkennbar werden lässt. Im Gegenteil sei eine Absolutsetzung derselben doch einem Übergriff auf das Wort gleichzusetzen. Wenn biblizistische Strömungen propagieren, das endliche Wort mit dem unendlichen tatsächlich zu identifizieren, stellt sich darin für Bonhoeffer letztlich kein anderer Umgang mit der Bibel als der der historisch-kritischen Exegese 195 196 197 198
Cf. § 2.2.2. Cf. ITAF, 145ff. ITAF, 146. Cf. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 138. Cf. GL, 69: „Drei Dinge sind es, für die der Christ am Tage eine feste Zeit für sich allein braucht: die Schriftbetrachtung, das Gebet, die Fürbitte. Alle drei soll er in der täglichen Meditationszeit finden. […] Die Meditationszeit dient der persönlichen Schriftbetrachtung, dem persönlichen Gebet und der persönlichen Fürbitte, sonst keinem anderen Zweck. Geistliche Experimente haben hier keinen Raum.“ Cf. dazu § 2.2.6. 199 Cf. § 2.1. 200 B, 313.
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heraus: Beide wollen mit ihren menschlichen Mitteln dem Wort Gottes durch rational vermeintlich einsehbare Argumente seinen Platz in der Welt zuteilen. In diesen Schriften ist Gott zu finden – für alle Zeit und für jeden Menschen; der Zweck heiligt auch hier die Mittel, Gott wird enteignet und ihm sein Ort zugewiesen.201 Gleichermaßen entpuppte sich auch Bultmanns existentiale Interpretation als solche, die die Vernunft des Menschen überhöht, welcher sich der Text in Form einer Entmythologisierung zu beugen habe, um demselben einen barrierefreien Zugang zum eigenen Heil, zur konkreten Wahrheit Gottes zu ermöglichen. Auch hier stellt sich ein reflektierter Nachvollzug biblischer Begrifflichkeiten und Sachbezüge dar, ein Übergriff auf Gott zu sein, wenn Bultmann zuletzt doch nicht umhinkommt, dem Menschen selbst die letzte Entscheidung über das Ergreifen der Möglichkeit des Glaubens in die Hand zu geben.202 Bonhoeffers Umgang mit der Schrift, das lässt sich aus dem bisher Erarbeiteten deutlich erkennen, bietet sich demnach als ein solcher dar, der um die Übergriffigkeit der menschlichen Ratio weiß, der einer solchen Entthronung durch den „einfältigen Gehorsam“ zu widerstehen versucht. Nicht der selbsternannte Schöpfer soll Richter über das Wort sein, sondern das Wort ist und bleibt der letzte Richter des gefallenen Geschöpfes. „Die biblische Wahrheit zielt auf das Gewissen“,203 heißt es bei Gerhard Ebeling. Wenn mit Bonhoeffers Genesisauslegung das Gewissen als inneres Geschehen der biblisch bekundeten äußeren Flucht Adams vor seinem Schöpfer identifiziert wird,204 verkörpert dieses eine rein negativ konnotierte Funktion, nämlich die Abkehr von Gott. Paradoxerweise jedoch weist das Gewissen in seiner Reflexion auf sich selbst,205 also auf sein eigenes Wissen um Gut und Böse, zugleich und unwillentlich über sich hinaus auf eine größere Wahrheit als seine eigene, selbsterzeugte. Es kündet damit widerwillig davon, dass diese Flucht gerade nicht „ein Siegeszug“206 ist, wie Adam sie vor sich selbst doch rechtfertigt, sondern das Gegenteil: eine unfreiwillig einge-
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Cf. ITAF, 146. Cf. § 3.2.2. Ebeling, Theologie in den Gegensätzen des Lebens, 19. Cf. SF, 119f.: „Diese Flucht, dieses sich vor Gott Verbergen des Adam nennen wir das Gewissen.“ 205 Cf. AS, 155. Cf. auch Claß der treffend formuliert: „In [der] Suche nach Rechtfertigung seiner selbst kommt zum Ausdruck, daß der Mensch sein Lebensrecht selbst in Frage gestellt hat und daß er auf ein Gegenüber angewiesen ist, das ihm sein Lebensrecht zuspricht. Insofern ist im Gewissen der ‚Hinweis auf den anderen‘, auf das fehlende Gegenüber, auf die Entzweiung von Gott enthalten – allerdings ‚wider Willen“, denn sein Wollen ist ja im Gewissen auf sich selbst gerichtet. Der Hinweis auf den anderen, auf Gott erscheint im Gewissen also nur gebrochen, gebrochen durch die Abwehrhaltung des sich vor Gott sichernden Menschen.“ (Claß, Der verzweifelte Zugriff, 141.) 206 SF, 120.
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standene Wahrheit, die ihn vor seinem Schöpfer schuldig spricht.207 „Adam, wo bist du? Steh vor deinem Schöpfer. Dieser Anruf geht stracks gegen das Gewissen […]. Gott tötet das Gewissen. Der fliehende Adam muß erkennen, daß er vor seinem Schöpfer nicht fliehen kann.“208 Das Wort Gottes zielt damit auf den alten Adam, indem es ihn aus seinem Versteck herausruft und ihn auffordert vor seinem Schöpfer zu stehen. Zweifach ist hier demzufolge die göttliche Wahrheit am Werk: zunächst fordernd und zugleich auch schenkend.209 Gott ruft Adam auf, von sich selbst wegzublicken auf sein Gegenüber: Gott oder Götze, Gotteswahrheit oder Schlangenwahrheit, Entweder – Oder. Bonhoeffer hebt diese kompromisslose Entscheidung häufig in seinen Schriften hervor, wenn es beispielsweise in seinem Gemeindevortrag Jesus Christus und vom Wesen des Christentums in Barcelona heißt: „Eins ist aber klar, daß wir Christus nur verstehen, wenn wir uns zu ihm in einem schroffen Entweder – Oder entscheiden. Zur Verzierung und Verschönerung unseres Lebens ist er nicht ans Kreuz gegangen. Wollen wir ihn haben, dann beansprucht er Entscheidendes über unser ganzes Leben zu sagen. Wir verstehen ihn nicht, wenn wir ihm nur eine Provinz unseres geistigen Lebens einräumen […].“210
In der wirklichen Konfrontation, in der Adam sich von Gott diesen Tod seines eigenen Wissens um Gut und Böse, seines eigenen Gewissens tatsächlich sagen lässt, in der er nicht seine eigene Stimme, sondern gerade die Stimme des Herrn hört, beansprucht dieser sein ganzes Leben, d. h. den Tod des gefallenen Geschöpfes. Es ist also genau hier die Beobachtung anzubringen, dass die Bewegung des Wortes Gottes nicht vom Menschen ausgeht, sondern von jenem selbst. Das Wort Gottes ist Gottes Wort, weil der Herr beschlossen hat, sich an dieses zu binden, es ist nicht sein Wort, weil der Mensch meint, Gott in diesem zu finden.211 Bonhoeffer besteht darauf, wie auch sein Finkenwalder Schüler Gerhard Ebeling, dass der Mensch in der Begegnung mit dem Wort radikal entmachtet werden, dass er mit dem Wort radikal auf Leben und Tod hin konfrontiert werden müsse,212 um zuletzt das selbstmächtige Subjekt als Illusion aufzudecken. Das realisiert sich im Lesen der Bibel, womit das Ziel dessen nicht in einer Rekon-
207 Cf. Gosda, „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“, 33. Cf. auch Claß, Der verzweifelte Zugriff, 140. 208 SF, 120f. 209 Cf. Ebeling, Theologie in den Gegensätzen des Lebens, 19. 210 BBA, 302f. Cf. auch N, 170: „Es gibt kein Mittleres. Gott ist so und darin Gott, daß er nur geliebt oder gehaßt werden kann. Es gibt hier nur das Entweder-Oder: entweder du liebst Gott oder du liebst die Güter der Welt.“ 211 Cf. bspw. § 2.2.5. 212 Cf. Ebeling, Hermeneutik zwischen der Macht des Gotteswortes und seiner Entmachtung, 225.
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struktion des Textes besteht,213 sondern ganz im Gegenteil der Dekonstruktion des Schöpfer-Subjektes.214 Insofern kann Bonhoeffer seinem Zeitgenossen Bultmann ja auch Recht geben, dass diese Auseinandersetzung mit dem Wort eine existentiale Betroffenheit des Menschen intendiert, die den ganzen Menschen in die Entscheidung ruft. Pointiert bedeutet dies: Die Schrift hat ihrem Wesen nach eine Affinität zum Gesetz, weil sie der Ruf Gottes hinein in die Flucht Adams und Evas ist. In der Provokation des fremden Evangeliums, das den Menschen an den fremden und unwirtlichen Ort des Kreuzes führt, wird der Leser radikal und vollkommen in seinem eigenen Sein infrage gestellt. Das Wort trifft den Menschen persönlich,215 es trifft ihn in seiner ganzen Existenz. Adam „hat die Gnade des Schöpfers nicht erkannt, die sich darin erweist, daß er ihn anruft, daß er ihn nicht fliehen läßt, sondern er sieht diese Gnade nur als Haß, als Zorn […].“216 Es gilt also nicht, sich selbst als Leser in den Text hineinzulesen, um diesen dadurch zu vervollständigen und sich selbst darin zu vergöttlichen,217 vielmehr gilt es, sich durch das Wort auf seiner Flucht aufhalten zu lassen, den Zorn Gottes als bleibende Gnade Gottes zu seinem Geschöpf zu erkennen, indem die eigene Existenz als sündige verstanden wird.218 Die Vorgehensweise der bonhoefferschen Hermeneutik ist damit klar benannt: In der radikalen Dekonstruktion des Subjekts durch das Wort wird das tötende Gesetz in der Rekonstruktion des Geschöpfes in völlig neuer, veränderter Blickweise als lebendig machendes Evangelium erkannt.219 Mit Worten Gerhard Ebelings kann deshalb festgehalten werden: „Nur durch das Sterben des alten Menschen hindurch kommt es zum Auferstehen des neuen Menschen.“220 Das Geschöpf findet sich demnach tatsächlich nur selbst als Geschöpf wieder, wenn es sich als solches von Gott anreden lässt, d. h. wenn es sich dem „hauenden Schwert“221 unterwirft, wenn es mit und in Jesus Christus stirbt und zum neuen Leben als Geschöpf in Christus wiedererweckt wird. Das gefallene Geschöpf muss 213 Cf. Bonhoeffers Kritik an der historisch-kritischen Methode sowie am frommen Biblizismus in den §§ 2.1.6 und 2.2.7. 214 Cf. Körtner, Rezeption und Inspiration, 45. 215 Cf. GL, 70. 216 SF, 122. 217 Cf. N, 300f.: „Der Gestalt Jesu Christi gleichzuwerden, ist nicht ein uns aufgegebenes Ideal der Verwirklichung irgendeiner Christusähnlichkeit.“ 218 Cf. B, 298: „Christus als das Wort Gottes ist von dem Menschenlogos darin unterschieden und geschieden, daß er das Wort in der Gestalt des lebendigen Wortes an den Menschen ist, während das Wort des Menschen Wort in der Gestalt der Idee ist. Das sind die Strukturen des Wortes überhaupt: Anrede und Idee.“ 219 Cf. AS, 149: „Nur in Christus weiß sich der Mensch als Geschöpf Gottes, in Adam war er selbst Schöpfer und Geschöpf zugleich.“ 220 Ebeling, Hermeneutik zwischen der Macht des Gotteswortes und seiner Entmachtung, 214. 221 SF, 135.
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dem „gehorsamen, leidenden Knecht[…] Gottes am Kreuz“ gleichgeworden sein, es muss „das in der Welt geschändete Bild des Gekreuzigten getragen haben“,222 bevor es am auferstandenen Herren teilgewinnt. „Der Stamm des Kreuzes wird zum Holze des Lebens, und mitten in der Welt ist nun aufs neue auf dem verfluchten Acker das Leben aufgerichtet; in der Mitte der Welt, am Holz des Kreuzes quillt der Quell des Lebens auf, und zu diesem Wasser sind die nach Leben Durstenden alle berufen […].“223
Diese Rekonstruktion des Geschöpfes, das war eingehend zu sehen, bedeutet damit für Bonhoeffer einen bleibenden Subjektwechsel: Die Lebensführung wird damit tatsächlich als eine Lebensführung verstanden, in der das Geschöpf seinem Schöpfer folgt, es sich von ihm führen lässt. Bibellesen kann insofern, wie Heinrich Süselbeck es formuliert, als Bildung verstanden werden,224 wenn mit dem Vorbild das eigene Bild wiederhergestellt wird. In der Umgestaltung des Subjekts zum Geschöpf gewinnt die urständliche Ebenbildlichkeit Gottes in Christus wieder neuen Raum, indem Gott uns seine eigene Gestalt in Erinnerung bringt, die in uns Gestalt werden will.225 Das Lesen der Schrift kann damit nicht nur als Neuschöpfung des Subjekts beschrieben werden, sondern auch als passive Erfahrung von Aktivität, indem nämlich die menschliche Aktivität durch diesen Subjektwechsel tatsächlich erst zu wirklicher Aktivität wird, weil sie im „Sein in Christus“ getragen und neu ausgerichtet ist. In der Auseinandersetzung mit der Schrift findet man nun genau diese paradoxe Redeweise von der passiven Aktivität verwirklicht, wenn da das Geschöpf als Ergriffenes entsteht. Damit ergibt sich auch für die hier gemachten Beobachtungen der mythischen Redeweise eine weitere Bedeutung, die gerade hier in der Frage nach dem Subjekt evident wird. Der Mythos als bleibende Provokation führt den Leser hinaus aus seinem erkannten Eigenen in die Fremde der scheinbar offensichtlichen Fiktion. Indem aber diese vermeintliche Fiktion in der Dekonstruktion des Subjekts eine neue Wirklichkeit des Geschöpfes schafft, sind hier Fiktion und Wirklichkeit nicht mehr gegeneinander zu setzen, sie sind vielmehr ineinander zu denken, genauer: Sie verschmelzen ineinander. „Statt deren bloßes Gegenteil zu sein, teilt Fiktion uns etwas über Wirklichkeit mit.“226 In der Geschichte vom Anruf Gottes an den flüchtenden Adam erschließt sich die Wirklichkeit des eigenen Lebens neu, indem gerade durch den Mythos die Wahrheit Gottes vermittelt wird. „Eben
222 N, 300. 223 SF, 135. 224 Süselbeck, „Es gehen mir täglich mehr Rätsel auf“, 86. Cf. WE, 292: „[E]ine Bildung, die der Gefahr versagt, [ist eigentlich] keine […]. Bildung muß der Gefahr und dem Tod gegenübertreten können […] [,] wenn sie ihn auch nicht ‚überwinden‘ kann […].“ 225 Cf. N, 300. 226 Iser, Der Akt des Lesens, 88.
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dies geschieht im Akt des Lesens, in welchem die Wirklichkeit für den Leser neu entsteht, indem er selbst in die Fiktion hineingerät. In diesem Kommunikationsgeschehen aber entsteht nicht nur neue Wirklichkeit, sondern ereignet sich zugleich Wahrheit.“227 Adam sind wir, wenn Gott Adam in seinem Wort auf der Flucht aufhält, ist dieser Ruf direkt an uns gerichtet, in seinem Wort erfahren wir Gericht und Gnade, Tod und Leben. Eben diese Erfahrung oder besser gesagt: dieses „Widerfahrnis, ist die Sache selbst, die Wahrheit des Mythos, die sich uns erschließt, wenn auch wir unversehens selbst durch den Mythos erschlossen werden und unsere Existenz in ihrer Verfallenheit wie in ihrem Gehaltensein offenbar wird.“228 In der Auferstehung des Geschöpfes verlieren damit die polaren Kategorien des Eigenen und Fremden ihre Widersprüchlichkeit, weil das eine nicht ohne das andere zu verstehen ist. Erst in der Entmachtung des vermeintlich Eigenen des gefallenen Menschen durch das Fremde in Christus erweist sich das Eigene im status corruptionis als dem Geschöpf tatsächlich Fremdes und das Fremde des Schöpfers als wahrhaft Eigenes im wirklichen Sein. So erschließt sich im Sinne Paul Ricœurs das Verstehen neu als ein Sich-Verstehen vor dem Text, dann konstituiert gegen den ersten Anschein nicht das Subjekt den Text, sondern die ‚Sache‘ des Textes den Leser.229 Gegen Bultmann setzt Bonhoeffer, das wurde schon gezeigt, das Verstehen und den Glauben gerade nicht nach- oder gar gegeneinander, vielmehr erscheint für ihn der Glaube allein und zu allererst Verstehen zu ermöglichen.230 Fasst man Glauben nun als Dezentrierung des Subjekts auf, als „Sein in Christus“,231 scheint allein damit ein Verstehen Gottes möglich, welches sich aber gerade nicht darin als wahr herausstellt, dass der Mensch sich des ‚Gegenstandes‘ Gott bemächtigt, sondern im Gegenteil sich hierin zeigt, dass Gott sich in Jesus Christus dem Menschen zu erkennen gibt und diesen sich selbst dabei als Geschöpf verstehen lässt.232 So ist es die Wahrung des Geheimnisses Gottes, wenn der Mensch sich angesprochen sein lässt; zugleich ist es damit das Wort Gottes, das den Menschen aus dem unvernünftigen Umgang mit der Ratio buchstäblich zur Vernunft ruft
227 Körtner, Der inspirierte Leser, 173. 228 Körtner, Der inspirierte Leser, 174. Cf. WE, 482. 229 Cf. Ricœur, Philosophische und theologische Hermeneutik, 44. Cf. Körtner, Rezeption und Inspiration, 44f. 230 Cf. § 3.1.2. 231 Cf. AS, 150: „Geschöpf-Sein ist eben nur ‚im Glauben‘, ist das Dasein des Glaubenden, das vom Wiesein des Glaubens nicht lösbar ist; es ist kein seiendes ‚es gibt‘, sondern in der Bewegtheit des Seins im Glauben.“ 232 Cf. 1Kor 13,12: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“
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und ihn auf seine Vermessenheit des eigenen Schöpfertums hin anspricht.233 In der hermeneutischen Funktion des Wortes geschieht damit etwas vollkommen Neues, wenn es den Menschen gerade nicht oberflächlich in seiner Potenz der Vernünftigkeit, sondern viel tiefer als Ganzen trifft, wenn nämlich aus dem glaubenden Verstehen des alten Adam sogleich ein Übergehen ins Verstandenwerden des Seins in Christus geschieht. Genau hier wirken Gesetz und Evangelium „antithetisch und dennoch miteinander“, entspricht dem „Buchstaben [doch] das Töten und [der] viva vox der lebendigmachende Geist.“234 Das Wort Gottes ist es demnach, das die Schöpfung in Christus schon im Vorletzten an ihr Ziel führt, indem es dem Geschöpf und damit seinem Nächsten und der Kreatur seine letzte Bedeutung zuspricht. „Es ist im höchsten Maße Bestätigung, Zu-sage. Es allein drückt die Wahrheit des Menschen und jedes Dinges aus und gestattet sie auszusprechen. Das Wort Gottes steht im Gegensatz zum Menschenwort, als das Wort dessen, der verax ist, gegenüber dem […], der mendax ist.“235 Im Verstandenwerden erschließt sich demnach für den Menschen eine neue (urständliche) Wirklichkeit in Christus, die durch den Anspruch, der zugleich Zuspruch Gottes ist, den Menschen freispricht, nämlich freispricht von der fesselnden Selbstgenügsamkeit der Sünde und des Todes zur Verheißung des wahren Geschöpfseins,236 aufgrund dessen der Mensch durch die befreiende und erleuchtende Wirkung des Wortes seinerseits zum wahren Wort, zur Antwort fähig wird.237 „Wir leben, indem wir auf das in Jesus Christus an uns gerichtete Wort Gottes Antwort geben. Weil es ein auf unser ganzes Leben gerichtetes Wort ist, darum kann auch die Antwort nur eine, mit dem ganzen Leben, wie es sich jeweils handelnd realisiert, gegebene sein. Das Leben, das uns in Jesus Christus als Ja und Nein zu unserem Leben
233 Cf. Ebeling, Hermeneutik zwischen der Macht des Gotteswortes und seiner Entmachtung, 219. 234 Ebeling, Hermeneutik zwischen der Macht des Gotteswortes und seiner Entmachtung, 217. 235 Marlé, Das theologische Problem der Hermeneutik, 80. 236 Cf. Harbsmeier, Die „nicht-religiöse Interpretation“ biblischer Begriffe, 52: „Interpretieren heißt offenbar für Bonhoeffer: die Auferstehung als das zur Geltung bringen, was sie ist, sie zu Worte kommen lassen als Widerfahrnis extra nos, pro nobis. Interpretation heißt aber nicht: das Datum bloß als Deutemittel, als Interpretament zu nehmen für eine ‚Sache‘ (ein Interpretandum), die selbst kein Datum, kein Ereignis, kein Widerfahrnis, kein Geschehnis, sondern – sagen wir: je meine existentielle Wahrheit ist.“ 237 Cf. KuH, 622: „Das Wirkliche soll in Worten ausgesprochen werden. Darin besteht die wahrheitsgemäße Rede.“ Cf. ebenso Ebeling, Einführung in theologische Sprachlehre, 229: „Der im strengsten Sinne angemessene Umgang mit der Sprache der Bibel ist aber der, daß wir uns durch sie zu eigenem, selbständigem Hervorbringen von Sprache des Glaubens instand setzen lassen. Dieser Vorgang bringt beides miteinander zum Ausdruck: Um Sprache zu gewinnen und so überhaupt zum Leben zu kommen, ist der Glaube auf die Bibel angewiesen; durch die Bibel hingegen wird er zu eigenem Reden angewiesen.“ Cf. dazu Marlé, Das theologische Problem der Hermeneutik, 80.
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begegnet, will durch ein Leben, das dieses Ja und Nein aufnimmt und eint, beantwortet werden. Dieses Leben als Antwort auf das Leben Jesu Christi (als Ja und Nein über unser Leben) nennen wir ‚Verantwortung‘. In diesem Begriff der Verantwortung ist die zusammengefaßte Ganzheit und Einheit der Antwort auf die uns in Jesus Christus gegebene Wirklichkeit gemeint im Unterschied zu Teilantworten, die wir zum Beispiel aus der Erwägung der Nützlichkeit oder aus bestimmten Prinzipien heraus geben könnten.“238
Zusammenfassend heißt das für die vorliegende Untersuchung an dieser Stelle: Im Wort Gottes, das ein auf unser ganzes Leben gerichtet Wort ist, weil es als die Wahrheit eine das ganze Leben beherrschende Macht ist, fordert dieses Wort zugleich das ganze Leben des Menschen. Wurde dies in einem Subjektwechsel als passive Aktivität beschrieben, erschließt sich darin genau dieses: Die Antwort des Menschen auf die im Wort ergehende Frage kann nur eine des ganzen Lebens sein, weil uns in der Fremde des Kreuzes das Nein über unser Subjektsein und das Ja zu unserem Geschöpfsein ausgesprochen ist. Hier sind wir durch und mit dem Wort mit unserem ganzen Sein und Handeln aufgefordert, auf den Ruf Gottes zu antworten, indem wir uns selbst entmachten und uns allein dieser einen Wahrheit hingeben. In der Antwort unseres Lebens finden wir uns so mitten hineingestellt in das Leben im Vorletzten, in ein Leben in der Ganzheit und Einheit der Verantwortung für das Leben, indem wir doch schon Teil an diesem Vorletzten haben. Was darunter aber nun genau zu verstehen ist, das ist im Folgenden zu untersuchen.
4.1.4 Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: Ein Glaubenssatz wird zur Methode „Das Wort Gott zu verstehen heißt, dem Richtungspfeil seines Sinnes zu folgen. Unter dem Richtungspfeil seines Sinnes verstehe ich seine zweifache Fähigkeit, alle aus den Einzelreden hervorgegangenen Bedeutungen zu vereinen und einen Horizont zu eröffnen, der sich dem Abschluß der Rede entzieht.“239
So heißt es pointiert bei Paul Ricœur, wenn er zusammenfasst, was dieses „Wort Gott“ denn nun eigentlich sei, unterscheide es sich doch zuletzt von jeglicher philosophischer, sei es auch scholastischer oder existential-ontologischer Verständlichkeit, gerade weil es nicht ein statisch klar umrissenes Reden meine, sondern vielmehr dynamisch alles Reden „der Berichte, der Prophetien, der Gesetzestexte, der Hymnen usw.“240 in sich vereine und zugleich damit über sich 238 E, 253f. 239 Ricœur, Philosophische und theologische Hermeneutik, 42. 240 Ricœur, Philosophische und theologische Hermeneutik, 42.
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hinausweise. Spricht man demnach von diesem „Wort Gott“, erfasst man diese Bezeichnung nicht in einer wie auch immer gearteten Rede vom ‚Sein‘, vielmehr schließen sich in dieser Erfahrungen und Beziehungen über alle Zeiten und alle Erklärungen hinweg in eins, sodass hermeneutisch von einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen gesprochen werden muss. Wie ist dieses aber zu denken? In dieser Untersuchung wurde schon des Öfteren auf die bonhoeffersche Zeitcharakterisierung des „Letzten“ und „Vorletzten“241 hingewiesen. Im Glauben, so wurde gesagt, ist das Subjekt aus sich selbst herausgerissen „aus der Gefangenschaft im eigenen Ich“ in der Begründung seines „Lebens auf einen Grund außerhalb [seiner] selbst, auf einen ewigen und heiligen Grund, auf Christus. Glauben ist ein Geschehenlassen und erst in ihm ein Tun, und doch reichen beide Worte nicht hin, um das hier enthaltene Geheimnis auszusprechen.“242 In dieser Bestimmung des Geschöpfes als dezentriertes Subjekt eines Lebens extra sibi in Christo erscheint das „Sein in Christus“ die Teilhabe an einer vollkommen veränderten Wirklichkeit. Im christlichen Leben als „Menschsein inkraft der Menschwerdung, […] gerichtet und begnadigt sein inkraft des Kreuzes, […] ein neues Leben leben in der Kraft der Auferstehung […]“,243 scheinen nun nach Bonhoeffer alle zeitlichen Begrenzungen gesprengt und letztlich ineinander zu fallen. In der verantwortlichen Teilnahme an der Wirklichkeit bewahrheitet sich damit zuletzt „der Anbruch des Letzten [im Menschen], das Leben Jesu Christi [im Menschen]. Es ist aber immer auch Leben im Vorletzten, das auf das Letzte wartet.“244 Das Leben des Menschen in der Welt ist damit nicht nur bestimmt in der Nähe und Ferne zum Geheimnis Gottes, es ist vielmehr selbst dieses Geheimnis, ist es doch nicht gerade ein solches, das in und durch dieses Geheimnis zu allererst und zuletzt wieder in seinen wahren Stand vor Gott gesetzt ist. Im Sterben und Auferstehen mit Jesus Christus hat es das urständliche Geheimnis, „Geschöpf und doch gottgleich zu sein“245 wiedererlangt. Was Bonhoeffer mit dem Begriff der „Christuswirklichkeit“ bezeichnet, versucht nun genau diese geheimnisvolle Paradoxalität des menschlichen Lebens vor Augen zu führen. „Wir leben im Vorletzten und glauben das Letzte […].“246 Weil aber „der Stamm des Kreuzes […] zum Holze des Lebens […] mitten in der Welt […]“247 geworden ist, weil Gottes Handeln in der Welt „zwischen Fluch und Verheißung, zwischen tob und ra“248 zum erhaltenden Handeln geworden 241 242 243 244 245 246 247 248
Cf. §§ 4.1.3 und 4.2.1. E, 138f. E, 150. E, 160. N, 297. WE, 226. SF, 135. SF, 129.
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ist,249 die „Auferstehung schon mitten in der alten Welt angebrochen [ist] als letztes Zeichen ihres Endes und ihrer Zukunft und zugleich als lebendige Wirklichkeit […]“,250 bleibt der Mensch und damit die Rede von ihm als neuer in der alten Welt oder mit Bonhoeffer: als gerechtfertigter Sünder allein aus Gnaden vom Letzten her im Vorletzten.251 Wenn nun zu erfassen sein wird, was genau Bonhoeffer unter dieser neuen Wirklichkeit des alten und zugleich neuen, des vergangenen und zugleich zukünftigen Adam versteht, ist es notwendig, sich der tatsächlichen Gegenwart Christi im Menschen zunächst über die Unterscheidung von Letztem und Vorletztem zu nähern. Es ist im Folgenden daher über die Kategorie der ‚Zeit‘ nachzudenken, die sich in dieser proleptischen Rede vom Letzten im Vorletzten findet, um Bonhoeffers eigentümlicher Hermeneutik näher zu kommen. In seiner Ethik findet man den Zusammenhang beider Zeiten so: „Es gibt […] kein Vorletztes an sich, so also daß sich irgendetwas an sich als Vorletztes rechtfertigen könnte, sondern zum Vorletzten wird etwas erst durch das Letzte, das heißt in dem Augenblick, in dem es bereits außer Kraft gesetzt worden ist. Das Vorletzte ist also nicht die Bedingung des Letzten, sondern das Letzte bedingt das Vorletzte. Das Vorletzte ist also nicht ein Zustand an sich, sondern ein Urteil des Letzten über das ihm Vorangegangene. Es ist daher nicht etwas Gegenwärtiges, sondern immer schon etwas Vergangenes.“252
Mit der Geschöpfwerdung des Subjekts ist damit eine Auslegung des Menschen in Kraft gesetzt, mit welcher dessen Leben als gleichsam vergangen und zukünftig zu bestimmen ist und welches sich darin seiner eigenen Verfügung zu entziehen scheint, wenn seine Vergangenheit sich gerade nicht als die Bedingung seiner Zukunft entpuppt. In der Diskussion mit Rudolf Bultmann wurde schon deutlich,253 dass Bonhoeffers Rede von der Gegenwart somit gerade keine Bestimmung eines Zeitpunktes zwischen Vergangenem und Zukünftigem ist, sondern es durch das Wort Christi als solche gesetzt wird.254 Die Erkenntnis des Menschen als dezentriertes Subjekt gewinnt darin also noch eine weitere Bedeutungstiefe, dass diese Unverfügbarkeit des eigenen Seins auch eine Unverfügbarkeit der eigenen Gegenwart deutlich macht. Wurde das Geschöpf in der konkreten Anrede Gottes in seinem Wort in Jesus Christus in der befreienden und befreiten Wirklichkeit Gottes ausgemacht, bindet sich an diesen archimedischen Punkt auch die Auslegung der Gegenwart Gottes in der Welt. Wenn Bonhoeffer gegen seine Lehrer und Zeitgenossen „im 249 250 251 252 253 254
Cf. SF, 129. E, 150. Cf. E, 151. E, 151. Cf. § 3.2.4. Cf. ITAF, 404.
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Historismus eine Nivellierung alles Außerordentlichen in der Geschichte und damit auch der Offenbarung des Christus nur historisch in Jesus von Nazareth […]“ sieht und in der Hochachtung einer „wirklichkeitsnahen Daseinsbestimmung“255 die Erfassung der Geschichte mit Martin Kähler als Wirkungsgeschichte versteht,256 scheint ihn genau diese Frage nach der Gegenwart Gottes in der Welt umzutreiben. Gegen die Historisierung des Wortes Gottes in der historisch-kritischen Exegese und die biblizistische Bindung Gottes an das historische Wort weiß er demnach eine Rede von der Geschichtlichkeit des Wortes Gottes zu setzen, die zum einen alle Bemühungen, das Wort als Gottes Wort zu begründen, als menschliche Selbstüberhebung ausweist257 und zum anderen dieselben als Rechtfertigung des Wortes vor dem Subjekt enttarnte. Wenn es nun um die Frage nach der bleibenden Bedeutung des Wortes Gottes in der Welt geht, ist sich dem zu nähern, was Bonhoeffer über eine „Vergegenwärtigung“ des Wortes in der Schrift und zuletzt damit auch im Menschen sagt. In seinem Vortrag Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte von 1935 macht Bonhoeffer dazu auf zwei scheinbar diametral verschiedene Umgangsweisen aufmerksam, die, sieht man genau hin, schon eingehend untersucht wurden, und die sich zuletzt beide als Ausweichen vor der Sache258 entpuppten. „Entweder man meint […], daß sich die biblische Botschaft vor der Gegenwart rechtfertigen müsse und sich deshalb der Vergegenwärtigung fähig erweisen müsse, oder man meint, daß sich die Gegenwart vor der biblischen Botschaft rechtfertigen müsse und deshalb die biblische Botschaft gegenwärtig werden müsse.“259
Wie bereits zu sehen war, kommt hier Bonhoeffer zu dem Schluss, dass die Rechtfertigung der Schrift vor der Gegenwart „das […] dringende Bedürfnis“ beschreibe, „die Vergegenwärtigung so vorzunehmen, daß man die biblische Botschaft durch das Sieb der eigenen Erkenntnis … laufen läßt,“ sodass, „was nicht hindurch will, […] verachtet und weggeschüttet [wird], [und] man die [christliche] Botschaft zurechtschneidet und stutzt, bis sie in den festgelegten Rahmen hineinpaßt […].“260 Es soll im Gegenteil dazu aber darum gehen, die Vernunft, d. h. in diesem Sinne die Gegenwart, vor das Forum des Wortes Gottes zu stellen. Dementsprechend ist es am Menschen, die ‚Sache‘ der Schrift zu aktualisieren und in seine Bedeutung zu versetzen. Vielmehr „wird der Sache selbst zugetraut, daß dort, wo sie wirklich zu Wort kommt, in sich selbst sie das Gegenwärtigste sei; es bedarf dann gar keines besondern Aktes der Vergegen255 256 257 258 259 260
Pfeifer, Das Außerordentliche in der Geschichte, 240f. Cf. § 2.1.4. Cf. §§ 2.1.6 und 2.2.7. Cf. ITAF, 402. ITAF, 400. ITAF, 400f.
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wärtigung mehr, in der Sache selbst vollzieht sich die Vergegenwärtigung. Allerdings – nur weil die Sache hier Christus und sein Wort ist. Wo Christus im Wort des Neuen Testaments zu Wort kommt, dort ist Vergegenwärtigung.“261
Es stellt sich demnach auch hier nicht anders dar, als das schon in mancherlei Hinsicht umrissen wurde: Gegen jede neuzeitliche Selbstverherrlichung setzt Bonhoeffer das Wort als das Subjekt seiner Auslegung,262 genauer und gegen eine Deutung der Verbalinspiration: Das Wort wird zum Subjekt seiner eigenen Auslegung in der offenen Begegnung mit dem Leser. Der Rezipient, wenn er denn tatsächlich bereit ist, sich als ganzer diesem Wort zu öffnen, anders gesagt, wenn er bereit ist, auf das Wort Gottes zu hören, wird dann tatsächlich zum Objekt dieses Geschehens. Vergegenwärtigung, so ist daraus zu schließen, ist nach Bonhoeffer etwas, das den Menschen ins Passiv setzt, es ist etwas, das am Menschen geschieht. Wo Christus in seinem Wort gehört wird, erfährt sich das Subjekt als Objekt, es erfährt sich als Geschöpf, wurde oben gezeigt. Vergegenwärtigung des Wortes im Menschen erfasst diesen demnach zum einen als Ganzen passiv, es erfasst ihn sogleich aber auch als Ganzen passiv, weil es aus dem Subjekt das Geschöpf macht. Es ist aber zugleich dann nicht nur ein passives Geschehen, weil weder von diesem Leser rein als Objekt noch als Passivem zu sprechen ist, erfährt sich mit dieser geistgewirkten Auslegung der Schrift der Ausgelegte gerade nicht als passiv, sondern im Gegenteil als ganz aktiv. Auch hier ist es demnach notwendig, nicht in einen kategorialen Dualismus von Aktivität vs. Passivität und Subjekt vs. Objekt zu verfallen. In der Auslegung der Schrift sind beide Kategorien nicht getrennt voneinander zu denken, weil in diesem Geschehen Ausleger und Ausgelegtes nicht hinlänglich zu unterscheiden sind. Das aber scheint seinen Grund gerade in der paradoxen Rede der Ungleichzeitigkeit der Zeiten, also in der Frage nach der Gegenwart zu haben. Bonhoeffer sagt dazu: „Nicht wo die Gegenwart vor Christus ihren Anspruch anmeldet, sondern wo die Gegenwart vor dem Anspruch Christi steht, dort ist Gegenwart[…]“,263 womit die Wurzel zum Verständnis dieser eigentümlichen Rede der Gegenwart Gottes getroffen ist. Nimmt man die Erkenntnis dessen hinzu, dass Geschichtlichkeit seiner Ansicht nach weder mit Historie noch mit Vergangenheit gleichzusetzen ist, scheint es sich daran anschließend bei der Frage der Gegenwart Gottes eben auch nicht um „eine Zeitbestimmung“, „ein Zeitgefühl, eine Zeitdeutung, ein[en] Zeitgeist“264 zu handeln, sondern um die Anwesenheit Christi zu gehen.
261 262 263 264
ITAF, 403f. Cf. § 2.2.2. ITAF, 404. ITAF, 404.
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„Denn: Der Begriff der Gegenwart ist […] durch das Wort Christi als des Wortes Gottes [bestimmt]. […] Gegenwart ist allein der Heilige Geist. Wo Gott selbst ist in seinem Wort, dort ist Gegenwart, dort setzt er Gegenwart. Das Subjekt der Gegenwart ist der Heilige Geist, nicht wir, darum ist auch das Subjekt der Vergegenwärtigung der Heilige Geist selbst.“265
Das meint dann tatsächlich auch, dass dort, wo sich die Gegenwart aus ihrem selbsternannten Richterstuhl erhebt und sich dem Gericht des Wortes unterstellt, diese Gegenwart tatsächlich Gegenwart ist, nämlich die vergegenwärtigte Anwesenheit Gottes in der gerechtfertigten Welt im Heiligen Geist. Und weil diese Vergegenwärtigung allein durch Gott selbst „allein und exklusiv durch das Wort der Schrift geschieht, darum ist Sachlichkeit, das heißt Schriftgebundenheit der Verkündigung selbst Vergegenwärtigung […].“266 Im Gehorsam und Vertrauen auf das Wort267 also mutet in der Auslegung der Schrift das Wort zum Wort Gottes inspiriert an, der Heilige Geist der Ausleger desselben zu sein. Demnach ist mit Ernst Wendel zu sagen: „Bibellesen zielt insgesamt auf einen unsere Existenz von Gott her im Glauben verändernden Vorgang, dessen Vergegenwärtigung im Lesen geschieht.“268 Gegenwart ist nach Bonhoeffer folglich genauer und wörtlich zu verstehen als etwas, das „uns ‚entgegen‘ ist – entgegen wartet – besagt [dieses] doch, daß Gegenwart von außen her bestimmt ist […] [,] von außen auf uns zukommt, durch das Zukommende, durch Zukunft […]“;269 womit ein weiteren Axiom dieser Untersuchung herausgestellt ist: Für Bonhoeffer ist damit das ZuSagende nur zwischen Zeit und Ewigkeit zu sagen, nie aber linear. In der Rede von der außen bestimmten Gegenwart findet man dieses hermeneutische Geschehen in einer Zeit vor, die so nicht einfach mit unserer weltlichen, d. h. linearen Zeit gleichzusetzen wäre. Auch hier zeigt sich diese Begegnung Gottes mit seinem Menschen außerhalb unserer weltlichen Kategorien, auch wenn sich jene in diesen ereignet. Das fremde Evangelium erweist sich darin folglich als genau dieses gegenwärtige Evangelium, das uns in seinem Entgegen-Sein immer ein Ärgernis bleiben wird.270 Die Gegenwart dieses Wortes erstreckt sich dann auch tatsächlich
265 266 267 268 269 270
ITAF, 404. ITAF, 404. Cf. ITAF, 144ff. Cf. GL, 46. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 137. ITAF, 404f. Bonhoeffer hat diesen Gegenwartsbegriff bereits in Akt und Sein in Anlehnung an Grisebach entwickelt: „Die Theorie kann einen Begriff der Wirklichkeit nie bilden. Wirklichkeit wird ‚erfahren‘ in der kontingenten Tatsache des Anspruchs der ‚andern‘. Nur was von ‚außen‘ kommt, kann den Menschen in seine Wirklichkeit, in seine Existenz, weisen. Im ‚Aushalten‘ des ‚Anspruchs des Nächsten‘ existiere ich in Wirklichkeit, handle ich ethisch; das ist der Sinn einer Ethik nicht der zeitlosen Wahrheiten, sondern der ‚Gegenwart‘.“ (AS, 81.) Cf.
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nicht auf etwas Geschehenes, auf etwas bereits historisch Vergangenes, sondern im wahrsten Sinne des Wortes gegenwärtig, nämlich darin, dass sie in ihrer Kontingenz als ein von außen auf uns zukommendes Geschehen gegenwärtig wird. Dass Bonhoeffer damit einerseits freilich den Begriff des Historischen gegenüber dem des Geschichtlichen wehrt, ist offensichtlich,271 dass aber auch zum anderen in diesem Geschichtlichen der Offenbarung das Zukünftige gegenwärtig zu denken ist, dem ist sich im Folgenden ausführlicher zu widmen. Es war bereits eingehend zu sehen, dass Bonhoeffers Umgang mit dem historischen Jesus ein eigenwilliger ist, evident wohl besonders daran, dass er zum einen den Historismus der Konstruktion überführt und eine absolute Gewissheit über historische Faktizität als Illusion offenlegt,272 aber zum anderen u. a. mit seinem Lehrer Adolf von Harnack273 eine Notwendigkeit der Gewissheit der historischen Faktizität des Christusereignisses wissen will. In seiner Christologievorlesung heißt es dazu, wie ja schon zu sehen war: „[D]ie Dogmatik bedarf der Gewißheit der Historizität Jesu Christi […].“274 Nun hatte Bonhoeffer aber doch diese Verifizierbarkeit und Eindeutigkeit der Historizität abgelehnt. Wie also kommt es, dass er sie doch fordert? Es erschließt sich, hört man den Rest seines Postulats, der nun in einem anderen Licht erscheint als noch bei der Auseinandersetzung mit der historischen Exegese; und so fährt Bonhoeffer fort: „[…] d. h. [sie bedarf] der Identität des gegenwärtigen mit dem geschichtlichen Christus.“275 Wenn er den Historismus seiner eigenen Prämissen überführt, zugleich aber die Dogmatik von einer historischen Gewissheit getragen sein lassen will, erschließt sich ihm dieses Paradoxon allein darin, wenn er das nur wahrscheinliche historische Faktum nicht rational, sondern allein gläubig versteht: „Die absolute Gewißheit über ein historisches Faktum ist an sich nie zu gewinnen, sie bleibt ein Paradoxon. Nur für die Kirche ist sie konstitutiv.“276 Einen Zugang zum Historischen gibt es demnach nur durch das Geschichtliche. Wurde dieses in der Auseinandersetzung mit Bultmann bereits als Gegenwärtigkeit des
271 272 273
274 275 276
Grisebach, Gegenwart, 511–594. Cf. dazu auch Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 139f. Cf. §§ 2.1.6, 2.2.7, 3.1.3 und 3.2.4. Cf. B, 313. Cf. § 2.1.6. Cf. Harnack, Fünfzehn Fragen, 8: „Wenn die Person Jesu Christi im Mittelpunkt des Evangeliums steht, wie läßt sich die Grundlage für eine zuverlässige und gemeinschaftliche Erkenntnis dieser Person anders gewinnen als durch kritisch-geschichtliches Studium, damit man nicht einen erträumten Christus für den wirklichen eintausche? Wer anders aber vermag dieses Studium zu leisten als die wissenschaftliche Theologie?“ B, 313. Cf. §§ 2.1.6 und 3.1.3. B, 313. B, 313f.
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Anspruchs Gottes definiert,277 ist diese Gegenwärtigkeit Gottes nun genauer zu bestimmen. Es war bereits zu sehen, dass Bonhoeffer Gegenwart theologisch als eine performative, radikal eschatologische Wesensbestimmung charakterisiert, die sich durch die Anwesenheit Gottes auszeichnet, und diese Gegenwart in der Geschichtlichkeit an die historische Faktizität Jesu gebunden ist, weshalb die Frage nach der Historizität neu erscheint: Das historische Faktum ist dann nicht Präteritum, sondern Präsens, das Vergangene ist dann das Gegenwärtige, das Geschichtliche ist dann das Gleichzeitige und das Wahrscheinliche ist dann das Absolute.278 Das Gegenwärtige in der Historizität Jesu ist damit nach Bonhoeffer gerade nicht durch ein Vergangenes zu bestimmen, nicht durch etwas, das sie vermeintlich schon in sich trägt, in der Auszeichnung der Historie als Geschichte erweist sich dieselbe als Zukünftige. Kurzum: Das Kriterium der absoluten Historizität Jesu Christi liegt in seiner Bestimmtheit aus dem Eschaton, aus der Auferstehung; indem dieser historische Jesus in seiner Prädestination als dieser Geschichtliche, d. h. Gegenwärtige und darin Zukünftige erkannt wird, entbindet sich die Kirche tatsächlich der freien Spekulation, denn, so heißt es in Schöpfung und Fall: „Nur in der Mitte, als die von Christus her Lebenden wissen wir um den Anfang.“279 In der Rede von der Vergegenwärtigung mutet uns Bonhoeffer folglich zu, unsere Vernünftigkeit als entthront zu verstehen, wenn er kontraintuitiv diese bleibende Geltung des Wortes Gottes nicht aus seiner vergangenen Bedeutung entwickelt, wenn er gerade den Horizont der gewöhnlichen Vorstellung vom Verhältnis der Zeitmodi nicht nur übersteigt, sondern verkehrt.280 In der jegliche vernünftige Einsicht übersteigenden Antizipation des Eschaton in der Geschichte wird die Gegenwart Gottes in Jesus als dem Christus als das letztlich Zukünftige ausgewiesen. Gleichsam geht mit dieser Prolepse des Heils in Christus aus dem Letzten, wie Bonhoeffer dies nennt, die universale Heilsgeschichte in das Vorletzte der Lebensgeschichte des Menschen ein.281 Im Diktum des gegenwärtigen
277 Cf. § 3.2.4. 278 Cf. B, 313f.: „Die absolute Gewißheit über ein historisches Faktum ist an sich nie zu gewinnen, sie bleibt ein Paradoxon. Nur für die Kirche ist sie konstitutiv. Was heißt das? Das bedeutet, daß das historische Faktum nicht Präteritum, sondern Präsens ist; daß gerade das Zufällige das Absolute, daß gerade das Vergangene das Gegenwärtige ist; daß das Geschichtliche das Gleichzeitige ist. Wo dieser Widerspruch ertragen wird, da ist das Historische absolut. Aber diese Aussage, daß das Geschichtliche gleichzeitig sei, ist geschichtlich möglich gemacht allein durch den Glauben an das Wunder Gottes, das er durch die Auferstehung Jesu vollbracht hat.“ 279 SF, 58. 280 Cf. Plant, God’s dangerous gift, 45. 281 Cf. Theunissen, Ὁ αι᾿τῶν λαμβάνει, 326f.
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als des geschichtlichen Christus282 stellen sich damit die Modi der erfahrbaren Zeitbestimmung allein in Relation zu bzw. von diesem Außen her zu bestimmen heraus. Der kontinuierlichen, irreversiblen Zeitrechnung des autonomen Subjekts stellt Bonhoeffer so eine Bestimmtheit der Wirklichkeit entgegen, die sich auch in der Frage nach der Erfahrbarkeit des Subjekts in der Realität niederschlägt. Mit dieser Einsicht in die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen gelingt es ihm somit, in einer weiteren Ebene das Subjekt tatsächlich zu entmachten sowie zu demontieren und darin zugleich das Geschöpf vorwegzunehmen. Hierin stellt sich nun auch die Rede vom Vorletzten aus dem Letzten als kohärent und einsichtig heraus, wenn gerade dieses Entgegen-Sein der Gegenwart die Wirklichkeit zu allererst konstituiert.283 Dementsprechend ist mit Eberhard Jüngel nun auch dieses gegenwärtige Zukünftige näher zu bestimmen, ist doch dann „‚Eschatologie‘ […] im Sinne von ‚eschatisch‘ zu definieren als: das aus der Zukunft her geschehende Ereignis der Nähe Gottes zur Geschichte, das sich als Entfernung des Menschen vom Zwang der Geschichte und so als Näherung des Menschen zur Geschichte ereignet.“284 Im Außen des eschatologischen Wortes gilt Bonhoeffer damit die Nähe Gottes als gegenwärtiges Geschehen, das den Menschen aus seiner Selbstverfangenheit an die Vergangenheit in die befreiende Nähe zur Gegenwart stellt. Vergegenwärtigung, so ist damit zunächst zu schließen, stellt sich damit Bonhoeffer zufolge als Ereignis des Hörbarwerdens, als das „zur-Sprache-Kommen Gottes“285 im „Auffinden des Ewigen im Zeitlichen“ dar.286 Hier wird dann übrigens auch der grundlegende Unterschied zum griechischen Mythos noch einmal besonders deutlich, während dieser nämlich „vorwiegend die Vergangenheit der Gegenwart“287 reflektiert, bewahrheitet sich der biblische Mythos gegenteilig als aus dem Zukünftigen elaboriert. In der Eigenbewegung des Wortes geschieht die Gegenwart Gottes demnach als eine den Leser aus seiner Existenz herausreißende Transformation, die denselben in eine Gegenwart zu stellen vermag, die sich gerade in der Unverfügbarkeit durch ihre Zukünftigkeit ausweist.288 Wenn nun zudem dieses her282 Cf. B, 311. 283 Cf. Theunissen, Ὁ αι᾿τῶν λαμβάνει, 326: „Verheißung und Erfüllung bleiben geschieden. Aber im Noch-Nicht der Erfüllung ist die Verheißung selbst schon Erfüllung.“ 284 Jüngel, Paulus und Jesus, 288f. 285 Jüngel, Paulus und Jesus, 289. 286 ITAF, 406. 287 Hübner, Das Phänomen der Zeit, 111. 288 Cf. AS, 107f.: „Von der christlichen Offenbarung gilt, daß sie durch Eschatologie und Prädestination bestimmte Verkündigung von Kreuz und Auferstehung und das darin wirkende Geschehen auch die Vergangenheit zur Gegenwart, paradox gesagt, zu etwas ‚Zukünftigem‘, erhebt. Daraus folgt aber, daß die christliche Offenbarung nicht als ‚Geschehenes‘ gedeutet werden darf, sondern daß eben dies einmalig Geschehene qualifiziert ist als Zukunft für den je in Gegenwart lebenden Menschen in der Kirche.“
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meneutische Geschehen der Vergegenwärtigung des Wortes in der Synchronizität als Herausreißen des alten Adam aus seiner selbstverfangenen Existenz beschrieben wird,289 bindet Bonhoeffer augenscheinlich an diese zeitliche Auslegung auch eine räumliche.290 Gott handelt so in seinem Wort konkret hic et nunc an seinem Geschöpf. Der lessingsche garstige Graben erscheint darin nun endgültig überwunden, wenn es einen Zugang zum Historischen durch den Auferstandenen gibt und dieser Auferstandene uns in dieses Geschehen tatsächlich hineinnimmt und zwar zunächst so, dass man sich als Leser in den Texten selbst wiederfindet.291 In Gemeinsames Leben lautet das folgendermaßen: „Wir bekommen teil an dem, was einst zu unserem Heil geschah, wir ziehen, uns selbst vergessend und verlierend, mit durch das Rote Meer, durch die Wüste, über den Jordan ins gelobte Land, wir fallen mit Israel in Zweifel und Unglauben und erfahren durch Strafe und Buße wieder Gottes Hilfe und Treue; und das alles ist nicht Träumerei, sondern heilige, göttliche Wirklichkeit. Wir werden aus unserer eigenen Existenz herausgerissen und mitten hineinversetzt in die heilige Geschichte Gottes auf Erden. Dort hat Gott an uns gehandelt, und dort handelt er noch heute an uns, an unseren Nöten und Sünden durch Zorn und Gnade. Nicht daß Gott der Zuschauer und Teilnehmer unseres heutigen Lebens ist, sondern daß wir die andächtigen Zuhörer und Teilnehmer
289 Cf. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 137: „Bibellesen zielt insgesamt auf einen unsere Existenz von Gott her im Glauben verändernden Vorgang, dessen Vergegenwärtigung im Lesen geschieht.“ 290 Cf. Raschzok, Schriftauslegung bei Dietrich Bonhoeffer,13. 291 Cf. B, 314: „Es gibt keinen historischen Zugang zu der Person Jesu, der für den Glauben verbindlich wäre. Der Zugang über den geschichtlichen Jesus geht allein über den Auferstandenen, über das Wort des sich selbst bezeugenden auferstandenen Christus. […] Es geht vielmehr um den Auferstandenen selbst, der selbst den Glauben schafft und Zugang zur Historizität ermöglicht.“ Cf. dazu auch Trowitsch, Bildgedanken, 364: „Bei demjenigen, dem nachhaltig der Gekreuzigte vor Augen gemalt wurde, findet sich – mit der Neubildung des inneren Gesichtsfeldes – die Einbildungskraft geheilt. In seinem lebhaften Bildbewusstsein, in seiner Möglichkeit, innerlich zu sehen, dokumentiert der Glaube aber seine Freiheit für das zukünftige Schauen. Der Glaube ist sich in seinen Bildern voraus. Dann aber, im Schauen, wird einmal dem Sehen der letzte Grund aller Sichtbarkeit verliehen werden. Eschatologisch umschaffende Kraft wird vom Angesicht Gottes ausgehen: wenn ich erkenne, wie ich erkannt bin (1Kor 13,12). Dann, im eröffneten Schauen, die Seele für immer und unverlierbar aufgetan, wird die Anfechtung ihre Zeit gehabt haben […].“ Cf. dazu auch Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 144: „Auslegung ist für Bonhoeffer von daher immer bereits vollzogene Vermittlung von Damals und Heute, sie hat das Problem der Überwindung des Zeitabstands immer schon hinter sich, weil sie es nie vor sich hatte. Das ‚Verstehen‘ des Textes […] ist eo ipso sein Applizieren, seine Umsetzung ins Heute, in die Existenz des Auslegers. So steht auf der einen Seite die Offenbarung des Christus in der Schrift, deren Schriftverwendung selbst in ihrer Zeitbedingtheit als theologisches Menschenwort über sie ein kritisches Verstehen derselben ausschließt, auf der anderen Seite jedoch steht die existentielle Leistung des Verstehens der Sache und die Konzentration auf die Freiheit des Subjektes des Verstehens.“
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an Gottes Handeln in der heiligen Geschichte, an der Geschichte auf Erden sind, und nur sofern wir dort dabei sind, ist Gott auch heute bei uns.“292
In der Ausweitung der Zeit-Dimension auf eine räumliche Perspektive verdeutlicht Bonhoeffer die Vergegenwärtigung des Wortes im Rezipienten selbst als umfassendes und neuschöpfendes Ereignis, welches das Leben des tatsächlich ganzen Menschen in seiner ganzen Lebenswirklichkeit betrifft. Es ist damit dem Axiom ‚Zeit‘ ein weiteres an die Seite gestellt, nämlich das des ‚Raumes‘. Ähnlich der traditionellen jüdischen Rede von der Schechina Gottes ist von dem Geschehen der Auslegung neben der zeitlichen nicht ohne der räumlichen Distinktion zu reden. Zeit und Raum bestimmen somit die Präsenz Gottes im Wort selbst, womit Bonhoeffer Vergegenwärtigung als Bewegungsvorgang auch innerhalb des biblischen Textes selbst denkt, wird der Leser doch in den Text, der sich darin als wahres Wort ausweist, hineingenommen. Als Zuhörer ist der Rezipient zugleich als Teilnehmer gedacht, sodass Raum und Zeit dynamisch im Wirklichwerden des Wortes im Heiligen Geist in der Neuschöpfung des Geschöpfes verschmelzen.293 So sind auch die Kategorien des Eigenen und Fremden in einem anderen Licht zu sehen, bewahrheitet sich nun dieses fremde Wort in seiner Gegenwärtigkeit als unser eigenstes, als ein solches, das darin gerade nicht als „Mythos, kindliche, phantastische Ausmalung der grauen verborgenen Vorzeit“ erscheint, sondern vielmehr als „Geschehen am Anfang der Geschichte“, in dem „wir selbst die Betroffenen, die Gemeinten, die Angeredeten, die Angeklagten, die Verurteilten, die Ausgestoßenen“ sind.294 Es ist demnach für Bonhoeffer unter der hermeneutischen Bewegung der Vergegenwärtigung der Schrift dieses Doppelte zu verstehen: zum einen, dass das Wort in seiner immanenten Gegenwart über sich hinausweist auf das transzendente Zukünftige, und zum anderen, dass es in dieser Dynamik den Ausleger selbst in sich hineinnimmt. Und so erfasst man mit Bonhoeffer dann tatsächlich in diesem hermeneutischen Geschehen dieses „Sein in Christus“ als eine Wirklichkeit, die das Geschöpf durch die „Wortwerdung der Schrift“295 selbst zum Medium des Wortes gestaltet. Dementsprechend ist hier nun auch mit Gerhard Ebelings Beobachtung das lebendig machende Evangelium tatsächlich als
292 GL, 46. 293 Cf. Wendel, Studien zur Homiletik Bonhoeffers, 136: „Vergegenwärtigung der Bibel meint hier offenbar einen unser Selbst von außen verändernder Vorgang. Das ‚Herausgerissenwerden‘ bzw. ‚Hineinversetzen‘ zielt auf eine neue Identifikation mit heilsgeschichtlicher Überlieferung und ist nur so, nicht als Bewußtmachen von Unbewußtem, ein Weg zur Gottesgemeinschaft.“ 294 SF, 77. 295 Körtner, Rezeption und Inspiration, 27. (Siehe den Untertitel dieses Aufsatzes: Über die Schriftwerdung des Wortes und die Wortwerdung der Schrift im Akt des Lesens.)
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„Sprachgeschehen“296 zu verstehen, bei dem das Geschöpf im Hören auf das Wort zuerst zu wirklichem Sprechen befähigt wird. Nicht anders ist nun auch nach Bonhoeffer die „Person“ konstituiert, wenn der Mensch allein durch das Du des anderen sein „Sein in Christus“ verwirklicht, weil eben in diesem Gegenüber297 sich das göttliche Du Christi erweist. Das war in der Auseinandersetzung mit Bultmann bereits zu sehen,298 in der Anerkenntnis des Du als Grenze des eigenen Ich erkennt der Mensch den Anspruch des anderen auf sich an und steht zuletzt in der Entscheidung dieser Forderung nachzukommen, d. h. ihr zu antworten.299 Allein aber darin, dass sich dieses andere Du nur durch die Offenbarung Gottes selbst als Du, als Gegenüber dem Menschen erschließt, d. h. allein darin, dass sich Christus pro me im anderen vergegenwärtigt und darin dem Menschen den anderen als Du zeigt, ist überhaupt solches Sein in wahrer Kommunikation möglich.300 Geschöpf resp. Person ist der Mensch damit einzig in der Gestaltwerdung Christi als Schöpfung des wahren Personseins in verantwortlicher Gemeinschaft,301 indem allein durch die Offenbarung des Gegenübers das Geschöpf sprachfähig und damit zuletzt lebensfähig wird.302 „[F]ides facit per296 Ebeling, Hermeneutik zwischen der Macht des Gotteswortes und seiner Entmachtung, 217 u. ö. 297 Cf. bspw. Bonhoeffers Rede vom Du als der Grenze des Menschen in SC, 19–35 u. ö. 298 Cf. § 3.2.2. 299 Cf. Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 116. 300 Cf. Friederike Barths These, dass sich aus „Bonhoeffers Beschreibung des Versöhnungsgeschehens mit Kategorien des Dialogismus die Voraussetzung erheben, oder eigentlich: erfahren [lasse], dass nämlich der in Christus offenbare, den Menschen anredende Gott in seinem Wesen selbst dialogisch bzw. personal strukturiert [sei].“ (Barth, Die Wirklichkeit des Guten, 225.) 301 Cf. Lee, The Church as Person, 118ff. 302 Cf. E, 249: „Mein Leben ist außerhalb meiner selbst, außerhalb meiner Verfügung, mein Leben ist ein Anderer, ein Fremder, Jesus Christus und das nicht im übertragenen Sinne, daß mein Leben nicht lebenswert wäre ohne jenen Anderen, also daß Christus meinem Leben eine besondere Qualität, einen besonderen Wert verliehe, wobei doch das Leben selbst seinen eigenen Bestand hätte, sondern das Leben selbst ist Jesus Christus.“ Cf. dazu auch Barth, Die Wirklichkeit des Guten, 208–230. Cf. zum Personbegriff bei Bonhoeffer besonders SC und AS. Cf. auch Thomas, Die Gegenwart des Unverfügbaren, passim; Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 107–121, bes. 121: „Der Mensch wird also durch das Du des anderen zur Person selbst; aber zu diesem anderen als durch ein Du zur Person Gewordenem hat der Mensch nur Zugang, indem die Person sich ihm erschließt, sich ihm offenbart und er an sie glaubt. Damit ist aber einleuchtend, daß eine Gemeinschaft zwischen Personen nur durch Offenbarung und Glauben möglich ist. Wie auch Gott Person ist, gilt das erst recht für die Gemeinschaft zwischen Mensch und Gott! […] Person ist der Mensch nur als einzelnes Ich, das auf den konkreten Anspruch antwortet und das in ‚Einzigartigkeit von anderen Personen grundsätzlich geschieden und verschieden‘ ist; gleichzeitig wird der Mensch zur Person durch ein anderes Du, d. h. von außen.“ (Zitat aus SC, 32.) Die Kirche als Person bei Bonhoeffer untersucht besonders Lee, The Church as Person, hier bes. 41–147.
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sonam“,303 heißt es analog bei Gerhard Ebeling. Weil nur in Christus das Geschöpf als wiederhergestelltes Ebenbild Gottes auf Erden sprachfähig ist, stellt sich demnach das dialogische Sprachgeschehen allein in diesem personalen Verhältnis des Menschen zum menschgewordenen Wort Gottes heraus. Schriftauslegung ist demzufolge für Dietrich Bonhoeffer mit Klaus Raschzok eine „christusbezogene Wahrnehmungslehre des biblischen Textes“ als „Ausdruck einer prozessualen, ganzheitlichen Erfahrung“ mit der Schrift selbst.304 „[P]ersönliche Aneignung des Textes, Wort für Wort […] aufgrund des ergangenen Wortes sich vollziehende Bewegung des Textes […]“305 erscheint dann als glaubwürdige wie gläubige Grundlage dieser Begegnung mit dem Wort, in der sich die Wahrnehmung des Selbst verändert ausgestaltet. In der Erkenntnis des Heils außerhalb des eigenen Selbst,306 mit den Worten von Schöpfung und Fall, mit der Erkenntnis der „Grenze, die in der Mitte ist“,307 weist sich auch zuletzt hermeneutisch die Erkenntnis des Subjekts als eine solche aus, in der sich dasselbe gerade eben nicht aus sich selbst heraus zu verstehen vermag, sondern es zuletzt vor allem in sich selbst auf Exteriorität angewiesen ist und bleibt.308 Mit der totalen Wahrnehmungsänderung im Herausgerissenwerden aus der alten Existenz, wie es oben schon untersucht wurde,309 stellt sich dann tatsächlich und in letzter Konsequenz auch das Geschöpf als Teilnehmer dieser Vergegenwärtigung zum einen darin heraus, dass es selbst Gestalt gewinnt, und zum anderen, dass es in dieser Gestaltung die Gegenwart als solche gestaltet.310 Wie bereits gesagt: Passivität und Aktivität sind nicht zwei einander konträre Seinsweisen, sondern beschreiben in der Wirklichkeit Christi die wahre Existenz in Christo. In der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zeigt sich so letztlich die Schrift als 303 304 305 306 307 308
Ebeling, Lutherstudien II. 3, 205. Raschzok, Schriftauslegung bei Dietrich Bonhoeffer, 19. ITAF, 486. Cf. GL, 47. SF, 80. Cf. Zimmermann, Theologische Hermeneutik, 477, bes. dazu auch 478: „Die wahre Erkenntnis Gottes besteht also in der Öffnung auf eine Exteriorität, deren Transzendenz vom reflektierenden Geist weder begriffen noch auf Identität mit sich selbst zurückgeführt werden kann.“ 309 Cf. § 4.1.3. 310 Cf. zur Gestalt bspw. N, 300f.: „Niemand findet das verlorene Ebenbild Gottes wieder, es sei denn, daß er teilgewinnt an der Gestalt des menschgewordenen und gekreuzigten Jesus Christus. Allein auf diesem Bilde ruht Gottes Wohlgefallen. Nur wer sich in der Gleichheit dieses Bildes vor ihm finden läßt, lebt unter dem Wohlgefallen Gottes. Der Gestalt Jesu Christi gleichzuwerden, ist nicht ein uns aufgegebenes Ideal der Verwirklichung irgendeiner Christusähnlichkeit. Nicht wir machen uns zum Ebenbilde, sondern es ist das Ebenbild Gottes selbst, es ist die Gestalt Christi selbst, die in uns Gestalt gewinnen will (Gal. 4,19). Es ist seine eigene Gestalt, die sich in uns zur Erscheinung bringen will. Christus ruht nicht mit seiner Arbeit an uns, bis er uns zur Christusgestalt gebracht hat. Es ist die ganze Gestalt des Menschgewordenen, des Gekreuzigten und des Verklärten, der wir gleich werden sollen.“
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lebendige, performative Kraft gegenwärtig, die sich als von außen dem Subjekt entgegenstellt, um es aus sich zum wahren Geschöpf, zur wahren Person zu transformieren und dieses in die Verantwortung in der Welt zu setzen. Untersucht man die Hermeneutik Bonhoeffers, darf demnach eine Erkenntnis nicht fehlen: Dieses wirklichkeitsverändernde Geschehen ist für denselben immer mit der Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden zu denken und damit als ganz praktische Erkenntnis festzuhalten. Das Geschöpf in seiner konkreten Existenz ist schöpfungstheologisch als leiblicher Teil der Welt in seinem urständlichen Sein darauf ausgelegt, die Verwirklichung der Gottesbeziehung zu sein. Ja gerade in dieser befreiten Bindung des Geschöpfes an seinen Schöpfer ist Bonhoeffer zufolge doch überhaupt erst freies, verwirklichendes Handeln möglich. Die Bewegung des Wortes Gottes im Heiligen Geist ist damit nicht in der bloßen Vergegenwärtigung in Raum und Zeit vollendet, im Gegenteil kommt sie erst dort zu ihrer vollen Verwirklichung, wo sie in der Antwort des Menschen auf den Anspruch Gottes denselben zur wahren Tat überhaupt erst befähigt. Nur so aber, kann Bonhoeffer in seiner Ethik pointiert formulieren, sieht der „in der Freiheit eigenster Verantwortung Handelnde […] sein Handeln einmünden in Gottes Führung. Freie Tat erkennt sich zuletzt als Gottes Tat.“311 Wird hier also von der Gestaltwerdung des Geschöpfes und darin zuletzt auch der Neuschöpfung der Schöpfung gesprochen, bewahrheitet sich diese so, dass das dezentrierte Subjekt in Christus zum Teil dieser Verwirklichung der Wahrheit wird, darinnen nämlich, dass es in dem hermeneutischen Geschehen der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in seinen wahren Stand vor Gott gesetzt und damit in die tätige Verwirklichung der Schöpfung gestellt ist.312 Zusammenfassend gesagt: Im Christus praesens kann der junge Dozent Dietrich Bonhoeffer nun diese Verbindung aus Gestaltwerdung und Gestaltwerdung erkennen. Indem er dieses Wort nämlich zuletzt als zeitlich und örtlich konkretes zu denken weiß, tritt dasselbe aus der Sphäre der Idee oder der Kraft heraus in die Gegenwart des Menschen und darin als tatsächliches Gegenüber in der Person Christi als des Auferstandenen. Wirklich gegenwärtig ist diese dann für ihn besonders in seinen frühen Schriften allein und einzig „im Wort in der Kirche oder als Wort der Kirche.“313 Dort freilich kann Bonhoeffer Jesus Christus in seiner sinnlich-leiblichen Dimension genauer so verstehen: „Der Gott-Mensch Jesus Christus ist der in seiner Pro-me-Struktur der Kirche in seiner Person gegenwärtige als Wort, Sakrament und Gemeinde.“314 Der Spitzenformel seiner Dissertationsschrift, „Christus als Gemeinde existierend“, die 311 312 313 314
E, 285. Cf. Sauber, Urteilen als Vollzug, 221ff. B, 299. B, 297.
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in der leibhaften Interpretation des Christus praesens Kirche sowohl vor historischem wie vor religiösem Missbrauch in Schutz nehmen will,315 bleibt Bonhoeffer ebenso im Folgenden treu, wenn auch in etwas veränderter Form, gewinnt doch mit der Zeit dieselbe ihre Auslegung als „Stück der Menschheit, in dem Christus Gestalt wirklich gewonnen hat.“316 Als Gestaltgewinn Jesu Christi in der Welt ist dieses hermeneutische Geschehen dann ausgeweitet auf die Verwirklichung des Reiches Gottes in seiner Welt allein durch dieses Wort, warum demnach im Kommenden aufgegeben ist, diese ‚Leibwerdung des Wortes‘ noch genauer zu untersuchen, um die Schriftauslegung Bonhoeffers in ihrem vollen Umfang nachvollziehen zu können. Festgehalten für die in der Forschung viel diskutierte Frage nach der Einheit seiner Theologie kann an dieser Stelle damit dann zumindest Folgendes: Dietrich Bonhoeffers Werk erweist sich auf hermeneutischer sowie materialtheologischer Ebene wesentlich einheitlicher, als dies bisher oft wahrgenommen wurde.317 Ungeachtet mancher Akzentverschiebungen zeigt sich die Konsistenz seines Denkens in ihren Axiomen, die kurz und prägnant lauten: Der Mensch als Sünder ist der zugleich von Gott in seinem Wort Jesus Christus Aufgerufene und zur Antwort Herausgerufene. In die Fremdheit des Kreuzes gestellt ist er seiner Lügenhaftigkeit überführt und hineingestellt in die Wahrheit Gottes. Da, wo nun nicht mehr er eigenmächtiges Subjekt seiner selbst ist, sondern er sein Sein in Christus als Geschöpfsein begründet findet, ereignet sich eine Auslegung des Auslegers, dort findet sich der Mensch in Christus in eine neue Wirklichkeit gestellt, die sich einzig allein in der Gemeinde vollzieht. Es ist somit Florian Schmitz zuzustimmen, wenn er Christologie, Welt-/ Wirklichkeitsverständnis und Gemeinde als Grundpfeiler der Theologie Bonhoeffers pointiert.318 Eben weil allein von Christus her die Wirklichkeit als InBeziehung-Sein zu verstehen ist, ist die Gemeinde der Ort, an dem sich die Welt als Gottes Wirklichkeit in Christus wahrhaft vollzieht. „Christus als Gemeinde existierend‟ ist damit nicht nur der theologische Spitzensatz seiner frühen Jahre, sondern auch durchgängig leitendes Prinzip der Hermeneutik Bonhoeffers. Das aber gilt es nun zu entfalten.
315 316 317 318
Cf. SC, 79 u. ö. E, 84. Cf. dazu die genaue Auseinandersetzung bei Schmitz, „Nachfolge‟, 20–25. Cf. Schmitz, „Nachfolge‟, 407.
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4.2.1 Die Gegenwärtigkeit des Schriftgeschehens Es wurde im ersten Teil dieses Kapitels versucht, Bonhoeffers Schrifthermeneutik anhand seiner disparaten Implikationen soweit darzustellen, dass nun eine umfassende und explizite Grundlage dessen vorliegt, was für sein Bibelverständnis sowie seinen Umgang mit derselben maßgeblich erscheint. In einem nächsten Schritt ist es nun daran, mithilfe dieses Fundaments und im Anschluss daran Bonhoeffers implizite Hermeneutik explizit zu machen. Das kann aufgrund einer diesbezüglich fehlenden Reflexion desselben freilich nur so geschehen, dass anhand der in diesem ersten Teilkapitel herausgearbeiteten Erkenntnisse mit Bonhoeffer über Bonhoeffer hinauszudenken ist. Es finden sich demnach für diese Ausarbeitung wenig ausdrückliche Darstellungen desselben, warum es notwendig ist, seine Andeutungen zu systematisieren und gegebenenfalls zu elaborieren. Es geht damit im Folgenden also darum, den bereits dargestellten Umgang Bonhoeffers mit der Schrift als hermeneutisches Geschehen zu begreifen und dabei zum einen die Schrift und zum anderen den Rezipienten als zwei Grundkonstanten zu erkennen. Beginnt man bei dem „ersten Prinzip“ aller Theologie, wie Martin Luther sie nennt,319 der Schrift, findet man sich mitten in der grundlegenden Weichenstellung der bonhoefferschen Schriftauslegung vor. Wenn nämlich bisher Dietrich Bonhoeffers exzeptioneller Umgang mit der Schrift als einerseits historischkritisch sowie andererseits biblizistisch und existential erkannt wurde, erschließt sich darin der Kern seines Bibelgebrauchs als seiner Zeit wesentlich gegensätzlich: Im Verständnis des lutherischen sola scriptura als Spezifizierung der pietistischen Neuentdeckung der Schrift als persönliches Erbauungsbuch erscheint ihm sola scriptura in tota tatsächlich als sacra scriptura. Mit der alleinigen und ausschließlichen Mittelpunktstellung der Heiligen Schrift als Wort Gottes erweist sich dieser Umgang als weit entfernt von einer Schriftauslegung, der ein verdinglichter Schriftsinn zugrunde liegt. Vielmehr liegt in Bonhoeffers Alleinstellung der Schrift eine existentielle Dringlichkeit, welche dieselbe als einzigen Ort des Wortes Gottes zuletzt zu lokalisieren weiß und darin ein Geschehen erkennt, das über den einzelnen Rezipienten hinausgeht. Es wurde schon in der Auseinandersetzung mit dem Pietismus und der Orthodoxie gezeigt, dass Bonhoeffer gegen jede andere Verlautbarung, unter anderem seines Lehrers Adolf von Harnack,320 die Einheit der Heiligen Schrift zu 319 Cf. WA 7, 97, 27f.: „[…] principium (quod dicunt) primum, a quo incipi oporteat, ingressurum ad lucem et intellectum.“ 320 Cf. Harnack, Marcion, 217.
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betonen wusste. Das Alte Testament sollte weder aus dem biblischen Schriftkanon ausgeschieden werden, noch als eine Vorstufe des im Neuen Testament begründeten Christentums gelten.321 Im Gegenteil, in der Beschäftigung mit Bonhoeffers Schriften zeigt sich mehr und mehr diese hohe Wertschätzung des Alten Testaments, die ihn zu einem Teil der „theologischen Neubesinnung [desselben] vor und während des Kirchenkampfes“322 machte, wie Martin Kuske treffend formuliert. Es wurde dazu schon eingehend die Einleitung zu Schöpfung und Fall besehen, wo Bonhoeffer just zur Zeit der Machtergreifung Hitlers gegen die „Ausscheidung des Alttestamentlich-‚Jüdischen‘ um ‚des Volkes‘ willen […] und die künstliche Entfernung Jesu aus dem Judentum“323 seine Auslegung des Alten Testaments als Anfang und Ziel aller theologischen Auslegung setzt: „Allein die Kirche, die vom Ende weiß, weiß auch vom Anfang, weiß daß zwischen Anfang und Jetzt derselbe Bruch liegt wie zwischen jetzt und dem Ende, daß Anfang und Jetzt sich verhalten wie das Leben zum Tode, das Neue zum Alten.“324 Mit Bonhoeffer wird der Leser damit schon in den ersten Worten seiner Vorlesung zur Genesis darauf hingewiesen, dass seine „theologische Auslegung“,325 wie er es nennt, gerade keine voraussetzungslose ist, sondern dass diese sich vielmehr einer fundamentalen Voraussetzung bewusst sein will und muss. Gegen die neuzeitliche Forderung einer bedingungslosen Textinterpretation weiß er hier in den ersten Worten bereits von Jesus Christus als von demjenigen, von dem wir allein her „wissen können, was der Anfang sei.“326 In der klassischen Form einer petitio principii zeigt er so schon das eine und einzige Fundament seiner Auslegung der Heiligen Schrift auf, nämlich Jesus Christus. Genau dieses oben besprochene Axiom der Zeit,327 nämlich die Gegenwärtigkeit Gottes in seinem Wort, ist in dieser Forderung, Christus auch und besonders im Alten Testament zu finden, damit gegeben und dieses gilt es hier in der Begegnung des Lesers mit der Schrift anzuwenden. In ihm, in dem menschgewordenen Gott, erscheint daher die Einheit der Schrift und darin auch zuletzt die Einheit Gottes begründet, in welcher Jahwe Gott meint.328 Unter der Leitprämisse einer korrespondierenden Verbundenheit beider Testamente lehrt Bonhoeffer seine Studenten einen Umgang mit der Schrift, der beispielsweise mit Wilhelm Vischer und Karl Barth vor allem den
321 322 323 324 325 326 327 328
Cf. Seeberg, Christliche Dogmatik I, 241. Kuske, Das Alte Testament als Buch von Christus, 9. SF, 147 (Nachwort). SF, 21. SF, 22. SF, 22. Cf. § 4.1.4. Cf. SF, 22.
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Begriff des Kanons wieder ernstgenommen wissen will.329 In Jesus Christus als der einheitsstiftenden doctrina fidei weiß Bonhoeffer darin mit Karl Barth in seinen akademischen Jahren mehr und mehr die Sammlung biblischer Schriften als ganze in sich geschlossen hervorzuheben.330 Im Gegensatz zu Luther geht es ihm dementsprechend nicht darum, die Schrift danach zu bewerten, ob sie „Christum treibet“, sondern gegenteilig, dass sie „Christum treibet“. Setzt Luther in seiner Akzentuierung des „was Christum treibet“ die Einheit der Schrift im Wort als des Einen gegen die vermeintliche Vielheit der biblischen Offenbarungsinhalte, bietet sich ihm dasselbe nicht auf einem formalen Autoritätsanspruch gegründet dar, allein in der Sache selbst bewahrheitet sich ihm dieser „Generalskopus, das Eine, Einzige, worauf alles in ihr abzielt.“331 Bonhoeffer hingegen legt in Jesus Christus ein hermeneutisches Prinzip an seine Bibelauslegung an, das in sich beides, Formal- und Materialprinzip, vereint.332 So hebt er mit Barth einerseits hervor, dass Luthers Pointierung des Materialprinzips über das der Form, wenn es auch Christus heiße, zuletzt doch selbstherrlich und individuell zu sehen sei.333 Nimmt man dazu seine Erkenntnis des Evangeliums einerseits als des Geheimnisses und andererseits als des Ärgernisses,334 wird dieser Sachverhalt einmal tiefer deutlich. Indem nämlich Luther Christus als den hermeneutischen Schlüssel und darin auch das Scheidekriterium der Kanonizität, d. h. der Autorität der einzelnen biblischen Schriften, setzt, besteht dabei die dringende Gefahr, doch nur wieder einen selbst erdachten Gott, einen „Doppelgänger“ des Auslegers zu finden; es ist hierin nämlich gerade nicht gesagt, wer bestimmt, „was Christum treibet“. Vielmehr erkennt man in der 329 Cf. Barth, Menschenwort und Gotteswort, in: GA III.19, 454; Vischer, Das alte Testament als Gottes Wort, 388. 330 Cf. noch in seinen Studienjahren hatte Bonhoeffer sich gegen die reformierte Tradition eines „Entweder-Oder“ in der Repristination durch Karl Barth (Cf. Barth, Schriftprinzip, in: GA III.19, 510ff.) ausgesprochen, wenn es in seinem Referat über historische und pneumatische Schriftauslegung folgendermaßen heißt: „Mit dem Worte oder der Offenbarung ist uns aus der Bibel selbst der Maßstab an die Hand gegeben, den wir in der Exegese an der Schrift bewähren müssen. Dieser Maßstab ist mit Luther ‚was Christum treibet‘; was diesen Offenbarungsinhalt nicht hat, ist unkanonisch.“ ( JuS. 320f.) Mit Luther stellt Bonhoeffer hier das Auslegungsprinzip ‚Jesus Christus‘ vor die Betonung der unabänderlichen Einheit des Kanons. Der Kanon galt ihm damit als prinzipiell an seinen Rändern offen, sodass grundsätzlich auch eine theologische Kritik am historischen Sinn des Einzeltextes anhand des Schriftkerns möglich war. So ist ihm auch nicht der Kanon als Beweis der Offenbarung anzuführen (Cf. JuS 321.), müsse man mit Luther sogar Christus zum Teil gegen diesen ins Feld führen. (Cf. WA 39, 1, 47, 19: „Quod si adversarii scripturam urserint contra Christum, urgemus Christum contra scripturam.“ Cf. dazu, Ebeling, Lutherstudien I, 296f.) 331 Ebeling, Lutherstudien I, 293. Cf. dazu bspw. Luthers provokante Frage: „Tolle Christum e scripturis, quid amplius in illis invenies?“ (WA 18, 606, 29.) 332 Cf. JuS, 474. Cf. § 2.2.4. 333 Cf. Barth, Schriftprinzip, in: GA III.19, 512. Cf. Slot, The Freedom of Scripture, 107. 334 Cf. § 4.1.2.
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Abwendung Bonhoeffers von Luthers hermeneutischem Materialprinzip sein grundsätzliches Interesse an der Wahrung des Geheimnisses Gottes und darin auch des dem Subjekt fremden Evangeliums. Gottes Wort darf in keinem Falle dem Menschen übereignet werden, so scheint uns Bonhoeffer darin zuzurufen, wenn er dies so drastisch freilich gerade Luther nicht unterstellen will. Zugleich aber weiß Bonhoeffer gegen eine orthodoxe Interpretationsweise, welche in jedem Buchstaben der Schrift das principium cognoscendi setzt, ebenfalls einer Inbesitznahme des Wortes zu wehren. Auch hier, im erkenntnistheoretischen Formalprinzip der Schrift als Gottes Wort, zeigt er auf, dass dem Menschen zugestanden werde, das Wort Gottes im historischen Wort festzusetzen und sich darin letztlich mit einer Aufrechterhaltung einer menschlichen regula fidei selbst zu überhöhen.335 Auch eine Übertreibung des Formal- vor dem Materialprinzip prangert Bonhoeffer demnach an. Die Einheit des Kanons kann gerade nicht aus einer außenliegenden, wie auch immer gearteten Erkenntnis heraus festgesetzt sein, auch nicht in einer historisch gewachsenen Einheit der biblischen Schriften als Wort Gottes, wie Barth dies in seiner Betonung des kaltblütigen Ernstnehmens des Kanons fordert.336 Gleichsam verwehrt sich Bonhoeffer, das war in der Auseinandersetzung mit Rudolf Bultmann zu sehen, auch einem Schriftbegriff, der hinter einer rationalen Entledigung aller irrationalen Elemente das Kerygma als einziges Kriterium des Wortes Gottes erkennen kann, mutet nämlich dieses Kerygma allein darin als Wort Gottes an, dass es den Menschen in seiner Existenz bestätigt, anstatt diese aus ihrer Selbstverfangenheit herauszureißen.337 Die Schrift bleibt in ihrer Eigentümlichkeit der Sache nach das fremde Evangelium, welches gerade nicht durch rationale Einebnung sein Geheimnis als Schleuderware preisgibt. Die Frage nach der Einheit des Wortes Gottes weist sich demnach aus ihrer Reziprozität von Formal- und Materialprinzip aus. Bonhoeffer kann gegen Martin Luther und Karl Barth eine Verbindung aus dem, „was Christum treibet“ und dem radikalen Bestehen auf den von Gott selbst ausgesonderten Kanon338 eine kommunikative Einheit beider Prinzipien postulieren, worin sich dieses Wort Gottes gerade nicht als ein von außen festgelegtes und feststehendes bewahrheitet, sondern sich das Geheimnis des menschgewordenen Gottes in seiner Bindung an das Menschenwort gleichsam als solches zu erkennen gibt. In Christus als Mitte der Schrift stellt sich demnach der Logos zum einen als ge335 336 337 338
Cf. SF, 45.46.51 u. ö. Cf. dazu § 2.2.4. Cf. Barth, Menschenwort und Gotteswort, in: GA III.19, 454. Cf. § 3.2.3. Cf. Barth, Christliche Dogmatik, 338: „Indem man diese und diese Schriften aus der Masse der übrigen auswählte als wahres Gotteswort, meinte man doch nichts anderes zu tun, als festzustellen, daß sie als solche schon ausgewählt seien, daß diese und diese Schriften sich als Gottes Wort selbst schon erwiesen hätten.“
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schichtliche Macht der Auserwählung der einzelnen Schriften in der Kirche, zum anderen als eschatologisches Auslegungsprinzip dar. Der Kanon als solcher aber entsteht so in Bonhoeffers Ansicht je neu in seiner Auslegung und Anwendung durch den Rezipienten, weil und indem jede Schrift Jesus Christus als ihre Mitte bezeugt: Das eine Wort Gottes erfährt somit seine Wirklichkeit in der Menschwerdung im Menschenwort je neu, indem es sich in seiner Vergegenwärtigung je neu als das Gotteswort auszeichnet. Formal- und Materialprinzip sind darin dann auch nicht zu scheiden, im Gegenteil kann das eine nicht ohne das andere gelesen werden, denn allein beide in kommunikativer Einheit erweisen sich als das lebendige Wort Gottes, nämlich darin, dass sie sich als solches im Heiligen Geist gegenwärtig verwirklichen. Dass Bonhoeffer hiermit das orthodoxe Dogma des sacra scriptura sui interpres tatsächlich und in voller Tiefe wahrgenommen wissen will, zeigt sich nicht zuletzt eben darin, dass sacra scriptura tota scriptura in spiritu sanctu ist: Die ganze Schrift339 erweist sich als Wort Gottes, weil sie Zeugnis dessen ist, was Christum treibet, durch die Vergegenwärtigung im Heiligen Geist. In der lebendigen Einheit der formalen Beschränkung des Kanons und der inhaltlichen Mitte Christus ist es folglich für ihn dann ebenso unmöglich, einen Unterschied des Alten Testaments zum Neuen zu machen. Prominent findet sich das, wie schon zu sehen war, bereits am Anfang seiner Genesisvorlesung, wenn er Christus als das formale und materiale Schriftprinzip in seiner Anwendung darlegt: „[D]ie Schöpfungsgeschichte [ist] in der Kirche allein von Christus her zu lesen und erst dann auf ihn hin; auf Christus hin kann man ja nur lesen, wenn man weiß, daß Christus der Anfang, das Neue, das Ende unserer ganzen Welt ist.“340 Nun erweckt dieses Postulat auf den ersten Blick so etwas wie eine Unterscheidung beider Testamente. Doch davon darf man sich nicht in die Irre führen lassen. Dass Bonhoeffer hier das Alte Testament allein von Christus her auf ihn hin gelesen haben möchte, offenbart gerade keine versteckte Hierarchi339 Mit dem Postulat der ganzen Schrift als Zeugnis des Menschgewordenen versteckt sich Bonhoeffer nun gerade nicht hinter einer theologischen Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit, im Gegenteil nimmt er dieses hermeneutische Postulat bis in die Auslegung des Rachepsalms (Cf. ITAF, 980–988.) und in das Hohe Lied (Cf. WE, 441.) hinein als grundlegend. Beide legt er dementsprechend von Christus auf diesen hin aus. Cf. dazu Kuske, Das Alte Testament als Buch von Christus, 78: „Ein Psalm wie der 58. ist so dunkel, daß das Licht der Lehre Christi ihn nicht zum Leuchten (als Wort Gottes) bringen kann. Es muß schon das Licht des Kreuzes auf ihn fallen, damit er hell wird, oder schärfer ausgedrückt, es genügt nicht (sofern wir diesen Psalm nicht als überwundene religiöse Vorstufe abtun wollen), daß Jesus Christus nur zwischen ihn und uns tritt oder daß wir ihn nur von ihm her verstehen (was aber auch hier die Voraussetzung ist), sondern Christus muß schon in ihn eingehen. Von diesem Satz aus gewinnt das ‚Christus im Alten Testament‘ einen Sinn.“ Christus im Alten Testament bedeutet dann eben das, dass dieses sich nur in demselben ganz erfüllt, weil es ihm ganz gehört. (Cf. Kuske, Das Alte Testament als Buch von Christus, 82f.) 340 SF, 22.
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sierung beider Testamente in ihrer Auslegung;341 ganz im Gegenteil, diese hermeneutische Bewegung der Auslegung beider Texte miteinander kann auch hier nicht allein in einem Formalprinzip bestehen, sondern in diesem sein Materialprinzip entfalten. Man denke dabei daran: „Nur im Wort der Schöpfung kennen wir den Schöpfer, im Wort der Mitte haben wir den Anfang […]“,342 wie es in Schöpfung und Fall heißt. Es wurde oben erarbeitet,343 dass Bonhoeffer in seiner Kritik der gefallenen Vernunft dem Menschen ein rationales Einsehen in die Schrift versagt, erschließt sich in dieser Erkenntnis eben genau die hermeneutische Prämisse der Auslegung der Schrift aus der Mitte in Jesus Christus heraus als gläubiges Verstehen: „[A]llein weil Gott durch sein Wort sich zu diesen Werken bekennt und weil wir dieses Wort über diese Werke glauben, darum glauben wir ihn als den Schöpfer.“344 Es ist also doch genau so, dass Bonhoeffer damit fordern muss, dieses besondere Buch gerade nicht von seinem Anfang, sondern von seinem Ende her zu lesen. Wird es nämlich gleich jeglicher anderen Literatur chronologisch gelesen, kann eine derartige Auslegung nicht eine das Wort Gottes vergegenwärtigende Auslegung sein; es hieße nämlich, das Wort Gottes als historisches Menschenwort gebunden an die physikalische Zeit, den Schöpfer als den fernen, ruhenden, ewig Seienden zu verstehen. In der hermeneutischen Prämisse aber, die Schrift als Buch der Kirche von Christus her zu lesen, erscheint die Einheit des Wortes in formaler wie materialer Hinsicht gewahrt: „Vom Anfang im eigentlichen Sinn können wir nur wissen, indem wir in der Mitte zwischen Anfang und Ende vom Anfang hören; sonst wäre es nicht der Anfang schlechthin, der auch unser Anfang ist. Von Gott als dem Anfang wissen wir hier in der Mitte des verlorenen Anfangs und des verlorenen Endes allein – als von dem Schöpfer.“345
Altes und Neues Testament liegen damit in dem menschgewordenen Gotteswort tatsächlich in eins und können eines nicht ohne das andere gelesen werden. Es ist demnach dann auch so, dass zum einen das Alte vom Neuen her zu lesen ist, weil ja der Schöpfer nur aus der Mitte als der Schöpfer erkannt werden kann, und zum
341 Über die Stellung beider Testamente zueinander in der Auslegung Bonhoeffers wurde in der Fachliteratur mannigfaltig diskutiert. Zum einen wurde eben dieses Zitat aus Schöpfung und Fall herangezogen, um eine Vorrangstellung des NT vor dem AT in seinen frühen Schriften zu untermauern, zum anderen sei in seinen Briefen aus der Haft das AT vor dem NT zu lesen, erweise sich in jenem doch erst die volle Diesseitigkeit des Christentums. (Cf. Benktson, Christus und die Religion, 43. Benktson referiert auf SF, 22 und WE, 408. Cf. dazu auch Richards, War Time Preaching, 170.) 342 SF, 39. 343 Cf. § 4.1.3. 344 SF, 39. 345 SF, 29.
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anderen das Neue immer auch vom Alten her zu verstehen ist, denn auch hier ist von Jesus nicht ohne diesen Gott Vater des Alten Testaments zu reden.346 Und so führt diese Einheitsbestimmung der Heiligen Schrift in Jesus Christus abermals an das Kreuz, von wo einzig dieser Vater Jesu Christi und der Schöpfergott zu finden ist. „Und wer ihn dort finden will, der muß mit unter dieses Kreuz, wie es die Bergpredigt fordert. Das entspricht unserer Natur garnicht, sondern ist ihr völlig zuwider. Dies aber ist die Botschaft der Bibel, nicht nur im Neuen, sondern auch im Alten Testament ( Jes. 53!).“347 Insofern ist mit Martin Kuske das alte Bild des Lichtes anzubringen,348 das in Jesus Christus vom Ende auf den Anfang fällt und darin diese für unsere gefallenen Augen entstandene Dunkelheit über den Beginn der Welt erhellt. In der Reflexion dieses Scheins in Christus aber fällt derselbe zurück auf das Neue Testament, sodass auch aus ihm dessen dunkle Stellen in Klarheit aufleuchten.349 Freilich, so ist mit Bonhoeffer anschließend auch zu sagen, kann es ebenso den Anschein haben, als komme dieses aus Christus nur reflektierte Licht als das dem Alten Testament eigene Licht vor; in dem Fall aber wird in diesem menschlichen Wort das göttliche Wort vom Anfang gehört, ist es tatsächlich das Licht des Schöpfers, das dieses Geschehen aufklärt.350 Dann ist es wirklich der Christus, der uns in jedem Wort, in jedem Vers, in jeder Perikope und in jeder Schrift begegnet, es ist nicht sein bloßer Widerschein, es ist vielmehr er selbst, vergegenwärtigt er sich dem Leser in der Mitte doch heraus aus sich selbst. Das Alte Testament leuchtet demzufolge vom Kreuz her, unter das sich der Rezipient zu stellen hat, von sich selbst als Wort Gottes in all seinen Facetten. Dementsprechend ist hier Bonhoeffers Aussage zu Beginn seiner Genesisvorlesung mit der oben gemachten Erkenntnis der Anwesenheit Gottes in der Schriftauslegung und der Dezentrierung des Subjekts in einem anderen, in einem neuen Licht zu verstehen, nämlich so, dass allein vom Kreuz her, wo das Subjekt zum Geschöpf neu geschaffen wird, sich das Alte und Neue Testament reziprok auslegen und hier Gott in seinem Wort wirklich wird. Es geht Bonhoeffer demnach tatsächlich nicht um ein starres Interpretationsprinzip, das in einem 346 Cf. die Notizen Bonhoeffers zu seiner Bibelarbeit König David in GS IV, 320: „1. Der Gott des Alten Testaments ist der Vater Jesu Christi. Der in Jesus Christus erscheinende Gott ist der Gott des Alten Testamentes. Es ist ein dreieiniger Gott. 2. Das Alte Testament muß von der Menschwerdung und Kreuzigung, d. h. der uns geschehenen Offenbarung her gelesen werden. Sonst bleiben wir im jüdischen oder heidnischen Verständnis des Alten Testaments.“ 347 ITAF, 146. 348 Cf. so auch u. a. bei Rad, Theologie des Alten Testaments, 343 und Weber, Grundlagen der Dogmatik, 339. 349 Cf. Kuske, Das Alte Testament als Buch von Christus, 39. 350 Kuske beschreibt diesen Widerschein als „Mondschein“, den wir alltäglich nicht als Widerschein der Sonne begreifen. Cf. Kuske, Das Alte Testament als Buch von Christus, 39.
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Christuspostulat jedes Wort der Schrift als Christus selbst auslegt, sondern vielmehr um eines, das in jedem Wort dessen Stimme hört.351 Dann ist auch von Christus im Alten Testament zu sprechen, weil eine Unterscheidung zwischen jenem und diesem gar nicht möglich ist, „weil Christus gleichsam in das Alte Testament getreten ist.“352 Gleiches ist aber auch über das Neue Testament festzustellen. Ohne den alttestamentlichen Hintergrund ist der Jesus des Neuen Testaments nicht als der Christus zu verstehen, das zeigt Bonhoeffer ganz besonders in seiner Beschäftigung mit dem Alten Testament deutlich. Mit Schöpfung und Fall ist hier ein Anfang gelegt, mit dem er seine Hörer darauf hinweisen will, wie eine solche Erarbeitung des NT durch das AT geschehen muss. Dort strukturiert sich die Begegnung Gottes mit seinem Menschen als eine in der Mitte seines Lebens,353 die zunächst Gott selbst ist, aus der heraus der Mensch im Anschluss allein tatsächlich leben kann und die ihn zuletzt auch wirklich zum imago dei macht. Eine Rede von Gott kann somit grundsätzlich diese schöpfungstheologische Bestimmung nicht außer Acht lassen, wenn sie den Vater Jesu Christi meint; vom Schöpfer ist daher nur als „in der Mitte“ zu sprechen, d. h. er ist nur relational als Schöpfer und Erhalter zu verkündigen.354 Gerade in seinen Briefen aus der Haft weist Bonhoeffer immer wieder auf diesen Missstand hin, dass das Neue zu wenig vom Alten Testament gelesen und 351 Besonders deutlich wird dies in der umstrittenen Bibelarbeit zu Esra und Nehemia von 1936, wo Bonhoeffer den historischen Sachverhalt zugunsten der konkreten Situation vernachlässigt. So wählt er die Erzählungen über die Zerstörung des Jerusalemer Tempels nicht aufgrund der Frage der Identität der Kirche damals und heute aus, das ist ja gerade die Voraussetzung, von der er herkommt (cf. § 4.2.2), vielmehr erweist sich für ihn die Gegenwärtigkeit dieses historischen Geschehens Gottes mit seinem Volk in seiner bleibenden Zusage in der konkreten Situation. Cf. dazu zum einen die harsche Kritik Friedrich Baumgärtels (Baumgärtel, Die Kirche ist Eine, 16f.) und zum anderen die Forschung dazu bspw. bei Gollwitzer, Weg des Gehorsams, 111f.; Altenähr, Dietrich Bonhoeffer – Lehrer des Gebets, 252f. und Kuske, Das Alte Testament als Buch von Christus, 72f. Im Gegensatz zu seiner Auslegung von Schöpfung und Fall scheint Bonhoeffer hier die Dringlichkeit der Situation vor die sachlich und fachlich zuvorkommende historisch-kritische Exegese zu stellen, was wohl noch deutlicher daran wird, dass es sich hier nicht um eine universitäre, systematische Schriftauslegung handelt, sondern um eine Predigt die aktuelle politische Situation betreffend. Dementsprechend kann er diese zeitweilige Notwendigkeit auch noch aus der Haft unterstreichen, wo in dem Brief vom 03. 08. 1944 an Eberhard Bethge zu lesen ist: „Wir müssen es auch riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgeführt werden.“ (WE, 555.) Seine Überzeugung von der Vergegenwärtigung der Sache Christi in der Schrift geht dann sogar so weit, dass er seine Studenten ermutigte, wie Bethge berichtet, „daß eine anfechtbare Einzelexegese nicht unbedingt zu einer falschen Predigt führen müsse, wie umgekehrt die korrekte Benutzung exegetischer Befunde nicht vor einer verfehlten Praxis bewahre.“ (DB, 599.) 352 Kuske, Das Alte Testament als Buch von Christus, 39. 353 Cf. WE, 407f. und 455f. 354 Cf. SF, 78f. Cf. dazu auch Kuske, Das Alte Testament als Buch von Christus, 88.
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darin eine Transzendenzvorstellung Gottes ausgebreitet werde, die ihn ohne seine radikale Diesseitigkeit verstehe. Einen Gott als deus ex machina, der an den Grenzen der menschlichen Kräfte zum Einsatz kommt, ist für Bonhoeffer nicht biblisch genauso wenig wie ein solcher, der an den Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit (oder an schierer Denkfaulheit) wie an scheinbar unlösbaren Problemen angerufen wird. Im Gegenteil, bei Bonhoeffer lesen wir: „[I]ch möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen. An den Grenzen scheint es mir besser, zu schweigen und das Unlösbare ungelöst zu lassen. Der Auferstehungsglaube ist nicht die ‚Lösung‘ des Todesproblems. Das ‚Jenseits‘ Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens! Die erkenntnistheoretische Transzendenz hat mit der Transzendenz Gottes nichts zu tun. Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig. Die Kirche steht nicht dort, wo das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, sondern mitten im Dorf. So ist es alttestamentlich, und in diesem Sinne lesen wir das N.T. noch viel zu wenig vom Alten her.“355
Das Neue ohne das Alte unterbreitet in der bonhoefferschen Darstellung demnach einen Gott, der von allen menschlich-weltlichen Dingen losgelöst ein Gott des Jenseits als der Transzendenz zu sein scheint. Die christliche Auferstehungshoffnung in Jesus Christus stellt sich Bonhoeffer zufolge dann als der Erlösungsmythos einer menschlichen Existenz in der Ungeschichtlichkeit der Ewigkeit nach dem Tod heraus, anstatt diese Hoffnung radikal an das Diesseits zu binden. Dieses war in der Näherbestimmung der Rede von der Transzendenz schon zu sehen,356 Bonhoeffer will dieselbe gerade nicht als metaphysisches, überzeitliches Kontinuum erkennen, das absolut von der Immanenz losgelöst zu denken ist, er will dies gerade dann nicht, wenn der Gott Jesu doch in der Mitte des menschlichen Lebens als radikal diesseitig erfahren werden muss. Transzendenz als Immanenz sucht gerade nicht eine „ungeschichtliche Ewigkeit nach dem Tod […]“, sie predigt nicht „das Jenseits der Todesgrenze“ in ihrer Verkündigung der Auferstehungshoffnung, sie verkündigt gerade nicht eine „Erlösung aus Sorgen, Nöten, Ängsten, aus Sünde und Tod in einem besseren Jenseits“; nein, die christliche, d. h. die biblische Rede vom Jenseits, verweist „den Menschen in ganz neuer und gegenüber dem A.T. noch verschärftere Weise an sein Leben auf der Erde“.357 Am Ort des Kreuzes wird der Mensch in die volle Diesseitigkeit des Lebens gestellt, in seiner schöpfungstheologischen Anlage ist der Mensch genommen aus dieser Erde und darin ist er ganz dieser Erde ver-
355 WE, 407f. 356 Cf. § 3.2.5. 357 WE, 500.
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bunden. Seine Leiblichkeit ist ja gerade seine Geschöpflichkeit, klingt Bonhoeffer in Schöpfung und Fall noch im Ohr.358 Die Bedeutung des Alten Testaments für das Neue erschöpft sich darum gerade nicht darin, ‚nur‘ eine Verstehenshilfe für die rechte Auslegung dieses zu sein, ohne, wie Martin Kuske pointiert hinweist, „uns weiter in unserer Existenz zu betreffen, sondern die Botschaft des Alten Testaments eröffnet uns unsere Wirklichkeit als vorletzte Wirklichkeit, in der wir leben und in der wir das Letzte glauben.“359 Altes und Neues sind das eine Wort Gottes und dürfen eben gerade nicht eines ohne das andere herangezogen werden; hermeneutisch erschließen sich beide nur gegenseitig, indem mit dem Alten Testament an das Diesseits der Schöpfung durch das Neue, durch die Neuschöpfung der Geschöpflichkeit in Christus, an das Leben als im Vorletzten verwiesen ist. Allein aus dieser reziproken Kommunikation kann gläubiges Leben als Leben im Vorletzten aus dem Letzten erst in seiner vollen Diesseitigkeit verwirklicht werden.360 Allein in dieser Synchronizität des Alten und Neuen,361 des Vorletzten mit dem Letzten, ist hermeneutisch zu sagen, erzeigt sich die Schrift als Gottes Wort, welche im christlichen Leben den Anbruch des Letzten im Vorletzten erwirkt.362 So hat demnach weder dieses ohne jenes noch jenes ohne dieses Wirklichkeit für uns, beide bleiben dunkel; allein in der Formal- und Materialprinzip vereinenden Prämisse ‚Jesus Christus‘ erscheint die Schrift in beiden Teilen als Existenz veränderndes Geschehen, das Licht in das Dunkel der menschlichen 358 359 360 361
Cf. SF, 74. Kuske, Das Alte Testament als Buch von Christus, 108. Cf. WE, 541f. Bonhoeffer kann damit auch Christus zugleich als Beter und Erfüller der Gebete des Psalters erkennen. Mit unserer hermeneutischen Vorgehensweise zeigt sich Bonhoeffers Rede von Christus als dem Ich des Psalter dann gerade nicht als christliche Übernahme des jüdischen Alten Testaments (Cf. Fichtner, Vom Psalmenbeten, 43.), es stellt sich vielmehr als einzige wahre Art und Weise sich christlich diesem zu nähern heraus. Allein von der hermeneutischen Prämisse her, dass dort Jesus Christus zu finden ist, nämlich darin, dass er im Leser selbst den Psalm mitbetet und zugleich erhört, verwirklicht sich ja dieses Gebet überhaupt erst als Anruf des Menschen an Gott. Mit dem Fall ist es dem Menschen nicht mehr möglich, sich auf seine Geschöpflichkeit anzusprechen, d. h. Gott als seinen Schöpfer anzusprechen. Allein indem Gott diesen als sein Geschöpf anspricht, also allein in Jesus Christus, ist demnach überhaupt erst von einem Gebet zu reden. (Cf. SF, 107f.) Wenn Bonhoeffer also den menschgewordenen Sohn Gottes für uns an unserer Stelle beten erkennt, „ist es das Gebet der von ihm angenommenen menschlichen Natur, das hier von Gott kommt“, das aber „wirklich unser Gebet [ist], aber da er uns besser kennt, als wir selbst, da er selbst wahrer Mensch war uns zugut, ist es auch wirklich sein Gebet, und es kann unser Gebet nur werden, weil es sein Gebet war.“ (GL, 111f.) Wird die Heilige Schrift demnach erst in ihrer Anwendung, d. h. in der Vergegenwärtigung durch den Heiligen Geistes zur Heiligen Schrift, bleibt es christlich durchaus legitim, vielmehr sogar notwendig, das Alte Testament im Lichte des Christusereignisses zu lesen, ohne dass diese Form zur Enteignung jüdischer Tradition führte. Cf. ähnlich auch Körtner, Hermeneutik, 90. 362 Cf. E, 160.
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Identität bringt. Die Autorität der Schrift ist dann genauso nicht in einer äußerlichen Setzung zu suchen, der Kanon nicht als solcher ohne die Kirche tatsächlich Heilige Schrift. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich dann freilich gegenteiliges Bild: Nicht ein festgelegtes Wunderbuch,363 sondern ein sich je neu ereignendes Geschehen beschreibt die Autorität der Schrift. In Jesus Christus als der allem zugrundliegenden hermeneutischen Bedingung erfährt die Unterscheidung des Menschen- vom Gotteswort ihre einzig wahre Bestimmung: Nicht die Heilige Schrift ist die Offenbarung, die Offenbarung heiligt die Schrift. Auch hier wieder ist die Bibel als Wort Gottes allein als solches zu erkennen, wenn sie als solche erkannt werden will. Die Personifikation der Schrift ist demnach tatsächlich als solche stehen zu lassen, obwohl sie allen Regeln der Linguistik wie auch der rationalen Einsehbarkeit widerspricht. Die Schrift selbst entscheidet darüber, ob sie von Lüge oder Wahrheit handelt. Das ist die bleibende Provokation, derer wir uns als Rezipienten zu stellen haben. Es liegt nicht an uns, über Autorität und Inspiriertheit der Bibel zu urteilen – das, das war an zahlreichen Stellen schon zu sehen,364 erhebt ja gerade den Menschen zum Richter über das Wort – es ist zuletzt genau umgekehrt der Fall, dass dieses Wort sich zum Richter über die Lüge des Menschen macht und sich darin als inspiriert, d. h. autoritativ erweist. Indem sie aus dem sicut deus tatsächlich das imago dei macht, verwirklicht sich das menschliche Wort als göttliches und die Schrift zeigt sich darin als inspiriert, weil sie sich ihren Rezipienten durch Christus in Christus als Wort Gottes vergegenwärtigt.365 In diesem Sinne erfährt die Rede Luthers von der sich selbst auslegenden Schrift366 mit Bonhoeffer eine völlig neue Konnotation, indem sie das menschliche Bemühen um die Auslegung der Schrift durch das pneumatische Geschehen im Heiligen Geist in sein Gegenteil verkehrt. Es ist dann nicht zuerst die Schrift, die interpretiert wird, sondern der Rezipient, nämlich als Geschöpf Gottes. Insofern ist mit Bonhoeffer die klassische Lehre von der Autorität der Schrift in ihrer Inspiriertheit umzuformulieren, nämlich dahingehend, dass erst das verändernde Geschehen im Akt des Lesens die Schrift zum Wort Gottes macht, weil sich darin ihre Inspiriertheit offenbart. Im Heiligen Geist erfährt damit der Mensch seine eigentliche Existenz als veränderte und wiederhergestellte und damit das Wort Gottes als lebendig machendes Evangelium. Einer Zustimmung zur Autorität des Wortes formaliter setzt Bonhoeffer mit Luther eine Verwandlung des Seins und Selbstverständnisses des Rezipienten materialiter entgegen, 363 Cf. Kähler, Der sogenannte historische Jesus, 95. 364 Cf. § 2.2.2. 365 Cf. dazu bereits Luther in WA, 3, 397, 9–11: „Et nota, quod Scripture virtus est hec, quod non mutatur in eum, qui eam studet, sed transmutat suum amatorem in sese ac suas virtutes […].“ 366 Cf. WA 7, 97, 23.
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die es ihm überhaupt erst ermöglicht, dieselbe wahrhaft als Autorität anzuerkennen.367 Zugleich aber zeigt sich in dieser Beziehung zuletzt auch die traditionelle Frage nach der Suffizienz der Bibel als neu zu interpretierende, verschiebt sich die Antwort doch ebenfalls in das hermeneutische Geschehen der Neuschöpfung des Geschöpfes in diesem Wort. Suffizient ist das Wort doch eben darin, dass es die Existenz des Menschen in seine „Eigentlichkeit“, wie es bei Bultmann heißt, versetzt, indem es die menschliche Existenz zur Existenz durch und im Wort erhebt.368 Mit anderen Worten: Im orthodoxen Sinn sind die biblischen Texte demnach an sich unvollständig und nicht medium salutis, weil sie als solche gerade nur Menschenwort sind. Sie sind aber als bleibendes Ärgernis in der Dezentrierung des Subjekts vollkommen hinreichend, bewahrheiten sie sich darin doch entsprechend ihrer intentio operis als Mittel des Heils. Wo also das Wort im Menschen tatsächlich Leib wird, wo das Wort sich im gefallenen Menschen als lebendig machendes verwirklicht, es damit im Geschöpf gegenwärtig wird, bewahrheitet sich demnach das lutherische sola scriptura als hermeneutisches Prinzip als Wortgeschehen selbst. Als Leibwerdung des Wortes ist darin freilich auch der Ort dieses Geschehens vorgegeben: In die Kirche als dem Leib Christi ist damit zuletzt für Bonhoeffer dieses Geschehen an seinen Ort gebunden, weshalb von der Schriftauslegung Bonhoeffers dann auch einerseits nur als Geschehen in der Zeit und andererseits einzig an einem konkreten Ort, nämlich der Kirche Jesu Christi, zu sprechen ist. Schriftauslegung nach Dietrich Bonhoeffer ist somit zu allererst eines nicht: eine Auseinandersetzung mit dem Wort Gottes, die für alle Zeiten über alle Zeiten gleichermaßen und ewig gültig ist abgesehen von der Gemeinschaft der Gläubigen. Die bonhoeffersche Hermeneutik führt infolgedessen aus der Vereinzelung in die konkrete Sozialität, nämlich in den Leib Christi, wo allein das Wort Gottes sich den Menschen als solches je neu und je konkret vergegenwärtigt. Es gilt deshalb im Folgenden, diesen besonderen Ort der Schriftauslegung näher anzusehen.
4.2.2 Der Ort der Schriftauslegung Aus den von Bonhoeffer entwickelten erkenntnistheoretischen Grundbestimmungen zur Wahrheit als einer kommunikativen, sozialen und geschichtlichen Kategorie eröffnet sich anschließend wesentlich, dass nicht nur theologisches 367 Cf. Ebeling, Wort Gottes und Hermeneutik, 334: „Das Wort selbst hat hermeneutische Funktion. Vollzieht sich das Wortgeschehen normal, d. h. seiner Bestimmung entsprechend, so bedarf es keiner Verstehenshilfe, sondern es ist selbst Verstehenshilfe.“ 368 Cf. Ebeling, Wort Gottes und Hermeneutik, 348.
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Sprechen im Sinne der in Akt und Sein dargelegten Distinktion eines actus reflexus, sondern auch gläubiges Dasein im Sinne eines in sich bleibenden actus directus grundsätzlich personal zu verstehen sind.369 Die Gestaltwerdung des Gottmenschen in der Gestalt jedes einzelnen Menschen erzeigt sich als solche nur in gemeinschaftlicher, d. h. dann genauer in eschatologischer, Dimension vollendet, das wurde bereits eingehend gezeigt.370 Wenn Bonhoeffer diesen Umstand in seiner Christologievorlesung pointiert deutlich macht mit den Worten: „Wahrheit geschieht nur in der Gemeinschaft von zweien […]“,371 dann münden hier die bisherigen Überlegungen zum bonhoefferschen raum-zeitlich konkreten Wahrheits- und Wirklichkeitsbegriff in dem einzigen Ort, an dem ein solches Geschehen sich allein bewahrheiten kann: der Kirche Jesu Christi.372 Auch in den späteren Jahren in seiner Ethik findet sich diese Feststellung als solche herausgehoben,373 wenn allein an Christus gemessen werden kann, wie Kirche in der Welt zu finden ist: „Das Verlangen des Menschgewordenen in allen Menschen Gestalt zu gewinnen, bleibt bis zur Stunde ungestillt. Er, der die Gestalt des Menschen trug, kann nur in einer kleinen Schar Gestalt gewinnen: das ist seine Kirche. ‚Gestaltung‘ heißt daher in erster Linie Gestaltgewinnen Jesu Christi in seiner Kirche.“374
Daran zeigt sich deutlich, dass dem bonhoefferschen Begriff der sanctorum communio gerade nicht gerecht werden kann bzw. derselbe verkürzt dargestellt wird, wenn einerseits nur nach deren Wesen gefragt und von ihrem Auftrag gesprochen wird und andererseits nur die Institution als solche in den Blick kommt. Wolfgang Huber ist demnach zuzustimmen, wenn er in aller Kürze festhält: „Weil es sich in der Kirche um den Willen Gottes mit seinen Menschen handelt, kann man von ihr zureichend nur reden, wenn man sich die Geschichte Gottes mit den Menschen insgesamt vor Augen stellt.“375 Versteht Bonhoeffer die 369 370 371 372 373
Cf. AS, 23f. Cf. § 4.1.3. B, 298. Cf. Prüller-Jagenteufel, Befreit zur Verantwortung, 175f. Man-Yiu Lee zeigt in seiner Arbeit The Church as Person eindrücklich, wie Bonhoeffers Kirchenbegriff in der Verbindung aus Ethik und Ekklesiologie durch das christologische Konzept der Person verbunden sind. Dementsprechend kann er Verschiebungen und Betonungen in Bezug auf Bonhoeffers Ausarbeitungen zur Kirche in seinem Gesamtwerk aufzeigen, welche die Beständigkeit und Notwendigkeit der Kirche als Leib Christi durch die Gestaltwerdung der neuen Menschheit in Bonhoeffers Denken betonen. (Cf. Lee, The Church as Person, 41–121.) Cf. dazu auch bspw. Hauerwas, Ekklesiologie als Politik, 119f. Hartmut Ludwig arbeitet zur Kirche als Grundthema und Leitmotiv Bonhoeffers fünf verschiedene Phasen entsprechend der geschichtlichen Erfordernisse der Zeit heraus: Ludwig, Von der Kirche als Leib Christi zur „Kirche für andere“, 176–193. Auch Martin Abraham stellt diesen Sachverhalt deutlich heraus in Abraham, Wort und Sakrament, 145ff. 374 E, 83f. 375 Huber, Wahrheit und Existenzform, 92.
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Kirche als „neue[n] Willen Gottes mit den Menschen“,376 ist dieselbe demnach als ein Ort angezeigt, an dem sich Anfang und Ende in der konkreten geschichtlichen Situation treffen. In der konkreten Geschichte des Menschen ist sie der Ort der communio peccatorum – „weil die Ursprungsgemeinschaft, wo Gott spricht und das Wort durch den Menschen Tat und Geschichte wird, zerrissen ist“ – sowie der communio sanctorum – weil „Gott selbst sprechen und tun, zugleich eine neue Schöpfung der Menschen vollbringen muß, weil sein Wort immer Tat ist“377 –, ist sie die Menschwerdung des Menschen als Wiederherstellungsgeschehen von der urständlichen Einheit durch den unerklärlichen Bruch hin zur neuen Einheit, mit Ernst Lange formuliert: „von der Einheit der Kirche in der urständlichen Menschheit über den Zerbruch der Kirche in der gefallenen Menschheit zur Überwindung dieses Bruches und zur Wiederherstellung der Kirche in der in Christus bereits vollendeten, durch den Heiligen Geist in Raum und Zeit auf das Reich hin aktualisierten neuen Menschheit.“378
Es wurde schon eingehend betrachtet, dass nach Bonhoeffer der Mensch im status corruptionis jede Kontinuität mit seiner ursprünglichen Geschöpflichkeit verloren hat und zuletzt seine Existenz sich der Verheißung Gottes in seinem Fluch verdankt.379 In der Menschwerdung Gottes, im Kreuz und in der Auferstehung ist hiermit der Ort gegeben, wo der Mensch als Subjekt tatsächlich als Geschöpf schon jetzt als neuer Mensch verwirklicht ist. In Jesus Christus, dem menschgewordenen Gott, erfüllt sich damit diese neue Wirklichkeit gerade nicht allgemein in einer überzeitlich bestehenden Institution, sondern gegenteilig in der konkreten Gemeinde als Realisierung dieses Geschehens je und je neu. War oben zu sehen, dass die De- und Rekonstruktion des gefallenen Menschen sich allein im Wort, d. h. in Christus selbst, vollzieht, ist damit zugleich angezeigt, wie von dieser Überwindung der gefallenen Menschheit zu sprechen ist. Dieses ‚Wie‘ bewahrheitet sich in der Lokalisierung des Geschehens in Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung damit gerade nicht als Beschreibung einer Art und Weise, sondern vielmehr in der Personifizierung der Offenbarung dieser Wahrheit selbst und damit in einem ‚Wer‘. Hat Bonhoeffer in seiner Christologievorlesung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ausschließlich die Frage nach dem Wer die Frage nach diesem geoffenbarten Christus ist, erweist sich dieselbe nicht als immanenter Übergriff auf die Erkenntnis Gottes,380 weil sie „die Frage nach dem anderen Menschen, nach dem Sein, der anderen Autorität [ist]. Sie ist die Frage nach der Liebe zum 376 377 378 379 380
SC, 87. SC, 88. Lange, Kirche für andere, 518. Cf. § 4.1.3. Siehe auch AS, 149ff. und SF, 123ff. Cf. § 4.1.2.
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Nächsten. Die Transzendenzfrage und die Existenzfrage ist die Frage nach dem Nächsten, sie ist Personfrage.“381 Der neue Mensch resp. die neue Menschheit sind damit zunächst und zuvörderst an die schon geoffenbarte Wahrheit Gottes verwiesen, die Jesus Christus selbst ist. Das Problem nach dem eigentlichen ‚Wer‘ eines Menschen kann demnach nur durch das bereits vorgegebene ‚Wer‘ der Person Jesu Christi erkannt werden, pointiert Man-Yiu Lee.382 Die Feststellungen zur Dezentrierung des Subjekts sind damit an seinen eigentlichen Ort zu übergeben, der sich in der bonhoefferschen Betonung des ‚Wer‘ als einer Person selbst ausdeutet. Hier findet man dann auch die mit Paulus gemachte Fundamentalbeobachtung des „Christus als Gemeinde existierend“383 an ihrem Platz, wenn nun nämlich die neue Menschheit allein aus und in Christus als neue verstanden werden kann und muss. In der Inkarnation ist die Menschheit als Ganze in seinem Leibe angenommen, das stellvertretende Handeln Gottes an des Menschen statt restituiert die urständliche Gemeinschaft der Geschöpfe als Gemeinde Gottes. In und durch Christus ist damit diese Gemeinde als solche gegründet, in der die alte Adamsmenschheit als neue Christusmenschheit vor aller Zeit in der Zeit verwirklicht wird. So kann man damit vertieft die bisherige Erfassung der raum-zeitlichen Konstituierung der Wahrheit Gottes384 als solche darstellen, die sich gerade in der Gemeinde als Kumulation von Kreuz und Auferstehung als wahr herausstellt. Der Raum dieser Vergegenwärtigung der Wahrheit Gottes ist damit von der Schrift als Wort Gottes zum Leib Gottes selbst auszuweiten. In der Kirche, die der Corpus Christi als Corpus Adae ist, „geschieht Neuschöpfung der durch das Kreuz zerbrochenen Gemeinde.“385 Zwischen Kreuz und Auferstehung,386 d. h. genauer in Kreuz und Auferstehung, ist die Gemeinde als alte und neue Menschheit zugleich im Leib Christi. Dort enthält die neue Menschheit als Gemeinde Christus als ihren vorgegebenen wie auch vorgängigen Konstitutionsgrund:387 „Weil im von Gott angenommenen menschlichen Leibe in Christus die ganze Menschheit beschlossen ist“,388 ist die Gemeinde als Gemeinschaft von Individuen wesentlich und wirk-
381 382 383 384 385 386 387 388
B, 283. Cf. Lee, The Church as Person, 117. Cf. SC, passim. Cf. § 4.1.4. GS V, 246. Cf. ÖUP, 270. Cf. Müller, Für andere da, 213. Cf. Soosten, Die Sozialität der Kirche, 73. Müller, Für andere da, 218. Cf. B, 296: „Christus steht für seine neue Menschheit vor Gott, d. h. er steht an ihrer Stelle, stellvertretend für sie vor Gott. Ist das so, dann ist er die neue Menschheit. Dort, wo die neue Menschheit stehen sollte, steht kraft seiner Pro-me-Struktur er selbst. D.h. er ist die Gemeinde. Er handelt nicht mehr für sie, sondern als sie, indem er an
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lich die Gegenwart des gekreuzigten und auferstandenen, des erniedrigten und erhöhten Herrn. Das meint es, wenn Bonhoeffer von „Christus als Gemeinde existierend“ spricht, dass der Menschgewordene in und als Gemeinde personal präsent ist; als eine Offenbarungsgestalt, die dem Menschen von außen entgegentritt und ihn „glaubensfordernd und glaubensermöglichend“ in der konkreten Situation anspricht.389 In der Kirche als Leib Christi390 ist nun mit Bonhoeffer der Ort der Dezentrierung des Subjekts zu sehen, wenn da der alte Adam aus seinem selbstverkrümmten Sein herausgerissen wird und im Kreuz vor seinen Schöpfer, der zugleich sein Richter ist, gestellt wird. Im Anspruch des Angesprochenwerdens durch die Kirche als Leib Christi erfährt das Subjekt eine Dekonstruktion und zwar darin, dass es in dieser Gemeinschaft der Heiligen ans Kreuz geht, stirbt und als Geschöpf wiederersteht.391 Die bisherigen Beobachtungen können damit darin konkretisiert werden, dass dieses hermeneutische Geschehen der Menschwerdung des Geschöpfes in der Kirche als Leib Christi seinen Ort hat, nämlich darin, dass der Gott-Mensch in seiner Person in der Gemeinde gegenwärtig ist als Wort.392 In seiner Christologievorlesung heißt es dazu: „Wort ist als Wort Gottes Gemeinde, d. h. es hat zeit-räumliche Existenz. Es ist nicht nur das schwache Wort menschlicher Lehre, sondern machtvolles Schöpferwort. Es schafft sich die Gestalt der Gemeinde, indem es spricht. Gemeinde ist Wort Gottes, sofern Wort Gottes Offenbarung Gottes ist. Nur weil die Gemeinde selbst Wort Gottes ist, kann sie Wort Gottes allein verstehen. Offenbarung versteht man nur aufgrund von Offenbarung. Wort ist in der Gemeinde, sofern die Gemeinde Empfängerin des Wortes ist.“393
In der engen Beziehung zum einen von Christus als Wort und darin zum anderen von Wort als Gemeinde eröffnet Bonhoeffer den Raum der Ekklesia als Leib Christi zu einem hermeneutischen Ausgangspunkt, von dem aus christologisch die ganze Anthropologie ihre Bestimmung erhält.394 Die Kirche, die gerade nicht
389 390
391 392 393 394
das Kreuz geht, stirbt und ihre Sünde trägt. Darum ist in ihm die neue Menschheit gekreuzigt und gestorben.“ Cf. Müller, Für andere da, 218f. Detailliertere Auseinandersetzungen zum Thema „Christus als Gemeinde existierend“ z. B. bei Soosten, Die Sozialität der Kirche, 73ff.; Müller, Für andere da, 218–223 u. a. In der Nachfolge tritt eher dieses Motiv in den Vordergrund, dennoch scheint dieses mit jener In-Beziehung-Setzung der Gemeinde und Christus aus den früheren Schriften in eins zu gehen. (Cf. Müller, Für andere da, 221.) Schmitz hebt spezifizierend hervor, dass mit der Leib-Metaphorik sich der Akzent „vom (mehr ontischen) Existieren zum (dynamischeren) Leben verschoben [hat].“ (Schmitz, „Nachfolge“, 117.) Cf. SC, 187: „Es ist das Wunder der göttlichen Verheißung, daß dort, wo Wort Gottes gepredigt wird, dasselbe sich selbstständig eine Gemeinde schafft, sei es, wo es sei.“ Cf. B, 297. B, 305f. Cf. Prüller-Jagenteufel, Befreit zur Verantwortung, 175f.
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ein abstrakt-metaphysisches Wesen ist, die vielmehr gerade in ihrer konkreten Gestalt ihr Sein als Personal-Dynamisches erfährt, zeigt sich darin als Medium der Offenbarung. In „Christus als Gemeinde existierend“ weist Bonhoeffer damit darauf hin, dass Wort und Geschehen nicht voneinander zu trennen sind. Ist Christus Gottes Wort, ist er als solches gegenwärtig allein in der Gemeinschaft der Heiligen; Schrift und Kirche gehören somit untrennbar zusammen. Wurde bereits mehrfach auf die erkenntnistheoretische Prämisse des ‚Gleiches kann nur durch Gleiches erkannt werden‘ hingewiesen, erfüllt sich einmal mehr die Tiefe dieser Erkenntnis darin, wenn Christus als Wort Gottes Gemeinde ist. Als machtvolles Schöpferwort ruft es Adam aus seiner Flucht vor sich selbst, vor seinem Nächsten und zuletzt vor seinem Schöpfer heraus, indem es an den fremden Ort des Kreuzes führt, an dem alles Existieren seinen Ursprung, sein Ende und seinen Anfang findet. Das Wort ist damit Gemeinde dadurch, dass es sich diese Gemeinschaft selbst erst schafft, indem es eben die einzelnen Subjekte tötet und als Geschöpfe als Einheit in Zweiheit neu schafft.395 Weil die neue Menschheit in Christus ist, d. h. weil sie durch das Wort Gottes selbst in dieses Wort aufgenommen ist, kann sie überhaupt das Wort als Gottes Wort erkennen und verstehen. Die Kirche als Ort dieses Geschehens zeigt damit die Wortwerdung Christi als Wortgeschehen an, in dem das Subjekt als Geschöpf in die Gemeinschaft mit seinem Nächsten den Leib Christi darstellt. Ist dieser Leib die Verwirklichung des Wortes in seinen Gliedern, existiert Christus als Gemeinde, dann ist diese Gemeinde tatsächlich Leib Christi. Bonhoeffers einleitende Worte zu Schöpfung und Fall sind dann genau dazu sich in Erinnerung zu rufen: „Die Kirche Christi legt Zeugnis ab vom Ende aller Dinge. Sie lebt vom Ende her, sie denkt vom Ende her, sie handelt vom Ende her, sie verkündigt vom Ende her.“396 Diese erschließen sich nun in einem wesentlich tieferen Licht als bisher.397 Es geht Bonhoeffer damit nicht nur um einen christologischen Interpretationsschlüssel, von dem aus alle Dinge verstanden und erkannt werden müssen und zuletzt auch können, die Gemeinde selbst trägt in ihrer Existenz als Wort Gottes diesen Verstehenszugang in sich selbst. Linguistisch betrachtet fallen dann für die Genitivverbindung ‚Kirche Christi‘ Genitivus subiectivus und obiectivus faktisch ineinander: Die Kirche, die Christus gehört, ist die Kirche, die Christus selbst ist. Die Kirche als Leib Christi ist es dann wirklich, die in ihrer Existenz nicht nur das „Zeugnis vom Ende aller Dinge“ verkündigt, vielmehr ist sie dieses Zeugnis selbst, indem sie allein von Christus, d. h. vom Ende, her handelt. Ihr Reden und Tun ist hierin ein solches in und aus Christus heraus, sie „redet in der alten Welt von der neuen Welt 395 Cf. § 4.1.3. 396 SF, 21. 397 Cf. § 2.2.5.
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[…]“,398 weil sie selbst als Teil der alten Welt bereits Teil der neuen Welt ist. In ihrem Angeredetsein im Wort bewahrheitet sie sich selbst als Anrede Gottes an die Welt. Hermeneutisch formuliert heißt das: Die Kirche, die „gegründet ist auf dem Zeugnis der heiligen Schrift“, ist die „Kirche der heiligen Schrift“.399 Die Bibel als Buch der Kirche ist das Fleisch gewordene Wort Gottes in der konkreten Geschichte, es ist die Person gewordene Offenbarung Gottes in der Menschwerdung des Wortes. Wenn also von der Wortwerdung der Schrift als Sprachbefähigung des Geschöpfes gesprochen wurde,400 stellt sich diese als kommunikatives, soziales und geschichtliches Geschehen dar, das die Person in der Gemeinschaft einzig im und durch das Wort entstehen und bestehen lässt. Es ist also der oben benannte Ausgangspunkt zu präzisieren: Mit Jesus Christus401 als dem hermeneutischen Prinzip,402 wie Bonhoeffer in Schöpfung und Fall postuliert, zeigt sich dadurch derselbe als personales Geschehen, das die Existenz des Menschen trifft und als solches dieselbe dynamisch in die Wortwerdung als Wortgeschehen hineinzieht. Als Individuum steht der neue Mensch damit in der Gemeinschaft der Heiligen in Christus, sodass dieses hermeneutische Geschehen als Sprachgeschehen zuletzt immer kommunikatives Geschehen ist. In ihrer Existenz ist sie das Ende aller Dinge, weil sie dieses Ende verkündigt.
398 399 400 401
SF, 21. SF, 22. Cf. § 4.1.3. Cf. § 4.1.2. In seiner Schrift Befreit zu Verantwortung benennt Gunter Prüller-Jagenteufel die Kirche als hermeneutischen Ausgangspunkt des theologischen Denkens Bonhoeffers (im Gefolge von Ernst Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 28f.; Tiemo Peters, Die Präsenz des Politischen, 20–43; 84–90; Gerhard Müller, Für andere da, 154–192; Josef Außermair, Konkretion und Gestalt, 125–295; Christian Hennecke, Die Wirklichkeit der Welt erhellen, 157–332; und Dirk Steinfort, Sympathica, 21–99.). Dem ist insofern zuzustimmen, dass Bonhoeffer diese als den Ort der Dezentrierung des Subjekts angibt, genauer muss es jedoch heißen, dass Jesus Christus als Wort und Sakrament (cf. dazu § 4.2.3) die Gemeinde schafft. Pointiert meint das: Jesus Christus als fleischgewordenes Wort erweist sich am Ort der Kirche als hermeneutischer Ausgangspunkt, von dem aus sowohl Individuum wie Kollektiv erst ihren gemeinsamen, um in der Ortsmetaphorik zu bleiben, Blickwechsel erhalten. (Cf. Prüller-Jagenteufel, Befreit zur Verantwortung, 175f. Cf. dazu auch seine Anm. 153.) Ähnlich bspw. auch Soosten, Die Sozialität der Kirche, 64 und Mayer, Christuswirklichkeit, 132ff. So kann Bonhoeffer zu den klassisch ekklesiologischen Topoi von Wort und Sakrament auch die Gemeinde einbinden, womit es dann in seiner Christologievorlesung heißt: „Der GottMensch Jesus Christus ist der in seiner Pro-me-Struktur der Kirche in seiner Person gegenwärtige als Wort, Sakrament und Gemeinde.“ (B, 297.) 402 Cf. dazu auch Rainer Mayers Beobachtung, die diesen christologischen Ausgangspunkt Bonhoeffers gewinnbringend benennt, der in seiner Reduktion desselben auf einen Christusmonismus aber jede tiefergehende Auseinandersetzung eingrenzt. Cf. hierzu bspw. Mayer, Christuswirklichkeit, 136–140.
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„Das Wort ist Predigtwort der Gemeinde. Also nicht die Bibel? Doch, auch die Bibel, aber nur in der Gemeinde. Also die Gemeinde macht die Bibel erst zum ‚Wort‘? Gewiß, nämlich sofern die Gemeinde erst durch das Wort geschaffen ist und besteht. Die Frage, was zuerst sei, Wort oder Gemeinde, ist darum sinnlos, weil es Wort als vom Geist getrieben nur gibt, wo Menschen hören und darum die Gemeinde das Wort macht, wie das Wort die Gemeinde zur Gemeinde macht. Bibel ist nur in der Gemeinde Wort, d. h. in der sanctorum communio. Konkret ist Wort in der Gemeinde vorhanden als Schriftund Predigtwort, wesentlich als letzteres. Beide unterscheiden sich an sich durch nichts, denn sie bleiben, solange sie der Geist der Gemeinde nicht treibt, Menschenwort. Der Geist hat sich nicht substantiell mit dem Bibelwort verbunden. So ist wirksame Predigt nur möglich in der sanctorum communio. […] Praedicatio verbi divini est verbum divinum.“403
Daran anschließend aber, darauf haben unter anderem Gunter Prüller-Jagenteufel und Florian Schmitz deutlich hingewiesen404 und das wurde auch in der bisherigen Untersuchung festgestellt, darf die Betonung des Theologumenon „Christus als Gemeinde existierend“ freilich nicht als statisch-ontologische Daseinsstruktur verstanden werden, im Gegenteil betont Bonhoeffer ja in der Vergleichspartikel als, dass es sich auch hier ähnlich zur schöpfungstheologischen Anzeige der Gottesebenbildlichkeit gerade wesentlich um eine relationale Identifizierung handelt. Das urständliche Geschöpf ist das Ebenbild Gottes in seiner geschöpflich-freiheitlichen Bindung an seinen Schöpfer,405 ebenso ist der neue Mensch als neue Menschheit Christus als Gemeinde existierend bzw. Leib Christi. Damit ist auch hier angezeigt, dass erstens nicht die Gemeinde Christus, d. h. Subjekt dieser Beziehung, ist, sondern Christus selbst,406 dass es zweitens gerade nicht um ein statisches Sein in der perfekten Gleichheit zum Urbild geht, im Gegenteil behält die Gemeinde auch als Objekt dieser Verbindung eigenen Entfaltungsraum und eine Lebendigkeit, indem Christus als Haupt nicht statisch, sondern dynamisch entfaltet wird, und dass drittens und zuletzt eine Identifizierung der vorfindlichen Gemeinde mit Christus darin fehlgeht, dass sich in diesem Theologumenon eine eschatologische Dimension darstellt: Die neue Christusmenschheit ist immer zugleich alte Adamsmenschheit,407 d. h. „Christus realisiert sein Für-andere-da-Sein innerhalb konkreter kirchlicher Gemein-
403 SC, 159f. 404 Cf. Prüller-Jagenteufel, Befreit zur Verantwortung, 175 (Anm. 152) und Schmitz, „Nachfolge“, 117. Cf. § 4.1.3. 405 Cf. SF, 63: „Das Freisein des Menschen für Gott und den anderen Menschen und das Freisein des Menschen von der Kreatur in seiner Herrschaft über sie ist die Ebenbildlichkeit des ersten Menschen.“ 406 Cf. § 4.1.3. 407 Cf. ÖUP, 270.
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schaft, deren Bezug zur real existierenden, strukturell verfaßten Kirche allerdings selbst wieder dynamisch-relational gefaßt werden muß.“408 Daraus erschließt sich auch Bonhoeffers deutliche Betonung der Bindung der Schriftauslegung an die Kirche wesentlich. Allein in der dezidierten Bindung an dieses Wort selbst, d. h. in der Erniedrigung und Demut des Subjekts vor der Schrift, erfolgt eine Interpretation eben als inspirierte, Gott gegebene. Bonhoeffer selbst hat immer wieder eindrücklich darauf hingewiesen, dass eine Auslegung der Schrift – das gilt ebenso für die biblischen Autoren bspw. der Genesis – immer aus der Mitte,409 d. h. hermeneutisch, aus sich selbst zu erfolgen hat. Das lutherische sacra scriptura ipsius interpres410 stellt sich in der Betonung des Umgangs mit der Schrift als letzte Unterscheidung zwischen der sogenannten Schlangenwahrheit und der Gotteswahrheit heraus.411 Die wirkliche Schriftinterpretation weiß Bonhoeffer damit an den Heiligen Geist anzulegen, Schrift und Geist sind so in ein unauflösbares Verhältnis zueinander gesetzt, das aber nur an dem Ort, an den sich Gott selbst als der Freie gebunden hat, nämlich an seine Kirche,412 ist doch die Wahrheit des Wortes gerade keine überzeitlich allgemeine, sondern vielmehr eine konkrete, d. h. an Raum und Zeit gebundene. Spricht Bonhoeffer von der wirklichen Kirche als Leib Christi, ist der Heilige Geist diese bleibende Verwirklichung und stete Vergegenwärtigung:413 „Der Heilige Geist aktualisiert, was in Christus realisiert ist! [Die] Kirche war realiter da mit [der] Auferstehung, [sie] wird aktualisiert an Pfingsten: […] Durch den Geist wissen wir um Ich und Du und Wir Gottes (das ist schon in Christus enthalten!). [Das] Tun des Geistes ist Verkündigung und Aneignung der Tat Christi! [Der] Geist ist verkündigender Geist, so ist der Geist Wort! Allein der Heilige Geist versichert uns der Gegenwart Christi.“414
In der trinitätstheologischen Identifizierung des Geistes mit dem Wort wehrt Bonhoeffer einer substanzlosen und ungebundenen Pneumatologie,415 indem er 408 409 410 411 412 413
Prüller-Jagenteufel, Befreit zur Verantwortung, 175 (Anm. 152) und 178f. Cf. § 4.2.3. Cf. SF, 29. Cf. WA 7, 97, 23. Cf. § 2.2.7. Cf. § 4.1.2. Cf. ÖUP, 275. Cf. Thomas, Die Gegenwart des Unverfügbaren, 303: „Letztlich ist es ein Geschehen der Wirksamkeit des Geistes, dass die in Kreuz und Auferstehung realisierte neue Menschheit als Kirche in der Geschichte aktualisiert wird. Der Heilige Geist nimmt hierfür kritisch korrigierend, aber barmherzig den objektiven Geist einer empirischen religiösen Kommunikationsgemeinschaft in Anspruch. So entsteht das Volk Gottes als ethische Kollektivperson durch den Aufruf Gottes.“ 414 ÖUP, 275f. 415 In der Annahme des Wirkens des Heiligen Geistes auch ohne Bindung an das Wort sieht Bonhoeffer die Gefahr unbiblischen, unreformatorischen Individualismus: „Gäbe es unvermitteltes Geistwirken, dann wäre der Kirchengedanke schon im Ursprung individualistisch aufgelöst. Im Worte aber ist der tiefste soziale Zusammenhang von vornherein
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aber weder den Geist mit der Kirche selbst gleichsetzen, noch den Geist allein als Aktualisierung des Wortes erkennen will. Beides, Gemeinde und Wort, sind in diesem in ihr wirkungsmächtiges Verhältnis gesetzt: Verkündigung und Gemeinde sind im Geist erst die tatsächliche Verwirklichung des „Christus als Gemeinde existierend“, warum es auch in Sanctorum Communio heißt: „Die christliche Kirche ist Kirche des Wortes, d. h. des Glaubens.“416 Erst mit dieser Ortsbestimmung des Heiligen Geistes als Vergegenwärtigung des Wortes erscheint nun die schon in der Auseinandersetzung mit dem Biblizismus gemachte Erkenntnis in einem helleren Licht. Schon da wurde festgehalten, dass die Kirche nicht im Sinne einer Auslegungsvollmacht die Hoheit über die Schriftinterpretation besitzt, vielmehr entfaltet sich diese als Ort des Verstehens darin, dass zuerst und allein hier die Rezipienten befähigt werden, sich der Vergegenwärtigung des Wortes gewahr zu werden. Die Gemeinde entsteht am und mit dem Wort, gleichsam erwächst das Wort an und mit der Gemeinde.417 Wort und Gemeinde verhalten sich dabei profan ausgedrückt wie Henne und Ei: „Die Frage, was zuerst sei, Wort oder Gemeinde, ist darum sinnlos, weil es Wort als vom Geist getrieben nur gibt, wo Menschen hören und darum die Gemeinde das Wort macht, wie das Wort die Gemeinde macht.“ Dementsprechend muss es dann auch weiter provokativ heißen: „Bibel ist nur in der Gemeinde Wort, d. h. in der sanctorum communio.“418 Dass das freilich nicht die Schlussfolgerung zulässt, zum einen die Gemeinde schüfe sich ihr eigenes Wort und zum anderen die Autorität der Kirche stehe über derjenigen des Wortes, setzt Bonhoeffer eben in seiner Bindung der Wortwerdung der Schrift und des Wortgeschehens in der Gemeinde an den Geist fest.419 Zu der bisherigen Eingrenzung des Rahmens der Schriftauslegung tritt mit dem Ort der Kirche nun spezifizierend zudem der Geist als gegenwärtige Gestalt des Christus hinzu.420 „Christus als Gemeinde existierend“ gibt somit den Rah-
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gesetzt.“ (SC, 100f.) Cf. dazu auch WA 18, 695, 28f.: „Sic placitum est Deo, ut non sine verbo, sed per verbum tribuat spiritum, ut nos habeat suos cooperatores […].“ SC, 143. Cf. JuS, 397: „Im Problem von Wort und Geist haben wir den Schlüssel zu dem Schriftproblem in der Hand. Sinn der Schrift ist Spendung des Geistes und des Glaubens, d. h. also, die Gabe Christi. Christus aber bekommen wir nur aus der Schrift, und so bleibt diese einerseits immer letzter Maßstab und Richtschnur […]. Christus ist Sinn und Krisis der Schrift, der ganzen Schrift, also auch des Gesetzes. In ihm haben wir das Licht, mit dem wir ins Alte Testament hineinleuchten.“ SC, 159. Edward van’t Slot weist daraufhin, dass auch der biblische Kanon diesem aktualisierenden Verständnis der Gemeinde unterliegt, das die sich selbst auslegende Schrift weg von der Schrift hin zum Rezipienten verlegt sieht (im Gegensatz zu Barths Verständnis des Kanons, wo sich der Kanon je neu als Heilige Schrift vergegenwärtigt). Cf. Slot, The Freedom of Scripture, 106f. Cf. Ligusˇ, Das Verständnis der Kirche, 115f. Cf. § 2.2.2.
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men der gläubigen wie auch der theologischen Auslegung vor. Ist die Offenbarung nur in Bezug auf die Kirche zu denken,421 muss jede Auslegung auch innerhalb dieser und unter dieser geschehen. Das macht Bonhoeffer eindrücklich deutlich, wenn er beispielsweise gegen alle Sachlichkeit und Wissenschaftlichkeit eben in diesem alttestamentlichen Jahwe „theologisch, d. h. von der Kirche her gesehen,“422 den Gott des Neuen Testaments weiß. Theologische Auslegung versteht Bonhoeffer demnach als gebundene, gerade nicht als neuzeitlich objektive und autonome, an weltlicher Wissenschaft orientierte Auslegung. In der Ausschaltung „aller menschlichen Kriterien und Maßstäbe“423 und dem Verweis auf die Selbstherrlichkeit menschlicher Frömmigkeit424 zeigt Bonhoeffer damit auch auf den Platz des Dogmas nicht als von außen Kommendes, sondern von innen Erwachsendes auf. So kann er beispielsweise die Bemühungen der Alten Kirche im Chalcedonense als solche ausweisen, die in ihrer „Überwindung einer eindeutigen positiven Aussage über Christus, und die Zersprengung dieser Aussage in zwei sich gegenüberstehende Aussagen […]“425 dem Menschgewordenen gerade den Raum der Konkretion in der Paradoxalität der sich gegenläufigen Bestimmungen lassen.426 Kirche und Tradition bewahrheiten sich damit als Grundlage für eine sich verwirklichende Auslegung der Schrift, nur hier weiß Bonhoeffer dieselbe gegen die menschliche Überheblichkeit der Ratio gefeit. Dementsprechend heißt es dann auch daran anschließend in seiner Vorlesung zum Wesen der Kirche: „Dogma ist die geformte Gestalt der Theologie, ist nicht Selbstbekenntnis. Kein Theologe macht Dogmen, nur die ganze Kirche als theologisch Verantwortliche schafft Dogmen.“427 Kirche und Dogma sind ausschließlich in einem reziproken Verhältnis zu verstehen, fordert doch eben die rechte Wortverkündigung ein von der Kirche geschaffenes Dogma.428 Wahrheit als Gottes Wahrheit, das war schon zur Genüge zu sehen,429 versteht sich als interpersonales, konkretes Geschehen, das gerade nicht von seinem Raum und seiner Zeit enthoben gedacht werden kann. Gleichsam weiß Bonhoeffer die Dogmen der Alten Kirche einerseits als Zeichen ihrer je eigenen Zeit zu sehen, andererseits in der Verortung in der gegenwärtigen Kirche als wahr gegenwärtig, weil sich ihnen eben nicht überzeitliche Wahrheit ausspricht und gar nicht aus421 422 423 424 425 426 427 428 429
Cf. AS, 107. SF, 22. Mayer, Christuswirklichkeit, 133. Cf. dazu § 2.1.6. Cf. § 2.2.7. B, 339. Cf. § 3.2.2 und 4.1.2. ÖUP, 286. Cf. ÖUP, 287. Cf. § 4.1.2.
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sprechen will, sondern darin ein je persönliches Bekenntnis als „wahre[s] Stehe [n] vor Gott […]“430 zum Ausdruck kommt.431 Analog kann Bonhoeffer bei aller Betonung der Verbindlichkeit der lehramtlichen Konzilsentscheidungen einen letzten reformatorischen Vorbehalt setzen, nämlich den der relativen Normativität darin, sofern es Wort Gottes sagt.432 Drastisch und konfessionell abgrenzend formuliert, meint dieses dann auch: „Wir können uns nicht, wie die Katholiken, einfach mit der Kirche identificieren.“433 In der Bindung der Kirche an Geist und Wort verweist Bonhoeffer damit umfassend und fundamental auf das reformatorische sola scriptura, welches die Auslegung in der und an die Kirche, d. h. an die Gemeinschaft der Gläubigen, zu binden weiß.434 In der Predigt, die aus dem Dogma ihren vollen Reichtum schöpfen soll und mit demselben die Grundlagen der Kirche beinhaltet, erweist sich demzufolge Christus in seinem Wort als der Gegenwärtige damals und heute. So fasst Bonhoeffer nun die Kirche zwar als konkrete, sich je neu in der Gemeinschaft ihrer Glieder verwirklichende, gleichsam aber findet sich diese in ihrer historischen Bedingtheit als Rückbindung an die Alte Kirche und ihre Formulierung der Glaubenssätze wieder. Auch hier ist damit eine Geschichtlichkeit derselben grundgelegt, welche Anfang und Ende einzig in der Vergegenwärtigung Jesu Christi umfasst. Der neue Mensch als Teil dieser neuen Menschheit ist in der Kirche damit tatsächlich in seinem Bekenntnis nicht nur mit dem Konzilsteilnehmer Nicaeas, sondern auch mit Adam verbunden. „Offenbarung geht nicht nur scheinbar, sondern wirklich in die Zeit ein und gerade damit sprengt sie die Zeitform.“435 In der Kirche als Leib Christi sieht Bonhoeffer damit nicht nur den Rezipienten der Schrift mit in die Durchquerung des Roten Meeres hineingenommen,436 er erkennt vielmehr diese Gemeinde Gottes als 430 ÖUP, 283. Cf. dazu auch ÖUP, 284: „Keine allgemeine Wahrheit ist herauszustellen als Bekenntnis. Spezifische Wahrheitserkenntnis der Confessio muß im Bekenntnis erhalten sein.“ 431 Cf. Müller, Für andere da, 231f.: „Die Akt-Seins-Synthese der Offenbarungsauslegung, die auf das Gleichgewicht von Glauben und Kirche zielt, verbietet […] eine einfache Berufung auf die Kirche als Garantin des wahren Evangeliums, denn außerhalb des persönlich-existentiellen, sich im Bekenntnis dokumentierenden Glaubens ist Kirche nicht gegeben im Sinn eines Vorhandenseins einer Institution, die die Auslegung der Offenbarung objektiv und autoritativ rein erhält ohne lebendigen Bezug zum je existentiellen Glauben. Für ein evangelisches Verständnis gibt es keine Berufung auf einen vorfindlich-formulierten, bzw. formulierbaren Glaubensschatz der Kirche. Glaubensinhalt kann nur im Personbezug gegeben sein.“ 432 Cf. B, 260f. 433 WE, 560. 434 Cf. WA 12, 35, 19ff.: „[…] die Christlich gemeyne nymer soll zu samen komen, es werde denn da selbs Gottis wort gepredigt und gebett, es sey auch auffs kurtzist.“ 435 SC, 89. 436 Cf. GL, 46.
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konkrete und doch darin überzeitliche, gerade weil sie in ihrer ganzen Existenz und ihrem ganzen Wesen über sich hinausweist auf eine andere, neue Zeit, eine neue Wirklichkeit, von der sie schon jetzt ihre Bestimmung erhält. „Christliche Eschatologie“, so kann Bonhoeffer diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, diese Räumlichkeit der Allgegenwärtigkeit kurz formulieren, „ist wesentlich Gemeindeeschatologie; es handelt sich um die Vollendung der Kirche und der Einzelnen in ihr.“437
4.2.3 Worthaftes Element und elementhaftes Wort Es ist bisher deutlich zutage getreten, dass für Bonhoeffer Theologie ‚Worttheologie‘ ist, wenn mit der Bestimmung des neuen Menschen als Wortgeschehen das ‚Wort‘ im Mittelpunkt aller Betrachtungen steht. Hinter Ekklesiologie, Anthropologie und Christologie zeigt sich damit zuletzt und doch zuerst als der Kristallisationspunkt allen theologischen Redens die Lehre von der Schrift als dem Wort Gottes. Wenn aber dieses Wort, wie eingehend gezeigt wurde, nicht einer sterilen Lehrformel und bloßer intellektueller Information gleicht, sondern es Ereignis und konkretes Geschehen ist, weil es in der Dynamik von Gesetz und Evangelium den alten Adam zum neuen Menschen in den Leib Jesu Christi umgestaltet, dann gilt es, dieses tiefer einzusehen und zu begreifen. Nun stellt sich der Ereignis- und Geschehenscharakter bereits daran dar, dass dieses Wort als inkarniertes Wort dem Menschen je neu und je konkret personal gegenübersteht, womit es gerade nicht als bloß innerliches Phänomen gelten kann. In seiner vergegenwärtigenden Anwesenheit in der Feier des Gottesdienstes ist es auch sinnlich erfahrbar, nämlich in Form der heiligen Sakramente Taufe und Abendmahl. Hier, wo zum Wort das Element hinzukommt, wird jenes hör- und fühlbar. Wort und Element, sei es Wasser, Wein oder Brot, stehen dann Seite an Seite, so eng, dass das Element als eine Form des Wortes erscheint.438 Damit ist weiter zu sagen: Wort und Sakrament bilden in Jesus Christus eine Einheit, die sich nicht als Nebeneinander, sondern als Ineinander darstellt. Das eine ist nicht ohne das andere zu denken und zu verstehen: Christus ist als gesprochenes Wort in der Kirche in doppelter Form gegenwärtig, nämlich in Predigt und Sakrament. Im Sakrament aber ist er seinem Menschen besonders nahe, eben weil seine Gegenwart tatsächlich leibhaft und unmittelbar wird, weil hier der Mensch in seiner ganzen konkreten leiblichen Existenz angesprochen ist, und das in Bonhoeffers Verständnis nicht dinghaft-physisch, auch nicht spiritualistisch-symbolisch, sondern einzig ganz persönlich. Um dem Schrift437 SC, 193. 438 Cf. Abraham, Wort und Sakrament, 123f.
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verständnis Bonhoeffers damit im Ganzen grundlegend näher zu kommen, ist es nun aufgrund dieser Untrennbarkeit von Wort und Sakrament aufgegeben, dessen Sakramentsverständnis zu untersuchen, sein Verständnis dieses als Geschehen zwischen Gott und Mensch zu rekapitulieren und zuletzt in einen Zusammenhang mit der Heiligen Schrift als Wort Gottes zu bringen. Damit ist man aber an die Grundfeste des evangelischen Kirchenbegriffs verwiesen, nämlich genau an die Frage nach „Wort und Sakrament“,439 die nach der traditionellen Lehrformel der Confessio Augustana als wesentliche Erkennungsmerkmale der protestantisch-lutherischen Kirche gelten. Hier, in der dogmatisch-konfessionellen Streitigkeit über die Anwesenheit Gottes in den Elementen, entschied sich nicht erst für Martin Luther nur die Frage nach Gottes Verhältnis zum Leiblich-Kreatürlichen, sondern auch die Wirklichkeit Gottes in der Welt an sich.440 Dass dabei dieses Begriffspaar nicht nur wesentlich im Kernbereich der konfessionellen Debatten stand und noch immer steht, es sich vielmehr um das Daseinsverständnis des Menschen vor Gott handelt, darauf wurde bereits verwiesen. Wenn sich nämlich für Dietrich Bonhoeffer die Gegenwart Gottes, d. h. die Vergegenwärtigung seines Wortes, allein in der konkreten Gemeinschaft ausbuchstabiert, bleibt dieser nicht nur zeitlebens ein Ekklesiologe,441 ist man hier dann auch an das Fundament der lutherischen nicht nur Kirchen-, sondern sogar Glaubenslehre geführt. Gelten Wort und Sakrament tatsächlich als Wurzel einer kirchlichen Wirklichkeit, in der Jesus Christus als Leib und Haupt der Gemeinde nicht nur erscheint, sondern Leib und Haupt ist, möchte Bonhoeffer dieses Verständnis der Realpräsenz Gottes auf Erden in seinem und durch sein Wort nachdenken. Es sollte dabei eines aber immer deutlich vor Augen sein: Nicht Bonhoeffer postuliert diese Erkenntnisse, seine Axiome werden hier zur Anwendung gebracht. Dass es sich dann freilich um gewagte Rede zu einem Jahrhunderte alten Streit handelt, ist aus dieser Methode unumgänglich, ist doch einerseits über Bonhoeffer hinauszudenken und kann das andererseits doch nur in Andeutungen geschehen, weil es hier nicht um eine Ausformulierung eines evangelischen Sakramentsbegriffes gehen soll, sondern um die der bonhoefferschen Hermeneutik fundamentale Heilsgegenwart Gottes in der Welt. Dementsprechend stößt gerade die Vergegenwärtigung des Wortes an die Frage der Sakramentalität, weil Gottes Anwesenheit für Bonhoeffer zum einen nur in der sanctorum communio und zum anderen nur in der leiblich-sinnlichen und erfahrbaren Konkretion des Wortes zu denken ist. Das Sakrament erscheint damit als der Schlüssel für die bonhoeffersche Hermeneutik, weshalb dieses im Folgenden 439 Cf. CA VII, in: BSLK, 61. 440 Cf. Metzke, Sakrament und Metaphysik, 160f.200 u.ö. 441 Im Gegensatz dazu bspw. Müller, Von der Kirche zur Welt, passim.
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in der bonhoefferschen Logik weiterzuzeichnen und auszuformulieren ist. Es ist dabei deutlich in der Nähe der Sakramentenlehre Martin Luthers zu bleiben, weil schon bei ihm die Berufung auf die Schrift nicht von der Lehre des Sakraments isoliert werden kann, geht es auch ihm dabei letztlich immer um die leibhafte Gegenwärtigkeit Christi auf Erden.442 War zu sehen, dass für Bonhoeffer die „Fundierung des Wortes in der Konkretion der Geschichte und des Tuns“,443 um der Abstraktion und Entleerung zu entgehen, die Basis jeder Überlegung zum Umgang mit der Schrift ist, zeigt sich darin die Rückbindung des Wortes an die Wirklichkeit, d. h. genauer die sinnlichleibliche Erfahrbarkeit des Sakraments, als konstitutiv nicht nur für seine Ekklesiologie. Ereignet sich im Sakrament die Realisierung der Verkündigung, muss zu demselben aber zugleich immer auch das Wort hinzutreten; Teilhabe am Leib Christi gibt es damit nur in Wort und Sakrament, weil „Christus […] ganz Wort [und weil] Sakrament […] ganz Wort [ist].“ Zugleich aber, so heißt es weiter, ist das „Sakrament vom Wort unterschieden, sofern es als Sakrament in der Kirche eigene Existenzberechtigung hat.“444 Mit der Gewährung der Gemeinschaft an Christi Leib richten sich Wort und Sakrament damit insofern an den Einzelnen, als er bereits Teil dieser Gemeinschaft ist, weil sie sich gerade als Formen des Christus praesens in der Gemeinde durch die Gemeinde ereignen.445 So sind für Bonhoeffer in der Gefolgschaft von und in enger Rückbindung an Martin Luther446 Wort und Sakrament „nur insofern an den Einzelnen [adressiert], als er auch Teil einer Gemeinde ist. Ja, Wort und Sakrament stellen als die beiden Grundformen des Evangeliums im umfassenden Sinn Wahr-Zeichen von Kirche dar.“447 Als „äußerlich wahrnehmbare Erkennungszeichen der wahren Kirche“448 sind sie nota ecclesiae zunächst darin, dass sie „signikativ“449 öffentlich und verständlich auf die Kirche als wahrnehmbare und verstehbare, d. h. für jeden zugänglich, bleibende Institution hinweisen.450 Zugleich aber verkörpern 442 Cf. Metzke, Sakrament und Metaphysik, 162ff. Metzke weist interessanterweise darauf hin, dass es gerade die protestantische Forschung zum Anfang des 20. Jahrhunderts war, die auf diesen Zusammenhang hinwies und „die theologische Radikalität Luthers gewiß so ernst genommen hat wie kaum eine frühere Generation und die zugleich der Abendmahlsdiskussion der Reformationszeit ihre besondere Aufmerksamkeit zugewandt hat […].“ (162.) 443 Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 120. 444 B, 300. 445 Cf. SC, 258 (Anm. zu Seite 85): „Entscheidend ist die soziale Bedeutung Christi, der nur in der Kirche gegenwärtig ist, d. h. dort, wo die christliche Gemeinde durch Predigt und Abendmahl zur Bruderliebe geeint ist.“ Ausführlichere Anmerkungen zu den Leitsätzen über die Anschauungen des Neuen Testaments von der Kirche in SC, 85ff. 446 Cf. WA 6, 511, 34: „Sicut ergo in Christo res se habet, ita et in sacramento.“ 447 Abraham, Wort und Sakrament, 126. 448 Abraham, Wort und Sakrament, 126. 449 Neebe, Apostolische Kirche, 266. 450 Cf. SC, 158.165. Cf. CA VII, in: BSLK, 61, 3–7: Es „[…] musse ein heilige christliche Kirche
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sie „kausativ“451 sinnlich wahrnehmbar die Anwesenheit Christi durch und im Heiligen Geist;452 als äußere Zeichen sind sie somit keineswegs allein Signum dessen, wo Kirche ist, sondern zuerst selbst innerliches Konstitutivum derselben.453 Dementsprechend markieren diese beiden Formen letztlich das Kriterium,454 worauf sich jeder lutherisch-protestantische Kirchenbegriff zurück zu beziehen hat, wenn darin gleichsam aber nicht eine deduzierbare Gestalt der konkreten Kirche erkennbar wird.455 Begründen Wort und Sakrament den Leib Christi und ist Christus selbst konstitutiv für Wort und Sakrament, sind dieselben in erster Linie gerade nicht „Grenzbestimmungen der Rechtgläubigkeit“, sie sind im Gegenzug aber auch nicht „Verfügungsmasse der Kirche“ selbst,456 denn, so heißt es in Sanctorum Communio: „Der evangelische Sakramentsbegriff steht in notwendigem Zusammenhang mit dem Wort, […] Sakramente sind Handlungen der Gemeinde und verbinden in sich, wie die Predigt, den objektiven Geist der Gemeinde und den durch ihn wirksamen heiligen Geist.“457
In dieser paradoxalen Struktur, in der Wort und Sakrament äußerliche Zeichen und doch innerlich konstitutives Ereignis sind, erweisen diese sich demzufolge einerseits als „Lebensgrund“ und andererseits als „Lebensvollzug“458 der Kirche in der Verwirklichung des Leibes Christi in der Welt. Lebensgrund sind sie für Bonhoeffer nun darin, dass Gott sie als solche stiftet und sich in der „Zusage ‚Vergebung der Sünden‘“459 an dieselben in Freiheit bindet.460 Darin sind sie zum einen Trost und Zuspruch an den Menschen, indem sie sich selbst beglaubigen, weil sie in Christus die Gemeinschaft stets neu und konkret wieder schaffen. Sie sind darin aber darüber hinaus gerade der Grund der Gemeinschaft, weil sie „in der Gestalt der Natur den Menschen in seiner Natur ergreifen.“461 Als geheiligte und gedeutete Handlungen sind sie durch den Anspruch Gottes geheiligte Elemente, wie sie ursprünglich geheiligte Elemente
451 452 453 454 455 456 457 458 459 460 461
sein und bleiben, welche ist die Versammlung aller Glaubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden.“ Neebe, Apostolische Kirche, 266. [Grammatikalisch verändert d. Verf.] Cf. SC, 154. Cf. B, 297. Cf. auch CA VII Apol., in: BSLK, 238, 51 („äußerliche Zeichen“) und 55f. („den rechten Grund“). Cf. Neebe, Apostolische Kirche, 266. Cf. Abraham, Wort und Sakrament, 127. Cf. Abraham, Wort und Sakrament, 140f. SC, 164. Abraham, Wort und Sakrament, 141f. B, 300. Cf. B, 301. B, 300.
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waren. „Die gefallene Schöpfung ist nicht mehr Schöpfung des ersten Wortes […]“,462 heißt es in der Christologievorlesung. Im Wort Gottes, das Jesus Christus selbst ist, werden diese stummen Elemente aber gleich wie der Mensch geheiligt, „indem er [ihnen] den Namen gibt. So [werden diese] Element[e] durch den Anspruch Gottes das, was [sie sind].“463 Wenn nun freilich die Stiftung durch den historischen Jesus in der Tradition immer wieder vehement gegen die katholische Siebenzahl der Sakramente in den Mittelpunkt gerückt wird, will Bonhoeffer im Sinne seiner grundsätzlichen Kritik des Historismus auch die Einsetzung derselben nicht als historische Tatsächlichkeit verstehen, käme das doch einer kurzschlüssigen Fixierung gleich, die sich erneut allein in der historischen Beweisbarkeit einer solchen durch Jesus den Grund, mit dem die Kirche steht und fällt, ausbuchstabierte.464 Auch hier würde wieder menschliche Rationalität über die Offenbarung Gottes gesetzt, hinge doch alles von einer metaphysisch aufgeladenen Historisierung vorfindlicher Wirklichkeit ab.465 Ganz im Gegenteil weist Bonhoeffer vielmehr darauf hin, die Kirche selbst als Leib Christi, d. h. einzig von seiner Person her, zu verstehen. „Nicht eine Willensäußerung Jesu, sondern Jesus selbst, der Gekreuzigte und Auferstandene, ist der Grund der Kirche“466 und daher der Sakramente, kann Gerhard Ebeling pointiert darlegen. Die Sakramente kommen damit als solche in den Blick, dass sie zum einen das ganze Evangelium selbst bezeugen, d. h. dass sie Jesu Wirken und Handeln umfassen und darin zugleich das Evangelium sind, weil sie Gottes Wort sind und gerade nicht nur dieses repräsentieren. „Einsetzung durch Jesus Christus darf hier nichts anderes bedeuten als von dem erhöhten, gegenwärtigen Christus seiner Gemeinde gegeben. Die Zahl der Sakramente, in der Christus gegenwärtig ist, und sein Wille bleibt durch nichts weiter zu begründen als durch diese Einsetzung des erhöhten Herrn […].“467
In dieser christologischen Fundierung sind sie dann auch soteriologisch bezogen auf die Grundsituation des Menschen: Als leibgewordenes Wort ist mit ihrem Anspruch der Mensch aus seiner Vereinzelung herausgerissen, in die volle Ge462 B, 300. 463 B, 301. 464 Cf. dazu auch Müller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, 91f. Cf. ÖUP, 271: „Christus ist nicht Stifter einer neuen Religion und Religionsgemeinschaft. Er ist Erlöser, der Grund der Kirche, nicht der Gründer. Die Religionsgemeinschaft, die [ Jesus] Christus gründete, ist [nicht] unsere heutige Kirche! Tod und Auferstehung konstituieren nun die Kirche nach der Ausgießung des Geistes. [Die] Apostel (besonders Paulus) sind die Stifter. Als solcher, der er ist, ist Christus die neue Menschheit. Christus ist Grund und Anfänger und Vollender der Kirche zugleich. In seiner Geschichtlichkeit und Gottheit ist Christus der Anfänger und Vollender der Kirche.“ 465 Cf. bspw. § 2.1.4. 466 Ebeling, Erwägungen zum evangelischen Sakramentsverständnis, 225. 467 B, 301.
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meinschaft mit dem Auferstandenen gesetzt und allein in diesem Wissen um die Fleischwerdung des Wortes in diesen Elementen sind selbe als solche auch tatsächlich Grund dieses Beziehungsgeschehens. In aller Schwachheit und Gebrochenheit der vorfindlichen Ekklesia sind sie Grund der Gewissheit des Glaubens, weil Gott sich an das Element, genauer an dieses menschliche Handeln durch Jesus Christus, mit seinem Wort gebunden hat. In ihrer Leiblichkeit haben die Sakramente damit grundsätzlich eine eschatologische Weite, indem sie so nachdrücklich wie nur möglich betonen, „daß das Evangelium uns in unserm leiblichen, geschichtlichen Dasein eschatologisch angehendes Wort ist, d. h. unsere Weltsituation zur eschatologischen macht, als eschatologische offenbart.“468 Wort und Sakrament sind aber darin zugleich auch ekklesiologischer Lebensvollzug, weil sie in diesem Angesprochensein durch das Wort Gottes die Verwirklichung der Gegenwärtigkeit Gottes in der konkreten Gemeinde sind, indem sie in ihrem Anspruch eine Antwort – in aller Doppeldeutigkeit – voraussetzen und darin Gemeinschaft zwischen Gott und Menschen, sowie zwischen Mensch und Mensch vollziehen.469 Sie erweisen in der konkreten Situation das, was Kirche eigentlich ist und im Wortgeschehen eigentlich schon immer geschieht, nämlich dass derjenige, der vom Wort Gottes getroffen, d. h. angesprochen durch dieses Wort in Anspruch genommen, und darin „in Christus eingeleibt ist“.470 „Denn das ist gewiß, es gibt keine Gemeinschaft mit Jesus Christus, es sei denn als Gemeinschaft mit seinem Leib, in dem allein wir angenommen sind, in dem unser Heil liegt! Der Gemeinschaft des Leibes Christi werden wir teilhaftig gemacht durch die beiden Sakramente des Leibes Christi, durch Taufe und Abendmahl. Der Evangelist Johannes läßt in unübersehbarer Andeutung die Elemente beider Sakramente, Wasser und Blut, aus dem gekreuzigten Leibe Jesu Christi hervorgehen ( Joh. 19,34.35).“471
Taufe und Abendmahl sind dementsprechend für Bonhoeffer nicht nur in ihrer kultischen und sinnlichen Gabe der Elemente in ihrer gemeinschaftsstiftenden Funktion im Fokus der Aufmerksamkeit, sondern vielmehr eschatologisch die in diesem akustischen und taktilen Ereignis472 sich manifestierende Gemeinschaft
468 Ebeling, Erwägungen zum evangelischen Sakramentsverständnis, 226. Cf. Müller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, 91. 469 Cf. Abraham, Wort und Sakrament, 142. Cf. auch Metzke, Sakrament und Metaphysik, 186. 470 Ebeling, Erwägungen zum evangelischen Sakramentsverständnis, 226. Cf. dazu ÖUP, 211: „[Diesem] Kirchenbegriff [zufolge ist Kirche] nicht nur die das Wort hörende Gemeinschaft der Sünder und begnadigten, sondern sie ist der gegenwärtige Christus selbst. Predigt und Sakrament [sind] nicht nur Verheißung, sondern selbst mit ihrem Wort in der Weihnachtswelt, aus der Vollmacht der Gemeinde, nicht aus der Not des einzelnen Predigers. Die Gemeinde ist die Weihnachtswelt.“ 471 N, 230. 472 Cf. Huber, Wahrheit und Existenzform, 96.
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als Leib Christi,473 warum es ihm zufolge gerade nicht darum geht, danach zu fragen, wie dieses Sakrament das fleischgewordene Wort Gottes sein könne. Es war nicht nur einmal zu sehen, dass er nicht müde wird zu betonen, der neue Mensch resp. die neue Menschheit in Christus erhalte gerade nicht eine Wirklichkeit im seinshaften Sinne,474 vielmehr stehe eine Veränderung der Verhältnisse im Mittelpunkt der Wirklichkeitsbestimmung. Wenn sich nun die Frage der Gegenwart Gottes in den Elementen anschließt, so scheint es, dass Bonhoeffer dieser seiner grundsätzlichen Theologie der Christuswirklichkeit als relationaler Wahrheit hier widerspricht, heißt es doch in seiner Christologievorlesung: „Das Sakrament ist leibgewordenes Wort. Das Sakrament repräsentiert nicht das ‚Wort‘. Denn repräsentiert kann nur das Nicht-Präsente werden. Das Sakrament ist die Gestalt des Wortes, das dadurch, daß Gott es spricht, Sakrament wird. Die Leibgestalt des Sakramentes ist nur durch das Wort, ist aber nur als Wort, als leibgewordenes Wort. Das Sakrament soll in der Gestalt der Natur den Menschen in seiner Natur ergreifen.“475
Mit seinem Wort heiligt Gott die Elemente des Abendmahls Brot und Wein, so dass der „ganze Gott-Mensch Jesus Christus […] im Sakrament gegenwärtig“476 ist. Das meint nun freilich nicht ein katholisch seinshaftes Verständnis der Anwesenheit Gottes in Wasser, Brot und Wein, die Betonung liegt doch auf eben diesem Wort, durch welches Gott dieselben heiligt. Der katholische Theologe Willem Hendrik van de Pol hat dieses unterschiedliche katholische wie reformatorische Verständnis der Wirklichkeit daran aufgezeigt, wie von der Gegenwart Gottes gesprochen wird. Mit der Unterscheidung einer katholischen „Wirklichkeitsoffenbarung“ und einer reformatorischen „Wortoffenbarung“ weist er beredt darauf hin, dass „[d]er reformatorische Gläubige […] allen Nachdruck darauf [legt], daß Gott zum Menschen mittels des Wortes, eventuell sogar in Gestalt des Wortes kommt: das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt – aber das Wort ist dabei Wort geblieben.“477 Dass die reformatorische Rede von Wirklichkeit als Verhältnisbestimmung einer katholischen Auffassung von Wirklichkeit als seinshafter gegenübersteht, wird ihm vor allem da deutlich, wo diese Wortwirklichkeit nur im Glauben, nicht aber außerhalb desselben in Seinsordnungen wahrnehmbar wird.478 Gleichermaßen kann Bonhoeffer zwar von einer neuen, veränderten Wirklichkeit in Christus sprechen, 473 474 475 476 477
Cf. Schmitz, „Only the believers obey, and only the obedient believe.“, 181. Cf. Pol, Das reformatorische Christentum, 268. B, 300. B, 301. Pol, Das reformatorische Christentum, 259: „[D]er Hauptunterschied gerade liegt darin, daß die Offenbarung für den reformatorischen Christen im Hier und Jetzt den Charakter einer Wortoffenbarung hat, für den katholischen Christen hingegen den einer Wirklichkeitsoffenbarung.“ 478 Cf. Pol, Das reformatorische Christentum, 259f.
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aber von einer solchen, die sich gerade nicht in ihrer neuen Qualität auszeichnet,479 sondern einer, die sich in der bleibenden Ansprache Gottes an seinen Menschen ausformuliert. Das Wort ist es allein, was die Elemente als geheiligt auszeichnet, ihnen kommt gerade nicht übernatürliches Sein zu. Das Sakrament ist Sakrament, weil es Gott spricht; wie es auch Licht wird, wenn er Licht spricht.480 Dann aber bedeutet das für jede Lehre von den Sakramenten, dass es eben im Sakrament gerade nicht um eine „zweite Menschwerdung ginge, sondern das fleischgewordene Wort Gottes, der menschgewordene Gott, der Gott-Mensch, ist nun im Sakrament in der Gestalt des Ärgernisses. Das Sakrament ist nicht Menschwerdung Christi, sondern letzte Erniedrigung des Gott-Menschen.“481 Was heißt das nun genau? Wie ist nun die Gegenwart Christi in Taufe und Abendmahl zu denken, wenn Bonhoeffer darauf beharrt, dass es gerade nicht um eine zweite Menschwerdung, aber um eine letzte Erniedrigung Christi gehe? Einerseits scheint damit eine ontologische Seinsbestimmung der Elemente als übernatürlicher Teilhabe an Gottes Natur482 abgewehrt, andererseits aber weiß sich Bonhoeffer darin gleichsam gegen eine rein aktuale Auslegung des Offenbarungsbegriffes auszusprechen.483 In enger Auseinandersetzung mit Martin Luther ist es ihm darum, die Gegenwart Christi weder substanz-ontologisch484 noch rein aktual-symbolisch485 zu verstehen, sondern als worthafte. Was das meint, wurde schon in unterschiedlichsten Perspektiven gezeigt. 479 Cf. § 4.1.3. 480 Cf. SF, 38–41, bes. 39: „Wort heißt gesprochenes Wort, heißt nicht Symbol, Bedeutung, Idee, sondern die benannte Sache selbst. Daß Gott sprechend schafft, heißt, daß der Gedanke und der Name und das Werk in der geschaffenen Wirklichkeit in Gott eines sind. Also nicht, daß das Wort ‚Wirkungen‘ habe, sondern, daß das Wort Gottes bereits Werk ist, darauf kommt es an.“ 481 B, 301f. Cf. SC, 258 ; ITAS, 551. Gerhard Müller weist beispielsweise darauf hin, dass Bonhoeffer in der radikalen Abgrenzung gegen den „römischen Materialismus“ mit der Konkordienformel die katholische Lehre der „‚Transsubstantiation‘ im Sinne einer extrem realistischen Deutung materiell-sensualistisch [missverstehe], so daß der Leib Christi nicht mehr ‚sakramental‘ genossen [werde], sondern im ‚kapernistischen‘ Mißverständnis der historisch-individuelle Leib Christi mit der dargereichten Spezies identifiziert [werde].“ (Müller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, 211.) 482 Cf. Pol, Das reformatorische Christentum, 267. 483 Cf. ÖUP, 211f.: „Wichtigste Wendung in der Christologie: ratloses Schwanken zwischen alten Substanz- und neuen Dynamisbegriffen. Beide [sind] nicht zureichend. Die reine Aktauslegung wird dem Denken des NT und Luthers nicht gerecht. Aufs neue [wird hier] das Konfessionsproblem [deutlich]. Beschämende Lage für die heutigen Lutheraner; [sie vertreten eine Theologie,] die ihre Grenze gegen den Katholizismus nicht mehr sieht.“ 484 Cf. WA 26, 439, 6f.: „Es ist ia war und kan niemand leucken, das zwey unterschiedliche wesen nicht muegen ein wesen sein […].“ Und weiter 16–18: „Es kan und mag nicht sein, Das brod sol leib sein, Jsts brod, so ists brod, Jsts leib, so ists leib, der eins, welchs du wilt.“ 485 Cf. WA, 26, 264,40–265,2: „Denn er weis aus der massen wol, das wir mit allem ernst darueber streitten, das diese wort ‘Das ist mein leib‘ sollen, wie sie da stehen und lauten, auffs
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Grundsätzlich gilt es für ihn demnach gleich Paulus und Luther, durch das „Labyrinth von Fragen“486 zur Anwesenheit Gottes in den Einsetzungsworten des Abendmahls hindurchzugehen, ohne „sich in die Scylla der ‚Wie-Frage‘ oder die Charybdis der ‚Daß-Frage‘ zu verwirren[…]“,487 gleichen doch einerseits die Infragestellung des „Zeugnis[ses] Jesu von sich damals und heute“ sowie andererseits die Denkbarkeit dieser Anwesenheit der frommen Frage der Schlange, weil sie sich vermeintlich anmaßen, „hinter den Anspruch Christi zurückzukommen und ihn seinerseits zu begründen.“ Es ist aber doch gerade nicht so, kann Bonhoeffer betonen, dass „der eigene Logos […] der Vater Jesu Christi [sei], der allein das Faktum der Offenbarung Gottes weiß.“488 In der Frage nach der Gegenwart Christi geht es demnach nicht um das Verhältnis von „Menschheit und Gottheit Christi, sondern [um den] Gott-Menschen in der Gestalt der Erniedrigung, des Ärgernisses.“489 Und obwohl er nun Luthers Bemühen anerkennen kann, dieses Dass der Anwesenheit Jesu Christi in vollem Umfang gegen die reformierte Theologie – im wahrsten Sinne des Wortes – zu behaupten,490 kann er desselben Antwort nicht als genau solche anerkennen. Luthers Entgegnungen in der Ubiquität und Ubivolenz Christi, formuliert Bonhoeffer scharf, seien beide „unmögliche metaphysische Hypostasierungen“, weil „in jeder ein Element der Wirklichkeit isoliert und zum System gemacht“ werde, stelle die „Ubiquitätslehre doch einen Christus außerhalb der Offenbarung“ dar, wodurch „die Offenbarung Accidenz einer vorhandenen Substanz“ werde, und lehre dazu die „Ubivolipräsenzlehre […] das Gegenwärtigsein Christi nicht als Personbestimmung, sondern als eine Verheißung, die ans Wort Jesu geknüpft ist, daß er gegenwärtig sein will […]“, womit, so Bonhoeffers Urteil, „bei beiden die Gegenwart Christi nicht […] als Existenzweise Christi [verstanden ist]. Weder die Ubiquitätslehre noch die Ubivolipräsenzlehre ist in der Lage, die Gegenwart der Person des Gott-Menschen als des erhöhten und des erniedrigten zum Ausdruck zu bringen.“491
486 487 488 489 490
491
einfeltigst verstanden werden, und machen nicht mancherley und uneinige text aus einem text, wie sie thun.“ B, 302. B, 285. B, 284. B, 302. Cf. B, 304. Bonhoeffer selbst weist in einem Rundbrief in Finkenwalde vom 08. Juni 1937 daraufhin, dass es in der Auseinandersetzung von Lutheranern und Reformierten eben gerade nicht nur um den modus praesentiae Christi im Abendmahl gehe, wie dies auf der 4. Bekenntnissynode der AuP in Halle (11. – 13. Mai 1937) vorgetragen worden sei, widerspreche das doch der Formula Concordiae, in der es eindeutig um „das Daß der Gegenwart gehe.“ (ITAF, 293. Cf. dazu FC VII, in: BSLK 970–1016.) B, 304.
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Und trotzdem kann er sich in seiner Betonung der Wer-Frage demselben wieder anschließen, wollen beide doch augenscheinlich die Anwesenheit Gottes in den Sakramenten gegen eine – ob nun irrtümlich missverstandene, oder nicht – katholisch substanzhafte als personale verstehen. Wenn nun Luther in seiner Gründonnerstagspredigt von 1523 darauf hinweist, dass das Sakrament konfessorischen Charakter besitze,492 weil es Anrede Gottes an den Menschen sei und darin eine Antwort des Menschen fordere,493 erzeigt sich da dieser erste Hinweis darauf, dass es Luther wie Bonhoeffer nicht darum geht, nach dem Wie der Gegenwart Christi als eines metaphysischen Geschehens gebunden an eine Faktizität zu fragen.494 Luther kann doch ebenso wie Bonhoeffer seine Zuhörer mit deutlichen Worten darauf hinweisen, dass „do unter dem brot sey gottes fleysch und blut, wie wol mans nit begreyfft mit der vernunfft, wie es zugehe.“495 Vielmehr sei auf die Worte der Einsetzung zu hören, die ein für alle Mal die Gewissheit geben, wer sich in diesem Brot und Wein dem Menschen gibt, damit bekannt werden könne.496 Es liegt damit auch und gerade lutherisch alles an den Einsetzungsworten, „denn sie die summa sind des gantzen Euangelii.“497 Sind diese Worte dann tatsächlich wahrhaft Gottes Wort in Christus an seine Menschen gerichtet, wird dabei „in sprachlicher Lebendigkeit eins, was wie Zeit,
492 Cf. Luthers Anbindung der Beichte an das Abendmahl. Auch für Bonhoeffer ist zu konstatieren, dass die Beichte bzw. das Schuldbekenntnis den Menschen ans Kreuz bringt, ihn tötet und zugleich wieder lebendig macht. Im Bild des Falls bedeutet beichten doch, so kann Nicola Wilkes eingehend darlegen, „coming willingly, without concealment, without accusations, in methaporical nakedness […].“ Beichte ist so verstanden dann auch des Menschen Antwort auf Gottes Frage „Adam wo bist du?“, mit der Gott den Menschen gnadenvoll in die Gemeinschaft in Christus aufnimmt. Ausführlicheres zur Beichte cf. Wilkes, Confession of Sin, 217–227; hier 227. 493 Cf. WA, 12, 479, 1–481, 1. 494 Cf. Metzke, Sakrament und Metaphysik, 191–197. Erwin Metzke zeigt beredt, dass die Ubiquitätslehre Luthers zum Ausdruck bringe, sich von dem metaphysischen Hintergrund der aristotelisch geprägten Scholastik, d. h. „von jeder dinglich-lokalen Vorstellung frei [zu] machen, wenn vom Himmel, vom Sitzen zur Rechten Gottes oder von der Gegenwart Christi in Brot und Wein die Rede [sei].“ (192) Allein darin nämlich öffne Luther „den Blick für den Raum in seiner grenzenlosen Unendlichkeit als universalen Ort Gottes […]“ (194) und diene „einem neuen Verständnis der Wirklichkeit Gottes in seiner leibhaften Gegenwart in den sichtbaren Elementen von Wein und Brot.“ (196) Luther sei damit gelungen, was Bonhoeffer dessen Ubiquitätslehre vorwerfen will, nämlich „in Wein und Brot die preasentia Dei in einer so ursprünglichen Weise als konkret gegenwärtige Wirklichkeit Christi [zu fassen], daß jede einordnende, klassifizierende Reflektion niedergehalten [werde].“ (197) 495 WA 12, 477, 2ff. 496 Cf. WA 12, 483, 1–4: „Darumb muß mans recht gebrauchen, wie die wort klingen ‚Sihe das ist meyn leychnam, der fur euch‘ etc. Sihe do horestu, das fur dich gegeben sey, das es dir geschehen sey, das hilfft und erquickt eyn, wenn yhn der teuffel antast, das du sagen kanst ‚Ja es ist war, Ich bin ein sunder, ich bin unreyn‘ […].“ 497 WA 11, 432, 24f. Cf. Ebeling, Worthafte und sakramentale Existenz, 202.
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Vergangenheit und Gegenwart verschieden ist“,498 nämlich, dass Christus selbst in diesem Wort im hic et nunc zu uns spricht.499 „Ist also Christus selber in seinem Wort real präsent, das das Wort der Allmacht ist,“ kann Joachim Ringleben präzisieren, „so erfüllt sich damit, daß Gottes allmächtige Allgegenwart doch spezifisch ‚dir da‘ sein will.“500 Von der leiblichen Realpräsenz Christi kann dann im Sakrament doch so gesprochen werden, dass Bonhoeffers Betonung der Existenz des Erniedrigten als Sakrament genau Luthers Aussage trifft: Das „dir da“ wird im „für euch“ des sakramentalen Wortes leiblich.501 Wenn also Luther von der Ubiquität und Ubivolenz Christi zu sprechen weiß, umfasst das hier dieses, was Bonhoeffer betonen möchte; ist Christus in seinem Wort tatsächlich gegenwärtig,502 ist das eine spezifische Gegenwart des pro me und zugleich leibliche wie erniedrigte Existenz.503 Nicht ohne Grund kann Bonhoeffer also Luthers Lehre der Sakramente nachsprechen und damit implizit Luthers Lehre der Ubiquität Christi mitsprechen, erreicht Luther mit der Negation der lokalen Charakterisierung von Himmel und Sitz zur Rechten Gottes ein positives Verhältnis zu Gottes allerfüllender Gegenwart in Raum und Zeit. Allein, dass es Luther nämlich damit vermochte, den Blick „für den Raum in seiner grenzenlosen Unendlichkeit als universalen Ort Gottes“504 zu verstehen, ließ ihn die „Wirklichkeit Gottes in seiner leibhaften Gegenwart in den sichtbaren Elementen von Brot und Wein“505 überhaupt erst denken. Darin aber bleibt auch für Luther die Frage nach dem Wie der Gegenwart Christi in den Elementen letztlich offen, gibt er doch selbst keine eindeutige Antwort,506 sondern verweist im Gegenteil an die Grenze des menschlichen Denkens und die unendliche göttliche Zuwendung.507 In der engen Bindung des Sakramentes an das Wort ist demnach der Hinweis gegeben, dass nicht die Frage nach dem Wie der Gegenwart in Luthers Theologie der Sakramente den Ausschlag gibt, sondern vielmehr das Wort selbst, 498 Ringleben, Gott im Wort, 151. 499 Cf. WA 18, 202, 8–10. 500 Ringleben, Gott im Wort, 151f.bes. 152 (Anm. 42.). Ringleben verweist hier mit dem „dir da“ auf Bonhoeffers Christologievorlesung (B, 279–348.). 501 Cf. Ringleben, Gott im Wort, 152. 502 Cf. WA 19, 492, 30–493, 8. Cf. B, 304: „Jesus existiert so, daß er existentialiter der im Sakrament Gegenwärtige ist.“ 503 Cf. WA 23, 271, 8–11. Cf. B, 304: „Sein Sakramentsein ist seine gegenwärtige Erniedrigung. Sie ist nicht ein Accidenz seiner gott-menschlichen Substanz, sondern seine Existenz ist erniedrigte Existenz.“ 504 Metzke, Sakrament und Metaphysik, 194. 505 Metzke, Sakrament und Metaphysik, 196. 506 Cf. WA 23, 87, 32–35: „Wie aber das zu gehe odder wie er ym brod sey, wissen wir nicht, sollens auch nicht wissen. Gotts wort sollen wir gleuben und yhm nicht weise noch mas setzen. Brod sehen wir mit den augen, Aber wir hoeren mit den oren, das der leib da sey.“ 507 Cf. WA 26, 439, 6–440, 9.
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dem hierbei ein Verständnis anheimgestellt ist, in dem es wesentlich als Geschehen verstanden ist. Anders gesagt: Nicht die Frage nach der Substanz, d. h. nach der Ontologie des Elementes, und der richtigen Begrifflichkeit steht damit im Fokus, nicht um „einen bestehenden Seinszusammenhang, sondern um einen Zusammenhang von Gaben, die uns Gott schenkt […]“,508 handelt es sich. Gottes wirksame Gegenwart im Sakrament ist es, durch die das Sakrament überhaupt erst existiert, warum dasselbe zugleich erst wirksam wird im Glauben. Ein an der Substanz orientierter Sakramentbegriff verbleibt damit Luther wie Bonhoeffer zufolge in metaphysischer Seinsspekulation, macht das Wort zum Zauber und blendet darin zugleich das Wesentliche überhaupt ab: nämlich die Gemeinde. Es wurde bereits gesagt: Die Gemeinde entsteht am und mit dem Wort, gleichsam entsteht das Wort an und mit der Gemeinde. Solo verbo et sola fide ist somit lutherisch vom Sakrament als effektivem Geschehen zu sprechen, womit das Sakramentsgeschehen tatsächlich als Wortgeschehen verstanden werden muss.509 „Aufgrund des Wortes existiert das Sakrament, mit dem Wort, in ihm und durch es empfängt es der Glaube als Sakrament, und das Element ist nur ‚in, mit und unter‘ dem Wort heilvoll da […]“,510 resümiert Ringleben Luthers Theologie des Sakraments. Ähnliches findet sich auch bei Bonhoeffer, wenn es heißt: „Worin unterscheidet sich der im und als Sakrament gegenwärtige Christus von dem im und als Wort gegenwärtigen Christus? In nichts. Es ist der eine vergebende und richtende Christus, der Wort ist und hier wie dort bleibt. Christus ist im Sakrament uns gegenwärtig in der Sphäre der faßbaren Natur unseres Leibes. Hier ist er als Geschöpf neben uns, mitten unter uns als Bruder neben Bruder [sic!]. Er ist als Sakrament die wiederhergestellte Schöpfung unserer geist-leiblichen Existenz, er ist die neue Kreatur, und zwar so, daß er der im Brot und Wein erniedrigte Mensch ist.“511
Es ist mit Bonhoeffer – und Luther – damit also doch mehr zu sagen über dieses Wie des Sakraments, indem nämlich mit ihm der Blick auf das Geschehen gerichtet wird, das genau diese Wie-Frage als solche beantworten will, freilich nicht in ontologischer Spekulation oder spiritualistischer Symboltheorie, sondern in der Darstellung der leibhaften Gegenwart Gottes in Wort und Element, 508 Metzke, Sakrament und Metaphysik, 187. Cf. WA 26, 479, 10–14. 509 Cf. Ebeling, Erwägungen zum evangelischen Sakramentsverständnis, 224. Ebeling bindet an die reformatorische Betonung des Wortes die Situation an, ohne welche jedes Wort doch nur reine Idee verbleibe, wolle man das Wort eben als geschehendes verstehen. (Cf. dazu 221– 224.) 510 Ringleben, Gott im Wort, 152. Ringleben weist aber darauf hin, dass dies für Luther das Verhältnis von Wort-Element beträfe, nicht aber Christus selbst, dieses wollte Luther vor schwärmerischer Umdeutung schützen: „non modo corpus Christi esse in pane sed panem esse corpus Christi[…]“ (WA 6, 511, 20f.), warum er sich kritisch zu der bis heute gängigen Formel des ‚in, mit und unter‘ geäußert habe. 511 B, 305.
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weil „das Wesen der Sakramente […] nur aus dem Gesamtverhältnis von Gott und Mensch“512 einzusehen ist. So ist ihm zufolge Christi Wort zum einen darin performativ zu verstehen, dass er als Wort „die neue Kreatur im Brot und Wein ist, [warum] Brot und Wein neue Schöpfung [sind]. Brot und Wein sind wesentlich und realiter die neue Nahrung des im Glauben empfangenden Menschen.“513 Zum anderen aber sind sie als Wort Gottes Imperativ und Indikativ zugleich, d. h. Wort ist Geschehen, nie Wirkung.514 Als „neue Nahrung des im Glauben empfangenden Menschen“515 ist dieses Wort als Sakrament dann auch nur solches, wenn und weil es einzig für den Menschen da ist, nämlich insofern, dass es ihm zur neuen Nahrung wird. „Als in Gottes kreatorischem Worthandeln konstituiert, ist das Sakrament wirkendes Wort“,516 indem und weil es gegenwärtig ist als Gemeinde.517 Wenn nun soteriologisch dieses Sakrament das Geschöpf neu in Christus macht, schöpfungstheologisch das Geschöpf als in Gemeinschaft mit Gott und seinem Nächsten gedacht ist, muss dieses Geschehen der Speisung in den Sakramenten tatsächlich auch die eschatologische Wiederherstellung der verlorenen Gemeinschaft bedeuten. So beleuchtet Schöpfung und Fall diese Leibwerdung in den Sakramenten wie folgt: „Der menschliche Leib lebt wirklich nur durch Gottes Geist, das eben ist sein Wesen. Gott verherrlicht sich im Leib und zwar im Leib in diesem spezifischen Sein des menschlichen Leibes. Darum geht Gott dort, wo der ursprüngliche Leib in seinem geschaffenen Sein zerstört ist, abermals in den Leib ein, in Jesus Christus und dann dort, wo auch dieser Leib zerrissen ist, in die Gestalten des Sakraments des Leibes und des Blutes. Leib und Blut des Abendmahles sind die neuen Schöpfungswirklichkeiten der Verheißung für den gefallenen Adam. Weil Adam geschaffen ist als Leib, darum wird er auch erlöst als Leib, […] in Jesus Christus und im Sakrament.“518
Christus wird Leib in den Sakramenten, weil Gott sich einst im Leib des Menschen selbst verherrlichte, indem er in diesen einging.519 Mit der Zerstörung der
512 Metzke, Sakrament und Metaphysik, 186. 513 B, 305. 514 Cf. SF, 40: „[F]ür Gott [ist] unlöslich eins: Das Wort des Befehls und das Geschehen. Der Imperativ ist bei Gott der Indikativ. Dieser folgt nicht aus jenem, er ist nicht die Wirkung, sondern er ist es.“ Cf. WA 2, 743, 7–16. 515 B, 305. 516 Ringleben, Gott im Wort, 153. Cf. WA 2, 748, 27–32. 517 Cf. Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 121f. 518 SF, 73. 519 Metzke zufolge wird Luther diese paradoxe, rational uneinsehbare Tatsache nicht müde zu betonen, was gerade und auch die Ubiquitätslehre ausdrücken solle. Cf. Metzke, Sakrament und Metaphysik, 202. Cf. WA 23, 157, 30ff.: „Unsers Gotts ehre aber ist die, so er sich umb unser willen auffs aller tieffest erunter gibt, yns fleisch, yns brod, ynn unsern mund, hertz
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Gemeinschaft mit Gott ist aber in vollem Umfang zugleich die Geschöpflichkeit in ihrem Wesen als Sein in Gott vernichtet, nicht nur verloren. Der Mensch ist nicht mehr Geschöpf, weil „der ursprüngliche Leib in seinem geschaffenen Sein zerstört ist“.520 Zugleich aber fügt Bonhoeffer hinzu, er ist es nicht mehr, weil „Adam […] auf seine Geschöpflichkeit hin nicht mehr anzureden [ist].“521 In Gottes Anrede an den Menschen ist diese zerstörte Geschöpflichkeit wieder aufgehoben, weil Gottes Eingehen in den Menschen in seinem Wort genau dieses ‚ist‘ des Imperativs, welcher der Indikativ ist, bezeichnet. In der neuen Anrede Gottes an seinen Menschen in den Sakramenten aber ist diese urständliche Gemeinschaft mit Gott und Mitmensch wiederhergestellt, und zwar als geistige und leibliche. Ähnliches findet sich auch in der Nachfolge, wo Bonhoeffer davon spricht, dass zur Zeit des irdischen Jesus der Ruf in die Nachfolge erging, nun aber Christus zu uns spricht „durch das Zeugnis der Schrift. […] Er ist uns heute gegenwärtig, leiblich und mit seinem Wort. Wollen wir seinen Ruf in die Nachfolge hören, so müssen wir ihn dort hören, wo er selbst ist.“522 Dort wo er ist, das ist aber die Kirche in ihrem Wort und Sakrament. Ist es also allein diese Gemeinschaft mit Jesus Christus, die aus dem Subjekt das Geschöpf macht, die also in den urständlichen Gnadenstand versetzt, „gibt es [doch] keine Gemeinschaft mit Jesus Christus, es sei denn als Gemeinschaft mit seinem Leib, in dem allein wir angenommen sind, in dem allein unser Heil liegt […].“523 Bildet nun Jesus Christus als Heilsgeschehen für Bonhoeffer unbestritten das Fundament der Sakramente, ist nicht nur die Vergegenwärtigung des Wortes konkret im Hier und Jetzt der Kirche, d. h. der Gemeinde, zu verstehen, sondern gerade auch in der leiblichen Gegenwart desselben als Gemeinde. Wenn Wort und Sakrament „Formen personaler Vermittlung, Vergegenwärtigung Christi in seinem Heilshandeln mit zeitlicher und räumlicher Ausrichtung [sind], so bedeutet diese heilshafte Vermittlung Christi in ihrer ‚Pro-me-Struktur‘ gleichzeitig den Selbstvollzug der Kirche […]“,524 bringt es Josef Außermair auf den Punkt. Fasst Bonhoeffer nun das Heil darin, dass die urständliche Geschöpflichkeit als Beziehungswirklichkeit wiederhergestellt ist und Gemeinschaft nie individualistisch als Beziehung Gottes zu seinem Menschen zu verstehen ist, sondern immer
520
521 522 523 524
und schos.“ Siehe auch Luthers Beharren auf Marias geistliche wie leibliche Empfängnis des Gottessohnes in WA 23, 185, 1–29. Cf. SF, 107: „Damit ist seine Geschöpflichkeit für ihn erledigt, zerstört. Adam ist nicht mehr Geschöpf. Er hat sich seiner Geschöpflichkeit entrissen. Er ist sicut deus und dies ‚ist‘ ist ganz ernst gemeint, nicht: er fühlt sich so, sondern er ist es. Mit der Grenze verliert Adam seine Geschöpflichkeit.“ SF, 107. N, 215. N, 230. Außermair, Konkretion und Gestalt, 276.
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als umfassenden Einschluss des Menschen in den Leib Christi, d. h. die Gemeinschaft der Geschöpfe selbst, „ist zwischen Wort, Sakrament und Kirche ein gegenseitiges Bedingungsverhältnis mitgegeben.“525 „Die Gemeinschaft, um die es sich handelt, ist konkret sichtbar, ist die christliche Kirche, die die Predigt hört und glaubt. Das Wort dieser Gemeinschaft ist Predigt und Sakrament, ihr Handeln ist Glauben und Lieben. In dieser Konkretion muß das Sein der Offenbarung, der ‚Christus als Gemeinde existierend‘ gedacht werden. Nur so ist die Schwebe zwischen Seiendem und Nichtseiendem in der Konkretion der Seinsart einer echten, d. h. durch Christus begründeten Persongemeinschaft gewahrt.“526
Es ist damit also wieder der Punkt erreicht, der schon betont wurde: Wenn Christus als „Wort und Sakrament […] gegenwärtig [ist] als Gemeinde[…]“ und sich die „Gegenwart Christi als Wort und Sakrament verhält […] zu Christus wie Realität und Gestalt […]“,527 dann eröffnet sich die Frage nach dem Ineinander von Ekklesiologie und Christologie erneut, bleibt es doch dabei, dass Bonhoeffer betont, „daß Wort und Sakrament Gemeinde sind[.]“528 Es gilt also abermals, dieses zu untersuchen: Vergegenwärtigt sich Christus in der Leibwerdung des Wortes tatsächlich im Geschöpf,529 ist nicht nur dieses Geschehen an die Kirche gebunden, sondern in diesem Geschehen ist die Gemeinde somit selbst Offenbarung und Wort Gottes, weil Christus in ihnen Leib wird, weil er sich in ihnen verwirklicht,530 denn „Christus hat nicht die Kirche ermöglicht, sondern für die Ewigkeit realisiert.“531 In Element und Einsetzung wird so das Alte ins Neue zurückgeholt, sprachtheologisch ist darin auch die gefallene Kreatur von ihrer Stummheit befreit532 und mit der ‚Einleibung‘ in die Existenz Christi als sanctorum communio zu neuer Ausdrucksfähigkeit, zum Sprechen befähigt. Als „Wort ist […] Wort Gottes Gemeinde, d. h. es hat zeit-räumliche Existenz […], [es ist] machtvolles Schöpferwort. Es schafft sich die Gestalt der Gemeinde, indem es spricht. Gemeinde ist Wort Gottes, sofern Wort Gottes Offenbarung Gottes ist. Nur weil die Gemeinde selbst Wort Gottes ist, kann sie Wort Gottes allein verstehen. Offenbarung versteht man nur aufgrund von Offenbarung.“533
Auch hier begegnet also wieder die alte Frage nach dem capax infiniti, nach der Erkenntnis Gottes, die schon des Öfteren gestellt wurde.534 Und auch hier oder 525 526 527 528 529 530 531 532 533 534
Außermair, Konkretion und Gestalt, 276. AS, 111. B, 305. B, 305. (Kursivierung d. Verf.) Cf. § 4.2.1. Cf. Bayer, Christus als Mitte, 263. SC, 100. Cf. Bayer, Christus als Mitte, 265. B, 305f. Cf. §§ 2.1.6, 2.2.2 und 3.1.2.
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vielmehr gerade hier erweist sich dieser Leitsatz des ‚Gleiches kann nur durch Gleiches erkannt werden‘ tatsächlich nicht als allgemeine Wahrheit, sondern lebendige Wirklichkeit, wenn sich die Aktualisierung des Wortes durch das Wort selbst im Geist vollzieht, sich das Wort also seine Gemeinde schafft und zugleich in dieser gegenwärtig ist: „Im Worte aber ist der tiefste soziale Zusammenhang von vornherein gesetzt. Das Wort ist nicht nur ursprunghaft sozial bestimmt, sondern ebenso zielhaft. Wird der Geist an das Wort geknüpft, so ist damit die Intention auf eine Mehrzahl von Hörern ausgedrückt, und es ist ein sichtbares Zeichen aufgerichtet, an dem die Aktualisierung sich vollziehen muß. Das Wort aber ist qualifiziertes Wort, indem es Wort Christi selbst ist, wirkungskräftig durch den Geist ans Herz der Hörenden gebracht. Christus selbst ist im Wort, der Christus, in dem die Gemeinde vollendet ist, wirbt durch seinen Geist um das Herz, um es in die aktualisierte Gemeinde einzufügen. Im Worte von Christus aber ist auch die aktualisierte Gemeinde gegenwärtig, wie jedes Wort von Christus aus der Gemeinde kommt und nur in ihr besteht.“535
Es sei sich in Erinnerung gerufen: Bonhoeffer zufolge entsteht die Person, das wahre Ich, am anderen Menschen, am Du, in der Anerkenntnis des Gegenüber als Grenze des eigenen Ich gewinnt das Subjekt nicht nur die gottgegebene Freiheit zurück, sondern auch seinen Nächsten als seinen Partner.536 Dass aber der gefallene Mensch das Du des anderen als seine wahre Grenze erkennt, geschieht nicht aus seinem eigenen Vermögen heraus, es geschieht vielmehr allein dadurch, dass „Gott oder der Heilige Geist […] zum konkreten Du hinzu[tritt], nur durch sein Wirken wird der andere mir zum Du, an dem mein Ich entspringt, m. a. W. jedes menschliche Du ist ein Abbild des göttlichen Du.“537 Indem nun das Geschöpf dezentriert ist und sein neues Ich an seinem neuen göttlichen Du erst findet, indem also das göttliche Du „nicht mehr als Du gegenübertritt, sondern als Ich in [es] ‚eingeht‘ […]“,538 erweist sich der christliche Personbegriff in der Auslegung Bonhoeffers zum einen wesentlich als Dezentrierung des Subjekts, man könnte beinahe sagen, als in Christus heteronome Ichwerdung, und zum anderen als solcher alleine als in Christus heteronom bestimmte Gemeinschaft denk- und vielmehr erfahrbar. Wort und Gemeinde verhalten sich demnach reziprok und integrativ: Ergeht das Wort im Sakrament an die Gemeinde, wird es als Wort Gottes von dieser nur erkannt, wenn die Versammlung der Menschen in Jesus Christus bereits im Wort durch den Heiligen Geist zur sanctorum communio gewandelt ist, wenn also Christus bereits Haupt und damit Subjekt ist und die Gemeinde selbst durch das
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SC, 101. Cf. § 4.1.3. Cf. auch bspw. SC, 19–35; SF, 75–87. SC, 33. (Im Original kursiv.) SC, 34. (Im Original z. T. kursiv.)
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Wort als Leib, d. h. genauer als Wort Gottes, erkannt ist; zugleich aber schafft die Gemeinde erst dieses Wort als Wort Gottes, wenn sie es als Wort des lebendigen Gottes hört und erfährt. „Nur weil die Gemeinde selbst Wort Gottes ist, kann sie Wort Gottes allein verstehen. […] Wort ist in der Gemeinde, sofern die Gemeinde Empfängerin des Wortes ist.“539 Der als Christus pro me in der Welt Gegenwärtige realisiert damit sein Sein als Anrede an den Menschen im kirchlichen Vollzug in Wort und Sakrament als Sein pro nobis: „In der Verkündigung der Gemeinde für die Gemeinde ist Christus das gemeinsame ‚Subjekt‘ von Verkündigung (Wort und Sakrament) und Gemeinde. Verkündigung und Gemeinde hängen so ineinander, daß jedes, für sich betrachtet, seinen Sinn völlig verliert. Christus ist die Gesamtperson der christlichen Gemeinde […]. Darum ist der evangelische Kirchengedanke personhaft gedacht, d. h. Gott offenbart sich in der Kirche als Person.“540
Wird also in der Gemeinde durch Wort und Sakrament Christi heilshafte Gegenwart im Glaubenden wirklich, geschieht darin dann tatsächlich der Selbstvollzug der Kirche.541 Dennoch können ebenfalls hier Christus und Gemeinde nicht vollständig identifiziert werden, weil auch eine Dezentrierung des Subjekts nicht eine Identifizierung des neuen Menschen mit Christus meint. Christus ist Gemeinde, weil die Gemeinde in ihrer Gestalt als wiederhergestellte Einheit der Geschöpfe untereinander der Vollzug der Offenbarung in der Welt ist. Daher noch einmal: „Die Seinsart der Offenbarung ist nur im Bezug der Personen bestimmbar. […] Im sozialen Bezug der Person kommt der statische Seinsbegriff des ‚es gibt‘ in Bewegung. Einen Gott, den ‚es gibt‘, gibt es nicht; Gott ‚ist‘ im Personbezug, und das Sein ist sein Personsein.“542
Die Gemeinde ist damit Christus praesens, doch sie ist dieser auch schon jetzt und noch nicht. „[A]ufgrund der eschatologischen Spannungseinheit fallen der Akt des Glaubens ‚an‘ Christus und das Sein in der Gemeinde, dem Leib Christi,
539 B, 306. 540 AS, 108. 541 Cf. Müller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, 97. Cf. dazu auch S. 99: „Die Gemeinde als soziologisch-empirische Größe wird also in der gottesdienstlichen Versammlung durch Christus und den Heiligen Geist in Predigt und Sakrament getragen und konstituiert, insofern diese soziologisch-greifbaren Symbole des empirischen Selbstvollzugs der Gemeinde in den Dienst der Gnaden- und Heilsvermittlung genommen werden. Von daher sind die Sakramente nicht nur als Zeichen, sondern als im heiligen Geist wirkmächtige Formen und Symbole zu charakterisieren. Wort und Sakrament vollziehen sich nicht nur ekklesial, sondern die Kirche Christi vollzieht sich umgekehrt im Heiligen Geist selbst worthaft und sakramental.“ Cf. SC, 187: „Es ist das Wunder der göttlichen Verheißung, daß dort, wo Wort Gottes gepredigt wird, dasselbe sich selbstständig eine Gemeinde schafft, sei es, wo es sei.“ 542 AS, 112.
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nicht ganz zusammen.“543 Offenbarung ist eben qualifiziert als „Zukunft für den je in der Gegenwart lebenden Menschen in der Kirche“,544 heißt es in Akt und Sein. „Wort und Sakrament vollziehen sich in der Gemeinde und durch sie. Aber als gnadenhafte Begegnung mit Christus und seinem Leibe schaffen sie auch erst die konkrete Kirche. Sie setzen den Glauben der Gemeinde und des einzelnen voraus und rufen ihn zugleich hervor.“545
Mit dieser bleibenden Betonung der Leibwerdung des Logos, der in Ewigkeit der Menschgewordene bleibt,546 buchstabiert sich gleichsam die Rede von der Art und Weise der Gegenwart Christi im Abendmahl neu aus. Indem nun Bonhoeffer mit Luther die Menschwerdung Gottes in der Gestalt der konkreten Gemeinde ganz ernst zu nehmen weiß, überwindet er allen versteckten Aristotelismus und Spiritualismus des abendländischen Christentums und schafft damit die Grundlage für ein neues Verständnis des Verhältnisses der göttlichen zur menschlichen, d. h. natürlichen, Wirklichkeit.547 In der tatsächlichen Gegenwart Christi im Abendmahl wird die Kirche damit einerseits ganz in die Welt hineingenommen und dort an ihren Platz verwiesen, andererseits ist in dieser realen Anwesenheit der abendländische Streit um die Frage nach der leiblichen Präsenz desselben offensichtlich verschoben, wenn Bonhoeffer in seiner Theologischen Besinnung zum Heiligen Abendmahl deutlich macht, „daß es im Abendmahl nicht um ein unklares mystisches Erlebnis, sondern um das klare, leibgewordene Wort Gottes, um Zuspruch und Anspruch Jesu Christi geht.“548 Ist in den Einsetzungsworten nach Luther das ganze Evangelium zusammengefasst, liegt christlich alles an diesen Worten, sie sind also tatsächlich 543 Müller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, 96. Cf. AS, 99–134. 544 AS, 107f. 545 Müller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, 96. Dementsprechend kann Bonhoeffer mit Augustinus auch der Gemeinschaft der Heiligen die Spendung der Sakramente, d. h. damit die Vergebung der Sünden geben. Die Gemeinde als Leib Christi ist Christus selbst, womit auch der Vollzug der evangeliumsgemäßen Predigt und der stiftungsgemäßen Sakramentsverwaltung unabhängig von dem persönlichen Heilsstand des Amtsträgers bleibt, wenn die Handlungen so realisiert werden, dass sie als Formen des objektiven Geistes der Gemeinde zum personalen Wirken des Heiligen Geistes werden können. (Cf. Müller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, 130.) Cf. dazu SC, 114f., bes. 115: „Nicht die organisierte Kirche und das Amt gibt Sündenvergebung, sondern die Gemeinschaft der Heiligen. Wer die Sakramente empfing, muß erst in diesen geistigen Lebensstrom hineingerissen werden; alles der Kirche Versprochene ist der Gemeinschaft der Heiligen versprochen, sie hat Schlüsselgewalt, sie kann Sünden vergeben, durch sie allein wird alles von der amtlichen Kirche Vorgenommene mit dem Geiste Gottes begabt.“ 546 Cf. B, 342. 547 Cf. Metzke, Sakrament und Metaphysik, 200. Cf. auch Müller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, 221. 548 ITAS, 549.
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eschatologisches Sprachgeschehen,549 das den Menschen wirklich zum Geschöpf, das die Weltwirklichkeit ein für alle Mal schon jetzt zur Christuswirklichkeit macht. In den Sakramenten konzentriert sich, so scheint es Bonhoeffer vermitteln zu wollen, deutlich die ganze Christuswirklichkeit innerhalb von Zeit und Raum zugleich als reale Antizipation des letzten Abendmahls Christi mit seinen Jüngern in der ewigen Gottes- und Menschengemeinschaft im Eschaton.550 Es ist damit für Bonhoeffer mit Luther551 augenscheinlich ebenfalls alles in dem realen Wort Christi begründet, das in der Stiftung der Sakramente für die Gemeinde von der Gemeinde gesprochen wird.552 Allein im Wort ist das Element tatsächlich Sakrament, wurde bereits festgehalten. Das Wort hat also tragende Bedeutung, weil es sakramental begründenden Charakter hat, weil Gott in diesem Wort selbst handelt.553 Spricht nun Jesus im letzten Mahl seinen Jüngern in Brot und Wein seinen Leib und sein Blut tatsächlich zu, ist dieses theologisch kontrovers diskutierte „Das ist mein Leib“ und „Das ist mein Blut“ (Mk 14,22ff. parr.; 1Kor 11,24f.) als solches zu verstehen: „Das Brot, das wir im Sakrament essen, ist der Leib Jesu Christi. Das ist so kraft des allmächtigen Wortes Jesu, nicht etwa erst kraft unseres Glaubens […]. Das Wort allein macht das Sakrament, nicht erst der Glaube. Ob es unserer Vernunft eingeht oder nicht, ob die Welt sich empört, ist vor dem Wort Jesu belanglos, das keiner Bestätigung durch uns bedarf. Entweder gilt Jesu Wort durch sich selbst und in Ewigkeit oder es ist ein leerer Schall.“554
Demzufolge kann vom Empfang des Leibes und des Blutes auch nicht rein geistlich gesprochen werden;555 wenn es heißt: „Nehmt, esset“ (Mt 26,26), ist der 549 Cf. Ringleben, Gott im Wort, 149. 550 Cf. Müller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, 224. Cf. dazu auch Luthers Außerkraftsetzung von Zeit und Raum in der Ubiquitätslehre. Cf. dazu Metzke, Sakrament und Metaphysik, 197–201. 551 Cf. Großer Katechismus, in: BSLK 709, 32–36.42–44. 552 Cf. ITAS, 549: „Jesus selbst hat den Jüngern nicht stumm Brot und Wein gereicht, sondern er hat sein Wort dazu gesprochen. Um das rechte Nachsprechen dieses Wortes Jesu (das doch wie alle Predigt nicht einfach Wiederholung und Deklamation des Bibelwortes sein kann!), darum also, daß Sakrament Jesu eigenes Sprechen und Handeln bleibe für alle Zeiten, ist es der lutherischen Kirche gegangen, wenn sie die Abendmahlslehre mit so großem Nachdruck und Ernst getrieben hat.“ 553 Cf. WA 23, 189, 14: „Scilicet in usu, non in obiecto spiritus est […].“ 554 ITAS, 550. Bonhoeffer wehrt hier damit mit deutlichen Worten die reformierte Auslegung des respectu fidei (cf. FC VII, in: BSLK 973f.) ab, weshalb er im Anschluss auch deutlich machen kann, dass das Sakrament demzufolge gläubig wie ungläubig empfangen werden kann (manducatio impiorum); das Sakrament im Worte Christi bleibt in sich selbst begründet. (Cf. auch ITAS, 550f.) Cf. B, 300: „Das Sakrament ist Wort Gottes, denn es ist Verkündigung des Evangeliums, und zwar durch das Wort geheiligte und gedeutete Handlung, nicht stumme Handlung. […] Wer dem Wort im Sakrament glaubt, hat das ganze Sakrament.“ 555 Cf. Metzke, Sakrament und Metaphysik, 166–171. Metzke macht in seinem Aufsatz zu
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Empfang des Leibes einzig mündlich zu verstehen, erweist sich in diesem Wort doch tatsächlich die Erniedrigung des Herren soweit, „daß wir seinen Leib mit dem Mund empfangen und sein Blut trinken.“556 Weil nun Christi Heilstat nicht anders als durch das Wort zu uns kommen kann,557 d. h. weil wir gerade gar nicht anders darum wissen können als durch das Wort Gottes selbst, fasst sich dieses Handeln Gottes ins Wort pro nobis. So ist die Vergegenwärtigung auch im Sakrament nicht anders zu deuten als im Wort, genauer in der Heiligen Schrift selbst: „Der Leib Jesu Christi ist ‚in, mit und unter‘ dem Brot ‚wahrhaftig und wesentlich‘ im Sakrament gegenwärtig.“558 Dass Christus sich uns im Wort ganz gibt, ist konstitutiv für das Sakrament, es macht es nun eigentlich ja erst zum Sakrament, wie schon Luther mit Augustin betont: „Accedat verbum ad elementum et fit sacramentum[.]“559 Gottes schöpferisches Wort verbindet sich folglich mit den natürlichen Elementen so, dass es sie zum Ort seiner Gegenwart erwählt; die Elemente sind damit keine äußere Hülle,560 sie sind das Sakrament, weil sie desselben Gestalt sind, sie sind verbum visibile.561 Das heißt daher deutlich: „Nicht verwandelt sich das Brot in den Leib (Transsubstantiation) – das wäre menschliche Deutung und Vergewaltigung des Allmachtswunders, das allein im Wort Christi begründet ist! – sondern das Brot ist der Leib. Nicht ist das ‚Brot Zeichen für den abwesenden Leib Christi‘ (gegen die Reformierten), sondern das Brot ist der Leib. So sagt und schafft es das Wort Christi.“562
Indem Bonhoeffer im Gefolge Luthers nun das accedat ins Wort fasst, erweist sich das fieri des Sakraments dementsprechend freilich auch nicht als Wandlung des Elements, es ist und bleibt das natürliche Element und doch ist dieses Element dann auch nicht nur signum des Leibes Christi, sondern das Wort ist das
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Luthers Sakramentenlehre hinreichend deutlich, dass Luther sich gegen die symbolhaftspiritualistische Deutung des ‚est‘ der Schweizer wie auch der Schwärmer, d. h. gegen einerseits ein individualistisches Geist-Erleben und andererseits eine wahllose Deutung des ‚est‘, wehrt. Gerade in der „uneinigkeyt des verstands und der rede“ kann er nämlich in aller Schärfe den „teuffel“ sehen. (WA 26, 266, 24f.) Hier nämlich wolle der Mensch klüger sein als Gott. (Cf. WA 23, 265, 23ff.) ITAS, 551. Mit der Betonung der manducatio oralis (cf. FC VII, in: BSLK 989f. u. ö.) spricht sich Bonhoeffer anschließend freilich gegen die Ablehnung derselben durch die reformierte Tradition aus. Cf. WA 19, 493, 7f. Cf. Großer Katechismus, in: BSLK, 713, 38f. ITAS, 551. Cf. FC VII, in: BSLK 983–985; auch Großer Katechismus, in: BSLK 709, 23–26: „Es ist der wahre Leib und Blut des HEERN Christi, in und unter dem Brot und Wein durch Christus’ Wort uns befohlen zu essen und zu trinken.“ Großer Katechismus, in: BSLK 709, 37f. Cf. B, 301. Cf. Ringleben, Gott im Wort, 154f. ITAS, 551.
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Element gleich Jesus, der ganz Christus ist.563 „Unverwandelt und ungetrennt“ bildet nun auch das Sakrament eine „zwei-einige Realität“,564 die chalcedonensisch paradoxe Redeweise entpuppt sich auch hier als die einzig mögliche, wenn der Mensch sich gerade nicht des Mysteriums bemächtigen will. „Alle Denkformen sind unmöglich, […] Zutritt [ist nur] im Glauben […] möglich […]“,565 wurde Bonhoeffer zu den altkirchlichen christologischen Bestimmungen schon zitiert.566 „Die Vereinigung von Brot und Leib ist mit menschlichen Begriffen nicht zu erfassen. Sie darf weder magisch materialisiert (Rom) noch spiritualisiert (Reformierte) werden; in beiden Fällen würde das Wunder, das allein das Wort Christi vollbringt, geleugnet, aufgelöst, rationalisiert werden; in beiden Fällen käme das Sakrament in die Gewalt des Menschen. Die Vereinigung ist etwas schlechthin Einzigartiges, Unvergleichliches und wird darum als unio sacramentalis bezeichnet.“567
„Wie der Logos ins Fleisch einging, so ist in Brot und Wein der ganze Christus gegenwärtig.“568 Und so ist es Bonhoeffer nun auch hier erneut darum, einer „intellektuellen Werkgerechtigkeit“569 zu wehren, indem er mit deutlichen Worten darauf hinweist, dass es in der rationalen Auflösung des göttlichen Geheimnisses, gerade nicht um eine „Möglichkeit des eigenen selbstgefundenen ‚für-Gott-sein-Wollens‘“570 gehen kann. Zugleich kann er aber auf dieser sakramentalen Gegenwart Christi im realen Element beharren, indem er seinen Blick von der Wie- auf die Wer-Frage zu richten weiß, also von der Darstellung des Sachverhaltes zum Geschehen selbst. „Dies ermöglicht ihm, die ursprüngliche Einheit der Aktual- und der somatischen Realpräsenz Christi im Sakrament theologisch zu begründen, weil die im Sakrament begegnende Person Christi in Gottheit und Menschheit den Glaubenden personal anredet“, kann Gerhard Müller darstellen, das aber „eben als Person auch leiblich-wirklich.“571 Ist nun die Person ontologisch als Einheit ihrer „personal-transzendent-aktualen und leiblich-greifbaren“ gerade nicht von ihrem „sozial-kommunikativen Vollzug“ zu 563 Cf. Metzke, Sakrament und Metaphysik, 199. 564 Cf. Ringleben, Gott im Wort, 155. Cf. WA, 30 I, 112, 13: „[…] sic docemus, quod aqua, si cum verbo dei fit una res […].“ 565 B, 327. 566 Cf. § 3.2.6. 567 ITAS, 551f. 568 ITAS, 552. 569 ITAS, 550. 570 SF, 101. Bonhoeffer fährt fort, ITAS, 552: „Hier ist die Grenze des Denkens, das nur dazu dient, das Wort Jesu in seiner Reinheit zu verteidigen, erreicht und in den nicht weiter aufzulösenden, sondern als unauflösliche Wunder selbst aussprechenden Begriffen der unio sacramentalis und des sakramentalen Essens bezeugt. Es geht aber nicht um die Lehre vom Abendmahl, sondern um das Abendmahl Jesu Christi selbst.“ 571 Müller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, 223.
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trennen,572 besteht mit Bonhoeffer im Gefolge Luthers scheinbar ein Blickwechsel. Es liegt nun nicht mehr der Fokus auf der traditionellen Frage nach der Wandlung und Gestaltwerdung der Elemente, vielmehr verschiebt sich in der Betonung des „Christus als Gemeinde existierend“ derselbe auf die Gemeinde, genauer auf das Geschehen selbst, und damit doch auf das Wie dieses Prozesses, womit ein Blick auf die innere Struktur des Sakraments aus promissio und effectus eröffnet ist. Das lutherische unbedingte Beharren auf dem ‚est‘ gegenüber dem reformierten ‚significat‘ erweist sich in der bonhoefferschen Lesart folglich als unbedingt notwendig, weil Christus selbst die Gemeinde ist. Das Wort ist ja genau weder eine allgemeine, überzeitliche Wahrheit, noch gehört es „in das individualistisch-dinglich-erkenntnistheoretische Denken.“573 Genauso wenig wie Gottes Sein als überzeitliches, ewiges Sein, wie Offenbarung als vorfindliche Gegebenheit gedacht werden kann, kann auch die Fleischwerdung nicht als „existenz-indifferent“ gedacht werden. Ist die „Seinsart der Offenbarung […] nur im Bezug der Personen bestimmbar […], [kommt] [i]m sozialen Bezug der Personen […] der statische Seinsbegriff des ‚es gibt‘ in Bewegung […]“,574 ist auch das Geschehen im Sakrament nicht anders denn als personales Geschehen zu verstehen. In der Gabe des Brotes als Leib Christi richtet sich die Aufmerksamkeit gerade nicht auf das Wie der Wandlung, sondern das Wer. Weil die Gemeinde im Wort zum Leib umgestaltet ist und darin das Wort als Leib Christi erfährt, meint dieses est dann tatsächlich auch dieses: „Es ist seine Ehre, so tief und völlig in das menschliche Wesen einzugehen aus Liebe zu den Sündern […]. Christus will leiblich unter uns wohnen. Nur im Leib ist er unser Heiland. So ist uns im Abendmahl nicht nur ‚die Kraft, Wirkung und Verdienst Christi‘, sondern Christus selbst, d. h. in seiner menschlichen Natur gegenwärtig.“575
Es geht Bonhoeffer dementsprechend dezidiert um „die echte Gegenwart des menschgewordenen Sohnes in seiner Gemeinde, um den Christus im Fleisch […]“,576 denn „Ziel wie Ursprung der Sakramente ist der Leib Christi.“577 Und
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Müller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, 223. AS, 112. AS, 112. ITAS, 552. ITAS, 552. Cf. auch Thomas, Die Gegenwart des Unverfügbaren, 308: „Ist die Christusperson nicht nur als Idee oder Kraft gegenwärtig, sondern auf der Basis der Auferstehung als lebendige Person, so muss sie auch in Raum und Zeit präsent, d. h. gleichzeitig und am gleichen Ort anwesend sein. Diese Raum-Zeitlichkeit der leibhaften Person ist ein gegenüber den früheren Arbeiten stärker hervortretender Akzent der Personkonzeption. Als reale Person ist Christus heute ‚in der dreifachen Gestalt des Wortes, des Sakramentes, der Gemeinde‘ gegenwärtig und in seinem Sein „wesenhaft Bezogensein auf mich‘ (B, 295.) Die für personale Gegenwart unerläßlich sinnlich-leibliche Dimension ist darin gegeben, dass
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darin gilt ein für alle Mal und umso deutlicher: „Weil Leib Christi da ist, darum allein gibt es Sakramente.“578 Die De- und Rekonstruktion des Menschen ist also in der realen Fleischwerdung Gottes allein in ihrem sakramentalen Vollzug richtig verstanden als Leibwerdung des Wortes im Fleisch der Gemeinde. Das ins Element gefasste Wort bringt den Menschen somit an seine Grenze und fordert eine Umkehr nicht nur des Denkens, sondern des ganzen ungeteilten Daseins, weil es den Menschen unbedingt daran erinnert, dass er der rein Empfangende der Gabe Gottes ist.579 So kann Bonhoeffer sagen: „Der Leib Jesu Christi ist der Grund und die Gewißheit unseres Glaubens, der Leib Jesu Christi ist die eine und vollkommene Gabe, in der wir des Heils teilhaftig werden, der Leib Jesu Christi ist unser neues Leben. Im Leibe Jesu Christi sind wir von Gott in Ewigkeit angenommen.“580
Das Wort in seiner Leiblichkeit bewirkt damit nicht nur die bloße Gewissheit eines Heilsgeschehens, es bewirkt vielmehr die reale Umgestaltung und Gleichgestaltung mit Jesus Christus. Christus selbst ist die Gewissheit dieses Geschehens im Sakrament, weil einzig sein Wort das Element als heilig auszeichnet. Christi ‚Fleisch‘ „ist nicht Objekt, sondern schöpferisches Subjekt.“581 Es lässt sich nicht verwandeln, sondern verwandelt den geistlich, der es isst.582 Gottes Wort ist daher das Sakrament allein und einzig, denn „indem Christus Neuschöpfung ist, ist er auch schöpferisches ‚Tatwort‘ Gottes. Es muß als Einheit von existentieller Anrede und Einbeziehung in die Wirklichkeit begriffen werden, ‚da in Jesus Christus Wort und Sakrament eins sind.‘“583 Das Wort Gottes ist es damit selbst, das Bonhoeffer als real-eschatologisches Geschehen, als Sakrament erkennt. Wie genau dieses nun hermeneutisch zu verstehen ist, gilt es sodann im Folgenden zu untersuchen.
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Christus im Sakrament ‚uns gegenwärtig [ist] in der Sphäre der fassbaren Natur unseres Leibes.‘ (B, 305.)“ N, 230. N, 230. Cf. Metzke, Sakrament und Metaphysik, 203f. N, 227. Metzke, Sakarment und Metaphysik, 185. Cf. WA 23, 205, 14–16: „Das thut aber diese geistliche speise: wenn er die isset leiblich, so verdewet sie sein fleisch und verwandelt yhn, das er auch geistlich, das ist ewiglich lebendig und selig werde […].“ Müller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, 107. Müller zitiert: KuH, 579.
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4.2.4 Hineingezogen in das sakramentale Geschehen des Wortes Fasst man die bisherige Erkenntnis zum bonhoefferschen Sakramentsverständnis zusammen, ergibt sich Folgendes: Verschiebt sich nun mit seinem Blickwechsel die alte, seit Augustin theologisch kontrovers diskutierte Frage um res und signum von einer statisch-ontologischen Beschreibung des materialen Zustandes der Elemente im Sakrament auf ein dynamisches Geschehen in der teilhabenden Gemeinde, ist damit zweierlei Neues gegeben: Zum einen steht mit Bonhoeffers Abweisung der Wie-Frage nicht die sich im Element vollziehende supranaturale Wandlung im Mittelpunkt,584 vielmehr richtet sich die Aufmerksamkeit auf das Sakrament als Ganzes. Zugleich aber, indem nun der Mensch, d. h. die Gemeinde mit ihren je individuellen Gliedern, als fundamentaler Bestandteil dieses Geschehens erkannt wird, geschieht damit Erstaunliches, Bonhoeffer nämlich weist mit seiner Erniedrigung des Menschen als animal rationale – nicht eine „intellektuelle Werkgerechtigkeit“ der Erfassung der Möglichkeit einer Verbindung von Gott und Element stehe auf dem Plan – daraufhin, dass es hier zugleich um die Erhöhung des Menschen als animal emotionale gehe. Erst in der Demut des Menschen vor Gott, erst in der Anerkenntnis der Sünde, sich des göttlichen Geheimnisses bemächtigt haben zu wollen, wird ihm das Gesetz zum Evangelium, das Brot tatsächlich zum Leib Christi, weil er selbst je neu (mit Taufe und Abendmahl) in diesen einverleibt wird. „Die Gemeinschaft des Leibes Jesu, die wir empfangen, wie sie die Jünger und Nachfolger der ersten Zeit empfingen, bedeutet, daß wir nun ‚mit Christus‘ sind, ‚in Christus‘ sind und daß ‚Christus in uns‘ ist.“585 Spricht bereits Luther von der Sünde als cor curvum in se, das es in Christus wieder von sich selbst zu befreien gilt, steht desgleichen auch für Bonhoeffer das Herz des Christen im Zentrum seiner Überlegungen. Mit Joh 19,34f. kann er das Sakrament als Heilsmittel ganz aus dem Leibe Christi hervorgehen sehen586 und die Herzen der Jünger als „befreit von befleckten Bildern“587 erkennen. Christi geöffneter Leib, genauer sein offenes Herz, repräsentiert somit die Befreiung des selbstverkrümmten menschlichen Herzens aus seinen hochmütigen und eigenmächtigen Fesseln zur liebenden Hingabe an Gott und seinen Nächsten.588 584 Wie er diese selbst harsch gegen seine Lesart der katholischen Transsubstantiationslehre abweist. Siehe oben, § 4.2.3. 585 N, 230. 586 Cf. N, 230: „Der Gemeinschaft des Leibes Christi werden wir teilhaftig gemacht durch die beiden Sakramente des Leibes Christi, durch Taufe und Abendmahl. Der Evangelist Johannes läßt in unübersehbarer Andeutung die Elemente beider Sakramente, Wasser und Blut, aus dem gekreuzigten Leibe Jesu Christi hervorgehen ( Joh. 19,34.35).“ 587 N, 107. 588 Cf. Müller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, 92f. Müller weist daraufhin, dass Bonhoeffer, indem er das in der Patristik und Mystik beliebte Motiv des Hervorgehens der
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Das Sakrament hat infolgedessen nun genau nicht die spekulative Frage des Wie der Anwesenheit Christi im Element zum Thema, ganz im Gegenteil, als Einverleibung in die sanctorum communio ist es emotionales Geschehen, weil es die ganze Person (nicht nur ihre Intelligibilität) als Du fordert. Nicht ohne Grund schickt Bonhoeffer in seiner Dissertation zum Kirchenbegriff eine Auseinandersetzung mit einem christlichen Personbegriff voraus:589 Allein am göttlichen Du entsteht das menschliche Ich und weil jenes dieses zur verantwortungsbewussten Person macht, ist das menschliche Ich selbst ein „wirkliches, absolutes und heiliges Du, wie das göttliche auch.“590 Eingliederung in den Leib Christi, d. h. „Sein in Christus“, ist richtig verstanden nur personales Geschehen, weil es den Menschen zur Person macht.591 Zum anderen nun steht mit der Betonung der Worte des Sakraments dasselbe gerade als Wortgeschehen im Mittelpunkt. Liegt der Schwerpunkt der Betrachtung nun nicht auf den Elementen, sondern auf den das Sakrament stiftenden Einsetzungsworten selbst, ergibt sich hier eine zweite, eine neue Gewichtung in Bonhoeffers Sakramentsverständnis: In der Erweiterung des Einsetzungsbegriffs auf das Wirken und die Wirkung des Heiligen Geistes in der Gemeinde sind diese Worte selbst ein eschatologisches Sprachgeschehen. Bonhoeffers Betonung der Performativität des Sakraments begründet nun eine Sakramentenlehre ab effectu, die nicht nach den Ursachen, sondern nach der Wirkung dieses Geschehens fragt. Die Worte Christi sind es, welche die menschliche Wirklichkeit zu einer (eschatologischen) Christuswirklichkeit transformieren. Dementsprechend ist Bonhoeffer dann im Gefolge Luthers auch nicht verlegen, darauf hinzuweisen, dass „Christus […] ganz Wort [und zugleich das] Sakrament […] ganz Wort“592 ist. Ist es das Wort Jesu Christi selbst, das diese Wirkung vollzieht, ja ist das Wort selbst Christus, ist Christus nicht nur der theologische Grund der Sakramentenlehre, er ist dieses eine und erste Sakrament selbst. Absolut gesehen kann es so christlich nur dieses eine Sakrament geben,
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Sakramente aus dem Leib Christi anbringt, die „Absicht einer aus den Grundlagen zu erneuernden Sakramententheologie“ im Blick zu haben scheint. (Cf. dazu auch 93, Anm. 76.) In SC, 25 (Anm. 9) verweist Bonhoeffer dazu dezidiert auf Eberhard Grisebach, Die Grenzen des Erziehers und seine Verantwortung, Halle 1924. Und Gogarten, Friedrich, Ich glaube an den dreieinigen Gott. Eine Untersuchung über Glauben und Geschichte, Jena 1926. SC, 33: „Nicht ein Mensch von sich aus kann den anderen zum Ich, zur ethisch verantwortungsbewußten Person machen. Gott oder der Heilige Geist tritt zum konkreten Du hinzu, nur durch sein Wirken wird der andere mir zum Du, an dem mein Ich entspringt, m. a. W. jedes menschliche Du ist Abbild des göttlichen Du. […] Das göttliche Du schafft vielmehr erst das menschliche, und weil es von Gott gemacht und gewollt ist, ist es ein wirkliches, absolutes und heiliges Du, wie das göttliche auch. Man könnte hier von dem Menschen als Abbild Gottes bezüglich seiner Wirksamkeit für den anderen reden […].“ Cf. § 4.1.3. B, 300.
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welches der Gott-Mensch, der Fleischgewordene Logos selbst ist.593 In den Sakramenten vergegenwärtigt sich somit nur das eine und einzige Sakrament als das ewige Wort Gottes, das in seiner Entäußerung endgültig als menschliche Rede dem Menschen Wort geworden ist.594 „Dies, als menschliches Wort gesagt, ist die Knechtsgestalt, in der Gott von Anfang an uns begegnet, sich allein finden läßt […]“,595 heißt es in Schöpfung und Fall. Schaut man erneut auf das, was Bonhoeffer in seiner Christologievorlesung sagt, ergibt sich hier ein weiterer, tieferer Erkenntniszusammenhang: „Jesus existiert so, daß er existentialiter der im Sakrament Gegenwärtige ist. Sein Sakramentsein ist nicht ein besonderer Wille von ihm, nicht eine Eigenschaft, sondern er existiert wesentlich als Sakrament in der Kirche, und zwar weil er der Erniedrigte ist. Sein Sakramentsein ist seine gegenwärtige Erniedrigung. Sie ist nicht ein Accidenz seiner gott-menschlichen Substanz, sondern seine Existenz ist erniedrigte Existenz. Worin unterscheidet sich der im und als Sakrament gegenwärtige Christus von dem im und als Wort gegenwärtigen Christus? In nichts. Es ist der eine vergebende und richtende Christus, der Wort ist und hier wie dort bleibt.“596
Christi Anwesenheit in seinem Wort in der Gemeinde ist allein seine Existenz als der Erniedrigte, ereignet sich doch in seinem Wort und dem darin enthaltenen Handeln seine Selbstübersetzung in die Menschen, indem er diese zu Personen macht, d. h. zu einer kommunikativen, genauer responsiven, Gemeinschaft. In seiner Selbstentäußerung kommuniziert sich Christus dem Menschen demnach, weil er sich diesem als einziges Wort gibt. Folglich ist mit Joachim Ringleben festzuhalten, „Gottes Wort für und bei uns, so wird die Sprache zum Sakrament: Wort Gottes ist das Sakrament seiner Sprache, das sprachliche Sakrament.“597 Nicht ohne Grund ist es Bonhoeffer dementsprechend immer wieder darum zu betonen, dass die Bibel Gottes Wort ist,598 dass sie gerade eben nicht nur solches enthält. So heißt es in Schöpfung und Fall weiter: Das Wort vom Anfang „ist nicht Tiefsinn oder Leichtsinn, sondern es ist Gottes Wahrheit, sofern er es sagt.“599 Die Schrift ist Gottes Wort, weil es Gott gefällt sich an das Menschenwort zu binden, weil er durch dieses nach dem Menschen greift.600 Damit stößt man auf eine zugespitzte Verhältnisbestimmung von Wort und Sakrament, inwiefern nämlich dieses menschgewordene Wort, von dem wir nur 593 Cf. WA 8, 86, 6f.: „Unum solum habent sacrae literae sacramentum, quod est ipse Christus Dominus.“ 594 Cf. Ringleben, Gott im Wort, 126. 595 SF, 29. 596 B, 304f. 597 Ringleben, Gott im Wort, 144. 598 Cf. § 2.2.2. 599 SF, 29. 600 Cf. SF, 77.
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aus der Schrift wissen, dieses tatsächlich durch und durch menschliche Wort zum heiligen Wort, d. h. zur sacrae litterae, macht. Ist dieses Schriftwort nun genau genommen sacer, weil es das eine und einzige sacramentum dem Menschen mitteilt? 601 Steht in Bonhoeffers Theologie, wie weithin in der Forschung bekannt,602 der inkarnierte Gott-Mensch am Beginn jeder theologischen und damit auch hermeneutischen Betrachtung, fügt sich das Bild, das bisher gezeichnet wurde, zu einem Ganzen: Christus selbst gilt ihm nicht nur als Maßstab aller Auslegung der einen ganzen und auch der Beurteilung jeder einzelnen Schrift,603 vielmehr ist dieser Christus als der Erniedrigte in seiner Erniedrigung, d. h. in seiner Fleischwerdung, dieses Wort selbst. In der Menschwerdung des Wortes bindet sich Gott tatsächlich an das Menschenwort, weil er in dieses ganz und gar eingeht.604 Ist es Gottes Wort, das der Mensch in der Schrift hört, weil es Gott selbst spricht, ist dieses Wort tatsächlich Gottes eines und heiliges Wort, nämlich darin, dass es sich dem Rezipienten als solches gibt, es ihn zur Person macht.605 Wie das nun im Einzelnen zu verstehen ist, gilt es im Folgenden genauer auszuleuchten. Zunächst ist also zu konstatieren: Ganz in lutherischer Tradition ist es Bonhoeffer daran gelegen, den Gott-Menschen in seinem vollen Personsein ernst zu nehmen, weil dieser historische Gott-Mensch der einzige Anhaltspunkt für die Frage nach dem Wer ist.606 Genauso, so konnte gezeigt werden, liest Bonhoeffer
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Cf. Ringleben, Gott im Wort, 144. Cf. u. a., aber grundlegend Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 137ff. Cf. JuS, 398. Cf. § 2.2.4. Ulrich Körtner geht in seinem Aufsatz Rezeption und Inspiration sogar so weit zu sagen, dass der „Text […] eine Gestalt des Todes[…]“ Gottes ist, da als „Gestalt der Inkarnation […] auch die biblischen Texte das Sterben Christi an ihrem Leibe [tragen]. Im Unterschied zu mündlicher Rede sind Texte als materielle Entäußerung stumm. Sie werden beredt erst im Akt des Lesens. Das gilt auch von den biblischen Texten. Kreuzestheologisch gedeutet partizipiert ihr Schweigen am Verstummen Jesu im Verhör durch Pilatus. Der biblische Text ist wehrlos, ausgeliefert in die Hände seiner Interpreten. […]. Medientheologisch lässt sich die These vertreten, dass die biblischen Texte am Kreuzestod des fleischgewordenen Logos partizipieren. […] Wo sich das Verstehen einstellt, muss es vielmehr als Auferstehung bzw. Auferweckung des Textes, d. h. aber von der Christologie aus als ein Handeln Gottes bzw. als ein Wirken des göttlichen Geistes gedeutet werden.“ (Körtner, Rezeption und Inspiration, 47.) 605 Cf. § 4.1.3. 606 Cf. B, 340f.: „Wer ist dieser Gott? Es ist der Menschgewordene, wie wir Mensch geworden sind. Er ist ganz Mensch. […] Das Gottsein dieses Menschen ist nicht etwas Hinzukommendes. Es ist kein Kontinuum, in das Christus gerade noch hineinreicht, sondern diese Aussage, dieser Mensch ist Gott, ist die Vertikale von oben, die auf Jesus Christus, den Menschen treffende Aussage, die von Christus weder etwas abtut noch dazutut, sondern die den ganzen Menschen als Gott qualifiziert. Es ist Gottes Urteil über diesen Menschen! Gottes Wort ist es, das diesen Menschen Jesus Christus selbst als Gott qualifiziert. Aber der wesentliche Unterschied [zu allen übrigen Menschen] ist der, daß das von oben kommende
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auch das Chalcedonense als ein Bekenntnis, das in seiner paradoxen Formulierung auf die Person Jesus hinweist, anstatt in abstrakter Spekulation über ein überzeitliches Wie der zwei Naturen Jesu zu verbleiben.607 Ganz dem entsprechend macht Bonhoeffer selbst immer wieder auf die Schrift als einziges und angemessenes Korrektiv aller frommen Erfahrung aufmerksam;608 nur der geschichtliche Jesus kann Zugang zum Glauben eröffnen, wehrt sich Bonhoeffer so auch in der imaginären Diskussion mit Bultmann.609 Dass es jenen dabei nicht um eine Darlegung historischer Faktizität dieses Jesus von Nazareth geht, wurde hinreichend deutlich; wenn aber zu betonten ist, dass in der Ernstnahme dieses menschlichen Dokuments als Zeugnis des Gott-Menschen diese relativen historischen Ereignisse absoluten Charakter erhalten, weil sie in ihrer Wirkung über sich hinausweisen, ist damit ein weiteres Moment der bonhoefferschen Theologie angezeigt: In der Akzentuierung der Vergegenwärtigung Christi sind wir eben einzig allein „durch die brüchige Bibel hindurch“610 zu einer Begegnung mit Gott befähigt. Allein in dieser paradoxen Zweiheit von Historie und Glauben begegnet uns der historische Jesus als geschichtlicher Christus.611 Es ist also Gottes eigener Wille, dass er sich uns in dieser Gestalt seines fleischgewordenen Wortes in der Bibel als Gegenwärtiger ausgibt und als Wort durch seine Gemeinde schreitet.612 So verwundert es nun kaum, wenn Bonhoeffer in seinen Briefen aus der Haft Bethge gesteht, er denke und empfinde alttestamentlich.613 Gerade dort, wo „kräftig und oft zur Ehre Gottes gelogen […], totgeschlagen, betrogen, geraubt, die Ehe geschieden, sogar gehurt (vgl. den Stammbaum Jesu), gezweifelt und gelästert und geflucht“614 wird, findet Bonhoeffer eine Welt, „wie sie geschaffen, erhalten, in Gesetze gefaßt, versöhnt und erneuert wird […].“615 Im Alten aber auch im Neuen Testament findet er sich hineingestellt
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Wort Gottes hier in Jesus Christus zugleich selbst ist. Darum, weil Jesus das Urteil Gottes über sich selbst ist, weist er zugleich auf sich und auf Gott hin.“ Cf. §§ 3.2.1 und 3.2.5. Cf. dazu DeJong, Bonhoeffer’s Theological Formation, 90f. DeJong verweist darauf, dass Bonhoeffer mit dieser Betonung des Menschgewordenen Barths dialektische Theologie zurückweist: „Bonhoeffer rejects what is essential to Barth’s Christological thinking, the discussion of divine and human natures apart from their unity in Christ. […] For Bonhoeffer, the staring point and scope of Christological reflection is the union of natures in the person of Christ.“ Cf. Ligusˇ, Das Verständnis der Kirche bei Dietrich Bonhoeffer, 115. Cf. § 3.2.3. B, 315. Cf. B, 315. Cf. ITAF, 503: „Als Wort schreitet er durch seine Gemeinde.“ Cf. Zimmermann, Finitum Capax Infiniti, 92. Cf. WE, 226. WE, 227. WE, 415.
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„in die wunderbare Offenbarungswelt des Volkes Israel mit seinen Propheten, Richtern, Königen und Priestern, seinen Kriegen, Festen, Opfern und Leiden“, hier wird er „hineingezogen in die Weihnachtsgeschichte, in die Taufe, in Wunder und Reden, in Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi, […] nimmt [er] teil an dem, was einmal zum Heil auf dieser Welt geschah, und […] empfängt hier und in alledem selbst das Heil in Jesus Christus.“616
Und so ist es auch tatsächlich „unsere Urgeschichte, wirklich unsere eigene, jedes einzelnen Anfang, Schicksal, Schuld, Ende“.617 Die Bibel, besonders die so mythologisch anmutende Urgeschichte, ist in Bonhoeffers Auffassung damit gerade nicht irgendeine vorzeitliche Erzählung, die Unterhaltungs-, aber wenig Erkenntniswert besitzt. Sie ist vielmehr Gottes Geschichte mit seinen Menschen, d. h. auch unsere Geschichte mit ihm. Das kann Bonhoeffer sogar soweit ausbuchstabieren, dass er den Rezipienten in der Schöpfungsgeschichte „gleichsam in das Planen Gottes hineingezogen“618 sieht, ganz als ob wir neben unserem Schöpfer säßen und in sein Schöpfen von Beginn an einbezogen wären, dass er uns beinahe Jahwe den Ton reichen lässt, aus dem dieser den „Menschen aus Staub vom Acker“ bildete, ganz als wären wir Teil dieses ersten Geschehens Gottes mit seinen Geschöpfen.619 Genauso aber erscheint es dem Zuhörer und Leser, als seien es nicht Adam und Eva, die mit der ersten frommen Frage ihre eigene Erkenntnis über die ihres Schöpfers gestellt wissen wollen, sondern mit ihnen auch wir selbst, die dieser vermeintlich gottgefälligen Weise des Frömmersein-Wollens unserer Ichsucht auf den Leim gehen.620 Kaum verwundert es da, dass sich ebenfalls die Studenten selbst in Bonhoeffers Vorlesung zu Schöpfung und Fall beinahe in den Text hineingezogen empfinden, dass sie manchmal in „solcher Spannung“ lauschten, „daß man die Fliegen summen hörte [und sie] buchstäblich in Schweiß gebadet [waren], wenn [sie] das Schreibzeug auf das Heft legten.“621 Es scheint also an der Geschichtlichkeit dieses Jesus alles zu liegen und zwar an einer Geschichtlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes: In der Art von Bonhoeffers Umgang mit der Schrift eröffnet sich nicht nur ihr Charakter als Zeugnis der Geschichte Gottes mit seinen Menschen, er versteht es zudem, diese Geschichte als solche darzustellen, dass sie auch unsere gegenwärtige Geschichte ist. Dieses Hineingezogenwerden in das Planen Gottes622 und die Überquerung des 616 617 618 619 620 621
GL, 46. SF, 77. SF, 57. Cf. SF, 70f. Cf. SF, 96–102. Lehel, Mit den Augen eines Schülers, 52. Cf. dazu auch das Vorwort zu Schöpfung und Fall in SF, 8. 622 Cf. SF, 57.
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Roten Meeres623 bewahrheitet sich in dieser Weise zugleich als Transzendierung dieses vermeintlich vorgeschichtlichen Geschehens in das hic et nunc unseres Lebens. Das Wort Gottes als Geschichte Gottes mit uns erscheint so als Geschichte der Gemeinschaft Gottes mit seinen Menschen überzeitlich und doch in der Zeit. Die Geschichte, das Märchen, der Mythos, wie auch immer man eine solche Art der Erzählung charakterisieren mag, scheint so eine Wirklichkeit zu formieren, die über sich hinausweist auf eine solche, die außerhalb unserer selbst, aber doch für uns selbst in dem Wort der Schrift liegt. Auch rhetorisch weiß Bonhoeffer selbst in seinen Predigten diese Mehrdeutigkeit der Geschichte für seine Verkündigung zu nutzen. Wie Robert Steiner und Helen Hacksley in ihrer Studie umfassend zeigen,624 steht für ihn dabei gerade die radikale Andersheit des biblischen Textes und vor allem zuletzt Gottes als „des anderen, ganz anderen“625 im Mittelpunkt seiner eigenen Geschichte von der Geschichte des Evangeliums. Allein in der Geschichte, im Mythos selbst, kommt uns damit diese paradoxe göttliche Botschaft nahe, weil sie selbst Mythos, Mysterium, ist. Der junge Bonhoeffer war beispielsweise in seiner Predigt zu Matthäus 28,20 vom 15. April 1928 in Barcelona überzeugt, dass es gerade diese märchenhafte Art und Weise des Evangeliums ist, welche allein einen Zugang zu der Welt gibt, von der uns die Bibel beredt Zeugnis gibt als einer, „in [der] Gott unter den Menschen einherging“ und „Gott den Menschen noch so nah war, daß sie mit ihm einhergehen konnten[.]“626 Es ist das Fundament eines christlichen Märchens vor aller Zeit, eines Mythos vom Anbeginn der Welt, dass er von den Tagen des Paradieses redet, in denen Gott den Menschen nahe war, mit ihnen einherging und mit ihnen sprach,627 ganz, als wären sie tatsächlich Bild und Ebenbild. Nun aber mutet uns das Paradies des Märchens, in dem Gott als einer seinen Geschöpfen Gleichen gezeichnet ist, seit dem „Wendepunkt der Geschichte“,628 als fernes Sehnen eines unbewussten Wissens an, um die verlorene Heimat, die nur noch ein Echo, ein irrationaler Wunsch, verdrängt in die Kindheit des Menschen zu sein scheint. Legende, Märchen, Mythos und Sage, einst Gottes Wirklichkeit mit seinen Menschen, sind nun verkommen zur phantastischen Illusion eines träumenden Menschen, die es zu überwinden gilt, um an die tatsächliche Wahrheit zu kommen. Bonhoeffer jedoch versteht es, seine Zuhörer drauf hinzuweisen, dass dieser Mythos die Sache selbst ist, weil er uns einerseits zu Fremdlingen unserer eigenen vorfindlichen Realität macht, um uns
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Cf. GL, 46. Cf. Steiner/Hacksley, Enticing otherness in Barcelona, 55–83. BBA, 482. BBA, 467. Cf. SF, 90f.; BBA, 468. BBA, 468.
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an den einen, uns ganz fremden Ort zu führen,629 und weil er uns andererseits dieses paradiesische Märchen als einzige Wirklichkeit aufzuzeigen weiß. An dem Tag nämlich, welcher die Hoffnung auf eine Wiederkunft Gottes radikal zunichtemachte, an dem „die Menschheit gegen den Gott, der unter uns wohnen wollte, die Hand erhob und Jesus Christus ans Kreuz schlug“,630 war es Gottes Gnade, dort diesen „Stamm des Kreuzes […] zum Holze des Lebens“631 werden zu lassen, weil der ferne Gott sich sogleich darin als der nahe erweist.632 „Seltsames Paradies, dieser Hügel von Golgatha, dieses Kreuz, dieses Blut, dieser gebrochene Leib, seltsamer Lebensbaum, dieser Stamm, an dem Gott selbst leiden und sterben mußte, – aber eben von Gott in Gnade wiedergeschenktes Reich des Lebens, der Auferstehung, aufgetane Tür der unvergänglichen Hoffnung, des Wartens und der Geduld.“633
Es ist also auch heute noch so, dass „Gott mit uns ein und aus[geht]“, wir „mit ihm zusammen […] auf der Straße einher[gehen], [ihm] begegnen […] im Fremdling auf der Wanderung, im Bettler vor der Tür.“ Die Welt ist und bleibt Gottes Welt, weil „Jesus Christus, der Auferstandene, bei uns“634 ist. Der Mythos, der die Sache selbst ist, weil im Kreuz dieses Paradies wieder neue Wirklichkeit geworden ist, heißt dann: Gott ist mitten unter uns für alle Zeiten, weil sein Wort Fleisch geworden ist und unter uns wohnen will. In seinem Wort vergegenwärtigt er sich uns für alle Zeiten, indem er seinen Menschen teilbekommen lässt durch das Teilsein an der göttlichen Geschichte.635 „In der Gemeinschaft des Menschgewordenen wird uns unser eigentliches Menschsein wiedergeschenkt.“636 Bonhoeffer macht also in der bleibenden Betonung des Mythos auf einen hermeneutischen Rahmen aufmerksam, der in der Menschwerdung Gottes den entscheidenden Ausgangspunkt alles Redens von Gott erkennt. Weil Gottes Wort sich an die Welt gebunden hat, ist überhaupt eine Rede von, d. h. genauer mit ihm, möglich. „Jesus ist bei uns in seinen Worten“, heißt es in seiner Predigt zu Quasimodogeniti, das heißt aber genau, dass er „bei uns [ist] mit seinem Willen in seinen Worten und nur im Umgang mit diesem Worte Jesu spüren wir seine Nähe.“637 Bonhoeffer zeigt also auch hier wieder zurück auf das Erste, auf den 629 630 631 632 633 634 635
Cf. § 4.1.1. BBA, 468. SF, 135. Cf. BBA, 469. SF, 136. BBA, 470. Cf. Zimmermann, Finitum Capax Infiniti, 88. Cf. Schmitz, „Nachfolge“, 222–228, bes. 223: „Die Gläubigen tragen das neue Ebenbild Gottes, zugleich aber sollen sie dieses Bild tragen, in dieses Bild hineingestellt werden.“ Cf. Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, 137. 636 N, 301. 637 BBA, 470. Bonhoeffer fährt fort, 470f.: „Das Wort ist aber das klarste und deutlichste Ausdrucksmittel in dem sich geistige Wesen berühren können. Haben wir eines Menschen Wort,
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Anfang, auf das Wort Gottes, welches das „schlechthin Anfängliche“638 ist, hier findet er seinen hermeneutischen Ausgangspunkt, von dem aus er die Teilhabe des Menschen an der Christuswirklichkeit auszulegen versteht. Das Paradies der Genesis kann er so in Christus verwirklicht finden, weil gleich wie dort, wo „Gott als Mensch unter Menschen“ wandelt, auch heute diese Verheißung verwirklicht ist: „Jesus Christus tritt uns gegenüber auf jeden Schritt den wir tun, in jedem Menschen, dem wir begegnen: Siehe, ich bin bei euch…. Aus jedem Menschen spricht uns Jesus Christus Gott selbst an, der andere Mensch, dieses rätselhaft, undurchdringliche Du, es ist uns Anspruch Gottes, es ist uns der heilige Gott selbst, der uns begegnet. Im Wanderer auf der Straße, im Bettler am Haus, im Kranken vor der Kirchtür wird ein Anspruch an uns laut, nicht weniger aber in jedem Menschen, der uns nah steht, mit dem wir Tag für Tag zusammen sind. […] Ich bin dir, du bist mir Anspruch Gottes, Gott selbst und mit dieser Erkenntnis bricht uns der Blick durch auf die Fülle göttlichen Lebens in der Welt. Nun bekommt das Leben in der menschlichen Gemeinschaft einen göttlichen Sinn. Die Gemeinschaft ist selbst eine Offenbarungsform Gottes.“639
In seinem Wort nimmt uns Gott tatsächlich in diese Geschichte vor aller Zeit hinein, weil sie unsere Geschichte ist: Gottes Transzendenz macht sich wirklich gegenwärtig in der Bindung an das Element, nämlich im Menschen selbst.640 „Christus als Gemeinde existierend“ ist die Gegenwart Gottes in der Welt, die Gemeinschaft selbst ist die Gestaltwerdung des Wortes. Die Schrift selbst zeigt uns also, darauf weist Bonhoeffer in seinem hermeneutischen Zugang hin, die Gegenwart Gottes als Gemeinschaft Gottes mit seinen Menschen, als analogia relationalis, sie zeigt uns Jesus als das Ursakrament darin, dass er sich in seinem Wort uns mitteilt und uns darin daran teilhaben lässt. Teilhabe als Teilbekommen an der Wirklichkeit Gottes geschieht allein im Wort Jesu, das macht Bonhoeffer in seiner Betonung des Wortes hinreichend deutlich. Und so ist auch das „beste Prinzip der Vergegenwärtigung […] das Zutrauen zum Text, der ganz konkret ist […]“,641 weil das „Wort nicht im Dienst von etwas Anderem [steht], sondern das Wort […] die Sache selbst [ist].“642 Die Heilige Schrift, so erfährt man nun zuletzt in Bonhoeffers Bemühen um einen redlichen Umgang mit dem Text, ist, weil sie Gottes Menschwerdung
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so kennen [wir] seinen Willen und seine ganze Person. Jesu Wort ist immer ein- und dasselbe und ist doch immer wieder verschieden. Es sagt uns: du stehst unter der Liebe Gottes und ihr sollt auch heilig sein […]. Und sagt es auf andere Weise zu jedem in jedem Augenblick; Gottes Wort ist ein anderes zum Kind und […] [im Manuskript unleserlich, 471 (Anm. 9)] anderes zum Mann […].“ SF, 29. BBA, 472f. Cf. Zimmermann, Finitum Capax Infiniti, 92. ITAF, 485. ITAF, 495.
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mitteilt, selbst die Fleischwerdung des Wortes, vergegenwärtigt sich doch in ihrem Wort der gekreuzigte und auferstandene Gott in der Dekonstruktion des Subjekts und der Rekonstruktion des Geschöpfes643 als personaler, das heißt gemeinschaftsstiftender Gott, weil er in seinem, mit seinem und durch sein Wort erst die Person schafft. „Real freedom can never be freedom from the biblical text, but must be found within the biblical text […]“,644 kann Edward van’t Slot Bonhoeffers berühmtes Diktum umformulieren. Es kann demzufolge mit Jens Zimmermann zu Bonhoeffers biblischer Hermeneutik konstatiert werden, „that the presencing of Good, his ‚walking among his community‘, is the main framework for Bonhoeffer’s exegetical practice.“645 Bonhoeffers Verständnis biblischer Exegese ist damit als Gottes Selbstvergegenwärtigung zu verstehen; die Auslegung der Schrift, d. h. genauer gläubiges Verstehen des Wortes Gottes, ist daher selbst sakramentales Geschehen. Weil und indem sich Gott uns ganz in seinem Wort gibt, weil wir die ganze Person in seinem Wort haben, sind wir hineingenommen in die Geschichte Gottes mit seinen Menschen; wir haben Teil an dieser Geschichte, weil wir in der Wortwerdung selbst diese Geschichte sind. Wenn Gottes Wirklichkeit, wie Bonhoeffer sie beschreibt, keine überzeitliche und allgemeine Wahrheit ist, sondern konkreter Anspruch an den Menschen in der Situation, vollzieht sich die Geschichtlichkeit des Wortes Gottes in der menschlichen Geschichte, nämlich darin, dass dieses Wort einerseits durch seinen Anspruch in die Gemeinschaft setzt, weil es zur Antwort auffordert, und andererseits in die Nachfolge führt, weil es die je konkrete Antwort nicht vorgibt.646 Die Bibel als Wort Gottes ist die Person Jesus Christus,647 sie ist damit in ihrer Selbstvergegenwärtigung als Wort Gottes an sich eine Art und Weise des Ursakraments, wie es auch Taufe und Abendmahl wie ebenso die Predigt sind.648 Dass aber dieses sakramentale Verständnis der Bibel gerade nicht einem evangelikal-hermeneutischem Transsubstantiationsverständnis der Bibel als wörtlich genommenes Wort Gottes gleicht, das war bereits eingehend zu sehen.649 Vielmehr zeigt sich seine Sakramentalität allein und zuerst im Vollzug, weil der Mensch mit dem biblischen Text an den fremden Ort des Kreuzes geführt wird, weil ihm das Wort erst Gesetz sein muss, bevor das Geschöpf mit dem 643 644 645 646 647
Cf. § 4.1.3. Slot, The Freedom of Scripture, 121. Zimmermann, Finitum Capax Infiniti, 92. Cf. ITAF, 503. Cf. Arnett, Dialogical Confession, 90. Cf. DeJong, Bonhoeffer’s Theological Formation, 97: „The form of thinking Bonhoeffer develops in his early theology is not dialectical but rather hermeneutical, a form of thinking tuned to a Lutheran theology of the person of Christ.“ 648 Cf. Zimmermann, Finitum Capax Infiniti, 92. Cf. dazu auch S. 90, Anm. 16: „Another way of expressing the same thing is to say that Bonhoeffer has a deeply sacramental hermeneutical framework.“ 649 Cf. § 2.2.2.
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Evangelium auferstehen kann. Biblische Exegese ist mit Bonhoeffer demzufolge nicht Verstehen des Wortes, sondern Verstehen durch das Wort. Ist das Wort Jesus Christus, ist die Schrift somit nicht das Objekt des Verstehens, ist sie vielmehr das Subjekt, weil sie selbst Verstehen eröffnet und vermittelt, weil sie den Menschen sich selbst, den Nächsten und Gott verstehen lässt,650 ist mit Bonhoeffer dementsprechend dem Umgang mit der Schrift, ein sakramentaler Charakter zuzusprechen, weil hier der Mensch zu allererst sprachfähig, weil er hier Person wird. Das Wort Gottes, so scheint Bonhoeffer sagen zu wollen, das legt auch die Nachschrift der Vorlesung zu Schöpfung und Fall von Erich Klapproth nahe, kann man nicht hören, wenn man es nicht zugleich übt.651 Kündigt Bonhoeffer seine Vorlesung zur Genesis demnach als „[t]heologische Auslegung“652 an, stellt das tatsächlich den hermeneutischen Schlüssel zu dieser seiner Methode dar: „Theologische Auslegung nimmt die Bibel als Buch der Kirche und legt es als solches aus […]“,653 heißt es dort. Die Bibel ist das Buch der Kirche, weil sie die Schrift auslegt, gleich wie diese „Kirche der heiligen Schrift“ ist, „weil sie gegründet ist auf dem Zeugnis der heiligen Schrift.“654 Bibel und Kirche sind somit in ein reziprokes Verhältnis gesetzt, eines ist ohne das andere nicht zu verstehen. Das liegt freilich allein in einem Sachverhalt begründet, nämlich dass dieses Wort Jesus Christus ist und Christus in seiner Kirche als Gemeinde existiert. Die Vergegenwärtigung des Christus praesens im Akt des Bibellesens setzt ja eine neue Wirklichkeit, sie setzt die Person und damit die Gemeinschaft Christi in seinem Wort mit seiner Gemeinde. Nach Bonhoeffer ist hierin die Kirche tatsächlich creatura verbi, weil sie in ihrem Selbstvollzug sich als Geschöpf des Wortes bewahrheitet.655 Wie schon zitiert: Die „Gemeinde [macht] das Wort […], wie das Wort die Gemeinde zur Gemeinde macht. Bibel ist nur in der Gemeinde Wort, d. h. in der sanctorum communio.“656 Ist das Wort sakramentales Sprachgeschehen darin, dass es den Menschen in der Auseinandersetzung mit der Schrift existential zu einem neuen macht, sind sakramentale und performative Dimension nicht zu trennen, weil einzig die Kirche der zugehörige Ort ist, wo dieses Geschehen ontologische Wirklichkeit wird, ist die Kirche doch Leib
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Cf. so auch bei Ebeling, Wort Gottes und Hermeneutik, 333f. Cf. SF, 22f. (Anm. 10). SF, 17. SF, 22. SF, 22. Cf. SC, 90: „Die Kirche ist nicht dadurch real, daß sie empirische Gestalt annimmt, wenn der heilige Geist sein Werk tut, sondern auch die Realität der Kirche des heiligen Geistes ist eine offenbarungsmäßige“, insofern in Christus die urständliche Beziehung zwischen Gott und Mensch, wie auch zwischen Mensch und Mensch wiederhergestellt wird. Cf. Soosten, Die Sozialität der Kirche, 75f. 656 SC, 159.
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Christi.657 Die Bibel als Wort Gottes ist somit hermeneutisches Geschehen, weil sie in ihrer Wortwerdung schöpferisch den Menschen in der Gemeinschaft schafft, weil sie die „Existenzweise des gegenwärtigen, erhöhten und erniedrigten Christus“658 als die „wiederhergestellte Schöpfung unserer geist-leiblichen Existenz“659 ist.660 Kirche und Schriftauslegung sind daher Bonhoeffer zufolge nicht nur ein hermeneutischer Zirkel, in dem die Kirche die Schrift auslegt und als Wort Gottes versteht und in dem sich die Kirche als Geschöpf der Schrift erfährt,661 sie sind im Gegenteil ein kreatorischer, d. h. sakramentaler, Zirkel, führt doch Schriftauslegung nach Bonhoeffer unweigerlich in die Kirche, weil das Wort in seinem Vollzug die Gemeinschaft schafft, und von der Kirche zur Schrift, weil die Gemeinschaft die Schrift erst als Wort Gottes erkennt. Dementsprechend geht es Bonhoeffer in der Kirche als Leib Christi nicht um eine neue Inkarnation, sondern tatsächlich um eine Menschwerdung Christi in seiner Gemeinde als wirklicher Gemeinde.662 Im sakramentalen Geschehen des Wortes, das sich in seinem Anspruch das Du der wahren Person wieder schafft, ereignet sich so das Sakrament mitten in der kreatürlichen Welt, weil Gott dieses „Element mit seinem besonderen Wort benennt, anspricht und heiligt, indem er ihm den Namen gibt.“663 Gleichermaßen ist auch die Rede von der geschöpflichen Ebenbildlichkeit keine andere Wirklichkeit als die, die Bonhoeffer unter einem Sakrament versteht. In der Ebenbildlichkeit zeichnet sich genau dieses aus, nämlich dass „Gott selbst in sein Geschaffenes eingeht“,664 dass er in einer Beziehung zu seinem Geschöpf steht, dass er es anspricht und dass aus diesem Anspruch eine Gemeinschaft der Geschöpfe untereinander erwächst, denn „Beziehung von Geschöpf zu Geschöpf ist gottgesetzte Beziehung, weil sie in Freiheit besteht und Freiheit von Gott her ist.“665 Jesus Christus als Gemeinde existierend ist damit nichts anderes als diese im Wort wiederhergestellte urständliche Ebenbildlichkeit des Menschen,666 weil es Gott gefallen hat, in seine Schöpfung erneut einzugehen, 657 658 659 660 661 662
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Cf. Igrec, Bonhoeffer’s „Theological interpretation“, 146. Cf. B, 306. B, 305. Cf. Steinfort, Societas Sympathica, 53f. Cf. Igrec, Bonhoeffer’s „Theological interpretation“, 146. S. o. § 4.2.3. Wie es Bonhoeffer in den Elementen nicht um eine zweite Fleischwerdung Christi geht, versteht er auch unter der Leib-Metapher nicht eine solche, sondern parallel zum Geschehen im Sakrament eine „sich in und durch das stellvertretende Handeln Christi vollziehende Realisierung unversehrter Sozialität.“ (Soosten, Die Sozialität der Kirche, 76.) B, 301. SF, 59. SF, 61. Cf. SF, 94: „Die Gemeinschaft von Mann und Frau ist die aus Gott genommene, ihn als den
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Fleisch zu werden und sich an diese zu binden.667 So kann Bonhoeffer dann auch lapidar anschließen, „das meinten die alten Dogmatiker, wenn sie von der Einwohnung der Trinität in Adam sprachen.“668 In der sakramentalen Dimension der Wort- und Gestaltwerdung der Schrift wird der Mensch somit Teil der Trinität, weil er in der Gemeinde durch das Wort Christi mit dem Wort als wahres sprachfähiges Geschöpf Gottes Gestalt gewinnt:669 „In dem freien Geschöpf betet der heilige Geist den Schöpfer an, an der geschaffenen Freiheit preist die ungeschaffene Freiheit sich selbst[…]“,670 heißt es in Schöpfung und Fall. In der Sakramentalität der Eigenbewegung des Wortes Gottes stellt sich folglich die Dimension einer jeden Auslegung als grundlegend christologische und darin ekklesiologische, aber auch eschatologische heraus,671 weil Christus „den Menschen gleich geworden [ist], damit sie ihm gleich seien. In der Menschwerdung empfängt die ganze Menschheit die Würde der Gottebenbildlichkeit zurück […]“,672 sie trägt das Bild, dem sie gleich werden soll. ‚Christus ist mein Leben‘ beschreibt dann genau dieses, dass das sakramentale Wortgeschehen aus dem Subjekt das Geschöpf macht, nämlich die sanctorum
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Schöpfer verherrlichende, anbetende Gemeinschaft der Liebe. Sie ist darum Kirche in ihrer ursprünglichen Gestalt. Und weil sie Kirche ist, darum ist sie ewig gebundene Gemeinschaft.“ Cf. Juhl Kande, Biblical Metaphors, 136. Cf. Soosten, Die Sozialität der Kirche, 73. U.a. Joachim von Soosten weist daraufhin, dass Bonhoeffer in der Formel „Christus als Gemeinde existierend“ die Struktur der Stellvertretungstheologie zusammenfasst, da zum einen Christus darin sowohl „vorgegebener als auch vorgängiger Konstitutionsgrund der Gemeinde (Stellvertretung Christi extra nos)“ ist, zum anderen in „der Einheit von Individualität und Universalität Jesu Christi […] die Einheit der Kirche in suffizienter Weise realisiert [ist], insofern in der Stellvertretung Christi das soziale Gefüge von Gottes- und Menschengemeinschaft restituiert wird (Stellvertretung Christi extra nos pro nobis)“ und zuletzt deren inklusiver Gehalt darin liegt, „insofern die Stellvertretung Christi als Prinzip der materialen Besonderheit der in Christus wiederhergestellten Sozialität ermöglicht (Stellvertretung Christi extra nos pro nobis et nos in Christo).“ (73f.) Nur in diesen drei Bestimmungen kann Soosten die bonhoeffersche Stellvertretungstheologie hinreichend erfasst erkennen. Die Fleischwerdung des Wortes in der Gestalt der Gemeinde erfährt damit freilich ein ethisches Element, das sich in der wiederhergestellten Ebenbildlichkeit des Geschöpfes in Gemeinschaft ausdrückt. SF, 59. Cf. B, 297f.: „Daß Christus das Wort ist und nicht ein Stein, das heißt, daß Christus um den Menschen willen da ist. Weil der Mensch einen Logos hat, darum begegnet Gott dem Menschen im Logos. Darum [ist] der Mensch homo sapiens. Die Wahrheit des menschlichen Logos ist darum ursprünglich im Wort, weil das Wort allein den klaren, eindeutigen Sinn vermittelt. […] In diesen Menschenlogos eingegangen zu sein, ist die Erniedrigung Jesu Christi. Hierbei ist zu sagen, der Logos Gottes ist nicht zu identifizieren oder zu analysieren mit dem menschlichen Logos.“ SF, 59f. Cf. SF, 21–23. N, 301.
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communio, die in ihren einzelnen Gliedern Teil der Trinität ist, weil sie der Leib Christi in sozialer, d. h. responsiver, Menschengestalt ist:673 „Wer Christus schaut, der wird in sein Bild hineingezogen, seiner Gestalt gleichgemacht, ja er wird zum Spiegel des göttlichen Bildes. Schon auf dieser Erde wird sich in uns die Herrlichkeit Jesu Christi widerspiegeln. […] Das ist die Einwohnung Jesu Christi in unseren Herzen. […] ‚Nun aber lebe nicht ich, sondern Christus in mir‘ (Gal. 2,20). Der Menschgewordene, der Gekreuzigte, der Verklärte ist in mich eingegangen und lebt mein Leben. ‚Christus ist mein Leben‘ (Phil. 1,21). Mit Christus aber wohnt der Vater bei mir, und Vater und Sohn durch den heiligen Geist. Es ist die heilige Dreieinigkeit selbst, die in dem Christen Wohnung gemacht hat, ihn erfüllt und ihm zu ihrem Ebenbilde macht. Der menschgewordene, der gekreuzigte und der verklärte Christus nimmt Gestalt an in den Einzelnen, weil sie Glieder seines Leibes, der Kirche sind.“674
Die Wahrung des Geheimnisses Christi erweist sich hierin als grundlegend nämlich darin, dass diese hermeneutische Zirkelbewegung von Gott über das Subjekt zum Geschöpf und schließlich wieder zu Gott allein im Geheimnis der Offenbarung Gottes in dem Menschen Jesus Christus begründet ist:675 Der Christus incognito, der sich in seiner Offenbarung im Geheimnis der Menschwerdung Gottes der Welt als verborgener und darin doch offenbarer Gott zeigt, bewahrheitet sich demnach einzig in dieser sakramentalen Dimension der Gestaltwerdung in seinen Menschen als Gemeinde als der Christus praesens, ist es doch die Eigenart dieses Geheimnisses, dass dessen Wahrheit nur derjenige erfährt, der sich in dieses Geheimnis hineinnehmen lässt.676 Die Offenbarung Gottes in Jesus Christus in Schrift, Predigt und Sakrament erscheint damit in diesem Licht als grundlegend sakramentales Wortgeschehen, weil sie in ihrem Innersten nicht ein statisch-ontologisches neues Sein beschreibt, sondern vielmehr verstanden als Teilgabe an der Wirklichkeit in Christus dynamisch ein existentielles Ereignis ist, das sich in der Sprachfähigkeit des Menschen aus673 Hans-Jürgen Abromeit bezeichnet dementsprechend Bonhoeffers Theologie als „Lebenstheologie“, liege dessen theologischer Hermeneutik doch ein spezifischer Zirkel von „Glaube, Leben und Erkennen“ zugrunde. (Abromeit, Das Geheimnis Christi, 125.) Cf. dazu auch Hennecke, Die Wirklichkeit der Welt erhellen, 209.223. Cf. N, 38: „Das bedeutet, daß eine Erkenntnis nicht getrennt werden kann von der Existenz, in der sie gewonnen ist.“ Cf. §§ 3.2.2 und 4.1.3. 674 N, 302f. 675 Cf. E, 69: „Die Gestalt des Versöhners, des Gottmenschen Jesus Christus, tritt in die Mitte zwischen Gott und Welt, tritt in den Mittelpunkt alles Geschehens. An ihr enthüllt sich das Geheimnis der Welt wie sich in ihr das Geheimnis Gottes offenbart.“ 676 Cf. E, 40: „In Christus begegnet uns das Angebot, an der Gotteswirklichkeit und an der Weltwirklichkeit zugleich teil zu bekommen, eines nicht ohne das andere. Die Wirklichkeit Gottes erschließt sich nicht anders als indem sie mich ganz in die Weltwirklichkeit hineinstellt, die Weltwirklichkeit aber finde ich immer schon getragen, angenommen, versöhnt in der Wirklichkeit Gottes vor. Das ist das Geheimnis der Offenbarung Gottes in dem Menschen Jesus Christus.“ Cf. dazu auch Abromeit, Das Geheimnis Christi, 122f.
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buchstabiert, und so ist Gott nie anders „als Wort in der Welt“ und allein „im Wort in der Welt.677 Nur im Wort der Schöpfung kennen wir den Schöpfer, im Wort der Mitte haben wir den Anfang.“678 Die Offenbarung als Sprachgeschehen lässt den Menschen dann gerade nicht unbetroffen, sondern ändert seine Existenz, da sie ihn hineinzieht in ein neues Verständnis der Wirklichkeit, das sich in einer neuen Sprachfähigkeit als antwortgebenden Wirklichkeit nur in einem neuen Handeln an der Welt ausformulieren kann.
677 Cf. B, 298: „Christus als das Wort Gottes ist von dem Menschenlogos darin unterschieden und geschieden, daß er das Wort in der Gestalt des lebendigen Wortes an den Menschen ist, während das Wort des Menschen Wort in der Gestalt der Idee ist. Das sind die Strukturen des Wortes überhaupt: Anrede und Idee.“ 678 SF, 39.
5.
Responsive Hermeneutik als sakramentale Bibelauslegung
Die Analyse der Hermeneutik Dietrich Bonhoeffers am Beispiel Schöpfung und Fall hat neben all den differenzierten inhaltlichen Erkenntnissen aus unterschiedlichen Perspektiven gezeigt, dass nicht allein seiner Genesisvorlesung ein verdecktes Gerüst hermeneutischer Implikationen zugrunde liegt, die sich nicht nur bereits an Schöpfung und Fall aufzeigen lassen, sondern seiner gesamten Theologie. Freilich treten manche Axiome zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich stark hervor, ein Fundament für seinen Umgang mit der Schrift und die Auslegung derselben bilden diese dennoch durchgängig. Es ist durch eine zunächst negative Schablone gelungen, Bonhoeffers implizite Hermeneutik in der Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Exegese, mit dem pietistischen und orthodoxen Biblizismus und mit Rudolf Bultmanns existentialer Theologie freizulegen. Daraus wurde versucht, ein positives Gegenstück zu erstellen, das in manchen Teilen Bonhoeffer selbst co-explizierte, in manchen Teilen aber auch über jenen hinaus gedacht werden musste. Wenn nun am Ende dieser Bearbeitung versucht werden soll, alle zentralen und grundlegenden Maximen der Hermeneutik Bonhoeffers in acht Thesen zusammenzufassen und zu pointieren, kann dies freilich nicht mehr leisten, als die Struktur seiner Hermeneutik in klaren Umrissen darzustellen. Es kann aber helfen, die vielen kleinen Ergebnisse an ihrem zugehörigen Ort und in ihren Funktionen zu erkennen und daraus die gesamte Silhouette seiner Schriftauslegung scharfzustellen.
5.1
Responsive Ontologie
Dietrich Bonhoeffers Theologie liegt eine Ontologie der Responsivität zugrunde. In der kommunikativen Selbstoffenbarung Gottes zeigt diese sich als personale darin, dass sie zu allererst selbst in Jesus Person ist und darin Personsein, d. h. Geschöpfsein, überhaupt ermöglicht. Vom Menschen als Geschöpf Gottes ist daher nur in mittelbarer Weise zu sprechen, nämlich aus seinem „Sein in Christus“.
Responsive Ontologie
401
Bonhoeffers Theologie und damit seine Auslegung der Schrift beruht zu jedem Zeitpunkt auf der Einsicht, dass Gottes Enthüllung in der Welt nicht eine überzeitlich, allgemeine und ewige, sondern eine kommunikative Offenbarung ist.1 Nicht ohne Grund muss hier die Geschichte Gottes mit seinem Menschen nacherzählt werden, um Bonhoeffers Rede vom ‚Sein‘ des Menschen nachvollziehen zu können. Gott schafft in seinem Wort2 die Welt, „im Wort [ist er] in der Welt“,3 in seinem Wort schafft er den Menschen zu seinem Bild. Die Ähnlichkeit des Geschöpfes zu seinem Schöpfer ist darin gerade nicht analogia entis, sondern analogia relationalis, weil sie zum einen geschenkte Beziehung ist und weil das Geschöpf zum anderen allein in dieser Beziehung eine Ähnlichkeit zu seinem Urbild hat. Allein in dieser gesetzten Beziehung ist es Abbild des Schöpfers.4 War mit dem Fall, mit dem Griff nach dem Urbild diese urständliche Zweiheit von Schöpfer und Geschöpf und damit das Geschöpfsein des Menschen an sich zerstört, war der Mensch nicht mehr auf diese Beziehung hin anzureden. Gott selbst nun ist es, der in seinem Ebenbild das sündige Bild des Menschen annimmt5 und in der Person Jesus die Geschöpflichkeit des Menschen wiederherstellt. In Jesus Christus, in diesem Namen, ist daher die Frage nach der Wirklichkeit, nach der Beziehung der Welt und Gott beschlossen, in ihm ist Gott selbst persönlich dem Menschen offenbar.6 Allein aus dieser Person sind nun für den Menschen der Zugang und das Angebot geschaffen, wieder an der Wirklichkeit Gottes teilzuhaben, die eine kommunikative, in ihrer bleibenden Anrede im Wort Jesu Christi eine personale ist. Ist nun in Christus die urständliche Beziehung des Schöpfers zu seinem Geschöpf neu wiederhergestellt, ermöglicht dieses überhaupt wieder wahres Geschöpfsein, nämlich Beziehungssein. Mit Gottes Selbstoffenbarung im Wort ist der Mensch neu befähigt Person und das ist, in Gemeinschaft mit seinem Nächsten zu sein.7 In Jesus Christus ist das Geschöpf bleibend angesprochen, sich seinem Nächsten als Nächster, als wirkliches Geschöpf zu erweisen. Das menschliche Sein ist Bonhoeffer demzufolge nur in Abhängigkeit zu denken, in der gesetzten Beziehung des Schöpfers zu seinem Geschöpf in Jesus Christus, welche auf der Verwirklichung des Personseins beruht. Die Ontologie ist darum eine responsive,8 weil Bonhoeffer das Sein nicht ‚an sich‘ wähnt, sondern allein in 1 2 3 4 5 6 7 8
Cf. WE, 558f. Cf. SF, 38. SF, 39. Cf. SF, 58–61. Cf. N, 299. Cf. E, 39. Cf. SC, 19–35. Cf. Dabrock, Responding to „Wirklichkeit“, 77.
402
Responsive Hermeneutik als sakramentale Bibelauslegung
der geschenkten Begegnung Gottes mit seinem Menschen und der daraus ermöglichten Begegnung der Menschen untereinander. Das Sein des Menschen ist demnach einzig als „Sein in Christus“9 zu denken, woraus das menschliche Sein seinen Entfaltungsraum erhält. Von Bonhoeffers Darstellung der Ontologie ist daher nur als von einer responsiven zu sprechen, weil dieses neue Sein ein Sein in Antwort ist.
5.2
Responsivität als Modus des Empfangens
In seiner gebundenen Freiheit ist der Mensch nicht antwortendes Subjekt, sondern empfangendes Geschöpf. Aktivität geht allein von Gott aus, der in Christus seinen An-Spruch an den Menschen stellt und ihn zum Antworten auffordert. Dessen Antwort ist immer nur Gegen-Rede und damit zuerst ein Vernehmen sowie Annehmen des Anspruchs, der überhaupt erst zum Antworten befähigt. Solches Reden ist dann aber nur vermitteltes, wird in ihm doch weitergegeben, was zuvor empfangen wurde. Denkt Bonhoeffer den Menschen als in der Bindung an den Schöpfer10 freien, ist hier das nächste Axiom seiner Theologie und auch seiner Hermeneutik markiert. Wenn das Bild Gottes im Menschen einzig in Christus wiederhergestellt ist, ist sich diese Ähnlichkeit als Beziehung, genauer noch als bleibende Anrede Gottes an den Menschen, vorzustellen.11 Weil Christus das Wort ist und uns in seinem Wort wieder neu zum Bild Gottes macht, ist mit dieser Anrede nicht nur ein Zuspruch verbunden, sondern auch ein Anspruch. ‚Anspruch‘ ist infolgedessen in doppeltem Sinne zu verstehen, nämlich einmal, dass Gott sein Wort an den Menschen adressiert, den Menschen auf sein Geschöpfsein anspricht, und zum anderen, dass Gott einen Anspruch auf seinen Menschen erhebt.12 In der wiederhergestellten Gottebenbildlichkeit in Jesus Christus ist das Geschöpf somit nicht nur in die Wirklichkeit Christi hineingestellt, sie eröffnet in der Anrede auch den Raum der Kommunikation, in dem eine Antwort gefordert ist.13 Diese 9 10 11 12
Cf. AS, 149–161. Cf. SF, 59. Cf. B, 298f. Cf. Waldenfels, Antwortregister, 238: „Der bloße Versuch, das deutsche Wort ‚Anspruch‘ in anderen Sprachen wiederzugeben, läßt zunächst einen Doppelsinn vermuten. ‚Anspruch‘ verweist einmal auf den Vorgang, daß jemand jemanden anspricht, sich an ihn wendet, seine Rede an ihn adressiert. ‚Anspruch‘ tritt so in eine Reihe mit Anruf, Anrede, Appell […]. ‚Anspruch‘ bedeutet aber auch den Anspruch auf etwas, den jemand erhebt oder geltend macht, wobei offen bleibt, wem gegenüber dies geschieht.“ 13 Cf. E, 34: „Die Frage nach der letzten Wirklichkeit versetzt uns also bereits in eine solche Umklammerung durch ihre Antwort, daß wir uns garnicht mehr entwinden können.“
Gleichgestalt als Gestaltung
403
ist jedoch nicht ‚an sich‘ zu denken, entspricht doch dem Antworten je „ein Geben, das aus dem Nehmen hervorgeht.“14 Jede Aktion des Menschen ist dann im wahrsten Sinne des Wortes nur eine Reaktion, weil Gottes Anrede in Christus den Menschen ganz ins Passiv versetzt,15 weil das Geschöpf in diesem Angeredetsein je nur der Empfangende der wiederhergestellten Ebenbildlichkeit ist. Ein Antworten aus dieser Wirklichkeit erklärt sich dann nicht in den geläufigen Kategorien von ‚aktiv‘ und ‚passiv‘, sondern gleicht vielmehr einer Passion, einer Leidenschaft, die das Geschöpf ergreift, mitreißt und außer sich geraten lässt.16 Darin aber ist diese Wirklichkeit dem Geschöpf auch immer Zumutung,17 weil Christus ganz von außen dieses als Ganzes in seinem Leben trifft. Extra nos tritt Gottes Wort an den Menschen heran18 und fordert seine ganze Aufmerksamkeit, seinen ganzen Mut zur Antwort, die dann eine Gegen-Rede ist, weil sie ihre Wirklichkeit und Wahrheit einzig aus der ihr zuvorkommenden Anrede erhält.19 Menschliche Antwort kann damit in diesem Zusammenhang nur vermittelte sein, weil sie nicht nur ein Pendant zum Gegebenen darstellt, sondern immer „nehmendes Geben“20 bleibt. Der Rede des Menschen, die aus dem Vernehmen und Annehmen des Anspruches erwächst, entspricht daher ein Antwortgeben, das sich immer aus dem Empfangenen speist.21 Das in Gott gebundene freie Geschöpf ist darin so immer Empfangendes, weil es Gott gefallen hat, sich in seinem Wort an dieses zu binden und dieses zum Antworten zu ermächtigen.
5.3
Gleichgestalt als Gestaltung
Im Anspruch Gottes ist der Mensch Christus gleichgestaltet und in seinen Leib hineingezogen. Im Ruf in die Nachfolge wird der Mensch nach dem Bild Christi geprägt und zum wirklichen Menschen gemacht. Gleichgestaltet mit dem Gekreuzigten gewinnt der Mensch seine Eigentlichkeit zurück und ist in die Gemeinschaft der Heiligen gestellt. Im Leib Christi in der Gestalt der Kirche ist die Menschheit immer schon auf ihre wahre Gestalt hin angesprochen, in ihr ist die Gestaltung der Welt vorgegeben und für alle vorweggenommen.
14 15 16 17 18 19 20 21
Waldenfels, Antwortregister, 614. Cf. AS, 113. Cf. Waldenfels, Antwortregister, 345. Cf. Dabrock, Responding to „Wirklichkeit“, 64. Cf. SF, 61. Cf. KuH, 628. Waldenfels, Antwortregister, 614. Cf. Waldenfels, Antwortregister, 614.
404
Responsive Hermeneutik als sakramentale Bibelauslegung
Der Mensch ist in Gottes Anrede in die Nachfolge Jesu Christi gerufen, in der er Christus gleich werden und sein Bild tragen soll.22 Der Gestalt Christi gleich zu werden, ist aber kein aufgegebenes, überzeitliches Ideal der Verwirklichung einer Christusähnlichkeit, es ist vielmehr die neue Wirklichkeit des Geschöpfes, in der Christus als der wahre Mensch in uns Gestalt gewinnen will.23 Der alte Mensch ist darin entmachtet und sein beständiges Greifen nach dem Urbild als Lüge enttarnt.24 In der Gestaltwerdung in Christus ist das vermeintlich absolute Subjekt seiner Macht beraubt und das wahre Geschöpf zu seiner Eigentlichkeit zurückgeführt und befreit. Hineingezogen in die Gestalt Christi, gleichgestaltet mit dem Menschgewordenen ist der Mensch wirklicher Mensch.25 Allein so kann der Anspruch Gottes nicht als Zumutung verstanden, sondern als Ermutigung gelebt werden. Aus der bleibenden Anrede Christi geht nämlich um-schaffende Kraft aus, sodass diese Stellvertretung nicht imitatio meint, ist doch allem Übermenschtum abgeschworen, sondern dynamische Entfaltung der Wortwerdung als Wortgeschehen in der bleibenden Gerichtet- und Versöhntheit des Geschöpfes.26 „‚Gestaltung‘ heißt daher in erster Linie Gestaltgewinnen Jesu Christi in seiner Kirche.“27 Die Kirche ist somit nichts anderes als der Teil der neuen Menschheit, die sanctorum communio ist und in der Christus bereits wirklich Gestalt angenommen hat. Als Gemeinschaft der Heiligen ist sie damit der Leib Christi und darin das antizipierte Reich Gottes auf Erden. Die Anrede Gottes in Christus an den gefallenen Menschen ist so eschatologisches Geschehen, weil darin vorweggenommen ist, was am Ende aller Zeiten verwirklicht sein wird: Die Menschheit ist als neue in Christus wiederhergestellt als wirkliches Ebenbild Gottes, sie ist wie der einzig wahre Mensch Jesus Christus.
5.4
Sich im Antworten vorfinden
Im Leib Christi ist der Mensch in die Wahrheit gestellt und findet sich im Antworten vor. Im Wort Gottes ist der Mensch wahres Geschöpf, das in der Christuswirklichkeit unter den Anspruch Gottes gestellt ist. Christus fordert in seiner Anrede und seinem Zuspruch das ins Passiv gesetzte Geschöpf zu einem aktiven Antworten auf. Weil es ein auf das ganze Leben gerichtetes Wort ist, kann die Antwort auch nur eine mit dem ganzen Leben in seiner je eigenen Realisierung gegebene sein. 22 23 24 25 26 27
Cf. N, 297. Cf. N, 300f. Cf. SF, 103–106. Cf. ÖUP, 460f. Cf. E, 81. Cf. Dabrock, Responding to „Wirklichkeit“, 69. E, 84.
Sich im Antworten vorfinden
405
Mit Christus, dem Wort Gottes, ist der alte Mensch getötet und der neue Mensch wiederhergestellt.28 Das Geschöpf ist in die eine und einzige Wirklichkeit Gottes und damit in die Wahrheit gestellt. Wahrheit ist dabei etwas im menschlichen Leben „Fremdes, Ungewöhnliches, Ausnahmehaftes“,29 weil sie das gottgleiche Subjekt an einen ihm ganz und gar fremden Ort, das Kreuz Christi führt.30 Dort ruft sie den alten Adam heraus aus seinem Kreisen um sich selbst, um den dem Tod Verfallenen zum wirklichen Leben zu erwecken.31 Wahrheit erhält das neue Geschöpf demnach nur von außen, nur wenn es in die Wahrheit gestellt ist, vermag es sich in Wahrheit zu verstehen.32 Nicht das Greifen nach dem Geheimnis Gottes bringt den Menschen demselben näher, stattdessen schließt ihm Gott dasselbe auf, indem er diesen der Lüge überführt und ihn darin zum wahren Sein befreit. Der Anspruch Gottes ist für Bonhoeffer aufgrund dessen das Angesprochenwerden durch einen anderen, das den Menschen vor die Entscheidung stellt, der Forderung nachzukommen oder sich ihr zu verweigern. Ganz gleich aber, wie er reagiert, immer antwortet er auf den Anspruch des ganz anderen.33 ‚Leben‘ ist daher etwas, das sich durch ein Antworten klassifiziert, nicht in einzelnen Gedanken und Taten, sondern im ganzen Leben, weil das Wort ein auf das ganze Leben gerichtetes Wort ist. Es kann so auch nur eine mit dem je eigenen34 und ganzen Leben gegebene Antwort geben.35 „Dieses Leben als Antwort auf das Leben Jesu Christi (als Ja und Nein über unser Leben) nennen wir ‚Verantwortung‘.“36 Gefordert vom Du37 ist das Geschöpf somit in die Gemeinschaft der Heiligen gestellt, weil es in seinem Leben diese Gemeinschaft bereits verwirklicht, weil es mit seinem ganzen Leben diese Gemeinschaft je neu erschafft und weil es durch diese Gemeinschaft je neu zum Geschöpf wird.38 In diesem wahren Leben verwirklicht das Bild Christi so die Wahrheit des Reiches Gottes auf Erden, indem sein ganzes Leben nicht aus Teilantworten besteht, sondern die eine Antwort auf den Ruf Gottes ist.39
28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39
Cf. E, 82. ÖUP, 456. Cf. SF, 136. Cf. E, 75. Cf. AS, 75. Cf. Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 116. Cf. Waldenfels, Antwortregister, 238. Cf. SC, 29. E, 254. Cf. dazu auch E, 254 (Anm. 25). Cf. SC, 33. Cf. B, 298. Cf. E, 254.
406
5.5
Responsive Hermeneutik als sakramentale Bibelauslegung
Offenbarung als sakramentales Sprachgeschehen
Jesus Christus das Ursakrament befreit den alten Menschen von seiner Stummheit und befähigt ihn zum wahren Sprechen. Im gläubigen Verstehen des göttlichen Anrufes geschieht das Übergehen ins Verstandenwerden des Seins in Christus, welches das alte Subjekt entmachtet, das neue Geschöpf in die Gemeinschaft der Heiligen stellt und darin zum Handeln an seinem Nächsten aufruft. In der Fleischwerdung des Wortes in der Gemeinde vollzieht sich damit die Ekklesia als sakramentales Geschehen, indem es den Menschen zur Antwort und An-Sprache an seinen Nächsten befähigt. Wird von der Fleischwerdung des Wortes Gottes in Jesus Christus gesprochen, ist in beiden Erkennungsmerkmalen der christlichen Kirche Wort und Sakrament je der ganze Christus gegeben, weil das Wort im Sakrament leibgewordenes Wort und das Sakrament die Gegenwart Christi als worthafte ist.40 Jesus Christus ist folglich selbst das einzige Sakrament,41 er ist das Ursakrament, das in der Gabe des Elements durch das Wort die Gemeinde zum Wort macht, weil die Gemeinde das Wort glaubt.42 In der Vergegenwärtigung Christi in der Leibwerdung des Wortes im Geschöpf ist die Gemeinde selbst Offenbarung des Wortes Gottes, weil Christus in ihr Leib wird und sich in ihr verwirklicht. Im Vollzug des Sakraments wird so das Alte ins Neue zurückgeholt, sprachtheologisch die alte Kreatur von ihrer Stummheit befreit und mit der Einverleibung in die Existenz Christi als sanctorum communio zu neuer Sprache, d. h. zum Antworten, überhaupt befähigt. In der Begegnung mit dem Wort ist das Schöpfersubjekt hineingezogen in die Gestalt des Gottmenschen, die dem Subjekt im Anruf entgegensteht und sich ihm gläubig zu verstehen gibt, indem sie sich ihm vergegenwärtigt.43 Hier ist das Geschöpf dann ganz bei sich, wenn nämlich aus dem glaubenden Verstehen des alten Adam sogleich ein Übergehen ins Verstandenwerden des Seins in Christus geschieht. Als sakramentaler Selbstvollzug der Kirche ist der Einzelne mithin in der Menschwerdung des Wortes in die Gemeinschaft der Heiligen gestellt, in der er zur wahrhaften Person gemacht ist, weil er im anderen den Nächsten erkennt und zur An-Sprache an den Nächsten befreit ist.44 Die Offenbarung in Christus kann deswegen als sakramentales Sprachgeschehen verstanden werden, weil in der Vergegenwärtigung des Wortes der menschgewordene, gekreuzigte und auferstandene Gott durch die Dekonstruktion des Subjekts und die Rekon-
40 41 42 43 44
Cf. B, 300. Cf. B, 301. Cf. B, 305f. Cf. auch SC, 159. Cf. ITAF, 403f. Cf. SC, 32–35. Cf. auch SF, 61.
Die Verwirklichung des Reiches Gottes in der Kirche
407
struktion des Geschöpfes in der Gemeinde als Leib Christi real, d. h. personal, präsent wird.
5.6
Die Verwirklichung des Reiches Gottes in der Kirche
Kirche ist in ihrem Selbstvollzug creatura verbi und erweist sich darin als Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden. Als Vergegenwärtigung des Christus praesens in der Verkündigung setzt sie die neue Wirklichkeit der Person in Gemeinschaft und erweist sich darin als wahres Geschöpf des Wortes. In der sakramentalen Dimension der Gestaltwerdung des Wortes nimmt sie den neuen Menschen damit hinein in das Geheimnis Christi und macht ihn zum Teil der Trinität. In der Teilhabe an der Wirklichkeit in Christus ist das Geschöpf zur Wegbereitung des Reiches Gottes in der verantwortlichen Tat befähigt und aufgerufen. In der Verkündigung des Wortes Gottes in Predigt wie Sakrament teilt Kirche nicht nur die Menschwerdung Gottes mit, sondern bewirkt selbst die Fleischwerdung des Wortes, vergegenwärtigt sich doch in ihrem Wort der gekreuzigte und auferstandene Gott in den Gliedern der Gemeinde. Aus den vereinzelten Subjekten werden im, mit und unter dem Wort die gemeinschaftlichen Geschöpfe neu geschöpft, indem Christus in den Gliedern wahr wird und dieselben darin an der neuen Wirklichkeit Gottes teilgewinnen. Die Kirche Jesu Christi bewahrheitet sich so in Wort und Sakrament tatsächlich als Geschöpf des Wortes, weil sie in ihrem Selbstvollzug der Gemeinschaft der Geschöpfe das neue Geschöpf Gottes ist. Die Gemeinde ist darin der Christus praesens und ist es auch noch nicht, weil Gott in ihr das Letzte vor aller Zeit vorwegnimmt, die Weltwirklichkeit ein für alle Mal schon jetzt zur Christuswirklichkeit gemacht ist.45 Es sind dementsprechend sakramentale und performative Dimension in dieser Leibwerdung nicht zu trennen, weil einzig die Kirche der zugehörige Ort ist, wo dieses Geschehen ontologische Wirklichkeit wird, wo Gott dieses „Element mit seinem besonderen Wort benennt, anspricht, heiligt, indem er ihm den Namen gibt.“46 In der sakramentalen Form der Wort- und Gestaltwerdung des Wortes Gottes, der Heiligen Schrift in der Verkündigung wird das Geschöpf hiernach Teil der Trinität, hat es Gott doch gefallen in seine Schöpfung erneut einzugehen, Fleisch zu werden, sich an diese zu binden und diese von ihm getragen sein zu lassen.47 Die neue Menschheit ist Teil der Trinität, weil durch und mit dem Wort 45 Cf. AS, 107f. 46 B, 301. 47 Cf. SF, 59.
408
Responsive Hermeneutik als sakramentale Bibelauslegung
Christus in seinen Geschöpfen Gestalt gewinnt und zur Sprache kommt.48 Der neue Mensch ist darin dynamisch in die Christuswirklichkeit hineingezogen,49 die Gestalt gewinnt, weil er nicht Gestalt gewonnen hat, sondern in der Gestalt Christi ist. Als Teilgabe an dieser neuen Wahrheit ist die Vergegenwärtigung der sanctorum communio deshalb eine Wegbereitung des vorweggenommenen Reiches Gottes auf Erden, weil sich der Menschgewordene aus dem Letzten im Vorletzten seines Leibes bedient. Das neue Geschöpf entfaltet so in seiner bleibenden Passivität nicht nur ein enormes aktives Potential in seiner verantwortlichen Tat, die aus dem Anruf Gottes in Christus erwächst, vielmehr ist in ihm bereits antizipiert, was im Letzten noch verwirklicht werden wird: Das Reich Gottes in der gesamten wiederhergestellten Menschheit.
5.7
Hermeneutik der Responsivität
Dietrich Bonhoeffers Schriftauslegung begründet eine Hermeneutik der Responsivität, weil sie die Begegnung mit dem Wort als existentielles Sprachgeschehen beschreibt. Die Offenbarung Gottes in Jesus Christus in der Schrift erscheint als sakramentales Wortgeschehen, indem es als Teilgabe an der Wirklichkeit Christi dynamisch ein existentielles Ereignis ist, das sich in der Sprachfähigkeit des Menschen zeigt. Bonhoeffer zufolge gestaltet die Schrift das Subjekt zum Geschöpf um, das in der Freiheit zu seinem Schöpfer mit seinem Handeln in der Welt auf dessen Anrede antwortet. Die Offenbarung Gottes in seinem Wort erweist sich darin als Sakrament, dass sie soteriologisch bezogen ist auf die Grundsituation des vereinzelten Menschen und darin teilgibt am Leib Christi in Ermöglichung wahrer Gemeinschaft mit dem Auferstandenen im Nächsten. Die Schrift ist zugleich auch so Sakrament, weil sich in dieser Verwirklichung der Gegenwart Gottes im Leib der Gemeinde das Reich Gottes bereits in ihrem Vollzug als solches bewahrheitet. Als existentielles Ereignis setzt es den neuen Menschen hiermit aber nicht statisch in diese neue Wirklichkeit hinein, vielmehr ist es ein dynamisches Geschehen, das durch den Anspruch Gottes den Zuspruch zum je mit dem eigenen Leben gegebenen Ausspruch des Geschöpfes zu allererst ermöglicht.50 Die Wirklichkeit in Christus zeigt sich so als Sprachgeschehen, in dem derjenige, der vom Anspruch, von der Anrede, vom Zuspruch Gottes getroffen ist, nicht anders kann, als zu antworten. Hineingezogen in diese Erfahrung der Befreiung von der Stummheit der alten 48 Cf. SF, 59f. 49 Cf. E, 40. 50 Cf. Waldenfels, Antwortregister, 251.
Fall und Neuschöpfung des Auslegers
409
Kreatur ist der Mensch nicht nur aus dem Tod zum Leben erweckt, sondern auch zur Sprache befähigt. Theologisch ist von fides ex auditu, phänomenologisch von „responsio ex auditu“51 zu sprechen.52 Was ihm in diesem unwiderstehlichen Anruf Gottes in seinem Wort begegnet, ist eine Neuschöpfung des alten Adam zum Ebenbild Christi. Hier ist wahres Geschöpfsein ermöglicht, weil der neue Mensch als Person und damit als Nächster in der antwortenden Anrede an sein Du verwirklicht wird. Befreit von seinem Kreisen um sich selbst, ist der Mensch geführt zu einem Handeln in der Freiheit eigenster Verantwortung, das aus Gottes Führung ausfließt und dahin einmündet.53 Zielhaft fügt sich so im Wort Gottes aus dem Wort und durch das Wort alles in der Christuswirklichkeit zusammen, wo das Geschöpf zu wahrhaftem Sprechen befähigt ist, zu verantwortlichem Handeln am Nächsten.54 Die Leibwerdung der göttlichen Ansprache erfüllt sich folglich darin, dass sich im vorausgehenden Sagen das Gesagte ausspricht. Das Wort schafft so den wahren Leib, der sich jeder sprachlichen Selbstaneignung widersetzt, aber doch darin der je eigene ist.55 Bonhoeffers Hermeneutik liegt somit eine Konzeption der „Responsivität“56 zugrunde, weil sich in der Fleischwerdung des Wortes Gottes im Geschöpf ein Grundzug allen Sprechens und Handelns verdeutlicht, der in jedem Sagen etwas zum Ausdruck bringt, was immer hinter dem Gesagten liegt, und somit jedes Antworten immer bereits auf eine andere, außerhalb des Redenden liegende Ansprache verweist. Jede Antwort des Menschen ist darin eine solche, die durch den Anspruch einer Wirklichkeit extra nos gehalten und befähigt ist, selbst ein Wort zu sein.57
5.8
Fall und Neuschöpfung des Auslegers
In und mit der Auslegung von Schöpfung und Fall vollzieht sich die Neuschöpfung des Lesers in der Erkenntnis seines Gefallenseins coram Deo. Auslegung ist für Bonhoeffer immer bereits vollzogene Vermittlung von damals und heute, weil das Verstehen des Textes je die Umsetzung in die Existenz des Lesers ist. Es wird damit nicht die Schrift ausgelegt, sondern der Leser selbst, der sich in der Auslegung mit Adam als Gefallener erkennt und so in, mit und unter Christus zum neuen Menschen aufersteht. Gesetz und Evangelium vollziehen sich so mit der Schrift als Auslegung des Lesers. 51 52 53 54 55 56 57
Waldenfels, Antwortregister, 250. (Im Original ohne Kursivierung.) Cf. Dabrock, Responding to „Wirklichkeit“, 65. Cf. E, 225. Cf. Waldenfels, Gedankengänge, 335. Cf. Waldenfels, Antwortregister, 313. Waldenfels, Antwortregister, 327. Cf. Waldenfels, Antwortregister, 327.
410
Responsive Hermeneutik als sakramentale Bibelauslegung
Wenn Bonhoeffer in seiner Vorlesung Schöpfung und Fall nicht von der Inspiriertheit der Schrift, nicht von der Betonung des Gotteswortes im Menschenwort weichen will und der Schrift darin einen Existenz verändernden Charakter zuspricht, muss eine Auslegung derselben neu gedacht werden. Im fremden Evangelium, das in seiner geheimnisvollen mythischen Sprache dem Leser entgegensteht und in diesem Entgegen-Sein ihm immer Ärgernis bleiben wird, ist der Leser zugleich in das Geschehen hineingezogen, weil wirkliche Gegenwart in ihrem bleibenden Entgegensein, ihrem ‚von außen‘ als Gottes Gegenwart qualifiziert ist. Einzig die „brüchige Bibel“58 befähigt uns so zu einer Begegnung mit Gott, weil in ihrer paradoxen Zweiheit von Historie und Glauben der historische Jesus uns als der geschichtliche begegnet,59 nämlich darin, dass in der Begegnung mit diesem Wort eine Vermittlung von damals und heute stattfindet, indem der Mensch im Verstehen ins Verstandenwerden übergeht. Dies, dass die Schrift ‚Christum treibet‘, buchstabiert sich Bonhoeffer folglich zum einen freilich in ihrem Inhalt, in ihrer frohen Botschaft, aus, zum anderen aber in der Vergegenwärtigung Christi im Leser selbst. Im Anspruch der Heiligen Schrift geschieht somit dieses ‚was Christum treibet‘ nicht im toten Buchstaben, sondern in der lebendigen Gestaltwerdung des Geschöpfes Gottes als Leib Christi. Gläubiges Verstehen ist dann ein Übergehen ins Erkanntsein als Ebenbild Gottes in der neuen Existenz in Jesus Christus. Über Bonhoeffer hinausgehend ist damit von einer responsiven Hermeneutik zu sprechen, die im sakramentalen Charakter des Heiligen Wortes den Fokus nicht auf das ‚Wie‘ der Fleischwerdung Gottes im Element legt, sondern auf das ‚Wer‘ derselben blickt. Die Leibwerdung des Wortes geschieht genau so nicht in einer ewigen, überzeitlichen Bindung Gottes an den toten Buchstaben, sondern in der neuen Auslegung des Auslegers als Geschöpf Gottes. Durch Bonhoeffer ist man darum angehalten, seinen Blick von ewigen und endgültigen Wahrheiten wegzunehmen und hinzurichten auf das vorweggenommene Geschehen in der Verwirklichung der neuen Menschheit. Es ist ergo davon zu sprechen, dass die Auslegung der Heiligen Schrift nicht eine linguistische Textarbeit meint, stattdessen geschieht ein Ausgelegtwerden des Lesers selbst. In der Anteilnahme durch die vorausgehende Anteilgabe an Gottes Geschichte ereignete sich der Fall Adams also nicht in einer unvordenklichen Urzeit, im Gegenteil, in der Erkenntnis des eigenen Gefallenseins coram Deo ist es der Leser selbst, der sich als dieser Adam erweist, und der dadurch in, mit und unter Christus zur neuen Schöpfung wiederhergestellt ist. Im Lesen der Schrift wird so der tote Buchstabe vom Gesetz zum lebendig machenden Evangelium, weil sich die Auslegung der Heiligen Schrift in der Erkenntnis des eigenen Gefallenseins und in der Neuschöpfung des Lesers selbst vollzieht. 58 B, 315. 59 Cf. B, 315.
6.
Eine kurze Zusammenschau
In dieser Untersuchung zur Hermeneutik Dietrich Bonhoeffers am Beispiel seiner Vorlesung Schöpfung und Fall wurde dessen Handhabung der Heiligen Schrift neben unterschiedliche Schulen und Positionen gestellt, um seine ihm eigene Art und Weise des Verständnisses der Bibel zunächst im Sinne einer negativen Schablone und zuletzt in positiven Umrissen nachzuzeichnen. Diese Analyse zeigte mit all ihren differenten inhaltlichen Erkenntnissen aus unterschiedlichen Perspektiven, dass nicht nur besagter Vorlesung Bonhoeffers ein Gerüst hermeneutischer Implikationen zugrunde liegt, sondern seiner gesamten Theologie. Das soll freilich nicht meinen, dass dessen hermeneutische Axiome zu jeder Zeit gleichwertig und explizit nebeneinander auftreten, sie bilden dennoch durchgängig auch implizit das Fundament für den bonhoefferschen Umgang mit der Heiligen Schrift. Dazu wurde im Blick auf seine Vorlesung Schöpfung und Fall zuerst die Frage nach Bonhoeffers Behandlung der historisch-kritischen Exegese bearbeitet (§ 2.1). Bis heute herrscht in der Forschungslandschaft Uneinigkeit darüber, ob er diese Methodik seiner Arbeit zugrunde legt und, wenn ja, in welchem Maße. Gerade aber in der Frage nach der Bibel als historischem Dokument entscheidet sich zu allererst fundamental und Weichen stellend ein Verständnis derselben im Spektrum zwischen Menschen- und Gotteswort. Es war demnach aufgegeben, Bonhoeffer mit seinen Lehrern in Beziehung zu setzen und deren Forderungen an die Auslegung der Schrift mit seiner Herangehensweise in der Paradies- und Sündenfallgeschichte zu untersuchen. Hier entschied sich, inwieweit Bonhoeffer tatsächlich diesem rationalen und historisch-kritischen Umgang mit dem Wort Gottes folgt und wo er von den Wegen seiner Lehrer abweicht beziehungsweise über sie hinausgeht. Es war zu sehen, dass er sich dezidiert auf eine historischkritische Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Bibeltext einlassen mag und diese auch als angebracht und sinnvoll erachtet, es war aber auch zu bemerken, dass er seinen Lehrern da widerspricht, wo diese den rekonstruierten ‚originären‘ Quellen einen höheren Status zugestehen als den biblischen Texten selbst.
412
Eine kurze Zusammenschau
Wenn Bonhoeffer nun den Endtext als solchen in jedem Wort würdigt, indem er ihm eine außerordentliche Bedeutung zuerkennt, lag eine Gegenüberstellung seines Bibelumgangs mit demjenigen biblizistisch frommer Kreise, wie den Pietisten und den Vertretern der lutherischen Orthodoxie, nahe (§ 2.2). Hier stellten sich freilich elementare Fragen wie jene nach der Theopneustie, nach dem Verhältnis beider Testamente zueinander, nach der Kanonizität und nicht zuletzt nach der Autorität der Schrift. In dieser Auseinandersetzung wurde Bonhoeffers Verbundenheit zu biblizistischen Kreisen deutlich, ohne jedoch deren theologische Begründungen zu teilen. So ist es ihm beispielsweise darum, die Inspiriertheit der Schrift hochzuhalten, das aber nicht in der Verewigung des lebendigen Gotteswortes in einem toten Buchstaben, weder in orthodoxer Realnoch pietistischer Personalinspiration, sondern in der Verbindung aus Menschen- und Gotteswort. Ähnliches gilt auch für die Begründung der Autorität und Kanonizität der Schrift, die sich für ihn gerade nicht aus Prinzipien und ewigen Wahrheiten ableiten lässt, sondern allein aus dem lebendigen Wort Gottes. Bereits hier war dementsprechend auf Bonhoeffers Frage nach der Beteiligung des Lesers in diesem Auslegungsprozess hingewiesen, scheint es ihm in seinem Ringen um das rechte Verständnis der Schrift in jedem einzelnen ihrer Worte dabei offensichtlich zuletzt doch einzig um den Menschen zu gehen, dessen Existenz er im Verhältnis zum Wort bestimmt. Lag damit aus den bisherigen Ergebnissen eine existentiale Betroffenheit des Menschen, die zwischen rationaler Einseh- und gläubiger Erfahrbarkeit changiert, im (impliziten) Fokus des bonhoefferschen Schriftumgangs, war ein Gespräch mit Rudolf Bultmann und dessen existentialer Interpretation erkenntnisbringend (§ 3.1). Zwischen glaubendem Verstehen und verstehendem Glauben erweist sich hier jeder Umgang mit der Schrift als den ganzen Menschen fordernd und dessen Existenz verändernd. Mit Bultmann war es deshalb möglich, nicht nur Bonhoeffers Umgang mit den Mythen und Bildern der Bibel eingehender zu beschreiben und einzusehen, sondern auch die bleibenden Fragen der Rationalität und der historischen Bedingtheit des Glaubens zu diskutieren, um daraus seine Handhabung der Schrift als Gottes- und Menschenwort deutlicher zu fassen. Besonders aufschlussreich war der Vergleich beider Theologen zur Frage nach der Existenz in Relation, ist es doch gerade Bultmann ein Anliegen, seine anthropologischen Bestimmungen grundsätzlich als relationale zu denken (§ 3.2). Hieraus war Bonhoeffers Menschenbild als responsives zu verstehen; vielmehr noch, man erlangte einen differenzierten Einblick in seine hermeneutische Methode der Vergegenwärtigung, von wo aus der für ihn bleibende Unterschied zwischen Historie und Geschichte an der Frage nach der Diesseitigkeit Gottes kenntlich gemacht werden konnte. War nun Bonhoeffers Hermeneutik inhärent anhand des bisher Erarbeiteten gegeben, stand im folgenden Kapitel zur Aufgabe, diese zu explizieren und
Eine kurze Zusammenschau
413
pointiert darzulegen (§ 4.1). Zunächst erwiesen sich besonders dessen Auffassung und Behandlung des biblischen Mythos als Nadelöhr für seine Arbeit mit der Schrift. War in der Auseinandersetzung mit Bultmann zu sehen, dass Bonhoeffers Verständnis mythischer Elemente der Bibel ein anderes ist als das seines Kollegen, erwies sich nun in dessen Mythenbegriff die Vergegenwärtigung des Wortes Gottes als solche, die den Menschen an den für ihn vollkommen fremden und unangenehmen Ort, das Kreuz Christi, führt. Der rationale, in sich verkrümmte Mensch werde allein dort aus seiner Selbstverkrümmtheit befreit und dem fremden Wort gegenübergestellt. Bonhoeffers Rede vom Mysterium Gottes als Wurzel alles Begreiflichen und Offenbaren eröffnete seine dezidierte Betonung dessen, dass Gott seinen Menschen dieses Geheimnis gerade nicht rational ergreifen lasse, sondern ihn der Lüge überführe und nur so die Wahrheit erkennen lasse. Sein bleibendes Anliegen war folglich in dem Hinweis gegeben, dass Christus nicht im Ergreifen des Geheimnisses verständlich werde, sondern allein das Schweigen vor demselben dessen Wahrheit überhaupt erst offenbare. Mit Bonhoeffer stand man im Anschluss vor der vielfach problematisierten Frage nach dem Subjekt der Textauslegung, die sich in seinen Überlegungen so darlegt, dass es nicht der Leser selbst ist, der den Text an sich vernünftig für sich je neu verständlich zu machen vermag, erweist sich die Auslegung der Schrift doch als dynamisches Geschehen im Leser selbst. Mit dem fremden Evangelium ist das Subjekt an seine rationale Grenze geführt, eine Grenze, die es nur überschreiten kann, wenn es sich über diese führen lässt, wenn also der Führer zum Geführten wird. Hier wurde man sich dann auch der Unzulänglichkeit der Kategorien von ‚Aktivität‘ und ‚Passivität‘ gewahr, über die hinaus mit Bonhoeffer der Leser, genauer das dezentrierte Subjekt, als ein aktiver in bleibender Passivität vorgestellt ist. Erst in diesem Geschehen ist dann für die Erschließung der Schrift der Leser tatsächlich durch die Schrift erschlossen, weil er sich vor Christus als neues Geschöpf verstanden sieht. Es war darin ein weiteres Axiom der bonhoefferschen Schrifthandhabung angezeigt, da nach ihm in diesem fremden Evangelium die Wirklichkeit Gottes dem Menschen immer entgegensteht, weil sie ihre Bestimmung aus dem Eschaton bekommt. Die Rede von der Gegenwart Gottes bzw. der Vergegenwärtigung des historischen Jesus in seinem Wort erhielt damit nun den Charakter des Unverfügbaren, genauer aber des Zukünftigen, weil in ihr Gott dem Menschen immer entgegenkommt, ihn von außen trifft und so überhaupt erst neu zum Geschöpf Gottes macht. Es war demnach möglich, Bonhoeffers Verständnis der Schriftauslegung als Sprachgeschehen zu bezeichnen, wird doch allein in der Begegnung mit dem Wort der Mensch erst fähig, wahres Geschöpf zu sein, d. h. tatsächlich am Reich Gottes teilzuhaben. Hier eröffnete sich sodann, warum und inwiefern Bonhoeffer dieses Leben des Geschöpfes in Christus als Leben in Antwort, genauer in Verantwortung verstehen muss.
414
Eine kurze Zusammenschau
Diese eigentümliche Responsivität der Hermeneutik Bonhoeffers galt es anschließend näher zu untersuchen und weiterzuentwickeln (§ 4.2). Dabei stellte sich heraus, dass es sich bei dieser Art der Schriftauslegung um ein sakramentales Geschehen handelt. Denn, wenn zum einen nicht die Schrift interpretiert wird, sondern der Leser als Geschöpf Gottes, bedeutet das vice versa, dass das Geschöpf in seine ‚Eigentlichkeit‘, in seine Ebenbildlichkeit zurückgebracht wird. Der Ort aber, an dem mit Bonhoeffer dieses fieri des neuen Menschen einzig zu denken ist, ist freilich die Kirche. Es erschloss sich damit nicht nur, warum er die Bibel nur als Buch der Kirche lesen kann, sondern auch, wie er dieses Geschöpf tatsächlich denkt, nämlich als den Leib Christi, in dem Geschöpfsein sich als wahres Personsein ausformuliert. So wurde der Raum der Ekklesia als Leib Christi zum hermeneutischen Ausgangspunkt, von dem aus christologisch die ganze Anthropologie ihre Bestimmung und die Leibmetaphorik Wirklichkeit erhält. In ihrem Angeredetsein bewahrheitet sie sich nämlich selbst als bleibende Anrede Gottes an die Welt, sodass in ihr nicht nur die Glieder untereinander wirklich ein Fleisch sind, sondern auch Adam ein Teil dieses Leibes ist. Natürlich gibt es eine solche Teilhabe aber allein in Wort und Sakrament, weil Christus in der Kirche beides ganz ist. Es war zu sehen, dass nur im Sakrament sich die Gegenwärtigkeit Gottes in seiner konkreten Gemeinde dann auch leiblich verwirklicht, sodass das Sakramentsgeschehen tatsächlich als Wortgeschehen erkannt werden konnte, nämlich als performativ wirkendes Wort, in dem das Subjekt zur Person, zum Geschöpf Gottes wird. Mit dieser Einverleibung in die Existenz als sanctorum communio war es möglich so mit Bonhoeffer und über ihn hinaus als sakramentales Geschehen der realen Fleischwerdung Christi nicht in seinen Elementen, sondern im Fleisch der Gemeinde zu verstehen. Es zeigte sich darin nicht nur, dass eine Verschiebung der viel diskutierten Frage nach res und signum vorliegt, sondern auch, dass das grundsätzliche Verständnis des Sakraments dahingehend enger wird, dass nach Bonhoeffer christlich allein von einem Sakrament zu sprechen ist, welches der Gott-Mensch, der Fleischgewordene selbst in seiner Gemeinde ist. Waren Bonhoeffers hermeneutische Implikationen damit weiterzuführen, war es augenscheinlich, dass jede Auslegung der Schrift tatsächlich eine Fleischwerdung des Logos meint, indem sich in der Neuschöpfung des Geschöpfes das Wort für alle Zeiten in seinem Leser vergegenwärtigt, weil es ihn teilbekommen lässt am Reich Gottes durch sein neues Teilsein. Darum stellte sich nach diesem Verständnis das Lesen der Heiligen Schrift dann zuletzt tatsächlich als Leibwerdung des Wortes dar, vergegenwärtigt sich in ihr doch der auferstandene Gott in der Neuschöpfung des Geschöpfes. Dieses gläubige Verstehen ist darum sakramentales Geschehen, weil sich in ihm nicht ein Verstehen der Schrift ereignet, sondern das Verstandenwerden durch das Wort, d. h. in ihm eine neue Wirklichkeit wahr wird. Erst in der Teilhabe an dieser Wirklichkeit Christi ist dann auch das Geschöpf in seiner
Eine kurze Zusammenschau
415
neuen Sprachfähigkeit als antwortgebender Wirklichkeit in seiner Existenz neu, die als ganze in ihrem Handeln nur eine Antwort auf diese Wirklichkeit sein kann. Kurzum, diese Studie zeigte somit, dass Bonhoeffers Hermeneutik als responsive zu verstehen ist, weil sich sein Verständnis der Bibelauslegung als ein sakramentales erweist.
Abkürzungsverzeichnis
AS B BBA BSLK CA CA Apol. DB DH E f. FC ff. GL GS ITAF ITAS JuS KuH L N ÖUP parr. SC SF
Dietrich Bonhoeffer: Akt und Sein (DBW 2) Dietrich Bonhoeffer: Berlin 1933 (DBW 12) Dietrich Bonhoeffer: Barcelona, Berlin, Amerika 1928–1931 (DBW 10) Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche Confessio Augustana, Augsburgische Konfession Apologia Confessionis Augustanae, Apologie der Augsburgischen Konfession Eberhard Bethge: Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse. Eine Biographie Enchiridion symbolorum et declarationum de rebus fidei et morum Dietrich Bonhoeffer: Ethik (DBW 6) Folgende Seite Formula Condordiae, Konkordienformel Beide nachfolgenden Seiten Dietrich Bonhoeffer: Gemeinsames Leben, Gebetbuch der Bibel (DBW 5) Dietrich Bonhoeffer: Gesammelte Schriften Dietrich Bonhoeffer: Illegale Theologenausbildung: Finkenwalde 1935–1937 (DBW 14) Dietrich Bonhoeffer: Illegale Theologenausbildung: Sammelvikariate 1937–1940 (DBW 15) Dietrich Bonhoeffer: Jugend und Studium 1918–1928 (DBW 9) Konspiration und Haft (DBW 16) Dietrich Bonhoeffer: London 1933–1935 (DBW 13) Dietrich Bonhoeffer: Nachfolge (DBW 4) Ökumene, Universität, Pfarramt 1931–1932 (DBW 11) entsprechende Parallelstellen Dietrich Bonhoeffer: Sanctorum Communio (DBW 1) Dietrich Bonhoeffer: Schöpfung und Fall (DBW 3)
Abkürzungsverzeichnis
WA WA DB WE WS
Weimarer Ausgabe Weimarer Ausgabe. Deutsche Bibel Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung (DBW 8) Wintersemester
Jegliche Hervorhebungen sind in Kursivierung angegeben.
417
Literatur
Aufgeführt wird hier ausschließlich diejenige Literatur, die in Text und Anmerkungsapparat direkt oder indirekt zitiert wurde. Jede andere Literatur, auf die nur weiterführend verwiesen wurde, ist im Anmerkungsapparat selbst vollständig angezeigt.
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Die verschiedenen Lösungen des Leidensproblems bei Hiob (Seminararbeit 1927, JuS) 35, 47
Brief an Eberhard Bethge vom 03. 08. 1944 (WE) 145, 346 Brief an Eberhard Bethge vom 05. 05. 1944 (WE) 106 Brief an Eberhard Bethge vom 08. 06. 1944 (WE) 178 Brief an Eberhard Bethge vom 29. 05. 1944 (WE) 254 Brief an Eberhard Bethge vom 31. 07. 1936 (ITAF) 130 Brief an Ernst Wolf vom 24. 03. 1942 (KuH) 175 Brief an E. Sutz vom 28. 04. 1934 (L) 138, 183 Brief an Rüdiger Schleicher vom 08. 04. 1936 (ITAF) 229, 305, 317
Freude im Urchristentum (Festgabe für Adolf von Harnack 1926, JuS) 34
Christologie (Vorlesung 1933, B) 66, 82, 135, 144 f., 168, 255, 275, 291, 293, 307, 330, 351 f., 354, 356, 366, 368, 372, 387 Das Wesen der Kirche (Vorlesung 1932, ÖUP) 106, 119, 360
Ethik (1948/49 bzw. 51, posthum, E) 25, 45 f., 106, 118, 135, 147, 153, 155, 212, 259, 262, 280, 293–295, 297, 299, 303 f., 311–315, 324–326, 335, 337 f., 348, 351, 398, 401 f., 404 f., 408 f., 416
Gemeinsames Leben (1940, GL) 13, 76 f., 98, 122, 126, 129, 138 f., 231, 268, 291, 317, 320, 329, 333 f., 336, 348, 361, 390 f., 416 Geschichte der Systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts (Vorlesung 1931/ 32, ÖUP) 143 Grundfragen einer christlichen Ethik (Gemeindevortrag 1929, BBA) 44 Jesus Christus und vom Wesen des Christentum (Gemeindevortrag 1928, BBA) 145, 319 Nachfolge (1937, N) 16, 23, 71, 77, 106, 120, 128, 135, 138, 184, 222 f., 231, 271, 273, 286, 288–291, 310–316, 319–321, 325 f., 338, 354, 367, 375, 384 f., 392, 397 f., 401, 404, 416
436
Werkregister
Predigt zu Johannes 8,32 (Semesterabschlussgottesdienst 1932, ÖUP) 298, 300 Predigt zum 1Korinther 2,7–10 (London 1934, L) 293 Predigt zu Matthäus 28,20 392 Predigt zu Matthäus 28,20 (Barcelona 1928, BBA) 391
Theologische Besinnung zum Heiligen Abendmahl (1940, ITAS) 379 Theologische Psychologie (Dogmatische Übung 1932/33, B) 121, 127, 132
Referat über historische und pneumatische Schriftauslegung (1925, JuS) 36, 61, 161, 341
Was muß der Student der Theologie heute tun (Essay 1933, B) 15 Widerstand und Ergebung (1951/1970, WE) 29, 35, 37, 106, 142, 145, 176, 178, 180, 188, 192, 194, 253–255, 258–260, 267, 276, 278, 286, 291, 295 f., 300, 303, 304, 306, 312, 321 f., 325, 343 f., 346–348, 361, 401, 417
Sanctorum Communio (1930, SC) 31, 114, 119, 135, 138, 142, 182, 195, 200 f., 208 f., 229, 247, 253, 262, 291 f., 312, 335, 338, 352 f., 354, 357, 359, 361 f., 364 f., 369, 376–379, 386, 395, 398, 401, 405 f., 416
Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte (Vortrag 1935, ITAF) 115, 132, 189, 241 f., 247–249, 326–329, 332, 406
Sachregister
Abendmahl 362, 364, 367–371, 374, 379 f., 382 f., 385, 394 Abstraktion 21, 201, 209, 238, 277, 364 Accidenz 370, 372, 387 actus directus 209, 307, 351 actus reflexus 307, 351 Aktivität, aktiv 18, 25, 27, 30, 309, 311–316, 321, 324, 328, 336, 402–404, 408, 413 analogia relationalis 152, 207, 212, 230, 393, 401 Anrede 31, 150, 192, 201, 203, 207, 209, 212, 216, 230 f., 234, 288, 320, 326, 356, 371, 375, 378, 384, 399, 401–404, 408 f., 414 Anspruch 21, 32, 38, 43 f., 61, 101, 110, 129, 146, 149, 151, 154, 157 f., 160, 164, 185 f., 205, 207 f., 210, 214, 220, 227–230, 244 f., 247, 269 f., 281, 323, 328 f., 331, 335, 337, 354, 358, 365–367, 370, 379, 393 f., 396, 402–405, 408–410 Anteil 65, 74, 180 Antwort 18, 26 f., 30 f., 59, 71, 75, 78, 86 f., 91, 120, 125, 132, 149, 182, 189, 196, 203, 207, 209, 213, 215 f., 228, 230 f., 234, 245, 249, 253, 257, 259, 261, 277, 305 f., 323 f., 335, 337 f., 350, 367, 370–372, 394, 402– 406, 408 f., 413, 415 Ärgernis 22, 64, 73, 187, 189, 289, 304, 306, 329, 341, 350,369 f., 410 Auferstandener 31, 83, 105, 119, 122, 131, 169–171, 186, 189, 312, 321, 333, 337, 354, 366 f., 392, 394, 406–408, 414 Auferstehung 82–84, 98, 101–103, 129, 171, 178, 200, 230, 268, 306, 322 f., 325 f., 331 f., 352 f., 358, 366, 383, 388, 392
Autonomie
116, 137, 309, 315
Beziehungswirklichkeit 259, 302, 375 Bibel 15 f., 18, 20 f., 26 f., 29, 31, 36 f., 45 f., 52, 55 f., 59, 62, 65–67, 69–77, 79 f., 82 f., 87, 90–93, 95 f., 99, 102 f., 107, 109–112, 115–119, 121–123, 125 f., 131, 133–135, 138–139, 143 f., 147, 152, 161, 163 f., 167–173, 175–183, 186 f., 189, 191, 194, 205, 226, 228 f., 232–235, 244, 246, 261, 271, 273, 280, 286, 289 f., 297, 305 f., 317, 319, 323, 334, 341, 345, 349 f., 357, 359, 387, 389–391, 394–396, 410–414, 416 f. – Bibel als Buch der Kirche 66, 271, 356, 395 Biblizismus 28, 69 f., 72 f., 75 f., 94, 110, 114–117, 126, 130 f., 134, 139, 141, 182, 229, 279 f., 282, 306, 317, 320, 327, 339, 359, 400, 412 Bild 17, 23, 25, 29, 44, 57, 60, 65, 70, 73, 97 f., 109, 125 146, 149, 152, 166, 176– 180, 182, 184, 191, 199, 219, 222, 231, 241, 280 f., 283–290, 312 f., 321 f., 333, 336, 345, 349, 357, 371, 377, 385 f., 388, 391 f., 397 f., 401–405, 412 Blut 367, 371, 374, 380 f., 385, 392 Böse 41–47, 49, 63, 79, 86–91, 107, 125 f., 147, 165, 257, 297–299, 301, 309, 316, 318 f. capax infiniti 24, 130, 376, Chalcedon, Chalcedonense 190, 193 f., 260, 273–277, 285, 293, 306, 308, 360, 382, 389
438 Christologie 22, 255, 274, 291–293, 307 f., 312, 338, 362, 369, 376, 388 Christus 18–21., 24–27, 30 f., 37 f., 66, 68 f., 79, 83 f., 87–89, 98, 100–102, 104– 108, 110, 113–115, 118–123, 125, 127– 129, 131, 135–139, 142, 144, 150, 158, 160–161, 165–171, , 181 f., 186, 188–191, 193 f., 196, 200, 209 f., 212–214, 217, 219, 221, 230–232, 237., 242 f., 245, 247 f., 255–260, 264–269, 274–278, 283, 285, 288–293, 301, 303 f., 307, 311–317, 319– 328, 330–338, 340–349, 351–368, 370– 379, 381–390, 392–410, 413 f. – Christus als Gemeinde existierend 119, 138, 221, 312, 337 f., 353–355, 357, 359, 376, 383, 393, 396 f. – Christus praesens 193, 337 f., 364, 378, 395, 398, 407 Christuswirklichkeit 67, 114, 119, 305, 315, 325,368, 380, 386, 393, 404, 407–409 creatura verbi 395, 407 Dasein 17, 49, 142, 156–159, 161, 177, 182, 189 f., 196 f., 200, 202–210, 212–216, 219–221, 223, 226, 229, 232–238, 240 f., 246, 252 f., 255–257, 259, 262 f., 266 f., 269, 271 f., 274, 277, 283, 291, 297, 312, 322, 351, 367, 384 – Dasein für andere 259, 312 – menschliches Dasein 49, 158, 177, 200, 207 f., 216, 226, 232, 234, 236, 246, 252, 256, 262, 267 Demut 72, 75, 105, 138, 267, 293, 358, 385 deus ex machina 253, 347 Dezentrierung 25, 315 f., 322, 345, 350, 353 f., 356, 377 f. dialektisch 69, 151, 159 f., 183, 190, 207, 252, 261, 298 Dialektische Theologie 36, 100, 145 f., 202, 220, 226, 389 Diesseits, Diesseitigkeit 21, 29, 179, 181 f.,, 250–253, 255–257, 259–261, 266–269, 344, 347 f., 412 Dogma 35, 37, 74, 99, 111 f., 114 f., 118, 131, 193, 274, 308, 343, 360 f.
Sachregister
Du 31, 44, 63, 128, 143, 145, 200, 205, 207 f., 229, 242 f., 257 f., 262, 301 f., 319, 335, 358, 369, 371, 377, 386, 393, 396, 405, 409 dynamisch 21, 25–27, 30, 124, 208, 277, 312 f., 324, 334, 354–358, 385, 398, 404, 408, 413 Ebenbildlichkeit 30, 152, 184, 207, 286, 288, 290, 295, 313, 321, 357, 396 f., 402 f., 414 Eigentlichkeit 30, 210, 215 f., 246, 350, 403 f., 414 Einfalt, einfältig 120, 123, 311, 316, 318 Einheit der Schrift 105, 109 f., 113, 340 f. Einverleibung 31, 386, 406, 414 Ekklesiologie, ekklesiologisch 74, 260, 351, 356, 362, 364, 367, 376, 397 Element 31, 55, 58, 67, 172, 187 f., 239 f., 279, 306, 342, 362 f., 365–373, 376, 380– 386, 393, 396 f., 406 f., 410, 413 f. Entmythologisierung 19, 22, 29, 142, 164, 172–176, 178, 180, 187 f., 191 f., 194, 261, 269 f., 274, 283, 318 Entzweiung 44, 107, 136, 153, 198–200, 297–299, 303, 318 Erbsünde: s. Sünde Erkenntnis Gottes 18, 45, 73, 87, 113 f., 127, 130, 137, 145–151, 153, 155 f., 159 f., 184 f., 188, 190–192, 195, 221–223, 264– 267, 269, 299, 309, 336, 352, 376 Eschatologie, eschatologisch, eschatisch 119, 170 f., 192, 196, 200,, 252 f., 295, 331–333, 343, 351, 357, 362, 367, 374, 378, 380, 384, 386, 397, 404 Eschaton 30, 243, 331, 380, 413 Evangelium 22, 24, 26 f., 30, 37, 69, 76, 97, 100, 103 f., 109, 119, 142, 144, 168, 180, 188, 193, 196, 206, 215, 263, 296, 304– 306, 310, 320, 323, 329 f., 334, 341 f., 349, 361 f., 364–367, 379 f., 385, 391, 395, 409 f., 413 Ewigkeit, ewig 28, 44 f., 63, 82 f., 88, 113, 131, 143, 154, 164–166, 169, 186, 199, 225, 229–231, 249, 252, 258, 295, 303 f., 308, 317, 325, 329, 332, 344, 347, 350, 376, 379 f., 383 f., 387, 397, 401, 410, 412
Sachregister
Exegese 16, 19, 27, 32, 34, 36–39, 41, 43, 46 f., 51–55, 57, 61, 64 f., 68–70,, 76, 82– 84, 86, 89, 117, 126, 131, 134, 140 f., 143, 155, 161–164, 166, 168, 172,, 178, 186, 188, 191,, 223,229, 233, 238 f.,, 270 f., 279, 282, 317, 327, 330, 341, 346, 394 f., 400, 411 existential 17, 141, 157 f., 170, 172, 174, 177, 179, 181 f., 187–190, 193, 197, 200, 202–205, 207, 211, 214, 219–221, 232, 235–237, 239, 241, 258, 260–263, 267– 273, 277, 288, 306, 320, 324, 339, 395, 400, 412 existentiale Interpretation 29, 144,, 175, 179 f., 187, 189, 192, 195, 222, 227, 229, 234, 247, 261, 270, 274, 318, 412 existentiell 21, 27, 37, 67, 142, 144, 154, 158–160, 179, 185, 192, 195, 197, 203 f., 211, 214, 216, 219, 221 f., 227–229, 232, 244 f., 252 f., 256, 270–273, 323, 333, 339, 361, 384, 398, 408 Existenz 18, 24, 26, 29, 31, 42, 66, 78 f., 94, 117, 139, 142, 144, 151–154, 157–162, 167, 169–171, 175, 177, 181 f., 184, 187, 189–193, 195–197, 200–225, 227–236, 238–253, 255–269, 271 f., 274, 277 f., 283, 291, 309 f., 312 f., 320, 322, 329, 332 f., 336 f., 342, 347–350, 352, 354–356, 362, 372 f., 376, 383, 387, 396, 398 f., 406, 409 f., 412, 414 f. extra (nos / me) 128, 211, 242, 258, 264, 267 f., 288, 323, 325, 397, 403, 409 fieri 25, 30, 88, 313, 381, 414 Fiktion 58, 321 f. Fleischwerdung 31, 367, 383 f., 388, 394, 396 f., 406 f., 409 f., 414 Flucht 151–153, 199, 231, 301 f., 310, 318, 320, 322, 355 Formalprinzip 106, 137, 139, 342, 344 Frage 16, 18, 21, 25–31, 36, 41, 44, 46 f., 51, 54, 57, 59, 62–66, 75, 78 f., 85–92, 94, 96, 98 f., 105, 107, 109, 113, 116, 118, 120, 125, 128, 134, 137, 142–145, 147–150, 154–156, 159–161, 164, 167 f., 171–173, 180, 182 f., 188–193, 195 f., 198, 202–204,
439 207, 209–211, 214, 216 f., 219–223, 225– 229, 232 f., 235–237, 242, 244 f., 247–249, 252–261, 263, 265 f., 268–273, 276 f., 282 f., 291, 295, 298 f., 302 f., 305, 307, 309–311, 313, 315, 317 f., 321, 324, 327 f., 331–332, 338, 341 f., 346, 350, 352 f., 357, 359, 363, 368, 370–373, 376, 379, 383, 385 f., 388, 401 f., 411–414 – fromme Frage 86, 149 f., 199, 212, 248, 256 f., 298, 370, 390 freie Tat (Gottes) 212, 214, 218–220, 314, 337 Freiheit 7, 22, 43, 85, 119, 143, 151 f., 158, 161 f., 201, 207, 212, 230, 289, 297 f., 300 f., 303 f., 307 f., 314 f., 333, 337, 365, 377, 396 f., 402, 408 f. Fremdheit, fremd 21 f., 26 f., 29 f., 37, 53, 55, 69, 95, 131, 135, 173, 180, 187–189, 213, 231–233, 239, 261–263, 265, 270, 272, 276, 279, 285, 289–291, 296, 298, 300, 305 f., 310, 320–322, 324, 329, 334 f., 338, 342, 355, 392, 394, 405, 410, 413 Fremdling 290, 391 f. – Fromme Frage 86, 149 f., 199, 212, 248, 256 f., 298, 370, 390 Frömmigkeit, Frommsein, fromm 28, 33, 69, 72, 80, 86, 103, 105, 107, 109, 116–118, 121–123, 126–128, 130 f., 141, 144, 149– 151, 182, 188, 199, 212, 248, 257 f., 259, 298, 306, 316, 320, 370, 389 f., 412 Gebet 123, 126 f., 291, 317, 346, 348 Gebot 42, 64, 87, 156, 196, 212, 248, 261, 297, 300, 315 Gegenwart, Gegenwärtigkeit 21, 23, 26, 30–32, 72, 74, 106, 119, 172, 182, 187, 193, 201, 204, 208, 238–244, 246 f., 249, 251 f., 266, 268 f., 273, 288, 295, 300, 312, 314, 326–332, 334–337, 339 f., 346, 354, 358, 362–364, 367–373, 375 f., 378 f., 382 f., 393, 406, 408, 410, 413 f. Geheimnis 20, 24, 27, 30, 53, 87 f., 94, 106, 133, 184, 187, 189, 194, 197, 257, 260, 273, 276–278, 285, 291–297, 299–311, 322, 325, 342, 382, 385, 398, 405, 407, 413
440 Gehorsam, gehorsam, gehorsam sein 23, 25 f., 45, 90, 93, 98, 120, 139, 147, 150, 156, 158, 183 f., 212, 257, 292, 296 f., 299, 308, 311 f., 315 f., 318, 321, 329, 346 Gemeinde 21, 31, 72, 102, 114 f., 119, 124 f., 138 f., 209 f., 221, 268, 278, 292, 312, 337 f., 352–357, 359, 361, 363–367, 373–380, 383–387, 389, 393, 395–398, 406–408, 414 Gemeinschaft 44, 124, 196–199, 208 f., 221, 230, 247, 260, 262, 313 f., 335, 350 f., 353–356, 358, 361, 363–365, 367, 371, 374–377, 379, 385, 387, 391–397, 401, 403–408 Gericht 120, 153, 316, 322, 329 Geschichte 29, 33, 35 f., 47, 50, 54–61, 64, 70 f., 76, 82, 89, 92–94, 98 f., 101, 104, 110 f., 115 f., 127 f., 143, 146, 154, 159, 162 f., 169, 183, 192 f., 201, 204, 206, 216, 220, 228 f., 238–241, 243–245, 253 f., 261, 264, 268, 270, 281 f., 284, 314, 321, 327, 331–334, 351 f., 356, 358, 364, 386, 390– 394, 401, 410, 412 Geschichtlichkeit, geschichtlich 18, 36–38, 45, 47, 56, 61, 68 f., 75 f., 82, 85, 122, 142, 145, 156–158, 161, 163, 165 f., 169 f., 175, 189, 192 f., 195, 201 f., 206–210, 216, 223 f., 226, 228, 230, 238–243, 246 f., 252 f., 261–263, 266–271, 274, 293, 296, 302, 317, 327 f., 330–333, 350–352, 356, 361, 366 f., 389 f., 394, 410 Geschöpf 18, 25 f., 30 f., 45, 80, 84, 87, 89– 91, 93, 95, 143 f., 147–150, 153, 176, 181– 185, 198 f., 213, 221, 224 f., 230, 233, 248, 257, 262, 277 f., 287, 291, 296–299, 303 f., 309–311, 314–316, 318–326, 328, 332– 338, 345, 348–350, 352–357, 373–378, 380, 390 f., 394–398, 400–410, 413 f. Geschöpflichkeit 25, 80 f., 84, 95 f., 109, 184, 197–199, 213, 221, 262, 286–288, 297, 299 f., 309 f., 315, 348, 352, 375, 401 Gesetz 57, 97, 99 f., 103 f., 109, 153, 158 f., 230, 295, 320, 323, 359, 362, 385, 389, 394, 409 f.
Sachregister
Gestaltung 21, 25, 312–315, 321, 335–337, 351, 383 f., 393, 397 f., 403 f., 407, 410 Gewissen 175, 200, 300, 315, 318 f. Glaubensbegriff 234, 264 Gleichzeitigkeit, gleichzeitig 64, 113, 120, 164, 181, 324 f., 331 f., 335–337, 362, 375, 383 Gnade 44 f., 90 f., 105, 107, 120, 129, 146, 153, 156 f., 159, 184, 199, 204, 213, 215– 219, 221–223, 245 f., 263, 291, 298, 315, 320, 322, 326, 333, 378, 392 Gottesdienst 115, 362 Gotteswort 17, 27 f., 49, 76, 79–81, 83–85, 89, 103, 117, 132, 147, 150, 162, 165, 171, 191, 256 f., 283, 288, 290, 306, 319 f., 323, 335, 341–344, 349, 410–412 Gott-Mensch 31, 304, 337, 354, 356, 368– 370, 387–389, 414 Götze 248, 317, 319 Grenze 19, 30, 37, 45, 54, 60, 95 f., 107, 132, 135 f., 150, 152, 173, 175 f., 188–190, 197–199, 213, 217, 231, 248, 254, 264 f., 275, 277, 280, 282 f., 289, 292, 294, 297– 300, 302 f., 309, 315, 335 f., 347, 369, 372, 375, 377, 382, 384, 386, 413 Gut 33–35, 42–47, 49, 68, 79, 86, 89–91, 107 f., 125 f., 145–147, 155, 165, 180, 184, 197, 213, 295, 297, 299, 309, 311, 316, 318 f., 335, 347 Haupt (der Gemeinde) 112, 357, 363, 377 Heil 110, 127 f., 139, 216 f., 224, 259, 268, 318, 331, 333, 336, 350, 367, 375, 384, 390 Heiliger Geist 74, 79–81, 84 f., 98, 100, 111, 113, 115, 120, 123 f., 129 f., 133, 139, 189, 235, 241 f., 247 f., 278, 314, 329, 334, 337, 343, 348 f., 352, 358 f., 365, 377–379, 386, 395, 397 f. Heiligung 115, 135, 183, 303, 313 Historie 29, 49, 56, 64, 83, 113, 121, 169 f., 223, 328, 331, 389, 410, 412 historischer Jesus 30, 111 f., 168–170, 186, 192 f., 272, 330 f., 349, 366, 389, 410, 413 – Historisch-kritische Bibelauslegung 28, 56, 67, 71, 75, 92, 112, 165, 284, 306
Sachregister
Historismus 64, 94, 133, 166, 170, 191, 223, 239, 251, 269, 282, 327, 330, 366 Historizität 47, 54, 56, 58, 64 f., 67 f., 169, 171, 317, 330 f., 333 Ideal 320, 336, 404 Idee 33, 43, 63, 65, 70, 89 f., 105, 130, 150, 153, 179, 196, 246, 256, 264, 267, 289, 301, 320, 337, 369, 373, 383, 399 imago dei 150, 248, 287, 298, 346, 349 Imitatio 316, 404 Immanenz, immanent 57, 147, 149, 217, 250–253, 255–261, 266 f., 276, 282, 296, 334, 347, 352 Imperativ 316, 374 f. Incogntito 398 Indikativ 316, 374 f. Individualismus, individualistisch 22, 115, 127 f., 146, 181 f., 254, 259 f., 358, 375, 381, 383 Innerlichkeit, innerlich 127–129, 254, 333, 362, 365 Inspiration 21, 73 f., 81, 98 f., 109, 111– 113, 131, 320, 322, 334, 388 Jenseits , jenseitig, Jenseitigkeit 44 f., 47, 59, 79, 92, 126, 137, 154, 156, 158, 179, 181, 185, 188 f., 193, 217 f., 235, 250–255, 258, 260 f., 266 f., 281, 287, 295, 347 Kanon, Kanonizität 22, 28, 98 f., 101–106, 109, 113, 136 f., 340–343, 349, 359, 412 Kerygma 164, 167 f., 170–172, 174 f., 179 f., 186–188, 191 f., 224, 245, 261, 275, 283, 285, 342 Kirche 715, 19, 26, 31, 50, 52, 54, 56, 59, 92– 94, 100–103, 105 f., 109, 112–120, 122, 127, 129, 131, 135, 138, 169 f., 172, 183, 188, 200, 219, 221, 245–247, 259 f., 267, 271, 275, 283 f., 288, 291 f., 307–309, 312, 330–332, 335, 337 f., 340, 343 f., 346 f., 349–356, 358–367, 375 f., 378–380, 387, 389, 395–398, 403 f., 406 f., 414 Konkretion 209, 241, 246, 356, 360, 363 f., 375 f.
441 Kreuz 20, 98, 100, 102, 128 f., 170–172, 175, 189, 231–233, 243, 260, 266, 268, 272, 276, 285, 288, 290 f., 296, 301, 303–306, 309–312, 316, 319–321, 324 f., 332, 338, 343, 345, 347, 352–355, 358, 371, 392, 394 – Kreuz Christi 29, 105, 405, 413 Leib 24, 31, 71, 122, 128, 198, 311 f., 350, 353–355, 362–364, 367, 369, 372–376, 378–385, 388, 392, 396, 398, 403, 406, 408 f., 414 23, 31, 350 f., 353–355, – Leib Christi 357 f., 361, 364–369, 376, 378 f., 381, 383–386, 395 f., 398, 403 f., 407 f., 410, 414 Leid 43 f., 93, 147, 200, 255, 312, 390, 392 Leser 15 f., 21 f., 24, 26–28, 30 f., 58 f., 63, 70, 77 f., 80, 86, 91, 94, 103, 122, 124, 131 f., 163–166, 174, 176 f., 179 f., 182, 185, 187, 189–191, 227 f., 237, 247, 261, 271, 273, 284, 286, 289, 294, 305, 317, 320–322, 328, 332–334, 340, 345, 348, 390, 409 f., 412–414 Letzte, das 295 f., 303, 313, 325 f., 331 f., 348, 407 f. Liberale Theologie 146–149, 155, 157, 161– 163, 174 f., 191, 206, 263 Liebe 43 f., 53 f., 107, 129, 142, 198 f., 260, 297, 301 f., 311, 352, 376, 383, 393, 397 Logos 31, 64, 148, 167, 255–259, 267 f., 272, 280 f., 342, 370, 379, 382, 387 f., 397, 414 Lüge 30, 58, 63, 79, 84 f., 89, 97, 121, 152, 178, 184, 294, 296, 298–302, 305, 309 f., 338, 349, 404 f., 413 Märchen 39, 57, 59–61, 64, 92, 177, 179, 280, 282, 391 f. Materialprinzip 136, 341–344, 348 medium salutis 350 Mensch – alter Mensch 234, 315, 320, 404–406 – neuer Mensch 139, 210, 272, 312 f., 315, 320, 351–358, 361 f., 366, 368, 378, 404 f., 407–410, 414 Menschenwort 17, 29, 35, 38, 49, 60, 73, 76, 79, 81, 83 f., 96, 103, 117, 132 f., 162,
442 164 f., 182, 191, 283, 290, 305–308, 320, 323, 333, 341–344, 350, 357, 387 f., 392, 399, 410, 412 Menschwerdung 75, 129, 194, 258, 268, 273, 276, 278, 313, 325, 343, 345, 352, 354, 356, 369, 379, 388, 392 f., 396–398, 406 f. Metaphysik, metaphysisch 95, 110, 151 f., 154, 165, 181 f., 253 f., 274 f., 347, 355, 366, 370 f., 373 Mitte – Christus als Mitte 19, 26, 107, 119, 342 – Mitte der Schrift 37, 99 f., 106, 119, 342 Mittler 144, 214, 276 Möglichkeit 35, 45, 64, 99, 113, 127 f., 142, 147, 150, 157 f., 160, 162, 168, 173, 179, 181, 185 f., 188, 190, 195, 202–216, 219, 223, 226–228, 234 f., 237, 240–248, 252, 255–257, 262–267, 269 f., 272, 275–278, 298, 303, 306, 312, 318, 333, 382, 385 Mysterium 26 f., 30, 88, 273, 275, 285, 302, 307, 309, 382, 391, 413 Mythos 29, 57–61, 64, 92, 172–174, 177– 182, 185, 187–189, 192, 194, 197, 239, 249, 260 f., 267, 273, 275 f., 279–286, 288 f., 305 f., 321 f., 332, 334, 347, 391 f., 413 – mythisch 29, 58–60, 65 163, 172–176, 178–182, 187–189, 193 f.,227, 239, 270, 273, 281–283, 285 f., 289, 321, 410, 413 – Mythologie 174, 178, 181, 185, 189, 239, 306 – mythologisch 52, 95, 163 f., 172–174, 178–180, 187–189, 192, 194, 239, 306, 390 Nachfolge 22, 24, 26, 120, 128, 132, 183, 290, 305, 312, 375, 385, 394, 403 f. Nächste, der 23, 25, 134, 142, 196, 198, 200 f., 230, 242, 251 f., 259–262, 295, 297, 302, 307, 309 f., 315 f., 323, 329, 353, 355, 374, 377, 385, 395, 401, 406, 408 f. Neuschöpfung: s. Schöpfung Objekt, Objektivität 17 f., 21, 57, 78, 133, 143, 148 f., 154, 159, 185 f., 204, 221, 223, 225 f., 228 f., 231, 233, 236, 251, 266, 269, 282, 313, 328, 357, 384, 395
Sachregister
Offenbarung 35, 38, 46, 65, 72, 75 f., 80–83, 85, 92 f., 97, 102–104, 108 f., 114, 116, 118, 123, 128, 130, 133, 142, 148, 151, 156 f., 159 f., 163, 168, 170, 175, 182 f., 189, 195 f., 204–206, 211–217, 219–221, 232, 235–238, 241–245, 249, 251–253, 256, 263–267, 273, 276, 292, 296, 303 f., 327, 330, 332 f., 335, 341, 345, 349, 352, 354–356, 360 f., 366, 368, 370, 376, 378 f., 383, 398 f., 401, 406, 408 Ontologie, ontologisch, ontisch 158–160, 185, 202–205, 207, 213–217, 219–221, 228, 232–234, 241–243, 256, 262–266, 268, 272, 274, 277, 292, 304, 324, 354, 357, 369, 373, 382, 385, 395, 398, 400–402, 407 Opposition 183 Ordnung 57, 94, 136, 173, 257 Orthodoxie, orthodox 28, 72–76, 80 f., 83– 85., 93 f., 96, 99, 102, 106 f., 109–113, 121, 124, 131–137, 139, 167, 280, 283, 286, 339, 342 f., 350, 400 412 Paradoxon, Paradoxalität, paradox 67, 83, 132, 134, 138, 153, 165, 168–170, 184, 188, 190, 198, 234, 243, 258, 269, 276 f., 285, 292 f., 296, 298, 304–308, 313, 321, 325, 328, 330–332, 360, 365, 374, 382, 389, 391, 410 participatio 311 Passivität, passiv 18, 25, 27, 30, 146, 152, 212, 265, 310–315, 321, 324, 328, 336, 403 f., 408, 413 pati 310 Performativität, performativ 31, 331, 337, 374, 386, 395, 407, 414 Person 16, 19 f., 23, 25, 27, 31, 37, 69, 71, 73, 75, 81, 104 f., 107, 169, 195, 197, 200 f., 204, 208–210, 219, 221, 229, 240, 242, 247, 255, 258, 260, 265, 268, 275 f., 278, 292, 307 f., 330, 333, 335, 337, 351, 353 f., 356, 361, 366, 370, 37–378, 382 f., 386– 389, 393–396, 400 f., 406 f., 409, 414 petitio principii 143, 268, 340 Phänomenologie, phänomenologisch 26, 264, 268, 409
Sachregister
Philosophie 57, 64, 78, 117, 131, 141–143, 187, 193, 195, 203, 206, 211, 213–216, 231, 234–237, 244, 269, 272 f., 282 Pietismus, Pietist, pietistisch 28, 72–77, 81, 85, 96, 98–100, 107, 111–114, 122, 124– 132, 136–139, 167, 224, 283, 339, 400, 412 Pneumatologie, pneumatisch 16, 113, 162 f., 349, 358 Predigt 15, 17, 20, 120, 170, 172, 234, 240, 280, 283, 294, 346 f., 357, 361 f., 364 f., 367, 376, 378–380, 391, 394, 398, 407 principium cognoscendi 99, 132, 136, 165, 342 Prinzip (hermeneutisches) 113 f., 120, 136 f., 167, 235, 341 f., 350, 356 pro me 335, 372, 378 Ratio 64, 80, 155 f., 225, 284, 292–294, 296, 318, 322, 360 Raum 16, 20, 26, 31, 116, 175, 196 f., 204, 214, 237, 253, 271 f., 276, 285 f., 293, 303, 306, 308, 312, 316 f., 321, 334, 337, 352– 354, 358, 360, 371 f., 380, 383, 402, 414 Realpräsenz 363, 372, 382 Rechtfertigung 99, 183, 237, 276, 295, 313, 318, 327 Reich Gottes 27, 30 f., 252, 337 f., 404 f., 407 f., 413 f. Rekonstruktion 51–53, 239, 320 f., 352, 384, 394 Relationalität, relational 29, 101, 104, 108, 184 f., 195 f., 200, 208, 229, 236, 261 f., 305, 346, 357 f., 368, 412 religionsgeschichtliche Schule 33 f., 174, 179, 281, 283 res 31, 88, 98, 111, 156, 226, 285, 293, 364, 382, 385, 414 Responsivität 26 f., 29, 31, 387, 398, 400– 402, 408–410, 412, 414 f. Rezipient 18, 91, 116, 163, 183, 226, 239, 245, 280, 328, 334, 339, 343, 345, 349, 359, 361, 388, 390 Richter 86, 88 f., 93, 134, 150, 256, 258, 276, 285–287, 318, 349, 354, 390 Ruf (in die Nachfolge) 375, 403
443 sacra scriptura 83, 133, 137, 339, 343, 358 Sakrament 27, 29–31, 112, 337, 339, 356, 362–369, 371–387, 393–398, 400, 406– 408, 410, 414 f. – Ursakrament 393 f., 406 sanctorum communio 31, 351, 357, 359, 363, 376 f., 395, 404, 406, 408, 414 Schlange 63, 86–90, 128, 149 f., 184, 199, 248, 256–258, 289, 298–300, 319, 358, 370 Schöpfer (Gott, Mensch als) 41 f., 44 f., 51, 80, 84, 91, 93, 104, 143 f., 147–153, 160, 174, 176 f., 181, 183–185, 188, 191, 198 f., 201, 217, 221, 223–225, 230, 233, 248, 261, 287, 291, 296–301, 303 f., 309 f., 315, 318–323, 337, 344–346, 348, 354 f., 357, 384, 390, 396 f., 399, 401 f., 406, 408 Schöpfung 41 f., 44, 48 f., 59 f., 84, 86, 89– 92, 94–97, 100–102, 108, 118 f., 147, 160, 184, 197, 224, 267, 295 f., 304, 311, 315, 335, 337, 344, 348, 352, 366, 373 f., 396, 399, 407, 409 f. – Neuschöpfung 25, 31, 68, 313, 315, 321, 334, 337, 348, 350, 353, 384, 409 f., 414 – Schöpfungstheologie, schöpfungstheologisch 243, 249, 252, 260, 267 f., 277 f., 337, 346 f., 357, 374 Schriftprinzip 45 f., 73, 103 f., 109, 113 f., 117 f., 120, 133, 341, 343 Schuld 60, 65, 87, 90 f., 255, 259, 284, 315, 347, 390 Schweigen 13, 30, 122, 227, 291 f., 295 f., 306, 388, 413 Seinkönnen 202 f., 206, 215, 262, 264 Selbstverständnis 54, 65, 145, 158, 174, 177 f.,181, 188, 196 f., 204, 207 f., 214, 220, 227 f., 237, 244, 270, 349, Sicherheit 67, 128, 158, 169, 273, 290, 305, 307 sichtbar 105, 157, 186, 204, 251, 308, 333, 371 f., 376 f. sicut deus 126, 130, 153, 185, 188, 233, 248 f., 289, 299 f., 309 f., 349, 375 Sicut-deus-Ebenbildlichkeit 288 Sicut-deus-Mensch 188, 199, 288, 299, 317 signum 31, 88, 365, 381, 385, 414
444 sola fide 373 sola scriptura 73, 109, 111 f., 131 f., 339, 350, 361 solo verbo 373 Soteriologie, soteriologisch 109, 366, 374, 408 Sprachfähigkeit, sprachfähig 31, 335 f., 395, 397–399, 408, 415 Sprachgeschehen 27, 30, 335 f., 356, 380, 386, 395, 399, 406, 408, 413 status corruptionis 300, 309, 322, 352 Stellvertretung 353, 396 f., 404 Subjekt, Subjektivität 18, 21, 25, 27, 30 f., 74, 78, 114, 126, 130, 133, 143, 159, 189, 196 f., 201, 204, 221, 223, 225, 227 f., 231, 236, 239, 244, 247–251, 254, 258, 266, 272, 278, 309–311, 313–316, 319–322, 324–329, 332 f., 336–338, 342, 345, 350, 352–358, 375, 377 f., 384, 394 f., 397 f., 402, 404–408, 413 f. Subjektwechsel 25, 27, 314, 316, 321, 324 Substanz 147, 160, 205, 275, 369 f., 372 f., 387 Sünde, Erb-/Ursünde 43, 87, 99, 108, 119, 135, 147, 149, 151, 153–156, 201, 203, 205, 210, 213, 215–219, 221, 231, 237, 263 f., 266, 273, 288, 301, 311, 323, 326, 333, 338, 347, 354, 365, 367, 371, 379, 383, 385 Sündenfall 28, 42, 44, 46, 66, 99, 156, 185, 301, 411 Tat
21, 26, 36, 41, 58, 82, 85, 90–92, 123, 126 f., 129 f., 139, 149, 156, 158, 184, 194, 199, 201, 204, 212, 214, 217–220, 245, 253, 314, 316, 337, 352, 358, 405 407 f. Taufe 313 f., 362, 367, 369, 385, 390, 394 Teilhabe 24 f., 27, 31, 208, 223, 259, 311 f., 325, 364, 369, 393, 407, 414 Teilnehmer 333 f., 336 Tod 19, 49, 101, 108, 156 f., 202, 204 f., 233 f., 243, 255, 259, 289, 298 f., 301, 311, 313 f., 319, 321–323, 340, 347, 366, 405, 409 – Tod Christi 311
Sachregister
Transzendenz, transzendent 57, 146, 158, 172, 181 f., 207, 217, 250–261, 266–269, 276, 334, 336, 347, 353, 382, 393 – transzendental 132, 159 Trinität 106, 144, 201, 307, 358, 397 f., 407 Ubiquität 370–372, 374, 380 Umgestaltung 312, 321, 384 Unfreiheit, unfrei 297 f., 300 f., 309 Ungehorsam 87, 152 f., 292, 299 Unglaube 160, 203, 214, 228, 333 Ungleichzeitigkeit, ungleichzeitig 113, 324 f., 328, 332, 336 f., 362 Unmittelbarkeit, unmittelbar 43, 54, 70, 72, 74, 76, 81, 83, 87, 93 f., 101, 111, 116, 118, 120, 163, 187, 245, 362 Ursakrament: s. Sakrament Verantwortung 26, 30, 72, 187, 208, 229 f., 262, 311 f., 314 f., 324, 337, 351, 354, 356–358, 386, 405, 409, 413 Verbalinspiration, Verbalinspirationslehre 28, 49, 74, 80, 82–85, 98, 104, 111 f., 125, 134, 137, 147, 191, 328 Verborgenheit, verborgen 59, 83, 88, 92, 130, 284, 291, 294, 296, 304, 306–308, 334, 398 verbum visibile 381 Vergebung 156 f., 203 f., 273, 365, 379 Vergegenwärtigung 20 f., 23 f., 26 f., 29 f., 115, 132, 189, 192, 198, 222, 238, 242, 247–249, 286, 327–329, 331–334, 336 f., 343, 346, 348, 353, 358 f., 361, 363, 375, 381, 389, 393 f., 395, 406–408, 410, 412 f. Verheißung 97, 103 f., 139, 233, 248, 299, 323, 325, 332, 352, 354, 367, 370, 374, 378, 393 Vernunft, Vernünftigkeit, vernünftig, Verstand 24, 64, 71, 78, 112 f., 116, 130, 141, 149, 153, 155–157, 162, 172, 183 f., 187, 191, 215, 237, 250 f., 257, 263, 276 f., 285 f., 287, 292–294, 306–308, 318, 322 f., 327, 331, 344, 380, 413 Verstandenwerden 31, 278, 323, 406, 410, 414 Verstand: s. Vernunft
Sachregister
Verstehen, das 16–19, 21, 23, 29, 31, 42, 63, 75, 77, 79, 114 f., 119 f., 122, 124, 141, 143, 145, 156–164, 168, 170, 172 f., 175– 179, 183, 185–190, 192, 205–207, 222 f., 226–229, 231–234, 239, 244–246, 248, 261, 269–272, 276, 278, 309, 322 f., 333, 344, 359, 388, 394 f., 406, 409 f., 412, 414 Vertrauen 112, 141, 257, 308, 329 Vorbild 25, 163, 313, 315, 321 Vorletzte, das 295 f., 303, 312 f., 323–326, 331 f., 348, 408 Wagnis 25 f., 306, 316 Wahrhaftigkeit 82, 155, 161 f., 284, 286 f., 298, 300 f., 315 Wahrheit 28, 30, 35, 38, 44, 59–61, 63–65, 68–70, 76, 79, 82, 84 f., 89, 92 f., 96–98, 100 f., 104, 109–112, 115, 117, 119, 121– 123, 133 f., 148, 154, 161, 164, 176, 178 f., 181 f., 184, 186, 190, 207–209, 220 f., 223–226, 229–231, 238, 244–246, 248 f., 251–253, 255, 258, 268, 270 f., 279 f., 282–291, 293–296, 298–309, 314, 316– 319, 321–325, 329, 337 f., 349–353, 358, 360 f., 367 f., 377, 383, 387, 391, 394, 397 f., 403 f., 408, 410, 412 f. Welt 18 f., 31, 38, 41 f., 44 f., 48, 57, 59 f., 64, 78, 82, 84, 87, 90, 92–97, 101 f., 106, 108, 110, 112, 114 f., 118 f., 121, 123 f., 129, 133 f., 142, 145–154, 161, 164, 173 f., 176–178, 180 f., 183, 185, 187–189, 196, 199 f., 205, 209, 212, 216–218, 220 f., 225, 230 f., 239, 243, 250–254, 257, 259 f., 266, 268–270, 273 f., 281, 283–285, 289 f., 293–296, 299, 303–305, 308, 310 f., 315 f., 318 f., 321, 325–327, 329, 337 f., 343, 345,
445 351, 355 f., 363, 365, 378–380, 389–393, 396, 398 f., 401, 403, 408, 414 – weltlich 19, 24, 110, 118, 123, 173, 179, 252, 259, 267, 283, 291, 295 f., 303 f., 329, 347, 360 – Weltlichkeit 37, 251 f., 291 Weltbild 58–60, 164, 173–177, 179 f., 185, 225, 238 f., 254, 273, 282 f., 286 Wer-Frage 371, 382 Wie-Frage 255, 276, 307, 370, 373, 385 Wirklichkeit 18, 24–27, 30 f., 72, 119, 121, 142, 148–150, 153, 155, 159, 164, 169, 173 f., 180, 182, 190 f., 194 f., 197, 200 f., 204, 207, 209–213, 217, 219, 222, 224, 226, 228 f., 233, 236 f., 239, 243, 246, 250, 253, 256, 263, 267, 277, 280, 283–288, 294, 298, 300 f., 309, 315–317, 321–326, 329, 332–334, 336, 338, 343, 348, 352, 362–364, 366, 368–372, 377, 379, 384, 386, 391–396, 398 f., 401–405, 407–409, 413–415 Wirklichkeitsverständnis 26, 338 Wirkungsgeschichte 56, 327 Wortgeschehen 31, 350, 355 f., 359, 362, 367, 373, 386, 397 f., 404, 408, 414 Zeitlichkeit 178, 202, 204, 208, 240 f., 262, 266, 302, 383 Zeugnis 15, 22, 37, 46, 68 f., 81 f., 84, 98, 104, 108 f., 113, 117–119, 124, 145, 161, 168, 222, 226, 273, 343, 355 f., 370, 375, 389–391, 395 Zuhörer 60, 79, 90, 333 f., 371, 390 f. Zukunft, zukünftig, Zukünftigkeit 30, 33, 129, 158, 201 f., 204 f., 215, 228, 240–243, 247, 252, 266, 268, 326, 329–334, 379, 413 Zwielicht 90, 92, 96, 305, 308
Namenregister
Augustinus, Aurelius
115, 121, 379
Barth, Karl 16, 21, 23, 29, 32, 35 f., 45 f., 66 f., 69 f., 73, 76, 81, 83, 102–106, 114– 118, 130 f., 133, 136 f., 140, 142 f., 145, 148, 161 f., 166, 190, 200, 209, 213, 215 f., 253, 267, 289, 340–342, 359, 389 Baumgärtel, Friedrich 15, 37, 58 f., 102 f., 105, 281, 346 Bethge, Eberhard 16, 34 f., 40, 69, 95, 99, 119, 126, 224, 230, 106, 130, 145, 178, 254, 273, 291, 346, 389, 416 Bousset, Wilhelm 174, 281 Brettschneider, Karl 99, 102 f. Bultmann, Rudolf 19, 29, 37, 47, 141 f., 144, 148–168, 170–197, 200–211, 213– 229, 231–236, 238–256, 258–278, 283 f., 286, 288 f., 310, 313, 318, 320, 322, 326, 330, 335, 342, 350, 389, 400, 412 f. Claß, Gottfried 23, 27, 38–41, 66, 114, 119, 297, 318 f. Eichhorn, Johann Gottfried Francke, August
281, 284
98 f., 122–126, 138
Gabler, Johann Philipp 281, 284 Gadamer, Hans-Georg 162, 282, 285 Gerhard, Johann 73, 80, 98, 109–111, 131 f., 134 Gogarten, Friedrich 78, 148, 213, 215, 309, 386 Greßmann, Hugo 32–34, 39, 53, 58, 62
Gunkel, Hermann 32–34, 41 f., 50, 53 f., 57 f., 61–64, 108, 133, 174, 281 Harnack, Adolf von 34–38, 56, 69, 100, 146, 161 f., 165, 176, 193, 330, 339 Hegel, Wilhelm Gottfried Friedrich 64, 78, 236 f. Heidegger, Martin 17, 142, 193, 202 f., 206, 210, 213–215, 223, 227, 235, 262, 264, 266, 269, 274, 277 Herder, Johann Gottfried 96 f. Herrmann, Wilhelm 262, 275 Heyne, Christian Gottlob 174, 281, 284 Holl, Karl 36, 77, 83, 146 Kähler, Martin 75 f., 82, 85, 101–103, 111 f., 137, 327, 349 Kant, Immanuel 132, 253, 262, 314 Kautzsch, Emil 40, 48, 50, 58 f., 281 Kittel, Rudolf 32 f., 37, 61 Kuhlmann, Gerhard 142, 193, 206, 211, 213–215, 222, 234, 236, 263, 274, 315 Lessing, Gotthold Ephraim 85, 155, 333 Luther, Martin 21, 25, 36 f., 39 f., 73, 77, 80, 83, 86–91, 98–101, 103–106, 109–111, 113, 115, 118–120, 125, 128–133, 135– 137, 145 f., 149, 151, 155 f., 158, 193, 223, 257, 293, 303, 339, 341 f., 349 f., 358, 363–365, 369–375, 379–381, 383, 385 f. Menken, Gottfried
75, 115, 117, 119
Nietzsche, Friedrich 44 f., 47, 78, 126, 147, 150 f., 223
447
Namenregister
Quenstedt, Johann Andreas
74, 110
Rad, Gerhard von 66, 93, 345 Ranke, Leopold 33, 223 Ricœur, Paul 322, 324 Schelling, Friedrich 174 Schmidt, Hans 40 f., 43–46, 49–56, 62 f., 75, 89, 107 f., 135 f. Seeberg, Reinhold 34, 36, 62, 102 f., 146, 340 Sellin, Ernst 34 f., 47, 53, 102 f.
Spener, Philipp Jakob 73, 75, 81, 99, 112, 114, 123–126, 128, 138 Thurneysen, Eduard Vischer, Wilhelm Wellhausen, Julius
70, 80, 133
42, 64, 102, 340 f. 33, 42, 165
Zinn, Elisabeth 122 Zinzendorf, Nikolaus Graf von 74, 99, 107, 123–127, 129 f., 138 f.